Mystik, Magie und Dämonie: »Die christliche Mystik« in Auswahl [Reprint 2019 ed.] 9783486754452, 9783486754445


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German Pages 605 [608] Year 1927

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Table of contents :
Inhalts -Verzeichnis
Vorwort des Herausgebers
Vorrede
Einleitung
Erstes Buch. Die aufsteigende Mystik
I. Berufungen
II. Die aszetische Läuterung
III. Die Lockerung der irdischen Bezüge
IV. Die Ekstase
Zweites Buch. Die absteigende Mystik
I. Okkulte physische Beziehungen von Mensch zu Mensch
II. Das Gebiet der psychisch-magischen Berührungen
III. Dämonisierung des inneren Lebens
IV. Das Hexen- und Zauberwesen
V. Der Hexenprozeß
Anmerkungen
Literarhistorische Bemerkungen
Personen -Verzeichnis
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Mystik, Magie und Dämonie: »Die christliche Mystik« in Auswahl [Reprint 2019 ed.]
 9783486754452, 9783486754445

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Nach dem Bild v o n S e t t e g a s t 1838

Aus dem „Corpus J m a g i n u m " der Photographischen Gesellschaft, Berlin

Joseph von Görres

Mystik Magie und Dämonie »Die christliche Mystik« in Auswahl

Herausgegeben von Joseph Bernhart Mit einem Titelbild von Joseph von Görres

München und B e r l i n 1927 Druck und V e r l a g von R. O l d e n b o u r g

Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechtes, vorbehalten Copyright 1927 by R. Oldenbourg, München u. Berlin

Inhalts -Verzeichnis Die beigefügten Nachweise beziehen sich auf die erste Ausgabe der Christlichen Mystik (Regensburg 1836/42), deren vierter Band zwei Abteilungen mit je eigener Seitenzählung umfaßt, während der spätere (fehlerhafte) Neudruck ebd. o. J. (1879) in fünf Bänden erschienen ist. Seite

V o r w o r t des Herausgebers V o r r e d e (nach Görres I S. 1; II S. 3—12) E i n l e i t u n g . Die mystischen Gebiete und die Wissenschaft (I 11—21; Einleitung zu M. Diepenbrock, Heinrich Susos Leben und Schriften S. LXXI—LXXVII; I 21—23)

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Erstes Buch Die a u f s t e i g e n d e

Mystik

I. Berufungen (I 313—319; 327—331) II. Die aszetische Läuterung (I 356—358) 1. Die Ernährung (I 359—361; 362; 363; 367—368; 372—374; 415—416; 417) 2. Leidensmut (I 420—421; 431—447) 3. Liebeswerke (I 455—456; 458—461) 4. Das Gebet (I 470—471; 472—475) III. Die Lockerung der natürlichen Bezüge . . . t . . . (II 3; 4—5) 1. Rätselhafte Erscheinungen im Leiblichen (II 5—11; 17; 39—40; 41—42; 43; 55—59) 2. Die gehöhte Sinnlichkeit a) Sinnliche Wahrnehmungen fremder seelischer Zustände . (II 102—104) b) Die Vision als Projektion des Seelischen ins Sinnliche . (II 114—115) c) Der Gesamtsinn und das Femschauen (II 115—116; 118—119; 129—135) 3. Mystische Begeisterung der schöpferischen Kräfte . . . (II 147; 153—156; 158—160; 162—173)

65 '2 73 79 93 96 100 101 Hl 111 113 114 520 III

Seite 133

4. Die Gabe der Heilung (II 211—215) 5. Die mystische Fühlung mit der Kreatur (II 218; 220—228; 230—231)

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I.V. Die E k s t a s e 1. 2. 3.

4. 5.

6.

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(II 245—247) Allgemeine Erscheinungen des ekstatischen Zustnndes (II 247—269) Psychologische Befunde (II 269—271; 272—288) Das visionäre Leben (II 307—308) a) Die Leuchtungen (II 308—312; 314—319; 321—322; 327—329) b) Sinnlich geartete Erfahrungen des inneren Auges . (II 344—349; 355—366) c) Die Vision als geistige Empfängnis (II 366—373; 380) d) Kritik der Vision (II 380—389; 394; 395—396) Das Reden und Singen in der Ekstase (II 396—398; 402—404; 404—407) Die Stigmatisation (II 410—415; 417—418; 420—423; 426—428; 430—433; bis 449; 452; 453) Die bewegte Ekstase (II 468—470) a) Der mystische Stationenweg (II 471—472; 479; 494—510) b) Das ekstatische Wandeln (II 511—514) c ) Das ekstatische Schweben (II 515—516; 523—525; 527—528) d) Die Entrückung und der ekstatische Flug (II 528—530; 539—548; 552—553; 560—561) e) Tätige Wirkung in die Ferne (II 578—579; 589—592)

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183 196 202 207

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22 227 247 250 254 264

Zweites Buch Die absteigende (III. S. I I I — V I I ) I. Okkulte (III 1. D e r (III 2. Das (III

rvT

Mystik

physische Beziehungen von Mensch zu Mensch . 274) böse und der gute Blick 288—292; 293—296) Alpdrücken 296—301)

268 .271 271 276

Seite

3. Magnetische Rapporte (III 301—303; 304—306; 308—311) I I . Das Gibiet der psychisch-magischen Berührungen (III 335—339)

280 .

1. Das zweite Gesicht (III 339—354) 2. Der Spuk (III 355—384; 386—388; 392; 393—396) 3. Gesterwesen dämonischen Charakters (III 399—400; 402—408; 424—430: 470—471; 475; 48t—487) III. Die Dimonisierung des inneren Lebens (Ifl 499—502; 505; 507; 511) 1. Die dämonische Aszese durch physische Mittel . ( i n 511—519) 2. Hexenfahrten und ihre Physiologie (III 454—455; 556—558; 559—570; 571—574) 3. Naturmagische Praktiken a) Der Naturbann (III 594—597) b) Die Wahrsagerei (III 598; 599—616) c) Der Geisterbami (III 616—622; 623—31) d) Mysterien des Bösen (III 633—634) a) Betrügerische Besessenheit (III 634—640) ß) Psychologie der hysterischen Heiligkeit . (III 658—667; 671—676) y) Verführung in der Maske der Heiligkeit . (III 676—677; 678—679; 679—684; 684—692) 4. Dil- Besessenheit (IV 1 3 - 4 ; 7—8; 27—38; 103—124; 316—320; 362—363) IV. Das Hexen- und Zauberwesen 1. Landschaft und Dämonie ( I V 2 100—118) 2. Die Behexung ( I V 2 119—127) 3. Epidemische Besessenheit ( I V 2 3 3 4 — 3 4 3 ; 380) 4. Incubus und Succubus ( I V 2 425—427; 427—431; 432—434; 443—448) 5. Der Liebeszauber ( I V 2 448; 449—450; 451; 455—458) 6. Dämonische Naturbeherrschung ( I V 2 499—502; 503—505)

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Seite

V. Der Hexenprozeß (IV 2 509—514; 530—531) 1. Die gute Praxis (IV» 551—564; 566) 2. Die unmenschliche Prozedur (IV» 566—584) 3. Der Hexenprozeß in und nach der Reformationszeil . (IV» 585—593; 615—634; 634—649 ; 662—663) Anmerkungen Literarhistorische Bemerkungen Personenverzeichnis

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Vorwort des Herausgebers 1. Ein erratischer Block, unförmig, fremd, selbst der redlichsten Mühe schwer zugänglich, ist Görres' Werk „Die christliche Mystik", von Anfang bis auf diesen Tag geblieben. Im Juli 1836 ist die Vorrede zum ersten Band, „zur Nachtgleiche 1842" die der zweiten Hälfte des vierten Bandes geschrieben, und diese reichlich ein Jahrzehnt währende Arbeit von dreitausend Druckseiten hatte seither, nach der ersten starken Wirkung, die bald in eine unbeholfene Scheu, selbst im katholischen Lager, umschlug, nur den schwachen äußeren Erfolg eines einzigen Nachdrucks 1 ) und einer Uebersetzung ins Französische. Heute nun beginnt sich der getreue Eckart seines Volkes, weil die Not uns auf Bündnis mit unseren Besten aussendet, abermals in seiner Macht und Größe vor uns aufzurichten. Emsig sammelt und sichtet die gelehrte Forschung sein Erbe, und im raschen Tempo unserer geistigen Betriebsamkeit erreicht es auf vielen Wegen auch das Auge und Ohr des einfachen Mannes. Das dauernde, würdigste Monument ihres Führers ersteht der Nation in der Ausgabe seiner Gesammelten Schriften, die auf Veranlassung der Görres-Gesellschaft 1926 begonnen hat. In dem auf zwanzig Bände berechneten Plan aber fehlt die „Mystik". Die Gründe für diesen Verzicht mochten zwingend sein, nicht nur die äußeren des Umfanges, auch die inneren, die aus der Schwierigkeit der Sache sich 1 ) Ueber die Jahrzehnte dauernde Vergessenheit des großen Erweckers beklagte sich 1912 Sebastian Merkle (Hochland X 3) auch im Hinblick auf unsere Angelegenheit. „Nicht einmal seine den Neigungen gläubiger Kreise so weit entgegenkommende ,Christliche Mystik' hat es zu einer zweiten Auflage gebracht; denn der ein Menschenalter nach des Verfassers Tode erfolgte Wiederabdruck kann nicht als solche gelten."

Gftrres-Mystik

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ergeben. Man wird sie aus der folgenden Erörterung erkennen, mit der zugleich das Recht erwiesen werden soll, daß die vorliegende Ausgabe, deren Aufbau schon seit zwei Jahren feststand, mit gründlichen Eingriffen in die Vorlage verfahren ist. Im strengen Sinn ist Görres weder Theolog noch Philosoph, weder Historiker noch Anatom und Physiolog gewesen, und als alles dieses will und muß er doch seine Aufgabe, wie er sie nun einmal sich gesetzt hat, erfüllen. In mancher Hinsicht, es wird sich noch zeigen, bleibt er hinter ihr zurück, und dennoch stellt er mit dem riesigen Bau, der als Ganzes verfehlt war, eine Fülle geschichtlichen und gedanklichen Stoffes hin, der an allen Ecken und Enden einen mit tiefer Weltsicht und fortreißender Kraft der Gestaltung begabten Genius verrät. Man staunt ihn an als Meister, aber mit dem schmerzlichen Bedauern, daß er seine Meisterschaft an einen babylonischen Turm verschwendet. Denn es war schon unter Zeitgenossen ausgemacht, daß dieser Rhapsode des himmlisch oder höllisch in Unordnung gebrachten Menschen mit dem Innersten seines Unternehmens sich vergriffen hatte. Erstaunlich genug, daß ihn die Kraft zur Vollendung nicht verließ, als bereits ins halbgetane Werk hinein die Freunde ihren Zweifel, die Feinde ihren Spott und Hohn gerufen hatten, ja er selbst wohl dem schlimmsten aller seiner Gespenster begegnete: einem Gefühl des Ungenügens an seinem Versuch, die Erscheinungen des von der Mystik (wie e r sie verstand) überwältigten Menschen in ein wissenschaftliches Gefüge zu bringen, das dem Kosmos des Glaubens festen Stand in einem Kosmos denkerischer Welterklärung und jeglichem Einzelnen seine Erklärung aus dem Ganzen der nachentworfenen Dramaturgie des Weltgeistes gab. Noch waren die beiden letzten Bände, in denen das aufwandreiche Triebwerk des Naturphilosophen mühsamer als in den ersten sich in Gang hält, nicht geschrieben, als der Verfasser den Gedanken an die Möglichkeit einer zweiten Ausgabe mit einer vielsagenden Bemerkung begleitete. „Ich habe mir schon gleich beim Anfange vorgenommen, wenn das Ganze einmal vollendet, das erste Buch und all den gelehrten Quark im Verlaufe der übrigen völlig wegzuwerfen, bloß die Tatsachen zusammenzustellen, diese 2

durch leichte Uebergänge in kurze klare Deutungen untereinander zu verbinden und so in einer eigenen Ausgabe alles wie möglich in einen Band zusammenzudrängen, dessen Preis so niedrig als tunlich gesetzt wird. Dann wird es ein Volksbuch von der Art, wie wir eines dringend bedürfen und dem mancher Segen nicht fehlen wird."*) Diese Grundsätze haben den Umfang und die Form unserer Ausgabe bestimmt. Völlig hätte freilich nur der Verfasser selbst den vorschwebenden Plan erfüllen können. Alle „Tatsachen" seines Werkes auf einen handsamen und erschwinglichen Band zu bringen, wäre ja wohl auch ihm nicht möglich gewesen, aber die verbindenden Uebergänge und die deutenden Sätze — oder war von dem allzeit prächtig im Halbdunkel Schweifenden auch dies nicht zu erwarten? — hätten klarer und einfacher sagen können, was hier nun doch im ursprünglichen Wortlaut erscheinen mußte, wenn das fremde Wagnis einer Fassung von zweiter Hand von vornherein nicht in Frage kam. Ich glaubte aber, Görres müsse Görres bleiben, und so ist im alten Walde nur gerodet, geschnitten und gelichtet worden, gewiß genug, um das Ganze wegsamer, luftiger zu machen. An Lehre und Erklärung ist so viel geblieben als nötig war, wenn der rahmende Entwurf des Denkers in seinen Hauptzügen sichtbar bleiben sollte. Das geschah nun freilich nicht des klüglerisch vertrackten Systems wegen — das habe ich leichten Herzens und, wie man sieht, auch mit Genehmigung des Verfassers, geopfert — sondern zur inneren Verknüpfung des geschichtlichen Stoffes durch die haltbarsten, ansprechendsten Erwägungen über seine Rätsel und Geheimnisse. So erscheint das geschlichtete Ganze doch zwar als ein neuer Aufbau, dessen Recht und Weise aber im alten gegründet und überdies auch durch jenen eigenen Plan des Autors bestätigt ist. Ihm gemäß kam es vor allem auf die Mitteilung der Tatsachen an, oder sagen wir vorerst der Erzählungen mystischen Inhalts. Sie sind fast alle packende Gestaltungen eines Epikeys, der aus jeder Quelle, fließe sie noch so karg und zagend, ein warmes Leben erweckt. So war die Versuchung groß, die *) Brief an J. v. Giovanelli (8. I. 1837). Gesammelte Briefe, München 1874, III, 461.

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Stücke nach ihrer Schönheit allein zu wählen, aber es galt auch ihre beweisende Kraft und zwischen einer Fülle von ganz verwandter Art den Vorzug der beispielhaftesten abzuwägen. Dabei stellte sich zum Glück heraus, daß meistens auf die innerlich gewichtigsten und der historischen Erkenntnis zugänglicheren Berichte auch die reifste Kunst des Gestaltens verwendet ist. Dennoch war es nötig, auch von diesen manches zu opfern, besonders im Dickicht der beiden letzten Bände mit ihren schauerlichen Vorwürfen aus der Welt der Besessenheit und allen Nachtseiten des verwirrten oder schon irren Menschen. Die Sache selbst ist in unserer Auswahl noch reichlich genug erörtert und belegt, aber eine Häufung des Abstoßenden schien mir nicht geraten. Ich erinnere mich hier der Scheu und des leisen Grauens, mit dem ich in der Jugend manchen würdigen Pfarrherrn behaftet sah, wenn die Rede auf Görres* Mystik kam, und auch der dunklen Andeutung, daß Frauen und zarte Gemüter über seiner Lesung an Geist oder Seele Schaden genommen. Der Kenner des Buches und der Menschen, gerade auch ihrer heutigen Reizbarkeit durch Eindrücke des Dämonischen, wird Bedenken dieser Art nicht in den Wind schlagen. Es drängt nun, da wir nicht lauter Gutes gegen Görres' Hauptwerk vorgebracht, die Frage heran, warum es hier, wenn auch vereinfacht und gereinigt, unserer Zeit aufs neue vorgesetzt wird. Die Antwort darauf ergibt sich von den verschiedenen Seiten her, nach denen im folgenden die Person des Verfassers, sein Werk und seine der unserigen so verwandte Zeit betrachtet wird. 2.

