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German Pages [256] Year 2007
Susanne Brauer
Natur und Sittlichkeit Die Familie in Hegels Rechtsphilosophie
BAND 79 ALBER PRAKTISCHE PHILOSOPHIE https://doi.org/10.5771/9783495997611
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Die Autorin über ihr Buch: Wer verstehen will, wie »natürliche« Aspekte des Familienlebens (Bedürftigkeit, Gefühle, Geschlecht, Reproduktion und Tod) mit der normativen Forderung zusammengedacht werden können, daß die Familie eine moralisch gehaltvolle Gesellschaftsinstitution sei, kommt an Hegels Rechtsphilosophie nicht vorbei. Gerade die Transformation – und nicht Unterdrückung oder normative Überhöhung – dieser Natürlichkeiten ist Hegels Anliegen, um zu zeigen, daß die Familie konstitutiv für die Freiheit und ein erfülltes Selbstverständnis des Individuums ist. Ob sein Modell der bürgerlichen Kleinfamilie und sein traditionelles Geschlechterverständnis sich ebenfalls einer »Transformation« für gegenwärtige Familienformen öffnen können, wird indes kritisch geprüft. Die Autorin: Susanne M. Brauer, Ph.D., geb. 1973, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ethik-Zentrum der Univeristät Zürich. Zwischen 1992 und 1998 studierte sie Philosophie, Germanistik, Sozialwissenschaften und Erziehungswissenschaften an der BU Wuppertal und WWU Münster. Für einen Forschungsaufenthalt ging sie 1999 ans »Committee on Social Thought« der University of Chicago. Anschließend nahm sie ein Ph.D.-Studium in Philosophie an der University of Chicago auf und wurde 2005 promoviert.
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Alber-Reihe Praktische Philosophie Unter Mitarbeit von Jan P. Beckmann, Dieter Birnbacher, Heiner Hastedt, Ekkehard Martens, Oswald Schwemmer, Ludwig Siep und Jean-Claude Wolf herausgegeben von Gnther Bien, Karl-Heinz Nusser und Annemarie Pieper Band 79
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Susanne Brauer
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Verlag Karl Alber Freiburg / Mnchen
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Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung fr Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein sowie der Paul Schmitt Gedchtnisstiftung.
Originalausgabe Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier (surefrei) Printed on acid-free paper Alle Rechte vorbehalten – Printed in Germany © Verlag Karl Alber GmbH Freiburg/Mnchen 2007 www.verlag-alber.de Einband gesetzt in der Rotis SemiSerif von Otl Aicher Inhalt gesetzt in der Aldus und Gill Sans Satzhersetellung: SatzWeise, Fhren Druck und Bindung: Difo-Druck, Bamberg 2007 ISBN 978-3-495-48243-8
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Inhaltsverzeichnis
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Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
1.1 Aufbau der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Vorwort
1
2
Grundlagen einer Interpretation der Familie in den Grundlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1 Methodische Implikationen: einen Umgang mit Hegels Logik finden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Neuere Auslegungen der Grundlinien . . . . . 2.1.1.1 Geistmetaphysische Auslegungen . . . . . . . . . 2.1.1.2 Auslegungen ohne Beachtung der Logik . . . . .
. . . .
2.1.1.3 Nicht-geistmetaphysische Auslegungen unter Beachtung der Logik . . . . . . . . . . . . . . . .
27 27 32 33 36
2.1.2 Methodischer Zugang in dieser Untersuchung . .
40 64
2.2 Begriffliche Präliminarien . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Der Begriff des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Der Begriff der Freiheit . . . . . . . . . . . . . .
70 71 76
Begründungsgrenzen der Natur . . . . . . . . . . . . .
84
3.1 Gegen Reduktionismus und Dualismus – die begriffliche Genese des Geistes aus der Natur . . . . 3.1.1 »Selbstgefühl« und »Gefühl« . . . . . . . . . . .
86 87
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Inhaltsverzeichnis
3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5
»Gattungsprozeß« . . . . . . . . . . . . »Geschlechtsverhältnis« . . . . . . . . . »Tod« . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Wahrheit« und »Voraussetzung« . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
90 91 93 94
3.2 Wider eine »essentialistische« Argumentationsstrategie .
99
3.3 Konsequenzen für die Familienkonzeption . . . . . . . . 103
4
Naturseiten der Familie im Übergang
. . . . . . . . . . 106
4.1 Heterosexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Die Rolle der Frau in der bürgerlichen Familie 4.1.1.1 »Venus vaga« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.2 »Lucinde« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.3 »Antigone« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1.4 »Hausfrau« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Über die »Vernünftigkeit« der Geschlechter .
. . . . . . .
. . . . . . .
4.1.2.1 Die Ehe als »konkrete Einheit« unterschiedlicher Geschlechter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2.2 Hegels Begründung der geschlechtsspezifischen Rollenzuteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107 110 111 112 114 120 123 124
127 4.1.3 Kritik an Hegels Bild der Geschlechter . . . . . . 129 4.1.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
4.2 Reproduktion, Triebe und Tod . . . . 4.2.1 Von der Natur zur Kultur . . . 4.2.2 »Reproduktion« und Adoption 4.2.3 »Triebe« und Erziehung . . . . 4.2.4 »Tod« und Testament . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
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. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
142 142 145 149 155
4.3 Liebe als Gefühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 4.3.1 Das Recht der Subjektivität – gegen eine Vertragskonzeption der Ehe . . . . . . 160 4.3.1.1 Kants kontraktualistisches Modell der Ehe . . . . . 162 4.3.1.2 Das Recht der Subjektivität und die Bezähmung der Willkür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1.3 Eine Frage der Gerechtigkeit? . . . . . . . . . . . .
165 168
4.3.2 Die Grenze der Subjektivität – gegen Friedrich Schlegels Liebeskonzeption . . . . 170 4.3.3 Die Autorität der Dritten . . . . . . . . . . . . . 175 8
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Inhaltsverzeichnis
5
Die Familie – eine sittliche Institution? . . . . . . . . . . 181
5.1 Die Familie zwischen den Koordinaten von Freiheit, Vernünftigkeit und Anerkennung . . . . . . . . . . . . 183 5.1.1 Die Familie als Mittel zur Freiheit . . . . . . . . . 183 5.1.2 Die Familie als konstitutive Bedingung von Freiheit 185 5.1.3 Vernünftigkeit als Konvergenz zwischen Allgemeinund Einzelwillen in Anerkennungsbeziehungen . 188 5.1.4 Einwand gegen Hegels institutionelle Konzeption der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 5.2 Liebe – eine angemessene Form der Anerkennung? 5.2.1 Die idealtypische Struktur der Anerkennung 5.2.2 Ursache und Grund der Liebe . . . . . . . . 5.2.3 Reziprozität und Symmetrie . . . . . . . . 5.2.4 Die Momente der Identität und Distanz . . . 5.2.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
195 196 198 201 203 206
5.3 Das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft . . . . 5.3.1 Sozialholistische Varianten . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Drei Lesarten des Substanz-Akzidens-Modells . . 5.3.3 Das Substantialitätsverhältnis in der Wesenslogik . 5.3.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
209 213 218 221 228
6
. . . . . .
. . . . . .
Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Sachregister
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
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Vorwort
Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete und gekürzte Version meiner Arbeit, die im Oktober 2005 von dem Philosophy Department und der Humanities Division der University of Chicago als Dissertation angenommen wurde. Mein erster Dank geht an die Betreuer und Gutachter der Dissertation: Robert B. Pippin als »Director« des Dissertationsgremiums und »Advisor« in meiner Studienzeit in Chicago, Ludwig Siep, meinen langjährigen Lehrer und Förderer aus Münster, Terry Pinkard, Charles Larmore und Jean B. Elshtain. Danken möchte ich auch den zahlreichen Helfern und Helferinnen, die mit fachlichen Kommentaren, scharfem Lektüreblick und den nötigen Aufmunterungen zur Buchentstehung beigetragen haben: Rainer Egloff, Kiersten Feil, Christoph Halbig, Heikki Ikäheimo, Sarah Jäggi, Dean Moyer, Patricia Putschert, Anette Rohmann, Irina Ruvinsky, Felix Steiner, Gisela Unterweger und Andreas Vieth. Für die finanzielle Unterstützung zur Deckung der Druckkosten bedanke ich mich bei der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und der Paul Schmitt Gedächtnisstiftung. Wem anders als meiner Familie könnte ich dieses Buch widmen: meinen Eltern Brigitte und Dave, meiner Schwester Sabine, meinem Mann Rainer und unserem Kind Serafin David.
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Siglen
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G. W. F. Hegel Wissenschaft der Logik. Zweiter Band. Die subjektive Logik oder die Lehre vom Begriff (1816). 1994. Hamburg: Felix Meiner Verlag. EG G. W. F. Hegel Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Dritter Teil: Die Philosophie des Geistes. 1986. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag. EL G. W. F. Hegel Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Erster Teil: Die Wissenschaft der Logik. 1986. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag. EN G. W. F. Hegel Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Zweiter Teil: Die Naturphilosophie. 1986. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag. MS Immanuel Kant Die Metaphysik der Sitten. 1989. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag. PhG G. W. F. Hegel Phänomenologie des Geistes. 1988. Hamburg: Felix Meiner Verlag. R G. W. F. Hegel Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. 1986. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag. SL G. W. F. Hegel Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die objektive Logik. Erstes Buch. Das Sein (1812). 1992. Hamburg: Felix Meiner Verlag. VPG G. W. F. Hegel Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Erste Hälfte. Band I: Die Vernunft in der Geschichte. 1994. Hamburg: Felix Meiner Verlag. WL G. W. F. Hegel Wissenschaft der Logik. Erster Band. Die objektive Logik. Zweites Buch. Die Lehre vom Wesen (1813). 1992. Hamburg: Felix Meiner Verlag. Nach den »§«-Zeichen bedeutet »A«: Hegels Anmerkung zum Hauptparagraphen; »R«: Hegels Randnotiz; »Z«: Zusätze seiner Schüler. A
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1 Einleitung
»im Willen – Welt, Natur, Notwendigkeit. – ewig gebauter Tempel – Ewig vorhanden – gefunden.« (R § 4 R) »Ilsebill salzte nach. Bevor gezeugt wurde, gab es Hammelschulter zu Bohnen und Birnen, weil Anfang Oktober. Beim Essen noch, mit vollem Mund sagte sie: ›Wolln wir nun gleich ins Bett, oder willst du mir vorher erzählen, wie unsre Geschichte wann wo begann?‹« (Günter Grass, Der Butt)
Begegnete man Georg Wilhelm Friedrich Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse 1 von 1821 aufgrund seiner etatistischen und autoritären Staatskonzeption noch bis vor einigen Jahren mit Skepsis, so wird diesem Werk im Namen einer Rekonstruktion der hegelschen »Theorie der Freiheit« eine vertiefte Aufmerksamkeit in der aktuellen Hegelforschung zuteil. Das rechtsphilosophische Modell der Familie 2
(Hegel 1989). Im Folgenden abgekürzt mit »Grundlinien«. Hegel konzipierte diese Schrift als ein Kompendium zum Gebrauch für seine rechtsphilosophischen Vorlesungen, die er in seiner Heidelberger (1817/18) und frühen Berliner Zeit (1818/19, 1819/20) gehalten hatte. Das Kompendium gliedert sich in Paragraphen, für die nach Hegels Tod sein Schüler Eduard Gans in der Freundesvereinsausgabe »Zusätze« aus Vorlesungsnachschriften von Studenten (K. G. v. Griesheim und H. G. Hotho) zusammenstellte (1833) und denen dann später Georg Lasson in seiner Edition (1914–1916) Hegels eigenständige »Notizen« hinzufügte. In späteren Editionen der Grundlinien wurden diese »Notizen« Hegels und teilweise, wie im Falle der Suhrkamp-Werkausgabe, auch die »Zusätze« der Schüler übernommen. Zur Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte siehe (Jaeschke 2003, 272 ff., 364 f.). 2 Hegel unterscheidet nicht streng zwischen »Ehe« und »Familie«: »Frau und Mann machen eine vollkommen selbständige Familie« (R § 172 R). In diesem Sinne gelten die Thesen, die in der vorliegenden Arbeit für die Familie erarbeitet werden, auch für die Ehe. Nichtsdestotrotz wird im Laufe der Arbeit zwischen den Beziehungen zwischen Eltern und Kind und zwischen Eheleuten differenziert. 1
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Einleitung
wurde bislang wenig beachtet. 3 Dieser Mangel an Forschungsarbeit ist aus zwei Gründen sehr erstaunlich. 4 Erstens gibt Hegel der Familie eine prominente Rolle in seinem späten philosophischen System, indem er sie auf der Stufe der »Sittlichkeit« verortet. Damit wertet er – im Gegensatz zu seinen philosophischen Vorgängern 5 – die Familie als gesellschaftliche Institution 6 entscheidend auf. Hegel setzt seine »sittliche« Konzeption der Familie gegen die Auffassung, dass die Familie eine Gemeinschaft sei, die allein von Natur aus bestehe und durch einen Mangel an Rationalität gekennzeichnet sei. In Anlehnung an Aristoteles wird die Naturhaftigkeit der Familie darin gesehen, dass sie eine unfreiwillige Form des Zusammenlebens ist, welches durch die Bedürfnisstruktur und die Symptomatisch für diesen Umgang mit dem Thema Familie bei Hegel ist der Sammelband zu den Grundlinien, der in der Reihe des Akademie Verlages »Klassiker Auslegen« 1997 erschien (Siep 1997). Der Band orientiert sich zwar genau an dem Werkaufbau der Grundlinien, lässt aber den Abschnitt zur Familie völlig außer Acht. Eine umfassende Analyse, mit welchen Argumenten Hegel die Naturseiten der Familie normativ in die Familienstruktur einbindet und den Sittlichkeitscharakter der Familie beweist, blieb bislang auch in der feministischen Hegelforschung ein Desiderat (vgl. Fußnote 2 auf S. 107). Diese Lücke gilt es mit der vorliegenden Arbeit zu schließen. 4 Eine Ausnahme bildet die Dissertation von Martin Weber, der Hegels Familientheorie in den Grundlinien unter einer rechtsphilosophischen und einer rechtsgeschichtlichen Perspektive erarbeitet (Weber 1986). 5 Zur Auffassung, dass die Familie in den Grundlinien eine herausragende Rolle spielt, vgl. (Benhabib and Nicholson 1987, 543). Zur Familie als Gegenstand im Diskurs der politischen Theorie vgl. (Elshtain 1982). 6 Der Begriff der »Institution« folgt in dieser Arbeit weitestgehend Hegels Terminologie. Er definiert Institutionen als »zur Gewohnheit gewordene[s] Wollen, in welche[m] die Vernünftigkeit wirklich vorhanden ist« (R § 268). Institutionen sind für Hegel die Familie (R §§ 158–181) und »bürgerliche Gesellschaft« (R §§ 182–256) als Einrichtungen des Staates (R § 263). Der Staat im weiten Sinne ist selbst keine Institution, sondern stellt die Gesamtheit der sozio-politischen Ordnung dar (R § 260). Im engen Sinne bezeichnet der Staat den Regierungs- und Verwaltungsapparat und kann in dieser Hinsicht ebenfalls als Institution aufgefasst werden (R §§ 272–320). Für die »bürgerliche Gesellschaft« gilt einschränkend, dass nur die »Stände« (R §§ 201–207) und »Korporationen« (R §§ 250–256) eigentlich »sittlich« zu nennen sind, weil sich in beiden Fällen die Individuen für die Gemeinschaft und damit im Sinne der Allgemeinheit engagieren. Gegen eine enge Bedeutung von Institution im Sinne des Privatrechts grenzt Manfred Riedel die hier verwendete, weite Bedeutung von Institution als »Einrichtung des Staates« ab (Riedel 1982, 42 f.). Nach Herbert Schnädelbach zählt die Institution »Familie« neben der bürgerlichen Gesellschaft zur Verfassung im weiten Sinne, die die Gesamtheit aller gelebten Institutionen umfasst; diese ist von der Verfassung im engen Sinne abzugrenzen, die den »Inbegriff der politischen Institutionen eines Staates, die als bloße Strukturen von patriotischen Bürgern (citoyens) zum Leben erweckt und am Leben gehalten werden müssen, um eine Institution der Freiheit zu sein«, darstellt (Siep 1997, 246). 3
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Einleitung
natürliche Ungleichheit ihrer Mitglieder geprägt wird. Gegen eine Zuordnung der Familie zum Reich der Natur, die der staatlich-politischen Gemeinschaft von gleichen und freien, männlichen Bürgern entgegensteht, opponiert Hegel, indem er sie zusammen mit dem Staat und der »bürgerlichen Gesellschaft« 7 zur sittlichen Ordnung zählt – und damit zum notwendigen Bestandteil eines guten und gelingenden Lebens, zum »Reich der verwirklichten Freiheit« (R § 4), erklärt. Seine Familienkonzeption setzt demnach einen wichtigen Kontrapunkt zur traditionellen Betrachtungsweise der Familie in der Philosophiegeschichte. 8 Zweitens ist die bisherige Zurückhaltung gegenüber dem rechtsphilosophischen Familienmodell überraschend, weil hier eine grundlegende Thematik des hegelschen Systems virulent wird, die in der heutigen Philosophie, etwa bei John McDowell, von großem Interesse ist: das Verhältnis von Natur und Normativität. Hegel konzipiert die Familie, die er den »natürlichen sittlichen Geist« (R § 157) nennt, genau an der Schnittstelle von Natur und Geist, so dass eine Analyse der Familie Erkenntnisse verspricht, die ebenfalls zu einem besseren Verständnis der Beziehung von Natur- und Geistphilosophie beitragen und seinen Kompatibilismus 9 von Natur und Geist erhellen könnten. Will Hegels Familienmodell in der rechtsphilosophischen Gesamtkonzeption überzeugen, so muss eine Rekonstruktion seines Modells Klarheit in zwei Punkten schaffen. Zum einen muss deutlich werden, was Familie mit Freiheit zu tun haben kann, und gar die Familienform, welche Hegel vor Augen hatte: das bürgerliche Ideal der heterosexuellen Kleinfamilie mit geschlechtsspezifischer Rollenverteilung im frühen 19. Jahrhundert. Zum anderen steht Hegel vor der Aufgabe, die natürlichen Aspekte des Familienlebens (Reproduktion, Geschlechterverhältnis, Bedürfnisse, Triebe, Tod) mit dessen normativer Dimension – den gegenseitigen Verantwortlichkeiten, Rechten und Pflichten gegenüber anderen Familienmitgliedern – zu vermitteln. Für Hegel lassen sich aus biologischen Abstammungsverhältnissen keine direkten moralischen Pflichten und Ansprüche abIm Folgenden werde ich die Anführungsstriche für »bürgerliche Gesellschaft« beibehalten, da sich Hegels Konzeption in den Grundlinien nicht mit der gängigen Vorstellung von Bürger- oder Zivilgesellschaft deckt (R §§ 182–256). 8 Vgl. (Elshtain 1982), (Okin 1982). 9 Vgl. (Pippin 1999). 7
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Einleitung
leiten. 10 Doch was berechtigt ihn dazu, spezielle Verpflichtungen gegenüber den eigenen Kindern und dem Ehepartner zu formulieren? Beide Punkte, so die These der vorliegenden Studie, können nicht unabhängig voneinander geklärt werden: Die Freiheit in der Familie erweist sich für Hegel gerade in einem bestimmten Verhältnis von Natur und Normativität. Dazu gehört sowohl die Zurückweisung einer Vorstellung von Familie als einer rein biologischen Formation als auch als einer bloß auf sozialer Konvention beruhenden, kontingenten Institution. Die Familie ist für Hegel vernünftig und moralisch wertvoll aufgrund ihrer freiheitskonstituierenden Qualität. Zugleich ist sie, im Vergleich zum Staat, limitiert in ihrer Vernünftigkeit und Sittlichkeit aufgrund der Präsenz natürlicher Prozesse und Eigenschaften. Damit bietet Hegel eine Steilvorlage, wie die Familie als normative Gemeinschaft neu gedacht werden könnte. Hegels Familienkonzeption, so lautet die These der vorliegenden Studie, ist relevant, weil sie die vermeintliche »Natürlichkeit« der Familie kritisch hinterfragt und neue Denkrichtungen vorschlägt, wie die Familie als normative Gemeinschaft begriffen werden kann. Solche Impulse sind für aktuelle Familientheorien aus den folgenden Gründen hilfreich. Es besteht in der Debatte Uneinigkeit darüber, wie eine »Familie« zu definieren sei. 11 Die große Menge kultureller Variationen von Lebensformen, die als »Familie« bezeichnet werden, lassen das Bemühen um eine einheitliche Definition hoffnungslos erscheinen. Auch den Versuchen, sich mit einer Konzentration auf »anthropologische Tatsachen« auf wertneutralen und universalen Boden zu Die Begründung moralischer Pflichten in der Familie mit dem Hinweis auf biologische Abstammungsverhältnisse leisten zu wollen ist nicht überzeugend, wie jüngst Will Kymlicka in seiner Kritik von Susan Moller Okins Familientheorie hervorhebt: »The fact that men in these imaginary worlds [in der andere Wege der Fortpflanzung gefunden werden; S. B.] are not involved in conception does not mean that they should not be involved in child-rearing. It is difficult to accept that the entire basis for family responsibilities rests on the fact that fertilizing an egg requires one man and one woman. […] The begetting of a child requires the input of one man and one woman but to attach social significance to that fact is surely to make gender socially significant. Indeed, to tie child support to paternity is to reinforce compulsory heterosexuality« (Kymlicka 1991b, 86). Kymlicka bezieht sich dabei auf (Okin 1989). 11 Martha Nussbaum verweist auf Dokumente der Vereinten Nationen aus dem Internationalen Jahr der Familie (1994), in denen das Problem sichtbar wurde, eine einheitliche Definition der Familie zu finden. Man einigte sich schließlich auf die unspezifisch bleibende Aussage, dass »[a]s basic units of societies, families and their well-being are germane to all our organizations« (Nussbaum 1999, 272). 10
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retten, ist mit Skepsis zu begegnen. So ist in der feministischen Theorie verstärkt darauf aufmerksam gemacht worden, dass das, was als »natürlich« gilt, durch bestimmte kulturelle, soziale und historische Überzeugungen geprägt ist. Auch wird in gesellschaftlichen Praktiken durch Gesetze, Verordnungen und Policies erst definiert, welche Gruppe von zusammen- und/oder getrennt lebenden Menschen als eine »Familie« gilt. Die soziale Konstruktion der Familie finde ihre Definitionsgrenze innerhalb einer kulturellen und historischen Gesellschaftspraxis – nicht vorrangig in der Biologie des Menschen. Von dieser epistemischen Frage, was eine Familie sei, sind normative Begründungs- und Rechtfertigungsfragen zu unterscheiden, warum eine Familie auf eine bestimmte Weise organisiert sein solle. Beispielsweise kann gefragt werden, ob es gute und triftige Gründe gibt, das Familienrecht an dem Grundmodell der »Kleinfamilie« zu orientieren und von da aus verschiedene »Abweichungen« zu konstruieren. Diese Rechtfertigungsfragen sollten aber unabhängig davon beantwortet werden, was de facto in einer Gesellschaft gilt. Doch welchen Status können Rechtfertigungen bestimmter familialer Strukturen und Rollen besitzen? Können sie universale Gültigkeit beanspruchen oder bleiben sie auf eine bestimmte Zeit und Gesellschaft beschränkt? Mit diesen Fragen gerät man in eine schwierige Argumentationslage. Das Unbehagen, der empirischen Pluralität von Familienformen eine Pluralität von Rechtfertigungsweisen, die, unter der Annahme ihrer Inkompatibilität, in einen Begründungsrelativismus münden, an die Seite stellen zu müssen, kann nur durch ein anderes Unbehagen ersetzt werden: eine bestimmte, kulturelle und historisch-kontingente Familienform wider besseres Wissen zu universalisieren. Ein Ausweg aus dieser Situation bestünde in der Konzeption einer Familientheorie, die sowohl historisch-kulturellen Partikularitäten Rechnung tragen als auch den Anspruch berücksichtigen würde, dass zur Begründung der Vernünftigkeit eines Familienmodells allgemein gültige Gründe notwendig sind. Diesen Weg schlägt Hegel ein, indem er versucht, die Vernünftigkeit der sittlichen Institutionen in ihrem historischen Entstehungskontext zu entwickeln, ohne aber die Rationalität dieser Einrichtungen relativieren zu wollen. »[T]he really challenging task suggested by his Philosophy of Right«, so Seyla Benhabib, »is to envisage a universalistic moral point of view as situated within an ethical community.« 12 12
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Hegels Zurückweisung einer Konzeption der Familie als reine Naturgemeinschaft und ihre Zuordnung zum »Reich der verwirklichten Freiheit« (R § 4) ist selbst ein Ergebnis seiner philosophischen Entwicklung. In seinen frühen Entwürfen bis hin zur Phänomenologie des Geistes 13 (1807) konzipierte Hegel die Familie noch als eine vorsittliche, auf natürlichen Bedingungen basierende Einheit – im System der Sittlichkeit (1802/03) bezeichnet er die Familie als die »höchste […] Totalität, deren die Natur fähig ist« (32). Aber »die absolute Natur ist in keinem in Geistesgestalt, und darum auch nicht als Sittlichkeit vorhanden« (47).
Der Grund, den Hegel anführt, um den Ausschluss der Familie aus der Sittlichkeit zu rechtfertigen, ist ihr Mangel an Gleichheit. So ist es für den Hausherrn nicht möglich, durch die anderen Familienmitglieder, zu denen im Sinne der »Hausgemeinschaft« auch das Personal gehört, anerkannt zu werden, weil sie ihm von Natur aus intellektuell unterlegen sind. »[D]as sich reell objektiv Anschauen des Individuums [das männlich ist, S. B.] in dem anderen ist mit einer Differenz behaftet; das Anschauen im Weibe, im Kinde und im Knechte ist keine absolute vollkommene Gleichheit.« (47).
Dieser Mangel an Gleichheit, welche eine angemessene Form der Anerkennung benötigt, kommt auch in der Dialektik von Herr und Knecht zum Vorschein, die im System der Sittlichkeit direkt an den Familienabschnitt anschließt. Die Selbständigkeit des Herrn, die er im Kampf dadurch unter Beweis stellt, dass ihm das Selbstbewusstsein und nicht das Leben das Wesentliche ist, misslingt schlussendlich in zweifacher Weise. Erstens braucht der Herr für seine Lebenserhaltung den Knecht, der ihm Lebensmittel beschafft. Dadurch wird der Herr abhängig vom Knecht. Zweitens kann der Herr als freie und vernünftige Person nicht durch den Knecht anerkannt werden, weil dieser weder frei ist noch vernünftig sei und somit kein ebenbürtiges Gegenüber für den Herrn darstellt. Asymmetrische, hierarchische Strukturen lassen also die Reziprozität vermissen, derer es für den Vollzug einer gelungenen Anerkennung bedarf. Diese Bedingung ist nur in der politischen Gemeinschaft anzutreffen, wenn in ihr die Freiheit aller Mitglieder im Gesetz verankert ist. Damit führt Hegel die auf Aristoteles zurückgehende Unterscheidung des Oikos als 13
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(Hegel 1988). Im Folgenden mit »Phänomenologie« abgekürzt.
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Einleitung
einer Gemeinschaft der Ungleichen und der Polis als einer Gemeinschaft der Gleichen im System der Sittlichkeit ein. Die Ungleichheit der Familie geht, wie bei Aristoteles, auf ihren Naturcharakter zurück. 14 Der aristotelische Naturbegriff bezeichnet allerdings nicht ausschließlich »natürliche Fakten«, sondern auch »Wesenseigenschaften«, die als teleologische Normen für die Entwicklung von Organismen und Gebilden dienen. Folglich ist die Familie – und ihre »naturgegebene«, paternalistisch-hierarchische Struktur – eine den natürlichen Anlagen des Menschen entsprechende, »richtige« Gemeinschaftsform. In der Phänomenologie beginnt Hegel dann, die Familie aus dem Reich der Natur in das Reich der Sittlichkeit zu überführen. In Anlehnung an Sophokles’ Antigone führt er das Begräbnis eines Familienmitgliedes als die »sittliche Handlung« (PhG, 295) ein, zu der die Familie fähig ist. 15 Dennoch hält er für die Familie einschränkend fest: »Ob sich aber wohl das sittliche Sein der Familie als das unmittelbare bestimmt, so ist sie innerhalb ihrer sittliches Wesen nicht, insofern sie das Verhältnis der Natur ihrer Glieder, oder deren Beziehung die unmittelbare einzelner wirklicher ist; denn das Sittliche ist an sich allgemein, und dies Verhältnis der Natur ist wesentlich ebensosehr ein Geist, und nur als geistiges Wesen sittlich.« (PhG, 294)
Es sind die Merkmale der Unmittelbarkeit und Partikularität der Familie, sich um die einzelnen natürlichen Bedürfnisse ihrer Mitglieder zu kümmern, die ihre Aufnahme in die Reihe der sittlichen Institutionen verhindern. Diese Einschätzung verändert sich im Laufe der Nürnberger Schriften (1808–16). 16 Hier arbeitet Hegel Verbindungslinien zwischen Familie und Moralität heraus. Während im Recht der Mensch als freies und gleiches Wesen betrachtet wird, nimmt die Konzeption der Moralität die Besonderheit des Menschen in den Blick und berücksichtigt nicht nur die Freiheit, sondern auch das langfristige Wohl und Glück des Menschen. Gerade um das Wohl und Glück anderer ist man in der Familie besorgt. Hegel erklärt die Martin Weber untersucht neben Kants kontraktualistischem Ehemodell und Fichtes Herleitung des Familienrechts aus einem ursprünglichen Anerkennungsverhältnis auch Aristoteles’ Oikos-Lehre als eine wichtige Vorläuferin für Hegels Familientheorie (Weber 1986). 15 Vgl. dazu Kapitel (4.2), (5.1), (5.2) der vorliegenden Arbeit. 16 Vgl. (Jaeschke 2003, 215–217). 14
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Einleitung
Familienpflicht zur ersten Pflicht gegen andere (Gesammelte Werke Bd. 10, S. 408–18, §§ 49–52). Die Ehe ist dabei weder eine »natürlich tierische Vereinigung« noch ein »Civilkontrakt« (ebd.), sondern eine »moralische Vereinigung der Gesinnung in gegenseitiger Liebe und Zutrauen«. Zur sittlichen Institution zählt Hegel die Familie aber noch nicht. 17 In dieser Hinsicht stellen die Grundlinien ein Novum dar. Doch bleibt die Familie auch hier eine zwitterhafte Gestalt. Als »unmittelbare[r] oder natürliche[r] sittliche[r] Geist« (R § 157) hat Hegel seine Konzeption der Familie nicht vollständig von ihren Naturseiten befreit, sondern steht vor der Aufgabe zu zeigen, wie die Familie auf »sittliche« Weise diese Naturseiten in ihre Praxis einbinden kann. Hegel greift den in den Nürnberger Schriften ausgeführten Moralitätscharakter der Familie auf und stellt die Gesinnung, den sittlichen Habitus der Liebe und die gegenseitige Fürsorge in den Mittelpunkt seiner Familientheorie. Im Sinne einer sittlichen Institution muss Hegel darüber hinaus die Vernünftigkeit der Familie beweisen und damit den Mangel beheben, dem die Familie noch in dem System der Sittlichkeit unterlag. Es gilt, die Familie als eine gemeinschaftliche Praxis darzustellen, in der der Mensch als freier Mensch anerkannt werden kann. Weil im Unterschied zu den vorhergehenden Schriften in den Grundlinien der Versuch zentral ist, Naturseiten der Familie in den normativen Rahmen einer vernünftigen, institutionellen Praxis konzeptionell einzubinden, ist dieser Text für eine Untersuchung des Verhältnisses zwischen Natur und Normativität in der Familie bei Hegel besonders geeignet. Während Klaus Roth die Entwicklung der hegelschen Familienkonzeption als eine Geschichte der »Deformation«, der »Schrumpfung« und des »Verlusts« beschreibt (Roth 1989, 145 f.), soll in dieser Studie die gegenteilige These verteidigt werden: Nur indem Hegel davon abrückte, die Familie als eine Naturgemeinschaft zu konzipieren oder in den Dienst eines allein auf die Bedürfnisstruktur des Menschen ausgerichteten Zwecks zu stellen, ohne diese natürliche Bedürfnisstruktur in ihrer Diese These müsste durch einen genauen umfassenden Vergleich der Begriffe »moralisch« und »sittlich« in den Nürnberger und Heidelberger Schriften gestützt werden, ein Vergleich, der im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann. Es ist anzunehmen, dass die Begriffe sich nicht scharf trennen lassen, sondern vielmehr »Überlappungen« von Bedeutungskonnotationen gefunden werden würden; in dem oben zitierten Passus ist beispielsweise schon von Standestugenden die Rede, die Hegel in seinen späteren Schriften zur »Sittlichkeit« zählte. 17
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Aufbau der Studie
Bedeutung zu ändern, war es ihm möglich, den sittlichen Charakter der Familie herauszuarbeiten und sie zu einer Lebensform der Freiheit zu erklären.
1.1 Aufbau der Studie Hegels methodisches Vorgehen, eine Philosophie zu betreiben, die sich an den historischen, sozialen und politischen Realitäten »abarbeitet«, wird in Kapitel 2 im Rahmen der Frage erörtert, auf welche Weise die logisch-spekulativen Grundlagen seiner Rechtsphilosophie in einer Interpretation der Grundlinien berücksichtigt werden müssen (2.1). Dabei wird gezeigt, wie die begrifflich-logische und die historische Entwicklung von Gesellschaftsformen in Hegels Sozialphilosophie ineinandergreifen. Weil die Konzeption des freien Willens eine zentrale Stellung in seiner Rechtsphilosophie einnimmt und es zur Erklärung der familialen Sittlichkeit unablässlich ist, auszuführen, warum die Familie zum »Reich der verwirklichten Freiheit« (R § 4) gezählt wird, werden Hegels Begriffe des »Rechts« und der »Freiheit« vor der Analyse der Familie kurz erläutert (2.2). Hegels Begriff der Freiheit als vernünftige Selbstbestimmung kann in Kapitel 3 zum Verständnis des Übergangs von der Naturzur Geistphilosophie in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 18 (1830) eingesetzt werden. Ein Tier 19 kann nur geistig werden, indem es sich sukzessive aus der Unmittelbarkeit der Natur befreit und einen selbstbestimmten Umgang mit Natürlichkeiten entwickelt. Dieses Argument ist mit Blick auf die Familie entscheidend, weil Hegel damit eine Reduktion von Geistigem auf Natürliches ausschließt. Zugleich will er aber einen Dualismus zwischen Geist und Natur vermeiden. Ein Vergleich zwischen dem systemischen Übergang von Natur zum Geist in der Enzyklopädie und dem Familienabschnitt in den Grundlinien bietet sich an, weil die Genese des Geistes aus der Natur mit Bezug auf die Naturprozesse und natürlichen Eigenschaften diskutiert wird, die den Charakter der Familie entscheidend prägen: Reproduktion, Tod, Gefühl und Ge(Hegel 1986). Im Folgenden abgekürzt mit »Enzyklopädie«. Hegel spricht am Ende der enzyklopädischen Naturphilosophie vom »animalischen Organismus« und lässt dabei offen, ob nur »menschliche« Tiere sich zu Geistwesen entwickeln können oder auch andere höherentwickelte Tierarten.
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schlecht. Damit wird die Annahme, die Familie sei ein geeigneter Untersuchungsgegenstand, um das Verhältnis von Natur und Geist beziehungsweise Normativität zu analysieren, bekräftigt. Hegel lehnt aber nicht nur Argumente ab, die sich eines naturalistischen Reduktionismus bedienen. Ebenfalls weist er eine Argumentationsweise zurück, nach der die Wesensnatur des Menschen begründen könnte, dass der Mensch frei sei. Der Fehler sowohl naturalistischer als auch »essentialistischer« (im Sinne von »mit der Wesensnatur des Menschen operierender«) Argumentationsstrategien besteht darin, dass ein jeweils unmittelbar Gegebenes als Argument gebraucht wird, um etwas zu rechtfertigen. Diese Argumentation ist unzulässig, weil es der »Geistigkeit« des Menschen entspricht, sich auf vernünftige Weise selbst zu bestimmen, und nicht durch ein ihm Fremdes bestimmt zu sein. 20 Eine zentrale Aussage der Rechtsphilosophie lautet, dass in der Moderne das Individuum das Recht hat, nichts anzuerkennen, was es nicht selbst (zumindest im Prinzip) einsehen kann (R §§ 33 R, 117). Das heißt, eine natürliche Tatsache wird in normativen Überlegungen nur dann berücksichtigt, wenn eine »subjektive Einsicht« (R § 107 Z) 21 besteht, dass es begründet ist, diese Tatsache zur eigenen Bestimmung zu machen. Durch Hegels Betonung des Rechts auf Subjektivität und subjektive Freiheit (R, 27, §§ 124, 132; EG § 482 A), eines Rechts, das er dem protestantischen »Christentum« entlehnt, kann Natur nur unter der Perspektive der Freiheit in der Familie normativ relevant werden. Die Naturseiten der Familie werden in Kapitel 4 dahingehend analysiert, auf welche Weise sie die Familienstruktur und die Gestaltung familialer Rollen beeinflussen können. Hegels Auseinandersetzung mit der Kategorie der Heterosexualität, welche in dieser Arbeit keine sexuelle Orientierung, sondern die für die Familie notwendige »Geschlechterdifferenz« bezeichnet, bleibt dabei nicht frei von Widersprüchen mit den anti-reduktionistischen Grundannahmen seiner Philosophie (4.1). Bei seiner Behandlung von Reproduktion, Tod und Trieben wird dagegen deutlich, dass er die Institution Familie von Damit diese Bestimmung der Geistigkeit des Menschen nicht wiederum als eine »Essenz« des Menschen stipuliert wird, entwickelt Hegel das Merkmal der Geistigkeit aus dem Natürlichen heraus. Das heißt, die Genese und der Bildungsgang des Geistes gehören notwendigerweise zum Begriff des Geistes hinzu. 21 In der Sittlichkeit gibt es ebenfalls unmittelbare Loyalität, die nicht de facto durch »subjektive Einsicht« begleitet sein muss. Jedoch muss auch diese Loyalität im Prinzip in Einsicht überführbar sein. 20
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Aufbau der Studie
Zufälligkeiten unabhängig begreifen will, um den Mitgliedern der Familie selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen (4.2). Zu dieser familialen Unabhängigkeit gehört auch, dass Liebe, die den sittlichen Kern der Familie darstellt, auf eine Weise konzipiert wird, dass ihre natürliche und subjektive Seite in der Familie nicht über Gebühr Raum gewinnt (4.3). Hegel erarbeitet diese Position in Kontrastierung zum Vertragsmodell der Ehe bei Immanuel Kant und zum romantischen Liebesideal bei Friedrich Schlegel. Nachdem in Kapitel 4 gezeigt wurde, dass die Familie in der Rechtsphilosophie keine Naturgemeinschaft darstellt, wird in Kapitel 5 die Argumentation zu Ende geführt, dass sie zu Recht als sittliche und vernünftige Gemeinschaft bezeichnet werden kann. In Abschnitt 5.1 wird die These aufgestellt, dass eine Institution nur dann sittlich ist, wenn sie aus Anerkennungsbeziehungen besteht, die nicht nur Freiheit ermöglichen, sondern Beziehungen der Freiheit sind. Institutionelle Vernünftigkeit wird durch die Übereinstimmung von »Allgemeinwille« und »Einzelwille« hergestellt. Diese Konvergenz gilt in zwei Richtungen: Einerseits ist eine Institution nur dann vernünftig, wenn sie das Recht der Individuen auf Bedürfnisbefriedigung und Subjektivität berücksichtigt. Andererseits kann ein Individuum nur dann vernünftig selbstbestimmt und damit frei sein, wenn es sich in seinem Handeln an allgemein gültigen Gründen orientiert. Diese Gründe haben sich für Hegel historisch in dem Norm- und Wertesystem der modernen Institutionen niedergeschlagen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die »Grundlage« und »Bestimmung« der Familie, die Liebe, eine angemessene Form der Anerkennung darstellt (5.2). Nur die anerkannte Mitgliedschaft in der Familie bedeutet für das Individuum, im hegelschen Sinne »objektiv« frei zu sein. Hinsichtlich einer idealtypischen Struktur der Anerkennung ergeben sich für die Liebe jedoch Abweichungen, die im Zusammenhang mit Hegels problematischem Frauenbild stehen. Angesichts Hegels These von der Priorität des Sozialen, nach der Individuen erst in intersubjektiven Zusammenhängen Freiheit erlangen und eine erfüllte Identität ausbilden können, ist in Abschnitt 5.3 zu prüfen, ob sich aus dieser starken Stellung der Gemeinschaft eine Gefährdung der subjektiven Freiheit ergibt. Zu diesem Zweck wird das Substanz-Akzidens-Verhältnis untersucht, das scheinbar einer totalitären, autoritären, obrigkeitsstaatlichen oder etatistischen Konzeption der Gemeinschaft Vorschub leistet. Die Hinzuziehung von Ansätzen eines individualistischen Holismus macht es jedoch mögA
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lich zu zeigen, dass Hegel hinsichtlich der Familie weder einen normativen noch einen ontologischen Kollektivismus vertritt. Eine abschließende Bewertung des hegelschen Familienmodells ist Inhalt des letzten Kapitels (6). Sowohl die Frage der internen Konsistenz seines Modells mit den Grundlagen seiner rechtsphilosophischen »Theorie der Freiheit« als auch die Plausibilität seiner Annahme, dass die Teilnahme an der Institution »Familie« und »Ehe« eine notwendige Bedingung für das Individuum sei, um ein glückliches und gelingendes Leben zu führen, werden hier in den Blick genommen.
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2 Grundlagen einer Interpretation der Familie in den Grundlinien
2.1 Methodische Implikationen: einen Umgang mit Hegels Logik finden Karl Marx stellt in seiner Abhandlung über die Grundlinien die These auf, dass es Hegel in seiner Darstellung gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse nicht um Politik, sondern um den Beweis seiner Logik geht. 1 Ob diese Einschätzung zutrifft, sei dahingestellt. Sie verweist aber auf ein grundsätzliches Problem, dem sich jeder Interpretationsversuch der Grundlinien stellen muss: Wie kann und soll man mit den spekulativ-logischen 2 Annahmen Hegels umgehen? 3 Daran, 1 Vgl. die Marx’sche Abhandlung Kritik der Hegelschen Staatsphilosophie (1841/41) in (Marx 1968, 20–149). 2 In Jena hielt Hegel im Sommersemester 1802 zum ersten Mal seine Vorlesung Logik und Metaphysik oder System der Reflexion und Vernunft, die in Fragmenten überliefert ist (Jaeschke 2003, 150–2). Während Hegel in dieser Vorlesung noch zwischen den Disziplinen Logik und Metaphysik unterscheidet, gibt er ab 1805 diese Trennung zugunsten einer »spekulativen« Logik auf (Siep 2000, 54) und (Fulda 2003) Kapitel 6.1, 6.3. Den Begriff der »Spekulation« führt Hegel in seiner ersten Veröffentlichung Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie (1801) ein. Nach Ludwig Siep versteht Hegel unter »Spekulation« die Erkenntnisweise, »die die Gegensätze der Reflexion beziehungsweise des Verstandes auf das Absolute ›bezieht‹, das heißt in jedem von ihnen ihre ›Identität‹ und ihre Funktion im Ganzen sichtbar macht« (Siep 2000, 38). Die spekulative Erkenntnisweise erfordert sowohl die Fähigkeit, »begriffliche […] Zusammenhänge […] und ihre […] Implikationsverhältnisse« zu eruieren, als auch die Fähigkeit, »die Einheit der Gegensätze und das Ganze des sie umfassenden Systems als Richtschnur ins Auge zu fassen« (ebd.). Aus dem Begriff der »Spekulation« entwickelt Hegel die »spekulative Methode«, die aus seiner Sicht »wissenschaftlich« ist (vgl. EL § 238, R, 12 und R § 31). Die »spekulative Methode« sowie die Begriffe »Metaphysik« und »Logik« werden im Laufe dieses Kapitels erörtert. Der Ausdruck »spekulativ« wird ausschließlich im hegelschen Sinne, das heißt seine philosophische Methode und Erkenntnisweise betreffend, verwendet. 3 Es wird davon abgesehen, Hegels Begriffe durchgängig in Anführungszeichen zu setzen, es sei denn, sie beziehen sich direkt auf ein vorgängiges oder nachfolgendes Zitat oder sollen besonders hervorgehoben werden.
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Grundlagen einer Interpretation der Familie in den Grundlinien
dass Hegel mit solchen Annahmen in seiner Rechtsphilosophie operiert, besteht seinen eigenen Aussagen nach kein Zweifel: »Die Natur des spekulativen Wissens habe ich in meiner Wissenschaft der Logik ausführlich entwickelt; in diesem Grundriß ist darum nur hier und da eine Erläuterung über Fortgang und Methode hinzugefügt worden« (R, 12). Die Frage nach dem Umgang mit den spekulativ-logischen Grundlagen in seinen realphilosophischen 4 Texten und die Frage, inwiefern seine »spekulative Logik« eine Metaphysik ist (und was für ein Typ von Metaphysik dies sein könnte), 5 stellen sich umso dringlicher, wenn die hegelsche Position mit Blick auf systematische Fragestellungen und philosophische Sachprobleme rekonstruiert werden soll. Hegels Grundlinien tragen zum philosophischen Verständnis der Freiheit und ihrer institutionellen Verankerung in der modernen westlichen Gesellschaft bei. Doch was geschieht, wenn die spekulativ-logischen Grundlagen der Grundlinien untragbare Annahmen enthalten, die die Plausibilität von Hegels Sachthesen untergraben und entsprechend auch den Versuch vereiteln, Hegels Texte für philosophische Sachprobleme fruchtbar zu machen? Für die Beantwortung dieser Frage muss zunächst geklärt werden, was die spekulativ-logischen Grundlagen des hegelschen Systems sind. Ihre Rekonstruktion enthält bereits eine Interpretation Hegels, deren Richtigkeit angefochten werden kann. Ein Brennpunkt dieses »Rekonstruktionsstreites« ist Hegels These, dass im Unterschied zur »gewöhnlichen Logik«, welche die Gedanken »nur für Formen des bewußten Denkens« nimmt, seine »Logik […] mit der Metaphysik zusammen[fällt]«, welche »die Wissenschaft der Dinge in Gedanken gefaßt« ist (EL § 24). Damit scheint Hegel ein traditionelles Verständnis, nach dem Metaphysik die Vernunfterkenntnis von Gegenständen (Seele, Welt und Gott) ist, mit einer Auffassung der Die Bezeichnung »Realphilosophie« stammt aus Hegels Jenaer Zeit, in der er verschiedene Systemmodelle entwickelte. Allen Systementwürfen ist gemeinsam, dass sie sich, wenn auch unter unterschiedlichen Bezeichnungen, in zwei Disziplinen aufteilen: in die Logik (und Metaphysik) einerseits und die Realphilosophie andererseits (Emundts and Horstmann 2002, 27). Die »Realphilosophie« umfasst dabei die Naturphilosophie und das, was später als »Geistphilosophie« bezeichnet wurde. Der Ausdruck »Realphilosophie« wird in der Hegelforschung nicht ausschließlich für die Jenaer Schriften gebraucht. So gehören auch die Grundlinien zum realphilosophischen Textbestand (Jaeschke 2003, 371). 5 Von einer vorschnellen Gleichsetzung von Metaphysik und spekulativer Logik soll abgesehen werden, um die Möglichkeit offenzulassen, dass Hegels Logik in nicht-geistmetaphysischer Art rekonstruiert werden kann. 4
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Logik aus dem 18. Jahrhundert zu verknüpfen, die die Regeln des Denkens für das Erkennen erarbeitet. 6 Mit seiner »spekulativen Logik« will Hegel die Wirklichkeit im emphatischen Sinn begreifen und zeigen, dass »die Dinge und das Denken derselben […] an und für sich übereinstimmen« (SL, 11 f.). Zudem hat die Logik, wenn sie im hegelschen Verständnis »Wissenschaft« sein will, »von der Sache selbst anzufangen« (SL, 9); das heißt, der Gegenstand der Untersuchung ist nicht von der Methode und der Inhalt nicht von der Form zu trennen. Diesen Anforderungen wird die »gewöhnliche Logik« nicht gerecht. »Der bisherige Begriff der Logik beruht auf der im gewöhnlichen Bewußtsein ein für allemal vorausgesetzten Trennung des Inhalts der Erkenntnis und der Form derselben oder der Wahrheit und der Gewißheit. Es wird erstens vorausgesetzt, daß der Stoff des Erkennens, als eine fertige Welt außerhalb des Denkens, an und für sich vorhanden, daß das Denken für sich leer sei, als eine Form äußerlich zu jener Materie hinzutrete, sich damit erfülle, erst daran einen Inhalt gewinne und ein reales Erkennen werde.« (SL, 10. Vgl. auch R, 13).
Während in diesem Zitat deutlich wird, wogegen Hegel sich wendet, bleibt strittig, wofür Hegel sich ausspricht. Robert Pippin und Terry Pinkard sehen in Hegels Logik und Realphilosophie eine Fortsetzung und Modifizierung der kantischen Transzendentalphilosophie. In Hegels Philosophie hat eine »philosophically problematic theological metaphysics« 7 ebenso wenig Platz wie ein kantischer Skeptizismus, nach dem die Erkenntnis von endlichen Wesen auf den Bereich der Erscheinungen beschränkt ist und diese Wesen keinen epistemischen Zugriff auf die »Dinge an sich« haben. 8 Dagegen verstehen Gerhard Vgl. (Fulda 2003, 76). (Pippin 1989, 5). 8 Pippin sieht in seiner Rekonstruktion von »Hegel’s Idealism« eine plausible Alternative zur metaphysischen Lektüre Hegels, nach der es diesem um das A-priori-Wissen einer absoluten Substanz und deren Entwicklung in der Geschichte geht. Hegels Idealismus versteht Pippin dabei vor dem Hintergrund der Kantischen Philosophie: »I shall claim that these and many other references to Kant’s critical idealism are indispensible for a proper understanding of Hegel’s position, and that they point to the basic Kantian issue that clarifies the important ways in which Hegel’s position extends and deepens Kantian antiempiricist, antinaturalist, antirationalist strategies« (Pippin 1989, 6). »Both Pippin and I«, so Terry Pinkard, »agree that Hegel’s thought is best understood in terms of carrying out the program of the Kantian transcendental deduction of the categories« (Pinkard 1990, 837). Zu einem nicht-ontologischen, epistemologischen Verständnis von Hegels Begriff der Wirklichkeit in der Logik siehe auch (Falk 2002, 178). 6 7
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Grundlagen einer Interpretation der Familie in den Grundlinien
Wölfle und Christoph Halbig Hegels Wissenschaft der Logik nicht bloß als eine Explikation epistemologischer Kategorien und Bedingungen, sondern auch als eine Theorie über ontologische Bestimmungen. 9 Halbig stellt fest, dass sich in der neueren Forschung zwei Hauptlinien der Hegelinterpretation ausgeprägt haben: eine in neuplatonischer Tradition stehende »metaphysische« und eine in diesem Sinne »nicht-geistmetaphysische« Hegeldeutung. »Während Hegel einerseits als Vertreter einer monistischen Geist-Metaphysik in neoplatonischer Tradition betrachtet wird, bestreiten nicht-geistmetaphysische Interpretationsansätze, daß Hegel in seinem System metaphysische Thesen im Sinne von Aussagen über das ›Mobiliar des Universums‹ und über den ontologischen Status von Seinsarten vertritt.« 10
Eine einfache Gegenüberstellung »metaphysischer« und »nichtgeistmetaphysischer« Deutungen neigt jedoch dazu, den eigentlichen Streitpunkt zu verdecken und damit auch die Möglichkeit, Verbindungen zwischen den konträren Ansätzen zu ziehen. Wogegen sich Robert Pippin wendet, ist eine »Schulbuchversion« von Hegels Philosophie, die auf Prämissen eines ontologischen Geistmonismus aufbaut. 11 Laut dieser metaphysischen Schullektüre will Hegel ein apriorisches Wissen über die »Absolute Idee«, die einzig existierende Entität in seinem System, gewinnen und ihre teleologische Entwicklung in der Weltgeschichte darstellen. »[T]he essential point of the ›metaphysical‹ Hegel has always been that Hegel should be understood as a kind of inverted Spinozist, that is, a monist, who believed that finite objects did not ›really‹ exist (only the Absolute Idea exists), that this One was not a ›substance‹ but a ›subject‹, or mental (hence the inversion of Spinoza), and that it was not a static, eternal, Parmenidean One, but developed in time, a development somehow responsible for the shape and direction of human political history, as well as the history of art, reli-
»Die Logik ist eine kategoriale Ontologie in der Gestalt eines notwendigen, sich selbst begründenden Systems des Absoluten mit dem Anspruch, Kategorien entsprechend der spekulativ-dialektischen Methode zu rekonstruieren, in ihrem Geltungsanspruch zu begründen beziehungsweise rechtfertigen, sie zu definieren und zu kritisieren« (Wölfle 1994, 25). Vgl. auch (Halbig 2002). 10 (Halbig 2002, 21). 11 Vgl. dazu auch Walter Jaeschke, der mit Textbelegen das Vorurteil ausräumen will, die Logik sei eine Darstellung der Gedanken eines göttlichen Subjekts (Jaeschke 2003, 253). 9
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Methodische Implikationen: einen Umgang mit Hegels Logik finden
gion, and philosophy (all such shapes of Spirit express the unfolding of the Absolute Idea).« 12
In dieser Kritik lässt Pippin jedoch die Option offen, für Hegel eine ontologische Theorie zu rekonstruieren, die nicht auf einer »umgekehrten spinozistischen Metaphysik des Absoluten« beruht. Aussagen über das »Mobiliar des Universums« können sehr wohl getroffen werden. Bestritten wird allein, dass zu diesem »Mobiliar« eine übernatürliche, supra-individuelle Geist-Entität gehören soll. Damit ist die Frage, ob Hegel die epistemischen und praktischen Zugangsweisen des Menschen zu sich und der Welt im Rahmen einer ontologischen Theorie erklärt, noch nicht entschieden. Die These, dass Hegel in den Grundlinien ebenfalls ontologische Fragen beantwortet, erhärtet sich mit Blick auf die Vorrede, in der er festhält, dass die Philosophie »das Ergründen des Vernünftigen ist, eben damit das Erfassen des Gegenwärtigen und Wirklichen« (R, 24). Der spezifische Charakter der Realphilosophien besteht nach Walter Jaeschke gerade »nicht in realitätsenthobenen, ›mechanistisch-dialektischen Begriffskonstruktionen‹, sondern in der gedanklichen Durchdringung der Phänomene«. 13 Das Aufwerfen ontologischer Fragen muss aber nicht zwingend bedeuten, dass man eine in neuplatonischer Tradition stehende metaphysische Theorie des Absoluten verteidigt oder Rolf-Peter Horstmann zustimmt, »das Absolute« sei eine »ontologische Primärstruktur«, die allen geistigen und materiellen Sachverhalten zugrunde liege. 14 Im Folgenden werden ontologische Theorien, die auf einer solchen Metaphysik des Absoluten beruhen, der Kürze halber als »geistmetaphysisch« genannt, um sie von solchen ontologischen Theorien abgrenzen zu können, die auf einen Geistmonismus neuplatonischer Art verzichten. Theorien, die darauf verzichten, die Existenz einer übernatürlichen, supra-individuellen Geist-Entität, die sich in der Welt im Laufe der Geschichte teleolo(Pippin 1989, 4). Vgl. auch (Pippin 2000 a, 165, 170). (Jaeschke 2003, 420). 14 Vgl. (Horstmann 1991, 177). Später führt Horstmann diese These weiter aus: »Die Behauptung der Existenz dieser beiden Arten von Entitäten [›materielle Entitäten‹ wie Bäume und Stühle als auch ›nicht-materielle Entitäten‹ wie Familien und Staaten; S. B.] hat […] den […] Sinn, darauf zu insistieren, daß alles, was ist, als Instantiierung eines sowohl geistigen wie materiellen Substrats aufgefaßt werden muß« (Horstmann 1991, 178 f.). Horstmann kommt zu dem Schluss, dass bei Hegel nur das »Denken« »Sein« hat, wogegen man mit einem Bonmot von Peter Rohs antworten kann, dass es sich (auch für Hegel) auf einer Idee schlecht reiten lässt. 12 13
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Grundlagen einer Interpretation der Familie in den Grundlinien
gisch entfaltet, zu postulieren, werden als »nicht-geistmetaphysisch« bezeichnet. Eine derartige Unterscheidung lässt prinzipiell die Option zu, Hegels Logik als erkenntnistheoretische und ontologische Theorie aufzufassen, ohne sie automatisch als »geistmetaphysisch« verstehen zu müssen. 2.1.1 Neuere Auslegungen der Grundlinien Im Folgenden werden am Beispiel neuerer Auslegungen von Hegels Grundlinien drei Möglichkeiten erörtert, wie man mit den spekulativ-logischen Annahmen seiner Rechtsphilosophie umgehen kann. Hierbei konzentrieren sich die Ausführungen auf zwei Punkte: seinen Begriff des »Geistes« und seine These, dass »[d]ie philosophische Rechtswissenschaft […] die Idee des Rechts, den Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung zum Gegenstande« (R § 1) hat. Sie verweisen zum einen auf das Problem, ob Hegel den »Geist« in den Grundlinien als ein übermenschliches Subjekt beziehungsweise als göttliche Vernunft konzipiert, die sich gemäß einer teleologischen Entwicklungslogik sukzessiv in verschiedenen Staatsformen historisch realisiert; Staaten wären damit Produkte der »göttlichen Vorsehung«. Zum anderen wird bei der Bestimmung von »Idee«, »Begriff« und »Verwirklichung« Hegels Konzeption von Vernünftigkeit hinterfragt. Seine Thesen – »[w]as vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig« (R, 24), und dass »das Vernünftige synonym ist mit der Idee, indem es in seiner Wirklichkeit zugleich in die äußere Existenz tritt« (R, 25) – tangieren die Frage, was sinnvoll unter Vernünftigkeit zu verstehen ist. Kann diesbezüglich eine Alternative zur geistmetaphysischen Hegellektüre, nach der die Vernunft durch ein göttliches, in der Welt agierendes Subjekt personalisiert ist, gefunden werden? Die folgenden Ausführungen zu den unterschiedlichen Interpretationsansätzen in der neueren Hegelforschung sind schematisch typisierend und besitzen illustrativen Charakter. Sie sind zum einen thematisch verkürzt und bezüglich der Personenzuteilung unvollständig, zum anderen sind Überkreuzungen verschiedener interpretatorischer Strategien vorhanden. Dennoch ist es sinnvoll, zwischen verschiedenen Interpretationsstrategien zu differenzieren und sie kurz darzustellen, um den methodischen Ansatz der vorliegenden Arbeit transparenter verorten und das hier vertretene Verständnis 32
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der hegelschen Begriffe des »Geistes«, der »Wirklichkeit« und der »Vernünftigkeit« besser erläutern zu können. 2.1.1.1 Geistmetaphysische Auslegungen In der neueren Hegelforschung wird die Ansicht vertreten, dass Hegels Metaphysik berücksichtigt werden muss, um seine Philosophie textgetreu rekonstruieren zu können. Dass die geistmetaphysischen Annahmen sowohl ontologisch unplausibel als auch mit Blick auf die individuelle Freiheit normativ problematisch sind, stellt keinen berechtigten Grund dar, sie zu ignorieren. 15 Charles Taylor ist der wichtigste Vertreter, der Hegels Philosophie in eine platonisch-neuplatonische Traditionslinie stellt und entsprechend interpretiert. Für Hegels Ideenlehre hält er fest: »the idea […] is to be understood in the Platonic sense. It is the inner reason which makes the external reality what it is. Hence it is to be understood in conncetion with the Hegelian idea of truth […]. For truth […] is that reality be in agreement with its concept, with the concept which produces it.« 16
Taylor greift am Ende seines Buches Hegel noch einmal die These auf, dass die Wirklichkeit eine begrifflich-rationale Struktur besitzt, die auf die »Idee« zurückgeht: »The Concept is the basis of things, the Idea which posits reality. It is not simply an unfulfilled tendency, it is in a more fundamental sense than anything else.« 17 Der »Idee« als wirklichkeitserzeugender Vernunftsstruktur eine höhere ontologische Dignität zuzusprechen als Einzeldingen und Individuen hält Taylor im sozialen und politischen Kontext für problematisch. Die Vorstellung, »that man is the vehicle of cosmic spirit, and the corollary, that the state expresses the underlying formula of necessity by which this spirit posits the world«, 18 ist nach Taylor zu kritisieren. Seine Kritik ist berechtigt, denn wenn menschliches Handeln und Bewusstsein nur als eine Manifestation eines übermenschlichen Geistes konzipiert wird, dann ist in dieser Metaphysik der EntspreSie können aber, wie es bei Michael Theunissen der Fall war, Anlass zu grundlegender Kritik an Hegel geben (Theunissen 1982). Robert Pippin fasst Theunissens Kritik als Herausforderung auf, Hegels Sittlichkeitstheorie jenseits einer traditionellen, substanzialistischen Metaphysik zu rekonstruieren (Pippin 2000 a, 165, 170 Fußnote 19). 16 (Taylor 1975, 328, Hervorhebung S. B.). Nach dem platonischen Verständnis besteht die Vernünftigkeit in der wahren Struktur der Welt, die es zu erkennen gilt (ebd., 367, 375 f.). 17 Ebd., 529. 18 (Taylor 1999, 94). 15
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chungen kein Raum für die Freiheit des Menschen, sondern nur für die Freiheit des »Weltgeistes«. Diese Feststellung schränkt das systematische Interesse an einer Hegelinterpretation ein. Vertritt man wie Taylor die These, dass Hegels System auf dem Fundament einer Metaphysik des Absoluten steht, dann kann die Rekonstruktion seines Systems nur von philosophiehistorischem, nicht aber von systematischem Interesse sein. Spätestens bei Fragen der politischen Philosophie, die sich um eine Konzeption individueller Freiheit bemüht, tritt die Unhaltbarkeit einer solchen Metaphysik zu Tage. Entsprechend bemüht sich Taylor um eine Reinterpretation von Hegels Geistbegriff, die die geistmetaphysischen Konnotationen hinter sich lässt – und damit auch die Grenzen einer rein geistmetaphysischen Rekonstruktion von Hegels Philosophie übersteigt. In Hegel and Modern Society fasst Taylor »Geist« als »philosophischen Begriff« auf und setzt ihn mit Kultur und Sprache gleich, in denen Normen einer Gesellschaft zum Ausdruck kommen. 19 Entgegen seiner eigenen platonischen Lesart von Hegels Ideenlehre versteht Taylor nun den hegelschen Begriff des Geistes nicht mehr als ein übernatürliches »Subjekt«, sondern als einen kulturell-sprachlich-normativen Rahmen. 20 Dieser Rahmen geht dem einzelnen Individuum voraus, weil sich die Freiheit und das Selbstverständnis des Individuums erst innerhalb eines sozialen Kontextes konstituieren können: »So the culture which lives in our society shapes our private experience and constitutes our public experience, which in turn interacts profoundly with the private. So that it is no extravagant proposition to say [as Hegel does, S. B.] that we are what we are in virtue of participating in the larger life of our society.« 21
Zugleich bemerkt Taylor im Rückgriff auf Hegels enzyklopädische Philosophie des objektiven Geistes, dass gesellschaftliche Normen, Institutionen und Ziele nur durch die Tätigkeiten und in den Überzeugungen der Individuen bestehen. 22 Damit wird das Bild einer einseitigen Abhängigkeit der Individuen von gesellschaftlichen InstituVgl. ebd., 97. Vgl. ebd. 21 Ebd., 88. Hervorhebung S. B. 22 Vgl. EG § 514 und (Taylor 1975, 382). Damit legt Taylor nahe, das Verhältnis zwischen sittlicher »Substanz« und dem Individuum als ihrer »Akzidens« jenseits einer geistmetaphysischen Lesart neu zu überdenken (R § 145, EG § 514). Vgl. Kapitel (5.3) der vorliegenden Arbeit. 19 20
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tionen korrigiert. Auch entdeckt Taylor für die »Vernünftigkeit«, die Hegels Vorstellungen von Moralität und Politik zugrunde liegt, nicht-platonische Ressourcen: »His conception [of rationality] has some affinities with Plato, since it does involve the idea of a cosmic order. But it also owns a great deal to Kant, since it is built on the requirement of radical autonomy, that the will should nothing obey but itself, its own immanent rationality.« 23
Aus der kantischen Konzeption der »radikalen Autonomie« leitet Taylor zwei Kriterien für Vernünftigkeit ab, die seiner Meinung nach in Hegels Grundlinien präsent sind. Zum einen ist es erforderlich, den Menschen als »rationales Subjekt« zu behandeln, das nicht versklavt werden darf, Eigentum besitzen kann, dessen Gewissen respektiert werden muss und das frei seinen Beruf und seinen religiösen Glauben wählen soll. 24 Zum anderen muss staatliche Autorität auf Gesetzen beruhen, um nicht in eine Willkürherrschaft zu münden. 25 Hegel verbindet damit seine Konzeption von Vernünftigkeit mit seiner Vorstellung von Freiheit, die im kantischen Sinne vernünftige Selbstbestimmung ist. Auf diese Verbindung geht Frederick Neuhouser in seinem Buch Foundations of Hegel’s Social Theory ausführlich ein und hält programmatisch fest: »In one respect Hegel’s answer to the question, What makes the rational social order rational? is surprisingly simple. It can be captured in a single word: freedom.« 26
Neuhousers These wird durch Hegels Geschichtsphilosophie unterstützt, nach der die Güte und Vernünftigkeit historischer Gesellschaftsformen an dem Grad ihrer Verwirklichung von Freiheit gemessen wird. 27 Jedoch scheint Neuhouser ein Zirkelproblem zu übersehen, das entsteht, wenn auf der einen Seite Vernünftigkeit als Realisation von Freiheit definiert wird, auf der anderen Seite Freiheit (Taylor 1975, 375). Vgl. ebd. 25 Vgl. ebd. 26 (Neuhouser 2000, 4). 27 »[D]ie Orientalen [haben gewusst] […], daß Einer frei sei, die griechische und römische Welt aber, daß einige frei sind, […] wir [die vom Christentum geprägten modernen Nationen, S. B.] aber wissen, daß alle Menschen an sich frei, der Mensch als Mensch frei ist« (VPG-I, 63). Im Laufe der Geschichte nimmt nach Hegel das Wissen und Wollen der Freiheit aller Menschen zu. Das Freiheitsbewusstsein und das Selbstverständnis einer Gemeinschaft kommt in der »Verfassung« zum Ausdruck. Vgl. R § 265. 23 24
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im Sinne Kants aber vernünftige Selbstbestimmung sein soll. 28 Auch bleibt sowohl bei Taylor als auch bei Neuhouser unklar, aus welchen Gründen Hegel der Freiheit einen absoluten Status einräumt und sie zum Maßstab der Vernünftigkeit einer staatlichen Ordnung erklärt. 29 2.1.1.2 Auslegungen ohne Beachtung der Logik In Anlehnung an liberale Theorien, nach denen ein Staat nur dann gerechtfertigt ist, wenn er individuelle Freiheit möglich macht, und in Reaktion auf die Kritik an kommunitaristischen Theorien, welche sich zum Teil auf Hegel als ihren geistigen Vater berufen, konzentrieren sich jüngste Rekonstruktionen von Hegels Grundlinien als »Theorie der Freiheit« (Alan Patten), als »Sozialtheorie« (Frederick Neuhouser) oder als »Theorie der Gerechtigkeit« (Axel Honneth) auf den Beweis, dass bei Hegel individuelle Freiheit und Selbstverwirklichung möglich ist. 30 Alan Patten baut zu diesem Zweck die These Taylors aus, Hegels Begriff der Freiheit in Verlängerung der kantischen Autonomiekonzeption zu lesen. 31 Frederick Neuhouser stellt Verbindungen zwischen Hegels Begriffen von Freiheit und Willen zu Rousseaus Philosophie her, in der nicht eine »Absolute Idee« frei ist, sondern Individuen frei sind. 32 Axel Honneth liest die Der Begriff der »vernünftigen Selbstbestimmung«, der sich an Kants Konzeption der rationalen Autonomie anlehnt, wird im Laufe dieses und des nächsten Kapitels erörtert. 29 Frederick Neuhouser spricht sich dafür aus, den Wert der Freiheit als eine Setzung im hegelschen System zu betrachten, die weder in der Logik noch in Hegels Sozialtheorie weiter begründet wird. Einer solchen Begründung bedarf es nach Neuhouser auch nicht, da für moderne Menschen der Wert der Freiheit eine Selbstverständlichkeit geworden ist (Neuhouser 2004–5 b, 32). Zu einer Rekonstruktion, warum für Menschen in der Moderne Freiheit ein absoluter Wert ist und wie im Rahmen eines »developmental account« das Zirkelproblem umgangen werden kann, vgl. Terry Pinkards Untersuchung der Phänomenologie (Pinkard 1994). 30 Vgl. (Neuhouser 2000), (Patten 1999), (Honneth 2001). 31 »[I]t would be fair to say that there is a strong Kantian element in Hegel’s conception of freedom« (Patten 1999, 47). Vgl. insbesondere ebd., Kapitel 3 »The Reciprocity Thesis in Kant and Hegel«. 32 »[A]n important part of the project I shall undertake here will consist in uncovering the important but often obscured connections between Hegel’s conception of freedom and those of his better understood predecessors – Kant, Spinoza, and, most significant of all, Rousseau« (Neuhouser 2000, 6, Hervorhebung S. B.). Vgl. insbesondere ebd., Kapitel 2 »Rousseau: Freedom, Dependence, and the General Will«. Den Vorteil, Hegels Sozialphilosophie mit Rousseaus Konzeption des allgemeinen Willens in Verbindung zu bringen, sieht Neuhouser darin, dass dadurch der individuellen Freiheit mehr Beachtung geschenkt und der Vorwurf, Hegel vertrete zum Schaden der Individuen einen 28
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Grundlinien als eine Theorie der Anerkennung, die primär auf das Individuum bezogen ist, insofern sie »eine ›gerecht‹ zu nennende Ermöglichung der individuellen Selbstverwirklichung aller Subjekte« zum Ziel hat. 33 Der Vorteil dieser Rekonstruktionen, die anstatt einer unplausiblen, neo-platonischen Metaphysik des Absoluten die Freiheit des Individuums im Lichte von Kant und Rousseau bei Hegel starkmachen, liegt auf der Hand. Nur so kann Hegel in heutigen Debatten der politischen Philosophie und Sozialphilosophie als »Gesprächspartner« ernst genommen werden. Problematisch ist jedoch, dass auf eine Interpretation der spekulativ-logischen Annahmen der Grundlinien weitestgehend verzichtet wird und jene den »bits of jargon that Hegel introduces in the logic« 34 zugerechnet werden. Zur Rechtfertigung dieses Vorgehens wird angeführt, dass Hegels Analyse sozialer Phänomene und der Freiheit durchaus von der spekulativ-logischen Ebene seiner Philosophie gelöst werden kann. So hat Honneth für seine Rekonstruktion der Grundlinien nicht vor, sie »gemäß ihrer eigenen methodischen Standards zu aktualisieren«, sondern verfolgt »ein ungleich bescheideneres Ziel: Es soll nachgewiesen werden, daß sich die Absicht und die Grundstruktur des Textes heute auch dann noch produktiv nachvollziehen lassen, wenn dabei weder der substantialistische Staatsbegriff noch die operativen Anweisungen der ›Logik‹ eine erklärende Rolle spielen.« 35
Auch Neuhouser erklärt, die spekulativ-logischen Grundlagen von Hegels Philosophie in seiner Untersuchung unberücksichtigt zu lassen. 36 Ob diese Loslösung bei einem philosophischen Gesamtsystem, wie Hegel es vor Augen hatte, möglich ist, bleibt jedoch fraglich. Diese Vorgehensweise mag zwar für Nicht-Hegelkenner eine erhöhte Lesbarkeit der Interpretation hegelscher Texte mit sich bringen. Methodisch überzeugt dieses Verfahren aber nicht, weil Hegel, wie eintotalitären Ansatz, ausgeräumt werden kann (Neuhouser 2004–5 a, 1). Zur Kritik an Neuhousers Distanzierung vom logisch-metaphysischen Unterbau des hegelschen Systems siehe Will Dudley (Dudley 2004–5) und David Kolb (Kolb 2004–5) sowie Neuhousers Replik (Neuhouser 2004–5 b). 33 (Honneth 2001, 77). 34 (Patten 1999, 95). Zur Verteidigung von Patten ist zu sagen, dass er sich sehr wohl mit zwei »Herzstücken« der hegelschen Logik auseinander setzt: der »konkreten Allgemeinheit« (vgl. ebd.) und der dialektischen Methode (ebd., 134–5, 178–9). 35 (Honneth 2001, 13). 36 Vgl. (Neuhouser 2000, 2). A
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gangs erwähnt, klar äußert, dass die Rechtsphilosophie eine »spekulative Wissenschaft« ist und er »[d]ie Natur des spekulativen Wissens […] in [… der] Wissenschaft der Logik ausführlich entwickelt« hat (R, 12). Im Unterschied zu Neuhouser und Honneth versucht Allen Wood, seine nicht-geistmetaphysische Hegellektüre ausführlicher zu begründen. Wood hat maßgeblich dazu beigetragen, Verbindungslinien zwischen der kantischen und hegelschen Ethik zu ziehen und zu zeigen, dass beide den Begriff der rationalen Autonomie in den Mittelpunkt ihrer moralphilosophischen Überlegungen stellen. In der These, Hegel vertrete eine Ethik, die auf Tradition und Gewohnheit aufbaue und damit einem Rationalismus und Individualismus zuwiderlaufe, sieht Wood ein Missverständnis, das er ausräumen will. 37 Jedoch glaubt Wood, dass es dafür nicht notwendig ist, das philosophische Selbstverständnis Hegels zu berücksichtigen. Die hegelsche Realphilosophie bietet seiner Einschätzung nach eine andere als die spekulativ-logische Grundlage, auf der man die Rekonstruktion einer hegelschen Ethik aufbauen kann. Es handelt sich dabei um Hegels Konzeption des »Selbstverständnisses moderner Menschen«: »Because Hegel regards speculative logic as the foundation of his system, we might conclude from its failure that nothing could any longer be deserving of our interest. But that would be quite wrong. The fact is rather that Hegel’s great positive achievements as a philosopher do not lie where he thought they did, in his system of speculative logic, but in quite a different realm, in his reflection on the social and spiritual predicament of modern Western European culture [… and his conception of] the self-understanding of modern human beings.« 38
Damit übernimmt Wood die Beweislast, die Konzeption des »Selbstverständnisses moderner Menschen« ohne Rückgriff auf die spekulativ-logischen Begründungsressourcen entwickeln zu können. Wood selbst stellt die Notwendigkeit fest, »to give a conception of human self-actualization some other basis (e. g., an empirical, historical analysis of the nature of human beings in modern Western culture).« 39 Diese »andere Grundlage« findet Wood in einem aristotelischen Ansatz, nach dem das Telos des Menschen seine Entwicklung festlegt 37 38 39
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Vgl. (Wood 1997). (Wood 1995, 5). Ebd., 14, Hervorhebung S. B.
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und diese Selbstverwirklichung sein Gut darstellt. Zugleich modifiziert er mit Blick auf Hegel den aristotelischen Ansatz, weil Hegel die These aufstellt, dass die menschliche Natur nicht fix, sondern das Ergebnis historischer Prozesse ist: 40 Der Mensch gewinnt im Laufe der Geschichte Kenntnisse über sich selbst, und diese Erkenntnisse werden unter dem Begriff vom »Wesen des Menschen« zusammengefasst. Da die Vorstellungen vom »Wesen des Menschen« für Hegel historisch variieren, vertritt er laut Wood einen »historisierten Naturalismus«, der sowohl die Pluralität menschlicher Selbstverständnisse als auch einen Wandel derselben über die Zeit zulässt. 41 Woods Ablehnung von Hegels spekulativ-logischen Annahmen mag teilweise auf ein Missverständnis zurückgehen. Beispielsweise differenziert Wood in der Interpretation von Hegels These, dass Wirklichkeit und Vernünftigkeit ineinander verschränkt sind (vgl. R, 24; oben zitiert), zwischen einer »spekulativen« und einer »praktischen« Bedeutung: »The speculative meaning is that philosophical wisdom consists in contemplating the inner rational essence of things rather than dwelling on their contingent appearances. The practical meaning is that rational action proceeds not from ideals or principles set up independent of what is, but rather from a rational comprehension of what is.« 42
Während die »praktische« Bedeutung beibehalten werden soll, muss auf die »spekulative« Bedeutung verzichtet werden. Mehrere Einwände können gegen Wood erhoben werden. Erstens geht es Hegel als spekulativem Philosophen gerade nicht darum, »Ideale« und »Prinzipien« aufzustellen, die »unabhängig davon sind, was ist«. Nach seinem Verständnis von Philosophie besteht ihre Aufgabe in dem »Erfassen des Gegenwärtigen und Wirklichen, nicht [… im] Aufstellen eines Jenseitigen« (R, 24). Aus einer philosophischen Perspektive soll das Vernünftige in den bestehenden Gesellschaftsordnungen herausgearbeitet werden. Das heißt: Hegel versucht, einen universalistischen Standpunkt mit einem Partikularismus historischer Gesellschaftszustände zu verbinden. Damit rückt die »spekulative Bedeutung« eines »historisierten Naturalismus« in die Nähe der »praktischen Bedeutung«. Die geschichtlichen Selbstbilder des Menschen müssen als vernünftige (und nicht bloß zufällige) praktische 40 41 42
Vgl. ebd., 17. Vgl. ebd., 33 ff. Ebd., 14. A
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und theoretische Zugangsweisen zu sich und der Welt nachvollzogen werden. Ein weiteres Problem von Woods Interpretation besteht darin, dass er die anti-metaphysische Lesart Hegels nicht konsequent durchhält. Sein Verständnis von Hegels Geistbegriff ist ein Beispiel dafür. Auf der einen Seite sollen die »Tätigkeiten des Geistes« sich im Bewusstsein und in den Tätigkeiten der Individuen erschöpfen. 43 Auf der anderen Seite spricht Wood aber vom Geist als »the whole of humanity that constitutes […] a collective subject«. 44 Ein solches »kollektives Subjekt« ist »the various striving of individual human selves […] gathered together and understood as expressions of a single historical tendency or movement with an intelligibility of its own«. 45 Die Vorstellung von der Menschheit als einem »kollektiven Subjekt«, das Ausdruck einer bestimmten Entwicklungslogik ist, irritiert im Zusammenhang einer nicht-geistmetaphysischen Lektüre Hegels, weil darauf verzichtet wird, diese Geschichtsteleologie mit nichtgeistmetaphysischem Vokabular zu erläutern. 2.1.1.3 Nicht-geistmetaphysische Auslegungen unter Beachtung der Logik Eine Alternative zu den bislang vorgestellten Interpretationsverfahren ist das Bemühen um eine nicht-geistmetaphysische Rekonstruktion der spekulativ-logischen Ebene der hegelschen Philosophie. Mit Blick auf die methodische Positionierung der vorliegenden Arbeit, welche an diese Rekonstruktion anknüpft, soll der nicht-geistmetaphysische Ansatz ausführlicher dargestellt werden. Ausgangspunkt ist die Überzeugung, dass eine Auseinandersetzung mit den spekulativ-logischen Grundlagen notwendig ist, um Hegels Sachanalyse (Freiheit als vernünftige Selbstbestimmung) sowie seine Lösung von Sachproblemen (Nachweis der Vernünftigkeit gesellschaftlicher Normen) zu verstehen. Dabei soll Hegels Anspruch Rechnung getragen werden, dass seine spekulativ-dialektische Methode 46 nicht unabhängig von Sachproblemen und -phänomenen begründet und dann auf solche angewendet werden kann, sondern dass sich die MeVgl. ebd., 20. Ebd., 19. 45 Ebd. 46 Zur spekulativ-dialektischen Methode siehe unten, S. 60. Was in der Literatur oftmals »dialektische Methode« genannt wird, bezeichnet Hegel selbst als »spekulative Methode« (vgl. EL § 238). 43 44
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thode an den Untersuchungsgegenständen entwickelt und beweist. Der Gewinn einer Interpretation, die einerseits auf geistmetaphysische Argumente verzichtet, sich aber andererseits der Aufgabe einer Rekonstruktion der spekulativ-logischen Grundlagen stellt, besteht darin, dass sie Hegels Argumentationen für heutige philosophische Debatten zugängig macht, ohne dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, Teile von Hegels philosophischem System zu ignorieren. Eine solche Rekonstruktion sollte Hegels eigenes Philosophieverständnis zum Ausgangspunkt nehmen. Danach sind die Grundlinien kein Ratgeber für politische, soziale oder moralische Angelegenheiten: »Als philosophische Schrift muss sie [die Rechtsphilosophie] am entferntesten davon sein, einen Staat, wie er sein soll, konstruieren zu sollen [sic!]« (R, 26). Philosophie kann auch keine Aussagen über zukünftige kulturelle, gesellschaftliche oder politische Entwicklungen machen, so Hegel, denn »die Eule der Minerva« als Sinnbild der Philosophie »beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung«, also nach Abschluss des Geschehens, »ihren Flug« (R, 28). Selbst die »Wahrheiten«, die in den Grundlinien entdeckt werden, bezeichnet Hegel als Teil eines »alten Kohls« (vgl. R, 13). Die wissenschaftliche Aufgabe und die Leistungsfähigkeit der hegelschen Philosophie bestehen darin, das »Bleibende« in dem »Gedränge von Wahrheiten« herauszuarbeiten, das heißt, den »an sich selbst vernünftigen Inhalt« zu »begreifen« und in eine »vernünftige Form« zu bringen (vgl. R, 13 f.). Damit beschreibt Hegel sein philosophisches System als ein rationalistisches Projekt, in dem Aussagen – wie Hegel sagt – »in die Form des Gedankens und Begriffs« (EL § 5) gebracht werden sollen, um als vernünftig begründet gelten zu können. An diese rationalistische Forderung knüpft die nicht-geistmetaphysische Hegellektüre an. Wie kann es aber gelingen, die »Architektonik seiner [des Staates] Vernünftigkeit« (R, 19) auf andere Füße zu stellen als auf die tönernen eines (geistmetaphysisch gedachten) »Absoluten«? Michael Quante versucht die Ebene der spekulativen Logik mit der Ebene der Sachprobleme auf folgende Weise zusammenzuführen: »Die einzige Rechtfertigung, die dieses metaphysische Herzstück der Philosophie Hegels [die Ideenlehre, S. B.] haben kann und derer es bedarf, ist gerade der Nachweis ihrer problemlösenden Kraft. Eine von dieser Bewährung unabhängige Rechtfertigung ist sicher nicht in Sicht; sie ist auch weder möglich noch notwendig.« 47 47
(Quante 2002, 121). In diesem Artikel erarbeitet Michael Quante eine hegelsche VaA
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Diese Argumentation ist jedoch nicht völlig überzeugend. Warum sollte die »problemlösende Kraft« der »Ideenlehre« deren Richtigkeit beweisen? Für wen hat sich nach Quante das »metaphysische Herzstück« »bewährt« und das »Sachproblem« gelöst? Für jemanden, der Hegels Konzeption der »Idee« bereits teilt, oder auch für jemanden, der dies zunächst nicht tut, dann aber durch den praktischen Nutzen der »Ideenlehre« eines Besseren belehrt wird? Der zu Belehrende könnte gegen eine solche Problemlösung einwenden, dass sie gerade keine ist, weil sie auf den unplausiblen Annahmen einer »Ideenlehre« beruht. Einen explizit nicht-geistmetaphysischen Zugang zu Hegel wählen in der neueren amerikanischen Hegelforschung Terry Pinkard und Robert Pippin. 48 Sie gehen von der These aus, dass der (denkende und praktische) Zugang des Subjekts zur Welt und zu sich, sei es in Erfahrung, Erkenntnis oder im Handeln, immer »normativ geleitet« und »normativ beschränkt« ist. 49 Für die Beantwortung erkenntnis- und handlungstheoretischer Fragen muss deshalb eine Hinwendung zur Normativität vollzogen werden, wie aus dem folgenden Zitat von Pippin hervorgeht: »To be a thinker […] is to be a ›judger‹, a maker of claims with normative force, and so the logic or ›logos‹ of thinking must involve the logic of such normativity, the basis of our entitlement to claim to have gotten something right, that others ›miss‹ something they ›ought not‹ miss in avoiding such claims (something that must be far stronger than, They don’t go on as we do, or Their brains are not functioning normally). In terms of the basic mindworld relation at issue, this means that even the most direct presence of the world to the mind in sensation […] should not be understood to play any mere psychological or causal role in our justifyings and judgings, but that even such a direct presence must already play the role it plays normatively, within what has been called ›the space of reasons‹.« 50
riante der Beziehung von Körper und Geist und greift dabei auf Hegels Reflexionslogik zurück. 48 Robert Brandom, dessen sprachpragmatischer Ansatz die neuere amerikanische Hegelforschung stark beeinflusst, ist mit Einschränkungen ebenfalls dieser Kategorie von Hegelinterpretationen zuzurechnen. Jedoch vertritt er, laut Habermas, einen »metaphysischen Begriffsrealismus«, nach dem die Welt und die Gedanken aus demselben Stoff sind: Begriffe (Brandom 1998, 622) und (Habermas 1999, 166). 49 Vgl. (Pippin 1997, 9). 50 (Pippin 1997 b, 10 f.).
