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German Pages [378] Year 2013
Dieter Reicher
Nationensport und Mediennation Zur Transformation von Nation und Nationalismus im Zeitalter elektronischer Massenmedien
Mit 15 Abbildungen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0078-2 ISBN 978-3-8470-0078-5 (E-Book) Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Landes Steiermark (Amt der Steirischen Landesregierung, Abteilung 3 – Wissenschaft und Forschung) und der Karl-Franzens-Universität Graz. Ó 2013, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild Montage: Roman Klug, Karl-Franzens-Universität Graz Ó 2012 Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Für Lisa
Inhalt
Detailliertes Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
Theorien und Konzepte Kapitel 1 – Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Kapitel 2 – Forschungsansätze und Konzepte . . . . . . . . . . . . . . .
27
Nationensport und Nation Kapitel 3 – Traditioneller Sport, Globalisierung und Identität . . . . . .
53
Kapitel 4 – Entstehung des »Nationensports« . . . . . . . . . . . . . . .
71
Kapitel 5 – »Nationensport« als Weltkultur . . . . . . . . . . . . . . . .
91
Kapitel 6 – Die Herausbildung von internationalem Prestige . . . . . . .
115
Mediennation: Untersuchungen zur medialen Darstellung der Nation Kapitel 7 – »Mediennation« und Sport . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145
Kapitel 8 – Die Dramatisierung der Nation im Zeitungssport . . . . . .
173
Kapitel 9 – Reethnisierung? »Nationensport« im Internet . . . . . . . .
205
8 Kapitel 10 – UEFA-Europa League und Nation . . . . . . . . . . . . . . .
Inhalt
237
Agonale Weltsportgemeinschaften und das internationale System Kapitel 11 – Agonale Weltsportgemeinschaften. Eine Neubewertung internationaler Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
253
Kapitel 12 – »Nationensport« und militärische Neutralisierung . . . . .
281
Kapitel 13 – Der »leere« Nationalismus im Vormarsch . . . . . . . . . .
303
Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
327
Anhang ANHANG A – Internetforen-Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . .
357
ANHANG B – ISSP 2003 National Identity II . . . . . . . . . . . . . . .
359
ANHANG C – Nationale Stimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
363
Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
365
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
371
Detailliertes Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1 – Einleitung Gegenstand der Untersuchung Rätsel und leitende Fragen Einordnung und Abgrenzung Plan und Aufbau der Arbeit
17 17 19 21 24
Kapitel 2 – Forschungsansätze und Konzepte Das Konzept von »nationaler Identität« im Sport »Weltkultur« und zwei Aspekte »nationaler« Identität Grundlegende Ansätze der Nationalismusforschung und »Nationensport« Grundzüge modernistischer Ansätze Bewertung des Ansatzes von Hobsbawm für die Analyse von Nationensport Bewertung des Ansatzes von Anderson für die Analyse von Nationensport Grundzüge des Ethnosymbolismus Bewertung des Ethnosymbolismus für die Analyse von Nationensport Habitus und Identität
27 27 30 33 34 36 39 41 42 44
Kapitel 3 – Traditioneller Sport, Globalisierung und Identität Problemstellung Alternative Formen zum modernen »Nationensport« Traditioneller Sport Höfischer Sport und Elitesport Spielarten von »Ethnosport« »Nationalistische« Sportarten Habitus, Identität und traditioneller Sport
53 53 56 57 59 61 64 67
Kapitel 4 – Entstehung des »Nationensports« Problemstellung Die Organisation des Nationensports »Nationensport« kommt nach Mitteleuropa Kurzer Abriss über die Anfangsphasen der Verbreitung von Fußball in Mitteleuropa Fazit
71 71 74 78 84 88
Kapitel 5 – »Nationensport« als Weltkultur Sport als Kulturimperialismus? »Nationensport«, Akzeptanz und Habitus »Faktoren« und Perioden der Habitualisierung von »Nationensport«
91 91 94 98
10
Detailliertes Inhaltsverzeichnis
Konkurrenzdruck Professionalisierung Kommerzialisierung Imitation der Konventionen des Publikumsverhaltens »Weltkultur« und international geteilte »erfundene« Traditionen Die Tradition unterschiedlicher Wettbewerbskreise Die Tradition von Saison und Serie (kalendarische Tradition) Die Tradition der Austragungsorte Die Tradition von Hymnen, Fahnen und anderen nationalen Symbolen
99 100 101 102 106 107 110 111 112
Kapitel 6 – Die Herausbildung von internationalem Prestige Problemstellung Die olympischen Spiele als Inszenierung von internationalem Prestige Dimensionen von internationalem Prestige bei olympischen Spielen Einmarsch der Nationen: Athleten als entethnisierte Repräsentanten Funktionäre und internationales Prestige Veranstalterland Der Bericht über die olympischen Spiele von 2008 als Fallbeispiel Der Wandel von internationalem Prestige in den Olympiaberichten 1896 bis 2008
115 115 119 121 123 126 128 131 139
Kapitel 7 – »Mediennation« und Sport Das Attribuieren der »Nation« Kontinuität Faktizität Voraussetzungslosigkeit und Demokratisierung Unmittelbarkeit, Stimmung und Emotionen Ikonographisierung der Nation und Transzendenz des Sprachraums Übertragbarkeit nationaler Stellvertretung Interaktivität Kontrolle »Mediennation«, Sport und Staat im Strukturwandel der Öffentlichkeit Phase 1. Selbstreferenzielle, bürgerliche Nationalgemeinschaften Phase 2. Staatlich kontrolliertes internationales Prestige Phase 3. Demokratischer und unkontrollierter Nationalismus
145 145 148 150 151 154 156 162 164 166 167 168 168 171
Kapitel 8 – Die Dramatisierung der Nation im Zeitungssport Problemstellung Bemerkungen zur Rolle des Wintersports für das Österreich-Bild Die literarische Stimmung im Zeitungsjournalismus Stichprobe und Methodologie Quantitative Aspekte der Olympia-Berichterstattung Qualitative Aspekte der Olympia-Berichterstattung Emotionen Schreibstil Dramaturgie und Narration Themen und Emotionen: Sieg, Niederlage und Stars Fazit
173 173 174 176 182 186 188 189 190 192 199 203
Kapitel 9 – Reethnisierung? »Nationensport« im Internet Problemstellung Interethnische Allianz im Kontext von Staatsbildungsprozessen Interethnische Allianzen im Sport
205 205 206 210
Detailliertes Inhaltsverzeichnis
11
Ergebnisse Interethnische Allianzen, Nationsbildungsprozesse und Sport
214 235
Kapitel 10 – UEFA-Europa League und Nation Problemstellung Nationale Wir-Aspekte in UEFA-Champions League und Europa League Einheit der Nation als Topos in Sportforen zur Europa League Fazit
237 237 238 241 248
Kapitel 11 – Agonale Weltsportgemeinschaften. Eine Neubewertung internationaler Beziehungen »Agonale Weltsportgemeinschaften« und internationale Beziehungen Struktur und Eigenschaften »agonaler Weltsportgemeinschaften« »Zivilisierung« und »Verhöflichung« internationaler Beziehungen durch den Sport Internationale Schichtung und emotionale Verstrickungen
253 253 256 264 271
Kapitel 12 – »Nationensport« und militärische Neutralisierung Ritualisierung internationaler Beziehungen durch »Nationensport«? Krieg als weitgehend ignoriertes Thema der Soziologie Die »Demokratisierung« des Schadens: Krieg im Zivilisationsprozess Bemerkungen zur Sonderrolle der USA im »Nationensport« Die internationale Gelegenheitsstruktur zur Erfahrung des Nationalen
281 281 284 287 293 298
Kapitel 13 – Der »leere« Nationalismus im Vormarsch Alter und neuer Nationalismus Skizzen zum »leeren Nationalismus« in anderen Feldern Das Musikfeld und der Eurovision Song Contest Das Filmfeld und der Oscar Kurze Bemerkungen zu weiteren Beispielen Der »leere Nationalismus«
303 303 307 308 313 316 318
Bibliografie a) Sekundärliteratur b) Primärquellen: Berichte c) Primärquellen: Zeitungen und Zeitschriften (Auswertungen zur Berichterstattung der olympischen Winterspiele 1932 – 2006) d) Online-Ausgaben von Zeitungen e) Andere Online-Quellen oder elektronisch gespeicherte Quellen f) Darstellungs- und Tabellenverzeichnis g) Bildverzeichnis Anhang A – Internetforen-Stichprobe Anhang B – ISSP 2003 National Identity II Anhang C – Nationale Stimmung
327 327 346 350 351 352 352 353 357 359 363
Danksagung
Diese Arbeit verlangte nicht nur von mir, sondern auch von meiner näheren Umgebung Entbehrungen ab. Ich möchte mich daher an dieser Stelle zuerst bei meiner Frau Lisa bedanken, die mir eine wichtige Stütze war und die mich liebevoll ertragen hatte. Ich möchte mich auch bei meinem Freund und Mentor Herrn Professor Helmut Kuzmics bedanken, der nicht nur ein wichtiger Gesprächspartner für diese Arbeit war, sondern dem ich auch eine für mich nicht mehr überblickbare Menge soziologischer Einsichten schulde. Ich möchte mich auch bei Herrn Professor Franz Höllinger und Herrn Professor Christian Fleck bedanken, die viel dazu beigetragen haben, dass dieses Manuskript leserlicher und verständlicher wurde. Mein Dank gilt auch Frau Ingrid Dimai für ihre hilfreichen Korrekturarbeiten. Besonders verpflichtet fühle ich mich auch Herrn Professor Manfred Prisching. Graz, 19. November 2012
Dieter Reicher
Theorien und Konzepte
Kapitel 1 – Einleitung
»It is almost as though the more intense the nationalist fervor in the world, the more identical seem the expressions of this nationalism« (Wallerstein 1991: 93).
Gegenstand der Untersuchung Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bildet ein Komplex, der »Nationensport« genannt wird. Dieser Begriff weist mindestens vier wichtige Aspekte auf: (I) »Nationensport« meint eine Art des sportlichen Wettbewerbs, dessen Wettkampfordnung international ausgerichtet ist und meist von großen und länderübergreifenden Sportverbänden festgelegt wird. Sportliche Wettbewerbe werden hier als Länder- oder Nationenwettkämpfe inszeniert. Der Charakter des Länderkampfes ist das Resultat einer Wettkampfordnung, bei der Mannschaften und Sportler Nationen zugeordnet werden. Die weltweit wichtigsten Veranstaltungen dieser Art sind die Fußballweltmeisterschaft und die Olympischen Spiele. Daneben findet sich aber noch eine fast unüberschaubare Reihe an anderen Sportgroßveranstaltungen mit demselben Charakter. Dazu zählen etwa MultisportEvents wie die World-Games, die Commonwealth Games oder die Asienspiele. Außerdem finden in regelmäßigen Abständen Weltmeisterschaften, Europameisterschaften und saisonale Wettkampfreihen (wie Weltcups) in vielen Sportdisziplinen statt. Das Prinzip der von globalen Sportverbänden festgelegten internationalen Wettkampfordnung kommt erstaunlicherweise auch bei den Paralympics, den Special Olympics (World Games), der Universiade, den World Police and Fire Games oder den Olympischen Jugendspielen und einer Reihe von Wettbewerben außerhalb des herkömmlichen Spitzensports zum Tragen.
18
Einleitung
(II) »Nationensport« besitzt jedoch auch einen subjektiven Aspekt. Die internationale Wettkampfordnung wird nicht nur durch Sportverbände festgelegt, sondern auch durch Publikum und Medien. Diese interpretieren sportliche Wettkämpfe als internationale Rivalität. Die nationale Perspektive des Publikums wird besonders bei Sportwettbewerben, bei denen Athleten oder Athletinnen entweder als Einzelpersonen, in Form von »Rennställen« wie beim Autorennsport Formel-1 oder als private Sportvereine organisiert sind, ersichtlich. Hier erzeugt nämlich die Medienberichterstattung den Charakter des Nationenkampfes. Massenmedien »attribuieren« in solchen Fällen erst den nationalen Charakter des Sportbewerbes. Daher ist hier von »Mediennationen« die Rede. Der Begriff der »Mediennation« umfasst technische, organisatorische und journalistische Praktiken, die nationale Wir-Bilder, Wir-Ideale und Gefühle der Zugehörigkeit zu einer Nation produzieren. Die Dramatisierung und Inszenierung des Nationalen ist zwar im Bereich des Sports besonders auffällig, aber auch in anderen Themenkomplexen zu finden. Dementsprechend sind »Nationensport« und »Mediennation« keine deckungsgleichen Begriffe. (III) Einen weiteren Aspekt von »Nationensport« bildet die Bereitschaft zur national ausgerichteten Loyalität des Sportpublikums. Diese Bereitschaft kann nicht bloß auf die massenmediale Interpretationsmacht und das Reglement internationaler Sportverbände reduziert werden. Sowohl die nationale Loyalität, wie auch Einstellungen und Haltungen des Sportpublikums – das eine sehr heterogene Gruppe darstellt – bilden sich auch aufgrund sozialer Zusammenhänge, die nicht von Medien und Sportorganisationen gesteuert werden können. Ein Teil der Bevölkerung entzieht sich noch dazu dem »Nationensport« und tritt diesem Phänomen mit Unverständnis gegenüber. Für eine ganz andere Gruppe bieten Sportgroßveranstaltungen eine gute Gelegenheit zur Verbreitung nationalistischer, fremdenfeindlicher oder chauvinistischer Standpunkte. Deren Haltung stimmt oft nicht mit den Intentionen von Sportjournalisten, Medienmachern und Sportfunktionären überein. Es gibt also eine Reihe von Gründen anzunehmen, dass das Sportpublikum neben den Sportorganisatoren und den Sportmedien eine weitere eigenständige Untersuchungsgruppe bildet. (IV) Einen vierten Aspekt des »Nationensports« bildet seine Funktion als politisches Kommunikationsmedium. Genauer genommen lassen sich innen- und außenpolitische Bezüge durch den »Nationensport« herstellen. Einerseits legitimiert er politisches Handeln, indem dieses in Einklang mit sportlichen Leistungen gestellt wird. Andererseits verkörpern internationale Sportwettkämpfe ein ritualisiertes und symbolisches Kräftemessen
Rätsel und leitende Fragen
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zwischen Ländern. Solche Anlässe bieten Gelegenheit zur Präsentation der Nation nach außen und sind Akte der Bestätigung staatlicher Souveränität. Derartige Sportveranstaltungen sind darüber hinaus auch Teil eines Prozesses internationaler Vergemeinschaftung. Der »Nationensport« besitzt auch eine bedeutende ökonomische Dimension, der den Kontext der vier hier aufgezählten Aspekte bildet. Auch dieser wird uns in dieser Arbeit beschäftigen.
Rätsel und leitende Fragen Haller und Gruber (1996: 486) zeigen in einer international vergleichenden Studie über nationale Identität in elf europäischen Ländern (ISSP 1995, National Identity I), dass »Stolz auf sportliche Erfolge« des eigenen Landes in drei Staaten (darunter Österreich) die stärkst ausgeprägteste Dimension von Nationalstolz bildet. Mit Ausnahme von Westdeutschland bildet »Stolz auf sportliche Erfolge« in allen Ländern der Stichprobe einen überdurchschnittlich stark ausgeprägte Aspekt von Nationalstolz. Eine Auswertung des ISSP-Datensatzes von 2003 (National Identity II), der Nationalstolz in 34 Ländern vergleicht, bestätigt diesen Befund (Ergebnistabelle, siehe Anhang B).1 Die Dimension »Stolz auf sportliche Leistungen« wurde in 13 Ländern durchschnittlich am häufigsten genannt, gefolgt von »Stolz auf die eigene Geschichte« in 11 Ländern. Stolz auf die eigene Geschichte ist nach dieser Auswertung vor allem in osteuropäischen und lateinamerikanischen Ländern ein besonders wichtiger Aspekt von Nationalstolz. In Westeuropa, den angelsächsischen Ländern und Japan dominiert hingegen Stolz auf Wissenschaft und Technik und Stolz auf sportliche Erfolge. Nur in den USA und in Großbritannien wurde die Dimension »Stolz auf die eigene Armee« von den Befragten am durchschnittlich häufigsten genannt. Diese Ergebnisse demonstrieren, dass sich nationale Identität nicht überall auf die gleichen Inhalte bezieht; wenn auch Sport in den meisten Ländern außergewöhnlich wichtig zu sein scheint. Bewohner der höchst entwickelten Länder sind auffälliger Weise auch auf ihren technologischen und wissenschaftlichen Vorsprung stolz und militärische Großmächte auf ihre Armee. Bewohner eher abgeschlagener Länder generieren ihr kollektives Ehrgefühl aus Bereichen, die keinen starken internationalen Konkurrenzdruck ausgesetzt sind. Stolz auf die eigene Geschichte oder Stolz auf Literatur und Kunst zielt viel mehr auf die geschützten Bereiche der nationalen Unvergleichbarkeit und Einmaligkeit ab. Stolz auf Wissenschaft, Technik, Armee und Sport orientiert sich da1 Die hier besprochene Auswertung der Erhebung von 2003, die in Anhang B tabellarisch vorliegt, wurde vom Autor durchgeführt, der sich bei Max Haller für die Bereitstellung des IISP-Datensatzes bedankt.
20
Einleitung
gegen auf Rivalität und internationales Prestige. Tritt daher bei »moderner« werdenden, global erfolgreichen Gesellschaften ein Wandel des Selbstverständnisses von Nation und Nationalismus ein? Zweifelsohne ist die Einteilung der Menschheit in Nationen ein besonders folgenreicher Vorgang, der scheinbar durch den modernen Spitzensport eine Stärkung erfährt. Das ist rätselhaft. Moderne Sportarten wie Fußball oder Tennis sind nicht nur mit nationalen Wir-Gefühlen verbunden, sie stellen auch gleichzeitig universelle Praktiken und Formen von »Weltkultur«, die Menschen über Grenzen hinweg verbindet, dar. Elektronische Massenmedien verstärken diesen auf den ersten Blick widersprüchlichen Vorgang. Massenmedien helfen nämlich einerseits, moderne Sportarten als universelle Kulturpraxis zu verbreiten und fördern andererseits die nationale Dramatisierung und Inszenierung ihrer Wettkämpfe. Steht die Globalisierung damit tatsächlich im Widerspruch zum Prinzip der nationalen Abgrenzung? Wallerstein (1991) fragt ebenfalls nach dem widersprüchlich erscheinenden Verhältnis zwischen dem »Nationalen« und dem »Universellen«, indem er in einem größeren Rahmen die Entwicklung der Nationalstaaten und die Entwicklung des kapitalistischen Weltsystems als miteinander verzahnte Prozesse begreift. Sport scheint in dieser Konfiguration eine zentrale Stellung zu beziehen, denn nirgends sonst wird das rätselhafte Verhältnis zwischen dem »Universellen« und dem »Nationalen« deutlicher. Welches Verhältnis besteht nun zwischen partikularen Nationalkulturen und der universellen Gültigkeit vieler Sportarten? Verändern internationale Sportwettkämpfe nationale Wir-Bilder, Wir-Ideale und Wir-Gefühle? Welche Rolle spielt der »Mediensport« bei diesem Veränderungsprozess? Wie genau werden durch Massenmedien nationale Wir-Bezüge dramatisiert und inszeniert? Tritt dadurch auch in anderen national konnotierten Bereichen ein Qualitätswandel ein? Findet also eine Transformation von Nationen und ihren Bezügen statt? Stand die Inszenierung und Dramatisierung der »Nation« im 19. und anfänglichen 20. Jahrhundert oftmals in Zusammenhang mit Krieg und kriegerischen Idealen, so tritt durch den sportlichen Wettkampf eine neue und friedliche Färbung des internationalen Wettbewerbs auf. Findet also durch den »Nationensport« ein »Prozess der Zivilisation« (Elias 1997 [1939]) des Nationalen statt? Hat dieser auch Einfluss auf die Gestaltung und die Definition von internationalen Beziehungen? Kommt es durch den »Nationensport« daher auch zu einer Zivilisierung zwischenstaatlicher Rivalität? Wird gar Frieden durch »Nationensport« wahrscheinlicher?
Einordnung und Abgrenzung
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Einordnung und Abgrenzung Die vorliegende Untersuchung versteht sich hauptsächlich als Beitrag zur Nationalismusforschung. Autoren wie Weber (1980 [orig. 1921]), Gellner (2006 [orig. 1983]), Anderson (2005 [orig. 1983]), Hobsbawm (1983), Smith (1986) und Billig (1995) bilden hier die wichtigsten diskursiven Bezüge. In dieser Arbeit stehen allerdings nicht klassische nationale Bewegungen und deren organisierter »Nationalismus« im Mittelpunkt, sondern internationale Wettkämpfe im Bereich des modernen Spitzensports und die damit verbundenen Nationalgefühle und nationalen Wir-Bilder. Für diese Studie ist es daher notwendig, die synthetische Leistung zu erbringen, Aspekte der Nationalismusforschung mit den Ergebnissen und Ansätzen der Sportsoziologie zu integrieren. Vor allem solche sportsoziologischen Arbeiten werden hier herangezogen, die sich mit nationaler Identität, Länderwettkämpfen und mit der weltweiten Diffusion von Sport beschäftigen. Außerdem müssen hier mediensoziologische und medienwissenschaftliche Arbeiten ebenfalls zur Rate gezogen werden. Ein Problem vieler Ansätze der Nationalismusforschung bildet ein sehr enges Verständnis des Begriffs von »Nationalismus«, das den Bereich des Sports nicht einschließt. Kedourie (1971: 7) versteht unter »Nationalismus« eine politische Doktrin und meint, … »… kurz gesagt bedeutet diese Doktrin, dass sich die Menschheit nach einem Naturgesetz in Nationen gliedert, sich Nationen nach bestimmten, objektiv fassbaren Merkmalen unterscheiden und die einzige rechtmäßige Regierungsform auf einer nationalstaatlichen Ordnung beruht.«
Breuilly (1993) sieht in dieser politischen Doktrin die hauptsächliche Triebfeder internationaler Konflikte, die zu Irredentismus, Separatismus und ethnischen Säuberungen führt. Hechter (2000: 15 ff.) unterscheidet vier Typen von Nationalismus und stellt diese dem »Patriotismus« gegenüber. Darunter versteht er nationales Prestigestreben innerhalb eines internationalen Systems. »Nationensport« führt also in diesem vom Primat der Politik geprägten Forschungsverständnis nie oder selten zu »Nationalismus« (bloß wenn etwa rechtsradikale Sportfans den Gegner rassistisch oder stigmatisierend abwerten). Er ist bestenfalls eine Form des »Patriotismus«. Auch eine stark normativ durchdrungene Deutung der Begriffe kann zum Problem werden. Manche verstehen etwa unter »Patriotismus« – den sie billigen – die Aufwertung des eigenen Landes, ohne andere abzuwerten. Weltmeisterschaften und Olympische Spiele erzeugen somit eine »positive« Form von Verbundenheit mit dem eigenen Land; eine Art von »fröhlichem« oder »weltoffenem« Nationalgefühl (vgl. Kronenberg 2006). Vielleicht sind Max Webers Skizzen zur Nationalismusforschung hilfreich,
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Einleitung
die normative Ausrichtung und die Enge dieser Begrifflichkeit zu sprengen. Weber unterscheidet Macht- von Kulturprestige (vgl. Weber 1980 [orig. 1921]: 242 ff.). Das Bemühen um »Machtprestige« stellt Webers Meinung nach das Streben nach militärischer und außenpolitischer Geltung dar. Es begründet sich im Willen nach Dominanz über andere Staaten. »Kulturprestige« ist nach Weber eine Form von Geltung nach außen, die vor allem von militärischen Zwergen oder »neutralisierter Staaten« angestrebt wird. Dort verbinden Teile der Bevölkerung eine für ganz einmalig gehaltene Sprache, Religion, Sitte oder Lebensart mit dem Gedanken kultureller Überlegenheit. Würde man das enge Verständnis von Nationalismus als einzig gültige Form anerkennen, so würde jede Form von internationaler Konkurrenz, z. B. das militärische Hochrüsten der Staaten vor dem Ersten Weltkrieg, nicht als Nationalismus gehandelt werden. Webers Perspektive erlaubt allerdings auch, »Nationensport« mit seinen nationalen Wir-Gefühlen einer ernsthaften Analyse zu unterziehen. Allerdings ist es notwendig, für die hier vorliegende Analyse das Konzept von »Kulturprestige« auf eine Form von »Weltkultur«, die durch den Sport repräsentiert wird, zu erweitern. Das Prestige, um das beim »Nationensport« gerungen wird, ist international. Es zielt nicht auf die Vorstellung kultureller Distinktion und Einmaligkeit ab, sondern auf das nationale Streben, innerhalb allgemein akzeptierter Regeln und Ziele besser zu sein als andere. Unweigerlich gerät diese Studie somit ins Fahrwasser der Analyse von Internationalen Beziehungen (IB). Regierungen sind auf ganz bestimmte Weise mit nationalen Sportwettkämpfen verbunden. Hier ist es also auch notwendig, politikwissenschaftliche Beiträge aus dem Bereich von IB zu besprechen und deren Relevanz für das vorliegende Vorhaben zu überprüfen. Schließlich versteht sich diese Studie auch als Beitrag zur historischen Soziologie und zur Erforschung von Staats- und Nationsbildungsprozessen. Dieses weite Forschungsfeld kennt bedeutende Namen, wie Weber (1980), Hintze (1982), Tilly (1990), Rokkan (2000), Mann (1994; 2001), Skocpol (1979) oder Giddens (1985). Deren Verständnis von Staat als »Kriegsmaschine« kann hier nicht außer Acht gelassen werden. In diesem Zusammenhang nimmt vor allem die Prozess- und Figurationssoziologie Norbert Elias’ eine besonders wichtige Stellung ein. Das hat folgende Gründe: 1) Elias hat ebenfalls sowohl mediensoziologische (vgl. Elias 2006), wie auch sportsoziologische Aspekte von Staatsbildungsprozessen untersucht (vgl. Elias et al. 1982). 2) Elias’ Fokus auf Prozesse der Monopolisierung legitimer Gewalt und der Entwicklung von Sport kann vielleicht hilfreich sein, den Zusammenhang zwischen »Nationensport« und Krieg zu verstehen. 3) »Nation« und »Nationalismus« sind nicht nur als »Idee« (Kedourie 1971) oder als »vorgestellte Gemeinschaften« (Anderson 2005) aufzufassen. Sie
Einordnung und Abgrenzung
23
sind »gefühlte« Realitäten, verbunden mit Wir-Gefühlen, die auch von Elias untersucht wurden. Da »Nationensport« und »Mediennationen« relativ jungen Ursprungs sind, zielt diese Untersuchung auch auf die Debatte ab, ob Nationen aufgrund der Globalisierung »Auslaufmodelle« darstellen (vgl. Beck 2004; Hobsbawm 2008). Erzeugt der »Nationensport« und die »Mediennation« bloß ein falsches Bewusstseins, stellt er einen Atavismus dar oder gar das irrationale Verhalten unaufgeklärter Massen dar? Beck meint in der Kritik am »methodologischen Nationalismus«, dass die Soziologie aufgrund ihrer national gebundenen Datenlage dazu neige, Gesellschaft und Nationalstaat gleichzusetzen und diesen Umstand nicht weiter zu problematisieren. Diese Kritik wurde allerdings schon von anderen Autoren, teilweise tiefergehender, formuliert (vgl. Skocpol 1979: 3 ff.; Tenbruck 1981; Giddens 1984: 215 ff.; Mann 1994; Urry 2000: 5 ff.; Wilke 2001: 107; Luhmann 2005: 63 f.; Meyer 2005). Der größte gemeinsame Nenner dieser Autoren ist, dass die Soziologie »Gesellschaften« als ontologisch voneinander isolierte Einheiten auffasst und in keinen höheren, systematischen Handlungszusammenhang bringt. Nicht alle teilen Becks Auffassung eines »methodologischen Kosmopolitismus« als Gegenkonzept zum »methodologischen Nationalismus«. Der kosmopolitische Standpunkt geht davon aus, dass Nationalstaaten im Zuge der Globalisierung bedeutungslos geworden wären. Sie können nämlich Kernaufgaben wie Sicherung der politischen Grenzen und der Wohlfahrt ihrer Bürger nicht mehr gewährleisten (vgl. Ohmae 1996; Albrow 2007). Fakt ist jedoch, dass die Anzahl von Nationalstaaten stetig zunimmt. Selbst die EU, als die staatsähnlichste transnationale politische Organisation, verlagert bloß einige Kompetenzen auf eine multilaterale Ebene. Am Prinzip des Nationalstaates wird nicht gerüttelt. Den derzeit (2012) 193 souveränen Nationalstaaten steht eine noch sehr große Anzahl an potentiellen weiteren Nationalstaaten gegenüber. In einer langfristigen historischen Perspektive ist noch kein Abflauen des Trends zur Gründung weiterer Nationalstaaten zu erkennen. Die These der Nation als Auslaufmodell folgt einer älteren marxistischen Auffassung. Kautsky (1914) meinte aufbauend auf Hobson (1902) in der Theorie des »Ultraimperialismus«, dass zukünftig »Staatskartelle« anstelle imperialistischer Konkurrenz treten werden. Die im Zuge der Dekolonisierung Afrikas und Asiens entstandene »Dependenztheorie« (vgl. Amin 1975) und die »Weltsystemtheorie« (vgl. Wallerstein 1974), schließen an ältere marxistische Theorien des Imperialismus an (Luxemburg 1923 [1913]; Lenin 1973 [1917]). Danach würden zwar Klassengegensätze innerhalb von Industriestaaten überwunden, jedoch auf eine Weltebene verlagert werden. Aus dem »Zentrum« (Nordamerika
24
Einleitung
und Westeuropa) werden Kapital und Güter in abhängige Gebiete, die »Peripherie«, gesteuert. Von dort fließen Rohstoffe und Arbeitskräfte zurück ins Zentrum. Zwischen Zentrum und Peripherie gruppiert sich nach Wallerstein eine »Mittelschicht« an Staaten und Regionen, die »Semiperipherie«. Die Perspektive Wallersteins ist auch auf Aspekte des modernen Spitzensports anwendbar. Im »Zentrum« (Europa, Nordamerika) befindet sich der Sitz der meisten großen internationalen Sportverbände, hier finden sich die finanzkräftigsten Sportvereine und die Hauptquartiere der großen Sportartikelerzeuger, Sportsponsoren und der internationalen Sportverbände. Europas und Nordamerikas Medienanstalten zahlen die höchsten Summen für Übertragungsrechte von Sportgroßereignissen. Afrika und Südamerika liefern vor allem den Rohstoff Mensch in Form von Sportlern und sportbegeisterten Zuschauermassen. China, Indien und Südostasien bilden in diesem Komplex eine Art im Aufstieg befindliche »Semiperipherie«. Die Eigenlogik von Prozessen nationaler Formierung folgt jedoch nicht unbedingt dem Muster wirtschaftlicher Interdependenzen. Die Schwächung des Wohlfahrtsstaates durch die Globalisierung kann etwa zu einer Stärkung des Ideals der Nation führen. Die Globalisierung kann allerdings auch auf anderen Wegen ein Wegbereiter der Belebung neuer nationaler Wir-Gefühle werden. Hierbei spielt der Sport eine zentrale Rolle. Neue Kommunikationstechnologien und Kommerzialisierung des Sports bringen das Thema der nationalen Zugehörigkeit Jugendlichen und anderen Bevölkerungsschichten nahe, die der alte »romantische Nationalismus« nicht anzusprechen vermag. Außerdem greift eine ausschließlich ökonomistische Sichtweise auf den »Nationensport« zu kurz, weil sie die Eigenlogik und die Dynamik emotionaler Verstrickungen durch den Spitzensport und sein Publikum unterschätzt.
Plan und Aufbau der Arbeit Das Buch teilt sich in vier Abschnitte. In einem ersten Abschnitt werden Methodologie, Konzepte und Theorien besprochen. Kapitel 2 diskutiert gängige Theorien der Nationalismusforschung in Hinsicht auf ihre Brauchbarkeit für diese Studie. Hier werden auch die Konzepte »Identität« und »Habitus« als zentrale Elemente der vorliegenden Perspektive auf den »Nationensport« besprochen. Abschnitt 2 untersucht Struktur und Wandel des »Nationensports« in einer langfristigen Perspektive. Kapitel 3 widmet sich den Früh- und Alternativformen des Sports, wie zum Beispiel traditionellen Sportarten. Dort wird erörtert, weshalb diese nicht als Grundlage für Nationenwettkämpfe dienen können. Kapitel 4 beschäftigt sich mit den Anfängen des »Nationensports«. Kapitel 5
Plan und Aufbau der Arbeit
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erörtert die Weiterentwicklung des »Nationensports« zu einer allgemein akzeptierten Form von Weltkultur. In Kapitel 6 wird anhand der Olympischen Spiele die Struktur und der Wandel von internationalem Prestige exemplifiziert. Abschnitt 3 untersucht den Wandel des medienbasierten Sportnationalismus. In Kapitel 7 wird das Konzept von »Mediennation« genauer besprochen. In Kapitel 8 wird auf der Grundlage einer Analyse von Zeitungsberichten aus verschiedenen Jahrzehnten der Entstehung von »nationalen Stimmungen« nachgegangen. Kapitel 9 und Kapitel 10 analysieren Internetforen und deren Bezugnahme zu »Nation« und »Nationalismus« innerhalb und außerhalb des Sportbereichs. Diese Untersuchungen fokussieren auf nationalen Diskursen von »unten« und beleuchten die Bedeutung des Sports und sportbasierter Themen für die Bildung des Gefühls nationaler Zugehörigkeit. Abschnitt 4 widmet sich einer makrosoziologischen Perspektive. In Kapitel 11 werden »agonale Weltsportgemeinschaften« untersucht, die eine spezifische Form von internationaler Beziehung konstituieren. Hier wird untersucht, ob durch den Sport eine Form von internationaler Gemeinschaft entsteht und ob dieser zivilisierend auf das Bild der »Nation« und den »Nationalismus« wirkt. Kapitel 12 bespricht die langfristige Entwicklung von Kriegen in Zusammenhang mit nationalen Wir-Bildern und Wir-Idealen. Hier wird auch erläutert, in welchem Zusammenhang die Ausbreitung des »Nationensports« mit der Genese des internationalen Staatensystems steht. Kapitel 13 zieht ein Fazit und versucht, die erarbeitete Perspektive auf andere kulturelle Bereiche auszuweiten. Hier wird der Begriff des »leeren Nationalismus« eingeführt.
Kapitel 2 – Forschungsansätze und Konzepte
Das Konzept von »nationaler Identität« im Sport Internationale Sportwettkämpfe sind mit vielschichtigen Aspekten »nationaler Identitäten« verbunden. Bairner (2001: xi) nennt das Beispiel des konservativen englischen Politikers Norman Tebbit. Dieser wollte in einem »Kricket-Test« feststellen lassen, wem die Loyalität von Einwanderern nach Großbritannien zufiele, der englischen oder der pakistanischen Kricket-Nationalmannschaft? Der »Kricket-Test« macht allerdings bloß Sinn vor dem Hintergrund, dass gerade dieser Sport als etwas typisch Englisches aufgefasst wird. Maguire (1994: 409 – 415) meint, dass in England Kricket Teil einer Identitätspolitik ist, in der dieser Sport im Kontext der Globalisierung eine intendierte Nostalgie erzeugen soll. Anderswo gelten andere Sportarten als Typisierungen der »Nation«. Kotnik (2007) verweist auf das Beispiel des Alpinen Schilaufs in Slowenien als Abgrenzungssymbol im ehemaligen Jugoslawien gegenüber den nicht-schifahrenden Kroaten und Serben. Weiss (1997) erkennt im Schisport ein Zeichen nationaler Identität der Österreicher. Solche Untersuchungen über »nationale Identität« als Abgrenzungsmechanismen gegenüber anderen können programmatisch auf ältere Studien von Erikson, Mead, Barth oder Epstein und Theorien über die »soziale Identität« (z. B. Cohen 1985; Turner et al. 1987; Laclau 1994; Jenkins 1996; Bar-Tal 2000) zurückgeführt werden.2 Erikson (1950; 1970) geht von der Notwendigkeit der Bewältigung von Lebensstadien und deren Anforderungen aus, damit der Einzelne »Identitätsprobleme« umgehen kann. Mead betont dagegen die sozialen Komponenten und Ursprünge von »Identität« (Mead und Morris 1934: 409 – 415). Dabei bildet sich das »ICH« (me) als soziale Komponente des »Selbst« durch den Austausch mit anderen und deren Reaktionen auf das eigene Handeln in einem selbstreflexiven Vorgang. Darauf aufbauend betont Barth (1969), der 2 Eine Zusammenfassung der Entwicklung der Konzepte von »Identität« und »sozialer Identität« finden sich in Haller (1996: 38 – 42).
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Forschungsansätze und Konzepte
Prozesse der Ethnogenese unter Paschtunen-Stämmen in Afghanistan untersuchte, dass soziale und ethnische Identität das Produkt von Begegnung (encounter) mit Fremden darstellt. Der Kontakt zwischen Gruppen löst einen gegenseitigen Prozess der Zuschreibung gruppenbezogener Eigenschaften aus. Dieser Gedanke wird von Epstein (1978) übernommen, der meint, dass die »ethnische Identität« eine Form der Erweiterung des Selbst darstelle. Epstein und andere (Geertz 1963; Glazer und Moynihan 1963) gehen davon aus, dass eine »ethnische Identität« im Kontext von Ein- und Zuwanderung gestärkt wird. Dasselbe Argument wird bei Studien über die Bildung »nationaler Identität« durch den Sport vorgebracht (vgl. Bairner 2001). Eine solche »nationale Identität« wäre einerseits das Produkt des vermehrten Kontakts mit Fremden im Zuge der Globalisierung. Andererseits wäre nationale Identifizierung ein Prozess der kognitiven Anpassung an eine komplexe und unsichere Situation. Zusammenfassend wird hier »nationale Identität« wie folgt definiert: Sie »ist eine bewusste, intellektuell-geistig, wertend und emotional-affektiv begründete Bejahung der Zugehörigkeit zu einem politischen Gemeinwesen [der »Nation«]« (Haller 1996: 42). Hall (1991: 44) geht von einer Erosion der Entwürfe »großer sozialer Identitäten«, wie die der »nationalen Identität« aus. Diese wären heute nicht mehr in der Lage, eine über große Territorien, soziale Schichten, Geschlechtsgrenzen und ethnische Gruppen homogene Kultur zu etablieren. Durch die Globalisierung, den fast grenzenlosen Fluss von Gütern, Ideen, Geschmack, Kapital und Personen, komme es nach Hall zu einer »Fragmentierung« sozialer Identitäten. Bhabha (1990) meint deshalb, dass die homogenisierenden »Erzählungen« in den Nationalstaaten Westeuropas zunehmend individuellen »performativen« Narrativen weichen, die im täglichen Kontakt mit den »anderen« entstünden. Es käme zu einer Aufsplitterung, Verdoppelung und »Hybridisierung« von individuellen und sozialen Identitäten (vgl. auch: Hall 1996; Wodak et al. 1999). Für Hall ist »Identität« kein statisches Konzept, sondern sie ist immer im Zustand der Formierung (Hall 1991: 47 – 48). Dabei spielt das Konstrukt des »Anderen« eine wichtige Rolle, das im Prozess der Identifizierung als das komplett Gegenteilige bewertet würde, zu dem ein Individuum sich gleichsetzt. Halls Konzept von »sozialer Identität« lässt allerdings offen, worin denn nun die inhaltliche Festlegung des »Anderen« bestünde. Die Abgrenzung gegenüber »dem Anderen« erfolgt nämlich auf Grundlage unterschiedlicher Kriterien. Hall baut sein Argument meist im Kontext der Einwanderung aus Ländern der Dritten Welt nach Europa auf. Dabei fokussiert er auf »rassische« oder ethnische Differenzierung. Prozesse der sozialen Identifikation über den Sport können nach diesem Verständnis bloß vor dem Hintergrund von spezifisch ethnisch zugeordneten Sportarten verstanden werden. Im Spitzensport finden allerdings auch ständig Prozesse der Identifizierung aufgrund von Leistung statt. Hier
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kommt nicht der Kode von (kulturell) »anders« und »gleich« zum Tragen, sondern der von »besser« und »schlechter«, bzw. »überlegener« und »unterlegener Leistung« (vgl. Bette 1999: 90). Jemand ist ein »besserer« oder »schlechterer« Athlet oder Athletin. In modernen marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaften beruht ganz generell ein Teil der individuellen Selbsteinschätzung und »Identität« auf Leistungsbeurteilungen. Die Form der Identifizierung auf Grundlage des binären Kodes »besser« und »schlechter« setzt allerdings ein sozial geteiltes und akzeptiertes Schema der Bewertung von Leistung und der Zuschreibung von Status voraus. Guttmann (1994: 3) sieht in der Quantifizierung körperlicher Leistung und der Obsession von Rekorden zwei wichtige Kriterien zur Charakterisierung des modernen Spitzensports. Mag die individuelle Identität von Athleten oder sportinteressierten Zusehern »fragmentiert« oder »hybrid« sein. Die Selbsteinschätzung »besser« oder »schlechter« als andere Athleten zu sein oder sich als Anhänger einer »besseren« oder »schlechteren« Mannschaft zu bekennen, ist stets mit der Akzeptanz eines intersubjektiv geteilten Leistungsschemas verbunden. Teil dieses Schemas umfasst zwar auch subjektive Bewertungskriterien, wie etwa die »Eleganz« eines Spielstils. Schlussendlich geht es im Sport allerdings um Sieg oder Niederlage, besser oder schlechter. Das bedeutet nicht, dass die Identifizierung des Publikums von Sieg oder Niederlage ihres Athleten oder ihrer Mannschaft abhängt. Eine gewisse Bindung der Treue oder »Loyalität« zu Sportlern oder Mannschaften bleibt auch nach einer Serie von Niederlagen in der Regel bestehen. Diese wird eben als »bitter« oder »enttäuschend« empfunden. Allerdings sucht sich ein Publikum – in einer langfristigen Perspektive – auch jene Sportarten aus, erwählt diese zu seinen Lieblingssportarten, bei denen die favorisierten Mannschaften oder Athleten in der Regel gut oder »ehrenwert« abschneiden. Das gilt auch für den »Nationensport«. So verstehen sich die Österreicher aufgrund jahrzehntelanger internationaler Erfolge im Schiweltcup, Schiweltmeisterschaften und den Olympischen Winterspielen als »Schi-Nation«. Der professionelle Schisport wird zwar nur in wenigen Ländern mit großem Interesse verfolgt. Dennoch begründen sich Nationalstolz und positive Identifizierung mit einem Sport auf der prinzipiellen intersubjektiven und in diesem Fall auch inter-nationalen Bewertung von Leistung. Um so »bitterer« werden daher auch jene Saisonen mit zweit- oder drittrangigen ÖSV-Teams empfunden. Bei anderen Sportarten, mit Ausnahme von Fußball, ist die Intensität der öffentlichen Aufmerksamkeit viel wandelbarer und abhängig von der momentanen Leistung der dort auftretenden Akteure.
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Forschungsansätze und Konzepte
»Weltkultur« und zwei Aspekte »nationaler« Identität Wenn hier von »Weltkultur« die Rede ist, soll keinesfalls ein Tatbestand, der zu einer weltweiten Homogenisierung aller Lebensbereiche führt, beschrieben werden. Die Welt ist dafür einfach zu groß und komplex. Aufgrund des immer intensiver werdenden Austausches an Gütern, Ideen, Bildern, Kapital und Menschen werden jedoch die Grenzen der geografisch festgelegten »Kulturen« immer unklarer und die Übergänge von einer »Kultur« zu einer anderen fließend. Hierin muss Halls Befund zugestimmt werden. Staaten besitzen auch immer weniger die Kapazität, relativ eigenständige »nationale Kulturen« aufrecht zu halten. Das staatliche Schulsystem ist etwa heute mit einer ganzen Reihe an alternativen Wissens- und Kompetenzanbietern konfrontiert, wie etwa Fernsehen und Internet. Das Fernsehen wiederum ist in grenzüberschreitenden privaten Netzwerken organisiert. Der staatliche Rundfunk besitzt längst keine Monopolstellung mehr. Einwanderung und offene Finanz- und Warenmärkte zwingen die Staaten zur kulturellen Öffnung nach außen. Hall (1991: 32 f.) meint, dass globale Unternehmen und transnationale Konzerne bei der Verbreitung ihrer Form von Weltkultur stets mit lokalen Positionen in »Verhandlung« treten müssen. Kulturelle Identität ist somit immer mit Macht und Machtkämpfen verbunden. Für viele Sportwettkämpfe gilt diese Sichtweise jedoch nur mit Einschränkungen. Die Bewertung von Leistungskriterien, von Sieg und Niederlage, sind nicht verhandelbar. Sie stellen Fakten dar, die auf akzeptierten Regelübereinkünften beruhen. Darüber hinaus scheint zwischen den Zusehern einzelner Staaten relativ wenig Unterschied in der Auffassung und Interpretation des Geschehens im Fernsehsport zu bestehen. Der moderne Spitzensport und seine Medialisierung baut auf einer ganzen Reihe von Konventionen auf, die weltweit verstanden und meist auch befolgt werden. Dazu zählen auch Konventionen des Zuschauerverhaltens und des Sportjournalismus. Der Sportjournalismus stellt ein eigenes »Genre« der Nachrichtenberichterstattung dar, das in weiten Teilen der Welt ähnlich zu funktionieren scheint. Damit tritt ein weiterer Aspekt von »Weltkultur« auf, nämlich der der Organisation von Kulturproduktion. Hier soll auf den organisationssoziologischen Ansatz des »institutionellen Isomorphismus« von Meyer und anderen (vgl. DiMaggio und Powell 1983; Krücken 2005; Meyer und Jepperson 2005) verwiesen werden. Demnach tendieren viele Organisationen weltweit (Meyer untersucht vor allem staatlichen Bürokratien und Großkonzerne) zu einer Angleichung ihres Aufbaus und der Vorgehensweise bei der Rekrutierung von Mitarbeitern. Auch die Ausbildungswege werden weltweit ähnlicher. Meyer führt diesen Vorgang nicht nur auf die Notwendigkeit der Steigerung von Effi-
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zienz zurück, sondern auch auf Imitation und Anpassung an »erfolgreiche« (oder als solche wahrgenommene) Modelle. Derartige Prozesse von Imitation und Anpassung finden sich im Bereich des Sports einerseits im Sportjournalismus. Hier ist sie in der Art und Weise des Stils und der Aufmachung der Berichterstattung zu erkennen. Sie finden sich andererseits aber auch in der Organisation des Spitzensports. Man beobachtet dort Anpassung und Imitation bei der Optimierung von Trainingsabläufen (die nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten und damit weltweit standardisiert erfolgen), der Rekrutierung von Nachwuchssportlern, bei der Organisation von Wettkämpfen und auch bei der staatlichen Förderung von Sport, die in vielen Staaten vermehrt auf den Gewinn von Medaillen abzielt. Daraus wird geschlossen, dass hier unter dem Begriff der »Weltkultur« (oder sollte man von »Weltkulturen« sprechen?) Normen, Bedeutungen, Vorstellungen und Praktiken verstanden werden, die innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Gruppen an vielen Orten der Welt in ähnlicher Weise in soziales Handeln umgesetzt werden. Aufgrund der genannten Argumente sollen hier idealtypischer Weise zwei Formen von »sozialer« oder »nationaler« Zuschaueridentität in Zusammenhang mit sportlichen Wettkämpfen unterschieden werden. Einerseits besteht im Sport manchmal eine Form von kultureller Abgrenzung gegenüber dem »Anderen«, in der Perspektive von Bairner, Maguier und Hall. Andererseits beruht »Sport« auf den besprochenen Elementen einer »Weltkultur« und eines einheitlichen Wettkampfcharakters. Leistung, Sieg und Niederlage sind entscheidende Kriterien der Differenzierung und des Statuserwerbs. Dieser zweite Aspekt beruht nicht auf einer »prinzipiellen Abgrenzung« oder einer »Abgrenzung aufgrund von kultureller Differenz«, sondern auf »Abgrenzung aufgrund von Leistung«, auf »Leistungsidentität«. In Wirklichkeit gehen beide idealtypischen Formen von sozialer Identität ineinander über. In der Sprache von Anderson (2005 [orig. 1983]) setzt die Identifikation aufgrund von Leistung auf Seiten des Sportpublikums mit einer Nationalmannschaft oder einem »national« zugeordneten Athleten oder Athletin eine bereits vorausgegangene Identifikation mit der Nation als »vorgestellte Gemeinschaft« voraus. Aber auch der Zusammenhang zwischen »Weltkultur« und den Konzepten »Nation« und »Nationalismus« ist problematisch. Ernest Renan (Renan und Girardet 1996 [1882]) erklärte in »Qu’est-ce qu’ une nation?« (Was ist eine Nation?) die »französische Nation« als Resultat eines »täglichen Plebiszits«. Damit entstand das Konzept von »Willensnation« als kosmopolitischer Gegenentwurf zu einer ethnisch bestimmten (deutschen!) Vorstellung von Nation. Meinecke (1962 [1908]: 10) spitzte diese Gegenüberstellung durch die Begriffspaare »Staats-« und »Kulturnationen« weiter zu, worauf später Kohn (1962) einen subjektiv-politischen »westlichen« von einem objektiv-kulturellen »östlichen«
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Forschungsansätze und Konzepte
Begriff der Nation unterschied (andere Autoren folgten diesem Einteilungsschema; vgl. Francis 1965; Lepsius 1989; Greenfeld 1992; Gellner 2006). Die Unterscheidung zwischen »Staats-« und »Kulturnation« ist für die Analyse des »Nationensports« allerdings ungeeignet. Die modernen Sportarten sind das Resultat eines Prozesses der Globalisierung, der etwa um 1900 einsetzte und sich in den letzten Jahrzehnten verstärkte. Wichtiger Bestandteil vieler moderner Sportarten und auch des »Nationensports« ist die Nutzung moderner Kommunikationstechnologien. Deutsch (1953) hat bereits früh darauf hingewiesen, dass »Nationalismus« mit der Verdichtung von sozialer Kommunikation und der Entstehung großer urbaner Zentren zusammenhängt. Deutsch reflektiert noch keinen Prozess der Globalisierung. Dennoch wollen wir aufbauend auf diesen Überlegungen unser Argument weiter entwerfen. Mit dem technischen Fortschritt und der Globalisierung von Kommunikation im Zeitalter elektronischer Massenmedien, ohne die der moderne Sport nicht vorstellbar wäre, verändern sich somit auch Darstellungsweisen und Imaginationen nationaler Gemeinschaften. Althergebrachte nationale Bewegungen treten in den Hintergrund und werden durch die Unterhaltungsindustrie teilweise ersetzt. »Nationalismus« und »nationale Identität« als Aspekte kultureller Abgrenzung werden immer weniger mit einer nationalen »Hochkultur« oder einer partikularen Geschichte in Verbindung gebracht. Entertainment und »Weltkultur« scheinen gegenwärtig auch die Antworten auf Renans Frage, was eine »Nation« ausmache, zu verändern. Der vordergründige Rückzug des Politischen und der »Hochkultur« aus inhaltlichen Bezügen des »Nationalismus« ist bereits Billig (1995) aufgefallen. Seine Studie über den »banalen Nationalismus« verweist auf eine Strategie der Aufrechterhaltung nationaler Loyalität in Friedenszeiten mit Hilfe banalisierter Alltagssymbolik. Solche Symbole finden sich fast unbeachtet in Flaggen vor Schulen, im Fernsehwetterbericht und seinen Landkarten oder in der modernen Sportberichterstattung. In Kriegszeiten ist diese dadurch latent gehaltene Loyalität zur Nation wieder abrufbar. Weite Teile der Bevölkerung wären wieder bereit, ihr Leben für das eigene Land zu opfern. Billigs Sichtweise ermöglicht »Nationalismus« in einem breiteren Zusammenhang zu begreifen. »Nationalismus« kann demnach in Verbindung mit Alltags- und Unterhaltungskultur gebracht werden, zu denen auch der Mediensport zählt. Billig selbst verweist bloß sehr kurz auf die Rolle von Sport (vgl. Billig 1995: 119 – 126). Er meint, dass Zeitungssport weit über den Sportteil hinaus auf eine breitere öffentliche Meinung wirkt. Im Gegensatz zu anderen patriotischen Themen, die meist von konservativen Medien aufgegriffen werden (Billig spricht von den britischen Medien), findet sich sportbezogener Patriotismus in allen möglichen Zeitungen oder Fernsehstationen. Dieser Patriotismus basiere nach Billig allerdings auf vornehmlich männlich geprägten Ste-
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reotypen. Weiters ist bei Billig zu lesen, dass in der Sportberichterstattung vor allem über den eigenen Patriotismus berichtet und der Patriotismus der anderen ausgespart würde. Nur die Sportler aus dem eigenen Land würden zu Helden stilisiert. Im Sport wäre außerdem oft die Sprache des Krieges zu finden, jedoch stimme es nicht, dass der Sport eine Art Ersatz für den Krieg darstelle, wie etwa Eriksen (1993: 111) behauptet. Vielmehr ist festzustellen, dass die banalen Inhalte und die Sprache des Sportes Teil der politischen Kultur werden. Nun können Billigs Bemerkungen bestenfalls den Ausgangspunkt für die Erforschung der Rolle des Sportes auf »Nation« und »Nationalismus« bilden. Die empirischen Grundlagen seiner Studie sind nämlich erratisch. Sie basieren auf der Zeitungslektüre eines einzigen Tages! Viele seiner Schlüsse können hier nicht geteilt werden oder bedürfen wichtiger Zusätze. Es stimmt, dass der Mediensport heute fast omnipräsent ist und auch in den politischen Diskurs Einzug hält. Die männliche Komponente des Mediensports und damit auch die daraus resultierende männlich bestimmte Repräsentation der Nation scheinen ebenfalls vorherrschend zu sein. Der Nationensport per se stellt allerdings kein exklusiv männliches Phänomen dar. Auch Frauensport lässt sich mühelos mit Patriotismus verbinden. Außerdem wird, wie noch gezeigt wird, sehr wohl der Patriotismus der anderen im Sportjournalismus behandelt. Billig irrt, wenn er glaubt, dass Sportler aus anderen Ländern nur Helden für das eigene nationale Publikum sein können. Das Konzept von »Corporate Nationalism« im Sport stellt einen eleganten Zugang zum Verständnis von »nationaler Identität« in Zusammenhang mit der Globalisierung dar (vgl. Silk et al. 2005). Sport ist heute sehr stark durch Marketing und einen Warencharakter gekennzeichnet. Das führt allerdings nicht zu einem Verschwinden nationaler Konnotationen, sondern zu ihrer Vermengung mit Etiketten der modernen Warenwelt, etwa den Symbolen von NIKE oder Adidas in Zusammenhang mit Sportstars (vgl. Tomlinson 2005).
Grundlegende Ansätze der Nationalismusforschung und »Nationensport« Im letzten Abschnitt dieses Kapitels wird das Konzept der »nationalen Identität« nochmals aufgegriffen. Zunächst ist es allerdings notwendig, die wichtigsten Ansätze der Nationalismusforschung in Hinsicht auf ihre Bedeutung für die Analyse von »Nationensport« zu besprechen. Hier werden der »Modernismus« von Ernest Gellner, Benedict Anderson und Eric Hobsbawm, sowie der »Ethnosymbolismus« Anthony Smith’ diskutiert. Diese Autoren besitzen die Gemeinsamkeit, sich weitgehend mit Fragen der Anfänge von »Nation« und »Na-
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Forschungsansätze und Konzepte
tionalismus« auseinanderzusetzen. Damit rücken bei ihnen die Gesellschaften des 19. und anfänglichen 20. Jahrhunderts in den Vordergrund. »Nationensport« erfährt in diesen Untersuchungen daher bloß eine geringe Aufmerksamkeit. Die Wirkung einer modernen »Weltkultur« auf »Nation« und »Nationalismus« wird von den hier vorliegenden Autoren allerdings unterschiedlich bewertet.
Grundzüge modernistischer Ansätze Gellners Arbeiten über »Nation« und »Nationalismus« sind paradigmatisch für den modernistischen Standpunkt (vgl. z. B. Gellner 2006 [1983]). Für ihn ist die Entwicklung von Nationen eng mit der Entstehung industrieller Gesellschaften verbunden. Eine auf Fabriken und starker Arbeitsteilung beruhende Wirtschaft verändert nämlich das Verhältnis zwischen den bis dahin aliteraten Unterschichten und den Eliten, die traditioneller Weise den Zugang zur »Hochkultur« für sich monopolisierten (Gellner versteht unter »Hochkultur« vor allem die Benutzung einer Schriftsprache). Industriegesellschaften sind daher auf die Verbreitung kontextfreier Sprache im Rahmen einer »Exosozialisation« in den Schulen angewiesen. Gellner rückt nicht Politik, sondern »Kultur« in den Mittelpunkt der Analyse über »Nation« und »Nationalismus«. Somit scheint auf den ersten Blick sein Ansatz für eine Untersuchung über den Nationensport von Bedeutung zu sein. Allerdings beschränkt Gellner sein Konzept von »Kultur« fast ausschließlich auf Sprache, deren Homogenisierung und Diffusion nach unten innerhalb eines Staatsgebildes. Anderson (Anderson 2005 [1983]) und Hobsbawm (1983) sehen »Nation« und »Nationalismus« in der Tradition des Marxismus als Produkt der Entwicklung des Kapitalismus. Für Hobsbawm sind Nationen zwar jung, aber erscheinen alt aufgrund »erfundener Traditionen« (invention of tradition) (vgl. Hobsbawm 1983). Hobsbawm vertritt weiters die These, dass der Nationalstaat ein Auslaufmodell darstelle, weil er auf die Herausforderungen der Globalisierung nicht adäquat reagieren könne (vgl. Hobsbawm 2008). Daher rühre auch die gestiegene Aufmerksamkeit der Wissenschaften für dieses Phänomen. Die Eule der Minerva trete ihren Flug nämlich erst in der Dämmerung an (Hobsbawm 1991). Am ausführlichsten legt Hobsbawm seinen Standpunkt in »Nation und Nationalismus« dar (Hobsbawm 1991). Hobsbawm sieht »Nationalismus« ebenfalls als politisches Prinzip, wonach die Grenzen von Staat und Nation übereinstimmen sollten. Er fügt dem noch hinzu, dass dieses Prinzip mit einem Verpflichtungsgefühl gegenüber der »Nation« verbunden wäre, das über allen anderen Verpflichtungen stünde. Daher sei es notwendig, die politischen, ökonomischen, technologischen und administrativen Vorbedingungen von »Nation«
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und »Nationalismus« zu erkunden. Ohne Buchdruck, Massenmedien oder Schulpflicht hätten die modernen Hochsprachen nicht entstehen und dem Nationalismus keinen Nährboden geben können. Ein zentrale These Hobsbawms lautet, dass Nationen als »erfundene« Denkfiguren betrachtet werden sollten. Für ihn stellt der Nationalismus den eigentlichen Vorgang dieser Erfindung dar. Daher existieren Nationalismen immer vor Nationen und sollten auch zuerst untersucht werden. Diese These wurde bereits in einem früheren Aufsatz (vgl. Hobsbawm 1983) genauer dargelegt. Hobsbawm geht davon aus, dass dieser Erfindungsprozess von oben ausgeht und im Laufe der Zeit die gesellschaftliche Hierarchie hinunter sickert. Zunächst erfasst er politische, ökonomische oder kulturelle Eliten, ergreift danach die städtischen Mittelschichten, und erst zum Schluss Arbeiter und marginalisierte Gruppen. Oftmals werden »erfundene Traditionen« vom Staat initiiert, wie z. B. staatliche Feiertage oder Gedenkfeierlichkeiten. Manchmal werden aber solche Traditionen von wichtigen nicht-politischen Institutionen wie z. B. Schulen oder Universitäten ins Leben gerufen. Andersons Konstruktivismus zielt nicht auf das »Fabrizieren« von Traditionen ab, sondern auf ungeplante Entstehungsvorgänge sozialer Wirklichkeiten. Nationen sind für ihn »vorgestellte Gemeinschaften« (imagined communities). Nur die Vorstellungskraft erzeuge ein gemeinsames Band zwischen Individuen, die sich persönlich nicht kennen. Weltreligionen stellen dementsprechend noch viel ältere vorgestellte Gemeinschaften dar. Nationen würden jedoch ganz spezifisch als »begrenzt« und »souverän« vorgestellt. Gerade in dieser Spezifizierung liege ihre politische Bedeutung für den Staat. Im Mittelpunkt von Andersons Analyse steht der »Printkapitalismus«. Dieser setzte in Europa nach der Erfindung des Buchdrucks ein und sorgte dafür, dass sich sowohl die Anzahl wie auch die Inhalte von Büchern und anderen Druckerzeugnissen stark veränderten. Der Buchdruck und die aus ihm resultierende Entstehung des Buchmarktes zog ungeplante Konsequenzen mit sich. Eine dieser Konsequenzen war die Entstehung von standardisierten Nationalsprachen aufgrund der durch den Printkapitalismus notwendig gewordenen Vereinheitlichung der Schriftsprache. Somit wurden Nationalsprachen zu den Trägern eines nationalen Bewusstseins. Anderson meint, dass im 18. und frühen 19. Jahrhundert die kapitalistisch organisierte Vervielfältigung von Schriftprodukten durch die Einführung von Roman und Zeitung einen weiteren Entwicklungsschub erhielt, der für »Nation« und »Nationalismus« von Bedeutung war. Hierbei verweist Anderson auf Walter Benjamins Konzepte von »messianischer« und »homogener und leerer Zeit« (vgl. Benjamin 1969), die allerdings bei Anderson eine eigene Bedeutung erhalten. Anderson erkennt, dass der technische Fortschritt und die Messung der Zeit durch Uhren zu einer Veränderung der Auffassung dieser selbst führte. In
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früheren Epochen glaubte man noch, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in verschlungener Weise miteinander verbunden wären, sodass Ereignisse einer Zeitepoche bereits solche einer anderen vorwegnähmen. Die Naturwissenschaften mit ihrer exakten Messung der Zeit zerstörten diese horizontale chronologische Verbindung. Sie schufen das heute vorherrschende Verständnis von »homogener und leerer Zeit«. So können örtlich getrennte, aber simultan erfolgende Ereignisse miteinander chronologisch in Verbindung gebracht werden (weil ihre Wahrnehmung als »homogen« begriffen wird). Der Roman oder die Zeitung nutzen diese neue Sichtweise von Raum und Zeit. Im Roman werden chronologisch gleichzeitig ablaufende Handlungsmuster zwar hintereinander erzählt, dennoch ist den Lesern das Zeitgleiche von Handlungssträngen bewusst. In der Zeitung erscheinen unverbundene gleichzeitig stattfindende Neuigkeiten, die dennoch eine fiktive Einheit bilden. Zeitungen bringen darüber hinaus viele Menschen dazu, dieselben Neuigkeiten zur selben Zeit wie andere zu lesen. Dadurch entsteht die Gewissheit der Existenz voneinander. Somit konstituiert sich auch eine »vorgestellte Gemeinschaft«.
Bewertung des Ansatzes von Hobsbawm für die Analyse von Nationensport Hobsbawm bespricht auch die Rolle des Sports andeutungsweise. Er stellt Sportinstitutionen wie die englische Football Association (The FA), Tennisclubs oder Schulen als Beispiele von elitären Unternehmungen dar, die »erfundene Traditionen« in die Welt setzten (vgl. Hobsbawm 1983: 295 ff.). Die Theorie der »erfundenen Tradition« soll nun anhand dreier Fragen näher besprochen werden: erstens, ob Sport-Traditionen wirklich »erfunden« im Sinne von »fabriziert« werden; zweitens, was eigentlich diese Traditionen ausmacht; und drittens, ob diesen Traditionen vielleicht nicht eine eigene Dynamik anhaftet, wodurch diese nicht als reines Eliten-Projekt beschrieben werden können. a)
Sporttraditionen: fabriziert oder unkontrolliert entstanden
Hobsbawm konstatiert, dass in der Periode von etwa 1870 bis 1914 neben vielen anderen neuen Traditionen auch sportbezogene ihren Ausgang nahmen. Für Hobsbawm vollzieht sich dieser Wandel zu dieser Zeit nicht zufällig. Er fällt mit einer Phase des Kapitalismus zusammen, in der in den meisten Ländern Europas das Bürgertum den alten Adel in vielen Bereichen des politischen Lebens aus Führungspositionen ablöste. Für Hobsbawm hatten daher auch viele sportliche Traditionen, die damals ihren Ausgangspunkt nahmen, wie die Olympischen Spiele und andere nationale und internationale Bewerbe, einerseits die Funktion der Übernahme des britischen Modells durch kontinental-europäische bürger-
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liche Führungskreise bei gleichzeitiger Abwertung älterer militärischer Adelsmodelle. Andrerseits konnte sich durch diese sportlichen Traditionen das Bürgertum wiederum von den unteren Schichten distanzieren, die teilweise entweder noch nicht Sport praktizierten oder andere Formen körperlicher Ertüchtigung betrieben (vgl. Hobsbawm 1983: 300 f.). Bezeichnend dafür war die Abspaltung des elitären Rugby vom FA-Football. In der Entstehung eines schichtübergreifenden Sports um 1900 lassen sich bereits Elemente der Massenrituale der 1920er und 1930er Jahre erkennen. Vor allem die Praxis des Baus großer Stadien, die mit der Verbreitung des Fußballs einsetzte, wurde von den späteren faschistischen und kommunistischen Regimes wieder aufgegriffen und erhielt eine wichtige Funktion der Manipulation. Somit stellt für Hobsbawm die Zeit von 1870 bis 1914 eine Übergangsperiode dar. Das IOC und andere Sportverbände bemühen sich tatsächlich, Traditionen zu »erfinden«, wie etwa bei der Gestaltung von Eröffnungszeremonien oder Medaillenverleihungen. Das gilt auch für die Inszenierung des Sports in den 1930er Jahren durch den italienischen Faschismus und den deutschen Nationalsozialismus, z. B. für die Einführung des Fackellaufs bei den Olympischen Spielen 1936 und die Mischung aus historischem Rückgriff auf die Antike und Monumentalismus. Aber auch in Demokratien wurde zu dieser Zeit der Monumentalismus im Sport gepflegt, denken wir nur an das Memorial Coliseum in Los Angeles (der Name verweist schon auf die gewalttätige Macht des römischen Imperiums!) oder an das 100.000 Zuschauer fassende Estadio Centenario in Montevideo, in dem die erste Fußballweltmeisterschaft 1930 abgehalten wurde. Hobsbawm arbeitet jedoch die Rolle moderner Massenmedien für diesen Fabrikationsvorgang zu wenig aus. Er verweist bloß darauf, dass Massenmedien auch im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise wichtig werden (wenn z. B. Marken zur Tradition erklärt werden). Dennoch tritt der Aspekt von Traditions-Fabrikation gerade im Sektor der kommerziellen Sportmedien besonders gut zum Vorschein. Hier dient vor allem der Rückgriff auf angeblich große Augenblicke in einer Sportdisziplin oder besonders heldenhafte und waghalsige Aktionen von Sportlern oder Mannschaften als ein Mittel zur journalistischen Vorbereitung eines Sportereignisses, das diesem eine besondere Bedeutung und damit auch Nachrichtenwert verleiht. Dasselbe gilt, wenn aktuelle Sportergebnisse in eine lange Reihe von vorgeblich ähnlichen historischen Sportergebnissen eingereiht werden, wie Medaillenspiegel und Rekordlisten zeigen. Außerdem werden oft Mannschaften als historische Einheiten aufgefasst, indem etwa ihre aktuelle Leistung mit der eines Vereins des gleichen Namens vor z. B. dreißig Jahren verglichen wird, obwohl damals natürlich kein momentan aktiver Sportler oder Trainer in derselben Mannschaft tätig war. Ähnliches gilt auch für das Nummerieren von Turnieren und Wettbewerben, wodurch diese in eine gedachte historische Kontinuität gestellt werden. Somit fabrizieren Fernsehen
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und Zeitungen Traditionen. Damit wollen sie die Bedeutung der Sportereignisse vergrößern. Vor der Übertragung von Wettkämpfen werden manchmal historische Bilder oder Filme früherer Wettkämpfe ausgestrahlt. Das alte Filmmaterial wird dabei meist neu geschnitten und mit moderner Musik oder O-Ton unterlegt. Einige frühere Ereignisse bekommen durch ihre moderne mediale Aufbereitung wahrscheinlich heute mehr Aufmerksamkeit als zum Originalzeitpunkt. Das Internet beschleunigt diesen Zug der Fabrikation von »messianischer Zeit«. So sieht man etwa auf der Homepage des IOC oder auch vieler Sportjournale und Tageszeitungen vor den Olympischen Spielen regelmäßig die Bilder von etwa Jesse Owens Auftritt in Berlin 1936. Damit wird ein Pathos von Demokratie in Verbindung mit den Olympischen Spielen gebracht (was etwa bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking eine besondere Bedeutung bekam, denn der Zuseher setzt den chinesischen mit dem nationalsozialistischen Gastgeber gleich). b)
Spielarten und Aspekte von Sporttraditionen
Hobsbawm sieht den Gebrauch von Sporttraditionen relativ undifferenziert. Er bestünde hauptsächlich in der Funktion der Distinktion nach »unten« und der Übernahme eines bürgerlichen Modells englischen Ursprungs. Für die Sicht auf »Nation« und »Nationalismus« ergeben sich allerdings durch die neuen international verbindlichen und grenzüberschreitenden Sporttraditionen wichtige Konsequenzen. Nationale Bewegungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts strebten danach, Traditionen innerhalb eines Territoriums zu vereinheitlichen. Grenzüberschreitende Sporttraditionen und der aus ihnen resultierende hohe Grad an internationaler Standardisierung erzeugen eine Form von Prestige, bei der es nicht darum geht, etwas besonders einzigartig, sondern besser als andere zu machen. Wir wollen diese Form von Prestige »internationales Siegprestige« nennen. Internationale Sporttraditionen können außerdem Teil des kollektiven Gedächtnisses von Nationen werden. Sie verbinden somit weltweit bekannte Ereignisse mit einem nationalen Mythos: z. B. »historisch« gewertete Siege oder Niederlagen, außergewöhnliche Leistungen oder eine »goldene« Sportvergangenheit. Somit werden nationale Wir-Bilder und Wir-Ideale immer stärker von Ereignissen in Zusammenhang mit einer globalen Kultur durchsetzt und folgen immer weniger dem Weg partikularistischer Narrative. c)
Die mögliche Eigendynamik von Sporttraditionen
Hobsbawm unterstellt »erfundenen Traditionen« einen instrumentellen Charakter.
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»›Invented traditions‹ have significant social and political functions, and would neither come into existence nor establish themselves if they could not acquire them. Yet how far are they manipulable? The intention to use, indeed often to invent, them for manipulation is evident; both appear in politics … the most successful examples of manipulation are those which exploit practices which clearly meet a felt …« (Hobsbawm 1983: 307).
Hobsbawm räumt zwar ein, dass das Manipulationsziel verfehlt werden kann. Dennoch hält er an der Denkfigur fest, Traditionen und Nationalismus wären »oben« produziert worden. Er erkennt nicht, dass »unten« auch eine aktive Produktion von »Nation« und »Nationalismus« stattfindet. Kurz, Hobsbawm fehlt die Vorstellung der Cultural Studies, die von einem produktiven und aktiven Umgang mit Kulturgütern und Ideen ausgeht und das einfache Modell von »Kodierung« und »Dekodierung« zur analytischen Anwendung bringt (vgl. Hall 1999; Winter 2010). Daher fehlt auch die Einsicht, dass Sporttraditionen eine Eigendynamik besitzen können und sich von einer Subkultur zur dominanten Spielart des Nationalismus wandelten.
Bewertung des Ansatzes von Anderson für die Analyse von Nationensport Weil »Nationensport« nur medienvermittelt funktionieren kann, ist Andersons Ansatz hier von großer Bedeutung, auch wenn dieser selbst auf den Sport nicht eingeht. Ähnlich wie die Einführung einer nationalen Schriftsprache verändern nämlich auch moderne elektronische Medien die Sicht auf die Welt eher beiläufig. Durch die Entwicklung von Radio und Fernsehen konnten erstmals große Teile der Bevölkerung Ereignisse von nationaler Bedeutung direkt mitverfolgen. a)
Technischer Wandel und die Vorstellungen von Begrenztheit und Souveränität
Andersons Analyse fokussiert vor allem auf den Roman und die Zeitung. Für den »Nationensport« sind jedoch besonders Radio, Fernsehen und Internet wichtig. Sie beeinflussen auch die Sportberichterstattung in den Tageszeitungen und Magazinen. Anderson legt selbst kein Augenmerk auf die technologische Weiterentwicklung von Massenmedien. Internationale Nachrichtenagenturen und Fernmeldewesen führten schon Mitte des 19. Jahrhunderts zur Globalisierung, Beschleunigung und Standardisierung der Informationsbeschaffung von Zeitungen. Indem damals quer durch den europäischen Kontinent Telegraphenkabel gelegt wurden (das erste Unterwasserkabel durch den Atlantik wurde 1866 verlegt), konnte in kurzer Zeit von weit entfernten Ereignissen schnell berichtet werden. Nachrichtenagenturen versorgten zunächst Börsen und später Zeitun-
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Forschungsansätze und Konzepte
gen in kurzer Zeit mit Information von überall her. Bereits um 1910 wurde in heimischen Zeitungen (in England etwas früher) über Sportergebnisse vom Vortag berichtet. Somit konnte beim Leser Spannung aufgebaut werden. In den 1920er Jahren wurden die ersten über Telegraphie übermittelten Fotos abgedruckt. Es sollte allerdings noch bis in die 1950er und 1960er Jahre dauern, bis Sportfotos aus anderen Kontinenten regelmäßig gesendet wurden. Erst seit den 1970er Jahren erscheinen großformatigere Bilder, die sportliche Bewegung »einfroren«, und seit den frühen 1990er Jahren werden Farbfotos in Tageszeitungen abgedruckt. In den USA wurden bereits in den 1920er Jahren Live-Radio-Sendungen von Sportveranstaltungen ausgestrahlt. In Österreich und Deutschland entstand der Radio-Sportjournalismus erst ein Jahrzehnt später. Mit der Erfindung von Kurzwellensendern wurden ab den 1950er Jahren auch von Sportereignissen auf anderen Kontinenten live berichtet. Das Fernsehen gab jedoch erst dem »Nationensport« seine heutige Form, indem Zuseher auf der ganzen Welt die gleichen Ereignisse simultan verfolgen konnten. Erst dadurch entstand die internationale Bühne für nationale Repräsentation, die sich von der der Zeitungsund Romanliteratur des 19. Jahrhunderts in einem doppelten Sinn unterschied. Einerseits ist Fernsehen durch seine Bildlastigkeit nicht ausschließlich auf trennende Nationalsprachen beschränkt. Fernsehbilder verstehen alle. Andererseits ist Fernsehen auch mit einem Informations-Weltmarkt verbunden. In den Zeitungen des 19. Jahrhunderts wurde vornehmlich von Mitgliedern einer bestimmten Nation für Mitglieder derselben berichtet. Der Charakter dieser Berichterstattung war weitgehend national selbstreferenziell. Noch dazu war der Gegenstand der Berichterstattung meist von lokaler Natur. Die Berichterstattung über Weltpolitik oder über Vorfälle aus dem Ausland hatten nicht selten den Anstrich von Fremdartigkeit und Exotik. Man meinte, etwas über die Angelegenheit einer entfernten, anonymen Sie-Gruppe – einen Teil der Menschheit, mit dem man sich selber nicht identifizierte – zu lesen. Das moderne Sportfernsehen erzeugt hingegen große Nähe zu fernen Orten und fremden Menschen. Sie-Gruppen werden ein Stückchen zu Ihr-Gruppen. Es stimmt, Zeitungen richten sich heute auch noch vorwiegend an ein regionales oder nationales Lesepublikum. Dennoch sehen durch das Fernsehen alle dieselben Bilder zur selben Zeit. Selbst in den Zeitungen aus verschiedenen Ländern herrschen heute daher mehr formale Ähnlichkeiten als Unterschiede vor. Das Fernsehen verändert auch die Vorstellung von Souveränität. Nationale Souveränität wird durch das Sportfernsehen in Form von Symbolen, wie Flaggen, IOC-Kürzeln, Dressen, Bodypainting, sichtbar gemacht. Die Repräsentation von Nationen im Sportfernsehen erzeugt den Eindruck von potentiell gleichberechtigten Einheiten, austauschbar und genormt. Es entsteht weniger das Bild von Einmaligkeit oder Einzigartigkeit, sondern vielmehr das von internationaler
Grundlegende Ansätze der Nationalismusforschung und »Nationensport«
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Gemeinschaft und das von Konformität in Bezug auf eine von allen akzeptierte Weltkultur. b)
Von »vorgestellten« zu »gefühlten« Gemeinschaften
Anderson vertritt ein vorwiegend kognitives Modell der Gemeinschaftsbildung. Für ihn sind, wie bereits erwähnt, Nationen bloß »vorgestellt« und erhalten nur durch diese kognitive Leistung Faktizität. Diese Sichtweise hat insofern eine Berechtigung, da sie sich gegen den Essentialismus der meisten nationalen Bewegungen stellt, die vom »objektiven« Charakter ihrer Nation überzeugt sind. Der Fernsehsport demonstriert jedoch auch, dass die Nation nicht bloß eine vorgestellte, sondern vor allem eine »gefühlte« Gemeinschaft darstellt. Gefühle sind mit Ereignissen verbunden. Der Fernsehsport verbindet ein Millionenpublikum mit bestimmten Ereignissen, die in Echtzeit beobachtet werden können. Im 19. Jahrhundert hingegen konnte das Lesepublikum die relevanten Ereignisse meist gar nicht direkt beobachten. Eine verlorene Schlacht und die damit verbundenen kollektiven Gefühle, wie etwa Schmach, drangen nur indirekt, meist in schriftlicher Form und vor allem verspätet zu den Menschen. Die historischen Romane des 19. Jahrhunderts, wie etwa Walter Scotts »Ivanhoe«, Henrik Sienkiewiczs »Die Kreuzritter« oder Felix Dahns »Ein Kampf um Rom« vermischten noch dazu ganz offen Fantasie und Realität und imaginierten eine ideale schottische, polnische oder deutsche Nation. Gemeinschaften, die durch Lesen von Zeitungen und Romanen entstehen, bestehen aus mehreren Ebenen des Fühlens, die miteinander nicht verbunden sind: das Fühlen vor Ort (beim berichteten Ereignis), das Fühlen des Autors, das Fühlen des Lesers vor und das Fühlen des Lesers nach Vermittlung der Literatur (z. B. in der Schule, in literarischen Zirkeln). Die »gefühlten Gemeinschaften« des Fernsehsports zeichnen sich dagegen durch die Unmittelbarkeit einer geteilten Stimmung und nicht durch verschiedenartige und nichtverzahnte Ebenen des Fühlens aus.
Grundzüge des Ethnosymbolismus Dem Ethnosymbolismus geht es darum, die historischen Wurzeln von »Nation« und »Nationalismus« zu erklären und die Position des Vermittlers zwischen Modernisten und jenen einzunehmen, die davon ausgehen, dass Nationen bereits ewig oder seit vormoderner Zeit bestehen (Primordialismus). Der Begriff des Ethnosymbolismus wurde weitgehend durch Armstrong (1982) und Smith (vgl. 1986; Smith 1998; Smith 2001) geprägt. Smith will zeigen, dass Nationen zwar moderne Gebilde sind, jedoch in den meisten Fällen auf älteren Kulturen
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Forschungsansätze und Konzepte
beruhen, die als »Ethnien« bezeichnet werden. »Ethnien« hätten folgende Eigenschaften: a) akzeptierte Bezeichnung (Name) der Ethnie; b) geteilter Abstammungsmythos; c) geteilte Erinnerung; d) das Bewusstsein einer kulturellen Distinktion; e) die Verbindung zu einem Heimatland (Territorium) und f) Solidarität innerhalb gesellschaftlicher Eliten. Im Gegensatz dazu verfügen Nationen bereits über eine akzeptierte Geschichtsschreibung (Nationalgeschichte), ein Territorium und ein gemeinsames Rechts- und Wirtschaftssystem (vgl. Smith 2001: 13). D.h., Nationen sind an Territorien gebunden, wohingegen Ethnien auch bloß eine vage Erinnerung an ein einstiges Heimatland haben können. Nationen zeichnen sich darüber noch durch einen Willen zum eigenen Staat aus (Nationalismus). Im Gegensatz dazu besteht »Ethnizismus« (ethnicism) bloß in der kulturell begründeten Distinktion gegenüber anderen Gruppen (vgl. Smith 1986: 47 ff.). Die historische Stabilität von Ethnien stellt nach Armstrong der »Mythomoteur« oder der »mytho-symbolische Komplex« sicher.3 Das sind jene Narrative und Symbole, also konstitutive nationale Mythen, die für die Beschreibung der Merkmale und der Geschichte einer Ethnie am wichtigsten empfunden werden. Armstrong ergänzt diesen Gedanken, indem er annimmt, dass diverse Symbole in Form von »Grenzwächtern« (border guards) Grenzziehungen zwischen »uns« und »ihnen« vollziehen. Dabei macht Armstrong klar, dass diese Symbole meist vormodernen Ursprungs sind, wie etwa religiöse Zeichen (vgl. Armstrong 1982). Smith unterscheidet zwei Formen von ethnischem Mythomoteur, nämlich den dynastischen und den gemeinschaftlichen (communal) (vgl. Smith 1986: 57 ff.). Der dynastische Mythomoteur stützt sich auf die Genealogie einer herrschenden Familie zur Erzeugung ethnischer Identität und historischer Kontinuität, wohingegen beim gemeinschaftlichen Mythomoteur Narrative, die die gesamte ethnische Gruppe zum Gegenstand haben, im Vordergrund stehen. Dadurch entstand ein genereller Unterschied zwischen den vornehmlich osteuropäischen »aristokratisch-lateralen« und den westeuropäischen »vertikal-demotischen« Ethnien (vgl. Smith 1986: 76).
Bewertung des Ethnosymbolismus für die Analyse von Nationensport Der Ethnosymbolismus fokussiert vor allem auf Mechanismen der durch Interaktion hervorgerufenen Grenzziehung. Im Zentrum steht das Konzept von »Identität durch kulturelle Abgrenzung«. Smith setzt sich jedoch mit der Frage des Zusammenhangs von Nation und globaler Kultur auseinander und kritisiert 3 Der Begriff von »Mythomoteur« wurde zuerst von Ramon d’Abadal i de Vinyals (1958) gebraucht und später von Armstrong (Armstrong 1982: 8 – 9) aufgegriffen.
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hierbei vor allem den neomarxistischen Ansatz von Hobsbawm und den Modernismus, die davon ausgehen, dass »Nation« und »Nationalismus« bloß episodenhafte Phänomene wären (vgl. Smith 1990; 1998: 8 ff.). Smith sieht in der globalen Kultur einerseits bloß eine technische Kultur (Smith 1998: 21), deren Kosmopolitismus nur technische Standards von Kommunikationsnetzwerken widerspiegelt. Andererseits stellt seiner Meinung nach eine solche globale Kultur auch eine Form von (US-amerikanischem) Kulturimperialismus dar, der diese technischen Netzwerke benutzt. Die Zentren dieses Kulturimperialismus können, so argumentiert Smith, den Nationalismus der Peripherie jedoch nicht kontrollieren. Die Weltkultur zeichnet sich für ihn durch drei Merkmale aus. Sie sei: universell, technisch und zeitlos (Smith 1998: 20). Diese Kultur wäre nicht fähig Traditionen aufzubauen, da ihre Inhalte nicht in der Generationenfolge weitergeben werden und damit entstünden auch keine kosmopolitischen Mythen. Sie sei bloß eine »flache« (flat) kosmopolitische Kultur, die einer »tiefen« nationalen Kultur gegenüberstünde, deren Gedächtnis auch nicht durch die moderne Unterhaltungsindustrie und globale Kommunikation ausgelöscht werden könnte (Smith 1998: 24). Aus der Sicht des weltweit verbreiteten »Nationensports« scheint Smith’ Gegenüberstellung von nationaler Kultur und Kosmopolitismus bloß dem Zweck des Aufbau eines Strohmann-Argumentes zu folgen. Seine Argumentationsstrategie unterscheidet sich im Prinzip nicht von der Hobsbawms, der bloß umgekehrt davon ausgeht, dass die Globalisierung zu einem Kosmopolitismus und einer Auflösung der Nationen führt. Außerdem wird hier gezeigt werden, dass der »Nationensport« Traditionen aufbauen kann, die von längerfristiger Dauer sind. Smith bedenkt nicht, dass die Ausbreitung von Sport und globaler Kultur Hand in Hand gehen könnte mit einer spezifischen Proliferation nationaler WirBilder und Wir-Ideale. D.h., dass Mediensport »Nation« und »Nationalismus« nicht zum Verschwinden bringt, sondern mit anderen ästhetischen Formen und Inhalten fortsetzt (oder erst entstehen lässt, wo kein klassischer politischer und kultureller Nationalismus davor Bestand hatte). Smith beachtet auch zu wenig den unterschiedlichen Grad an Verstrickung einzelner Nationalstaaten in das internationale System. Etwa in Irland wurden lange Zeit spezifisch gaelische Sportarten gefördert. Nachdem aber Irland sich seit etwa den 1990er Jahren stärker in die globale Wirtschaft integrierte, vollzieht auch der irische Staat eine Wende in seiner Identitätspolitik im Bereich des Sports. Nun wird der internationale Sport stärker gefördert. Olympische Medaillen werden zu neuen Symbolen der Identität einer globalisierten irischen Gesellschaft, die sich nicht mehr als abgeschlossen, sondern Teil eines größeren Verbandes begreift (vgl. Houlihan 1997: 125 – 135).
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Forschungsansätze und Konzepte
Habitus und Identität Smith, Gellner, Hobsbawm und Anderson fehlen weitgehend eine internationale Perspektive auf die Genese von »Nation« und »Nationalismus«. Diese Autoren erklären die Entstehung von Nationen weitgehend durch ein gesellschafts-internes Modell. Billig wirft dagegen die Frage nach dem »Nationalismus« in bereits etablierten Nationen auf. Diese sind Teil eines internationalen Systems, ihre Grenzen sind meist unumstritten und große internationale Kriege gefährden nicht mehr deren Existenz. Internationale Konkurrenz verschwindet jedoch nicht, wie das Beispiel des »Nationensports« zeigt. Nach der engeren Definition von »Nationalismus« würden jedoch alle Formen internationaler Konkurrenz aus dem Untersuchungsraster fallen. Das mit ihnen verbundene Streben nach Erhöhung von internationalem Prestige stellt allerdings heute eine wichtige Formungskraft »nationaler Identitäten« dar. Sie verkörpern den vorhin besprochenen Aspekt von »Leistungsidentität«, die auf der Akzeptanz einer »Weltkultur«, d. h. vorgegebenen Standards, Normen und Praktiken beruht. Bisher wurde allerdings noch nicht besprochen, wie es zu einer solchen Akzeptanz von »Weltkultur« kommen kann, die mit einer normierten Vorstellung von »nationaler Identität« verbunden ist. Das Konzept von »Habitus« (vgl. Bourdieu 1999; Elias 2003)4 erlaubt den Vorgang der Gewöhnung und Akzeptanz von international verbindlichen Standards zu verstehen, die eine Identifikation mit dem Land aufgrund von Leistungsbewertung ermöglicht. Elias spricht von »Habitus« als einem Zustand nicht weiter hinterfragter und reflektierter Haltung. Das Verhältnis zwischen »Habitus« und »Identität« ist komplex. Kuzmics schreibt: 4 Hier steht vor allem Elias’ Konzept von »Habitus« im Mittelpunkt der Analyse. Stellt man diesem Bourdieus jüngeres Konzept von »Habitus« gegenüber, fallen sowohl Ähnlichkeiten wie auch Unterschiede auf. Im Gegensatz zu Elias besitzt Bourdieu kein an der Psychoanalyse angelehntes Konzept von Habitus. Bei Bourdieu spielen Triebregulation, Affekte und Emotionen keine besondere Rolle. Elias übernimmt jedoch diese Vorstellungen von Freud und baut sie in eine psycho-historische Analyse von Langzeitprozessen ein. Bourdieus Konzept von Habitus ist hingegen von der Kunstgeschichte (Panofsky) und dem Strukturalismus (L¦vi-Strauss) beeinflusst und meint, dass unterschiedliche Erscheinungen aufgrund von Stilähnlichkeiten einen Zusammenhang bilden (wie etwa Musikgeschmack und Bildung). Andrerseits ist Bourdieu von Weber beeinflusst und daher meint sein Konzept von Habitus auch oft »Ethos«, also eine Form von innerlicher oder moralischer Disposition. Zunächst scheint Bourdieu nur diesen Aspekt verwendet zu haben. Später erweiterte er sein Konzept (zum Begriff von »Habitus« bei Bourdieu, siehe auch: Krais und Gebauer 2002). Elias und Bourdieu teilen allerdings noch einen anderen Schlüsselbegriff; zumindest dessen Bedeutung nach. Das Pendant zum Begriff der »Figuration« bildet bei Bourdieu das Konzept des »sozialen Feldes«. Auch Bourdieu vertritt wie Elias die Auffassung, dass ab einer gewissen Stufe der Komplexität des sozialen Lebens die »Spielregeln« eines »Feldes von einzelnen nicht mehr oder nur mehr schwer veränderbar sind (vgl. Bourdieu 1999: 277 ff.). Sie besitzen daher Zwangscharakter.
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»Dabei sind Wir-Gefühl, Habitus und Wir-Ich-Identität durchaus voneinander zu trennen. Sie werden empirisch miteinander auf verschiedenen Stufen des Staatsbildungsprozesses korrelieren: Aber ein in Mentalität und Gestus eindeutig identifizierbarer Franzose muss nicht ein französisches Wir-Gefühl empfinden, und es kann in seiner ›Identität‹ mehr Ich- als Wir-Anteile geben« (Kuzmics 2008: 49).
In diesem Sinn verkörpert der »Habitus« einen weniger reflektierten und offenen Bewusstseinszustand als das Konzept von »Identität«. Elias gebraucht diese Begriffe noch relativ unsystematisch. Den Begriff der »Identität«, meint Kuzmics (2008: 49), »fasst Elias als das Bewusstsein der Selbigkeit eines Menschen, der sich in seinem Entwicklungsprozess als Person seiner Kontinuität sicher sein kann, auf« (vgl. auch: Elias 2003: 250). Nach Elias ist der Begriff eng mit dem des »Individuums« verknüpft. Elias (2003) meint, dass das Bewusstsein über die Einmaligkeit jedes Menschen, dessen Ich-Identität, Resultat eines langfristigen Prozesses der Individualisierung darstelle. In einem frühen Stadium der Menschheitsentwicklung sicherte nach Elias die unmittelbare Kleingruppe das Überleben der Einzelnen. Die Wir-Bezüge der Persönlichkeit überschatteten die Ich-Aspekte. Die Entstehung dörflicher Verbände, großräumiger Reiche und schließlich des Staates durchbrachen die Enge der exklusiv lokalen Bindungen. Der Nationalstaat wurde allmählich eine wichtige »Überlebenseinheit«. Man könnte meinen, Staaten bilden eine Ebene, die das Überleben der Einzelnen sichern, unter der die anderen Ebenen, wie etwa Familien und lokale Netzwerke weiter wichtige Funktionen übernehmen. Diese Entwicklung führte dazu, dass der Ich-Identität zunehmend steigender Wert und den Wir-Bezügen zunehmend fallender Wert zugeschrieben wird (vgl. Elias 2003: 245 ff.). Großräumige WirEinheiten wie Staaten bieten nämlich mehr Platz für das Ausleben und die Kultivierung persönlicher Bedürfnisse. Fremdregulierung wird zunehmend durch Selbstregulierung ersetzt (vgl. Elias 2003: 243 ff.). Elias sieht im Konzept des sozialen Habitus eine Brücke, Ich-Identität, Körper und Gesellschaft nicht als Gegensätze, sondern als unterschiedliche Aspekte derselben Figuration zu verstehen. Die Berücksichtigung psycho-historischer Aspekte in der Soziologie von Elias erlaubt nicht nur das Verhältnis von Ich- und Wir-Identität zu erfassen, sondern auch das zwischen Identität und Habitus. Der Begriff des »sozialen Habitus« sollte aus der Sicht von Elias helfen, dem »Entweder-oder« zwischen Individuum und Gesellschaft zu entkommen (Elias 2003: 243). Sozialer Habitus beschreibt eben dieses Gepräge, das Menschen mit anderen teilen. Elias versteht den Habitus als »Mutterboden« (Elias 2003: 244) für die Individualisierung eines einzelnen. In Zeiten, als die Menschen noch in kleinräumigen Verbänden lebten, war der soziale Habitus einschichtig. Heute hingegen ist der soziale Habitus vielschichtig, weil auch die »Überlebenseinheiten« der meisten Menschen vielfältig und größer sind. Das Wachstum von »Überlebenseinheiten« geht nach Elias mit ihrer stärker werdenden konkur-
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Forschungsansätze und Konzepte
renzhaften Verflechtung großer politischer Einheiten, wie Staaten, einher. Dabei werden schwächere Einheiten in stärkere oder überlebensfähigere integriert. Dieses evolutionäre Schema bildet die Grundlage des Staatsbildungsprozesses in Europa der letzten tausend Jahre. Wichtig ist zu erkennen, dass die Prägung der Affektstruktur von Individuen, deren Unterdrückung aggressiver und gewalttätiger Impulse, deren kulturelles Wissen, deren basale Fähigkeiten und deren grundlegende Antriebe und Ideale an die strukturellen Zwänge der für das Überleben relevanten Gruppe gebunden sind. Der Erwerb der Sprache bildet ein besonders auffälliges Merkmal des sozialen Habitus von Individuen. Der Erwerb einer bestimmten Sprache verbindet die Menschen einer Gruppe und trennt sie gleichzeitig von anderen. Die Sprache einer Gruppe kann von einer einzelnen Person nicht »erfunden« werden. Ein Einzelner kann einer Sprache bloß eine individuelle Note verleihen. Je größer die Sprachgruppe ist, desto geringer wird auch die Chance des Einzelnen, entscheidenden Einfluss auf die Sprachgestaltung auszuüben. Der Nationalstaat bildet in der Sicht von Elias die bisher komplexeste »Überlebenseinheit«, welcher viele kleine Gruppen in sich integriert. Anfänglich benutzte Elias noch den Begriff des »Nationalcharakters«, den er später als vorwissenschaftlich bezeichnet, um anzudeuten, dass der Nation unter den vielen Wir-Bezügen moderner Menschen ein besonders prominenter Platz zukommt (Elias 2003: 244 ff.).5 Später wurde dieser Begriff durch den des »nationalen Habitus« ersetzt. Elias untersuchte anhand der Staatsbildungsprozesse von Frankreich, England und Deutschland die Herausbildung verschiedener Typen von »nationalem Habitus.« Die Studien über die Entstehung der »höfischen Gesellschaft« in Frankreich bilden den Ausgangspunkt dieser Forschung (Elias 1983 [1969]; 1997 [1939]; 1997 [1939]). Elias meint, dass nachdem die Könige in langen »Ausscheidungskämpfen« alle Territorien in ihren Händen vereint hatten und der Adel am Hof von Versailles konzentriert wurde, ein »Prozess der Zivilisierung« einsetzte, der aus Kriegern Höflinge machte. Später wurde der höfische Kanon an verfeinerten Sitten auf die bürgerlichen Schichten und anschließend auf ganz Frankreich ausgeweitet. In England gestaltete sich der Zivilisationsprozess anders (vgl. Elias und Dunning 2003; vgl. Elias 2006b; 2006). Eine absolute Monarchie konnte sich in England nicht bilden. Hochadel, Gentry und städtisches Bürgertum organi5 Der Begriff des »Nationalcharakters« ist zweideutig. Seine Bedeutung kann sowohl eine Individual-, wie eine Kollektiveigenschaft beschreiben. So kann darunter verstanden werden, dass die Eigenschaft des Kollektivs (der Nation) sich in seinen Einzelteilen (den Individuen) wiederfindet (oder wiederfinden sollte). Es kann damit aber auch gemeint sein, dass bloß das Kollektiv, das mehr ist als die Summe seiner Einzelteile, ein bestimmtes von anderen Kollektiven unterscheidbares Merkmal aufweist.
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sierten die Herrschaft nach der »Glorreichen Revolution« (1688/89) auf Basis des Parlamentarismus. Hier entstanden die Ideale von Fairness, gewaltlosem Wettbewerb und der Kodex des Gentleman. Es entstanden ein relativ freies Zeitungswesen und der Sport als Ausdruck dieser Haltung von »Fairness« (Maguire 1994; Dunning 1999; Maguire 1999; Elias und Dunning 2003; 2006a). Das »deutsche« Turnen nahm einen anderen, militärischen Weg. Elias befasste sich zwar nicht mit diesem kriegerischen Verständnis von Leibesübungen. Die »Studien über die Deutschen« helfen jedoch, dieses Phänomen zu verstehen (Elias 1992). Dort wird ein »Dezivilisierungsprozess« beschrieben, dessen Endpunkt Holocaust und Nazi-Herrschaft bilden.6 Im Gegensatz zu Frankreich und England mündete der langfristige Staatsbildungsprozess in Deutschland zunächst nicht in Zentralisierung und Monopolisierung der Macht. Deutschland blieb lange ein politisches Mosaik an unverbundenen Herrschaftsgebieten. Das Bürgertum war weitgehend von den Schalthebeln der Macht ausgeschlossen. In dieser Situation entwickelte es am Ende des 18. Jahrhunderts das Ideal der (»deutschen«) »Kultur«, das dem der höfischen (und »französischen«, also fremdländischen) »Zivilisation« gegenübergestellt wurde.7 Im 19. Jahrhundert wurde die universalistische und humanistische Orientierung immer stärker durch ein völkisches Ideal verdrängt. Das weitgehend von der Macht ausgeschlossene Bürgertum orientierte sich zunehmend an einer kriegerischen Ethik, die Gewalt und Missachtung von Menschenrechten in gewissen Situationen guthieß. Das Ideal der »Satisfaktionsfähigkeit« schlagender Burschenschaften war für Elias ein Ausdruck dieses Prägeapparates. Die Wirren nach dem Ende des Ersten Weltkrieges verstärkten diese kriegerischen und antihumanistischen Impulse in Form von Frontkämpferverbänden und rechtsradikalen Freikorps, die Revanchismus und Antisemitismus miteinander vereinten. In einem längerfristigen Prozess wurden also Demokratiefeindlichkeit, Militarismus und die Verachtung universeller Menschenrechte Bestandteil des Habitus deutscher Ober- und Mittelschichten bis 1945. In Anschluss an Elias wurden noch weitere Studien zum »nationalen Habitus« durchgeführt, z. B. zum englischen (vgl. Kuzmics und Axtmann 2000), österreichischen (vgl. Kuzmics 1995) oder dem amerikanischen Habitus (vgl. Mennell 2007). Das Konzept von »Habitus« macht routinemäßige, internalisierte Aspekte des Körpers und des Denkens empirisch fassbar. Darunter fallen Sprache, Denken, 6 In der zivilisationstheoretischen Forschung kommen mittlerweile Dezivilisationsprozessen eine besondere Aufmerksamkeit zu (vgl. Swaan 1997; Mennell 2001). Van Krieken spricht in einer Besprechung des Buches von Elias’ »Studien über die Deutschen« von »modernem Barbarismus«, der nicht als Gegensatz zum Prozess der Zivilisation verstanden werden sollte, sondern als ein möglicher Bestandteil dieses (vgl. van Krieken 1998). 7 Eine Abhandlung zur Gegenüberstellung von deutscher Kultur und französischer Zivilisation findet sich schon im ersten Teil des »Prozesses der Zivilisation« (vgl. 1995).
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Handeln, ästhetisches Empfinden, Normen von Scham und Peinlichkeit, Geschmack und Lebensstil. Der »soziale Habitus« kennzeichnet die Verinnerlichung oder Naturalisierung sozial-struktureller Eigenschaften in die individuelle Persönlichkeit. Seine Gestaltung ist mit dem »Gruppenschicksal« oder den kollektiven Erfahrungen eines Verbandes verbunden. Dabei bestimmen auch nicht mehr aktive Prägekomponenten den »sozialen Habitus«. Somit sind nicht nur die individuellen Erfahrungen, sondern auch die Erfahrung von Menschen längst vergangener Zeiten für die Prägung des »Habitus« verantwortlich. Bourdieu (1999: 238 f.) nennt diesen Trägheitseffekt »Hysteresis« (griech. hysteros = hinterher), Elias den »Nachhinkeffekt« (vgl. Bourdieu 1993: 116; Elias 2003: 281 f.). Der »soziale Habitus« verliert jedoch allmählich seine Eigenschaft als solcher, sobald ein Reflexionsprozess einsetzt und die Art des Denkens, Fühlens und Handelns, die Individuen einer Gruppe miteinander teilen, als typisch charakterisiert wird. Man kann diesen kognitiv bestimmten Vorgang von Entdecken und Typisieren von Gruppenmerkmalen als »Phase der Bewusstwerdung« bezeichnen. Der »soziale Habitus« verliert in diesem Prozess seine »Unschuld« und wird Teil eines Diskurses oder einer Auseinandersetzung über den Charakter der Gruppe oder seiner einzelnen Mitglieder. Die nationalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts sprachen etwa vom »Erwachen« der Völker. Man bezeichnete damit Nationen, die ein historisches Bewusstsein über die langfristige Kontinuität ihres Bestandes besaßen (oder zu besitzen glaubten). Das Konzept des »sozialen« oder »nationalen Habitus« unterscheidet sich noch an einem weiteren Punkt von der Vorstellung über Volksund Nationalcharakter »historischer Völker«. Das Konzept von »nationalem Habitus« ist nämlich nicht normativ, es ist nicht wertend und verherrlicht nicht gruppenbezogene Eigenschaften, die sich als Teil einer individuellen Persönlichkeit offenbaren. Die Idee von Volkscharakter war in der Regel mit der Vorstellung von »Erhabenheit«, »Würde« und »Überlegenheit« verknüpft. Meist wurden darunter auch Vorstellungen von »Männlichkeit« im Sinne kriegerischer Tugenden verstanden. Die Beschreibung von »nationalem Habitus« ist allerdings an die vorgefundene empirische Realität gebunden. Hier soll kurz ein Modell von Akkulturation skizziert werden. Es besteht aus zwei Gruppen: A und B. Ursprünglich besteht kein Kontakt zwischen ihnen. Die »Kultur« von Gruppe A befindet sich in einem Zustand »unschuldiger« oder »naiver« Existenz, weil sie nicht weiter thematisiert und als Kennzeichnungsmerkmal der Gruppe reflektiert wird. Sie ist ganz und gar »sozialer Habitus«. Im nächsten Schritt wird Kontakt zwischen A und B hergestellt. Dabei kommt es zu einer Übernahme der attraktiven »Kultur« von Gruppe B durch Mitglieder der Gruppe A. Kulturelle Techniken und Praxen von Gruppe A, die vor dem Erstkontakt mit Gruppe B als gegeben hingenommen wurden, werden nun erstmals
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in einer »Phase der Bewusstwerdung« evaluiert und den Techniken und Praxen von Gruppe B gegenübergestellt. Neue Techniken und Praxen, die von Gruppe B stammen, werden zum Gegenstand einer Identitätspolitik. Sie werden von einigen zu Symbolen der Abgrenzung stilisiert. Durch den Außenkontakt kommt es zur Parteiung zwischen Anhängern der neuen Praxen und Techniken, den »Progressiven«, und jenen, die an den alten Gewohnheiten festhalten wollen, den »Konservativen«. Wahrscheinlich sind sich viele »Konservative« im Klaren, dass der alte Zustand nicht mehr herzustellen ist. Das Wissen über eine mögliche Alternative hat die ursprüngliche »Unschuld« geraubt. Es kann nun mehrere Möglichkeiten geben, mit der neuen »Kultur« innerhalb von Gruppe A umzugehen. Einerseits kann der Konflikt zwischen »Progressiven« und »Konservativen« permanent – oder zumindest sehr lange Zeit – anhalten. Die von Gruppe B übernommenen Techniken und Praxen bleiben Symbol der Spaltung von Gruppe A. Andererseits könnte aber auch der Konflikt zwischen beiden Parteien vergessen und die übernommene »Kultur« in die eigene »Kultur« integriert werden. Nach einiger Zeit wird somit wieder die übernommene Kultur Teil des »sozialen Habitus« von Gruppe A. Die Ausbreitung des Sports stellt ein Beispiel für die zweite Möglichkeit dar. Viele Sportarten besitzen heute keine spezifisch »englische« oder »ethnische« Konnotation. Fußball, Radsport oder Tennis werden in vielen Ländern nicht mehr als »fremd« oder aus dem Ausland kommende Praktiken eingestuft. Sie wurden längst Bestandteil der eigenen »Kultur«. Da solche Sportarten nicht mehr Debatten über Zugehörigkeit und Fremdheit auslösen, sind sie wieder Bestandteil einer neuen Form von »Habitus.« Dieser Zyklus von Aneignung und Vergessen stellte jedoch einen mehrere Dekaden umfassenden Vorgang dar. Der »soziale Habitus« muss daher als Prozess begriffen werden, der eine Phase der Gewöhnung oder »Habitualisierung«8 umschreibt. Daher ist hier von »intergenerativer Habitualisierung« die Rede.
8 Der Begriff der »Habitualisierung« findet sich – wenn auch nicht im Verständnis von Elias – bei Berger und Luckmann (1993).
Nationensport und Nation
Kapitel 3 – Traditioneller Sport, Globalisierung und Identität
Problemstellung Am 26. Jänner 1993 berichtet die New York Times über den auf Hawaii aufgewachsenen amerikanischen Sumo¯ringer Chad Rowan, in Japan besser bekannt als Akebono. Dieser bekam nämlich als erster Nichtjapaner den höchsten Rang des Sumo¯ringens, den Titel eines Großmeisters (Yokozuna), verliehen.9 Akebono wurde der erst 65. Großmeister in der seit dem 17. Jahrhundert erfassten Geschichte des Sumo¯ringens!10 Ein Jahr davor war dem aus Amerikanisch Samoa stammenden Salevaa Atisonoe (Konishiki) dieser Titel nicht anerkannt worden, obwohl er die dafür erforderlichen Leistungen erbracht hatte, woraufhin dieser sich über Rassismus beklagte. Tatsächlich lösten die Fälle von Konishiki und Akebono in Japan heftige Diskussionen aus, ob das Land immer noch eine geschlossene Gesellschaft wie zu Zeiten vor den Meiji-Reformen darstelle und ob es tatsächlich gerechtfertigt wäre, Ausländern diesen Titel vorzuenthalten. Die New York Times berichtet, dass in Japan die Meinung vertreten wird, dass Fremde niemals die Aura besonderer Würde (hinkaku) besitzen können, die als Voraussetzung für den Titel des Großmeisters gilt. Andere fürchteten wiederum, dass Sumo¯ nun von Ausländern dominiert werden würde. Ein ehemaliger Vorsitzender des Gremiums zur Vergabe des Großmeistertitels erklärte sogar, dass ein Ausländer weder Yokozuna, noch Meister des japanischen No¯-Theaters werden könne: »Sumo¯ ist zunächst ein Ritual, danach ein Drama und erst drittens ein Sport.« Akebono hatte aber auch seine Fürsprecher. Man sagte ihm nach, er spreche immer ruhig und vor allem auf Japanisch, prahle und lächele niemals im Sumo¯ring. »Aufgrund seiner ernsten Haltung vergesse ich
9 Quelle: »Tokyo Journal; Sumo Bows and Opens Sacred Door to U.S. Star«, New York Times, Online-Ausgabe, Archiv (zuletzt abgerufen am 2. Juni 2012): http://www.nytimes.com/1993/ 01/26/world/tokyo-journal-sumo-bows-and-opens-sacred-door-to-us-star.html 10 Eigentlich werden jedoch die Großmeister des Sumo¯ringens erst seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich erfasst.
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bei ihm ganz, dass er Ausländer ist,« erklärte der Herausgeber eines Sumo¯Magazins der New York Times. Nachdem Akebono der Rang eines Großmeisters verliehen wurde, entwickelte er sich zu einer angesehen Persönlichkeit in Japan. Er durfte sogar bei den Olympischen Spielen in Nagano (1998) die japanische Mannschaft bei ihrem Einmarsch in das Olympiastadion anführen. Auch der Sumo¯sport öffnete sich seit den Diskussionen um Konishiki und Akebono weiter der Welt. Von den fünf seit damals in den Rang eines Großmeisters erhobenen Ringern stammen drei aus dem Ausland, zwei davon aus der Mongolei.11 Laut Internationalem Sumo¯verband (International Sumo¯ Federation, ISF) wurden seit 1992 jährlich Weltmeisterschaften der Amateure abgehalten, die neben Japanern von Athleten aus Deutschland und einigen osteuropäischen Staaten dominiert werden. Seit 2001 finden in diesem traditionellen »Männersport« auch Weltmeisterschaften für Frauen statt. Dennoch steht dem die japanische Profi-Liga im Sumo¯ gegenüber, die an Prestige die internationalen Amateurbewerbe übertrifft.12 Sumo¯ repräsentiert heute noch eine spezifische Form distinktiver japanischer Nationalidentität. Die Diskurse darüber, ob Nichtjapaner die volle Voraussetzung für den Titel eines Großmeisters hätten, legt nahe, dass Sumo¯ mit einer Form von »ethnischer Würde« verbunden ist. Sumo¯ ist aus der Sicht vieler Japaner eine exklusiv japanische Praxis. Anders als Judo findet Sumo¯ heute eine noch geringe globale Verbreitung. Die Entwicklung des modernen Sumo¯ stellt vielmehr eine Reaktion auf die Modernisierung der Meiji-Periode dar. Guttmann (1994: 161 – 163) sieht im Bedeutungszuwachs des Titels eines Großmeisters gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Sehnsucht nach Betonung einer distinktiven japanischen Identität. Der Titel des Yokozuma verkörpert in diesem Sinn eine »erfundene Tradition« (Hobsbawm 1983). Daher könne man heute Sumo¯ als einen hybriden Sport bezeichnen, der sowohl traditionelle, als auch moderne Elemente vereint. Sumo¯ wird in Japan in professionellen Ligen organisiert, im Fernsehen übertragen und mit einer kommerziellen Kultur verbunden. Anderseits ist Sumo¯ noch immer mit ethnisch konnotierten Symbolen versetzt und ist Träger einer kulturell distinktiven japanischen Identität. Guttmann nennt dies »Traditionalisierung« (traditionalization). Dieses Beispiel zeigt, dass es notwendig ist, nicht nur zwischen traditionellen und modernen Sportarten, sondern auch zwischen Profisport und »Nationensport« zu unterscheiden. Sumo¯ ist trotz seiner Professionalisierung und Kommerzialisierung noch kein »Nationensport«. Theorien und Studien über die globale Diffusion von Sport unterscheiden eigentlich nicht zwischen Spitzenoder Leistungssport und »Nationensport«. Beides ist zwar das Produkt einer 11 siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Yokozuna, zuletzt abgerufen am 2. Juni 2012 12 Zum Sumo¯sport und Körperkultur in Japan siehe: Horne (2000)
Problemstellung
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ökonomischen und kulturellen Globalisierung, dennoch wird nicht jeder moderne Leistungssport zum »Nationensport«. Guttmann (1994: 2 – 3) meint, dass sich »moderne Sportarten« von traditionellen Formen des körperlichen Wettbewerbs und des sportähnlichen Spiel aufgrund von sieben verschiedenen Charakteristika unterscheiden: 1) Säkularismus (der moderne Sport ist nicht mehr mit sakralen Riten und Religion verbunden), 2) Gleichheit (der moderne Sport schließt zumindest den Regeln nach niemanden aufgrund von Rasse und ethnischer Zugehörigkeit aus; für alle gelten dieselben Regeln), 3) Bürokratisierung (der moderne Sport wird durch Verbände organisiert), 4) Spezialisierung (der moderne Sport differenziert sich in spezialisierte Sportarten wie Fußball oder Tennis), 5) Rationalisierung (Athleten unterziehen sich einem wissenschaftsbasierten Training; Regeln werden aufgrund rationaler Diskurse modifiziert), 6) Quantifizierung (Messen, Statistik und Zahlen sind zentrale Elemente des modernen Sports), 7) Rekorde (die Einstellung von Rekorden gilt als wichtiges Ideal des modernen Sports). Für Olympische Spiele oder Fußballländerspiel gelten alle sieben Charakteristika. Dennoch besitzen diese sieben Charakteristika auch für nationale Meisterschaften im Fußball und andere Wettbewerbe unterhalb der Ebene von Länderkonkurrenz Gültigkeit. Auch für die meisten anderen Theorien über Diffusion und Globalisierung von Sport bildet der »Nationensport« keine gesonderte Kategorie. Maguire (1994; 1999) unterscheidet zum Beispiel mehrere historische Perioden der weltweiten Ausbreitung des »englischen« Sports, ohne dabei auf den »Nationensport« und seine Konsequenzen einzugehen. Eine ähnliche »nationslose« Perspektive findet sich auch in anderen Studien über die Globalisierung des »Sports« (vgl. Miller et al. 2001; Giulianotti und Robertson 2009). Bourdieu (1997) beschreibt den Charakter des modernen Sports wiederum aus einer kultursoziologischen Sicht. »Sport« ist hier mit dem bürgerlichen Konzept der »Freizeit« verbunden und kann als zweckfrei und entritualisiert charakterisiert werden. Andere begreifen die modernen Sportarten als Resultat eines gesamtgesellschaftlichen Differenzierungsprozesses (vgl. Bette 1999; Cachay und Thiel 2000; Werron 2010). Werron schreibt etwa dem modernen Sport die Fähigkeit zu, globale Strukturen auszubilden, die einen hohen Grad an Stabilität besitzen. »Sport« wird von vielen Autoren aber auch unter der Perspektive von Modernisierung und Industrialisierung verstanden – und dabei wird ebenfalls der Aspekt des internationalen Wettkampfes ausgeblendet, wie das etwa bei Fallstudien über die Entwicklung von Rugby (vgl. Dunning und Sheard 1979) und Laufen (Bale 2004; Müllner 2009: 37 – 40) gezeigt wird. Die oben genannten Charakteristika mögen alle für »Nationensport« auch Gültigkeit besitzen. Sie beschreiben jedoch nicht seine wesentlichsten Züge. Erstens beruht der »Nationensport« nämlich auf einer akzeptierten internatio-
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nalen Wettkampfordnung, die entweder von großen Dachorganisationen festgelegt oder vom Publikum als solche interpretiert wird. Hier treten nicht nur Sportler, sondern in symbolischer Form »Nationen« gegeneinander an. Zweitens erkennt man daraus bereits die Relevanz von Massenmedien, die den Charakter des Nationalen »attribuieren«, dramatisieren und inszenieren. Drittens besteht ein nationales Publikum, das national gebundene Loyalität Athleten und Athletinnen zukommen lässt. Viertens nützen Politik und Staat den »Nationensport« zur Legitimation der eigenen Herrschaft, indem sie das Land – und sich selbst – als ehrenwertes Mitglied in einer internationalen, sporttreibenden Staatengemeinschaft darstellen. In diesem Kapitel werden alternative Formen von Sport besprochen, die kein »Nationensport« sind sowie deren Aspekte von »sozialer Identität«. Danach wird die Bedeutung des Konzepts von »Habitus« in Zusammenhang mit traditionellen Sportarten erläutert.
Alternative Formen zum modernen »Nationensport« »Nationensport« ist fast immer mit Spitzensport verbunden. Erst durch den professionell betriebenen Sport konnte ein derart großes Ausmaß an ökonomischen Ressourcen gebündelt werden, sodass internationale Wettkämpfe und eine regelmäßige massenmediale Berichterstattung möglich wurden. Dennoch ist Spitzensport nicht immer »Nationensport«. In den USA zum Beispiel sind die ökonomisch erfolgreichsten und von den meisten verfolgten Sportbewerbe Vereinsmeisterschaften. Die »Super Bowl« wird in Amerika von einem größeren Fernsehpublikum verfolgt als die Olympischen Spiele oder andere internationale Wettkämpfe. Aber auch die Baseball-, Basketball- und Eishockeyligen Nordamerikas stellen größere Publikumsmagneten dar, als die meisten Spiele der Nationalmannschaften dieser Sportarten. Daneben existieren in den USA noch eine ganze Reihe an populären Inter-College-Wettbewerben. Die USA spielt hinsichtlich des »Nationensports« sicherlich eine Sonderrolle. Aber auch in anderen Ländern stellen nationale Vereinsmeisterschaften oft äußerst beliebte Formen des Publikumssports dar. Der Unterschied zwischen der amerikanischen Basketball Profiliga NBA und der europäischen UEFA Champions League oder der Europa League liegt jedoch darin, dass bei den letzteren Beispielen Mannschaften aus sehr vielen unterschiedlichen Nationalstaaten mitwirken, wobei die amerikanischen Spitzenligen bestenfalls von Mannschaften aus den USA und Kanada bespielt werden. In den europäischen Kontinentalligen entsteht somit leichter der Effekt eines Nationenkampfes, deren Repräsentanten Vereinsmannschaften wie Manchester United, Real Madrid oder Inter Mailand darstellen.
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Einige andere weltweit populäre Sportarten waren lange Zeit durch USamerikanische Dominanz gekennzeichnet, wie etwa der Profi-Golfsport oder Regattasegeln. Der America’s Cup wurde von 1851 bis 1983 nur von amerikanischen Seglern gewonnen. Erst seit kurzer Zeit sorgen erfolgreiche Teams aus der Schweiz, Neuseeland, Australien und Italien für eine Internationalisierung dieses Sports. Der Ryder-Cup im Golfsport wurde ebenso Jahrzehnte lang von amerikanischen Golfern dominiert, die die britische Konkurrenz meist besiegten. Erst als sich europäische Golfer zu einem gesamteuropäischen Team zusammenschlossen, konnten sie seit 1985 die USA mehrmals besiegen. Auch die Grand-Slam-Turniere im Tennis waren von den 1930er bis in die 1980er Jahre von amerikanischen Tennisspielern beherrscht, sieht man von einigen Ausnahmen wie etwa Fred Perry, Rod Laver und Björn Borg ab. Seit den 1980er Jahren wurde das Siegerfeld im Spitzentennis jedoch multinationaler. Damit wurde Tennis in vielen Ländern auch abseits des Davis-Cups zum »Nationensport« und Spieler wie Boris Becker, Thomas Muster oder Roger Federer wurden in ihren Ländern als Helden gefeiert.13 Betrachtet man die Teilnehmerlisten der ersten Olympischen Spiele, so fällt auf, dass nicht alle Athleten nationalen Teams zugeordnet waren. So bestanden etwa auch »gemischte Mannschaften«. Die strenge Einteilung der Athleten nach nationaler Zugehörigkeit scheint erst allmählich entstanden zu sein. Das weist jedoch darauf hin, dass die Olympischen Spiele oder Weltmeisterschaften nicht per se als »Nationensport« betrieben werden müssen, sondern theoretisch auch auf einer anderen Wettkampfordnung aufbauen könnten. Vielmehr wurde die Einteilung der Sportler in Nationen zu einem nicht mehr weiter hinterfragten Prinzip vieler Bewerbe des modernen Spitzensports. In diesem Abschnitt werden in idealtypischer Weise weitere Alternativen zum »Nationensport« besprochen: Diese wären: traditionelle Sportarten, der höfische Sport in Europa, der »Ethnosport« und nationalistische Gegenentwürfe zum »englischen Sport«.
Traditioneller Sport Geertz (2005 [orig. 1972]) argumentiert, dass der Hahnenkampf auf Bali eine Form von »deep play« sei, wo also die Einsätze nicht nur in Geld, sondern auch in Ehre besonders hoch werden können. Bei einer solchen Form von Wettbewerb 13 Die Listen der Sieger der Grand-Slam-Turniere zeigen, dass bis in die 1930er Jahre diese Turniere fast immer von einheimischen Spielern dominiert wurden. Erst allmählich stellte sich der heute bekannte internationale Wettkampfbetrieb ein. Die ATP-Word-Tour besteht erst seit 1990.