Breit und mächtig tritt Görres an die Rampe seiner Zeit, in allen Wandlungen vom Revolutionär bis zum Kirchenmann doch immer tief verbunden mit den Hintergründen des Daseins. Sein Wesen ist jeden Augenblick ein Schauen nach allen Seiten, ein Langen und Holen aus aller Welt im Kreise herum und ein Spenden aus unbegreiflich stark und beharrlich quellendem Innern. Alle Züge seiner Persönlichkeit, die des Politikers und des Forschers, des geistigen Kämpfers und des ehrenfesten Anwalts der bürgerlichen Ordnung, laufen zusammen in der ruhenden Mitte eines Mannes, der immer eine 4

große Sache, nicht sich selber will. In dieser höchsten Art der Freiheit ist er sich treu geblieben, in allen Stürmen ein nüchterner Fährmann seines reichen Schiffes. Sein Innerstes freilich, so offen und ausgebreitet auch sein Lebenswerk vor uns liegt, ist schwer zu ergründen. Seine Sprache, am ehesten noch Symbol seiner inneren Gestalt, ist halb Enthüllung, halb Verhüllung des Sprechenden: man glaubt in frischer, kräftiger Morgenzeit am rauschenden Wasser zu stehen, das mit dampfendem Nebel sich und die Ufer wechselnd verschleiert, dann in der Sonne zeigt und wieder verdunkelt; oder — es ist später am Tage — man tritt hinaus unter den freien Himmel, schaut vor sich, über sich ziehende Berge von Gewölk und erfährt im Schreiten den verlässigen, festen Boden, von dem es aufgestiegen ist; oder — es ist gegen Abend — die ungelösten Wettermütter hängen über dem Tale, in dem eine Glocke das Genügen in einer anderen, zweiten Welt verspricht. Görres war sich des Besonderen seiner Sprache, die ganz und ohne Beispiel sein eigen ist, wohl bewußt, und daß sie in ihren Elementen von Anfang bis zum Ende die gleiche bleibt, deutet auf die Stetigkeit eines mit sich selber einigen Charakters. Er wechselt sie nicht mit dem Gegenstand, ob er seiner Braut schreibt, ob er mit Napoleon hadert oder vom indischen Mythus erzählt, denn immer ist er es, der von nichts so sehr als seiner Sprache gemeisterte Meister der Sprache, der dem Zwang seiner Weise den Gegenstand unterstellt. Seine Weise aber ist im ruhenden felsigen Bette des Charakters die vehemente Strömung einer Innenwelt voll des Dranges, sich ins Kosmische zu weiten. Woge über Woge folgen sich Bilder und Gesichte eines Geistes, dem nur die dichterische Empfängnis der Wahrheit gegeben scheint, aber in der geheimen strengen Gesetzlichkeit des Rhythmus meldet sich ein Wille, der seiner mächtig ist. Wenn eine Art Entgrenzung, wie man gesagt hat, den Romantiker ausmacht, so ist der Streit, ob auch Görres ein solcher zu nennen, müßig. Die schöne straffe Gebundenheit seines sittlichen Wesens verbürgt noch nicht ein durchgeordnetes geistiges Weltbild, ja sie ist vielleicht das wirksamste Gesetz und die Rettung eines von sich selbst bedrohten Geistes. Denn auch Görres wird zum Sohn seiner Zeit durch die Lust an 5

den Dammbrüchen im Gebiet des geistigen Lebens. Scheiden, soviel sich nur scheiden läßt! Das war Goethes Mahnung; Görres aber, wie Novalis, mengt Poesie und Wissenschaft und antwortet auf den Vorwurf, er setze sein philosophisches Lehrgebäude auf den Musenberg und baue aus dieser Bergart wiederum jenes auf: Ich habe mir alles überlegt und denke, was der Himmel verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen 1 ). Im gleichen Jahre wie dieses Wort schreibt er das Bekenntnis seines geistigen Strebens nieder: alle Ansichten auf das Erste, Ursprüngliche, von dem sie alle ausgegangen sind, zurückzuführen 5 ). Die „erste gemeinschaftliche Quelle" der Dinge sucht er mit allen Kräften seiner Persönlichkeit, und dieser Zug nach dem totum simul im Weltgrund beherrscht ihn durchs ganze Leben. Das allein schon zeichnet ihn als Mann von einer philosophischen Frömmigkeit und natürlich mystischen Haltung des Geistes. Jener Trieb ins Weite, der weltumgreifende, unersättliche Universalismus der schauenden Erkenntnis will dem Herzen die Beweise leisten für den Glauben, in dem das Herz das Eine, in dem Alles ist, schon innehat. Görres' religiöse Entwicklung ist für den Forscher eine schwierige Sache, und die letzte Klärung wird immer an dem Mangel persönlicher Zeugnisse scheitern, die das Innerste seiner Frömmigkeit verrieten. Auch ein langer und vertrauter Umgang mit den Schriften und Briefen kann den Eindruck nicht beheben, daß auch dieser Uebergänger aus der Wende vom 18. ins 19. Jahrhundert mit einem Hauche jener kühlen, mehr gedanklichen und sittlichen als affektiven Verehrung des Höchsten, wie sie der Aufklärung eigen ist, behaftet geblieben. So wenig, als etwa beim Grafen de Maistre seine Begründung der ultramontanen Theorie über den stoischen Zug des persönlich Religiösen täuschen kann, ist auch der ihm verwandte Deutsche selbst der späteren Jahre, der Kämpfer für die Freiheit der Kirche, der Lobredner des Franziskus oder der gegen die Skepsis des Zeitgeistes ergrimmte Rhapsode des Mystizismus um dieser Dinge willen allein als Mann von tiefer ') Exposition der Physiologie (1805), Schellberg, Auswahl I 159. ) Brief an Windischmann (5. IV. 1805), Schellberg, Auswahl II 79.

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katholischer Gläubigkeit anzusehen. So kann vom Mystiker Görres wohl nur in dem weiteren Sinn die Rede sein, daß er die Welt als Einheit von dem Einen her und zu ihm hin erlebte, das er im Wandel seiner Anschauungsweise, seiner Erkenntnis und auch seiner Stellung zu den Forderungen des Tages zuerst deistisch, dann pantheistisch, endlich theistisch und christlich erfaßte — von welchem Standort endlich der metaphysische Späher die Rätsel des Abnormen am heiligen und unheiligen Menschen aus der ganzen Fülle seines Wissens und Meinens zu lösen versucht. Um den Weg des Mannes zu seinem Werk vom ersten Laufe an zu verstehen, prüfen wir mit einem Blick den geistigen Umgrund seiner Jugend auf Gedanken und Gehalte mystischer Art. 3.

Der Glaube der Väter, wie ihn der jugendliche Görres am Rhein in Uebung sah, war auch einem weniger feurigen Stürmer leichter zu verlieren als zu bewahren. Der Gymnasiast schon hatte ihn abgeworfen und durch die Gedanken der Aufklärung, die er im Unterricht hörte und in der privaten Lektüre deutscher und französischer Bücher fand, ersetzt. Er glaubt nun an die Allmacht der Vernunft, die menschlichen Dinge aus sich allein in Ordnung zu bringen, und er glaubt an das natürliche Gute in der Tiefe der Menschennatur. Das letzte Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts macht den jungen Jakobiner zum Bekenner aller der Gedanken, mit denen das Mittelalter zum zweitenmal Seit der Reformation — denn ihr Glaube lag nun auf der gleichen Bahre - zu Grabe geläutet wurde. Görres schreitet im Gefolge der Rousseau, Kant, Condorcet und Fichte, sein nächster Vormann aber, dem er hart an der Ferse geht, ist Herder. Die Gedanken, die er ihm nachdenkt, sind halb doch auch eine Notwendigkeit seiner eigenen, verwandten Art; denn diese beiden dynamischen Naturen, immer in Gefahr, sich ins Grenzenlose zu verlaufen, sind gleichwohl nach ihrem innersten Beruf, die Gesellschaft auf ihren ewigen Fundamenten zu befestigen, Prediger der hohen Nemesis, der Zucht und des heiligen Maßes. In beiden fördern und hindern sich wech7

sei weise der Dichter und der Denker, und auf Görres trifft zu, was er selbst von Herder sagt: in ihm ist unleugbar viel Licht, aber dieses Licht ist durch innere Refraktion getrübt und vermag nicht die subjektive Empfindung und die innere wirkende Kraft, die aufs Objekt geht, gehörig auseinanderzuhalten... Diese beständige bewußtlose Störung entgegengesetzter Grundkräfte durcheinander verrät sich denn auch in dem dämmernden, halbdunklen, nebelhaften Stile seiner früheren Schriften*). Was der Jüngere den großen Köpfen des vorausgehenden Geschlechts im einzelnen verdankt, steht hier nicht in Frage; nur jenes Gemeinsame, daß und wie sie die Einheit oder doch einen Einklang mit dem Weltgrund suchten und den Weg dahin sich dachten. Es war das Bewußtsein einer neuen Mündigkeit gegenüber den geschichtlichen Mächten und Gebilden, was in den europäischen Westen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine allgemeine Gärung brachte. Die tiefste Entfremdung galt der institutionellen Religion als dem Inbegriff aller inneren und äußeren Bindung, aber diese Entfremdung, die bald zum Angriff mit allen Waffen des Kopfes und des Herzens überging, hatte selbst eine Wurzel von fast religiöser Art und Kraft. Der Mensch zog sich auf die Barschaft seiner eigenen Natur zurück und sprach ihr im Glauben an ihr volles Selbstgenügen göttliche Weihe zu. Rousseau hat die „Religion des Menschen" verkündigt, und Görres (1798) wünscht ihr die Herrschaft; Kant prüft das Menschenwesen nach allen Seiten, er findet es in seiner Beschränktheit und ewigen Selbstverfangenheit untauglich, durch die Erscheinungswelt, die sein eigenes Gemächte ist, ins reine Wesen der Dinge an sich vorzustoßen, e i n Unbedingtes aber, das uns auch bedingungslos gebietet und als die reine Stimme, die es ist, unverquickt uns heilig zu gelten hat, zeigt sich ihm: das sittliche Gesetz, kraft dessen wir zu Herren aus uns selbst und über uns selbst berufen sind — und Görres grüßt diese Philosophie als die geistige Revolution neben der staatlichen durch Frankreich und der poetischen durch die Romantik und hält sich, als der Moralist, der er war, *) Ges. S c h r i f t e n 1926, Bd. 3, S. 94.

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vor allem an die Losung der „unverletzlichen Menschenwürde": den kategorischen Imperativ. Und .enger noch schließt er sich an die philosophische Grundstimmung des ihm von Natur verwandteren Fichte an. Ihm folgt er in Rücksicht auf die religiösen Verhältnisse „beinahe ganz", lobt seine „von dem Schmutze des Glückseligkeitsprinzips" gereinigten Begriffe der Gottheit und faßt mit ihm das rein schöpferische Selbst als die ewige Grundlage der Erkenntnis und des rechten Handelns. Der eigentliche „Fixstern" seines Lebens aber ist doch Herder. Näher als dem Kritizisten Kant und Fichte, die von ihrer Spekulation das Historische aus methodischen Gründen ausschlössen, stand er jenem Widersacher Kants, der die Regeln der ewigen Vernunft auch in der Geschichte des Menschen auf seinem irdischen Schauplatz ergründen wollte. In der Genielehre des jungen Lyrikers, in der philosophischen Naturerklärung und in der Geschichtsbetrachtung des reifen Denkers, die von einer deutlichen Ader Emanatismus durchzogen ist, fanden sich schlechthin alle Elemente des geistigen Lebens der folgenden Generation im voraus schon beisammen. Görres beibt in der Uebereinstimmung wie später in den Zeiten der Entfernung, von allen Fällen greifbarer Entlehnung abgesehen, schon durch die kosmische Sehweise ein Jünger seines Meisters, und noch in den Tagen entschiedener Kirchlichkeit gemahnt er an ihn durch die Anschauung von der Sendung Christi zur Vollendung der Menschheit und aller ihrer schöpferischen Kräfte 5 ). Der Rückzug des Menschen auf sich selbst war die herrschende Weise in dieser Epoche; kraft ihrer hob sie sich bewußt und deutlich gegen die gemeinsame Glaubenswelt des Mittelalters und der Reformatoren ab. In der Abkehr von der gegebenen Religion aber, vollends von der Mystik, die anfing, ein Schimpfname zu werden, entging sie nicht dem notwendigen Ende ihres Weges, der ein Weg ins innerste Bereich des Menschen war: sie befand sich nicht mehr den verlassenen Tempeln, aber dem Urdrang, der sie gebaut, und dem letzten dunklen Grunde, den sie geehrt hatten, gegenüber. War ehe®) Vgl. Ludwig Clarus (L. Volk), Simeon. Wanderungen und Heimkehr eines christliehen Forschers. Schaffhausen, 1862, 1. Bd. S. 323 f.

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dem in der deutschen Mystik die Sache Gottes aus dem Elend und der Mißgestalt der Welt in die Tiefe des reinen, ledigen, adeligen Menschen gerettet worden, daß die innere Kirche fast zur Gefahr der äußeren geworden wäre, so kam über den Versuchen der Aufklärung und des Idealismus, den Menschen auf sich selbst zu stellen, die alte Sache Gottes in einer neuen Art von Mystik zum Vorschein. Rousseau sieht im Gefühl der reinen Natur die großen Wahrheiten Gott, Freiheit und Unsterblichkeit als unmittelbare Gewißheit gegeben; Kant wundert sich zu unrecht, daß Hamann ihn als Mystiker erkennt, denn über seine eigene Meinung hinaus, er habe nur dem Glauben Raum geschaffen, tritt er, obzwar um den Preis der Festigkeit seines Systems, in die Fährte der Mystik, wenn er der Vernunft, die in der Erscheinungswelt ein Erzeugnis unserer Organisation erkennen kann, die notwendig folgende Fähigkeit zuspricht, auch eine überlegene „intelligible" Welt anzunehmen, mit ihr zugleich den geheimnisvollen Bereich, in dem das empirische unfreie Ich als intelligibler freier Charakter gründet und aller individuellen Gestalt entkleidet das Unbedingte berührt. Diesen im Kantischen System deutlichen, aber nicht wesentlichen Zug hat Fichte im vollen mystischen Sinne verfestigt, indem er über die zwei Welten Kants zurückging auf das „Ewig Eine", das wahre Leben, das im tätig hingegebenen, schöpferischen Menschen zu sich selber kommt. Der antlitzlose Werdedrang dieser „Gottheit" hat Görres zu Worten begeistert, die hier zugleich zum Beispiel dienen sollen, wie er die zeitgenössische Philosophie, wo immer sie Anlaß bot, mit dem Ohr des Mystikers erfaßte. „Ein Mann", sagt er, „ist im Laufe der Zeiten aufgestanden, der in stolzem Trotze die Vernunft von dem Drucke der objektiven Welt zu befreien unternahm. Von den Grenzen der Endlichkeit blickt er mit den Augen des Sehers hinab in die unendliche Tiefe, die unser Innerstes birgt, und ein neues geistiges Universum geht aus der Tiefe herauf, und ein heiliges, ewiges Wollen, eine unendlich schaffende Tätigkeit wohnt im Allerheiligsten; die Sinnenwelt ist der Tempel Jehovas; um seinen Thron, der sich im Lichtglanz birgt, stehen als Cherubim und Seraphim die Kräfte, in die die eine göttliche Urkraft sich ergießt; da schweben sie, in 10

seligem Anschauen verloren, und tönen Melodien und glühen blendend im Abglanz der Gottheit; im Reflexe des Himmlischen erscheint uns das Irdische als das Sterbliche, von dem das Unsterbliche widerstrahlt. Michel Angelo Fichte war der Begeisterte, dem nach Moses zum zweiten Male der Ewige sich offenbart»)." War Kant dem jungen Feuerkopf kein Hindernis, Fichte aber wie andere Pantheisten ein mächtiger Anstoß, mit Gefühl und Gedanken einen göttlichen Inbegriff des Menschen zu fassen, so lehrten ihn, der früh schon das Auge des prüfenden, rechnenden Forschers verriet, die großen Naturdenker der Vorzeit und seiner Tage den Leib und die Seele der Schöpfung mit den Organen des Mystikers verstehen. Ein gut Teil jener Frömmigkeit, die aus der jugendlich schmerzlichen Spannung zwischen Kopf und Herz am Bilde der Einheit aller Dinge im quellenden Weltgrund Beruhigung suchte, verdankt er den Paracelsus, Swedenborg, Jakob Böhme, Novalis und Schelling. Die neu erwachende Naturphilosophie, die mit den beiden letzten Namen wesentlich bezeichnet ist, wandte sich gegen das zerstückende Verfahren der Empirie und war im Grunde getragen von dem ästhetischen Monismus der Anschauung einer ewigen schöpferischen Urkraft, in der als Einheit beschlossen ist, was in der uns gegebenen Wirklichkeit als Natur und als Geist erscheint. Beide unterstehen e i n e m Gesetze, dem der polaren Entzweiung der werdenden, in ihrer Bewegtheit aber das Ideal der höhern Einheit in einem Dritten suchenden Welt. Görres ist länger im Bann dieses pantheistischen Weltentwurfs geblieben, als er sich selber glauben machte, da er schrieb: „Schellings kräftige Natur hat mich erregt, wie ihn Plato erregte . . . Ich habe seine Sprache gesprochen, weil sie zu dieser Zeit noch nicht viel gesprochen wurde, aber meine exzentrische Natur hat mich aus seinen Formen hinausgetrieben; ich mußte mir meine eigene schaffen, denn in ihren geschlossenen Kreisen konnte mich die Schule nicht dulden 7 )." Auch die anthropologischen Studien des Koblenzer Sekondärlehrers, stets Empirie und Spekulation zugleich, 8

) Aphorismen über die Organonomie (1803), Schellberg I 89. ') Exposition der Physiologie (1805), Schellberg I 169.

