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German Pages 294 Year 2015
Anna Tuschling Klatsch im Chat
Herausgegeben von Georg Christoph Tholen | Band 1
2009-08-24 14-34-54 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02e7219018002598|(S.
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) T00_01 schmutztitel - 952.p 219018002606
Editorial Medien sind nicht nur Mittel der Kommunikation und Information, sondern auch und vor allem Vermittlungen kultureller Selbst- und Fremdbilder. Sie prägen und verändern Konfigurationen des Wahrnehmens und Wissens, des Vorstellens und Darstellens. Im Spannungsfeld von Kulturgeschichte und Mediengeschichte artikuliert sich Medialität als offener Zwischenraum, in dem sich die Formen des Begehrens, Überlieferns und Gestaltens verschieben und Spuren in den jeweiligen Konstellationen von Macht und Medien, Sprache und Sprechen, Diskursen und Dispositiven hinterlassen. Das Konzept der Reihe ist es, diese Spuren lesbar zu machen. Sie versammelt Fallanalysen und theoretische Studien – von den klassischen Bild-, Ton- und Textmedien bis zu den Formen und Formaten der zeitgenössischen Hybridkultur. Die Reihe wird herausgegeben von Georg Christoph Tholen.
Anna Tuschling (Dr. phil.) lehrt Medienwissenschaft und Kulturtheorie an der Universität Basel. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kulturtheorien und Mediengeschichte der Angst, Internetkultur und Lernregimes.
2009-08-25 11-46-37 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02fd219094307486|(S.
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) T00_02 seite 2 - 952.p 219094307494
Anna Tuschling Klatsch im Chat. Freuds Theorie des Dritten im Zeitalter elektronischer Kommunikation
2009-08-24 14-34-54 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02e7219018002598|(S.
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) T00_03 titel - 952.p 219018002710
Für Till Die vorliegende Arbeit wurde als Dissertation am 30. November 2006 von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel (Dekan Prof. Ueli Mäder) im Antrag von Prof. Dr. Georg Christoph Tholen und Prof. Dr. Elfriede Löchel (Universität Bremen) genehmigt. Diese Publikation wurde gefördert durch den Max Geldner-Fonds Basel, den Dissertationenfonds der Universität Basel sowie die Hans-Böckler-Stiftung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Photocase 2009, © Peter Janze, Karlsruhe Lektorat: Anna Tuschling, Judith Heckel Satz: Jörg Burkhard, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-952-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
2009-08-25 11-46-52 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02fd219094322894|(S.
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) T00_04 impressum - 952.p 219094322902
Inhalt Danksagung .............................................................................................
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1.
Twisted little words. Chatten als Sündenfall der Schriftkultur ...
2. 2.1 2.2 2.3 2.4
Die Theorie des Dritten ................................................................... 43 Sozialer Witz und narzisstischer Traum? ...................................... 44 Die Figur des Dritten ....................................................................... 71 Das Gesetz des Dritten .................................................................... 93 Medialität, Dritter und Metapher ................................................... 101
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3. Der Klatsch ....................................................................................... 3.1 Übergänge von Witz und Klatsch ................................................... 3.2 Genuss und Bedrohung: Merkmale und Defizite der Klatschforschung ....................................................................... 3.3 Von Personifi kationen des Klatsches zur Figur des Dritten ........
121 122
4. 4.1 4.2 4.3 4.4
Digitaler Klatsch: Das Chatten ....................................................... Zwischen Schrift und Rede? ........................................................... Chatsequenzen ................................................................................. Die Figur des Dritten im Chat ........................................................ Über Vergleichzeitigung der Schrift ..............................................
153 153 188 217 231
5.
Schluss .............................................................................................. 241
6. 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6
Anhang ............................................................................................. Sequenz »Strom« ............................................................................. Sequenz »Farbe (be-)kennen« ......................................................... Sequenz »Kerstin« ........................................................................... Sequenz »Meine Frau geht fremd« ................................................ Sequenz »Abenteurer« .................................................................... Sequenz »0815typ« ..........................................................................
7.
Literatur ............................................................................................ 273
131 141
243 243 253 258 260 266 269
Danksagung
Zu danken ist etwas Schönes, wenn auch nicht Selbstverständliches. So möchte ich vorab allen meinen Dank aussprechen, die mich darin unterrichtet haben. Christoph Tholen gilt mein großer Dank für wichtige Denkanstöße, Unterstützung und Förderung während der Promotionszeit und bei Herausgabe des Buches in der Reihe MedienAnalysen. Ohne die stete Ermunterung, Anregung und Konzentration meiner Lehrerin Elfriede Löchel wäre ich manchen Lesewegen nicht so eifrig gefolgt. Sie haben mich soviel weiter getragen, als ich vermutete – sogar über Fachgrenzen hinweg. Der Großzügigkeit und geistigen Schärfe von Avital Ronell verdanke ich wesentliche Erweiterungen meines Blickens und Denkens. Birgit Richard danke ich für ihre engagierte Arbeit als meine Vertrauensdozentin. Mein großer Dank geht weiterhin an: Judith Sauter, Karen Hwang, Christine Kirchhoff, Anke Sander, Sabine Strassburger, Christoph Engemann, Lars Meyer, Hanno Pahl, Lars Church-Lippmann, Frank Dirkopf, Dara Chassin de Guerny, Stefan Münker, Susanna Parikka-Hug, Tatjana Freytag, Nicola Behrmann und die großherzigen Bewohnerinnen der Vogesenstrasse 148 in Basel. Wen ich vergessen habe, der möge mir dies verzeihen. Ohne Ariane Ladewig Hess und Rosanna Zanetti hätte ich das Buch vermutlich nicht mehr beenden können. Christiane Schnider danke ich sehr für ihre kontinuierliche Unterstützung und Förderung dieser Arbeit. Meinen Eltern gilt mein Dank für fast alles, ebenso meinen Geschwistern Jeanine Tuschling, Ruth Tuschling und Percy Williams-Tuschling, die soweit verstreut leben und die doch immer bei mir sind. Wenn sie es auch nicht mehr lesen kann, so danke ich doch Gabriele Wilkens von Herzen dafür, mir gezeigt zu haben, wie wichtig wertlose Dinge sind. Judith Heckel kann ich nicht genug für ihre Geduld und Sorgfalt bei den Korrekturen danken. Den Druck der Arbeit haben der Dissertationenfonds der Universität 7
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Basel und die Max Geldner-Stiftung großzügig unterstützt. Der Hans-Böckler-Stiftung danke ich für die Förderung der Arbeit und des Druckes. Dem transcript Verlag danke ich für die unkomplizierte und professionelle Betreuung.
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Fisches Nachtgesang Christian Morgenstern 1905 — ુ ુ — — — ુ ુ ુ ુ — — — ુ ુ ુ ુ — — — ુ ુ ુ ુ — — — ુ ુ ુ ુ — — — ુ ુ —
1. Twisted little words. Chatten als Sündenfall der Schr iftkultur
Chat-Protokolle setzen sich aus Kürzeln, Fehlern und zufälligen Ungereimtheiten zusammen. Hat sich die E-Mail mittlerweile als seriöses Medium für den privaten und geschäftlichen Austausch etabliert, so haftet dem Chatten weiterhin der Ruf des Unernsten an. Als synchroner Schriftaustausch drängt der Chat den sprachlichen Ausdruck zu verdrehten Wortkürzeln, twisted little words, zusammen, die den Sündenfall der Schriftkultur feiern. Dieses Buch untersucht das Chatten als mediengeschichtliches und dabei paradigmatisches Übergangsphänomen in der Entwicklung des Internet, an dem sich die elektronische Artikulation des Symbolischen hervorragend ablesen lässt.
D IE G LOBAL INF R A S T RUK T UR Die Bedeutung des Internet ist kaum zu überschätzen, entwickelt sich das ›Netz der Netze‹ doch zur Globalinfrastruktur, die individuelle, staatliche und wirtschaftliche Akte transferiert, speichert und verarbeitet (vgl. Kittler 1986; Castells 1996/2005; Coy 1998; Benkler 2006; Engemann 2003). Wie die Mediengeschichte aber zeigt, geht die verbreitete Annahme vom totalen Ersatz alltäglicher Lebensweisen und Handlungsräumen durch elektronische Umgebungen fehl. Das Internet ersetzt nicht einfach Nationalstaaten oder territoriale Wirtschaftsräume, genauso wenig wie Chat und Internettelefonie den mündlichen Dialog abschaffen. Diese Feststellung macht Fragen nach der Tragweite und den Funktionsweisen solcher informationstechnologischen Expansions- und Intensivierungsprozesse, welche das Internet ermöglicht, keineswegs obsolet. Den neuen Kommunikationswegen per Computer kommt hierbei besondere Aufmerksamkeit zu, schon weil sie am sichtbarsten in den Nutzeralltag eingreifen. Die Alltagspräsenz von Computerkommunikation führte zu einem Forschungs11
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bias in Richtung privater Internetnutzung, etwa Bloggen, Video- und Fotosharing, E-Mailing oder eben Chatten (vgl. Reichert 2008; Ries et al. 2007; Turkle 1998; Reid 1991). Auch diese Studie untersucht private Chat-Kommunikationen, wählt jedoch einen Ansatz, der sich grundlegend von der bisherigen Chat-Forschung unterscheidet und der sich ausdrücklich als Teil allgemeiner Internethistoriographie begreift. Die Studie widerspricht verbreiteten Vorstellungen, Computerkommunikation sei entfremdeter, unkörperlicher oder gar defizitärer Austausch. Ebenso entzieht sie sich medieneuphorischen Überhöhungen elektronischer Kommunikation, wie sie seit den 1990er Jahren in Kultur- und Geschlechtertheorie dominierten (vgl. Reid 1991; Haraway 1991; Hayles 1993; Herring 1993; Rheingold 1994; Turkle 1998; Plant 1997; Jones 1995; Poster 1997; kritisch: Roesler 1997; Maresch 1997). Vielmehr eruiert dieses Buch die Matrix und medialen Arrangements, welche Chatroom genannt werden, und stellt damit auf die Möglichkeitsbedingungen und Voraussetzungen elektronischer Textverständigung ab. Das Analyseinstrument bildet Freuds enigmatische Theorie des Dritten (Freud GW VI), mit deren Hilfe Chat-Strukturen als Klatschtriaden entziffert werden. Als ›Figur des Dritten‹ steht ein Konzept alltäglicher Kommunikation bereit, das keinen Gegensatz zwischen Sprecher und Sprachstruktur behauptet, sondern am Beispiel des Lachens einen spezifischen Chiasmus von Singulärem und Kollektiv formuliert. Diese Sprach- und Kommunikationstheorie eignet sich deshalb hervorragend zur Analyse des Textaustauschs im Internet, weil Chat-Forschung stets von der Spannung getragen war, ob es sich dabei um individuelle oder allgemeine Sprachakte handele. Sprache dient jedoch nie primär dem einzelnen Menschen, so Lacans Einsicht, sondern verkörpert in ganz bestimmtem Sinne Selbstzweck, aber auch mediales Apriori und damit Voraussetzung menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns. Deshalb erschließt sich Sprache nicht allein als menschlich kontrollierbares Werkzeug und unmissverständliches Artikulationsmittel für Individualität; ebenso wenig lassen sich Eigengesetzlichkeiten und Funktionsweisen der Sprachtechniken Chatten und E-Mailing ausschließlich vom Individuum oder User her denken.
WA S
HE I SS T
C HAT T EN?
Die meisten Arbeiten zur Chat-Kommunikation unterlassen es, die Bezeichnungen Chat und das Chatten zu erläutern. Was heißt Chatten? Wie sieht die Geschichte kommunikativer Anwendungen des Internet aus? Beide Fragen bleiben von sozialwissenschaftlicher Chat-Forschung unbeantwortet, die sich immer schon auf der Ebene des Metaphorischen bewegt. Der Name Chat, also Klatsch oder Plausch, verweist auf das elektronische 12
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Äquivalent alltäglicher Mündlichkeit. Die Mehrheit an Untersuchungen besteht aus Vergleichen beider Sprachformen. Nahezu jede Chat-Forschung, die nicht explizit Schriftlichkeit untersucht, schreibt diese Äquivalenzbeziehung fest, wobei lautsprachliche Mündlichkeit als Vorbild für ›computervermittelte‹ Verständigung dient (vgl. Sproull/Kiesler et al. 1986; Reid 1991; Döring 1999; Batinic 2000; Beißwenger 2001; Storrer 2001; kritisch: Thurlow et al. 2004; Journal of Computer-Mediated Communication seit 1995; Beißwenger/Storrer 2005). Dagegen wäre einzuwenden, dass Chat zu allererst eine Internetanwendung verkörpert, die in unterschiedlichen Formaten mit verzweigter Entwicklungsgeschichte vorliegt. Das Problem stellt nicht allein die Vernachlässigung medientechnischer Spezifik in der kommunikationswissenschaftlichen Chat-Forschung dar, je nachdem ob Chat per Video, textuell, als Avatar in Games, per Online-Telefonie, Webchat oder Internet-Relay-Chat erfolgt. Vielmehr gerät in diesen Ansätzen die prinzipielle Zweckoffenheit des Computers aus dem Blick, wenn informationstechnische Einzelanwendungen aus ihrem Kontext gelöst und – wie im Falle des Chats – verabsolutiert werden. Denn ›Kommunikation‹, sei es Austausch von Texten, von Digitalbildern oder Tönen, steht als eine von Gleichen neben anderen Computerfunktionen. Der Computer als Plauderstation bedeutet nur eine Anwendung aus beliebig vielen, mit denen so genannte universelle Maschinen alle anderen Medien zu simulieren vermögen (vgl. Turing 1937/1987; Kittler 1986, 1993; Bolz et al. 1994). Allgemeine Computer- und Internetgeschichte spreizt sich auf in solch reale Simulation technischer Medien einerseits und gesellschaftliche Verlustmythen und Ideologien von simulierter Realität andererseits. Die Chat-Forschung ignorierte bis auf wenige Ausnahmen Medientechnikgeschichte; stattdessen trug sie maßgeblich zur Verbreitung langlebiger Technikmythen sowohl lustvoller wie auch erschreckender Natur bei. Grundlegender Mythos bleibt derjenige der Kommunikation in der Informationsgesellschaft selber (vgl. Derrida 1988; Kittler 1986, 1993; Peters 1989; Siegert 2001): ohne den Mythos Internetkommunikation und ohne Chat keine Popularisierung des Internet. Weniger wichtig als E-Mailing, ist Chat dennoch ein bedeutender Katalysator für die breitenwirksame Computervernetzung. So offensichtlich diese Feststellung auch sein mag, so wenig findet sie Eingang in Internetforschung, sei es kulturwissenschaftlicher Ausrichtung, sei es in empirische Sozialforschung. Andererseits trug Internetkommunikation nicht nur die informationstechnologische Vernetzung der letzten Jahrzehnte, sondern zog massive Medienängste auf sich, die von wissenschaftlicher Seite noch bekräftigt wurden. Elektronische Globalkommunikation ersetze lokale Mündlichkeit, lautet das wissenschaftliche wie populäre Fehlurteil. Menschliche Interaktion verschwinde. Solche Ersatzfiguren lassen sich sowohl als Negativ-, als auch 13
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als Positivutopie lesen. Letztere trägt im Falle elektronischer Kommunikation die klingenden, aber schnell abgenutzten Namen ›globales Dorf‹, ›Cyberdemokratie‹ und ›Web 2.0‹ bzw. ›neue Öffentlichkeit‹. Positivutopien gehen jedoch wie ihr negatives Pendant von derselben Verdrängung lautsprachlicher Dialoge durch Technik oder ihrer »Technisierung« aus (vgl. Ong 1987). Gerade weil jüngere Internetgeschichte stark von Ideologien über Medienpraxen geprägt ist, hat man sie nach der Auf hebung technischer Einzelmedien im digitalen Medienverbund zu schreiben (vgl. Kittler 1986, 1993), wozu hiermit beigetragen werden soll.
A NWENDUNG
ODER
V ERNE T ZUNG
Chatten bezeichnet multiple Szenarien, denn den einen Chat im Singular gibt es nicht. Was unter Chatten firmiert, meint zunächst nichts anderes als ein Bündel kommunikativer Anwendungen vernetzter Computer. Die Bezeichnung ›Chat‹ muss eher als Sammlung verschiedenster Phänomene und Praxen gelten, die inzwischen Text- und Ton sowie Bildverwendung umfassen. Ab wann man von Chat-Kommunikation spricht, gerät zur alles entscheidenden Frage. Die Antwort hängt davon ab, woran sich die Frage ausrichtet: Chatten als Anwendung oder notwendiges Vehikel von Vernetzung. Chat-Geschichte sieht je unterschiedlich aus, wenn sie als Anwendungsgeschichte oder als allgemeine Medientechnikgeschichte geschrieben wird. Je nachdem geht jede Computervernetzung bereits mit Formen des Chattens einher. Unter Vernetzungsgeschichte wiederum fällt nicht nur die kollektive Pionierleistung des ARPANET, sondern ebenso erstes Timesharing ab 1957 (McCarthy), welches für die wahrscheinlich früheste technisch realisierte ›computervermittelte Kommunikation‹ steht, ohne dass Menschen sich wie beim späteren Chatten schon über Computer ›sprechen‹ wollten. Zudem setzt Kommunikation über Computer immer Kommunikation mit Computern voraus, wie die Entwicklung von Programmiersprachen als gar nicht selbstverständliche Angelegenheit belegt (vgl. Heilmann 2009). Anwendungsgeschichte hat es dagegen stets mit Ideologien über diejenigen Technikgebrauchsweisen zu tun, welche sie anvisiert. Bezogen auf Internetkommunikation resultieren beide Perspektiven der Internetgeschichte als Anwendungs- oder allgemeine Vernetzungsgeschichte in zwei divergierenden Schreibweisen. Entweder beginnt Chat-Kultur 1988 mit einem bestimmten Programm und Chat-System, nämlich dem Internet-Relay-Chat (IRC) von Oikarinen; damit wäre ChatKommunikation leicht als zeitliche Steigerung von E-Mailing misszuverstehen, welche sich als ›Killer-Applikation‹ im ARPANET durchsetzte (vgl. Siegert 2008). Oder aber Chatten als Verständigung via Computer ist gleichbedeutend mit Nutzung und Entwicklung von Informationstechno14
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logie überhaupt, so dass ›Chat‹ sich lediglich als ein spezifisch auf bereitetes Angebot darstellt. Chatten kann zur Lesart von Mediengeschichte sowohl als ungebrochener Beschleunigungsgeschichte, wie auch als komplexerer, widersprüchlicherer Entwicklungsgeschichte beitragen. Schon McLuhan (2002: 10) betonte instantane Kommunikation im elektronischen Zeitalter als Teil einer gesamtgesellschaftlichen Beschleunigungsdynamik medientechnischer Art und favorisierte gestützt auf seine Thesen zur Elektrizität Ideen von Mediengeschichte als Beschleunigungsgeschichte. Zählt der IRC als erster Chat, dient Internetkommunikation hervorragend zur Unterfütterung solch prominenter Beschleunigungsthesen, wie sie vor allem Virilio stark gemacht hat. Die ältere, zeitversetzte E-Mail wäre hiernach in den 1980er Jahren durch fast-synchrone Chat-Funktionen gesteigert worden. Deshalb zeigt sich an E-Mail und Chat, dass Entscheidungen zwischen Anwendungs- oder Vernetzungsgeschichte keine Fragen bloßer Präferenzen und Schwerpunktsetzungen sind. Zieht man nämlich in Betracht, wie früh der Echtzeitschriftverkehr zwischen zwei Teilnehmern technisch möglich war, verkehrt sich die Beschleunigungsthese in ihr Gegenteil. Dann wurde E-Mailing im ARPANET sogar per Synchronchat zwischen USA und GB erdacht; ja die Einrichtung des ARPANET erfolgte gewissermaßen als Chat (vgl. Hafner/Lyon 1996; Abbate 1999). IRC ermöglichte aus Perspektive allgemeiner Vernetzungsgeschichte nicht den ersten schriftlichen Echtzeitverkehr zwischen Computern, wohl aber den ersten wirklich funktionsfähigen und populären Synchronaustausch von vielen Teilnehmern mit Vielen. Vor dem IRC existierten zwar zahlreiche Synchronkommunikationsfunktionen, sie funktionierten zuverlässig aber nur zwischen zwei Gesprächspartnern. Internet-Relay-Chat stellt insofern den ›Urchat‹ dar, als er die erste breitere Chat-Kultur mit beliebig vielen Teilnehmern realisierte und so zeitweise zur wichtigsten Plattform für Gemeinschaftsbildung avancierte. So wurden darin (neben anderen asynchronen Plattformen) zahlreiche Konventionen ausgehandelt, die noch heute den Internetaustausch charakterisieren, etwa Raumordnungen, die im IRC Kanäle heißen, sowie die Wahl von Nicknames, der Umgang mit Streitigkeiten und Vermeidung der Namensgleichheit verschiedener Teilnehmer. Chat-Forschung verweist auf ein Grundlagenproblem geisteswissenschaftlicher Internetforschung: Dienen vernetzte Computer der menschlichen Verständigung? Welche Urheberschaft beanspruchen diese elektronischen Gebrauchstexte? Ja, wer schreibt überhaupt und in welcher Sprache? Schließlich ist es kein Zufall, dass genau in jenem Augenblick an Printmedien gebundene Formationen wie der Autor, bürgerliche Individualität und die heterosexuelle Matrix auf breiter Theoriebasis in Frage
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gestellt wurden, als Informationstechnologie sich erstmals einer größeren Öffentlichkeit bemerkbar machte.
M Y T HEN
S TAT T
A UF KL ÄRUNG
Chat- wie überhaupt Kommunikationsforschung schaff t Mythen statt Aufklärung. Warum führen Diskussionen über den Computer als Kommunikationsmedium regelmäßig zu massiver Abwertung oder ungebrochener Idealisierung und was verhandeln diese falschen Technikvorstellungen? Entschieden zweierlei: Ohne es auszudrücken, verhandeln sie Machtstrukturen und Medientechnikentwicklung selbst. Chat-Forschung ist begreif bar nur als Versuch und Geschichte einer problematischen Verortung medientechnikhistorischer Verschiebungen. Problematische oder fälschliche Verortung meint hier nichts weniger, als dass kultur- und sozialwissenschaftliche Diskurse ungewollt die Funktion annehmen, offene Fragen über Eigengesetzlichkeiten der Medientechnikgesellschaft zu binden und ihnen eine falsche Form zu geben – so geschehen mit dem Chatten in den 1980er und 1990er Jahren. Mit Chat-Forschung ließ und lässt sich auf einen Nenner bringen, was kaum benenn- und begreif bar scheint. Im Chatroom wird ›Kommunikation‹, ›Reden‹ oder Schriftverkehr in elektronischen Nachrichtennetzen sicht- und benennbar, vor allem jedoch vermeintlich dingfest gemacht. Wenn die gestaltwandlerischen Fähigkeiten von Informationstechnologie auch medientechnisch immer schon offensichtlich waren, so treten sie inzwischen auch für die ›Enduser‹ wieder deutlicher hervor und konterkarieren solche Reduktionen des Computers auf Einzelanwendungen wie den Textaustausch bzw. ›die‹ Kommunikation. Computer erschöpfen sich nicht darin, Bildschirm, Tastatur, Festplatte und Software X oder Y, d.h. PC zu sein. Kühlschrank und Waschmaschine organisieren ihr Funktionieren heute per Chip und damit über Informationstechnologie und können perspektivisch problemlos vernetzt werden. Derzeit ist wieder stärker als zu den Hochzeiten von PC und textbasiertem Chat in den 1980er und 1990er Jahren erkennbar, dass Computerentwicklung sich nicht auf Rechnerkapazitäten und bestimmte Schnittstellen reduziert. Medientechnikentwicklung ist auf allen Ebenen, der technischen und gesellschaftlichen sowie überhaupt der globalen Ebene, unabsehbar und unabgeschlossen. Offenheit oder eher Ungerichtetheit und Atopik dieser Transformationen führen zu Medienangst und Medieneuphorie, wie sie Chat-Forschung in besonderem Maße prägte. Thesen und Theorien über das Internet formulieren immer auch Antworten auf die gravierenden Weltwandlungen medientechnisch-gesellschaftlicher Art, wie sich bis in die Motive einzelner Argumentationen hineinverfolgen lässt. Alle Charakteristika, welche für den Prozess gesellschaftlicher 16
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Wandlung zutreffen – und hierbei handelt es sich weder um einen unveränderbaren, natürlichen Prozess, noch gar einen unproblematischen und herrschaftsfreien – finden sich im Diskurs über Internetkommunikation auf den Menschen, präziser noch auf menschliche Identität übertragen: Offenheit und Ungerichtetheit wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung wurden zur Vielheit und Gleichheit der Interaktionspartner respektive der Wahl ihrer kommunikativen Fähigkeiten und Eigenschaften. Atopik kapitalistischer Expansion setzte sich um ins Phantasma eines hierarchiefreien Kommunikationsraums. Anstelle von Gesellschaft und Medientechnikpolitik wurde das individuelle Selbst als Gestaltwandler diskutiert. Es entstand die Figur des Users bzw. Chat-Charakters als Privatiers, um dessen Erfahrungen sich Betrachtungen der Computerkommunikation zentrierten. Diese Kritik betriff t soziologisch-sozialwissenschaftliche Projekte genauso wie Kulturwissenschaften, dort insbesondere Geschlechtertheorien und deren netzaktiven Ableger als Cyberfeminismus der 1990er Jahre. Sowohl Abwertungen wie Idealisierungen von Internetkommunikation müssen deshalb einer neuen Lektüre unterzogen werden. Neben Machtanalysen der Struktur namens Schrift (vgl. Derrida 1988) gehört dazu auch, Internetschriftlichkeit in Schrifttechnikgeschichte vor dem elektronischem Medienverbund einzubeziehen. Der Einbezug von Schrifttechnikgeschichte korrigiert die Diffamierungen der Chat-Kultur als Niedergang hoher Schriftlichkeit bereits dadurch, dass Alphabetschriften nicht erst mit dem Chatten als Dekoration und Zierrat Verwendung fanden, wie linguistische Chat-Forschung nahe legt. Zweckentfremdung von Alphabet und Zeichen und damit ›Missbrauch von Schrifttechnik‹ ist so alt wie Schrift selber, hat im Internet allerdings ungeahnte Entfaltungsmöglichkeiten. Kunstvoll ausgeführte Buchstaben, bei denen Zeichenwert und Bildlichkeit verschmolzen, zierten schon mittelalterliche Manuskripte (vgl. Schön 2002; Krämer/Bredekamp 2003). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte solch spielerische Entwendung des Alphabets in Kunst und Literatur neuerlichen Ausdruck und Aufschwung. Bei den Schriftbildgedichten von Ringelnatz und Dada handelt es sich schriftgeschichtlich betrachtet gewissermaßen um Vorläufer und Wahlverwandte des Chattens. Bereits Ringelnatz trieb in seinem Gedicht Fisches Nachtgesang gleich auf mehrfache Weise Schabernack mit Schrifttechnik. Er macht nicht nur die Schrift zum Bild eines Teichs mit aufsteigenden Fischblasen, sondern nutzt hierfür gerade keine Buchstaben, ganz wie es für Emoticons Standard werden sollte, die ebenfalls das volle Zeichenrepertoire ausschöpfen. Ein stummes Tier, ohne Sprache und sogar ohne Lautausdruck, wird bei Ringelnatz durch Zweckentfremdung von Schriftsprache in seiner natürlichen Umgebung ›gezeichnet‹. Was hier poetisch erahnt wird, kommt Ende des 20. Jahrhunderts auf Computerbildschirmen als frei flottierendes Spiel mit 17
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Schrift und Zeichen zur Entfaltung. Chatten inszeniert sich als Sündenfall der Schriftkultur. Angesichts der prinzipiellen Absenz von Platzmangel mag überraschen, dass Chatten dabei vor allem verknappte Schrift ist, ein Spektakel der Akronyme. Chat-Forschung vernachlässigte dieses Spiel mit Schriftbildlichkeit und Zeichenästhetik, solange Internetkommunikation nicht als Teil der Macht- und Mediengeschichte von Schrift, sondern allein als ›Interaktionsraum‹ behandelt wurde. Linguistik und Semiotik widmen sich zwar seit Längerem diesen Spezifika elektronischer Schriftlichkeit, beschränken sich dabei jedoch auf Bestandsaufnahme und Klassifi kation (vgl. Hess-Lüttich 2002; Bittner 2003).
WA S C HAT T EN
WAR
Chatten charakterisiert die Popularisierung des Computers als Kommunikationsmedium für Menschen im Übergang vom jüngeren Internet zum World Wide Web, also von Mitte der 1980er Jahre (IRC) bis Mitte der 1990er (Webchats). Das Phänomen Chat lässt sich gleichwohl nicht allein auf diesen Zeitraum eingrenzen. Unter Chatten fallen ebenso jene euphorischen wie apokalyptischen Zuschreibungen elektronischer Kommunikation, welche in den letzten beiden Jahrzehnten maßgeblich zur Meinungsbildung über Computernetzwerke beitrugen. Die E-Mail mochte zwar die ›Killer-Applikation‹ des ARPANET und noch des jungen Internet sein (vgl. Hafner/Lyon 1996; Abbate 1999; Siegert 2008), doch während der ersten großen Ausdehnung des Netzes zog zunächst das Chatten bzw. synchroner Internetaustausch weit stärkere Reaktionen aus Kultur- und Sozialwissenschaften auf sich – dies auch im Gegensatz zu seiner tatsächlichen Bedeutung. Im betrieblichen wie universitären Alltag lässt sich der Stellenwert von E-Mail und synchronen Internetkommunikationen (Chat) bis heute nicht vergleichen. Hier war und ist die E-Mail jene Erfolgsanwendung, die realiter zur Breitennutzung von Computern als Kommunikationsmedien geführt hat (vgl. Siegert 2008). Umso bemerkenswerter muss die Fokussierung kultur-, sozial- und geisteswissenschaftlicher Debatten überhaupt auf das Phänomen Chat beurteilt werden. Beispielhaft sei an zwei Diskurse erinnert: ›Genderswitching‹ und neue Öffentlichkeit, wie sie unter den Schlagworten Bloggen, Web. 2.0 etc. bis heute fortgeführt werden. Internetpraxen avancierten zur adäquaten Plattform für postmoderne Menschen, die sich von alten Ordnungen und noch so identitätsstiftenden Differenzierungen wie dem Geschlecht verabschiedet hätten, um freie Vielheit wechselnder Selbstentwürfe zu leben. Rückblickend erstaunt dieser Überschwang, mit dem sich Internetinteraktionen zu Befreiungsakten ausschmücken ließen.
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D RE I P HA SEN
DER
I N T ERNE T KOMMUNIK AT ION
Chatten als Online-Phänomen wie gesellschaftliche Reaktion auf Medientransformationen stellt damit ein bedeutendes Kapitel der immer noch ausstehenden systematischen Internetgeschichte dar, zu der hier ein kleiner Beitrag geleistet werden soll. Chatten kann dabei keinesfalls von E-Mailing gesondert, sondern lediglich in den genannten Punkten mit ihm kontrastiert werden. Beide sind Internetanwendungen neben vielen anderen und betroffen von Abwertungen von sprachwissenschaftlicher Seite. Sowohl E-Mail wie Chat gelten mit ihren Verkürzungen durch Einsatz von Akronymen wie Emoticons und ihrer Fehlertoleranz gleichermaßen als Inbegriff von »Trümmersprache« (Zimmer 1997; vgl. Haase et al. 1997). Zeitgenössische Internetforschung versucht vielfach, neueste Entwicklungen zu erfassen. Der Blick auf die eigene junge Geschichte bleibt dagegen aus, genauso wie Bilanzen, was in der kurzen Zeitspanne seit Entwicklung erster Computernetze wieder an Bedeutung verloren hat. Hier muss an vorderer Stelle textbasiertes Chatten genannt werden, denn Chat-Geschichte lässt erkennen, wie Internetanwendungen altern. Neuere Lösungen verdrängen den klassischen Textchat dabei nicht einfach. Vielmehr führt Videochat und Online-Telefonie sowohl zu einer Ausdifferenzierung verschiedener Kommunikationswege wie auch zu einer Rekombination von Online-Text-, Ton- und Bildaustausch. Solch rasanter Auff ächerung kommunikativer Internetanwendungen steht gegenüber, dass Chat-Forschung sich in ihren Grundannahmen und ihrer Systematik nicht nur kaum weiterentwickelt hat, sondern bei Weitem nicht mehr denselben Einfluss im Bereich der Kultur- und Medienwissenschaft hat wie noch in den 1990er Jahren. Während der synchrone Schriftaustausch per Computer kurz nach seiner Einrichtung heftigste Kontroversen hervorrief, führt die spätere Text-, Tonund Bildintegration lediglich zu einer Verschiebung der Thematiken bei gleichzeitiger Verstetigung empirischer Kommunikationsforschung. Damit bietet das Phänomen Chat die Möglichkeit, die junge Vergangenheit elektronischer Netzwerkbildung mit gleichzeitig beginnender Internetforschung zu vergleichen. Chatten ›vergangen‹ zu nennen, bedeutet nicht, kommende Phasen der Internetkommunikation und Netzwerkbildung zu unterschlagen. Insgesamt lassen sich bislang drei entscheidende Zeiträume unterscheiden, in denen sich Internetkommunikation weiterentwickelte und signifi kant ausdifferenzierte: 1. Die konzeptuelle wie medientechnische Vernetzungsgeschichte bis 1988; 2. ab 1988 Popularisierung des Internet und des Textchats durch den Internet-Relay-Chat und Webchats;
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3. Integration von Ton- und Bildaustausch in Chat-Systeme, d.h. Entwicklung von Instant Messaging und Internettelefonie ab ca. 2003 bis dato. Alle drei Zeitetappen werden durch je unterschiedliche Charakteristika bestimmt. Vor dem IRC verbinden sich Computerkommunikation und Netzwerkbildung besonders in den verschiedenen Wissenschafts- und Regierungsprojekten, aus denen sich das ARPANET und frühe Internet zusammensetzten. Ab 1988 kam es zu einer Alleinstellung bestimmter Spezifi ka des Textchats, weshalb jene Phase mit einer Hegemonie, aber auch Krise des Textes zu identifizieren ist. Ab 2003 wiederum differenzierte sich Chat nach Text-, Ton- und Bildnutzung; Chat-Gebrauch glich sich zugleich den E-Mail-, aber auch den Gepflogenheiten der Mobiltelefonie an und kehrte partiell zurück zu ›Peer-to-Peer‹-Strukturen, wie sie für die zahlreichen frühen Kommunikationssysteme vor 1988 schon einmal üblich waren. Dieses Buch über Klatsch im Chat visiert Folgen und Probleme der mittleren Phase an, mit denen sich Chatten als Schriftsünde titulieren lässt, die entweder begrüßt oder gefürchtet wurde. Für eine vollständige, phasenübergreifende Diskursgeschichte der Internetkommunikation hätte man die jeweiligen Austauschtechniken mit ihren Soziometrien abzugleichen. Denn gerade hierin unterscheiden sich frühe Chat-Systeme vom späteren IRC sowie den Webchats der 1990er Jahre. Zwar ermöglichte schon das ARPANET synchronen Verkehr von zwei Beteiligten. Frühe Computerkommunikation gestattete also sehr wohl das zeitgleiche Schriftgespräch, aber eben nur ›One-to-one‹. Erst in den 1980er Jahren wurde es mit so genannten ›Many-to-many‹- bzw. Multi-User-Szenarien fehlerfrei umsetzbar, sich in Quasi-Echtzeit an potenziell unbegrenzt viele Chatter zu richten. Der IRC entstand mit dem Ziel, asynchrone Usenetdiskussionen zu »synchronisieren«, indem Oikarinen das nicht funktionstüchtige ›Many-to-many‹-Programm Multi User Talk von Fehlern befreite (Oikarinen). Die Art und Weise der technisch ermöglichten Vernetzung hatte also erheblichen Einfluss auf Erfolg und Wahrnehmung der jeweiligen Internetdienste.
G OING D ATA Mit Reids Studie »Electropolis« (1991) begann kulturwissenschaftliche Chat-Forschung kurz nach Einführung des Internet-Relay-Chat 1988. Die australische Historikerin besetzt darin alle Topoi kultur- und gendertheoretischer Idealisierungen der Internetkommunikation vom Identitätsspiel bis hin zur libertären Gemeinschaftsbildung, welche Mitte der 1990er vor allem mit dem Namen Turkle verbunden werden sollten. Dies gelang, weil Reid für ihre Arbeit die chatinternen Debatten konturierte. Sie gab ihrer 20
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Stimmung und ihrem Selbstverständnis als Chatterin wissenschaftlichen Ausdruck. Textchat wie Internet-Relay-Chat biete die historisch einmalige Chance, gesellschaftliche Differenzen und Machtfaktoren kommunikativ zu umgehen, so Reid. Das Versprechen auf herrschaftsfreie Kommunikation zwischen anerkannten Partnern ohne Differenzierung nach Aussehen, Ethnie, Herkunft, Geschlecht formuliert sich in Chatrooms neu und macht aus elektronischen Netzwerken einen barriere- und hierarchielosen Raum des Begehrens. Chatten gilt Reid jedoch nicht nur als vorurteilsfreie Kommunikationsplattform, sondern bekommt darüber hinaus korrigierende Funktionen. Erstmals sollen Erfahrungen möglich sein, welche eine Vielzahl von Identitäten und deren Merkmale umfassen. So genanntes Genderswitching ist eine aus verschiedenen Varianten realisierbarer Identitätsspiele, mit denen bisherige menschliche Erfahrungen erweitert und eben auch korrigiert werden können. Kulturtheorie propagierte daraufhin kollektives ›Going Data‹. Obgleich prinzipiell alle denkbaren Differenzen im Chat außer Kraft gesetzt seien, räumt Reid der Geschlechterdifferenz einen exklusiven Platz ein. Männer erfahren sich als Frauen; und Frauen können ihre Äußerung unter männlichen Nicknames platzieren, um sich nunmehr ›außerhalb‹ patriarchaler Strukturen Gehör zu verschaffen. Überhaupt entspreche im IRC der Geschlechtswechsel einem schlichten Wechsel des Namens (Nickname): »The anonymity of interaction in IRC allows users to play games with their identities. The chance to escape the assumed boundaries of gender, race and age create a game of interaction in which there are few rules but those that the users create themselves. IRC offers a chance to escape the language of culture and body and return to an idealised ›source code‹ of mind« (Reid 1991).
Reid skizziert die Befreiung von körperlicher Begrenzung und kultureller Spezifi k, welche im Chat möglich sei, als ›Rückkehr‹ zu einem geistigen ›Quellcode‹ (zur gewünschten Kooperationseinheit von Maschine und Menschengeist in der AI-Forschung vgl. Pflüger 2004). Somit erneuern sich gerade auch anhand digitaler Medienverbünde altbekannte Ursprungsmythen von Unmittelbarkeit und Einheit. In »Electropolis« kommt es zu einer Fusion der Phantasie eines einheitlichen geistigen Ursprungs mit neuester Kommunikationstechnik. Reid identifiziert die Anonymität als entscheidenden Faktor und Voraussetzung für Neuartigkeit und Potenziale dieser Kommunikationsakte (vgl. Gallery 2000). Wohlgemerkt bedeutet Anonymität nicht allein die juristische Unsichtbarkeit im elektronischen Textverkehr, die damals nahezu gegeben war. Vielmehr wird die Gleichheit der Kommunikationspartner mit Gleichheit der Textbildlichkeit ihrer Sendungen begründet. 21
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Ideen respektive Text interagieren hier für Reid ganz wie in Programmen der AI direkt mit anderem ›Geistestext‹. Dennoch beruht Reids gesamte Argumentation, der sich feministische und kulturwissenschaftliche Chat-Forschung im Folgenden anschloss, darauf, die Chat-Beiträge im IRC gerade nicht als Text und Schrift zu behandeln, sondern als Äquivalent mündlicher Äußerungen verschiedenster Individuen. Die kommunikative Konstellation im Chat gestatte ein interaktives Spiel mit der eigenen Identität, in dem es wenig andere Regeln gebe als die von allen gemeinsam aufgestellten. Wenn die Relektüre auf gesellschaftliche Folien abstellt, bestechen Buchstäblichkeit und Unmittelbarkeit der zitierten Passage selbst. Sozialverkehr und seine Regeln seien – anders als globale Marktwirtschaft – Aushandlungssache und somit sozial beherrschbar, könnte man annehmen. Doch Kulturtheorie des Chattens missverstand diese Verhandlungen als »arena for experimentation« (Reid 1991), als »playground« mit »Probebühnencharakter« für nicht realisierte Selbstentwürfe (Funken 2002: 160). Turkle (1998) spitzte ihre Analysen des vermeintlichen Identitätsspiels im Internet noch weiter zu: Die postulierte Möglichkeit zur ›Vielheit‹ an Selbstentwürfen mache Internetkommunikation zum adäquaten Umfeld und Ausdruck des postmodernen Menschen im ausgehenden Jahrtausend. Hier interessiert nicht die innerdiskursive Wahrscheinlichkeit und Logik der behaupteten Identitätswechsel, der Medientheoretiker und Psychoanalytiker bereits fundiert widersprochen haben (vgl. Tholen 2002). Frappierend scheint mit zeitlichem Abstand, wie Diskurse über das Chatten im selben Maße zutreffen und zugleich fehlgehen. Cyberfeminismus, frühe Chat- und Internetforschung überdauert nicht wegen einschlägiger wissenschaftlicher Leistungen, wohl aber als eindrucksvoller Beleg für Technikreaktionen. Genderswitching metaphorisiert etwa den Turing Test, der selber nicht anderes ist als Erfassung der Fähigkeiten, sexuelle Differenz zu benennen (vgl. Ronell 2005: 51, 220). Digitale Computer sind nach Turing (1950: 439) bekanntlich zur Klasse der »discrete states machines« zu rechnen. Diese Maschinen arbeiten sich mit Sprüngen oder Klicken von einem diskreten Zustand zum nächsten. Schließlich müssen sich die einzelnen Zustände genügend differenzieren lassen, wie es sich etwa am Beispiel eines Lichtschalters (Switches) veranschaulichen lässt. Basale Logik der Diskretisierung und Funktionsweisen diskreter Einheiten – auch wenn sie lediglich denkbar ist mit einer dazwischenliegenden Grauzone oder »intermediate positions« (ebd.) – setzen sich in der Internetkommunikation als Umschalten von einem Geschlecht zum anderen ins Bild. Freilich war damit immer auch der Wunsch verbunden, diese gesellschaftliche Geschlechterteilung als Machtmechanismus außer Kraft zu setzen. Bereits analoge Computer arbeiten grundsätzlich diskret, wie Turing beweist und erdacht hat, sie müssen jedoch anders als Plant in ihrer 22
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Analyse hervorhebt nicht binär funktionieren. Genderswitching nimmt dieses Funktionieren treffend als Schaltung in die kommunikativen Anordnungen auf und bindet es diskursiv.
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Anonymität meint schon bei Reid vor allem mangelnde Sicht auf visuelle Marker. Sie wird innerhalb der Internetkommunikation und in ihrer Erforschung gleichgesetzt mit Ausschaltung der Anschauung, welche einem ›Abstreifen‹ der Körperlichkeit und damit des Geschlechts gleichkomme. Kuni (1999: 468) nannte dies auch den Mythos von der Kommunikation »ohne Ansehen der persona«. Gewöhnlich habe man damit zu leben, wie man aussehe, da physikalische Merkmale unveränderbar seien. Solche Begrenzung und Reduktion auf äußerliche Charakteristika überschreite der Chat, weil das ›Aussehen‹ eines Teilnehmers alleine von der Information abhängen würde, die sie oder er ihrem Gesprächspartner darbieten wolle: »It is possible to appear to be, quite literally, whoever you wish« (Reid 1991). Information und Anschauung werden einerseits separiert, andererseits fällt im Chat Information mit Erscheinung zusammen – und darum solle sie durch den Kommunizierenden vollständig beherrschbar sein. Man könne buchstäblich sein, wer man wolle. Dabei handelt es sich um eine medientechnisch exakte Analyse von Schrift und ihren potenziell unbegrenzten Verwendungsweisen. Der menschliche Nutzer schrieb sich selber dem Computer eigene Möglichkeiten zur tendenziell unbegrenzten Verwendbarkeit und damit Wandelbarkeit zu. Viele soziale Bewegungen, aber auch Forschungen behaupteten, nun könne man als jeder und alles erscheinen und damit sein, wer man wolle. Der Mensch leistet hier nichts anderes als eine umfassende Metaphorisierung der Maschine, eine Übertragung seiner selbst auf sie, was ihm wiederum als endlose Reihe an Sprachbildern seiner eigenen Merkmale wie Geschlecht, Eigenart, Zugehörigkeit, aber auch als Raummetaphern seiner Umgebung entgegentritt. Chat-Forschung verband Hoff nungen auf veränderte Kommunikationsordnungen und Gemeinschaftsbildung mit neuen Räumlichkeitsvorstellungen. Metaphernproduktion in der Internetkommunikation betraf Raummetaphern stets in ganz besonderem Maße, ob es sich um den Chatroom, den virtuellen Marktplatz, das Online-Forum bzw. die elektronische Agora oder eben den virtuellen ›Raum‹ als solchen handelte (vgl. Tholen 2002). Topografische Metaphern setzten sich schon mit dem InternetRelay-Chat durch, zunächst jedoch nicht im Ausdruck vom ›Chatroom‹, sondern als »Chatchannel« (Reid 1991). Kanäle ermöglichen im IRC die Sortierung der Teilnehmenden nach Vorlieben, imaginären Orten etc. Doch war diese kommunikative wie metaphorische Kanalisierung nicht 23
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dem Wunsch nach gleichgesinnten Gesprächspartnern geschuldet. Im IRC bestand erstmals die organisatorische Notwendigkeit, große Mengen an zeitgleich eintreffenden und zu versendenden Beiträgen zu separieren, zu sortieren und eben zu kanalisieren. Zweipersonensynchronchats vor dem IRC operierten so, dass man für den Adressaten direkt sichtbar auf dessen eigenem Bildschirm schrieb. Mit der neu entstandenen Großgruppensituation im IRC war unter dem Client-Server-Prinzip eine Lösung für die Gliederung der Beiträge gefordert, welche dann eben »Channel« hieß. Die Geschichte des Chat-Channels demonstriert, wie Techniken sich gerade nicht als Ausweitungen des Menschen gestalten, sondern umgekehrt durch Grenzen menschlicher Aufnahmekapazitäten und Gewohnheiten gerahmt werden. Medientechnisch bedeutet Internetkommunikation ohnehin nichts anderes als Nachrichtenverkehr im Maschinenverbund (vgl. Kittler 1986; Armitage/Kittler 2006). Wie jedoch die Inhalte dieser Nachrichten gestaltet sind, vor allem, wer und ob sie überhaupt gelesen werden, wenn es sich um schriftsprachliche Zeugnisse handelt, betriff t die Maschinenkommunikation nicht im Geringsten. So wäre es für die Rechner auch vollkommen beliebig, ob sich der IRC als ein einziges globales Chat-Fenster etabliert hätte, bei dem aufgrund der Eingabenmenge große Zeitspannen vergehen würden, bis derselbe Nickname wieder in der Ausgabe erscheinen würde, immer vorausgesetzt ihre eigene Rechenleistung bzw. des/der Server genügt. Bemerkenswert ist, dass diese Begrenzung der Kenntnisnahme auf einige ausgewählte Beiträge in einzelnen Channels/ Kanälen umgehend als selbständig getroffene Entscheidung in die ChatGeschichte eingeht. Reid benennt zwar die Notwendigkeit, ein System zur Sortierung der unzähligen Beiträge zu finden, doch die IRC-Kanäle werden von ihr damit begründet, dass man die Teilnehmer entscheiden lassen müsse, wessen Aktivitäten sie folgen wollen würden und wen sie von ihren eigenen Bewegungen, Aktivitäten und Beiträgen wissen lassen möchten (vgl. Reid 1991). Wenn die Raummetaphorik auch bereits im IRC durch die Frage der Kanäle und der Kanalisierung auftrat, so besteht noch ein Unterschied zur breiteren und wesentlich tieferen Debatte über die neuen Interneträumlichkeiten in den 1990er Jahren (vgl. Tholen 2002; Maresch/ Werber 1999).
P FOR T EN
DER
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Chat-Forschung erkannte zwar Schrifttextkommunikation als Voraussetzung des ›Austausches ohne Ansehen der Person‹. Doch nur wenn man die Nachrichten als ›Redebeiträge‹ Einzelner ansieht, lässt der Chatroom sich als Plattform für Selbstverwandlung wahrnehmen. Während die Frage der Sichtbarkeit und Räumlichkeit häufig zur Diskussion stand, trat die 24
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Zeitstruktur des Chattens in den Hintergrund. Das Tempo der Internetkommunikation bestimmt wiederum ihre Charakterisierung als verkürzte elektronische Schriftlichkeit. Chat der mündlichen Rede gleichzusetzen, gründet auf seiner Fast-Zeitgleichheit oder Quasi-Synchronizität. Für die Betitelung als Chat bzw. Plausch war dies offenbar ganz entscheidend. Die ›Peer-to-Peer‹-Systeme des frühen Internet waren ohne Zweifel synchron zu nennen, da ohne Zeitverzug der Schreibakt für den Leser sichtbar war und die Triangulierung durch den Server noch nicht bestand. Funktion und Verfahrensweise des Servers kommt erst durch Diskussionen über die Zeitform des Chattens wieder in den Blick. Einige Autoren weisen nachdrücklich darauf hin, dass Chat-Kommunikation in ihrer derzeit praktizierten Form lediglich fast-synchron, also leicht zeitversetzt, vonstatten geht (vgl. Bittner 2003). Neben dem Weg, den die Nachricht zeitlich vom Client zum Server zurücklegen muss, kommt die Spanne hinzu, mit der Sendungen vom Server weiterverteilt werden, ebenso wie verschiedene Einflüsse von Hard- und Softwareperformanz und Netzwerkqualitäten. Genau genommen gelte das ohnehin prekäre Label der Echtzeit damit nicht für serververmittelte Chat-Kommunikation. Zwei Bedingungen tragen demnach in ihrer Kombination die Gleichsetzung des Chattens mit mündlicher Rede: Die potenziell unbegrenzte Teilnehmeranzahl und eine Fast-Zeitgleichheit im Austausch dieser Vielen mit Vielen anderen. Vor dem IRC wäre eine solche ›Massenkommunikation‹ über Computernetzwerke nur in asynchroner Form funktionsfähig gewesen, so Turkle, weshalb sie daran eine Wende vom Computer als ›Stand-alone-tool‹ hin zum Computer als »Pforte der Kommunikation« ausmachen will: »Die High-School-Schüler unserer Tage erleben Computer eher als wandlungsfähige Simulationsoberfl ächen zum Schreiben und Spielen denn als rigide Maschinen zum Programmieren. Sie sehen Computer als Pforten der Kommunikation« (Turkle 1998: 93).
Präzis nimmt Turkle das Schreibspiel auf Anwendungsoberflächen als neues, aber historisch späteres Definitionsmerkmal von Computern in ihre Analyse auf. Ihr beweist dies, wie im Internet postmoderne Menschen gleichsam auf ihren Begriff kommen – und nicht wie Maschinenentwicklung passiert: Die Figur der ›Fragmentierung‹ oder auch ›Vielheit‹ bebildert nicht nur bei Turkle die postmoderne Persönlichkeit, die sich mit dem Internet ein neues Kommunikationsreich erschließe. Letztlich basiert der kulturwissenschaftliche Mythos, wonach die Postmoderne im Internet ihre mediale Realisierung und Materialisierung erfahre, auf dem Kurzschluss, jede Aktion im Netz verkörpere eine – wenn auch vervielfältigte 25
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– individuelle Ausdrucksweise bzw. ›Identität‹. Dieser Mythos erhält sich nicht nur im Diskurs über Online-Geschlechterwechsel, sondern auch in demjenigen über neue Öffentlichkeiten. Beides findet bereits bei Reid explizite Erwähnung, wenn sie die Gemeinschaftsbildung, d.h. Form der Öffentlichkeit als postmodern beschreibt: »As I have suggested, this community is essentially postmodern. The IRC community shares a concern for diversity, for cares in nuances of language of symbolism, a realisation of the power of language and the importance of social context cues, that are the hallmark of postmodern culture« (Reid 1991: 21).
Geschlechtertheorie fand eine politische Fortsetzung im Cyberfeminismus, der sich aus den genannten Internetstudien speiste. Reids und Turkles Arbeiten weisen starke euphorische Züge in der Darstellung ihrer Untersuchungsgegenstände auf, wenngleich insbesondere Reid es unterlässt, eine Gesellschaftsutopie des Chats zu entwerfen. Auch Turkle betont in erster Linie die quasi-therapeutischen Wirkungen von Online-Erfahrungen, wonach Schüchterne extrovertiert auftreten etc. Dagegen hat der Cyberfeminismus die behaupteten Kommunikationsräume in elektronischen Nachrichtenverkehrsdiensten mit revolutionärem Potenzial ausgestattet. Neue elektronische Räume – eben der Cyberspace – erleichtere nicht nur die Verständigung unter Frauen, sondern restrukturiere die gesamte Gesellschaft positiv. Es sei das Ende des (alten) Patriarchats in Sicht, fasst Angerer (1999: 455) diese Positionen prägnant zusammen. Die Cyberfeministin Wiley glaubt gar an die Befreiung der Phantasie, weil neu generierte Personen – gesichts-, stimm- und körperlos – Geschichte durch ein zeitloses Jetzt ersetzen würden (vgl. O’Brien 1999). Von der isolierten Wunschmaschine (Turkle 1984), dem weitgehend unvernetzten PC der 1980er Jahre, avancierte die Internetkommunikation in den 1990er Jahren zur emanzipatorischen Rede par excellence. Inzwischen sind die Debatten verklungen. Die – mittlerweile sehr etablierte – Chat-Forschung konzentrierte sich ab 2000 zunehmend auf sprachwissenschaftliche Fragestellungen. Vor allem die Verschränkung von Schrift mit Elementen mündlicher Rede steht seither im Fokus der Aufmerksamkeit. Wie der Film im Unterschied zum Fernsehen erträumt wurde, ist hinlänglich bekannt, »antwortete« seine Erfindung doch auf vorausgreifende Phantasien und Politiken (vgl. Kittler 2002: 11). Das Erträumen des Internet durch Ableger der Postmoderne bleibt in ihren Details noch zu benennen, setzten diese sich schließlich in Spiegelbeziehung zu elektronischen Netzwerken, wie sie parallel zur Entwicklung des Internet als Rhizom theoretisiert wurden (vgl. Deleuze/Guattari 1977).
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S ERVOMECHANI SMEN Medienkulturwissenschaft lastet ihrem Pionier McLuhan an, den Computer nicht begriffen oder in seinen Analysen zumindest grob vernachlässigt zu haben. Erst in jüngerer Zeit bemüht sich die Forschung um eine differenziertere Würdigung (vgl. Pias 2008; Schröter 2008). Die These vom Menschen als Servomechanismus seiner Medien erweist sich jedoch als unabdingbare Voraussetzung zum Verständnis der Internetgeschichte und vernetzter Computer. McLuhan (1964) begreift eine Sinnverkehrung, der zufolge menschliche Handhabung, Schaff ung und Veränderung von Medien nicht nur menschlichem Nutzen, sondern primär der Medienfortpflanzung selbst dient. Medienentwicklung erhält Eigendynamik und Evolutionscharakter. Menschen erfüllen die Funktionen von Servomechanismen oder eben Sexualorganen ihrer eigenen Apparaturen. McLuhan zeigt damit ungewollt eine gedankliche Verwandtschaft zu Marx, dessen Gesellschaftskritik nichts anderes als ein analoger Vorgang der Verselbständigung sozialen und wirtschaftlichen Handelns im Akt des Tauschens zugrunde liegt (vgl. Derrida 2004; Pahl/Meyer 2007). Wissensbildung ist davon nicht ausgenommen und genauso Teil dieses Servomechanismus. Insbesondere Sozial- und geschlechterwissenschaftliche Internetforschung lehrt, dass sie sich mit ihrer Mythenbildung am Verkennen von Medientechnikentwicklung beteiligt. So wird Computerkommunikation vom Übermaß der Forschungsansätze als menschlicher Sprachakt gesetzt, während die Beteiligung von Chatbots ein methodisches Problem darstellt, welches es nach Möglichkeit auszuschließen gilt (vgl. Tewes 2005). Doch nicht Computer werden zu Chatbots respektive kommunikativen Lückenfüllern, sondern Menschen erfüllen immer schon die Funktionen von Chatbots, indem sie Medientechnik mit ihren ›Inhalten‹ und damit sich selbst beleben, wie es McLuhan (1964: 221) einstmals für das Schach- und Lottospiel auf den ersten Telegrafenverbindungen beschrieb. Die Gleichsetzung von Chatten mit mündlicher Rede ist jedoch zunächst der Eigenlogik empirischer Sozialforschung geschuldet, ihr Wissensobjekt zu formieren. Hierfür müssen Chat-Protokolle erstens als Äußerungen menschlicher Individuen behauptet und zweitens als mündliche Handlungen oder Sprechakte behandelt werden. Am Chatten offenbart sich nichts weniger als ein methodisches Fundamentalproblem sozialwissenschaftlicher und psychologischer Internet- und Medienforschung. Empirische Sozialforschung kann das Chatten nicht untersuchen, da und solange sie auf menschlichen Narrativen basiert, die sie immer aufs Neue und dieselbe Weise als Wissensobjekt zu reformulieren hat. Zum Teil ist sich die Forschung dieses Methodendilemmas bewusst: Die eindeutige Zuordnung von Online-Akten zu einzelnen, so genannt natürlichen In27
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dividuen steht nicht in ihrem Vermögen, weshalb das Anvisieren solcher Verknüpfungen zu Recht methodisch problematisiert wird. Das Dilemma lässt sich jedoch nicht einfach umgehen und bleibt jeder Betrachtung von Internetkommunikation eingeschrieben, denn hier kommunizieren zunächst und immer auch Maschinen mit Maschinen, nicht Menschen mit Menschen (vgl. Kittler 1986). Die Bezeichnung Chat deckt eine bestimmte Phase der Popularisierung und damit Ausdehnung von Informationstechnologie ab. Chat-Forschung trug zu diesem Vernetzungsschub in hervorragender Weise bei, indem sie jeglichen Internetaustausch mit personeller und privater Interaktion gleichsetzte und begriffl ich verschmolz. Medienängste wie Apologien treffen dabei anders zu, als sie meinten. Internetkommunikation eröff net einen neuen Raum, aber eben einen anderen oder zumindest als einen anderen Raum, als Diskurse während der 1990er propagierten, nämlich Raum für Ausdehnung unserer Gesellschaft. Noch die Debatte über den Computer als Metapher wäre buchstäblich zu nehmen, als Übertragung menschlicher Sprache – dieser Metapher der Metapher – auf medientechnisch implementierte Verarbeitbarkeit diskreter Einheiten. Jede Computeranwendung muss folglich aus menschlicher, d.h. sprachlicher Sicht eine Metapher darstellen. Und Metaphern verkörpern selbst nichts anderes als die unzähligen Aneignungsbewegungen, mit denen Menschen sich auf das von ihm selbst geschaffene ganz andere, was der Computer auch ist, übertragen. »National Information Infrastructure« (Al Gore) kommt als Metapher dem am nächsten, als was sich das so genannte Internet erwiesen hat. Metaphorologie bezeichnet hier die ›Klebrigkeit‹ und Unausweichlichkeit von menschlicher Sprache, die sich allem anheftet, mit dem sie in Verbindung kommt. Der Mensch metaphorisiert per Definitionem, da er alles, womit er in Berührung kommt, verbalisiert und somit in seinen Sprachkosmos überträgt und einbindet. Was der Mensch begreift, das wird zu Sprache. Computer sind Metaphern der Metapher, weil sie Übertragung, wie der Mensch sich als Selbst betreibt, neu formatiert. Die Geschichte des Turingtests und Weizenbaums ELIZA demonstrieren eindrücklich, dass Menschen sich ständig selbst anstelle des Computers setzen, sich darauf übertragen und damit ihrer selbst als den eigentlichen Wunschmaschinen gerecht werden (vgl. Deleuze/Guattari 1974; Schmidgen 1997). Trivialisierung und Abwertung von Informationstechnologie betreffen im besonderen Maße das Chatten, welches neben Computer Games zur wichtigsten Zielscheibe der Kulturkritik an elektronischen Medien wurde. Elektronischer Klatsch gilt als wesentliche Form des Sprach- oder gar Sittenverfalls im Internet. Dabei hat durchaus eine negative Wandlung der Sicht auf computervermittelte (Text-)Kommunikation stattgefunden. So wiesen Diskussionen über den ersten Internet-Relay-Chat anfangs noch 28
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deutlich medieneuphorische Züge auf. Wenn Chatten aber einen Wunsch ermöglicht, so nicht denjenigen nach Fluchträumen vor herrschender Differenzierung in Geschlecht, Klasse, Rasse. Weit eher und stärker noch als Wünsche nach Identitätsspielen weckt Internetkommunikation den unausgesprochenen Wunsch sozialen Handelns, das sich nicht verselbständige. Virtueller Raum lockte und bedrohte gerade nicht durch seine mangelnde oder unbegrenzte Räumlichkeit. Vielmehr versprach er genau das Gegenteil, soziale Handlung, die an ihrem Ort gleichsam fi xiert bliebe, die sich im Gegensatz zur realen Tauschbeziehung, diesem logischen Nukleus des Kapitalismus, nicht hinter dem Rücken der Agierenden in Macht und Herrschaft verwandeln solle (vgl. Pahl/Meyer 2007; Schröter et al. 2006).
V OM ZE I TGLE ICHEN S CHRE IBEN ZUM V ERLUS T AN N ACHT R ÄGL ICHKE I T Gilt Chatten nicht länger als Oralität in Schriftform, wird es zum Sündenfall der Schriftkultur deklariert. Zeitgleicher Textaustausch via Internet bewegt sich also zwischen der Skylla, ungenügende Rede zu sein, und der Charybdis, fehlerhaftes Schreiben zu verkörpern. Dem Chatten bescheinigt man insbesondere von Seiten sprachwissenschaftlicher Disziplinen gravierende Mängel, aber auch ausgewiesene Theoretiker der Schrift lasten ihm seine Kürze und Fehlerhaftigkeit an. An prominenter Stelle ist hier Derrida zu nennen, der einen Verlust jenes zeitlichen Aufschubs in der elektronischen Kommunikation befürchtete, welcher für ihn unter Namen wie Nachträglichkeit und Aufschub die Eigenheit, Stärke und überhaupt Schriftlichkeit ausmacht. Doch wieso Aufschub und Nachträglichkeit in elektronischer Kommunikation verloren gehen solle, lässt sich bei Weitem nicht allein mit einem faktisch größeren Tempo im Schriftverkehr erläutern. Paradoxerweise wird hier Beschleunigung schriftlichen Nachrichtenverkehrs als Zeitverlust gelesen, nämlich als Verlust einer bestimmten Zeitform. Doch Nachträglichkeit besteht weder in Langsamkeit, noch überhaupt in einem messbaren Tempo. Vielmehr äußert sich eine Sprachrespektive Gedankenstruktur als Nachträglichkeit, d.h. als vorvergangene Zukunft eines »Es wird gewesen sein«, auf welcher die Dreiheit aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ihrer vermeintlichen Serialität und Sequenzialität beruht. Für Derrida verliert Schrift in elektronischen Netzwerken ihr Vermögen, durch Aufschub nachträglich zu bezeichnen, mithin zu bedeuten. Für den Chat wurde geltend gemacht, es handele sich um rein imaginäres Schreiben, was die Alphabetschrift als Träger des Symbolischen zu karikieren scheint. Das Hauptuntersuchungsergebnis des Buches revidiert dieses Urteil, sind doch Klatschtriaden, welche Systemmeldungen involvieren, strukturell als spezifische Artikulationen 29
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des Dritten und damit des Symbolischen zu verstehen. Der Computer ist im Gegensatz zu verbreiteten Medienwissenschaftsauffassungen nicht per definitionem und bei Weitem nicht nur ein Schriftmedium (vgl. Heilmann 2009). Umso erstaunlicher mutet die häufige Identifi kation an, bei der eine bestimmte logische Struktur von Schrift mit spezifischen medientechnischen Arrangements im Chat kurzgeschlossen werden (vgl. Weigel 1999). Und umso dringlicher ist zu fragen, welche Funktion die Verkürzung und mithin Beschleunigung im Chat hat, zumal kein Papiermangel und damit kaum ›Platznot‹ in elektronischen Umgebungen herrscht.
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Synchrone Computertextnachrichten drängen mehr noch als E-Mailing auf eine Verkürzung im Zeichengebrauch. Es scheint kaum von der Hand zu weisen, dass synchroner Schriftverkehr Textverdichtung nach sich zieht. Bereits in Zeiten technischer Kommunikationsmedien führten Verkürzung bzw. Verdichtung per Vereinbarung zu neuem Vokabular, wie von der Telegraphie hinlänglich bekannt ist. Dieser Drang zu Kürzeln gilt sowohl für Chat wie für E-Mail, denen Linguisten und Semiotiker darum einen negativen Einfluss auf Schriftkulturen bescheinigen. Solche Maßstäbe aus Zeiten hegemonialer Alphabetschriftlichkeit verfehlen jedoch die Eigengesetzlichkeit elektronischer Kommunikation. Denn Chatten dient nicht zum Dating oder der Selbsthilfe, sondern Chatten als Vernetzungsgeschichte zelebriert sprachliche Verkürzung als Selbstzweck. Chat ist Spektakel der Akronymisierung, der Chatroom ein Kosmos der Akronyme. Chatten bedeutet kollektives Probehandeln an Sprachverkürzung, wobei das Akronym die wahrscheinlich wichtigste, komplexeste und weitreichendste unter den verschiedenen Kürzelgattungen repräsentiert. Akronyme werden im Chat wie alle anderen Sprachformen auch metaphorisiert, und zwar ausgerechnet als nonverbales, expressives Geschehen. Das Akronym tritt als Metapher der Geste auf. Gewöhnlich erhalten Akronyme also neben emotiven Icons den Stellenwert von wichtigem Beiwerk, dem man Mimikryfunktionen an das Register aus menschlichen Gesten und Affektexpressionen nachsagt. Sie sind jedoch alles andere als nebensächlich. Es wäre vielmehr zu überlegen, sie für die geheime Hauptsache neuer Kommunikationsformen zu nehmen. Akronyme vollziehen nicht nur eine Verknappung, Verkürzung und damit Rationalisierung im Schrifthandeln, sondern Kerbungen im Wortraum. Akronyme bleiben nicht auf den Chat und informellen Austausch im Bereich der Populärkultur beschränkt – etwa im Short Message Service, wo der Trieb zur Verkürzung im Vergleich zum Chat nochmals gesteigert wurde und zu einer Kurzstandardsprache überhaupt tendiert. 30
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Verkürzung, die Chatten bedeutet, rührt umgekehrt an eine allgemeine Akronymisierungsdynamik, mit der ein Re-entry von Schriftstrukturen in gesprochene Sprache zu bezeichnen wäre. Das 20. Jahrhundert erlebte eine Expansion an Akronymisierung auch im allgemeinen Sprachgebrauch, die von institutionellen und politischen Kürzeln bis hin zu allgegenwärtigen Computernamen reicht. Sei es UNIVAC, IBM, sei es RAM, das Computerzeitalter scheint eine Schwemme von Akronymen mit sich gebracht zu haben. Akronymisierung ist jedoch älter als jeder Computer, wie der Blick in ein beliebiges Geschichts- und Lateinbuch belegt. So begegnete das römische Reich seinen Feinden mit jenem ›Ur‹-Akronym, das noch jeden Kanaldeckel Roms als Teil dieser erfolgreichen Infrastruktur mit Namen römisches Reich ziert: S.P.Q.R. Eine Mediengeschichte der Akronyme, dieser allgegenwärtigen ›twisted little words‹, steht aus.
E LEK T RONI SCHER K L AT SCH Per Internet verbreiten sich Verschwörungstheorien, Gerüchte und Klatsch nicht nur mit ungeheurer Geschwindigkeit, sondern treten in jeder erdenklichen Form auf (vgl. Knight 2001; Salecl 2004). Dabei stehen verschiedenste Plattformen zur Verfügung. Ob in Online-Diskussionsforen, Chatrooms oder auf tausenden von Blogs und dezidiert als »Gossip-Blogs« (Conrads 2006: 84): »Wildes Erzählen«, wie der Literaturwissenschaftler Neubauer (1998) das Gerücht nannte, ist dort universell verbreitet. Die große Zeit der Fama sei mit Computernetzen gekommen: »Das Internet ist das Hörensagen im digitalen Zustand« (ebd.: 200) oder »virtuelle Materialisierung des Gerüchts«, die in Konkurrenz zu Nachrichten treten (vgl. Leggewie/Mertens 2008; Bruhn/Wunderlich 2004). Die thematische Bandbreite der Klatschinhalte reicht von bekannten Persönlichkeiten, ihren Schicksalen und Fehlern über Größen der Computerindustrie bis hin zu den eigenen Online-Kontakten. Diese Studie widmet sich mit dem Klatsch einem Teilableger aus der Großfamilie von Erzählweisen, stellt dabei vor allem weder auf seine Inhalte, noch auf seine Vernetzung mit anderen wilden Erzählformen ab. Das Chatten triff t jedoch dieselben Vorurteile, mit denen Klatsch, Tratsch und Gerücht seit jeher bedacht wurden (vgl. z.B. Lenke/Schmitz 1995). Die Einschätzungen reichen von gotteslästerlich bis nutzlos, gelten doch sinnvolles Tun und das Geplauder über Dritte gemeinhin als unvereinbar. Ähnliche Vorstellungen sind über das Chatten verbreitet. Im besten Falle gilt es als Treff von Jugendlichen und Einsamen, im schlimmsten als Aufforderung für Verbrecher. Jenseits dieser technikpessimistischen Diskurse wird hier die Medialität des Chattens in den Mittelpunkt gerückt. Im deutschen Sprachgebrauch sticht die geschlechtliche Zuordnung des Ausdruckes ›Klatsch‹ 31
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durch Bezeichnungen wie ›Klatschtante‹ und ›Klatschbase‹ hervor (vgl. dazu das dritte Kapitel). Allgemeine Assoziationen des Klatsches mit Frauen bedeuten ein historisches Novum und setzten sich erst im 18./19. Jahrhundert durch. Sie begleitet eine Abwertung des Klatsches als unnützes Gerede (›idle talk‹; vgl. Rysman 1977). Vormals bezeichnete Gossip einen Trinkbruder, und als Ursprung kann die Verwandtschaftsbezeichnung des Paten oder God-sib angesehen werden (ebd.). Zum selben Schluss kommt der Wissenschaftshistoriker Forrester (1990: 258f.) betreffend den etymologischen Werdegang des Wortes Gossip und bestätigt die Abstammung von »›God-Sib‹ – siblings in the sight of God«. Laut Forrester entwickelten sich vom 14. Jahrhundert an drei Bedeutungen von Gossip: Erstens wurde damit der Pate als eine dritte Partei neben den Eltern bezeichnet. Zweitens nannte man Frauen Gossip, die sich zur Niederkunft versammelten. Und als dritte Bedeutung setzte sich leichtes, unnützes Gerede durch, womit auch die Treffen zu Geburten gemeint waren. Forrester schlägt eine weitere Erklärung vor: Im 17. Jahrhundert waren bei Geburten ausschließlich Frauen zugegen, Männer blieben ausdrücklich ausgeschlossen. ›The Gossip‹ wurde darum in der Kirche als Zeugin aufgerufen, ob es sich bei dem zu taufenden Kind um dasselbe Kind handelte, das sie bei der Geburt gesehen hat. Auf diese Weise vermittelte, so Forrester, die mit dem Klatsch identifizierte Hebamme oder ›Geburtszeugin‹ zwischen der weiblichen Welt und dem Geheimnis des Gebärens einerseits und der patrilinearen Welt der Kirche andererseits (vgl. ebd.). Diese als Zeugenschaft und Vermittlung umschriebene Position findet sich in Freuds Konzeption des Witzes wieder, für dessen Vollendung die Teilnahme, genauer gesagt die Dazwischenkunft eines lachenden Dritten notwendig ist. Somit deutet auch seine Wortherkunft den Klatsch als strukturelle Triade an.
TR I V I ALE A R T IKUL AT IONEN
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Chat, Klatsch und Witz zählten lange Zeit nicht zum Kanon geisteswissenschaftlicher Themen. Als trivial beurteilt, entfiel ihre Untersuchung zumeist. Dem steht jedoch die universelle Verbreitung von Klatsch und Witz in allen Kulturen gegenüber. Aber nicht nur seine Häufigkeit, ja seine Universalität macht den Klatsch wissenschaftlich so bedeutsam. Vielmehr ist er neben Zote und Witz als besondere Artikulation des Dritten zu begreifen: Der Klatsch verkörpert eine Gesprächstriade. So ephemer und verschieden klatschhaftes Reden auch sein mag – über andere kann man nicht alleine sprechen. Es klatschen immer zwei über einen ausgeschlossenen Dritten. Diese Behauptung mag für den Klatsch in elektronischer Form nicht per se zutreffend erscheinen. Schließlich glauben sich beim Chatten ver32
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schiedene räumlich Getrennte im Angesicht von Bildschirm und Tastatur per Computer zu unterhalten, oder auch ein User mit einem Chatbot. Diese Studie zeigt dagegen, dass gerade Chat- und Computerkommunikation als Figur des Dritten aufzufassen ist. Sie unterstreicht damit, dass es sich bei Freuds Theorie des Dritten um Systempositionen handelt, und nicht, wie man meinen könnte, um empirische Gesprächskonstellationen. Erst mithilfe der Medienkulturanalyse des Dritten kann Chatten in seinen Voraussetzungen begriffen werden, nämlich als Begehren der Maschine. Dies meint im doppelten Sinne ein Begehren, welches der Maschine gilt und Begehren als Ausdruck des Symbolischen, welches der Server mit(über) trägt.
D A S B EGEHREN
DER
M A SCHINE
Chat-Kommunikation zerfällt in zwei verschiedene Textsorten, von denen die eine als Nachrichteninhalt gilt, während die andere zur Form des Austausches gezählt wird. Gemeint sind im ersten Falle reguläre Beiträge, im zweiten Fall die so genannten Systemmeldungen. Standardbeiträge setzen sich im Chat zusammen aus dem jeweiligen Nickname und der nachfolgenden ›Äußerung‹. Jede Zeile eines dynamisch generierten Chat-Fensters repräsentiert bekanntermaßen einen solchen Dialogbeitrag, so dass Chat-Protokolle als Schriftdokumentation, d.h. auch Sequenzierung von ›Gesprächen‹ herhalten. Systemmeldungen stellen dagegen Rahmen und Beiwerk des Chattens dar, informieren sie doch über die Serververbindung, Login und Logout der Teilnehmenden. Noch diese Systemmeldungen geraten in den Sog der allgemeinen Metaphorisierung, welche Chatumgebungen charakterisiert. So wird der Auf bau von Serververbindungen als Betreten eines Chatrooms codiert, der Abbruch der Serververbindung sprachlich als Verlassen des Chats umgesetzt. Systemmeldungen werden bei Weitem nicht in allen Chatrooms auf dieselbe Art und Weise gehandhabt. Meist zeigt der Chat jedoch für alle sichtbar jeden ›Raumwechsel‹ und jedes ›Kommen‹ und ›Gehen‹ an. Ebendiese nebensächlichen Systemmeldungen avancieren zur Hauptsache im Chat, mithin zum Objekt Begehrens. Im Zentrum des Chatroomklatsches stehen unbemerkt solche Akte von Aus- oder Einloggen, die metaphorisch ein Kommen und Gehen, An- und Abwesenheit anzeigen, womit sie zu Stellvertretern des Symbolischen selber aufrücken. Die einzige von dritter Seite – nämlich dem Server – niedergeschriebene Schrifthandlung besteht im Chat im Auf bau der Serververbindung und in deren Abbruch: Sie sind, wenn man so will, die überhaupt einzig bezeugten Vorkommnisse. Sie können auf die verschiedensten Weisen ausgelöst werden, die hier nicht weiter interessieren. Es spielt keine Rolle, ob ein Mensch ›sich ausloggt‹, 33
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der Strom ausfällt oder der Computer abstürzt. Hier geht es schlicht um die Tätigkeit des Servers selbst, welche sich im Chat-Protokoll als Systemmeldung niederschreibt. Die An- und Abwesenheit eines ausgeschlossenen Gesprächsobjekts inszeniert sich im elektronischen Klatsch um diese Akte des Kommens und Gehens. Chatten metaphorisiert darin einmal mehr das Symbolische, dieses Dritte, welches nichts anders als Modulation von An- und Abwesenheit ist (vgl. Freud; Lacan; Kittler 1985, 1986; Ronell 1989). Im Chat realisieren sich verschiedene Ausprägungen und Klatschvarianten. So grenzen sich Chat-Charaktere selbst aus, etwa als ›Troll‹ durch ›Flaming‹; oder Kritik und Klatsch begleiten ein bestimmtes ›Auftreten‹, bis ein Ausloggen des Attackierten erfolgt. Wohlgemerkt kann hier weder über das Erleben der User gemutmaßt werden, noch figurieren die Äußerungen eines Nickname als Stellvertreter von Individuen. Vielmehr bedeuten diese elektronischen Klatschtriaden per se Modulationen von An- und Abwesenheit, indem sie Abwesenheit sozial erzeugen. Dabei formieren sich etwa zwei Äußerungen zu einer innerdiskursiven Attacke, welche den Austritt der dritten angegriffenen Partei zur Folge hat. Dieser Austritt oder auch dies Verlassen des Chats zieht jene Systemmeldung nach sich, welche auf den Server als begrenzendes Drittes, mithin als Träger des Symbolischen verweist. Systemmeldungen markieren die größtmögliche Form der Abwesenheit bzw. etwas Irreduzibles im Chat, weshalb sich das Begehren auf sie richtet.
K ULT UR ANALY SEN Die wichtigsten psychoanalytischen Beiträge zur Ästhetik behandeln nicht das Kunstwerk, sondern das Alltägliche, weshalb sich ihre Erkenntnisse und Methoden hervorragend zur Klatschanalyse eignen. Die ergiebigsten von Freuds Kulturanalysen gelten gerade nicht der Kunst, Literatur, sondern Witz und komischem Alltagsmalheur. Freuds Kulturtheorie ist wahrscheinlich dort am Stärksten, wo sie eine Ästhetik täglichen Fehlgehens formuliert: In den Werken zwischen 1895 und 1905, in denen er Versprecher, Fehlhandlungen, Komik, Witz und zotiges Reden analysiert. Diese Einschätzung widerspricht sowohl verbreiteten Vulgärlesarten, die Psychoanalyse auf Symboldeutungen reduzieren, wie auch Ansätzen, die auf Freuds Spätwerke abstellen. Die schlüssige Einbindung psychoanalytischer Kernkonzepte in ästhetische Theorie und Kulturforschung gelingt den expliziten Kulturdeutungen Freuds – ob nun Literatur- oder Kunstdeutung – nicht im selben Maße wie den frühen Arbeiten. Eine tragfähige Verbindung von Metapsychologie und Werksanalyse vermag nicht einmal der schöne, späte Aufsatz über den Moses des Michelangelo zu erarbeiten. 34
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Freuds kulturanalytisches Fundament bildet dagegen die frühe Traumdeutung in Kombination mit seiner wenig beachteten Witzanalyse. Die Traumdeutung und der Witz ergeben gemeinsam mit jener als Entwurf bekannten Schrift von 1895 die komplexeste Skizze einer Theorie des Dritten bei Freud, die sich gerade nicht auf den späteren Ödipuskomplex beschränkt (vgl. Koschorke 2002; Bedorf 2003). Im Folgenden soll keine Gesamtschau aller Theorien des Dritten geleistet werden, sondern es erfolgt eine Konzentration auf Freuds Skizze aus dem Witzbuch, die Gesprächsdialoge strukturell als Triaden zu behandeln erlaubt. Die am Lachen entwickelte Theorie des Dritten begreift keinen körperlichen oder nonverbalen Vorgang. Lachen und damit Klatsch, Tratsch und späterhin auch der Chat sind keine Vorgänge der Spannungsentladung an sich, aber auch nicht kognitive Erwartungsinkongruenzen, sondern strukturell unbewusste Vorgänge. Diese sind ganz im Sinne Lacans strukturiert wie eine Sprache, ein sprachliches ›Als-ob‹. Die drei Teile dieser Studie widmen sich mit Witz, Klatsch und Chat je einer spezifischen Gestalt dieser Triaden. Der Witz ist Anerkennung, als Klatsch liegt eine inverse Anerkennung vor und Chat lässt sich endlich als Suche nach der Möglichkeitsbedingung von Anerkennung bezeichnen. Psychoanalyse des medialen Apriori leistet dabei etwas anderes als Bewusstseinskritik. Das Unbewusste rückt im Gegenteil – in einem pointierten Sinne – zur notwendigen Voraussetzung und Vorausgesetztheit von bewusster Welterschließung, d.h. von Wahrnehmung und Bedeutung auf. Die Mechanismen von Verdichtung und Verschiebung sind dabei mit all ihren entstellenden Wirkungen alles andere als vollständig sinn- und zwecklos, genauso wenig wie als solche beheb- oder auflösbar. Diese psychischen Funktionsweisen lassen sich am ehesten fassen als immer rege, funktionale Dysfunktionalität, die mit ihren Fehlerhaftigkeiten, Verzerrungen und Entstellungen jede Form von Bewusstsein erst ermöglicht, wie das Unbewusste als eigentümliches mediales Apriori überhaupt zur Voraussetzung des Bewusstseins avanciert.