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Das philosophische Programm, das Pippin umreißt, richtet den Blick auf die normativen Verpflichtungen, 51 die ein Urteilender eingeht, wenn er bestimmte Urteile fällt. Der Maßstab dafür, »to have gotten something right«, ist nicht eine Entsprechung von Urteil und Tatsache in der Welt, sondern ob man in Übereinstimmung mit den normativen Verpflichtungen, die man implizit durch ein Urteil eingegangen ist, geurteilt hat. 52 Dasselbe gilt auch für normative Verpflichtungen, die man mit und durch eine Handlung eingegangen ist. 53 Die Wahrheit eines Urteils oder die Richtigkeit einer Handlung(sdarstellung/-erklärung/-rechtfertigung) bemisst sich daran, ob man, mit Robert Brandom gesprochen, die richtigen Schlussfolgerungen (inferences) gezogen und damit begriffen hat, zu was man »logischerweise« verpflichtet ist, wenn man ein bestimmtes Urteil fällt oder in einer bestimmten Weise handelt. Man hat richtig geurteilt oder gehandelt, wenn man den normativen Regeln des Urteilens und Handelns gefolgt ist: 54 »What is distinctive about judgings and doings – acts that have contents that one can take or make true and for which the demand for reasons is in order«, so Brandom, »is the way they are governed by rules.« 55 Brandom betrachtet Handlungen und Urteile damit unter dem Vorzeichen der »Verantwortung«, 56 die in der (impliziten) Übernahme normativer Verpflichtungen besteht und der man als Handelnde und Urteilende erfolgreich nachkommen oder diesbezüglich versagen
Mit dem Ausdruck »normative Verpflichtung« (normative commitment oder constraint) sollen zwei Bedeutungsaspekte zum Ausdruck gebracht werden, nämlich dass Normen Subjekte in ihrem Erkennen und Handeln »beschränken« als auch »anleiten«. Das heißt, Normen schränken den Erkenntnis- und Handlungsspielraum von Subjekten einerseits ein, andererseits konstituieren sie diesen auch erst. Das Pendant zu »commitment« ist »entitlement«, der Anspruch, den man berechtigterweise auf etwas erheben kann. 52 Vgl. (Pippin 2000 b, 186). 53 Vgl. ebd. 54 »Assessments of truth, no less than assessments of rationality, are normative assessments. Truth and rationality are both forms of correctness. […] Correctness of applications are discussed under the general headings of assessments of truth or representation; correctness of inference are discussed under the general heading of assessment of rationality« (Brandom 1998, 17 f.). Die Idee eines inferentialistischen Modells von Rationalität übernimmt Brandom insbesondere von Wilfried Sellars. Vgl. ebd., xvi. 55 Ebd., 8. »The aim is to understand ourselves as judgers and agents, as concept-users who can reason both theoretically and practically«, ebd., 7. 56 Ebd., 8. 51
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kann. 57 Gründe geben und fordern stellt dabei die Währung dar, in der Verantwortung zugeschrieben und übernommen wird. Vernünftig zu handeln bedeutet, erfolgreich Verantwortung auf sich nehmen zu können, und zwar indem man darlegen kann, dass man aus Gründen gehandelt hat. 58 Diese Gründe müssen gute (triftige, stichhaltige) Gründe sein. Doch was zählt als ein guter Grund? »To have gotten something right« ist, so Pippins Anspruch, weder relativ auf eine historische Zeit, Kultur oder Gesellschaft bezogen noch auf biologische Hirnfunktionen reduzierbar, sondern »something that must be far stronger«: eine »Logik der Normativität«, die zeit- und ortsunabhängig zu befolgen ist und die reglementiert, was man nach den Bedingungen und Regeln des Schlussfolgerns sagen kann und was nicht, wenn man eine bestimmte Handlung beschreibt, erklärt und rechtfertigt oder ein Urteil fällt. Diese Logik der Argumentationsregeln bildet, mit Wilfried Sellars gesprochen, »the logical space of reasons«. 59 Nach Pippin, Pinkard und Brandom hat Hegel eine solche »Logik der Normativität« entwickelt. Die »Logik der Normativität« ist ein Raum von Rationalitätsnormen, die logische, begriffliche, semantische und pragmatische Regeln umfassen und laut Jürgen Habermas geistige und sprachliche Tätigkeiten »lenken«. 60 Reicht die Ableitung dieser Rationalitätsnormen jedoch aus, um Handlungen zu erklären und zu rechtfertigen? Habermas ist der Ansicht, dass im Unterschied zu Rationalitätsnormen Handlungsnormen für den Willen »bindend« 61 sind und der Brandom’sche Ansatz diesen Unterschied verwischt. Dass Brandom nicht mehr zwischen Rationalitätsnormen der Sprache und Handlungsnormen unterscheidet, ist darin begründet, dass in seiner auf Wittgenstein und Heidegger bauenden Sprachpragmatik das Sprechen ein Handeln ist und allein Sprechhandlungen betrachtet werden. Damit kann nicht-sprachliches Handeln prinzipiell nicht von Brandoms sprachpragmatischer Linse erfasst werden. Erst wenn nicht-sprachliches Handeln mit Gründen gerechtfertigt und damit in die Form einer Sprachhandlung überführt wird, kommt seine Vgl. (Pippin 2000 a, 163 f.). Vgl. (Pippin 2000 a, 170). Diese Einsicht geht nach Brandom auf Kant zurück: »His fundamental insight is that judgements and actions are to be understood to begin with terms of the special way in which we are responsible for them« (Brandom 1998, 8). 59 Vgl. (Sellars 1997, 76). 60 Vgl. (Habermas 1999, 149). 61 Ebd. 57 58
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Theorie zum Zuge. 62 Die Notwendigkeit einer Überführung enthüllt aber nicht einen blinden Fleck seiner Theorie, sondern macht lediglich auf den Umstand aufmerksam, dass es dem Menschen außerhalb der Sprache gar nicht möglich ist, über Gründe einer Handlung nachzudenken, sie Akteuren zuzuschreiben, von Akteuren einzufordern et cetera. Die Sprachhandlung des Gebens und Forderns von Gründen für eine Handlung muss damit den oben erwähnten Rationalitätsnormen Genüge leisten. Diese Normen lenken Denktätigkeiten und beschränken, auf welche Gründe Handelnde in der Erklärung und Rechtfertigung ihrer Handlung einen »Anspruch« haben, der durch die logischen Regeln des Schlussfolgerns gerechtfertigt ist. Kurz – neben dem »logical space of reasons« muss Brandom keinen weiteren Raum etablieren, in dem Handlungsgründe flottieren und ihre normativ bindende Kraft für den Willen entfalten könnten. Vernünftig zu handeln heißt, Regeln zu folgen. 63 Diesen Ansatz eines »logical space of reasons«, der gleichfalls Handlungsnormen umfasst, übernehmen Pippin und Pinkard, wenn sie den Fokus auf die Praxis des Gebens und Forderns von Gründen legen. Vier Fragerichtungen schließen sich hier an: Erstens: Woher stammen die normativen Verpflichtungen? Wie kann die rational Handelnde wissen, was sie tun soll? Zweitens: Warum akzeptiert die Urteilende und Handelnde diese Verpflichtungen und befolgt sie in der Beschreibung, Erklärung und Rechtfertigung ihrer Handlungen und in ihren Urteilen? Wie kann die Handelnde motiviert sein, das Entsprechend ersetzt Brandom nach Habermas die deskriptive Frage, was Wahrheit ist, durch die performative Frage, was Subjekte tun, wenn sie etwas für wahr halten (ebd., 142). Um einem Relativismus zu entgehen und die Objektivität von Erkenntnis zu sichern, unterstellt Brandom die Existenz einer identischen Welt und einen Universalitätsanspruch der Wahrheit. Diese Annahmen stützt Brandom durch einen Begriffsrealismus. Danach ist die Welt begrifflich strukturiert, in einer Struktur, die Subjekte in der Diskurspraxis erkennen und entfalten (ebd., 166, 172). Mit diesem »objektiven Sprachidealismus« (vgl. ebd., 169) scheint Brandom einer metaphysischen Auslegung Hegels nahezukommen: »Weil Tatsachen, aus denen die Welt besteht, wesentlich das sind, was in wahren Sätzen ausgesagt werden kann, ist die Welt selbst von dieser Art, nämlich begrifflicher Natur« (ebd.). Dieser Begriffsrealismus ist hinsichtlich der objektiven Welt sicher problematisch (siehe dazu die Bemerkung zu Horstmann in Fußnote 14 auf S. 31. In Bezug auf die soziale Welt und ihre Normen ist eine Entsprechungsthese weniger problematisch, da soziale Praktiken, Handlungsnormen, moralische Werte et cetera nicht unabhängig von menschlichem Handeln und Bewusstsein existieren. 63 Für Kant besteht diese Regel in dem Sittengesetz, für Brandom in den normativen Implikationen von Sprachhandlungen. 62
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Vernünftige zu tun? Drittens: Wie kann die Urteilende und Handelnde sicher sein, dass die normativen Verpflichtungen, denen sie nachkommt, »wirklich« vernünftig sind und ihr nicht bloß aus historischsoziokulturellen Gründen als vernünftig erscheinen? Eine vierte Frage lautet im Anschluss an John McDowell, wie bei einer Konzentration auf das Normative – das, wie sich im Folgenden zeigen wird, kohärentistisch begründet wird – ein »frictionless spinning in the void« vermieden und ein realistischer Zugang zur Welt gesichert werden kann. 64 Diese vierte Frage stellt sich mit Blick auf verschiedene Gegenstandsbereiche mit unterschiedlicher Dringlichkeit und Akzentuierung. Während kohärentistische Modelle für die Erklärung und Beurteilung von Erkenntnissen über die objektive Welt (als Sammelbegriff für Entitäten, die unabhängig vom menschlichen Handeln und Bewusstsein existieren) schwer einen Zugang zur objektiven Welt integrieren und plausibilisieren können, stellt sich dieses Problem bei einem normativen Gegenstandsbereich, der moralische Handlungsnormen, sozio-politische Institutionen und Praktiken umfasst, nicht in dieser Form. Denn normative »Phänomene« sind von Menschen konstituiert und existieren nicht unabhängig von deren Handeln, Überzeugungen und Selbstverständnissen. Handlungsereignisse und Bewusstseinszustände können zwar auch als raum-zeitlich lokalisierbare Ereignisse in objektive, das heißt kausale Termini gefasst werden. 65 Aber diese kausalen Beschreibungen fangen nicht die normative Kraft einer Handlung oder einer Überzeugung ein. Gleichwohl strebt man für den normativen Gegenstandsbereich ebenfalls eine Art »Objektivität« an. Man will Gewissheit darüber haben, dass die Überzeugungen, Regeln und Wertmaßstäbe, nach denen man handelt und sein Zusammenleben mit Anderen gestaltet, nicht nur kontingenterweise für richtig gehalten werden, sondern auch »tatsächlich« richtig sind. Das heißt, man fordert eine Rechtfertigung der Normen, die die Kontingenz eines faktischen Geltens dieser Normen in sozialen Praktiken übersteigt, so dass gezeigt werden kann, dass diese Normen in der Tat anerkennungswürdig sind. 66 Die Anerkennungswürdigkeit von Normen darf wiederum nicht vollVgl. (McDowell 1998). Vgl. (Brandom 1979, 190). 66 Problematisch sind in dieser Hinsicht nur moralische Normen, nicht aber reine Normen der Konventionen wie beispielsweise die Straßenverkehrsordnung. 64 65
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ständig darin aufgehen, dass eine Gemeinschaft sie zufällig für anerkennungswürdig hält. Ein konventionalistisches Erklärungsmodell, welches Brandom in seinem Aufsatz Freedom and Constraint by Norms (1979) für die Sprachpraxis vorschlägt, greift im Fall von moralischen Normen zu kurz. 67 Die Anerkennungswürdigkeit einer Norm mit moralischem Gehalt kann nicht über die formal korrekte Anwendung bewiesen werden. Es muss darüber hinaus gewährleistet sein, dass auch der materiale Gehalt der Norm – das, was sie inhaltlich vorschreibt (zum Beispiel, nicht zu lügen) – Anerkennung verdient. 68 Habermas schlägt aus diesem Grund vor, die Richtigkeit von moralischen Normen »wahrheitsanalog« zu verstehen, obgleich die Richtigkeit einer Norm nicht »rechtfertigungstranszendierend« sein kann. 69 Moralische Normen müssen für alle rationalen Subjekte – Vgl. (Brandom 1979, 188). Um der Wahrheit und Freiheit auf die Spur zu kommen, oder zumindest, um eine Sprache zu entwickeln, wie von einem theoretischen Standpunkt aus über Freiheit und Wahrheit geredet werden kann (ebd., 196), reicht es nach Brandom aus, die sozialen Praktiken zu beschreiben, in denen Wahrheit und Freiheit verhandelt werden: Wahrheit ist »[t]aking something as true« (ebd., 189), und Freiheit ist »treat[ing] someone as free« (ebd., 192). Offen bleibt, wie Brandom den konventionalistischen Ansatz eines »treating/taking x as y« übersteigen kann. Sein inferentialistisches Modell, das er in Making It Explicit entwickelt hat, will diese Übersteigung leisten und Rationalität als korrektes Schlussfolgern auffassen (Brandom 1998, 18). 68 Hierauf könnte man erwidern, dass der materiale Gehalt einer Norm erst durch ihre Anwendung festgelegt wird, und dass die Normen, deren Anwendung auf korrekten Schlussfolgerungen beruht, in einem reichhaltigen (und nicht bloß formalen) Sinne vernünftig zu nennen sind. Dann müsste man jedoch zeigen können, wie sich Normen in sozialen Praktiken korrigieren. Denn es ist eine Tatsache, dass es faktisch geltende soziale Normen gibt, die sich widersprechen, sich später als unmoralisch herausstellen oder schlichtweg irrelevant werden. Dieser Punkt wird im Zusammenhang mit Pippins und Pinkards »developmental account« nochmals aufgegriffen. 69 Zur Unterscheidung zwischen Wahrheit von deskriptiven Sätzen und Richtigkeit von moralischen Urteilen und Normen siehe (Habermas 1999, 271–318). Habermas lehnt einen moralischen Realismus ab und behauptet, die Richtigkeit moralischer Urteile und Normen könne nicht durch das Abgleichen mit objektiven Sachverhalten gewährleistet werden. Dennoch sollte Richtigkeit wahrheitsanalog verstanden werden. Das heißt, Subjekte wollen nicht nur wissen, was faktisch anerkannt wird, sondern ob das Anerkannte auch anerkennungswürdig ist. Erst aus der Anerkennungswürdigkeit lässt sich auf das unbedingte Gelten einer moralischen Norm schließen. Diese Anerkennungswürdigkeit kann allein durch die Rechtfertigung aus guten Gründen nachgewiesen werden. Da die Feststellung der Richtigkeit moralischer Normen und Urteile die Rechtfertigungsstrategie nicht transzendieren kann, haben moralische Urteile und Normen nur prima facie Geltung. Das heißt, sie können im Fall von Konflikten und Widersprüchlichkeiten im Sinne eines moralischen Lernprozesses verändert und angepasst werden. Dieser moralische Lernprozess ist durch einen Rationalismus geprägt, da in 67
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und nicht nur für die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft – mit guten Gründen gerechtfertigt werden können, und ihre Richtigkeit kann nur in diesen Rechtfertigungsversuchen festgestellt werden. In einer Analyse des hegelschen Familienmodells ist also zu zeigen, dass moralische Verpflichtungen der Familienmitglieder nicht darum vernünftig sind, weil sie faktisch vorhanden sind, sondern weil sie mit guten Gründen allgemein gerechtfertigt werden können. Zur Debatte stehen die Quelle, Erkennbarkeit, subjektive Bindungskraft und Vernünftigkeit normativer Verpflichtungen im Handeln und Urteilen. Pippin und Pinkard sehen diesbezüglich die Philosophie Hegels in mehrfacher Weise als eine Verlängerung und Vertiefung des kantischen Projekts. In Bezug auf die erste Frage hält Pippin fest, dass »the source of a basic normative constraint in any judging must somehow at some level lie ›in us‹«. 70 Den Ansatz, die »Quelle normativer Beschränkungen« im Subjekt aufzusuchen, hat Hegel von Kant übernommen und zu verbessern versucht.71 Hinter diesem Ansatz steht der kantische Gedanke, dass ein vernunft- und freiheitsbegabtes Wesen nur den Gesetzen und Normen unterworfen ist, die es sich selbst auferlegt hat. Mit Hegel ausgedrückt bedeutet dies, »daß das Individuum ihnen [den Gesetzen, S. B.] gehorchen kann, weil es selbst sie für gut erkennt« (R § 3 R). Gesetzesgehorsam resultiert daraus, dass das Individuum die normative Autorität der Gesetze aus freien Stücken als handlungsleitende Gründe anerkennt. Damit konstituiert das Individuum erst das Gesetz – »das Gesetz handelt nicht, es ist nur der wirkliche Mensch, der handelt […] erst durch meine Überzeugungen wird es zu einem Gesetze, einem mich Verpflichtenden und Bindenden gemacht« (R § 140). Die kantische Konzeption der Autonomie, nach der das Subjekt zugleich »Gesetzgeber« und »dem Gesetz Unterworfener« ist, wirft jedoch mehrere Probleme auf. 72 Zum einen ist es uneinsichtig, wader intersubjektiven Auseinandersetzung um die Frage, welche Normen Geltung beanspruchen dürfen, das bessere Argument beziehungsweise (nur) triftige Gründe zählen. Der Habermas’sche Ansatz hat bei der Erklärung der Richtigkeit moralischer Normen und Urteile, wie sich im Folgenden zeigen wird, dieselbe Stoßrichtung wie die Ansätze von Pinkard, Pippin und Brandom, die ebenfalls eine diskursiv-pragmatische Komponente mit einem Rationalismus verbinden wollen. Zu einer Kritik an Habermas und Brandom und zu der These, dass auch normative Urteile wahr oder falsch sein können, weil Gründe in einem robusten Sinne »objektiv« sind, vgl. (Larmore 2001). 70 (Pippin 2000 b, 186). 71 Ebd. 72 Zum kantischen Paradox vgl. (Pinkard 2002).
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rum die Autorität von Gesetzen von der subjektiven Einsicht und Befürwortung abhängen soll, die im Falle der Verbrecherin gerade fehlt. Die subjektive Komponente im Gelten von Gesetzen darf also deren Geltungskraft nicht erschöpfen. Hegel fährt entsprechend fort: »[D]ie subjektive Einsicht ist zugleich etwas Zufälliges, und das Gelten des Rechts kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob der eine so meinte und möchte – oder so« (ebd.). Wovon ist denn das »Gelten des Rechts« abhängig zu machen, um Zufälligkeiten zu vermeiden? Anders gefragt: Wie kann das Recht für alle zu jeder Zeit gelten? Zwei Möglichkeiten kommen in den Blick. Erstens können Gesetze mit Zwang und durch umfassende Kontrolle durchgesetzt werden. Diese Variante übersieht jedoch den Unterschied, dass die Gesetze, die faktisch eingehalten werden, nichts darüber preisgeben, ob es richtig ist, gerade an diesen Gesetzen festzuhalten, ungeachtet dessen, ob es sich um Gesetze in einem korrupten und despotischen oder demokratischen Staat handelt. Eine zweite Variante macht dagegen die unbedingte Geltungskraft des Rechts von dessen Vernünftigkeit abhängig. Das heißt, was mit guten Gründen gerechtfertigt werden kann, gilt universal und verdient Anerkennung seitens aller rationalen Subjekte. Kant greift den Gedanken der zweiten Variante auf, indem er sein Modell der Selbstgesetzgebung um eine entscheidende Komponente erweitert: Selbstbestimmung ist vernünftige Selbstbestimmung: Der Wille ist nur dann frei, wenn er ausschließlich guten Gründen folgt. 73 Diese Forderung nach vernünftiger Selbstbestimmung bedeutet aber nicht zwingend, das Subjekt in ein soziales Vakuum zu stellen, in dem es aus sich heraus Gründe schöpfen soll. Vielmehr ist es eine Tatsache, dass Subjekte Normen immer schon vorfinden und entsprechend sozialisiert sind. Diese Normen sind aber keine unumstößlichen Dogmen, denen sich die Subjekte bedingungslos unterwerfen müssen, sondern es liegt in der Verantwortung der Subjekte, die Normen im Zweifelsfall zu überprüfen und allenfalls zu missachten. Kurz, Subjekte können sich zwar nicht aussuchen, in was für eine Familie, Gesellschaft oder Kultur mit welchem normativen Bezugsrahmen sie hineingeboren und darin aufgezogen werden. Aber diese Konzepte, die ihre Überzeugungen prägen und ihre HandVgl. (Wildt 1982, 253, 389). Aus dem Rationalitätsanspruch des Willens, nach Gründen zu handeln, folgt aber noch nicht, dass dieser Anspruch auch tatsächlich erfüllt wird, und es bleibt ebenfalls offen, wie dieser Anspruch zu erfüllen ist.
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lungen anleiten, können sie sehr wohl hinterfragen, akzeptieren oder ablehnen. Wie kann eine solche Überprüfung bestehender Normen aussehen? Bei Kant besteht vernünftige Selbstbestimmung in der Beschränkung durch eine Norm: das Sittengesetz. 74 Zugleich muss sich aber das Subjekt, um autonom zu sein, das Gesetz (und seine Handlungsmaximen) selbst auferlegen. Die kantische Konzeption der Selbstgesetzgebung scheint damit paradox zu sein. Indem Kant die Freiheit und das Sittengesetz in ein reziprokes Verhältnis 75 stellt, setzt er in seinem Modell der vernünftigen Autonomie bereits eine Orientierung an Vernunftsnormen voraus, welche erst durch den Akt der Selbstgesetzgebung gestiftet werden sollen. 76 Kant versucht die Inkohärenz seines Modells der Selbstgesetzgebung dadurch zu beheben, dass er zusätzliche Annahmen über das »Faktum der Vernunft« (Kritik der praktischen Vernunft, 77 A 56) und die drei »Postulate« von der »Unsterblichkeit der Seele«, der »Freiheit« und des »Daseins Gottes« (Kritik der praktischen Vernunft, A 220–241) macht. Diese Lösung hält Charles Larmore für nicht überzeugend. 78 Das Problem bleibt bestehen, dass man sich nicht selbst vernünftige Gesetze geben kann, ohne gute Gründe dafür zu haben, dass diese Gesetze vernünftig sind. Das kantische Modell der Selbstgesetzgebung ist zum Scheitern verurteilt, weil es nicht zulassen darf, dass man in der Selbstgesetzgebung Normen oder Prinzipien anwendet, die man bereits Freiheit besteht in der kantischen Tradition laut Brandom »in being constrained by norms rather than by causes« (Brandom 1979, 187). An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass Brandom in seinem Artikel übersieht, dass Freiheit bei Kant nicht eine Beschränkung durch irgendwelche Normen bedeutet, sondern durch eine vernünftige: das Sittengesetz. Diese Interpretationsrichtung schlägt Brandom dann 1994 in Making It Explicit ein: »freedom as a special kind of norm, the norms of rationality« (Brandom 1998, 51). Brandoms Konventionalismus von 1979, den er auch auf moralische Normen auszudehnen scheint (oder einer solchen Ausweitung zumindest nicht mit einem Argument entgegentritt), ist mit einer kantischen Freiheitskonzeption – deren rationalistischen Züge sich nicht darauf beschränken, den logischen Denkgesetzen formal zu folgen, sondern auch das inhaltlich Vernünftige fordern zu tun – nicht mehr vereinbar. Beispielsweise kann ein Subjekt seine ganze Intelligenz und Kreativität dafür einsetzen, einen perfekten Mord zu planen und durchzuführen, ohne dass diese Tat als vernünftig bewertet werden sollte. 75 Vgl. dazu Alan Pattens »reciprocity thesis«, die er in Rückgriff auf Henry Allison entwickelt, in (Patten 1999, 82 ff.). 76 Vgl. (Habermas 1999, 148). 77 (Kant 1989). 78 Vgl. (Larmore 2001). 74
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als gültig anerkannt hat. Die Konsequenz, die aus der Inkohärenz des kantischen Modells zu ziehen ist, lautet für Larmore, dass der Autonomiebegriff keine vollständige Erklärung des Normativen liefern kann. 79 Im Zusammenhang von empirischer Erfahrung und Wissen warnt John McDowell ebenfalls davor, das Modell des »Sichselbstauferlegens« über Gebühr zu strapazieren. 80 Vernunftsnormen, die den Inhalt von Begriffen konstituieren, haben nicht darum Geltungskraft, weil Subjekte sie sich selbst auferlegen. Ein solcher legislativer Akt wäre rein willkürlich, weil er nicht von Vernunftsnormen flankiert werden kann, die durch den Akt erst konstituiert werden sollen. Zugleich ist es uneinsichtig, warum Vernunftsnormen Resultat eines willkürlichen Aktes sein sollen. Daraus zieht McDowell den Schluss, dass die Quellen für die Autorität von Normen nicht in einem Akt der Selbstauferlegung liegen können, sondern dass sie unabhängig davon gelten, ob sie anerkannt werden oder nicht. Subjekte, die denken und handeln, haben diese Normen implizit bereits anerkannt. »Grundlegende Normen des Denkens können nicht als von Denkenden instituiert angesehen werden; sobald man ein Denkender ist, untersteht man schon solchen Normen.« 81 Die Quellen von Normen liegen zwar »in uns«, aber nur in dem Sinne, »dass sie für die Praxis des Denkens konstitutiv sind«, an der teilzunehmen für uns nicht zur Disposition steht: »Wir haben keine Wahl, Denkende zu sein oder nicht.« 82 Neben diesem Paradox treten weitere problematische Aspekte der kantischen Autonomiekonzeption auf. So hat Hegel darauf aufmerksam gemacht, dass die kantische Konzeption von Autonomie mit dem Problem der Inhaltslosigkeit konfrontiert ist, da sich aus der Befolgung des Sittengesetzes keine konkreten Pflichten und Handlungsanweisungen ableiten lassen (vgl. R § 135). 83 Eine weitere Schwierigkeit der kantischen Konzeption besteht in der Handlungsmotivation oder subjektiven Bindungskraft des Sittengesetzes. Kant geht davon aus, dass Gründe praktisch wirksam und handlungsleitend sein können. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass selbst wenn 79 80 81 82 83
Vgl. (Larmore 2001). Vgl. (McDowell 2004, 204 f.). Ebd., 205. Ebd. Zum Problem der Inhaltslosigkeit bei Kant siehe auch (Brandom 1979, 193). A
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ein Subjekt weiß, was ein rein vernünftiger, nach Gründen Handelnder tun würde, diese Gründe nicht automatisch seine Gründe sein und ihn zum Handeln motivieren müssen. Mit dem kantischen Bild eines gespaltenen Menschen, der sich in ein noumenales und ein sinnliches Wesen aufteilt, können seine Handlungen nicht erklärt werden. 84 Vielmehr ist zu zeigen, wie ein Rationalismus von vernünftigen Gründen, die für alle rationalen Subjekte unbedingt gelten, in eine Binnenperspektive eingebunden werden kann – als Gründe, die das einzelne Subjekt motivieren. Von dieser Warte aus sind weder die faktisch geltenden Normen in einer Kultur noch die faktischen Handlungsmotive per se vernünftig, sondern bedürfen beide einer begründeten Rechtfertigung. 85 Nach der Interpretation von Pippin und Pinkard hat Hegel in seiner Philosophie zum einen am kantischen Verdikt festgehalten, dass die »Quelle normativer Beschränkungen« »in uns« zu legen ist, weil »für uns« keine Normen bindend sein können, außer die »von uns« selbst auferlegten. Zum anderen hat Hegel die dabei auftretenden Schwierigkeiten und Spannungen in der kantischen Konzeption zu lösen versucht, indem er für die Erklärung normativer Verpflichtungen im Rahmen seiner Philosophie des Geistes einen kollektiven, historischen und lerntheoretischen Ansatz entwickelte, wie später noch genauer erörtert wird. »Geist« wird von den hier genannten Hegelforschern nicht als ein metaphysisches Supra-Individuum verstanden, sondern, Brandom folgend, als die »Sphäre des Normativen« schlechthin. 86 In analoger Weise wird der hegelsche »Begriff« als eine »normative Beschränkung« im Rahmen des Geistes, als »Sphäre des Normativen« begriffen. 87 Die »Sphäre der Normativität« muss wiederum »in uns« liegen, wenn nicht erneut ein jenseitiges Reich (von Gründen und Normen) postuliert werden soll. Wie diese »Sphäre der Normativität« etabliert und erhalten wird, und zwar in einer Weise, dass Subjekte die »Quelle normativer BeschränVgl. (Pippin 2000 b, 193 f.). Vgl. dazu auch Seyla Benhabibs Unterscheidung von »subjective interpretation of reasons for one’s actions« und »objective assessment of the validity of such reasons to serve as justifications for actions« (Benhabib 2002, 197). 86 Vgl. (Brandom 1999, 367). 87 Vgl. (Pippin 2000 a, 163). Auch der hegelsche Terminus der »Absoluten Idee« wird anti-metaphysisch als »the normative, self-correcting structure of a rational form of modern ›social space‹« eingeführt (Pinkard 2002, 177). Die »Absolute Idea« bildet nach Pinkard »the ›pure normative structure‹ of patterns of reciprocal recognition« (ebd.). 84 85
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kungen« sind, der »Geist« demnach eine »von ihnen selbst auferlegte Norm« 88 ist, kann nach Pippin und Pinkard erläutert werden, wenn mit Hegel der Fokus auf die institutionelle, kulturelle, gesellschaftliche Praxis gerichtet wird. Die Normen, die in einer gemeinschaftlichen Praxis handlungsleitend und überzeugungsprägend sind, können als das normative Selbstverständnis einer Gemeinschaft bezeichnet werden. Insofern sich Menschen diese Normen selbst auferlegen, können die praktischen Umsetzungen dieser Normen als Versuche kollektiver Selbstbestimmung betrachtet werden. (Vor diesem Hintergrund wird es auch verständlich, warum Hegel die Geschichte als eine Geschichte versuchter Verwirklichungen von Freiheit interpretiert.) Wie bilden sich nun normative Selbstverständnisse von Gemeinschaften beziehungsweise normativ geordnete Gesellschaftsverhältnisse heraus, und warum können sie vernünftig genannt werden? Pippins und Pinkards Hegellektüre zufolge, die sich stark an Hegels Methode in der Phänomenologie orientiert, sind Normen Ergebnisse in einem historischen Bildungsprozess der Menschheit, Ergebnisse, die durch kollektive Anstrengungen erzielt werden. Damit rückt der Aspekt der intersubjektiven Anerkennung bei der Konstitution von Normen mit in den Vordergrund. Der Bildungsprozess des Individuums sowie der Gemeinschaft verläuft dialektisch. Nach Pinkard wird der Prozess durch die Erfahrung praktischer »Unzulänglichkeiten« (historical insufficiencies), die in bestimmten kulturellen und historischen Formen des Gemeinschaftslebens auftreten, vorangetrieben. 89 Praktische Unzulänglichkeiten bestehen darin, dass es den Menschen in einer Gemeinschaft nicht gelingt, gemäß ihrem normativen Selbstverständnis zu leben, und sich dieses Selbstbild in der Praxis als inkonsistent erweist. Solche Schwierigkeiten treten im Falle einer Inkompatibilität zweier gleichberechtigter, handlungsleitender Normen auf, die den Menschen dazu zwingen, sich für eine Norm zu entscheiden und damit die andere zu verletzen.
Vgl. (Pippin 2000 b, 190). Vgl. (Pinkard 1994, 271). Brandom erklärt das Aufkommen neuer sozialer Praktiken mittels der Kreativität von Handlung: »For the capacity of individuals to produce novel performance in accord with a set of social practices makes possible novel social practices as well« (Brandom 1979, 194). Durch eine Dialektik von geteilter Praxis und neuen, individuellen Handlungen entwickeln sich sowohl Individuen als auch Gemeinschaften (ebd., 196).
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Diese Art von Konflikt hat Hegel am Beispiel der Antigone ausführlich diskutiert. 90 Den Grund, warum es zu einem solchen Konflikt kommen kann, sieht Hegel in der Einseitigkeit der Normen und der jeweiligen Selbstverständnisse. Durch die Erfahrung praktischer Unzulänglichkeiten lernen die Menschen etwas über sich selbst: Sie finden heraus, dass sie nicht diejenigen waren, die sie dachten zu sein, und werden durch das Scheitern ihrer Lebensform gezwungen, ihr Selbstbild zu korrigieren und ihr Leben und Zusammenleben neu zu organisieren. Anders ausgedrückt: Der Gehalt normativer Verpflichtungen wird erst in der Praxis bestimmt, beziehungsweise es wird erst in der Praxis deutlich, was es heißt, bestimmte normative Verpflichtungen einzugehen. 91 Normen existieren damit nicht unabhängig von ihrer Anwendung und sie existieren nur qua Normatives, also in und durch die Handlungen und das Bewusstsein von Menschen in gemeinschaftlichen Praktiken (R § 145 und EG § 514). So hören bestimmte Normen auf zu existieren, wenn sich das normative Selbstverständnis einer Gemeinschaft aufgrund praktischen Versagens verändert, diese Gemeinschaftsform untergeht und eine neue Gemeinschaftsform aus der vergangenen entsteht. Die Qualität eines normativen Selbstverständnisses, seine Robustheit, Tragfähigkeit und Stabilität, kann allein in seiner praktischen Umsetzung festgestellt werden. Aus den Erfahrungen des Scheiterns lernt 92 die Menschheit sukzessive, Unzulänglichkeiten vergangener Normen in neuen Gemeinschaftsformen zu korrigieren. 93 Die Entstehung und Wirksamkeit von NorZu Hegels Interpretation der Antigone vgl. Kapitel (4.1.1.3). Brandom greift ebenfalls die Inkompatibilität zwischen normativen Verpflichtungen als eine Erfahrung auf, die sowohl Identität stiftet als auch zerstört: »Jeder eingestandene Fehler ist ein Akt der Selbstidentifikation: die Billigung einiger der miteinander unvereinbaren Verpflichtungen, in denen man sich vorfindet, und das Opfer anderer. Erfahrung ist der Prozess, durch den Subjekte sich selbst als Loci der Rechenschaft definieren und bestimmen, indem sie unvereinbare Verpflichtungen praktisch ›abstoßen‹« (Brandom 2004, 51). 91 Vgl. (Brandom 1999). 92 Zum Begriff des Lernens und zur Rolle der Erfahrung stellt Habermas die These auf, dass bei Brandom die Erfahrung nur eine passive Rolle übernimmt, insofern sie lediglich das Medium bereitstellt, in dem Erkenntnis über die begriffliche Stuktur der Welt möglich ist (Brandom 1998, 622) und (Habermas 1999, 166). Aus dieser Perspektive bedeutet Lernen nach Habermas für Brandom lediglich, sich die bereits existierenden Begriffe einzuprägen. Unter der Annahme, dass Pinkard keinen objektiven Idealismus vertritt und damit auch keinen Begriffsrealismus, muss bei ihm Lernen und Erfahrung eine aktive, kreative und produktive Rolle spielen. 93 In der Moderne radikalisiert sich die Erfahrung des Scheiterns. Die »Unzulänglich90
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men ist gleichsam eingebunden in einen sich selbst korrigierenden Prozess von Normativität. 94 Mit den gescheiterten Versuchen wächst auch das Bewusstsein der Menschen über das, was sie tun: sich bemühen, nach selbstauferlegten Normen und somit selbstbestimmt zu leben. 95 »Geist« bezeichnet hier die Fähigkeit des Menschen zu begreifen, was im Rahmen dieser kollektiven Selbstbestimmung von ihm normativ gefordert wird, 96 und dass seine Tätigkeiten und Handlungen versuchte Selbstbestimmungen sind. Aus diesem Grund sieht Hegel in der Geschichte einen Zuwachs an Bewusstsein von Freiheit. 97 Geschichte ist im hegelschen Verständnis ein Bildungsprozess des Sich-selbst-Erkennens und Sichselbst-(normativ)-Bestimmens; sie ist sowohl ein Selbsterkennungsprozess als auch ein Selbstverwirklichungsprozess geistiger Wesen. Die Idee, die Geschichte entwickle sich gemäß der Gesetzlichkeit einer Geist-Substanz, wird in einem nicht-geistmetaphysischen Ansatz durch eine lerntheoretische Annahme abgelöst, nach der Menschen aus praktischen Unzulänglichkeiten, die sie aufgrund von Einseitigkeiten ihres normativen Selbstverständnisses erfahren, lernen, und sich dergestalt die normativen Praktiken im Laufe der Geschichte ändern beziehungsweise selbst korrigieren. Für diesen Bildungsprozess ist zwar das Machen von Erfahrungen erforderlich und damit keiten« bestehen darin, dass für das moderne Handlungssubjekt autoritative Gründe für Überzeugungen und Handlungen gänzlich ihre Geltungskraft verlieren. Aus dieser Erfahrung der »groundlessness« erwächst das moderne Projekt eines »self-grounding« oder einer »self-legislation« (Pinkard 1994, 271). Hegels Hinweis, dass man Vernunft nicht befehlen kann (R § 3 R), unterstützt die argumentative Stoßrichtung von Pinkard. 94 Vgl. Pinkards Auffassung der »Absoluten Idee« als eine »normative self-correcting structure of modern social space« (Pinkard 2002, 177). 95 Vgl. (Pippin 2000 b, 198 Fußnote 47). 96 Ebd., 190. 97 Der Erfolg in der Moderne, besser nach selbstauferlegten Normen zu leben, ist auf die innere Konsistenz und Kohärenz des modernen sozialen Lebens zurückzuführen. Terry Pinkard fasst diese These in seiner Interpretation der Phänomenologie folgendermaßen zusammen: »The superiority of modern life consists in the rationality that it brings to spirit – that is, in achieving an internal coherence of a ›social space‹ such that a form of life is achieved in which the type of systematic alienation that had characterized past forms of life – namely, alienation as a reflection of the irrationality of ›social space‹ – vanishes, and in which that form of life is able to develop accounts of itself that can show to its members and to others that it is within its own terms fully intelligible and capable of explaining and justifying itself without internal incoherence. It thus counts as a realization of freedom, the ›principle‹ of the modern world« (Pinkard 1994, 336 f.). A
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eine zeitliche Dimension involviert. Was die Menschen lernen, ist dagegen zeitlos – und (in einer noch zu konkretisierenden Weise) vernünftig. 98 Diese historische, kollektive und lernorientierte Analyse der Genese des »Geistes« als Normativität wird »developmental account« 99 genannt. Weil sich die Normativität einer Gesellschaft schrittweise aus der vorhergehenden Lebensform entwickelt und sich durch deren Versagen »verbessert«, gelingt Hegel nach Pippin »a kind of internalist, radically ›boot-strapping‹ theory of self-legislated normativity, of what is and what is not available to us in our deliberations in trying to Get It Right« 100 . Damit bietet Hegels Philosophie eine bedenkenswerte Alternative zu Kants Autonomiekonzeption an. Erstens kann Hegel erklären, warum ein Subjekt motiviert ist, Normen für sich als bindend anzuerkennen – nämlich weil es in einer bestimmten Weise sozialisiert wurde und die gemeinschaftlichen Normen internalisiert hat. Zweitens kann Hegel inhaltlich konkrete normative Verpflichtungen formulieren, weil er die kantische Konzeption von Freiheit als »constraint by norms« um eine, wie Brandom es ausdrückt, »token-reflexive reference in the formula« erweitert: »[T]o be a Kantian rational-moral agent is to be one of us.« 101 Und drittens ist Hegel in der Lage, das kantische Paradox zu lösen, dass ein Subjekt zur selben Zeit »Gesetzgeberin« und »dem Gesetz Unterworfene« ist, indem Hegel diese Selbstbestimmung (beziehungsweise die freiwillige Unterwerfung unter normative Beschränkungen) als (graduelles, kollektives, historisches) Resultat konzipiert und nicht als einen »noumenalen Akt der Wahl«. 102 Mit seiner These, »Vernünftigkeit« sei an der »innere[n] Kohärenz eines sozialen Raumes« und dem Fehlen von »Entfremdung« festzumachen, wirft Pinkard das wohl schwierigste Problem einer nicht-geistmetaphysischen Rekonstruktion spekulativ-logischer Grundlagen auf: eine überzeugende Antwort auf die Frage zu finden, warum normative Verpflichtungen, die im Zuge historischer Entwicklungen herausgebildet beziehungsweise von Subjekten selbst
Auf den Punkt der »zeitlosen Vernünftigkeit« hat Ludwig Siep aufmerksam gemacht (Siep 2000, 249–51). 99 Vgl. (Pippin 2000 b, 188). 100 (Pippin 1997, 15). 101 (Brandom 1979, 193). 102 Vgl. (Pippin 2000 a, 163). 98
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Methodische Implikationen: einen Umgang mit Hegels Logik finden
auferlegt wurden, nach Hegel vernünftige Verpflichtungen sind. 103 Der Begriff der Vernünftigkeit soll sich in diesem Zusammenhang weder in der zufälligen gesellschaftlichen Akzeptanz 104 von Normen erschöpfen noch in der Tatsache, dass sich Mitglieder normkonform verhalten. 105 Der Konventionalismus, der in Bezug auf die Sprachpraxis plausibel ist, weil nur die jeweilige Sprachgemeinschaft darüber entscheiden kann, was als ein korrekter Gebrauch ihrer Sprache zählt, wirft hinsichtlich moralischer Fragen Probleme auf. Moralische Normen unterscheiden sich von linguistischen Normen entscheidend dadurch, dass sie von allen rationalen Subjekten – und nicht nur von den Mitgliedern einer bestimmten Sprachgemeinschaft – befolgt werden sollen und damit einen universalen und unbedingten Geltungsanspruch prima facie erheben. 106 Die Grenzen einer Sprache fallen nicht mit den Grenzen der Moral zusammen. Wenn man einen Konventionalismus für moralische Normen ablehnt, dann ist zu fragen, warum nach Pinkard die innere Konsistenz eines normativen Selbstverständnisses, das sich in der Stabilität einer Gesellschaft ausdrückt, ein Beweis für die Vernünftigkeit dieser Gesellschaft sein soll. Was für eine Vernünftigkeit hat Pinkard vor Augen, wenn er die These aufstellt, dass eine vernünftige Lebensform »within its own terms« in der Lage ist, konsistente Erklärungen und Rechtfertigungen ihrer selbst zu generieren? 107 Zunächst hat es den Anschein, dass Pinkard und Pippin in ihrer Hegelinterpretation einen »pragmatistischen« oder »positivistischen« Vernünftigkeitsbegriff zugrunde legen, nach dem das vernünftig ist, was de facto in einer bestimmten historischen und kultuVgl. Pinkards Zitat in Fußnote 97 auf S. 55. Siep stellt die These auf, dass die Vernünftigkeit von Institutionen an dem Prinzip gemessen werden kann, welches sie darstellen: die Anerkennung (Siep 1979, 224). Das Verhältnis von Anerkennung und Vernünftigkeit wird im Kapitel (5.1) der vorliegenden Untersuchung erarbeitet. 105 Eine solche konventionalistische Position entwickelt Brandom, indem er die Sprachpraxis als Modell nimmt, um generell zu erklären, wie Normen in Praktiken eingebettet werden und warum Normen ihre Richtigkeit durch intersubjektive Anerkennung beweisen (Brandom 1979). 106 Zur Frage, warum dieser Geltungsanspruch nur prima facie gilt, siehe oben auf S. 39, Fußnote 87. 107 Weitere Fragen schließen sich hier an: Wieso ist Freiheit gleichzusetzen mit einer in sich stimmigen, widerspruchsfreien sozialen Ordnung? Warum sollte eine solche soziale Ordnung das Prinzip der Freiheit verwirklicht haben und nicht etwa das der Gerechtigkeit? 103 104
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rellen Praxis als vernünftig gilt. Hegels Position ist jedoch weit von einem solchen kulturellen Relativismus und historischen Positivismus entfernt, wie auch Pinkard und Pippin, unter anderem in Ablehnung von Richard Rortys Hegelverständnis, explizit festhalten. 108 In R § 3 A setzt sich Hegel dafür ein, zwischen einer »wahrhaften Rechtfertigung« und einer »Rechtfertigung aus (historisch gegebenen) Umständen« zu unterscheiden. Folgt man seinen Aussagen in der Enzyklopädie von 1830, dann hat er die Grundlinien nicht mit der Absicht geschrieben, die bestehenden preußischen Verhältnisse um 1820 heiligzusprechen: »[W]er wäre nicht so klug, um in seiner Umgebung vieles zu sehen, was in der Tat nicht so ist, wie es sein soll?« (EL § 6 A). Zugleich wendet er sich aber gegen ein Philosophieverständnis, nach dem die Philosophie eine idealistische Vision des Staates und der Gesellschaft entwirft und dieses Ideal als Sollens-Forderung an die bestehenden Verhältnisse heranträgt. 109 »Aber diese Klugheit hat unrecht, sich einzubilden, mit solchen Gegenständen und deren Sollen sich innerhalb der Interessen der philosophischen Wissenschaften zu befinden« (ebd.). In seiner Philosophie will er sich mit den sozial-politischen Realitäten auseinander setzen, um von dort aus zum vernünftigen Kern vorzustoßen: Die spekulative Philosophie »hat es nur mit der Idee zu tun, welche nicht so ohnmächtig ist, um nur zu sollen und nicht wirklich sein, und damit mit einer Wirklichkeit, an welcher jene Gegenstände, Einrichtungen, Zustände usf. nur die oberflächliche Außenseite sind.« (EL § 6 A, vgl. auch R §§ 1 R, 3 A)
Weil »Wirklichkeit« und »Vernünftigkeit« konzeptionell in Hegels Philosophie ineinander verschränkt werden, muss er eine Position zwischen (positivistischem, relativistischem) Historismus und realitätsfernem Idealismus finden. Weder sollen seine historischen Referenzen Verweis auf bloße Faktizität, noch sollen seine Vernunftsbetrachtungen abstrakt und mit der politisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit unvermittelt bleiben. Hegels Anspruch lautet, Vernunft historisch und gesellschaftlich zu kontextualisieren und das normativ Relevante und Vernünftige an historischen und kulturellen Prozes108 Hegel ist nach Pippin kein Pragmatist, weil Freiheit für ihn einen absoluten Status besitzt. Nur die Realisierung von Freiheit verläuft geschichtlich. Vgl. (Pippin 2000 b, 182, 198 Fußnote 46), (Pippin 2001, 15) und (Pinkard 1994, 329). 109 Zu Hegels Abgrenzung seiner wissenschaftlichen Methode von einer Berufung auf das Gefühl oder einem Definitionsverfahren siehe R § 2 A.
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Susanne Brauer
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Methodische Implikationen: einen Umgang mit Hegels Logik finden
sen herauszuarbeiten. Seine philosophische Perspektive auf die Geschichte kann die geschichtlich auftretenden »Gegenstände, Einrichtungen und Zustände« nur im rückwärtsgewandten Blick und im Rahmen eines »developmental account« als vernünftig rekonstruieren. 110 Diese Rekonstruktion soll nach Pinkard nicht in der Weise verstanden werden, dass das Bestehende an einem externen Standard bemessen und beurteilt wird. 111 Vielmehr sollen die innere Logik der Zusammenbrüche von gemeinschaftlichen Lebensformen und ihr Übergang zu neuen Lebensformen herausgearbeitet werden. 112 Gegen Pinkards These könnte eingewandt werden, dass auch hier externe Standards zum Zuge kommen, nämlich die der Konsistenz und Kohärenz, um zwischen funktionierenden und zusammenbrechenden Lebensformen, in sich stimmigen und brüchigen normativen Selbstverständnissen unterscheiden zu können. Auch besteht die Möglichkeit, dass die Kategorien und die Regeln des Schlussfolgerns, die Hegel für eine solche Rekonstruktion nutzt und die ihn in die Lage versetzen, »das Bleibende« in dem »Gedränge von Wahrheiten« zu erkennen, wiederum bloß geschichtlich und kulturell relative Kategorien und Regeln sind. Hegels Nachweis von »Vernünftigkeit« einer Gesellschaftsform wäre dann nur der Beweis einer Korrektheit, die relativ auf eine Kultur und Zeit bezogen bleibt. Kann Hegel dieser relativistischen Tendenz anders entgegentreten als mit Hilfe von metaphysischen Annahmen und einer Geistteleologie, nach der sich die Weltgeschichte gemäß einem göttlichen Plan entfaltet? 110 Diese These wird durch Hegels explizite Unterscheidung von »Verstehen« und »Erklären« gestützt. Er betrachtet es als Aufgabe seiner Philosophie, die inneren »Vernunftsgründe« von Recht, Staat, Familie et cetera aufzudecken, wohingegen es nicht zum philosophischen Auftrag gehört, mit geschichtlichen Details und aus einer historischen Perspektive heraus zu erklären, warum Recht, Staat, Eheinstitution et cetera in der Geschichte entstanden sind und faktisch Geltung haben (R § 3 R). Mit anderen Worten, Hegel betrachtet soziale und politische Einrichtungen in der Geschichte, aber unter einer philosophischen Perspektive, die das »Allgemeine« und »Vernünftige« an diesen Institutionen herausstreicht (vgl. auch VPG, 22). Um jedoch »die Sache selbst« und deren »Vernünftigkeit« zu »begreifen«, bedarf es der Prozessualität (des Denkens): »[I]n der philosophischen Erkenntnis [ist] die Notwendigkeit eines Begriffs die Hauptsache, und der Gang, als Resultat, geworden zu sein, [ist] sein Beweis und Deduktion« (R § 2 A). 111 Den rückwärtsgewandten philosophischen Blick nennt Pinkard »backward reading«. Zur Methode des »backward« und »forward reading« vgl. (Pinkard 1994, 419–20, Fußnote 10). Alan Patten greift diese methodische Unterscheidung auf und bezeichnet sie als »externalist« und »internalist reading«. Vgl. (Patten 1999,178 f.) und ebd., Fußnote 17. 112 Vgl. (Pippin 2000 a, 164).
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Einen Schlüssel zu einem nicht-geistmetaphysischen »developmental account« von Vernünftigkeit kann in Hegels Anspruch gesehen werden, eine sich selbst begründende Theorie der Normativität aufzustellen und die Erkenntnisse, die in seiner Philosophie generiert werden, als Erkenntnisse vorzuführen, die sich durch Erfahrung (des philosophischen Nachdenkens) selbst korrigieren. 113 Seine Philosophie ist in mehrfacher Weise der Versuch einer Selbstbegründung. Er versucht, die Denkkategorien und Begriffe, die einer Rekonstruktion sozial-politischer Wirklichkeit und deren innerer Entwicklungslogik zugrunde liegen, sowie die Regeln dieser Rekonstruktion in seiner Logik ebenfalls aus sich selbst heraus zu entwickeln. Die spekulativ-dialektische Methode, die er dafür wählt, besteht darin, nachzuvollziehen, wie »der Begriff sich aus sich selbst entwickelt und nur ein immanentes Fortschreiten und Hervorbringen seiner Bestimmung ist […]. Das bewegende Prinzip des Begriffs, als die Besonderungen des Allgemeinen nicht nur auflösend, sondern auch hervorbringend, heiße ich Dialektik.« (R § 31)
Das dialektische »Fortschreiten«, das mit Blick auf die geschichtlichen Entwicklungs- und Bildungsprozesse oben anschaulich gemacht wurde, wird hier auf eine begriffliche Ebene bezogen. Sie besteht darin, dass im Durchdenken eines Begriffs die Philosophin auf Widersprüche stößt, die in einem neuen Begriff aufgehoben werden können. 114 Diese Bewegung ist zum einen begriffsgenerierend, da der anfängliche Begriff sich in andere Begriffe ausdifferenziert (R § 32). Zum anderen dient dieses Verfahren dazu, den anfänglichen Begriff inhaltlich zu bestimmen (ebd.). Im Durchdenken des Begriffs, also mittels eines »immanenten« Verfahrens, findet die Philosophin heraus, was dieser Begriff bedeutet. Denn das, was man in dieser (irreversiblen) Denkbewegung oder »Reflexion« an Kenntnissen gewinnt, wirkt auf die Begriffe und Kategorien in einer Weise zurück, dass sie dadurch inhaltlich bestimmt und angereichert werden. Entsprechend sieht Ludwig Siep in Hegels Logik den Versuch darzustellen, »daß solche Reflexivität [der Begriffe] schon der Bedeutungsent113 Mit letzterem Verfahren trifft Hegels Philosophie das Wissenschaftsverständnis von Wilfried Sellars, der sagt: »science is rational, not because it has a foundation but because it is a self-correcting enterprise« (Sellars 1997, 79). Hingegen lehnt Sellars Hegels holistisches Begründungsmodell, das er als »a great Hegelian serpent of knowledge with its tail in its mouth« (ebd.) bezeichnet, ab. 114 Zur dialektischen Methode vgl. auch (Forster 1989, 172 f.).
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Susanne Brauer
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Methodische Implikationen: einen Umgang mit Hegels Logik finden
wicklung (Differenzierung und ›Verflechtung‹) der Begriffe angehört«. 115 In diesem Sinne kann Hegel annehmen, dass der Begriff sich seine Wirklichkeit, seine inhaltliche Konkretisierung, selbst gibt, nämlich durch das und im Durchdenken des Begriffes (vgl. R § 1). 116 In Anlehnung an Sieps Hegelverständnis lässt sich festhalten, dass Hegel ein sich selbst begründendes, holistisches 117 »Netz von Begriffen« einführt, in welchem diese erst im Durchdenken und in der Reflexion auseinander hervorgehen und sich inhaltlich bestimmen. 118 Ein Zusammenhang von Begriff und Wirklichkeit kann hinsichtlich des normativen Bereichs überzeugen, der soziale, kulturelle und institutionelle Realitäten umfasst, welche erst durch menschliche Handlungen, Überzeugungen und das normative Selbstverständnis einer Gemeinschaft konstituiert werden. 119 Der Begriff als Norm ist damit inhaltlich sich im Denkprozess beziehungsweise in der Erfahrung ihrer Umsetzung selbst bestimmend und korrigierend. Hegel unternimmt aber noch in einer weiteren Hinsicht den Versuch einer »Selbstbegründung«. Wie oben im Anschluss an Pinkard und Pippin skizziert wurde, geht Hegel davon aus, dass Menschen nur (Siep 2000, 175). Zugleich vertritt Hegel nach Sieps Auslegung mit dieser Konzeption die Position, einen »ontologischen Dualismus zwischen einem Reich der Begriffe« und einem »Bereich außerhalb des Begrifflichen« hinter sich zu lassen. »Hegel [will] ähnlich wie manche heutige Philosophen (zum Beispiel Davidson und McDowell) den ontologischen Dualismus zwischen einem Reich der Begriffe oder der Subjektivität und einem Bereich außerhalb des Begrifflichen (materiell, sinnlich, an sich) überwinden […]. Es gibt kein Außerhalb, es gibt nur verschiedene Entfaltungs- und Gegebenheitsweisen des ›Netzes‹ der Begriffe: im Anschauen oder im Denken, im Bewußtsein, in der Natur oder der Kultur. Diese Bereiche sind aber nicht nur vom logos, von Gesetzen und Kategorien beherrscht, sondern auch vom Sichdenken […] beziehungsweise der Subjektivität. Die eigentliche Wirklichkeit ist nicht nur begrifflich, sondern vordringlich das Bewußtwerden, die Reflexion der Begriffe« (Siep 2000, 175). Demgemäß interpretiert Siep Hegels Logik als Kategorienanalyse, deren Methode und Resultat die Subjektivität und damit auch eine Subjektivitätstheorie ist (Siep 1997, 10–15). Zum ontologischen Wahrheitsbegriff siehe (Siep 2000, 66–68). 117 Zu Hegels methodologischem, ontologischem und normativem Holismus vgl. (Siep 2001), (Siep 2003 a). Vgl. auch Kapitel (5.3.2) der vorliegenden Arbeit. 118 Zur »›Selbstorganisation‹ der gedanklichen Struktur der Wirklichkeit« vgl. (Siep 2000, 249) und zur »Selbstorganisation des Begriffs« vgl. ebd., 70. 119 In dieser Hinsicht entschärft sich auch die Streitfrage, ob Hegels Philosophie epistemologisch oder ontologisch zu verstehen ist, weil der Untersuchungsgegenstand der Rechtsphilosophie, die institutionelle, soziale und politische Wirklichkeit nur qua Normatives existiert, das heißt durch das Selbstverständnis und Handeln der Menschen konstituiert wird. 115 116
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Normen beachten (müssen), die sie sich (als Ergebnis gradueller, kollektiver und historischer Anstrengungen) selbst auferlegt haben. Damit beruht auch der Einstieg in die Übernahme normativer Verpflichtungen auf einer (kollektiven) Selbstbegründung. Mit diesem Projekt der Selbstbegründung übersteigt Hegel die historische, an der praktischen Robustheit von Normen orientierte Perspektive. Für Hegel ist das vernünftig und gerechtfertigt, was sich in einem sich selbst begründenden, vollständigen, abgeschlossenen, den Common Sense einschließenden und konsistenten begrifflichen System darstellen lässt (vgl. PhG, 6, 18). 120 In seiner spekulativen Logik hat er nach eigenem Verständnis ein solches Begriffssystem entwickelt. 121 Ein normatives Selbstverständnis einer Gemeinschaft ist demzufolge nicht etwa richtig, weil die Gemeinschaft faktisch funktioniert und stabil ist, sondern weil diese Stabilität ein Indikator für begriffliche Konsistenz ist. Abgesehen von der Möglichkeit einer internen Überprüfung der Konsistenz des hegelschen Systems kann auch eine externe Kritik an Hegel formuliert werden. Selbst unter der Annahme, dass alle Bedingungen für Hegels philosophisches System erfüllt sind, kann immer noch seine Vorstellung von Vernünftigkeit hinterfragt werden. Hegels These in den Grundlinien – »Daß das Sittliche das System dieser Bestimmungen der Idee ist, macht die Vernünftigkeit desselben aus« (R § 145) – ist nicht selbstevident. Wieso sollte der Nachweis einer sich selbst begründenden Systematizität in eine Annahme über die Vernünftigkeit des Systems münden? Warum sollte man von Hegels »self-grounding« 122 , »self-imposing 123 und »self-
120 Christoph Halbig weist darauf hin, dass Hegels Philosophie die wesentlichen Intuitionen des »gesunden Menschenverstandes« auffangen will (Halbig 2002, 30). Zum Verhältnis zwischen spekulativ-philosophischer Erkenntnisweise und dem »gesunden Menschenverstand« vgl. auch (Fulda 2003, 81–4). Dies heißt aber nicht, dass die Philosophie sich den vorherrschenden, gängigen Meinungen anpassen soll. Vielmehr sollte die Philosophie, wie Hegel in der Phänomenologie vorführt, auf die Meinungen eingehen, um für sich und den »gesunden Menschenverstand« herauszufinden, was wahr ist. Angesichts dieser Systemforderungen treten für Hegels Philosophie dann Probleme auf, wenn er entweder inkonsistente Aussagen macht, dem Common Sense grundlegend widerspricht, oder wenn sich neue Tatsachen (moderne Reproduktionstechnologie, Quantenphysik) wie auch Theoriealternativen nicht in sein System einbinden lassen. 121 Zum hegelschen Systemverständnis vgl. (Siep 1979, 224 ff.). 122 Vgl. (Pinkard 1994, 271). 123 Vgl. (Pippin 2000 b, 178).
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Methodische Implikationen: einen Umgang mit Hegels Logik finden
legislating« 124 Modell von Normativität aufgrund der sich selbst begründenden Systematizität dieses Modells überzeugt sein? Diese Fragen mit dem Hinweis zu beantworten, dass die Menschen faktisch systematischen Erklärungsmodellen und Selbstbegründungen mehr Vertrauen schenken und sie für vernünftiger halten als andere Erklärungsmodelle, ist unbefriedigend. Eine andere mögliche Antwort, dass das Modell der Selbstbegründung und Systematizität der Konzeption einer rationalen Selbstbestimmung des Menschen entspricht, ruft das Problem hervor, zu begründen, dass der Mensch gerade dies ist: ein sich selbst vernünftig bestimmendes Wesen – ohne auf eine Anthropologie, auf teleologische Annahmen über das Wesen des Menschen oder eine Geist-Metaphysik zurückzugreifen. Als ein philosophisches Programm, das sich holistisch entfaltet, ist es Hegel untersagt, sich durch die Setzung anthropologischer, teleologischer oder metaphysischer Prämissen auf ein Fundament zu retten. Auch die Stipulation eines »logical space of reasons« beziehungsweise der Verweis auf die Tatsache, dass Handlungen gegenüber anderen Subjekten gerechtfertigt werden müssen und handelnde Subjekte sich damit bereits (auch ohne Zustimmung) in einem »logical space of reasons« bewegen, würde als Stipulation das Modell der Selbstbegründung untergraben. Sich an der Grenze der System-Vernünftigkeit und damit zwischen Einstieg und Ausstieg von Hegels Philosophie entlang zu bewegen ist für die neuere Hegelforschung eine Herausforderung, der Brandom mit der Verteidigung eines in normative Begrifflichkeiten gekleideten inferentialistischen Modells von Rationalität begegnet. Eine nicht-geistmetaphysische Rekonstruktion von Hegels Philosophie mag zwar Vorstellungen einer Metaphysik des Absoluten obsolet gemacht haben. Die Aufgabe jedoch, eine Position gegenüber Hegels Gleichsetzung von selbstbegründender Systematizität mit Vernünftigkeit zu finden, einer Gleichsetzung, die selbst nicht mehr selbstbegründet ist, bleibt bestehen. Daneben bleibt auch die Option bestehen, den Begriff der Vernünftigkeit von Hegels Gedanken einer sich selbstbegründenden Systematizität zu lösen und zu versuchen, andere Ressourcen für die Rechtfertigung von Normen bei Hegel aufzudecken. Diese Strategie wird hier aufgegriffen.
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Grundlagen einer Interpretation der Familie in den Grundlinien
2.1.2 Methodischer Zugang in dieser Untersuchung Die vorliegende Untersuchung folgt einer doppelten Zielrichtung. Zum einen bietet sie eine Interpretation von Hegels Familienmodell in den Grundlinien an. Zum anderen bemüht sie sich um ein Fruchtbarmachen dieses Familienmodells für systematische Fragestellungen, die unabhängig von Hegels Philosophie relevant sind: das Verhältnis von Natur und Normativität in der Familie und die Bestimmung der Familienbeziehungen als Pflichten generierende Beziehungen. Diese doppelte Zielrichtung macht ein zweistufiges Verfahren notwendig. Von der Annahme ausgehend, dass eine glaubhafte Beschäftigung mit Hegels Texten nur dann ein bloß philosophiehistorisches Interesse übersteigen kann, wenn sie sich um eine nicht-geistmetaphysische Rekonstruktion der Texte bemüht, werden in einem ersten Schritt solche Rekonstruktionen versucht. Dabei wird das Familienkapitel in den Grundlinien auch in Zusammenhang mit anderen Systemteilen (vor allem dem Übergang von Natur- zur Geistphilosophie in Hegels Enzyklopädie) gestellt, um Ressourcen zur Klärung von Einzelproblemen durch Rückgriff auf das Systemganze auszuschöpfen. In einem zweiten Schritt wird dann die Plausibilität der hegelschen Thesen vom Standpunkt der systematischen Fragestellungen aus bewertet. Dieses Verfahren bedeutet auch, auf die Grenzen der Übersetzbarkeit der hegelschen Position in heutige Debatten hinzuweisen und damit auch auf die Grenzen der Machbarkeit einer durchweg nicht-geistmetaphysischen Rekonstruktion von Hegels Philosophie. Es bietet die Chance, an den Stellen, an denen Hegels Position mit Setzungen operiert, die im Rahmen seines Systems nicht weiter begründet werden können und die nicht per se überzeugend sind, nach alternativen, an Hegel anschlussfähig bleibenden Argumenten Ausschau zu halten. 125 Während die Letztbegründung von Hegels Thesen auf seinen Systemgedanken zurückverweist, bietet er in seiner Analyse von Sachphänomenen und Sachproblemen weitere Begründungswege an, die aus heutiger Sicht gangbar sind. So werden Hegels Thesen zum einen auf ihre systeminterne Konsistenz und Kohärenz, zum anderen auf ihre sachliche Plausibilität hin überprüft. Auf zwei methodische Probleme, die sich im Kontext der Grundlinien stellen, soll vor dem Hintergrund einer nicht-geist125
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Dies wird vor allem für das Geschlechterverhältnis der Fall sein. Vgl. Kapitel (4.1).
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Methodische Implikationen: einen Umgang mit Hegels Logik finden
metaphysischen Hegelinterpretation hingewiesen werden. Erstens ist es schwierig, das Verhältnis zwischen den Kategorien der Logik und den Begriffen der Grundlinien zu bestimmen. In seiner Realphilosophie operiert Hegel nicht mit »formallogischen«, sondern mit »sachlogischen« Begriffen und Relationen. 126 Das bedeutet, dass die in den Grundlinien verwendeten Begrifflichkeiten nicht mit den Begrifflichkeiten aus der Logik gleichgesetzt werden können. Zudem ist mit Recht zu bezweifeln, ob es Hegel gelungen ist, die Rechtsphilosophie auf der Grundlage seiner Logik aufgebaut zu haben. 127 Dennoch kann man eine Verbindung zwischen den beiden Systemteilen herstellen, und zwar über die gemeinsame Methodik. Die besteht, wie oben erwähnt, darin, Begriffe im Rahmen eines Reflexionsprozesses auszudifferenzieren und inhaltlich anzureichern. Der Begriff, von welchem die Reflexion in den Grundlinien ihren Ausgangspunkt nimmt, ist der »allgemeine freie Wille«. 128 Abgesehen von diesem grundsätzlichen methodischen Verfahren in den Grundlinien stellt sich jedoch die Frage, wie mit expliziten Verweisen auf spezifische Textstellen der Logik in den Grundlinien umgegangen werden soll. Dafür wird in der vorliegenden Arbeit ein hermeneutisches Verfahren gewählt, das versucht, die zitierten Stellen der Logik im realphilosphischen Argumentationszusammenhang zu interpretieren. 129 Hermeneutisch ist diese Interpretationsweise, weil davon ausgegangen wird, dass Hegels Verweis auf die Logik für die Erhellung seiner realphilosophischen Argumentation sinnvoll ist, zugleich aber im Durchgang dieses Zusammenlesens Korrekturen erfahren kann. Diese Korrekturen beziehen sich sowohl auf das Verständnis, das man vor diesem Verfahren vom Paragraphen der Grundlinien hatte, als auch auf die Erwartungen an das Erklärungspotential, die man mit dem Verweis auf die Logik verband, bevor sich
Vgl. (Siep 1997, 14 f.) und (Wölfle 1994). Vgl. (Jaeschke 2003, 374). Ebenfalls ist unklar, ob es für eine Interpretation der Rechtsphilosophie eine Rekonstruktion der gesamten Wissenschaft der Logik überhaupt bedarf (Neuhouser 2004–5 b, 33). 128 »In der Rechtsphilosophie«, so schreibt Siep, »läßt sich das Verfahren der Logik durchführen, indem man alle Grundbegriffe des Rechts als Ausdifferenzierungen und Anreicherungen des Begriffes des freien Willens darstellt« (Siep 1997, 15). 129 Dieses Verfahren kommt bei der Interpretation des Substanz-Akzidens-Modells in Kapitel (5.3) zum Zuge. Dasselbe hermeneutische Verfahren wird auch hinsichtlich Hegels Naturphilosophie und Anthropologie angewendet. 126 127
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Grundlagen einer Interpretation der Familie in den Grundlinien
das Zusammenlesen gegebenenfalls eher als eine spannungsreiche denn problemlösende Lektüre entpuppte. Das zweite Problem betrifft Interpretationen Hegels, nach denen sich die Vernünftigkeit von normativen Verpflichtungen im Durchgang durch Unzulänglichkeiten, Inkonsistenzen und Defizite historischer Gesellschaftszustände entwickelt hat. Das Problem besteht darin, dass Hegel in den Grundlinien keinen historischen »developmental account« für die Begründung von vernünftigen, normativen Verpflichtungen wählt. Auf diesen Umstand hat Alan Patten hingewiesen: »The problem for Pippin’s reading is that neither sort of argument [angespielt wird hier auf die zwei Argumente, die eine historische Rekonstruktion der Vernünftigkeit von normativen Verpflichtungen umfassen; S. B.] is obviously given in the Philosophy of Right. In particular, Hegel makes it pretty clear in the Introduction to the Philosophy of Right that the argument to follow will not be historical in character.« 130
Während gegen Patten eingewandt werden kann, dass Hegel in den Grundlinien durchaus vorführt, welche Gründe in der modernen Gesellschaft als »wesentliche Gründe« gelten, ist Patten darin zuzustimmen, dass Hegel den Nachweis, die in der Moderne geltenden Gründe seien »vernünftige« Gründe, nicht im Rahmen einer Darstellung der historischen Entwicklung dieser Gründe erbringt. Zudem ist der theoretische Status von Hegels Familienkonzeption in den Grundlinien unklar. Hält Hegel seine Darstellung für eine Explikation der logischen Struktur von Familie schlechthin, oder ist sie für ihn ein historisches – und für die Moderne typisches – Familienmodell? Wenn man den soziologischen und sozialhistorischen Ausführungen von Karin Hausen, Heidi Rosenbaum und Reinhard Sieder zum bürgerlichen »Leitbild« der Familie folgt, das sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der deutschen Gesellschaft entwickelte, dann entsteht der Eindruck, Hegel habe dieses geschichtliche Leitbild in den Grundlinien adaptiert. 131 Auch er sieht in der Liebe den 130 (Patten 1999, 32). Dazu auch Siep: »Die Einheit der Philosophie des Rechts in der Philosophie der Geschichte liegt nicht mehr in ihrer ›verschränkten‹ Darstellung als Geschichte von Erfahrung des Bewusstseins mit (›historischen‹) Institutionen, sondern in ihrer gemeinsamen Entsprechung zur spekulativen Logik, deren Begriffsgenese sowohl die Rechts- wie die Geschichtsphilosophie strukturiert« (Siep 1979, 286). 131 Vgl. (Hausen 1988), (Hausen 1990), (Hausen 1992) und (Sieder 1987) Kapitel IV. Heidi Rosenbaum verwendet den Ausdruck des »Leitbildes« und führt ebenfalls aus, inwiefern die reale Heirats- und Familienpraxis von diesem »Leitbild« abwich. Bei-
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Kern der Familie und folgt der bürgerlichen Familienideologie darin, dass die Liebe der sich Vermählenden – und nicht (mehr) der Wille ihrer Eltern – das ausschlaggebende ehestiftende Motiv ist. 132 In seiner Kritik an Schlegels Ideal der Liebe als einer gesellschaftlich-institutionelle Grenzen sprengenden Leidenschaft 133 knüpft er an das durch die Aufklärung beeinflusste bürgerliche Eheverständnis an, nach welchem die Liebe »vernünftig« ist und die Achtung der Tugendhaftigkeit des Anderen – und nicht seine erotische Attraktivität – im Vordergrund steht. Ebenfalls nimmt Hegel die im bürgerlichen Familienideal angelegte Sentimentalisierung der Beziehung von den Eltern zu den Kindern auf, indem er das Kind eine Vergegenständlichung der ehelichen Liebe nennt (R § 173). 134 Hegels Familienkonzeption greift damit dieselbe Ambivalenz auf, welche die bürgerliche Familienvorstellung prägt – und Grundthema der vorliegenden Unspielsweise wurden trotz der herausragenden Rolle der Liebesgefühle im »Leitbild« Ehen weiterhin nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten geschlossen. Denn die Heirat war die einzige Möglichkeit der materiellen Sicherung für die Frau im Bürgertum (Rosenbaum 1982, 285 f.). Nach Siegfried Blasche stellt Hegels Familie einen historischen »Übergangstypus« dar, weil sie noch Vermögen besitzt, während die bürgerliche Kleinfamilie später keinen Vermögensrückhalt mehr hat (Blasche 1975, 322). Zu Hegels Adaption des bürgerlichen »Leitbilds« der Familie vgl. ebenfalls meinen Artikel (Brauer 2005). 132 Blasche referiert R. König, nach dem die Ehe traditionell nicht familiengründend war, sondern die Ehefrau durch die Heirat in den Familienverband des Mannes aufgenommen wurde (Blasche 1975, 331 Fußnote 25). Auch spielten Empfindungen bei der Wahl des Ehepartners und der Ehepartnerin keine Rolle (ebd.). Das ändert sich bei Hegel. Eine neue Familie wird durch Heirat gegründet und die Wahl wird aus Liebe (oder zumindest nicht gegen die Empfindung) getroffen. Zur historischen Entwicklung der Idee, dass der Konsens zweier Personen für eine Eheschließung ausreicht, vgl. (Weber 1986, 107 ff.). 133 Vgl. Kapitel (4.3.2) der vorliegenden Arbeit. 134 Die veränderte Liebes- und Ehevorstellung im ausgehenden 18. Jahrhundert wirkte sich nach Heidi Rosenbaum auf die Einstellung gegenüber den Kindern aus (Rosenbaum 1982). Es entstand das Ideal einer emotionalen, durch liebende Zuneigung geprägten Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Deutlich wurde dies in der Forderung nach Erziehung durch die Eltern, die ihre Kinder bisher Domestiken überlassen hatten (Ammen, Kindermädchen, Hauspersonal). Diese Forderung wurde bereits von Jean Jacques Rousseau erhoben. Er sprach sich gegen das Ammen- und Erziehungswesen aus, da dieses Fürsorge und Empathie als Dienstleistung handhabt, für die man bezahlen muss. Das individuelle Nutzenkalkül dringt damit in die Familie ein, in welcher das Individuum eigentlich die Orientierung auf das Gemeinwohl einüben sollte. Die moralische Qualität der Familie wird aus diesem Grund durch das Ammen- und Erziehungswesen beeinträchtigt – was Rousseau aber nicht davon abhielt, seine eigenen Kinder ins Waisenhaus zu geben (Kuster 2002). A
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tersuchung ist: Weder sind Ehe und Familie rein auf Leidenschaft und affektiver Zuneigung basierende Gefühlsgemeinschaften noch sind sie eine allein aus Vernunftsüberlegungen initiierte Lebensformen, sondern sie versuchen, eine dialektische Spannung von Leidenschaft und Vernunft, Natur und Geist, Unmittelbarkeit und Selbstbewusstsein auszuloten. 135 Die Frage nach der Historizität des hegelschen Familienmodells und seiner Stellung zu den logischen Fundamenten seines Systems ist damit auch bei den Grundlinien – trotz fehlendem »developmental account« – relevant. Hegel steht vor der Aufgabe, eine Brücke zwischen den logisch-begrifflichen Fundamenten der Grundlinien, den in der Familie vorfindbaren »Natürlichkeiten« und der Verankerung seiner Philosophie in zeitgenössischen Ehe- und Familienvorstellungen zu schlagen. Ob durch die offensichtliche Historizität von Hegels Familienkonzeption diese für gegenwärtige Formen familialen Zusammenlebens, welche nicht in das Schema der bürgerlichen Kleinfamilie passen, obsolet wird, ist ein entscheidender Punkt für die Plausibilität seines Familienmodells. Die Anschlussfähigkeit der hegelschen Konzeption für heutige Familientheorien wird von ihrer Flexibilität abhängen, andere Familienformen (homosexuelle Partnerschaften, Einelternfamilien etc.) einzuschließen, eine Frage, die erst nach der Untersuchung im Schlusskapitel (6) aufgegriffen werden kann. Hegel thematisiert die geschichtliche Entwicklung der Familie und setzt sie zur begrifflichen Entwicklung ins Verhältnis. Die Explikation der Momente des Begriffs des Rechts verläuft in umgekehrter Richtung zur historischen Entwicklung von Sozialformen (vgl. R §§ 32, 203 A, 256 A, [Ilting 1974 b, 159]). So wird die »formelle hSeitei des Eigenthums [sic!], des Verbrechens ect.« (Ilting 1974 b, 393) vor der Familie behandelt, obwohl die Familie als Sozialform der Rechtsform des Eigentums historisch vorausgeht. Hegel begründet dieses Vorgehen damit, dass im philosophischen Gedankengang der abstrakte Begriff des Rechts sich erst inhaltlich bestimmen und anreichern, sprich »konkret« werden muss, Sozialformen wie die Familie aber bereits eine komplexe normative Struktur besitzen: 135 Unter dieser Perspektive ist Axel Honneths Charakterisierung der hegelschen Familienkonzeption als »Gefühlsmodell«, das dem kantischen »Vernunftsmodell« gegenüberzustellen ist, missverständlich (Honneth 2000). Denn Hegel betrachtet die Liebe nicht nur als ein Gefühl, sondern auch als eine Form von Selbstbewusstsein. Zur Mehrschichtigkeit des hegelschen Begriffs der Liebe siehe Kapitel (4.3).
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Methodische Implikationen: einen Umgang mit Hegels Logik finden
»So hat die Idee, wie sie als Familie bestimmt ist, die Begriffsbestimmungen zur Voraussetzung, als deren Resultat sie im folgenden dargestellt werden wird« (R § 32, vgl. auch R §§ 34 A, [Ilting 1974 b, 169]).
Für den Weg der Erkenntnis und der Rechtfertigung von komplexen Sozialformen als vernünftige Formen des Zusammenlebens ist es daher entscheidend, Schritt für Schritt vorzugehen und zu zeigen, wie sich eine Gedankenstufe aus der anderen dialektisch entwickelt und das »Wahre« in der Form eines Resultates dargestellt wird. Motor der dialektischen Entwicklung sind wiederum Unzulänglichkeiten, diesmal der einzelnen Rechtsstufen: »Unser Fortgang ist der«, so Hegel in R § 32 Z, »daß die abstrakten Formen sich nicht als für sich bestehend, sondern als unwahre aufweisen.« Mit diesem »Fortgang« will Hegel die Vernünftigkeit sozialer und politischer Lebensformen in der Moderne beweisen. Dass es um einen solchen Beweis in den Grundlinien geht – und nicht bloß um eine deskriptive Beschreibung der in der Moderne geltenden Gründe –, steht angesichts der bereits mehrfach zitierten These über die Verschränkung von Wirklichkeit und Vernünftigkeit (vgl. R, 24) außer Frage. Diese Beweisführung, die mit Hilfe der spekulativ-dialektischen Methode durchgeführt wird, ist aber vom Modell her nichts anderes als ein »developmental account«, den Pippin und Pinkard rekonstruiert haben. Die spekulativ-logische wie die historisch-philosophische Betrachtungsweise ist entscheidend durch den Gedanken geprägt, dass erst in der Performanz, im Durchleben einer Sache oder im Durchdenken eines Begriffs, die Bedeutung dieser Sache oder dieses Begriffs, also deren logischen, normativen, sozialen und politischen Implikationen, erkennbar werden. Ebenfalls ist beiden Perspektiven gemeinsam, dass sowohl die begriffliche als auch die historische Entwicklung ihre Vernünftigkeit durch ihre performative Konsistenz erweist beziehungsweise durch das Fehlen von Konsistenz vorangetrieben wird. 136 Inkonsistenzen müssen dabei nicht zwingend logisch sein, beispielsweise »X und gleichzeitig nicht-X wollen«. Es kann sich 136 Dies soll aber, wie Terry Pinkard hervorhebt, nicht dahingehend missverstanden werden, dass die Institutionen vernünftig sind, weil sie stabil sind (Pinkard 1994, 329). Vielmehr legt die Rekonstruktion (der geschichtlichen Entwicklung) existierender Institutionen die logischen Implikationen eines gemeinschaftlichen Selbstverständnisses frei, und die Stabilität dieses Selbstverständnisses in der Geschichte reflektiert, ob dessen Implikationen kohärent und die Institutionen damit vernünftig sind. Zur Frage, ob es sich begründen lässt, dass Systematizität und Kohärenz mit Vernünftigkeit gleichsetzt werden kann, vgl. Kapitel (2.1.1.3) der vorliegenden Arbeit.