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spielen die Teilnehmer »mit dem Feuer«. Der balinesische Hahnenkampf kann zur Aktivierung leidenschaftlicher Rivalität zwischen Familien, Clans oder Dörfern führen. Geertz meint weiters, dass jede Gesellschaft, jede Kultur ihre eigene Faszination mit dem spielerischen Umgang mit Gewalt und Statuskämpfen kennt. Daher bringe »deep play« auch das Charakteristikum einer Gesellschaft zum Vorschein. In vormodernen Gesellschaften mag die Differenzierung zwischen Spiel, Sport, Theater oder sakralem Ritual in der Regel noch nicht allzu groß gewesen sein.14 Die Agone des alten Griechenlands hatten ihren Ursprung an heiligen Plätzen, in der Nähe eines Orakels oder des Tempels eines regionalen Gottes. Gerade dieser sakrale Charakter, der die Jahrhunderte überlebte, dürfte der Grund dafür gewesen sein, weshalb die christlichen Kaiser Konstantinopels die Olympischen Spiele als heidnischen Brauch verbieten ließen (Decker 1996). Griechen und Römer haben allerdings eine Form von Protosport hervorgebracht, der viele Züge des modernen Spitzensports kennt. In Olympia, bei den Gladiatorenkämpfen im Kolosseum oder den Wagenrennen im Circus Maximus oder dem Hippodrom wurden bereits differenzierte »Sportarten« ausgeübt, es gab Wettsysteme, Fans (z. B. Zirkusparteien), riesige Zuschauermassen, eine Form von Profitum, Tendenzen zur Kommerzialisierung und vor allem sehr viel Lokalpatriotismus. Den Siegern von Olympia wurden Oden gedichtet und in ihren Heimatstädten pompöse Denkmäler errichtet. Selbst Aristoteles beschäftigte sich mit der Sammlung (und der Fälschung) historischer Siegerlisten der Olympischen Spiele um damit seinem Herren, dem makedonischen König, möglichst viel Ansehen zukommen zu lassen. Andere traditionelle Gesellschaften und Zivilisationen mögen zwar nicht den Grad an Ausdifferenzierung von Protosport hervorgebracht haben. Die meisten entwickelten jedoch ihre eigenen Spiele und Wettkämpfe. Manche davon verbreiteten sich über große geografische Räume und wurden in vielen Kulturen heimisch, wie zum Beispiel das ursprünglich persische Schach, Frühformen von Fußball, die Falkenjagd oder Polo. Oft jedoch war die Kommunikation zwischen den Kulturräumen noch nicht stark ausgeprägt. »Kulturen« hatten tatsächlich noch definierbare Grenzen, waren auf geografisch abgeschlossene Regionen beschränkt. Eichberg (1998) spricht daher aus einer anthropologischen Perspektive von »Körperkulturen« (Body Cultures), die sich an unterschiedlichen Gebieten der Welt kristallisierten. Eichberg stellt die Praktiken des modernen Spitzensport diesen »Körperkulturen« traditioneller Gesellschaften gegenüber. Für unsere Perspektive ist wichtig, festzuhalten, dass wegen des lange Zeit nur lose Kontakts zwischen Kulturen und Zivilisationen war wahrscheinlich nur 14 Zum Sport in frühen Hochkulturen, siehe: Dzionara (1996), zum Sport amerikanischer Ureinwohner und indianischer Hochkulturen, siehe Linden (1996).
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selten die Idee entstanden, eine bestimmte Frühform von Sport mit einer regionalen Identität in Verbindung zu bringen. Die körperlichen Praktiken des traditionellen Sports wurden ursprünglich als nicht mehr weiter hinterfragte Selbstverständlichkeit ausgeübt, ohne dabei den Gedanken der Abgrenzung gegenüber anderen im Sinn zu haben. Daher ist der traditionelle Sport noch ganz eine Form von »Habitus« und nicht von »Identität«. Der traditionelle Sport wird erst später, im Zeitalter der Globalisierung wieder neu aufgegriffen, es kommt zu einer Wiedererfindung von Traditionen. Der traditionelle Sport wird als »Ethnosport« und bewusstes Symbol kultureller Abgrenzung Teil einer Identitätspolitik.
Höfischer Sport und Elitesport Vor allem in den traditionellen Zivilisationen, wo die soziale Differenzierung zwischen einer Oberschicht und der einfachen Bevölkerung akzentuierter wurde, erfahren auch einige Spiele und Sportarten eine Verfeinerung und Kultivierung. Gellner (2006 [1983]) sieht im feudalen Europa die Entstehung einer »Hochkultur« innerhalb der Priesterschaft und des Adels, die der aliteraten Bevölkerungsmehrheit gegenüber steht. In Klöstern und Fürstenhöfen entwickelten sich zunächst kultivierte Formen von »deep play« oder Protosport und fanden eine überregionale Verbreitung. Gutes Beispiel ist Kaiser Friedrich II., der in Sizilien Zugang zu arabischen Falknern besaß und somit diese Kunst verfeinern konnte. Friedrich schrieb auch ein berühmt gewordenes Falkenbuch »Über die Kunst, mit Vögeln zu jagen« (1241 – 1248). Aber auch die Ritterspiele stellten eine derartige Frühform von überregionaler Sportkultur dar, die in vielen Teilen Europas ausgeübt wurde (vgl. Moraw 1996). Die Stärkung der Fürstenmacht und der einsetzende Absolutismus leiteten die Entwicklung des höfischen Sportes ein. In Frankreich wurde zum Beispiel im 16. Jahrhundert die mittelalterliche Vorform von Tennis, jeu de la paume (heute: Jeu de Paume), das ohne Netz und mit der flachen Hand gespielt wurde, kultiviert. Nun kamen Netz (eigentlich anfänglich eine Schnur) und das Rakett hinzu (vgl. Gillmeister 1996; 1998). Die »Ballhäuser« und Ballhausgassen in manchen Städten des deutschsprachigen Raumes zeugen noch heute von der weiten Verbreitung der Vorform von Tennis vom 16. bis in das 18. Jahrhundert (Gillmeister 1998: 146 ff.). In England wurde dieser in Hallen gespielte Sport als Real (königlich)Tennis bekannt (vgl. McNicoll 2005). England war auch der Ort, wo im 18. und 19. Jahrhundert einige höfische oder aristokratische Sportarten weiterentwickelt wurden (vgl. Elias und Dunning 2008). Tennis wurde in dieser Zeit vom Hallensport in Lawn Tennis verwandelt. Im 19. Jahrhundert wurden erst Klubs gegründet und Meisterschaften (Wim-
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bledon 1877) ausgetragen. In dieser Form erlebte das Tennis als Sportart der gehobenen Klasse eine weltweite Verbreitung. Tennis galt jedoch noch lange als ein »englischer« Sport. Im Jahr 1912 wurde schließlich die International (Lawn) Tennis Federation von 12 Teilnehmerländern gegründet, und Tennis entwickelte sich zu einer der beliebtesten Spitzensportarten. Heute befinden sich in der Weltrangliste der weltbesten weiblichen und männlichen Tennisspieler kaum mehr englische Spieler. Auch im Davis- und Fed-Cup ist Großbritannien ein eher mittelmäßiges Tennisland. Ganz andere Länder sehen sich gegenwärtig als »Tennis-Nationen.« Die Aufhebung der Sperre von Profis bei Grand Slam-Turnieren 1968 leitete die »Open Era« ein, die zu einer endgültigen Globalisierung von Tennis als Spitzensport führte. Sowohl der elitäre Touch, als auch die Erinnerung an seinen geografischen Ursprung verblassen immer mehr. Bloß das Renommee des Turniers von Wimbledon, gewisse dort praktizierte »vornehm« erscheinende Konventionen und vielleicht die vielen englischsprachlichen Fachausdrücke verhindern die Auflösung der letzten ethnischen Konnotationen, die mit diesem Sport in Verbindung gebracht werden können. Im 18. und 19. Jahrhundert entwickelten sich in England auch andere Elitesportarten, wie Golf, Reitsport, Kricket oder Rugby als Freizeitgestaltung englischer Oberschichten (vgl. Dellor und Lamb 2006). Diese Sportarten wurden teilweise von relativ ungeregelten Volkssportarten übernommen und verfeinert. Sie konnten von England aus teilweise schnelle Verbreitung finden – der Kulturaustausch zwischen den Oberschichten einzelner Länder, z. B. auf Basis von Eliteschulen, ist in der Regel nämlich von einem geringen Gefühl der Fremdheit belegt. Somit fand nicht nur eine Verbreitung von Sport in geografischer, sondern auch in sozialer Hinsicht statt. Bis in das 19. Jahrhundert waren Elitesport und höfische Spiele nicht so sehr mit einer geografisch festzulegenden sozialen Identität verbunden, sondern viel eher mit Standesdenken. Von den Ritterspielen bis zum Kricket der englischen Kolonialherren in Indien waren diese Frühformen von Sport einerseits ein Symbol der Abgrenzung gegenüber den unterlegenen Gruppen einer Gesellschaft und andererseits verkörperten sie das moralische Selbstverständnis der Tugend und Vorstellung von Männlichkeit der herrschenden Schichten. Da in Europa der Adel eine Form von kosmopolitischer Kultur pflegte, konnten auch sportliche Wettkämpfe zu Ritualen zwischenherrschaftlicher Machtkämpfe werden. In dieser vornationalen Periode waren Herrscher, Fürsten, Könige und deren Familien Repräsentanten ihrer Machtkonglomerate. Ritter- und Schachturniere verkörpern etwa solche ritualisierten Kämpfe. Es wird aber auch von Tennispartien zwischen Königen und Fürsten der frühen Neuzeit berichtet, denen eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit zugekommen ist. Der englische Elitesport des 18. und 19. Jahrhunderts wurde im Gegensatz zu Jeu de Paume und anderen Spielen vergangener Epochen jedoch für lange Zeit bloß innerhalb der
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englischen Oberschichten gepflegt. Er fand bis in das 19. Jahrhundert kaum Anklang in den Oberschichten Kontinentaleuropas, wo Teile des Bürgertums – und nicht des Adels – begannen, sich auf Grundlage von »Turnen« oder »Gymnastik« als nationale Bewegungen zu organisieren. Der englische Elitesport färbte zunächst vor allem in den Kolonien auf die dort Einheimischen ab, diese begannen Golf oder Kricket zu spielen (vgl. Cashman 1988). In Europa und Nordamerika fanden Tennis, Kricket und Golf erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als »englischer« Sport Verbreitung. Bis weit in das 20. Jahrhundert hatten diese nun global gewordenen Sportarten noch den Touch des Elitären und fungierten als Symbole der Distinktion und Abgrenzung nach unten.
Spielarten von »Ethnosport« Smith (1986) definiert »Ethnie« als Gruppe, die über einen geteilten Abstammungsmythos, eine Vorstellung von Heimatland, eine gewisse Elitesolidarität, sowie gemeinsame Sitten, Gebräuche, Sprache oder Religion verfügt. Nach Smith gab es innerhalb der feudalen Staaten Europas ethnische Identitäten. Vor allem dort, wo der Adel eine gewisse Autonomie gegenüber der Krone bewahren konnte und sich in Parlamenten organisierte, wie etwa in England, Ungarn oder Polen wurde ein ethnisches Bewusstsein gepflegt. In Westeuropa setzte sich nach Smith jedoch der »demotische« Typ von »Ethnie« durch, der wie in England, Frankreich, Holland oder Skandinavien von einem städtischen Bürgertum getragen war und der keine unüberwindliche Gegenkultur zur herrschenden Adelsschicht bildete, sondern mit dieser verschmolz. Es fällt allerdings nicht leicht, »ethnische« Sportarten von »nationalen« zu unterscheiden. Eine solche Distinktion ist an die Definition von »nationaler« und »ethnischer« Gruppe geknüpft. Smith (2001) definiert wiederum eine »Nation« als eine Gruppe, die ein eigenes Territorium besitzt (also nicht nur mit einem solchen lose verbunden ist), eine nationale Geschichtsschreibung aufweist, einen eigenen Wirtschaftsraum darstellt und den Willen zu einem Staat aufweist oder zumindest eine eigenstaatliche Vergangenheit vorzuweisen hat. Schotten, Korsen, Katalanen oder Basken sind in diesem Sinn »Nationen«, Wallonen, Flamen, Bretonen, Sinti bloß ethnische Gruppen. Irland ist wiederum ein Land, das sowohl fast ausschließlich (sieht man von der modernen Arbeitsmigration ab) von einer ethnischen Gruppe bewohnt ist und gleichzeitig eine Nation bildet. Aber vielleicht ist diese Definition auch zu eng. In der Schweiz treten deutsch, französisch- oder italienischsprachige Kantone nicht als eigene »Nationen« in Erscheinung. Sie alle bekennen sich zur Schweiz als »Nation«. In Österreich spricht man von einer »ethnischen Gruppe« nur in Zusammenhang mit Ein-
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wanderern. Zu (autochtonen) »Volksgruppen« werden alteingesessene NichtDeutschsprachige, wie Slowenen in Kärnten, Kroaten, Roma und Ungarn im Burgenland, sowie tschechische und slowakische Minderheiten gezählt. Die Mehrheitsbevölkerung versteht sich heute in der Regel nicht mehr als »ethnisch« deutsch. Vielmehr repräsentiert sie in gewisser Weise eine ethnisch unbestimmte, deutschsprachige Mehrheitsbevölkerung. Sie stellt in diesem Selbstverständnis den tragenden Teil einer »Staatsnation« dar (die sich von Deutschland und damit dem Deutschtum bewusst abgrenzt). Wenn hier nun von »Ethnosport« die Rede ist, soll dieser Begriff nicht an Smith’ strenge Definition von »Ethnie« angelehnt werden. Hier soll der Begriff »Ethnie« offener gebraucht werden, indem er mit »kultureller« Abgrenzung in Verbindung gebracht wird. Daher umfasst »Ethnosport« eine Vielzahl von Sportarten oder Spielen, die im Gegensatz zum traditionellen Sport mit einem ganz eigenen kulturellen Bewusstsein von Zugehörigkeit und damit auch Abgrenzung gegenüber anderen verbunden ist. Beim »Ethnosport« sind sportliche Praktiken und Konventionen Symbole von »kultureller« Zugehörigkeit und Abgrenzung. Solche sportlichen Praktiken und Spiele können auch nicht in »Nationensport« verwandelt werden, ohne dass eine Relativierung oder Entleerung ihrer »kulturellen« oder »ethnischen« Substanz eintritt. In diesem Sinn definiert etwa das Schweizer Schlag- und Fangspiel Hornussen einen »Ethnosport«. Hornussen ist allerdings kein repräsentativer Sport für die gesamte deutschsprachige Schweiz. Dieser Sport wird bloß in Teilen der Schweiz praktiziert (besonders in den Kantonen Bern und Aargau). Die Institutionalisierung von Hornussen durch den Eidgenössischen Hornusser Verband hat dem Sport jedoch in den letzten Jahrzehnten eine überregionale Bedeutung verliehen. Es werden nationale Meisterschaften ausgetragen, doch das Eidgenössische Hornussenfest und die Schwing- und Älplerfeste erzeugen einen fast gesamt(deutsch-)schweizerischen Charakter. »Schwingen« und »Steinstoßen« sind zwei weitere derartige Schweizer Sportarten (vgl. Triet 2002). Eisstockschießen zeigt wiederum, dass die enge Definition von ethnischer Gruppe nicht genügt. Eisstockschießen weist die genannten Kriterien von »Ethnosport« auf. Seine Verbreitung ist jedoch nicht an eine ethnische spezifische Gruppe gebunden. Andererseits besitzt die ländliche Bevölkerung des deutschsprachigen alpinen Raumes, in dem Eisstockschießen vornehmlich praktiziert wird, starke kulturelle Ähnlichkeiten. Das gilt vor allem für ländliche Österreicher und Bayern. In diesem Sinn könnte man Eisstockschießen auch als »Regionalsport« bezeichnen, der jedoch einen eigenen Sinn für kulturelle Zugehörigkeit definiert. Das baskische Rückschlagspiel Pelota, bei dem ein Lederball, bestehend aus einem Holzkern, geschlagen wird, stellt ein weiteres Beispiel eines »Ethnosports« dar. Zwar wird das Spiel auch außerhalb des Baskenlandes praktiziert,
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jedoch in der Regel mit Hilfe eines Holzschlägers. In dieser Variante ist es als Pelota a Pala oder Jai Alai bekannt, wo es sich von Kuba aus, in der Karibik und in Florida ausbreitete. Im Baskenland wird Pelota jedoch bevorzugt mit der bloßen Hand gespielt (Pelota a mano), wodurch es mit einem bestimmten Ethos von Männlichkeit und ethnisch spezifizierter Würde verbunden wird, da es vorgibt, nur Basken könnten die hervorgerufenen Schmerzen des Spiels lustvoll ertragen. In Wirklichkeit finden jedoch trotz des baskischen Ethnoideals auch professionelle Meisterschaftsspiele in ganz Spanien statt. Dieses Beispiel zeigt, dass die Existenz überregionaler oder internationaler Verbände »Ethnosport« in Nationensport transformieren kann. Heute existiert auch ein internationaler Sportverband für Pelota (F¦d¦ration Internationale de Pelote Basque FIPB). Der Unterschied zu Hornussen oder Eisstockschießen besteht im Pelota auch darin, dass sich Basken nicht nur als ethnische Gruppe, sondern auch als »Nation« verstehen und Bestrebungen nach Eigenstaatlichkeit bestehen. Im Gegensatz zum »deutschen Turnen« oder der »Gymnastik« des 19. Jahrhunderts wird Pelota jedoch nicht integrativer symbolischer Bestandteil des organisierten baskischen Nationalismus. »Ethnosportarten« sind auch in Hinsicht auf den Grad ihrer Professionalisierung unterschiedlich. Das bereits erwähnte Sumo¯ wird in Japan, im Gegensatz zu Hornussen oder Eisstockschießen, auf einer stark kommerzialisierten, medial inszenierten und professionalisierten Basis betrieben. Auch das sich aus dem irischen Hurling entwickelnde schottische Shinty ist, wenn auch nicht derartig professionalisiert wie Sumo¯, in einem landesweiten Ligasystem organisiert. Shinty ist allerdings auch ein auf Universitäten betriebener Sport, wirkt jedoch über soziale Schichten hinweg als Symbol schottischer Identität. Das mit dem Eishockey verwandte Bandy wiederum stellt zwar in Schweden eine der beliebtesten Mannschaftssportarten dar. Es ist jedoch nicht als reiner »Ethnosport« zu verstehen, weil es auch in Russland und anderen Ländern gerne gespielt wird. Im Bandy gibt es zum Beispiel reguläre Nationalmannschaften und kontinuierlich stattfindende Weltmeisterschaften. Aus dieser Sicht unterscheidet sich Eishockey vom Bandy bloß am Grad seiner Verbreitung. Meist geht mit der stärker werdenden Verbreitung einer Sportart und deren zunehmender internationaler Organisation auch verstärkte Medienaufmerksamkeit einher. Dies gilt allerdings wiederum nicht für Baseball und American Football, die in den USA höhere Einschaltquoten erzielen lassen als Nationensport. »Ethnosport« kann auch mit Tradition und Herkunft eines Sports verbunden sein. Golf wird in Schottland noch mit dem bestimmten Stolz verbunden, dass St. Andrews als Geburtsstätte dieses Elitesports gilt (vgl. Bairner 2001 ff.). In Wirklichkeit ist das jedoch ein schottischer Mythos und stellt das Beispiel einer »erfunden Tradition« dar, denn Golf wurde anderswo (etwa in Holland) schon früher gespielt (vgl. Kaiser 1996). In einem bestimmten Rahmen gibt es auch für
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Eishockey in Kanada, nordischen Schilauf in Norwegen oder alpinen Schilauf in Österreich einen derartigen Ursprungsstolz. Selbst England sieht sich noch als Mutterland des Fußballs. Der von Tebbit vorgeschlagene »Kricket Tests« ist das Beispiel für eine rückwärts gewandte englische Identität in Verbindung mit einem Sport. Baseball nimmt in den USA eine ganz ähnlich Rolle wie Kricket in England ein. Baseball gilt dort noch stärker als American Football als Sportart, dessen Beherrschung durch Mitglieder aus Einwanderergruppen ein Symbol von Integration darstellt (vgl. Dewald 2004). Kricket spielt in England dagegen bei Einwanderern, die aus Ländern kommen, wo dieser Sport weniger populär ist, eine wesentlich geringere Rolle als Fußball. In diesem Sinn spiegelt die Gegenüberstellung von Kricket und Baseball auch die unterschiedliche Auffassung von Ethnie in England und den USA wider. In den USA gilt Ethnie im weitesten Sinn zumindest für weiße Einwanderer – die polizeitechnisch dort als »Kaukasier« bezeichnet werden – als etwas Erwerbbares, sodass im Laufe von einer Generation die Herkunft eine geringere Rolle spielen kann. In Bezug auf Asiaten, Latinos und Schwarze tritt dagegen in den USA stärker das Element von Rasse in Erscheinung.
»Nationalistische« Sportarten Einen Grenztyp stellt Hurling und Gaelic Sport in Irland dar. Hurling und andere »keltische Sportarten« stellen in Irland Symbole einer eigenständigen irischen Identität dar (vgl. Houlihan 1997: 128 f.; Cronin 1999: 79 ff.; Bairner 2001). Houlihan und Cronin weisen auf die Rolle der Gaelic Athletic Association (GAA) in den ersten Jahrzehnten der irischen Unabhängigkeit hin, die besonders Hurling und »keltischen« Sport förderten. Hurling kann zu dieser Zeit deshalb nicht einfach als »Ethnosport« bezeichnet werden, sondern als eine »nationalistische« Sportart, weil sie mit solchen Organisationen des staatlichen Nationalismus verbunden war. Bairner zeigt, dass heute in Irland eher olympische Sportarten finanziell unterstützt werden. Das beste Beispiel von »nationalistischem« Sport stellt wahrscheinlich das »deutsche« Turnen des 19. und anfänglichen 20. Jahrhunderts dar. Düding (1984) sieht im »Turnen« eine frühe Form des organisierten Nationalismus in Deutschland. Er unterteilt die Geschichte der Turnerbewegung des 19. Jahrhunderts in mehrere Perioden. In der Zeit von ungefähr 1808 bis 1947 war die deutsche Turnerbewegung vor allem für Schüler und Studenten im Rahmen der Burschenschaften attraktiv. Sie organisierte sich während der Napoleonischen Kriege als patriotische Bewegung. Im Vormärz erhielt sie besonders durch Handwerksgesellen Zulauf und ihr studentischer Charakter ging verloren. In der Nachrevolutionären Zeit kam es zu einer zunehmenden Spaltung in ein repu-
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blikanisch-demokratisches und ein liberal-konstitutionelles Lager. Ab 1860 konnte eine nationale Turnerorganisation gegründet werden, es entstanden viele Turnvereine und das Turnen wurde dort neben dem Schulturnen in ganz Deutschland eingeführt. Nach der Gründung des Kaiserreichs (1870/71) verändert sich wiederum der Charakter der Turnerbewegung (vgl. Krüger 1996; Goltermann 1998). Turnen war nun nicht mehr mit einer politischen Opposition verbunden, sondern erhielt eine staatstragende Funktion. Die Turnerbewegung stellte sich in die Dienste des Staates, indem etwa das Schulturnen in Volksschulen mit dem »Ziel der Erhöhung der Wehrtüchtigkeit« verbunden wurde. Turnen war also von Anfang an dem »romantischen Nationalismus« und dem Konzept von »Volk« verpflichtet, dessen ideologischer Anfang bei Herder und anderen Aufklärern lag: Die Natur hat Völker durch Sprache, Sitte, Gebräuche, oft durch Berge, Meere, Ströme und Wüsten getrennt. […] Die Verschiedenheit der Sprachen, Sitten, Neigungen und Lebensweisen sollte ein Riegel gegen die anmaßende Verkettung der Völker, ein Damm gegen fremde Überschwemmung werden. […] Völker sollen nebeneinander, nicht durch- und übereinander drückend wohnen. […] Wer in derselben Sprache erzogen ward, wer sein Herz in sie schütten, seine Seele in ihr ausdrücken lernte, der gehört zum Volk dieser Sprache« (Herder 1883: 235 f.).
»Turnvater« Jahn meinte dazu: »Manch vortreffliche volkstümliche Spiele sind durch Ausländerei in Deutschen Landen aus dem Leben verschwunden. Ihre Namen, aber auch weiter nichts kannte man noch vom Hörensagen. Sie haben sich zugleich mit alten Volksfesten verloren. Die Jugend hat viel wieder gut zu machen, und in Folgezeit durch Turnkunst, fröhliche Reigen und Turnspiel die Volksfeste zeitgemäß zu beleben« (Jahn und Eiselen 1816: 171 f.).
Herder und Jahn sahen Nationen als naturgegebene und ursprüngliche (primordiale) Gebilde. Nationalismus als Doktrin, die politische und nationale Grenzen gleichsetzen möchte und keine höhere Loyalität als die zur Nation kennt, ist dementsprechend nur der Wunsch, den vorgeblichen Naturzustand wiederherzustellen. Herder und Jahn sind noch dazu Vertreter eines biologistischen Naturalismus, bei dem bereits das spätere Konzept von »Rasse« durchschimmert. Kultur ist demnach zwar Ausdruck eines »Volkes«. Sie kann jedoch nicht einfach übernommen werden. Herder stellt eine Weltkultur oder kosmopolitische Kultur als kränkelndes Gebilde der »wahren Poesie des einfachen Volkes« gegenüber. Diese wahre und kraftvolle Kultur, so meint er, findet sich in alten Überlieferungen, Volksliedern und Märchen und bewahrt dort ihre »ursprüngliche« Kraft. Unverkennbar stellt Herder dabei eine natürliche (und daher auch wünschenswerte) Volkskultur der artifiziellen höfischen Zivilisation
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gegenüber. Dieser Gegensatz von »Kultur« und »Zivilisation« wurde von Elias als wichtiges Merkmal des deutschen Staatsbildungsprozesses erkannt (vgl. Elias 1995: 1 ff.). Dementsprechend war für Herder und Jahn der Begriff des »Volkes« ein Gegenbegriff zu dem des Staates. Herder war somit Wegbereiter eines antipolitischen Volks- und Nationsbegriffs, der später als »Ethno-« oder »Kulturnationalismus« gekennzeichnet wurde (vgl. Meinecke 1962). In der Sicht Jahns definiert sich Turnen gerade aufgrund seines anti-französischen Charakters. Turnen wurde als reine Form der Körperstärkung der deutschen Jugend aufgefasst. Durch Turnen konnte auch gelernt werden, am Schlachtfeld gegen den französischen Besatzer erfolgreich zu bestehen. In vielen Ländern wurde später »Sport« noch als Instrument der Stärkung der Wehrhaftigkeit eines Landes gesehen. Vielleicht war diese militärische Auslegung von Sport auch ein wichtiger Grund, wieso dieser in Ländern wie China, Japan oder Russland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schnell Akzeptanz fand. Mosse macht auf die Verbindung zwischen Rassismus und Nationalismus in Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts aufmerksam (vgl. Mosse 1993; vgl. Mosse 2000). Vor allem Winckelmanns Körperästhetik, die sich noch in Leni Riefenstahls Olympia-Film wiederfindet, und das Ideal griechischer Schönheit (Schönheit des Athleten) diente laut Mosse schon früh der Abgrenzung gegenüber dem Fremden. So wurde eine »jüdische« Physiognomie (Nase, Gesichtszüge etc.) als weniger dem griechischen Ideal entsprechend aufgefasst als der »deutsche Körper«. Mosse macht darauf aufmerksam, dass bereits während der Französischen Revolution in Deutschland durch Guts Muths (1793) nationale Turnerfeste veranstaltet wurden, bei denen das Ideal eines deutschen, männlichen Körpers gepflegt wurde (vgl. Mosse 2000: 1387). Nach den Napoleonischen Kriegen wurden diese in Jahns »Deutsche Turnkunst« in einem Amalgam aus militantem Nationalismus und Antisemitismus zur Turnerbewegung weiterentwickelt. Gymnastik oder »Turnen« entwickelte sich somit im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer Form von Körpertechnik, die als traditionell im ethnischen Sinne verstanden wurde. Am Ende des 19. Jahrhundert wurde dementsprechend auch Turnen als Volkskultur dem »volksfremden« Sport gegenüber gestellt (vgl. Krüger 2009). Noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg – zu einer Zeit, in der bereits die ersten Olympischen Sommerspiele stattfanden oder Fußballnationalmannschaften aufeinander trafen – wurde in Deutschland noch eine Debatte geführt, in der der »englische« Sport dem »deutschen« Turnen gegenüber gestellt wurde (vgl. Krüger 2009). Auch in anderen Ländern waren zu dieser Zeit motorische Bewegungsspiele und Körperertüchtigung noch mit ethnisch verstandenen Traditionen verbunden, die es schwer zuließen, diese als »Sport« zu verstehen. Weitere Beispiele dafür waren etwa Gymnastik in Skandinavien, Turnen im Rahmen der tschechischen Sokol-Bewegung oder martial arts (Kampfsport) in
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Asien. Die ersten Kontakte mit dem »Sport« – und damit waren meist die Sportarten Fußball, Leichtathletik und Kricket gemeint – führte in einigen Regionen zu einer bewussten Identitätspolitik. Deren Ziel war die Bildung einer distinktiven nationalen Identität, für die Ethnosport eine wichtige Funktion erfüllte (vgl. Maguire 1994; Houlihan 1997; Maguire 1999; Bairner 2001).
Habitus, Identität und traditioneller Sport Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts wurden traditionelle Sport- und Spielweisen überall auf der Welt mit dem modernen Sport konfrontiert. In manchen Fällen führte das zu einer bewusst geführten Konfrontation zwischen dem importierten »englischen« Sport und der einheimischen Variante von Körperkultur und körperlicher Ertüchtigung. In manchen Fällen kam es aber auch zu einer reibungsloseren Form von Adaption des »Sports« in die einheimische Kultur. Traditionelle Formen von Körperkultur wurden »versportlicht«, indem etwa auch dort Rekorde, Ranglisten, standardisierte Wettkampfordnungen und andere Charakteristika des Sports eingeführt wurden. Dennoch bestanden während des 20. Jahrhunderts noch lange Perioden mit konkurrenzierenden Alternativmodellen zum modernen Spitzen- und Wettkampfwesen. Noch in den 1980er Jahren vermutete Eichberg (1984) den allmählichen Rückzug der Olympischen Spiele und anderer Großturniere durch neue Formen des Sports und der Bewegung. Grund dafür wären der angebliche Vormarsch von Körpertechniken und Spiele aus Asien und Afrika, eine Rückbesinnung auf den traditionellen Sport in Europa oder sozialistische Varianten von Sport. Heute (2012) ist der moderne, westliche Spitzensport in Form von Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften selbstverständlicher Bestandteil aller Gesellschaften. Yoga und andere traditionelle Entspannungsübungen scheinen den herkömmlichen Sport eher zu ergänzen als zu verdrängen. Die Rückbesinnung auf traditionelle Tänze und Spiele in Europa konnte den Spitzensport niemals gefährden. Wenn in diesem Kapitel von »Ethnosport« oder »nationalistischem« Sport die Rede war, so sollte man sich im Klaren sein, dass diese Varianten vor allem während bestimmter historischer Perioden wichtige Bestandteile ethnischer oder nationaler Identitätspolitik darstellten. Heute sind Pelota, Hurling, Eisstockschießen oder Hornussen noch immer Symbole regionaler, ethnischer oder nationaler Identität. Für das »deutsche« Turnen oder die »dänische« Gymnastik gilt diese identitätsstiftende Zuschreibung schon nicht mehr. In Deutschland wurden die ethnischen und national-partikularistischen Konnotationen des Turnens weitgehend vergessen. Die verschiedensten Turnübungen werden als Bestandteile einer differenzierten Sportlandschaft wahrgenommen.
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In längst vergangenen Zeiten, als europäische Schiffe noch nicht weit entfernte Teile der Welt miteinander verbanden, als Waren, Ideen und Menschen noch langsam diese großen geografischen Korridore durchreisten und als noch keine Telegrafie, keine Fotografie und kein Film existierte, bestanden mehr oder weniger unverbunden »Körperkulturen« und traditionelle Sportarten nebeneinander. Auch sie waren meist das Produkt von Diffusion, die jedoch so langsam vonstatten ging, dass Menschen während ihrer Lebenszeit Veränderungen und die Einführung neuer Sportarten und Spiele kaum wahrnahmen. Die traditionelle Weise des Sports war auch eine unhinterfragte Form seiner Ausführung. »Sport« war in diesem Sinn »Habitus«, eine Form des Vergnügens und des Sich-Messens mit anderen, deren Regeln und Abläufe zur Gewohnheit geworden sind. Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts verdichtete und intensivierte sich allerdings der Kontakt der Menschen weltweit. Die Intensivierung des Kontaktes basierte jedoch nicht auf einem äquivalenten Geben und Nehmen der Kulturen und Menschengruppen untereinander. England und später die USA gaben viel mehr, als sie nahmen. Es breitete sich eben zu dieser Zeit der »englische« (und »amerikanische«) Sport aus und keine andere Körperkultur. »Ethnosport« und »nationalistischer« Sport stellen Reaktionsformen auf das Auftreten einer dominanten Kultur dar, die sich anschickte, globale Standards zu verbreiten. Das heißt nicht, dass etwa »Turnen« eine Gegenerfindung zum »Sport« darstellte. In gewisser Weise entwickelte sich das »Turnen« und Deutschland schon früher in standardisierter Form als manche Sportarten in England. Wäre Deutschland die unumstrittene Weltmacht dieser Zeit gewesen, so wäre vielleicht das »Turnen« heute weltweit verbreitet und würde jeder diesen Begriff kennen.15 Tatsache war jedenfalls, dass ab einem gewissen Zeitpunkt »Turnen« und viele andere Formen der Körperbewegung eher in eine defensive Position gegenüber dem »Sport« gerieten. Auch wenn der so entstehende »Ethnosport« oder »nationalistische« Sport auf traditionelle Spiele und Körperübungen zurückgriff, so war dieser nicht mehr nur der Ausdruck eines bestimmten regionalen, ethnischen oder nationalen Habitus. »Ethnosport« oder »nationalistischer« Sport waren bewusste Formen von Identitätspolitik. Sie waren Inszenierungen der »kulturellen« Abgrenzung mit Hilfe von Körpern und Bewegungsformen; sie waren »erfundenen Traditionen«. Die traditionellen Sportarten in vormodernen Zeiten konnten kaum die 15 Tatsächlich war »Turnen« einige Jahrzehnte in den USA aufgrund der Auswanderung von Deutschen fester Bestandteil des Schulunterrichts. Deutsches »Turnen« wurde auch in einigen Ländern Europas betrieben. Damit war »Turnen« auch kurzfristig eine expansive Kulturerscheinung.
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Grundlage interkultureller oder interstaatlicher Beziehungen darstellen. Das Fehlen einer großen geografische Räume übergreifenden Kultur hätte die Institutionalisierung von Wettkämpfen zwischen »Völkern« und »Nationen« absurd erscheinen lassen. Mit Ausnahme der katholischen Kirche bot nur die höfische Kultur in Europa für lange Zeit die einzige kontinental verbindliche Kulturform. Die Verbindung zu anderen Weltregionen bestand sowieso bloß durch äußerst indirekte Formen. Hierin erkennt man erst die großen zivilisatorischen Schritte, die notwendig waren, damit »Nationensport« eine sinnvolle Bedeutung erhält. Hätte der Baron Pierre de Coubertin zwei oder drei Jahrhunderte früher versucht, die Idee der Olympischen Spiele in Form von Länderwettkämpfen zu revitalisieren, so wäre er auf Verständnislosigkeit gestoßen. Die Cotswold Olimpick Games, die Anfang des 17. Jahrhunderts stattfanden und wo Wettkämpfe in Pferderennen, Treibjagden, Fechten, Stockkämpfen, Tanzen, Laufen und Springen ausgetragen wurden, stellten eines von mehreren Sportfestivals der damaligen Zeit dar (vgl. Haddon 2004). Daran nahm allerdings nur die lokale Bevölkerung Teil und die Wettkämpfe waren in keiner Weise »international«. Die Olympiades de la R¦publique von 1796 – 1798 umfassten ein Wettrennen, ein Pferderennen, ein Wagenrennen, einen Ringkampfwettbewerb und eine Form von ritterlichem Zweikampf zu Pferd. Hier traten auch erstmals »moderne« Elemente in Erscheinung, wie die Verwendung des metrischen Maßsystems, das erst 1790 durch die französische Akademie der Wissenschaften eingeführt worden war, als auch ein Umzug der Athleten vor und nach den Wettkämpfen. Anscheinend marschierten die Athleten auch schon nach Provinzen geordnet hinter einem Banner. Auch Athleten aus den kürzlich eroberten Ländern Niederlande und Schweiz nahmen an diesem Sportfest teil. Trotzdem sind die Olympiades de la R¦publique noch weit vom Charakter eines Nationenkampfs entfernt. Nicht vor dem 19. Jahrhundert bestand die internationale Ordnung tatsächlich aus »Nationen«. Damals fand die Idee der Nation in einigen Kreisen des Bürgertums Anhängerschaft. Allerdings blieben große Teile der ärmeren Bevölkerung davon noch ausgeschlossen. Eine internationale Wettkampfordnung im Sport erhält jedoch erst dadurch Bedeutung, dass ein Massenpublikum Athleten als Stellvertreter von Nationen betrachtet. Ein solches kristallisiertes sich allerdings erst im 20. Jahrhundert aus.
Kapitel 4 – Entstehung des »Nationensports«
Problemstellung Im Wien Museum kann man das Gemälde »Das Wunderteam« (1948) des Künstlers Paul Meissner (1907 – 1983) betrachten. Das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Werk – Österreich war von alliierten Truppen besetzt, in eine Ost- und Westzone geteilt, die Städte zerstört, das »Wirtschaftswunder« stand noch bevor, in der Tschechoslowakei fand gerade ein stalinistischer Umsturz statt – zeigt den Einlauf der österreichischen Fußballnationalmannschaft am 7. Dezember 1933 in das Londoner Fußballstadion Stamford Bridge zum Spiel gegen England. Wieso wurde dieses banale Sportereignis fünfzehn Jahre später – Ständestaat, Anschluss, Shoa und Weltkrieg lagen dazwischen – in einem derart repräsentativen Gemälde festgehalten? Noch dazu kam der Auftrag für dieses Werk aus der Politik, nämlich vom Wiener KPÖ-Stadtrat, Schriftsteller, Linkskatholiken und KZ-Häftling Viktor Matejka (1901 – 1993). Die am Gemälde abgebildete österreichische Fußballnationalmannschaft wurde als »Wunderteam« bezeichnet, weil sie von 1931 bis 1933 vierzehn Spiele hintereinander unbesiegt blieb. Einige damals herausragende Nationalmannschaften wie Schottland wurden noch dazu sehr hoch besiegt. Das Bild zeigt im Vordergrund Hugo Meisl (1881 – 1937), den aus einer jüdischen Familie stammenden Trainer der Österreicher. Ebenfalls ist der österreichische Starspieler der 1930er Jahre, Matthias Sindelar (1903 – 1939), zu erkennen. Um Sindelar ranken sich einige Legenden im Zusammenhang mit der damals umstrittenen österreichischen Identität. So wurde Sindelar angeblich nach dem »Anschluss« in das großdeutsche Team berufen. Er lehnte jedoch ab, für Deutschland zu spielen. Sindelar wurde auch nachgesagt, als Kapitän des österreichischen Teams beim sogenannten »Anschlussspiel« (3. 4. 1938) »Ostmark« gegen »Altreich« die Mannschaft nicht in den traditionellen weiß-schwarzen, sondern in rot-weiß-roten Dressen einlaufen zu lassen. Bei diesem Spiel, welches »Ostmark« 2:0 gewann, hätte Sindelar auch demonstrativ als Überlegenheitspose Chancen vor dem gegnerischen Tor vergeben, schließlich hätte er provokativ vor
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der mit Nazigrößen besetzten Ehrentribüne gejubelt. Über Sindelar wird aber auch berichtet, dass er ein »arisiertes« Kaffeehaus übernommen hätte und 1939 unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen wäre.16 Das Spiel gegen England ging zwar verloren. Es galt jedoch als heldenhafte Leistung und blieb in Erinnerung. England, das damals noch prestigereichste Nationalteam, führte bereits 2:0. Österreich konnte zweimal den Anschlusstreffer erzielen, verlor jedoch 4:3. Meisl und Sindelar verkörpern auf diesem nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Bild also Nationalhelden des jungen, wieder auferstandenen Staates Österreich, der sich um eine eigene nationale Identität bemüht. Das Gemälde repräsentiert aber auch das Beispiel von Hobsbawms Konzept einer »erfundenen Tradition« (vgl. Hobsbawm 1983).17 Die Erinnerung an das »Wunderteam« ist heute in Österreich schon teilweise verblasst. Dennoch stellt die Geschichte um das Bild »Das Wunderteam« eine wichtige Etappe sowohl im Prozess der Nationswerdung Österreichs, wie auch des »Nationensports« in Österreich dar. Der kleine Rumpfstaat, das Stückchen Land, das von der zerfallenen Monarchie übrig geblieben war, das zunächst »Deutschösterreich« und später »Republik Österreich« genannt wurde, strebte den Zusammenschluss mit Deutschland an. Die politischen Eliten aller drei großen Lager konnten sich nicht vorstellen, dass ein derart geschrumpftes Gebilde überlebensfähig wäre. Im Vertrag von St. Germain (1919) untersagten die Siegermächte allerdings die Vereinigung mit Deutschland. Die politische Klasse der Ersten Republik konnte sich anschließend eigentlich bis 1934 nicht mit dem Gedanken einer eigenständigen österreichischen Nation abfinden (vgl. Vajda 1980: 575 – 582). Erst der autoritäre Ständestaat (1934 – 1938), dessen staatstragende Partei »Vaterländische Front« nach dem »Februaraufstand« und dem »Juliputsch« 1934 als Sieger und Alleinherrscher hervorging, unternahm Versuche zur Stärkung einer österreichischen Identität. Jedoch die rückwärts gerichtete Ideologie dieses Regimes und der Ausschluss der Sozialdemokraten an der Mitwirkung der Staatsgeschäfte ließen diese Versuche im Sand verlaufen (vgl. Vajda 1980: 583 – 586). Das »Wunderteam« trat kurz vor dem Bürgerkrieg in Erscheinung. Es erzeugte aufgrund seiner Erfolge und Leistungen einen für die damaligen Zeitgenossen unerwarteten Nationalstolz und ein positives Österreichbewusstsein. Das Spiel gegen England bildete zugleich den Höhepunkt und das Ende des »Wunderteams«. Das Spiel gegen England wurde zum größten Medienereignis der Ersten Republik. Schon vor dem Spiel berichteten die Zeitungen und bauten 16 Angaben zum »Wunderteam«, Matthias Sindelar und Hugo Meisl finden sich in: Horak und Maderthaner (1997), Marschik (2005) und Marschik und Spitaler (2006). 17 Urbanek (2012) spricht von einem »Mythenkreis Wunderteam«.
Problemstellung
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Erwartungen auf. Die Nationalmannschaft wurde auf ihrem Weg nach England zwischen Wien und Salzburg auf Bahnhöfen von großen Menschenmengen verabschiedet. Erstmalig wurde in Österreich ein weit entfernt stattfindendes Sportereignis live im Radio übertragen. Zechner (1999: 42) zeigt in einer Analyse der damaligen österreichischen Zeitungsberichterstattung, dass sich selbst in kleineren Städten Menschen vor öffentlichen Lautsprechern, in Gaststätten oder auf Plätzen versammelten und dem Spielhergang folgten. Am Heldenplatz fand sich eine große Menschenmenge ein und lauschte der Übertragung. Selbst der Nationalrat unterbrach aufgrund dieses Fußballspiels seine Arbeit. Auch die Rückkehr der Nationalmannschaft gestaltete sich als Triumphzug. Interessanterweise wurde vor allem betont, dass die österreichische Mannschaft in der englischen Presse euphorisch gelobt wurde. Hierin ist ein wichtiges Element des »Nationensports« zu erkennen, nämlich der Versuch, internationales Prestige zu erlangen. »Nationensport« ist in eine Form von »Weltkultur« eingebettet. Im Gegensatz zum traditionellen Sport oder zu ethnischen Sportarten orientieren sich national geführte Diskurse im »Nationensport« stets an den anderen. Die »Erzählungen«, die daraus entspringen, die nationalen WirBilder und Wir-Ideale stehen in Verbindung mit Akteuren aus anderen Ländern und dadurch auch mit anderen nationalen Gemeinschaften und deren öffentlichen Diskursen. Nicht nur Österreichern war etwa die Bedeutung des damaligen englischen Fußballs und der englischen Fußballnationalmannschaft bewusst. Das Prestige, das von dieser ausging, deren Status, war Teil eines europaweiten Selbstverständnisses. Der Verweis auf die lobenden Worte der englischen Journalisten zeigt, wie wichtig im Nationensport und seinen Wir-Gefühlen die Anerkennung der »Besten« eines internationalen Systems ist. Der »Nationensport« unterscheidet sich vom traditionellen Sport gerade durch dieses grenzüberschreitende System der Anerkennung. Gerade diese Anerkennung durch die anderen und vor allem durch die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges bildete nach 1945 ein wichtiges Anliegen der jungen österreichischen Republik. Österreich sollte wieder ein ehrenhaftes Mitglied der internationalen »Staatengemeinschaft«, ein souveräner Staat werden. Da bis 1955 das Land durch fremde Truppen besetzt war, bot der Sport eine besonders gute Möglichkeit, Österreich als »ehrenhaft«, als Gleicher und Gleichen, zu präsentieren. Die »erfundene« Tradition, die durch dieses Bild zum Ausdruck kommt, weist auf eine glorreiche Vergangenheit hin, eine Zeit vor dem Krieg, wo der österreichische Fußball in ganz Europa geschätzt worden war. In diesem Sinn sollte das Österreich des Jahres 1948 wieder geschätzt und anerkannt werden. Das »Wunderteam« läutete zwar nicht die Geburtsstunde des »Nationensports« in Österreich ein; schon früher gab es Länderspiele und national ge-
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wertete Sportwettbewerbe. Dennoch signalisiert dieses Spiel einen Wandel. Moderner Sport wurde plötzlich bedeutsam für die Erzeugung nationaler Identitäten und für die Erlangung von internationalem Prestige. Vielleicht können die 1930er Jahre in vielen Ländern als Wendepunkt angesehen werden. In diesem Jahrzehnt begannen die ersten Fußballweltmeisterschaften, ereigneten sich die denkwürdigen Olympischen Spiele in Garmisch-Partenkirchen und Berlin, fanden erstmalige Europameisterschaften in einigen Disziplinen statt oder wurden andere viel beachtete Sportwettkämpfe ausgetragen, die als Rivalitäten zwischen Nationen ausgelegt wurden. Bedeutsam waren damals etwa die Kämpfe um den Weltmeistertitel im Boxen zwischen Max Schmeling und dem Afroamerikaner Joe Louis (vgl. Mead 1985; Myler 2005). Vor allem der Rückkampf 1938 in New York wurde sowohl von den Nationalsozialisten, als auch der amerikanischen Presse als nationale Auseinandersetzung inszeniert. Der Versuch der Nazis, das Sportereignis als Kampf der »Rassen« zu inszenieren scheiterte, weil Schmeling einerseits den Kampf verlor und andererseits, weil das amerikanische Publikum – trotz Alltagsrassismus und der Politik der Rassentrennung – nationale und keine nach Hautfarbe orientierte Loyalität entwickelte. In gewisser Weise wiederholte sich bei diesem Kampf das Muster der Leichtathletikbewerbe von den Olympischen Spielen zwei Jahre davor, bei denen Jesse Owens symbolträchtige Siege erringen konnte. Es ist bestimmt kein Zufall, dass der »Nationensport« gerade in einem Jahrzehnt an Bedeutung gewinnt, in welchem das Radio seinen Einzug hält. Vergleicht man die Anzahl und die Dichte der Sportveranstaltungen, die in den 1930er Jahren als nationale Wettkämpfe ausgelegt wurden mit den gegenwärtigen, so erkennt man jedoch, dass damals »Nationensport« noch nicht alltäglich war. Die heutigen Massenmedien erzeugen dagegen einen nicht abreißenwollenden Strom an Nachrichten über Länderwettkämpfe und einzelne Athleten, die für ihr Land um den Sieg ringen. Der »Nationensport« mag somit in den 1930er Jahren an Bedeutung gewinnen, doch erst Jahrzehnte später entwickelte er sich zu dem System, das wir heute kennen und in dem Nationen permanent als fiktive Akteure im Kampf um internationales Prestige präsent sind.
Die Organisation des Nationensports Traditionelle oder ethnisch konnotierte Sportarten unterscheiden sich prinzipiell vom »Nationensport«. Es stimmt zwar, dass die meisten heute ausgeübten Sportarten bei den Olympischen Spielen oder anderen großen Sportveranstaltungen aus England oder Amerika stammen. Dennoch wurde auch aus manchen »Ethnosportarten« vollwertiger »Nationensport«. Dieser Umwandlungsprozess setzte zunächst die Organisation dieses Sports in internationalen Verbänden
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unter standardisierten Regeln und der Abhaltung von für im Prinzip allen offen zugänglichen Wettbewerben voraus. Am Ende des Prozesses der Umwandlung steht die Organisation internationaler Turniere, Wettkämpfe und Weltmeisterschaften. Dem schließt sich manchmal die Medialisierung und Kommerzialisierung der Sportarten an. Ein hoher Grad an Kommerzialisierung fördert die Herausbildung grenzüberschreitender Profiarbeitsmärkte. Nach einem langen Prozess werden dadurch viele ehemalige »Ethnosportarten« entethnisiert und ihren exklusiven partikularistischen Kultursubstanz entzogen. Die wichtigsten Wettkämpfe werden in Massenmedien präsentiert und inszeniert. Ein Beispiel für die Entstehung eines »Nationensports« aus einem »Ethnosport« vor dem Zweiten Weltkrieg stellt Judo dar. Im Gegensatz zu Kendo und anderen japanischen Sportarten trat Judo schnell als moderner Sport in Erscheinung (vgl. Hamaguchi 2006). In den 1920er Jahren fanden in Europa die ersten internationalen Wettkämpfe im Judo statt. Im Jahr 1951 wurde die ersten Europameisterschaft und 1956 die erste Weltmeisterschaft in Judo abgehalten (vgl. Hamaguchi 2006: 15 – 16). Im Gegensatz zu einigen anderen asiatischen Kampfsportarten besitzt Judo heute somit nur noch ein relativ geringes Ausmaß ethnischer Konnotationen. Der Sport wird in Europa bereits in Kinderkursen angeboten. In einigen westlichen Ländern, wie im Österreich der 1980er Jahre, wurde Judo zu einem wichtigen »Nationensport«, etwa durch die Goldmedaille von Peter Seisenbacher 1984. Der Prozess der Umwandlung von »Ethnosport« in Nationensport findet heute in vielen Teilen der Welt statt. In Asien werden zur Zeit besonders viele ehemalige »Ethnosportarten« in »Nationensport« verwandelt. Traditioneller Sport wie martial arts oder Ballspiele wie Sepak Takraw wurden in modernen Sport verwandelt, indem diese mit einem modernen Regelwerk ausgestattet wurden. Manchmal verändert sich dadurch auch der Charakter dieser Sportart. Später werden einige dieser Sportarten auf internationalem Niveau ausgetragen. Sie werden in manchen Fällen zum Beispiel als Bewerb in die Asienspiele integriert oder zur olympischen Demonstrationssportart. Traditioneller Sport oder »Ethnosport« wird nicht nur in einem sozial und geografisch engen Raum organisiert. Auch die Qualität der Organisation ist unterschiedlich. Die Abhaltung traditioneller Sportarten ist oft mit Ritualen, Kulten und Traditionen verbunden, die religiösen oder außersportlichen Charakter besitzen, wie etwa die Ballspiele der Azteken oder das Heiligtum von Olympia. Die Entwicklung der griechischen Agone und vor allem der antiken Olympischen Spiele zeigt auch, dass ein Prozess der Entsakralisierung von Sport nicht nur der modernen Zeit vorbehalten ist. Aber auch der »Ethnosport« und der »nationalistische« Sport (ebenso wie der Arbeitersport) weisen auf außersportliche Ziele hin. Moderne Sportverbände stehen zwar in Verbindung mit Politik und Wirtschaft. Dennoch liegt das primäre Ziel dieser Organisationen
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und ihrer Funktionäre in der Gestaltung und Vorbereitung von Sport und Wettkämpfen. Damit liegt ein Merkmal von »Nationensport«, das ihn von den meisten alternativen Sportkonzepten unterscheidet, in seiner internationalen Organisationsstruktur. Die bedeutendsten internationalen Sportverbände sind FIFA (zur Geschichte der FIFA, siehe: Sugden 1998; Murray 1999) und IOC (zur Geschichte des IOC, siehe: Coubertin 1974; Krüger 1994; Schantz 1995; Senn 1999). Obwohl die Gründer der beiden Verbände Pierre de Coubertin und Robert Gu¦rin Franzosen und Angehörige fast derselben Generation waren, verband der Adelige Coubertin mit den Olympischen Spielen eine umfassende Weltanschauung und den Pathos, dass Sport zur Völkerverständigung beitragen sollte. Der Journalist Gu¦rin hingegen, der erster Präsident der 1904 gegründeten FIFA wurde, verfolgte wohl kein solches Ziel mit Nachdruck, und Fußballweltmeisterschaften besaßen, zwar eine große Bedeutung, jedoch fehlte ihnen der zivilreligiöse Aspekt des Olympismus (zur Geschichte der FIFA, vgl. Sugden und Tomlinson 1998; Lisi 2011). Die Gründungsmitglieder vieler internationaler Sportverbände waren jedoch von einer kosmopolitischen und internationalistischen Haltung inspiriert, die, wenn schon nicht von Coubertins Friedensmission beseelt, so doch vom Willen getragen waren, Sport als grenzüberschreitende Praxis zu institutionalisieren. Coubertins Internationalismus scheint das Produkt einer späteren biografischen Entwicklung gewesen zu sein (vgl. MacAloon 2001). Zunächst lag dem jungen Baron daran aufgrund der Schmach der Niederlage Frankreichs im Krieg von 1870/71, in einer nationalistischen Grundhaltung, die Wehrkraft des Landes zu fördern. Er orientierte sich am englischen Schulsport, und erst später veränderte sich sein Vorhaben. Nun begann er den »englischen« Sport mit internationalistischen Idealen zu verbinden. Vor dem Eindruck der Ausgrabungen in Olympia kam es 1892 zur Gründung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und 1896 zu den ersten Olympischen Spielen in Athen. Diese Spiele wiederholten sich 1900 und 1904 in Paris und St. Louis im Rahmen von Weltausstellungen, waren aber keine großen Erfolge. Die olympische Bewegung geriet nun bald in Schwierigkeiten. Im Jahr 1906 wurden wieder in Athen »Zwischenspiele« veranstaltet; der Status dieser Spiele war nie ganz klar. Dann musste man aufgrund des Vesuv-Ausbruchs in Italien die geplanten Spiele von 1908 absagen. Im letzten Moment sprang London ein und es wurde zum ersten Mal ein straffes Programm geboten, das die Aufmerksamkeit eines Massenpublikums und der Zeitungen erfuhr (vgl. IOC 1908; Coubertin 1974; Coubertin 1988; Krüger 1999: 9). Coubertin dachte zunächst noch nicht daran, aus seinen Olympischen Spielen ein Massenspektakel zu machen. Für ihn war Sport im Geiste der alten Griechen eine Angelegenheit von Eliten. Tatsächlich entwickelten sich Anfang
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des 20. Jahrhunderts viele Sportarten erst langsam zu Angelegenheiten unterer Schichten. Das gilt auch für den Fußball, der jedoch aufgrund der Profiliga in England bereits früher als andere Sportarten den Nimbus des Elitesports ablegte. Zunächst konnte die FIFA jedoch keine Weltspiele des Fußballs veranstalten. Seit 1908 war Fußball daher Teil der Olympischen Spiele. Erst 1930 konnten die ersten Weltmeisterschaften in Uruguay abgehalten werden. Bei dieser Gelegenheit feierte das Land sein hundertjähriges Unabhängigkeitsfest und verband somit Nationalstolz mit internationalem Glanz. Das damals gebaute Stadion in Montevideo ist bis heute ein wichtiges Nationalsymbol Uruguays. Auch die zweiten Fußballweltmeisterschaften standen im Dienst nationaler Profilierung. Sie fanden im faschistischen Italien statt, und die Regierung setzte alles daran, Italiens Größe damit zum Ausdruck zu bringen. So wurden große Fußballstadien gebaut, wie zum Beispiel das Benito Mussolini-Stadion in Florenz. Hier ist nicht der Platz, die Geschichte von IOC, FIFA und anderen Sportverbänden genau nachzuzeichnen. Wichtig ist es jedoch, den enormen Anstieg an internationalen Sportverbänden im Laufe des 20. Jahrhunderts festzuhalten. »Nationensport« wurde so zu einer alltäglichen Angelegenheit, der von einer fast unüberschaubaren Vielzahl an Organisationen am Leben gehalten wird. Die folgende Darstellung zeigt die Gründungsjahre internationaler Sportverbände von 1881 mit der Gründung der F¦d¦ration International Gymnastique (FIG) bis 2008 mit der Gründung der Federation of International Lacrosse (FIL).18 Die hier vorliegende Darstellung umfasst 1) nur internationale Verbände, die vom IOC anerkannt werden, 2) Verbände, die Mitglied in der General Association of International Sport Federations (AGFIS), jedoch nicht IOC-Mitglieder sind (42 Verbände) und 3) 44 weitere große internationale Sportdachorganisationen, zu denen unter anderem auch die FIA (Internationaler Automobilverband) gezählt wird. Folgendes ist zu erkennen: Bis etwa 1910 wurden nur vereinzelt internationale Verbände gegründet. Danach stieg die Anzahl an Sportverbänden stetig an. Dieser Anstieg wird von den beiden Weltkriegen unterbrochen, setzt sich nach 1945 jedoch fort. Von den hier 116 vorliegenden Verbänden sind 41 vor 1946, 70 vor 1970 und 90 Verbände vor 1990 gegründet
18 Erhebungsschritte: Schritt 1: Recherche aller Sportverbände, die IOC- oder AGFIS Mitglied sind; Schritt 2: Recherche weiterer großer internationaler Verbände (44 davon wurden gefunden); Schritt 3: Recherche des Gründungsdatums dieser internationalen Verbände. Folgende Quellen wurden dafür herangezogen: 1) aus Krüger (1999: 6), 2) jeweilige Internetseiten dieser Organisationen, 3) Es wurde jedes Datum auf Wikipedia (so weit vorhanden) nochmals recherchiert. Alle hier abgebildeten Daten wurden entweder von allen drei Quellen bestätigt oder (da Krüger die neuer Gründungen von Sportverbänden nicht berücksichtigt) von zumindest den Quellen 2) und 3) bestätigt.
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worden. Das bedeutet, dass über 20 Prozent aller derartigen Verbände älter als 20 Jahre sind. Darstellung 1: Gründung von internationalen Sportverbänden (n = 116), 1881 – 200819
Anzahl 120
90
60
30
0 1886
1894
1902
1910
1918
1926
1934
1942
1950
1958
1966
1974
1982
1990
1998
2006
Quelle: siehe Fußnote oben. Diese Darstellung fasst die vorgefundenen Daten der drei Quellen zusammen und reiht sie nach Gründungsjahren.
»Nationensport« kommt nach Mitteleuropa Länderwettkämpfe waren zunächst auf den angelsächsischen Raum beschränkt. Im Jahr 1869 fand auf der Themse ein »internationaler« Ruderwettbewerb statt, bei dem Studenten aus Oxford eine Mannschaft aus Harvard besiegten; 1878 siegte eine Regatta der Columbia Universität Cambridge im Visitor’s Challenge Cup (MacAloon 2001: 120). Das erste offizielle »Länderspiel« im Fußball fand 1872 in Glasgow statt, wo eine schottische auf eine englische Auswahl traf. Es dauerte mehr als 30 Jahre, ehe die ersten nicht-britischen Mannschaften gegeneinander antraten. Im Jahr 1902 kam es zum »Ur-Länderspiel« im Fußball zwischen Österreich und Ungarn in Wien. Dieses Spiel war aber eher ein Match zwischen Wien und Budapest, als das Aufeinandertreffen zwischen offiziellen 19 Insgesamt wurden 128 internationale Dachverbände erhoben, die diese drei Kriterien erfüllen. Bei acht internationalen Sportverbänden ist dem Autor das Gründungsjahr nicht bekannt.
»Nationensport« kommt nach Mitteleuropa
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»Nationalmannschaften«.20 Das erste offizielle Länderspiel einer deutschen Fußballauswahl ereignete sich erst sechs Jahre später. Bei den Olympischen Spielen 1900, 1904 und den »Zwischenspielen« 1906 war Fußball lediglich ein Demonstrationswettbewerb. Damals traten nur Vereinsmannschaften oder gemischte Mannschaften gegeneinander an. Erst bei den Spielen 1908 kam es zu offiziellen Länderspielen. Bei den Spielen in London 1908 waren acht Nationalmannschaften gemeldet, wobei »Böhmen« nach Intervention der österreichischen Regierung nicht als eigene Mannschaft antreten durfte. Sowohl die Spiele 1908 als auch 1912 gewann ein britisches Amateurteam. Englische Auswahlen beherrschten das erste Dreivierteljahrhundert des internationalen Fußballs. Die ersten vierzig Jahre nach dem englisch-schottischen Ur-Länderspiel spielten die englischen Auswahlen nur gegen andere britische Teams. Im Jahr 1908 kam es zu den ersten Spielen gegen nicht-britische Teams bei einer Tournee durch Österreich, die die Engländer mühelos gewannen. Erst 1929 verlor eine englische Auswahl erstmals in Spanien gegen ein nichtbritisches Team. England trat auch bei den ersten drei Fußballweltmeisterschaften (1930, 1934 und 1938) nicht an. Erst mit der Fußballweltmeisterschaft 1950 in Brasilien begann mit der Teilnahme der Engländer die Zeit, in der bei internationalen Turnieren die tatsächlich besten Mannschaften der Welt gegeneinander antraten. Erst seit damals war das zu vergebende internationale Sportprestige im Fußball mit der Gewissheit verbunden, tatsächlich an den Besten orientiert zu sein. Auch in den meisten anderen Mannschaftssportarten begannen Weltmeisterschaften und regelmäßige Länderspiele erst zwischen den 1920er und 1950er Jahren. Somit waren bis nach dem Zweiten Weltkrieg die Olympischen Sommerspiele (und seit 1924 auch die Olympischen Winterspiele) die mit Abstand wichtigsten Ereignisse des »Nationensports«. Der erste olympische Mannschaftssport war Wasserball, dessen erstes olympisches Turnier 1900 abgehalten wurde (vgl. IOC 1900). Allerdings gibt es erst seit 1973 Weltmeisterschaften im Wasserball (vgl. Henry 2010). Auch Rugby-Spiele wurden bereits 1900 in Paris abgehalten. Rugby-League-Weltmeisterschaften finden allerdings auch erst seit 1954 statt (vgl. Davies und Eales 2003). Im Eishockey wird das erste Spiel zwischen zwei Länderauswahlen für 1903 angesetzt. Seit 1910 gibt es Europa- und seit 1920 Weltmeisterschaften. Von den wichtigen Ball- und Mannschaftssportarten werden im Eishockey somit am längsten Weltmeisterschaften ausgetragen. In anderen Mannschaftssportarten finden erste Weltmeisterschaften 20 Abgesehen davon, dass wahre »nationale« Auswahlen Österreichs oder Ungarns aufgrund des multinationalen Charakters beider Staaten nicht zu realisieren gewesen wären, ohne große Bevölkerungsgruppen auszuschließen. Außerdem hätte der Begriff der »österreichischen Nation« damals noch keinen Sinn gemacht.
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deutlich später statt:21 Handball (1938 und 1954), Volleyball (1949), Basketball (1950), Lacrosse (1967) oder Feldhockey (1971). Aber auch in anderen wichtigen Sportarten finden erste Weltmeisterschaften relativ spät statt, wie zum Beispiel im Schwimmen (1973). Die erste Schwimmeuropameisterschaft fandet allerdings bereits 1926 statt (vgl. Lohn: XXiii). Die ersten Europameisterschaften in der Leichtathletik gab es bereits 1926, Weltmeisterschaften erst 1973.22 Bei den meisten dieser wichtigen Publikumssportarten blieb der nationale Wettkampfcharakter ebenfalls lange Zeit auf die Olympischen Spiele beschränkt. Erst seit einigen Jahrzehnten sind sie Teil des permanenten Flusses an Nationenkämpfen. In anderen Sportarten, wie zum Beispiel bei Rad-Straßenrennen oder dem Pferdesport gibt es schon länger prestigereiche Turniere, die allerdings nicht als offizielle Wettkämpfe zwischen Nationen, sondern zwischen Rennställen ausgetragen wurden. Die Tour de France (seit 1903) wurde erst allmählich als »Nationensport« ausgelegt, indem auch Nichtfranzosen gewannen, und Radio und Fernsehen weltweit dieses Ereignis abdeckten (vgl. Wheatcroft 2005). Heute ist die Tour de France Teil der UCI Pro Tour. Ähnlich dem Autorennsport Formel1 oder den Grand Slam-Turnieren im Tennis werden auch im Radsport individuelle Leistungen oder Teamleistungen durch die Medien zu nationalen Leistungen stilisiert. Ehemalige Elitesportarten kennen schon seit längerer Zeit »national« gewertete Wettkämpfe, wie etwa den America’s Cup (erstmals 1851) im Segeln (vgl. Simpson 1999: 7 – 8), den Davis-Cup (1900)23 im Tennis (vgl. Evans 1999) oder den Ryders-Cup (1927)24 im Golf (vgl. Himmel 2004). Dabei handelte es sich ursprünglich jedoch bloß um die Auseinandersetzung zwischen kulturell verwandten, meist angelsächsischen Eliten unterschiedlicher (englischsprachiger) Länder. Solche Bewerbe wurden erst allmählich zum »echten« Nationensport, sodass ein breites Massenpublikum sich dafür zu interessieren begann. Außerhalb des angelsächsischen Raumes traf das Prinzip »national« bewerteter Wettkämpfe auf zwei Hindernisse. Zunächst auf den Widerstand gegenüber einem englischen Kulturimport, nämlich dem Sport an und für sich. Weiters musste erst der Widerstand gegen die Beteiligung unterer Schichten am »bürgerlichen« Sport überwunden werden. Krüger (2009) zeigt am Beispiel des 21 Die folgenden Daten beziehen sich auf Weltmeisterschaften der Herren. Weltmeisterschaften der Damen setzten in der Regel noch später ein. 22 vgl. Abgedruckte Quellen aus Wikipedia und anderen Quellen zu Leichtathletikbewerben und Ergebnissen (2011). 23 Im Damen-Tennis findet seit 1963 der Fed Cup (früher : Federation Cup) statt. 24 Bei dem seit 1976 eine gesamteuropäische Mannschaft gegen eine amerikanische antritt. Davor fanden Wettkämpfe zwischen USA und Großbritannien statt. Im Damengolf gibt es seit 1990 den Solheim Cup.
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deutschen Sportfunktionärs Carl Diem (1882 – 1962) den Versuch, einen Ausgleich zwischen den völkisch definierten Turnen und dem olympischen, d. h. »englischen« Sport zu finden (vgl. Krüger 2009). Die Turner verurteilten gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend den Wettbewerbscharakter des Sports. Im Jahr 1891 verurteilte die Deutsche Turnerschaft das Turnen um Medaillen und Preise. Diem versuchte in einigen Schriften nachzuweisen, dass »Sport« von seinem Charakter her jedoch »deutsch« und mit dem »Turnen« zu vereinbaren wäre. Diem wurde zum Organisator der wegen des Krieges nicht mehr stattfindenden Olympischen Spiele 1916. In der Zwischenkriegszeit wurde Diem zu einem wichtigen Funktionär der deutschen olympischen Bewegung und war für die Vorbereitung der Spiele 1936 mitverantwortlich. Für dieses Ereignis initiierte er mit anderen den ersten Olympischen Fackellauf. Während des Zweiten Weltkrieges konnte er scheinbar problemlos deutschen Militarismus mit sportlichen Tugenden verbinden. Diem bildet eine Übergangsfigur zwischen der Zeit der Auseinandersetzung mit dem »deutschen Turnen« und der Akzeptanz des Sports. Er gehörte einer Generation von deutschen Sportfunktionären an, die einerseits noch während des Kaiserreichs sozialisiert wurden, als die Turner eine wichtige ideologische Stellung für die Legitimierung des Staates innehatten (vgl. Krüger 1996). Diem, der den »englischen« Sport fördern wollte, konnte noch nicht ohne Rücksicht auf die Turnerverbände vorgehen. Während des Kaiserreiches verstand sich die Turnerbewegung als »völkisches« Rückgrat des Staates, deren Betreiber vor allem aus dem Bürgertum stammten. Zusammen mit den Studentenverbindungen und ihren Mensuren vertraten die Turner ein kriegerisches, männliches Körperideal als Ausdruck einer antidemokratischen Haltung nach innen und eines aggressiven Hegemonialstrebens nach außen. Seit etwa 1890 gerieten die Turner in Konkurrenz zum »englischen« Sport, der vor allem durch den Fußball schnell sehr beliebt wurde. Diese Phase ist auch durch eine weitere Ideologisierung des Turnens als antienglische Form von Körperertüchtigung geprägt. Ab etwa 1910, und vor allem während des Ersten Weltkriegs wurde jedoch der Sport aufgrund seiner breiten Popularität von Staat und Militär dem Turnen vorgezogen, indem z. B. Fussball als eine Form von Wehrsportübung und taktischem Training in der Armee praktiziert wurde. In der Weimarer Republik versuchten nun die Sportvereine, die in die Defensive geratenen Turner als eine Untersektion in einen übergreifenden Fachverband einzugliedern, was diese nicht akzeptierten. 1923 und 1924 wurde deshalb die sogenannte »reinliche Scheidung« zwischen Sport und Turnen vollzogen (vgl. Grüne 2003). Die Turnerschaft verlangte von den Turnern, sich zwischen ihnen und den Sportverbänden zu entscheiden. So wechselten mehrere tausend fußballspielende Turner vom Deutschen Turnverband zum DFB. Au-
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ßerdem fand die Trennung von Vereinen statt. Innerhalb des deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen war nun keine Doppelmitgliedschaft in einem Sportverein und der Deutschen Turnerschaft möglich. Die Folge der »reinlichen Scheidung« war jedoch die Spaltung in reine Turnvereine und Sportvereine. Als diese 1930/1931 aufgehoben wurde, wurden kurze Zeit später, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933, Sport- und Turnverbände »gleichgeschaltet« (Arbeitersportverbände verboten) und dem »Nationalsozialistischen Reichsverbund für Leibesübungen« untergeordnet. Selbst nach der Machtübernahme der Nazis konnte sich das Turnen nicht mehr gegenüber dem Sport als dominante Form der organisierten körperlichen Ertüchtigung durchsetzten. Obwohl der Sport unter dem Nationalsozialismus viele ideologische Elemente des völkischen Turnens aufnahm, waren seine eigenständigen Konturen eigentlich schon verwischt. Vor allem existierten zu dieser Zeit bereits eine Vielzahl nationaler und internationaler Sportverbände und Institutionen, die sich breiter Beliebtheit erfreuten (wie etwa die Fußballmeisterschaft), die selbst der Nationalsozialismus nicht mehr ignorieren konnte. Alkemeyer (1996) zeigt, dass der nationalsozialistischen Führung die Austragung der Olympischen Winter- und Sommerspiele bereits wichtiger war, als der Widerstand gegen den Sport durch einige Ideologen aus den eigenen Reihen, die am völkischen Konzept von »Turnen« festhielten. Somit hatte sich noch innerhalb der Lebzeiten von Carl Diem die Bedeutung von »Sport« und den Olympischen Spielen derartig vergrößert, dass ihr prestigegenerierender Charakter nicht mehr übergangen werden konnte. Die Gewöhnung oder Habitualisierung an den »englischen Sport«, sodass dieser allmählich nicht mehr als »englisch«, sondern als Teil der eigenen Kultur wahrgenommen wird, ist mit dem Vorgang des Vergessens verbunden. »Vergessen« bezieht sich weniger auf ein individuelles Vergessen (auch wenn das in diesem Zusammenhang möglich ist). Vielmehr ist damit eine kollektives Vergessen gemeint, bezogen auf das »Kollektivbewusstsein« (Halbwachs 1991) oder das »kulturelle Gedächtnis« (Assmann 1992) einer Gesellschaft. Ein solcher Vorgang ist bloß durch das Ausscheiden von Mitgliedern aus einer Gesellschaft vorstellbar, d. h., durch Tod und Generationenfolge. Erst wenn bestimmte Individuen nicht mehr existieren oder nicht mehr in der Lage sind, Teil von sozialen Bewegungen und Institutionen zu sein, besteht die Möglichkeit, dass mit dem Wegfall dieser »Träger« auch die Botschaft in Vergessenheit gerät. Mannheim (1995) konnte in einem anderen Zusammenhang zeigen, dass die Abfolge von Generationen ganz bestimmte soziale Konstellationen einer Zeit, »Denkstil« und »Weltanschauung« prägt. Mannheim beschreibt damit – ohne es explizit zu benennen – Komponenten des »Habitus« und Gründe für dessen Wandel. Mit Sport sind vielleicht auch »Denkstile« und »Weltanschauungen« verbunden. Viel
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mehr verbindet sich mit Sport »Ästhetik« und grundliegende Einstellung gegenüber einer bestimmten »Körperkultur«. Die Vermittlung von Sozialisation solcher Komponenten eines (sportlichen) »Habitus« erfordert ein stabiles Gefüge an Institutionen. Im Fall der Auseinandersetzung zwischen »Turnen« und »Sport« geriet das Gefüge an Institutionen, die mit dem »Turnen« in Verbindung standen, zunehmend in die Defensive. »Turnen« war bereits seit der Schaffung eines gesamtdeutschen Staates 1870/71 nicht mehr länger nationale Einigungsbewegung von Belang. Mit der zunehmenden Etablierung dieses Staates fiel auch die Funktion der Turnerfeste für die Legitimierung des Staates immer weniger ins Gewicht. Turnen war dazu noch als Teil des Schulunterrichts sehr unbeliebt. Dagegen stellten sich viele Aspekte, die mit »Sport« in Verbindung standen, zunehmend expansiv dar. Fußball, Kricket, Tennis und andere »englische« Sportarten waren auch in Teilen der deutschen Jugend des ausgehenden 19. Jahrhunderts populärer als der streng reglementierte Turnunterricht (vgl. Krüger 1981; Pfeiffer 1987; Krüger 1996). Als diese Jugendlichen älter wurden, gründeten sie im ganzen Land Sportvereine und organisierten Sportligen nach englischem Vorbild. Auch die Armee begann den Sport, vor allem den Fußball, als Wehrübung zu fördern. Spätestens die Generation junger Soldaten, die im Ersten Weltkrieg dienten (und teilweise 20 Jahre jünger waren als Diem), hatten sich Fußball und andere Sportarten angeeignet. Diese Alterskohorte ist bereits mit »Sport« aufgewachsen. Noch bestand allerdings der Gegensatz zwischen »Sport« und »Turnen«, weil die Turner bis in die 1920er und 1930er Jahre eine bewusste Abgrenzung zum »Sport« inszenierten. Als die »reinliche Scheidung« zwischen den Turnern und den Sportvereinen in Deutschland der 1920er Jahre durchgeführt wurde, war die Fraktion des Turnens bereits in der Defensive. Sport und vor allem Fußball waren bereits viel zu populär. Außerdem hatte das Turnen als Angelegenheit des Bürgertums eine klassenspezifische Ausrichtung, wohingegen der Sport für alle offen stand. Noch dazu muss gesehen werden, dass zu dieser Zeit Fußball, Tennis und andere englische Sportarten bereits seit gut einem halben Jahrhundert in Deutschland praktiziert wurden. Diese Zeitspanne umfasste zwei bis drei Generationen von Schülern und bewirkte eine langsame Gewöhnung an den Sport. Die militärische Ausbildung während des Ersten Weltkrieges hatte auch auf die Verbreitung anderer Sportarten einen großen Effekt, wie zum Beispiel auf den Schisport in Österreich. Schifahren wurde als wichtige Technik im Gebirgskrieg der Südfront zu Italien eingestuft. Nach dem Krieg wurde aus einigen der schifahrenden Soldaten Schilehrer oder Schisportler, die den alpinen Schisport in den 1920er und 1930er Jahren popularisierten. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich in den meisten Staaten Westeuropas ein Mischsystem aus staatlich unterstütztem Sport und kommerzialisiertem Breiten- und Spitzensport, wie zum Beispiel beim Schwimmsport,
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Leichtathletik, Schisport etc. In einigen Sportarten, wie Fußball, Pferdesport, Eishockey, Tennis, Radsport, Motorsport etc. entstehen nach amerikanischem Vorbild (Baseball, American Football, Basketball, Golf, Boxen) Profiligen oder gut dotierte Turnierwesen. Im Handball, europäischen Basketball, Landhockey und anderen Mannschaftssportarten schritt die Professionalisierung langsamer voran.
Kurzer Abriss über die Anfangsphasen der Verbreitung von Fußball in Mitteleuropa Fußball ist der weltweit verbreitetste »englische« Sport (zur Verbreitung des Fußballs, siehe: Koller 2006). Der moderne Fußball entsteht aus dem englischen »Volksfußball« (vgl. Elias und Dunning 2003). Im 18. und 19. Jahrhundert wurde dieser bereits im Rückzug befindliche Volkssport von den Schülern in englischen Eliteschulen aufgegriffen und als ein Akt des Widerstandes gegen Lehrer und Schulordnung gespielt (vgl. Dunning 1999: 91 – 93). Erst eine Reihe von Reformen, wie die von Thomas Arnold, des Leiters der Schule von Rugby, transformierten den wilden Volksfußball in ein Spiel mit schriftlich festgelegten Regeln. Fußball wurde zu einem Instrument der sozialen Kontrolle der Lehrerschaft. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich der Sport in England und Schottland auch außerhalb der Schulen zu entwickeln. Im Jahr 1863 kam es zur Gründung der Football Association (F.A.) und der Spaltung zwischen Fußball und »Rugby«, der Variante des Sports, die nach den Regeln der Schule von Rugby gespielt wurde und bei der das Handspiel weitgehend erlaubt blieb (vgl. Dunning und Sheard 1979). Die Popularität des Fußballs wies wie die anderer Sportarten auf einige Aspekte des sozialen Wandels der damaligen Viktorianischen Gesellschaft hin. Einerseits kam es durch Industrialisierung und Urbanisierung zu einer Trennung zwischen Arbeit und »Freizeit«. Sport wurde zu einem Teil der »Freizeit«, in der nun »Spannung« und Zeitvertreib wichtig wurden (vgl. Elias und Dunning 2003). Aber auch ein neues Verständnis von Gesundheit, Hygiene und Körperbewusstsein förderten die Ausbreitung des Sports (vgl. Sarasin 2001). Für den Fußball in England bedeuten soziale Veränderungen, dass auch untere Schichten sich für diesen Sport zu interessieren begannen. Fußball war nun nicht mehr ein Sport der Eliten. Dies schlug sich auch in der Herausbildung des englischen Profifußballs nieder, nämlich der Gründung der Football League (F.L.) als Organisation des Berufsfußballs und des wachsenden Stärke der von Spielern aus der Arbeiterschicht dominierten Vereine aus Nordengland (vgl. Dunning 1999: 97 – 102). Fußball wurde weitgehend durch englische Kaufleute nach Europa, Asien
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oder Südamerika verbreitet. Die folgende Darstellung konzentriert sich auf die Verbreitung von Fußball in der Schweiz, Deutschland und Österreich. Hier kann keine detaillierte Darstellung dieses Kulturtransfers nachgezeichnet werden. Besonderes Augenmerk soll allerdings auf die Entstehung des Fußballs als Nationensport in diesen Ländern gelegt werden (zur Verbreitung des Fußballs, siehe: Dunning 1999: 102 – 105). Koller (2006: 13 ff.) verweist darauf, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neben Dänemark und Belgien die Schweiz das höchste Bruttosozialprodukt pro Kopf auswies und dass sich in diesen Ländern der Fußball auch am schnellsten verbreitete. Fußball war in der Schweiz zunächst ein bürgerlicher Sport, der in Privatschulen am Genfersee, in Zürich und St. Gallen gespielt wurde. Hier studierten auch englische Schüler und die englische Lebensweise wurde vom gehobenen Schweizer Bürgertum imitiert. Bereits 1860 wurde von Schülern aus solchen Schulen, englischen Kaufleuten und Einheimischen der erste Fußballklub, der Lausanne Football and Cricket Club, gegründet. Die Schweiz war auch ein Sprungbrett für die Verbreitung des Sports in Italien, Frankreich und Spanien. Fußball wurde einerseits aus der Schweiz in diese Länder durch Schüler, die in Schweizer Internaten untergebracht waren und durch Schweizer Geschäftsleute gebracht. Die Gründung von Fußballvereinen wie z. B. dem FC Barcelona (1899) oder Inter Mailand (1908) ist auf Schweizer Beteiligung zurückzuführen (vgl. Burgener 1974). Die Schweiz war aber auch eines der sieben Gründungsmitglieder der FIFA (1904). Das Schweizer UrLänderspiel fand 1901 gegen Österreich statt. Dabei handelt es sich aus heutiger Sicht jedoch um ein inoffizielles Länderspiel, denn die Schweizer Auswahl setzte sich zu einem großen Teil aus Engländern und Amerikanern zusammen, die österreichische Mannschaft wies auch zwei Engländer auf. In der Zwischenkriegszeit konnte sich die Schweizer Nationalmannschaft, die »Nati«, meist nicht gegen die besseren europäischen Auswahlen durchsetzen. In Österreich wurde Fußball später als in der Schweiz übernommen (zur Geschichte des Sports in Österreich, vgl.: Krammer 1981; Weiss 1997; Spitaler 2005; Marschik 2009; Müllner 2009). Aber vor allem in Wien gab es eine kosmopolitische Oberschicht, die bereit war, »Sport« zu praktizieren. Hier wurden Sportarten durch englische Geschäftsleute in die Stadt gebracht. Das führte zur Gründung von Sportvereinen, wie dem »Vienna Cricket and Football Club« (1894) und dem »First Vienna Football Club«. Bereits 1897 konnte der »Challenge-Cup« ausgetragen werden (bei dem vor allem Wiener, Prager und Budapester Teams gegeneinander antraten), und es wurde die Österreichische Fußballunion (ÖFU) gegründet; beides durch Engländer. Zudem startete 1900 eine eigene Wiener Meisterschaft (Tagblatt-Pokal bis 1903). Auf jeden Fall führte das günstige Klima für den Fußball in Österreich auch dazu, dass sehr früh – nach britischem Vorbild – Länderspiele ausgetragen wurden. Vor allem analog dem
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britischen Duell zwischen England und Schottland wurden oft Spiele zwischen »Österreich« und »Ungarn« ausgetragen; zunächst 1902 als Städtespiel Wien gegen Budapest. Der Fußballsport verbreitete sich in Wien rasch in die Unterschichten und Vorstädte (vgl. Horak und Maderthaner 1997; Marschik 1997; Zechner 1999: 21 ff.). Fußball verlor auch in Österreich seinen Charakter als Oberschichtssport. Seit 1924 wurde in Wien eine Fußballprofiliga betrieben, die bald zur besten am Kontinent zählte. Diese Liga rekrutierte ihre Spieler vor allem aus den unteren Schichten, die durch die ökonomische Krise in Österreich der 1920er Jahre eine Chance für den sozialen Aufstieg sahen (vgl. Horak und Maderthaner 1997: 153). In Wien kam es auch zu Konflikten zwischen dem Profifußball und dem Arbeitersport, der im Sport vor allem das Ziel sah, den »proletarischen Körper« zu stählen. Profisport war in den Augen vieler sozialistischer Funktionäre »Verrat am Klassenfeind« und »bürgerlicher Sport« (vgl. John 1992: 79). In der Zwischenkriegszeit ging also nicht nur ein Riss durch »Turnen« und »Sport«, sondern auch durch »bürgerlichen« Sport und Arbeitersport. Damit war der Sport Zielscheibe sowohl eines Kultur-, wie eines Klassenkampfes. In Österreich wurde auch im Februar 1934 vom damals entstehenden christlichkonservativen Ständestaat der Arbeitersportverband ASKÖ aufgelöst. Der Arbeitersport war jedoch zu dieser Zeit eine ernsthafte Alternative zu Profifußball und Nationensport (vgl. Krammer 1981). Fussball war zum Beispiel eine wichtige Sportart bei den »Arbeiterolympiaden« in Frankfurt am Main 1925 und in Wien 1931. Dabei handelte es sich um Massenveranstaltungen, die sich mit den damaligen Olympischen Spielen vergleichen lassen konnten. Im Gegensatz zu den »bürgerlichen« Olympischen Spielen marschierten die Sportler bei den »Arbeiterolympiaden« ohne nationale Erkennungszeichen und Fahnen in das Stadion ein. Es wurden auch keine Nationalhymnen gespielt, sondern die »Internationale« (zu den »roten« Sportinternationalen in Wien und Berlin, siehe: Gounot 2002: 183 – 187). So wie jedoch die »Arbeiterolympiade« sich nicht gegen den »Nationensport« durchsetzen konnte, so lief auch die Rhetorik der SPÖ gegen den Profifußball in Österreich ins Leere, zumal fast alle Spieler und viele Zuschauer aus den unteren Schichten kamen. In der lebendigen Wiener Fußballszene der 1920er und 1930er Jahre spielten auch noch die ethnischbestimmten jüdischen Vereine eine große Rolle. Vor allem der Wiener AmateurSportverein (später : Austria Wien), als Verein des assimilierten Judentums und der zionistische Hakoah dominierten zeitweise den Wiener Fußball und waren gleichzeitig Ziel antisemitischer Zuschaueragitation. In den frühen 1930er Jahren waren vor allem die Leistungen des »Wunderteams« ein seltener Anlass für einen einigenden Nationalstolz. Zechner (1999: 42 ff.) zeigt anhand einer Analyse österreichischer Zeitungen, dass die Spiele des »Wunderteams« in allen politischen Lagern und sogar in den Bundesländern das
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nationale Bewusstsein in Österreich förderten. Selbst die Arbeiterzeitung anerkannte, trotz ihrer Polemik gegen den »bürgerlichen« Profifußball stolz die hohen Siege und guten Leistungen der Fußballnationalmannschaft unter Hugo Meisl. Da bis zu den Agitationen der »Vaterländischen Front« während des »Ständestaates« 1934 – 1938 innerhalb der politischen Eliten in Österreich kaum ein nationales Bewusstsein vertreten wurde (sondern der Anschluss an Deutschland), zeugt der Fußball von einem gewissen nationalen Wir-Gefühl von »unten«. In den 1920er und 1930er Jahren war nicht nur die österreichische Nationalmannschaft erfolgreich, sondern österreichische Vereine dominierten auch zeitweise den europäischen Vereinsfußball, wie zum Beispiel den Mitropacup, der auf den österreichisch-ungarischen »Challenge-Cup« zurückzuführen ist. Dabei handelt es sich vor allem um ein Städtenetzwerk aus Vereinen von Budapest, Prag, Wien und jugoslawischen bzw. italienischen Vereinen. Später schlossen sich auch Schweizer und rumänische Vereine an. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte der Zentropapokal (1951) den Mitropacup fortsetzen. Die Gründung der UEFA (1954) und des »Europokals der Landesmeister« (seit 1992 UEFA Champions League) beendete diese Tradition. Die wichtige Stellung des Mitropacups für den österreichischen Profifußball verweist darauf, dass es sich dabei fast ausschließlich um Wiener Fußball handelte (die sogenannte »Straßenbahn-Liga«). Die Bundesligavereine spielten in der Zwischenkriegszeit eine untergeordnete Rolle. Das sollte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg erst langsam ändern. Die »Staatsliga« (Gründung: 1945) wurde noch weitgehend von Wiener Vereinen beherrscht. Als mit der Gründung der »Nationalliga« (1965) und der »Bundesliga« (1974) Vereine aus den Bundesländern stärker wurden (erster Meistertitel eines Nicht-Wiener Vereines ereignete sich in der Saison 1964/65 durch den LASK), befand sich der österreichische Fußball bereits international auf dem Abstieg. Selbst das Wiener Publikum blieb aus – für sie waren die Spiele gegen Vereine aus den Bundesländern nicht prestigereich genug – und die Zuschauerzahlen gingen stark zurück. In Deutschland fiel der importierte Fußball in einen anderen gesellschaftlichen Kontext als in der Schweiz und in Österreich. Seine Verbreitung war zunächst mit mehr Widerständen verbunden. In Deutschland waren auch zunächst kosmopolitisch gesinnte Kreise an der Verbreitung des Sports interessiert. Walther Bensemann (1873 bis 1934), der Sohn eines jüdischen Bankers und Schüler einer Schweizer Privatschule, war einer der ersten, die versuchten, Fußball in Deutschland zu institutionalisieren. Er war Gründer des Karlsruher Fußballclub (1899) und des DFB und organisierte die erste Tournee einer englischen Auswahl durch Deutschland sowie das erste »Urländerspiel« 1908 gegen die Schweiz. Bensemann verband mit dem Fußball pazifistische Ideale, die Idee
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von Völkerverständigung, Fairness und Toleranz, die jedoch vor allem seitens der Turner Spott und Verachtung auf sich zog. Mit ähnlichen Problemen hatte auch der Braunschweiger Gymnasiallehrer Konrad Koch zu kämpfen, der bereits 1874 Fußball als Schulsport einführte und 1875 die ersten Fußballregeln in Deutschland niederschrieb. Koch wollte mit dem Schulfußball den lustlosen Turnunterricht auflockern, der nach Anleitungen von Adolf Spieß (1810 bis 1858) zu starren und formalistischen Exerzierübungen verkam. Im Jahr 1888 initiierte er die ersten Vergleichsspiele zwischen Mannschaften und 1890 die Gründung des Deutschen Fußball- und Cricket Bunds. Außerdem entwickelte er 1891 »Raffball«, eine Vorform von Handball. Fußball galt als »englische Krankheit« oder als »Fußlümmelei«, die eine Kopfund Körperhaltung hervorbringe, die den Menschen affenähnlich erscheinen lasse. Fußball zeuge daher vom Verfall der Sitten (vgl. Planck 1982 [1898]; Krüger 2006).
Fazit Die traditionellen Sportarten, »Ethnosport« oder »nationalistischer Sport« können nicht oder nur besonders schwer mit internationalem Prestige verbunden werden. Diese Sportarten und Spiele sind nämlich in zweierlei Hinsicht begrenzt. Einerseits besitzen sie eine physische Begrenzung, weil außenstehende Personen, d. h. Kulturfremde an Wettspielen nicht teilnehmen sollten. Wie Pelota verknüpft sich eine bestimmte Vorstellung von religiöser, ethnischer oder nationaler Ehre mit den Spielen und Bewerben. Andererseits besitzen traditionelle Sportarten, »Ethnosport« und »nationalistischer Sport« Begrenzungen einer Kommunikationsstruktur, die Bedeutung mit dem Sport verbindet. Dort überwiegen selbstreferenzielle Diskursgemeinschaften, in welchen partikulare Traditionen gepflegt werden, oder Sport mit der Geschichte einer bestimmten Gemeinschaft oder einer Landes verknüpft wird. Im »Nationensport« werden zwar auch Sportereignisse durch eine nationale Öffentlichkeit mit der Geschichte eines Landes verknüpft. Wie bereits am Beispiel des »Wunderteams« gezeigt, ist dieser historische Rückgriff stets an eine weltoffene Bedeutungsstruktur gebunden, die durchsetzt ist von Akteuren, Traditionen und Mythen, die auch andere nationale Gemeinschaften pflegen. »Nationensport« unterscheidet sich von seinen sportlichen Alternativformen meist dadurch, dass er 1) über eine internationale Organisationsstruktur verfügt, 2) einer massenmedialen und grenzüberschreitenden Berichterstattung ausgesetzt ist, 3) dass individuelle Leistungen oder Teamleistungen »national« gedeutet werden und 4) dass diese Leistungen stets im Hinblick auf die Bewertung durch die anderen eingeschätzt werden und sich daher nach der Stei-
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gerung von internationalem Prestige orientieren. »Nationensport« wird durch die Kommerzialisierung des Sports und durch die Entstehung internationaler Arbeitsmärkte gefördert. Auch in sportlichen Alternativformen von »Nationensport« kommen diese Kriterien zum Tragen, jedoch nicht die Kombination derselben. »Ethnosport« oder »nationalistischer Sport« besitzt wie Fall von Hurling auch eine massenmediale Berichterstattung. Manche »Ethnosportarten« wie etwa die Highland Games treten heute sogar in Form von internationalen Organisationen in Erscheinung, wie in diesem Fall die International Highland Games Federation (IHGF). Solche Spektakel besitzen teilweise auch stark kommerzielle Züge. Dennoch werden bislang deren Wettkämpfe nicht als »nationale« gewertet (etwa zwischen allen sich keltisch verbunden fühlenden Nationen). Das Gleiche gilt auch für die »Olympiade von Gotland«, eine Art Fünfkampf im Stil der Wikinger. Die Arbeiterolympiaden wurden zwar international organisiert, doch verzichteten sie bewusst auf die nationale Kennzeichnung von Mannschaften und Athleten. Der Vereinssport auf nationaler Basis, wie zum Beispiel die Fußballbundesliga, weist sowohl massenmediale Abdeckung (mit teilweise grenzüberschreitender Berichterstattung), internationale Organisationsstrukturen (etwa im Rahmen von FIFA und UEFA), sowie einen Sinn für internationales Prestige auf (wie zum Beispiel durch prominente ausländische Spieler, die in einer heimischen Mannschaft spielen). Bundesligaspiele werden jedoch nicht »national« sondern meist »regional« gedeutet. Im Prinzip gilt das auch für den grenzüberschreitenden Vereinssport, wie etwa die UEFA Champions League oder die Europa League. FC Barcelona oder Manchester United haben in ganz Europa Anhänger und die Zuschauerloyalitäten verlaufen bei manchen Spielen quer über den Kontinent. Dennoch werden in der Regel die Spiele heimischer Vereine in diesen Bewerben in den Medien besonders genau verfolgt. Sieg oder Niederlage werden leicht zu »nationalen« Siegen oder Niederlagen stilisiert. Vereinsmannschaften werden somit auf dieser internationalen Ebene zu nationalen Stellvertretern erhoben. Damit wird Vereinssport zu »Nationensport« transformiert.
Kapitel 5 – »Nationensport« als Weltkultur
Sport als Kulturimperialismus? Bei der Gegenüberstellung von traditionellem und modernem Sport wird oft die Frage, ob letzterer »Weltkultur« sei, in das Zentrum gerückt. Gerade die große Bedeutung von Patriotismus, der mit sportlichen Wettkämpfen verbunden ist, verweist auf partikularistische und regionale Loyalitäten in Zusammenhang mit Sport. Das Beispiel des »Wunderteams« zeigt deutlich, dass moderner Sport leicht zu einer Projektionsfläche für »erfundene Traditionen« und nationale Identitätspolitik werden kann. Die zweischneidige Position des modernen Sports zwischen Nationalismus und Internationalismus war bereits in der Anfangsphase der Olympischen Bewegung sichtbar.25 Pierre de Coubertin war einerseits bemüht, durch die Idee des »Olympismus« verfeindete Nationen einander näherzubringen. Andererseits war Coubertin ein französischer Patriot (vgl. MacAloon 2001: 83ff und 258 f), dem zunächst viel daran gelegen war, die Wehrkraft Frankreichs durch Sport zu stärken. Aber anders als sein rechtsradikaler Zeitgenosse Charles Maurras (1868 – 1952) oder als die Boulangisten (nach General George Ernest Boulanger) war Coubertin kein Revanchist.26 Coubertin stellte sich auch gegen die Haltung von Pascal Grousset (1844 – 1909), Schriftsteller, Historiker und Politiker, der den Sportunterricht in Frankreich förderte. Grousset, der zwar mit seiner l’Encyclop¦die des Sports (1892) die Einführung des Fußballs in Frankreich begünstigte, war dennoch Kulturchauvinist. Er meinte, besser wäre es »französische« Sportarten zu fördern als »englische« (vgl. MacAloon 2001: 110). Ähnlich wie Diem in Deutschland versuchte auch Grousset zu beweisen, dass etwa Fußball einen eigentlich französischen Ursprung besäße. Coubertin und die Olympische Bewegung verbanden jedoch Patriotismus mit Internationalismus. 25 Zur Geschichte der frühen olympischen Bewegung und der Olympischen Spiele, siehe Guttmann (2002). 26 Zur Politik Charles Maurras’, siehe: Sutton (vgl. 1982)
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Unter Berücksichtigung dieser schwierigen Anfangssituation des modernen Sports (und damit auch des »Nationensports«) wurde von manchen die Frage aufgeworfen, ob dieser eine Form von »Kulturimperialismus« darstelle (vgl. Eichberg 1984; Guttmann 1993; 1994). Hat der »englische« oder »amerikanische« Sport also den traditionellen Sport in anderen Ländern »verdrängt« oder »unterdrückt«? In einem gewissen Sinn erinnert diese Fragestellung jedoch an das essentialistische Konzept von (nationaler) Kultur bei Maurras und Grousset. Die Debatte um die kulturelle Hegemonie des modernen Sports geht stillschweigend vom Konzept in sich abgeschlossener »nationaler« und »traditioneller« Kulturen aus, die von anderen abgeschlossenen »Kulturen« »dominiert« werden können. Die Perspektive auf eine »Weltkultur« kommt dabei meist zu kurz. Eichberg (1984; 1998) gilt als einer der wichtigsten Vertreter der These, dass der moderne Sport eine Form von Kulturimperialismus darstellt. Für ihn ist die Diffusion von Sport ein Produkt angelsächsischer Dominanz über andere »Kulturen«. Sport verbreitete sich seiner Ansicht nach meist direkt über den imperialistischen Einfluss Amerikas und Britanniens auf andere Regionen. Guttmann (1994: 171ff) stimmt der Kulturimperialismusthese nicht ganz zu. Guttmann sieht die Diffusion von Sport aber auch als Ausdruck kultureller Hegemonie. John Tomlinson (1991) formuliert dagegen eine deutlichere Kritik an der Kulturimperialismusthese. Tomlinson meint, dass die lineare These westlicher Kulturdominanz über die restliche Welt durch eine Perspektive ersetzt werden sollte, die die Rückwirkungen von kultureller Diffusion in den Westen berücksichtigt. Im modernen kapitalistischen Weltsystem sind selbst die westlichen Staaten kultureller Unsicherheit ausgesetzt. Kultureller Einfluss aus dem Westen wirkt oftmals in ungewollter Weise zurück. Heute herrsche, so Tomlinson (1991: 175) »interconnection and interdependency of all global areas which happens in a far less purposeful way« vor. Der Export von Sport führte auch zu neuen Möglichkeiten für die kolonialisierten Gesellschaften, sich in neuer Weise mit den Kolonisatoren zu messen. Kricket wurde zwar in England erfunden, aber mutierte in der Karibik zu einem Ausdruck nationaler Identität, indem englische Kricketteams besiegt wurden (vgl. Cashman 1988). Der Kolonialherr wurde mit den eigenen Waffen geschlagen! Auch Maguire (1994; 1999) macht auf diese Rückkoppelungen englischen Kulturexports aufmerksam. In Anlehnung an Elias meint Maguire, dass durch den sportlichen Wettbewerb zwischen Städten, Regionen und Ländern die kulturellen Kontraste geringer werden, aber die Varianz der Konkurrenz größer. In diesem Sinn stellt der »Nationensport« eine Form von Zivilisierung zwischenstaatlicher und transkultureller Konkurrenz dar. Marschik (2004) bezeichnet den Sport als »leeren Signifikanten.« Sein vordergründig kulturell und politisch neutrales Erscheinungsbild stellt die Voraussetzung für seine weltweite Diffusion dar.
Sport als Kulturimperialismus?
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Beschäftigen wir uns daher in diesem Kapitel mit der These, dass vor allem die Eigenschaft des modernen Sports »Nationensport« zu sein, seine weltweite Proliferation förderte. Damit muss aber auch eingeräumt werden, dass »Nationensport« nicht nur »erfundene Traditionen« im Sinne Hobsbawms (1983) hervorbringt. Sporttraditionen, die von Menschen aus vielen Ländern geteilt werden, besitzen im weiteren Verlauf ihres Wirkens nämlich verpflichtenden Charakter. Die Rituale der Olympischen Spiele, die Frequenz, alle vier Jahre Fußballweltmeisterschaften auszutragen, die Konvention, den Austragungsort zu wechseln, die Erstellung von ewigen Medaillen-, Sieger- und Rekordlisten mögen zwar durch »erfundene« Traditionen legitimiert werden, indem ihnen eine besondere Aura verliehen wird. Dennoch besitzen sie für die Teilnehmer einen fast unverrückbaren Charakter. Zum einen ist das internationale Teilnehmerfeld im modernen Sport derartig groß, dass weder Individuen, noch nationale Verbände oder gar Nationalstaaten an diesen Konventionen rütteln können. Für relativ neue Mitglieder im internationalen Sportsystem gilt der Nimbus der Unveränderbarkeit geteilter Sporttraditionen umso stärker. Als die UdSSR in den 1950er Jahren begann, an Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften teilzunehmen, musste sie sich der Logik des bereits bestehenden »bürgerlichen« Sports unterwerfen (vgl. Edelmann 2006). Ähnliches galt für China, als es in den 1980er Jahren begann an den Olympischen Spielen teilzunehmen (vgl. Xin 2006). Es konnte an dessen Prinzipien nichts ändern, sondern war bloß bemüht, im Rahmen der vorgegebenen Strukturen und Normen möglichst gute Ergebnisse zu erzielen. Dasselbe gilt für alle anderen neuen Staaten, die entweder im Zuge der Entkolonialisierung oder des Zusammenbruchs des Kommunismus ihre eigenen Mannschaften und Athleten in internationale Wettbewerbe entsandten (vgl. Adams 2003). Wenn man versucht, die organisationssoziologische Theorie von Hirschman (1970) auf dieses internationale Feld umzulegen, so kann behauptet werden, dass Staaten und deren Sportverbände entweder die Möglichkeit haben, sich den geteilten Sporttraditionen anzuschließen (loyalty) oder am Weltsport nicht teilzuhaben (exit). Der Versuch, dessen Strukturen zu ändern, sodass diese den eigenen nationalen Ideologien entsprechen (voice), dürfte allerdings scheitern. »Nationensport« erzeugt somit durch Anpassung weitgehend akzeptierte Normen und eine standardisierte Vorstellung von Prestige. Es entstehen somit Formen nationaler Wir-Bilder und Wir-Ideale im Rahmen einer Weltkultur, deren Inhalte ethnisch oder religiös substanzlos erscheinen. Moderner Sport, und damit auch seine Spielart als »Nationensport«, stellt eine weitgehend entethnisierte Kulturpraxis dar, die jedoch aufgrund der permanenten Aufforderung zur nationalen Loyalität durch seine Wettkampfordnung Legitimität erfährt. Dieses Kapitel setzt sich zunächst mit den ambivalent erscheinenden Ge-
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fühlen nationaler Loyalität und dem Internationalismus in Zusammenhang mit »Nationensport« auseinander. Hier wird auch wieder das bereits angesprochene Thema des Verhältnisses von Habitus und Identität zur Sprache kommen. Danach werden andere »Faktoren« der Habitualisierung des modernen Sports und seiner Entethnisierung diskutiert. In einem vierten Abschnitt werden die Eigenschaften der international geteilten Sporttraditionen auf die Bildung nationaler Wir-Bildern und Wir-Ideale untersucht.
»Nationensport«, Akzeptanz und Habitus Geertz (2005 [orig. 1972]) kommt in seiner Untersuchung über den balinesischen Hahnenkampf – wie bereits erwähnt – zu dem Schuss, dass Sport und Spiele tiefsitzende Werte und kulturelle Eigenheiten einer Gesellschaft zum Ausdruck bringen können. Sie sind daher »deep play«. In dieser Sichtweise könnte auch der traditionelle Sport als »deep play« gesehen werden. Ulf Hannerz (1991) unterscheidet bei dem Konzept von cultural flow drei Ebenen des kultureller Diffusion. 1) Austausch über Märkte in Form von Gütern, Dienstleistungen und Kapital. Dabei handelt es sich nach Hannerz um relativ oberflächliche Formen der Diffusion kultureller Praktiken, die das »deep play« nicht beeinflussen werden. Dazu zählen etwa Sportmoden, die über Fernsehen und Internet kurzfristig modern erscheinen. 2) übt auch der Staat Einfluss auf die Akzeptanz von übernommenem Sport aus, indem er sich etwa als Organisator einer Identitätspolitik zu profilieren versucht. 3) existieren »habitual perspectives and dispositions« oder eine tiefe Kultur von Sport. Diese Aspekte des Sports sind nicht leicht änderbar und bleiben relativ unberührt gegenüber cultural flows. Hannerz (Hannerz 1992: 261 ff.) geht davon aus, dass der »Kulturfluss« sich zwischen »Zentrum« und »Peripherie« bewegt eine Form von »kultureller Ökumene« bildet. Am äußeren Rand dieser Ökumene bilden sich »kreolisierte« Formen einer Weltkultur. Der »Nationensport« breitet sich innerhalb einer solchen »kulturellen Ökumene« über die ganze Welt aus. Die Idee einer »intergenerativen Habitualisierung« geht davon aus, dass sich viele Länder den modernen Sport als »tiefe« Kultur über einen langen Zeitraum, der Generationen umfasste, aneigneten. Zunächst traf der »englische Sport« in vielen Ländern auf einige begeisterte Anhänger, die diesen übernehmen wollten, aber auch auf Widerstand durch andere. An den unterschiedlichen Plätzen der Welt nahm diese Auseinandersetzung andere Verläufe und Formen an. In Deutschland oder Skandinavien, wo bereits ein ausgefeiltes System der Gymnastik und des Turnens bestand, war dieser Widerstand organisierter als anderswo. Wie bereits oben beschrieben, war die Situation in Frankreich zur Zeit des jungen Coubertin etwas anders. Hier
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entstand durch Schaffung der Dritten Republik eine von Renan (1996) und später Durkheim beeinflusste Auffassung einer zivilen oder ethnisch substanzloseren Form von »Gesellschaft« oder »Nation« als in Deutschland. Der Widerstand des konservativen und teilweise rechtsradikalen Lagers gegen den »englischen« Sport war weniger organisiert als in Deutschland und einigen anderen Ländern, in denen die Turner Teil einer ethnisch bestimmten Nationalbewegung darstellten. In den USA wurde der »englische« Sport scheinbar aufgrund der gemeinsamen angelsächsischen Traditionen rasch übernommen. Hier entwickelte sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auf Universitäten, Colleges und auf Basis privater Vereine eine lebendige Sportszene. Einige Sportarten, wie Rudern oder Kricket wurden aus England übernommen. Einige andere Sportarten wurden in den USA jedoch eigenständig weiterentwickelt. Dazu zählen etwa der »Nationalsport« Baseball, Basketball oder American Football (vgl. Guttmann 1994: 71 – 111). In den USA wurden allerdings auch auf den Universitäten Leichtathletikbewerbe (track and field) populär. Andere Sportarten wie Boxen, das bei den unteren Schichten populär war, durchliefen rasch eine starke Kommerzialisierung. In anderen Gegenden wiederum, wie etwa in China oder Japan verband sich der »englische« Sport in den ersten Jahrzehnten mit dem Gedanken der Wehrertüchtigung. Auch in Deutschland wurde aus diesem Grund etwa Fußball durch das Militär gefördert. In den britischen Kolonien und etwas später auch den französischen, amerikanischen und holländischen Kolonien verbreiteten sich Sportarten aufgrund europäischer Besatzungssoldaten und Verwaltungsbeamten (vgl. Eichberg 1984; Cashman 1988; Perkin 1989). Dabei förderten die Engländer viel bewusster als die Franzosen Sport als Mittel der Bindung zum Mutterland (vgl. Moore 1988). Hier ist nicht der Ort, um den Prozess der Diffusion von »Sport«, die Globalisierung des »Sports«, detailliert nachzuzeichnen (für weitergehende Darstellungen, vgl. Maguire 1999; Fanizadeh et al. 2005). Wichtig ist nur zu sehen, dass dieser Vorgang nirgends ohne Widerstand oder innerhalb von wenigen Jahren vor sich ging. Coubertin beobachtete auf seiner Reise durch die USA 1889, dass der moderne Sport hier nicht durch das Schulsystem Verbreitung fand – der Schulsport war fest in der Hand der Turner und offensichtlich bei den Schülern sehr unbeliebt – sondern in Form von privaten Vereinen (vgl. MacAloon 2001: 113 ff.). Coubertin war von dieser Entwicklung überrascht und begeistert. In der Tat verbreitete sich »Sport«, Gymnastik oder Turnen in anderen Ländern mit Hilfe staatlicher Institutionen, vor allem der Schule und des Militärs. Bei der Verbreitung des Sports außerhalb der britischen Inseln dürfte die USA eine Sonderrolle spielen. Die Olympischen Spiele und andere Formen des »Nationensports« waren in den meisten anderen Ländern wahrscheinlich ein
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wichtiger Aspekt, der half den modernen Sport akzeptabel zu machen, indem er Globalisierung und Nationalismus miteinander versöhnte. Charles Maurras, der prominenteste Vertreter der rechtsradikalen, antisemitischen und monarchistischen Action franÅaise – ist das eindrucksvolle Beispiel für einen Nationalisten, der intuitiv den internationalen Charakter des »Nationensports« als nützlich für seine Sache erkannte. Maurras war während der ersten Olympischen Spiele 1896 als Reporter in Griechenland unterwegs. In dieser Tätigkeit wurde er Augenzeuge der ersten Spiele dieser Art, die er zunächst als Spielart des Kosmopolitismus oder Internationalismus verachtete. Aber die Spiele hätten einen unerwarteten Effekt, nämlich dass … »… unterschiedliche Rassen zusammengewürfelt und gezwungen wären, miteinander zu agieren. Sie stoßen sich dabei gegenseitig ab und entfremden sich gerade in den Momenten, wo sie glauben sich zu vermischen.«27 »Der Krieg ist noch nicht tot. Früher verkehrten die Völker mittels Botschafter miteinander. Diese waren vermittelnde Puffer, die in der heutigen Zeit an Bedeutung verlieren. Die Rassen, befreit von der Anziehungskraft der Erde, durch Dampfkraft und Elektrizität gestärkt, sind nun bereit ohne Vermittler miteinander zu agieren, sich direkt gegenseitig zu beleidigen, einander zu stoßen. Das antike ludus pro patria wird zur Notwendigkeit.«28
Die Olympischen Spiele würden zu einem »glücklichen Schlachtfeld« der »Rassen« werden, welches bloß zeigt, dass »Nationalismus« notwendig wäre. MacAloon (2001: 263) schreibt, dass Maurras davon überzeugt sei, Engländer und Amerikaner wären vom Nationalismus besessen. Daran sollten sich auch die Franzosen ein Beispiel nehmen. Coubertin stimmte dieser Auslegung der Olympischen Spiele und ihres Internationalismus nicht zu, denn diese waren für ihn Mittel gegen Chauvinismus und Krieg. Dennoch zeigt das Beispiel Maurras, dass der »englische Sport« gerade in seiner Form als »Nationensport« auch bei Personen Anklang fand, die sonst jeden äußeren Einfluss abgelehnt hatten. Die Proliferation von modernem Sport geht somit auch Hand in Hand mit der Ausbreitung der Idee der Nation. Betrachtet man den heutigen »Strom« an Fernsport, der als »Nationensport« inszeniert wird, bei dem Nationen an mehreren Bewerben täglich konkurrieren, so muss man feststellen, dass dieser Zustand relativ jungen Datums ist. Erst mit der Ausbreitung des Satellitenfernsehens und der gleichzeitigen Zunahme an Weltmeisterschaften, Europameisterschaften, Weltcups und anderen Turnieren und Wettkampfserien in den 1960er und 1970er Jahren entstand der Zustand des permanenten »Nationensports«. Betrachtet man diesen heutigen Zustand, so 27 Charles Maurras (1929) Le Voyage d’AthÀne, Paris: Flammarion: 68; zitiert aus: MacAloon (2001: 262); vom Autor übersetzt. 28 ebd., 95; zitiert aus: MacAloon (2001: 263); vom Autor übersetzt.
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fällt es nicht schwer, sowohl Coubertins wie auch Maurras’ Perspektive auf national inszenierte Wettkämpfe zu relativieren. Die Olympischen Spiele und auch andere Bewerbe des »Nationensports« haben eine andere Entwicklung genommen, als Coubertin es erhoffte. Die Olympischen Spiele wurden nicht zu einer Institution, in der sich die (männliche) Jugend der europäischen Eliten traf, um in einer Kombination aus gegenseitigem Respekt und Patriotismus den Frieden auf der Welt zu fördern. Die Olympischen Spiele wurden spätestens seit den 1930er Jahren zu einem Massenspektakel. Bereits 1908, bei den Spielen in London, wurden einige Wettbewerbe in der englischen Presse in chauvinistischer und anti-amerikanischer Weise interpretiert (vgl. Jenkins 2011). Coubertin erlebte noch die propagandistische Ausschlachtung der Berliner Spiele von 1936. In der Zeit des Kalten Krieges entwickelten sich die Olympischen Spiele zu einer ritualisierten Auseinandersetzung zwischen den beiden politischen Systemen. Gegenwärtig scheint der Medaillenspiegel für alle Teilnehmenden ein wichtiger Indikator der eigenen nationalen Leistung zu sein. Coubertins Motto »Dabei sein ist alles« wirkt unter diesen Gesichtspunkten verfehlt. Aber auch Maurras’ Sichtweise, dass der Internationalismus der Olympischen Spiele den äußersten Nationalismus fördere, geht angesichts der heutigen Lage ins Leere. Der nicht abreissenwollende Medienfluss an Nationensport erzeugt unter Berücksichtigung einiger Ausnahmen keine überwältigenden Gefühle nationaler Begeisterung. Es stimmt, Weltmeisterschaften kennen ihre AutoCorsi, Olympische Medaillen begeistern das nationale Publikum. Dennoch wirken die meisten dieser als Länderwettkämpfe inszenierten Wettbewerbe abgeklärt und emotional nivellierend. Selbst die national gefärbte Sportberichterstattung in der Boulevardpresse erzeugt keine »Efferveszenzen« im Sinne Durkheims, kein Aufrütteln der nationalen Gemeinschaft. Die Regelmäßigkeit der Bewerbe, die große Dichte ihrer Abfolgen, die vielen Siege und Niederlagen bringen vielmehr ein ständig lotterndes, immer vorhandenes, doch bescheiden spielerisches Niveau nationaler Begeisterung und Wir-Gefühle hervor. Der »Nationensport« kennt zwar besondere nationale Paarungen, Erzrivalen und traditionell beachtete Duelle zwischen Ländern. Dennoch kommt es zu keiner, wie Maurras glaubte, »Abstoßung« zwischen dem Publikum verschiedener Nationen.
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»Faktoren« und Perioden der Habitualisierung von »Nationensport« Im Bereich von Körperertüchtigung und Sport kommt der »soziale Habitus« in vielerlei Hinsicht zum Tragen. Der »soziale Habitus« kann in Beziehung zu Sportarten, z. B. als Spielstil oder Körpertechnik, die innerhalb einer bestimmten Gruppe besondere Verbreitung findet, in Erscheinung treten. Der »soziale Habitus« kann sich aber auch in der Auswahl der Sportarten, die in einer Region praktiziert werden, äußern. Ganz bestimmte Sportarten sind in manchen Gegenden beliebter als in anderen. Fußball stellt wohl die Sportart dar, die noch in den meisten Ländern als beliebteste Sportart gilt. Im Gegensatz dazu stehen Sportarten, die praktisch nur in einer bestimmten Region ernsthaft ausgeübt werden, wie etwa Hurling oder Eisstockschießen. Das Konzept von »sozialem Habitus« kann allerdings auch sekundäre Kultureigenschaften des Sports beschreiben. Darunter fallen zum Beispiel Haltungen zu Körper und Körperlichkeit (vgl. Bröskamp 1994). Muslimische Einwanderer bewerten manchmal Nacktheit oder Koedukation im Sportunterricht anders als die Mehrheitsbevölkerung. Der »soziale Habitus« wird so zu einem sichtbaren Symbol ethnischer Differenz. Aber auch Konventionen des Zuschauerverhaltens stehen in Zusammenhang mit »Habitus«. Dazu zählen Ausdrucksweisen von Freude und Enttäuschung, eine bestimmte Auffassung von Spannung in Zusammenhang mit Wettkämpfen oder der Stellenwert, den »Sport« generell in einer Gesellschaft einnimmt. Heute besitzen praktisch alle Tageszeitungen einen Sportteil. Man könnte in gewisser Weise behaupten, dass die Grundlagen des »Sports« weitgehend weltweit akzeptiert werden und dass deshalb heute eine Form von »Welt(sport)habitus« existiert. An einem bestimmten Ort, in einer Region oder in einem Land können ganz bestimmte Spiele, Wertvorstellungen, Körpertechniken und Bedeutungen mit »Sport« im weitesten Sinne verbunden sein, die anderswo nicht gegeben sind. Formen des Fußballs sind aus verschiedenen Gegenden, wie zum Beispiel Italien oder China bekannt. Erst bestimmte soziale Konstellationen erlaubten, dass im 19. Jahrhundert gerade die englische Variante (oder besser, eine der vielen englischen Varianten) ihren Siegeszug um die Welt antrat. Nachdem der »englische« Fußball Verbreitung fand – d.h. ein bestimmtes Verständnis von einem Mannschaftssport, das die Bezeichnung »Fußball« trägt – gab es noch lange Zeit regionale Spielstile ein und desselben Sports. Heute weichen aufgrund des permanenten Kontakts von Spielern und Mannschaften aus allen Gegenden diese regionalen Spielstile allmählich einem einheitlichen Spielstil. In der Gegenwart werden Sportarten wie Fußball, Tennis, Leichtathletik, Radfahren oder Schwimmen in den meisten Ländern Europas und in vielen
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weiteren Regionen der Erde nicht mehr als Teil einer fremden »Kultur« erlebt. Sie sind zum Bestandteil der eigenen »Kultur« geworden. Das gilt nicht für jede Sportart, dennoch für die verbreitetsten. Sport besitzt zwar lokale Spielarten und manchmal ist er an bestimmten Orten auch in eine ganz einmalige soziale Situation eingebettet, die anderswo nicht gegeben ist. Man kann Sport in diesem Sinn nach Robertson (1995) als »glokalisierte« kulturelle Praxis beschreiben. Dennoch, gerade der Nationensport weist überall in Europa und anderen Teilen der Welt eine fast unverwechselbare soziale Bedeutung auf. Das Verständnis von Prestige, Regelkonformität und Fairness ist überall ähnlich. Die massenmediale Darstellung der Nation im Nationensport weicht in vielen Ländern auch nicht stark voneinander ab. Selbst das Publikumsverhalten im Sportstadion oder beim Public Viewing ist in den meisten Ländern ähnlich. Manchmal fällt es sogar schwer, im Spitzensport die nationale Herkunft eines Athleten bloß aufgrund der Spielpraxis oder Körpertechnik zu bestimmen, weil Spitzensportler immer seltener einen »nationalen« Stil verfolgen. So wie der »nationale Habitus« andere Prägeapparaturen wie Dorf, Arbeitsplatz oder Familie nicht ersetzt, sondern bloß ergänzt, verdrängt auch der »Welthabitus« nicht den »nationalen Habitus«. Spitzensport ist aufgrund seiner Popularität und körperlichen Intensität wahrscheinlich sogar der stärkste Aspekt der Weltkultur. Im Bereich des Spitzensports sind jedoch nicht alle nationalen Gewohnheiten (habits) durch globale ersetzt worden. Hier wird das Konzept von Weltkultur daher eher als ein Prozess der kulturellen Prägung eines global gleichförmigen Musters aufgefasst, der längst noch nicht vollständig und abgeschlossen ist. Hier werden nun vier Dimensionen des »Nationensports« als Weltkultur beschrieben: Konkurrenzdruck, Professionalisierung, Kommerzialisierung und Imitation der Konventionen des Publikumsverhaltens.