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führten durch ihren Medizin der Zeit, vor in Deutschland ihren lierenden Romantik spätem „Mystik" 8 ).

Anschluß an die naturphilosophische allem der Schule um John Brown, die Meister mit dem Vitalismus der spekuverknüpfte, in die Richtung seiner

* Mit dem Anfang des 19. Jahrhunderts bewegte das Geheimnis der menschlichen Existenz die Geister auf eine Weise, der sich die Philosophen nicht sogleich gewachsen sahen. W i e zum Spotte meldete im Schulsack der Wissenschaft die Natur ihre koboldische Seele an. Zwar hatte Kant den Geisterseher Swedenborg als Erzphantasten abgefertigt und ihm auch noch die Systeme der alten Metaphysik nachgeworfen, als behutsamer Methodiker aber dennoch zugegeben: Es wäre ein ebenso dummes Vorurteil, von vielem, das mit einigem Schein der Wahrheit erzählt wird, ohne Grund n i c h t s zu glauben, als von dem, was das gemeine Gerücht sagt, ohne Prüfung a l l e s zil glauben. Nun erhob sich wieder einmal, mit Schopenhauer zu sprechen, jene „sehr wichtige und interessante Sache, hinsichtlich welcher, seit Jahrtausenden, zwei Parteien einander gegenüberstehn, davon die eine beharrlich versichert ,es ist!', während die andere hartnäckig wiederholt ,es kann nicht sein' 0 )". Das ausgehende 18. Jahrhundert hatte eine Fülle neuer Erkenntnisse von Erscheinungen und Gesetzen der Natur gewonnen. Die Spekulation bemächtigte sich ihrer und mengte sie mit Gedanken und Phantasien, die dem Wunschbilde des geltenden Glaubens und den Forderungen der allgemeinen angeborenen Poesie des Menschen entsprangen. Im Gegenstoß wider die mechanische Naturauffassung erhob sich aus dem tiefsten Bedürfnis des Geschlechtes die Lebendigsprechung des 8) Ungenügend sind die Aufschlüsse in der überhaupt belanglosen Untersuchung von Mathilde Wesseling „Biologie und Pathologie in J. v. Görret;' Christliche Mystik." Ungedruckte medizinische Dissertation der Universität Freiburg i. B. von 1923. *) Versuch über Geiistersehen und was damit zusammenhängt. Parerga und Paralipomena, 1. Bd., 296.

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Ganzen der Welt. Alles lebt, hieß die Botschaft, alles hängt wirkend zusammen, und Totes gibt es nicht. Die große Gezweiung des Ureinen in Natur und Geist ist um des Dritten willen, eben des Einen, das der Sinn und die Meinung alles Gegensatzspieles ist. Ein unermeßliches System von Bezügen läuft von jeder Kreatur zu jeder andern. In dem Wirrsal von Anschauungen, das seit Mesmers Lehre vom Magnetismus bis zum Okkultismus um die Seherin von Prevorst die alte Sphinx Natur umzieht, ist das einigende Band der Glaube, der schon Herder bewegte: daß im Weltgeschehen der Naturprozeß mit dem sittlichen der Geisterwelt sich verschlinge. Es waren sonderlich Plotin und Jakob Böhme, von andern nicht zu reden, die den Schlegel, Novalis, Schelling, G. Schubert, Eschenmayer, Steffens, Ritter, Baader, Windischmann, Carus u. a. den Leuchter des mystischen Gedankens zur Erhellung der Nachtseite des Menschenwesens überließen. Magnetismus und Somnambulismus, hypnotischer Schlaf und Ekstase, Sympathie und Hellsehen, Stigmatisation und Besessenheit wurden aus einigen großen Vordersätzen der organischen Naturdeutung erklärt, und diese wiederum in bedenklichem Zirkelverfahren durch jene Erscheinungen bewiesen. Aber der Zirkel bewegte sich doch um die feste Mitte eines Glaubens, der im Fortgang der Jahrtausende sich gleichgeblieben ist, weil in ihm ein Grundgefühl unserer Gattung laut wird: Alles ist ewig im Innern verwandt. In ihm sind das romantische Denken und Dichten unter sich, ist die Romantik mit Herder und Goethe, der deutsche Geist überhaupt mit sich selbst und allen guten Geistern einig. Dieser Glaube hatte freilich Raum für entgegengesetzte Lager. Dort kam Gott und Welt und alles in den Menschen als den Schöpfer des Ganzen zu liegen, hier war der Mensch nur der Spiegel des eigenständigen Kosmos und seines Schöpfers. Die Unterschiede zeigten sich durch die Jahrzehnte, in denen das okkulte Gebiet zur Rede stand, aber hier wie dort ist kaum ein Zweifel an der Tatsächlichkeit jener rätselhaften Erscheinungen aufgekommen. Der Dichter der Wahlverwandtschaften konnte seit dem Sesenheimer Erlebnis die dunklen Zufälle des Bewußtseins nicht leugnen, und selbst in seiner Lebensbeschreibung des hl. Philipp Neri schonte er das ganze 13

Gewebe des Wunderbaren, das diesem heitern, starken Geist, oft ihm selbst zur Qual, wie der eigene Schatten zugehörte. Als aber, von der sensitiven Zeit einmal erregt, der poetische Drang, die Sucht nach Erweisen einer zweiten Welt hinter dem gemeinen Leben sich in der Folge die Mirakel erfand, die man \yünschte, oder, wie Kerner und sein Anhang, aus den wirklichen Fällen solcher Art eine kuriose Dogmatik hervorspann, da liefen die kritischen Köpfe, zumal aus Hegels Schule, Gefahr, ihrer Kritik das Tatsächliche selbst zu opfern. Auch einen besonnenen Betrachter wie Karl Rosenkranz und den scharfen, aber ehrlichen D. F. Strauß, der am Lager der Seherin von Prevorst gestanden, macht „die Bildung unseres Jahrhunderts" in der Skepsis befangen wie eine erregte Gläubigkeit die andern. Aber das ruhige Urteil aus dem kritischen Lager, die Grenze zwischen Wirklichkeit und Einbildung lasse sich nicht ermitteln, bedeutete nach der spöttischen Erledigung der menschlichen Nachtseite in der Aufklärung immerhin ein verständiges Non liquet. Das eine steht fest, daß alle wissenschaftlichen Erklärungsgründe nicht genügten und die einleuchtendsten selbst schon ins Metaphysische übergriffen. Man stand, wie es zu aller Zeit gewesen, zu diesen Dingen je nach den Maßen der persönlichen Art. Das war auch Mörikes Meinung in seinem Gedicht „Die Anti-Sympathetiker" an Justin Kerner: Von lauter Geiste die Natur durchdrungen, Wie würde sie nicht durch den Geist bezwungen? Wenn sich getrennte Kräfte wiederkennen, Auf ein Erinn'rungswort entbrennen, Die Krankheit weicht, das Blut sich plötzlich stillt: Sie leugnen'», ob es gleich, du weißt, kein Wunder gilt. Laß die Schwachmatiker nur immer räsonnieren, Und rechn' es ihnen allzu hoch nicht anl Denn — wenn sie Gott und die Natur bornieren — Es streckt sich keiner länger, als er kann.

Görres hat vor und während der Entstehung seiner „Mystik" aus der bezüglichen Literatur reichlich aufgenommen, leider zu wenig von den kritischen Stimmen, die, wie Straußens vortreffliche Erwägungen über Somnambulismus und Besessenheit, ihn vor manchem vergeblichen Tiefsinn hätten bewahren 14

können 10 ). Aber der kühlen Kritik des Okkulten, wie Strauß und Hegelianer sie übten, stand seine dichterisch erregbare Gläubigkeit und überdies auch die seit der Straßburger religiösen Wendung wachsende Abkehr von monistischen Betrachtungen der Welt, wie sie von jenen Deutern der „Nachtseite" gehandhabt wurden, im Wege. Immer deutlicher wird seine Entscheidung für den klaren Dualismus Natur und Geist und das Verständnis des Menschen als einer Synthese von beiden. Dieses dramatische, also im Grunde unmystische Element, das vor allem durch die Bekanntschaft mit den Schriften des Wiener Theologen Anton Günther in den Jahren 1820—1830 sich zusehends befestigt, beherrscht den philosophischen Grundriß seiner „Mystik" 11 ).

* Endlich ist hier von einem starken persönlichen Einfluß zu sprechen. Er ist umstritten, weil auch die Zeugnisse sich widerstreiten, aber es genügt in unserm Betracht die Tatsache, daß zwei Freunde von verschiedener Prägung der Naturen mit innerstem Anteil die Jahre ihrer reifsten Kraft dem gleichen Gegenstand geopfert haben: Görres und Clemens Brentano. Ein Zug von Aehnlichkeit des Strebens und des Schicksals hat die beiden von den Tagen der gemeinsamen Schulbank bis ins Alter verbunden, und noch ein Vergleich der Totenmasken läßt verstehen, daß die Lebensläufe nicht zufällig sich ver" ) Wenigstens im 3. u. 4. Bande der Mystik. StrauB hat das Werk von Kerner-Eschenmayer „Geschichten Besessener neuerer Zeit usw." (Karlsruhe, 1834) in den Berliner Jahrbüchern f. wiss. Kritik, 1836 (1. Bd. 812 ff.) besprochen. Ferner die „Theorie des Somnambulismui von J . U. Wirth (1836) in ders. Zeitschrift, 1836 (2. Bd., 880 ff.), aui; dem Jahre 1838 die Kritik der „Untersuchungen über den Lebensmagnetismus und das Hellsehen v. J . C. Passavant (Frankfurt a. M. 1837). Bereits 1830 aber hatte er eine „Kritik der verschiedenen Ansichten über die Geistererscheinungen der Seherin von Prevorst" versucht. (Hierzu noch die Reminiszenz in dem schönen Aufsatz über Kerner in den Hallischen Jahrbüchern, 1838, Sp. 25 f.) Vgl. StrauB, Charakteristiken und Kritiken, '1844. u) Von Görres' Beziehungen zu G. handelt Peter Knoodt: Anton Günther (2 Bde., Wien, 1881), 1252 fl. u. ö. Görres' zusammenfassende« Urteil II 189 ff. E r hat Günther durch alle Jahre der Verfolgung die Treue gehalten. 15

schlungen haben. Beide erlebten den Bruch ihres Jugendglaubens und auch die Rückkehr zu ihm, beide fanden sich in den Jahren der Heidelberger Romantik in der Auferweckung des deutschen Volksgeistes zusammen und verspotten in einer gemeinsam verfaßten poetischen Schrulle die Aufklärung mitsamt der mechanischen Gesellschaftsordnung Napoleons (1807), um die Jahre 1815 und 1816, da Görres im Kampfe um die Freiheit der Nation von ferne auch die Kuppel der alten Kirche sich wieder entschleiern sieht, fühlt Brentano in Berlin die Macht des verlorenen Glaubens, entflammt für die junge fromme Luise Hensel, zieht mit dem Schmerze abgewiesener Liebe, durch eine Beichte wieder mit der Kirche verbunden, nach Dülmen ans Lager der Visionärin Katharina Emmerich und gestaltet ihre Gesichte zum gewaltigen Epos auf das Leben und Leiden des Erlösers. Alsdann, nach dem Tode der Nonne, kommt er zum Straßburger Flüchtling, der hier den innern Anschluß an die Kirche vollendet, gewinnt sein Interesse für Leben und Lehre der Mystiker, und am Bette einer Stigmatisierten in Lothringen, an das der Freund ihn geführt, ruft Görres aus: Das ist das Ernsteste, was ich gesehen habe! Fortan, vollends durch die gemeinsamen Münchener Jahre, ist allem Anschein nach die Frage nach den Rätseln des mystischen Menschen die tiefste Angelegenheit der Freundschaft. Trotz alledem sind Görres und Brentano nicht vom gleichen Holze. Görres ist eine Natur, Brentano ein Streitfall von Naturen; so wird der eine Gestalt, der andere nicht. Der eine meistert sein Daimonion durch alle Wechselfälle des Lebens, der andere, übermütig und verzweifelnd, weichselig und grob, schöpferisch und zerstörerisch, Kind und Teufel, labt sich und quält sich an dem Dämon, von dem er besessen ist. An den Zeugnissen, in denen sie voneinander sprechen, ist abzunehmen, daß sie einander erkannten und wessen sie als Freunde sich zu versehen hatten. Görres, weicher und empfänglicher, als sein gerüstetes Gehaben vermuten läßt, hat der lenkenden Hand seines Clemens zuweilen nachgegeben, aber die Gleise des Geistes, auf die er ihm folgt, sind keine fremden. Bald fünfzigjährig, sah er auf die Enttäuschung der Revolution, auf den zerstobenen Frühling von Heidelberg und die schlecht 16

bedankte Tat fürs Vaterland zurück, nun hielt er sich an die inneren Mächte der Menschheit, bereit, die Waffe des Kämpfers, der er nicht aufhörte zu sein, für das Heilige und seinen Leib, die Kirche, einzusetzen. Nicht dieses neue Ziel als Ganzes, auch nicht die Neigung auf das geheimnisvolle Weben einer zweiten Ordnung hinter der gemeinen, wohl aber der Entschluß, mit der ganzen Breite und Tiefe seiner Kraft das Mysterium des Menschenwesens über und unter der Grenze seiner Gewöhnlichkeit zu ergründen, mag das Werk des Freundes sein. Dennoch ist bei beiden das Verhältnis zur Mystik verschieden. Brentano, heillos, wie mit einem inwendigen Kainszeichen behaftet, sucht unstet Erlösung und Entsühnung, in diesem Drange betet und flucht er, liebt und peinigt er das Weib; selbst Luise Hensel, die halb aus Furcht sich ihm versagt und eine Vermählung nur aus dem religiösen Gedanken der Buße und des läuternden Leidens an seiner Seite erwogen hat, vermag er nach Jahren noch mit der Rache des Unerlösten zu bedrängen, als er von Dülmen aus - zehrender Gast eines fremden Gotterlebnisses — Luise in ihrer Liebe zu einem andern Manne irremacht, indem er in Briefen an sie beängstigende Gesichte der Seherin von dem Seelenzustand des bräutlich fühlenden Mädchens und dem Willen der Vorsehung, sie solle ehelos bleiben, niederschrieb und auch noch mit Katharinas Unterschrift versehen ließ12). Motive dieser persönlichen Art treten bei Görres nirgends zutage. Er selbst, wie fast alle Freunde Brentanos, sieht der Rolle des Dichters am Bette seiner Pythia mit wenig Freude und noch weniger Glauben zu. Im Straßburger Jahr 1825 schreibt er von dem „alten"' Clemens von Heidelberg, bei dem nur die Poesie eine andere Richtung genommen habe, von der Vermischung des gewonnenen Honigs mit eigenen Säften, von der alten Langeweile, die seit dem Tode der Nonne wieder über ihn gekommen. „Solanige die Emmerich lebte, war er stationär, weil er immer etwas bei ihr über die andere Welt auszulauern hoffte, jetzt ist die tot, nun kommt das unstete, unruhige Wesen wieder." u ) Hans Rupprich, Brentano und die Mystik. Deutsche Vierteljahr schrift, 1926, Heft 4, S. 728. — Hermann Cardauns, Aus Luise Hensel» Jugendzeit. Freiburg i. B. 1918. S. 23 ff.