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dabei auch um motivationale Unmöglichkeiten eines Handlungssubjekts oder einer Gemeinschaft handeln, langfristig an Handlungsnormen festzuhalten, die zur Vernichtung der Handelnden führen. 137 Ein Beispiel, wo die begriffliche und die (fiktiv-) historische Entwicklung der sozio-politischen Ordnung ineinandergreifen, ist der Zusammenbruch der antiken griechischen Sittlichkeit, den Hegel in Sophokles’ Antigone dargestellt sieht, dessen Werk er im Familienabschnitt der Grundlinien erwähnt. Durch das Handeln von Kreon, der das menschliche Gesetz des Staates vertritt, und Antigone, die im Namen des göttlichen Gesetzes der Familie agiert (Aspekt der Performanz), wird deutlich, was die sittlichen Gesetze bedeuten (normative Implikationen), nämlich auch eine Einseitigkeit, die zur Zerstörung der Akteure führt (Inkonsistenz). Zugleich wird aber in der Zerstörung erkennbar, dass das Sittliche in Wahrheit beide Gesetze – das des Staates und das der Familie – als seine Momente umfasst (Erkenntnisfortschritt). 138
2.2 Begriffliche Präliminarien Im vorhergehenden Abschnitt zum methodischen Umgang mit Hegels Logik und Metaphysik wurde Hegels Konzeption der Freiheit eingeführt, die sich an Kants Autonomiekonzeption im Sinne einer vernünftigen Selbstbestimmung beziehungsweise Selbstgesetzgebung orientiert, Kants Modell aber entscheidend modifiziert. Während Kant die Vernünftigkeit der Freiheit durch die Einbindung des Sittengesetzes sicherzustellen versucht, erfasst Hegel die Vernünftigkeit handlungsanleitender und überzeugungsprägender Normen im Rahmen einer Darstellung des historisch-begrifflichen, dialektisch verlaufenden, kollektiven Bildungsprozesses der Menschheit. Hegel bemüht sich, normative und rationale Aspekte von Handlungen und Überzeugungen lebensweltlich zu verankern, ohne vom Anspruch der Vernünftigkeit abrücken zu müssen. Schwierigkeiten der kantischen Position sowie ein mögliches Lösungspotential der hegelschen Konzeption sind bereits dargelegt worden. In diesem Abschnitt sollen die Begriffe des freien Willens und des Rechts in den Grundlinien in
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Auf diesen Punkt hat mich Terry Pinkard aufmerksam gemacht. Eine ausführliche Interpretation der Antigone findet sich in Kapitel (4.1.1.3).
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Vorbereitung für die anschließende Analyse der sittlichen Institution der Familie weiter erörtert werden. 139 2.2.1 Der Begriff des Rechts In R § 4 hält Hegel programmatisch fest, dass seine Rechtsphilosophie auf der Explikation des Begriffes des (allgemeinen) freien Willens basiert. 140 In der Tat kann der Rest der Einleitung (R §§ 5–33) als 139 Hegel weist der philosophischen Rechtswissenschaft die Aufgabe zu, »der eigenen immanenten Entwicklung der Sache selbst zuzusehen« (R § 2) und die »eigene Arbeit der Vernunft der Sache zum Bewußtsein zu bringen« (R § 31 A). Im Falle der Rechtswissenschaft ist die »Sache selbst« der »Begriff des Rechts«. Dass der »Begriff des Rechts« und infolgedessen der Begriff des »freien Willens« der Ausgangspunkt der Rechtsphilosophie ist, beweist sich für Hegel dadurch, dass dieser Begriff das »Resultat« der vorhergehenden philosophischen Reflexion ist: das Ergebnis der Philosophie des subjektiven Geistes. In analoger Weise ist auch der Staat als das Resultat im Durchdenken des Begriffs des Rechts als der »wahrhafte Grund« von Familie und »bürgerlicher Gesellschaft« bewiesen (R § 256). »Der Begriff des Rechts fällt daher seinem Werden nach außerhalb der Wissenschaft des Rechts, seine Deduktion ist hier vorausgesetzt, und er ist als gegeben aufzunehmen« (R § 2, vgl. auch EG §§ 480–2). Die inhaltliche Bestimmung des Begriffs »Recht« steht jedoch noch aus. Sie findet erst im Laufe der Rechtsphilosophie statt. Einen Begriff inhaltlich zu rekonstruieren, bedeutet nach der spekulativ-dialektischen Methode, diesen Begriff in seinen Widersprüchlichkeiten zu durchdenken und zu sehen, dass er sich in dieser Reflexion ausdifferenziert und selbst Inhalt gibt. Die Begriffsentwicklung kann deshalb nicht unabhängig von rechtlicher, moralischer, sozialer und politischer Wirklichkeit betrachtet werden; der Reflexionsgang des Begriffs ist zugleich ein die Wirklichkeit betreffender Gang. Diese Verknüpfung von Begriff und Wirklichkeit ist in Bezug auf normative (soziale, kulturelle, institutionelle) Phänomene einsichtig, da »Recht« qua Normatives nur durch und in der Reflexion darüber, was »Recht« ist, und im entsprechenden Handeln existiert. Inkonsistenzen und Widersprüche in der Praxis (beziehungsweise im Durchdenken des Begriffs) des »Rechts« wirken dabei auf die inhaltliche Bestimmung des »Rechts« zurück. Dieser an die Verwirklichung des »Rechts« rückgekoppelte Reflexionsgang, der vorangetrieben wird durch innere Widersprüche, ist damit ein »developmental account«: eine sukzessive Entwicklung des Begriffs und dessen inhaltliche »Bestimmungen« und reale »Gestaltungen« (R § 32). 140 Martin Weber erläutert Hegels Familienkonzeption ebenfalls im Kontext von dessen rechtsphilosophischer Willenstheorie (Weber 1986). Das Eheverhältnis wird nach Weber bei Hegel aus der »vernünftigen Selbstbezüglichkeit eines Willensverhältnisses« (ebd., 90) hergeleitet, in dem sich Selbst- und Weltbezug beziehungsweise der Bezug auf einen Anderen ineinander verschränken. Auf diese Weise wird die Willkür der Einzelwillen stufenweise zurückgenommen – in Hegels Worten: sie verlieren ihre »natürliche und einzelne Persönlichkeit« (R § 162) – und eine beständige, wechselseitige Willensbeziehung wird möglich gemacht (ebd.). Damit stellt Weber zu Recht Hegels Begriff des »freien allgemeinen Willens« in den Mittelpunkt seiner Analyse der Rechtsphiloso-
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Willenstheorie gelesen werden. Paragraph 4 enthält dabei in stark kondensierter Form die Hauptthesen der hegelschen Rechtsphilosophie. »Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur ist.« (R § 4)
Zunächst ist zu klären, was Hegel unter »Recht« versteht. Vier Bedeutungen von Recht sind zu unterscheiden. Erstens verwendet Hegel »Recht« in einem engen, formal-juristischen Sinn für das, worauf Menschen einen anerkannten Anspruch haben, welcher notfalls mit Zwang durchgesetzt werden kann. Im Abschnitt »Abstraktes Recht« führt Hegel Eigentum, Vertrag und Strafe als das an, worauf ein Mensch, insofern er »Persönlichkeit« besitzt (R § 36), einen formaljuristischen Anspruch hat. Zweitens verwendet Hegel »Recht« in einem weiten Sinne und kennzeichnet damit Ansprüche, die vom moralischen Standpunkt aus legitim sind, aber nicht unbedingt, wie im Falle eines Anspruchsrechts (claim right), mittels Zwang durchgesetzt werden können. 141 Das Recht, in der Familie geliebt zu werden, ist ein Beispiel für einen moralischen Anspruch, der nicht wie ein »strenges Recht« (R § 159 R) gegen den Willen derer, an die sich der Anspruch richtet, erfüllt werden kann. Zwang ist im Fall der Liebe als Gefühl und Haltung der Zuneigung weder rechtens noch Erfolg versprechend. 142 Drittens bezeichnet Hegel die drei Stufen der Rechtsphilosophie – »Abstraktes Recht«, »Moralität« und »Sittlichkeit« – als Recht, wie im folgenden Zitat deutlich wird: phie, und die vorliegende Arbeit knüpft hier an. Anders als bei Weber wird Hegels Willenskonzeption hier jedoch primär als ein Modell der vernünftigen Selbstbestimmung ausgelegt. Damit stehen »Substanz« und »Bestimmung« des Willens (R § 4), seine Freiheit als eine auf Gründen basierende, sukzessive in Anerkennungsverhältnissen gewonnene Einheit von Selbst- und Fremdbezug, welche eine Befreiung von der Unmittelbarkeit, Partikularität und Zufälligkeit der Natur mit sich bringt, im Vordergrund. Von ideengeschichtlichem Interesse ist Webers Darstellung der Entwicklung der rechtlichgesetzlichen Grundlagen der Ehe bis zu Hegels Zeit sowie der Einfluss von Hegels Rechtsphilosophie auf die Rechtswissenschaften, der auf das Erbrecht beschränkt blieb (vgl. ebd., 101). 141 Zur engen und weiten Bedeutung von Recht vgl. auch (Benhabib 1986, 92) und (Quante 1997 a, 73). 142 Vgl. Kapitel (4.3.1) der vorliegenden Arbeit.
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Begriffliche Präliminarien
»Wenn vom Gegensatze der Moralität, der Sittlichkeit gegen das Recht gesprochen wird, so ist unter dem Rechte nur das erste formelle der abstrakten Persönlichkeit verstanden. Die Moralität, die Sittlichkeit, das Staatsinteresse ist jedes ein eigentümliches Recht, weil jede dieser Gestalten Bestimmung und Dasein der Freiheit ist.« (R § 30 A)
Diese Rechte als »Gestalten der Freiheit« sind Produkte in der Explikation des freien Willens. Ihnen entsprechen unterschiedliche Formen der Freiheit: »personale Freiheit« (Rechtsfähigkeit; Möglichkeit, Eigentum zu besitzen, Verträge zu schließen), »moralische Freiheit« (Gewissensfreiheit; Freiheit, sich in seinen Handlungen befriedigt zu finden) und »konkrete Freiheit« (Freiheit, als Mitglied einer Institution seinen Willen in dieser Institution berücksichtigt zu wissen). 143 Erst wenn alle Formen der Freiheit in einer Gesellschaft verwirklicht sind, ist auch der »freie Wille« verwirklicht beziehungsweise die Gesellschaftsordnung frei zu nennen (EG § 486). Diesen verschiedenen Formen der Freiheit korrespondieren die Selbstverständnisse des Menschen als »Person«, »Subjekt«, »Familienmitglied«, »Wirtschaftsbürger« und »Staatsbürger«, wie Allen Wood hervorhebt: »[T]he Philosophy of Right is the developing image of the free will or selfknowing and self-concerned human agent conceiving of itself successively, even more concretely and adequately, first as a ›person‹ possessing abstract rights, then as a ›subject‹ with moral vocation, then in the concrete spheres of ethical life as a family member, then a burgher, and finally as a citizen.« 144
Die Formen von »personaler« und »moralischer« Freiheit sowie die entsprechenden Identitäten haben aber nur Bestand, wenn sie institutionalisiert werden: »Das Rechtliche und das Moralische kann nicht für sich existieren, und sie müssen das Sittliche zum Träger und zur Grundlage haben, denn dem Rechte fehlt das Moment der Subjektivität, das die Moral wiederum für sich allein hat, und so haben beide Momente für sich keine Wirklichkeit.« (R § 141 Z, S. 291, vgl. auch EG § 537)
Die Wirklichkeit des Sittlichen, beziehungsweise des »Staates« im weiten Sinne (R § 275), sind die sozialen, politischen und ökonomischen Institutionen, in denen der Mensch lebt. Diese Institutionen werden (in einem noch zu spezifizierenden Sinne) für Freiheit und 143 Zu den drei verschiedenen Typen von Freiheit vgl. (Honneth 2001), (Neuhouser 2004–5 a). 144 (Wood 1995, 32).
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Identität benötigt. Aufgrund dieses Bedingungsverhältnisses etabliert Hegel eine Hierarchie zwischen den Sphären des »Abstrakten Rechts«, der »Moralität« und der »Sittlichkeit«, die im Fall von Kollisionen zwischen rechtlichen, moralischen und staatlichen Ansprüchen zum Tragen kommt (R § 30). 145 Eine vierte Verwendungsweise von Recht ist das »Rechtssystem«. Es umfasst die oben erwähnten Institutionen der Sittlichkeit (Familie, »bürgerliche Gesellschaft« und Staat). 146 Dass Hegel Institutionen als Recht bezeichnet, soll jedoch nicht nahelegen, dass Hegel zwischenmenschliche Beziehungen allein in juristische Termini fassen will. Hegel kritisiert ein solches Vorgehen, das auf die Tradition des Naturrechts zurückgeht. 147 In den von Hegel entworfenen sittlichen Institutionen ist sowohl Platz für juristische als auch für nicht-juristische (moralische) zwischenmenschliche Beziehungen. An der Institution der Familie wird diese Doppelgleisigkeit besonders evident. Auf der einen Seite legen Gesetze fest, welche Gruppe von Menschen als Familie gilt, welche Privilegien ihnen zum Beispiel hinsichtlich des Erbens zukommen. 148 Auf der anderen Seite können die Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern, die durch Fürsorge und Zuneigung geprägt sind, bezüglich ihrer besonderen emotionalen Qualität nicht rechtlich reguliert werden. Die Familie als die erste sittliche Institution geht aus den vorhergehenden Teilen der »Moralität« und des »Abstrakten Rechts« hervor, macht aber zugleich eine Entfaltung weiterer sittlicher Institutionen notwendig. Die »bürgerliche Gesellschaft« und der Staat stellen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Familie zur Verfügung (Regelungen des Besitzes, der Erbschaft und der Verträge), 145 Siep stellt die These auf, dass Hegel wohlgeordnete Ganzheiten nur hierarchisch denken kann (Siep 1988, 272). Ob sich daraus ein Problem für die individuelle Freiheit ergeben kann, wird in Kapitel (5.3) diskutiert. 146 Die Gleichsetzung des Rechtssystems mit den Institutionen der Sittlichkeit wird textlich dadurch gestützt, dass sowohl das Rechtssystem als auch die Sittlichkeit das »Reich der verwirklichten Freiheit« genannt wird (vgl. R §§ 4, 142). Klaus Roth bemerkt, dass es zu Hegels Zeit nicht unüblich war, mit dem Terminus »Recht« auf soziale Institutionen zu referieren, die durch gesetzliche Strukturen gestützt werden (Roth 1989, 6). Auch die Institution der Ehe ist durch einen fortschreitenden Verrechtlichungsprozess in der Geschichte gekennzeichnet. Vgl. dazu (Weber 1986), Kapitel 2.3. 147 Vgl. dazu (Benhabib 1986, 92). 148 Vgl. Martha Nussbaums These, dass die Familie keine Naturgemeinschaft, sondern eine durch staatliche Gesetze und Policies definierte Institution ist (Nussbaum 2000, 261 ff.).
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bewahren sie vor Verarmung (durch die Polizei), begleiten die Erziehung der Kinder (durch Schulen) et cetera. Der Grund, gerade die Familie an den Anfang der begrifflichen Entwicklung der Sittlichkeit zu stellen, liegt darin, dass sie noch Defizite hinsichtlich der in ihr vorhandenen Natürlichkeiten und der damit verbundenen Merkmalen der Zufälligkeit und Unmittelbarkeit hat. Zwar gelingt ihr die für institutionelle Vernünftigkeit wichtige Vereinigung des Einzel- und Allgemeinwillens über die Momente der Mitgliedschaft und Anerkennung. 149 Jedoch findet diese Vereinigung in der Form der Empfindung statt, die noch Merkmale der Natürlichkeit – nämlich Unmittelbarkeit und Zufälligkeit – in sich trägt. Hinsichtlich des Reflexionsgrades, die Einheit als das Vernünftige zu wissen und zu wollen, fällt die Familie damit hinter den Staat zurück. 150 Während der Staat im Gesetz das allgemein Vernünftige hervorhebt und alle Menschen als Rechtspersonen gleich behandelt, betont die Familie mit der Liebe die Seite der Besonderheit und Empfindung. So kann der Staat auch gegen die Gesinnung der Bürger Leistungen und Loyalität mit Zwang einfordern, während es in der Familie kein vergleichbares strenges Recht auf Liebe und damit auf familiale Einheit gibt (R § 159 R, [Ilting 1974 b, 432]). 151 Vgl. dazu Kapitel (5). Vgl. (Blasche 1975, 317). So bemerkt Hegel nach der Griesheim-Mitschrift, dass das Sittliche nicht nur eine empfundende Einigkeit sein darf, sondern auch selbstbewusster, wollender Geist sein muss (Ilting 1974 b, 470). Zum hierarchischen Verhältnis der Institutionen ebd. 432 und EG § 537. 151 Zur Unterscheidung von Familie und Staat vgl. auch (Westphal 1998), (Westphal 1984). Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Staat und Familie hat Merold Westphal herausgearbeitet. Während beide Institutionen keine Vertragsgemeinschaften sein können, weil Verträge willkürlich und optional sind, besteht ihr Unterschied darin, dass der Staat auf »Gesetz« und »Denken« basiert, die Familie dagegen auf »Liebe« und »Gefühl« (Westphal 1984, 78 f. u. 88). Jedoch bringt die Familie bereits die soziale Einbettung des Individuums zum Ausdruck, die auch im Staat zu finden ist: Das Leben in einer Gemeinschaft beziehungsweise in einem »Wir« ist, so Westphal, eine konstitutive Bedingung des »Ichs«, seiner Identität, »Selbstheit« (selfhood) und Freiheit (ebd., 79 f., 87). Der »dialogische« Charakter des Menschen und die Notwendigkeit sozialer Strukturen für seine Selbstverwirklichung und Freiheit ist ebenfalls ein Grundthema in Charles Taylors Philosophie und Hegelinterpretation (Taylor 1975), (Taylor 1994), (Taylor 1999), (Taylor 2000). In der vorliegenden Arbeit, die von einer Hypostasierung der Gemeinschaft Abstand nimmt, wird ebenfalls Hegels These von der Priorität des Sozialen untersucht. Über Westphal hinausgehend wird verständlich gemacht, wie in Hegels Philosophie Abhängigkeiten von Anderen Beziehungen von intersubjektiver Anerkennung darstellen und die individuelle Freiheit damit nicht beeinträchtigen (vgl. Kapitel 5 der vorliegenden Arbeit). 149 150
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Axel Honneth schlägt vor, Recht noch in einem weiteren Sinn auszulegen. Seiner Ansicht nach sind bei Hegel Institutionen Träger von Rechten. 152 Institutionen besitzen ein Recht auf ihre Existenz, das die Gesellschaft verpflichtet, ihren Bestand zu sichern, weil sie eine notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung individueller Freiheit sind. 153 Gegen Honneths Überlegungen ist einzuwenden, dass allein aus der Tatsache, dass Individuen Institutionen für ihre autonome Selbstverwirklichung benötigen, noch kein Recht für diese Institutionen folgt. Es wäre näher liegend, aus der Notwendigkeit von Institutionen ein Recht für Individuen abzuleiten, nach welchem sie, wenn sie ein Recht auf Freiheit haben, auch einen Anspruch auf die Ermöglichungsbedingungen ihrer Freiheit, zu denen die Institutionen gehören, besitzen. 154 2.2.2 Der Begriff der Freiheit Hegel führt Freiheit in R § 4 als die »Substanz« und die »Bestimmung« des Willens ein und schränkt zugleich ein, was im Rahmen einer einführenden Bemerkung ausgesagt werden kann: »Daß der Wille frei und was Wille und Freiheit ist – die Deduktion hiervon kann […] allein im Zusammenhange des Ganzen stattfinden« (R § 4 A). 155 Nichtsdestotrotz verweist Hegel hier auf zwei grundlegende Aspekte seiner Willens- und Freiheitstheorie. Zum einen nimmt er an, dass der Wille im Wesentlichen Freiheit ist (»Substanz«). Zum anderen verweist er auf den Gegenstand des Willens, der den Willen bestimmt (»Bestimmung«). Dieser den Willen bestimmende Gegenstand ist wiederum Freiheit. Beide Momente von »Substanz« und »Bestimmung« zusammengenommen führen Hegel zu einer Charakterisierung des »freie[n] Willen[s], der den freien Willen will« (R § 27). Nichts anderes zu wollen als sich selbst, »sich Vgl. (Honneth 2001, 30–33). Vgl. dazu Kapitel (5.1) der vorliegenden Arbeit. 154 Zur Kritik an Honneths Etablierung von Gruppenrechten siehe auch (Pippin 2001, 11). Wenn Hegel die These aufstellt, dass die »Gesetze und Einrichtungen« (R § 144) Momente der »Freiheit […] als das Objektive« (R § 145) sind, dann macht er auf den Umstand aufmerksam, dass zur »Idee des Rechts« (R § 1) sowohl konzeptionell-begriffliche Bestimmungen wie auch deren Verwirklichung in gesellschaftlichen Praktiken gehören, nicht aber darauf, dass die »Einrichtungen« Rechte haben. 155 Zu Hegels Auffassung von philosophischer Beweisführung, die in der Durchführung das zu Beweisende als Resultat präsentieren muss, vgl. R § 2 und (Ilting 1974 a, 169). 152 153
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auf nichts als auf sich selbst« zu beziehen heißt, dass »damit alles Verhältnis der Abhängigkeit von etwas anderem hinwegfällt« (R § 23, vgl. auch EG § 469 Z). Sich lossagen von allem, was nicht zum eigenen Willen gehört, sondern ein Fremdes ist, bedeutet, die intellektuelle Fähigkeit zu besitzen, von allem Gegebenen, sei es innerliches Gefühl, Trieb oder äußerliche Natur, soziale Konvention et cetera, abstrahieren und sich distanzieren zu können (R § 5). Sich im Denken Abstand zum faktisch Vorhandenen zu schaffen ist der erste Schritt zur Selbstbestimmung und ermöglicht, in ein Selbstverhältnis zu treten. In einer Selbstbezüglichkeit erreicht man eine Form der Allgemeinheit, die auch die Kreativität des Handelns begründet, insofern die Handelnde in der Lage ist, jederzeit ihren Willen zu ändern. 156 Die Fähigkeit der Distanzierung zum Gegebenen und das Eintreten in ein bestimmtes Selbstverhältnis spielen im Übergang von Natur zum Geist eine entscheidende Rolle. 157 Die »Allgemeinheit«, die der Wille im Denken erzielt, weil er sich durch nichts als sich selbst bestimmen lässt, birgt zugleich die Gefahr, in eine »Furie des Zerstörens« zu entarten, welche vor keiner »bestehenden gesellschaftlichen Ordnung« haltmacht (R § 5 A). Auch ist die Freiheit, die damit erreicht wird, nur eine »Freiheit der Leere« (R § 5 R), die den Wollenden letztlich handlungsunfähig macht. Denn um handeln zu können, muss ein Individuum etwas wollen, das heißt, sein Wollen muss bestimmt sein (vgl. R § 6). Diese Bestimmung des Willens soll laut R § 4 wiederum das sein, was der Wille im Wesentlichen ist: Freiheit. Die Identität von Gegenstand und Grundlage des Willens drückt aus, dass Freiheit für Hegel SelbstBestimmung ist. Wenn aber das, was der Wille will, wiederum das sein soll, was der Wille ist, dann kommt dieser Prozess des Sichdurch-sich-selbst-Bestimmens nur dann zu einem inhaltlich konkreten und bestimmten Wollen, wenn das Wollen auf einen Aneignungsprozess des Gegebenen als dem Eigenen hinausläuft. Der
156 Vgl. auch Hegels These, theoretisches und praktisches Vermögen seien keine zwei getrennten Vermögen (EG § 481, R § 4 R). Entsprechend ist auch der Wille nicht etwas anderes als Geist, sondern »praktischer Geist« (R § 4 A). Der Wille ist eine Form von Zwecktätigkeit, die Intelligenz, Denken und Vorstellungsfähigkeit voraussetzt. Umgekehrt muss nach dem anti-modularen Ansatz Hegels auch das Selbstbewusstsein einen voluntativen Zug haben. Zu Hegels holistischer »Philosophy of Mind« vgl. (Halbig 2002, Kapitel 3). 157 Vgl. Kapitel (3.1.2) der vorliegenden Arbeit.
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Wille muss das, was ihm äußerlich gegeben ist, in ein Innerliches überführen, zu seinem Zweck machen. Entsprechend wird der Wille als die Zwecktätigkeit definiert, die die Differenz von Subjekt/Innerlichkeit und Objekt/Äußerlichkeit übergreifen kann (R § 28). Frei ist der Wille, weil er sich in einem Anderen auf sich selbst bezieht, im Fremden sein Eigenes findet, im Anderen seiner selbst bewusst wird (Einheit von Selbstbezug und Fremdbezug). Hegel macht diese Aneignungsbewegung am Beispiel des Eigentums deutlich. Eigentum ist die erste Form, in der der Wille »wirklicher [freier] Wille« ist (R § 45). Denn das Material, das einem Individuum als Äußerliches gegenübersteht und ihm ein bloß Gegebenes zu sein scheint, eignet er sich als das an, was durch ihn als sein Eigentum bestimmt ist und ihm so die Möglichkeit eröffnet, im Anderen bei sich selbst zu sein. Ein ähnlicher Gedankengang ist im letzten Kapitel in Bezug auf Normen erörtert worden. Normen besitzen erst dann legitime Autorität über ein Individuum, wenn es sie eingesehen und sie implizit oder explizit akzeptiert und sich »angeeignet« hat. Dieses Recht auf subjektive Einsicht (R § 107 Z) und damit das Recht, dass die individuelle Besonderheit in gesellschaftlichen Institutionen und vom Staat berücksichtigt wird (R §§ 154, 185, 206 A), nennt Hegel »subjektive Freiheit« (R §§ 132, 140). 158 Subjektive Freiheit besteht jedoch nicht in reiner Willkürlichkeit (R § 15). Vielmehr ist ein Wille (bei Kant wie bei Hegel) erst dann frei, wenn er allein Gründen folgt. Erst wenn ein Mensch in der Lage ist, sein Handeln mit Gründen zu rechtfertigen, die von Anderen als triftige Gründe anerkannt werden, kann von vernünftiger Selbstbestimmung gesprochen werden. Hegel spricht davon, dass der Wille seine »Einzelheit« abzuarbeiten hat und sein Inhalt allgemein werden muss (EG § 469 Z). Die Handelnde weiß, dass sie nach Gründen gehandelt hat, nach denen auch eine andere in ihrer Situation gehandelt hätte. Andreas Wildt hat diesen Gedankengang in der The-
158 Die Rücksichtnahme auf die Befriedigung subjektiver Besonderheit ist nach Joachim Ritter der kritische Wendepunkt von der vormodernen zur modernen Gesellschaft (Ritter 1975, 222). Hegel führt diesen Wendepunkt in der Vorrede mit einem ironischen Unterton ein: »Es ist der große Eigensinn […], der dem Menschen Ehre macht, nichts in der Gesinnung anerkennen zu wollen, was nicht durch den Gedanken gerechtfertigt ist, – und dieser Eigensinn ist das Charakteristische unserer Zeit« (R, 27). Vgl. auch R §§ 107, 132, 140. Aspekte der »subjektiven Freiheit« werden bezüglich der Wahl der Ehepartner, die auf subjektiver Zuneigung beruhen sollte, in Kapitel (4.3) zur Sprache kommen.
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Begriffliche Präliminarien
se zusammengefasst, dass in jedem Wollen ein Anspruch auf Rationalität (im Sinne einer praktischen Richtigkeit) erhoben wird: 159 »Die innere Distanz zu dem Gewollten ist nur frei und rational, wenn sie in dem Bewußtsein fundiert ist, daß für das bestimmte Engagement jeweils Gründe sprechen […]. Nur aus der Beziehung auf Gründe ist auch hinreichend verständlich, daß Hegel dasjenige, bei dem das Beisichsein bleiben soll, als das ›Allgemeine‹ bezeichnet. Für den Willen wäre demnach konstitutiv ein Anspruch auf Rationalität.« 160
Man kann nichts wollen, ohne gleichzeitig davon überzeugt zu sein, dass es richtig ist, in dieser Weise zu handeln. Die Handelnde weiß demnach, dass ihr Handeln auf der Basis von Gründen (und nicht auf der von Ursachen) steht. Sie ist rational motiviert und würde anders entscheiden, wenn sich ihre Gründe als nicht triftig herausstellen würden. Anderen gegenüber kann sie ihre Handlung vertreten, und sie geht davon aus, dass die von ihr angeführten Gründe allgemein gelten und andere ihr Handeln als gerechtfertigt ansehen müssen. Praktische Richtigkeit muss zwar nicht automatisch eine moralische Richtigkeit enthalten. Doch ein durchgehender Skeptizismus gegenüber den Gründen, die in einer kulturellen gesellschaftlichen Praxis gelten, wäre aus Hegels Sicht unangemessen. Individuen dürfen darauf vertrauen, dass, wenn die Gründe, mit denen sie ihr Handeln rechtfertigen, von anderen vernünftigen Wesen anerkannt werden und sich diese Anerkennung in der Praxis als stabil (und damit kohärent) erweist, diese Gründe gute und allgemein gültige Gründe sind. Dieser Rationalitätsanspruch des Willens zeigt sich im Gang der Grundlinien unter anderem darin, dass der Wille vom »natürlichen« (R § 11) zum »reflektierenden Willen« (R § 21) fortschreitet. Dieser Übergang wird durch einen Rationalisierungsprozess von Trieben, Neigungen und Impulsen geleistet (»Reinigung der Triebe« [R § 19] und »Reflexion« [R § 20]). In diesem Prozess lernt der Mensch, den Drang, Triebe sofort zu befriedigen, zurückzuhalten und sich zu kultivieren, um langfristige Ziele verfolgen und »Glückseligkeit« (R § 20) erreichen zu können. Triebe und Neigungen, kurz: der »natürliche Wille«, sollen nicht unterdrückt, sondern (durch Erziehung) kultiviert und gebildet werden. 161 In der »bürgerlichen Gesellschaft« beispielsweise ist der »natürliche Wille« als Moment der »Besonder159 160 161
Vgl. (Wildt 1982, 253 ff.). (Wildt 1982, 389). Vgl. auch ebd., 253. Zur Erziehung vgl. Kapitel (4.2.3). A
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Grundlagen einer Interpretation der Familie in den Grundlinien
heit« und der »Willkür« weiterhin vorhanden, jedoch in der Form der Allgemeinheit vermittelt (R § 182). Entgegen Alan Pattens These, Hegel postuliere wie Kant eine Opposition von Vernunft und Trieb, 162 stellt Hegel Triebe, Empfindung, Reflexion und Denken in ein Kontinuum (EL § 20 A), das es ermöglicht, Triebe, die ihrem Inhalt nach zwar vernünftig, ihrer Form (der Unmittelbarkeit) nach aber unvernünftig sind (R § 11), in eine rationale Form zu überführen und zum »vernünftige[n] System der Willensbestimmungen« (R § 19) zu machen. Der freie Wille ist nach Hegel an eine Zielvorgabe gebunden: seine Freiheit zu wollen. Ein Ziel zu wollen bedeutet für rational Handelnde, ebenfalls die Bedingungen für die Verwirklichung dieses Ziels zu wollen. 163 Die Bedingungen für Freiheit sieht Hegel in sozialen, politischen, ökonomischen und rechtlichen Einrichtungen, die er unter drei Institutionen zusammenfasst: Familie, »bürgerliche Gesellschaft« und Staat. 164 Diese Institutionen repräsentieren die formalen Bedingungen für individuelle Freiheit 165 in der folgenden Weise: Es ist eine empirische Tatsache, dass ein Individuum andere Menschen braucht, um ein freies und rationales Handlungssubjekt zu werden. 166 Menschen sind keine Lebewesen, die als autonome Personen, welche im vollen Besitz ihrer intellektuellen und voluntativen Fähigkeiten sind, geboren werden, sondern sie wachsen zu solchen Personen durch aufwendige Pflege, Fürsorge und Förderung seitens anderer Menschen innerhalb bestimmter sozialer Institutionen (ElVgl. (Patten 1999, 52 ff.). Vgl. (Neuhouser 2000, 78) und (Wildt 1982, Fußnote 125). 164 Zu Hegels Auswahl der Institutionen vgl. Axel Honneth: »Die modernen Lebensverhältnisse werden am Leitfaden der bislang entwickelten Maßstäbe auf eine Weise normativ rekonstruiert, daß an ihnen diejenigen Interaktionsmuster zutage treten, die als unverzichtbare Bedingungen der Verwirklichung individueller Freiheit aller Gesellschaftsmitglieder gelten können. Insofern ist auch klar, daß bei Hegel nur ein Teil dessen, was zur sozialen Realität moderner Gesellschaften gehört, unter den normativen Titel ›Sittlichkeit‹ fällt« (Honneth 2001, 91 f.). In welchem Sinne Institutionen unverzichtbare Bedingungen individueller Freiheit sind, wird in Kapitel (5.1) erläutert. 165 Patten, Neuhouser und andere rücken das Individuum und damit die individuelle Freiheit ins Zentrum ihrer Interpretation der Grundlinien. Dagegen berücksichtigt Ludwig Siep auch eine holistische Perspektive in Hegels Rechtsphilosophie, die die Handlungsfähigkeit, Selbsterkenntnis und Freiheit eines Gemeinwesens in den Blick nimmt (Siep 2003 b, 150). Zu Hegels Sozialholismus vgl. Kapitel (5.3) der vorliegenden Arbeit. 166 Im Kapitel zur Liebe als angemessene Form der Anerkennung (5.2) wird genauer darauf eingegangen, in welchen Hinsichten und Formen die Familie Voraussetzung für rationale Autonomie ist. 162 163
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ternhaus, Schule) und Praktiken (Erziehung, Bildung) heran. Über diesen empirischen Umstand herrscht weitgehend und über die Grenzen der liberalen und kommunitaristischen Lager hinweg Einigkeit. 167 Darüber hinaus bedarf es gesellschaftlicher Einrichtungen (Rechtswesen und Polizei), um die Durchsetzung der Freiheit von Personen, Eigentum besitzen zu können, sicherzustellen. Auch haben moralische Entscheidungen autonomer Subjekte nur Bestand, wenn sie innerhalb gesellschaftlicher Praktiken Akzeptanz erfahren. 168 Denn es ist einem Menschen nur dann faktisch möglich, seine Freiheit zu genießen, wenn andere seine Ansprüche anerkennen und sich entsprechend rücksichtsvoll verhalten. Institutionen stabilisieren diese Anerkennungsbeziehungen 169 und sorgen damit für eine Verlässlichkeit von Rollenerwartungen und -erfüllungen sowie für Stabilität und Frieden in der Gesellschaft. 170 Hegel trägt der Bedürftigkeit des Menschen, seiner notwendigen Abhängigkeit von Anderen in seinen Versuchen, ein freier Mensch zu werden und zu sein, Rechnung. 171 Diese empirischen Beobachtungen reichen aber noch nicht aus, um die sittliche Notwendigkeit der Institutionen für erwachsene Personen zu begründen. Gegen die Auffassung, gesellschaftliche Institutionen als bloße Mittel für individuelle Freiheit zu verstehen, welche dann anderenorts ausgelebt werden würde, stellt Hegel die These, 167 Vgl. (Kymlicka 1991a, 75). Will Kymlicka verteidigt Vertreter des Liberalismus (Mill, Rawls und Dworkin) gegen den Vorwurf, sie würden ihre Positionen auf einen atomistischen oder abstrakten Individualismus aufbauen, der gegenüber empirischen Bedingungen des Menschen und seiner physischen, psychischen und moralischen Entwicklung blind ist. 168 Vgl. (Quante 1997 b, 70). 169 Zur Notwendigkeit von Institutionen für »personale« und »moralische« Freiheit vgl. auch (Neuhouser 2000, 269). 170 Zum Stabilitätsargument vgl. (Patten 1999, 185). Wenn Freiheit effektiv gesichert werden soll, dann müssen, so Patten, Menschen nicht nur »Personen« und »Subjekte« sein, sondern auch »Mitglieder«. Denn nur als Mitglieder einer Gemeinschaft sind sie motiviert, im Sinne anderer und für deren Wohl zu handeln. Patten bleibt beim Argument der erforderlichen Stabilität von gesellschaftlicher Ordnung für die Verwirklichung von Freiheit stehen, um die Notwendigkeit von Institutionen zu begründen (ebd., 102 und 180–2). Dieses Argument reicht aber nicht aus, um in Hegels Sinne eine über Zweckrationalität hinausgehende Vernünftigkeit von Institutionen begründen zu wollen. In dieser Arbeit soll dagegen die These vertreten werden, dass für Hegel das Leben in Institutionen Vollzug eines gelingenden, guten, freiheitlichen Lebens ist. Diese These wird in Kapitel (5.1) der vorliegenden Arbeit verteidigt. 171 Vgl. (Neuhouser 2004–5 b, 42) und (Quante 2001, 18).
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Grundlagen einer Interpretation der Familie in den Grundlinien
Familie, »bürgerliche Gesellschaft« und Staat seien das »Reich der verwirklichten Freiheit« (R § 4). Als sittliche, das heißt vernünftige gesellschaftliche Institutionen sind sie der Ort, an dem individuelle Freiheit sowohl entsteht als auch verwirklicht wird. 172 Damit sind sie Bestandteil und Vollzug des guten und gelingenden Lebens, und in ihnen zu leben bedeutet für das Individuum, sich auf vernünftige Weise selbst zu bestimmen. Mit Hegel gesprochen sind Institutionen »das Dasein aller Bestimmungen der Freiheit« (EG § 486), das »Dasein des freien Willens« (R § 29) oder »objektive Freiheit« (R § 258 A, EG § 538). 173 Im Kontext der sozial-politisch-ökonomischen Welt wird im Staat die qualitativ höchste und ausgereifteste Form der Wirklichkeit von Freiheit erreicht, die »substantielle Freiheit« (R §§ 149, 257), 174 welche derart die Vorrangstellung des Staates in Hegels Rechtsphilosophie begründet. 175 Damit kommt den sittlichen Institutionen im Allgemeinen und dem Staat im Besonderen eine herausragende Stellung in Hegels Rechtsphilosophie zu: Individuelle Freiheit wird realisiert, indem das Individuum Mitglied sittlicher Institutionen ist, es in diesen Institutionen lebt und sich mit den ihm zugeteilten gesellschaftlichen Rollen identifiziert (R § 147). 176 Mit dieser institutionellen und auf dem Konzept der Anerkennung aufbauenden Theorie der Freiheit widerspricht Hegel anderen philosophischen Intuitionen, nach denen Freiheit in der (metaphysischen) Kapazität besteht, durch einen Akt des Willens eine Handlung kausal zu verursachen,177 oder nach denen Freiheit ein Naturrecht ist, das das Individuum befugt, nach seiner Willkür zu verfahren (vgl. EG § 539 A, R § 11). 172 Auf diesen Umstand macht Siegfried Blasche aufmerksam: »Vom Begriff des freien Willens her wird die Sittlichkeit als geschichtlich gewordene und entwickelte gegenwärtige lebendige Interaktion definiert, die – von aller durch die Bedürfnisse definierten Zweckstruktur ›frei‹ – in ihrem Vollzug zugleich ihren letzten Zweck erfüllt« (Blasche 1975, 317). 173 Vgl. dazu (Siep et al. 2004) und Axel Honneths Replik in ebd., 110 f. Nach Patten genießt ein rational Handelnder »objektive Freiheit«, wenn er sich durch nichts außer guten Gründen bestimmen lässt (Patten 1999, 35). Patten rückt damit den Ausdruck »objektive Freiheit« in die Nähe des kantischen Begriffes von Autonomie als vernünftige Selbstgesetzgebung. 174 »Substantielle Freiheit« korrespondiert mit Frederick Neuhousers Begriff »social freedom« in (Neuhouser 2000). 175 Diese These, die oft als Ausdruck eines Staatstotalitarismus missverstanden wurde, wird in Kapitel (5.3) diskutiert. 176 Vgl. (Neuhouser 2000, 272) und (Pippin 2001, 3). 177 Vgl. (Pippin 2000 a, 156 f.).
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Begriffliche Präliminarien
In den folgenden Kapiteln kommt Hegels Konzeption der Freiheit auf vielfache Weise zum Tragen. Der Übergang von der Natur zum Geist in der Enzyklopädie ist erreicht, indem das Tier in ein bestimmtes Selbstverhältnis eintritt und dadurch eine Haltung zu seinem Körper und den ihm umgebenden Natürlichkeiten finden kann. 178 Das Tier befreit sich durch Distanzierung von dem ihm unmittelbar Gegebenen schrittweise von seinen Natürlichkeiten und wird in dieser Emanzipationsbewegung (oder »Bildung«) zu einem geistigen Wesen. Der Nachweis, dass die Institution Familie für Hegel keine Naturgemeinschaft ist, baut auf dieser Beobachtung einer engen Verknüpfung der Entstehung des Geistes mit der Befreiung von der Unmittelbarkeit und Zufälligkeit der Natur auf. Es wird entsprechend herausgearbeitet, inwiefern sich die in der Familie lebenden Menschen von Natürlichkeiten distanzieren können, um dann einen selbstbestimmten Umgang mit diesen natürlichen Prozessen, Eigenschaften und Ereignissen innerhalb einer Gemeinschaft zu gewinnen. 179 Damit ist jedoch noch nicht bewiesen, dass die Familie als eine soziale Gemeinschaft tatsächlich dem Standard einer vernünftigen, »sittlichen« Institution entspricht. Eine gesellschaftliche Institution ist für Hegel dann vernünftig und sittlich, wenn sie (in einer noch zu qualifizierenden Weise) zum »Reich der verwirklichten Freiheit« (R § 4) gehört. Dieser Nachweis soll für die Familie erbracht und gezeigt werden, warum nach Hegel ein Leben in der Institution der Familie für ein Individuum bedeutet, sich auf vernünftige Weise selbst zu bestimmen, ohne dass dadurch seine Freiheit tangiert wäre. 180
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Vgl. Kapitel (3) der vorliegenden Arbeit. Vgl. Kapitel (4) der vorliegenden Arbeit. Vgl. Kapitel (5) der vorliegenden Arbeit. A
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3 Begründungsgrenzen der Natur
Am Ende der enzyklopädischen Naturphilosophie, im Kapitel »Der animalische Organismus« (EN §§ 350–376) beschreibt Hegel den Übergang von Natur zu Geist anhand der Themen Empfindung, Selbstgefühl, Sexualtrieb, Reproduktion und Tod. In der Rechtsphilosophie haben derartige Phänomene ihren systematischen Ort vor allem in der Institution der Familie. Diese Parallele legt nahe, dass das Verhältnis von Natur und Geist beziehungsweise Natur und Normativität in Hegels Behandlung der Familie zentrale Bedeutung hat. Siegfried Blasche machte als Erster darauf aufmerksam, dass Hegels Familienkonzeption in einer Spannung zwischen Natürlichkeit und Sittlichkeit steht. 1 Während Blasche darin eine methodische Unzulänglichkeit der hegelschen Familienkonzeption sieht, soll in der vorliegenden Arbeit nachgewiesen werden, dass Hegel die Sittlichkeit der Familie nur dadurch nachweisen kann, indem er die in der Familie vorhandenen Natürlichkeiten zum Ausgangspunkt nimmt, um diese dann aufzuheben. Im Folgenden gilt es, Blasches Urteil zu korrigieren, das rechtsphilosophische Familienmodell sei »brüchig […] schon vom methodischen Ansatz her. Die Begründung der Familie auf Natur, das heißt aber auf einem letztlich dem Willen unhintergehbar vorgegebenen Inhalt, der methodisch als ein Bedürfnis zu bestimmen wäre, setzt sie in einen Widerspruch zum Begriff des freien Willens.« 2
(Blasche 1975, 328). (Blasche 1975, 328). Hingegen ist Blasches These zuzustimmen, dass Hegel Modernität durch die Ausbildung der Subjektivität definiert, die nicht nur im Staat, sondern auch in der Familie beachtet werden muss (ebd., 315). Sein Hinweis, der Abschnitt der Moralität bereite den der Familie vor, ist begründet, denn nach Hegel muss das Recht der Individuen, frei entscheiden zu dürfen, wen sie heiraten wollen, berücksichtigt und damit ihrer Subjektivität (Gesinnung, Empfindung, Entschluss) Rechnung getragen werden (ebd., 318).
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Begründungsgrenzen der Natur
Zunächst sind zwei Annahmen zum Verhältnis von Natur und Geist zu erörtern, die mit Blick auf die Institution Familie relevant sind. 3 Zum einen lehnt Hegel einen ontologischen Dualismus von Geist und Natur ab und argumentiert, dass sowohl Geist aus der Natur entstehe als auch Natur »an sich« Geist sei. Aus dieser antidualistischen Position ist für die Familie zu schließen, dass die in ihr zweifellos vorhandenen Naturseiten sie als eine »Gestalt des Geistes« nicht disqualifizieren müssen. Auch ist die Familie nicht der ausschließliche Ort, an dem das Thema der Natürlichkeit virulent wird. Das »System der Bedürfnisse« in der »bürgerlichen Gesellschaft« knüpft ebenfalls an die natürliche Bedürftigkeit des Menschen an. Selbst im Staat lassen sich noch Spuren der Natürlichkeit finden, beispielsweise in der patriotischen Gesinnung, die sich nicht allein einer rationalen Einsicht verdankt, sondern von Gefühl getragen wird. Natürlichkeit und Geistigkeit müssen sich für Hegel demnach nicht ausschließen. Zum anderen wendet sich Hegel gegen reduktionistische Argumentationen, welche »Geist« ausschließlich mit naturalistischen Kategorien beschreiben und »geistige Angelegenheiten« allein mit dem Hinweis auf natürliche Tatsachen rechtfertigen. Hinsichtlich der Familie – die als eine »Gestalt des Geistes« nach Hegel zu den »geistigen Angelegenheiten« gehört – wäre eine naturalistische Reduktion in der Rechtfertigung familialer Strukturen und Rollen problematisch. Eine Voraussetzung für die überzeugende Rechtfertigung familialer Strukturen und Rollen besteht darin, dass der relevante Gegenstandsbereich – hier der Geist – adäquat erfasst wird. Kann aber nachgewiesen werden, dass naturalistische Kategorien für eine Erklärung des Geistes zu kurz greifen, so ist auch eine Rechtfertigung der Familie, die nur mit naturalistischen Kategorien operiert, nicht stichhaltig. Hegels Kritik am Reduktionismus wendet sich sowohl gegen eine naturalistische Reduktion, die natürliche Tatsachen ohne weitere Begründungsschritte als Rechtfertigungsgrund für Handlungen, Überzeugungen und Einstellungen nimmt, als auch gegen eine »essentialistische« Reduktion, nach der die Wesensnatur des Menschen
3 Die vorliegende Untersuchung zum Verhältnis von Natur und Geist in der Enzyklopädie ist bei weitem nicht umfassend. Da der Fokus der Arbeit auf dem Familienabschnitt der Grundlinien liegt, kann das Thema hier nur ansatzweise behandelt werden.
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Begründungsgrenzen der Natur
ohne weitere Begründungsschritte eine Handlung, Überzeugung oder Einstellung rechtfertige. In bestimmter Hinsicht ist Hegel natürlich Essentialist, insofern er eine historisch-teleologische Konzeption vom Wesen des Menschen vertritt. Das heißt, das Wesen des Menschen ist historisch (kulturell und geschlechtsspezifisch) variabel, jedoch insgesamt in der Geschichte der Menschheit auf Freiheit hin ausgerichtet. Hegels Verständnis vom »Wesen« des Mannes und der Frau wird ausführlich in Kapitel (4.1) diskutiert. Wenn oben von der Ablehnung einer »essentialistischen« Argumentationsstrategie die Rede ist, dann sind damit Begründungszusammenhänge angesprochen. Wie sich im Folgenden zeigen wird, können nach Hegel mit einem Verweis auf die Wesensnatur des Menschen keine Rechtfertigungen vorgenommen werden. Die Beobachtung, dass es im Wesen des Menschen liegt, sich selbst zu bestimmen, leistet kein Argument für die Forderung, den Menschen in Freiheit leben zu lassen. Folgende Argumentationsweisen sollen damit für die Familie ausgeschlossen werden: »Weil das Wesen von Mann und Frau so ist, weil Menschen sich fortpflanzen, weil Liebe ein sich der freien Entscheidungskompetenz entziehender Affekt ist, weil Kinder hilfsbedürftige Wesen sind, weil das Kind biologisch von den Eltern abstammt, müssen – aufgrund dieser Tatsache(n), ohne weitere Begründung – die Aufgaben und Rollen in der Familie auf diese oder jene Weise formuliert und verteilt werden, sollte die Familie diese oder jene Privilegien genießen, gilt diese oder jene Konstellation von Menschen als Familie.« In diesen Aussagen werden die normativen Implikationen der Argumentationen nicht offengelegt und wird nicht explizit gemacht, aus welchen Gründen diese Tatsachen in ethisch korrekten gesellschaftlichen Praktiken berücksichtigt werden sollen. Hegel macht mit seinem anti-reduktionistischen Ansatz auf diese Problemstellung aufmerksam und verlangt nicht nur die Offenlegung der Gründe, sondern auch die Überprüfung ihrer Stichhaltigkeit.
3.1 Gegen Reduktionismus und Dualismus – die begriffliche Genese des Geistes aus der Natur In der Naturphilosophie gibt Hegel keine biologische Erklärung für die Genese des Mentalen, sondern versucht, im Rahmen seines enzy86
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Gegen Reduktionismus und Dualismus
klopädischen Systems zu erläutern, wie der Begriff des Geistes aus dem Begriff der Natur entstehen kann. Hegel betrachtet diese Entwicklung als eine Explikation der Begriffsstruktur, die er in der Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Begriff 4 (1816) als eine die Momente der »Allgemeinheit« und »Besonderheit« vermittelnde »Einzelheit« eingeführt hat. Diese Struktur des Begriffs bezeichnet Hegel auch als Subjektivität. Subjektivität ist im konzeptuellen Sinne keine unmittelbare Selbstanschauung und kein empirisches Identitätsbewusstsein, sondern ein Begriffsverhältnis, in welchem sich gegensätzliche Momente von Allgemeinheit und Besonderheit innerhalb eines Ganzen artikulieren. Sowohl der Wille und das Selbstbewusstsein von Handlungssubjekten als auch die Staats- und Gesellschaftsordnungen, insofern das Selbstverständnis der Mitglieder einer Gemeinschaft die konstitutive Bedingung für deren Existenz und spezifische Identität darstellt, können mit Hilfe des Subjektivitätsbegriffs erfasst werden. Hegels Konzeption der Subjektivität ist jedoch keine in seiner Logik festgelegte Struktur, die sich lediglich in der Realphilosophie auf unterschiedliche Gegenstandsbereiche abbildet. Vielmehr entwickelt er die Subjektivitätsstruktur im Kontext von Natur- und Geistphilosophie, und sie durchläuft hier unterschiedliche Entwicklungsstadien. So ist die »natürliche Subjektivität« durch »Unmittelbarkeit« und durch das Fehlen von Selbstbestimmung, das heißt der Fähigkeit, eigenen Gesetzen zu folgen, gekennzeichnet. Die »geistige Subjektivität« sticht dagegen durch das Merkmal der Selbstbestimmung hervor (EG § 400 Z). Vor diesem systemischen Hintergrund kann der Übergang von Natur zum Geist auch als eine Explikation der Subjektivitätsstruktur interpretiert werden. 3.1.1 »Selbstgefühl« und »Gefühl« Der »tierische Organismus« unterscheidet sich von der »vegetabilischen Natur« durch einen höheren Grad an Komplexität und Organisation, der in der Fähigkeit, zu fühlen, zum Ausdruck kommt. Anstatt nur natürliche Prozesse zu materialisieren oder gemäß einem »genetischen Programm« zu funktionieren, ist es dem Tier im Gegensatz zur Pflanze möglich, mit zunehmender Erfahrung in eine rudimentäre Form der Selbstbeziehung zu treten. Diese Form der Selbstbeziehung nennt Hegel »Selbstgefühl« (EG § 354). In der Na4
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turphilosophie bildet sich das Selbstgefühl vorerst in »praktischen Verhältnissen« wie der »Gestaltung« (EN § 353–356) und »Assimilation« (EN § 357–366) aus. So kann sich das Tier gegenüber der es umgebenden Natur und gegenüber seinem Körper anpassend oder gestalterisch verhalten. In diesem praktischen Verhalten des Tieres wird zugleich eine kognitive Einstellung gegenüber sich und dem Anderen erkennbar. Das Tier ist nur dann in der Lage, sich als »Einzelnheit« 5 zu fühlen, wenn es sich von einem Anderen abhebt. Sich zu fühlen heißt, den Unterschied zwischen sich und einem Anderen zu fühlen, alle »äußerliche Bedingung und [alles] Material« (EN § 357) auszuschließen und sich von diesem Außen zu unterscheiden. In diesem Ausschluss gelingt dem Tier ein Selbstbezug. Der Ausschluss muss jedoch von außen initiiert werden, indem ein anderes Tier das Tier negiert und es derart sich vom Anderen unterschieden »fühlen« kann (EN § 359). In der Negation kann das Tier auf indirektem Weg »Gewißheit« darüber erlangen, dass es etwas ist, das negiert werden kann (ebd.). Die Gewissheit seiner selbst, die ein Tier erreicht, ist noch kein explizites Wissen über sich, sondern ein Gefühl: »Selbstgefühl«. Das Tier bleibt damit »natürlich« bestimmt, und sein Selbstbezug wird entsprechend als »dumpf«, »unbestimmt« und »willenlos« beschrieben (EN § 354). Im Selbstgefühl ist das Moment des Selbstbezugs nicht vom Moment des negativen Fremdbezugs zu trennen. Strukturell gleicht das Selbstgefühl dem Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Wille. Die Trennung zwischen Selbst und Anderem beziehungsweise Innen und Außen, die für das Selbstgefühl konstitutiv ist, bildet sich im Bewusstsein zu einer dieser konstituierenden Differenz von Subjekt und Objekt aus. Der Wille übergreift diese Differenz wieder, indem er das dem Subjekt gegenüberstehende Objekt zu einer Setzung des Eigenen macht. Die Willensstruktur wird im tierischen Verhalten dadurch vorweggenommen, dass das Tier den »Trieb« hat, seine »Negation« durch das Andere, beispielsweise die Abhängigkeit von Nahrung oder die Bedrohung durch die feindliche Umwelt, wieder aufzuheben (EN § 354). Auch für das Selbstbewusstsein ist eine Einheit von Selbst- und Fremdbezug konstitutiv. Angesichts dessen steDie »Einzelnheit« des Subjekts in der Natur ist nicht mit der begriffslogischen »Einzelheit« als Synthese von Allgemeinheit und Besonderheit zu verwechseln. Auch ist die »Einzelnheit« nicht mit dem Begriffsmoment der »Besonderheit« gleichzusetzen. Stattdessen bezeichnet sie im Kontext des Gattungsprozesses das Subjekt als Einzelding.
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Gegen Reduktionismus und Dualismus
hen Selbstgefühl und die Formen von Selbstbewusstsein, Wille und Bewusstsein in einem konzeptuellen Kontinuum. 6 In der enzyklopädischen Logik unterscheidet Hegel das Gefühl »von dem Denken« nur hinsichtlich der »Form« (EL § 2). 7 Während das Gefühl durch Unmittelbarkeit, Partikularität und Zufälligkeit geprägt ist, steht das Denken für Allgemeinheit, Notwendigkeit und Reflexivität. Inhaltlich können sich aber die Gegenstandsbereiche von Denken und Gefühl durchaus decken: »Alles ist in der Empfindung, und wenn man will, alles, was im geistigen Bewußtsein und in der Vernunft hervortritt, hat seine Quelle und Ursprung in derselben« (EG § 400 A). Mit diesen Aussagen tritt Hegel einem Dualismus zwischen intellektuellen Fähigkeiten und rudimentären Empfindungen entgegen. Das Kontinuum von Gefühl und Denken beziehungsweise Selbstgefühl und Selbstbewusstsein wird für Hegels Konzeption der Liebe bedeutsam: Liebe ist einerseits ein Gefühl, andererseits aber eine Form des Selbstbewusstseins (R § 161). Dass Hegel diese »geistige« und »natürliche« Seiten von Liebe zusammendenken kann, geht auf seine anti-dualistische Position in der Logik und Naturphilosophie zurück. Wie können aber Unmittelbarkeit, Partikularität und Zufälligkeit, die das Gefühl auszeichnen, je zum Denken hin überwunden werden? Das Selbstgefühl zeigt das Potential, sich zum Selbstbewusstsein fortzubilden, indem es das Resultat eines Prozesses ist – und damit eben nicht etwas Unmittelbares (EG §§ 356, 366). 8 Als Resultat ist die Unmittelbarkeit des Selbstgefühls in einem ersten Schritt aufgehoben. Die Prozesse der »Gestaltung« und »Assimilation«, in denen sich das Tier selbst fühlt, können als anfänglicher Bildungsprozess aufgefasst werden, der in der Anthropologie in der sukzessiven Besitznahme des Körpers durch die Seele (als Vorform des Zur These, dass das Selbstgefühl eine Vorstufe zum Selbstbewusstsein ist, vgl. (Siep 1992, 195–216). 7 Das Denken unterscheidet den Menschen von »anderen Tieren« (EL § 2). Statt die Denkfähigkeit jedoch als anthropologische Tatsache zu postulieren, geht es Hegel um den Nachweis, wie sich kognitive Fähigkeiten aus emotionalen und affektiven Fähigkeiten sukzessive entwickeln können. Es gehört zu Hegels Konzeption des Denkens, dass jenes nur prozessual oder »genealogisch« ausformuliert werden kann. In diesem Prozess stellt die Aufhebung der Unmittelbarkeit und Partikularität des Natürlichen (EL § 21 A) einen wichtigen konzeptionellen Entwicklungsschritt dar. 8 Der »Gestaltungsprozeß […], in welchem der Organismus seine eigenen Glieder zu seiner unorganischen Natur, zu Mitteln macht […] [hat] das einfache unmittelbare Selbstgefühl zum Resultate« (EN § 356). 6
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Geistes) fortgesetzt wird. Das Selbstgefühl formt sich, wie später das Bewusstsein in der Anthropologie, an der Instrumentalisierung des eigenen Körpers, der die erste Äußerlichkeit für das Tier darstellt. Damit zeichnet sich in Hegels Konzeption des Selbstgefühls ein Übergang vom Zustand der Unmittelbarkeit zu einer Form der Selbstgegebenheit ab, die eine Distanzierung des Selbst von seiner Äußerlichkeit impliziert. Diese Distanz- und Selbstbezugsnahme ist für die Entstehung des Geistes entscheidend – aber mit dem Selbstgefühl noch nicht ausreichend konzipiert. 3.1.2 »Gattungsprozeß« Im letzten Abschnitt der Naturphilosophie findet der Übergang zum Geist über die Stufen Artdifferenzierung, Geschlechterdifferenzierung, Krankheit, Gewohnheit und Tod statt (EN §§ 367–376). Diese Stufen werden unter dem Titel »Gattungsprozeß« zusammengefasst. Motor der Entwicklung zum Geist ist der Versuch, die »Allgemeinheit« der Gattung mit der »Einzelnheit« ihrer Exemplare auf eine Weise zu vermitteln, dass die »an sich« bestehende Einheit zur »für sich seienden« Einheit gemacht wird (EN § 367). Der Modus, in dem die Einheit von Gattung und ihren Exemplaren in der Natur vorhanden ist, soll also geändert werden. Hegel konzipiert die Gattung nicht als eine ontologische Entität, die über oder neben den Einzelsubjekten existiert. 9 Auch wird der Begriff der »Allgemeinheit« der Gattung nicht durch naturwissenschaftliche Abstraktion oder ein induktives Verfahren – von den Idiosynkrasien der einzelnen Exemplare abzusehen, ihre Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und sie unter Sammelbegriffe wie »Gattung« oder »Art« zusammenzufassen – gewonnen. Die Gattung ist die »konkrete Substanz« der Subjekte (EN § 367) und bestimmt, was die Subjekte im Wesentlichen sind. Diese These klingt zunächst nach einer platonisch-essentialistischen Position: Das menschliche Tier ist darum ein menschliches Tier, weil es an der Idee der Menschheit teilhat oder weil sein Wesenskern der eines Menschen ist. Dieser Auffassung tritt Hegel entgegen, indem er fordert, dass das Tier, um zu werden, was es ist, sich gewahr werden muss, was es ist. Das heißt, das Tier muss (in einer rudimentären Form) begreifen, dass es in Eine ähnliche These wird auch im Hinblick auf das Verhältnis von Gemeinschaft und ihren Mitgliedern in Kapitel (5.3) der vorliegenden Arbeit formuliert.
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einem Zusammenhang mit anderen Tieren steht, und dass seine Verbindung zu diesen Tieren in einer Allgemeinheit besteht: derselben Gattung anzugehören. Fehlt diese subjektive Perspektive des Tieres in seinem Verhalten gegenüber anderen, ist die Gattung lediglich eine fortlaufende Kette von lebenden und sterbenden Einzelsubjekten, und die Allgemeinheit bleibt »innerlich« und »an sich«. Der Gattungsprozess setzt sich dann nur in Form der »schlechten Unendlichkeit« (EN § 370) fort, weil er als infiniter Prozess, in welchem sich Ereignis um Ereignis ohne inneren Zusammenhang aneinanderreiht, auf keine qualitativ höhere Ebene gehoben wird. Das zeitliche und räumliche »Auseinander« der Ereignisse ist das Kennzeichen der Natur, und der Gattungsprozess kann dieses Naturmerkmal nur durch die subjektive Perspektive eines Tieres überschreiten: Indem das Tier sich des Zusammenhangs mit anderen Tieren gewahr wird, fängt es an, das »Auseinander« der Natur hinter sich zu lassen. Für diese Überschreitung von Natur hin zum Geist ist eine zweifache Negation erforderlich. Erstens muss die »nur innerliche Allgemeinheit der Gattung« und zweitens die »unmittelbare [das heißt natürliche] Einzelnheit« negiert werden (ebd., Hervorhebung S. B.). Das heißt, der Modus, in dem »Allgemeinheit« und »Einzelnheit« in der Natur existieren, soll verändert werden. Während die Negation der »innerlichen Allgemeinheit« im »Geschlechtsverhältnis« gelingt, findet die Negation der »unmittelbaren Einzelnheit« im Tod des Subjekts als einem Einzelding statt. Aus dieser zweifachen Negation geht die Konzeption des Geistes als Resultat hervor, und die Notwendigkeit des Geistbegriffs wird damit ex negativo bewiesen. 10 Beide Negationen werden in Hegels Theorie der Familie in veränderter Form wieder aufgegriffen: Während durch die Mitgliedschaft zur Familie die »Einzelnheit« des Individuums negiert wird, kommt die Familie als Gemeinschaft erst durch das Selbstverständnis ihrer Mitglieder zur Existenz. 11 3.1.3 »Geschlechtsverhältnis« Tiere begegnen einander sowohl in affirmativer als auch in destruktiver Weise. Im letzteren Fall kämpft das Tier gegen ein anderes, beziehungsweise gegen natürliche Gefahren, um seine Selbsterhaltung. 10 11
Zur Beweisführung bei Hegel vgl. Kapitel (2.1) der vorliegenden Arbeit. Vgl. Kapitel (5) der vorliegenden Arbeit. A
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In Anklang an Thomas Hobbes schreibt Hegel, die Umwelt des Tieres »übt eine fortdauernde Gewaltsamkeit und Drohung von Gefahren auf sein Gefühl aus, das ein unsicheres, angstvolles, unglückliches ist« (EN § 368). Bei der Paarung treffen Tiere dagegen in affirmativer Weise aufeinander. In Hegels Darstellung steht aber nicht die naturhafte Triebstruktur der Tiere im Vordergrund, sondern er leitet den Trieb aus dem »Gefühl eines Mangels« (EN § 369) ab, der ein begrifflicher Mangel ist und darin besteht, dass die Vermittlung von Allgemeinheit der Gattung und »Einzelnheit« der Subjekte aufgrund des Fehlens einer subjektiven Perspektive noch nicht geglückt ist. Für die Gewinnung einer solchen Perspektive übernimmt die affirmative Beziehung zwischen Tieren eine vorbereitende Rolle. Das Tier wird sich in Form eines Gefühls bewusst, dass es sich im Anderen kontinuiert. In der Paarung wird es sich sowohl seiner selbst als auch des Anderen als etwas, was ihm gleicht, gewahr. Indem das Tier sich selbst im Anderen fühlt, kann es seine Bewusstseinslosigkeit ansatzweise verlassen. Die »nur« im Modus des Ansichseins existierende »Allgemeinheit der Gattung« (EN § 367) bekommt in diesem Gefühl ihre erste subjektive Gestalt. Intersubjektive Verhältnisse (in der rudimentären Form der Paarung) sind damit für die Explikation und Entwicklung der Subjektivitätsstruktur in der Naturphilosophie von Bedeutung. Auch in Hegels Familienkonzeption wird hervorgehoben, dass sich die Identität des Individuums nur innerhalb eines intersubjektiven Zusammenhangs konstituieren kann. 12 In der Naturphilosophie sind aber die intersubjektiven Beziehungen der Paarung noch nicht stabil und die Vermittlung von Allgemeinheit und »Einzelnheit« noch nicht gelungen. Das Fühlen seiner selbst in einem Anderen bleibt punktuell auf den Sexualakt bezogen. Das Resultat dieses Aktes ist mit Blick auf den begrifflichen Anspruch, die Allgemeinheit in subjektiver Form darzustellen, ebenfalls enttäuschend. 13 So werden im ReproduktionsVgl. Kapitel (5) der vorliegenden Arbeit. Vgl. dazu auch in der Begriffslogik, die ebenfalls das »Geschlechtsverhältnis« erörtert: »Das Individuum ist daher an sich zwar Gattung, aber es ist die Gattung nicht für sich; was für es ist, ist nur erst ein anderes lebendiges Individuum« (BL, 226). Auch die durch den »Geschlechtstrieb« angestrebte Identität kann Allgemeinheit der Gattung und »Einzelnheit« des Individuums nicht befriedigend vermitteln: »Die Identität mit dem anderen, die Allgemeinheit des Individuums ist somit nur innerliche oder subjektive; es hat daher das Verlangen, dieselbe zu setzen und sich als Allgemeines zu realisieren« (ebd.). 12 13
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prozess nur wiederum einzelne Subjekte geboren und damit der Charakter der »Einzelnheit« fortgesetzt, nicht aber das Allgemeine für das Subjekt sichtbar gemacht. Trotzdem bilden die punktuellen Erfahrungen des Selbstgefühls in einem Anderen konzeptuelle Anfänge einer »wahren« Unendlichkeit, obgleich sie dieselbe nicht erreichen. Diese Unendlichkeit besteht darin, dass die Differenz zwischen Subjekt und Objekt aufgehoben wird, indem das Subjekt das, wovon es sich absetzt, zugleich in sich enthält. Die Erfahrung, in einem affirmativen Verhältnis zu einem anderen Subjekt sich zu fühlen, ist nicht auf Sexualpartner beschränkt. Auch das »Produkt« der Paarung, der Nachwuchs, kann die Rolle des Anderen übernehmen. Während es beim Thema »Begattung« (EN § 369) eindeutig ist, dass das Andere der Sexualpartner ist, kann die Interpretation des Anderen als Nachwuchs durch den Zusatz zu EN § 369 gestützt werden. Hier spielt Hegel mit der Ambiguität des Wortes »Geschlecht«, das sowohl das Sexualorgan (und damit im übertragenen Sinne Mann und Frau) ist als auch das Menschheitsgeschlecht bezeichnet. Wenn dem Zusatz gemäß »beide [Individuen] […] Organische [sind] und […] der Gattung an[gehören], so daß sie nur als ein Geschlecht existieren«, dann macht er es möglich, das »Geschlechtsverhältnis« auch als eine Beziehung zwischen »Produzenten« und »Produkt« zu verstehen. 14 Diese Beobachtung ist für Hegels Familienkonzeption bedeutsam, weil sie zu der Frage führt, warum die Heterosexualität in der Rechtsphilosophie eine notwendige Bedingung für die Sittlichkeit der Familie wird. 15 3.1.4 »Tod« Für Hegel besteht die zweite Negation, die für die Entstehung der Gattung als »für sich seiende Einheit« (EN § 367) erforderlich ist, im Tod des einzelnen Tiers beziehungsweise des Subjekts. Im Tod wird das Merkmal des Subjekts, »unmittelbare Einzelnheit« zu sein, negiert. Gegen Hegel ist jedoch einzuwenden, dass es nicht evident ist, wie aus dem Tod, der die Einheit von »Allgemeinheit« und »Einzelnheit« nur in negativer Weise darstellen kann, eine »subjektive AllDer »Gattungstrieb« wird ebenfalls in der Begriffslogik diskutiert (BL, 225–227; EL §§ 220–222). Auch hier sind beide Interpretationen, das »Geschlechtsverhältnis« sowohl als Beziehung zwischen männlichem und weiblichem Wesen als auch zwischen »Produzent« und »Produkt« aufzufassen, möglich. 15 Vgl. Kapitel (4.1) der vorliegenden Arbeit. 14
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gemeinheit« (ebd.) entstehen kann. Wie kann die Allgemeinheit der Gattung dem Subjekt bewusst werden, wenn dieses doch gerade ausgelöscht wird? Ein Erkenntnisgewinn stände nur den noch lebenden Subjekten offen, die den Prozess des Sterbens beobachten und einen Zusammenhang zur Gattung herstellen könnten. Ihre Perspektive wird aber von Hegel nicht thematisiert. Der Tod ist für Hegel die Geburtstunde des Geistes (EN § 376). Das wirft die Frage auf, warum der Geist nicht schon früher bei der Diskussion des gewaltsamen Todes eingeführt wird (EN § 368). Hegel betont, dass der Tod ein »Sterben aus sich selbst heraus« sein muss, um zu verdeutlichen, dass das Subjekt aufgrund seiner »Einzelnheit« daran zugrunde geht, die Gattung nicht adäquat repräsentieren zu können. Dieses Argument ist jedoch nicht überzeugend. Warum sollte die »Machtdemonstration« der Gattung beziehungsweise die Ohnmachtserfahrung des einzelnen Lebewesens, seinen Tod nicht aufhalten zu können, zu einer »für sich seienden Einheit« führen? Warum sollte nicht auch der »natürliche« Tod einem zufälligen Schicksalsschlag gleichen, welcher dem Subjekt schlicht passiert, so wie auch der Angriff eines anderen Tieres ihm zu seinem Unglück einfach geschieht? Die Zufälligkeit des Todes kann nur dann aufgehoben werden, wenn in dem Gattungsprozess eine Regelmäßigkeit oder ein Gesetz erblickt wird. Hier stellt sich allerdings die Frage erneut, wer hier blickt. Das tote Subjekt kann den Zusammenhang trivialerweise nicht mehr erkennen, und andere Subjekte bleiben an dieser Stelle unerwähnt. Welche Instanz wird sich aber dann der Einheit von »Allgemeinheit« und »Einzelnheit« als subjektiver Einheit gewahr? Diese Frage bleibt unbeantwortet. Die begriffliche Genese des Geistes in der Naturphilosophie ist im letzten Argumentationsschritt zur Geistphilosophie nicht evident. 3.1.5 »Wahrheit« und »Voraussetzung« Zu Beginn der enzyklopädischen Philosophie des Geistes stellt Hegel die Konzeption von Geist und Natur in ein begriffliches Verhältnis von Negation und Wahrheit. Geistige Wesen negieren die Natur, indem sie schrittweise die Unmittelbarkeit der Natur, etwas Gegebenes zu sein, überwinden. 16 Sie leisten dies, indem sie das Vorgefundene Hegel versteht unter »Geist« eine »Tätigkeit« und nicht etwa ein »Ding«. Diese Tätigkeit besteht im »Setzen der Natur als seiner Welt« (EG § 384).
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zu ihrer Bestimmung machen (EG § 386). Die Befreiung von der Natur bedeutet demnach nicht ein Verlassen der Natur, sondern ein selbstbestimmter Umgang mit derselben. Geistige Wesen emanzipieren sich von dem Bestimmtsein durch die Natur, indem sie jene zu ihrem Objekt machen. Diese schrittweise Emanzipation nennt Hegel »Bildung«. Die These in Hegels Theorie des Geistes, dass sich geistige Wesen zur Freiheit (als vernünftige Selbstbestimmung) erst sukzessive fortbilden müssen, geht nicht auf empirische Beobachtungen der kognitiven Entwicklung des Menschen zurück. Es ist konzeptuell erforderlich, dass der Begriff des freien Geistes sich als Resultat eines Selbstbestimmungsprozesses herausstellt: »[D]ie wirkliche Freiheit ist also nicht etwas unmittelbar im Geist Seiendes, sondern etwas durch seine Tätigkeit Hervorzubringendes« (EG § 382 Z, S. 27). Geistige Wesen emanzipieren sich von der Natur, indem sie sich Distanz zu dem Gegebenen schaffen. Die Möglichkeit des Tiers, eine praktische und kognitive Haltung – und damit Abstand – gegenüber anderen zu gewinnen, wurde bereits in der Naturphilosophie erörtert. Diese Distanzierungsfähigkeit wird von Hegel in der enzyklopädischen Geistphilosophie weiter erläutert. In der Anthropologie zeigt Hegel, wie beseelte Wesen (welche zwar eine Seele, aber noch kein Bewusstsein haben) sich von ihrer ersten, natürlichen Äußerlichkeit, ihrem Körper, distanzieren und diesen dann wieder durch Gewohnheitsleistungen in Besitz nehmen können. Dass die Bewältigung des Natürlichen bereits beim eigenen Körper anfängt, führt bei geistigen Wesen zu einer Spannung, die sie aushalten müssen – und können: Geist »kann die Negation seiner individuellen Unmittelbarkeit, den unendlichen Schmerz ertragen, d. i. in dieser Negativität affirmativ sich erhalten und identisch für sich sein« (EG § 382).
Die Emanzipation geistiger Wesen ist jedoch keine einseitige Loslösung von der Natur. In einer aus Sicht heutiger Forschung problematischen Weise erörtert Hegel Umwelteinflüsse auf die Mentalität von Völkern und auf die Dispositionen und Charaktere von Subjekten (EG § 392; VPG, 187 ff.). Diese Einflüsse sind zur Verteidigung Hegels nicht in einem kausalen Sinne zu verstehen. So hält Hegel fest: »Beim Menschen verlieren dergleichen Zusammenhänge um so mehr an Bedeutung, je gebildeter er und je mehr damit sein ganzer Zustand auf freie geistige Grundlage gestellt ist.« (EG § 392 A) A
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Mit einem analogen Argument widersetzt er sich auch rassistischen Argumenten. 17 Hegel kritisiert kausale Erklärungen sowohl für den Bereich des Geistes als auch für die organische Natur bereits in der Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Wesen 18 (1813). Im Zusammenhang mit dem »Kausalitätsverhältnis« bringt Hegel den Einwand vor, dass eine »Anwendung des Kausalitätsverhältnisses auf Verhältnisse des physisch-organischen und des geistigen Lebens« nicht erfolgen darf (WL, 199 f.). Hegel begründet diese Einschränkung damit, dass hier nicht mehr der Kausalitätssatz gilt, die Wirkung enthalte nichts, was nicht bereits die Ursache enthält (WL, 197). Denn der lebendige Organismus kann die auf ihn einwirkenden Einflüsse »selbständig bestimm[en], veränder[n] und verwandel[n]« (WL, 200). Die Konzeption des Geistes widerspricht grundsätzlich dem Modell der Kausalität, weil er die Tätigkeit der Selbstbestimmung ist und weil die Möglichkeit der Selbstursache im Kausalitätsmodell nicht berücksichtigt wird. 19 Das jonische Klima kann nicht »Ursache« der Homerischen Werke sein, und der Ehrgeiz Cäsars nicht »Ursache« für den Untergang Roms – so Hegels Beispiele –, da das Geistige nicht von natürlichen Gegebenheiten und Umständen abhängig ist. Die Ablehnung kausaler Erklärungen im Bereich des Geistigen ist für Hegels Auffassung des Geschlechterverhältnisses in der Familie bedeutsam. 20 Die »sittliche Bedeutung« der Geschlechter kann demnach nicht durch die biologischen Geschlechtsmerkmale kausal verursacht werden. Hier gilt ebenfalls die These, dass Mann und Frau als geistige Wesen die vermeintliche Ursache ihrer sozialen Rollen, den Körper, »selbständig bestimmen, verändern und verwandeln« können. In Anbetracht von Hegels Ablehnung von Kausalerklärungen für den Geist ist sein Vorgehen in der Anthropologie, seelische Funk»Aus der Abstammung kann […] kein Grund für die Berechtigung und Nichtberechtigung der Menschen zur Freiheit und zur Herrschaft geschöpft werden. Der Mensch ist an sich vernünftig; darin liegt die Möglichkeit der Gleichheit aller Menschen« (EG § 393 Z). Ob Hegel diese anti-rassistische Position in seiner Philosophie konsequent durchführt, ist allerdings fraglich. 18 (Hegel 1992). Im Folgenden mit »Wesenslogik« abgekürzt. 19 Bereits für biologische Vorgänge von Organismen lehnt Hegel das Kausalitätsmodell als Erklärung dieser Vorgänge ab. Nach seinem Verständnis »verursachen« Kälte und Nässe keine Fieberkrankheit, und Nahrung »verursacht« keine Blutbildung. 20 Vgl. dazu Kapitel (4.1) der vorliegenden Arbeit. 17
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tionen an den Formen ihrer Verleiblichung zu diskutieren, vorrangig im Kontext seiner Kritik am Dualismus zwischen Geist und Natur zu verstehen. Er betont, dass die Befreiung geistiger Wesen von der Natur graduell verläuft und die Möglichkeit besteht, dass natürliche Bestimmungen in veränderter Form als Selbstbestimmungen von geistigen Wesen wieder auftreten können. Gerade mit Blick auf den Körper und auf die heutigen Möglichkeiten der plastischen Chirurgie stellt sich die Frage nach der faktischen Gegebenheit des Körpers neu. Die Akzeptanz eines Körpers ist nicht das Sichbeugen gegenüber Naturbestimmungen, sondern sie trägt einen willentlichen, affirmativen Zug, Naturbestimmungen zu Selbstbestimmungen zu machen. Das Argument vom selbstbestimmten Umgang mit natürlichen »Vorgaben« ist für Hegels Gestaltung der Institution Familie entscheidend. Zwar können Natürlichkeiten, die in der Familie präsent sind, nicht bestimmte Strukturen oder normative Implikationen familialer Rollen kausal verursachen. Jedoch kann es als ein Zeichen der Selbstbestimmungsfähigkeit geistiger Wesen gewertet werden, wenn sie sich Natürlichkeiten als ihre Bestimmungen aneignen. Mit diesem Punkt werden die weiteren Charakterisierungen des Geist-Natur-Verhältnisses aufgegriffen: Natur ist die Voraussetzung von Geist, und Geist ist die Wahrheit der Natur. »Der Geist hat für uns die Natur zu seiner Voraussetzung, deren Wahrheit und absolut Erstes er ist« (EG § 381). Und später heißt es: »Der Geist ist als die Wahrheit der Natur geworden« (EG § 388). 21 Zunächst fällt in diesen Zitaten eine zirkuläre Struktur von Geist und Natur auf. Obwohl im enzyklopädischen Systemaufbau die Konzeption der Natur vor der Konzeption des Geistes eingeführt wird, ist Geist das »absolut Erste« der Natur (EG § 381). Der Übergang von der Natur zum Geist kann aufgrund dieser Zirkularität keinen Wechsel der Ontologie bedeuten. Geistige Wesen bleiben auch natürliche Wesen mit Körper und Trieben. Dagegen unterscheiden sich geistige von rein natürlichen Wesen in ihrer kognitiven und praktischen Zugangsweise zur Welt. Die »natürliche«, also unmittelbare Subjektivität der Tiere (EN § 358) äußert sich in einer rudimentären Form der Selbstbeziehung (Selbstgefühl) und als punktuelle Empfindung des Tiers im Anderen (Begattung). Dagegen können geistige Wesen ein Wissen über sich generieren und sind in intersubjektiven Anerkennungsverhältnissen – zum Vgl. auch am Ende der Naturphilosophie: »Die Natur ist damit in ihre Wahrheit übergegangen« (EG § 376).