Konkurrenzdruck Ein nationaler Sportstil oder eine landesspezifische Eigenheit in einer Sportart entwickelte sich in einer Phase des Sports, in der der wettbewerbsmäßige Kontakt zum Ausland noch nicht in einem hohen Grad institutionalisiert war. Lokale Sportverbände oder Sportschulen hatten noch einen sehr großen und vor allem exklusiven Einfluss auf die Sportsozialisation von Athleten. In Österreich hatten z. B. in den 1930er Jahren Schilehrer einen starken Einfluss auf Fahrstil und Professionalisierung im Schisport. Im Fußball entwickelte sich zur gleichen Zeit das typische »Wiener Scheiberlspiel«. Diese Eigenart ist also Ausdruck einer bestimmten Haltung, entwickelt in einem geografisch verdichteten Profifeld, in dem ein bestimmter Sinn von Eleganz und vor allem Trickreichtum vermittelt werden konnte, ohne dass die ausländische Konkurrenz noch allgegenwärtig
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gewesen wäre. Der Profifußball bietet noch weitere Beispiele solcher länderspezifischen Eigentümlichkeiten in Haltung und Spielstil aus anderen Ländern, wie etwa den italienischen Catenaccio (defensiv) oder den brasilianischen Ballzauber der Seleżo, die nach dem sogenannten »MaracanaÅo«, der historischen Niederlage gegen Uruguay bei der Weltmeisterschaft 1950 zwei Jahre lang keine Spiele mehr durchführte und danach komplett umgestaltet wurde (inklusive der neuen berühmten grün-gelben Dressen). Ein anderes Beispiel bildet der extrem harte und körperbetonte englische Fußball, dessen zusätzlicher Charakterzug etwa darin liegt, mit weiten Einwürfen von der Außenlinie oder hohen Flanken bis in den Strafraum des Gegners zu gelangen. Zwei Faktoren drängten regionale Spielstile zurück: 1) die Entstehung eines grenzübergreifenden Arbeitsmarktes für Sportler und 2) die Verdichtung internationaler Konkurrenz. Hier beschäftigen wir uns zuerst mit dem zweiten Punkt. Zum Beispiel im Fußball kam es aufgrund einer höheren Frequenz und einer größeren Regelmäßigkeit von Länderspielen und von Vereinsmeisterschaften auf europäischer Ebene zu einer Vereinheitlichung von Spielstilen, Taktiken und Körpertechniken. Seit den 1970er und 1980er Jahren wurde etwa das individuelle »Wiener Scheiberlspiel« durch ein körperbetontes und konditionslastiges Spiel ersetzt. Sowohl die österreichischen Vereinsmannschaften der Bundesliga, wie auch die österreichischen Nationalmannschaften zeichnen sich seit Jahrzehnten nicht mehr durch einen regional identifizierbaren Stil aus. Die Einführung der UEFA-Champions-League in den 1990er Jahren führte zu einem weiteren Schub der Vereinheitlichung. Wichtig ist jedoch zu sehen, dass die Prozesse der Vereinheitlichung aufgrund von Konkurrenz sekundärer Natur sind. Das heißt, ihnen gehen fundamentalere Schritte der Übernahme einer Sportkultur voraus. Damit ist etwa die generelle Akzeptanz von Fußball als Importgut aus England gemeint. Erst nachdem sich ein Sport in einem Land etabliert hat, heimisch geworden ist – und somit zu einem Teil des »sozialen Habitus« – treten weitere internationale Vereinheitlichungen auf.
Professionalisierung Das gilt auch für die zweite Dimension des Wandels zum Spitzensport als Weltkultur : die Professionalisierung im Sport. Der Wandel von einem reinen Amateursport zu einem Profisport, wo also Sport Beruf ist, stellt eine wichtige Grundlage für die Herausbildung einer einheitlichen Sportweltkultur dar. Die Professionalisierung von Sport bereitet nämlich den Boden für Rationalisierungsmaßnahmen innerhalb eines Sportbetriebs ein, die leicht von einer Region auf die andere übertragen werden kann. Die Professionalisierung des Spitzensports hat wiederum mehrere Unterdimensionen. Erstens wäre der Aufbau einer
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Organisationsstruktur des Sports zu nennen, der es ermöglicht, standardisierte Regeln durchzusetzen und einen regelmäßigen Wettbewerbsbetrieb in Gang zu halten. Das Verbands- und Vereinswesen, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand, griff sehr bald auch über Landesgrenzen hinweg und organisierte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts in Kontinental- und Weltverbänden. Der Nationensport konnte erst auf Grundlage dieses internationalen Verbandswesens organisiert werden. Zweitens kam es zu einer Herausbildung eines gemeinsamen Sportlerarbeitsmarktes (vgl. Maguire 1996). Der europäische Fußball nach dem »Bosman-Urteil« und die Institutionalisierung der Champions League formten etwa einen sehr fortgeschrittenen internationalen Arbeitsmarkt für Fußballer. Nationale Spielstile verschwinden schon deshalb, weil immer weniger Spieler eines Spitzenvereins aus derselben Gegend stammen. Damit ist ein vierter Aspekt von Professionalisierung verbunden: die Herausbildung eines einheitlichen Trainingssystems und einer einheitlichen Sportsozialisation von Jugendlichen. Der Prozess der Formierung einer Weltkultur durch Professionalisierung kann auch unter dem vom Organisationssoziologen John. W. Meyer bekannten Muster des »institutionellen Isomorphismus« verstanden werden (vgl. DiMaggio und Powell 1983; Krücken 2005; Meyer und Jepperson 2005). Der daraus entstehende »Habitus« entspricht dem einer immer stärker transnational agierenden Profischicht.
Kommerzialisierung Die dritte Dimension des Wandels zum Spitzensport als Weltkultur bildet die Kommerzialisierung des Sports, die wiederum mehrere Aspekte besitzt. Einerseits führt die Kommerzialisierung des Spitzensports zu einer Vereinheitlichung der Ausrüstung und des äußeren Erscheinungsbildes von Sportlern. Des weiteren formt die Kommerzialisierung des Sports auch die Organisation des Wettbewerbsbetriebs, der aufgrund der ökonomischen Zwänge und der Interessen der Sponsoren einen immer standardisierteren Ablauf erhält. Das führt zum dritten Aspekt: der Kommerzialisierung des Medienbetriebs, der in dieser Untersuchung noch eingehender behandelt wird. Jedenfalls durchlaufen sowohl Medienmacher, als auch Sportjournalismus Prozeduren der internationalen Vereinheitlichung im Sinne des »institutionellen Isomorphismus«. Dieser Vorgang färbt schlussendlich auf die Ästhetik und den Stil der Sportberichterstattung sowie die Inszenierung von Nation und Patriotismus ab. Natürlich hat die Kommerzialisierung des Spitzensports auch auf den Breitensport Auswirkungen. Hier wird die Vereinheitlichung des Habitus durch Imitation der Profivorbilder vorangetrieben. Als Motor der Vereinheitlichung
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im Breitensport können Massenmedien und Kommerzialisierung gesehen werden. Im Fernsehsport wirkt immer stärker das Vorbild internationaler Sportstars. In Kombination mit Marketing und der globalen Sportartikelbranche entsteht somit eine weltweit standardisierte Ästhetik des Körpers. Die Werbekampagnen großer Sportartikelerzeuger wie NIKE oder Adidas zeugen von dieser Standardisierung der Sportästhetik (vgl. Goldman und Papson 1998). Die Kommerzialisierung des Sports führt in einigen Sportarten auch zur schleichenden »Entethnisierung« von Praktiken der Körperertüchtigung. Ein typisches Beispiel ist der deutsche und österreichische Alpinismus. Der Deutsche und Österreichische Alpenverein (1873 – 1938; von 1938 bis 1945: Deutscher Alpenverein) war ein wichtiger Träger von Antisemitismus, Deutschnationalismus und Nationalsozialismus. Juden war es schon Anfang des 20. Jahrhunderts untersagt Mitglied dieses Vereins zu werden (vgl. Beiträge in: Alpenverein et al. 2011). Kulturellen Ausdruck fand der deutsche und österreichische Alpinismus etwa in der traditionalistischen Gestaltung von Schutzhütten und Wanderkleidung, aber auch in der Pflege eines ethno-chauvinistischen Liedguts. Im Gegensatz dazu verbreitet die moderne Sportartikelbranche mit Marken wie Jack Wolfskin oder Northland ethnisch substanzlose Wanderbekleidung, die sich stilistisch an der Ausrüstung von Polar- und Bergsteigerprofis orientiert. Alpenhütten werden zunehmend mit modernem Komfort ausgestattet (die städtische Zivilisation findet in den Bergen Einzug) und im Sinne einer modernen architektonischen Ästhetik umgerüstet. Eine Vielzahl moderner Filme, die in den Alpen spielen (wie zum Beispiel Filme über die Bergrettung), vermitteln nicht mehr das völkische Konzept von »Heimat«, wie im deutschen Bergfilm der 1930er Jahre, sondern transportieren eine Konnotation von Abenteuer, Action und Sport.
Imitation der Konventionen des Publikumsverhaltens Die vierte Dimension des Wandels zum Spitzensport als Weltkultur stellt die Konventionen des Publikumsverhaltens dar. Diese Konventionen sind das Produkt von Imitation bedeutender Vorbilder aus anderen Ländern. Allem voran steht dabei die Imitation amerikanischer Showelemente. Junge Zuschauer wundern sich nicht mehr, auch in Europa Cheerleaders tanzen zu sehen oder einen professionellen Entertainer die Nationalhymne singen zu hören ( la Marvin Gay vor einem Baseballendspiel). Im Bereich des Fußballs haben italienische tifosi (partigiani) oder die italienische Ultra-Bewegung eine gewisse Vorbildwirkung. Autocorsi dröhnen sogar in Deutschland durch den Abend. Bodypainting, die Körperbemalung mit Nationalfarben in Gesicht und Körper, sowie fantasievolle Fahnen und Schlachtgesänge sind überall in Europa alltäglich
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geworden. Selbst beim eisigen Nachtslalom in Schladming (Österreich) oder bei Beach-Volleyball-Turnieren in Australien sind Elemente dieser globalen Nationalphantasien zu bestaunen. Die oben genannten Beispiele verweisen auf die Notwendigkeit, zwei Aspekte zu unterscheiden. Der erste Aspekt bezieht sich auf Formen nationaler Begeisterung und Zeremonien, zu denen Menschen eine bewusste Beziehung besitzen. Das heißt, die Teilnahme an einem Autocorso, am Mitsingen der Nationalhymne, an Siegesparaden oder dem Fahnenschwingen auf der Tribüne des Stadions mag zwar durch eine heftige emotionale Erregung von Freude ausgelöst worden. Dennoch ist wohl jeder in der Lage, sein Handeln in solchen Situationen zu reflektieren oder gar zu entscheiden, bei solchen Aktivitäten auf keinen Fall mitmachen zu wollen. Rituale, in denen die Aufmerksamkeit vieler Personen auf ein Ziel oder einen Punkt gerichtet sind, können mithin heftige Gefühlswallungen, die in der Sprache Durkheims (1994) »Efferveszenzen« genannt werden, auslösen. Der zweite Aspekt besagt, dass Individuen praktisch keine Möglichkeit besitzen, den Modus oder die Form dieser Rituale beliebig zu bestimmen. Als z. B. bei der Fußballweltmeisterschaft 1986 die mexikanischen Zuschauer den Fernsehpublikum »La Ola« (die Welle) präsentierten, verbreitete sich diese Form der Stimmungserzeugung rasch auf der ganzen Welt. Heute sieht man »die Welle« selbst in kleinen Stadien bei Zweitligisten. »Die Welle« wurde ein allgemein akzeptiertes Zuschauerritual und wahrscheinlich erkennen viele in der »Welle« nichts Mexikanisches mehr. Sie ist Teil einer akzeptierten Weltkultur und »natürliches« Ausdrucksmittel der Freude von Zuschauern. Dasselbe gilt auch für andere zeremonielle Praktiken im Sport. Ganz grundsätzlich muss gesehen werden, dass die weltweite Verwendung von Nationalhymnen, Flaggen und nationalen Symbolen ursprünglich mit bestimmten Herkunftskulturen und Entstehungsorten verknüpft war, die im Laufe der Zeit oft weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Heute weist jeder Staat und jede nationalstaatliche Gesellschaft eine gleiche Grundausstattung an Symbolen, Zeremonien und repräsentativen Institutionen auf. Dazu zählen Hymnen, Wappen, Flaggen, Nationalmannschaften. Obwohl diese Symbole die Distinktion einzelner Staaten markieren, sind sie doch Teil einer Weltkultur, die ein normiertes Verständnis von Staat und Nation besitzt. Hier sollen nun vier idealtypische historische Phasen den Prozess der Habitualisierung von Nationensport veranschaulichen. In Wirklichkeit überschnitten viele historische Abläufe die hier festgelegten Phasengrenzen. Phase 1 (18. Jahrhundert und davor): In Phase 1 besteht noch kein oder bloß ein seltener und unregelmäßiger Kontakt zwischen Gesellschaften. Vorformen des Sports und Formen der Körperertüchtigung bilden regional abgeschlossene
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und auf Eigenheiten aufbauende Sportkulturen. »Sport«29 ist aber noch kein Gegenstand von Identitätspolitik und Abgrenzung gegenüber anderen. Es herrscht ein Zustand relativ unreflektierter Haltung gegenüber diesen regionalen Sportpraktiken vor. Nennen wir diesen Zustand »naiver Habitus«. Er beschreibt eine fehlende oder ausbleibende mentale Haltung dem »Sport« gegenüber, die diesen als etwas Typisches, Regionalspezifisches oder mit nationaler Kultur Verbundenes ansehen würde. Bestimmte Spiele und Formen der Körperertüchtigung werden einfach als gegeben akzeptiert. Den meisten fehlt der Vergleich zu vorherrschenden Sportsitten in anderen Regionen oder Ländern. Es bestehen viele partikulare Sportkulturen unverbunden und regional verstreut nebeneinander. Nationensport hätte in dieser Phase keinen Sinn gemacht. Phase 2 (19. Jahrhundert und ca. anfängliches 20. Jahrhundert): Die vermehrte soziale Kommunikation zwischen den Regionen Europas, die Napoleonischen Kriege, der Bau von Eisenbahn- und Telegrafennetzen, die Industrialisierung und der Massenkonsum englischer Produkte (inklusive englischer und französischer Moden) schafft in Europa ein Klima kultureller Dominanz, das vor allem von England ausgeht. In dieser Phase tritt auch der »englische Sport« in weiten Teilen Kontinentaleuropas in Erscheinung. Aus diesen Gründen formieren sich kulturelle Gegenströmungen, die sich teilweise in nationalen Bewegungen sammeln. Dazu gehörten zum Beispiel auch die deutschen Turnervereinigungen, die in der Periode zwischen den Napoleonischen Kriegen und der Ausrufung des Deutschen Kaiserreichs (1871) eine nationale Einigungsbewegung darstellten. Aber auch die tschechische Sokolbewegung, die skandinavischen Gymnastikbewegungen und später ähnliche sportpolitische Vereinigungen in Asien formulierten gegenüber dem »englischen« Sport eine eigenständige Identitätspolitik, die darauf hinauslief, traditionelle Spiele und Formen der Körperertüchtigung des eigenen »Volkes« zu kultivieren. Es kommt zu einer »Ethnisierung« des Diskurses um »Sport«. Diese »Phase der Bewusstwerdung« fällt mit der Geburtsstunde des Nationensports zusammen. Um 1900 finden erste Länderkämpfe statt, die ersten internationalen Dachverbände werden gegründet und Multisport-Events, wie die Olympischen Spiele, werden aus der Taufe gehoben. In einigen Ländern Europas war die Ablehnung gegenüber dem »englischen« Sport größer und ideologisch belasteter als in anderen (das gilt erst recht für nicht-westliche Länder). Deshalb partizipierten einige Staaten in dieser 29 Wenn in dieser Skizzierung eines modellhaften Entwicklungsschema von »Sport« die Rede ist, soll klar sein, dass der Begriff des »Sports« und die damit verbundenen Bedeutungen einen historischen Wandel durchlaufen haben. Von »Sport« war etwa im Deutschland des 18. Jahrhunderts noch nicht die Rede, wenn man über Körperertüchtigung oder sportähnliche Spiele sprach. Der Begriff des »Sports« wird in dieser Skizze daher ganz unhistorisch verwendet.
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Periode nur halbherzig an internationalen Sportwettbewerben. In der Öffentlichkeit einiger Länder spielten zum Beispiel die Olympischen Spiele vor dem Ersten Weltkrieg eine viel geringere Rolle als etwa in England, Frankreich, den USA oder in Skandinavien. Das »internationale Sportprestige« war noch nicht vollständig und großräumig akzeptiert. Im deutschsprachigen Raum verband sich etwa Fußball etwas früher als andere Sportarten mit der Vorstellung von nationaler Ehre und internationalem Prestige. Aber es gab selbst dort regionale Unterschiede, auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden soll. Jedenfalls tauchten in dieser Zeit auch die ersten Sportzeitschriften auf. Sport wird auch langsam Bestandteil der Berichterstattung einiger Tageszeitungen. Phase 3 (ca. 1920er bis ca. 1960er Jahre): In Europa, Amerika und Japan erfahren große Sportarten wie Fußball, Schwimmen, Tennis, Leichtathletik oder Radfahren weitgehend Akzeptanz. Diese Länder stellen nun auch regelmäßige Nationalteams und Olympiamannschaften. In dieser Zeit entstehen auch Ländergruppen, innerhalb derer bestimmte andere Sportarten eine regionale Wichtigkeit entwickeln, wie z. B. der Nordische Schisport in Skandinavien, Alpines Schifahren in Mitteleuropa oder Rugby in den Ländern des Commonwealth. Bis zum Ende dieser Periode werden fast alle Länder der Welt, auch die unabhängig gewordenen Kolonien Afrikas, Nationalmannschaften und olympische Teams besitzen. »Sport« wird wieder zu einer Form von »Habitus«, weil die einstigen Auseinandersetzungen nach dem Erstkontakt mit den »englischen« Sport in Vergessenheit geraten waren. Dieser Vorgang ist wahrscheinlich nur unter Berücksichtigung des Wandels der Generationen zu verstehen. Er wird hier »intergenerative Habitualisierung« genannt. Im Gegensatz zum »naiven Habitus«, der in allen geographischen Regionen etwas anders geformt war, ist der neue »Sporthabitus« ein »Welthabitus«, weil nun dieselben Sportarten an vielen Orten der Welt praktiziert werden. In Phase 3 ändert sich auch die Ausrichtung der vorherrschenden Identitätspolitik in Zusammenhang mit Sport in den meisten Ländern. Nun wird Sport mit der Identität eines Landes nicht mehr auf Grundlage von Vorstellungen kultureller oder ethnischer Einmaligkeit verbunden. Es kommt zu einer »Entethnisierung« des Diskurses um »Sport«. Nun steht der Wunsch, an Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften oder anderen großen Turnieren teilhaben zu können, im Vordergrund. Nationalmannschaften werden zu einem Symbol von Souveränität. In Phase 3 finden auch Anfänge der Inszenierung der Nation in Massenmedien statt. Radio und später Fernsehen werden zu den Leitmedien dieser Epoche. Phase 4 (ca. seit 1970): In dieser Phase werden internationale Sportwettbewerbe langsam alltäglich. Sie bilden einen vertrauten Strom an Medieninformation. Die Verinnerlichung von Normen und Idealen des Nationensports führt zu einer weiteren Veränderung der Identitätspolitik, bei der nun Aspekte der Optimierung des Spitzensports im Vordergrund stehen. Es kommt zu einer
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Angleichung der Sportstile aufgrund des internationalen Konkurrenzdrucks und aufgrund von Professionalisierung und Kommerzialisierung des Nationensports. Jetzt erst kommt internationales Sportprestige richtig und flächendeckend zur Geltung. In dieser Phase ermöglichen technische Errungenschaften, wie Satelliten-Fernsehen und Computer, die Einbindung weltweiter Zuschauermassen in den Spitzensport. Imitation von Zuschauerkonventionen ist die Folge. Erst in dieser Phase kommt es in vielen Nationalgesellschaften Europas zu einer spürbarenTransformation nationaler Wir-Bilder und Wir-Ideale. Der medial inszenierte Mediensport erhält seit etwa den 1970er Jahren ein größeres Gewicht und beginnt andere Sphären der Gesellschaft, wie Politik, Kunst und Unterhaltung zu beeinflussen.
»Weltkultur« und international geteilte »erfundene« Traditionen Smith (1990: 180) meint, dass ein »Weltgedächnis« (world memory) nicht existiere, denn eine Weltkultur wäre zeit- und ortslos und besäße im Gegensatz zu nationalen Kulturen keine Tradition. Der moderne Spitzensport und vor allem seine Variante als »Nationensport« mit seinen mannigfaltigen Sporttraditionen zeugt jedoch vom Gegenteil. Eine grundlegende Form von Sporttradition bildet die Konvention Mannschaften oder Athleten nach nationaler Herkunft zu ordnen. Der Ausscheidungsmodus, wonach erst innerhalb nationaler und später innerhalb kontinentaler Wettbewerbe die Einzelathleten oder Teams für die Wettbewerbe auf Weltebene qualifiziert werden müssen, stellt eine weitere wichtige Konvention dar. Neben solchen grundsätzlichen Konventionen entwickelte sich innerhalb der regelmäßig stattfindenden Sportbewerbe auch ein großer Repertoire an Zeremonien und Ritualen. Die Konventionen der Siegerehrung besitzen heute weltweit Gültigkeit. Das dreistufige Podest, bei dem der Erstplatzierte auf der obersten, der Zweitplatzierte auf der mittleren und der Drittplatzierte auf der untersten Stufe stehend gefeiert wird, kam erst bei den Olympischen Winterspielen 1932 in Lake Placid auf. Diese Tradition baut bereits auf der Konvention auf, den ersten Drei eines Wettbewerbs, durch die Vergabe von Medaillen eine besondere Auszeichnung zukommen zu lassen, wobei das Metall Gold als prestigereicher und wertvoller gewertet wird als Silber und Bronze. Der Vierte geht eben leer aus. Darin zeigt sich auch der verpflichtende Charakter dieser internationalen Tradition. Denn selbst eine Supermacht kann nicht bei Bedarf die Konvention eines vierten Ehrenplatzes etablieren. Vor allem die Olympischen Spiele haben eine ganze Reihe an Ritualen und Zeremonien geschaffen, wie etwa Eröffnungs- und Abschlussfeierlichkeiten, Medaillenzeremonien, den olympischen Eid, die olympische Fahne oder den
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von den Nazis eingeführten olympischen Fackellauf (zu olympischen Zeremonien, vgl. Scherer 1995; vgl. Bourdieu 1996; vgl. Gebauer und Wulf 1996; Krüger 1999; Senn 1999; vgl. Lennartz 2002; Young 2005). Dasselbe gilt auch für Fußballweltmeisterschaften. Erst seit kurzer Zeit wird etwa die Hymne der FIFA bei Weltmeisterschaften und die der UEFA bei Europameisterschaften, Champions League und Europa Liga gespielt (vgl. Murray 1999; Darby 2003). Hier sollen nun verschiedene Formen von Sporttraditionen genauer besprochen werden.
Die Tradition unterschiedlicher Wettbewerbskreise Die Spaltung von Football Association und Rugby Union etablierte zwei unterschiedliche Sporttraditionen. Dies führte im 20. Jahrhundert zur Herausbildung zweier unterschiedlicher internationaler Wettbewerbskreise. Dort, wo Fußball wichtiger wurde, konkurrieren regelmäßig dieselben Staaten um die Trophäen des Fußballprestige. Dasselbe gilt für Rugby. Manchmal sind Staaten wichtige Teilnehmer in beiden Wettbewerbskreisen (z. B. Frankreich und England). Die Mitgliedschaft in einem internationalen Wettbewerbskreis besitzt viele Gründe. Einer davon ist zum Beispiel, ob und welche koloniale Vergangenheit ein Land besitzt. Rugby ist in vielen ehemaligen englischen Kolonien beliebt. Aber ein Sport kann auch aus ganz anderen Gründen in einem Land sehr populär geworden sein. Manchmal spielen sogar historische Zufälle eine wichtige Rolle. Ein anderes Beispiel der frühen inneren Differenzierung einer Sportart, die später zur Herausbildung von unterschiedlichen internationalen Wettbewerbskreisen führte, ist der Schisport mit seiner Spaltung zwischen den »nordischen« und den »alpinen« Schisportarten. Beide Sportfamilien bleiben zwar unter dem Dach der FIS organisiert. Dennoch entstanden distinktive internationale Wettbewerbskreise. Traditionen, zentrale Wirkstätten und wichtige Mitglieder (Nationen) der beiden Gemeinschaften unterscheiden sich. Ein Finne oder eine Finnin kennt oft die Sportgeschichte des Langlaufs, seine großen Stars, Duelle und Momente, weiß aber vielleicht wenig über den alpinen Schisport. Die lange Beständigkeit vieler Sportorganisationen ermöglicht auch, dass Sportarten ihre eigenen Regelgeschichten besitzen, also einen Wissensbestand darüber, wie, warum und wann sich bestimmte Regeln veränderten. So ist dem interessierten SchisprungPublikum in groben Zügen bewusst, was die Umstellungen in der Sprungtechnik zur Folge hatten. Der Schwede Jan Böklöv wird deshalb noch in Ehren gehalten, weil er als Pionier des V-Stils gilt, dem der Mut zugesprochen wird, zunächst gegen die Widrigkeiten des damaligen Reglements zu springen, das eine Abweichung vom älteren Flugstil mit Punkteabzug bestraft hatte. Die verschiedenen Sportarten etablieren somit aufgrund ihrer individuellen Ausbreitungsgeschichte unterschiedliche internationale Wettbewerbskreise.
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Manche davon sind groß, umfassen viele nationale Sportverbände, wie etwa Fußball. Manche von ihnen binden nur wenige Nationen näher aneinander, wie etwa der Alpine Schisport. Internationale Wettbewerbskreise konstituieren allerdings nicht nur den regelmäßigen Austausch und Wettbewerb zwischen Athleten und Mannschaften aus bestimmten Ländern. Jeder Wettbewerbskreis besitzt auch eine andere Vorstellung von Prestige, das verbunden ist mit bestimmten Leistungen, Orten, Turnieren und historischen Bezügen. Somit besitzen internationale Wettbewerbskreise auch distinktive »Sportkulturen«, die sich zwar nicht stark voneinander unterscheiden, aber dennoch eine gewisse Vertrautheit mit dem Sport voraussetzen, damit »Spannung« und die Bezüge von Prestige verstanden werden können. Internationale Wettbewerbskreise binden aber auch aufgrund der Massenmedien das Publikum unterschiedlicher Länder aneinander. Zeitungen, Radio oder Fernsehen stilisieren zum Beispiel die Duelle zwischen zwei Ländern, die »historisch« oder »traditionell« wären. Ein nationales Publikum hat je nach Sportart seine »Erbfeinde« oder »Angstgegner«. Innerhalb von internationalen Wettbewerbskreisen besteht auch ein gemeinsames Bewusstsein über für herausragend gehaltene Sportleistungen oder Turniere, deren Erinnerung daran gepflegt wird. Weil internationale Wettbewerbskreise auch sportliche Kulturen oder Subkulturen etablieren, die auch die Öffentlichkeit der involvierten Länder umschließt, soll in dieser Studie der Begriff der »agonalen Weltsportgemeinschaft« eingeführt werden. Der Kontakt zwischen den Sportlern und der Öffentlichkeit unterschiedlicher Länder führt eben zu einer Form von grenzüberschreitender Vergemeinschaftung. »Agonale Weltsportgemeinschaften«, die sich um den Kristallisationspunkt einer Sportart bilden, verbinden manchmal geografisch weit entfernte Länder, deren »Kultur« im Sinne Huntingtons (2002) wenig Berührungspunkte besitzen und die auch in geopolitischer Hinsicht überhaupt nicht, oder bloß indirekt miteinander verbunden sind. Fußball verbindet große Teile der Welt. Manchmal jedoch bilden diese internationalen »Erregungsgemeinschaften« aus geografischer Sicht bizarre Gebilde. Um bestimmte Sportarten gruppieren sich Länder, die geografisch, historisch und kulturell wenig (oder fast nichts) miteinander zu tun haben, wie z. B. beim Basketball (USA, Serbien, Türkei, Litauen, Argentinien, China, Spanien, Griechenland etc.), Leichtathletik (USA, Kenia, Äthiopien, Russland, Jamaika etc.) oder Formel-1 (England, Italien, Deutschland, Österreich, Brasilien, Kanada etc.).30 »Agonale Weltsportgemeinschaften« mit ihren Sportduellen stellen somit 30 Bei der Formel-1 kann zumindest behauptet werden, dass die meisten wichtigen Länder dieses Sports eine historisch gewachsene Autoindustrie besitzen. Aber die USAwäre auch ein klassisches Formel 1-Land, ist jedoch viel stärker den IndyCar Series und dem Indy500 (dem ältesten Rundstrecken-Autorennen der Welt) verpflichtet.
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eine Form von internationalen Beziehungen dar, die nicht mit dem politischen Verständnis dieses Begriffs korrespondieren. Trotz der fehlenden geopolitischen Bezüge mancher Beziehungen zwischen Teilnehmern solcher internationaler Sportgemeinschaften, besitzen diese in einigen Fällen große Bedeutung sowohl für die Politik eines Landes, wie auch für die Gestaltung nationaler Wir-Bilder und Wir-Ideale. In einem später folgenden Kapitel werden die Eigenschaften von »agonalen Weltsportgemeinschaften« genauer untersucht. Die Bedeutung »historischer« Sportduelle zwischen Ländern soll hier noch anhand eines Beispiels erläutert werden. Neben Kricket gelten Feldhockeyspiele zwischen Indien und Pakistan als wichtigste Form des Sportduells. In diesem Fall ist dieses Duell an die geopolitische Realität gebunden und stellt eine Verlängerung der machtpolitischen und militärischen Auseinandersetzung beider Staaten dar. Daher wurde vom pakistanischen Verband 1978 die prestigereiche Champions Trophy initiiert. Das Turnier wurde auch die ersten zehn Jahre sieben Mal in Pakistan ausgetragen. Erst die Einführung von Kunstrasenplätzen und der stärkeren Betonung von Athletik bewirkte, dass Holland, Deutschland und Australien die dominierenden Hockey-Länder wurden. Die reale Bedeutung pakistanischer und indischer Mannschaften schwand. Wichtig ist jedoch zu erkennen, dass die internationale Form von Sportorganisation im Prinzip jedem Land die Teilnahme an einer Sportart ermöglicht und damit auch der Wettbewerbskreis ausgedehnt werden kann. Eine solche Auswertung führt jedoch zu bestimmten Konsequenzen. Zum einen bekommen klassische Sportduelle den globalen Nimbus von historischen Großereignissen. Die Ereignisse betreffen nicht mehr nur die direkt involvierten Staaten, sondern alle Mitglieder des Wettbewerbskreises. Auch wenn heute die Feldhockeypartien zwischen Pakistan und Indien aus der sportlichen Sicht nur mehr zweitrangig sind, bleibt ein gewisser Mythos, der diese Spiele umgibt, erhalten. Die Ausweitung internationaler Wettbewerbskreise, die Etablierung großer »agonaler Weltsportgemeinschaften« führt aber auch zur Herausbildung von internationaler Schichtung. Organisatorisch schlägt sich diese Schichtung etwa in der Gründung von Kontinentalverbänden und regionalen Ausscheidungskämpfen oder der Einführung von Turnieren für »B«und »C«-Mannschaften nieder. So wird im Landhockey seit 2001 die Champions Challenge als Turnier für »B«-Mannschaften ausgetragen (zu denen heute Indien und Pakistan zählen). Ähnliches gibt es im Tennis (Weltgruppe und Kontinentalgruppe), Eishockey (A bis D-WM)31 und anderen Sportarten. Internationale Schichtung im Sport bedeutet, dass eine akzeptierte Rankingkultur Einzug hält, an der sich die nationalen Wir-Ideale der Teilnehmerländer orientieren. Je größer eine Sport31 Im Eishockey werden vom Weltverband IIHF B bis D-WM heute als Division I bis III bezeichnet.
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gemeinschaft wird, also je mehr Länder unter einer verbindlichen Organisation an Turnieren einer bestimmten Sportart teilnehmen, desto prestigereicher erscheinen die sportliche Leistung, ein Sportduell, eine Sportgeschichte und bestimmte Austragungsorte auf globaler Ebene. Deshalb gilt weltweit etwa eine »Fußballgroßmacht« mehr als eine »Schigroßmacht«, weil eben Fußball der global bedeutendste Sport ist.
Die Tradition von Saison und Serie (kalendarische Tradition) Die grundlegendste Sporttradition stellt die der Saison oder »Serie« dar. Im alten Griechenland bezeichnete der Begriff Olympiade die vierjährige Zeitspanne zwischen den Olympischen Spielen. Diese Zählung begründete den griechischen Kalender, der im achten Jahrhundert vor Christus (erste Olympiade) beginnt und im vierten Jahrhundert nach Christus endete (mit dem Verbot der Olympischen Spiele und aller anderen heidnischen Kulte durch den christlichen Kaiser). Diesen Gedanken griff auch die olympische Bewegung wieder auf und etablierte einen Vierjahreszyklus, der mit den ersten Olympischen Spielen in Athen 1896 begann. Das IOC hat beschlossen, dass sogar die Sommerspiele, die aufgrund der Weltkriege nicht ausgetragen werden konnten (1916, 1940 und 1944), ebenfalls mitgezählt werden, sodass tatsächlich durch diese Zählweise ein kalendarischer Eindruck entsteht. Die olympischen Winterspiele werden übrigens anders gezählt, sodass die entfallenen Spiele (1940 und 1944) nicht mitgezählt werden. Außerdem wurden seit 1994 Olympische Sommer- und Winterspiele nicht mehr im selben Jahr ausgetragen, sondern jeweils zwei Jahre zeitversetzt. Ab 1930 entschloss sich die FIFA ebenfalls Fußballweltmeisterschaften in einem Vierjahreszyklus auszutragen, wobei die beiden ausgefallenen Turniere von 1942 und 1946 nicht gezählt werden. Die Tradition der »Serie« verlieh den internationalen Sportverbänden eine im Verhältnis zu Nationalstaaten relativ unabhängige Position. Das Gewicht einer Tradition wirkt umso schwerer (und das macht Traditionen aus der Sicht von Akteuren relativ unverrückbar), je länger sie wirkt und je mehr daran teilnehmen. Deshalb liegen heute für einzelne Nationalstaaten prinzipielle Fragen der Organisation und Regelbeschaffenheit von internationalen Sportgroßveranstaltungen außerhalb ihrer Beeinflussbarkeit. Selbst dem mächtigsten Nationalstaat würde es nicht einfallen, aus Gründen der Opportunität und des kurzfristigen Vorteils die Serie der Fußballweltmeisterschaft oder der Olympischen Spiele zu brechen, indem er eine alternative Wettbewerbsserie unter seiner Kontrolle ins Leben ruft. Es bleibt höchstens die Exit-Option, indem Staaten einem Sportereignis aus politischen Gründen fernbleiben, dieses boykottieren. Das war nicht immer so. Die »Olympischen Zwischenspiele« von 1906 in
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Athen gehen zum Beispiel auf die Initiative der griechischen Regierung zurück, zu einer Zeit, als das IOC noch schwach war. Die FIFA war bei der Vergabe der ersten Weltmeisterschaft noch in der Position des Bittstellers. Sie war froh, dass Uruguay aufgrund der Hundertjahrfeier seiner Unabhängigkeit große Teile der Kosten übernahm. Auch die Olympiaboykotte während des Kalten Krieges zeugen vom Versuch der Supermächte, die Bedeutung von internationalem Prestige zu unterminieren. Das gelang aber nicht immer. So verstand es die USA besser, die Waffe des Boykotts bei den Sommerspielen 1980 in Moskau zu nutzen, als die Sowjetunion 1984 aus Anlass der Spiele in Los Angeles. Heute steht die Tradition von Saison und »Serie« auf viel verbindlicherem Niveau. Auch mächtige Staaten bangen darum, Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften veranstalten zu dürfen. IOC oder FIFA haben stark an Macht gewonnen (siehe dazu Beobachtungen zur Machtfülle der FIFA: Sugden 1998). Allerdings werden diese Machtverhältnisse auch durch Bestechung und Korruption genährt. Im Übrigen haben internationale Sportverbände gegenüber den Staaten auch in anderen Bereichen an Macht gewonnen, wie zum Beispiel bei der Frage des Dopings. Während des Kalten Krieges betrieben osteuropäische Verbände staatlich unterstütztes Doping, wie die DDR (vgl. Hartmann 1998). Heute ist eine weltweite Kriminalisierung des Dopings und dessen Strafverfolgung durch eine eigene Behörde, die 1999 gegründete World Anti-Doping Agency (WADA), möglich.
Die Tradition der Austragungsorte Viele Sportarten kennen besonders prestigereiche oder »traditionelle« Austragungsorte von Wettkämpfen, wie z. B. den Holmenkollen im Nordischen Schisport. Auch diese Form von Sporttradition besitzt sowohl einen gewissen verpflichtenden Charakter, wie auch die Eigenschaft der Erzeugung eines ethnisch substanzlosen Kontexts im Sport. Ein veranschaulichendes Beispiel hierfür ist der Triathlon. Ein heute über 20-jähriger Triathlet fand bereits zum Zeitpunkt seiner (oder ihrer) Geburt einen internationalen Verband (gegründet 1989) und ein international organisiertes Wettkampfgeschehen vor. Die Sporttraditionen des Triathlon, wie etwa die »Ironman«-Serie, erscheinen Individuen dieser Generation nicht mehr als »fremd« oder »importiert«. Das Durchschnittsalter der Sieger der Ironman-Serie 2010 (Männer) betrug 33,5 Jahre. Damit waren diese Personen zum Zeitpunkt des ersten Ironman-Wettbewerbs auf Hawaii 1978 durchschnittlich bloß ein Jahr alt. Das Konzept von »Ironman« besitzt somit nichts »Exotisches« mehr und wird an 26 Austragungsorten in 15 Ländern kopiert. Der »Ironman« auf Hawaii ist in diesem internationalen Kontext der
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prestigereichste. Seit 1998 in etwa auch in Österreich (Klagenfurt) ein IronmanBewerb statt (vgl. Wolfahrter 2010: 145 ff.). Der »Ironman« in Österreich ist heute eine gut etablierte Veranstaltung und wird von den örtlichen Kommunen (wie etwa Klagenfurt) finanziell unterstützt. Er wurde sogar zu einem Bestandteil der regionalen Identität und verbindet Kärntner Heimatverbundenheit mit dem körperbetonten Lebensgefühl Hawaiis. Diese Verbindung kann allerdings nur dann glücken, wenn ein solcher Austragungsort etwa durch die Betitelung der Veranstaltung in Verbindung mit internationalem Prestige steht und den kollektiven Stolz hervorbringt, mit den großen Orten der Welt auf gleichem Niveau zu stehen. Auch auf diese Art kommt es zu Gewöhnung und Habitualisierung an die Weltkultur des Sports.
Die Tradition von Hymnen, Fahnen und anderen nationalen Symbolen Die Wurzeln vieler Sporttraditionen sind nicht einfach einem Erfinder und einem Entstehungsdatum zuzuordnen. Wer »erfand« das Abspielen der Nationalhymnen vor dem Fußballländerspiel? Wann trat das Singen der Hymne durch Publikum und Sportler zuerst auf ? Sporttraditionen in Verbindung mit nationalen Symbolen sind nur bedingt auf die Initiative von Sportverbänden zurückzuführen. So wurde es im Fußball in den letzten Jahren üblich, dass die Spieler beim Abspielen der Nationalhymnen nicht mehr soldatisch in Reih und Glied, unberührt voneinander, stehen. Spieler verschränken zunehmend ihre Arme hinter dem Rücken des Nebenstehenden. Dadurch entsteht der Eindruck einer geschlossenen Formation, eines Gesamtkörpers mit hohem Teamgeist. Der Fußball-Nationalismus muss somit nicht auf das verachtete militärische Vorbild zurückgreifen. Nationalhymnen erlangten durch den Sport sogar eine verstärkte Bedeutung. Sie werden nirgendwo anders gleich häufig gesungen. Dabei spielt das Fernsehen wieder eine wichtige traditionsstiftende Rolle. Dramaturgisch wichtig ist dabei die Einblendung der singenden Spieler und prominenter singender Spitzenpolitiker wie Kanzler, Präsidenten oder Premierminister. In den USA wurde das Ritual entwickelt, dass die Nationalhymne von einem professionellen Sänger vorgesungen wird (mit einem popmusikartigen Anstrich) und dass beim Singen der Hymne aufgestanden und die rechte Hand zu Herzen gehalten wird. Dieses Ritual wurde mittlerweile auch in einigen anderen Ländern übernommen. Eine Besonderheit stellt sicherlich die Inszenierung des »Haka«, eines Maori-Kriegstanzes, durch die neuseeländische Rugby-Nationalmannschaft (All Black) dar, die gleichzeitig die Definition der nationalen Identität Neuseelands stark beeinflusst (vgl. Jackson und Hohowhitu 2005).
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Auch dieses Ritual wird heute von Rugby-Mannschaften von anderen Ländern imitiert. Der moderne »Nationensport« fördert somit auch die weltkulturelle Annäherung nationaler Symbole, indem durch Sporttraditionen neue Konventionen Gültigkeit erlangen. Der reguläre und intensive Austausch mit anderen Nationen bewirkt, dass diese Konventionen in vielen Teilen der Erde Verbreitung finden. Dieser Vorgang ist jedoch nur selten mit dem Gefühl der Übernahme einer »fremden« Kultur verbunden (wie etwa im Fall der Imitation von Haka). Sporttraditionen lassen derartige Rituale und Konventionen zu habits werden. Im Laufe der Jahrzehnte standen eine Vielzahl an übernommen habits und damit eine Vertrautheit mit einer Weltkultur, deren Gültigkeit nicht in Frage gestellt wird. Für die Transformation nationaler Wir-Bilder und Wir-Ideale und deren weltweiter Standardisierung spielt dabei vor allem der Aspekt der stillschweigenden Übernahme von internationalem Prestige, einer global geteilten Vorstellung von Ehre, eine besonders wichtige Rolle. Somit beruht die Identitätspolitik in Zusammenhang mit modernem »Nationensport« nicht mehr auf dem Ideal der kulturellen Abgrenzung gegenüber anderen, sondern auf dem der Teilnahme an geteilten Traditionen und deren spezifischen Variationen des Konzepts von »Erfolg«.
Kapitel 6 – Die Herausbildung von internationalem Prestige
Problemstellung August 1904. Saint Louis. Weltausstellung. Dritte Olympische Spiele. »Anthropology Days«. Was für ein merkwürdiges Ereignis. Man sieht Schwarzafrikaner, Pygmäen, amerikanische Ureinwohner, Philippiner oder Patagonier, die sich am Sportfeld tummeln. Sie klettern auf Pfähle, sie rivalisieren im Seilziehen, sie betätigen sich bei Bogenschießwettbewerben. Gelächter bei den Zuschauern aufgrund der vergleichsweise inferioren »sportlichen« Leistungen der als Athleten getarnten Eingeborenen. Gelächter bei den Wettbewerbsteilnehmern. Sie verstehen offenbar nicht, dass sie Teilnehmer von »Olympischen Spielen« sind. Der Organisator der Spiele 1904, James Sullivan, einer der Mitbegründer der einflussreichen Amateur Athletic Union und einer der wichtigsten Funktionäre des damaligen amerikanischen Sports mokierte sich: »The Pigmies from Africa were full of mischief. They took nothing whatever seriously outside of their own shinny game and the tree climbing.« Sullivan (1905: 257)32
Sullivan war nicht nur überzeugt von der Überlegenheit der amerikanischen Kultur. Ganz verfangen in Rassismus und Sozialdarwinismus der damaligen Zeit war auch von der Überlegenheit der weißen über alle anderen »Rassen« überzeugt. Die Olympischen Spiele sollten dieser Überzeugung eine wissenschaftliche Fundierung verleihen. Eingeborene aus den verschiedensten Teilen der Welt waren als »Ausstellungsobjekte« zur Weltausstellung gekommen (vgl. Brownell 2008; Parezo 2008). Hier wurden sie für die »Anthropology Days« rekrutiert, um zu testen, dass sie in Hinsicht auf körperliche Stärke und Ausdauer den Europäern und Nordamerikanern weit unterlegen waren. Die »Anthropology Days« waren zwar damals schon aufgrund ihres offen zelebrierten Rassismus umstritten. Dennoch geben sie einen unverblümten Eindruck in die Weltsicht, die Teil des frühen internationalen Sports bildete. 32 Zu den »Anthropology Days, siehe: Brownell (2008: 4)
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Sport war damals nicht nur eine »englische« oder »angelsächsische« Angelegenheit. Mit der vermehrten Teilnahme von Athleten aus kontinentaleuropäischen Ländern an sportlichen Wettkämpfen und mit der Verbreitung des Sports entstand der Eindruck, dieser wäre Ausdruck einer überlegenen okzidentalen Kultur. Die Athleten aller zwölf Teilnehmerländer bei den Olympischen Spielen 1904 waren entweder aus Europa oder aus anderen von Weißen dominierte Gebiete. Erst bei den Olympischen Spielen von 1912 trat ein kleines japanisches Team, als erste ausschließlich nicht-europäische Mannschaft, an.33 Für Eichberg (1984) sind die Olympischen Spiele und der »Olympismus« klare Symbole europäischen Kolonialismus. Eichberg meint auch, dass die Olympischen Spiele und andere Sportgroßveranstaltungen im Laufe der Zeit an Bedeutung verlieren werden. Asiatische und afrikanische Länder werden nämlich mit stärker werdender Emanzipation vom Westen auch verstärkt ihre »Kultur« und ihre Form von »Spielen« und »Sport« fördern. Heute (2012) wissen wir aber, dass die Olympischen Spiele, die Fußweltmeisterschaft und andere große internationale Sportveranstaltungen unumstritten die bedeutendsten Medienereignisse darstellen. Diese Form von »Sport« hat eindeutig westliche Wurzeln, und dennoch ringen Länder und deren Regierungen aus der ganzen Welt darum, ein solches Weltspektakel veranstalten zu dürfen. In Südafrika, der Türkei, Südkorea, China, Japan, Brasilien und anderen aufstrebenden nichtwestlichen Staaten ist gegenwärtig nicht viel von der Übernahme einer »kolonialen« oder »imperialistischen« Kultur die Rede. Vielmehr gilt eine Teilnahme an den Olympischen Spielen oder der Qualifikationsrunde der Fußballweltmeisterschaft als Zeichen staatlicher Souveränität und Mitgliedschaft im Klub der ehrenwerten Staatenwelt. Olympische Medaillen und gute Leistungen bei Weltmeisterschaften werden fast überall als prestigereiches Symbol internationaler Anerkennung zelebriert. Seit spätestens dem Kalten Krieg und dem rituellen Kräftemessen zwischen USA und UdSSR gerieten die Olympischen Spiele auch in das Zentrum der Machtpolitik (vgl. Senn 1999). Die »Anthropology Days« waren ein Symbol der Ausgrenzung gegenüber jenen Menschengruppen, die als zu unwürdig für einen Wettkampf zwischen Gleichen empfunden wurden. In diesem Sinn stellen die Olympischen Spiele und andere sportliche Großveranstaltungen auch eine Form von Eintrittskarte in die »ehrenwerte« Welt der »Staatengemeinschaft« dar, die hier als »agonale Weltsportgemeinschaften« bezeichnet werden. Die Ausschlusskriterien von diesen sportlichen Weltgemeinschaften sind vielschichtig. Die »Anthropology Days« beziehen sich einerseits auf Kriterien der Unwürdigkeit aufgrund von »Rasse«. Dieses Motiv wurde auch nach 1904 bei Olympischen Spielen noch öfters vorgebracht. Es bezog sich allerdings weniger auf durch Kolonialmächte unter33 Quelle: IOC (1904; 1912)
Problemstellung
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worfene Völker, sondern auf »rassische« Minderheiten innerhalb westlicher Nationalgesellschaften. In den ehemaligen Sklavenhaltergesellschaften wie den USA oder Brasilien wurde sowohl intern, als auch nach außen bis 1945 darüber diskutiert, ob Schwarze und andere »rassisch« definierte Minderheiten beim Spitzensport gegen weiße Athleten antreten dürften (vgl. Mead 1985; vgl Filho 1994; Lima 1998; Myler 2005). Die Rassenpolitik Nazi-Deutschlands, die Weigerung Juden in das deutsche Team aufzunehmen, wurde vor den Olympischen Spielen in Berlin 1936 ein ernsthafter Punkt der Auseinandersetzung zwischen Deutschland und amerikanischen Sportverbänden und NGOs (vgl. Alkemeyer 1996). Mit dem Sieg über Hitler-Deutschland, der politischen Gleichstellung der Schwarzen in den USA und Brasilien und der Entkolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg rückte die Rassenfrage etwas in den Hintergrund, bzw. wandelte sich. Nun wurde Rassismus zu einem negativen Ausschlusskriterium aus der ehrenwerten »agonalen Weltsportgemeinschaft«. Während der Zeit der Apartheit wurde Südafrika (und Rhodesien) auf Druck anderer afrikanischer Staaten von den Olympischen Spielen für lange Zeit ausgeschlossen. Die Zulassung zur Teilnahme an den Olympischen Spielen wurde während des 20. Jahrhunderts immer stärker an andere Kriterien gebunden. Das wichtigste war wohl der Besitz einer souveränen Nationalstaatlichkeit. Von Anfang an ergab sich das Problem für den IOC, dass Athleten und »nationale« Verbände an den Spielen teilnehmen wollten, die nicht Repräsentanten souveräner Nationalstaaten waren. Vor dem Ersten Weltkrieg bestand ein eigenständiges ungarisches Olympiateam und es gab zeitweise böhmische und finnische Mannschaften. Dies führte zu Verstimmungen mit der österreichischen Zentralregierung in Wien, bzw. dem zaristischen Russland. Das »böhmische« NOC musste daraufhin wieder zurückgezogen werden. Aber in dieser Anfangszeit der Olympischen Spiele war die Frage nach nationaler Repräsentanz der Athleten sowieso nicht klar geregelt gewesen. Die Diskussionen über die Teilname eines »böhmischen Teams« wurden noch nicht mit großer Vehemenz geführt, weil das Prinzip der nationalen Repräsentanz von Athleten noch nicht den vollen Ernst späterer Jahrzehnte besaß. In den historischen Teilnehmerlisten finden sich etwa »gemischte Teams« oder die Namen griechischer Athleten, die offiziell dem Osmanischen Reich zugeordnet wurden. Knott (2008: 279) weist darauf hin, dass etwa bei den Spielen in St. Louis 1904 einige Athleten noch nicht hinter der Flagge eines Landes einmarschierten, sondern entweder als Einzelkämpfer oder als Vertreter privater Sportklubs. Knott meint aber auch, dass damals die Anreise der meisten Europäer noch viel zu teuer war und dass daher auch nicht der Charakter eines Nationenkampfs aufkam. Die Olympischen Spiele der Anfangsphase waren weitgehend »Heimspiele« für die Athleten des Veranstalterlandes, die die meisten Bewerbe zah-
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lenmäßig dominierten. Knott zeigt auch am Beispiel des deutschen olympischen Teams, dass nicht einmal alle Teilnehmer Deutsche waren, sondern Schweizer, Österreicher oder Amerikaner. Aber auch das amerikanische Team bestand bei den Gymnasten aus einigen Nichtamerikanern, meistens deutschen Staatsbürgern, die in die USA ausgewandert sind oder dort in Turnvereinen tätig waren. Heute wird die Frage nach der Teilnahme neuer Defacto-Staaten an Wettbewerben von IOC, FIFA oder UEFA mit einem viel größeren Ernst diskutiert. Es scheint, als ob die Frage nach der nationalen Repräsentanz von Athleten bei den Olympischen Spielen und anderen großen Sportveranstaltungen von viel größerer Bedeutung ist. Dem Kosovo gelingt deshalb keine Aufnahme in IOC oder UEFA. Die UEFA besitzt sogar seit kurzer Zeit eine Regel, die eine Mitgliedschaft an die Mitgliedschaft des betreffenden Staates bei den Vereinten Nationen knüpft.34 Daher konnte auch Gibraltar (auf Drängen Spaniens), Nordzypern (Auf Drängen Zyperns und Griechenlands) oder Grönland nicht Mitglied der UEFA werden. Ein ganz ähnliches Problem stellt sich für das IOC. Da bei den Olympischen Spielen nur Mannschaften aus anerkannten, souveränen Staaten (mit Ausnahmen) teilnehmen können, war es für Schottland unmöglich, für die Spiele 2012 eine eigene Fußballnationalmannschaft zu stellen (obwohl Schottland traditionelles UEFA-Mitglied ist, nach heutigen Statuten ein solches allerdings nicht mehr werden könnte). Dieser Umstand führte zu großen Verstimmungen in der schottischen Öffentlichkeit. Der Disput zwischen China, Taiwan und dem IOC seit den 1970er Jahren über ein eigenständiges taiwanesisches Team und dessen offizielle Bezeichnung nimmt die heutigen Auseinandersetzungen voraus. Die Volksrepublik China wollte an den Olympischen Spielen nur dann teilnehmen (erste Teilnahme: 1984), wenn Taiwan nicht mehr oder nicht mehr unter der Bezeichnung China antreten dürfte. Heute tritt die taiwanesische Mannschaft unter dem Titel »Chinese Taipei« bei den Olympischen Spielen in Erscheinung, damit der Mannschaft der Volksrepublik China der Anspruch auf einzige Vertretung aller Chinesen gerecht wird. Damit wird heute die olympische Wettbewerbsordnung, die Einteilung der Athleten in eine vorgegebene Reihe von Nationen, mit der Sicherung der internationalen Ordnung verbunden und der Vormachtstellung bereits bestehender Staaten. Das Prinzip des »Nationensports« ist heute somit unlösbar mit dem Fragen der internationalen Politik verstrickt.
34 siehe: UEFA Statuten (2010)
Die Olympischen Spiele als Inszenierung von internationalem Prestige
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Die Olympischen Spiele als Inszenierung von internationalem Prestige Je größer die »agonale Weltsportgemeinschaft« durch den Anstieg der teilnehmenden Länder bei den Olympischen Spielen wurde, desto weniger konnten diese als Symbole kultureller Exklusivität inszeniert werden. Damit unterschieden sich die Olympischen Spiele schon bald von anderen rivalisierenden Multisportprojekten. Eines davon war das Vorhaben von Astley Cooper, der 1891 plante, pan-angelsächsische Spiele (»Anglo-Saxon Olympiad«) zu veranstalten, um der Welt die Überlegenheit von Briten und Amerikanern zu demonstrieren (vgl. Moore 1988: 149 ff.). Erst 1928 wurde dieser Plan in veränderter Form durch die Inszenierung der British Empire Games verwirklicht. Später entwickelten sich daraus die Commonwealth Games (vgl. Perkin 1989). In der Periode zwischen den 1920er und 1960er Jahren erlangten die Olympischen Spiele hingegen eine weltweite Bedeutung. Nachdem auch die Sowjetunion begann, daran teilzunehmen – und damit alle anderen osteuropäischen Satellitenstaaten – dehnte sich die Bedeutung des Nationensports über ideologische Grenzen hinweg aus. Zwischen den 1950er und 1970er Jahren erkannten auch ehemalige Kolonien in Afrika und Asien, die sich als unabhängige Nationalstaaten begriffen, die Vorteile der Teilnahme an den Olympischen Spielen und anderen Bewerben des Nationensports. Diese waren einerseits für die neuen Staaten eine Form der Bestätigung ihrer Eigenständigkeit und andererseits ein Mittel um nach innen Einheit zu erzeugen, wo doch die meisten dieser Länder ethnisch stark heterogen gestaltet sind. Diese Motive waren wohl für die politischen Länder der Staaten Afrikas und Asiens wichtiger, als die Abhaltung von Gegenspielen zu den Olympischen Spielen. Die Austragung der GANEFO (Games of the New Emerging Forces) zwischen 1963 und 1966 als Resultat der Konferenz von Bandung (1955), wo sich die »blockfreien Staaten« enger zusammenschließen wollten, scheiterte schon bald (vgl. Adams 2003: 303). Diese Spiele richteten sich direkt gegen die »westlichen« Olympischen Spiele. Daher belegte das IOC auch alle Athleten, die bei den GANEFO teilnahmen, mit einer Sperre für die Olympischen Spiele. Seither gab es keinen ähnlich bedeutenden Versuch einer kulturell definierten Gegenbewegung zu den Olympischen Spielen mehr. Die Olympischen Spiele und der Nationensport erhielten somit Weltbedeutung – eine exklusive Stellung, die nicht mehr herausgefordert wurde – und wurden allmählich Bestandteil einer immer weniger hinterfragten »Weltkultur«. Den Olympischen Spielen und anderen großen Veranstaltungen des Nationensports kam somit eine weltweit exklusive Rolle zu, die es erlaubte, die Standards von internationalen Sportgemeinschaften zu definieren. Die Olympischen Spiele
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wurden somit aber auch zu einer wichtigen Institutionen sowohl zur Inszenierung von internationalem Prestige, wie auch zu einer Quelle desselben. Internationales Prestige bedeutet im Kontext der Olympischen Spiele eine Form der sozialen Ehre, die von vielen Menschen auf der Welt geteilt wird. Das bedeutet, dass sowohl eine Sprache im weiteren Sinn vorhanden sein muss, die von allen verstanden kollektiven Stolz mitteilen kann, wie auch ein standardisiertes System der Anerkennung und des Lobes durch andere. Diese Form der internationalen Ehre unterscheidet sich somit von einer »ethnischen« oder »nationalen« Ehre, bei welcher sowohl die Adressaten des Lobes, wie auch dessen Empfänger Teil derselben »ethnischen« oder »nationalen« Gemeinschaft darstellen. Die »ethnische« oder »nationale« Ehre ist auch durch einen geografisch und sozial abgeschlossenen Kommunikationsraum definiert, eine selbstreferenzielle Kommunikationsgemeinschaft, innerhalb deren eine symbolische Sprache zum Einsatz kommt, die für Außenstehende schwer zu verstehen ist. Daher sind die symbolischen Formen kollektiven Stolzes solcher begrenzten Ehrgemeinschaften nur mit Hilfe von Kontextwissens verständlich, wie etwa Kenntnisse über die partikulare Mythologie, Tradition und Geschichte einer ethnischen oder nationalen Gemeinschaft. Die soziale Ehre, das Prestige, welches mit den Olympischen Spielen verbunden ist, kommt dagegen in Form einer universell verständlichen Sprache zum Ausdruck. Der Kommunikationsraum von Stolz ist nicht begrenzt. Er umfasst vielmehr die gesamte Welt, die mit Hilfe moderner Massenmedien verbunden ist. Der Ausdruck kollektiven Stolzes findet etwa im System der olympischen Medaillen, Siegerehrungen und Sportstars seinen universell geteilten Nährboden. MacAloon (1996: 166) meint deshalb auch, dass je größer solche Kommunikationsräume werden, desto substanzloser oder entleerter müssen auch seine zentralen Symbole sein, um von allen verstanden zu werden. Sie müssen zu »leeren Identitätskategorien« gemacht werden. MacAloon (1996: 177 ff.) zeigt am Beispiel der Eröffnungsfeiern der Olympischen Spiele 1988 in Seoul und 1992 in Albertville, dass die Produktion kulturell leerer und von jedermann gleichverständlichen Symbolen schwierig bleibt. Viele Symbole der Olympischen Spiele, wie etwa die olympischen Ringe, das olympische Feuer oder der Einmarsch der Nationen in das Olympiastadion besitzen zwar eine gewisse Verbindung zu bestimmten Kulturräumen; zu Frankreich, England oder dem alten Griechenland etc. Trotzdem sind solche Anspielungen auf partikulare Kulturräume schwach, die Olympischen Spiele erzeugen einen eher unbestimmten, kulturell nicht genau festzulegenden Eindruck. Dennoch werden manchmal bestimmte Formen von Inszenierungen von den Zuschauern und Reportern aus anderen Ländern abweichend von der Intention der Produzenten aufgefasst. Diese »abweichenden Lesarten« halten sich allerdings selbst bei Eröff-
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nungszeremonien in Grenzen. Seit den 1960er Jahren, und noch deutlicher seit den Spielen von Seoul 1988 wird besitzen die Eröffnungsfeiern auch einen folkloristischen Touch, der eine Art Branding, eine Marke oder ein touristisch leicht zu verwertendes Image von dem Gastgeberland erzeugt. Dabei ist die Symbolsprache einerseits allgemein genug, dass das Land in einigen wichtigen Eigenarten nach außen für andere identifizierbar ist und andererseits noch spezifisch genug, dass auch die heimische Bevölkerung sich in der Inszenierung wiederfinden kann. Das gelingt am besten, wenn die Symbole und Rituale des Sports einen Warencharakter annehmen (vgl. MacAloon 1996: 162) und somit von ihrem ursprünglichen ethnischen Produktionszusammenhang gelöst werden.
Dimensionen von internationalem Prestige bei Olympischen Spielen Dieser Abschnitt stützt sich auf die Auswertung der offiziellen Berichte zu den Olympischen Sommerspielen.35 Dazu sei erwähnt, dass viele frühe Olympische 35 Die offiziellen Berichte zu den Olympischen Sommerspielen werden im Archiv der »La84 Foundation« gesammelt. Diese Organisation wird aus Überschüssen der Olympischen Sommerspiele 1984 in Los Angeles finanziert. Im Grunde genommen gleicht sich der Aufbau der meisten dieser olympischen Berichte. Allerdings gibt es einige Unregelmäßigkeiten. Zu den Olympischen Sommerspielen 1904 gibt es etwa zwei »offizielle« Berichte; einer davon wurde von James E- Sullivan herausgegeben (vgl. Sullivan 1905). Der Bericht für die Spiele 1920 in Antwerpen wurde erst nachträglich im Jahr 1957(!) publiziert. Diese Berichte sind das Produkt der jeweiligen nationalen olympischen Komitees, die die Olympischen Spiele organisierten. Jeder Bericht enthält zwar standardisierte Inhalte und ähnliche thematische Kapiteleinteilungen (z. B. Vergabeprozess, Organisation, Kommunikation und Wettkampfergebnisse), dennoch besteht zwischen den Berichten ein großer Unterschied, was Gewichtung, Perspektivierung und Stil betrifft. Diese Unterschiede sind teilweise zeitbedingt (alte Berichte beinhalten wesentlich weniger und vor allem stilistisch andere Fotos als neue). Sie sind jedoch offensichtlich auch stark mit den Interessen staatlicher Behörden und örtlicher Organisationskomitees verbunden. Das heißt, ein derartiger Bericht darf nicht als »objektives« Dokumentation gelesen werden, das frei von den Interessen des Veranstalterlandes ist. Die olympischen Berichte sind nämlich auch Mittel der Selbstinszenierung der Nationen. Gerade das in einem Bericht vorherrschende Klima der Sachlichkeit und Faktenbezogenheit inszeniert die eigene Leistung als »objektiv« lobenswert. Die Olympiaberichte zielen auf ein sehr beschränktes Lesepublikum ab und besitzen bei weitem nicht die Wirkung elektronischer Massenmedien. Dennoch stellen sie für diese Analyse eine gute Quelle dar. Erstens dokumentieren sie die historischen Formen und Technologien massenmedialer Sportberichterstattung. Zweitens protokollieren sie die Inszenierung von Eröffnungs- und Schlussfeierlichkeiten. Drittens fassen die Berichte die Bemühungen eines Landes zusammen und zeigen, worauf die Veranstalter besonders stolz waren. Diese Berichte dokumentieren daher, was ein Land als herzeigenswert hielt. Viertens stellen sie eine chronologisch standardisierte Aufzeichnung inszenierter nationaler Wir-Bilder dar. Deren
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Spiele keine »offiziellen« Berichte des IOC besitzen. Später brachte das organisierte Nationale Olympische Komitee (NOC) in der Regel einen Bericht in mehr oder weniger standardisierter Form heraus. Alle Berichte umfassen zum Beispiel Darstellungen der Bauten, der Finanzen, des Personalaufwands, der Anzahl an Journalisten, der Beteiligung politischer Eliten und natürlich Auflistungen über die sportlichen Ergebnisse während der Wettkämpfe. Dennoch blieben bis heute Gestaltungsfreiheiten erhalten. Daher besitzen die Berichte auch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, abhängig davon, was das Veranstalterland als positive Beiträge betrachtete. Die Olympiaberichte geben somit Aufschluss über die Zusammensetzung von internationalem Prestige und seinem Wandel in Zusammenhang mit den Olympischen Spielen. Die Verbesserung von internationalem Prestige in Zusammenhang mit den Olympischen Spielen ist nämlich nicht nur eine Angelegenheit gewonnener Medaillen. Für viele Staaten bedeutet auch die Teilnahme an den Wettkämpfen eine Form von Ehrzuwachs. Besonders deutlich wird diese Form von Prestige von den Veranstaltungsländern hervorgehoben, was in den vorliegenden Berichten zum Ausdruck kommt. Hier sollen zunächst drei Dimensionen dieser international geteilten Vorstellung von Ehre genauer untersucht werden: Zeremonien und besonders der Einmarsch der Nationen, die Funktionärsstruktur des IOC und der Stolz des Veranstalterlandes.
Wandel kann somit anhand dieser Berichte studiert werden. Jeder Bericht besteht aus einem bis vier Büchern und ist meist mehrere hundert Seiten dick. Meist beinhalten die Berichte am Beginn das offizielle Schreiben des IOC-Präsidenten und des Veranstalters (manchmal in Form des Staatsoberhaupts des Veranstalterlandes). Danach folgt in den neueren Berichten eine Darstellung des Vergabeprozesses, indem sich der Veranstalter gegen seine Konkurrenten durchsetzte. In einem folgenden Teil wird das Veranstalterland präsentiert (natürlich nur von seiner besten Seite). Hier wird auch auf die Geschichte des Landes und der Olympischen Spiele (oder des Sports) eingegangen. Ein dritter Abschnitt beschäftigt sich in fast allen Berichten mit der Organisation der Spiele. Es wird berichtet, wie Stadien und Verkehrsinfrastruktur aufgebaut wird, Kommunikationstechnologien geplant und installiert werden etc. In einem weiteren Abschnitt wird auf die Gastfreundschaft des Veranstalterlandes eingegangen. Hier wird etwa das Leben der Athleten und Athletinnen im olympischen Dorf dokumentiert. Jeder Bericht umfasst auch einen Teil, der die Eröffnungs- und die Abschlusszeremonie darstellt. Abschließend folgen lange Listen mit den Sportresultaten für jeden Wettbewerb und Statistiken über die Anzahl der Teilnehmer, die aus den einzelnen Ländern kommen. Quellen : (IOC 1896; IOC 1900; IOC 1904; IOC 1908; IOC 1912; IOC 1924; IOC 1928; IOC 1933; IOC 1937; IOC 1951; IOC 1955; IOC 1956; IOC 1957; IOC 1958; IOC 1960; IOC 1964; IOC 1968; IOC 1972; IOC 1978; IOC 1981; IOC 1985; IOC 1989; IOC 1992; IOC 1997; IOC 2001; IOC 2006; IOC 2008)
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Einmarsch der Nationen: Athleten als entethnisierte Repräsentanten MacAloons Studien über den symbolischen Gehalt der Olympischen Spiele weisen auf die bereits angesprochene Notwendigkeit hin, die Zeichensprache dieser Veranstaltungen im Kontext einer allgemein verständlichen Weltkultur zu verstehen (vgl. MacAloon 1996; MacAloon 2001 [orig. 1981]). Die Olympischen Spiele sind beides, eine Inszenierung der Nation, wie auch ein weltweit verfolgtes Spektakel. Somit ist die Symbolsprache der Olympischen Spiele, wie auch des restlichen Nationensports damit konfrontiert, gleichzeitig die Verschiedenheit und die Gleichheit der Nationen zu veranschaulichen. Dadurch wird der Einsatz standardisierter und globalisierter Formen nationaler Distinktion notwendig. Flaggen, Wappen und Hymnen stellen die ursprünglichsten Nationalsymbole dar, die gleichzeitig auf Unterschied und Gleichheit aufmerksam machen sollen. Nationalflaggen haben sich entweder aus den Wimpeln und Standarten des Krieges entwickelt oder aus der Beflaggung der Schiffe. Sowohl auf dem Schlachtfeld, wie auch auf hoher See ist die rasche Unterscheidbarkeit zwischen Freund und Feind notwendig. Diese Unterscheidbarkeit muss allerdings auch von Freund und Feind gleichermaßen verstanden werden. Nationalhymnen entwickelten sich einerseits aus den Kirchenhymnen, aber andererseits besonders aus dem Hofzeremoniell, wahrscheinlich aus der Fanfare. Dort besaß nämlich der Fürst vor dem Eintritt in den Prunksaal ein besonderes akustisches Erkennungszeichen. Die Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts boten erstmals Anlass dazu, dass Nationen sich durch Flaggen, Wappen oder Hymnen vertreten fühlen wollten. Die Olympischen Spiele und andere Sportgroßveranstaltungen des 20. Jahrhunderts gaben der Verwendung dieser Symbole eine Reihe neuer Gelegenheiten. In Kombination mit der Weiterentwicklung technischer Kommunikationsmittel wie Fotografie, Telegrafie, Film, Radio und Fernsehen bekamen die Symbole einen besonders zentralen Stellenwert in der Darstellung der Nation während sportlicher Großveranstaltungen. Mit Hilfe dieser Symbole konnten Sportler sofort in den Massenmedien einem Land zugeordnet werden. Es ist auch bezeichnend, dass viele heute üblichen Nationalhymnen erst im 20. Jahrhundert zu den offiziellen Hymnen ihrer Länder erklärt wurden. Davor gab es offensichtlich anlassbedingt mehrere Formen von Hymnen, die je nach Publikum zum Einsatz kamen. Die Dominanz des Nationensports durch die mediale Darstellung verlangte nach einer fixen Festlegung akustischer und optischer Signale der nationalen Darstellung. Die Athleten waren wohl von Anfang an die wichtigsten Stellvertreter der Nation im Sport. Ihr Körper eignet sich nur im begrenzten Maße für eine Dekodierung der nationalen Zugehörigkeit. Es ist fast unmöglich, durch körperliche Merkmale auf die nationale Zugehörigkeit der Athleten zu schließen.
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»Rassische« Merkmale sind einerseits vielzu grobschlächtig für nationale Differenzierungen. Andrerseits treten viele Nationalmannschaften und olympische Teams als gemischtrassische Einheiten in Erscheinung. Da im Mediensport die gesprochene Sprache der Athleten nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt, sind auch Hinweise auf eine Ethnizität der Sportler schwer zu ermitteln. Selbst der Kleidungsstil der Athleten des modernen Sportbetriebs ist nicht an Sitte und Tradition ihrer Herkunftsländer geknüpft. Die Entwicklung der Sportbekleidung war zunächst bloß durch Zweckmäßigkeit bestimmt, was zu einem einheitlichen Aussehen führte. Später wurde die Sportbekleidung in vielen Sportarten normiert. Noch dazu setzte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine massive Kommerzialisierung der Sportbekleidung ein. Dressen, Turnschuhe oder Trainingsanzüge wurde endgültig zu einer kapitalistisch verwerteten Ware. Athleten wurden somit auch zu Werbeträgern, die das Image einer Marke verkörpern. Zweckmäßigkeit, Normierung und Kommerzialisierung trugen zu einem ethnisch substanzlosen Erscheinungsbild moderner Athleten bei. Der einzige Weg zur Kennzeichnung der Athleten ist der über die »Rahmung« mit nationalen Symbolen, die zum Beispiel auf der Sportbekleidung angebracht werden. Hierbei muss allerdings die Formensprache der nationalen Kennzeichnung kurz gehalten werden und kann auf keine besonderen kulturellen Eigenarten Rücksicht nehmen. Der Einmarsch nationaler Teams bei den Olympischen Spielen ist wohl das bekannteste Ritual nationaler Präsentation in einem internationalen Sportkontext. Diese Praxis wurde erst bei den olympischen »Zwischenspielen« 1906 in Athen üblich. Die Mannschaften marschieren hinter einer Tafel mit dem Nationsnamen und dem Flaggenträger mehr oder weniger steif und militärisch in das Stadion ein. Den Anfang machte meist Griechenland, gefolgt von den anderen Nationen in alphabetischer Reihenfolge. Dabei fällt auf, dass bis in die 1960er Jahre die alphabetische Reihenfolge der Sprache des Gastgeberlandes herangezogen wurde. Erst später wurde die englische Bezeichnung der Nationen und damit auch eine standardisierte Reihung üblich. Auffällig ist allerdings die militärische Ästhetik, die beim Einmarsch der Nationen bis in die 1970er Jahre dominierend war. Freilich war das militärische Element bei diesen Einmärschen – so gut es auf den dokumentierten Fotos erkennbar ist – bei den Eröffnungsfeiern bis 1936 noch viel größer als nach dem Zweiten Weltkrieg, wo sich die Formationen langsam auflockerten, die Kleidung ziviler wurde (teilweise sportlicher) und der steife Marschrhythmus durch eine ungezwungenere, alltägliche Gangart ersetzt wurde. Frühe Einmärsche fanden tatsächlich in strengen Formationen statt. Die Athleten hatten teilweise die Hände an die Außennähte der Hosen gepresst. Manchmal wird militärisch salutiert. In der Zwischenkriegszeit taucht bei einigen Teams der »olympische Gruß« auf, der zunächst beim italienischen Team vom faschistischen Gruß nicht zu unterscheiden ist. Die
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militärische Strenge der Formationen und ihre kriegerische und kollektivistische Nationalsymbolik löst sich in den 1970er und 1980er Jahren auf und weicht einer fröhlichen, spielerischen, teilweise dem Entertainment entlehnten Formensprache. Taucht nach dem Zweiten Weltkrieg bei manchen Mannschaften teilweise ein fröhliches Winken als spontaner Ausdruck der überwältigenden Freude ob dieser Zuschauermassen auf, so werden fröhliche und jubelnde Gesichter seit den 1980er Jahren bei den einmarschierenden Mannschaften die Norm. Die Formation wird oft zu einem Haufen von Individuen, deren einheitliche Kleidung das sichtbarste Zeichen der Zusammengehörigkeit wird. Das untere Bild zeigt Fotos vom Einmarsch vier verschiedener olympischer Mannschaften in das Berliner Olympiastadion 1936. Bei genauer Betrachtung ist zu erkennen, dass die ägyptischen Athleten nur anhand der spezifischen Kopfbekleidung zu erkennen sind. Der Fes ist ein Hinweis auf die orientalische Herkunft der Sportler. Sonst ähnelt sich Habitus und Kleidung der Sportler aus den vier unterschiedlichen Ländern. Betrachtet man Bilder von einmarschierenden olympischen Teams aus späteren Zeiten, so können durch Kleidung und Auftreten Unterschiede immer seltener identifiziert werden. Manchmal werden durch Kleidung und Frisur einige kulturelle Spezifika der Athleten gewollt oder ungewollt sichtbar. Die Ähnlichkeit des Auftretens bleibt jedoch stets größer als die Unterschiede. Die nationale Repräsentanz wird bei dem zentralen olympischen Ritual des Einmarsches der Mannschaften bloß durch die Fahne sichtbar.
Bild 1: Aufnahmen vom Einmarsch der griechischen, ägyptischen, afghanischen und argentinischen Mannschaft 1936, Quelle: (IOC 1937: 548)
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Funktionäre und internationales Prestige Die olympischen Berichte weisen aber auch auf die Rolle der Sportfunktionäre hin. Dabei wird ersichtlich, dass einige Staaten traditioneller Weise den Kern der IOC-Funktionäre stellen. Diese ungleiche Besetzung und Dominanz einiger Länder wird in manchen der Berichte ebenfalls als Quelle des nationalen Stolzes dargestellt. Die Exklusivität der Gruppe von Staaten, die die meisten Funktionäre stellt – die Olympische Kerngruppe – besitzt jedoch auch eine sozial gestaffelte Hierarchie. Viele der 110 IOC-Mitglieder (Vorstände) kamen entweder traditioneller Weise vom Adel (im Falle vieler europäischer und arabischer Staaten) oder aus der dünnen Oberschicht Nord- und Südamerikas. In dieser Form von sportlichem Multilateralismus spielt etwa ein kleines Land wie die Schweiz eine außerordentliche Rolle. Die Schweiz hat nicht nur viele wichtigen Sportarten zuerst von England übernommen und Sportklubs auf kontinentaleuropäischem Boden gegründet. Hier werden auch wichtige ökonomische und organisatorische Entscheidungen auf verschiedenen Ebenen in der Welt des Spitzensports gefällt. Die Schweiz beheimatet etwa überverhältnismäßig viele Sitze internationaler Sportverbände und stellt einige derer Präsidenten. Sie beherbergt unter anderem IOC, FIFA, FIBA, UCI (Radsport), ITTF und FIS. Präsidenten (oder Vorsitzende) wichtiger internationaler Sportverbände waren und sind oft Schweizer. Folgende wichtige internationalen Sportverbände wurden von Schweizern beispielsweise angeführt: IOC (1916 – 1919), FIFA (seit 1998), (1951 – 1998 und seit 1998), FIBA (1932 – 1948) oder UCI (1936 – 1939). Von den derzeit (2011) 110 IOC-Mitgliedern sind gleich fünf Schweizer. Im Vergleich dazu stellen Italien, Australien und Großbritannien vier Mitglieder, die USA, Russland, Schweden drei Mitglieder. China, Deutschland und Frankreich haben nur zwei Mitglieder ; Österreich nur eines. Die meisten IOC-Staaten werden jedoch von keinem IOC-Mitglied vertreten. So verwundert es nicht, dass Staatschefs aus mächtigen Ländern zu Josef Blatter oder Gian-Franco Kasper reisen, um dort ein gutes Wort für die Vergabe der Olympischen Spiele und der Fußballweltmeisterschaft einzulegen. Sport verleiht militärisch impotenten Ländern multilaterale Macht, wenn sie innerhalb der Weltsportgemeinschaft hohes Prestige besitzen. Vielleicht ist in diesem Sinn die Schweiz oder Schweden vergleichbar mit dem Orakel von Delphi oder Olympia im alten Griechenland, dessen hoher Stellenwert (und teilweise Unantastbarkeit) einzig und allein auf kulturelles Prestige zurückzuführen war und auf dessen Pflege. Eines der wichtigsten Kriterien zur olympischen Kernzone zu gehören, ist sicherlich Erfinder oder Innovator des Sports zu sein. Griechenland genießt dabei aufgrund der Olympischen Spiele der Antike einen besonderen Ruf. Außerdem wurden in Griechenland die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit ausgetragen und es war im Jahr 2004 ein zweites Mal Austragungsstätte (ein
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weiteres Mal wurden die olympischen »Zwischenspiele« 1906 in Athen ausgetragen). Großbritannien und die USA besitzen dagegen als »Heimatländer« wichtiger moderner Sportarten besondere Vorrecht und hohes internationales Ansehen. Diese Länder sind nicht nur die Namensgeber wichtiger Sportarten, hier wurden auch ihre Regeln geprägt und befinden sich traditionelle Sportstätten, von denen eine besondere Aura auszugehen scheint. In Großbritannien zählen zu diesen besonderen Orten etwa das Wembley-Stadion, Wimbledon, Rugby, St. Andrews, Silverstone oder die Ruderregatta auf der Themse; in den USA: das Yankee-Stadium, Flushing-Meadows, der Madison Square Garden, die Indianapolis Motor Speedway, die Pferderennbahn von Belmont Park oder das Memorial Coliseum. Außerdem werden in diesen Ländern wichtige Turniere ausgetragen, die in ihren Sportarten ebenfalls einen besonderen Status einnehmen. Andere Staaten besitzen auch solche Orte oder Turniere, jedoch nicht in dieser Häufigkeit, wie etwa den Holmenkollen, die Formel-1 Rennstrecken von Imola oder Monza, Chamonix, Kitzbühel, das Estadio Santiago Bernab¦u, das Estdio do Maracan¼, der Piazza del Campo in Siena (Austragungsort des Palio di Siena) oder Sportveranstaltungen wie die Tour de France, die Rallye Paris-Dakar, die Arlberg-Kandahar-Rennen, die Vier-Schanzenturnee etc. Diese nicht erschöpfende Liste zeigt jedoch schon, dass die wichtigsten Sportstätten und Turniere der Welt (zumindest in den großen Sportarten) in wenigen Ländern konzentriert vorzufinden sind. Die Gründungsmitgliedschaft von IOC oder FIFA signalisiert ein weiteres Kriterium. In den meisten Fällen verstehen sich Gründungsländer noch heute als große Sportnationen. Durch das Wirken Pierre de Coubertins und der oftmaligen Organisation der Olympischen Spiele bis zum Zweiten Weltkrieg zählt auch Frankreich zu einem historischen Kernland. Nur Frankreich und England besaßen zwei Gründungsmitglieder des IOC. Je eines kam aus den USA, Argentinien, Böhmen (!), Schweden, Griechenland, Russland, Neuseeland (UK?), Italien und Ungarn. Frankreich zählte mit Coubertin auch zweimal den Präsidenten des IOC (ebenso wie Belgien). Je einmal kam dieser aus Griechenland, Schweiz, Schweden, USA, Irland und Spanien. Bisher kamen drei FIFA Präsidenten aus England, zwei aus Frankreich und je einer aus der Schweiz, Brasilien und Belgien. Gründer der FIFA waren der Niederländer Carl Anton Wilhelm Hirschmann und der Franzose Robert Gu¦rin, der auch ihr erster Präsident wurde. FIFA-Gründungsmitglieder waren Schweiz, Dänemark, Frankreich, Niederlande, Belgien, Schweden und Spanien. Auch bei den Gründungsmitgliedern und Präsidenten von IOC und FIFA zeigt sich wieder, dass nur eine kleine Anzahl an Ländern eine zentrale Rolle spielen.
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Veranstalterland Gerade die Berichte aus China und anderen Staaten, die nicht traditioneller Weise zu den Kernzonen der Olympischen Bewegung zählen, strotzen vor Stolz, nun auch Spiele veranstalten zu dürfen. Seit den 1960er Jahren enthalten die Olympiaberichte auch Hinweise über die kulturellen Besonderheiten des Gastgeberlandes. Diese Besonderheiten sollen auch durch die Showelemente der Eröffnungsfeiern weltweit verdeutlicht werden. Dennoch werden diese Hinweise auf kulturelle Besonderheit in den Berichten und in den Eröffnungsfeiern stets durch das standardisierte Protokoll des IOC beschränkt. Die Selbstdarstellungen der einzelnen Veranstaltungsländer sind darüber hinaus immer in stereotyper Weise verfasst, sodass sie fast wie in der Form von Reisekatalogen in ein universelles Verständnis von Kultur und Nation leicht integrierbar sind. Viel auffälliger ist, dass bisher nur wenige Länder Olympische Spiele veranstaltet haben. Veranstaltern kommt die besondere internationale Ehre zu, Gastgeber der Welt zu sein.36 Die nächste Tabelle weist auf die regionale Ungleichheit der Verteilung von Veranstaltungsländern hin. Hier werden Veranstaltungen der olympischen Sommerspiele, Winterspiele und der Fußballweltmeisterschaft zusammengefasst und nach Ländern und Erdteilen geordnet. Die Austragung großer Sportveranstaltungen stellt eine weitere Kategorie von internationaler Ehre dar. Bisher trugen nur elf Staaten sowohl Olympische Spiele, als auch Fußballweltmeisterschaften aus. Neun davon waren Organisatoren von drei oder mehr dieser Großveranstaltungen. Fünf Staaten haben sowohl Sommer- und Winterspiele, als auch die Fußballweltmeisterschaft ausgetragen. Die USA war der Veranstalter, der am häufigsten solche Sport-Megaevents austrug, gefolgt von Frankreich, Deutschland, Italien und Japan. Japan, Südkorea, China und Südafrika sind die einzigen Staaten außerhalb der westlichen Welt, die eine dieser Großveranstaltungen beheimateten. Australien ist bisher das einige Land in der südlichen Hemisphäre, das Olympische Spiele veranstaltete. Brasilien wird 2016 folgen. Bisher konnten die südamerikanischen Länder nur Fußballweltmeisterschaften austragen. Im Jahr 2014 wird ebenfalls Brasilien seine zweite WM veranstalten. Die Weltmeisterschaften von 2018 (Russland) und 2022 (Katar) bedeuten eine Ausweitung des Kerns auf jetzt noch eher periphere Länder.
36 Über die Rolle Deutschlands als Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft 2006 und den Zusammenhang mit nationaler Identität, siehe: Schwier (2006).
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Tabelle 1: Bisherige Austragungsorte von Olympischen Spielen und Fußballweltmeisterschaften nach Erdteilen (bis inkl. 2012)37 Erdteil Prozent aller Austragungen (n=66) Europa 60 Nordamerika 16 Asien 11 Südamerika 8 Australien 3 Afrika 2 Quelle: Olympische Sommerspiele: IOC (1896 – 2008), Olympische Winterspiele: IOC (1928 – 2010), Fußballweltmeisterschaft: Lisi (2011)
Ein anderer Aspekt von Sportprestige bezieht sich nicht auf Athleten und deren Funktion als nationale Stellvertreter, sondern auf die Leistung eines Landes als Veranstalter von sportlichen Großereignissen. Da meist solche Ereignisse zu einem Teil mit steuerlichen Mitteln finanziert und die Mitwirkung staatlicher und staatsnaher Organisationen verwirklicht wird, bezieht sich der Stolz auch ganz direkt auf die Nation, die als kollektiver Akteur gedacht wird. Hier sind also nicht Athleten, sondern nationale Sportverbände, Politiker, freiwillige Helfer, staatliche Organisationen und die Bevölkerung selbst (als Gastgeber und Publikum) Symbol nationaler Repräsentanz. Olympische Spiele und andere große Sportereignisse sind die Bühne für die nationale Präsentation nach außen als ehrenwertes Mitglied der fortschrittlichen und zivilisierten Völkergemeinschaft, und nach innen als Selbstbestätigung für ein erwünschtes Wir-Bild, das mit solchen weltweit verfolgten Veranstaltungen in Zusammenhang gebracht wird. Form und Inhalt des stilisierten Wir-Bilds nach außen und nach innen ist anlass- und kontextabhängig. Das heißt, die politische Geschichte eines Landes, die Verwicklung in bestehende oder ehemalige internationale Konflikte und ihr allgemein bestehender Status in der Welt bestimmen dabei Narrativ und Dramaturgie des stilisierten Wir-Bildes. Als etwa Südafrika 2010 die Fußballweltmeisterschaft austrug, wurde diese Veranstaltung einerseits als Beweis dafür angesehen, dass ein afrikanischer Staat (oder ein Staat der südlichen Halbkugel der Erde) eine solche komplexe und prestigereiche Veranstaltung organisieren kann. Andrerseits galt die Fußballweltmeisterschaft auch als Zeichen der erfolgreichen Überwindung der Apartheit, bzw. des Aufbaus eines multikulturellen und liberalen Südafrikas. Neben der südafrikanischen Nationalmannschaft sollte vor allem die gelungene Organisation der Weltmeisterschaft als Symbol nationaler Einheit gelten; als gemeinsame Anstrengung von Weiß und 37 Die Zahlen für die ersten Olympischen Winterspielen in Charmonix finden sich im offiziellen Berichten über die Olympischen Sommerspiele 1924.
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Schwarz. Freilich zeigt gerade dieses Beispiel, dass zwischen Realität und stilisiertem Wir-Bild als Form eines nationalen Ideals zu unterscheiden ist. Ganz deutlich wird dies, wenn Diktaturen oder repressive Staaten als Veranstalter auftreten, wie in Peking 2008, Sarajevo 1984, Moskau 1980, MexikoStadt 1968 und Berlin 1936 (vielleicht kann man auch die Spiele von Seoul 1988 dazu zählen) oder bei den Fußballweltmeisterschaften in Argentinien 1978, Mexiko 1970 oder Italien 1934. Die Vergabe der Veranstaltung dieser Länder verdeutlicht nicht nur die Doppelmoral von FIFA, IOC und anderen Sportverbänden. Sie zeigt auch, dass »agonale Weltsportgemeinschaften« zwar Ehrwürdigkeit symbolisieren, jedoch sich mit einem solchen Anspruch in ein widersprüchlichen Verhältnis zur Realität begeben. Heute mag das IOC die Spiele von 1936 im Nachhinein als Systemkampf von Demokratie gegen Faschismus stilisieren. Hierbei wird gerne der Geschichtsmythos strapaziert, dass Hitler sich weigerte den Leichtathleten Jesse Owens die Hand zu reichen. Ähnliches gilt auch für den Boxer Joe Louis, der in Wirklichkeit trotz seiner internationalen Erfolge in den USA unter Rassismus und dem Mangel an offizieller Anerkennung durch die politischen Eliten litt (vgl. Mead 1985; vgl. Myler 2005). Diese Beispiele beweisen jedoch nur, dass der Nationensport eine große Kraft zur Erzeugung neuer Mythen und Traditionen besitzt und daher erheblichen Einfluss auf die Welt kollektiver Ideale ausübt. Die Spiele von 1936 zeigen, wie leicht es den Nazis fiel, die Welt durch ihre staatlich verordnete Inszenierung zu täuschen. Dasselbe gilt vermutlich auch für die Spiele von 2008. Kleinere Diktaturen, wie Videlas argentinische Militärjunta oder das Mexiko Gustavo Diaz Ordaz’, welches zehn Tage vor der Eröffnung der Olympischen Spiele das Massaker von Tlatelolco zu verantworten hatte, haben allerdings auch weniger Glaubwürdigkeit bei der Stilisierung ihres Selbstimages als ehrenwerte Staaten (vgl. Brewster und Brewster 2006). Aber auch demokratische Staaten stilisieren ihr Selbstimage und können dabei der Kontextabhängigkeit nicht entkommen. So wurden in Deutschland bereits die Olympischen Spiele von München 1972 als Zeichen der Überwindung von Nationalsozialismus, Antisemitismus und der demokratischen Reife, bzw. des verbesserten Verhältnisses zur DDR zu stilisieren versucht. Allerdings standen diese Spiele im Schatten des Geiseldramas, dem ausgerechnet israelische Sportler auf deutschem Boden zum Opfer fielen. Das medial inszenierte »Sommermärchen« der Fußballweltmeisterschaft 2006 verlief dahingegen ungestört, und bestand vor allem darin, dass nun angeblich ein »fröhlicher Patriotismus« (vgl. Kronenberg 2006) akzeptabel wurde, dem selbst laut Meinung deutscher Medien das Ausland wohlwollend zustimmt. Das Schwingen der Nationalflagge beim Autocorso oder Schwarz-Rot-Gold als Bodypainting auf fröhlichen, jungen Gesichtern wird als Zeichen internationaler »Normalität« gewertet und dafür, dass Deutschland wieder als ehrenwertes Mitglied der in-
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ternationalen Gemeinschaft gilt (dem es gestattet scheint, Nationalstolz zu zelebrieren!). Aber selbst die Gruppe der »ehrenwerten« westlichen Demokratien ist nicht über einen Kamm zu scheren, denn das staatliche Engagement bei der Veranstaltungen solcher Ereignisse schwankt erheblich zwischen Staaten und historischen Perioden. Auffällig ist, dass in den Anfangsjahren der Olympischen Spiele die Träger der Organisation von Veranstaltungen in einem größeren Ausmaß als heute Privatpersonen waren, die etwa als Mitglieder von IOC und NOCs tätig waren. Natürlich waren die meisten dieser Ereignisse auch schon groß genug, dass Regionalpolitiker oder Staatschefs als Schutzpatrone dieser Veranstaltungen galten oder als Ehrengäste im Stadion präsent waren. Dennoch scheint erst im Laufe der Zeit der Staat immer stärker in die Organisation der Spiele involviert worden zu sein, wenn es galt, zum Beispiel Verkehrsprobleme zu lösen oder sportliche Infrastrukturen zu Verfügung zu stellen, die immer anspruchsvoller wurden. Das staatliche Engagement für die Spiele 1936 war schon deshalb auffällig, weil es vorwegnahm, was für die Veranstaltung von Sportgroßereignissen in Demokratien nach dem Zweiten Weltkrieg zur Regelmäßigkeit wurde. Die Olympischen Spiele von 1948 bis 1976 wurden alle massiv von demokratischen Staaten finanziell und organisatorisch unterstützt. Erst die anfänglich vom IOC mit Skepsis beurteilte Organisation der Olympischen Spiele in Los Angeles 1984 brachte eine Wende, denn das dortige olympische Komitee veranstaltete eine zum großen Teil privat finanzierte Veranstaltung, die später auch für die Spiele in Barcelona, Atlanta, Sydney, Athen und London zum Vorbild werden sollte (obwohl diese nachfolgend genannten Beispiele wieder stark mit staatlich finanzierten Infrastrukturmaßnahmen in Verbindung stehen). So erkennt man auch beim Lesen der offiziellen Olympiaberichte, dass der Stolz der amerikanischen Organisatoren der Olympischen Sommerspiele von 1904, 1932, 1984 und 1996, bzw. der Olympischen Winterspiele von 1932, 1960, 1980 und 2002 stark mit den Anstrengungen lokaler und freiwilliger Komitees und Verbände in Zusammenhang steht und weniger mit dem Staat.
Der Bericht über die Olympischen Spiele von 2008 als Fallbeispiel Ganz anders präsentierte sich dagegen das chinesische olympische Komitee in ihrem offiziellen Bericht (vgl. IOC 2008). Beim chinesischen Bericht aus dem Jahr 2008 steht die Leistung und die Rolle der kommunistischen Partei und vor allem der Regierungsspitze im Vordergrund. Hier wird kurz der Aufbau und Inhalt des chinesischen Berichts dargelegt. Bereits am Titelbild und später immer wieder wird der Leitspruch der Olympischen Spiele abgedruckt. Dieser lautete im Jahr 2008: »One World One
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Dream«. Dieses Motto hat klar den Pathos einer friedlichen und einheitlichen Welt zur Grundlage. Sport wäre das beste Mittel, eine friedliche Welt aufzubauen. In gewisser Weise schließt dieses Pathos an Coubertins Gesellschaftsutopie an und wiederholt das Grundthema der olympischen Bewegung, das seit den 1890er Jahren die Olympischen Spiele begleitete. Deren Glaubensbekenntnis wird seit dem durch die jeweiligen Veranstalter pflichtgemäß wiederholt. Im chinesischen Fall rückt dieser Pathos jedoch viel stärker in den Vordergrund als bei den olympischen Berichten der letzten Jahrzehnte, die – im Gegensatz zu den Berichten der Zwischenkriegszeit und der ersten beiden Jahrzehnte des Kalten Krieges – nüchterner abgefasst waren. Nun wollen wir den chinesischen Bericht weiter verfolgen. Auf der ersten Seite sieht man ein großes doppelseitiges Farbfoto, auf der die Chinesische Mauer abgebildet ist. Auf der nächsten Doppelseite folgt ein zweites Hochglanzfoto, das die chinesische Staatsführung zeigt. Man sieht darauf die durchgehend älteren Herren klatschen und mit strahlenden Gesichtern in die Kamera lächeln. Auf der nächsten Seite folgt ein drittes doppelseitiges Foto. Dieses zeigt jubelnde Menschenmassen auf der Straße. Darunter findet sich die Bildunterschrift: »People from all circles in Beijing join in celebrations at the China Millennium Monument« (IOC 2008: I – VI). Dieses Foto zeigt scheinbar eine Menge in Peking während des Moments der Verkündigung durch das IOC, das an China die Olympischen Sommerspiele vergeben wurden. Solche Hochglanzfotos am Beginn eines Olympiaberichts sind keine Seltenheit. Jedoch wird bei den meisten Berichten keine derart eindeutige politische Botschaft vermittelt, die den Staat und seine Führung in den Mittelpunkt stellt. Die Botschaft dieses Berichts ist klar : Chinesische Mauer, chinesische Führung und jubelndes Volk stehen in einem metonymischen Zusammenhang. Die lange Tradition Chinas bringt die gute Regierung hervor, diese steht einem glücklichen »Volk« gegenüber. Nun wenden wir uns Kapitel 1 des Berichts zu. Dieses beginnt mit der Überschrift »China in Quest of the Olympic Dream«. Daneben findet sich ein Foto von der Verbotenen Stadt und einer weiteren Überschrift »Century-old Olympic Passion« (IOC 2008: 1). Es folgt ein Text, der die angebliche »Reise« Chinas über ein Jahrhundert zum Moment der Austragung der Olympischen Spiele beschreibt. Diese Reise wird in drei historischen Stadien als lineare Erfolgsgeschichte dargestellt: Stadium 1: Hier wird die Befreiung Chinas aus einem semikolonialen Zustand beschrieben. Es handelt sich dabei um den Zeitabschnitt der Republikgründung 1911 bis zum Zweiten Weltkrieg. In diesem Zeitabschnitt findet der Erstkontakt der Chinesen mit Sport statt. Es wird erzählt, dass Sport in China rasch populär wurde. Schon früh wurde der Versuch unternommen, ein olympisches Team aufzubauen. Stadium 2: Hier wird die Sportgeschichte Chinas nach dem Zweiten Weltkrieg geschildert (die Zeit der
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japanische Besatzung und der Zweite Weltkrieg werden nicht erwähnt). Hier findet sich der Hinweis, dass Taiwan (Republik China) an den Olympischen Spielen zum ersten Mal teilnimmt. Weiters ist hier zu lesen, das die Volksrepublik UN-Mitglied wird. Stadium 3: Hier wird der »Aufstieg Chinas in das olympische Stadium« beschrieben (original: »Rising on the Olympic Stage«: IOC 2008: 6). Die Volksrepublik China nimmt ab 1984 an den Olympischen Spielen teil. Dieses Kapitel stellt den interessanten Versuch dar, Geschichte und Tradition Chinas ganz im Sinne Hobsbawms im Nachhinein zu Herrschaftszwecken zu erfinden. Allerdings wird hier Geschichte nicht als chinesische Partikulargeschichte wiedergegeben, sondern als ein Ablauf an Ereignissen und als zielgerichtetes Narrativ, das mit einer allgemeinen Weltgeschichte – vor allem der Geschichte der Olympischen Spiele und des Sports – untrennbar verbunden scheint. China wird als Land präsentiert, welches schon seit 100 Jahren westlichen Sport kultiviert. Die Übernahme des Sport erscheint hier jedoch nicht als Unterwerfung unter die westliche Zivilisation, nicht als Kulturimperialismus, sondern als Symbol und Instrument der nationalen Emanzipierung. Hier wird quasi die japanische Erfolgsgeschichte der Meiji-Reformen nacherzählt und auf China übertragen. Eine erfolgreiche Verwestlichung Chinas wird als Mittel zur Rückerlangung nationaler Ehre und Souveränität dargestellt. Interessanterweise wird auch die Olympiageschichte Taiwans zum Bestandteil dieser Erfolgsgeschichte, was bloß auch auf den Anspruch der Volksrepublik hinweist, einziger legitimer Repräsentant aller chinesischen Länder zu sein. Diese Darstellung ist also eine Zivilisationsgeschichte, an deren Ende China als reifes Mitglied der zivilisierten Weltsportgemeinschaft dargestellt wird, das nun in der Lage ist, diese ehrenwerte internationale Staatengruppe – die Ökumene der Weltkultur – erfolgreich anzuführen. Der nächste Abschnitt des ersten Kapitels trägt die Überschrift »China Won’t Give Up« (IOC 2008: 12). Hier wird in der stilistischen Form der Sportberichterstattung der Vergabeprozess für die Olympischen Spiele 2008 geschildert. Es wird beschrieben, wie sich China gegen andere Konkurrenten durchsetzen konnte. Dieser »Wettkampf« (vor den eigentlichen sportlichen Wettkämpfen) wird als hartes und schwieriges Unterfangen geschildert. Die Gegner sind nicht zu unterschätzen und stellen gewichtige Größen dar (umso glorreicher erscheint dieser erste Sieg für China). Es werden Rankings der verschiedenen Runden des Ausscheidungskampfes dokumentiert, die zeigen sollten, wie tapfer China diesen Kampf für sich entschied. Hier treten Politiker und Sportorganisatoren als nationale Stellvertreter, analog den Sportlern, in Erscheinung. Sie verkörpern »China« und sie kämpfen für das Land am glatten Parkett der IOC-Diplomatie. In diesem Anschnitt werden auch Vorbereitungsarbeiten für die Olympischen Spiele dokumentiert, die das Land zur ersten Wahl für die Vergabejury
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machen sollen. Einige Fotos zeigen die Regierungsspitze zusammen mit einfachen Menschen mit den Sparten in der Hand beim Bau von Sportanlagen. Auch hier lautet die Botschaft, dass ein ganzes Volk gemeinsam – Regierung und Regierte – um die Austragung der Spiele kämpfte. Diese Botschaft richtet sich sowohl nach außen wie auch nach innen als Form der Legitimierung des kommunistischen Einparteienstaats. An dieser Stelle werden auch Fotos von Vertretern des IOC gezeigt. Auf einigen Fotos sieht man diese, die Anstrengungen Chinas vor Ort kritisch zu überprüfen. Nichts wurde also geschenkt, keine Leistung Chinas war erschlichen! Anschließend wird der erste Triumph Chinas ausführlich dokumentiert. Nun werden Fotos von den ersten Siegesfeiern gezeigt, nämlich von der Vergabe der Olympischen Spiele durch das IOC an China. Man sieht wieder Menschen auf den Straßen, die wie eine spontan zusammengelaufene Menge wirken und ihrer Freude über die Botschaft ehrlichen Ausdruck verleihen. Zumindest sollen diese Fotos die Wahrhaftigkeit dieser nationalen Gefühle, des Nationalstolz’, glaubhaft schildern. Danach folgt ein Kapitel, dass die Errichtung der monumentalen Stadien und der Verkehrsinfrastruktur schildert. Hier werden aus der Sicht der Autoren und Fotografen heroische Leistungen vollbracht. Hochgeschwindigkeitszüge und riesige Wolkenkratzer werden errichtet. Moderne Kolosseen entstehen, die riesige Menschenmassen beherbergen können. Jedes dieser Arenen wird in solchen Berichten als technische Wunderwerke gefeiert. Minutiös werden Hebelvorrichtungen, Elektronik oder verschiebbare Stadion-Dächer präsentiert. Die Namen der Stararchitekten, die diese Bauwerke errichteten, werden stolz genannt. Solche Kapiteln finden sich aber auch in fast allen anderen Olympiaberichten. Sie sind Zeitzeugen der einzelnen Epochen und ihrer für herausragend gehaltenen Technologien und baulichen Projekte. Solche Dokumente verraten, dass die Olympischen Spiele nur zu einem geringen Teil mit antiken und traditionellen Mythen verknüpft werden. Viel wichtiger erscheint die Verbindung mit neuesten Technologien und fantastischer Architektur, kurz: mit der modernen Welt. Jedes Veranstalterland möchte vor allem dadurch internationales Ansehen erlangen, dass es als Speerspitze des Modernismus gehalten wird. Nicht Tradition, sondern eine technische und bauliche Weltkultur stehen bei den Olympischen Spielen im Vordergrund. Das nächste Kapitel des Berichts dokumentiert die Zeremonien am Beginn der Olympischen Spiele. Zunächst wird der Fackellauf beschrieben, der seit 1936 Teil des olympischen Programms ist und Anlass bietet, das Veranstalterland in eine besondere internationale Position zu rücken. Der Veranstalter wird eigentlich bei allen Olympiaberichten als Empfänger des olympischen Feuers, das in Griechenland seinen Weg aufnimmt, geschildert. Bildlich wird daher das Veranstalterland als Ende einer Kette und Ziel der gemeinschaftlichen Aktionen
Der Bericht über die Olympischen Spiele von 2008 als Fallbeispiel
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einer internationalen Gemeinschaft inszeniert. Dabei ist der Weg des olympischen Feuers von Griechenland zum Veranstalterland besonders wichtig. Im Bericht werden dazu eine Reihe von Fotos gezeigt. Die ersten Fotos zeigen das griechische Olympia. Man sieht Frauen im antiken griechischen Priesterinnengewand, die das olympische Feuer tragen. Es folgt ein Foto vom Mount Everest, der hier Qomolangma genannt wird. Im Untertitel ist zu lesen: »Ein Bergsteigerteam trägt die Flamme über den Berg«. Man sieht auf einem weiteren Foto ein Bergsteigerteam, das mit dem olympischen Feuer den Himalaya überquert. Weitere Fotos folgen. Auf einem ist der chinesische Präsident Hu Jintao mit seiner Frau zu sehen, wie sie ausländische Gäste empfangen. Auf Fotos sind George Bush mit Frau und Vladimir Putin zu erkennen. Danach folgen (protokollarisch) Fotos von Staatsführern aus zweitrangigen Ländern, die in den Empfangssaal eintreten. Solche Bilder symbolisieren den olympischen Frieden und Freundschaft zwischen Staatschefs unter chinesischer Obhut angeführt vom amerikanischen und russischen Präsidenten. Nun sind Fotos zu sehen, die das Olympiastadion von außen bei Nacht zeigen. Feuerwerke sind während der Eröffnungszeremonie zu sehen. Auf den nächste Seiten folgt ein Bericht über das historische und kulturelle Erbe Chinas. Man sieht hier ein Bild mit einem antiken chinesischen Tempel. Im Hintergrund ist ein Teil des riesigen Olympiastadion (»Vogelnest«), das das Schweizer Architektenduo Herzog & de Meuron errichteten. Das Bild symbolisiert die Verbindung der glorreichen Vergangenheit und großartigeren Gegenwart Chinas und der Einheit zwischen traditioneller Nationalkultur und westlicher Weltkultur. Nun folgt eine Reihe von Fotos, die den Reigen des Fackellaufs beschließen. Auf einem Bild wird Präsident Hu Jintao gezeigt, der die olympische Flamme vor der Verbotenen Stadt übernimmt. Es folgt ein Foto vom kasachischen Präsidenten Nazarbajev als Fackelträger in Almaty. Kasachstan ist ein wichtiger »Außenposten« Chinas geworden, das vor allem durch seine Rohstoffe für die aufstrebende Weltmacht große Bedeutung besitzt. Daher ist dieses Foto in seiner Bedeutung für China richtig platziert. Ein anderes Foto zeigt die Fackelträger in St. Petersburg, wie diese vor dem Siegesplatz und vor dem Denkmal zum Sieg über Hitlerdeutschland und den Unbekannten Soldaten mit der olympischen Flamme laufen. Russland ist nicht nur die zweitgrößte Nuklearmacht der Welt. Es ist vor allem der wichtigste strategische Partner Chinas. Ein letztes Foto in diesem Reigen zeigt den türkischen Staatschef als Fackelläufer. Auch die Türkei ist als führendes Land aller turksprachigen Völker für China wichtig. Die Uiguren als größte turkspachige Minderheit in der autonomen Provinz Xinjiang sind nämlich ständig in Unruhen und separatistischen Bewegungen involviert. Danach folgt ein Bericht über das »neue Peking«. Auf Fotos wird das Opernhaus, Ballet, chinesische Jugendliche beim Basketball-Spiel auf der Straße
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gezeigt. Ein Foto, dass einen Basketballplatz vor Hochhäusern zeigt, hinterlässt den Eindruck einer Szene, die in der Bronx spielen könnte. Man sieht überall Graffitis und Zeichen einer aktiven rebellischen Jugendkultur. Alles wirkt hier sehr westlich und sehr amerikanisch. Die Botschaft dieses Fotos ist auch eindeutig: China soll als ein westliches und freies Land dargestellt werden. Das Leben in China ist danach nicht viel anders als das Leben in New York. Auch dort gibt es ein Opernhaus, Ballet und deviante Subkultur. Im nächsten Kapitel wird sehr feierlich die Eröffnungszeremonie beschrieben. 2008 Trommler eines »Fou« (3000 Jahre altes Schlaginstrument) symbolisieren das Jahr 2008. Sie trommeln und rufen: »Freunde sind von weither gekommen. Wie glücklich wir darüber sind.« Es handelt sich dabei um einen Text von Konfuzius. Der Text erklärt: »… [dies] ist die herzlichste Grußformel der alten chinesischen Nation. Sie überdauert Zeit und Raum«. Der Text beschreibt weiter : »In den letzten 10 Sekunden wird der Rhythmus unglaublich intensiv. Chinesische und arabische Zahlen tauchen abwechselnd auf den Fous auf. Neun, acht, sieben … Das ganze Stadion wird erfasst. Dann zählt die Menge aufgeregt den Countdown mit.« »Danach werden 29 gigantische Fußabdrücke mit einem Feuerwerk in den Himmel gezeichnet, die ruhmreich die zentrale Stadt-Achse Pekings … markieren. Die Fußabdrücke symbolisieren die 29 Olympiaden moderner Zeit, deren letzte die von Peking ausgezeichnete ist.« (vom Autor übersetzt: IOC 2008: 79)
Es folgt ein Foto mit Trommlern und danach ein Foto mit der olympischen Flagge und der chinesische Flagge. Danach sieht man Soldaten salutieren. Der Bericht erzählt weiters, dass zunächst auf einer riesigen Leinwand ein Film gezeigt wurde. Dabei wurde auf einer mit den Maßen 20 x 10 Meter großen Wagenplane zentrale kulturelle Images der chinesischen Geschichte in das Stadion gezogen. Man sieht zum Beispiel uralte Felsbildkunst, Porzellantöpfereien und Bronzegefäße. Danach wird klassische chinesische Musik mit einer Guqin, einem antiken chinesischen Streichinstrument, angespielt. Danach taucht ein großes Tintengemälde aus der Song Dynastie auf. Dieses Gemälde entpuppt sich als Menschengewühl, die chinesische Buchstaben symbolisieren. Danach folgt eine Performance, in der die Seidenstraße zum Thema gemacht wird. Darauf folgt eine weitere Performance über die Peking Oper. Anschließend werden Friedenstauben losgelassen. Eine weitere Performance hat das Sternenlicht aus einer chinesischen Mythologie zum Thema. Zum Abschluss folgt die Performance »Dream«. Hier treten Akrobaten, ein chinesischer Sänger und eine britische Sängerin auf. Sie singen das Themenlied der Olympischen Spiele während sie auf einem großem Globus stehen: »You and me From one world
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We are family Travel dream A thousand miles Meeting in Beijing.«
Das Lied spielt auf ein anderes Lied mit dem gleichen Titel an, das dieselbe britische Sängerin bereits 1992 in Barcelona zusammen mit Jose Carreras bei der olympischen Eröffnungsfeier gesungen hatte. Danach findet die Parade der Athleten statt. Der olympische Schwur wird dargestellt. An dieser Stelle soll ein kurzer Rückgriff auf die vorhergehenden olympischen Berichte gemacht und die Entwicklung der Eröffnungszeremonie dargestellt werden. In den Olympiaberichten von 1908 bis 1984 wird die Eröffnungsfeier stets ähnlich dargestellt, bei welcher der Einmarsch der nationalen Mannschaften in das Olympiastadion den zentralen Stellenwert einnimmt.38 Die Zeremonie des Einmarsches der Nationen findet seit den sogenannten »Zwischenspielen« von Athen 1906 statt; damals marschierte das amerikanische Team erstmals in einheitlicher Kleidung in das Stadion ein.39 Andere Bestandteile der Eröffnungszeremonien kamen bis 1936 hinzu, wie die Bezeugung des olympischen Eids und des Hissens der Olympiaflagge 1920, die Entzündung des olympischen Feuers 1928 und der Einlaufs des Fackelläufers 1936. Seit den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm sind auch zum ersten Mal die höchsten politischen Vertreter des Gastgeberlandes bei den Eröffnungsfeierlichkeiten im Stadion (bereits bei der »Zwischenspielen« 1906 war der griechische König im Stadion). Die oben beschriebenen Masseninszenierungen, die meist eine Darstellung der nationalen Geschichte des Gastgeberlandes und die Bedeutung des Gastgeberlandes für die Welt zum Inhalt haben, sind eigentlich bis 1984 nicht inszeniert worden. Erst 1984 verbanden die Veranstalter in Los Angeles den feierlichen Moment mit einer Darstellung der Entwicklung der amerikanischen Unterhaltungsmusik von den Anfängen des Jazz bis zur Big Band Ära, um die Bedeutung der amerikanischen Kultur vor den Augen der Welt zu feiern (vgl. IOC 1984). Seither wurden die Inszenierungen immer aufwändiger. Die Performance von Seoul 1988 ähnelte bereits stark der von Peking 2008. Auch damals präsentierte sich ein asiatisches Land (das erste nach Japan) als Gastgeber und aufstrebende Nation der Weltöffentlichkeit und es wurden Themen der Geschichte und Kultur Koreas in die Inszenierung aufgenommen (vgl. IOC 1989). Die Sommerspiele von Barcelona 1992 inszenierten eine ausgewogene Darstellung mit katalanischen und spanischen Bezügen. Außerdem wurde der Kulturraum des Mittelmeeres betont, indem in Anlehnung an die Olympischen Spiele 38 vgl. Olympiaberichte IOC (1896 – 1980) 39 Außerdem wurden nach jedem Sieg auch zum ersten Mal die Landesflagge der Nation des Siegers gehisst.
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in Griechenland die Geschichte griechischer Kolonisten an den Küsten der antiken iberischen Halbinsel erzählt wurde (vgl. IOC 1992). Die Spiele von Atlanta betonten wieder Bezüge zur amerikanischen Geschichte (vgl. IOC 1997). In Sidney 2000 wurde sowohl die Geschichte der weißen Siedler, als auch die der Ureinwohner erzählt. Das war ein klares Signal für ein multikulturelles Verständnis der australischen Nation (vgl. IOC 2001). Die Spiele von Athen standen in ihrer Performance während der Eröffnungsfeier ganz klar im Licht der antiken griechischen Olympiageschichte und des Gedenkens an die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit, die mehr als hundert Jahre davor in Athen stattgefunden hatten (vgl. IOC 2006). Im nächsten Kapitel des Olympiaberichts von 2008 wird das olympische Dorf beschrieben. Olympische Dörfer wurden seit den Spielen 1932 in Los Angeles errichtet und haben seit dem den Veranstaltern mehrere Aspekte einer positiven Selbstpräsentation geboten.40 Das Thema eines Dorfes, in dem Menschen aus verschiedenen Ländern auf konzentriertem Raum zusammenleben, bietet mehrere Formen der positiven Selbstinszenierung. Erstens sind Dörfer und Häuser Symbole von Heimat und können daher leicht mit dem Gastgeberland in Verbindung gebracht werden. Der architektonische Stil dieser Dörfer wies zwar manchmal den Anstrich von landestypischen Bauweisen auf, doch meist sind sie in einer modernen ästhetischen Bauweise errichtet. Damit wird wohl das weltoffene und gewollt moderne Image eines Landes inszeniert. Die Nation ist zwar Heimat, aber eine weltzugewandte und moderne. Zweitens symbolisieren Wohnanlagen und olympische Dörfer Gastfreundschaft. Daher bemühen sich die Veranstalterländer in ihren Berichten den Aufenthalt der Gäste als möglichst angenehm darzustellen. Drittens können olympische Dörfer in den Darstellungen leicht mit der Bedeutung von Verkörperung internationaler Gemeinschaft in Zusammenhang gebracht werden. Eine Gemeinschaft freilich, die vom Gastgeberland erst ermöglicht wurde (darin besteht eben auch eine Leistung). In diesen Punkten unterscheidet sich der Olympiabericht von 2008 kaum von seinen Vorgängerberichten. Das Kapitel wurde etwa mit »Colourful Life in the Olympic Village« betitelt. Es werden Fotos des geselligen und interkulturellen Lebens gezeigt. Eine weitere Überschrift in diesem Kapitel lautet »An Enjoyable Life«: Man sieht Maniküre, Supermarkt, Frisör, Zeitungstand, Unterhaltungsprogramme etc. Das Motiv des Friseurs findet sich übrigens bereits im Bericht der 1936er Spiele (vgl. IOC 1936). Hierbei ist auch immer der historische Kontext zu berücksichtigen, vor dessen Hintergrund diese Bilder der Weltoffenheit, Gastfreundschaft und internationaler Gemeinschaft publiziert werden. Der Eindruck eines gastfreundlichen Hitlerdeutschlands und Chinas besitzt andere 40 Ausnahme sind die Spiele von 1984, bei denen kein zentrales olympisches Dorf neu errichtet wurde, sondern die Sportler in mehreren Orten aufgeteilt wohnten.
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Implikationen als der eines sich ebenso präsendierenden Australiens oder Schwedens. Das nächste Kapitel widmet sich der »olympischen Erziehung«. Ein solcher Abschnitt findet sich in den älteren Berichten nicht. Hier wird interessanterweise über die Vorbereitung der Bevölkerung auf die Olympischen Spiele berichtet, sowie über ein Jugendcamp, in der chinesische und ausländische Jugendliche Völkerfreundschaft praktizieren lernen. Danach gibt es einen wiederum feierlich gehaltenen Bericht über die Abschlusszeremonie. Auf einem Foto ist der Bürgermeister von London zu sehen. Er schwingt die olympische Fahne. In London werden nämlich die nächsten Olympischen Spiele ausgetragen. Man sieht ein Foto, auf dem die chinesische Staatsführung dem Bürgermeister applaudiert.
Der Wandel von internationalem Prestige in den Olympiaberichten 1896 bis 200841 Folgende Ähnlichkeiten und Unterschiede lassen sich in den offiziellen olympischen Berichten von 1896 bis 2008 erkennen. Die Veranstalter aller Spiele verbanden vor allem folgende Bereiche mit internationalem Prestige: 1. Aufbau von Sportinfrastruktur : Hier stehen vor allem der Stadionbau und der Bau anderer Sportstätten Vordergrund. Vor allem große, moderne Stadien gelten als besonders prestigeträchtig. In der Anfangsphase der Olympischen Spiele galten auch möglichst komfortable und ausgefeilte Sanitäranlagen, Duschen mit fließendem Wasser etc. als vorzeigewürdig. Durchgehend wird Stolz mit einer als besonders empfundenen architektonischen Ästhetik beim Stadionbau verbunden. Lange Zeit war architektonische Ästhetik das Produkt nationsinterner Baukunst. Seit einigen Jahrzehnten werden allerdings vermehrt internationale Stararchitekten herangezogen. Das verrät nicht nur eine Konvergenz des Geschmacks, sondern auch eine Entethnisierung in der Planung der Spiele, da ein Land als prestigereich gilt, 41 Die folgende Analyse beruht auf einem Vergleich der offiziellen Berichte zu den Olympischen Sommerspielen (1896 – 2008). Diese Analyse beruht auf keiner detaillierten Inhaltsanalyse, sondern bezieht sich auf die groben Strukturen des Aufbaus dieser Berichte. Folgende leitende Fragen standen dabei im Vordergrund: Welche Inhalte werden vor allem gezeigt? Wie viele Bilder werden gezeigt? Welche Bilder werden gezeigt? Wer präsentiert sich als Organisator (Staat oder private Komitees)? Wie wird Nationalstolz präsentiert? Wird überhaupt Nationalstolz in diesen Berichten präsentiert? Wo unterscheiden sich diese Berichte vom chinesischen Bericht aus dem Jahr 2008? Quellen: (IOC 1896; IOC 1900; IOC 1904; IOC 1908; IOC 1912; IOC 1924; IOC 1928; IOC 1933; IOC 1937; IOC 1951; IOC 1955; IOC 1956; IOC 1957; IOC 1958; IOC 1960; IOC 1964; IOC 1968; IOC 1972; IOC 1978; IOC 1981; IOC 1985; IOC 1989; IOC 1992; IOC 1997; IOC 2001; IOC 2006; IOC 2008)
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welches es sich Leisten kann, Bauwerke von diesem oder jenem Architekten aufzuweisen, auch wenn dieser aus einer ganz anderen Gegend der Welt stammt. Diese Tendenz kann auch als Entideologisierung der Welt nach dem Kalten Krieg verstanden werden, wo nun Architektur nicht mehr mit einem politischen Großprogramm, sondern mit dem freien, globalen Markt der Spitzenarchitektur in Zusammenhang gebracht wird (analog dem freien und globalen Arbeitsmarkt im Sport). Technische Kommunikationssysteme: Das Vorhandensein modernster Kommunikationstechnologien unter Anwendung komplizierter Ingenieurleistungen spricht den Aspekt von internationalem Prestige an. Es weist darauf hin, fähig zu sein, die Welt miteinander zu verbinden (der Nabel dieser Kommunikationsnetzwerke bildet das Veranstalterland). In chronologischer Reihenfolge lassen sich grob folgende technische Innovationen aufzählen, worauf sich Prestige in den einzelnen Berichten bezog (das heißt, welche Geräte und Technologien stolz präsentiert wurden): Telefon, Mikrofone und Lautsprecher zur Stadionbeschallung, Schreibmaschinen, Telegrafenstationen, Journalisten und Fotografenplätze in den Sportstätten, Bildtelex, Fernschreiber, Langwellenradio, Kurzwellenradio (in Form von Tonaufzeichnung und Live-Übertragung), Schwarzweißfernsehen, Satellitenübertragung, Tiefseekabel, Farbfernsehen, Großbildschirme, HDTV-Übertragungen, Internet und 3D-Fernsehen. Außerdem wird stolz auf die Anzahl internationaler Journalisten verwiesen. Seit 1984 kommt auch der Stolz auf möglichst teuer verkaufte Übertragungsrechte hinzu. Zeremonien: Der Stolz und die Höhe von Prestige besteht hierbei darin, globaler Zeremonienmeister zu sein und ein möglichst ausgefeiltes Spektakel zu bieten. Wie die Berichte zeigen, scheint dieser Prestigeaspekt in jüngster Zeit wichtiger geworden zu sein. Organisation der Wettkämpfe: Hier wird vor allem auf den reibungslosen Ablauf der Wettkämpfe hingewiesen. Manchmal werden auch auftretende Weltrekorde als Prestigeaspekt dem Veranstalter mit zugeschrieben. Inszenierung von Gastfreundschaft.
Im Gegensatz zu den frühen Olympischen Spielen werden seit den 1990er Jahren folgende Punkte stärker hervorgehoben: 1. Sieg beim Auslosungsverfahren: Dieser wird in der Praxis des Sports als Wettstreit der Besten dargestellt (freilich wird dabei Korruption nie erwähnt). 2. Spiele sind das Resultat gemeinsamer nationaler Anstrengungen vieler Gruppen und Schichten der Bevölkerung. Wobei zu den frühen Spielen, heute – mit einigen Ausnahmen – der Staat und die Regierung viel stärker als Akteure dargestellt wird.