D IE V ORGE SCHICHT EN DE S C HAT S : V ON TUR INGS TR I ANGUL IERUNG UND W E I ZENBAUMS W I T Z Experimente mit Synchronschriftverkehr entstanden lange vor Textchats. Zu dieser Vorgeschichte des Chats zählen vor allem Turings imaginierte Testanordnung, aber auch Weizenbaums davon sehr verschiedener Versuch, Kommunikation als Mensch-Maschinen-Dialoge umzusetzen. Beide ermöglichen und erörtern zeitgleichen Schriftaustausch, der grundsätzliche Unsichtbarkeit aller Gesprächspartner voraussetzt, wie sie später für textbasiertes Chatten charakteristisch werden sollte. Turing schlägt Chat35
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ten vor dem Chat als Testverfahren vor. Im berühmten Turingtest dient ihm eine chatanaloge Kommunikationsanordnung dazu, Intelligenz bzw. Denkfähigkeit von diskreten Maschinen, genauer Digitalcomputern entscheidbar zu machen (Turing 1950). Später entfachte das Sprachprogramm ELIZA anhaltende Dispute über Mensch-Maschine-Dialoge, während es von Weizenbaum (1966, 1977: 15) nicht viel mehr denn als Witz über Gesprächstherapien gedacht war. Weizenbaum bekam es nach ELIZA zum eigenen Erstaunen nicht so sehr mit den Möglichkeiten seiner Erfindungen zu tun, sondern mit menschlichen Reaktionen, die an Intensität und Kuriosität kaum zu überbieten waren. ELIZA scheint mit zwei Teilnehmenden auszukommen, während Turing seinen Test explizit als soziale Triade skizziert. Er befindet sich damit in Gesellschaft von Freud und insbesondere Lacan, der fast zeitgleich zu Turing seinen Aufsatz über das Gefangenendilemma bzw. -sophisma veröffentlicht (Lacan S III: 101f.). So ungleiche Denker wie Freud, Lacan und Turing behandeln auf je eigene Weise soziale Triaden: In Freuds Figuration des Dritten genießen zwei männliche Genossen die Scham und Blöße einer Frau als zotigen Witz; Turing lässt diese geschlechtlichen Systemplätze unter der MenschMaschine-Fragestellung testen (vgl. Ronell 2005: 51). Lacan schließlich setzt die Unmöglichkeit zur unmittelbaren Selbstreferenz und Selbstbestimmung als Gefangenendilemma in Szene. Drei Gefangenen wird bei richtigem Urteil die Freiheit versprochen, nachdem sie sich zu entscheiden haben, ob sie ›schwarz‹ oder ›weiß‹ (auf dem Rücken markiert) sind. Ihre Entscheidungsgrundlage bilden nicht zuletzt die Markierungen (Identitäten) sowie die Reaktionen ihrer beiden Mitgefangenen auf das Gesehene, also auf die Markierungen der jeweils anderen beiden. Der Wechsel zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit trägt alle drei Gedankenexperimente bei Freud, Lacan und Turing. Doch nur Turing entwirft einen synchronen Schriftaustausch zwischen separierten Teilnehmern, mithin einen Textchat vor dem Internetchat. Die Zote Freuds bekommt in den folgenden Kapiteln ausführlichen Raum, weswegen an dieser Stelle in wenigen Stichworten die Triaden bei Turing, Lacan und Weizenbaum als Vorgeschichten des Chats Erwähnung finden sollen. Turing (1950) entwirft seinen Test der Frage »Können Maschinen denken?« in verschiedenen Stufen. Insbesondere die räumliche Trennung der zwei Kommunizierenden von ihrem Befrager stellt wesentliche Voraussetzung der ersten Testanordnung dar, welche Turing (ebd.: 433) das »Imitation Game« nennt und die noch keine Maschine, sondern drei Menschen involviert. Ziel ist die Bestimmung der Geschlechterdifferenz zwischen zwei nicht sichtbaren Befragten. Es wird mit drei Beteiligten gespielt: einem Mann (A), einer Frau (B) und als Drittem dem geschlechtsneutralen Befrager (C), der die Positionen A und B den beiden für ihn unsichtbaren 36
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Sprechern (X und Y) zuordnen muss. Die beiden Sprecher einerseits und ihr Interviewer andererseits kommunizieren ausschließlich über Wege, die keinen Rückschluss auf das Geschlecht zulassen, wie es fünfzig Jahre später technisch realisiert als weltweites Sozialexperiment mit Namen Chat gefeiert werden wird. Damit keine Stimm- oder Tonlage dem Interviewer bei der Geschlechtsidentifizierung helfen möge, sollen Antworten nur schriftlich, besser noch getippt werden: »The ideal arrangement is to have a teleprinter communicating between the two rooms. Alternatively the question and answers can be repeated by an intermediary« (ebd.: 434).
Der Ersatz von Position A oder B durch eine Maschine solle die Eingangsfrage ersetzen: »Können Maschinen denken?« Diese Triade versetzt Turing für seine hypothetischen Experimente ähnlich Freud bei dessen Theorie des Dritten in Rotation: Kein Problem bildet das Mimikry eines digitalen Computers an eine andere diskrete Maschine, was man aus Maschinensicht streng genommen auch nicht mehr als Imitation bezeichnen kann, da alle diskreten Maschinen einander äquivalent sind (ebd.: 441). Hierbei würde der menschliche Frager nicht mehr zwischen A und B unterscheiden können, die beide Maschinen sind. Die Maschine besteht jedoch den Turingtest erst wirklich, wenn sie als Position A gegen einen Menschen auf Position B antritt und der Befrager sie für den Menschen hält (ebd.: 442). Turing beurteilt die allgemeine Frage, ob Maschinen denken können, als zu bedeutungslos, um sie eingehend zu diskutieren (ebd.). Er lässt sie einzig als Teil des Imitationsspiels unter Beteiligung von Digitalcomputern zu. Nahezu alle Rezeptionen reduzieren Turings Text auf seine Vision der AI-Forschung und die Frage nach Denkfähigkeit von Maschinen (Ausnahmen bilden Davidson 2004; Kittler; Ronell). Dabei ließe sich das Szenario gerade nicht so sehr als Maschinentest verstehen, sondern als Selbstreflexion des Menschen und des Stands seiner Medientechnikentwicklung. Schließlich soll mit dem Test die Unterscheidungsfähigkeit eines menschlichen Fragers eruiert werden, die sich positiv formuliert auch als Bereitschaft bezeichnen ließe, einem Objekt Denkfähigkeit zuzuschreiben. Turings Test realisiert am Exempel der Geschlechterdifferenz – wer ist Frau und wer ist Mann? – Unterscheidungs- respektive Differenzierungsfähigkeit des fragenden menschlichen Individuums (das von beiderlei Geschlecht sein könne, wie Turing betont). Die Konzeption weist durchaus traditionelle Züge auf, wenn die Maschine gerade die Position der Frau als Verkörperung des ganz anderen einnehmen können soll. Diese eigentümliche Triangulierung, welche als Turingtest bekannt wurde, repräsentiert 37
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eine Begegnung des Menschen mit seinem eigenen (neben sich selbst) leistungsfähigsten Werk und dessen Fähigkeiten, ihn zu einem je spezifischen historischen Zeitpunkt zu ›täuschen‹. Getestet wird das menschliche Differenzierungsvermögen genauso wie eine bestimmte maschinelle Performanz. Ähnlich beschreibt Davidson (2004: 80 und 86), dass Intelligenz von Maschinen an die Bereitschaft des menschlichen Beobachters gebunden bleibe, dem Apparat Denkfähigkeit zu attribuieren. Die Anordnung erlaube eine gute Grenzziehung zwischen den physischen und intellektuellen Kapazitäten, so Turings Hoff nung und Begründung, chatanaloge Bedingungen herzustellen: »The form in which we have set the problem reflects this fact in the condition which prevents the interrogator from seeing or touching the other competitors, or hearing their voices« (Turing 1950: 434).
Im Turingtest stehen nicht die Computerleistungen bei der Konversationsübertragung im Vordergrund. Es kann analog per Papier oder Teleprinter ›gesendet‹ werden, denn Computer sind bei Turing einzig und allein als kommunikatives Gegenüber von Interesse. Der Turingtest verleugnet an keiner Stelle, dass es sich hier um ein soziales Dreieck handelt, bei dem zwei Menschen und ein technisches Objekt bzw. Digitalrechner sich indirekt aufeinander beziehen. Weizenbaums ›Witz‹ ELIZA tritt im Unterschied dazu als Gesprächsdyade auf, die ein Tête-à-tête zwischen Mensch und Computer verkörpern solle: »ELIZA is a program which makes natural language conversation with a computer possible« (Weizenbaum 1966: 36). Weizenbaum (1977) bezeichnete sein Sprachprogramm später als bewusste Ironisierung eines Rogerianischen Gesprächstherapeuten, der Äußerungen des Gegenübers einfach in Fragen transformiere. In seiner frühen Arbeit für die ACM liest sich die Konzeption von ELIZA dagegen weit mehr als medientechnische Notwendigkeit denn als gewollter Wurf. Er sei auf die Idee der Therapeutensimulation verfallen, weil es kaum eine natürliche dyadische Kommunikationssituation gebe, bei der einer der Partner die Welt nicht kennen müsse (Weizenbaum 1966: 42). Daher stammt auch der Name ELIZA, die in der Pygmalion-Geschichte in die Welt gebracht und erzogen werde; übrigens auch Turing erdenkt eine solche Erziehungssituation des Computers als Erweiterung seines Testentwurfs. Doch im selben Aufsatz revidiert Weizenbaum die Behauptung, der Computer kenne die Welt nicht, auf der auch Davidsons (2004) Kritik am Turingtest basiert. Die Aussage, das ELIZA-Skript kenne die reale Welt nicht – was damit zusammenfällt, dass ELIZA als nicht trianguliert angenommen wird – sei nicht vereinbar mit dem Fakt, dass man ihr Transformationsregeln gegeben habe, welche den Input in einen bestimmten Output verwandeln kön38
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ne (Weizenbaum 1966: 43). Weizenbaum widerlegt sich selber und auch Davidsons Kritik an Turing, denn in Gestalt seiner Transformationsregeln ist das Skript bereits angeschlossen an das Reich des Symbolischen, welches Menschen ihre Welt nennen. Umgang mit Computern heißt schon in Turings Vision, ihnen im wahrsten Sinne des Wortes die Welt zu zeigen, sie zu triangulieren. In Form der Transformationsregeln sind dem Computer menschliche Welten von Beginn an eingeschrieben und eigen. Als Teil früher Timesharing-Systeme (MAC) war ELIZA medientechnisch immer schon trianguliert, und Täuschung und Triangulierung liegen im Timesharing sowie in der gesamten Mediengeschichte nah beieinander (ebd.; zu Täuschung und Timesharing: Kittler 1993). Die erratischen Reaktionen auf das Programm führten Weizenbaum jedoch von Anfang an analytisch auf die Projektionsfähigkeit des Menschen zurück und offenbarten die Szenerie als Selbsttäuschung, die standhaft verteidigt wird: »Some subjects have been very hard to convince that ELIZA (with its present script) is not human« (Weizenbaum 1966: 42). Das Programm bedeute eine erstaunliche Form des Turingtests, bei der hervortrete, wie leicht die Illusion von Verständnis, ja von maschinellem Urteilsvermögen herzustellen sei. Nicht so sehr sein Werk gestaltete sich für Weizenbaum problematisch, fehlerhaft oder und entwicklungsbedürftig; ihm wurde auf selbst wiederum nicht unproblematische, weil kulturpessimistische Weise das ›Projektionstier Mensch‹ zutiefst unheimlich (ebd.). Diese hartnäckigen Projektionen verselbständigten sich im Rahmen der Internetkommunikation und wurden sogar integraler Bestandteil derselben. Mit der Veröffentlichung des Gefangenendilemmas bzw. -sophismas trat Lacan (S III: 103ff.) nach dem zweiten Weltkrieg und dem Ende des Nationalsozialismus das erste Mal wieder publizistisch an die Öffentlichkeit. Es formuliert den Zusammenhang von Test, Triade, Tempus und Kollektiv. Anders als Freud, Turing und Weizenbaum weiß Lacan um jene Grundlegung jeglicher Sozialform in und als Zeit, mithin das Fundament aller Sprachlichkeit als Zeitlichkeit. Die von Lacan erkannte logische Zeit bleibt bei Freud als Nachträglichkeit des Lachens weitgehend implizit, wird aber in dieser Studie als Movens aller Figurationen des Dritten behandelt. Die zwei Hauptthemen des wegweisenden Aufsatzes über das Gefangenendilemma bearbeiten sowohl Zusammenspiel wie auch Differenzierung von Kollektiv und Singularität bzw. Zeitlichkeit des Subjekts (vgl. Langlitz 2002: 97, 2005). Die Analyse auff älliger Gemeinsamkeiten von Freuds Witztheorie mit Lacans Gefangenensophisma schiene lohnenswert, gerade weil Lacan sich in diesem Text nicht auf Freud bezieht. So ist der Sophismus, welcher besonders feinsinnige Witze auszeichnet, jene Witztendenz, der Freud seiner eigenen Meinung nach am wenigsten gerecht wird. Das Motiv des Gefangenen bildet sogar ganze Klassen von Witzen (Freud GW XIV: 383f.). 39
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Lacans Ausführungen über logische Zeit (Lacan S III: 105) starten mit der Darlegung eines Gedankenproblems, wie es ihm selbst bei einer Abendgesellschaft Mitte der 1930er Jahre zugetragen worden war (vgl. Roudinesco 1999: 271f.; Langlitz 2002). Das logische Problem präsentiert sich als Prüfungs- oder Testsituation in einer sozialen Triade. Drei Gefangene werden hierbei einem Gefängnisdirektor vorgeführt, der ihnen die Bedingungen des Testverfahrens erläutert. Die Prüfung verspricht einem von ihnen aus nicht näher erläuterten Gründen die Freiheit (Lacan, S III: 103). Die Anordnung sieht folgende Entscheidung vor: Von fünf Scheiben werden drei am Rücken der Gefangenen befestigt. Drei der Scheiben sind weiß, zwei tragen schwarz. Soviel ist allen Beteiligten bekannt. Der Direktor wählt die Scheiben, mit welchen er die Gefangenen am Rücken markiert, ohne dass diese Einsicht in seine Wahl haben. Nun sollen sie indirekt über das Betrachten der Scheiben der anderen Mitgefangenen auf ihre eigene Farbe schließen. Keiner der Gefangenen hat die Möglichkeit, die Farbe der eigenen Scheibe visuell zu erfassen. Keine Mittel, um sich zu spiegeln, sind im Testverfahren zugelassen. Darum haben die Gefangenen im Folgenden alle Zeit und Ruhe, um sich gegenseitig zu inspizieren, ohne dass sie das Gesehene den anderen direkt kommunizieren dürfen. Dies verbietet ihnen schon ihr eigenes Interesse, denn sobald die Entscheidung getroffen ist, hat der Betreffende durch ein Tor zu treten und sich den Prüfern zu erklären. Wer als Erster die richtige Antwort zu geben vermag, erhält die Freiheit. Hauptaugenmerk liegt auf dem Akt des Schlussfolgerns, der nicht allein auf Wahrscheinlichkeit, sondern auf Logik zu gründen ist (vgl. ebd.). Dies bedeutet auch, dass in sprachlichen Matrizen ein Urteil grundsätzlich nicht einfach der Anschauung entnommen werden kann, sondern stets Resultat eines logischen Schließens ist, was sich wiederum nur als zeitliche Gliederung, Sequenzierung bzw. Skansion äußert – so zumindest ließe sich Lacans Versuch umschreiben, seine Lesart der Psychoanalyse als ein Sophisma und Problem des Kollektivs programmatisch zu reformulieren (Lacan S III; vgl. Langlitz 2002: 81 und 87). Bei ihrer Urteilsfindung sind die Teilnehmer des hypothetischen Versuchs stets auf ihre Mitstreiter angewiesen, was auch eine Orientierung an der Zukunft zur Folge hat, welche laut Lacan für Subjektivität prototypisch ist. Auch Turing fragt nicht nach der Denkfähigkeit von Maschinen, sondern lässt eine Maschine den Tester in ein Gespräch verwickeln, bei dem der Mensch entscheiden muss, ob er auf einen Gleichen triff t. Turing testet, ab wann ein Mensch die Maschine als Gegenüber anerkennt. Alle diese Formen von Sozialtriaden, seien sie nur beiläufig erwähnt (Freud), fi ktiv durchgespielt (Lacan), medientechnisch entworfen (Turing) oder realiter umgesetzt (Weizenbaum): sie gehören zur Vorgeschichte des Chatrooms, wie überhaupt Pflüger (2004) eine erste Phase der Mensch-Computer-Re40
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lation mit der Überschrift Konversation versehen wissen möchte. Lickliders Überlegungen und andere Visionen der AI-Forschung formulieren Computerkommunikation – sei es Kommunikation mit oder/und über den Computer – als Problemlösungen und Entscheidungsfindungen (vgl. ebd.). Vor diesem Hintergrund richtete sich die erste Konferenz zu ›Computer Communication‹ im Herbst 1972 an Führungskräfte, welche die Potenziale der neuen Kommunikationsformen kennenlernen sollten. Computer- und Internetgeschichte wich entscheidend davon ab, denn auch Spiele, ›Online-Psychosen‹, ›Flamewars‹ und ›Selbsterfahrung‹, kurzum nicht unmittelbar lösungsorientierte und in diesem Sinne ›zweckfreie‹ Verständigungen, prägten ab den 1970er Jahren das Internet als Kommunikationsnetzwerk und schufen Gelegenheit für Klatsch im Chat.
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Freuds Entwurf einer Theorie des Dritten verdient größere Aufmerksamkeit, als ihm bisher zuteil wurde, stellt er doch in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung dar: Obgleich weit von systematischer Ausarbeitung entfernt und darum lange vergessen, bietet die Theorie des Dritten einen elaborierten Begriff des Sozialen, der am Beispiel von Zote und Witz skizziert wird. Zeitgleich zur Witzstudie erschienen die Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, in denen sich ein erster Begriff des Triebes zu entwickeln begann. Fortan drängte die Triebtheorie jenen Entwurf über Logik und Funktion des Dritten in den Hintergrund, welchen das Witzbuch bereithält. Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten sank in der Rezeption herab zum Fundus kurioser Beispiele für die Anwendungsmöglichkeiten von Kulturanalysen, wurde jedoch nicht methodisch bearbeitet. Nachdem Freud in den Jahren zuvor die sprachlichen Bildungen der Traumerzählung und des Versprechers untersucht hatte, erprobte er im Witz seine junge Wissenschaft an Wortspielen, Witztechniken und Zweideutigkeiten. Doch nur in der Witzstudie gelang es, nicht mehr bloß auf den Einzelnen und seine Träume sowie Fehlleistungen zu fokussieren, sondern eine Idee des sprachlichen Austausches zwischen zwei und mehr Gesprächsteilnehmern zu entwickeln. Das folgende Kapitel widmet sich dieser Idee einer strukturellen Gesprächstriade, wie Freud sie anhand des lachenden Dritten schematisierte. Sie erweist sich als Begriff des Sozialen wie der Sozialisierung, der allen problematischen Vermittlungsversuchen der Psychoanalyse überlegen ist, mit denen vom Freudomarxismus bis zur Hermeneutik Freuds Denksystem um eine Gesellschaftstheorie erweitert werden sollte. Mit der Figur des Dritten liegt aber nicht nur das Konzept einer Sozialstruktur vor, sondern auch eine eigenständige Metapsychologie. Weder lässt sich die Topik des lachenden Dritten mit derjenigen aus der Traumdeutung zur Deckung bringen, noch mit der so genannten zweiten Topik, bestehend aus Es, Ich und Über-Ich. Vielmehr beansprucht sie mit Recht einen gesonderten Status innerhalb des Werkes. 43
Klat sch im Chat
2.1 Sozialer Witz und narzisstischer Traum? E N T S T EHUNG
UND
R E ZEP T ION
DER
W I T Z S T UDIE
Der Buchtitel ist Programm, will der Witz doch nicht allein den komischen Text, sondern dessen Beziehung zu unbewussten Prozessen behandeln. Mit dem Witz und seiner Beziehung zum Unbewussten untersucht die Psychoanalyse neben Träumen und Versprechern ein weiteres Alltagsphänomen als Abkömmling unbewusster Regungen: Witzeln, Komik und vor allem das Lachen. Doch scheint der spitzfindige und zotige Witz nicht auf gleiche Weise zur Via Regia tauglich, wie rätselhafte Traumbildungen den Königsweg zum Unbewussten ermöglichen (vgl. Lacoue-Labarthe/Nancy 1982: 94). Trotzdem spricht Freud von einem ›intimen‹ Zusammenhang zwischen Traum und Witz, der überhaupt alles seelische Geschehen verbinde (vgl. Freud GW VI: 13). Als fundamentale Gemeinsamkeit werden dieselben Sprachmechanismen aufgedeckt: Verdichtung, Verschiebung, Verkehrung ins Gegenteil und Rücksicht auf Darstellbarkeit (vgl. Freud GW VI, 181f., GW II/III: 304 Fußnote 1). Allerdings teilten diese Witztechniken lange Zeit das Schicksal der missachteten Traumarbeit, worauf Lacan aufmerksam machte: »So wie Freud vom ersten Kapitel der Traumdeutung* an herausstellt, dass der Traum ein Rebus ist, und niemand dies bemerkt – dieser Satz ist bislang völlig unbemerkt durchgegangen –, so hat man scheinbar auch nicht bemerkt, dass die Analyse des Witzes mit dem Tableau der Analyse eines Verdichtungsphänomens beginnt, dem Wort famillionär, eine auf dem Signifikanten durch Übereinanderlegen von familiär und Millionär gegründete Verfertigung« (Lacan SE IV: 348).
Während Lacans Arbeiten zur eingehenden Würdigung der Traumdeutung beitrugen, wurde dem Witz vergleichsweise geringe Beachtung zuteil. Vor ihrer Renaissance in den 1970er und 1980er Jahren existierten lediglich vereinzelte Bearbeitungen der Witzstudie (vgl. Bibliographie): Theodor Reiks und Sandor Ferenczis kleine Lektüren sowie Ernst Kris’ (1952) ichpsychologische Wendung der ästhetischen Theorie Freuds, aber vor allem Lacans Seminar V und in Teilen Seminar IV. Lacan hat dem Witz Ende der 1950er Jahre breiten Raum bei seiner Behandlung der Formations de l’inconscient gegeben. Dabei stellte er vor allem auf den Mechanismus der Verdichtung bzw. die Funktion der Metapher ab, weil dies ihm den Zusammenhang von Metapher, Ödipuskomplex und Namen des Vaters zu entwickeln erlaubte (Lacan SE V). Betonte strukturale Psychoanalyse also die Verwandtschaft zwischen Traum und Witz, so bedeutete die Relation beider Bildungen für Freud ein wiederkehrendes Problem. Im Resümee der Witzstudie strich er 44
2. Die Theor ie des Dr it ten
deshalb die Unterschiede heraus und erklärte: »Der Traum ist ein vollkommen asoziales seelisches Produkt« (Freud GW VI: 204). Er habe anderen nichts mitzuteilen und müsse sich deshalb kaum an eine verständliche sprachliche Form halten. Im Gegensatz dazu ist über den Witz zu erfahren, dass er gerade wegen seiner Sozialität gelobt werden muss: »Der Witz dagegen ist die sozialste aller seelischen Leistungen. Er benötigt oftmals dreier Personen und verlangt seine Vollendung durch die Teilnahme des anderen an dem von ihm angeregten seelischen Vorgange« (ebd.).
Somit fallen das Soziale des Witzes und seine Charakterisierung als Triade zusammen. Ferner ergibt sich die Sozialstruktur von Witzen aus der Notwendigkeit, sie jemandem zu erzählen, da sich der Macher derselben unfähig zeigt, auch darüber zu lachen. Prinzipiell benötigt ein Witz darum drei ›Personen‹: einen Witzbildner, eine zweite Person, an welcher er gemacht wird, und einen Dritten, durch dessen Teilnahme als Zuhörer und Lachender ein Witz erst komplettiert wird. Dieses Erzählszenario bildet das Herz von Freuds Theorie des Dritten, welche Witztext und Lachen als zwei Teile ein und desselben Vorganges zu begreifen versucht.
D IE F R AGE
DE S
L ACHENS
Rückblickend erweist sich nicht allein Freuds Analyse verschiedenster Witztechniken als wegweisend, sondern mehr noch seine Exposition der Nachträglichkeit des Lachens (vgl. Weber 2002). Was macht einen Witz zum Witz? Warum und worüber lacht man? Das sind die entscheidenden Fragen, welche der Witz sehr präzise stellt und bearbeitet. Auf sie besinnt Freud sich im Verlauf seiner Unternehmung stets aufs Neue. Kein Denker vor ihm und kaum einer nach ihm hat derart zwingend nachgewiesen, dass ein Witz nicht als isolierter Text vorliegt, sondern sich aus zwei getrennten Bestandteilen zusammensetzt, die es jedoch beide in die Theorie zu integrieren gilt: erstens aus der witzigen sprachlichen Bildung und zweitens dem nachträglichen Lachen über diesen Witztext. Entlang der beiden Achsen von sprachlicher Bildung einerseits und nachträglichem Lachen andererseits lassen sich denn auch die wichtigsten Arbeiten zum Thema situieren. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind hier auf Seiten des Witztextes und der komischen Lust zu nennen: Kant, Paul, Vischer, Lipps, Kraepelin und der Neukantianer Kuno Fischer. Für das Problem des Lachens sind folgende Autoren einschlägig: Mélinaud, Bergson, Spencer, Darwin, Baudelaire – sowie nach Freud: Blumenberg, Plessner, Bataille, Weber, Kofman, Nancy. Der gesamte Korpus von Freuds Überlegungen fußt auf seiner grund45
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legenden Einsicht, dass man nicht imstande ist, über den eigenen Witz zu lachen. Um überhaupt einen Witz bilden zu können, so Freud, sei mit einigem Energieaufwand ein inneres Hindernis zu umgehen, das einmal Kritik, ein anderes Mal Hemmung genannt wird (vgl. Freud GW VI: 133f. sowie 142f.). Nach Hemmungsaufhebung werde aus einer »unzugänglich gewordenen Lustquelle« Befriedigung wiedererlangt (ebd.: 110). Weil im Falle des Bildners oder Erzählers solche – bei Umgehung der Kritik – freigewordene Energie eben in jene Produktion des Witzes fließen würde, könne der eigene Witz nicht belacht werden (vgl. auch Kofman 1990: 89). Der Witzbildner hat also einen Witz zuviel und das Lachen zuwenig, während der Zuhörer oder Dritte mit dem Witz »beschenkt« (vgl. Freud GW VI: 166), mehr noch: »bestochen« (ebd.: 109) wird, damit sein Lachen sich »par ricochet« an den Ersten zurück übertrage (ebd.: 174): »Den Witz hingegen ist man mitzuteilen genötigt; der psychische Vorgang der Witzbildung scheint mit dem Einfallen des Witzes nicht abgeschlossen, es bleibt etwas übrig, das durch die Mitteilung des Einfalls den unbekannten Vorgang der Witzbildung zum Abschlusse bringen will« (ebd.: 160; Hervorh. A.T.).
Demnach wird der Witz notwendig und notgedrungen zu einem »sozialen Vorgang« (ebd.: 156f.). Man sei gar genötigt, ihn mitzuteilen, schreibt Freud. Erst nachdem der Witz seine spezifische Wirkung entfaltet hat, wird er nachträglich vollendet und somit zu dem gemacht, was er gewesen ist: ein gemeinschaftliches Fest des Lachens. Denn ein Witz, über den niemand lacht, ist keiner (vgl. Weber 2002: 193). In Lachen ausbrechen kann aber nur der Zuhörer oder Dritte, der so zur Instanz wird, von der jener entscheidende »Lacheffekt« abhängt (Freud GW VI: 17). Es bleibe nach dem Einfall des Witzes etwas übrig, konstatiert Freud. Etwas wolle den Witz zum Abschluss bringen; das heißt dieses unpersönliche Etwas oder Es wird zur aktiven, treibenden Instanz des gesamten Vorganges. Als unpersönliches Gelächter verschaff t sich der witzige Effekt Ausdruck, so dass Freuds diesbezügliche Überlegungen zu folgendem radikalen Schluss führen: »Wir wissen also streng genommen nicht, worüber wir lachen« (ebd.: 111). Wissen und Lachlust schließen einander aus. Weiß ich mich als erste Person oder Ich, so kann ich nicht lachen. Lache ich, so schütte ich mich regelrecht darin aus – auf eine Weise, die Freud als Szenario zwischen drei ›Personen‹ erläuterte. Die Frage, warum man lacht, verschiebt sich folglich zur Frage nach dem Lachen des Anderen: »Warum lache ich nun nicht über meinen eigenen Witz? Und welches ist dabei die Rolle des anderen?« (ebd.: 161). Hiernach befinden sich Erzähler und Zuhörer in einer Situation notwendiger Ergänzung und Angewiesenheit, die sich als Szenario gegenseitiger Anerkennung bezeichnen lässt. Denn sie können in ihren 46
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Funktionen nicht einfach als Erster und Dritter vorausgesetzt werden. Vielmehr gehen beide Positionen ein Bündnis ein, aus dem sie erst als das hervorgehen werden, was sie immer schon gewesen zu sein schienen: Ich, erste Person und Erzähler auf der einen Seite. Über-Ich, lachender Dritter und Zuhörer andererseits. Daraus folgt, dass der Hörer eines Witzes nicht mehr nur einzelnes Individuum ist, sondern zugleich vollwertiger Stellvertreter und wahrhaftes Alter-Ego des Erzählers. Diese Theorie des Dritten kann darum weder als Individualpsychologie beurteilt werden noch als Konzept von Intersubjektivität, insofern dieses eine symmetrische Relation von zwei Kommunizierenden formuliert. Entsprechend wandelte sich die Bedeutung des Terminus Intersubjektivität für Lacan von einem positiven hin zu einem negativ besetzten Begriff. Zunächst verband er damit die Hoffnung, psychoanalytische Termini nicht mehr nur an innerpsychischen Prozessen ausrichten zu müssen. Sein Interesse galt dem Überindividuellen respektive den sprachlichen Strukturen und Techniken. Dafür gebrauchte er in früheren Jahren den Begriff der Intersubjektivität. Später ordnete Lacan ihn jedoch in sein Register des Imaginären ein und schloss die Intersubjektivität aus der Struktur des Symbolischen aus, wie sie im Witz verkörpert wird (vgl. Lacan SE VIII; Evans 2002: 155). Da die Witzwirkung auf das Verständnis und Begriffsvermögen der dritten Person angewiesen ist, bleiben die Witztechniken im großen Unterschied zum Traum an die Bedingung der Verständlichkeit gebunden (vgl. Freud GW VI: 204). Den im Unbewussten möglichen Entstellungen durch Verdichtung und Verschiebung werden damit engere Grenzen gesetzt als beim Träumen, denn nur als ›verständiger‹ und zugleich als lachender ist der Dritte dem Erzähler von Nutzen (vgl. ebd.): »Das Lachen gehört zu den im hohen Grade ansteckenden Äußerungen psychischer Zustände; wenn ich den anderen durch Mitteilung meines Witzes zum Lachen bringe, bediene ich mich seiner eigentlich, um mein eigenes Lachen zu erwecken […]« (ebd.: 174).
Hier wird neben der Funktion des Dritten eine Ambivalenz im Verhältnis von Erstem und Zuhörer deutlich, die dem ansteckenden Phänomen Lachen per se innewohnt. Ansteckend sind vor allem Krankheiten, aber auch das Gerücht (Weingart 2008: 285); oder man steckt etwas an, wie Freud vermutlich seine Sammlung jüdischer Witze verbrannte, aus der viele der von ihm verwendeten Beispiele entnommen sein sollen (vgl. Oring 1984: 5; Kofman 1990: 11 und 18).1 Ansteckendes Gelächter wird in weiten Teilen der 1. Einen Ausdruck Heines aufgreifend nannte Freud diese Praxis ›Autodafé‹ – wie auch die Ketzerverbrennungen der Inquisition hießen (vgl. Oring 1984: 4;
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Witzstudie jedoch nicht als Krankheit betrachtet, wie es häufi g geschah, wenn es einem epileptischen oder hysterischen Anfall gleichgesetzt wurde. Stattdessen stellt Freud das Lachen als exquisites Vergnügen dar. Dass Lachen Resultat einer widersprüchlichen Empfindung ist, scheint durch die Betonung des geradezu Über-Lustvollen am Witzlachen sogar beinahe verdeckt zu werden. Als Gegenstück kann Charles Baudelaires Verständnis des Lachens herangezogen werden, wonach es demjenigen die Lippen zerreiße und verbrenne, der dazu verurteilt sei (Baudelaire 1977: 291). Gelächter ist hiernach nicht Ausdruck höchster Lust, sondern »Fanal des Schreckens« (Schuller 1994: 11). Tatsächlich liegen im Vorgang des Lachens Horror und Ekstase nahe beieinander, wie es den Äußerungen des Unbewussten überhaupt eigen zu sein scheint. So gibt sich das Unbewusste für Leclaire (1971: 16) stets unerwartet zu erkennen, eben »zum Lachen reizend, an der Schwelle zur Angst«. In Freuds Darstellung der Figur des Dritten kommt eine solche Ambivalenz weniger zum Tragen als der Lustgewinn, den Witze gewähren.
Ä S T HE T I SCHE L US T Wenn mit Entwurf und Traumdeutung eine erste psychoanalytische Topik vorgelegen hat, so ist die Theorie des Dritten als weitere Metapsychologie aus Freuds Frühwerk zu werten. Sie weicht sowohl von der topischen Konzeption des seelischen Apparats aus Entwurf und Traumdeutung ab als auch von jener im Kontext der Triebtheorie entwickelten zweiten Topik bestehend aus Ich, Es und Über-Ich. Darüber hinaus prägt Freud im Witz einen eigenen Lustbegriff, den er gar als Conditio humana heranziehen will. Bei seinem Zugriff auf die Themen Humor, Komik und Witz setzt er sich dezidiert von anderen Projekten ab, indem er die Frage nach Lust und Lachen zum analytischen Dreh- und Angelpunkt macht. Als er zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine Schrift über den Witz verfasste, war das Problem des Witzigen bereits auf verschiedene Weise von Literaten und Philosophen aufgegriffen worden. Anders als seine Vorgänger will Freud den Witz jedoch nicht lediglich als Fertigkeit, versteckte Ähnlichkeiten zu finden (Jean Paul, vgl. Freud GW VI: 7), als »spielendes Urteil« (K. FiKofman 1990: 18). 1885, 1908 und 1938, also unmittelbar bevor er nach London emigrieren musste, vernichtete Freud Briefe und Manuskripte (vgl. Oring 1984: 4). Die Sammlung jüdischer Witze wurde höchstwahrscheinlich 1908 verbrannt (vgl. ebd.: 5). Vgl. dazu auch Derridas Überlegungen, der das Verbrennen der Briefe durch Freud als Zerstörung eines Korpus beschreibt (vgl. Derrida 1997: 36). Während der Witz vom Wunsch nach einem geschlossenen Korpus geprägt ist, fällt der Korpus der Witzsammlung im Autodafé auseinander.
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scher, vgl. ebd.), als »Vorstellungskontrast« (Kraepelin) oder »Verblüff ung und Erleuchtung« (vgl. ebd.: 8) behandeln, sondern als witzige Wirkung eines »Lustmechanismus« (ebd.: 131f.).2 Auf diesem Wege erhoff t er sich, die Scherben oder »disiecta membra« (ebd.: 11) der bisherigen Einsichten zu einem neuen »organisch Ganzen« zusammensetzen zu können (ebd.). Damit stellt sich die Frage nach der Beschaffenheit jener Lust, der eine solch bindende Kraft zugesprochen wird. Welche Auffassung von Lust und damit von Sexualität wird in der Witztheorie formuliert? In geradezu inflationärer Weise verwendet Freud verschiedene Formulierungen. Er spricht von »Erinnerungslust« (ebd.: 137), der »Lust am befreiten Unsinn« (ebd.: 141) oder auch »Unsinnslust« (ebd.: 232) und prägt schließlich den schönen Ausdruck der »Wortlust« (ebd.: 162). Es verwundert daher kaum, dass diese Auffassung – im Anschluss an den wünschenden Träumer – sogar als Conditio humana festgeschrieben wird. Er wisse zwar nicht mehr, wo er das gelesen habe, erklärt der Autor des Witzes, aber der Mensch sei ein »unermüdlicher Lustsucher« (ebd.: 142), dem jeder Verzicht auf eine einmal genossene Lust sehr schwer werde (vgl. ebd.). Dabei verweist diese Suchbewegung in eigentümlicher Weise auf sich selbst, lokalisiert Freud sie doch ausschließlich im Denken bzw. in seelischen Vorgängen: »Wenn wir unseren seelischen Apparat gerade nicht zur Erfüllung einer der unentbehrlichen Befriedigungen brauchen, lassen wir ihn selbst auf Lust arbeiten, suchen wir Lust aus seiner eigenen Tätigkeit zu ziehen« (ebd.: 104; Hervorh. A.T.).3
Freud entwirft in seinem Hauptwerk zur Ästhetik das paradoxe Bild des Seelischen als zweckloser Maschine. Er greift die kontrovers diskutierte Metapher des Apparates auf (vgl. exemplarisch Derrida 1972; Kittler 1984, 1993; Wegener 2004), aber nicht dessen Funktionieren wird als sein Hauptmerkmal beschrieben, sondern seine ›Funktionslosigkeit‹ im Zustand der 2. Auch Theodor Lipps beschäftigte sich in seinen Arbeiten zur »Psychologie der Komik«, die Ende des 19. Jahrhunderts erschienen, unter anderem mit der Lust am Komischen (vgl. Turnheim 1999: 101f.). Lipps untersucht den Witz lediglich als Unterart der Komik, während Freud ihn in Abgrenzung dazu als eigenen Untersuchungsgegenstand zu würdigen versucht (vgl. ebd.). 3. Weiter: »Ich vermute, dass dies überhaupt die Bedingung ist, der alles ästhetische Vorstellen unterliegt, aber ich verstehe zu wenig von der Ästhetik [erlaubt Freud sich in seinem wichtigsten Beitrag zur Ästhetik anzumerken; Anm. A.T.], um diesen Satz durchführen zu wollen; vom Witz jedoch kann ich auf Grund der beiden vorhin gewonnenen Einsichten behaupten dass er eine Tätigkeit ist, welche darauf abzielt, Lust aus den seelischen Vorgängen – intellektuellen oder anderen – zu gewinnen« (ebd.).
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Bedürfnislosigkeit respektive Befriedigung. 4 Erst dann nämlich kann der Lustsuche nachgegangen werden. Nichts weniger wird hier behauptet, als dass die Beschaffenheit der Denkvorgänge selbst lustvoll sei, und zwar im vollen sexuellen Sinne. Mehr noch bilden sie die »Quellen der zu fördernden Lust« überhaupt (ebd.: 206).5 Die betonte Differenz von Bedürfnis4. Den Begriff des psychischen Apparates – siehe die Interpretation und Kritik, auch des dazugehörigen Ausdrucks der »Spur«, bei Jacques Derrida (1976: 302f.) – entstammt dem Entwurf einer Psychologie (Freud GW Nachtragsband: 375-486) von 1895. Kittler (1984: 58) weist darauf hin, dass es sich beim psychischen Apparat um eine Wortschöpfung Freuds handele, der damit die Seele als Schaltwerk beschreibe. Weder im Entwurf noch in der Traumdeutung oder der Witztheorie wird die Metapher des psychischen Apparates mit dem Vorgang des Schreibens in Verbindung gebracht. Das geschieht erst in dem wesentlich später verfassten, berühmten kurzen Text über den ›Wunderblock‹ (Freud GW XIV: 3-8), wie Derrida (1976) untersucht hat. Darin gebe Freud ein genaues Bild für die unbewusste Einschreibung der Spur, resümiert Edith Seifert (1987: 68): »Es handelt sich um einen Schreibvorgang, bei dem weder Kreide noch Bleistift benötigt werden, denn statt Material auf eine Oberfl äche aufzutragen wird diese eingeritzt. Die so entstehenden Furchen oder Vertiefungen – man denkt an Einkerbungen oder Tätowierungen – ergeben das Schriftbild« (ebd.). Ja, der Schreibvorgang scheine einen sexuellen Akt darzustellen, diesen Hinweis würden auch die phanerogamen Züge des Inskriptors geben (vgl. ebd.), der, einem Finger gleichend, als Schreibinstrument des Wunderblocks dient. Der Finger der Mutter auf der Haut des Säuglings schließlich ist als ein solcher Stilus vorstellbar (vgl. ebd.), weshalb ihn Serge Leclaire (1971: 65f.) »Buchstabenträger, Inskriptor des Lustzeichens« nennt. Hier sei kurz vorgegriffen und darauf verwiesen, dass der Chatroom von Vorstellungen über Finger und Hände bevölkert ist, jenen Instrumenten oder Körperteilen, die, auf die universelle Schreib-Maschine Computer aufgelegt, diese drücken, an der Tastatur entlangfahren und sie an-tippend liebkosen oder sie schlagen. 5. Damit wird keine Tätigkeit des Ichs bezeichnet, vielmehr der Prozess einer »Auseinandersetzung« (Weber 2002: 21-81) desselben. Ernst Kris hingegen machte genau im Moment der Kontrolle des Ichs über den »Energieentladungsvorgang«, der unter anderem im Witz statthat, das Lustvolle aus und sah darin die Funktion von Kunst und Ästhetik überhaupt: »In assuming that the control of the ego over the discharge of energy is pleasurable in itself, we adopted one of the earliest, and frequently neglected, thoughts of Freud (1905a) in this area: the suggestion that under certain conditions man may attempt to gain pleasure from the very activity of the psychic apparatus. It is obviously at this point that a closer and more detailed discussion of the aesthetic attitude might be initiated …« (Kris 1952: 63). Jeffrey Mehlman (1975: 441) kritisierte diese Position aufs Trefflichste: »Art then, for Kris, is to be regarded as a form of psychic gymnastics«. Darin verdeutliche sich das Ver-
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befriedigung und Lusterleben sowie die Lokalisation der Lustquellen im Geistigen, ja als Geistiges, setzen Freuds Betrachtungen über den Witz von seiner Triebtheorie ab. Schließlich wird ein Trieb verstanden als »die psychische Repräsentanz einer kontinuierlich fließenden, innersomatischen Reizquelle« (Freud GW V: 67).6 Dennoch findet der Begriff des Triebes an exponierter Stelle des Witzes Anwendung, wenn die Definition des Witzes in der Möglichkeit zur Triebbefriedigung angesichts verschiedener Hindernisse ausgemacht wird (vgl. Freud GW VI: 110). Die Suche nach einer schlüssigen Ökonomie des Witzes, welche mit der Trieblehre kompatibel wäre, setzt sich an verschiedenen Stellen des Buches durch. Ebendiese ökonomischen Überlegungen zur Auf hebung psychischer Hemmung und der Reduzierung ästhetischer Lust auf spielerische Vorlust haben maßgeblich zur Missachtung der Studie beigetragen. Auch Jacques Derrida legt dem Witz das Scheitern seiner Logik der Lust zur Last und schätzt ihn darum weniger als andere Schriften Freuds (vgl. Rehberg 2007: 220). Dagegen ist herauszustreichen, dass die Arbeit nichtsdestotrotz einen starken Begriff ästhetischer Lust bietet (vgl. Weber 2002; Nancy 1993). Stellt eine Lektüre des Witzes das Lustmodell des Dritten jenseits einer Ökonomie der Abfuhr und Hemmungsersparnis in den Vordergrund, so kann Freuds Konzeption von Komik, Humor und Witz nicht mehr als Entlastungsansatz gelten, wonach ihr Lustgewinn allein mit Aufhebung und Abfuhr psychischer Spannung erklärt werden soll. Dagegen zeigt ein starker Lustbegriff sich dem unbewussten Traumwunsch verwandt, während er deutlich von der Triebtheorie unterschieden ist. Kurzum: Die Witzstudie bildet den Schlusspunkt des freudschen Frühwerks, welches schwerpunktmäßig sprachliche Bildungen und Erinnerungsstrukturen untersucht. Zwischen der Traumdeutung von 1900 und den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie ist eine der epistemologischen Bruchstellen in Freuds Werk angesiedelt. Žižek (2006: 7) beschrieb hieran einen Umschlag vom Begehren zum Trieb. Während die Traumdeutung das Buch vom Wunsch sei, so auch Mannoni (1971: 90), seien die Drei Abhandlungen das Buch der Triebe. Den Wunsch und den Trieb behandle Freud immer getrennt; diejenigen Werke, in denen der fehlen der freudschen Witztheorie durch die Ich-Psychologie: »If Der Witz is in a sense a joke (ein Witz), it is one which has been monumentally missed by American ego psychology« (ebd.: 440). 6. Hier soll jedoch nicht der falsche Eindruck entstehen, das Verhältnis der Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie insbesondere zur Traumdeutung aber auch zum Witz sei ein einfaches, sich abstoßendes, gar ausschließendes. Jeffrey Mehlman (1975) betont dieses Verhältnis und liest Freuds Diktum von der Anlehnung des Triebes an die großen Körperbedürfnisse, das in den Drei Abhandlungen eingeführt wird, mit der Witztheorie und den Mechanismen der Traumarbeit gegen.
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eine Begriff erscheine, erwähnten den anderen nicht (vgl. ebd.). Ausnahmen von dieser Regel wirkten wie »Schnitzer« (ebd.). Zwischen den beiden Werken wurden andere Studien veröffentlicht, so die populäre Psychopathologie des Alltagslebens von 1901 (GW IV), aber insbesondere der Witz. Werksgeschichtlich scheint er gleichsam rückwärts gewandt. Seine Annahmen und Kernthesen sind dem Denken des unbewussten Wunsches aus der Traumlehre tief verpflichtet. Die Drei Abhandlungen wenden sich mit dem schillernden Triebbegriff dagegen einem neuen Abschnitt psychoanalytischen Forschens zu (vgl. Weber 1978: 62); es scheint fast, als habe Freud im Witz etwas abgelegt, verpackt oder etwas zurückgelassen. Seltsam an diesem Buch sei der Umstand, bemerkt auch Critchley (2004: 111), dass Freud niemals wirklich darauf zurückkam oder in den Jahren nach seiner Veröffentlichung viel Interesse an dessen Hauptgegenstand zum Ausdruck brachte. Im Gegensatz zur Traumdeutung und zu den Abhandlungen wurden in den Witz-Text denn auch keine Einschübe integriert und wenig Fußnoten hinzugefügt (vgl. Kofman 1990: 4). Die beiden Werke von 1905 über Witz und Sexualtheorie stehen in einem merkwürdig engen und sich dennoch ausschließenden Verhältnis zueinander. Über die Entstehung des Witzbuches berichtet der Freud-Biograph Ernest Jones: »Er schrieb dieses Buch gleichzeitig mit einem anderen, den Drei Abhandlungen, auf das ich gleich zu sprechen kommen werde. Freud hielt beide Manuskripte auf zwei nebeneinander stehenden Tischen und schrieb je nach Laune bald an dem einen, bald an dem anderen. Es war meines Wissens das erste Mal, dass Freud an zwei Abhandlungen gleichzeitig arbeitete, woraus man ersieht, wie eng für ihn diese beiden Themen zusammenhingen« (Jones 1962: 25).
Nicht nur sind beide Bücher zeitgleich veröffentlicht, sondern offenbar zwillingsgleich geschrieben worden. Auch wenn in ihm der Begriff des Triebes verwendet wird, so ist das Buch über den Witz als Denken des Wunsches unter dem Terminus Trieb alles andere als ein Schnitzer. Insgesamt bezieht das Buch eine prekäre Position innerhalb des psychoanalytischen Kanons. Dabei erscheint es weit mehr als die Psychopathologie des Alltagslebens selbst von zwei anderen ausgeschlossen zu werden, der früheren Traumdeutung einerseits und den späteren Drei Abhandlungen andererseits. Während der Witz in größerer zeitlicher Nähe zu den Abhandlungen steht, so zeigt er sich entgegen der Einschätzung Jones’ inhaltlich wesentlich stärker der Arbeit von 1900 verbunden. Die Bedeutung einer werksgeschichtlichen Einordnung des Buches wird durch den Umstand unterstrichen, dass der Witz als Verteidigungsschrift der Traumdeutung gehandelt wird.
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D ER W I T Z : S E I T ENSPRUNG
VON DER
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Die Forderung nach Abstinenz ging bei Freud im hohen Alter so weit, dass er es für ausgeschlossen hielt, seine Wissenschaft und Praxis überhaupt zu verteidigen. So richtete er an seine Analysandin Hilda Doolittle (H.D.) die Bitte, sie möge niemals den Versuch unternehmen, für ihn oder sein Werk einzutreten (vgl. Doolittle 1975: 110). Umso schwerer muss Webers (2002) Vermutung wiegen, das Witzbuch stelle den frühen Versuch einer solchen Verteidigung und damit gewissermaßen eine Streitschrift dar. Anfang der 1930er Jahre unterzog sich die amerikanische Dichterin beim Begründer der Psychoanalyse einer kurzen Behandlung, die sie später in ihrer Huldigung an Freud beschrieb. Darin berichtet sie von seiner Aufforderung, jede Verteidigung der Psychoanalyse zu unterlassen. Den Ausführungen Doolittles soll kurz gefolgt werden, um sie anschließend mit der Charakterisierung der Witzstudie als Rechtfertigung der Traumdeutung kontrastieren zu können. Die geäußerte Bitte um Enthaltung fasst Doolittle als Gesetz auf: »Er stellt keine Gesetze auf, nur dieses eine Mal – dieses eine Gesetz. Er sagt: ›Bitte versuchen Sie niemals – ich will damit sagen zu keiner Zeit unter keinen Umständen –, mich zu verteidigen, wenn Sie Zeuge missgünstiger Bemerkungen über mich und meine Arbeit werden« (ebd.).
Freuds Forderung scheint seltsam und unverständlich, muss das Interesse aber allein deshalb wecken, weil er damit eine Klatschszene beschreibt. Er malt eine zukünftige Gesprächssituation aus, an der er selbst nicht teilhat. Vielmehr geben seine Person oder auch sein Werk darin die abwesenden Objekte der Unterhaltung ab, was als hervorragende erste Bestimmung von Klatschgesprächen dienen mag. Die Zeugin Hilda Doolittle wäre zu seiner Verteidigung bereit und würde damit zumindest allen Klatsch über die Psychoanalyse abwenden, von dem sie Mitteilung erhält. Aber Freud entwaffnet seine Verteidigerin im Voraus und zwingt sie so, zur stillen Dulderin und somit auf gewisse Weise zur Teilhaberin, der Verleumdung und des Klatsches zu werden – denn von missgünstigen Bemerkungen soll Freud gesprochen haben, zunächst nicht von einer wissenschaftlichen Diskussion. Sein Appell ist folglich selbst alles andere als frei von Zwang und Gewalt für diejenige, an die er gerichtet wird, und rechtfertigt seine Betitelung als Gesetz (vgl. Rose 1996: 7). Freud begründet dies gegenüber H.D. jedoch ausführlich, wobei er davon ausgeht, dass im Falle von solcherart Angriffen gegen die Psychoanalyse der Einsatz von Gegenargumenten die Wut und Ohnmacht des Angreifers nur vertiefen würde. Schließlich ist dem Unbewussten nicht mit rationaler Kritik zu begegnen. Einzig in der Passivität sehe er einen Ausweg, dessen Verlauf sich allerdings jeg53
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licher Kontrolle durch den Attackierten entziehe: »Wenn man die Sache ignoriert, wird der Angreifer seine Wut vielleicht aufgeben […]« (Doolittle 1975: 110). Doolittles Vignette zeichnet sich durch den Eindruck von massiver Bedrohung aus, wie sie auch Freud in der Entstehungszeit des Witzes gerade in Gestalt seines Freundes und engsten Diskussionspartners Wilhelm Fließ entgegentrat. Die Auseinandersetzung gipfelte schließlich im Plagiatsvorwurf von Fließ an Freud (vgl. Porge 2005). Letztlich prägten die auf kommenden inhaltlichen Differenzen zwischen Freud und Fließ Freuds Behandlung des Witzigen entscheidend, wie Weber (2002: 105f.) aus dem Briefwechsel der beiden rekonstruiert hat. Fließ hatte den Stil der Träumer und damit zugleich den der Traumdeutung als zu witzig kritisiert.7 Damit deutete er nichts Geringeres an, als dass Freuds Ergebnisse lediglich Resultat seiner eigenen Interpretation seien (vgl. ebd.). Freud erwehrte sich dieses Vorwurfs. Den »unbeabsichtigten ›Traumwitz‹« bezeichnet er als jenes Phänomen, welches ihn dazu nötigte, sich mit der Witztheorie zu beschäftigen (Freud GW XI: 242). Woher die geradezu »verblüffende Ähnlichkeit« der gewitzten Produktionen der Träumer mit einem bewusst gemachten Witz herrühre (ebd.), habe ihn ein Stück vom Wege abgeführt, erklärt er etwa in den Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. In der Selbstdarstellung nennt er die Schrift gar einen Seitensprung von der Traumdeutung her (vgl. Freud GW XIV: 91). Damit hebt er sowohl das enge Verhältnis beider Werke hervor als auch das Bild eines Abweges, auf den er meint, mit dem Witz geraten zu sein. Lacan (S I: 110) greift eben seine Abwegigkeit als Qualität des Buches auf, wenn er die »wunderbar genauen Umwege« seiner Zeilen preist. Warum hatte Fließ’ Anspielung auf den Traumwitz derart nachhaltigen Einfluss? Ist es der sprachliche Ausdruck, mit dem Fließ sich nicht anfreunden kann? Oder kleidet er nicht eher sei7. Im Wortlaut: »Der einzige Freund, der damals an meinen Arbeiten Anteil nahm, hatte mir bemerkt, dass meine Traumdeutungen häufig einen ›witzigen‹ Eindruck machten. Um diesen Eindruck aufzuklären, nahm ich die Untersuchung der Witze vor und fand, das Wesen des Witzes liege in seinen technischen Mitteln« (Freud GW XIV, S. 91). Fließens Brief ist nicht mehr erhalten, so dass die Anspielung lediglich als Leerstelle, d.h. in ihrer Wirkung auf Freud existent ist. Vermutlich wurden die Briefe von Fließ in einem der Autodafés ebenso wie die Witzsammlung verbrannt. Selbstredend ist der Streit mit dem Freund nicht der einzige Anlass zur Beschäftigung mit dem Phänomen des Witzigen. Bereits in einer Fußnote am Ende der Fallgeschichte der Fräulein Elisabeth von R… in den Studien zur Hysterie stellte Freud über die Patientin Cäcilie M fest, jeder ihrer Gedanken würde sich in eine Halluzination umsetzen, deren Lösung oft viel Witz erfordert (vgl. Freud GW I: 251, Fußnote 1). Vgl. vor allem auch Kofman (1990: 5f.), die das von Cäcilie M geprägte witzige Bild Freuds und Breuers als Pendant des anderen diskutiert.
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ne inhaltliche Kritik in eine stilistische und stellt damit den Witz des Träumers als den des Deuters zur Debatte (vgl. Freud GW XI: 242)? So jedenfalls musste es Freud verstehen, obgleich er sich der Doppeldeutigkeit von Fließ’ Anmerkung bewusst war, wie eine später in die Traumdeutung eingefügte Fußnote belegt. Auf den Einwand, der Träumer erscheine häufig zu witzig, entgegnet er: »Das ist richtig, so lange es nur auf den Träumer bezogen wird, involviert einen Vorwurf nur dann, wenn es auf den Traumdeuter übergreifen soll … Immerhin gab mir dieser Vorwurf Anlaß, die Technik des Witzes mit der Traumarbeit zu vergleichen, was in dem 1905 veröffentlichten Buche Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten geschehen ist« (Freud GW II/III: 303-304 Anmerkung 1).
Indem er das Buch als produktives Resultat in den Vordergrund rückt, lässt Freud die Schärfe des Konfliktes kaum mehr anklingen. Denn als stilistische Kritik verhüllt werden durch Fließ nichts weniger als fundamentale Zweifel am wissenschaftlichen Status der Psychoanalyse geäußert, die seitdem immer wieder von verschiedenen Seiten artikuliert und von Karl Kraus als Witz auf den Punkt gebracht wurden: »Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für deren Therapie sie sich hält« (zit.n. Weber 2002: 105). Notgedrungen schickte Freud sich also an, den Witz zum würdigen Untersuchungsgegenstand zu erheben, weshalb Weber zur Einschätzung kam, »dass in dieser Studie, vielleicht mehr als in allen anderen, die Psychoanalyse selber in Frage steht« (ebd.: 108). Zum Prüfstein der Psychoanalyse geriet ausgerechnet die Untersuchung eines Kobolds und Schelms. Dessen Existenz besteht gerade im Angreifen und Unterlaufen jeder Autorität und jeden Sinns. Doch vielleicht eignete er sich gerade darum für Verteidigungszwecke. Wie ein feindseliger Witz aus einem machtlosen Zustand heraus den Angriff auf eine Autorität ermöglicht, so nutzte Freud gleichsam mit Hilfe einer solchen Schubumkehr oder »Retourkutsche« (Freud GW VI: 73) den Angriff von Fließ – diesen ›Repräsentanten des Anderen‹, wie er ihn nannte (vgl. Freud 1986: 410). Entsprechend hob die Psychoanalyse den Witz auf eine Stufe mit den Symptomen, den Versprechern und nicht zuletzt dem Traum.8 8. Schon bei den Krankengeschichten der Hysterikerinnen hatte Freud mit dem sprachlichen Ausdruck seiner Abhandlung gehadert, den er selber als literarisch und damit als ›unwissenschaftlich‹ empfand, aber zu diesem Zeitpunkt bereits auf das behandelte Thema zurückführte: »Ich bin nicht immer Psychotherapeut gewesen, sondern bin bei Lokaldiagnosen und Elektroprognostik erzogen worden wie andere Neuropathologen, und es berührt mich selbst noch eigentümlich, dass die Krankengeschichten, die ich schreibe, wie Novellen zu lesen sind, und dass sie sozusagen des
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Tatsächlich liest sich der Anfang des Witzes wie eine unmittelbare Antwort auf den Angriff durch Fließ. Er muss sogar als buchstäbliche Auseinandersetzung mit der konkreten sprachlichen Technik dieser Kritik verstanden werden: Zweideutigkeit und Anspielung. Die hier kürzest umrissene Werksgeschichte prägte sowohl die Witzstudie wie die Theorie des Dritten in zweifacher Hinsicht. Zum einen verkörpert das Buch eine wissenschaftliche Rechtfertigung; es steht deshalb nie für sich alleine, sondern verweist stets auf das zu verteidigende Werk über den Traum. Zum anderen resultiert aus der unzweifelhaften Nähe von Traumdeutung und Witz eine Konkurrenz beider Arbeiten zueinander, die sicherlich zur Sonderstellung der jüngeren Arbeit über witzige Bildungen beigetragen hat. Sie bestimmt ganze Kapitel des Witzbuches, in denen Freud das Verhältnis beider Bildungen von Traum und Witz zu verbinden und gleichzeitig zu sondern sucht. Noch im letzten Teil kommt er darauf zurück und widmet ihm eigens ein vollständiges Kapitel (vgl. Freud GW VI: 181f.). Als weiterer Einfluss auf das Werk muss der folgende Umstand erwähnt werden, auch wenn er primär biographischer Art und dementsprechend mit gebotener Vorsicht zu beurteilen ist: So kann den Briefen an Fließ auch entnommen werden, dass Freud ab Mitte der 1890er Jahre jene Sammlung klassisch jüdischer Witze angelegt hatte, aus der er seine Beispiele wählte, deren Verbleib aber leider unbekannt ist. Einige Kommentatoren haben daraus den Schluss gezogen, es handele sich um ein Stück Trauerarbeit, hatte doch der 1896 verstorbene Vater Freuds die klassisch jüdischen Witze geliebt (vgl. Oring 1984).9 Zweifellos stellt das Buch neben Der Mann Moses Freuds intensivste Beschäftigung mit jüdischer Kultur dar und seine Darbietung klassisch jüdischer Witze trug zur Überlieferung derselben bei.
S PR ACHL ICHE H ÜLLE
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Dass Witze an ihre sprachliche Form gebunden sind, scheint überzeugend. Schließlich verschwindet jeder Witz, sobald man seinen Ausdruck maßgeblich verändert (vgl. Freud GW VI: 27). Fließ’ Anspielung wirft diernsten Gepräges der Wissenschaftlichkeit entbehren. Ich muss mich damit trösten, dass für dieses Ergebnis die Natur des Gegenstandes eher verantwortlich zu machen ist als meine Vorliebe […]« (Freud GW I: 227). 9. Dass Freud lange vor der Debatte über den Stil der Träume/r von witzigen Geschichten fasziniert war, belegt die bereits erwähnte Witzsammlung. Im Brief vom 22. Juni 1897 schreibt er an Fließ: »Wir teilen uns wie die beiden Schnorrer, von denen einer die Provinz Posen bekommt; Du das Biologische, ich das Psychische. Ich will gestehen, dass ich in letzter Zeit eine Sammlung tiefsinniger jüdischer Geschichten angelegt habe« (Freud 1986: 271).
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verse Fragen nach Form und Inhalt von Witzbildungen auf: Ist die Erzählform witzig, in welche die Träume bei ihrer Wiedergabe überführt werden? Oder ist es ebenso ihr fragmentarischer bis unverständlicher Inhalt, der komische Effekte erwirkt? Und ist es in der Psychoanalyse nicht sogar die theoretische Form selbst, welche den behandelten Gebilden überhaupt erst ihren Inhalt unterstellt? Folglich wird unsicher, ob jene entstellenden Wirkungen, die Witze und Träume als Komplizen des Unbewussten ausweisen, an ihre sprachlichen Hüllen gebunden sind oder an den Inhalt bzw. Kern der Aussage. So erstaunt es nicht, dass die Witzstudie exakt mit der Frage nach Form und Inhalt des Witzes beginnt. Ob geplant oder nicht, verhält es sich ganz so, als wolle Freud als Erstes die Anspielung seines Freundes Fließ adressieren. Dem nachgehend was eine Rede zum Witz macht, folgert er: »Es könnte nur zweierlei sein; entweder ist es der in dem Satz ausgedrückte Gedanke, der den Charakter des Witzigen an sich trägt, oder der Witz haftet an dem Ausdruck, den der Gedanke in dem Satz gefunden hat. Auf welcher Seite sich uns der Witzcharakter zeigt, dort wollen wir ihn weiter verfolgen und versuchen, seiner habhaft zu werden« (ebd.: 14-15).
Freud schlägt sich anschließend auf die Seite der sprachlichen Form, indem er in den ersten Kapiteln des Buches das Wesen des Witzes in seinen sprachlichen Gestalten auszumachen sucht. Daraus resultiert, dass er eine »merkwürdige Umkehrung der herkömmlichen Beziehung von Sprache und Sinn, von Außen und Innen, vorgenommen hat, indem er den Sinn zur ›Hülle‹ des Witzes degradiert und den linguistischen ›Ausdruck‹ zu dessen ›Kern‹ befördert« (vgl. Weber 2002: 122). Spätere Abschnitte des Werkes überwinden dieses Problem schließlich vor allem durch Exposition der Figur des Dritten. Ein »ausgezeichnet anerkanntes und sehr lachkräftiges Beispiel« wird zur ersten Untersuchung des Witzes gewählt (vgl. bes. Lacan SE V: 9f.), das Heines Bädern von Lucca entstammt (Freud GW VI: 14). Heine berichtet, wie sich der Lotteriekollekteur und Hühneraugenoperateur Hirsch-Hyacinth ihm gegenüber mit seiner guten Beziehung zum reichen Baron Rothschild hervortun will: »Und so wahr mir Gott alles Gute geben soll, Herr Doktor, ich saß neben Salomon Rothschild und er behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganz famillionär« (ebd.).
Das wolle so viel besagen, als dass er sich durch Rothschild ganz ohne Unterschied, ganz familiär behandelt fühlte, soweit ein Millionär das zustande bringe. Stets habe die Herablassung eines reichen Mannes etwas 57
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Missliches für den, der sie an sich erfahren muss (vgl. ebd.: 15). Die famillionär-Episode könnte auch unmittelbar aus der Traumdeutung entnommen oder es könnte ein Versprecher aus der Psychopathologie des Alltagslebens sein, hängt doch das Witzige an der hervorgehobenen Wortneuschöpfung. Die Kreation entstand aus einer sprachlichen Zusammenfaltung, die unter dem Titel Verdichtung als einer der vier Mechanismen der Traumarbeit entdeckt wurde. Das Wort, von dem die lacherzeugende Wirkung abhängt, ist vor allem visuell zu entschlüsseln und demnach besonders leicht verständlich, wenn es als eine solche »witzige Synthese« in geschriebenem Zustand vorliegt (Kofman 1990: 81): FA
MILI ÄR MILION ÄR FA MILION ÄR (vgl. Freud GW VI: 17).10
Witzmechanismen scheinen auf die Darstellung im zweidimensionalen Raum angewiesen.11 Daraus bestimmt sich der visuelle Charakter von Witzbildungen, welcher besonders deutlich an der zotigen Rede hervortritt. Wie der Traum ähnelt der Witz also einem Rebus oder Bilderrätsel (vgl. Kläui 1999). Schließlich ist er ebenso wie die Traumerzählung Produkt verschiedener Sprachmechanismen bzw. Techniken, von denen Freud umfangreiche Übersichten erstellt.12 Der Witztext ist jedoch kein gewöhnlicher, 10. Das Weglassen der Ls in den Worten »Millionär« und »Famillionär« im graphischen Bild – oder mit Lacan Tableau – begründet Freud mit ihrer vorgeblichen Bedeutungslosigkeit bei der Aussprache, also handelt es sich hier genau genommen um das ›Klang-Bild‹, wodurch bereits zu Beginn der Abhandlung deutlich wird, wie unlösbar Schrift und Erzählung für Freud miteinander verbunden sind: »Das zweite l, welches in der Aussprache kaum zur Geltung kommt, durfte natürlich übergangen werden. Es ist naheliegend, dass die Übereinstimmung der beiden Worte in mehreren Silben der Witztechnik den Anlaß zur Herstellung des Mischwortes bietet« (Freud GW VI: 17, Fußnote 2). 11. Vgl. für die Schriftbildlichkeit des Witzes Menke (2006) sowie die medienwissenschaftliche Diskussion über die Schrift als Kulturtechnik, exemplarisch etwa Krämer (2006) oder Krämer/Bredekamp (2003). Weber und Kofman zeigen sich in ihrer Lesart der Witztheorie ganz Derridas Grammatologie und seinem Begriff der Différance verpflichtet (Derrida 1974). 12. In die folgenden drei Gruppen werden die Witztechniken zusammengefasst: I. Verdichtung: a) mit Mischwortbildung, b) mit Modifikation, II. Die Verwendung des nämlichen Materials: c) Ganzes und Teile, d) Umordung, e) leichte Modifikati-
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sondern ein doppeldeutiger. Gerade im Erkennen und der Würdigung dieser spezifischen Zwiespältigkeit überragt Freuds Witzanalyse die seiner Vorgänger, so Kofman. Der Verrat der Vorläufer bestehe gerade darin, das doppelte Wesen des Witzes wahrgenommen zu haben, aber außer Acht gelassen zu haben, dass er ein rätselhafter Text ist, der zwar verstanden werden, aber auch irreleiten soll (vgl. Kofman 1990: 55). Häufig übernimmt eine »unsinnige Fassade« den notwendig ablenkenden und »blendenden« Part des Witztextes, wobei deren Qualität wiederum nicht unabhängig von dem ist, was sie verhüllt (vgl. Freud GW VI: 200): »Freilich so wie die Uhrmacher ein besonders gutes Werk auch mit einem kostbaren Gehäuse auszustatten pflegen, mag es auch beim Witz vorkommen, daß die besten Witzleistungen gerade zur Einkleidung der gehaltvollsten Gedanken benützt werden« (ebd.: 100).
Im Bild des Zeitmessers scheint angedeutet, dass der Vorgang am ehesten als temporales Geschehen begreif bar ist, wie Weber (2002: 189f.) betont hat. Stets nachgeordnet und nachträglich – dabei allerdings unmessbar – äußert es sich im Lachen. Als Pendant zum Nichtwissen im Lachen fasst Freud die Witzbildung als unplanbaren Einfall zusammen: »Der Witz hat in ganz hervorragender Weise den Charakter eines ungewollten ›Einfalls‹. Man weiß nicht etwa einen Moment vorher, welchen Witz man machen wird, den man dann nur in Worte zu kleiden braucht. Man verspürt vielmehr etwas Undefinierbares, das ich am ehesten einer Absenz, einem plötzlichen Auslassen der intellektuellen Spannung vergleichen möchte, und dann ist der Witz mit einem Schlage da, meist gleichzeitig mit seiner Einkleidung« (Freud GW VI: 191).
Hatte die Studie anfangs Analyse und Sammlung der Techniken bevorzugt, betont sie im Fortgang der Untersuchung eine Untrennbarkeit von Witztechnik bzw. sprachlicher Einkleidung und Gedankenkörper. Nachdem anhand klassischer Beispiele wahre Unmengen von Witztechniken behandelt wurden, sieht Freud sich im Falle des Gleichnisses gezwungen zu konstatieren: »Einen Grund aber, uns zu beklagen, daß diese erste Untersuchung ergebnislos verlaufen sei, bietet uns auch diese Lücke in unserem Verständnis nicht. Bei dem intimen Zusammenhang, den wir den verschiedenen Eigenschaften des Witzes zuon, f) dieselben Worte voll und leer, III. Doppelsinn: g) Name und Sachbedeutung, h) metaphorische und sachliche Bedeutung, i) eigentlicher Doppelsinn (Wortspiel), k) Zweideutigkeit, l) Doppelsinn mit Anspielung (Freud GW VI: 42).
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zuschreiben bereit sein mussten, wäre es unvorsichtig gewesen zu erwarten, wir könnten eine Seite des Problems voll aufklären, ehe wir noch einen Blick auf die anderen geworfen haben. Wir werden das Problem nun wohl an anderer Stelle angreifen müssen« (ebd.: 95).
Der Witzcharakter hängt ebenso wenig am Gedanken wie an den sprachlichen Techniken, so dass offen und unerklärt bleibt, auf welche anderen Seiten des Problems noch ein Blick geworfen werden soll. Tatsächlich bereitet die Aufgabe des Gegensatzes von Hülle und Kern, der an dieser Stelle der Abhandlung erfolgt, den nächsten Erkenntnisschritt vor (vgl. ebd.: 97f.): »Wir wollen es im Gedächtnis behalten, dass wir von einem witzigen Satz einen Gesamteindruck empfangen, in dem wir den Anteil des Gedankeninhalts von dem Anteil der Witzarbeit nicht zu sondern vermögen; vielleicht findet sich hierzu später noch eine bedeutsamere Parallele« (ebd.: 101-102).
Erst als Form und Inhalt des Witzes nicht mehr für Gegensätze gehalten werden, taucht eine neue Denkfigur auf: ein Trio, das am Beispiel der Zote eingeführt wird. Es kann kein Zufall sein, dass der Vorgang phantasierter Enthüllungen darin behandelt wird, d.h. die zotige Erzählung an einen Dritten bzw. Zuhörer. Schließlich durchziehen Spuren der sprachlichen Entblößung und Einkleidung das ganze Buch (mit der Frage nach der Einkleidung des Witzes, Fassade, Hülle etc.) unter besonderer Berücksichtigung von Sprachformen wie Anspielung und der zotigen Zweideutigkeit. Der ästhetischen Lust kommt nicht nur eine bindende Kraft zu, wie Freud vermutet, sondern die Lustsuche ist selbst ein Prozess von Entfaltung oder eben Auseinandersetzung von Hülle und Kern mittels eines Dritten. Die Studie beginnt also mit einer regelrechten Umkehrung von Form und Inhalt. Dies ist als Rückschritt gegenüber der Traumdeutung anzusehen, in welcher bereits eine Umordnung des Verhältnisses von Sinn und Bewusstsein stattfand (vgl. Weber 2002: 85), indem Freud unterstrich, »dass die kompliziertesten Denkleistungen ohne Mittun des Bewusstseins möglich sind« (Freud GW II/III: 598). Als ein Rückschritt muss die einseitige Umkehrung von Form und Inhalt schon deshalb erscheinen, weil im abschließenden Kapitel der Traumdeutung sogar explizit die Überwindung eines Gegensatzes anvisiert wurde: »Wenn der alte Gegensatz von Bewusstleben und Traumleben durch die Einsetzung des unbewussten Psychischen in die ihm gebührende Stellung entwertet ist, so werden eine Reihe von Traumproblemen abgestreift, welche frühere Autoren noch eingehend beschäftigt haben« (ebd.: 618).
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Wilhelm Fließ brachte die junge Psychoanalyse mit seinem Kommentar über den Traumwitz unter existentiellen Rechtfertigungsdruck. Weil er mit seinem Urteil eine Entscheidung über Sinn oder Unsinn der neuen Analysemethode offen hielt, konnte er sie wirkungsvoll als eine Entscheidung zwischen Dummheit oder Schlauheit des Verfassers inszenieren. Dieser Konflikt kehrt für Freud nochmals in der Beschäftigung mit einer bestimmten Gruppe von Witzen wieder, die als Dummheitswitze bezeichnet werden. Unter den Dummheitswitzen nimmt folgender Witz Lichtenbergs eine besondere Stellung ein: »Er wundere sich, daß den Katzen gerade an der Stelle zwei Löcher in den Pelz geschnitten wären, wo sie die Augen hätten« (Freud GW VI: 62).13 Der Spruch wird von Freud folgendermaßen ein Dummheitswitz geheißen: »Sich über etwas Selbstverständliches zu wundern, etwas, was eigentlich nur die Auseinandersetzung einer Identität ist, ist doch gewiß eine Dummheit« (ebd.: 62-63; Hervorh. A.T.). Er bediene sich der Dummheit zu irgendeinem Zwecke, hinter dem etwas stecke, was jedoch in diesem Moment freilich nicht angegeben werden könne (vgl. ebd.: 63). Später greift Freud das Beispiel ein zweites Mal auf. Diesmal will er der »Wahrheit hinter der Dummheit« Rechnung tragen. Er tut es aber auf eine Weise, die selbst fast einfältig wirkt: »Die Dummheit, die hier zur Schau getragen wird, ist nur eine scheinbare; in Wirklichkeit steckt hinter dieser einfältigen Bemerkung das große Problem der Teleologie im tierischen Aufbau; es ist gar nicht so selbstverständlich, dass die Lidspalte sich dort öffnet, wo die Hornhaut freiliegt, bis die Entwicklungsgeschichte uns dieses Zusammentreffen aufklärt« (ebd.: 101).
Anstatt eines beliebigen Tieres wird die Katze als Exempel herangezogen – jenes Tier also, welches tatsächlich häufig in neurophysiologischen Wahrnehmungsexperimenten als Versuchsobjekt diente. Derart von der Wissenschaft erniedrigt, scheint vergessen zu sein, worum es sich handelt: das heilige Tier der Ägypter, für deren Kultur Freud sich so interessierte. Katzen können hervorragend im Dunkeln sehen. Dem Aberglauben zufolge schauen Katzen dorthin, wo der erhellende Blick der traditionellen Wissenschaft erlischt. Freud versucht, Licht auf den nebulösen Ausspruch Lichtenbergs zu werfen, indem er als ›Auflösung‹ der scheinbaren Dummheit »das große Problem der Teleologie im tierischen Auf bau« bzw. dessen wissenschaftliche Aufklärung in der Entwicklungsgeschichte präsentiert. Bekanntlich wurde ihm neben Darwin die Ehre zuteil, eine der großen Kränkungen der Menschheit zu verantworten. Anders als jener erteilte 13. Vgl. für Lichtenbergs immensen Einfluss auf Freud Stingelin (1998) und wissenschaftsgeschichtlich Tomlinson (1992).
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Freud dem teleologischen Denken eine Absage. Insbesondere lehnte er eine Reduktion menschlicher Sexualität auf Fortpflanzung ab. Deshalb verwundert es umso mehr, dass das Problem der Teleologie hinter der zur Schau getragenen Einfalt stecken solle. Sie bestehe darin, sich über etwas Selbstverständliches zu wundern: die »Auseinandersetzung einer Identität«. Spitzfindig ließe sich Freuds Analyse des Lichtenbergschen Aphorismus folgendermaßen zusammenfassen: Der Gestus, Probleme aufzudecken, wo vorher gar keine erkennbar waren, verwandle sich in Wissenschaft, wenn das Ziel einer Einheit (ins Bild gesetzt als Einheit von Lidspalte und dahinter liegender Hornhaut) nicht als solches in Frage gestellt, sondern bestätigt werden kann. Probleme zu schaffen und nicht zu lösen, ist traditioneller Vorwurf an die Psychoanalyse. Entsprechend war Freuds Ausgangspunkt der Beweisgang, warum das Problem des Traumwitzes tatsächlich eine wissenschaftliche Fragestellung seiner Witzstudie birgt und keine Spitzfindigkeit seinerseits darstellt. Insgesamt situiert sich die Witzanalyse jedoch quer zu jenem Vorgehen, den vorgezeichneten Fluchtpunkt einer Untersuchung bekräftigen zu wollen. Gleichsam selbstironisch bemerkt Freud, es sei doch gewiss eine Dummheit, sich über die Auseinandersetzung einer Identität zu wundern, behandelt doch sein Werk ebendies: die Selbstverkennung eines nach Einheit strebenden und dennoch ›auseinandergesetzten‹ Ichs. Die Lichtenbergsche ›Dummheit‹ möchte keiner teleologischen Entwicklungsgeschichte verhaftet bleiben. Stattdessen führt sie ebenjenes Wissenschaftsverständnis vor, das solche ›schlauen‹ Probleme formuliert, ohne das eigene wissenschaftliche Sehen auf seine Voraussetzungen hin zu befragen. Im gleichen Zuge wird das scheinbar mit sich selbst identische Ich als gegeben vorausgesetzt und das Unbewusste als »blinder Fleck« (Tholen 1999) des eigenen Sehens verleugnet (vgl. Weber 2002: 21f.). Im Sinne einer Theorie des Dritten bewirkt ein Witz buchstäblich nichts anderes als eine Auseinandersetzung (vgl. ebd.). Solch ein Auseinandertreten von Ich und Unbewusstem, von Hülle und Kern, kann ausschließlich mit Hilfe eines Dritten geschehen. Um das Unbewusste ›sehen‹ zu können, darf man weder übersehen, noch darunter schauen, sondern stets daneben: »Das Unbewusste eben erhellt sich nicht und gibt sich nur preis, wenn man ein wenig abseits schaut. Es ist da etwas, was Sie die ganze Zeit im Witz* wiederfinden, denn es ist seine eigene Natur – Sie sehen da nach, und das erlaubt Ihnen zu sehen, was nicht da ist« (Lacan SE V: 24). Der Witz tue ausdrücklich folgendes: »Er bezeichnet, und stets abseits, das, was nur gesehen wird, wenn man anderswo schaut« (ebd.: 28). Die Verkehrung von Kern und Hülle tritt in der Schilderung eines altchinesischen Theaterstückes besonders deutlich hervor, welches einer Kriminalgeschichte des Sinologen Robert van Gulik (1988: 180-182) ent62
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nommen ist. In ihr dient der Kern als Hülle, um wieder zum Kern einer Botschaft zurückverwandelt zu werden: Zwei Brüder erscheinen vor dem Richter, weil der eine den anderen beschuldigt, ihren alten Vater ermordet zu haben. Als Beweis legt der ältere der beiden Brüder eine Mandel auf den Richtertisch, die der Vater als Hinweis auf seinen Mörder hinterlassen hatte. Der anklagende Sohn berichtet, sein Vater habe den Namen des Mörders auf ein Papier geschrieben und im Innern der Mandel versteckt. Tatsächlich findet es der Richter und entfaltet den Zettel vorsichtig. Darauf steht der Name des jüngeren Bruders geschrieben. Dieser leugnet jedoch leidenschaftlich seine Schuld. Aufgebracht blickt der Richter von einem zum anderen, lehnt sich plötzlich über die Richterbank nach vorne und packt beide Brüder am Kragen. Erst riecht er am Mund des jüngeren, dann an dem des älteren Bruders. Den zweiten stößt er zurück, schlägt mit der Faust auf den Tisch und poltert gegen den älteren, bis der verschreckt in die Knie geht. Der Richter erklärt, der ältere Bruder rieche nach Mandelmilch. Weil der alte Vater gewusst habe, dass der erstgeborene Sohn ihm nach dem Leben trachte und dass er jeden vom Vater hinterlassenen Hinweis auf den Täter verschwinden lassen würde, habe er seine Botschaft im Innern einer Mandel übermittelt. Da der ältere Sohn die Mandelmilch sehr liebe, nutzt sie dem Vater als Verweis auf den Erstgeborenen. Zunächst fungiert der Mandelkern als scheinbar nebensächliche Hülle und als Behälter für die Botschaft des Vaters. Der vermeintlich alles entscheidende Zettel darin lenkt die Aufmerksamkeit des Täters auf sich. Damit erfüllt er seine Hauptfunktion, ist doch gerade der vermittelte Inhalt es, der austauschbar wird. Mittels dieses Ablenkungsmanövers gelingt es dem Vater posthum den Kern seiner Botschaft als Hülle vor seinen richterlichen Stellvertreter zu bringen – sogar vom Mörder selber präsentiert. Doch auch der Mandelkern ist wiederum nur Hinweis auf etwas anderes: die Milch, der mit Hilfe des Geruchssinnes auf die Spur zu kommen ist. Der Milchgeruch entlarvt schließlich den einen der beiden Ankläger als Täter. Was den Vatermörder also verrät, indem es ihn von seinem Gleichen und brüderlichen Doppel unterscheidet, ist seine Liebe und sein Begehren. Doch mit der Identifi kation des begehrten Objekts als Milch endet das Verweisspiel keinesfalls: Steht die Milch nicht vielmehr als Verschiebung für ein anderes Objekt, das zu begehren unter tödlicher Strafe steht? Damit ließe sich zudem das ungenannte Motiv für den Mord am Vater ergänzen.
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R E SÜMEE
ZU
TR AUM
UND
WI T Z
»Das Wort ›Wunsch‹ enthält das Ganze des Menschen […]. Er ist gewissermaßen das Herz der menschlichen Zeit und ihre bunte Kleidung« (Vasse 1973: 9).
Wir halten fest, dass Freud mit der Untersuchung des Witzigen durchweg ein doppeltes Ziel verfolgte: nicht nur den Witz selber zu verstehen, sondern auch dessen Beziehung zum Traum aufzudecken. Ziel war, die »unausstehliche Witzigkeit« der Träumer aufzuklären (Freud 1986: 407). Schließlich kulminiert das Bemühen, eine gleichzeitige Nähe und doch Distanz von Traum und Witz auszumachen, in einer vergleichenden Gegenüberstellung beider Bildungen: »Der Traum ist immer noch, wiewohl unkenntlich gemachter, Wunsch; der Witz ist ein entwickeltes Spiel. Der Traum behält trotz all seiner praktischen Nichtigkeit die Beziehung zu den großen Interessen des Lebens bei; er sucht die Bedürfnisse auf dem regressiven Umwege der Halluzination zu erfüllen, und er verdankt seine Zulassung dem einzig während des Nachtzustandes regen Bedürfnis zu schlafen. Der Witz hingegen sucht einen kleinen Lustgewinn aus der bloßen, bedürfnisfreien Tätigkeit unseres seelischen Apparates zu ziehen, später einen solchen als Nebengewinn während der Tätigkeit desselben zu erhaschen, und gelangt so sekundär zu nicht unwichtigen, der Außenwelt zugewendeten Funktionen. Der Traum dient vorwiegend der Unlustersparnis, der Witz dem Lusterwerb; in diesen beiden Zielen treffen aber alle unsere seelischen Tätigkeiten zusammen« (Freud GW VI: 205).
Das Resümee stellt die Klimax aller widersprüchlichen Bezüge der beiden diskutierten frühen Arbeiten Freuds dar. Das gezeichnete Bild zeigt die Psychoanalyse des Traumes gleichsam verzerrt, steht doch der unbewusste Wunsch keinesfalls in einem einfachen engen Verhältnis zu den so genannten großen Bedürfnissen des Lebens, wie hier nahe gelegt wird; genauso wenig dient er von der Außenwelt abgeschottet lediglich als infantile Halluzination der Unlustersparnis. Als Äußerung des Begehrens, das Lacan (S II: 126f.) in seiner Rekonstruktion des freudschen Denkens dort auffand, wird er hier verfehlt. Vielmehr müssen – mit Freud gegen Freud – beide Werke über Traum und Witz sowie ihre Definitionen menschlicher Sexualität einer Theorie des Dritten zugeschlagen werden. Im Unterschied zum Witz stellt sich das wünschende Träumen als Gedankentätigkeit des einzelnen Individuums dar. Die komplexe Genese des menschlichen Wunsches als »Kern des Traumes« und damit zugleich als Kern des Unbewussten wird in der Traumdeutung als infantiles Szenario beschrieben (Freud GW VI: 183). In der berühmten Formel der Ananké oder »Not des Lebens« erfasst Freuds Psychoanalyse den Zustand existentieller Angewiesenheit 64
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menschlicher Neugeborener auf fremde Hilfeleistung (Freud GW II/III: 570).14 Äußere sich diese zunächst auch nur im Bedürfnis nach Nahrung und Wärmezufuhr, so greife sie umgehend in einfache Funktionen des seelischen Apparates ein, der nach nichts anderem strebe, als sich reizlos zu verhalten: »Aber die Not des Lebens stört diese einfache Funktion; ihr verdankt der Apparat auch den Anstoß zur weiteren Ausbildung. In der Form der großen Körperbedürfnisse tritt die Not des Lebens zuerst an ihn heran« (ebd.: 571).