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Beispiel im Familienleben – in der Lage, im Anderen bei sich selbst und dadurch frei zu sein. 22 Die Natur liefert aber weiterhin das Material für geistige Wesen und ist insofern deren »Voraussetzung«. Als Voraussetzung wird die Natur aus der Perspektive geistiger Wesen wahrgenommen, das heißt »für uns«, die »wir uns« gegenüber diesen materialen Voraussetzungen verhalten (EG § 381). Eine Kontingenz des Natürlichen bleibt hiermit für das geistige Wesen bestehen. (Mit welchem Körper man geboren wird, kann man nicht bestimmen.) Auch gelingt die Befreiung von der Natur beziehungsweise von deren Unmittelbarkeit endlichen Wesen nur in beschränkter Weise. So kann ein geistiges, endliches Wesen nicht durch seinen Willen die Naturgesetze außer Kraft setzen. Ein solches Wollen wäre auch nicht vernünftig, weil es erstens ein hoffnungsloses Unterfangen wäre und zweitens die Naturgesetze ein Ausdruck der Rationalität sind, derer die Natur fähig ist. Der selbstbestimmte Umgang mit der Natur kann für endliche Wesen weder in einer vollständigen Beherrschung noch in einem Verlassen der Natur resultieren. Damit ist geklärt, warum die Natur für geistige Wesen eine Voraussetzung bleibt. Was aber macht in Hegels System die Natur unwahr? Zwei Gründe können für die »Unwahrheit der Natur« angeführt werden. Erstens ist die Konzeption der Natur aufgrund einer »Schwäche des Begriffs« (EN § 368 A) unwahr. Diese konzeptuelle Schwäche besteht darin, dass die Natur nicht durchgängig vernünftig strukturiert, sondern durch das raum-zeitliche Auseinander gekennzeichnet ist. »Wir wissen, daß das Natürliche räumlich und zeitlich ist, daß in der Natur Dieses neben Diesem besteht, Dieses nach Diesem folgt« (EG § 381 Z). Damit fehlt es in der Konzeption der Natur an einem inneren Zusammenhang. Dieser Zusammengang kann erst, wie in den vorhergehenden Abschnitten gezeigt wurde, durch die Binnenperspektive eines Subjekts hergestellt werden. Die konzeptuelle »Schwäche« der Natur bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass die Natur gänzlich arbiträr und amorph ist. So spiegeln Naturgesetze und organische Organisationsformen Vernünftigkeit wider, allerdings aufgrund des raum-zeitlichen Auseinanders in eingeschränkter Weise. Zweitens sind Versuche geistige Wesen naturalistisch zu beschreiben erfolglos. Es gibt – um eine These Robert Brandoms heranZur Liebe als eine Form der intersubjektiven Anerkennung vgl. Kapitel (5.2) der vorliegenden Arbeit.
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Wider eine »essentialistische« Argumentationsstrategie
zuziehen – Wesen, die Geschichte und nicht Natur haben. 23 Das Leben geistiger Wesen spult sich nicht gemäß einem biologischen Programm ab. Vielmehr konstituieren erst Biographie und Selbstverständnis die Identität geistiger Wesen. Entsprechend muss eine Beschreibung geistiger Wesen deren Binnenperspektive und Selbstverständnis einfangen können. Mit naturalistischen Kategorien kann die Subjektivität geistiger Wesen dagegen nicht erfasst werden. 24
3.2 Wider eine »essentialistische« Argumentationsstrategie Das Verständnis dessen, was geistige Lebewesen sind, erschließt sich nicht aus naturalistischen Beschreibungsweisen. Der Hinweis auf körperlich-physische Gegebenheiten höherer animalischer Organismen erhellt und erklärt deren entstehenden Geistcharakter nicht. Erst wo das Feld der natürlichen Unmittelbarkeit verlassen und die Aufmerksamkeit auf das beginnende Selbstverhältnis dieser Tiere gelenkt wird, wird deren Subjektivität sichtbar, die sich vor allem in einem Sich-zur-Natur-ins-Verhältnis-Setzen ausdrückt. Die Distanz zur Natur, und nicht das Ineinsfallen mit deren Bestimmungen, bilden den Anfang des Geistes. Bewusstwerden und Freiwerden sind dabei zwei Stränge, die in einer Entwicklung – der Genese des Geistes – zusammenlaufen. Was für die Beschreibungsweise von Geistigkeit, Freiheit und Bewusstsein zutrifft, gilt auch für deren Begründungszusammenhang. Der Mensch ist nicht ein autonomes Subjekt allein aufgrund dieser oder jener physiologischen Eigenschaft, und er hat nicht Bewusstsein allein wegen dieser oder jener körperlichen Ausstattung. Sicherlich spielt die physiologische Basis des Menschen eine Rolle für das Vorhandensein und die Entfaltung seiner geistigen Fähigkeiten. Hegel erinnert daran, dass der Geist die Natur zu seiner »VoVgl. (Brandom 1979, 195) Fußnote 15. Damit ist eine Inkommensurabilität zwischen einer naturalistischen und einer die Binnenperspektive des Subjekts mit einbindenden Beschreibungsweise konstatiert. Jedoch ist noch nicht die »qualitative Rangfolge« zwischen Natur und Geist erklärt, dass nämlich die Konzeption des Geistes die Wahrheit der Konzeption der Natur ist. Die Frage, ob Hegel es als Fortschritt sieht, dass geistige Wesen im Unterschied zu Steinen, Blumen und Regen ein Wissen über sich erlangen und selbstbestimmt handeln können und dass geistige Wesen ein Wissen über die Natur erwerben, während die Natur kein Wissen über geistige Wesen generiert, kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht beantwortet werden.
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raussetzung« hat. Aber eine »Voraussetzung« liefert eben keinen Grund, warum höhere animalische Organismen Geistigkeit generieren. Dieser Grund bleibt letztlich im Verborgenen, und auch als begriffliche Entwicklung betrachtet ist der Übergang von Natur- zur Geistphilosophie nicht völlig evident. 25 Alternativ könnte die These aufgestellt werden, der Mensch sei ein geistiges Lebewesen, weil Geistigkeit seine Essenz ausmache. Es gehöre nun mal zur »Wesensnatur« des Menschen, frei und (selbst)bewusst zu sein, und dieser Hinweis genüge, um dem Menschen begründetermaßen Freiheit und (Selbst-)Bewusstsein zuzusprechen. Unabhängig davon, ob »Essenz« apriorisch (zu allen Zeiten und an allen Orten unveränderlich) oder aposteriorisch (kulturell und historisch wandelbar) gedacht wird, lehnt Hegel eine solche essentialistische Begründung ab. 26 Dies bedeutet nicht, dass Hegel nicht auch (aposteriorische) Vorstellungen über das Wesen des Menschen – und über die unterschiedlichen Wesensnaturen von Mann und Frau – entwickelt. 27 Jedoch können aus diesen Wesensnaturen keine begründeten Rückschlüsse auf den Geistcharakter des Menschen gezogen werden. 28 Aus welchen Gründen Hegel einer essentialistische Argumentation skeptisch gegenübersteht, wird im Folgenden erörtert. Dass Hegel schlussendlich seiner eigenen Argumentationsstrategie untreu wird, wenn er die soziale und politische Stellung der Frau in der Gesellschaft darstellt, wird in den Kapiteln (4.1) und (5.2) ausgeführt und soll hier noch nicht behandelt werden. Hegel greift das Thema »Wesensnatur des Menschen« im Zusammenhang mit dem Thema Sklaverei auf, deren Ablehnung er in zwei Schritten entwickelt. Der zweite Schritt wird für die Widerlegung der Gültigkeit einer essentialistischen Argumentationsweise entscheidend sein. In R § 57 A schreibt Hegel: »Die behauptete Berechtigung der Sklaverei (in allen ihren näheren Begründungen durch die physische Gewalt, Kriegsgefangenschaft, Rettung und Erhaltung des Lebens, Ernährung, Erziehung, Wohltaten, eigene Einwilligung usf.) […] und alle historische Ansicht über das Recht der Sklaverei […] beruht auf dem Standpunkt, den Menschen als Naturwesen überhaupt nach Vgl. Unterkapitel (3.1). Vgl. dazu auch (Pinkard 1994 a, 273 und 296 f.). 27 Vgl. Unterkapitel (4.1). 28 Vgl dazu Joachim Ritter, der Hegels Ablehnung gegenüber Naturrechtslehren, welche die Freiheit aus der Natur des Menschen ableiten wollen, erwähnt in (Ritter 1997, 60) Fußnote 6. 25 26
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Wider eine »essentialistische« Argumentationsstrategie
einer Existenz (wozu auch die Willkür gehört) zu nehmen, die seinem Begriffe nicht angemessen ist.«
Die Berechtigung der Sklaverei kann in einem ersten Schritt durch die These problematisiert werden, dass hierbei Tatsachen mit Rechtfertigungsgründen verwechselt werden. Nicht die faktische Überlegenheit der Gegnerin, der vorhandene Selbsterhaltungstrieb oder die historisch gewachsenen Vorurteile gegenüber bestimmten ethnischen Gruppen rechtfertigen die Sklaverei, sondern die implizit gemachte Annahme, warum diese Tatsachen normativ relevant sein sollen und es damit kein Unrecht ist, einem Menschen seine Freiheit zu nehmen. Die Stichhaltigkeit dieser Annahme muss aber zur Disposition gestellt werden. Hegel bringt den Einwand vor, dass Argumente für die Legitimität von Sklaverei auf der falschen Prämisse beruhen, der Mensch sei primär ein »Naturwesen«, ein animalischer Organismus, dessen Lebenserhaltung die Sklaverei nicht tangiert, sondern – mit Blick auf den Verzicht der Tötung des Kriegsfeinds – gerade gewährleistet. Es ist danach kein Unrecht, dem Menschen die Freiheit zu nehmen oder deren Ausbildung zu verweigern, weil der Mensch auf seine Selbstbestimmung verzichten kann, auf körperliche Unversehrtheit und Ernährung allerdings nicht. Mit dieser Auffassung, so Hegel, verkennen die Verfechter der Sklaverei jedoch das Wesen des Menschen, beziehungsweise seinen »Begriff«, und sehen fälschlicherweise in der natur- und bedürfnisgebundenen Existenzweise des Menschen seine essentielle, »begriffliche« Bestimmung. Derselbe Vorwurf trifft auch denjenigen, der sich in Sklaverei begibt. Für Hegel ist die »Einwilligung« zur Versklavung keine Rechtfertigung der Sklaverei, weil der sich Versklavende aus einer falschen Bewusstseinslage heraus handelt und an einem defizitären Selbstverständnis leidet, wie Hegel in R § 21 A festhält: »Der Sklave weiß nicht sein Wesen, seine Unendlichkeit, die Freiheit, er weiß sich nicht als Wesen, – und er weiß sich so nicht, das ist, er denkt sich nicht.« Weil der Mensch, der sich versklavt, darin versagt, sich adäquat als das zu erfassen, was er ist – ein freies, sich selbst bestimmendes Wesen –, trägt der Sklave sogar selbst Verantwortung für seine Unfreiheit (R § 57 Z). Seine eigentliche Unfreiheit besteht nicht darin, von Anderen versklavt zu werden, sondern darin, dass er zulässt, in einen Zustand zu kommen, den er nicht als Ausdruck seiner Selbstbestimmung begreifen kann. 29 Als Sklave fällt er auf die Existenzstu29
Zu Hegels Freiheitstheorie vgl. Kapitel (2.2.2) der vorliegenden Arbeit. A
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Begründungsgrenzen der Natur
fe eines Naturwesens zurück, welches durch Anderes fremdbestimmt wird, anstatt sich selbst zu bestimmen. Offensichtlich knüpft Hegel hiermit an die Darstellung des Kampfes zwischen Herr und Knecht in der Phänomenologie an (PhG 130–132). 30 Der Herr stellt sein Selbstbewusstsein und seine Selbständigkeit unter Beweis, indem er durch seine anhaltende Kampfbereitschaft demonstriert, dass ihm das Leben, seine »natürliche Existenz«, das Unwesentliche ist. Wenn diese Auslegung von Hegels Einwand gegen die Sklaverei zutrifft, dann liegt es nahe, ihm eine essentialistische Argumentationsstrategie zuzuschreiben (die zu kritisieren ich ihm eingangs unterstellt habe). Dieser Argumentation zufolge gehöre es zum Wesen des Menschen, frei zu sein, und unter der Annahme, dass Wesenseigenschaften des Menschen weder durch andere noch durch einen selbst verletzt werden dürfen, sei Sklaverei ein Unrecht. Hegel scheint die Folgerung auf eine solche essentialistische Argumentation antizipiert zu haben, denn er fährt in R § 57 A fort: »Die Behauptung des absoluten Unrechts der Sklaverei hingegen hält am Begriffe des Menschen als Geistes, als des an sich freien, fest und ist einseitig darin, daß sie den Menschen als von Natur frei oder, was dasselbe ist, den Begriff als solchen in seiner Unmittelbarkeit, nicht die Idee, als das Wahre nimmt.«
Hegel spricht sich in diesem zweiten Argumentationsschritt nicht gegen die Auffassung aus, dass der Mensch frei ist, sondern er problematisiert, wie diese Freiheit konzeptualisiert werden kann. Freiheit im Sinne einer schrittweisen Befreiung von unmittelbar gegebenen Naturbestimmungen und deren Aneignung in Form von Selbstbestimmungen wird mit dem Hinweis auf etwas Gegebenes und damit Unmittelbares nicht begrifflich adäquat eingefangen – und sei dies auch in der Vorstellung einer Essenz. Dieses Missverständnis, den Geist als Resultat eines Bildungsprozesses zu verkennen, tritt in der Antike in der Auffassung der Römer und Griechen deutlich zu Tage, nach der ein Mensch nur dann frei ist, »wenn er als ein Freier geboren war«, und Freiheit somit in der »Bestimmung der Natürlichkeit«, des Unmittelbaren und Gegebenen, gedacht wird (EG § 433 Z). In der Moderne hält Hegel eine Erinnerung an die nicht-naturalistisch/essentialistisch verfasste Konzeption der Freiheit offensichtlich noch für nötig. 30
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Vgl. dazu Kapitel (1.2) und (5.2) der vorliegenden Arbeit.
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Konsequenzen für die Familienkonzeption
3.3 Konsequenzen für die Familienkonzeption Vor dem Hintergrund, dass weder eine naturalistische Beschreibungs- noch Begründungsweise für Geist, Freiheit und (Selbst-)Bewusstsein für Hegel Bestand haben, erstaunt es nicht, dass er sich im Familienabschnitt der Grundlinien mit deutlichen Worten gegen die Auffassung ausspricht, die Ehe sei eine Gemeinschaft, deren Struktur im Rekurs auf natürliche Eigenschaften, Begebenheiten und Prozesse beschrieben und begründet werden könnte: 31 »Wenn man die Ehe selbst als nicht im Naturrecht, sondern bloß als im natürlichen Geschlechtstrieb gegründet und als einen willkürlichen Vertrag betrachtet, ebenso, wenn man für die Monogamie äußere Gründe sogar aus dem physischen Verhältnisse der Anzahl der Männer und Weiber, ebenso für das Verbot der Ehe unter Blutsverwandten nur dunkle Gefühle angegeben hat: so lag dabei die gewöhnliche Vorstellung von einem Naturzustande und einer Natürlichkeit des Rechts und der Mangel am Begriffe der Vernünftigkeit und Freiheit zum Grunde.« (R § 168 A)
Das »Naturrecht«, welches Hegel als die angemessene Grundlage für die Ehe hervorhebt, soll keine Betrachtung der Familie »nach der physischen Seite hin« (R § 161 Z) umfassen und auch kein Recht bezeichnen, welches in der Form der »unmittelbare[n] Naturweise« vorhanden wäre (EG § 502). Stattdessen geht es Hegel mit dem »Naturrecht« um die »Natur der Sache« selbst, das heißt um die Konzeption des Rechts und seine Verwirklichung. Entsprechend können die Bestimmungen des Rechts – beziehungsweise die Bestimmungen der
In der Hegelliteratur haben vor allem Joan Landes, Terry Pinkard und Robert Pippin auf den Umstand aufmerksam gemacht, dass bei Hegel die Familie keine natürliche Gemeinschaft sondern eine sittlich-gesellschaftliche Institution ist. Vgl. (Landes 1982, 132), (Pinkard 1994, 305), (Pippin 2000 a, 166). Joan Landes nimmt für ihren Artikel Hegel’s Conception of the Family zum Ausgangspunkt, dass Individualität bei Hegel nicht losgelöst von Sozialität gedacht werden kann (Landes 1982). Darüber hinaus erarbeitet sie Verbindungen, die zwischen den Institutionen von Staat, »bürgerlicher Gesellschaft« und Familie bestehen und über Eigentum und sozial kompensierende Funktionen der Familie hergestellt werden (ebd., 125, 127, 143). Aus der institutionellen Verflechtung zieht sie den Schluss, dass Hegel keine rigorose Trennung privater und öffentlicher Bereiche verfolgt. Mit dieser Überlegung bestätigt sie Jean B. Elshtain, die in ihrer systematischen Studie zur Idee der Öffentlichkeit und Privatheit in der Geschichte der politischen Philosophie für Hegels Rechtsphilosophie keinen »public/private split« konstatierte (Elshtain 1981, 176). Zur Unterscheidung von Öffentlichkeit und Privatheit bei Hegel siehe auch (Brauer 2005).
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Begründungsgrenzen der Natur
Familie als eine Form des Rechts 32 – nur »Selbstbestimmungen«, nicht aber »Naturbestimmungen« umfassen (ebd.). Die Berufung auf »Naturbestimmungen« für die Legitimation einer bestimmten institutionellen Ordnung der Familie ist unangemessen, weil eine solche Berufung der freien Handlungsfähigkeit der Subjekte widerspricht. Der Modus der »Naturbestimmungen« – ihre »Unmittelbarkeit« – disqualifiziert sie für Rechtfertigungsvorhaben. Diese Einschränkung trifft nicht nur auf die biologische Natur zu, sondern auch auf die Natur im übertragenen Sinne als das Wesen des Menschen. Weil beide Verwendungsweisen des Naturbegriffs auf etwas unmittelbar Gegebenes Bezug nehmen, verletzen sie, wenn sie ohne weitere Begründung als Grund für bestimmte Handlungen, Überzeugungen und Einstellungen eingesetzt werden, die Forderung nach Selbstbestimmung für die sittliche Institution der Familie. Gleichwohl können Gründe vielfältiger Art – physiologische, psychologische, genetische, geschichtliche, kulturelle, ökonomische oder soziale Gründe – erklären, warum sich bestimmte Familienstrukturen mit der Zeit herausgebildet haben oder warum den Frauen traditionell der reproduktive Arbeitsbereich in der Familie, den Männern aber der produktive, außerfamiliale Arbeitsbereich gesellschaftlich zugeteilt wurde. Einer dieser Erklärungsgründe ist das kulturelle Verständnis von der Natur des Mannes und der Frau, welches zu einer bestimmten Zeit und in einer bestimmten Gesellschaft vorherrscht.33 Diese Gründe können zwar die soziale, politische und ökonomische Situation von Frauen und Männern oder der Familie in ihrer historisch-kulturellen Dimension verständlich machen. Als vernünftig rechtfertigen sie diese Situation aber nicht. Die normative Frage, ob es stichhaltige Gründe gibt, eine bestimmte Familienform und Arbeitsteilung für vernünftig zu halten, stellt sich auch nach der Feststellung, welche Familienform und Arbeitsteilung sich historisch durchgesetzt hat, weiterhin. Hegels anti-dualistischer Grundannahme von Natur und Geist folgend, sollen die in der Familie gleichwohl vorhandenen Natürlichkeiten nicht geleugnet werden. In Analogie zur Genese des Geistes aus der Natur tragen die natürlichen Prozesse und Eigenschaften der Familie – Gefühl, Reproduktion, Geschlecht, Triebe und Tod – Zum Rechtsbegriff vgl. Kapitel (2.2.1) der vorliegenden Arbeit. Zu Hegels Konzeption der Geschlechter und ihrer vermeintlichen Natürlichkeit vgl. Kapitel (4.1) der vorliegenden Arbeit.
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Konsequenzen für die Familienkonzeption
zum Entstehen der Sittlichkeit bei. Die Verknüpfung von Natur und Sittlichkeit in der Familie – so die These der vorliegenden Arbeit – gelingt Hegel auf folgende Weise: Der Übergang zum Geist besteht in einer Befreiung von der Unmittelbarkeit der Natur und ihren Zufälligkeiten sowie einer souveränen Aneignung und Anverwandlung derselben. Geistige Wesen lernen, selbstbestimmt zu sein, indem sie sich von dem natürlich Gegebenen distanzieren und es dann zu ihrer eigenen Bestimmung machen. Dieser Befreiungs- und Lernprozess wird an der enzyklopädischen Schnittstelle von Natur- und Geistphilosophie transparent. Diesen Prozess auch für die Naturseiten der Familie transparent werden zu lassen und zu zeigen, wie Natürlichkeiten normativ in die Familienpraxis eingebunden werden, ist die Aufgabe, die sich für das nächste Kapitel (4) stellt.
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4 Naturseiten der Familie im Übergang
»Die Ehe ist nicht als etwas natürliches [sic!] aufzuweisen, sie ist sittlich.« (Ilting 1974 b, 78)
Begründungsgrenzen der Natur zeigen sich dort, wo versucht wird, biologische Tatsachen, Naturprozesse oder Vorstellungen vom »Wesen« des Menschen als direktes Argument für die Rechtfertigung »geistiger Angelegenheiten« zu gebrauchen. Der Grund für das Scheitern dieser Rechtfertigungsstrategien liegt in Hegels Annahme, dass Geist sich durch vernünftige Selbstbestimmung auszeichnet, die nur durch eine Befreiung von Natur erreicht werden kann. Statt sich durch natürliche Eigenschaften, Entwicklungen oder Begebenheiten determinieren zu lassen, lernt das geistige Wesen, sich von dem ihm Vorgegebenen zu distanzieren, um dieses dann zu seinen eigenen Bestimmungen in seinem Handeln und in seinem Selbstverständnis zu machen, wenn es gute Gründe hat, dies zu tun. Zugleich soll ein Dualismus zwischen Geist und Natur vermieden werden. Natur soll durch geistige Wesen auf vernünftige Weise kultiviert, nicht unterdrückt werden. Die Natur steckt ebenso Grenzen ab, inwieweit sich ein geistiges Wesen vernünftigerweise selbst bestimmen kann. In der Familie müssen sich Menschen als geistige, nicht als natürliche Wesen begegnen, damit die Familie zur Reihe der sittlichen Institutionen gehören kann. Nichtsdestotrotz haben in der Familie natürliche Eigenschaften wie das Geschlecht (Kapitel 4.1), natürliche Prozesse wie die menschliche Reproduktion, Triebe und Tod (Kapitel 4.2) und natürliche Ereignisse wie Gefühle der Liebe (Kapitel 4.3) ihren Platz und ihre Bedeutung. Im diesem Kapitel (4) soll untersucht werden, wie Hegel die Naturseiten der Familie konzipiert und inwiefern er den Annahmen seines Anti-Reduktionismus und AntiDualismus selbst widerspricht. Während die Familie als Bestandteil des »Reich[s] der verwirklichten Freiheit« (R § 4) nicht von Natürlichkeiten determiniert werden darf, dürfen ihre Naturseiten zu106
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Heterosexualität
gleich nicht in der Familie unterdrückt werden. Vielmehr müssen sie auf der Basis von Gründen normativ, das heißt für das Handeln, das Selbstverständnis und die Haltung der Familienmitglieder relevant werden.
4.1 Heterosexualität »Bodily parts are not self-interpreting.« 1
Hegel geht von der Annahme aus, dass es ein männliches und ein weibliches Geschlecht gibt und dass die damit verbundene Geschlechterdifferenz sowohl für die interne Struktur der Familie als auch für die Organisation der sozio-politischen Ordnung, die sich bei Hegel aus den Institutionen Familie, »bürgerlichen Gesellschaft« und Staat zusammensetzt, entscheidend ist. 2 Die biologische Kategorie der Heterosexualität, 3 wie hier die Geschlechterdifferenz genannt werden soll, wird im gesellschaftlichen Bereich normativ relevant, indem bestimmte soziale Rollen entlang der Geschlechterdifferenz verteilt werden. Welche Aktionsfelder und Tätigkeitsweisen Hegel jeweils in der modernen Gesellschaft der Frau und dem Mann zuordnet, ist nicht weiter überraschend. Er folgt seinen philosophischen Vorgängern und hält die Familie für den angemessenen Platz der Frau, während der Mann sein »wirkliches substantielles Leben« (R § 166 A) im (Nussbaum 1999, 269). Zur feministischen Hegelliteratur, die für dieses Unterkapitel relevant ist, vgl. (Annerl 1991), (Annerl 1992), (Butler 2000), (de Boer 2003), (Easton 1987), (Gauthier 1997), (Hutchings 2003), (Irigary 1985), (Irigary 1996), (Mills 1979), (Mills 1987), (Mills 1996 a), (Okin 1982), (Ostner 1990), (Pateman 1996), (Rogers 1999), (Stafford 1997), (Starrett 1996). Der Sammelband von Patricia J. Mills gibt eine gute Auswahl feministischer Hegelinterpretationen (Mills 1996 a). 3 Die Natürlichkeit und Binarität der Geschlechterdifferenz wird zunehmend kritisiert. Vertreterinnen der »queer«-Theorie wie Monique Wittig und Judith Butler ziehen deshalb den Begriff »Heteronormativität« vor, um die sozial-kulturelle Konstruktion der Begrifflichkeiten hervorzuheben. Die Familie ist laut Butler der gesellschaftliche Ort, an dem Heterosexualität als Norm reproduziert wird (Butler 1998). Auch Hegel verwendet die Geschlechterdifferenz im normativen Sinne, obgleich ihre normative Bedeutung aus einer »Transformation« natürlicher Bestimmungen hervorgeht. Um die hegelsche Vorstellungen über die Stellung von Natur und Geist in der sittlichen Institution der Familie zu betonen und die biologischen Konnotationen seines Bildes von Ehemann und Ehefrau nicht zu verwischen, wird in diesem Kapitel der Begriff »Heterosexualität« verwendet. 1 2
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außer-familialen Bereich, das heißt in der »bürgerlichen Gesellschaft« und dem Staat, findet. 4 Angesichts dieser traditionellen Vorstellung der Geschlechterrollen scheint die Kritik bestätigt, dass Hegel in den Grundlinien ein weiteres Exempel statuiert, den Auschluss der Frau aus dem politisch-öffentlichen Bereich philosophisch zu rechtfertigen. 5 Die Historikerin Karen Offen kommt zum Schluss, dass »Hegel succeeded in writing women out of the state« 6 und dass er die »classical notions of the public and the private« 7 als eine gender division weitergeführt hat. 8 Diese Kritik trifft zwar mit Blick auf die konkreten Rollenvorstellungen zu – der Mann ist bourgois und citoyen, während die Frau Ehe- und Hausfrau ist. Jedoch übersieht sie auch innovative Gesichtspunkte von Hegels Geschlechtertheorie, die erst dann erkennbar werden, wenn genauer analysiert wird, warum Hegel Heterosexualität für eine grundlegende Kategorie der sittlichen Institution Familie und der sittlichen Welt insgesamt hält. Im letzten Kapitel (3) wurde erarbeitet, dass Hegel eine naturalistische und essentialistische Reduktion in der Rechtfertigung geistiger Angelegenheiten ausschließt. In analoger Weise ist zu erwarten, dass er die Kategorien von gender und sex 9 ebenfalls in einen Begründungszusammenhang Vgl. (Elshtain 1982), (Okin 1979). Vgl. (Okin 1982, 85) und auch (Annerl 1991). 6 (Offen 2000, 72). 7 (Offen 2000, 90). 8 Jean B. Elshtain und Susan M. Okin untersuchen eingehend die Argumentationsweisen klassischer Denker der politischen Philosophie (unter anderem Hegels) mit Blick auf die Rolle der Frau. Sie legen die Entwicklung einer Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen Bereichen offen, die zu einer politischen Unbedeutsamkeit der Familie führte, welche allein instrumentelle Funktionen für Staat und Gesellschaft zu erfüllen hat. Im Zuge der Verbindung der Frau mit der Familie wird die Frau als Akteurin im politisch-öffentlichen Raum nicht akzeptiert. Vgl. (Elshtain 1981), (Elshtain 1982), (Okin 1979), (Okin 1982). 9 Die Kategorien »sex« und »gender« sind Gegenstand einer intensiven Debatte in der feministischen Philosophie, in den »women studies« wie auch in der »gender«- und »queer«-Theorie. Die ursprünglich auf Simone de Beauvoir zurückgehende Unterscheidung zwischen »sex« als einer biologischen Kategorie und »gender« als einer im sozialkulturell-normativen Diskurs konstruierten Vorstellung von »Weiblichkeit« und »Männlichkeit« wird kritisiert, weil »sex« ebenfalls ein sozial-kulturell-normativer Begriff ist (Rössler 2001 74 f.). Die Historikerin Karin Hausen schlägt aus diesem Grund vor, das Wort »Geschlecht« zu verwenden, das die Aspekte von »gender« und »sex« gleichermaßen umfasst. Um Hegels Anspruch zu rekonstruieren, dass in der sittlichen Institution Familie Natürlichkeiten erst durch eine entsprechende »Transformation« normativ relevant werden können, wird in diesem Kapitel an der Unterscheidung von 4 5
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bringt, der weder auf einen naturalistischen noch auf einen essentialistischen Reduktionismus aufbaut: Weder die »biologische Konstitution« noch die »Wesensnatur« von Mann und Frau können ohne weitere Begründung als Rechtfertigung dienen, ihnen bestimmte soziale Rollen zuzuteilen. Stattdessen vertritt Hegel eine rationalistische Position gegenüber den Geschlechtern im sittlichen Kontext. Sein Bild der bürgerlichen Ehe- und Hausfrau in den Grundlinien ist nicht eine sozialhistorisch kontingente Rollenvorstellung, sondern die sittlich angemessene Lebensform der Frau in der Moderne schlechthin. Zur Begründung dieser These verweist Hegel auf die »Vernünftigkeit« »natürlicher Bestimmtheit« (vgl. R § 165). Diese »Vernünftigkeit« kann nicht in einem direkten Verweis auf natürliche Tatsachen bestehen, sondern im Aufzeigen von Gründen, warum einer natürlichen Gegebenheit in der Familie gerade auf diese Weise normativ Rechnung zu tragen ist (R §§ 165, 166). Die kritische Stoßrichtung von Hegels Familienmodell besteht im Insistieren auf einen Nachweis von Vernünftigkeit der Geschlechterrollen. Sie legt nahe, Hegels Argumentation für die zentrale Stellung der Heterosexualität erneut zu betrachten. Diese Betonung der Heterosexualität in der Rechtsphilosophie ist nicht selbstverständlich. In der Begriffslogik (BL 225– 227), der enzyklopädischen Logik (EL § 220) und der Naturphilosophie (EN § 369) bleibt noch unklar, ob Hegel mit den Begriffen »Geschlechtsverhältnis« und »Geschlechtsdifferenz« auf das unterschiedliche Geschlecht von Mann und Frau verweist oder auf das Verhältnis zwischen Eltern und Kind. Für beide Verhältnisse trifft zu, dass ein Individuum sich im Bezug auf ein anderes Individuum in affirmativer Weise verhalten kann, so dass es sich selbst in diesem Anderen fühlt – und dieses Sich-im-Anderen-Fühlen ist der entscheidende Punkt von Hegels Diskussion des »Geschlechtsverhältnisses«. 10 Die Frage stellt sich, warum die Differenz der beiden Geschlechter in Hegels Darstellung der Sittlichkeit plötzlich an Wichtigkeit gewinnt. Der Aufbau des vorliegenden Kapitels orientiert sich in seinem ersten Teil an den weiblichen Figuren, die Hegel im Familienabschnitt der Grundlinien erwähnt, um herauszuarbeiten, welche Rolle die Frau in der bürgerlichen Familie übernehmen soll (4.1.1). »sex« und »gender« festgehalten. Es kann aber nicht erstaunen, dass Hegel selbst, wie sich zeigen wird, eine Separierung von Natur und Kultur nicht konsequent durchhält. 10 Vgl. Kapitel (3.1.3) der vorliegenden Arbeit. A
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Dabei wird Hegels Argumentation rekonstruiert, die den Ausschluss der Frau aus dem öffentlich-politischen Bereich rechtfertigen soll. Anschließend wird Hegels These untersucht, dass die Geschlechter aufgrund ihrer Vernünftigkeit sittliche Bedeutung haben (4.1.2). Heterosexualität erweist sich nicht nur bei der Zuteilung inner-familialer und anderer gesellschaftlicher Rollen als anleitendes Kriterium, sondern auch mit Blick darauf, dass nach Hegels Verständnis eine Ehe nur zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen werden kann. Hegels Frauenbild führt zu internen Widersprüchen und Inkonsistenzen mit anderen Annahmen seiner Philosophie, die trotz verschiedener Rettungsversuche von Hegels Familienmodell weiterhin bestehen und seine Glaubwürdigkeit beeinträchtigen (4.1.3). Im Fazit wird das kritische Potential von Hegels Rationalismus gegen die Schwächen seiner inhaltlich konkreten Vorstellung von Mann und Frau abgewogen (4.1.4). 4.1.1 Die Rolle der Frau in der bürgerlichen Familie Vertreterinnen feministischer Theorien haben Hegels Versuch, Identität und Differenz in dialektischer Weise zusammenzudenken, begrüßt, seine diskriminierende Darstellung von Frauen dagegen stark kritisiert. 11 In diesem Abschnitt wird Hegels Bild der Frau in den Grundlinien untersucht und dargelegt, wie er die Rolle der bürgerlichen Ehe- und Hausfrau in Verbindung und Abgrenzung zu anderen weiblichen Figuren definiert. Hegels Vorstellung über die angemessene Stellung der Frau in der modernen Gesellschaft hat politische Implikationen. Er argumentiert für eine Exklusion der Frau aus dem politisch-öffentlichen Bereich mit Hilfe eines Analogieschlusses: Weil die Frau ihren angestammten Platz in der Familie hat und weil die Familie durch ihre Partikularität eine Gefahr für den Staat dar-
Patricia Mills hebt hervor, dass »Hegel’s philosophy is significant because the Hegelian problem of the relation between identity and difference that is central to his phenomenology is at the heart of feminist projects to create a free and equal society. That is, Hegel articulates the fundamental problem of contemporary society with which feminists are concerned even though his analysis fails« (Mills 1996 b, 84). Für eine ausgewählte Übersicht über feministische Strömungen in der Hegelforschung vgl. (Stafford 1997). Für eine Diskussion feministischer Ansätze in der Hegelforschung vgl. ebenfalls (Easton 1987), (Gauthier 1997), (Hutchings 2003), (Neuhäuser 1994, 26–39). Für eine Auswahl von Artikeln feministischer Hegelforscherinnen (Mills 1996 a).
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stellt, wenn sie in ihrem Wirkungskreis nicht eingeschränkt wird, stellt auch die Hüterin familialer Sittlichkeit, die Frau, eine Gefahr für den Staat dar, was ihren Ausschluss aus dem öffentlich-politischen Raum notwendig macht. Da Hegel für eine Trennung familialer und nicht-familialer Bereiche entlang der Geschlechterdifferenz argumentiert, zeigt er angesichts der historischen Emanzipationsbewegungen der Frauen im 18. und frühen 19. Jahrhundert eine reaktionäre Haltung gegenüber Frauen. 12 4.1.1.1 »Venus vaga« »Venus vaga« heißt die erste weibliche Figur, die der Leserschaft im Familienabschnitt begegnet. Sie wird in einer Randbemerkung des Paragaphen 161 eingeführt, in welchem Hegel das Verhältnis zwischen der körperlich-sinnlichen und der geistigen Seite der Liebe behandelt. 13 In diesem Paragraphen spricht Hegel die Notwendigkeit einer sittlichen »Transformation« natürlicher Bestimmtheiten für die Familie an. Indem er die Figur der »Venus vaga«, der vagabundierenden Göttin der Liebe, mit dem »bloß physikalische[n], natürliche[n], tierische[n] Geschlechtstrieb« (ebd.) assoziiert, betont er die Unterscheidung von Geschlechtstrieb und »sittlicher Liebe«. Ersterer kann zwar zu einer natürlichen Einheit zweier Menschen als Gattungswesen führen, nicht aber zu einer »sittlichen Gemeinschaft«. Denn die natürliche Einheit ist instabil, flüchtig und nicht selbstbestimmt, sondern durch Triebe (fremd)bestimmt und daher als ein Vorbild für die Ehe ungeeignet. Die Figur der »Venus vaga« vereint diese Merkmale der Flüchtigkeit, Leidenschaft und Instabilität in sich und stellt damit ein Gegenbild zur bürgerlichen Ehefrau dar. Warum bedarf es aber dieses Kontrastes? Hegel muss vermeiden, dass natürliche Merkmale, die das bürgerliche Familienleben potentiell korrumpieren könnten, die Gestaltung der Familienrollen beinflussen könnten. Das freie Ausleben sexueller Begierden würde beispielsweise die Monogamie der Eheinstitution (R § 167) gefährden, die Hegel aus Gleichheitsüberlegungen heraus für wichtig hält. 14 Mit der Figur der »Venus vaga« führt er auf negative Weise ein Handlungsprinzip für die Frau ein, nämlich monogam zu leben. Dass gerade die Frau Hegel greift nicht bloß den »Geist seiner Zeit« auf, weil nach Seyla Benhabib seine Zeit auch von revolutionärem Gedankengut geprägt war (Benhabib 1992, 250). 13 Vgl. dazu Kapitel (4.3) und (5.2) der vorliegenden Arbeit. 14 Vgl. Kapitel (5.2.4) der vorliegenden Arbeit. 12
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einer solchen Ermahnung bedarf, so die Mutmaßung, könnte daran liegen, dass Hegel sie enger an ihre Natürlichkeit als Gattungswesen gebunden sieht als den Mann. 4.1.1.2 »Lucinde« Lucinde, eine Protagonistin des gleichnamigen Romans von Friedrich Schlegel aus dem Jahr 1799, ist die nächste weibliche Figur, auf die die Leserschaft der Grundlinien stößt. Ihre Erwähnung steht im Kontext von Hegels Kritik an der schlegelsch-romantischen Konzeption der Liebe als einem alles umfassenden Gefühl der Leidenschaft. 15 Hegel wirft Schlegel vor, in Lucinde eine »romantische Abwertung der Ehe« (Ilting 1974 b, 436) vorgenommen zu haben. 16 Tatsächlich fordert Schlegel bürgerliche Moralvorstellungen und Sichtweisen auf Frau, Ehe und Liebe seiner Zeit heraus. 17 Lucinde ist eine reife Frau, die eine Affäre mit dem jüngeren und bereits verheirateten Julius eingeht. Zum Empören der bürgerlichen Leserschaft beschreibt Schlegel Liebesszenen en détail. Die zahlreichen kritischen Bemerkungen über Lucinde können mit Wilhelm Diltheys Worten zusammengefasst werden, der Roman zeuge von einer »schamlose[n] Sinnlichkeit« und sei »ästhetisch betrachtet ein kleines Ungeheuer«. 18 Ein Beispiel für Schlegels außergewöhnliche Darstellung von Geschlechterrollen findet sich im Kapitel »Dithyrambische Fantasie über die schönste Situaztion«: »Eine unter allen [Situationen der Freude, S. B.] ist die witzigste und schönste: wenn wir die Rollen vertauschen und mit kindischer Lust wetteifern, wer den andern täuschender nachäffen kann, ob dir die schonende Heftigkeit des Mannes besser gelingt, oder mir die anziehende Hingebung des Weibes […].
Vgl. Kapitel (4.3.2) der vorliegenden Arbeit. Hegel kritisiert ebenfalls Friedrich Schleiermachers Vertraute Briefe über Schlegels »Lucinde« (1800) in R § 165 Z. Nach Stephen Houlgate gibt es keinen definitiven Hinweis darauf, dass Hegel tatsächlich Lucinde gelesen hat (Krell 1996, 107, Fn. 13). Jedoch ist davon auszugehen, dass Hegel mit dem Inhalt des Romans vertraut war. 17 Die zeitgenössische Leserschaft sah in Lucinde einen Schlüsselroman für den Kreis der Frühromantiker und insbesondere eine Liebesgeschichte zwischen dem jungen F. Schlegel und seiner späteren Ehefrau Dorothea Veit geborene Mendelssohn (Behler 1992, 226). Seyla Benhabib hingegen glaubt, dass Schlegels Frau Caroline Schlegel Modell für Lucinde stand (Benhabib 1992, 252). Nach dem Literaturwissenschaftler Karl Konrad Polheim wird Caroline Schlegel neben anderen als eine Protagonistin des Romans identifiziert, nicht aber als die Figur der Lucinde (Schlegel 1999, 218). 18 (Dilthey 1870, 492). 15 16
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Ich sehe hier eine wunderbare sinnreich bedeutende Allegorie auf die Vollendung des Männlichen und Weiblichen zur vollen ganzen Menschheit.« 19
Dieses Phantasiespiel von einem Wechsel der Geschlechterrollen ist jedoch weniger radikal, als es auf den ersten Blick erscheint. 20 Die Rollen von Mann und Frau werden inhaltlich immer noch traditionell definiert. Die männliche Rolle ist durch Aktivität charakterisiert (»schonende Heftigkeit«), während die weibliche Rolle durch Passivität gekennzeichnet ist (»anziehende Hingebung«). Entsprechend hat die feministische Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel Lucinde als einen Roman dekonstruiert, der auf die Perspektive des männlichen Protagonisten beschränkt bleibt. 21 Die Bedürfnisse und Persönlichkeitsentwicklung von Julius stehen im Vordergrund und machen Lucinde zu einer bloßen Reisebegleiterin der männlichen Hauptfigur. Schlegel hat die Figur Lucinde (wie auch die übrigen weiblichen Protagonisten in dem Roman) nicht als einen Charakter mit einer eigenen Entwicklungslogik entworfen, sondern ihre Funktion besteht darin, Julius in seinem Bildungsweg zu unterstützen. Auf den artifiziellen Charakter von Lucinde und die Blassheit ihrer Figur hatte bereits Heinrich Heine aufmerksam gemacht: »[Lucindes] Gebrechen ist eben, dass sie kein Weib ist, sondern eine verquickliche Zusammensetzung von zwei Abstraktionen, Witz und Sinnlichkeit. Die Muttergottes mag es dem Verfasser verzeihen, daß er dieses Buch geschrieben; nimmermehr verzeihen es ihm die Musen.« 22
Die Musen als Quelle künstlerischer Inspiration und als Verkörperung des Weiblichen haben, wenn man Heines Ablehnung der »romantischen Schule« bedenkt, einen doppelten Grund, dem Verfasser nicht zu verzeihen. Der Roman ist nicht nur ein »ästhetisches Ungeheuer«, sondern den Frauen wird darin auch zuwenig Beachtung geschenkt. Lucinde definiert, wie schon zuvor die Figur der »Venus vaga«, die sittliche Rolle der Frau ex negativo. Hegel hätte Heines und Dilt(Schlegel 1999, 19). Seyla Benhabib und Karen Offen heben, wenn auch nicht ohne Vorbehalte, die Bedeutung von Lucinde für die Frauenbewegung des frühen 19. Jahrhundert hervor. Vgl. (Benhabib 1992, 17, 251), (Offen 2000, 71). Zur frühen Frauenbewegung im Zeitalter der französischen Revolution vgl. (Offen 2000), insbesondere Kapitel 2–4, und (Landes 1988). 21 Vgl. (Weigel 1996) und (Waszek 1999, 298 f.) 22 (Heine 1976, 408). 19 20
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heys Urteil zugestimmt, denn auch er lehnt Lucinde aus ethischen und ästhetischen Bedenken ab. 23 Nach Hegel begeht Schlegel den Fehler, das »Recht der Subjektivität« 24 über Gebühr zu strapazieren, welches gleichwohl eine Errungenschaft der Moderne darstellt. Es gehört beispielsweise zur subjektiven Freiheit eines Menschen in der Moderne, diejenige zu heiraten, in die er verliebt ist, und Hegel berücksichtigt dieses Recht explizit, indem er die These aufstellt, dass »[a]ls subjektiver Ausgangspunkt der Ehe […] mehr die besondere Neigung der beiden Personen, die in dies Verhältnis treten, […] erscheinen« kann (R § 162). Verliebtsein und Leidenschaft bringen jedoch, sittlich gesehen, auch Nachteile mit sich, weil sie natürliche Neigungen sind. Es bleibt zufällig, wen man liebt, und die Liebesbeziehung ist instabil, weil der Trieb in seiner Befriedigung erlischt. Aus diesen Gründen muss das anfängliche Verliebtsein das Ritual einer Institutionalisierung durch die Eheschließung durchlaufen, ein für den Sittlichkeitscharakter der Ehe notwendiges Ritual, das Schlegel in Lucinde ignoriert. 25 4.1.1.3 »Antigone« Mit der Figur der Antigone breitet Hegel die letzte Folie aus, auf der die sittliche Rolle der Frau in der bürgerlichen Familie an Kontur gewinnt. Hegel erwähnt die Heroin aus Sophokles’ gleichnamigem Drama im Zusammenhang eines Verweises auf die Phänomenologie in R § 166 A. Antigone verkörpert die »sittliche Gesinnung« der Frauen, die familiale »Pietät«. Auf den ersten Blick ist es erstaunlich, dass Hegel im Kontext der bürgerlichen Familie der Moderne gerade Antigone als Vorbild familialer Sittlichkeit wählt. Antigone hat nie geheiratet, ihre Taten betreffen ihre Herkunftsfamilie und sie kämpft im Namen des göttlichen Gesetzes aus schwesterlicher Liebe. In den Grundlinien verliert die Herkunftsfamilie an Bedeutung und der theVgl. (Perkins 1995, 158 f.) und Kapitel (4.3.2) der vorliegenden Arbeit. In R § 162 A referiert Hegel auf R § 124 A, wo er das »Recht der Subjektivität« darlegt: »Das Recht der Besonderheit des Subjekts, sich befriedigt zu finden, oder, was dasselbe ist, das Recht der subjektiven Freiheit macht den Wende- und Mittelpunkt in dem Unterschiede des Altertums und der modernen Zeit.« Dieses Recht ist zuvor in R § 33 R antizipiert worden: »Subjektives Recht, daß Ich es wisse, überzeugt sei, zustimme – Recht der Subjektivität – des Wissens, meines Wollens, meiner Bedürfnisse, Wohl« (Hervorhebung S. B.). Aufgrund dieses »Rechts der Subjektivität« ist es untersagt, eine Person gegen ihren Willen zur Heirat zu zwingen. 25 Zur Institutionalisierung vgl. Kapitel (5.2.7) der vorliegenden Arbeit. 23 24
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matische Schwerpunkt liegt auf der neu gegründeten Familie (R §§ 172, 180). Die Beziehung zwischen den Geschwistern findet in den Grundlinien kaum Erwähnung. Die sittliche Liebe betrifft die Beziehung zwischen nicht-blutsverwandten Erwachsenen. Auch warnt Hegel vor Inzest (R § 168), während Antigone aus den inzestuösen Familienverhältnissen des Königshauses von Theben stammt. Antigones Vater, Ödipus, ist auch ihr Bruder, so dass Polyneikes sowohl ihr Onkel als auch ihr Bruder ist. Sie ist seine Tante wie auch seine Schwester. Ihr Name bedeutet wörtlich »Anti-Generation«. Aus diesen Gründen ist es zunächst schwer verständlich, wie diese Figur einer antiken Tragödie als ein Modell der modernen Ehefrau dienen kann. Durch seinen expliziten Verweis auf Antigone in den Grundlinien lädt Hegel dazu ein, den R § 166, in welchem er die sittliche Bedeutung der Geschlechter diskutiert, in enger Beziehung zur Phänomenologie zu interpretieren, genauer: zu den Abschnitten des Kapitels »Geist«, »a. Die sittliche Welt, das menschliche und göttliche Gesetz, der Mann und das Weib« (PhG 292–304) und »b. Die sittliche Handlung, das menschliche und göttliche Wissen, die Schuld und das Schicksal« (PhG 304–316). Hier porträtiert Hegel Antigone als ein freies, sittliches Handlungssubjekt, welches den Kreis seiner Familie verlässt und in die öffentliche Arena eintritt, um dort dem »menschlichen« Gesetz der Stadt im Namen des »göttlichen« Gesetzes der Familie die Stirn zu bieten. Durch die Konfrontation mit der Autorität des Staates riskiert Antigone ihr Leben. Sie ist sich aber der Konsequenzen ihrer Handlung bewusst und auch in der Lage, für ihr Handeln Verantwortung und Schuld auf sich zu nehmen. 26 Auf diese Weise statuiert Antigone das Exempel einer Frau, deren Wesen nicht auf Partikularität und Unmittelbarkeit reduziert, sondern durch Selbstreflexion und Handlungsfähigkeit charakterisiert ist. In Hegel erwähnt Antigone in den Unterkapiteln der Phänomenologie »Die sittliche Welt, das menschliche und göttliche Gesetz, der Mann und das Weib« und »Die sittliche Handlung, das menschliche und göttliche Wissen, die Schuld und das Schicksal« nicht explizit, doch es besteht kein Zweifel, dass er seine Thesen vor dem Hintergrund der Tragödien Antigone und Orest erarbeitet hat. Vgl. (Butler 2000), (Pinkard 1994, 137– 146), (Pinkard 2000, 210–211), (Siep 2000, 181–186). Am Ende des Vernunftskapitels zitiert Hegel dann Antigone, und zwar in einer Passage, die fast wortgleich mit R § 166 A übereinstimmt: »So gelten sie [die Gesetze, S. B.] der Antigone des Sophokles als der Götter ungeschriebenes und untrügliches Recht nicht etwa jetzt und gestern, sondern immerdar lebt es, und keiner weiß, von wannen es erschien« (PhG, 286). 26
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Hegels Philosophie scheint sie die einzige weibliche Figur zu sein, die private Angelegenheiten im öffentlichen Bereich zu ihrem Recht kommen lässt, und sie wird damit zu einer Heldin der feministischen Hegelinterpretation. 27 Die Erwähnung von Antigone in R § 166 erinnert ebenfalls an den Zusammenbruch der antiken griechischen Sittlichkeit in der Phänomenologie, der wie folgt herbeigeführt wird. Sowohl Kreon als auch Antigone handeln auf der Grundlage sittlicher Gesetze, dem »göttlichen« Gesetz der Familie auf der einen und dem »menschlichen« Gesetz des Staates auf der anderen Seite. Sie »individualisieren« 28 diese Gesetze, indem sie in absoluter Überzeugung von der Richtigkeit ihres Gesetzes handeln und es mit Pathos gegen Angriffe durch das andere Gesetz verteidigen. Das jeweilige Gesetz wird im Bewusstsein und im Handeln von Antigone beziehungsweise Kreon verwirklicht. Nun sind beide Gesetze gleichermaßen würdig, respektiert zu werden, denn beide Gesetze enthalten alle Momente der »sittlichen Substanz« (PhG, 293), also das, was für ein gutes und gelingendes Leben vernünftigerweise gefordert ist. Mit Blick auf die Frage, was mit Polyneikes Körper geschehen soll, müssen die Gesetze jedoch unweigerlich miteinander kollidieren. Während Antigone insistiert, dem Gesetz der Familie Folge zu leisten, nach welchem sie ihren toten Bruder begraben muss, ist es Kreon verboten, den toten Polyneikes durch ein Begräbnis zu ehren, weil dieser ein Feind der Stadt war. Das Dilemma besteht darin, dass sowohl Kreon als auch Antigone gerechtfertigterweise handeln, jedoch gleichzeitig dabei schuldig werden, indem sie das jeweils andere Gesetz verletzen. Ihre Schuld ist, absolut einseitig gehandelt und nicht erkannt zu haben, dass beide Gesetze unauflöslich miteinander als Momente der »sittlichen Substanz« verbunden sind. Die unausweichliche Tragik zeigt sich darin, dass sie aber nur durch dieses heroische, einseitige Handeln ihr jeweiliges Gesetz zur Existenz haben bringen können. Antigones Tat, Polyneikes zu beerdigen, und Kreons Taten, die Beerdigung zu verbieten und Antigone zu bestrafen, scheinen zunächst ein Aufbegehren gegenüber dem jeweils anderen Gesetz darVgl. (Butler 2000), (de Boer 2003), (Mills 1996 b), (Mills 1987), (Ravven 1988), (Starrett 1996). 28 Das Argument von einer Notwendigkeit der Individualisierung führt Hegel ebenfalls an, um die Monarchie zu legitimieren. 27
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zustellen, welchem sie dann schlussendlich doch unterliegen. So muss am Ende Kreon den Tod seines Sohnes und seiner Frau beklagen und nun selbst das tun, was er zuvor Antigone verboten hat: Familienangehörige beerdigen. Antigone, die als Hüterin des Gesetzes auftritt, wird nach dem Gesetz bestraft, welches sie zuvor missachtet hat, und sie wird als Gesetzesbrecherin in den eigenen Tod getrieben. Kreons und Antigones Taten offenbaren eine dialektische Verbundenheit des »menschlichen« und »göttlichen« Gesetzes. In ihrem Leiden und ihrer Vernichtung – sowohl ihrer Person als damit auch der Einseitigkeit ihres Standpunktes – wird die Immanenz des anderen Gesetzes in dem Gesetz, dessen jeweiliges Sprachrohr sie sind, sichtbar. Dieses Bewusstwerden des Anderen im Eigenen ist erforderlich, um die Harmonie der Gesetze ex negativo herzustellen. Der Konflikt, in dem sich Antigone und Kreon befinden, ist sowohl tragisch, da er keinen Ausweg aus der Gesetzeskollision offenlässt, als auch notwendig, da die Einseitigkeiten der jeweiligen Gesetze negiert (und damit deren Akteure zerstört) werden müssen, um aus dieser zweifachen Negation die Einsicht zu gewinnen, dass nur beide Gesetze zusammengenommen das Sittliche ausmachen. Auch wenn die Menschen in der griechisch-antiken Lebensform nicht in der Lage sind, diese Sittlichkeit widerspruchsfrei zu leben, ist das Durchleben des Widerspruches Teil der Verwirklichung der »sittlichen Substanz«. Indem sich die Handelnden ihrer Schuld bewusst werden, erreichen sie eine Einsicht in die Sittlichkeit (PhG, 291), und damit ebnet ihnen die Schuld den Weg zum Wissen (R § 118 R). Was kann die Tragödie der Antigone die Gesellschaft und den Staat der Moderne lehren? Und was ist an die Stelle der antik-griechischen Form der Sittlichkeit getreten, die sich aufgrund der Einseitigkeit der Ansprüche von Oikos und Polis nicht erhalten konnte? Eine genaue Analyse, worin die Instabilität der antiken griechischen Gesellschaftsordnung bestand, gibt über diese Fragen Aufschluss. Obwohl Hegel die Gleichheit des »menschlichen« und »göttlichen« Gesetzes betont, weil beide in gleichem Maße Ausdruck dessen sind, was sittlich ist, stellt sich das Verhältnis beider als ungleichgewichtig heraus (PhG, 313). Die Beziehung zwischen beiden Gesetzen verliert aus folgendem Grund an Balance. Das Sittliche wird als ein Gesetz erfahrbar, das ein Individuum in seinem Handeln ohne Zweifel verfolgt und mit Pathos verteidigt. Das heißt, die »Individualität« eines einzelnen selbstbewussten Wesens und dessen »Tun« sind notwendige Bedingungen, um das Sittliche erfahrbar zu machen und damit zu A
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verwirklichen (PhG, 313). Diese Bedingungen gehören zum »Prinzip der Einzelheit«, wie Hegel schreibt: »Aber die Individualität und das Tun macht das Prinzip der Einzelheit überhaupt aus« (PhG, 313). Weil die Bedingungen sowohl das »göttliche« als auch das »menschliche« Gesetz betreffen, das »göttliche« Gesetz aber die Aufgabe hat, die Ansprüche der Einzelheit zu berücksichtigen, während das »menschliche« Gesetz auf das Gemeinwesen hin ausgerichtet ist, wird das Gleichgewicht zwischen den beiden Gesetzen zugunsten des »göttlichen« gestört. Denn das »menschliche« Gesetz unterliegt, um verwirklicht zu werden, dem Prinzip, welches das »göttliche« symbolisiert. Hegel zieht daraus den Schluss, dass die Gemeinschaft sich vor einem Ausbruch der Einzelheit schützen muss, indem sie die wachsende Unabhängigkeit einzelner Familien begrenzt. An diesem Punkt überwiegt die Sorge darum, die Gemeinschaft erhalten zu können, die Forderung nach Gleichheit zwischen Oikos und Polis. Aus dieser Befürchtung resultiert Hegels bekannte Polemik gegen die Familie und ihre Hüterin, die Frau. »Diese [Weiblichkeit, S. B.], – die ewige Ironie des Gemeinwesens – verändert durch die Intrige den allgemeinen Zweck der Regierung in einen Privatzweck, verwandelt ihre allgemeine Tätigkeit in ein Werk dieses bestimmten Individuums, und verkehrt das allgemeine Eigentum des Staates zu einem Besitz und Putz der Familie.« (PhG, 314) 29
In den Grundlinien tritt Hegels Skepsis gegenüber den Frauen noch deutlicher zu Tage. So stellt er den Gegensatz der Geschlechter in den Vordergrund, anstatt mit der Opposition von Ansprüchen, die durch Staat und Familie erhoben werden, zu arbeiten. In R § 166 wird dieser Perspektivenwechsel explizit gemacht, indem Hegel zum ersten Mal das »göttliche« Gesetz der Familie das »Gesetz des Weibes« nennt. Durch eine Verschiebung der Aufmerksamkeit von sozio-politischen Bereichen auf Geschlechter verschärft sich auch die Polemik gegen die Frau als einer Gefahr des Staates und hat damit zur Konsequenz, dass sie nur Ehe- und Hausfrau sein darf, nicht aber Teilnehmerin in der »bürgerlichen Gesellschaft« und im Staat. Hegel entwickelt sein Argument zum Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Raum in den Grundlinien in drei Schritten. Heidi Ravven stellt die These auf, dass Hegel die Frauen für staatsgefährdend hält, weil im antiken griechischen Leben das »göttliche« und »menschliche« Gesetz nicht miteinander versöhnt werden können (Ravven 1988). Damit wird der rigide Dualismus von Familie und Staat in der Phänomenologie problematisch.
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Im ersten Argumentationsschritt stellt er die These auf, es gebe entscheidende Unterschiede zwischen der Familie und dem Staat: Während der Staat sich durch Objektivität und Allgemeinheit auszeichnet, die ihm erlauben, sich über die besonderen Bedürfnisse und Meinungen seiner Bürger im Kriegsfalle hinwegzusetzen (R §§ 324 f.), ist die Familie auf essentielle Weise durch einen Partikularismus geprägt: »das Privatsein (Tugendhat) sein Recht [in der Familie, S. B.] erlangt, Interesse für individuelle Persönlichkeit« (R § 162 R). »Persönlichkeit« referiert in diesem Kontext nicht auf die »rechtliche Person«, sondern auf Idiosynkrasien und den besonderen Charakter eines Individuums, dessen Bedürfnisse und Wünsche in der Familie berücksichtigt werden müssen. 30 Auch unterscheidet sich der familiale von dem nicht-familialen Bereich darin, dass in der Familie Asymmetrien und Ungleichheiten strukturell eingebaut sind, weil Kinder noch keine selbständigen und freien Personen sind. Aus diesem Grund leiten sich unterschiedliche Rechte und Pflichten für einzelne Familienmitglieder ab (R § 174). Im Gegensatz dazu sind die Beziehungen im außer-familialen Bereich durch eine formale Gleichheit geprägt. Alle Mitglieder der »bürgerlichen Gesellschaft« sind Rechtspersonen und haben das gleiche Recht, ihre Interessen zu verfolgen, und alle Staatsbürger haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Im zweiten Schritt argumentiert Hegel, dass Subjektivität, Partikularität und Besonderheiten, also Merkmale, die für die Familie essentiell sind, für den Staat gefährlich werden, wenn sie nicht in ihrem Einfluss begrenzt werden. Es ist notwendig, Subjektivität, Partikularität und Besonderheiten weitestgehend auf die Institution der Familie zu beschränken. 31 Der dritte und letzte Schritt in Hegels Argumentation für die Exklusion von Frauen aus dem öffentlichen Bereich besteht in der Zuschreibung des Familienlebens als die für die Frau angemessene Lebensform. 32 Weil es normativ erforderlich ist, Angelegenheiten der Familie von denen des Staates zu trennen, muss auch die Frau, Diese Berücksichtigung der individuellen Partikularitäten darf aber das Wohlergehen der Familie als Ganze nicht gefährden. Vgl. Kapitel (5) der vorliegenden Arbeit. 31 Im Wirtschaftssystem der »bürgerlichen Gesellschaft«, das von einem vergleichbaren Problem betroffen ist, weil hier die Individuen ihre egoistischen Interessen verfolgen dürfen, reguliert sich der Egoismus durch die »invisible hand« eines »Systems allseitiger Abhängigkeit« (R § 183). 32 Hegels Darstellung der Geschlechterrollen koinzidiert mit der Ideologie der bürgerlichen Familie zu seiner Zeit. 30
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die die Chrakteristika der Familie übernimmt, aus dem Bereich des Staates verbannt werden. Warum sie überdies auch von der Teilnahme an der »bürgerlichen Gesellschaft« ausgeschlossen ist, die doch ebenfalls durch Besonderheit und Partikularität geprägt ist, bleibt in Hegels Argument unverständlich. Was in der antik-griechischen Sittlichkeit als eine dialektische Verwebung von Oikos und Polis (und damit von Mann und Frau) begann, weicht in der Moderne der primären Sorge um die Integrität des politisch-öffentlichen Raumes. Die Spannung zwischen »göttlichem« und »menschlichem« Gesetz, die in der griechisch-antiken Sittlichkeit nur auf negativem Wege zu lösen war, wird in der Moderne durch eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Gesellschaftsordnung beigelegt, die eine Repression der Frau als öffentlich-politischer Akteurin nach sich zieht. 4.1.1.4 »Hausfrau« In R § 167 R erwähnt Hegel, dass die angemessene Lebensform der Frau in ihrem Dasein als Hausfrau besteht. »Stand der Frau – ist Hausfrau.« Damit kann eine Frau einen sozialen Status nur durch die Heirat eines Mannes gewinnen. Diese Abhängigkeit der Frau vom Mann drückt Hegel durch ein Spiel mit der Ambiguität des Wortes »Frau« aus, welches sowohl »Ehefrau« als auch »Mensch weiblichen Geschlechts« bedeuten kann. »Was will der Mann, das Mädchen? dieses einen Mann – jener eine Frau. – Sie liebt ihn, warum? weil er ihr Mann werden, sie zur Frau machen soll; – sie von ihm als Mann ihre Würde, Wert, Freude, Glück als Ehefrau erhalten soll – und diese ist, daß sie Frau wird.« (R § 162 R)
In diesem Zitat schlägt Hegel vor, dass ein Mensch weiblichen Geschlechts entweder ein »Mädchen«, das heißt ein Kind weiblichen Geschlechts oder ein unverheiratetes Hausmädchen, oder eine »Ehefrau« ist. Die Option einer unverheirateten erwachsenen Frau bleibt unerwähnt. Eine Frau steht demnach immer in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem Mann – sei es der Vater, der Hausherr oder der Ehemann. Außerhalb dieser Abhängigkeitsbeziehungen hat sie keine soziale Identität. 33 Konsequenterweise macht Hegel die Annahme, dass die Frau nur durch den Mann sittliche Bedeutung erhält: Anders als in der Phänomenologie (PhG, 314) verliert das Geschwisterverhältnis als eine (möglicherweise) gleichberechtigte Beziehung zwischen Mann und Frau in den Grundlinien an Bedeutung. Zur Geschwisterbeziehung vgl. S. 125.
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»Der Mann ist so der Richter derselben und darum liebt sie ihn, da er es ist, der ihr ihre wahrhafte Bestimmung gibt und Interesse hat, sie ihr zu geben« (Ilting 1974 b, 431). Im Gegensatz dazu ist ein Mensch männlichen Geschlechts ein »Mann« bereits vor der Heirat. Er ist kein »Junggeselle«, ein Begriff, der dem des »Mädchens« entsprechen würde. Durch die Heirat gewinnt er lediglich einen zusätzlichen sozialen Status hinzu, den Status des Ehemannes und des Hausherrn. 34 Unabhängig von der Familie – und damit unabhängig von Frauen – ist der Mann Privatperson im Wirtschaftssystem, Mitglied eines Standes oder einer Korporation und Bürger eines Staates. Trotz der Abhängigkeitsbeziehung der Frau vom Mann betont Hegel, dass weder Frauen noch Kinder Sklaven sind (R §§ 167 R, 175 A, 180 A). 35 Frauen sind, wie Männer, Personen. Sie haben das Recht, ihren Ehepartner frei zu wählen, die Scheidung einzureichen, Verträge über ihr Eigentum zu schließen und zu erben. So konstatiert Hegel eine gewisse Gleichheit von Mann und Frau. »Gleichheit, Dieselbigkeit der Rechte und Pflichten – Mann soll nicht mehr gelten als die Frau« (R § 167 R). Diese Gleichheit ist jedoch entscheidend eingeschränkt. So sind die Rechte und Pflichten der Frauen sowie ihr Status als Person an den Bereich der Familie gebunden. Beispielsweise können sie Ehepakte schließen, die ihr Eigentum nach dem Tod des Ehemannes sichern sollen (vgl. [Wannenmann 1983, 103]). Jedoch können sie weder die Familie nach außen repräsentieren noch können sie als individuelle Personen Verträge in der »bürgerlichen Gesellschaft« schließen. Die »Gleichheit« von Rechten und Pflichten zwischen Mann und Frau ist damit gestört. Die Grenzen der Institution Familie, ihre Intersektionen mit der nicht-familialen Welt, sind bereits »männlich«. 36 In Kapitel (5.2) wird jedoch dafür argumentiert, dass es für Mann wie Frau eine sittliche Pflicht ist, in der Familie zu leben, weil das Familienleben Ausdruck vernünftiger Selbstbestimmung ist. 35 Die Analogie von Frau und Kind ist keine Zufälligkeit. Hegel platziert Frauen und Kinder auf dasselbe Entwicklungsniveau, wenn er der Frau eine »Kindernatur« zuschreibt (R § 165 R). Heidi Ravven hat auf eine Inkonsistenz von Hegels Ablehnung der Sklaverei aufmerksam gemacht. Auf der einen Seite adaptiert Hegel Aristoteles’ naturalistisches Argument der Sklaverei für die Erklärung der Unterlegenheit der Frau – die Frau ist von Natur aus unterlegen – und begründet damit die Notwendigkeit einer patriarchalen Herrschaft. Auf der anderen Seite lehnt er explizit die Sklaverei für Frauen und Kinder ab. Vgl. (Ravven 1988, 158 f.). 36 Eine ähnlich paradoxe Meinung vertritt Hegel auch mit Blick auf die ökonomischen Fähigkeiten von Mann und Frau. Der Frau ist nur das Wirtschaften in der Familie er34
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Obgleich Hegels Familienmodell mit seinem Scheidungsrecht, der Erbschaftsregelung und dem Recht, Verträge zur Subsistenzsicherung der Ehefrau abzuschließen, progressive Züge trägt, ist sein Frauenbild in Anbetracht der historischen Hintergründe früher Frauenbewegungen im 18. und 19. Jahrhundert reaktionär. Im Zuge der Französischen Revolution versuchten Bürgerfrauen, den öffentlichen Raum über das Angebot von Sozial- und Erziehungsdiensten für sich zugängig zu machen. Ihnen wurde das Bürgerrecht mit dem Argument verwehrt, dass sie nicht zum »öffentlichen Nutzen« beitragen. Dieses Argument machten sich französische Feministinnen für ihre politischen Ziele zunutze. 37 Während das Dasein als Ehefrau sie von der Staatsbürgerschaft ausschloss, konnte ihnen die Mutterschaft eine Tür in die öffentliche Arena öffnen, indem sie den »öffentlichen Nutzen« der »bürgerlichen Mutterschaft«, »mütterlichen Erziehung« und des »sozialen Haushaltens« hervorhoben. 38 Durch seine Festschreibung der Frau auf den häuslichen Bereich will Hegel die alte Geschlechterhierarchie aufrechterhalten. Zwar diskutiert er staatliche Wohlfahrtseinrichtungen und Armenhilfe (zum Beispiel in [Wannenmann 1983]), jedoch verhindert er, dass Frauen dieses Tätigkeitsfeld aufgrund ihrer Expertise im Haushalt und in der Fürsorge für sich beanspruchen könnten. 39 Zum einen stellt er die Frau aufgrund ihrer Konzentration auf das Subjektive und Partikulare in der Familie als eine Gefahr für die Allgemeinheit des Staates dar (R §§ 164 R, 166 R, Z, 167 R). 40 Zum anderen hätte Hegel die angenommene »Gleichheit« der Geschlechter in der Familie paradoxerlaubt, das für den Erhalt der Familie unerlässlich ist. Jedoch ist es ihr nicht erlaubt, ihre Fähigkeiten außerhalb der Familie zu erproben. »Die Frau hält zusammen, erwirbt nach innen, dieß ist so wichtig als das Erwerben nach außen, denn dieß ist ohne Erfolg, wenn die Vorsorge fehlt« (Ilting 1974 b). 37 Vgl. (Offen 2000, 60). 38 Vgl. ebd. 39 Diesen Gedankengang nahmen Hegelianerinnen in St. Louis (1860–1880) auf und wandten Hegels philosophische Grundlagen an für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Themen der Erziehung (vgl. [Rogers 1999]). 40 »Wo Weiber und die Jugend im Staate regieren, Staat verdorben. Gehen auf Subjektivität – diese Personen« (R § 166 R) und »Frau geht auf Persönlichkeit – nicht das an und für sich Allgemeine des Staates« (R § 167 R). Diese Zitate verdeutlichen, dass die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Bereichen (Familie und Staat) auch für Hegel mit einer Geschlechterdifferenz korreliert. »Wenn daher Frauen im Staat regieren, so geht es schlecht, sie gehen auf Subjektivität, auf die Persönlichkeit, ihr Einfluß kann zwar sehr wohltätig sein, aber sie werden vornehmlich der Intrige beschuldigt, etwas Persönliches, auf persönliche Weise durchzusetzen« (Ilting 1974 b, 444). Die
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weise zum Nachteil der Frauen auslegen können. Die Gleichheitsannahme verhindert eine Berufung auf »weibliche Tugenden«, die im öffentlichen Raum fehlen würden, in zweifacher Weise. Erstens stellt Hegel fest, dass Männer und Frauen dieselben Erziehungsrechte haben und der Frau aufgrund ihrer Mutterschaft keine herausragende Rolle zukommt. Zweitens rechtfertigt er die auf die Geschlechterdifferenz abhebende Strukturierung der Gesellschaft nicht durch ein instrumentelles Argument, nach dem der Wert eines Menschen und seine Eignung zur Bürgerschaft von seinem »öffentlichen Nutzen« abhängt, sondern durch die These, die Geschlechterdifferenz sei sowohl für die Familie als auch für die sozio-politische Ordnung insgesamt vernünftig. 4.1.2 Über die »Vernünftigkeit« der Geschlechter Hegel stellt in R § 165 die These auf, dass die Geschlechtsbestimmungen sittlich relevant werden, weil sie vernünftig sind: »Die natürliche Bestimmtheit der beiden Geschlechter erhält durch ihre Vernünftigkeit intellektuelle und sittliche Bedeutung.« Bereits in der Phänomenologie hat er für die Vernünftigkeit der Geschlechterdifferenz argumentiert und dass die Geschlechterbestimmungen als rein »natürliche Bestimmtheit« noch »unbestimmt« (PhG, 301) sind. Erst durch eine Analogie zur begrifflichen Binnendifferenz der »sittlichen Substanz« erhält die Frau beziehungsweise der Mann sittliche Bedeutung, indem die Frau das »göttliche« und der Mann das »menschliche« Gesetz repräsentieren. Die geschlechtsspezifische Strukturierung der griechisch-antiken Gesellschaft spiegelt damit den Unterschied der Momente der »sittlichen Substanz« wider, ein Unterschied, der durch den Untergang von Antigone und Kreon wieder aufgehoben wird. Den Gedanken, dass die Geschlechter ihre sittliche Bedeutung aus einem begriffslogischen Unterschied beziehen, greift Hegel in den Grundlinien auf. In R § 165 hält er fest: »Diese Bedeutung [der Geschlechter, S. B.] ist durch den Unterschied bestimmt, in welchen sich die sittliche Substantialität als Begriff an sich selbst dirimiert [eine Dirimation, die in der antiken Sittlichkeit durch das Auftreten
Angst vor dem für den Staat korrumpierenden Einfluss der Frauen ist explizit in der Phänomenologie formuliert (PhG, 314). Vgl. oben Unterkapitel (4.1.1.3). A
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zweier Gesetze anschaulich wurde, S. B.], um aus ihm ihre Lebendigkeit als konkrete Einheit zu gewinnen.«
An dieses Zitat lassen sich drei Fragen anschließen. Erstens, warum braucht es für eine »konkrete Einheit« einen natürlichen Unterschied (1)? Zweitens, warum wählt Hegel zwei Menschen, die sich hinsichtlich ihres Geschlechtes und nicht etwa hinsichtlich ihrer Körpergröße oder Augenfarbe unterscheiden, um den Unterschied zwischen dem staatlichen und familialen Gesetz, zwischen Staat und Familie deutlich zu machen (2)? Drittens, aus welchen Gründen assoziiert Hegel sowohl in der Phänomenologie als auch später in den Grundlinien die Frau mit der Familie und den Mann mit dem Staat (3)? 4.1.2.1 Die Ehe als »konkrete Einheit« unterschiedlicher Geschlechter Hegel nimmt an, dass die Ehe nur zwischen zwei Menschen verschiedenen Geschlechts geschlossen werden kann. Geht diese Annahme auf ein traditionelles Verständnis der Ehe zurück oder auf die Tatsache, dass es für die menschliche Reproduktion, die in der Regel in der Familie stattfindet, sowohl eines Mannes als auch einer Frau bedarf? Beide Argumente wären für Hegel nicht stichhaltig, weil sie auf etwas Gegebenes (Tradition, biologische Tatsachen) verweisen, um die Vernünftigkeit der Familie zu begründen. Nichtsdestotrotz scheint Hegel zu fordern, dass eine Ehe nur zwischen Mann und Frau bestehen kann. Warum sollte aber die Liebe, die die Ehe zur sittlichen Institution macht und die primär als ein Füreinander-Sorgen und Miteinander-Solidarischsein verstanden werden soll, der Kategorie der Heterosexualität bedürfen? Heterosexualität spielt ja offensichtlich auch für das Verhältnis von Elternteil und Kind keine Rolle. Um diese Frage zu beantworten, ist in Erinnerung zu rufen, dass es für natürliche Wesen notwendig ist, ihre Natürlichkeit zu überwinden, um freie und geistige Wesen zu werden. Ein ähnlicher Gedankengang trifft auch auf die Familie als Ganzes zu. Um Teil des »Reich[s] der verwirklichten Freiheit« (R § 4) zu sein, soll die Familie keine natürliche, sondern muss sie eine geistige Gemeinschaft sein. Dies bedeutet, dass »[d]ie Einheit in der Ehe […] nicht eine natürliche sondern eine hervorgebrachte seyn« (Ilting 1973, § 83 A) muss und die Mitglieder ihre »Einigkeit zur Natur gemacht« (R § 175 R) haben, diese Einigkeit also nicht als »erste Natur« schon 124
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besteht. 41 Die Ehe kommt nur zustande, wenn sie Differenzen enthält und diese in einer Einheit aufhebt. Sie erweist ihre Sittlichkeit in einem selbstbestimmten Umgang mit diesen natürlich gegebenen Differenzen. Zudem reichern die natürlichen Unterschiede die Einheit der Ehe an und machen sie zu einer »lebendigen« (weil durch interne Spannung ausgezeichneten) und »konkreten« (weil mit internen Bestimmungen ausdifferenzierten) Einheit. Die Ehe wird damit zu einem Zustand par excellence, in dem man vereint, aber nicht identisch ist. 42 Nach der Griesheim-Mitschrift fasst Hegel diesen Gedanken wie folgt zusammen: »Die Einigkeit kann nur gesetzt werden, indem die verschieden sind, welche sich als einig setzen, sie müssen deshalb verschieden sein, denn es ist keine todte Einigkeit.« 43 Die Einheit der Ehe, so könnte man spekulieren, erreicht nur dann eine sittliche Qualität, wenn sie sich in der Lage zeigt, den tiefgreifendsten natürlichen Unterschied von Menschen zu transzendieren. Diese fundamentale Differenz zwischen Menschen sieht Hegel in der Existenz zweier Geschlechter. Für den Einheitscharakter der Ehe ist es notwendig, dass die »nur äußerliche Einheit der natürlichen Geschlechter« – damit spielt er auf den Gattungsprozess an – »in eine geistige, in selbstbewußte Liebe, umgewandelt« wird (R §161). Nicht das Verhältnis zwischen Mann und Frau als Naturwesen ist das Primäre in der Familie – und damit auch nicht der Zweck der Fortpflanzung des Menschen (R § 164) –, sondern ihre Beziehung zueinander als geistige Wesen. Indem sie eine Einheit schaffen, stellen sie ihre Fähigkeit unter Beweis, sich selbst zu bestimmen. Aus diesem Grund zeigt sich Hegel gegenüber geschwisterlichen Beziehungen reserviert und lehnt inzestuöse Verhältnisse ab. Das Geschwisterverhältnis kann keine »konkrete Einheit« erzielen, weil ihre Einheit durch die Natur in Hegels Konzeption der Ehe in den Grundlinien unterscheidet sich von der in der Phänomenologie. Während er im früheren Werk die »Begierde« als Ausgangspunkt der Ehe nimmt (PhG, 300) und aus diesem Grund das Verhältnis der Geschwister sittlich höher einschätzt als das der Eheleute, weil es nicht durch die Begierde gekennzeichnet ist, liefert gerade der Mangel an natürlicher Lebendigkeit den Grund, warum die Geschwisterbeziehung in den Grundlinien an Bedeutung verliert. 42 Patricia Mills verkennt Hegels Familienmodell, wenn sie die These aufstellt, dass bei ihm die Familie das Charakteristikum der Reflexion, nämlich die Entzweiung, vermisst (Mills 1996 b). Die »Dirimation« (R § 165) ist aber zumindest eine Vorform der Entzweiung. So kann die Familieneinheit sehr wohl ein Beispiel einer binnendifferenzierten Einheit geben. 43 (Ilting 1974 b, 427). 41
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Form der Blutsverwandtschaft bereits gegeben ist, die Geschwister sich also nicht zu einer Einheit fortentwickeln brauchen. Aufgrund des Fehlens innerer Spannungen bleibt ihre Einheit »leblos«. In R § 168 R, dem einzigen Paragraphen, in dem die Geschwisterbeziehung erwähnt wird, hält Hegel fest: »Geschwister – ein geschlechtsloses Verhältnis – nicht die bewußte, sich zur Innigkeit setzende, lebendige Einheit« (R § 168 R). 44 In diesem Zusammenhang steht auch Hegels Kritik an inzestuösen Beziehungen. Inzest ist für Hegel nicht aus moralischen Bedenken (z. B. Kindessmissbrauch) noch aus der Sorge um die Gesundheit des Nachwuchses noch aus dem Gefühl der Scham (welches selbst historisch kontingent ist) 45 verfehlt, sondern aufgrund der Tatsache, dass Blutsverwandte bereits eine natürliche Einheit repräsentieren: »Weil es ferner diese sich selbst unendlich eigene Persönlichkeit der beiden Geschlechter ist, aus deren freier Hingebung die Ehe hervorgeht, so muß sie nicht innerhalb des schon natürlich-identischen […] geschlossen werden, sondern aus getrennten Familien und ursprünglich verschiedener Persönlichkeit sich finden.« (R § 168)
Mit anderen Worten, die Freiheit, sich zu vereinen, steht nur denjenigen Menschen offen, die sich die Natur in selbstbestimmter Weise aneignen, nicht aber denjenigen, die durch Natur determiniert sind. Die sittliche Bestimmung der eigenen Natur bedarf der Tätigkeit des Menschen. So können zwei Personen den freien Entschluss fassen, zu heiraten (R § 162), während niemand beschließen kann, der Bruder oder die Schwester eines Menschen zu werden. Das Argument für die Notwendigkeit einer heterosexuellen Struktur der Familie findet in der Phänomenologie einen Vorläufer. In der früheren Schrift argumentierte Hegel für die Notwendigkeit einer heterosexuellen Organisation der sittlichen Welt im antiken Griechenland. Die Einseitigkeiten der Gesetze müssen durch einen natürlichen Unterschied der zwei Akteure (»natürliche Selbstbewußtseine« [PhG, 301]) verdeutlicht werden. Der Unterschied muss so gewählt sein, dass er die absolute Unmöglichkeit ausdrückt, die Kluft zwischen den beiden Akteuren zu überwinden – um sie dann doch ex negativo, in der Negation der Einseitigkeiten der beiden Vgl. auch R § 162 R »Einigkeit – das Sinnliche kommt [zur] Liebe, weil – Natürlichkeit – Lebendigkeit – natu¨rlich verschiedenerlei Geschlecht. Leben kann sich in sich selbst unterschieden setzen – Ich« (Fettdruck S. B.). 45 (Ilting 1974 b, 448). 44
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Gesetze mittels der Vernichtung ihrer Sprachrohre, transzendieren zu können. Offensichtlich wusste Hegel auch hier keine tiefer gehende natürliche Differenz zu benennen als jene zwischen Mann und Frau. 4.1.2.2 Hegels Begründung der geschlechtsspezifischen Rollenzuteilung Selbst wenn man zugesteht, dass das Geschlecht die fundamentalste Weise ist, in der sich Menschen natürlicherweise voneinander unterscheiden, bleibt die Frage bestehen, warum Hegel der Frau die Familie und dem Mann den Staat zuteilt – und nicht umgekehrt. Lehnt er seine Darstellung der sozio-politischen Ordnung zu eng an Sophokles’ Antigone an, wo kontingenterweise eine Frau die Hüterin des »göttlichen« Gesetzes ist, während ein Mann das »menschliche« Gesetz verteidigt? Vernachlässigt er aus diesem Grund eine andere Möglichkeit der Individualisierung von Gesetzen und damit des Gendering der sozio-politischen Ordnung? Die Tatsache allein, dass im Stück Antigone ein Mann und eine Frau diese Rollen repräsentieren, kann jedoch Hegels philosophische Adaption nicht rechtfertigen. Die Zuweisung der Frau zur Familie und des Mannes zum Staat und zur »bürgerlichen Gesellschaft« beruht bei Hegel auf der Annahme, dass sich in dieser Zuweisung die sittliche Bedeutung des männlichen und weiblichen Geschlechts auf vernünftige Weise widerspiegelt. Die Merkmale des weiblichen Geschlechts stimmen laut Hegel mit den Charakteristika der Familie überein, während die Merkmale des männlichen Geschlechts mit den Charakteristika des Staates und der »bürgerlichen Gesellschaft« korrelieren. Ob Hegels Ansichten – zumindest werkintern – konsistent sind, muss mittels einer Untersuchung seiner Aussagen über das männliche und weibliche Geschlecht in seiner Naturphilosophie evaluiert werden. Dem Zusatz zu Paragraph 369 der enzyklopädischen Naturphilosophie zufolge hat Hegel in seiner Vorlesung über weibliche und männliche Geschlechtsorgane gesprochen. In dem von ihm autorisierten Text finden sich aber derartige Aussagen nicht. Dieser Umstand schränkt die Glaubwürdigkeit der überlieferten Aussagen über die Geschlechtsnatur von Mann und Frau ein. Das Fehlen solcher Aussagen im Haupttext der Enzyklopädie ist zudem erstaunlich, wenn man bedenkt, welche Wichtigkeit die Geschlechtsbestimmungen haben: Sowohl Familienrollen als auch die Struktur der sozio-politischen Welt werden in der Rechtsphilosophie entlang der Geschlechtergrenze definiert. A
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Nach der Wannenmann-Mitschrift entnimmt Hegel seine Kenntnis der Geschlechter empirischen Beobachtungen, 46 die nach EN § 369 Z auf die Beschreibung des männlichen und weiblichen Reproduktionsapparates beschränkt sind. Hegel nimmt eine ursprüngliche Identität beider Geschlechtsorgane an, die noch bei primitiven Tierarten zu beobachten ist. Diese Identität weicht einer wachsenden Ausdifferenzierung in weibliche und männliche Genitalien, einer Ausdifferenzierung, die aus begrifflich-logischen Gründen notwendig wird. 47 Seine Darstellung endet mit einer Beschreibung der menschlichen Geschlechterdifferenz, die sich durch eine Dichotomie von Frau und Mann, Passivität und Aktivität, Empfänglichkeit und Tätigkeit, Einheit und Entzweiung auszeichnet und damit die Dichotomien von Mann und Frau auflistet, die in den Grundlinien sittlich relevant werden. Die eigenwillige Beschreibung der Biologie von Menschen weiblichen und männlichen Geschlechtes führt Hegel zu dem Schluss, dass »[d]er Mann […] als durch diesen Unterschied das Tätige [ist]; das Weib […] aber das Empfangende, weil sie in ihrer unentwickelten Einheit bleibt, [ist]« (ebd.). Drei Einwände lassen sich gegen die Annahme erheben, dass Hegels Beschreibung des weiblichen und männlichen Geschlechtes zur Rechtfertigung der normativen Rollen von Mann und Frau beitragen kann. Erstens weckt seine Beschreibung den Verdacht, dass er zirkulär argumentiert, um die Sittlichkeit der Geschlechterdifferenz zu rechtfertigen. Diese Zirkularität besteht darin, normative Sichtweisen bereits in seiner Darstellung männlicher und weiblicher Biologie einzubetten, so dass die sittliche Bedeutung direkt aus der Natur abgeleitet werden kann. Die Kategorien der Aktivität und Passivität geben hierfür ein Beispiel. In Hegels Verteidigung traditioneller Geschlechtervorstellungen spielen diese Kategorien eine entscheidende Rolle. Die Zuschreibung der Passivität zur Frau und der Aktivität zum Mann erfolgt jedoch in der Naturphilosophie auf willkürliche Weise (EN § 369 Z). Hegel glaubt, dass die weibliche Passivität im Mangel der Klitoris an corpora cavernosa besteht, welche der Penis hat. Die männliche Aktivität wird durch den Bluttransport, der sich »Das Weib ist ein freies für sich, aber den Unterschied zwischen ihm und dem Mann stellt die Erfahrung dar. Der Mann ist für das [allgemeine] Interesse»(Wannenmann 1983, 96). 47 »Die Bildung der unterschiedlichen Geschlechter muß verschieden sein, ihre Bestimmtheit gegeneinander als durch den Begriff gesetzt existieren, weil sie als Differente Trieb sind« (EN § 369 Z). 46
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im Anschwellen des Penisses zeigt, ausgedrückt, während die Frau durch den passiven Verlust an Blut (Menstruation) gekennzeichnet ist. Abgesehen davon, dass Hegels Beobachtungen bezüglich des Vorhandenseins beziehungsweise Fehlens genitaler Schwellkörper biologisch falsch ist, könnten diese biologischen Vorgänge offensichtlich auch anders interpretiert werden: als passives Anschwellen des männlichen Gliedes und als aktives Ausstoßen des Menstruationsblutes. Doch selbst wenn Hegels Erklärung für weibliche Passivität und männliche Aktivität für plausibel gehalten wird, kann ein zweiter Einwand gegen seine Argumentation vorgebracht werden. Hegel macht den Fehler, einen Teil für das Ganze zu nehmen (Pars-pro-Toto-Fehlschluss). Das heißt, er wendet seine Schlussfolgerung, die er aus der Beobachtung der Reproduktionsorgane zieht, auf die ganze Person an. Weil die weiblichen Genitalien Züge von Passivität aufweisen, ist die Frau selbst passiv. Der dritte Einwand gegen Hegel besteht darin, dass die Merkmale, die für die Zuschreibung verschiedener sozio-politischer Bereiche wichtig sind, nämlich die »Allgemeinheit« für den Staat und die »Einzelheit« für die Familie, Merkmale, die jeweils von Mann und Frau übernommen werden (R § 166), in der Naturphilosophie an entsprechender Stelle nicht erwähnt werden. Die Biologien von Mann und Frau sind allein durch die Dichotomien von Passivität und Aktivität, Empfänglichkeit und Tätigkeit, Einheit und Entzweiung gekennzeichnet. Es ist jedoch nicht ersichtlich, wie die für die Familie geforderte »Einzelheit« aus Passivität/Empfänglichkeit/Einheit abgeleitet werden soll und die für den Staat geforderte »Allgemeinheit« aus Aktivität/Tätigkeit/Entzweiung. Damit bleibt die Zuschreibung der »Einzelheit« zur Frau und der »Allgemeinheit« zum Mann willkürlich und das spezifische Gendering der Familienrollen sowie der sozio-politischen Ordnung auch auf der Grundlage von Hegels Naturphilosophie unbegründet. 4.1.3 Kritik an Hegels Bild der Geschlechter Im letzten Abschnitt ist gezeigt worden, dass Hegel die Notwendigkeit einer sittlichen »Transformation« biologischer Geschlechterbestimmungen auf der Grundlage seiner Philosophie begründen kann. Zum einen ist sie notwendig für die griechisch-antike Sittlichkeit, um die Einheit sittlicher Gesetze ex negativo herzustellen zu A
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können. Zum anderen muss in der Moderne dem Menschen die Möglichkeit gegeben werden, sich von seiner Natur – und damit auch von der Geschlechtsnatur – zu emanzipieren. Für die spezifische Zuschreibung der sittlichen Bedeutung für die einzelnen Geschlechter hat Hegel jedoch nicht überzeugend argumentieren können. Obgleich Hegel beobachtet, dass Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit historisch und kulturell variieren, hält er daran fest, dass nur eine bestimmte Rollenverteilung in der Moderne sittlich und vernünftig ist. Den Verdacht eines naturalistischen oder essentialistischen Reduktionismus kann Hegel bei seiner Begründung für die sittliche Bedeutung der Geschlechter nicht vollständig abwenden. Die Geschlechterrollen gehen letztlich auf kultur- und epocheninvariante, metaphysische, »biologisch-sittliche« Wesenseigenschaften von Frau und Mann zurück. Der These von Jean B. Elshtain, Hegel vertrete eine Teleologie der Geschlechternaturen, ist insofern zuzustimmen. 48 Allerdings könnte man Hegel zugutehalten, dass er seine Philosophie der Natur, wie Walter Jaeschke annimmt, selbst als ein historisches Produkt versteht und dieses damit selbst an die geschichtlichen Bedingungen seiner Zeit gebunden sieht. 49 Nichtsdestotrotz müsste die Vernünftigkeit dieses spezifischen Naturverständnisses auch für Hegel allgemein rechtfertigbar sein. Diese Rechtfertigung überzeugt aber nicht. Im Folgenden sollen weitere Inkonsistenzen von Hegels Geschlechterbild anhand einer Diskussion der Hegelforschung zu diesem Thema untersucht und die bisherigen Forschungsergebnisse ergänzt werden. Patricia Mills stellt die These auf, Hegel habe ein naturalistisches Bild der Frau, was sich darin zeige, dass der Frau die Anerkennung als geistiges Wesen verwehrt bliebe. 50 Wenn Mills’ These zutrifft, dann würde Hegel behaupten, dass ein natürlich bestimmt bleibendes Wesen die Hüterin der Institution Familie wäre, eine Annahme, die der Vernünftigkeit dieser Institution widerspräche. Die Familie wäre, wenn sie unter dem Primat des Natürlichen (und damit nicht der Freiheit) stünde, keine sittliche, das heißt vernünftig begründbare und von Zufälligkeiten weitestgehend unabhängige, selbstbestimmte Einrichtung. Als eine Naturgemeinschaft müsste sie konsequenterweise aus dem Bereich der Sittlichkeit fallen. Mills 48 49 50
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Vgl. (Elshtain 1981,177). Vgl. (Jaeschke 2003, 336). Vgl. (Mills 1996 b).