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3. Andererseits erscheint in der Bildästhetik und schriftlichen Dokumentation der modernen Spiele das militärische Element, das in den frühen Berichten einen wichtigen Bestandteil bildete, vollkommen verdrängt worden zu sein. Sportler und Funktionäre erscheinen heute durchgehend in einer zivilen Aufmachung, wohingegen früher Sportfunktionäre oft als Militärs in Paradeuniform abgebildet wurden. Kampfrichter traten in Militärkleidung auf. Athleten von Sportarten wie Reiten, modernem Fünfkampf, Schießen und Gymnastik trugen bei Paraden und im Wettkampf regelmäßig Uniform und ließen sich, wie die Turner, auch oft in militärischer Pose abbilden. In diesem Sinn ist eine »Zivilisierung« des äußeren Erscheinungsbildes der Olympischen Spiele zu erkennen. Staat und Nation werden dadurch symbolisch nicht mehr direkt mit dem Militär in Verbindung gebracht. Sport erscheint weniger als »Krieg ohne Blutvergießen«. Das ändert natürlich nichts daran, dass Athleten aus vielen Ländern heute noch Mitglied der Streitkräfte sind, nur erkennt man dies äußerlich nicht mehr (in diesem Sinn handelt es sich um in modischer Sportkleidung gut getarnte Soldaten). Dem steht jedoch entgegen, dass in fast allen modernen Olympiaberichten Sicherheit als wichtiger Punkt der Organisation genannt wird. In diesen Passagen der Olympiaberichte wird stolz auf Spezialeinheiten und paramilitärische AntiTerrorkräfte verwiesen, die ein Land fähig ist, zu mobilisieren. 4. Kultur und Geschichte des Landes: Oberflächlich erscheint es widersprüchlich, dass die stärkere Durchdringung der globalen Kultur und Ästhetik durch eine seit den 1980er Jahren verstärkte Inszenierung nationaler Kultur ergänzt wird. Diese Inszenierung findet sowohl während der offiziellen Zeremonien statt, als auch in der Gestaltung der Olympiaberichte selbst. Diese Berichte erscheinen heute zumeist als Hochglanzbroschüren, in welchen die landeseigenen (meist folkloristisch inszenierte) Sitten und pittoreske Landschaften abgebildet werden. Bei genauer Betrachtung erweisen sich diese Darstellungen jedoch als ein offensichtliches Bedürfnis der Veranstalter, den Pathos nationaler Eigentümlichkeit mit der Weltkultur zu verbinden, sodass beide nicht als Widerspruch, sondern als versöhnliche Ergänzungen erscheinen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass aus der Sicht dieser Berichte die Olympischen Spiele eine stark entethnisierte oder ethnisch substanzlose Form nationaler Repräsentanz hervorbringen. Neben Siegen und Medaillen ermöglichen die Olympischen Spiele noch weitere Formen der Erhöhung von internationalem Prestige, als einer Form von Ehre, die universell verständlich kommuniziert werden kann. Dazu zählt die Ehre der Veranstaltung von Olympischen Spielen, die Ehre, Funktionäre im IOC zu stellen und die Ehre, anderen Nationen
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eine standardisierte Form der nationalen Repräsentanz, etwa durch den Einmarsch der Mannschaften, zu ermöglichen.
Mediennation: Untersuchungen zur medialen Darstellung der Nation
Kapitel 7 – »Mediennation« und Sport
Das Attribuieren der »Nation« Auf einem Titelblatt der österreichischen Kronen Zeitung posiert der deutsche Formel-1-Pilot Sebastian Vettel als Sieger beim Grand Prix in Spa. Unter dem Foto ist folgender Text zu lesen: »Doppelter Triumph für das rot-weiß-rote Formel-1-Team Red Bull beim Grand Prix in Spa. Sebastian Vettel gewann nach drei sieglosen Rennen vor Mark Webber und baute seinen Vorsprung in der WM-Wertung auf 92 Punkte aus …« (Kronen Zeitung, Montag 29. 8. 2011: Titelblatt)
Der hier als »österreichischer« Triumph gefeierte Sieg stellt in mehrerlei Hinsicht eine durch Massenmedien und ihr Publikum ins Leben gerufene Angelegenheit dar. Zum einen kennt der Autorennsport Formel-1 keine »nationalen« Rennteams, sondern auf privater Basis betriebene Rennställe. Zum anderen ist der hier erwähnte Rennfahrer Sebastian Vettel nicht Österreicher, sondern Deutscher. Zwar wird in der Formel-1 seit einigen Jahren bei der Siegerehrung die Nationalhymne des Herkunftslandes des Fahrers und des Rennstalls gespielt. Dies zeigt allerdings nur, wie die mediale Vermittlung eines Spitzensports den nationalen Erwartungen des Fernsehpublikums entgegenkommt. Daraus entstehen allerdings bei der Festlegung nationaler Publikumsloyalität manchmal verwirrende Situationen. Zum Anlass eines vorhergehenden Doppelsieges zweier Red Bull-Piloten in Shanghai im Jahr 2009 berichtet die Internetplattform oe24.at, das Online-Portal der Tageszeitung Österreich: »Falsche Hymne bei Siegerehrung. Veranstalter spielte statt ›Land der Berge‹ [Anfangsworte der österreichischen Bundeshymne] doch lieber ›God save the Queen‹. … Nicht nur Red Bull-Sportdirektor Dr. Helmut Marko war dann ›enttäuscht‹, als ›God save the Queen‹ erklang …
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»Mediennation« und Sport
Rennsport-Direktor Marko erbost: ›Wahrscheinlich haben die Chinesen [Veranstalter des Rennens] unsere Hymne nicht im Programm.‹«42
Lizenz und Firmensitz des Red Bull-Teams sind tatsächlich englisch, ebenso wie die meisten Techniker und Verantwortlichen aus England stammen. Somit fehlen dem Red-Bull-Team fast alle ethnischen Wurzeln und Symbole, die dieses als nationalen Stellvertreter der Österreicher identifizieren würden. Hauptsächlich wird das Team aufgrund der Marke des Energy-Getränks Red Bull von Österreichern als österreichisch angesehen. Name und Inhalt des Getränks besitzen jedoch ebenfalls keinerlei ethnosymbolische Verbindung mit Österreich. Das Getränk stammt ursprünglich aus Asien und ist am besten einer unbestimmbaren Weltkultur zuzuordnen. Österreichisch wird Red Bull bloß durch den Firmengründer Dietrich Mateschitz und den Hauptsitz der Firma im salzburgischen Fuschl am See. Dieses Beispiel veranschaulicht nicht nur eine markante Eigenschaft des »Nationensports«: seine potentiell ethnische und regional-kulturelle Substanzlosigkeit. Das Beispiel weist auch auf die Rolle der Massenmedien bei der Konstruktion (und hier wird bewusst dieser Ausdruck verwendet) nationaler Zugehörigkeit hin. Massenmedien attribuieren nationale Inhalte auch zu nationenlosen Sportarten wie der Formel-1, die anders als die bereits besprochenen olympischen Sportarten nicht von »offiziellen« national organisierten Teams oder Mannschaften geführt werden. Das Beispiel einer solchen nationenlosen Sportart verdeutlicht den Einfluss der Medien auf den Prozess der Bindung des Publikums an bestimmte Athleten oder Teams. In gewisser Weise kann dem Diktum McLuhans zugestimmt werden, »the medium is the message« (vgl. McLuhan 1967). Form, Inhalt und emotionale Qualität der nationalen Repräsentation sind stark von den spezifischen Eigenschaften dieser modernen Medien abhängig, die gegenwärtig wohl die sichtbarste Repräsentationsform von »Nation« und »Nationalismus« produzieren. Das Konzept der »Mediennation« versucht die aktive Rolle von Massenmedien im Prozess der Bildung von nationaler Loyalität des Publikums hervorzuheben. »Mediennationen« besitzen die Eigenschaft, Nationen in Erscheinung treten zu lassen, dort, wo sie ohne deren Wirken keine öffentliche Präsenz besäßen. Man könnte allerdings argumentieren, dass Nationen immer symbolisch vermittelte Gebilde darstellen, wie etwa durch Militärparaden, nationale Gedenkfeiern oder Nationalflaggen. Im weitesten Sinn stellt nämlich auch das Grab des unbekannten Soldaten ein »Medium« dar, das ein Symbol für die gefallenen Soldaten des eigenen Landes verkörpert. Der Ethnosymbolismus (vgl. Armstrong 1982; Smith 1986) vertritt ein derart umfassendes Konzept von »Medien« 42 Quelle: »Falsche Hymne bei der Siegerehrung«, oe24.at; http://sport.oe24.at/motorsport/ Falsche-Hymne-bei-Siegerehrung/513503; abgerufen am 2. Juni.2012.
Das Attribuieren der »Nation«
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– ohne darauf explizit einzugehen – denn in seinen Analysen geht es um die Rolle von ethischen Symbolen zur Stiftung nationaler Identifikation schlechthin. Der Untersuchungsgegenstand des Ethnosymbolismus sind orchestrale Musik, Theater, Architektur, Bildhauerei, Malerei, Literatur oder die nationalen Mythen der Romantik. Wir wollen hier den Medienbegriff nicht so weit fassen, sondern auf Massenmedien wie Zeitung, Radio, Fernsehen und Internet beschränken. Andersons Studie über »vorgestellte Gemeinschaften« fokussiert dagegen auf die Zeitungen des 19. Jahrhunderts und vor allem auf Romanliteratur (vgl. Anderson 2005). Das Bild, das er von »Nation« und »Nationalismus« zeichnet, ist ein vorwiegend historisches, weil es sich auf eine Periode bezieht, in der moderne Massenmedien entweder noch nicht existierten oder noch keine große Rolle spielten. Die Beschränkung auf einen engen Medienbegriff hat mehrere Vorteile. Erstens kommt diese der Struktur des Mediensports entgegen, der sich weitgehend auf Zeitung, Radio, Fernsehen und Internet beschränkt. Zweitens wird dadurch ein bedingungsloser Konstruktivismus vermieden, der Nationen als ausschließlich »erfundene« Entitäten sieht. Gleichzeitig muss bei dem hier vertretenen Ansatz nicht geleugnet werden, dass der Aspekt der »Erfindung« oder der »Konstruktion« durch Massenmedien trotzdem eine große Bedeutung besitzt. Drittens lässt sich dadurch auch das Verhältnis zwischen Publikum und Massenmedien in einer nichtdeterministischen Weise darstellen. Hier soll auf die Überlegungen der Cultural Studies zurückgegriffen werden, nämlich, dass Kodierungsvorgänge der Medienproduzenten von den Dekodierungsvorgängen des Publikums unterschieden werden sollten (vgl. Hall 1999; Winter 2010). Die Attribuierung nationaler Zuordnung und der Versuch, nationale Loyalität durch den Sportjournalismus zu erzeugen, muss nicht automatisch vom Publikum aufgegriffen werden. Zwar scheint beim Konsum der Sportberichterstattung eine »oppositionelle Lesart« (»oppositional position«) selten und eine »favorisierte Lesart« (»dominant hegemonic position«) allgemein verbreitet zu sein – denn es existieren keine bedeutenden sozialen Bewegungen oder Subkulturen, die ein Ende des »Nationensports« fordern. Dennoch gibt es keinen Zwang, sich für Sport zu interessieren. Ein Teil der Bevölkerung entzieht sich der Sportberichterstattung und damit auch den nationalen »Efferveszenzen« im Zusammenhang mit derartigen Medienereignissen. Um wieder Hirschmans Ansatz zu strapazieren, besteht in der Beziehung zwischen Sportpublikum und Sportmedien eine permanente »Exit-Option« (vgl. Hirschman 1970). Das Sportpublikum differenziert sich in unterschiedliche Gruppen, wie etwa das »Expertenpublikum« etc.43 Für die hier vorliegende Studie ist vor allem die Strukturierung des Publikums in nationale »Publika« vorrangig.44 43 Werron (2010: 99 ff.) weist noch dazu darauf hin, dass sich die Perspektive des Publikums
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»Mediennation« und Sport
Anschließend werden acht Aspekte der Medialisierung des »Nationensports« analysiert: Kontinuität, Faktizität, Voraussetzungslosigkeit, Unmittelbarkeit, Ikonographisierung, Übertragbarkeit, Interaktivität und Kontrolle. Zum Schluss wird versucht, ein idealtypisches Schema des mediengetragenen Wandels nationaler Darstellung zu entwickeln.
Kontinuität Kontinuität bezeichnet das Maß an Flüssigkeit des Informationsaustausches. Der »Nationensport« in Fernsehen und Zeitung tritt heute in großer Dichte und Kontinuität in Erscheinung. Durch Radio, Fernsehen und Internet wird auch die »Nation« in einer größeren Kontinuität repräsentiert und dramatisiert als im 19. und frühen 20. Jahrhundert, wo diese meist nur Gegenstand der Romanliteratur, des Theaters oder öffentlicher Feierlichkeiten war. Romane weisen größere oder kleine Unterbrechungen des Informationsflusses auf. Öffentliche Feierlichkeiten fanden nur an wenigen Tagen des Jahres statt. Radio, Fernsehen und Internet besitzen dagegen lückenlose Kontinuität. Die neuen Medien verdichten nicht nur den Informationsfluss. Medien bestimmen auch die Form der Dramaturgie und Narration der »Nation«. Bücher sind zum Beispiel »abgeschlossene« Medien; sie besitzen Anfang und Ende. Daher sind nationale Epen auch stets das Produkt klassischer Dramaturgie. Ein Held oder ein Kollektiv ist in der Regel in schicksalshafte Umstände und Abenteuer verstrickt, die im Rahmen eines standardisierten Spannungsbogens und die der Sportler unterscheidet. Vor allem das »Expertenpublikum« beobachtet den Sport stets von einem historischen Winkel und bezieht sich auf Vergleichsstatistiken. Sportler oder Trainer blicken dagegen seltener in die Vergangenheit ihrer Sportart, sonder konzentrieren sich auf die nächsten Wettkämpfe. Dagegen scheint die Differenzierung der Perspektive zwischen Publikum und Medien weniger klar zu verlaufen. 44 In einigen wichtigen sport- und mediensoziologischen Arbeiten wird die Differenzierung in nationale Publika nicht thematisiert. Die Analyse von sportlichen »Mega-Events« als globales Massenspektakel von Horne und Manzenreiter (2004; 2006), Roches Studie über die Fernsehberichterstattung zu den Olympischen Spielen (vgl. Roche 2006), Bette und Schimanks Arbeiten über Sportgroßveranstaltungen (vgl. Bette und Schimank 2000), sowie Werrons Studie über den »Weltsport und sein Publikum« (Werron 2010) besitzen trotz ihres scharfsinnigen Fokus auf das Verhältnis zwischen Sport, Medien und Publikum kaum Hinweise auf die Strukturierung des Publikums in nationale Loyalitätsgemeinschaften. Tomlinson und Young (2006: 3) weisen dagegen auf die größer werdende politische Bedeutung von Sportgroßereignissen hin. Sie beziehen sich vor allem auf die Formung von nationaler Identität und die Neubestimmung von internationalen Beziehungen. Aber auch andere Autoren verweisen darauf, das Mediensport mit nationaler Identität auf Seiten des Publikums verbunden ist, z. B.: Neil et al. (1993), Maguire und Poulton (1999), Gebauer (2002), Schwier (2006). Schantz (1996) untersucht explizit in einem interkulturellen Vergleich das deutsche und französische Fußballpublikum (allerdings nicht im »Nationensport«, sondern bei deutschen und französischen Meisterschaftsspielen im Stadion).
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erzählt werden. Das Theater, die Oper oder nationale Festivitäten (wie Kriegsgedenken oder Feiern zum Unabhängigkeitstag) besitzen ebenfalls einen »abgeschlossenen Charakter«. Die »Nation« muss dabei innerhalb eines vorgegebenen zeitlichen Rahmens nach strikten dramaturgischen Regeln (z. B. Spannungsbogen im Theater) inszeniert werden, sodass diese den Hauptbezug einer abgeschlossenen Geschichte darstellt. Noch dazu finden derartige öffentliche Inszenierungen nur an bestimmten Tagen des Jahres statt. Die Verwendung von physischen Medien zur Darstellung der »Nation« bringt eine andere Begrenzung mit sich. Behauene Steine, Naturdenkmäler, Skulpturen oder Architektur gelten zwar als Symbole »ewiger« Macht, sind jedoch schwer oder nicht reproduzierbar.45 Münzen und Papiergeld waren dagegen die ersten Massenmedien, mit Hilfe derer sich Herrschaft und Nation flächendeckend repräsentieren ließ. Mit Münzen und Papiergeld lassen sich allerdings keine komplexen Geschichten erzählen. Erst Tageszeitungen, Magazine und elektronische Medien erlaubten bei der Darstellung und Dramatisierung von Nationen sowohl einen hohen Grad an Kontinuität, wie auch einfache Reproduzierbarkeit. Außerdem kann mit Hilfe dieser modernen Medien der »abgeschlossene« Charakter der nationalen Erzählung aufgebrochen werden. Zeitungen, Radio, Fernsehen und Internet ermöglichen den Einsatz kontinuierlicher Erzählformate, wie Fortsetzungsgeschichten, Serien, Nachrichten oder Chroniken. Dazu zählt auch die Sportberichterstattung. Im Sportjournalismus treten Nationen zwar zum Anlass von Sportereignissen episodenhaft in Erscheinung, dennoch werden sie dort als fiktive Akteure eines nicht endenden Narrativs weiterverarbeitet. Immer wieder wird auf diese Nationen als fiktive Akteure früherer Sportereignisse bei der aktuellen Berichterstattung verwiesen. Sie sind Akteure und nationale Stellvertreter, die stets in neuen Kontexten und Situationen den Rezipienten entgegentreten: als Fußballnationalmannschaften, als Tennisprofis oder als Abfahrtsläufer im Schisport etc. Kurz: Das Abenteuer der Nation endet im Gegensatz zum »romantischen Nationalismus« auf der Bühne moderner Medien nie. Immer ist irgendwo die »Nation« irgendwie in Gefahr, immer befindet sie sich im Wettstreit mit anderen, immer tauchen Triumphe, immer Niederlagen auf. Der nicht abgeschlossene, kontinuierliche Fluss an Information durch elektronische Medien, der keine räumlichen und zeitlichen Begrenzungen kennt, erlaubt den Entwurf unübersichtlich vieler, widersprüchlicher, modifizierbarer und nicht-endender nationaler Erzählungen. Zum Beispiel ist die »Saison« in der Formel-1, im Fußball oder Schisport ein Produkt dieser modernen Medi45 Natürlich konnten antike Herrscher, wie etwa römische Kaiser, Büsten in Massenproduktion replizieren lassen, die in allen Teilen des Reiches aufgestellt wurden.
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enwelt. Hier wird ganz willkürlich das Jahr als Begrenzung der erzählenden Spannung gewählt. Diese kann allerdings zeitlich ausgeweitet werden, indem etwa auf »historische« Duelle verwiesen wird. Ohne kontinuierliche Medien hätten solche langfristigen Formate keinen Sinn, denn niemand könnte die zeitlich und räumlich weit auseinander liegenden Ereignisse als Einheit begreifen. Bourdieu (1996; 1998) hat in seiner Studie über das Fernsehen die Olympischen Spiele ebenfalls als ein Konstrukt begriffen, dessen Zusammenhalt erst durch die Massenmedien entsteht. Die Archivierung von Medienmaterial erlaubt auch die Erzeugung einer besonderen Form von Tradition in Zusammenhang mit dem Sport. Da Fotos, Tonaufnahmen und Filme reproduzierbare und wiederaufführbare Medien darstellen, können vergangene Ereignisse beliebig oft und in beliebigen Zusammenhängen repliziert werden. Sporttraditionen unterscheiden sich somit von der ethnonationalen Aufbereitung einer mythischen Vergangenheit.
Faktizität Das führt zu einem nächsten Punkt. Sportliche Ereignisse fanden wirklich statt, Romane sind von Autoren erfundene Geschichten. Romane mögen vielleicht autobiografische Elemente enthalten, oder wie die historischen Romane Felix Dahns auf einst wahre Begebenheiten anspielen. Dennoch bleiben sie das Produkt schriftstellerischer Fantasie. Aus dieser Sicht ist Hobsbawms Konzept der »erfundenen Tradition« (Hobsbawm 1983) zutreffend und lässt sich an Beispielen des »romantischen Nationalismus« wie Macpherson’s »Ossian«, den Nibelungen, König Arthurs Tafelrunde oder Vercingetorix’ Heldenmut exemplifizieren. In diesem Sinn ist sogar die nationale Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts teilweise Fiktion, wenn diese die Nation in weite Vergangenheit zurückprojiziert. Der »romantische Nationalismus« basiert also weitgehend auf Fantasieprodukten. Kriegsgedenken waren dabei wohl die wahrhaftesten nationalistischen Inhalte.46 Ganz anders verhält es sich mit Radio und Fernsehen. Diese Medien stellen zwar auch Plattformen von in sich geschlossenen, fiktiven Geschichten dar. Das gilt vor allem für vom Roman beeinflusste Formate wie Hörspiel oder (Kino-) Film. Dennoch liegt die Stärke und Einzigartigkeit dieser Medien in der Informationsübermittlung faktischer Geschehnisse. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Selektion und Aufbereitung der Fakten dramaturgischen Regeln folgt, um durch emotionale Beeinflussung eine Bindung zum Publikum herzu46 Die allerdings oft mythisch überformt wurden, wenn jemand als »Held« oder »wie Achilles« in den Tod am Schlachtfeld gegangen ist.
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stellen. In modernen Formaten wie Dokusoaps, Reality-Shows und »realistischen« Fernsehserien verwischt sich zunehmend der Unterschied zwischen Faktizität und Fiktion, bzw. dient diese Unschärfe als Spannungsmittel der Produzenten. Auf der anderen Seite verwenden Nachrichten und Dokumentationen auch immer stärker Stilmittel der fiktiven Erzählformate. Baudrillard (vgl. 1992; 1995) geht deshalb davon aus, dass sich heute Medienbilder in derartiger Weise gegenseitig zitieren, ein Simularcrum bilden, sodass zwischen Realität und Fiktion kein Unterschied mehr besteht. Dennoch bauen Nachrichten, Chronik und Sportberichterstattung auf dem Anspruch auf, über Faktisches zu berichten. Man könnte sogar die dramaturgischen Mittel dieser Formate als eine spezifische Symbolsprache des allgemein akzeptierten Realismus auffassen, der nun allen klar macht, dass das Gesehene wirklich stattfindet. Daher berichtet der Auslandskorrespondent auch meist vor dem Hintergrund eines Bildes oder des wahren Ortes des Geschehens, um damit Wahrhaftigkeit und Nähe zum Geschehen zu vermitteln.47 Niemand zweifelt daran, dass ein Fußballspiel wirklich stattfindet oder dass die in Inserts eingeblendete Information falsch wäre. Der Regisseur einer Sportübertragung und die daran beteiligten Journalisten mögen zwar Irrtümer begehen, dennoch ist am Anspruch der Wahrhaftigkeit der Bilder oder der Töne nicht zu zweifeln. In diesem Sinn stellen eingeblendete »Medaillenspiegel« und andere Rückgriffe auf die sportliche Vergangenheit eines Landes im Fernsehen keine »erfundenen Traditionen« dar. Diese Medaillen wurden tatsächlich gewonnen. Es handelt sich dabei viel mehr um gewollt platzierte Information, die einen bestimmten Zusammenhang konstruiert. Nationale Bezüge werden dem Geschehen attribuiert.
Voraussetzungslosigkeit und Demokratisierung Kennt man die Grundregeln und das Spielverständnis eines Sports, so kann man diesem rasch relativ voraussetzungslos folgen. Fernsehsport ist daher ein weltweites, soziale und kulturelle Schranken überschreitendes Phänomen. Dagegen blieb die Rezeption von nationalen Romanen des 19. Jahrhunderts auf relativ kleine geographische und soziale Räume beschränkt, meist auf Sprachgemeinschaften, bzw. deren gebildete Eliten. Aber auch Theater, Oper, philharmonisches Konzert und in gewisser Weise öffentliche Zeremonien setzen bei Rezipienten ein Mindestmaß an Bildung für ihr Verständnis voraus. Man benötigt Wissen über die Geschichte des eigenen Landes und über eine Kunstform, um dem nationalen/nationalistischen Gehalt der Darstellung eines Schauspielers 47 Solche Stilmittel fließen wiederum in die fiktiven Erzählformate ein, um etwa einem Spielfilm mehr realistische Spannung zu verleihen.
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oder Opernsängers auf der Bühne im Sinne des Autors oder Komponisten folgen zu können. Heute wird Wagners »Parsifal« deshalb anders gehört, als bei seiner Uraufführung. Brat Pitt als Achilles versetzt das Kinopublikum wahrscheinlich nicht mehr in dieselben imperialen und nationalistischen Sehnsüchte, wie die Ilias die Schüler eines humanistischen preußischen Gymnasiums oder einer englischen Eliteschule des 19. Jahrhunderts (obwohl der Film »Troja« auch Lust auf männlichen Kampf und Heldenmut bei Teilen des Publikums auslöst). Der »romantische Nationalismus« ist weitgehend das Produkt nationaler Bewegungen, die sich mit den Mitteln einer »Hochkultur« verständigten. Ihre sozialen Träger waren »Intellektuelle«, Künstler und Reformer einer bürgerlichen Mittel- und Oberschicht, die sich als privilegierte und monopolartige Produzenten und Verwalter nationaler Kulturgüter verstanden. Durch die pathetische Überhöhung von Kulturgütern der eigenen Sprach- und Religions-, Sitten- oder Abstammungsgemeinschaft (oder was dafür gehalten wurde) sicherten sich diese Gruppen eine herausragende gesellschaftliche Stellung, die es ihnen erlaubte, in einem gewissen Rahmen im Zirkel der Macht mitzuwirken.48 Kulturgüter wie Romane, Geschichtsschreibung, Theater oder orchestrale Musik konnten von ungebildeten Massen weder erzeugt noch (adäquat) rezipiert werden (die Bedeutung des humanistischen Gymnasiums lag eben darin, dass hier für den männlichen Nachwuchs der bürgerlichen Oberschichten der Verständnisschlüssel für die Rezeption des »romantischen Nationalismus« vermittelt wurde). Das zeigt, dass der Nationalismus des 19. Jahrhunderts noch weitgehend auf bürgerliche Kreise beschränkt blieb. Er war demnach noch kein »tiefer« und »demokratischer« Nationalismus, der mit Hilfe massenmedialer Popularkultur alle Teile der Gesellschaft durchdringt. Neue Kommunikationstechnologien änderten dies. Auf Seiten der Produktion und Distribution wurden einstig privilegierte Träger des »romantischen Nationalismus« (etwa die Oper oder das Theater) durch kollektive ersetzt, wie Medienanstalten, Filmstudios, Plattenfirmen, Rundfunkanstalten oder Elektronikkonzerne; oder in der Sprache Horkheimers und Adornos: durch eine »Kulturindustrie« (vgl. Horkheimer und Adorno 2006 [orig. 1944]). Diese war 48 Dies war möglich, indem nationale Bewegungen machiavellistisch denkende Machteliten dazu brachten, nationalistische Rhetorik zu gebrauchen, nationalistische Ziele teilweise zu verfolgen oder gar in den Dienst der eigenen Ambitionen zu stellen. Gutes Beispiel dafür ist Bismarck, der persönlich dem Nationalismus fernstand, jedoch einerseits deutschen Nationalismus für den Zweck preußischer Dominanz über andere deutsche Staaten gebrauchte und andererseits (zögerlich) dem Drängen imperialistischer Sehnsüchte bestimmter gesellschaftlicher Kreise nachgab (vgl. Wehler 1976). Das Verhältnis zwischen alten Machteliten und nationalistischen, bürgerlichen Kreisen war in jedem Land anders, z. B. in Italien (Königreich Sardinien-Piemont) war es in der Regel eng, in Preußen pragmatisch, in Russland ambivalent und in Österreich feindlich. Aber überall verbanden sich nationalistische Kreise zu verschiedensten Anlässen unterschiedlich gegenüber Hof oder Regierung.
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wiederum gezwungen, auf den Massengeschmack Rücksicht zu nehmen und daher förderten sie eher banalen als hochkulturell durchdrungenen Nationalismus. Zwar sind die Kulturgüter des einstigen »romantischen Nationalismus« wie Museen, Opernhäuser oder Konzertsäle in einigen Ländern Europas noch immer wichtige Stätten nationaler Kultur. Doch selbst diese Formen von Hochkultur werden heute durch banale Zwecke ergänzt, wie etwa durch den Tourismus. Sie haben sich zu Symbolen der »Corporate Identity« eines Landes und zu Destinationen in Reiseprospekten verwandelt. Mit dem Film, der Fernsehserie, den Fernsehnachrichten oder der Rezeption von Popularmusik teilt der Konsum von Mediensport seine relative Voraussetzungslosigkeit. Es stimmt, auch die Erkennung von Spannung muss gelernt werden. Dennoch kann jeder Fußballländerspiele ohne großen Aufwand verstehen lernen, sich dazu eine Meinung bilden und emotional in die Geschehnisse verstricken lassen. Auf allen diesen Ebenen weicht das Verständnis von Laien und »Experten«, von Alt und Jung, Mann und Frau, Nationen, »Rassen« und Ethnien nicht besonders stark voneinander ab (im Gegensatz zum Konsum einer Pekingoper, der Musik von Maurice Ravel oder dem Lesen von James Joyce’ »Ulysses«).49 Unter diesen Bedingungen wird auch klar, dass Semiotik und Cultural Studies zwar interessante Aspekte des Kulturkonsums aufzeigen. Diese sind jedoch wenig hilfreich, die Beziehung zwischen »Nationensport« als Medienproduktion und dessen Rezeption zu verstehen. Die Symbolsprache von Filmen, Popularmusik und Fernsehnachrichten kann zwar wie ein Text »gelesen« werden. Dennoch setzt dieses »Lesen« ein im Vergleich zu anderen Medien und Inhalten kleines Sinnverständnis voraus.50 Das gilt ganz besonders für den Mediensport im Fernsehen. Hier sprechen eigentlich die bewegten Bilder eine offensichtliche Sprache. Sie stellen einen »Text« dar, bei dem die »Kodierung« durch Sportjournalisten, Kameramann und Regisseur und der Schritt der Rezeption und »Dekodierung« vor dem Fernsehapparat wenig Spielraum für Missverständnisse 49 Was natürlich nicht heißt, dass Chinesen nicht Stolz auf Pekingopern sind oder dass Bloomsday (ein Feiertag in Irland!) für die breite irische Bevölkerung bedeutungslos wäre. Vielleicht schätzt auch heute der eine oder andere Franzose Ravels Patriotismus, ohne dessen Musik zu kennen. Ähnlich dem kommodifizierten und touristifizierten Stolz der Österreicher auf Mozart oder der Deutschen auf die Weimarer Klassik, wird hier keine pathetische »Tiefe« und Verinnerlichung mit dem Kulturgut und seiner nationalistischen »Lesart« verbunden. Die Stolzbeziehung zu diesen Gütern hat etwas reliquienartiges und bezieht sich auf das Gefühl der Genugtuung, weil die »ganze Welt« diesen und jenen Künstler kennt und mit dem Land in Verbindung bringt. Stolz ist hier das Resultat weltweiter Bekanntheit einer Person oder eines künstlerischen Werkes, das in Zusammenhang mit dem eigenen Heimatland gebracht wird. 50 Zu den Techniken der Cultural Studies siehe: Hall (Hall 1996; 1999); bezüglich des Films im Speziellen siehe: Winter (2010).
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lässt. Vor allem die zunehmende Versinnlichung des Fernsehens durch Farbe, Stereoton, größere Röhren, HDTV, Flachbildschirme und 3D, bzw. gestochen scharfe Nahaufnahmen durch moderne Kameratechnik, erzeugen den Eindruck der Natürlichkeit und Unmittelbarkeit. Das lebensgroße 3D-Fernsehbild eines Fußballers unterscheidet sich relativ wenig vom realen Fußballer.51 Die durch eine komplizierte Hochsprache und eine reiche Tradition an ethnischen Symbolen verschlüsselten Geschichten in Romanen, Theaterstücken und Opernaufführungen lassen dagegen genügend Grauzonen offen, die dafür sorgen, dass der intendierte Bedeutungsgehalt des Autors und Produzenten vom Bedeutungsgehalt des Konsumenten abweichen kann. Dasselbe gilt für den Film stärker als für Fernsehnachrichten, für das Hörspiel stärker als für die Radiodokumentation etc.
Unmittelbarkeit, Stimmung und Emotionen Sportlich gebundene nationale Ekstase und andere geteilte Gefühle wären ohne moderne Live-Medien wie Radio, Fernsehen und Internet nicht möglich. Bevor in den 1930er Jahren erstmals Radioübertragungen bei internationalen Sportereignissen ausgestrahlt wurden, konnten die Emotionen des Publikums vor Ort nicht auf eine anonyme, unorganisierte, im Land verstreute Masse transferiert werden. Obwohl das Medienpublikum keine physische Kopräsenz an einem Ort aufweist und damit die Kriterien einer mikrosoziologischen Gruppe nach Collins (2004) in Anlehnung an Durkheim (1994) zur Erzeugung von »Efferveszenz« (der spontanen Aufwallung von Gefühlen, die in Form von »emotionaler Energie« oder einer Stimmung das Gruppenselbstbewusstsein beeinflusst) nicht erfüllt, ist der Effekt ein ähnlicher. In der unorganisierten Menge an Radiozuhörern oder Fernsehzuschauern entstehen durch die medial erzeugte Unmittelbarkeit mit dem sportlichen Geschehen Verbrüderung und Vergemeinschaftung, welche sowohl in spontanes Gemeinschaftshandeln wie z. B. Autocorso, feiernde Menschen auf den Straßen, wie auch in eine schwerer zu identifizierende »nationale Stimmung« gewandelt werden können. Das Nachwirken solcher »nationalen Stimmungen« kann unterschiedlich lang sein (bevor sie verpuffen) und weite Kreise der Gesellschaft in ihren Bann ziehen. Die langfristige Entwicklung der »nationalen Stimmung«, meist ein flaches stimmungsmäßiges
51 Allerdings entspricht eine zu große Schärfe und ein zu großer Zoom auch nicht dem natürlichen Sehverhalten.
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»Grundrauschen«, beeinflusst jedoch den overten, kognitiv gesteuerten Diskurs über nationale Identität.52 Vor der Erfindung der Telegrafie war die Informationsübermittlung an physische Medien gebunden. Information konnte nicht schneller als Menschen von einem Ort zum anderen transportiert werden.53 Nicht vor Ende des 19. Jahrhunderts konnten große Zeitungen ihre lokale Bedeutung überschreiten und nationale Märkte erschließen. Neue Druckverfahren (z. B. Rotationsdruckverfahren ab 1845 oder die Linotype-Setzmaschine ab 1886), Eisenbahn und Telegrafie waren die technischen Voraussetzungen hierfür. Nachrichtenagenturen schufen einen internationalen Informationsmarkt (1835 wurde die Agence France-Presse, 1848 die Associated Press gegründet). Selbst nach der Einführung des Radios in den 1920er Jahren brauchte es noch etwa zehn Jahre bis zur Verbreitung der Kurzwellentechnologie. Dadurch wurden Live-Sendungen von weit entfernten Plätzen möglich, wie etwa die weltweite Berichterstattung von den Olympischen Spielen 1936 aus Garmisch-Partenkirchen und Berlin. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg sollten solche Übertragungen zur Regelmäßigkeit werden. Die Einführung der Satellitentechnik in den 1960er und 1970er Jahren ermöglichte auch Live-Übertragungen im Fernsehen von jedem beliebigen Punkt der Erde. Heute ist die Echtzeit-Übertragung des »Nationensports« Alltag. Die »Nation« ist ähnlich den in Echtzeit verfolgten Börsenkursen einem ständigen Auf und Ab ausgesetzt. Siege werden von Niederlagen abgelöst, und dieser Strom bildet das nationale »Grundrauschen«. Die Einarbeitung von Geschehnissen in weit entfernten Räumen war im 19. Jahrhundert mühevoll. Die gleichzeitige Repräsentation mehrerer »Nationen« an weit entfernten Orten wäre aufgrund der langen Transportwege der Information unmöglich gewesen. Spannung im Sinne des Sportjournalismus wäre aufgrund der starken Zeitverzögerung zwischen dem Ergebnis und seiner Rezeption nicht zu erzeugen gewesen. Je mehr der Aspekt der Echtzeit-Rezeption im »Nationensport« zunahm, desto mehr konnte Spannung zu einem Bestandteil nationaler Wir-Gefühle werden. Spannung spielt in der klassischen Zeitungsberichterstattung eine geringe Rolle. Hier wurde über Ereignisse berichtet, die bereits stattgefunden hatten. Der journalistische Stil kann zwar durch gewisse schriftstellerische Mittel im Nachhinein eine Meldung spannender darstellen, aber die dadurch erzielten Effekte bleiben gering. Betrachtet man die Sportberichterstattung in 52 Grundsätzliche Standpunkte zu einer Soziologie der Emotionen, die sich mit der Analyse von Massenmedien beschäftigt, werden von Flam (2002: 254 – 272) zusammengefasst. 53 Das gilt natürlich nicht für optische Kommunikationssysteme basierend auf Rauch-, Feuer und Lichtsignalen oder akustische aufbauend auf Trommeln oder Klopfzeichen. Bereits in den 1790er Jahren wurde in Frankreich eine Kommunikationslinie basierend auf optischer Telegrafie aufgebaut.
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den Zeitungen der 1920er und 1930er Jahre, so ist zu erkennen, dass dort fast nur sachlich verfasste Meldungen und Kurznachrichten vorherrschten. Die SportReportage, durch die Spannung leicht aufgebaut werden kann, wurde etwa erst später als Ergänzung zur Fernseh-Live-Berichterstattung, die bereits die Vermittlung aller Fakten vorwegnimmt, zu einem wichtigen stilistischen Element des Sportjournalismus in der Zeitung (siehe dazu: nächstes Kapitel). Bild 2: Nationensport im Radio. Erste Kurzwellen-Live-Übertragungen von Olympischen Spielen (1936)
Quelle (IOC 1937: 346)
Emotionen überwinden den Raum und lassen nicht nur »vorgestellte«, sondern auch »gefühlte« Nationalgemeinschaften entstehen. Ekstase, Begeisterung, Spannung, Freude und Enttäuschung sind die wichtigsten durch den Sportjournalismus verbreiteten Gefühle.
Ikonographisierung der Nation und Transzendenz des Sprachraums Nationale Wir-Bilder werden im modernen Mediensport in der Regel nicht mehr hauptsächlich in der Form textlich anspruchsvoller Erzählungen, sondern verstärkt durch Pressefotos und bewegte Bilder »ikonographisch« zum Ausdruck gebracht.54 Diese nicht-narrativen und fotografisch/filmischen Techniken 54 Darstellende Kunst und Malerei, wie EugÀne Delacroix’ »Die Freiheit führt das Volk« (»La Libert¦ guidant le peuple«, 1830), stellen auch Beispiele von Ikonographisierung der »Nation« vor dem Zeitalter der Fotografie dar. Vor allem die Historienmalerei des 19. Jahrhunderts bediente sich reichlich des Sujet der symbolischen Darstellung der Nation; siehe: (Flacke 2001; 2004). Hier tritt die »Nation« – sowie schon bei Delacroix- in der Regel als Allegorie in Erscheinung. In diesem allegorischen Gebrauch lehnt sich die Malerei stark an den Nationalmythos an. Damit folgt die Malerei der Literatur, analog der »Tondichtung« des
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überwinden leicht sprachliche Barrieren der Rezeption und schaffen global verständliche Repräsentationsformen der »Nation«. Viele Märkte für Druckerzeugnisse blieben bis heute im Grunde an sprachliche Grenzen gebunden.55 Aus der Perspektive des Zeitungs- und Zeitschriftenmarkts gibt es keine europäische oder weltweite Öffentlichkeit. Zeitungen, Zeitschriften, Romane und jede andere Form von Belletristik richten sich an ein beschränkt sprachgebundenes Publikum. Englisch, Französisch und Spanisch konnten nur aufgrund der Kolonialreiche Englands, Frankreichs und Spaniens die nationale Öffentlichkeit von Ländern in verschiedenen Weltregionen verbinden. Obwohl die Sprachen Mandarin, Hindu oder Urdu jeweils zwischen 100 und 900 Millionen Sprecher aufweisen, besitzen sie nicht die grenzüberschreitende Bedeutung von Spanisch, Französisch und Englisch (weil ihre Sprecher zum großen Teil an kulturelle und ethnische Grenzen gebunden bleiben). Arabisch (300 bis 400 Millionen Sprecher) ist hingegen in 27 Staaten Amtssprache und besitzt als Schriftsprache eine ähnliche Bedeutung wie die drei europäischen Großsprachen. Russisch ist zumindest in acht Staaten zur Zeit Amtssprache, wird jedoch wahrscheinlich aufgrund des demographischen Rückgangs ethnischer Russen an Bedeutung verlieren. Schriftgebundene Medien können zwar unterschiedliche nationale Öffentlichkeiten (bewusst im Plural geschrieben!) nicht vereinen, jedoch unter bestimmten Umständen koppeln. Das geschieht vor allem durch die Rezeption eines Diskurses in einem prestigereichen Sprachsystem – wie zum Beispiel dem Englischen – durch ein weniger prestigereiches, wie zum Beispiel dem Deutschen (umgekehrt findet diese Rezeption selten statt). Selbst die gleichen Weltgeschehnisse werden in Druckmedien (meist unterschiedlich) durch separate nationale Publika (Plural!) verarbeitet. Das gilt für Romane stärker als für Zeitungsnachrichten und für Essays stärker als für Kommentare. Überall dort, wo »tiefer« in die Materie eingetaucht wird, wo mehr sprachlicher Aufwand betrieben werden muss, fließen unweigerlich ethnisch/sprachlich geformte Idiosynkrasien in den Diskurs ein. Deshalb soll hier in diesem Zusammenhang aus der Perspektive von Sprachgrenzen von (national) »selbstreferenziellen« Diskursen gesprochen werden. Der Begriff »Diskurs« soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass dabei nicht nur kognitive Inhalte (Topoi, Sprechweisen etc.), sondern auch emotionale Färbungen ausgetauscht werden. »Selbstreferenziell« bedeutet daher, dass Na19. und anfänglichen 20. Jahrhunderts. Pressefotografie und Sportfernsehen erzeugen dagegen ganz und gar nicht-allegorische Bilder. 55 Obwohl die »Übersetzungsindustrie« massenweise Bestseller aus aller Welt in die jeweiligen Landessprachen übersetzt, bleibt diese Menge in Relation an nichtübersetzter Literatur marginal. Zeitschriften werden in der Regel selten (z. B. die mehrsprachige Ausgabe von Le Monde Diplomatique), Tageszeitungen gar nicht in andere Sprachen übersetzt.
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tionen und Sprachgruppen abgeschlossene Diskurs- und Gefühlsgemeinschaften bilden. Außenstehende können daher kognitive Inhalte und emotionale Färbungen nur mühevoll verstehen. Deshalb weichen nationale Mythologien nicht nur auf der Ebene der Bedeutung, sondern auch auf der des Fühlens von einander ab.56 Die durch den Nationalismus von Tschechen, Ungarn, Kroaten oder Polen im 19. Jahrhundert entstandenen neuen Schriftsprachen verringerten die Durchschnittsgröße »selbstreferenzieller« Diskurse. Lajos Kossuth schrieb und las etwa noch auf deutsch (vgl. Lendvai 2001). Dasselbe gilt natürlich auch für das Deutsche im Verhältnis zum Französischen, Italienischen oder Spanischen. Lorenzo da Ponte, Librettist von Mozarts Opern »Le nozze di Figaro«, »Don Giovanni« oder »Cosi fan tutte« schrieb auf Italienisch, was den Wiener kosmopolitischen Adel nicht störte. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit verband das Gelehrten- und Kirchenlatein ebenfalls geografisch weit verstreute Diskursgemeinden. Erasmus von Rotterdam hatte etwa kein Problem, mit Humanisten und Reformatoren aus ganz Europa auf Latein zu korrespondieren. Betrachtet man die Geschichte des Zeitungswesens, so erkennt man, dass neben der bereits erwähnten Telegrafie der Fotojournalismus den »selbstreferenziellen« Charakter nationaler Diskurse etwas aufbrach. Die Einführung der Fotografie in das Zeitungswesen war vor allem für den Sportjournalismus wichtig. Diese setzte die Erfindung neuer Druck- und Fernübertragungstechniken voraus. Der Einsatz von Fotos führte zu einer drastischen Reduktion interkultureller Verständigungsschwierigkeiten. Die Dekodierung von Zeitungsfotos lässt wenig Interpretationsspielraum frei. Ganz besonders Pressefotos aus dem Sportbereich sind in ihrer Bildsprache meist eindeutig. Hier tritt außerdem ein Effekt verstärkt auf, der bereits von piktografischen Schriftsystemen, wie den Hieroglyphen oder der chinesischen Schrift, bekannt ist. Die Sprecher unterschiedlicher Sprachen können sich mit piktografischen Symbolen eindeutig untereinander verständigen. Sportfotos besitzen einen ähnlichen Effekt. Auch sie versteht fast jeder.57
56 Ungeachtet dessen findet eine weltweite Proliferation nationaler Darstellungsweisen statt. Das galt besonders für das 19. Jahrhundert. Ein Beispiel bietet die E-Musik dieser Zeit. Wagners Bearbeitungen deutscher (d. h. nationaler) Mythologie fand seine Nachahmer in anderen Ländern. 57 Allerdings bewirkt die sogenannte »interessengeleitete Bildauswahl« im Fernsehen bei der Live-Übertragung von Olympischen Spielen und anderen Mega-Events, dass wieder die unterschiedlichen nationalen Publika verschiedene Bilder und Töne präsentiert bekommen. Das deutsche Fernsehen liefert bereits seit den Olympischen Sommerspielen in Seoul 1988 ein zusätzliches Bildsignal (Bild/IT-Ton-Gemisch). So werden vom Host-Broadcaster gelieferte Bildsignale, die nicht »deutsch« genug erscheinen, durch eigene »deutsche« ersetzt. Dieses Verfahren weist allerdings hohe Kosten auf, da nun jede nationale Fernsehstation
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Nationen im Sport sind demnach nicht mehr (nur) an narrative Mythologien gebunden, sondern an ikonographische Symbole. Wenn bei einer Sportübertragung im Fernsehen die Flagge des nächsten Athleten oder das IOC-Kürzel im Insert eingeblendet wird, oder wenn das strahlende Siegerbild auf einem Zeitungsfoto erscheint, so besteht über den Inhalt kaum Zweifel.58 Die Aufbringung nationaler Symbole auf Sportdressen, der vermehrte Einsatz von Flaggen und Wappen, die Farben einer Nation etc. sind Folgen der Sportfotografie und des späteren Sportfernsehens. Beim Fernsehen kommt noch ein Bündel an akustischer Symbolsprache zur Kennung von Nationen hinzu, wie Hymnen, Schlachtgesänge, Jubelschreie oder »unvergessliche« Moderationen. Die Ikonographisierung der Nation und damit deren symbolische Übersetzung in die Weltsprache der Bilder wurde durch die Einführung des Films noch verstärkt. Gerade die Ära des Stummfilm bewirkte eine starke Globalisierung (d. h. Amerikanisierung) des Films, da Slapstick, Mienenspiel und theatralische Gestik, bzw. die Lichteffekte des Expressionismus und die innovative Montagetechnik Eisensteins überall annähernd gleich verstanden werden.59 Die Szene mit dem Massaker auf der Treppe in Odessa in »Panzerkreuzer Potemkin« (1925) versteht jeder als tragisch und revolutionär im Sinne des Regisseurs.60 Die frühen Tonfilme gaben dagegen für eine kurze Zeit der lokalen Filmindustrie Aufschwung, wie etwa dem »Wien-Film« der 1930er Jahre. Durch Sprache und Musik kann nämlich eine unverwechselbare Herkunft signalisiert werden. Erst die massenhafte Synchronisation amerikanischer Filme nach 1945 und das »Vergessen«, bzw. das neue Zuordnen akustischer Signale zu den Bildern dämmte den regionalistischen Effekt akustischer Signale etwas ein.61 So
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auch eigene Übertragungsfahrzeuge und Kamerateams zu den Veranstaltungen entsenden muss (vgl. Hattig 1994: 198 – 199). Vorausgesetzt die Zuschauer oder Leser verstehen IOC-Kürzel und wissen, welche Bedeutung die Goldmedaille um den Hals des strahlenden Athleten hat. Auch das »Lesen« von Sportfotos beruht auf der Konvention des Realismus und einem sozial vermittelten Wissen. Das Verständnis von Bildsprache und Film scheint nicht universell zu sein. Vor allem die Effekte in Zusammenhang mit Mise-en-cadre (Framing oder den Bildausschnitt rahmen) bedürfen eines gewissen kulturellen Vorverständnisses. Dasselbe gilt für das Verständnis von Perspektive, das im Europa der Renaissance entstand. Dennoch gilt dies scheinbar nicht für die großen Hochkulturen. Der Film wurde sowohl in China, Japan, Indien und dem islamischen Raum rasch zu einem beliebten Unterhaltungsmittel. Mittlerweile bestehen in diesen Regionen selbst schon Zentren der Filmproduktion, die in ihren Dimensionen teilweise Hollywood übertreffen. Auch solche Bilder können in anderen Kontexten filmisch zitiert werden. Daraus entstehen ganz eigene metonymische Effekte, die im Original nicht bestehen. Das oben genannte Beispiel von Eisensteins Massaker auf der Potemkin’schen Treppe und des Kinderwagens, der sich von der Mutter löst, wurde tatsächlich schon filmisch zitiert (z. B. im Film »The Untouchables«. 1987). Gerade der metonymische Gebrauch von Bildern, d. h., die Loslösung von Bildern aus dem Originalkontext ist der hauptsächliche Grund, dass nationale Repräsentation in der Fotografie und im Fernsehen »übertragbar« ist. Dennoch bleibt der regionalistische Erkennungseffekt von akustischen Signalen erhalten.
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»vergisst« der Zuseher im Kino, dass das »Ruhrdeutsch« in der Synchronisation amerikanischer Gangsterfilme bloß ein Mittel zur Symbolisierung der amerikanischen Gauner- und Unterschichtssprache ist. Im Sportfernsehen dienen akustische Signale zunächst dazu, Spannung und Unmittelbarkeit mit dem Geschehen hervorzustreichen. Deshalb hört man bei einer Fernsehübertragung von Fußballspielen aus der Sicht des Stadionpublikums unrealistisch laut das Geräusch des Balltritts, bei einer Übertragung von Schirennen das Kanten der Schi im eisigen Schnee und bei der Formel-1, das überlaute Surren der Motoren. Aber die bewussten Einblendungen von Jubelgeräuschen und Schlachtgesängen durch die Regie erzeugen auch Identifizierung und Bindung des Publikums mit dem Sportgeschehen. Bei Sportfotos sind vor allem die Techniken von Tiefenschärfe und Nahaufnahme wichtig. Dadurch können Emotionen auch unter den Bedingungen hoher Geschwindigkeit und hektischer Bewegung »eingefroren« und hervorgehoben werden. Im Fernsehen kommen noch Zeitlupe und Wiederholung hinzu. Die Zeitlupe hat sowohl einen ästhetischen, wie auch einen evaluierenden Effekt (man kann hundertstel Sekunden-Entscheidungen beurteilen). Dasselbe gilt für die Wiederholung. Sie ist allerdings auch das dramaturgische Mittel des Regisseurs, spannungslose Phasen bei Spielen oder Rennen zu überbrücken. Der Sportjournalismus entwickelte somit eine eigene Art von globaler Bild- und Körperästhetik und einer Ästhetik der Nation. Diese »Körperästhetik der Nation« unterscheidet sich jedoch von der Verkörperung der Nation oder der nationalen Allegorie durch die Malerei des 19. Jahrhunderts, weil sie keinen narrativen oder epischen Charakter besitzt. Vergleicht man die Ästhetik des modernen Sportfernsehens und die damit verbundene Ikonographisierung der Nation mit Leni Riefenstahls Film »Olympia« (1938), so sind die Unterschiede interessanter als die Ähnlichkeiten. Es stimmt, Zeitlupe und andere Techniken in Riefenstahls Film sind im heutigen Sportfernsehen selbstverständliche dramaturgische Mittel. An der Art des Gebrauchs der Zeitlupe erkennt man jedoch, dass diese bei Riefenstahl vornehmlich ästhetischer Natur war, im modernen Fernsehsport ist sie eher evaluierend. Ein wesentlicher Unterschied besteht weiters darin, dass der Film »Olympia« zwar phasenweise vorgibt, zeitlich unmittelbare Geschehnisse abzubilden – z.B. wenn der Moderator so tut, als wüsste er den Ausgang des Wettkampfes noch nicht – dennoch handelt es sich dabei um eine Filmdokumentation, die erst zwei Jahre nach den Ereignissen der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Der Film hält sich fast ausschließlich an die dramaturgische Logik einer Denken wir nur an die amerikanischen Polizeisirenen; schon tauchen in der Vorstellung die Straßenschluchten von New York City auf. Deshalb haben auch das Nichtübereinstimmen von akustischen und optischen Symbolen im Film eine verfremdende oder eine humoristische Wirkung.
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nacherzählenden Geschichte, besitzt einen formellen Anfang und ein resümierendes Ende. Sein romanhaftes Narrativ setzt in der berühmten Anfangsszene in einem mystischen Griechenland ein, mithilfe von Überblendungen entsteht somit ein zeitlicher Graubereich zwischen den alten Griechen und der nationalsozialistischen Gegenwart. In der anschließenden Montage bestehend aus Landkarten, gezeichneten Stadtsilhouetten einiger Hauptstädte Europas und wirklichen Filmaufnahmen wird der Fackellauf von Griechenland in das Berliner Olympiastadion geschildert. Dieses Stadion voller Menschen, Hitler in Großaufnahme, wirkt als Brücke zwischen der mythischen Vergangenheit und der inszenierten gegenwärtigen Größe Deutschlands. Deutschland als Erbe und Nachfolger einer großen Tradition! Es folgt die Darstellung der Wettkämpfe, die vor allem ein Ästhetisieren muskulöser, junger Körper ist. Zeitlupe und Nahaufnahmen dienen bloß diesem Zweck. Diese Körper erinnern an die Statuen der griechischen Götter und Wettkämpfer in der Anfangssequenz. Immer wieder werden Flaggen und Nationalhymnen der Sieger eingeblendet. Deutschland zählt auch ab und zu dazu. Deutsche Triumphe werden nicht überproportional stark herausgestrichen; gerade so, dass der Eindruck von Deutschland als ein Glied in der Reihe der großen Staaten der Sportwelt entsteht (vor allem wird Deutschland als gleichwertig neben den USA dargestellt!). Das moderne Sportfernsehen nimmt keine derartige diplomatisch inspirierte Rücksicht. Vielmehr feiert dieses ausschließlich und egoistisch die eigenen Athleten (oder trauert mit ihnen), streicht die eigenen Leistungen hervor, vernachlässigt die anderen, stellt die eigene Nation über die anderen (ohne allerdings in der Regel in den Duktus eines offenen Chauvinismus zu verfallen). Überblendungen in der Dichte dieses Films gibt es im Sportfernsehen auch nicht. Dort entlarven Nahaufnahmen und Zeitlupen den Sportlerkörper nicht als Ausdruck eines ewigen griechischen Schönheitsideals. Zeitlupe und Nahaufnahme zeigen vielmehr Sportler als groteske Sportmaschinen, bestehend aus verrenkten Körpern, verzerrten Gesichtern, stark verschwitzt, verschmutzt, blutig, bewusstlos oder tot. Im Vordergrund steht das sensationelle Bild, die expressionistische Emotion, von ausgelassener Freude bis zur Wut (der Trainer, der sich die Haare rauft). Die Technik des »Einfrierens« von Action in der modernen Sportfotografie versucht gerade angesichts der Bilderflut den entscheidenden Moment, die Sensation eines Sportwettkampfes festzuhalten. Zeitlupe und Inserts im Fernsehen, bzw. Fotocollagen in der Zeitung erzeugen eine Ästhetik, die nicht mehr weiter von der Erhabenheit bei Riefenstahl entfernt sein könnte. Dies wird besonders deutlich, wenn man die moderne Sportfotografie mit der »Neuen Sachlichkeit« der griechischen Fotografin Nelly (1899 – 1998) vergleicht – die die wichtigste Ratgeberin Riefenstahls war. Hier dominiert das
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Motiv von in der Vergangenheit ruhender Erhabenheit; heute, das der grotesken Leistung. Bild 3: Groteske Grimasse. Felix Gottwalds verzerrte Grimasse beim Olympiasieg in der Nordischen Kombination 2006
Quelle: Kleine Zeitung, Mittwoch, 22. Februar 2006, Seite 55.
Übertragbarkeit nationaler Stellvertretung Die Ikonographisierung nationaler Wir-Bilder und Wir-Ideale ermöglicht die leichte Übertragbarkeit des Effekts nationaler Stellvertretung. Praktisch alles und jeder kann zum nationalen Repräsentanten werden. Dieselben Symbole werden in die unterschiedlichsten Kontexte versetzt. Deren synekdochischen, metonymischen und metaphorischen Eigenschaften füllen das jeweilige Medienereignis mit genügend Inhalt, sodass langwierige nationale Narrative gar nicht nötig sind. Mit medialen Schlagwörtern wie »Wunderteam«, »Cordoba« (österreichischer Sieg im Fußball über Deutschland bei der Fußballweltmeisterschaft 1978), »Tooor! I wer’ narrisch!« (Ausruf der Freude von Radiosprecher Edi Finger nach dem Siegestor durch Hans Krankl bei demselben Spiel) oder »Herminator« (Bezeichnung für den Schirennfahrer Hermann Maier) verbindet das österreichische Sportpublikum herausragende Leistungen. Diese Begriffe können in allen möglichen Situationen in Form von elliptischen Auslassungen zum Einsatz kommen und zu neuen »Cordobas« werden. Bildliche Symbole besitzen auch hier wiederum eine universellere Eigenschaft und finden durch elektronische Medien weltweite Verbreitung. Mit der Entstehung des Mediensports erleben einerseits traditionelle Nationalsymbole einen Bedeutungszuwachs und entstehen andererseits neue Nationalsymbole. Da »Nationensport« mit einer internationalen Öffentlichkeit verbunden ist, steigt die Notwendigkeit einer standardisierten Kennzeichnung nationaler Akteure. Es stimmt, dass Nationalflaggen, Staatswappen und Nationalhymnen teilweise bereits im 18. und 19. Jahrhundert existierten. Die Ge-
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schichte ihres Gebrauchs ist für die hier vorliegende Fragestellung besonders aufschlussreich. Nationalflaggen dienten vor allem drei verschiedenen Zwecken. Erstens waren sie Signale revolutionärer bürgerlicher Kreise gegen bestehende Monarchien. Sie wurden zu Symbolen innerstaatlicher Auseinandersetzung. »Stars and Stripes« und die französische Tricolore waren in diesem Sinne Zeichen siegreicher Revolutionäre. Durch die Installation von Republiken wurde auch der Gebrauch des Abbilds einer einzigen Person (nämlich des Herrschers) schwieriger und musste durch abstrakte Zeichen ersetzt werden.62 Zweitens waren sie ideologische Symbole in Beziehung nach außen, zu anderen Ländern. Sie symbolisierten eine Mission oder eine Form von gesellschaftlicher Überlegenheit. Die amerikanische und französische Flagge sind dafür die besten Beispiele, die in vielen Ländern Nachahmer fanden. Als Napoleons Truppen in Italien oder den Niederlanden einmarschierten, entstanden auch dort »Schwesternrepubliken«, deren Eliten sich durch die Errungenschaften der Französischen Revolution legitimierten (wie z. B. den Code Civil). Später hatten vor allem die rote Flagge mit dem fünfzackigen Stern der UdSSR, die Flagge der panarabischen Baath-Partei oder die grüne Flagge islamischer Bewegungen ähnliche Bedeutungen. Drittens haben Nationalflaggen ganz einfach eine ideologielose Funktion der Unterscheidung nach außen und übernehmen damit die Aufgabe älterer Banner, Fahnen und Wimpel, die vor allem im Krieg oder in der Seefahrt Freund und Feind voneinander unterscheiden lassen sollten. Sieht man von Repräsentanzzwecken des Herrschers nach Innen ab, waren Kriege und Seefahrt längste Zeit auch die einzigen Anlässe für den Einsatz von Flaggen und Wappen. Wie bereits erwähnt, bediente sich der »romantische Nationalismus« vor allem epischer Nationalhelden als Repräsentanzsymbole, also Figuren wie Beowulf, Siegfried, Vercingetorix, Hermann, Ilmarinen, Lemminkäinen, El Cid, Igor oder Roland u.v.m. Alle diese Helden sind in verhängnisvolle Geschichten (wie in Edda, Kalevala) verstrickt. Handlungsstränge, Charaktere und Situationen (Orte, geschichtliche Ereignisse) sind zwischen diesen Epen kaum austauschbar. Im medialisierten »Nationensport« ist das anders. Nicht nur, dass dort das abgeschlossene Narrativ fast belanglos ist. Auch die persönlichen Eigenschaften 62 Oder man griff auf große Persönlichkeiten der Vergangenheit zurück, wie noch auf modernen Münzen und Geldscheinen ersichtlich. Außerdem bestand die Möglichkeit, das Abbild Jesu oder das Kreuzsymbol als revolutionäre Symbole zu verwenden. Aber dies war den säkularen nationalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts kaum möglich, da christliche Symbole von den Herrscherhäusern okkupiert wurden. Manchmal griff man deshalb auf vor- oder außer-christliche Symbole zurück, wie etwa Freimaurersymbole, Sonne oder Sterne. Haken- oder austrofaschistisches Kruckenkreuzflaggen zählen auch zu dieser Kategorie.
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der Sportler sind für die Herstellung von nationaler Publikumsloyalität zweitrangig. Sportler aus vielen Ländern erscheinen heldenhaft, außergewöhnlich oder sympathisch. Boulevard und Lifestyle- bzw. High Society-Formate im Fernsehen sorgen schon dafür, die sympathische Seite eines solchen Sportlers zu konstruieren, bzw. einen werbeträger-tauglichen Star zu formen. Vorrangig für nationale Zuschauerloyalität ist jedoch die symbolische Kennzeichnung des Athleten oder anderer Sportakteure. Somit besteht ein großer Spielraum an Übertragbarkeit von nationalen Wir-Bildern und Wir-Idealen auf Personen oder kollektive Akteure. Der Mediensport ist auch Produktionsstätte vieler neuer, weltweit gebräuchlicher nationaler Symbole, wie etwa IOC-Kürzel, Gestaltung von Fußballtrikots, Aufschriften mit Ländernamen oder Flaggen im Insert. Dazu zählt auch eine neue Form des Gebrauchs von Nationalhymnen vor Sportveranstaltungen bzw. bei Siegerehrungen. Entstanden ursprünglich einige Nationalhymnen aus Königs- und Fürstenhymnen und wurden als Kammermusik aufgeführt, wandelte sich die Spielweise bis ins 20. Jahrhundert zu Märschen, weil die Hymnen in dieser Periode oft bei Militäraufmärschen durch Militärkapellen gespielt wurden. Es ist bezeichnend, dass in vielen Ländern erst nach dem Ersten Weltkrieg offizielle Nationalhymen ernannt oder bis dahin inoffizielle in offizielle Hymnen umgewandelt wurden (z. B. »The Star-Spangled Banner« wurde erst 1931 offizielle Nationalhymne der USA). Die militärische Konnotation von Nationalhymnen änderte sich nochmals im Rahmen des Fernsehsports und des Bedürfnisses der Massen im Stadion mitzusingen (und nicht zu marschieren). Sie bekamen einen popularmusikalischen Anstrich. Dies geschah zunächst in den USA ab den 1970er Jahren. Hier intonierten Künstler wie Marvin Gay Soul-, Rap- oder Popversionen der amerikanischen Hymne im Stadion. Seit den 1990er Jahren wurde diese Spielweise auch in einigen Ländern Europas üblich. Der Mediensport verdrängt den Staat als hauptsächlichen öffentlich wahrgenommenen Zeremonienmeister der Nation. Er ersetzt eine militärische durch eine privat und kommerziell organisierte Regie. Der Wandel der Spielweisen von Hymnen verrät deshalb schon viel über die sozialen Gruppen, die bei der Definition der Nation und bei deren emotionalen Einfärbung den Ton angeben: vom Fürstenhaus über den militärischen Staat, zum massenmedial aufbereiteten Sportereignis.
Interaktivität Mediensport ist nicht nur eine Angelegenheit von Zeitung, Radio und Fernsehen. Heute ist »Nationensport« gerade in Internetforen ein wichtiges Thema. Hier wird nicht von »oben« herab eine Form von Nation und Nationalismus
Interaktivität
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inszeniert, sondern durch den Dialog mit Gleichgestellten als »Nationalismus von unten« gebildet. Thompson (1999) unterteilt entsprechend dem interaktionistischen Paradigma drei Formen von Kommunikation: 1) Face-to-face-Interaktion, 2) medialisierte Interaktion (mediated interaction) und 3) medialisierte Quasi-Interaktion. Bei der ersten Form von Kommunikation besteht örtliche und zeitliche Kopräsenz der Teilnehmer. Außerdem ist sie dialogisch (wird in beide Richtungen geführt) und besitzt ein großes Repertoire an Symbolen als Kommunikationszeichen. Es kommen verbale Sprache, Gestik, Mimik, Geruch, Geschmack, alle möglichen akustischen Signale, Kleidung, Frisur oder Schminke zum Gebrauch. Alle menschlichen Sinne werden beansprucht. Die Interaktion über Medien beschränkt das Repertoire an Kommunikationszeichen. Im Fall von Büchern beschränkt sich dieses etwa auf die Zeichensprache des geschriebenen Alphabets, im Fall von Telefongesprächen oder Radioübertragungen auf akustische Signale, wie etwa das gesprochene Wort oder Hintergrundgeräusche. Das Fernsehen als audiovisuelles Medium erweitert wiederum das Repertoire an Kommunikationszeichen. Im Gegensatz zu Telefongesprächen oder Briefen treten Massenmedien in eine Quasi-Interaktion mit ihrem Publikum, indem sie den Informationsaustausch »monologisch« gestalten. Thompson’s Konzept beschreibt wichtige Facetten der Globalisierung von Kommunikation und kulturellem Austausch. Allerdings bringt die Entwicklung des Internets Thompson’s Schema durcheinander. Slevin (2000) versucht Thompson’s Ansatz deshalb auf die Kommunikationsstrukturen von Internet und E-Mail anzupassen. Jedenfalls entsteht aus der Sicht Thompson’s der Eindruck, dass das Fortschreiten der Globalisierung distanzierte Formen von Kommunikation zwischen den Teilnehmern – als Quasi-Interaktionen – fördere. Dieser Befund stimmt mit Andersons Konzept überein. »Vorgestellte« Gemeinschaften sind auch nur quasi-interaktionistisch; sie sind das Produkt von Massenmedien. Dieser Ansatz legt nahe, dass ohne solche Medien bloß unorganisierte anonyme Massen bestünden. Für die hier vorliegende Aufgabe eignet sich Thompson’s interaktionistisches Schema jedoch deshalb nicht besonders, weil es zwar Raum und Zeit als Variablen berücksichtigt, jedoch nicht die Qualität von Emotionen, die bei der Vermittlung von Nationensport eine besonders große Rolle spielen. Noch dazu lässt sich mit diesem Schema die chronologische Entwicklung von Nation und Nationalismus aus einer Medienperspektive schwer beschreiben. Der »romantische Nationalismus« benutzte weitgehend »monologische« Medien wie Bücher, Theater oder Opernaufführungen. Aber auch das Fernsehen ist ein monologisches Medium. Im Sinne Thompson’s würden alle diese Medien in die Kategorie »quasi-interaktionistisch« zusammengefasst werden. Die »Ikonographisierung« der Nation und die »Unmittelbarkeit« spielen dabei keine Rolle.
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Thompson’s Kategorien ordnen Medien nicht an einer Ver- oder Entsinnlichungsachse. Das Repertoire an Symbolen der Kommunikation ist beim Fernsehen größer als in Zeitungen, Radio oder bei Romanen. Das Fernsehen liefert sowohl bewegte Bilder, akustische Signale, wie auch abstrakte Symbole. SkypeVideo-Konferenzen ermöglichen darüber hinaus Mimik und Gestik über große Räume zu kommunizieren. Das Internet bietet eigentlich alle Paletten der bisher bekannten Medieneigenschaften. Eine Homepage-Seite etwa gleicht in gewisser Weise einer Zeitung, indem sich ihr Betreiber (der den »Content« erzeugt) an eine räumlich und zeitlich getrennte und unbekannte Menge an Personen richtet. Hier ist das Internet auch »monologisch«. Diese Seite kann allerdings auch über interaktive Elemente verfügen. Ein E-Mail gleicht hingegen Thompson’s Form der medialisierten Interaktion. Social Networks oder Videokonferenzen auf Skype kommen dagegen Face-to-Face-Interaktionen nahe. Internetblogs und Internetforen stellen wieder andere Mischtypen dar, die Unmittelbarkeit und ikonographische Aspekte in sich tragen.
Kontrolle Ein letzter Aspekt bezieht sich auf den Grad an Kontrolle des Informationsaustausches durch staatliche Autoritäten. Während »Nationensport« und andere Formate der Unterhaltung, die hauptsächlich durch Radio und Fernsehen vermittelt werden, leicht durch staatliche Autoritäten kontrollierbar sind, gilt dies für das Internet nicht. Je mehr die Möglichkeit zur freien Interaktion zwischen den Kommunikationsteilnehmern gegeben ist, desto schwieriger wird die monopolhafte Vermittlung von staatlich gewünschten nationalen Wir-Bildern und Wir-Idealen. Ein kontrollierter »monologischer« Diskurs über nationale Wir-Bilder und Wir-Ideale ist relativ »geschlossen«. Der kontrollierte »monologische« Diskurs durch Fernsehen und Radio erhält seine Beschränkungen nicht bloß durch die herausragende Machtstellung staatlicher Autoritäten. Diese können durch Gesetze beschränkt werden. Der öffentliche Rundfunk und das Fernsehen besitzt in den meisten Staaten Westeuropas relative Unabhängigkeit von den Regierungen (die allerdings von Staat zu Staat variiert). Kontrolle kann jedoch auch durch wirtschaftliche Interessen bestimmt sein, wie in Ländern, in denen Privatfernsehen eine große Rolle spielt. Durch den beschränkten, arbeitsteiligen und komplizierten Zugang zum Medium Fernsehen kommt hier eine weitere Form von Kontrolle zum Tragen, die von den Mitarbeitern des Mediensystems ausgeht. Hier spielen vor allem Interessen und kulturelles Kapital bestimmter Berufsgruppen und deren Berufsethos eine große Rolle, z. B. von Journalisten,
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Drehbuchautoren, Regisseuren, Produzenten. Diese müssen wiederum in Abstimmung mit den Interessen anderer Gruppen gebracht werden (z. B. Werbeeinschaltungen, Zuschauerquote). Solche arbeitsteiligen und berufsethischen Abwägungen spielen bei der Produktion nationaler Wir-Bilder und Wir-Ideale in Internetforen oder Internetblogs keine Rolle. Hier sind die Teilnehmer Produzenten, Distributeure und Rezipienten in einem. Sie sind meist nur sich selbst verpflichtet, und die Möglichkeit der Anonymität bringt eine große Zügellosigkeit von Inhalt und Form mit sich. Der Blogger oder Poster muss kaum verantwortungsethisch mit den Themen von nationalen Wir-Bildern und Wir-Zielen umgehen; seine einzige Beschränkung liegt in der Sicherstellung der eigenen Popularität innerhalb der virtuellen Gemeinschaft von Postern oder Bloggern, ohne die er sich kein Gehör verschaffen kann. Der moderne Mediensport ist bereits stark mit Foren und Blogs durchdrungen. Hier entsteht oft Anhängerschaft oder es wird eine Form von Fantum kultiviert. Internetforen erzeugen während Fußballspielen oder anderen sportlichen Wettkämpfen das Gefühl von Gemeinschaft, denn dort werden Ergebnisse und Spielverläufe in Echtzeit mit Gesinnungsgenossen kommentiert. Hier findet auch nationale Loyalität eine spontane Ausdrucksform. Schlussendlich nehmen Zeitung und Fernsehen auf solche Foren und Blogs immer mehr Rücksicht und passen deren Berichterstattung an das unkontrolliert entstehende Meinungsbild im Internet an.
»Mediennation«, Sport und Staat im Strukturwandel der Öffentlichkeit Versucht man die acht Aspekte der Medialisierung nationaler Wir-Bilder und Wir-Ideale im Sport miteinander in Verbindung zu bringen, so lässt sich ein idealtypisches Drei-Phasen-Schema des Strukturwandels von »Mediennationen« zeichnen. Dieser »Strukturwandel« der Medienöffentlichkeit deckt sich allerdings kaum mit der Perspektive Habermas’ (1990). Dieser fokussiert und idealisiert nämlich die »bürgerliche Öffentlichkeit« des 18. Jahrhunderts, die angeblich auf der Basis von Pamphlet- und Zeitungsliteratur, Salon- und Kaffeehauskultur hehre aufklärerische Ziele verfolgte, welche später durch das Wirken der »Kulturindustrie« einen unkritischen und repressiven Charakter bekommen hätte.
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Phase 1. Selbstreferenzielle, bürgerliche Nationalgemeinschaften Anderson (2005) beschreibt eigentlich nur »Phase 1« der Entwicklung (vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis etwa zum Ersten Weltkrieg): das Zeitalter klassischer nationaler Bewegungen mit dem »romantischen Nationalismus« des Bürgertums. Diese Phase zeichnet sich durch eine geringe »Medienkontinuität« aus. Vor allem »abgeschlossene« Medien wie Bücher dominieren den nationalen Diskurs. Die Romane und Opernaufführungen mit ihren dargestellten Nationalepen besaßen noch dazu eine geringe »Faktizität«, setzten jedoch ein hochkulturelles Voraussetzungsniveau für ihr Verständnis voraus. Die unteren Schichten der Gesellschaft waren aus dem nationalen Diskurs dieser Epoche weitgehend ausgeschlossen. Außerdem erzeugten die nationalen Epen keine »Unmittelbarkeit« zu zeitgenössischen Ereignissen. Sie besaßen auch einen verhältnismäßig geringen Grad an »Ikonographisierung« der Nation und einen geringen Grad an internationaler »Übertragbarkeit« von nationalen Symbolen. Dafür aber herrschte noch relativ geringe »Kontrolle« des Staates über Inhalt und Form nationaler Diskurse vor. Hier blieb der Diskurs über nationale WirBilder und Wir-Ideale vorwiegend den höher gebildeten Schichten vorbehalten. Die narrative Orientierung richtete sich auf eine würdevoll gedachte Vergangenheit der eigenen ethnischen oder nationalen Gruppe. Daher kann der Charakter von »Phase 1« am besten mit »selbstreferenziell« beschrieben werden. Intellektuelle, Politiker oder Künstler richteten sich dabei an ein Publikum, das zum größten Teil aus dem eigenen Land oder der eigenen Sprachgemeinschaft stammte. Die internationale Perspektive war in dieser Phase noch nicht stark ausgeprägt und entwickelte sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die Olympische Bewegung des Pierre de Coubertin ist ein Beispiel für diesen frühen, noch relativ unbedeutenden Internationalismus.
Phase 2. Staatlich kontrolliertes internationales Prestige In »Phase 2« wird der strenge selbstreferenzielle Charakter durchbrochen. Diese Phase setzte in den 1920er und 1930er Jahren ein, verstärkte sich nach dem Zweiten Weltkrieg und endete in den 1980er und 1990er Jahren. Aus einer technologisch geprägten Sicht setzte der Beginn der zweiten Phase mit der Einführung des Radios ein und endete allmählich durch die Verbreitung von Kabel- und Satellitenfernsehen, bzw. durch das Aufkommen von Internet und Mobiltelefonen. In dieser Phase standen Radio und Fernsehen entweder wie in Europa unter staatlicher Kontrolle oder wurden wie in den USA durch die drei großen traditionellen Netzwerke ABC, CBS und NBC dominiert. Privates Sportfernsehen und Spartenkanäle gab es noch nicht. Der Grad der Kommer-
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zialisierung des »Nationensports« war auch noch weitgehend gering. Olympische Spiele wurden zu einem großen Teil staatlich finanziert. Erst die Sommerspiele 1984 in Los Angeles leiteten eine neue Phase der Kommerzialisierung der Olympischen Spiele und des gesamten »Nationensportes« ein. Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges begann auch eine Phase des allmählich stärker werdenden institutionalisierten Internationalismus auf einer politischen Ebene mit der Gründung des Völkerbundes. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden weitere wichtige multilaterale Institutionen, wie UNO, WHO, Weltbank, IWF, E(W)G, NATO, Warschauer Pakt etc, die teilweise noch heute große Bedeutung besitzen. In vielerlei Hinsicht erhöhte sich somit die Orientierung der Politik eines Landes an Leistungen und Errungenschaften von anderen Ländern. Das gilt auch für Felder jenseits der militärischen Rivalität zwischen Großmächten. Die Ratifizierung des GATT-Abkommens (1947), des allgemeinen Abkommens über Zoll und Handel, baute in der westlichen Welt einige bis dahin bestehende Hemmnisse für den Freihandel ab und leitete somit eine neue Ära internationaler wirtschaftlicher Konkurrenz ein. Auf dem Bereich der Kultur entstand zum Beispiel seit den 1920er Jahren ein globaler Absatzmarkt für Spielfilme, der durch einen Absatzmarkt für Tonträger ergänzt wurde. In Zusammenhang mit der Verbreitung des Radios entstand somit vor allem seit den 1950er Jahren eine amerikanisch dominierte Popularkultur und weltweit standardisierte Genres in Film und Musik. Staaten wurden zunehmend interessiert daran, entweder nationale Kunstmärkte zu schützen oder eine exportorientierte Filmindustrie gegen die Konkurrenz aus Hollywood zu fördern. Aber auch in Bereichen von Wissenschaft und Technik setzte eine von Staaten kontrollierte und geförderte stärker werdende internationale Konkurrenz ein. In dieser Situation wurde der Wille das »internationale Prestige« auch in außer-militärischen Belangen für das eigene Land zu erhöhen, als immer wichtiger empfunden. Der Blick auf die Vergangenheit der »Nation«, ihre Traditionen und ihre Vorstellungen von einer partikularen Würde und unvergleichbaren kulturellen Leistungen verschwand zwar nicht, verlor jedoch an Bedeutung. Nationale Wir-Ideale und Ziele wurden verstärkt darin gesehen, in immer mehr Bereichen besser, fortgeschrittener, reicher, mächtiger etc. als andere Länder zu werden. Damit kam auch der Wunsch zum Ausdruck, innerhalb eines internationalen Gefüges von anderen bewundert und beneidet zu werden. Der einsetzende Bedeutungsgewinn der Olympischen Spiele in den 1920er Jahren, der Beginn der Fußballweltmeisterschaften 1930 und die Begründung vieler anderer internationaler Sporttraditionen nach dem Zweiten Weltkrieg zeigen, dass mit dem Sport ein geeigneter Bereich gefunden wurde, diesem gestiegenen Willen zur Erhöhung von »internationalem Prestige« Ausdruck zu verleihen. Die Trägermedien dieser Phase, durch die nun nationale Ehre in internatio-
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nales »Siegprestige« verwandelt wurde, waren nicht nur die neuen Massenmedien Radio und Fernsehen. Auch »dialogische« Medien wie Fernschreiber oder Telefone verbanden sich mit dem »Nationensport«, deren Netze bald die ganze Welt zu umspannen begannen. Die Staaten kontrollierten jedoch die meisten dieser neuen elektronischen Medien, und daher war der Grad an Kontrolle über nationale Inhalte und Diskurse relativ groß. Radio und Fernsehen waren darüber hinaus »monologische« Medien. Mit der Einführung des Radios konnten aber große geografische Räume leicht überbrückt werden, wodurch der Grad an »Unmittelbarkeit« zu den Ereignissen gesteigert wurde. Die Einführung des Fernsehens nach dem Zweiten Weltkrieg und in den 1950er und 1960er Jahren erhöhte auch den Grad der »Ikonographisierung« der Nation. Der Informationsaustausch wandelte es sich von »abgeschlossenen« zu »kontinuierlichen« Narrativen. Die erhöhte Bedeutung von »internationalem Prestige« in Bereichen wie dem Sport und der Einsatz neuer Massenmedien spiegelt auch ein verändertes Kommunikationsverhalten innerhalb von Nationen wieder. Durch Weltkriege und Wohlfahrtsstaat wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts die unteren Schichten der westlichen Industriegesellschaft immer stärker in nationale Diskurse integriert. Zeitung und Radio erreichten immer mehr Menschen und damit wandelte sich auch die Perspektive von Politikern und Kulturproduzenten, die sich nun diesen bisher vernachlässigten Gesellschaftsgruppen zuwandten. Nationen wurden in dieser Phase erstmals »tiefer«. In dieser Phase entwickelte sich der moderne Sportjournalismus auf Basis bilderlastiger Zeitungsberichterstattung und Radio- und Fernseh-Live-Sendungen. Die Orientierung nationaler Wir-Bilder und Wir-Ideale wandelte sich dementsprechend weg von den idiosynkratischen mythischen Vergangenheiten selbstreferenzieller vorgestellter Gemeinschaften hin zu einer allgemein bildbasierten internationalen Orientierung. Die universelle Verständlichkeit förderte immens die Entwicklung von international standardisiertem Siegprestige mit seinen global standardisierten Ausdrucksformen. Manche Nationen begannen sich als »Sportnationen« zu definieren. Die politische Klasse besaß nun die Möglichkeit, vor allem über das System von Sportförderung und Infrastrukturmaßnahmen großen Einfluss in der öffentlichen Meinung zu erlangen. Der dadurch aufkeimende »banale Nationalismus« (Billig 1995) verzichtete (in der Regel) auf chauvinistische Elemente, weil Fernsehmacher, Autoren, Regisseure und politische Akteure große Kontrolle ausüben konnten und ein weitgehend »friedliches« Bild der Nation kreierten.
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Phase 3. Demokratischer und unkontrollierter Nationalismus Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks setzte eine stärker werdende Kommerzialisierung des »Nationensports« ein. Diese ist wiederum Ausdruck einer neoliberalen Wende, die durch die Gründung der WTO und einiger regionaler Freihandelszonen die Position des Staates gegenüber transnationalen Unternehmen schwächte. »Phase 3« ist auch mit der Verbreitung von elektronischen Medien verbunden, die weitgehend nicht mehr unter direkter staatlicher Kontrolle stehen, wie etwa Internet, Mobiltelefone, Kabel- und Satellitenfernsehen. Seit den 1990er Jahren entstehen neue Fernsehformate wie Soap-Dokus und Reality-Shows; Spartenkanäle werden wichtiger. Sportfernsehen kann etwa auf mehreren Kanälen rund um die Uhr konsumiert werden. Die politische Berichterstattung in Zeitung und Fernsehen wird nun in »Phase 3« stärker von diesen vorherrschenden Elementen des Entertainments durchzogen. Diese Veränderungen beeinflussen auch die Form und den Inhalt nationaler Diskurse. Der Grad an »Kontinuität« des Informationsflusses über internationale Wettkämpfe steigt ebenso wie der Grad an »Interaktivität« durch Internetforen, Twitter, Facebook oder You-tube. Das Internet bewirkt auch, dass nationale Diskurse diverser werden und sich je nach Lebensstil und politischer Gesinnung differenzieren. Es entstehen sowohl vordergründig unpolitische nationale Diskurse in Sportforen, wie auch schwer kontrollierbare Plattformen für rechtsradikale und ausländerfeindliche Gruppen. Der geringe Grad an staatlicher Steuerungsfähigkeit und Kontrolle durch etablierte Medienanstalten erzeugt auch einen großen Graubereich zwischen Faktizität und Fiktionalität bei Themenbereichen, in denen die Nation im Mittelpunkt steht. »Qualitätsjournalismus« und gründliche Recherche von Fakten konkurriert in dieser Konstellation mit neu entworfenen Mythen, Ängsten und Irrationalismus. Privat produzierte nationale Wir-Bilder und Wir-Ideale geraten somit auch mit »offiziellen« Versionen von »Nation« und »Nationalismus« zunehmend in Konflikt. Entertainment und Sport besitzen heute im Vergleich zu früher eine große gesellschaftliche Akzeptanz bei der Erzeugung von »banalem Nationalismus«. Staatliche Autoritäten und Politiker lehnen sich zunehmend an Sportstars und an den »Nationensport«, um Politikverdrossenheit und mangelnde Legitimität auszugleichen. Politiker versuchen zwar den »Nationensport« für ihre Interessen zu instrumentalisieren. Sie sind bei dieser Unternehmung jedoch vermehrt die Getriebenen einer durch sie nicht zu kontrollierenden Eigendynamik von Popularkultur, Sport und Kommunikationstechnologien. Der Staat ist in einer solchen Situation immer weniger befähigt, die Definitionsmacht über Form und Inhalt nationaler Diskurse zu bestimmen. Mediennationen emanzipieren sich somit bei der Produktion und Verbreitung nationaler Wir-Bilder und Wir-Ideale
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immer stärker von staatlichen Autoritäten und einer »offiziellen« Version des Nationalen. Ganz zentral bleibt jedoch der Umstand, dass trotz dieser schwächer werdenden Bindung an den Staat die nationale Publikumsloyalität aufrecht bleibt. Durch den Vertrauensverlust in staatliche Institutionen und in politische Akteure erfährt die nationale Publikumsloyalität im Sport sogar eine neue, aktive Rolle. In »Phase 3« bleibt der Staat noch als Garant für teure Infrastrukturmaßnahmen (die nun aber zunehmend auch privat finanziert werden) und als Subventionsgeber für den Sport im Spiel. Durch den Verlust des Fernsehmonopols und durch das Internet schwindet die Bedeutung des Staates jedoch als aktiver Produzent nationaler Wir-Bilder und Wir-Ideale. Der Staat kann nur noch indirekt, über Sportverbände und Werbeeinschaltungen das Meinungsbild beeinflussen (indem etwa Programme gegen Rassismus und für mehr Integration von Zuwanderern unterstützt werden). Diese moderne Entwicklung ist allerdings zweischneidig. Auf der einem Seite sinkt der Einfluss der Staatsmacht. Man könnte meinen, eine Form von zivilem, bürgerlichen Nationalismus oder gar Kosmopolitismus würde entstehen. Auf der anderen Seite fehlen aber die Schranken des elitär-aufklärerischen und volkserzieherischen Einflusses des alten Staatsfernsehens. Wie noch in der Analyse von Fallbeispielen gezeigt wird, beziehen sich nationale Diskurse in Internetforen in einem derart starken Ausmaß auf Chauvinismus, Rassismus und offene Fremdenfeindlichkeit, wie es in Zeitungen, Radio und Fernsehen nicht publiziert werden würde. Das grenzüberschreitende Internet erzeugt also nicht zwingend grenzüberschreitende Formen von Loyalität, sondern steht viel stärker als andere elektronische Massenmedien der Verbreitung ethnonationaler Standpunkte offen. Zwar war das staatliche Fernsehen in Europa an der Entstehung von Sportfernsehen beteiligt. Dennoch schuf erst der heute bestehende Strom an Information den Charakter von Nationen als permanente Akteure, die in vielerlei Wettkämpfen gleichzeitig in Erscheinung treten. Das staatliche Fernsehen ist heute nur mehr einer unter vielen Sendern, die um Übertragungsrechte für attraktive Sportveranstaltungen buhlen. Aber die privaten Spartensender geraten auch in Konflikt mit der nationalen Publikumsloyalität. Sky Sports oder Eurosport besitzen zwar auch regionale Ableger, die Sprachräume mit ihrem Programm versorgen. Diese Sprachräume überschneiden sich jedoch meist nicht mit nationalen Räumen. Alle deutschsprachigen Länder besitzen etwa nur einen Ableger dieser Sportkanäle. Daher dominiert dort die bundesdeutsche Sprachfärbung und Perspektive. Internationale Spartensender erzeugen nämlich bei Sportübertragungen keine internationale Loyalität des Publikums.
Kapitel 8 – Die Dramatisierung der Nation im Zeitungssport
Problemstellung Andersons (2005) Fokussierung auf »Vorgestellung« lässt leicht Emotionen und Stimmungen als Elemente des Zeitungsjournalismus, die zu »gefühlten Gemeinschaften« führen, übersehen. Der moderne Sportjournalismus emotionalisiert Sport und Nation besonders stark. Dieser weist noch dazu in vielen Ländern ähnliche Züge von Dramaturgie, Narration und Stimmungen auf, wodurch Nationen als gleichförmige, banale, alltägliche und personenbezogene Gebilde wahrgenommen werden. Die gleichförmige »nationale Stimmung« überdeckt durch ihre Mediendominanz distinktive Nationalkulturen. Sie ist einerseits das Produkt »isomorpher« internationaler Berufsstrukturen des Journalismus und andererseits durch Kommunikationstechnologien bestimmt, die nur einen engen Rahmen für die Darstellung nationaler Wir-Bilder bieten. Schreibstil, Fotoästhetik und Thematiken werden von dieser technischen Weltkultur bestimmt. In diesem Kapitel wird als Fallbeispiel die Berichterstattung über die Olympischen Winterspiele in österreichischen Tageszeitungen analysiert. Olympische Winterspiele, vor allem die Alpinen Bewerbe, gelten in Österreich als besonders wichtige Quelle für nationale Identität und internationales Prestige. Im ersten Abschnitt wird die Bedeutung des professionellen Wintersports in Österreich besprochen. Danach wird das Konzept der literarischen Stimmung im Zeitungsjournalismus diskutiert. Anschließend werden die empirischen Ergebnisse zur Entstehung der »nationalen Stimmung« im österreichischen Sportjournalismus zu den Olympischen Winterspielen zwischen den 1930er und den 2000er Jahren analysiert und zum Schluss in einem Fazit zusammengefasst.
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Die Dramatisierung der Nation im Zeitungssport
Bemerkungen zur Rolle des Wintersports für das Österreich-Bild ISSP-Umfragen zeigen deutlich, dass Befragte in den meisten Ländern Sport als das wichtigste Element nationaler Identität angeben (vgl. Haller und Gruber 1996; Fleiss et al. 2009; Haller 2010). Das gilt auch für Österreich.63 Außerdem wurde auch der kultursoziologische Aspekt für die Bildung einer österreichischen Identität im Sport untersucht (vgl. Krammer 1981; Spitaler 2005; Marschik und Spitaler 2006; Suppanz 2008). Die meisten Autoren fokussieren dabei auf Fußball. Olympische Winterspiele und vor allem der Alpine Schisport haben in Österreich jedoch eine besonders große Bedeutung. Haller und Gruber (1996: 450) meinen, dass die hohen Werte der österreichischen Befragten der ISSP-Umfrage 1995 zum Item »Stolz auf sportlichen Erfolge« vor allem auf die Beliebtheit des Wintersports zurückzuführen ist. Alpine Schirennen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals medial als Quelle eigenständiger österreichischer Identität inszeniert (Weiss 1997). Schifahren eignete sich als Träger einer eigenständigen Österreich-Identität aufgrund seiner jahrzehntelangen Praxis in diesem Land besonders gut. In Österreich wurden nicht nur wichtige Techniken des Alpinen Schilaufs entwickelt, wie etwa Stemmschwung, Schlangenschwung oder Parallelschwung (vgl. Kuchler 1996: 159 f.). Schifahren wurde im Zuge des Gebirgskampfes im Ersten Weltkrieg vielen Soldaten beigebracht. Diese Fähigkeit fand in der Zwischenkriegszeit durch den aufkeimenden Alpentourismus wieder Verwendung. Aus ehemaligen Soldaten wurden oft Schilehrer und aus diesen professionelle Rennläufer. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen, bei denen erstmals Alpine Bewerbe ausgetragen wurden, durften diese Schilehrer-Renn-
63 Diese Analyse über nationale Identität in der österreichischen Sportberichterstattungen in Zeitungen zwischen den 1930er und den 2000er Jahren muss die grundlegenden Wandlungen des nationalen Bewusstseins der Österreicher berücksichtigen (das gilt vor allem für die Ergebung von Zeugnissen nationaler Zugehörigkeit in den Zeitungsausgaben vor dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich 1938). Heer (1981) identifiziert Österreich als ein Land mit einer – zwischen Gegenreformation und 20. Jahrhundert – anhaltenden Identitätskrise, das vor allem zwischen Deutschtum und dem Anspruch, eine eigen Nation zu sein, unentschlossen hin und her wankte. Bruckmüller (1996) streicht vor allem das Beamtentum der Habsburgermonarchie als Träger einer eigenen Form von »Hofratsnation« hervor. Diese konnte allerdings der Monarchie keine umfassend verbindliche Basis verleihen. Diese scheitere vor allem an ihren »Sprachnationalismen« (inklusive dem Deutschnationalismus). Das nach 1945 wiedergeborene Österreich war nach Bruckmüller (1996: 384 f.) zwar eine neue Nation, doch ihr symbolisches Repertoire, die Basis nationaler Identität, reicht weit in die Vergangenheit zurück. Kreissler (1984) sieht die Zeit nach dem »Anschluss« als Periode der Entwicklung eines eigenständigen Österreichbewusstseins, das einerseits das Produkt der zunehmenden Entfremdung gegenüber der nationalsozialistischen Herrschaft und andererseits die Erfahrungen inhaftierter Eliten in den Konzentrationslagern darstellte.
Bemerkungen zur Rolle des Wintersports für das Österreich-Bild
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läufer nicht antreten, weil sie unter die Amateurklausel des IOC fielen. Entsprechend schlecht schnitten die Österreicher ab. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren vor allem die Olympischen Spiele von 1952 in Helsinki und 1956 in Cortina d’Ampezzo, bzw., die Alpine Schiweltmeisterschaft 1958 in Bad Gastein, wichtige Ereignisse für die Formung eines Österreich-Bildes als erfolgreiche »Schi-Nation«. Nicht nur der Zeitungssport, sondern auch Rundfunk und aufkommendes Fernsehen berichten während der Olympischen Winterspiele über Schifahren und ignorierten dabei die meisten anderen Wintersportarten. Im österreichischen Fernsehen wurde 1956 zum ersten Mal ein Schirennen während der Olympischen Spiele ausgestrahlt. Mit der Weltmeisterschaft 1958 in Bad Gastein begann der ORF Alpinen Schilauf spektakulär zu übertragen. Pistenverläufe und andere Elemente wurden der Darstellungslogik des Fernsehsports angepasst, wodurch Österreich ein modernes Image verliehen wurde. In Kombination mit dem aufkommenden Schiport als Massentourismus wurden FIS-Schirennen zum ekstatischen Fokus nationaler Zuschauerloyalität im österreichischen Fernsehen. Dieser wurde durch die wichtige Stellung der Schierzeuger und Wintersportindustrie in Österreich ergänzt. In den 1920er und 1930er Jahren war das sportliche Selbstverständnis der Österreicher jedoch noch nicht so stark an den Alpinen Schisport gebunden. Fußball hatte einen größeren Stellenwert. Das galt vor allem für Wien als Zentrum des damaligen österreichischen Fußballs. Da Schifahren nur von wohlhabenden Kreisen als Freizeitsport ausgeübt wurde, stand es noch nicht im Zentrum einer massenhaften medialen Aufmerksamkeit. Wie bereits dargestellt, büßte jedoch spätestens in den 1950er Jahren der österreichische Fußball sein hohes internationales Ansehen ein. Liest man die Zeitungsberichterstattung der 1930er Jahre zum Wintersport, so fällt auf, dass damals nicht Schifahren, sondern Eiskunstlauf und Eisstockschießen im Mittelpunkt standen. Karl Schäfer war 1936 der einzige österreichische Olympiasieger und repräsentierte noch den Glanz der traditionsreichen Wiener Eislauf-Schule mit Spitzenläufern wie Anton Gilbert Fuchs, Gustav Hügel oder Herma Szabû. Eiskunstlauf blieb bis zum Zweiten Weltkrieg eine für Österreich erfolgreiche Wintersportart. Mit Ausnahme einer kurzen Periode zwischen 1955 und 1972 konnte später der österreichische Eiskunstlauf nicht mehr an die einstige Bedeutung anschließen. Die letzte österreichische Weltmeisterin, Olympiasiegerin und Medaillengewinnerin im Eiskunstlauf war Beatrix Schuba 1972. Das Eisstock-Team besaß dagegen eine Sonderrolle. Eisstockschießen war nie eine olympische Disziplin und wurde 1936 auch nur als Demonstrationswettbewerb geführt. Das Eisstockschießen blieb im Gegensatz zum Curling immer Ethnosport und mit Tradition und Volkstum des alpinen Raumes verbunden. Eisstockschießen wurde in Wien, wo andere Freizeitaktivitäten wichtiger waren, nicht besonders aufmerksam ver-
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folgt. In den Wiener Zeitungen wurde daher während der Olympischen Spiele 1936 auch nicht ausführlich über Eisstockschießen berichtet. Anders jedoch bei der steirischen Kleinen Zeitung. Hier wurde diesem Sport eine höhere Aufmerksamkeit als den regulären olympischen Disziplinen gewidmet. Über Eiskunstlauf wurde dort trotz der Leistungen Karl Schäfers nur in verhältnismäßig geringem Umfang berichtet. Eiskunstlauf war also aus der Sicht der Bundesländer – wie der Fußball – eine Wiener Angelegenheit. Kurz: Fußball war städtisch (und proletarisch), Eiskunstlauf städtisch (und bürgerlich), Eisstockschießen dagegen ländlich. Die Schwäche des Nationalgefühls der Ersten Republik kommt in der Sportberichterstattung zum Ausdruck: es fehlt an nationaler Einheit und an einer umfassenden österreichweiten Publikumsloyalität. Gerade die relativ ausführliche Berichterstattung über das Eisstockschießen 1936 zeigt, dass Bundesländer-Identität oft stärker als Österreich-Identität medial vermittelt wurde. Spätestens seit den 1970er Jahren bekamen jedoch auch die Bewerbe des Schispringens vermehrte mediale Aufmerksamkeit, sodass diese heute neben dem Alpinen Wettkampf eine zweite wichtige Wintersportart im österreichischen Sportjournalismus darstellen.
Die literarische Stimmung im Zeitungsjournalismus Individuelle Stimmungen (Gemütszustände) können die Wahrnehmung länger anhaltender emotionaler Zustände darstellen; sie werden dabei meist weniger spezifisch und intensiv als Emotionen erlebt. Sozial geteilte Stimmungen können dahingegen auch kurz, intensiv und spezifisch erlebt werden (wie z. B. Panik). In dieser Form gleichen sie dem Stimmungskonzept der Musik, das sich auf das Abgleichen eines oder verschiedener Instrumente auf einen bestimmten Grundton bezieht. Sozial geteilte Stimmungen stellen auch ein Abgleichen des Gemüts (oder Aspekte dessen) mehrerer Individuen in einer Situation dar, die meist physische Kopräsenz erfordert. »Literarische« oder »mediale Stimmungen« stellen nun wieder bewusste Versuche der Gemütsmanipulation von Rezipienten dar, hervorgerufen durch das Instrumentarium der Massenmedien. Sie setzt keine physische Kopräsenz voraus, sondern die simultane Rezeption des Mediums. Je geringer der Zeitabstand zwischen Produktion und Rezeption des massenmedialen Inhalts, je geringer dessen Inhalt, je größer die Anzahl der simultanen Rezipienten und je kollektiver das Rezeptionserlebnis, desto größer und eindeutiger (emotional eindimensionaler) ist die Wirkung der medialen Stimmung auf die individuellen Gemütszustände. Belletristik in Form von Büchern besitzt in der Regel einen relativ langen Zeitabstand zwischen Produktion und Rezeption (manche Bücher werden noch nach Jahrtausenden oder Jahrhunderten gelesen) und dadurch ergibt sich auch selten eine größere simultane
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Leserschaft (mit Ausnahme der aktuellen Bestseller). Die Leserschaft hat aufgrund der geringen sozialen und zeitlichen Bezüge auch oft die Möglichkeit, die Texte anders zu »dekodieren« (interpretieren und auszulegen) als der Autor intendierte. Außerdem ist der Inhalt von Büchern meist komplex und dadurch werden oft viele Stimmungsbilder überlagert. Bücher werden aber auch meist allein und nicht in der Gruppe gelesen (mit Ausnahme des Lesezirkel, der wissenschaftlichen Diskussions- und Leserunde und des gemeinschaftlichen Lesens von religiösen Texten). Tageszeitungen besitzen dagegen einen relativ geringen Zeitabstand zwischen Produktion und Rezeption, eine hohe Anzahl simultaner Leserschaft und einen geringeren Grad an inhaltlicher Komplexität (vor allem, wenn man bloß den Sportteil heranzieht). Zeitungen werden jedoch meist vereinzelt gelesen. Live-Fernsehen wiederum besitzt den denkbar geringsten Zeitabstand zwischen Produktion und Rezeption (Quasi-Kopräsenz), eine hohe simultane Rezeption, meist sehr geringe inhaltliche Komplexität (vor allem das Sportfernsehen) und manchmal sogar ein gemeinschaftlich organisiertes Publikum (wie z. B. beim Public Viewing, bei Sportübertragungen in Gaststätten oder beim familiären Fernsehen). Aufgrund der großen Anzahl an simultanen Rezipienten kann die mediale Stimmung, hervorgerufen durch Zeitung und Fernsehen, auch zu einer »nationalen Stimmung« werden, die einen bedeutenden Teil der Bevölkerung kurzzeitig erfasst. Die »literarischen Stimmungen« im Zeitungswesen erzeugen Stimmungsbilder beim Leser und Faszination für den Text. Sie lassen diesen als relevant erscheinen (vgl. Gumbrecht 2007). »Literarische Stimmungen« sind ästhetische Kategorien und werden hauptsächlich durch Semantik, Sprachrhythmus und Sprachstil erzeugt (vgl. Wellbery 2003; Pfau 2005). Durch solche Techniken erhoffen Autoren, Gefühle und Empfindungen auf Leser übertragen zu können, ohne dass dabei wesentliche Gefühlsqualitäten verloren gehen. Natürlich gibt es keine Kontrolle über diesen Prozess, weil Autoren und Rezensenten oftmals in ganz verschiedenen sozialen, geografischen und zeitlichen Lebenswelten angesiedelt sind. Autoren kontrollieren eben sowenig den emotionalen wie den kognitiven Aspekt der »Dekodierung« des Textes. Dadurch gehen intendierte Gefühlsqualitäten verloren oder werden durch andere ersetzt. Dennoch werden in vielen Fällen emotionale Aspekte literarischer Stimmungen nach dem Sinn von Autoren rezipiert, weil dort die mögliche Varianz an mit dem Text verbundenen Gefühlsschattierungen nicht allzu groß ist. Das gilt vielleicht weniger für komplexe Literatur, als für den Sportjournalismus, der über wenige Typen von Ereignissen relativ standardisiert berichtet. Die Erzeugung von literarischen Stimmungen als Einheitsempfindungen hat zwar einen soziologisch vernachlässigten, aber dennoch wichtigen Stellenwert im literarischen Schaffen. Sie sind seit Aufklärung und Romantik Gegenstand literaturwissenschaftlicher und ästhetischer Erörterungen (vgl. Schiller 2000;
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Kant 2001). In der modernen Emotionssoziologie hat die Erforschung von Stimmungen als sozial relevantes Phänomen einen bloß untergeordneten Stellenwert. Im Anschluss an Bollnow (1988) und Csikszentmihalyi (1991) untersucht Bloch (2000) Stimmungen als Akt der Synchronisation alltäglicher Interaktionen, die das Gefühl des Flusses, der Leichtigkeit, der Stärke und ein besonderes Raum und Zeitverständnis erzeugen. Im Anschluss an Durkheims Konzept kollektiver Efferveszenz (1994) kommt Collins (2004) zu einem ähnlichen Schluss. Literatur- und Mediensoziologie und die Soziologie des Zeitungswesens kümmern sich ebenfalls kaum um Stimmungen als sozialrelevante Größen textgebundener Quellen. Das hat wahrscheinlich zwei Gründe: Erstens blendet die Dominanz eines normativ-kritischen Diskurses über das moderne Medienwesen die emotionale und stimmungsgebunde Seite literarischer Produktion aus. Habermas (1990), Postman (1990) oder Baudrillard (1995) identifizieren unter ganz unterschiedlichen Prämissen und theoretischen Herangehensweisen bildbezogene oder bildlastige Medien als Machtquellen, die falsches oder unkritisches Bewusstsein erzeugen würden. Diese Kritik beruht auf einer strikten Gegenüberstellung von analytischen, rationalen, textbezogenen und verzerrenden, emotional-affektbestimmten, bildlastigen Medien. In dieser Sichtweise werden Stimmungen als Instrument der »Kulturindustrie« oder vom kommerziellen Kino und Fernsehen festgemacht. Stimmungen in Schriftmedien werden jedoch vernachlässigt oder als irrationaler Aspekt gewertet, der, wie Postman (2008) meint, durch Telegrafie und Bilddruckverfahren gefördert wurde. Habermas (1990) vergleicht die von der Kulturindustrie erzeugte »Scheinöffentlichkeit« mit der vernunftbasierten Leserschaft der »literarischen Öffentlichkeit«. Baudrillard geht so weit, dass er mit dem Konzept von »Hyperrealität« keine echte Interaktion mehr zwischen der medialen Repräsentation von Zeichen und der Wirklichkeit der Rezipienten sieht. Medien simulieren bloss die Kommunikation mit ihrem Publikum. In Wirklichkeit bestehe eine »Einwegkommunikation«. Das Reale könne von der medienerzeugten Scheinwelt nicht mehr unterschieden werden. »Das durchs Fernsehen übertragene Fußballspiel ist zuallererst ein durchs Fernsehen übertragenes Ereignis, genauso wie der Holocaust oder der Vietnamkrieg, von denen es sich kaum unterscheidet« (Baudrillard 1992: 223). Hier soll Winters Kritik an Baudrillards Medientheorie aufgegriffen werden (vgl. Winter 2010: 46 ff.). Winter kritisiert, dass Baudrillard die aktive Rolle des Zuschauers und Medienrezensent ignoriert und ein deterministisches Bild des Verhältnisses von Medien und Publikum zeichnet. Aneignungsprozesse von Medieninhalten und deren Kontext werden von Baudrillard nicht beachtet. Für uns bedeutet diese Kritik, dass eine »nationale Stimmung« somit für Baudrillard schon deshalb keine Rolle spielen
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kann, weil deren Konsequenz – die Publikumsloyalität und deren Relevanz für das politische Feld – auf einen außermedialen Aspekt verweist. Zweitens werden aufgrund eines kognitiv bestimmten Paradigmas des sozialen Handelns Stimmungen als kaum sozialrelevant eingeschätzt. Das gilt sowohl für Semiotik, Diskursanalysen, wie auch den symbolischen Interaktionismus (vgl. Thompson 1999). Es wird zwar darauf geachtet, was gesagt oder gemeint wird; die Bedeutung des Geschriebenen als Symbolsystem wird gedeutet. Die gefühlsmäßige Wirkung von Texten, die erst Relevanz erzeugt, wird allerdings oft außer Acht gelassen. Nur selten wird die Gefühlsebene von Texten als wichtiger Forschungsgegenstand erkannt, wenn z. B. Habitus-Aspekte von literarischem Schaffen untersucht werden (vgl. Kuzmics und Mozeticˇ 2003) oder wenn rhetorische Figuren und Metaphern den Gegenstand von »Metaphernanalysen« bilden, um damit nicht nur den im Sprechakt ausgedrückten Sachverhalt (Proposition), sondern auch deren weitergehende gefühlsmäßige Einfärbung zu erfassen (Lakoff und Johnson 1997; Schmitt 2003). Die Analyse literarischer Stimmungen gibt Aufschluss über Lesegewohnheiten und Konventionen des Schreibens, weil der symbolische Ausdruck von Emotionen direkt beobachtbar ist. Die Erforschung der literarischen Stimmung ermöglicht somit einen Zugang zum Habitus. Literarische Stimmungen verdichten sich in manchen Fällen in Zusammenhang mit bestimmten dramaturgischen und narrativen Elementen von Genres. Der Aufbau von Zeitungen, Schreibstil, Fotoästhetik, Schlagzeilen und Überschriften, das heißt journalistische Genres, sind in vielen Ländern deshalb ähnlich, weil die Professionalisierung des Zeitungsgewerbes isomorphe Strukturen erzeugt. Die Ausbildung von Journalisten, ihr Arbeitsmarkt, die technischen Voraussetzungen, die Theorien des Nachrichtenwerts und viele andere Elemente des Zeitungswesens führen zu einer grenzübergreifenden Anpassung. Als Folge verschwinden nationale Stile – die im Gegensatz zur Romanliteratur im Zeitungsgewerbe immer schon schwächer ausgeprägt waren – und werden durch einen international dominanten Stil ersetzt. Wie Fernsehen und Radio wird das Zeitungsfeld auch von den amerikanischen Printmedien beeinflusst. Aufmachung und Design von Zeitungen orientieren sich meist an angelsächsischen Vorbildern. Das erkennt man bereits am Namen vieler Zeitungen, wie zum Beispiel Der Standard (Evening Standard). Die hier untersuchte Kleine Zeitung orientierte sich mit ihrem Design an internationalen Vorbildern. Sie wurde deshalb auch von der britischen Newspaper Marketing Agency ausgezeichnet. In der Sportberichterstattung treffen also zwei Formen von Weltkultur aufeinander, die sich gegenseitig beeinflussen: Sport als Weltkultur und Journalismus als Weltkultur. Zeitungen mögen der Träger nationaler Wir-Bilder und Wir-Ideale sein, sie mögen auch die Plattform für die Erzeugung nationaler Stimmungen darstellen.
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Auf jeden Fall beruht die Praxis dieser Aktivitäten auf weltweit genormten Techniken und Gewohnheiten. Grundlagen dieses internationalen Berufshabitus sind Kommunikationstechnologien, Schreibstil, Dramaturgie, Erzähltypen und Ästhetik. Vor allem der Berichtzeitraum, d. h., die Zeitperiode gerechnet in Ausgaben, in der über ein Ereignis berichtet wird, richtet sich nach einem festliegenden Konzept von dramaturgischer Gestaltung. Grob zerfällt der Berichtzeitraum in »Einstimmung«, »Faktenberichterstattung« und »Ausklang«. Die Faktenberichterstattung ist jene, die zeitlich am nächsten nach dem Ereignis stattfindet. Moderne Technologien haben die Zeitdifferenz zwischen Ereignis und Faktenberichterstattung ständig verkürzt, auch wenn sich das Ereignis in geografisch weit entfernten Räumen ereignete. Seitdem andere Medien schneller von Ereignissen berichten können, ist der Stellenwert der Faktenberichterstattung, ihr Nachrichtenwert, in den Zeitungen geschrumpft. Um so wichtiger werden »Einstimmung« und »Ausklang« als Phasen der Vor- und Nachbereitung. Dabei spielen moderne Technologien nur eine sekundäre Rolle, etwa bei Bild- und Grafikbearbeitung, elektronischen Zeitungsarchiven oder der Internet-Recherche. Hier ist die textliche Aufbereitung und Nachbearbeitung des Themas wichtig. Damit besitzt die Zeitung stilistische und ästhetische Elemente, die ihr gegenüber anderen Medien eine Nische einräumt. Reportage, Bericht und Kommentar sind dabei typische Textsorten. In der »Einstimmung« werden die Leser mit dem kommenden Ereignis vertraut gemacht, indem dieses vielschichtig beleuchtet wird oder indem frühere, ähnliche Ereignisse retrospektiv besprochen werden. Gerade der Rückgriff auf frühere, ähnliche Ereignisse erzeugt den Eindruck von Kontinuität und temporärem Zusammenhang. Dieser retrospektiv dargestellte temporäre Zusammenhang kann sich zum Eindruck des regelmäßigen Auftretens solcher Ereignisse verdichten, die also eine Art Tradition bilden. In solchen Fällen bedient die Dramaturgie in ihrer Einstimmung Narrationen (Erzählungen), die meist schon vorfabriziert vorhanden sind. Das kommende Ereignis kann so entweder als reine Wiederholung, dramaturgische Zuspitzung, Wendepunkt oder Neuartiges in Beziehung zu vergangenen Ereignissen dargestellt werden. Zur Einstimmung wird aber auch meist in Form von Reportagen über Details, wie Vorbereitungen zur Organisation des Ereignisses oder persönliche Sichtweisen von Beteiligten berichtet. Dadurch wird die Bedeutung des Ereignisses auf eine persönliche Ebene heruntergebrochen und das emphatische Potential der Leser mobilisiert. Der »Ausklang« ist die journalistische Nachbearbeitung des Ereignisses. Hier wird das Ereignis wieder in eine historische Sukzession eingegliedert und ihm dadurch eine weitere Bedeutung verliehen. Außerdem kommen hier wieder persönliche Betrachtungen zum Tragen, wenn etwa Beteiligte oder Betroffene interviewt werden oder deren Schicksal in Form eines Epilogs nochmals aufgerollt wird.
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Lange Zeit scheint die nationale Stimmung im Zeitungsjournalismus eng an die politische Berichterstattung gebunden gewesen zu sein. Liest man die älteren Tageszeitungen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, so fallen die oftmals sehr kontroversen politischen Debatten auf, die angeheizt oder in einem bestimmten Licht dargestellt werden. Die Sportberichterstattung war dagegen auffällig nüchtern, meist im Nachrichtenstil verfasst und mit kurzer oder keiner Einstimmung und Ausklang versehen. Selbst sportliche Großereignisse, wie die Olympischen Spiele, nehmen in den österreichischen Tageszeitungen der Zwischenkriegszeit einen im Vergleich zum politischen Tagesgeschehen geringen Stellenwert ein. Selten wird in den Tageszeitungen über Sport auf der Titelseite berichtet. Selbst, wenn ein österreichischer Athlet eine Goldmedaille gewinnt, fehlt die heute so gewohnte nationale Jubelberichterstattung. Oft tritt sogar die Benennung der Nation, aus der der Sieger stammt, in den Hintergrund. Allerdings wäre der Schluss verfehlt, dass eine generell national gefärbte Berichterstattung erst in späteren Zeiten in Erscheinung tritt. Im Bereich von Innen- und Außenpolitik tritt eine offen national oder sogar nationalistisch gefärbte Berichterstattung erst nach dem Zweiten Weltkrieg merklich zurück; genau in jener Phase, in der sie im Sport an Bedeutung gewinnt. Es liegt auf der Hand, diesen inversen Vorgang als Kompensation zu werten, d. h., politischer Nationalismus wird zum Tabu. In Deutschland wird er zu einem Schandmal, hervorgerufen durch den verlorenen Krieg, den Nazi-Gräueln und die amerikanische Dominanz. Gleichzeitig wird nationales Prestigestreben durch den harmlosen Sportnationalismus und die damit verbundenen Jubelmeldungen ersetzt. Blickt man nur auf die deutsche Berichterstattung, könnte man dieser Vermutung zustimmen. Die medial vermittelte Euphorie über das »Wunder von Bern« scheint tatsächlich plausibler Ausdruck einer Sehsucht nach nationaler Geltung zu sein. In diesem Licht wird in Deutschland oft noch die Glorifizierung nationaler Leistungen im Sport als »fröhlicher Patriotismus« (die Betonung liegt auf Patriotismus als »guter« Nationalismus) und »deutsches Sommerwunder« (2006) verstanden (vgl. Kronenberg 2006). Ein Blick auf andere Länder relativiert allerdings diese Erklärung. Für den hier vorliegenden österreichischen Fall sind die Dinge schon deshalb komplizierter, weil das Land erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu seiner nationalen, nicht-deutschen Identität gefunden hat. Hier könnte man behaupten, dass der Sport und die Berichterstattung halfen, nationale Wir-Gefühle erst hervorzubringen. Das Ausbleiben national gefärbter Berichterstattung in der Zwischenkriegszeit erscheint in diesem Licht als generelle Abstinenz der nationalen Komponente in Österreich. Allerdings zeigt diese Zeitungsanalyse auch, dass zumindest die kontrollierte politische Berichterstattung während des Ständestaates österreich-patriotisch gefärbt war. Allerdings hätte man einen intensiver inszenierten Patriotismus erwarten können. Daher verwundert es schon, dass
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das Potential des Sportes als klassen- und parteiübergreifende Plattform zur Identifizierung nicht stärker für die Zwecke der Diktatur eingespannt wurde. Die Antwort darauf fällt leicht, wenn man einen Blick auf englische und amerikanische Zeitungen dieser Zeit wirft. Auch hier, wo ein professionelles Sportsystem und Sportjournalismus bereits Tradition besaßen, wurden internationale Sportereignisse in viel geringerem Ausmaß als heute mit nationalen Jubelmeldungen versehen. Zwar ist es richtig, dass die englische Presse bereits 1908 bei den Olympischen Spielen in London eine gewisse antiamerikanische Stimmung aufkommen ließ, weil die amerikanischen College-Athleten viel erfolgreicher als ihre englischen Rivalen waren (diese waren meist Vollamateure, Gentlemen-Sportler im Sinne Coubertins). Auch gab es vor den Spielen von 1912 in der englischen Presse national gefärbte Diskussionen. Die US-Presse stand internationalen Sportereignissen jedoch bis vor kurzem reserviert gegenüber und bevorzugte die Berichterstattung über den inneramerikanischen Sport. Selbst die gesteuerte deutsche Presse berichtete über die Olympischen Spiele von Garmisch-Partenkirchen und Berlin 1936 weniger in Form der heute bekannten Jubelberichterstattung (obwohl natürlich erwähnt wurde, dass Deutschland die meisten Medaillen gewann!). Im Vordergrund stand eher der inszenierte Stolz als Gastgeber dieser Großereignisse nun Teil der anerkannten Welt zu sein, also in Augenhöhe mit den Amerikanern und anderen großen Nationen zu stehen.
Stichprobe und Methodologie Der hier vorliegende inhaltsanalytische Teil bezieht sich vor allem auf Kronen Zeitung und Kleine Zeitung. Die Analyse der Kleinen Zeitung, als auflagestärkste »Bundesländerzeitung«, erlaubt das Studium des medial erzeugten ÖsterreichBildes fernab des Wiener Machtzentrums. Die Kleine Zeitung ist Teil der StyriaPress und vertritt meist einen konservativen, christlich-sozialen Standpunkt. Im Eigentum des Verlages steht auch die Wiener traditionelle Tageszeitung Die Presse, deren Artikeln und Internetforen im nächsten Kapitel analysiert werden. Die Kronen Zeitung ist die auflagenstärkste österreichische Tageszeitung.64 Die Kronen Zeitung wurde 1959 von Hans Dichand als Neue Kronen Zeitung wiedergegründet und wurde durch die Einführung des Boulevard-Journalismus in Österreich bekannt. Die Kronen Zeitung kennzeichnet sich vor allem durch Kampagnen (mit teilweise großem Einfluss) und kontroverse Kolumnen. Sie ist 64 Laut Media-Analyse betrug 2010 die Reichweite der Kronen Zeitung 37,9 Prozent und die der Kleinen Zeitung 11,3 Prozent Anteil der österreichischen Zeitungs-Leserschaft (siehe: http://www.media-analyse.at/studienPublicPresseTageszeitungTotal.do?year=10/ 11& title=Tageszeitungen& subtitle=Total, abgerufen: 5. 12. 2011).