Ausgerechnet das Bedürfnis fungiert in Freuds Konzept frühester Denkvorgänge als diejenige Instanz, welche einen scheinbar natürlich gegebenen Zustand der Reizlosigkeit und Ruhe unterbricht. Somit lässt die Ananké das Bedürfnis zum Mittler und Verweis auf etwas völlig anderes als es selbst werden, spielen doch Hunger und Wärmebedürfnis für die Genese des Wunsches eine tragende Rolle. Ein Wunsch ist wiederum gerade nicht mit Hunger zu verwechseln: »Der Wunsch schließt das Bedürfnis ein, dieses aber jenen aus,« fasst Kamper (1977: 175) das Verhältnis der beiden prägnant zusammen. Bis hierher ist das Wünschen des Säuglings jedoch noch gar nicht aufgetreten. Zunächst werde das hungrige Kind beim Versuch schreien und zappeln, durch das innere Bedürfnis gesetzte Erregung in die Motilität abfließen zu lassen (vgl. Freud GW II/III: 571). Aufgrund ihrer Eigenart, einer »kontinuierlich wirkenden Kraft« (ebd.) und nicht einer »momentan stoßenden« (ebd.) zu entsprechen, bleibe die Erregung jedoch bestehen und die Situation insgesamt unverändert (vgl. ebd.): »Eine Wendung kann erst eintreten, wenn auf irgendeinem Wege, beim Kinde durch fremde Hilfeleistung, die Erfahrung des Befriedigungserlebnisses gemacht wird, das den inneren Reiz aufhebt. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Erlebnisses ist das Erscheinen einer gewissen Wahrnehmung (der Nahrung im Beispiel), deren Erinnerungsbild von jetzt an mit der Gedächtnisspur der Bedürfniserregung assoziiert bleibt« (ebd.).
14. Das Neugeborene sei auf die »fremde Hilfe« bzw. »spezifische Aktion« eines »erfahrenen Individuums« angewiesen, beschreibt Freud die »Not des Lebens« (Freud GW Nachtragsband: 410). Diese anthropologische Grundsituation ist häufig betont worden, ja sie wurde fälschlich als ausschließliche bzw. hinreichende Erklärung für das Spezifische und den Beginn menschlichen Denkens und der Sprache herangezogen, so z.B. von René Spitz (1978: 27f.), der den menschlichen Säugling ausschließlich als ›Nesthocker‹ betrachtet.
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Erst damit liegen Bedingungen für die nachfolgende Entwicklung vor, welche Freud zufolge das Einsetzen des Wünschens markiert: »Sobald dies Bedürfnis ein nächstesmal auftritt, wird sich, dank der hergestellten Verknüpfung, eine psychische Regung ergeben, welche das Erinnerungsbild jener Wahrnehmung wiederbesetzen und die Wahrnehmung selbst wieder hervorrufen, also eigentlich die Situation der ersten Befriedigung wiederherstellen will. Eine solche Regung ist das, was wir einen Wunsch heißen; das Wiedererscheinen der Wahrnehmung ist die Wunscherfüllung, und die volle Besetzung der Wahrnehmung von der Bedürfniserregung her der kürzeste Weg zur Wunscherfüllung. Es hindert uns nichts, einen primitiven Zustand des psychischen Apparates anzunehmen, in dem dieser Weg wirklich so begangen wird, das Wünschen in ein Halluzinieren ausläuft. Diese erste psychische Tätigkeit zielt also auf eine Wahrnehmungsidentität, nämlich auf die Wiederholung jener Wahrnehmung, welche mit der Befriedigung des Bedürfnisses verknüpft ist« (ebd.).
Zwar hinterlasse das erste Befriedigungserlebnis etwas, behauptet Freud. Er bezeichnet diese Hinterlassenschaft erster Befriedigung als eine Spur, die nachfolgend wiederbesetzt werden solle. Jedoch zeichnet sich sein Entwicklungsmodell durch zahlreiche Widersprüche aus. Wie kann in der ›ersten‹ Szene bei Aufhebung des ersten Bedarfs ein ›Bild‹ entstanden sein, das erst bei erneutem Hunger in der ›zweiten‹ Szene – nun als Lust – den Schauplatz des psychischen Erlebens betritt? Die Verknüpfung des wohligen Erlebens mit dem vorhergehenden erfahrenen Ereignis kann also genau genommen nur rückwirkend bzw. nachträglich geschehen. Eigentlich solle die erste Situation der Befriedigung gar identisch wiederhergestellt werden, resümiert Freud das Paradox Wunsch. Es sollen gerade nicht nur die Bedingungen zur Wiederherstellung körperlicher Befriedigung bereitgestellt werden. Vielmehr wird die primäre Erfahrung als präsentes Ereignis ersehnt. Sie wird jedoch nicht gewünscht, bevor sie vorübergegangen ist, sondern im Gegenteil sogar erst als vergangene. Damit verschiebt sich aber das Telos des Wunsches. Denn nicht die Mittel zur Sättigung, also die Milch, werden verlangt, sondern ein bedeutungsvoll gewordenes Objekt: »Wenn man nicht begreift, dass das in der ›primitiven Halluzination‹ Angestrebte nicht das reale Objekt ist, sondern das verlorene Objekt, nicht die Milch, sondern der Signifi kant ›Brust‹ wird das freudsche Modell unverständlich« (Laplanche/Pontalis 1992: 72). Man könnte auch allgemein sagen: Erinnerung schaff t Lust, genauso wie umgekehrt Lust Gedächtnisbildung bedingt. Begehrt wird der Signifikant Brust, weshalb der unbewusste Wunsch bestrebt ist, »nach den Gesetzen des Primärvorgangs die an die ersten Befriedigungserlebnisse geknüpften Zeichen« wiederherzustellen (Laplanche/Pontalis 1973: 635). Schließlich besteht die Wunscherfüllung 66
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im Erscheinen der Zeichenkonstellation als Wahrnehmungsidentität. Die beschriebene Aporie des Wünschens ist als nichts Anderes denn als Wirken eines Dritten und damit als Signifi kation aufzufassen:15 »Wir haben es demnach mit einer paradoxen Verkopplung von Wunscherfüllung und Verfehlen des Objekts zu tun, insofern der Wunsch sich auf das Zeichen richtet, das von nun an die Beziehung zum Objekt vermitteln, sich als Drittes zwischen Subjekt und Objekt schieben wird« (Löchel 2000: 6; Hervorh. A.T.).
Das als Wahrnehmungsidentität wiederbesetzte Bild, welches im freudschen Text Erinnerungsbild genannt wird, funktioniere von Anfang an nicht so sehr als Abbild wie als Signal, folgert Weber (1978: 99). Von Anfang an kann deshalb im freudschen Modell ebenso wenig von einem psychischen Modus der abbildenden Repräsentation gesprochen werden, mit dessen Hilfe eine verlorene ursprüngliche Identität wiederbeschaff t würde. Es handelt sich nachgerade um den Akt einer spezifischen Identitätssetzung, wie nachdrücklich hervorzuheben gilt: »Was Freud hier ›Wahrnehmungsidentität‹ nennt, wird vom Material der Wahrnehmung gebildet, aber dieses hat seine Wirkung nicht durch das, was es darstellt. Denn sein Darstellungs- oder Vorstellungsinhalt* – fungiert nur als Zeichen von etwas radikal Verschiedenem, das als solches undarstellbar ist, da es aus einem Spannungsfeld hervorgeht, d.h. einer quantitativen, differentiellen Energieverteilung, die einen qualitativen Effekt erzeugt: den Übergang von Schmerz zu Lust. Ausschlaggebend am Begriff der Wahrnehmungsidentität ist, dass die hier gemeinte Identität das Ergebnis einer Wiederholung ist, in der der qualitative Inhalt nur als formale Stütze für
15. Der Wunsch fungiert damit ebenso als erste Instanz eines Dritten (vgl. Laplanche/Pontalis 1973), die das Kind trianguliert, denn: »Symbolisierung ist Triangulierung, und Triangulierung ist Symbolisierung« (Löchel 2000). Heim (1986: 835) hat die Bildung des Wunsches als »Semiotische Triangulation« bezeichnet und beabsichtigte damit an die Zeichenbegriffe von Peirce und de Saussure anzuknüpfen: »›Semiotische Triangulation‹ meint die zeichenförmige Organisation einer gelebten Erfahrung (ein erstes Befriedigungserlebnis), die triadisch strukturiert wird […]« (ebd.: 836). Irreführenderweise wird hier von der Organisation und Strukturierung einer Erfahrung gesprochen, als würde diese der Bezeichnung vorausgehen und nicht Resultat des paradoxen Wunsches und damit von Zeichensetzung sein. Um es nochmals unmissverständlich auszudrücken: Der unbewusste Wunsch kann seinem Wesen nach nie bewusst werden. Von der Symbolisierungsfähigkeit ist der Säugling gewiss noch weit entfernt, jedoch entfaltet sich als primäre Denktätigkeit und Erfahrung die verfrühte Nachträglichkeit von Zeichen als genuin menschliches Wünschen.
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das nicht vorstellbare Befriedigungserlebnis, das er hervorrufen soll, dient« (Weber 2002: 57).
Diese Annahmen stellen nichts weniger als Rekonstruktionen der ontogenetisch ersten psychischen Tätigkeiten dar, mithin den rekonstruierten Ursprung menschlichen Bewusstseins im unbewussten Wunsch als einem Apriori aller Denkvorgänge. Jedoch zielt solch primäres Denken nicht nur auf die Wiederholung einer ersten Wahrnehmung. Stattdessen verkörpert es eine Gedankenform, die selbst nicht anders denn als unmögliche Wiederholung – von etwas unwiederbringlich Verlorenem – beschrieben werden kann. Damit entspricht das Wünschen jener Art von wiederholender Erinnerung, die als Trauma beschrieben wurde (vgl. Laplanche/Pontalis 1992; Bronfen/Erdle/Weigel 1999).16 Die Erzählung der ersten menschlichen Erfahrung zerfällt in zwei Abschnitte, einerseits eine Aufhebung des Bedarfs und andererseits deren erneute Halluzination. Ebenso werden Urszenenphantasien – phantastische Rekonstruktionen des belauschten oder beobachteten elterlichen Koitus durch das Kind – beschrieben als »das zeitliche Spiel der beiden ›Szenen‹« (Laplanche/Pontalis 1992: 29), nämlich ein vermeintlich primäres Ereignis und dessen vermeintlich sekundäre Erinnerung. Folglich kann der undarstellbare Wunsch nur als Zeitform begriffen werden: Eben diese eigentümlich zweizeitige Figur der ursprungslosen Nachträglichkeit und die einer stets von sich selbst verschiedenen Wiederholung seien es, die sowohl dem Gegenstand der Psychoanalyse innewohnten als auch den Stil einer behutsamen Rückwendung zu Freud markierten, führt Tholen (1993: 33) aus. Nach Weber (1978: 10) kennzeichnet jene Zeit, welche unter den Namen futur antérieur, après-coup und Nachträglichkeit firmiert (vgl. Benjamin 1997), »die Geschichtlichkeit des Subjekts überhaupt, sofern sie durch das Unbewußte mitkonstituiert wird«. Der erste Denkvorgang besteht in nichts anderem als einem ursprungslosen Akt, sich in bestimmter Weise selbst voraus zu setzen. Mittels einer solchen Formatierung menschlichen Bewusstseins treten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als Band von Erinnerungsbildern überhaupt erst auseinander. Dasselbe gilt für die Wahrnehmung 16. Besonders bei der Beschäftigung mit dem Trauma gingen Freuds Überlegungen sehr unterschiedliche Wege und Umwege und häufig waren seine Ansichten jenem scheinbar ausweglosen Dualismus verhaftet: ererbt oder erworben: »Aus dem äußeren Ereignis eines psychisch verletzenden Traumas ist mittlerweile die unbewusste Phantasie geworden bzw. die hereditäre Konstitution der frühkindlichen Sexualität. Von außen nach innen ging der geheimnisvolle Weg auch bei Freud. Fragt man nach dem Ursprung, so scheint es nur zwei mögliche Antworten zu geben: angeboren oder erworben« (Gekle 1997: 31).
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einer biographischen Vergangenheit, der erlebten Gegenwart und noch die Antizipation von Zukunft, welche auf die Urverdrängung als notwendiger Voraussetzung bauen. Der primäre Akt jener unbewussten Selbstbezeichnung bildet darüber hinaus die Bedingung dafür, von sich als psychischer und sozialer Einheit wissen zu können: »Das Präsens nämlich, so Freud, ist die Zeitform, in der der Wunsch in der Weise eines befriedigbaren Bedürfnisses als erfüllter sich darstellt, als Wunsch aber ist er unerfüllbar, d.h. ein ›unzerstörbares‹ und ›immer reges‹ Sich-Distanzieren von sich selbst« (Tholen 1992: 45).
Der Prozess des Wünschens verschränkt sich in intermittierender, traumatischer Weise zwischen dem Kind und seinen Objekten, wodurch paradoxerweise ein Bezugsraum aufgebrochen wird, der den sprachlichen Austausch allererst ermöglicht. Derart entspricht der Wunsch der ersten Wirkung und Funktion eines Zeichens, das »sich in eben dieser trennenden und überbrückenden Weise zwischen das Kind und seine Objekte schiebt« (Löchel 1996: 280; vgl. Müller-Pozzi 1999). Mit dem Wunsch ist eine initiale Denkbewegung gemeint, welche etwas Unmögliches zum Inhalt und Fluchtpunkt nimmt, zielt sie doch auf eine Wahrnehmungsidentität und damit auf das Verharren an einem zeitlichen Punkt erster Befriedigung. In der Annahme Freuds scheint sich dieser gewünschte Stillstand zunächst auch zu verwirklichen, indem das Wünschen seiner Vermutung nach in Halluzinieren ausläuft. Bliebe der Säugling jedoch im Zustand des Halluzinierens gefangen, würde er sein fortbestehendes bzw. wiederkehrendes Bedürfnis nicht registrieren können. Unausweichliche Konsequenz wäre sein psychischer und körperlicher Tod. Zugleich verfehlt die halluzinierte Hungerphantasie den Wunsch, kann dieser doch lediglich in der Verfehlung erfüllt werden: »Eine bittere Lebenserfahrung muß diese primitive Denktätigkeit zu einer zweckmäßigeren, sekundären, modifiziert haben. Die Herstellung der Wahrnehmungsidentität auf dem kurzen regredienten Wege im Innern des Apparats hat an anderer Stelle nicht die Folge, welche mit der Besetzung derselben Wahrnehmung von außen her verbunden ist. Die Befriedigung tritt nicht ein, das Bedürfnis dauert fort. Um die innere Besetzung der äußeren gleichwertig zu machen, müsste dieselbe fortwährend aufrechterhalten werden, wie es in den halluzinatorischen Psychosen und in den Hungerphantasien auch wirklich geschieht, die ihre psychische Leistung in der Festhaltung des gewünschten Objektes erschöpfen« (Freud GW II/III: 572; Hervorh. i.O.).17 17. Sandor Ferenczi schreibt: »Erst allmählich, durch die bittere Lebenserfah-
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Es reicht nicht aus, wenn »das Gedachte (Gewünschte) einfach halluzinatorisch gesetzt« wird (Freud GW VIII: 231; Hervorh. A.T.), wie es noch bei Erwachsenen allnächtlich mit den Traumgedanken geschieht (vgl. ebd.).18 Vielmehr muss das gewünschte Objekt als verdrängtes festgeschrieben und damit in Bewegung, ja als Bewegung bewahrt werden. Lediglich im fortdauernden Verschwinden erhalten sich das Gewünschte und damit der Wunsch als solcher. Mehr noch: Aufgrund ebendieser Unmöglichkeit und Entzogenheit nehmen die Wunschregungen ihren unzerstörbaren und unhemmbaren Charakter an (vgl. Freud GW II/III: 609). Um das selbstdestruktive Erschöpfen der geistigen Tätigkeit in der Hungerphantasie bzw. das Festhalten des Objektes als Wahrnehmungsidentität zu verhindern, ist ein zweites System notwendig: der so genannte Sekundärprozess. Im Witz wird der Sekundärprozess als Hemmung bezeichnet (vgl. Freud GW VI: 131f.). Auch ist bei Freud verschiedentlich von einer Modifikation des Primärprozesses die Rede. Die Entstehung des Wunsches lässt sich weder als geordnete zeitliche Abfolge verstehen, genauso wenig wie das Verhältnis von Primär- und Sekundärvorgang, von Lust- und Realitätsprinzip, als eines der Ablösung zu begreifen ist: »In Wirklichkeit bedeutet die Ersetzung des Lustprinzips durch das Realitätsprinzip keine Absetzung des Lustprinzips, sondern nur eine Sicherung desselben« (Freud GW VIII: 235-236).
Einmal mehr erweisen sich gebräuchliche Benennungen als irreführend, kann doch keinesfalls davon ausgegangen werden, das Primärprinzip habe zuerst ohne Wirken des Sekundärvorganges Bestand gehabt. Derrida (1972: 311) weist darauf hin, dass die Rede vom primären Denken sogar eine ›theoretische Fiktion‹ genannt werden muss. Auch wenn ihre Bezeichnungen eine Reihenfolge nahezulegen scheinen, gehen Primär- und Sekundärvorgang gleichursprünglich auseinander hervor, genauso wie die Schauplätze des Bewusstseins und des Unbewussten. Die Unzerstörbarkeit des unbewussten Wunsches hat den hohen Preis, seine Befriedigungsunmöglichkeit zu bedeuten. Die Schlüsse, welche Freud aus seinen Überlegungen ziehen muss, versagen denn auch eine zufriedenstellende Antwort: Er glaube, man müsse sich mit der befremdlich klingenden Möglichkeit beschäftigen, dass etwas in der Natur des Sexualtriebes selbst dem Zustandekommen der vollen Befriedigung nicht günstig sei (vgl. Freud rung gewitzigt, lernt das Kind die Wunschvorstellung von der wirklichen Befriedigung unterscheiden […]« (Ferenczi 1927: 176; Hervorh. A.T.). 18. Hierbei handelt es sich um einen anderen und schwächeren Begriff von Setzung als den am Wunsch diskutierten Begriff der Zeichensetzung.
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GW VIII: 89-90). Sexualität, lässt sich daraus folgern, ist nur in und als Verschiebung und Ersatz, sie trägt schwer, ja »krankt gleichsam an ihrer eigenen Struktur, an der konstitutiven Substitution« (Weber 1978: 103): »Die Psychoanalyse hat uns aber gelehrt: wenn das ursprüngliche Objekt einer Wunschregung infolge von Verdrängung verloren gegangen ist, so wird es häufig durch eine unendliche Reihe von Ersatzobjekten vertreten, von denen doch keines voll genügt« (Freud GW VIII: 90).
Sowohl Traumdeutung wie Witz tragen Entscheidendes zu einer Theorie des Dritten bei und erweisen sich als geschichtliche wie logische Verwandte. Der Witz stellt die Überwindung der Traumdeutung dar, insofern er eine Triade formuliert, die im unbewussten Wunsch zwar angelegt, aber nicht benannt wird. Vielmehr konzentriert sich die erste Topik noch auf den einzelnen Träumer sowie den Antagonismus der beiden Systeme Bewusstsein und Unbewusstes.
2.2 Die Figur des Dr itten Freud demonstriert die Figur des Dritten vor allem anhand der Zote. Das Fragment über zotige Witze aus dem Mittelteil seiner Witzstudie stellt den Haupttext zur Theorie des Dritten dar. Der Text leistet nicht nur eine Fallanalyse vulgärer Späße, sondern liefert einen wichtigen Beitrag zur Metapsychologie. Anhand zotiger Reden exponiert Freud eine Dreierkonstellation nicht nur von Witz und Klatsch, sondern von Sozialdynamik überhaupt. Die Argumentation bedient sich durchweg einer figurativen Sprache und entwirft ihre Begriffl ichkeit als anschauliche Szenerie mit drei beteiligten Personen, denen verschiedene Rollen als Erzähler, Zuhörer und Objekt der verbalen Enthüllung, welche die Zote darstellt, zukommen. Der Begriff des Dritten geht jedoch gerade nicht in dieser Anschaulichkeit auf und die Psychoanalyse als Theorie des Dritten bleibt keine Figuration. Schon die Traumdeutung formuliert einen impliziten Begriff des Dritten als unbewussten Wunsch, den die Witzstudie in den Fragmenten über Geltung und Genese der Zote als strukturelle Gesprächstriade verstetigt und radikalisiert. In der Figur des Dritten gehen Außen und Innen, Soziales und Individuum notwendig – in Freuds eigenen Worten: notgedrungen – ineinander über und auseinander hervor. Die freudsche Zote schlägt eine Mikrotheorie der Sprache vor, die verbale Verständigung per se als obszön auffasst. Folgt man Freuds Witzanalyse, dann funktioniert Sprache in jeder Form und in allen Kontexten zweideutig und anspielend. Die Zote
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akzentuiert lediglich, was es topologisch bedeutet, zu sprechen, nämlich gleichzeitig zu enthüllen wie sprachlich zu ›verpacken‹. Nachdem bislang die Eingangskapitel der Witzstudie und die darin behandelten sprachlichen Techniken im Vordergrund standen, rückt nun der zweite Teil von Freuds Witzbuch ins Zentrum der Überlegungen. Freud eröffnet den Mittelteil seiner Studie mit der Unterscheidung verschiedener Tendenzen des Witzes und fährt mit der Untersuchung zotiger, entblößender Witze fort. Diese fungiert als erster Auftritt der drei am Witz beteiligten ›Personen‹. Weber (2002) hat bei seiner Interpretation des Witzes und insbesondere der Zote bereits Ende der 1970er Jahre die inzwischen stärker beachtete Figur des Dritten herausgearbeitet (vgl. Koschorke 2002; Bedorf 2003; Porge 1989). In seiner programmatischen Schrift tertium datur fordert er, den am Beispiel des Witzes entwickelten Begriff des Dritten auf alle Kommunikationsformen auszudehnen: »Erstens wäre die Funktion des Sinnes, des Verstehens und der Kommunikation anders als bislang zu bestimmen, und zwar ausgehend von unserer Diskussion des Repräsentanten des Anderen als Dritter Person und als Überich. Richtet sich jede sprachliche Äußerung auf einen Adressaten, so wäre dessen Funktion nicht allein wesentlich durch bewusste Absichten und Überlegungen bestimmt, sondern ebenfalls durch unbewusste. Zweitens wären diese unbewussten Funktionen vielleicht nach dem Muster der besonderen Kommunikationssituation des Witzes zu konstruieren« (Weber 1980: 219).
Was Weber Anfang der 1980er Jahre in Abgrenzung bestimmter Spielarten der Hermeneutik postulieren wollte, hat seither an Bedeutung noch gewonnen; dies nicht zuletzt, weil sich die Frage der Kommunikation durch die Entstehung des heutigen Internet und seiner vielgestaltigen Verständigungsangebote scheinbar ausgeweitet hat. Seit Erscheinen des Aufsatzes tertium datur vor über fünfundzwanzig Jahren sind mit den so genannten Neuen Medien zahlreiche Möglichkeiten der synchronen und asynchronen, d.h. postalischen, Kommunikation entstanden, die unter der gemeinsamen Bezeichnung der computervermittelten Kommunikation (Computermediated communication) in den Sozial-, Kommunikations- und Medienwissenschaften untersucht werden. Die Figur des Dritten ist dabei bisher vollkommen unberücksichtigt geblieben. Im Anschluss an Weber soll ein Begriff von sprachlichem Verkehr und damit von Kommunikation diskutiert werden, der diese Lücke der bisherigen Forschung aufzuzeigen und hoffentlich zu schließen vermag. Im ersten Schritt wird dafür auf Freuds Fragment der Zote zurückgegriffen, die den Traumwunsch gleichsam sozialisiert, um jene Diskussion des Repräsentanten des Anderen als dritter Person und als Über-Ich ausführlich entfalten zu können. Muss die Figur 72
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des Dritten als passende Begrifflichkeit gerade auch elektronischer Kommunikation herangezogen werden, so gilt dies genauso für die so genannte ›Face-to-Face‹-Kommunikation. Die Hauptwidersprüche der Klatschforschung, etwa ob das Klatschobjekt abwesend sein muss oder anwesend sein kann, lassen sich mithilfe der Theorie des Dritten erstmals auflösen. Freuds Witztheorie stellt die entscheidende Begriffl ichkeit für die Gesprächsform Klatsch noch in ihrer elektronischen Form bereit.
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Assoun (2005: 19) macht geltend, dass die freudsche Rede aus einem Gewebe von Metaphern bestehe. Damit beschreibt er nicht nur die irritierende Bildhaftigkeit von Freuds Sprache, sondern nimmt eine grundlegende Bestimmung des freudschen Textes vor. Für den Leser ist jedoch häufig kaum erkennbar, ob es sich bei den Formulierungen Freuds um Metaphern handelt – eine fundamentale Unsicherheit, die auch im Falle der Zote gegeben ist. Die hypothetische Erzählung über die Entstehung der Zote erinnert in ihrer Anschaulichkeit zunächst an einen derben Holzschnitt, so dass man beim Lesen versucht ist, die Ausführungen als banal abzutun. Und dennoch bleibt die Frage nach der generellen Bedeutung jener rohen, reduzierten Skizze bestehen, denn Freuds ›Vorgeschichte‹ obszöner Witze fesselt den Leser von Anfang an gerade wegen ihrer Brutalität. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, die Miniatur eines universellen menschlichen Dramas oder einer »mythical scene« vor sich zu haben, deren Illustration folgendermaßen aussehen könnte (vgl. Gallop 1988: 33): Der Vorhang hebt sich und der Zuschauer – man ist weit eher Zuschauer als Leser – erblickt den kahlen Schankraum irgendeines ärmlichen Wirtshauses. Breitbeinig sitzt ein einsamer Zecher im Zentrum der Szene. Es folgt der Auftritt einer Kellnerin oder Wirtin in sich bauschendem, viel getragenem Kleid, die mit einem frisch nachgefüllten Krug zum Gast an den Tisch kommt. Er schmeichelt ihr, greift nach ihr. Bevor sie sich massiv zur Wehr setzen muss, öffnet sich die Tür und ein neuer Gast, ein Dritter, betritt den Raum. Wütend wendet sich ihm der Zecher zu, erkennt ihn aber als Freund und bittet ihn, an seinem Tisch Platz zu nehmen. Die Kellnerin hat währenddessen die Gelegenheit genutzt, hinter den Tresen zurückzukehren, und nähert sich nun erneut den beiden, um ihre Bestellung aufzunehmen. Als sie sich entfernt, die Getränke zu holen, ergötzen sich die beiden Männer mit anzüglichen Kommentaren über ihre Gestalt und folgen ihr mit den Blicken durch den Raum. Anschließend wenden sie sich einem anderen Thema der Unterhaltung zu. Die freudsche Zote ließe sich beliebig in weitere Bilder und Erzählungen wie die oben stehende übertragen, als ob der Text selbst aus einem einzigen imaginativen Effekt bestünde. 73
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Die Zote verkörpert auf besondere Weise einen erzählten Blick, ersetzt sie doch nach Freud den Akt einer früheren Verführung und damit zugleich den Akt der visuellen Entblößung der Verführten. Obwohl sie als Rede auftritt, stellt sie dennoch eine Schau dar (vgl. Öhlschläger 1996). Die fundamentale Verbindung von Blick und Begehren fand in der Psychoanalyse breiten Raum, wobei der »Konstitution des Ichs im Spiegel« besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde (vgl. Kleinspehn 1989: 16). Während dieses Entwicklungsschrittes, den Lacan (S I: 61f.) für die Psychoanalyse entdeckte und als Spiegelstadium beschrieb, identifiziert sich das Kind in einer jubilatorischen Geste mit seinem eigenen Bild bzw. mit dem Blick des Anderen und setzt sich – vermittelt über den Blick des Dritten (vgl. Widmer 1997: 30f.) – derart selbst als Objekt seines Begehrens, als Vor-Bild (vgl. Tholen 1999b: 200). Von dort nimmt zugleich ein unendliches Drama seinen Ausgang, ringt das Subjekt doch von nun an um die Aufrechterhaltung der Illusion von der eigenen Ähnlichkeit mit diesem vorausgesetzten Bild bzw. Vorbild, während dessen grundlegende Fremdheit ausgeschlossen werden muss (vgl. Lacan S I: 67): »Narzisstische Verkennung verdankt sich dem Umstand, dass der Mensch im Bild seines Ichs einen Doppelgänger sieht, dem sich anzugleichen er bemüht bleibt« (Tholen 1999b: 202). Im voyeuristischen Arrangement der Zote ist der Blick nicht mehr auf das eigene Spiegelbild, sondern auf die Blöße einer anderen Person gerichtet. Der entscheidende Unterschied zur imaginären Spiegelbeziehung besteht jedoch darin, dass der begehrte Anblick verstellt und gestört wird, ja sogar mit einem Rivalen geteilt werden muss, bis sich das Begehren auf den Blick des zunächst bekämpften Dritten richtet. Die universelle Verbreitung dieser Figur des Dritten und ihre Bedeutung für Dichtung und Literatur hat René Girard in seinem Werk untersucht. Er nennt sie »mimetic desire«, wie sie zum Beispiel an Cervantes’ Gestalt des Don Quijote deutlich wird, der sich in seinem Begehren gänzlich an jenen von ihm bewunderten Ritter anlehnt: In Folge wählt nicht mehr Don Quijote die Objekte seines Begehrens, sondern indirekt der andere Ritter. Der Ritter hat Vorbildfunktion für Don Quijote und wird damit zum Mittler von Quijotes Begehren. Girard stellt dieses trianguläre Begehren einer einfachen Konzeption von Begehren entgegen: »Doch gilt das Begehren stets als spontan. Es lässt sich letztlich immer als einfache Gerade darstellen, die Subjekt und Objekt miteinander verbindet. In Don Quijotes Begehren ist diese Gerade wohl präsent, aber nicht ausschlaggebend. Über dieser Geraden steht der Mittler, der auf Subjekt und Objekt zugleich ausstrahlt. Die Raummetapher für diese dreifache Beziehung ist ersichtlich das Dreieck (triangulum)« (Girard 1999: 12).
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Girards Definition des mimetischen Begehrens stellt die Beziehungsform des Dreiecks als bestimmendes Merkmal heraus. Wenn dieser Charakterisierung menschlichen Begehrens auch grundsätzlich zuzustimmen ist, so gilt einzuwenden, dass mimetisches bzw. trianguläres Begehren keine besondere Form des Begehrens darstellt. Jede Form von Begehren meint eine solche Dreiecksbeziehung, wie Girard sie als trianguläres Begehren alleinstellt. Sowohl der unbewusste Traumwunsch als auch das Spiegelstadium zeigen, dass Begehren Triangulierung heißt und vice versa. Das Kind begehrt sich selber in den Augen des anderen, d.h. es beginnt erst vermittelt über den Blick des Dritten, sein Abbild im Spiegel zu begehren. Eben solch ein trianguläres oder mimetisches Begehren untersucht Freud in seiner Theorie des Witzes als Figur des Dritten und im Besonderen am Szenario der Zote. Die demonstrierte Anschaulichkeit der freudschen Zote ist jedoch eine zutiefst trügerische, ja blinde. Obwohl Freud sie als eine linear erzählte Geschichte präsentiert, ergaukelt die Zote ihre Geradlinigkeit. Die zotige Erzählung zerschlägt die Vergangenheit, von der sie zu berichten scheint, selber, um nachträglich die Bruchstücke in eine zweite Zukunft stets neu zu entwerfen. Die oben gegebene Bebilderung der Zote triff t folglich genauso zu, wie sie fehlgeht, stellt die Zote doch vielmehr die Frage nach der Darstellung als solcher (vgl. Hart-Nibbrig 1994), weshalb sie in besonderer Nähe zum Traum und dessen Bilderschrift einzuordnen ist (vgl. Tholen 1999a; Kläui 1999; Widmer 1997: 74f.; Kofman 1990: 79f.; Weber 2002: 28f.). Der Traum und der obszöne Witz differieren trotz ihrer weitgehenden Gemeinsamkeiten und ihrer Strukturanalogie, verkörpern Zoten doch im Gegensatz zum Traum eine erzwungene Entblößung und damit ein reales Sozialgeschehen. Auch Freuds Formulierungen transportieren diese zotige Gewalt. Seine Ausführungen zur Zote erinnern in ihrer Grobheit eher an die Beschreibung eines brutalen Balzverhaltens als an eine Verführung. Die Leserin ist deshalb geneigt, sich schnell in die Position des ablehnenden schamhaften ›Weibes‹ zu begeben. Das Kostbarste des Textes wird jedoch verschenkt, wenn die Lektüre auf eine Kritik an der vermeintlichen Misogynie Freuds reduziert wird, wie es z.B. der amerikanische Literaturwissenschaftler Hill (1993: 151-152) in seiner Rezeption des Textes tut: »Freud’s apparent support for this fundamental tenet of the rapist’s credo not only does him little credit personally, it also limits his theoretical vision«. Freud sei damit in einen Prozess der Gegenaufklärung und Restauration einzuordnen, welcher wieder zunichte machte, was Frauen zuvor bereits erreicht hatten: »This wave of misogyny had reached a high point by the turn of the century, and Freud’s theory of the dirty joke certainly does little to stem it – quite the contrary« (ebd.: 152). Dieses Kapitel will dagegen zeigen, dass Freuds Vorhaben mit der Einführung der Zote gerade nicht begrenzt wird, sondern an Komplexität gewinnt. Soll eine Figur des Drit75
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ten jenseits der konkreten Zote und sozialen Dreiecksbeziehung erkennbar werden, muss die Lektüre eine Dekonstruktion ihrer Anschaulichkeit leisten und aus Freuds Bildersprache entscheidende Funktionsprinzipien und -mechanismen herausheben. Verbleibt die Analyse innerhalb der zotigen Bildlichkeit, dann entgleitet die Zote als Metapher dem Verständnis, sind Wunsch, Witz und Zote doch Artikulationen ein und derselben Struktur. Sie trägt in der Psychoanalyse den Namen Nachträglichkeit und vermag auch den Klatsch als Artikulation des Dritten aufzuschlüsseln.
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Die Witzanalyse stößt nach mehreren Umwegen auf einen obszönen »Grenzfall des Witzes« (Freud GW VI: 105), dem viel Abneigung entgegengebracht wird. Aber gerade dieser sprachliche Grenzfall verspricht Aufklärung über mehr als einen dunklen Punkt der Untersuchung; hierbei handelt es sich um die gemeine Zote. Ob mit der Zote zugleich eine Grenze des Witzes markiert ist und ob der Schauplatz der Zote sich jenseits oder diesseits der Grenze(n) des Witzigen abspielt, bleibt zunächst unklar. Es scheint jedenfalls um eine Verortung zu gehen, weshalb Weber (2002: 123) die Zote den »vereinigenden Ort« der drei Hauptfiguren des Witzes nennt. Was für einen ›Ort‹ oder Raum stellt die Zote mit ihrer unsicheren Platzierung als Grenzfall des behandelten Wissensgebietes aber dar? Freud (GW VI: 105) lässt wissen, dass der entblößende Witz weniger untersucht worden sei als der feindselige, weil sich die Abneigung des Stofflichen aufs Sachliche übertragen habe. Die Untersuchung ›dreckiger Witze‹ und ihrer zotigen ›Vorstufe‹ geht mit Zaudern und Widerwillen, fast schon Ekel einher. Außerdem kündigt sich die Zote als Forschungsinhalt an, der die Wissenschaft und ihren Stil in besonderem Maße zu affizieren und sie dadurch ›in den Schmutz‹ zu ziehen droht. Die Untersuchung befasst sich denn auch mit einer fragmentarischen, hypothetischen Erzählung ihrer Entstehung oder »Ausgangssituation«, anstatt direkte Beispiele zotiger Reden zu behandeln (Freud GW VI: 110). Kofman macht darauf aufmerksam, dass Freud im Witz keine ›schmutzige‹ Geschichte der diskutierten Art erzählt: »Etwa aus Angst, Empörung hervorzurufen, aus Angst davor, dass dieser Ekel auf die Psychoanalyse zurückfällt, die sich mit solchen widerwärtigen Objekten befasst – oder weil seine Analyse Gefahr liefe, sich dadurch noch mehr zu verkomplizieren?« (Kofman 1990: 166).
Freud (GW VI: 97f.) hatte bei seiner Witzanalyse nach der erschöpfenden und akribischen Analyse der sprachlichen Techniken die Tendenzen eines Witzes als zusätzlichen aufzuklärenden Faktor in Betracht gezogen, für 76
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die er zunächst eine Zweiteilung in feindselig und obszön vorschlägt (ebd.: 105). Im weiteren Verlauf der Untersuchung gesellen sich zum feindseligen und obszönen Witz noch weitere Formen tendenziöser Scherze, die zynische Tendenz (ebd.: 121), die skeptischen Witze (ebd.: 128) und Sophismen. Die Witzuntersuchung leistet zuerst die genaue Betrachtung der weniger beachteten obszönen Späße. Und noch einen Schritt weitergehend – gleich einer Enthüllung der Puppe aus der Puppe – bespricht Freud nicht den obszönen Witz selber sondern seine zotige Vorform, deren Entwicklung zum sublimeren entblößenden Witz er nachzeichnet. Die Zote vermag vielleicht gerade wegen ihrer Beiläufigkeit und abstoßenden Niedrigkeit eher als der turbulente, dichte Witz in Gestalt einer Erzählung mit vorgespiegelter linearer Abfolge aufzutreten (vgl. Weber 2002: 134). Statt jedoch ihrer Figürlichkeit ›aufzusitzen‹, soll hier einer Lesart dieses Fragments gefolgt werden, die darin den Entwurf einer Konstellation, eines buchstäblich verrückten Verhältnisses zu rekonstruieren versucht: der Figur des Dritten.
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Man wisse: Unter der Zote werde die beabsichtigte Hervorhebung sexueller Tatsachen und Verhältnisse durch die Rede verstanden (vgl. Freud GW VI: 105). Weil jedoch auch Vorträge über die »Anatomie der Sexualorgane« (ebd.) oder die »Physiologie der Zeugung« (ebd.) unter diese fallen, die nicht einen einzigen »Berührungspunkt« (ebd.) mit ihr teilen, scheint etwas für die Charakterisierung der Zote Entscheidendes zu fehlen: der Adressat der Rede, genauer die Adressatin und die spezielle »Ausgangssituation« (ebd.: 110). Am Anfang der Geschichte steht ein erregter ›Mann‹, der ›sich dem Weibe anzeigen‹ will, wie Freud es umständlich ausdrückt (ebd.: 107). Und mehr noch solle seine werbende Rede ›die Frau‹ sowohl von der Erregung des Sprechers in Kenntnis setzen, als auch sie selber in einen Zustand ›korrespondierender‹ sexueller Erregtheit versetzen, sowie die »Neigung zur passiven Exhibition« bei ihr erwecken (ebd.). Die ›dreckige Geschichte‹ ist demnach in einem ganz bestimmten Sinne auf etwas oder jemanden gerichtet. Neben der Exposition sexueller ›Inhalte‹ durch die Rede wird sie durch Folgendes charakterisiert: »Es gehört noch dazu, dass die Zote an eine bestimmte Person gerichtet werde, von der man sexuell erregt wird und die durch das Anhören der Zote von der Erregung des Redenden Kenntnis bekommen und dadurch selbst sexuell erregt werden soll« (ebd.: 105-106).
Die Zote stellt offenbar ein komplexes Zusammenspiel von Exhibition, Voyeurismus, Aktivität und Passivität dar. Es sticht hervor, dass zwar einer77
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seits der ›Mann‹ versucht, der ›Frau‹ ihre ›Bedeckung‹ zu nehmen, dies andererseits aber nur mittels einer, darum nicht minder gewaltsamen und bedrängenden, Schau und Entblößung seiner eigenen Erregtheit. Darum ist es nicht möglich, die Zote ausschließlich durch den Gegenstand der Rede zu beschreiben: »Sie muss nicht als Diskurs begriffen werden, der über etwas geführt wird, sondern der an einen besonderen Adressaten gerichtet ist« (Weber 2002: 123). Die Zote verkörpert eine Adresse, wodurch sie sich als Artikulation des Unbewussten zu erkennen gibt, setzt diese doch immer einen Adressaten voraus, wie hier beschrieben (vgl. ebd.: 130). Ursprünglich sei die Zote an das Weib gerichtet und einem Verführungsversuch gleichzusetzen (vgl. Freud GW VI: 106). Und wenn sich, nach einer noch näher zu bestimmenden Entwicklung, ein Mann in Männergesellschaft mit dem Erzählen oder Anhören von zotigen Reden vergnügt, so ist die ursprüngliche, aber nun verhinderte, unzugängliche Situation dabei mit vorgestellt, die »infolge sozialer Hemmnisse nicht verwirklicht werden kann« (ebd.). Die Voraussetzung der Zote bildet die Phantasie einer zeitlich vorangegangenen Episode und damit einer früheren Entblößung, die als ihre Urszene zu bezeichnen ist. In der Zote kommt es zu einem Ersatz von Schau und Tat sowie von Rede und Anhörung, weil dieses vorgelagerte Szenario einer früheren Entblößung bei der Zotenerzählung immer »mit vorgestellt« (ebd.) wird. Wer über die gehörte Zote lache, lache genauso wie ein Zuschauer bei einer sexuellen Aggression (ebd.). Der sinnliche Akt des Anhörens und der Sinnesakt Zuschauen fallen in der Zote zusammen, wobei das Schauen dem Zuhören vorausgegangen sein solle. Im selben Zuge verkörpert die Zote eine Rede als verhinderte Verführung und eine Verführung in erzählter Form. Handlung und Sprache fallen hier unauflösbar in eins. Freud zieht in Erwägung, dass die Hörerin, statt sich erregt zu zeigen, auch verlegen und beschämt reagieren kann. Doch sollte die Frau beim Anhören der Rede des Mannes in Scham und Verlegenheit gebracht werden, anstatt selbst erregt zu werden, so ist das gleich einem Akt der Verneinung nur ein Umweg und bedeutet ein Eingeständnis ihrer sexuellen Erregung (ebd.). Demselben Gesetz folgend fungiert in der Situation des Zotenerzählens unter Männern jede anwesende Frau als »the butt« (Penley 1997: 95). Die Adressatin des Werbeversuchs kann der Situation nicht entkommen, weil jede Reaktion dasselbe aussagt. Sie ist im strengen Sinne Objekt des Geschehens und dennoch Hauptfigur dieser Vorgeschichte: die Begehrte. In seiner kleinen Arbeit über die Verneinung erläutert Freud (GW XIV: 15), dass man in der Analyse kein Nein aus dem Unbewussten auffinde und dass sich die Anerkennung des Unbewussten von Seiten des Ichs in einer negativen Formel ausdrücke. Wie sich zeigte, ist auch auf 78
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dem Schauplatz der Zote keine Verneinung möglich, was sie neben ihrer Eigenart Adresse zu sein als dem Unbewussten zugehörig markiert. Die zunächst nur nebenbei erwähnte schamhafte Reaktion der Frau, an der die zotenreißenden Zuschauer sich weiden, bekommt im weiteren Text von Freud eine tragende Funktion zugewiesen. Die Zote trägt nicht nur Freuds Theorie des Dritten, sondern ihre Darstellung spiegelt Logik und Gesetz des Dritten, indem sie in drei Teile zerfällt. Der erste Teil beschreibt wie oben gezeigt die Genese der Zote, der Zwischenteil charakterisiert das Sexuelle der Zote, und der dritte Teil stellt eine seltsame Wiederholung des ersten Teiles dar. Als Freud im dritten Teil wieder auf die bereits eingangs dargestellten Entwicklungsschritte zurückkommt, schildert er die Ausgangsszene, jenes ›Ping-Pong-Spiel‹ der Erregung von Redner zu Zuhörerin, mit einer entscheidenden Verschiebung. Diesmal bezeichnet er die vorgestellte frühere Verführung der Frau nicht als Zote, sondern als werbende Rede, die mit Beginn der eigentlichen sexuellen Handlung ende (Freud GW VI: 107). Nun erhält auch die Weigerung der Frau eine vollkommen andere Qualität und Funktion: »Diese werbende Rede ist noch nicht die Zote, geht aber in sie über. Wo nämlich die Bereitschaft des Weibes sich rasch einstellt, da ist die obszöne Rede kurzlebig, sie weicht alsbald der sexuellen Handlung. Anders, wenn auf die rasche Bereitschaft des Weibes nicht zu rechnen ist, sondern an deren Statt die Abwehrreaktionen desselben auftreten. Dann wird die sexuell erregende Rede als Zote Selbstzweck; da die sexuelle Aggression in ihrem Fortschreiten bis zum Akt aufgehalten ist, verweilt sie bei der Hervorrufung der Erregung und zieht Lust aus den Anzeichen derselben beim Weibe« (ebd.: 107-108; Hervorh. A.T.).
Je verwischter die Ränder von werbender Rede und Zote, Handlung, Sprache und Schau im Fortschreiten der Darstellung beim Versuch sie zu separieren und zu fi xieren aber werden, umso deutlicher wird ihre Verbindung. Einerseits solle die Rede Mittel für einen nachfolgenden Zweck, den sexuellen Akt, sein, andererseits offenbart sie sich in einem weit stärkeren Sinne als Selbstzweck: als Spiel von sprachlicher Ver- und Enthüllung, die als (Phantasie der) Entkleidung einer Frau auftritt, von ›angezeigter‹ Erregung und ›korrespondierender‹ reaktiver Exhibition. Hiermit verrät sich der Text als eine Art Täuschung, wird doch die Vorgeschichte ihrer Vergangenheit beraubt. Die vorausgesetzte Verführungsszenerie oder der Ursprung kann unmöglich vorher stattgefunden haben. Vielmehr wird die Schau erst nachträglich zu dem, was sie ist, und mit ihr alle beteiligten ›Personen‹. Die Zote bringt ihren Ursprung demnach aus ihrer eigenen Mitte hervor, wodurch ihre Protagonisten in einer paradoxen Geste gemäß den Regeln derselben Nachträglichkeit, die auch im Traumwunsch am 79
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Werke ist, erst zu dem werden, was sie immer schon gewesen sind. Selbst die scheinbar allem vorausgesetzte Erregung des ›Mannes‹ geschieht auf Umwegen, ›par ricochet‹ durch die Gegenwart und den Anblick der ›Frau‹, also in einer unmöglichen Bewegung durch das, was ihre Folge sein solle. Im selben Maße wie sie auf die Vergangenheit verweist und verwiesen ist, kann die Zote dies ausschließlich aus dem gegenwärtigen Augenblick heraus tun, so dass sie sich als Figur jener eigentümlichen Zeitlichkeit darstellt, die bereits als Wunsch erörtert wurde. Wie im Wunsch wird in der Zote etwas Nebensächliches, Verhindertes, der Ersatz, der Umweg zur Hauptsache bzw. zum Selbstzweck. Mit der Ergänzung der ersten unzureichenden Definition der Zote, nicht mehr nur als Exposition sexueller Tatsachen durch die Rede verstanden zu werden, sondern nun als Adresse, lassen sich zwar unbefriedigende Lücken im Verständnis derselben schließen, jedoch ergeben sich durch die Einführung zunächst lediglich einer weiteren zusätzlichen zweiten Person, an die solch eine Rede gerichtet werden muss, nicht unerhebliche Schwierigkeiten bei den Fragen, um wen es sich hier wann gehandelt haben mag. Denn während ursprünglich ›das Weib‹ als Adressatin der Zote fungiert, wird der Zugang zu dieser Art von Rede ›sozial‹ verstellt, so dass an ihre Statt ein männlicher Zuhörer tritt. Auf doppelte Weise wird die sexuelle Handlung verhindert und das Zustandekommen der Zote befördert. Zum einen ist hier die Weigerung der Frau zu nennen, ja diese Art der Unterhaltung setzte ursprünglich ein sich schämendes Weib voraus (ebd.: 108). Doch diesem Hemmnis wird durch das Hinzutreten einer dritten Person noch ein weiteres gleichwirksames hinzugefügt: »Die Unnachgiebigkeit des Weibes ist also die nächste Bedingung für die Ausbildung der Zote, allerdings eine solche, die bloß einen Aufschub zu bedeuten scheint und weiteres Bemühen nicht aussichtslos erscheinen lässt. Der ideale Fall eines derartigen Widerstandes beim Weibe ergibt sich bei der gleichzeitigen Anwesenheit eines anderen Mannes, eines Dritten, denn dann ist das sofortige Nachgeben des Weibes so gut wie ausgeschlossen« (ebd.).
Nun ist das Trio des Witzes versammelt, denn eine Adresse der hier besprochenen Art setzt sich nicht nur aus zwei, sondern aus drei Beteiligten zusammen. Zwei genießen die Blöße einer Dritten.
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Im zotigen Witz bedeuten das Anhören und Zuschauen dasselbe. Der Schaulust kommt hierbei zentrale Bedeutung zu, charakterisiert Freud die Zote doch als Äquivalent der faktischen Entblößung, welche sich stets auf 80
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infantile Schau- und Zeigelust bezieht, nachdem er zunächst sogar eine frühere Entblößung als Voraussetzung der Zote angenommen hatte. Doch wer oder was wird dabei entblößt? Und worin besteht die Blöße? Einerseits ist im Text von der ›sexuell differenten Person‹ die Rede, andererseits solle ›das betreffende Körperteil‹ als entkleidet vorgestellt werden, sogar ›das Sexuelle‹ schlechthin: »Die Zote ist wie eine Entblößung der sexuell differenten Person, an die sie gerichtet ist. Durch das Aussprechen der obszönen Worte zwingt sie die angegriffene Person zur Vorstellung des betreffenden Körperteiles oder der Verrichtung und zeigt ihr, dass der Angreifer selbst sich solches vorstellt. Es ist nicht zu bezweifeln, dass die Lust, das Sexuelle entblößt zu sehen, das ursprüngliche Motiv der Zote ist« (Freud GW VI: 106).
Das zotige Reden bedient sich nicht nur bestimmter Elemente von Enthüllung und wiederholt diese mithilfe sprachlicher Mittel, sondern es operiert gemäß einer tatsächlichen Entblößung. Auf die Funktion dieses ›Wie‹ der sprachlichen Enthüllung kommt es im Besonderen an, weil es die spezifische Realität der Zote umschreibt und damit den bereits im vorigen Kapitel beschriebenen atopischen Ort des Geschehens anzugeben vermag. Darin ist nichts weniger als der gesamte Vorgang des Ersatzes enthalten, von dem Psychoanalyse in allen Formen berichtet. Bei diesem besonderen ›Wie‹ handelt es sich um dasselbe, welches Lacan in seinem berühmten Diktum anvisiert, wonach das Unbewusste strukturiert ist wie ein Sprache. Anhand der Zote erläutert Freud Schaulust und Voyeurismus, die im Witz am Werke sind. Zugleich geht er auf das ›Geschlecht der Zote‹ ein, das ein Zwitter ist, nämlich noch »das beiden Geschlechtern gemeinsame: das Exkrementelle in seinem ganzen Umfang« (ebd.: 106). Kofman (1990: 150) behandelt in ihrer Interpretation des Zusammenhangs von Geschlecht und Zote den bereits in der Traumdeutung besprochenen Mechanismus der ›Ersetzung durch ein Kleines‹. Er vermag im Besonderen den Vorgang der ›Re-konstruktion‹ aus dem bloß Angedeuteten zur vollen Obszönität zu umschreiben, die von Freud als das spezifisch Lustvolle der Zote aufgefasst wird. Sowohl die Nähe zum Exkrementellen als auch die Zwitterhaftigkeit der Zote sind bei Weitem keine Entdeckung Freuds, sondern fi nden sich schon in alten witzigen Schmähungen, wie folgendes Zitat belegt: »… wir wollen es nicht hören, dieses kothig gemeine Eh! des Hohnes, wo immer ein edleres Gefühl zu beschmutzen ist, wir wollen sie nicht vernehmen diese stinkenden Witze, die zu errathen geben, dass das innerste Heiligtum der Menschheit einen Phallus verberge« (Vischer, zit.n. Dreßen 1986: 151).
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Das Zwitterhafte der Zote trägt die alten Reden, die mit der Anspielung auf die phallische Frau einer so genannten Urphantasie aus der psychoanalytischen Entwicklungspsychologie vorgreifen. Die Behauptung, Freud habe im Witzbuch keine Zote erzählt, triff t nicht völlig zu. In einer kleinen Anspielung wird seine eigene Rede sogar äußerst zweideutig. Als er das Schicksal der Schaulust diskutiert und auf die kindliche Neigung zur Selbstentblößung zu sprechen kommt, bemerkt er, dass sich zwar bei Männern ein Exhibitionsdrang als Perversion erhalten kann, dass bei Frauen aber in den allermeisten Fällen die Reaktionsleistung der sexuellen Schamhaftigkeit über die infantile Neigung obsiege (Freud GW VI: 107). In der kulturellen Institution ›Kleidung‹ sieht er jedoch einen sozial gestatteten Weg, wie die Frau dennoch ihrer Zeigelust frönen kann: »Beim Weibe wird die passive Exhibitionsneigung fast regelmäßig durch die großartige Reaktionsleistung der sexuellen Schamhaftigkeit überlagert, aber nicht, ohne dass ihr in der Kleidung ein Ausfallspförtchen gespart bliebe. Wie dehnbar und nach Konvention und Umständen variabel dann das der Frau als erlaubt verbliebene Maß von Exhibition ist, brauche ich nur anzudeuten« (ebd.; Hervorh. A.T.).
Hier wird nichts Geringeres behauptet, als dass die Frau sich durch ihre Einkleidung exhibitioniere, anstatt sich zu verhüllen. Während Kleidung meist mit Bedeckung gleichgesetzt oder als Schutz vor äußeren Einflüssen wie Wärme, Kälte, Strahlung oder Wind verstanden wird, nimmt Freud hier eine Demontage der Abgrenzung von Außen und Innen vor: Das Kleid dichtet nicht nach außen hin ab oder verwahrt ein Inneres, sondern es erlaubt einen Ausbruch oder, wie er sagt, einen Ausfall. Aber Hülle und Kern werden nicht einfach ausgetauscht, Innen und Außen nicht lediglich verkehrt, wie beim Verfassen des Buches geschehen, sondern auf diesem Seitenschauplatz oder Nebengleis vermag Freud anzugeben, dass nicht die Nacktheit oder ein nackter Körper sich entblättert, sondern dass erst der Anzug eine Entblößung möglich macht, ja dass ›dahinter‹ Nichts ist, vielmehr wird in Witz und Zote ein Jenseits evoziert, wie Lacan (SE V) es formuliert und als Funktion des Witzes überhaupt reklamiert. Insgesamt brauche er nur anzudeuten, dass der Frau in Form der Kleidung die Möglichkeit bewahrt bleibt, sich zu exhibitionieren, versichert Freud komplizenhaft. Er bringt hier den Mechanismus der Rekonstruktion zur vollen Obszönität selber zur Anwendung und reißt gleichsam einen zotigen Scherz. Weiterhin werden die sprachliche Technik der Anspielung und Andeutung als Bestandteil und Ausdruck des Mechanismus markiert und damit selbst als grundlegend obszön enthüllt.
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2. Die Theor ie des Dr it ten
E XKUR S : E N T BLÖSSUNG
UND
R AUM
Von Beginn an hat die Pornografie neben der Militärtechnologie die Internetgeschichte und insbesondere die Entwicklung des World Wide Web bestimmt (vgl. Kuni 1999: 468-469). Ein jüngeres Kapitel dieser obszönen Medientechnikgeschichte hat globales Aufsehen erregt, das Anfang des Jahrtausends mit der Verbreitung eines scheinbar privaten Videos begann, auf dem die Hotelerbin Paris Hilton beim Geschlechtsverkehr mit ihrem damaligen Freund Rick Solomon zu sehen ist. Das Video scheint der Art nach, wie es produziert, aber auch wie es im Internet präsentiert wurde, ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt zu sein, was es umso begehrlicher macht, ist der Blick darauf doch noch verbotener und geheimer: ein Schlafzimmer-Hack. Hilton will von der Veröffentlichung des Materials nicht gewusst haben, was unwahrscheinlich ist, aber nicht ausgeschlossen werden kann. Das Foto- und Videosharing im Internet stellt eine unüberschaubare Anzahl nicht professionell produzierter Fotos und Filme pornografischer Art aus, ebenso wie Dokumentationen von Unfällen und Verbrechen. Das Besondere an diesem Tape, das für eine spezifische Videogattung steht, ist seine Protagonistin. Paris Hilton scheint als reiche Erbin eines der größten Hotelimperien von Geburt an jedem gesellschaftlichen Zwang enthoben. Sich in einem Porno zu exponieren, geschieht nicht aus materieller Notwendigkeit, sondern ist ein vollkommen freiwilliger Akt. Für den Betrachter des Videos ist sie durch ihren Reichtum gänzlich unerreichbar – nicht käuflich! – und wird doch wie jede andere Frau als ›Hure‹ vor ihm entblößt. Zugleich entrückt und erniedrigt, wurde Hilton zur goldenen Prinzessinnen-Dirne des Internet. Verschmelzung des sonst streng Getrennten, Schmutz und Glanz, Überhöhung und Demütigung, gewährte den kurzen, aber immensen Erfolg des Hilton-Tapes. Hilton macht sich in besonderer Weise zum Spiegel eines Zwanges, dem alle unterworfen sind, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen: am Arbeitsmarkt gesehen zu werden, Aufmerksamkeit zu erlangen. Sich vor anderen zu enthüllen, ist selbst für diese Frau hoch lustbesetzt. Sie macht es freiwillig, obwohl es gerade in ihrem Fall anders sein könnte. Damit isoliert sie zur puren Selbstbefriedigung, was für die meisten Menschen zum Überleben unausweichlich scheint. Und sie tut das auf eine Weise, die den Zuschauern wiederum eine Kanalisierung der Wut über diese ›Unverschämtheit‹ erlaubt, indem Hiltons Erniedrigung inbegriffen ist, was sich wiederum in ein höchst lukratives Geschäft verwandelt. Das bisher Beschriebene könnte auf jede prominente Millionärstochter oder auch jeden Sohn zutreffen und hat sich ähnlich wiederholen lassen, doch das Entscheidende am hier besprochenen Film ist dessen Titel, der auf viel83
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fältige Weise mit dem Namen seiner Hauptdarstellerin spielt: »One Night in Paris«. Ohne Kenntnis des Zusammenhanges könnte man unter dem Titel jede beliebige Komödie vermuten, in deren Verlauf sich ein Liebespaar in der französischen Metropole triff t, streitet und wieder versöhnt. Wenn Paris dagegen wie im vorliegenden Fall als Name einer Frau fungiert, wird der Satz unweigerlich zweideutig: »One Night in Paris« spielt selbstredend zunächst mit der Phantasie, ›in‹ dieser Frau sein zu können, oder es klingt wie der Triumph eines Ehemannes, der seine wilde, sich verweigernde, ›widerspenstige‹ Braut in der Hochzeitsnacht (›The one night‹) ›zähmen‹ konnte, indem er ›drin‹ war (passend hierzu wird auch der damalige Partner Hiltons als Regisseur angegeben). Statt des weißen Bettlakens mit dem blutigen Fleck dient nun das Video als Beweis des männlichen Besitzerstolzes. In früheren Zeiten machte das Laken dann angeblich als schmutzige Wäsche auf den Steinen des Flussufers klatschende Geräusche und gab den Gesprächen der Frauen, die es bearbeiteten, seinen Namen: Klatsch (vgl. Althans 2000: 41f., 2008: 147f.). Ob diese historische Herkunft des Klatsches aus der Arbeit von Frauen tatsächlich trägt, sei dahingestellt. Bis heute hält sich jedenfalls die Vorstellung, diese Gespräche würden eine Spurensuche verkörpern, bei der Geschichten von Liebe, Sexualität und Gewalt, die sich als ›schmutzige‹ Spuren niedergeschlagen haben, zurückverfolgt und rekonstruiert werden. Paris Hilton ist nach dem Ort der Liebe benannt, und dies gleich doppelt. Ihr Name bezieht sich sowohl auf die Stadt wie auch das Hotel, wodurch der Name seine Kraft zu benennen einbüßt: Er wird überdeterminiert, ortlos. Der Titel des Videos »One Night in Paris« muss damit ungewollt nicht nur auf die Frau, sondern auf den Ort beziehungsweise die Orte und mehr noch: zugleich auf ihre Zeugung anspielen, ist Paris Hilton doch – wie der Name belegen soll – »One night in Paris, (Hilton)« entstanden. Zwangsläufig multipliziert sich das in ihrem Namen angelegte Vexierspiel der Plätze zu einem Gewirr von wahrhaft unheimlicher Obszönität, in dem lebenswichtige Unterschiede verschüttet werden: Zeiten, Orte, Personen beziehungsweise Generationen verschmelzen. Bereits die Eltern Hilton entblößten sich und ihren Zeugungsakt mit der Namensgebung des Kindes und deuteten damit ungewollt an: Alle Hiltons (Familienmitglieder und Hotels), die doch versuchen, etwas anderes als öffentliche Häuser und ihre Bewohnerinnen zu sein, sind auch nur für ›das Eine‹ da, was ihre Tochter – nun explizit als Porno – auf den Punkt bringt. Das Genre der Pornografie steht wie kein anderes für die Exponierung entblößter Körper. Es gilt als die Offerte, einen voyeuristischen Blick auf die Nacktheit anderer zu werfen. Gerade deshalb kommt dem besprochenen pornografischen Video eine paradoxe Funktion zu, verdeckt diese Zur84
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schaustellung doch prothesenhaft eine absolute Ortlosigkeit. Oder anders: die Entblößung dient hier – genauso wie im Szenario der Zote – der Bedeckung. Wenn das Internet eine Neuverhandlung des Raumes bedeutet, so ist das Hilton-Video als Teil der kulturellen Verarbeitung und Mythenbildung über die Erschütterung oder besser Verschiebung der gewohnten ›Koordinaten‹ von Zeit und Raum zu lesen. Denn umgekehrt kann es genauso wenig darum gehen, einen ›Raumverlust‹ im und durch das Internet zu beklagen, eine Klage, die so alt ist wie die Technik selbst – unter anderem das Telefon war als »Vernichter des Raums« verrufen (Ronell 2001: 105). Und so nimmt dieser Exkurs die Hauptfrage vorweg: diejenige nach dem Chatroom, den man vielleicht vorschnell als Raum betitelte und dessen Räumlichkeit völlig unbefragt bleibt, sondern wie selbstverständlich als gegeben vorausgesetzt wird. Dies bildet das Thema des vierten Teiles dieser Arbeit. Wenn man den Blick zurück auf die Szenerie der freudschen Zote wirft, ergeben sich zahlreiche Gemeinsamkeiten mit der pornografischen Performance von Hilton/Solomon: die Weigerung der Frau (die jedoch im Fall Hilton mit der Aufnahme einverstanden war und so selber den Blick eines Dritten aufsuchte), der Blick des Dritten, der für alle Pornografie konstitutiv ist und der im und als Video vorliegt und nun weitergereicht wird sowie eine beunruhigende Verwischung von Grenzen: Zote und Porno sperren sich beide gegen eine lineare Ordnung. Bereits Theodor W. Adorno habe festgestellt, dass der Pornografie die ›Anfang-Mitte-EndeForm‹ fehle, die für sonstige Kunst und Kultur typisch ist (vgl. Finney 1997: 32). Stattdessen dominiert die Wiederholung, was Adorno (GS 16: 264-284 und GS 18: 538) – er diskutiert es vor allem an der Musik – als kulturindustriell bedingten Mangel beklagt, als »pornografische Glätte des rhythmischen Ablaufs«. Ob das Fehlen einer erkennbaren Handlung ein zu behebendes Manko oder nicht umgekehrt einer näheren Betrachtung äußerst würdig ist, wäre zu diskutieren. Neben der Nonlinearität teilen Pornografie und Zote eine Gleichgültigkeit gegenüber ihren Protagonisten, die hinter ihre Funktionen zurückzutreten scheinen. Dementsprechend schreibt Angela Carter in ihrer Studie The Sadeian Woman der Pornografie – in kritischer Absicht – eine »Abstrahierungstendenz« (Finney 1997: 31) zu, bei der ein Mensch auf seine Geschlechtsteile reduziert werde. Darin gleiche die Pornografie dem Graffiti: »Pornography involves an abstraction of human intercourse in which the self is reduced to its formal elements. In its most basic form, these elements are represented by the probe and the fringed hole, the twin signs of male and female in graffiti, …« (Carter 1979: 4).
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Carter spricht auch von einer universalen Bildsprache der Lust (»a universal pictorial language of lust«; ebd.) oder auch »elementary Iconography« (ebd.), in der z.B. der Mann und sein Genital durch ein Ausrufezeichen verkörpert werden. Ähnlich wie bei international gültigen Verkehrszeichen oder auch der emotiven Ikonographie bzw. den ›Smileys‹ der Chatkommunikation, die im Übrigen Graffiti und Comicsprache entstammen sollen, scheinen diese Zeichen keiner Übersetzung zu bedürfen. In den Minima Moralia bemerkt Adorno (GS 4: 53), für die Lektüre Sades bräuchte man kein Wörterbuch: »On parle français. – Wie innig Sexus und Sprache sich verschränken, lernt, wer in einer fremden Sprache Pornographie liest. Bei der Lektüre Sades im Original braucht man kein Dictionnaire«. Und eben jene Durchdringung von »Sexus und Sprache«, wie Adorno es nennt, wird in Freuds Theorie des Witzes thematisch. Doch ob in dieser ›universellen‹ Sprache des Sexus immer klar zwischen dem weiblichen und dem männlichen Genitale unterschieden wird, wie Carter meint, bleibt fraglich: In der Zote jedenfalls ist wesentlich unklarer, was zu ›sehen‹ ist und vor allem was zu sehen gewünscht wird. Abschließend soll hier zumindest angedeutet werden, dass zwar die Pornografie einerseits eine politische Bezeichnung ist, für die es keine allgemeingültige Definition oder Bedeutung gibt und vielleicht nicht geben kann und sollte (vgl. MacNair 1996: viii), dass sich aus Freuds Modell der Zote aber eine Auffassung und Definition von Pornografie gewinnen ließe, die im Besonderen auf ihre ternäre Struktur und damit auf die homoerotische Grundstruktur einzugehen imstande wäre: Pornografie ließe sich mit Freud vielleicht sogar als fotografische Zote bzw. Video-Zote verstehen.
D IE L EK T ÜREN
DER
Z OT E
Die Lektüren der Zote zerfallen in Kritiken einerseits und Kulturanalysen andererseits. Erstere kritisieren Freuds Unterfangen als Affi rmation gesellschaftlicher Ungleichheit und behandeln den Text als konkrete Darstellung sozialer Fakten. Kulturanalysen wollen dagegen eine spezifische Sprach- bzw. Sozialdynamik herauslesen. Die vorliegende Studie schließt sich diesen Versuchen an und stellt einen Abriss der bisherigen Lektüren zusammen, um eine Kurzcharakteristik des freudschen Dritten vorzubereiten. Nach vereinzelten frühen Bearbeitungen durch Ferenczi und Reik (1929), der sich in mehreren Studien mit Witz und Komik auseinandersetzte, nahmen erst ab den 1970er Jahren Weber, Kofman und Mehlman die Diskussion um das Fragment wieder auf. Sie waren zudem die ersten, die in Fortführung von Lacans Arbeiten seine Bedeutung für die Metapsychologie, d.h. die darin angelegte topische Konzeption des Dritten, benannten.
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Etwa zeitgleich entstanden einige Kritiken, die aufs Nachdrücklichste die zotige Geschlechterdynamik kritisierten.
E R S T E L EK T ÜREN Der Aufsatz »Über obszöne Worte«, den Ferenczi 1911 vorlegt, zählt zu den ersten Interpretationen der freudschen Zote. Ferenczi (1927: 179) betont den schon erwähnten »sensorisch-halluzinatorischen« Charakter der Zote und definiert obszöne Sprache als Verschränkung aus Imagination, Rede und aggressiver Handlung: »Dem obszönen Wort wohnt eine eigentümliche Macht inne, die den Hörer gleichsam dazu zwingt, sich den darin benannten Gegenstand, das geschlechtliche Organ oder die geschlechtliche Tätigkeit in dinglicher Wirklichkeit vorzustellen. Und dass dem so ist, hat Freud in seinen Betrachtungen über die Beweggründe und die Bedingungen der ›Zote‹ klar erkannt und ausgesprochen« (ebd.: 175).
Sowohl das Hören als auch das Aussprechen obszöner Worte haben halluzinatorische Qualität (ebd.: 178). Ferenczi geht so weit, eine infantile Phase anzunehmen, die durch den »Drang zum Aussprechen, Aufzeichnen, Aufschreiben, Hören und Lesen von Obszönitäten« (ebd.: 181) gekennzeichnet sei. Diese infantile Stufe der Sprachentwicklung bedeute die erste Überwindung kindlicher Zeigelust, die sich in Lust zur Entblößung und sexueller Sehbegierde äußert (ebd.). Nach Ferenczi lassen spätere Ausschweifungen in Obszönitäten, aber auch die Unfähigkeit, obszöne Sprache zu nutzen, auf eine Entwicklungsstörung bzw. Regression schließen (ebd.: 177f.). Goldschmidt (1999: 20) hebt darum hervor, Ferenczi sehe die Sprache im Leiblichen wurzeln; alle Wörter hätten ursprünglich erotische Bedeutung und das Obszöne sei nur eine Rückkehr zu diesem infantilen Stadium der Sprache.19 19. Nicht nur die Herkunft aller Wörter aus dem Obszönen und Erotischen wird
in Ferenczis Überlegungen thematisiert, sondern auch das kindliche Bemühen um Speicherung dieses Wort-Schatzes, wozu auf verschiedenste Medien zurückgegriffen wird, für die Ferenczi zahlreiche Beispiele gibt: Ein besonders sittenstrenger junger Mann erinnerte sich im Laufe einer Traumanalyse daran, wie die Mutter ihn im Alter von sechseinhalb Jahren dabei ertappte, »daß er sich auf einem Blatt Papier gleichsam ein Wörterbuch aller ihm bekannten obszönen Ausdrücke zusammenschrieb« (Ferenczi 1927: 180). Eine Hysterische, die bei ihm in Behandlung ist, kann den Anblick obszöner Inschriften und Zeichnungen auf Aborten – die hier sozusagen als Obszönitäten-Archive auftreten – nicht ertragen und muss deshalb dort die Augen schließen (ebd.: 172). Von der interkulturellen Gültigkeit dieses infantilen »Drangs
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Die Theorie des Dritten begreift Sprache als absoluten Ersatz, weshalb sich diese Lesart der freudschen Zote nicht mit Entwicklungslogiken wie derjenigen Ferenczis und vor allem Goldschmidts vereinbaren lässt, die von einem infantilen oder leibgebundenen Stadium der Sprache ausgehen. Auch der frühe Freudleser Theodor Reik bedient den Mythos von einer leibgebundenen Sprache der Urzeit, wobei er im Unterschied zu Ferenczi nicht von ontogenetischen Frühphasen, sondern phylogenetischen Urzeiten ausgeht. Reik untersucht in seiner kleinen Schrift »Anspielung und Entblößung« von 1929 den Mechanismus der indirekten Darstellung oder Anspielung als Vorgang der partiellen Enthüllung. Habe in früheren Zeiten die plötzliche Entblößung eine spezifische Wirkung gehabt, so fänden sich Spuren davon in heutiger Zote und im Witz (Reik 1929: 93). Ähnlich wie Ferenczi nimmt auch Reik dabei auf Freuds Idee Bezug, dass die Lustwirkung entblößender Witze und zotiger Reden insbesondere an der Rekonstruktion der vollen Obszönität aus dem Angedeuteten hängt: »Freud bemerkt, dass der Witz umso feiner wird, je größer das Missverhältnis zwischen dem in der Zote direkt Gegebenen und dem von ihr mit Notwendigkeit Angeregten ist« (ebd.: 95).
K R I T I SCHE L EK T ÜREN Der amerikanische Literaturwissenschaftler Simon (1985: 218f.) legt Freud zur Last, er habe im Witz zu stark auf Groos’ Spieltheorie gebaut, ohne diesen Einfluss transparent zu machen. Im Anschluss an Groos und dessen universalisierten Spielbegriff beschreibt Simon das Arrangement der Zote als ›Liebesspiel‹: »[c]ivilized man is prohibited from the direct expression of sexual feelings, but often finds an outlet from them in laughter; love play is a kind of courtship by self-exhibition, and thus female spectators are necessary when this kind of mock combat takes place between men« (ebd.: 219).
zum Aussprechen, Aufzeichnen, Aufschreiben, Hören und Lesen obszöner Worte« (ebd.) – die Wahrnehmungsmedien Hören und Aussprechen stehen hier im Übrigen gleichberechtigt neben den Medien Schrift und Bild bzw. sind diesen nicht überoder vorgeordnet – meint Ferenczi sich gemeinsam mit Freud in New York überzeugt zu haben: »Und dass es die Kinder nicht nur in Europa, sondern auch in dem so prüden Amerika nicht anders tun, habe ich mit Prof. Freud bei einem Spaziergange im New Yorker ›Central-Park‹ aus einer Kreidezeichnung und einer Inschrift auf einer schönen Marmortreppe ersehen« (ebd.: 181).
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Freud begreift jedoch gerade nicht das faktische Liebesspiel, sondern dessen strukturellen Ersatz in der Rede über die Frau als Zote. Folglich analysiert Freud, dass die ›Frau‹ aus dem zotigen ›Männerbund‹ ausgeschlossen wird, bzw. dass die Position der Frau durch eine merkwürdige Aporie von notwendiger ursprünglicher Anwesenheit und späterer Abwesenheit gekennzeichnet ist. Simon vertritt die Ansicht, Freud impliziere in seinen Ausführungen ein Verständnis des Lachens als ›Ejakulation‹ psychischer Energie: »What remains unstated though implied is that laughter is ejacula not of semen but of psychic energy and that the pleasure of laughing is analogous to the pleasure of sexuality, whether this laughter be at sexual jokes or much more innocent varieties« (ebd.: 230).
Simon möchte die falsche Analogie des Witzvorganges und des Sexualaktes damit erklären, dass Freud die Herkunft sexueller Witze aus der Zote und dem Begehren zu verführen erkläre. Er nimmt Freud demnach, ähnlich Reik, wörtlich und liest das Zotenfragment als konkrete Geschichtsbeschreibung (ebd.: 229). Indem Simon der von Freud angebotenen ›Logik‹ der Ökonomie des Witzes folgt, wird seine Funktion auf die Abfuhr unterdrückter oder überschüssiger Energie reduziert. Die im Lachen unterlaufene Dichotomie von Ich und Anderem aber bleibt unhinterfragt und der Witz wird dementsprechend lediglich als »psychische Masturbation« verstanden: »The sexual joke allows for the expression of a repressed sexual wish, and all jokes allow for a return to pleasure by their invitation to psychic masturbation. The benefit is to the individual and to his internal psychological states rather than to external social conditions« (ebd.: 230).
Dieser Verkürzung lässt sich mit einem von Freud erzählten Witz begegnen, der in ärztlichen Kreisen beliebt gewesen sein soll und den er unter dem in diesem Zusammenhang äußerst treffenden Bezeichnung »Zerteilungswitz« präsentiert: »Wenn man einen seiner jugendlichen Patienten befragte, ob er sich je mit der Masturbation befasst habe, würde man gewiss keine andere Antwort hören als: O na, nie« (Freud GW VI: 31). Der Witz entfaltet sich vor allem in erzählter Form, wobei es mehr als bei anderen Witzen auf eine pointierte, hier verbindende wie trennende, Aussprache ankommt. Gleichermaßen getrennt wie verbunden sind Erzähler und Hörer des Witzes; der Witz zeigt keinesfalls nur Wirkung im Einzelnen und dessen psychischem ›Innenraum‹, wie Simon hervorzukehren versucht. Hill (1993) nimmt in seiner literatur- und psychohistorischen 89
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Studie über Witztheorien von Grimm bis Freud gleichsam die Gegenposition zu Simon ein. Trotz aller Kritik, die er an Freuds Werk übt, hält Hill vor allem für bewahrenswert, dass Freud seinen Lesern erstmals das Unbewusste der »sozialen Psyche der Moderne« (ebd.: 220) dargelegt habe: »Witz’s radically democratic and utopian agenda remains, I believe, a force to be reckoned with in the unconscious of the social psyche of modernity that Freud was instrumental in opening up to us« (ebd.). Hills Lektüre der Zote konzentriert sich auf eine Kritik an Freuds Darstellung der Frau. Im Gegensatz zu vielen anderen Ansätzen, die den Doppelcharakter des Witzigen zwar zur Kenntnis nehmen, aber zu reduzieren versuchen, betont »The soul of wit« seine gegensätzlichen Seiten: »Witz* can be both builder and destroyer of tradition. It is both defender of the faith and heretic, elitist snob and roguish buffoon, male chauvinist and radical feminist. Witz* demonstrates its tendentious nature in setting up cultural, class, and gender boundaries just to smash them once again« (ebd.: 9).
Eben solche Grenzen von Kultur, Klasse und Geschlecht sieht Hill im Schema der Zote verhandelt. Allerdings hält er Freud vor, dieser mache sich zum Agenten der Männer, die sich in ihrer Männerbündelei (»malebonding«; ebd.: 152) gegen die Frau einigen würden, obgleich er seine historische Leistung anerkannte, die Zote in den wissenschaftlichen Kanon eingeführt zu haben: »Freud’s contribution to the canon would take a rather provocative form: the inclusion of Jewish and ›dirty‹ jokes … Society’s attitude towards sexuality was also coming under scrutiny (in part due to the efforts of Freud and other sexologists) and so the admission of the long banished Zote to theoretical discourse was certainly not without import« (ebd.: 85).
Neben der Markierung kultureller und geschlechtlicher Grenzen setze die Zote zudem Klassenunterschiede: »The Zote is not only a mark of sexual difference, but also of class difference« (ebd.: 155). Freud zufolge würden die niedrigen Klassen auf der rohen Stufe des Zotenverkehrs stehen bleiben und ihre lüsternen Bemerkungen an eine physisch anwesende Frau richten, während erst auf einer höheren sozialen Stufe die Anwesenheit von Frauen nicht mehr als Auslöser solcher Reden, sondern als hemmender Faktor wirke (ebd.). Die Lektüre Hills verbleibt folglich auf der Ebene der Bebilderung der Differenz – Geschlecht, Kultur, Klasse –, die in der Zote hervorgebracht wird, die aber gerade auch jene Entstellungen des Textes zeitigt. In ihrem Aufsatz »Why Does Freud Giggle When the Women Leave 90
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the Room?« kritisiert Gallop (1988) ähnlich wie Hill das Verschwinden der Frau aus den zotigen Reden der Männer sowie Freuds vermeintlichen ›Klassendünkel‹. Gallop wendet auch gegen Mehlmans Interpretation der »idealen Triade« (ebd.: 33) der ödipalen Zote ein, er wiederhole damit die Verdrängung der Frau zugunsten der gewonnenen homoerotischen Gleichheit und Identifikation. Sowohl die Anwesenheit von Frauen (beim Zotenerzählen) als auch die zotenreißende ›Arbeiterklasse‹ seien in Freuds Darstellung der Genese sexueller Witze mit einem ›infantilen‹ ursprünglichen Zustand verbunden, wodurch sie als ungenügend entwickelt dargestellt würden (vgl. zur Kritik eines Begriffs der Arbeiterklasse Derrida 2004): »For Freud, the joke is something that goes on not just between men but between ruling-class men. Smut which is still sexual, not properly sublimated as are jokes, occurs in a heterosexual situation or among members of the working class. In Freud’s genesis of the sexual joke, both the lower classes and the presence of women are linked to an origin, which for Freud is always infantile. Freud’s work is shot through with the ideology of the working class as more infantile. Like the ideological notion of the immaturity of women, this idea justifies ruling them« (ebd.: 38).
Feministische Kritiken sitzen damit den imaginativen Effekten und affektiven Wirkungen der Zote auf, ohne ihre Bewegungsgesetze bloßzulegen, und wiederholen eine Textauslegung, wie sie bereits die frühen Lektüren der Zote von Ferenczi und Reik kennzeichnet (vgl. auch Löchel 1990; Vinken 1992).
E NT S T ELLENDE L EK T ÜREN : F REUD
MI T
F REUD
Kofman (1990: 144f.) geht in ihrer Lesart der Zote ebenfalls dem ›Wegschreiben‹ der Frauen, d.h. ihrem Verschwinden aus den Unterhaltungen der Männer nach, kommt aber zu einer Einschätzung des Textes, die derjenigen von Gallop und Simon genau entgegengesetzt ist. Die Frau werde durch ihre, wenngleich aus übersteigerter Sexualverdrängung motivierte, Weigerung, sich der Verführung hinzugeben, zu einer kulturierenden Instanz der Männer, was an keiner anderen Stelle in Freuds Werk anerkannt würde: »Die Haltung, die Freud in Der Witz gegenüber der Frau an den Tag legt, weicht also kaum von jener ab, die er in anderen Texten einnehmen wird: Aber während er im allgemeinen die negativen Folgen ihrer Sexualverdrängung betont (Fehlen von Neugier, Stagnation der intellektuellen Entwicklung und des kritischen Denkens, Gefahr von Neurosen), so hebt er hier, und nur hier, die positiven Folgen hervor: die Rolle,
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die die Frau, sehr zum Gewinn des Mannes, gehalten ist, bei dessen Erziehung zu Gesellschaftsfähigkeit und Moral zu spielen. Indem sie ihn nötigt, ein geistreiches und witziges (spirituel) Wesen zu werden, gibt sie ihm eine Lustquelle zurück, die sie ihm anfänglich selbst versperrt hatte« (ebd.: 154).
Mehlman schlug dagegen in seiner 1975 verfassten Abhandlung »How to read Freud on Jokes: The critic as Schadchen«, ähnlich wie Weber, eine »perverse Lektüre« des Textes vor, die »›komischen‹ Gebrauch« von ihm machen solle, dabei immer der Frage folgend: »Might the proper reading of Freud then be similar to Freud’s own readings of dreams and jokes?« (Mehlman 1975: 440). Mit der Zote präsentiere Freud eine »Urszene« (»a primal scene«; ebd.: 444) oder ein »Scenario« (ebd.), das Mehlman als ödipales rekonstruiert (ebd.: 448f.). Neben Kofman und Weber kommt Mehlman damit das Verdienst zu, den freudschen Witz als Entwurf einer ternären Topik und damit als Vorwegnahme tragender Themen des späteren Werkes – insbesondere des 1905 noch nicht ausformulierten Ödipuskomplexes und der Theorie des Narzissmus beziehungsweise der unter anderem daran entwickelten so genannten zweiten Topik – zu würdigen. Weber legte mit seinen »Freud-Legenden« unter Rekurs auf das Denken Lacans und vor allem Derridas eine problematisierende Lektüre Freuds vor, die sich seinen Texten nicht lediglich und nicht primär über das in ihnen Dargestellte nähert, sondern Freuds Methoden der Traum- und Witzanalyse einzulösen und auf dessen Texte zurückzubeziehen versucht: »Die vier hier vorgelegten Studien hingegen versuchen Freuds Texte zu lesen, wie sie selbst den Traum lesen: nicht allein um den Sinngehalt herauszuarbeiten, sondern um die Bewegungsgesetze nachzuzeichnen, die jenen Inhalt hervorbringen – aber auch verstellen. Anstelle einer selbstverständlichen Lektüre also versuchen sie, eine problematische zu praktizieren. Sie gehen dabei von der Vermutung aus, dass die Macht und Wirkungsweise des Unbewussten notwendig auch für die Schriften Freuds – die das Unbewusste theoretisch erschlossen haben – bestimmend sein müssen« (Weber 2002: 14).
Weber (2002, 1980) gelang es damit, am freudschen Witz und insbesondere am Dreierszenario der Zote das Gesetz des Unbewussten als tertium datur zu entschlüsseln. Der Vollständigkeit halber sei abschließend erwähnt, dass auch Jerry Aline Flieger (1991) das Projekt verfolgt, mit den Mitteln der Dekonstruktion das Fragment der Zote neu zu lesen, dabei jedoch nicht zu wesentlichen neuen Einsichten kommt. Es mag durch diese Zusammenschau ein Eindruck entstanden sein, wie polarisierend der Witz wirkte und immer noch wirkt. Bei aller Verschiedenheit folgen die vorgestellten Lektüren grundsätzlich zwei Vorgehensweisen, die zu ihrer jeweils 92
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gegensätzlichen Wertschätzung des Textes führen. Wird die Zote in ihrer von Freud gewählten Bildlichkeit belassen, präsentiert sie sich vornehmlich als Demütigung der Frau, als arrogantes Machwerk eines ›Bourgeois‹. Erst die Suche nach seinen »Bewegungsgesetzen« erlaubt es, diesen Text als grundlegende Subversion von Sinn zu begreifen, die Lacan als Vorgang der Metapher beschrieben hat.