Görr'es-Myslik

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„Nun", beginnt ein Brief desselben Jahres, „was machst du denn, du alter Nonnenpater?... Je nun, was wird er machen? Er sitzt in seinem Neste, schreibt Apokryphen de infantia J e s u . . . " 1 3 ) Görres zielt skeptisch auf die literarische Fassung der Visionen, wie später hingegen Brentano in die Berichte des ersten Bandes der „Christlichen Mystik" seinen Zweifel setzte1*). Er hat auch später, als er die ekstatische Maria Morl bei Kaltem besuchte, zum Befremden der Mirakelsüchtigen unverhohlen seine Ueberzeugung kundgetan, „er könne darin nichts Uebernatürliches sehen, es scheine all das nach der Vitalität des Leibes möglich" 15 ). Daß er diesen Zug kritischer Wachsamkeit gegenüber dem Ganzen der Berichtmasse seines Werkes vermissen läßt, ist zum Teil wohl aus der Zwecksetzung seines im Grunde immer auf politische Gestaltung gerichteten Willens zu erklären. Wissenschaft und Forschung handhabte er als Hebel zur Bewegung der Geister im Sinne seines Ideals. Bezeichnendes Beispiel ist die schadenfrohe Laune, die seine Skepsis gegen den Epiker der Emmerichschen Visionen begleitet. „Es schadet üürigens nichts, wenn er die Sorte erhabener Philister, die in Koblenz auf dem Kasino ihr Wesen treiben, einmal zusammenschüttelt und ihnen zeigt, daß es noch andere Gattungen von Narren auf Erden gibt, auch einen Verstand, der mehr gilt als der, den sie sich herangezogen"1®). " ) Schellberg II, 413 f., 421, 423. " ) So wenigstens J. N. Sepp, Görres und seine Zeitgenossen (Nördlingen 1877), S. 376 f.: „Wir können bezeugen, daß Görres dem überschwenglichen Poeten Brentano trotz vielfacher Nachgiebigkeit auch Widerstand zu leisten wußte. In Görres' Garten auf- und niedergehend, äußerte Clemens gegen den Verfasser der Mystik, er habe den ersten Band gelesen und sehr anmutig gefunden, wie ein Bach durch blumige Wiesen läuft. Zuletzt sei ihm aber doch schwül geworden und eine Menge Bedenken aufgestiegen. .Trinken müsse man sehr viel dabei.' [Als Görres' „Athanasius" erschien, wurde er in seiner Heimat vielfach in größerer Gesellschaft vorgelesen, bei einem Glas Wein. Stieß man nun auf eine Stelle, deren Verständnis Schwierigkeit machte, so hieß es zum öftern: .Jetzt geht er wieder hoch, trinken wir einmal wieder!' Daher Brentanos Ausdruck.] Görres lachte laut über den plötzlichen Zweifelkrämer und erhob den Finger wie zur Warnung: .Sei du nur still mit deiner Katharina Emmerich, das ist ja doch nur Schneckentanz!'" " ) Sepp 376. " ) Schellberg II, 421. 18

Hier ist der Punkt berührt, in dem sich die Freunde bezüglich der Mystik einig waren. Das Geplänkel einer halb scherzhaften Belauerung hin und her, auch die Züge des Lächelns in Görres' Aeußerungen über den Nonnenpater sind vereinbar mit seinem Urteil über das Zusammensein in den StraOburger Monaten 1825. „Es war mir ungemein lieb," schreibt er an Jakob Grimm, „mich wieder einmal mit ihm zusammenzufinden, und wo die Lebenswege sich abermals kreuzten, eine Zeit mit ihm zu durchreden und zu vergleichen, wie das Leben jeden verschieden gestaltet und eingewirkt. Wir haben uns recht wohl verstanden..." 17 ). Was Brentano als Zeuge metaphysischer Erscheinungen, als Sammler und Leser einer ungeheuren mystischen Literatur dem Freunde bedeutet hat, wird ins Einzelne schwerlich zu ermitteln sein, aber nicht zu bezweifeln ist der starke Antrieb der Beschäftigung mit der religiösen Okkultistik, desgleichen die Uebereinstimmung in den geistespolitischen Zwecken des gemeinsamen Interesses. Was Görres in den Vorreden der einzelnen Bände seiner Mystik, schließlich auch in dem Plan der Kürzung auf ein „Volksbuch" durchblicken läßt, empfängt ein helles Licht aus dem Ergebnis der Forschung über Brentano den Mystiker. „Brentano wollte durch die Gestaltung seiner eigenen religiösen Erlebnisse und der A. K. Emmerichs durch Erneuern, Umschaffen und Mitteilen des überlieferten mystischen Literaturgutes den Geist des alten Glaubens wieder heben und zu neuem Leben bringen. Wie seine dichterische Kraft, so ist auch sein Sammelsinn und seine Arbeit an der Erneuerung der deutschen Vergangenheit in den Bruchstücken eines großen mystischen Weltepos, das in seinen religiösen Schriften vorliegt, aufgegangen. An der restaurativen Arbeit für ein neues poetisches Religionszeitalter, dessen Wiederkehr im gesamten deutschen Volke er nahe glaubte, hat er sich die Hände müdgearbeitet und ist darüber gestorben . . . Im mystisch dichterischen Gottesweg liegt die letzte polyphone Zusammenfassung der Grundtendenzen seines Lebens: der seine Frühzeit bestimmende Restaurationsgedanke gewinnt in der dichterischen Vorbereitung eines neuen christlichen Weltalters in " ) Ebd. II, 426 f. 2*

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seinen Augen die religiöse Wertung..." 1 S ). Es bleibt zu zeigen, daß auch Görres nicht erst durch einen inneren Bruch mit seiner Vergangenheit zur Mystik gekommen ist, sondern auf seiner Suche nach dem „höheren Gesetz, das alle Ereignisse in sich verknüpfte und ein fortdauerndes Wunder durch alle Geschichte glanzreich bricht", endlich mit Clemens übereinkommt in dessen Bekenntnis: Nichts vergehet, nichts entstehet, Alles ist unendlich da, Denn der Herr ist 0 und A. 4. Der Denker Görres ist bewegt von den Ideen Natur, Geschichte, Kirche, und sie selbst sind ihm bewegt und gezogen von dem Einen, in dem sie ihm, dem Glaubenden, Eines sind. Im Nacheinander wiegen sie durch die Reihe seiner Schriften vor, immer aber sind mit der herrschenden auch die anderen in enger Verknüpfung gegenwärtig, weil er nur im Ganzen fühlen, schauen, denken kann. Er ist, den anderen Weisen seines Gehabens zum Trotz, im Innersten und von Anfang bis zum Ende Mystiker. „Der allgemeine frieden" ist die erste Schrift des jungen Politikers im Sturm und Drang. Indem er dieses Thema, das ihn forthin bis zum Plane des ungeschriebenen Bandes über die unitive Mystik bewegen sollte, anschlägt, glaubt er dem „lauten Ruf der Natur zu gehorchen". Mit ursprünglicher Katholizität blickt er auf das Ganze der Menschheit und fahndet, wie Herder, nach ewigen Fundamentalgesetzen, der inneren Regel des einen Lebens, das in Natur und Geschichte sich offenbart. Indem er seine Forderung, Empirie und Spekulation müßten sich immer verbinden, selbst erfüllt, gewinnt er in den Jahren 1800—1805 als experimentierender Naturforscher den Glauben an die „Genialität der Natur", den " ) Rupprich a. a. O., 475. — Wie nahe und wesentlich Brentanos „Romanzen vom Rosenkranz", diese tiefsten Melodien des Menschen und Dichters, mit Görres' „Mystik" zusammenhängen, zeigt Günther Müller in „Brentanos Romanzen vom Rosenkranz. Magie und Mystik in romantischer und klassischer Prägung." Göttingen 1922.

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„Sinn für das Idealische, das als die höhere Seele ihre Produkte durchglüht", und macht sich im Anschluß an Philosopheme der Romantik, die ja von Anfang Naturphilosophie gewesen, die organische Auffassung des Weltganzen zu eigen. Er sieht das Schisma Natur und Geist e i n e m Gesetz unterstehen und sucht über allen Spannungen der polar gezweiten Wirklichkeit der Physis und des Geistes das höhere versöhnende Dritte, den Indifferenzpunkt zwischen den magnetischen Feldern, das „Ideal", das Einheit alles Entzweiten und Versöhnung des Werdens aus Gegensätzen ist. Das Auge mutig offen für jede Spaltung der menschlichen Existenz, glaubt er doch an die Idee des ewigen Friedens im zerklüfteten Streben der irdischen Kräfte. „Jeder mag auf seinem Wege gehen, aber einen verhüllten Gott sollen alle anerkennen... Dieser Gott ist das Ideal19). Mag es auch für ihn verhüllt bleiben, vorerst noch pantheistisch gedacht: es ist ihm doch das Gewisseste, Lebendigste, Quell und Mündung und geheimnisvolle Mitte des Geschehens, das wir Natur und Geschichte nennen. Ganz das Werk eines Mystikers sind die zusammenhängenden Schriften „Glaube und Wissen" und „Exposition der Physiologie", in denen 1805 das Weltbild des Dreißigjährigen Ausdruck gefunden. Die erste bezeichnet er selbst als sein „System der Philosophie, gegründet auf die Idee der Gottheit und fortgeleitet am Faden der vermittelten Geschlechtsduplizität", eine „Pansophie" 50 ), die andere als ein „durchgeführtes System", das sich „über die Totalität der Natur verbreitet" J1 ). Stark berührt von indischen und neuplatonischen Ideen statuiert hier Görres a priori die göttliche Uridee, das Unnennbare, Ueberschwengliche. Es ist als der Urgrund des ausflutenden Kosmos auch das Ziel seiner rückflutenden Bewegung. Als Grund und Ziel ist es wirksam auch in der Menschenwelt. Es meldet sich aus der Tiefe der Naturverbundenheit im Mythus, der in dem weiblichen Vermögen des Glaubens ergriffen wird, es bewegt und zieht die Vernunft, das männliche w

) Aphorismen über die Kunst (1803), Vorrede. Schellberg I, 71. " ) Brief bei Schellberg II, 83. ) Schellberg, 171.

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Vermögen, auf sich hin, die also erregt in ihren Werken der Wissenschaft, der Kunst und des sittlichen Strebens eine Metamorphose des Menschlich-Natürlichen ins Göttliche vollzieht. Im Mythus senkt die offenbarende Gottheit dem liebend hingegebenen Gemüt die allgemeinen Wahrheiten in untrüglichen Bildern ein, während der seines Geistes bewußte und mächtig gewordene Mensch denkend, bildend und sittlich strebend in die Region der Ideen sich aufringt, um dessen teilhaftig zu werden, wovon die Ideen selbst nur vertretende Bilder sind, der Idee. So ist Mystik im frommen Sichverlieren in das dunkle Wort der Natur, Mystik in der Wissenschaft, in der Kunst, in Tugend und Liebe. Das Gesetz der Schwere hat sein Recht, aber auch das Gesetz des Lichtes. Wie von unten aus der Tiefe der Natur, wirkt die Gottheit auch von oben, und die Ideen, die wir entschleiern und schauen, sind die kommunizierenden Leiter, an denen der Blitz des Absoluten herniederfährt. So entspricht dem Reiche des Genies das Reich der Gnade — das eigentliche Reich der Mystik11). Es ist Gabe von oben, die allen strebenden Kräften der Menschheit entgegenkommt, damit sie zur vorbestimmten Erfüllung gelange. „Das ist daher der Zeiten großes Ziel, daß die Endlichkeit, wie sie uns verbunden ist, teilnehme an der Seligkeit des Unendlichen. Alles, was sich immer weiter individualisierend auseinanderrankte, soll wieder in der Höhe sich zusammenfügen..." Alle wird die Gottheit in ihrem Schöße sammeln"). Wie in diesen beiden Schriften, so überwog auch in dem hochschwingenden Aufsatz „Mystik und Novalis" desselben Jahres die naturphilosophische Betrachtung. „Frommer, gutmütiger, harmloser Novalis, was hast denn du verschuldet, daß sie dich lästern und dich als das Haupt einer falschen, unechten, schädlichen Mystik verklagen? Was ist die Mystik anderes als das Leben in einer zweiten, höheren Welt, die uns ja von außen schon entgegenglänzt, wenn wir den Blick zum Firmamente heben? Und diese Steigerung unserer höchsten, geistigen Kräfte, warum soll sie die Sphäre des Reinmensch" ) Gesammelte Schriften III, 53. " ) Ebd. 70.

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liehen überfliegen? Steht nicht die Erde, und alles was schwer ist auf ihr, mit fernen Welten im Verkehr...? Und der Geist sollte dumpfer, abgeschlossener in seinem Kerker gefesselt liegen, keine höheren Mächte sollten in ihn herübergreifen, über den Zenith seiner höchsten Kräfte sollte nur eine öde Leere brüten, ein schaudervolles Nichts, in dem die Idee erstarrt? . . . Beim Sternenlichte feiert ihre Mysterien die Natur, hat euer Gemüt und euer Geist denn keine Mysterien zu feiern?" Das Sterbliche muß auch in seinem geringsten Teile der höheren Würde der Sterne huldigen. „Und diese Ueberzeugung tief der Seele einzuprägen, die Quelle von allem menschlichen Streben und seine höheren Beziehungen nachzuweisen, auf die höheren Prinzipien alles Seins und Werdens hinzudeuten und die Aussicht ins Unendliche in die moralische Natur einzuführen, das ist der Zweck der Mystik, dahin geht ihr Bemühen, und daher soll sie jedem, der nach anderem als der bloßen Befriedigung des Bedürfnisses ringt, heilig sein1*)." Als Görres seine Heidelberger Lehrtätigkeit begann (1806), schrieb er in der Ankündigung seiner Vorlesungen den Satz: „Wie der Gottheit überschwenglich, selig Wesen in der Schöpfung in ein göttliches reales Ebenbild sich manifestiert, so gestaltet gleichfalls die Religion in den Tiefen des Geistes sich ein würdig Gegenbild; was beschlossen, still und heilig in jener ruht, tritt in dieser historisch und physisch im Realen ausM ) Ebd. 120 f. — „Die Ausführungen sind als Wegweiser zum Alterswerk .Christliche Mystik' wichtig." Günther Müller ebd. 496. — Zu der durchgehenden Metapher der gestirnten Nacht ist A. Bäumlers Feststellung zu beachten: „Hier ist die Natur nicht ein unbewußt produzierendes Ich: hier hat das unergründliche G e h e i m n i s der Natur sein Auge aufgeschlagen . . . Man hält in der Literaturgeschichte Novalis für den eigentlichen Künder der Nacht. Aber die Nacht, von der Novalis singt, ist nicht die kosmische Nacht, von der Görres stammelt. Novalis meint die Nacht des Subjekts, die Auflösung des Gemüts, den süßen Untergang des Bewußtseins, der der Aufgang der Seele ist. Görres versteht unter Nacht etwas Objektives; die große Notwendigkeit, „die ehedem der Tag gewesen", die Moira, die N a t u r in einem kosmisch-gewaltigen Sinne. Der Unterschied zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert liegt in diesen Auffassungen." Leben gegen Philosophie — darum auch Görres' Unterscheidung des Mystizismus der Liebe von dem (von Novalis vertretenen) der Philosophie. — Bäumler-Schroeter, Bachofen-Auswahl „Der Mythus v. Orient und Occident" (1926). 177.

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einander, das der Geist vom Universum in sich aufgenommen hat." Indem er in den folgenden Jahren auf Mythus und Geschichte sich wandte, hat er auch diese Wirkungen des „sichtbaren offenbarten Gottes", hinter dem sich unerforschlich das primum existens, die urschailende Kraft und setzende Gottheit verbirgt, in seine mystische Gesamtschauweise einbezogen"). Züge einer Geschichstmystik, die mit ihrem entschlossenen Vorstoß ins Tiefe die Herderischen Beispiele weit hinter sich lassen, finden sich schon in den Teutschen Volksbüchern (1807), vor allem in dem mächtigen Epilog, zu systematischer Weite und Klärung ist sie vollends in dem großen Fragment „Wachstum der Historie" (1808) gediehen. Den Weltgeist in der Geschichte und die Notwendigkeit des Geschehens gilt es in dieser „Chronik des Allgemeinen" aufzuzeigen. Der Grundgedanke ist die fortschreitende Metamorphose des Weltgeschehens vom Naturhaften ins Geistige auf das Ziel der göttlichen Uridee hin, der Angleichung aller Dinge an ihre höchste Meinung und der Beseligung in der reinen Gemeinschaft mit ihr. So geht auch der Weg der Religion vom Naturalismus der Mythe, die „als Naturwerk dem Geiste eingebildet" und Grundveste und vorgegebener Keim aller geschichtlichen Entfaltung ist, über die anthropomorphen Vertretungen der Gottheit in den Bildungen unserer schöpferischen Vernunft zum Spiritualismus des rein mystischen Verständnisses und Lebens. So schließt sich der Ring vom somnambulisch mit dem Innern der Natur vertrauten, aus Naturtiefen ein gültiges Wissen um die Welt empfangenden Urmenschen zum begeisterten Gottebenbild, das dank der Entwicklung immer höherer Kräfte auch je mit „höheren Weltkräften in Verkehr" kommt. Seit dem Erscheinen Christi vor allem „enthüllte dem sich selbst Enthüllenden nach und nach auch immer mehr sich das Uebersinnliche, und es schlössen feineren Organen auch gesteigerte Sphären sich auf" 26 ). In der Stiftung der Kirche lag von Anfang schon das Element des Mystizismus. ") Ges. Schriften III, 475. ") Ebd. 387 f.