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Interpretation, Hegel betrachte die Frau allein als Naturwesen, ist jedoch nicht korrekt. So nimmt Hegel an, dass Frauen »Personen« sind, wenn sie heiraten, und sie bleiben es auch offensichtlich in der Ehe, denn Hegel konstatiert, dass die »Ehe […] Verbindung Bewußter, Reflektierter« (R § 163 R) ist. Anstatt in Unmittelbarkeit und Partikularität zu versinken – ein Zustand, der in der Sittlichkeit untragbar wäre –, überwinden Frauen dieselben. Ein Beispiel für diese Überwindung gibt Hegel bereits in der Phänomenologie: »Im Hause der Sittlichkeit ist nicht dieser Mann, nicht dieses Kind, sondern ein Mann, Kinder überhaupt, – nicht die Empfindung, sondern das Allgemeine, worauf sich diese Verhältnisse des Weibes gründen.« (PhG, 300)
Das heißt, eine Frau liebt nicht ein anderes Familienmitglied, weil es dieser besondere Mensch ist, sondern weil sie sich der sozialen Rolle der Mutter oder Ehefrau bewusst ist, nach der sie in der Familie handelt. Sie liebt diesen Menschen, weil er ihre Tochter oder ihr Ehemann ist, das heißt, weil er jemand ist, gegenüber dem sie als Mutter und Ehefrau bestimmte normative Verpflichtungen hat. 51 Damit stellt sie die Fähigkeiten der Reflexion und der Übernahme von Verantwortung für ihr Handeln unter Beweis. 52 Das Bewusstsein der Frau über ihre allgemeinen Verpflichtungen gegenüber anderen Familienmitgliedern qua Familienmitgliedschaft hält Jean B. Elshtain für einen Nachteil, anstatt in dieser Orientierung auf Allgemeinheit ein Zeichen der Sittlichkeit der Frauenrolle zu sehen. Elshtains Meinung nach ist es für eine Person unmöglich, »to have a relationship with an abstract category«. 53 Elshtains Bemerkung widerspricht Hegel jedoch nicht grundlegend. In R § 180 A bemerkt er: »Die Liebe, das sittliche Moment der Ehe, ist als Liebe Empfindung für wirkliche, gegenwärtige Individuen, nicht für ein Abstraktum.« So ist es jeder Mutter erlaubt (Moment der Allgemeinheit ihrer Mutterrolle), einen bestimmten Menschen zu lieben (Moment der Partikularität), und es ist gerechtfertigt, dass sie sich diesem Menschen gegenüber parteilich verhält. 54 Angesichts der von Hegel zugestandenen Kapazität der Frauen, eine allgemeine Rolle zu übernehmen, ist Robert Williams zuzuVgl. Kapitel (5.2) der vorliegenden Arbeit. Jean Elshtain hält jedoch einschränkend fest, dass »self-knowledge is available to women but it falls short of genuine self-consciousness« (Elshtain 1981, 174 f.). 53 (Elshtain 1981, 177). 54 Vgl. Kapitel (5.2) der vorliegenden Arbeit. 51 52
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stimmen, dass Mills Hegel fälschlicherweise einen naturalistischen Reduktionismus unterstellt. Zugleich hält Williams einschränkend fest, dass »the transition from nature to ethical life begins when the woman ceases to be merely an object of male desire and comes to count in her own right. However, the traditional view of marriage that Hegel articulates does not, by contemporary standards, allow women to count enough.« 55
Es besteht kein Zweifel daran, dass Hegel den Frauen entscheidende Mittel zur Freiheit und zur Anerkennung als volle Person und freie Bürgerin vorenthält, indem er ihnen politische, ökonomische und soziale Restriktionen auferlegt. 56 Frauen können, weil sich ihr Tätigkeitsbereich auf die Familie beschränkt, weder »ein allgemeines Leben führen« noch »Ehre« erhalten noch »substantielle Freiheit« (R § 257). Darüber hinaus können sie weder ihre privaten Interessen verfolgen noch sich durch Arbeit von ihrer Natur befreien (R § 194). Weil Frauen in der Familie geistige Wesen sein müssen, ihnen aber zugleich auf der Grundlage ihres biologischen Geschlechtes Freiheiten vorenthalten werden, weist diese Behandlung der Frauen auf eine Inkonsistenz und damit auf ein Rationalitätsdefizit der modernen Gesellschaft hin. Denn das, was Hegel mit Blick auf religiöse und nationale Charakteristika bemerkt, muss umso mehr für natürliche Charakteristika gelten: »Es gehört der Bildung, dem Denken als Bewußtsein des Einzelnen in Form der Allgemeinheit, daß Ich als allgemeine Person aufgefaßt werde, worin Alle identisch sind. Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist.« (R § 209)
Hegels Modell der Sittlichkeit verliert durch sein Frauenbild, welches Grundannahmen seiner eigenen Philosophie widerspricht, an Überzeugungskraft. Hegel könnte diesem Vorwurf mit dem Argument begegnen, dass die Frauen in »ihrer Welt«, das heißt innerhalb der Familie, sehr wohl frei sind. Weil Freiheit für Hegel in der Identifikation mit den Institutionen, in denen das Individuum lebt und die es als Ausdruck des eigenen Willens erfährt, besteht, kann die Frau die (Williams 1997, 223). Jean-Philippe Deranty bemerkt, dass zwar Hegel wie zuvor Kant und Fichte den Frauen Freiheit verwehrt und damit in Widersprüche zu seiner eigenen Philosophie kommt. Jedoch ist es der Verdienst dieser Philosophen, die Forderung aufgestellt zu haben, dass alle Menschen frei sein sollen (Deranty 2000, 161).
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Familie als Ausdruck ihres Willens erfahren und hier selbstbestimmt leben. Dieser »Verteidigungsversuch« greift jedoch zu kurz. Erstens sind die Arten der Freiheit und der Anerkennung, die in sittlichen Institutionen erfahrbar werden, komplementär, so dass die Teilnahme in nur einer Institution nicht die fehlende Teilnahme in den anderen Institutionen ausgleichen kann. 57 Zweitens ist die Selbstbestimmung ein Ziel, das für Frauen auch in der Familie unerreichbar bleibt, weil die Ehemänner die Vorsteher des Haushaltes sind (R § 171). 58 Darüber hinaus können Frauen keinen Einfluss auf die rechtliche und ökonomische Organisation der Institution Familie nehmen, weil die Familie durch eine Rechtsordnung geprägt ist, die außerhalb des familialen Bereiches ausgehandelt wird. Die Rechte der Frauen sind an die Familie gebunden. 59 Obwohl kein Zweifel daran besteht, dass Hegels Frauenbild diskriminierend und veraltet ist, gibt es Versuche, den Schaden zu begrenzen. Die schwächste Verteidigung besteht darin, Hegels Ansicht der Geschlechterrollen damit zu entschuldigen, dass er den Vorurteilen seiner Zeit erlegen war und lediglich »seine Zeit in Gedanken« zu fassen suchte, wie Norbert Waszek spekuliert. 60 Gegen einen solchen Versuch spricht sich Seyla Benhabib aus und wendet ein: Hegels Zeit »was a revolutionary one, and in circles closest to Hegel, that of his Romantic friends, he encountered brilliant, accomplished and nonconformist women who certainly intimated to him what true gender equality might mean in the future«. 61 Von der Tradition abweichenVgl. (Honneth 2001), (Neuhouser 2000), (Patten 1999). In der Phänomenologie werden die Frauen noch als die Vorsteherinnen des Haushaltes bezeichnet (PhG, 301). Indem Hegel in den Grundlinien den Männern nun die Aufgabe des Hausherrn zuteilt, entzieht er den Frauen Macht innerhalb der Familie. 59 Dadurch ergibt sich die Schwierigkeit, dass sie in der »bürgerlichen Gesellschaft« einen zwiespältigen Status haben müssten. Auch wenn Frauen nicht als Handelspartnerinnen und Entrepreneure in Aktion treten können, muss es dennoch möglich sein, sie im Falle eines Verbrechens vor Gericht zu laden und damit als Rechtsperson wahrzunehmen. 60 Vgl. (Waszek 1999, 278 f.). Jean-Phillipe Deranty wendet gegen eine solche Position ein, dass heutzutage in verschiedenen Kontexten »Mensch« mit »Mann« gleichgesetzt wird – und die Vorstellungen von den Geschlechtern aus Hegels Zeit gesellschaftlich noch nicht vollständig überholt sind (Deranty 2000, 160 f.). 61 (Benhabib 1992, 254). Vgl. auch ebd., 17. Seyla Benhabib setzt sich mit dem Problem auseinander, wie Hegels diskriminierendes Frauenbild bewertet werden soll, und sie artikuliert die Grundprobleme für eine feministische Hegelinterpretation: Hegels Auffassung des Geschlechterverhältnisses, seine Diskriminierung der Frau durch deren Ausschluss aus der »bürgerlichen Gesellschaft« und dem Staat und die Konzipierung der 57 58
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de, progressive Sichtweisen auf die Frauen waren Hegel durchaus zugänglich, und es war seine Entscheidung, diese zu ignorieren. Ein anderer Versuch, Hegel in Schutz zu nehmen, ist, die Aufmerksamkeit auf seine historischen Bemerkungen über Frauen zu lenken (R § 167 R). 62 Offensichtlich war Hegel sich der kulturellen Vermittlung und des historischen Wandels von Geschlechterrollen bewusst. Zwar kann die Unterstellung einer Geschlechtermetaphysik für Hegel abgewendet werden, jedoch bleibt die Tatsache bestehen, dass Hegel nur eine Darstellung der Geschlechterrollen für vernünftig und der modernen bürgerlichen Familie normativ angemessen hält – und die konkrete, inhaltliche Ausgestaltung dieser Geschlechterrollen steht im Widerspruch zu anderen Grundannahmen seiner Philosophie. Konsequenterweise geht Gabriele Neuhäuser in ihrer Verteidigung Hegels noch einen Schritt weiter. 63 Sie versucht, die Bedeutung Frau als ein naturnahes Wesen, welches zur Freiheit und Reflexion nicht fähig ist, wohl aber zum Gefühl und aus diesem Grund Hüterin – nicht Vorsteherin – der Familie wird (Benhabib 1992, 242–259). Benhabib kommt zu dem Schluss, dass Hegels Frauenbild nur unter Hinzuziehung von dessen zeitgeschichtlichem Diskurs beurteilt werden kann. Während sie innovative Annahmen Hegels hinsichtlich des Ehe- und Scheidungsrechts herausstreicht, bleibt Hegel, von revolutionären Geschlechterbildern seiner Zeit unbeeindruckt, einer konservativen Vorstellung von der gesellschaftlichen Rolle der Frau verhaftet (Benhabib 1992, 249 ff.). 62 Vgl. (Easton 1987), (Neuhäuser 1994), (Waszek 1999). 63 Gabriele Neuhäuser verfolgt in ihrer Untersuchung der Familie bei Hegel in der Rechtsphilosophie einen feministischen Ansatz und zeigt Verbindungen zu aktuellen Anerkennungstheorien von Axel Honneth und Andreas Wildt auf (Neuhäuser 1994). Vgl. auch die Schriften von Honneth und Wildt, die im Laufe der vorliegenden Arbeit besprochen werden: (Honneth 1998), (Honneth 2000), (Honneth 2001), (Wildt 1982). Honneth und Wildt bilden wichtige Bezugspunkte, um Hegels Konzeption der Liebe als eine angemessene Form der Anerkennung herauszuarbeiten (Kapitel 5.2). Ludwig Sieps Studie (Siep 1979) zur Anerkennung bei Hegel, die für die vorliegende Arbeit relevant ist, lässt Neuhäuser weitestgehend unberücksichtigt (Neuhäuser 1994, 7). Neuhäusers Analyse gibt wichtige Impulse für die vorliegende Arbeit, denn ihr Bestreben, Hegels Familienmodell auf dessen Flexibilität hin zu überprüfen, ist ein unverzichtbarer Schritt für eine systematische Aktualisierung der hegelschen Familientheorie. Anders als bei zu Neuhäuser steht in der vorliegenden Arbeit die Verknüpfung der hegelschen Familienkonzeption mit dem Begriff der Freiheit im Vordergrund. Die hier verteidigte Kernthese lautet, dass die »Befreiung« (R § 163), die das Individuum von den natürlichen Aspekten seiner Individualität in der Familie erfährt, über eine soziologische Theorie der »Kultivierung« von Natur hinausgeht, weil die Sozialisation des Individuums in der Moderne im hegelschen Sinne einen »vernünftigen« Bildungsweg des Menschen zum freien und geistigen Wesen darstellt. Die institutionelle Konzeption der Freiheit als vernünftiger Selbstbestimmung lässt Neuhäuser hingegen unberücksichtigt.
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der Geschlechterdifferenz in Hegels Familienmodell herunterzuspielen, indem sie bemerkt, dass seine Anmerkungen zum weiblichen und männlichen Geschlecht nicht an zentralen Stellen des Textes stehen, sondern nur in handschriftlichen Notizen, Zusätzen und Randbemerkungen. 64 Gegen Neuhäuser lässt sich jedoch einwenden, dass Hegel seine Meinung über Mann und Frau klar und eindeutig in R §§ 165 und 166 darlegt und systematische Gründe ihn zwingen, eine Geschlechterdifferenz als fundamental anzunehmen. Somit ist auch Frederick Neuhouser zu widersprechen, der die These aufstellt, dass Hegels Darstellung der Geschlechter ohne großen Verlust beiseitegelassen werden kann, weil diese Aussagen nicht die Fundamente seiner Philosophie berühren. 65 Neuhouser beachtet zum einen nicht, dass Hegel den Ehrgeiz hatte, ein vollständiges und kohärentes philosophisches System zu entwickeln. Zum anderen übersieht er die anti-reduktionistischen, anti-dualistischen und anti-essentialistischen Implikationen von Hegels Verständnis der Natur in der Sittlichkeit. Die einzige Hegelforscherin, die Hegels starken Anti-Reduktionismus herausstreicht, ist Susan Easton. Sie argumentiert gegen die »orthodox feminist view«, nach der Hegel einen naturalistischen Reduktionismus und Essentialismus verteidigt und sein Werk ein Beispiel der »public-private distinction of mainstream political thought« 66 gibt. Ihre Ausführungen bleiben jedoch auf die Phänomenologie fokussiert und lassen damit Probleme der Inkonsistenz von Hegels Frauenbild in den Grundlinien ungelöst. Angesichts der Unterordnung und der Inferiorität der Frauen bei Hegel zieht Seyla Benhabib den Schluss, dass Frauen Opfer der hegelschen Dialektik werden. 67 Frauen bleiben ahistorisch, unbewusst, unartikuliert und passiv sowie nahe an der Natur und an der Unmittelbarkeit konzipiert. Jedoch ist die Situation der Frauen nicht Vgl. (Neuhäuser 1994, 26). Martin Weber hält das Geschlechterverhältnis ebenfalls nicht für ein konstitutives Moment in der Begründung der Sittlichkeit der Ehe (Weber 1986, 93). Er fügt aber zugleich hinzu, dass Hegel die Differenz aus begriffslogischen Gründen braucht. In Hegels Augen sind begriffslogische Gründe jedoch notwendige Argumente in der Begründung der familialen Sittlichkeit. 65 Vgl. (Neuhouser 2000, 275–7). So bemerkt Neuhouser, dass Hegel zwar essentielle Unterschiede zwischen Mann und Frau auf natürliche Differenzen zurückführt, ohne jedoch die Gründe dafür herauszuarbeiten (beispielsweise Hegels Annahme, dass eine lebendige Einheit nur durch interne Spannungen zustande kommen kann, sich Freiheit in der Überwindung natürlicher Bestimmungen erweist etc.). 66 (Easton 1987, 52). 67 Vgl. (Benhabib 1992, 256). 64
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hoffnungslos, so Benhabib. Frauen können Stärke aus ihrer radikalen Außenseiterposition gewinnen, anstatt »the mere shadow of masculine self-consciousness« zu bleiben; 68 sie können den Gang der hegelschen Dialektik kraft ihres Andersseins stören. 69 Benhabib stellt jedoch nicht im Detail dar, wie diese Störung ausgeführt werden könnte, warum sie ausgeführt werden sollte und was als Ergebnis dieser Störung zu erwarten wäre. Anscheinend beabsichtigt sie, Hegels angenommene metaphysische Sichtweise auf die Frau zum Vorteil für die Frau auszunutzen, anstatt diese Sichtweise als eine metaphysische zu kritisieren. Ein stärkeres Argument wäre jedoch, Hegels eigene Forderung nach einer gerechtfertigten Begründung der Geschlechterrollen gegen seine Sichtweise auf die Frau auszuspielen und ihm vorzuhalten, dass er diese Geschlechterrolle nicht ausreichend hat begründen können. Allen Wood versucht, das Problem der geschlechtsspezifischen Rollenzuweisung von Hegels systemphilosophischen Überlegungen aus anzugehen. Wood geht in seiner Interpretation der Paragraphen 165, 166 in den Grundlinien davon aus, dass sich Hegels Theorie der Moderne auf zwei sittlichen Prinzipien gründet: dem Prinzip der Substantialität und dem Prinzip der Reflexion. 70 Damit der Geist als Substanz zum Subjekt werden kann, so Wood, müssen beiden Prinzipien in der sozio-politischen Welt sowohl individualisiert als auch miteinander versöhnt werden. Das Substantialitätsprinzip findet seinen Ausdruck im individuellen Charakter als Gewohnheit und Gefühl, im sozialen Kontext als Vertrauen und Loyalität und institutionell in der Familie. Das Reflexionsprinzip dagegen wird in der eigennützigen Kalkulation und im unparteilichen moralischen Denken sichtbar. Reflexion herrscht vor allem in der »bürgerlichen Gesellschaft« und im Staat vor, wie auch in Wissenschaft und Philosophie. Weil beide Prinzipien nicht nur Tätigkeitsweisen, inneren Einstellungen und gesellschaftlichen Bereichen zugeordnet werden, sondern auch Individuen, dienen sie zur Rechtfertigung der inhaltlichen Ausgestaltung von Geschlechterrollen. Die Frau verkörpert das Substantialitätsprinzip, während der Mann für das ReflexionsEbd. Vgl. ebd. Zum Versuch, die Dialektik von Herr und Knecht auf das Verhältnis von Mann und Frau zu übertragen, vgl. (Easton 1987). 70 Vgl. (Wood 1995, 245 f.). Auch Martin Weber geht davon aus, dass Hegels sittlicher Unterscheidung von Mann und Frau begriffslogische Gründe zugrunde liegen (Weber 1986, 93). 68 69
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prinzip steht. Die Notwendigkeit, die Prinzipien auf Individuen verschiedenen Geschlechts zu verteilen, folgt der These einer generell notwendigen Individuation von sittlichen Prinzipien, deren Unterscheidung durch eine möglichst große und allgemeine Differenz deutlich gemacht werden soll. Durch die konkrete Zuschreibung der Gesetze zu den Geschlechtern ergeben sich politisch diskriminierende Konsequenzen für die Frau. Wood glaubt jedoch, Hegels Darstellung korrigieren zu können. Während Hegel aus metaphysischen Gründen an einer fundamentalen Differenz der Prinzipien festhalten muss, könnte er in Woods Augen gleichwohl auf die These einer Notwendigkeit der Individuation der Prinzipien verzichten und stattdessen behaupten, dass die Prinzipien in jeder Person gleichermaßen verkörpert und miteinander versöhnt werden. 71 Obgleich dies eine elegante Lösung zu sein scheint, um die Gleichheit der Geschlechter zu etablieren, ist Woods Argumentation aus zwei Gründen nicht stichhaltig. Zunächst ist es notwendig, um erstens die Prinzipien erfahrbar zu machen und zweitens eine Einheit der Prinzipien ex negativo herbeizuführen, dass jedes Prinzip durch die Taten und das Bewusstsein eines Akteurs oder einer Akteurin vehement vertreten wird. Die Akteurin beispielsweise muss vollständig von einem Prinzip in ihrem Handeln und ihren Überzeugungen beherrscht sein. Der Versuch, zwei Prinzipien gleichzeitig zu verkörpern, würde aber zu einer gespaltenen Bewusstseinshaltung der Akteurin führen und es ihr unmöglich machen, zu wissen, wie zu handeln sei. Zwiespältigkeit der Handelnden würde letztlich zu ihrer Handlungsunfähigkeit führen. Wood könnte sich gegen diesen Einwand durch den Hinweis verteidigen, dass es zwar für Heroen der griechischen Antike wie Antigone und Kreon unabdingbar ist, mit Pathos (und damit ohne Zweifel daran, was zu tun ist) zu handeln, dass solche heroischen Taten aber von Ehefrauen und Staatsbürgern der Moderne nicht mehr erwartet werden. Nichtsdestotrotz bleibt die Forderung auch für Menschen in der Moderne bestehen, dass sie auf vernünftige und sittliche Weise, ohne Zweifel und lange Entscheidungsprozesse zu handeln wissen. Das Sittliche zu tun sollte ihnen zur Gewohnheit geworden sein. Diese habitualisierte sittliche Verhaltensweise ist aber bei einer gespaltenen Bewusstseinshaltung nicht möglich. Gegen Woods Argumentation kann ebenfalls eingewandt wer71
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den, dass er übersieht, dass Menschen ihre Natürlichkeit überwinden müssen, um selbstbewusste, sich selbst bestimmende und vernünftige Wesen zu werden. Ihr biologisches Geschlecht macht zweifellos einen wichtigen Teil ihrer Natürlichkeit aus. Mit anderen Worten, die sittliche »Transformation« der Geschlechterdifferenz eröffnet dem Menschen die Möglichkeit, sich von seinen Naturbestimmungen zu befreien und sie sich in selbstbestimmter Weise anzueignen. In der Phänomenologie betont Hegel, dass Männer und Frauen nur dadurch ihre Natürlichkeiten überwinden und zu sittlichen Akteuren werden können, indem sie zum Hüter der Familie und des Staates werden (PhG, 301). Das Relevantwerden der Geschlechterdifferenz wird damit selbst zum Bestandteil der Emanzipation des Menschen von seiner Natur und der darin gewonnenen individuellen Freiheit. Auf diese Weise – nämlich aus Gründen der Freiheit – wird auch eine Notwendigkeit der sittlichen »Transformation« natürlicher Geschlechterunterschiede für die Moderne begründet. Ihr spezifischer Ausgang wird dadurch jedoch nicht bestimmt. Axel Honneth hat den Versuch unternommen, die Grundlinien als eine Theorie der Gerechtigkeit wie auch als eine zutreffende Diagnose sozialer Pathologien, die aus radikalisierten Modellen der Freiheit entstehen, zu rekonstruieren. In diesem Kontext ist es interessant, wie Honneth mit dem Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Leben umgeht. Seine Hauptthese in seinem Buch Leiden an Unbestimmtheit wird im folgenden Zitat prägnant zusammengefasst. »[D]ie sozialen Sphären, die hier [im Sittlichkeitskapitel, S. B.] vorgestellt werden sollen, müssen beides zugleich leisten, eine dauerhafte Befreiung von den zuvor [in den Kapiteln ›Abstraktes Recht‹ und ›Moralität‹, S. B.] umrissenen Leidensphänomenen [Kontextblindheit und Ziellosigkeit beim Modell der negativen Freiheit (Abstraktes Recht) und bodenlose Selbstvergewisserung und Handlungslosigkeit bei dem Modell der optionalen Freiheit (Moralität), S. B.] und eine ›gerecht‹ zu nennende Ermöglichung der individuellen Selbstverwirklichung [die nur in reziproken Anerkennungsverhältnissen und mittels Bildungsprozessen möglich ist, S. B.] aller Subjekte.« 72
Es scheint für Honneth selbstverständlich zu sein, dass Hegels »Diagnose« sowie seine vorgeschlagene »Therapie« sich sowohl auf Männer wie auch auf Frauen bezieht. Aus diesem Grund verwendet 72
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(Honneth 2001, 77).
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er wahrscheinlich Generalisierungen wie »alle Subjekte«, 73 wenn er Thesen über die Bedingungen der Verwirklichung individueller Freiheit formuliert. Dass den Frauen der Zugang zu diesen Bedingungen verwehrt wird, lässt er unerwähnt. Nur einmal erwähnt er das Problem der Inferiorität der Frau bei Hegel. Er nimmt an, dass dieses Problem beseitigt werden könnte, jedoch ohne einen Lösungsweg aufzuzeigen. 74 Es besteht berechtigter Zweifel daran, dass, wenn die hegelschen Kategorien wie »Bürger«, »Subjekt«, »Person« usw. auf Frauen ausgeweitet werden würden, die Inkonsistenzen in Hegels Philosophie beseitigt wären, insbesondere wenn man Honneths eigenen Ansatz ernst nimmt. So ist es nach Honneth Aufgabe der Sozialphilosophie, die Aufmerksamkeit auf die Pathologien des Sozialen zu richten. 75 Was sind aber die Pathologien, die entstehen, wenn Frauen der Zugang zu den entscheidenden Mitteln von Freiheit und Selbstverwirklichung verwehrt bleibt? Weder Hegel noch Honneth können diese Frage beantworten. Die dringenden Probleme für Frauen im 18. und 19. Jahrhundert, ihr Kampf um die Bürgerschaft und um Teilnahme am öffentlichen Leben, werden nicht erwähnt, obwohl gerade das Fehlen der Bürgerschaft eine soziale Pathologie darstellt, die für die Frauen relevant war. 4.1.4 Fazit Heterosexualität ist die grundlegende Kategorie sowohl für die Organisation des Familienlebens als auch für die der Gesellschaftsordnung als Ganze. Hegel verteilt gesellschaftliche und familiale Rollen entlang der Geschlechterdifferenz und stellt die verschiedenen sozio-politischen Institutionen (Familie, »bürgerliche Gesellschaft«, Staat) entweder unter männliche oder weibliche Obhut. Heterosexualität wird von Hegel als biologischer und nicht symbolischer Unterschied verstanden. Dieser Unterschied soll in der Familie auf vernünftige Weise transzendiert und diese damit zu einer binnendifferenzierten, »konkreten« und »lebendigen« Einheit geführt werden. Der in der antiken griechischen Gesellschaft auftretende »Kampf der Geschlechter« im Namen sittlicher Gesetze weicht in der Moderne einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Gesellschaft. Wider73 74 75
Vgl. (Honneth 2001, 34, 75, 79, 91). Vgl. (Honneth 2001, 107–108). Vgl. (Honneth 2000), insbesondere Kapitel 1 »Aufgaben der Sozialphilosophie«. A
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sprüche zwischen den Ansprüchen von Staat und Familie sollten hier nicht mehr auftreten, da der Staat die Forderungen der Familie zugleich zu berücksichtigen und zu beschränken weiß. Hegel verwickelt sich allerdings mit seinem Frauenbild in Widersprüche, weil er den Frauen entscheidende Mittel zur Freiheit vorenthält. Zur Verteidigung Hegels könnte man mutmaßen, dass die Rolle des »Familienoberhaupts« beziehungsweise der »Hausfrau« nicht zwingend von einem Mann beziehungsweise einer Frau übernommen werden muss, sondern auch ein Mann die Rolle der »Hausfrau« und eine Frau die Rolle des »Familienoberhaupts« füllen könnte. Dies hieße, Hegels Konzeption von Männlichkeit und Weiblichkeit in der Rechtsphilosophie eher auf symbolische denn auf biologische Weise zu verstehen. Obwohl Hegel diese Möglichkeit nicht bespricht, ist zu bezweifeln, ob die Kategorien von Mann und Frau tatsächlich denaturalisiert werden können. So stellt die Überwindung »natürlicher Bestimmtheit« zwar einen Schritt in der Emanzipation des Menschen dar, jedoch ist Hegel auch darum bemüht, Rückbezüge auf Natürlichkeiten in der sozio-politischen Lebenswelt des Menschen aufrechtzuerhalten, um einen Dualismus von Natur und Geist zu vermeiden. Dieser Balanceakt zwischen einer vernünftigen Kultivierung der Natur auf der einen Seite und dem Vermeiden einer Kluft zwischen Natur- und Kulturbestimmungen auf der anderen Seite gelingt Hegel angesichts seiner zirkulären Argumentation zur Rollenbestimmung von Mann und Frau kaum. So liest er in die Biologie von Mann und Frau die Eigenschaften hinein, die er dann für sittlich bedeutsam hält. Nichtsdestotrotz ist Hegels Versuch, Natur nur dann auf normative Weise relevant werden zu lassen, wenn es Gründe gibt, dieses zu tun, eine zu begrüßende Argumentationsstrategie (eines Rationalismus) bei dem Bemühen, Natürlichkeiten des Menschen in seiner sozio-politischen Lebenswelt angemessen Rechnung zu tragen. Darüber, ob Hegel jedoch die richtigen Gründe gefunden hat, lässt sich angesichts seiner klassischen Rollenverteilung offensichtlich streiten. Selbst unter der Annahme, dass die Rollenverteilung in der Familie für Hegel nicht geschlechtsspezifisch determiniert ist, bleibt eine Kritik an der Rollengestaltung bestehen. Die Person, welche die Funktionen der »Hausfrau« übernimmt und von anderen gesellschaftlichen Institutionen ausgeschlossen wird, erfährt eine Diskriminierung und Verweigerung der Anerkennung als Bürger oder Bürgerin und Wirtschaftssubjekt, die ihr die volle Entfaltung von 140
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Freiheit unmöglich macht. Dieses Defizit stellt den »sittlichen« Charakter der Familienstruktur in Frage – ein Defizit, das in Kapitel 5 ausführlich diskutiert wird. Hegels Konzentration auf die sittliche Bedeutung der Geschlechtlichkeit ist in seinen Überlegungen zur Freiheit begründet. Er ist der Ansicht, dass der Mensch, um frei zu sein, seine natürlichen Bestimmungen in ein Subjektives verwandeln, das heißt: sie zu seiner eigenen Bestimmung machen muss. Er stellt das Geschlecht ins Zentrum seiner Überlegungen – und nicht etwa die Körpergröße, Ethnie oder das Alter –, weil sich die Fähigkeit zur Selbstbestimmung am besten darin zeigt, die Natürlichkeit, die den Menschen am grundlegendsten und allgemeinsten als Naturwesen bestimmt, in selbstbestimmter und vernünftiger Weise zu transzendieren. Diese fundamentale Natürlichkeit besteht für Hegel in der Geschlechtlichkeit. Der Mensch muss sich dabei in der Lage zeigen, seinen natürlichen Merkmalen in gesellschaftlichen Rollen kultiviert Raum zu geben und zugleich durch die Teilnahme an Institutionen selbstbestimmt zu leben. 76 Dieser Gedanke der Selbstbestimmung muss jedoch erstens nicht auf das Geschlecht beschränkt bleiben, und zweitens braucht er nicht in Hegels konkretes Rollenverständnis von Mann und Frau zu münden. Indem Hegel hervorhebt, dass es einer Rechtfertigung bedarf, auf welche Weise natürliche Tatsachen, Dispositionen, Eigenschaften und Prozesse bei der Ausgestaltung bestimmter gesellschaftlicher Rollen bedeutsam werden, kann eine Veränderung seiner Rollenvorstellungen vorgenommen werden, wenn es dafür Gründe gibt. 77 Und diese Gründe ergeben sich nicht nur angesichts heutiger Zweifel an der Binarität und Natürlichkeit der Geschlechter und an der Notwendigkeit einer heterosexuellen Struktur der Ehe oder aufgrund von Überlegungen zur Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Bereits interne Widersprüche mit anderen Grundannahmen seiner Philosophie hätten Hegel zwingen müssen, sein Frauenbild zu revidieren.
Vgl. Kapitel (5.3) der vorliegenden Arbeit. So sollten Frauen, wie Frederick Neuhouser betont, nicht aufhören, »wanting to be mothers, wives, and daughters but rather […] they – and ultimately, of course, the men they live with – [should] substantially revise their conceptions of what properly belongs to those roles« (Neuhouser 2000, 274).
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4.2 Reproduktion, Triebe und Tod 4.2.1 Von der Natur zur Kultur Seyla Benhabib hält hinsichtlich der Frage, wie sich die Grenze von Natur und Kultur in einer Gesellschaft etabliert, fest: »The sphere of sexual and reproductive lives is a central focus of most human cultures […]. The regulation of these functions forms the dividing line between nature and culture: all animal species need to mate and reproduce in order to survive, but the regulation of mating, sexuality, and reproduction in accordance with ›kinship patterns‹ is, as Claude Levi-Strauss argued in The Elementary Structure of Kinship (1969), the line that separates fusis from nomos.« 78
Auch bei Hegel zeichnet sich die Linie zwischen Natur und Kultur, zwischen natürlicher Unmittelbarkeit und sittlich ›Gesetztem‹, am Umgang mit Themen der Reproduktion, Trieben und dem Tod ab. So wird Hegel nicht müde, das ganze Familienkapitel hindurch auf die »unmittelbare […] Natürlichkeit und deren Triebe« hinzuweisen, wohingegen die Ehe »als eine sittliche Handlung der Freiheit« abzusetzen ist (R § 168). Diese Absetzbewegung muss aber zugleich eine Einschlussbewegung des Natürlichen umfassen. Menschen bleiben trotz aller Geistigkeit Naturwesen, die sich auf eine ihrem biologischen Reproduktionsapparat entsprechende Weise fortpflanzen müssen. 79 Hegel steht vor der Aufgabe, Reproduktionsprozesse und die sie begleitenden Triebe, Begehrlichkeiten und Gefühle in der Familie in einer Weise einzubinden, dass sie der Vorstellung von der Ehe »als eine[r] sittliche[n] Handlung der Freiheit« nicht widersprechen. Bei der Lösung dieser Aufgabe rückt allerdings nicht das biographische oder historische Zustandekommen der Familie als einer Reproduktionsgemeinschaft ins Zentrum, sondern die Rechtfertigung der Familie als einer sittlichen Institution. Die Argumentationsrichtung, die Hegel für eine derartige Rechtfertigung einschlägt, steht unter dem Motto, dass das Sinnliche dem Sittlichen zu folgen habe – und nicht umgekehrt (R § 161 R). Hegel stellt, wie David Krell bemerkt, die natürliche Reihenfol(Benhabib 2002, 84). Dass die Weise der menschlichen Reproduktion beim Stand der heutigen Reproduktionsmedizin bei weitem nicht mehr abhängig von einer »natürlichen« Fortpflanzung ist, kann im hegelschen Sinne als eine Fortsetzung der Befreiung des Menschen von seinem Bestimmtsein durch die Natur verstanden werden.
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ge von sinnlicher Attraktion und ehelicher Bindung auf den Kopf. 80 Doch zu welchem Zweck geschieht diese Umkehrung? Geht es Hegel um eine Repression des Sinnlichen und damit der Naturseite des Menschen, eine Repression, die sein Modell der Familie unrealistisch erscheinen ließe? Derartige Bedenken sind schnell auszuräumen, denn Hegel betont, in der »Liebe als solcher – ist Alles in Einem – ungesondert – sinnlich und sittlich« (R § 164 R). Hegels Anliegen ist nicht, die empirische Entstehung einer Ehegemeinschaft nachzuzeichnen, sondern die Familie als sittliche Institution zu begründen – und in diesem Argumentationsgang haben die Natürlichkeiten der Familie keine Begründungskraft. Jedoch bleibt offen, ob ihm eine überzeugende Argumentation gelingt – ohne den Menschen erneut in einen Bürger zweier Welten zu spalten. 81 Hegel soll an seinem eigenen Anspruch gemessen werden, dass in seinem Familienmodell »verschiedene […] Momente, die in der Liebe sind, ihr wahrhaft vernünftiges Verhältnis zueinander bekommen« (R § 164 Z). Dieses »Verhältnis« besteht in einer »Vereinigung« der Aspekte von Natürlichkeit und Vernünftigkeit, Sinnlichkeit und Sittlichkeit. Hegel muss also die Themen der Reproduktion, der Triebe, des Todes und des Gefühls in einer Weise behandeln, die ihn sowohl gegen eine naturalistische Strategie der Rechtfertigung der Familie abgrenzt als auch beweist, dass er die menschliche Bedürftigkeit (den Menschen als Naturwesen) in seiner Vorstellung vom sittlichen Familienmitglied mit berücksichtigt und damit kein »gespaltenes« Menschbild hat. Die Naturseiten, so ist zu zeigen, dürfen dem Vernünftigkeitsanspruch der sittlichen Institution der Familie nicht diametral entgegenstehen, sondern müssen rationalisiert werden können. Vorab ist anzumerken, dass in Hegels Auseinandersetzung mit diesen Themen zwei Begriffe teilweise ineinanderfließen, die streng genommen voneinander getrennt werden müssten: der Begriff der Subjektivität beziehungsweise des Subjektiven und der Begriff der Natürlichkeit. Beiden Begriffen ist gemein, dass sie etwas Zufälliges, Willkürliches, Launenhaftes, Partikuläres und nicht durchgängig Vernünftiges bezeichnen und insofern beide (in diesen Bedeutungen) Vgl. (Krell 1996, 91). Susan Easton ist davon überzeugt, dass es Hegel gelingt, die Familie als eine sittliche Institution darzustellen, die die biologische Dimension des Menschen transzendiert, ohne einen Keil zwischen Leidenschaft und Vernunft schieben zu müssen. Diesen Balanceakt vollzieht Hegel, indem er die Rolle der Leidenschaft in der Familie stark einschränkt (Easton 1987, 35).
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für die Gegenstände des Gefühls, der Triebe und Bedürfnisse in Anschlag gebracht werden können. Jedoch unterscheiden sich die beiden Begriffe auch in substantieller Weise voneinander. So verweist das Subjektive generell auf das Subjekt und dessen Innerlichkeit, die gegen die Objektivität und die Außenwelt abzugrenzen sind. Das Natürliche dagegen ist Bestandteil dieser Außenwelt. Auch verwendet Hegel »Natürlichkeit« häufig synonym mit »Unmittelbarkeit«, welche sich durch die (weitestgehende) Abwesenheit einer subjektiven Perspektive auszeichnet, das heißt durch das Fehlen einer theoretischen und praktischen Einstellung des Tieres gegenüber seiner Umwelt, eine Einstellung, die erst Tiere, welche sich im Übergang zu geistigen Wesen befinden, einnehmen können. 82 Entsprechend ist auch das Defizit von Natürlichkeit und Subjektivem mit Blick auf die Freiheit als Selbstbestimmung ein anderes. Während das durch die Natürlichkeit bestimmte Wesen noch gänzlich und unwissentlich fremdbestimmt ist, ist das Subjekt als geistiges Wesen, welches sich allein auf die Befriedigung seiner subjektiven Bedürfnisse, Interessen und Gelüste konzentriert und daher dem Wohl anderer und der Gemeinschaft desinteressiert gegenübersteht, noch nicht im vollem Maße selbstbestimmt, gleichwohl aber auf dem Weg dorthin. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Hegel es für eine sittliche Forderung hält, das »Prinzip der Subjektivität« 83 als ein Recht der Individuen, ihre Bedürfnisse in gesellschaftlich-politischen Institutionen befriedigt zu finden, auch in der Familie zu berücksichtigen. Ein vergleichbares »Prinzip der Natürlichkeit« wird allerdings nicht formuliert. Die natürlichen Aspekte des Menschen als Naturwesen scheinen in der Familie bereits in die Besonderheiten und Partikularitäten des Subjekts als eines geistigen Wesens überführt worden zu sein. Insofern gehört es zum subjektiven Recht des Familienmitgliedes, dass seine natürlichen Bedürfnisse in der Familie berücksichtigt werden. In Anbetracht dessen, dass sowohl Subjektives als auch NatürliVgl. Kapitel (3.1) der vorliegenden Arbeit. In R § 124 A führt Hegel das »Prinzip der Subjektivität« ein: »Das Recht der Besonderheit des Subjekts, sich befriedigt zu finden, oder, was dasselbe ist, das Recht der subjektiven Freiheit macht den Wende- und Mittelpunkt in dem Unterschiede des Altertums und der modernen Zeit.« Dieses Prinzip wird bereits in der Einleitung in R § 33 R antizipiert: »Subjektives Recht, daß Ich es wisse, überzeugt sei, zustimme – Recht der Subjektivität – des Wissens, meines Wollens, meiner Bedürfnisse, Wohl« (Hervorhebung S. B.). Vgl. auch R §§ 132, 154. 82 83
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ches in ihren verschiedenen Bedeutungsaspekten in Hegels Diskussion der Reproduktion (Gattungsprozess), der Triebe, des Todes und des Gefühls relevant sind, ergeben sich folgende Unterkapitel. Zunächst sind vor dem naturphilosophischen Hintergrund, der in Kapitel 3.1 dargelegt wurde, der Prozess der Gattung, die Triebe und der Tod zu diskutieren. Der Aspekt der Natürlichkeit steht hierbei im Mittelpunkt. Mit Blick auf die Liebe als ein Gefühl tritt dann neben der Bestimmung des Gefühls als einer »natürlichen Regung« der Aspekt des Subjektiven stärker hervor. Aus diesem Grund wird die Liebe als Gefühl in einem gesonderten Kapitel behandelt (4.3). Die Gefühlsseite von Hegels Konzeption der Liebe wird anhand seiner Ablehnung von zwei alternativen Modellen der Liebe beziehungsweise Ehe erörtert: der schlegelsch-romantischen Konzeption der Liebe als einem alles umfassenden Gefühl der Leidenschaft und der kantischen Vorstellung, die Ehe sei eine Vertragsgemeinschaft, in der die emotionalen Qualitäten unberücksichtigt bleiben können. 4.2.2 »Reproduktion« und Adoption Der Gattungsprozess bildet den Ausgangspunkt für die natürliche Seite der Familie und ist zugleich für die Dynamik der Familie, ihre »Lebendigkeit«, verantwortlich (R §§ 161, 162, 165). Diese Dynamik geht auf die »Dirimation« der Gattung in zwei Geschlechter zurück, die im vorhergehenden Kapitel (4.3) bereits diskutiert wurde und hier nicht weiter erörtert werden soll. Im Kontext der Naturphilosophie hat Hegel auf das Problem aufmerksam gemacht, dass die Reproduktion einer Gattung sich als eine Kette aufeinanderfolgender und nebeneinander existierender Einzelsubjekte darstellt, eine Kette, die, ohne die Qualität des Nebenund Nacheinanders übersteigen zu können, sich in der Form einer »schlechten Unendlichkeit« fortsetzt (EN § 370). 84 Die Einheit, die zwischen dem einzelnen Naturwesen und seiner Gattung als das ihn bestimmende Allgemeine und in der Form des Ansichseins besteht, kann im natürlichen Reproduktionszusammenhang nicht zu einem Fürsichsein erhoben werden, das heißt, der Einheit kann das Subjekt noch nicht gewahr werden. Die Einheit der Gattung kommt zur Existenz mittels einer zweifachen Negation: erstens der Negation der Allgemeinheit durch die Herausbildung zweier Geschlechter und 84
Vgl. Kapitel (3.1.1) der vorliegenden Arbeit. A
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zweitens der Negation der »Einzelnheit« durch den Tod des Einzelsubjekts. Eine solche bloß negativ zur Existenz gebrachte Einheit reicht für die Familie als eine Gestalt des Geistes nicht mehr aus. Hegel macht zwar im Familienabschnitt auf den »unendlichen Prozess der sich erzeugenden und voraussetzenden Geschlechter« aufmerksam und scheint diesen Prozess sogar zu beschönigen, weil er die Aspekte der Negation und der schlechten Unendlichkeit und die damit verbundenen Probleme 85 nicht erwähnt (R § 173). 86 Gleichwohl wechselt er das Terrain, wenn er den Einheitscharakter der Familie erläutert. So gründet sich die Einheit der Familie nicht mehr auf die natürlichen Reproduktionsverhältnisse und -prozesse, sondern auf die Liebe als eine Form der Gesinnung und des Selbstbewusstseins. Erst in der Gesinnung der Liebe kann die Einheit in der Familie im Modus des Fürsichseins auf affirmative Weise existent werden (ebd.). Diese so genannte »geistige« oder »substantielle« Seite der Familie wird in Kapitel 5.2 zur Liebe eingehend behandelt (R §§ 161, 163, 173). Hegel bedient sich zweier Metaphern, um die Einheit der Familie – zum einen die natürliche Einheit der Gattung, zum anderen die sittliche Einheit der Liebe – zu versinnbildlichen. Im ersten Fall sind es die »Penaten«, die römischen Gottheiten der Familie und des Hauses, die die natürliche Einheit der Gattung symbolisieren (R §§ 163 A, 173, 257 A). Im zweiten Fall sind es die Kinder, die die sittliche Liebe der Eltern zueinander »vergegenständlichen« (R § 173). Mit der Erwähnung der Penaten weist Hegel darauf hin, wie sich Gesellschaften natürliche Prozesse kulturell aneignen – hier in religiöser Weise – und damit für sich verständlich machen. Während diese kulturwissenschaftliche Beobachtung für Hegels Konzeption der Familie keine weiteren Konsequenzen hat, wirft die Annahme, das Kind »vergegenständliche« die Liebe der Eltern, dagegen Fragen auf. Zum einen ist nachzufragen, ob diese Vergegenständlichung der Liebe eine notwendige und/oder hinreichende Bedingung ist, damit die familiale Einheit im Modus des Fürsichseins wirklich existent wird. Zum anderen ist der Frage nachzugehen, ob es für Hegel notwendig ist, dass das Kind biologisch von den Eltern abstammt, damit es deren Liebe vergegenständlichen kann, oder ob nicht ein Adoptivkind eben85 86
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Vgl. Kapitel (3.1.1) der vorliegenden Arbeit. Vgl. dazu auch Kapitel (5.2.4) der vorliegenden Arbeit.
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falls die Funktion der Vergegenständlichung übernehmen könnte. Mit beiden Fragen soll ermittelt werden, wie stark Hegels Modell der Familie biologischen Annahmen verhaftet bleibt. Die Existenz von Kindern ist für Hegel keine notwendige Bedingung für die sittliche Einheit der Familie. So betont er, dass das Kinderzeugen nicht der Hauptzweck der Ehe ist (R § 164 A, (Wannenmann 1983 §§ 78, 80)), dass Mann und Frau eine vollkommen selbständige Familie ausmachen (R § 172 R) und dass der familiale Charakter des gemeinschaftlich Füreinandersorgens nicht davon tangiert wird, ob Kinder vorhanden sind oder nicht (R § 162 R). Ob Kinder dagegen eine hinreichende Bedingung darstellen, um die Einheit zur Existenz zu bringen, lässt sich auf der Basis des Textes nicht eindeutig beantworten. Hegels Erwähnung, dass es Fälle geben kann, bei denen man um des Kindwohls willen das Kind aus der Familie nimmt, könnte als Hinweis darauf gedeutet werden, dass mit Kindern die Einheit der Familie nicht automatisch erfüllt ist. Auch könnte Hegels Auflistung von Rechten und Pflichten, die Eltern und Kinder gegenüber einander haben, wie folgt verstanden werden (R § 174): Weil sowohl Kinder als auch Eltern darin versagen können, ihren Pflichten angemessen nachzukommen, die Erfüllung dieser Pflichten aber einen unverzichtbaren Beitrag zur familialen Sittlichkeit leistet, reicht die natürliche Existenz eines Kindes allein nicht aus, um die familiale Einheit sichtbar zu machen. Das Kind muss ebenfalls seine Pflichten erfüllen, und diese Pflichterfüllung ist eine normative, das heißt eine begründbare und auf der »Einsicht« des Kindes beruhende Angelegenheit, nicht eine biologische Konsequenz, die sich aus seiner Abstammung von den Eltern automatisch ergeben würde. Zur zweiten Frage, jener nach der Notwendigkeit einer biologischen Abstammung der Kinder von den Eltern, ist zu bemerken, dass Adoptionsverhältnisse bei Hegel gänzlich unerwähnt bleiben. Diese Beobachtung muss in Anbetracht der Diskussionslage seiner Zeit überraschen. Im Preußischen Allgemeinen Landrecht (1792; Buch II, 2 §§ 666–712) und später auch im Code Napoléon (1803; Buch I, Abschnitt VIIII, Kapitel I §§ 343–352) wurde die Möglichkeit der Adoption explizit geregelt. Hegel dagegen scheint davon auszugehen, dass die Kinder in der Familie der biologische Nachwuchs der Eltern sind. Zwei Argumente könnten aus Hegels Sicht für die Priorität leiblicher Kinder sprechen. Erstens wurde in der Analyse des Geschlechterverhältnisses in der Familie herausgearbeitet, dass die A
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Familie nur dann eine vom Geist hervorgebrachte Einheit ist, wenn sie den größtmöglichen Unterschied der Natur zu überwinden weiß. Diesen Unterschied sieht Hegel in der Geschlechterdifferenz von Mann und Frau. 87 Nun ließe sich extrapolieren, dass auch die natürliche Überwindung dieses Unterschiedes durch die Geburt eines gemeinsamen Kindes (hinsichtlich der Natürlichkeit dieser Überwindungsart) erneut überwunden werden muss. So ist das Kind für die Eltern als Mitglieder einer sittlichen Institution vorrangig eine Vergegenständlichung der Liebe – das heißt, das Sichtbarwerden des sittlichen Charakterzuges der Familie – und nicht das natürliche Produkt ihres Sexualaktes. Diese Argumentation ist zugegebenermaßen nicht vollends überzeugend, käme doch die Adoption einer selbstbestimmten Überwindung der Natürlichkeit in der Familie näher als die Reproduktion der eigenen Gene. Zu Hegels Verteidigung ließe sich jedoch einwenden, dass leibliche Kinder im Vergleich zu Adoptivkindern den Regelfall für den Familiennachwuchs darstellen und es daher sinnvoll ist, für diesen Regelfall eine sittliche Transformation zu entwerfen. Ein zweiter Grund, Adoptivkinder nicht zu erwähnen, könnte darin bestehen, dass Hegel in Anlehnung an seine Konzeption der Freiheit den Loslösungsprozess des Kindes von seinen Eltern (insbesondere von der Mutter) als einen Befreiungsprozess von Naturbestimmungen beschreiben will. Hegel erwähnt das Trinken des Kindes an der Brust der Mutter in R § 175 R und erinnert an die Symbiose zwischen Mutter und Fötus, die er in der Anthropologie als eine einfache, unmittelbare Beziehung zu einem Anderen beschrieben hat (EG § 405). So wie nach der Anthropologie der Mensch lernen muss, sich von Unmittelbarkeiten zu befreien, um Bewusstsein zu erlangen, so gilt es auch in der Familie, das »natürliche Band« zwischen Mutter und Kind durch das Freiwerden des Kindes zur selbständigen Person zu überwinden. Biographisch zeichnet das Kind in der Familie nochmals den Weg der Bildung des Geistes nach, der in der Philosophie des subjektiven Geistes (und vor allem in der Anthropologie) als eine begriffliche Entwicklung vorgeführt wurde. 88 Die Forderung nach Heterosexualität für die Familie wird von der Forderung begleitet, dass Mann und Frau nicht blutsverwandt sind. Vgl. Kapitel (4.1.2.1) der vorliegenden Arbeit. 88 Ebenfalls werden in der Erziehung die Stufen von Hegels Willenstheorie wiederholt, die er am Anfang der Grundlinien einführt. Dieser Punkt wird weiter unten ausgeführt. 87
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Um diesen Prozess der Bildung auf einer ontogenetischen Ebene wiederholt zu demonstrieren, ist die Annahme einer biologischen Abstammung des Kindes von den Eltern für die Befreiung des Kindes von den Eltern als das, was es biologisch bestimmt, argumentativ schlüssig.89 Für beide Argumente, die für Hegels Schweigen über die Möglichkeit einer Adoption extrapoliert wurden, gilt jedoch einschränkend, dass sie an empirische Beobachtungen anknüpfen (empirischer Regelfall, biographischer Verlauf) und sich nicht in der begrifflichen Entwicklung der Familie gründen. Unter der Voraussetzung, dass es kein weiteres Argument gibt, welches das Adoptivverhältnis aus begrifflichen Gründen »verböte«, hat Hegel offensichtlich keinen stichhaltigen Grund, Adoptionen für sein Familienmodell auszuschließen. 4.2.3 »Triebe« und Erziehung Die natürlichen Triebe, so Hegels Anweisung in R § 163, sollen »zur Modalität eines Naturmoments« herabgesetzt werden. Was macht diese Herabsetzung erforderlich, und wie wird sie bewerkstelligt? Auf den ersten Teil der Frage lässt sich eine einfache Antwort finden. Triebe sind zufällig, willkürlich und launenhaft. Zudem widersprechen sie in ihrer Zeitstruktur einer sittlichen Institution, erlöschen sie doch durch ihre Befriedigung und sind damit, selbst wenn der Überlebenstrieb, der Sexualtrieb et cetera als anthropologische Tatsachen angesehen werden könnten, unbeständige Gesellen. Angesichts dieser Eigenschaften stellen Triebe eine denkbar schlechte Grundlage für sittliche Institutionen dar, die sich durch Stabilität, Vernünftigkeit und Freiheit auszeichnen sollen. Wenn Hegel folglich das Konkubinat kritisiert, weil es bei diesem »hauptsächlich auf die Befriedigung des Naturtriebes ankommt« (R § 163 Z), dann will er mit dieser Bemerkung nicht ausschließen, dass es in der Familie auch um die Befriedigung von Naturtrieben geht. Jedoch kann diese Triebbefriedigung nicht Grund und Zweck der Familie darstellen. 90 Triebe dürfen nach Hegel in der Familie nicht geleugnet oder unterdrückt werden, sondern müssen ihren angemessenen Platz einnehmen, indem sie als das behandelt werden, was sie sind: Naturmomente. Wie dies zu bewerkstelligen ist, kann in Rückgriff auf 89 90
Zur Erziehung vgl. (4.2.3). Die Liebe als die Grundlage der Familie wird in Kapitel (5.2) erörtert. A
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Hegels Willenstheorie, die er in der Einleitung zu den Grundlinien darlegt, beantwortet werden. Dort diskutiert er die Möglichkeit, natürliche Triebe zu rationalisieren, indem sie systematisiert werden (R § 19). Das heißt, der Mensch ist in der Lage, verschiedene Bedürfnisse und Impulse zurückzustellen, zu hierarchisieren und in deren Befriedigung strategisch vorzugehen. Auf diese Weise kann der Mensch sich mittel- und langfristiges Wohlbefinden und Glückseligkeit sichern (R § 123, [Ilting 1974 a, 383]). Die Fähigkeit des Willens, von dem zu abstrahieren und sich zu distanzieren, was ihm unmittelbar – hier als natürlicher Trieb – vorgegeben ist, bildet einen entscheidenden Schritt in dem Prozess, von der Willkür zur Selbstbestimmung zu gelangen. Diese Abstraktionsund Distanzfähigkeit kann aus zwei Gründen jedoch nicht auf ein generelles Leugnen der Triebe in der Familie hinauslaufen. Erstens lehnt Hegel die »platonische Liebe« ab, die durch ihre sexuelle Enthaltsamkeit des natürlichen Moments nicht Herr werden kann, sondern diesem als das, gegen welches sie sich permanent absetzen muss, ohne es in sich einschließen und damit »neutralisieren« zu können, »unendliche Wichtigkeit« zukommen lässt (R § 163 A). Zweitens erlangen Menschen in der Familie (und in der Gesellschaftsordnung allgemein) nur dann Wohlbefinden und führen ein glückliches Leben, wenn sie ihre körperlichen, psychischen und intellektuellen Bedürfnisse langfristig befriedigen können. Durch die Distanzierung von natürlichen Impulsen und anschließende Entscheidung zu bestimmten Triebbefriedigungen soll nur der Modus der Unmittelbarkeit, in dem der Trieb existent ist, geändert, der Trieb also »kultiviert«, nicht aber generell unterdrückt werden. Eine Kultivierung der Triebe wird dadurch möglich, dass Hegel Trieben schon die konstitutive Möglichkeit, in ein rationales System eingepasst zu werden, unterstellt. Diese Möglichkeit entspricht Hegels These, dass Triebe inhaltlich nicht von sittlichen Pflichten und Tugenden unterschieden sein müssen (R § 150 A). Damit wird seine Grundannahme, der Mensch sei nicht Bürger zweier getrennter Welten, sondern ein in sich differenziertes und zu einem rationalen, selbstbestimmten Umgang mit seinen natürlichen Impulsen und Trieben fähiges Subjekt, unterstrichen. Die Kultivierung der Triebe bezieht sich nicht nur auf die Bedürfnisse der Eheleute oder ihren Sexualtrieb, sondern findet insbesondere in der Erziehung der Kinder statt. Die Erziehung reflektiert in mehrfacher Weise den Übergang von der Natur zum Geist. Sie stellt eine Rationalisierung beziehungsweise das Erlernen einer 150
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souveränen Handhabung von natürlichen Impulsen und Trieben dar. Für Hegel bringen Kinder die Voraussetzungen für diesen Lernprozess mit, da sie einen natürlichen Willen haben und »an sich Freie« sind (R § 175). Diese Disposition zur Freiheit und zum freien Willen ist aber nicht mit der Existenz des freien Willens zu verwechseln (R § 22). Der freie Wille kann nur durch einen Bildungsprozess des Menschen erreicht werden, einen Prozess, der in weiten Teilen eine Befreiungsgeschichte des Menschen von seinen Naturbestimmungen ist – zu denen auch natürliche Dispositionen gehören. »Was der Mensch sein soll, hat er nicht aus Instinkt, sondern er hat es sich erst zu erwerben« (R § 174 Z, vgl. auch R § 175 A). Der Prozess, sich von dem Bestimmtsein durch die Natur zu befreien, indem die Natur in ein Subjektives, also in eigene Bestimmungen, umgewandelt wird, ist aber nicht eine lästige Voraussetzung, um zum Ziel der Freiheit als Selbstbestimmung zu gelangen, die der Mensch, wenn er ein wenig perfekter wäre, überspringen könnte. Vielmehr gehört die prozessuale Gewinnung der Freiheit selbst zu ihrem Begriff. Dass Kinder Freiheit erst lernen müssen, geht begründungstheoretisch nicht auf die empirische Unvollkommenheit der Kinder zurück, sondern darauf, dass Selbstbestimmung, begrifflich betrachtet, nur ein Produkt, nicht aber etwas natürlich Gegebenes sein kann. Ein Produkt ist der freie Wille in den Grundlinien, weil er unter anderem aus der Negation des »natürlichen Willens« hervorgeht – und entsprechend ist auch der »natürliche Wille« des Kindes zu »negieren« (R § 157). Aus der Disposition des Kindes, ein Freies zu sein, leitet sich das Recht des Erzogenwerdens ab, welches darin besteht, den kindlichen »natürlichen Willen« zu brechen und dem Kind die Möglichkeit zu geben, eine selbstbestimmte Person zu werden (R § 175). Zu diesem Zweck muss das Kind umfassend gebildet werden; es »[s]oll ausbilden seine Phantasie, seine Gedanken, sein Denken – auch seien Willen, sein ästhetisches Vermögen« (R § 153 R). Tatsächlich macht die freie Persönlichkeit des Kindes das Ziel der Familie aus, das, wenn es erreicht wird, in eine »sittliche Auflösung« der Familie mündet, weil dann das Kind als selbständige Person die Familie verlässt und in die »bürgerliche Gesellschaft« eintritt (R § 177). Indem Hegel diese Art der Familienauflösung für vernünftig hält und gutheißt, betont er wiederum, dass nicht natürliche Prozesse wie die Reproduktion die Hauptaufgabe der Familie ist, sondern die Herbeiführung von Freiheit. A
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Aus der natürlichen Disposition des Kindes zur Freiheit ist jedoch nicht zu folgern, dass das Kind sich automatisch, gemäß inneren Gesetzmäßigkeiten, zur freien Person entwickeln würde. Das Ziel der Selbstbestimmung kann durchaus verfehlt werden, denn es benötigt geeignete soziale Interaktionen und Erziehungsmaßnahmen: zunächst in der Familie, später dann in der Schule. Die pädagogischen Maßnahmen erinnern zum einen an die in der Anthropologie diskutierte Gewöhnung und Habitualisierung. 91 Zum anderen müssen die Maßnahmen der Natürlichkeit des Kindes, in der es sich noch befindet, angemessen sein. So sieht Hegel in der »Abschreckung« eine geeignete Erziehungsmethode, weil sie das Kind, das noch kein Subjekt im Vollbesitz seiner potentiellen intellektuellen und voluntativen Fähigkeiten ist, auf der ihm zugängigen Gefühlsebene ansprechen kann (R § 174). Hinsichtlich der Erziehungsmethoden, deren genauere Behandlung Hegel für eine Aufgabe der Pädagogik, nicht aber der Philosophie hält (Ilting 1974 b, 407), macht Hegel drei interessante Bemerkungen. Erstens hebt er hervor, dass die Bestrafung des Kindes nicht dem Zweck dienen darf, Gerechtigkeit wiederherzustellen (R § 174). Hegel kritisiert die römische Tradition, in der der Vater einem Richter gleich sein Kind bestrafen kann (Wannenmann 1983, 107–109). 92 Der Grund für Hegels Kritik liegt darin, dass der Richter sich gegenDie Pädagogik, wie Griesheim schreibt, »betrachtet den Menschen als natürlich und zeigt den Weg ihn wiederzugebären, seine erste Natur, zur zweiten geistigen zu machen, so daß das Geistige in ihm zur Gewohnheit wird, zur Weise der Natur: Der Mensch ist Geist an sich, daß er auch für sich wird, darum ist es zu thun« (Ilting 1974 b, 407). Zur Gewohnheit in der Anthropologie, mittels derer die Stufe des Bewusstseins erreicht wird, vgl. EG §§ 409, 410. 92 Hegel kritisiert ebenfalls die Möglichkeit der Versklavung der Kinder im römischen Recht (R §§ 43 A, 175 A, [Wannenmann 1983, 108]). Dieses Verbot der Versklavung leitet Hegel aus dem Lebensrecht des Kindes ab. Das Leben, so heißt es in R § 175 sei »das unmittelbare Dasein nur dieser [an sich seienden, S. B.] Freiheit«. In Anbetracht von Hegels Ablehnung einer essentialistischen Position (vgl. Kapitel 3.2) ist das Argument des Lebens gegen die Versklavung des Kindes nicht besonders überzeugend. Gleichwohl besteht die Schwierigkeit, dass Hegel dem Kind nicht dieselbe Verantwortlichkeit an seiner Versklavung (und damit dieselben Widerstandsfähigkeit gegen die Versklavung) zusprechen kann wie dem Erwachsenen. Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma wäre, die Verantwortlichkeit der Eltern gegenüber ihren Kindern zu betonen, die die Etablierung von Unterdrückungsverhältnissen unmöglich machen würden. Diesen Weg scheint Hegel auch einzuschlagen, wenn er die Rechte und Pflichten der Eltern aufzählt und beispielsweise deren Anspruch auf die Dienste des Kindes in seinem Umfang stark beschränkt (R § 174). 91
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über dem Menschen, über den er eine Strafe verhängt, neutral und objektiv verhalten muss. So darf der Richter nicht nach Sympathie oder Zuneigung handeln, sondern seine verhängte Strafe betrifft jeden Menschen, der dieses Verbrechens schuldig gesprochen werden kann, ganz gleich, ob dieser Mensch dem Richter sympathisch ist oder nicht. Die Beziehung des Vaters zum Sohn zeugt aber gerade von einer Parteilichkeit. Der Vater liebt nicht alle Kinder gleichermaßen, sondern vor allem sein Kind, und er tut rechtens, wenn er es anderen gegenüber bevorzugt. Wenn er beispielsweise überlegen würde, ob es moralisch zulässig ist, sein Kind zuerst vor dem Ertrinken zu retten anstatt eines der anderen Kinder, die ebenfalls zu ertrinken drohen, dann hätte er, mit Bernard Williams gesprochen, »one thought too many«. 93 Weil es moralisch gefordert ist, dass dem Vater das besondere Wohlergehen seines Kindes am Herzen liegt, darf auch die Bestrafung des Kindes nicht einer ausgleichenden Gerechtigkeit dienen, sondern muss auf das Wohl des Kindes ausgerichtet sein. Die pädagogische Strafe ist daher eine Maßnahme, um dem Kind zu helfen, die Fähigkeit der Selbstbestimmung herauszubilden. Zweitens ist die Liebe des Vaters zum Kind nicht etwas, was das Kind sich erst durch Leistung verdienen muss. 94 Die elterliche Fürsorge ist nicht als eine Anerkennung herausragender Leistungen zu verstehen, sondern wird jedem Kind zuteil, unabhängig davon, was für einen Charakter es hat, wie es sich verhält et cetera. 95 So hält Hegel nach der Wannenmann-Mitschrift (1817/18) fest: »Die erste Erziehung, die durch die Eltern, ist die der Liebe, des Zutrauens and des Gehorsams, die Eltern müssen sich ihrer Kinder annehmen, ob sie gut oder böse sind, es kommt in dieser Erziehung nicht auf den moralischen Wert des Kindes an, das Kind gilt immer als Kind. In der Schule wird das Kind nach dem, was es ist, beurteilt, nach seiner Würdigkeit; dies ist ein Verhältnis, Bernard Williams verwendet das Beispiel für den Ehemann, der seine Frau vor dem Ertrinken retten will (Williams 1981, 18). 94 Vgl. Kapitel (5.2.5) der vorliegenden Arbeit. 95 Diese Beschreibung elterlicher Liebe trifft nicht immer zu. So sind es gerade die Eltern, die einen Ergeiz entwickeln können, was ihr Kind alles leisten soll – und auch ihre Liebeszuwendung an die erbrachten Leistungen des Kindes koppeln. Im hegelschen Sinne hätten sie mit diesem Verhalten ihre elterlichen Pflichten verletzt. Dagegen stellt die Schule für Hegel den geeigneten Raum dar, in dem Konkurrenzverhalten, Belohnung von Leistung et cetera ihren Platz haben. Er hält es daher für wichtig, dass die Erziehung der Kinder früh schon von »Erziehungsanstalten« übernommen wird. 93
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wo zum Teil die Seite des Verdienstes eintritt; aber in der Welt tritt die Gerechtigkeit ein: Der Mensch gilt nicht bloß, weil er ist, sondern durch seinen Verdienst.« (Wannenmann 1983, 109)
Die Familie ist demnach durch das Prinzip des »unmittelbaren Geltens« geprägt, nicht durch das Prinzip des »Verdienstes«, das erst in der Schule in Kraft tritt und später in der »bürgerlichen Gesellschaft« und im Staat voll entfaltet wird. In der heutigen Sprache der Ethik ausgedrückt bedeutet dies, dass das familiale Zusammenleben durch eine »ethics of care«, durch eine Fürsorge um den Anderen, die auch Partei für den Anderen ergreift, geprägt ist, nicht durch eine »ethics of justice«, die gerade von den subjektiven Bindungen abzusehen versucht. Drittens ist es nicht nur wichtig, dass das Kind lernt, eine freie, selbständige Person zu werden, sondern ihm auch die Grundzüge der Sittlichkeit, ein »allgemeines Leben zu führen« 96 (R § 258), bereits nahegebracht werden können. Diese Vermittlung muss wiederum in einer kindgerechten Form geschehen, das heißt auf unmittelbare Weise, durch »Empfindung« (R § 175; vgl. auch [Ilting 1973 §§ 87, 88]). Durch »Liebe, Zutrauen und Gehorsam« (R § 175) lernt das Kind, was es bedeutet, in einer Gemeinschaft zu leben, die durch die Solidarität der Mitglieder untereinander geprägt ist und in der man sich für das Gemeinwohl, nicht allein für die Durchsetzung der eigenen Interessen engagiert. Auch erfährt das Kind, dass die Abhängigkeit von Anderen nicht notwendigerweise eine Beschränkung seiner Freiheit bedeutet, sondern ihm durch Anerkennung seitens anderer Selbstbestimmung und die Entwicklung einer konkreten Identität erst ermöglicht wird. 97 Diese Grundzüge der Sittlichkeit werden in den »Korporationen«, die Hegel auch die »zweite Familie« nennt (R § 252), und im Staat wieder aufgegriffen. Hegels Forderung nach einer der Natürlichkeit des Kindes angemessenen Form der Vermittlung sittlicher Grundzüge ist aber nicht als ein Ratschlag für eine möglichst Erfolg versprechende Erziehungsmethode zu verstehen. Die Forderung hat vielmehr begriffliche Gründe. So würde es Hegels Modell der Freiheit als Selbstbestimmung widersprechen, wenn das Sittliche dem Kind als etwas völlig Fremdes erschiene und es dieses, Auf die Vermittlung von der »Einzelnheit« der Familienmitglieder und der »Allgemeinheit« der Familiengemeinschaft beziehungsweise -praxis wird Kapitel (5) näher eingehen. 97 Vgl. Kapitel (5.2) der vorliegenden Arbeit. 96
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Kant folgend, wie einen »Katechismus« lernen müsste. 98 Dass die Sittlichkeit »als Empfindung in das Kind gepflanzt« (R § 175 Z) wird, ist darüber hinaus nicht bloß eine Stufe im Erlernen einer sittlichen Lebensführung, eine Stufe, die es durch die Ausformung intellektueller Fähigkeiten zu überwinden gilt, sondern die Empfindung ist auch die Form, in der Religion das Wahre zu erfassen weiß (R § 270). 4.2.4 »Tod« und Testament Im systemischen Übergang von der Natur- zur Geistphilosophie kommt dem Tod eine herausragende Rolle zu. 99 Diese Wichtigkeit des Todes lässt sich für die Phänomenologie eindeutig nachweisen, für die Grundlinien allerdings nur noch in abgeschwächter Form. Aus diesem Grund wird kurz auf die Phänomenologie und die dortige Besprechung der Antigone 100 Bezug genommen, bevor die entsprechenden Paragraphen in den Grundlinien erörtert werden. Der Tod wird in der Phänomenologie als ein natürliches Ereignis, eine »natürliche Bewegung« (PhG, 296) beschrieben, dessen sich die Menschen in einer kreativen Weise – durch das Begräbnis – annehmen können. Durch das Ritual, den toten Körper zu beerdigen, machen sie aus dem Geschehen ein »Tun« (PhG 295), lassen den Tod des Menschen nicht einfach geschehen, sondern fügen ihm die »Bewegung des Bewußtseins« (PhG, 296) hinzu. Durch das Begräbnis können sie die Natürlichkeit und Unmittelbarkeit des Todes durchbrechen. Die Beerdigung als ein kreativer Umgang mit einem Naturgeschehen hat die Bedeutung, einen Schritt im Prozess der Befreiung von der Natur voranzugehen. Diese Befreiung ließe sich selbstverständlich für eine Vielzahl von Naturereignissen nachweisen, zum Beispiel für die Kindstaufe als religiöse Aneignung des natürlichen Ereignisses der Geburt. Was macht also für Hegel den Tod und das Begräbnis so besonders, und zwar, noch spezifischer an Antigone anlehnend, den Tod eines Familienmitgliedes und dessen Beerdigung durch die Familie? Das Familienleben ist für Hegel dadurch geprägt, dass die Zwecke familialen Handelns auf die Befriedigung der partikulären Bedürfnisse der einzelnen Familienmitglieder ausgerichtet ist. Man Vgl. (Kant 1996, 42). Vgl. Kapitel (3.1) der vorliegenden Arbeit. 100 Vgl. Kapitel (4.1.1.3) der vorliegenden Arbeit. 98 99
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denke hier an die oben beschriebene Fokussierung des Vaters auf das besondere Wohlergehen seines Kindes. Unter dieser Voraussetzung scheint eine »sittliche Handlung« in der Familie unmöglich zu sein, denn deren Zweck muss »substantiell oder ganz und allgemein« sein (PhG, 294 f.). Eine solche sittliche Handlung ist in der Familie nur denkbar, wenn eine familiale Handlung sich auf den »Einzelnen, als ein allgemeines« (PhG, 295) beziehen würde – das heißt nicht, wie sonst üblich, auf den Einzelnen als besonderes Wesen mit partikulären Bedürfnissen. Gelänge eine solche Handlung, würde das Spezifikum der Familie, nämlich ihr Interesse auf den Einzelnen auszurichten, erhalten bleiben, ohne dass die Handlung in ihrer geforderten Allgemeinheit durch eine Konzentration auf die partikulär-besondere Seite des Einzelnen torpediert werden würde. Eine solche sittliche Handlung der Familie stellt für Hegel das Begräbnis eines Familienangehörigen dar, weil diese familiale Handlung sich auf ein einzelnes Familienmitglied bezieht, der Tote aber gerade keine natürlichen Bedürfnisse mehr besitzt. Eine solche sittliche Handlung der Familie ist nicht nur möglich, sondern unbedingt erforderlich, weil dem Menschen durch seinen Tod ein »Unrecht« angetan wird (PhG, 303). Ein Unrecht besteht in zweierlei Hinsicht. Zum einen ist der Tod etwas, das dem Sterbenden einfach geschieht, ohne dass er in der Lage wäre, dieses Geschehen (vom Suizid einmal abgesehen) sich in irgendeiner Weise anzueignen. Das Sterben ist demnach ein ihn fremdbestimmendes Naturereignis, dessen Unmittelbarkeit der Sterbende nicht durchbrechen kann. Zum anderen ist er als Toter nur ein lebloser Körper und fällt damit in Seinsbestimmungen zurück (er ist »abstraktes Sein« [ebd.]). Er wird sogar »passives Sein für anderes« (PhD, 296), indem der tote Körper chemischen Verwesungsprozessen ausgesetzt ist und zum Futter für Maden und Würmer wird, die ihn zersetzen. Vor dieser »Entehrung« muss der Tote durch seine Familie gerettet werden. Die Instanz, die, wie oben kritisch angemerkt wurde (vgl. Kapitel 3.1), am Ende der Naturphilosophie noch fehlte, um plausibel zu machen, dass die Einheit von Allgemeinheit und »Einzelnheit« in den Modus des Fürsichseins erhoben werden kann, wird hier durch die Familie, die den Toten begräbt, dargestellt. Eine Ehrenrettung kann jedoch nicht auf materielle Weise erfolgen, indem beispielsweise die Familie den toten Körper durch Einbalsamierung vor Zerstörungsprozessen zu bewahren versucht. Die Ehre des Toten wird vielmehr dadurch geschützt, dass die Familie mit 156
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Reproduktion, Triebe und Tod
dem Bestattungsritual demonstriert, dass der Tote »einer von ihnen« ist, »Genosse eines Gemeinwesens« (PhG 297). Das, was den Toten im Tod bestimmt, ist damit nicht, ein toter Körper zu sein beziehungsweise Seinsbestimmungen unterworfen zu werden. Indem er als Mitglied einer Gemeinschaft im kollektiven Gedächtnis erinnert wird, ist es seine wesentliche Bestimmung, dieser Gemeinschaft anzugehören, das heißt, durch »Allgemeinheit« bestimmt zu sein. Durch die explizite, in Form von Ritualen erbrachte Anerkennung des Toten als Mitglied der Familie können die Verwesungskräfte und »niedrigen Lebendigkeiten« (ebd.), die des toten Körpers habhaft werden, als unbedeutend herabgesetzt werden. Denn die Mitgliedschaft des Toten in einer Gemeinschaft können sie nicht zerstören. Damit wird das Begräbnis eines Familienangehörigen die »sittliche Handlung« der Familie par exellence und zur familialen Pflicht, zum »göttlichem Gesetz« erhoben. Zugleich ist das gemeinschaftsstiftende Moment, das im Begräbnis zum Ausdruck kommt, auch Grundlage für das »menschliche Gesetz«. Dieses geht zwar freilich über die familialen Grenzen der Gemeinschaft hinaus, zeichnet sich aber durch dasselbe Bemühen aus, eine Einheit zwischen dem Einzelnen und dem Gemeinwesen herbeizuführen (ebd.). Wenn Kreon Antigone, die ihren Bruder Polyneikes beerdigt, deswegen bestraft, dann verletzt er nicht nur das »göttliche Gesetz«, sondern unterwandert ebenfalls die Fundamente des eigenen, »menschlichen Gesetzes«. In den Grundlinien präsentiert sich das Thema »Tod« weitaus prosaischer als in der Phänomenologie. Der Tod bildet hier nicht mehr den Ausgangspunkt, um die Einheit von Allgemeinheit und »Einzelnheit« in den Modus des Fürsichseins zu erheben, indem das einzelne Individuum als Allgemeines – als Mitglied einer Gemeinschaft – gewusst und erinnert wird. Diese Aufgabe wird die Liebe übernehmen – und damit wird auch die Wichtigkeit der lebenden Familienmitglieder gegenüber den Toten zunehmen. Die Intention, die Bedeutung des Todes als ein natürliches Ereignis herabzusetzen, bleibt jedoch in den Grundlinien erhalten. Die sittliche Institution der Familie hat für Hegel die Aufgabe, »[d]ie Familie unabhängig machen [zu] wollen, von allen äußeren Zufälligkeiten« (R § 180 R), und der Tod gehört in diese Kategorie der Zufälligkeiten. Die Bedeutung des Todes wird dabei auf den rechtlichen Kontext von Erbschaft und Testament beschränkt und als ein kontingentes Ereignis betrachtet, welches im Falle eines Hinscheidens des Ehemannes und VerdieA
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ners zu finanziellen Nöten für die Hinterbliebenen führen kann. So beklagt Hegel das harte Los der Witwen (R § 180 R) – und spendete selbst in Berlin für eine Stiftung für Witwen und Waisen. 101 Um soziale Ungerechtigkeiten und Härtefälle abzufedern, bedarf es eines entsprechenden Familienrechts, in dem das Naturgeschehen des Todes auf vernünftige Weise gehandhabt wird. 102 Aus dem normativen Ziel, eine durch den Tod bedingte Verarmung der Familie abzuwenden, leitet Hegel sein konkretes Familienrecht ab. Dazu zählt die Ablehnung des Fideikommisses ebenso wie die finanzielle Absicherung der Frau durch Eheverträge (R §§ 172 A, 180). Der Tod als natürliches Ereignis hat per se keine normative Bedeutung. Wie das Eigentum des Verstorbenen nach seinem Tod verteilt werden soll, ist eine soziale Angelegenheit. So bedarf es einer Rechtfertigung, warum nicht derjenige, der zufällig in der Nähe ist, vom Eigentum des Verstorbenen Besitz ergreifen darf, sondern der Familie dieses Privileg zufällt (R § 178 A). Eine solche Rechtfertigung ist mit dem Hinweis gegeben, dass die Familie als sittliche Institution möglichst unabhängig von Zufälligkeiten gemacht werden soll. Einer Begründung bedarf es ebenfalls in der Frage, warum einem Testament überhaupt Folge zu leisten ist. Denn nach Hegel ist es unmöglich, für die »Zukunft«, das heißt für die Zeit nach dem Tod, zu befehlen (R § 179 R). Der »letzte Wille« kann daher allein dann Gültigkeit besitzen, wenn die Gesellschaft ihn gelten lässt (R § 179 R, [Wannenmann 1983 § 37]). Das Testament ist für die Hinterbliebenen nur unter der Bedingung handlungsanweisend, dass eine rechtliche Kultur besteht, in der der »letzte Wille« eines Verstorbenen honoriert, beachtet und befolgt wird. Über den Grund, warum es vernünftig ist, Testamente zu respektieren, schweigt Hegel, nicht aber über die Gründe, den Verstorbenen in seiner Testierfreiheit zu begrenzen – dann nämlich, wenn sein »letzter Wille« die Substitution der Familie gefährdet (R § 180 A). 103 Vgl. (Pinkard 1994, 284). Ähnliche Argumente führt Hegel an, um die staatliche Armenvorsorge zu begründen (R §§ 241–244). Sie dient dazu, möglichst zuverlässig Armut, die auf unvorhersehbare Schicksalsschläge zurückgeht, zu bekämpfen und dadurch die Entstehung eines »Pöbels« zu vermeiden. Die Aufgabe, unabhängig von Zufälligkeiten zu machen, kommt auch der Korporation zu (R § 254). 103 Zur Aufgabe der Familie, für die Gemeinschaft und ihre Mitglieder zu sorgen und sie möglichst unabhängig von Zufällen sowie von der Habgier Einzelner zu machen, vgl. R §§ 162 R, 170, 172 A. Durch die Befestigung des Familienvermögens soll die Bedürf101 102
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Liebe als Gefühl
4.3 Liebe als Gefühl Im vorhergehenden Kapitel wurde gezeigt, dass Hegel in seiner Familienkonzeption einen normativen Umgang mit den natürlichen Seiten der Familie (Reproduktion, Trieb und Tod) darstellt, durch den die Aspekte der Unmittelbarkeit und Zufälligkeit, die dem Naturgeschehen anhaften, für die Familie weitestgehend an Bedeutung verlieren können. Diese Zügelung der Naturaspekte geschieht nicht durch deren Unterdrückung, sondern durch deren Einbindung in institutionelle Formen: Die Reproduktion verliert gegenüber der Liebe an Wichtigkeit, welche die Grundlage für die Einheit der Familiengemeinschaft bildet; der Tod als natürliches Ereignis wird in der Phänomenologie durch das Begräbnis zur Tat und in den Grundlinien wird seine Zufälligkeit mit rechtlichen Mitteln eingedämmt; die Triebe werden in der Erziehung rationalisiert. Naturereignisse werden in der Familie so konzipiert, dass sie in der Familienpraxis normativ eingebunden werden, so dass die Familie die Voraussetzungen einer sittlichen Institution erfüllt. Indem die Familie demonstriert, dass sie in ihrer Gemeinschaftsstruktur nicht unmittelbar von der Natur bestimmt ist, kann sie zumindest im Ansatz den Anforderungen vernünftiger Selbstbestimmung standhalten. In Hegels Konzeption der Liebe tritt die Ambiguität deutlich zum Vorschein, die die ganze Institution der Familie durchzieht, nämlich einerseits natürliche Prozesse, Ereignisse und Bedürfnisse zu integrieren, andererseits aber einen Anspruch auf Vernünftigkeit zu erheben. So ist Liebe auf der einen Seite ein Gefühl, das unter die Rubrik des Natürlichen zu subsumieren ist: Als Gefühl ist Liebe beziehungsweise Verliebtsein eine »natürliche Regung«, die nicht dem Willen unterliegt, ihrer Form nach unmittelbar ist und hinsichtlich ihres Objektes zufällig. Auf der anderen Seite ist Liebe eine Form des Bewusstseins und des Selbstbewusstseins, eine bestimmte Gesinnung und Haltung eines Familienmitgliedes gegenüber den anderen Mitgliedern und auch gegenüber sich selbst. Diese Gesinnung ist (in einer noch zu spezifizierenden Weise) vernünftig zu nennen. 104 Natur- und Geistseite der Liebe, Sinnlichkeit und Vernunft sind nach Hegel in eine Balance zu bringen. Dass diese Balance auch über die nisbefriedigung der Mitglieder auf Dauer sichergestellt und eine Verarmung der Familie vermieden werden (R §§ 180 R, 203 A, [Wannenmann 1983, 104]). 104 Vgl. Kapitel (5.2) der vorliegenden Arbeit. A
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Rationalisierung von Sexualtrieben stattfindet, wurde bereits in Kapitel 4.2 erarbeitet. Im vorliegenden Kapitel soll dagegen nicht die Natürlichkeit der Liebe im Vordergrund stehen, sondern ihre Subjektivität. Hegels Ziel ist es, ein vernünftiges Maß an Berücksichtigung der Subjektivität in der Familie zu finden. Dieses Ziel wird zwar auch für die Institutionen von Staat und »bürgerlicher Gesellschaft« formuliert. Weil aber die Institution Familie in substantieller Weise auf dem Gefühl der Liebe aufbaut, ist hier besondere Sorgfalt gefordert. Mittels einer Kritik an der kontraktualistischen Konzeption der Ehe und einer Kritik am schlegelsch-romantischen Liebesideal versucht Hegel, seine Auffassung von Subjektivität in der Familie zu verorten. 4.3.1 Das Recht der Subjektivität – gegen eine Vertragskonzeption der Ehe Hegel lehnt die Vorstellung ab, die Ehe könnte durchgängig als eine Vertragsgemeinschaft konzipiert werden (R §§ 75 A, 163 A). Ein solcher Ansatz wurde in radikaler Form von Thomas Hobbes vertreten, der im Leviathan (20. Kapitel) selbst die Beziehung zwischen Eltern und Kind als ein vertragliches Verhältnis beschrieb. 105 Hegels Kritik an einem kontraktualistischen Ehemodell bedeutet aber nicht, dass er die rechtlichen Grundlagen der Familie unberücksichtigt lässt. In Kapitel 4.2.4 sind Gründe erörtert worden, warum Hegel ein bestimmtes Erbrecht und Eheverträge über das Eigentum der Frau aus sittlicher Perspektive befürwortet. Zudem bezeichnet er die Familie als »eine rechtliche Person« (R § 171), die durch den »Hausherrn«, der die Familie repräsentiert, in der »bürgerlichen Gesellschaft« agiert und beispielsweise Kaufverträge abschließen kann. 106 Jedoch beziehen sich Eheverträge nur auf »Sachen« (R § 163) und damit auf »Äußerlichkeiten« der Familie (R § 159 R), nicht aber auf den sittlichen Kern der Familie, die Liebe, welche in der familialen Einheit, der gegenseitigen Beihilfe und altruistischen Sorge besteht. 107 Verträge Vgl. (Kuster 2002, 206–9). In diesem Punkt, die Familie als eine juristische Person zu verstehen, weicht Hegel vom heutigen Rechtsverständnis ab. So kommt nur natürlichen und künstlichen Personen (wie Kooperationen) der legale Status einer Person zu. 107 Verträge beziehen sich nur auf Dinge, die keinen Selbstzweck oder »substantiellen Zweck»(R § 44) haben, und in die eine Person ihren Willen hineinlegen kann. Sie beziehen sich auf »Sachen« (R § 163) oder auf den »Gebrauch und Leistungen von Sachen« 105 106
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können nur von Rechtspersonen abgeschlossen werden, so dass Mann und Frau, die einen Vertrag über das Eigentum der Frau schließen, dies als rechtliche Personen tun, nicht aber als Familienmitglieder. 108 Insofern sie als Rechtspersonen auftreten und darüber hinaus über Regelungen verhandeln, die das Privateigentum betreffen, es in der Familie aber nur ein »gemeinsames Vermögen« (R § 171) gibt, handeln sie nicht mehr im Raum der Familie, sondern in der »bürgerlichen Gesellschaft«. 109 Dennoch kann die Notwendigkeit rechtlicher Regelungen durch Merkmale der familialen Lebensform gerechtfertigt werden. Beispielsweise lehnt Hegel eine Erbregelung ab, die das Erbe der Familie unveräußerlich und unteilbar macht (Fideikommiss), weil diese Regelung eine Mitgliedschaft zu einer Gemeinschaft festschreibt, die in einem sittlich relevanten Sinne nach dem Tod des Hausherrn nicht mehr existiert (R §§ 46 R, 180 A). Die Familienmitglieder stehen sich nach der »natürlichen Auflösung« der Gemeinschaft, welche durch das Hinscheiden der Eltern (insbesondere des Mannes) herbeigeführt wird (R § 178), als Rechtspersonen gegenüber (R § 159). Der für Privatpersonen legitime Anspruch auf Privateigentum würde aber durch ein Fideikommiss verletzt werden. Verträge über das Eigentum der Frau sind sittlich erlaubt, damit sie nach dem Tod ihres Ehemanns nicht mittellos dasteht. Diese Regelung bringt ebenfalls die ökonomische Abhängigkeit der Frau vom Mann zum Ausdruck. Hegels These, die Familie sei primär kein Vertragsverhältnis, schließt offensichtlich nicht aus, dass die Familie auf legalen Füßen (R § 161 R). Das schließt Arbeitsverträge, in denen eine Person ihre Arbeitskraft auf Zeit veräußert, mit ein (R § 67). Denn den Körper als auch das Leben eines Menschen betrachtet Hegel als »Sachen« (R § 47), die der Mensch erst in Besitz nehmen muss – und so ist die Veräußerung dieser »Sachen« für den betroffenen Menschen erlaubt. Absolut verboten ist es dem Menschen jedoch, seine »Persönlichkeit« (R § 29 R) und damit seine »Rechtsfähigkeit« (R § 36) zu veräußern, indem er beispielsweise einen Sklavenvertrag unterzeichnet. 108 Zu Verträgen, die das Eigentum der Frau betreffen, vgl. Kapitel (4.2.4) der vorliegenden Arbeit. 109 Diese Aussage ist nicht ganz korrekt beziehungsweise weist auf eine Spannung in Hegels Familienkonzeption hin. Da er die Betätigung der Frau in der »bürgerlichen Gesellschaft« ausschließt, könnte er ihr konsequenterweise auch nicht das Recht der Person zugestehen, Verträge zu schließen. Diese Problematik macht ebenfalls klar, dass die sozio-politischen Institutionen nicht strikt voneinander abzugrenzen sind. Zur Verwobenheit der Institutionen siehe (Landes 1982) und zur Trennung öffentlicher und privater Bereiche siehe Kapitel (6.3) der vorliegenden Arbeit. A
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steht und Verträge, welche Familienmitglieder oder die Familie als Ganzes betreffen, abgeschlossen werden können. Seine These, die Ehe als Liebes- und Solidargemeinschaft jedoch nicht in vertragstheoretische Begrifflichkeiten zu fassen, hat mit der Vertragsstruktur selbst zu tun, die er in nuce in R § 75 entwirft. Sie betrifft 1. den Ausgangspunkt des Vertrages, die »Willkür«, 2. die Einheit, die mit dem Vertrag erzielt wird, den »gemeinsamen Willen« und 3. den Gegenstand des Vertrages, die »einzelne äußerliche Sache«. Diese Vertragsstruktur soll in Auseinandersetzung mit Kants kontraktualistischem Modell der Ehe näher beleuchtet werden. 4.3.1.1 Kants kontraktualistisches Modell der Ehe Hegel hat Kants Philosophie vor Augen, wenn er am vertragstheoretischen Ansatz der Ehe Kritik übt. In seiner Metaphysik der Sitten 110 subsumiert Kant die Ehe unter der Rubrik »Von dem auf dingliche Art persönliche Recht« (MS §§ 22–30). 111 Daraus schließt Hegel, Kant würde die Ehe als einen »bürgerlichen Vertrag« auffassen (Ilting 1973, 81). Diese Einschätzung wird Kants Theorie jedoch nicht ganz gerecht, denn Kant betont, dass man in den Stand der Ehe weder durch eine »eigenmächtige Tat (facto)« noch durch »bloßen Vertrag (pacto)« eintritt, sondern durch »Gesetz (lege)« (MS § 22). An späterer Stelle hebt Kant hervor, dass »der Ehevertrag kein beliebiger, sondern durch Gesetz der Menschheit notwendiger Vertrag« ist (MS § 24). Offensichtlich ist Kant darum besorgt, dass trotz seiner kontraktualistischen Konzeption der Ehe jene nicht zu einem kontingenten Vertragsgegenstand gemacht werden soll, weil der Ehevertrag damit zufällig würde. Vielmehr stellt die Ehe einen für vernünftige Wesen notwendigen Zustand dar. Die Sorge Kants um die Notwendigkeit der Ehe lässt Hegel unberücksichtigt und konzentriert sich auf die Kritik, dass die Vertragskonzeption der Ehe die Ehe als etwas Kontingentes und Optionales behandelt, sittliche Verhältnisse, zu denen Hegel die Ehe zählt, sich jedoch durch Notwendigkeit auszeichnen müssen (R § 162 A). (Daher sind kontraktualisti-
(Kant 1989). Hegel lehnt Kants Unterteilung des Rechts in »sächliche, persönliche und dinglichpersönliche Rechte« (R § 40 A) generell ab. Die Unterscheidung zwischen »Sachenrecht« und »persönlichem Recht«, die Kants Rechtslehre durchzieht, verkennt nach Hegel, dass »nur die Persönlichkeit ein Recht an Sachen gibt und daher das persönliche Recht wesentlich Sachenrecht ist« (ebd.). 110 111
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sche Konzeptionen des Staates für Hegel ebenfalls unzulässig [R § 75 A]). 112 Auch wenn Kant die Ehe als einen »notwendigen Vertrag« bezeichnet, stellen sich aus Hegels Sicht weitere Probleme. Kant betrachtet seine Vertragskonzeption der Ehe als die Lösung eines in seiner Philosophie auftretenden Dilemmas. Auf der einen Seite ist der Sexualtrieb biologisch notwendig für die Reproduktion der Menschheit. Auf der anderen Seite beideutet das Ausleben des Sexualtriebes, den Sexualpartner oder die Sexualpartnerin darauf zu reduzieren, ein Objekt der Begierde beziehungsweise ein Mittel für eine Bedürfnisbefriedigung eines Menschen zu sein. Einen Menschen jedoch zu einem bloßen Mittel zu machen heißt, ihn als Sache und nicht als Person zu behandeln. Damit würde seine Würde verletzt und gegen den kategorischen Imperativ verstoßen. Weil ein Mensch, der verdinglicht wird, diese Verletzung mit sich geschehen lässt, verletzt er selbst das »Rechte […] der Menschheit an seiner eigenen Person« (MS § 25). Die natürliche und die vernünftig-moralische Seite des Menschen treten im Geschlechtsakt offenkundig in einen Widerspruch. Dieser Widerspruch kann nach Kant aber nicht dadurch gelöst werden, dass man einwendet, man nähme im Sexualakt nur einen limitierten Teil der anderen Person in Besitz, nämlich ihr Sexualorgan, da »der Erwerb eines Gliedmaßes am Menschen zugleich Erwerbung der ganzen Person [ist] – weil diese eine absolute Einheit ist« (ebd.). Die Lösung, die Kant für das Dilemma zwischen biologischer Notwendigkeit der Fortpflanzung und Missbrauch der Person als Sache stattdessen vorschlägt, lautet, dass der Verlust der Persönlichkeit gegenseitig sein muss. So verliert die Person zwar im Sexualakt ihre Persönlichkeit, gewinnt sie aber zugleich dadurch zurück, dass sie die Persönlichkeit des Anderen negiert. »Nur unter der einzigen Bedingung ist dieses möglich, daß, indem die eine Person von der anderen, gleich als Sache, erworben wird, diese gegenseitig wiederum jene erwerbe; denn so gewinnt sie wiederum sich selbst und stellt ihre Persönlichkeit wieder her.« (Ebd.)