2.3 Das Gesetz des Dr itten Freud versucht die Genese sexueller Witze mit einer sozialen Herleitung von Zoten aus realen verhinderten Verführungsversuchen zu untermauern. Hierfür erzählt er eine Art mythischer Ursprungsgeschichte über einen scheiternden Sexualakt: Eine anwesende Frau erregt einen Mann, der jedoch in seinem Werben und Drängen durch einen dritten Fremden unterbrochen wird. Damit ist zwar das Trio des Witzes personell benannt, aber zugleich beginnt erst die seltsame Wandlung des störenden Dritten; denn dieser »gelangt bald zur größten Bedeutung für die Entwicklung der Zote«, indem er nämlich ›das Weib‹ als Adressatin und Zuhörerin verdrängen oder besser noch: ersetzen wird (Freud GW VI: 108; vgl. Weber 2002: 124). Zunächst sei die Anwesenheit des Weibes jedoch noch unabdingbare Voraussetzung der Zote (Freud GW VI: 108). Beim Landvolk oder im Wirtshaus des kleinen Mannes beobachte man sogar, dass erst das Hinzutreten der Kellnerin oder Wirtin die Zote zum Vorschein bringe (ebd.). Erst auf ›höherer sozialer Stufe‹ trete das Gegenteil ein. Dann mache die Anwesenheit eines weiblichen Wesens der Zote ein Ende (ebd.): »Die Männer sparen sich diese Art der Unterhaltung, die ursprünglich ein sich schämendes Weib voraussetzt, auf, bis sie allein ›unter sich‹ sind. So wird allmählich anstatt des Weibes der Zuschauer, jetzt Zuhörer, die Instanz, für welche die Zote bestimmt ist, und nähert sich durch solche Wandlung bereits dem Charakter des Witzes« (ebd.).
Treffend beschrieb Ferenczi am Traumwunsch das Einsetzen des Sekundärprozesses. Durch die bittere Lebenserfahrung gewitzigt, erlerne das Kind den Unterschied von Halluzination und realer Bedürfnisbefriedigung (Ferenczi 1927: 176). Der Witz gelangt hier zur vollen Doppeldeutigkeit sowohl als Geist/Esprit wie als bittersüße Lebenserfahrung, verkörpert er doch die notwendige Hemmung der so genannten primitiven Denktätigkeit, d.h. des frühkindlichen Halluzinierens, was der geistigen Tätigkeit in Folge die Gestalt des Umweges verleiht, wie Freud es ausdrückt. Dasselbe begegnet uns nun bei der Entwicklung des entblößenden Witzes. 93
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Die Zote wird durch eine Hemmung, die in diesem Falle mit dem Attribut sozial versehen ist und die sowohl durch die Anwesenheit des Dritten als auch durch die Weigerung der Frau gewährleistet wird, gewitzt; aber das ist nicht die Wortwahl Freuds. Er schreibt, sie nähere sich dem Charakter des Witzes. Über seine Vorläufer hatte Freud in der Einleitung seines Buches geurteilt: »Sie tragen schließlich zur Kenntnis des Witzes nicht mehr bei als etwa eine Reihe von Anekdoten zur Charakteristik einer Persönlichkeit, über welche wir eine Biographie beanspruchen dürfen« (Freud GW VI: 11f.; Hervorh. A.T.).
Dass der Biograph Freud über das Anekdotenerzählen hinausgekommen ist, haben viele Leser bezweifelt. Bisher jedenfalls zeigt sich die ›Persönlichkeit‹ Witz als eine mehrfach gespaltene. Wir finden, so Weber (2002: 123), statt eines harmonisch organisierten Ganzen eine Szene mit drei Protagonisten vor; ebenjene ›erste Person‹, die zur Exhibition ihrer selbst tendiere, eine dem Voyeurismus zuneigende dritte Person und eine ›zweite Person‹, die laut Weber und Freud überhaupt keine ›Person‹ zu sein braucht, sondern nur eine unannehmbare Idee. Sofern von einem Kern der Untersuchung Freuds die Rede sein kann, womit nach dessen Hoff nung die nichtige Anekdote der ernstzunehmenden Biographie weicht, liegt er mit jener Passage über die Verwandlung des Dritten vor – jedoch gerade nicht als eine Bewegung der Vereinheitlichung, die eine geschlossene Charakteristik liefert, sondern als eine des grundsätzlichen Ersatzes. Der Dritte tritt an die Stelle der ›Frau‹ und ersetzt sie, wodurch er nicht nur vom einst störenden Zuschauer zum adressierten Zuhörer, sondern darüber hinaus zu einer Instanz wird, während die ursprünglich anwesende Frau in die Abwesenheit getrieben und so als verlorenes Objekt des Begehrens etabliert wird: »The woman is lost, but the man consoled. Rather than a woman he has a homology. The second person, the other sex, has been irretrievably lost. But no matter, it was worth it to gain a sameness, to find an identification (with the father, with Freud)«, schreibt Gallop (1988: 34) in kritischer Absicht über Mehlmans Interpretation des freudschen Textes, hebt damit jedoch ein wichtiges Moment der ödipalen Entwicklung wie der Zote hervor: dass es sich hierbei nämlich um einen Vorgang der Generierung von Gleichheit (»Sameness«; ebd.) und Anerkennung als Gleiche (»homology«; ebd.) handelt. Gallop unterstellt, dass der entstandene homoerotische ›Männerbund‹ zwar zum Aufgeben des ›ersten‹ Objektes zwinge, dabei jedoch den Gewinn der Identifi kation garantiere. Diese ›Gleichheit‹ kann aber nur versuchen, sich in der Abhebung von einem ausgeschlossenen Anderen, hier der ›Frau‹, zu behaupten. Anerkennung als Gleiche hat
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vor allem einen hohen Preis, weil sie nach Freud nur Resultat eines nicht auflösbaren Konfliktes sein kann. Formuliert für die Situation des Zote- und vor allem des obszönen Witzerzählens stellt sich die Frage: Warum nimmt der Erzähler (die ›erste Person‹) eine solche Entäußerung seiner selbst vor? Warum gibt er sich preis (vgl. Weber 2002: 130)? Wie dem Träumer ist dem Witzemacher der direkte Weg verstellt. Er schaff t sich notgedrungen – von etwas außer seiner Kontrolle Liegendem gedrängt – im Zuhörer einen lachenden Doppelgänger. Damit holt die Konzeption des Dritten den Ausgangspunkt ein: Die erste Person mache zwar den Witz, aber die Absicht des Witzes, Lust zu erzeugen, erfülle sich an der dritten Person, so Freud (GW VI: 109), der an verschiedensten Stellen betont, »dass nicht, wer denn Witz macht, ihn auch belacht, also dessen Lustwirkung genießt, sondern der untätige Zuhörer« (ebd.; auch 160f.). Eben darum kann beim Erzähler von einem »Drang zur Mitteilung« (ebd.: 160), der mit der Witzarbeit unabtrennbar verbunden ist (ebd.), einem »Bedürfnis nach Mitteilung« (ebd.), sogar von einem »Trieb zur Mitteilung« (ebd.), gesprochen werden. Der Witz wird dem Dritten mitgeteilt, mit ihm geteilt, aber auch seinem ›Urteil‹ (vgl. Weber 2002: 132), seiner Sanktion ausgesetzt. Beiden, dem Hörer wie dem Zuhörer, entzieht sich jegliche Kontrolle über das Lachen, welches den Witz erst nachträglich zu einem Witz macht und derart über ihn urteilt. Somit ist einerseits eine Art Pakt oder Vertrag notwendig, den beide Seiten eingehen, andererseits bleibt diese Vereinbarung stets vorläufig. Dass beide Parteien dieselben Hemmungen teilen, ist unbedingte Voraussetzung des Witzes (vgl. ebd.: 131). Die Erwartung kommt hinzu, der Zuhörer möge über das Gehörte lachen. Ob sich das Lachen allerdings tatsächlich einstellt, muss bei jedem erzählten Witz ungewiss bleiben und deshalb kann dieser Vertrag keiner des bürgerlichen Rechts sein oder werden (vgl. ebd.). Vielmehr ist das Lachen selbst einem Geschenk, einer Gabe ähnlich, weshalb Nancy schreibt, es würde nicht gestiftet, sondern dargeboten (vgl. für Derridas Denken des Lachens und der Gabe Rehberg 2007). Die Gabe besteht in einer sich selbst entzogenen Anwesenheit, die sich vielleicht als apräsente Präsenz bezeichnen ließe (vgl. Bahr 1986: 101). »Laughter is thus neither a presence nor an absence. It is the offering of a presence in its own disappearance. It is not given but offered« (Nancy 1993: 383). Weder abwesend noch anwesend zu sein, beschreibt zugleich die Position des Dritten, wie im folgenden Abschnitt erläutert werden soll. Doch auch die An- oder Abwesenheit der Frau ist ungeklärt und scheint der Aus- und anschließenden Eingeschlossenheit des Dritten genau entgegengesetzt zu sein. Während die Wut zunächst dem Dritten gilt und die Frau begehrt wird, kehrt sich das Verhältnis durch die »soziale« Hemmung der Verführung um. Ebenjene »Relation« der Personen, die einer Verkehrung gleichkommt, 95
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findet sich in der Zote wie im Witz und ebenfalls in anderen Äußerungen des Unbewussten (Freud GW VI: 109). Freud beschreibt dieses eigenartige Trio folgendermaßen: »Der libidinöse Impuls des Ersten entfaltet, sowie er die Befriedigung durch das Weib gehemmt findet, eine gegen diese zweite Person feindselige Tendenz und ruft die ursprünglich störende Person zum Bundesgenossen auf. Durch die zotige Rede des Ersten wird das Weib vor diesem Dritten entblößt, der nun als Zuhörer – durch die mühelose Befriedigung seiner eigenen Libido – bestochen wird« (ebd.).
Bevor der Dritte jedoch zu einem »Bundesgenossen« des Ersten – zum lachenden Dritten – wurde, an den appelliert und die Mitteilung adressiert wird, ist er als ›Störenfried‹ in die dyadische Verführungsszenerie eingebrochen, um derart etwas vollkommen Neues zu schaffen: »Nur durch die gleichzeitige Anwesenheit und Einmischung einer dritten Person wird die Zote wirklich zu einem Witz. Das dyadische Verhältnis, das in dem von Subjekt zu Objekt, von Verführer zu Verführten, vorausgesetzt ist, muss durch die Gegenwart eines Anderen gestört werden, und dies gibt dem Witz, wie wir zeigen werden, eine eigentümliche Logik, welche allen Artikulationen des Unbewußten eigen ist« (Weber 2002: 124).
Hiermit gelangen Freuds Ausführungen an einen Übergang, an dem sich ein Gesetz ablesen lässt, das sich den herkömmlichen Regeln des Bewusstseins verweigert. Dessen Kapriolen einer verkreuzten Struktur der gegenseitigen Hervorbringung und Anerkennung, einer vorgespiegelten Verdopplung, die doch ein Resultat der Auseinandersetzung einer triadischen Formation und nicht der Auffi ndung einer Gleichheit oder Identität ist, haben sich im freudschen Witz ins Bild gesetzt. Die Rede ist von der Logik des tertium datur: »Sie widersetzt sich der konstitutiven Regel der traditionellen Logik: dem tertium non datur. Wo immer es um Witze geht, wo immer das Unbewusste am Werk ist, muss es einen Dritten geben, der von den beiden anderen Positionen ausgeschlossen ist, diese aber ebenso einschließt und zusammen-schließt. Falls es eine Logik des Unbewussten gibt, dann bezeugen der Witz und insbesondere die Zote auch deren Grundregel: tertium datur« (Weber 2002: 124, 1980).
Einige Aspekte und Folgen der störenden Eigenschaften des Dritten sollen erwähnt werden. Eigenartigerweise treffen die negativen Reaktionen vor allem die ›zweite Person‹, jenes ursprüngliche Objekt des Begehrens, dessen Verführung verhindert wurde. Die Charakteränderung oder Ge96
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witztheit der Zote ist deshalb laut Mehlman vor allem auf die aggressive Komponente zu beziehen. Gerade dadurch werde die Sexualität Selbstzeck, ›auto-erotisch‹ wie es eben das Modell der Zote beschreibe: »This is the »altering of [the aggression’s] character whereby the domain which Freud has access to – the unconscious sexuality – comes into being« (Mehlman 1975: 447). Das zotige Reden gleiche einer sexuellen Attacke eben weil die Vorstellung einer – verhinderten und darum aggressiv gewendeten – sexuellen Handlung von Redner und Zuhörer geteilt wird. Damit erweist sich aber nicht nur die Klassifi kation der Techniken in Freuds Untersuchung als durchlässig und verschiebbar, sondern auch die der Tendenzen, nähert sich die Zote, die ihrem Thema nach den obszönen Witzen zuzurechnen ist, hier doch dem Typus der aggressiven Witze (vgl. Weber 2002: 123). Mit dem Wechsel der Anrede von der begehrten ›Frau‹ zum Dritten wechselt sowohl das Objekt der Wut als auch die Art der Aggression. War der Dritte vorher ein Störenfried, gilt die Spitze nun der ›Frau‹, über die gesprochen wird. Tatsächlich ist nicht nur die erste ›Person‹ in Witz und Zote mit den anderen beiden verbunden, sondern die zweite und dritte Person ebenso. »Was den ›gekauften‹ Dritten angeht, der ursprünglich einen möglichen Rivalen darstellt, so ist dieser zugleich Doppelgänger des Verführers und der »Mutter« [der ›zweiten Person‹, die Kofman gemäß der Ödipalität der Zote als Mutter interpretiert; Anm. A.T.] – Komplize also nur mit Vorbehalt« (Kofman 1990: 152).
Wenn die zweite und dritte Position aber nicht abgeschlossen, sondern durchlässig sind, deutet sich hier ebenso an, wie schnell der Dritte als Nutznießer und Zeuge selber zum Ziel der Rache werden kann bzw. in seinem Ersatz, der ›zweiten Person‹, ja auch wird (vgl. zur Aggression gegen den Hörer der Zote auch Weber 2002: 135; zu erinnern ist an den diskutierten ›Zwang, sich etwas in dinglicher Wirklichkeit vorzustellen‹, auf den schon Ferenczi aufmerksam gemacht hatte). Die Frau an seiner Statt angegriffen zu sehen, macht für den Dritten sogar einen Teil der spezifischen Freude am ›Zuschauen‹ aus, d.h. das Opfer der Attacke nimmt nicht nur eine Stellvertreterfunktion für den Dritten ein, sondern veranschaulicht im selben Zuge, welche Schmerzen man nicht erfährt. »Die Lust des Zuschauers an Irrtümern, Schmerzen und Untergängen der anderen ließe sich durch zahllose Beispiele spontanen Voyageurstum bei Unglücksfällen weiter belegen. Das Szenarium spektakulär erlittener Gewalt hat jedoch noch eine andere Bedeutung für den Betrachter […] Dem Wunsch, Zuschauer zu sein, liegt der Wunsch zugrunde, nur Zuschauer sein zu dürfen (statt selbst vom Schmerz Betroffener). Er verweist auf ein ganz besonders empfindliches Verhältnis zur Gewalt. Bei Lukrez wird das bereits deutlich ausgesprochen, wenn als ›wohlige Wonne‹ bezeichnet wird,
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nicht ›dass ein andrer sich quält, sondern zu merken, weil süß es ist, welcher Leiden zu ledig‹« (Manthey 1983: 16).
Zwar sei es ein Vergnügen, an der Küste zu stehen und die Schiffe im Meer kämpfen zu sehen; ein Vergnügen sei es, am Fenster eines Schlosses zu stehen und eine Schlacht zu sehen und die Abenteuer dort unten, »aber kein Vergnügen ist vergleichbar dem, auf dem festen Grund der Wahrheit zu stehen und die Irrtümer, Wanderungen, Nebel und Stürme im Tal unten zu sehen« (Lukrez, zit.n. ebd.: 16). Doch ist eine solche ›Schau‹ von oben auf die vermeintliche Dummheit der anderen überhaupt möglich? Nicht zuletzt der Witz entlarvt diesen mächtigen Wunsch der ersten Person, des Ichs, zwischen wahr und falsch, oben und unten, arm und reich, öffentlich und privat, außen und innen klar unterscheiden zu können als Illusion. Das Komplement, lediglich zuschauen zu können, findet sich zudem im exhibitionistischen Drang des Witzerzählers, seinen Geist zu entblößen oder darzustellen – hier verweist die sprachliche Konvention auf die Nähe von Blöße und Darstellung (vgl. hierzu auch Weber 2002: 134). Sowohl die Ausführungen Mantheys als auch die Zeigelust des Erzählers, die sich in jedem Witz manifestiert, deuten auf die von Freud postulierte Abstammung des Wisstriebes aus dem Schautrieb hin, die er in den Drei Abhandlungen erörtert (vgl. Freud GW V: 95): »Die Triebfeder der Produktion harmloser Witze ist nicht selten der ehrgeizige Drang, seinen Geist zu zeigen, sich darzustellen, ein der Exhibition auf sexuellem Gebiete gleichzusetzender Trieb« (Freud GW VI: 159).
Erster und Dritter verkörpern demnach die beiden komplementären Seiten des Schautriebes: die Lust zu sehen und diejenige, gesehen werden zu wollen. Die Illusionen, die Dummheit anderer zu belachen und seinen Geist vorführen zu können, treffen und personifizieren sich im Witz als Erster und Dritter, ohne dabei zu realisieren, dass sie wie Janus zwei Seiten derselben Medaille verkörpern.
D ER D R I T T E
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TOP IK
Freud (GW VI: 177) bezeichnet den Dritten auch als »eingeschobene« Person. »Eingeschoben« beschreibt die seltsame Zwischenposition des Dritten in der Gesprächstriade, aber auch die Funktionsweise des Witzes als solchen. Der Witz erfüllt sich genau genommen nicht an oder in der zuhörenden und lachenden dritten Person, sondern zwischen Erstem und Anderem. Das Wesen des Witzes besteht darin, eingeschoben zu sein. Darum lässt sich das Lachen keinesfalls in einer der beiden beteiligten Parteien 98
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verorten. Der Kern des Witzes oder auch seine innerste Funktionsweise werde sogar andauernd verschoben, so Weber. Nachdem Freud zu Beginn seiner Untersuchung bereits die seltsame Beförderung der linguistischen Hülle zum Kern des Witzes vollzogen habe, kennzeichne die Zote den Witz als fortgesetzte Verschiebung (vgl. Weber 2002: 122). Freud (GW VI: 131f.) hatte sich zunächst an einer Erklärung des Witzes versucht, die mit der Lust am Spiel operiert – wobei er besonders mit Thesen von Carl Groos arbeitet. Weber (2002: 122) macht jedoch deutlich, dass dessen Annahmen die Nachträglichkeit des Lachens nicht einzubeziehen vermögen. Vielmehr müsse die Rückbindung in und als Lachen erklärt werden, durch die ein Witz erst nachträglich überhaupt zu einem solchen werde. Auch den Traum kennzeichnet eine derartige Entstellung seiner selbst. Träume gewinnen nur durch ihre Nacherzählung und Wiederholung Existenz. Die notwendige Zwischenstellung und Einschaltung des Dritten zeitigt jedoch eine entscheidende Differenz von Witz und Traum: »Im Unterschied zum Traum kann die Ver-schiebung, die den Witz im Nachhinein konstituiert, nicht innerhalb eines abgeschlossenen ›intrapsychischen‹ Raumes begriffen und eingegrenzt werden« (ebd.: 122).
Im sozialen Witz treibt die erste Person gleichsam über sich hinaus, so dass sich das gemeinsame Belachen eines Witzes als eine der denkbar intimsten Situationen zwischen zwei Menschen vorstellen lässt. Beim Lachen handelt es sich im emphatischen Sinne um eine gegenseitige Hingabe. Freud legt mit dem lachenden Dritten eine Definition des Sozialen und im Weiteren der Kommunikation vor, die nicht als eine Szenerie aus zwei Entitäten, aus zwei getrennten Personen vorgestellt wird. Die Theorie des Dritten vertritt eine Auffassung von ›Interaktion‹ und Kommunikation, die diese von der Position des tertium datur her entwirft. Der Witz reduziert sich nicht darauf, vorgefertigte Erzählung zu sein, die von einer Person auf die nächste übergeht. Vielmehr vollendet er sich dort, ja er besteht gerade in der Platzierung zwischen Zweien. Der Dritte kann demnach am ehesten als ein Zwitter begriffen werden, als ein bestimmtes ›weder-noch‹. Weder ist er fremde Person bzw. anderer, noch lediglich Über-Ich der ersten Person (vgl. Kofman 1990: 71 Anm. 20), sondern im strengen Sinne beides zugleich – und dadurch etwas ganz anderes, wie Derridas Überlegungen in seinem Chora-Aufsatz zu entnehmen ist: »Das Schwanken, von dem wir gerade gesprochen haben, ist nicht ein Schwanken unter anderen, ist kein Schanken zwischen zwei Polen. Es schwankt zwischen zwei Gattungen des Schwankens: Der zweifachen Ausschließung (weder/noch) und der Teilnahme (zugleich … und, sowohl dieses als auch jenes)« (Derrida 2005: 14).
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Eine Reduzierung seiner Eigenart auf eine der beiden Seiten, seine Positivierung (vgl. zur äquivalenten Nicht-Positivierbarkeit des Symbolischen auch Tholen 1995), müsste den lachenden, teilnehmenden Dritten zum Verschwinden bringen, oder, mit Derrida gesprochen, in eine andere Gattung des Schwankens überführen. Die am Witz aufgefundene Abhängigkeit der ersten Person, des Ichs, von der dritten Person, erlaube zu finden, was viele Leser bei Freud vergeblich gesucht hätten (vgl. Weber 2002: 130): jene »präzise Dynamik« (ebd.), vermöge welcher die innerpsychische Disposition der Individuen von der intersubjektiven Gesellschaftsordnung vermittelt werde beziehungsweise mit ihr in Verbindung trete (ebd.). Zwar kann jener Übergangspunkt des Ersten (des Ichs) und des anderen mit dem Ausdruck ›intersubjektiv‹ belegt werden, zugleich geht der Begriff des Dritten aber über die meisten Vorstellungen des Intersubjektiven hinaus, wie Weber verdeutlicht (vgl. Kritik am Schlagwort der Intersubjektivität bei Lacan S I: 71f.). Hieraus gewinnt Weber einen Begriff von Psyche und ›Über-Ich‹ – Ableger oder Verkörperungen – als Avatare (auch im Internet agieren die Nutzer per Avataren), anhand dessen er zusammenfasst, wie sich die bewusste Entscheidung, einen Witz zu erzählen oder anzuhören und das unbewusste ›Ablachen‹ überkreuzen: »Die narzisstische Ambivalenz des Ich drängt dieses, seine immer »ideale« Identität auf eine Instanz zu verschieben, die ausschließlich als zwiespältige wie zweideutige Einheit des imaginären und unrepräsentierbaren Anderen (des Über-Ich als Ich-Ideal beziehungsweise als Es-Ableger) wirksam sein kann. Diese beiden ebenso unverzichtbaren wie unterschiedlichen Aspekte des Anderen, die im Über-Ich und seinen Verkörperungen (avatars) untrennbar miteinander verbunden sind, haben ein seltsames, aber auch bezeichnendes Phänomen zur Folge: Die ›Inkarnation‹ des Über-Ich in der dritten Person des Witzes (oder allgemeiner im Adressaten, der von jeder Artikulation des Unbewussten notwendig vorausgesetzt wird) erfordert, dass der Andere sowohl ein bestimmtes Individuum ist, das in gewissem Sinne willentlich handelt, als auch jemand, der sein Handeln nicht völlig bewusst kontrolliert. Die Entscheidung, einen Witz zu erzählen oder anzuhören, hängt also von einem bewussten Akt ab, während der Effekt, der über das Schicksal des Witzes entscheidet, nämlich das Lachen, eben außerhalb der Kontrolle des Bewusstseins liegt. Denn es besteht ja gerade aus einem zeitweiligen Zusammenbruch dieser Kontrolle« (Weber 2002: 130).
Ein notwendiger Unterschied zwischen erster und dritter Person soll allerdings nicht unerwähnt bleiben. Der Dritte darf den Witz noch nicht kennen – was Lacan (SE V: 101f.) u.a. in seinen Überlegungen zum ›Graal Vide‹ reflektiert – und muss sich überraschen lassen. Als zentrales Ergebnis des Abschnittes ist festzuhalten, dass der Witz den Entwurf einer anderen Topik enthält, die Tholen (1994) als Grundlage für eine Theorie der 100
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Medialität vorschlägt. Die andere Topik des Witzes vermag nicht nur an die Traumdeutung anzuknüpfen, sondern diese zu erweitern.
2.4 Medialität, Dr itter und Metapher Der Witz gehört zum Fundus unbeachteter Schlüsseltexte zeitgenössischer Medien- und Kulturtheorien (vgl. Menke 2003a: 157). Diese Missachtung betriff t die Figur des Dritten ganz besonders, auch wenn Freud den Dritten im Witzbuch lediglich andeutet. Weber (2002: 13f.) zeichnet die Wege der Psychoanalyserezeption nach, die sich als sprachliche, geschichtliche und mediale Umwege und Unterbrechungen darstellen. Hiernach mussten Freuds Schriften den berühmten Umweg über Frankreich und das Werk Lacans gehen, um nach weiteren Etappen in den USA Ende der 1970er Jahre wieder in den deutschen Sprachraum zurückzukehren. Freuds Texte konnten erst durch Lacans systematische Entstellung der Psychoanalyse (vgl. Weber 1978) und nicht zuletzt Webers wegweisende Lektüre erneut verstanden werden als der »Schauplatz, auf dem sich die Fragestellungen und Kämpfe des psychoanalytischen Denkens abspielen« (Weber 2002: 17). Den Weg über Frankreich und Amerika ist auch der Witz gegangen, um erst jetzt wieder Aufnahme in deutschsprachige Medien- und Kulturtheorie zu finden. Webers und Kofmans Arbeiten blieben für lange Zeit die einzigen zugänglichen Lektüren der Figur des Dritten, weil Lacans Seminar über den Witz (SE V), das er im Wintersemester 1957/58 gehalten hat, erst vierzig Jahre später (1998/2006) in Buchform erschien. Die Vernachlässigung der Witztheorie im Vergleich zu anderen Werken Freuds fällt umso stärker ins Gewicht, da sie gemeinsam mit der Psychopathologie des Alltagslebens und der Traumdeutung die große Trias des freudschen Frühwerkes bildet, auf die sich Lacan und nach ihm die französische und die von seinen Schriften inspirierte amerikanische Kulturtheorie und Philosophie maßgeblich bezogen (vgl. Hock 2001: 213). Dass die lacansche Rekonstruktion dieses Schauplatzes nicht dokumentiert und damit nicht verfügbar war, wirkte sich fatal für das Verständnis jenes sozialen Vorganges zwischen drei ›Personen‹ aus. Auch Lacans Witzinterpretation betriff t die Frage, wie mit dem ungeklärten Status der Seminarmitschriften (›Texte ohne Original‹) umzugehen sei (vgl. Tholen 2001: 13). Lacan verfasste wenige Aufsätze und keine Monographien, sondern machte den mündlichen Vortrag zum primären Medium seines Diskurses. Er glich darin jenem anderen Pionier der Zeichentheorien, Ferdinand de Saussure, der als Theoretiker der Schrift ebenfalls keine schriftlich gesicherten Gedanken hinterließ. Lacans Reden wurden im Unterschied zu de Saussures Vorlesungen al101
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lerdings sofort aufgezeichnet, was Friedrich Kittler veranlasst, von einem »kleinen Medienverbund« zu sprechen: »Alle Seminare Lacans sind über Mikrophone aufs Band gesprochen. Das brauchen subalterne Hände dann nur zurückzuspulen und abzuhören, um einen kleinen Medienverbund zwischen Recorder, Kopfhörer, Schreibmaschine aufzubauen und dem Meister zurückmelden zu können, was er gesagt hatte. Seine Worte, gerade noch gesprochen – pünktlich vor Beginn der nächsten Seminarsitzung lagen sie ihm schon im Typoskript vor« (Kittler 1982: 103).
Das Archiv Lacan des skizzierten »kleinen Medienverbundes« bleibt größtenteils noch immer verschlossen, ist doch überhaupt erst circa ein Fünftel der Seminare publiziert (vgl. Widmer 1997: 7 und 16; Schmitz 2001). Mit Edition der Seminare IV und V, die 1994 und 1998 erschienen sind, liegen zumindest erstmals längere Ausführungen Lacans über den Witz vor, die es zur Kenntnis zu nehmen gilt. Das Seminar IV zur Objektbeziehung befasst sich ausführlich mit Freuds Fallgeschichte des Kleinen Hans (Freud GW VII: 241f.; vgl. Löchel 1997). Um des naiv komischen »Stils von Hansens Antworten wegen,« beschäftigt sich Lacan (SE IV: 337f.) in einer Sitzung mit dem Witz (10. April 1957). Im darauf folgenden akademischen Jahr 1957/1958 nimmt dann die Interpretation des Witzbuches das gesamte erste Trimester des Seminars V ein, das Lacan insgesamt den Bildungen des Unbewussten widmet. Im Vordergrund steht dabei die Funktion der Metapher, von welcher bereits der kurz zuvor erschienene Aufsatz Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud (Lacan S II: 15-55) handelt, dessen Lektüre Lacan (SE V: 9) deshalb im Wintertrimester 1957 voraussetzt. Auf die Notwendigkeit der Bearbeitung seiner bisher weitestgehend unberücksichtigten Bemühungen, in diesem Seminar die Metapsychologie – Ödipuskomplex und Kastration (Lacan SE V: 143f.) – auf der Metapher neu zu begründen, kann aus Platzgründen leider nur hingewiesen werden. Hier interessiert allein seine Engführung von Witz und Metapher. In der Metapher bringt Lacan (vgl. S II: 56) neben der Metonymie eine der zwei Grundformen des Spiels des Unbewussten zur Darstellung, die gemeinsam eine Rhetorik des Begehrens konstituieren (vgl. Widmer 1997: 72f.). Die Metapher kennzeichnet den Vorgang, bei dem ein Signifi kant einen anderen Signifi kanten ersetzt. Vor allem verkörpert sie zugleich den daraus entspringenden Sinn-Effekt: »Die Metapher ist auf radikale Weise der Effekt, in dem ein Signifikant einem andern in einer Kette substituiert wird, ohne durch irgend etwas Natürliches für diese Funktion als Phora prädestiniert zu sein, nur dass es sich um zwei Signifikanten handelt, die als solche auf eine Phonemopposition zu reduzieren sind« (Lacan S II: 57).
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Die Metapher verleihe jener Bewegung ihren Namen, welche das Ersetzen eines Signifikanten durch einen anderen vollziehe und damit als Kernelement der »differentiellen Struktur der Signifi kation« wirkt (Weber 1978: 52). In der ersetzten Position, die vielleicht am besten ›atopisch‹ zu nennen ist (vgl. z.B. Tholen 2002: 53), bleibt der abwesende erste Signifikant dennoch als solcher bestehen, so dass das Signifi kat immer versperrt ist (vgl. Weber 1978: 52 und 59). Nichts Natürliches prädestiniere einen Signifi kanten dafür, so Lacan, einen anderen zu ersetzen. Lediglich eine Differenz – und zwar eine des Phonems – qualifiziert zur Substitution, womit unterstrichen wird, dass ein Signifi kant genau genommen keine Identität hat (vgl. ebd.: 57), sondern vielmehr durch seine Bewegung in der Signifi kantenkette oder auch das »Spiel der Differenz« (ebd.: 49) beziehungsweise seine »differentielle Funktion« (ebd.: 51) bestimmt wird (zum Begriff der Differenz vgl. Tholen 1986). Im Rahmen der Ausführungen über den Witz hebt Lacan sein Projekt konsequenterweise als eines hervor, das beabsichtigt, die Signifi kanten »in ihrem im wesentlichen kombinatorischen Wert« zu verorten (SE IV: 352; Hervorh. A.T.). Lacans Theorie der Metapher hebelt folglich nicht nur, wie so oft bemerkt, das Primat des Signifi kates aus (vgl. Weber 1978: 51), sondern auch die Fundierung auf einer Ähnlichkeitsbeziehung von Bedeutung und Bild, die der metaphorischen Operation gemeinhin zugesprochen wird (vgl. Lacan S II: 56f.): »Der schöpferische Funke der Metapher entspringt nicht der Vergegenwärtigung zweier Bilder, das heißt zweier gleicherweise aktualisierter Signifikanten. Er entspringt zwischen zwei Signifikanten, deren einer sich dem anderen substituiert hat, indem er dessen Stelle in der signifikanten Kette einnahm, wobei der verdeckte Signifikant gegenwärtig bleibt durch seine (metonymische) Verknüpfung mit dem Rest der Kette« (Lacan, S II: 32; vgl. Fineman 1998: 465).
Lacans Theorie der Metapher hat damit den durch Haverkamp hervorgehobenen Wechsel von der Orientierung am ›Gehalt‹, der von einem Bild in ein anderes transportiert werde, zur Orientierung am sprachlichen Transport bereits vollzogen: »An die Stelle des im Bild transportierten ›Gehalts‹ tritt die Technik des sprachlichen Transports: die Metapher als Terminus des Transports ersetzt das Bild als Metapher der ›Gestalt‹ (›Figur‹)« (Haverkamp 1983: 2).
Tatsächlich ist zu beobachten, dass in Reflexionen über die Metapher wiederholt die Metapher des Transports auftritt (vgl. Derrida 1998; Ronell 1988; Benjamin 1972), ebenso wie die »mimetische Nähe zwischen Metaphorik und Technik als Weisen der Übertragung« auff ällt (Tholen 2002: 44). Ver103
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stehbar wird dies erst mit der oben skizzierten »Wende in der Bestimmung des Metaphorischen« (ebd.: 43), welche die Metapher als »unvordenkliche Übertragbarkeit« (ebd.: 50) zu entwerfen erlaubt und die zugleich jegliche Entgegensetzung von Begriff und Metapher abträgt (ebd.: 48). Wie Jacques Derrida in seinem Aufsatz Der Entzug der Metapher bemerkt, bezeichnet metaphorikos im modernen Griechisch sogar alles die Transportmittel Betreffende: »Metaphora fährt durch die Stadt, sie befördert uns als ihre Bewohner, auf verschiedenen Strecken, mit Ampeln, Einbahnstraßen, Kreuzungen oder Scheidewegen, Geschwindigkeitsbeschränkungen und Vorschriften. Wir sind gewissermaßen – metaphorisch natürlich und in der Weise des Bewohnens – der Inhalt dieses Fahrzeugs: Passagiere, von der Metapher fortbewegt und umfangen« (Derrida 1998: 197).
Derrida lehnt eine Metapherndefinition ab, die an ihrem Inhalt oder Bilderwert festhält. Zu ihrem einzigen Inhalt wird das Fortbewegtsein und Umfangensein der sprachlichen Bewegung selbst, was wiederum, wie oben bereits angerissen, entscheidende Konsequenzen für das Verständnis der Generierung von Bedeutung als solcher hat (vgl. Haverkamp 1983: 4). Da seine Metaphorologie sich ebenfalls der Subsumtion unter die Auffassung der Metapher als übertragener Bedeutung (Ersatz eines Bildes durch ein anderes Bild) entzieht, ist Lacan imstande zu konstatieren, dass es keinen anderen Sinn als strukturell metaphorischen Sinn gebe. Noch das erste Objekt a sei das »primordial verlorene« und damit real entzogenes Gedankenobjekt und damit selbst bereits Ersatz. »Genauso habe ich Ihnen auch im vierten Seminarjahr zeigen wollen, dass es kein Objekt gibt, wenn nicht metonymisch, das Objekt des Begehrens, welches das Objekt des Begehrens des Anderen ist, so dass das Begehren stets Begehren nach etwas Anderem ist, ganz genau nach dem, was fehlt, a, das primordial verlorene Objekt, insofern Freud es uns als das zeigt, was es stets wiederzufinden gilt. Genauso gibt es keinen Sinn, wenn nicht metaphorisch, so dass der Sinn nur aus der Ersetzung eines Signifikanten durch einen anderen Signifikanten in der symbolischen Kette hervortritt« (Lacan SE V: 14).
Die Metapher kennzeichnet damit nichts weniger als den Prozess der Signifi kation an sich (vgl. Weber 1978: 53). Den als Metapher beschriebenen Punkt der Entstehung des ›Sinns im Unsinn‹ sieht Lacan in Freuds Theorie des Witzes beschrieben sowie in dessen Begriff der Verdichtung (vgl. ebd.: 52; Haverkamp 1983: 16). So dient die Lektüre des freudschen Witzes Lacan zur Vervollständigung seiner beiden Hauptschriften zur Metapher, Das Drängen des Buchstaben im Unbewussten und Die Metapher des Subjekts. 104
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Lacan nahm nach bisherigem Wissen zwar nicht auf die Zote Bezug, an der Freud maßgeblich das Prinzip des lachenden Dritten erläuterte, reformulierte jedoch als erster die im Witz entworfene Topologie zu seiner Theorie der Metapher. Trotz zahlreicher Brüche und Unterschiede ergänzen sich die Zote Freuds, Lacans naiv Komisches und Webers Aufsitzer. Zote, Naives und Aufsitzer stellen zentrale Beiträge zu einer allgemeinen Theorie der Metapher dar, die wiederum einem Begreifen von Medialität den Weg ebnet. Dafür werden in Ergänzung zum ausführlich diskutierten Rand des Witzigen – der Zote – zwei weitere randständige Phänomene vorgestellt: das naiv Komische (Lacan) und der Aufsitzer (Weber).
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UND DIE
TÄUSCHUNG
Sein Seminar über die Bildungen des Unbewussten widmete Lacan der Funktion des Signifi kanten im Unbewussten. Er behandelt darin die Frage, die sein Werk als solches repräsentieren könnte (Lacan SE V: 9). Das erste Trimester dieses Seminars füllt eine Lektüre von Freuds Werk über den Witz aus, denn Lacan hält den Witz für den besten Einstieg ins Thema, auch weil er bei Freud am Treffendsten die »Beziehungen des Unbewussten zum Signifi kanten und seinen Techniken« charakterisiere (ebd.: 10). Während Freud mit der Zote einen Grenzfall des Witzes gründlicher untersuchte, und Weber den paradigmatischen Sonderfall des Aufsitzers ins Zentrum seiner Überlegungen stellte, untersuchte Lacan mit dem naiv Komischen einen weiteren Grenzfall des Witzigen. Freuds Zote, Webers Aufsitzer und Lacans naiver Witz verkörpern alle drei das Symbolische als Drittes, akzentuieren dabei aber jeweils ein bestimmtes Merkmal. Diese Merkmale gliedern sich in Verführung (Zote), Aggression (Aufsitzer) und Täuschung (Naives). Das Naive erachte Freud als auf Unwissenheit gegründet und entlehne seine Beispiele deshalb ganz natürlicherweise Kindern (Lacan SE V: 126). Zur Illustration des naiv Komischen nutzt Freud folgendes Beispiel eines von Kindern selbst geschriebenen Theaterstücks, das ein Geschwisterpaar zur Abendunterhaltung seiner Eltern auff ührt (vgl. zu Psychoanalyse und Theatralität Weber 1999). Die Kinder erzählen die Geschichte eines Ehepaares, das aufgrund großer Armut gezwungen ist, sich für eine Zeit lang zu trennen, damit der Ehemann in fremden Ländern auf Glückssuche gehen kann. Als er nach einigen Jahren zurückkehrt, nachdem er Erfolg hatte und Reichtum gefunden hat, breitet er alle erworbenen Schätze vor seiner Frau aus:
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»Diese hört ihm zu, öffnet dann einen Vorhang vor dem hinteren Teil der Bühne und sagt zu ihm – Schau, auch ich habe richtig gearbeitet, während du fort warst. Und man sieht im Hintergrund zehn (zwölf) Puppen aufgereiht« (Lacan SE IV: 349).
Das plötzlich ausbrechende Lachen des erwachsenen Publikums erstaunt die Kinder, vielleicht sind sie auch einfach überrascht oder vielleicht wissen sie mehr darüber, als man glaubt, mutmaßt Lacan (SE V: 126). Eigentlich kann solch eine Geschichte nicht ohne Scham, zumindest nicht ohne eine gewisse Anspannung erzählt werden. Die kindliche Naivität zeichnet sich durch die völlige Abwesenheit eines Vorbehaltes und jeder Hemmung aus. Der Naive bringt mühelos diese »Ungeheuerlichkeit« hervor, was aus Sicht der anderen gerade deshalb zum Schreien komisch ist: »Das Kind realisiert unumwunden, was uns bis an die Spitze des Widersinnigen führt. Es macht gewissermaßen einen naiven Witz. Es ist eine drollige Geschichte, die das Lachen auslöst, weil sie aus dem Munde eines Kindes stammt, was den Erwachsenen das ganze Feld überlässt, um sich auszuschütten – Diese Gören sind unbezahlbar« (Lacan SE IV: 349).20
Es ist aber keinesfalls sicher, dass es sich hierbei um ein Geschehen zwischen den Generationen handelt, bei dem die Älteren die Oberhand haben. Denn es kann nie abgeklärt werden, ob die Kinder den obszönen Witz nicht hinter der Maske der ihnen bereitwillig zugestandenen Unwissenheit präsentieren und ihre Überraschung über die Reaktion der Zuschauer folglich nur als überzeugendes Theater vorspielen. Immer sind wir es, »die sie in die Sichtweise des Naiven einschließen« (ebd.: 350). Damit gerät der fest gefügte Rahmen des kleinen Theaters – Bühne vorne und Zuschauerraum hinten – und vor allem die angenommene Unwissenheit, Dummheit oder Naivität, hier der Kinder-Schauspieler, ins Wanken. Denn genauso, wie wir ihre völlige Ahnungslosigkeit voraussetzen können, besteht die Möglichkeit, sie in Frage zu stellen: »Spricht man dem Spiel der kindlichen Komödie eine vorgetäuschte Naivität zu, so erstattet man ihm genau dadurch den Charakter eines Witzes*, eines der tendenziösesten Witze, wie Freud sich ausdrückt, zurück. Es braucht dazu nicht mehr als ein 20. Den Typ des naiven Witzes stellt Freud noch in einer weiteren Form vor, die technisch gesehen den Vorgehensweisen der Sprache näher stehe, wie Lacan meint (ebd.): in Form der wunderbaren Geschichte des kleinen Mädchens, das seinem Bruder, als dieser ein bisschen Bauchweh hat, eine Bubizin vorschlägt. Während ihrer eigenen Krankheit war ihr eine Medizin/Mädizin verabreicht worden, so dass sie folgert, es müsse für den Jungen oder Bubi zum Kurieren eine Bubizin geben (ebd.).
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Nichts, nämlich die Unterstellung, dass die Naivität nicht vollkommen sei, damit die Kinder die Oberhand gewinnen und die Meister des Spieles sind« (ebd.).
Die lachende und die belachte Partei werden damit gewissermaßen vertauscht. Beides geschieht jedoch durch den Akt des ›Zuschauers‹. Im ersten Falle setzt der Betrachter eine völlige Ahnungslosigkeit des Kindes voraus, im anderen Fall geht er von einer vorgetäuschten Unschuld aus und erstattet dem Spiel den Charakter des Witzes zurück, wie Lacan sagt. Die in der Betrachtung des Schauspiels angeblich vorgefunden und vermeintlich im Zentrum des Naiven stehende Unwissenheit des Kindes büßt ihren Erklärungsgehalt ein. Lacan (SE V: 152) spricht davon, dass das naive Kind immer eine Maske trage, wie der kleine Hans in der Fallgeschichte Freuds (Lacan SE IV: 350f.). Die Bezugnahme auf das Kind sei zwar nicht unangebracht, aber das Wesentliche liege nicht darin und auch nicht in der Unwissenheit, sondern in der beschriebenen Abwesenheit jeglicher Hemmung bei dem, der spricht. »Dieses Fehlen von Hemmung ermöglicht es uns, beim Anderen, dem wir das erzählen, und der bereits selbst von diesem Fehlen von Hemmung fasziniert ist, das Wesentliche des Witzes durchgehen zu lassen, nämlich jenes Jenseits, das er evoziert. Hier bei dem Kind in dem von uns gerade erwähnten Fall besteht das Wesentliche nicht im Spaßigen, sondern in der Evozierung dieser Zeit der Kindheit, in der das Verhältnis zur Sprache ein so nahes ist, dass es uns dadurch direkt das Verhältnis der Sprache zum Begehren evoziert, das die eigentliche Befriedigung des Witzes konstituiert« (Lacan SE V: 148).
Freuds Illustration der Naivität lebt damit nicht (nur) von der Spannungsersparnis, mit der solch eine Erzählung für einen weniger naiven Sprecher einhergehen würde und die sogar Scham zu evozieren imstande wäre (Lacan SE IV: 349). Vielmehr mache Freud deutlich, dass der Witz stets die Annahme einer dritten Person beinhalte (ebd.: 350): »Man erzählt den Witz über jemanden gegenüber jemand anderem« (ebd.). Ob die drei Personen nun tatsächlich da, also – hier gemeint: ›physisch‹ – anwesend seien, oder nicht (ebd.), immer gelte: »diese Dreiheit ist stets notwendig für die Auslösung des Lachens durch den Witz, während das Komische sich mit einer Zweierbeziehung begnügt« (ebd.). Zum einen ist diese Bemerkung Lacans für die Betrachtung des Klatsches von Gewicht, denn auch dort kann die beklatschte Partei physisch anwesend sein, während sie in der Rede abwesend ist, oder sie kann im doppelten Sinne physisch und metaphorisch abwesend sein. Wie im folgenden Kapitel dargestellt wird, ergab sich daraus stets das offene Problem der Klatschforschung, ob die physische Abwesen-
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heit des Beklatschten als eine Muss- oder eine Kann-Bestimmung für das Zustandekommen des Klatschgesprächs zu behandeln sei. Das naiv Komische erlaubt weiterhin die Differenzierung zwischen der physischen Anwesenheit und der diskursiven An/Abwesenheit, die Lacan virtuelle Anwesenheit des Dritten nennt. Denn gerade die ›volle‹ Zusammenkunft von drei Personen, wie sie noch in der Zote und im Witz von Freud vorgestellt und entworfen wurde, lässt sich für das skizzierte naive Theater nicht mehr aufrechterhalten. Hier tritt kein Erzähler mit einem gemachten Witz über eine andere Person oder Sache vor einen Zuhörer hin. Lacan (SE V: 128) sagt, man entlehne das Wort des Naiven oder Unwissenden. Entsprechend entfällt, was Freud die Fassade des Witzes nennt: »Ich brauche beim Anderen nichts mehr hervorzurufen, was die solide Schale bildet, sie ist mir bereits ganz gegeben durch den, aus dessen Mund ich das kostbare Wort, dessen Weitergabe einen Witz ausmachen wird, empfange, und den ich auf diese Weise durch meine Geschichte zur Würde des Wortgewaltigen erhebe« (Lacan SE V: 128; Übersetzung Gerhard Schmitz).
Obwohl es in der Verwendung seiner sprachlichen Techniken keinesfalls als Witz durchgeht, qualifiziert sich das naiv Komische derart als Rand des Witzigen, weil hier der Dritte stets mehr oder weniger impliziert ist: »Im Naiven dagegen ist die Sichtweise der dritten Person, mag sie auch virtuell bleiben, stets mehr oder weniger impliziert. Nichts beweist, dass es nicht jenseits dieses von uns für naiv gehaltenen Kindes einen Anderen gäbe – er ist im Übrigen da –, ihn setzen wir nämlich voraus, damit dies uns derart lachen macht. Schließlich könnte es durchaus sein, dass das Kind vortäuscht, naiv zu sein, das heißt, das es nur so tut« (Lacan SE IV: 350; Hervorh. A.T.).
Noch einmal wird ersichtlich, dass jenes im Aufsitzer, in der Zote und im Naiven evozierte Jenseits lediglich als zeitlicher Akt, als Tätigkeit verstehbar ist. Ähnlich dem Obszönen und dem Aufsitzer kommt dem naiv Komischen eine Zwischenstellung zu. Lacan (ebd.: 349) sagt hier noch – ein Terminus, der von ihm an anderer Stelle kritisiert wurde (Lacan S I: 71f.) – es sei »intersubjektiv«. In jedem Fall sind alle drei Formen weder dem klassischen Witz noch der reinen Komik zuzuordnen, die sich stärker aus der Anschauung, dem Anblick (›Zweierbeziehung‹) ergibt: »Das Komische kann schlichtweg zwischen zwei Personen ausgelöst werden. Der Anblick einer Person, die beispielsweise hinfällt oder die in maßloser Umständlichkeit eine Handlung auszuführen beginnt, die wir viel einfacher hinbekommen würden, kann für sich allein dazu ausreichen, sagt uns Freud« (Lacan SE IV: 350).
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Wie Weber gewinnt Lacan an Freuds Theorie des Witzes auf diese Weise eine fundamentale Kritik des Sinnes, des Unsinnes und der Dummheit: »Der Wert des Witzes – das, was ihn vom Komischen unterscheidet – liegt in seiner Möglichkeit, auf den darunterliegenden Nicht-Sinn jeglichen Gebrauchs von Sinn zu setzen. Es ist jeden Augenblick möglich, jeden Sinn in Frage zu stellen, insofern er auf einem Gebrauch des Signifikanten gegründet ist. Denn dieser Gebrauch ist gegenüber jeder möglichen Bedeutung in sich selbst zutiefst paradox, da dieser Gebrauch überhaupt erst das erzeugt, was er eigentlich unterstützen soll« (ebd.: 348).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Lacan über den Umweg des naiv Komischen und seine Theorie des Anderen eine ergänzende Lektüre zu Webers Freud-Legende praktiziert. Während Weber bei der Operation den Ärger und die Angst hervorhebt, beschreibt Lacan die Möglichkeit, hinter der Maske des Naiven jeglichen Sinn auf einen ›darunterliegenden NichtSinn‹ gesetzt zu sehen – der ja ebenfalls durch die metaphorische Operation erst ›darunterliegend‹ etabliert und hervorgebracht wird. Auch wenn er Ärger und Angst nicht gleich viel Aufmerksamkeit schenkt wie Weber, benennt Lacan doch die Verbindung von Witz und Metapher mit dem Tod. Nebenbei berichtet er über die Belustigung, die ein Zeuge aus der Beobachtung ziehen kann, dass jemand noch aus der Enttäuschung Lust bezieht (Lacan SE V: 128). Insofern jeder Unsinn sowohl eine Bedrohung wie eine Enttäuschung für das Ich darstellt, der Lust folglich abgetrotzt werden muss, ergibt sich aus der Anmerkung Lacans eine Verbindung mit Webers Ausführungen, denen nun weiter nachgegangen wird.
D ER A UF S I T ZER
UND
A GGRE SS ION
Weber schließt seine Lektüre des freudschen Witzes mit einer Analyse der Aufsitzer ab. Aufsitzer heißen diejenigen Erzählungen mit ›vorgetäuschter‹ Pointe und damit einer Unterart der Unsinns- und Dummheitswitze, welche das Problem des Kernes der Witzerzählung und so auch die Frage nach dem Sinn im Unsinn wiederholen, ohne es zu lösen. Freud befasst sich mit diesem Problem in einer Fußnote im Anschluss an das vierte Kapitel seiner Witzschrift über den Lustmechanismus und die Psychogenese des Witzes, die dem Buch wesentlich nach dem ersten Erscheinen hinzugefügt wurde. Weber (2002: 132) sagt deshalb über die Fußnote, sie ähnele durch ihre Stellung zum Haupttext dem Lachen in seiner Nachträglichkeit. Die Fußnote besteht aus zwei Teilen, die zu unterschiedlichen Zeiten verfasst wurden. Im ersten Teil dieser Notiz fallen die Bemerkungen hinter den bereits erreichten Diskussionsstand zurück, indem die »Unsinnswitze«, denen die Abschweifung gewidmet ist, einer von zwei 109
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angenommenen Komponenten des Witzvorganges zugeordnet werden (Freud GW VI: 154, Anm. 1), nämlich dem Gedankenspiel. Das Gedankenspiel rufe Lust durch die Aufhebung von Hemmungen hervor, während die andere, ursprünglichere Komponente, die sich vom Spiel mit Worten herleite, frei von solchen Hemmungen sei (ebd.: 155; vgl. Weber 2002: 133). Damit greift Freud wieder auf »den hierarchischen Gegensatz von Spiel und Hemmung, Reim und Vernunft, Worten und Gedanken zurück, mit denen er die verschiedenen Gestalten des Witzes zu einem kohärenten Ganzen vereinen will« (ebd.: 133). Schließlich verortet Freud den Charakter der Lust am Witz in der Fußnote ebenfalls in dieser hierarchischen Ordnung und bringt sie auf die knappe Formel, der Witz »zeige einen Kern von ursprünglicher Spiellust und eine Hülle von Aufhebungslust« (Freud GW VI: 155; vgl. die Diskussion der Witzeslust in Kapitel 2.1.). Als Folge sah Freud sich erneut gezwungen, zum Problem dieser Unsinnswitze und des Sinns im Unsinn zurückzukehren. Deshalb fügt er 1912 einen weiteren Anhang, eine Fortsetzung der Fußnote hinzu, weil seine Separierung in Hülle von Aufhebungslust und Kern von Spiellust die notwendige Zweideutigkeit und somit den Doppelcharakter des Witzes verfehlt (vgl. Weber 2002: 133). In der zweifach randständigen Erweiterung der Fußnote werden »witzähnliche« Produktionen behandelt, denen es an einem passenden Namen und damit an einer korrekten Bestimmung mangelt, weshalb Freud sie zunächst »witzig erscheinenden Blödsinn« heißt (Freud GW VI: 155; vgl. Weber 2002: 132 und 134). Als Beispiel einer solchen Kreation führt er an: »Das Leben ist ein Kettenbrück‹, sagt der eine. – Wieso fragt der andere. Weiß ich? lautet die Antwort« (Freud GW VI: 155). Das Ende dieser Geschichte besteht anstatt aus einer Pointe darin, dass der Zuhörer auf seine eigene Erwartung einer Lösung und die vergebliche Hoffnung auf Enthüllung von Sinn aus dem offensichtlichen Unsinn gestoßen wird. Er sitzt der eigenen Erwartung auf. Die Funktion und Wirkung der Aufsitzer verortet Freud denn auch in eben jener Eigenart vorzuspiegeln, hinter der Aussage sei ein kohärenter Sinn auffindbar, auf dessen Suche der Hörer der Geschichte sich darum vergeblich begibt. »Diese extremen Beispiele wirken dadurch, dass sie die Erwartung des Witzes erwecken, so dass man hinter dem Unsinn den verborgenen Sinn zu finden sich bemüht. Man findet aber keinen, sie sind wirklich Unsinn. Unter jener Vorspiegelung ist es für einen Augenblick ermöglicht geworden, die Lust am Unsinn freizumachen« (ebd.).
Auch wenn Freud sich fragt, ob es sich dabei überhaupt um Witze handelt, kann er den »witzig erscheinenden Blödsinn« nicht ignorieren, löst dieser doch das Lachen der Zuhörer ebenso aus wie der feinsinnigste Witz und ist damit genauso wirkungsvoll wie jener (vgl. Weber 2002: 136). Dennoch 110
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weiß der Hörer bzw. der Leser nie, wie er reagieren, ob er lachen, weinen oder sich ärgern soll, was aber witzigerweise die Pointe der Geschichten ausmacht und den aufgesessenen Zuhörer zum Weitererzählen verleitet, um nun als Erzähler ebenfalls einen anderen erwartungsvoll Lauschenden ›foppen‹ zu können (vgl. ebd.: 134). Eben darin besteht nach Freud die Tendenz der Aufsitzer, was ihn auch zur Namensgebung für die besprochenen Geschichten führt: »Diese Witze sind nicht ganz ohne Tendenz; es sind ›Aufsitzer‹, sie bereiten dem Erzähler eine gewisse Lust, indem sie den Hörer irreführen und ärgern. Letzterer dämpft dann diesen Ärger durch den Vorsatz, selbst zum Erzähler zu werden« (Freud GW VI: 155).
Der Diskurs des Witzerzählers sei nicht frei von aggressiven Tendenzen gegenüber seinen Zuhörern, so Weber (2002: 135), was zu deren Entschluss führt, ihren Ärger zu dämpfen, indem sie selber Erzähler, d.h. ›erste Person‹ oder ein Ich werden. Jene Weitergabe von Ärger, dessen ›Kurieren‹ lediglich im Wechsel der Position vom Geärgerten zum Aggressor möglich ist und damit einer Wiederholung und Fort-setzung gleichkommt, ähnelt einer Kettenreaktion, die im Übrigen einen wichtigen Beitrag zur Ausbreitung von Witzen leistet und ihnen ein Eigenleben verschaff t: »Ein neuer Witz wirkt fast wie ein Ereignis von allgemeinstem Interesse; er wird wie die neueste Siegesnachricht von dem einen dem anderen zugetragen« (Freud GW VI: 13). Genauso werden Gerüchte und Klatsch verbreitet und übertragen, weshalb die oben besprochene Figur der Verschränkung von Erzähler- und Zuhörerposition oder »›Übertragung‹, die als Prozess der Erzählung von der ›ersten‹ zur ›dritten‹ Person übergeht«, für sie geltend gemacht werden kann (vgl. Weber 2002: 135; Allport/Postman 1965). Der besonders im Aufsitzer verdeutlichte »Prozess der Erzählung« setzt nicht nur die Position des Hörens und Erzählens und vor allem der zugehörigen Instanzen in ein grundsätzliches Abhängigkeitsverhältnis, sondern auch Sinn und Unsinn. Sowohl der Sinn als auch die Instanz, die für sich in Anspruch nimmt, ihn zu verkörpern – das Ich –, erweisen sich damit als notwendig und unablösbar dependent vom Unsinn, und umgekehrt verhält es sich genauso. Noch der ›ursprüngliche‹ Unsinn, aus dem der Sinn hervorgehen und der diesem vorausgelagert sein soll, entsteht erst in seiner Abhebung vom Sinn. Das ist aber genau jene Funktion, die Lacan als diejenige der Metapher beschreibt: »Man sieht, die Metapher hat ihren Platz genau da, wo Sinn im Un-Sinn entsteht, der in umgekehrter Richtung genommen, wie Freud entdeckt hat, jenem Wort Raum gibt, das im Französischen ›das Wort‹ par excellence ist, das Wort, für das kein anderer
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als der Signifikant des esprit [das Lacan als Äquivalent zum deutschen Ausdruck Witz anführt; Anm. A.T.] die Patenschaft übernimmt, woran sich begreifen lässt, dass der Mensch sogar noch seinem Schicksal Hohn spricht durch den Spott des Signifikanten« (Lacan S II: 33).
Ein Witz wäre damit immer ein Widerstand gegen die Unausweichlichkeit des Schicksals. Es lässt sich sogar vermuten, dass vielleicht gerade diejenigen Situationen, in denen der Tod unausweichlich herannaht, wie es in vielen Witzen der Fall ist, besonders geeignet sind, den Vorgang der Metaphorisierung selber zu transportieren und ins Bild zu setzen. Schließlich gilt: »Aber der Niederschlag des Signifikanten enthüllt hier einen weiteren Aspekt, den wir bei Saussure höchstens vermuten konnten: der Schlag ist ein tödlicher« (Weber 1978: 52).
DR I T TE S
AL S
M EDI AL I TÄT
Unsinn geht dem Sinn nicht voraus, so dass sich das Gegensatzpaar von Sinn und Unsinn, Dummheit und Schlauheit lediglich als Resultat des Begehrens verstehen lässt, einen intelligiblen Kontext stiften zu wollen, ja zu müssen (vgl. Ronell 2003). Dies Begehren verdeutlicht sich im Besonderen an Aufsitzern: »Denn diese Witze ›spielen‹ mit dem Begehren des Zuhörers, einen ›intelligiblen Kontext‹ zu finden, das ja, wie wir gesehen haben, am Ursprung der ›sekundären Bearbeitung‹ seinen Ort hat. Dieses Begehren ist nichts anderes als vornehmlich das narzisstische Streben des Ich, zu vereinheitlichen, zu binden und zu synthetisieren, und dadurch ein sinnvolles, selbständiges Objekt zu konstituieren, demgegenüber es sich selbst als ein nicht weniger sinnvolles, selbständiges Subjekt – das heißt als Selbstbewusstsein – setzen kann« (Weber 2002: 134).
Sekundäre Bearbeitung stellt neben der Verdichtung, Verschiebung und Rücksicht auf Darstellbarkeit den vierten von Freud formulierten Mechanismus der Traumarbeit dar. Anders als die übrigen drei beschränkt sie sich jedoch nicht auf unbewusste Aktivität, weshalb sie die wichtige Aufgabe übernehmen kann, den Anschein der Rationalität und allgemeinen Verständlichkeit des Traumes zu erwecken (vgl. Weber 2002: 28f.). Weber problematisierte daher die einfache Rede vom »Traum als einer Wunscherfüllung« (Freud GW II/III: 538) und reformulierte sie dahingehend, dass der Traum vielmehr als eine Ent-stellung verstanden werden müsse, die auf die Wirkung der sekundären Bearbeitung zurückzuführen ist, beziehungsweise als »entstellte Erfüllung eines konfliktreichen Wunsches« (Weber 1980: 209) oder als »entstellter Versuch der Darstellung einer Wunsch112
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erfüllung« (Tholen 1999a: 39). Das Begehren Sinn zu stiften, das sich als Wirkung der sekundären Bearbeitung durchsetzt, hat unausweichlich die Verkennung dieser Verkennung zur Folge. Man »verkennt, dass man verkennt« (Weber 1987: 13). Indem es unablässig einen sinnvollen Zusammenhang zu schaffen bestrebt ist, hat das Bewusstsein den Charakter eines hermetischen Vorhanges – die symbolische Ordnung überzieht gleichsam den ganzen Kosmos des Menschen (vgl. Widmer 1997: 48). Im Witz und besonders in dessen »Quintessenz« (Weber 2002: 136), dem Aufsitzer, wird das Bewusstsein jedoch an seine Grenzen geführt, sogar für einen winzigen Augenblick aufgehoben, um als Negation seiner selbst verleiblicht und belacht zu werden (dies ist jedoch nicht überzubetonen, wie häufig geschehen; das Lachen ist im strengen Sinne ein Nicht-Wissen, wie wir dargestellt haben). Damit entsteht eine Nahtstelle, an der das Auseinandertreten von Sinn und Unsinn (oder Nicht-Sinn) einen Moment lang als Vorgang selber erahnbar wird, weshalb im Witz panische Angst und höchste Lust so dicht beieinander liegen. Während die erste Person aber noch oder schon wieder zu verstrickt ist in intellektuelle/geistige Aktivität und ihre Energien dadurch bereits erneut an psychische Repräsentanzen gebunden hat, lässt sich der Dritte ›überrumpeln‹. Die derart psychisch nicht repräsentierte und ungebundene Aktivität kanalisiert sich im und als Lachen (vgl. Weber 2002: 122) und bereitet Lust statt unlustvoller Angst. Vielleicht, so Weber, seien Lachen und Angst so eng verwandt, weil in beiden ungebundene Energie umgewandelt werde, »das heißt zum Teil an konvulsivische, unwillkürliche körperliche Bewegungen gebunden und hiermit dem Ich einverleibt« (ebd.: 215, Fußnote 2). Und vielleicht ist es nicht unwichtig, dass sich die Bewegungen, die Angst und Lachen kennzeichnen, vor allem danach unterscheiden, ob sie stärker horizontal oder stärker vertikal situiert sind. Mit der Angst korrespondiert der frei flottierende Schwindel (Weber 1987), der Körper wird in horizontale Drehbewegungen versetzt, das Lachen dagegen mündet in eine rhythmische Auf- und Abbewegung des Zwerchfells (vgl. für den Körper im Witz auch Menke 2003b; Ferenczi 1922). So könnte man auch sagen: Indem das Ich sich als nichtiges anerkennt, indem es sich preisgibt, vermeint es sich auseinandergesetzt und aufgespalten im sozialen Szenario Witz dennoch zu behaupten. Und dieser imaginäre Triumph scheint in seiner Waghalsigkeit besonders köstlich zu sein, wie das Lachen bezeugt. Es wurde bereits erwähnt, dass Freud sich kaum mit dem abgründigen, beängstigenden Moment im Witz beschäftigt hat. Dessen ungeachtet bespricht er eine Anekdote, in der die Abhängigkeit des Ichs – ins Bild gesetzt als Abhängigkeit von einem höheren Wesen: Gott – witzig gewendet und als ›blasphemische‹ Selbsterkenntnis im Angesicht des bevorstehenden Todes formuliert wird. An Heines Sterbebett soll sich folgendes zugetragen haben: Ein freundlicher Priester erinnerte 113
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den Sterbenden an Gottes Gnade und machte ihm Hoffnung, dass er bei Gott Vergebung für seine Sünden finden werde (vgl. Freud GW VI: 126), woraufhin Heine antwortete: »Bien sûr, qu’il me pardonnera; c’est son métier« (ebd.). Einem Metier, einem Geschäft oder Beruf, gehen etwa Ärzte oder Handwerker nach, so Freud. Vor allem hat jemand, den Regeln der Arbeitsteilung zufolge, nur ein einziges métier, was in der griechischen Polis zu einer Niedrigschätzung des Handwerks, der techné führte, da der mündige Bürger seinen Geist nicht aufteilen sollte (vgl. Vernant 1973: 260).21 Der Witz Heines wolle nichts anderes sagen als: »Gewiss wird er 21. In der von Weber geprägten Terminologie ließe sich vielleicht auch sagen, der Bürger der Polis sollte sich nicht auseinandersetzen. Antike Arbeitsteilung bedeutete zunächst, so Jean-Pierre Vernant (1973: 259), eine Ergänzung der Fähigkeiten der Einzelnen: »In einer gewissen Weise erscheint das, was wir Arbeitsteilung nennen, als die Basis der ›politeia‹. Die Menschen schließen sich zusammen, weil sie sich gegenseitig brauchen, aufgrund einer komplementären Reziprozität«. Einerseits ist ein spezialisierter Handwerker unentbehrlich für den technischen Fortschritt, andererseits ist ihm aus demselben Grund die Teilnahme am politischen Leben der Polis versperrt: »Da er eine techné beherrscht, spielt er eine unentbehrliche Rolle bei der Befreiung des Menschen von den Zwängen der Natur. Doch weil er sich auf diese techné beschränkt, kann er nicht die höhere techné, die techné politique, erwerben« (Mosse 1993: 48). Bemerkenswert ist weiterhin, dass die teilweise Geringschätzung des Handwerks – besonders im Gegensatz zur Landwirtschaft – damit begründet wird, die Arbeitshaltung vieler Handwerker – gebückt im Sitzen – ähnele dem Weben der Frauen (ebd.; Vernant 1973: 256). Vernant (1973: 260) zieht den Schluss, das Handwerk betone die Differenz zwischen den Menschen, es hebe das Besondere im Einzelnen hervor, während der Bürger sich gerade durch seine Gleichheit mit den anderen, d.h. seine Austauschbarkeit, auszuzeichnen hatte: »Wenn das Handwerk in jedem von uns das definiert, was ihn von den anderen unterscheidet, so muss die Polis nach einem Plan aufgebaut sein, der außerhalb der beruflichen Tätigkeit liegt. Der Spezialisierung der Aufgaben, der Differenzierung der Handwerke steht die Gemeinschaft der Bürger als gleichgestellte ѢѫѨѢ, als gleichartige ѨѥѨѢѨѢ, wir würden fast sagen als austauschbare Wesen gegenüber«. In den modernen bürgerlichen Staaten ist die Arbeitsteilung zur Grundlage der Gesellschaft schlechthin avanciert. Zugleich wurden die von der Spezialisierung und Arbeitsteilung ausgeschlossenen Juden mit der Austauschbarkeit schlechthin, dem allgemeinen Äquivalent (Marx), dem Geld identifiziert (vgl. Adorno/Horkheimer in Adorno GS 3). Vgl. zum Zusammenhang von Signifikant/Wert/Äquivalenz auch Lacan (SE V: 81). Das heißt aber auch, dass nicht in erster Linie der Umgang mit dem Medium Geld, der Juden im Mittelalter als einzige Arbeit blieb und die umgekehrt den Christen untersagt war, zu ihrer Identifizierung mit dem Tauschmittel führte, sondern genauso der Ausschluss von arbeitsteiliger Arbeit. Während in der Polis der Grundbesitz und die Freiheit von
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mir verzeihen, dazu ist er ja da, zu keinem anderen Zweck habe ich ihn mir angeschaff t (wie man sich seinen Arzt, seinen Advokaten hält)« (Freud GW VI: 126). So wird die Abhängigkeit gewendet. Der vermeintlich auf die Gnade eines höheren Wesens angewiesene Mensch reiht diesen ›Schöpfer‹ in die Riege seiner anderen ›Diener‹ ein, die ihm im Leben auf ihre je spezifische Weise nützlich sind bzw. waren. »Und so regt sich noch in dem machtlos daliegenden Sterbenden das Bewusstsein, dass er sich Gott erschaffen und ihn mit Macht ausgestattet hat, um sich seiner bei Gelegenheit zu bedienen. Das vermeintliche Geschöpf gibt sich noch kurz vor seiner Vernichtung als den Schöpfer zu erkennen« (ebd.).
Der bittersüße Triumph der ersten Person besteht darin, sich im selben Zug als Erschaffer des erhoff ten oder auch erbangten ›Jenseits‹, eines höher stehenden Bewegers, eines ›Außen‹ zu erkennen, (s)ich damit als unendlich zu erkennen zu geben, während sie damit zugleich ihre eigene Endlichkeit, ja Eingeschlossenheit in sich selbst anerkennt. Der Abgott und Prothesengott Mensch erfährt sich für einen Moment in sich selber, seiner eigenen Schöpfung eingeschlossen. Zugleich gilt: Indem er die Situation des Sterbens zu diesem Witz werden ließ, machte Heine sie zu einer der lebendigsten überhaupt. Solange jemand spricht, ist er nicht tot. Später hat Freud (GW XIV: 386) diese Einstellung als humoristische charakterisiert, »durch die man sich dem Leiden verweigert, die Unüberwindlichkeit des Ichs durch die reale Welt betont, das Lustprinzip siegreich behauptet, all dies aber, ohne wie andere Verfahren gleicher Absicht den Boden seelischer Gesundheit aufzugeben«. Das werde ermöglicht durch einen Abzug des »psychischen Akzents« (ebd.: 387) vom Ich und Verlegung desselben auf das Über-Ich, dieses »Erbe der Elterninstanz« (ebd.) und häufig so »gestrengen Herrn« (ebd.: 388), dem aufgrund dieser Operation das Ich winzig klein erscheinen kann, so dass dessen Reaktionsmöglichkeiten leicht von ihm zu unterdrücken sind (ebd.: 387). Hierbei bezieht sich Freud vor allem auf seine Einsichten über das Ich, die er zwar 1905 im Witz andeutete, aber vor allem später als so genannte zweite Topologie verfasst hat, in der Zeit also zwischen dem Buch über den Witz und dem hier zitierten Aufsatz über den Humor von 1927 (vgl. Critchley 2004: 112):
der Wahl eines bestimmten Berufes den Status des Gleichen/Bürgers kennzeichnete, fiel die Anerkennung als Gleiche beim Entstehen des Kapitalismus und der Lohnarbeit mit der Teilnahme an der Arbeitsteilung zusammen. Jeder verrichtet eine besondere Tätigkeit/Arbeit unter der allgemeinen, gleichen Form der Arbeit. Von dieser ausgeschlossen, wurden die Juden zum Anderen/Ungleichen schlechthin.
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»Dieses Ich ist nicht Einfaches, sondern beherbergt als seinen Kern eine besondere Instanz, das Über-Ich, mit dem es manchmal zusammenfließt, so daß wir die beiden nicht zu unterscheiden vermögen, während es sich in anderen Verhältnissen scharf von ihm sondert« (Freud GW XIV: 386; Hervorh. A.T.).
Eine solche scharfe Sonderung des immer zusammengesetzten oder auch auseinandergesetzten Ichs liege im Falle der »humoristischen Einstellung« vor, die im Aufsatz über den Humor ebenfalls an einem Beispiel erläutert wird, das vom Umgang mit dem Gang zum Tod handelt: Ein Delinquent, der am Montag zum Galgen geführt wird, kommentiert: ›Na, die Woche fängt ja gut an‹ (ebd.: 383). Der vorgeführte Humor habe nicht nur etwas Befreiendes wie der Witz und die Komik, so Freud, sondern etwas Großartiges, dass offenbar im Triumph des Narzissmus besteht, d.h. in der siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs (vgl. ebd.: 385). Sich trotzig gegen die Widrigkeiten des Lebens durchsetzend, bedeutet der Humor nicht nur den »Triumph des Ich«, sondern auch den des Lustprinzips (ebd.). Und doch könnte man meinen, in den vorgeführten Vignetten ›rabenschwarzen Galgenhumors‹ würde, anstatt es nur zu meiden, mit dem Jenseits geflirtet, ja kokettiert. Dies ist selbst eine Verarbeitungsform der Erfahrung dessen, was Lacan folgendermaßen beschreibt: »Alles, was Freud [im Witz; A.T.] im weiteren Fortgang entwickelt, besteht darin, den Nichtungseffekt zu zeigen, den wahrlich zerstörenden, durchschlagenden Charakter des Spiels des Signifikanten im Verhältnis zu dem, was man die Existenz des Realen nennen kann. Im Spiel mit dem Signifikanten stellt der Mensch jeden Augenblick seine Welt bis hinein in ihre Wurzel in Frage« (Lacan SE IV: 348).
Abschließend sollen die Überlegungen zur Metapher auf die Zote zurück bezogen werden, um die verschiedenen Lektüren des Witzes zu verbinden. Auff ällig ist zunächst die Allgegenwart der Kleidermetaphorik im Witz: wir stellten sie in Kapitel 2.1. am Dualismus von Hülle und Kern vor, an der »Witzeinkleidung«, wie Freud (GW VI: 101) es nannte. An späterer Stelle wird Freud sagen, dass uns eben dies Kleid des Witzes besteche (ebd.: 148). Auch die Rede vom Sinn im Unsinn wiederholt die Kleidermetaphorik, indem suggeriert wird, der Unsinn umhülle den Sinn beziehungsweise der Sinn müsse aus dem Unsinn herausgeschält werden. Noch das Witz-Beispiel vom Roten Fadian (ebd.: 21f.) bedient sie, indem es Faden und Haar assoziativ verbindet: Ein Schriftsteller ist durch eine Reihe von »wirklich langweiligen Aufsätzen« bekannt geworden, die allesamt kleine Episoden aus den Beziehungen des ersten Napoleon zu Österreich behandeln (ebd.). Der Autor ist rothaarig. Als er den Namen dieses Schriftstellers hört, nimmt sich ein bekannter Wiener die Freiheit, zu fragen: »Ist das nicht der 116
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rote Fadian, der sich durch die Geschichte der Napoleoniden zieht?« (ebd.). Dieser Witz, erläutert Freud, sei aus zwei Komponenten hervorgegangen, von denen eine das negative Urteil über den Schriftsteller, das andere eine Anspielung auf das berühmte Gleichnis darstellt, mit dem Goethe die Auszüge »Aus Ottiliens Tagebuche« in den Wahlverwandtschaften einleitet (ebd.: 22). Hiernach zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein »Faden der Neigung und Anhänglichkeit, der alles verbindet und das Ganze bezeichnet«, ebenso wie in alle Tauwerke der englischen Marine ein roter Faden eingearbeitet ist, so dass er nicht herausgewunden werden kann, ohne alles aufzulösen, und woran auch die kleinsten Stücke als der Krone gehörend gekennzeichnet sind (Goethe, zit.n. ebd.: 22 Anm. 1.). Der Witz benutze den roten Faden, meint Kofman (1990: 142), um die Werke eines Schriftstellers mit seiner Rothaarigkeit zu verbinden und so mit einer List den Erwachsenen über etwas zum Lachen zu bringen, worüber nur ein Kind lachen sollte. Wenn man den Faden weiterspinnt, indem man den Hinweis auf das Kind aufgreift, so führt er zu zwei Merkmalen jenes zunächst so unschuldig anmutenden Spiels, jenes konstitutiven Spiels mit Fort-Da, An- und Abwesenheit, welches Freud (GW XIII: 12f.) in Jenseits des Lustprinzips beschreibt (vgl. auch das vierte Kapitel). Dort spielt ein Kind mit einer an einem Stück Bindfaden befestigten Holzspule (evtl. einer leeren Garnrolle?). Auch ein verhängtes Bettchen findet Erwähnung, über dessen Rand die Spule geworfen, d.h. zum Verschwinden gebracht wird. Überall tauchen Vorstellungen von Stoff, Verkleidung, Einkleidung, Enthüllung, Gewebe, Faden auf (vgl. bes. Derrida 1978: 124 und 130). Das Kinderbettchen hat offenbar eine Art Vorhang, und die Spule, vor allem der Bindfaden, mag aus einem Nähkästchen stammen. Sie können auch von einem Frisiertisch gefallen sein, auf dem die Mittel zum Reparieren und Ausbessern von Kleidung bereitliegen, oder sie verweisen auf einen anderen Ort des Ein-, Aus- oder Umkleidens, wo das Kind der Mutter beziehungsweise den Eltern zugesehen hat. Man könnte meinen, in der entblößenden Zote würde eben diese Geschichte (weiter)erzählt. Doch wie im Fort-Da-Spiel keine einfache Entgegensetzung von An- und Abwesenheit durchgespielt wird, was im letzten Teil der Untersuchung ausführlich zur Sprache kommen wird, so erzählt der ›dreckige‹ Witz gerade keine einfach Enthüllungsgeschichte, genauso wenig wie er lediglich zur fetischistischen Verdeckung beiträgt. Es sei ergebnislos geblieben, die Etymologie des englischen Ausdrucks »shaggy-dog-story« zu rekonstruieren, berichtet Weber (2002: 136). Shaggy-dog-story kann aus verschiedenen Gründen als beste Übersetzung für Zote gelten. Doch es sei lohnenswert, nicht auf des ›Pudels Kern‹, sondern auf die Hülle zu achten. Shag bedeutet immer noch genau das, was die Zote bezeichnet: »Denn Zote* stammt von Zotte*, was ›unsauberes 117
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Haar, Schamhaar, Schlampe‹ bedeutet« (ebd.: 137). Die Zote oder Zotte ist demnach selber als ein Stück oder Fetzen zu verstehen. Die Bewegung zotteln* ist weiterhin für eine Bewegung des ›Hin- und Herbaumelns‹ reserviert, was Weber zu seiner spezifischen Beschreibung des Jenseits im/ des Witzes, der Zote und vor allem des Aufsitzers führt: »Dieses Jenseits, das zugleich ein Bevor ist, befindet sich in einem Raum, der nur thallisch [von Mycelium, wie Weber ausführt; Anm. A.T.] genannt werden kann. Denn nicht die Anwesenheit oder Abwesenheit, der Besitz oder Verlust eines Objektes, formen diesen Raum, sondern vielmehr die Textur und der Rhythmus der Teile, die ihn ›hin- und herbaumelnd‹ bewohnen« (ebd.).
Weber beschreibt am Beispiel der Zote und insbesondere des Aufsitzers das narzisstische Streben des Ich als einen Vorgang, bei dem im Versuch zu vereinheitlichen, d.h. sich selber hervorzubringen, ein Objekt konstituiert wird, von dem sich das Subjekt absetzen, d.h. als Selbstbewusstsein setzen kann. Diesem Objekt entspricht in der Zote wie auch im Ödipuskomplex die ›Frau‹, die zunächst als notwendig anwesend gedacht wird, um dann im Dreierszenario durch den Dritten ersetzt zu werden. Damit sind wir aber aufgefordert, die Zote selbst als Vorgang der Metaphorisierung zu lesen. Sie setzt eine ›ursprüngliche‹ Anwesenheit ins Bild (das Jenseits, das zugleich Bevor ist), die von einer Figur der fortlaufenden Ersetzung gleichermaßen hervorgebracht wie überlagert wird. ›Ursprünglich‹ werde in der Zote ein begehrtes und sich schämendes Weib vorausgesetzt, teilt Freud mit, von dessen Anwesenheit zunächst nicht abgesehen werden könne, die aber ›später‹, wenn die Männer ›unter sich‹ sind, von jenem nutznießenden Dritten ersetzt werden wird. Die von Weber gegebene Beschreibung des Spiels von An- und Abwesenheit der Signifi kanten in der Metapher liest sich wie eine Beschreibung der Zote: »Damit ist eine genau bestimmte Beziehung von Anwesenheit und Abwesenheit der Signifikanten beschrieben: Der ersetzte, abwesende Signifikant wird unter der Sperre (barre) in den Bereich des Signifikates gedrängt – ›verdrängt‹ könnte man sagen –, aber bleibt als ausgeschlossener, als abwesender Signifikant durch die syntagmatische Beziehung zur übrigen Kette präsent. Diese buchstäbliche Unter-drückung ist aber keineswegs eine Aufhebung der Sperre selbst: Sie wird zwar übersprungen (oder genauer untersprungen), bleibt aber bestehen, denn der verdrängte Signifikant bleibt Signifikant, auch in der Position eines Signifikates« (Weber 1978: 52).
Solche Metaphern der Metapher werden nicht selten verwendet: Einmal ist der Vers von Victor Hugo aus »Booz endormi« zu nennen (ebd.: 52-53; »Seine Garbe war weder geizig noch gehässig«), den Lacan mehrmals, so 118
2. Die Theor ie des Dr it ten
auch im Seminar V (Lacan SE V: 31f.), bespricht. Ein weiteres Exempel aus Freuds Werk nennt Fineman und interpretiert den so genannten ›Pas de Calais-Witz‹ als Metapher der Metapher; zudem setzt er in die diskutierte Konstellation den freudschen Begriff der Übertragung ein: »Die Kohärenz und Konsistenz dieser metaphorischen Konstellation erlaubt uns die inhaltliche Behauptung, dass das Überqueren des Pas de Calais – von Frankreich nach England, vom Erhabenen zum Lächerlichen – die Metapher der freudschen Übertragung ist, und zwar deswegen, weil ein solches Überqueren die Metapher der Metapher selber ist« (Fineman 1998: 463).
Insofern dieser Witz die inzwischen vielfach betonte Nähe der technischen Weisen der Übertragung und der Metapher nochmals unterstreicht, fügt er sich in die Untersuchung des Chattens. Dort wiederholt sich die hier geprägte Metapher des Kanals – wurde im ersten großen Chatnetzwerk, dem Internet-Relay-Chat, doch ›in‹ so genannten Chat-Channels kommuniziert. Mit der nichtigen und randständigen Zote, führt Freud also die Sprache und mit Derrida gesprochen, genauer geschrieben: die Schrift in ihrer Metaphorizität vor; das heißt Freud führt die Sprache als Medium, ihre Mitteilbarkeit in sich selber (damit auch die Entzogenheit ihrer selbst) vor, wodurch der Witz als Teil und Grundlagentheorie einer Metaphorologie der Medien lesbar wird: »Weder Mittel noch Milieu, weist die Metaphorologie der Medien darauf hin, die Medialität der Medien als Mit-Teilbarkeit zu situieren, als Einrahmung und Entrahmung des Wahrnehmbaren und Mitteilbaren. Die Mit-Teilbarkeit selbst hat keinen vorgegebenen Ort. Sie verliert sich in den Gestalten, in denen wir sie wahrnehmen können« (Tholen 2002: 60).