Stichprobe und Methodologie
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heute je zur Hälfte in Besitz der deutschen WAZ-Gruppe und der Familie Dichand. Die Zeitung weist eine Nähe zur SPÖ auf, war aber gleichzeitig stark am Erfolg Jörg Haiders beteiligt, indem sie einen ähnlichen populistischen Protest am politischen und gesellschaftlichen Establishment artikulierte. Hier stehen zunächst die Berichte der Kleinen Zeitung über die Olympischen Winterspiele aus den Jahren 1932, 1936, 1956, 1960, 1972, 1976 und 2006 im Mittelpunkt. Die Stichprobe kann in vier Phasen eingeteilt werden. Phase 1 umfasst Ereignisse von 1932 und 1936; Phase 2 von 1956 und 1960; Phase 3, 1972 und 1976; und Phase 4 die Ereignisse von 2006. Diese Phaseneinteilung spiegelt zwei Parameter wider : 1) Technische Innovationen der Sportberichterstattung und 2) Entfernung zwischen den Ereignissen und Österreich, d. h. die Faktoren Raum und Zeit. Die technischen Innovationen, auf die hier Bezug genommen wird, sind Radio, Bildübertragung, Fernsehen, Nachrichtensatelliten und Internet. Jeder Phase wurde ein olympisches Ereignis in der Nähe Österreichs und eines auf einem anderen Kontinent zugeordnet. Für diese Studie wurden auch die Berichte der Olympischen Winterspiele von 2010 analysiert. Für dieses Kapitel werden jedoch bloß die Berichte von 2006 herangezogen.65 Allerdings werden die Berichte der Kleinen Zeitung mit denen der Kronen Zeitung aus dem Jahr 2006 verglichen. Dadurch kann analysiert werden, ob die Darstellung der Nation von Zeitung zu Zeitung variiert. Phase 1 (1932 und 1936):66 Im Jahr 1932 wurde von den Olympischen Winterspielen in Lake Placid noch nicht direkt im österreichischen Radio berichtet; 1936 fand allerdings eine solche Radioberichterstattung aus dem angrenzenden Garmisch-Partenkirchen statt. Phase 2 (1956 und 1960): Aus dem ebenfalls grenznahen Cortina D’Ampezzo wurden 1956 zum ersten Mal versuchsweise Fernsehbilder in Österreich ausgestrahlt, die jedoch noch von wenigen konsumiert wurden. Damals wurden jedoch bereits über Fernschreiber Fotos an die österreichischen Zeitungsredaktionen übermittelt. Meist handelte es sich dabei noch um Gesichtsfotos und nicht um Bewegungsbilder oder Fotos mit stark 65 Die Berichterstattung aus Turin 2006 war einerseits bereits derart umfangreich, dass in der hier benötigten Genauigkeit die Artikel über die Olympischen Spiele aus Vancouver 2010 nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Andererseits ergab eine erste grobe Analyse, dass – im Gegensatz zu früher – in diesem Zeitraum trotz der unterschiedlichen geografischen Lage kein Unterschied mehr in Menge und Stil der Berichterstattung zwischen beiden Ereignissen bestand. Die Artikel aus dem Jahr 2010 der Kleinen Zeitung und der Kronen Zeitung finden im nächsten Kapitel Verwendung. 66 Die Einteilung in Phasen beruht auf einer Durchsicht der offiziellen Berichte zu den Olympischen Winterspielen zwischen 1928 – 2006 (für das Jahr 1924 gibt es noch keinen offiziellen Olympiabericht). Alle Berichte enthalten genaue Hinweise über die zum Einsatz gekommen Massenmedien und den Schwierigkeiten im Umgang mit den Kommunikationstechnologien. Quelle: IOC (1928; 1932; 1936; 1948; 1952; 1956; 1960; 1967; 1968; 1973; 1976; 1980; 1984; 1988; 1992; 1994; 1998; 2002; 2006)
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Die Dramatisierung der Nation im Zeitungssport
emotionalem Ausdruck. Bewegung konnte nämlich noch nicht gut »eingefroren werden«. Die Spiele aus Squaw Valley 1960 konnten noch nicht live nach Europa übers Fernsehen ausgestrahlt werden. Viele Bewerbe wurden allerdings transkontinental im Radio direkt übertragen. Außerdem gab es im österreichischen Fernsehen schon einige Sportsendungen, die über die Olympischen Winterspiele im Nachhinein berichteten. Phase 3 (1972 und 1976): Die Spiele aus Sapporo 1972 und Innsbruck 1976 stellen aus der Sicht der Medienberichterstattung eine Zäsur statt. In dieser Zeit erschienen bereits täglich Tageszeitungen. (In den Jahrzehnten davor, gab es etwa bei der Kleinen Zeitung keine Montagsausgabe.) Diese Lücke durchbrach auch den Stimmungsverlauf. Außerdem waren die Ausgaben der 1970er Jahre deutlich umfangreicher als die Jahrzehnte davor. Aufgrund der Möglichkeit über Satellit Fernsehbilder und Fotos in Farbe und guter Qualität interkontinental zu übermitteln, erfuhr man aus der Zeitung auch nicht mehr zuerst von den Neuigkeiten. Über die Ereignisse aus Japan und aus dem heimischen Innsbruck wurde mit derselben Bandbreite an Bildinformation gearbeitet: Live-Farbfernsehen, Bewegungsbilder in Zeitungen, Interviews, Vor-Ort-Reportagen. Außerdem hatten diese Ereignisse bereits eine sehr große Relevanz für die politische Berichterstattung und für gesellschaftlichen Klatsch. Mediensport begann, andere Bereiche zu »kolonialisieren«. Phase 4 (2006): Alle Fotos von den Bewerben aus Turin sind in Farbe, sind Bewegungsbilder ; computergenerierte Grafiken kommen sehr häufig zum Einsatz; Wappen, Flaggen und andere synekdochische Symbole67 werden oft abgedruckt. Die Ikonographisierung der Nation ist in den Zeitungen auf vielen Seiten erkennbar. Die Olympischen Winterspiele wirken in die politische Berichterstattung hinein. Sportrelevante Themen beeinflussen den politischen Zeitungsdiskurs. Das Internet ist sehr relevant. Der Wandel der Zeitungsberichterstattung wird durch einige Auswertungen deutlich. Die nächste Darstellung vergleicht den durchschnittlichen Anteil des Sportteils am Gesamtumfang der Zeitungsausgaben. Man erkennt, dass bis in die 1970er Jahre dieser Anteil relativ gering bleibt. In den Ausgaben der Kleinen Zeitung von 1932 kann durchschnittlich bloß drei Prozent des Zeitungsumfanges Sportartikeln zugeordnet werden. Dieser Anteil stieg 1936 auf etwa 11 Prozent. Erst 1972 konnte er wieder deutlich auf fast 19 Prozent zulegen. Aufgrund der Austragung der Olympischen Spiele auf heimatlichem Boden stieg der Anteil der Sportberichterstattung 1976 auf 32 Prozent des Gesamtumfangs. Im Jahr 2006 pendelte er sich wieder ungefähr auf dem Wert von 1976 ein. In der 67 Eine Synekdoche ist eine rhetorische Figur. Totum pro parte stellt den Spezialfall einer Synekdoche dar, der hier von Belang ist. Diese Synekdoche bedeutet, dass das Ganze für einen Teil steht. Z.B. Deutschland gewinnt die Weltmeisterschaft. Hier wurde das Substantiv »Deutschland« für »die deutsche Fußballnationalmannschaft« verwendet.
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Stichprobe und Methodologie
Kronen Zeitung ist der relative Anteil des Sports in diesem Jahr allerdings mit 27 Prozent des Gesamtumfangs wesentlich größer. Diese Zahlen berücksichtigen aber nicht, dass gleichzeitig das Gesamtvolumen der Zeitungen stark anstieg. Es betrug 1932 durchschnittlich ungefähr 16, 1936 15, 1956 16, 1960 30, 1972 39, 1076 39 und 2006 50 Seiten in der Kleinen Zeitung, bzw. 64 Seiten in der Kronen Zeitung. Im Jahr 1932 umfasste die durchschnittliche Sportberichterstattung bloß 0,4 Seiten, 1956 zwei Seiten und 2006 bereits 10,3 Seiten in der Kleinen Zeitung und 17,5 Seiten in der Kronen Zeitung. Darstellung 2: Durchschnittlicher Anteil des Sportteils am Gesamtumfang (Kleine Zeitung 1932, 1936, 1956, 1960, 1972, 1976, 2006; Kronen Zeitung 2006; in Prozent) 40
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2006 Krone
Die nächste Darstellung vergleicht den relativen Umfang von drei Texttypen in der Kleinen Zeitung im Untersuchungszeitraum miteinander : Nachrichten, Meinungsträger und Bilder. Nachrichten sind im sachlichen Stil geschriebene Tatsachendarstellungen, deren emotionale Färbung allerdings mit der Zeit zunimmt. Ältere Ausgaben weisen weniger rhetorische Figuren auf und bestehen manchmal bloß aus der Auflistung von Agenturmeldungen. Meinungsbeiträge umfassen Kommentare, Interviews und Reportagen und schließen bei modernen Ausgaben fast die Hälfte aller Texttypen ein, wohingegen in den dreißiger Jahren die Zeitung fast nur aus Nachrichten bestand.
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Die Dramatisierung der Nation im Zeitungssport
Darstellung 3: Anteil und Wandel von Texttypen während der Olympischen Winterspiele (Kleine Zeitung 1932, 1936, 1956, 1960, 1972, 1976, 2006; Sportberichterstattung; in Prozent)
Quantitative Aspekte der Olympia-Berichterstattung Die Darstellung in Anhang C macht sichtbar, dass die nationale Stimmung durch die Sportberichterstattung in den Zeitungen erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts merkbar wurde. Die Berichterstattung von 1936 weist noch kaum Vor- und Nachberichterstattung auf und damit gibt es auch keine Phasen des Einstimmens und des Ausklangs. Diese Darstellung fasst eine Zählung von Zeitungsmeldungen und anderen Text- und Bildsorten zusammen, die sich in irgendeiner Weise auf die Olympischen Winterspiele beziehen. Dabei wurden alle Text- und Bildsorten während der Olympischen Winterspiele plus dem ersten darauf folgenden Tag gezählt. Weiters wurden ausgehend vom Datum der olympischen Eröffnungsfeiern vorhergehende Zeitungsausgaben so weit verfolgt, bis über die Olympischen Winterspiele zwei Tage hintereinander nichts berichtet wurde. Hier wird nämlich angenommen, dass der Aufbau einer literarischen Stimmung eine tägliche und dichte Berichterstattung über ein Thema voraussetzt. Dieselbe Erhebungsart wurde auch mit den Ausgaben, die den Olympischen Spielen folgen, durchgeführt. Der Tag nach der Abschlussfeier stellt den letzten Tag dar, an dem von den unmittelbaren Ereignissen der Olympischen Spiele berichtet wird. Alle folgenden Tage zählen zu der Phase der Nachberichterstattung. Hier wird entweder von den Olympischen Spielen nur mehr kommentierend berichtet oder Vorfälle in einen Kontext gestellt, die über die Wettkämpfe hinausreichen. Bei dieser Erhebung wurden so viele chronologisch folgende Ausgaben verfolgt, bis zwei Ausgaben lang keine einzige Textsorte und kein einziges Bild gefunden wurden, die die Olympischen Winterspiele thematisieren. In der Ausgabe von 2006 hätte man die Vorberichterstattung noch viel weiter verfolgen müssen, als hier abgebildet. In dieser Phase wird auf sportliche Großereignisse bereits Monate lang davor permanent Bezug genommen. Im
Quantitative Aspekte der Olympia-Berichterstattung
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Verbund mit Fernsehen und Internet erleben Sportinteressierte heute sehr lange Stimmungsphasen. Hier wurden daher die Zeitungsausgaben nur bis zum 1. Jänner 2006 zurückverfolgt; also bis zum Tag minus 40 vor der Eröffnungsfeier. Die Periode der Vor- und Nachberichterstattung beträgt 2006 52 Tage (40 Tage vor und 12 Tage nach dem Ereignis). Während der Olympischen Spiele wird in modernen Zeitungen jeden Tag berichtet. 1932 und 1936 gab es allerdings Ausgaben, an denen während den Olympischen Winterspielen gar nicht über dieses Ereignis berichtet wurde. Die Darstellung zeigt, dass Vor- und Nachberichterstattung 2006 in der Regel viel länger sind als früher. Bei genauerer Betrachtung sind auch zwischen 1956 und 1976 Unterschiede festzustellen. So beginnt die Vorberichterstattung in den 1970er Jahren erstens deutlich früher (13 Tage 1976, bzw. 11 Tage 1972 vor den Olympischen Spielen; 1956 und 1960 waren es nur sieben Tage davor). Zweitens ist diese in den 1970er Jahren viel intensiver als in den Ausgaben von 1956 und 1960. Im Jahr 1976 gibt es etwa Spitzenwerte von 101, im Jahr 1972 von 76 Bild- oder Textnennungen in einer Ausgabe. Dagegen gab es 1960 nur 36 maximale Nennungen in einer Ausgabe. Im Gegensatz dazu wurden 2006 in einer Ausgabe 154 Bilder oder Texte in Beziehung zu den Olympischen Winterspielen gezählt. In den Ausgaben von 1936 wurden maximal 36 Bilder oder Texte (allerdings sehr kurze) in einer Ausgabe gezählt; 1932 lag der maximale Wert bloß bei sechs Nennungen. Intensität und Periodenlänge sind zwei wichtige quantitative Faktoren der Zeitungsstimmung. Das Vorhandensein anderer Massenmedien wie Radio, Fernsehen oder Internet beeinflussen und verstärken ebenfalls Stimmungen. Außerdem stehen Intensität und Periodenlänge in Zusammenhang mit dem Druckumfang von Zeitungen, der sich deutlich vergrößerte. Zeitungen der 1930er Jahre waren dünner, besaßen also weniger Seiten, Textsorten, Überschriften, Bilder und andere Bestandteile einer Zeitungsausgabe. Dennoch erklären diese technischen Randbedingungen noch nicht erschöpfend die Steigerung von Periodenlänge und Intensität. Immerhin erhöhte sich unabhängig vom Gesamtumfang der Zeitungsausgaben auch der relative Anteil der Sportberichterstattung im Vergleich zur restlichen Berichterstattung. Die einzig mögliche Erklärung liegt darin, dass Sport während der Erfassungsperiode einfach gesellschaftlich bedeutender wurde. Die Verbesserung von technologischen Möglichkeiten der Berichterstattung besitzt jedoch andere, eher indirekte Auswirkungen auf die Zeitungsstimmungen. Zum einen zeigt die Stichprobe, dass vor den 1970er Jahren überseeische Wettbewerbe ein großes räumliches Hindernis für die Zeitungsberichterstattung darstellten. Aus Lake Placid 1932 wurde deutlich weniger intensiv und lang als aus Garmisch-Partenkirchen 1936 berichtet. Dasselbe gilt auch für Gegenüberstellung von Squaw Valley 1960 und Cortina d’Ampezzo 1956. Die Leich-
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tigkeit der Überwindung des Raumes scheint einen plausiblen Faktor für die Entstehung einer Zeitungs- oder Medienstimmung darzustellen. Ein Blick in die 1930er Jahre lässt zunächst auffällig erscheinen, dass die allermeisten Textsorten über die Olympischen Winterspiele Kurzmeldungen oder umkommentierte Ergebnislisten darstellen. Außerdem wurde 1932 nur zweimal auf den Titelseiten über die Olympischen Winterspiele berichtet. Im Jahr 1956 wurden hingegen während der Olympischen Winterspiele an 75 Prozent aller Tage, 1960 an 50 Prozent und 1972 bis 2006 an über 90 Prozent aller Tage (an denen Ausgaben erschienen) über dieses Ereignis auf den Titelseiten berichtet (siehe nächste Darstellung). Darstellung 4: Anteil der Ausgaben in Prozent während der Olympischen Winterspiele, an denen über diese auf der Titelseite berichtet wurde (Kleine Zeitung 1932, 1936, 1956, 1960, 1972, 1976, 2006; Kronen Zeitung 2006) 32 100 36 56 60 72 76 0675 e
0 16,7 80 54,5 90 91,7 94,1 98,4
50
25
0 1932
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2006 Krone
Qualitative Aspekte der Olympia-Berichterstattung Text- und bildimmanente Veränderungen in der Berichterstattung bilden eine weitere Grundlage für die Entstehung nationaler Stimmungen. Hier wird auf die Aspekte von Emotion, Schreibstil, Dramaturgie und Narration als Bestandteile genauer eingegangen.
Qualitative Aspekte der Olympia-Berichterstattung
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Emotionen Die nationalen Stimmungen der Sportberichterstattung stellen Kombinationen aus folgenden Emotionen dar : Spannung, Vorfreude, Hoffnung, Jubel, Zufriedenheit, Stolz, Enttäuschung, Schamgefühl und Verbitterung. Die hier beobachteten Stimmungen setzen sich meist aus Phasen zusammen, in denen eines dieser Gefühle besondere Betonung erfährt. In der ersten Phase wird der Leser auf die Olympischen Spiele vorbereitet. Langsam steigt die quantitative Dichte der Berichterstattung. Im Idealfall sollen Leser in den Bann der kommenden Ereignisse gezogen werden und es wird sowohl Vorfreude, wie auch Spannung erzeugt. Vorfreude entsteht durch das Schüren der Erwartung des Außergewöhnlichen, das das Ereignis vom kontinuierlichen Fluss des sonstigen Mediensports abheben soll. Moderne Zeitungen machen etwa in Form von »Tickern« – das sind tägliche Zählungen bis zur Eröffnung; also Countdowns – oder Reportagen auf das Ereignis aufmerksam. Ab einem gewissen Zeitpunkt beginnen Zeitungsausgaben mit einer besonderen Markierung der Olympiaberichte, wie z. B. als Sonderberichterstattung. Einige Tage vor den Olympischen Spielen wird das Gefühl der Hoffnung kommuniziert, indem über Medaillenchancen spekuliert wird. Das Element der Hoffnung steigert die Spannung zusätzlich. Manchmal wird in dieser Phase unmittelbar vor den Olympischen Spielen oder vor einem Wettbewerb in Form einer Reportage über die Familie oder die Heimatgemeinde des heimischen Favoriten berichtet. Familie oder Heimatgemeinde stehen als Projektion und Verkörperung der Nation im Kleinen. Verwandte und Freunde des Favoriten lassen die Nation als ursprüngliches (primordiales) Band erscheinen, gekennzeichnet durch Blutsverwandtschaft und persönliche Bekanntschaft. Die in der Zeitungsreportage berichtete Loyalität der näheren Umgebung des Athleten oder der Athletin steht als einfaches (Vor-)Bild für die größere und anonyme Loyalität der Zeitungsleser zur Nation. In der Phase während der Olympischen Spiele verdichtet sich der Aufbau von Hoffnungen unmittelbar vor den Wettbewerben und steigert somit die Spannung. Hier werden spontane Gefühle wie Jubel, Stolz, Schadenfreude, Enttäuschung und Schamgefühl besonders oft Teil der Zeitungsberichterstattung. In der Phase unmittelbar vor dem Ende der Olympischen Spiele wird Bilanz gezogen. Spontane Gefühle vermischen sich mit länger anhaltenden Stimmungen, wie etwa Zufriedenheit oder Verbitterung. Die emotional gefärbte Zeitungssprache entwickelte sich zunächst im Sportjournalismus. Später wurde sie auch in der politischen Berichterstattung übernommen und ist dort als horse race journalism bekannt, wie z. B. bei der Formulierung »das Kopf-an-Kopf-Rennen beider Parteien vor der Wahl«. Hier werden Floskeln aus der Sportsprache entnommen und in einen politischen
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Kontext gebracht. Für die Entstehung der nationalen Stimmung ist diese Form von Journalismus wichtig. Durch sie können auch emotionale Elemente der Sportberichterstattung in die politische Berichterstattung oder den Gesellschaftsteil überspringen. Finnen werden dadurch zu PISA-Siegern, zu »Bildungsweltmeistern«, und die österreichischen Schüler können es den Schifahrern »nicht nachmachen«, weil sie eine schlechte »Platzierung« einnehmen.
Schreibstil Im folgenden werden stilistische Elemente der Gestaltung von Titelblättern und Schlagzeilen besprochen. Es wurde bereits festgehalten, dass seit den 1970er Jahren die Anzahl von Schlagzeilen auf Titelseiten über Olympische Winterspiele stark zugenommen hat. Betrachtet man nun die stilistischen Veränderungen auf den Titelblättern, die die emotionale und patriotische Färbung der Berichterstattung erleichterten, fallen bestimmte Elemente besonders auf. Zum einen kam es zu einem verstärkten Einsatz von Ellipsen – unvollständigen Sätzen – auf den Titelblättern. Dieser Wandel der Zeitungssprache hat zunächst noch nichts mit Sport und Sportjournalismus im Speziellen zu tun, weil deren Zunahme für alle möglichen thematischen Bereiche beobachtbar ist. Die Verwendung von Ellipsen als Schlagzeilen erleichterte jedoch eine heute besonders verbreitete Darstellungsform des Nationensports. Vor allem die Synekdoche totum pro parte gelangt häufig zum Einsatz, in dem der Landesname als Synonym für Sportler verwendet wird. Somit entsteht durch diese sprachliche Gleichsetzung auch sehr bald emotionale Bindung in Form von Zuschauer(oder besser : Leser-) Loyalität. Bei genauer Betrachtung ändern sich Ellipsen im Laufe der Zeit. Betrachten wir das chronologisch anhand der Schlagzeilen auf Titelseiten, die Bezug auf die Olympischen Winterspiele nehmen: 1936: 1) »Das olympische Völkerfest der Nationen« 2)«Ehrenvoller Abschluss der olympischen Winterkämpfe für Österreich» 1956: 1) »Beginn der Olympischen Winterspiele« 2) »Farbenbunter Aufmarsch der Nationen« 3) »Sensation in Cortina: Zwei Medaillen für Österreichs Damen« 4) »Österreich setzt Erfolgsserie fort: Schöpf erobert ›Silberne‹« 5) »Dritte ›Goldene‹ für Sailer : Größter alpiner Schitriumph aller Zeiten« 2006: 1) »Silber-Blick« 2) »Nur Silber …« 3) »Große Tochter [Sing.: weil nur eine weibliche Siegerin], große Söhne« 4) »Goldrichtig kombiniert« 5) »Triumph in Rot-Weiß-Rot« 6) »Doping-Krimi«
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7) »Gold als Antwort« 8) »Felix Austria« 9) »Olympia-Chefs wollten Österreich verbannen« 10) »Kein Doping. Kein Freispruch« 11) »Finaler Triumph« 12) »Ciao, Olympia« 13) »Heldenplatz«
Man sieht, dass im Laufe der Jahrzehnte eine Verdichtung der Schlagzeilensprache einsetzt. Zunächst fehlen bloß die Verben. Schlagzeilen in neueren Zeitungsausgaben bestehen dagegen nur mehr aus ein oder zwei Worten, manchmal auch aus Ausschnitten üblicher Redewendungen. Ellipsen wurden aus der Telegrafensprache entwickelt, damit Platz gespart werden kann. Heute dienen sie aber mehr der Emotionalisierung des Inhalts. Daher finden sich bei den Ausgaben von 2006 bloß kurze Schlagzeilen. Diese sind in Fotomontage eingebaut, sodass die Grenzen zwischen Schrift und Bild fließend sind. In älteren Ausgaben der 1950er und 1960er Jahre finden sich viele Schlagzeilen und Unterschlagzeilen auf dem Titelblatt, manchmal keine Titelfotos, manchmal mehrere kleine Titelfotos. Hier konkurrieren verschiedene Schlagzeilen und Nachrichten auf dem Titelblatt um Aufmerksamkeit. Die Sportnachricht ist bloß eine unter mehreren. 2006 dominieren während der Olympischen Winterspiele nur Sportnachrichten die Titelblätter. Bereits die Abfolge der Titelblätter erzählt schon ein nationales Epos. Die Abfolge der Titelblätter zeugt für den Aufbau und die Entwicklung eines drehbuchmäßigen Spannungsbogens, der vom Wechsel großer Gefühle durchzogen wird und der mit einem nationalen Happy End abschließt. Die Schlagzeilen von 2006 bestechen vor allem durch ihre große Verdichtung und den Einsatz von Metonymien, die der Sportnachricht eine weitere, meist größere, nationale Bedeutung zukommen lassen. Die vier Schlagzeilen »Große Tochter, große Söhne«, »Triumph in Rot-Weiß-Rot«, »Felix Austria« und »Heldenplatz« sind jeweils Anspielungen an nationale Mythen. »Große Tochter, große Söhne« ist erstens eine Anspielung auf die Nationalhymne, deren Text auf große »Töchter und Söhne« erweitert werden sollte (Christine Stürmer brachte auch eine Neuinterpretation der Hymne mit dieser neuen Textstelle). Damit wird der Sieg eines Sportlers und einer Sportlerin mit dem Versuch, ein modernes nationales Wir-Bild zu entwerfen, konfrontiert. Aber auch die Schlagzeilen »Felix Austria« und »Heldenplatz« spielen auf historisch wichtige Momente der österreichischen Nationalmythologie an. Die Schlagzeile »Heldenplatz« berichtet über die Ankunft des österreichischen alpinen Frauenteams in Salzburg, wo dieses von einer größeren Menge empfangen wurde. Das Titelblatt zeigt auf einem ganzseitigen Bild die vier Medaillengewinnerinnen, die in strahlender
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Pose ihre Medaillen vorzeigen. Die Schlagzeile suggeriert einerseits eine Verbindung zum Fall Schranz, der am tatsächlichen Heldenplatz in Wien von Bundeskanzler Kreisky und einer sehr großen Menschenmenge empfangen wurde. Eine Karikatur aus dem Jahr 1976 zeigt etwa den siegreichen Franz Klammer, der Prinz Eugen vom Sockel auf dem Heldenplatz stößt und diesen als »Franz der Große« einnimmt. Andererseits war der Heldenplatz eben der Platz der Nationalhelden mit dem Denkmal von Prinz Eugen, dem Helden der Türkenkriege, aber auch der Platz des triumphalen Einzugs von Adolf Hitler nach dem »Anschluss«. In diesem Sinn wurde der Ausdruck »Heldenplatz« zum Synonym für das nationalsozialistische Österreich oder das Österreich, das seine Vergangenheit nicht aufarbeiten will (siehe Thomas Bernhards Stück »Heldenplatz«). Diese Beispiele verdeutlichen, dass internationales Prestige im modernen Zeitungsjournalismus auch ethnisch konnotierte Züge aufweisen kann, indem auf eine partikulare Vergangenheit hingewiesen wird. Dennoch tritt dieses Element im Verhältnis zu einer Sprache, ohne klare ethnische oder nationalhistorische Bezüge, in den Hintergrund. Die Schlagzeilen von 1936 und 1956 lassen patriotische Anspielungen weitgehend vermissen. Hier entsteht zwar auch gelegentlich über die Synekdoche »Österreich« ein patriotischer Unterton. Außerdem hebt die Schlagzeile »… Größter alpiner Schitriumph aller Zeiten« die Bedeutung des Sieges von Toni Sailer noch besonders hervor. Dennoch fehlen noch Anspielungen auf den nationalen Mythos ebenso, wie das Element des drehbuchartigen Auf- und Abs der emotionalen Färbung.
Dramaturgie und Narration »Nationale Stimmungen« im modernen Sportjournalismus sind im Unterschied zu den Jahrzehnten davor vielschichtiger, weil der dramaturgische Aufbau der Narration komplexer geworden ist. Die Dramatisierung der »Nation« in der Olympia-Berichterstattung seit den 1970er Jahren findet in der Regel in mehreren Episoden ihren Niederschlag. Vergleicht man dagegen den dramaturgischen Aufbau älterer Zeitungsberichterstattung, so fällt dort der einfache Aufbau von Narrationen auf. a)
Die älteren Ausgaben von 1932 bis 1960
Ältere Ausgaben besitzen meist nur einen Erzählstrang (Episode). Dieser beginnt meist mit der Verabschiedung der Athleten in der Heimat als erstes Berichtsereignis. In der Ausgabe vom 1. Februar 1936 berichtet etwa die »Kleine
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Zeitung«, dass der steirische Landeshauptmann Karl Maria Stepan die steirischen Olympia-Eisschützen verabschiedet. Auf derselben Seite findet sich auch ein Artikel, der von der »Heimkehr unserer Nationalmannschaft« von einer internationalen Fußballtournee berichtet. Es wird hier erwähnt, dass das Nationalteam »fast auf jeder österreichischen Bahnstation« von vielen Menschen bejubelt und von einer großen Menschenmasse am Westbahnhof schließlich empfangen wurde. Außerdem werden die Namen wichtiger Funktionäre des austrofaschistischen Ständestaates genannt, die das Team begrüßen. Obwohl solche Berichte noch relativ selten sind, zeigen sie doch die Tendenz der zunehmenden Inanspruchnahme des Sport durch die Politik. In diesem Fall macht sich eine Diktatur den Sport zunutze. Derartige gehäufte Berichte, die Politik und Sport miteinander verbinden, finden sich allerdings in den Zeitungsausgaben vor dem Zweiten Weltkrieg selten. Dies ändert sich auch noch während der 1950er und 1960er Jahre nicht. Das Verabschiedungsthema des ÖSV-Teams vor den Olympischen Winterspielen bleibt lange Zeit der einzige Topoi, der Politiker und Sportler gemeinsam in Zeitungsartikeln erwähnen lässt. Der erwähnte Artikel zeigt vom Februar 1936 zeigt noch etwas anderes Interessantes. Der Landeshauptmann der Steiermark verabschiedet bloß die Eisstockschützen. Eisstockschießen war nicht einmal eine reguläre Olympiadisziplin, sondern nur ein Vorzeigewettbewerb. Auf die Eisstockschützen wurde noch öfters in den Ausgaben von 1936 eingegangen. Die Zeichnung eines stilisierten Eisstockschützen im Trachtenanzug und Steirerhut fand sogar Platz auf der Titelseite (aber nicht der österreichische Olympiasieger im Eislaufen Karl Schäfer!). Für das austrofaschistische Regime und vor allem für den mit dem Nationalsozialismus liebäugelnden steirischen Flügel (für den der Deutschnationalismus besonders im Vordergrund stand) eignete sich die »Ethnosportart« Eisstockschießen besonders gut für die politische Vereinnahmung. Nach der Verabschiedung folgt einige Ausgaben später die Berichterstattung der Eröffnungsfeiern bei den Olympischen Spielen. Meist wird diesem Ereignis mehr Raum gelassen als den anschließenden Artikeln über die Wettkämpfe. Dabei stehen die Leistungen der heimischen Athleten noch stärker im Vordergrund als im modernen Zeitungsjournalismus. Die Berichte über die Spiele in Garmisch-Partenkirchen 1936 befassen sich zu einem Großteil mit dem sportlichen Abschneiden der Eisstockschützen, über die bereits in der Verabschiedungsszene berichtet wurde. Sportliche Spitzenleistungen ausländischer Athleten werden hingegen kaum kommentiert, sondern bloß in Form von Tabellen und Ergebnissen den Lesern mitgeteilt. Hier treten also noch keine globalen Sportstars in Erscheinung. Im letzten Teil des einfachen Narrativs alter Zeitungen wird meist über die Heimkehr der Athleten berichtet. Auch aus dem Jahr 1936 können Artikel über den Empfang daheim durch Menschenmassen und gratulierende Stellvertreter
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Die Dramatisierung der Nation im Zeitungssport
des Ständestaates gezählt werden. Die Berichterstattung von 1956 und 1960 hält an dem einfachen Erzählmuster der 1930er Jahre weitgehend fest. Die Anzahl der österreichischen Triumphe war bei diesen Ereignissen bereits deutlich höher. Deshalb sind auch mehr Siegmeldungen in dieser Periode zu verzeichnen. Dennoch ist hier der geringe Grad an Personalisierung, Emotionalisierung und thematischer Erhöhung dieser Siege aus heutiger Sicht auffällig. Die politische Klasse erscheint in den Zeitungsmeldungen noch viel seltener als in den 1930er Jahren und den Jahrzehnten ab 1972. Hier fehlen Reportagen über das Privatleben der erfolgreichen Schifahrer wie Toni Sailer. Den ausländischen Sportlern wird zwar schon etwas mehr Raum geboten, dennoch steckte das internationale Startum erst in den Kinderschuhen. Die heute stark verbreiteten Reportagen und Berichte über Prominente und Schifahrer abseits der Pisten fehlen noch zum großen Teil. b)
Moderne Ausgaben seit den 1970er Jahren
Die Berichterstattung der Spiele von 1972 durchbricht zum ersten Mal den einfachen Erzählstrang. Man erkennt, dass nun mehrere Episoden parallel in Erscheinung treten. Der Grad an Personalisierung und Emotionalisierung der Berichterstattung nimmt merklich zu. Der Stellenwert der Olympischen Spiele wird auch erhöht, sodass aus Sicht der Zeitung dieses Ereignis Relevanz in anderen gesellschaftlichen Bereichen erhält. Die »nationale Stimmung« (oder besser gesagt: nationale Stimmungen) sind erstmals deutlich in der Zeitung zu erkennen. In der Zwischenzeit hat sich der Zeitungsstil allgemein verändert. Kommentare und Lesermeinungen erhalten viel mehr Raum in der Zeitung. Grund dafür ist erstens, dass in Österreich die Kronen Zeitung während der 1960er Jahre mit einem boulevardartigen Stil große Marktanteile eroberte. Deshalb mussten auch andere Zeitungen ihren Stil ändern. Außerdem wurden neue Methoden des Zeitungswesens aus Amerika übernommen, wie zum Beispiel der Ombudsmann in der Kleinen Zeitung oder eine emotionalisierende Aufarbeitung von Medieninhalten. Ganz besonders wichtig scheint die weite Verbreitung des Fernsehens für die Änderung des Zeitungsstils gewesen zu sein. In den Ausgaben von 1972 und 1976 wird ganz häufig auf das Fernsehprogramm verwiesen. Fernsehinhalte werden in der Zeitung reflektiert und diskutiert. In den Ausgaben von 1972 wird schon Tage vor den Olympischen Spielen in der Zeitung der Fall »Karl Schranz« emotionalisierend aufgebaut. Er bildet die durchgehende Hauptepisode der Berichterstattung über die Olympischen Spiele. Dabei ging es um einen Konflikt zwischen Schi-Industrie, FIS und den privaten Sponsoren mit den IOC und dessen Amateurklausel. Der Konflikt wurde in den Zeitungen als Auseinandersetzung des damaligen IOC-Präsidenten Avery Brundage mit dem österreichischen Favoriten Karl Schranz inszeniert.
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Schranz weigerte sich, den Richtlinien des olympischen Amateurstatus zu entsprechen und wurde daher zu den Olympischen Spielen nicht zugelassen. Die Artikel der Kleinen Zeitung steigerten diese Auseinandersetzung zu einem Konflikt zwischen IOC und Österreich. Der »Fall Schranz« erschien so als nationale Angelegenheit. »Österreich will nicht kämpfen, sondern spekuliert auf olympische Gnade« (Kleine Zeitung, Freitag 26. Jänner 1972: 40).
In der Zeitung wird die Untätigkeit der Funktionäre des österreichischen olympischen Komitees angeprangert, die Schranz angeblich nicht energisch genug zur Seite standen. Dieser Umstand wird jedoch als nationale Schwäche und Verrat gedeutet; daher auch die Synekdoche »Österreich«. Durch diese Debatte entstand bereits vor den Olympischen Spielen ein erster Spannungshöhepunkt. Die Vorberichterstattung ist somit stark von der Stimmung nationaler Empörung getragen. Einige Zeit stand ein französischer Vorschlag im Raum, wonach sich die FIS von den Olympischen Spielen ganz herausnehmen und in Frankreich eine Gegenweltmeisterschaft veranstalten sollte. Die nationale Empörung koppelte sich daher mit der Hoffnung auf französische Solidarität (zu der es nicht kam). Zusätzlich wurde in den Zeitungsartikeln die öffentliche Forderung laut, dass die restliche ÖOC-Mannschaft aus Solidarität mit Schranz ebenfalls nicht in Sapparo antreten sollte. Aber auch dazu kam es nicht, wodurch der Topos des Verrates den österreichischen Sportlern angelastet wurde. In einer weiteren Episode dieses Erzählstrangs wurde davon berichtet, dass auch anderen Sportlern der Ausschluss drohe. Die abschließende Episode berichtet von der triumphalen Heimkehr Schranz’, dessen Empfang durch Bundeskanzler Kreisky und die Menschenmenge am Heldenplatz. Außerdem wird auch vom Empfang Schranz in Graz beim großen Faschingsumzug berichtet. Die abschließende Episode zeugt von trotzigem und beleidigtem Nationalstolz. Jedenfalls spalten sich hier die Erzählstränge, wovon in einem über das weitere Schicksal der österreichischen Athleten berichtet wird und im anderen weiter über Karl Schranz. Nach dem schlechten sportlichen Abschneiden der heimischen Schiläufer wird der Topos vom »Volkszorn« in der Zeitung dominant. Trainern und Sportlern wurde gedroht, nicht bei den Bewerben anzutreten. Die Spiele von 1976 wurden in Österreich ausgetragen. Daher kam ihnen besonders viel Aufmerksamkeit zu. Jedenfalls weist auch die Berichterstattung über diese Olympischen Winterspiele mehrere verzahnte Erzählstränge auf. Hier liegt das Hauptmotiv der Erzählung zunächst in der großen Bedeutung der Olympischen Spiele für Österreich als Veranstalterland. Es wird mit Stolz berichtet, welche Ehrengäste aus aller Welt erwartet werden und welchen technischen, organisatorischen und finanziellen Aufwand diese Wettbewerbe in Innsbruck darstellen. Außerdem wurde die Hoffnung geschürt, auf heimischem
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Boden sportlich besonders gut sein zu wollen. Der Sieg von Franz Klammer in der Abfahrt am zweiten Tag der Olympischen Spiele löste die geschürte Spannung in Form von tagelangen Jubelmeldungen auf. Durch diese Berichte wird ein weiterer Erzählstrang um die Person Franz Klammer eröffnet. Klammer und dessen familiäres Umfeld wird in vielen Facetten darstellt. Die Berichterstattung der früheren Olympischen Spiele kennt ein derartiges Zelebrieren von nationalem Triumph und eines Sportstars noch nicht. Selbst die überragenden Leistungen von Toni Sailer 1956 wurden für heutige Leser erstaunlich nüchtern dargestellt, und es fehlten dabei noch alle modernen dramaturgischen Elemente. Der Haupterzählstrang – das Schicksal der weiteren österreichischen Sportler – nahm jedoch einen anderen Verlauf, da die Leistungen nicht besonders gut waren und nur wenige Medaillen gewonnen wurden. Die anfängliche Hoffnung wich einer Serie von Enttäuschungen, die in Bitternis umschlug. Am Ende ebbte die Berichterstattung schnell ab. Es ist bezeichnend, dass nicht mehr viel über österreichische Sportler berichtet wurde, sondern dass eine neue Geschichte in den Vordergrund rückte. Dabei ging es um einen DDR-Sportler, der seine Liebe in Österreich fand und sich entschloss zu bleiben (natürlich gegen den Willen seiner Regierung). Über die Spiele von 2006 wurde noch facettenreicher berichtet. Hier treten in den Phasen der Vorberichterstattung mehrere Ein – und Zweiakter als Episoden in Erscheinung. Hierbei ging es um die Kleidung der österreichischen Olympioniken und um die Sicherheitsmaßnahmen (im Zuge der weltweiten Bekämpfung von Al Qaida) in Turin. Die altbekannte einfache Erzählung wurde allerdings auch bei diesen Spielen noch beibehalten; wenn auch etwas ausgebaut. So wurde über die Vorbereitung der Sportler berichtet. Im Gegensatz zu den Olympischen Spielen von 1956, 1976 und 1972 standen nun nicht mehr nur alpine Schisportler allein im Vordergrund. Langlaufen, Biathlon oder Bobfahren werden auch als wichtige österreichische Disziplinen dargestellt, über deren Sportler ausführlich berichtet wurde. Vor allem Schispringen erscheint hier bereits als eine dem Schifahren fast gleichwertige Sportart. Auch hier wird eine nationale Tradition entworfen, etwa wenn aktuelle Siege in eine Reihe historischer Erfolge gebracht werden. Auch bei diesen Spielen wird über die Verabschiedung der Sportler – die sogenannte »Angelobung« (!) – beim Bundespräsidenten berichtet (siehe dazu die Parallele zur Angelobung der neuen Rekruten des Bundesheeres durch den Bundespräsidenten jedes Jahr am österreichischen Nationalfeiertag am Heldenplatz). Die Eröffnungsfeier nimmt auch einen wichtigen Platz in der Berichterstattung ein. Über einen positiven Beitrag der Olympischen Spiele für Völkerverständigung und Frieden berichten allerdings die Zeitungen heute nicht mehr. Dieser Topos spielt seit den 1970er Jahren kaum mehr eine Rolle. Besonders die Berichterstattung von 2006 hebt eher die Showeffekte und Sicherheitsaspekte
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der Eröffnungsfeier hervor. Weil Fernsehen und Internet bereits über alle Ergebnisse und Tabellenstände ausführlich berichteten, traten 2006 Kommentare in der Vordergrund, in denen mehr über die Bedeutung der Ereignisse als über deren Verlauf geschrieben wurde. Im Jahr 2006 lösen sich aus dem Hauptstrang der Erzählung zwei weitere größere Episoden. Die eine betrifft die aufgedeckten Dopingfälle bei österreichischen Biathleten, die andere erzählt über das ungewöhnliche Abschneiden der österreichischen Athleten. Beide Episoden überschneiden sich auch teilweise miteinander. Die Episode über den Dopingskandal wird sowohl in der Kleinen Zeitung, wie auch in der Kronen Zeitung zunächst als nationale Empörung geschildert. Hier wird dargestellt, wie österreichische Sportler und Funktionäre in einer »Nacht und Nebelaktion« aus Italien fliehen müssen, damit sie der Verhaftung entgehen können. Die Betroffenen werden als unschuldig dargestellt und Politiker melden sich zu Wort, die sich in einem nationalen Schulterschluss mit ihnen solidarisieren. Die Kronen Zeitung betitelt etwa die Ausgabe vom 20. Februar 2006 mit »Üble Razzia beim Olympia-Team. Umstrittene Polizei-Aktion gegen Nordische.« Im Politikteil (Seite 3) vom 22. Februar zitiert die Kronen Zeitung Innenministerin Prokop, die behauptete, die Doping-Kontrollen gegen die österreichischen Sportler wären in »Wild-West-Manier« durchgeführt worden. Am Titelblatt der Ausgabe zwei Tage später prangt: »Innenministerin zur üblen Kampagne bei Olympia: ›Österreich keine Doping-Nation!‹« (Kronen Zeitung, 24. Februar). Danach folgt ein Bericht auf Seite 2 über ein im Parlament noch nicht beschlossenes Anti-Doping-Gesetz. Auf Seite 3 meldet sich wieder Ministerin Prokop zu Wort: »Erfolgreiche Olympiasportler haben sich das nicht verdient!« Bundeskanzler Schüssel forderte eine »lückenlose Aufklärung« der Fälle. In der Kleinen Zeitung wird darüber spekuliert, dass Österreich von den Olympischen Winterspielen 2010 sogar ausgeschlossen werden könnte. Als die Schuld der Betroffenen immer mehr zur Gewissheit wird, rückt die Position des ÖOC stärker in den Vordergrund. Jetzt gilt es eher, den »internationalen Schaden«, der »Österreich« droht, abzuwehren. Es gilt, die »internationale Reputation« wiederherzustellen. Der Fall fand also auch Einzug in den Politikteil der Zeitungen. Mit Ausnahme des »Falls Schranz« brachte keine frühere Olympiaberichterstattung derartig massive Reaktionen politischer Eliten hervor. Im Jahr 2006 werden allerdings einige Spitzenpolitiker zitiert, die sich aufgrund der Doping-Affäre um das Ansehen Österreichs Sorge machen. Ein zweiter Hauptstrang der Erzählung befasste sich mit dem überraschend guten Abschneiden der österreichischen Sportler. Hier wird Freude und Stolz über eine Reihe von Einzelereignissen zu einer nationalen Hochstimmung stilisiert. Diese Stimmung wurde zunächst durch die Dopingaffäre unterbrochen.
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Die Siege und Medaillengewinne für österreichische Athleten hielten allerdings weiter an. Somit wurden für einige Tage beide Erzählstränge aneinander gekoppelt, indem die österreichischen Siege als trotzige Antwort auf die Anschuldigungen im Dopingfall, die nach den Zeitungsberichten dem ganzen Land galten, dargestellt wurden (so wie auch die Siege als Triumphe der gesamten Nation und nicht nur der Sportler stilisiert wurden). Bild 4: »Gold als Antwort«, Ausschnitte von Titelseiten der Kronen Zeitung und der Kleinen Zeitung, 2006
Die darauf folgende Titelseite der Kronenzeitung zeigt das Wort »Danke« in dicken Lettern geschrieben. Darunter finden sich die Bilder der österreichischen Medaillengewinner. Eine solche Seite findet sich in den älteren Ausgaben der 1970er Jahre, und davor nicht. Die Zeitung berichtet hier auf dem Titelblatt von keiner Neuigkeit mehr. Die Schlagzeile reißt nicht einmal ein relevantes Thema an. Die Zeitung wendet sich im Namen einer »vorgestellten Nationalgemeinschaft« an die Sportler und ehrt deren vorgebliche nationale Leistung. Hier nimmt also die Zeitung für sich die Funktion als nationaler Stellvertreter in Anspruch, die sich an andere nationale Repräsentanten wendet. Ganz auffällig sind auch die vielen Glückwunschinserate von Regierung und Wirtschaft, die am Ende der Olympischen Spiele 2006 in den Zeitungen Österreichs abgedruckt wurden. Man findet dort etwa ganzseitige Schaltungen von Bundeskanzler und Vizekanzler, des Verteidigungsministers, aber auch von großen Konzernen wie Telekom Austria, VISA oder Uniqa. In älteren Ausgaben finden sich keine derartigen Inserate.
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Bild 5: Werbung und politische Inserate beim »Nationensport« in der Zeitung, Zeitungsausschnitte, Kronen Zeitung 2006
Themen und Emotionen: Sieg, Niederlage und Stars Die Themen Sieg, Niederlage und der Bericht über Stars dominiert den modernen Zeitungssport. Der Bedeutungszuwachs dieser Themen zeugt von der allmählichen Übernahme von Weltkultur, bei der internationales Prestige und globale Sportstars im Vordergrund stehen. Ethnische Bezüge werden dagegen weniger betont. Die »nationale Stimmung« stellt eine wichtige Basis für die nicht weiter hinterfragte Akzeptanz von internationalem Prestige dar. Der Vergleich von Siegmeldungen der 1930er Jahre mit denen aus der Gegenwart macht deutlich, auf welchen journalistischen Vorgehensweisen die Transformation von individuellem Sieg in internationales Prestige beruht. Totum pro parte als häufigstes synekdochisches Element, durch die indivi-
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duelle mit nationalen Leistungen gleichgesetzt werden, findet sich in österreichischen Tageszeitungen bereits in den 1920er Jahren. Totum pro parte ist nicht nur ein wichtiges journalistisches Element, Zeitungsberichte kürzer und kompakter zu gestalten (sie ist oft Teil von Ellipsen). Durch diese rhetorische Figur wird auch der Athlet oder die Mannschaft zu einem nationalen Repräsentanten. Dadurch werden Niederlage oder Siege zu Kollektivereignissen. Totum pro parte vermittelt ganz unausgesprochen nationale Zuschauerloyalität und Identifizierung mit den Athleten. Vor dem Zweiten Weltkrieg war diese rhetorische Figur nur selten Element der journalistischen Berichterstattung; meist bei Fußballländerspielen. Doch auch dort wird noch viel häufiger der adjektivische Gebrauch der Länderbezeichnung (z. B. die österreichische Mannschaft) benutzt. Totum pro parte taucht auch noch in Artikeln der 1930er Jahre der vorliegenden Stichprobe eher selten auf. Vor allem bei Einzelsportarten war noch kaum von »Österreich« die Rede. Nun wird ein Bericht über einen österreichischen Olympiasieg im Jahr 1932 einem Bericht über einen solchen Sieg aus dem Jahr 2006 gegenübergestellt. Der lange und mit einer Zeichnung des Siegers versehene Bericht aus dem Jahr 1932 stellt diesbezüglich eine Ausnahme für die damalige Sportberichterstattung über die Olympischen Winterspiele von 1932 in österreichischen Zeitungen dar. Hier wurde vom Olympiasieg Karl Schäfers im Eiskunstlauf berichtet. Allerdings findet dieser am Titelblatt dieser Ausgabe keine Erwähnung. Im Artikel wird jedoch eine Triumphstimmung vermittelt, indem totum pro parte die Überschrift »Österreichischer Sieg bei den Winterspielen« gesetzt wurde.68 Im Grunde sind in diesem Artikel schon einige Elemente einer modernen olympischen Siegmeldung enthalten. Dennoch, ein Drittel dieses Artikels besteht noch aus neutraler Nachricht, ein Drittel nimmt das Bild Schäfers in Anspruch und im restlichen Teil werden Gefühle zum Ausdruck gebracht, wovon jedoch nur in einem kurzen Satz Nationalstolz angedeutet wird. Die Sprache bleibt dennoch nüchtern. Dort heißt es lapidar : »Bei der Verkündung des Sieges des Österreichers Schäfer wurde die österreichische Bundeshymne gespielt.« Der Bericht über den Olympiasieg Michaela Dorfmeisters 2006 ist dagegen viel emotionsgeladener. Der hier zur Besprechung vorliegende Artikel stammt vom Blattinneren. Auf dem Titelblatt der Zeitungsausgabe wurde der Sieg bereits triumphal als nationales Ereignis gefeiert. Der Artikel im Blattinneren ist mit zwei Fotos und biografischen und sportstatistischen Angaben zur Person der Siegerin ergänzt. Die Fotos haben symbolischen Charakter. Eines zeigt Dorfmeister in die Goldmedaille beißen, ein anderes die Siegerehrung auf dem dreistufigen Podest. Die Überschrift des Artikels im Blattinneren über den Sieg
68 Quelle: Kleine Zeitung, 11. 2. 1932, Seite 5
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Dorfmeisters lautet: »Dorfmeister setzt sich die Abfahrts-Krone auf.«69 Danach folgt eine Unterüberschrift: »Erste Goldmedaille für Österreich bei diesen Olympischen Spielen und erste Abfahrtsgoldmedaille seit Annemarie Pröll vor 26 Jahren. Michaela Dorfmeister hat mit einer Wahnsinnsfahrt den Bann gebrochen.« Auch in einem nebenstehenden Kommentar wird auf eine Verbindung zwischen Siegen Dorfmeisters und Prölls, zwischen denen 26 Jahre liegen, angespielt. Der nüchterne Nachrichtenteil ist im Hauptartikel sehr kurz. Der größte Textteil des Hauptartikels befasst sich mit den Empfindungen der Sportlerin und der Zuschauer während des Wettkampfes; z. B.: »Michi musste noch lange leiden …«. Es werden aber auch kollektive Gefühle, vor allem nationaler Art angesprochen. Das heißt, der Bericht über Empfindungen nimmt hier einen deutlich größeren Platz ein, als der über Vorgänge und Aktionen. Bedeutsam ist auch der Einsatz von metaphorischer und metonymischer Sprache, wie etwa »Abfahrts-Krone«. In der Unterüberschrift und im nebenstehenden Kommentar wird vor allem an der Bedeutungserhöhung und Mythologisierung des Ereignisses gearbeitet. Auch diese Form von Sportjournalismus gab es in den 1930er Jahren noch nicht. Hier ist etwa die Rede davon, dass Dorfmeister einen »Bann« gebrochen hätte. Das Ereignis wird also in eine Reihe früherer Ereignisse gestellt. Es entsteht somit eine Form von Tradition. Der Vergleich dieser beiden Beispiele verweist auch auf die Rolle des Sportstars. In österreichischen Zeitungen der 1920er und 1930er Jahre ist die Figur des Sportstars noch selten. Sie tritt wie hier bei Karl Schäfer meist noch sehr konturenlos in Erscheinung. Es fehlen noch die Aspekte des modernen Journalismus, der Prominenz, Tratsch und Privatleben hervorhebt. Erst die verstärkte Personalisierung der Berichterstattung bringt den Typus des Sportstars hervor. Sportstars sind heute nämlich nicht nur auf dem Feld des Sports einer Medienöffentlichkeit bekannt, sondern verkörpern auch Rollenmodelle innerhalb einer modernen »Celebrity Society« (vgl. van Krieken 2012), bestehend aus Filmstars, Musikern und den Reichen und Schönen der Welt. Sportstars werden dort jedoch nicht als überirdische Helden dargestellt, sondern als Personen, die auch Schwächen besitzen dürfen. In diesem Sinn unterscheiden sich moderne Sportstars von der Körperästhetik Leni Riefenstahls oder der moderner Comichelden, die vor allem durch makellose Ästhetik bestechen. Sie unterscheiden sich aber auch von den Helden der klassischen Nationalmythen. Diese besitzen oft göttliche Eigenschaften oder verfügen zum Teil über Zauberkräfte. Daher schrieben Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts ihren Nationen auch oft göttlichen oder quasi-göttlichen Ursprung zu. Im besten Fall konnten Könige, Regierungschefs oder Feldherren an diesen Status der klassischen Nationalhelden herankommen, indem diesen »Genie« zugesprochen wurde. So wurde 69 Quelle: Kleine Zeitung, 16. 2. 2006, Seite 57
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Napoleon etwa als neuer Vercingetorix dargestellt, als Genie der Kriegsführung. Nicht weit vom Hermannsdenkmal entfernt steht auch ein Bismarckstein! Hitler, Mussolini und einige andere faschistische Führer versuchten am Charisma von klassischen Nationalhelden anzuschließen. Das gilt auch für Stalin während des »Vaterländischen Krieges«, der versuchte, mit Hilfe Eisensteins »Alexander Newski« das Charisma dieses Helden für seinen Führerkult zu vereinnahmen. Ganz anders wird der Sportheld dargestellt, der besser als Star oder Superstar bezeichnet werden sollte. Er reiht sich viel mehr in die Gesellschaft von Filmoder Musikstars und anderer Prominenter. Das göttliche Element spielt hier kaum eine Rolle. So wurde etwa der österreichische Schifahrer Hermann Maier nach seinem spektakulären Sturz und dem darauf folgenden Olympiasieg in Nagano 1998 als »unzerstörbar« oder »unzertrümmerlich« dargestellt und bekam die Bezeichnung »Herminator«. Diese Bezeichnung ist eine Anspielung an die Filmfigur »Terminator«, eines schwer zerstörbaren Kampfroboters verkörpert durch Arnold Schwarzenegger. In gewisser Weise erscheint Meier somit auch als übermenschlicher Held – wenngleich nicht göttlich. Die Bezeichnung ist jedoch viel eher spielerisch zu verstehen und bezieht ihre Bedeutung auf die Verbindung zu Arnold Schwarzenegger. Zum einen ist der »Herminator« ein klares Beispiel für die Verstrickung des Systems von Sportstars und den Prominenten aus der Unterhaltungsbranche. Zum anderen stellt diese Namensgebung aber eine klare Brücke zu der neuartigen Symbolisierung nationaler WirBilder und Wir-Ideale auf der Ebene der banalen Weltkultur und des damit zusammenhängenden »banalen Nationalismus« dar. Die Bezeichnung »Heminator« stellt nämlich den Versuch österreichischer Medien dar, eine Verbindung zwischen Hermann Maier und Arnold Schwarzenegger aufzubauen, indem der erste als Nachfolger des zweiten dargestellt wird. Es wird also eine Reihe international erfolgreicher Österreicher konzipiert, deren Eigenschaft erstens in körperlicher Stärke und kerniger Unzerstörbarkeit besteht (Schwarzenegger ist in der österreichischen Presse die »steirische Eiche«) und zweitens im außergewöhnlichen internationalen Erfolg auf Feldern banaler Weltkultur. In diesem Sinn verkörpern diese beiden Personen eine Transformation sowohl nationaler Wir-Bilder – indem Österreich als erfolgreiches Film- und Sportland gilt – wie auch nationaler Wir-Ideale, dessen Ziel die Erweiterung der Terminator-Herminator-Reihe darstellt. Sportstars stehen nicht nur in Verbindung mit einer Weltkultur. Sie beziehen sich noch dazu auf ein weltweites Publikum und haben oft Fans in der ganzen Welt. Figuren aus klassischen Nationalmythen waren in vielen Fällen bloß Lesern aus dem eigenen Land bekannt. Sie waren Helden einer Ethnokultur, die zwischen Eigen- und Fremdgruppe, zwischen Innen und Außen sowohl perspektivisch (aus dem Fokus der Erzählung), wie auch bezogen auf Loyalitäten unterscheidet. Diese Helden sind symbolischer Bestandteil eines »Ethnozentris-
Fazit
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mus« oder wenn man multiethnische Nationen ins Auge fasst, ein »Nationszentrismus«. In der Erzählperspektive dieser Nationalmythologien bezieht sich die Loyalität des Rezipienten auf den Held, ebenso wie die Loyalität des Zuschauers oder Zeitungslesers sich auf den Sporthelden bezieht. Die Helden gelten als Verkörperungen mit Stolz verbundener nationaler Eigenschaften und Eigenheiten. In diesem Sinn sind deren Gegenspieler Symbole der entgegengesetzten Eigenschaften. Zum Beispiel Heldenmut gegen Feigheit, Offenheit gegen Verschlagenheit (oder Listigkeit), Christlichkeit gegen Heidentum etc. Die Erzählstrategie beläuft sich darauf hinaus, den eigenen Helden als dominant und die anderen als kleiner und schwächer darzustellen. Auch hier kann wieder im Sinne von Smith von »Ethnozismus« gesprochen werden. Sportliche Gegner werden in der massenmedialen Darstellung nur selten zu Zerrbildern und Verkörperungen gegensätzlicher Eigenschaften, weil auch diese in dasselbe Spiel und in dieselbe Weltkultur eingebettet sind. Sportstars unterscheiden sich von den mythischen Helden schon dadurch, dass sie über die Landesgrenzen hinaus Bewunderung erfahren. Die großen Superstars des Fußballs, wie Pele, Maradona oder Zidane wurden und werden in der gesamten fußballinteressierten Welt bewundert. Sie gelten keineswegs als Antihelden, wenn auch ihnen gewisse nationale Eigentümlichkeiten zugeschrieben werden können, wie etwa das »Verspielte« den Brasilianern Pele oder Ronaldo. In diesem Fall wird diese zugeschriebene Stereotypisierung jedoch von den Fußballinteressierten weltweit als durchgehend positiv angesehen. Dennoch bewirkt besonders die Professionalisierung des Sports, dass nationale Eigenschaften der Stars in den Hintergrund geraten. Aus diesem Grund kann einem Sportsuperstar auch Loyalität von Zuschauern aus aller Welt zukommen. Ein Fallbeispiel aus der Stichprobe: Bei den Olympischen Winterspielen 2006 gewann der Norweger Aamodt im Super-G vor dem österreichischen Sporthelden Hermann Maier. Die Überschrift zu diesem Ereignis lautet »Der Beste siegt vor dem Größten«. Aamodt wird hier Bewunderung zugesprochen und wird, wie Maier, in die Reihe außergewöhnlicher Schistars eingereiht.
Fazit Die Analyse der Zeitungsberichterstattung über Olympische Winterspiele hat gezeigt, dass die Erzeugung einer »nationalen Stimmung« erst seit den 1970er Jahren markant hervorzutreten beginnt. Davor waren Artikel noch schwach oder kaum durch Bekundungen nationaler Loyalität geprägt. Außerdem wurde gezeigt, dass die nationale Stimmung national gefärbte Loyalität und internationales Prestige bei den Lesern verstärkt. Vor allem stehen im modernen Sportjournalismus entethnisierte und weltkulturelle Inhalte im Vordergrund.
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Die Dramatisierung der Nation im Zeitungssport
Im modernen österreichischen Sportjournalismus sind sowohl Habitus (Schreibstil, Dramaturgie, Narration oder Aufmachung) wie auch der nationale Identitätsdiskurs durch die Übernahme einer Weltkultur gekennzeichnet. Die Nation wird im Zeitungssport als »gefühlte Nation« wahrgenommen, indem Leserloyalität durch journalistisch erzeugte Stimmungen stimuliert wird. Die nationale Medienstimmung tritt erst in den Ausgaben der 1970er Jahre deutlich zu Tage. Davor war Nationensport in der Zeitung emotional noch schwach besetzt. Die isomorphen Strukturen des Journalismus sorgen für die weltweite Anpassung von Stil, Aufmachung und anderen journalistischen Elementen, die wiederum die nationale Stimmung hervorbringen. In diesem Sinn ist der Nationensport in mehrerer Hinsicht an eine Weltkultur gebunden, in deren Rahmen nationale Loyalität und Wir-Gefühle ihren Ausdruck finden.
Kapitel 9 – Reethnisierung? »Nationensport« im Internet
»Er hat kein Deutschtum. Er spielt gut, aber er nimmt deutschen Spielern den Platz weg.« Jugendliche Chemnitz-Fans antworten auf die Frage, weshalb sie einen schwarzen Mittelfeldspieler aus Gabun mit »Neger raus«-Rufen beleidigten (aus: Weber-Klüve 1993: 25 – 26).
Problemstellung In diesem Kapitel wird der Fokus auf nationale Identitätsdiskurse in Internetforen gerichtet. Somit kann untersucht werden, ob Sportprestige in Verbindung mit ethnisch substanzlosen Idealen auch außerhalb des massenmedial organisierten Journalismus vorherrschend ist. Bei Foren und Blogs im Internet liegt die Vermutung nahe, dass ethnischer Partikularismus, Chauvinismus und Rassismus eine wesentlich sichtbarere Rolle spielen, als in Zeitung und Fernsehen. Weiters werden hier sportbezogene Internetforen mit solchen aus einem sportfernen Themenbereich verglichen. Dadurch soll wiederum festgestellt werden, ob Spitzensport ganz unabhängig vom Medium ethnisch substanzlose nationale Vorstellungen und Ideale fördert. Diesbezüglich erscheinen die Themenbereiche Einwanderung und Integration besonders relevant zu sein. Daher werden hier einerseits Internetforen analysiert, deren hauptsächlicher Fokus sich um die Frage dreht, ob Sportler mit Migrationshintergrund akzeptierte nationale Repräsentanten wären. Hier steht vor allem die Fußballnationalmannschaft im Mittelpunkt. Andererseits werden solche Internetforen verglichen, die Fragen von Einwanderung und Integration außerhalb des Sportbereichs zum Hauptthema haben. Hier kann wieder angenommen werden, dass die Akzeptanz von Multiethnizität in den Sportforen viel stärker ausgeprägt ist, als in Foren, die sich mit Einwanderung außerhalb des Sportthemas beschäftigen. Ob die Akzeptanz von Multiethnizität im Fernsehsport zu ihrer gesamtge-
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Reethnisierung? »Nationensport« im Internet
sellschaftlichen Akzeptanz führt, ist ungeklärt.70 Die Hoffnung, dass Spitzensport für Integration von Einwanderern symbolisch hilfreich wäre, übersieht nämlich den speziellen internationalen Wettbewerbskontext des Nationensports. Die Akzeptanz von multiethnischen Teams geht im Nationensport nämlich Hand in Hand mit »Siegprestige«, also dem Wunsch, gegen andere Nationalteams zu gewinnen. Aufgrund dieser speziellen Konstellation kommt hier eine Figuration zum Tragen, die als »interethnische Allianz« bezeichnet werden soll. Hierbei wird Solidarität zwischen ethnischen Gruppen, etwa zwischen Einwanderern und der etablierten Bevölkerung, als wichtige Voraussetzung für Erfolg im Nationensport angesehen. Dabei rückt vor allem eine Denkfigur in den Vordergrund, die aufgrund ihres utilitaristischen Gehalts hier als »Topos des Nutzens« bezeichnet werden soll. Danach werden Einwanderer als nützlich für das Land angesehen, weil durch sie sportliche Erfolge möglich werden.
Interethnische Allianz im Kontext von Staatsbildungsprozessen Für Norbert Elias stellt das Modell von Etablierten und Außenseitern eine Grundfiguration dar, wonach das Verhältnis von alteingesessenen und neu zugezogenen Familien in einer Gemeinde verstanden werden kann (vgl. Elias und Scotson 2002). Etablierte Familien weisen demnach eine stärkere Kohäsion untereinander auf als Zuwanderer. Schon aus diesem Grund beherrschen Etablierte das Gemeindeleben. Darüber hinaus jedoch erzeugt der Zuzug unter den alteingesessenen Familien den Druck, die angestammten Privilegien zu verteidigen. Daher entwickeln die Etablierten verfeinerte Lebensweisen und Verhaltenskodizes, die die Zuzügler auf Distanz halten. Etablierte trachten also danach, die soziale Ehre zu monopolisieren. Die Figuration von Etablierten und Außenseitern, die für eine Gemeindestudie entwickelt wurde, wurde allerdings auch für das Verständnis von interethnischen Beziehungen und des internationalen Zuwanderungskontexts umgelegt (vgl. Korte 1984: 261 ff.; Treibel 1990: 209 ff.; Waldhoff 1995: 17 ff.; Elias und Scotson 2002: 26; Burtscher 2009). Diese Studien verweisen darauf, dass stärker werdende Interdependenzen zwischen Immigranten und etablierten Gruppen »Ethnizität« erst erzeugen, indem auf 70 Außerdem bestehen große Unterschiede in der Frage nach der Akzeptanz multiethnischer Teams zwischen Massenmedien und einigen Zusehern auf dem Fußballplatz. Heidmeyer und Peter (1988: 159) teilen auf Grundlage empirischer Befragungen jugendliche Fußballfans mit rassistischen Einstellungen in zwei Gruppen: einerseits solche Jugendliche, die kleinere Gruppe, die Bereitschaft zeigen, sich aktiv in der rechtsradikalen Szene politisch zu beteiligen. Andererseits besitzt die Mehrheit dieser rassistischen Fans bloß Sympathien mit dem organisierten Rechtsradikalismus, bleibt allerdings weitgehend politisch inaktiv.
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Unterschiede in Sprache, Manieren und Aspekten des Körpers verwiesen wird. In einer bestimmten Weise ähnelt somit das Modell von Elias Barth’s Untersuchung von Ethnogenese (vgl. Barth 1969). Während Elias’ und Barth’s Ansätze den Prozess der Ethnogenese verstehen helfen, verweist das Modell von interethnischen Allianzen auf einen gegenteiligen Vorgang: den Abbau ethnischer Grenzziehungen und Distinktionen. Diese spezifische Form von Figuration bezieht allerdings immer den Antagonismus zu einer dritten Partei ein, d. h., interethnische Gegensätze werden zugunsten internationaler beiseite geschoben. Dadurch wird es den etablierten Gruppen möglich, Außenseiter in ein neues, umfassenderes Wir-Bild zu integrieren, weil die Angst vor Statusverlust auf der zwischenstaatlichen Ebene größer ist als die durch nachrückende Zuwanderer. Solche oder ähnliche Konstellationen sind allerdings nicht neu und bereits aus der Zeit vor den Nationalstaaten bekannt. Sowohl in der Antike, wie auch in späteren Perioden waren Allianzen zwischen Ethnien oder protoethnischen Gruppen besonders wichtig für Staatsbildungsprozesse. Im antiken Sparta z. B. führten der Peloponnesische Krieg und der Krieg gegen Theben zwar zum Abfall der messenischen Heloten, jedoch zu einer Neuregelung des Verhältnisses zu den treugebliebenen lakonischen Heloten, die nun auch in der spartanischen Phalanx dienen durften (vgl. Dahlheim 1997: 125 ff. & 227). In Athen wurde mit bestimmten fremden Zuzüglern, den Metöken, die Regelung getroffen, dass diese zwar nicht das Bürgerrecht bekommen und Grund kaufen dürfen, jedoch Steuern zahlen müssen und dadurch Rechte im Handel erhalten (vgl. Dahlheim 1997: 146). Im Römischen Reich änderte sich das Verhältnis zu den »Barbaren« dadurch, dass diese ab einem gewissen Zeitpunkt als Hilfstruppen dienten. Diese konnten daher Bürgerrechte erlangen und auf dem Boden des Reichs siedeln. Im europäischen Mittelalter gibt es viele Beispiele von ethnischen Allianzen. Im Königreich Ungarn z. B. führten Bedrohungen von außen zur Verschmelzung und Integration ganzer Volksgruppen, wie etwa die Assimilation der muslimischen Böszörm¦ny, der Kyptchaken, den ossetisch-sprachigen Jazygen (Jsz) oder Kumanen; die auch besondere Privilegien genossen (vgl. Lendvai 2001: 45 ff.). Im frühneuzeitlichen Europa erhielten bestimmte Religions- oder Volksgruppen – nicht unähnlich den Metöken – besondere Rechte und königlichen Schutz (z. B. die »Schutzjuden«). Auch dadurch entstanden etwa für die Juden fragile Allianzen mit den Herrschern, die öfters in Pogrome und Ausweisungen umschlugen. Das Milletsystem des Osmanischen Reichs unterschied sich von dieser europäischen Praxis, indem es jüdischen und christlichen Gemeinschaften (Dhimmas) dauerhaft spezielle Rechte, wie z. B. ein eigenes Rechtswe-
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sen und Gerichte zugestand.71 Die Scharia galt nur dann, wenn Juden oder Christen mit Moslems rechtliche Angelegenheiten zu regeln hatten. Erst die Tanzimat-Reformen (1839 bis 1876) veränderten den Charakter der Dhimmas, indem sie diese dem europäischen Konzept der Nation näher brachten, was vor allem im Fall der Armenier zu nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen führte. Andere Gruppen, wie etwa die Phanarioten (Griechen Istanbuls) genossen noch bis ins 20. Jahrhundert besondere Privilegien.72 Noch heute regeln formell wie informell viele Nachfolgestaaten des Osmanischen Reichs, wie etwa Jordanien, Israel, Irak, Ägypten aber auch andere Staaten wie Pakistan, Bangladesch und Iran interethnische Angelegenheiten nach den Prinzipien des Milletsystems (für Minderheiten reservierte Parlamentssitze, ethnisch segregierte Gerichte etc.). Selbst im EU-Mitglied Griechenland werden türkische und pomakische Minderheiten heute noch unter dem Einheitstitel »Moslem« als eine zusammengehörige Gruppe behandelt. Alle diese vormodernen Praxen haben gemeinsam, dass sie den »Nutzen« ethnischer Minderheiten für das ganze Land hervorheben. Wir werden sehen, dass diese alten Praktiken der modernen Einwanderungspolitik oft nicht unähnlich sind. »Waffenbrüderschaft« zwischen ethnischen Gruppen in konkreter oder übertragener Form stellt also eine wichtige Komponente von Prozessen der Staatenbildung dar. Die Nationalismusforschung ignoriert diese Tatsache allerdings oft, da sie einseitig auf die Genese des westeuropäischen Nationalstaat fixiert scheint. Dort rekrutierten sich Armeen im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert – als Konsequenz der allgemeinen Wehrpflicht – in der Regel aus Soldaten derselben ethnische Gruppe, aus der auch die politischen Eliten stammten. Daher spielten in Gesellschaften mit Volksarmeen interethnische Allianzen lange Zeit eine geringe Rolle.73 Doch selbst für die moderne Kriegsführung sind bei genauer Betrachtung interethnische Allianzen noch immer wichtig. Zum einen stellten Briten oder Franzosen bis in die 1960er Jahre noch koloniale Truppen, die wie etwa im Fall der nepalesischen Gurkhas noch immer in britischen (und auch indischen) Diensten stehen. Zum anderen rekrutieren die USA ihre Berufssoldaten vermehrt aus Personen mit Migrationshintergrund, die sich dadurch Integration in 71 Ein Millet im Osmanischen Reich war zunächst eine religiös-politisch definierte Gemeinschaft. Dabei wurden vier große Millets unterschieden: das muslimische, das griechische, das armenische und das jüdische Millet. Jedes dieser Millets umfasste somit viele Sprachgruppen, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts aufgrund westlichen Einflusses als »Nationen« zu verstehen begannen. Dieser Prozess führte zur Sprengung des Millet-Systems; vgl. Lewis (2004: 321 ff. ) 72 Viele Griechen verließen Istanbul erst durch den Pogrom von 1955. 73 Heute haben wieder die meisten europäischen Staaten reine Berufsheere. Die Zukunft wird zeigen, ob diese Berufsheere Soldaten zu einem großen Teil aus Unterschichten und Migrantenfamilien rekrutieren werden.
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die Gastgesellschaft versprechen. Im Gegenzug erhoffen etablierte Gruppen von der Pflicht des Waffendienstes befreit zu werden. In diesem Sinn findet hier ein unausgesprochener Vertrag zwischen Immigranten und etablierten Teilen der Bevölkerung statt, der lautet: Staatsbürgerschaft gegen Befreiung von lebensgefährlichen Pflichten. In westlichen Gesellschaften werden jedoch auch andere unausgesprochenen Verträge ausgehandelt. Dabei werden Einwanderer stillschweigend als dringlich benötigt angesehen, auch wenn keine entsprechende offizielle Einwanderungspolitik dazu stattfindet. Manchmal findet sogar gleichzeitig ein einwanderungsfeindlicher Diskurs statt, der solche Abhängigkeiten auf keinen Fall eingestehen möchte. Solche stillschweigenden Übereinkünfte zwischen Mehrheitsbevölkerung und Zuwanderern finden etwa bei der Altenbetreuung, den Pflegediensten oder im Bezug auf die Finanzierung des Pensionssystems statt. Auf jeden Fall fällt es der politischen Klasse in Europa schwer, den »Topos von Nutzen« hervorzuheben oder zu einer allgemein legitimierten Einwanderungspolitik zu erklären. Die Allianz mit Einwanderern bleibt oft unsichtbar, weil eben auch der kollektive Gewinn – anders als im Sport – schwer zu vermitteln ist. Einige westeuropäische Länder wollen jedoch das amerikanische Vorbild der »Green Card« imitieren, das der Einwanderungspolitik ein klareres Profil gibt, indem sie durch den Aspekt der »employability« Nutzen sichtbar macht. Die EU hat dementsprechend die »Blue Card« und Österreich die »RotWeiß-Rote-Karte« eingeführt, die je nach Gebrauch in unterschiedliche Klassen von Migranten unterteilt. Allerdings scheint der ausschließliche Rückgriff auf den »Diskurs« und dessen Analyse nicht zu genügen, um Mechanismen ethnischer Grenzziehung oder deren Auflösung zu begreifen (vgl. Wodak et al. 1999). Der »Topos von Nutzen« und »Gebrauch« ethnischer Gruppen in diesen Diskursen scheint Hand in Hand zu gehen mit den Veränderungen soziologischer Konstellation, deren Wahrnehmung erst Allianzen als nötig erscheinen lassen und nationale WirBilder verändern. Aus zivilisationstheoretischer Perspektive führen interethnische Allianzen allerdings zu einer interessanten Implikation. Die Zunahme gegenseitiger Abhängigkeiten müsste nämlich aus zivilisationstheoretischer Sicht zu mehr Sympathie, Verständnis und dem Abbau feindlicher Impulse zwischen ethnischen Gruppen führen. Dennoch erzeugt gerade die große Nähe und die gegenseitige Abhängigkeit fragile und widersprüchliche Situationen. Elias unternahm den Versuch die Fürwörterserie als Figurationsmodell zu entwerfen (Elias 1996: 132 ff.). Aufbauend auf diesen Modell kann mit der oben angesprochenen Implikation vielleicht besser umgegangen werden. Es lassen sich nämlich bedeutsame Unterscheidung in der Verwendung der Pronomen »ihr« und »sie« erkennen. »Ihr« signalisiert mehr Nähe und Vertrautheit als »sie«. Andererseits
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schafft »ihr« Distanzlosigkeit und die Gefahr, dass Konflikte und Grenzziehungen stärker emotional besetzt werden. Somit gilt noch lange nicht, dass der Abbau von Fremdheit und der Aufbau von Vertrautheit Konfliktpotentiale verkleinert oder gar Grenzziehungen obsolet macht. Viel wichtiger ist, die Bedeutung und die Implikationen des »Wir« zu begreifen, die in einer Gruppe vorherrschend sind.
Interethnische Allianzen im Sport Im Nationensport herrscht eine ganz bestimmte Form von internationaler Ordnung vor. Hier treten üblicherweise nationale und nicht ethnisch definierte Teams gegeneinander an. Die meisten souveränen Nationalstaaten der Erde sind nämlich multiethnische Gebilde und daher sind auch die meisten Olympiateams und Fußballnationalteams multiethnisch. Der multiethnische Charakter des Nationensports wird noch dadurch gestärkt, dass viele bedeutende Sportnationen wie die USA, Großbritannien, Australien und Frankreich Einwanderer in ihre nationalen Sportteams integrieren und somit eine internationale Vorbildwirkung schaffen. Im Sportbereich ist der »Topos des Nutzens« von Athleten mit Migrationshintergrund oder ethnisch fremder Zugehörigkeit jedenfalls nicht neu. Nach Angaben der New York Times schlug der Autor Arthur Canon Doyle bereits während der Olympischen Spiele in Stockholm 1912 vor, dass Großbritannien ein pan-britisches Team, bestehend aus allen »Rassen« und Gruppen Britanniens und dessen Kolonien gründen sollte. Doyle war dabei jedoch nicht von einem humanistischen Impuls getrieben, sondern vom amerikanischen Konkurrenten. Dolye schrieb: »We have the analogy of the United States before us, to the total of whose points negroes, red Indians, and Hawaiians are contribute.« New York Times, 21. Juli 1912, C4.
Doyle rechnet vor, dass die Amerikaner bloß mit der Hilfe nicht-weißer Athleten mehr Goldmedaillen als die Briten gewonnen hätten. Wenn jedoch Athleten aller »Rassen« und Völker des Empires zu einem Pan-Empire-Team zusammengefügt würden, könnte das Kräfteverhältnis umgekehrt werden. Ganz klar ist die Vorstellung von internationaler Ordnung bei Doyle geprägt von der Existenz großer, weltumspannender Imperien. Hier tritt der »Topos von Nutzen« klar in Zusammenhang mit nationalem Ruhm (d. h. imperialem Ruhm). In gewisser Weise spricht Doyle einen Tabubruch der Amerikaner an. Die USA setzten nämlich bei den Olympischen Spielen 1908 in London erstmals schwarze Athleten ein, was der damals noch vorwiegend europäischen Konkurrenz abwegig erschien. John
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Baxter Taylor Jr. etwa gewann damals als erster Afro-Amerikaner eine olympische Goldmedaille (1600 Meter Staffellauf). Die amerikanischen Erfolge von 1908 hatten vor allem die Briten schockiert, denen klar wurde, dass das Ideal des Athleten als Gentleman, des Amateursportlers aus der weißen Mittel- und Oberschicht, nicht mehr zu halten war. John Baxter Taylor war wie einige andere schwarze Sportler College-Student. Solche höheren Bildungseinrichtungen boten bereits damals in den USA ärmeren Schichten und Schwarzen den Zugang zum Profisport. Dieses System widersprach dem britischen Ideal vom Amateur-Gentlemen. Aber auch Baron de Coubertin plante die olympische Bewegung nach britischem Vorbild, und ihm schwebte mit den Olympischen Spielen eher eine pädagogische Institution für besser Gestellte vor, als ein Massen- und Profibetrieb. Für Coubertin war es selbstverständlich, dass sich die Olympischen Spiele an die Eliten der westlichen Länder richtete, die dort ihre Jugend als Repräsentanten zusammenkommen lassen sollte, um im engen Kreis von Auserwählten (Aristokratie) im gemeinsamen Spiel und Wettkampf ein gemeinsames Verständnis von Fairness und Respekt zu entwickeln. Völkerverständigung bedeutete für Coubertin nicht Massensport mit Massenpublikum, sondern eine Form von Unterricht für Eliten aus den verschiedensten Ländern. Dass es sich dabei um Weiße handelte, war für die frühe olympische Bewegung ein Selbstverständnis, wie bereits anhand der »Anthropology Days« der Olympischen Spiele von 1904 gezeigt wurde. Der Einsatz von Afroamerikanern im internationalen Spitzensport nach 1908 änderte in den USA selbst noch wenig an Rassentrennung, Rassismus und Benachteiligung der Schwarzen. Die berühmten Fälle von Jesse Owen und Joe Louis aus den 1930er Jahren zeigen, dass nationales Sportprestige auf internationaler Ebene Hand in Hand mit Rassismus daheim einherging (vgl. Mead 1985; Myler 2005). Erst allmählich, in den 1970er und 1980er Jahren, entwickelten sich mit Michael Jordan oder Carl Lewis Athleten, die nicht mehr primär als schwarze, sondern als amerikanische Sportstars gesehen wurden. Muhammad Ali war in vielerlei Hinsicht schon ein moderner Sportstar. Aufgrund seiner politischen Botschaft polarisierte er jedoch und wurde zum schwarzen Ethnosymbol. Er unterschied sich dadurch von den unpolitischen modernen Sportstars. Wenn man jedoch die USA der Zwischenkriegszeit mit anderen Nationen vergleicht, so war dort die Akzeptanz interethnischer Allianzen im Sport bereits viel ausgeprägter. Nur dadurch erklären sich auch die Loyalitäten vieler weißer Amerikaner während des Weltmeisterschaftskampfes im Box-Schwergewicht zum schwarzen Joe Louis. Die Nazis stilisierten in diesem Kampf nämlich Louis’ Gegner Max Schmeling als Vertreter der weißen Rasse und den Wettbewerb als Kampf der überlegenen Arier gegen die vermeintlichen Untermenschen. In Europa wurden zu dieser Zeit noch in vielen Ländern ethnisch segregierte Sportvereine betrieben. Das galt besonders hinsichtlich der Juden. Die Grün-
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dung vieler jüdischer Sportvereine (Makkabi-Bewegung oder die Arbeitersportvereine Hapoel etc.) und der Makkabi-Spiele (Makkabiade) seit 1932 sind einerseits Resultat des Antisemitismus, andererseits eines zionistischen Nationalismus, der die jüdische Jugend für die körperliche Arbeit beim Aufbau Palästinas vorbereiten wollte (allerdings waren diverse jüdische Sportverbände ideologisch und klassenmäßig tief gespalten). Als in Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurde eine umfassende »Arisierung des deutschen Sports« unter Ausschluss aller Juden aus den Sportvereinen vorangetrieben. Die deutschen Sportverbände vertraten am Vorabend der Olympischen Spiele 1936 in Berlin die Meinung, dass Juden und Schwarze ausgeschlossen werden sollten. Der Völkische Beobachter schrieb am 19. 8. 1932: »Neger haben auf der Olympiade nichts zu suchen, die Schwarzen müssen ausgeschlossen werden.«74
Der Antisemitismus der Nazis führte vor der Austragung der olympischen Sommerspiele 1936 zu ernsthaften Auseinandersetzungen mit amerikanischen Sportverbänden, die drohten, die Spiele zu boykottieren. Aber auch in vielen anderen Ländern fand sich massiver Rassismus im Sport. Ein besonders wichtiges Beispiel stellt Brasilien dar. Die brasilianische Nationalmannschaft ist heute auch aufgrund ihrer durchmischten Teams und Fussballstars wie die »schwarze Perle« Pele bekannt. Im Gegensatz zu den USA galt in Brasilien »Rasse« als ein weniger wichtiges Segregationskriterium als soziale Schicht. In Realität stand jedoch eine weiße Oberschicht einer farbigen Unterschicht gegenüber. Bis in die 1940er Jahre war es in Brasilien den Schwarzen nicht gestattet, im Fußballnationalteam zu spielen. Fußball und vor allem die Außenpräsentation des Landes galt als exklusiv weiße Domäne (vgl. Filho 1994; Lima 1998).75 Nach dem Zweiten Weltkrieg erzeugten viele europäische Gesellschaften den Eindruck von ethnischer Homogenität. Erst seit den 1960er Jahren, mit der Einwanderung von Fremdarbeitern veränderte sich das Bild allmählich. Das hatte allerdings erst später seine sichtbaren Auswirkungen auf Fußballnationalmannschaften oder Olympiateams. Noch dazu kam es seit den 1980er und 1990er Jahren zu einer massiven Arbeitsmigration von Athleten, die die allgemeine Einwanderung überlagerte. In Österreich erfuhren ausländische Athleten, wenn sie als nützlich erachtet wurden, schon seit längerem eine bevorzugte Behandlung durch die Behörden. 74 vgl. Krüger (1972: 33) und Stöckel (2009: 210). 75 Der brasilianische Rassismus im 20. Jahrhundert unterschied sich vom US-amerikanischen in mehreren Punkten. Zum einen gab es keine gesetzliche Diskriminierung auf der Basis von Hautfarbe in Brasilien. Andererseits scheint dort Rasse viel mehr mit sozialem Status verbunden gewesen zu sein, so dass »social witheness« wichtiger war als biologische Rassenzugehörigkeit.
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Besonders im Profifußball, also in der Fußballbundesliga (noch lange vor dem Bosman-Urteil von 1995), dem Eishockey oder der Handballliga konnten Athleten leichter als andere Immigranten entweder eine Arbeitserlaubnis oder gar die Staatsbürgerschaft erhalten. Österreich hätte ohne diese Immigranten auch in vielen Sportarten keine Spitzenteams zustande gebracht.76 Heute (2012) besteht zum Beispiel die österreichische Tischtennis A-Mannschaft der Frauen bloß aus chinesisch-stämmigen Spielerinnen. Sowohl das Herren-, wie auch das Damen-Handballnationalteam besteht großteils aus osteuropäischen Spielern und Spielerinnen. Ausländer oder Sportler mit Migrationshintergund treten auch beim Schwimmen, Basketball und vielen anderen Sportarten für Österreich an. Selbst im Wintersport gibt es Disziplinen, wo ein Land, das sich als Wintersport-Nation versteht, ohne ausländische Athleten nicht auskommen würde, wie im Biathlon oder Eishockey. Mittlerweile gibt es viele Studien, die auf den Zusammenhang von nationaler oder ethnischer Identität und dem Sport hinweisen (vgl. Cashman 1988; Jarvie 1991; Bröskamp 1994; Mangan und Ritchie 2004). Sport ist ein besonders gut sichtbares Symbol ethnischer oder nationaler Besonderheit und damit auch ein brauchbares Instrument der Grenzziehung gegenüber anderen. Kricket wurde daher zu einem Symbol englischer Identität (vgl. Maguire 1994), Baseball zu einem der amerikanischen (Dewald 2004) oder Schifahren zu einem Zeichen der slowenischen Identität im multiethnischen Jugoslawien (vgl. Kotnik 2007) und in Österreich seit den 1950er Jahren (vgl. Weiss 1997). Aber auch der Zusammenhang zwischen transnationaler Migration und Sport wurde schon untersucht, z. B. aus einer Bourdieu’schen feldsoziologischen Perspektive (vgl. Bröskamp 2009) oder auf Basis der Analyse von internationalen Sportler-Arbeitsmärkten (vgl. Maguire 1996). Für Einwanderer und vor allem für deren Kinder ist daher das Erlernen von bestimmten sportlichen Techniken und Leitsportarten eine wichtige Leistung, die eine gelungene Integration in die Aufnahmegesellschaft signalisiert. Das gilt etwa für das Erlernen von Baseball oder American Football in den USA. Die beginnende Dominanz von Fußball in den USA ist hingegen ein Zeichen dafür, dass Latinos es nicht mehr nötig haben, Baseball zu lernen (wenn sie nicht aus El Salvador, Kuba oder anderen Ländern stammen, wo Baseball ebenfalls Leitsportart ist). In Europa wiederum wird dort, wo Fußball die wichtigste Sportart ist, leichter Anschluss gefunden, denn auch in den Herkunftsländern vieler Einwanderer, wie der Türkei oder Nigeria ist dies ebenfalls der wichtigste Sport. Dort, wo andere Sportarten dominant sind, wie etwa alpiner Schisport in Österreich oder nordischer Schisport in Skandinavien stellt sich für die Ein76 Auch in der deutschen Bundesliga spielen bereits seit ihrer ersten Saison 1963/64 ausländische Spieler in einer größeren Anzahl (vgl. Weber-Klüve 1993: 28).
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wanderer eine schwierigere Ausgangslage dar. Alpiner Schisport ist besonders schlecht für Integrationszwecke geeignet und ist daher ein besonders starkes Ethno-Symbol, das Fremde von Einheimischen abgrenzt. Zum einen ist alpiner Schisport aufgrund von Ausrüstung, Liftpreisen und Anfahrtswegen teuer. Zum anderen sind die Alpen als natürliches Umfeld des Schifahrens mit Volks- und Brauchtum assoziiert. Berge stellen ein wichtiges Ethnosymbol in Österreich dar. Hier entsteht innerhalb bestimmter Einwandungsgruppen leichter das Gefühl, unerwünscht zu sein, als in der Großstadt. Daher werden auch relativ billige Sportarten, die wie Wandern oder Radfahren gerne vor dem Hintergrund einer alpinen Bergkulisse ausgeübt werden, von türkisch oder jugoslawischstämmigen Jugendlichen ebenfalls relativ selten praktiziert (vgl. dazu zum Sportverhalten von Jugendlichen in der Schweiz: Fischer 2010). Fußball ist hingegen eine städtische Sportart, die es nicht erfordert den »Schutz« des urbanen Raums zu verlassen und eignet sich daher weniger als Ethnosymbol. Fußball, Schwimmen oder Leichtathletik sind Sportarten, die an vielen Plätzen der Welt ausgeübt werden. Daher kann etwa Fußball auch in China oder Südkorea, obwohl dort andere Sportarten dominieren, zu einem wichtigen Symbol nationaler Wir-Bilder avancieren. Solche global praktizierten Sportarten ermöglichen leicht den internationalen Anschluss. Mit deren Hilfe können entfernteste Länder, politisch unbedeutende Zwerge oder gar umstrittene Gebiete ihre Zugehörigkeit zu einer gedachten internationalen Gemeinschaft demonstrieren. Die Möglichkeit zum symbolischen Anschluss an eine Weltkultur bildet auch die Grundlage für ethnische Allianzen im Sport, denn durch dieses gemeinsame Band kann es möglich werden, dass nationale Loyalität die ethnische übersteigt und somit ethnische Grenzziehungen obsolet sind.
Ergebnisse Diese Studie basiert auf der Analyse von Internetforen zum Thema Migration in den Online-Ausgaben der wichtigsten österreichischen Tageszeitungen. Diese Foren werden von den Zeitungen an das Ende des online publizierten Artikels geheftet und bieten Möglichkeit zur direkten Leserreaktion. In diesem Sinn sind Internetforen in Online-Ausgaben von Zeitungen Weiterentwicklungen von Leserbriefen. Allerdings gilt hier Mc Luhans Slogan, dass das Medium die Botschaft sei (vgl. McLuhan 1967). Poster in Internetforen diskutieren nämlich nicht nur den Inhalt von Artikeln, sondern beziehen sich in starkem Maße auf die Beiträge anderer Poster. Somit entsteht eine ganz eigene Dynamik, die sich durch die Bildung bestimmter Themen (Threads) auszeichnet, die von Zei-
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tungsredaktionen nicht geplant wurden. Internetforen stellen damit eine ganz neue Art des öffentlichen Diskurses dar.77 Die Analyse dieser Foren-Diskurse bietet dem Sozialwissenschaftler mehrere Vorteile. Sie ermöglichen einerseits die Beobachtung und Erhebung relativ offen geführter Diskussionen, zu Themen, wo bei Fragebogen-Interviews Gefahr bestehen würde, sozial erwünschtes Antwortverhalten zu bekommen. Die Anonymität der Diskussion (es erscheinen bloß Benutzernamen) erlaubt es, Rassismus und offen deklarierte Fremdenfeindlichkeit zu beobachten, weil diese auch offenherzig geäußert wird. Zweitens stellen Internetforen zusammenhängende Diskurse sichtbar dar. Dagegen ermöglicht die Analyse von Druckerzeugnissen wie Büchern, Zeitungsartikeln, Leserbriefen etc. bloß die Erfassung von unzusammenhängenden Diskursfragmenten. Die Speicherung von Internetforen gibt noch dazu über die wahre Dynamik des Diskurses Auskunft; sie stellen somit Echtzeitdiskurse in quasi zeitlich eingefrorenem Zustand dar. Das Konzept von Identität, etwa in Form von nationaler Identität erscheint auch nicht mehr als starre oder unveränderliche Angelegenheit, sondern als etwas Veränderbares. Der Forscher kann durch diese Analysen direkt beobachten, wie nationale Wir-Bilder durch medial neu geschaffene Situationen und Diskussionsdynamiken reproduziert oder verändert werden. Drittens ermöglicht die Lebendigkeit und der Echtzeit-Aspekt von Internetforen auch die Erfassung spontaner Emotionen und Affekte, die die Argumentation begleiten. Somit können Emotionen wie Schande oder Stolz beobachtet werden (vgl. dazu: Scheff 1994, der von »Masteremotions« spricht). Natürlich ermöglicht diese Methode nicht die Erhebung eines für die gesamte Bevölkerung repräsentativen Meinungsbildes. An Foren nehmen immer nur bestimmte Gruppen teil. Außerdem ist über die soziale Zusammensetzung der Forenteilnehmer so gut wie nichts bekannt und die Ethikregeln der Zeitungen, bzw. der Datenschutz verbieten auch die Weitergabe von persönlichen Daten. Allerdings ist hier Repräsentativität kein gefordertes Kriterium. Viel wichtiger ist, zu erkennen, dass Foren eine relevante öffentliche Meinung bilden (ganz analog der zu Autoren, Journalisten oder Fernsehmachern).78 Internetforen sind also wichtige Meinungsmacher, die den Mechanismus der »Schweigespirale« (Noelle-Neumann 1980) durchbrechen, indem die wahrgenommene Mehrheitsmeinung kein Veröffentlichungskriterium mehr bildet. Darüber hinaus 77 Zu den Methoden der Diskursanalyse siehe: Wodak et al. (1999), Jäger (2009). 78 Umfragemäßig erhobene Meinungen stellen nur insofern eine öffentliche Meinung dar, als dass sie von Sozialwissenschaftlern produzierte statistische Durchschnittsmeinungen darstellen, die in einem nächsten Schritt veröffentlicht werden. Daher besteht hier der Effekt, dass die Wissenschaft erst ein soziales Phänomen (d. h. eine öffentliche Meinung) erzeugt, die ohne ihr Eingreifen nicht bestehen würde.
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können Foren den Diskurs von Minderheiten abbilden, der jedoch aufgrund einer großen Leserschaft sowohl für den Zeitungsjournalismus, wie auch für die politische Klasse von einflussreicher Bedeutung ist. Klar ist, dass die Foren der verschiedenen Zeitungen (wie auch des gesamten Internets) sehr divergent sind und die Meinung bestimmter sozialer Gruppen wiedergeben. Diese Stichprobe besteht aus den Foren der Online-Ausgaben von Kronen Zeitung, Kleine Zeitung, Die Presse und Der Standard. Kronen Zeitung, Kleine Zeitung und die Presse wurden bereits im letzten Kapitel vorgestellt. Der Standard verkörpert stark die Meinung links-liberaler Gruppen und besitzt eine gewisse inhaltliche Nähe zu den Grünen. Die Erhebungsperiode war September 2009 bis April 2010. Folgende Auswahlkriterien für Foren waren wichtig:79 1) Immigration im Kontext eines nationalen Identitätsdiskurses muss den wichtigsten Strang der Diskussionen (threads) bilden. 2) Foren zu einem Thema müssen mehr als 50 Postings besitzen.80 3) Sowohl sportbezogene Foren, als auch Foren zur allgemeinen Immigrationsdebatte sollen berücksichtigt werden. Sportbezogene Foren sind solche, die im Anschluss an einen Sportartikel meist auf die berichteten Ereignisse referieren. Die andere Kategorie von Foren bezieht sich auf Zeitungsartikel über Immigration oder Asylbewerber, die keinerlei Berührung mit dem Thema Sport besitzen. Aufgrund dieses Vergleichs soll festgestellt werden, ob aus Sicht der Poster unabhängig von der Zeitung und ihren Lesern Nationensport einerseits Personen mit Migrationshintergrund sympathischer erscheinen lässt und andererseits das Konzept von Willensnation adäquater erscheinen lässt.
79 Alle in dieser Erhebung gefundenen Foren sind in Anhang A aufgelistet. Insgesamt wurden bei dieser Erhebung, die vom 15. September 2009 bis zum 30. April 2010 stattfand und sich auf die Zeitung Der Standard, die Presse, Kleine Zeitung und Kronen Zeitung bezog, 46 Foren gefunden werden, die diesen Kriterien entsprechen. Zusätzlich wurden sieben weitere Foren in den ausländischen Zeitungen Guardian, The Times, Blick, Bild Zeitung und Süddeutsche Zeitung erhoben. Alle 53 vorliegenden Foren umfassen insgesamt 8450 Postings, die einzeln mit Hilfe des Computerprogramms »Hyper-Research« ausgewertet wurden. Davon waren 49 Prozent politikbezogene und 51 Prozent sportbezogene Foren. Anhang A gibt einen Überblick der Themen, die für den nationalen Identitätsdiskurs in österreichischen Foren relevant waren, wieder. 80 Die Anzahl der Postings aus Der Presse war geringer als 50, daher wurde dieses Forum nicht weiter berücksichtigt. Die Kleine Zeitung wiederum nahm schon nach kurzer Zeit ihr Forum zum allgemeinen Migrationsthema vom Netz, weil viele Postings, wie zu lesen war, den Anforderungen der Netiquette nicht entsprachen. Sie waren also vermutlich rassistisch, fremdenfeindlich und abwertend gegenüber Immigranten. Das gilt – wie noch zu zeigen sein wird – auch für die Poster der Kronen Zeitung. Diese wurden allerdings im Netz belassen!
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Tatsächlich wurde ein sport-gebundenes, wie auch ein sport-fernes Thema gefunden, die sich miteinander gut vergleichen lassen. Noch dazu wurden beide Themen zur gleichen Zeit (November 2009) diskutiert und zufälliger Weise standen bei diesen jeweils ein 17-Jähriger/bzw. eine 17-Jährige mit Migrationshintergrund im Mittelpunkt der Debatten, nämlich der Fußballer David Alaba und die kosovarische Asylsuchende Arigona Zogaj. In den Foren wurde allerdings nicht nur über diese beiden Jugendlichen diskutiert, sondern auch über andere konkrete Personen mit Migrationshintergrund oder über Immigration ganz generell. Außerdem setzten sich diese Debatten of direkt mit verschiedenen Österreich-Selbstverständnissen, bzw. nationalen Wir-Bildern auseinander. Im Mittelpunkt der Foren über David Alaba (kurz: Alaba-Foren) stand dessen Aufnahme als erster schwarzer Spieler in das österreichische Fußballnationalteam. Alabas Mutter stammte von den Philippinen, der Vater, ein DJ, aus Nigeria. David Alaba wuchs in Wien auf. Der Spieler war schon zum Zeitpunkt seiner Nominierung für das Nationalteam einer fußballinteressierten Öffentlichkeit in Österreich bekannt. Er galt als größtes Fußballtalent des Landes. Fernsehen und Zeitungen berichteten immer wieder stolz darüber, dass David Alaba in der Nachwuchsmannschaft von Bayern München spielte. Nun kursierte in diesen Wochen das Gerücht, dass Alaba theoretisch auch für das deutsche Nationalteam nominiert werden könnte. Er müsse dafür nur die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen. Um dem zuvorzukommen, wurde der noch jugendliche Spieler für ein Länderspiel nominiert. Nach UEFA-Statut kann nämlich ein Spieler, der bereits für ein Land gespielt hat, nicht mehr für ein anderes spielen. Von vornherein ergab sich somit im Fall David Alaba das Bild von einer Person mit Migrationshintergrund, der Österreich im Ausland ruhmreich repräsentiert (nämlich als Spieler von Bayern München) und auf keinen Fall dem Land verloren gehen dürfe. D.h., hier zielte die massenmediale Aufbereitung bereits implizit auf den »Topos von Nutzen« ab. Bild 6: »Alaba wunderbar.« Bildschirmfoto aus einer Sportsendung des Privatsenders ATV (12. 7. 2010)
Der Bericht fokussiert auf die Vorbereitung zum Fußballländerspiel Österreich gegen die Schweiz. Ein Insert ist mit den Worten: »Alaba wunderbar« eingeblendet. Der
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Moderator sagt: »Und Didi Constantini [Nationaltrainer] wird wieder auf unseren jüngsten Teamspieler setzen: ›Alaba wunderbar‹. So bejubelt Deutschlands Boulevardpresse den österreichischen Jungstar. Der 17-jährige zog mit den Münchnern [Bayern] ins Champions League-Viertelfinale ein und stellte mit seinem Debüt als jüngster Bayern-Spieler in der Königsklasse einen weiteren Rekord auf.«
Arigona Zogajs Fall ist komplex und bedarf einer kurzen Einführung. Über ihn wurde damals in den Medien häufig berichtetet. Die Berichterstattung zu diesem Fall wurde schon medienwissenschaftlich untersucht (vgl. Herczeg 2010: 176 ff.). Die Kronen Zeitung spielte ein sehr aktive Rolle, weil sie die Asyldebatte mit ihrer Berichterstattung aufheizte. Ihr Artikel vom 12. November – deren Postings hier analysiert werden – kündete die Abschiebung Arigona Zogajs in den Kosovo an, noch bevor die Betroffene den offiziellen Bescheid dafür zugeschickt bekam. Aufgrund eines hetzerischen und emotionalisierten Journalismus verwundert es nicht, dass von den 522 Postings der Stichprobe 212 vom ArigonaForum der Kronen Zeitung stammen.81 Die Vorgeschichte des Falls beginnt im Jahr 2001, als der Vater von Arigona Zogaj illegal nach Österreich geflüchtet war und keine Aufenthaltsgenehmigung bekam.82 Im Jahr darauf kam mit der Hilfe von Schleppern die Familie des Mannes ins Land. Der Vater stellte nun einen weiteren Aufenthaltsantrag für die ganze Familie, der jedoch auch abgelehnt wurde. Danach wurde ein Einspruch gegen diesen Bescheid ebenfalls abgelehnt. Auf dieselbe Weise wurde auch zuungunsten des Antrags der Mutter im Jahr 2003 entschieden. Ein Jahr danach konnte die Familie allerdings einen Teilerfolg erzielen, weil ihre Abschiebung solange aufgeschoben wurde, bis der Verfassungsgerichtshof über einen weiteren Einspruch zum Urteil erster Instanz entscheiden sollte. Allerdings wurde auch diesmal der Einspruch als ungültig entschieden. Danach versuchte die Familie eine »Erstniederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen« zu erreichen, die jedoch im Jahr 2007 ebenfalls nicht genehmigt wurde. In der Zwischenzeit ließ sich die Familie in einer kleinen oberösterreichischen Gemeinde nieder, der Vater fand eine legale Arbeit und die Kinder besuchten Kindergarten und Schule. Arigona lernte fließend Deutsch, beherrschte den regionalen Dialekt und knüpfte Freundschaften. In den Augen vieler galten die Kinder als gut »integriert« in das Gemeindeleben. Im Jahr 2007 – Arigona war mittlerweile 15 Jahre alt – bekam der Fall öffentliche Aufmerksamkeit, nachdem ein weiterer Abschiebebescheid ausgestellt wurde. Gemeindemitglie81 Man muss sich vor Augen halten, dass in der Regel die Anzahl der Postings in Sportforen, vor allem zu Fußballländerspielen, die nicht-sportbezogenen Themen übersteigt. Hier wurde allerdings eine sehr hohe Anzahl an Beiträgen in einem nicht-sportbezogenen Thema festgehalten. 82 Einzelheiten zum Fall von Arigona Zogaj sind in Wikipedia nachzulesen; siehe: http:// de.wikipedia.org/wiki/Arigona_Zogaj, zuletzt abgerufen 3.4. 2012.
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der und Schulfreunde organisierten eine Unterschriftencampagne und der Gemeinderat entschied einstimmig, sich für den Verbleib der Familie Zogaj auszusprechen. Dennoch wurde die Polizei geschickt, Vater und Geschwister wurden in den Kosovo abgeschoben und Arigona Zogaj tauchte, wie sich später herausstellte, beim örtlichen Pfarrer unter. Nur der Mutter wurde gestattet in Österreich zu bleiben, um ihre Tochter suchen zu können. Aus diesem Grund wurde der Fall zu einem wichtigen Politikum, der selbst die österreichische Innenpolitik erfasste. Der damalige Innenminister Günter Platter (ÖVP) verteidigte nämlich die Polizeiaktion. Die Kritik wurde noch lauter, als Arigona einen Brief und anschließend ein Video veröffentlichte, in denen sie drohte, sich umzubringen, falls der Vater und die Geschwister nicht wieder zurückkehren dürften. Nun intervenierte die oberösterreichische Landesregierung bei der Bundesregierung und es wurde beschlossen, eine weitere Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in dieser Sache abzuwarten. In der Zwischenzeit wurde Mutter und Tochter gestattet zu bleiben. Arigona sollte ihren Schulabschluss in Österreich machen dürfen. Jedoch wurde auch diese politische Entscheidung des Innenministers scharf kritisiert, weil bekannt wurde, dass der Verfassungsgerichtshof erklärte, dass auch ein Bleiberecht aus humanitären Gründen geltend gemacht werden könne. Das lehnte der Innenminister allerdings ab. Im Mai 2008 unternahm die Mutter einen Selbstmordversuch und darauf hin wurde ihr und Arigona gestattet, noch etwas länger in Österreich bleiben zu dürfen. Im November 2009 spaltete der Fall von Arigona Zogaj bereits die politische Öffentlichkeit des Landes. Für die einen verkörperte sie das Beispiel einer geglückten Integration, aber auch einer verfehlten und unmenschlichen Einwanderungspolitik. Andere wiederum verstanden – wie auch aus den analysierten Posting hervorgeht – die Selbstmorddrohung als Erpressung gegenüber dem Staat (wahrscheinlich sehen sie die adäquate Rolle von Immigranten und Asylsuchern als passiv, wohingegen Arigona Zogaj Forderungen formulierte). Hier finden sich nicht nur Argumente der Abgrenzung gegenüber Arigona Zogaj oder anderen Asylsuchenden. Es findet sich auch Hass und Zorn gegenüber privilegierten Gruppen. Darunter fallen Vertreter der Katholischen Kirche, Menschenrechtsgruppen, Journalisten, Anwälte, Grüne oder »Gutmenschen.« Diese inländischen Gruppen werden aus Sicht vieler Poster als Verbündete von Immigranten gesehen; sie sind in der Diktion einiger »Volksverräter«.83 Diese doppelte Abgrenzung gegenüber einerseits Asylsuchenden und andererseits privilegierten Gruppen gibt Aufschluss über ein besonderes Bild der eigenen 83 So verweist z. B. die Plakataufschrift: »Volksvertreter statt EU-Verräter« aus dem Jahr 2008 auf den Topos des »Volksverräters«. Die Plakate »Sie sind gegen IHN, weil er für EUCH ist« aus den Jahren 1994 und 2008 spielen ebenfalls auf den Topos des Verrats durch Eliten an (der natürlich von Jörg Haider oder H.C. Strache als Robin Hood gerächt wird).
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Nation, die viele der Forumsteilnehmer besitzen. Sie sehen das Land nicht als funktionierende Gemeinschaft, sondern als ein Gemeinwesen, dessen Zusammenhalt nicht gewährleistet ist. Eigentlich vertreten die meisten Poster das nationale Wir-Ideal einer ethnisch reinen Gemeinschaft, das jedoch aufgrund mangelnder Solidarität der Eliten permanent vereitelt wird. Die nächste Tabelle fasst die Postings in den Foren zusammen. Die Spalteneinteilung unterscheidet sowohl Arigona-, wie auch Alaba-Foren der jeweils beiden Zeitungen. In den Zeilen werden drei hauptsächliche Argumentationstypen unterschieden: xenophile, xenophobe und solche, die bloße leistungsbezogene Kritik an Personen mit Migrationshintergrund (das waren immer Sportler) äußern. Hierbei wurden alle 522 Forumsbeiträge durchgelesen und nach dem Schema der Grounded Theory (vgl. Strauss und Corbin 1996) einer genauen Vercodierung unterzogen. Die Tabelle spiegelt die feinere Unterteilung in weitere xenophile und xenophobe Argumentationstypen der Poster in den Foren wider. Bei der Kategorie der »xenophilen Argumentation« werden positive und befürwortende Wortmeldungen gegenüber Immigranten oder Immigration im Allgemeinen gezählt. Darunter fallen in den Arigona-Foren sympathisierende Argumente gegenüber Arigona Zogaj, deren Famile und andere Asylsuchende. Hier werden aber auch sympathisierende Wortmeldungen gegenüber Arbeitsmigranten oder anderen Personen mit Migrationshintergrund in diese Kategorie gerechnet. In den Alaba-Foren werden unter »xenophiler Argumentation« sympathisierende Wortmeldungen gegenüber David Alaba und anderen Nationalspielern mit Migrationshintergrund gezählt. In diesen Foren tauchen aber auch sympathisierende Wortmeldungen gegenüber Fußballspielern mit Migrationshintergrund im Vereinsfußball, anderen Sportlern mit Migrationshintergrund und der Einwanderung im Allgemeinen auf. Auch sie werden in diese Kategorie gezählt. Die »xenophile Argumentation« wurde aufgrund der systematischen Auswertung in sieben Unterkategorien oder Topoi unterteilt: Der Topos der Verteidigung (meist als Reaktion auf Angriffe); der Topos des geäußerten Schamgefühls über die Fremdenfeindlichkeit anderer Poster ; der des Stolzes auf Immigranten; der des »Nutzens« von Immigranten für das Land; der der aktiven Hilfe gegenüber Immigranten; der der Kritik gegenüber politischen Institutionen (wie z. B. Behörden, Gerichten, Parteien oder »der Politik«), die für das Leid der Immigranten (z. B. aufgrund der langen Verfahren) verantwortlich gemacht werden. Schließlich gibt es hier noch den Topos der offenen positiven Identifizierung und der Zuneigung zu Immigranten. Bei der »xenophoben Argumentation« nehmen Poster eine ablehnende Stellung gegenüber Immigranten oder Immigration im Allgemeinen ein. Hier wurden vier Unterkategorien gebildet: Der Topos der ungehemmten Abneigung,
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der aus Beschimpfung, bösartiger Ironie oder Schadenfreude gegenüber Immigranten besteht; der Topos von »Neutralisierungsargumenten«, wonach die angegriffenen oder beschimpften Immigranten nicht als Opfer, sondern als Täter dargestellt werden. Weiters gibt es hier ebenfalls den Topos der Kritik an politischen Institutionen. Solche werden allerdings in diesem Kontext als Verbündete von Immigranten gebrandmarkt. Schließlich gibt es auch noch ethnonational abwertende Argumente, die auf Basis eines ethnischen Chauvinismus andere Ethnien generell schlecht darstellen. Die nächste Tabelle verrät, dass xenophile Sprechakte in den Alaba-Foren beider Zeitungen vorherrschen (in 82,7 bzw. 90,6 Prozent aller Postings). Vor allem der »Topos des Nutzens« wird hierbei am häufigsten vertreten (in 43,7 bzw. 42,3 Prozent aller Postings). In den Alaba-Foren beider Zeitungen sind nur wenige xenophobe Argumente anzutreffen. D.h., im sportbezogenen Fall gibt es zwischen den Poster-Gruppen beider Zeitungen große Übereinstimmungen in Bezug auf die Bewertung von Immigranten, Immigration und eines multiethnischen Nationsbildes. In den Arigona-Foren herrscht dagegen eine Polarisierung zwischen den Poster-Gruppen beider Zeitungen vor. Im Standard-Forum sind mehrheitlich xenophile Argumente anzutreffen (in 69,3 Prozent aller Postings). Hier steht das Argument der Kritik an politischen Institutionen im Vordergrund. Die Anzahl xenophiler Poster ist jedoch geringer als im Alaba-Forum derselben Zeitung. Im Arigona-Forum der Kronen Zeitung stellten hingegen nur eine Minderheit (13.3 Prozent aller Postings) xenophile Argumente dar. Damit unterscheiden sich dort die Poster-Einstellungen zwischen den beiden Foren in erheblichem Ausmaß. Im Arigona-Forum der Kronen Zeitung stehen xenophobe Argumente eindeutig im Vordergrund (in 86,7 Prozent aller Postings); vor allem ungehemmte Antipathie und »Neutralisierungsargumente«. Man gewinnt den Eindruck, dass bei den Arigona-Foren unter den Postern der beiden Zeitungen unterschiedliche nationale Wir-Bilder und Konzepte nationaler Wir-Ideale vorherrschen. Bei den Postern der Zeitung »Der Standard« gibt eine größere Gruppe Schamgefühle aufgrund der fremdenfeindlichen Hetze gegenüber Arigona Zogaj zu bekennen. Außerdem üben viele Poster dort Kritik an Behörden, Parlament und Regierung aufgrund von Gesetzen und Verfahren im Fremden- und Asylrecht. Diese Wortmeldungen weisen darauf hin, dass im Standard-Forum zum Fall Arigona Zogaj ein stärker an das Konzept von Willensnation angelehntes Ideal vorherrscht. Diese Vorstellung von Nation wird von den meisten Postern im Kronen-Zeitungs-Forum abgelehnt. In den Arigona-Foren sind darüber hinaus alle Argumentationen – unabhängig von ihrer xenophilen oder xenophoben Natur – mit Ethnizität verbunden. Das heißt, die ethnische Zugehörigkeit der zur Debatte stehenden Person mit Migrationshintergrund wird stets hervorgestrichen. Im Fußball-bezogenen
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Beispiel ist das allerdings in 17,3 Prozent aller Postings im Standard und in 5,9 Prozent aller Postings in der Kronen Zeitung nicht der Fall. Hier wurde über Nationalspieler mit Migrationshintergrund ohne deren ethnische Etikettierung diskutiert. Fast immer wurde dabei deren spielerische Leistung wie die von Spielern ohne Migrationshintergrund evaluiert und kritisiert. Dieser Topos verweist auf ein implizites Normalitätsverständnis von multiethnische Nationalteams. Er verweist darüber hinaus auf das unausgesprochene Selbstverständnis, dass solche multiethnischen Nationalteams eine legitime Außenpräsentation Österreichs darstellen. Tabelle 2: Argumentationstypen (Topoi) zu Migration und Migranten in den Internetforen von Standard und Kronen Zeitung (in Prozent) Arigona-Foren Standard Kronen Zeitung verteidigend (gegenüber Immigran- 9,2 11,3 ten) Schamgefühl über Xenophobie 11,6 0,5 Stolz auf Person (internationaler Kontext) 3,9 1,5 xeno- Person ist wichtig für das Land phil (»Topos des Nutzens«) helfend 3,8 0,0 Kritik an politischen Institutionen 40,8 0,0 positive Identifizierung oder Zuneigung zu Immigranten Alle xenophilen Stellungnahmen 69,3 13,3 ungehemmte Abneigung 6,9 31,6 Neutralisierungsargumente 21,5 40,8 xenoKritik an politischen Institutionen 2,3 14,3 phob ethnonational abwertend Alle xenophoben Stellungnahmen 13,7 86,7 leistungsbezogene Kritik an Person GESAMT (n=522); Kronen Zeitung: n=297; 100 100 Standard: n=225). (n=138) (n=212) Argumentationstypen im Diskurs über Zuwanderer und Immigration (Topoi)
Alaba-Foren Standard Kronen Zeitung 0,0 14,1
24,1
5,9 21,2
43,7
42,3
14,9
7,1
82,7
90,6
0,0 0,0 17,3 100 (n=85)
3,5 3,5 5,9 100 (n=85)
Im Folgenden werden nur die Beträge der Poster der Kronen Zeitung beispielhaft besprochen, weil gerade dort die Kontraste zwischen den Foren besonders groß waren. Unverkennbar nehmen aggressive und ablehnende Impulse im ArigonaForum der Kronen Zeitung überhand. Über 31 Prozent der Postings im ArigonaForum der Kronen Zeitung, aber nur etwa 7 Prozent im Forum des Standards können als »ungehemmte Abneigung« klassifiziert werden. Solche Form von
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Abneigung äußert sich oft durch kurze ironische Wortmeldungen, wie etwa in folgenden Beispielen: »AUF WIEDERSEEEEEHN! AUF WIEDERSEEEEEEEEHN !!! AUF NIMA WIEDESEEEEEEEEEHNNN !!«84 »mir fällt nur ein wort ein ›adieu‹ !!!« »Und Tschüss!« »winke winke« Poster U:85 »Poster X.86gebe dir voll und ganz recht. die schönste und beste Nachricht seit langem. HURRA sage ich da nur. Die Mutter und die Geschwister haben bei uns auch nix verloren, also gehören die auch gleich mit. AUF NIMMER WIEDERSEHEN-ARIGONA !! können wir nur hoffen, das die nicht sich noch einen Blödsinn einfallen lässt um die Abschiebung raus zuzögern.« Poster Y: »Hoffentlich bringens die Abreise im TV. Können Sie von mir aus die ganze Woche Wiederholen.«
Die Freude des nächsten Posters ist Schadenfreude. Er spielt einerseits darauf an, dass Ausländer durch Heirat mit Österreichern das Bleiberecht im Land erhalten. Anderseits meint dieser Poster mit dem Begriff »soap« (soap opera: episodisches und fiktionales Fernsehformat), dass die Betroffenheit und die Traurigkeit Arigonas bei öffentlichen Auftritten nur gespielt wäre, dass sie also eine gute Schauspielerin ist, mit der sich Geld machen lässt.
84 Alle Forumsbeiträge werden in dieser Arbeit in der Originalfassung wiedergegeben. Die Wortmeldungen werden weder nach orthographischen oder grammatikalischen Fehlern verbessert dargestellt, noch wird ihre häufig durch Dialekte geprägte Alltagssprache durch ein Schriftdeutsch bereinigt. Die Wiedergabe der sprachlichen Originalfassung hat mehrere Vorteile. Erstens weist sie in manchen Fällen auf die soziale und bildungsmässige Herkunft der Poster hin. Zweitens gibt sie den emotionalen Gehalt einerseits der Konversation zwischen den Postern und andererseits der Reaktion auf die Zeitungsmeldung wieder. Drittens stellt der Gebrauch von Dialekt oder Alltagssprache in manchen Fällen gerade eine bewusst gesetzte Information dar (um sich etwa abzugrenzen), die durch die sprachliche Bereinigung unterschlagen werden würde. 85 In dieser Arbeit wird durch das Voranstellen des Benutzernamens vor dem Beitrag signalisiert, dass hier Poster X, Y, 1, 2 etc. den Beitrag verfasst hat. In den Foren wird dies unterschiedlich gekennzeichnet. Meist wird Benutzername, Datum und Uhrzeit der Veröffentlichung eines Beitrages als Kopfzeile vorangestellt. 86 »Poster X« stellt in Internetforen die Konvention der Anrede dar. In diesem Fall wurde von Poster U Poster X angesprochen; d. h. dieser Beitrag bezieht sich auf einen bereits früher veröffentlichten Betrag von Poster X. Die originalen Benutzernamen der Poster wurden hier in Poster X, Y, 1, 2 … verändert.
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Poster Z: »Poster Y.87 gute idee, ich werde sie heiraten, wir machen dann eine soap draus, und ich verdiene mich dumm und dämlich!«
Die Floskel »Baba und foi net« (Auf Wiedersehen und fall nicht) im nächsten Posting ist der Ausdruck gehässiger, ungehemmter Schadenfreude. Es handelt sich dabei um eine aus dem Kontext gelöste Anspielung aus einem Lied des Austropop-Barden Georg Danzer (ebenfalls mit dem Titel »Baba und foi net«). Dieser Sprechakt besitzt aufgrund seiner Anspielung auf einen Austropop-Song ethnosymbolische Konnotation, da sie nur von Insidern, d. h. in der Regel Österreichern, verstanden wird. Der Austropop – vor allem der der 70er und 80er Jahre – gilt heute als eigentümlicher Ausdruck österreichischer Kultur. Gerade der Gebrauch der Dialektsprache und die Rezitation dieser in einem Posting stellt eine Symbolisierung ethnischer Zugehörigkeit des Sprechers dar. »Ba, ba und foi net…… Die einzige Frechheit an der Gelegenheit ist doch, dass diese ›Erpressungsaktion‹ der Familie Zogaj und ihren ›Vasallen‹ so lange angedauert hat. Wo kommen wir denn hin, wenn jeder der will in Österreich ›einmaschiert‹, alle Negativbescheide ignoriert und noch die Grüne Werbetrommel rührt? Natürlich ist es viel bequemer sich in’s gemachte Bett zu legen, aber der Platz in Österreich ist halt leider beschränkt, also sollten sich die Zogajs in ihrer Heimat nützlich machen.«
Hier werden die Asylanten, also die Familie Zogaj, als die wirklich Mächtigen dargestellt, die über »Vasallen« (die Grünen?) verfügen und die in Österreich »einmarschieren«. Asylanten sind aus dieser Sicht nicht schwach und keine Opfer. Ganz deutlich wird hier auch gemacht, dass sich die Zogajs nicht in Österreich, sondern in »ihrer Heimat« nützlich machen sollten. Also gilt, dass sie hier nicht von Nutzen sind. Manchmal kommt ungehemmte Abneigung auch durch die Äußerung von Freude über die Nachricht ihrer Abschiebung zum Ausdruck. »Die schönste Nachricht seit langem. Es ist schon richtig dass sie sich eingelebt hat, fragt sich nur wie und wozu. Das Leben hat sie nun vor sich, mit einer guten österreichischen Ausbildung in ihrer wahren Heimat, wo ich ihr und ihrer Familie auch alles Gute wünsche.«
Immer wieder vermischt sich diese Schadenfreude mit Wut über das selbstbewusste Verhalten von Arigona Zogaj, vor allem über ihre öffentlich gemachte Selbstmorddrohung. »Na endlich!! Und hoffentlich wirklich endgültig. Es geht NICHT nur um diese kleine Göre. Es geht um die Folgewirkung. Einmal nachgegeben was kommt dann nach? Es erpressen ohnehin schon viel zu viele Nichtwillkommene unseren Staat. Hungerstreik, 87 Hier antwortet oder bezieht sich Poster Z auf den oben bereits abgedruckten Beitrag von Poster Y.