Wie dieser Austausch der Persönlichkeiten vonstattengehen soll, bleibt schleierhaft. Auch kann Kant den Einwand, warum die gegen112 Zu Hegels Kritik an der Vertragskonzeption von Familie und Staat vgl. (Westphal 1998). Zu Kants »auf dingliche Art persönlichen Rechts« vgl. (Weber 1986, 35–50).
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seitige Negierung der Persönlichkeit nicht zu einer doppelten Verletzung des »Rechts der Menschheit an der eigenen Person« und zum bleibenden Verlust der Persönlichkeit beider Menschen führen sollte, nicht entkräften. So besteht die eigentliche Lösung des Dilemmas, wie Barbara Herman bemerkt, in der Verrechtlichung der Sexualbeziehung – und damit in der Institution der Ehe. 113 Denn mittels des Gesetzes, das die Partner als gleiche Rechtspersonen definiert, können die naturgegebenen Tendenzen zur Verdinglichung blockiert werden. Dieser Lösungsweg über die Institutionalisierung familialer Beziehungen rückt Kant wiederum in die Nähe von Hegels Konzeption der Familie. 114 Kant geht in seiner Argumentation für die Notwendigkeit der Institution der Ehe in ähnlicher Weise vor wie in seinem Argument für die Institution des Eigentums. Im Naturzustand kann nach Kant der Besitz einer Sache nur einen vorläufigen, provisorischen Status haben, weil die Unterscheidung zwischen »Mein« und »Dein« eine soziale Unterscheidung ist. Eigentumsrechte bezeichnen keine normative Beziehung einer Person auf eine Sache, sondern eine normative Beziehung von Personen untereinander. Wenn jemand mit Recht annimmt, dass dieser Computer ihm gehört, dann heißt dies, dass andere ihn als den rechtmäßigen Eigentümer dieses Computers anerkennen und sie davon absehen, sein Eigentumsrecht zum Beispiel durch Diebstahl zu verletzen. Selbst wenn die Person nicht im physischen Besitz des Gegenstandes ist, müssen andere ihren Besitzanspruch an diesem Gegenstand respektieren. Dass »intelligibler Besitz« möglich ist, setzt voraus, dass es eine Institution des Rechts gibt, die die Anerkennung dieses Besitzes sichert und die Durchsetzung von Besitzansprüchen mit entsprechenden Maßnahmen erzwingen kann. Das heißt, aus der Tatsache allein, dass jemand etwas physisch in seinem Besitz hat, folgt weder, dass er einen rechtmäßigen Anspruch auf diese Sache besitzt, noch, dass andere seinen Besitzanspruch tatsächlich respektieren. Erst eine wechselseitige Anerkennung von Eigentumsrechten, die in legalen Institutionen verankert ist, macht die Formulierung und Durchsetzung von legitimen Besitzansprüchen dauerhaft möglich. Eine vergleichbare Sachlage liegt auch beim Sexualkontakt Vgl. (Herman 2000, 127 f.). Die Notwendigkeit der Institutionalisierung der Liebesbeziehung bei Hegel wird in Kapitel (4.3.3) erörtert. 113 114
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zweier Personen vor. Aus der sexuellen Begegnung allein (also aus einer empirischen Tatsache, wie die physische Besitznahme eines Gegenstandes eine ist) können noch keine normativen Verpflichtungen gegenüber einer Person erwachsen (so wie im Naturzustand jemandem ohne weiteres sein Besitz wieder weggenommen werden kann). Solcher Verpflichtungen bedarf es aber für den Geschlechtsakt schon mit Blick auf das »Erzeugnis«, das Kind (MS § 28). Aus diesem Grund muss der Geschlechtsakt in ein rechtlich gesichertes Verhältnis überführt werden, auf dessen Grundlage Rechte und Pflichten der Familienangehörigen formuliert werden können. Die durch den Vertrag angestrebte »Normativierung« der Beziehung stellt damit einen Versuch dar, die triebhafte Begegnung zwischen den Geschlechtern zu rationalisieren. Den Versuch einer solchen Rationalisierung hätte Hegel eigentlich begrüßen müssen, da auch er darum bestrebt ist, natürliche Prozesse und Ereignisse begründeterweise normativ relevant werden zu lassen. Doch für Hegel ist der Vertrag ein ungeeignetes Mittel, Natürlichkeiten zu rationalisieren und Verantwortlichkeiten zur »gegenseitigen Liebe und Beihilfe« (R § 164) zu generieren, weil der Vertrag sich durch ein Defizit an Vernünftigkeit auszeichnet, wie im Folgenden gezeigt wird. 4.3.1.2 Das Recht der Subjektivität und die Bezähmung der Willkür Dass der Ausgangspunkt des Vertrages die »Willkür« (R § 75) zweier Personen und damit durch Zufälligkeit geprägt ist, scheint der Eheschließung zunächst nicht zu widersprechen. So bezeichnet Hegel die Neigung zweier Personen zueinander als den »subjektiven Ausgangspunkt« (R § 162) der Ehe, der arbiträr ist, weil es sich rationaler Kontrolle entzieht, zu welcher Person man sich hingezogen fühlt. Auch der »objektive Ausgangspunkt« (ebd.) der Ehe, die freie Willensbekundung zweier Personen, in den Stand der Ehe zu treten, entspricht der Vertragskonzeption, denn ein Vertrag kommt ebenfalls durch die Willensbekundung zweier selbständiger Personen zustande. Von Interesse ist nun, an welcher Stelle die Analogie zum Vertrag zusammenbricht. Dieser Punkt ist erreicht, wenn Hegel von einer »sittlichen Pflicht« zur Heirat spricht (R § 162 A). Sicherlich gibt es auch hinsichtlich des Vertrages moralische Pflichten. Zum Beispiel ist es moralisch (und nicht nur rechtlich) gefordert, dass Verträge eingehalten werden und das Gebot der Fairness bei Vertragsverhandlungen beA
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folgt wird. Jedoch besteht keine sittliche Pflicht, einen bestimmten Vertrag über einen bestimmten Gegenstand einzugehen. Nach Hegel kann zwar dafür argumentiert werden, dass es für die Identität als rechtliche Person erforderlich ist, im Leben zumindest einmal ein Vertragsverhältnis einzugehen. Um sich als rechtliche Person objektiv erfahren zu können, muss die Person durch andere als solche anerkannt werden. 115 Diese Anerkennung kommt beispielsweise darin zum Ausdruck, dass man mit dieser Person Verträge schließt. Weil eine rechtliche Person zu sein ein integraler Bestandteil individueller Freiheit ist, hätte Hegel den Vertragsabschluss an sich zur »sittlichen Pflicht« erheben können. Jedoch ist ausgeschlossen, dass ein ganz bestimmter Vertrag eingegangen werden muss. Weil der Gegenstand des Vertrages beliebig ist, büßt der Vertrag an Allgemeinheit ein. Welcher Gegenstand schlussendlich gewählt wird, richtet sich nach den partikulären Bedürfnissen der vertragschließenden Personen, das heißt nach deren »Willkür«. Aus diesem Grund mangelt es dem Vertrag an Vernünftigkeit. Homeyer bringt in seiner Vorlesungsmitschrift von 1818/19 das Rationalitätsdefizit des Vertrages auf den Punkt: »[Ein] Vertrag ist nur eine äußere Erscheinung hdes Vernünftigeni, aber dies Vernünftige hat noch Zwecke, Gegenstände, die noch nicht dem Vernünftigen gemäß sind, denn es treten hier noch Einzelne mit dem ganz natürlichen Willen, der Willkühr, auf. – Ein gemeinsames ist ein allgemeines der Form der Zufälligkeit, weil es aus der Willkühr entsteht (Hingegen der Staat nicht ein bloss gesetztes, sondern ein wirkliches An und für sich seyn).« (Ilting 1973, 267 § 38)
Eine weitere Schwachstelle des Vertrages ist die, dass sich seinem Wirkungskreis entzieht, was die Familie eigentlich ausmacht: Liebe (R § 163 A). So ist der Vertrag, der dem »Abstrakten Recht« angehört, ein »Zwangsrecht« (R § 94), welches die Möglichkeit enthält, ein vertragskonformes Verhalten notfalls mit rechtlichem Zwang durchzusetzen. Die subjektive Einstellung der Vertragspartner spielt dabei keine Rolle – die Vertragseinhaltung kann auch gegen ihre Gesinnung legitimerweise erzwungen werden. Die subjektive Komponente der Familienmitglieder, ihre Einstellungen, Gefühle und Haltungen zueinander, ist dagegen für den sittlichen Charakter der 115 Zur Notwendigkeit von Anerkennung für die Entwicklung einer stabilen Identität und eines Selbstverständnisses als freies und rationales Wesen vgl. Kapitel (5.1) und (5.2) der vorliegenden Arbeit.
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Familie entscheidend. Hegel hält Liebe für die »wesentliche Grundlage« (R § 163 A) der Familie, die sich zum einen in einer »Gesinnung«, zum anderen in bestimmten Verhaltensweisen ausdrückt. Während eine bestimmte Verhaltensweise vertraglich festgelegt werden könnte, ist es empirisch unmöglich, eine bestimmte Gesinnung rechtlich zu »verursachen«. Selbst wenn ein Vater rechtlich gezwungen werden könnte, seiner Familienpflicht nachzukommen und das Schulgeld seiner Kinder zu bezahlen, kann er dies lieblos tun. Das rechtliche Arrangement kann damit nicht die Sittlichkeit des väterlichen Verhaltens sichern, dass der Vater aus liebvoller Zuneigung zu seinen Kindern für deren Wohl handelt. Dass die Gesinnung der Liebe faktisch nicht erzwungen werden kann, bedeutet im Umkehrschluss nicht, der Vater dürfe nicht auf rechtlichem Wege gezwungen werden, seinen Fürsorgepflichten nachzukommen. Hegel erwähnt den Fall, dass, wenn der Verdiener in der Familie ein Verschwender ist, staatliche Autoritäten einschreiten dürfen (R § 172 R, [Wannenmann 1983, 104]). So kann die »Polizei«, welche bei Hegel staatliche Fürsorge- und Aufsichtsbehörden sind, die Vormundschaft einer Familie übernehmen, wenn die Subsistenz der Familie durch verschwenderisches Verhalten des Hausherrn gefährdet ist (R § 240). Auch führt die »Polizei« Aufsicht über die Schulpflicht und die Pockenimpfung der Kinder (R § 239 Z). Eingriffe in die Familie und die elterliche Erziehung sind zwar möglich, können sich aber nicht auf Gefühle der Familienmitglieder richten. 116 Es stellt sich die Frage, ob Hegel hier allein die empirische Unmöglichkeit im Blick hat, ein »strenges Recht an Liebe« formulieren zu können. Ist die Tatsache, dass sich die menschliche Psychologie der Logik einer Verrechtlichung entzieht, das einzige Argument gegen den Ansatz, familiale Beziehungen primär als Rechtsverhältnisse zu begreifen? Oder würde eine solche Verrechtlichung affektiver Beziehung auch einen moralischen Verlust für die Familie bedeuten? 117 »Die Staatsgesetze können sich also auf die Gesinnung nicht erstrecken wollen, denn im Moralischen bin ich für mich selbst, und die Gewalt hat hier keinen Sinn«, heißt es in einem Zusatz zu R § 94. 116 In gleicher Weise kann der Staat im Kriegsfalle die Loyalität der Bürger auch gegen deren Gesinnung erzwingen und sie mit Zwang dazu anhalten, das Vernünftige zu tun und ihr Land zu verteidigen (R §§ 324, 325). Ihre Gesinnung zu erzwingen ist aber auch ihm nicht möglich. Die Frage, ob es legitim ist, jemanden zum Kriegsdienst zu zwingen, und ob es überhaupt so etwas wie einen »gerechtfertigten« Krieg gibt, bleibt offen. 117 Vgl. (Honneth 2000).
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»Gewalt hat hier keinen Sinn« – nicht nur, weil sie faktisch nicht die gewünschte Gesinnung bewirken könnte, sondern sie ist selbst moralisch unzulässig. Denn der Versuch, die subjektiven Einstellungen, Gefühle und Überzeugungen von Individuen zu manipulieren, verletzt ihr »Recht auf Subjektivität«. Es gehört zu ihrer »subjektiven Freiheit«, ihren Überzeugungen folgen und aus subjektiver Einsicht handeln zu dürfen (R, 27 §§ 132, 140). 118 Tatsächlich ginge für Hegel eine moralische Qualität der Familie verloren, wenn inner-familiale Beziehungen durchgängig auf juristische Weise reguliert würden. Doch dieser »Schutz« der Familie kann nicht dadurch begründet werden, dass beispielsweise Eltern mit ihren Kindern machen dürfen, was sie wollen, weil diese Kinder biologisch von ihnen abstammen und sie daher über ein »Naturrecht« über diese Kinder verfügen, oder weil man in intimen Beziehungen generell eine »Freikarte« für sein Verhalten bekommt. Vielmehr entgeht rechtlichen Regelungen die subjektive Komponente der Gesinnung, die für die Bestimmung der moralischen Qualität der Familie entscheidend ist. Dass diese subjektive Komponente auch von Gesetzesund Staatsseite her berücksichtigt wird, die Familie also einen Freiraum für die Entfaltung von liebvoller und parteilicher Zuneigung zu Anderen erhält, geht auf das »Recht der Subjektivität« zurück, das in der Familie wegen deren Gefühlsgrundlage verstärkt beachtet werden muss. 119 4.3.1.3 Eine Frage der Gerechtigkeit? An den letzten Gedankengang schließt sich eine aktuelle Debatte über die Gerechtigkeit in der Familie an, auf die hier kurz einzugehen ist. 120 Wenn die Familie als ein Privatraum vor den Ansprüchen (und Einmischung) anderer geschützt werden soll, dann scheint es schwierig zu sein, eine gerechte Güterverteilung in der Familie sicherzustel118 Zur Auffassung, dass Subjektivität das entscheidende Kennzeichen der Moderne bei Hegel ist, welches auch seine Familienkonzeption charakterisiert, vgl. (Blasche 1975, 315), (Landes 1982, 126). 119 Dass die Überzeugungen und Einsichten des Subjekts mit dem konvergieren, was vernünftig ist, macht dann dessen »objektive Freiheit« aus. Zum Begriff der »objektiven Freiheit« und dessen Gleichsetzung mit der Realisation einer vernünftigen Selbstbestimmung durch entsprechende, vernünftige sozio-politische Institutionen vgl. (Neuhouser 2000), (Patten 1999). Vgl. Kapitel (5.1) dieser Arbeit. 120 Zu dieser Debatte vgl. (Honneth 2000), (Kymlicka 1991a), (Nussbaum 2000), (Okin 1989), (Okin 1994), (Rawls 1971), (Rawls 2001), (Rössler 2001).
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len. Diese Schwierigkeit wird oftmals in der Form eines Dilemmas formuliert. Während eine Expansion juristischer Regulierungen in das Familienleben die moralische Qualität der Familie beeinträchtigt, hat ein Fehlen dieser Regulierungen zur Folge, dass ungerechte Benachteiligung bei Güterverteilung, Vernachlässigung der Kinder oder Missbrauch nicht verhindert werden können. In neuen Ansätzen wird dieses Dilemma zu überwinden versucht, indem man zeigt, dass es kein echtes Dilemma ist. Gerechtigkeit und Liebe, so das Fazit, müssen sich nicht ausschließen. Wie steht Hegel zu dieser Frage? Es ist auffällig, dass das Problem einer ungerechten Güterverteilung für die intakte Familie bei Hegel kaum auftritt. 121 Nicht eine Harmonisierung konfligierender Einzelinteressen scheint in der Familie die Aufgabe zu sein, sondern die Befreiung von der Bestimmtheit durch natürliche Impulse als Ausdruck rationaler Selbstbestimmung. Ein Konflikt, den Hegel erwähnt, entsteht, wenn der Familienernährer ein Verschwender ist, sein Eigeninteresse gegen das Interesse der Allgemeinheit der Familie verstößt. Zwar besteht für die Familie der Auftrag, die natürlichen Bedürfnisse der Familienmitglieder zu befriedigen, jedoch nicht auf Kosten der Gemeinschaft. Hegel legt damit eine Güterverteilung nahe, die sich nach der unterschiedlichen Bedürftigkeit der Mitglieder richtet, diese verschiedenen Bedürftigkeiten aber in Balance halten muss. Eine solche zugleich einzelbedürfnis- als auch gemeinschaftsorientierte Verteilung wird für Hegel nicht juristisch festgelegt, sondern geht auf sittliche Pflichten zurück, beispielsweise die Pflicht der Eltern, das Kind zu ernähren (R § 174). Das heißt, selbst wenn kein entsprechendes Gesetz die Ernährung des Kindes vorschreibt, besteht Hegel zufolge eine sittliche Pflicht, es zu ernähren. Wird gegen diese sittliche Pflicht verstoßen, ist aus Hegels Sicht ein Eingriff staatlicher Autoritäten möglich. Dieser Eingriff, so könnte extrapoliert werden, ist deshalb legitim, weil die Familie bei der Verletzung ihrer sittlicher Pflichten gar nicht mehr als eine »sittliche Institution« funktioniert, ein Eingriff also gar nicht gegen die moralische Qualität der Familie verstoßen kann. 122 Entsprechend wird auch erst mit der »Auflösung« 121 Vgl. Charles Taylor, der die These aufstellt, Hegels Konzeption der sittlichen Institutionen ist unrealistisch, weil sie zu stark am Konsens orientiert ist und Dissens außer Acht lässt (Taylor 1991). 122 Hier besteht allerdings das Problem, wer bestimmen darf, dass die Familie »unsittlich« ist und mit welchen Mitteln dies festgestellt werden soll.
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der Familie die Frage nach einer gerechten Verteilung der Güter explizit in juristischen Termini diskutiert. Im Hinblick auf die bevorstehende Auflösung ist es durchaus vernünftig, vertragliche und testamentarische Vorkehrungen zu treffen. Denn in diesem Fall greifen die sittlichen Pflichten der vormaligen Familienmitglieder nicht mehr, weil sie sich nach der Auflösung als Rechtspersonen begegnen. Was Formen der Gewalt und der Unterdrückung in der Familie betrifft, so äußert sich Hegel eindeutig gegen einen Missbrauch (»Versklavung«) der Kinder. Die Abwendung solcher Gewaltverhältnisse beruht aber nicht – zumindest nicht explizit – auf der Existenz von Gesetzen zum Schutz des Kindes, sondern stellt für Hegel eine vernünftige, sittliche Forderung dar. Jedoch ist es nicht auszuschließen, dass diese Forderungen durch entsprechende Gesetze begleitet werden können. 123 Die Begründung aber, warum man diesen Forderungen unbedingt nachkommen sollte, liegt in ihrer Vernünftigkeit, nicht in der »kontingenten« Tatsache, ob Kindesmissbrauch gesetzlich verboten ist. Zusammenfassend lässt sich für Hegels Position zur Gerechtigkeitsfrage festhalten, dass er Gerechtigkeit durch sittliche Pflichten in der Familie sichert, gleichwohl aber juristische Maßnahmen oder Eingriffe durch staatliche Autoritäten nicht grundsätzlich ablehnend gegenübersteht. Diese Maßnahmen und Eingriffe sind für ihn erforderlich, wenn die Familie sich als sittliche Lebenspraxis (durch Tod, gemeinschaftsschädigendes Verhalten, Versklavung der Kinder, Erwachsenwerden der Kinder) aufgelöst hat. 4.3.2 Die Grenze der Subjektivität – gegen Friedrich Schlegels Liebeskonzeption »Leidenschaftliche Liebe und Ehe ist zweierlei.« (R § 162 Z).
Hegels klare Ablehnung der in der Romantik vertretenden Konzeption der Liebe als einem willkürlichen, alles umfassenden Gefühl der Leidenschaft (R §§ 161, 162, 163, 164) konzentriert sich auf Friedrich Schlegels Roman Lucinde, deren gleichnamige Hauptfigur bereits in Kapitel 4.1.1.2 betrachtet wurde. Im vorliegenden Abschnitt wird untersucht, aus welchen Gründen Hegel glaubt, Schlegel würde eine nicht-sittliche Konzeption von »romantischer Liebesgemeinschaft« 123
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vertreten. Seine Kritik konzentriert sich dabei auf zwei Punkte. Erstens ist er der Ansicht, Schlegel gelinge es nicht, die Natürlichkeit der sexuellen Attraktion hin zu einem sittlichen Modell der Ehe zu überwinden. Zweitens gebe Schlegel dem »Prinzip der Subjektivität« einen zu großen Raum. Beide Punkte haben für Hegel zur Konsequenz, dass die Liebesgemeinschaft bei Schlegel an Selbstbestimmung und Vernünftigkeit einbüßt. »Die sinnliche Hingebung wird dort [bei Schlegel, S. B.] vorgestellt als gefordert für den Beweis der Freiheit und Innigkeit der Liebe, eine Argumentation, die Verführern nicht fremd ist« (R § 164 Z). Jedoch verfehlt Schlegel nach Hegel genau dieses Ziel von »Freiheit, Innigkeit und Vollendung der Liebe« (R § 164 A). Um zu erläutern, warum Schlegel aus der Sicht Hegels eine falsche Vorstellung der Freiheit und eine unvernünftige Form der Liebesgemeinschaft vertritt, ist es hilfreich, neben dem Konzept der Liebe auch Schlegels Ästhetiktheorie zu betrachten. Hegels Kritik, Schlegel habe das »Prinzip der Subjektivität« über Gebühr strapaziert, bezieht sich sowohl auf dessen Darstellung der Liebe als auch auf das Grundkonzept von dessen Ästhetiktheorie: die Ironie. Eine kombinierte Betrachtung von Ironie und Liebe bietet sich bei dem Roman Lucinde durchaus an. 124 Auf der einen Seite besteht der Plot von Lucinde in einer Liebesgeschichte, auf der anderen Seite kann der Text als eine Theorie über den »Roman«, eine durch die Romantiker neu eingeführte Kunstform, gelesen werden. Letzteres legt Schlegel in Briefe über den Roman nahe, wenn er dort schreibt, »eine solche Theorie des Romans würde selbst ein Roman sein müssen«. 125 Die Dimensionen des Plots und der ästhetischen Theorie werden über Schlegels Konzept der »Ironie« miteinander verbunden. Die Otto Pöggeler hat als Erster auf die Verbindung zwischen dem Roman Lucinde, der schlegelschen Konzeption der Ironie und Hegels Kritik an Schlegels unangemessener Ausdehnung von Subjektivität aufmerksam gemacht (Pöggeler 1998, 125 ff.). Auch wenn Pöggelers Darstellung im Allgemeinen zuzustimmen ist, so sei auf eine Unstimmigkeit hingewiesen. Pöggeler ist der Ansicht, Hegel missverstehe Schlegel, weil er Ironie nicht als einen Teil von dessen Kunsttheorie verstünde, sondern sie zu einer symptomatischen Ausprägung einer bestimmten Lebensform zu Schlegels Zeiten stilisiere (Pöggeler 1998, 125 f.). Gegen Pöggeler ist einzuwenden, dass es für Schlegels Kunsttheorie konstitutiv ist, die Trennung zwischen Poesie, Leben und Wissenschaft aufheben zu wollen (vgl. Athenäum-Fragmente 116, 124, 225 in [Schlegel 1994]). Wenn Hegel demnach die Ironie auf ihre »Lebenstauglichkeit« hin testet, kann von Schlegels Seite her gegen diese Art der Prüfung kein genereller Einwand erhoben werden. 125 (Schlegel 1994, 211). Vgl. dazu auch (Behler 1992, 225). 124
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»Ironie« ist Bestandteil von Schlegels Ästhetiktheorie und damit auch in Lucinde vorhanden. Die Verbindung zwischen »Ironie« und der Liebe kann mit dem folgenden Zitat Schlegels belegt werden: »Die wahre Ironie […] ist die Ironie der Liebe. Sie entsteht aus dem Gefühl der Endlichkeit und der eigenen Beschränkung und dem scheinbaren Widerspruch dieses Gefühls mit der in jeder wahren Liebe mit eingeschlossenen Idee eines Unendlichen.« 126
Schlegel erarbeitet seine Konzeption der »Ironie« zwischen 1798 und 1800 in seinen Beiträgen in der Zeitschrift Athenäum, die er gemeinsam mit seinem Bruder August Wilhelm herausgibt. 127 Hier wendet sich Schlegel von einem klassischen Verständnis der Ironie ab, die, als rhetorisches Mittel eingesetzt, das Gegenteil ausdrückt von dem, was wörtlich gesprochen wird. In Rückgriff auf Johann Gottlieb Fichtes Reflexionsphilosophie versucht Schlegel, ein philosophisches Konzept der Ironie zu entwickeln. 128 In Analogie zu Fichtes Wissenschaftslehre, die Schlegel als eine »Philosophie und Philosophie der Philosophie« (Athenäum-Fragment 277) bezeichnet, stellt er die These auf, die romantische Literaur sei »überall zugleich Poesie und Poesie der Poesie« (Athenäum-Fragment 238). Nach Schlegel soll Kunst eine Metadimension enthalten beziehungsweise eine selbstreflexive Haltung widerspiegeln und konsequenterweise zur »Transzendental-Poesie« werden. Damit will er die paradoxe Aufgabe lösen, das »Absolute« in der Kunst mit endlichen Mitteln, die allein dem Menschen zur Verfügung stehen, zu erfassen (oder zumindest eine Ahnung vom »Absoluten« zu bekommen). Die selbstreflexive Haltung in der Poesie besteht darin, die Endlichkeitsbedingungen des Textes wie Tinte, Schrift, Papier, Schreiber et cetera im Text mit zu reflektieren. Diese »poetische Reflexion« (Athenäum-Fragment 116) ist der Indikator für eine transzendentale Perspektive in der Kunst und ihr Vehikel ist die Ironie. Der Einsatz von Ironie in der Poesie besteht darin, die Illusion zu durchbrechen, der Leser und die Leserin hätten eine Geschichte vorliegen, die unabhängig von ihren materialen Entstehungsbedingungen »existieren« würde. Durch die Reflexion auf die Textvoraussetzungen wird auf die Grenze der Möglichkeit Schlegel, Werke, Wien 1846, XV, S. 56. Zitiert nach (Pöggeler 1998, 126). Novalis trug ebenfalls zur Entwicklung der romantischen Konzeption der Ironie in seinen Blütenstaubfragmenten bei. 128 Zur Analyse von Schlegels Gebrauch der Fichte’schen Philosophie vgl. (Larmore 2000, 157 f.). 126 127
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einer textlichen Mitteilbarkeit aufmerksam gemacht – und diese zugleich auf transzendentale Weise überstiegen. Mittels Textstörungen wird die Tendenz der Leserin durchkreuzt, die epistemische Begrenztheit des Textes und seine Endlichkeitsbedingungen zu vergessen, und ihr damit deutlich gemacht, dass das »Absolute« nicht im Text beschrieben, das heißt in propositionales Wissen überführt werden kann. Mit diesen Störungen wird aber indirekt auf das »Absolute« verwiesen. Diese Dialektik von Endlichkeit und Unendlichkeit konstatiert Schlegel auch bei der Liebe und fasst sie sogar als die »wahre Ironie« auf. 129 Hegels Kritik setzt an der Stelle ein, wo Schlegel »poetische Reflexion« und Ironie mit einer bestimmten Konzeption von Freiheit verbindet, welche durch und in der Kunst zu erreichen ist. Für Schlegel beruht die Freiheit in der Fähigkeit des Subjekts (der Leserin oder dem Autor romantischer Literatur), die Endlichkeitsbedingungen des Textes über den Weg der Ironie zu transzendieren. Freiheit präsentiert sich damit als eine Erfahrung vollständiger Unabhängigkeit, als ein »frei von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte [S]chweben« (Athenäum-Fragment 116). Eine solche Vorstellung von Freiheit hat Hegel in den Grundlinien als »negative Freiheit« (R § 5) und »Willkür« (R § 15) beschrieben. Diese Freiheitsformen sind, wenn sie verabsolutiert werden, für Hegel einseitig und widersprechen seiner Konzeption der vernünftigen Selbstbestimmung. Wird der Standpunkt des Subjekts zum höchsten Standpunkt erhoben, und die Unabhängigkeit von allen Beschränkungen betont, führt dies in Hegels Augen zu Arroganz, Ignoranz und Narzissmus. »Nicht die Sache ist das Vortreffliche, sondern Ich bin der Vortreffliche und bin der Meister über das Gesetz und die Sache*, der damit, als mit seinem Belieben, nur spielt und in diesem ironischen Bewußtsein, in welchem Ich das Höchste untergehen lasse, nur mich genieße.« (R § 140 A)
Aus diesem defizitären Freiheitsverständnis ergeben sich für die Ehe sittliche Nachteile, wenn ihr eine schlegelsche Vorstellung der Liebe zugrunde liegt. Durch die Überbetonung des »Prinzips der Subjektivität« wird die Partikularität in der Ehe nicht beschränkt. So entsteht die Vorstellung, dass man nur diese eine Person aufgrund ihrer spezifischen Idiosynkrasien lieben könnte (R §§ 162 A, R). Zwar gesteht 129
Vgl. das obige Zitat auf S. 172 »Die wahre Ironie …« A
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Hegel zu, dass besondere Neigungen den »subjektiven Ausgangspunkt« machen können (ebd.). Doch angesichts der Möglichkeit, dass die Eltern Hochzeiten arrangieren dürfen, wenn auch nicht gegen den Willen der Kinder, stellt dieser »Ausgangspunkt« keine unbedingte Forderung dar. Eine Fixierung auf die Partikularitäten einer bestimmten Person will Hegel ausschließen, denn dadurch können inner-familiale Verpflichtungen destabilisiert werden. 130 Wenn die Verpflichtungen, die beispielsweise eine Mutter gegenüber ihrem Kind hat, allein auf der Zufälligkeit des Gefühls beruht, sich von diesem Menschen aufgrund dieser idiosynkratischen Eigenschaften angezogen zu fühlen, dann erlischt ihre Verpflichtung gegenüber diesem Menschen, wenn er sich charakterlich oder körperlich verändert (seine Idiosynkrasien also gewechselt haben) oder die Mutter diese Eigenschaften plötzlich nicht mehr attraktiv findet. 131 Die Vorstellung, dass Menschen aufgrund von Leidenschaften in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben, widerspricht zudem Hegels Bedingung, dass die Ehe ihren »objektiven Ausgangspunkt« in der freien Entscheidung zweier Personen zur Heirat nimmt. Dieser »Ausgangspunkt« stellt im Gegensatz zum »subjektiven Ausgangspunkt« eine unbedingte Forderung für die Ehe dar (ebd.). Sich allein von leidenschaftlichen Impulsen treiben zu lassen steht im Gegensatz zur Vorstellung einer rationalen und freien Entscheidung, die die Fähigkeit zur Distanzierung von natürlichen Impulsen voraussetzt. Die »romantische Liebesgemeinschaft« verzichtet darauf, dass das Individuum die Natürlichkeit und Subjektivität leidenschaftlicher Gefühle durch einen selbstbestimmten Umgang mit ihnen transformiert. Die Liebesbeziehung bleibt damit eine von Zufälligkeit und Partikularität abhängige Verbindung, die aus Hegels Perspektive der Idee einer selbstbestimmten, vernünftigen und stabilen Lebensgemeinschaft entgegensteht. Die notwendige Transformation des anfänglichen Verliebtseins wird für ihn durch eine Institutionalisierung der Liebesbeziehung geleistet. 132 130 Zur Aufgabe, den Partikularismus der Familie in eine allgemeine Perspektive einzubinden, vgl. Kapitel (5.1) und (5.2) der vorliegenden Arbeit. 131 Das Thema der Verantwortung wird in Kapitel (5.2) der vorliegenden Arbeit aufgegriffen. 132 Charles Larmore hat darauf aufmerksam gemacht, dass Hegels Kritik an Schlegels Konzeption der Ironie auf einem Missverständnis beruht. So würde Ironie bei Schlegel nicht, wie Hegel glaube, »signal a lack of commitment, for one cannot suggest the infinite except from some particular point of view, employing some determinate form of
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4.3.3 Die Autorität der Dritten Im vorangehenden Abschnitt ist gezeigt worden, wie die Natürlichkeit und Subjektivität der Liebe der Eheleute die Etablierung des ehelichen Verhältnisses als sittliche Institution beeinträchtigen können. Hegel ist sich dessen bewusst, denn weder die Neigung der Personen zueinander noch ihr Entschluss, eine Einheit bilden zu wollen, reichen aus, um die Ehe ins Leben zu rufen. So formuliert er die zusätzliche Bedingung, dass der Entschluss, sich zu vermählen, von der Familie und der Gemeinde anerkannt werden muss (R § 164). In Abgrenzung von den Romantikern, die die »wahre Ehe« allein in der Vereinigung zweier Liebenden sehen, hält Hegel gerade den Einbezug einer dritten Instanz für notwendig, und zwar in zweifacher Hinsicht. Zum einen soll mit Hilfe einer öffentlichen Zeremonie eine wirkliche Einheit erzielt werden – die Autorität der Familie und Gemeinde »veruneinigt« nicht die Liebenden, wie die Romantiker glaubten (R § 164 A), sondern schafft erst die nötige Objektivität einer solchen Liebeseinheit. Zum anderen werden die Verpflichtungen, die man als Ehemann und Ehefrau übernimmt, bindend, insospeech. […] The ironical mind is not uncommitted, but rather divided […] between the view it affirms and the realization that no position it adopts can express fully its nature as the activity that gives rise to thought and commitment.« (Larmore 2000, 157), Hervorhebung S. B. Nichtsdestotrotz bleibt der Konflikt zwischen Hegel und Schlegel bestehen, selbst wenn Hegel Schlegel in Larmores Sinne richtig verstanden hätte. Die »twomindedness« der Romantiker, eine Konzeption, die Larmore in The Romantic Legacy herausgearbeitet hat und auf die er mit der These, die »ironische Gesinnung« sei »gespalten«, hinweist, bringt zum Ausdruck, dass eine »ironischen Gesinnung« zu haben bedeutet, zugleich einem Wert gegenüber verpflichtet zu sein als auch auf diesen zu reflektieren – und damit dem Wert reserviert gegenüberzustehen; man hätte sich auch nicht zu diesem Wert verpflichten können (Larmore 1996, 76). Eine solche ambivalente Haltung gegenüber Werten schließt Hegel in seiner Sittlichkeitstheorie aus. Für Hegel zeichnet sich ein freies Handlungssubjekt, das ein Leben in einer sittlichen Gesellschaftsordnung führt, gerade dadurch aus, dass es sich mit seinen sozialen Rollen und den damit verbundenen Normen und Werten identifiziert – und diese nicht in reflektierender Weise betrachtet im Bewusstsein der Option einer Nicht-Verpflichtbarkeit. Die Möglichkeit (und Notwendigkeit) einer kritischen Reflexion auf die gesellschaftlich-politischen Institutionen zeichnet sich erst dann ab, wenn die aktuellen Institutionen sich als nicht vernünftig herausstellen. Aber auch in diesem Fall ist die Kritik an der Gesellschaftsordnung nicht von einem außerhalb der Institutionen gedachten, subjektiven Standpunkt aus zu formulieren – einem Standpunkt, den es für Hegel nicht geben kann. Vielmehr äußert sich Kritik innerhalb der Institutionen durch das Auftreten praktischer Inkonsistenzen, die auf einen Mangel an Vernünftigkeit dieser Lebensformen zurückgeht und letztlich zum Zusammenbruch dieser Lebensformen führt. A
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fern eine dritte Instanz Zeuge ihres Einverständnisses wird und sie die Eheleute (zumindest prinzipiell) zur Rechenschaft ziehen können, wenn diese ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Der öffentliche Akt der Heirat dient dazu, die Zufälligkeit des Verliebtseins und die daraus resultierende Instabilität der gemeinschaftlichen Verpflichtungen zu überwinden – oder dies zumindest zu versuchen. Der Grenze dieses Unterfangens ist sich Hegel durchaus bewusst, und er lässt im Falle einer totalen Entfremdung der Eheleute die Möglichkeit einer Scheidung zu (R § 176). Damit trägt er dem Recht des Individuums, nicht gegen seine Gesinnung gezwungen zu werden, Rechnung. Die Scheidung kann aber nur durch eine »dritte sittliche Autorität« (ebd.) ausgesprochen werden. Die Eheschließung und Hochzeitszeremonie, welche Hegel als die »förmliche Schließung und Wirklichkeit der Ehe« und die »Vollbringung des Substantiellen durch das Zeichen […] als das Dasein des Geistigen« (R § 164) bezeichnet, konzipiert er in enger Anlehnung an die Stipulation eines Vertrages. So wird der Kontrakt als das »Dasein […] der Vorstellungen in Zeichen« (R § 78) beschrieben, das »die Seite des Willens, daher das Substantielle des Rechtlichen« (R § 79) enthält. Wie ist diese Analogie aufzufassen angesichts Hegels Ablehnung einer kontraktualistischen Konzeption der Ehe? Und was kann der Vergleich von Hochzeit und Vertrag zum Verständnis des Sittlichkeitscharakters der Ehe beitragen? Zur Beantwortung dieser Fragen ist zunächst Hegels Konzeption des Vertrages zu erläutern. Er ist der Ansicht, dass der Abschluss eines Vertrages, zum Beispiel über ein bestimmtes Eigentum, das Eigentumsrecht des ursprünglichen Eigentümers an dem Gegenstand sofortig beendet, auch wenn der Gegenstand sich noch im physischen Besitz des ursprünglichen Eigentümers befindet. Wie kann dies möglich sein? Die Materialität des Vertrages, Papier und Tinte, kann eine Übertragung des Eigentumsrechts nicht verursachen. So hat Johann Gottlieb Fichte, wie Hegel in R § 79 A bemerkt, bezweifelt, dass der Kontrakt die Vertragspartner rechtlich dazu verpflichten kann, die eingegangenen Bedingungen einzuhalten. Zwar leugnet Fichte nicht, dass es eine moralische Verpflichtung gibt, Kontrakte zu halten. Jedoch ist ein Vertragspartner erst dann rechtlich gezwungen, sein Soll zu erfüllen, wenn die Gegenpartei bereits die vertraglich geforderten Leistungen erbracht hat. Hegel stimmt Fichte in dem zu, dass das raum-zeitliche »Dasein« eines Vertrages nur Papier und Tinte sind, die von sich aus keine Verpflichtungen generieren können. Jedoch ist 176
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dieses Papier (beziehungsweise beim mündlichen Vertrag der Handschlag oder eine vergleichbare Geste) ein »Zeichen« von dem, was den Vertag auf substantielle Weise ausmacht – und was die Vertragspartner sehr wohl verpflichtet. Der Vertrag ist das »Zeichen« dafür, dass beide Vertragspartner sich entschieden haben, einen »gemeinsamen Willen« zu »setzen«, der sie beide bindet: »Mein Wille ist gebunden, gemeinsamer Wille – mit dem Willen des Andern in eins gesetzt; […] der gemeinsame Wille ist da für beide – mein Wille nicht mehr subjektiv für mich. Was da ist, ist die Entäußerung meines Willens und die Verknüpfung desselben mit einem andern.« (R § 79 R)
Das »Zeichen« des »gemeinsamen Willens«, der Vertrag, reicht für Hegel aus, um eine umfassende (rechtliche und moralische) Verpflichtung zur Einhaltung des Kontrakts abzuleiten. Im Gegensatz dazu bringt das Versprechen keine Veränderung des Status quo von Eigentumsverhältnissen mit sich, weil ein »gemeinsamer Wille« nicht durch ein äußeres »Zeichen« gesetzt und objektiv gemacht wird (R § 79). So ist es nicht möglich, die Einhaltung eines Versprechens rechtlich zu erzwingen. Die Erfüllung eines Versprechens obliegt ganz dem subjektiven Willen der betreffenden Person. In der Hochzeit sieht Hegel ebenfalls ein »Zeichen«, welches analog zum Vertrag auf das verweist, was das Wesentliche an der Eheschließung ist, nämlich die freie Entscheidung zweier Personen, in eine Einheit einzutreten. Dieses »Zeichen« muss, im Unterschied zum Vertrag, ein sprachliches sein, weil die Sprache für eine geistige Einheit, welche die Familie darstellt, der angemessene Repräsentant ist (R § 164 R). Die Vertragsanalogie stößt jedoch schnell an eine Grenze. Nicht der »gemeinsame Wille« ist das die Familie Bestimmende, sondern als sittliche Institution muss dies der »allgemeine Wille« sein. 133 Dennoch ist das Sichtbarmachen dessen, zu dem man sich gemeinsam bereit erklärt, wichtig mit Blick auf den Versuch, dass sich die Eheleute ihrer Einheit bewusst werden. »Was da ist,« so Hegel über den Vertrag,
133 Die Einigkeit, die mit dem Vertrag erzielt wird, ist nur ein »gemeinsamer Wille«, nicht aber der »an und für sich allgemeine Wille« (R § 75), der sich gerade durch das selbstbestimmte Wollen dessen, was vernünftig ist, auszeichnet. Die Familie soll aber ein Bestandteil des »Reich[s] der verwirklichten Freiheit« (R § 4) sein und damit eine Form des allgemeinen Willens. Zum Allgemeinwille und Einzelwille vgl. Kapitel (5.1) und (5.2) der vorliegenden Arbeit.
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»ist die Entäußerung meines Willens und die Verknüpfung desselben mit einem andern; ich habe dieser Entäußerung Dasein gegeben; so daß sie nicht mehr nur eine subjektive ist; – sondern eine Handlung – außer mir gesetzt –« (R § 79 R).
Zwei Aspekte von Hegels Handlungstheorie kommen in diesem Zitat zum Tragen. Erstens geht Hegel davon aus, dass das, »[w]as das Subjekt ist, […] die Reihe seiner Handlungen« (R § 124) ist. In der Handlung entwirft und erfasst sich zugleich das Individuum als das, was es ist. 134 Es wird für ihn als auch für andere sichtbar, was für ein Verständnis das Individuum von sich selbst hat. Zweitens hat das Individuum, weil die »Handlung außer ihm gesetzt« ist – also nicht etwas Subjektives, sondern für andere Beobachtbares und Beurteilbares darstellt –, keinen exklusiven, wohl aber einen privilegierten Zugang zu seinen Handlungsgründen. Das heißt, dass andere ebenfalls eine Einschätzung vornehmen können, was die Gründe für diese Handlung sind, und beurteilen können, ob diese Gründe stichhaltig sind. Diese beiden Handlungsaspekte treffen auch auf die Handlung des »Jawort«-Gebens der sich Vermählenden zu, und zwar auf besonders expressive Weise. Durch die Vermählung gewinnen zwei Personen unmittelbar eine neue Dimension ihrer Identität hinzu: Sie werden Ehemann beziehungsweise Ehefrau. Auch legen die Eheleute ihre Verpflichtung füreinander in einer Weise offen, für die Zeugen bereits konstitutiv sind. Die Heiratszeremonie macht explizit, was im Allgemeinen für jede Handlung gilt: dass ein Individuum für seine Handlungen von Anderen zur Verantwortung gezogen werden kann. Die Perspektive des Dritten, in der Handlungsgründe erst ihre endgültige Form und Objektivität gewinnen, ist in der Verheiratung institutionell durch die Instanzen der Familie und Gemeinde vertreten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass weder die Verpflichtungen in der Familie noch das Selbstverständnis ihrer Mitglieder der natürlichen Seite der Familie entspringt. Verpflichtungen und Selbstverständnisse gehen weder auf die Tatsache zurück, dass zwei Menschen sich voneinander angezogen fühlen, noch auf die Tatsache, dass ein Kind biologisch von den Eltern abstammt. Vielmehr werden Verpflichtungen und Selbstverständnisse durch Handlungen generiert – hier der Handlung der Heirat –, die einen Anspruch auf Ra134 Zum dialektischen Verhältnis von Selbstentwurf und der Erfassung seiner selbst im Zum-Ausdruck-Bringen seiner selbst vgl. (Taylor 2000).
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tionalität formulieren, nämlich, dass das Individuum aus Gründen gehandelt hat und sein Selbstverständnis intersubjektiv anerkannt wird, es sich also nicht eingebildet hat, etwa eine Ehefrau zu sein. Dieser Anspruch kann nur innerhalb eines institutionellen Rahmens durch die Anerkennung von Familie und Gemeinde eingelöst werden. Dass Hegel diesen institutionellen Rahmen für die Familie so stark betont, hat seinen Grund wiederum in der Naturseite der Familie – und damit in ihrem nicht zu eliminierenden Rest an Zufälligkeit und Unmittelbarkeit: Gefühl, Asymmetrie zwischen Eltern und Kindern bezüglich Selbständigkeit und Freiheit, unfreiwilliger Eintritt der Kinder in die Familie, natürlicher Reproduktionsprozess, Bedürfnisbefriedigung, Tod. Aufgrund der Wichtigkeit dieser institutionellen Abstützung ist es erklärlich, dass Hegel andere Formen des sich auf intime Weise Zugeneigtseins wie der Freundschaft, denen eine institutionelle Stütze fehlt, als sittliche Lebensformen unberücksichtigt lässt. 135 Freundschaften fallen in die rechtsphilosophische Kategorie des »Versprechens«, das zwar aus moralischen Gründen zu halten ist, jedoch nicht die Objektivität einer sittlichen Pflicht erreichen kann, weil der »allgemeine Wille« nicht durch eine öffentliche Handlung »gesetzt« wird. Die Freundschaftspflichten sowie die Identität des Freundin-Seins entspringen nicht einer Handlung, die auf das »Wesentliche« der Freundschaft verweisen würde und deren Geltung durch eine dritte Instanz explizit abgestützt wird, sondern allein dem »Gefühl« der Sympathie. Axel Honneth kritisiert Hegel für die Vernachlässigung der Freundschaft als einer weiteren sittlichen Institution. »Auf den ersten Blick scheint nach dem bislang Gesagten kaum etwas dagegen zu sprechen, in die erste Sphäre der Sittlichkeit mit der ›Freundschaft‹ eine weitere Interaktionsform einzubeziehen, die wie die Familie um die wechselseitige Anerkennung der Unersetzbarkeit des Anderen kreist; auch Freunde verwirklichen in ihrer Beziehung stets einen Teil ihres Selbst, indem sie sich in ihrer Interaktion von moralischen Normen des Wohlwollens und des Beistands leiten lassen.« 136
135 Ein weiterer Grund, der Familie gegenüber der Freundschaft Priorität einzuräumen, könnte sein, dass jeder Mensch notwendigerweise Eltern hat, während nicht jeder Mensch notwendigerweise Freundschaften unterhält. Dieses empirische Argument ist jedoch noch nicht ausreichend, um zu begründen, dass eine »sittliche Pflicht« besteht, eine neue Familie zu gründen. Vgl. dazu Kapitel (5.1) der vorliegenden Arbeit. 136 (Honneth 2001, 108).
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Zwar erwähnt Honneth als Grund für Hegels Ablehnung der Freundschaft ihre fehlende Stabilität. Den eigentlichen Grund verkennt er jedoch: dass es in der Familie nicht um die »Anerkennung der Unersetzbarkeit des Anderen« geht, sondern um die Anerkennung eines Menschen als Mitglied der Familiengemeinschaft. Diese These soll im nächsten Kapitel (5) verteidigt werden.
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Im vorangehenden Kapitel der Arbeit wurde gezeigt, was die Familie in Hegels Konzeption primär nicht sein kann, wenn sie als sittliche Institution begründet werden soll: eine Naturgemeinschaft. Als Gemeinschaft, die von Natur aus existierte, wäre sie zu stark durch die Merkmale der Unmittelbarkeit und Zufälligkeit geprägt, um zum »Reich der verwirklichten Freiheit« (R § 4) zu gehören. Aus diesem Grund wurde in Kapitel 4 untersucht, mit welchen Argumenten Naturprozesse und natürliche Aspekte, die zweifellos in der Familie präsent sind, institutionell eingebunden werden, so dass diese Prozesse und Aspekte ihre natürliche Zufälligkeit und Unmittelbarkeit in der familialen Praxis (weitestgehend) verlieren. So stellt die Sicherung der Stabilität und Subsistenz der Familiengemeinschaft einen Grund dar, bestimmte Vertragsformen und Erbschaftsregelungen im Familienrecht festzulegen. Die Präsenz des Gefühls als eine Natürlichkeit in der Familie gibt – weil die Berücksichtigung des Gefühls unter das »Recht der Subjektivität« moderner Individuen fällt – Anlass, die kontraktualistische Konzeption der Ehe abzulehnen. Forderungen, die sich aus Hegels philosophischem System und aus seinem Begriff der Freiheit als vernünftige Selbstbestimmung ableiten lassen, stellen für ihn Gründe dar, eine heterosexuelle Struktur und Organisation der Familie zu vertreten. 1 Dass eine durchgehende Rationalisierung des Familienlebens schlussendlich nicht gelingt, ein Rest an natürlicher Unmittelbarkeit und Zufälligkeit bleibt und der Familie so die zwitterhafte Gestalt gibt, »natürliche[r] sittliche[r] Geist« (R § 157 A) zu sein, widerspricht aber nicht Hegels generellem Bemühen, die Familie in den Grundlinien primär unter einer normati-
1 Die Probleme, die aus dieser Konzeption der Familie als einer notwendigerweise heterosexuellen Gemeinschaft erwachsen, wurden in Kapitel (4.1) der vorliegenden Arbeit erläutert.
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ven, nach Gründen für bestimmte familiale Handlungen und Überzeugungen suchenden Perspektive zu erfassen. In diesem Kapitel soll das Argument zu Ende geführt werden, dass die Familie berechtigterweise neben Staat, Ständen und Korporationen zu den »sittlichen Institutionen« einer sozio-politischen Ordnung gehört. Da Hegel den Sittlichkeitscharakter einer Institution an ihrer Vernünftigkeit festmacht, die sich darin zeigt, dass die Institution Freiheit verwirklicht, muss überprüft werden, inwiefern dies auch für die Familie zutrifft (R §§ 262, 263). Zu diesem Zweck wird zunächst allgemein erläutert, wie der geforderte Zusammenhang von Freiheit, Vernünftigkeit und Institution auszusehen hat (5.1). Drei Thesen können mit Blick auf die Freiheit in der Familie formuliert werden. Die Familie kann erstens als bloß empirisches Mittel zur Erlangung von Freiheit angesehen werden (5.1.1). Zweitens kann sie als konstitutive Bedingung für Freiheit betrachtet werden (5.1.2). Die Zuordnung der Familie zum »Reich der verwirklichten Freiheit« (R § 4) stellt die interpretatorische Aufgabe, die Familie als eine institutionalisierte Praxis gelebter Freiheit zu rekonstruieren, an der teilzunehmen für das Individuum eine Form der vernünftigen Selbstbestimmung darstellt und vom sittlichen Standpunkt aus nicht optional ist (5.1.3). In der Familie zu leben bedeutet für das Individuum, frei zu sein. 2 Diese These soll gegen den Einwand verteidigt werden, dass Hegels institutionelle Konzeption der Freiheit individuelle Autonomie gefährdet statt beweist (5.1.4). In der Ausführung der dritten These wird der Begriff der Anerkennung zentral. Zwei Perspektiven können bei dem Bemühen, die Verbindung zwischen Freiheit, Vernünftigkeit und Institution offenzulegen, eingenommen werden. Erstens kann der Blick auf die Institution der bürgerlichen Familie gelenkt und gefragt werden, warum gerade diese Institution und Familienform für Hegel zu den sittlichen Grundinstitutionen der Moderne gehört. Diese Frage weist auf den bereits in Kapitel 2 diskutierten Zusammenhang von logisch-begrifflicher und historischer Entwicklung gesellschaftlicher Grundinstitutionen zurück, in der Hegel einen kollektiven Zuwachs an Freiheit und Freiheitsbewusstsein sieht. Die zweite Perspektive, die in diesem Kapitel im Vordergrund steht, richtet sich auf das Individuum, welches das Leben in der Familie als vernünftige Selbstbestimmung erfahren muss. Offensichtlich sind der kollektive, historisch-logisch-begriffliche, und der individuelle Blickwinkel miteinander verknüpft. Während die individuelle Erfahrung des Freiseins daran gebunden ist, dass der Ort der Erfahrung ebenfalls dem Maßstab der Freiheit standhält, kann die bürgerliche Familie als sittliche Institution nur das Resultat eines kollektiven, historischen und begrifflichen Selbstbestimmungsund Selbstbewusstseinsprozesses sein, wenn Individuen in der Familie tatsächlich eine Praxis ihrer Freiheit sehen und sie entsprechend durch Handeln und Gesinnung perpetuieren.
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Die Familie zwischen Freiheit, Vernünftigkeit und Anerkennung
Er stellt die konzeptionelle »Schnittstelle« zwischen Freiheit und institutioneller Vernünftigkeit dar. 3 Die Form der Anerkennung, die Hegel für die Familie konzipiert, ist die Liebe. In Kapitel (5.2) soll geprüft werden, ob die Liebe eine angemessene Form der Anerkennung repräsentiert. Um auszuschließen, dass durch Hegels These, das Familienverhältnis könne in Analogie zum wesenslogischen Substanz-Akzidens-Verhältnis verstanden werden, die Freiheit des Individuums beeinträchtigt werden könnte, wird in Kapitel (5.3) abschließend das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft in Hegels Familienkonzeption analysiert. Wenn dieses Bedenken ausgeräumt und die Konzeption der Liebe als eine angemessene Form der Anerkennung nachgewiesen werden kann, dann hat sich die Familie zu Recht als eine sittliche Institution erwiesen.
5.1 Die Familie zwischen den Koordinaten von Freiheit, Vernünftigkeit und Anerkennung 5.1.1 Die Familie als Mittel zur Freiheit Die Familie kann als ein Mittel zur Freiheit aufgefasst werden, weil sie empirisch notwendige Funktionen übernimmt, um Individuen zu ermöglichen, intellektuelle und voluntative Kompetenzen auszubilden, welche sie für Freiheit brauchen. Paradigmatisch steht dafür die Erziehung der Söhne (und im eingeschränkten Maße auch der Töchter) zu rechtlichen Personen, moralischen Subjekten und guten Staatsbürgern. Auch »versorgt« die Familie den Staat mit neuen Bürgern und gewährleistet dessen Reproduktion. 4 Zur These, die Grundlinien seien als eine Theorie der Anerkennung zu lesen, vgl. (Honneth 2001), (Pippin 2000 a, 168), (Siep 1979, 287), (Williams 1997). 4 Wenn man der These von Alan Patten und Frederick Neuhouser folgt, dass die soziopolitische Ordnung (als »Staat« im weiten Sinne) ein sich selbst reproduzierender Organismus ist und damit die Bedingung des nur durch sich selbst Bestimmtseins besser zu erfüllen weiß als das einzelne Individuum, leistet die Familie durch den Nachwuchs einen indirekten Beitrag zur Freiheit des Staates (Neuhouser 2000) und (Patten 1999), Kapitel 6. Die Freiheit des »Staates« im weiten Sinne, der die Institutionen der Familie und der »bürgerlichen Gesellschaft« umfasst (R § 262), ist an die subjektive Freiheit der Individuen nach Patten in folgender Weise gekoppelt: Die Institutionen stellen eine minimale, sich selbst erhaltende, soziale Struktur dar, die den Erwerb von Fähigkeiten und Selbstbeziehungen ermöglichen, welche das Individuum für die Ausübung seiner subjektiven Freiheit benötigt (Patten 1999, 40 f.). Weil die sozio-politische Ordnung, welche die subjektive Freiheit fördert, stabil funktioniert und sich selbst reproduziert, ist sie 3
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Die Annahme, dass diese Zweck-Mittel-Relationen die Vernünftigkeit der Institution Familie beweisen, ist jedoch problematisch. Ohne Zweifel werden in der Familie psychische, körperliche und soziale Voraussetzungen für die Ausbildung individueller Freiheit geschaffen. 5 Wenn die Familie aber nur eine empirische Bedingung für die Entstehung von Freiheit ist, könnte der Mensch auf ein Leben in der Familie verzichten, sobald er ein rationales, autonomes Subjekt geworden ist. Tatsächlich verlassen die erwachsen gewordenen Kinder ihre Herkunftsfamilie (R § 177). Hegel konstatiert jedoch eine »sittliche Pflicht« zur Heirat und damit zur Gründung einer neuen Familie (R § 162 A). Wie kann diese Pflicht begründet werden, wenn die Familie für das Individuum nur eine Anfangsbedingung für dessen Freiheit ist und bei der Erreichung dieses Ziels für das Individuum überflüssig wird? Alan Patten nimmt an, die Pflicht zur Familiengründung für den einzelnen Menschen beruhe darauf, dass er Verantwortung gegenüber Menschen zukünftiger Generationen hat, die ebenfalls die Möglichkeit erhalten sollen, freie und rationale Subjekte zu werden. 6 Der einzelne Mensch trägt also Verantwortung für die Freiheit zukünftiger Generationen und muss daher, auch nachdem er Autonomiekompetenzen erworben hat, Institutionen wie die Familie unterstützen. Diese Argumentation führt zu einem Problem. Es fällt schwer einzusehen, warum der Mensch an der Freiheit nicht existierender Menschen interessiert sein sollte. Hier könnte man einwenden, dass der Mensch ein Interesse am Fortbestand seiner Gattung hat, die sich durch die Autonomiekompetenz ihrer Exemplare von anderen Gattungen unterscheidet. Damit wird der Mensch unter einer biologischen Perspektive wahrgenommen: Als Exemplar einer Gattung hat er den »Trieb«, den Erhalt seiner Gattung zu sichern. Normative Vernach Patten vernünftig (Patten 1999, 183). Den Mangel an Selbständigkeit der Familie sowie der »bürgerlichen Gesellschaft« sieht Patten darin, dass sie die Bedingungen ihrer Existenz nicht selbst produzieren können (ebd., 180). Daher sind sie nur als Teil der sozio-politischen Ordnung vernünftig. Gegen dieses Argument, die Institutionen seien deshalb vernünftig, weil sie stabil sind, hatte sich bereits früher Terry Pinkard gewandt (Pinkard 1994, 329). Hegels Berücksichtigung der institutionellen Praxis (und damit ihrer praktischen Konsistenz) ist darin begründet, dass sich die logischen Implikationen eines kommunalen Selbstverständnisses erst in der Rekonstruktion existierender Institutionen erweist (ebd.) Zu Pinkards Argument vgl. Kapitel (2.1.1.3) der vorliegenden Arbeit. 5 Vgl. (Neuhouser 2000, 46). 6 Vgl. (Patten 1999, 120).