Stellen sich Aufsitzer, Witze, das Naive, das Fort-Da-Spiel als verschiedene Artikulationen der Metapher der Metapher, d.h. der Medialität der Sprache dar, so verdeutlicht die Zote im Besonderen ihre genuine Obszönität. Ist der Wunsch eine erfüllende Verfehlung, so ist die Zote entblößende Verhüllung. Beginnt eine besondere Geschichte und Theoretisierung der Zeit im Wunschfragment der Traumdeutung, so setzt sich diese im Witz fort, erzählt doch die Zote von der weiteren gestaltlosen ›Form‹, die jene gestaltgebende Zeit der Nachträglichkeit annimmt. Fortführende Überlegungen hierzu würden über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. Im Besonderen wäre Freuds Zote mit Barthes’ (1996) Bewegung des Lesens als einer gleichermaßen auf- wie verdeckenden Bewegung gegenzulesen. Freuds Witz muss als Medientheorie avant la lettre aufgefasst werden, wofür insbesondere drei Lektüren zusammenzuziehen sind: Webers Analyse der 119
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Zote und des Aufsitzers, Lacans Metapherntheorie und Ferenczis Überlegungen zu obszönen Worten, wodurch das Funktionieren der Sprache selbst als zutiefst obszön erkennbar wird.
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3. Der Klatsch
Am Typischsten zeigt sich die Figur des Dritten als explosives Gelächter, das auf einen mündlich vorgetragenen Witz folgt. Doch gerade dies scheint beim Klatsch zu fehlen, denn alle Formen des halbherzigen und verlegenen Lachens, Lächelns, Grienens oder der Häme, wie sie den Klatsch begleiten, werden bei Freuds Erörterungen des Dritten zunächst ausgeschlossen. Erzähler und Zuhörer können nur im explosiven Witzlachen jene Überschreitung von Erwartung und Bewusstem teilen, welche Freud als Drittes bezeichnet. Dennoch begreift die Psychoanalyse des Witzes und vor allem die Theorie des Dritten, wie Freud sie in seiner Witzstudie vorgelegt hat, auch den Klatsch. Genauso wie auf obszönes Reden lässt sich die Figur des Dritten aus Freuds Zote auf die Sozialdynamik von Klatschgesprächen anwenden. Bereits die Tatsache, dass Freud den Dritten primär anhand der Zote erörtert, weist auf die Übertragbarkeit dieser Figur hin. Die von Freud untersuchten Sprachtechniken und Strukturen gelten der These nach also bei Weitem nicht nur für Witze, sondern ebenso für andere Gesprächsformen wie Zoten und Klatsch. Das Witzbuch stellt Freuds theoretisches Kernkonzept plastisch anhand des Geschehens zwischen drei Personen oder besser noch: zwischen drei Positionen vor. Die Figur des Dritten wird als Auftritt eines Erzählers begriffen, der einerseits kunstvoll und souverän mit seiner Geschichte fesselt, und sei sie auch offensichtlicher Unsinn. Andererseits muss der Sprecher sich ganz seinem Zuhörer und dessen unberechenbarem Gelächter überlassen. Dass auf den Klatsch anders als auf den Witz kein explosives Gelächter folgt, wurde verschiedentlich als wichtiger Unterschied beschrieben (vgl. Olinick 1980: 442). Das Vorkommen von Gelächter und ›Gekicher‹ im Klatsch signalisiere im Gegensatz zum Witz kein Ende desselben, sondern im Gegenteil eine Fortsetzung der Erzählung (vgl. ebd.). Trotzdem weisen beide Gesprächsformen eine konstitutive Gemeinsamkeit auf, denn Klatschen kann man ebenso wenig alleine wie – im freudschen Sinne – witzeln (vgl. Spacks 1985: 50). Die Angewiesenheit auf den Anderen, welche am 121
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Witz so deutlich hervortrat, ist auch im Klatsch gegeben. Bei Klatsch und Witz handelt es sich um Betätigungen, für deren Zustandekommen zumindest drei Personen bzw. Personifikationen benötigt werden. Für das klatschhafte Alltagsgespräch mag dies noch evidenter erscheinen als im Falle von Witzen, ist Klatsch doch zu bestimmen als Gespräch zwischen Zweien über einen Abwesenden. Weil dieses Klatschbeziehungsdreieck schon bei oberflächlicher Betrachtung so deutlich hervortritt, erschwerte seine Figürlichkeit den begrifflichen Zugang. Entgegen ihrer Anschaulichkeit deckt die Klatschtriade sich gerade nicht mit sozialen Handlungsräumen und fällt darum auch nicht mit drei faktischen Personen zusammen. Klatsch als Figur des Dritten verfugt das Soziale, ist buchstäblicher Alltagskitt und verschaltet soziales Außen und psychisches Innen. Dass zum Klatsch neben dem Paar aus Adressiertem und Akteur der »abwesend-anwesende Dritte« gehöre, stellt auch Weingart (2006: 55) heraus. Die Zwischenposition des Dritten verdanke sich der Tatsache, dass hier eine Aktualisierung der Beziehung zu ihm stattfinde. Dabei halte der Klatschempfänger als Platzhalter her, um die »Umadressierung« zu realisieren (ebd.). Obgleich diese Feststellung zutrifft, gilt es, die Durchlässigkeit der Positionen definitorisch noch zu stärken: Erzähler, Zuhörer wie auch das Klatschobjekt bilden als Figur des Dritten ein Beziehungsgeflecht bzw. Nachrichtennetz, bei dem die jeweils anderen nur als interimistische Zusteller der Adresse fungieren. Witzerzählungen genauso wie alltägliches Gerede über Dritte funktionieren unzweifelhaft als Triaden. Beide sind als Gesprächsformen zu begreifen, deren Logik wie Dynamik auf einer spezifischen Dreierkonstellation fußen. Sozialtriaden sind dabei gerade nicht auf räumlich-konkrete Figurationen zu reduzieren, wie die Figur des Dritten bei Freud in gewissem Sinne überhaupt nach einem ›Bilderverbot‹ der Begriffsbildung verlangt. Es gibt jedoch auch wichtige Unterschiede zwischen Witz und Klatsch. Was Freud noch als Zweiten des Witzes oder eben sein Objekt bezeichnet hatte, firmiert im lästerlichen Geplauder als ausgeschlossener Dritter. Klatsch verkörpert damit inverse Anerkennung. Ein weiterer Unterschied von Witz und Klatsch, der die Charakteristik des Dritten betriff t, beschränkt sich nicht auf terminologische Fragen. Während im Witz das Objekt auch ein Gegenstand, eine Institution oder Glaubensrichtung sein kann, benötigt der Klatsch den Dritten als Person.
3.1 Übergänge von Witz und Klatsch Die verschiedenen Klatschpraktiken definieren sich keineswegs durch das Mitgeteilte, sondern stets über den Kontext. Bestimmte Berufsgruppen haben es per se mit prekären Kommunikationsinhalten zu tun, ohne dass 122
3. Der Klatsch
ihre Tätigkeiten immer unter die Beschreibung ›klatschhaft‹ fallen würden. So sprechen Psychiater über die Fehler eines Mitmenschen, ebenso wie Juristen über intime Geheimnisse ihrer Klienten Bescheid wissen. Klatschdefinitionen dürfen sich daher nicht ausschließlich auf typische Gesprächsinhalte beschränken, etwa die Verbreitung sozialer Neuigkeiten, moralische Bewertungen von Freunden und Bekannten, missliebige Lebensweisen der Nachbarn oder Fehler im Kollegium. Klatschhaftes Gerede entspricht ebenso wenig nur dem Kontext oder rein körperlichen Vorgängen. Eine Klatschcharakterisierung, die allein auf Nonverbales abstellt, wie diejenige von Althans (2000), greift daher zu kurz. Klatsch als Figur des Dritten zu lesen, markiert nicht seinen Kommunikationsinhalt, sondern rückt analog zum Witzgeschehen die notwendige Teilnahme eines Anderen in den Vordergrund. Beim Klatsch handelt es sich wie bei Witz und Zote um eine Adresse. Viele prototypische Schilderungen erwähnen, dass die Klatschteilnehmer während des Gesprächs die Zeit vergessen, bei Beendigung der Konversation sogar manchmal ein Gefühl des Aufwachens aus einer Selbstversunkenheit verspüren, dem Ende einer Tagträumerei nicht unähnlich. Die Fassade zur Fesselung der moralischen Kritik liegt beim Klatsch im Unterschied zum Witz nicht so sehr in der sprachlichen Gestalt der Rede selbst, sondern im sozialen Arrangement der Gesprächssituation. Eben daraus erklärt sich auch, warum im Klatsch alle drei ›Personen‹ der Triade buchstäblich Personen sein müssen. Über Tiere und Gegenstände kann nicht geklatscht werden – darüber, ob über Kinder und Tote geklatscht wird, gehen die Meinungen auseinander. Hier ließe sich nach einem ›good enough‹-Klatschobjekt fragen. Die Fokussierung auf den Klatsch als Figur des Dritten begrenzt das Thema. Viele Fragestellungen werden nur gestreift, wenn nicht ausgeklammert: Weder wird das Geschlecht des Klatsches untersucht, genauso wenig wie sein Alter. Vor allem bleibt die Analyse seiner Folgeerscheinungen ausgespart, d.h. auch die Beurteilung gesellschaftlich subversiver oder affirmativer Klatschfunktionen; für alle diese Fragen sei auf die nachfolgend referierte und diskutierte Literatur verwiesen. In diesem Kapitel stehen zwei Forschungsperspektiven im Vordergrund: Klatsch als Triade und vereinzelte Kulturanalysen zum Thema.
Z UM B E I SP IEL K INDERKL AT SCH Witz und Klatsch sind nicht nur strukturell verwandt, sondern gehen verschiedentlich ineinander über. Witze dienen nicht bloß der Verteidigung, wie Freud am feindseligen Witz hervorhob. Als Werkzeug von Spott und Beschimpfung decken sich Witz und Klatsch (vgl. Herrmann et al. 2007). Abrahams (1982) Notiz »Dreikäsehoch. Zur Psychoanalyse des Wortwit123
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zes« dokumentiert solch eine witzige Schmähung, die aus der Wortschöpfung eines kleinen Straßenjungen besteht. Sie dient hier als erste Illustration des Klatschgeschehens. Als ein etwa sechsjähriger Knabe »in sehr guter Kleidung mit Pelzmütze« (ebd.: 67) daher schreitet, wird er von mehreren gleichaltrigen Jungen umringt, »sehr ausgelassen, aber in ärmlichen Anzügen, meist nur in blaugrüner Wolljacke und mit verschlissenen Soldatenmützen auf den kurz geschorenen Köpfen« (ebd.). Als der Autor an dieser Gruppe vorüberging, »schrie einer der Jungen, ein etwas größerer, aber höchstens siebenjähriger, laut zu dem in der Mitte« (ebd.):
»A CH ,
DU DREIKEESIGER
N EESEHOCH !«
Während der erwachsene Zeuge »erstaunt und betroffen« (ebd.) über diese »kühne Neubildung« (ebd.) ist, greifen die Spielgenossen des Rufers die »ganz neuartige Schmähung« (ebd.: 68) sofort auf und wiederholen sie übermütig im Chor. Überschwänglich lobt Abraham die Geisteskraft des Kindes: »Wissen Sie denn, was alles dazu gehört, diesen wunderbaren Satz zu bilden? Bedenken Sie, ein Junge, gereizt durch das stolze Betragen eines lediglich Bessergekleideten, unternimmt es, durch einen Witz, dargestellt durch eine komische, weil völlig ungewöhnliche Wortbildung, ein Erzeugnis seines rasch und sicher arbeitenden Geistes, den andern zu demütigen« (ebd.).
Die Differenz in Benehmen und Kleidung sondert arm und reich. Ähnlich der freudschen Zote, welche angeblich niedere Kreise von höheren unterscheide, kommt hier das Motiv der Gesellschaftsschichten zur Anwendung. Auf öffentlichem Terrain wird es den armen Straßenkindern jedoch möglich, ihren Neid zu artikulieren und verbal die Konkurrenz mit dem reichen Kinde auszutragen, das »lediglich besser gekleidet« ist. Nur seine Hülle unterscheidet sich von der ihren, doch im Kern gleichen sich alle. Er ist auch nichts weiter, so teilt der Ausrufer dem anderen mit, als ein ›Dreikäsehoch‹, ein Kind wie sie selber: »Es gelingt ihm, in zwei wilde Worte zwei sonst recht umständliche Schmähungen zusammenzuziehen. Er will dem Gegner doch sagen, dass er nur ein Dreikäsehoch ist, ein Wesen also, das die Nase nicht hoch tragen sollte« (ebd.).
Das ältere und größere Kind – was in diesem Alter einen nicht unerheblichen Vorteil bedeutet – nutzt seine sprachliche und körperliche Überlegenheit, um den anderen ›vom hohen Ross‹ zu stoßen. Vorteil der Herkunft 124
3. Der Klatsch
und Vorteil der Entwicklung beziehungsweise Gewitztheit heben sich hier auf, so dass es sich nicht nur um Selbstverteidigung handelt, sondern Verteidigung und Beleidigung verschmelzen. Strukturell besteht die Szene aus drei Parteien: dem Initiator, dem Chor, man könnte sagen der Masse, und dem Ziel der Aggression. Ausgeklammert bleibt der erwachsene Beobachter im Hintergrund. Die Kinder umkreisen den Ausgeschlossenen, was seine Exklusion räumlich als Einschluss markiert. Führt solch ein Spektakel naiver Komik einerseits tatsächliche oder vermeintliche Unwissenheit vor, so verdeutlicht diese Vignette aber noch etwas anderes. Hier erhält man Einblick in eine Kinderwelt, die sich unter Ausschluss bestimmter Kinder und Erwachsener als Kosmos mit eigenen sprachlichen Regeln und Gesetzen konstituiert. So erkennen die Spielgenossen des Angreifers unmittelbar die Brauchbarkeit des neuen Wortes dreikeesiger Neesehoch, während der Erwachsene Zeit zum Begreifen benötigt. Außerdem wird dem Opfer noch ins Gesicht geschrieen, was der Kommunikationswissenschaftler Fine (1977: 183) als typisches Merkmal des Kinderklatsches beschreibt. Kinder klatschen regelmäßig über andere Kinder in deren Anwesenheit. Sie hintertragen den Klatsch auch weit häufiger als Erwachsene, um die Reaktionen des Opfers beobachten zu können (ebd.: 184-185; vgl. Goodwin 1980, 1982). Bestätigt die Mehrheit der Untersuchungen eine notwendige Abwesenheit des Klatschobjektes, meint dies gerade nicht notwendig physische Abwesenheit. Der Wortwitz des kleinen Komikers triumphiert anders als herkömmliche Beschimpfungen z.B. als ›Lackaffe‹ und erlaubt zusätzlichen Genuss. Zwei getrennte Bezeichnungen, die umständlich zu rufen sind, werden »zusammengezogen« (Abraham 1982: 68). Sicherlich habe das Kind an »Naseweis« gedacht, doch »hochnäsiger Dreikäsehoch« sei anspruchsvoll, feierlich und kurzum unkindlich (ebd.). Den erfundenen Ausdruck »Nasehoch« oder dialektrichtig »Neesehoch«, bemerkt Abraham, hätte es bisher noch nicht gegeben (ebd.). Hier wurde das ›hoch‹ des ›Dreikäsehoch‹ mit dem ›Nase hoch tragen‹ verschmolz, um das ungemein schmähende Gebilde vom »dreikeesigen Neesehoch« zu ergeben (ebd.). Die Wortbildung ähnelt als Verdichtungsleistung Heines »Famillionär«. Die beiden Bezeichnungen »Millionär« und »familiär« wurden hierbei ebenfalls zu einem Neologismus verdichtet – dem unpassend-passenden Adverb »famillionär«. In Abrahams Erzählung werden in weniger ausgefeilter Weise zwei Wörter, die als zu ›sperrig‹ erachtet werden, zu leicht aussprechbaren Wörtern modelliert. Eine solche »Lust am Gleichklang« hatte Freud (GW VI: 136f. sowie 140f.) im Übrigen als Ausdruck der kindlichen »Wortlust« beschrieben, die er als Vorläufer der Witzeslust der Erwachsenen vermutet. Die dialektale Betonung und Vermehrung der Vokale erinnert vor allem im geschriebenen Zustand an das Chatten, bei 125
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dem die Worte ebenfalls gestreckt bzw. wo Buchstaben wiederholt werden, um Betonungen auszurücken. Der »dreikeesige Neesehoch« ist Ausdruck kindlicher Wut, die mehrere Funktionen hat. Zorn trägt sowohl zur Wortbildung bei wie zur Lust an seiner Mitteilung. Der kleine Junge sei durch das stolze Betragen des anderen gereizt worden. In der Dringlichkeit des Moments, die ebenfalls an die Eile des Chattens oder an Versprecher erinnert, habe er blitzschnell einen schlagfertigen Ausdruck für seinen aggressiven Impuls gesucht und durch das komische Zusammenfügen der Worte gefunden: »Auf Befragen gab der Junge an, die ganze Wortbildung in Augenblicksschnelle vollzogen zu haben. ›Es rutschte mir so raus‹, sagte er wörtlich« (Abraham 1982: 68). Wie ein großartiger Witz oder Klatschneuigkeiten verbreitete sich die Schmähung unter den Kindern augenblicklich mit großem Genuss: »Die neue Bildung erfüllte die ganze Straße mit Freude. Einen Nachmittag lang hörte man von jedem Kinde die Worte vom dreikeesigen Neesehoch« (ebd.). Die direkte Anrede mit »Ach, du dreikeesiger Neesehoch!« kennzeichnet die Episode als Kinderklatsch. Klatsch unter Erwachsenen charakterisiert meist, dass über das Objekt nur in der dritten Person gesprochen wird, auch wenn dieses zuhört. Witz, Zote und Klatsch verbindet offenbar eine Verwandtschaft, die jedoch in ihrer Nähe und Ferne variiert. Alle drei Sozialformen polarisieren. Sie gewähren entweder Genuss an Entblößung, Erniedrigung und den Fehlern der anderen, oder aber sie verletzen, demütigen, werden mitunter bedrohlich.
F AK T
UND
F IK T ION
IN
K L AT SCHANALY SEN
Aus kulturanalytischer Perspektive bilden Witz und Klatsch zwei verschiedene Ausprägungen ein und desselben Vorganges. Freud bereitete mit seiner Arbeit über den Witz die entsprechende Untersuchung des Klatsches mit psychoanalytischen Mitteln vor (vgl. Spacks 1985; Forrester 1990). Einerseits leistet Psychoanalyse damit maßgebliche Begriffsarbeit, andererseits errichtet sie aber ein Klatschtabu. Schließlich umfasst die Entwicklung jener spezifischen Gesprächskur mit Namen Psychoanalyse einen notwendigen Verzicht, wenn nicht Verbot, über den Analysanten zu klatschen (vgl. Olinick 1980). Mit dem Klatsch teilt Psychoanalyse wiederum, vom Wahrheitsgehalt und damit vom Kommunikationsinhalt abzusehen, um Sprach- und Beziehungsformen Raum zu geben (vgl. Forrester 1990; Spacks 1985). Dieses Ignorieren ansonsten geltender Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion stieß auf Interesse von Literatur- und Erzählforschung mehr als von Sozialpsychologie und Soziologie. Klatsch bediene sich häufig fi ktiver Elemente, so die Literaturforscherin Spacks. Dies geschieht weniger aufgrund un126
3. Der Klatsch
vermeidlicher Wandlungen und Verzerrungen von Gesprächsinhalten, die durch die mündliche Weitergabe entstehen, sondern weil Sinnentstellungen den Absichten der Nacherzähler dienen, die Geschichte gemäß ihres eigenen ›unbewussten Bedarfs‹ zu formen (ebd.: 50). Der Genuss, diese Geschichten zu teilen, steigert sich durch den Umstand, dass sie Unzulässiges annehmbar machten. Es ergibt sich eine Spiegelbeziehung von Literatur und Alltagsklatsch: Fiktionales Erzählen erhellt Klatschfunktionen; umgekehrt vermag Klatsch, die Dynamiken literarischer Fiktion zu demonstrieren (ebd.: 51). Der Klatschende richtet sich in seinen wunschgeformten Reden wie der Witzemacher an den Zuhörer als Verkörperung des Anderen. Freuds Beschreibung der notwendigen Teilnahme eines Zuhörers beim Witz sei bis in die Einzelheiten auf die Beschreibung des Klatsches anwendbar: »Each of Freud’s comments adapts itself readily to description of gossip« (ebd.: 50). Klatsch bestimmt sich darum in allen vorliegenden Definitionen als sozialer Kontext, der sich aus wenigstens zwei Teilnehmern zusammensetzt. Auch diene er häufig aggressiven oder entblößenden Absichten, die Freud als Tendenzen des Witzes unterschieden hat, genauso wie Klatsch und Witz sich beide als ›harmlos‹ oder sinnvoll erweisen können. Der Lustgewinn des Klatsches entstamme einer Struktur, die derjenigen des Witzes vergleichbar sei: »Moreover, the pleasure it provides emerges from a genetic sequence comparable to that Freud outlines for jokes« (ebd.). Leider bleibt die Explikation der Spezifi ka ästhetischer Lust bei Spacks Desiderat und sie führt diese Anmerkungen zu den Dynamiken wunschgeformter Erzählungen nicht weiter aus.
A S Y MME T R I SCHE R EDE T ECHNIK Der Wissenschaftshistoriker Forrester (1990: 243) erinnert daran, dass Psychoanalyse als »talking cure« eine Redetechnik mit Sonderregeln sei, welche Ähnlichkeiten zum Klatsch aufweise. Die psychoanalytischen Regeln zeichnen sich durch eine Asymmetrie des Diskurses aus. Der Patient stimmt der Grundregel zu, alles mitzuteilen, was ihr oder ihm einfällt, während die Analytikerin oder der Analytiker sich dieses freien Diskurses enthält und stattdessen Interpretationen des Gesagten anbietet (ebd.: 246). Das Verhältnis dieser »diskursiven Dyade« zur äußeren Welt ist ebenfalls von einigen Regeln bestimmt, garantiert der Analytiker dem Analysanten doch absolutes Stillschweigen. Obwohl der Patient sein Schweigen außerhalb der Kur nicht zusichern muss, wird er ermutigt, sich ebenfalls zurückzuhalten, die Analyse ausführlich mit anderen Leuten ›draußen‹ zu besprechen. Daraus ergibt sich für Forrester der Vergleich der psychoanalytischen Situation mit einer halbdurchlässigen Membran:
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»As a cultural artefact, the investigation of this discursive dyad should, I conclude, concern itself as much with the semi-permeable membrane that is a consequence of these rules placed around the two people talking as it does with the content of the talk. So we have a model of two people talking, according to certain rules, with a boundary limit operating as the third term« (ebd.; Hervorh. A.T.).
Forresters Studie legt den Schwerpunkt auf die Wirkung dieser Membran und im Besonderen auf zwei von ihm hervorgehobenen Durchbrechungen derselben in Form von Telepathie und Klatsch. Der Klatsch stellt immer eine Überschreitung der traditionellen moralischen Grenzen, aber auch des zweckgebundenen Redens dar (ebd.: 244). Durch Klatsch erworbenes ›Wissen‹ wird dem Ausdruck deshalb kaum gerecht, erstreckt es sich doch ins Niemandsland des Fiktionalen, das jedoch insgesamt unser soziales Wissen über andere charakterisiere. Zugleich wird eine Rede erst dadurch zum Klatsch, dass nicht nur über jemand Abwesenden gesprochen wird, wie es häufig der Fall ist, sondern dass die abwesende Person bzw. ihr Handeln implizit oder explizit bewertet wird (ebd.). Hier sieht Forrester einen zentralen Unterschied zwischen Psychoanalyse und Klatsch, urteilt der Analytiker doch nicht über seinen Analysanten. Die kommunikative Membran verkörpere andererseits eine unumstößliche Gemeinsamkeit von Psychoanalyse und Klatsch: »The first thing to be said concerns the fact that the very existence of the membrane gives gossip and psychoanalysis something in common: they are both conversations taking place in the absence of the real« (ebd.: 247).
Klatsch findet stets in Abwesenheit der beklatschten Partei statt, obwohl deren Nennung unabdingbar ist. Ähnlich sieht das psychoanalytische Setting vor, dass alle besprochenen Personen abwesend sind – »including those addressed in the second person« (ebd.). Im analytischen Diskurs ist sogar der Analytiker abwesend, wenn er in der Übertragung in der zweiten Person als ›Du‹ adressiert wird (ebd.). Das geschieht durch die Technik der Übertragungsdeutung, bei der die direkte Anrede (mit ›Sie‹ oder ›Du‹) behandelt wird, als würde sie an jemand anderen weitergegeben, als würde sie durch den Analytiker hindurchgehen: »In Lacan and Derrida’s formulation, he acts as a postman, relaying or redirecting all the messages that come to him« (ebd.). Der Analytiker versuche, sich wie das Fundbüro der Post zu verhalten und die fehlgeleiteten Zustellungen und Adressierungen der Kommunikation zu ermitteln. In diesem Sinne muss eine Liebeserklärung oder die Überhäufung mit Beschimpfungen als eine Botschaft behandelt werden, die jemandem gilt, der abwesend ist (ebd.). Durch die eigentümliche Haltung des Analytikers wird etwas möglich, was im All128
3. Der Klatsch
tagsleben völlig ausgeschlossen ist, nämlich über sich selber zu klatschen. Forrester kommt über die Betrachtung der analytischen Abstinenz auf den hier wichtigsten Punkt zu sprechen. Klatsch und Witz, wie Freud sie untersuchte, würden durch eine ähnliche Struktur getragen: »[B]oth concern three parties, where one is necessarily absent and the pleasure of the talk conducted under these circumstances has as its condition this absence of the third party« (ebd.).
D IE K L AT SCHGEME INSCHAF T
AL S
Q UA S I -V ERWANDT SCHAF T
Dem Ichpsychologen Olinick gilt es im Gegensatz zu Forrester als gesichert, dass Analytiker über ihre Patienten klatschen. Seine Absicht ist es, diese Schwatzhaftigkeit als Anomalität zu untersuchen und gar zu pathologisieren. Er fragt sich, wie es bei einer Berufsgruppe dazu kommen könnte, deren Profession der Autonomie und Unversehrtheit ihrer Patienten gewidmet sei (vgl. Olinick 1980: 439). Neid, Isolation, Neugier, Voyeurismus und Exhibitionismus, Oralität und ein ›versagendes Überich‹ des Analytikers zählten zu den Klatschmotiven (ebd.). Für Olinick gleicht das Band der Zugehörigkeit von Redner und Zuhörer im Klatsch einem Verwandtschaftsbund: »A subtle relationship of dominance-submission is established, based not only upon whom has the greatest need of gossiping. In these senses they are the godsibs, gossips, with the bond of kinship through a third person who is the subject of the talk« (ebd.: 440). Im Klatsch exponieren sich lauschender Klatscher und Gesprächspartner voreinander: und zwar durch das Medium des Dritten, über den geklatscht wird: »Still, the eavesdropping gossiper and his eavesdropping alter ego, his interlocutor, are exposing themselves to each other, through the medium of the third person who is being gossiped about. The latter is himself synesthetically heard, exposed, and viewed« (ebd.: 441).
Die triadische Beschreibung des Klatsches, zusammengenommen mit der Beobachtung, dass Klatsch häufig mit Gekicher einhergeht, erinnere an Freuds Beschreibung von Witzen als sozialem Prozess, der die Involviertheit einer dritten Person erfordert (ebd.: 441-442). Das Objekt der Aggression mag anwesend sein oder nicht und dem Dritten bekannt sein oder nicht, aber die dritte Person ist psychisch in der Rolle des lauschenden Voyeurs »voyeur-eavesdropper-gossip« (ebd.), der durch die Machenschaften und Täuschungen des Erzählers ›mühelos‹ in seiner Libido bestochen wird 129
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(ebd.). Im Klatsch werde eine wechselseitige Verwandtschaft gestiftet, die auf Neid, Ablehnung, Lust und Aggression beruhe. Dies vergleicht Olinick mit Freuds Beobachtung, ein feindseliger Witz ermögliche die Umgehung sozialer Hemmungen und mache so die gesellschaftlich bedingte Repression und den Verzicht rückgängig (ebd.). Der Vergleich von Witztechniken und Traumarbeit sei wohlbekannt, wohingegen Olinick im Anschluss daran die Vergleichbarkeit mit dem aufzeigen will, was er »gossip-work« nennt (ebd.). Der Klatschende müsse zunächst etwas gehört und oder gesehen haben, was seine ›unterdrückten Impulse und Affekte‹ erregt habe. Um erfolgreich und ohne Angst die Abwehr zu umgehen (»to de-press«; ebd.), könne er seine ›internen Hemmungen‹ täuschen und verwirren, indem er in einem geheimen Einverständnis mit einem möglichst gleichinteressierten Zuhörer durch eine wechselseitige projektive Identifi kation sein Über-Ich besteche oder umgehe: »Under the auspices of an easy camaraderie or a shared social purpose of some kind, each will be bribed or seduced to relax his usual prohibitions against the forbidden actions and against the associated, resonating affects and impulses. In this lustful or hostile ›auditory scopophilia‹, as with jokes and laughter, the gossiper’s companion and interlocutor is indispensable. The enjoyment is sharpened by the pleasures of a shared secretiveness« (ebd.).
Zwar wurde in den vorgestellten Arbeiten die Ähnlichkeit des Dritten im Witz und im Klatsch bemerkt, jedoch theoretisch nicht weiter ausgeführt – zumal die Projekte meist anderen Fragestellungen folgen. Auch die Dreierstruktur des Klatsches ist vielfach beschrieben worden. Doch wurde die darin enthaltene Frage nach der Abwesenheit des Klatschobjektes meist ausschließlich im Sinne einer faktischen Abwesenheit verstanden. Folglich finden sich verschiedene Meinungen, wonach einmal die körperliche Abwesenheit als notwendige Voraussetzung des Klatsches verstanden wird, das andere Mal sowohl eine körperliche An- als auch eine Abwesenheit des Gesprächsobjektes beobachtet wird. Viele Widersprüche der Klatschforschung ergeben sich aus der Eigenschaft der Figur des Dritten, sich im Klatsch stärker als im Witz zu ›personifizieren‹; wodurch verdeckt wird, dass es sich im Klatsch nicht lediglich faktisch um drei interagierende Personen handelt, sondern um eine spezifische Struktur, eben die Figur des Dritten.
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3. Der Klatsch
3.2 Genuss und Bedrohung: Merkmale und Def izite der Klatschforschung Jeder kennt das beklemmende Gefühl, Gegenstand von Klatsch geworden zu sein. Wer hat was über mich gesagt und warum? Genauso kennt jeder den spezifischen Genuss, in Abwesenheit einer Person über diese ›etwas loszuwerden‹, und sei es nur eine kurze Bemerkung. Gewöhnlich wird bloß beiläufig realisiert, dass es einem Vertrauensbeweis gleichkommt, mit jemandem über abwesende Dritte zu sprechen. Belohnung ist nicht zuletzt der Gefühlseindruck selbst, etwas zu teilen. Aber was wird im Klatsch geteilt und mitgeteilt? Mit dieser kurzen Beschreibung von Genuss und Bedrohung sind jene beiden auseinanderklaffenden Seiten des Klatsches benannt. Die Bedrohung und der Genuss spiegeln sich in der Klatschforschung als Abwertung und Idealisierung des Untersuchungsgegenstandes. Die Charakteristika des Untersuchungsgegenstandes schlagen sich in der Forschung als Widersprüche nieder. Besonders muss hier die konträre moralische Beurteilung hervorgehoben werden: So kann Klatsch je nach Perspektive als lustvoll und sozial gelten, wie auch als zersetzend, niederträchtig und gefährlich; aus Perspektive der Klatschgemeinschaft wird er als erleichternd, gemeinschaftsstiftend sowie als informelles Informations- und Kommunikationssystem gelobt (vgl. Dunbar 1996). Aus Perspektive des ausgeschlossenen Objektes wird er als kränkend, ja in Hexenkulten gar als vernichtend beschrieben. Doch kommt es selbstredend darauf an, von wem der Klatsch ausgeht und gegen wen er sich richtet. So kann er ähnlich politischen Witzen den Entrechteten als Mittel der Subversion dienen, wie auch dem mörderischen Kollektiv zur Denunziation (vgl. Weingart 2006: 59). Dieses Kapitel gibt einen Überblick der bisherigen Klatschforschung. Einschränkend ist vorauszuschicken, dass von einheitlicher Forschung nicht die Rede sein kann. Vielmehr zeichnet sich das Feld durch seine konzeptuellen wie theoretischen Divergenzen und seine disziplinäre Vielfalt aus. So wird der Klatsch in der Sozialpsychologie als »aversives Verhalten« (vgl. Kowalski 2001) ebenso untersucht wie als »indirekte Aggression« (vgl. Björkqvist/Niemelä 1992) oder »Bullying« (vgl. Atria et al. 2005; Schäfer/ Kulis 2005). In Anthropologie und Ethnologie findet er als methodisches Problem der Feldforschung und außerdem in Untersuchungen von Rügebräuchen und Hexerei Erwähnung. Besonderheiten und Defizite der Klatschforschung lassen sich in vier Feldern versammeln: 1. Klatsch als Methode, 2. Klatsch und Arbeit, 3. Paranoia: halluzinierter Klatsch, 4. Aggression und Tod: Hexerei 131
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Es ist fraglich, ob Bergmanns (1987: 7-8) Fazit, der Klatsch sei ein typisches Marginalphänomen der (Sozial-)Wissenschaften geblieben, immer noch Gültigkeit besitzt. Seit den 1980er Jahren sind in den Literaturwissenschaften, der Anthropologie, der Ethnologie sowie in Soziologie und Sozialpsychologie zahlreiche Arbeiten erschienen. Fokussieren also diverse Fächer und Forschungen mittlerweile den Klatsch unter verschiedensten Namen, sind die Widersprüche der Ergebnisse doch nach wie vor beträchtlich. So gilt als ungeklärt, ob Klatsch soziale Normen untergräbt oder unterstützt, ob sein Inhalt trivial oder hochbedeutsam ist, ob nur Frauen ihm nachgehen oder Männer ebenso, ob er lediglich im privaten Rahmen stattfindet oder auch im öffentlichen Raum und ob die im Klatsch weitergegebenen Informationen glaubwürdig sind oder nicht (vgl. Ayim 1994: 86). Klatschen, Tratschen und Lästern gelten als flüchtig, verpönt, überflüssig oder sogar schädlich. Dennoch sind sie im Alltag ständig präsent, und jede/r gibt sich ihnen in der einen oder anderen Form hin. Obwohl sie darum wichtige Untersuchungsgegenstände der Kultur- und Sozialwissenschaften darstellen, scheint es kaum möglich, sie wissenschaftlich ›dingfest‹ zu machen: »Gossip is a slippery subject« (Jaeger et al. 1994: 154). Jeder scheine zu wissen, was darunter zu verstehen sei, außer den Forschern, die um den Klatsch als technischen Terminus ringen (ebd.). Angesichts dieser Widersprüche fällt auf, wie wenig man im Vergleich dazu Gemeinsamkeiten beachtet. So ist in keiner Gesellschaft je das Fehlen von Klatsch beobachtet worden (vgl. Bergmann 1987: 216 Anm. 22). Des Weiteren herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass die ausgetauschten Inhalte zur Charakterisierung der Gesprächsform nicht ausreichen. Und nicht zuletzt gilt als bestimmend, dass jene Person, über die gesprochen wird, lediglich in der dritten Person, d.h. passiv, an der Rede teilhat. Hieran schließt sich auch der für die vorliegende Untersuchung wichtigste Widerspruch in den bisherigen Studien an. Er betriff t die Frage nach der angedeuteten Abwesenheit des Klatschobjektes: Ist der Ausschluss über die Verwendung der dritten Person ausreichend, oder hat das Objekt der Rede auch physisch abwesend und ausgeschlossen zu sein? Hier kann die Theorie des Dritten Antwort geben.
K L AT SCH
AL S
M E T HODE
Über Klatsch werden private Informationen bezogen, ansonsten unzugängliches Wissen. Bisweilen wurde diese Weitergabe intimen und geheimen Wissens sogar zur Hauptfunktion des Klatschens erklärt (vgl. Paine 1967: 282f., 1968; Suls 1977; Ayim 1994: 86). In Anthropologie und Ethnologie spielt er deshalb als Feldforschungsinstrument eine wichtige wenn auch unreflektierte Rolle. Dem Forschenden bietet sich die Teilnahme am 132
3. Der Klatsch
lokalen Klatsch als Möglichkeit, um sich für die Zeit seiner Untersuchung im ›Feld‹ etablieren und bewegen zu können. Darum verweisen Erörterungen der Feldforschungsmethoden häufig auf ihn (vgl. Bergmann 1987: 8). Klatschgespräche integrieren jedoch den Forscher nicht nur in sein gewähltes ›Feld‹, sondern stellen selber ausgiebiges Untersuchungsmaterial dar (ebd.: 9). Allerdings kann sich das Klatschen als auch ›zweischneidiges Schwert‹ erweisen und, statt eine soziale Integrationswirkung zu entfalten, die Außenseiterposition des Forschenden festigen. Dies kann etwa geschehen, wenn er unerlaubterweise über Angehörige seiner Gesprächspartner tratscht oder nur mit Fremden zu plaudern vermag, wie er selber einer ist (ebd.: 10-11). Trotz dieser »methodischen Funktionalisierung« des Klatsches blieb eine weitere Beschäftigung mit ihm als eigenständigem Untersuchungsgegenstand in der Feldforschung weitestgehend aus (ebd.: 24). Verschiedentlich wurde gefordert, den Klatsch methodisch umzusetzen (vgl. Code 1994). Per Klatsch gewonnenes Wissen entbehre zwar der bislang geforderten wissenschaftlichen Neutralität und Generalisierbarkeit, dafür liefere eine Epistemologie des Klatsches wertvolle Informationen über die ihm eigenen Entstehungs- und Möglichkeitsbedingungen (ebd.: 101). Ganz ähnlich operiert Psychoanalyse, deren Verfahren vom Wahrheitsgehalt bzw. dem Inhalt der Rede absieht. Stattdessen fragt sie nach Genesen des Sprechakts. Fiktionale Elemente rangieren deshalb im psychoanalytischen Diskurs auf gleicher Ebene wie Nichtfi ktionales, ist doch das ›Wissen‹ eher ein Nebenprodukt der Kommunikation. Macht dieses Eruieren eigener Wahrnehmungs- und Wissensbedingungen insbesondere strukturale Psychoanalyse als Medienkulturanalyse interessant, so resultiert daraus andererseits ihr prekärer Status im Kanon der Wissenschaften (vgl. Weingart 2006; Forrester 1990; Erdheim 2002; Althans 2000: 327f.).
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UND
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Auffallend viele der wenigen gegebenen Klatschbeispiele entstammen dem Arbeitskontext (vgl. Handelman 1973; Keppler 1987; Tebbutt 1995). Offensichtlich gründet dies in Schwierigkeiten, Klatsch beobachten und dokumentieren zu können. Sie steigern sich, je familiärer die Beziehungen und Geheimnisse werden. Arbeitsbeziehungen mögen nicht unproblematischer sein, aber öffentlicher. Darüber hinaus haben einige Autoren ein intrinsisches Verhältnis von Arbeit und Klatsch geltend gemacht. So beschreibt etwa Althans (2000: 41) die Assoziation des Klatsches mit Frauen der Tatsache zu, dass insbesondere Waschfrauen oder waschende Frauen bei ihrer Tätigkeit Intimitäten über die Kleidungseigner austauschten. Sie 133
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gibt außerdem eine Einschätzung darüber, wie der Klatsch von moderner Arbeits- und Organisationstheorie instrumentalisiert wurde, die ihn im Laufe des 20. Jahrhunderts als wichtiges Mittel beim Zusammenhalt von Arbeitsgruppen erkannte und in Dienst nahm (ebd.: 356f.).
PAR ANOI A :
DER HALLUZ INIER T E
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Paranoia inszeniert sich meist als halluzinierter Klatsch, weshalb Schriften zur Paranoia der Klatschforschung zuzuschlagen sind. Zentrale Erscheinungsweise und damit Bestandteil von Paranoia ist laut Freud (GW X: 162) das Symptom eines »Beachtungs- oder richtiger Beobachtungswahnes«. Damit verkehrt sich der unstillbare Wunsch des primär narzisstischen Kleinkindes, im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit und Zuwendung zu stehen, in ein quälendes Verfolgungsszenario. Die erlebte Verfolgung gestaltet sich für Paranoide häufig als Hören von Stimmen, welche in der dritten Person über die Kranken zu sprechen und alles über sie zu wissen scheinen: »Die Kranken klagen dann darüber, dass man alle ihre Gedanken kennt, ihre Handlungen beobachtet und beaufsichtigt; sie werden von dem Walten dieser Instanz [des Gewissens; A.T.] durch Stimmen informiert, welche charakteristischerweise in der dritten Person zu ihnen sprechen. (»Jetzt denkt sie wieder daran; jetzt geht er fort.«) …« (ebd.: 162-163; Hervorh. A.T.).
Wenn man Zeuge des Klatsches über die eigene Person wird, hört man ebenfalls über sich in der dritten Person sprechen. Menschen, die an Verfolgungswahn leiden, führen laufend Beschwerde, andere würden über sie tratschen und klatschen. Zufällig erhaschte Bemerkungen oder miteinander sprechende Passanten nähren die paranoide Überzeugung, fremde Leute würden intimste Geheimnisse der Leidenden verbreiten (vgl. Bergmann 1987: 197). Der halluzinierte Klatsch fiel der Psychiatrie schon früh als Kernelement bestimmter Psychosen auf (vgl. ebd.: 257 Anm. 20). Durch die Projektion der inneren Stimmen auf jede noch so alltägliche äußerliche Situation lebt der Paranoide im festen – größenwahnsinnigen wie quälenden – Glauben, das Interesse aller Mitmenschen bezöge sich ausschließlich auf ihn. Während die Klatschenden es genießen, heimlich die anderen zu beobachten, vermeint der Paranoide umgekehrt, unaufhörlich beobachtet zu werden. Er ist damit ein Negativ des Klatschenden (vgl. ebd.: 198). Freud erläutert, dass solch eine alles beobachtende und kontrollierende Macht im Leben eines jeden Menschen tatsächlich einmal bestanden hat, weshalb der Verfolgungswahn als Regression auf die Ebene der kindlichen Erfahrung zu verstehen sei. Die Klage des Paranoikers, jemand würde alle seine Gedanken kennen, habe darin ihre Wahrheit (vgl. Freud 134
3. Der Klatsch
GW X: 163). Dies ist selbstredend die unbeschränkte elterliche Macht über das kleine Kind: »Die Anregung zur Bildung des Ichideals, als dessen Wächter das Gewissen bestellt ist, war nämlich von dem durch die Stimme vermittelten kritischen Einfluss der Eltern ausgegangen, an welche sich im Laufe der Zeiten die Erzieher, Lehrer und als unübersehbarer, unbestimmbarer Schwarm alle anderen Personen des Milieus angeschlossen hatten. (Die Mitmenschen, die öffentliche Meinung)« (ebd.; Hervorh. A.T.).
Freud bestimmt den Niederschlag der Stimmen nicht nur als Instanz des Gewissens oder auch als Verkörperung der elterlichen Kritik, sondern auch als diejenige der »Kritik der Gesellschaft« (ebd.). Er wählt den Schwarm als Metapher für den Einfluss der Eltern, Erzieher und anderer Vertreter der Gesellschaft auf die Ausbildung des Gewissens. Der unübersehbare, unbestimmbare Schwarm von Stimmen erinnert an das Summen einer Menschenmasse oder auch eines Insektenschwarmes. Schwarm und Masse sind miteinander verbunden und tatsächlich kommt Freud besonders in seinen Überlegungen zur Massenpsychologie auf die Frage des Ichideals zurück. Bereits in Zur Einführung des Narzissmus bemerkt er: »Vom Ichideal aus führt ein bedeutsamer Weg zum Verständnis der Massenpsychologie« (ebd.: 169). Die »libidinöse Konstitution einer Masse« defi niert er später als den Fall, in dem sich eine Anzahl von Individuen darüber in ihrem Ich miteinander identifiziert haben, dass sie ein und dasselbe Objekt an die Stelle ihres Ichideals gesetzt haben (Freud GW XIII: 128). Doch auch in Massenpsychologie und Ich-Analyse haben die Massen eine gewisse Unabschließbarkeit, was in der Formulierung des unübersehbaren, unbestimmbaren Schwarmes vorweggenommen scheint. Jeder Einzelne muss als Bestandteil von zahlreichen Massen verstanden werden, denen er durch Identifizierung vielseitig verbunden ist, weshalb es als gesichert gilt, dass jeder Einzelne sein Ichideal nach den verschiedensten Vorbildern aufgebaut hat (ebd.: 144). Kofman (1990: 126) bezeichnet den Witz im Anschluss an Freuds Definition der Hypnose als »Massenbildung zu zweien«: »Die Beziehung, die beim Witz zwischen der ersten und der dritten ›Person‹ entsteht, stellt eine solche Massenbildung hypnotischer und symbiotischer Art dar« (ebd.: 91). Es bleibt zu fragen, ob nicht auch der Klatsch eine solche Massenbildung zu zweien darstellt. Welch unermessliche Kränkung und Enttäuschung muss es für jedes Kleinkind bedeuten, nicht mehr wie zu Beginn seines Lebens Mittelpunkt der Welt und Ausdruck des Narzissmus der Eltern zu sein, sondern Gegenstand der Kritik (Freud GWXIII: 157). Die Stimme wandelt sich damit zum Mittel der Begrenzung und des Verbots, während sie davor im kindlichen Erleben ausschließlich dem Liebesdialog zwischen wichtigem Anderen 135
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und dem Kind zu dienen schien. Die Selbstliebe der ersten Zeit, der von Freud primärer Narzissmus getaufte Zustand, wird jedoch nicht völlig aufgegeben, sondern verschiebt sich auf ein Ideal bzw. »Idealich« (ebd.: 161). Liebte das Kind sein wirkliches Ich, so richtet sich der Narzissmus des Erwachsenen auf sein idealisiertes Ich. Das Idealich zeichnet sich jedoch genauso wie das infantile Ich durch Vollkommenheit aus, die der erwachsene Mensch in veränderter Form noch ebenso begehrt wie das Kind. Wie immer auf dem Gebiete der Libido, so habe sich der Mensch auch hier als unfähig erwiesen, »auf die einmal genossene Befriedigung zu verzichten« (ebd.: 161). Beinahe wörtlich wiederholt Freud hier, was er in Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten über die Eigenart des Menschen geäußert hatte, ein unermüdlicher Lustsucher zu sein (vgl. das zweite Kapitel). Die Mahnungen der Eltern, d.h. die kritisch gewordenen Stimmen, werden zur Störung und Hemmung, die den Umweg über das Ichideal erzwingen, um die Illusion der ersehnten narzisstischen Vollkommenheit aufrechtzuerhalten. Doch durch die Einschaltungen der Erwachsenen, die Kritik und Mahnungen während der Entwicklungszeit wird das Urteil geweckt, so dass der Mensch eine psychische Differenzierung durchmacht, dabei aber auf den Ersatz des vollkommenen infantilen Ichs in Form des Idealichs ausweicht, um die alte narzisstische Vollkommenheit nicht aufgeben zu müssen bzw. wiedergewinnen zu können: »Was er als Ideal vor sich hin projiziert, ist der Ersatz für den verlorenen Narzissmus seiner Kindheit, in der er sein eigenes Ideal war« (ebd.; Hervorh. A.T.). Nicht zufällig tritt hier die Figur des Ersatzes, die als Metapher bearbeitet wurde, wieder auf: »Wer liebt, hat sozusagen ein Stück seines Narzissmus eingebüßt und kann es erst durch das Geliebtwerden ersetzt erhalten (ebd.: 166; Hervorh. A.T.). Die Paranoia enthüllt nun laut Freud die Entwicklungsgeschichte des Gewissens, indem die beschriebenen Stimmen zum Vorschein kommen. Weil das Individuum/Ich, die Person, versucht, sich von den elterlichen und anderen Einflüssen zu lösen, tritt sein/ihr Gewissen ihm/ihr dann – in regressiver Darstellung, wie Freud schreibt – von außen entgegen: »Die Stimmen sowie die unbestimmt gelassene Menge werden nun von der Krankheit zum Vorschein gebracht, damit die Entwicklungsgeschichte des Gewissens regressiv reproduziert. Das Sträuben gegen die zensorische Instanz rührt aber daher, dass die Person, dem Grundcharakter der Krankheit entsprechend, sich von all diesen Einfl üssen, vom elterlichen angefangen, ablösen will, die homosexuelle Libido von ihnen zurückzieht. Ihr Gewissen tritt ihr dann in regressiver Darstellung als Einwirkung von außen feindselig entgegen. Die Klage der Paranoia zeigt auch, dass die Selbstkritik des Gewissens im Grunde mit der Selbstbeobachtung, auf die sie gebaut ist, zusammenfällt« (ebd.: 163-164; Hervorh. A.T.).
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3. Der Klatsch
Die unheimliche Erfahrung, andere z.B. im Klatsch versunken über einen (selbst) sprechen zu hören, entspringt ihrer Spiegelbildlichkeit zur unablässigen Selbstbeobachtung, die Freud als Über-Ich-Funktion beschreibt, so dass dem Zuhörer in paranoider Manier sein Inneres von außen entgegenzutreten scheint. Diese vermeintliche Einwirkung von außen wird dem Paranoiker zur Überzeugung. Auch Daniel Paul Schrebers Verfolgergott wirkt so auf sein Opfer ein, in konsequenter Umsetzung dessen, was jedes in der christlichen Welt heranwachsende Kind gelehrt bekommt: Gott sieht jede Sünde. »Schreber leidet an Stimmen, ›deren sich‹ – streng nach Hirth – ›der gesunde Mensch in der Regel nicht bewusst wird.‹ ›Von außenher und zwar unaufhörlich‹ ›veranlaßt‹ Gott Schrebers ›Nerven, sich in diejenigen Schwingungen zu versetzen, welche dem Gebrauch der betreffenden Worte entsprechen, die eigentlichen Sprachwerkzeuge (Lippe, Zunge, Zähne usw.) werden dabei entweder gar nicht oder nur zufällig in Bewegung gesetzt‹« (Kittler 1984: 63-64; Hervorh. A.T.).
Auch der Rattenmann meint, die Kontrolle über seine Sprachwerkzeuge verloren zu haben und fürchtet, ohne es zu merken, als sechsjähriges Kind über seine Sexualität gesprochen zu haben. Er hatte damals die »krankhafte Idee«, berichtet er, »die Eltern wüssten meine Gedanken, was ich mir so erklärte, dass ich sie ausgesprochen, ohne es aber selbst zu hören« (Freud GW VII: 387; Hervorh. A.T.). Tatsächlich hörte er die Kindermädchen über ihn klatschen, was zu der These Anlass gibt, dass die ersten Erfahrungen mit dem Klatsch immer aus der Position des Ausgeschlossenen geschehen – wenn das Kind über sich in der dritten Person sprechen hört. Ob es sich um Gespräche zwischen den Eltern, den Austausch über die Fortschritte des Kindes auf dem Spielplatz oder beim Kinderarzt handelt, stets wird das anwesende Kind in eine passive Partei des Gesprächs der anwesenden Erwachsenen verwandelt, während es gleichzeitig Gegenstand der Rede ist. Die beschriebene Gewohnheit von Kindern, anderen ›ins Gesicht zu klatschen‹, könnte dann teils als Umkehrung der Situation verstanden werden, die sie mit der Erwachsenenwelt erfahren (vgl. auch Rosenbaum/Subrin 1963).
A GGRE SS ION
UND
TOD : H E XERE I
Forschungsergebnisse aus Ethnologie und Anthropologie über Hexerei und Hexenglauben steuern Wichtiges zum Verständnis des Phänomens Klatsch bei. Klatsch spielt eine zentrale Rolle dabei, jemanden der Hexerei zu bezichtigen (vgl. Girard 1986). Hexen werden durch den Prozess des Klatschens als solche bestimmt (vgl. Selby 1974, zit.n. Bergmann 1987: 256 Anm. 16); der offenen Beschuldigung als Hexe gehe immer der Klatsch 137
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voraus (ebd., Anm. 14). Angst vor Klatsch erkläre sich in vorindustriellen Gesellschaften konsequenterweise daraus, dass er eines der wichtigsten Medien gewesen ist, um andere der Hexerei zu beschuldigen (ebd.: 22). Mit seiner Interpretation des Hexenglaubens bei den Navaho-Indianern Nordamerikas stellt Kluckhohn1 (1944: 88f.) auf affektive Entladung ab. Hexerei bei den Navaho speist sich aus erratischen, grausamen Elementen. Dem ethnographischen Material zufolge glauben die Navaho, dass Hexen Gift aus den Körpern von Kindern – besonders dem von Zwillingen – anfertigen: so genanntes »corpse poison« (ebd.: 25). Wenn das Gift z.B. durch den Schornstein der Hütten geworfen oder dem Opfer im Schutze einer Menschenansammlung in Mund und Nase geblasen werde, sinke der Betroffene sofort mit schwarzer, angeschwollener Zunge ohnmächtig zu Boden (ebd.). Manchmal seien auch weniger auff ällige Effekte zu beobachten. Dann sieche das Opfer schrittweise dahin. Hexen sind mit Tod und den Toten ebenso wie mit Inzest assoziiert; der Verdacht auf Inzest bedeutet zugleich auch einen Hexereiverdacht und umgekehrt (ebd.). Dem Glauben der Navaho nach können sowohl Frauen als auch Männer zu Hexen werden, obwohl die Hinweise auf männliche Hexer zahlreicher sind. Bei fast allen weiblichen Hexen, von denen in Geschichten berichtet wird, handelt es sich um alte Frauen, wobei einige Informanten Kluckhohns darauf hinwiesen, dass nur kinderlose Frauen zu Hexen werden können (ebd.: 26). Es 1. Bergmann (1987: 219, Anm. 55) und Gluckman (1963: 315) kritisieren Kluckhohn wegen seines psychologischen Ansatzes, der auch – vereinfachend – auf psychoanalytische Termini Bezug nimmt, und lehnen deshalb seine Thesen ab. Kluckhohn wirft dennoch zentrale Fragen auf, insbesondere über die Stellvertreterposition der Hexe bzw. des Klatschobjektes, die in der späteren Klatschforschung vernachlässigt werden. Problematisch erscheint vor allem Kluckhohns generalisierende ahistorische Betrachtung des Hexenglaubens, den er mit Rassismus und dem Antisemitismus im Nationalsozialismus gleichsetzt: »It would be too much to say that all societies must necessarily have their ›witches‹, i.e., persons whom it is proper to fear and hate and, under defined circumstances, to behave aggressively toward. ›Witches‹ are not very prominent in the sentiment systems of some societies. But no culture which has yet been described leaves ›witches‹ out of its definition of the situation for every sector of life or for every group within the society. ›Witches‹ in this very general sense of ›scapegoats‹ have probably played some part in all social structures since Palaeolithic times. Most contemporary European societies feature such witches quite obtrusively. These ›witches‹ may be either a minority within the society or an external society. Thus the Nazis have had the Jews; the Fascists have their Communists and their ›plutocratic democracies‹; ›liberals‹ have the Jesuits (and vice versa)« (Kluckhohn 1944: 98-90). Vgl. für die allgemeine Psychologie des Gerüchts die klassische Studie von Allport und Postman (1965).
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3. Der Klatsch
herrscht die übereinstimmende Meinung, dass Transvestiten (die Navaho kennen drei Geschlechter) weder seltener noch häufiger als andere Personen Hexerei betreiben. Jemand wird zur Hexe, um Rache zu nehmen, Wohlstand zu erlangen oder jemanden mutwillig aus Neid zu schädigen (ebd.). Klatsch und Hexerei dienen – so Kluckhohns Hauptthese – dazu, direkte Gewalt in Familie und Lokalgemeinschaft zu vermeiden (ebd.: 92). Während es nicht gestattet ist, gegenüber den Familienmitgliedern Wut auszudrücken, ist die Hexe diejenige Figur, die nicht nur gehasst werden darf, sondern die man verpflichtet ist zu hassen: »There are few socially legitimated hostilities among the Navaho. The witch is the person whom the ideal patterns of the culture say it is not only proper but necessary to hate. Instead of saying all the bitter things one has felt against one’s stingy and repressive father-in-law (which would threaten one’s own economic security as well as bring down upon one’s head unpleasant social disapproval), one can obtain some relief by venting one’s spleen against a totally unrelated witch in the community« (ebd.: 95-96).
Nach einem Prinzip der Selbstinvolviertheit werden ausschließlich andere Navahos der Hexerei bezichtigt. Dabei spielt die Zusammensetzung der Navaho-Kultur eine entscheidende Rolle, denn es handelt sich um eine lose verbundene Sprachgemeinschaft, die sich aus vielen kleinen Stämmen und lokalen Gruppen zusammensetzt, und nicht – wie von den amerikanischen Behörden häufig angenommen – um einen einheitlichen Stamm (vgl. ebd.: 98). Vieles, was von Regierungsvertretern Mitte des 19. Jahrhunderts über die Navaho verfügt wurde, ist darauf zurückzuführen, dass man die Navaho für eine politische Einheit hielt. Verträge, die von der Armee mit dem ›Chief‹ der Navaho im Glauben geschlossen worden waren, dass sie für die gesamte ›Navaho Nation‹ galten, wurden von anderen Navaho gebrochen, die sich nicht daran gebunden fühlten. Darauf hin prangerten Nicht-Navaho die ›Tücke‹ der Navaho an und forderten Vergeltung. Für Navahos würde daraus ersichtlich, dass lokale Gruppen andere Gruppen als ›Out-Group‹ behandelten. So wussten die Indianergruppen/Native People des Inlandes, dass die mexikanischen und US-Militärs die Navahos in ihrer Reichweite bestrafen würden und zogen daraus ihren Nutzen. Die lokalen Gruppen dagegen, die in Reichweite der europäischen Posten lebten, reagierten entrüstet und verstanden nicht, warum sie für etwas zur Verantwortung gezogen wurden, was ein anderer Clan getan hatte (vgl. ebd.: 238-239, Anm. 30). Klatsch und Hexenbezichtigung werden durch die lose Gruppenzusammengehörigkeit der Navaho erleichtert und gewähren dem Klatschenden Schutz vor Entdeckung, solange er seine Gesprächspartner sorgfältig auswählt beziehungsweise solange das Objekt der Beschuldi139
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gung weit genug entfernt lebt (vgl. ebd.: 96). Derart dient der Hexenklatsch nach Kluckhohn hervorragend zur Verschiebung von Aggression: »The fact that a high proportion of witchcraft refers to distant witches makes Navaho witchcraft much more adaptive than most patterns which center witch activity within the group« (ebd.).
Einerseits kann jemand als Zughöriger der Navaho definiert werden, was dem Bericht mehr imaginative Realität verleiht, als wenn ein Nicht-Navaho beschuldigt wird. Andererseits kann es sein, dass weder Erzähler noch Zuhörer die Person je gesehen haben. Möglicherweise wurde sie nur selten gesehen, wenn sie zu Zeremonien die lokale Gruppe besuchte. In solchen Fällen genügt die »soziale Sichtbarkeit« (»social visibility«; ebd.) für die Glaubwürdigkeit, während die soziale Distanz zugleich groß genug ist, um eine Entdeckung des Beschuldigers unwahrscheinlich zu machen. Nichtsdestotrotz kommt es auch zu »witchcraft behavior« innerhalb der lokalen Gruppen, vermutlich weil die Befriedigung geringer ist, über Hexen an anderen Orten zu sprechen (ebd.: 98). In den Gruppen wird sowohl heimlich geklatscht als auch – im Schutz einer Menge – direkt angegriffen (»face to face«; ebd.). Hexentötungen bleiben selten: »The fact that the killing of witches is uniformly described as violently sadistic suggests that these acts gained huge increments of displaced aggression« (ebd.). Kluckhohn berichtet, dass die Hexerei nicht nur Sündenböcke schaffe, sondern unter bestimmten Umständen den Angriff gegen die ›eigentlichen‹ Ziele der Aggression ermöglichen kann (ebd.: 98-99; vgl. Olinick 1980: 442): Dem brennenden Neid auf den Reichtum des Nachbarn kann durch Andeutungen Luft verschaff t werden, man möge nicht so genau darauf schauen, wie dieser Reichtum erworben sei. »If my wife runs off with another man, I can often say to my relatives ›Oh, he got her by Frenzy Witchcraft‹.« (Kluckhohn 1944: 99). Bis zu einem gewissen Maße erlaubt Hexenglauben sogar verbale Aggression gegen nahe Verwandte. Kluckhohn bemerkt, dass mit Bedacht eingesetzter Klatsch ein nützliches Sicherheitsventil zur Aggressionsabfuhr darstelle. So äußerte ein Navaho ihm gegenüber einmal: »Yes, my maternal uncle is a big singer alright. But some people say he is a witch too.« (Ebd.) Die Hexenanklage kann selbstredend nicht nur als Waffe gegen Einzelne eingesetzt werden, sondern steuert auch Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Familien, wenn beispielsweise die eine der anderen droht, einen aus dem feindlichen Clan als Hexer zu töten (ebd.). Wie hieran deutlich wird, kann der Hexenglaube über die Verschiebung von Aggression hinaus als Mittel intriganter Machenschaften eingesetzt werden. Kluckhohn fasst die Funktionen des Klatsches und der Hexerei wie folgt zusammen: 140
3. Der Klatsch
»Witchcraft tales, gossip and accusations supply, then, a readily available means of covertly expressing aggression and of objectifying fears consequent upon one’s own aggressions whether overt, symbolic or repressed« (ebd.: 101).
Es verbietet sich, jeden Klatsch mit kollektivem Mord gleichzusetzen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass der Klatsch immer ein Übergriff ist und nicht lediglich eine Ankündigung auf körperliche Angriffe darstellt. So kann der magische Glaube an die reale Wirkung von Worten unmittelbar ins Reale übergehen. Kollektiver Ausschluss muss nicht direkt ausgeübt werden. Sein Gegenstück hat der Kollektivmord in einer eigentümlichen Form des Suizids, den Mauss für verschiedene Kulturen beschreibt: »Es handelt sich um Todesfälle, die bei einer großen Zahl von Individuen auf eine brutale und elementare Weise einfach dadurch herbeigeführt werden, dass sie wissen oder glauben (was dasselbe ist), dass sie sterben werden« (Mauss 1975: 178).
Mauss klammert aus seiner Studie individuelle Gründe aus – die sich, wie er bemerkt, in unserer Gesellschaft häufig mit den kollektiven Gründen vermischen: »Wir berücksichtigen also nur die Fälle, wo das Wesen, das stirbt, sich nicht krank glaubt oder weiß, sondern nur glaubt, dass es aufgrund bestimmter kollektiver Ursachen sich in einem Zustand nahe am Tode befindet« (ebd.: 179).
Dieser Zustand falle allgemein mit einem durch Magie oder durch Sünde bedingten Bruch mit der Gemeinschaft zusammen: »Ein Mensch, der sich behext glaubt, stirbt – das ist die brutale Tatsache, die ungezählte Male vorkommt« (ebd.: 184). Gemäß dem von Freud geprägten Bild des Schwarms ließe sich vorsichtig formulieren, dass der Schwarm der Stimmen sich in diesen Fällen gegen den Einzelnen wendet. Vielleicht ließe sich auch sagen, Personen werden dauerhaft mit der Position des Jenseits identifiziert, das im Klatsch evoziert und in ihnen personifiziert wird.
3.3 Von Personif ikationen des Klatsches zur Figur des Dr itten Die Funktionen und Strukturen von Klatschkommunikation werden leicht auf ihre Personifi kationen in sozialen Triaden reduziert. Die Beschränkung der Klatschszenarien auf lediglich drei faktisch beteiligte Personen ist hierbei weniger problematisch als Reduzierungen der Betrachtungen zur äußerlichen Dreiecksbeziehung überhaupt, wie sie die Soziologie des 141
Klat sch im Chat
Klatsches vertritt (vgl. Bergmann 1987) und wie sie auch für die instrumentelle Intrige nachgewiesen werden kann (vgl. Utz 1997: 258f.). Danach besteht Klatsch empirisch-soziologisch als Dreierbeziehung aus Objekt, Klatschproduzent und -rezipient, welche Bergmann (1987: 61f.) mit dem naheliegenden Ausdruck der »Klatschtriade« belegt. Dieses Dreieck entspricht vollständig seiner äußeren Form oder »Gruppenbeziehung in der Struktur der Klatschtriade« (ebd.: 205). Klatschsoziologie nach Bergmann bemüht sich um die Bestimmung des Klatsches als triadisch strukturierte »kommunikative Gattung« (ebd.: 35f.). Gemäß ihrer empirisch-soziologischen Fundierung begreift die Studie Klatsch dabei primär als »sprachliche Tätigkeit« im Sinne eines soziologischen Handlungsbegriffes (ebd.: 20). Analog zur Figürlichkeit der Zote und ihrer Lektüren gilt es dagegen, Klatsch als Personifizierung symbolischer Struktur zu begreifen. Symbolische Triaden gehen nicht auf in der personellen Anordnung von Klatschszenarien, weshalb die Frage der An- und Abwesenheit des Klatschobjektes auch ein wiederkehrendes Definitionsproblem empirischer Klatschforschung darstellt. Nach Bergmann ist die Figur des Objektes von den anderen beiden »Handlungsfiguren« der Klatschtriade zu unterscheiden, weil sie als agierender Teilnehmer aus der Kommunikation selbst ausgeschlossen ist und nur präsent ist als jemand, über den geredet wird: »Diese negative Bestimmung des Klatschobjektes ist ein konstitutives Merkmal von Klatsch überhaupt: Zum Klatsch gehört, dass der, über den geklatscht wird, abwesend ist« (ebd.: 67).
Worin diese Abwesenheit des Gesprächsobjektes genau besteht, wie sie definiert wird und wie sie zustande kommt, erweist sich hierbei für die Klatschtheorie des Dritten als entscheidend. Entweder wird Abwesenheit als raumzeitliche Bestimmung und damit empirischer Fakt behandelt (Bergmann), oder als wichtiges Funktionsmoment des sozialen Geschehens. Im einen Fall führt die Betrachtung zur Festschreibung der Personifizierung des Dritten in einer empirischen Klatschtriade. Im anderen Fall definiert dieses Charakteristikum des Klatschobjektes, zwischen An- und Abwesenheit zu wechseln, den Klatsch als Figur und damit Artikulation des Dritten. Empirische Klatschforschung leistet die heuristische Beschreibung des faktischen Arrangements von Klatschgesprächen in ihrer jeweiligen Spezifi k, verfehlt dabei jedoch, die genuine Ambivalenz des Klatsches zu erfassen. Bergmann stellt fest, die strukturelle Voraussetzung der Abwesenheit des Objekts werde besonders deutlich, wenn diese gar nicht oder nicht genügend erfüllt sei. Situationen, in denen über jemanden geklatscht wird und in denen dieser Jemand plötzlich leibhaftig zum Gespräch hinzu142
3. Der Klatsch
kommt, werden als besonders unangenehm empfunden. Meist sterbe die Unterhaltung schlagartig ab, worauf der Hinzukommende erahnt, dass er selber das Gesprächsthema war (vgl. ebd.). Die Abwesenheit des Beklatschten lässt sich sozial in dessen physischer Anwesenheit herstellen. Eine physisch anwesende Person kann durch abgewandte Körperhaltung, verringerte Lautstärke, vergrößerte räumliche Distanz und Vermeidung von Blickkontakt zeitweise zu einer »Non-Person«, d.h. einer interaktiv abwesenden Person gemacht werden (vgl. ebd.; Handelman 1973). Die sozialen Maßnahmen zur Isolation einer Person aus der Gruppe ähneln im Übrigen den missbilligenden Reaktionen, die durch den Klatsch ausgelöst werden. Andeutungen und Anspielungen und die Vermeidung von Kontakten zählen zu typischen Folgen des Klatsches. Diese sozialen Ahndungen vermeiden direkte Konfrontation wie der Klatsch auch (vgl. Bergmann 1987: 196). Eine Steigerung zu direkteren Aggressionen gegen das Opfer des Klatsches besteht im Hänseln, in spitzen Bemerkungen oder der Abkühlung der sozialen Anteilnahme und kann bis zu Streichen und anderen Rügebräuchen gehen. Klatschfolgen reichen aber bis zu weit destruktiveren und gefährlicheren Akten wie Hexenverfolgung, Ausschreitung und Pogrom. Schon der Klatsch selbst führt zu einer Aussonderung der betroffenen Person aus der jeweiligen Gesellschaft oder Gruppe und kann zur Vorbereitung sozialer Gewalt und Ausgrenzung dienen. Die Identifi kation des Klatschobjekts hat Keppler (1987: 291) in Ergänzung zu Bergmann als Entpersonifizierung beschrieben, welche sprachtechnisch durch eine Reduktion auf Reden in der dritten Person vollzogen werde. Bergmann erwähnt, dass abwesende Dritte zur Konfl iktvermeidung anstatt der anwesenden Teilnehmer kritisiert werden können, berücksichtigt diesen Punkt in seinen zentralen Thesen aber leider nicht. Die Tendenz, Nichtanwesende im Gegensatz zu den anwesenden Gesprächsteilnehmern »unverhüllt zu kritisieren, herabzusetzen, zu beschuldigen« oder sogar zu Sündenböcken zu machen, führt er auf das allgemeine Organisationsprinzip von Unterhaltungen zurück, »face threatening acts« zu vermeiden (Bergmann 1987: 208). Stattdessen bemühe man sich im Gespräch vis-à-vis eher um Übereinstimmung mit dem Kommunikationspartner, wodurch sich die Anwesenden vor wechselseitiger Kritik schützten. Die schutzlose Gruppe von Abwesenden wird dagegen beklatscht. Als Beispiel nennt Bergmann die Alltagserfahrung, wonach derjenige, der eine Gesprächsrunde verlässt, oft unmittelbar »nach seinem Abgang« zum Klatschobjekt gemacht wird (ebd.). In den untersuchten Internetkommunikationen finden sich analoge Situationen, wo das Ein- und Ausloggen als metaphorische Anzeige von An- und Abwesenheit einzelner Gesprächsteilnehmer zum Auslöser von Klatschepisoden wird. Eine zu starke Betonung der physischen Abwesenheit des Objektes spart aus, dass der Klatsch 143
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– wie der Witz – eine Praxis ist, Abwesenheit hervorzurufen. Die Position des Objektes lässt sich am ehesten als ein Wechsel oder Changieren zwischen An- und Abwesenheit beschreiben, wie am elektronischen Klatsch in Chatrooms besonders deutlich wird.
E R Z ÄHLP OS I T ION Als zweite »Handlungsfigur« der Klatschtriade untersucht Bergmann (ebd.: 74f.) den Klatschproduzenten. Er nimmt an, dass über den Erzähler das gesamte »Informationsmanagement« abläuft, da Klatschende ihr intimes Wissen von den persönlichen Angelegenheiten eines abwesenden Dritten übermitteln (ebd.). Dagegen ist einzuwenden, dass die Position des Hörers und Zuhörers auch verschmelzen oder in ein und demselben Gespräch abwechseln kann, wenn verschiedene Wissensbestände und Vermutungen zusammengetragen werden. Die Gesprächspartner können sich so der gegenseitigen Komplizenschaft versichern. ›Wettert‹ dagegen lediglich ein Beteiligter über einen Abwesenden, kann die passive Partei davon problemloser berichten und das vorherige ›Klatschmaul‹ selber zum Klatschobjekt machen. Es sei nicht erstaunlich, so Bergmann weiter, dass es in vielen Sprachen zahlreiche Bezeichnungen für den Klatschproduzenten gebe – die manchmal identisch sind mit der Bezeichnung für den Vorgang des Klatschens überhaupt (vgl. Engl. ›gossip‹) –, weil sich das »Klatschkarussell« gleichsam um den Produzenten drehe (ebd.: 75). Verbreitete Bezeichnungen wie etwa die Klatschbase verweisen häufig auf Verwandtschaftsbeziehungen, denen eine Zwischenposition in der Familie zukommt. So wird mit der Base im engeren Sinne die Tochter der Tante oder des Onkels bezeichnet, im weiteren Sinne alle entfernten weiblichen Verwandten (vgl. ebd.). Nach Bergmann zeigt sich in den Bezeichnungen jene »Zwischenstellung des Klatschproduzenten in der Beziehungstriade«, die seines Erachtens schon bei der Darstellung des Klatschobjektes deutlich wurde: »Weder völlige Fremdheit, noch enge Familienbindungen, sondern entfernte Verwandtschaft, und allgemein: reziproke Bekanntschaft sind für das Verhältnis des Klatschproduzenten zum Klatschobjekt charakteristisch« (ebd.: 76). Insgesamt gelten Berufs- und Personengruppen wie Friseure als besonders klatschhaft, die sich aufgrund ihrer täglichen Kontakte und Begegnungen mit verschiedenen Mitgliedern eines sozialen Netzwerkes als »Informationszwischenträger« eignen (ebd.: 90). Zusammenfassend lässt sich die Handlungsfigur des Klatschproduzenten im doppelten Sinne als »Transgressor« beschreiben (ebd.: 91): Er dringt in den Innenraum der sozialen Existenz eines anderen ein, um sich mit seinem ›erbeuteten Wissen‹ anschließend wieder nach außen zu wenden und es dort zu benutzen. Der 144
3. Der Klatsch
Klatschproduzent ›veräußert‹ Intimes, und den Blicken anderer Entzogenes (ebd.: 77).
P OS I T ION
DE S
H ÖRENS
Auch der Klatschrezipient erfüllt eine wichtige Funktion, die sich nicht darin erschöpft, als passiver Beteiligter lediglich anwesend zu sein. Die Bereitschaft zuzuhören ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für den Klatsch. Vielmehr muss der Zuhörer in einer spezifischen Beziehung sowohl zum Produzenten als auch zum Objekt stehen, damit ein Gespräch zum Klatsch werden kann (ebd.: 91f.). Weil Bergmann in seinen Überlegungen besonders die Rolle der Neuigkeit einer weitergegebenen Klatschgeschichte betont, ist für seine Konzeption der Klatschtriade die wechselseitige Bekanntheit aller drei ›Akteure‹ von tragender Bedeutung: Nur wenn der Rezipient die Person, über die gesprochen wird, persönlich kennt oder zumindest indirekt mit ihr bekannt ist, hat die im Klatsch gehörte Neuigkeit persönliche Relevanz für ihn. Da im Klatsch vermitteltes Wissen gleichsam moralisch kontaminiert ist, gestaltet sich das Verhältnis der Klatschenden als eines der »Mitwisserschaft« (ebd.: 93). In der verschworenen Gemeinschaft wird eine Gabe weitergereicht, von der die Beteiligten wissen, dass sie ›gestohlen‹ ist, was deren Intimität jedoch genau deshalb erhöht. Bergmann spricht dem Klatsch einen »Egalisierungseffekt« zu, der keine Hierarchien unter den Sprechenden erlaube bzw. diese nivelliere, weshalb etwa Klatsch zwischen Vorgesetzten und Untergebenen äußerst selten sei (ebd.). Ähnliches hatte sich bereits bei der Untersuchung des Witzemachens ergeben. Auch dort wurde beschrieben, wie der Zuhörer selber zum Erzähler wird. Die Beziehung zwischen Klatschproduzent und -rezipient werde nicht zuletzt von der Erwartung bestimmt, dass der Rezipient in anderen Gesprächskontexten selbst als Produzent auftreten kann, sobald er in den ›Besitz‹ des Klatschwissens gelangt sei (ebd.: 94). Wer neuen Klatsch erfahren hat, kann diesen aber auch zurückhalten, um sich so die Exklusivität der Information zu sichern. Je schneller sich eine Neuigkeit verbreitet, desto ›wertloser‹ ist sie aber für den einzelnen Klatschenden. In der ethnographischen Literatur wird häufig berichtet, mit welch erstaunlicher Geschwindigkeit sich Klatschinformationen in einem Dorf und auch über große räumliche Distanzen hinweg verbreiten, was sich in verschiedenen Redewendungen wiederfindet: ›etwas macht die Runde‹, ›etwas spricht sich herum‹, ›etwas verbreitet sich wie ein Lauffeuer‹, ›jemand kommt ins Gerede‹, ›etwas brühwarm weitererzählen‹ (ebd.; vgl. Goodwin 1980). Diese Redewendungen lassen darauf schließen, »dass die hohe Diff usionsgeschwindigkeit von Klatsch zum Alltagswissen über Klatsch gehört« (Bergmann 1987: 94). Mit der Erörterung der Figur des 145
Klat sch im Chat
Klatschrezipienten schließt Bergmann die Darstellung der Klatschtriade ab und kommt zum Ergebnis, dass nur über Freunde und Bekannte und nur mit Freunden und Bekannten geklatscht wird: »Die Klatschtriade reflektiert daher in einer konkreten sozialen Situation ein spezifisches Intimitätsmuster im Beziehungsnetz der drei Beteiligten« (ebd.: 96).
D ER K L AT SCH
AL S
F IGUR
DE S
D R I T T EN
Klatschen stellt nicht nur eine Verkörperung oder eben Artikulation des Dritten dar, sondern dokumentiert die Personifi zierungen dieser Sprachformen. Freud beobachtete an der Zote, dass bestimmte Auftrittsweisen des Dritten in personifizierter Form vonstatten gehen müssen. Diese Notwendigkeit zur Personifi kation gilt mit Sicherheit für den Klatsch, welcher im Unterschied zum Witz nicht als vollständige Anerkennung beurteilt werden kann. Vielmehr handelt es sich um eine inverse Anerkennung, sozusagen die Vorbereitung der Anerkennung. Bei ihr müssen alle drei beteiligten Personen der Klatschtriade noch als Systempositionen wie als personifizierte Funktionsträger beisammen sein. Klatsch bedarf realer Personen, die klatschen und über die geklatscht wird. Primär bleibt er aber Ausdruck und Formation – oder eben Figuration – des Dritten. Um den Klatsch nicht als nonverbales Geschehen oder Beziehungsmanagement bzw. Sprachhandlung sondern in diesem dritten Sinne als sinnvollen Selbstzweck oder auch ›funktionale‹ Zwecklosigkeit auffassen zu können, erweisen sich Kants Überlegungen zur Afterrede als hilfreich. Die sprachliche Technik, die den Klatsch dominiert, stellt die Anspielung dar, welche sich grammatikalisch als Rede in der dritten Person äußert, wie Benveniste sie beschrieben hat.
G R AMMAT IK AL I SCHE R EDE
IN DER DR I T T EN
P ER SON
Zur Gruppe der Personalpronomen rechnet man gewöhnlich die drei Formen ich, du, er, ohne dabei den grundlegenden Unterschied zu beachten, dass lediglich das Paar ich/du einen Begriff der individuellen Person umgreift, während er einen solchen gerade zu negieren scheint (vgl. Benveniste 1974: 280). Es ist das Verdienst des Sprachwissenschaftlers Emile Benveniste im Rahmen seiner Überlegungen zur Natur der Pronomen auf diese entscheidende Differenz aufmerksam gemacht zu haben. Doch auch die Person, auf die ich sich bezieht, ist auf eine besondere Weise definiert, da sie immer nur der jeweiligen Aussage immanent sein kann. Die Realität, auf die ich und du sich beziehen, ist eine innerdiskursive, insofern die Realität des Diskurses mit dem Reich der Sprache identifiziert werden kann. Es gibt keinerlei äußere Referenz. Entsprechend wird der Begriff der 146
3. Der Klatsch
Person folgendermaßen definiert: »[I]ch ist die ›Person, welche die gegenwärtige Diskursinstanz, die die sprachliche Instanz ich enthält, aussagt‹. Folglich erhält man, wenn man die Situation der ›Anrede‹ einführt, eine symmetrische Definition für du, als ›die Person, die in der gegenwärtigen Diskursinstanz, welche die sprachliche Instanz du enthält, angesprochen wird‹. Diese Definitionen betrachten ich und du als Kategorien der Sprache und beziehen sich auf ihre Position in der Sprache. Wir betrachten nicht die spezifischen Formen dieser Kategorie in den Einzelsprachen, und es spielt kaum eine Rolle, dass diese Formen explizit im Diskurs vorkommen müssen oder in ihm implizit vorhanden bleiben können« (ebd.). Bevor von dieser Betrachtung zur Nicht-Person er/sie übergegangen wird, seien hier einige Vorgriffe auf das Chatten eingefügt. Im Chatroom entspricht jede Zeile, jeder Satz, per Konvention und medialer Anordnung einem solchen pronominalen ich – ob es nun in der Aussage explizit verwendet wird oder implizit bleibt. Für die Untersuchung von Chatrooms gibt Benvenistes Betrachtung über das Personalpronomen ich wertvolle Hinweise, sind doch die Chattenden wie solche Personalpronomen zu behandeln. Ihre Aussagen, Geschlechter, Eigenheiten beziehen sich allein auf das, was Benveniste die Realität des Diskurses genannt hat. Weiter macht Benveniste deutlich, dass die Pronomen ihre eigene Anwendung widerspiegeln, was medientheoretisch auszuwerten ist, da es der Selbstreferenz im Chat vorgreift. Wie diese verweisen die pronominalen Formen nicht auf äußere Positionen in Raum und Zeit. Zu selbstverständlich behandle man die Pronomen als Selbstbezeichnungen und als Verweise auf reale Personen. Es gibt Diskurs-Aussagen, wie Benveniste bestimmte Verwendungsweisen der Personalpronomen nennt, die dagegen nicht mehr auf sich selbst, sondern auf ein anderes verweisen. Solch ein Fall ist bei Verwendung der ›dritten Person‹ gegeben (vgl. ebd.: 285). Damit ist ein entscheidender Unterschied zwischen den verschiedenen Personalpronomen benannt. Er habe dagegen zwar eine »individualistische Natur«, weshalb das Pronomen zu den Personalpronomen gezählt wird, verweise jedoch im Gegensatz zu den beiden Zeichen ich und du auf etwas außerhalb seiner selbst. Bei der ›dritten Person‹ handelt es sich folglich nicht um eine Person, sondern in gewisser Weise um eine Negierung der Person oder eine Nicht-Person: »Die ›dritte Person‹ stellt in der Tat das unmarkierte Glied der Personenkorrelation dar. Deshalb ist es keine Binsenwahrheit zu behaupten, dass die Nicht-Person der einzige mögliche Aussagemodus für diejenigen Diskursinstanzen ist, die nicht auf sich selbst verweisen sollen, sondern die den Prozess einer beliebigen Person oder einer beliebigen Sache aussagen, ausgenommen die Instanz selbst, wobei diese beliebige Person oder beliebige Sache immer mit einer objektiven Referenz versehen sein können. So sind in der formalen Klasse der Pronomen diejenigen, die zur ›drit-
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Klat sch im Chat
ten Person‹ gerechnet werden, völlig verschieden von ich und du durch ihre Funktion und durch ihre Natur« (ebd.).
Ähnliche Überlegungen finden sich bei Barthes, der in Über mich selbst (1978) auf die Kluft zwischen den Personalpronomina ich und er zu sprechen kommt und sie treffend als pronominale Schranke betitelt (ebd.: 182). Zwar vermag ich, mit Benveniste gesprochen, einen Begriff von Person zu transportieren. Diese bleibt jedoch immer in die Aussage eingeschlossen, sie verbleibt im Imaginären. Während ich das Imaginäre mobilisiere, würden ihr und er die Paranoia auf den Plan rufen (ebd.). Die Personalpronomina werden zur Skylla ich und Charybdis er/ihr, weshalb hier alles auf dem Spiel stehe (ebd.). Eingeschlossenheit hier, Ausgeschlossenheit dort. Umgekehrt gäbe es ohne eine Trennung der Positionen durch die Kluft oder Schranke keine der beiden Seiten. Barthes erwähnt mehrfach jenen paranoiden Verfremdungseffekt, den die Rede in der ›dritten Person‹ zu zeitigen scheint, was die Nähe von Klatsch und Paranoia in Erinnerung ruft. Von sich selber in der dritten Person zu sprechen, heiße: » [I]ch spreche von mir wie von einem etwas Toten, erfasst von einem leichten Nebel paranoischer Emphase« (ebd.: 183). Das bedeute auch, sich zu sich selbst wie der Brechtsche Schauspieler zu seinen Rollen zu verhalten, der seine Person verfremden solle (ebd.) Tatsächlich, so Barthes, empfahl Brecht dem Schauspieler, seine ganze Rolle in der dritten Person zu denken (ebd.). Konsequenterweise schafft die Verwendung der dritten Person nicht nur Distanz, vielmehr annulliert man sich damit selber, streicht er/ihr doch gerade die Person aus und muss damit die Paranoia beschwören: »Mögliche Affinität zwischen der Paranoia und der Verfremdung durch das Raster der Erzählung: das ›er‹ ist episch. Das heißt: ›er‹ ist böse: es ist das bösartigste Wort der Sprache: als Pronomen der Nicht-Person annulliert und martert es ihren Sprachreferenten; es lässt sich nicht ohne Unbehagen auf den anwenden, den man liebt« (ebd.).