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Suiziddrohungen immer wieder neue Asylgründe, die Vielfalt ist fast unendlich. Also ist es nur richtig,dass Menschen die nicht bei uns bleiben können gehen müssen. Gerade bei Arigona gab es genug Negativbescheide. Alle ignoriert. Also ab nachhause.«
Hier wird das Motiv angesprochen, dass der Staat und damit auch »Österreich« von Asylanten nicht erpresst werden dürfe. Ganz deutlich wird dabei die Auffassung, dass die Gewährung von politischem Asyl einen Gnadenakt seitens des Gastlandes darstellt und dass in einem derartigen Kontext keine Forderungen gestellt werden dürfen. Der Asylsucher im allgemeinen und Arigona Zogaj im speziellen werden also nicht gerade unter dem »Topos des Nutzens« gesehen. Schadenfreude und Ironie als Sprechakttypen verweisen auf emotionale Distanz und De-Identifikation mit der Person. Die Schamlosigkeit dieses Ausdrucks weist jedoch nicht nur auf das ethno-nationale Wir-Bild der Poster hin. Vielmehr demonstrieren diese Sprechakte die Abwesenheit universeller oder gruppenübergreifend verbindlicher Normen, die dafür sorgen, dass eine solche Argumentation der Selbstzensur zum Opfer fallen würde. »och wie arm die arigona. SO EIN TAG; SO WUNDERSCHÖN WIE HEUTE; SO EINEN TAG VERGESS ICH NIE! aber erst wenn sie wirklich im kosovo ist, und die mutter auch mit muss.
Sprachlich drückt sich die De-Identifikation mit der Person auch durch deren Verdinglichung oder Entmenschlichung aus. »Diese Nachricht ist die schönste seit langem.Hoffentlich wird der Abschiebebescheid auch vollzogen, doch soll uns ihre Mutter wie die Made im Speck erhalten bleiben? Wenn sie auch noch einen Funken von Ehrgefühl hat, packt sie ihre restlichen zwei Kinder und führt freiwillig mit.«
Die Wendung »wie eine Made im Speck« bringt nicht nur zum Ausdruck, dass die Asylanten Besitz und Wohlstand des Gastlandes vertilgen, sondern verweist auch auf deren Entmenschlichung aus der Sicht des Sprechers. Arigonas Mutter ist hier kein Mensch, sondern ein Tier, ein Parasit oder Schädling für die Allgemeinheit. Die Metonymie des Wortes »Made« schließt also ganz vehement den »Topos des Nutzens« aus. Viele Postings zeugen von solcher sprachlichen Entmenschlichung, wie etwa das nächste, in dem »Ausländer« (als verallgemeinernde Gruppe) zu »Schweinen« gemacht werden: »Die meisten Leute haben ja keine Ahnung wie sich die meisten Ausländer in Österreich aufführen! Tags über machen sie einen netten Eindruck, aber in der Nacht randalieren und raufen sie nur! Selbst wenn wer am Boden liegt, hören sie nicht auf! Naja wer mir nicht glaubt, sollte mal wieder Fortgehen! Außerdem schön unser Geld kassieren und dann über Österreich schimpfen, normalerweise gehören diese Leute in einen Flieger und wieder zurück zum Absender! Diese Schweine! Entschuldigt meine Ausdrucksweise.«
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Dieser Poster führt eine weitere Form xenophober Argumentation in das Forum ein. Er verweist auf Gründe für die geäußerte Ausländerfeindlichkeit. Ausländer (wieder als Pauschalkategorie) würden das Gastrecht in Österreich verletzen. Vielleicht machen sie oberflächlich einen guten Eindruck, doch »in der Nacht« zeigen sie ihr eigentliches, asoziales Gesicht. Diese Form des Arguments verrät die Angst des Sprechers (die in Wut überschlägt) vor Integration. Auch wenn die Integration glückt, d. h., auch wenn sich der Fremde in Sprache, Kleidung und Lebensstil an das Gastland anpasst, bleibt er aus der Sicht der Einheimischen ein Fremder. Interessanterweise verrät dieses Posting und weitere ähnliche Meldungen, dass sprachliche Aggression und Enthemmungen durch Strategien der Rechtfertigung neutralisiert werden. Ähnliches haben Sykes und Matza (1957) schon vor Jahrzehnten bezüglich Gewalt und kriminellem Verhalten festgestellt, indem sie vier »Techniken der Neutralisierung« (techniques of neutralization) unterschieden: 1) Leugnung des Unrechts (der Tat); 2) Leugnung des Opferstatus; 3) Verdammung derjenigen, die Verdammnis der Täter aussprechen und 4) Entmenschlichung der Opfer. Der zweite und vierte Punkt wurden bereits besprochen. Schlussendlich wird die Schuld für die Ausländerfeindlichkeit den Ausländern in die Schuhe geschoben. Alle diese Argumente, Strategien der Neutralisierung, unterscheiden sich von ungehemmter Abneigung gegenüber Ausländern. Die Anwendung von Techniken der Neutralisierung verweist nämlich auf das Vorhandensein von rudimentären Hemmungen aggressiver Impulse gegenüber Fremden. Auch der Dialog zwischen den nächsten beiden Postern spricht zunächst ein Neutralisierungsargument an. Hier werden Österreicher zu den Opfern der Ausländerhetze erklärt, weil sie hilflos gegen den Zuzug von Ausländern wären. Poster 1: »Was auch schlimm ist, das eine einzige Göre einen Zeitungsbericht bekommt, nur weil sie Post bekommen wird! Ich meine nur das es mich dann nicht wundert das wir in Österreich nichts gegen Ausländer tuen können, wenn die Zeitungen uns Österreicher dann als Menschenfeindlich und Rassisten bezeichnen! Und diese Arigona oder wie sie heißt, wird bestimmt nicht abgeschoben, weil sie sich wieder irgendwo versteckt!« Poster 2: »Sachlich nüchtern bleiben in dieser Sache. Man müsste die Gesetze nur ordentlich anwenden und durchführen. Nicht immer vor den »Gutmenschen« und den Medien in die Knie gehen. Aber wer will kann sich ja gleich einen mit nach Hause nehmen und ihn aushalten, am besten gleich adoptieren. Den wird er dann nimmer los.«
Das Argument der Neutralisierung von Poster 1 ist mit einer bestimmten ethnonationalen Konnotation, bzw. mit einem bestimmten Verständnis von »Volk« verbunden. Poster 1 gibt zunächst den Zeitungen die Schuld, dass sie einer
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»Göre« so viel Gehör schenken; d. h. mehr als der gemeinten Wir-Gruppe des Autors. Diese Wir-Gruppe (»wir in Österreich«) spielt auf das Bild des »kleinen Mannes« als Verkörperung des »Volks« an. Dieses »Volk« wird in einer solchen Argumentation den Eliten gegenüber gestellt. Diese wären in der Regel nicht immer loyal zu ihrem »Volk«, sondern schenken »Gören« (frechen Mädchen), d. h. Ausländern mehr Gehör als den eigenen Leuten. Schließlich spielt diese Bedeutung von »Volk« auch eine wichtige Rolle in der Argumentation rechtspopulistischer Politiker, die führende Gruppen anklagen, die Interessen des »Volkes« zu verraten (der Text eines Plakats der FPÖ aus dem Jahr 2012 zur Eurokrise lautet etwa: »Dem Volk sein Recht«). In diesem Fall sind zunächst die Medien die »Verräter« (im Jargon des Rechtspopulismus: »linkslinke Journalisten«). Poster 2 weitet diese Gruppe noch auf die »Gutmenschen« aus. Das ist ein Kampfbegriff, der sich auf verschiedene Gruppen und Individuen anwenden lässt, die eben im ironischen Sinn deshalb »gut« sind, weil sie Ausländern helfen. Der Begriff des »Gutmenschen« impliziert sowohl Naivität, wie auch Verrat, der mit dieser Hilfe einhergeht. Naivität deswegen, weil die »Gutmenschen« das wahre, bzw. böse Gesicht der Ausländer (wie oben bereits angesprochen) nicht wahrhaben wollen. Der Topos der Naivität des »Gutmenschen« kommt etwa in folgendem Posting zum Ausdruck. Poster 3: »Poster 2. Haha, ja das würde auch das Weihnachtsgeschäft im Handel ankurbeln. Würde mir einen DVD Recorder mit Endlosschleife kaufen und die Gutmenschen bräuchten Taschentücher und Antidepressiva.«
Ein »Gutmensch« ist in der Regel ein Angehöriger aus führenden Schichten, höher gebildet, höheres Einkommen und weltläufig. Jedenfalls lebt ein solcher nicht dort, wo die Ausländer leben. Daher hat derjenige Recht, den »Gutmenschen« abzukanzeln, der unter Ausländern leben muss und diese dadurch wirklich zu kennen meint. Ein »Gutmensch« begeht daher auch Verrat, weil er sich für die Anliegen der Fremden einsetzt, wo doch das eigene »Volk« auch Hilfe benötigen würde. Poster 1 aber meint, dass Arigona bestimmt nicht abgeschoben werden wird. Irgendwer wird ihr wieder helfen! Dabei ist der Pfarrer gemeint, der Arigona schon einmal Unterschlupf gewährte. In diesen und ähnlichen Postern treten eine Reihe von Gruppen und Individuen auf, die Inhaber überlegener Positionen sind und die das »Volk« auf die eine oder andere Weise verraten. Das sind etwa die genannten Medien, die »Gutmenschen«, die katholische Kirche, die Politiker (vor allem die »Grünen), die Wirtschaftstreibenden (die ausländische Billigarbeitskräfte brauchen) oder Anwälte, die allerlei Tricks kennen, die Abschiebung herauszuzögern. Poster 2 erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich oder verwirrend. Der Autor, der zunächst zur Sachlichkeit mahnt, nennt genau diese Gründe des Verrats, um anschließend ein an und
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für sich absurdes Bild zu zeichnen, das aber bloß dieses Gefühl der Aussichtslosigkeit des deklassierten Volkes gegen die vermeintlichen Intrigen der Eliten zum Ausdruck bringt. Daher treten in diesem Forum auch entschlossene Politiker, die sich für ein härteres Durchgreifen bei Asylmissbrauch oder für die Abschiebung von Asylanten einsetzten, oft als Rächer oder Retter des Volkes auf. Kurz, die Bedeutung von »Volk« in dieser Gebrauchsweise ist der ursprünglichen Intention Herders und des romantischen Nationalismus nicht unähnlich, zumal in Deutschland das »Volk« dem Adel (der »französisiert« war) gegenübergestellt wurde. Als im Oktober 2009 der 17-jährige David Alaba als erster schwarzer Fußballer in die österreichische Nationalmannschaft nominiert wurde, haben sowohl Massenmedien, als auch Foren-Autoren dieses Ereignis (zeitgleich mit dem Fall Arigona) aufgegriffen. Vor allem die Poster der Kronen Zeitung verbanden die Nominierung Alabas mit der Immigrationsdebatte und dem Diskurs über die österreichische Identität. Mit Ausnahme weniger Beiträge äußerte sich die Mehrheit der Poster positiv und wohlwohlwollend sowohl zu Alaba, wie auch zu anderen österreichischen Spielern mit Migrationshintergrund. Im Gegensatz zu den Politikforen fällt hier ein starker Bezug auf international geltende Normalitätsvorstellungen auf. Der erste Einsatz Alabas erfolgte in einem Länderspiel gegen Frankreich. Viele Autoren verwiesen auf die multiethnische Zusammensetzung des erfolgreichen französischen Nationalteams. Dieser Hinweis auf eine international praktizierte Normalität ließ rassistische Stimmen verstummen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass im Gegensatz zu den ArigonaForen die Unterschiede der Einstellung der Poster gegenüber Personen mit Migrationshintergrund und die dahinter liegenden nationalen Idealvorstellungen zwischen den Foren der einzelnen Tageszeitungen nur in einem geringen Ausmaß voneinander abweichen. Während bei den Arigona-Foren zwischen Standard- und Kronen Zeitungs-Postern beträchtliche Unterschiede im Ausmaß von Xenophobie und Sympathie mit Immigranten bestanden, ließen sich solche Divergenzen in den Sportforen kaum festmachen. Die Unterschiede sind klein, jedoch bezeichnend. In der Kronen Zeitung neigen viel mehr Poster zu deutlichen Bekundungen von Antirassismus. Das erscheint zunächst sowohl im Lichte der Arigona-Debatte, als auch der allgemeinen Erfahrung mit Leserbriefen aus der Kronen Zeitung überraschend. Die Erklärung liegt offensichtlich darin, dass in Kronen Zeitungs-Foren Antirassismus eine erklärungsbedürftige Angelegenheit darstellt. Poster in der Kronen Zeitung sind sich offenbar bewusst, dass ihre Sympathien mit Alaba und anderen Spielern mit Migrationshintergrund nicht mit der Stimmung in den anderen Foren dieser Zeitung in Einklang stehen. Die größte Kategorie der Alaba-Foren stellt der Topos dar, dass der oder die Migranten für das Land wichtig wären. Dieser Topos geht oft auch einher mit einer Verteidigung der Person vor ausländerfeindlichen Angriffen. Die Vertei-
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digung des Opfers ist zwar auch in dem Arigona-Forum der Kronen Zeitung bei 11,3 Prozent der Postings ein Motiv. Im sportbezogenen Forum sind Argumente der Verteidigung jedoch wesentlich ausgeprägter. Sie führen vor allem dazu, dass Rassismus und Xenophobie eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Verteidigungen im Arigona-Forum der Kronen Zeitung tauchen vereinzelt auf und sind weitgehend nicht untereinander abgestimmt. Im Alaba-Forum beziehen sich die Poster, die Argumente der Verteidigung vorbringen, dagegen nicht nur aufeinander, sie verwenden auch noch ähnliche Argumente (was diese gewichtiger erscheinen lassen). Im nächsten Beispiel ist zu erkennen, dass dieser Typ von Verteidigung nahtlos an einen anderen anschließt, nämlich den des Heraufbeschwörens eines gemeinsamen Feindes. Nun gilt es die Reihen zu schließen, Kritik an den Spielern und spezielle Fremdenfeindlichkeit zu unterlassen, da Alaba und andere wichtige Ausländer Waffenbrüder wären. »Wenn der Alaba wüsste welche rassischtische Scheiße (siehe anderes Forum) hier gegen Ihn von vielen seiner sog. »Landsleuten« niedergeschrieben wird, dann würd er vermutlich lieber für jedes andere Land auf der Welt spielen. P.S. Die Piefkes brauchen Ihn aber nicht, wir haben einen guten, erfolgreichen Nachwuchs!! Und uns ist egal, ob weiss, schwarz …..!«
Interessant ist natürlich, dass die Verurteilung von Rassismus Hand in Hand geht mit Ethnophaulismus (d. h., einer abwertenden Bezeichnung für eine ethnische Gruppe). Das pejorative exonymische Ethnonym »Piefke« steht sowohl für emotionale Distanz zu den Deutschen, wie auch – in diesem Fall – für einen ungeliebten Konkurrenten, gegen den jeder Vorteil recht ist. Der Chauvinismus dieser Sorte wird im nächsten Beispiel noch deutlicher. »lasst den alaba kurz spielen. dann schauen die piefkes durch die finger. de wollen ja alles.«
Der pejorative Begriff »Piefke«, entstanden nach der Schlacht von Königgrätz (1966) und Ausdruck eines anti-deutschen Selbstbewusstseins, ist in Österreich weit verbreitet. Das siegreiche preussische Militär ließ den Komponisten und Dirigenten Gottfried Piefke in Gänserndorf bei Wien aufmarschieren und in demütigender Weise den »Königgrätzer Marsch« spielen. Zunächst wurde der »Piefke« zum Symbol des verhassten Preußen, und mit den Stereotypen des Kriegerischen, Steifen, Besserwisserischen und Humorlosen versehen. Im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts weitete sich diese Bezeichnung allmählich auf alle Deutschen außerhalb Bayerns aus (bzw. aller nicht-bairisch (mit »i«!) Sprechenden). Seit den 1970er Jahren ist der Begriff Teil eines austriakisch-ethnischen Selbstverständnisses, das sogar Einzug in die öffentliche Kultur fand. Der »Mundl«, Hauptfigur der beliebten österreichischen Fernsehserie »Ein echter Wiener geht nicht unter« (1975 – 1979), sagt etwa: »Die Piefke muaß ma mit’n
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Oasch ins Gsicht foahn«.88 Eine der erfolgreichsten Fernsehserien in Österreich hieß »Die Piefke-Saga« (1990 – 1993). Drehbuch und Regie führte der bekannte Autor Felix Mitterer. Hier wurden nicht nur die »Piefkes« als Urlauber in Tirol vorgeführt, sondern auch die Tiroler selbst. Sie wurden als verlogen, gierig und die Freundschaft zu den Gästen vortäuschend dargestellt. In der österreichischen Populärkultur tritt der »Piefke« heute in vielerlei Hinsicht in Erscheinung. Der bereits erwähnte Liedermacher Georg Danzer sang halb trotzig, halb ironisch etwa in »Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat« (im Album »Große Dinge«, 1995):89 »Mia san a klanes Land, a demokratischer Staat’ owa Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat und wann de Piefke kumman, si im Urlaub erhol’n dann kriagn’s kane grüne Bohnen, sondern imma no Fisoin«
Der Deutsche Dirk Stermann von der Kabarett-Gruppe »Stermann & Grissemann« legte sich »Piefke« als Selbstbezeichnung zu, wobei ein ironisierender und gesellschaftskritischer Effekt entsteht. Stermann erklärt bei der Präsentation seines Buches über das deutsch-österreichische Verhältnis »Sechs Österreicher unter den ersten fünf«, dieses aus der Sicht eines »Piefkes« geschrieben zu haben, der seit 1987 in Wien lebt. Somit unterscheidet sich der Begriff »Piefke« vom englischen »krauts« oder dem holländischen »Mof« insofern, als mit ihm in der Regel keine offene Feindschaft verbunden ist, sondern eine Form von trotziger Schadenfreude. Diese tritt auf, wenn Deutsche in Schwierigkeiten geraten oder ein Fußballmatch verlieren. Daher gilt bei Fußballweltmeisterschaften und Europameisterschaften, an denen Österreich üblicherweise nicht teilnimmt, die Zuschauerloyalität vieler Österreicher immer dem Gegner der deutschen Mannschaft. Überhaupt gilt in Österreich ein Sieg gegen Deutsche im Sport und speziell im Fußball (in letzter Zeit praktisch nur im Vereinsfußball der Europa League) als besonders prestigereich. Der letzte Sieg einer österreichischen Nationalmannschaft über eine deutsche in Cordoba (Argentinien) bei der Weltmeisterschaft 1978 wurde zu einer Art Nationalmythos, der praktisch jedem Österreicher unter dem Synonym »Cordoba« bekannt ist.90 In diesem Kontext wird die Aufregung um 88 Dieses Zitat zirkuliert im Internet und findet sich z. B. in Youtube. Man hört hier nur die Originalstimme von Josef Merkatz, siehe: http://www.youtube.com/watch?v=06oviYKNDGQ, zuletzt aufgerufen am 2. Juni 2012. 89 siehe: http://www.youtube.com/watch?v=VWN-8GZSwNI, zuletzt abgerufen am 2. Juni 2012. 90 Teil des Mythos ist die Radiostimme des Moderators Edi Finger sen. und des Jubelsatzes nach dem Siegestor : »Tor, Tor, i wer’ narrisch«. Bezeichnender Weise wird heute der Orginalradioton mit dem Fernsehbild zusammengeschnitten (d. h., der originale Fernsehton ist längst schon in Vergessenheit geraten). Einer jüngeren Generation sind Fernsehbilder nur mehr in
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den »Fall Alaba« verständlicher. Viele Poster sahen auch die Gefahr, dass Alaba zukünftig für Deutschland spielen könnte (das wurde aber von deutscher Seite niemals ernsthaft in Erwägung gezogen). Die nächsten Beispiele sind Teil einer Diskussion zwischen neuen Postern, die hier als Poster 1 bis Poster 9 bezeichnet werden. Es dreht sich dabei um die Frage nach »echten« Österreichern als nationale Repräsentanten im Sport. Poster 1: »WAS mich interessiert – wieviel echte ÖSTERREICHER spielen denn da noch im ÖSTERR. FUSSBALLTEAM – bei HYPO SÜDSTADT im DAMEN HANDBALL war ja jedes MITTEL zum ERFOLG RECHTum LEUTE einzubürgern – natürlich RASCH und UNBÜROKRATISCH und SICHER! Poster 5: ja genau, die wollten gar nicht englisch reden, geschweige denn deutsch»
Poster 1 meint, dass im international erfolgreichen österreichischen Damen Handballteam Hypo Südstadt eigentlich so viele osteuropäische Spielerinnen spielen, dass diese Mannschaft nicht mehr als »österreichisch« zu bezeichnen wäre. Poster 1 meint noch dazu (sich auf Poster 5 beziehend), dass diese osteuropäischen Spielerinnen weder Deutsch noch Englisch lernen wollen. Dasselbe gelte auch für das Fußballnationalteam. Schuld daran wären die raschen Einbürgerungsverfahren für ausländische Sportler. Im Gegensatz zum ArigonaForum der Kronen Zeitung werden solche Meinungen im Alaba-Forum sofort von mehreren Postern gekontert. Poster 2: »Poster 1. echte Österreicher sinds alle. sind zum großteil alle da geboren bzw. 1 – 2 sind seit der kindheit da. eingebürgert wurde kein einziger (womit dein vergleich mit hypo südstadt schon mal für die wurscht ist). und natürlich gibts noch genausoviele die einen deutschen namen haben (darauf wolltest ja hinaus. wobei das mit dem ›deutschen‹ namen in Österreich so eine sache ist, wer hat den schon?).«
In diesem Sport-Forum stellt sich die Frage nach dem echten Österreicher anders, als bei den üblichen Einwanderungsdebatten in den Online-Foren der Kronen Zeitung. Im Sportkontext wird das ethnische Element, z. B. die Sprache oder der Name, heruntergespielt. Poster 2 unterscheidet etwa zwischen Sportlern als transnationalen Arbeitsmigranten, die bei Gebrauch eingebürgert werden können, und Sportlern mit Migrationshintergrund, die schon lange in Österreich wohnen oder sogar geboren wurden. Dieser Poster spricht auch noch den Umstand an, dass aufgrund des k.& k. Vielvölkerstaates viele Österreicher sowieso »slawische« Wurzeln besäßen, was an den Familiennamen gut zu erdiesem speziellen Zusammenschnitt als »invented tradition« bekannt; siehe: http:// www.youtube.com/watch?v=4Jr0H8nnRgs, zuletzt aufgerufen am 2. Juni 2012.; in ironisierter Version von Stermann & Grissemann: http://www.youtube.com/watch?v=EWJ3x82nXhE, zuletzt aufgerufen am 2. Juni 2012.
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kennen wäre. Im Übrigen wird dieses multikulturelle Element in Österreich auch oft als Ethnosymbol ganz eigener Art begriffen, mit Hilfe dessen leicht eine Grenzziehung zu Deutschland hergestellt werden kann. Dieses Argument ist daher auch interessant, weil es – wie hier gezeigt wurde – nicht nur als Grenzziehung zu Deutschland, sondern auch als Abwehr von Einwanderungsfeindlichkeit herhalten kann. Dadurch, dass die eigentliche österreichische Eigenart als multikulturell konstatiert wird, bedeutet die moderne Einwanderung bloß die Fortsetzung der historisch immer schon gegebenen Durchmischung, die schließlich auch das Goldene Zeitalter der Wiener Moderne begründete. Somit wird Ausländerfeindlichkeit in einem gewissen Sinn mit Deutschnationalismus gleichgesetzt und richtet sich somit auch gegen die FPÖ und die Tradition des »Dritten Lagers«. Poster 3: »Poster 1. schon mal geschaut, wieviel ›echte‹ Franzosen bei unserem heutigen Gegner spielen? Engländer, Deutsche, Holländer usw. Glaubst du man verzichtet auf einen Ibrahimovic oder damals Zidane, nur weil ein paar Nationalisten dagegen sind?«
Poster 3 bringt nun eine andere Argumentation ins Spiel, um Poster 1 zu entgegnen. Dieser Poster verweist auf eine wahrgenommene internationale Normalität, wonach in allen großen Fußballnationen Spieler mit Migrationshintergrund in den Nationalteams spielen. Poster 2: »Poster 3. aber ich fürchte fast, dass man in diesen ländern viel viel weiter ist als in Österreich. unglaublich wieviele hier ein problem haben, dass ein farbiger im kader ist. bei manchen kommentaren kommt einem da nur das grausen.«
Das Element von internationalem Vorbild und dessen Imitation ist von besonderer Bedeutung. Poster 2 meint, dass solche Länder »viel weiter« seien als Österreich und weist auf eine Auslegung von Fortschrittlichkeit und Modernität hin, die mit Multikulturalität und der Fähigkeit zur Integration von Ausländern in die eigene Nation einhergeht. Die Vorstellung von nationaler Zugehörigkeit, die dieser Poster für anstrebenswert hält, entspricht am ehesten dem Konzept von »Willensnation.« Ganz ähnlich argumentiert auch Poster 5: Poster 5: »Poster 1. Was soll denn ein ›echter« Österreicher sein? Sag mal sind wir Österreicher echt den anderen staaten soweit hinterher das man solch dumme fragen stellen kann? Regt sich wer in frankreich, holland, england, deutschland etc. darüber auf ? Ein echter Österreicher ist wenn er in Ö geboren wird, egal ob schwarz weiß, grün, blau…»
Weder der Begriff von »Willensnation« (civic nation) noch der von »Kulturnation« (ethnic nation) wird in den Foren von den Postern explizit verwendet. Dennoch finden beide Konzepte implizit ihre Anwendung. »Willensnationen«,
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also Länder, die aus der Sicht der Poster Zuwanderer relativ problemlos integrieren und bei denen Nationalspieler mit Migrationshintergrund als »normal« erachtet werden, gelten als fortschrittlich. Keiner der Poster reflektiert freilich etwa die kritische Perzeption von multiethnischen Teams des rechten Lagers in Frankreich. Die Vorstellung von nicht mehr weiter problematisierter »Normalität« multiethnischer Teams in führenden Fußballnationen entspricht dabei eher einem nicht überprüften Idealbild. Dennoch ist bezeichnend, dass eine solche Form von Ideal oder internationaler Normvorstellung vorherrscht und mit »Fortschritt« in Verbindung gebracht wird, wohingegen fast zeitgleich die Poster derselben Zeitung im Fall Arigona das Konzept von »Kulturnation« vertreten. Hier wird hingegen eine ethnonationale Vorstellung nationaler Zugehörigkeit als engstirnig und rückständig betrachtet. Es wird implizit dem Konzept von »Willensnation« gegenübergestellt. Im Kontext des Nationensport erscheinen durch solche Diskurse »Kultur-« oder »Ethnonationen« als »Verlierer« der Globalisierung. Sie werden als Gemeinschaften betrachtet, denen die Fähigkeit abgesprochen wird, mit der Entwicklung der modernen Welt stand zu halten. So wird etwa von vielen Ungarn oder Serbien bewertet. Ein modernes und fortschrittliches Land gestaltet nach dieser Sichtweise hingegen eine nationale Gemeinschaft über ethnische Schranken hinweg. Sie holt sich Spezialisten aus der ganzen Welt für spezielle Aufgaben im Kontext internationaler Konkurrenz. Der Fußball verkörpert diese Sichtweise, indem Erfolg mit Multiethnizität gleichgesetzt wird. Diese einfache Formel findet weder im ArigonaForum noch in vielen weiteren Diskursen über Einwanderung außerhalb des Sportbereiches eine breite Anhängerschaft. Im Fußball hingegen gelten Länder wie Frankreich, England und Holland als erfolgreich. Sie sind Fußballnationen und deren hohe spielerische Kapazität hängt sichtlich mit fremdethnischen Spielern zusammen. Zenedin Zidane wurde etwa auch für österreichische oder deutsche Jugendliche ein Star. In Österreich war wohl der Kroate Ivica Vastic der erste fremdethnische Fußballstar, der auch Nationalspieler wurde. Poster 3: »Poster 2: naja, der Autor 1 hat ja mal geschrieben das er aus dem Profifußball kommt *ggg* wahrscheinlich hat ihm der Alaba den Platz im Team weggenommen … ;)«
Der sarkastische Vermerk von Poster 3, der sich an Poster 2 richtet, dass Poster 1 Profifußballer gewesen wäre, stellt einen weiteren Hinweis darauf dar, dass nicht ethnische Zugehörigkeit, sondern Leistung das bestimmende Kriterium für Zuschauerloyalität darstellt. Poster 4: »Kommentare ohne Rassismus sind in diesem Forum fast unmöglich, schade«
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Poster 4 steht für einige Poster, die Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in Zusammenhang mit Sport bedauern und ablehnen. Poster 6: »Hoffentlich lässt Constantini den Alaba für ein paar Minuten spielen,damit er einen ATeam Einsatz auf seinem Konto verbucht und er somit nur mehr noch für Österreich spielen kann. Denn wen schon die deutschen Experten von seinem Supertalent schwärmen, liegt es doch auf der Hand, dass sich die Piefkes den Alaba für sich unter den Nagel reissen !!«
Poster 6 spricht an, dass Alaba wirklich gebraucht wird. Hier wird wiederum die Zweischneidigkeit des Anti-Rassimus in den Sportforen deutlich, der mit Chauvinismus einhergeht. Der Autor möchte ja nicht, dass sich die »Piefkes« Alaba »unter den Nagel reißen.« Damit wird wieder das antideutsche Motiv aktiviert, dass Deutschland alles für sich beansprucht. Aber auch hier ist der Chauvinismus im doppelten Sinn ambivalent, denn der Poster spricht auch an, dass »schon die deutschen Experten« von Alaba »schwärmen«. Die Deutschen sind aus dieser Sicht nicht nur jene, gegen die man sich wehren sollte, sondern auch anerkannte Experten, deren vermeintliche Expertise als besondere Anerkennung aufgefasst werden sollte. Poster 7: »Also ich drück unseren Kickern die Daumen! Hoffe Sie verkaufen sich gut! Lassts die dummen Sprüche und konzentrierts euch auf den Fußball und nicht welche Hautfarbe ein Österreicher hat.« Poster 8 [dem Benutzernamen nach ist dieser Autor weiblich]: »Ist doch eigentlich voll egal welche Hautfarbe ein Fußballer hat! Hauptsache er ist gut und spielt für Österreich! Währe euch lieber der Alaba spielt für Deutschland und haut uns irgendwann mal einen rein! Dann sind genau diese Leute die heute dagegen sind die die schrein warum er nicht für uns spielt! Hauptsache Österreich gewinnt. Wie, Wo, Wann und mit welcher Hautfarbe ist egal!!! Long Live Österreich! Auf gehts Burschen Kämpfen und Siegen!! usw…, usw……«
Poster 7 und Poster 8 machen den utilitaristischen Standpunkt des »Topos von Nutzen« besonders deutlich, indem ausgesprochen wird, was das wichtigste Ziel ist, nämlich Sieg. Daher geht unter dieser Prämisse Siegprestige vor allem anderen! Autor 8 spielt allerdings wieder auf den Anti-Deutschland-Reflex vieler Poster an. In diesem Sinn schließt sich auch Poster 9 dem Siegprestige an. Poster 9: »Ich verstehe manche Diskussionen gar nicht. Erstens kann ein Spieler nur für ein anderes Land spielen wenn es von diesen anderen Land die Staatsbürgerschaft hat. Zweitens ist doch scheiss egal welche Hautfarbe ein Spieler hat oder welche Nationalität seine Eltern hatten. Hauptsache er spielt gut und er spielt für unser Österreich.«
Interethnische Allianzen, Nationsbildungsprozesse und Sport
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Interethnische Allianzen, Nationsbildungsprozesse und Sport »Interethnische Allianzen« bilden eine Grundfiguration von Staats- und Nationenbildungsprozessen, die jedoch bisher weitgehend ignoriert wurde. Die Analyse zeigt, dass Fremdenfeindlichkeit in den sportbezogenen Foren nur eine geringe Rolle spielt. Hier werden Athleten mit Migrationshintergrund als nützlich für das Land im Kontext internationaler Prestigekämpfe gesehen. Diese Haltung des Publikums im Nationensport kann jedoch nicht als ein gangbarer Weg zu einer allgemein akzeptierten Integration von Einwanderung betrachtet werden. Außerhalb des Bereichs des Nationensports kann die Nutzbarmachung von Immigranten als Verbündete im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf mit anderen Ländern nur sehr schwer vermittelt werden. »Interethnische Allianzen« sind hier kaum sichtbar. Dieser Punkt wird jedoch von vielen noch nicht gesehen, die weitgehend unreflektiert Sport als anwendbares Mittel zur Integration von Zuwanderern sehen. Hierbei wird nämlich die Figuration von »interethnischer Allianz« nicht berücksichtigt, weil übersehen wird, dass auch die Aufnahmeländer Teil einer größeren Konstellation von konkurrierenden Nationalstaaten darstellen. Aber auch innerhalb des Sports ist das integrative Potential von »interethnischen Allianzen« beschränkt. So kann der ausbleibende Erfolg von Sportlern mit Migrationshintergrund nicht nur zu einem Verlust von Zuschauerloyalität führen, sondern schnell in Fremdenfeindlichkeit umschlagen. Außerdem konnte gezeigt werden, dass das Argument, im Zuwanderer einen sportlich Verbündeten zu sehen, oftmals mit Rassismus und Chauvinismus gegenüber anderen Nationen einhergeht. Dennoch bieten »interethnische Allianzen« eine gewisse Grundlage, die Ausgrenzung von Zuwanderern zu überbrücken und ein ethnisch umfassendes nationales Zugehörigkeitsgefühl zu erzeugen. »Interethnische Allianzen« weisen auf die allgemeine Tendenz der Entethnisierung von Sport hin. Die Untersuchung von Internetforen hat auch gezeigt, dass nationale WirBilder, die durch Fernsehen und Zeitung erzeugt werden, nicht unbedingt mit denen der Poster übereinstimmen müssen. Die Demokratisierung des Informationsaustausches durch das Internet und die Teilnahme heterogener sozialer Gruppen an diesen Debatten erschwert die Herausbildung einer einigermaßen kohärenten nationalen Vorstellungsgemeinschaft. Anhand der Einwanderungsfrage zeigt sich besonders exemplarisch die Heterogenität antagonistischer »vorgestellter Gemeinschaften«. Hier prallen nationale Wir-Bilder aufeinander, die entweder ein multiethnisches oder ein ethnonationales Verständnis von Nation favorisieren. Möglicherweise bereitet der Nationensport dennoch die Basis für ein noch einigermaßen homogenes Nationenbild. Dieser vermag ethnische Grenzziehungen zu überwinden, unabhängig davon, ob nicht-
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Reethnisierung? »Nationensport« im Internet
hierarchische und nicht-professionelle Medien wie Internetforen zur Verfügung stehen oder ob Fernsehen die dominante Form des Mediensports bildet. Der »Topos des Nutzens« ist im Sport aufgrund der einfach verständlichen Ausgangslage leicht zu vermitteln. Sieg und Niederlage sind leicht zu kommunizieren, ebenso die Wege, die in der Regel dorthin führen. Auch die Orientierung an international erfolgreichen Beispielen liegt auf der Hand. Ganz anders gestaltet sich die Situation bei der allgemeinen Debatte um Einwanderung. Hier herrscht kein Konsens zwischen sozialen Gruppen vor. »Internationale Vorbilder«, die im Sport leicht erkennbar sind, spielen kaum eine Rolle. In all diesen Bereichen fehlen die Voraussetzungen dafür, die im Sport gegeben sind, wie etwa 1) eine allgemein akzeptierte weltweite Rankingkultur, 2) eine klare Vorstellung von Erfolg und Siegprestige, sowie 3) die massenmediale Dramatisierung des internationalen Wettkampfes. Diese drei Punkte helfen, den ethnonationalen Standpunkt, bzw. ethnisch definierte Grenzziehungen zu überwinden. Eine allgemein akzeptierte Weltrankingkultur setzt die internationale Standardisierung vieler nationaler WirIdeale voraus. Viele Nationen müssen dasselbe anstrebenswert finden, in vielen Nationen muss aber auch eine kulturelle Standardisierung vorherrschen, die die allgemeinen Regeln akzeptiert, die zum umkämpften Erfolg führen. Somit muss Konsens über eine akzeptierte »Weltkultur« (zumindest in Ansätzen) gegeben sein. Das sind die Voraussetzungen, die Siegprestige ermöglichen und die Weber’sche Vorstellung von Kulturprestige sprengen. D.h., ethnisch bezogene Würdevorstellungen weichen der pragmatischen Haltung, die zum Triumph über andere führt. Dazu zählen nun auch interethnische Allianzen.
Kapitel 10 – UEFA-Europa League und Nation
Problemstellung »Nationensport« kann auch dort stattfinden, wo keine »offiziell« nach Nationen geordneten Mannschaften oder Athleten an Wettkämpfen teilnehmen. Wir haben bereits gesehen, Massenmedien attribuieren in solchen Fällen dem Wettkampfgeschehen nationale Bezüge. Der Vereinsfußball auf europäischer Ebene stellt ein besonders prominentes Beispiel von sportlichen Wettkämpfen dar, wo es durch das Einwirken des Sportjournalismus zu einer nationalen Interpretation des Geschehens kommt. Vereinsmannschaften in europäischen Bewerben gelten somit nicht nur als Repräsentanten einer bestimmten Region, Stadt oder Fangemeinde, sondern werden zu nationalen Stellvertretern erkoren. In diesem Kapitel steht jedoch nicht die sportjournalistische Berichterstattung über Fußballspiele in der UEFA-Champions League oder der Europa League im Vordergrund. Vielmehr soll (wie auch schon im letzten Kapitel) gezeigt werden, wie sehr sich nationale Wir-Bilder und Wir-Ideale im unorganisierten Kontakt zwischen Teilnehmern in Internetforen bilden können, die solche europäischen Vereinsspiele kommentieren. Entsteht also durch den Klubfußball auf einer europäischen Ebene, ganz abgesehen von dessen nationaler Inszenierung durch Massenmedien, eine von Medienkonsumenten tatsächlich praktizierte gesamtnationale Loyalität? In diesem Kapitel werden Internetforen aus Online-Portalen österreichischer Tageszeitungen ausgewertet, die sich mit Spielen österreichischer Fußballmannschaften in der UEFA-Europa League beschäftigen. Die Teilnehmer solcher Foren repräsentieren weder das österreichische Fußball- noch Fernsehpublikum. Dennoch hilft die Analyse der Internetforen, den nationalen Diskurs außerhalb des massenmedialen Betriebes besser zu verstehen. Derartige Internetforen verweisen darüber hinaus auf eine wichtige Eigenschaft nationaler Gemeinschaften. Diese sind nämlich nicht ausschließlich das Produkt durch von Eliten in die Welt gesetzten »erfundenen Traditionen« (Hobsbawm 1983). In einem ersten Abschnitt wird die Bedeutung nationaler Wir-Aspekte in der
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UEFA-Europa League und Nation
UEFA-Champions und Europa League diskutiert. Hier wird besprochen, inwieweit diese Wettbewerbe nationale Loyalitäten transzendieren können oder ob nationale Wir-Bezüge wichtiger sind, als die interne Rivalität zwischen den Fangruppen der einzelnen Vereine eines Landes. Im Anschluss daran werden die Ergebnisse der Analyse präsentiert. Abschließend werden diese in Bezugnahme auf die einleitend formulierte Problemstellung besprochen.
Nationale Wir-Aspekte in UEFA-Champions League und Europa League King schreibt über die wachsende Bedeutung der UEFA Champions League: »As a result of deregulations of television and football itself in the 1990s, new transnational relations and new solidarities have developed« (King 2003: 245).
King vermerkt zwar, dass Nationalmannschaften weiterhin noch als wichtige Basis von Zuschauerloyalität gelten. Dennoch zitiert er Franz Beckenbauer : »I can see a time when a world championship of clubs will come into being and will, in time, take over the World Cup as the most important football tournament on earth« (zitiert in: King 2003: 246).
King erwähnt außerdem, dass immer mehr Nationalspieler nicht in ihren Heimatländern spielen und dass die besten von ihnen sich aus Spitzenclubs der UEFA Champions League rekrutieren. King meint, dass ironischerweise durch den transnationalen Spielermarkt die Nationalteams neuen Auftrieb bekamen. Nun sind nämlich die Nationalspieler, die im Ausland tätig sind, einem breiteren Publikum bekannt. Mit dem Ruhm dieser Spieler wird wiederum das Prestige der Nationalmannschaften erhöht. Dieser Befund gilt fast zehn Jahre nach King’s Feststellungen mehr als zuvor. Die Ligen vieler Länder leiden jedoch unter dem transnationalen Spielermarkt. Wenige westeuropäische Großclubs, wie Barcelona, Inter Mailand, Manchester United und einige andere vereinen die besten Nationalspieler der Welt. Die südamerikanischen Ligen haben aufgrund des Transfers von Spitzenspielern nach Europa sogar an Bedeutung verloren. Afrika kann seine guten Fußballer überhaupt nicht mehr halten (vgl. Darby 2011). Der Arbeitsmarkt von Spielern basiert zur Zeit auf dem strikten Modell von Zentrum und Peripherie. King liegt trotz seiner Skepsis, dass Klubfußball in nächster Zeit internationale Wettkämpfe ablösen könnte, dennoch nicht ganz richtig. Er erkennt nicht, dass nationale Publikumsloyalität nicht unbedingt an offizielle Nationalmannschaften gebunden sein muss. Die Eigenschaft von »Nationensport« besteht nämlich darin, dass alle möglichen Symbole und Akteure nationale Zuschau-
Nationale Wir-Aspekte in UEFA-Champions League und Europa League
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erloyalität mobilisieren, wie Automarken oder Rennställe in der Formel-1, Sponsoren oder irgendwelche konstruierten Verbindungen eines Sportlers oder Vereins zum Heimatland. Daher sprechen Silk et al. (2005) vom »Corporate Nationalism« in Zusammenhang mit dem modernen, kommerzialisierten Spitzensport. Ähnliches gilt auch für heimische Fussballspieler, die in anderen Ländern spielen. Medien streichen die Leistung von heimischen Spielern im Ausland besonders hervor. Ihr Abschneiden ist eine Quelle von Nationalstolz (jemand aus den eigenen Reihen kann sich im heiß umkämpften Ausland durchsetzen). Deshalb spricht man im österreichischen Sportfernsehen auch von den »Österreicherklubs« bei der Berichterstattung über die deutsche Bundesliga und meint damit die Vereine, in denen österreichische Spieler tätig sind. Hier sieht man, dass die Globalisierung von Kommunikation nationale Bindung nicht zum Erlöschen bringt, sondern diese bloß eine andere Form verleiht. Vor allem werden durch Massenmedien nationenlose Inhalte »nationalisiert«, um damit ein größeres Lese- oder Fernsehpublikum zu binden. Wird etwa das Spiel eines heimischen Klubs in einem europäischen Wettbewerb im Fernsehen ausgestrahlt, so ist dieser Sender viel besser in der Lage, die Zuschauerquote für diese Übertragung zu optimieren, wenn er aus dem Ereignis nicht bloß seine regionale, sondern seine nationale Bedeutung hervorhebt. Massenmedien als wichtige Träger dieser Form von Nationalismus agieren also nicht aufgrund nationalistischer Intentionen (zumindest müssen solche nicht vorhanden sein). Ihre Attribuierung nationaler Bezüge, die nationale Dramatisierung nicht-nationaler Vorgänge, beruht auf einer geschäftlichen Überlegung. Da Fernsehmärkte aufgrund der Sprache noch immer teilweise nationale Märkte sind, verbindet sich die marktwirtschaftliche Logik mit der Förderung nationaler Loyalität bei möglichst vielen Sportarten. Hierin unterscheiden sich Massenmedien als Träger des banalen Nationalismus von den nationalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts als Träger des »romantischen Nationalismus«. Jene nationalen Bewegungen besaßen auch die organisatorische Intention der Förderung des Nationalismus. Ihre Mitglieder waren Nationalisten. Im Sportjournalismus sind solche Ideale nicht nötig, um »nationale Stimmungen« hervorzurufen. Vielmehr verbindet sich ein bestimmter »Strukturwandel der Öffentlichkeit« mit einem günstigen Klima für die Förderung nationaler Publikumsloyalität. Der Klubfußball auf europäischer Ebene bringt aber noch einen weiteren Effekt zu Tage. Er fördert die Vorstellung der internationalen Schichtung in Europa. Eine kleine Anzahl von Ländern monopolisiert in dieser Struktur den Großteil der Siegeschancen, aufgrund der Tatsache, dass die teuersten und besten Vereine entweder aus Spanien, England, Deutschland, Italien oder Frankreich stammen. Die Champions League, die seit 1992 aus dem Europapokal der Landesmeister hervorgeht, weist in den bisherigen 19 Saisonen 6 spanische,
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UEFA-Europa League und Nation
5 italienische, 3 englische und 2 deutsche Siege von Mannschaften aus diesen Ländern auf. Einmal gewann jeweils eine französische, niederländische und portugiesische Mannschaft. Diese Liga wird bloß von einer Handvoll Mannschaften dominiert, die alle aus wenigen westeuropäischen Ländern stammen. Das bewirkt auch, dass noch nie Mannschaften aus anderen Ländern als den genannten in einer Finalrunde standen. Osteuropäische, skandinavische und kleinere Länder bringen keine Mannschaften auf, die an der Spitze des europäischen Ligasystems mitmischen könnten. Das internationale Prestige, das durch die Champions League und die Europa League zu vergeben ist, ist geographisch sehr ungleich verteilt. Zwar dominieren schon seit Jahrzehnten Mannschaften wie Real Madrid, FC Barcelona, AC Mailand oder Manchester United. Dennoch wies der Europapokal der Landesmeister in den letzten Jahren seines Bestehens auch Siege von Steaua Bukarest (1985/86) oder Roter Stern Belgrad (1990/91) auf. Der Zusammenbruch des kommunistischen Systems und die Schaffung eines einheitlichen Arbeitsmarktes für Fußballer in Europa durch das Bosman-Urteil (1995) verschafften den wenigen finanzkräftigen Vereinen Westeuropas große Vorteile. Länder ohne Spitzenvereine im europäischen Klubfußball müssen ihr Konzept von nationaler Fußballehre und internationalem »Siegprestige« modifizieren. Sie konzentrieren sich zum Beispiel bei der medialen Aufbereitung des europäischen Fußballs auf Leistungen von Landsleuten in ausländischen Klubs. Die Globalisierung schafft zwar Zentrum und Peripherie. Dem Zentrum kommt aber auch mehr Ehre zu! Dennoch entstehen in den Peripherien Wir-Ideale, die sich pragmatisch an das Machbare anpassen. Wo etwa das englische Publikum hofft, dass wieder eine ihrer Mannschaften den Sieg in der Champions League holt, bestehen in kleineren Ländern bescheidenere Hoffnungen. Hier wird etwa über Spiele von deutschen »Österreicherklubs«, sollten sie in der Champions League spielen, bevorzugt berichtet. Diese selektive Praxis zum Schutz der nationalen Ehre bleibt allerdings nicht auf den Fußball beschränkt. Gewinnen etwa im Schiweltcup durchgehend ausländische Schiläufer, so konzentriert sich die Aufmerksamkeit des österreichischen Sportmoderators auf das Material, auf Schier und Ausrüstung. So gewinnt eben ein »österreichischer Schi«, auch wenn natürlich ein derartiger Sieg weniger befriedigend ausfällt als der eines heimischen Sportlers. Es mag stimmen, dass Champions League und Europa League ein Zugehörigkeitsgefühl zu Europa hervorbringen, analog der Funktion nationaler Meisterschaften für die nationale Einheit. Dennoch ist es schwer vorstellbar, dass dadurch nationale Loyalitäten zugunsten einer gesamteuropäischen Zugehörigkeit aufgegeben werden. Dies könnte nur dann der Fall sein, wenn Europa als Einheit gegen andere Länder sportlich antreten würde (wie im Ryder Cup!). Regionale Identitäten werden schließlich auch nicht durch nationale ersetzt,
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sondern bloß ergänzt. Die mögliche Vorstellung von Europa als einem einheitlichen Fußball-Kultur-Raum deckt sich nicht mit der wichtigsten Publikumsloyalität, die weiterhin national ist. Es stimmt, dass große Vereine auch Fans und Anhänger in anderen Ländern besitzen, genauso gut wie Fußballsuperstars überall auf der Welt ihre Bewunderer haben. Dies zeigt jedoch nur, dass im Fußball eine weltweit akzeptierte Kultur besteht, die standardisierte Vorstellungen von Leistung und Prestige kennt.
Einheit der Nation als Topos in Sportforen zur Europa League Die nächste Darstellung fasst eine Auswertung von 596 Forumsbeiträgen der Online-Portale von Kronen Zeitung und Der Standard zur Europa-LeagueRunde vom 20. Oktober 2009 zusammen. Das Interessante bei der Analyse dieser Postings ist, dass vielschichtige Loyalitäten dabei zur Sprache kommen. Lokale Bindungen zum eigenen Team und der eigenen Stadt, wie auch nationaler Zusammenhalt spielen dabei eine wichtige Rolle. Wir haben bereits Internetforen untersucht, die Fußballländerspiele thematisieren. Dabei wurde festgestellt, dass dort die Form der Argumentation international und weltkulturell orientiert ist. Die Loyalität zum Nationalteam ist unbestritten und bestimmt durch die Emotionen Stolz und Schamgefühl. Die hier vorliegenden Forumsbeiträge beziehen sich auf Spiele in der Europa League; vor allem werden hier die Foren zu den Spielen Salzburg gegen Villa Real (Spanien) und Rapid gegen Glasgow ausgewertet. Die hier vorliegenden Webforen wurden in der Situation einer überraschend guten Leistung von vier österreichischen Teams in dieser Europa League-Runde verfasst. Am selben Tag spielten auch die österreichischen Klubs Sturm Graz und Austria Wien. Auch auf diese Spiele wird in den Postings Bezug genommen. Die Grafik fasst drei verschiedene Topoi deklarierter Fans einer österreichischen Mannschaft (meist entweder Salzburg- oder RapidAnhänger) zusammen, die sich auf die anderen österreichischen Teilnehmermannschaften in dieser Europa League-Runde beziehen. Die vorherrschenden Topoi waren: 1) Patriotismus, 2) innerösterreichische Konflikte und 3) Verweis auf eine internationale Ordnung. Von den 596 hier vorliegenden Forumsbeiträgen, stellen 116 Postings Wortmeldungen von Fans einer Mannschaft dar, die sich inhaltlich auf andere österreichische Teilnehmermannschaften beziehen. Diese Gruppe bildet die »relevanten Postings«. In den restlichen 480 Forumsbeiträgen wurde kein Bezug zu einer anderen österreichischen Mannschaft gefunden, hier kann entweder die sportliche Bindung des Posters nicht eindeutig identifiziert werden oder es wird bloß die eigene Mannschaft thematisiert. Von den 116 relevanten Forumsbeiträgen können 70 Prozent der Postings als »patriotisch« klassifiziert werden.
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Hier treten Forumsteilnehmer, die sich als Anhänger einer Mannschaft zu erkennen gaben, mit Beiträgen an die Öffentlichkeit, die in irgendeiner Form Loyalität gegenüber den anderen österreichischen Mannschaften in der Europa League bekunden. Zwölf Prozent der relevanten Poster bezogen sich auf eine »internationale Ordnung«. Auch diese Wortmeldungen sind in den meisten Fällen als »patriotisch« einzustufen. Sie heben nämlich oft die Leistung einer österreichischen Mannschaft aus einer europäischen Perspektive hervor. Ungefähr gleich viele Wortmeldungen der geäußerten Meinungen von Postern über andere österreichische Vereine sind mit Hinweisen auf »innerösterreichische Konflikte« verbunden. Solche angesprochenen Konflikte oder Missgunst verweisen entweder auf eine Rivalität zwischen Fans der unterschiedlichen Vereine, oder sie thematisieren außersportliche Konflikte zwischen österreichischen Regionen. Darstellung 5: Aspekte von nationaler Loyalität in österreichischen Webforen zu Europa League Spielen (Anzahl der Postings = 596; Anzahl relevanter Postings = 116; Angaben in Prozent)91
a)
Patriotismus
»Patriotische« Foren bilden also die große Mehrzahl der Beiträge. »Patriotismus« bezeichnet hier einerseits ein Gefühl oder eine Stimmung nationaler Euphorie, wobei die konkrete Mannschaft keine erwähnenswerte Rolle dabei einnimmt. »GANZ EUROPA IST IM ROTWEISSROTEN SIEGESRAUSCH«92 (Kronen Zeitung)
»Patriotismus« bezieht sich in einer zweiten Kategorie von Fällen auf die Äußerung von Loyalität des Anhängers einer österreichischen Mannschaft ge91 Quelle: Online-Ausgabe von Der Standard und der Kronen Zeitung, 20. Oktober 2009; abgerufen am selben Tag. Foren zu den Spielen: Salzburg gegen Villa Real und Rapid gegen Glasgow. 92 Bei allen Forumsbeiträgen, die hier aufscheinen, wurde Originalsprache der Poster unverändert übernommen (auf richtige Orthographie und Syntax wurde keine Rücksicht genommen).
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genüber einem anderen österreichischen Teilnehmerverein in der Europa League. In den vorliegenden Foren bekundeten meist Rapid-Anhänger Treue gegenüber Salzburg oder umgekehrt. Hier sollen ein Beispiel derartiger gesamtösterreichischer Loyalität genannt werden, das gleichzeitig auch die erste Form von »Patriotismus« zum Thema macht. »Super Spiel von RBS [Salzburg]. Österreich ruled momentan!« (Kronen Zeitung)
Diese Poster geben ganz unverblümt ihren Stolz gegenüber der gesamten Nation zum Ausdruck, weil eine österreichische Mannschaft (die nicht ihr Heimatklub ist) gewonnen hat. Das nächste Posting ist ein Beispiel aus dem Forum des Salzburg-Spieles, in dem viele Salzburg-Fans ihre Meinung kundtaten. Außerdem wurden diese Beiträge noch während der Spielzeit abgegeben. Durch die Analyse dieser Foren können Emotionen und deren Wandel gut beobachtet werden. Zu der Zeit, in der das folgende Poster geschrieben wurde, herrschte schon eine euphorische nationale Stimmung vor. Die Teilnehmer der einzelnen Foren nahmen bereits die guten Leistungen aller österreichischen Mannschaften wahr. Der folgende Poster bezieht sich auf die gerade erhaltene Meldung, dass Sturm Graz in Istambul gegen Galatasaray 1:0 führt. »Sturm führt in der Türkei!!! I drah durch!!!« (Kronen Zeitung)
In diesem Beispiel, das für viele weitere Postings steht, vermengt sich die Meldung aus der Türkei mit der positiven Stimmung im Salzburg-Spiel zu einer umfassenden nationalen Euphorie. Das nächste Posting stellt fast das klassische Beispiel der Rhetorik nationaler Einheit und der Verschiebung interner Rivalitätskämpfe im Angesicht ausländischer Bedrohung dar. »Ich hoffe genauso wie du das Salzburg 3 Punkte heute holt. Aber genauso wünsche ich es jedem anderem österreichischen Verein. Heute geht’s nicht darum den Hütteldorfern [Rapid] etwas zu zeigen, sondern den Spaniern. Den Rest können sie sich in der Meisterschaft ausmachen. LG ein Wiener RBS [Red Bull Salzburg] Fan« (Kronen Zeitung)
Dieser Rapid-Anhänger bekennt sich offen dazu, in dieser Runde der Europa League Austria Salzburg zu unterstützen. Er sei nämlich ein »Wiener RBS Fan«. Ein Salzburg-Fan äußerte sich zum Spiel von Rapid folgendermaßen und nimmt dabei auch die Wir-Position ein. »Ich hoffe es so sehr…Wir sind zur Zeit mit unseren Euro-Fightern an der EU Top Spitze; meiner Meinung nach! Jetzt darf Rapid nicht nach lassen! Wir müssen Druck machen und Celtic an die Wand spielen!« (Kronen Zeitung)
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Verweise auf eine internationale Ordnung
Ein weiterer Aspekt von »Patriotismus« verband sich manchmal mit dem Verweis auf eine internationale Ordnung. Das Abschneiden der österreichischen Vereine wurde dabei aus einer europäischen Perspektive bewertet. Hier kommt oft der Wunsch nach der Steigerung von internationalem Prestige zum Ausdruck. Im folgenden Beispiel gratuliert ein Anhänger von Austria Wien Salzburg zum Sieg über die spanische Mannschaft Villa Real. »Violette Gratulation aus Wien. Super Ergebnis, und der zweite Sieg gegen Spitzenteams. Teams aus Italien und Spanien zu schlagen, muss man einmal als österr. Mannschaft schaffen. Weiter so Jungs« (Kronen Zeitung).
Nationalstolz im internationalen Vereinsfußball äußert sich ebenfalls im Kontext eines mehr oder minder klaren Bildes von internationaler Ordnung, die sich auf die relative Stärke einzelner nationaler Ligen und ihrer Teams bezieht. So gilt den österreichischen Fußballanhängern ein Sieg über ein polnischen Team als nicht gleichwertig wie ein Sieg über ein spanisches, britisches oder italienisches Team. Die klare Vorstellung von internationaler Ordnung speist sich auch im Vereinsfußball durch internationale Fußballstatistik, die die Vorstellung über die Höhe einer gesamten nationalen Leistung in Beziehung zu anderen nationalen Leistungen setzt. »Alle Achtung, Gratulation von einem Rapidler, super!! (übrigens: Der UEFA-Koeffizient von diesem Jahr : (http://www.xs4all.nl))« (Kronen Zeitung)
Dieser Beitrag stellt ein Beispiel der in der vorigen Grafik dargestellten Dimension »Verweis auf die internationale Ordnung« dar. Internationale Rankings, wie der hier zur Sprache gekommene UEFA-Koeffizient, sind im Bereich des Sports sehr wichtige Symbole einer imaginierten internationalen Ordnung. Dieser Poster verweist etwa auf diesen Koeffizienten, weil nun »Österreich« (als ein statistisches Produkt) durch die Leistung der vier Vereinsmannschaften einige Plätze in diesem Ranking verbessern konnte. Zum einen verkörpern solche Rankings also den Versuch der Objektivierung von internationaler Hierarchie, indem sie sportliche Einzelleistungen gesamten Nationen zuordnen. Das Bild der gesamten Nation als Gegenstand solcher Rankings wird in diesem Fall noch verstärkt durch die Tatsache, dass hier nicht nur die Spiele von Nationalteams, sondern auch von Vereinsspielen auf der internationalen Ebene mit einbezogen werden. Die empirische Breite des Koeffizienten erzeugt das Bild einer gesamten Nationenleistung. Zum anderen verkörpern diese Rankings auch die Einheit und die Konstruktion des Zusammenhangs von Einzelleistungen. Diese Rankings erzeugen von Raum und Zeit unabhängige Quasi-Akteure. Das
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sind statistisch generierte Akteure (Nationen), die in Wirklichkeit weder Akteure noch soziale Einheiten darstellen. Wie das obere Beispiel zeigt, wird »Stolz« nicht immer overt geäußert. Hier versteckt sich Nationalstolz hinter dem Verweis auf das UEFA-Ranking. Der Poster spricht »Stolz« nicht direkt aus. Ganz ähnlich verfährt der nächste Poster. Hier werden »Nationen« in eine Reihenfolge gebracht. Dadurch, dass dieser Poster bloß die Leistungen dieser (bis dahin kurzen) Saison berücksichtigte, erscheint Österreich an der dritten Stelle. »Saison 2009/10. Nationen, welche diese Saison bisher die meisten Punkte für die UEFA-Jahreswertung erobert haben: (1.England 6,357; 2.Spanien 6,214; 3.Österreich 6,125; 4.Deutschland 5,583)« (Kronen Zeitung)
Im Verweis, auf den dritten Rang Österreichs in dieser Statistik versteckt sich der Nationalstolz dieses Posters. Ein anderer Poster ergänzt: »Wenn wir dann nächstes und übernächstes Jahr annähernd gute Leistungen im Europacup bringen, fällt die schwache 2006/07 Saison raus (nur 1,500 punkte) und wir nähern uns endlich wieder den Top 15 Europas…« (Kronen Zeitung)
Solche Rankings besitzen einen klaren Wir-Bezug und verweisen auf »Leistungsidentität«. Wobei es unerheblich erscheint, ob diese Leistungen von Staatsbürgern erbracht wurden (im Falle von Nationalmannschaften) oder bloß von Personen, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem Land stehen (wie ausländische Spieler in österreichischen Vereinen). In einem internationalen Kontext gelten Vereine offenbar als Symbole der Nation, sodass die Subsumierung der Spielerleistung einzelner Vereine unter eine fiktive Nationalleistung als adäquate Vorgehensweise angesehen wird. Hier wird auch ganz klar die Abkapselung des Sportnationalismus vom klassischen Nationalismus sichtbar. Während der klassische Nationalismus, wie bereits besprochen, auf der Fiktion einer »erfundenen« Tradition beruht, die meist mit militärischen Leistungen längst vergangener Zeit in Verbindung steht, schafft sich der Sportnationalismus seine eigene Tradition. Diese besitzt jedoch keinen idiosynkratischen Charakter mehr, denn sie bezieht in ihr Narrativ alle anderen Nationen mit ein. Nicht nur das. Die Tradition des Sportnationalismus beruht auf einem Narrativ, das auch für alle andere konstituierend ist. Damit fällt auch die Perspektive des national Einmaligen weg und wird durch die Perspektive der nationalen Leistung ersetzt. Im Sport gibt es nicht nur den Sporthelden als Person. Das internationale Sportranking erzeugt die Nation als Akteur. Dadurch werden auch die Eigenschaften des Helden auf das gesamte nationale Kollektiv übertragen. Das obere Posting beschreibt ganz deutlich, dass die »Nation« als Akteur (aus der WirPerspektive geschildert), nach einer schwachen Saison nun wieder zu einer der
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»Top-15-Nationen« werden kann. Für diese Poster erscheint also eine solche Position »ehrenhaft« und angemessen für »Österreich«. Eine »Top-Nation« zu sein, bedeutet also in diesen Foren, offenen Nationalstolz als adäquate Emotion äußern zu dürfen. »5 Jahreswertung sieht jetzt auch schon besser aus. (http://www.5-jahres-wertung.de/ APD/Online-wertung.htm) (Rang 19 ist locker noch drin).« (Der Standard; Webforum zu Rapid).
Der nächste Beitrag repräsentiert das Beispiel für die starke symbolische Identifikation mit der Nation durch Vereine. Die Rapidspieler Pehlivan und Drazan sind türkischstämmige Nationalspieler im österreichischen Team. Dieser Poster ist ein Rapid-Anhänger, der Salzburg vor Spielbeginn drei Punkte für »Österreich« wünscht. Gleichzeitig bezeugen die Hinweise auf Pehlivan und »unseren« Drazan emotionale Nähe zu Personen mit Migrationshintergrund, die, wie bereits demonstriert, in anderen Kontexten ausgeschlossen erscheint. »DU glaubst doch nicht ehrlich das unser DRAZAN oder ein Pehlivan von Rapid zu Salzburg wechselt oder? Schon gar nicht UNSER DRAZAN. PS: Wünsche auch den Salzburgern heute das Beste und 3 weitere PUNKTE für Österreich!« (Kronen Zeitung)
Die Sportberichterstattung kennt die Fremdsicht auf die eigene Leistung, etwa durch den internationalen Pressespiegel in Zeitungen. Das Fernsehinterview kennt darüber hinaus die gezielte Frage an ausländische Sportler oder Trainer zu den Leistungen heimischer Mannschaften oder Athleten. Darüber hinaus bieten Kabel- und Satellitenfernsehen die Möglichkeit der Betrachtung ausländischer Perspektiven auf den Sport bei gleichzeitiger Übertragung eines Sportereignisses auf mehreren Sendern. Die Multiperspektivität von Sportübertragungen führt somit keineswegs zu einer Entnationalisierung der Zuschauerloyalität. Vielmehr werden nationale Stolz- oder Schandereignisse internationalisiert. Die moderne Medienwelt erschafft das Subjekt des »signifikanten internationalen Anderen«, jener imaginierten Person oder Personenkreises, deren/dessen fiktiver oder real existierender Blick den nationalen Sportdiskurse widerspiegelt. Der Blick des »signifikanten internationalen Anderen« findet sich auch in den vielen Webforen. Das nächste Beispiel stammt wieder aus einem Webforum zum Europa League-Spiel Rapid gegen Celtic. Ob die von diesem Poster zitierten Passagen tatsächlich aus dem Forum von Celtic Glasgow stammen oder erfunden sind, soll hier nicht erörtert werden. »Wahnsinn. Der österreichische Fußball erfreut einen immer mehr :)
Hier ein paar Beiträge aus dem Celts Forum über den Auswärtssupport Rapids:
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JUST BACK FROM THE GAME … THEIR FANS WERE FUCKING AMAZIN. … Disappointed with the turnout … to be fair rapid had a hell of a support! Nochmals ein riesiges Danke an alle Ö-Vertreter für so einen wunderschönen Abend gestern. Salzburg wird aufsteigen. Levski Sofia kann man zweimal putzen [schlagen].« (Kronen Zeitung)
c)
Innerösterreichische Konflikte
Webforen zu den internationalen Vereinsspielen nehmen allerdings auch auf inner-nationale Konfliktlagen Bezug, die meist inter-regionale Rivalität zum Thema hat. Betrachtet man Webforen zu den Themen Fußballnationalmannschaft, Schifahren oder zu anderen Sportarten werden diese inter-regionalen Rivalitäten kaum zur Sprache gebracht. Aber selbst im Fußball sind diese, wie die obere Grafik zeigt, zu einem relativ geringeren Ausmaß Gegenstand des Diskurses. Im österreichischen Fußball spielt etwa die Rivalität zwischen Wien und den Wiener Klubs (bzw. deren Fans) und denen der Bundesländer eine wichtige Rolle. Bis in die sechziger Jahre war der österreichische Fußball, wie bereits berichtet, ganz von den Wiener Vereinen und Spielern dominiert. Erst danach eroberten Vereine aus den Bundesländern Spitzenpositionen in der Meisterschaft oder im Cup und stellten vermehrt Nationalspieler. Der nächste Poster spielt auf ein weit verbreitetes Vorurteil an, nämlich auf die »Wiener Seilschaften« im österreichischen Fußball. Diese würden angeblich einerseits zu einer günstigen Medienberichterstattung über Wiener Fußballklubs führen und andererseits den Wiener Mannschaften mehr Sendezeit zukommen lassen. Eine derartige Rivalität zwischen Wien und den Bundesländern ist in anderen Sportarten kein besonders wichtiges Thema. Schifahrer oder Schispringer kommen meist aus den hochalpinen Regionen, Eishockey war niemals von Wiener Vereinen dominiert, Leichtathletik, Radfahren, Formel-1 oder andere wichtige Sportarten kennen eigentlich kaum regionale Loyalitäten, sondern bloß gesamtnationale Identifikation. In diesem Sinn war auch nicht Fußball, sondern Schifahren in den 1950er Jahren die bevorzugte Mediensportart der Österreicher zur Erzeugung nationaler Identität. »Wenn man das oben Angeführte liest, dann sieht man wieder einmal, dass die Kronen Zeitung vom Wasserkopf Wien aus gesteuert wird. Ein Großteil der Redakteure sind Mundls [von der Figur Edmund (Mundl) Sackbauer aus der Fernsehserie »Ein echter Wiener geht nicht unter«], sonst würden sie nicht jedesmal hier gebetsmühlenartig wiederholen, dass der Sieg gegen Lazio »glücklich« war, damit wir das ja nicht vergessen. So jetzt könnt’s mein Posting gleich wieder löschen [der Poster meint, das Wienkritische Beiträge von der Redaktion gelöscht werden würde].« (Kronen Zeitung)
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UEFA-Europa League und Nation
Wien-kritische Äußerungen werden (nicht ohne Ironie) mit Hochmut gekontert. »Einen Wiener begeistert auch einiges weniger als ein Salzburger. Wir sind es gewohnt großes zu leisten. Flame me.« (Der Standard)
Relativierung von Leistung oder Gegner findet allerdings stets im nationalen Kontext statt. »Nach Meinung der neidzerfressenen Anti-Rapid-Trollposter ist Celtic ja um mindestens 2 Klassen stärker und 5 Tore besser als Rapid. In so einer Situation ein Unentschieden zu erreichen, ist dann ja eigentlich mehr wert als der Sieg der Bullen [Salzburg], oder? Aber die depperte [dumme] Anpatzerei [Verleumdung] war halt eh nur Schwachsinn.« [Damit bezieht sich der Poster auf verächtliche Aussagen von Salzburg-Fans] (Der Standard)
Fazit Das Beispiel der Postings zu den Europa League-Spielen hat starke gesamtösterreichische Loyalität zu Tage gebracht. Die Analyse dieser Foren zeigt, dass Klubfußball und Globalisierung des Sports nationale Bindungen und Loyalität nicht zum Verschwinden bringen. Diese findet vielmehr im internationalen Klubfußball neue symbolische Repräsentanten, die den »Nationensport« auf der Basis von Nationalmannschaften ergänzt. Dabei spielen regionale und innernationale Differenzen eine untergeordnete Rolle. Die Tatsache, dass viele Spieler dieser Klubs aus anderen Ländern stammen, wird nicht thematisiert, sondern als nicht mehr weiter hinterfragter internationaler Standard akzeptiert, der der nationalen Publikumsloyalität keinen Abbruch verschafft. Diese Analyse verweist auch auf die bereits angesprochene Eigenschaft moderner nationaler Gemeinschaften. Diese werden nicht mehr nur durch das Einwirken von Eliten, wie etwa Medienanstalten, am Leben gehalten. Die hier zu Tage kommende nationale Loyalität der Poster zeigt aber auch, dass ihre nationalen Wir-Gefühle nicht von einer staatlichen Ideologie beeinflusst wird. Das bedeutet allerdings nicht, dass staatliche Identitätspolitik unmöglich geworden wäre. Gerade Österreich ist eher Staats- als Kulturnation. Aber die erfolgreiche, jahrzehntelange Existenz der Zweiten Republik hat das Potential nationaler Identifizierung mittlerweile unabhängig von der Einwirkung des Staates gemacht. Die Nation wurde »naturalisiert«. Außerdem spielt in diesen Foren die Komponente von »Ethnie« kaum eine Rolle. Nationale Loyalität scheint sich in modernen Gesellschaften – durch das Internet und andere interaktive Medien begünstigt – eher mühelos und auf nichthierarchischen Wegen mit den Spielarten und Symbolen einer Weltkultur
Fazit
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zu verbinden. Das Internet stellt darüber hinaus ein Medium dar, durch welches »nationale Stimmungen« ungeplant und ohne mehrtägiges Einwirken von Zeitungen und Fernsehstationen entstehen können. »Nationale Stimmungen« entstehen hier dadurch, dass sich Poster aus vielen Foren gegenseitig durch Siegesmeldungen und guten Leistungen ihrer Mannschaften spontan in Euphorie versetzen. Diese Form von sportlich initialisiertem Nationalismus ist daher viel lebendiger und dynamischer als Hobsbawm (Hobsbawm 2008) und einige Theoretiker der Globalisierung angenommen haben. Einerseits setzten diese Autoren fälschlicherweise Nation und Staat gleich. Andererseits schenken sie spontanen Gefühlen keine Aufmerksamkeit. Gerade diese spontanen Gefühle verbinden allerdings auch nationale Publika miteinander. Sie schaffen »agonale Weltsportgemeinschaften«, indem die Meinungen ausländischer Medien oder Publika rezipiert werden. Dadurch bilden sich durch den Spitzensport ungeplante emotionale Verstrickungen zwischen Nationen.
Agonale Weltsportgemeinschaften und das internationale System
Kapitel 11 – Agonale Weltsportgemeinschaften. Eine Neubewertung internationaler Beziehungen
»Agonale Weltsportgemeinschaften« und internationale Beziehungen Houlihans (1997: 125 ff.) Beobachtung der Entwicklung der irischen Sportpolitik ist für dieses Kapitel aufschlussreich. Demnach fördert der irische Staat heute weniger den gaelischen und mehr den olympischen Sport, weil das moderne Irland sich auf einer internationalen Ebene repräsentieren müsse. Dieser Befund gilt wohl für die meisten modernen Staaten. Die durch Ökonomie und Politik geschaffenen stärker werdenden Interdependenzen zwischen Staatsgesellschaften haben auch Auswirkungen auf den kulturellen Bereich. »Nationensport« wird daher gegenüber von ethnisch und traditionell geprägten Sportarten der Vorzug gegeben. Der Wandel staatlicher Identitätspolitik und der Bedeutungszuwachs des »Nationensports« beeinflusst aber auch das moderne Verständnis von internationalen Beziehungen. Dieses Kapitel fokussiert auf »agonale Weltsportgemeinschaften«. Im antiken Griechenland verstand man unter »Agon« (agon = Kampf oder Wettstreit) eine Form des Wettbewerbs zwischen griechischen Stadtstaaten und Königreichen. Die Griechen unterschieden zwischen musischen, hippischen und gymnischen Agonen. Diese Wettkämpfe besaßen einen Doppelcharakter. Einerseits zeugten sie von der ethnischen Verbundenheit aller Griechen; denn nur solche durften an diesen Wettbewerben teilnehmen. Darum galt die Teilnahme an Agonen als Zeichen der Mitgliedschaft in der panhellenischen Gemeinschaft, die sich von der Welt der »Barbaren« abzugrenzen versuchte. Nicht zufällig hielt etwa der Redner Isokrates im Jahre 380 seinen Aufruf an alle Griechen, gegen die Perser zu kämpfen (Panegyrikos) in Olympia während der Olympischen Spiele. Andrerseits waren die Agonen auch eine Form von Wettbewerb zwischen den politisch unabhängigen Entitäten der griechischen Welt. Zusätzlich zum Krieg stellten sie eine Ausweitung der Kampfzonen und des Statuswettbewerbs auf die friedlichen Bereiche Sport, Dichtung (Lyrik) und Pferderennen dar.
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Agonale Weltsportgemeinschaften
Pierre de Coubertin versuchte zwar an das antike Vorbild anzuschließen, dennoch konstituieren moderne »agonale Weltsportgemeinschaften« eine ganz eigene Form von internationalen Beziehungen. Wie bereits in einem vorigen Kapitel erwähnt, repräsentieren sie den »ehrenwerten« Teil der internationalen Staatenwelt, die sich zunächst als die »zivilisierte« (= »weiße«) Welt und heute als »internationale Gemeinschaft« begreift. Dementsprechend wandelte sich im 20. Jahrhundert das Bild der »modernen Barbaren«. Die »Wilden« aus der Zeit der Anthropology Days mutierten zu jenen »Schurkenstaaten« und politischen Einheiten der heutigen Welt, die Menschenrechte verletzen und deshalb mit einem olympischen Boykott belegt werden. Für ein besseres Verständnis von »agonalen Weltsportgemeinschaften« ist daher eine Auseinandersetzung mit den wichtigsten Sichtweisen auf internationale Beziehungen innerhalb des politikwissenschaftlichen Teilgebiets Internationale Beziehungen (IB) notwendig. IB als Teildisziplin der Politikwissenschaften entwickelte sich nach dem Ersten Weltkrieg (für einen Überblick zur Entwicklung von IB, vgl. Meyer 1994; Hellmann et al. 2003; Lemke 2008: 1 ff.). Den Ausgangspunkt bildet ein von Woodrow Wilson beeinflusster »liberaler Internationalismus«, wonach der Völkerbund und andere internationale Organisationen helfen würden, eine neue und bessere Weltordnung zu schaffen. Aber der Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus, der Angriff Japans auf China und der drohende neue Krieg in Europa erzeugten in den 1930er Jahren Skepsis gegenüber diesem »liberalen Internationalismus« und brachten »realistische« Ansätze hervor (vgl. Carr 1946; Morgenthau 1949). Diese glaubten im egoistischen Streben nach Maximierung der Macht von Staaten die hauptsächliche Eigenschaft des internationalen Systems zu erkennen. Der »strukturelle Realismus« von Kenneth Waltz (1979) verwirft das auf einem essentialistischen Menschenbild beruhende Konzept vom »Drang zur Macht« und erklärt die egoistische Machtpolitik von Staaten mit den strukturellen Gegebenheiten des modernen Staatensystems. Dieses wäre durch Anarchie, Dezentralität und die Logik der Selbsthilfe gekennzeichnet, aus denen sich »Sicherheitsdilemmata« entwickeln. Mearsheimers (2001) »offensiver Realismus« geht davon aus, dass nur die offensive Verbesserung der eigenen Position das »Sicherheitsdilemma« für einen Staat verringern könne. Einige Annahmen des »Realismus« überschneiden sich mit den Standpunkten der Figurationssoziologie. Diese sieht Staatensysteme ebenfalls als konfliktund konkurrenzartige Gebilde. Elias betont allerdings, dass einige Machteinheiten in solchen anarchischen Strukturen Hegemonial- oder Monopolmacht erlangen können (Elias 1995: 435 ff.). Dem Realismus fehlt allerdings die Vorstellung, dass Normen und Selbstbeschränkung in einem anarchischen System Verbindlichkeit erzeugen würde, wie die »Englische Schule Internationaler Beziehungen« annimmt. Herbert Butterfield, Hedley Bull oder Martin Wight ent-
»Agonale Weltsportgemeinschaften« und internationale Beziehungen
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wickelten bereits in den 1950er und 1960er Jahren die Vorstellung von »internationaler Gesellschaft« (international society) oder »Weltgesellschaft« (world society), die auf verbindlichen Normen beruhen würde (siehe: Watson 1992: 2 ff.). Watson (1992) legt die Evolution einer solchen internationalen Gesellschaft von Staaten anhand der Untersuchung historischer Staatensysteme – von den sumerischen Stadtstaaten über das antike Griechenland, Indien und China bis zur modernen Welt – dar. Er zeigt, dass rivalisierende politische Einheiten in Form von Religion, Sprache, Sitten, Gebräuchen und Ritualen verbunden waren. In jüngster Zeit versuchte Linklater (vgl. 2007: 160 ff.) die »englische Schule internationaler Beziehungen« mit den Ansätzen der Figurationssoziologie zu verbinden.93 Linklater schlägt vor, zwischen staatsinternen (domestic) und globalen Zivilisationsprozessen zu unterscheiden (vgl. Linklater 2007: 177). Hier müsste aber noch diskutiert werden, inwiefern »agonale Weltsportgemeinschaften« als Produkt solcher globaler Zivilisationsprozesse betrachtet werden können. »Realistische« Ansätze werden auch innerhalb von IB kritisiert. Die Kritik an einer ausschließlich »regierungszentristischen Heuristik« (Nölke 2003: 519 ff.) zielt etwa darauf ab, dass transnationale politische Institutionen, multinationale Unternehmen und NGOs vom »Realismus« nicht als wichtige Akteure internationaler Beziehungen erkannt werden. Der »Institutionalismus« (vgl. Keohane 2001) oder die Konzepte von »Governance without Government« (vgl. Rosenau und Czempiel 1992) und »Global Governance« erlaubte, NGOs und multinationale Unternehmungen ebenfalls in die Perspektive mit aufzunehmen (vgl. Zürn 1994; Jachtenfuchs 2003: 595 ff.). Konstruktivistische Ansätze kritisieren wiederum, dass der »Realismus« normative Konzepte der Außenpolitik, wie die der »Anarchie« und ihrer angeblichen Konsequenzen, bloß als gegeben und nicht als sozial konstruiert ansieht (vgl. Wendt 1992). Lemke (2008: 3 f.) schlägt deshalb vor, zwischen »internationaler Politik« und »internationalen Beziehungen« zu differenzieren. »Internationale Politik« soll die Interaktionen zwischen völkerrechtlich anerkannten Subjekten (souveränen Staaten) zum Thema haben. »Internationale Beziehungen« soll demgegenüber auch alle grenzüberschreitenden Interaktionen zwischen Organisationen (z. B. NGOs oder multinationale Unternehmen), gesellschaftlichen Gruppierungen, Individuen und juristischen Personen umfassen. Diese Kritik am »Realismus« geht jedoch nicht soweit, die vordergründig apolitischen Aspekte internationaler Beziehungen zu untersuchen. Der »Na93 Dazu fand auch im April 2010 in Dublin eine Konferenz unter Teilnahme Linklaters mit dem Titel »Globalisation & Civilisation in International Relations – Towards New Models of Human Interdependence« statt; siehe: http://www.ucd.ie/sociology/newsevents/news/title,52627,en.html.
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Agonale Weltsportgemeinschaften
tionensport« findet in Lemkes Einteilungsprinzip keinen Platz. »Nationensport« konstituiert aber auch durch gegenseitige Beobachtung und Rezeption nationaler Publika sowie auf internationaler Anerkennung orientierter staatlicher Sportpolitik und durch Athleten und Athletinnen, die als »nationale Stellvertreter« anerkannt werden, Formen internationaler Beziehungen. Eine andere IB-interne Kritik am »Realismus« zielt darauf ab, die Relevanz von »Staaten« in der modernen Welt generell in Frage zu stellen. Das »westfälische System«, gekennzeichnet durch die konstitutiven Regeln der »Souveränität« und des »Territorialstaats« hätte im Zuge der Globalisierung seine Gültigkeit verloren (vgl. Lyons 1995; Rosenau 1997; Albert 2003). Seidelmann (1994: 494 f.) weist darauf hin, dass der durch das Völkerrecht entstandene Souveränitätsbegriff in den IB »durch ein in sich differenziertes und gradualistisches Konzept von Einflussmöglichkeit im und auf das internationale System abgelöst« wurde. Es wurde bereits festgehalten, dass der Souveränitätsverlust der Staaten nicht unbedingt zu einem Verlust der Legitimität von Nationen führen muss. Die »Entstaatlichung« der »Nation« durch den Sport im Zusammenspiel mit Internet und Fernsehen schafft, wie bereits demonstriert, eine eigene Dynamik sowohl des »Nationalen«, wie auch der Beziehung zwischen »Nationen«.
Struktur und Eigenschaften »agonaler Weltsportgemeinschaften« Welcher Schluss kann aus dieser IB-internen Kritik am »Realismus« für den Nationensport gezogen werden? »Nationensport« besitzt auf jeden Fall auch einen »realistischen« Aspekt für Staaten, weil internationale Sportverbände wie IOC, FIFA oder UEFA »Kampffelder« für die Durchsetzung staatlicher Interessen darstellen. Die gängigsten Kampfmittel sind 1) der Ausschluss anderer Länder von Wettkämpfen, 2) der Boykott von Wettkämpfen, 3) die Verweigerung (Veto) der Mitgliedschaft von Ländern an der Mitwirkung in internationalen Sportverbänden und 4) den gemeinschaftlichen Sinn durch Staaten, die an internationalen Großveranstaltungen teilnehmen, vorzutäuschen. Der Ausschluss von Staaten an der Teilnahme der wichtigsten Sportwettbewerbe bildet die direkteste Maßnahme internationaler Ächtung. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Verliererstaaten Deutschland, Österreich, Ungarn, Bulgarien und die Türkei als vermeintliche Verantwortliche für den Krieg von der Teilname an Olympischen Spielen gesperrt. Diese Strafe widerfuhr Deutschland und Japan nochmals nach dem Zweiten Weltkrieg (1948). Außerdem durfte Deutschland auch nicht an der Fußballweltmeisterschaft 1950 teilnehmen, weil der DFB damals noch nicht FIFA-Mitglied gewesen war. Ebenso wurden Südafrika, Rhodesien und Jugoslawien von der Teilname an Olympi-
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schen Spielen ausgeschlossen. Im Jahr 2000 wurde Afghanistan aufgrund der frauenverachtenden Politik durch das Taliban-Regime die Teilnahme an Olympischen Spielen verweigert. Noch häufiger sind Boykotte und Boykottaufrufe (allgemeine Überlegungen zu olympischen Boykotten, vgl. Oosterhoff 2011). Bereits im Jahr 1933, kurz nach der Machtübernahme der NSDAP, wurde in den USA zum Boykott der Spiele in Berlin 1936 aufgrund der deutschen Rassenpolitik aufgerufen (vgl. Guttmann 2006; Large 2007: 69 – 109). Im Jahr 1956 boykottierten einige Staaten die Olympischen Spiele aufgrund der sowjetischen Niederschlagung des Ungarnaufstandes. In den 1970er Jahren drohten einige afrikanische Staaten, Kuba und Guyana wegen der Politik der Apartheid in Südafrika und in Rhodesien die Olympischen Spiele zu boykottieren. Vor der Fußballweltmeisterschaft 1978 in Argentinien gab es in Deutschland und anderen Ländern Diskussionen über einen Boykott aufgrund der Ermordungen und Folterungen durch die damalige argentinische Militärjunta (Archetti 2006). China nahm bis 1984 deshalb nicht an den Olympischen Spielen teil, weil dort Taiwan unter »Republik China« auftrat. Im Jahr 1980 boykottierten aufgrund des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan 64 westliche Staaten die Spiele in Moskau (vgl. Sarantakes 2011: 15 ff.). Im Jahr 1984 verzichtete die Sowjetunion und 18 weitere Staaten auf die Teilnahme in Los Angeles. Im Jahr 1988 boykottierten Nordkorea, Äthiopien, Kuba und Nicaragua die Teilnahme bei den Olympischen Sommerspielen in Seoul. Aus Anlass der Sommerspiele in Peking 2008 kam es aufgrund der chinesischen Tibetpolitik wieder in einigen Ländern zu Boykottaufrufen. Auffällig ist allerdings, dass seit Mitte der 1990er Jahre mit der Etablierung der neuen postkommunistischen Weltordnung keine weiteren Olympia-Boykotte mehr wirksam wurden. Heute scheint allerdings eine weitere Form von Boykott oder Boykottandrohung zu entstehen, nämlich dass bloß Regierungschefs und ihre Minister einem Land drohen, nicht als Zuschauer beim Sportereignis zu erscheinen, wenn der Gastgeber seine menschenrechtsverachtende Politik nicht ändert. Ein weitere direkte Form der Interessendurchsetzung von Staaten im Nationensport stellt das Veto auf die Aufnahme eines anderen Staates (oder besser : dessen nationaler Sportverbände) in die internationalen Strukturen dar. Rechtlich liegt die Entscheidung für oder gegen eine Aufnahme bei den internationalen Verbänden. Diese werden jedoch aufgrund der politisch und national aufgestellten Funktionärsschicht stark beeinflusst. So interveniert etwa Spanien erfolgreich gegen die Aufnahme Gibraltars in die UEFA. Die Teilname von Macao, Hongkong oder in eingeschränkterer Weise auch Taiwan bei FIFA und IOC hängt vom guten Willen der chinesischen Regierung ab, die mit ihrer Politik »ein Land, zwei Systeme« nach außen hin ein offenes und freundliches Image demonstrieren will. Aber auch die Teilnahme britischer und amerikanischer
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Überseeterritorien hängt von der Goodwill-Politik der Mutterländer ab. Die Vermehrung von Teilnehmerländern bei Olympischen Sommerspielen oder der Qualifikationsrunde von Fußballweltmeisterschaften ist in der letzten Zeit Großteils auf die Aufnahme solcher abhängigen Gebiete zurückzuführen, die meist kleine Insel im Pazifik, Indischen Ozean oder in der Karibik darstellen. Für einige dieser Territorien gilt die Teilnahme an solchen Wettbewerben als Vorstufe zur politischen Souveränität. Die Mutterländer erhoffen sich dagegen, durch solche Zugeständnisse eine befriedigende Form internationaler Repräsentanz für diese Gebiete gefunden zu haben. Die internationalen Verbände haben auf die Situation der ständigen Einwirkung von Staaten auf die Aufnahmepolitik mit der Schaffung formeller Aufnahmekriterien reagiert. So dürfen seit einigen Jahren etwa nur mehr UN-Vollmitglieder in die UEFA aufgenommen werden. Dadurch wird umstrittenen Fällen wie dem Kosovo, Nordzypern, Gibraltar oder Grönland ein Beitritt verunmöglicht.94 Eine ganz andere Form staatlicher Interessendurchsetzung durch den Sport auf internationaler Ebene findet sich in der Politik der Vortäuschung von Gemeinschaftlichkeit mit Hilfe des »Olympismus«. Nazi-Deutschland wollte sich 1936 als friedliches und zuverlässiges Mitglied der »Staatengemeinschaft« präsentieren, als es schon längst den Krieg plante (vgl. Alkemeyer 1996; Gebauer und Wulf 1996; Guttmann 2006; Large 2007). Mexiko präsentierte sich einige Tage nach der blutigen Niederschlagung von Studentenprotesten bei den Olympischen Sommerspielen 1968 und zwei Jahre später bei der Fußballweltmeisterschaft 1970 als großzügiger Gastgeber (vgl. Brewster und Brewster 2006: 99). Dieselbe Form der Täuschung plante auch die Militärjunta in Argentinien 1978 (vgl. Archetti 2006) oder die Sowjetunion 1980 (vgl. Edelmann 2006). Jugoslawien präsentierte sich 1984 bei den Olympischen Winterspielen in Sarajevo als stabile und gutfunktionierende staatliche Einheit, obwohl bereits Spannungen zwischen Volksgruppen und Teilstaaten bestanden.95 China versuchte 2008
94 Siehe dazu, UEFA Statuten Artikel 5: »Mitglieder der UEFA können europäische Verbände werden, die in einem Land, das ein von der UNO anerkannter, unabhängiger Staat ist, ihren Sitz haben und die im Gebiet ihres Landes für die Organisation und Durchführung des Fußballsports verantwortlich sind« (UEFA 2010: 3). Ganz ähnlich erklärt Artikel 10, Absatz 2 der FIFA Statuten: »Mitglieder der FIFA können Verbände werden, die in ihrem Land für die Organisation und Kontrolle des Fußballs verantwortlich sind. In diesem Zusammenhang bezieht sich der Begriff ›Land‹ auf einen von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannten, unabhängigen Staat…« In Artikel 10, Absatz 6 heißt es ergänzend : »Ein Fußballverband eines Gebietes, das die Unabhängigkeit noch nicht erlangt hat, darf mit Bewilligung des Verbandes des Landes, dem das Gebiet zugehört, um einen Beitritt zur FIFA ersuchen« (FIFA 2004: 8). Siehe auch: »Kosovo wird Zankapfel zwischen FIFA und UEFA«, Online-Ausgabe »Die Presse«, 24. 5. 2012, abgerufen am 24. 5. 2012 (http://diepresse.com/ home/sport/fussball/760524/Kosovo-wird-zum-Zankapfel-zwischen-Fifa-und-Uefa). 95 vgl. dazu den offiziellen Bericht des Jugoslawischen Olympischen Komitees 1984, das bei der
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ein ähnlich harmonisches und gesittetes Bild von sich zu geben, indem etwa bei der Eröffnungszeremonie die ethnischen Minderheiten des Landes in Trachten auftraten und die Regierung dadurch eine Form von harmonischer Einheit durch Vielfalt demonstrierte. Auch hier bestanden schon zu diesem Zeitpunkt starke ethnische Spannungen, wie etwa durch die Niederschlagung des Aufstandes in Tibet oder die Unruhen der Uiguren in Xinjang. Der Kaukasuskrieg 2008, der zur de-facto Abspaltung von Abchasien führte, begann am selben Tag wie die Olympischen Spiele.96 »Agonale Weltsportgemeinschaften« lassen sich allerdings nicht auf Machtpolitik reduzieren. Disraelis und Palmerstons Motto, dass Staaten keine Freunde hätten, sondern nur Interessen, stellt in Hinsicht auf »agonale Weltsportgemeinschaften« einen Reduktionismus dar. Das hat mehrere Gründe: 1) »Nationensport« ist nicht durch Herrschaftspolitik vollständig kontrollierbar und besitzt seine eigene Logik. Ergebnisse und Spielverläufe sind nicht staatlich beeinflussbar. Sport lässt sich auch nur bedingt für die Ziele von Regierungen erfolgreich einspannen, wie etwa der verzweifelte Versuch der jugoslawischen Regierung demonstrierte, den Staat durch die Olympischen Winterspiele als Einheit nach außen und innen zu präsentieren. Regierungen können sich bestenfalls opportunistisch gegenüber dem »Nationensport« positionieren. 2) »Nationensport« transformiert darüber hinaus Inhalt und Form nationaler Wir-Bilder und Wir-Ideale. Dieser Prozess der Neudefinition, neuartiger emotionaler Bindungsformen und der Banalisierung des Nationalen ist jedoch nur in einem geringen Ausmaß politisch kontrollierbar. Vielmehr sind solche Veränderungen der Eigenlogik von Sport, Medien und Populärkultur ausgesetzt. 3) Es besteht ein komplexer Zusammenhang zwischen »Nationensport« und Krieg, bzw. dem militärischen Potential von Staaten. Heute finden fast keine zwischenstaatlichen Kriege statt. Militärisch scheint nicht mehr viel Spielraum für Staaten zu bestehen, Interessen zu verwirklichen. Dieser Punkt der allgemeinen militärischen »Neutralisierung« wird uns noch genauer beschäftigen. 4) »Agonale Weltsportgemeinschaften« basieren auf einer Vielzahl separierter Präsentation Sarajevos und Bosnien-Herzegowinas kein einziges Mal die multiethnische Bevölkerung erwähnte, sondern bloß deren Schi-Begeisterung hervorhob (vgl. 1984). 96 Am 7. August 2008 griffen südossetische Milizen georgische Soldaten an. Am 8. August griffen georgische Truppen russische und südossetische Einheiten an. Am selben Tag beantrage Russland eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates. Präsident Putin befand sich am 8. August bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiel in Peking und reiste noch am selben Tag in den Kaukasus. Noch an diesem Tag begann das russische Eingreifen in den Konflikt; siehe dazu: Artikel »Kaukasuskrieg 2008«, in Wikipedia (deutsche Ausgabe), abgerufen am 24. 5. 2012 (http://de.wikipedia.org/wiki/Kaukasuskrieg_2008).
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internationaler Beziehungsgeflechte auf Grundlage einzelner Sportarten. Diese sportlichen Beziehungsgeflechte müssen nicht mit geopolitischen Figurationen übereinstimmen. Verschiedene Sportarten oder Wettbewerbe binden ganz unterschiedliche Gruppen von Nationalstaaten aneinander. Sportarten besitzen eben nicht in allen Ländern dieselbe Relevanz. Commonwealth Games oder die Asienspiele werden etwa in Kontinentaleuropa nicht besonders intensiv verfolgt und daher ist hier auch die Bedeutung gewisser Traditionen, historischer Ereignisse oder Duelle nur einer Minderheit bekannt. Andererseits konstruieren der olympische Medaillenspiegel, Sportstatistik und Sportberichterstattung auch eine Gesamtdarstellung des »Nationensports«, indem über Sportdisziplinen hinweg ein übergreifendes internationales Siegprestige als bedeutungsvoll dargestellt wird. »Agonale Weltsportgemeinschaften« besitzen also eine vordergründig akteurbezogene Perspektive, indem Athleten und andere Personen oder Institutionen als »nationale Stellvertreter« angesehen werden. In Wirklichkeit nimmt jedoch das vermeintlich passive Sportpublikum eine sehr aktive, akteur-ähnliche Rolle ein. Das nationale Publikum tritt zum Beispiel als medial vermittelte »gefühlte« Gemeinschaft in Erscheinung, die durch »nationale Stimmungen« zu einem Akteur der ganz besonderen Art wird. Es tritt aber auch in Form von »QuasiInteraktionen« in Kontakt mit anderen »Nationen« oder deren Sportöffentlichkeit. Das geschieht, indem ausländische nationale Publika als Teil der Medienberichterstattung und in die »nationale Stimmung« integriert werden. Dieser Vorgang ist vielschichtig reflexiv, weil auch das nationale Publikum eines anderen Landes über das berichtet wird, in vielen Fällen weiß, dass es unter Beobachtung steht. Daher richtet es sein Verhalten mit Hilfe örtlicher Medien in gewünschter Weise aus. So kann internationales Prestige und der damit verliehene Status kommuniziert werden. Dieser Vorgang lässt sich besonders gut bei Weltmeisterschaften beobachten, bei denen nicht nur die Mannschaften, sondern auch deren Publika unter globaler Beobachtung stehen. In Deutschland kann deshalb nur vom »fröhlichen Patriotismus« nach der Fußballweltmeisterschaft 2006 die Rede gewesen sein, weil die Fernsehbilder der im Autocorso feiernden deutschen Fans nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern beobachtet wurden. Durch dieses »undeutsche« Fanverhalten konnte ein gewünschtes Image nach außen kommuniziert werden. So konnte der Welt vermittelt werden, Deutschland hätte den Mief des militärisch-steifen, preußisch geprägten Nationalismus endgültig abgeschüttelt und mit einem sympathischen und südländisch geprägten Patriotismus eingetauscht. »Agonale Weltsportgemeinschaften« sind daher komplexe Gebilde. Sie verbinden verschiedene Berufsfelder und unorganisiertere Teile der Gesellschaft vieler Länder miteinander. Sie stellen Sozialtypen sowohl der internationalen
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Vergesellschaftung, wie auch der grenzüberschreitenden Vergemeinschaftung dar. Eine transnationale Form von Vergesellschaftungen findet durch organisatorische Anpassungsprozesse in Sportverbänden und Medienanstalten statt. Weiters finden sich ästhetische und modische Anpassungen, hervorgerufen durch Sponsoren und die zunehmend globaler wirkende Sportartikelbranche. Außerdem führen grenzüberschreitende Arbeitsmärkte von Sportlern und Trainern dazu, dass Menschen und Ideen (und damit auch Spielstile) über weite Distanzen ausgetauscht werden. Es wurde bereits diskutiert, dass diese Form der transnationalen Vergesellschaftung zu mehreren Formen von Entethnisierung des Sports und der Schaffung einheitlicher Normen und Standards führt. Zum einen finden Prozesse des »Isomorphismus« von Organisationsstrukturen im Sport und den Medienanstalten im Sinne von Meyer und anderen statt (vgl. DiMaggio und Powell 1983; Meyer und Jepperson 2005). Überall entstehen ähnlicher werdende Sportsysteme, die allerdings bei genauer Betrachtung – selbst in den einzelnen europäischen Ländern – ihre nationalen Spezifika teilweise erhalten können. Das Verhältnis zwischen Sportvereinen, Dachorganisationen, Regionalpolitik und Sportpolitik ist in jedem Land etwas anders gestaltet. Dennoch ähneln sich andere Formen der Organisation des Sports, wie etwa Trainingsabläufe oder die Organisation der Nachwuchsrekrutierung immer mehr zwischen einzelnen Ländern. Das Sporttraining erfolgt etwa nach wissenschaftlichen Prinzipien und findet durch das international strukturierte Trainerwesen überall Verbreitung. Die internationalen Arbeitsmärkte in einigen Sportarten wie etwa Fußball, Eishockey oder Tennis schaffen den Sozialtypus des global agierenden Profisportlers und professionellen Trainers. Spielstil oder die äußeren Erscheinungsformen von Athleten gleichen sich dadurch immer stärker an. Aber auch im Berufsfeld des Sportjournalismus finden sich derartige Angleichungsprozesse im Stil der Berichterstattung, das ein eigenes journalistisches Genre bildet. Die ästhetische Aufmachung von Text-, Bild- und AudioMaterial folgt ganz klar internationalen Vorbildern. Diese Prozesse transnationaler Vergesellschaftung stellen jedoch bloß die notwendige Grundstruktur dar, auf Basis derer sich Formen internationaler Vergemeinschaftung ausbilden können. Der Profisport, sein internationaler Arbeitsmarkt, seine wissenschaftlichen Trainingsmethoden, seine allgemein verbreiteten Formen von körperlicher Effizienz schaffen äußere Formen, ein Erscheinungsbild der Athleten und der Sportorganisation, mit dem die Menschen in vielen Gegenden der Welt bereits vertraut sind. Der Habitus des Spitzensportlers, des Trainers und des Sportfunktionärs, sowie Stadionarchitektur, technische Hilfsmittel und andere materielle Gegenstände und Konventionen des Sportbetriebs gleichen sich überall auf der Welt. Die Angleichung dieser äußeren Formen durch die Organisationsstruktur des internationalen Spitzen-
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sports und den Sportjournalismus schafft grenzüberschreitende Nähe und Vertrautheit. Athleten und Mannschaften aus anderen Ländern sind nicht »Fremde« – ihre Leistung kann verstanden, beurteilt und bewundert werden. Deren im Fernsehen sichtbarer Habitus unterscheidet sich nicht wesentlich von dem der Athleten des eigenen Landes. Der »Nationensport« führt auch zu einer isomorphen Repräsentation der Nation. Durch die Ähnlichkeit von Sport- und Journalisten-Habitus sind auch die nationalen Wir-Bilder aller Teilnehmerländer relativ standardisiert. Die Entethnisierung des Sports führt somit zu einer Entethnisierung der nationalen Repräsentation durch den Sport. Dadurch tritt eine zweifache und miteinander verzahnte Form der Vergemeinschaftung ein: 1) Durch den »Nationensport« kommt es zu einer nations-internen Form von Vergemeinschaftung. Das Publikum erzeugt eine auf Sportlern und Athleten als Repräsentanten des Landes ruhende emotionale Bindung zur eigenen Nation. Durch den »Nationensport« wird die nationalstaatliche Gesellschaft zu einer »gefühlten« Gemeinschaft. Aber auch das Publikum begreift sich als vergemeinschafteter Sozialkörper, indem es medial sich selbst betrachtet und Vorgänge der publikumsinternen Verbrüderung (und Verschwesterung) in die nationale Erinnerungskultur integriert. 2) Durch den »Nationensport« kommt es auch zu einer internationalen Form der Vergemeinschaftung. Die durch die Konventionen des Sport und der Medienberichterstattung vertraut gewordenen »Fremden«, das nationale Publikum der Anderen, wird Teil des eigenen Reflektierens und Nachdenkens über die Nation. Das Publikum der Anderen bildet im »Nationensport« einen »signifikanten Anderen« (vgl. Mead und Morris 1934), indem etwa die ausländische Presseberichterstattung über Athleten und Mannschaften aus dem eigenen Land in Medien rezipiert wird. Das nationale Publikum eines Landes wird somit zu einem Akteur ganz eigener Art. Nicht nur Athleten und Mannschaften, sondern eben auch die Zuschauer eines Landes im Stadion, vor den Fernsehapparaten, beim Public Viewing oder beim Feiern auf den Straßen werden im »Nationensport« zu Repräsentanten des eigenen Landes. Zuschauer und Publikum von sportlich konkurrierenden Ländern kommunizieren auf indirektem Weg miteinander, indem sie sich in Schlachtgesängen, in Fernsehreportagen oder über Pressespiegel aufeinander beziehen. Nationale Publika konstituieren somit eine besondere Art von internationalen Beziehungen. Der tiefste Kern dieser Beziehung, dieser durch den Spitzensport emotional miteinander verbundenen Publika, bildet die gegenseitige Bezugnahme auf internationales Prestige. Spitzensport als »Weltkultur« kennt Formen von »symbolischem« und »kulturellem Kapital« (vgl. Bourdieu 1982), das grenzüber-
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schreitende und manchmal sogar globale Gültigkeit besitzt. Dieses sportliche Prestigekapital setzt sich zuallererst aus sportlichen Leistungen zusammen, deren Beurteilung einem global akzeptierten Schema unterworfen ist. »Siegprestige« stellt in gewisser Weise die Spitze dieser Form von Status dar, verkörpert in Symbolen wie Goldmedaillen. Ein wichtiges Instrument in der Produktion von internationalem Prestigekapital bilden aber auch Sportstatistiken und Sporttraditionen, wie etwa bestimmte Wettkampfstätten, Wettkampfzyklen oder historische Sportduelle zwischen Ländern. Weiter vorne wurde bereits diskutiert, dass auf der Grundlage der einzelnen Sportarten unterschiedliche internationale Wettkampfkreise entstanden. Ein jeder besitzt seine eigene Erinnerungskultur und verbindet durch Wettkämpfe eigene Kombinationen von Ländern miteinander. Die Weltsportgemeinschaft des Fußballs ist nicht deckungsgleich mit der von Rugby, obwohl einige Länder sowohl in dem einen, wie in dem anderen System zu finden sind. Wichtig ist auch zu erkennen, dass sich der Charakter »agonaler Weltsportgemeinschaften« von geopolitisch bestimmten internationalen Figurationen unterscheidet. Traditionell bilden sich diplomatische Beziehungen zwischen Ländern aufgrund ihres langjährigen Kontaktes und einer meist kriegerisch bestimmten Tradition zwischen ihnen. Im »Nationensport« muss das nicht der Fall sein. »Historische« Länderduelle können mit geopolitischen Konstellationen korrespondieren, wie etwa die Rivalität im Kricket zwischen Indien und Pakistan. Sie müssen das allerdings nicht! Länderrivalitäten im Sport können nämlich auch ganz losgelöst von geopolitischen Kontakten sein. Aus der Sicht der politisch definierten Internationalen Beziehungen entstehen im »Nationensport« manchmal relativ bunt zusammengeworfene Wettbewerbsgruppen. Dominanz innerhalb einer »agonalen Weltsportgemeinschaft« ist jedoch nicht mit dem Konzept von »Softpower« gleichzusetzen (vgl. Nye 1991). Das Konzept von »Softpower« geht davon aus, dass Staaten aufgrund ihrer attraktiven Kulturgüter andere Staaten für sie günstig stimmen können, ohne dass dabei Gewalt oder Gewaltandrohung nötig wäre. Der »American Way of Life« erscheint in vielen Gesellschaften als nachahmenswert, deshalb wird dort auch die USA in einem eher positiven Licht betrachtet. Der moderne Spitzensport stammt zum größten Teil aus England, aber auch die USA haben viel zu seiner Entwicklung beigetragen. Amerikanische Sportler dominieren noch heute viele wichtige sportliche Bewerbe. Die Sportberichterstattung in vielen Ländern orientiert sich auch in ihrer formalen Gestaltung an amerikanischen Vorbildern. Moderner Spitzensport besitzt daher durchaus »amerikanisierte Aspekte«. Dennoch wäre es verfehlt, den Spitzensport als eine amerikanische Form von »Softpower« zu verstehen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Nationenwettkämpfe im Sport sich auch ab einem gewissen Zeitpunkt gegen ihre »Mutterländer« richten können. Staaten, die ursprünglich dominant in gewissen
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Sportarten waren oder die sogar diese Sportarten hervorgebracht hatten, können besiegt werden. Ehemalige Außenseiter können nämlich Spitzensport erfolgreich adaptieren und als Symbol ihrer eigenen Stärke instrumentalisieren. Siege ehemaliger Außenseiter gegen ehemalige dominante Sportnationen gelten als besonders prestigereich. Beispiele dafür wurden bereits genannt. Im Fußball galten Siege gegen die englische Nationalmannschaft als besondere Leistung, so lange bis Brasilien, Argentinien, Deutschland, die Niederlande und Italien England als führende Fußballnation ablösten. Die USA dominierten die Olympischen Spiele, bis die UdSSR in den 1950er Jahren in der Regel die meisten Medaillen zu gewinnen begann. Das symbolische Gewicht der sowjetischen Siege lag gerade darin, die ehemals dominanten USA zu schlagen. Dies war für die UdSSR ein (trügerisches) Zeichen auch in anderen Gebieten, wie Wissenschaft und Wirtschaft, die kapitalistischen USA überholen zu können.
»Zivilisierung« und »Verhöflichung« internationaler Beziehungen durch den Sport Elias und Dunning sehen die Entwicklung des Sports mit dem Staatsbildungsprozess Englands verbunden (vgl. Dunning und Sheard 1979; Elias et al. 1982; Dunning 1999). Für sie stellt die Entstehung einiger moderner Sportarten eine Parallelentwicklung zum aufkommenden Parlamentarismus seit der »Glorreichen Revolution« (1688/89) dar. Daher gleicht auch das Ideal der Fairness im Sport einem bestimmten Gentleman-Kodex, der sich als eine gewaltfreie Praxis der Interessendurchsetzung herauszubilden begann. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts diffundierte der moderne Sport in die unteren Schichten der englischen Gesellschaft. Welche Konsequenzen ergeben sich für die Theorie des Prozesses der Zivilisation, wenn man diese staats- und gesellschaftsinterne Perspektive erweitert und den internationalen Kontext berücksichtigt? Welche Rolle spielt Sport – und vor allem der »Nationensport« – für Kontrolle und Eindämmung von zwischenstaatlicher Gewalt? Elias interpretierte die moderne Staatenkonkurrenz als Fortsetzung der »Ausscheidungskämpfe« kleinerer territorialer Einheiten, die im Laufe vieler Jahrhunderte zu einem monopolisierten Staatsgebilde führten. »Heute bilden diese Staaten ihrerseits miteinander zunächst wieder analoge Gleichgewichtssysteme frei konkurrierender Menschenverbände, wie ehemals die kleineren Einheiten, die jetzt in ihnen zusammengeschlossen sind. Auch diese Staaten werden … stärker und stärker gegeneinander getrieben. … Wie in jedem Balancesystem mit wachsender Konkurrenzspannung und ohne Zentralmonopol, so drängen auch die mächtigsten Staatsverbände … zur Ausdehnung und Verstärkung ihrer Machtposition.« (Elias 1995: 435)
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Elias erweiterte diese Sichtweise auf die Hegemonialbestrebungen und die Entstehung eines nuklear abgesicherten Duopols von USA und Sowjetunion während des Kalten Krieges (Elias 1985). Der zivilisationstheoretische Ansatz wurde später auch im Bereich von IB aufgegriffen (vgl. Senghaas 1994: 27). Rittberger et. al. (1997: 23) argumentieren, dass sich entsprechend der Theorie von Elias drei Mechanismen der Zivilisierung unterscheiden lassen: Zivilisierung gestützt auf 1) privates Gewaltmonopol, 2) öffentliches Gewaltmonopol und 3) Selbstbeschränkung und Selbstkoordination. Privates Gewaltmonopol beschreibt die Unterwerfung des Adels durch den König (im französischen Fall). Öffentliches Gewaltmonopol meint die Ausdehnung des privaten Gewaltmonopols auf alle Schichten der Bevölkerung. Für Elias stellt nicht nur die Monopolisierung von Gewalt, sondern auch die Ausbreitung und Verdichtung gegenseitiger Abhängigkeiten (Interdependenzen) eine Quelle der Zivilisierung von Gewalt dar. Die Koordination des Handelns innerhalb komplexer Interdependenzgeflechte erfordert nämlich nach dieser Sicht ein hohes Ausmaß an Selbstkontrolle. Elias meinte dazu: »Dann erst kann sich die Regelung der Beziehungen von Mensch zu Mensch … auf jene Gebote und Verbote beschränken, die notwendig sind, um die hohe Differenzierung der gesellschaftlichen Funktionen aufrechtzuerhalten, … dann erst [können] die Selbstzwänge auf jene Restriktionen [eingegrenzt werden], die nötig sind, damit die Menschen möglichst störungs- und furchtlos miteinander leben, arbeiten und genießen können.« (Elias 1995: 453)
Die Berücksichtigung des weltweit betriebenen »Nationensports« als zivilisierende Kraft innerhalb eines monopolfreien Staatensystems verkompliziert die figurationssoziologische Sicht. Maguire (1994) verweist in seiner Arbeit über die Globalisierung des Sports auf Elias’ Modell der »Verringerung der Kontraste, Vergrößerung der Spielarten« (Elias 1995: 342 ff.). Elias legte dabei seine Sichtweise über die weltweite »Ausbreitung der Zivilisation« dar. »Von der abendländischen Gesellschaft … breitet sich heute [1939!] … abendländisch ›zivilisierte‹ Verhaltensweisen über weite Räume aus. … Eben darum bahnt sich auch hier – im Verhältnis des Abendlandes zu anderen Gebieten der Erde – jene Verringerung der Kontraste an, die allen Wellen der Zivilisationsbewegung eigentümlich sind.« (Elias 1995: 345 f.)
Elias meint weiter, dass durch die interne Konkurrenz der westlichen Mächte, diese nicht nur weite Teile der Welt abhängig von sich machen, sondern dass im Gegenzug diese auch von ihnen abhängig werden. »Auch in den Kolonialgebieten dringen … abendländische Verhaltensweisen [ein] … und verschmelzen zu neuen, einzigartigen Einheiten, zu neuen Spielarten des zivilisierten Verhaltens. Die Kontraste des Verhaltens zwischen den jeweils oberen und jeweils unteren Gruppen verringern sich mit der Ausbreitung der Zivilisation; die
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Spielarten oder Schattierungen des zivilisierenden Verhaltens werden größer.« (Elias 1995: 348)
Maguiere erweitert diese Überlegung auf die weltweite Ausbreitung des Sports um das Konzept der »sportization« (Versportlichung), das er in vier historische Phasen unterteilt (vgl.Maguire 1999: 404 ff.). In den ersten beiden Phasen entwickelt sich Sport in England. In der dritten Phase breitet sich Sport in Europa aus. Es entstehen die ersten Formen des »Nationensports«. In einer vierten Phase breitet sich der Sport seit den 1960er Jahren weltweit aus. Dabei werden jeweils lokale Sporttraditionen in den Weltsport integriert. Neugeformte, »glokalisierte« oder »kreolisierte« Sportarten werden von den peripheren Ländern wieder in das Zentrum importiert. Der Erfolg des »Nationensports« zeugt davon, dass die kulturellen Kontraste geringer werden, jedoch die Spielarten größer. Denn immer mehr »Nationalteams« und nationale Mannschaften in immer weiteren Sportarten treten in Konkurrenz zueinander. Das heißt, die Ausbreitung von »Nationensport« stellt ein Phänomen dar, das weiterreichend ist, als bloß die Akzeptierung des Vorgangs von Gewaltritualisierung. Die Ausbreitung von Nationensport beschreibt auch eine Form der kulturellen Annäherung, aber der gleichzeitigen Formung neuer, bindender und verpflichtender Konkurrenzfelder. Die weltweite Annäherung nationaler WirBilder ist Ausdruck dieser »Verringerung der Kontraste, Vergrößerung der Spielarten.« Dadurch kann internationales Prestige erst zu einer weltweit akzeptierten Austauschware werden. Aber dieses Modell beschreibt noch nicht erschöpfend den Vorgang der Transformation nationaler Wir-Bilder und WirIdeale. In das Modell muss erst der Aspekt der Massenmedien und der Medialisierung der Nation integriert werden. Wie bereits gezeigt, steht die massenmediale Darstellung von Nationen in einem Spannungsverhältnis zum nationalen Diskurs einer »kleinen Öffentlichkeit«, d. h., in Internetforen, Blogs oder am Stammtisch. Dort wird das ethnische Element viel stärker betont. Es konnte auch gezeigt werden, dass im »Nationensport« dieses Spannungsverhältnis zwischen medial erzeugtem internationalen Prestige und sozial kleinräumigem Ethnonationalismus weniger stark ausgeprägt ist als bei anderen Themenbereichen (wie z. B. der Einwanderung). Im »Nationensport« wird über Massenmedien in der Regel ein ethnisch substanzloses, freundliches und friedliches Bild der eigenen Nation transportiert. »Chauvinismus«, »Rassismus« und ethnische Überlegenheitsrhetorik treten dabei selten in Erscheinung, sind jedoch vor allem in der »kleinen Öffentlichkeit« vorhanden. Vielmehr werden diese nationalen Wir-Bilder im »Nationensport« global gleichförmiger, weil sie von einer amerikanisierten Weltkultur beeinflusst werden. Aus dieser Perspektive betrachtet, steht einem ethnisch aufgeladenen Na-
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tionalismus ethnisch entleertes und substanzloses internationales Prestige gegenüber, das – wenn man den Nationalismusbegriff nicht zu streng verstehen möchte – nicht nur im Sinne Billigs als »banaler«, sondern als »leerer« Nationalismus bezeichnet werden könnte. Internationales Prestige und ethnisch aufgeladener Nationalismus bilden nicht bloß zufällige Gegensatzpaare und stellen auch nicht nur zwei Stufen einer Entwicklung dar. Es wurde bereits gezeigt, dass der »romantische Nationalismus« des 19. Jahrhunderts vor allem auf nationalen Bewegungen als deren Träger fußte. Der moderne ethnisch aufgeladene Nationalismus gruppiert sich ebenfalls um nationalistische Parteien, legale und illegale rechtsradikale Zirkel oder Jugendsubkulturen. Diese Gruppen unterscheiden sich allerdings von den nationalen Bewegungen des »romantischen Nationalismus«, weil sie meist nicht Teil der etablierten Gesellschaft sind. Diese Gruppen werden vielmehr oft kriminalisiert oder marginalisiert. Selbst dort, wo in Europa rechtspopulistische Parteien stark sind, sogar an der Regierungsgewalt teilhaben, können Schutz und Sympathie der etablierten Gesellschaft gegenüber rechtsradikalen Nationalisten nur verdeckt (oder wie im Fall der FPÖ: halbversteckt) wirksam werden. Diese Gruppierungen, die chauvinistische oder rassistische Standpunkte vertreten, können daher oft nur schwer durch die gängigen Massenmedien ihre politische Botschaft verbreiten. Sie sind entweder auf die »kleine Öffentlichkeit« des persönlichen Kontakts oder auf Internetforen und Blogs angewiesen. In diesem Sinn unterscheidet sich ihre Position stark von der rechtsradikaler Bewegungen in der Zwischenkriegszeit, die entweder offene und starke Bindungen zu etablierten Parteien besaßen, selbst zu etablierten Parteien wurden, oder massenmediale Repräsentanz nutzen konnten. Fernsehen, Radio oder große Tageszeitungen sind allerdings auch heute nicht frei von ethnonationalen oder »chauvinistischen« Standpunkten. Noch dazu besteht zwischen den Ländern Europas ein großer Unterschied in Grad und Intensität des antirassistischen und antichauvinistischen Konsens. Die politische Berichterstattung in Massenmedien ist zum Beispiel in Ungarn in einem anderen Ausmaß als in Deutschland von einem nationalen Anti-EU-Standpunkt oder einer ablehnenden Haltung gegenüber Einwanderung durchdrungen. Aber gerade in den Feldern von Sport und »Kultur« dominiert bei den meisten Fernsehstationen und großen Zeitungen (ob Boulevard oder »Qualitätsblätter«) Europas eine ähnliche ethnisch leere und substanzlose, amerikanisierte Weltkultur. Man könnte nun – wie Smith – internationales Prestige und »leeren« Nationalismus als oberflächliche Phänomene abtun und daher als nicht beachtenswerten Gegenstand einschätzen (vgl. Smith 1998: 19 ff.). Hier wird jedoch argumentiert, dass internationales Prestige und Nationalismus einen Komplex
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repräsentieren und deren Zusammenhänge nur durch die Berücksichtigung der internationalen Perspektive klar werden. Für bereits etablierte Nationalstaaten ist es jedoch ganz unumgänglich, beides, (Ethno-) Nationalismus und das Streben nach internationalem Prestige, miteinander zu kombinieren und dem einen oder dem anderen Element je nach Anforderung mehr Raum zukommen zu lassen. Niemals können aber etablierte Staaten auf internationales Prestige ganz verzichten. Separatistische Bewegungen konzentrieren sich dagegen vorwiegend auf die nationalistischen Forderungen. Internationales Prestige wird gering geschätzt, denn zunächst müssen aus der Sichtweise nationalistischer Befreiungsbewegungen die Grenzen zwischen Nation und Staat in Übereinstimmung gebracht werden. Die Mittel zur Durchsetzung dieses Zieles verletzten in der Regel aber internationale Standards und Normen. In etablierten Nationalstaaten ist diese Forderung jedoch weitgehend erfüllt. Hier vertreten meist xenophobe Gruppierungen nationalistische Forderungen. Abgesehen von der Situation offenen Staatsterrors, der eine Ausnahme darstellt, sind politische Eliten stets daran interessiert, den extrem xenophoben und rassistischen Kräften Einhalt zu bieten (auch wenn diese manchmal stillschweigend mit den radikalen Gruppen sympathisieren oder koalieren). Etablierte Nationalstaaten sind nämlich immer Teil eines internationalen Geflechts. Deren führende Schichten sind in der Regel eng mit führenden Schichten aus anderen Ländern verbunden. Sie stehen laufend in Gefahr, ihr Gesicht vor einer internationalen Öffentlichkeit zu verlieren. Daher haben vorwiegend Machteliten Interesse, internationales Prestige zu erlangen oder zu vermehren, das in vielen Fällen in Widerspruch zum Ethnonationalismus untergeordneter Gruppierungen gerät. Die Sphäre des Internationalen besitzt in einem gewissen Ausmaß immer weltkulturelle oder kosmopolitische Elemente. Diplomatie ist zum Beispiel stets in ein durch Weltkultur bestimmtes, kosmopolitisch geprägtes Konkurrenzfeld gebunden. Diplomaten bewegen sich auf einem Parkett, das durch weltweit akzeptierte Regeln und Konventionen bestimmt ist. Ein Bruch dieser Normen führt zu Statusdegradierung und damit zum Schaden für das »nationale Ansehen«. Selbst im Bereich des Militärs etablierte sich zwischen antagonistischen Staaten – wie zum Beispiel im Kalten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion – eine Form von gegenseitig verbindlichen Normen, die über die Ideale des Nationalismus hinausreichen. Völkerrecht und Kriegsrecht vertreten ein derartiges Prinzip, das den Nationalismus zu zügeln versucht. Bezeichnend ist auch, dass sowohl zwischen feindlichen Armeen, und im Speziellen zwischen den Offizierskorps der verfeindeten Länder, manchmal eigene Formen von Ehre bestehen, die auf die Vermeidung von Gesichtsverlust abzielen und einen gewissen zügelnden Effekt erzeugen. Diplomatie und Militär stellen somit innerhalb gewisser Grenzen auch
»Zivilisierung« und »Verhöflichung« internationaler Beziehungen durch den Sport
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international isomorphe Professionen dar. In diesem Sinn besitzen sie gewisse Ähnlichkeit mit den Organisationen des Spitzensports. Beim Sport allerdings kommt eine wichtige Komponente hinzu. Hier beobachtet nämlich ein Massenpublikum das Geschehen der professionellen Akteure. Das Staatsbankett findet in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Durch die Einbindung eines Massenpublikums diffundiert die Vorstellung von internationaler Ehre in breite Bevölkerungsschichten. Erst dadurch gerät weltkulturell geprägtes internationales Prestige in einen meist gar nicht overt artikulierten Konflikt mit den Vorstellungen von Nationalisten. Im Gegensatz zum Militärischen und Politischen verkörpert Sport noch dazu eine Form von Alltagskultur und steht somit in direkter Konkurrenz zu den national oder ethnisch konnotierten Sitten und Gebräuchen mancher Mittel- und Unterschichten. Denkt man an Elias’ Modell der Zivilisierung kriegerischer Impulse des Adels durch die Etablierung einer höfischen Gesellschaft, so lassen sich zum vorliegenden Fall des medial vermittelten »Nationensports« Parallelen herstellen. In der höfischen Gesellschaft bewirkte nach Elias erst die Konzentration des Adels an einem Ort und die damit verbundene Schaffung einer Öffentlichkeit, in der jeder jeden beobachtet, den soziologischen Raum der Zivilisierung. Natürlich ist der Mikrokosmos von Versailles mit dem Mediensport nur unter einem bestimmten Aspekt vergleichbar. Selbst die Funktion des Königs am Hofe – als Leviathan und Inhaber des Gewaltmonopols – findet keine Analogie in »agonalen Weltsportgemeinschaften«. Niemand vereint dort Territorien! Trotzdem entstehen verpflichtende Normen innerhalb der Sportler und des Publikums aufgrund des Wissens von der Kopräsenz der anderen. Hier soll auf eine Arbeit von Van Krieken (2012) verweisen werden, der die Rolle von Prominenz (Celebreties aus Fernsehen, Zeitung und Magazinen) für die Stärkung gewisser sozialer Verhaltensnormen und Moralvorstellungen untersuchte. Die »Celebrity Society« ist für van Krieken eine moderne Analogie zur »höfischen Gesellschaft«, die von Elias thematisiert wurde. In gewisser Weise verknüpft sich der moderne Sport – und vor allem der »Nationensport« – mit dieser »Celebrity Society«. Sportstars sind in Fernsehen und Zeitungen nicht nur im Sportteil zu bewundern, sondern auch auf den Gesellschaftsseiten und den Adabei-Sendungen. Man sieht sie dort im Smoking sich auf Luxusparties tummeln und im geschliffenen Smalltalk mit anderen Berühmtheiten plaudern. Damit erscheint der Sportstar der Öffentlichkeit nicht nur in seiner körperbetonten Seite, sondern auch als Exponent einer verfeinerten Kultur. Gleichzeitig findet sich die Schickeria, die Schönen und Reichen auch vermehrt im Sportfernsehen wieder, denn die massenmedialen Sportereignisse bieten dieser Prominenz eine ideale Bühne der Selbstdarstellung. Der daraus resultierende Verhaltenskodex, der durch nationale Sportstars seine Verkörperung findet,
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wird aufgrund dieser Verbindung zur Glamourwelt der Prominenz immer seltener mit dem Mief einer engstirnigen National- oder Regionalkultur verbunden. Vielmehr fließen durch diese Verbindungen zu Schauspielern, Popsänger und Superreichen Elemente einer dominierenden, liberalen und verführerischen Weltkultur verstärkt in den »Nationensport« und damit auch in die modernen Formen nationaler Repräsentation. Die Einbeziehung eines Massenpublikums verstärkt noch aus einem anderen Grund den zügelnden Effekt auf nationalistische Impulse. Da das Massenpublikum auf der Dimension von Zuschauerloyalität in national separierte Publika zerfällt, die sich gegenseitig beobachten, werden Konformismus und Imitation bei der Definition von nationalen Wir-Bildern und Wir-Idealen gefördert. Imitation richtet sich innerhalb der akzeptierten Weltkultur nach Gestaltungs- und Inszenierungsmustern der Nation, die von Starken und Erfolgreichen vorgelebt wird. Insbesondere gilt das US-amerikanische Vorbild. Aber es gibt auch eine Orientierung an anderen erfolgreichen Sportnationen. Fußball generiert eine Form von »agonaler Weltsportgemeinschaft«, in der die USA bloß eine relativ untergeordnete Rolle spielt, England, Brasilien, Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien und Argentinien dafür die dominierenden Orientierungspunkte darstellen. Wie bereits gezeigt, stellen multiethnische Vereine und Nationalteams aus diesen Ländern das Vorbild für multiethnische Teams aus statusgeringeren Ländern dar. Auch bestimmte Zuschauerkonventionen aus einem dominierenden Land werden imitiert. Eine spezifische Art von Schlachtgesängen, der Verwendung nationaler Farben, des Singens der Hymne oder der Stilisierung des Sportstars in einem dominierenden Land färbt auf andere Nationen ab. Somit entsteht innerhalb von »agonalen Weltsportgemeinschaften« nicht nur aufgrund der sportlichen Leistung imitationswürdiges internationales Prestige. Man könnte dieses als »primäres Prestige« bezeichnen. Durch Umwege, über die Vermittlung Erfolgreicher und Mächtiger entsteht »sekundäres internationales Prestige« in Form von Konventionen des Sports und seiner Inszenierung (inklusive der Inszenierung der Nation). Primäres, wie auch sekundäres internationales Prestige bilden wiederum im Sinne Bourdieus das »symbolische Kapital«, welches innerhalb »agonaler Weltsportgemeinschaften« ausgetauscht wird und das den Status der Nation bestimmt. Der Austausch von internationalem Prestige zwischen nationalen Publika innerhalb »agonaler Weltsportgemeinschaften« bildet den eigentlichen Kern dieses Typs internationaler Beziehung. Diese Beziehungsform ist im Gegensatz zum Krieg oder der Diplomatie äußerst indirekt und vermittelt. Sie bildet sich auf Grundlage einer allgemeinen militärischen Neutralisierung und damit in einer Situation der Abwertung kriegerischer Ideale. Dadurch erlangt eine friedliche Form von Prestige an Bedeutung, die allmählich auf Inhalt und Form nationaler Wir-Bilder abfärbt. Das Modell der »Verringerung der Kontraste,
Internationale Schichtung und emotionale Verstrickungen
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Vergrößerung der Spielarten« verweist darüber hinaus auf einen weiteren Aspekt von internationalen Beziehungen, nämlich das der kulturellen Annäherung von Nationalgesellschaften untereinander.