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antwortung für die Unterstützung gesellschaftlicher Institutionen wie der Familie kann für rationale und freie Personen mittels eines solchen »Gattungstriebs« weder erklärt noch begründet werden. 7 Eine zweite Möglichkeit bestünde darin, in einer Rawls‹schen Weise dafür zu argumentieren, dass unter einem »veil of ignorance« der Mensch nicht wissen kann, welcher Generation er angehört, so dass er sich in der »original position« dafür entscheidet, jeder Generation die Startbedingungen zur Ausbildung voluntativer und intellektueller Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen. Hegel lehnt jedoch Argumente ab, die auf der gedanklichen Konstruktion eines »Naturzustandes« aufbauen. Nichtsdestotrotz will er »sittliche Pflichten« für Eheleute und Eltern, die bereits selbständige Personen sind, in der Familie formulieren. 8 Damit steht Patten in seiner Argumentation vor einem spezifischen Begründungsproblem der Familie – das er allerdings nicht wahrnimmt. 9 Er hätte zeigen müssen, dass die Familie individuelle Pflichten generiert, weil sie für den Einzelnen eine andauernde Bedingung von Freiheit ist. Während er diese Argumentation für andere Institutionen, beispielsweise für das Rechtssystem, führt, formuliert er keine analoge Begründung für die Familie. 10 5.1.2 Die Familie als konstitutive Bedingung von Freiheit Wenn die Familie berechtigterweise zum »Reich der verwirklichten Freiheit« (R § 4) gehören soll, muss ihre Existenz eine andauernde, konstitutive Bedingung für Freiheit sein und nicht nur ein Mittel zur Erreichung derselben. Auf diesen Zusammenhang ist in der Forschungsliteratur hingewiesen worden mit folgender Argumentation. 11 Ausgehend von der Frage nach den Ermöglichungsbedingungen individueller Freiheit und Selbstverwirklichung werden eine Eine vierte Möglichkeit bestünde in dem Argument, dass generationsübergreifende Verantwortung nicht auf einem Eigeninteresse des einzelnen Menschen gründet, sondern ihm diese Pflicht anderweitig auferlegt werden muss. 8 Zu verschiedenen Arten und Begründungen von Verpflichtungen bei Hegel vgl. (Siep 1988, 272). 9 Vgl. (Patten 1999, 120). 10 Vgl. ebd., 152. 11 Vgl. beispielsweise (Honneth 2001), (Siep et al. 2004), (Taylor 1994), (Taylor 2000). Peter Stillman weist darauf hin, dass manche Erfahrungen nur in der Familie gemacht werden können und sie aus diesem Grund eine sittliche Institution darstellt. Unter diese Erfahrungen fallen für die Eltern »feeling, intimacy, and love; manifest and substantial community; and recognized particularity and subjectivity« und für die Kinder »all those, 7
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bestimmte Form der Selbstbeziehung, damit einhergehende intellektuelle Fähigkeiten (Reflexion, Distanzierungsfähigkeit) und psychische Voraussetzungen (Selbstwertgefühl, Selbstachtung) genannt. Zudem braucht das Individuum, um ein inhaltlich konkretes Selbstverständnis zu erlangen und sich affirmativ zu etwas bestimmen zu können – kurz: um einen Lebensplan zu entwerfen –, gewisse Orientierungsraster, Zielangebote und »Bedeutungshorizonte«. 12 Nach Alan Patten muss das Individuum, um Freiheit und »rational agency« zu erreichen, im Besitz von »a certain set of goals, attitudes, and capacities« sein sowie »the right sort of self-understanding« haben. 13 Um ein stabiles und inhaltlich konkretes Selbstverständnis auszubilden und die oben genannten Fähigkeiten zu entwickeln, muss das Individuum in bestimmten Interaktionen mit Anderen stehen 14 – »the crucial feature of human life is«, so Charles Taylor, »its fundamentally dialogical character«: 15 »[T]here is no such thing as inward generation [of identity, S. B.], monologically understood […]. Discovering my identity doesn’t mean that I work it out in isolation but that I negotiate it through dialogue, partly overt, partly internalized with others.« 16
Die hier geforderten Interaktionen bestehen in intersubjektiven, wechselseitigen Anerkennungsbeziehungen, aufgrund derer es einem Individuum gelingt, wie Hegel schreibt, die »Gewißheit« seiner selbst zur »Wahrheit« zu erheben (EG §§ 413, 417). Anerkennungsbeziehungen tragen zur Stabilität eines Selbstbezuges bei (das Subjekt erfasst sich im Anderen als Selbst) und geben dem eigenen Selbstverständnis die erforderliche Bestätigung in der Welt. Diese Formen der Anerkennung müssen institutionalisiert werden, um für alle Individuen verlässlich zugängig zu sein. Indem Institutionen plus education to autonomy, reason, freedom and culture, towards citizenship, life in civil society, and marriage« (Stillman 1981, 349). 12 Diese Position wird nachdrücklich von Charles Taylor vertreten: »So the culture which lives in our society shapes our private experience and constitutes our public experience, which in turn interacts profoundly with the private. So that it is no extravagant proposition to say [as Hegel does, S. B.] that we are what we are in virtue of partcipating in the larger life of our society – or at least being immersed in it, if our relation to it is unconscious and passive, as is often the case« (Taylor 1999, 88). 13 Vgl. (Patten 1999) insbesondere Kapitel 6. 14 Vgl. (Patten 1999, 195). 15 (Taylor 1994, 32). 16 (Taylor 2000, 47).
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Die Familie zwischen Freiheit, Vernünftigkeit und Anerkennung
einen Raum für stabile Anerkennungsbeziehungen schaffen, stellen sie eine konstitutive Bedingung für die Freiheit des Individuums dar. Ein Gesellschaft, die über solche Institutionen verfügt, ist sittlich zu nennen, da sie die notwendigen sozialen Voraussetzungen (Anerkennungsbeziehungen) für individuelle Freiheit zuverlässig (da institutionalisiert) bereitstellt. Die spezifische Gestaltung von Anerkennungsbeziehungen kann von Institution zu Institution variieren. Axel Honneth unterscheidet drei Stufen reziproker Anerkennung in Hegels Sozialphilosophie: die emotionale, die rechtliche und die solidarische Anerkennung. Sie entsprechen den Sozialräumen der Familie, der »bürgerlichen Gesellschaft« und des Staats. 17 Die Anerkennungsfunktion der Familie besteht nach Honneth darin, die natürliche Bedürftigkeit des Menschen und seine Individualität anzuerkennen. 18 Dadurch kann das Familienmitglied die nötige Selbstachtung und ein Selbstwertgefühl gewinnen, welche es zur Fähigkeit, sich selbst zu bestimmen, braucht. Denn es kann nur dann Ziele verfolgen, einen Lebensplan entwerfen und umsetzen, kurz: ein glückliches Leben führen, wenn es Vertrauen darauf besitzt, dass seine Pläne und die von ihm gesteckten Ziele es wert sind, realisiert zu werden. Auf diese Weise leisten familiale Anerkennungsverhältnisse einen unverzichtbaren Beitrag zu den Voraussetzungen (Selbstachtung, Selbstwertgefühl), die für eine Verwirklichung der individuellen Freiheit notwendig sind. Mit Blick auf eine Begründung der sittlichen Notwendigkeit der Familie stellt sich jedoch das Problem, dass durchaus denkbar ist, Selbstachtung und Selbstwertgefühl auch in anderen, nicht-familialen Formen von Gemeinschaft ausbilden zu können. Diesem Einwand könnte Honneth mit dem Hinweis begegnen, dass Kinder in den meisten Fällen de facto in Familien aufwachsen und die Familie Vgl. (Honneth 1998). Auch wenn in Kapitel (5.3) Kritik an Honneths spezifischer Auslegung der Liebe als einer Form von Anerkennung geübt wird, so ist seiner generellen Annahme, in den sittlichen Institutionen finden jeweils unterschiedliche Arten der Anerkennung statt, zuzustimmen. Ludwig Siep dagegen bestreitet, dass die Institutionen in den Grundlinien eine Abfolge von Anerkennungsstufen darstellen (Siep 1979, 288). Das System der Institutionen soll seiner These nach nicht primär die Sozialisationsinstanzen des Individuums umfassen, sondern die Reflexionsstufen des Bewusstseins, das heißt, die Stufen der Vermittlung von Einzelheit und Allgemeinheit des Selbstbewusstseins (ebd. 239). 18 Vgl. (Honneth 1998), (Honneth 2001). 17
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aus diesem empirischen Grund notwendig ist. Gegen diese Argumentation spricht jedoch, dass Hegel es für Erwachsene zur sittlichen Pflicht erklärt, eine Familie zu gründen – und zwar nicht aus Gründen der menschlichen »Reproduktion«. Die Fortpflanzung stellt weder einen Hauptzweck der Familie dar (R § 164) noch braucht es Kinder, damit eine Familie existiert: »Frau und Mann machen eine vollkommen selbständige Familie« (R § 172 R). Die Frage bleibt damit bestehen, aus welchen Gründen Hegel die Teilnahme am Familienleben zur notwendigen (wenn auch nicht hinreichenden) konstitutiven Bedingung des guten Lebens, in welchem der Mensch seine Freiheit verwirklicht, zählt. Anders ausgedrückt: Was findet der Mensch in der Familie, das sie für ihn, der bereits im Vollbesitz seiner intellektuellen und voluntativen Fähigkeiten ist, unerlässlich zum Ausleben seiner Freiheit macht? Und in welchem Sinne handelt es sich bei der Ehe beziehungsweise Familie um eine vernünftige Selbstbestimmung – und nicht um die Wahl einer kontingenten Lebensform? 19 5.1.3 Vernünftigkeit als Konvergenz zwischen Allgemein- und Einzelwillen in Anerkennungsbeziehungen Die Vernünftigkeit der Selbstbestimmung eines Individuums zeigt sich darin, dass das Individuum sich nicht durch etwas Unmittelbares (natürliche Impulse, Triebe, natürliche Eigenschaften et cetera), sondern durch Gründe bestimmen lässt. 20 Das Individuum demonstriert Frederick Neuhouser hält die Familie für vernünftig, weil sie Freiheit realisiert und Bestandteil des guten und gelingenden Lebens ist (Neuhouser 2000, 169, 268). Er zählt auf, wie die Familie zur Verwirklichung von Freiheit des Individuums beiträgt: »[The family] provides its members with particular identities that enable them to freely subordinate their private wills to the requirements of the collective good; it furnishes the social order with the human individuals it needs in order to be a self-sustaining whole; and it subjectively forms children into persons, moral subjects, and citizens […] in institutionalizing monogamous sexual love it enables its adult members to express […] drives in a way that is consistent with actualization of freedom« (Neuhouser 2000, 169). Abgesehen von seiner Bemerkung zur Kompatibilität von Monogamie und Freiheit steht die Familie bei Neuhouser aber nicht als Vollzug von Freiheit im Vordergrund, sondern in ihrer Funktion, Mittel zur Erlangung von Freiheit bereitzustellen. Damit hat er den konstitutiven Zusammenhang von Familie und Freiheit, auf den Honneth hinweist, noch nicht erfasst. 20 Die These, dass Selbstbestimmung auf vernünftige, durch Gründe geleitete Weise geschieht, kann mit einem Argument von Andreas Wildt gestützt werden: Jedes Wollen stellt implizit einen Anspruch auf Rationalität. Daher obliegt es dem wollenden Men19
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damit die Fähigkeit, eine allgemeine Perspektive und einen rationalen Standpunkt einnehmen zu können, von dem aus es seine Handlung rechtfertigen kann. Seine Handlungsgründe besitzen Allgemeingültigkeit, insofern andere rationale Wesen in seiner Situation ebenfalls so gehandelt hätten. Wegen dieser Gründe wird das Individuum von Anderen als ein sich rational selbst bestimmendes Handlungssubjekt anerkannt. 21 Sie akzeptieren es als Mitglied einer Institution, das der jeweiligen institutionellen Praxis folgend und sich so im Sinne der Allgemeinheit engagierend gehandelt hat. Gegen die These, dass Gründe durch intersubjektive Anerkennung Allgemeingültigkeit erhalten können, lässt sich einwenden, dass das, was intersubjektiv anerkannt wird, noch nicht in einem »objektiven« Sinne vernünftig sein muss. 22 Eine Gemeinschaft kann sich irren, und eine einzelne kann auch gegen die vorherrschende Meinung Recht behalten. Diesen Beobachtungen hätte Hegel zustimmen können. Nichtsdestotrotz kann aus seiner Sicht kein Standpunkt der Vernünftigkeit eingenommen werden, der die historischen Bedingungen eines gesellschaftlichen Norm- und Wertesystems überschreitet. Die Vernünftigkeit von Gesellschaftsformen – und damit die Vernünftigkeit der in ihnen geltenden Handlungsgründe und Verhaltensnormen – erweist sich erst retrospektiv, in der philosophischen Rekonstruktion vergangener Gesellschaftsformen, als vernünftig. 23 Unterdessen kann das Individuum aber darauf vertrauen, dass die Gründe, die in einer Gesellschaftsform Anerkennung finden, auch wirklich anerkennungswürdig sind – solange keine praktischen Inkonsistenzen und Widersprüche Zweifel an den bestehenden Normen und Wertorientierungen entstehen lassen. Die Identität zwischen der Allgemeingültigkeit von Gründen (Seite des allgemeinen Willens) und den Gründen, die das Individuum für sein Handeln hat (Seite des einzelnen Willens). kann auch als schen, sich die rationalen Implikationen seines Wollens anzueignen (Wildt 1982, 393). Das Individuum will, dass seine Handlungsgründe Allgemeingültigkeit besitzen. Vgl. dazu Kapitel (2.2.2) der vorliegenden Arbeit. 21 Wie Honneth bemerkt, ist Anerkennung das Muster der Vergesellschaftung, auf das alle Sphären der sozio-politischen Ordnung aufbauen (Honneth 1998, 174). Die in dieser Arbeit vertretene These, dass über Anerkennungsbeziehungen die Vernünftigkeit der individuellen Freiheit sichergestellt wird, ist bei Honneth aber nicht zu finden. 22 Zur Problematik, zwischen Anerkennungswürdigkeit von Normen und deren faktischem Gelten zu unterscheiden, vgl. Kapitel (2.1.1.3) der vorliegenden Arbeit. 23 Vgl. Kapitel (2.1) der vorliegenden Arbeit. A
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eine Forderung an die Institution formuliert werden. Die Übereinstimmung von »Allgemeinwille« und »Einzelwille« 24 muss erbracht werden, ohne den Anspruch, dass das Individuum die Institution als seine Selbstbestimmung erfahren kann, zu verletzen. 25 »Die allgemeine Sache« muss »seine [des Individuums, S. B.] eigene besondere Sache« werden (R § 261 A, vgl. auch EG § 537). Es gehört zur moralischen Freiheit des Individuums, dass ihm seine Interessen und sein Wohl im Handeln sowohl Zweck als auch Pflicht sind (EG § 509). So kann er eine Handlung nur als die seinige anerkennen, wenn er die Bestimmungen seines Handelns selbst gesetzt und gewollt hat (EG § 503) und wenn er weiß, dass die Handlung von ihm bestimmt wurde. Dass die Berücksichtigung der partikularen Interessen und Bedürfnisse in Institutionen notwendig ist, wird vor allem in der Familie deutlich. Hier sind die Momente der »Allgemeinheit« und »Besonderheit« noch ungetrennt (R § 181), weil das allgemeine Interesse der Familie darin besteht, einen Raum zu schaffen, in dem der Besonderheit ihrer Mitglieder (ihren körperlichen, emotionalen und intellektuellen Bedürftigkeiten und Eigenschaften) Rechnung getragen werden kann. Die »Ehe [ist] dann Grund und Boden, von welchem aus – indem das Privatsein sein Recht erlangt hat, Interesse für die individuelle Persönlichkeit – Tätigkeit ausgeübt wird« (R § 162 R). Die Identität von »allgemeiner« und »besonderer« Sache ist gewährleistet, wenn das Individuum die »Gewißheit« hat, dass seine besonderen Interessen und Bedürfnisse in den Institutionen berücksichtigt werden. Diese »Gewißheit« wird zur »Wahrheit« erhoben (R § 153), indem das Individuum von Anderen Anerkennung als Mitglied einer Institution erfährt. Das Recht des Individuums, sich in den Institutionen befriedigt zu finden, wird selbst zu einem Ausweis institutioneller Vernünftigkeit. Eine Berücksichtigung dieses Rechts besteht darin, dass die Institutionen durch die »eigene Wahl« des Individuums »vermittelt« sind (R § 262). Dadurch kann sich das Individuum in affirmativer Weise auf seine Lebenswelt beziehen. Die für ein Gemeinschaftsleben zentrifugalen Kräfte der Sub»Die Einigkeit (Wille als in sich allgemein) – daß Ich – denkend – d. i. als Allgemeines – das Allgemeine will – und dieses Wollen des Allgemeinen bin – Im Empirischen – Ehe, Staat – sind die einzigen großen sittlichen Ganzen.« (R § 142 R) 25 Es besteht die Aufgabe, in der Institution die besonderen Interessen und Zwecke der Individuen mit dem »Zweck des Guten«, also dem allgemein Vernünftigen und Erstrebenswerten, in Übereinstimmung zu bringen (EG § 509). 24
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jektivität, nur die eigenen Bedürfnisse befriedigen zu wollen, werden also nicht dadurch im Zaum gehalten, dass der individuelle Freiheitsraum durch die Willkür anderer beschränkt wird (EG § 539). Darin bestünde nur eine zufällige Einschränkung subjektiver Freiheit. Dass das Individuum einen »Gemeinsinn« entwickelt und sich in seinem Handeln auf die Anerkennung anderer – und damit implizit auch auf das Wohlergehen anderer – ausrichtet, erweist sich aus konzeptionellen Gründen als notwendig. Denn die intersubjektive Anerkennung der Handlungsrationalität eines Individuums ist eine notwendige Bedingung für seine Existenz als vernünftiges, sich durch allgemein gültige Gründe bestimmendes und damit freies Wesen. 26 Das Individuum braucht die Bestätigung seines Selbstbildes durch andere, weil es nur durch das Sichfinden in einem Anderen ein stabiles Selbstverhältnis aufbauen kann. 27 Weil Formen der Anerkennung nur zuverlässig in Institutionen ihren Platz haben können, besteht für das Individuum keine Möglichkeit, außerhalb von Institutionen zu leben. Dass der Mensch (aus sittlicher Perspektive) in der Institution »Familie« leben muss, geht somit nicht auf die anthropologische Tatsache zurück, dass der Mensch de facto in Familien lebt. Vielmehr impliziert Hegels Konzeption der Freiheit eine institutionelle Struktur: Der Mensch ist durch die Teilnahme an Institutionen frei, weil es ihm nur in Interaktion mit anderen Menschen möglich ist, seine Handlung nach allgemein gültigen Gründen zu bestimmen. 28 Freiheit ist nur retrospektiv feststellbar, weil das Individuum erst nach der Tat sich für seine Tat mit Gründen rechtfertigen, die Tat erklären und sich dadurch ausdrücklich mit ihr identifizieren kann. Das bedeutet aber nicht, dass für jede Handlung explizit Gründe anzugeben sind, sondern nur, wenn diese von Anderen verlangt werden. 27 Der Andere muss ein angemessenes Gegenüber repräsentieren und wie das Individuum ebenfalls durch Subjektivität und Willen gekennzeichnet sein. Vgl. dazu Kapitel (2.2) der vorliegenden Arbeit. Dieses Argument wird bei der Abwägung, ob Beziehungen zwischen Eltern und Kind sowie zwischen den Eheleuten angemessene Verhältnisse der Anerkennung darstellen, wieder aufgegriffen. 28 Ludwig Siep unterscheidet zwischen zwei »Stufen« im Anerkennungsprozess (Siep 1979, 53 f.). Die erste Stufe betrifft das Verhältnis zwischen zwei Subjekten (Ich–Du), während die zweite Stufe die Anerkennung zwischen Individuum und Gemeinschaft beziehungsweise Einzel- und Allgemeinwille bezeichnet (Ich–Wir). Siep stellt sich die Frage, wie die beiden Stufen miteinander verknüpft werden können und ob der Übergang vom »Ich« zum »Wir« allein durch Zweierbeziehungen beschritten werden kann. Eine Asymmetrie zwischen »Ich« und »Wir« hält er dabei für unvermeidlich. Gegen diese These wird in der vorliegenden Arbeit zu zeigen versucht, dass eine Verbindung der beiden Stufen dadurch hergestellt werden kann, dass für die Handlungsgründe eines Individuums Allgemeingültigkeit gefordert wird, die auf der »Wir«-Stufe, das heißt in 26
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5.1.4 Einwand gegen Hegels institutionelle Konzeption der Freiheit Hegel scheint Freiheit mit einem gelungenen Sozialisationsprozess gleichzusetzen, in dem Individuen lernen, in ihrem Verhalten und ihren Überzeugungen den gesellschaftlichen Erwartungen und institutionellen Rollenvorstellungen zu entsprechen und gesellschaftlich akzeptabel zu werden. 29 Damit argumentiert Hegel zirkulär: Einerseits ist ein Individuum erst dann frei, wenn die Institutionen, in denen es lebt, seinem Selbstverständnis entsprechen; andererseits kann es sein Selbstverständnis nur in Anpassung an diese Institutionen entwickeln. Ein unabhängiger Maßstab, an dem die Vernünftigkeit von Institutionen gemessen werden könnte, fehlt. 30 Die Forderung nach einem solchen unabhängigen Maßstab würde aber nach Hegel verkennen, was Institutionen sind: Sie sind keine Entitäten der objektiven Welt, die dem Menschen wie die (erste) »Natur« vorgegeben sind, sondern Resultate von Versuchen von Gemeinschaften, ihr Zusammenleben selbst zu bestimmen. 31 Zwar findet sich der Einzelne empirisch immer schon in einer bestehenden gesellschaftlichen Ordnung vor und bedarf dieser auch, um Handlungsfähigkeit zu erlangen. 32 Institutionen werden aber nur durch intersubjektiven Verhältnissen, eruierbar ist. Damit stellen die zwei »Stufen« nicht zwei verschiedene »Typen« von Anerkennung dar, sondern die Anerkennung zwischen »Ich« und »Du« besitzt Aspekte der Allgemeinheit: Rationalitätsanspruch des Handelnden, Anerkennung als Mitglied, Orientierung am Gemeinwohl. Die beiden »Stufen« können auf einer intersubjektiven Ebene zusammengefasst werden. Das Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft wird in Kapitel (5.3) näher beleuchtet werden. 29 Bereits Joachim Ritter hat auf die Spannung zwischen individueller Freiheit und »objektiven Einrichtungen« aufmerksam gemacht (Ritter 1975). 30 Terry Pinkard hält mit Blick auf die Vernünftigkeit der Institutionen fest, dass Hegel kein metaphysisches oder transzendentales Prinzip bemüht, um diese nachzuweisen (Pinkard 1994, 301). Vielmehr zeigt sich die Richtigkeit von Institutionen daran, dass sie den Individuen ermöglichen, ein Selbstverständnis und ein Selbstbewusstsein zu unterhalten, welches sie nicht von der sozialen Welt, in der sie leben, entfremdet. Institutionen passen demnach zum Selbstbild rational Handelnder in der Moderne. Mit dieser These, die zweifellos auf Hegel sowohl in der Phänomenologie als auch in den Grundlinien zutrifft, hat Pinkard aber das Zirkelproblem noch nicht gelöst. 31 Institutionen gehören somit zur »Welt des Geistes«, die »aus ihm selbst hervorgebracht« sind (R § 4). 32 Der Punkt von gleichzeitiger Handlungsbeschränkung und -ermöglichung durch die Ordnungsstruktur sozialer Praktiken kann mit Robert Brandom illustriert werden, der einen Vergleich zwischen Handlungsfähigkeit beziehungsweise -kreativität und Sprachfähigkeit beziehungsweise -kreativität zieht. »Creative self-cultivation is possible only by means of the discipline of the social practices which constrain one, just as the pro-
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das Handeln und das Selbstverständnis von Individuen konstitutiert und können sich entsprechend ändern. 33 Sie existieren nur als »Produkte« von Menschen, und weil sie diesen zur Gewohnheit geworden sind, in der Form einer »zweiten Natur« (R § 146). 34 Damit ist aber das Problem einer argumentativen Zirkularität noch nicht gelöst, weil Hegel wiederum Freiheit als die gelungene Identifikation des Individuums mit institutionellen Rollen interpretiert. Ernst Tugendhat hält es für ausgeschlossen, die Freiheit des Individuums an eine Forderung der Identifikation mit der Gemeinschaft knüpfen zu können. 35 Selbst wenn ein Staat gut und vernünftig ist, wäre es nach Tugendhat falsch, eine bedingungslose Staatstreue zu fordern. Dabei »wird übersehen, daß ein Staat gar nicht gut oder vernünftig, geschweige denn freiheitlich sein kann, wenn er von seinen Bürgern ein bedingungslos affirmatives Verhältnis fordert« 36 , weil er damit die Eigenverantwortlichkeit der Bürger und Bürgerinnen preisgibt. Tugendhats Kritik kann mit vier Argumenten begegnet werden. Erstens vollzieht sich die Identifikation mit Institutionen nicht »automatisch«, sondern gesellschaftliche Einrichtungen können durchaus kritisch hinterfragt werden. Dies geschieht in Hegels Philosophie mit dem Zusammenbruch der antik-griechischen und der römischen Gesellschaft. 37 Zweitens ist es ein konstitutiver Bestandteil instituduction of a poem requires not only submission to the extringencies of a shared language, but the stricter discipline of the poetic tradition as well« (Brandom 1979, 196). 33 Zur Veränderung von Institutionen aufgrund einer Wechselwirkung von allgemeinem und individuellem Willen im Anerkennungsprozess vgl. (Siep 1979, 234 ff.). Vgl. auch Kapitel (2.1.1.3) der vorliegenden Arbeit. Martin Weber hält fest, dass in der Rechtsphilosophie der praxisimmanente Ursprung sittlicher Prinzipien und Normen mit der sittlichen Bewusstseinsgenese zusammenfällt (Weber 1986, 120 f.). 34 Die Festigkeit und Widerständigkeit von Institutionen für den einzelnen Menschen, die ihm als Notwendigkeit gegenübertreten, sowie deren »Gemachtheit« durch den Menschen kommt im Ausdruck der »zweiten Natur« zum Tragen (R § 4). 35 (Tugendhat 1979, 321–357). Zur Kritik an Tugendhats Hegelkritik vgl. auch (Siep 1981). 36 Ebd., 353. 37 David Lamb weist darauf hin, dass Hegel, obgleich er kein explizites Widerstandsrecht formuliert, durchaus in seiner Sozialphilosophie in der Lage ist, Kritik an bestehenden Gesellschaftsordnungen zuzulassen: »Hegel did not believe that a traditionbound Sittlichkeit was the alpha and omega of moral commitment and his social philosophy can accommodate civil disobediance, since it is only in the highest state, the community of free persons, that civil disobediance would be out of place« (Lamb 1986, 152). A
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tioneller Vernünftigkeit, dass der Anspruch des Individuums auf die Berücksichtigung seiner Subjektivität und Besonderheit in den Institutionen eingelöst wird. Die Übereinstimmung der Bedürfnisse des Individuums mit den Zwecken der Allgemeinheit muss zudem im Bewusstsein der Individuen verankert sein (R §§ 261 A, 264). 38 Drittens sollen die Institutionen durch »Wahl« »vermittelt« werden (R § 262). So steht es der Frau frei, den Mann ihrer Wahl zu heiraten, und dem Mann, sich seinen Beruf und Stand auszusuchen. Viertens basiert die Identifikation mit der Gemeinschaft auf Gründen, die dem Individuum als seine Gründe einsichtig sein müssen. Rationale Einsicht in die Notwendigkeit der Institutionen muss zwar nicht von jedem Gesellschaftsmitglied explizit geleistet werden. So reichen »Zutrauen« und »patriotische Gesinnung« im Normalfall für Hegel aus. Grundsätzlich muss aber eine Reflexion auf die Legitimität der Institutionen möglich sein. Diese Reflexion kann aber nicht »außerhalb« historisch-kultureller Praktiken stattfinden. Abschließend lässt sich festhalten, dass in Hegels Konzeption ein Mensch dann »konkrete Freiheit« (R § 260) erreicht hat, wenn er sowohl im »subjektiven« wie auch im »objektiven« Sinne frei ist. 39 Im »subjektiven« Sinne ist er frei, wenn er die Bestimmungen der institutionellen Praktiken, in denen er lebt und handelt, als seine eigenen Bestimmungen erfahren kann (R § 268). Er weiß dementsprechend, was er zu tun hat (R § 150), und ist auch motiviert, es zu tun. Im »objektiven« Sinne ist er frei, weil er erst in diesen Institutionen nach allgemein gültigen Gründen handeln und damit seine Freiheit unter Beweis stellen kann. Seine Abhängigkeit von der Anerkennung anderer ist keine Abhängigkeit, die seine individuelle Freiheit gefähr»[D]as Bewußtsein, daß mein substantielles und besonderes Interesse im Interesse und Zwecke eines Anderen (hier des Staats) als im Verhältnis zu mir als Einzelnem bewahrt und enthalten ist, [ist] eben dieser kein anderer für mich […] und Ich (Döring) in diesem Bewußtsein frei« (R § 268). 39 »The fully free agent – the agent who enjoys what Hegel terms »concrete« or »absolute« freedom«, so Patten, »is free in both the subjective and the objective senses, His determinations are ›his own‹ both in the subjective sense that they are grounded in his reflectively endorsed commitments and evaluations and in the objective sense that they are prescribed by reasons« (Patten 1999, 35). Gegen Pattens These ist einzuwenden, dass nicht jede Verpflichtung eine Reflexion darüber bedarf, ob ihr nachzukommen ist oder nicht. Alltägliche Handlungen wie beispielsweise der Kauf einer Busfahrkarte sind eher durch Habitus denn durch Reflexion geprägt. Nichtsdestotrotz ist Pattens rationalistischem Ansatz zuzustimmen, insofern es erforderlich ist, dass Institutionen der Reflexion über ihre Legitimität grundsätzlich standzuhalten in der Lage sein müssen. 38
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den oder der These Hegels widersprechen würde, wonach »alles Verhältnis der Abhängigkeit von etwas anderem hinwegfällt« (R § 23): Denn das Individuum hängt in Anerkennungsbeziehungen als freies und rationales Wesen nur von dem eigenen Anspruch an Vernünftigkeit ab.
5.2 Liebe – eine angemessene Form der Anerkennung? Für Hegel ist die Familie aufgrund der Liebe eine sittliche Institution (R § 163). Liebe stellt nach Hegel sowohl die »Grundlage« (R § 172) als auch die »Bestimmung« (R § 163) der Familie dar. Das heißt, Liebe ist zum einen das, was die Familie als Gemeinschaft zusammenhält und definiert, zum anderen benennt sie das Ziel, auf das die Existenz der Familie ausgerichtet ist. 40 Als Basis und Organisationsprinzip muss sie die familiale Gemeinschaft derart strukturieren, dass jene legitimerweise zum »Reich der verwirklichten Freiheit« (R § 4) gezählt werden kann. Das kann Hegels Konzeption der Liebe nur gelingen, wenn sie sich als eine Form der Anerkennung erweist, die, wie oben beschrieben, Beziehungen vernünftiger Selbstbestimmung für die Familienangehörigen möglich macht und eine »Einheit« von »Allgemeinwillen« und »Einzelwillen« in der Familie erzielt. 41 Dass Hegel die Familie als eine »Einheit« oder »Einigkeit« bestimmte (R §§ 158, 162), ist nicht überraschend. Seit seinen Frankfurter Fragmenten (Entwürfe über Religion und Liebe [1797/98], Der Geist des Christentums [1798–1800]) hält Hegel Liebe für eine Kraft, die fähig ist, das, was durch »Schuld« (Hegel 1986, 243) oder durch »Reflexion« (ebd., 246) geteilt ist, zu vereinen. In der Frankfurter Zeit ringt Hegel noch um ein angemessenes Verständnis der Liebe. »Der Geliebte ist uns nicht entgegengesetzt, er ist eins mit unserem Wesen; wir sehen nur uns in ihm, und dann ist er doch wieder nicht wir – ein Wunder, das wir nicht zu fassen vermögen« (ebd., 244). Das Staunen vor dem »Wunder« ist auch noch in den Grundlinien spürbar: »Die Liebe ist […] der ungeheuerste Widerspruch, den der Verstand nicht lösen kann« (R § 158 Z). Dieser Widerspruch besteht darin, dass man in der Liebe zum einen keine selbständige Person sein kann, sein »Fürsichsein« also aufgibt, zugleich sich aber in der anderen Person gewinnt. Auf diese Figur einer Vermittlung von Selbstverlust und Selbstgewinnung werde ich weiter unten eingehen. 41 Der Zweifel, ob Liebe eine angemessene Form der Anerkennung ist, mag zunächst überraschen. Im Gefolge von Axel Honneths Anerkennungstheorie scheint die These, auch Liebe sei neben »Recht« und »Solidarität« eine Anerkennungsweise, unbestritten. Jedoch bleibt die Frage bestehen, ob in Hegels Rechtsphilosophie Liebe nur eine empirische Startbedingung für Kinder zum Erwerb rationaler Autonomie ist oder ein Medium für erwachsene Personen darstellt, sich selbst bestimmen zu können. 40
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5.2.1 Die idealtypische Struktur der Anerkennung Anerkennung vollzieht sich nach Ludwig Siep in zwei Schritten. 42 Erstens muss es dem Individuum möglich sein, sich im Anderen zu erkennen und seine Selbständigkeit, vom Anderen unterschieden zu sein, aufgeben. Der Andere erweist sich nicht als etwas, was dem Individuum fremd ist, sondern als wesensgleich. So ist der Selbstverlust im Anderen zugleich ein Sich-Finden im Anderen als Selbst. Zweitens muss das Individuum sich wieder vom Anderen distanzieren und seine Selbständigkeit zurückgewinnen, indem es sein Fürsichsein gegen den Anderen behauptet. Der Unterschied, den das Individuum zwischen sich und dem Anderen deutlich machen will, bezieht sich nicht auf die natürlichen Besonderheiten seiner Individualität, sondern besteht in der Demonstration seiner Unabhängigkeit von Naturbestimmungen und damit in der Fähigkeit, sich selbst bestimmen zu können. Diese beiden Momente der Identität und der Distanznahme sah Hegel während der Jenaer Zeit in zwei Formen intersubjektiver Interaktion repräsentiert: in der Liebe und im Kampf. 43 Während die Liebe zwei Individuen miteinander zu einer differenzlosen Einheit verschmilzt, stellt der Kampf eine Distanzierung zwischen den Individuen her. Im Kampf will das Individuum demonstrieren, dass ihm das Leben das Unwesentliche ist. Hingegen macht das Selbstbewusstsein – der denkende und wollende Selbstbezug, in dem das Individuum sich von allen (Natur-)Bestimmungen frei weiß – seine eigentliche Realität aus. Der Gegner soll mit Gewalt gezwungen werden, dieses »Selbstbild« anzuerkennen. 44 Hegel beschränkt den Kampf um Anerkennung auf einen »vorgesellschaftlichen« Zustand (EG § 432 Z), denn die durch Kampf erzielte Anerkennung ist durch eine Asymmetrie gekennzeichnet: die Herrschaftsstruktur zwischen Herr und Knecht. Hierarchien laufen aber einer stabilen und erfolgreichen Anerkennungsstruktur zuwider. Der aus dem Kampf als Sieger hervorgehende Herr kann letztlich nicht das erreichen, wofür er gekämpft hat, weil eine angemessene Anerkennung seiner Selbständigkeit und seines Selbstbewusstseins ein ebenbürtiges Gegenüber erfordert. Das Moment der Liebe, im Anderen sich selbst erfassen zu können, weil der Andere ein Wesensgleiches ist, wird im »vorgesellschaftlichen« 42 43 44
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Vgl. (Siep 1979). Vgl. ebd. 53 ff. Vgl. (Siep 2000, 103).
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Kampf um Anerkennung ignoriert. Eine angemessene Form der Anerkennung zwischen Individuen muss demnach beide Interaktionsformen (Identifizierung und Distanzierung) vereinen und darüber hinaus die Negation des Anderen, die in der Distanznahme stattfindet, wiederum negieren, indem der Andere als solcher freigegeben wird. 45 In dieser Hinsicht ist die Rechtsphilosophie bereits über das Stadium eines Kampfes um Anerkennung hinaus (R § 57 A). Dass intersubjektive Verhältnisse in der Gesellschaft aber weiterhin nach dem Prinzip der Anerkennung verfahren, schließt Hegel nicht aus (R § 71). Die Form der Anerkennung muss, um stabil zu sein, jedoch aus einem symmetrischen und reziproken Verhältnis zwischen Individuen bestehen. Damit sind mehrere Bedingungen formuliert, die das rechtsphilosophische Konzept der Liebe erfüllen muss, um als eine angemessene Form der Anerkennung gelten zu können. Erstens muss in Hegels Philosophie die Liebe über eine Metaphorik der Verschmelzung zweier Individuen hinausgehen und zeigen, dass sie ebenfalls das Moment der Distanz, vom anderen unterschieden zu sein, umfasst. 46 Nur so kann sich in der Liebe das Selbstbewusstsein des Individuums (R § 161) ausdrücken, welches in der Fähigkeit besteht, zwischen der Seite des reinen Selbstbezugs, sich von allen Bestimmungen frei zu wissen, und der Seite der Einzelnheit, sich als Dieser zu wissen, zu vermitteln. Diese Vermittlung gelingt dem Individuum, wenn es sich als Mitglied einer Gemeinschaft begreift und anerkannt wird, seine Existenz als Dieser also in einer Daseinsweise besteht, die durch die Orientierung auf ein Allgemeines durchgängig geprägt ist. Aus der Forderung nach Allgemeinheit leitet sich zweitens die Bedingung ab, dass Anerkennung auf der Grundlage von Gründen zugesprochen wird und sich darauf bezieht, das Individuum als jemanden anzuerkennen, der in der Lage ist, seinem Willen einen »allgemeinen Inhalt« (EG § 469 A) zu geben, das heißt sein Handeln an intersubjektiv anerkannten Gründen zu orientieren. Drittens muss Liebe eine symmetrische und reziproke Beziehung zwischen Gleichen darstellen, um der Dialektik eines hierarchischen Verhältnisses zwischen Herr und Knecht zu entgehen. Nur wenn die Konzeption der Liebe alle drei Bedingungen erfüllt, bezeichnet sie ein intersubjektives VerhältVgl. (Siep 1979, 71 f.). Norbert Waszek geht davon aus, dass der Liebe eine dialektische Struktur von Identität und Differenz zugrunde liegt (Waszek 1999, 282).
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nis, in welchem Personen vernünftige Selbstbestimmung erreichen können. 5.2.2 Ursache und Grund der Liebe Für eine Untersuchung von Hegels Konzeption der Liebe ist es wichtig, zwischen dem Grund und der Ursache der Liebe zu unterscheiden. 47 Es ist durchaus möglich, dass die Ursache elterlicher Liebe biologischer Art ist und ihr nicht ein rationaler Entscheid zugrunde liegt. Auch ist das »Objekt« der Liebe zufällig und die Wahl höchstens psychologisch erklärbar. Hingegen müssen die Pflichten der Familienangehörigen begründbar und ihr Handeln aus Liebe rechtfertigbar sein. 48 Es muss mit Gründen dargelegt werden, warum die Eltern eine Pflicht haben, ihr Kind zu ernähren, nicht aber die Kinder aus anderen Familien, oder warum es gerechtfertigt ist, dass die Witwe und die Kinder das Eigentum des Toten erben, seinen Arbeitskollegen aber dieses Privileg verwehrt bleibt. Der Partikularismus, der das Familienleben sowie die hier generierten Verantwortlichkeiten und Ansprüche der Familienmitglieder kennzeichnet, muss rechtfertigbar sein. Diese Rechtfertigung gelingt Hegel über die Mitgliedschaft (R § 158). So ist eine Ehefrau gegenüber ihrem Mann zu einem »parteilichen« Umgang verpflichtet und soll sich primär um das Wohlergehen ihres Mannes sorgen, weil sie beide Mitglied derselben Gemeinschaft sind. 49 Nicht die Besonderheit des Mannes, seine Eigenschaften und Charakterzüge, die die Frau veranlasst haben, diesen Menschen zu lieben, sind ausschlaggebend für ihre Solidarität Auf diesen Unterschied von Grund und Ursache hat Harry Frankfurt aufmerksam gemacht (Frankfurt 2004). 48 Ob Verpflichtungen gegenüber anderen Familienmitgliedern, wie Samuel Scheffler glaubt, aus der Beziehung zur anderen Person folgen, weil Gründe bestehen, diese Beziehung zu wertschätzen, oder ob, wie Harry Frankfurt annimmt, Lieben primär eine volitionale Einstellung ist und als solche eine Quelle normativer Verpflichtungen darstellt, sei hier offengelassen. Bei Hegel finden sich meines Erachtens beide Aspekte wieder, insofern Beziehungen zwischen Menschen nur in der Form von Handlungen, die auf die andere Person bezogen sind, bestehen und zugleich das Selbstbild des Liebenden als Familienmitglieder konstituieren. Vgl. (Frankfurt 1999), (Frankfurt 2004), (Scheffler 1997). 49 Hegel diskutiert explizit nur die Rechte von Eltern und Kindern (R § 174). Weil die Beziehung zwischen Eltern und Kindern durch eine Asymmetrie geprägt ist, kann sie keine angemessene Form der Anerkennung darstellen. Vgl. Unterkapitel (5.2.3). 47
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(R §§ 164, 162 R), sondern ihre Übernahme einer institutionellen Rolle: Qua Ehefrau hat sie gegenüber dem Mann qua Ehemann bestimmte Verantwortlichkeiten, die ihr innerhalb der Institution Ehe zugeschrieben werden. Seyla Benhabib fasst diesen Gedankengang wie folgt zusammen: »The standpoint of the concrete other, by contrast [to the universalistic commitment to regard every individual as a being worth of universal moral respect, S. B.], is implicit in those ethical relationships in which we are always already immersed in the lifeworld. To be a family member […] means to know how to reason from the standpoint of the concrete other […]. To stand in such an ethical relationship means that we as concrete individuals know what is expected of us in virtue of the kind of social bonds which tie us to the other.« 50
Warum kann aber die Übernahme des »Standpunkts des konkreten Anderen«, auf dem Leistungen der Empathie und Fürsorge aufbauen, verpflichtend sein? Dafür muss Hegel zeigen, dass die Rolle der Ehefrau für die Frau eine »Befreiung« (R § 162) darstellt, das heißt, ihr ermöglicht, selbstbestimmt zu leben. So spricht Hegel davon, dass in der Ehe »allgemein Mann und Frau« (R § 162 R) zu finden sind. Warum sollte aber die »allgemeine« Identität der Ehefrau für die Frau ein Gewinn an Freiheit bedeuten? Zunächst kann das Argument herangezogen werden, dass die Frau durch ihr Handeln in der Rolle der Ehefrau ihre rationale Handlungskompetenz unter Beweis stellt: Sie befreit sich von ihrer Natürlichkeit, indem sie nach Gründen handelt, die allgemein gültig sind und sich historisch im Normsystem der bürgerlichen Familienpraxis niedergeschlagen haben. Sie hat ihr Leben in der Familie selbst »gewählt« und hat entscheiden können, wen sie heiraten will. Zudem ist ihr Handeln auf das Wohl eines Anderen ausgerichtet und damit indirekt auch auf das allgemeine Wohl der Gemeinschaft. Ihre intersubjektive Anerkennung als Ehefrau bestätigt sie somit als eine sich selbst vernünftig bestimmende Person. Selbst unter der Annahme, dass dieses Argument überzeugt, reicht es nicht aus, um die Notwendigkeit zu begründen, eine Ehefrau zu werden. Eine Orientierung auf das Gemeinwohl hätte sie ebenfalls durch die Teilnahme an einer Korporation (R § 249) erwerben können und eine Befreiung von ihrer Natürlichkeit durch die 50
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Arbeit in der »bürgerlichen Gesellschaft« (R § 187). Der Zugang zu diesen Institutionen bleibt ihr aber aufgrund von naturalistisch-essentialistischen Argumenten Hegels verwehrt. 51 Ihr einziger »Stand« ist der der »Hausfrau« (R § 167 R). Ist die Familie nur aus dem Grund »notwendig«, dass Hegel der Frau auch einen sittlichen Bereich zuteilen wollte und ihr so die Möglichkeit geben konnte, sich zumindest in einer Hinsicht als »frei« zu erweisen? Dass diese Zuweisung nicht ausreicht, damit die Frau »konkrete Freiheit« erfahren kann, und dass die Frau durch die starke Stellung des Mannes als Hausherr ebenfalls in der Familie in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt ist, wurde bereits kritisch erörtert. 52 Die Notwendigkeit der familialen Interaktionsform der Liebe kann dagegen mit dem Argument gestützt werden, dass sie Grundzüge der Moralität – die Konzentration auf das Wohl, die Besonderheit und das Glück – wieder aufgreift und zugleich weiterentwickelt. 53 Während im Abschnitt zur Moralität andere nur in den Blick genommen werden, insofern ihr Wohl durch die Handlung eines Subjekts tangiert wird, und sie daher die Handlung billigen müssen, ist im Abschnitt zur Familie das Wohl eines Mitglieds nicht mehr vom Wohl eines anderen zu trennen. Die familiale Handlung zielt auf die Besonderheit, das Glück und das Wohl des Anderen ab und ist grundlegend empathisch und altruistisch orientiert. Die Bedürftigkeit der Einzelnen ist dabei ausschlaggebend für die (materielle und emotionale) Zuwendungen, die die Individuen erhalten (Wannenmann 1983, 104). Damit diese Form der moralisch-altruistischen Handlungen in der sozio-politischen Ordnung möglich ist, braucht sie einen durch institutionelle Strukturen gestützen Raum. Dieser Raum stellt allein die Familie dar. Denn in der »bürgerlichen Gesellschaft« regieren die Eigeninteressen der Personen sowie deren rechtliche Gleichheit, und im Staat soll der Bürger Staatsdiener sein, nicht der Diener seiner Mitbürger.
Vgl. Kapitel (4.1) der vorliegenden Arbeit. Vgl. Kapitel (4.1) der vorliegenden Arbeit. 53 Vgl. dazu die Bemerkungen zur Werkentwicklung der Familie in Kapitel (1.2) der vorliegenden Arbeit. 51 52
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5.2.3 Reziprozität und Symmetrie Eine Lehre, die aus Hegels Diskussion des hierarchischen Verhältnisses zwischen Herr und Knecht gezogen werden kann, ist, dass eine angemessene Form der Anerkennung Bedingungen der Reziprozität und Symmetrie zwischen den sich anerkennenden Personen erfüllen muss. Diese Voraussetzungen scheinen bei den Personen, die aus freiem Willen heiraten, gegeben zu sein. Hegel hält fest, dass die sich Vermählenden »selbständige Personen« sind, die durch einen freien Entscheid ihre »natürliche und einzelne Persönlichkeit« aufgeben (R § 162). Der Selbstverlust im Anderen ist somit wechselseitig und das, was aufgegeben wird, ist das Gleiche. Gleichheitsüberlegungen veranlassen Hegel ebenfalls dazu, nur monogamische Ehen zuzulassen, denn ansonsten ist »gegenseitige […] ungeteilte […] Hingebung« nicht möglich (R § 167). »Dieß [die Aufgabe der Persönlichkeit; S. B.] ist nur gerecht, insofern jede Person sich hingebend die Hingabe der andern erhält« (Ilting 1974 a, 534). Die Bedingung der Wechselseitigkeit – und damit einer Aufgabe der Persönlichkeit unter fairen Konditionen – ist aber bei polygamen Verhältnissen verletzt. Hier ist es dem Mann möglich, eine Frau einer anderen gegenüber zu bevorzugen. Er muss von seinen natürlichen Präferenzen keinen Abstand nehmen und damit seine »natürliche Persönlichkeit« nicht aufgeben (R § 167 R, [Ilting 1974 b, 446 f.; 1974 a, 533–5]). In dieser Hinsicht bleibt der Mann in polygamischen Verhältnissen unfrei. Die Frau kann sich der Anerkennung des Mannes nicht sicher sein (Ilting 1974 a, 533). Eine familiale Einheit kann nicht erzielt werden, weil die partikularen Interessen des Mannes in seiner Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Frauen ein ungleich höheres Gewicht bekommen. »[D]as Bewußtsein, daß dem anderen mein Interesse sein eigenes Interesse und seine Pflicht sei«, ist in polygamen Verhältnissen nicht möglich (Wannenmann 1983, 98). Fraglich ist, warum Hegel annimmt, eine Beschränkung der Zahl könne das geeignete Mittel sein, faire Konditionen der Anerkennung sicherzustellen. Offensichtlich gibt der Staat, der den Höhepunkt sittlicher Verhältnisse darstellt, Raum für viele Bürger. Und auch hier müssen die Bürger ihre »natürliche und einzelne Persönlichkeit« aufgeben, um ihre Gemeinwohlorientierung zu beweisen. Darüber hinaus beziehen sich familiale Interaktionen der »gegenseitigen Liebe und Beihilfe« (vgl. R § 164) auch auf die Kinder, welche A
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ebenfalls – obgleich in mehreren Entwicklungsschritten – die Willkürlichkeit ihres natürlichen Willens aufgeben. Die Monogamie der Ehe kann Hegel allein mit Fairness-Überlegungen begründen, die jedoch angesichts der Asymmetrie zwischen der Stellung des Mannes und der Frau in der Ehe nicht überzeugen können. Denn Hegel löst die hier gestellte Forderung nach Gleichheit zwischen Mann und Frau weder in seiner Konzeption der Familie noch seiner Auffassung der sozio-politischen Ordnung ein. 54 Der Mann ist durch seine Position in der Familie als auch durch seine Möglichkeit, an »bürgerlicher Gesellschaft« und Staat teilzunehmen, der Frau überlegen. Aus diesem Grund kann die Aufgabe der »natürlichen und einzelnen Persönlichkeit« der Frau bei der Heirat auch bei monogamischen Verhältnissen nicht unter fairen Bedingungen erfolgen. Die Anerkennung zwischen Frau und Mann muss aufgrund der fehlenden Symmetrie nach Hegels eigenen Prämissen missglücken. Angesichts dieser problematischen Anerkennungsbeziehung zwischen Mann und Frau könnte es gewinnbringend sein, die Beziehung zwischen Eltern und Kind in den Mittelpunkt von Hegels Familienkonzeption zu stellen. Diese Gewichtung nimmt Axel Honneth vor, der in Anlehnung an die psychoanalytische Theorie der Objektbeziehung von Donald W. Winnicott die Beziehung zwischen Mutter und Kind als Paradigma der Liebesbeziehung betrachtet. 55 Nach Honneth zeigt das Mutter-Kind-Verhältnis eine Balance zwischen symbiotischer Selbstaufgabe und individueller Selbstbehauptung an, die als Figur der »gebrochenen Symbiose« auch für die Beziehung der Liebenden maßgeblich sein könnte. Passt Honneths Vorschlag sinnvoll auf Hegels Konzeption der Liebe als Form der Anerkennung? Gegen diese These spricht, dass die Beziehung zwischen Eltern und Kind die Bedingungen der Reziprozität und der Symmetrie verletzt. Die Symbiose zwischen Mutter und Kind, die Hegel in der Anthropologie beschreibt (EG § 405) und auf die er in R § 175 R anspielt, ist durch eine durchgängige Asymmetrie gekennzeichnet. Die Mutter prägt als »Genius« des Fötus das Kind in seiner physischen und psychischen Verfasstheit (ebd.), das Kind aber nicht die Mutter. Auch braucht die Mutter biologisch gesehen das Kind nicht, um zu leben. Das Kind dagegen ist nicht nur als Fötus abhängig vom mütterlichen 54 55
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Vgl. Kapitel (4.1) der vorliegenden Arbeit. Vgl. (Honneth 1998, 154–174).
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Körper, sondern auch nach der Geburt von der Fürsorge Erwachsener. Darüber hinaus hat das Kind nicht durch eine »Wahl« bestimmen können, geboren zu werden oder Kind dieser Eltern zu sein, während die Eltern die Wahl hatten, ein Kind zu bekommen. Der Anspruch, dass die Institutionen durch die Wahl vermittelt sein sollen (R § 262), erfüllt sich damit nur aus dem Blickwinkel der Eltern, nicht aber dem des Kindes. Aufgrund dieser Asymmetrien kann die Mutter-KindSymbiose aus der Anthropologie keine Modellfunktion für die Konzeption der Liebe als Anerkennungsform übernehmen. Auch begegnen Eltern und Kinder sich nicht als Gleiche, da das Kind noch keine selbständige Person ist. Somit stellt das Kind für ein Elternteil kein angemessenes Gegenüber dar, um sich im Anderen selbst zu finden. 56 Die Freiheit des Kindes, die es durch das Zusammenleben mit den Eltern gewinnt, geht hingegen auf die Erziehung – also die »Bezähmung« seines natürlichen Willens – zurück, nicht primär auf die Erfahrung einer Einheit von Selbst- und Fremdbezug. 57 Damit tritt aus Hegels Sicht das Verhältnis der Eheleute für die Liebe als Form der Anerkennung in der Institution Familie in den Vordergrund. 58 5.2.4 Die Momente der Identität und Distanz Das Moment der Identität ist in der Familie zweifellos gegeben. In der »Gesinnung« der Liebe (R §§ 162 R, 163, [Ilting 1973, 297]) kommt die Gewissheit der Mitglieder zum Ausdruck, eine »Einheit« auszumachen (R § 158). Das heißt, die Menschen sind sich bewusst, dass ihre Identität und ihr Selbstverständnis als Familienmitglieder von der intersubjektiven Interaktion und Anerkennung innerhalb der Familie abhängt. 59 Zugleich wissen die Mitglieder, dass sie in keiner natürlichen Einheit leben, sondern sich die Gemeinschaft »zur Natur gemacht« (R § 175 R) haben. 60 Ihr Einheitsbewusstsein hat daZu Hegels These, das Kind »vergegenständliche« die Liebe der Eltern, vgl. Kapitel (5.2.4) und (4.2.2) der vorliegenden Arbeit. 57 Diese Erfahrung mag am Ende der Erziehung gelingen, wenn die Kinder selbständige Personen geworden sind. Zu diesem Zeitpunkt verlassen sie jedoch die Familie. 58 Vgl. auch Siegfried Blasche, der festhält, dass die Familie schon vor dem Kind besteht und es hauptsächlich die Aufgabe des Kindes ist, eine neue Familie zu begründen (Blasche 1975, 320). 59 Zum Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft vgl. Kapitel (5.3) der vorliegenden Arbeit. 60 Zum Unterschied zwischen natürlicher und geistiger Einheit vgl. Kapitel (4.1.2.1) der vorliegenden Arbeit. 56
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bei die Form eines »Gefühlten« (EG § 471 A). 61 Nach außen tritt die Familie, repräsentiert durch den Mann, als »eine Person« auf (R § 163 A). Der Charakter der »Gemeinsamkeit« (R § 171 R) wird ebenfalls durch eine bestimmte Form der Hausökonomie doppelt gestützt. So soll das Familienmitglied nicht seinen eigenen Profit steigern oder seine Interessen gegen das Wohl der Gemeinschaft durchsetzen, sondern »die Sorge […] für ein Gemeinsames« (R § 170) ist sein handlungsleitendes Prinzip. Entsprechend unterscheidet sich das »Familienvermögen« vom »Privateigentum« gerade dadurch, dass zwar die Familienmitglieder das Recht haben, aus dem gemeinsamen Vermögen ernährt zu werden, jedoch nicht einen Anspruch als Privatpersonen an das Vermögen stellen können – zumindest so lange nicht, wie die Familie intakt ist. Erst nach der Auflösung der Familie wird das Vermögen an die vormaligen Mitglieder verteilt und zum Privateigentum. Um zu erklären, wie ein Individuum das Selbstverständnis, Familienmitglied zu sein, durch die Anerkennung eines Anderen erlangen kann, muss Hegel neben dem Moment der Identität auch das Moment der Distanz zur Geltung kommen lassen. Somit muss er über eine Verschmelzungsmetapher hinausgehen, nach der zwei Personen durch die Heirat zu einer werden (R § 162 A) und die Eheleute in ein »magisches Verhältnis« zueinander treten (EG § 405 A). Das hier geforderte Moment der Distanz wird in der Anerkennungsbeziehung zwischen den Eheleuten auf drei Weisen eingefangen. Die ersten beiden Weisen betreffen die Möglichkeiten, die Einheit der Eheleute zu »vergegenständlichen« und ihnen damit, weil sie im Anderen erkennen, was sie wesentlich sind, Gewissheit über ihre Einheit zu verschaffen. Erstens wird die Einheit der Eheleute durch das Familienvermögen symbolisiert (R §§ 169, 170 Z, [Ilting 1974 a, 455]). Das Moment der Distanz kommt zum Zuge, wenn ihnen bewusst wird, dass dieses Vermögen ihnen als eine Äußerlichkeit gegenübersteht, weil es ihre Einheit nicht adäquat sichtbar machen kann. Denn während die Einheit der Familie in ihren Äußerlichkeiten erzwingbar ist, kann Liebe, die den eigentlichen Kern des familialen Zusammenlebens ausmacht, nicht erzwungen werden. Zwar besteht ein »Recht gegen Absonderung« der einzelnen Mitglieder (R § 159 R) und ein moralischer Anspruch auf Solidarität der anderen FamilienZu Hegels These eines Kontinuums zwischen Gefühl und Denken vgl. Kapitel (3.1) der vorliegenden Arbeit.
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mitglieder. Jedoch kann ein mit Zwang durchsetzbarer Anspruch auf Liebe nicht formuliert werden. 62 Das Wissen um diesen Unterschied zwischen innerer und äußerer Einheit und das Wissen, dass die innere Einheit das Entscheidende ist, schaffen Distanz zu dem Anderen, in dem sich die Einheit der Eheleute widerspiegeln soll. Der zweite Versuch, die eheliche Einigkeit zu verkörpern, ist das Kind (R § 173). Im Kind wird die leibliche Trennung der Eheleute, die ihrer Gesinnung des Einsseins widerspricht, durch ein gemeinsames »Produkt« aufgehoben (ebd.). Was zunächst nach einem Höhepunkt ehelicher Fusionsmöglichkeiten klingt, offenbart ein Moment der Distanz, indem das Kind Selbständigkeit erlangt und sich gegen seine Eltern geltend macht. Konsequenterweise zerbricht die familiale Einheit, wenn der Sohn zur selbständigen Person herangewachsen ist und in die bürgerliche Gesellschaft eintritt oder die Tochter heiratet und damit eine neue Familie gründet. Diese beiden Weisen der Distanznahme haben noch nicht erklärt, wie die Selbständigkeit des einen Ehepartners gegen die des anderen behauptet werden kann, und wie der Andere in seiner Andersheit in der Liebe freigegeben wird. Vielmehr stehen die Verschmelzung der Eheleute und die Vergegenständlichung dieser Verschmelzung im Vordergrund. Dies hieße jedoch, dass die intersubjektive Beziehung zwischen den Eheleuten der allgemeinen Anerkennungsstruktur nicht entspricht, weil ihr das Moment der Distanz zwischen den Eheleuten fehlt. Aus diesem Grund ist drittens die Konstruktion einer innerehelichen Distanznahme entscheidend, die wie folgt aus Hegels Familienkonzeption extrapoliert werden kann. Die innereheliche Distanznahme besteht darin, dass die Eheleute sich eines für Hegel fundamentalen natürlichen Unterschiedes bewusst werden: der Differenz der biologischen Geschlechter. Das Individuum kann seine Selbständigkeit gegenüber dem Anderen aufgrund seiner Natürlichkeit gewinnen. Wird damit nicht die Forderung verletzt, dass das Subjekt nicht als »natürliche Individualität« anzuerkennen ist, sondern aufgrund seiner Fähigkeit, sich von Naturbestimmungen frei zu machen und sie in ein Subjektives zu wandeln? Diese Forderung, so könnte behauptet werden, wird nur scheinbar missachtet, weil sowohl Mann als auch Frau sich der natürlichen Bestimmtheit ihres Vgl. dazu die Diskussion um das »Recht auf Liebe« in Kapitel (2.2.1) und (4.3.1) der vorliegenden Arbeit.
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Geschlechts auf normative Weise bewusst werden und das Familienleben entlang der Geschlechtergrenze organisieren können. 63 Jedoch nimmt man bei dieser Argumentationsstrategie eine problematische Verwendung der Kategorie »Heterosexualität« in Kauf – als ob die Biologie des Menschen die normative Gestaltung seines sozialen Zusammenlebens festschreiben sollte. 5.2.5 Fazit Andreas Wildt bezweifelt, dass Liebe eine Anerkennung im üblichen Sinne darstellt, weil ihr keine anerkennungswürdige Leistung des Individuums zugrunde liegt. 64 In der Liebe würden lediglich die legitimen Ansprüche auf die Berücksichtigung individueller Bedürftigkeit und natürlicher Individualität anerkannt. Diese Form der Anerkennung reicht in Axel Honneths Augen aus, um die Liebe zu einer angemessenen Form der Anerkennung zu machen. 65 In der Familie soll gerade die »Unersetzbarkeit des Anderen« 66 anerkannt werden. Indem Honneth die Anerkennung allein an die Naturseite des Menschen knüpft, kann er Hegels Argumentationsziel, die Sittlichkeit der Familie zu begründen, nicht vollständig erreichen. Dafür ist entscheidend, den Grund, warum es vernünftig ist, eine Person in der Familie in Form der Liebe anzuerkennen, von der Ursache, jemandem zu lieben, weil er dieser besondere und einzigartige Mensch ist, zu differenzieren. Die Bedürftigkeit und natürliche Individualität des Menschen soll zwar in der Familie berücksichtigt werden, aber nicht aus dem Grund, weil der Mensch ein bedürftiges und natürliches Wesen ist, sondern weil er als Mitglied der Familie ein (moralisches) Anrecht auf die Befriedigung seiner natürlichen Bedürftigkeit hat. In dieser Orientierung auf das besondere Wohl des Anderen als Allgemeinen (nämlich als Mitglied) zeigt sich die sittliche Qualität der Familie. In der Phänomenologie hält Hegel Liebe noch für unbrauchbar, um familiale Sittlichkeit zu demonstrieren, weil sie eine Empfindung und damit zufällig und unmittelbar ist (PhG, 294). Nur durch das Begräbnis eines Familienmitgliedes kann der Partikularismus in der Familie gebannt und eine »sittliche Handlung« vollzogen wer63 64 65 66
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Vgl. Kapitel (4.1) der vorliegenden Arbeit. Vgl. (Wildt 1982, 356). Vgl. (Honneth 1998, 153). (Honneth 2001, 108).
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den. Über die Betonung der Mitgliedschaft versucht Hegel in den Grundlinien eine Möglichkeit zu schaffen, um das Lieben als eine »sittliche«, das heißt vernünftige Handlung zu erweisen. Eine »sittliche Handlung« ist vernünftig, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: (1) Die Handelnde orientiert sich am »allgemeinen Willen«, das heißt sie handelt aus intersubjektiv anerkannten Gründen in ihrer allgemeinen Rolle als Familienmitglied und ihr liegt damit auch das Wohl der Gemeinschaft am Herzen. (2) Sie kann ihre Handlung dadurch rechtfertigen, dass ihr Handeln sich auf einen Einzelnen, seine Bedürftigkeit und natürliche Individualität, als Allgemeinen, nämlich als Mitglied der Familie, richtet. Diese Voraussetzungen sind in den Grundlinien in Hegels Konzeption fürsorglicher und altruistischer Verhaltensweisen in der Familie gegeben. Das Begräbnis der toten Familienangehörigen verliert in den Grundlinien dagegen an Bedeutung. Die sittliche Einbindung des Partikularismus in der Familie wird in den Grundlinien nicht mehr wie in der Phänomenologie durch den Tod erreicht, welcher die Partikularität des Einzelnen vernichtet, sondern durch eine reflektierte Haltung ihm gegenüber in dessen Bedürfnisbefriedigung als Familienmitglied. Damit stellt Liebe eine Anerkennung dar, in der sich die vernünftige Selbstbestimmung von Menschen ausdrückt. Das – und nicht, weil empirische (psychologische und materiale) Bedingungen von Freiheit (Bedürfnisbefriedigung, Selbstwertgefühl et cetera) in der Familie erfüllt werden – macht die familiale Liebe zu einer angemessenen Form der Anerkennung. Aufgrund ihrer natürlichen Seiten sind der Liebe als Form der Anerkennung jedoch Beschränkungen auferlegt. So ist die Einigkeit der Familie an die körperliche Präsenz der Mitglieder gebunden (R §§ 178 R, 180). 67 Hinsichtlich der Kinder stellt sich das Problem, dass sie noch keine freien und selbständigen Personen und damit noch nicht das angemessene Gegenüber in einer Anerkennungsbeziehung sind. Auch mangelt es der Form der Liebe als Gefühl an expliziter Reflexivität. Diese Form ist zwar für die Kinder angemessen. Dennoch versucht Hegel, den Empfindungscharakter der Zufälligkeit und Unmittelbarkeit durch das »Ritual« der Verheiratung einzudämmen. 68 Die Familie kann für Hegel wegen ihrer Natürlichkeit Zur Frage, warum tote Familienmitglieder im Familienabschnitt der Grundlinien nicht wichtig sind, vgl. Kapitel (4.2.4) der vorliegenden Arbeit. 68 Vgl. Kapitel (4.3.2) der vorliegenden Arbeit. 67
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nicht den Endpunkt der Sittlichkeit bilden, sondern nur die »Sittlichkeit in Form des Natürlichen« sein (R § 158 Z). Die zu findende vernünftige »Einheit« von Allgemein- und Einzelwillen muss über die Entzweiung in der »bürgerlichen Gesellschaft« zur Einheit des Staates fortschreiten, in dem vernünftige Selbstbestimmung und damit »konkrete Freiheit« umfassend möglich wird (R § 260). Diese Entwicklung führt aber nicht zu einem Dualismus von Staat und Familie. 69 Auch im Staat treten das subjektive Moment der Gesinnung und das natürliche Moment der Empfindung wieder auf. »[M]it Empfindung – freier Subjektivität – im Sinne [von] solchen Ganzen zu handeln, d. i. des Allgemeinen« (R § 142 R) ist eine Bedingung der subjektiven Freiheit, die sicherstellt, dass das Individuum sich in seiner Lebenswelt zu Hause fühlt und weiß (EG § 471 A). Eine grundlegende Spannung in Hegels Konzeption der Liebe als Anerkennung, die er weder erkennt noch problematisiert, geht auf seine Auffassung der Frau zurück. Weil in seiner Darstellung die Frau dem Mann in sittlichen Hinsichten unterlegen ist (Ausschluss aus »bürgerlicher Gesellschaft« und Staat, patriarchale Organisation der Familie), kann sie, wie das Kind, kein angemessenes Gegenüber in einer Anerkennungsbeziehung für den Mann sein. 70 Zudem findet der von ihr geforderte Selbstverlust im Anderen, dem Mann, aufgrund des Machtgefälles nicht unter fairen Bedingungen statt. Die Bedingungen der Reziprozität und der Symmetrie für eine angemessene Form der Anerkennung sind damit verletzt und machen es der Frau unmöglich, ihre Anerkennung als »Ehe- und Hausfrau« durch den Mann als Ausdruck ihrer vernünftigen Selbstbestimmung zu erfahren. Denn Anerkennung ist mehr als die bloße Zuschreibung sozialer Rollen, die es durchaus möglich machen würde, der einen die Rolle der Hausfrau, dem anderen die Rolle des Paterfamilias zuzusprechen. Anerkennung bedeutet jedoch auch, die Andere in ihrer rationalen Handlungsfähigkeit anzuerkennen, die gerade im Falle der Frau durch ihren Ausschluss von nicht-familialen gesellschaftlichen Bereichen ihrem Gehalt nach gestört ist. Die Anerkennungsformen von Familienmitglied, Wirtschaftssubjekt und Bürger hängen folglich in einer Weise zusammen, dass sich die VerweiZur Verflechtung der Institutionen vgl. (Landes 1982) und Kapitel (1.3) der vorliegenden Arbeit. 70 Ein vergleichbares Problem für Hegels Familienkonzeption stellt sich auch in dem System der Sittlichkeit. Vgl. Kapitel (1.2) der vorliegenden Arbeit. 69
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gerung einer dieser Anerkennungsformen als Defizitäres in den anderen niederschlägt – weil nämlich alle Formen auf denselben Kern abzielen: den Anderen darin konstitutiv zu bestärken, dass er sich durch die Teilnahme an Familie, »bürgerlicher Gesellschaft« und Staat in vernünftiger Weise selbst bestimmt und als vernünftig-sittliches Wesen verwirklicht. Eine weitere Spannung in Hegels Konzeption der Liebe stellt das für die Anerkennung notwendige Moment der Distanzierung dar. Distanz zwischen den Eheleuten, so wurde extrapoliert, kann Hegel nur über die »natürliche« Bestimmung des Geschlechts herstellen. Damit würde er an das Argument anknüpfen, dass Heterosexualität die grundlegende Kategorie für die Institution Familie und die soziopolitische Ordnung ist. Dieses Argument wäre jedoch weder mit Blick auf die nicht-reduktionistischen Grundannahmen von Hegels Philosophie überzeugend noch aus heutiger Perspektive akzeptabel. An diesen Widersprüchen und Unklarheiten findet die Übertragbarkeit der idealtypischen Anerkennungsstruktur Hegels auf seine Konzeption der Liebe ihre Grenze. Diese Grenze kann nur überwunden werden, wenn Hegels Frauenbild revidiert wird.
5.3 Das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft Hegels Bemühen, in der Rechtsphilosophie die Struktur der sozialen und politischen Welt nicht mehr vom isoliert gedachten, einzelnen Individuum her zu erklären und zu begründen, sondern das Individuum, seine Handlungsfähigkeit und Subjektivität immer schon in einen intersubjektiven Zusammenhang 71 eingebettet zu denken, wurde in der philosophischen Literatur sowohl als Chance als auch als Fehltritt begriffen. Eine Chance von Hegels soziologischem Blick auf das Subjekt besteht beispielsweise darin, dass er empirischen Tatsachen Rechnung trägt. Nach denen werden Menschen nicht als freie, selbständige Handlungssubjekte geboren, sondern wachsen zu solchen durch aufwendige Pflege und Erziehung heran. Auch finden Menschen sich immer schon in einer gesellschaftlichen Ordnung und einem kulturellen Norm- und Wertesystem vor. Diese normativen Orientierungsraster, die Menschen in ihren Überzeugungen und Zu Hegels Ablehnung einer atomistischen Gesellschaftskonzeption vgl. beispielsweise R § 156 Z.
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Identitäten entscheidend prägen, übernehmen sie im Rahmen eines Sozialisationsprozesses, und erst, wenn sie zu autonomen Subjekten geworden sind, können sie ihnen gegenüber explizit ihre Zustimmung oder Ablehnung aussprechen. Hegel berücksichtigt, dass der Mensch, wie Joachim Ritter bemerkt, »nicht allein in der Innerlichkeit des Gemütes, sondern in den Verhältnissen zu entscheiden und zu handeln hat, in denen er steht, arbeitet, lebt, Interesse [sic!] hat, Verantwortungen, Pflichten übernimmt«. 72 Als Fehltritt wird dagegen Hegels These von der Priorität des Sozialen aufgrund von normativen und ontologischen Bedenken gewertet. So scheint das einzelne Subjekt dem Staatsganzen geopfert zu werden und das Individuum im System zu verschwinden. Bereits der erste Biograph Hegels, der Nationalliberale Rudolf Haym, hatte den Vorwurf formuliert, Hegel hätte es sich in den Grundlinien zur Aufgabe gemacht, die reaktionären Verhältnisse in Preußen nach 1815 zu rechtfertigen. 73 In seiner etatistischen Konzeption des Staates postuliere Hegel nicht nur die Existenz kollektiver Entitäten, sondern spräche darüber hinaus nur dem »Absoluten« die Möglichkeit zur Freiheit zu. Dem einzelnen Bürger bleibe dagegen die Freiheit verwehrt. Karl Popper, der durch Polemik in seiner Kritik an Hegels Staatskonzeption hervorsticht, sei hier stellvertretend zitiert: »Substanz und Akzidens, […] Subjekt und Objekt, […] Wirklichkeit und Erscheinung, […] alle diese Gespenster der Vergangenheit scheinen im Gehirne des großen Diktators [Hegel, S. B.] zu spuken, während er seinen Tanz mit dem Ballon, mit seinen aufgeblasenen und eingebildeten Problemen von Gott und der Welt aufführt. Aber es ist Methode in diesem Wahnsinn, und sogar preußische Methode. Denn hinter der scheinbaren Konfusion lauern die Interessen der absoluten Monarchie Friedrich Wilhelms. Die Philosophie der Identität dient der Rechtfertigung der bestehenden Ordnung [nämlich durch eine Reihe von Äquivokationen, in denen das Wirkliche mit dem Vernünftigen gleichgesetzt wird, [S. B.]. Ihr Hauptergebnis ist ein ethischer und juridischer Positivismus, die Lehre, daß das Bestehende gut ist, da es keine ande(Ritter 1975, 236). Vgl. (Haym 1857). Zu Hegels Verhältnis zum preußischen Staat in den Grundlinien vgl. (Hocevar 1973). Für eine Übersicht über die Kritiken an Hegels Staatskonzeption vgl. (Ottmann 1996, 1977). Zu Ernst Tugendhat, der die These vertritt, »ein Staat [könne] gar nicht gut oder vernünftig, geschweige denn freiheitlich sein, wenn er von seinen Bürgern ein bedingungslos affirmatives Verhältnis fordert« (353), vgl. (Tugendhat 1979); sowie Ludwig Sieps Entgegnung in (Siep 1981). – Zu den neueren Veröffentlichungen zum Thema zählt Hubert Kiesewetters Versuch, Verbindungslinien von Hegel zu Hitler zu ziehen. – Vgl. (Kiesewetter 1995).
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ren Maßstäbe geben kann als die bestehenden, es ist die Lehre, daß Macht Recht ist.« 74
Poppers Einwand gegen Hegel scheint dadurch gestützt zu werden, dass Hegel die staatlichen »Einrichtungen« und »Gesetze« als »Substanz« bezeichnet, während die »Individuen« unter dem Begriff »Akzidenzen« zusammengefasst werden (R § 145, EG § 514). Das könnte eine Auslegung der Grundlinien als etatistische und autoritäre Staatstheorie nahelegen. Ob diese Auslegung und Kritik gerechtfertigt ist, soll hier nicht Gegenstand der Untersuchung werden. 75 Vielmehr interessiert die Frage, ob eine vergleichbare Kritik auch hinsichtlich der Familie formuliert werden kann. Denn im Familienabschnitt verwendet Hegel ebenfalls das Substanz-Akzidens-Modell aus der Wesenslogik 76 für die Charakterisierung des Verhältnisses von Individuum und Gemeinschaft (R § 163, A), ein Hinweis, der bislang in der Hegelforschung unberücksichtigt blieb. 77 Zunächst kann bezweifelt werden, daß das Substanz-AkzidensModell für die Beschreibung der Familie überhaupt problematisch sei. Es könnte die These vertreten werden, Hegel wolle damit zum Ausdruck bringen, dass Menschen nicht als freie und rationale Handlungssubjekte geboren werden, sondern zu solchen durch aufwendige Pflege und Erziehung erst heranwachsen. Die Familie sei der gesellschaftliche Ort, an dem Menschen die psychologischen, kognitiven und voluntativen Fähigkeiten entwickelten, deren sie für eine vernünftige und selbstbestimmte – und in diesem Sinne freiheitliche – Lebensführung bedürften. Die Asymmetrie zwischen der »Substanz« der Familiengemeinschaft als Sozialisationsort und den Familienmit(Popper 1980, 53). Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die Familie und lassen den Staat weitestgehend unberücksichtigt. Für Hegels Konzeption des Staates ist es schwieriger, totalitäre Konnotationen zu beseitigen, da Hegel die These vertritt, dass im Falle eines Krieges das Leben und die Rechte vieler Bürger für den Fortbestand des Staates geopfert werden können (R § 324). Hegel bezeichnet den Krieg sogar als sittlich, weil die Bürger in ihrer »Aufopferung« für den Staat erführen, dass ihr »Besitz und Leben« nur »Zufälliges« seien im Vergleich zu der Notwendigkeit und Allgemeinheit des Staates (ebd.). Vgl. (Siep 2003). 76 Hegel weist in diesem Paragraphen auf die enzyklopädische Wesenslogik von 1817, § 98 hin. In der Enzyklopädie von 1830 sind das die Paragraphen 150–152. Für die vorliegende Interpretation des Familienabschnittes steht jedoch das Substantialitätsverhältnis aus der Wesenslogik (WL 394–396) im Vordergrund. 77 Vgl. dazu (Brauer 2004/05). Die folgenden Ausführungen sind eine leicht geänderte Fassung dieses Artikels. 74 75
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gliedern, die (noch) unselbständige »Akzidenzen« sind, beschreibe allein die empirische Beschaffenheit und Bedürftigkeit des Menschen. Die Charakterisierung der Familie als Substantialitätsverhältnis wird jedoch problematisch, wenn man berücksichtigt, dass Hegel die Familie nicht instrumentalistisch als ein (bloßes) Mittel zum Erwerb von Kompetenzen zur vernünftigen Selbstbestimmung auffasst, welche dann ausschließlich in der »bürgerlichen Gesellschaft« und im Staat zur Anwendung kämen. 78 Als dem »Rechtssystem« beziehungsweise der »sittlichen Ordnung« zugehörig ist die Familie selbst Teil des »Reich[s] der verwirklichten Freiheit« (R § 4), Vollzug und Realisierung des guten und gelingenden, freiheitlichen Lebens. Hegels These über den Freiheitscharakter der Familie wird dadurch gestützt, dass »Personen« durch die Ehe eine »Befreiung« von den ihnen unmittelbar gegebenen, natürlichen Aspekten ihrer Existenz erfahren (R § 162, A). Die Emanzipation von der Unmittelbarkeit, Partikularität und Zufälligkeit natürlicher Prozesse und Eigenschaften, welche in der Familie in Form von Reproduktion, Tod, Gefühl, Bedürftigkeit, Trieb und Geschlecht präsent sind, ist dabei selbst Bestandteil von Hegels Konzeption der Freiheit als vernünftiger Selbstbestimmung. Sich vernünftig selbst zu bestimmen bedeutet mit Blick auf die Familie, sich kontinuierlich mit den natürlichen Aspekten seiner Identität auseinanderzusetzen und sie in souveräner und rationaler Weise zu handhaben, d. h. aus guten und vernünftigen Gründen zu handeln, anstatt sich von der Natur bestimmen zu lassen. Vor diesem Hintergrund kann Hegel sogar eine »sittliche Pflicht« formulieren, in den Stand der Ehe zu treten, denn auch Personen, die bereits über die Kapazität eines freien Willens verfügen, bedürften dieser »Befreiung«, weil sie als »geistige Wesen« nicht aufhörten, gleichfalls »natürliche Wesen« zu sein. Aus dieser Überlegung folgt, daß Hegel zu Recht die Familie zu einer für die Freiheit des Individuums notwendigen Praxis zählt. Wie aber kann diese Schlussfolgerung mit der Aussage vereinbart werden, das mutmaßlich freie Familienmitglied sei ein »Akzidenz« an der »Substanz« der Familiengemeinschaft – und stehe somit in einer Relation der Abhängigkeit? Hier ist einschränkend festzuhalten, dass »konkrete Freiheit« nur im Staat genossen werden könne (R § 260). Jedoch bleibt die Notwendigkeit, für die Erlangung umfassender Freiheit an allen sittlichen Institutionen teilzunehmen – die Familie mit eingeschlossen –, bestehen.
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Susanne Brauer
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Liebe – eine angemessene Form der Anerkennung?
Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst erörtert werden, worin genau die störenden Punkte am Substanz-Akzidens-Modell für die Familienkonzeption bestehen (5.3.1). Diese Punkte sollen im Kontext der Sozialholismus-Debatte erarbeitet werden, in der es – wie beim Substanz-Akzidens-Modell – um eine Erfassung des Verhältnisses zwischen Individuum und Gemeinschaft geht. Ludwig Siep hat jüngst vorgeschlagen, Hegels Sozialphilosophie in mehrfacher Weise als holistische Theorie zu lesen. 79 Die vorliegende Untersuchung nimmt Sieps Arbeiten, die sich hauptsächlich auf den Staat konzentrieren, zum Ausgangspunkt und schlägt eine alternative Interpretation des hegelschen Holismus für die Familie vor. Es werden drei Lesarten des Substanz-Akzidens-Modells ausgewertet, welche jeweils holistische Spielarten darstellen (5.3.2). Das wesenslogische Modell, so die These, eignet sich, um die konzeptuell notwendige Einbettung des Individuums in einen intersubjektiven, sozialen Zusammenhang zu unterstreichen, ohne dass die Freiheit des Individuums dabei prinzipiell gefährdet wird. Diese These wird durch eine Interpretation entsprechender Stellen aus der Wesenslogik gestützt (5.3.3). Jedoch kann das wesenslogische Modell nur über allgemeine – wenn auch grundlegende – Aspekte der Beziehung von Individuum und Gemeinschaft Aufschluss geben. Worin die Freiheit in der Familie im Detail besteht und warum die Familie als sittliche Institution vernünftig und notwendig zu nennen ist, kann mit dem Substanz-Akzidens-Modell nicht mehr erklärt werden. 5.3.1 Sozialholistische Varianten Um das Substanz-Akzidens-Modell für die Familienkonzeption verständlich zu machen, ist es hilfreich, es als eine sozialholistische These über die Beziehung von Individuum und Gemeinschaft auszulegen. 80 George W. Bertram und Jasper Liptow legen eine vorläufige Definition des Holismus vor, nach der Vgl. (Siep 2001, 2003 a). Der Terminus »Holismus« wurde durch den dänischen Biologen und General Jan C. Smut in seinem Buch Holism and Evolution (1926) das erste Mal gebraucht. In der Philosophie wurde der Holismus zunächst in der Epistemologie durch das Quine-DuhemTheorem in Willard van Orman Quines Aufsatz Two Dogmas of Empiricism (1951) eingeführt. Nach dem Quine-Duhem-Theorem werden Aussagen über die externe Welt nicht einzeln, sondern zusammen vor dem »Tribunal der Sinneserfahrung« geprüft. – Vgl. (Quine 1953). 79 80
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Die Familie – eine sittliche Institution?