Barthes (1988) greift diesen Gedanken in Fragmente einer Sprache der Liebe auf: Der Liebende bestehe auf dem Eigennamen des Anderen und lehne das Pronomen der dritten Person ab, da es das Pronomen der Unperson sei (ebd.: 155). Über die Unerträglichkeit, den Anderen auf diese Unperson reduziert zu sehen, kommt Barthes auf den Klatsch zu sprechen, der gerade in der Reduktion des Anderen auf ihn/sie bestehe:
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3. Der Klatsch
»Der Klatsch reduziert den Anderen auf ihn/sie, und diese Reduktion ist für mich unerträglich. Der Andere ist für mich weder er noch sie; er hat nur seinen eigenen Namen, seinen Eigennamen« (ebd.).
Liebe beinhaltet ein Klatschverbot, wie es bereits bei den Erörterungen darüber angedeutet ist, dass über geliebte Personen und Verwandte nicht in Anwesenheit der Liebenden und Anverwandten gesprochen werden darf. Dem Geliebten dürfe nicht der Platz des Abwesenden zugesprochen werden. Der Liebende verteidigt das geliebte Objekt dagegen, zum Anderen und Ausgeschlossenen des allgemeinen Diskurses zu werden. Kommt es dazu, erhält der Liebende seinen Anderen nur »in der blutleeren Gestalt eines vielseitigen Ersatzes« zurück, was gleichbedeutend damit sei, ihn tot, reduziert zu sehen, »in eine Urne in der Wand des großen Sprachmausoleums verbannt« (ebd.). Die Adressierung des geliebten Du des Anderen verlangt nach Exklusivität: »Du bist nie etwas anderes als du, ich will nicht, dass der andere über dich spricht« (ebd.). Auch der erste Wunsch des kleinen Kindes richtet sich Freud zufolge auf eine solch unmögliche Identität – etwas, das nie etwas anderes ist und sein darf als es selbst und doch immer schon und ausschließlich Ersatz ist. Nicht auf sich selber, sondern auf einen anderen angewendet, vermag das Pronomen also großen Schaden anzurichten. Laut Barthes hat es sogar vernichtende Qualitäten, die sich im Klatsch zu einer ›Feier‹ entfalten. Von jemandem er zu sagen, ist mit einem Totschlag durch die Sprache zu vergleichen (vgl. zu den tötenden Qualitäten der Sprache Derrida 2001: 197f.; oben den Abschnitt über Tod und Hexerei): »[W]enn ich von jemandem ›er‹ sage, dann habe ich immer so etwas wie einen Totschlag durch die Sprache im Auge, deren zuweilen prunkvolle, feierliche Szene der Klatsch ist« (Barthes 1978: 183). In den Formulierungen Barthes’ wird der Klatsch selbst zu einer Szene und Bühne für die sprachliche Technik des Pronomens, so dass die Angewiesenheit des Klatschinhalts auf seine sprachliche Form deutlich wird (vgl. die Diskussion über die Witz-Techniken). Das Verstummen – wie das Sprach- und Stimmlos-Werden überhaupt – wird gemeinhin als Anzeichen sowohl des realen als auch des metaphorischen, sozialen Todes verstanden (vgl. Kolesch 2004: 19). Das ›Fest‹ eines solchen metaphorischen Todes ist der Klatsch, sein Werkzeug und seine sprachliche Exekutive die Rede in der dritten Person. Dem Klatsch muss damit, ähnlich dem Witz, eine exklusive Beziehung zur Abwesenheit, zum Jenseits zuerkannt werden.
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K AN T S A F T ERREDEN In seiner Metaphysik der Sitten diskutiert Kant drei verschiedene Laster als Pflichtverletzung der Achtung Anderer: Hochmut, Verhöhnung und das sprichwörtliche Afterreden – einen volkstümlichen Ausdruck, den Kant in seine Sittenlehre übernimmt. Freud hätte die üble Nachrede nicht bildhafter als der Volksmund titulieren können. Wer afterredet, verbreitet Schmutziges über einen anderen Menschen in verzerrter Darstellung. In der Afterrede zerreißt sich wie beim Klatsch mancher das ›Maul‹, dass nur noch ›Dreck‹ herauskommt. Kants Überlegungen zum sittenwidrigen Reden umschreiben also eine Redepraxis, die auch als Klatsch bezeichnet werden kann, und heben dabei auf dessen/deren Zwecklosigkeit ab. Mögen diese Verunglimpfungen von Mitmenschen zweifellos aggressiv, mitunter hochgefährlich, in jedem Fall aber moralisch fragwürdig sein, so entziehen sie sich doch juristischer Verfahren. Wenn auch ethisch falsch, stellen niedere Redeformen nicht per se Straftaten dar und müssen gar rechtlich erlaubt sein. So unterscheidet Kant klar zwischen verbotener Verleumdung und übler Nachrede. Das Afterreden entspricht der »übelen Nachrede (obtrectatio)« (Kant Werke VIII: 604, A 145), ist aber von der Verleumdung (contumelia), d.h. der falschen, vor Recht zu ziehenden Nachrede, zu unterscheiden (ebd.: 605). Während Verleumdung gezielt und instrumentell eingesetzt wird, entspricht Klatsch respektive Afterreden einer ungerichteten Tätigkeit oder Neigung. Damit entzieht es sich einer bestimmten Zwecklogik. Kant versteht unter dem Afterreden denn auch »die unmittelbare, auf keine besondere Absicht angelegte Neigung« (ebd.; Hervorh. A.T.), etwas für andere Nachteiliges ins Gerücht zu bringen. Schmerzen und Nachteil des Einzelnen, die daraus resultieren, bindet Kant jedoch nicht unmittelbar in seine Moralkonzeption ein. Vielmehr gilt sein Hauptinteresse einer allgemeinen Haltung gegenüber allen. Denn die Neigung zur Afterrede sei der schuldigen Achtung gegen die Menschheit überhaupt zuwider, weil »jedes gegebene Skandal diese Achtung, auf welcher doch der Antrieb zum Sittlichen beruht, schwächt« und gegen sie ungläubig macht (ebd.). Wenn etwas geflissentlich verbreitet wird, das die Ehre eines Einzelnen schmälert (propalatio) – »was nicht zur öffentlichen Gerichtsbarkeit gehört, es mag übrigens auch wahr sein« (ebd.; Hervorh. A.T.) – führt das zur Verringerung der Achtung für die Menschheit überhaupt. Dadurch kann auf unsere Gattung selbst der Schatten der Nichtswürdigkeit fallen, wodurch Misanthropie (Menschenscheu) oder Verachtung zur herrschenden Denkungsart und das moralische Gefühl durch den öffentlichen Anblick derselben abgestumpft werden. Nach Kant ist demnach die Frage der
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Wahrheit oder Falschheit der Nachrede irrelevant.2 Ebenso wenig wird die Fehlerhaftigkeit der Mitmenschen in Abrede gestellt. Kant gesteht sogar eine hämische »Lust an der Bloßstellung der Fehler anderer« (ebd.; Hervorh. A.T.) zu, die dem Einzelnen zur Sicherung der Meinung dient, gut oder wenigstens nicht schlechter als andere Menschen zu sein. Dennoch ist es Tugendpflicht, den »Schleier der Menschenliebe« (ebd.) über die Fehler anderer zu werfen, weil Beispiele der Achtung, welche uns andere geben, auch die Bestrebung wecken, sie gleichermaßen zu verdienen. Deshalb ist die »Ausspähungssucht der Sitten anderer (allotrio-episcopia)« (ebd.; Hervorh. A.T.) auch für sich genommen ein »beleidigender Vorwitz der Menschenkunde, welchem jedermann sich mit recht als Verletzung der ihm schuldigen Achtung widersetzen kann« (ebd.). Verschiedene Aspekte der Ausführungen Kants sollen im Folgenden als zentrale Bestandteile von Klatsch festgehalten werden: Die üble Nachrede wird aus dem Moment heraus und ohne besondere Absicht begonnen – Kant spricht von einer Neigung, was an ein Persönlichkeitsmerkmal erinnert. Anders als die instrumentelle Verleumdung dient sie keinem bestimmten Zweck. Eine solch zwecklose Rede – dies erinnert an die zotige Rede als Selbstzweck – ist kein Gegenstand der juristischen Verfolgung, wie Kant betont, obwohl sie dem Objekt der Rede Schaden zufügt. Die Schädigung des Einzelnen durch Klatsch ist jedoch in Kants Argumentation von keinem unmittelbaren Interesse (nämlich dem Interesse aller), weshalb auch der Richtigkeit oder Falschheit der Afterrede keine Relevanz zukommt. Die Verletzung der Ehre des Einzelnen schädigt immer zugleich die Ehre aller, ist Verringerung der Achtung für die Menschheit überhaupt und allein aus diesem Grunde zu unterlassen. Zwar ist die moralische Beurteilung des Klatsches kein Thema dieser Studie. Es soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass Kant mit seinen ethischen Überlegungen ein entscheidendes Problem der Klatschforschung vorwegnahm. Wie geschildert beziehen sich die Arbeiten über den Klatsch meist auf eine der beiden Ebenen, die in Konflikt geraten: auf den Einzelnen oder die Gruppe. Je nach dem, mit welcher Ebene sich die Forschung identifiziert, fällt das Urteil über den Klatsch positiv oder negativ aus. Kant löst diese Widersprüche, indem es sich ihm verbietet, die Gruppe oder Gemeinschaft – bei ihm sogar Menschheit – und das betroffene Individuum gesondert zu betrachten, sieht er doch letzteres stets als Stellvertreter der ersteren. So wird der Schaden des Einzelnen auf Umwegen letztlich immer zum Schaden der 2. Das Gesagte mag wahr sein: Die Menschen sind ›eigentlich‹ lächerlich, schlecht, nur soll man sie nicht so darstellen. Andererseits weist es auf den ›realitätsunabhängigen‹ Charakter des Klatsches bzw. auf die besondere Relation des Klatsches zur ›Realität‹ hin; vgl. dazu die Diskussion bei Forrester.
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Menschheit überhaupt. Trotz dieser klaren Verurteilung der üblen Nachrede und des Klatsches bringt Kant dennoch zum Ausdruck, dass an beide eine, wenn auch hämische, Lust gebunden ist. Mit der schönen Formulierung von der Ausspähungssucht der Sitten anderer wird das voyeuristische Element im Klatsch benannt. Auch die Sucht – und damit eine getriebene Lust – benennt Kant, wie sie ebenfalls in seiner Rede von der Lust an der Bloßstellung der Fehler anderer anklingt. Mit dem Hinweis auf die Fehler und Sitten der anderen ist ein weiteres wichtiges Thema der Klatschforschung verbunden: Neid und Konkurrenz sowie der soziale Vergleich (vgl. dazu auch Haviland 1977). Die drei kantischen Charakteristiken des Klatsches gewinnen ihre Bedeutung erst in Kombination: Die spezifische Zwecklosigkeit ergänzt den Voyeurismus; Soziales Außen und Innen, Gruppe und Einzelner bilden ein unlösbares Band, das den Klatsch als Figur des Dritten ausweist. Klatsch ist Sozialscharnier nicht so sehr inhaltlich, sondern vielmehr strukturell. Klatsch verkörpert das »soziale Band«, welches Kommunikation heißt (de Saussure). Er ist als Personifi kation inverse Anerkennung, Modulation von An- und Abwesenheit, in der sich Fiktion und Wahrheit verbinden.
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4. Digitaler Klatsch: Das Chatten 4.1 Zwischen Schr ift und Rede? Verba volant, scripta manent. Häufig setzt man die Stimme mit »Lebendigkeit, Präsenz und Unmittelbarkeit« gleich, während das zur Schrift ›erstarrte‹ gesprochene Wort angeblich nur als Totes in Buchstabenform zu überdauern vermag (Kolesch 2004: 20). Eine solche Separierung identifiziert Schrift mit absoluter Abwesenheit und Künstlichkeit, Rede dagegen mit Anwesenheit und Natürlichkeit. Dem vermeintlichen Vorrang des Mündlichen sei entgegenzuhalten, kritisiert Kolesch: »Weder geht unsere Kulturgeschichte in einem linearen Progress von ursprünglicher Oralität zu zivilisatorischer Literalität auf, noch wird die Stimme im Zeitalter des Buches – oder auch des Bildes – einfach zurückgedrängt« (ebd.: 20-21).1 Das Mündliche scheint mittels der in Echtzeit 2 geschriebenen Internetkommunikation paradoxerweise als Schriftform wiederzukehren, was einer weitgehenden Entkopplung von Stimme und Rede gleichkäme – so jedenfalls der erste Eindruck nach einem Blick auf die Debatte über die Zwitterstellung der Chat-Kommunikation, in der sich Merkmale von Oralität und Literalität vermengen sollen. Chatten gilt vielen Autoren als Plausch in elektronischer Form und damit als Äquivalent mündlicher Rede. ChatKommunikation ist jedoch weit davon entfernt, den analogen Klatschdialog einfach zu ersetzen, weshalb sich eine Gleichstellung beider Sprachfor1. Die ausführliche Bezugnahme auf den Witz, der von Freud als mündliche Erzählung an einen Anderen behandelt wird, diente nicht zuletzt dazu, jene Oszillation von An- und Abwesenheit (apräsente Präsenz) vorzustellen, die Rede wie Schrift gleichermaßen konturiert (jedoch mit der Schrift anders verbunden ist als mit der Rede, wie Derrida gezeigt hat). Vgl. als die klassische Gegenposition dazu bei Walter Ong (1987), der von einer »Technologisierung des Wortes« spricht; von konzeptueller Mündlichkeit und Schriftlichkeit bzw. Mischformen gehen Koch und Oesterreicher (1994) aus. 2. Vgl. zur Diskussion der philosophischen Zeitbegriffe und der Echt-Zeit Tholen/Scholl (1990).
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men methodisch verbietet. Vielmehr erschüttert die Chat-Kommunikation das mediengeschichtliche Gleichgewicht von Schrift, Stimme und Rede; präziser gesagt vermag das Chatten die Verschiebung dieses Gleichgewichts herauszustellen. Der kultur- und sozialwissenschaftliche Diskurs möchte den elektronischen Klatsch daher als neue Form der Mündlichkeit in Schriftform ausweisen. Während sich die Stimme verschrifte, beschleunige sich dadurch zugleich die Schrift. Derrida gibt mit seinem Werk eine umfassende Kritik des falschen Gegensatzes von Mündlichkeit und Schriftlichkeit an die Hand. Er ist weit davon entfernt, einen Verlust von Mündlichkeit im Internet zu beklagen. Doch auch Derrida (1997) entgeht der allgemeinen Skepsis gegenüber der Internetkommunikation nicht und verfolgt Anfang der 1990er Jahre mit Unbehagen die Veränderung der Schrift durch die Einführung elektronischen Schreibens. Er bangte nicht um die vermeintliche Unmittelbarkeit des Mündlichen, sondern im Gegenteil um den Aufschub der Schrift, welchen er durch die Beschleunigung der postalischen Sendungen im Internetverkehr bedroht sah. Die problematische Trennung zwischen ›unmittelbarer‹ Rede und distanzierter Schrift wird im Chat gleich mehrfach ironisiert und unterlaufen. So kommt das textbasierte Chatten einerseits ohne die Stimme aus, andererseits verfügt quasi-synchroner Schriftaustausch nicht über den zeitlichen Aufschub, der andere Arten des Textverkehrs, wie etwa die nichtelektronische Post, charakterisiert. Bei Chat-Protokollen handelt es sich um Schrifterzeugnisse, die in der Regel gar nicht überdauern wollen. Die Gewähltheit des Ausdrucks tritt in den Hintergrund. Stattdessen wird das gesteigerte Tempo zur Maxime des Chattens, wobei jede Möglichkeit zur Verkürzung genutzt und Fehler aller Art in Kauf genommen werden (vgl. Hess-Lüttich 2002: 202; Bittner 2003: 249f.). Chatten ›missbraucht‹ die Schrifttechnik zu Unterhaltungszwecken. Es wäre deshalb zu fragen, wem oder was die im Chat verkörperte Zwecklosigkeit von Schrift vorgreift. Die Schriften des Menschen haben sich als Fundament von Geschichtlichkeit und Kultur vielleicht selbst überholt oder verbleiben nur noch als »neues Experimentalsystem des Schreibens und Lesens«, welches den nebensächlichen Inhalt hauptsächlich von Maschinenkommunikation liefert (Tholen 2003: 41; vgl. McLuhan 1964, 1966; Kittler 1986, 1993; Armitage/Kittler 2006).
D IE Z WECKLOS IGKE I T
DE S
C HAT T ENS
UND DER
K L AT SCH
Chatten verunsichert gängige Vorstellungen von Kommunikation, weil es nicht auf störungsfreie Verständigung zielt, die kommunikations- und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen noch immer als Fluchtpunkt gilt. Das Ziel einer gelingenden Verständigung tritt beim Chatten in den Hin154
4. Digitaler Klat sch: Das Chat ten
tergrund zugunsten des flüchtigen Genusses eines mitunter chaotischen, oftmals fragmentarisch anmutenden Text-Polylogs oder »Bildschirm-Polylogs« (Hess-Lüttich 2002: 199). ›In‹ den Chatroom kommen die Teilnehmenden um des zweck- und zwanglosen Chats, der Plauderei und des Klatsches wegen. Das galt schon für die frühe Phase der Online-Rollenspiele, der MUDs und MOOs, wie aus dem Untersuchungsmaterial Sherry Turkles deutlich wird. So berichtet einer ihrer Interviewpartner, sein Interesse habe sich vom Online-Rollenspiel auf das Chatten verschoben, welches im Rahmen des Adventure-MUDs möglich war: »Begonnen hat es mit dem Interesse an ›Hack and Slay‹, doch dann bin ich geblieben, um zu chatten« (Turkle 1998: 293). Beim Chatten in diesem frühen Rollenspiel kommt es häufig zum Klatsch. Die Untersucherin fragt sogar einen Chatbot nach Klatsch für ihre Untersuchung aus, kann dieser doch alles ›Gehörte‹ speichern und wiedergeben (ebd.: 139). Bei Chatbots handelt es sich um textbasierte Dialogsysteme bzw. Computerprogramme, die dazu gedacht sind, Unterhaltungen in bestehenden Chatrooms bei geringer Anzahl Anwesender aufrechtzuerhalten (vgl. Tewes 2005).
C HAT ROOMKOMIK Die vorliegende Untersuchung rückt das zweckoffene Experimentieren mit Zeichen, Schrift und medialer Anordnung als Charakteristika des Chattens in den Mittelpunkt. Chatten ist nicht per se eine innovative Kommunikationsform, sondern eher zu verstehen als »Sammelsurium von mehr oder weniger brauchbaren, mehr oder weniger abgenutzten Metaphern (Forum, Rollenspiel usw.), die dazu dienen, bisherige Formen des Gesprächs zu imitieren und in einem bisweilen komischen Samplingverfahren zu rekombinieren« (Tholen 2003: 42). Rekombination und Sampling führen tatsächlich recht häufig zu komischen Effekten im Chat und machen einen nicht geringen Teil seines Reizes aus. Chat-Kommunikation lässt sich somit hervorragend anhand ihrer spezifischen Komik charakterisieren und gerade Klatschgespräche unterhalten die unbeteiligten Chatter mit komischen Boshaftigkeiten. Neben den Metaphern des Forums und des Rollenspiels fi nden sich weitere diskursprägende Metaphern, allen voran die Verschiebung in der metaphorischen Bestimmung jener ›Orte‹ elektronischer Gespräche, die im Internet-Relay-Chat (IRC) zunächst Kanal und später erst Chat-Raum genannt wurden. Hat der Hacker sich für die Medienkulturwissenschaft als Modernisierer (vgl. Pias 2008) und neuer Bürger erwiesen (vgl. Engemann 2005), so blieben die kulturellen Praxen der so genannten Trolle und Flamer im Gegensatz dazu bislang unbemerkt. Flamer und Troll belegen besonders gut, wie elementar das Spiel mit Schrift und Zeichen für Inter155
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netkommunikation ist. Sie gelten als Provokateure und Aggressoren und sie werden gewöhnlich mit boshaften Aktionen wie auch mit dem Klatsch assoziiert. Die verschiedenen Formen der Internetkommunikation wurden nicht nur mit zahlreichen Bildern bedacht und gerahmt, sondern tragen eine Reihe zentraler Metaphern, deren Auff älligkeit zwar häufig beschrieben, aber noch immer nicht genügend reflektiert wurde: »Die Kommunikation über das Internet zeigt eine Auffälligkeit. Die allgemeine Verbreitung des globalen Kommunikationsmediums geht mit der Verwendung ganz bestimmter Metaphern einher. Cyberspace, surfen, information highway … Die auffällige Metaphorisierung ist mittlerweile bemerkt worden, doch meist bewegen sich Beiträge zu diesem Thema innerhalb der Metaphern, die sie behandeln« (Bickenbach/ Maye 1997: 81).
Die Metaphern, mit denen die Internetkommunikation belegt wurde, dienen laut Tholen (2003) dazu, bisherige Formen des Gesprächs zu imitieren. Auch für andere Medien lässt sich beschreiben, dass sie sich mit einer eigentümlich nachahmenden Geste aneinander abgearbeitet und ineinander ›aufgehoben‹ haben: So imitierte die Photographie die Malerei, der Film das Theater usw. (vgl. Kittler 2002 ;Tholen 2003: 42). Das Chatten imitiert nicht nur bestimmte Formen des Gesprächs, sondern das Gespräch und Sprechen schlechthin. Der Chat imitiert das Mündliche, so wie die Alphabetschrift vorgeblich das gesprochene Wort in eine dauerhafte Form bannt, wobei das jeweils frühere Medium als ›Original‹, das spätere als ›Kopie‹ erscheint. Bei der Betrachtung des Chattens als Imitation der Rede richtet sich die Aufmerksamkeit der Forschung entsprechend auf fehlende Elemente des mündlichen Austausches, die es zu integrieren gelte. So werden etwa Emoticons und andere als Ikonographien verwendete Schriftzeichen als Ersatz von Mimik und nonverbaler Elemente der Rede verstanden. Herkömmliche Chat-Forschung behandelt das Chatten fälschlicherweise als bloßen Ersatz des Mündlichen und konzentriert sich darauf, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen beiden festzustellen.
K OMMUNIK AT ION
UND
F ACE - TO - FACE
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Metaphern nehmen nicht erst in Diskursen über Internetkommunikation und Computer einen zentralen Stellenwert ein, sondern finden schon in analoger Sprach- und Kommunikationsforschung breite Anwendung. Wiederkehrende Sprachbilder prägen seit jeher die Wissensproduktion und insbesondere das Verständnis von Sprache als Kommunikationsmedium. Werden diese Metaphern nicht mehr als solche benannt, wird ihr wissenschaftlicher Einsatz prekär (vgl. Sarasin 2006). So können die 156
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Eigengesetzlichkeiten und gesellschaftlichen Funktionsweisen des Chattens nicht mehr verstanden werden, wenn Chatten alleinig als minderer Ersatz von Mündlichkeit metaphorisiert wird. Operierte etwa de Saussure noch offen mit den Metaphern des Schachspiels und des Wörterbuchs, um Sprachstrukturen zu analysieren, so verleugnet die Kommunikationswissenschaft systematisch ihre Metaphorizität. Dabei stehen zwei bestimmte Metaphern des Diskurses über elektronische Kommunikation und Öffentlichkeit im Vordergrund, nämlich die der Kommunikation selbst und die des Vis-à-Vis-Gesprächs. Analysen, die Chatten allein als Ersatz mündlicher Rede auffassen, unterschlagen das Spiel mit Lesen und Schreiben, welches das weitgehend zweckfreie Experimentalsystem Chat gestattet (vgl. aktueller zum Spiel mit Identitäten etwa Vogelsang 2000; zum Chat als ›Kommunikationsspiel‹ Wolf/Bilandzic 2002). Für das Chatten triff t im Besonderen die häufig beschriebene zweifache Reaktion auf die Einführung eines neuen Mediums zu (vgl. Tholen 1994): Verlustrhetorik einerseits, Idealisierung andererseits. Auf Seiten des Kultur- und Technikpessimismus ergibt sich gemäß der Platzierung des Chattens zwischen Schrift und Rede gleichsam eine doppelte Frontstellung. Sowohl Exegeten der Schriftgeschichte wie auch Vertreter primärer Mündlichkeit lehnen Chatten als defizitär ab. Aufgrund seiner nach Maßgabe normativer Grammatik und Orthografie fehlerhaften, verkürzten Gestalt wurde das Chatten von Sprach- und Literaturwissenschaftlern als defizitäres Schreiben verurteilt und mit den sprechenden Namen »Trümmersprache« (Zimmer 1995, zit.n. Hess-Lüttich 2002), »Schrumpfgespräch« (Hess-Lüttich 2002: 181) oder auch ›Fauldeutsch‹ belegt. Von manchen wurde ihm gar ein tödlicher Einfluss auf den Sprachwandel des Deutschen bescheinigt (vgl. Zimmer 1997; Naumann 1996). Diesem Technikpessimismus, der den Verfall traditioneller Schriftkultur anmahnt, entspricht aus Perspektive der Rede das Beklagen des unpersönlichen Sprechens und der mangelnden körperlichen Anwesenheit im Chat. Es zeichnet sich eine Art mediengeschichtlicher Familiensaga ab, in der die Chat-Kommunikation als missglückter Bastard von Schrift und Rede erscheint, welcher die negativen Eigenschaften beider Eltern geerbt hat: die vorgebliche Distanziertheit schriftlichen Austausches und der damit angeblich verbundene Mangel an nonverbalen Gesprächsmerkmalen wie auch die Ungenauigkeit, Fehleranfälligkeit und Flüchtigkeit des Mündlichen. Wird das Chatten als ›computervermittelte‹ Rede untersucht, bleibt notwendig seine Schriftlichkeit unbeachtet: »Wenn wir die Kommunikationsformen in den verschiedenen Textsorten aus sprachwissenschaftlicher Sicht betrachten, so erscheint vor allem ein Phänomen erwähnenswert, dem – mit einigen Ausnahmen (Wehner 1997, Bolter 1997) – bisher er-
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staunlich wenig Aufmerksamkeit zugekommen ist: Der Manifestation der Kommunikation im Modus der Schriftlichkeit« (Thimm 2000: 11).
Als Computer durch ihre Vernetzung zum »Beziehungsmedium« wurden und die ihnen unterstellte Charakteristik als Informationsmedium widerlegten, hielt die Vorstellung einer ›schriftlich vermittelten Mündlichkeit‹ Einzug (Wehner 1997: 125). Noch immer gilt: »Auffällig ist allerdings, dass in einem Großteil der Literatur der Vorstellung einer telematisch erzeugten Mündlichkeit gefolgt wird und deshalb das in kommunikativer Hinsicht Neue des Internet in struktureller Analogie zu den vortechnischen Formen menschlicher Kommunikation gesucht wird« (ebd.: 126).
Der Trend einer solchen »analogisierenden Lesart des Internet« zeige sich am deutlichsten, wo die Metapher des Dialogs benutzt werde, um die kommunikative Qualität des neuen Mediums zu beschreiben (ebd.: 127). Tatsächlich mag ein wesentlicher Grund für die Reduktion des Chattens auf einen unvollkommenen Ersatz der Rede in der Forschungsperspektive zu suchen sein. Auffallend sei, dass die Beschreibung der Virtualität unter überwiegend soziologischer Betrachtungsweise [sowie sozialwissenschaftlicher und psychologischer; Anm. A.T.] erfolge und in Konsequenz davon das Modell der Kommunikation rehabilitiert werde (vgl. Weigel 1999: 84). Wenn in diesem Buch von Chat-Kommunikation und Internetkommunikation die Rede ist, so geschieht dies in dezidierter Abgrenzung vom beschriebenen soziologischen und kommunikationswissenschaftlichen Modell der Kommunikation. Während Weigels Einschätzung keinesfalls für das ganze Feld der Medientheorie des Internet zuzustimmen ist (vgl. für den Begriff der Virtualität etwa Krämer 1998), gilt sie doch für die meisten Betrachtungen des Chattens und den überwiegenden Teil der Arbeiten zu neuen Internetkommunikationsformen. Ähnlich Weigel beobachtete auch Krämer eine »Dialogorientiertheit«, die mit einem entsprechenden Aufkommen von Metaphern verbunden ist: »Sozialwissenschaftliche Forschungen über die ›computermediatisierte Kommunikation‹ zeugen von einer wachsenden Bedeutung von Dialogmetaphern, bei der, was das Medium Computer zu leisten habe, als ein ›technikdeterminiertes Rollenspiel zwischen zwei Akteuren, nämlich Sender und Empfänger‹ rekonstruiert wird. Die Idee ist, das Gelingen technisch mediatisierter Kommunikation abhängig zu machen vom Grad an sozialer Präsenz und Nähe, welche eine Kommunikationstechnik unter den Prämissen raum-zeitlicher Abwesenheit der Kommunizierenden kompensierend eröffnen könne. Die klassische face-to-face Situation mündlicher Verständigung wird so zum kanonischen Bezugspunkt auch der Telekommunikation« (Krämer 1997: 89).
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In ihrer Kritik der dargestellten Modelle bleibt Krämer jedoch uneindeutig, wenn sie als Problem des Bezugs auf die Face-to-Face-Situation formuliert, typische Merkmale, die ihres Erachtens als »wechselseitige persönliche Identifizierung und der geteilte Wahrnehmungs- und Handlungsraum« zu beschreiben sind, seien im Chat gerade »außer Kraft« gesetzt und das Modell darum nicht zutreffend (ebd.). Diese Kritik erklärt noch nicht, warum es sich bei der Face-to-Face-Kommunikation per se um eine problematische Metapher handelt. In die Metapher des Face-to-Face (FTF) oder Vis-à-Vis gehen insbesondere Vorstellungen eines gelingenden, fehlerfreien, mündlichen Austausches ein, über die Berger und Luckmann bekanntlich behaupten: »Die Vis-à-Vis Situation ist der Prototyp aller gesellschaftlichen Interaktion. Jede andere Interaktionsform ist von ihr abgeleitet« (Berger/Luckmann 1971: 31).3 Macho unterstreicht, wie wenig selbstverständlich solche Begegnungen seien, sie seien ein geradezu utopisch seltenes Ereignis gesellschaftlicher Kommunikation: »[D]ie Begegnung ebenbürtiger Menschen im ernsthaften Austausch, sei es in Liebe oder in Hass. Der Sonderstatus solcher Begegnungen ›von Angesicht zu Angesicht‹ lässt sich zwar postulieren, aber weder aus archaischen Interaktionspraktiken noch aus genetischen Prägungen ableiten« (Macho 1999: 124).
Doch nicht nur Häufigkeit oder Seltenheit machen die Verwendung der Dialog- beziehungsweise Face-to-Face-Metapher so problematisch. Am paradigmatischen Beispiel des witzigen Dialogs hat Freud die Medialität des Vis-à-Vis-Dialogs aufgezeigt und die zwingende Notwendigkeit demonstriert, mit der jede Verständigung zwischen Zweien, ja ihre gemeinsame Anwesenheit stets vermittelt über einen Dritten geschieht, weshalb die Figur des Dritten einen wichtigen Beitrag zur Kritik vom Mythos des FTF zu leisten vermag. Auf die Kritik und Dekonstruktion des dialogischen Kommunikationsmodells in den Werken von Derrida und Weber kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden. Es soll aber unterstrichen 3. Hier sei noch einmal daran erinnert, dass Freud das zwiegespaltene Angesicht des Janus als Metapher des Witzes wählte, womit er die Metapher des Face-toFace ad absurdum führte. Die genannte Urszene von Gesellschaft und Öffentlichkeit, wie sie deutschsprachige Soziologie von Habermas bis zu Berger/Luckmann und anderen prägt, sitzt selbst dem Mythos einer unvermittelten Verständigung im mündlichen Diskurs auf. Freuds Witztheorie zeigt dagegen, wie grundlegend die Gesetze der Sinnbildung und damit der Sprache als Medium an jedem Dialog nicht nur mitwirken, sondern jeder menschlichen Verständigung und Meinungsbildung als Möglichkeitsbedingung vorausgehen.
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werden, wie dominierend dieses Modell nach wie vor im Feld der Analyse so genannter computervermittelter Kommunikation ist (vgl. v.a. auch kritisch: Peters 1999; Bahr 1999). Als Folge davon hält sich die Vorstellung von der Ursprünglichkeit des mündlichen Dialogs, der mit der Metapher des FTF bedacht wird: »Starten wir von sicherem Terrain: Als ›natürliche‹ Grundform zwischenmenschlicher Kommunikation gilt die Face-to-Face-Situation (bzw. Body-to-Body-Situation), bei der die Kommunikationspartnerinnen zur gleichen Zeit am gleichen Ort zusammenkommen (Kopräsenz) und in einem wechselseitigen Verständigungs- und Aushandlungsprozeß verbale und nonverbale Botschaften austauschen […] Kommunikationsmedien (Telefon, Brief, E-Mail, Telefax, Videokonferenz etc.) befreien die interpersonale Kommunikation von der Restriktion – manche meinen auch: vom Vergnügen – der Kopräsenz und ermöglichen es, mit räumlich entfernten Personen in Kontakt zu treten« (Döring 2000: 346).
Dieses Zitat demonstriert zugleich, dass ein Operieren mit dem Begriff des Face-to-Face nicht notwendig unter medienpessimistischer Prämisse erfolgen muss. Gleichwohl bleibt auch in Dörings Thesen die Annahme, es gäbe einen nicht medial vermittelten, gleichsam ursprünglichen und primären Umgang, der als Maßstab für alle späteren – nun medial und technisch vermittelten – Kommunikationsformen anzulegen sei. Der Begriff des Mediums greift hier erst für die Bestimmung der Kommunikation mittels technischer Medien, nicht aber für Sprache überhaupt. Klar ersichtlich wird diese grundlegende Trennung in technisch vermittelte Kommunikation einerseits und ›natürliche‹ Kommunikation andererseits bei folgender Erläuterung des Schlagwortes ›Face-to-Face‹ im Handbuch Grundbegriffe der Medientheorie: »Die Typologie der Kommunikationsformen unterscheidet grundsätzlich zwischen direkter, unmittelbarer, unvermittelter Kommunikation von Angesicht zu Angesicht und indirekter, mittelbarer, sowie bei räumlicher oder raumzeitlicher Distanz vermittelter Kommunikation zwischen Kommunikationspartnern, mithin also zwischen Face-to-Face-Kommunikation und Medienkommunikation; […]« (Hoffmann 2005: 70).
Ob idealisierend, kritisierend oder vorgeblich neutral: Wird der mündliche Dialog als Fluchtpunkt von Computerkommunikation etabliert, verbleibt die Betrachtung in einer Vergleichssituation zwischen kategorial unterschiedenen Formen der Verständigung, wodurch die Frage nach der Medialität der Betrachtung entzogen bleibt bzw. zum Verschwinden gebracht wird: 160
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»Der normativ gefärbte Begriff der Kommunikation – verstanden als dialogische Über-Ein-Stimmung oder gar als ungeteilte Verschmelzung zwischen Sender und Empfänger, zwischen Ich und Du – überspringt in der Unterstellung dieser Gemeinschaftlichkeit den medialen Zwischenraum zwischen Sender und Empfänger. Und dieser Zwischenraum der medialen Einrahmung der Kommunikation tritt nun mit der Diffusion räumlicher Beziehungen von Nähe und Ferne im Medium des Internet deutlicher hervor« (Tholen 2002: 22).
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Die Chat-Kommunikation muss als Zufallsprodukt des Medienverbundes Internet bezeichnet werden. Coy (2005: 40) unterscheidet für die Entwicklung des Internet die Innovation per »Masterplan« und den glücklichen Zufall bzw. »serendipity«. Das Chatten zählt zum Typus der zufälligen Entwicklung, hatte es doch ein Student 1988 für seine lokale Mailbox erdacht – nicht ahnend, dass es bald darauf globale Verwendung finden würde (vgl. Hess-Lüttich 2002: 196; Thurlow et al. 2004: 182; Runkehl et al. 1998: 73; Reid 1991): »Der finnische Student Jarkko Oikarinen entwickelte Ende der achtziger Jahre mit dem IRC (Internet Relay Chat) ein Übertragungsprotokoll, das die direkte Übertragung von Daten per Tastatur und Bildschirm erlaubte. Ursprünglich lediglich zur Verbesserung des UNIX-Dienstes ›talk‹ konzipiert (der dies zwischen zwei Teilnehmern erlaubt), hat sich der IRC bis zum Ende der neunziger Jahre zum größten Chat-Netzwerk des Internets entwickelt« (Bittner 2003: 193; Anm. 1.).4
Seit 1988 hat sich die Chatsoftware und -infrastruktur technisch verbessert und ausdifferenziert. Während der ältere IRC den Teilnehmern eine Kenntnis zahlreicher Befehlskombinationen abverlangte, stellen jüngere Webchats und Instant-Messenger-Systeme technisch wesentlich unaufwendigere Angebote dar, online zu kommunizieren. Vor allem die Vereinfachung der Nutzung hat dazu beigetragen, dass die Chat-Kommunikation heute zu den am meisten verbreiteten Formen des Online-Austausches zählt, ja sogar zu einer der häufigsten Internetaktivitäten überhaupt. Dazu waren die Verkleinerung der Hardware, Verbesserung der Rechenleistung und nicht zuletzt die Erschwinglichkeit der Personal Computer gewöhnlich ungenannte bleibende, jedoch sehr grundlegende Voraussetzungen. Der IRC gestaltete als erstes Chat-System die synchrone Kommunika4. Zur Geschichte des Internet vgl. Abbate (1999); Hafner/Lyon (1996); Engemann (2003); Galloway (2004); Runkehl et al. (1998); grundlegend für die Geschichte und medientheoretische Erschließung des Computers: Bolz et al. (1994).
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tion unbegrenzt vieler Teilnehmer, die so genannte »many-to-many-conversation« (vgl. Hess-Lüttich/Wilde 2003: 164), mit der gleichzeitigen Möglichkeit zur »one-to-many« oder auch der integrierten »one-to-one-conversation« (auch als Flüstermodus bekannt), während vor Einführung des IRC die quasi zeitgleiche Verständigung lediglich zwischen zwei Teilnehmern möglich war. Dabei wurden die Daten direkt auf den jeweiligen Bildschirm des Adressaten gesendet (vgl. Reid 1991). Nicht unerwähnt bleiben soll, dass der synchrone, wenn auch bloß monodirektionale, Datenaustausch per Computer technisch bereits seit Entstehung des Internet möglich war (vgl. Abbate 1999; Beißwenger 2001). Tatsächlich fällt die Geburtsstunde des Internet mit dem ersten Akt von computer-mediated Communication zusammen. Am 29. Oktober 1969, über zwanzig Jahre vor der Entwicklung des IRC, gelang zum ersten Mal der Datentransfer von einem Computer an der University of California in Los Angeles (UCLA) nach Palo Alto ins Stanford Research Institute. Geplant war, den Studenten Charley Kline über eine Netzwerkverbindung die Zeichenfolge »LOGIN« senden zu lassen. Wegen Überlastung stürzte das System jedoch bereits bei der Eingabe des Buchstabens G ab, weshalb das übermittelte Fragment »LO« den Beginn der ARPANET- bzw. Internetkommunikation verkörpert. Im Bemühen, das Experiment zum Erfolg zu erklären, bot der Versuchsleiter Leonard Kleinrock an, die mehrdeutige und nicht notwendig sinnvolle Buchstabenfolge »LO« als phonetische Variante von »hello« zu verstehen: »Ob sich der Rezipient am anderen Ende der Verbindung durch das »(hel)LO« angesprochen gefühlt hat, ist uns nicht bekannt« (ebd.: ix). Wohl unbeabsichtigt formulierte Kleinrock damit zwei Charakteristika von Chat-Forschung und Chat-Prozess: »LO« – hier offensichtlich zufälliges Resultat unzureichender Rechenleistung – wird erstens zur Abkürzung erklärt, die zweitens als geschriebene Version eines Phonems zu deuten sei. Die Geschichte und Funktion von Schriftverkehr als elektronischer Rede hatte begonnen. Weiter belegt der Untersuchungsbericht die Probleme der Interpretation von Chat-Protokollen. Anders als bei Beißwenger steht hier nicht die Frage nach dem Verständnis der elektronischen Botschaft auf Seiten des Adressierten im Vordergrund. Vielmehr fällt auf, welch dominante Funktion die Tätigkeit des Betrachtens und Interpretierens dieses Gebrauchs von Schrift in elektronischen Netzen selber einnimmt – ähnlich dem witzigen Vorgang des Aufsitzens, bei dem nicht der Inhalt der Rede das Wesentliche darstellt, sondern das Geschehen zu einem Spiegel für das unablässige Begehren wird, einen sinnvollen Zusammenhang zu stiften. Am unbewussten Wunsch und am Witz hatten Freud und seine Nachfolger die Eigenschaft der Sprache entdeckt, als Drittes auf eine Weise zwischen Kind und anderen, Erzähler und Zuhörer zu treten, die lediglich als Aporie aus Trennung und Verbindung beschrieben werden kann. Im 162
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Abbruch der intendierten Botschaft »LOGIN« verschaff t sich der Computer in seiner Eigenart, als Drittes an der Kommunikation teilzunehmen, gleichsam Gehör und gesellt sich damit zur analogen Schrift-Sprache in der Position als Drittes hinzu. Im Chat verstetigt und institutionalisiert sich dieses Wirken des Computers als geheimem Drittem. Der Internet-Relay-Chat gilt als erstes funktionsfähiges Chatsystem. Ende der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, als er zu einem »globalen Kommunikationsnetzwerk« mit tausenden von Teilnehmern herangewachsen war, wurde er durch Lösungen, die das Kommunizieren über das World Wide Web erlauben, seiner Exklusivstellung beraubt (vgl. Runkehl et al. 1998: 73). Inzwischen zeichnet sich die Internetkommunikation durch einen schnellen Wechsel immer neuer Angebote aus. Als populärste Formen des Chattens sind neben dem veralteten IRC der Online-Chat und vor allem der Webchat zu nennen (vgl. Wirth 2002: 209). Die bislang jüngste Gruppe stellen Instant-Messenger-Systeme (IMS) und Internettelefonie wie Skype u.a. dar, mit denen sich individuell variieren lässt, ob rein schriftlich oder auch per Video und Telefon kommuniziert werden soll (die gleichzeitige Kommunikation mehrerer Teilnehmer wie im ›klassischen‹ Webchat ist hier zwar möglich, das Zweiergespräch jedoch die Regel; entsprechend kommt das Lurken in den IMS nicht vor, da Personen direkt über ihre Namen angesprochen werden und somit ein gewisser Grad von ›Bekanntheit‹ – und sei es der des Namens – Voraussetzung für das Chatten über die meisten IMS-Systeme ist). Aus mediengeschichtlichen Gründen beziehen sich fast alle Untersuchungen über synchrone Internetkommunikation etwa bis zur Jahrtausendwende auf das IRC-Netzwerk. Für dessen Nutzung wird ein »Client-Server-Prinzip« benötigt und entsprechend arbeitet das IRC-Netzwerk mit einer Client-Software (vgl. Runkehl et al. 1998: 73), wobei der User über Telnet oder mit bestimmten Programmen auf einen Server zugreift. Der User hat also ein ›Client‹-Programm auf seinem Computer zu installieren, das ihn über das Internet mit dem ›Server‹-Programm verbindet. Von den weltweit miteinander vernetzten IRCServern wird für gewöhnlich der nächstgelegene gewählt, in Berlin zum Beispiel der Server an der Freien Universität: http://irc.fu-berlin.de. Ist die Verbindung zum Server hergestellt, muss per Befehl (/join #Channel) der Kanal ausgewählt werden, in dem man chatten möchte. Auf die Metapher des Kanals geht der folgende Abschnitt näher ein. Wer sich davon überzeugen will, wie es um die Nutzung des IRC-Serververbunds steht, der noch lange nach Einführung des World Wide Web einen aktiven und rege genutzten Teil des Internet ausmachte, kann sich auf folgender Seite informieren: http://irc.fu-berlin.de/stat/. Ist der IRC noch ein Chatnetzwerk vor der Ära des WWW, erlaubten Webchats ab Mitte der 1990er die Kommunikation mit jedem beliebigen 163
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Browser (selbstredend wird auch im Webchat via einen Server kommuniziert). Prinzipiell lässt sich jede Website als Chat gestalten bzw. in jede Seite sich ein Chat integrieren (vgl. ebd.: 79). Als vierte Variante – neben IRC, Webchat und IMS – seien hier kurz die Online-Chats erwähnt, die ebenfalls über das WWW operierten, jedoch von großen Providern wie AOL angeboten wurden und sich nicht durchgesetzt haben (vgl. ebd.: 80 und 84). Technisch lassen sich die Möglichkeiten zu chatten also vor allem danach unterscheiden, ob vom Nutzer ein eigens dafür entwickeltes Programm heruntergeladen werden muss, oder ob man sich über die Webseite eines Anbieters in einen Chatroom einloggt, wie es beim Webchat geschieht. Loggt der Chatter sich in den Chat ein, kann er – je nach verwendeter Metaphorik – einen Raum oder einen Kanal auswählen, in den er sich begeben möchte. Auch das temporäre Eröffnen eigener Räume ist in einigen Chats möglich. Ist die Entscheidung für einen Raum gefallen (beispielsweise das ›Foyer‹ in den dokumentierten Sequenzen), öffnet sich das Hauptfenster, über das der Text-Polylog der angezeigten Mitchatter sowie der eigenen ›Redebeiträge‹ verfolgt werden kann. Zusätzliche Funktionen lassen sich mittels der – in den jeweiligen Chats sehr unterschiedlich gestalteten und angeordneten – Menüzeilen auswählen, etwa um die Räume zu wechseln, die Schriftfarben zu ändern etc. Weiterhin ist die Möglichkeit gegeben, sich die Namen der übrigen anwesenden Chatter sowie die verschiedenen Räume und die Anzahl der darin aktiven Nutzer anzeigen zu lassen. Der Übergang vom IRC zu den Web-basierten Chats geht mit einer wesentlichen Verschiebung der verwendeten Metaphern einher. Während die Vorstellung des IRC von der Metapher des Kanals bestimmt wurde, verallgemeinerte sich die Bebilderung der Chatumgebung in den 1990er Jahren zum Raum bzw. Chatroom. Tatsächlich findet sich die inzwischen beinahe universell eingesetzte Metapher des Chatrooms noch nicht in der Sprache des Internet-Relay-Chat, wo man noch immer von Chat-Channels spricht. Reid (1991) führt das »Konzept des Kanals« als den entscheidenden Unterschied zwischen dem IRC und dessen Vorläufern an. Die Differenz zwischen dem Kanalsystem im IRC und älteren Systemen rühre daher, dass etwa bei ›talk‹ und ›voice‹ lediglich zwei Personen zur selben Zeit kommunizieren konnten. Der IRC dagegen musste schnell einen Weg fi nden, die unüberschaubare Anzahl der Teilnehmenden zu verwalten und zu sortieren. Die Raumvorstellung sowie die sprachliche Gliederung elektronischer Umgebungen sind an Verwaltungs- und Sortierungsvorgänge gebunden, die letztlich durch Schnittstellen und vor allem menschliche Wahrnehmungskapazität bestimmt werden: »On IRC however, where two or three hundred users [instead of two; Anm. A.T.] is the normal population, such a system would create chaos. It was therefore necessary to
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devise some way of allowing users to decide whose activity they wanted to see and who they wanted to make aware of their own activity. ›Channels‹ were the answer« (Reid 1991).
Dasselbe Phänomen beziehungsweise Problem ergab sich noch vor wenigen Jahren für den Lycos/Yahoo-Chat. Wer diesen Chat betrat, der einem Schiff nachempfunden war, erreichte als erstes die so genannte Landungsbrücke, die dem Foyer anderer Webchats entsprach. An den Wochenenden und zu beliebten Plauderzeiten fand man darin, oder eher: darauf mehrere hundert Teilnehmer. Begeben sich zu viele Personen gleichzeitig in einen Chatroom, ähnelt dies einem ›Selbst-Spamming‹ des Chats. Aus der Notwendigkeit, Übersichtlichkeit für die unzähligen Nutzer des IRC-Netzwerkes zu schaffen, ist in der Argumentationslinie eine Wahl geworden – eine Wahl der Gesellschaft, mit der man sich im Internet umgeben möchte bzw. welche man meiden möchte. Hierbei können die Namen der Kanäle, etwa #berlin, als Anhaltspunkte und Anregung dienen, wohin oder zu wem man sich gesellen möchte. Doch werden damit nicht nur eine medientechnische Fragestellung und ein Verwaltungsproblem in ein Angebot und eine Wahl umgemünzt. Während bei Reid lediglich zu lesen ist, »such a system would create chaos«, müsste die Frage lauten, was die Ursache der Schwierigkeiten bildet. Stellt die Rechenleistung, tausend Beiträge zugleich zu verarbeiten, offensichtlich nicht das Problem dar, bleibt die Rahmung durch die Schnittstelle unhinterfragt. Nicht zuletzt begrenzen Aufmerksamkeit und Wahrnehmung die Darstellungsmenge der Textkurznachrichten, welche den Chat verkörpern. Es sind die Sinne des Mensche, die nach einer übersichtlichen Textmenge und Serialität der Beiträge verlangen. Stattdessen legen die Formulierungen Reids nahe, der Engpass bzw. eigentlich die Übergröße erscheine ausschließlich als Problem des technischen Systems. Beim Starten des IRC-Programmes ist der Nutzer zunächst nicht in der Lage, andere Teilnehmer und deren Aktivitäten zu verfolgen. Um dies tun zu können, muss er einen der Kanäle auswählen und sich ›hineinbegeben‹, indem er den Enter-Befehl mit dem Namen eines Channels absendet. Existiert bereits ein Channel mit dem gewählten Namen, wird der Name des Nutzers der Liste der anwesenden Chatter in diesem Kanal hinzugefügt. Sollte der Channel-Name noch nicht vergeben sein, eröff net IRC einen neuen Kanal und fügt den Nickname des Nutzers der Liste der Anwesenden in diesem ›Raum‹ hinzu, der nun auch anderen Nutzern zugänglich ist. Zugleich erhält der erste Nutzer die Funktion des ›Channel-Operators‹, der mit spezifischen Privilegien ausgestattet ist. So hat der ›Operator‹ etwa die Möglichkeit, andere Chatter aus dem Raum zu verbannen oder seine Operator-Funktionen jemand anderem zu übertragen. Auch kann er den Kanal 165
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so gestalten, dass dieser nur auf Einladung hin genutzt werden kann und für die Ungeladenen unsichtbar bleibt. Außerdem lässt sich die absolute Nutzermenge eines Kanals auf eine bestimmte Größe beschränken. Darüber hinaus ist es möglich, eine Liste der Chatter zu erfragen, sowie der von ihnen genutzten Kanäle. Das IRC-System verfolgt, wer welchem Kanal beigetreten ist und stellt sicher, dass nur die Nutzer desselben Kanals einander sehen können. In den meisten Webchats bekommt der User dagegen zunächst den Akt des Einloggens metaphorisch als Systemmeldung übersetzt. Im Webchat www.metropolis.de war dabei in der Tradition des IRC die Metapher des Kanals noch lange gebräuchlich. Doch viele Webchats bedienen nicht die Kanalmetaphorik, sondern eine allgemeine Raummetaphorik: Die Annoncierung des Betretens und Verlassens des Raumes stellt dabei zunächst eine metaphorische Umsetzung des Ein- und Ausloggens dar, schaff t aber zugleich ein starkes Bild der An- und Abwesenheit. Das System grüßt und verabschiedet automatisch (vgl. Hess-Lüttich/Wilde 2003: 165). Im digitalen Klatsch spielen diese Akte eine prominente Rolle, werden jedoch als ›reine Systemmeldungen‹ häufig als sekundär und nicht zur ›eigentlichen‹ Kommunikation gehörig erachtet. Die beständig in den Polylog eingestreuten Systemmeldungen, welche ›Kommen und Gehen‹ anzeigen, schaffen eine metaphorische Membran des Chats, die Innen und Außen überhaupt erst zu differenzieren vermag. Die Raummetapher der Webchats ersetzte nicht nur den Kanal des IRC, sondern beerbte auch die Metaphorik der MUDs, die selber wiederum der Pen & Paper-Rollenspielkultur entlehnt wurde. So hatte die Verwendung von Metaphern des (elektronischen) Raumes deutlich vor Einführung der Chatnetzwerke wie dem IRC Einzug gehalten. Dennoch ließe sich im Feld der quasi-synchronen Internetkommunikation bei der Wahl der konstitutiven Metaphern vorsichtig von einem ›spatial turn‹ sprechen. Die Geschichte verschiedener Metaphoriken – Multi-User-Dungeon, Kanal, Chatroom – gibt Auskunft darüber, wie der Chat zum Chatroom wurde.
D A S M ÜHLENPR INZ IP Die Beiträge werden vom Server in der Reihenfolge des Eintreffens entsprechend ihrer zeitlichen Abfolge zum sicht- und lesbaren Chat-Protokoll zusammengestellt. Bittner bemerkt, dass der Chat nichts anderes darstelle als die räumliche bzw. serielle Darstellung der komplexen Zeitstruktur aller Sendungen; die Zeitbezüge der eintreffenden Beiträge werde »in eine räumliche Struktur überführt« (Bittner 2003: 196; vgl. Garcia et al. 1999), so dass der Chatpolylog immer auch eine Dokumentation der Servertätigkeit ist. Die Herstellung der Serialität durch den Server – oder von einem menschlichen Moderator übernommen – heißt »Mühlen-Prinzip«, denn 166
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wer zuerst kommt, hat den Vortritt (vgl. Storrer 2001: 12; Hess-Lüttich 2002: 206). Prinzipien der mittelalterlichen Mühlenwirtschaft und alte Rechtsgepflogenheiten stellen also die Metaphern für das ›Client-ServerPrinzip‹, nach dem viele Chat-Systeme wie der IRC arbeiten, bereit. Zur Wahl dieser eigentümlichen Bezeichnung sei angemerkt, dass hier wie bei Einführung der ›Channels‹ eine medientechnische Anordnung in ein soziales Arrangement übertragen wird. Das »Mühlen-Prinzip« bedient Bilder aus Ökonomie und Arbeitswelt und stellt dabei Umgangsregeln für Konkurrenzsituationen unter prinzipiell Gleichen auf. Schon der Müller funktionierte wie der Server als ›Hub‹ bzw. Teil eines Netzwerks: »Der Müller steht nicht mehr nur im Gehäuse der Maschine, die ja ein Netz von Ordnungen geworden ist, sondern im Knotenpunkt, etwa zwischen dem bäuerlichen Getreidebau und den weiterverarbeitenden Bäckern« (Bahr 1983: 361). Der Ausspruch ›Wer zuerst kommt, mahlt zuerst‹ bezieht sich primär auf bestimmte Formen der Rechtssprechung. Im Unterschied zu Herrenmühlen, in denen das Getreide des Herren stets bevorzugt behandelt wurde, galt für die Kundenmühlen des Mittelalters der Zeitvorrang (vgl. Röhrich 1992: 990). Das Getreide musste in der Reihenfolge gemahlen werden, in der es abgeliefert wurde. Mit dem Sprichwort verallgemeinert sich das Prinzip der zeitlichen Reihung auf andere Bereiche: »Vom Spezialfall der Mühle erweiterte sich der Sinn des Sprw. auf andere Rechtslagen, bei denen der Zeitvorrang maßgebend ist, entspr. dem lat. ›Prior tempore potior iure‹« (ebd.). Rückbezogen auf das Chatten verwandelt das Bild der Mühlenwirtschaft den Server in einen Dienstleister, der sich wiederum der Zeit als Regulativ einer – im Chat zunächst gar nicht evidenten – Konkurrenz um die ›Redereihenfolge‹ zu unterwerfen hat. Der Zeit und indirekt dem Server wird damit der Platz von juristischen Dritten zugewiesen, die zwischen zwei gleichrangigen Parteien zu entscheiden haben. Wie zu zeigen sein wird, erhalten der Server und seine Aktivitäten nicht nur im Diskurs über das Medium Chat, sondern auch in den Akten der Chattenden den Platz eines entzogenen und damit neutralen Dritten zugeteilt. Leidenschaftslos, wie ein neutraler Dritter, reiht die Maschine die Beiträge zu linearer Sequenz (vgl. Hess-Lüttich 2002: 206). Das Mühlen-Prinzip ist maßgeblich an der Zusammenstellung der lesbaren Textgestalt der Chatsendungen beteiligt. Aus ihm resultiert auch die vielfach beschriebene Durchmischung verschiedener Gesprächsfäden. Hierfür führt Storrer als weiteren Grund an, dass die Kommunizierenden einander beim Schreiben nicht sehen können: »Die Unsichtbarkeit der Textproduktion führt nicht nur zu der bereits erläuterten Verschränkung mehrerer Gesprächsstränge. Sie kann auch – wenngleich weitaus
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seltener – innerhalb ein- und desselben Gesprächsstrangs zu Überkreuzungen von Sprechhandlungssequenzen führen« (Storrer 2001: 12).
Abschließend sei angemerkt, dass der Bildschirm durch das Mühlenprinzip zur Darstellung einer Zeitachse wird. Die Zeilennummerierung (vgl. Anhang) ist zugleich eine Dokumentation der zeitlichen Abfolge, in der die gesendeten Nachrichten beim Server eingegangen sind. Am Mühlenprinzip wird nochmals überdeutlich, dass nicht das Eintippen oder Drücken der Enter-Taste, sondern die »Rückübermittlung seitens des Servers« (Wirth 2002: 213) die Mitteilung zu einer Mitteilung und einem Chatbeitrag macht.
A KRON Y ME
UND
E MOT ICONS
Witz, Humor und Klatsch haben sich sprachlich wie sozial als eng verwandt erwiesen. In den Archiven der Chatsprache und Ikonographien fi nden sich sowohl im Feld der Kürzel bzw. Akronyme als auch bei den Emoticons ganze Paletten an Zeichen für Heiterkeit, Lachen, Gelächter und Grinsen: *lol*, die Abkürzung für Englisch ›laughing out loud‹, ist neben dem lachenden Smiley der Klassiker des Chatselächters. Zu nennen ist auch das Spielerische *rofl*/*rotfl*, ›rolling on the floor laughing‹, daneben finden sich *bg* für ›big grins‹, *bvl* ›brüllt vor Lachen‹, *ig* ›ironisch Grinsen‹, *frins* ›fieses Grinsen‹ usw. Die bereits erörterte Eile und Knappheit im Chat drückt sich nicht zuletzt in der absoluten Länge des ›Gesagten‹ aus. Selten ist ein Beitrag länger als eine Zeile. Runkehl et al. (1998: 85) haben in ihrer Untersuchung einen Mittelwert von 4,8 Wörtern pro Beitrag ermittelt. In der Regel können im Chat deshalb auch keine langwierigen Witze ausgebreitet werden, weil allein die Zeit fehlt, die Erwartung eines Witzes zu wecken; geschweige denn reicht sie aus, eine längere, sich steigernde Erzählung mit Pointe zu platzieren (vgl. Bittner 2003: 239). Überhaupt hält sich kein Gesprächsthema lange. Vielmehr werden die Gespräche häufig selber thematisch und entwickeln sich zu aufeinander verweisenden Ketten. Für die Frage nach der Rolle von Komik und Humor in der Internetkommunikation ist die Geschichte der Entwicklung des ersten Smileys in den frühen achtziger Jahren von Interesse, spielte dabei doch der Humor, genauer gesagt dessen Verkennung, die entscheidende Rolle: In den Diskussionen im Online Bulletin Board an der Carnegie Mellon University, wo der Erfinder des Smileys Scott Fahlman 1982 unterrichtete, ergaben sich häufig Schwierigkeiten, weil ironische oder sarkastische Bemerkungen und Witze nicht verstanden wurden und endlose Streitigkeiten auslösten, die jede Diskussion verunmöglichten. Die Fehlinterpretationen gingen mitunter so weit, dass humoristische Anmerkungen für ernstzu168
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nehmende Sicherheitswarnungen gehalten wurden. Während einer solchen Debatte entstand der – zunächst selbst nicht ganz ernst gemeinte – Vorschlag, ein eigenes Zeichen zur Markierung von Witzen einzuführen. Nachdem mehrere »joke marker« vorgeschlagen worden waren, überzeugte Scott Fahlmans Idee, die ikonographische Darstellung eines lächelnden menschlichen Gesichts aus Satz- und Sonderzeichen nachzubilden: 19-Sep-82 11:44 Scott E Fahlman :-) From: Scott E Fahlman I propose that the following character sequence for joke markers: :-) Read it sideways. Actually, it is probably more economical to mark things that are NOT jokes, given current trends. For this, use :-( (http://research.microsoft.com/~mbj/Smiley/Smiley.html)
Das Vorgehen mutet zunächst paradox an und erinnert an die jedermann bekannte Situation, in der ein Witz nicht als solcher verstanden wird und erst recht nicht mehr zum Lachen reizt, wenn der Erzähler wütend ausruft: Das ist ein Witz! Gerade Lachen lässt sich nicht erzwingen, weshalb vielleicht übermäßig eingesetzte Smileys nicht nur auffordernd, sondern befehlend wirken. Zudem lacht eben nicht der Erzähler – schon gar nicht beim Erzählen – der Witze, sondern der Zuhörer; der Witzemacher lacht dagegen erst rückwirkend, ja nachträglich (vgl. Weber 2002: 189f.). Nichtsdestotrotz wurden die Emoticons ein beliebtes Mittel sowohl in der E-MailKommunikation, als auch in Foren, Chatrooms und anderen Formen elektronisch vermittelten Austausches. Wie ihr Name – emotive Icons – bereits besagt, interpretiert man sie gewöhnlich als Zeichen emotionaler Zustände, und ihre Wirkung wird meist mit der Imitation mimischer Expression gleichgesetzt, die einen Kontext des Geäußerten schaffen solle. Durch Anlehnung an existierende Formen von Körpersprache, Gestik und Mimik würde deren Fehlen im Chat kompensiert und auf veränderte, textbasierte Weise weitergeführt (vgl. Schmidt 2000: 122). Keine Lesart des Smileys weist auf etwas anderes als einen mehr oder weniger gelingenden ›Mimik und Gestik-Ersatz‹ hin. Besonders die komische Wirkung einer Aussage scheint auf Gebärden angewiesen zu sein, wie die Schwierigkeiten in der frühen Computerkommunikation verdeutlichten: »Auf der Scheidung von 169
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Aussage und begleitenden Gebärden (im weitesten Sinne) beruht auch der Charakter der Komik, der als ihre ›Trockenheit‹ bezeichnet wird« (Freud GW VI: 199, Fußnote 1). Im Falle der schriftlichen Darstellung könne die ironische Distanz übrigens auch durch kleine stilistische Anzeichen zu verstehen gegeben werden (ebd.: 198). Offenbar war im elektronischen Postverkehr kein Raum für diese Mittel, weshalb die Smileys den Platz als Textgebärden einnahmen. Aber sind Emoticons und Akronyme wirklich primär als Nachahmung zu verstehen? Bestand ihre Funktion nicht vielmehr zunächst darin, eine mögliche Distanzierung des Autors und daran anschließend des Lesers zum Text anzudeuten? Zumindest die frühesten Smileys wären somit eher als Appell zum mehrdimensionalen Lesen, zum Erwägen einer Möglichkeit des Unernsten zu verstehen denn als reine Imitation von Gelächter. Umgekehrt hieße das auch, die von Freud in Klammern gesetzte Anmerkung Ernst zu nehmen und den Gebärden andere Mittel zur Seite zu stellen, die eine Unterbrechung des Gesagten herbeiführen und so eine komische Wirkung und Ironisierung befördern helfen. Seine Treffsicherheit hat das Smiley, wo es Unsicherheit erzeugt. Einem ›Stolperstein‹ gleich, erinnert es an die Möglichkeit und Dimension des Unernsten und fordert zu einem Lesen auf, das einer Mehrdeutigkeit der Aussage eingedenk bleibt. Die Absicht der Imitation dagegen ist zu hinterfragen – vor allem in ihrer Möglichkeit, aber auch in ihrer Intention. Unbestritten ist allerdings, dass insbesondere die Akronyme und Emoticons zu einem fluiden, spielerischen Umgang mit der Schrift auffordern und derart zu einer spezifischen Ästhetik des Chattens beitragen.
Z USCHRE IBUNGS T URNS Im Folgenden soll ein Materialausschnitt vorgestellt werden, der das Spiel mit der Zwitterhaftigkeit des Mediums dokumentiert und als sprachliche Spezifi k des Chats den Zuschreibungsturn oder die Rede in der dritten Person veranschaulicht. Eine am späten Abend geführte Unterhaltung ist zum Albern und Flirten übergegangen, bis einer der Teilnehmenden das Geschehen negativ kommentiert und ein doppeldeutiges Spiel mit seinem/ ihrem Namen treibt. Realisiert wird die – vielleicht nicht intendierte – komische Intervention mittels einer Äußerung in der dritten Person. Dabei erscheint der ›Nick‹ als Satzbeginn, weil das Chat-System den Namen automatisch in die Subjektposition rückt. Es findet also eine ›Umwandlung‹ des implizit gelassenen ›Ichs‹ der Beiträge in die dritte Person statt. In ihrer Eigenart, die direkte Rede zu unterbrechen, gleichen diese Beiträge Regieanweisungen, häufig genutzt als Kompensation fehlender Aktionselemente sowie zur Zustandsbeschreibung einer Person (vgl. Schmidt 170
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2000: 123; Wirth 2002: 226), so z.B. [Maria holt sich einen Kaffee] oder [peterle raucht]. Im folgenden Beispiel wird dadurch in kritischer Absicht eine Außenperspektive des Gesprächs eingenommen: [Das-Niveau sinkt] Hungry-Sally> wi lange soll ichn noch warten hee?? Mirgehtssupi> sound du bist echt ne kleine Mannszicke :-)) pantera81> santaaa>isch schdreischel misch santaaa> :D theinsound> na und +++ Steffel3108 betritt den Raum theinsound> okay Mirgehtssupi> oh sally oh Neris> bye schlomo Das-Niveau> Seit ihr bescheuert??!!? Mirgehtssupi> *g* pantera81> seid nicht seit Neris> seid ihr bescheuert theinsound> ich sgate ja ich hab kei lust auf nix Neris> heisst das theinsound> eben sofaSurfer> seid ihr alle hacke? tOm wechselt in den Raum über 30! diehausmeisterin> seit pantera81> ja haha +++ Freya- betritt den Raum theinsound> na hauptsache niveau! theinsound> pah! +++ Lucy betritt den Raum Das-Niveau> Merc @ Neris.
Ein/e Teilnehmer/in hat sich ›Das-Niveau‹ genannt. Seine Intervention lautet [Das-Niveau sinkt]. Als eine unmittelbare Reaktion auf diese Bemerkung ausbleibt, wechselt ›Das-Niveau‹ in den Modus der direkten Anrede und bekräftigt seine Kritik, wobei ihm ein Rechtschreibfehler unterläuft, der von verschiedenen anderen Chattern verbessert wird. ›sofaSurfer‹ wiederholt, einem Echo ähnelnd, mit seinem Beitrag ›Das-Niveau‹: »seid ihr alle hacke?«, diesen damit jedoch in die Kritik einbeziehend. Neben der unfreiwilligen Selbstironie, sich in fehlerhafter Sprache über einen mangelnden Standard zu beklagen, verdeutlicht die Szene die Ambivalenz des Chattens und dessen Ironie. Im Gegensatz zu anderen Pseudonymen ist ›Das-Niveau‹ weder ein als solcher kenntlicher Personenname wie ›Marion‹, noch ein 171
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verniedlichendes Neutrum wie ›Sternchen‹, sondern kann ohne Zusätze als Anfang eines beliebigen Satzes fungieren. Weniger leicht verständlich, aber möglich wäre auch die Nutzung der ›direkten Rede‹: »Das-Niveau> sinkt«. Seinen Reiz gewinnt dieses Spiel erst dadurch, dass hier im selben Ausdruck sowohl eine allgemeine Anmerkung als auch eine selbstreferentielle Geste des Teilnehmers – konkretistisch gesprochen: seine vermeintliche Stellung im ›Raum‹ – vorliegt. Eben dies wird auch gegen ihn oder sie gewendet, wenn der Teilnehmer ›theinsound‹ ironisch anmerkt: »na, Hauptsache Niveau!« und damit die ›Hochnäsigkeit‹ des anderen vorführt: Schließlich ist ›Das-Niveau‹ selber an der ›sinkenden‹ Qualität aktiv beteiligt, wenn ihm in seinem eigenen Angriff Rechtschreibfehler unterlaufen. Derart tritt die zwitterhafte Chatkomik hervor: Weder würde der Satz ›Das Niveau sinkt‹ in einem Fliesstext für sich genommen komisch wirken, noch könnte sich jemand in anderen Kontexten den Namen ›Niveau‹ oder ›Das-Niveau‹ geben und von dieser Position aus sprechen. Indem [Das-Niveau sinkt] im Zwittermedium ein Doppeltes wird, eine herkömmliche Aussage wie auch die Rede einer bestimmten Person, führt dieser Satz den Akt des Lesens als solchen vor: Er wird zur Maske und entlarvt zugleich den Satz als Akteur.
V ERBLE T Z T KONS T RUK T ION , V ERBS TAMMBILDUNG , I NF LEK T I V »Infinite Verb-Letzt-Konstruktion« tauften Runkehl et al. (1998: 109) ein für das Chatten typisches sprachliches Merkmal: In Asteriske (*) gesetzte Verbstammbildungen wie zum Beispiel: *augenbrauehochzieh* (vgl. Sequenz »Kerstin«)
Nach Bittner (2003: 245) drücken diese Bildungen immer ›Handlungen‹ aus. Ihre Funktion geht also über eine reine Begleitfunktion der Beiträge hinaus, welche den Akronymen und Emoticons nachgesagt wird. Damit ähneln die Verbstammbildungen den Zuschreibungsturns, die als das hauptsächliche ›Aktionselement‹ des Chattens gelten (ebd.). Wie die Zuschreibungsturns ermöglichen die Verbstammkonstruktionen, eine Außen- und Metaperspektive des Gesprächs einzunehmen (vgl. oben). Ähnlich wie bei anderen sprachlichen Formen lässt sich für einige Inflektive beobachten, dass sie eine Konventionalisierung erfahren, z.B.: *grins* oder *knuddel*. Dennoch erlauben sie vergleichsweise viele Neubildungen, da sie ad hoc konstruiert und verstanden werden können (ebd.: 245). Ein Akronym etwa wird selten verstanden, bevor es nicht erläutert wird (›lmw‹ beispielsweise kann vieles bedeuten und muss als Abkürzung für ›lach-mich-weg‹ be172
4. Digitaler Klat sch: Das Chat ten
kannt sein). Die prädikativ gebrauchten Verbstämme aus der Chatsprache werden mit Cartoons und Comics, und insbesondere der Übertragung und Übersetzung der englischen ›sound-words‹ aus den englischen in die deutschen Comics, in Verbindung gebracht (vgl. Runkehl et al. 1998: 106f.).
N ICKNAME Die Frage der Nicknames oder ›Nicks‹ ist für die Nutzer eine der sensibelsten (vgl. Reid 1991), kommt die unerlaubte Nutzung eines fremden Namens doch einem ›Identitätsraub‹ gleich, was im IRC zu Beginn tatsächlich leicht möglich war. Die hohe Bedeutung, die Nicknames beigemessen wird, verdeutlicht sich bereits darin, dass die Wahl des Namens nicht nur als ›Ausdruck von Individualität‹, sondern als »ritueller Akt« (Crystal 2001: 159) bezeichnet wird. Den Nick (wie inzwischen auch die Farbe der Beiträge) wählen die Chatter selbst – ein Privileg des Chattens vor anderen Kommunikationsformen (vgl. Wirth 2002: 218), das es zum entscheidenden Element der Schaff ung von ›Online-Charakteren‹ macht. Gewöhnlich wird dem Namen eine Signalwirkung oder auch »indexikalische Funktion« (ebd.) zugesprochen, was beim Vergleich einiger Beispiele unmittelbar einsichtig ist: Jemand, der sich ›superkätzchen‹ (vgl. Sequenz »Meine Frau geht fremd«) nennt, wird beim Kennenlernen anders adressiert als ›derhausmeister‹ (vgl. Sequenz »Kerstin«). Mitunter könne es von der Namenswahl abhängen, ob überhaupt die Kommunikation zustande komme, deretwegen ein Teilnehmer den Chat ›betreten‹ hat (vgl. Hess-Lüttich/Wilde 2003: 165). Kurzum, der Name ist einer der »Schlüssel zur Kontaktaufnahme« (Sassen 2000: 99). Eingeschränkt wird die Freiheit der Namenswahl allerdings durch die Gewohnheit vieler Nutzer, sich verschiedene Namen zu ›sichern‹. In beliebten Chats und Internetdiensten kann es inzwischen ein schwieriges Unterfangen sein, noch unvergebene Namen zu finden, was die oben geschilderten Wünsche des Auftretens wenn nicht einschränkt, so doch mitgestaltet. Bei den Beschreibungen der Namensgebung fallen häufige Vergleiche mit bürokratischen Vorgängen auf: So nennen Hess-Lüttich und Wilde den Nickname eines Teilnehmers den »Ausweis der von ihm gewählten (virtuellen) Identität als Teil seiner medialen Selbstinszenierung« (ebd.; Hervorh. A.T.), während er laut Wirth gar die »Funktion einer Signatur« (Wirth 2002: 218; Hervorh. A.T.) übernimmt, die den Chatter für die »Zeit seiner Telepräsenz ›unverwechselbar‹« (ebd.) mache. Allerdings ist die von Wirth benannte ›Unverwechselbarkeit‹ eines Chatters erst nachträglich im IRC eingeführt worden, wie die von Reid dokumentierte Geschichte des Chattens offenbart: Im Laufe der Zeit entwickelten Nutzer den ›IRC-Service‹ (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Internet_Relay_Chat) ›Nickserv‹, 173
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der die Registrierung eines bestimmten Namens auf einen Nutzer erlaubt, welcher von einer bestimmten IP-Adresse aus auf den IRC zugreift (vgl. Reid 1991). Seit Einrichtung des ›Nickserv‹ verlangt das IRC-Programm von jedem Teilnehmer den Gebrauch eines einzigartigen (»unique«), von niemand anderem genutzten Nick. Beim Registrieren eines neuen Nicks wird dieser mit den bereits in Nutzung befindlichen Namen abgeglichen: »Furthermore, the IRC program will not allow two users to adopt the same nickname simultaneously. The program design is so structured as to refuse a user access to the system should he or she attempt to use the nickname of another user who is online, regardless of whether their nickname is registered. The user must choose a unique nickname before being able to interact within IRC. Names, then, as the primary personal interface on IRC, are of great importance. One of the greatest taboos, one that is upheld by the basic software design, is the use of another’s chosen nickname« (Reid 1991).
Hierzu wäre noch viel zu ergänzen, angefangen bei der Bezeichnung des Namens als »personal interface«, worin sich die gesamte Frage der OnlineIdentität zu wiederholen und zu verdichten scheint, bis hin zur erstaunlichen Feststellung, dass bereits in der frühen Internetkultur die vielfach beschriebenen Maskeraden und Identitätsspiele ihre Grenzen hatten (vgl. Scherer/Wirth 2002). Meist lediglich in seiner sozialen Bedeutung für die Chatgemeinschaft besprochen, handelt es sich bei der Entwicklung von ›Nickserv‹ um eine folgenreiche Neuerung, werden damit doch IP-Adressen und Internet-Pseudonyme aufeinander abbildbar. Umgekehrt wird der Nick zur ›Maske‹ der IP-Adresse: »Diese [IP-Adresse; Anm. A.T.] ermöglicht über den Umweg des genutzten Computers die Identifizierung des Nutzers, selbst dann noch, wenn dieser sich mit einem Pseudonym bzw. einem Nickname maskiert« (Wirth 2002: 218). Jenes Element der ›Vereindeutigung‹ und ›Vereinzelung‹ eines Namens ist im Übrigen auch von der IRC-Kultur in die Kultur der Webchats übergegangen. Im Rahmen des Gesprächsszenarios kommt der Nennung des Nicknames die Funktion zu, jeden Satz zur ›Aussage‹ einer als einzeln gesetzten Position oder ›Person‹ zu machen. Hier setzt sich die ›Vereinzelung‹ fort und verwandelt den Text des Chattens vom Fließtext in einen Polylog.
V ORGE S T ELLT
S Y S T EMMELDUNGEN : B E I SP IEL DIGI TALEN STOLPERNS
AN E INEM
Nicht selten finden im Chatroom Betreten, Verlassen und Wechseln von Räumen statt, die unbeabsichtigt wirken oder zumindest aus der Kommunikation heraus nicht verstehbar sind. Gerne werden solche Situationen 174
4. Digitaler Klat sch: Das Chat ten
von anderen kommentiert, meist auch von den Akteuren selber im Nachhinein aufgeklärt. Im vorliegenden Beispiel bleibt eine Erklärung aus, aber die Aktion wird von einem anderen Chatter aufgegriffen: +++ lara777 betritt den Raum notwehr> ich war letztes Jahr schon aufn hurricane +++ Sportgriller betritt den Raum notwehr> und ich fands toll lara777> hey bin wieder da --- lara777 verläßt den Chat! Sportgriller> darauf haben wir alle gewartet CyberTom verläßt den Chat! Silence19> nu isse nicht mehr da (vgl. Sequenz »0815typ«, Zeile 140-148)
›lara777‹ betritt den Raum und verkündet in die laufende Unterhaltung hinein: »hey bin wieder da«. Unmittelbar in der Zeile darauf liest man jedoch: »--- lara777 verlässt den Chat!«. Dazu äußert ein anderer Chatter trocken: »darauf haben wir alle gewartet«. Indem das vermutlich unbeabsichtigte, zumindest offenbar ungeplante Verlassen des Chats durch ›lara777‹, eine Art digitalen Stolperns also, rückwirkend als ein erwartbares, damit vermeintlich wichtiges Ereignis tituliert wird, bekommt es eine komische Note. Das Beispiel veranschaulicht sehr schön, dass Systemmeldungen fester Bestandteil der Unterhaltung im Chat sind.
G EL IEBT E STÖRER . V ON F L AMING
UND
TROLLEN
Gezielte Beleidigungen, Polemiken, verbale Provokationen und Klatsch werden in Chatrooms, Mailinglisten und Internet-Foren als ›Flames‹ oder ›Flaming‹ bezeichnet; entsteht daraus ein längerer Streit, spricht man von ›Flame War‹ (http://en.wikipedia.org/wiki/Flaming). Turkle (1998: 442; Anm. 4) charakterisiert diese ausgedehnten Streitgespräche als Meinungsäußerungen, die keinen Kompromiss dulden. Der Ausdruck ›Flaming‹ wurde sowohl in die Forschung wie den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen, wobei man negative Implikationen der Metapher hervorhob (vgl. Joinson 2003: 64): »The term has evolved in the popular literature so that lay observers commonly represent fl aming as a highly negative message that functions like a metaphorical fl amethrower that the sender uses to roast the receiver verbally« (O’Sullivan/Flanagin 2003: 70).
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›Flames‹ wurden auch als »incendiary messages« definiert (Thamosaitis 1991, zit.n. Thurlow et al. 2004: 70) bzw. »inflammatory remarks« (Bernthal 1995, zit.n. Thurlow et al. 2004: 70). Weiter fasste man darunter: »impolite statements« (Joinson 2003: 65), den Gebrauch des Superlativs, »›typographic energy‹ (e.g. exclamation marks)« und Fluchen (ebd.), so dass die mangelnde Einigkeit über die Definition und die große Bandbreite an Phänomenen, die darunter subsumiert wurden, vielfache Kritik erfahren haben (vgl. Thurlow et al. 2004: 72; O’Sullivan/Flanagin 2003: 70 und 72; Joinson 2003: 64).5 Das Etikett ›Flaming‹ diente schließlich dazu, alle vermeintlichen Negativ-Aspekte der Internetkommunikation zu versammeln (vgl. O’Sullivan/Flanagin 2003: 70). Man identifizierte damit gar die ›dunkle Seite‹ der Informationstechnologien schlechthin: »These characterizations in the popular media have framed scholars’ assumptions about the nature of the phenomenon, while contributing to both policymakers’ and the general public’s anxiety about the negative consequences of the internet« (ebd.: 71).
Häufig wurden ›Flaming‹ und ›Flame Wars‹ als ›Versagen‹ der Kommunikation beschrieben, welches man auf die kommunikative Inkompetenz des ›Flamers‹ und auf Missverständnisse zurückführte, welche durch die angeblich eingeschränkten Verständigungsmöglichkeiten des Mediums bedingt seien. ›Flaming‹ avancierte zum Hauptunterschied zwischen computervermittelter und so genannter ›Face-to-Face-Kommunikation‹: »In many instances, fl aming is, by definition, something that either only occurs on computer networks, or is more evident on computer networks than face to face. So, 5. Da kein Konsens über die Definition von ›Flame Wars‹ besteht, wird eine große Bandbreite an Stärken und Ausprägungen derselben beschrieben. Weiter gilt zu beachten, dass die Literatur sich – wie oben bereits als Problem für die gesamte Betrachtung der Internetkommunikation beschrieben wurde – meist ohne Differenzierung auf die ganze Gruppe der Computerkommunikationen bezieht (vgl. O’Sullivan & Flanagin 2003); Einer von Turkles Interviewpartnern, ein achtundzwanzigjähriger Computerprogrammierer namens Garrett (vgl. Turkle 1998: 350), brachte Flames dagegen mit der Diskussionskultur in Online-Foren und auf Schwarzen Brettern im Internet in Verbindung: »Nach Garrets Auffassung bilden die meisten Schwarzen Bretter und Diskussionsrunden in der Computerwelt keine kooperativen, sondern feindselige Umwelten, in denen das ›Flaming‹ den Ton angibt, also die Tendenz, zu jedem Thema bösartige und persönliche Bemerkungen beizusteuern« (ebd. : 353). Dagegen beschreibt Garrett die MUDs folgendermaßen: »›In den MUDs‹, sagte er, ›erbauten die Leute gemeinsam eine Welt. Andere zu beleidigen brachte dir keine Anerkennung‹« (ebd.).
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to a degree the definition of fl aming ends up becoming any way in which FtF and CMC differ« (Joinson 2003: 65; vgl. auch Thurlow et al. 2004: 70).
Eigenschaften des Mediums oder das Medium an sich zur Erklärung unerwünschter Phänomene im Internet heranzuziehen, geschieht in zahlreichen Erklärungsmodellen des ›Flaming‹ (vgl. Joinson 2003: 76). Besonders sind hier die so genannten »deficit approaches« (vgl. Thurlow et al. 2004: 70) wie das »Reduced Social Cues Model« (vgl. ebd.; Sproull/Kiesler 1986, 1991) zu nennen. Stark gewichtet wird in vielen dieser Ansätze die ›Reduktion‹ oder gar ›Ausschaltung‹ nonverbaler Signale und anderer Kontextinformationen im (teil-)anonymen Online-Austausch: »A common argument is that CMC, as compared to face-to-face communication, filters non-verbal cues such as gesticulation, facial expressions, tone of voice, and external environmental information« (O’Sullivan/Flanagin 2003: 71).