Internationale Schichtung und emotionale Verstrickungen Der »Nationensport« erzeugt den Effekt einer internationalen Schichtung. Dabei wird der Status von Staaten anhand sportlicher Leistungen in eine Reihenfolge gebracht. Dieses Statussystem wird meist in Form von Sportstatistiken konstruiert und veranschaulicht. Einige Staaten reihen sich an der Spitze und andere wieder weiter unten in solchen Sportrankings ein. Der »Nationensport« verteilt somit internationales Prestige ungleich. Wir haben bereits weiter oben besprochen, dass nicht nur sportliche Leistungen, sondern auch die Veranstaltung von Sportereignissen und der Besitz möglichst vieler wichtiger Positionen in internationalen Sportorganisationen (z. B. Präsidentschaft von FIFA oder IOC oder die Ansiedelung des Hauptquartiers eines internationalen Sportverbandes) das Prestige eines Landes steigern kann. Betrachtet man die internationale Verteilung von Medaillen bei olympischen Sommerspielen, so fällt die durchgehende Dominanz der USA auf.97 Die USA haben bei 13 der bisher 26 ausgetragenen Olympischen Sommerspielen (1896 – 2008) die meisten Goldmedaillen gewonnen. Die UdSSR (1992: »Vereintes Team) hat als zweiterfolgreichste Nation bei acht Olympischen Sommerspielen die meisten Goldmedaillen gewonnen. Griechenland, Frankreich, Großbritannien und Schweden, die diesem Ranking folgen, haben einmal als jeweiliges Gastgeberlang die führende Position im olympischen Medaillenspiegel erringen können. Allerdings gelang das diesen Ländern bloß in der Anfangsphase der Olympischen Spiele (1896, 1900, 1908 und 1912), zu einer Zeit, wo die Gastgeberländer noch die weitaus größten olympischen Teams stellten und andere Staaten aufgrund der hohen Kosten für den Transport bloß wenige Athleten zu den Olympischen Spielen entsenden konnten. Auch Deutschland führte einmal den olympischen Medaillenspiegel an, nämlich im Jahr 1936 als Gastgeber der 97 Die folgenden Zahlen und Rangreihen beruhen auf eigenen Berechnungen aufbauend auf den offiziellen Berichten der Olympischen Komitees für die Olympischen Sommerspiele 1896 bis 2008. In allen Berichten befinden sich die Ergebnislisten an deren Ende oder in einem letzten, extra für Ergebnisse publizierten Band. Alle Ergebnislisten enthalten neben den Namen der Athleten und deren Leistungen auch Angaben zu ihrer Nationalität und ähneln somit den Ergebnislisten in Zeitungen. Diese Angaben wurden vom Autor zusammengefasst. Folgende Quellen wurden verwendet: Offizielle Berichte zu den Olympischen Sommerspielen, IOC (1896; 1900; 1904; 1908; 1912; 1924; 1928; 1933; 1937; 1951; 1955; 1956; 1957; 1958; 1960; 1964; 1968; 1972; 1978; 1981; 1985; 1989; 1992; 1997; 2001; 2006; 2008).
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Spiele in Berlin. Allen anderen Staaten (und Gastgeberländern) gelang es nicht, die Position des Führenden im Medaillenspiegel zu erlangen. Die USA, Russland (UdSSR), Deutschland, Frankreich und teilweise Großbritannien sind auch jene Länder, die sich in der über hundertjährigen Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit fast immer unter den erfolgreichsten Staaten einreihen konnten. In der Zeit des Kalten Krieges konnte die UdSSR die USA als einziges Land ernsthaft herausfordern. Auch einige andere kommunistische Länder gewannen zeitweise viele Medaillen bei Olympischen Sommerspielen. Es ist darüber hinaus bezeichnend, dass seit dem Wegfall der UdSSR (mit Ausnahme von 1992), die USA stets diese Wertung bis 2008 unangefochten anführte. Bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 schob sich zwar China als Gastgeberland vor den USA auf den ersten Platz des olympischen »Medaillenspiegels« (gemessen zunächst an der Anzahl gewonnener Goldmedaillen). Die USA gewannen jedoch insgesamt mehr Medaillen als China.98 Ähnlich wie bei der FIFA-Fußballweltmeisterschaft, der UEFA-Europameisterschaft und der Champions League produzieren große, kontinuierlich stattfindende Sportereignisse auf Jahrzehnte relativ stabile Statusränge zwischen den Ländern. Bei den olympischen Sportarten steht die USA an der Spitze, herausgefordert bloß von China. Russland und Deutschland folgen. Diese beiden Länder sind jedoch meist keine ernsthaften Herausforderer auf den Spitzenplatz. Großbritannien (nach relativ schwachen Leistungen in der Nachkriegszeit und den 1970er Jahren), Frankreich, Südkorea, Japan, Australien und Italien sind als sportliche »Mittelmächte« weitere Länder, die regelmäßig zu den besten zehn olympischen Nationen zählen. Betrachtet man diese Liste der besten olympischen Sportländer, so korrespondiert diese in auffälliger Weise mit den öko98 Der olympische Medaillenspiegel ist nach der Anzahl der Goldmedaillen, die ein Land gewonnen hat, gereiht. Im Jahr 2008 hatte China 51 und die USA 31 Goldmedaillen gewinnen können. Chinesische Athleten eroberten allerdings nur hundertmal eine Medaille, amerikanische aber hundertzehnmal. Daher wurde in amerikanischen Zeitungen auch die USA stets als Sieger der Medaillenwertung angeführt, in allen anderen Ländern China. Dieses Beispiel verdeutlicht wieder, dass internationales Sportprestige nicht exakt bestimmbar ist und dass die Interpretation von Medien und Publikum wesentlich zu seiner Zusammensetzung beiträgt. Der Medaillenspiegel berücksichtigt darüber hinaus die riesigen demographischen Unterschiede der Teilnehmerländer nicht. Die Anzahl der Sportler pro nationaler Gesandtschaft variiert erheblich. In früheren Zeiten war dieser Unterschied besonders stark ausgeprägt. Aber auch heute sind noch lange keine gleichen Voraussetzungen für jedes Land gegeben, sodass der Medaillenspiegel eine faire Art der Verteilung von Prestige auf die Länder der Welt darstellt. Bei den Olympischen Spielen 2008 traten große Unterschiede in der Anzahl der entsandten Sportler und Sportlerinnen pro Nation auf: Dominica, ein Staat mit bloß 72.000 Einwohnern, entsandte z. B. nur einen Sportler, aus dem 1,3 Milliarden Einwohner starkem Gastgeberland China kamen dagegen 600 Athleten. Daher waren viele Länder noch 2008 bei den meisten Sportarten gar nicht mit Athleten vertreten. Noch dazu besteht überhaupt keine Repräsentativität der Gesamtbevölkerung eines Landes gemessen an der Anzahl der entsandten Athleten und Athletinnen.
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nomisch führenden Nationen der Erde (selbst das bloß 22 Millionen Einwohner starke Australien weist noch immer ein relativ hohes BIP auf). Fußball besitzt als Einzelsport weltweit eine geringere Repräsentanz als die gegenwärtig 28 Sportarten und 302 Wettbewerbe der Olympischen Spiele.99 Daher korrespondieren die Listen der besten Fußballnationen und der führenden Industrienationen nicht derartig eindeutig. Außerdem ist in den USA Fußball zweitrangig. Mit Ausnahme von Argentinien (und zeitweise Uruguay und Brasilien) führen aber auch dort ökonomisch mächtige Länder sowohl die FIFA-Weltranglisten an, werden Fußballweltmeister, oder stellen innerhalb Europas die führenden Mannschaften der Champions League. (Brasilien zählt heute allerdings auch zu den ökonomisch und demographisch führenden Ländern der Welt. Damit passt der Fußballstatus Brasiliens wieder zu seinem ökonomischen und demographischen Gewicht.)100 Aber sowohl die FIFA-Weltrangliste, als auch der olympische Medaillenspiegel korrelieren in Hinsicht auf Einwohnerzahl und Bruttoinlandsprodukt nur bedingt. Indien, Indonesien oder Nigeria sind einwohnerreiche Länder, die jedoch bei beiden Sportlisten im unteren Feld zu finden sind. Geordnet nach Bruttosozialprodukt liegt Indien noch dazu im Feld der zehn größten Wirtschaftsmächte. Andererseits zählen die armen Länder Uruguay und Elfenbeinküste zu den besser gereihten Fußballländern. Die armen Länder Kenia, Jamaika und Äthiopien nahmen aufgrund ihrer Leichtathleten 2008 Plätze zwischen dem dreizehnten und dem achtzehnten Rang im olympischen Medaillenspiegel ein.101 Außerdem gewannen die Athleten aus Kuba, die zwar 2008 bloß zwei Goldmedaillen erhielten, in den Olympischen Spielen davor immer relativ viele Medaillen. Die kubanische Mannschaft erinnert somit noch an die Zeit des Kalten Krieges, in der Athleten und Athletinnen aus der DDR, 99 Angaben zu Ergebnislisten und Rangreihen bei Fußballländerkämpfen finden sich: 1) in der FIFA-Weltrangliste (Quelle: http://de.fifa.com/worldranking/rankingtable/index.html), 2) in den offiziellen Ergebnislisten der FIFA zu allen Fußballweltmeisterschaften von 1930 bis 2010 (Quelle: http://de.fifa.com/worldcup/archive/index.html) und 3) durch die Elo-Weltrangliste basierend auf Nationen (Quelle: http://www.eloratings.net/ world.html); diese Liste basiert auf der Methode der Elo-Zahl und weicht etwas (aber nicht generell) von der FIFA-Weltrangliste ab. Siehe außerdem: Lisi (2011). 100 Brasilien hatte 2011 ca. 190,7 Millionen Einwohner und ist damit das fünft bevölkerungsreichste Land der Welt. Das Land verfügte außerdem über das weltweit siebend größte Bruttoinlandsprodukt (nominal). Demographische Angaben und ökonomische Kenngrößen (z. B. BIP) stammen aus: Der Fischer-Weltalmanach : Zahlen, Daten, Fakten ; CDROM-Ausgabe. 101 Quelle: (2008: Volume 3). Ökonomische Verhältnisse wurden wie folgt eingeschätzt: Hier werden die Platzierungen in den Rangreihen folgender Länder bezogen auf Bruttoinlandsprodukt 2011 (nominal), BIP/Kopf 2009 (nominal) und Human Development Index (HDI) angegeben: Indien (9/141/134), Uruguay (77/57/48), Äthiopien (88/176/174), Jamaika (116/88/79), Elfenbeinküste (98/144/170) und Kenia (157/153/143). Quelle: 1) siehe Anmerkung oben; 2) Quelle HDI: UNDP (2011).
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Agonale Weltsportgemeinschaften
Rumänien oder der Tschechoslowakei in den oberen Plätzen des olympischen Medaillenspiegels zu finden waren. Betrachtet man den Verlauf und die Verteilung von Medaillengewinnen bei den Olympischen Sommerspielen nach historischen Phasen, so lassen sich weitere Entwicklungen erkennen.102 Zwischen 1896 und 1912 gewannen 78 Prozent der damals noch geringen Anzahl an Teilnehmerländern Medaillen. Dieser Anteil sank danach auf 69 (1920 bis 1936), 52 (1948 bis 1968) und 38 Prozent (1972 bis 1988). Er stieg zwischen 1992 und 2008 wieder leicht auf 40 Prozent. Dies zeigt, dass der Wettbewerb umstrittener wird und immer mehr Länder leer ausgehen, keine Medaillen gewinnen, obwohl die Anzahl der Wettbewerbe gestiegen ist. Die Verdichtung des Feldes wird auch dadurch beschrieben, dass seit 1945 der Anteil aller Medaillen, die von Athleten aus peripheren Staaten Afrikas, der Karibik, Ozeaniens und Asiens gewonnen wurden von ungefähr 10 auf 40 Prozent anstieg (siehe nächste Darstellung).103 Bei den Spielen 2008 betrug der Anteil der peripheren Länder unter den 20 besten Staaten sogar 40 Prozent, der unter den besten 10 Staaten 20 Prozent. Das zeigt, dass die Dominanz des Westens im Sport herausgefordert werden kann. Die Olympischen Spiele haben zwar ihren Ursprung in Europa und Nordamerika und besaßen auch teilweise einen »zivilisatorischen« Auftrag gegenüber den Ländern und Menschen Asiens und Afrikas. Heute scheint aber der Spitzensport und ein damit verbundenes Prestigedenken in vielen Ländern Afrikas und Asiens verankert zu sein. Im Medaillenspiegel von 2008 finden sich unter den besten 50 Ländern bereits 17 Staaten aus Asien oder Afrika.104 Ein großer Teil dieser Medaillen ist jedoch auf chinesische, japanische und südkoreanische 102 Die Phaseneinteilung basiert hauptsächlich auf folgenden Eigenschaften, die den einzelnen Perioden zugeschrieben werden können. Phase 1 (1896 bis 1912): Die Phase fasst die Olympischen Sommerspiele vor dem Ersten Weltkrieg zusammen. Olympische Spiele fanden entweder als kaum beachtete Anhängsel von Weltausstellungen (1900, 1904) statt oder zogen sich über viele Monate (außer 1912). Außerdem stellten die Gastgeber noch die größten Teams, die stets dominierten. Teilnehmer waren fast ausschließlich Athleten aus westlichen Ländern. Phase 2 (1920 bis 1936): Olympische Spiele etablieren sich als wichtigstes internationales Sportereignis. Austragungszeiten werden auf wenige Wochen gestraft. Phase 3 (1948 – 1968): Live Radio- und Fernsehübertragungen setzen ein. »Nationensport« wird global. UdSSR nimmt teil. Teilnahme neuer entkolonialisierter Länder. Phase 4 (1972 – 1988): Olympiaboykotte. Olympische Spiele als Waffe im Kalten Krieg. Kommerzialisierung der Olympischen Spiele setzt ein. Phase 5 (1992 bis heute): Neue Staaten nehmen teil. Erstmals mehr Teilnehmerstaaten als die Anzahl von UN-Vollmitgliedern. Internet. Durchgehende Kommerzialisierung der Olympischen Spiele. Die Zahlen beruhen auf eigenen Berechnungen aufbauend auf den Olympiaspiegeln und den Listen der Teilnehmerländer für alle Olympischen Sommerspiele, wie sie in den Offiziellen Berichten der Olympischen Veranstalterkomitees aufscheinen (siehe: IOC 1896 – 2008). 103 Zahlen ergeben sich durch eigene Berechnungen aufbauen auf den offiziellen Olympiaberichten 1896 – 2008. 104 Quelle: IOC (IOC 2008)
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Erfolge zurückzuführen. Das zeigt wiederum, dass analog zur Weltwirtschaft, auch das olympische Zentrum sich etwas zu verschieben beginnt. Innerhalb von Asien (und auch von Afrika) differenzieren sich erfolgreiche von weniger erfolgreichen Sportnationen. Ebenso kristallisiert sich eine Reihe europäischer Staaten heraus, die in der Lage sind, bei Olympischen Sommerspielen permanent unter die erfolgreichsten 50 Teilnehmerländer zu gelangen. Ein anderer Teil von europäischen Staaten scheint dagegen auf Dauer nicht mehr eine größere Anzahl von Medaillen gewinnen zu können (oder gewinnt überhaupt keine Medaillen mehr). Darstellung 6: Anteil aller Medaillen von Athleten aus afrikanischen und asiatischen Staaten (1896 – 2008) % aller Medaillen aus Afrika und Asien
40
in Prozent aller Medaillen
30
20
10
0 1896
1904
1912
1920
1928
1936
1944 1896
1952
1960
1968
1976
1984
1992
2000
2008
1904
Aufbauend auf eigenen Berechnungen aus Zahlen folgender Quellen: Offizielle Berichte zu den Olympischen Sommerspielen, IOC (1896; 1900; 1904; 1908; 1912; 1924; 1928; 1933; 1937; 1951; 1955; 1956; 1957; 1958; 1960; 1964; 1968; 1972; 1978; 1981; 1985; 1989; 1992; 1997; 2001; 2006; 2008)
Die nächste Darstellung vergleicht die Verlaufslinien der Anzahl an Teilnehmerländern an Olympischen Sommerspielen und die Anzahl souveräner Staaten in einer Periode zwischen 1896 und 2008. Die Darstellung zeigt, dass der Verlauf des Anstiegs der Anzahl der völkerrechtlich souveränen Staaten und der des Anstiegs der Anzahl nationaler Teilnehmerländer bei Olympischen Sommerspielen parallel verlaufen. Allerdings erkennt man, dass vor dem Ersten Weltkrieg bloß durchschnittlich 58 Prozent aller souveränen Staaten an den Olympischen Sommerspielen teilnahmen, in der Zwischenkriegszeit waren es bereits durchschnittlich 79 Prozent und zwischen 1948 und 1968 durchschnittlich 89 Prozent. In diese Phase fiel auch die erstmalige Teilnahme kommunistischer Staaten. Die UdSSR als Gründungsmitglied der Vereinten Nationen nahm an den Olympischen Spielen 1948 in London noch nicht teil. DDR und BRD, die zuvor ein deutsches Einheitsteam gebildet hatten, traten seit 1968 als getrennte
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Agonale Weltsportgemeinschaften
Mannschaften an. In der Periode zwischen 1972 und 1988 nahmen aufgrund der damaligen Boykott-Politik wiederum nur mehr durchschnittlich 79 Prozent aller Staaten an den Olympischen Spielen teil. In der Zeit nach dem Kalten Krieg, übertraf die durchschnittliche Anzahl der Teilnehmerstaaten an den Sommerspielen allerdings erstmals die Anzahl souveräner UN-Mitglieder, weil viele abhängige Gebiete eigene Teams aufstellen durften. Diese Darstellung gibt daher erstens über die enorme Verdichtung des Wettbewerbsfeldes Aufschluss. Zweitens kann man erkennen, dass heute die Teilnahme an Olympischen Spielen eine Form von informell gültiger Grundvoraussetzung für die Anerkennung von staatlicher Souveränität darstellt. Neben der Entstehung von internationalen Statushierarchien und Schichtungen bildete sich innerhalb »agonaler Weltsportgemeinschaften« noch ein zweiter wichtiger, ungeplanter Effekt. Aufgrund der unterschiedlichen Ausbreitung von Sportarten auf der Welt entstanden separate Wettkampfkreise, die die unterschiedlichsten Staaten zusammenwürfelten. In einigen Fällen besitzen diese sportlich konkurrierenden Staaten historische Bezüge, zum Beispiel indem sie geografische Nachbarn sind oder geopolitisch schon seit langer Zeit als Rivalen miteinander zu tun hatten. Die »Commonwealth Games« sind wiederum eine Fortsetzung des Bezugsystems von Staaten und Regionen innerhalb des ehemaligen Britischen Imperiums; sie setzten damit auch frühere Formen von Unterwerfung, Rivalität und Statuskampf in Form von sportlicher Konkurrenz fort. Aber Wettkampfkreise können auch Staaten einander näher bringen, die überhaupt keine oder bloß eine sehr unbedeutende gemeinsame Vorgeschichte besitzen. Dieser Umstand hat bedeutende Konsequenzen für die Zivilisationstheorie. Diese sieht im Sport eine Funktion der Ritualisierung von Gewalt. »Nationensport« wäre daher auch eine Form der Ritualisierung und »Zivilisierung« früherer gewalttätiger internationaler Konkurrenz. Im »Nationensport« wird jedoch nicht nur ehemals gewalttätige Staatenrivalität ritualisiert, sondern neu geschaffen. Der »Nationensport« bringt Kampffelder hervor, indem Teilnehmer aufeinander stoßen, die ohne diesen keine oder bloß oberflächliche Kontakte miteinander gehabt hätten. Der »Nationensport« züchtet somit auch Staatenkonkurrenz.
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Darstellung 7: Verlauf der Anzahl völkerrechtlich souveräner Staaten und Teilnehmerländer an den olympischen Sommerspielen (1896 bis 2008)105 250
200
150
100
50
0 1896
1904
1912
1920
1928
1936
1944
1952
1960
1968
1976
1984
1992
2000
2008
Teilnehmerstaaten bei Sommerolympiaden UNO/Völkerbund Mitglieder/Haager Frieden
Quelle: Offizielle Berichte zu den Olympischen Sommerspielen, IOC (1896; 1900; 1904; 1908; 1912; 1924; 1928; 1933; 1937; 1951; 1955; 1956; 1957; 1958; 1960; 1964; 1968; 1972; 1978; 1981; 1985; 1989; 1992; 1997; 2001; 2006; 2008) 105 Vorgehensweise zur Bestimmung der Verlaufslinie »souveräner« Staaten: Die Verlaufslinie der souveränen Staaten ist schwierig zu bestimmen. Für die Periode von 1945 bis heute wurde hier dafür die Anzahl der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen herangezogen. Für die Jahre von 1919 bis 1939 wurde die Anzahl der Mitglieder des Völkerbunds herangezogen. Die Verlaufslinie der souveränen Staaten für die Jahre vor 1914 wurde durch zwei Quellen bestimmt: Die Anzahl von Vertragsstaaten der Haager Landkriegsordnung von 1899 (erste Friedenskonferenz in Den Haag) mit 26 Unterzeichnerstaaten und die Nachfolgekonferenz von 1907 mit 43 Unterzeichnerstaaten. Dass selbst die UN-Mitgliedschaft als Indikator nicht exakt ist, zeigt, dass BRD und DDR zwar schon lange de-facto getrennte Staaten waren, doch erst 1973 UN-Mitglieder wurden. Die Republik China (Taiwan) dahingegen verlor 1971 den Status sowohl als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates, wie auch als Mitglied der Vereinten Nationen. Die Volksrepublik China wurde erst im selben Jahr Mitglied in beiden Gremien, obwohl sie natürlich seit ihrem Bestehen einen unabhängigen Staat bildete. Der Kosovo ist zwar ein de-facto Staat, seine Souveränität wird jedoch von vielen Staaten nicht anerkannt und er ist daher nicht Mitglied der Vereinten Nationen (aber auch nicht von IOC und UEFA). Aufgrund der großen Anzahl an Mitgliedern und den verhältnismäßig geringen Sonderfällen gibt dieser Indikator dennoch einen annähernd adäquaten Eindruck über die Entwicklung der Anzahl souveränen Staaten nach 1945. Noch weniger exakt gibt der Verlauf der Anzahl an Mitgliedern des Völkerbundes die Entwicklung der tatsächlichen Anzahl an souveräner Staaten zwischen 1919 und 1939 wieder. Die USA sind dafür das markanteste Beispiel, weil der Völkerbund weitgehend das Konstrukt Woodrow Wilsons war, das Land jedoch in »splendid isolation« verblieb und nicht Mitglied des Völkerbundes wurde. Insgesamt waren etwa 15 de facto souveräne Staaten in dieser Zeit nie Mitglied des Völkerbundes, darunter befanden sich
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Agonale Weltsportgemeinschaften
Noch dazu ist die Form des internationalen Kontakts im »Nationensport« stark emotionaler Natur, indem nationale Publika als »gefühlte« Gemeinschaften gegenseitig Bezug nehmen. Die Geschichte des »Nationensports« ist durch »große« Duelle und deren Emotionalisierung gekennzeichnet. Die Olympischen Spiele kennen etwa die oben besprochenen Duelle um den ersten Platz im Medaillenspiegel, die in gewisser Weise auch die geopolitischen Statuskämpfe ihrer Zeit widerspiegeln (z. B. britisch-amerikanisches Duell vor dem Ersten Weltkrieg; deutsch-amerikanisches Duell der dreißiger Jahre; sowjetisch-amerikanisches Duell während des Kalten Krieges; deutsch-deutsches Duell der 1970er und 1980er Jahre; gegenwärtiges chinesisch-amerikanisches Duell). Daneben kennt der »Nationensport« noch viele kleinere Sportduelle in speziellen Sportarten (z. B. argentinisch-englisches Fußballduell, schweizerisch-österreichisches Schiduell, indisch-pakistanisches Kricketduell, karibisch-britisches Kricketduell). Sportduelle besitzen aufgrund der sehr konzentrierten gegenseitigen Bezugnahme nationaler Publika eine besondere Dynamik in der Gestaltung nationaler Wir-Bilder rund Wir-Ideale. Hier werden vor allem zwei Formen emotionaler Verstrickungsmuster diskutiert: Verstrickungen a) durch Teilnahme am Weltsport und b) durch sportliche Rivalität. Die Entscheidung zur Teilhabe am »Nationensport« ist mit politisch nicht steuerbaren, prestigemäßigen Verstrickungen verbunden. Die Teilnahme des nationalsozialistischen Deutschlands am internationalen Sportsystem brachte für das Regime auch unkalkulierbare Gefahren mit sich (ob sich die Naziführung dessen bewusst war?). Offensichtliche Niederlage eigener Athleten erzeugte internationale Schmach, wie die Siege Jesse Owens 1936, Joe Louis 1938 und des »ostmärkischen« Fußballteams gegen das »Altreich« im selben Jahr.106 Die Entscheidung Stalins, am »Nationensport« teilzunehmen, brachte für viele osteuropäische Länder (und später China) den konsequenten Ausbau einer staatlichen Sportförderung mit sich. Darauf mussten die westlichen Länder mit einer gezielteren Förderung und Steuerung ihrer Spitzensportsysteme reagieren. Außerdem erzeugte die massenhafte Teilnahme der dekolonialisierten Völker am Weltsport eine derartige Sogwirkung, dass selbst antiwestliche oder antimodernistische Regimes (wie das der Islamischen Republik Iran), nicht am allerdings sechs Zwergstaaten. Deutschland wurde die Mitgliedschaft einige Jahre verweigert. Im Jahr 1933 zog sich Deutschland und 1937 Italien aus dem Völkerbund zurück. Im Jahr 1939 wurde die UdSSR ausgeschlossen. 106 Eine reizvolle kontrafaktische Überlegung ist hierbei der Gedanke, was aus dem deutschen Selbstverständnis in einem internationalen Kontext geworden wäre, hätte nicht der Weltkrieg den Institutionalisierungsprozess der Sportgroßveranstaltungen gestoppt. Wäre im Kontext des modernen kontinuierlichen Flusses an Mediensport die Fiktion des arischen Herrenmenschen und der überlegenen nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung vor aller Welt als falsch entlarvt worden?
Internationale Schichtung und emotionale Verstrickungen
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Sport vorübergehen konnten und starkes Interesse an einem guten sportlichen Abschneiden besitzen (z. B. am Sieg Irans bei der Fußball-Asienmeisterschaft). Selbst Länder wie Indien können sich der Sogwirkung des Weltsports nicht entziehen, schon deshalb, weil alle Nachbarländer und politisch-militärischökonomischen Rivalen auch dabei sind. So wurde das relativ gute Abschneiden Indiens in Peking 2008 in der indischen Öffentlichkeit sehr wohl freudig zur Kenntnis genommen, wiewohl es zuvor kritische Kommentare gegeben hat.107 Zu vermuten ist, dass die enorme Ausdifferenzierung des »Nationensports« auch die Folge von Nischenbildung ist, wodurch Nationen in kleinen Segmenten erfolgreich sein können. Ein Beispiel dafür ist der Schisport in Österreich. Allerdings verträgt sich dieser Rückzug in eine Nische vielleicht mit kleinen Nationen. Große Länder müssen einen weniger bescheidenen Anspruch an den Sport stellen. Von wirklichen oder vermeintlichen Großmächten wird erwartet, in vielen Sportarten erfolgreich zu sein. Indien will daher keine »uni-sport nation« (Kricket) mehr sein. China möchte deshalb eine Wintersportnation werden (Schizentrum in Harbin), Formel-1-Fahrer und Rennställe besitzen (hat bereits einen Grand Prix in Shanghai) und ein gutes Fußballteam aufstellen können (Fußball wird seit den 1990ern in China staatlich stark gefördert und das Land will bis 2013 (!) utopischer Weise in die Top 20 der Welt vorstoßen und in einem Zehnjahresplan die asiatische Fußballsupermacht werden108). In vielen Fällen spiegeln klassische Sportduelle zwischen Nationen bestimmte politische Konstellationen wider, bzw. sind Fortsetzungen von politischer Konkurrenz (z. B. Fußballduelle zwischen England und Schottland, Österreich und Ungarn oder das Kricketduell zwischen Indien und Pakistan). So gibt es im Fußball etwa den classico centroamerico zwischen Honduras und Costa Rica,109 die »Schlacht um Südamerika« zwischen Argentinien und Brasilien, die englisch-deutsche und die niederländisch-deutsche Fußballrivalität, die dänisch-
107 Z.B. »Ist die indische Sportnation erwacht?« in: indienaktuell.de; »Why does India not win the Olympics« in: http://sportolysis.blogsome.com/2006/02/17/why-does-india-not-winat-the-olympics-any-other-sport/; »Ferreira fears India might end up as a uni-sport nation« in: The Hindu: http://www.hindu.com/2004/05/01/stories/2004050102812000.htm; »Indias Olympic Hero gets Boost from Mittal« in: BusinessWeek: http://www.businessweek.com/ globalbiz/content/aug2008/gb20080812_709550.htm?campaign_id=rss_daily. Alle Quellen wurden zuletzt am 21. Dezember 2011 abgerufen. 108 »AFC to support Chinese football«, in: Peoples’s Daily Online: http://english.people.com.cn/200311/05/print20031105_127621.html, abgerufen am 21. Dezember 2011. 109 Der sogenannte »Fußballkrieg« 1969 zwischen Honduras und El Salvador stellt vielleicht das einzige Ereignis der Weltgeschichte dar, in dem ein Fußballspiel (WM-Qualifikationsspiel) kriegerische Handlungen zwischen zwei Ländern auslöste (wenn auch nicht verursachte).
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Agonale Weltsportgemeinschaften
schwedische Fußballrivalität, bzw. die zwischen Mexiko und den USA oder zwischen Frankreich und Italien.110 Manchmal sind jedoch Sportduelle abgekoppelt von politischen Konstellationen und erfahren ihre Dynamik und emotionale Verstrickung aufgrund einer Verkettung von einzelnen Sportereignissen. In diesen Fällen ist manchmal von »Angstgegnern« die Rede, wie zum Beispiel bei der englisch-argentinischen Fußballrivalität, die älter ist als der Falklandkrieg! Dieses Fußballduell wird in Argentinien als classico bezeichnet. Nach einigen bereits hart geführten Begegnungen kann als definitiver Anfang des Duells das Weltmeisterschaftspiel 1966 angesehen werden, das als Skandal in die Fußballgeschichte eingegangen ist (»el robo del siglo«). Eine Reihe von Ereignissen, die sich bei diesem Match abspielten, ließen die Wogen höher schlagen und in beiden Ländern bis heute nicht in Vergessenheit geraten. Zunächst erzielten die Engländer aus abseitsverdächtiger Position ein Tor. Danach wurde ein argentinischer Spieler nach Beschwerde beim Schiedsrichter ausgeschlossen. Das führte wiederum dazu, dass sich der Argentinier auf den roten Teppich setzte, der nur für die Königin bestimmt war. Im Anschluss an das Match beschimpfte der englische Trainer die argentinischen Spieler in der Presse als »Tiere.« In Argentinien wurde der deutsche Schiedsrichter der Schiebung bezichtigt und das Spiel skandalisiert. Dieses Match blieb in medialer Erinnerung, und die Emotionen schlugen auch bei der nächsten wichtigen Begegnung der beiden Mannschaften 1980, kurz vor dem Krieg, hoch. Im Jahr 1986 ereignete sich das denkwürde Länderspiel zwischen den beiden Rivalen, in dem Diego Maradona ein Handtor erzielte, das als regulär gewertet wurde. Seitdem ist von der »Hand Gottes« die Rede. Die Weltmeisterschaftsbegegnung 1998 war wieder sehr emotional und brachte die Rote Karte für Beckham mit sich. Diese Ereignisse führten innerhalb der Fußballgemeinschaft zu einer Mythologisierung, bzw. Verklärung der Rivalität zwischen England und Argentinien. Vor jeder Begegnung der beiden Mannschaften wird in der Presse diese Geschichte aufs Neue erzählt.
110 Die mediale Reproduktion des deutsch-englischen Fußballduells über einen Zeitraum von fünf Jahrzehnten wurde in einer Masterarbeit durch Fürstauer (2011) durch eine Diskursanalyse der Zeitungsberichterstattung in »The Daily Express«, »The Guardian« und »The Obsverver« analysiert. Folgender Ereignisse wurden dabei erhoben: WM Finale 1966 in England, WM Gruppenspiel 1982 in Spanien, WM Halbfinale 1990 in Turin, EM-Halbfinale 1996 und England und WM Viertelfinale 2010 in Südafrika.
Kapitel 12 – »Nationensport« und militärische Neutralisierung
»Meist hat dieses Eingreifen [in Wirkungsgefüge der Instinkte von Mensch und Tier durch Ritenbildung] die Aufgabe, die Aggression im Zaume zu halten und ihre schädlichen Auswirkungen zu steuern,« Konrad Lorenz (1963: 122).
Ritualisierung internationaler Beziehungen durch »Nationensport«? Bisher wurde noch nicht nach den langfristigen makrosoziologischen Ursachen gefragt, die im Laufe des 20. Jahrhunderts den »Nationensport« und »agonale Weltsportgemeinschaften« einflussreich werden ließen. Die genannten »Faktoren« technologische Innovation (z. B. moderne elektronische Medien), weltweite ökonomische Vernetzung und Proliferation einer Weltkultur erklären noch nicht ausreichend, warum ausgerechnet der »Nationensport« zur wichtigsten Formungsinstanz für »Nation« und »Nationalismus« im modernen Europa wurde Es wurde zwar erörtert, dass der »romantische Nationalismus« des 19. und frühen 20. Jahrhunderts durch einen massenmediengestützten »Nationalismus« zu einem großen Teil ersetzt wurde. Die Entstehungsgründe der friedlichen Färbung dieses modernen »Nationalismus« wurden allerdings nicht erläutert. Der moderne Spitzensport hätte nämlich auch eine andere, militärisch durchdrungene Entwicklung nehmen können. Der militärische Fünfkampf ist ein Beispiel für die Militarisierung des Sports. Dort werden wichtige körperliche Kompetenzen eines Soldaten, wie Werfen, Hindernislauf, Schießen, Geländelauf und Hindernisschwimmen trainiert und in Wettkämpfen ausgeübt. Den militärischen Fünfkampf gibt es auch in der Variante als »Nationensport«, etwa bei Europameisterschaften oder Weltmeisterschaften im Rahmen der CISM (Conseil International du Sport Militaire) World Games. Aber auch die olympischen Schießwettbewerbe (bereits seit 1896) hatten in den ersten Jahrzehnten einen militärischen Unterton. Die Schützen waren oft Soldaten, sie traten in Unifor-
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»Nationensport« und militärische Neutralisierung
men zu den Wettbewerben an, es wurde mit Militärwaffen geschossen, und die Schießstände ähnelten den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Aber auch die Reiter traten bei den Olympischen Spielen bis in die 1950er Jahre oft in militärischen Uniformen an; vor allem im modernen Fünfkampf. Sport und Krieg traten aber auch auf einer anderen Ebene nicht als Gegensätze, sondern als Partner in Erscheinung. Es wurde bereits ausgeführt, dass Coubertin zunächst am Sport deswegen interessiert war, weil er glaubte, durch ihn die Wehrkraft der französischen Jugend zu stärken. Aus diesem Grund wurde der Sport auch in vielen Armeen gefördert. Dennoch nahm das Verhältnis zwischen Krieg und Sport einen anderen Lauf, sodass der Eindruck entstand, dass Sport eine Form der Ritualisierung des Krieges und der gewalttätigen Auseinandersetzung wäre. Konrad Lorenz meint dazu, dass die Ritualisierung von Verhaltensweisen bei Tieren und Menschen vor allem den Zweck erfüllen sollte, Aggression zu bändigen und zu zähmen. Lorenz schreibt: »Ein eindrucksvolles Beispiel eines solchen, der menschlichen Moral analogen Verhaltens bieten die sogenannten Kommentkämpfe. Ihre gesamte Organisation zielt darauf ab, die wichtigste Leistung des Rivalen zu erfüllen, nämlich zu ermitteln, wer der Stärkere sei, ohne dabei den Schwächeren wesentlich zu beschädigen. Da das Turnier, der Sport, Gleiches anstrebt, machen alle Kommentkämpfe auf den Wissenden unausweichlich den Eindruck der ›Ritterlichkeit‹ bzw. der sportlichen ›Fairness‹« (Lorenz 1963: 165).
Lorenz meint weiter, dass der menschliche Aggressionstrieb im Zeitalter von Nuklearwaffen unausweichlich zur Selbstzerstörung führen wird, wenn nicht »Ersatzobjekte« für die aggressiven Impulse (die Lorenz für angeboren hält) gefunden werden. An solchen »Ersatzobjekten« können menschliche Aggressionen sublimiert und ritualisiert werden. »Eine im menschlichen Kulturleben entwickelte Sonderform des Kampfes ist der Sport… Außerdem wirkt der Sport segensreich, indem er wahrhaft begeisterten Wettstreit zwischen überindividuellen Gemeinschaften ermöglicht… Wettkämpfe zwischen Nationen stiften indes nicht nur dadurch Segen, dass sie ein Abreagieren nationaler Begeisterung ermöglichen, sie rufen noch … Wirkungen hervor, die der Kriegsgefahr entgegenwirken« (Lorenz 1963: 398 f.)
Lorenz’ Annahme, nach der »Nationensport«, etwa Fußballländerspiele, internationale Beziehungen nach dem Muster aztekischer »Blumenkriege« »zivilisiert« oder »ritualisiert«, greift allerdings zu kurz. Erstens korrespondieren internationale sportliche Wettkampfkreise nicht nötiger Weise mit einer geopolitisch bestimmten Rivalität zwischen Staaten. Zweitens sind Sportwettkämpfe wirkungslos, wenn es wirklich um die Frage über Krieg oder Frieden geht. Die Olympischen Spiele, der »Olympismus« Coubertins und andere internationale Sportereignisse hatten keinen Einfluss auf die Politik der Groß-
Ritualisierung internationaler Beziehungen durch »Nationensport«?
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mächte, die zum Ersten oder Zweiten Weltkrieg führte. Auch die Fußballspiele zwischen Briten und Deutschen im »Weihnachtsfrieden« 1914 konnten die Fortsetzung des Gemetzels an der Westfront nicht verhindern. Aber auch die Vergabe der Olympischen Spiele an Deutschland führte zu keiner Zähmung der Nazis und der friedlichen Einbindung des Landes in das internationale System. Man könnte argumentieren, dass sich erst nach 1945 der »Nationensport« mit großer Wirksamkeit entwickelte. Erst damals wurden die bis dahin verstreuten und vereinzelt stattfindenden Ereignisse des »Nationensports« durch einen permanenten Strom an internationalen Sportwettkämpfen abgelöst. Man könnte also meinen, dass das Fernsehen erst die Bühne dafür schuf, dass Nationen sich als friedliche Akteure vor den Augen eines Weltpublikums präsentieren. Gebauer sieht daher im Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1954 durch Deutschland »das Moment der Transformation des Kriegerischen in das Demokratische, den Umschlag von der Niederlage in die Anerkennung des Neubeginns, akzeptiert von beiden Seiten, den Siegern und den Verlierern« (Gebauer 2002: 183). Dieser »Umschlag« in ein neues Ideal wäre allerdings ohne moderne Massenmedien nicht möglich gewesen. Betrachtet man die Zeit des Kalten Krieges, so könnte man die These der Ritualisierung für plausibel halten. Einige berühmte Beispiele wurden sogar zum Sinnbild dafür, dass sich die beiden Supermächte nicht mit Gewalt, sondern in Form von friedlicher Rivalität, auf einer symbolischen Ebene, miteinander maßen. Als »Fortsetzung des Kalten Krieges« wurde etwa das Schachduell zwischen Bobby Fischer und Boris Spasski bei der Schachweltmeisterschaft 1972 in Reykjavik bezeichnet (vgl. Edmonds und John 2004). Diese Party ging als »Match des Jahrhunderts« in die Schachgeschichte ein. Damals wurde der Schachsport von einer Reihe sowjetischer Spieler dominiert. Durch Schach konnte die Sowjetunion zeigen, dass sie dem Westen zumindest in einigen Bereichen voran war. Fischer erklärte sogar, dass es bei dieser Partie im Grunde um die »freie Welt« ginge. Das Weltmeisterschaftsspiel hatte derart große Bedeutung in den USA, dass es Zuschauerproteste hagelte, als ein amerikanischer Fernsehsender kurz von der Übertragung der Schachpartie zum damalig stattfindenden Präsidentschaftswahlkampf umschaltete. Ein anderes Beispiel aus der Zeit des Kalten Krieges ist das »Miracle on Ice«. So wird jenes legendäre Eishockeymatch zwischen USA und UdSSR genannt, das während der Finalrunde des Eishockeybewerbes der Olympischen Winterspiele 1980 in Lake Placid abgehalten wurde (vgl. Coffey 2005). Damals trat gegen die favorisierte und lange unbesiegte sowjetische Mannschaft ein aus Amateurspielern zusammengewürfeltes amerikanisches Team erfolgreich an. Die USA konnte anschließend sogar als Außenseiter das Olympische Eishockeyturnier gewinnen. Der Sieg über das sowjetische Team fand in der durch Vietnamkrieg, Wirtschaftskrise und die
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Geiselnahme von Teheran demoralisierten USA ein großes Medienecho und wurde sogar mehrmals von Hollywood verfilmt. Doch hätten weder diese sportlichen Auseinandersetzungen einen Dritten Weltkrieg verhindern können, noch bewirkte der Olympiaboykott der Sommerspiele von 1980, dass sich die Sowjetunion aus Afghanistan zurückzog. Aber auch heute kann zwar das Kricket-Duell zwischen Pakistan und Indien als »Ritual« aufgefasst werden, es stellt aber keineswegs die Ursache des »kalten Friedens« zwischen beiden Ländern dar. Dieser liegt eher in der Angst vor der gegenseitigen nuklearen Vernichtung begründet. Das Verhältnis zwischen Sport, Krieg und internationalen Beziehungen ist jedoch komplexer, als die These der Ritualisierung vermuten lässt. In diesem Kapitel soll zunächst erläutert werden, dass aufgrund des friedlichen und ökonomistischen Paradigmas in der Soziologie die Analyse des Krieges als wichtige soziale Erscheinung zu kurz kommt. Daher wurden auch kaum fruchtbare Ansätze entwickelt, die auf Zusammenhänge zwischen Krieg, »Nationalismus« und Sport fokussieren. Anschließend werden einige zivilisationstheoretische Überlegungen zur Entwicklung des Krieges der letzten 300 Jahre angestellt. Im Fazit dieses Kapitels wird dargelegt, dass »Nationalismus« mit sozialen Gelegenheitsstrukturen verbunden ist – mit Krieg oder Frieden – die seine Form und Inhalt beeinflussen.
Krieg als weitgehend ignoriertes Thema der Soziologie Bisher wurde noch wenig über den Zusammenhang zwischen Krieg und »Nationensport« gesagt, das über die Ritualisierungsfunktion hinausginge. Um weitere Zusammenhänge besser verstehen zu können, ist es notwendig, sich bewusst zu machen, das Krieg und Geopolitik in der soziologischen Analyse weitgehend ignorierte und vernachlässigte »Faktoren« darstellen. Hier ist nicht der Ort, dieses Thema in aller Ausführlichkeit darzustellen (für eine ausführlichere Darstellung, siehe: Joas und Knöbl 2008). Wichtig ist festzuhalten, dass die Soziologie in breiten Zügen einem friedlichen und industriellen Paradigma folgte, das bereits von Saint-Simon und Comte ausgearbeitet wurde. Für Comte war der Krieg ein Atavismus, der mit der Weiterentwicklung der Industriegesellschaften und des Positivismus ganz verschwinden würde (Comte 1933: 393). Für Durkheim soll die Aufgabe des Staates nicht darin liegen, kriegerisch seine Grenzen auszudehnen. Er sieht das Ziel von Staaten hauptsächlich in der Produktion bürgerlicher Moral – »organischer Solidarität« – in dessen Mittelpunkt der Kult um das Individuum steht. Diese Form von Moral benötigt aufgrund der starken negativen Auswirkungen der gesellschaftlichen Differenzie-
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rung (z. B. »Anomien«) eine zentralistische Koordination und Förderung durch den Staat (vgl. Durkheim 1984: 126 f. [aus Vorlesung von 1902/1903]). »Damit … alle Forderungen unseres Moralbewusstseins erfüllt werden, genügt es, dass der Staat sich zur Hauptaufgabe stellt, sich nicht zu Schaden seiner Nachbarn auszudehnen, nicht stärker oder reicher als sie zu sein, sondern in seinem Schoß die allgemeinen Interessen der Menschheit zu verwirklichen, d. h. gerechter, moralischer zu sein, sich zu so zu organisieren, dass es eine immer engere Beziehung zwischen den Verdiensten der Bürger und ihrem Stand gibt, und dass die Leiden der Individuen gemildert oder verhütet werden« (Durkheim 1984: 126 f. [aus Vorlesung von 1902/ 1903]).
Durkheims idealistische Sichtweise auf den Staat geht teilweise auf Spencer zurück. Spencer (2003 orig. [1885/1886]: 568 ff.) unterscheidet idealtypischer Weise den militärischen vom industriellen Gesellschaftstyp. Diese Dichotomie stellt in gewisser Weise auch zwei Stadien im sozialen Wandel von einem Zustand unzusammenhängender Homogenität zu einem Zustand zusammenhängender Heterogenität dar. Ganz einfache, »primitive« Gesellschaften wären dadurch gekennzeichnet, dass alle Familien und Kleingruppen ähnlich beschaffen sind und in einer Subsistenzwirtschaft leben. Der militärische Gesellschaftstyp stellt eine erste Weiterentwicklung in der sozialen Evolution dar. Er ist durch die Anwesenheit einer zentralen Autorität, Zwang und Befehle gekennzeichnet. Ziel solcher Gesellschaften ist die Erreichung eines möglichst hohen Grades militärischer Mobilisierung, damit Feinde übertrumpfet werden können. Es besteht somit eine »Mobilisierungskonkurrenz« (Kruse 2009: 200). Im militärischen Gesellschaftstyp ist die Freiheit des Einzelnen, so meint Spencer, jedoch weitgehend eingeschränkt. Hier könne sich nicht jeder nach seinen Anlagen bestmöglich entwickeln. Im Gegensatz dazu ermöglichen Industriegesellschaften mehr Freiheit. Dadurch könne es auch zu einer optimalen Form von Arbeitsteilung und Spezialisierung kommen, weil die Talente jeder Person bestmöglich genutzt werden können. In Industriegesellschaften könne sich auch der Staat nach dem Muster des Manchester-Liberalismus auf ein Nachtwächterdasein zurückziehen. Mit noch weiterer Differenzierung würde dieser ganz und gar obsolet werden. Diese libertäre Haltung machte Spencer auch zum Gegner kolonialer Abenteuer und kriegerischer Politik. Im Grunde jedoch legte Spencer – wie bereits Comte vor ihm – mit seiner Unterscheidung zwischen weniger differenzierten militärischen und stark arbeitsteiligen friedlichen Industriegesellschaften den Grundfokus der zukünftigen Soziologie fest. Dieser Sichtweise folgend, verlor die Soziologie des 20. Jahrhunderts tatsächlich zu einem großen Teil den Krieg und auch den Zwangscharakter des Staates aus den Augen und spezialisierte sich auf Analysen weitgehend friedlicher, nicht-militärischer sozialer Differenzierungsprozesse. Max Webers Kon-
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zepte von Macht und Herrschaft und seine Notizen zum Machtprestige stellten, wie auch die Arbeiten Otto Hinzes für lange Zeit eine Sonderrolle innerhalb des friedlichen Paradigmas der Soziologie dar. Erst die angelsächsische historische Soziologie und Geschichtsschreibung der 1970er und 1980er Jahre nahmen die geopolitischen Perspektiven Webers und Hintzes wieder auf und entwickelten sie weiter. Charles Tilly (1990) untersucht systematisch Staatsbildungsprozesse in Europa und streicht die zwei Faktoren »Kapital« (capital) – die Fähigkeit von Staaten, Steuern einzunehmen – und »Zwang« (coercion) – die Fähigkeit von Staaten, organisierte Gewalt bereit zu stellen – heraus. Diese beiden Faktoren ließen vor allem Nationalstaaten zu erfolgreichen »Kriegsmaschinen« (warmachines) werden, die alle anderen Staatstypen (z. B. Stadtstaaten oder multiethnische Großreiche) verdrängten. Auch Skocpols (1979) Analyse von Revolutionen basiert auf dieser neo-hintzeanischen Perspektive und berücksichtigt geopolitische Rahmenbedingungen. Skocpol und andere treten daher für eine weitgehende Wiederbelebung der Fokussierung auf den Staat als »Kriegsmaschine« für die allgemeine soziologische Analyse ein (vgl. Evans et al. 1985). Giddens (1985: 35 ff.) sieht im Nationalstaat einen »Machtcontainer« (powercontainer), der Kontrolle und Überwachung der Bevölkerung sicherstellt. Moderne Nationalstaaten unterscheiden sich erheblich von traditionellen Staaten aufgrund ihrer klar strukturierten Grenzen. Außerdem meint Giddens, es sei falsch, dass internationale Beziehungen in der soziologischen Analyse keine Rücksicht fänden. Moderne Nationalstaaten sind nämlich Teil eines internationalen Systems, das erheblichen militärischen Anpassungsdruck ausübt. Mann (1994) argumentiert ähnlich. Für ihn gibt es mehrere Quellen der Macht, die nicht aufeinander reduzierbar sind. Ökonomische Machtquellen müssen laut Mann nicht unbedingt mit militärischen, ideologischen und politischen Machtquellen zusammenfallen. Auch für Mann bilden geopolitische Konstellationen wichtige äußere Rahmenbedingungen für Staatsbildungsprozesse, d. h. für die Ausbildung eine Bürokratie und eines Militärapparates. Savelsberg und King (2011) geht einen Schritt weiter und fokussieren in einer international vergleichenden Studie auf den Zusammenhang zwischen Krieg, Kriegserinnerung und der Formung nationaler Identitäten. Durch solche Untersuchungen, wird nicht nur die geopolitische, sondern auch die kulturelle Bedeutung des Krieges für Staats- und Nationsbildungsprozesse verdeutlicht. Webers Zuordnung von »Machtprestige« zu Großmächten und »Kulturprestige« zu militärisch neutralisierten Staaten ist aufschlussreich und dennoch auf die heutige Situation bezogen unpassend. Wir wollen nun kurz die beiden Kategorien »militärische Neutralisierung« und »Kulturprestige« besprechen. Zu Webers Zeiten fielen unter die Kategorie der neutralisierten Staaten vor allem Kleinstaaten wie die Schweiz oder Belgien, die hilflos den militärischen Ambitionen ihrer großen Nachbarn ausgeliefert waren. Für eine Analyse der
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Gegenwart muss die Kategorie der militärischen Neutralisierung jedoch neu überdacht werden. Hier ist auch der Hinweis, dass moderne Kriege »asymmetrisch« (Münkler 2004) oder bloß von »geringer Intensität« (van Creveld 2004) wären, zu wenig. Viel wichtiger ist, zu wissen, warum keine großen Kriege mehr geführt werden. Tilly, Giddens oder Mann haben zwar Recht, dass der Staat als »Militärmaschine« seine Strukturen im Kontext internationaler Staatenrivalität entwickelte. Das führte auch im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer Militarisierung der Gesellschaft, indem etwa die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde und Millionenheere entstanden. Dennoch brachte die Entwicklung der Waffentechnologie und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen auch eine eigene, ungeplante Dynamik mit sich. Konventionelle Heere wurden immer weniger einsatzfähig. Wir wollen hier von der allgemeinen militärischen Neutralisierung sprechen. In dieser Untersuchung wurde bereits diskutiert, dass Webers Konzept von »Kulturprestige« auf distinktive »Nationalkulturen« abzielt. Wollen wir Webers Verhältnis von Macht- und Kulturprestige für heutige Verhältnisse besser verstehen, so ist es allerdings notwendig, Kultur als Weltkultur zu begreifen. Damit geht diese Analyse auch von einem anderen Verständnis von »Kulturprestige« aus, nämlich von Sport als einem allgemein akzeptierten Rahmen, als Wettbewerbsfeld, in dem es gilt, nicht anders, sondern besser als andere zu sein.
Die »Demokratisierung« des Schadens: Krieg im Zivilisationsprozess Ein Aspekt der »Zivilisierung« des Krieges findet sich in seiner »Demokratisierung«, das heißt in der zunehmenden Abhängigkeit der führenden Schichten von den breiten Massen der Bevölkerung. Die Ausweitung militärischer Beteiligung auf breite Bevölkerungsschichten implizierte zwei gegenläufige Prozesse. Zum einen wurden seit den Revolutions- und Napoleonischen Kriegen immer breitere Bevölkerungsschichten in die Armeen eingezogen. Das System der lev¦e en masse, der Massenkonskription, veränderte Kriegsführung und Politik (Tilly 1990; Mann 1993: 237 ff.; Kruse 2004: 47 – 67; Münkler 2004: 91 ff.).111 Nun waren die politischen Eliten bei den Territorialkämpfen auf breite Bevölkerungsschichten angewiesen, was wiederum zu einer Ausweitung von politischen Rechten führte. Kriege waren nicht mehr allein eine Angelegenheit von Fürsten 111 Viele der folgenden überblicksmäßigen Ausführungen zur Geschichte des Krieges finden sich in folgenden historischen Standardwerken: McNeill (1982), Keegan (1993), Dellbrück (2000 [orig. 1900 – 1920]).
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und wurden zu nationalen Kriegen stilisiert, die auch nationale Loyalität und Aufopferung forderten. In der Periode zwischen den Revolutionskriegen und dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde jedoch auch eine weitere Tendenz sichtbar : die zunehmende Vermassung und Technisierung des Krieges. Der Einsatz moderner Technik und Massenproduktion in Verbindung mit der Bewaffnung großer Bevölkerungsschichten erzeugte ein stets steigendes Vernichtungspotential. Starben noch während der Napoleonischen Kriege mehr Soldaten an Seuchen und Krankheiten als an Kriegsverletzungen, so sollte sich dieses Verhältnis im Laufe des 19. Jahrhunderts umkehren (vgl. Clodfelter 2002). Moderne Waffentechnik, Massenproduktion und Millionenheere bewirkten jedoch nicht nur eine relative Zunahme von Kriegstoten aufgrund von Kriegsverletzungen, sondern auch eine gewaltige Zunahme der Zahl von Kriegsopfern in absoluten Zahlen. Im Zuge der Einbeziehung immer größerer Bevölkerungskreise in die Kriegsführung wurden auch immer mehr Menschen zu Opfern des Krieges. Die Massenproduktion von Waffen führte zur Entstehung einer Heimatfront. Sabotage und Bombardierung von Verkehrsinfrastruktur, Fabriken und Wohnanlagen beendeten die juristisch-säuberliche Trennung zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung; d. h., immer mehr Nichtkombattanten (Frauen, Kinder, Alte) wurden direkt in den Krieg miteinbezogen. Somit bewirkte die Demokratisierung der Kriegsführung auch eine Demokratisierung des Schadens. Diese erreichte ihren Höhepunkt mit der Entwicklung von Nuklearwaffen und ferngesteuerten Trägersystemen während des Kalten Krieges, die zum potentiellen Auslöschen allen höheren Lebens auf der Erde führen konnte. Durch die Demokratisierung der Kriegsführung und die Demokratisierung des Schadens wurde es für politische Eliten immer schwieriger, Kriege zu führen. Die Anzahl zwischenstaatlicher Kriege hat daher seit 1945 auch stark abgenommen.112 Territoriale Ansprüche und andere Zwistigkeiten zwischen Staaten müssen vermehrt anders als kriegerisch gelöst werden. Der Krieg verkroch sich in die Form des low-intensity-conflicts (vgl. van Creveld 2004). Er tritt meist in der Abgeschiedenheit von failed states zu Tage. Krieg wird heute auch punktuell als Terrorismus in urbaneren Gebieten geführt. Ein weiterer Aspekt der »Zivilisierung« des Krieges umschreibt den Rückgang direkter körperlicher Gewaltanwendung, die mit der technologischen Weiterentwicklung des Krieges verbunden ist. Der direkte Nahkampf zweier Krieger ist nach diesem Maß »unzivilisierter« als die Benutzung von Fernwaffen. 112 Das »Konfliktbarometer« 2010 des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung zählt für dieses Jahr keinen zwischenstaatlichen Krieg. Seit 1945 besteht ein Trend, dass die Anzahl der zwischenstaatlichen Kriege abnimmt und die der innerstaatlichen zunimmt, wobei seit etwa dem Jahr 2000 kaum mehr zwischenstaatliche Kriege geführt werden; vgl. http://www.hiik.de/de/konfliktbarometer/pdf/ConflictBarometer_2010.pdf .
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Im ersten Fall sind viele unmittelbare Affekte und manchmal auch zügellose Aggression mit dem Kampfgeschehen verbunden. Der Einsatz von Fernwaffen distanziert nicht nur die Kämpfer örtlich voneinander, sondern verringert auch die unmittelbare Sinnlichkeit, die mit dem Kampf in Verbindung steht. Der »rote Knopf« zur Zündung von mit Nuklearsprengköpfen bestückten Langstreckenraketen stellt somit eine extreme Form der emotionalen Distanzierung der Menschen von der Wirkung ihrer Waffen dar. Die »Zivilisierung« des Krieges in diesem Sinn ist somit losgelöst von der Frage nach dem schädlichen oder tödlichen Effekt des Kampfes. Der Abschuss einer Nuklearwaffe ist nach dieser Ansicht »zivilisierter« als der Nahkampf zweier Krieger, sein schädlicher Effekt jedoch millionenfach größer. Ein dritter Aspekt der »Zivilisierung« des Krieges bezieht sich auf den Grad der Kontrolle von Kämpfern auf dem Schlachtfeld, bzw. dem Grad der Kontrolle auf das gesamte Kriegsgeschehen. Der Dreißigjährige Krieg war zum Beispiel gekennzeichnet durch eine Vielzahl von manchmal diffusen Kampfhandlungen, von marodierenden Söldnerheeren, einer ideologischen Einbeziehung großer Bevölkerungsteile in den Krieg und eine ungewollte Ausweitung des Krieges in zeitlicher und territorialer Hinsicht (vgl. Schmidt 2010: 91 ff.). Die »Kabinettskriege« des 18. Jahrhunderts wiesen dagegen relativ beschränkte Kampfhandlungen auf. Die breiten Massen der Bevölkerung (Untertanen) wurden meist nicht durch öffentliche Propaganda in den Krieg involviert. Die Entscheidungen über Krieg, Kriegsziele und Frieden wurden von den absoluten Fürsten Europas getroffen. Dabei waren die Kriegsziele meist beschränkt und klar definiert. In den Armeen hatten Offiziere das Sagen, die aufgrund ihres adeligen Sozialhintergrundes Habitus, ethische Grundhaltungen und einen Ehrenkodex mit den Offizieren der Gegenseite in vielen Fällen teilten. »Kabinettskriege« waren aber auch schon aufgrund des sich entwickelnden Völker- und Kriegsrechts stärker verrechtlicht (vgl. Fiedler 2001). Die Revolutions- und Napoleonischen Kriege änderten wiederum den Charakter des Krieges. Es kam wieder zu einer »Dezivilisierung« des Krieges. Im Spanischen Unabhängigkeitskrieg kamen wieder irreguläre Truppen zum Einsatz, die als Freischärler einen Kleinkrieg (Guerilla) gegen die Invasionsarmee zu führen begannen (vgl. Fremont-Barnes 2002: 52 f.). Die neuen »Volkskriege« waren mit nationaler oder patriotischer Mobilmachung verbunden, zu der auch – wie bereits das revolutionäre Frankreich – die konservativen Mächte Preußen und Österreich greifen mussten (vgl. Lynn 1995: 192 ff.). Hier führte eine Demokratisierung der Kriegsführung dazu, dass Kriege endemischer, umfassender und »totaler« wurden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden in den Krieg immer breitere Bevölkerungsschichten direkt verwickelt. In der Periode zwischen 1815 und 1871 setzte vor alle die Industrialisierung und Mechanisierung des Krieges ein (vgl.
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Murray 1995). Der Erste Weltkrieg zeigte klar die entmenschlichten Bedingungen des modernen mechanisierten Krieges auf, wie durch die Einführung neuer Waffentechnologien (z. B. Feuerwerfer, chemische Waffen, Flugzeuge oder Panzer). Der Zweite Weltkrieg stellte eine weitere Zäsur in der Kriegsführung dar, denn nun trugen Flugzeuge den Krieg mit einer bis dahin nicht gekannten Zerstörungskraft bis in das feindliche Hinterland. Die endemische Ausbreitung kriegerischer Gewalt im Zusammenhang mit nationalen Befreiungsbewegungen, Separatismus und Irredentismus vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart hängt ganz besonders mit der Demokratisierung politischer Beteiligung zusammen. Gerade der Zusammenbruch von multi- und übernationalen Großreichen nach dem Ersten Weltkrieg und der Kolonialreiche nach dem Zweiten Weltkrieg, verschärfte das Klima von ethnischer Gewalt. In diesem Licht sollte Kants Diktum, dass nur republikanische Staatswesen den Frieden am besten sichern könnten, in Zweifel gezogen werden (vgl. Kant 2004).113 Wilsons liberale Doktrin des »Selbstbestimmungsrechts der Völker« führte nicht automatisch zu einer friedlichen Situation und zu einer zivilisierteren internationalen Ordnung. In gewisser Weise wurde erst durch die Realpolitik des Kalten Krieges und die Hegemonie von USA und UdSSR in Europa und dem Nahen Osten ethnisch motivierte Gewalt und Volkskriege eingedämmt. Das gilt im übrigen nicht für Teile Asiens und Afrikas zwischen 1945 und 1989, wo nationale Befreiungsbewegungen (oft mit kommunistischem oder sozialistischem Anstrich) in blutige Konflikte verstrickt waren, wie zum Beispiel der Krieg zwischen den zwei kommunistischen Staaten Vietnam und Kambodscha. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR erlebte ethnische Gewalt in der ehemaligen UdSSR, Jugoslawien, Ruanda, Somalia, Kongo, Sudan, Irak oder Afghanistan einen neuen Höhepunkt. Van Creveld (2004), Münkler (2004) oder Kaldor (2007) weisen darauf hin, dass moderne Kriege die gewohnte Trennung zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung immer mehr überbrücken, das Schlachtfeld verlagert sich in Städte und die Grenze zwischen Krieg und Polizieren wird immer fließender. Auch diese jüngste Entwicklung ist der Ausdruck einer Demokratisierung der Kriegsführung. Durch billiger werdende Waffentechnik und die digitale Revolution sind auch irreguläre Armeeeinheiten oder Terrortruppen in der Lage, erfolgreiche Kleinkriege (low-intensity-wars) zu führen. Die Industrialisierung und Technisierung des Krieges erhöhte auch die Ge113 Kant versteht unter republikanischen Staatsgebilden nicht bloß Republiken im politischen Sinn, sondern Staaten mit Gewaltentrennung und einer liberalen, bürgerlichen Verfassung. D.h., dazu würden auch alle konstitutionellen Monarchien Westeuropas zählen oder solche Monarchien, in denen die Beteiligung breiter Volksschichten an der Macht weit fortgeschritten ist.
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fahr für große Bevölkerungsschichten, entweder direkten physischen oder indirekten ökonomischen Schaden durch Kampfhandlungen zu erlangen. Der moderne technische Krieg ließ sich nicht auf den Bereich des Schlachtfeldes reduzieren. Das Ausufern des Krieges in den zivilen Bereich brachte es jedoch mit sich, dass nicht nur bestimmte Bevölkerungsgruppen negativ betroffen wurden, sondern in vielen Fällen der Großteil der Einwohner eines Landes oder einer Stadt. Daher ist der moderne Krieg auch mit einer »Demokratisierung des Schadens« verbunden. Die »Demokratisierung des Schadens« durch den Krieg ist eigentlich nicht auf einfache Art und Weise mit den Prozessen der Demokratisierung von Kriegsführung und politischer Beteiligung verbundenen. Vielmehr brachte der Fortschritt in der Entwicklung der Kriegstechnologie und der daraus erwachsenen Zerstörungskraft der Waffen neue Konstellationen zwischen Eliten und der restlichen Bevölkerung hervor. Nun wurden immer mehr Teile der Bevölkerung in den Krieg direkt oder indirekt hineingezogen. Die Entwicklung im Bereich der Fernwaffen, von schweren Mörsern über Bomber, bis hin zur modernen Raketentechnologie ermöglichte eine immer umfassendere Terrorisierung der nicht direkt in Kampfhandlungen verstrickten Bevölkerung. Zunächst lag im Einsatz von Fernwaffen die strategische Notwendigkeit, jene Fabriksstätten im Hinterland des industrialisierten Krieges zu zerstören, die dem Feind seine militärische Schlagkraft sicherten. Im Laufe des Zweiten Weltkrieges wurde dieses strategische Ziel durch ein weiteres ergänzt, nämlich die Zermürbung (oder auch Auslöschung) der gesamten feindlichen Zivilbevölkerung. Auf den Bombenterror der Luftwaffe folgte jener der Alliierten, für Coventry musste Dresden brennen, dafür wurden wiederum »Vergeltungswaffen« auf England abgeschossen. Der Besitz der Atomwaffen brachte die USA kurzzeitig in eine monopolartige Position, die erst mit der Entwicklung sowjetischer Atomwaffen gebrochen wurde. Im Kalten Krieg spitzte sich die »Demokratisierung des Schadens« bis ins Äußerste zu. Nun konnte jeder Opfer des Krieges werden. In einer derartigen Situation, in der äußersten Zuspitzung der »Demokratisierung des Schadens« aufgrund der Androhung totaler Auslöschung der Bevölkerung stellt sich auch die Frage nationaler Stellvertretung und damit politischer Souveränität von Nationalstaaten neu. Im Angesicht der Zerstörungskraft moderner Waffen erscheint nicht nur die Welt und damit auch die internationale Figuration fragil. Selbst die beiden Supermächte einigten sich während des Kalten Krieges auf bilaterale Abkommen im Bereich der Rüstungskontrolle und der Kontrolle von Waffentests. Die KSZE-Abkommen der 1970er Jahre erweiterten die Kontrolle auf den Bereich der Überwachung der Einhaltung von Menschenrechten. Das Drohszenario der totalen Vernichtung legte den Führern der Atommächte die Notwendigkeit nahe, ihr internationales Vorgehen genauer mit den anderen
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abzustimmen. Van Benthem van den Bergh (1984) sieht in der Entwicklung nuklearer Waffen und in der Strategie der gegenseitige Abschreckung ein funktionales Äquivalent zu einem internationalen Gewaltmonopol. Bereits kurz nach der Entwicklung von Atomwaffen, wurde dessen revolutionäre Wirkung erkannt (vgl. Brodie 1946: 259 ff.). Atomwaffen ermöglichten in den Augen vieler eine rationale Abschreckung auf der Basis der »sicheren gegenseitigen Zerstörung« (MAD); mutual assured destruction (Mandelbaum 1981; Huth und Russett 1984; Huth 1991). Einige vertreten die Ansicht, dass auch nach dem Ende des Kalten Krieges und der Herausbildung von mehreren Atommächten die MADDoktrin zur Vermeidung großer Kriege führt (vgl. Danilovic 2002; Signorino und Tarar 2006). Horowitz (2010: 98 ff.) streicht dagegen die Gefahr, die durch die Diffusion von Nuklearwaffen in andere Länder entsteht, hervor. Aber auch der nationalistische Anspruch nach dem »Selbstbestimmungsrecht der Völker« wurde während des Kalten Krieges unrealistischer. So wurde sowohl die Souveränität der »Satellitenstaaten« im Osten, wie die der Verbündeten im Westen beschränkt. Die Breschnew-Doktrin (1968) brach eindeutig mit dem auch von Lenin und Stalin vertretenen Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Diese Doktrin rechtfertigte im Nachhinein den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die CSSR und verkündete eine »eingeschränkte Souveränität« der sozialistischen Staaten im Rahmen der sozialistischen Gemeinschaft. Im Westen wurde keine derartige Doktrin von den Amerikanern gegenüber ihren Verbündeten in Westeuropa verkündet. Dennoch beschränkte das gemeinsame Verteidigungsbündnis NATO und die Stationierung amerikanischer Soldaten in Europa (vor allem in Westdeutschland) den Spielraum dieser Staaten nach außen ein. NORAD (North American Aerospace Defense Command) mit seinem Hauptquartier in Colorado – ursprünglich als Frühwarnsystem gegen den atomaren Erstschlag gedacht – bedeutet sogar einen bis heute andauernden freiwilligen Verzicht Kanadas auf eine eigenständige Überwachung seines Luftraumes. Außerdem bedeuten Interpol, Europol, die Zusammenarbeit von westlichen Geheimdiensten mit CIA und anderen amerikanischen Geheimdiensten, dass die westlichen Verbündeten den USA Rechte einräumten, in innere Angelegenheiten einzugreifen. Im Gegenzug dazu, schützt die amerikanische Militärmacht europäische Interessen (zumindest die Interessen einiger wichtigen Gruppen), z. B. wenn es um die Sicherung des Zugangs zu Erdöl ging. Nach Ende des Kalten Krieges besaß die USA als alleinige Supermacht einige Zeit wieder größeren Spielraum. Die USA gestanden sich in vielerlei Hinsicht mehr Recht als andere Staaten zu. In den 1990er Jahren und der ersten Hälfte der 2000er Jahre entstand der Eindruck, die USA müssten als einzige Macht gewisse internationale Verpflichtungen nicht einhalten. Ein gutes Beispiele ist etwa der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag. Hier haben die USA (und 33 wei-
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tere Staaten) den Vertrag nicht ratifiziert. Allerdings sind auch China, Indien, Indonesien, Saudi Arabien oder die Türkei dem sogenannten »Rom-Statut« nicht beigetreten. Ganz ähnliches gilt auch in Hinsicht auf die Todesstrafe. Nachdem die Todesstrafe in praktisch allen westlichen Gesellschaften abgeschafft oder nicht mehr angewandt wird (in Europa verbietet dies sogar die Europäische Menschenrechtskonvention von 1983), weigert sich die USA noch immer, das Moratorium für Hinrichtungen der Generalversammlung der UN zu unterschreiben, weil sie dies als Einmischung in innere Angelegenheiten ansieht. Ein weiteres Beispiele ist das »Kyoto-Protokoll«, das die USA bis heute (2012) nicht unterzeichnet hat (durch die sogenannte Byrd-Hagel-Resolution weigerte sich die USA dem Abkommen beizutreten, solange sich nicht auch Entwicklungsländer dazu verpflichteten; was in der Zwischenzeit allerdings geschehen ist). Das heißt, die USA veränderten ihre Position seit dem Ende des Kalten Krieges. Waren noch während des Kalten Krieges für sie internationale Abkommen und Verpflichtungen ein Mittel, die Souveränität kommunistischer Staaten zu unterminieren, so wurden diese mit dem Wegfall eines gleichwertigen Feindes zum Hemmschuh. Aber auch die USA können sich nicht aller internationalen Verpflichtungen entledigen. Zum einen kristallisieren sich gerade nach Beginn der Weltfinanzkrise seit 2008 die BRIC-Staaten und einige andere Länder als relativ aufsteigende Wirtschaftsmächte und die USA als eine relativ absteigende Wirtschaftsmacht heraus. Zum anderen wirkt das nukleare Abschreckungspotential weiter, denn auch nach dem Kalten Krieg verfügt Russland über genügend Atomsprengköpfe. Noch dazu hat sich der Club der atomwaffenbesitzenden Ländern seit 1989 erweitert. Neben den USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich verfügen heute auch Israel, Indien und Pakistan über Atomwaffen. Iran und Nordkorea (hat wahrscheinlich bereits Atomwaffen) dürften bald folgen, und die Menge anderer Anwärterstaaten auf den Status einer Atommacht wird größer. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Atomwaffen schützen vordergründig die Souveränität von Staaten. Atomwaffen verhindern, dass Mächte mit überlegenen konventionellen Armeen militärisch angreifen.
Bemerkungen zur Sonderrolle der USA im »Nationensport«114 Die USA spielten im Laufe des 20. Jahrhunderts militärisch und sportlich eine Sonderrolle.115 Zum einen dominierte die USA als größte Militärmacht auch die 114 Die militärische Sonderrolle der USA – vor allem im Vergleich zu Europa – wurde bereits öfters thematisiert. Kagan (2003) konstatiert zum Beispiel, dass europäische Staaten viel eher als die USA friedliche Lösungen internationaler Konflikte präferieren. Er nimmt dabei
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Olympischen Spiele. Amerikanische Athleten hatten bei den Olympischen Spielen sowohl die meisten Medaillen, wie auch die meisten Gold-Medaillen gewonnen. Zum anderen nahmen die USA an wichtigen Weltsportarten entweder nicht teil, oder erschien dem amerikanischen Publikum eine solche Teilnahme als nicht besonders attraktiv. In gewisser Weise praktizierten die USA im Fußball, Formel-1 und anderen Sportarten eine Form von »splendid isolation«. In Amerika sind Baseball, Basketball, Eishockey (NHL-Liga) und vor allem American Football (NFL-Liga) noch immer weitaus populärer als Soccer. Das spiegelt sich sowohl in durchschnittlichen Einschaltquoten, Werbeeinnahmen, wie auch Spielergagen. Die Super Bowl ist das bei weitem populärste Sportereignis der USA mit sehr hohen Einschaltquoten. Mittlerweile hat auf einer globalen Ebene das Finale der UEFA-Champions League der Super Bowl als meistgesehenes Einzelsportereignis den Rang abgelaufen.116 allerdings Großbritannien aus, denn den Briten unterstellt er eine noch lebendige Erinnerung an die einstige imperiale Größe und damit einen Willen zur militärischen Macht (vgl. Kagan 2003: 5). In einem anderen Zusammenhang spricht Kagan davon, dass Amerikaner vom Mars und Europäer von der Venus wären. Allerdings gilt diese Feststellung Kagans bestenfalls für die Gegenwart. Die Geschichte der letzten Jahrhunderte zeigt, dass die Europäer immer vom »Mars« waren. Aber auch Mennell (2007) konstatiert, dass der außergewöhnliche Machtzuwachs der USA – ihre Sonderposition – zu einer gewissen Entfremdung innerhalb der westlichen Welt führte. Michael Mann (2003) meint, dass durch den Wegfall der UdSSR die USA aufgrund ihrer Sonderposition zu einer imperialen Macht aufsteigen werden, die nicht mit militärischen Mitteln, sondern informell und indirekt Herrschaft auf der ganzen Welt ausüben können. Allerdings fand in den letzten Jahren ein massiver Anstieg der Rüstungskosten in Asien statt, sodass dort die USA in Gefahr laufen, militärisch gegenüber den neuen Wirtschaftsriesen Indien und China bald schon zurückzufallen. Die militärische Sonderrolle der USA kommt auch in der ISSP-Auswertung der Erhebung von 2003 (National Identity II) zum Ausdruck. Nur in den USA und in Großbritannien wurde die Dimension »Stolz auf die Armee« als durchschnittlich stärkster Aspekt von Nationalstolz von den Befragten angegeben (siehe Anhang B). 115 Savelsberg und King (2011) argumentieren, dass in den USA auch gegen den globalen Trend Kriegsverbrechen – wie etwa die von May Lai – nur in einem geringen Ausmaß Teil des kollektiven Gedächtnis geworden sind. Die glorreiche militärische Vergangenheit des Landes steht dagegen bei der Bestimmung nationaler Identität im Vordergrund. Aber vielleicht fußt auch dieser amerikanische Sonderweg – die Glorifizierung der eigenen Armee – auf der unangefochtenen militärischen Position des Landes in der Welt, die dadurch auch die eigene Geschichte aus den Augen der Sieger betrachtet. Die nationale Geschichte erhält die Färbung von Whig History. Damit besteht in den Augen weiter Kreise der politischen und intellektuellen Eliten der USA keine Notwendigkeit, dunkle Kapitel besonders hervorzustreichen, weil sie als Gegengewicht zu den Siegen und Erfolgen zu verblassen scheinen. 116 Im Jahr 2009 konnte die Super Bowl einen bis dahin weltweiten Rekord an Zuschauern verzeichnen. In einer Studie, die in 55 Ländern durchgeführt wurde, wurden 106 Millionen Live-Zuseher und 162 Millionen Zuseher insgesamt der Super Bowl erhoben. Dieser Rekord wurde allerdings vom Champions-League-Finale zwischen FC Barcelona und Manchester United 2011 übertroffen. Dieses Ereignis sahen durchschnittlich 109 Millionen Zuseher live und insgesamt 206 Millionen Zuseher. An dritter Stelle folgte das Formel-1-Rennen von Bahrain 2010, gefolgt von Usai Bolts Sprintlauf bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in
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Auf jeden Fall werden in den USA oft amerikanische Meisterschaften mit Weltmeisterschaften gleichgesetzt. Manchmal symbolisieren bereits die Verbands- oder Meisterschaftsbezeichnungen diese US-zentristische Sichtweise. Hier wird international oder world für eigentlich inner-amerikanische Wettkämpfe gebraucht. Im Basketball wird die »World Series« zwischen dem Sieger der National League und der American League ausgetragen. Die »Champ Car World Series« war eigentlich bis Ende der 1990er Jahre eine amerikanisch dominierte Autorennserie. Zwei der vier wichtigen weltweiten Profiboxverbände sind inneramerkanische Verbände, obwohl sie World Boxing Association (WBA; vormals National Boxing Association) und International Boxing Federation (IBF vormals United States Boxing Association) heißen (zu der Entwicklung von internationalen Boxverbänden, vgl. Sugden 1996). Diese Beispiele zeigen, dass Teile des amerikanischen Sportsystems einen selbstreferenziellen Charakter besitzen. Die meist in Profiligen organisierten Berlin 2009. Auf Platz fünf folgte das Wimbledon-Finale zwischen Federer und Roddick 2009, Platz sechs nahm das World-Baseball-Finale zwischen Japan und Südkorea ein, gefolgt von der Baseball World Series, dem Basketball NBA-Finale und dem Gold US Master (Finaltag). Im Vergleich zu diesen Einzelsportereignissen weisen Fußballwelt-, Europameisterschaften und Olympische Spiele durchschnittlich jedoch noch wesentlich mehr Zuschauer auf. Die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking sahen durchschnittlich 593 Millionen Live-Zuschauer oder insgesamt 985 Millionen Menschen. Badminton (das Finale im Sudirman Cup zwischen Südkorea und China) sahen durchschnittlich 19 Millionen Zuschauern. Auch der Finaltag des US-Golf-Masters zählt zu den zehn meistgesehenen Sportereignissen. Dabei ist anzumerken, dass die Super-Bowl vor allem von Amerikanern und das Badminton-Turnier vor allem von Zusehern aus Malaysia, Indonesien und China gesehen wurden. Diese Zahlen stammen aus: Spiegel-Online-Sport, die sich auf das Magazin »SPONSORS. Wissen fürs Sportbusiness« beziehen (»TV-Einschaltquoten: Champions League schlägt Super Bowl« (von Matti Wiedemann), publiziert am 14. 4. 2010; abgerufen am 23. Juni 2011; http://www.spiegel.de/sport/sonst/ 0,1518,688476,00.html). Die hier genannten Zahlen müssen allerdings mit Vorsicht zur Kenntnis genommen werden. Der hier zitierte Artikel enthält keinen Hinweis über die Methode der Erhebung dieser Einschaltquoten. Das gilt im Übrigen für fast alle derart publizierten Zahlen über international vergleichende Einschaltquoten im Fernsehsport. Offen ist, ob etwa in jedem Land dieselbe Messmethode (z. B. über »Quotenboxen« und Panelstudie) zur Anwendung kommt und ob die Stichprobengrößen einen qualitätsvollen Vergleich zulassen. Eine kritische Überprüfung dieser Zahlen kann in dieser Arbeit jedoch nicht geleistet werden. Diese Quoten geben auch nicht die qualitative und quantitative Eigenschaft der Mediennutzung an (vgl. Meyen 2001: 74 ff.). Laut Wikipedia verfolgten die Super Bowl in den USA 2011 sogar 111 Millionen Zuseher (siehe. Wikipedia: Artikel: »Einschaltquote«, abgerufen am 23. Juni 2011; (http://de.wikipedia.org/wiki/Einschaltquote). Nach Schätzungen der FIFA sahen dagegen etwa durchschnittlich 700 Millionen Zuseher weltweit das Weltmeisterschaftsfinalspiel 2010. Weiters schätzt die FIFA kumulativ 26 Milliarden (!) Zuschauer für alle Spiele, was im Schnitt 400 Millionen Zuseher pro Spiel ausmachen würde (siehe: Wikipedia, englische Ausgabe, Artikel »2010 FIFA World Cup«, abgerufen am: 23. Juni 2011 (http://en.wikipedia.org/wiki/2010_FIFA_World_Cup# cite_note-fifaestimate-121). Auch diese Zahlen enthalten keine Angaben über Erhebungsmethode und Originalquelle.
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Sportarten finden einen genügend großen Heimatmarkt vor, gekoppelt mit einem vielschichtigen nordamerikanischen Fernsehsystem, welches eine große Anzahl von Free- und Pay-TV Sendern inkludiert. Der gesättigte amerikanische Mediensport, dessen Zentrum und Maßstab die nationalen Meisterschaften darstellen, bildet gewissermaßen einen Gegenpol zum »Nationensport« der übrigen Welt. Lange Zeit war die USA nur in wenigen Disziplinen des »Nationensports« stark verankert, wie etwa in der Leichtathletik.117 Zunächst bildeten Leichtathletikbewerbe die Kerndisziplinen der Olympischen Spiele, weil sie teilweise auf antike Vorbilder zurückzuführen sind. Leichtathletik war in den USA als College-Sport bereits seit den 1880er Jahren verbreitet (vgl. Smith 1988: 99 ff.). Außerdem erlangte der internationale Leichtathletikdachverband (IAAF, International Association of Athletic Federation), der 1912 gegründet wurde, auch in den USA eine wichtige Stellung, weil dieser nicht nur die Weltmeisterschaften118 organisierte, sondern vor allem Rekorde zählte. Sieht man von den Langstrecken-Laufbewerben ab, so gewann die USA bei den frühen Olympischen Spielen die meisten Leichtathletik-Bewerbe. Amerikanische Athleten dominierten bis in die 1950er und 1960er Jahre klassische Bewerbe wie Hochsprung, Weitsprung, Stabhochsprung, Diskuswerfen, Kugelstoßen und Hammerwerfen. Erst danach wurden bei diesen Disziplinen Athleten aus meist osteuropäischen Ländern dominant.119 Dasselbe gilt auch für den Zehnkampf. Im Zehnkampf oder den Kurzstreckenbewerben, den Hürden-Läufen und den Staffelläufen sind die USA bis heute bestimmend.120 Bis 1912 setzte sich die Mehrheit aller amerikanischen Goldmedaillen aus Siegen in Leichtathletikbewerben zusammen, von den 1920er bis 1960er Jahren setzte sich noch ungefähr die Hälfte der amerikanischen Goldmedaillen aus Siegen in diesen Disziplinen zusammen. Erst danach begann der Anteil der Goldmedaillen aus Leichtathletikbewerben im Vergleich zu allen anderen amerikanischen Goldmedaillen zu sinken.121 Erst allmählich begann in den USA der »Nationensport« in einigen anderen Disziplinen wichtiger zu werden. Der Grund dafür liegt im Erfolg des sowjetischen Sportsystems. Daher begann die amerikanische Regierung aktiv, in ihr nationales Sportsystem fördernd und koordinierend einzugreifen (vgl. Senn 117 Zur Geschichte des Sports in den USA, siehe überblicksartig: Gems et.al (2008). 118 Die Leichtathletik Weltmeisterschaften stellen heute zwar das fünfgrößte Sportfernsehereignis der Welt dar, sie wurden jedoch erst seit 1983 ausgetragen. 119 Angaben zu Medaillengewinnen stammen aus den Medaillenspiegeln der offiziellen Berichte zu den Olympischen Sommerspielen; siehe: IOC (1896 – 2008). Sie wurden vom Autor so zusammengefasst, dass für jeden Leichtathletikbewerb der Olympischen Sommerspiele zwischen 1896 und 2008 die amerikanischen Medaillengewinne denen von Athleten anderer Staaten gegenübergestellt wurden. 120 vergl. Ebd. 121 vergl. Ebd.
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1999: 12). In Sportarten wie Basketball und Eishockey entwickelten die Sowjets (und einige andere osteuropäische Länder) schlagkräftige Teams, die als »Staatsamateure« neue Standards setzten konnten. Somit brachten sowjetische oder tschechische Eishockeymannschaften, bzw. sowjetische, bulgarische und jugoslawische Basketballteams eine Situation hervor, in der internationale Turniere als ebenso prestigereich zu gelten begannen, wie NHL oder NBA. Das »Miracle on Ice« von 1980 ist dabei ein besonders signifikantes Ereignis des amerikanischen »Nationensports« (vgl. Coffey 2005). Erst der Fall der »Amateurregel« ließ den Einsatzes amerikanischer Sportprofis bei Olympischen Spiele zu, wie etwa die »Dream Teams« im Basketball (vgl. Grasso 2011: XXiX). Damit ist die USA auch im Basketball dauerhaft in ein internationales Konkurrenzgeflecht eingebunden, bestehend aus gleich starken Gegnern. Nun können viele Gründe dafür genannt werden, warum in Amerika Fußball nicht die Beliebtheit von American Football und Baseball erlangte (Smith 1988: 83 ff.; Bausenwein 1995: 259 ff.). In den letzten 20 Jahren verbesserte sich allerdings die Leistung des amerikanischen Fußballnationalteams ständig (im Frauenfußball gewann die USA sogar zweimal den Weltmeistertitel). Heute stellt die USA noch vor Mexiko das beste Team Nordamerikas. Aber auch der amerikanische Klubfußball erlebte eine starke Verbesserung, der sich von dem punktuellen Fußballfrühling der 1970er Jahre mit Cosmos New York und eingekauften Altstars aus dem Ausland abhebt. Die heutige Profiliga, die Major League Soccer, die 1993 gegründet wurde, scheint auf einem wesentlich festeren finanziellen Fundament als ihre Vorgänger-Liga gebaut zu sein. Selbst die Zuschauerzahlen in den Stadien und vor dem Fernseher sind im letzten Jahrzehnt stark angestiegen. Das gilt aber auch für internationale Fußballwettbewerbe. So sahen etwa ca. 16,9 Millionen Amerikaner das Finale der Fußballweltmeisterschaft.122 Ein Grund für die stärker werdende Popularität des Fußballs in den USA liegt sicher in der größer werdenden Latino-Bevölkerung. Aber auch die weltweit gewachsene Bedeutung des Fußballs wirkt sich auf das Interesse für diesen Sport in den USA aus. Für unsere Zwecke ist es interessant zu sehen, dass die Integration des amerikanischen Sports in den »Nationensport« Hand in Hand mit der zunehmenden Bedeutung des Multilateralismus auf einer politischen Ebene geht. Die USA haben zwar noch immer die weitaus stärkste Militärmacht. Aber auch diese bleibt nicht vom allgemeinen Prozess der militärischen Neutralisierung verschont. Noch dazu verlieren die USA zur Zeit demographisch, und ökonomisch an relativer Bedeutung verloren. Was bewirkt das für ihre Sonderrolle im »Nationensport«? 122 Siehe: Wikipedia; Artikel »Fußball in den Vereinigten Staaten«, abgerufen am 27. Juni 2011; (http://de.wikipedia.org/wiki/Fußball_in_den_Vereinigten_Staaten).
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Die internationale Gelegenheitsstruktur zur Erfahrung des Nationalen Nationen können somit in unterschiedlicher Hinsicht, zu unterschiedlichen Anlässen in Verbindung mit unterschiedlichen zwischenstaatlichen Konstellationen »erfahren« werden. Sie können einer Bevölkerung als militärische Kampfmaschinen gegenübertreten, als Solidaritätsgemeinschaften in Form von Wohlfahrtsstaaten oder in einem anderen, friedlichen Zusammenhang. Nationales Prestigedenken innerhalb »agonaler Weltsportgemeinschaften« mit ihrem Hang sich an der »Clelebrity Society« (vgl. van Krieken 2012) und einer banalisierten Weltkultur zu orientieren, stellt bloß eine von vielen Erfahrungsmöglichkeiten dar. Somit bestehen »Gelegenheitsstrukturen« der nationalistischen Erfahrung, die nach Zeit und Ort variabel sind. Jede dieser »Gelegenheitsstrukturen« besitzt eine andere Wirkung auf die Formung nationaler Wir-Bilder und Wir-Ideale. Vor allem bestehen ganz eigene, pfadabhängige und meist ungeplante Konsequenzen für Nation, Nationalismus und internationale Ordnung, falls die eine oder andere »Gelegenheitsstruktur« dominant genutzt wird. Diese Tatsache ist wichtig im Auge zu behalten, damit die allzu einfache und ahistorische Ritualisierungsthese überwunden werden kann. In Perioden, in denen zwischenstaatliche Kriege häufig stattfinden oder ständig möglich sind, erscheint der Nationalstaat als militärische Überlebenseinheit. In der Periode der allgemeinen militärischen Neutralisierung tritt jedoch diese kriegerische Schutzfunktion des Nationalstaates in den Hintergrund. Immer weniger Bewohner eines Landes sind Zeugen des Krieges, erleben kriegerische Gräuel und dominante Gefühle, wie Stolz, Erleichterung, ausgelassene Freude oder Schmach in Zusammenhang mit Kampfhandlungen oder Schlachten. Kriegshelden, erfolgreiche Generäle, glücklich gewonnene Schlachten, bittere Niederlagen und die Kriegstoten verschwinden in langanhaltenden Friedenszeiten, in Perioden der militärischen Neutralisierung, aus dem unmittelbaren Gedächtnis der Menschen. Sie sind zwar noch Gegenstand der Kriegserinnerung, des Geschichtsunterrichts und epischer Kinofilme. Dennoch entzieht sich später Geborenen die Wucht und Signifikanz kollektiver Gefühle in Zusammenhang mit dem Krieg. Die Entstehung moderner Informationstechnologien und Massenmedien beschleunigte die Veränderung der Gelegenheitsstruktur, Nationen zu »erfahren«. Der Krimkrieg war wahrscheinlich das erste kriegerische Ereignis, das dank Telegrafenverbindung von der französischen und englischen Öffentlichkeit fast unmittelbar mitverfolgt wurde. Der Reporter William Howard Russell erlangte durch seine Berichte für die Zeitung »The Times« Berühmtheit, sodass der Zar angeblich sagte, er brauche keine Spione mehr, er habe nämlich die
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Times (vgl. Judd 1975: 95). Durch diese neuen Medien wurde der exklusive Kreis an Personen, die über die Welt und die Außenbeziehungen des Staates Bescheid wussten aufgebrochen. Dadurch setzte auch eine Banalisierung sowohl des Nationalen, wie auch des Internationalen ein. Die Karikatur stellt ein besonders interessantes Genre des Zeitungs- und Zeitschriftenwesens dar, will man den Wandel nationaler Wir-Bilder im internationalen Kontext erforschen. Erstens stellen solche Karikaturen besonders verdichtete Formen nationaler Wir-Bilder dar. Nationalkarikaturen entlehnen ihre Motive und ihre Bildsprache stark von der nationalen Allegorie. Daher treten dort auch »Mariannen«, »deutsche Michels«, »John Bulls« etc. besonders häufig auf. Zweitens stellen solche Karikaturen jedoch ein distanziertes Verhältnis des Karikaturisten und des Lesers zur eigenen Nation dar. Sie sind meist ironisch oder satirisch überzeichnete Versinnbildlichungen und unterscheiden sich somit von der Nationalallegorie der romantischen Malerei, die ihr Sujet stets ernst nimmt. Gerade die ironisch gemeinte Überzeichnung verweist auf Defizite der Nation in den Augen des Karikaturisten, die in vielen Fällen als negativ gerichtete Wir-Ideale zu verstehen sind. Die Entwicklung der nationalen Karikatur und der karikierten Darstellung der eigenen Nation in einem internationalen Kontext ist seit dem Ende des 19. Jahrhundert einem starken Wandel ausgesetzt, der die oben genannten Demokratisierungsprozesse widerspiegelt. Die Nation tritt in Zeitschriften und Zeitungen um 1900 in der Karikatur fast ausnahmslos in einem außenpolitischen Kontext in Erscheinung. Länder werden verkörpert als Staatsmänner oder Militärs, meist tragen diese Figuren die Züge von bekannten Personen, oder sie sind Anlehnungen an nationale Allegorien. Frankreich wurde z. B. sehr oft als Frau, besser gesagt, als »Marianne« dargestellt, England als »John Bull« und Russland als bärtiger Mann mit Pelzmütze. Freilich variieren diese nationalen Personifikationen je nach Grad der positiven oder negativen Beurteilung eines Landes durch den Karikaturisten. Der »deutsche Michel« war sicherlich eine positivere (oder besser : harmlosere) Verkörperung Deutschlands in nichtdeutschen Zeitungen, als der pickelhaubige Preuße, bzw. »Hunne« (nach der »Hunnenrede« Kaiser Wilhelm II.).123 123 Es gab aber auch eine Varianz der Interpretation des »deutschen Michels«. Zumindest werden mit dieser nationalen Personifizierung oftmals die Eigenschaften dumm, ungebildet, gemütlich und einfach verbunden. Die Darstellung des dummen Michel erinnert aber auch an die Form des naiven amerikanischen Hollywoodhelden, wie etwa Forrest Gump, der gerade aufgrund seiner Naivität Unverdorbenheit und Reinheit verkörpert und damit ein Attribut, dass gerne als positive amerikanische Eigenschaft innerhalb Amerikas angesehen wird. Im Gegensatz zum deutschen Michel-Bild besteht eine Variation des naiven amerikanischen Filmhelden, der seine Gutmütigkeit verliert, sobald er von anderen angegriffen oder ernsthaft beleidigt wird. Der naive amerikanische Held wandelt sich dann zum Rächer und Vollstrecker oder zumindest zu einer Figur, die hartnäckig ihr Recht
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In den österreichischen Tageszeitungen und deren Karikaturen beginnen die nationalen Personifikationen im Kontext des Nationensports erst in den 1950er Jahren. Sowohl in den Jahrzehnten der Monarchie von den 1880er Jahren bis 1918, wie auch in der Ersten Republik finden sich (zumindest in der hier vorliegenden Stichprobe) keine derartigen Karikaturen. »Österreich« tritt in den Zeitungskarikaturen ab etwa 1950 meist als opulenter Mann auf, gekleidet in Steireranzug und Steirerhut mit Federn (im übrigen verschwindet diese Darstellungsweise ab den 1980er Jahren weitgehend wieder). Auch diese Figur verkörpert wie der »deutsche Michel« Gemütlichkeit und Unbeweglichkeit, doch besitzt sie aufgrund ihres unattraktiven Äußeren immer einen Schuss Selbsthass oder Selbstverachtung. Bild 7: »Trauer muss Herr Österreicher tragen«, Kleine Zeitung, 12. Februar 1976, Zeitungsausschnitt vom Titelblatt
Dieses Beispiel beschreibt den »Herrn Österreicher«, der aufgrund der schlechten Leistung des ÖSV-Teams während der Olympischen Spiele 1976 in Innsbruck in tiefe Trauer verfällt. Die österreichischen Medien waren vor diesen Olympischen Spielen voller Hoffnung, dass bei diesen Heimspielen besonders viele Medaillen gewonnen werden könnten. Nach dem frühen Sieg von Franz Klammen in der Abfahrt brach auch ein medial inszenierter Jubel aus. Doch schon bald zeigte sich, dass an diese anfänglichen Leistungen nicht mehr angeschlossen werden konnte. In diesem Sinn bezeugt diese Karikatur auch ein selbst zugeschriebens Attribut der Österreicher : nämlich die angebliche Eigenschaft des schnellen Wandels von Euphorie und Übermut zu Trauer und Depression (die Phrase »Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt« aus Goethes ›Egmont‹, fand in Österreich jedoch vor allem durch die Vertonungen von Beethoven, Schubert und Liszt Verbreitung). einfordert (also eine Art Mischung zwischen Michel und Michael Kohlhaas (Kleist) plus Happy End).
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Solche sport-nahen Repräsentationen der Nation (bzw. alle Formen nicht-politischer Repräsentation) in den Zeitungskarikaturen sind für die Zeit vor 1945 kaum zu finden. Hier wurde die Nation fast immer in einen außenpolitischen Kontext gestellt. Zum Beispiel wurde in einer Darstellung aus Anlass der Gründung der Entente cordiale (1904) »Marianne« eingehängt in »John Bull« hochnäsig am alleingelassenen Deutschen (in Verkörperung eines preußischen Offiziers) vorbeispazierend dargestellt. In lang anhaltenden Friedenszeiten bietet der Mediensport weitaus mehr internationale Gelegenheiten, die Nation »zu erfahren« als kriegerische Anlässe. Sportler treten immer häufiger als nationale Stellvertreter in Erscheinung, und Soldaten immer seltener. Die Erfahrung, die der Einzelne im Sportkontext mit der Nation macht, besteht etwa in der direkten Beobachtung von Sportwettkämpfen, den Siegesfeiern und der »nationalen Stimmung«, die das Bild eines Landes im Laufe der Zeit stärker zu prägen beginnen als das der siegreichen Armee oder des erfolgreichen Heeresführers. Die moderne Welt und ihr System der Massenmedien schafft Gelegenheitsstrukturen, die den Einzelnen fast täglich mit nationalen Sportstars und sportlichen Siegesmeldungen konfrontiert. Die Konventionen des Publikums und des Sportjournalismus im Umgang mit dem Nationalen im Sport werden somit auch zu einer Konvention im Umgang mit der Nation im Allgemeinen. Der Krieg und das Militärische bietet dagegen immer seltener Gelegenheiten, Nationalstolz oder andere national gefärbte Gefühle zu erleben. Die USA, die eine Sonderstellung einnimmt, ist zwar auch in keine großen Kriege mehr involviert. Dennoch bieten dort die kleinen Kriege mit geringer Intensität noch immer Gelegenheit, die Nation anhand von kriegerischen Leistungen darzustellen und zu feiern. Aber auch hier sieht man, dass friedliche und sportliche Konventionen bei der Darstellung der Nation immer stärker überhandnehmen. Die »Gelegenheitsstruktur« und die Art der Erfahrung bilden wohl die beiden wichtigsten Faktoren, die nationale Wir-Gefühle, Wir-Bilder und Wir-Ideale formen. Diese Erfahrung kann einerseits unmittelbarer und andererseits vermittelter Natur sein. Jede Tradition und jede Erinnerungskultur baut auf durch Medien vermittelte Erfahrungen auf und besitzt dadurch ein konstruktivistisches Element. Im Sport werden paradoxerweise auch viele unmittelbare Erfahrungen durch Medien vermittelt. Diese Vermittlung ist jedoch durch einen offenen, noch unbekannten Ausgang und das Element der »Stimmung« determiniert. Die veränderte »Gelegenheitsstruktur« verändert allerdings auch die Art der unmittelbaren, individuellen Erfahrung in Zusammenhang mit der Nation. Der »Nationensport« konfrontiert die Menschen nicht mehr mit existenziellen Situationen. Nationen werden daher stärker mit den Elementen von Unterhaltung und Spaß in Zusammenhang gebracht. Der langfristige Strukturwandel der Gelegenheiten nationaler Erfahrbarkeit
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»Nationensport« und militärische Neutralisierung
formt somit auch den »Habitus« nationaler Ideale und Vorstellungsmuster. Die Transformation nationaler Wir-Gefühle, Wir-Bilder und Wir-Ideale steht im Zusammenhang mit dieser Verschiebung der Gelegenheitsstruktur nationaler Erfahrbarkeit. Aufbauend auf dieser Verschiebung vollzieht sich jedoch ein weiterer psychogenetischer Prozess, der eine Transformation des »Habitus« darstellt. Die Permanenz des Strukturwandels der Gelegenheiten, die Nation zu erfahren, erzeugt auch neue Gewohnheiten und normative Erwartungshaltungen im Zusammenhang mit Vorstellungen und Zielen nationaler Gemeinschaften. Die Nationen werden nun nicht mehr in einem militärisch dominierten Kontext gesehen. Kriegerische Ideale werden zunehmend als ungewöhnlich, abnormal oder abweichend empfunden. Den Vergleichsrahmen für solche Bewertungen stellt der internationale Kontext dar, der durch den Sport besonders präsent wirkt. Weil durch die allgemeine Neutralisierung auch in allen anderen Staaten, den »signifikanten Anderen«, ein solcher Wandel von nationalen WirIdealen und Gelegenheitsstrukturen stattfindet, kann fast nirgendwo ein kriegerisches nationales Wir-Bild beobachtet werden. Staaten, die offene kriegerische Ideale demonstrieren, gelten eher als deviante Fälle – als Schurkenstaaten. Somit findet der Prozess der Zivilisierung des Nationalen auf der Grundlage einer verschobenen Gelegenheitsstruktur statt, die Nation persönlich zu erfahren. Auf dieser Grundlage formen sich »agonale Weltsportgemeinschaften« aus, innerhalb derer gewisse Wettkampfstandards vorherrschen, nationale Publika sich gegenseitig beobachten und moderne »höfische Gesellschaften« entstehen. Die gegenseitige Beobachtung fördert die Imitation und Anlehnung an erfolgreiche Sportnationen und die Übernahme eines internationalen Verhaltenskodex. Diese internationale Orientierung zielt auch auf die Herausbildung ethnisch substanzloser nationaler Wir-Bilder ab, die hier als »leerer Nationalismus« bezeichnet werden.
Kapitel 13 – Der »leere« Nationalismus im Vormarsch
Alter und neuer Nationalismus Wir wollen nun die wichtigsten Unterschiede zwischen modernem »leeren Nationalismus« und dem älteren »romantischen Nationalismus« kurz zusammenfassen: Im 19. Jahrhundert waren vor allem nationale Bewegungen, die aus dem Bürgertum stammten, die Träger des Nationalismus. Diese Bewegungen bedienten sich hauptsächlich öffentlicher Zeremonien, der Oper, des Theaters und der Romanliteratur zur Verbreitung ihrer Doktrin. Deren Rezeption war zunächst noch auf einige bürgerliche Kreise beschränkt. Diese Doktrin zielte auf die Konstituierung souveräner und begrenzter »vorgestellter Gemeinschaften« ab (vgl. Anderson 2005). Außerdem verlangte die damals einsetzende Industrialisierung nach einer standardisierten Schulbildung auf Basis von Schriftsprache und »Hochkultur« (vgl. Gellner 2006), wodurch allmählich auch breitere Bevölkerungskreise direkt oder indirekt mit dem Nationalismus in Berührung kamen. Nicht überall in Europa entstanden allerdings Nationen nach dem gleichen Muster. In Deutschland und Italien wollten die nationalen Bewegungen zunächst zersplitterte Territorien in ein Staatswesen vereinen (Vereinigungsnationalismus), in Osteuropa musste dagegen erst ein »nationales Bewusstsein« geschaffen werden (zu den nationalen Bewegungen in Osteuropa, siehe: Hroch 1968). Auf jeden Fall definierte sich dieser »romantische Nationalismus« zunächst meist über die kulturellen Aktivitäten des gehobenen Bürgertums, wie etwa die Pflege von Literatur, Musik oder anderen Künsten. Außerdem spielte die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte eine wichtige Rolle. In vielen Gebieten Europas entstand somit nach dem Vorbild Herders die Vorstellung von »Völkern« als ethnisch verstandene, primordiale Einheiten. Später, als sich Nationalstaaten konstituierten, nahmen die politischen Eliten diesen Ethnonationalismus auf und verwandelten ihn in Staatskulte und in »erfundene Traditionen« (Hobsbawm 1983). Greenfeld (1992) mag Recht haben, dass im Westen Europas und in Amerika, dort, wo aus bereits bestehenden Staaten Nationen wurden, die
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ethnische Komponente weniger stark ausgeprägt war, als in den östlichen Teilen Europas, dem Nahen Osten und in anderen Regionen der Welt. Auf jeden Fall war auch der »westliche« oder »atlantische Nationalismus« nicht frei von den Vorstellungen einer partikularen Nationalkultur. Auch dort entstanden nationale Schriftsprachen und wurde nationale Literatur und Geschichtsschreibung von einer bürgerlichen Minderheit gepflegt. Auch dort entstand ein Sinn von ethnischer Zugehörigkeit, der den Kern dieser Staatsgesellschaften bildete (vgl. Smith 1986). Der »leere Nationalismus«, der mit dem »Nationensport« seinen Ausgang bildete und bis heute den »romantischen Nationalismus« weitgehend verdrängt hat, war zunächst eine von seinen Trägern ungewollte Nebenerscheinung. Die Olympische Bewegung des Pierre de Coubertin entwickelte sich etwa aus einem bürgerlichen Internationalismus, dessen Organisationsprinzip auf der Gründung eines internationalen Dachverbandes und nationaler Subeinheiten beruhte. Somit prägte zunächst diese vorgegebene Einteilung der Wettbewerbsordnung zu einem guten Teil das nationale Selbstverständnis. In einer weiteren Entwicklungsstufe, als die Massenmedien wichtiger wurden, erhielten nationale Wir-Bilder und Wir-Ideale vor allem durch Zeitung, Radio und Fernsehen eine zusätzliche Formung. Somit wurden Massenmedien zu den wichtigsten Trägern des »leeren Nationalismus«. Es wurde auch dargelegt, dass innerhalb der Medienmacher nicht unbedingt nationale Empfindungen vorherrschen müssen. Vielmehr scheint ihr Nationalismus ein Produkt der Marktstrukturen, des Verhältnisses zwischen Publikum und Medienproduzenten zu sein. Indem Mediensport eine nationale Einfärbung erhält, sind die Medienproduzenten in der Lage, Relevanz und Nachrichtenwert des sportlichen Geschehens drastisch zu steigern. Die technologische Struktur der meisten modernen Massenmedien baut auf dem Bestehen weltweiter Informationsnetze auf. Daher sieht, hört oder liest das Publikum auf der ganzen Welt annähernd dieselben Bilder, Töne oder Inhalte. Sie verfolgt dieselben Ereignisse und interpretiert diese überall ähnlich (wenn das auch mit Einschränkungen und Ausnahmen gilt, auf die wir hier nicht eingehen können). Dennoch besteht nicht »das« Publikum, sondern dieses unterteilt sich in Loyalitätsgemeinschaften, nationale Publika, die in der Regel anhand nationaler Zugehörigkeit differenziert werden. Im Gegensatz zum »romantischen Nationalismus« basiert der »leere Nationalismus« des »Nationensports« weitgehend eben nicht auf einer ethnisch oder regional definierten partikularistischen Kultur. Er ist vielmehr universalistisch und bezieht sich auf Sport als Bestandteil einer allgemein akzeptierten Weltkultur. Inhalt und Form dieses »Nationalismus« unterscheiden sich in weiten Teilen der Welt nicht besonders voneinander. Sowohl die sportlich und massenmedial generierten Symbole, die diversen nationalen Stellvertreter, wie auch
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die »nationale Stimmung« als ein Grundelement dieses »Nationalismus« sind austauschbar. Sie fußen nicht auf bestimmten geografisch, historisch und personal gebundenen Kontexten. Der »Nationalismus« im Sport ist im Bezug auf partikularistische und ethnisch konnotierte Inhalte »leer«. Der »romantische Nationalismus« weist im Gegensatz zu diesem modernen »leeren Nationalismus« in der Regel keine internationalen Formen von Vergemeinschaftung auf. Auf dieser geografisch begrenzten Eigenschaft, seinen national beschränkten Diskursen über die »Nation«, basiert auch sein nicht-banaler, substanzgeladener und ethnisch bestimmter Kern. Dieser steht meist mit der Vorstellung einer spezifischen ethnischen Würde als Form von nationalen Wir-Idealen in Verbindung. Im »Nationensport« findet dagegen internationale Vergemeinschaftung statt. Der Sport führt zur Bildung »agonaler Weltsportgemeinschaften« als besondere Formen internationaler Beziehungen. Hier beobachten sich nationale Publika gegenseitig. Die Massenmedien erzeugen eine neue Form von »höfischer Gesellschaft«, einer medialen Plattform, auf der sich alle sehr nahestehen und wo unzivilisiertes Verhalten von Teilnehmergruppen mit Verachtung bestraft wird. Dort entscheidet sich, wer zum »ehrenwerten« Teil der internationalen Gemeinschaft gerechnet und wer als Außenseiter gebrandmarkt wird. Ein wichtiges Merkmal dieser »agonalen Weltsportgemeinschaften« ist die Ausbildung von internationalem Prestige als ein von allen geteiltes WirIdeal und Ziel. Mittelpunkt des internationalen Prestige ist keine besondere Form von ethnischer Würde, nicht der Wunsch »anders« als andere Nationen zu sein, sondern »besser« unter der Bedingung allgemein gültiger Normen und Vorstellungen. Die »agonalen Weltsportgemeinschaften« und ihr »internationales Prestige« sind nicht das Produkt einer plötzlichen gesellschaftlichen Erneuerung. »Internationales Prestige« im Sport stand lange in Konkurrenz mit der nationalistischen Doktrin des »romantischen Nationalismus«. Indem die frühen nationalen Bewegungen bestimmte kollektive oder individuelle Eigenschaften zum Bestandteil eines »Nationalcharakters« erhoben, zielte deren Identitätspolitik auf die Pflege dieser partikularistischen Kultur ab. Der »Ethnosport« und die nationalistischen Turnerbewegungen bildeten Beispiele einer derartigen Form abgrenzender Identitätspolitik gegenüber dem »englischen Sport« im Speziellen und einer »Weltkultur« im Allgemeinen. Es wurde gezeigt, dass die Durchsetzung des Sports in vielen Ländern außerhalb Englands und Amerikas einen langfristigen Vorgang der Gewöhnung darstellte, der mehrere Generationen umfasste. Dieser Prozess der intergenerativen Habitualisierung von Sport umfasste auch die Internalisierung von den Normen und Zielen des »Nationensports«, und vor allem von »internationalem Siegprestige«. Erst nach einigen Jahrzehnten wurde der »Nationensport« zu einer unproblematisierten und
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»naturalisierten« Quelle von Nationalstolz und einer modernen Form von Identitätspolitik. In dieser Studie wurde auch gezeigt, dass der »leere Nationalismus« des Sports nicht nur die Folge von technischer Innovation, ökonomischer Globalisierung und der Akzeptanz einer Weltkultur darstellt. Diese drei langfristigen Prozesse konnten erst unter einem bestimmten geopolitischen Rahmen den modernen »leeren Nationalismus« im »Nationensport« hervorbringen. Erst die allgemeine militärische Neutralisierung der Staaten in Europa nach 1945 und später in vielen weiteren Teilen der Welt verleihen den friedlichen Elementen nationaler Wir-Bilder und Wir-Ideale größeres Gewicht. Ihren kriegerischen Bestandteilen wird dagegen relativ wenig Beachtung gezollt. Der Krieg bot in dieser langen Friedenszeit immer weniger Gelegenheit zur nationalen Identifikation; der Mediensport dagegen immer häufiger. Das führte zur Verarmung und Verwahrlosung einer staatlich getragenen militärischen Tradition der nationalen Stilisierung und Dramatisierung in vielen Ländern.124 Dagegen begann die medial getragene »nationale Stimmung« im Sport auch andere nichtsportliche Bereiche zu beeinflussen. Der »Nationalismus« im Sport kolonialisierte auch den »Nationalismus« in anderen Kontexten. Er stellte diesem seine Formen und seine Inhalte als neue Standards des zivilisierten Verhaltens zur Verfügung. Damit ist der »leere Nationalismus« nicht nur tendenziell ethnisch substanzlos und weitgehend gesäubert von kriegerischen Idealen, er ist vor allem weltweit isomorph. Der »leere Nationalismus« der Sportberichterstattung, der Publikumskonventionen und des öffentlichen Erscheinungsbildes der politischen Klasse ähnelt sich in vielen Ländern der Welt. Damit fand die erstaunliche Proliferation einer standardisierten Form von Nationalismus und nationalen Wir-Bildern durch den Sport statt. Dabei steht eine relativ kleine Palette an Formen und Inhalten zur Verfügung, mit Hilfe derer nationale Repräsentation allgemein akzeptabel wird. Diese darf nicht zu chauvinistisch, zu kriegerisch und zu ethnozentriert sein, um nicht den Status des ehrenwerten Mitglieds in einer »agonalen Weltsportgemeinschaft« zu verlieren. Wir haben in dieser Studie auch gesehen, dass selbst innerhalb von Internetforen, dort, wo kein Staat, kein Sportverband und kein Massenmedium regulierend in den Diskurs eingreift, ein relativ hoher Standard an »zivilisiertem« Nationalismus vorherrscht, weil erstens ein starkes Motiv der Imitation internationaler Vorbilder besteht und zweitens der Wunsch »besser« zu sein als andere jeden störenden Ethnonationalismus neutralisiert. Diese Standards gelten in solchen Foren 124 Das gilt für Deutschland stärker als für Frankreich oder Großbritannien. Aber auch dort, sieht man vom Glanz der Militärparaden am 14. Juli auf dem Champs-Êlys¦es ab, ist die öffentliche Präsenz militärischer Traditionen im Schwinden.
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auffälliger Weise bei sportbezogenen Themen. Bei anderen Themen treten ganz klar Ethno-Chauvinismus und Rassismus in Erscheinung. Ist es nun möglich, aus einer Studie über »Nationensport« auf eine allgemeine Befindlichkeit moderner Gesellschaft in Bezug auf »Nation« und »Nationalismus« zu schließen? Ist der »leere Nationalismus« im Sport bloß auf diesen beschränkt oder finden sich ganz ähnliche Nationalismen auch in anderen kulturellen Feldern? Was bisher gesagt wurde, legt die zweite Annahme nahe. Vor allem wurde bereits erläutert, dass im Sport zwar die offiziellen Wettkampfstrukturen eine gewisse Bedeutung besitzen. Aber vor allem die Massenmedien attribuieren die spezifische Form und den Inhalt der nationalen Färbung. Somit liegt es nahe, dass dieser Typ von »Mediennationalismus« – vielleicht ausgehend vom Sport – auch in anderen Bereichen anzutreffen ist, die einen hohen Grad an Medialisierung aufweisen. Hier liegt also die Annahme vor, dass der »leere Nationalismus« eine weit verbreitete Eigenschaft moderner Staatengesellschaften darstellt, die nur vor dem Hintergrund der allgemeinen militärischen Neutralisierung zu verstehen ist. In kriegerischen Situationen wird der friedliche Kodex – wie wir gesehen haben – schnell von militärischen Werten und Zielvorstellungen abgelöst, die sich mit »Nation« und »Nationalismus« verbinden. Die »Nation« wird dort als militärische Kampfmaschine und Überlebenseinheit interpretiert und der »Nationalismus« gipfelt im kollektiven Ziel des Widerstandes gegenüber anderen oder der Unterwerfung anderer. In diesem abschließenden Kapitel wird zunächst der »leere Nationalismus« in zwei weiteren kulturellen Feldern (Musik und Kino) und seiner Parallelen zum »Nationensport« untersucht. Es muss allerdings klar sein, dass hier nicht der Ort für eine tiefer schürfende Studie dieser Bereiche ist, sondern dass es sich bei diesen Ausführungen bloß um ergänzende Skizzen handeln kann, die das Phänomen des »leeren Nationalismus« in einem bedeutungsvolleren und allgemeineren Licht erscheinen lässt. Anschließend wird versucht, das Konzept des »leeren Nationalismus« zusammenzufassen.