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Mag dieses Fragment die Erscheinung Christi, die Erlösung, die Frage des Bösen u. a. auch nicht im strengen Sinne des Dogmas behandeln, so ist hier im Vergleich mit Herder und selbst mit des Novalis „Christenheit" (einer unverbindlichen, nichts weiter als romantischen Vision) doch der Entwurf zu einer Geschichtsphilosophie mystischen Stiles aufgerissen. Es geht hier ganz und gar nicht um Restauration irgendwelcher Art. „Der ganze Himmel des Mittelalters liegt, wir können es uns nicht verhehlen, im verglimmenden Strahlenschein hinter uns zurück; auch die neue Zeit ist aus ihrem Paradiese herausgetrieben, weil sie gegessen von der Erkenntnis Frucht. Was man, um sie zurückzuführen, in gutem Willen wohl getan, zeigt mehr wie irgend etwas anders, die Unwiederbringlichkeit des Verlornen... Scheiden wir von dem, was der Strom mit sich dahingenommen, und eilen wir mit ihm den neuen Ufern zu, denen er uns entgegenführt")!" Das ist auch gegen die Reformation gesprochen, die vergessen hat, „daß nimmer die Natur einen Regressus macht". Ihre Rückwendung auf das ursprüngliche Christentum war ein Abfall von der Idee der Entwicklung, nach welcher auch das Christentum notwendig weiter vorwärts gegen die Abstraktion getrieben werden mußte. Organe des Weltgeistes waren freilich auch die Reformatoren; in ihnen drang er gewaltsam auf Vernichtung des Alten, weil er Neues, Großes gestalten wollte28). „Alles beginnt, getrieben von dem neuen Genius, zu einer neuen Kirche sich zu sammeln; in den Laien, die durch alle Nationen des Weltteils gehen, sind ihre Grundvesten gelegt. Denn, hat die neue Zeit auch in ihrem Wahne sich von Gott abgewandt, er hat sein Antlitz nicht von ihr gewendet; in allem, was Tüchtiges gebildet wird, bildet die Gottheit fort, immer baut sie aus den Trümmern, die Alter oder Wahn zerstört, sich eine neue Kirche wieder")." Die Utopie einer Universalkirche, die durch ein reichliches Jahrzehnt aus Görres' Schriften mehr oder minder deutlich vorscheint, fügt sich gut in den Dynamismus der neu*7) Ebd. 411 f. Ebd. 399 f. " ) Ebd. 409 f. a»)

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platonischen Weltansicht, für die nicht zufällig das germanische Wesen seit einem Jahrtausend schon sich tief empfänglich zeigte. Sie hatte Raum auch für das romantische Erlebnis einer unendlichen Strömung der Dinge und wiederum doch für den ausruhenden Glauben an ein wandellos Beharrendes hinter allem Geschehen, und sie gewährte darum Genügen dem aktiven wie dem kontemplativen Element der menschlichen Natur. Beides fand sich auch in Görres, dem tatenden Beweger in Politik und Empirie, dem Verfechter des Ideenglaubens und der „reinen Anschauung" in der Spekulation. Und endlich war der tiefe Ernst des Neuplatonismus, dem schlechthin alles in Kosmos und Menschheit auf die wahr-gut-schöne Gottheit bezogen war, auch der seine. Eine Forschung, die gegen die sittliche Forderung verstieß, macht ihn erschrecken; vor einer Naturwissenschaft, die die „Seele entgeistert" und „mit dem Heiligen ein herabwürdigendes Spiel treibt", wird ihm das Lachen teuer' 0 ). Dieser religiös innervierte Idealismus der späthellenistischen Philosophie, der zusammen mit Herders Idee der ewigen Progression seine mystische Betrachtung der allgemeinen Lebensbewegung bestimmt, barg in siel* die Forderung, die einzelnen Phasen und Erscheinungen der Geschichte als immer nur Vorläufiges und Relatives zu verstehen. Die göttliche Qualität war dem einzelnen verbürgt durch die rechte Richtung der Bewegung, aber sein Charakter des wellenartig zur ewigen Mündung Strebenden verbot zugleich die Anerkenntnis seiner reinen Gültigkeit und das Recht auf Dauer innerhalb der Zeit. Hierin kam das romantische Geschichtsdenken mit dem Neuplatonismus überein, und hierin, nicht in zeitwährenden Verstimmungen, darf man wohl auch Görres' Plan einer Universalkirche, ja, alle tieferen Züge seiner Geschichtsmystik gründen sehen. Er trat über diese philosophische Form nicht hinaus, als er mit Mystikern des Mittelalters — man weiß, die deutschen unter ihnen sind neuplatonischen Geblüts — so vertraut wurde, wie es in seiner Schrift „Ueber den Fall der Religion" (1810) sich zeigt. Es wetterleuchtet hier in " ) So in einer Besprechung Okens (1810), bei Robert Stein, ,,Görres' Stellung in der Naturwissenschaft" (in der Festschrift der Görres-Gesellschaft, hrsg. v. Karl Hoeber, Köln 1926), 136 ff.

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manchen Sätzen die Anschauung des Eckehartischen Nunc aeternum oder Totum simul, Ansätze zu einer Mystik der Geschichte, die auch in Boehme, Fichte und Schelling nachgeklungen haben. Ein widerstreitendes Element. der Deutung des geschichtlichen Lebens, das Dynamische retardierend, hatte Görres längst schon aus seiner Versenkung in den Mythus empfangen. Hier war sein Blick durch alles Strömende hinab auf den ruhenden Grund aller Menschlichkeit gedrungen. Indem er sich bemühte, den metaphorischen Ausdruck östlicher Völker und Zeiten für unmittelbare Erkenntnisse der einigen bleibenden Tiefe, von der alles lebt und sein Los empfängt, aus seiner ganzen Fülle und Verzweigtheit zurückzuführen auf das Urwort einer geheimnisvollen Offenbarung, vertiefte sich ihm der Anblick des Fortdrangs unserer kulturellen Schritte zum Anblick des unveränderlichen Bodens. Vielleicht gewagt, aber nicht ungegründet, ist die Vermutung, daß in dieser Fühlung mit dem Osten, nicht dem persischen, aber indischen, die Wandlung seines dynamischen Weltbildes in ein vornehmlich statisches eine Erklärung findet. Und weiterhin mag seine fundamentale Erkenntnis des Mythus, die er zur Erkenntnis des mythischen Vermögens im Menschen überhaupt erweitert, ihm auch das liefere Recht alles Legendären entschleiert haben. Sicherlich tritt der Ehrgeiz der Schule, die geschehene Geschichte kritisch ermitteln will, nicht an ihm hervor. Ein großzügiger Pragmatismus in der Handhabung alles dessen, was sich im Gedächtnis der Menschheit bewahrt hat, eine wenig zum Prüfen geneigte Ehrfurcht vor allen starken Stoffen der Tradition, ein religiöser, nicht wissenschaftlicher, ein pädagogischer, nicht analytischer Sinn, ein Wägen nach Wert statt ein Fragen nach Geschehenheit des Ueberlieferten bestimmt die geistigen Taten des Mannes um so mehr, je härter das Leben ihn nötigt, Geschichte zu machen, nicht nur zu denken. Der Patriot, der im „Rheinischen Merkur" seine Streiche fürs Vaterland führt, ist zwar noch vom Traum seiner joachitischen Kirche befangen, aber er ruft, mit dem Wertsinn des Staatsmannes, dem recht ist, was helfen kann, auch alle guten Geister der Vergangenheit vor das Bewußtsein der Zeit. Für seine immerfort organische Auf27

fassung der Geschichte ist mit dem Gedanken der Wiedergeburt auch die Ehrung des Grundes aller Gegenwart im alten geboten. So fand er sich hart in der Nähe des restaurativen Programms, mit dem sich in Deutschland wie in Frankreich eine politisch und philosophisch mächtige Schule über die Probleme der zerrissenen Lage nach dem Scheitern Napoleons hinwegzuhelfen suchte. In seinem Entwurf „Die künftige teutsche Verfassung" streift er mit einer Schwinge seines Genius an den Prophetismus der baren Umkehr, aber der Ausgang des Wiener Kongresses enttäuscht ihn doch aufs tiefste, weil der verkappte Geist des Zwanges und des Stillstands jener Freiheit zuwiderläuft, die doch auch ein christliches Gut und die wahre Bürgschaft für ein lebendiges Fortfruchten des überkommenen Erbes ist. Seine Hoffnung wendet sich von der heillosen Politik der Zeit auf das innere Reich des Menschen, wo „der Fügung des Willens" überlassen ist, was in der Natur der Zwang zusammenhält. „So laßt uns denn endlich den festen Willen haben und unsere Freiheit also unverwandt aufs gute richten, daß sie streng wie die Notwendigkeit erscheint; sogleich auch wird der Zwang, der uns jetzt bindet und befängt, zur Freiheit werden." „Im Haupte soll dann priesterlich wohnen die rechte Frömmigkeit und die Anerkennung der höheren Welt; die Ergebung in die Fügungen der Macht, die da lenkt aus tiefer Verborgenheit; die Einsicht des höheren Gesetzes, das alle Ereignisse in sich verknüpft und ein fortdauerndes Wunder durch alle Geschichte glanzreich bricht; endlich die Ueberzeugung, daß nur das Gute in sich wesenhaft und dauernd, alles Böse aber an sich nichtig und vergänglich ist»1)." In solchen Sätzen festigt sich bereits die theozentrische Achse einer mehr christlichen als neuplatonischen Betrachtung des Weltgeschehens. Ueber der Versenkung in das innermenschliche Triebwerk der Geschichte wächst in ihm, der gewohnt ist, Natur und Geschichte nicht eine ohne die andere zu denken, gleichermaßen das Bedürfnis, die sinnlichen Erweisungen der Ueberwelt in der zeitlichen zu ermitteln und das Ermittelte als Geistespolitiker wiederum zur Gestaltung " ) Die künftige teutsche Verfassung (Rhein. Merkur, 1814), Schellberg I, 579 f.

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der Gesinnungen, die Geschichte machen, zu gebrauchen. Aus dem „unwiederbringlichen" Mittelalter blieb ihm unverloren die Welt der Mystik. Sie konnte, wie er schon 1810 (Ueber den Fall der Religion) erkennen ließ, auch in der Utopie seiner neuen Kirche fortbestehen. Wie hat dieses gottselige Geschlecht den Menschen, sonst nur ein enges Haus, zu einem weiten Gotteshaus verklärt! „Wie hat in ihnen siegreich der Geist dem Fleische obgelegen, daß dieses, vom Himmelslicht durchzogen und getränkt, ihn wie ein leuchtend Gewölk nur überzog!" Görres hat den damals schon gehegten Plan, seine Mythengeschichte „ins Christentum hinüber bis zu uns hinauf und weit darüber hinaus" fortzusetzen32), nicht ausgeführt, aber das aufgewandte Studium der Kirchenväter und Mystiker fruchtet ihm aufs neue in Arbeiten seiner Straßburger Jahre. Hier vollzieht sich seit etwa 1820 bei aller Ungegorenheit der philosophischen und theologischen Gedankenwelt sein entschiedener seelischer Anschluß ans sakrale Leben der Kirche"). „So habe ich", schreibt er an Jean Paul, „in religiösen Dingen nach reiflicher Ueberlegung für besser gefunden, an dem alten Bau, dessen Grundfesten vor so manchen Jahrtausenden noch vor der ersten Monarchie gelegt wurden, fortzubauen, als auf eigene Faust aus Stroh und Goldpapier ein eigenes Schwalbennest bloß auf Leibzucht zu bauen, das in der stürmischen Witterung wenig gehäuglich ist")." Die bedeutenden politischen Schriften der Jahre 1819—1821 sind indessen noch immer von der platonischen Stimmung beherrscht. Wo hier die Einsicht durchschlägt, daß mit zunehmender Kultur die Naturkraft unseres Geschlechts versiegt, da stellt auch der Trost sich ein, daß dieselbe Kultur die Gemeinschaft mit einer andern Welt eröffnet. „Es ist dies jene geheimnisvolle Ideenwelt, die, nach alter Lehre erfüllend die unendliche Tiefe des Geisterreichs, in alle Klüfte der Unterwelt ihr Licht niedergießt und alle Gestaltungen beseelt." Es " ) Briefe II, 248 (Schellberg II, 171). Dazu Brief vom 16. XI. 1811 bei Schellberg, Briefe von J. v. G. an F. Chr. Perthes (Köln 1813), S. 57. " ) Vgl. H. Grauert: Görres in Strafiburg (Köln 1910), bes. S. 40, 43, 46, 48. " ) 26. VIII. 1822. Briefe III, 28 (Schellberg II, 374 f.).

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sind „die ihr entstammenden Ideen, die die Staaten als ihre eigentliche Begeistigung zusammenhalten, mit der Geisterschwere sie in sich verbinden und mit dem geistigen Lichte sie durchleuchten". Mystiker und Politiker in einem — man muß diese bleibenden Züge seiner Gestalt im Gedächtnis bewahren, wenn man das spätere Hauptwerk nicht im Grunde verkennen will. Der Staatsdenker, der in seinem Appell „An die deutschen Stände" (1819) die Religion preist als „das Band, das die Geister eint, das Wort des bildenden Weltgeistes in der Menschensprache ausgesprochen", ist in den Straßburger „Aphorismen" von 1822/23 schon ganz der Mystiker. Das Wesentliche aller Religion sieht er begründet in dem Verhältnis der Seele zu Gott. Nach aufwärts trete die Seele in dasselbe geheimnisvolle Verhältnis, in dem sie nach abwärts zu dem Leibe stehe. Sie selbst soll ein Organ der Gottheit sein. Gottes Sonne scheine über alle Menschen, welches Glaubens und welcher Ueberzeugung sie sonst sein mögen, und diese Sonne sei die Gnade. Von ihr ist auch das Organ, das die Emanation empfängt. Das Verdienst des Menschen bestehe nur darin, dieses Organ von Trübung freizuhalten, daß es immer durchsichtig für die höhere Strahlung bleibe. Denn durchstrahlt werden von Gott heiße in Gott sein und durch und durch von Gott erfüllt, ohne ein Widerstrebendes, das sie in ihrem Wirken hemme. — Aber der Mystiker hört nicht auf, staatsmännisch zu fühlen. „Ich will keineswegs, daß die Religion in den Schmollwinkel des Herzens eingesperrt werde, sie hat wohl nach außen viel zu bestellen, und ich gönne der Kirche neben dem Markte auch eine geräumige Stelle 35 ). Als Görres 1825 die Leitung des „Katholik" übernimmt, ist er in seiner innersten Gesinnung frei von dem Geiste des aufkommenden Ultramontanismus. Er spricht, nachdem er drei Jahre zuvor den Segen des Antagonismus einer „Doppelkirche" für Deutschland gepriesen hatte, auch jetzt noch von der Reformation als einer Bewegung, die aus dem innersten Geiste unseres Volkes hervorgegangen ist, dem edlen ethischen Unwillen über jeden Frevel am Heiligen, von dem Abscheu " ) Bei Grauert, S. 33 f.