»als Holismus […] grob die These […] [bezeichnet wird], daß ein Element – etwa ein sprachliches Zeichen, ein Organ, ein Mensch oder anderes – hinsichtlich bestimmter seiner Eigenschaften oder gar als solches eine Funktion seines Zusammenhangs mit anderen Elementen ist, mit denen es gemeinsam zu einem Ganzen gehört – etwa zu einem Zeichensystem, einem Organismus, einem sozialen Gefüge oder anderem«. 81
Diese »grobe« Definition lässt noch offen, um welche Art von Beziehungen es sich zwischen den »Elementen« und zwischen »Element« und »Ganzem« handelt und welchen ontologischen Status jeweils dem »Element« und dem »Ganzen« zugesprochen wird. Unter Sozialholismus versteht man Theorien, die holistische Modelle für die Beschreibung, Erklärung und normative Gewichtung sozialer Phänomene und Systeme heranziehen. In der Holismus-Forschung ist dabei entscheidend, ontologische Fragen von normativen zu trennen. 82 Während ein ontologischer Holismus Aussagen über das Mobiliar des Universums trifft 83 – zum Beispiel über die Existenz kollektiver Entitäten –, räumt ein normativer Holismus dem Gemeinschaftsleben und den kollektiven Gütern Priorität gegenüber der Freiheit und den Rechten des Individuums ein. Diese ontologischen und normativen Positionen sind voneinander zu differenzieren, weil die Frage, ob Kollektive, Gemeinschaften, ein »Wir« etc. existieren, noch nicht darüber entscheidet, ob solchen kollektiven Entitäten gegenüber Individuen normative Priorität eingeräumt wird. Umgekehrt ist ebenfalls eine Position denkbar, die zwar eine individualistische Vgl. (Bertram and Liptow 2002, 7). Vgl. Charles Taylors Differenzierung von ontologischen und normativen Positionen in (Taylor 1995). 83 Ontologische Anliegen sind wiederum von explanatorischen Anliegen zu trennen. David-Hillel Ruben hebt hervor, dass die Beschreibung eines Phänomens auf dessen Erklärung Einfluss nimmt. – Vgl. (Ruben 1985). – Ob jedoch soziale Entitäten existieren oder nicht, ist für Ruben eine metaphysische Frage, die von der Beschreibungsweise unabhängig zu beantworten ist. Mit dieser These knüpft Ruben indirekt an Moritz Schlick an, für den das Argument, eine Sache sei holistisch, weil sie unter einer holistischen Perspektive am besten beschrieben werden könne, nicht gültig ist. – Vgl. (Schlick 1993, 22). – In Anlehnung an Quine könnte man jedoch von einem metaphysischen Ansatz abrücken und stattdessen die »ontological commitments« von Theorien untersuchen, d. h. die ontologischen Annahmen, an welche sich eine Theorie (implizit) bindet, damit ihre Sätze wahr sind. – Vgl. (Quine 1953). – In der hier vorliegenden Untersuchung soll nicht entschieden werden, ob es sich bei ontologischen Fragen um metaphysische oder »theorieinterne« Fragen handelt. Die Unterscheidung normativer und ontologischer Fragen ist hingegen entscheidend, da sie auf zwei verschiedene Kritikpunkte an Hegels Sozialphilosophie hinweist. 81 82
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Susanne Brauer
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Ontologie vertritt – es existieren nur materiale Einzeldinge –, jedoch im Erhalt der Gemeinschaft als der Organisation mehrerer Individuen ein höheres Ziel sieht als im Wohlergehen der einzelnen Mitglieder. Hinsichtlich Hegels Sozialphilosophie formuliert Ludwig Siep sowohl einen ontologischen als auch einen normativen Holismus. 84 Nach Siep besteht Hegels ontologischer Holismus darin, dass »der Geist einer gelebten Verfassung und ihrer Institutionen ontologische Priorität vor den handelnden Individuen« 85 habe. Diese Vorrangstellung der Institutionen drückt sich aber nicht darin aus, dass sie als getrennte Entitäten »neben« oder »über« Individuen existierten. Damit entgeht, so ist Siep zu ergänzen, Hegel einer »Kategorienverwechslung«, 86 weil ihn seine Philosophie nicht auf die ontologische Annahme von Kollektivsubjekten 87 verpflichtet. Jedoch konstatiert Siep für Hegel eine nicht minder problematische graduelle Ontologie. Danach seien Institutionen »realer« als Individuen, d. h. sie wiesen einen »höheren« ontologischen Status auf. Dieser »höhere« Status drücke sich darin aus, dass es für den Staat auf die Existenz besonderer Bürger und deren Verwirklichung nicht ankomme, zumindest nicht in seiner Bestimmung als einer vernünftigen, sittlichen Ordnung. 88 Vgl. (Siep 2001, 2003 a). Neben dem ontologischen und normativen Holismus führt Siep noch eine dritte Form an, den methodologischen Holismus. Danach seien in Hegels Philosophie Prinzipien und Grundsätze nicht unabhängig vom systematischen Zusammenhang gültig. 85 Vgl. (Siep 2003 a, 63). 86 Das Argument der »Kategorienverwechslung« geht auf Gilbert Ryle zurück, der unter »category mistake« die Verwendung einer Kategorie im falschen Kontext versteht. – Vgl. (Ryle 1949). – Diese Art von Fehler illustriert er unter anderem an dem Beispiel der Universität. Die Universität bestehe in der Organisation von Bibliotheken, Colleges, Verwaltung etc. und sei selbst kein »extra member of the class of which these other units are members« (ebd., 16). Wer glaubt, die Universität sei ein Drittes, was neben den Bibliotheken, Colleges, Verwaltung etc. bestehe, »was mistakely allocating the University to the same category as that to which the other institutions belong« (ebd.). 87 Zur ontologischen Annahme eines »Kollektivsubjekts« und warum diese Annahme irrt vgl. (Boshammer 2003, 124 f.). 88 Ein anderes Problem ist die Frage, warum Hegel die Existenzweise eines »geistigen Wesens« für »höher« erachtet als die eines »natürlichen Wesens«. Wie immer die Antwort auf diese zentrale Frage der hegelschen Philosophie lautet, ist diese m. E. keine ontologische, sondern eine normative Frage. D. h. »geistige Wesen« haben einen anderen normativen Status als »natürliche Wesen«, weil sie beispielsweise in der Lage sind, ein Wissen über sich und die Welt zu generieren, Selbstbewusstsein zu entwickeln und ihr Handeln auf vernünftige Weise selbst zu bestimmen. 84
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Mit dieser These wird bereits ein Übergang zu Hegels normativem Holismus geschaffen, nach dem »die Idee der Freiheit, die das teleologische Prinzip des gesellschaftlichen Ganzen ist, sich primär in der Autonomie des Verfassungsstaates realisiert.« 89 Zwar gehört zur »Verwirklichung des Absoluten«, dass dessen »Teile« sich ebenfalls selbständig und frei entwickeln können. 90 Allerdings bleibt die lexikalische Rangfolge zwischen »Teil« und »Ganzem« – und damit eine normative Asymmetrie zwischen Wohl des Bürgers und Wohl der Institution – bestehen, weil der Staat ein Selbstzweck ist, den sich die Bürger aneignen müssen und aus dem für sie Pflichten bis hin zu ihrer Aufopferung hervorgehen. Dieser normative Holismus widerspricht offensichtlich dem Common Sense von individueller Freiheit. Aus diesen Überlegungen mag man den vorläufigen Schluss ziehen, dass, wenn Sieps Interpretation von Hegels Holismus auch auf die Institution der Familie zutrifft, die Hegelschen Konzeptionen von Familie und Freiheit nur noch von philosophiehistorischem Interesse seien. In der vorliegenden Untersuchung soll jedoch die These verteidigt werden, dass mit einer Interpretation des Substanz-AkzidensModells für die Familie eine andere Form des Holismus vorgeschlagen werden kann, die sowohl von einer Hypostasierung des Ganzen absieht als auch die normativ bedenklichen Konsequenzen, die sich aus der Asymmetrie von Mitglied und Gemeinschaft ergeben, hinter sich lässt. Es handelt sich hierbei um die Position des »individualistischen Holismus«. 91 Die Position nimmt eine individualistische Ontologie zu ihrem Ausgangspunkt, die Individuen als ihre ontologische Grundeinheit ansieht. Die Existenz von Gemeinschaften und Institutionen muss dabei nicht geleugnet werden. Jedoch existieren sie nur qua Normatives im Selbstverständnis ihrer Mitglieder und deren Handlungen. Wichtig ist, dass der Unterschied im ontologischen Status von Individuen als materialen Einzeldingen und von Sozialgefügen als norVgl. (Siep 2003 a, 63). Vgl. (Quante 1997 b, 70). 91 Zu einem »individualistischen Holismus« bzw. »holistischen Individualismus« vgl. (Esfeld 2001, 2002), (Hennig 2002), (Pettit 1993, 1998). – Für einen »nicht-reduktionistischen Individualismus«, der zugesteht, dass es soziale Tatsachen gibt, die zwar aus der Interaktion zwischen Individuen entstehen, nicht aber auf diese Individuen reduziert werden können, vgl. (Gilbert 1989). – Martin Seel nennt seine Holismuskonzeption, die von einer Hypostasierung des Ganzen Abstand nimmt, »moderaten Holismus«. – Vgl. (Seel 2002). 89 90
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Susanne Brauer
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mativen Systemen keine Hierarchie etabliert, nach der »Strukturen« eine »höhere, ontologische Dignität« hätten als Individuen. Die Frage, was denn ein System holistisch macht, wenn nur das Individuum als ontologische Grundeinheit angenommen und die Existenz von Kollektivsubjekten abgelehnt wird, beantwortet Michael Esfeld, ein Vertreter des »individualistischen Holismus«, in folgender Weise. 92 Ein System ist holistisch aufgrund »holistischer Eigenschaften« 93 seiner Konstituenten. Dies sind Eigenschaften, die ein Individuum nur entwickeln kann in Abhängigkeit von anderen Individuen einer bestimmten Art. 94 Als Beispiele nennt Esfeld die Fähigkeiten zu denken und Überzeugungen zu haben, die ein Individuum nur durch Interaktion mit und Beziehung zu anderen Individuen einer bestimmten Art erlangen kann. Sprach- und Kulturgemeinschaften stellen solche holistischen Systeme dar. Wenn man einen vergleichbaren »individualistischen Holismus« für Hegels Konzeption der Familie formulieren möchte, dann müsste man zeigen, dass Individuen rationale Handlungsfähigkeit und Freiheit nur in Abhängigkeit von anderen Individuen einer bestimmten Art entwickeln können, und begründen, warum die Familie ein holistisches System ist, in dem diese Entwicklung stattfindet. Während die Notwendigkeit einer Abhängigkeit von anderen beim Erwerb eines Sprach- und Überzeugungssystems unproblematisch – wenn nicht gar trivial – erscheint, ist es jedoch schwerer einzusehen, wie der Gedanke individueller Freiheit mit intersubjektiver Abhängigkeit sinnvoll verbunden werden kann. Zwei Impulse sollen im Folgenden aus der Position des »individualistischen Holismus« für Hegels Familienmodell aufgenommen und mit Blick auf das Substanz-Akzidens-Modell untersucht werden. Zum einen wird die Annahme einer individualistischen Ontologie bedacht, die sowohl die Existenz von Kollektivsubjekten ablehnt als auch eine graduelle Ontologie zurückweist. Zum anderen soll der Kerngedanke aufgegriffen werden, nach dem holistische Systeme aufgrund bestimmter Beziehungen zwischen Individuen holistisch zu nennen sind. Die Überlegung, ob ein System holistisch ist, ist für Michael Esfeld keine Sache der Beschreibung, nach der ein System sowohl unter einer holistischen als auch unter einer nicht-holistischen Perspektive dargestellt und erklärt werden kann. – Vgl. (Esfeld 2002, 34). – Die Aussage, ein System sei holistisch, bleibt für Esfeld eine ontologische These. 93 Vgl. ebd., 33. 94 Esfeld nennt dies eine »generisch ontologische Abhängigkeit« (ebd., 24). 92
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5.3.2 Drei Lesarten des Substanz-Akzidens-Modells In § 163 der Grundlinien wird das Substanz-Akzidens-Modell für die Familie eingeführt: »Die Identifizierung der Persönlichkeiten, wodurch die Familie eine Person ist und die Glieder derselben Akzidenzen [sind] (die Substanz ist aber wesentlich das Verhältnis zu4 ihr selbst von Akzidenzen; s. Enzyklop. der philos. Wissensch., § 985 ), ist der sittliche Geist […].«
Aus dem Paragraphen geht hervor, dass die Familienmitglieder als Akzidenzien begriffen werden und die Familiengemeinschaft die Substanz darstellt. Eindeutig ist ebenfalls, dass das Substanz-Akzidens-Modell als Hilfe herangezogen wird, um zu erklären, wie es möglich ist, dass die Eheleute, die eigentlich selbständige Personen sind, durch die Eheschließung zu einer Person werden, ihre Selbständigkeit also aufgeben – zumindest mit Blick auf ihr gemeinsames Leben in der Familie. Außerhalb der Familie bleiben die Männer selbständige Personen, zum Beispiel als Gewerbetreibende und Arbeiter im Wirtschaftssystem, als Vertragsabschließende etc. Frauen wird hingegen eine von der Institution Familie losgelöste Selbständigkeit nicht zugestanden. Unklarheiten stellen sich aber bereits auf der Textebene bei der Frage ein, wie Substanz und Akzidens miteinander in Beziehung gesetzt werden: »[D]ie Substanz ist aber wesentlich das Verhältniß von Accidenzen zu ihr selbst […].« 95 Hier lässt sich nachfragen, ob die Substanz (1) ein Verhältnis zwischen Substanz auf der einen und Akzidenzien auf der anderen Seite ist, oder ob die Substanz (2) ein Selbstverhältnis ist, das aus Akzidenzien besteht beziehungsweise in nichts anderem als in den Verhältnissen der Akzidenzien zueinander? Anders ausgedrückt, ist die Familie (1) ein Verhältnis zwischen Mitgliedern und der Gemeinschaft, oder (2) ein Selbstverhältnis, das in den intersubjektiven Beziehungen ihrer Mitglieder vollständig aufgeht? Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Lesarten besteht darin, dass bei (1) zwei unterschiedliche Arten von Entitäten als Bezugsgrößen angenommen werden (nämlich Substanz Die anderen Textvarianten dieses Satzes werden hier unberücksichtigt gelassen. Sie deuten auf dieselbe Ambiguität hin, die für diese Satzversion herausgearbeitet werden kann. »Die Substanz ist aber wesentlich das Verhältniß von Accidenzen zu ihr selbst«, »von ihr selbst von Accidenzen«, »von ihr selbst zu Akzidenzen«, »zu ihr selbst von Akzidenzen«. – Vgl. (Ilting 1974 c, 588).
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beziehungsweise Gemeinschaft einerseits und Akzidens beziehungsweise Mitglied andererseits), während bei Lesart (2) nur eine Art von Entität als Bezugsgröße vorgeschlagen wird: Akzidenzien bzw. Mitglieder. Entsprechend kann Lesart (1) als eine Variante des Holismus, welcher die Existenz von Kollektivsubjekten postuliert, verstanden werden, während Lesart (2) eine Variante des »individualistischen Holismus« darstellt. Die Erwähnung der Substanz als ein Verhältnis zu ihr selbst könnte nach Lesart (2) die Funktion haben, auf eine selbstreferentielle Qualität der intersubjektiven Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern hinzuweisen. Sie machte auf den Umstand aufmerksam, dass sich Menschen über die Beziehungen, in denen sie in der Familie stehen und die sie zu Mitgliedern machen, in irgendeiner Form bewusst sein müssen. Diese Lesart wird durch den einleitenden Satz des Hauptparagraphen R § 163 gestützt, nach dem das »Sittliche« der Ehe in dem »Bewußtsein« bestehe, dass die Einheit der Familie den »substantiellen Zweck« der Familie ausmache. Diese Einheit wird im Paragraphen zuvor in normativer Weise als »alles zu teilen« und »gemeinschaftlich zu sorgen« (R § 162, R) charakterisiert. »Substantiell« (R § 163) ist die Einheit für die Familie, weil die Familie nur im Vollzug altruistischer, fürsorglicher und solidarischer Handlungsweisen und liebevoller Zuwendung gegenüber anderen Mitgliedern besteht. Die familiale Einheit zu leben bedeutet damit, bestimmte normative Verpflichtungen auf sich zu nehmen und ihnen im Handeln und mit entsprechender »Gesinnung« 96 nachzukommen. Die Familiengemeinschaft existiert demnach als eine Art normative Praxis, die durch den Charakter der Einigkeit geprägt ist und durch das Handeln und Bewusstsein ihrer Mitglieder getragen wird. Als »Zweck« (ebd.) kann die Einheit bezeichnet werden, weil sie das primäre Ziel formuliert, auf welches das familiale Zusammenleben ausgerichtet ist. Angesichts dieser Auffassung von familialer Einheit als einer gelebten normativen Praxis legt die Lesart (2), nach der die Substanz die selbstreferentielle Beziehung der Akzidenzien zueinander ist, die Interpretation nahe, dass Hegel mit der Erwähnung des SubstanzAkzidens-Modells die grundsätzliche Frage anstößt, wie das VerhältZu Hegels Konzeption der Gesinnung, die nicht nur Gefühl und Überzeugung umfasst, sondern auch habituelle Verhaltensweisen und Loyalität, vgl. (Siep 1992, 270– 284).
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nis zwischen Individuum und Normativität zu denken sei. Eine vorläufige Antwort für Hegel lautet, dass dieses Verhältnis nicht außerhalb von gesellschaftlichen Praktiken beziehungsweise »sittlichen Institutionen« bestimmt werden könne. Wenn Hegel die Familiengemeinschaft als Substanz und ihre Mitglieder als Akzidenzien bezeichnet, dann stellt er damit keine ontologische These über zwei Arten von Entitäten auf, sondern betont normative Aspekte des familialen Lebens für Individuen, nämlich deren Möglichkeit, innerhalb von Institutionen den normativen Status eines rational Handelnden in Anspruch nehmen zu können. Ob sich diese Lesart (2) unter Hinzuziehung entsprechender Textstellen aus der Wesenslogik halten lässt, wird in (5.3.3) geprüft. 97 Es ist noch eine weitere Lesart (3) des Substanz-Akzidens-Modells möglich, nach der die Identität von Substanz und Akzidenz so ausgelegt wird, daß die Akzidenzien vollständig in der Substanz verschwinden. Bei dieser Lesart wird ebenfalls nur eine – oder eine im Vergleich zu den Individuen »höhere« – Art von Entität angenommen, nämlich die Substanz bzw. Gemeinschaft. Diese Auslegung käme dem von Siep vorgeschlagenen Holismus nahe, der eine graduelle Ontologie impliziert und der Gemeinschaft eine »höhere, ontologische Dignität« zuspricht. Gegen diese Interpretation lässt sich einwenden, dass die Familie nur dadurch »eine Person« wird und die Mitglieder »Akzidenzen« derselben sind aufgrund des freien Entschlusses der Eheleute, zukünftig gemeinschaftlich füreinander Sorge zu tragen, indem sie heiraten. Diese »Identifizierung der Persönlichkeiten« (R § 163, A), aus der die Familiengemeinschaft hervorgeht, kommt also nur durch das Handeln zweier selbständiger Personen zustande. Nun könnte man einwenden, dass, nachdem die Einwilligung einmal gegeben und die Heirat vollzogen wurde, die Mitglieder danach in der Substanz der Gemeinschaft aufgehen und ihre Eigenständigkeit verlieren. Gegen diese Überlegung spricht jedoch die Fragilität der Familie. Die altruistischen und solidarischen Handlungsweisen und Gesinnungen müssen aktiv von den Mitgliedern aufrechterhalten werden, damit die Familie als sittliche GeEs sei einschränkend festgehalten, dass das »Verhältnis der Substantialität«, wie es in der Wesenslogik heißt (WL 394–396), reichhaltiger ist, als es hier dargestellt werden kann. Auch können Hegels eigenem Verständnis zum Trotz die Kategorien und Argumente der Logik nur sehr bedingt in den realphilosophischen Kontext hineingetragen werden. Dennoch sollen einige Verbindungslinien gezogen werden. 97
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meinschaft existiert. Eine Erosion des familialen Habitus führt zu einem Zusammenbruch der Familie (Scheidung) oder zur Intervention sozialstaatlicher Einrichtungen (»Polizei«). Durch die natürliche Seite der Liebe als Empfindung bleibt zudem ein Rest an Zufälligkeit für die Familie bestehen, die gerade auf der Liebe als ihrem Fundament aufbaut. So findet auch die Strategie Hegels, die Institution Familie durch die »Autorität Dritter« (Herkunftsfamilie, Gemeinde; R §§ 164 u. 176) zu stabilisieren, an der Nichterzwingbarkeit der Liebe ihre Grenze. Die »Akzidenzen« müssen daher kontinuierlich die »Substanz« konstituieren; die Annahme von einem Verschwinden der Ersteren in der Letzteren ist vor diesem Hintergrund unplausibel. 5.3.3 Das Substantialitätsverhältnis in der Wesenslogik Der Abschnitt zur Substantialität in der Wesenslogik steht im Zeichen der Vermittlung, die zuvor bei der Gegenüberstellung von »Teil« und »Ganzem« (WL 354–359) sowie von »Attribut« und »Substanz« (WL 375–378) in Ermangelung einer inneren Beziehung der beiden Seiten zueinander noch nicht gelingen konnte. Ex negativo lässt sich aus dem Verweis auf das Substantialitätsverhältnis in den Grundlinien folgern, dass die familiale Gemeinschaft weder als ein Kompositum, das sich aus verschiedenen Individuen als dessen Teilen zusammensetzt, verstanden werden soll noch als eine Substanz, an welche die Individuen wie äußere Attribute herantreten. Auf beide Gegenmodelle zum Substanz-Akzidens-Modell soll hier kurz eingegangen werden. Das Verhältnis zwischen Teil und Ganzem (WL 354–359) kann wie folgt veranschaulicht werden. Das Ganze besteht in der Addition seiner Teile und ist mit einer Warteschlange vergleichbar. 98 Eine Warteschlange ist ein räumliches Gebilde, das einzelne Menschen zu seinen materialen Bestandteilen hat. Die räumliche Extension des Ganzen richtet sich nach der räumlichen Extension der Teile, und jede Raumstelle kann nur durch je ein Teil zu einer bestimmten Zeit besetzt werden. Die Warteschlange ist also nichts anderes als die Zur Unterscheidung von Mitgliedschaft und Teil-Sein vgl. (Ruben 1985). – Ruben verwendet unter anderem das Beispiel einer Warteschlange an einer Bushaltestelle, um Teilschaft von Mitgliedschaft abzugrenzen. Das hier vorgestellte Beispiel knüpft an Rubens Ausführungen an.
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Summe ihrer Teile, und der wartende Mensch ist nichts anderes als eine Komponente in diesem Ganzen. Mit Hegel ausgedrückt ist das Teil Voraussetzung für das Ganze und umgekehrt (ebd.). Die Teil-Ganzes-Beziehung hat für Hegel das Defizit, keine »Einheit« erreichen zu können, in der die Teile »Momente« des Ganzen sind und als solche das Ganze widerspiegeln. Das Ganze in den Teilen gleicht nur dem Ganzen, und die Teile im Ganzen gleichen nur dem »geteilten Ganzen«, d. h. den Teilen (ebd.). In dieser Tautologie erweisen sich die Seiten des Ganzen und der Teile als selbständig und der anderen Seite gegenüber gleichgültig. Sie gleichen also mehr seinslogischen Bestimmungen, die ebenfalls einen relationalen Charakter haben, um inhaltlich bestimmt zu werden (»Gelb« ist »NichtGrün«, »Nicht-Blau« etc.). Diese Differenzbestimmungen sind aber noch nicht interne, sich unterscheidende Bestimmungen. Übertragen auf die Warteschlange bedeutet dieser Aspekt, dass die einzelnen Menschen – wenn man sie als materiale Einheiten betrachtet und nicht als mentale Subjekte – nicht die Gruppe als Ganzes repräsentieren können. Die relationale Definition von Mensch als Teil der Warteschlange weist also nicht auf ein Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft hin, das als solches im Bewusstsein der Individuen verankert wäre und diese als Mitglieder – und nicht bloß als Bestandteile – konstituierte. Dadurch, dass man in der Warteschlange steht, gewinnt man keine neue Identität wie beispielsweise die der Mutter als Familienmitglied, die des Kaufmanns als Standesmitglied oder die des Bürgers als Staatsmitglied. Gründeten dagegen die Menschen, die immer an Kasse 5 ihre Einkäufe bezahlen, einen Verein »Warteschlange Kasse 5«, dann wären die Menschen in der Warteschlange Mitglieder, die als Einzelne das Ganze (den Verein) reflektierten, und der Verein bestünde im Wesentlichen aus dem Selbstverständnis seiner Mitglieder. Diese »Vereinskonstitution« entspricht dem Verhältnis zwischen Familiengemeinschaft und deren Mitgliedern: So existiert auch die Familie primär in Form der »Gesinnung« der Mitglieder, eine Einheit auszumachen, und den entsprechenden solidarischen und altruistischen Handlungen (R § 163). 99 Dass eine Form der »Innigkeit« (Liebe) die »Substantialität« der Familiengemeinschaft ausmacht (R § 167) und nicht das Vermögen oder Haben von Kindern die Familie definiert, bedeutet, dass die Familie wie der Verein eine subjektive 99
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Vgl. ebenfalls (Ilting 1973, 296–299).
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Einheit ist, nicht ein materialer Gegenstand in der Welt. Durch diese Subjektivität stößt die Familie auch an Grenzen. So kann gegen die subjektive Einstellung der Mitglieder die Einheit der Familie nicht mit Zwang herbeigeführt werden. Die rechtliche Regulierung der Familie bleibt entsprechend auf äußerliche, materielle Dinge bezogen und berührt nicht deren Gesinnungscharakter. Das Substanz-Attribut-Modell, welches ebenfalls ein Gegenmodell zum Substanz-Akzidens-Modell darstellt, diskutiert Hegel mit Blick auf Spinoza in der Wesenslogik in einer Anmerkung zum »Modus des Absoluten« (WL 376–378) und in der Enzyklopädie innerhalb des Abschnitts zum Substantialitätsverhältnis (EL § 151, Z). Hegel kritisiert an Spinoza, dass dieser nicht das Problem zu lösen wusste, mit dem All-Einheits- und Absolutheitstheorien generell konfrontiert sind: Wie kann es einer All-Einheit gelingen, sich als AllEinheit zu bestimmen, wenn gerade alles Endliche und damit jegliche Bestimmtheit für sie aufgehoben sein soll? 100 Spinoza sei diese Vermittlung zwischen Allgemeinsein und Etwas-Bestimmtes-Sein nach Hegel deshalb nicht gelungen, weil er das Verhältnis von All-Einheit und ihrer Bestimmtheit, Identität von Denken und Sein zu sein, nur als ein äußeres Verhältnis beschreibe. 101 Das heißt die Bestimmtheiten von Denken und Sein treten bei Spinoza als Attribute und damit äußerlich gesetzte Bestimmungen zum Absoluten hinzu, ohne dass das Heraustreten des Hen Kai Pan aus seiner Bestimmungslosigkeit gerechtfertigt würde. Spinozas Auffassung der Substanz bleibe letztlich nur Definition, und seine Attribute seien empirisch aufgenommen, so dass seine Begriffe von »Substanz«, »Attribut« und »Modus« ein Nacheinander ohne innere Folge ergäben. Konsequenterweise grenzt Hegel seine Auffassung von Akzidens von der des Attributs ab (WL 393). Das Substanz-AkzidensModell muss eine Verschränkung beider Seiten bis zur Unkenntlichkeit dessen, dass Substanz und Akzidens zwei getrennte »Seiten« sind, leisten. Dieser Gedankengang führt aber nicht zwingend zur Annahme, Hegel gehe es hier um die ontologische Eigenständigkeit von Substanz und Akzidens, die von Letzterer aufgegeben werden Vgl. (Falk 2002, 165). – Zur Wesenslogik vgl. ebenfalls: (Henrich 1978). Aufgrund der absoluten Identität der spinozistischen Substanz fehle dieser noch jegliche »Reflexion in sich«. Spinoza kommt nach Hegel nicht über das Niveau bloßer Indifferenz eines Identitätsverhältnisses hinaus, außer durch das äußerliche Herantreten von Reflexion und Bestimmungen. 100 101
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müsse. Ebenso gut könnte sich hinter der geforderten Verschränkung die simple These verbergen, dass man ohne Gemeinschaft kein Mitglied sein könne und es keine Gemeinschaft ohne Mitglieder gebe. Gleich zu Beginn des Abschnitts zur Substantialität in der Wesenslogik greift Hegel eine Definition der Substanz auf, die zu der Lesart (2), nach der die Substanz ein Selbstverhältnis von Akzidenzien sei, passt. Dort heißt es, die Substanz sei »das Seyn, das ist, weil es ist, das Seyn als die absolute Vermittlung seiner mit sich selbst« (WL 394). Hegel lässt hier die These einer prozessualen Ontologie anklingen, nach der das Sein Produkt in einer Bewegung ist, nämlich der Bewegung der Vermittlung. Diese Bewegung wird reflexiv gewendet, indem die Art der Vermittlung, um die es sich hier handelt, eine Vermittlung mit sich selbst ist. Um nun zu einer genaueren Charakterisierung dieser Selbstvermittlung zu kommen, führt Hegel den Begriff der »Akzidentialität« ein. So heißt es später: »Diese Bewegung der Accidentalität ist die Actuosität der Substanz, als ruhiges Hervorgehen ihrer selbst« (WL 192). Der Begriff der Akzidentialität übernimmt quasi die Aufgabe, herauszustreichen, dass seinslogische und reflexionslogische Bestimmungen hier in einer Weise ineinandergreifen, nach der das, was existiert bzw. sichtbar in Erscheinung tritt, in Form einer Reflexion existiert. Der Ausdruck »in Erscheinung treten« kann hier missverstanden werden, da die Substanz nicht etwas ist, was hinter den Erscheinungen steht, sondern, wie Hegel sagt, dieses »Scheinen« ist. Um diesen Gedanken anschaulich zu machen, bemüht Hegel die Lichtmetapher, die wie folgt ausgelegt werden kann. Das Licht ist nicht etwas, was hinter dem Lichtstrahl steht, um ihn zum Scheinen zu bringen, sondern das Licht existiert nur in diesem Scheinen. Analog ist auch die Reflexion nur in der Tätigkeit des Reflektierens existent. Von diesem Blickwinkel aus unterscheiden sich das Akzidenshafte und das Substanzhafte nicht mehr, »[…] die Accidentalität ist die ganze Substanz selbst« (WL 192). Angesichts dieser Identität stellt sich allerdings die Frage, warum Hegel überhaupt das Substanz-Akzidens-Modell zitiert, das sich in der aristotelisch-scholastischen Tradition vor allem durch zwei Merkmale auszeichnet: 1. durch eine wesentliche, ontologische Unterscheidung zwischen Akzidens und Substanz (eine Vorstellung, die er angesichts seiner Lichtmetapher verwerfen sollte) und 2. durch eine kausale Abhängigkeit der Akzidenzien von der Substanz (die, wenn er an der These der Identität festhält, nicht denkbar 224
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ist). 102 Und weiter ist zu fragen, was denn hier genau reflektiert und zur Existenz gebracht wird. Es soll mit der Beantwortung der letzten Frage begonnen werden. Hegel stellt die These auf, dass die Akzidenzien »einander bedürfen und einander zur Bedingung haben« (WL 395). Es kann also nicht eine, sondern immer nur mehrere Akzidenzien geben, die darüber hinaus in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Auch hat kein Akzidens, so Hegel, Macht über ein anderes. Übertragen auf die Familie könnte das bedeuten, dass die einzelnen Familienmitglieder erst in Abgrenzung und Bezugnahme auf andere Familienmitglieder sich z. B. als Vater oder Sohn konstituieren, und dass der Vater den Sohn zum Vatersein im gleichen Maße braucht wie der Sohn den Vater zum Sohnsein. Dieses Beispiel von Vater und Sohn greift Hegel selbst in der Wesenslogik an früherer Stelle auf: »Vater ist das Andre des Sohnes, und Sohn das Andre des Vaters und jedes ist nur als dieses Andere des Anderen; und zugleich ist die eine Bestimmung nur in Beziehung auf die andre […]. Der Vater ist ausser der Beziehung auf Sohn auch etwas für sich, aber so ist er nicht Vater, sondern ein Mann überhaupt […].« (WL 288)
Der Mann wird zum Vater nur in der Beziehung auf ein Anderes, den Sohn, doch worin besteht diese Beziehung? Wird hier ein soziologischer Blick herangezogen, nach dem soziale Rollen sich innerhalb eines Sozialsystems stets in Relation zu anderen sozialen Rollen in diesem System definieren? Handelt es sich um eine logische Umformulierung biologischer Tatsachen, nämlich dass ein Mensch nur Vater sein kann, wenn er auch ein Kind hat? Oder ist der Bemerkung größere Aufmerksamkeit zu schenken, nach der ein Vater »auch etwas für sich«, etwas Selbständiges, ist, abgesehen von der Beziehung auf seinen Sohn – dann allerdings nicht mehr Vater, sondern ein Mann, der ohne Eigenschaften und damit unterbestimmt bleibt? Zunächst scheint das Beispiel von Vater und Sohn, dem sich weitere Beispiele von »oben« und »unten«, »rechts« und »links« an102 Bereits Allen Wood hat darauf hingewiesen, dass in der Hegel-Exegese interpretatorische Missverständnisse auch darauf zurückzuführen seien, dass man das traditionelle Verständnis von Substanz und Akzidens bei Hegel zu finden meinte. – Vgl. (Wood 1995, 196–198). – Gegen solchen Irrtum schreibt Wood: »For Hegel, the dependence of substance and accidents is reciprocal; just as individuals would lack substance without their ethical life, so ethical life would be nothing actual without the thoughts and actions of individuals.« (Ebd., 197.)
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schließen, die seinslogische Bestimmungsweise zu wiederholen, dass etwas nur in Bezug auf ein anderes als etwas definiert werden könne. Dennoch sticht das gewählte Beispiel von Vater und Sohn hervor, da sich Menschen, im Unterschied zu Orten, selbst als Menschen mit bestimmten Identitäten erfassen können. Für die Konstitution dieser Identitäten gestaltet sich aber der Bezug auf ein Anderes in nicht seinslogischer Weise. Ein Mann lebt nur dann die Identität eines Vaters, wenn er sich bewusst wird, dass er in einer bestimmten Beziehung zu einem anderen Menschen steht, diesen Menschen als seinen Sohn anerkennt. Während er als Mann unabhängig von Anderen existieren kann, braucht er zum Vatersein ein bestimmtes normatives Selbstverständnis, welches für seine Konstitution und Aufrechterhaltung 1. eine bestimmte Verhaltens- und Einstellungsweise gegenüber einem bestimmten Anderen impliziert und 2. der Anerkennung durch andere bedarf. Damit wird die Differenz zwischen Vater und Sohn sowohl eine subjektive, im väterlichen Selbstverständnis verankerte Unterscheidung als auch eine Unterscheidung, die aus der Perspektive der anderen Mitglieder getroffen wird, insofern Vater- und Sohnsein Binnendifferenzierungen innerhalb einer Gemeinschaft darstellen, die diese nicht vollständig erschöpfen. 103 Es gibt ja zumindest noch eine Mutter. Die subjektive Komponente des Sich-für-jemanden-Haltens, die die Anerkennung eines Anderen impliziert, ist entscheidend für die Konstitution und den Erhalt von sozialen Identitäten. 104 Genauso entscheidend ist aber auch, dass der Vater von Anderen als Vater 103 Dieser Sachverhalt erinnert an die Reflexionsbestimmungen, die den philosophischen Kern der Wesenslogik bilden. Hegel hält es für eine wichtige philosophische Erkenntnis, dass die Natur der Reflexionsbestimmungen, die als distinkte Determinationen aus der Reflexion hervorgehen, »in Wahrheit nur in ihrer Beziehung auf einander, und damit darin besteht, daß jede in ihrem Begriffe selbst die andere enthält, einzusehen und festzuhalten […]« (WL 285). Das bedeutet aber nicht, dass die Reflexionsbestimmungen einfach gegeneinander bestimmt sind. Eine solche Bestimmung (»bei X denke ich immer das Y als nicht-X mit«) wäre noch dem äußeren Denken verhaftet – so können X und Y nicht zusammengebracht werden. Die Reflexionsbestimmungen sind vielmehr Momente eines Ganzen und nur aus diesem Ganzen heraus zu erklären. 104 Wenn Hegel die These formuliert, die Struktur der Reflexion, die auch dem Substanz-Akzidens-Modell zugrunde liegt, sei eine »reine Vermittlung […] re i ne B e z i ehung , ohne Bezogene« (WL 292), dann kann der paradox klingende Ausdruck einer »Be z ie hung , ohne Bezogene« mit Blick auf die Familie wie folgt plausibilisiert werden: Zur Bestimmung von Sozialverhältnissen wie der Familie ist es nicht entscheidend, dass sich aus Sicht einer externen Beobachterin dort Entitäten befinden, sondern wie sich diese Entitäten begreifen und ob ihr Selbstverständnis sozial konsistent ist.
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anerkannt wird. Familienmitglieder sind folglich wechselseitig voneinander abhängig, und das, weswegen sie einander bedürfen, ist eine Form der Anerkennung zur Entstehung und Stärkung bestimmter Selbstverständnisse. Der Aspekt der intersubjektiven Anerkennung als Voraussetzung für eine Identitätsbildung wird mit dem SubstanzAkzidens-Modell, zumindest abstrakt, durch das wechselseitige Bedingungsverhältnis der Akzidenzien zueinander eingefangen (WL 395). Und umgekehrt bringt die postulierte Identität von Substanz und Akzidens zum Ausdruck, dass die Familiengemeinschaft qua normative Praxis durch das Selbstverständnis und die entsprechenden Handlungen ihrer Mitglieder konstitutiert wird. Die Identität kann folglich als ein reziprokes Konstitutionsverhältnis von Akzidens und Substanz verstanden werden. Es könnte der Eindruck entstehen, dass dieser Argumentationszusammenhang für alle Identitätsweisen gilt, etwa für das Sein als Malerin oder Ornithologe. Man wird zur Malerin, wenn man als solche anerkannt wird, und man wird zum Ornithologen, wenn man seine Kenntnisse von Vögeln unter Beweis stellen kann. Unter psychologischen Gesichtspunkten kann das Malerin- oder OrnithologeSein im Leben eines Menschen eine entscheidende Rolle spielen. Jedoch wären diese Daseinsweisen für Hegel nicht essentiell für die Identität eines Menschen als einer sich rational selbst bestimmenden Person, sondern nur äußerliche, zufällige Aspekte ihrer empirischen Identität. Für die Bestätigung von rationaler Handlungskompetenz und Freiheit benötigt der Mensch die intersubjektive Anerkennung als Mitglied von sittlichen Institutionen (Familie, Korporation, Stand, Staat). Denn in dieser Mitgliedschaft drückt das Individuum seine Fähigkeit aus, sich am Allgemeinwillen orientieren zu können und damit vernünftig selbst bestimmen zu können. Während also für Hegel eine »sittliche Pflicht« zur Heirat besteht, ist eine analoge Pflicht, Malerin oder Ornithologe zu werden, nicht zu formulieren. Es kann aber, Hegels Ansatz folgend, durchaus die Pflicht formuliert werden, einen Beruf zu ergreifen und in einen Stand zu treten. 105 Zum Abschluss soll noch einmal pointiert der Argumentations105 Hegel führt diese Argumentation jedoch nicht konsequent zu Ende. Denn er macht einen Unterschied zwischen Mann und Frau, der darin besteht, welche Teilnahme an sittlichen Institutionen ihnen offensteht. So ist es Frauen verwehrt, einen Beruf zu ergreifen und einen Stand außerhalb der Familie zu wählen – und damit auch die Möglichkeit, Freiheit im vollumfänglichen Sinne zu erwerben.
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gang zusammengefasst werden, wonach Hegel es nach Lesart (2) des Substanz-Akzidens-Modells gelingen kann, den Gedanken individueller Freiheit mit demjenigen der Abhängigkeit von anderen Akzidenzien innerhalb eines holistischen Systems zusammenzubringen. Hierbei muss man sich allerdings auf Thesen von Hegels Sozialphilosophie stützen, die mit dem wesenslogischen Modell nicht mehr erfasst werden können. Es wurde erörtert, dass das Selbstverständnis von Familienmitgliedern in mehrfacher Weise entscheidend von Beziehungen zu anderen Mitgliedern abhänge, indem es sich in seiner inhaltlichen Bestimmung auf andere beziehe, ein Mitglied nur durch die Anerkennung anderer als Mitglied existiere und in diesem Anerkanntsein ein Ausdruck seiner Freiheit finde. Das Individuum werde dabei nicht in seiner »Materialität« von Anderen konstitutiert, sondern als ein Wesen mit einem bestimmten normativen Status; nämlich als ein rationales Handlungssubjekt, welches sich den normativen Implikationen seiner institutionellen Rolle bewusst sei und dem es gelinge, seinen Einzelwillen nach dem Allgemeinwillen auszurichten. 106 Wenn in diesem Sinne die Abhängigkeit von Anderen als Anerkennungsbeziehungen verstanden wird, und wenn Anerkennung auf der Basis von Gründen ausgesprochen wird, dann stellen solche Abhängigkeitsverhältnisse keine Gefahr für die individuelle Freiheit dar. Vielmehr drückt sich in diesen Relationen die Freiheit des Individuums aus, d. h. die Freiheit. sein Handeln durch Gründe vernünftig selbst bestimmen zu können – und nicht durch Natur bestimmt zu sein. 5.3.4 Fazit Bislang wurde noch nicht die obige Frage erörtert, warum Hegel trotz der von ihm konstatierten Identität von Substanz und Akzidens diese philosophiegeschichtlich aufgeladenen Begriffe heranzieht. Das traditionelle Verständnis von Substanz und Akzidens, an dem die Merk106 Die »Synchronisierung« von Allgemein- und Einzelwille gilt natürlich in beide Richtungen. Eine »Einsicht durch Gründe« (R § 147, A) in die Vernünftigkeit der Institutionen muss für das Individuum grundsätzlich möglich und das subjektive Moment der Affirmation der Einrichtungen sogar immer in Form der Gesinnung vorhanden sein. Erst wenn das »Recht der Subjektivität« des modernen Individuums, nichts anzuerkennen, was es nicht selbst eingesehen hat, befriedigt ist (z. B. R §§ 33, R; 124 A; 162 A), ist die Vernünftigkeit sittlicher Institutionen sichergestellt und die Identifikation des Individuums mit institutionellen Pflichten und Rollen Ausdruck von dessen Freiheit.
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male von ontologischer Unterschiedenheit und einseitiger Dependenz hervorgehoben wurden, kommt bei Hegel zum Zuge, wenn es um die genauere Charakterisierung des Substantialitätsverhältnisses und dessen Leistungsgrenzen im Hinblick auf die Aufgabe der Vermittlung geht. So hält Hegel einen Unterschied der Form zwischen Substanz und Akzidens fest, der sich darin manifestiere, dass die Akzidenzien wechselten, während die Substanz gleich bleibe. Mit Blick auf die Familie ist diese Vorstellung leicht verständlich, können doch einzelne Familienmitglieder neu hinzukommen oder sterben, ohne dass gleich die Familie als Ganzes betroffen sein muss; d. h. sie kann als normative Praxis ihren Wirkungskreis auf andere Menschen erweitern oder einschränken, ohne dass sie als normative Praxis per se davon berührt wird. Der Unterschied der Form von Substanz und Akzidens weist für Hegel zugleich ein Defizit auf, das zum Übergang zur nächsten Stufe führt. Die Substanz existiert noch nicht als Substanz, sondern nur als Akzidens. Dieses Defizit, sich nicht adäquat als das zu erfassen, was man ist, kann auch für die Familie nachgewiesen werden. So bezeichnet Hegel die Familie mit dem ambivalenten Begriff des »natürliche[n] sittliche[n] Geist[es]« (R § 157), einer Zwittergestalt des Geistes, die sich nicht vollständig als Geist erfasst hat. Als eine sittliche Lebensform, die noch stark durch die Unmittelbarkeit von Naturprozessen geprägt ist und deren Struktur sich durch die Ungleichheit zwischen bereits autonomen Subjekten und solchen, die es werden sollen, auszeichnet, wird diese Kennzeichnung der Familie gerecht. Die klassische Asymmetrie zwischen Substanz und Akzidens greift Hegel in seinem Modell ebenfalls auf. Während Akzidenzien keine Macht übereinander hätten, habe die Substanz gleichwohl Macht über die Akzidenzien, insofern sie das Vermittelnde und positiv Beharrende im Wechsel der Akzidenzien sei. Dieses Bild charakterisiert die Familie in zutreffender Weise. So kann nicht jedes neue Familienmitglied die normativen Implikationen seiner Rolle in einer Praxis selbst wählen, sondern fügt sich in eine gängige Praxis ein, in der bestimmt ist, welche normativen Verpflichtungen man beispielsweise als Vater auf sich nehmen muss. Hegel macht in Bezug auf die sittliche Ordnung eine entsprechende Bemerkung in R § 146, nach der für das »Subjekt« die »sittliche Substanz, ihre Gesetze und Gewalten […], eine absolute, unendlich festere Autorität und Macht als das Sein der Natur« habe. Diese Beobachtung fängt eine phänomenologische Perspektive ein: die Sicht der Teilnehmenden einer Praxis, A
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die die Spielregeln der Praxis vor ihrem Eintritt nicht ursächlich gewählt haben, sondern sie »nur« fortsetzen. Aus Sicht der Kinder ist sogar der Eintritt in die familiale Praxis ein unfreiwilliger. 107 In diesem Sinne unterscheiden sich Institution und Individuum bezüglich ihres normativen Status, was Hegels Familienkonzeption mit der Position des »individualistischen Holismus« vereinbar macht. Durch die Persistenz und Resistenz institutioneller Normen wird die Stabilität der Institutionen gewährleistet und über das »Meinen und Belieben« Einzelner hinaus befestigt (R § 144). Doch diese Stabilität kann 1. nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Individuen sind, die Institutionen durch ihre Handlungen und Einstellungen errichten und erhalten, und 2. ist, wie die Geschichte sich wandelnder gesellschaftlicher Institutionen für Hegel demonstriert, die Stabilität einer Institution letztlich nur durch ihre Vernünftigkeit sichergestellt – und nicht dadurch, dass sie eine »höhere ontologische Dignität« hätte. Nicht ontologische Übermacht, sondern Vernunft binde Individuen an Institutionen. Die Möglichkeit für das Individuum, sich mit den sittlichen »Gesetzen« und »Gewalten« zu identifizieren und darin selbstbestimmt zu sein, sei in deren Vernünftigkeit begründet. Dieser rationalistische Strang in Hegels Auffassung vom Verhältnis von Individuum und Institution wird durch das Substanz-Akzidens-Modell – wenn auch nur formal – als ein wechselseitiges Konstitutionsverhältnis erfasst. Entsprechend löst Hegel die klassische Asymmetrie zwischen Substanz und Akzidens auch wieder auf, wenn er in R § 147 schreibt, dass die sittliche Ordnung dem Subjekt nicht »ein Fremdes, sondern […] Zeugnis des Geistes« sei, es darin sein »Selbstgefühl« habe. Noch expliziter wird das traditionelle Bild von Substanz und Akzidens in der Enzyklopädie aufgehoben, wenn es dort heißt: »Die Person aber weiß […] jene Substanz als ihr eigenes Wesen, hört in dieser Gesinnung auf, Akzidens derselben zu sein […]« (EG § 514). Es bleibt die Frage bestehen, ob auch ein »normativer Holismus«, der die Selbstzweckhaftigkeit der Gemeinschaft gegenüber dem Mitglied betont, für die Familie ausgeschlossen werden kann. 107 Zu einer Dialektik zwischen Individuum und Institution vgl. auch Terry Pinkard: »Such categories [›social categories‹ wie der Staat und die Familie – S. B.] are both the result of human interaction (they have their ›form of appearance and actuality‹ in individuals) and are independet of individuals in that the rights, roles, duties and virtues found in them are independent of the individuals choosing them« (Pinkard 1988, 139).
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Auch hierfür gibt das Substanz-Akzidens-Modell Indizien. Legt man Hegels These von einer Identität zwischen Substanz und Akzidens als ein reziprokes Konstitutionsverhältnis von Individuum als Mitglied und Gemeinschaft als holistisches System im Sinne des »individualistischen Holismus« aus, dann besteht ebenso sehr der »Zweck« der Familie in der Realisierung rationaler Handlungsfähigkeit von Individuen wie das »Ziel« der Individuen darin, sich soziale Räume zu schaffen, in denen sie frei sein können.
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6 Schlussbetrachtungen
»Ich habe damit im Ganzen – einige noch wünschenswerte Modifikationen abgerechnet – mein irdisches Ziel erreicht, denn mit einem Amte und einem lieben Weibe ist man fertig in dieser Welt. Es sind die Hauptartikel dessen, was man für sein Individuum zu erstreben hat. Das Übrige sind keine eignen Kapitel mehr, sondern etwa nur Paragraphen und Anmerkungen.« (Briefe von und an Hegel, hrsg. von J. Hoffmeister, Hamburg, 1952 ff. Band I, 386)
Der in dieser Untersuchung angestrebte Nachweis, dass die Familie in den Grundlinien zum guten und gelingenden Leben oder, mit Hegels Worten, zum »Reich der verwirklichten Freiheit« (R § 4) gehört, bedeutet in nuce, dass die Familie kein bloß (empirisches) Mittel zur Erlangung individueller Freiheit ist, sondern die Mitgliedschaft in der Familie für das Individuum nichts anderes bedeutet, als sich auf vernünftige Weise selbst zu bestimmen. Die Familie ist damit eine der Institutionen, anhand derer eine philosophische Analyse von Freiheit und rationaler Handlungssubjektivität geleistet werden kann. Eine solche philosophische Betrachtung kann für Hegel nicht ohne Berücksichtigung des institutionellen Rahmens stattfinden, innerhalb dessen sich der Mensch als ein rationales und freies Handlungssubjekt konstituiert. Hegels starke Bindung sowohl epistemischer als auch ontologischer Thesen an Institutionen zwingt dazu, die institutionelle Vernünftigkeit und ethische Qualität der Familie genauer in den Blick zu nehmen. In mehreren Schritten wurde ein Nachweis familialer Sittlichkeit versucht. Zunächst wurde gezeigt, dass die Familie keine Gemeinschaft ist, die von Natur aus besteht. Natürliche Prozesse, Ereignisse und Eigenschaften, die in der Familie ihren Ort haben, werden auf eine Weise in das Familienleben eingebunden, dass sie ihre Unmittelbarkeit und Zufälligkeit verlieren. Ausgehend von Hegels These, dass Freiheit in einer vernünftigen Selbstbestimmung besteht, ist es entscheidend, dass sich Menschen in der Familie Distanz zu 232
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Schlussbetrachtungen
natürlichen Prozessen, Eigenschaften und Kräften wie Tod, Reproduktion, Trieb, Gefühl und Geschlecht schaffen, um sich damit in die Lage zu versetzen, einen selbstbestimmten Umgang mit diesen Natürlichkeiten zu finden. Der Umgang kann aber nur dann selbstbestimmt sein, wenn er auf allgemein gültigen Gründen basiert. Hegel führt in mehrfacher Weise vor, dass eine natürliche Tatsache an sich noch keinen Grund liefert, ihr auf bestimmte Weise normativ Rechnung zu tragen. Er schließt reduktionistische Argumentationsweisen sowohl in ihrer naturalistischen als auch in ihrer »essentialistischen« Variante für eine Rechtfertigung familialer Strukturen, Rollen, Pflichten und Rechte aus. Diese anti-reduktionistische Argumentation hält Hegel hinsichtlich seiner Vorstellung der sittlichen Rollen von Frau und Mann nicht konsequent durch, sondern verstrickt sich diesbezüglich in Widersprüche. Seine zirkuläre Argumentation, die Eigenschaften in die »Natur« der Geschlechter »hineinzulesen«, die er dann für sittlich relevant hält und aus der »Natur« der Geschlechter wiederum deduziert, geht auf die Überstrapazierung einer anderen Grundannahme seines philosophischen Systems zurück. Hegel will keinen ontologischen Dualismus zwischen Natur und Geist anerkennen, sondern zeigen, dass sich der Geist aus der Natur heraus entwickelt. Während ein geistiges Wesen fähig ist, das ihm Gegebene in ein Subjektives, in seine Bestimmungen zu verwandeln, setzt die Natur ihm auch Grenzen bezüglich dessen, zu was er sich selbst bestimmen kann. Diesen Gedankengang überdehnt Hegel mit Blick auf die sittliche Bedeutung der Geschlechter. Dass die Familie auf der Kategorie der Heterosexualität aufbaut, die als eine wesentliche Differenz von Menschen verstanden wird, ist für Hegel weiter in zweierlei Hinsichten entscheidend. Erstens ist die Familie nur dann als eine selbstbestimmte – das heißt als eine gemachte und nicht naturgegebene – Einheit zwischen Menschen bewiesen, wenn es diesen in der Familie gelingt, natürliche Unterschiede zu überbrücken und deren Unmittelbarkeit aufzuheben. Diese Aufhebung muss darin münden, dass Menschen den natürlichen Unterschieden auf vernünftige Weise normative Bedeutung geben, indem sie diese als ihre Bestimmungen – als das, was sie in ihrer familialen Lebensform bestimmt – setzen. 1 Der Aufhebungsprozess der Geschlechterdifferenz ist damit an die Grenzen der Natur bezie1
Eine andere Quelle für die Rationalität der Geschlechterdifferenz liegt in Hegels sysA
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Schlussbetrachtungen
hungsweise an die »natürlichen Eigenschaften« der Geschlechter gebunden, kann diese also nicht vollständig negieren, sondern muss sie in der familialen Lebensform bewahren. (Dieser Aspekt schlägt sich in Hegels konkreten Vorstellungen von den angemessenen sozialen Rollen von Mann und Frau nieder.) Hegels Konzeption der Freiheit kommt in diesem Aufhebungsprozess insofern zum Tragen, als erst durch die normative Aneignung natürlicher Unterschiede sich die Familie und die familiale Einheit als das »Produkte« menschlichen Willens erweisen können. Da Hegel in der Heterosexualität die unüberwindbare und alle Menschen betreffende, natürliche Differenz sieht, statuiert deren normative Bewältigung das beste Exempel einer selbstbestimmten Einigkeit: Nicht die Natur, sondern die vernünftige Selbstbestimmung des Menschen von seiner Natur bildet die Grundlage der familialen Lebensform, die auf solidarische und altruistische, emotionale Verbundenheit und Einheitsbewusstsein, kurz: Liebe, aufbaut. Im Zuge der Kritik an der vermeintlichen »Natürlichkeit« und Binarität der Geschlechter hat Hegels Argument, das von »der« Geschlechterdifferenz zwischen »Mann und Frau« seinen Ausgang nimmt, klarerweise an Überzeugungskraft verloren, hingegen seine Idee, die Familie nicht primär als Naturgemeinschaft zu betrachten, sondern als eine selbstbestimmte Lebensform, nicht. Zweitens ist die Annahme, die Ehe sei eine heterosexuelle Partnerschaft, für Hegel wichtig, um die Liebe als eine angemessene Form der Anerkennung einführen zu können. Denn Anerkennung besteht sowohl in der Bewegung der Identifizierung (sich im Anderen selbst erkennen) als auch in jener der Distanzierung (sich vom Anderen unterschieden wissen). Hegel, so kann extrapoliert werden, sieht eine Möglichkeit der Distanzierung und der Erfahrung der Eigenständigkeit in der Erkenntnis, dass der Andere ein anderes Geschlecht besitzt und damit eine andere Rolle in der Sittlichkeit hat. Gegen dieses Argument kann der Einwand erhoben werden, dass es neben dem Geschlecht genügend andere natürliche Unterschiede zwischen Menschen gibt, die es dem Menschen ermöglichen, sich vom Anderen zu distanzieren. Die heterosexuelle Grundstruktur der Familie ist für eine angemessene Form der Anerkennung nicht zwingend. Darüber hinaus führt sie angesichts der ungleichen sittlichen Bedeutung von Mann und Frau und der starken Stellung des temischen Überlegungen. Probleme dieser Argumentation wurden in Kapitel (4.1) erarbeitet.
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Schlussbetrachtungen
Mannes als Hausherr zu Spannungen mit anderen Bedingungen angemessener Anerkennung: Die Bedingungen der Symmetrie und Reziprozität werden verletzt, weil die Rechte der Frau auf einen gesellschaftlichen Bereich reduziert bleiben, also sie diese Rechte nur innerhalb und in Hinsicht auf die Familie ausüben kann. Weil es der Frau nicht möglich ist, an der »bürgerlichen Gesellschaft« und am Staat teilzunehmen, bleiben ihr Anerkennungsformen verwehrt, die in Hinblick auf eine vollständige Realisation ihrer Freiheit notwendig wären. Hegels Konzeption der geistig-sittlichen Liebe, welche die Geschlechterdifferenz in eine solidarische Gemeinschaft funktionalisiert, scheitert daran, eine angemessene Form der Anerkennung zu sein, weil er die Frau als ein dem Mann geistig unterlegenes Wesen konzipiert. Nach einer Korrektur dieses Frauenbildes könnte die Liebe aber durchaus eine angemessene Form der Anerkennung darstellen. Einen anderen (zu Hegels Zeit) naheliegenden empirischen Grund, die Ehe als eine institutionalisierte heterosexuelle Lebensform einzuführen, schließt Hegel aus. Reproduktion ist nicht »der Hauptzweck« der Ehe, und Ehe scheint auch ohne Sexualität denkbar zu sein (R § 164). Damit eröffnen sich eine Reihe von anderen möglichen Gemeinschaften (zum Beispiel homosexuelle Partnerschaften oder Wohngemeinschaften), die, wenn sie auf Liebe gründen und institutionalisiert sind, die Sittlichkeit einer Familie erreichen können. Um zu zeigen, dass die Familie zum guten und gelingenden Leben beziehungsweise zum »Reich der verwirklichten Freiheit« (R § 4) notwendigerweise gehört, mussten drei weitere Nachweise erbracht werden. Erstens musste gezeigt werden, dass der Partikularismus der Familie – sich um den Einzelnen und seine Bedürfnisse zu kümmern, seine Idiosynkrasien zu berücksichtigen, ihn gegenüber Nicht-Familienangehörigen zu bevorzugen et cetera – mit einer universalen Perspektive verbunden werden kann. Dies gelingt Hegel über die Betonung der Mitgliedschaft in der Familie. »Sittliche Handlungen« sind in der Familie möglich, indem das Handeln durch Allgemeinheit geprägt ist: Man handelt aus allgemein anerkannten Gründen in der allgemeinen Rolle als Familienmitglied, dem das Wohl der Gemeinschaft am Herzen liegt. Familiales Handeln kann dadurch gerechtfertigt werden, dass es sich auf einen jeden »Einzelnen«, seine Bedürftigkeit und natürliche Individualität, als auf einen »Allgemeinen« – als ein Mitglied der Familie – richtet. Die Partikularität des »Objekts« familialer Handlung, der bedürftige und besondere Mensch, A
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sowie die Partikularität der Gefühle, die familiales Handeln begleiten, werden dadurch überwunden. Weil Familienmitglieder ihr Handeln durch allgemein gültige Gründe, die sich für Hegel in einem in Sitten konkretisierten »System« niederschlagen, rechtfertigen können, ist ihre anerkannte Mitgliedschaft in einer Familie zugleich Ausdruck ihrer rationalen Handlungsfähigkeit. 2 Zum zweiten Nachweis der Familie als einer durch Freiheit geprägten Gemeinschaft gehört, dass die Rechte und Pflichten der Familienmitglieder nicht aus biologischen Abstammungsverhältnissen entspringen, sondern ihren Grund in Anerkennungsbeziehungen haben. In diesen Beziehungen konstituiert und beweist sich ein Individuum beispielsweise als Ehefrau, indem es den normativen Implikationen der Rolle der Ehefrau gemäß handelt. Intersubjektive Anerkennung stützt ein solches Selbstverständnis ab. Die »Autorität von Dritten«, mitzubestimmen, wer man ist und zu was man verpflichtet ist, kommt im Ritual der Hochzeit zum Ausdruck: Wie bei jeder Handlung muss auch bei dieser prinzipiell Rechenschaft vor Anderen für die Handlung (und den damit eingegangenen Pflichten) abgelegt werden können, und durch die Handlung wird eine Identität des Individuums konstituiert (R § 124), in diesem Fall die Identität eines Ehegatten beziehungsweise einer Ehegattin. Diese Übernahme von sozialen Rollen bedeutet nach Hegel, sich auf vernünftige Weise selbst zu bestimmen, weil es dem Individuum gelingt, seinen Einzelwillen in der Institution mit dem Allgemeinwillen in Übereinstimmung zu bringen und demnach nach allgemein gültigen Gründen zu handeln. Es bleibt jedoch ein unumstößliches Recht des Individuums, aus eigener Einsicht handeln zu dürfen. Die allgemein gültigen Gründe müssen auch seine Gründe sein. Gerade in der Familie, die die Liebe in den Mittelpunkt stellt, ist auf dieses Recht besonders zu achten: Gegen seine Gesinnung darf das Familienmitglied nicht zur Liebe gezwungen werden. Eine solche Forderung schließt nicht aus, dass das Familienmitglied zur Einhaltung der Gesetze und zur Erfüllung seiner Verpflichtungen gegenüber anderen Familienmitgliedern durch Eingriff staatlicher Autoritäten (»Polizei«) notfalls gezwungen werden kann. Jedoch kann sich dieser Zwang nur auf äußere Aspekte Die Familie ist durch die Asymmetrie geprägt, dass nicht alle ihre Mitglieder über eine vernünftige Handlungskompetenz im gleichen Maße verfügen, sondern die Kinder diese erst gewinnen müssen. Aus diesem Grund ist die Beziehung zwischen den Eheleuten die sittlich relevante Beziehung der Anerkennung.
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wie Eigentum und Geld beziehen, nicht aber auf Gefühle der Zuneigung und Liebe. Drittens musste der Verdacht ausgeräumt werden, dass Hegels These, nach der auf einer konzeptuellen Ebene intersubjektive Beziehungen für die Entwicklung und Verwirklichung von Freiheit und Selbstverwirklichung notwendig sind, die subjektive Freiheit der Individuen gefährdet. Weil Hegel die Freiheit des Individuums mit der Zugehörigkeit zu Institutionen und dadurch mit dem »richtigen« Selbstverständnis des Individuums gleichsetzt, scheint er Freiheit von gelungener Sozialisation nicht mehr trennen zu können. Diesen Verdacht kann man zum einen abwenden, indem man auf Hegels Behauptung verweist, dass Institutionen die Subjektivität und Besonderheiten ihrer Mitglieder berücksichtigen müssen, um vernünftig zu sein. Zum anderen zeigt er mit der Erläuterung der Familienstruktur durch das Substanz-Akzidens-Verhältnis, dass die Familiengemeinschaft als Gemeinschaft von Pflichten in den Handlungen und Überzeugungen von Individuen existiert. Einem individualistischen und »schwachen« Holismus folgend, muss Hegel die Familie nicht als eine Entität annehmen, die über oder neben Individuen existieren würde. Das Selbstverständnis und das entsprechende Handeln der Individuen sind die konstitutiven Bedingungen für die Existenz von Institutionen. Dass dieses individuelle Selbstverständnis wiederum intersubjektiv durch Anerkennungsverhältnisse konstituiert und abgestützt werden muss, stellt aufgrund der Reziprozität der intersubjektiven Beziehungen und mit Blick auf ihre Verankerung in der Vernunft – Anerkennung wird auf der Basis von Gründen ausgesprochen – keine Gefahr für die individuelle Freiheit dar. Jedoch bleibt das Problem einer zirkulären Argumentation bestehen. Der Zirkel besteht darin, dass Institutionen durch das Selbstverständnis von Individuen konstitutiert werden, dieses Selbstverständnis aber wiederum nur in Institutionen, den Orten intersubjektiver Anerkennungsverhältnisse, entwickelt werden kann. Institutionen sind »Produkte« von Individuen, und Individuen sind »Produkte« von Institutionen, insofern sich Identität und Freiheit von Individuen erst im institutionellen Rahmen konstituieren können. Zudem ist es trotz aller Betonung der Vernünftigkeit fraglich, wie diese Vernünftigkeit sich in Institutionen auf objektive Weise niederschlagen kann, wenn es wiederum allein die Selbstgesetzgebung der Individuen ist, die institutionelle Norm- und Wertesysteme schafft. Bereits in Kapitel 2.1 ist angemerkt worden, dass Charles Larmore und John A
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McDowell die Autonomie (Selbstgesetzgebung) als einzige Quelle der Normativität sowohl bei Hegel als auch allgemein in Frage stellen. Kants Konzeption der Autonomie stößt auf das Paradox, dass Subjekte sich nicht vernünftige Gesetze selbst auferlegen können ohne Orientierung an Normen der Vernünftigkeit, diese aber erst aus einem noumenalen Akt der Wahl entstehen sollen. Die Vernünftigkeit der »Gesetze und Einrichtungen« (R § 144) muss jedoch für Hegel gewährleistet sein. Die institutionellen Normen sollen für das Individuum die ausschlaggebenden Gründe seines Handelns liefern, und seine Teilnahme an den sozio-politischen Institutionen soll tatsächlich eine vernünftige Lebensführung bedeuten. Das kantische Paradox sowie das Zirkelproblem zwischen der Konstitution des Individuums und der Institutionen versucht Hegel dadurch zu lösen, dass er eine historische, kollektive und lerntheoretische Perspektive auf sozio-politische Institutionen einnimmt: Sowohl die institutionelle Vernünftigkeit als auch das Selbstverständnis des Individuums als freies Subjekt werden in ihrer historischen und begrifflichen Entstehung in einem Bildungsprozess herausgearbeitet, der durch interne Widersprüche und Inkonsistenzen vorangetrieben wird. 3 Die Frage, ob diese hegelsche Lösung insgesamt überzeugt, kann nur nach einer Untersuchung aller sittlichen Institutionen abschließend beantwortet werden. 4 Angesichts der Tatsache, dass Hegel in den Grundlinien nach dem Familienabschnitt die Institutionen der »bürgerlichen Gesellschaft« und des Staates entwickelt, ist offenkundig, dass die Familie keine hinreichende Bedingung für ein auf vernünftige Weise selbstbestimmtes Lebens ist. Die Teilnahme an der Familienpraxis – der Eintritt in den Stand der Ehe – ist für Hegel jedoch eine notwendige Bedingung für die sittliche Realisierung individueller Freiheit. Worin besteht der exklusive Wert des Familienlebens, oder, anders gefragt, was kann von Erwachsenen ausschließlich in der Familie erfahren werden, das konstitutiv für ihre rationale Handlungssubjektivität und Freiheit ist? Ein Verweis auf die Liebe, die die Familienpraxis in Hegels Modell auszeichnet, beantwortet diese Frage noch nicht, denn Formen der Empathie und Fürsorge sind nicht allein auf die Institution der Familie beschränkt. »Korporationen« übernehmen ebenfalls Vgl. Kapitel (2.1) der vorliegenden Arbeit. Ansätze für eine solche umfassende Untersuchung bieten (Neuhouser 2000), (Patten 1999).
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Vor- und Fürsorgeleistungen und werden von Hegel – konsequenterweise – »zweite Familien« genannt (R § 252). Ein anderes, von Hegel selbst nicht ausgearbeitetes Beispiel sind Freundschaften. Sie lassen zwar eine legale Absicherung und institutionelle Sichtbarkeit wie die der Ehe vermissen, bilden jedoch in vergleichbarer Weise auf der Grundlage von Gefühlen stabile Handlungs- und Erwartungsmuster heraus, in denen die anteilnehmende Sorge um das Wohl des Anderen im Mittelpunkt steht. Exklusivität beansprucht die Ehe hingegen als Ort des Erlebens von Sexualität und der Fortpflanzung. Dass diese Aspekte des menschlichen Daseins in Hegels Augen nicht außerhalb der Ehe erfahren werden dürfen, legt die Vermutung nahe, darin ihren exklusiven Wert zu sehen. Diese These würde allerdings aus heutiger Sicht nicht nur anachronistisch und – da homosexuelle Beziehungen ausschließend – diskriminierend wirken. Sie passt auch nicht zu Hegels Aussagen, dass die menschliche Reproduktion nicht der »Hauptzweck« der Familie ist und »Leidenschaft« in seiner Konzeption der Liebe eine untergeordnete Rolle spielt. Dessen ungeachtet knüpft meiner Ansicht nach die Begründung der Annahme, die Familie sei eine notwendige Bedingung für Freiheit und rationale Handlungssubjektivität, an die natürlichen Aspekte des menschlichen Daseins an, und zwar in folgender Weise. Auch wenn der Mensch als Erwachsener bereits eine »selbständige Person« (geworden) ist, hört er nicht auf, als ein »natürliches Wesen« zu existieren. Hegel leugnet diese natürliche Existenzweise des Menschen nicht, sondern nimmt sie in seine Sittlichkeitskonzeption mit auf. Die Familie ist dafür ein prädestinierter Ort; hier gelingt es dem Menschen, seine Natürlichkeit zu transzendieren beziehungsweise in den Rahmen einer sittlichen Praxis einzubinden. Als eine soziale Form des Zusammenlebens wiederholt die Familie den systemischen Übergang von Natur zum Geist, und zwar in der zweifachen Auffaltung des Natur-Geist-Verhältnisses. Zum einen wird die Differenz von Natur und Geist hervorgehoben, indem die Entstehung des Geistes als eine Absetzbewegung von Natur dargestellt wird. Nur indem man sich von dem Bestimmtsein durch natürliche Bedürfnisse und Triebe, die aber beim Menschen immer schon »seelisch« sind, also an der ersten Stufe des subjektiven Geistes partizipieren, befreit, kann man die Fähigkeit, sich vernünftig selbst zu bestimmen, entwickeln, wie das Beispiel der Erziehung verdeutlicht. Zum anderen wird die Aufhebung der Natur in den Geist beA
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tont, indem »natürliche Bestimmungen« zu »sittlichen Bestimmungen« werden, ein Versuch, den Hegel für die biologische Bestimmung des »Geschlechts« unternimmt. Gerade im souveränen, durch Gründe angeleiteten Umgang mit »natürlichen Bestimmungen« erweist sich die rationale Handlungssubjektivität des Menschen. Der Übergang von Natur zum Geist und die Berücksichtigung des Natürlichen im Geistigen stehen demnach in engem Zusammenhang mit Hegels Konzeption von Freiheit. In der Familie wird dieser Konnex sichtbar, und sie wird als Stätte der Vermittlung von natürlichen und geistigen Seiten des Menschen aus sittlicher Perspektive unverzichtbar. Dass Hegel die Familie als »natürlichen, sittlichen Geist« bezeichnet und hier dieselben Themen aufgreift wie am Ende seiner Naturphilosophie (Gefühl, Geschlechterdifferenz, Tod), bekräftigt diese These. Mit der gegenwärtig oftmals diagnostizierten »Krise« der Institution Familie/Ehe wäre für Hegel der Ort gefährdet, an dem natürlich-geistige Transformationsprozesse im Dienste der Freiheit stattfinden können – und damit auch eine sittliche Qualität gesellschaftlichen Lebens in Gefahr. Dass es solcher Orte bedarf, an denen die natürliche Seite des Menschen Berücksichtigung erfahren darf und kann, ist m. E. unbestritten. Dass jedoch diese Orte auf einer heterosexuellen Struktur und geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung aufbauen müssen, ist aus heutiger Sicht nicht mehr überzeugend. Insofern jedoch bei Hegel der Transformationsprozess als Freiheitsgenese im Vordergrund steht und die Familie daraus ihre »Legitimität« als Bestandteil der sozial-sittlichen Ordnung bezieht, ist die Anschlussfähigkeit anderer Formen des familialen Zusammenlebens wie Patchworkfamilien, Einelternfamilien, homosexuelle Familien et cetera an Hegels Modell durchaus denkbar. Obgleich den bürgerlichen Klischees der Kleinfamilie in der Rechtsphilosophie verhaftet, bleibt der Kern der hegelschen Familienkonzeption auch in einer weiteren Hinsicht für eine »Philosophie der Familie« entwicklungsfähig. Hegel ist darum bestrebt, in der Familie einen Partikularismus von Bedürfnissen und Affekten mit einem Universalismus von Gründen zu verbinden, Gefühl und Rationalität konzeptionell zu vereinen. So hat das Familienmitglied die moralische Pflicht, sich der besonderen Bedürfnisse seiner Angehörigen anzunehmen aufgrund seiner Mitgliedschaft. Die konkreten Handlungen, die aus dieser Pflicht folgen, müssen wiederum mit einer bestimmten emotional-affektiven Haltung erfolgen. Mit anderen Worten, in der Familie hat das Individuum gute Gründe, partei240
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lich zu handeln, d. h. fürsorglich gegenüber Individuen zu sein, zu denen es eine besondere affektive Bindung unterhält – und diese gegenüber Nicht-Familienmitgliedern zu bevorzugen. Hegel gibt moralischen Empfindungen (Empathie, Fürsorge, Wohlwollen, Anteilnahme) in der Familie einen normativ verbindlichen Stellenwert nicht, indem er sie als solche zur Pflicht erhebt, sondern indem er das Individuum zu einer moralisch angemessenen Reaktion in einer bestimmten Situation verpflichtet, mit der das Individuum seinen Status als Familienmitglied bestätigt beziehungsweise als solches anerkannt wird. Die Angemessenheit des Verhaltens in der Familie besteht darin, anderen Familienmitgliedern fürsorglich zugewandt und genuin um ihr Wohl besorgt zu sein. Auf diesem Weg kann Hegel erklären, warum ein Gefühl, die Liebe, normative Bindungskraft für Individuen innerhalb einer bestimmten Sozialsphäre besitzen kann, und so die Kluft zwischen moralischer Pflicht und Empfindung schließen.
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PRAKTISCHE PHILOSOPHIE
Susanne Brauer
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PRAKTISCHE PHILOSOPHIE
Susanne Brauer
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Sachregister
Absolute 27 fn. 2, 31, 172 f. Adoption 145, 147–149 Akzidens 25, 34 fn. 22, 65 fn. 129, 183, 210 f., 213, 216–221, 223–231, 237 Allgemeinheit 16 fn. 6, 37 fn. 34, 77, 80, 87–94, 119, 122, 129, 131 f., 145, 154 fn. 96, 156 f., 166, 169, 187 fn. 17, 189 f., 192 fn. 28, 194, 197, 211, 235 Anerkennung 20, 25, 37, 47, 49, 53, 57 fn. 104 f., 75, 79, 82, 130, 132 f., 140, 153 f., 157, 164, 166, 179 f., 182 f., 186–199, 201–209, 226–228, 234–237 Anthropologie, Anthropologie 63, 65 fn. 129, 89 f., 95 f., 148, 152, 202 f. Antigone, Antigone 21, 54, 70, 114–117, 123, 127, 137, 155, 157 Autonomie (siehe auch Freiheit, Selbstbestimmung, Selbstgesetzgebung) 35, 82 fn. 173, 182, 216, 238 –, kantische 48, 50 f., 82, 238 –, rationale 36 fn. 28, 38, 80 fn. 164, 195 fn. 41 Begräbnis 21, 116, 155–157, 159, 206 f. Bürger 16 fn. 6, 17, 73, 75, 119, 121–123, 137, 139 f., 143, 150, 167 fn. 116, 183, 193, 200 f., 208, 210 f., 215 f., 222 Bürgerin 122, 132, 140, 193 Developmental Account 36 fn. 29, 47 fn. 68, 56, 59 f., 66, 68 f., 71 fn. 139 Dualismus 61 fn. 116, 89, 118 fn. 29, 208 –, von Natur und Geist 23, 85 f., 97, 106, 140, 233 Ehe 15 fn. 2, 22, 25 f., 67 fn. 132, 68, 73 fn. 140, 74 fn. 146, 103, 106, 101–112,
114, 124–126, 131, 134 fn. 61, 135 fn. 64, 141 f., 145, 147, 160, 162–165, 170 f., 173–176, 181, 188, 190, 199, 202, 208, 212, 219, 234 f., 239 f. Eigentum 35, 72 f., 78, 81, 103 fn. 31, 118, 121, 158, 160 f., 176, 198, 237 Einheit –, geistige 177, 203 fn. 60 –, konkrete 124 f. –, natürliche 111, 126, 146, 203 –, sittliche 146 f. Einsicht, subjektive 24, 49, 78 Einzelheit 78, 87, 88 fn. 5, 118, 129, 187 fn. 17 Einzelnheit 88, 90–94, 146, 154 fn. 96, 156 f., 197 Eltern 15, fn. 2, 67, 86, 109, 146–149, 152 f., 160 f., 168 f., 174, 178 f., 185, 191 fn. 27, 198, 202 f., 205 Empfindung 67 fn. 132, 75, 80, 84, 89, 97, 131, 154 f., 206, 208, 221, 241 Erbe 161 Erziehung 67 fn. 134, 75, 79, 81, 100, 122, 148 fn. 188, 149, 153, 159, 167, 183, 203, 209, 211, 239 Fideikommiss 161 Freiheit (siehe auch Autonomie, Selbstbestimmung) –, individuelle 33 f., 36, 74 fn. 145, 75 fn. 151, 76, 80 fn. 64, 138 f., 180 fn. 165 f., 181 f., 184 f., 187, 189 fn. 21, 192 fn. 29, 194, 216 f., 228, 232, 237 f. –, konkrete 73, 194, 200, 208, 212 fn. 78 –, moralische 73, 190 –, negative 138, 173 –, objektive 168 fn. 19, 182 –, personale 73 A
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Sachregister subjektive 24 f., 78, 114, 144 fn, 83, 168, 183 fn. 4, 191, 208, 237 –, substantielle 82, 132 Freundschaft 179 f. Gattung 88, 90–94, 111 f., 125, 145 f., 184 f. Gefühl 23, 58 fn. 109, 68 fn. 135, 72, 75 fn. 151, 77, 85, 87–89, 92, 104, 112, 126, 134 fn. 61, 136, 145, 159 f., 170, 172, 179, 207, 212, 219 fn. 94, 233, 240 f. Gender 18 fn. 10, 108 f., 133 –, Gendering 127, 129 Gerechtigkeit 36, 57 fn. 107, 138, 141, 152–154, 168–170 Geschlecht (siehe auch Sex, Gender) 93, 104, 106 f., 108 fn. 109, 126 fn. 44, 127, 135, 138, 141, 212, 233 f. –, Geschlechterverhältnis 17, 135 fn. 64 –, Geschlechtsverhältnis 91–93, 109 Geschwister 114–116, 125 fn. 41, 126, 157 Gesellschaft, bürgerliche 16 fn. 6, 17 fn. 7, 74, 79 f., 82, 85, 108, 118–121, 127, 133 fn. 58, 133 fn. 61, 139, 151, 154, 160 f., 183 fn. 4, 187, 200, 206, 208, 212, 235, 238 Gesinnung 22, 75, 78 fn. 158, 84 fn. 2, 114, 146, 159, 166–168, 175 fn. 132, 176, 182 fn. 2, 203, 205, 208, 219, 222, 228 fn. 106, 230, 236 –, patriotische 194 Hausfrau 108–110, 118, 120, 140, 200, 208 Hochzeit 176 f., 236 Heteronormativität 107 fn. 3 Heterosexualität 24, 93, 107–110, 124, 139, 148 fn. 87, 206, 209, 233 f. Holismus –, individualistischer 25, 216 f., 219, 230 f. –; methodologischer 215 fn. 84 –, moderater 216 fn. 91 –, normativer 61 fn. 117, 214–216, 230 –, ontologischer 214 f. –, Sozial- 80 fn. 165, 213 f.
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Individualismus 38, 81 fn. 167, 216 fn. 91 Institutionalisierung 114, 164, 174 Kontraktualismus –, hobbesianischer 160 Konventionalismus 50 fn. 74, 57 Korporation 16 fn. 6, 121, 154, 158 fn. 102, 182, 199, 227, 238 Logik, spekulative 28 f., 41, 62, 66 fn. 130 Lucinde 112–114, 171 f. Moralität 21, 35, 72–74, 84 fn. 2, 138, 200 Naturalismus, historisierter 39 Naturphilosophie, Naturphilosophie 23 fn. 19, 28 fn. 4, 65 fn. 129, 84, 86, 89 f., 92, 94 f., 97 fn. 21, 109, 127–129, 145, 156, 240 Normativität 17 f., 22, 24, 42, 44, 52, 55 f., 60, 63 f., 84, 220, 238 Öffentlich/public 103 fn. 31, 108, 110 f., 116, 118–120, 122 f., 135, 138 f., 161 fn. 109, 175, 186 Paradox, kantisches 48 fn. 72, 50 f., 56, 238 Partikularität 19, 21, 72 fn. 140, 89, 110, 115, 119 f., 131, 144, 173 f., 207, 212, 235 f. Penaten 146 Privat/private (siehe auch öffentlich/ public) 34, 116, 132, 188 fn. 19 Realphilosophie 28 fn. 4, 29, 38, 65, 87 Recht –, Abstraktes 72, 138 –, strenges 72, 75, 167 –, Rechtssystem 72, 74, 185, 212 Reduktionismus 24, 85 f., 109, 130, 132, 135 –, Anti-Reduktionismus 106, 135 Reflexivität 61, 89, 207 Ritual 114, 155, 157, 207, 236
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https://doi.org/10.5771/9783495997611 .
Brauer (48243) / p. 255 / 9.8.6
Sachregister Scheidung 121, 176, 221 Selbstbestimmung (siehe auch Freiheit, Autonomie, Selbstgesetzgebung) –, kollektive 53, 55 –, rationale 63, 169 –, vernünftige 23, 35 f., 40, 49 f., 70, 72 fn. 140, 78, 95, 106, 112, 121 fn. 34, 134 fn. 43, 159, 168 fn. 119, 173, 181 f., 188, 195, 198, 207 f., 212, 232, 234 Selbstgesetzgebung (siehe auch Autonomie) 49 f., 70, 82 fn. 173, 237 f. Selbstverständnis 34 f., 38, 46, 53–55, 57, 59, 61 f., 67, 69 fn. 136, 73, 87, 91, 99, 101, 106 f., 166 fn. 115, 178 f., 184 fn. 4, 186, 192 f., 203 f., 216, 222, 226–228, 236–238 Selbstverwirklichung 36 f., 39, 55, 75 fn. 151, 76, 138 f., 185, 237 Sex (siehe Gender) Sexualität 235, 239 Staat 15, 16 fn. 6, 17 f., 32, 36 f., 41, 49, 59 fn. 110, 71 fn. 139, 73–75, 80, 82, 84 fn. 2, 85, 87, 103 fn. 31, 107 f., 110 f., 117–119, 122 fn. 40, 124, 127, 129, 133 fn. 61, 136, 139 f., 154, 160, 163 fn. 12,
166 f., 168, 182 f., 187, 190 fn. 24, 193, 201 f., 208–213, 215 f., 227, 230 fn. 107, 235 Substanz (siehe auch Akzidens) 29 fn. 8, 34 fn. 22, 55, 72, 76, 90, 116, 123, 136 Substantialität 123, 136, 220 fn. 97, 221 f., 224 Symbiose 148, 202 f. Testament 155, 157 f. Tod 17, 23 f., 84, 90 f., 93 f., 104, 106, 117, 121, 142 f., 145 f., 155–159, 161, 170, 179, 207, 212, 233, 240 Vernünftigkeit, institutionelle 25, 57 fn. 104, 75, 81 fn. 170, 183, 192, 228 fn. 106, 232, 238 Vertrag (siehe auch Kontraktualismus) –, Ehe- 162 Versklavung 101, 152 fn. 92, 170 Zufälligkeit 25, 49, 72 fn. 140, 75, 83, 89, 94, 105, 121 fn. 35, 130, 157–159, 165 f., 174, 176, 178, 181, 207, 212, 221, 232
A
Natur und Sittlichkeit
https://doi.org/10.5771/9783495997611 .
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