Skizzen zum »leeren Nationalismus« in anderen Feldern125 In diesem Abschnitt werden zwei weitere internationale Wettkampffelder besprochen, in denen sich »internationales Prestige« manifestiert: 1) Das Musikfeld mit dem Eurovision Song Contest; und 2) das Filmfeld mit den OscarPreisverleihungen. Danach werden noch einige kurze Bemerkungen über wei125 Teile des Abschnitts wurden aus einem anderenorts publizierten Aufsatz vom Autor (2011) leicht modifiziert entnommen.
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tere internationale Wettkampffelder gemacht werden. Hier können diese unterschiedlichen Felder nicht in aller Ausführlichkeit dargestellt werden. Vielmehr stehen zwei Aspekte im Mittelpunkt: die Beziehung der Felder a) zu internationalem Prestige und b) zum »leeren Nationalismus«.
Das Musikfeld und der Eurovision Song Contest Aus dem Bereich der Kunst sind mehrere Konkurrenzfelder zu nennen, die zunächst keine Ähnlichkeit mit dem Sportfeld aufweisen. Trotzdem ist dort die Tendenz ersichtlich, dass individuelle Leistungen als nationale Leistungen bewertet werden. Das setzt – ähnlich wie im Sport – ein Maß voraus, wonach die individuelle künstlerische Leistung in einem internationalen Kontext bewertet wird. Sportrankings und Kunstrankings sind manchmal sehr ähnlich; bzw. deren Lese- und Interpretationsart. Das liegt vor allem an der medialen Aufbereitung, die darauf abzielt, möglichst viel Lesepublikum oder hohe Einschaltquoten zu erzielen. National konnotierte Berichterstattung ermöglicht die Identifikation des Publikums mit den Akteuren und fesselt dieses somit an das Medium. Oftmals bezieht sich Kulturprestige auf Bereiche der Hochkultur, in der ein Land eine besonders stark gepflegte Tradition besitzt, wie z. B. klassische Musik in Österreich oder Ballett in Russland. In diesen Fällen bezieht sich Kulturprestige auf ein national empfundenes Spezifikum, das anderswo zwar geschätzt wird, dem aber nicht weltweit gleiche Bedeutung zukommt. Internationale Kunstrankings sind in solchen Fällen eher zweitrangig, weil nur wenige Nationen um Positionen in diesen Feldern konkurrieren. Andere Kulturfelder sind weniger offensichtlich traditionell mit einer Nation verbunden, wie z. B. die moderne (vor allem abstrakte) Malerei, die heute universell und aller nationaler Spezifika entkleidet erscheint. Jedenfalls spielen in der modernen Malerei internationale Kunstrankings eine wichtige Rolle. Sie scheinen besonders dort ernst genommen zu werden, wo Kunstproduktionen Teil eines internationalen Kunstmarktes darstellen. Nicht jedem dieser Kunstfelder kommt dieselbe Aufmerksamkeit und dasselbe Ausmaß an internationalem Kulturprestige zu. Manchmal ist dieses Kulturprestige an eine relativ kleine Schar von Interessenten gebunden; z. B. wird der sogenannte »Kunstkompass« der Zeitschrift »Capital« im Verhältnis zu den Pop Charts nur von wenigen verfolgt. Dennoch bildet dort die nationale Zuordnung der Maler im internationalen Ranking ebenfalls einen Bezugspunkt für Nationalstolz; auch wenn dieser nur von relativ wenigen geteilt wird. Deshalb kann etwa die FAZ stolz berichten:
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»Gerhard Richter behauptet Spitzenplatz in Künstler-Rangliste.«126
Danach wurden – wie im Sport – die Platzierungen der restlichen Deutschen aufgezählt. Musik wurde schon immer mit nationalem Prestige in Verbindung gebracht (vielleicht auch deshalb, weil im Gegensatz zur Literatur, Musik eine allgemein verständliche Sprache darstellt und Musik aus verschiedenen Ländern daher leichter bewertbar ist). Richard Wagner ist wohl nur einer unter vielen Musikschaffenden des 19. Jahrhunderts, der sich als »nationaler« Künstler verstand und die Meinung vertrat, im eigenen Schaffen einen tiefen nationalen Charakter zum Ausdruck zu bringen. In diesem Sinn wurde Musik als Teil einer Nationalkultur verstanden. Das »Kulturprestige« (Weber 1980: 242 ff.), das mit Musik in Verbindung gebracht wurde, zielte auf Überlegenheitsvorstellungen der eigenen Art nationaler Musik ab. Grammofon, Radio, Schallplatte, Verstärkungstechniken und die vielen darauf folgenden technischen Innovationen halfen, dass Musik »transportierbarer« wurde, d. h., dass jede mögliche Art von Musik überall von jedermann gehört werden konnte. Die Demokratisierung des Zugangs zu vielen Musikgenres war begleitet von der Entstehung eines grenzüberschreitenden Musikmarktes. Die Verbreitung durch diese frühen Vervielfältigungs- und Wiedergabetechniken von Popularmusik löste eine erste Phase der Universalisierung des Musikgeschmacks innerhalb breiter Bevölkerungsschichten in vielen Weltgegenden aus. Nun wurde dieselbe Musik im selben Gebrauchskontext zur selben Zeit an ganz verschiedenen Orten gehört. Dieser Trend zur Musikvermarktung blieb auch nicht unwidersprochen. Bereits früh wurde etwa die angebliche Tendenz der »Verflachung« des Musikgeschmackes von vielen kulturkonservativen Autoren beklagt. Manchmal versteckte sich diese kulturkonservative Haltung gegenüber massenproduzierter Musik hinter einer Kapitalismuskritik, wie etwa bei Adorno. Andere Kritiker sahen darin eine Form von amerikanischer Softpower, »Kulturimperialismus« oder »McDonaldisierung« von Musik (vgl. Longhurst 1995: 14 ff.). In den 1920er und 1930er Jahren setzte die erste Welle amerikanischer Musikimporte ein. Das bedeutete nicht nur den Konsum amerikanischer Musikproduktionen, sondern vor allem die Imitation von amerikanischen Stilen und Musikästhetik. Ragtime, Swing, Blues, Jazz, Big Band Sounds und nach dem Zweiten Weltkrieg amerikanische Musik als Form einer sich neu gruppierenden Jugendkultur von Rock’n’Roll bis HipHop. Im Laufe der Jahre, als Generationen von ehemaligen Jugendlichen alt wurden, wurden einstige musikalische Moden 126 Quelle: »Kunstkompass. Gerhard Richter behauptet Spitzenplatz in Künstler-Rangliste«, FAZ Online-Ausgabe, 7. Juni 2007, http://m.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/kunstkompass-gerhard-richter-behauptet-spitzenplatz-in-kuenstler-rangliste-1434098.html, zuletzt abgerufen am 2. Juni 2012
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mit dem sentimentalen Touch von Jugenderinnerungen verbunden. Amerikanischer Musikimport wurde nicht mehr als fremd empfunden, sondern als Teil der eigenen Biographie. Diese einst fremde Kultur wurde tradiert, indem sie an die eigenen Kinder weitergegeben wurde, so wie das traditionelle Volksliedgut. Amerikanische Popmusik wurde selbst zur Tradition; auch in vielen Ländern außerhalb der USA und des englischsprachigen Raumes. Nun teilten Menschen aus verschiedenen Sprachräumen eine bestimmte, international standardisierte Musikgeschichte als Form von »erfundener Tradition«. Musikliebhaber bestimmter musikalischer Genres teilen etwa das Wissen über eine spezifische Reihe von Musikstars in ihrem Bereich, von bekannten Gruppen, denkwürdigen Produktionen, von nachträglichen Genrebildungen und Zuordnungen oder von »historischen« Ereignissen etc. Dadurch verändert sich aber die Bedeutung von Kulturprestige. Der Stolz auf die Einmaligkeit der eigenen Nationalmusik wandelte sich zum Wunsch, dass heimische Künstler am internationalen Musikmarkt reüssieren. Nummer Eins in den amerikanischen Billboard-Charts zu werden, gilt dabei für viele als höchste Form von Prestige. Der österreichische Sänger und Interpret Falco löste, als er in den 1980er Jahren mit »Rock me Amadeus« den ersten Rang der amerikanischen Verkaufshitparade erreichte, Nationalstolz in Österreich aus. An diesem Beispiel wird schon ersichtlich, dass das Ausmaß an »Glocalisierung« (vgl. Robertson 1995) unterschiedlich sein kann. Die Menge lokaler (d. h. eigentlich nationaler) »Zutaten« zum global konkurrierenden Musikprodukt ist stets verschieden (so enthält der Verweis auf Mozart eine Brise österreichisches Spezifikum). Nenas »99 Luftballons« war deshalb auch Anlass zu deutschem Nationalstolz, weil es das erste deutschsprachige Lied an der Spitze der amerikanischen Hitparade war. DJ Ötzis »Anton aus Tirol« spielt vorwiegend auf alpine Stereotypen an, die bereits im Film »Meine Lieder – meine Träume« (Orig.: The Sound of Music, 1965)127 internationale Bekanntschaft erfuhr (»The Sound of Music« war ebenfalls der Titel einer Produktion aus dem Jahr 1986 von Falco). Dahingegen wird bei den meisten anderen Produktionen der nationale Hintergrund (zunehmend) unerkennbar. James Last, Opus oder die Scorpions könnten aus jedem beliebigen anderen Land stammen, und dennoch wird gerne stolz auf deren internationale Erfolge verwiesen. Im Bereich der Popularmusik stellt der Eurovision Song Contest ein anschauliches Beispiel für eine Form von direkter und offiziell unterstützter Nationalisierung des professionellen Musikschaffens dar. Das Format des Gesangwettbewerbs zwischen Ländern findet sich auch in anderen Erdteilen (z. B. »Our Sound – The Asia-Pacific Song Contest«). Hierbei treten Künstler direkt als 127 Basierend auf dem Musical »The Sound of Music«, das 1959 am Broadway Uraufführung hatte.
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Repräsentanten von Nationen gegeneinander an, wobei die künstlerische Leistung – analog zum Sport – nicht nur als individuelle, sondern auch als nationale verstanden wird. So sagt man: »Österreich hat schon viele Jahre nicht mehr teilgenommen« oder »Deutschland hat erst zweimal gewonnen.« Hannerz (1992: 217 f.) berichtet über das Beispiel eines schwedischen Beitrags zum Song Contest. Das Lied mit dem Titel »Four Buggs and a Coca Cola« löste vor dem Wettbewerb in Schweden Debatten darüber aus, ob ein schwedischer Beitrag auf einen amerikanischen Firmennamen verweisen darf. Der Titel wurde schließlich auch verändert, dennoch erweckte das Lied nicht den Eindruck, »schwedisch« zu sein. Das Lied und diese Debatte zeigen, dass heute in Europa nationale Repräsentation und eine amerikanisierte Weltkultur keine sich ausschließenden Aspekte darstellen müssen. Der Eurovision Song Contest Bewerb wurde in den 1950er Jahren von der EBU (European Broadcasting Union) nicht als nationaler Gesangwettbewerb, sondern als Komponistenbewerb begründet.128 Die Künstler sind dort auch zunächst ohne Nationsetikettierung aufgetreten. Erst Anfang der siebziger Jahre kristallisierte sich der Charakter von Nationenwettkämpfen heraus. Jetzt erst wurden dem Land, und nicht dem Künstler, die Punkte verliehen. Die Punkteverleihung wurde zum Mittelpunkt der Eurovision-Song-Contest-Übertragung. Es wurde zum spannungsgeladenen Ritual, bei dem Nationen anderen Nationen Punkte verleihen. Auch die verleihenden Jury-Mitglieder wurden nur mehr unter ihren Nationsnamen genannt. Der Nationscharakter der Punkteverleihung wurde später noch verstärkt, indem anstatt einer kleinen, vorgegebenen Jury das breite Fernsehpublikum eines jeden Landes über die Leistung der Künstler anderer Länder abstimmen konnte. Mit der Aufnahme der osteuropäischen Länder wurde noch dazu nicht mehr in der eigenen Landessprache gesungen. Somit treten heute fast nur mehr englisch singende Künstler bei diesem Wettbewerb an. Das heißt, die Form des Prestiges hat sich gewandelt. Nun ist es nicht mehr wichtig, dass ein Lied, dass als Ausdruck einer bestimmten Nationalkultur gelten kann, gewinnt, sondern dass überhaupt ein Lied des eigenen Landes sich durchsetzt. Ähnlich wie im Sport wird auch hier nicht mehr so sehr auf einen eigenen, besonderen Charakter Wert gelegt. Die Publikumsloyalität, die Richtung von nationalem Prestige, richtet sich nun nach einem international genormten Leistungsmaß und einem ästhetisch standardisiertem Format. Die nationalen Vorausscheidungsrunden, die ebenfalls große Fernsehereignisse sind, verleihen den Wettbewerbern seit kurzem noch dazu den Nimbus von demokratisch gewählten Repräsentanten ihrer Länder. Analog zu »agonalen Weltsportgemeinschaften« bilden sich im Bereich der 128 Die »Nationalisierung« des Eurovision Song Contest wurde von Vallant (2011) untersucht. Diese Arbeit lieferte dem Autor wichtige Hinweise.
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Popularmusik »agonale Weltmusikgemeinschaften«, die auf einer Konkurrenzsituation zwischen Ländern, aber auch auf einem Bündel internationaler Gemeinsamkeiten aufbauen. Der Song Contest ist vielleicht die bisher am stärksten institutionalisierte »agonale Weltmusikgemeinschaft«. Hier haben sich einige Rituale der zivilisierten Repräsentation der »Nation« herausgebildet. Ein markantes Beispiel ist etwa das weltgewandte und glamouröse Auftreten des Moderators oder der Moderatorin des Veranstalterlandes, das diesem sein Gesicht verleiht. Diese Performance stellt gleichzeitig ein stilisiertes Wunschbild dar, eine Choreografie, die bestimmte Wir-Ideale der Offenheit und Liberalität betont und chauvinistische und ethnonationale Elemente zu kaschieren versucht. Wie bei den Olympischen Spielen kann es auch hier zum Bluff kommen, wenn Veranstalter wie Russland oder Aserbaidschan mit diesem Erscheinungsbild einer dominierenden Weltkultur »westlicher« und weltoffener erscheinen, als sie wirklich sind. Immerhin ist es jedoch aufschlussreich, dass diese Staaten sich einerseits für die Teilnahme am Song Contest bemühen (sie wollen offensichtlich Teil dieser größeren Weltgemeinschaft sein) und andererseits der Welt (und auch dem eigenen nationalen Publikum) ein zivilisiertes, westlich geprägtes Gesicht präsentieren wollen. Aber auch die Begrüßung der Jury in den einzelnen Ländern durch die Saalmoderatoren enthüllt ein wichtiges Moment der zivilisierten Darstellung und der Verhöflichung von Nationen. Wie die Saalmoderatoren verleihen auch die Jurymitglieder, die bei dieser Begrüßungsszene zu Wort kommen, ihren Ländern ein Gesicht oder eine Stimme. Diese demonstrierten früher mit gesitteten französischen Floskeln Weltgewandtheit und Höflichkeit. Heute begrüßen Jurymitglieder vom Kaspischen Meer bis zur atlantischen Brandung Europa in einem akzentfreien, amerikanisch-imitiertem Englisch im Stil aalglatter Höflichkeit. Der nationalen Publikumsloyalität läuft es nicht zuwider, dass etwa die deutsche Interpretin Lena Meyer-Landrut 2010 mit dem englischsprachigen Lied »Satellite« gewonnen hat, das von einem Dänen und einer Amerikanerin, die für ein amerikanisches Entertainment-Unternehmen arbeitet, produziert wurde. Die Künstlerin wurde danach auch im Rahmen einer ARD und Pro7 Sondersendung in Hannover vor 40.000 Menschen empfangen. Lena steigt am Flughafen aus der Sondermaschine mit Schwarz-Rot-Goldenem Siegerkranz, Nationalflaggen werden geschwungen. Ministerpräsident Wulf begrüßt die Siegerin, richtet Grüße von der Bundeskanzlerin aus. Zeitungen berichten: »Die erste Goldmedaille noch vor der Fußballweltmeisterschaft.«
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Das Filmfeld und der Oscar Die Wettbewerbsstruktur im Film ist anders strukturiert. Der Oscar (»Academy Award of Merit«) ist dabei der prestigereichste Filmpreis. Der 1929 erstmals gestiftete Oscar war nicht als nationaler Wettbewerb gedacht und galt auch lange Zeit nicht als Quelle für nationales Prestige in einem internationalen Kontext. Die »Academy of Motion Pictures Art and Science« als Interessensgemeinschaft von Hollywoodstudios wollte mit dem Preis vielmehr die amerikanische Filmwirtschaft fördern. Erst seit Mitte der 1950er Jahre wurde die Kategorie des »fremdsprachigen Films« eröffnet, wodurch auch Nicht-Hollywood-Produktionen Ehrenpreise erhalten konnten. Ähnlich wie in der Popmusik gilt auch im Film ein Erfolg in Amerika für viele Europäer und Asiaten als prestigereichste Station ihrer künstlerischen Karriere. Dabei ist auch im Film ein allmählicher Wandel der Akzeptanz amerikanischer Filmproduktionen und Filmstandards ersichtlich. In der Stummfilm-Ära der 1910er- und 1920er Jahre entstand in Amerika zwar schon eine bedeutende Filmindustrie (mit den meisten Kinos weltweit), doch auch in Europa gab es noch eigenständige Großproduktionen, die in eleganten Großkinos (z. B. Ufa-Palast in Berlin) gezeigt wurden. Auch in der Tonfilmzeit der 1930er Jahre konnte das deutsche Unterhaltungskino noch kommerziell erfolgreich bestehen (vgl. Kaes 2004). Aber bereits in den 1920er Jahren bildete sich das amerikanische Studiosystem heraus, ein Oligopol fünf großer Hollywood-Studios, das amerikanische Produktionen auch in Europa erfolgreich absetzen konnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Hollywood in Europa marktbeherrschend. Die teureren Produktionen und der höhere Professionalisierungsgrad innerhalb der amerikanischen Filmwirtschaft hatten jedoch auch filmästhetische Konsequenzen.129 In den 1950er Jahren vertrat etwa in Frankreich eine Gruppe von Filmschaffenden im Umkreis der Zeitschrift »Cahiers du Cinema«, die sich einer bestimmten Stilrichtung, der »Nouvelle Vague«, verpflichteten, den Standpunkt, dass Hollywoodfilme und gewisse Regisseure wie Hitchcock Vorbilder für den französischen Film sein könnten.130 Außerdem 129 Die folgenden Abschnitte beziehen sich ausschließlich auf den Einfluss Hollywoods auf die europäische Filmindustrie. Indische Filme, vor allem »Bollywood«-Filme besitzen bis heute eine andere Filmästhetik, in der Erzählstränge durch Tanz- und Gesangseinlagen unterbrochen werden oder »westlicher« Realismus (z. B. lineare Konsistenz und Entwicklung der Figurenpsychologie) und verdeckte Filmschnitte allegorische Erzählstile und brachiale Schnitte ersetzt werden. Der indische Kunstfilm (»Parallel Cinema«), der auch bei europäischen Filmfestivals präsent ist, scheint viel eher der westlichen Filmästhetik zu folgen (vgl. Knörer 2005). 130 Die hier vorliegende Analyse bezieht sich auch nur auf den »kommerziellen Film« und auf quotenträchtige Fernsehproduktionen in Europa, die allerdings von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung konsumiert werden. Abseits dieses Mainstreams können aufgrund staatlicher Filmförderungen anspruchsvolle Filmproduktionen (Autorenfilme, Ex-
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bekamen ab den 1950er- und 1960er Jahren Filmschaffende und Publikum in Europa erstmals auch amerikanische Filme in der vollen Bandbreite ihrer Genres zu sehen.131 Die ökonomische Übermacht Hollywoods veranlasste ähnlich wie im Sport, dass in Europa mit staatlicher Hilfe nationale Filmindustrien gestützt wurden, oder – wie in Österreich – dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen seit den 1970er Jahren Spielfilme produziert. Aber auch hier war der filmästhetische Einfluss Amerikas nicht aufzuhalten gewesen. »Method Acting« wird etwa auch in Europas Schauspielschulen gelehrt, amerikanische Filmästhetik wird in deutschen Fernsehkrimis üblich, Drehbuchtechniken und Filmdramaturgie werden von Amerika übernommen etc.132 Im Laufe der letzten Jahrzehnte versuchten Filmschaffende in europäischen Ländern, Filmpreise und Filmakademien nach amerikanischem Vorbild zu schaffen. So entstand 1951 der Deutsche Filmpreis und 1976 der C¦sar in Frankreich. 1947 wurde zum ersten Mal der Goldene Löwe, 1951 der Goldene Bär und 1955 die Goldene Palme verliehen. Diese traditionsreichsten Filmpreise Europas folgen ganz klar dem amerikanischen Vorbild. Außerdem wurde eine Reihe von nationalen Filmakademien gegründet, wie etwa 2003 die Deutsche Filmakademie. Seit den 1950er und 1960er Jahren entstand somit eine Reihe von international prestigereichen Filmpreisen, an deren Spitze die Oscars stehen, gefolgt von den Golden Globes und dahinter die oben genannten europäischen Filmpreise. Die amerikanische Dominanz wird schon dadurch deutlich, dass ein amerikanischer Oscar in Amerika nicht als internationaler Triumph gilt, sondern als inneramerikanischer Preis. Ein Oscar oder ein Golden Globe für einen europäischen Regisseur, Kameramann oder Schauspieler hebt dagegen das internationale Prestige in den jeweiligen Ländern. So sahen sich etwa die Dänen, als sie in den 1980er Jahren mehrmals hintereinander Oscars gewannen, als Filmnation. Ähnliches gilt zur Zeit auch für Österreich, obwohl natürlich in Wirklichkeit diese Preise nicht Ausdruck einer konkurrenzfähigen Filmindustrie sind, wie Insider der Filmbranche wissen. perimentalfilme etc.) realisiert werden, die sich nicht an Hollywood in ihrer Filmästhetik orientieren. Amerikanische Independent Films können Vorbilder für diese Filmschaffenden sein, aber auch Produktionen aus anderen Staaten. Inwieweit diese Filmproduktionen mit dem Mainstreamkino und dem Fernsehen in Europa interagieren, kann hier nicht besprochen werden. 131 Europäische Filmästhetik hat aber auch den amerikanischen Film beeinflusst, etwa den Independent Film der frühen 1970er Jahre. 132 Europäische Drehbuchautoren kritisieren zwar die Erzählstruktur amerikanischer Drehbücher. Dennoch wird auch in Europa etwa Syd Fields »Drei-Akt-Struktur« immer häufiger übernommen (vgl. Vogler 2004; Nelskamp 2009). Allgemein scheinen die großen Fernsehanstalten (private wie öffentlich-rechtliche) erkannt zu haben, dass amerikanische Filmästhetik Einschaltquoten bei Eigenproduktionen erhöht (siehe etwa die SOKO-Folgen im deutschen Fernsehen).
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Auch das Beispiel der internationalen Filmpreise zeigt, dass aus der Sicht der Massenmedien nationale Kulturspezifika oder ethnisch-symbolische Elemente eine tendenziell geringer werdende Rolle spielen. Wichtig ist der Sieg. Der Film »Das weiße Band« des Regisseurs Michael Haneke gilt in den deutschen Medien als deutscher Film und in den österreichischen Medien als österreichischer Film. Ähnlich wie im Autorennsport Formel-1 zählt nicht die ethnische oder nationale Herkunft des Personals, das den Film produziert. Wichtig ist bloß, dass ein Element, welches herausragend wichtig erscheint, als Symbol der eigenen Nation gilt. So gilt etwa für die Österreicher Michael Haneke als Österreicher und die Verleihung des Golden Globes (und die Nominierung zum Oscar) wird mit Nationalstolz verbunden. Hanekes Film »Cach¦« (CÀsar, Goldene Palme) ist in Wirklichkeit nicht einmal deutschsprachig. »Inglorious Basterds« mit dem Österreicher Christoph Waltz als Oscar-Preisträger ist eine rein amerikanische Produktion nach italienischem Vorbild (!). Nationale Identifikation und Nationalstolz in Beziehung zu diesen Produktionen funktionieren aber trotzdem problemlos. Ähnlich dem Sport und dem Eurovision Song Contest besteht auch bei OscarVerleihungen ein Konnex zwischen Wettbewerbsfeld und Politik. Oscarpreisträgern werden offizielle Gratulationen von Staats- oder Regierungschefs ausgesprochen. Oscars oder Golden Globes werden zum Anlass für Forderungen nach mehr staatlicher Filmförderung. Sie sind aber auch gleichzeitig Anlass dafür, dass Politiker der Öffentlichkeit eine »positive Bilanz« ihrer Tätigkeit vorlegen können und das Bild einer selbstzufriedenen »kulturschaffenden Nation« zeichnen, auch wenn solche Filme in Wirklichkeit keine nationalen Produktionen darstellen. Aber auch hier werden die glamourösen Filmpreisverleihungen zur Plattform für die Darstellung der »Nation«. Die Preisträger, die Herren im Smoking und die Damen in glitzernden Abendkleidern, werden zu nationalen Wunschbildern stilisiert. Durch den verliehenen Oscar an einen Österreicher wird das Land nun auch während des Fernsehabends zu einem Mitglied der weltläufigen und großen Bühne Hollywoods. Das internationale Prestige für Österreich wird durch die Fernsehübertragung vom Oscar-Abend eben dadurch generiert, dass Christoph Waltz und andere vermeintliche Repräsentanten gemeinschaftlich mit den bekannten Stars und Starlets verkehren. Aus der Perspektive des Fernsehens verkehrt nun auch »Österreich« in Freundschaft und Augenhöhe mit den »USA«. Es ist nun ein »ehrenwertes« Mitglied der internationalen Gemeinschaft. Damit erkennt man nicht nur, dass die Wir-Ideale moderner Nationen stark an eine banale Weltkultur gebunden sind, sondern dass die »Celebrity Society« (vgl. van Krieken 2012), die Welt der Prominenz, die diese Kultur verkörpert, eine Vorbildfunktion für die Entwürfe nationaler Wir-Bilder in zweitranigen und peripheren Gesellschaften besitzt.
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Kurze Bemerkungen zu weiteren Beispielen Künstlerrankings, Medaillenspiegel, Gesangswettbewerbe, Filmpreise, Europaund Weltmeisterschaften und eine Vielzahl von Wettbewerben, Rangreihen und Ländervergleichen werden wichtige konstitutive Größen für nationale Wir-Bilder und Wir-Ideale. Die Aneignung und Akzeptanz weltkultureller Regeln, Mythen und Traditionen fußt auf den Prozessen der Banalisierung und des Vergessens politisch-ethnischer Distinktionen, die einst in Verbindung mit Sport, Musik und anderen kulturellen oder künstlerischen Praktiken standen. Ethnische Ehre gerät dabei manchmal in Konflikt mit ethnisch substanzlosem internationalen Prestige. Dabei scheint die Tendenz zu bestehen, dass Siege der eigenen Nation den ethnonationalistischen Standpunkt schwächen. Niederlagen lassen dagegen ethnonationalistisch basierte Kritik laut werden. So wurde selbst in der manchmal ausländerfeindlich auftretenden Kronen Zeitung der Sieg der syrisch-stämmigen Österreicherin Alisar Ailabouni bei Heidi Klums TV-Show »Germany’s next Topmodel« 2010 euphorisch gefeiert: »Unglaublich! Eine Österreicherin ist Germany’s next Topmodel.« (Kronen Zeitung, 11. Juni 2010, Onlineausgabe)
Ein Internet-Poster im Online-Portal der Kronen Zeitung vermerkte anschließend: »Die Frau nenn ich mal wirklich eine Bereicherung für Österreich…… wenn nur alle Migranten dem Bild entsprechen würden ;)«
Ein anderer Poster vermerkte nicht ganz ohne negativen Unterton gegenüber den deutschen Nachbarn: »Ich gratuliere der äußerst hübschen und attraktiven Alisar zu diesem Sieg. Sich gegen die deutschen Zicken durchzusetzen ist für eine Österreicherin nicht so leicht.«
Dieser Abschnitt kann nicht viel mehr bieten, als einleitende Bemerkungen über das Wirken von internationalem Prestige in Feldern abseits des Sports. Bisher fehlen noch fundierte Studien über einzelne Felder banaler internationaler Wettbewerbskultur in Bereichen wie Film, Musik, darstellende Kunst, Literatur, Schönheitswettbewerben, dem Entertainment oder dem Feld von Prominenz und High Society. Durch die Medienberichterstattung bilden sich allerdings auch internationale Wettbewerbsfelder und Rankingkulturen in den Bereichen von Wissenschaft und Bildung. Die Medienberichte sowohl über Nobelpreisverleihungen als auch über Hochschulrankings verlaufen manchmal ebenfalls nach dem Muster von »horse race-journalism«. Aus dieser Sicht gewinnen Physiker oder Chemiker Nobelpreise für ihre Länder wie Sportler Olympiagold. Nationale Ehre speist sich somit auch aus der Verleihung von Wissenschafts-
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preisen oder dem Vorrücken heimischer Universitäten in internationalen Vergleichsstatistiken. Wissenschaftliche Inhalte spielen bei dieser Form von Prestige eine geringe Rolle, sondern bloß »Verbesserungen« innerhalb dieser (manchmal auch fragwürdigen) Rankings. Allerdings erfüllen internationale Wettbewerbe in der Wissenschaft kaum die Kriterien von Unmittelbarkeit, Voraussetzungslosigkeit und Kontinuität des Sportfelds. Solche Wettbewerbe können weder live verfolgt werden, noch werden sie inhaltlich von der Mehrheit verstanden. Sie finden auch nicht täglich statt. Damit bleibt die Relevanz des Wissenschaftsfeldes für die Zusammensetzung nationaler Wir-Bilder und WirIdeale im Zeitalter elektronischer Massenmedien wohl marginal. Aufschlussreich ist aber, dass auch dort die Logik des »Nationensports« zur Anwendung kommt. Ganz Ähnliches kann auch zu Bildungsstatistiken wie etwa der PISA-Studie gesagt werden. Die PISA-Studie bildet eigentlich keinen tatsächlichen Wettbewerb. Bloß die Medien stilisieren und imaginieren diese vergleichende Schulstudie als internationalen Wettbewerb. Die Akteure sind darin auch schwer zu fassen. Sie sind einerseits die Masse der Schüler und andererseits das Schulsystem ganz generell, als Analogie zum Sportsystem mit seinen Funktionären und den Trainingsvoraussetzungen. Dementsprechend werden entweder die getesteten Schüler als nationale Stellvertreter oder das gesamte Schulsystem als solches betrachtet. Durch die zeitlich gestaffelten Wiederholungen der Erhebung werden in der Medienberichterstattung Länder als auf- und absteigende Akteure dargestellt. Auch hier tritt die Platzierung in den Vordergrund. Sie bildet ein wichtiges Argument in innerstaatlichen Debatten über Schulreformen. Diese bisher genannten internationalen Rankings bilden nur einen Bruchteil vieler anderer Rankings, die zu Wettbewerben zwischen Nationen stilisiert werden und schlussendlich nationale Wir-Bilder und Wir-Ideale formen. Vor allem Vergleichsstatistiken aus weniger banalen Bereichen, wie sozialökonomische Statistiken und Indikatoren wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit sind wichtiger Bestandteil moderner Medienberichterstattung. Die Darstellung solcher Vergleichsstatistiken fehlt in Zeitungsausgaben der 1920er bis 1960er Jahre, die hier untersucht wurden, fast vollständig. Heute bilden sie einen zentralen Bestandteil des politischen Arguments. Außerdem formen sie die Vorstellung der internationalen Ordnung und der Position des eigenen Landes darin. Der Stolz eines Landes drückt sich heute auch an seinem kolportierten BIP pro Kopf aus, das gerne mit dem »ärmerer« Länder verglichen wird. Der Vergleich mit anderen Ländern stellt zusammenfassend eine wichtige Symptomatik des modernen globalisierten Lebens dar. Paradoxerweise scheint diese internationale Vergleichskultur in einem historischen Moment wichtiger zu werden, in dem der Verlust von Souveränität der Staaten vermehrt beklagt wird. Solche Vergleiche sind immer auch nationale Aufforderungen zu mehr
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Anstrengung. Sie drücken ein wichtiges Strukturelement der internationalen Ordnung aus, nämlich das des Wettbewerbs zwischen Ländern und Nationen um materiell und ideell begrenzte Güter. Dieser Wettbewerb erlaubt es fast keinem Land mehr, nationale Sonderwege zu beschreiten und die eigene Kultur (oder was dafür gehalten wird) als exklusiven Orientierungspunkt heranzuziehen. Die Globalisierung scheint nicht das Ende der Nation einzuleiten, sondern nationale Wir-Bilder und Wir-Ideale bloß zu transformieren!
Der »leere Nationalismus« Der »leere Nationalismus« zeichnet sich a) durch ethnische Substanzlosigkeit, b) einer Orientierung an internationalen Wettkämpfen im Rahmen einer akzeptierten Weltkultur und c) leichter Austauschbarkeit seiner symbolischen Repräsentanten aus. Sein erster Aspekt zielt darauf ab, dass ethnische Symbole nicht mehr den exklusiven Kern der nationalen Identität bilden. In vielen Ländern wird ein ethnisch oder kulturell-partikularistisch besetztes Verständnis von nationaler Zugehörigkeit durch diesen »leeren Nationalismus« ergänzt. Das ist vor allem dort der Fall, wo Staats- und Nationengrenzen weitgehend unumstritten sind, wo also etablierte Nationalstaaten bestehen, Separatismus und Irredentismus keine ernsthafte Bedrohung darstellen. Hier aber geraten aufgrund eines friedlichen Lebensstils militärische Ideale und ein staatsgetragener Nationalismus zunehmend in den Hintergrund, oder werden zumindest blasser – ohne freilich ganz zu verschwinden. Der zweite Aspekt von »leerem Nationalismus« ist ebenfalls bedeutsam. Sport schiebt sich in dieser Situation der allgemeinen militärischen Neutralisierung immer stärker in den Vordergrund. Im Gegensatz zu ethnischen Formen nationaler Identifizierung repräsentiert der Sport eine allgemein akzeptierte Weltkultur. Der Sport und sein Bedeutungshorizont wird von vielen nationalen Gemeinschaften geteilt. Hier wurde aber auch angedeutet, dass neben dem Sport auch andere Felder einer Weltkultur den »leeren Nationalismus« bilden können. Es bedarf allerdings hier noch weitergehender Studien, die den internationalen Wettkampf in diesen Bereichen besser verstehen und einzuordnen erlauben. Die nationale Identifizierung über internationale Wettkämpfe im Rahmen einer akzeptierten Weltkultur betont stärker Leistung und die Tendenz der Abgrenzung gegenüber anderen aufgrund der Unterscheidung zwischen »besser« und »schlechter«. Die Unterscheidung zwischen »gleich« und »anders« in Beziehung auf eine partikularistische Kultur gerät dagegen in den Hintergrund. Internationales Prestige ist somit mit »Leistungsidentität« verbunden. Der dritte Aspekt des »leeren Nationalismus« weist darauf hin, dass deren Repräsentanten leicht austauschbar sind, gerade weil sich hier die Symbolik der Identifizierung nicht auf ganz spezifische kul-
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turelle Inhalte stützt – wie z. B. auf eine ethnisch bestimmte Kultur, die nicht beliebig veränderbar ist – sondern, weil diese sich an einer Weltkultur orientiert. Dabei spielt der Sport eine zentrale Rolle, aber auch Bereiche, die starken Geschmacksveränderungen und Moden ausgesetzt sind und die nicht durch einen organisierten Nationalismus, sondern durch kommerziell betriebene Massenmedien kommuniziert werden. Personen wie Sportstars betreten plötzlich die Bühne der massenmedialen Berichterstattung und der massenhaften Identifikation. Sie verschwinden jedoch wieder ebenso schnell. Dasselbe gilt auch für ganze Sportarten oder andere Bereiche der banalisierten und medialisierten Alltagskultur. Die Schönen und Reichen aller Art, Shooting Stars, die man nur für ein paar Wochen kennt, Schönheitsköniginnen, Entertainer, Sieger von Casting Shows und Eintagsfliegen der Prominenz kommen und gehen, werden zu kurzfristigen Repräsentanten des nationalen Publikums und verschwinden ebenso schnell wieder aus dessen kollektivem Gedächtnis. Die konkreten Figuren, die als Repräsentanten der Nation in Erscheinung treten, sind innerhalb des Systems der Medienberichterstattung zweitrangig und in den meisten Fällen durch andere Figuren austauschbar. Wichtig ist vielmehr zu erkennen, dass eine bestimmte Form der Berichterstattung beim Sport entstanden ist und deren formale, inhaltliche und ästhetische Komponenten auf beliebige andere Fälle innerhalb und außerhalb des Sports anwendbar sind. Daher gleichen sich auch in gewisser Weise die medialen Aufbereitungen vieler Wettkampffelder. Dort, wo staatliche Grenzen umstritten sind, spielt der »leere Nationalismus« eine geringere Rolle. Hier sind ethnische und nationalistische Konflikte vorherrschend, die leicht in bewaffnete Auseinandersetzungen übergehen können. Hier geht es zunächst überhaupt darum, ein nationales Bewusstsein zu schaffen. Das spezifisch »Eigene« muss erst klar herausgearbeitet, manchmal auch »erfunden« oder »fabriziert« und einem ganz fremden »Anderen« gegenübergestellt werden. Im 19. Jahrhundert war die »Nation« in Europa zunächst das elitäre Projekt einiger Intellektueller und Teil der kulturellen Elite. Diese frühen Nationen waren keine »tiefen« Phänomene, die weite Teile der Gesellschaft durchdrungen hätten. Die nationalistischen Kreise entwickelten oft in obskuren Lesezirkeln und verschworenen Turnergemeinschaften wirre Ideen und Vorstellungen primordial verwurzelter kultureller Einmaligkeit. Nirgends besser als hier erhält die Denkfigur der »vorgestellten Gemeinschaft« Gültigkeit. Tatsächlich war die Nation in diesem Stadion ihrer Entwicklung meist nur das Produkt der Wünsche und Fantasien dieser oppositionellen Minderheiten. Sie war bloß Vorstellung. Nationale Bewegungen erhielten zwar im Vormärz und während den Revolutionen von 1848 stärkeren Zulauf, dennoch blieben ihre Ziele Programm einer militanten Minderheit. Erst nachdem Staaten und deren führende Kreise im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen, die nationalen Bewe-
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gungen und deren Ideen für sich zu vereinnahmen, erhöhte sich der Grad der gesellschaftlichen Durchdringung und Vertiefung des Nationalismus. Italien musste erst Italiener, Frankreich erst Franzosen schaffen (vgl. Weber 1976). Der nun staatstragend gewordene Nationalismus, der in pompösen öffentlichen Feiern und gigantischen Denkmälern zur Schau getragen wurde, beeinflusste noch lange Zeit nur bürgerliche Kreise. Die unteren Schichten der Gesellschaft blieben davon noch weitgehend unberührt. Aus diesen Gründen wurden eben die Vertreter der Arbeiterbewegung nicht ganz ohne Angst des Bürgertums als »vaterlandslose Gesellen« bezeichnet. Würden sich diese Gruppen loyal dem Staat gegenüber verhalten oder waren sie viel mehr einem verräterischen Internationalismus zugetan? Sowohl Ursache wie Auslöser des Ersten Weltkrieges war nicht der Nationalismus! Vielmehr ist dafür Politik und Einschätzung führender Kreise innerhalb der relevanten Großmächte verantwortlich zu machen. Der Hurra-Patriotismus vom August 1914 verschwand bald und ist nur schwer mit dem Nationalismus der vorhergehenden Epoche vergleichbar. Erst durch diesen Krieg und das Aufkommen des Radios in den 1920er Jahren wurden bisher marginale Gesellschaftsgruppen mit Nationalismus konfrontiert, die diesem vorher gleichgültig gegenüberstanden. Nun erst begann das intensive Gefühl von nationaler Zugehörigkeit die soziale Leiter hinabzuklettern und berührte Menschen aus unteren Schichten, die sich eben zuvor noch nicht als Teil einer umfassenden Gemeinschaft begriffen hatten (und von führenden Kreisen auch nicht als deren Mitglieder akzeptiert wurden). Der relative Abstieg des »romantischen Nationalismus« und seinen Trägern wie etwa Oper, Literatur oder Turnerbewegung und der gleichzeitige relative Aufstieg und Bedeutungszuwachs des Sports spiegelt die Demokratisierung des Nationalismus wieder. Nun stand die Nation nicht mehr bloß mit einer »Hochkultur« in Verbindung, sondern mit der Alltags- und Popularkultur einer breiten Masse. Diese Kultur der einfachen Menschen hielt sich allerdings nicht an die Gebote ethnischer Reinheit, die bürgerliche Eliten Jahrzehnte zuvor entworfen hatten, sondern vermischte sich bedenkenlos mit allem, was attraktiv erschien. Der Sport war ein Beispiel dafür. Aber auch die Kultur, die in den neu aufkommenden Massenmedien wie Grammofon, Kino oder Radio transportiert wurde, fand Zugang zum Massengeschmack und vermengte sich somit auch nach einiger Zeit zu einer Form von »leerem Nationalismus«. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Phase der allgemeinen militärischen Neutralisierung einsetzte, fanden die politischen Eliten in dieser neuen Massenkultur einen guten Zugangs- und Kommunikationsweg zu den breiten Bevölkerungsschichten. Politiker merkten bald, dass mithilfe des Sportes viel leichter Politik legitimiert werden kann, als mit den steifen Protokollen des staatstragenden Nationalismus. Im Laufe der Jahrzehnte nach dem
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Zweiten Weltkrieg, als die Erinnerung an seine Gräuel immer mehr verblasste, das Ausbleiben von Kriegen die militärischen Ideale schwächte und der »Heldentod« in eine abstrakte Ferne rückte, boten stets nachrückende Sportstars eine willkommene Aushilfe an. In vielen Ländern Europas ging der Bedeutungszuwachs des »Nationensports« nach dem Zweiten Weltkrieg Hand in Hand mit dem Ausbau eines staatlichen Fernsehsystems. Das Verhältnis zwischen Medien, Politik und Sport gestaltete sich in der Zeit zwischen 1945 und ungefähr 1985 weitgehend gleichberechtigt. In der Periode, die danach einsetzte, änderte sich allerdings die Machtbalance innerhalb dieses Verhältnisses zu Gunsten von Medien und Sport (und der Weltkultur ganz allgemein). Neue technische Innovationen wie Satelliten- und Kabelfernsehen, Videorekorder, Internet und die neoliberale Revolution, die privates Fernsehen und ein kommerzielles Verständnis von Sport mit sich brachte, schwächten den Einfluss des Staates und der Politik auf die Gestaltung von Form und Inhalt des Nationalismus. Diese kommerzielle Weltkultur schuf Strukturen und eine inhaltliche Dynamik, die nicht durch einen einzelnen Staat zu kontrollieren war. Mit dem Ende des Kalten Krieges endeten auch die Olympiaboykotte. Die Teilnahme von Staaten an den Olympischen Spielen oder der Qualifikationsrunde der Fußballweltmeisterschaft wurde quasi obligatorisch. Diese Bewerbe hatten nun mehr Teilnehmer als die UNO Vollmitglieder. In einzelnen Sportarten entstanden grenzüberschreitende Arbeitsmärkte für Sportler, und der gesamte Sport schien von einem kapitalistischen Ideal durchdrungen zu werden. Die Sportberichterstattung in den meisten Ländern der Welt wurde austauschbar, bloß dass sich jedes Land dabei auf seine eigenen Sportler konzentrierte. Dadurch wurden nicht nur Inhalte, sondern auch die Ästhetik nationaler Wir-Bilder und Wir-Ideale weltweit vereinheitlicht. Die Politik konnte in einer solchen Situation den Nationalismus immer weniger kreativ gestalten, sondern nur mehr im Rahmen einer mächtigen Weltkultur versuchen, diesen erfolgreich zu instrumentalisieren. Nation und Nationalismus dürfen nicht als statische Konzepte verstanden werden, sondern im Rahmen eines langfristigen Prozesses mit einer Vielzahl an Wandlungen und Widersprüchen. Dieser Wandel des Nationalismus besitzt mehrere Aspekte. Erstens spiegelt dieser einen innergesellschaftlichen Wandel des Verhältnisses von sozialen Gruppen und Klassen wieder, der zu einer zunehmenden Integration unterer Schichten in das Staatswesen führte. Der Nationalismus stellt in diesem Sinn eine Form der Kommunikation zwischen Eliten und breiter Bevölkerung dar. Der Nationalismus wird »tiefer«, je stärker untere Schichten in politische, kulturelle und ökonomische Entscheidungen eingebunden werden und je mehr führende Kreise auf diese untergeordneten Gruppen angewiesen sind. Zweitens bildet der Wandel des Nationalismus auch einen Wandel des internationalen Systems ab. Auch dieses durchlauft einen stärker
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werdenden Integrationsprozess – immer mehr Regionen der Welt treten als »Nationalstaaten« in einen dichter werdenden Kontakt zueinander. Außerdem zeigt der Rückgang von zwischenstaatlichen Kriegen, dass die internationale Konstellation aufgrund ihrer hohen Interdependenzen ein fragiles und empfindliches Gebilde geworden ist, das – aufgrund der Zerstörungsgewalt moderner Waffen – Konkurrenz zwischen Staaten auf friedliche Felder delegiert. Über weite Strecken des 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts besaß der »romantische Nationalismus« bürgerlicher Kreise trotz seiner Widersprüche großen Einfluss. Dieser Nationalismus ist nicht das, was er scheint zu sein und vor allem nicht das, was er gegenüber sich selbst vorgibt zu sein, wie Gellner (2006: 56) richtig feststellte. Er gab nämlich vor allem vor, althergebracht und von alters her zu existieren, beruhte allerdings auf modernen Voraussetzungen, wie dem Vorhandensein eines Schulsystems, von Massenmedien, wohlfahrtsstaatlicher Einrichtungen oder gut funktionierender Staatswesen. Der »leere Nationalismus«, der mit Sport und anderen kulturellen Aspekten einer Weltkultur verbunden ist, stellt jedoch auch die Folge eines Gewöhnungsvorganges dar, der sich über mehrere Generationen erstreckte und hier als »intergenerative Habitualisierung« bezeichnet wird. Der nicht-banale »romantische Nationalismus« bürgerlicher Schichten verlor nicht schlagartig an Bedeutung. Sein Rückzug und Bedeutungsschwund stellt das Resultat einer sich über Dekaden erstreckenden Auseinandersetzung mit dem »englischen« Sport und anderen Formen von Weltkultur dar. In einer frühen Phase dieser Auseinandersetzung wurden vor allem traditionelle Körperkulturen und regionale Spiele als Gegenentwurf zum »englischen Sport« betont. Vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde in Deutschland das Turnen zu einem Symbol bürgerlicher nationaler Kreise, das sich als Opposition zu immer beliebter werdenden Sportarten positionierte. Dieser Impuls eines »nationalistischen Sports« oder »Ethnosports« nahm jedoch im Laufe der Jahrzehnte ab. In der Zwischenkriegszeit war der Sport bereits in weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert. Auf dieser Grundlage entwickelte sich der »Nationensport«; Länderwettkämpfe im Fußball oder die Olympischen Spiele gewannen an Bedeutung. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet das »deutsche« Turnen als bewusst stilisierter Gegenentwurf zum Sport allmählich in Vergessenheit. Für Nachgeborene wurden »Turnen« und »Sport« zu Synonymen. Aber auch in vielen anderen Teilen der Welt wurde Sport in dieser Zeit zu einem Bestandteil der eigenen Kultur. Dadurch wurde die Basis für ein global akzeptiertes und geteiltes Streben nach demselben internationalen »Siegprestige« gelegt, das heute die Bedeutung des »Nationensports« ausmacht. In Bezug auf »Leistungsidentität«, auf den Wunsch »besser« als andere zu sein, konstituierten sich »agonale Weltgemeinschaften«. Das internationale Ranking verleiht dieser Vorstellung von internationaler Ordnung ein Gesicht,
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indem Staaten in eine Reihenfolge von Status gebracht werden. Der Sport mit seinen exakten Messungen und der Sucht nach Quantifizierung war darin sicherlich Pionier. Hier konnten die Massenmedien eine Rankingkultur austesten, die heute in anderen Bereichen anzutreffen ist. Solche Bereiche unterscheiden sich zwar in vielerlei Hinsicht vom Sport. Dennoch ist die Ähnlichkeit der medialen Berichterstattung, die Konstruktion nationaler Publika erstaunlich. Daher ist dieser »Nationalismus« nicht nur in Hinsicht auf seine ethnische Substanzlosigkeit »leer«. Er ist auch deshalb ein »leerer Nationalismus«, weil die Massenmedien ihn scheinbar für alle möglichen Bereiche ihrer Berichterstattung anwenden können. Den »leeren Nationalismus« trifft man vom Schönheitswettbewerb bis zur Berichterstattung über die PISA-Studie. Er ist somit ein »leerer Signifikant«, der mit weltkulturellen Inhalten – seien es flüchtige Modeerscheinungen oder längerfristige Trends – auffüllbar ist. Der »leere Nationalismus« verlangt daher nicht nach Aufopferung des eigenen Lebens für die Nation. Seine Intensität und Verbindlichkeit von Loyalität mag oft flüchtig sein, durchzieht nicht alle Kreise der Gesellschaft und ist durch den Lebensstil bestimmter Gruppen geprägt. Dennoch bildet der »leere Nationalismus« eine der wichtigsten Formen politischer Legitimität in Zeiten militärischer Neutralisierung. Die ethnische Substanzlosigkeit dieses modernen »Nationalismus« macht ihn offen für allerlei Themen und Bereiche, in denen eine Nation als Wettbewerber in einen internationalen Kontext gesetzt werden kann. Diese Funktion als »leerer Signifikant« ist um so bemerkenswerter, als dass die »Nation« heute von vielen im Kontext der Globalisierung als »Auslaufmodell« (vgl. Beck 2004; Hobsbawm 2008) betrachtet wird. Wie gezeigt wurde, greift dieser Diskurs über den Abgesang der Nation deshalb zu kurz, weil »Nation« und »Staat« fälschlicherweise gleichsetzt wurden. Damit wurde aber auch unterstellt, dass der Kompetenzverlust des Nationalstaates aufgrund der Globalisierung zu einem Verschwinden von »Nation« und »Nationalismus« führen würde. Am ehesten gestand man dem »Nationalismus« noch zu, eine Gegenreaktion der Unzufriedenen und Globalisierungsverlierern darzustellen. Der »leere Nationalismus« bildet aber kein Sammelbecken des Antiglobalismus und kann nicht einfach als Gegenreaktion und fatale Folge des modernen Kapitalismus abgetan werden. Er ist vielmehr ein integraler Bestandteil der modernen Konsumwelt und der Aneignung neuer kultureller Praktiken, die mit der industrialisierten Verbreitung von Kommunikationstechnologien und Freizeitprodukten einhergeht (vgl. Silk et al. 2005). Es ist auch nicht nötig Billig (1995) darin zu folgen, dass der »banale Nationalismus« die gesellschaftliche Position besäße, nationale Loyalität in Zeiten des Friedens – wenn auch auf Sparflamme – aufrecht zu erhalten. Dieser moderne »Nationalismus« besitzt nämlich eine ganze Reihe von anderen ernsthaften Folgen für das politische System. Der »leere Nationalismus« ist zwar neben dem
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Sport auch in vielen anderen Bereichen eine Form von nationaler Loyalität, die im Privaten und oft durch nicht-staatliche Organisationen hergestellt wird. (Staaten fördern zwar dort, wo es ihnen opportun erscheint, den »leeren Nationalismus«.) Er ist jedoch in gewisser Weise ein »zivilgesellschaftliches« Projekt. Durch die weitgehende Ausschaltung des Militärs als Instrument der Politik und durch die Demokratisierung von innen- und außenpolitischen Belangen erfährt der »leere Nationalismus« und die damit verbundenen Formen von internationalem Prestige enorme Bedeutung. Ein wichtiges »zivilgesellschaftliches« Element liegt darin, dass aufgrund des allgemein akzeptierten Rahmens der Weltkultur Staaten gewisse Konzessionen an internationale Gemeinschaften machen müssen, die weit über das völkerrechtliche Verständnis von Souveränität hinausgehen. So rücken etwa Veranstaltungsländer von internationalen Wettkämpfen auch stärker in Beziehung auf Menschenrechtsfragen und Demokratie in den Mittelpunkt einer globalen Öffentlichkeit. Die Ukraine musste sich als Mitveranstalter der Fußballeuropameisterschaft 2012 massive Kritik durch westeuropäische Politiker gefallen lassen. Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan rückte durch die Veranstaltung des Eurovision Song Contest ins Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit. Auch wenn UEFA oder EBU vorgeben »unpolitische« Organisationen darzustellen, besitzen solche »unpolitischen« Ereignisse sehr bald erhebliche politische Konsequenzen, sowohl für die Veranstaltungsländer, wie auch für den Rest der internationalen Gemeinschaft. Die »Realisten« mögen zwar Recht haben, dass Normen nicht auf eine direkte Art und Weise den egoistischen Impuls von Staaten zügeln können. Dennoch bringt die immer stärkere Verstrickung von Gesellschaften in internationale Wettkampffelder und »agonale Weltgemeinschaften« auch die Gefahr des Gesichtsverlustes mit sich, der viele negative Folgen für die betroffenen Länder aufweist. Außerdem ist auch die politische Klasse in den »ehrenwerten« Staaten der »agonalen Weltgemeinschaft« gezwungen, auf den Druck der Massenmedien und weiter Teile der Bevölkerung aufgrund von Menschenrechtsverletzungen in anderen Veranstaltungs- oder Teilnehmerländern (oft unwillig) zu reagieren. Da nun Staaten und deren Regierungen die Logik des »leeren Nationalismus« und sein internationales Prestige fast nicht beeinflussen können, müssen sie sich an gewisse Vorgaben anpassen, um »ehrenwert« oder »erfolgreich« zu erscheinen. Dadurch unterscheidet sich dieser moderne »Nationalismus« von der Epoche, als Staaten noch offen den rücksichtslosen nationalen Egoismus als offizielle Staatsdoktrin vertreten konnten. Was erfahren wir durch diese Analyse über die Welt von heute? »Nation« und »Nationalismus« scheinen trotz gegenteiliger Vorhersagen keine Phänomene der Vergangenheit zu sein. Sie sind vielmehr integraler Bestandteil der modernen Welt, ihrer grenzüberschreitenden, arbeitsteiligen Wirtschaftsweise, ihrer glo-
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balen Kommunikationsstrukturen und einer immer deutlicher zu Tage tretenden Weltkultur. Nationen verschwinden auch dann nicht, wenn Staaten an Kompetenz und Spielraum einbüßen. Staaten und Nationen sind nicht aufeinander reduzierbar. Staaten können zwar wichtige Träger des Nationalismus sein, sie können allerdings diese Funktion wieder einbüßen oder nur in einem eingeschränkten Rahmen ausüben. Allerdings wird hier nicht der Standpunkt vertreten, dass die älteren Formen nationaler Identität zur Gänze durch einen »leeren Nationalismus« ersetzt werden. Ein staatlich organisierter Nationalismus spielt heute selbst in Europa noch eine bedeutende Rolle. In Schulen werden weiterhin Nationalsprachen und eine nationale Geschichte gelehrt. Nationale Parlamente und Regierungen besitzen noch immer enorme Handlungskompetenzen. Das Wahlrecht bleibt noch weitgehend an die Staatsbürgerschaft gekoppelt und soziale Sicherungssysteme bleiben trotz der wachsenden Macht des internationalen Finanzkapitalismus und einer global vernetzten Ökonomie bestehen. Praktisch alle Staaten betreiben darüber hinaus Armeen und besitzen eine schlagkräftige Polizei. In anderen Teilen der Welt werden gerade die staatlichen Institutionen im Zuge der ökonomischen Entwicklung dieser Länder gestärkt. Daher steht dort ein staatlich organisierter Nationalismus nicht vor seinem Ende, sondern erst am Beginn seiner Entwicklung. Der staatlich organisierte Nationalismus verliert allerdings durch die allgemeine militärische Neutralisierung aufgrund nuklearer Abschreckung an relativer Bedeutung. Deshalb betritt mit dem Sport und anderen internationalen Wettbewerbsfeldern der »leere Nationalismus« als ein zusätzliches Element die Bühne zwischenstaatlicher Beziehungen. Der »leere Nationalismus« bringt den staatlich organisierten Nationalismus also nicht zum Verschwinden. Er stellt bloß eine der Varianten des Nationalismus dar, flexibel auf die Globalisierung und auf eine stärker werdende Weltkultur zu reagieren. Der »leere« Nationalismus ist vor allem an die Welt der Massenmedien gebunden, bzw. an jene Bereiche des Lebens, die von Zeitung und Fernsehen besonders häufig aufgegriffen werden. Somit besteht eine klare Grenze des »leeren« Nationalismus, die dort zu ziehen ist, wo die Augen der Öffentlichkeit nicht hinreichen und unheimlichere und weniger freundliche Variationen des Nationalismus in den dunklen Ecken der Gesellschaft lauern. Es wurde gezeigt, dass Staaten zwar nicht Form und Inhalt des »leeren« Nationalismus steuern können. Sie sind jedoch wichtige Förderer, die helfen, internationales Prestige für ihre Bevölkerungen zu erhöhen. Daraus ergeben sich jedoch ganz neuartige Formen internationaler Vergemeinschaftung und Konkurrenz. Die Beschäftigung mit »Nationensport« und »Mediennationen« rückt daher bisher noch kaum erforschte Bereiche in den Vordergrund, deren Eigenschaften und Konsequenzen noch nicht erkannt und verstanden wurden.
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Primärquellen: Berichte
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350
c)
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.
Bibliografie
Primärquellen: Zeitungen und Zeitschriften (Auswertungen zur Berichterstattung der Olympischen Winterspiele 1932 – 2006) Kronen Zeitung (Jänner 2006) Ausgaben vom: 1., 2., 3., 4., 5., 6., 7., 8., 9., 10., 11., 12., 13., 14., 15., 16., 17., 18., 19., 20., 21., 22., 23., 24., 25., 26., 27., 28., 29., 30., 31. Kronen Zeitung (Februar 2006) Ausgaben vom: 1., 2., 3., 4., 5., 6., 7., 8., 9., 10., 11., 12., 13., 14., 15., 16., 17., 18., 19., 20., 21., 22., 23., 24., 25., 26., 27., 28. Kronen Zeitung (März 2006) Ausgaben vom: 1., 2., 3., 4., 5., 6., 7., 8., 9., 11., 12., 14., 15., 16., 17., 18., 19., 20., 21. Kleine Zeitung (Jänner 2006) Ausgaben vom: 2., 3., 4., 5., 6., 7., 8., 9., 10., 11., 12., 13., 14., 15., 16., 18., 19., 20., 21., 22., 23., 25., 26., 27., 28., 29., 30., 31. Kleine Zeitung (Februar 2006) Ausgaben vom: 1., 2., 3., 5., 6., 7., 8., 9., 10., 12., 13., 14., 15., 16., 17., 18., 19., 20., 21., 22., 23., 24., 25., 26., 27., 28. Kleine Zeitung (März 2006) Ausgaben vom: 1., 2., 4., 5., 7., 8., 9.. Kleine Zeitung (Jänner 1976) Ausgaben vom: 23., 24., 25., 26., 27., 28., 29., 30., 31. Kleine Zeitung (Februar 1976) Ausgaben vom: 1., 2., 3., 5., 6., 7., 8., 9., 10., 12., 13., 14., 15., 16., 17., 18., 19., 20., 21., 23. Kleine Zeitung (Jänner 1972) Ausgaben vom: 21., 22., 23., 25., 26., 29., 30. Kleine Zeitung (Februar 1972) Ausgaben vom: 1., 2., 3., 5., 6., 8., 9., 10., 12., 13., 15., 16., 17., 18. Kleine Zeitung (Februar 1960) Ausgaben vom: 11., 12., 13., 14., 16., 18., 19., 20., 21., 23., 25., 26., 27., 28. Kleine Zeitung (März 1960) Ausgaben vom: 1., 2., 3. Kleine Zeitung (Jänner 1956) Ausgaben vom: 19., 20., 21., 22., 25., 26., 27., 28., 29., 31. Kleine Zeitung (Februar 1956) Ausgaben vom: 1., 2., 3., 5., 7., 8., 9., 10., 12., 14.,16. Kleine Zeitung (Februar 1936) Ausgaben vom: 1., 2., 3., 5., 6., 7., 8., 9., 10., 12., 13., 14., 15., 16., 17., 18., 19., 20. Kleine Zeitung (Jänner 1932) Ausgaben vom: 25., 29., 31. Kleine Zeitung (Februar 1932) Ausgaben vom: 4., 5., 6., 7., 8., 9., 10., 11., 12., 13., 14., 15., 16., 23.
Sonstige österreichische Zeitungen für das Jahr 1936:
1. 2. 3. 4.
Reichspost, 15. Februar Sport Tagblatt, 7. Februar, 15. Februar Vorarlberger Tagblatt, 15. Februar Wiener Zeitung, 15. Februar
Sonstige österreichische Zeitungen für das Jahr 1932:
1. 2. 3. 4.
Kleine Blatt, 4., 5., 6., 7., 8., 9., 10., 11., 12., 13., 14., 15., 16., 17., 18. Februar Neue Freie Presse, 4., 5., 6., 7., 8., 9., 10., 11., 12., 13., 14., 15., 16. Februar Sport Tagblatt, 11. Februar Wiener Bilder, 31. Jänner, 7., 14. Februar
Online-Ausgaben von Zeitungen
351
Österreichische Zeitungen für das Jahr 1928:
1. Illustriertes Sportblatt, 14. Jänner 2. Kleine Blatt, 5., 6., 7., 8., 8., 10., 11., 12., 13., 14., 15., 16., 17., 18., 19., 20., 21., 22., 23., 24. Februar 3. Sport-Tagblatt, 1., 8., 9., 10., 11., 12., 14., 15., 16., 17., 18., 20., 21., 22., 23. Februar 4. Wiener Bilder, 5., 12. Februar
Sonstige Zeitungsquellen vor 1914: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.
d)
Agramer Zeitung 13. Juli Der Floh, 24. 2. 1901, XXXIII. Jahrgang, Nr. 3 Neue Freie Presse, 14. Juli Neue Zeitung, 14. Juli New York Times. 21. Juli 1912, C4, Artikel: »For Pan-British Team in Olympics. Conan 6. Doyle’s Suggestion Likely to Bear Fruit at Berlin 1916.« Pester Lloyd, 14. Juli Wiener Bilder, 19. August Sport & Salon, Illustrierte Zeitschrift für die vornehme Welt, 11. Jahrgang, Nr. 29, 18. Juli Sport & Salon, Illustrierte Zeitschrift für die vornehme Welt, 11. Jahrgang, Nr. 31, 1. August Wiener Bilder, 27. Mai Wiener Bilder, 10. Juni Wiener Bilder, 22. Juni Wiener Bilder, 29. Juni Wiener Bilder, 22. Juli
Online-Ausgaben von Zeitungen
1. »AFC to support Chinese football«, People’s Daily Online (chinesische Online-Zeitung in englischer Sprache), http://english.people.com.cn/200311/05/print20031105_ 127621.html, zuletzt abgerufen 2. Juni 2012 2. »Falsche Hymne bei der Siegerehrung«, oe24.at; http://sport.oe24.at/motorsport/ Falsche-Hymne-bei-Siegerehrung/513503; abgerufen am 2. Juni.2012 3. »Ferreira fears India might end up as a uni-sport nation« , The Hindu, http:// www.hindu.com/2004/05/01/stories/2004050102812000.htm, zuletzt abgerufen 2. Juni 2012 4. »Indias Olympic Hero gets Boost from Mittal«, BuisnessWeek, http://www.businessweek.com/globalbiz/content/aug2008/gb20080812_709550.htm?campaign_id=rss_daily, zuletzt am 21. Dezember 2011 abgerufen 5. »Kosovo wird Zankapfel zwischen FIFA und UEFA«, Online-Ausgabe »Die Presse«, 24. 5. 2012,http://diepresse.com/home/sport/fussball/760524/Kosovo-wird-zumZankapfel-zwischen-Fifa-und-Uefa, zuletzt abgerufen am 24. 5. 2012 6. »Kunstkompass. Gerhard Richter behauptet Spitzenplatz in Künstler-Rangliste«, FAZ Online-Ausgabe, 7. Juni 2007, http://m.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/kunstkom-
352
Bibliografie
pass-gerhard-richter-behauptet-spitzenplatz-in-kuenstler-rangliste-1434098.html, zuletzt abgerufen am 2. Juni 2012 7. »Tokyo Journal; Sumo Bows and Opens Sacred Door to U.S. Star«, New York Times, Online-Ausgabe, http://www.nytimes.com/1993/01/26/world/tokyo-journal-sumobows-and-opens-sacred-door-to-us-star.html, zuletzt abgerufen am 2. Juni 2012 8. »Why does India not win the Olympics«, Sportolysis – The World Sports Blog (indischer Sport-Blog) http://sportolysis.blogsome.com/2006/02/17/why-does-india-notwin-at-the-olympics-any-other-sport/, zuletzt abgerufen 2. Juni 2012
e)
Andere Online-Quellen oder elektronisch gespeicherte Quellen
1. 2.
Der Fischer-Weltalmanach : Zahlen, Daten, Fakten ; CD-ROM-Ausgabe Edi Finger, Radiostimme und die Fernsehbilder vom Weltmeisterschaftsspiel Österreich gegen Deutschland 1978 in Cordoba: http://www.youtube.com/ watch?v=4Jr0H8nnRgs, zuletzt aufgerufen am 2. Juni 2012 3. Elo-Fußball-Weltrangliste: http://www.eloratings.net/world.html, zuletzt abgerufen am 2. Juni 2012 4. FIFA-Weltmeisterschaften: http://de.fifa.com/worldcup/archive/index.html, zuletzt abgerufen am 3. April 2012 5. FIFA-Weltrangliste: http://de.fifa.com/worldranking/rankingtable/index.html, zuletzt abgerufen am 26. Mai 2012 6. Georg Danzer, »Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat« (im Album »Große Dinge«, 1995) 7. Karl Merkatz, Mundl, http://www.youtube.com/watch?v=06oviYKNDGQ, zuletzt aufgerufen am 2. Juni 2012. 8. Kaukasuskrieg 2008«, in Wikipedia (deutsche Ausgabe): http://de.wikipedia.org/ wiki/Kaukasuskrieg_2008, zuletzt abgerufen am 24. 5. 2012 9. Liste der Yokozuna, Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Yokozuna, zuletzt abgerufen am 2. Juni 2012 10. Stermann & Grissemann in einer Parodie auf das Weltmeisterschaftsspiel Österreich gegen Deutschland 1978: http://www.youtube.com/watch?v=EWJ3x82nXhE, zuletzt aufgerufen am 2. Juni 2012. 11. Tagung in Dublin: Globalisation & Civilisation in International Relations – Towards New Models of Human Interdependence«: http://www.ucd.ie/sociology/newsevents/ news/title,52627,en.html, zuletzt abgerufen am 2. Juni 2012
f)
Darstellungs- und Tabellenverzeichnis
Darstellung 1: Gründung von internationalen Sportverbänden (n = 116), 1881 – 2008 Darstellung 2: Durchschnittlicher Anteil des Sportteils am Gesamtumfang (Kleine Zeitung 1932, 1936, 1956, 1960, 1972, 1976, 2006; Kronen Zeitung 2006; in Prozent) Darstellung 3: Anteil und Wandel von Texttypen während der Olympischen Winterspiele (Kleine Zeitung 1932, 1936, 1956, 1960, 1972, 1976, 2006; Sportberichterstattung; in Prozent)
353
Bildverzeichnis
Darstellung 4: Anteil der Ausgaben in Prozent während der Olympischen Winterspiele, an denen über diese auf der Titelseite berichtet wurde (Kleine Zeitung 1932, 1936, 1956, 1960, 1972, 1976, 2006; Kronen Zeitung 2006) Darstellung 5: Aspekte von nationaler Loyalität in österreichischen Webforen zu Europa League Spielen (Anzahl der Postings = 596; Anzahl relevanter Postings = 116; Angaben in Prozent) Darstellung 6: Anteil aller Medaillen von Athleten aus afrikanischen und asiatischen Staaten (1896 – 2008) Darstellung 7: Verlauf der Anzahl völkerrechtlich souveräner Staaten und Teilnehmerländer an den olympischen Sommerspielen (1896 bis 2008) Tabelle 1: Tabelle 2:
g)
Bisherige Austragungsorte von Olympischen Spielen und Fußballweltmeisterschaften nach Erdteilen (bis inkl. 2012)133 Argumentationstypen (Topoi) zu Migration und Migranten in den Internetforen von Standard und Kronen Zeitung (in Prozent)
Bildverzeichnis
Anmerkung zu den Bildquellen: »Ich danke allen Verlagen und anderen Inhabern von Bildrechten für die freundlichen Abdruckgenehmigungen. Der Autor dieses Buches hat sich bemüht, die Inhaber der Rechte an den abgedruckten Abbildungen ausfindig zu machen. Dies ist nicht in allen Fällen gelungen. Die Autoren erklären sich deswegen nach den üblichen Regularien zur Abgeltung solcher Rechte bereit, falls diese nachgewiesen werden können.« Bild 1: Aufnahmen vom Einmarsch der griechischen, ägyptischen, afghanischen und argentinischen Mannschaft 1936, Quelle: IOC und Deutsches Olympisches Komitee 1937: S. 548 Bild 2: Nationensport im Radio. Erste Kurzwellen-Live-Übertragungen von Olympischen Spielen (1936), Quelle: IOC und Deutsches Olympisches Komitee 1937: S. 346 Bild 3: Groteske Grimasse. Felix Gottwalds verzerrte Grimasse beim Olympiasieg in der Nordischen Kombination 2006, Quelle: Kleine Zeitung, Mittwoch, 22. Februar 2006, Seite 55. Mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung. Bild 4: »Gold als Antwort«, Ausschnitte von Titelseiten der Kronen Zeitung und der Kleinen Zeitung, 2006. Mit freundlicher Genehmigung der Kronen Zeitung. Bild 5: Werbung und politische Inserate beim »Nationensport« in der Zeitung, Zeitungsausschnitte, Kronen Zeitung 2006. Mit freundlicher Genehmigung der Kronen Zeitung und VISA-Austria.
133 Die Zahlen für die ersten Olympischen Winterspielen in Charmonix finden sich im offiziellen Berichten über die Olympischen Sommerspiele 1924.
354
Bibliografie
Bild 6: »Alaba wunderbar.« Bildschirmfoto aus einer Sportsendung des Privatsenders ATV (12. 7. 2010). Mit freundlicher Genehmigung von ATV. Bild 7: »Trauer muss Herr Österreicher tragen«, Kleine Zeitung, 12. Februar 1976, Zeitungsausschnitt vom Titelblatt. Mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung.
Anhang
ANHANG A – Internetforen-Stichprobe
I)
Zum Thema »Arigona Zogaj«: Kleine Zeitung (KZ) 12. 11. 2009 (0 Postings), Kronen Zeitung (Krone) 12. 11. 2009 (191 Postings), Die Presse (Presse) 12. 11. 2009 (14 Postings), Der Standard (Standard) 12. 11. 2009 (162 Postings). II) »Deutsche Medizinstudenten in Österreich«: Krone 14. 4. 2010 (41), Standard 14. 4. 2010 (217). III) »Ortstafelstreit in Kärnten«: Standard 22. 1. 2010 (118), KZ 22. 1. 2010 (1055), Krone 22. 1. 2010 (200), Presse 22. 1. 2010 (7). IV) »Champions League«: The Times (Manchester vs. Bayern) 8. 4. 2010 (251), Blick (Mailand vs. Zürich) 2. 10. 2009 (48). V) »Europa League« Bilbao vs. Austria Wien 4. 12. 2009: Presse (31), KZ (7), Krone (42), Standard (165) VI) »Europa League« 2. 10. 2009: a) Celtic vs. Rapid: Guardian (24), KZ (2), Krone (206), Standard (187); b) Galatasaray vs. Sturm Graz: KZ (6), Krone (52), Standard (60); c) Austria vs. Nacional Funchal: Krone (47), Standard (39); d) Salzburg vs. Viarreal 2. 10. 2009: Krone (133), Standard (276). VII) »Handball EM« 29. 1. 2010: Standard (269), KZ (14); 28. 1. 2010: Standard (80). VIII) »Fußballländerspiel Österreich vs. Frankreich« 15. 10. 2009: Krone , Standard (525), KZ, Presse (2), KZ (30), Krone (280). IX) »Fußballländerspiel Österreich vs. Spanien« 19. 11. 2009: KZ (19), Krone (496), Presse (12), Standard (494). X) »Medaillenspiegel Olympische Winterspiele 2010« 1. 3. 2010: Krone (6), Standard (391). XI) »Vierschanzen-Tournee 2010« 7. 1. 2010: KZ (6), Krone (50), Presse (3), Standard (258). XII) »Super-G aus Kitzbühel« 22. 1. 2010: Krone (26), Standard (23). XIII) »Griechenlandkrise« 30. 4. 2010: Bild (769), Guardian (28), Krone (499), Standard (590), Süddeutsche Zeitung (112), The Times (76).
358
ANHANG A – Internetforen-Stichprobe
Tabelle a: Stichprobe der analysierten Internetforen Zeitung Kronen Zeitung Kleine Zeitung Presse Der Standard Blick Guardian The Times Bild Zeitung Süddeutsche Zeitung Politikforen Sportforen Gesamt
n-Webforen 15 9 6 16 1 2 2 1 1 17 36 53
n-Postings 2080 1139 69 3854 48 52 327 769 112 4170 4280 8450
% Postings 25 13 1 46 1 1 4 9 1 49 51 100
ANHANG B – ISSP 2003 National Identity II
Tabellen b1-b5: Dimensionen des Nationalstolzes in 36 Ländern zum Vergleich (Mittelwerte, n= 45.993) Tabelle b1: Angelsächsische Länder Land USA Irland Australien Kanada Neuseeland Großbritannien Südafrika
Wissenschaft & Technik 1,47 1,89 1,57 1,75 1,60 1,86 1,96
Sport
Armee
Literatur & Kunst
Geschichte
1,67 1,44 1,49 1,83 1,43 2,19 1,68
1,32 1,88 1,73 2,12 2,03 1,59 2,11
1,67 1,50 1,81 1,87 1,74 2,00 1,87
1,48 1,57 1,90 1,66 1,98 1,65 1,91
Tabelle b2: Skandinavische Länder Land Dänemark Finnland Norwegen Schweden
Wissenschaft & Technik Sport 2,00 2,01 1,80 2,41 2,24 1,97 1,92 1,84
Armee 2,66 2,16 2,83 2,96
Literatur & Kunst Geschichte 2,18 1,89 2,21 1,82 2,17 2,02 2,13 2,19
Tabelle b3: Westeuropäische Länder Land
Österreich Schweiz Spanien Frankreich Niederlande
Wissenschaft & Technik 1,84 1,77 2,13 1,91 1,99
Sport
Armee
Literatur & Kunst
Geschichte
1,65 2,15 1,95 2,20 1,95
2,54 2,61 2,33 2,32 2,66
1,81 2,08 1,92 1,91 2,15
1,95 2,03 1,98 1,72 2,06
360
ISSP 2003 National Identity II
(Fortsetzung) Land Westdeutschland Portugal
Wissenschaft & Technik 2,01 2,54
Sport
Armee
Literatur & Kunst
Geschichte
2,19 1,80
2,79 2,50
2,17 1,83
2,72 1,55
Sport
Armee
Literatur & Kunst
Geschichte
1,61 1,82 2,00 2,17 1,71 2,04 1,61 1,77 1,73
2,94 2,59 2,94 2,24 2,87 2,64 2,93 2,67 2,99
1,61 2,12 1,99 2,11 1,90 1,94 1,88 2,00 2,07
1,90 1,96 2,71 1,86 1,80 1,81 1,51 1,93 2,46
Sport
Armee
Literatur & Kunst
Geschichte
1,41 2,05 1,75 1,79 2,06 2,66 2,66 1,82 2,52
2,15 2,09 2,61 2,38 2,81 1,55 2,41 2,77 2,98
1,67 1,70 1,69 1,94 1,79 2,21 2,55 2,34 2,60
1,40 1,77 2,02 1,73 1,63 1,48 2,65 2,03 2,29
Tabelle b4: Osteuropäische Länder Land Ungarn Slowenien Ostdeutschland Polen Tschechien Russland Bulgarien Slowakei Lettland
Wissenschaft & Technik 1,79 2,29 2,06 2,23 2,24 2,10 2,53 2,58 2,61
Tabelle b5: Außereuropäische Länder Land Venezuela Chile Japan Philippinen Uruguay Israel Juden Israel Araber Südkorea Taiwan
Wissenschaft & Technik 2,01 2,09 1,66 2,21 2,21 1,53 1,93 2,27 2,33
Erläuterung der Tabellen: Diese Tabellen bilden Durchschnittswerte einer vier Ausprägungen besitzenden Likert-Skala ab (hier wurden absichtlich kein Median oder Modus gemessen), die die Einstellung der Befragten zu Nationalstolz, operationalisiert in zehn Dimensionen, misst (1= sehr stolz … 4 = überhaupt nicht stolz; 5 = kann ich nicht sagen). Das heißt, je kleiner der Wert in der Tabelle, desto höher der gemessene durchschnittliche Stolz. Die grau unterlegten Kästchen symbolisieren jene Dimension von Nationalstolz, die in der durchschnittlichen Einstellung
ISSP 2003 National Identity II
361
der Befragten am stärksten in einem Land ausgeprägt ist. Ausprägungen zum Stolz auf die politische und ökonomische Situation des Landes wurden hier nicht abgebildet. Sie bilden auch in jedem Land im Verglich zu Aspekten des Nationalstolzes bezogen auf außerpolitische und außerökonomische Bereiche untergeordnete Kategorien.
ANHANG C – Nationale Stimmung
Darstellung: Anzahl der Berichte und Bilder über Sportereignisse zu den Olympischen Winterspielen pro Tag (Kleine Zeitung 1936, 1956, 1976, 2006)
Namensregister
Aamodt Kjetil Andr¦ 203 Achilles 152 Adams, Ian 93, 119 Adorno, Theodor W. 152, 309 Ailabouni, Alisar 316 Alaba, David 217 f., 228 ff. Albert, Mathias 256 Albrow, Martin 23 Alkemeyer, Thomas 82, 258 Amin, Samir 23 Anderson, Benedict 21, 34, 35 ff., 39 ff., 147, 165, 168, 303 Archetti, Eduardo P. 257, 258 Armstrong, John 41 f., 146 Arnold, Thomas 84 Assmann, Jan 82 Atisonoe, Salevaa (Konishiki) 53 Axtmann, Roland 47 Bairner, Alan 27, 28, 63, 64, 67 Bale, John 55 Bar-Tal, Daniel 27 Barth, Frederik 27 f., 207 Baudrillard, Jean 151, 178 Bausenwein, Christoph 297 Baxter Taylor, John Jr. 211 Beck, Ulrich 23, 323 Becker, Boris 57 Beckham, David 280 Benjamin, Walter 35 f. Bensemann, Walther 87 Berger, Peter L. 49 Bernhard, Thomas 192
Bette, Karl-Heinrich 29, 55, 148 Bhabha, Homi K. 28 Billig, Michael 21, 32, 170, 323 Blatter, Josef 126 Bloch, Charlotte 178 Böklöv, Jan 107 Bollnow, Otto Friedrich 178 Bolt, Usai 294 f. Bonaparte, Napoleon (I) 202 Borg, Björn 57 Boulange, George Ernest 91 Bourdieu, Pierre 44, 48, 55, 107, 213, 262 f., 270 Breuilly, John 21 Brewster, Claire 130, 258 Brodie, Bernard 292 Bröskamp, Bernd 98, 213 Brownell, Susan 115 Bruckmüller, Ernst 174 Brundage, Avery 194 Bull, Hedley 254 f. Burgener, Louis 85 Burtscher, Simon 206 Bush, George 135 Butterfield, Herbert 254 f. Cachay, Klaus 55 Carr, Edward 254 Carreras, Jose 136 Cashman, Richard 92, 95, 213 Clodfelter, Michael 329 Coffey, Wayne 283, 297 Cohen, Anthony P. 27
366 Collins, Randall 178 Comte, Auguste 284 Constantini, Dietmar 218, 233 Cooper, Astley 119 Coubertin, Pierre de 69, 76, 91, 94, 97, 127, 132, 168, 182, 211, 254, 282, 304 Cronin, Mike 64 Csikszentmihalyi, Mihaly 178 d‘Abadal i de Vinyals, Ramon 42 da Ponte, Lorenzo 158 Dahn, Felix 41, 150 Danilovic, Vesna 292 Danzer, Georg 224, 230 Darby, Paul 107, 238 Decker, Wolfgang 58 Delacroix, EugÀne 156 Dellbrück, Hans 287 Dellor, R. und S. Lamb 60 Deutsch, Karl 32 Dewald, Peter 64, 213 Diem, Carl 81, 82,91 DiMaggio, Paul 30, 101, 261 Disraeli, Benjamin 259 DJ Ötzi 310 Dorfmeister, Michaela 200 Doyle, Arthur Canon 210 Düding, Dieter 64 f. Dunning, Eric 47, 46 f., 59, 55, 84, 85, 264 Durkheim, Emile 103, 178, 284 f. Dzionara, Karin 58 Edelmann, Robert 93, 258 Edmonds, David 330 Eichberg, Henning 58, 67, 91, 95, 115 Eisenstein, Sergei Michailowitsch 159, 202 Elias, Norbert 20, 22 f., 44 ff., 66, 46 f., 59, 84, 91, 206, 207, 209, 254, 264 ff., 269 Epstein, Arnold Leonard 27 f. Erasmus von Rotterdam 158 Eriksen, Thomas Hylland 33 Erikson, Erik H. 27 Eugen von Savoyen (Prinz) 192 Evans, Peter B. 286 Evans, Richard 80
Namensregister
Falco 310 Fanizadeh, Michael 95 Federer, Roger 57, 295 Fiedler, Siegfried 289 Field, Syd 314 Filho, Mrio 117, 211 Finger, Edi 162, 230 Fischer, Bobby 283 Flacke, Monika 156 Fleiß, Jürgen 174 Francis, Emerich 32 Fremont-Barnes, Gregory 289 Freud, Sigmund 44 Fuchs, Anton Gilbert 175 Fürstauer, Daniela 279 Gay, Marvin 164 Gebauer, Gunter 44, 48, 55, 107, 148, 258, 283 Geertz, Clifford 28, 57, 94 Gellner, Ernest 21, 32, 34, 59, 303, 322 Gems, Gerald R. 296 Giddens, Anthony 22, 23, 286, 287 Gillmeister, Heiner 59 Giulianotti, Richard 55 Glazer, Nathan 28 Goethe, Johann Wolfgang von 300 Goldman, Robert 102 Goltermann, Svenja 65 Gottwald, Felix 162 Gounot, Andr¦ 86 Grasso, John 297 Greenfeld, Liah 32, 303 Grousset, Pascal 91 f. Gruber, Stefan 19, 174 Grüne, Hardy 81 Gu¦rin, Robert 76, 126 Guts Muths, Johann Christoph Friedrich 66 Guttmann, Allen 29, 55, 91, 95, 257 Habermas, Jürgen 167, 178 Haddon, Celia 69 Haider, Jörg 183, 219 Halbwachs, Maurice 82 Hall, Stuart 28, 30, 39, 147, 153
367
Namensregister
Haller, Max 19, 28, 174 Haneke, Michael 315 Hannerz, Ulf 94, 311 Hattig, Fritz 159 Hechter, Michael 21 Heer, Friedrich 174 Heitmeyer, Willhelm 206 Hellmann, Gunther 254 Herczeg, Petra 218 Herder, Johann Gottfried 65 Himmel, Petra 80 Hintze, Otto 22, 286 Hirschmann, Albert O. 93, 147 Hirschmann, Carl Anton Wilhelm 127 Hitchcock, Alfred 313 Hitler, Adolf 192, 202 Hobsbawm, Eric 21, 23, 34 ff., 36 ff., 54, 72, 93, 150, 237, 249, 303, 323 Hobson, John Atkinson 23 Hohowhitu, Brendan 112 Höllinger, Franz 174 Horak, Roman 72, 86 Horkheimer, Max 152 Horne, John 148 Horowitz, Michael C. 292 Houlihan, Barrie 43, 64, 67, 253 Hroch, Miroslav 303 Hu Jintao 135 Hügel, Gustav 175 Huntington, Samuel 108 Huth, Paul K. 292 Isokrates 253 Jackson, Steven J. 112 Jäger, Siegfried 213 Jahn, Friedrich Ludwig 65 f. Jarvie, Grant 213 Jenkins, Richard 27, 97 Jepperson, Ronald L. 30 f., 101, 261 Joas, Hans 284 John, Michael 86 Johnson, Mark 179 Jordan, Michael 211 Joyce, James 153 Judd, Dennis 299
Kaes, Anton 313 Kagan, Robert 293 f. Kaiser, Ulrich 63 Kaldor, Mary 290 Kant, Immanuel 177 f., 290 Kasper, Gian-Franco 126 Kautsky, Karl 23 Kedourie, Elie 21 Keegan, John 287 Keohane, Robert 255 King, Anthony 238 King, Ryan D. 286, 294 Klammer, Franz 192, 196, 300 Kleist, Heinreich von 300 Klum, Heidi 316 Knöbl, Wolfgang 284 Knörer, Ekkehard 313 Knott, Suzuko Mousel 117 Koch, Konrad 88 Kohn, Hans 31 f. Koller, Christian 84, 85 Konfuzius 136 Korte, Hermann 206 Kossuth, Lajos 158 Kotnik, Vlado 27, 213 Krais, Beate 44 Krammer, Reinhard 85, 86, 174 Krankl, Johann 162 Kreisky, Bruno 192, 195 Kreissler, Felix 174 Kronenberg, Volker 21, 130, 181 Krücken, Georg 30, 101 Krüger, Arnd 76, 77, 80 f., 83, 107, 211 Krüger, Michael 65, 66, 83, 88 Kruse, Volker 285 Kruse, Wolfgang 287 Kuchler, Walter 174 Kuzmics, Helmut 44 f., 47, 174, 179 Laclau, Ernesto 27 Lakoff, George 179 Large, David Clay 257, 258 Last, James 310 Laver, Rod 57 Lemke, Christian 254 f. Lendvai, Paul 158, 207
368 Lenin, Wladimir Iljitsch (Ujanow) 23 Lennartz, Karl 107 Lepsius, Mario Rainer 32 L¦vi-Strauss, Claude 44 Lewis, Bernard 208 Lewis, Carl 211 Lima, Costa 117, 211 Linden, Heidi 58 Linklater, Andrew 255 Liszt, Franz 300 Lohn, John 80 Longhurst, Brian 309 Lorenz, Konrad 281, 282 Louis, Joe 74, 130, 211, 278 Luckmann, Thomas 49 Luhmann, Niklas 23 Luxemburg, Rosa 23 Lynn, John 289 Lyons, Gene M. 256 MacAloon, John 76, 91, 95 f., 120 f., 123 Macpherson, James 150 Maderthaner, Wolfgang 72, 86 Maguire, Joseph 27, 47, 55, 67, 92, 95, 148, 213, 265 f. Maier, Hermann 162, 202 Mandelbaum, Michael 292 Mann, Michael 22, 23, 286, 287, 294 Mannheim, Karl 82 Manzenreiter, Wolfram 148 Maradona, Diego 203, 280 Marko, Helmut 145 f. Marschik, Matthias 72, 85, 86, 92, 174 Matejka, Viktor 71 Maurras, Charles 91 f., 96 f. McLuhan, Marshall 146, 214 McNeill, William H. 287 McNicoll, Kathryn 59 Mead, Chris 74, 117, 130, 210 Mead, George Herbert 27, 262 Mearsheimer, John J. 254 Meinecke, Friedrich 31, 66 Meisl, Hugo 71, 87 Meissner, Paul 71 Mennell, Stephen 47, 294 Merkatz, Josef 229
Namensregister
Meyen, Michael 295 Meyer-Landrut, Lena 312 f. Meyer, John 23, 30 f., 101, 261 Meyer, Reinhard 254 Miller, Toby et al. 55 Mitterer, Felix 230 Moraw, Peter 59 Morgenthau, Hans J. 254 Mosse, George L. 66 Moynihan, Nathan 28 Mozart, Wolfgang Amadeus 153, 158 Mozeticˇ, Gerald 179 Muhammad Ali 211 Müllner, Rudolf 55, 85 Münkler, Herfried 287, 290 Murray, Bill 76 Murray, Williamson A. 290 Mussolini, Benito 202 Muster, Thomas 57 Myler, Patrick 74, 117, 130, 210 Nelly 161 Nelskamp, Katrin 314 Nena 310 Noelle-Neumann, Elisabeth 215 Nölke, Andreas 255 Nye, Joseph S. 263 Ohmae, Kenichi 23 Ordaz, Gustavo Diaz 130 Owens, Jesse 38, 74, 130, 211, 278 Palmerston, Henry John Temple 259 Panofsky, Erwin 44 Papson, Stephen 102 Parezo, Nancy J. 115 Pele 203, 211 Perkin, Harold 119 Perry, Fred (Tennisspieler) 57 Peter, Jörg-Ingo 206 Pfau, Thomas 177 Pfeiffer, Lorenz 83 Piefke, Gottfried 229 Pitt, Brad 152 Planck, Karl 88 Platter, Günter 219
369
Namensregister
Postman, Neil 187 Poulton, Emma 148 Powell, Walter W. 30, 101, 261 Prokop, Liese 197 Pröll, Annemarie 201 Putin, Waldimir Wladimirowitsch 135, 259 Ravel, Maurice 153 Renan, Ernest 31, 95 Richter, Gerhard 309 Riefenstahl, Leni 66, 160 Rittberger, Volker 265 Robertson, Roland 55, 99, 310 Roddick, Andy 295 Rokkan, Stein 22 Ronaldo 203 Rosenau, James N. 255 f. Rowan, Chad (Akebono) 53 f. Rueschemeyer, Dietrich 286 Russel, William Howard 298 f. Sailer, Toni 194, 196 Saint-Simon, Henri de 284 Sarasin, Philipp 84 Savelsberg, Joachim 286, 294 Schäfer, Karl 175, 193, 200 Schantz, Otto 76, 148 Scheff, Thomas 215 Scherer, Adolf Karl 107 Schiller, Friedrich 177 f. Schimank, Uwe 148 Schmeling, Max 74, 211 Schmidt, Georg 289 Schmitt, Rudolf 179 Schranz, Karl 194 Schuba, Beatrix 175 Schubert, Franz 300 Schwarzenegger, Arnold 202 Schwier, Jürgen 128, 148 Scotson, John L. 206 Scott, Walter 41 Seidelmann, Raimund 256 Senghaas, Dieter 265 Senn, Alfred E. 76, 107, 115, 296 f. Sheard, Kenneth 55, 84, 264
Sienkiewiczs, Henrik 41 Signorino, Curtis S. 292 Silk, Michael 33, 239, 323 Simpson, Richard 80 Sindelar, Matthias 71 Skocpol, Theda 22, 23, 286 Slevin, James 143 Smith, Anthony D. 21, 41 ff., 61 f., 106, 146, 304 Smith, Ronald A. 296, 297 Spasski, Boris 283 Spencer, Herbert 285 Spieß, Adolf 88 Spitaler, Georg 72, 85, 174 Stalin, Josef 202 Stermann, Dirk 230 Stöckel, Karin 212 Strache, Heinz-Christian 219 Strauss, Anselm 220 Stürmer, Christine 191 Sugden, John 76, 111, 295 Sullivan, James 115, 121 Suppanz, Werner 174 Swaan, Abraham de 47 Sykes, Gresham 226 Szabû, Herma 175 Tebbit, Norman 27, 64 Tenbruck, Friedrich H. 23 Thompson, John B. 165, 179 Tilly, Charles 22, 286, 287 Tomlinson, Alan 33, 92, 148 Treibel, Annette 206 Triet, Max 62 Turner, J. C. et al. 27 Urry, John 23 Vajda, Stephan 72 Vallant, Kerstin 310 van Benthem van den Bergh, Godfried 292 van Creveld, Martin 287, 288, 290 van Krieken, Robert 47, 201, 269, 298, 315 Vastic, Ivica 233 Vertingetorix 150
370 Vettel, Sebastian 145 Vogler, Christopher 315 Wagner, Richard 309 Waldhoff, Hans-Peter 206 Wallerstein, Immanuel 17, 20, 23 f. Waltz, Christoph 315 Waltz, Kenneth 254 Watson, Adam 255 Webber, Mark 145 Weber-Klüve, Katrin 205, 213 Weber, Eugen 320 Weber, Max 21, 22, 44, 285 f., 286, 287, 309 Wehler, Hans-Ulrich 152 Weiss, Otmar 27, 85, 174, 213 Wellbery, David 177 Wendt, Alexander 255 Werron, Tobias 55, 147, 148
Namensregister
Wheatcroft, Geoffrey 80 Wight, Martin 254 f. Wilhelm II 299 Wilke, Helmut 23 Wilson, Woodrow 254, 277, 290 Winter, Rainer 39, 147, 153, 178 Wodak, Ruth 28, 209, 214 Wolf, Klaus Dieter 254 Wulf, Christian 312 f. Wulf, Christoph 107 Young, Christopher 107, 148 Zechner, Wolfgang 73, 86 Zidane, Zin¦dine 203 Zogaj, Arigona 217, 218 ff., 222 ff. Zürn, Micheal 254
Sachregister
AC Mailand 240 Afghanistan 28, 126, 257, 284, 290 Agonale Weltsportgemeinschaft 108 ff., 117, 119, 253 – 280, 281, 305, 306, 311 f., 322 f., 324 Ägypten 125, 126, 208, Albertville 1992 (Olympische Spiele) 120 Alpinismus (Wandern) 102, 214 America’s Cup 56, 80 American Football 63, 84, 95, 213, 294, 297 Amsterdam 1928 (Olympische Spiele) 137 Anthropology Days 115 ff., 211, 254 Antikes Griechenland 58, 110, 135, 207, 253 Antwerpen 1920 (Olympische Spiele) 137 Arbeiterolympiade 86 Argentinien 108, 127, 264, 270, 273, 279, 280 Argentinien 1978 (Fußballweltmeisterschaft) 130, 258 Arlberg-Kandahar-Rennen 127 Aserbaidschan 312, 324 Asienspiele 260 Ästhetik 43, 48, 66, 83, 101, 102, 124, 138, 139, 140, 160, 161, 173, 177, 179, 180, 201, 261, 309, 311, 313 f., 319, 321 Athen (antikes) 207 Athen 1896 (Olympische Spiele) 76, 96, 110, 271 Athen 1906 (Olympische Zwischenspiele) 76, 79, 110, 124, 137
Athen 2004 (Olympische Spiele) 127, 131 Äthiopien 108, 257, 273 Atlanta 1996 (Olympische Spiele) 131 Australien 57, 109, 139, 210, 272 f. Austria Wien 86, 241, 243, 244 Bad Gastein 1958 (Alpine Schiweltmeisterschaft) 175 Badminton 295 Banaler Nationalismus 32, 170, 202, 267, 323 Bandy 63 Bangladesch 208 Barcelona 1992 (Olympische Spiele) 131, 137 Baseball 56, 63, 64, 84, 95, 213, 294, 295 Baskenland 61, 62 f., 84, 95, 108 Basketball 56, 80, 84, 135, 294, 297 Baukunst (Architektur) 102, 134, 135, 138, 139 f., 147, 149, 261 Bayern 62, 229 Bayern München 217 Belgien 127, 286 Belmont Park 127 Benito Mussolini-Stadion 77 Berlin 1916 (Olympische Spiele, abgesagt) 81 Berlin 1936 (Olympische Spiele) 37 f., 81, 97, 117, 124, 125, 130, 131, 134, 137, 138, 182, 210, 257, 258, 271 f., 278 Biathlon 196 Blumenkrieg (aztekischer) 282 Bobfahren 196
372 Bodypainting 40, 102 Böhmen 79, 117, 127 Bosman-Urteil 101, 210, 213, 240 Bosnien-Herzegowina 259 Boxen 84, 95, 295 Boykott (olympischer) 110, 111, 212, 254, 256 f., 274, 276, 284, 321 Brasilien 108, 116, 117, 127, 128, 210, 264, 270, 273, 279 Brasilien 1950 (Fußballweltmeisterschaft) 79, 256 Brasilien 2014 (Fußballweltmeisterschaft) 128 Breitensport 102 Bretagne 61 Buch 35, 148, 176 Bulgarien 256, 297 Catenaccio 100 Celebrity Society 201, 269 f., 298, 315 Celtic Glasgow 243, 246, 248 Challenge Cup 85 Chamonix 127 Champions Trophy (Feldhockey) 109 Chauvinismus 205, 229, 234, 235, 266 f., 306, 307 China 24, 66, 93, 95, 108, 116, 118, 126, 128, 131 ff., 153, 213, 257, 258 f., 271, 274 f., 276, 278, 279, 295 Commonwealth Games 119, 260, 276 Cordoba (WM-Spiel 1978) 162, 230 Corporate Nationalism 33, 239 Cortina d’Ampezzo 1956 (Olympische Spiele) 175, 183 – 204 Costa Rica 279 Cultural Studies 39, 147, 153 Curling 175 Dänemark 85, 67, 127, 279 Davis-Cup 60, 80 Deep play 57, 59, 94 Demokratisierung des Schadens 287 – 293 Der Standard (Zeitung) 179, 216, 221 f., 241 – 248 Deutsches Sommerwunder 2006 181 Deutschland 47, 65 ff., 67, 85, 87 f., 94, 95,
Sachregister
108, 109, 118, 126, 128, 181, 212, 229 f., 234, 239, 256, 258, 260, 264, 267, 270, 271 f., 277, 279, 282, 299, 306, 309, 310, 312, 313, 314, 316, 322 Deutschland (DDR) 111, 130, 196, 273, 276, 277, 278 Deutschland (West-) 19, 276, 277, 278, 292 Deutschland 2006 (Fußballweltmeisterschaft) 130 Dezivilisierungsprozess 47 Diplomatie 268 f., 270 Doping 111 Efferveszenz 103, 147, 153, 178 Eishockey 56, 64, 79, 84, 109, 210, 247, 261, 283, 294, 297 Eiskunstlauf 175 f., 193 Eisstockschießen 62 f., 67, 98, 175 f., 193 El Salvador 279 Elfenbeinküste 273 Emotionale Verstrickung (international) 271 – 280 England 1966 (Fußballweltmeisterschaft) 280 Englische Schule Internationaler Beziehungen 254 f. Entethnisierung 102, 104 Entkolonialisierung 93 Erfundene Tradition (invention of Tradition) 34 f., 36 ff., 54, 63, 68, 72, 73, 91, 93, 150 f., 237, 303 f, 310 Erster Weltkrieg 83, 169, 274, 283, 290, 320 Estadio Centenario (Montevideo) 37, 77 Estadio Santiago Bernab¦u 127 Ethik 47, 215, 147, 167, 289 Ethnie (Ethnizität) 42, 61, 62, 206, 248 ethnische Würde (Ehre) 53 f., 120 Ethnonationalismus 150, 172, 233, 235, 236, 266, 267, 268, 303, 312, 316 Ethnosport 57, 67, 74 f., 88, 305 Ethnosymbolismus 41 ff., 146 Europäische Union (EU) 208, 209, 219 Europapokal der Landesmeister 87
Sachregister
Eurovision Song Contest 307, 308, 310 ff., 315 Fairness 47, 99 Falklandkrieg 280 Falknern 59 FC Barcelona 85, 89, 238, 240, 294 FC Red Bull Salzburg 241, 242, 243, 244, 246, 247, 248 Februaraufstand 72 Federation Cup 60 F¦d¦ration International Gymnastique 77 Federation of International Lacrosse 77 Feldhockey 80, 84, 109 Fernsehen 39, 40, 105, 108, 123, 147 ff., 187, 267, 274, 283, 304, 321 FIFA 76, 77, 85, 107, 110, 111, 118, 127, 256 f., 271, 295 FIFAWeltmeisterschaft 107, 128, 272, 279, 295, 316 Film (Kino) 38, 66, 68, 102, 123, 136, 150, 151, 152, 153, 154, 156, 159, 160, 161, 169, 178, 201, 202, 284, 298, 299, 307, 310, 313 – 315, 316, 320 Filmpreise 313 – 315, 316 Finnland 107, 117, 190 FIS 126, 175, 194 Flandern 61 Flushing-Meadows 127 Football Association (FA) 36, 84, 107 Formel-1 (Sport) 18, 80, 108, 145 f., 149, 160, 247, 279, 291, 315 Fotografie 40, 123 Frankreich 46, 59, 76, 91 f., 107, 120, 126, 128, 157, 207, 210, 233, 239, 270, 271 f., 280, 293, 299, 306, 313, 314, 320 Frankreich 1938 (Fußballweltmeisterschaft) 79 Frankreich 1998 (Fußballweltmeisterschaft) 280 Fußball 26 f. 67, 81, 83, 84 ff., 98, 99 f., 112, 149, 175, 200, 203, 210, 261, 263, 270, 272, 278, 279, 280, 282, 291, 312 Fußballkrieg 1969 279 Gaelischer (keltischer) Sport 43, 64
373 Galatasaray 243, 246, 248 GANEFO 119 Garmisch-Partenkirchen 1936 (Olympische Spiele) 174, 176, 183 – 204 gefühlte Gemeinschaft 41, 173, 262, 278 Gelegenheitsstruktur des Nationalismus 18, 19, 284, 298 – 302, 306 General Association of International Sport Federation (AGFIS) 77 Geopolitik 108, 109, 260, 263, 276, 278, 284, 286, 306 Germany’s next Topmodel 316 Gibraltar 257, 258 Glokalisierung 99, 266, 310 Glorreiche Revolution 47, 264 Golf 57, 60, 63, 80, 295 Grand-Slam-Turniere 57, 60, 80 Griechenland 96, 108, 117, 120, 124, 127, 135, 207, 271 Grönland 258 Großbritannien (England) 19, 27, 46 f., 64, 86, 92, 107, 108, 120, 127, 157, 207, 210, 233, 239, 264, 266, 270, 271 f., 278, 279, 280, 282, 293, 294, 299, 306 Guyana 257 Gymnastik (skandinavische) 61, 63, 94 Habitus 44, 46 ff. 68, 82, 83, 94 ff., 98 ff., 104, 105, 179, 261 f., 302 Haka (Maori-Kriegstanz) 112 f. Handball 80, 210 Heimat (Heimatland) 42, 61, 102, 138 Heloten 207 Helsinki 1952 (Olympische Spiele) 175 Highland Games 89 Hochkultur 32, 34, 59 Höfischer Sport 58 f. Holland (Niederlande) 63, 109, 127, 233, 264 Hollywood 159, 169, 284, 299, 313 – 315 Holmenkollen 111, 127 Honduras 279 Hongkong 257 Hornussen (Sport) 62, 67 horse race journalism 189, 316 Hörspiel 150
374
Sachregister
Hurling 63, 64, 67, 98
ITTF 126
Identität (Begriff) 31, 27 ff. 44 ff., 67, 68, 91, 94, 105, 173, 286, 305 Identitätspolitik (nationale) 67, 68, 91, 105, 305 Imola 127 Indien 24, 60, 109, 273, 279, 284, 293, 313 Indonesien 273, 293, 295 IndyCar Serie 108 Innsbruck 1976 (Olympische Spiele) 183 – 204, 300 Institutioneller Isomorphismus 30 f., 101, 261 Inter Mailand 56, 85, 238 interethnische Allianz 206. 210 ff., 235 f. Intergenerative Habitualisierung 49, 82, 94, 98 ff., 305, 322 International (Lawn) Tennis Federation 60 Internationale Beziehungen (IB) 22, 109, 253 – 280 Internationale Schichtung 109 f., 271 – 280 Internationaler Automobilverband (FIA) 77 Internationaler Strafgerichtshof 292 f. Internationaler Wettbewerbskreis 107 f. Internationales (Sieg-) Prestige 22, 38, 73, 79, 88, 105, 115 ff., 169 f., 173. 206, 240, 267 f., 270, 305, 316, 318, 322, 325 Internet 39, 157 ff., 171 f., 187, 205 – 236, 266, 306, 320 IOC 37 f., 76, 77, 110, 111, 117, 119, 127, 130, 133 f., 141, 194, 256, 257, 271, 277 IOC-Kürzel 40, 159, 164 Irak 208, 290 Iran (Persien) 58, 208, 279, 293 Irland 43, 61, 63, 127, 253 Ironman 111 Irredentismus 21, 290, 318 Israel 130, 208, 293 Italien 37, 57, 83, 108, 127, 128, 152, 239, 270, 272, 277, 280, 315, 320 Italien 1934 (Fußballweltmeisterschaft) 77, 79, 130
Jamaika 108, 273 Japan 19, 53 f., 66, 95, 116, 128, 133, 256, 272, 274 f. Jeu de Paume 59, 60 Jordanien 208 Juden 66, 71, 86, 87, 102, 117, 207, 208, 211, 212 Judo 75 Jugoslawien 27, 87, 213, 214, 256, 258, 259, 290, 297 Juliputsch 72 Kabinettskriege 289 Kalter Krieg 97, 111, 116, 139, 265, 268, 272, 273 f., 276, 283, 288, 290, 291, 292, 293, 321 Kambotscha 290 Kanada 56, 64, 108, 292 Karikatur 299 ff. Kärnten 62, 112 Katalanien 61 Katar 2022 (Fußballweltmeisterschaft) 128 Katholische Kirche 69 Kaukasuskrieg 259 Kenia 108, 273 Kitzbühel (Streif) 127 Kleine Zeitung 182 – 204, 216 Konferenz von Bandung 119 Kongo 290 Konkurrenzdruck 99 f. Körperkultur 54, 58, 67 f., 83, 322, 337 Korsika 61 Kosovo 258, 276 Kricket 60, 61, 64, 67, 83, 92, 95, 213, 278, 279, 284 Kricket-Test 27, 64 Krieg 20, 22, 25, 32, 33, 44, 47, 64, 66, 73, 76, 81, 96, 104, 123, 141, 163, 202, 208, 253, 259, 270, 282, 283, 284 – 293, 298, 301, 302, 306 f., 321, 322 Kriegsrecht 268, 276, 278 Krimkrieg 298 Kroatien 27
Sachregister
Kronen Zeitung 182 – 204, 216, 221, 222 – 234, 241 – 248, 316 Kuba 257 Kultur (Begriff) 30, 34, 48 f., 92, 99, 141, 267 Kulturimperialismus 43, 91 ff., 309 Kulturindustrie 152, 167, 178 Kulturnation 31, 32, 232 f., 248 Kulturprestige 22, 286, 287, 309, 310 Kunst 19, 106, 136, 151, 54, 169, 308, 316 Kyoto-Protokoll 293 Lacrosse 80 Lake Placid 1932 (Olympische Spiele) 106, 183 – 204 Lake Placid 1980 (Olympische Spiele) 131, 283 Langlauf 196 Leerer Nationalismus 267 f., 302, 303,307 – 318, 318 – 325 Leichtathletik 67, 80, 95, 108, 247, 273, 296 Leistungsidentität 29, 31, 318, 322 Litauen 108 Literatur 19, 40, 41, 147, 148, 156, 157, 177, 178, 179, 303, 304, 309, 316, 320 London 1908 (Olympische Spiele) 76, 77, 79, 97, 182, 210, 271 London 1948 (Olympische Spiele) 131, 276 London 2012 (Olympische Spiele) 131 Los Angeles 1932 (Olympische Spiele) 131, 138 Los Angeles 1984 (Olympische Spiele) 111, 131, 137, 257 Macao 257 Machtprestige 22, 286, 287 Madison Square Garden 127 Makkabi Spiele 211 Malaysia 295 Malerei 147, 156, 160, 299, 308 f. Manchester United 56, 89, 238, 240, 294 MaracanaÅo 100 Martial Arts 66, 75 Massaker von Tlatelolco 130 Match des Jahrhunderts (Schach) 283
375 Mediennation 18, 146, 307, 325 Meiji-Reformen 53, 133 Melbourne/Stockholm 1956 (Olympische Spiele) 257 Memorial Coloseum (Los Angeles) 37, 127 Methodologischer Nationalismus 23 Metöken 207 Mexiko 280, 297 Mexiko 1970 (Fußballweltmeisterschaft) 130, 258 Mexiko 1986 (Fußballweltmeisterschaft) 103, 280 Mexiko-Stadt 1968 (Olympische Spiele) 130, 258, 276 militärische Neutralisierung 259, 270, 281 – 302, 306, 307, 318, 320, 323, 325 militärischer Fünfkampf 281 Militarismus 47 Milletsystem 207 f. Miracle on Ice 283, 297 Mitropacup 87 moderner Fünfkampf 282 Modernismus (Theorie des Nationalismus) 34 ff. Montreal 1976 (Olympische Spiele) 131 Monza 127 Moskau 1980 (Olympische Spiele) 111, 130, 257, 258 Motorsport 84 München 1972 (Olympische Spiele) 130 Musik 38, 44, 136, 137, 147, 152, 153, 158, 159, 164, 169, 176, 202, 303, 307, 308 – 312, 316 Mutual assured destruction (MAD) 292 Mythomoteur 42 Nagano 1998 (Olympische Spiele) 54 Nati (Schweizer Fußballnationalmannschaft) 85 Nation (Begriff) 31, 61, 95, 305, 324 Nationalcharakter (Volkscharakter) 46, 48, 305 nationale Bewegung 21, 32, 38, 48, 61, 64, 66 f, 83, 95, 104, 135, 152, 168, 201, 239, 267, 268, 290, 303, 305, 319 f.
376 nationale Publikums- (Zuschauer-) Loyalität 89, 145, 164, 172, 175 f., 179 f., 230, 233, 235, 238 f., 246, 248, 270, 304, 311, 312 nationale Stimmung 153, 173 ff., 177, 181, 249, 260, 301 Nationalflagge 40, 103, 112 f., 123, 146, 159, 162 f. Nationalhymne 103, 112 f., 123, 145, 159, 162 f. Nationalismus (Begriff) 21, 34 Nationalistischer Sport 64 ff., 67, 88 Nationalsozialismus (NSDAP) 37, 82, 257 Nationensport 17 ff., 40, 42 f., 54 f., 56, 69, 71 ff., 93, 94 ff., 98 ff., 112, 146, 162, 266 ff., 210, 238, 248, 256, 259, 262, 264, 271, 276, 282, 296, 304, 322, 325 NBA (Basketball) 56 Neuseeland 57, 112, 127 Nicaragua 257 Nigeria 213, 217, 273 Nobelpreis 316 Nordkorea 257 Nordzypern 258 Northland (Marke) 102 Norwegen 64, 203 Nuklearwaffen 282, 288, 289, 291, 293, 325 Olympia (Dokumentarfilm, 1938) 160 Olympiades de la R¦publique 69 Olympische Spiele 57, 95, 97, 105, 106, 119 ff., 181, 294, 296, 312 Olympische Spiele des Altertums 58, 110, 127 Opernmusik (die Oper) 135 f., 149, 151 f., 153, 154, 158, 165, 168, 303, 320 Oscar (Academy Award) 307, 313 – 315 Osmanische Reich 117, 207, 208 Österreich 19, 27, 29, 40, 47, 61, 62, 64, 71 ff., 75, 78, 83, 85 f., 99 f., 108, 112, 117, 126, 145, 152, 174 – 204, 212, 217, 240, 256, 278, 279, 289, 300, 308, 310, 314, 315, 316 Österreichbewußtsein 174 Österreichischer Alpenverein 102 österreichischer Film 159, 202, 315
Sachregister
Pakistan 27, 109, 208, 263, 278, 279, 284, 293 Paris 1900 (Olympische Spiele) 76, 271 Peking 2008 (Olympische Spiele) 38, 130, 131 ff., 257, 259, 271, 273, 279 Peloponnesischer Krieg 207 Pelota (Sport) 62 f., 67, 88 Pferdesport 80, 84 Phase der Bewusstwerdung (Nation) 48 f. Philippinen 217 Piefke 229 f. PISA-Studie 190, 317, 323 Polen 61, 158 Polen und Ukraine 2012 (Fußballeuropameisterschaft) 324 Popularmusik 112, 153, 164, 309, 310, 312, 313 Preußen 152, 229, 289, 299, 301 Primordialismus 41 Printkapitalismus 35 Professionalisierung 100 f. Prominenz 201, 269, 270, 315, 316, 319 Public Viewing 99, 177, 262 Radio 39, 40, 105, 108, 123, 147 ff., 187, 267, 274, 304, 309, 320 Radsport 80, 84, 247 Ranking (Sport, Kunst, Musik etc.), Rankingkultur 109, 133, 236, 244 ff., 271, 308, 316, 317, 322 f. Rapid Wien 241, 243, 247, 248, Rasse (Begriff) 65, 74, 96, 124 Rassismus 65 f., 115 ff., 205, 235, 266 f., 307 Real Madrid 56, 240 Red Bull (Marke) 145 f. Reethnisierung 205 – 236 reinliche Scheidung 81 Reitsport 60 Religion 22, 35, 42, 55, 61, 75, 76, 88, 93, 152, 177, 207, 255 Revolutions- und Napoleonische Kriege 64, 66, 104, 287, 288, 289 Rhodesien 117, 256 f. Rio de Janeiro 2016 (Olympische Spiele) 128
Sachregister
Ritterspiele 59, 60 Rom-Statut 293 Roman 36, 40, 41 romantischer Nationalismus 149, 150, 152, 163, 165, 168, 239, 266, 281, 303, 304, 320, 322 Römische Reich 149, 207, Roter Stern Belgrad 240 Ruanda 290 Rudern (Sport) 95 Rugby (Ort) 84, 127 Rugby (Sport) 37, 60, 79, 105, 107, 112, 263 Rumänien 87, 274 Russland 63, 66, 117, 126, 135, 152, 157, 293, 299, 308, 312 Russland 2018 (Fußballweltmeisterschaft) 128 Ryder Cup 56, 80, 240 Salt Lake City 2002 (Olympische Spiele) 131 Sapporo 1972 (Olympische Spiele) 183 – 204 Sarajevo 1984 130 Saudi Arabien 293 Schach 58, 60, 283 Schachweltmeisterschaft 1972 in Reykjavik 283 Scharia 207 Schi-Nation 29 Schisport (alpin) 27, 64, 83, 99, 104, 107, 108, 149, 174 – 204, 214, 247, 278, 279 Schisport (nordisch) 64, 105, 107, 213 Schispringen 107, 176, 196, 247 Schladming (Nachtslalom) 103 Schönheitswettbewerbe 316, 319, 323 Schottland 61, 63, 71, 86, 118, 279 Schweden 63, 126, 127, 139, 271, 279 Schweiz 57, 61, 85, 87, 125 f., 278, 286 Schweiz 1954 (Fußballweltmeisterschaft) 283 Schwimmen 80 Schwingen (Sport) 62 Segelsport 56, 80
377 Selbstbestimmungsrecht der Völker 290, 292 Seleżo 100 Seoul 1988 (Olympische Spiele) 120, 121, 130, 137 Sepak Takraw (Sport) 75 Separatismus 21, 135, 268, 290, 318 Serbien 27 Shinty 63 Slowenien 27, 213 Softpower 263 f., 309 Sokol-Bewegung (tschehisch) 66, 104 Solheim Cup 80 Somalia 290 Sowjetunion (UdSSR) 93, 111, 119, 257, 264, 268, 271 f., 274, 275, 283, 284, 290, 291, 292, 296, 297 soziales Feld (Begriff) 45 Spanien 79, 108, 127, 157, 239, 257 Sparta 207 Sport (Begriff) 55, 104, 105 Sportjournalismus 30, 33, 31, 101, 237, 239, 262, 301, 320 Sporttradition 36 ff., 106 ff. Squaw Valley (Olympische Spiele) 131, 183 – 204 St. Louis 1904 (Olympische Spiele) 76, 115 ff., 211 Staatsnation 31 f. Stamford Bridge 71 Ständestaat 72, 87 Steaua Bukarest 240 Steinstoßen (Sport) 62 Stockholm 1912 (Olympische Spiele) 116, 117, 137, 182, 371 Strukturwandel der Öffentlichkeit 167 ff., 239 Sturm Graz 241, 243 Südafrika 116, 128, 129, 256, 257 Südafrika 2010 (Fußballweltmeisterschaft) 129, 295 Sudan 290 Sudiram Cup 295 Südkorea 116, 128, 213, 272, 274 f. Sumo¯ 53 f., 63 Super Bowl 56, 294
378 Sydney 2000 (Olympische Spiele) 131 Taiwan 118, 133, 257 Telegrafie 39 f., 104, 123, 140, 155, 158, 178, 191, 298 Tennis 59 f., 80, 83, 84, 109, 261, 295 Theater 53, 58, 147, 148, 149, 151, 152, 154, 165, 303 Tifosi (partigiani) 102 Topos des Nutzens 206, 209, 210, 217, 221, 225, 234, 236 Tour de France 80, 127 Tradioneller Sport 57 ff., 69, 88, 92 Tschechoslowakei 71, 274, 292, 297, 292 Turin 2006 (Olympische Spiele) 183 – 204 Türkei 108, 116, 213, 256 Turnen (deutsches) 47, 61, 62, 64 ff., 67 f., 81 ff., 94, 322 Turnerbewegung (Nationalismus) 65, 81, 305, 319, 320 UCI (Radsportverband) 126 UEFA 87, 107, 118, 217, 256, 257 f., 277 UEFA Champions League 56, 87, 100, 107, 218, 239, 273, 294 UEFA Europa League (Fußball) 56, 107, 230, 238 – 248, 272 UEFA Europameisterschaft 107, 295, 316 Ukraine 324 Ultra-Bewegung 102 Ultraimperialismus 23 Ungarn 78, 86, 117, 127, 207, 256, 279 Unterhaltungsindustrie 32, 43 Ur-Länderspiel 78, 87 Urländerspiel 85 Uruguay 100, 111, 273 Uruguay 1930 (Fußballweltmeisterschaft) 77, 79, 100 US Masters (Tennis) 295 US-Golf-Masters 295 Vaterländische Front 72, 87 Vereinigte Staaten (USA) 19, 40, 56, 57, 63, 64, 92, 95, 105, 108, 111, 112, 117, 118, 126, 127, 207, 210, 212, 213, 257, 263,
Sachregister
268, 270, 271 f., 278, 280, 283, 290, 291, 292, 293 – 298, 309, 313, 314, 315 Vereinten Nationen (UNO) 118, 258, 275, 277, 321 Verringerung der Kontraste, Vergrößerung der Spielarten 265 f., 270 f. Vier-Schanzenturnee 127 Vietnam 290 Vietnamkrieg 178, 283 Villa Real 241, 242, 244 Vogelnest (Olympiastadion) 135 Volk (Begriff) 65 f., 104, 226 f. Völkerbund 169, 254, 276, 277 Volksgruppen 62, 207, 258 Volleyball 80 vorgestellte Gemeinschaft (imagined community) 35 f., 41, 235, 303, 319 Wallonien 61 Wasserball 79 Weltkultur 30 ff., 43, 44, 73, 91 ff., 99 ff., 236, 248, 262 f., 266, 304 f., 312, 318, 319, 321, 322, 324 Wembley-Stadion 127 Wiener Scheiberlspiel 99, 100 Willensnation 31, 216, 232, 233 Wimbledon 59 f., 127, 295 Wissenschaft 19, 169, 316, 317 World Games 281 Wunderteam 71 ff., 86, 91, 162 Yankee-Stadion 127 Yoga 67 Zeitlupe 160 Zeitung 36, 40, 98, 108, 147 ff., 173 – 204, 267, 299 ff., 304, 317 Zentropapokal 87 Zivilisierung (Prozess der Zivilisation) 20, 46, 47, 92, 141, 255, 264, 265, 269, 276, 287, 288, 282, 287 – 293, 302, 312 Zweiter Weltkrieg 132, 169, 175, 200, 256, 283, 288, 290, 309, 313, 320 f., 322 Zypern 118