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vor moralischer Fäulnis, der Freiheitsliebe, die jedes Joch, das treulose Gewalt ihr aufzulegen sucht, früh oder spät immer abzuschütteln weiß, kurz jener ganzen Masse antiseptischer Eigenschaften, die Gott in diese Nation gelegt, um die Fäulnis, wozu besonders der Süden neigt, so oft es not tut, abzuwenden®6). Er denkt als deutscher Volksmann über die Kirche, nicht als Kirchenmann über das Volk. So sucht und sieht er in der Kirche die lebendigen religiösen Kräfte, das Erbe einer weltgeschichtlichen Tradition von soviel innerer Beweglichkeit, daß es dem Erziehungswerk an den Volksgeistern, die von der Natur gegeben sind, sich nicht in Starre widersetzt. Man könnte ihn nicht als reaktionär und Dunkelmann verschreien, wenn man Zug um Zug ihn vergliche mit den Dogmatikern der ultramontanen Theorie, des juristischen Kirchenbegriffs und der grundätzlichen Absage an jede gedankliche Fortbewegung der Menschheit. Noch 1834 schreibt er aus Anlaß des Falles Lamennais an den verfolgten Anton Günther: „Seit die Römer, statt wie früher der Geschichte voranzugehen, sich ä la queue gesetzt, beschränken die Alpen ihren Gesichtskreis, und sie können das Wort nicht mehr finden, in dem sie zur Zeit reden sollen.""). Um jemals Katholik im römisch-juristischen Sinne etwa des späteren Syllabus zu werden, ist Görres zu tief in der Mystik und in den pragmatistischen Kategorien seines geschichtlichen und naturphilosophischen Denkens verwurzelt geblieben. Das mag der tiefere Grund sein, warum Brentano es nötig fand, ihm den denkwürdigen Brief vom Sommer 1825 zu schreiben, der bedrängerisch auf ihn einredet, sich doch ganz zu bekehren, nach Augustins Art seinen Weg zur Kirche und auch das Wesen dieser Kirche zu beschreiben (als Physiologe den Brautleib des Herrn). Indessen hatte Görres, der Brentanos ") Grauert, 52 f. " ) Görres fährt fort: „So denn auch jetzt; der Papst hat wohl im wesentlichen Recht, denn Gewissensfreiheit und Preßfreiheit im Sinne, wie sie es nehmen, kann er nie gewähren; das hieße die Säue selber in den Weinberg laden . . . Aber wie hart und ohne alle Rücksicht auf die Persönlichkeiten ist die litera abgefaßt! Wie hat sie nicht die mindeste Acht auf Oertlichkeit und zeitliche Verhältnisse, so daß ihr gutes Recht dadurch völlig die Physiognomie einer leeren Abstraktion annimmt! — Knoodt I 299 f. 31

theologisches Ansinnen schon auf anderem Wege vernommen, vorweg bereits durch einen wenige Tage früher gelegenen Brief geantwortet. Er ist eine Abwehr mit humorvoll verkleideter Reserve. Theologie sei nicht seine Sache, und was er nicht verstehe, wolle er auch nicht durch Hoffart oder Hexerei in dieser Materie ersetzen. „Es muß also dabei bleiben, wie's bisher gewesen; wo ich hingehe, werfe ich rechts und links eine Hand voll Samen a u s . . . Das läßt sich bestreiten, ohne einen langen schwarzen Mantel zu tragen und die kleinen schwarzen weißgeränderten Läppchen unter dem Kinne und dem spitzen dreieckten Hute zu schleppen. Also sei du mir ein milder liebreicher Geselle, ich will dem alten Sünder dafür auch einmal durch die Finger sehen 38 )." In zwei Aufsätzen der Jahre 1826 und 1827 hat Görres Gegenstände der Mystik erörtert. Der eine behandelt Franz v. Assisi als Troubadour, auf die falsche Voraussetzung bauend, die den Heiligen als Dichter einiger Lieder Jacopones da Todi betrachtet, der andere ist eine tiefschürfende Kritik an Swedenborg. Er sieht, wie Kant, in dem Geisterseher nicht einen Betrüger, aber einen Betrogenen, das Opfer eines naturckstatischen Zustands, in dem die Seele dem Spiele dunkler physischer Kräfte und einer geheimnisvoll verlarvten Selbsttätigkeit preisgegeben. Belangreich ist der positive Ertrag der Studie. Die Natur erscheint hier als das Reich der Notwendigkeit, die Kirche als das der inkarnierten Gnade. In ihr vollzieht sich das sacrum commercium zwischen der gottstrebigen Welt und der sich spendenden Gottheit. Der Geist von oben ist die Seele der Kirche, ihre ganze Mystik ist von diesem Brunnen ausgeflossen. Aus dem gefestigten Begriff der Kirche als Corpus mysticum strahlen die klaren Linien, mit denen Görres am Anfang seiner Münchener Zeit in der berühmten Einleitung zu Diepenbrocks Ausgabe der Schriften Heinrich Susos (1829) das Thema Mystik grundsätzlich erörtert. Er hat sie selbst als Grundriß seines großen Werkes betrachtet. Nach einem freimütigen Aufriß der ") Brentanos, Brief (abgesandt 29. Juli) in „Briefe" III, 176 ff. Görres' Brief v. 25. Juli, ebd. 173. Dazu Görres' Brief an A. Räß, ebd. 172.

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mittelalterlichen Zeitgeschichte — er hat ihn als Freund der „frischen grünen Wahrheit" gegen die Brüder Brentano, die Bemäntelung wünschten, verteidigt30) — folgt eine theologische und naturphilosophische, bereits am zeitgenössischen Okkultismus (Eschenmayer, Kerner, Passavant, Ennemoser u. a.) orientierte Behandlung der physiologischen Seite der mystischen Phänomene, danach ein hagiographischer, mit meisterhaften Charakteristiken durchsetzter Ueberblick, der das visionäre und ekstatische Leben der Heiligen als Wirkung des kirchlichen Gnadenverbandes in Gegensatz stellt zu ähnlichen Erscheinungen der profanen Strömung, die seit der Reformation aus dem alten kirchlichen Bette sich abgeschieden hat und dem Gebiete des Somnambulismus zugehört, endlich eine Würdigung Seuses und seines mystischen Lehrbegriffs. Im Hinblick auf die am Schlüsse schon angekündigte Christliche Mystik sind von Bedeutung die leidenschaftliche Wendung gegen den skeptischen Zeitgeist, die naturwissenschaftliche Unterbauung der mystischen Theorie40) und die kritische Forderung des Historikers. In letztem Betracht mögen die folgenden Sätze sprechen. „Es kann nicht der Zweck dieser Blätter sein, eine vollständige Geschichte des Mystizismus aufzustellen; sie wollten nur aus den verschiedenen Zeitaltern eine Reihe von unverwerflichen Zeugen aufrufen, auf daß sie Zeugnis gäben für die Wahrheit und Wirklichkeit seiner Doktrin, die eben, weil sie eine historische Erscheinung ist, sich durch gültige Zeugenschaft bewähren muß." „Das übernatürliche Moment des Mystizismus... ist mehr wie irgendeine andere Tatsache, die die Geschichte aufbehalten, über allen Zweifel hinaus gesichert und gewährt; es ist wie das Christentum durch Wunder bekräftigt, durch die allergültigsten Zeugen erhärtet, und die Zulässigkeit dieser Zeugen ist durch die Kirche garantiert und hat also dieselbe historische Sicherheit wie diese Lehre selber..." Hierauf erörtert Görres das subjektive Moment des wechselnden individuellen Ausdrucks der Begnadigung. Er gibt zu, daß der Gestaltungstrieb der menschlichen Natur ein Tausendkünstler ist. „Sein Eingreifen kann ") Briefe I, 314.

,0

) I n vorliegender A u s w a h l eingefügt S. 57—62.

Görres-Mystik

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besonders in den untern Stadien leicht irrend und verwirrend werden, und außer den Täuschungen, die in ihm die geistig angeregte Natur sich selbst bereitet, können auch dämonische Mächte der Unbehüteten sich leicht bemeistern und Illusionen hervorrufen, gegen die alle besonnenen Mystiker von je gewarnt 41 ). Man ersieht hieraus den ehrlichen Willen zu historischer Verlässigkeit, zugleich aber auch die Mängel eines Verfahrens, das die Frage nach der Geschichtlichkeit berichteter Dinge mit Ueberzeugungen religiösen Glaubens verquickt und die natürliche Erklärung einstellt, wo das Bereich des geheiligten Ansehens und einer in sich selbst nur mystisch legitimierten Autorität beginnt. Derselbe Görres, der sich nicht an historische Aufsätze wagt ohne gründliches Studium der Quellen, weil er's nicht über sich gewinnen kann, „irgendeinen Gegenstand auch nur von einer Seite oberflächlich zu behandeln""), schreibt doch an den Adressaten dieses Bekenntnisses, der über hagiographischen Folianten verzagen will, den bündigen Rat, seine ganze kritische Weise aufzugeben: Zerbrechen Sie sich gleich anfangs den Kopf nicht über Echtheit oder Unechtheit, das Meiste, was wirklich unecht ist, kennt man als solches durch die Tradition, und wo diese schweigt, irrt man hundertmal, wenn man alles annimmt, was als echt passiert. Setzen Sie sich dann in aller Ruhe hin und lesen Sie durch, was in diesen Quellen steht, lassen Sie Ihren gesunden Verstand in Erwägung des Inhaltes wirken und ihn recht bis zum Grunde dringen, lassen Sie dann Ihre Seele heraus, und Sie dürfen sicher sein, daß Ihr Urteil in der Regel das Rechte sein wird, ohne daß Sie sich zuvor den Kopf mit der gezupften Charpie bis zum Bersten angefüllt haben... Folgen Sie meinem Rate, und Sie werden sich besser dabei befinden"). Hierin hat uns der Autor wohl über seine eigene Methode auch in der „Mystik" Aufschluß gegeben. 41

) Einleitung zu Diepenbrock-Seuse, CXV ff. ) Briefe III, 142. *') Briefe III, 142, 160, 163 ff. Vgl. S. Merkle in der Görres-Festschrift, hrsg. v. Karl Hoeber (Köln 1926), S. 167 ff. Dazu den Anfang des Briefe» an J. v. Giovanelli bei Schellberg II, 507. u

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5.

Ein kurzes Wort über den geistigen Stil und die äußere Geschichte unseres Werkes soll diese Einleitung beschließen. Görres hat sich's sauer werden lassen, die Unmasse des tatsächlichen Stoffes zu erheben und ins Gefüge eines theoretischen Ganzen zu verbauen. Zahllose gedruckte und auch handschriftliche Quellen sind erfaßt, und noch 1840/41 wendet er reichlich vier Monate Studium in den Bibliotheken Verona und Venedig an den vierten Band. Die Leidenschaft des Apologeten und Restaurators macht ihn ausdauernd, die Wachsamkeit der Gegner treibt ihn zur Gründlichkeit. Wie die Vorrede des ersten Bandes zeigt, ging sein heißestes Ringen um den historischen Beweis einer irdisch sich bezeigenden Ueberwelt. Indem er sich dem Rationalismus Aug in Aug gegenübersieht, erlebt er das Problem der Wirklichkeit, die wir Geschichte nennen, in seiner ganzen Tiefe. Das Lager der Aufklärung hat alles, was nicht handgreiflich, in Zweifel gezogen. In seiner letzten Konsequenz, das wird mit schneidendem Hohne dargetan, führt das kritische Prinzip selbst auf eine Mythisierung aller Geschichte, auch der Gegenwart, hinaus, wie es schon in der Philosophie aus der Kritik des Gottesglaubens in die Postulierung und Wiedererfindung Gottes umgeschlagen. Wo eine Wolke verlässiger, ja heilig beschworener Zeugnisse zum Glauben zwingt, verliert eine Wissenschaft ihr Spiel, die schon zum voraus weiß: es ist alles Aberglauben aus dem Nebellande, wo sie das Wetter brauen. Die erdrückende Masse des Glaubwürdigen, der Görres gegenübersteht, zwingt ihn zur summarischen Anerkenntnis der Wirklichkeit einer höheren Ordnung, die in den nfystischen Erscheinungen an der gewöhnlich menschlichen zum Durchbruch kommt. Darüber fällt ihm ein Mehr oder Weniger an Beweiskraft des einzelnen nicht ins Gewicht, zumal doch die Grundzüge der Berichte durchgängig eine lebensgesetzliche Verwandtschaft der Phänomene aufweisen. Man wird sich aber, trotz allem Pochen auf das historische Fundament des Werkes, auch der Tatsache erinnern dürfen, daß der Autor in Mythus, Sage und Legende immer die Funktion des Weltgeistes vernommen hat, der auch des poetischen 3»

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Vermögens in der Menschheit sich bedient, um sie zu lehren und das Gedicht der Weltgeschichte zu gestalten. Als ein Höriger des Glaubens, daß ein a priori wesender Geist der I-'ormer alles Geschehens nach ewigen Ideen ist, legt er der Geschichte, auf deren Wort er lauscht, in den Mund, was sie seinem Bedürfnis verschweigt44). Von alledem abgesehen, ist Görres* „Mystik" als Ganzes kein Fabelwerk. Ein beträchtlicher Teil der Berichte ist denkbar einwandfreies Zeugnis, es sei denn, man falle in das alte, lächerliche Vorurteil zurück, ein Bericht sei von vornherein zu verwerfen, wenn er Ungewöhnliches enthält. Indes, der Vorwurf der Kritiklosigkeit hat seit Anfang von allen Seiten auf das Werk geregnet. Selbst ein gläubiger Freund der Sache, der das Faktische des ersten Bandes „auf Treu und Glauben annahm und auf sich beruhen ließ48)", mahnt zu kritischer Haltung, nicht zu reden von den „Hegelsmagistern", denen nach Justinus Kerners Wort „freilich alles Mythe" ist 49 ). Görres aber steht guten Gewissens zu seiner Sache. „Es ist eine schlagende, alles vor sich niederwerfende unwiderstehliche Masse von Tatsachen, und ich will den sehen, der die Stirne hat, dabei noch von Pfaffentrug zu reden 47 )." „Das Buch", sagt er von den beiden ersten Bänden, „fängt jetzt allmählich durchzuschlagen an; im katholischen Teutschland, wie zu erwarten gewesen, mehr in stiller Wirkung, im protestantischen mit lautem Beschwatzen. Der Hegelianismus ist zuerst in den Berliner Jahrbüchern hervorgetreten, und nach der Weise, wie er sich ausspricht, muß ich urteilen, daß es dort einen starken Schreck verursacht hat. Das Urteil ist hochmütig und demütig, anerkennend und bedauernd, annehmend und verwerfend, höflich und grob, glaubend und leugnend; alles miteinander und untereinander, im Ganzen also sich selbst aufhebend und die große Scheu und Not vor den Fußangeln, die man 44 ) Auch die historische Schule des beginnenden 19. Jahrhunderts ging in ihrer Philosophie von einem Glauben aus. „Nicht die Philosophie, sondern die Religion steht hinter dieser Ansicht von Geschichte." Bäumler a. a. O., CLXV. ") Briefe III, 456. 4 *) Ebd. III, 465. ") Ebd. III, 461.

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überall voraussetzt, und die unangenehme Ueberraschung, die die Existenz der Sache hervorgebracht49)." Es liegt Komik in der Tatsache, die weder Görres noch das Lager um Hegel gesehen: sie finden sich in nächster geistiger Nachbarschaft, indem hier wie dort wechselweise philosophische Wahrheit aus geschichtlichen Befunden gewonnen und Geschichte nach einem apriorischen Prinzip gedeutet wird. Für Görres ist das Stilgesetz seines Systems aus Naturphilosophie und Theologie erwachsen: die beiden Säulen suchen und finden sich neigend zur Einheit eines gotischen Bogens. Der Naturdenker liefert als beschlagener Physiolog erstaunlich kundige Beschreibungen des Gehirns und der Nervenbahnen, um sie als Philosoph hinüberzuspielen in die Hände der in fertiger Gestalt schon harrenden Theologie. Das entstehende Gefüge zeigt von ferne eine klare Linie: Zwischen dem Reiche des Lichtes mit dem Mittelpunkte Gott und dem abgefallenen dämonischen Reiche des Bösen steht der Mensch. Als Doppelwesen aus Geist und Natur reicht er nach oben in die geistig-göttliche Welt, nach unten in den Naturverband bis in seine dämonische Tiefe. Nach hierhin wie dorthin ist ein Ueberschreiten der Grenze des Normalen möglich. Dem Streben nach oben kommt gnadenhaft und alles, auch das Leibliche, ergreifend die Kraft des Lichtes entgegen, dem Streben nach unten die Kraft der Natur, förderlich oder schädlich. Den beiden Richtungen entspricht die Scheidung in eine ansteigende und absteigende Mystik. Aber dieses mythisch geartete Teilungsprinzip wird nun von anderen, theologischen, psychologischen und historischen durchkreuzt, so daß sich in der Nähe statt eines Systems ein schwer zu entwirrendes Gemenge ergibt, in dem das eigentliche Wesen der Mystik hinter ihren zufälligen Begleiterscheinungen verschwindet *•). Zudem ver*8) Ebd. III, 479 f. G. zielt auf die große Rezension von K. Rosenkranz in den Berliner Jahrbüchern 1837, die als solche ein Meisterwerk wäre, wenn sie selbst Rats wüßte, wie dem Okkulten philosophisch beizukommen ist. Gegen sie wandte sich einläßlich L. Clarus, Die Tiroler ekstatischen Jungfrauen (1848), I, 179/88. ") Vgl. A. Mager, Görres und die Mystik. Das Neue Reich (Wien) 1926, Nr. 16.