Dies wiederum führe zu einer verringerten Hemmschwelle, von sozialen Zwängen abzuweichen, und zu einer Missachtung gesellschaftlicher Normen (ebd.). Zwar würden auch Machtunterschiede nivelliert – was am Beispiel des ›Geschlechterwechsels‹ viel diskutiert und idealisiert wurde –, aber Entscheidungen in virtuellen Gruppen fielen polarisierter und riskanter aus. All dies, so häufig die Schlussfolgerung, nähre aggressive Phänomene: »Thus, several scholars have argued that specific characteristics of computer-mediated channels might contribute to the incidence of fl aming and other problematic online interactions« (ebd.).
Insgesamt entsteht ein stark verzerrtes Bild der Internetkommunikation, das sich aus verschiedenen Mythen zusammensetzt. Thurlow et al. gaben ihnen den etwas lapidaren aber treffenden Namen der »›thrill-spill-andkill‹-myths of CMC«: »This is what we nickname the ›thrill-spill-and-kill‹ myth of CMC, by which we mean the exaggerated idea that online communication is all about people: – indulging themselves in abandoned cybersex, gambling and other thrill-seeking activities; – divulging any number of intimate details about themselves and spilling their guts to total strangers; and/or – bombarding everyone else online with an endless stream of rude, insulting, aggressive and infl ammatory remarks – in effect, killing all sense of online harmony« (Thurlow et al. 2004: 70).
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Wie deutlich wird, veranschaulicht ›Flaming‹ detailliert die dargestellte Diskussion über den idealisierten, unvermittelten, ursprünglichen und vor allem störungsfreien ›Vis-à-Vis‹-Dialog, dem gleichsam ›entfremdete‹ Kommunikationsmedien gegenübergestellt werden. Weder ist diese Beurteilung des Chattens aber mit Erfahrungen aus anderen Szenarien der Kommunikation zu vereinen – wir verweisen hier noch einmal auf die ausführliche Diskussion der Medialität des witzigen Dialogs –, die zudem ebenso von aggressiven, störenden Beiträgen geprägt werden, noch verträgt sie sich mit der geschilderten Uneinigkeit bei der Definition des ›Flaming‹. Im ›Flame‹ liegt ein weiteres Beispiel einer Metapher der Internetkultur vor, die eine gravierende Bedeutungsverschiebung erfahren hat: Ähnlich dem Smiley kam dem ›Flaming‹ zunächst keineswegs eine festgeschriebene Konnotation zu; stattdessen verwies es auf unablässiges Geplauder und Witzeln: »In its original format, fl aming referred to incessant talking or wittering. However, later it came to be generally seen as negative or antisocial behaviour on computer networks« (Joinson 2003: 64).
Auch in den ›Gebrauchsanweisungen‹ und Manifesten des ›Flaming‹, die sich im Internet finden, werden andere Absichten und Aspekte zum Ausdruck gebracht, als die gemeinhin angenommenen. Die goldene Regel des ›Flaming‹ offenbart – ganz im Gegensatz zur Aufnahme des Phänomens in Forschung und Öffentlichkeit – gar einen Imperativ: niemals langweilig, sondern immer unterhaltsam zu sein: »The golden Rule of Flaming: May your fl ames be witty, insulting, interesting, paradoxical, funny illogical, caustic, sarcastic, even inconsistent – but never, ever, let them be boring. [# 42]« (www.fl ayme.com/fl ame/12-commandment.shtml).
Das Flame-Manifest entspricht keiner Regellosigkeit, sondern ganz im Gegenteil einem Gebot. So ließe sich das Flaming als Spiel mit der Übertretung der Internetnormen verstehen beziehungsweise als Teil des Verhandelns von Erlaubtem und Unerlaubtem, Ernst und Unernst im Internet. Macho schließt seine Betrachtung über das Interface mit einer kurzen Skizze dieses Spiels (mit) der Regelgenerierung, legt ihm jedoch seinen imaginären Charakter und seine mangelnde Re-Territorialisierbarkeit zur Last. Das Internet erzeuge »elementare Maskierungen« (Macho 1999: 135). Ähnlich wie Turkle hebt er den ›Rollenspielcharakter‹ des Internetaustauschs hervor. Anders als diese spricht er dem jedoch kein befreiendes Potenzial zu, sondern betont, dass die hierdurch ermöglichten Interaktio-
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nen und Interpassionen keinem Charakter, keiner »iterierbaren Subjektivitätsstruktur« (ebd.) mehr zugeordnet werden könnten: »Natürlich ergibt sich daraus nicht bloß das vielfältige Spiel der Übertretung von Verboten, sondern auch das nicht weniger reizvolle Spiel ihrer neuerlichen Generierung und Regulation (»Netiquette«). Im Netz gelten lediglich virtuelle ›Gesetze‹, die allenfalls in Gesetzesdebatten überzugehen pflegen; kein Standpunkt lässt sich erfolgreich (re)territorialisieren« (ebd.).
Die ›Nicht-Territorialisierbarkeit‹ von Gütern, Staaten, Gesetzen und Personen in elektronischen Netzen steht hier nicht im Vordergrund (vgl. zu dieser Frage etwa Engemann 2003). Ob es sich bei den Verhandlungen lediglich um folgenlose nichtige Spiele handelt, oder ob sich nicht an diesen Szenarien bisher kaum zu dokumentierende Strategien und Eigenheiten menschlicher Verständigung ablesen lassen, wird zu diskutieren sein. Die Debatte um die Konstruktion von Identitäten im Netz etwa ließe sich auf diese Weise noch einmal neu erschließen (vgl. Funken 2002). Dann jedoch wäre solch ein Verhandeln in den je spezifischen Kontext der Internetkultur einzuordnen, ohne den es unverständlich bleibt. Der Internethumor und das Flaming sind hervorragende Beispiele für die Notwendigkeit der Kontextualisierung, eine Notwendigkeit, die Freud bereits für feindselige und andere Witze beschrieben hat. Was für den einen nach einer Beleidigung klingt, bringt einen anderen herzlich zum Lachen. Die um Differenzierung bemühten Arbeiten im Bereich des ›Flaming‹ mahnen denn auch an, die Äußerungen nicht zu dekontextualisieren: »Specifically, perspectives on fl aming suffer from imprecision in conceptual and operational definitions that stem from an overemphasis on message content versus message context. In addition, scholars have tended to view it primarily or exclusively as a CMC-based event and have often appeared to assume that fl aming is negative and destructive« (Joinson 2003: 72).
Ähnlich O’Sullivan/Flanagin konstatiert Joinson (2003: 67) eine Tendenz zur Dekontextualisierung des ›Flaming‹ (vgl. auch Thurlow et al. 2004: 74). Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ›Flaming‹ prozessual entwickle sei jedoch weitaus höher, als dass eine einzelne Bemerkung als Auslöser fungiere (vgl. ebd.). Doch für das bessere Verständnis des ›Flaming‹ ist nicht nur unabdingbar, es in Kontexte einzubetten, sondern umgekehrt vermag das ›Flaming‹ Kontexte zu stiften – eine Eigenschaft und Funktion, die in den referierten Ansätzen noch nicht genannt wurde. Durch die Intervention eines ›Flamers‹ bilden sich verschiedene Diskussionsparteien, denen sich die ein179
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zelnen Teilnehmer zuordnen, für die sie Partei ergreifen oder von denen sie sich abgrenzen. Die Gruppe kann sich auch geschlossen gegen den unerwünschten ›Flamer‹ bzw. ›Troll‹ wenden und versuchen, ihn aus ihrem Gespräch auszugrenzen. Durch einen solchen Ausschluss festigen sie ihre Gemeinschaft. In der Macht, vehemente Reaktionen hervorzurufen, die zudem gesprächsstrukturierend wirken, ist vielleicht einer der Gründe zu suchen, weshalb Flaming-Episoden besser erinnert werden als freundliche Gespräche im Netz (vgl. Joinson 2003: 73). Die gute Erinnerbarkeit wiederum habe zu einer ›Illusion der Universalität‹ beigetragen (ebd.). Doch nicht nur halten sich kontroverse Themen, Streitigkeiten, Boshaftes und Zorn im Chatroom länger, sondern sie vermögen es, Langeweile zu vertreiben. Auf diese Weise folgt das ›Flaming‹ dem Gebot, andere zu amüsieren, das in der oben zitierten ›Flaming‹-Regel niedergelegt ist. In der Sequenz »Farbe (be-)kennen« wird deutlich, wie sich einige Teilnehmer mit dem Ärgern einer anderen Teilnehmerin die Zeit vertreiben. Als diese schließlich den Chatroom verlässt, äußern sie ihr Bedauern, während sie sie vorher mit Vorwürfen geradezu überschüttet haben. Das Gebot, ja der Zwang zur Unterhaltsamkeit wird an vielen weiteren Stellen des Materiales deutlich, was auch die verbreitete Vorstellung korrigiert, Chatten sei ein allzu leichtes und jedem zugängliches Mittel der Kommunikation. Ohne vorgegebenes Thema zu kommunizieren, ist nur vorgeblich ohne Zwang und sicherlich nicht ohne Anstrengung: »So macht der Chat bewusst, wie aufwendig und anstrengend es sein kann, Diskurse um ihrer selbst willen zu führen« (Bittner 2003: 259). Ein weiteres Merkmal so genannter negativer Internetkommunikation soll anhand der Internet-›Trolle‹ vorgestellt werden. ›Trolle‹ und ›Flaming‹ bezeichnen nicht selten dieselben Phänomene; die Bezeichnung ›Troll‹ aber bringt stärker als ›Flamer‹ das – auch bösartige – Schalkhafte zum Ausdruck, das den Störungen anhaften kann: Ein ›Troll‹ wird genannt, wer sich in virtuellen Gruppen absichtlich provozierend und anhaltend störend verhält (vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Internet_troll). Als Beispiel mag ein Ausschnitt aus dem untersuchten Chatroom dienen. Der Chatter ›strom‹, der mit seinem Alias beziehungsweise Nickname bereits anzukündigen scheint, dass er ›unter Strom‹ steht oder andere ›unter Strom‹ setzen wird, äußert sich sehr zum Verdruss der übrigen Chatter wiederholt beleidigend gegenüber den Anwesenden; er wird dieses Verhalten über anderthalb Stunden fortsetzen. Zur Erläuterung: Der Chatter ›notwehr‹ hatte vor dem dokumentierten Ausschnitt von einem Sportunfall berichtet, bei dem er sich die Handflächen durch das schnelle Herunterrutschen an einem Seil aufgerissen hatte:
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strom> toll,.abendfüllendes Program,…ein unsportlicher ungeschikter vill ein seil hochkrabbeln und fällt runter,…. notwehr> danke biz :o) Mirgehtssupi> biz ;)) biba --- kranich-m-70 verläßt den Chat! +++ Göttervater-Odin betritt den Raum +++ DerkleineNils betritt den Raum +++ kranich-m-70 betritt den Raum --- Mirgehtssupi verläßt den Chat! DerkleineNils> hi +++ WebDevil betritt den Raum kranich-m-70> bin raus geflogen….hi nochmal strom> .und diese unsinnige geschichte muß ich jetzt lesen .-( biz> ein abendfüllendes programM… ein unsportlicher ungeschiCkter, will ein seil hochkrabbeln und er ist nicht gefallen +++ kätzchen35 betritt den Raum notwehr> strom wer lesen kann… --- kranich-m-70 wechselt in den Raum Über30! +++ janangel betritt den Raum --- DerkleineNils wechselt in den Raum Über20! --- MischaK68 verläßt den Chat! notwehr> außerdem gibt’s noch mehr räume theinsound> siamese twins strom> ok,.so ähnlich,.du bist runtergerutscht,.gleich schlimm biz> noti einfach ignorieren biz> strom…ist da natürlich viel unterhaltsamer biz> was er/sie/es uns gleich beweisenw ird +++ sweet-greek-girl betritt den Raum sweet-greek-girl> re strom> loool,.-loooser aller klassen vereinigt euch @ biz +++ lara772 betritt den Raum (vgl. Sequenz »Strom« Zeile 245-273; Hervorh. A.T.)6
›Trolle‹ versuchen einerseits, Wutz zu evozieren; andererseits wollen sie die Kollektivbildung unterminieren und Einheitsdenken angreifen, ergo als ›advocati diaboli‹ der Internetdiskussion fungieren (vgl. Wikipedia ebd.). Die Figur des Trolls zieht Aggressionen auf sich und macht sich so selbst zur Zielscheibe. Seine Namensgebung speist sich aus zwei Quellen. Weithin wird er als eine Abkürzung des Satzes: »trolling for suckers« angesehen, der wiederum der Trolling-Technik der Sportfischerei entstammt, die 6. Vgl. eine beispielhafte Troll-Sequenz in Runkehl et al. (1998: 77).
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mit der Netzfischerei (Trawling) verglichen werden kann (ebd.). Als zweite Quelle gilt die skandinavische Folklore, in welcher Trolle als hässliche, widerliche Kreaturen beschrieben werden, die Schaden anrichten und boshaften Schabernack im Sinn haben (ebd.). Dotzler hat die Netzmetaphorik mit Text und Gewebe in Beziehung gesetzt: »Sei dahingestellt, wer das Netz als erster oder erste gedacht haben mag. Die Sprache selbst verrät mit Vokabeln wie textere, textum, textus – von Roland Barthes an prominenter Stelle als ›tissu de signifiants‹ (Barthes 1977) paraphrasiert –, dass jedenfalls ihre Welt ein Gewebe ist« (Dotzler 2006: 7).
Dies weist einmal mehr auf die konstitutive Rolle der Metaphern für den Medienverbund Internet hin – von Kanal, Chatroom über Flame als »metaphorical flamethrower« (O’Sullivan/Flanagin 2003: 70) und Troll zum Netz selber, die alle gemäß ihrer im ersten Teil der Arbeit erarbeiteten Doppelfunktion als ›Ausdruck und Verstellung‹ des Mediums aufzufassen sind. Am Bild des ›Fischens‹ und ›Netzeauswerfens‹, das mit dem Trolling bedient wird, sowie an der Weisung, wie mit Trollen umzugehen sei, wird ein Merkmal des ›Flamings‹ deutlich, auf das wir abschließend eingehen wollen. »Don’t feed the trolls!« – man solle sie nicht füttern, ihnen also keine Nahrung, d.h. keinen Platz und keinen Raum bieten und damit keine Aufmerksamkeit schenken. ›Trolle‹ und ›Flames‹ nehmen den Platz für sich ein (›Tragedy of the Commons‹). Anderen den Platz wegzunehmen wie umgekehrt die Schwierigkeit, auf sich aufmerksam zu machen, werden im ›Trolling‹ und ›Flaming‹ thematisiert und inszeniert. Verkörpert wird diese Problematik von den ›klassischen‹ frühen Spammings in MUDs und den ersten Chatsystemen, die das technisch noch nicht unterbunden hatten. Dabei sendete der Troll unzählige Male einen einzigen Satz und verunmöglichte so jede Unterhaltung (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/ Spam#Multi_User_Dungeons_Spam). Inzwischen ist der Terminus Spam vor allem für unerwünschte elektronische Post gebräuchlich (vgl. ebd.). Untersucht wurde das Problem der Aufmerksamkeitsökonomien bislang vor allem an Erotikchats (vgl. Kollmann 2001); es ist aber ebenso virulent in allen anderen Chatrooms: »Die Frage ist demnach nicht, wer sich äußern darf, sondern wessen Äußerungen gelesen werden, auf wessen Äußerungen reagiert wird und welche ignoriert werden« (Schmidt 2000: 118). Vielleicht liegt ein Grund für die relative Vernachlässigung der Frage der Konkurrenz um Aufmerksamkeit (die mit einer Egalisierung und Demokratisierung des Sprechens und Publizierens, das mit dem Internet möglich und gefeiert wurde, einhergeht) im Chat darin, dass es ähnlich dem Gebot der Unterhaltsamkeit die Illusion einer anspruchslosen und gleichsam voraussetzungslosen Internetkommunikation durchbricht. Wirth, der 182
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auch von einem »Buhlen um Aufmerksamkeit« (Wirth 2002: 222) spricht, bringt die Notwendigkeit, Aufmerksamkeit zu erzeugen mit der ›Selbstzweckhaftigkeit‹ des Chats in Verbindung: »›Um seiner selbst willen‹ heißt hier aber auch soviel wie, ›um Aufmerksamkeit zu erzeugen‹. Ignoriertwerden bedeutet den diskursiven Tod, deshalb ist das Chatten ein nicht still zu stellender Flirtdiskurs« (ebd.).
Einerseits können bestimmte ›Flames‹ auch als Klatsch beschrieben werden; andererseits begibt sich ein ›Troll‹ provokativ und absichtlich in die Position des ausgeschlossenen Objektes und erfüllt damit ähnliche, wenn nicht dieselben Funktionen wie das Klatschobjekt. Ohne Zweifel wurden die Kommunikationsmöglichkeiten über Computernetze von Beginn an dazu genutzt, um Späße zu treiben, andere zu beleidigen, zu ärgern, herauszufordern oder gar verbal zu verletzen. Anstatt das Fehlerhafte und Aggressive als integralen Bestandteil menschlichen Umgangs und Nachrichtenverkehrs anzusehen, machten viele Studien dies als Defizit der Technik aus. Übersehen wird dabei, dass das ›Flaming‹ nicht nur ein integraler – wenn auch mitunter enervierender – Bestandteil der Internetkultur ist, sondern dass der Figur des ›Trolls‹ oder ›Flamers‹ als Gestalt der Schalkerie und Clownerie eine wichtige Funktion in den Internetgemeinschaften zukommt, an der sich eine Gruppe abarbeiten und etablieren kann. Die Eingriffe des Störers führen zu einer klaren Parteienbildung: strom> leute….biz und notwehr und was weis ich,.euer langweiliges leben ….k…. langweilt mich *gggg* --- Traumfrau-sucht verläßt den Chat! notwehr> ok --- Göttervater-Odin wechselt in den Raum EINSAMKEIT! notwehr> sorry dafür Makkaroni> ward ihr wieder gemein? lunalie> tut mir auch doll leid…
notwehr> ne makka lunalie> was habt ihr gemacht? biz> *lol* magga… ja wir unterhielten usn… es störte unser rechtschreibgenie strom ;o) --- gundelgaukeley wechselt in den Raum Über30! shadow-83w> aber immer @ andy, musst nur suchen Makkaroni> nja notwehr> makka haste schon überblick wie teuer die atkion war? Makkaroni> also ward ihr doch gemein!
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--- jtheg verläßt den Chat! Makkaroni> is mir egal, noti, der vermieter zahlt ;) biz> nicht mehr als immer magga ;o) theinsound> maggababy!!! notwehr> -t lunalie> man kennt sie ja, wohl,makka-) notwehr> achso strom> nicht rechtschreibgenie,…es ging um das tagesgeschen,…was ein tollpatsch von seilkletterer so anrichten kann Makkaroni> mausiiii =)) *rrrr* Makkaroni> *g* Makkaroni> sie sind immer so, lunalie *g* biz> strom…wer lesen kann ist klar im vorteil ;o) lunalie> wir kenne sie nicht anders:-) Makkaroni> sie sind halt so! Makkaroni> *seufz* lunalie> *mitseufz* (vgl. Sequenz »Strom« Zeile 317-347)
V ORGEHEN Die Überlegungen und Thesen zu Klatsch im Chat beziehen sich auf textbasierte Webchats, die thematisch ungebunden sind und dem Chat um des Chattens willen dient. Eine Mischung aus Öffentlichkeit und Privatheit kennzeichnet den Nachrichtenverkehr im Webchat. Zwar besteht stets die Möglichkeit, sich zu zweit in ein privates Gespräch zurückzuziehen, das von den anderen nicht verfolgt werden kann. In den größeren Räumen, die der Gruppenunterhaltung dienen, herrscht dagegen immer eine Art voyeuristisches Grundarrangement: Nie beteiligen sich alle angemeldeten ›eingeloggten‹ Teilnehmer aktiv an der Unterhaltung. Im Korpus der untersuchten Chat-Protokolle ist jeweils angemerkt, wie viele Chatter ›anwesend‹ waren; während einige wenige, allerhöchstens aber bis zu zehn oder zwanzig Aktive das Gespräch bestritten, sind im selben Zeitraum um ein Vielfaches an Chattern – in den dokumentierten Sequenzen waren es bis zu achtzig oder über hundert Personen – stumm anwesend, d.h. sie ›lurken‹. »to lurk« bedeutet Englisch »lauern, verborgen liegen« (vgl. Runkehl et al. 1998: 73). Die Frage, ob diese Gruppe der passiven Lurker dem Chat zeitgleich lesend folgt, oder ob sie das Chat-Fenster unbeachtet auf ihrem Computer laufen lassen, muss selbstredend unbeantwortet bleiben; das Phänomen des Lurking ist so alt wie das erste Chatsystem IRC selbst: »Teilnehmer können auch passiv dabei sein und ›schweigen‹; in der Spra-
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4. Digitaler Klat sch: Das Chat ten
che der Chatter ›lurken‹ sie dann oder ›idlen‹ nur so herum, auf der Lauer liegend, oder in voyeuristischem Zeitvertreib« (Hess-Lüttich 2002: 198). Neben den Systemmeldungen ist das Lurking ein weiterer ›Rand‹ des Chatrooms, der häufig nicht betrachtet und von der ›eigentlichen‹, aktiven Unterhaltung, die als Protokoll sichtbar vorliegt, gesondert wird. So konstatiert Mayer-Uellner in einer der wenigen Arbeiten hierzu: »Das Schweigen einer ganzen (und vermutlich größten) Nutzerklasse der netzbasierten Kommunikationsprozesse wird gänzlich ausgeklammert – das Schweigen der Lurker« (Mayer-Uellner 2003: 13). Für die Fragestellung ist jedoch das Lurken unter zweierlei Gesichtspunkt wichtig: Wie im vorangegangenen Teil der Arbeit dargestellt wurde, ist für die Situation des Klatsches ein Dreierszenario charakteristisch, das neben dem ›Opfer‹ und den aktiven ›Klatschmäulern‹ von passiven Teilnehmern des Klatsches komplettiert wird. Im Chat nehmen diese passive Position nicht nur diejenigen ein, die nicht unmittelbar im Klatsch involviert sind, aber parallel dazu ›sprechen‹, sondern auch die Lurker. Weiterhin ist es diejenige Position, die für die Aufzeichnung der Sequenzen eingenommen wurde, da sie die am wenigsten intrusive darstellt. Die mit dem Chatten bzw. der Internetkultur einhergehende Verschiebung der Grenze des Öffentlichen und des Privaten (vgl. Willand 2002) stellt auch die Forschung vor einige Schwierigkeiten. Döring (1999: 201) kommt zwar zur Einschätzung, Äußerungen im Internet seien allgemein als ›öffentlich‹ anzusehen. In Webchats wird bei bedenklichen Vorfällen, wie etwa wiederholtem Drängen, eine Telefonnummer herauszugeben, sogar dazu geraten, Screenshots anzufertigen. Ein explizites Einverständnis zur Aufzeichnung von allen Beteiligten wäre zwar extrem wünschenswert (ebd.: 202), ist aber nicht realisierbar. Bittner begründet das Erstellen eines Chatkorpus zu Untersuchungszwecken folgendermaßen und erläutert, warum es nicht möglich war, für die Verwendung jeder einzelnen Äußerung eine Einverständniserklärung einzuholen: »Für die vorliegende Untersuchung wäre ein konsequent es Vorgehen dieser Art aufgrund der hohen Fluktuation in den Chat-Räumen schlichtweg unmöglich gewesen, weil es über die permanente Einholung expliziter Einverständniserklärungen die eigentliche Korpuserfassung sabotiert hätte« (ebd.: 204-205).
Der vorliegende Chatkorpus besteht aus sechs Sequenzen (auch Mitschnitte oder ›Logfi les‹ genannt), die im Rahmen der durchgeführten Untersuchung von 2003 bis 2006 in deutschsprachigen Webchats aufgezeichnet worden sind. Sie stellen eine Auswahl des in diesem Zeitraum gewonnenen Materials aus einem der untersuchten Chats dar. Bei der Materialerhebung in Chats wird auf zwei verschiedene Formen der Dokumentation 185
Klat sch im Chat
zurückgegriffen: Zum einen wird die Erstellung von Screenshots oder, wo das möglich ist, die Speicherung als ASCII-Text über die Kopier- und Einfügefunktion genutzt (»Nach-Schriften«; Bittner 2003: 203). Die Speicherung der dynamisch generierten Seiten im Quelltext ist dagegen nicht möglich (vgl. ebd.: 202). Zum anderen können Filme erstellt werden, um den zeitlichen Verlauf und das Tempo der Quasi-Echtzeitinteraktionen einfangen zu können. Die ›lurkende‹ Teilnahme an der Dokumentation vermag jedoch bereits wichtige Eindrücke darüber zu geben, zumal ein Film genauso eine Überführung in ein anderes Medium darstellt wie die Speicherung der zeitgleichen Chatbotschaften als Text. Es wurde mit Screenshots gearbeitet, die in Textdateien überführt und nachtranskribiert wurden. Hierdurch ist zumindest die Gesamtlänge der dokumentierten Unterhaltung genau benennbar. Das gesamte unmittelbar in der Arbeit verwendete Material wurde im Anhang dokumentiert. Weiteres Material zu verschiedenen Chatformationen findet sich im so genannten Dortmunder Chatkorpus, das vom Institut für deutsche Sprache und Literatur der Universität Dortmund angelegt und für Studien im Bereich der synchronen Internet-Kommunikation online zur Verfügung gestellt wird unter: www.chatkorpus.uni-dortmund.de. Zwar wurden die sprachlichen Besonderheiten von Chats gut untersucht, wie auch die Frage der Identitätskonstruktion, kaum beachtet ist dagegen der längere Verlauf von Internetunterhaltungen. Trotz des schnellen Wechsels von Themen und Teilnehmern lassen sich Dynamiken und Figuren ausmachen – etwa der Ausschluss bestimmter Chatter aus dem Klatsch der übrigen Anwesenden. Diesem Manko der Forschung will die vorliegende Studie einen Versuch entgegensetzen, sieht sich jedoch mit dem Problem konfrontiert, dass kaum auf andere Erfahrungen mit längeren Mitschnitten und vor allem deren Auswertung zurückgegriffen werden kann. Das Vorgehen folgt Freuds Analyse witziger Texte und wendet seine Erkenntnisse auf die Chatsequenzen an, da Freuds Begrifflichkeit für die Auffindung der Gesprächstriaden hervorragend geeignet sind, denen unsere hauptsächliche Aufmerksamkeit gilt. Keinesfalls werden die Texte damit Interviewprotokollen analog gesetzt, wie es in der sozialwissenschaftlichen und psychologischen Internetforschung häufig geschieht, vielmehr will die Studie einen Beitrag zum Verständnis der Medialität dieses Mediums leisten können. Mit dem Ansatz, Chat-Protokolle wie Witze zu lesen, entfällt auch die Frage nach der Ebene des ›Dahinter‹ weitestgehend: ob an einem Chatbeitrag verschiedene Personen mitgewirkt haben, ob sie jung, alt, Mann, Frau oder Maschine sind, ist für unser Vorgehen irrelevant. Unseres Erachtens ist dem starken Interesse an jenem ›Dahinter‹ auch geschuldet, dass die Chat-Protokolle selbst, besonders in längerer Form, sehr 186
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wenig herangezogen werden. Im Verlauf der zweijährigen Untersuchungsphase zeigten sich drei typische Konstellationen und Hauptausprägungen des Klatsches im Chat, die anhand von beispielhaften Sequenzen im Folgenden näher vorgestellt werden: • Klatsch vertreibt die angegriffenen Teilnehmer • Klatsch wendet sich gegen die Klatschenden • Klatsch in Abwesenheit des Gesprächsobjektes Abschließend seien noch einige Bemerkungen zu den auf bereiteten Sequenzen und der Art der Lektüre im Sinne einer kleinen Leseanleitung angefügt: bei Lektüre der Chatsequenzen selber wird die beschriebene Überschneidung der Unterhaltung deutlich. Der Chat liefert keinen abgeschlossenen Text, sofern ein Text das überhaupt sein kann (siehe für eine frühe Diskussion Krajewski 1997: 64f.) und auch kein vollständiges Gesprächsprotokoll, sondern häufig nur ›zerschredderte‹ Fetzen. Gespräche im Chat haben nirgendwo begonnen, brechen ab oder werden an unerwarteten Stellen fortgeführt, wie die Sequenzen belegen. Doch Chat-Kommunikation erschöpft sich nicht in der sinnentleerten Wortkakophonie, ist aber auch nicht der Rorschachtest des Internet. Chatten als sinnlos zu beurteilen, greift bei Weitem zu kurz; genauso wenig lässt es sich als Übergangsphänomen begreifen, welches den Sozialkontakt im ›realen‹ Leben zum Ziel hat. Die Betrachtungen über Witz und Klatsch werden hier zu einer medienkulturanalytischen Betrachtung des Chattens zusammengeführt. Eine mehrfache Funktion kommt dabei dem Witz zu; einerseits dient er als Grundlagentheorie der Medialität des witzigen Dialogs, welche es verbietet, das Chatten einem ›unvermittelten‹ mündlichen Dialog vergleichend gegenüberzustellen. Andererseits erlaubt die am Witz und der Zote abgelesene Figur des Dritten, verschiedene Dreierszenarien im Chatroom zu entziffern und dem Klatsch zuzuordnen. Weiter ist zu fragen, welche Funktion diesen Dreierkonstellationen im Chat zukommt. Mit dieser Frage rückt zugleich diejenige nach der Oszillation von An- und Abwesenheit in den Vordergrund und verbindet sich mit derjenigen nach Medialität des Chattens und damit auch der Räumlichkeit des Chatrooms. Zu betonen ist, dass mit der Betrachtung des Dritten im Chatroom und der Frage nach dem Chatroom als Raum keine Gleichsetzung des Psychischen und der ›Räumlichkeit‹ elektronischer Kommunikation beziehungsweise des Internet erfolgt (vgl. zur Kritik der Gleichsetzung des psychischen Innenraumes und elektronischer ›Räume‹ Angerer 2000: 132f.; Löchel 2002; für die philosophische Betrachtung der ›Räumlichkeit‹ der Seele vgl. Nancy 2003).
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Klatsch im Chat
4.2 Chatsequenzen FARBE ( BE -) KENNEN Die folgende Sequenz zeichnet sich durch ihren Variantenreichtum an Attacken und Sticheleien aus. Sie erstreckt sich über circa eine halbe Stunde. Im Zentrum der Unterhaltung steht ein als weiblich codierter Charakter, der zum Ziel des Klatsches wird, bis er schließlich den Raum verlässt. Aufhänger der Kritik ist unter anderem die schwarze Schriftfarbe seiner Beiträge, die sich von den farbig unterlegten Beiträgen der übrigen Teilnehmenden unterscheidet. Chatten bedeutet auch Interpretation und fortlaufende Kommentierung der minimalen Differenzen in Ausdruck, Namenswahl und Interpunktion.
VORL AUF Der Charakter ›maron14‹ sucht schon seit geraumer Zeit jemanden zum Chatten: maron14> WILL JEMAND MIT MIR CHATTEN BIN W
Um auf sich aufmerksam zu machen, preist sich ›maron14‹ als »W«, weiblich, an, was in Kürze und Telegrammstil des Mediums der Stereotypisierung von Kontaktanzeigen ähnelt. Hier sei nochmals betont, dass sich jede Charakterisierung der Chatter auf textimmanente Figuren und Wendungen bezieht. Für die vorliegende Lektüre ist es irrelevant, ob es sich bei ›maron14‹ um eine Vierzehnjährige handelt, wie der Nickname andeuten möchte, oder um einen männlichen Computernutzer Mitte Dreißig. ›maron14‹ hebt sich durch minimale Differenzen von den anderen Chattenden ab. Sie schreibt im Gegensatz zu den bunten Beiträgen der übrigen Teilnehmenden noch im Schwarz, das bei der Neuanmeldung eines Nicknames automatisch eingestellt wird. Sie schreibt durchweg in Großbuchstaben, was häufig als Imitation von lautem Sprechen oder Schreien verstanden wird (vgl. Willand 2002: 59). Die Wortwahl »Will jemand …« anstatt »Möchte jemand …« oder »Ich suche jemanden zum Chatten« unterstreicht das Appellative ihres Beitrages. Die nachfolgenden Kommentare belegen, dass ›maron14‹ schon über einen gewissen Zeitraum Kontaktaufnahmen versucht hat. Ihre Anfrage löst eine Reihe unterschiedlicher Reaktionen aus; die Chatterin ›Diabolika‹ erteilt ›maron14s‹ Bemühungen eine Absage, indem sie konstatiert, dass anscheinend niemand mit ›maron14‹ chatten wolle:
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Diabolika> anscheinend nicht maron:) [mausiiii88 gibt Keylocker einen Kuß] +++ Bettfl asche betritt den Raum FELIX2003> maron du tust mir leid Keylocker> :-))))))))))))))« mausiiii88> ;) FELIX2003> du versuchst seit einer stunde jemand zu finden der mit dir chatten will surftipp> nichts los heute maron14> BIST DU GEMEIN ALTR [Keylocker gibt mausiiii88 einen Kuß] maron14> ALTER FELIX2003> wieso FELIX2003> AITE maron14> nicht du FELIX2003> achso maron14> sorry FELIX2003> np
Wie es im Chat die Regel ist, setzt sich das Gespräch nicht direkt fort, sondern wird von anderen Erzählsträngen unterbrochen bzw. durchdrungen. In der Darstellung ähnelt dies dem Gesprächsprotokoll einer Gruppenunterhaltung mit mehreren Sprechern. Zur Beantwortung der eingangs von ›maron14‹ gestellten Frage, ob jemand mit ihr chatten wolle, sendet ›Diabolika‹ eine ablehnende Bemerkung und fügt ihrem Beitrag ein emotives Ikon hinzu, das per Konvention Lächeln repräsentiert. Die ikonische Zeichenfolge vermag den feindseligen Einschlag der Rede kaum zu dämpfen, sondern unterstreicht ihn eher noch. Die Chatterin scheint mit ihrer Spitze nur das Offenkundige und Tatsächliche zu bestätigen, es wolle eben niemand mit ›maron14‹ chatten. Der auf ›Diabolikas‹ Äußerung folgende Beitrag ist in der dritten Person gehalten, was durch die Klammern kenntlich gemacht wird. Dieser Beitrag erinnert an eine Regieanweisung oder das Protokoll einer Rahmenhandlung, weshalb er sich wie eine Liebesszene liest, die am Rande der Auseinandersetzung zwischen ›maron14‹ und ›Diabolika‹ stattfindet. Schließlich mischt sich auch ›FELIX2003‹ in das Gespräch ein und bekundet ›maron14‹ sein Mitleid – wobei offen bleibt, wie ernst oder ironisch das geäußerte Bedauern gemeint ist. In der Zwischenzeit hat das Werben von ›mausiiii88‹ und ›Keylocker‹ deutlichere Formen angenommen. Beide ›lachen‹ und ›zwinkern‹ sich gegenseitig zu. Mitten in das laufende Gespräch hinein stellt ein weiterer Chatter fest, es herrsche allgemeine Langeweile, es sei nichts los heute. Mit seinem Nickname beansprucht er für solche Einschätzungen eine besondere ›Begabung‹ oder ›Expertise‹, da er ein/en ›surftipp‹ ist/hat. Nun mel189
Klat sch im Chat
det sich ›maron14‹ erneut und beklagt sich über die Gemeinheit der Chatter, lässt aber zunächst offen, ob sie damit ›Diabolika‹ oder ›FELIX2003‹ meint, die beide auf ihren Appell reagiert hatten. Dabei unterläuft ihr ein Fehler, der ihren Satz beinahe unverständlich werden lässt. Bevor sie noch das letzte Wort korrigieren kann, schiebt sich ein Beitrag ›Keylockers‹ dazwischen, der ›mausiiii88s‹ Kuss erwidert. Da ›maron14‹ nicht spezifiziert hatte, wen sie der Bösartigkeit beschuldigt, bezieht ›FELIX2003‹ die Anschuldigung auf sich, vermutlich weil die letzten beiden Nachrichten an ›maron14‹ von ihm stammen. Er fragt bei ihr nach, wieso sie ihn für gemein halte: »AITE« ist eine kaum leserliche Bezeichnung als ›Alte‹, mit welcher der Chatter ›maron14s‹ fehlerhafte und durchweg ›schreiende‹ Schreibweise nachahmt. Doch ›maron14‹ hatte nicht ihn, sondern ›Diabolika‹ gemeint. Es kommt zu einem höfl ichen Wortwechsel, in welchem ›maron14‹ und ›FELIX2003‹ dieses Missverständnis klären. Sie korrigiert sich, ›FELIX2003‹ sendet ein »achso«, woraufhin ›maron14‹ sich noch einmal entschuldigt und die Antwort erhält, das sei kein Problem (»np«, Akronym für ›no problem‹). Nun überlegt das ›Liebespärchen‹, in einen anderen Raum zu wechseln, um dort eine gemeinsame Freundin zu besuchen. ›Keylocker‹ fragt ›mausiiii88‹, ob sie Lucy besuchen wollen: Keylocker> mausiiii????? mausiiii88> jo mausiiii88> here i am Keylocker> gemma
›mausiiii88‹ antwortet, sie sei da, woraufhin ›Keylocker‹ sie fragt bzw. auffordert, mit ihm zu gehen. Sie stellt die Gegenfrage, wohin sie denn mit ihm gehen solle: FELIX2003> maron? Phillip70> hmm mausiiii88> wohin denn [Soso gibt Soso einen Kuß] [Soso gibt Soso einen Kuß] mausiiii88> soso?? Keylocker> Lucy besuchen +++ Lilly betritt den Raum --- fesslemichFFM verläßt den Chat! mausiiii88> hihi +++ Windling betritt den Raum maron14> hast du lust mit mir zu chatten Felix
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--- Keylocker wechselt in den Raum Singles! --- mausiiii88 wechselt in den Raum Singles! ---Windling verläßt den Chat! FELIX2003> was soll cih denn sonst mit dir machen?! --- Zooz verläßt den Chat! --- Narzissus verläßt den Chat! +++ Choui betritt den Raum surftipp> na chatten Choui> Yo maron14> hi +++ Windling betritt den Raum maron14> hi
›mausiiii88‹ bekommt auf ihre Frage, wohin sie gemeinsam mit ›Keylocker‹ gehen solle, von ihm kurze Zeit später die Antwort: »Keylocker> Lucy besuchen«. Auch ›FELIX2003‹ fragt bei ›maron14‹ nach »FELIX2003> maron?«, vermutlich weil sie ihm nicht antwortet. Die Angesprochene meldet sich jedoch auch nicht auf diese Nachfrage hin, zumindest nicht im öffentlichen Chat; lediglich ein bisher unbeteiligter Chatter äußert einen undefinierbares Pendant für zustimmendes Murmeln: »Phillip70> hmm«. Zwischendurch küsst sich nun ein Teilnehmer gleich zweimal selber, vielleicht um den ›Kussdialog‹ des Pärchens zu ironisieren. Er trägt den geschlechtlich uneindeutigen, doppelgängerhaften Namen ›Soso‹.7 ›mausiiii88‹ scheint diese Aktion auf sich und ihren Kusswechsel mit ›Keylocker‹ zu beziehen, denn sie hakt nach: » mausiiii88> soso??«. ›Soso‹ beantwortet diese Frage nicht. Nachdem ›Keylocker‹ ›mausiiii88‹ gefragt hat, ob sie mit ihm die Freundin besuchen gehen wolle, kichert sie und kurz darauf wechseln die beiden in den Raum Singles, wo sich vermutlich ›Lucy‹ aufhält. Unterdessen hat sich ›maron14‹ erneut an ›FELIX2003‹ gewandt, der sich vorhin über ihr Schweigen gewundert hatte: »maron14> hast du lust mit mir zu chatten Felix«. ›FELIX2003‹ begegnet der Frage mit einer zweideutigen Erwiderung, die sich als Flirt verstehen lässt, aber genauso als Kritik an ihrer Ungeschicklichkeit gedeutet werden kann, die Unterhaltung nicht einfach zu beginnen: »FELIX2003> was soll ich denn sonst mit dir machen?!«. Andere mischen sich in den Austausch ein: So versucht ›surftipp‹ anstelle von ›maron14‹ die Frage von ›FELIX2003‹ zu beantworten: »surftipp> na chatten«. Ein neu hinzugekommener Teilneh7. Diese ›Selbstliebe-Performance‹ im Chatroom artikuliert nicht nur das Begehren nach Zuwendung und Aufmerksamkeit, das im Chatroom erfüllt zu werden verspricht, sondern signalisiert dem Pärchen, dass es mit seinem Kussreigen die anderen Teilnehmenden ausschließt (vgl. auch die Sequenz »Meine Frau geht fremd«).
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Klat sch im Chat
mer stimmt dem Schlagabtausch zu bzw. begrüßt alle mit einem: »Choui> yo«. ›maron14‹ versucht ungeachtet der von ›FELIX2003‹ an sie gerichteten Frage, was er mit ihr machen solle, weiterhin, Kontakt zu knüpfen und sendet kurz hintereinander ein ›hi‹ an alle Anwesenden. Der Neuankömmling ›choui‹ wird derweil von einem anderen Chatter mit Namen ›Hasehirn‹ – vielleicht einem Bekannten – begrüßt: Hasehirn> hi choui Phillip70> ausser chatten geht doch offiziell nicht hier Choui> hey hase Phillip70> :-) --- Lilly wechselt in den Raum Singles! surftipp> stimmt auch wieder
Zwischen die Begrüßung ›Chouis‹, der ›Hasehirn‹ vertraulich zurückgrüßt, schiebt sich die Fortsetzung der Diskussion über die mehrdeutige Frage von ›FELIX2003‹ an ›maron14‹, was er denn ›sonst‹ mit ihr anstellen solle. ›Phillip70‹ unterstreicht die obszöne Konnotation, indem er darauf hinweist, hier, also in diesem Chat, ›gehe doch offiziell nichts anderes‹ als chatten, d.h. reden. Damit wird eine inoffizielle, verbotene ›Chattätigkeit‹ sexueller Natur von einer offiziellen, damit auch öffentlichen ›unschuldigen‹ Chatunterhaltung unterschieden. Außerdem deutet sich an, dass inoffiziell, unter der Hand sehr wohl noch etwas anderes ›getrieben‹ werden könne, was durch das ikonische Zeichen verstärkt wird, das ›Phillip70‹ seinem Kommentar hinterher sendet und das einem vertraulichen Zuzwinkern gleichkommen soll. Auch ›surftipp‹ stimmt ›Phillip70s‹ Äußerungen zu, entschärft bzw. verfehlt jedoch erneut die Zweideutigkeit der Unterhaltung. Er versucht, die sexuellen Anspielungen gleichsam unschuldig verbal auszufüllen, und nimmt dem Gespräch dadurch jede Zweideutigkeit, die gerade dessen Reiz ausmacht. Die Rolle als Tölpel wird ›surftipp‹ beibehalten und damit seine vorgebliche Expertise karikieren. Danach findet einiger Wechsel im Raum statt und es kann ein erster Abschnittswechsel in der Sequenz verortet werden: --- strandboy23m wechselt in den Raum Singles! --- aspachfan verläßt den Chat! +++ Andybros betritt den Raum --- Andybros wechselt in den Raum ChatBar! --- EricDraven verläßt den Chat! +++ juli2004 betritt den Raum
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4. Digitaler Klat sch: Das Chat ten
B EGINN
DES
K L ATSCHES
Nun kommt es zu einer Wiederholung des Gesprächsanfangs, weil ›maron14‹ mit ihren Versuchen der Kontaktaufnahme fortfährt und ›Diabolika‹ erneut und offen boshaft kommentiert: maron14> HI LEUTE Diabolika> maron beherrscht ja die hohe kunst des small talks :9 hi hi hi und wer will chatten :) ganz toll maron
Mit wenigen Worten greift ›Diabolika‹ sehr gezielt die Eigenheiten von ›maron14‹ auf. ›Diabolika‹ bescheinigt der ungeschickten Teilnehmerin ironisch die Beherrschung der hohen Kunst des Small Talk. Der Chatroom wechselt vom Flirtraum, beinahe Darkroom, als welcher er zuvor thematisiert wurde, zum Salon, in dem gewisse soziale und sprachliche Fähigkeiten verlangt werden. ›Diabolika‹ führt ›maron14‹ zunächst als allgemeines Gesprächsobjekt ein (»maron beherrscht ja die hohe kunst des small talks«), spricht also in der dritten Person über sie, adressiert sie aber zusätzlich noch direkt (»ganz toll maron«).Durch diese Mischung aus Adressierung und Transformation der Angesprochenen in das allgemeine Objekt der Rede bereitet sie dem weiteren Klatsch den Weg. Im Vergleich zu den anderen Gesprächsbeiträgen sind ›Diabolikas‹ Äußerungen ungewöhnlich lang, was ihnen eine besondere Vehemenz verleiht. Für ihre Kritik erntet ›Diabolika‹ einige Zustimmung: Choui> lol +++ akina1983 betritt den Raum speedyjulia> juhuuuu maron14> IHR SEIT JA VOLL LANGWEILICH Hasehirn> hi speedy Diabolika> und deine tastensperre scheint zu klemmen maron speedyjulia> huhu hirni
›Choui‹ lacht zustimmend und ›speedyjulia‹ scheint regelrecht in Jubel darüber auszubrechen, dass jemand die Initiative übernimmt und ›maron14‹ einmal ›die Meinung sagt‹ (sie wird auch später jubeln, als ›maron14‹ den Raum verlässt, was dafür spricht, dass sie hier ›Diabolikas‹ Angriffe unterstützt). Die Angegriffene versucht sich zu wehren, indem sie den anderen bescheinigt, langweilig zu sein. Zugleich schreibt sie damit eine gegen sie selbst gerichtete Gruppe (›Ihr‹) fest. Ihr unterläuft ein weiterer Rechtschreibfehler und sie nutzt weiterhin die Großschrift. ›Diabolika‹ greift das sogleich auf. Wieder bedient sie sich des indirekten Angriffs und spielt auf ›maron14s‹ Schriftgebrauch lediglich an, 193
Klat sch im Chat
indem sie fehlerhafte Technik für die Großschreibung verantwortlich macht. ›Diabolika‹ achtet auch hier darauf, dass ihre Äußerung eindeutig auf ›maron14‹ zu beziehen ist, indem sie deren Namen nennt. Parallel zu dieser ›Maßregelung‹ findet ein weiteres Begrüßungsritual statt (man bemerke, wie jede/r Chatter/in eine andere Koseform für die Namen fi ndet und sie sich dadurch aneignet, ihrem eigenen Vokabular einverleibt und umgekehrt eine Eigenheit zum Ausdruck zu bringen versucht). Nun hat ›Diabolika‹ das Lästern in Schwung gebracht und die anderen steigen darauf ein: +++ der-nette-25 betritt den Raum speedyjulia> *g* FELIX2003> Maron? der-nette-25> hi @all MatheRatte> ui ui ui, maron, das ist aber ne ganz neue rechtschreibung FELIX2003> willst du eine neue Farbe? +++ Camara betritt den Raum FELIX2003> drück mal Alt und F4 [Camara grüßt mal in die Runde]
›speedyjulia‹, die sich eher durch Schnelligkeit als durch ausschweifende Gesprächigkeit auszeichnet (sie greift in der Sequenz am häufigsten auf Emoticons und Akronyme zurück und äußert sich kaum in ganzen Sätzen) grinst über ›Diabolikas‹ Scherz. Der Chatter ›MatheRatte‹, der vorher der Unterhaltung lediglich passiv gefolgt war, glaubt nun auch, seine Meinung äußern zu müssen und greift ›maron14s‹ Rechtschreibung auf. Er hebt Charakteristika hervor, die ›Diabolika‹ noch nicht erwähnt hatte und dehnt so den Klatsch zu einer Gesamtbeurteilung von ›maron14‹ aus. Auch ›MatheRatte‹ übt seine Kritik nicht direkt aus, sondern stichelt indirekt. ›FELIX2003‹ richtet sich nach längerem Schweigen mit einer rhetorischen Frage direkt an ›maron14‹, ob sie eine neue Farbe wolle. Den letzten noch ungenannten Punkt nutzend, in dem sich ›maron14‹ von den anderen unterscheidet (zumindest von den meisten, wenn auch nicht von allen), macht er den Gebrauch einer anderen Farbe gleichsam zum Entrebillet in die aktuelle Chatgemeinschaft und Unterhaltung. In ihrer buchstäblichen Farblosigkeit gipfeln die ›maron14s‹ Defizite. Keine eigene Farbe zu haben, vervollständigt die Liste ihrer angeblichen Ungenügsamkeiten. Doch ›FELIX2003‹ stellt ›maron14‹ eine Falle; er fordert sie auf, die Tastenkombination Alt und F4 zu drücken, die unter Windows das Beenden des laufenden Programms bewirkt. Mit der Verlockung, Farbe bekennen zu können, will er sie dazu verleiten, sich selber hinauszuwerfen und bringt damit als erster ›maron14s‹ Verlassen des Chats ins Spiel. 194
4. Digitaler Klat sch: Das Chat ten
+++ Yoe24 betritt den Raum --- Windling verläßt den Chat Soso> :o) --- Spacepebbles wechselt in den Raum ChatBar! Hasehirn> hi camara Camara> Hi hasehirn --- juli2004 verläßt den Chat!
Unbeantwortet und unbemerkt sendet ›Soso‹ eine Nachricht in Form eines Emoticons, das vielleicht als Begrüßung für ›Camara‹ oder/und ›der-nette-25‹ gedacht ist. Weil dem Zeichen – zumindest im öffentlichen Chat – nichts vorausgeht oder nachfolgt, wirkt auch dieser Beitrag wie bereits die Aktion, sich selbst zu küssen, seltsam stumm. Auf ›Camaras‹ Gruß antwortet ihr ›Hasehirn‹, woraufhin sie ihn zurückgrüßt. Der Austausch der beiden führt das vorausgegangene Lästern ad absurdum, unterscheiden sich die Beiträge von ›Camara‹ und ›Hasehirn‹ doch keineswegs von ›maron14s‹ Art zu chatten: Über ein ›Hi‹ kommen auch viele andere im Chat nicht hinaus. Dessen ungeachtet gehen die Angriffe weiter: speedyjulia> wasan los hierrrrrrrrrrrrrrr?? nöx?? Diabolika> also maron so wird das nix mit der konversation :) --- Yoe24 verläßt den Chat! Phillip70> nee, julia tote hose suftipp> eben nix speedyjulia> schon klar »wasAn« --- der-nette-25 verläßt den Chat! speedyjulia> bei dir! ;-P speedyjulia> nööx gibbet hier….
›speedyjulia‹ beklagt sich, es sei nichts los. ›Phillip70‹ bestätigt dies. ›surftipp‹ versucht einmal mehr, sich in einen laufenden Dialog einzumischen. ›speedyjulia‹ witzelt, es sei schon klar, dass bei ›Phillip70‹ ›tote Hose‹ sei und streckt ihm per ikonischem Zeichen die Zunge heraus. Auffallend an dieser Passage sind die häufigen Verneinungen in Kombination mit Anspielungen auf sexuelle ›Langeweile‹ oder Impotenz: ›nöx, nix, nee – tote hose – nix, nööx‹. Zwei erst kurz zuvor dazugestoßene Chatter verlassen den Chat wieder. ›Diabolika‹ verfolgt dagegen mit Ausdauer ihr Ziel, ›maron14‹ zu erniedrigen. Sie legt gezielt nach, wenn sich der Gesprächsverlauf in eine neue Richtung bewegt und längere Zeit keine Sticheleien erfolgt sind. Versiert wiederholt auch sie sich, aber stets in neuen Worten und um eine Nuance aggressiver.
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Klat sch im Chat
K L ATSCH: D IE
DR I T TE
P ER SON
Es schließt sich ein Schlagabtausch zwischen verschiedenen Chattern über ›maron14‹ an: FELIX2003> Dia sie sucht noch Alt + F4 Hasehirn> wasn mit dir los speedy? Ham se dir was innen tee? *g* Phillip70> :-) +++ St3v376 betritt den Raum speedyjulia> ne ekommt noch ;-) --- Camara wechselt in den Raum Singles! Diabolika> na hoffentlich findet sie die Tasten @felix ;) +++ cosmas betritt den Raum Phillip70> morgen vielleicht Phillip70> *g* +++ Kleines2003 betritt den Raum --- St3v376 wechselt in den Raum Singles! FELIX2003> lol
Während ›Diabolikas‹ Feststellung, ›so werde das aber nichts mit der Konversation‹ sich noch an die Betroffene selbst richtet, spricht ›FELIX2003‹ nun in der dritten Person über ›maron14‹ und wendet sich damit an ›Diabolika‹. ›FELIX2003‹ und ›Diabolika‹ klatschen nun offen über ›maron14‹. ›Diabolika‹ nimmt ›FELIX2003s‹ Angebot an, ergänzt im selben Ton und blinzelt ihm zu. Die beiden Klatschenden verhandeln damit implizit, die Angegriffene möge hoffentlich bald weg sein. Ein Dritter mischt sich ein und steigert die Attacken noch. ›Phillip70‹ hoff t, ›maron14‹ finde die Tasten vielleicht morgen, und ›grinst‹, worauf hin ›FELIX2003‹ ›lacht‹. Die Rangelei zwischen ›Phillip70‹ und ›speedyjulia‹ setzt sich fort: Bei ihm sei nicht tote Hose, aber das stehe auch nicht zur Debatte, wie er mit einem lachenden Emoticon zu unterstreicht. ›speedyjulia‹ verneint erneut und ›zwinkert‹. Ob sie damit ›Phillip70‹ meint oder, was wahrscheinlicher ist, auf jemand Bestimmtes wartet, der oder die die ›tote Hose‹ ausfüllt, bleibt unklar. Jedenfalls werden ihre Äußerungen nicht von allen Teilnehmern verstanden, weswegen ›Hasehirn‹ grinsend fragt, ob sie unter Drogen stehe. Der Austausch zwischen ›Camara‹ und ›Hasehirn‹ hat sich offenbar nicht weiterentwickelt, da sie in den Raum Singles wechselt.
A NREDE
UND DR I T TE
P ER SON
Eine neue Konversationsrunde beginnt, als sich ›maron14‹ abermalig zu Wort meldet:
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maron14> HALLÖLE speedyjulia> ;-P FELIX2003> maron?? Speedyjulia> mennnöööö surftipp> na wieder da Phillip70> hmmm Hasehirn>, so ich dackel ma wieder ab, viel spass noch!! FELIX2003> Drück Alt + F4 +++ suesserromantiker2 betritt den Raum Diabolika> nein, sie ist sogar zu doof die tastensperre rauszumachen speedyjulia> tschau hirni Phillip70> maron, ändere deine Farbe bitte Phillip70> !! speedyjulia> *gg* jan-baus> respekt @ maron --- Hasehirn> verläßt den Chat! FELIX2003> phillip auch noch ;-) Phillip70> klar *g* +++ Itm1500 betritt den Raum FELIX2003> haha
›maron14‹ ändert weder auf ›FELIX2003s‹ noch auf ›Phillip70s‹ Bitte hin ihre Farbe. Trotz all der Kritik hält sie ihre Beiträge weiterhin in Großschrift und avanciert damit zur ›persona non grata‹ und zum Objekt des Amüsements. Das Niveau von ›Diabolikas‹ Attacken sinkt. Sie stichelt jetzt nicht mehr indirekt, sondern stellt offen fest: »nein, sie ist sogar zu doof die tastensperre rauszumachen«. Während ›Diabolika‹ den Diskurs in der dritten Person fortsetzt, wendet sich ›FELIX2003‹ wiederholt mit seinem trügerischen Angebot und Appell an ›maron14‹, Alt und F4 zu drücken. Neben ›FELIX2003‹ spricht auch ›Phillip70‹ ›maron14‹ direkt an und greift die Forderung auf, eine andere Farbe zu wählen. Anders als ›FELIX2003‹ verbindet er das jedoch nicht mit der Tastenkombination Alt und F4, sondern generalisiert die Farbwahl als Bedingung zur ordentlichen Teilnahme am Chatgeschehen. ›speedyjulia‹ beteiligt sich ebenfalls an der Unterhaltung und nutzt vor allem Kürzel und Emoticons; so streckt sie vermutlich ›maron14‹ die Zunge heraus. Der Chatter ›Hasehirn‹ kündigt an, den Raum bald zu verlassen. Seine Wortwahl arbeitet mit einer weiteren Anspielung auf ein Tier, so dass sich Hase und Dackel in derselben Zeile kombiniert finden. ›speedyjulia‹ verabschiedet sich von ›Hasehirn‹ und sendet noch ein doppeltes Grinsen hinterher ›*gg*‹. ›Hasehirn‹ verlässt kurz darauf den Chat. Als Einziger versucht ›jan-baus‹, dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, indem er Respekt für die angegriffene 197
Klat sch im Chat
›maron14‹ einfordert. Da er jedoch der einzige Chatter ist, der ebenfalls in schwarz schreibt, wirkt dies zugleich wie ein Versuch der Selbstverteidigung. Stattdessen kommt es zu einer Gemeinschaftsbildung der beiden Klatschenden ›FELIX2003‹ und ›Phillip70‹, indem ›FELIX2003‹ andeutet, ›Phillip70‹ arbeite nun in die selbe Richtung wie er und ›Diabolika‹. Sein Zwinkern unterstreicht den beinahe verschwörerischen Ton. Der Angesprochene stimmt zu und ›grinst‹, was ›FELIX2003‹ mit einem Lachen quittiert.
A USSCHLUSS ›maron14‹ wird deutlich signalisiert, sie solle den Raum verlassen. Doch nicht allen Teilnehmenden behagen die Bemühungen, eine Mitchatterin auszuschließen: speedyjulia> maron.versuchs doch ma innem anderen raum ,…hm? jan-baus> jo @ speed Diabolika> oder in nem anderen chat Phillip70> DIA!!! +++ mabel-bangsbo betritt den Raum Phillip70> lass das Phillip70> *g* Diabolika> aber warum denn? --- Itm1500 wechselt in den Raum Kuschelecke! Phillip70> nur so Phillip70> *g* FELIX2003> wirklich :D speedyjulia> *g* speedyjulia> mennnnöö Diabolika> aber ich mach doch gar nicht;) Diabolika> NOCH nicht --- Arabesque wechselt in den Raum BB-gucken!
Zum ersten Mal sprechen nun Teilnehmer offen die Aufforderung aus, ›maron14‹ solle den Raum verlassen. Der Vorstoß kommt von der sonst zurückhaltenden ›speedyjulia‹. Sie wählt dafür denselben Weg wie ›FELIX2003‹, indem sie die Aufforderung als Empfehlung vorbringt; dies ergänzt sie durch ein lautmalerisches, vermeintlich verständnisvolles ›hm‹. ›jan-baus‹ stimmt diesem Vorschlag entgegen seinem vorangegangenen Verteidigungsversuch sofort zu. ›Diabolika‹ nutzt die Gunst des Moments und steigert ›speedyjulias‹ Bemerkung durch den Vorschlag‹ ›maron14‹ solle es nicht nur in einem anderen Raum, sondern gleich in einem anderen Chat versuchen. Nun fühlt sich ›Phillip70‹ bemüßigt, ›Diabolika‹ spie198
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lerisch zu tadeln, wozu er zunächst die Großschrift und eine vertrauliche Anrede (»DIA!!!«) gebraucht, dann aber noch eine Ermahnung, sie solle das sein lassen, hinterher sendet, die er mit einem Grinsen abmildert (oder den komplizenhaften Ton dadurch noch herausstreicht). Die Angesprochene fragt zurück, warum sie es denn sein lassen solle. ›Phillip70‹ begründet seine Intervention nicht näher, sondern schreibt ›nur so‹ und ›grinst‹ erneut. ›FELIX2003‹ lacht mittels eines entsprechenden Emoticons laut heraus und auch ›speedyjulia‹ sendet ein solches Zeichen; weiter äußert sie Unmut, wobei jedoch unklar bleibt, mit wem oder was sie nicht zufrieden ist. ›Diabolika‹ meint scherzhaft, sie mache doch gar nichts und ›zwinkert‹. Sie ergänzt aber, dass sie noch nichts tue, womit sie zu verstehen gibt, dass ihr der Bezug zu ihren Klatscheskapaden deutlich ist. Obwohl ›speedyjulia‹ den Vorschlag auf bringt, ›maron14‹ könne in einen anderen Raum wechseln, wird erst ›Diabolikas‹ Vorschlag, sie könne doch gleich in einen anderen Chat gehen, von ›Phillip70‹ – wenn auch spielerisch – als zu weitgehend kommentiert; die mehrfach eingesetzten Emoticons könnten ein Indiz dafür sein, dass es nun innerhalb der Gruppe, die sich gegen ›maron14‹ etabliert hat, zu Meinungsverschiedenheiten kommt und man sich deshalb beschwichtigend ›anlächelt‹. Warum ›Diabolikas‹ und nicht ›speedyjulias‹ Bemerkung ›Phillip70s‹ Reaktion auslöst, kann verschiedene Gründe haben. Denn während die Forderung, den Raum zu verlassen, als legitimer Ausdruck des Wunsches nach einem ungestörtem Gespräch mit den akzeptierten Chattern verstanden wird, der Angesprochenen aber noch ›Raum‹ lässt, sich woanders zu unterhalten, überwiegt in ›Diabolikas‹ Beitrag eindeutig die Aggression und der Wunsch, die Störerin zu vertreiben. Ein weiterer Grund kann in ›Diabolikas‹ Position innerhalb der Gruppe gesehen werden. Sie maßt sich damit an zu entscheiden, wer zur Gruppe gehört und wer ausgeschlossen wird. Einen ähnlichen Gesprächsverlauf dokumentiert die Sequenz »Kerstin«. Hier wehrt sich die Gruppe ebenfalls, von einer Person ›in Dienst genommen‹ zu werden und wendet sich, weit stärker noch als in der vorliegenden Sequenz, in Folge der versuchten Instrumentalisierung gegen die Angreiferin. Die Auslassung, das neutrale »es« aus ›speedyjulias‹ Imperativ versuch es in einem anderen Raum, wird gleichsam zu einem wandernden Objekt in dieser Passage: Es bleibt unausgesprochen, was ›maron14‹ woanders versuchen solle, genauso wenig wie erläutert wird, was ›Diabolika‹ »sein lassen« soll. Dieses »Es« wandert von ›speedyjulias‹ »versuch’s« über ›Phillip70s‹ »lass das« bis zu ›Diabolikas‹ gespielter Verteidigung: »ich mach doch nicht(s).« ›maron14‹ fragt im Folgenden, warum sie es in einem anderen Raum versuchen solle:
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maron14> warum soll ich es wo anders fersuchen Diabolika> FG speedyjulia> ne ne speedyjulia> VVVVVVVVVV Phillip70> unglaublich Phillip70> :-) FELIX2003> maron drück einfach mal Alt + F4 bitte speedyjulia> ;-)=00 Phillip70> Mit Alt + F4 kalibriert man seine Chatfenster --- surftipp verläßt den Chat! FELIX2003> haha topstory… +++ surftipp betritt den Raum speedyjulia> juhuuuuu weeeeee
›maron14s‹ Versuch, sich zu verteidigen und mit den übrigen Teilnehmenden ins Gespräch zu kommen, misslingt wiederholungszwangsartig oder gar absichtlich. Die anderen Chatter haben keine Schwierigkeiten, durch anspielende Lacher und ›kopfschüttelnde‹ Äußerungen ›maron14s‹ Außenseiterposition zu festigen. Es genügt, mit verschiedenen Zeichenfolgen das Amüsement zum Ausdruck zu bringen: ›Diabolika‹ benutzt (statt eines Emoticons) ein Akronym, das ›Fettes Grinsen‹ (»FG«) ausdrücken soll. ›speedyjulia‹ sagt »ne ne« und ergänzt dies in der Zeile darauf mit einer Reihe gegeneinander gestellter ›Vs‹, die als ›Mimikersatz‹ eines Augenbrauenhochziehens gelesen werden können. Auch ›Phillip70‹ findet es »unglaublich«, dass ›maron14‹ ihren Kommunikationsstil immer noch nicht geändert hat und lacht darüber mittels eines klassischen Smiley. ›FELIX2003‹ begnügt sich nicht mit dem Belachen, sondern bringt zum wiederholten Mal seinen Witz, ›maron14‹ solle Alt + F4 drücken. ›speedyjulia‹ trägt zur weiteren Untermalung ihrer Erheiterung und als Zeichen, dass sie ›FELIX2003‹ versteht, einen ausladenden ›Winkey‹-Smiley bei, der verständnisvoll zwinkert. Während ›Phillip70‹ sich bei den vorangegangenen Versuchen zurückgehalten hatte, ›maron14‹ dazu zu bewegen, sich selbst hinauszubefördern, gesellt er sich jetzt zu ›FELIX2003‹ und erfindet eine Begründung, warum sie Alt und F4 drücken solle: Damit kalibriere man seine Chat-Fenster. Offenbar stört es nicht, dass dies der anderen Deckgeschichte widerspricht, diese Befehlsfolge verändere die Farbe. ›FELIX2003‹ bekundet erneut seine Erheiterung – offensichtlich auch über ›Phillip70s‹ Engagement. Nachdem er nur kurz abwesend war, betritt ›surftipp‹ den Raum erneut. Noch einmal trägt ›speedyjulia‹ ein schwierig zu deutendes Jubeln oder Klagen bei. Schließlich greift ›Diabolika‹ noch einmal mit einem längeren Beitrag in die Kommunikation ein:
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Diabolika> maron, hat dir eigentlich dein deutschlehrer empfohlen, dein legasthenieproblem in einem chat zu lösen? FELIX2003> ooooooo surftipp> danke für den tipp felix --- CHRISTINA-83 verläßt den Chat! Phillip70> das ist böse, dia speedyjulia> gegen wortfindungsstörungen helfen dier hier nicht +++ Gastin betritt den Raum Diabolika> ich habe nie behauptet lieb zu sein :) FELIX2003> surftip hab ich mit dir gesprochen? speedyjulia> ;-)) speedyjulia> lieb ist langweilig. maron14> was soll das Diabolika> genau speedy :) +++ FabbyG betritt den Raum surftipp> ne aber ich habe deinen rat befolgt und bin rausgeflogen. Ups --- Gastin wechselt in den Raum ChatBar! FELIX2003> haha FELIX2003> wie geil --- maron14 wechselt in den Raum Singles!
›Diabolika‹ setzt noch einmal zu einem Seitenhieb gegen ›maron14‹ an. Die Klatschende betätigt sich als Sprachrohr der Chatgemeinschaft und deutet an: Der Chatroom sei kein Therapieraum für Schreib- und Leseschwächen. ›FELIX2003‹ bricht in einen langen o-Ruf aus. Der soeben zurückgekehrte ›surftipp‹ bedankt sich bei ›FELIX2003‹ für einen Tipp, was an dieser Stelle noch unverständlich bleibt, aber wenig später zur Aufklärung kommt. ›Phillip70‹ weist ›Diabolika‹ nochmals zurecht. Aber auch er wählt an dieser Stelle die direkte Anrede, wie es ›Diabolika‹ gegenüber ›maron14‹ tut. Vielleicht im Bemühen, ›Diabolikas‹ Argument zu bekräftigen, erklärt ›speedyjulia‹: »wortfindungsstörungen helfen dier hier nicht«. Der Beitrag ist nicht nur bemerkenswert, weil er im Vergleich zu den anderen ungewöhnlich lang ist, sondern weil er durch das »dier« eine eigentümliche Doppeldeutigkeit erhält. »dier« erscheint wie eine unabsichtliche Verschmelzung von ›die anderen‹ und ›dir‹. Doch zurück zum Kern des Klatsches: ›Diabolika‹ behauptet sich selbstbewusst – und ihrem Namen alle Ehre machend – gegen ›Phillip70s‹ Rüge: Sie habe nie vorgegeben, lieb zu sein. In der nächsten Zeile ist die Nachfrage von ›FELIX2003‹ auf ›surftipps‹ Dank für den Tipp zu lesen. ›speedyjulia‹ zwinkert und konstatiert, »lieb ist langweilig«. ›maron14‹ fragt, warum sie derart attackiert wird. ›Diabolika‹ weiß die Unterstützung ›speedyjulias‹ zu nutzen und vollzieht den 201
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Schulterschluss. Nun erklärt ›surftipp‹, für welchen Tipp er sich bei ›FELIX2003‹ bedankt hat: »surftipp> ne aber ich habe deinen rat befolgt und bin rausgeflogen. Ups«. ›FELIX2003‹ hatte ihn zwar nicht direkt angesprochen, aber ›surftipp‹ hatte Alt und F4 gedrückt und damit das Chatprogramm (in diesem Fall den Browser) beendet oder, wie er es ausdrückt: er ist rausgeflogen. Ein weiteres Mal hat er die Rolle eingenommen, als Tölpel in eine Kommunikation zwischen anderen Parteien einzubrechen. Zugleich zeigt er, dass nicht allen Teilnehmenden der Witz um die Tastenfolge Alt und F4 verständlich war, nun aber jedem überdeutlich sein müsste. ›FELIX2003‹ zeigt sich auch sehr erheitert. Ob durch die anhaltenden Sticheleien ›Diabolikas‹ verärgert oder durch die Aufklärung um die Tastenkombination Alt und F4 von ›FELIX2003‹ enttäuscht: ›maron14‹ wechselt daraufhin in einen anderen Raum.
A BSCHLUSS Die Reaktionen auf ›maron14s‹ Verlassen des Raumes gestalten sich wie folgt: speedyjulia> *fg* surftipp> eben hab ich auch gedacht. ha ha Choui> hehe speedyjulia> juppii Diabolika> och nu isse weg mabel-bangsbo> nabend speedyjulia> sach et nisch so laut doooooo speedyjulia> hoi Diabolika> dabei war sie doch momentan einziger lichtblick hier jan-baus> schade schade schade suftipp> auf dich hör ich besser nicht mehr, oder bin nicht mehr so neugierig
›speedyjulia‹ bleibt ihrem Stil treu und äußert sich per Akronym – mit einem fg, fetten Grinsen. ›surftipp‹ erwidert, wohl vor allem auf ›FELIX2003s‹ »haha, wie geil«, dass er das auch gedacht habe, und schickt zum Abschluss einen Lacher. Auch der schweigsame (oder privat engagierte) ›Choui‹ trägt ein »hehe« als Ausdruck seiner Erheiterung bei. ›speedyjulia‹ reagiert gar mit Jubel. Enttäuscht äußert sich dagegen ›Diabolika‹: » och nu isse weg«. Die vor einer Weile hinzugekommene ›mabel-bangsbo‹ ruft ein nachdrückliches ›Guten Abend‹ in die Runde. Im Folgenden bleibt unklar, ob ›speedyjulia‹ ihr antwortet, sie solle es nicht so laut sagen oder ob sie damit – was wahrscheinlicher ist – ›Diabolika‹ meint. Unmittelbar im Anschluss sendet sie ein uneindeutiges »hoi«. ›Diabolika‹ dagegen bekräftigt ihr Bedauern, ›maron14‹ sei der einzige Lichtblick ge202
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wesen. Obwohl ›jan-baus‹ der Forderung zugestimmt hatte, sie solle es mit der Kontaktaufnahme in einem anderen Raum versuchen, bedauert nun auch er »schade schade schade«. Nachdem ›surftipp‹ erklärt, er höre nicht mehr auf ›FELIX2003‹ oder sei nicht mehr so neugierig, wendet sich das Gespräch anderen Themen zu. ›Diabolika‹ beteiligt sich daran allerdings nicht mehr. Der Schlagabtausch verdeutlicht die Unterhaltungsfunktion des Klatsches. Unmittelbar nachdem das Objekt der andauernden Attacken den Raum verlassen hat, äußert eine der ausdauerndsten Kritikerinnen von ›maron14‹ ihr Bedauern über deren Weggang. Man wünscht sie nicht mehr weg und abwesend, sondern plötzlich und ausdrücklich wieder anwesend. Diese Sequenz veranschaulicht hervorragend, dass Klatschlust auch eine aggressive Lust des Ausschließens umfasst. Es reicht nicht, über die Chatterin in der dritten Person zu sprechen und zu klatschen und sie derart in eine anwesend Abwesende zu verwandeln. Sie wird gänzlich in die Abwesenheit und aus dem Chatroom getrieben. Der Rauswurf ›maron14s‹ wird in dreierlei Gestalt betrieben: Durch ›Diabolikas‹ zunehmend direkter werdende Angriffe, durch ›FELIX2003s‹ verdeckten Vorschlag, Alt und F4 zu drücken und durch ›speedyjulias‹ offenen Vorschlag, den Raum zu wechseln. Mit seiner Aktion, diese Tastenkombination auszuprobieren, belegt der Chatter ›surftipp‹, dass nicht allen Beteiligten der Witz des Vorschlages deutlich war. Zugleich ›beweist‹ er damit die Wirkung der Tastenfolge und begibt sich sogar an die Stelle ›maron14s‹, indem er sich so zum abwesenden Objekt macht.
K ER S T IN Die Sequenz »Kerstin« demonstriert die Zweischneidigkeit sozialer Sanktionen und des Klatsches. Eine Chatterin gerät ins Visier der Gruppe, nachdem sie selbst versucht hatte, gegen einen Mitchatter vorzugehen. ›Kerstin‹ versucht ›theinsound‹ auszuschließen, indem sie die übrigen Chattenden dazu auffordert, die »Hand zu heben«, falls sie ihn auch aus dem Chat entfernt haben möchten (Zeile 1). Die Gründe dafür nennt ›Kerstin‹ nicht, was bei den anderen Gesprächsteilnehmern zu obszönen Spekulationen über ihre Motive führt. Die Chatterin ›Blairwitch‹ bemerkt, der angegriffene ›theinsound‹ sei gar nicht anwesend, was ›Kerstins‹ Ausschlussversuch als absurdes Manöver deklariert (vgl. Zeile 6). Innerhalb kürzester Zeit wird ›Kerstin‹ von der Wortführerin und Intrigantin selbst zur Zielscheibe des Klatsches und der Aggression. Anstatt Zustimmung für ihr Vorhaben zu finden, wird ›Kerstin‹ mit anzüglichen Kommentaren und Sticheleien geärgert und auf diese Weise schließlich aus dem Gespräch ausgeschlossen (Zeile 34). ›Charly‹ vermutet, ›theinsound‹ habe sie »gepoppt und fallen 203
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gelassen« und die Verlassene wolle sich nun dafür rächen (Zeile 12). Mit den vier Worten »gepoppt und fallen gelassen« ist auf obszöne Weise ein ganzes Beziehungsdrama angedeutet. ›Kerstin‹ gibt sich jedoch nicht geschlagen und durchbricht ihren Status als ›Non-Person‹ und damit das Klatschgespräch, indem sie kontert, solche Typen könnten sie nicht aufregen (vgl. Zeile 16). ›Blairwitch‹ wirft dagegen ein, ›Kerstin‹ sei unglaubwürdig, wenn sie zugleich ›theinsounds‹ Ausschluss fordere und behaupte über der Angelegenheit zu stehen (vgl. Zeile 22). Das Vermögen des Mediums, An- und Abwesenheit metaphorisch zu inszenieren, greift hier Hand in Hand mit der Eigenart des Klatsches, als Praxis des ›Abwesend-machens‹ zu wirken. Ähnlich der Episode über die ›fremdgehende Ehefrau‹ (vgl. Sequenz »Meine Frau geht fremd«) führt dieses Sequenz die Praxis des sozialen Ausschlusses im Chatroom vor und dokumentiert, wie sich die Teilnehmenden dabei der Spezifi ka des Mediums bedienen. Jemanden kommunikativ und sozial auszuschließen oder ihn zu bestrafen, fällt im Chatroom häufig und schnell mit dem geforderten Verlassen des ›Raumes‹ zusammen. Statt den Platzverweis von ›theinsound‹ durchsetzen zu können, schließt sich der Kreis sofort gegenüber ›Kerstin‹ selbst. Ihr Auftreten gleicht dem Versuch, absichtlich oder unabsichtlich eine Machtposition innerhalb der Gruppe einzunehmen und diese zu instrumentalisieren, indem sie ein Mitglied auszuschließen versucht. ›Kerstins‹ Verhalten weist jedoch nicht nur Inkonsistenzen auf, die ihre Motive unklar lassen; darüberhinaus sie lehnt es ab, sich näher auf die anderen Chattenden einzulassen und über ›theinsound‹ zu klatschen. Als ›Charly‹ ihr ein solches Klatschangebot macht und sich nach ihren Beweggründen erkundigt, antwortet sie nicht und weist ihn brüsk zurück (vgl. Zeile 18). An dieser Stelle ergreift ›Blairwitch‹ die Gelegenheit, nun ihrerseits mit ›Charly‹ zu klatschen und Mutmaßungen über die Vorfälle zwischen ›Kerstin‹ und ›theinsound‹ anzustellen (vgl. Zeilen 15, 22 und 24). ›Kerstins‹ Weigerung zu klatschen kann als Absage an eine Beziehung gewertet werden – im Sinne des Anthropologen Max Gluckman sogar als Weigerung, die Klatsch-›Pflicht‹ wahrzunehmen, welche das Zeichen der Gruppenzugehörigkeit ist: »There is no easier way of putting a stranger in his place than by beginning to gossip: this shows him conclusively that he does not belong. On the other hand, if a man does not join in the gossip and scandal, he shows that he does not accept that he is a party to the relationship; hence we see that gossiping is a duty of membership of the group« (Gluckman 1963: 313).
Mag es auch gewagt erscheinen, von Klatschpflicht zu sprechen, so erklärt dieser Begriff doch, warum ›Kerstins‹ Verweigerungshaltung sie in eine 204
4. Digitaler Klat sch: Das Chat ten
prekäre Position innerhalb der Gesprächsgemeinschaft bringt. Unter Umständen hätte ihr gerade das Klatschen über ›theinsound‹ auf indirektem Weg ermöglicht, gegen ihn vorzugehen – sollte sie das tatsächlich wollen. Vergeblich fordert sie von der Gruppe eine Sanktion gegen ›theinsound‹ und findet sich darauf hin mit einem Dialog von ›Charly‹ und ›Blairwitch‹ konfrontiert, in welchem eine sexuelle Szene zwischen ihr und ›theinsound‹ angedeutet und voyeuristisch genossen wird. Ähnlich Freuds Annahmen über sexuelle Anspielungen wird hier eine gemeinsam geteilte Phantasie lediglich indirekt evoziert und dient dem Klatsch als ›Füllung‹. ›Kerstin‹ findet sich in einer Zwitterposition wieder: zugleich Objekt der Rede und dennoch in den Chat eingeloggt, d.h. als Zeugin des Klatsches über sich selber anwesend zu sein. Als sie von ›derhausmeister‹ angesprochen und als ›ein bisschen blöd‹ bezeichnet wird, macht sie sich ungewollt zum Vehikel, eine Gruppe auszusprechen, indem sie in ihrer Anrede alle Anwesenden zu einem Ihr zusammenfasst: »Blöd, soso! Wenn ihr meint, dann habt ihr euern Müll noch nicht gelesen!« (vgl. Zeile 50). Damit setzt sie sich der Gruppe als Ausgeschlossene entgegen und verfestigt so noch ihren Außenseiterstatus. Die Sequenz belegt die grundlegende Zweischneidigkeit des Klatsches, der jederzeit auf den Klatschenden selbst zurückfallen kann. Die Zweischneidigkeit und Unkontrollierbarkeit des Klatsches teilt er mit Hexereiverdächtigungen. Weil sich beide plötzlich gegen ihre Akteure wenden können, sind Klatsch und Bezichtigung der Hexerei schwer zu dirigieren. Das Motiv der Hexe tritt in der Sequenz gleich doppelt auf: Insofern ihre Versuche, die Gruppe gegen einen anderen aufzubringen, letztlich auf sie selber zurückschlagen, wird ›Kerstin‹ zur Ausgeschlossenen, zur Hexe. Darüberhinaus verweist gerade ›Kerstins‹ vehementeste Gegnerin mit ihrem Namen auf Hexenfiguren (›Blairwitch‹).
M E INE F R AU
GEHT FREMD
Die Episode behandelt das virtuelle Fremdgehen einer Chatroomfreundin. Auf der Höhe der Auseinandersetzung verbannt der ›betrogene‹ Mann seine Chatroom-Frau, die darauf hin tatsächlich den Chat verlässt. Wie im klassischen Drama bereut der Mann seine symbolische Tat umgehend und bittet darum, die Frau möge zurückkommen.
B EGRÜSSUNG
IM
C HAT
Das Chatroom-Pärchen ›thatsme-marie‹ und ›SchlomoWeintraub‹ hat sich für den späten Sonntagnachmittag mitteleuropäischer Zeit zum Chat verabredet. ›thatsme-marie‹ kommt mit der Begrüßung »hier bin ich wieder…………….:-)« verbal in den Raum gestürmt (Zeile 39). Kurze Zeit 205
Klat sch im Chat
später betritt auch ›SchlomoWeintraub‹ den Raum, woraufhin ›thatsmemarie‹ ihm per Inflektiv ›buchstäblich‹ um den Hals fällt: »da isser jaaaaaaaaaaaa……………*umdenhalsfall*« (Zeile 77). Dass die beiden sich verabredet hatten, wird durch Zweierlei belegt: Sie betreten kurz nacheinander den Raum und die Begrüßung durch ›thatsme-marie‹ artikuliert textimmanent, dass sie auf ›SchlomoWeintraub‹ gewartet hatte.
K E INE L UST
MEHR AUF
›F R AUENDATES ‹
Parallel zur Begrüßungsszene von ›thatsme-marie‹ und ›SchlomoWeintraub‹ entspinnt sich eine Diskussion über die allgemeines Erstaunen auslösende Mitteilung des ›Chatroom-Casanovas‹ ›Abenteurer36Mz‹, er habe keine Lust mehr auf »frauendates« (Zeile 82). Dieser Mitteilung war ein Schlagabtausch vorausgegangen, in welchem ›mad4strings‹ sich spaßeshalber allen ›angeboten‹ hatte (vgl. Zeile 57), nachdem er von ›biz‹ mit der Zeile »mein mad dein mad.mad is für uns alle da *lol*« (Zeile 56) ›besungen‹ worden war. Anschließend hatte ›Mirgehtssupi‹ angemerkt, sie kenne einen Mann, der eine offene Beziehung habe, mit seiner Telefonnummer könne sie aber leider nicht dienen. ›biz‹ reagiert nun gespielt enttäuscht und merkt an, ›Abenteurer36Mz‹ würde sich dazu sicherlich bereit erklären. Dieser erwidert mit der Erklärung seiner Abstinenz von »frauendates«: »biz –was gibt’s schon wieder? –ich habe keine lust mehr auf frauendates« (Zeile 82). Die Formulierung »frauendates« reizt ›biz‹ zur sexistischen Nachfrage: »wat du bist schwul geworden mt??« (Zeile 88). Um Missverständnisse auszuschließen, korrigiert sie ihre fehlerhafte Anrede in der folgenden Zeile (Zeile 89). Kurz darauf schaltet sich auch ›thatsme-marie‹ in dieses Gespräch ein und hakt wie zuvor ›biz‹ bei ›Abenteurer36Mz‹ nach, was mit ihm nicht mehr stimme: »abi hat keine lust mehr auf frauendates…….was ist jetzt kaputt ???« (Zeile 103).
D ER F L IRT
BEGINNT
An dieser Stelle nimmt das Gespräch eine Wendung, da ›Abenteurer36Mz‹ seine vorhergehenden Beiträge rückwirkend in einen Flirt mit ›thatsmemarie‹ umwandelt: »thats marie – es liegt daran, das ich erkannt habe, das du zu weit weg wohnst« (Zeile 118). Aus der Selbstbeschreibung und -vorstellung »thatsme-marie« wird eine Fremdzuschreibung von ›Abenteurer36Mz‹, die dessen Bemühungen, ihr den Hof zu machen, unterstreicht: »thats marie«: dies ist Marie. Diese lacht zunächst bloß (vgl. Zeile 120), macht dann aber deutlich, dass sie ihn nicht ernst nimmt bzw. sich nicht ernst genommen fühlt: »jaja………shcon klar abi« (Zeile 123). ›Abenteurer36Mz‹ läßt sich davon jedoch nicht abschrecken, sondern knüpft an die vorhergegangene flirtende Bemerkung an, er begehre ausschließlich
206
4. Digitaler Klat sch: Das Chat ten
›thatsme-marie‹: »und soll ich beim date ihr nur vorschwärmen, wie sexy ich dich finde? -dann haut die nach 3,46 min ab« (Zeile 127).