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stoßen grundlegende Lehrbegriffe des theoretischen Teils gegen das Dogma der Kirche, und mit genauer Mühe ist das Werk auf Verwendung des bayerischen Königs seiner Verurteilung entgangen 80 ). So ist es recht und billig, wenn der philosophische Rahmen endgültig zertrümmert und ein brauchbarer Rest sich bewährender Gedanken zur Fassung dessen, was bleibenden Wert hat, verwendet wird. Görres selbst hat, wie eingangs gesagt, dieses Verfahren sich vorgenommen. Wir nehmen noch ein anderes Wort seines verschwenderischen Geistes hinzu: „Schriften sind abgelegte Kleider, ich gebe sie preis, mögen andre sich um die Fetzen streiten." Jener bleibende Wert aber ruht in gewissen Theoremen der Erklärung, in kritischen Betrachtungen von unverhofftem Scharfblick und - trotz allem im berichtenden Teil des Werkes. Es behandelt eine ewige Angelegenheit unseres rätselhaften Wesens; seine Gestaltung ist voll Kraft und Schönheit; seine religiöse Sehkraft für die Macht des Guten wie des Bösen ist heute zeitgemäß wie nur je. Mit dem Ganzen wollte der alte Kämpfer dem Ideal seiner Jugend dienen, einer Erkenntnis des Wirklichen, die uns dem allgemeinen Frieden näherbringt. Um dieser Dinge willen sei das Buch unserm Volke wieder erweckt. Es hat, wenn das Schaudern der Menschheit bestes Teil ist, noch immer seine Sendung. M

) Sepp, 558.

M ü n c h e n , Pfingsten 1927. Joseph

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Bernhart.

Vorrede Wie es den Spaniern zumute gewesen, als sie jenseits des Weltmeeres, dessen viele Jahrtausende hinhaltende Hemmnis sie zuerst zu durchbrechen gewagt, eine neue Welt gefunden, wo von anders geformten Bergeszügen namenlose Wasser niedergingen, ein fremdes Rauschen aus den Wäldern sie begrüßte, andere Blumen sie anlachten, andere Vögel, andere Tiere neugierig zu ihnen auf- und niedersahen und ein anderes Geschlecht der Menschen in unverständlichen Tönen sie willkommen hieß, so ungefähr mag es auch dem größeren Teil derjenigen ergehen, die einen Blick in die Wunderwelt hinüberwerfen, die sich ihnen hier eröffnet und deren Dasein und Verständnis ihnen durch eigene Schuld in langer, hartnäckiger Leugnung und Verleugnung gänzlich abhanden gekommen, wie ja auch die alte Atlantis im Grunde nur durch Versäumnis in Vergessenheit untergegangen. Ich nenne es eine Wunderwelt, und wie niemand dagegen Einspruch zu tun geneigt sein möchte, frage ich weiter: wo seit Jahren ein Buch erschienen, das, alle höheren Rücksichten einstweilen auf Seite gesetzt, bloß in wissenschaftlicher Beziehung, eine solche Masse der allerüberraschendsten Erscheinungen, der allerwichtigsten, fruchtbarsten, inhaltsschwersten Tatsachen, der merkwürdigsten, folgereichsten Begebnisse in sich befaßt: Tatsachen, Handlungen und Ereignisse, die den freiesten Blick in das Innerste der Seele wie der Leiblichkeit eröffnen und, indem sie ihre Tiefen bis ins Verborgenste aufdecken, allein die eigentliche Metaphysiologie und Metapsychologie begründen können. Und alle diese reichen Metallstufen haben offen zu Tage am Weg gelegen, und niemand hat sich bücken mögen, um sie einzusammeln. Umsonst hat die reichste Ernte mit allen ihren Aehren gewinkt; niemand hat die Sichel anzulegen sich bemüht. Denn sie haben sich untereinander weisgemacht, es sei alles eitel Verblendung und eine Spiegelfechterei des Aberglaubens, und es schicke sich nicht und mache schon lächerlich, auch nur darauf hinzusehen. So ist denn seit Menschenaltern alles vorbeigestolpert, emsig den Staubwolken nachjagend, die der Wind immer aufs neue in der Fahrstraße aufweht. 41

Aber nur recht zugesehen, wie unbeschreiblich elend ist es doch um den Grund dieses Interdiktes beschaffen, das die Welt auf die ganze Region aller dieser wundersamen Erscheinungen gelegt! Es ist eben nichts als eine Verzweigung jener durch alle Gebiete durchgreifenden, betrüglichen Wechselreiterei, in der sich diese Zeiten so ungemein gefallen, und in der sie die besten Geschäfte zu machen glauben. Die Wechsel, die das geistige Unvermögen, der freche Bettelstolz und die nüchternste, flachste Geistesarmut ausgestellt, wurden anfangs nur dem Scheine nach von den verbundenen Genossen honoriert und darauf zu Markt gebracht, um die Gimpel, die kein Urteil haben, damit zu fangen. Im Verhältnis, wie die Torheit und Befangenheit sich berücken lassen, hat die Zahl der Teilnehmer reißend zugenommen, und wie sie nun Umfrage gehalten und sich so zahlreich gefunden und jeder den Lug des andern glaubte, auf die Bedingung hin, daß auch ihm geglaubt werde in dem seinen, da stellte sich die Meinung fest: was hier bejaht werde, bleibe bejaht auf ewige Zeiten, was verneint, sei auf immerdar verneint; und indem einer für den andern hafte, werde unter der geschickten Behandlung der Adepten der fingierte Fonds zum wirklichen. So hat in allen Gebieten des Wirkens und des Erkennens jene Unzahl betrüglicher Banken sich aufgetan, die ihre Sache rein auf nichts gestellt und nun, den lebendigen Stamm alter Religion, Wahrheit, Sittlichkeit und gesellschaftlicher Ordnung wie Schmarotzerpflanzen umwuchernd und aussaugend, seine Solidität bankbrüchig zu machen unternommen. Begreiflich bin ich an den Tischen dieser falschen Wechsler vorbeigegangen und habe mich an das gottgegründete alte Haus gehalten; seltener jetzt denn ehemals besucht, hat es mir willig seine beschlossene Pforte aufgetan, und ich habe, gleich denen, die durch die Steinwand in das Innere des Berges eingegangen, die Erlaubnis erlangt: von den Schätzen, die sich dort ausgestellt gefunden, so viel ich fassen und bergen konnte, mit hinzunehmen, und die Wardeine werden das Gefundene in seinem edlen Gehalte und seiner rechten Währung leicht erkennen. Denn weit die meisten Wahrheiten, die hier ausgelegt sind, und die größte Zahl der Tatsachen, die diese Wahrheiten in sich beschließen, sind e r s t e n s durch Zeugen ohne Zahl in allen wesentlichen Umständen bekräftigt. Diese Zeugen sind durch achtzehn Jahrhunderte und so viele in ihnen befaßte Menschenalter verteilt; sie sind über die ganze bewohnte Erde ausgebreitet und aus den verschiedensten Völkern ausgegangen; und obgleich sie, also durch Zeit und Raum voneinander 42

geschieden, häufig in keinem Verkehre miteinander gestanden, ist doch, indem sie nur unbefangen aufmerksamer Anschauung sich hingegeben, ihr Zeugnis gänzlich übereinstimmend ausgefallen; und bei jedem neuen Falle oft absichtlich revidiert, ist es immer wieder auf dasselbe Ergebnis hinausgegangen. Diese Zeugen sind ferner die unverwerflichsten gewesen, die irgend ausgefunden werden mochten. Wenn dem geistlichen Stande angehörig, mußten sie sich schon durch die Pflichten dieses Standes zur Wahrhaftigkeit und Gewissenhaftigkeit verbunden fühlen; die allenfallsigen Vorurteile, die man bei diesem Stande vorauszusetzen pflegt, haben dann ihre Berichtigung durch die Laien gefunden, die mit ihnen gleichfalls zum Zeugnisse zugelassen wurden; und wenn bei der durchgängigen Frömmigkeit und Religiosität der also Zugelassenen doch noch etwa ein Verdacht leicht täuschbarer Befangenheit zurückgeblieben, hat man auch Widersacher und Leugner des Wunderbaren nicht ausgeschlossen: überzeugt, daß auch sie zuletzt notgedrungen der Wahrheit die Ehre zu geben sich veranlaßt finden würden. Alle haben das Zeugnis, das sie abgelegt, in allen wichtigen Fällen mit ihrem Eid erhärtet: eine Form der Beteuerung, die bei solchen, die lieber den Tod hingenommen, als wissentlich eine Unwahrheit auszusprechen, ihrer Glaubwürdigkeit wenig hinzufügt, bei den Widerstrebenden aber allerdings die allenfalls mangelhafte Ueberzeugungskraft ihres Zeugnisses ergänzen kann. Sie haben weiter auch in der günstigsten Lage sich befunden, um gehörig zuzuschauen und dann ein richtig Zeugnis abzulegen. Es sind nämlich etwa ganze Gemeinden gewesen, die, bei irgendeiner gottesdienstlichen Handlung vereinigt, Augenzeugen einer wundersamen Erscheinung geworden; und diese, von so vielen Menschen, aus so vielen Gesichtspunkten gesehen, hat sich dann notwendig in allen ihren verschiedenen Seiten herausgestellt, die nun alle insgesamt zu einem vollständigen Bilde in der Gesamtbeobachtung sich einigen. Oder es waren Genossenschaften, denen die Beobachteten angehört, unter deren Augen sie oft von Jugend auf gewandelt, die ihnen auf jedem Schritt und Tritt zu folgen die Gelegenheit gehabt, vor deren spähenden Augen sie kaum irgendein Geheimnis, viel weniger einen Trug verbergen mochten und bei denen in gar manchen Fällen nicht bloß wohlwollende Gesinnungen zur Aufmerksamkeit angetrieben, sondern oft genug eine geraume Zeit hindurch schwer zu deutende Zweifelsucht, ja bisweilen gehässige Leidenschaft aller Art den mißtrauischen Blick geschärft. Wieder finden wir unter den Zeugen solche, die aus 43

der Mitte dieser Korporationen oder auch von anderwärts her in einem besonders vertraulichen Verhältnisse zu den Beteiligten gestanden und dadurch noch nähere Veranlassung hatten, ihr ganzes Innere zu durchschauen. Wir begegnen ferner Aerzten, die schon durch ihren Beruf und die Erfahrungen, die sie in ihm gemacht, gewitzigt und in der Regel keineswegs nach dieser Seite überhängend nicht leicht künstlichen Täuschungen unterliegen. Wir sehen endlich in diesem Kreise die Oberen und Vorgesetzten, vor allem aber ihre Beichtväter und Gewissensräte, vor denen ihr ganzes Herz und ihre Seele offen liegt, und die unter Umständen in dasselbe schauen, wo jede geflissentliche Täuschung zum Sakrilegium würde, jede Selbstbetörung aber durch die nachteiligsten Folgen im Leben des Geführten sich rächen und verraten würde. So ist also der Tatbestand in diesen Sachen durch den strengsten und gründlichsten Zeugenbeweis, der in menschlichen Angelegenheiten irgend gefordert und mit menschlichen Kräften geleistet werden kann, hergestellt; ihn nicht anerkennen und das durch ihn Ausgemittelte als Trug und Täuschung verwerfen, heißt die Wahrheit selbst aufgeben und aller Möglichkeit, sie auszufinden und zu bewähren, völlig entsagen. Leugnet mir, was die Beteuerung der Besten und Glaubwürdigsten in allen Zeitaltern wiederholt festgestellt, und ich leugne euch die ganze Weltgeschichte — die auf keinem besseren Zeugnis, sondern einem viel schlechteren ruht, dem der durch Interessen bestochenen Leidenschaften nämlich — vom Anfang bis zum Ende ab; ja selbst, was ihr mit eigenen Augen davon gesehen zu haben beteuert, gilt mir nichts, weil, wer Treue und Glauben nicht an andern ehrt, gleiche Ehrung auch nicht für sich selber in Anspruch nehmen kann. Aber noch mehr: diese Tatsachen kommen z w e i t e n s nicht etwa vereinzelt und abgerissen zum Vorschein, sondern wie jede für sich und alle insgesamt aus einer und derselben Persönlichkeit hervorgegangen und wie sie miteinander gruppenweise eben ein ganz besonderes Leben in seiner Aeußerung zusammensetzen, so liegen sie uns auch in durchgängig ausführlichen Beschreibungen dieses Lebens vor Augen. Neben dem also, daß uns mit oder ohne den Vorsatz des Biographen ein mehr oder weniger klarer, anschaulicher und eindringlicher Blick in die Naturanlage und das Wesen des Dargestellten geöffnet ist, überschauen wir zugleich die ganze Folge wundersamer Erscheinungen, die unter höherer Führung durch die Einwirkung der Gnade aus diesem Naturell hervorgegangen, und der Zusammenhang jener Aeußerungen mit diesen Anlagen liegt deutlich vor unseren Augen. Es sind 44

uns also Vergleichungspunkte von Anlagen zu Anlagen, Tatsachen zu Tatsachen und Anlagen zu Tatsachen in hinreichender Menge gegeben, um ein sicheres Urteil zu begründen; und es wird nur eines einigermaßen geschärften Taktes bedürfen, um sich zu überzeugen, ob uns im vorliegenden Falle Wahrheit oder Lüge geboten wird, indem sich die Wahrheit durch die vollkommene Harmonie aller dieser Momente in rein gestimmten Verhältnissen leicht zu erkennen gibt, die Lüge sich aber durch die Verstimmung und den inneren Widerspruch ebenso leicht verrät. Auch hier können alle echten und rechten authentischen Lebensbeschreibungen der Heiligen die strengste Probe bestehen, was dann abermal die Wahrheit der Tatsachen bewährt, um so mehr, da wieder ein Leben dem andern den gleichen Dienst erweist und sie sich somit alle untereinander gegenseitig zu befestigen dienen. Endlich wird eine d r i t t e Gewähr in der Weise gefunden werden, wie wir die Erscheinungen hier dargestellt und geordnet haben. Diese Weise ist nämlich nicht eigentlich schlecht und einfach hin die dem Gegenstande am meisten entsprechende; wohl aber die, welche die gegenwärtige Zeit allein verträgt: eine wissenschaftliche, über den kreatürlichen, natürlichen und irdischen Grund in seinen verschiedenen Gliederungen erbaut. Solcher Methode folgend, haben wir der ganzen reichen, sich uns bietenden Fülle, sie als das Ergebnis einer durch höhere übernatürliche Einwirkung gesteigerten Naturordnung betrachtend, diese Ordnung selbst zur Unterlage gegeben; und indem wir die Gesetzlichkeit der einen zum Ausgangspunkte für die höheren Freiheiten der andern gemacht und nun die Tatsachen ablösend von den besonderen Persönlichkeiten, in denen sie sich gezeigt, sie an den neuen allgemeinen Lebensgrund geknüpft, sind sie eben dadurch in einen ganz anderen, großen, sie alle umfassenden Zusammenhang gekommen, der der Prüfung neuerdings reichliche Anhaltspunkte bietet und das allenfalls noch ungewiß schwankende Urteil vollends befestigen muß. Es ist nämlich ohne weitere Auseinandersetzung für sich selbst einleuchtend: daß alle die Zeugen, die in den früheren Jahrhunderten ihre Zeugnisse in dieser Sache niedergelegt, von einer solchen inneren, organisch lebendigen Verkettung der Erscheinungen und dem Gesetze ihrer Assoziation keine Ahnung gehabt, weil dergleichen nur als das Resultat späterer wissenschaftlicher Forschungen und Anschauungen, durch alle Gebiete des menschlichen Wissens hindurchgetrieben, möglich geworden, früher mithin nur etwa auf divinatorischem, selbst also wieder mystischem Wege gewußt werden konnte. Haben 45