D IE WARNUNG
VOR / VON
U NRUHE
Zwischenzeitlich hat ein Teilnehmer, der sich bislang nicht an der Diskussion beteiligte, ›Abenteurer36Mz‹ sozusagen aus dem ›Off‹ heraus darauf hingewiesen, er solle froh sein (vgl. Zeile 125). Der geschlechtsneutrale Name ›Unruhe‹ des Chatters macht den Angesprochenen offenbar neugierig, denn er fragt nach: »unruhe?« (Zeile 130), »wieso?« (Zeile 131). ›Unruhe‹ erklärt: »sei einfach froh und freu dich das sie so weit weg wohnt…« (Zeile 135). Aus der Distanz, die im Flirt beklagt wurde, ist damit ein Sicherheitsabstand geworden. Ob diese Äußerung speziell auf die Teilnehmerin ›thatsme-marie‹ bezogen ist, ob es sich hier also um eine lästerliche Stichelei am Rande des Gesprächs oder um eine allgemein misogyne Einschätzung handelt, ist nicht zu entscheiden, da es bei diesem kurzen Wortwechsel bleibt.
L OB
DER
F R AUEN
Parallel zum Wortwechsel von ›Unruhe‹ und ›Abenteurer36Mz‹ hat sich ›thatsme-marie‹ wieder zu Wort gemeldet. Sie greift ›Abenteurer36Mz’‹ Kommentar, er würde bei einem Date mit einer anderen Frau ohnehin nur von ihr schwärmen, auf und malt sich die vermutliche Reaktion der anderen Frau aus: »na ja…….3,46 Minuten sind schon ziemlich lang« (Zeile 134). Indirekt bemängelt sie damit, ›Abenteurer36Mz’‹ Schwärmerei sei nicht deutlich genug, und stellt es zugleich als Unverschämtheit dar, dass eine Frau sich bei einem Rendezvous auch nur für wenige Minuten das Lob einer anderen anhören müsse. Darüber hinaus veralbert sie die seltsam präzise Zeitangabe 3,46 Minuten, die im Übrigen an eine leicht abgewandelte Wiederholung der Zahl in ›Abenteurer36Mz’‹ Namen erinnert.
A BENTEUERN Dass ›Abenteurer36Mz‹ seinem Namen alle Ehre macht, beweist er auch beim Flirt mit ›thatsme-marie‹. Entgegen seiner früheren Zusicherung, sie sei die Einzige für ihn, lässt er sich nicht davon abhalten ›Breaktruh‹ zuzurufen, er würde ihm/ihr den Chat erklären, nachdem diese/r bekannt hatte, ihn noch nicht richtig zu verstehen (vgl. Zeile 129): »breksru – ich erkläre es dir gerne, wenn du zu mir kommst« (Zeile 136). Mit seiner Behauptung, den Chat erklären zu können, vermittelt der Abenteurer den Eindruck von Souveränität und spielt erneut mit dem Bild des Abstandes zwischen sich und den anderen Chattern, den er überbrücken möchte. Die Aufforderung von ›Abenteurer36Mz‹ an ›Breaktruh‹, zu ihm zu kommen, ist aber nicht nur zweideutig, sondern einer buchstäblichen Lektüre nach 207
Klat sch im Chat
widersinnig. Denn käme ›Breaktruh‹ außerhalb des Chats zu ›Abenteurer36Mz‹, dann würde der Chat als Medium der Verständigung nicht mehr benötigt und das Chatten könnte zudem nicht so anschaulich erklärt werden wie im Chat selbst. ›Abenteurer36Mz‹ liefert mit seiner Performanz zugleich eine bestimmte Interpretation wie auch Defi nition des Mediums: Es dient ihm dazu, den sexuellen Kontakt oder überhaupt einen Kontakt anzubahnen und insofern – in welcher Weise auch immer – ›überwunden‹ zu werden. Der Chatroom wäre damit ein reiner Übergangsraum (vgl. Löchel 2002).
D IE Z E I TEN
DER
G ESCHLECHTER
Kurz darauf setzt ›Abenteurer36Mz‹ seine Unterhaltung mit ›thatsmemarie‹ fort, indem er noch einmal auf seine Rede von den »3,46 Minuten« zurückkommt. Er bezieht sich auf ›thatsme-maries‹ Anmerkung, dies sei eine lange Zeitspanne, nimmt jedoch die männliche Position ein (»für uns männer«), während es ›thatsme-marie‹ um die Perspektive der anderen Frau ging, die ihn über sie, Marie, schwärmen hören muss. ›Abenteurer36Mz‹ spricht jetzt direkt aus, worum es bei der ganzen Unterhaltung und dem Flirt seines Erachtens ›eigentlich‹ geht: »3,46 min sind für uns männer lang – beim durchhalten beim sex« (Zeile 144). In den Gesprächverlauf schieben sich an dieser Stelle zunächst verschiedene Begrüßungen (vgl. Zeilen 140, 142, 143, 145-147, 157), bis die weiblich codiert Chatterin ›Miss-Pia‹ sich ablehnend zu und gegenüber ›Abenteurer36Mz‹ äußert: »ah ja…abi« (Zeile 148). In ihrer Ablehnung der zotigen Vulgaritäten männlicher Chatter fungieren ›Miss-Pia‹ und ›thatsme-marie‹ hier als kulturierende Instanzen, wie Freud sie anhand der ablehnenden Frau in der Zote beschrieben hat. Mit seinen sexuellen Anspielungen bleibt ›Abenteurer36Mz‹ nicht lange allein: ›propagandhi‹ spinnt die kollektive Assoziation der akkuraten Minutenangabe zu einem obszönen Witz weiter: »deswegen heißt das poppmusik«, »wohl nur mit einem p * g« (Zeilen 152-153). Im Kalauer wird der populäre Song oder Popsong zum umgangssprachlichen Ausdruck für Geschlechtsverkehr (vgl. die Sequenz »Kerstin«, in der die Redewendung vom ›poppen und fallenlassen‹ geprägt wird). Außerdem gibt ›propagandhi‹, dessen Name bereits ein Wortspiel darstellt, vor, sich ›versprochen‹ zu haben und macht gerade dadurch unmissverständlich auf den Witz als beabsichtigten Schreibfehler aufmerksam. ›Abenteurer36Mz‹ korrigiert den vermeintlichen Fehler jedoch unerwartet und überbietet ›propagandhis‹ Kalauer noch, indem er daran erinnert, dass es sich bei 3,46 um eine Zeitund nicht um eine Längenmessung handle, womit er auf die Größe des männlichen Genitals anspielt (vgl. Zeilen 154-155). In den Verschiebungen der gemeinsamen Assoziationskette ist aus der zeitlichen Dauer eines Tref208
4. Digitaler Klat sch: Das Chat ten
fens erst die Länge eines Sexualaktes, dann die eines Musikstücks und schließlich die eines männlichen Geschlechtsteils geworden. Erntet ›propagandhi‹ für seinen Beitrag zunächst noch einen Lacher (Zeile 156), bleibt die Kritik an ihm und an ›Abenteurer36Mz‹ doch nicht aus. ›thatsme-marie‹: »owei…………wo sind wir da wieder hingeraten?« (Zeile 160). ›MSgucknur‹ kommentiert das Entgleisen der Unterhaltung mit einem simplen »tja« (Zeile 162), worauf hin ›Abenteurer36Mz‹ sich bemüßigt fühlt, sein Gesprächsniveau zu rechtfertigen. thatsme-marie’s rhetorische Frage beantwortet er damit, man sei eben abgedreht: »schon wieder total abgedreht – aber hey – was erwartet iht?« (Zeile 163). Durch die Andeutung, er habe nur auf die Erwartung des ›Publikums‹ reagiert, unterhalten werden zu wollen, geht er von der Verteidigung zum Angriff über und versucht zugleich, sich hinter seinem Namen zu verbergen: Von einem Abenteurer sei ja wohl nichts anderes zu erwarten. ›Abenteurer36Mz’‹ Frage nach den Erwartungen beantwortet ›Miss-Pia‹ sehr direkt, erneut auf die ›Zeitdiskussion‹ und die sexuelle Ebene Bezug nehmend: »ich erwarte mehr als drei minuten gehoppel« (Zeile 168). ›Miststück20‹ (»joa«, «:P«; Zeilen 170-171), MSgucknur (»;o)«; Zeile 173), ›Mirgehtssupi‹ (»missy ;))«; Zeile 176) und ›biz‹ (»pia ;o)«; Zeile 178) stimmen ihr sofort zu. Der stumme Kürzelreigen setzt sich fort und gruppiert die Frauen hinter ›Miss-Pia‹ (vgl. Zeilen 182-185). Wie auch in anderen Sequenzen zu beobachten (vgl. v.a. Sequenz »Kerstin«), hat ›Abenteurer36Mz‹ der Gruppe ein »Ihr« entgegengesetzt – betont noch durch den Schreibfehler, der verbessert wurde, um das »Ihr« unmissverständlich zu artikulieren und keinen Fehler stehenzulassen –, das diese erst zu einer Gruppe macht, welche er einerseits ausspricht und von welcher er andererseits ausgenommen ist. Wie auch ›Kerstin‹ postuliert ›Abenteurer36Mz‹ das formierende wie trennende »Ihr« im Versuch, sich zu verteidigen.
F REMDGEHEN
UND
V ER STOSSEN
DER
F R AU
›thatsme-marie‹ lässt sich durch Abenteurers Attitüde und Zoten nicht abschrecken, sondern fragt ihn: »magst du mich abi???«, und sendet ein flirtendes ›Grinsen‹ hinterher: »*griiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiins*« (Zeilen 172 und 174). ›Abenteurer36Mz‹ antwortet jedoch zunächst ›Miss-Pia‹: »ich habe ja dazu meine theorie -aber die darf ich im ö nicht kundtun @pia« (Zeile 175). Mit »ö« ist der öffentliche Chat, also das Foyer gemeint, in dem die Kommunikation stattfindet. ›Abenteurer36Mz’‹ Äußerung ist demnach eine versteckte Aufforderung, ›Miss-Pia‹ möge mit ihm in den Privatchat wechseln, damit er ihr dort seine ›Theorie‹ erklären könne. Einmal mehr thematisiert er damit das Medium Chat, dessen mangelnde Privatheit bzw. zu große Öffentlichkeit er spielerisch beklagt. Das Gespräch zwischen ›Miss-Pia‹ und ›Abenteurer36Mz‹ findet 209
Klat sch im Chat
jedoch – wenigstens im öffentlichen Chat – keine Fortsetzung. Stattdessen antwortet er nun ›thatsme-marie‹, er möge sie gut leiden: »thatsmarie – ja schon« (Zeile 179). Endlich schaltet sich ›SchlomoWeintraub‹ ins Gespräch ein und bezeichnet ›thatsme-maries‹ Flirt mit ›Abenteurer36Mz‹ als Fremdgehen: »meine frau geht fremd :-(((((((((((((((((« (Zeile 184). Die Beschuldigte gibt unumwunden zu: »tatsächlich……….schlomo hat recht« (Zeile 186). In der Folge kommunizieren die anderen Chatter beinahe ausschließlich mit ›SchlomoWeintraub‹, nicht mehr aber mit ›thatsme-marie‹. ›biz‹ fragt nach, mit wem sie ihn denn betrüge: »biz> mit wem schlomi?« (Zeile 187). Vor allem ›MSgucknur‹ reagiert heftig: Nach einem lautmalerischen und durch Fettdruck betonten »*autsch*« (Zeile 188) wird lautstark der Rauswurf der ›Sünderin‹ gefordert: »*schmeiss sie raus Schlomo*« (Zeile 190). ›Abenteurer36Mz‹ äußert sich mit einem brummenden »hmm« (Zeile 189) recht unbestimmt, während ›thatsme-marie‹ fragt, wer denn nun auf ihrer Seite sei: »und wer ist auf meiner seite???« (Zeile 192). Bevor ihr jemand Antwort geben kann, nimmt ihr Partner den Vorschlag, sie aus dem Raum zu werfen, auf und ›ruft‹: »marie!!!!RAUS!!!!« (Zeile 193). ›Mirgehtssupi‹ erteilt ›thatsme-maries‹ Ruf nach Unterstützung eine Absage: »der weg ist zu weit;))« (Zeile 194). Wieder wird auf einen Abstand zwischen den Chattenden angespielt, wie es bereits in den fl irtenden Äußerungen ›Abenteurer36Mz’‹ der Fall war. In der Zwischenzeit hat eine Chatterin mit dem sprechenden Namen ›superkätzchen‹ den Raum betreten und ›Abenteurer36Mz‹ sieht die Gelegenheit gekommen, sich aus dem ›Ehestreit‹ zu ziehen: »superkätzchen – wenn das mal nix für mich ist!!!!« (Zeile 195). Das amüsiert ›MSgucknur‹, der/die kurz zuvor so nachdrücklich den Ausschluss der ›Ehebrecherin‹ gefordert hatte: »*lach« (Zeile 196). An diesem Punkt beendet ›thatsmemarie‹ ihre Teilnahme am Chat mit einem knappen »ok« (Zeile 197) und verlässt den Chatroom: »--- thatsme-marie verläßt den Chat!« (Zeile 198). ›Miststück20‹ setzt die anderen per Inflektiv davon in Kenntnis, dass sie gerade Gummibärchen isst: »*gummibärchenmampf*« (Zeile 199). Sie unterstreicht damit sowohl ihre eigene randständige Position – wie wenn sie unbeteiligt vor dem Fernseher säße – als auch den Spektakelcharakter der Szene. ›Miss-Pia‹ rät ›Abenteurer36Mz‹, er solle ›superkätzchen‹ nichts von den drei Minuten erzählen, die zuvor das Gespräch beherrscht hatten: »lach abi…probiers….aber sach ihr nicht 3minuten« (Zeile 200). Prompt meldet sich das Objekt des Gesprächs zu Wort und adressiert ›Abenteurer36Mz‹: »ich für dich?« (Zeile 201). Nun kommt ›thatsme-marie‹ – just bevor ›SchlomoWeintraub‹ ruft: »marie. komm zurück!!!!« (Zeile 203) – tatsächlich in den Chat zurück: »+++ thatsme-marie betritt den Raum« (Zeile 202). Verwirrt bzw. erstaunt ob seiner widersprüchlichen Äußerungen 210
4. Digitaler Klat sch: Das Chat ten
fragt sie: »sagtest du nicht raus???« (Zeile 205), woraufhin ›SchlomoWeintraub‹ sie wegen ihres Weggangs kritisiert und ihr implizit Unterwürfigkeit und Unselbständigkeit vorwirft: »machst du alles, was man dir sagt???« (Zeile 207). Zu ihrem selbstbewussten Auftreten zurückfindend, erklärt sie: »alles?«, »vieles!« (Zeilen 210 und 213). Sollte sich das Pärchen noch weiter über den Vorfall auseinandersetzen, so geschieht das im Privatchat. Hier endet an diesem Abend ihre Beteiligung am allgemeinen Gespräch. Die Unterhaltung wendet sich nun schnell anderen Themen zu: ›MSgucknur‹ hat das Interesse am Pärchendrama verloren und flirtet stattdessen mit ›Miststück20‹, Gummibärchen für sich einfordernd: »*hmmm* her damit du stück ;o)*« (Zeile 204). Kurz darauf ist zu lesen, dass »[MSgucknur mampft]« (Zeile 206). Indessen erläutert ›Abenteurer36Mz‹ ungefragt seine Anziehung zu ›superkätzchen‹ und gibt seinen Erwartungen an das Objekt des Begehrens Ausdruck, die einer Kontaktanzeigenbeschreibung ähneln (vgl. die Selbstanpreisung der beklatschten Chatterin in der Sequenz »Farbe (be-)kennen«): »der nick klingt nach 170cm 90-70-85 – hübsch und aufgeschlossen« (Zeile 212).
A USSCHLUSS Der Flirt zwischen dem umtriebigen ›Abenteurer‹ und ›thatsme-marie‹ bahnt sich langsam an, bis er in einem ›Ehestreit‹ zwischen ›Marie‹ und ihrem Partner ›SchlomoWeintraub‹ gipfelt, der den spielerischen Rauswurf der ›untreuen Ehefrau‹ aus dem Chatroom zur Folge hat. Das Spielerische der Auseinandersetzung zeigt sich daran, dass ›Schlomo‹ ,Maries‹ Weggang sofort rückgängig zu machen versucht und ›Marie‹ kurz nach ihrem Weggang in den Raum zurückkehrt. Die Sequenz präsentiert damit ein wechselndes, ineinander verflochtenes Spiel von Anbietung und Zurückweisung, Annäherung und Distanzierung, Ein- und Ausschluss. und veranschaulicht das spielerische Funktionalisieren des Betretens und Verlassens von Chatrooms. Durch den Hinauswurf der Chatroom-›Ehefrau‹ wird eine Sphäre der Abwesenheit markiert. Die Frau soll fortgehen und wird wie in traditionellen Gemeinschaften verstoßen, während die übrigen Mitglieder der Gruppe da bleiben. Zelebriert wird hier der minimale soziale Tod, als welchen Barthes den Klatsch beschrieben hat. Angerufen wird mit dem ›Raus‹ ein Jenseits als Bedingung, Voraussetzung und notwendiger Teil der symbolischen Ordnung (Lacan). Die von ›SchlomoWeintraub‹ gewählte besitzergreifende Formulierung »meine Frau«, die an den Ausdruck ›meine Gattin‹ anklingt, mag in der kontaktfreudigen, wechselhaften Chatumgebung erstaunen – wie die Einforderung von Treue überhaupt. Weder sollen hier aber ›SchlomoWeintraubs‹ mögliche Verletztheit noch die Frage der ›Moral‹ im Chat diskutiert werden, sondern die universellen Vorstellungen von Ehe und Untreue, die damit aufgerufen werden 211
Klat sch im Chat
und den spielerischen ›Rauswurf‹, das Verstoßen der untreuen virtuellen Gattin nach ihrem ›Internet-Seitensprung‹ zur Folge haben. Im Seminar über das Ich äußert sich Lacan zu Ehe, Treue. Im Besonderen behandelt er die Figur der untreuen Frau und ihren Bezug zur symbolischen Ordnung (Lacan SE II: 330; vgl. Tholen 1995). Dabei kommentiert er die an der Funktion des Vaters getroffene Unterscheidung in symbolischen Vater/Namen des Vaters, imaginären Vater und realen Vater auf der Ebene des Paares (Lacan SE II: 330-331). Die Beschäftigung mit Molières Stück Amphitryon führt ihn zur Frage des Verhältnisses von Ehe und Liebe und weiter zu Proudhons Überlegungen zum Rätsel der Treue: Was, abgesehen vom gegebenen Wort, motiviert Treue? In aller Buchstäblichkeit arbeitet Lacan das gegebene Wort, d.h. das Versprechen und die Gültigkeit des Wortes als Motiv der Treue heraus. An einer späteren Stelle des Seminars bemerkt er zur Sosias-Gestalt aus dem Amphitryon-Mythos in der antiken Komödie (Plautus): »Ich weise Sie nebenbei darauf hin, dass dieser Text bestätigt, was ich Ihnen über den Ausdruck fides gesagt habe, dass er äquivalent ist dem Ausdruck parole donnée/gegebenes Wort/Ehrenwort/Versprechen« (ebd.: 338). Und weiter: »Doch das Versprechen wird oft leichthin gegeben. Und würde es nicht so gegeben, so würde es vermutlich viel seltener gegeben, was merklich den guten und angemessenen Lauf der Dinge der menschlichen Gesellschaft ins Stocken bringen würde. Wie wir bemerkt haben, hindert das nicht daran, dass es gegeben wird und all seine Früchte trägt. Wird es gebrochen, dann gerät nicht nur alle Welt in Unruhe und entrüstet sich darüber, sondern das führt auch zu Konsequenzen, ob wir’s wollen oder nicht. Das ist gerade eines von den Dingen, die uns die Analyse lehrt und die Ausforschung dieses Unbewussten, wo das Wort weiter seine Wellen und seine Geschicke fortpfl anzt. Wie lässt sich jenes Wort rechtfertigen, das so unvorsichtig gegeben wird und das strenggenommen, woran alle ernsthaften Geister niemals gezweifelt haben, unhaltbar ist?« (Ebd.: 331; Hervorh. A.T.)
Im Folgenden demonstriert Lacan, warum jedes Paar und damit jedes gegebene Wort nach einem Dritten verlangt, wie er mit dem Hinweis auf die Gesellschaft und den als Wellen im Unbewussten beschriebenen Konsequenzen des Wortbruchs andeutet. Überwinde man wie Proudhon die romantische Illusion, es sei die vollkommene Liebe, die das menschliche Treuegelöbnis stütze, so führe das auf die Verankerung der Treue in der Ehe als symbolischem Pakt (ebd.: 332). Die Liebe der Ehepartner zielt dabei – konstitutiv – nicht auf das Individuum, auch nicht auf das idealisierte, sondern »auf ein Wesen jenseits« (ebd.). Die Treue der Frau richte sich auf das, was Proudhon tous les hommes nennt, die des Gatten »durch die Frau hindurch« (ebd.) auf toutes les femmes. Mag dies auch paradox erscheinen, 212
4. Digitaler Klat sch: Das Chat ten
so ist doch wichtig zu bemerken, dass tous les bei Proudhon nicht alle* heißt. Es ist damit also keine Quantität bezeichnet, sondern eine »universale Funktion«: »Es ist der universale Mann, die universale Frau, das Symbol, die Inkarnation des Partners des menschlichen Paares« (ebd.). Lacan schließt, dass der Pakt des Worts weit über die individuelle Beziehung und deren imaginären Wechselfälle hinausgeht (ebd.).8 Jedoch weist nicht nur das einzelne Paar über sich selbst hinaus auf einen Dritten hin, wie es auch im Witz bereits der Fall war, sondern es bedarf des Dritten notwendig für den Zusammenhalt. Damit die Situation haltbar sei, müsse sie triangulär sein (ebd.: 335). So fehlt lediglich die Sexualität, um alle Themen der vorliegenden Sequenz – das Paar, die Sexualität, die Untreue – in Lacans Diskussion des gegebenen Wortes wiederzufinden: »Die genitale Liebe erweist sich als absolut unassimilierbar mit einer Einheit, die die Frucht einer Instinktreifung sein soll. In der Tat, in dem Maße, in dem jeder Begriff des Dritten, des Worts, des Gottes fehlt, fabriziert man sie in zwei Stücken. Primo, der Geschlechtsakt, der, wie jeder weiß, nicht lange dauert – das ist gut, aber das hält nicht vor – und das etabliert absolut gar nichts …« (ebd.).
Das Geplauder der Chatter scheint wie eine wortgetreue Umsetzung von Lacans Ausführungen. Selbst wenn sie es zunächst auf die Befriedigung im sexuellen Akt bezogen haben, so artikulieren die chattenden Frauen doch eine Erwartung, einen Anspruch auf ein nicht näher charakterisiertes Mehr, wie es Lacan für die Liebe der Ehepartner beschrieben hat. Die von ihm benannte Bedeutungslosigkeit des Geschlechtsakts bei der Etablierung einer Ehe als symbolischem Akt klingt dagegen in ›Abenteurer36Mz’‹ freimütig geäußerten Vorstellungen über Sexualität an, die jeder romantischen Illusion abschwören. Recht kurz sei es und das Mädchen solle »hübsch und aufgeschlossen« sein, kurzum: nicht zu verwechseln mit dem ›heiligen‹ Bund, dem Vertrag der Ehe. In der Sequenz ergibt sich eine Serie von Themen, welche um den von Lacan benannten Topos des symbolischen Paktes, man könnte auch sagen den Vertrag des Symbols,9 8. Jedoch sind Frau und Mann auf verschiedene Weise in die symbolische Ordnung eingebunden, wie Lacan unter Rekurs auf die Thesen von Lévi-Strauss über den Frauentausch als Ausgangspunkt der kulturellen Ordnung ausführt. In ihrem initialen Funktionieren, so Lacan, muss die symbolische Ordnung als androzentrisch betrachtet werden (ebd.: 333). Erneut soll hier für eine kritische Reflexion dieser Strukturanalysen auf die Diskussion der Geschlechterdifferenz bei Derrida und Ronell verwiesen werden. 9. Vgl. Derrida (1978: 133), der den Eintritt in die symbolische Ordnung, wie Freud ihn am Fort-Da-Spiel demonstriert habe, als Pakt mit sich selber beschreibt.
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Klat sch im Chat
zu gruppieren sind: Paar–Geschlechtsakt–Untreue/Wortbruch. Insofern sie das gebrochene Wort behandelt, stellt die Untreue zugleich eine Diskussion des gegebenen Wortes, des Versprechens, der parole donné dar. Doch wessen Untreue und Fremdgehen diskutieren und inszenieren die Chatter mehr oder weniger zufällig? Nebenbei sei angemerkt, dass der von ›SchlomoWeintraub‹ benutzte Ausdruck ,meine Frau geht fremd‹ den Rauswurf derselben bereits impliziert und zugleich vorwegnimmt. Die Frau geht fremd, in die Fremde – fort. Wir waren bei der Frage stehen geblieben, worauf sich die Treue beziehe. Gemäß der Selbstzweckhaftigkeit des digitalen Geplauders lässt sich nur folgern: auf das gegebene Wort selbst, d.h. auf jede Äußerung ›im‹ Chat. Die Chattenden verhandeln also nichts weniger als die Treue und Gültigkeit des Wortes im Chat: Was, wem und wie viel gilt es? Als sei es vorab inszeniert – doch wie sollte so etwas überhaupt inszenierbar ein?10 –, tritt sogar die von Lacan als Folge der Untreue erwähnte Unruhe auf, wenn auch in einer parteiischen Variante, den Mann in Schutz nehmend und die Frau schon im Voraus verdammend. In Gestalt von ›MSGucknur‹ tritt sodann der strafende Part auf, der die durch den Wortbruch erzeugte Unruhe mit der Frau entfernt haben will. Treue und Untreue der Frau und des Wortes werden synonym diskutiert. Die Chatroom-›Ehe‹ von ›SchlomoWeintraub‹ und ›thatsme-marie‹ steht für jedes gewechselte Wort im Chat überhaupt – gleich, ob es sich dabei um eine offene Liebeserklärung, Frage oder einfache Anrede handelt. Wie Lacan gezeigt hat, kann der Status und Stellenwert des gültigen Wortes nur durch einen Dritten legitimiert werden. Umgekehrt liegt in der Inszenierung als Pärchen bereits der Ruf nach einem Dritten begründet.
A BEN T EURER Eine andere Klatschvariante repräsentiert die Sequenz »Abenteurer«, in der jemand geplant und freiwillig den Chat verlässt, nur um dann in seiner Abwesenheit sofort zum Klatschobjekt der verbleibenden Anwesenden zu werden. Die Chatter versuchen häufig, ihren stereotypen Namen gerecht zu werden. So flirtet ein Chatter mit Namen ›Abenteurer29Mz‹11 noch kurz bevor er den Chat für diesen Abend verlässt sehr engagiert und mit meh10. Der auffällig ›theatrale Charakter‹ des Chattens wurde bereits mehrfach mit mäßigem Erfolg in geplante Inszenierungen und Theaterprojekte eingebunden (vgl. Wirth 2002: 228). 11. Ob es sich bei ›Abenteurer29Mz‹ um denselben Chatter handelt, der in der Sequenz »Meine Frau geht fremd« als ›Abenteurer36Mz‹ auftritt, konnte nicht ausgemacht werden.
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reren Personen zugleich. Die Verabschiedung des Abenteurers, der diverse Anwesende ›drückt‹ (vgl. Zeilen 16 und 27), bevor er den Chat für diesen Abend verlässt, zieht sich hin und löst Klatsch aus (vgl. Zeile 33). Kurz bevor sich ›Abenteurer29mz‹ ausloggt, kündigt ›fire020‹ (vgl. Sequenz »0815typ«) ebenfalls an zu gehen: »so geh jetzt musi machen und den teenies einheizen also biba @ all« (Zeile 31). Auch ›fire020‹ verabschiedet sich mit dem gängigen »biba« (»bis bald«) und erhält zum Abschied ein Lächeln von ›engel-pt‹ geschenkt (vgl. Zeile 32). Zugleich kommentiert er ›Abenteurer29Mzs‹ inzwischen erfolgten – und seinen eigenen bevorstehenden – Weggang: » ich hab grad 353,- ausgegeben! limber> :O theinsound> du bist echt n DAU san! limber> verklickt? santaaa> ja sweet-greek-girl> Biz was ist den mit MZ los ist er jetzt beleidigt? biz> kommt drauf an wofür *lol* santaaa> ne…isn guter preis.naja…nicht genügend speicherkarten dabei santaaa> einziger mangel +++ shadow-83w betritt den Raum santaaa> juhuuuuuuuuuu --- Breaktruh verläßt den Chat! loas1> :o) santaaa> ich hab endlich ne bessere digicaaaaaaam biz> *lol* sweet… ich bin nicht seine seelsorge +++ Rhajax betritt den Raum limber> und ›n leeres Konto :-))) +++ Rhajax wechselt in den Raum Singles2! santaaa> ich bin jetzt besitzer einer Nikon Coolpix 5700 !! theinsound> toll san! +++ Nette19 betritt den Raum santaaa> dabei wollte ich die canon eos 300d santaaa> aber die is mir zu teueeeeeer
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Klat sch im Chat
27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67.
santaaa> aber bald kauf ich die! --- ChimcalSista wechselt in den Raum kurz-wech! [limber hat ein fotohandy] +++ Seal112 betritt den Raum theinsound> oh limber… theinsound> ich auch, koennne wir nun heiraten? --- the-freshmaker verläßt den Chat! --- Seal112 wechselt in den Raum Singles! limber> aber ja doch thein :-) theinsound> aeh….sag bitte nein! [santaaa hat ein fotohandy, ne analoge spiegelreflex von minolta, ne analoge ixus, ne digitale ixus, ne fuji finepix und jetzt ne nikon coolpix] limber> denke nich daran limber> los limber> heirate mich! santaaa> und dann noch so ne spasspolaroid theinsound> :(ick will nich!!!!! theinsound> scheiss heiraten! [limber hat dafür drei tellefone, die alle nicht richtig funzen] +++ moechtegern betritt den Raum theinsound> tollsan! +++ notwehr betritt den Raum limber> aber nen ehemann hab ich biz> noti theinsound> noti! limber> da kommste nimmer raus thein :-) notwehr> hallo notwehr> :o) theinsound> aehmm.haben wir danna uch sex? +++ Mafia-23 betritt den Raum notwehr> meine finger sind putt +++ Suse112 betritt den Raum --- Mafia-23 wechselt in den Raum Über30! notwehr> :/ limber> ehem… MUSS das denn dann sein? notwehr> biz du bist nicht im urlaub? santaaa> hi, niedlicher noti santaaa> ich hab noti in der webcam geseeeeeehn!! theinsound> aehmm okay, kein sex, keine heirat! biz> ab morgen +++ Seal112 betritt den Raum --- Seal112 wechselt in den Raum Singles!
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6. Anhang
68. notwehr> gsch supi :o* 69. santaaa> ders niedliiiiiich, mädels unter 25 schnappt ihn euch! 70. biz> ;o) 71. notwehr> löl 72. --- DarkPiedro verläßt den Chat! 73. notwehr> geh weg doh! 74. theinsound> maedels unter 17 schnappt ihn euch! 75. theinsound> gg 76. santaaa> 21:21 77. theinsound> 21:23 78. biz> damals als ich noch unter 25 war *lol* 79. +++ MarlaSinger betritt den Raum 80. notwehr> san hat die eigene vk in der vk 81. theinsound> marla singer!! 82. --- laos1 wechselt in den Raum Singles! 83. theinsound> marla?? 84. +++ Miss-Pia betritt den Raum 85. +++ Felix 100 betritt den Raum 86. biz> jaa marla 87. theinsound> marla…antwortet nie 88. --- Miss-Pia wechselt in den Raum Über30! 89. +++ nasty23w betritt den Raum 90. santaaa> ja, hab ich 91. theinsound> dabei ist die ziemlich cool 92. theinsound> also die marla… 93. santaaa> das is ne doppel-vk und unterliegt meinem zueigensten copyright 94. --- Felix100 wechselt in den Raum Über40! 95. +++ tunichts betritt den Raum 96. +++ strom betritt den Raum 97. notwehr> bei der nachbarin klingelt das telefon 98. Mirgehtssupi> not *gsch* 99. notwehr> :o) 100. biz> hm. ob ich heute mal was essen sollte 101. --- tunichts wechselt in den Raum Über30! 102. notwehr> mir wie waren die besichtigungen 103. santaaa> ich bin arm 104. notwehr> ich auch 105. [biz is so völlig appetitlos] 106. santaaa> viel zu arm für meine ebay-allüren 107. theinsound> pixies-in-heaven-where is my mind 108. +++ verwöhner69 betritt den Raum 109. +++ ex-rausflieger betritt den Raum
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110. DasDrama> lieber arm dran als arm ab :ugly 111. theinsound> in heaven muesste eigentlich von bauhaus sein…. 112. theinsound> zumindest hab ich das von bauhaus 113. +++ KleinUndSüß betritt den Raum 114. KleinUndSüß> nabend 115. strom> n abend 116. gesundesabnehmen> guten A 117.KleinUndSüß> hei strom 118. DasDrama> nomd klein&süß 119. KleinUndSüß> hei drama 120. --- stehaufmännchen verläßt den Chat! 121. KleinUndSüß> hei egsund 122. KleinUndSüß> gesung 123. --- g-maus verläßt den Chat! 124. gesundesabnehmen> hi klein 125. strom> toller nick @ klein und süß *g*,…welche zielgruppe sprichst du an ? *g* 126. DasDrama> die großen und hässlichen *g* 127. +++ Verzauberter Hase betritt den Raum 128. +++ Choui betritt den Raum 129. KleinUndSüß> tja eigentlich keine aber es sind beide worte die jeder anders auslegt 130. --- Suse112 wechselt in den Raum Über30! 131. biz> nicht die grossen und sauren? 132. --- ex-rausflieger wechselt in den Raum Singles! 133. KleinUndSüß> heute net biz 134. --- MarlaSinger wechselt in den Raum Kaminzimmer! 135. theinsound> groß und sauer 136. Das Drama> biz: also ich klassifiziere menschen nich nach ihrem geschmack… börks *g* 137. biz> ohi thein… jetzt is marla gegangen 138. --- gesundesabnehmen verläßt den Chat! 139. biz> nicht drama…wonach dann?? 140. notwehr> wollt ihr neues bild? 141. notwehr> ch 142. +++ kätzchen35 betritt den Raum 143. santaaa> ja 144. +++ Kipfl betritt den Raum 145. Kipfl> hi zusammen 146. --- Nette19 verläßt den Chat! 147. notwehr> mit oder ohne lächeln? 148. +++ Schmusemaus79 betritt den Raum
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6. Anhang
149. Schmusemaus79> nabend 150. +++ Marina2311 betritt den Raum 151. santaaa> manoman, die cam hat vor wenigen monaten im laden noch 1049,euro gekostet! 152. +++ heaven001 betritt den Raum 153. --- Choui wechselt in den Raum Über20! 154. notwehr> reich-san 155. +++ Hansix betritt den Raum 156. santaaa> noti, ich hab sie für 353,- geebayt 157. notwehr> achso 158. notwehr> haste nu eine über? 159. DasDrama> biz: eehh nach vorurteilen *fg* 160. santaaa> ich hab nie eine über, ich sammel das zeug glaub ich 161. --- Kipfl wechselt in den Raum ChatBar! 162. biz> ach… cool. nach schubladen. naja es sortiert sich so leichter drama ;o) 163. --- heaven001 wechselt in den Raum Singles! 164. --- Schmusemaus79 wechselt in den Raum ChatBar! 165. santaaa> wenn ich endlich mal zu geld komm, weiß ich schon, welche die nächsten sein werden 166. notwehr> mmh 167. notwehr> ich hab nich mal 30 euro für neue schuhe 168. Versuchung-M> guten abend traumfrau 169. DasDrama> biz: ohja… ganz leicht ;) 170. --- Hansix verläßt den Chat! 171. --- ulla87 verläßt den Chat! 172. [biz muss schmunzeln] 173. --- Marina 2311 wechselt in den Raum Singles! 174. --- sweet-greek-girl wechselt in den Raum Singles! 175. [limber muss mehr als schmunzeln] 176. Traumfrau-sucht> Guten abend versuchung 177. +++ bär50 betritt den Raum 178. bär50> hi gitte hab dich gefunden 179. +++ Gothmog betritt den Raum 180. --- nasty23w verläßt den Chat! 181. notwehr> ich habe gestern mal das fl aster von den fingern abgemacht . boar ich sag euch ich hätte fast gekotzt. 182. +++ bobecca betritt den Raum 183. +++ akina 1983 betritt den Raum 184. +++ Dreamaus34 betritt den Raum 185. Gothmog> hi aki 186. notwehr> grün gelb grau rot jedde suppe vertreten 187. +++ orangutanklaus1 betritt den Raum
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Klat sch im Chat
188. theinsound> okay 189. bobecca> hallo ihr 190. biz> was haste denn wieder angestellt??? graka falsch eingebaut?? 191. notwehr> ne ich wollte beim sport angeben 192. +++ 81-w betritt den Raum 193. --- akina1983 wechselt in den Raum Über20! 194. +++ flocker betritt den Raum 195. biz> ach das mit dem seil 196. notwehr> bin ein kletterseil schnell nach unten gerutscht und hab mir die hat von 2 fingern gezogen 197. notwehr> genau 198. notwehr> haut 199. notwehr> :/ 200. biz> japp haste erzählt… ;o) wo jemand sagte dassu doch schon hornhaut anne finger haben müsstest *fg* 201. notwehr> ich hab nu das pfl aster ab damit luft ran kommt 202. notwehr> ja sound war oder du 203. notwehr> +s 204. notwehr> :o) 205. theinsound> was? 206. --- Dreaumaus34 wechselt in den Raum Singles! 207. theinsound> ich les das! 208. --- orangutanklaus1 wechselt in den Raum Über30! 209. theinsound> was war ich? 210. +++ ein-anderer betritt den Raum 211. +++ potpouri betritt den Raum 212. biz> s.o. 213. --- Phyrexianer verläßt den Chat! 214. notwehr> jeamnd sagte wenn ich anständig onanieren würde hätte ich hornhaut an den fingern 215. theinsound> ich wars nicht 216. Abenteurer36Mz>/me privat an biz – ich finde dich nett 217. +++ kranich-m-70 betritt den Raum 218. santaaa> noti, dir passieren immer die komischsten sachen. 219. biz> mz.lass dir doch ma was neues einfallen 220. +++ Chica126 betritt den Raum 221. +++ Ossi-19 betritt den Raum 222. --- ein-anderer wechselt in den Raum ChatSofa! 223. +++ Phyrexianer betritt den Raum 224. --- bobecca wechselt in den Raum Singles! 225. OSSI-19> Moin zusammen 226. +++ Johnny-S betritt den Raum
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227. notwehr> naja wenigstens hab ichs nach ganz oben geschafft am seil :o) 228. santaaa> ohne haut weitergeklettert 229. Chica126> hey allerseits 230. santaaa> tough noti 231. --- Johnny-S verläßt den Chat! 232. notwehr> ne san 233. notwehr> das war vorher 234. OSSI-19> hallo leute 235. --- Chica126 wechselt in den Raum ChatBar! 236. --- Phyrexianer wechselt in den Raum Singles! 237. notwehr> als ich unten ankam war die haut weg 238. Mirgehtssupi> bis später evtl…… 239. +++ Das-Superweib betritt den Raum 240. Mirgehtssupi> …gsch 241. notwehr> bye mir 242. Mirgehtssupi> *g* 243. biz> bye bye supi ;o) 244. --- kätzchen35 verläßt den Chat! 245. strom> toll,.abendfüllendes Program,…ein unsportlicher ungeschikter vill ein seil hochkrabbeln und fällt runter,…. 246. notwehr> danke biz :o) 247. Mirgehtssupi> biz ;)) biba 248. --- kranich-m-70 verläßt den Chat! 249. +++ Göttervater-Odin betritt den Raum 250. +++ DerkleineNils betritt den Raum 251. +++ kranich-m-70 betritt den Raum 252. --- Mirgehtssupi verläßt den Chat! 253. DerkleineNils> hi 254. +++ WebDevil betritt den Raum 255. kranich-m-70> bin raus geflogen….hi nochmal 256. strom> .und diese unsinnige geschichte muß ich jetzt lesen .-( 257. biz> ein abendfüllendes programM… ein unsportlicher ungeschiCkter, will ein seil hochkrabbeln und er ist nicht gefallen 258. +++ kätzchen35 betritt den Raum 259. notwehr> strom wer lesen kann… 260. --- kranich-m-70 wechselt in den Raum Über30! 261. +++ janangel betritt den Raum 262. --- DerkleineNils wechselt in den Raum Über20! 263. --- MischaK68 verläßt den Chat! 264. notwehr> außerdem gibt’s noch mehr räume 265. theinsound> siamese twins 266. strom> ok,.so ähnlich,.du bist runtergerutscht,.gleich schlimm
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Klat sch im Chat
267. biz> noti einfach ignorieren 268. biz> strom…ist da natürlich viel unterhaltsamer 269. biz> was er/sie/es uns gleich beweisenw ird 270. +++ sweet-greek-girl betritt den Raum 271. sweet-greek-girl> re 272. strom> loool,.-loooser aller klassen vereinigt euch @ biz 273. +++ lara772 betritt den Raum 274. --- lara772 wechselt in den Raum ChatBar! 275. notwehr> ?? 276. --- OSSI-19 wechselt in den Raum Singles! 277. biz> na und du wirst ihr redensführer @ storm. naja bei der sprachgewandtheit würde es mich nicht wundern 278. biz> strom 279. +++ Teresia betritt den Raum 280. --- 81-w verläßt den Chat! 281. +++ lunalie betritt den Raum 282. Teresia> guten Abend 283. lunalie> wunderschönen guten Abend:-) 284. +++ honey1980 betritt den Raum 285. lunalie> schlaft ihr…. 286. --- honey1980 wechselt in den Raum Singles! 287. +++ bobecca betritt den Raum 288. strom> das gleiche @ luna .-) 289. --- bobecca wechselt in den Raum Über20! 290. [lunalie wundert sich über die Stille….] 291. [limber wartet auf stroms ultimativ konstruktiven beitrag] 292. biz> *lol* 293. +++ Makkaroni betritt den Raum 294. +++ Louis betritt den Raum 295. lunalie> Makka!!!!!!:-) 296. limber> gugugs makka ;-) 297. +++ mado22 betritt den Raum 298. biz> nudööll ;o) 299. [notwehr schließt sich limber an] 300. --- flocker verläßt den Chat! 301. Louis> re 302. +++ lightning77 betritt den Raum 303. --- kretsch verläßt den Chat! 304. Makkaroni> lunalie =)) 305. Makkaroni> hey limber ;)) 306. notwehr> makka olle klo frau :D 307. notwehr> ch
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6. Anhang
308. --- lightning77 wechselt in den Raum ChatSofa! 309. Makkaroni> noti, klempnermeister =)) 310. lunalie> hi not:-) 311. +++ MischaK68 betritt den Raum 312. +++ Felix100 betritt den Raum 313. Andy--1982> hallo eine nette sie hier?????? 314. Makkaroni> luuder=) 315. +++ gundelgaukeley betritt den Raum 316. notwehr> hallo luna 317. strom> leute….biz und notwehr und was weis ich,.euer langweiliges leben ….k….langweilt mich *gggg* 318. --- Traumfrau-sucht verläßt den Chat! 319. notwehr> ok 320. --- Göttervater-Odin wechselt in den Raum EINSAMKEIT! 321. notwehr> sorry dafür 322. Makkaroni> ward ihr wieder gemein? 323. lunalie> tut mir auch doll leid… 324. notwehr> ne makka 325. lunalie> was habt ihr gemacht? 326. biz> *lol* magga… ja wir unterhielten usn… es störte unser rechtschreibgenie strom ;o) 327. --- gundelgaukeley wechselt in den Raum Über30! 328. shadow-83w> aber immer @ andy, musst nur suchen 329. Makkaroni> nja 330. notwehr> makka haste schon überblick wie teuer die atkion war? 331. Makkaroni> also ward ihr doch gemein! 332. --- jtheg verläßt den Chat! 333. Makkaroni> is mir egal, noti, der vermieter zahlt ;) 334. biz> nicht mehr als immer magga ;o) 335. theinsound> maggababy!!! 336. notwehr> -t 337. lunalie> man kennt sie ja, wohl,makka-) 338. notwehr> achso 339. strom> nicht rechtschreibgenie,…es ging um das tagesgeschen,…was ein tollpatsch von seilkletterer so anrichten kann 340. Makkaroni> mausiiii =)) *rrrr* 341. Makkaroni> *g* 342. Makkaroni> sie sind immer so, lunalie *g* 343. biz> strom…wer lesen kann ist klar im vorteil ;o) 344. lunalie> wir kenne sie nicht anders:-) 345. Makkaroni> sie sind halt so! 346. Makkaroni> *seufz*
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Klat sch im Chat
347. lunalie> *mitseufz* 348. +++ federleicht betritt den Raum 349. --- Andy--1982> wechselt in den Raum Singles! 350. notwehr> hach 351. limber> Präferenzbegünstigt derzeit ist der Typ des legasthenisch vorbelasteten Cholerikers, der mit napalmhafter Ignoranz durchs Leben walzt und dessen barocke Körperformen das Bild seiner Nachlässigkeit abrunden. 352. Makkaroni> also manchmal weiß man gar nicht, wo man hier aufhören soll mit seufzen. 353. [limber wartet nun auf ihre nachricht] 354. strom> klar…und das ihm einer geraten hat ,.er solle lieber ornanieren,…was m. e. auch für ihn besser gewesen wäre *g* 355. --- Teresia wechselt in den Raum Über40! 356. --- shadow-83w wechselt in den Raum Singles! 357. strom> …anbetracht der verletzten Hände 358. notwehr> ich habe heute eine gute tat vollbracht 359. biz> sehr schön ausgedrückt limber :o) 360. --- mado22 verläßt den Chat! 361. notwehr> !! 362. --- xmk05 verläßt den Chat! 363. --- Nemesis verläßt den Chat! 364. strom> egal,…. 365. limber> danke biz :_) 366. limber> :-) 367. lunalie> not, was denn *g* 368. +++ NICKZ betritt den Raum 369. +++ KennyJaY betritt den Raum 370. --- FoXX76 verläßt den Chat! 371. KennyJaY> Hallo? 372. biz> aber limber ich befürchte das er das nicht verstehen wird 373. NICKZ> ohlala!!!!!! 374. Luzzia> nun ja strom, was erwartest du hier denn schönes ;-) 375. NICKZ> wen sehe ich?????????????????? 376. +++ spitzrakete betritt den Raum 377. KennyJaY> Eine nette dame anwesend? 378. NICKZ> HI…! 379. lunalie> hi luzzia *g* 380. +++ CC-Fliege betritt den Raum 381. NICKZ> duuuu????? 382. Luzzia> hallo nick :-)) 383. NICKZ> hast du meine Karte bekommen???? 384. Luzzia> hi lunalie :-))
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6. Anhang
385. KleinUndSüß> machts gute leute 386. KennyJaY> hmmmm 387. +++ DerWieEinAdlerWank betritt den Raum 388. limber> das willlst du nicht wirklich wissen luzzia 389. +++ Mafia-23 betritt den Raum 390. ---federleicht wechselt in den Raum Singles! 391. --- KennyJaY wechselt in den Raum Singles! 392. limber> das willst du nicht wirklich wissen luzzia 393. --- limber verläßt den Chat!
6.2 Sequenz »Farbe (be-)kennen« Raum: Foyer City-chat 87 Benutzer online 19:23-19:55 Uhr 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24.
maron14> WILL JEMAND MIT MIR CHATTEN BIN W Diabolika> anscheinend nicht maron:) [mausiiii88 gibt Keylocker einen Kuß] +++ Bettfl asche betritt den Raum FELIX2003> maron du tust mir leid Keylocker> :-)))))))))))))) mausiiii88> ;) FELIX2003> du versuchst seit einer stunde jemand zu finden der mit dir chatten will surftipp> nichts los heute maron14> BIST DU GEMEMEIN ALTR [Keylocker gibt mausiiii88 einen Kuß] maron14> ALTER FELIX2003> wieso FELIX2003> AITE maron14> nicht du FELIX2003> achso maron14> sorry FELIX2003> np Keylocker> mausiiii????? mausiiii88> jo mausiiii88> here i am Keylocker?> gemma? FELIX2003> maron? Phillip70> hmm
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Klat sch im Chat
25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65.
mausiiii88> wohin denn [Soso gibt Soso einen Kuß] [Soso gibt Soso einen Kuß] mausiiii88> soso?? Keylocker> Lucy besuchen +++ Lilly betritt den Raum --- fesslemichFFM verläßt den Chat! mausiiii88> hihi +++ Windling betritt den Raum maron14> hast du lust mit mir zu chatten Felix --- Keylocker wechselt in den Raum Singles! --- mausiiii88 wechselt in den Raum Singles! --- Windling verläßt den Chat! FELIX2003> was soll cih denn sonst mir dir machen?! --- Zooz verläßt den Chat! --- Narzissus verläßt den Chat! +++ Choui betritt den Raum surftipp> na chatten Choui> yo maron14> hi +++ Windling betritt den Raum maron14> hi Hasehirn> hi choui Phillip70> ausser chatten geht doch offiziell nichts hier Choui> hey hase Phillip70> :-) --- Lilly wechselt in den Raum Singles! surftipp> stimmt auch wieder --- strandboy23m wechselt in den Raum Singles! --- aspachfan verläßt den Chat! +++ Andybros betritt den Raum --- Andybros wechselt in den Raum ChatBar! --- EricDraven verläßt den Chat! +++ juli2004 betritt den Raum maron14> HI LEUTE Diabolika> maron beherrscht ja die hohe kunst des small talks :9 hi hi hi und wer will chatten :) ganz toll maron Choui> lol +++ akina1983 betritt den Raum speedyjulia> juhuuuu maron14> IHR SEIT JA VOLL LANGWEILICH Hasehirn> hi speedy
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6. Anhang
66. Diabolika> und deine tastensperre scheint zu klemmen maron 67. speedyjulia> huhu hirni 68. +++ der-nette-25 betritt den Raum 69. speedyjulia> *g* 70. FELIX2003> Maron? 71. der-nette-25> hi @ll 72. MatheRatte> ui ui ui, maron, das ist aber ne ganz neue rechtschreibung 73. FELIX2003> willst du eine neue Farbe? 74. +++ Camara betritt den Raum 75. FELIX2003> drück mal Alt und F4 76. [Camara grüßt mal in die Runde] 77. +++ Yoe24 betritt den Raum 78. --- Windling verläßt den Chat! 79. Soso> :o) 80. --- spacepebbles wechselt in den Raum ChatBar! 81. Hasehirn> hi camara 82. Camara> Hi hasehirn 83. --- juli2004 verläßt den Chat! 84. speedyjulia> wasan los hierrrrrrrrrrrrrr?? nöx? 85. Diabolika> also maron so wird das nix mit der konversation :) 86. --- Yoe24 verläßt den Chat! 87. Phillip70> nee, julia, tote hose 88. surftipp> eben nix 89. speedyjulia> schon klar »wasAn« 90. --- der-nette-25 verläßt den Chat! 91. speedyjulia> bei dir! ;-P 92. speedyjulia> nööx gibbet hier…. 93. FELIX2003> Dia sie sucht noch Alt + F4 94. Hasehirn> wasn mit dir los speedy? ham se dir was innen tee? *g* 95. Phillip70> bei mir nicht, aber das steht nicht zur Debatte 96. Phillip70> :-) 97. +++ St3v376 betritt den Raum 98. speedyjulia> neee ekommt noch ;-) 99. --- Camara wechselt in den Raum Singles! 100. Diabolika> na hoffentlich findet sie die tasten @felix ;) 101. +++ cosmas betritt den Raum 102. Phillip70> morgen vielleicht 103. Phillip70> *g* 104. +++ Kleines2003 betritt den Raum 105. --- St3v376 wechselt in den Raum Singles! 106. FELIX2003> lol 107. maron14> HALLÖLE
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Klat sch im Chat
108. speedyjulia> ;-P 109. FELIX2003> maron?? 110. speedyjulia> mennnöööö 111. surftipp> na wieder da 112. Phillip70> hmmm 113. Hasehirn> so, ich dackel ma wieder ab, viel spass noch !! 114. FELIX2003> Drück Alt + F4 115. +++ suesserromantiker2 betritt den Raum 116. Diabolika> nein, sie ist sogar zu doof die tastensperre rauszumachen 117.speedyjulia> tschau hirni 118. Phillip70> maron, ändere deine Farbe bitte 119. Phillip70> !! 120. speedyjulia> *gg* 121. jan-baus> respekt @ maron 122. --- Hasehirn verläßt den Chat! 123. FELIX2003> phillip auch noch ;-) 124. Phillip70> klar *g* 125. +++ Itm1500 betritt den Raum 126. FELIX2003> haha 127. speedyjulia> maron.versuchs doch ma innem anderen raum ,…hm? 128. jan-baus> jo @ speed 129. Diabolika> oder in nem anderen chat 130. Phillip70> DIA!!! 131. +++ mabel-bangsbo betritt den Raum 132. Phillip70> lass das 133. Phillip70> *g* 134. Diabolika> aber warum denn? 135. --- Itm1500 wechselt in den Raum Kuschelecke! 136. Phillip70> nur so 137. Phillip70> *g* 138. FELIX2003> wirklich :D 139. speedyjulia> *g* 140. speedyjulia> mennnnöö 141. Diabolika> aber ich mach doch gar nicht;) 142. Diabolika> NOCH nicht 143. --- Arabesque wechselt in den Raum BB-gucken! 144. maron14> warum soll ich es wo anders fersuchen 145. Diabolika> FG 146. speedyjulia> ne ne 147. speedyjulia> VVVVVVVVVV 148. Phillip70> unglaublich 149. Phillip70> :-)
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6. Anhang
150. FELIX2003> maron drück einfach mal Alt + F4 bitte 151. speedyjulia> ;-)=00 152. Phillip70> Mit Alt + F4 kalibriert man seine Chatfenster 153. --- surftipp verläßt den Chat! 154. FELIX2003> haha topstory… 155. +++ surftipp betritt den Raum 156. speedyjulia> juhuuuuu weeeeee 157. Diabolika> maron, hat dir eigentlich dein deutschlehrer empfohlen, dein legasthenieproblem in einem chat zu lösen? 158. FELIX2003> ooooooo 159. surftipp> danke für den tipp felix 160. --- CHRISTINA-83 verläßt den Chat! 161. Phillip70> das ist böse, dia 162. speedyjulia> gegen wortfindungsstörungen helfen dier hier nicht 163. +++ Gastin betritt den Raum 164. Diabolika> ich habe nie behauptet lieb zu sein :) 165. FELIX2003> surftip hab ich mit dir gesprochen? 166. speedyjulia> ;-)) 167. speedyjulia> lieb is langweilig. 168. maron14 was soll das 169. Diabolika> genau speedy :) 170. +++ FabbyG betritt den Raum 171. surftipp> ne aber ich habe deinen rat befolgt und bin rausgeflogen. Ups 172. --- Gastin wechselt in den Raum ChatBar! 173. FELIX2003> haha 174. FELIX2003> wie geil 175. --- maron14 wechselt in den Raum Singles! 176. speedyjulia> *fg* 177. surftipp> eben hab ich auch gedacht. ha ha 178. Choui> hehe 179. speedyjulia> juppii 180. Diabolika> och nu isse weg 181. speedyjulia> naAAAAA 182. mabel-bangsbo> nabend 183. speedyjulia> sach et nisch so laut doooooo 184. speedyjulia> hoi 185. Diabolika> dabei war sie doch momentan einziger lichtblick hier 186. jan-baus> schade schade schade
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Klat sch im Chat
6.3 Sequenz »Kerstin« Raum: Foyer 92 Benutzer online 17:15-17:26 Uhr 1. Kerstin> Wer ist dafür, das Theirsound geht, der oder die heben bitte sichtbar die Hand und rufen hier! 2. --- Wildkatzchen19 verläßt den Chat! 3. +++ gitte-51 betritt den Raum 4. Charly> hat ER dich geärgat, Kerstin? 5. --- powerman1a verläßt den Chat! 6. Blairwitch> Kerstin.falls es dir nicht aufgefallen sein sollte is der libe theinsound momentan nicht anwesend 7. Blairwitch> +e 8. +++ Beast67w betritt den Raum 9. Charly> oha…. 10. --- Beast67w wechselt in den Raum ChatBar! 11. Blairwitch> geärgert scheint mir untertrieben… 12. Charly> gepoppt und fallen gelassen? 13. +++ Beast67w betritt den Raum 14. +++ branif betritt den Raum 15. Blairwitch> das könnte es sein charly 16. Kerstin> Solche Typen können mich nicht aufregen! da steht ich drüber! 17. Charly> cool 18. Kerstin> Vorsicht Charly! 19. Beast67w> was heißt hier oha tach charly 20. +++ CRAZYbadGIRL betritt den Raum 21. Beast67w> moin allerseits 22. Blairwitch> wenn du drüber stehst kannste ja deine kommentare auch bleiben lassen ansonste is deine aussage recht unglaubwürdig 23. Charly> Na. altes Beast 24. Blairwitch> genau….VORSICHT Charly 25. +++ ewinner betritt den Raum 26. chk> junge, junge 27. Charly> Charly = VORSICHT 28. Beast67w> na du stoff…. 29. Blairwitch> RICHTIIIIIIIIG 30. Beast67w> ok den rest spar ich mir lieber ;;)) 31. chk> zweite primatenwarnung 32. --- Beckfield wechselt in den Raum ChatBar! 33. Charly> na du Zofe
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6. Anhang
34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73.
derhausmeister> kerstin ich glaub du bist auch n bissl blöd oder?! +++ Beckfield betritt den Raum Blairwitch> hausi hat es ma wieder erkannt +++ N8Vogel betritt den Raum --- eboular wechselt in den Raum Singles! +++ Pascal281076 betritt den Raum +++ 23-Lovin betritt den Raum Charly> sach doch Beast…. 23-Lovin> guten Abend Charly> Stoffhose Charly> dess macht mich scharf --- 23-Lovin wechselt in den Raum Singles! Beast67w> nö will ich aber nicht so!!! bähhhh +++ Spax9483 betritt den Raum N8Vogel> hi Lovin derhausmeister> nach 20 minuten 8 tore in 6 primera division spielen Kerstin> Blöd, soso! Wenn ihr meint, dann habt ihr euern Müll noch nicht gelesen! derhausmeister> das ist echt toll --- Spax9483 wechselt in den Raum Singles! --- Pascal281076 verläßt den Chat! Blairwitch> *augenbrauehochzieh* chk> ich schon Beast67w> wie muß ich jetzt auch welche tragen ch??? --- jens123 wechselt in den Raum Singles! Beast67w> hey kerstin was ist denn mit dir los schlechte laune??? +++ Smocky betritt den Raum +++ Spax9483 betritt den Raum derhausmeister> 9 nach 23 Blairwitch> euren müll nochnich gelesen….das muss ich nu verarbeiten Charly> du wirst gezwungen dazu, Beast……aba nich lang…denn dann mach ich dich naggich --- Spax9483 wechselt in den Raum Kuschelecke! +++ Zepperitz betritt den Raum derhausmeister> ich finde das echt spannend derhausmeister> wirklich chk> ich schreibe viel müll, geb ich zu +++ Levje betritt den Raum Beast67w> ja ja …. wie willst du das bloß schaffen Levje> un??? [Smocky stimmt chk zu] --- Levje verläßt den Chat!
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Klat sch im Chat
74. Charly> mit reiner Muskelkraft, Beast…gg 75. --- vampirmaus verläßt den Chat! 76. chk> danke, smocky, es tut mir auch leid, obwohl …. egal 77. Beast67w> boahhhhhhh ich lmw 78. Smocky> genau…egal ;) 79. mausibrausi1 betritt den Raum 80. --- branif wechselt in den Raum Singles! 81. chk> ja, es kotzt einen an 82. Blairwitch> irgendwie….isset kalt…. 83. Charly> genau, lach noch so lang es geht….fg 84. derhausmeister> irgendwie …. isset winter 85. mausibrausi1> hallo bin wieder da! 86. Blairwitch> sag nich sowas hausl 87. +++ Dackelchen betritt den Raum 88. Beast67w> weißt du was ich echt klasse finde charly 89. +++ Ralle1965 betritt den Raum 90. Charly> mein Humor? 91. Beast67w> ja den sowieso 92. Charly> mein Unterleib? … 93. derhausmeister> – irgendwie … isset winter 94. Beast67w> aber das wenigstens einer hier mit mir spricht 95. Charly> meine triebhaftigkeit? … 96. +++ Jan85er betritt den Raum 97. +++ Janinchen154 betritt den Raum 98. +++ weibal betritt den Raum 99. Zepperitz > die große klappe viellicht? *frg+ 100. Charly> ich hör etz auf……. 101. Beast 67w> ansonsten wird man hier ja wohl einfach ignoriert 102. --- cocco36 verläßt den Chat! 103. Charly> nu heul ma nich…….Beast
6.4 Sequenz »Meine Frau geht fremd« Raum: Foyer 85 Benutzer online 17:19-17:30 Uhr 1. 2. 3. 4.
+++ Abenteurer36Mz betritt den Raum Mirgehtssupi> hach biz…wie ist das bei dir? *g* N8Vogel> gern --- bladeliner verläßt den Chat!
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5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46.
Maddog2004> Ne Runde was??? Abenteurer36Mz> guten abend zusammen N8Vogel> hi mad mad4strings> was nit? biz> supi… ich hab doch schlagzeugerhände *lol* mad4strings> was hat der mad schon wieder gesagt? Mirgehtssupi> :-))) biz> warum du nit mad? +++ rocky-1 betritt den Raum mad4strings> jaaa hat sie Emanuella2> Für alles offen Mirgehtssupi> oha mad4strings> was ich nit? mad4strings> lol biz> *lol* mad *klapps* biz> na dich supi anbieten mad4strings> ach so Mirgehtssupi> *g* mad4strings> ach kinders mauerbluemchen> so ihr süßen. ich muss mich um meinen besuch kümmern ;) BlueOcean> hi wer hat lust mit einem süßen girl zu chatten?? Maddog2004> Emanuella2 …,das is ma ein Angebot;o) mad4strings> ihr wisst doch Abenteurer36Mz> emanuella +++ thatsme-marie betritt den Raum biz> tschööö maauuaa ;o) +++ Breaktruh betritt den Raum mad4strings> ich bin für euch alle da mauerbluemchen> schöö *wink* biz> +lol* mad --- N8Vogel wechselt in den Raum Singles! Mirgehtssupi> maua…cu ;)) mad4strings> ich muss mich doch nicht immer extra anbieten biz> *wink* mauaa thatsme-marie> hier bin ich wieder……………. :-) mad4strings> bb maua --- BlueOcean verläßt den Chat! mauerbluemchen> bis heute nacht… nach dem konzert *chch* Mirgehtssupi> lol mad Emanuella2> gell +++ gano2 betritt den Raum --- mauerbluemchen verläßt den Chat!
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Klat sch im Chat
47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86.
Abenteurer36Mz> cu mauerB Abenteurer36Mz> tze Mirgehtssupi> mad is für alle da fransheffield> hey breaktruh *wink* mad4strings> hehehe mad4strings> genau Mirgehtssupi> :-) Maddog2004> Na dann lass ma hören was du zu bieten hast;o))) Breaktruh> ahh, seh dich biz> mein mad dein mad.mad is für uns alle da *lol* mad4strings> call 1800mad4strings for sex mad4strings> genau! --- Sabrina-20 verläßt den Chat! franssheffield> gehen wir in die chatbar ad is schön leer Breaktruh> kann man hier prvt chatten? mad4strings> yep Mirgehtssupi> ich kenn nur einen der ne offene bez. hat…da würd das gehen aber ich hab seine nummer nicht *fg* Emanuella2> Was hast du denn gerne +++ N8Vogel betritt den Raum biz> och supiii Abenteuer63Mz> logo breaksru +++ SchlomoWeintraub betritt den Raum mad4strings> das is bitter supi Mirgehtssupi> ja verdammisch biz> aber supi…mz würde sich sicher bereit erklären *lol* SchlomoWeintraub> re Maddog2004> Was gibt’s den???Dann such ich mir das beste raus;o)) mad4strings> ich doch auch Mirgehtssupi> biz.alles nehm ich auch nicht mad4strings> jo schlomo thatsme-marie> da isser jaaaaaaaaaaaaa……………… *umdenhalsfall* Mirgehtssupi> lol --- rocky-1 wechselt in den Raum Singles! +++ franziskaGirl13 betritt den Raum Mirgehtssupi> wb schlomo ;) Abenteurer36Mz> biz -was gibt’s schon wieder? -ich habe keine lust mehr auf frauendates biz> re schlomi +++ MeinerEiner24 betritt den Raum +++ libanese19 betritt den Raum +++ nacktbader betritt den Raum
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6. Anhang
87. franziskaGirl13> hi @ all 88. biz> wat du bist schwul geworden mt?? 89. biz> mz 90. Abenteurer36Mz> TM 91. [mad4strings hat bastelstunde] 92. Abenteurer36Mz> nicht MT 93. Emanuella2> na erst mal quatsche und dann 94. Emanuella2> ………. 95. [Emanuella2 grinst bis über beide Ohren] 96. Mirgehtssupi> madi ;) 97. +++ theinstructor betritt den Raum 98. mad4strings> wasn??? 99. mad4strings> hehe 100. Abenteurer36Mz> Emanuella wie isses so? alles ok bei dir? 101. libanese19> hi 102. Mirgehtssupi> ich würd auch gern wieder basteln 103. thatsme-marie> abi hat keine lust mehr auf frauendates………. was ist jetzt kaputt ??? 104. mad4strings> komm nach hier 105. --- franssheffield wechselt in ein Nebenzimmer! 106. mad4strings> krisse sex und was gebasteltes 107. --- nixe89 wechselt in den Raum Singles! 108. biz> mad… aber ich sag dir bescheid wenn alles feststeht und wenn siz auch bescheid weiss 109. Mirgehtssupi> und meine allerbeste bastelfreundin.na na na wo isse? 110. mad4strings> hahahahaha 111. --- Psychomutation wechselt in den Raum Moppelkotze! 112. --- franziskaGirl13 wechselt in den Raum Singles! 113. Mirgehtssupi> lol mad 114. --- N8Vogel verläßt den Chat! 115. +++ sunset81 betritt den Raum 116. Mirgehtssupi> In Jamaika 117.Mirgehtssupi> na TOLL! 118. Abenteurer36Mz> thats marie – es liegt daran, das ich erkannt habe, das du zu weit weg wohnst 119. mad4strings> oh da is sie richtig!!! 120. thatsme-marie> *lach* 121. Mirgehtssupi> eben 122. +++ fransheffield betritt den Raum 123. thatsme-marie> jaja……… shcon klar abi 124. --- sunset81 wechselt in den Raum Singles! 125. Unruhe> sei froh abendteurer
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Klat sch im Chat
126. MeinerEiner24> guten tag 127. Abenteurer36Mz> und soll ich beim date ihr nur vorschwärmen wie sexy ich dich finde? –dann haut die nach 3,46 min ab 128. --- marc3112 verläßt den Chat! 129. Breaktruh> hmm ich versteh den chat room noch nicht wirklioch 130. Abenteurer36Mz> unruhe? 131. Abenteurer36Mz> wieso? 132. --- gano2 verläßt den Chat! 133. --- Breaktruh wechselt in den Raum ChatSofa! 134. thatsme-marie> naja………….3,46 Minuten sind schon ziemlich lang 135. Unruhe> sei einfach froh und freu dich das sie so weit weg wohnt… 136. Abenteurer36Mz> breksru –ich erkläre es dir gerne, wenn du zu mir kommst 137. --- fransheffield wechselt in den Raum ChatSofa! 138. --- MeinerEiner24 wechselt in den Raum Kaminzimmer! 139. +++ MSgucknur betritt den Raum 140. MSgucknur> tach auch 141. +++ Miss-Pia betritt den Raum 142. biz> huhu momo ;o) 143. MSgucknur> miss ;o) 144. Abenteurer36Mz> 3,46 min sind für uns männer lang – beim durchhalten beim sex 145. MSgucknur> Biz ;o)=) 146. Miss-Pia> guck ;o)) 147. thatsme-marie> ms…….guggugg 148. Miss-Pia> ah ja…abi 149. --- Decoy verläßt den Chat! 150. propagandhi> 3,46 sind lang? 151. MSgucknur> marie ;o)=) 152. propagandhi> deswegen heißt das poppmusik 153. propagandhi> wohl nur mit einem p *g 154. Abenteurer36Mz> 3,46 minuten 155. Abenteurer36Mz> nich cm!!!! 156. Mirgehtssupi> lol propa 157. MSgucknur> Mir ;o) 158. +++ akina1983 betritt den Raum 159. Mirgehssupi> MS ;) 160. thatsme-marie> owei…………wo sind wir da wieder hingeraten? 161. --- akina1983 wechselt in den Raum Über20! 162. MSgucknur> tja 163. Abenteurer36Mz> schon wieder total abgedreht – aber hey –was erwartet iht? 164. Miststück20> re 165. Abenteurer36Mz> ihr
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6. Anhang
166. 167. 168. 169. 170. 171. 172. 173. 174.
MSgucknur> Mist ;o) MSgucknur> Stück ;*g Miss-Pia> ich erwarte mehr als drei minuten gehoppel +++ olii betritt den Raum Miststück20> joa Miststück20> :p thatsme-marie> magst du mich abi??? MSgucknur> ;o) thatsme-marie> *griiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii iiiiiiins* 175. Abenteurer36Mz> ich habe ja dazu meine theorie –aber die darf ich im ö nicht kundtun @pia 176. Mirgehtssupi> missy ;)) 177. +++ Beckfield betritt den Raum 178. biz> pia ;o) 179. Abenteurer36Mz> thatsmarie – ja schon 180. Miststück20> supi :) 181. Miss-Pia> mir….o))) 182. Miststück20> piiia :) 183. Mirgehtssupi> Pia ;)) 184. SchlomoWeintraub> meine frau geht fremd :-(((((((((((((((((((((( 185. Miss-Pia> mistiiiii:o))) 186. thatsme-marie> tatsächlich………schlomo hat recht 187. biz> mit wem schlomi? 188. MSgucknur> *autsch* 189. Abenteurer36Mz> hmm 190. MSgucknur> *schmeiss sie raus Schlomo* 191. +++ superkätzchen betritt den Raum 192. thatsme-marie> und wer ist auf meiner seite??? 193. SchlomoWeintraub> marie!!!!RAUS!!!! 194. Mirgehtssupi> der weg ist zu weit ;)) 195. Abenteurer36Mz> superkätzchen – wenn das mal nix für mich ist!!!! 196. MSgucknur> *lach 197. thatsme-marie> ok 198. --- thatsme-marie verläßt den Chat! 199. Miststück20> *gummibärchenmampf* 200. Miss-Pia> lach abi…probiers….aber sach ihr nicht 3minuten 201. superkätzchen> ich für dich? 202. +++ thatsme-marie betritt den Raum 203. SchlomoWeintraub> marie. komm zurück!!!! 204. MSgucknur> *hmmm* her damit du stück ;o)* 205. thatsme-marie> sagtest du nicht raus???
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Klat sch im Chat
206. [MSgucknur mampft] 207. SchlomoWeintraub> machst du alles, was man dir sagt??? 208. --- hotChickengirls verläßt den Chat! 209. +++ Cannon1 betritt den Raum 210. thatsme-marie> alles? 211. +++ Advertising betritt den Raum 212. Abenteurer36Mz> der nick klingt nach 170cm 90-70-85 – hübsch und aufgeschlossen 213. thatsme-marie vieles! 214. propagandhi> frauen hier, die lust auf ne affaire mit biz hätten? 215. propagandhi> sie will lesbisch werden 216. biz> *lol* 217. Abenteurer36Mz> *sabber* 218. Mirgehtssupi> *lol* 219. MSgucknur> *lach 220. Mirgehtssupi> *meld* 221. Miststück20> nix da :p 222. --- Beckfield verläßt den Chat! 223. Advertising> Sabberalarm 224. Miss-Pia> lach 225. Mirgehtssupi> :-) 226. Miststück20> *alleinmampf*
6.5 Sequenz »Abenteurer« Raum: Foyer 80 Benutzer online 19:56-20:16 Uhr 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.
--- kulli16w verläßt den Chat! Abenteurer29Mz> obwohl es mir sehr schwer fällt mich von juhlie loszureisen engel-pt> hi @all --- Daisy04 verläßt den Chat! Abenteurer29Mz> petia – schlechte timing Jerry-Lee-L> hallo, engel --- Vince-Vegas verläßt den Chat! engel-pt> ? Abenteurer29Mz> +s Juhlie69> tach engel-pt> hi jerry engel-pt> wie geht’s euch
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6. Anhang
13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54.
Abenteurer29Mz> ich muss leider raus – meine bulgarische lieblingschatterin ---Eichkater verläßt den Chat! engel-pt> :-( Abenteurer29Mz> tja – aber ich drück dich gerne mal *drück* Jerry-Lee-L> alles im grünen bereich, engel. engel-pt> :-) Abenteurer29Mz> bis bald schöne petia Juhlie69> *g* engel-pt> biba Abenteurer jayci> cu 29 chk> mz engel-pt> und wünsche dir einen schönen Abend [Abenteurer29Mz jayci auch leicht drückt] Abenteurer29Mz> dir auch engel – obwohl meiner sehr einsam wird – ohne dich jayci> :-* 29 engel-pt> danke fire020> so geh jetz musi machen und den teenies einheizen also biba @ all engel-pt> :-) --- Abenteurer29Mz verläßt den Chat! fire020> das drücken? --- starlight 34 verläßt den Chat! +++ Engel betritt den Raum tubular> eeeeeeeeeeengeeeeeeeeeeeeeeeeeeel *umrenn* chk> er stand unter druck, hm +++ zaubermausi-1 betritt den Raum Engel> HUHUUUUUUUUU tubu schau mal bitte Du hast Post +++ Star betritt den Raum Engel> wo denn, engel?
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Klat sch im Chat
55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96.
jayci> olle schraubeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee Star> grüßt euch o) jayci> re star :-))) tubular> engel, per email? Zaubermausi-1> guten abend euch allen :-))) tubular> hi star Star> re jay o))) jayci> hi mausi :-) Star> hoi tubular Engel> HUHU jayci Knuddel tubular> hi zauber Star> huhu engel o) Engel> jou tubu Engel> HUHU Star tubular> jut, engel :-) Zaubermausi-1> hey jay hallo tubu --- Demoknight76 wechselt in den Raum Mittellalter! --- Cyberratte wechselt in den Raum Über30! +++ Lüci007 betritt den Raum Engel> hallo zaubermausi o) --- Lüci007 verläßt den Chat! Zaubermausi-1> grüß dich engel +++ Zimty betritt den Raum +++ Jerry-Lee-L betritt den Raum Engel> hg? Jerry-Lee-L> röh chk> hintergrund? +++ HeidiHOF betritt den Raum Zimty> reeeeeee Profiler> Zimty :-)))) pureBlant> WER ISN HIER SO M? Zimty> prof .-))) Engel> Na dann viel spass jayci….gfg HeidiHOF> hallo ihr Star> re zimty o)) --- tubular verläßt den Chat! Zimty> re star :-) pureBlant> hallo?
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6. Anhang
97. chk> manches errät man 98. jayci> jo chk… damit die herren sich drängeln können, den engel zu massieren :-)) 99. +++ Lüci007 betritt den Raum 100. --- HeidiHOF verläßt den Chat!
6.6 Sequenz »0815typ« Raum: Foyer 145 Benutzer online 21:25-21:41 Uhr 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28.
Schattenprinzessin> bye not, silence Annetenne> gute nacht Annetenne> und nicht weinen [Annetenne macht ein trauriges Gesicht] fire020> cu schatten. sofaSurfer> ciao anne --- indians33 wechselt in Raum Über30! --- Annetenne verläßt den Chat! süßfrech16w> Hi@all --- Schattenprinzessin verläßt den Chat! +++ heavyhagen betritt den Raum +++ Kuschelschlumpf betritt den Raum [fire020 stellt grad fest, dass es hier ja richtig hübnsche und nette mädels im chat gibt] --- wenndasdieomasieht wechselt in den Raum Über20! Jerry-Lee-L> hy, süßundfrech Silence19> woooo heavyhagen> nabend fire020> hi süßfrech Albiking> wer denn, fire ;-) süßfrech16w> na,wie geht’s euch so? fire020> verrat ich nciht. *g* --- Kuschelschlumpf wechselt in den Raum Singles! +++ LeiLin betritt den Raum Plebejer> fire20…quatsch nicht, Namen wollen wir Albiking> hihi, der fire hat angst vor konkurrenz…*g* +++ indians33 betritt den Raum [gubibaer ist traurig] --- indians33 verläßt den Chat!
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Klat sch im Chat
29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69.
--- heavyhagen wechselt in den Raum Singles! --- Neris verläßt den Chat! Sahnekirsch> hi +++ thatsme-marie betritt den Raum Jerry-Lee-L> hy, sahne fire020> nee konkurrenz nicht . aber .kann doch jder selbst leute kennelernen hier. dazu brahcut ihr mich doch ned thatsme-marie> hallo erst mal :-))) claWin01> AFK +++ Criese betritt den Raum Jerry-Lee-L> tach, marie sofaSurfer> marie sofaSurfer> :-)) +++ Neris betritt den Raum --- punt wechselt in den Raum ChatSofa! Plebejer> und warum machst du uns dann die Nase lang? thatsme-marie> tach sofa +++ Tempelritter betritt den Raum 40ozToFreedom> Pelb … nicht nur die Nase thatsme-marie> duhuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu dave…. thatsme-marie> küüüüüüüüüüüaaaaaaa 40ozToFreedom> Re Tempel … was machen die Hände? Tempelritter> huhu marry thatme-marie> hi tempelchen Tempelritter> die schwitzen wie der rest --- banny2612 wechselt in den Raum Über40! --- Sahnekirsch verläßt den Chat! 40ozToFreedom> Behaarte handinnenfl ächen? Tempelritter> behaart? --- Peeeet verläßt den Chat! +++ bluemarlin betritt den Raum +++ Rhajax betritt den Raum 40ozToFreedom> Grinst Tempelritter> nene --- Rhajax wechselt in den Raum HÖLLENFEUER! --- bluemarin wechselt in ein Nebenzimmer! MonbooticaW15> Cu all zusammen! --- MonbooticaW15 verläßt den Chat! +++ Ranger_one betritt den Raum --- Jerry-Lee-L wechselt in den Raum Singles! --- cappuccinojunkie25 wechselt in den Raum gäääähn! Tempelritter> was bei dem im kopp vorgeht
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6. Anhang
70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82.
--- süßfrech16w wechselt in den Raum Singles! --- Cleopatra78 verläßt den Chat! --- fire020 wechselt in den Raum Singles! Silence19> so und wo waren die hübschen mädels jetzt --- Ranger_one wechselt in den Raum Lagerfeuer! +++ punt betritt den Raum 40ozToFreedom> Silence … das war ein anderer Chat --- gubibaer verläßt den Chat! Tempelritter> bist fleissig marie? Silence19> habs mir doch gedacht*g* notwehr> ne hier gibt über durchschnittlich viele hübsche mädels :) --- Lenkolinchen verläßt den Chat! JessiJane> war jemand von euch aufm Southside oder hurricane dieses Jahr???? 83. notwehr> hurricane war joot 84. Neris> die notie ist so eins…. 85. notwehr> die neris is goil 86. --- Anja-ausHH verläßt den Chat! 87. Silence19> ja der not is schon son geiles luder 88. Plebejer> auf der Terrasse 90. +++ Ein-ossi betritt den Raum 91. JessiJane> kommst denn auch ausm Norden Notwehr? 92. [40ozToFreedom is ma wech – cu @all] 93. +++ Bella betritt den Raum 94. Tempelritter> die notie süsse 95. JessiJane> oder warums Hurricane? 96. --- FoXX76 verläßt den Chat! 97. --- slowi verläßt den Chat! 98. Silence19> nee notwehr kommt aus köln 99. +++ Inga20 betritt den Raum 100. --- Inga20 wechselt in den Raum EINSAMKEIT! 101. Bella> not ist auf koeln??? 102. --- dorian-m verläßt den Chat! 103. --- 40ozToFreedom verläßt den Chat! 104. +++ fire020 betritt den Raum 105. +++ FoXX76 betritt den Raum 106. --- Bella wechselt in den Raum Über40! 107. Plebejer> Notwehr, sollte das stimmen, sollten wir mal ein Kölsch zusammen trinken gehen. 108. +++ suessesuende68 betritt den Raum 109. Silence19> hehe
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Klat sch im Chat
110. 111. 112. 113. 114. 115.
notwehr> ja jessi Silence19> ne sünde +++ Jerry-Lee-L betritt den Raum notwehr> ich bin aus dem norden notwehr> aber dem nord osten Neris> hachja, der 0815typ…das war ein mann, schade dass er kaum noch da ist. 116. Silence19> vater unser im himmel gejeiligt werde dein name …. 117.notwehr> der sieht voll doof aus neris 118. Silence19> geheiligt 119. --- epson69 verläßt den Chat! 120. Jackle> brr katholiken 121. fire020> silence das ist nicht schön! 122. +++ Angle 17w betritt den Raum 123. Plebejer> Neris…das war doch eine Flasche 124. Silence19> ne evangelist 125. --- sun22 verläßt den Chat! 126. --- lara777verläßt den Chat! 127. +++ flocker betritt den Raum 128. +++ CyberTom betritt den Raum 129. --- ThomGo verläßt den Chat! 130. --- Criese verläßt den Chat! 131. +++ Criese betritt den Raum 132. Silence19> GLAUBENSKRIEG 133. Ein-ossi> nabend @all 134. fire020> so geh dann mal biba 135. --- Sportgriller verläßt den Chat! 136. --- fire020 verläßt den Chat! 137. +++ Anja-ausHH betritt den Raum 138. +++ Lilly betritt den Raum 139. [Silence19 sich sofort ins flugzeug schwingt] 140. +++ lara777 betritt den Raum 141. notwehr> ich war letztes Jahr schon aufn hurricane 142. +++ Sportgriller betritt den Raum 143. notwehr> und ich fands toll 144. lara777> hey bin wieder da 145. --- lara777 verläßt den Chat! 146. Sportgriller> darauf haben wir alle gewartet 147. --- CyberTom verläßt den Chat! 148. Silence19> nun isse nicht mehr da
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Regine Buschauer Mobile Räume Medien- und diskursgeschichtliche Studien zur Tele-Kommunikation Oktober 2009, ca. 334 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1246-2
André Eiermann Postspektakuläres Theater Die Alterität der Aufführung und die Entgrenzung der Künste Oktober 2009, ca. 450 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1219-6
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2) ANZ952.p 218670087350
MedienAnalysen Dominik Landwehr Mythos Enigma Die Chiffriermaschine als Sammlerund Medienobjekt 2008, 258 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-893-3
Stefan Münker Philosophie nach dem »Medial Turn« Beiträge zur Theorie der Mediengesellschaft August 2009, 224 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1159-5
Gerald Siegmund, Anton Bierl, Clemens Schuster, Christoph Meneghetti (Hg.) Theater des Fragments Performative Strategien im Theater zwischen Antike und Postmoderne Oktober 2009, ca. 204 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-89942-999-2
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