sie also aus dem Ihrigen und nicht aus der Wahrheit gezeugt, sind sie ihrer Phantasie und ihren Einbildungen gefolgt, haben sie sich durch grobe oder feine Täuschungen berücken lassen oder gar selbst aus irgendeiner sträflichen oder auch borniert frommen Absicht geflissentlich getäuscht: dann wird sich jetzt, wo die Richtschnur des Urteils zutage liegt, der Trug nicht ferner mehr verbergen können; die Tatsachen werden gegeneinander schreien, die Prinzipien, mit denen sie sich einigen sollen, werden sie ausstoßen und ihre Falschheit Lügen strafen, und in der inneren Disharmonie aller Teile wird das Truggebilde leicht zerfließen. Haben sie aber recht gesehen, in Einfalt und naiver Hingebung nur dem Augenscheine folgend und sich streng an die Wahrheit haltend: dann wird es gar nichts verschlagen, daß sie den inneren Zusammenhang nicht gewußt, auf den ihnen gar wenig angekommen; er hat sich ohne ihr Zutun von selbst herzugefunden und wird sich in der allgemeinen Harmonie, dem Einklänge der gemachten Erfahrungen und der gesetzlichen Folge des ganzen Verlaufes leicht ermitteln lassen. Nun wird aber jeder, der diesem Buche und seiner Darstellung nur mit einiger Aufmerksamkeit gefolgt, wenn er irgend sich eine Unbefangenheit bewahrt, zu dem Resultate gelangen müssen: daß das letztere hier in einem eminenten Grade der Fall sei und die Echtheit und Wahrhaftigkeit jedes einzelnen Zeugnisses sich im andern wie im Zeugnisse des Ganzen in einer ganz unwidersprechlichen Weise bestätige und bewähre. Die Erscheinungen, in wie vielen Kombinationen, unter wieviel verschiedenen Gesichtspunkten sie immer zusammengestellt werden mögen, bejahen sich gegenseitig; die Tatsachen, aus den allerverschiedensten Quellen geschöpft, an den allerverschiedensten Persönlichkeiten hervortretend, den allerfernsten Zeitaltern angehörig, stehen doch an ihrer Stelle im Organismus des Ganzen, als seien sie eben dort gesät worden und aufgewachsen; was sich oben im Lichte ausgewirkt, wird unten im Blute bekräftigt und in der Mitte in den Zügen der Bewegungen ausgeführt, die wieder nach aufwärts und nach abwärts gleich stringentes Zeugnis geben. Denn, was sonst sich still im Innern der menschlichen Natur verborgen hält, ist, vom Strahle der Gnade berührt, jetzt quellend geworden; und nun übertretend und zugleich innerlich ansteigend, hat es sich vor unserer Anschauung in allen seinen Lineamenten und in seiner vollen Gesetzmäßigkeit in einem klarifizierten Bilde herausgestellt, das truglos für sich selbst einsteht und, wie jede rechte und höhere Wahrheit, den Beweis seiner Glaubhaftigkeit in sich beschließt. 46

So ist also, gänzlich abgesehen von der Gewähr der Kirche, die für alle, die ihr angehören, schon allein entscheidend sein muß, auch für die andern durch äußere Zeugnisse die Tatsache in allem Wesentlichen mit schlagender Evidenz festgestellt, und wir werden hoffentlich aus dem Munde keines der Ernsteren, Einsichtigeren fortan jene absprechende Leugnung und Verwerfung mehr zu hören haben, wie sie der Dünkel, die Flachheit und die Seichtigkeit der jüngstvergangenen Zeiten von vornherein ohne alle Untersuchung festgestellt. Hat diese flache und freche Ansicht der Dinge zuvor mit wegwerfender Verachtung alle die als einfältige, bornierte, weltunkundige Toren erklärt, welche solche Dinge glaubhaft gefunden, und sie nur in die Klassen der Betrüger und der Betrogenen abgeteilt, dann sind diese Vorwürfe jetzt auf die Häupter derjenigen zurückgewiesen, die sie gemacht, und die Wahrheit ist wieder in ihrem unbestreitbaren Rechte eingesetzt.

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Einleitung Die Mystik ist ein Schauen und Erkennen unter Vermittlung eines höheren Lichtes und ein Wirken und Tun unter Vermittlung einer höheren Freiheit; wie das gewöhnliche Wissen und Tun durch das dem Geiste eingegebene geistige Licht und die ihm eingepflanzte persönliche Freiheit sich vermittelt findet. Das ist kürzester rationaler Ausdruck dessen, was die folgenden Blätter zu begründen und in annähernder Reihe in allen seinen Gliederungen darzustellen sich vorgesetzt... Die mystischen Gebiete und die Wissenschaft 1. Gibt es nur zwei grundwesentlich verschiedene Substanzen, eine ewige schaffend ungeschaffene, die G o t t h e i t , und eine zeitliche unschaffend selbst, aber von jener sich zum Bilde ausgeschaffen in der W e l t ; dann wird jedes einzelne selbständige Geschöpf im Verbände dieser Welt in zwiefachem Bezüge auch ein zwiefach Leben leben mögen: im vorherrschenden zur Aeußerlichkeit ein ä u ß e r l i c h e s , n a c h b i l d l i c h e s , a u s g e b r e i t e t e s ; in überwiegender Bezüglichkeit zur innerlichen göttlichen Mitte ein i n n e r l i c h e s , v o r b i l d l i c h e s , in Verborgenheit g e s a m t e s . Jenes ist das n a t ü r l i c h e Leben in seiner ausgehenden Verweltlichung im allgemeinsten Ausdruck gefaßt; dies das m y s t i s c h e in seiner eingehenden Vergöttlichung in seinem tiefsten Grunde ausgedrückt. Mystisch wird dieses mit Recht genannt, weil es sich in Gott dem tiefen Mysterium des Daseins aufgesetzt; natürlich das andere ebenso bedeutsam, weil es sich in der Natur, der sichtlichsten Offenbarung dieses Geheimnisses, begründet. Ruht aber das mystische Leben auf Gott, dann nimmt es auch in Licht und Liebe teil an der höheren Freiheit Gottes; geht das natürliche aber auf in den Naturverband, dann wird es auch der gesetzlichen Gebundenheit der realen Dinge in Gehorsam sich fügen müssen: jenem sich hingebend, wird sich das Geschöpf befreien, diesem sich fügend, wird es ihm Görres-Mystik

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dasselbe hörig machen, und wie es wechselt zwischen innerem und äußerem Leben, werden auch Liebe und Gesetz umeinander in ihm zur Herrschaft gelangen. Stellt sich das Leben, auf Gott gefestet, in den Bezug von ihm zu aller Kreatur, wie das Christentum fordert, dann macht es in sich und im Verbände der geschaffenen Dinge bis zur Naturtiefe hinunter mit der Liebe auch die göttliche Freiheit geltend. Setzt es sich aber auf die Natur und richtet sich auf diesem Grunde in dem Bezüge von ihr zu Gott, wie die alte Zeit im Gefolge des Sündenfalls getan, dann räumt es in sich dem Gesetze die größere Herrschaft ein, und sogar sein Wandel in Gott muß der Macht desselben erliegen. Selbst das weltliche Leben in der Natur wird im ersten Falle in seinem Prinzipe mystisch, dagegen im andern selbst das mystische Tun weltlich und naturalistisch, und es deckt sich hier die Wurzel des großen Gegensatzes auf, der zwischen religiöser und natürlicher Mystik besteht. Wir haben in dieser einleitenden Betrachtung so Gott wie die Welt und das besondere Geschöpf in ihr als einfach genommen und beide nur im Verhältnisse der Unterordnung der einen unter die andern erwogen. Nun aber ist zwar Gott, obgleich dreipersönlich, doch im tiefsten und innersten Grunde eins und einig; die Welt aber, obgleich in ihrem Grunde in Gott geeinigt, doch in ihren eigentümlichen Gründen dreigeteilt. Diese Welt scheidet sich nämlich in eine sichtbare und materielle und eine unsichtbare geistige und eine dritte sie einigende organische; woraus sich denn ergibt, daß auch die einzelne menschliche Kreatur, aus dem Kreise dieser einigenden, dreiwesig in Einpersönlichkeit sein muß. Eine also geartete Persönlichkeit, zwischen die beiden Weltreiche ihnen zum Bande gestellt, wird von diesem Standpunkte aus in verschiedenartige Bezüge eintreten können, die, in den großen Grundbezug von Gott zur Gesamtwelt eingetragen, die untergeordnete Gliederung desselben und sohin auch der Mystik und ihres Gegensatzes begründen. Und zwar wird der einzelne Mensch, wenn er von diesem seinem Standpunkte aus nach der äußerlichen Weise die also geteilte Natur zur Unterlage nimmt, im engeren Gebiete, wie zuvor im weiteren, in einen zwiefachen Bezug eintreten können, indem er durch seine Leiblichkeit hindurch entweder die körperliche Natur zum Stützpunkt nimmt, um von da aus sich zur geistigen zu erheben, oder indem er, durch das Mittel seiner Geistigkeit hindurch sich der geistigen aufsetzend und in ihr bewurzelnd, von da bis zur Körperlichkeit nieder steigt. Wie nun wieder die körperlich sichtbare Natur die äußere Oflen50

barung der geistig unsichtbaren ist, so wird in jenem ersten Bezüge auch ein äußerliches, tiefer verleiblichtes Leben unter der Hörigkeit an das Machtgebot des physischen Gesetzes begründet werden. Und wie dagegen die unsichtbare Geisterwelt das beschlossene Mysterium der körperlichen in sich befaßt, so wird das gesteigerte Leben in ihr in höherer geistiger Freiheit auch verhältnismäßig jenem gegenüber als ein verborgen mystisches erscheinen, und es muß sich mithin in diesem Gebiete wieder eine esoterische M y s t i k im engeren Sinne einem exoterischen N a t u r a l i s m u s entgegensetzen; zwischen beiden in der Mitte aber das gewöhnliche Leben, schwebend zwischen dem Zwange des physischen Gesetzes und dem höheren Gebote des moralisch Geistigen, sich befestigen. Es begreift sich aus dem bisher Gesagten, daß diese Mystik im engeren Sinne je nach der Verschiedenheit des Bezuges im mystischen Leben sich zwiefach gliedert, ebenso wie das entsprechende Leben in der Aeußerlichkeit eine gleiche Gliederung erfährt. Weil nämlich die physische Natur in den ihr einwohnenden Kräften, dem Stoffischen an ihr gegenüber, ebenso ein Verborgenes, Geisterartiges in sich hat, wie die geistige Natur, dem ihr eigentümlich Tätigen entgegen, in ihren Umhüllen ein sich kundgebend Stoffartiges, darum wird das Leben so im Geiste wie in der leiblichen Natur im einen sich erhöhen, im andern sich vertiefen können, und wie also die Mystik in eine p s y c h i s c h e und eine p h y s i s c h e sich teilt, so muß auch das Leben in der bloßen Erscheinung zwiespaltig sie je nach beiden Reichen gliedern. Was nun zuerst die physische Hälfte dieser zweigeteilten Mystik betrifft, so wird sie zunächst den Gliederungen jener äußeren Natur, in deren Innerliches sie sich vertieft, folgen müssen und dadurch in ihren verschiedenen Gestaltungen sich bedingen. Da nun die Erde, in die der Mensch sich eingepflanzt findet, selbst in ein tieferes Innen und ein höheres Außen zerfallend, im Monde ein noch Tieferes denn sie selber unter sich, in der Sonne aber ein Höheres über sich hat, so wird auch die Naturmystik dieser äußeren Artikulation sich fügen. W i e daher das innerlich tellurische Berührtwerden im Wasser- und Metallfühlen, das Orakelwesen in Höhlen und unter Anregung von erdhaften Ausdünstungen, der Heilschlaf und jede Art von mondsüchtiger Affizierung einerseits jenem Tieferen, so werden andererseits alle Formen orgiastischer Begeisterung im bachantischen Taumel, wie die tierische Brunst an den Sonnenstand geknüpft und an die Weinrebe angewiesen, die Augurien und Zeichendeutungen im Gebiete höherer Meteore, die Sehergabe äußerlich blinder, innerlich erschlossener Sänger und an4*

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dere in Aehnlichkeit verwandte Erscheinungen dem Höheren angehören. Alle, durch das Band magischer Bindemittel in den verschiedenen Naturgebieten sich bewurzelnd, erlangen in ihnen teilweise höhere Lebenserregung, und es sind dann immer Naturlichter, tiefere und höhere, die in diesen Zuständen scheinen, Naturstimmen, die in ihnen sprechen, Naturkräfte, die durch sie wirken, und so bilden sie alle insgesamt vorzugsweise den Kreis naturalistischer Mystik, in dem das im Naturgebiete wohl gefestete Altertum sich beschlossen gehalten. In allen diesen mystischen Anregungen ist es das untere, tiefere, organische Leben, das durch die ihm zunächst verbundene tiefere Leiblichkeit hindurch sich mit jenen verschiedenen Naturgebieten in engeren Verkehr versetzt und von sich aus dann auch die höheren geistigen Kräfte und die ihnen zunächst verbundenen oberen Organe in Mitleidenschaft versetzt. Aber dieser a n t i k e n Mystik tritt .nun die andere p s y c h i s c h e entgegen, die in den höheren geistigen Gebieten Sitz und Ausgangspunkt genommen und von da aus den höheren nervösen Organismus durchwirkend die Bänder webt, die sie unmittelbar mit dem umgebenden Geisterreich verbinden und nun, nach abwärts in Mitleidenschaft das untere Leben bewegend, auch in das seelenartige der Natur sich absteigend vertieft, wie die andere aufsteigend auch in die ihr eigentümliche Region hineingeragt. Es sind die verschiedenen Formen des H e l l s e h e n s und des sogenannten L e b e n s - M a g n e t i s m u s , die sich hier uns bieten und die, vorzugsweise der neueren, nervös und psychisch gesteigerten Zeit angehörig, Herd und Mitte im Seelischen, Werkzeug aber in den Nervensystemen gefunden und von da aus nun, den psychischen Gebieten sich aufsetzend, bis in die tieferen Naturgebiete sich hinab verbreiten. Das Geisterreich aber, in dem diese psychische Mystik regioniert, wird vorzugsweise das dem Menschen am nächsten verwandte sein, in dem die Abgeschiedenen der Gattung weilen; wie daher dieses Geistergebiet sich gliedert in ein höheres und ein tieferes, so wird auch die mystische Anregung gegliedert sein und zugleich auch nach Maßgabe dieser Gliederung in die unteren Naturreiche niedergehen, die höheren überirdischen, geistigen Gebiete gleichsam nur an den äußersten Säumen streifend. So die neuere seelische wie die alte Lebensmystik sind ihrem Wesen nach durchaus profaner Art, und weil beide, nur jede in verschiedener Weise, Geschöpf zu Geschöpf in geheimen Bezug versetzen und daher sich nirgendwo über das kreatürliche Gebiet erheben, darum fallen sie auch ganz der Wissenschaft anheim und bilden in ihr die eigentliche und wahre praktische Metaphysik. Aber diesem naturalen, in seinem 52

Gebiete scharf begrenzten Mystizismus gegenüber gibt es einen andern, der, den Bezug über die Kreatur hinaus steigernd und ihn bis zu Gott, der ungeschaffenen Substanz, erhöhend, diese nun zu einem Verhältnisgliede macht, zu dem sie das andere im geheimnisvollen Verbände richtet und also auch über jene Metaphysik hinaus in ein überweltliches Gebiet des Schauens und Wirkens sich erhoben findet. Diese zweite Art von Mystik, spezifisch und in tiefster Wurzel geschieden von der andern, wird dieser, die da wissenschaftlich ist, gegenüber eine religiöse sein; der profanen entgegen eine heilige; der weltlichen eine kirchliche, und im Umkreise der Kirche selbst das innerkirchliche Gebiet erfüllen... Erwägen wir nun das Verhältnis jener naturalen Mystik zu dieser göttlichen, dann müssen wir allerdings diese letztere als die bei weitem würdigere, edlere und höhere anerkennen; aber wir können auch der andern an sich kein Arg und keine Makel beilegen: denn die Kreatur ist von Gott ausgegangen, und alle Bezüge in ihr gehen daher zuletzt doch auf ihn zurück, und so kann an sich auch die Naturmystik der religiösen nicht entfremdet sein, sondern ist in ihr begriffen und bildet ihre kreatürliche Unterlage. Aber es lauert, seit die Sünde eingedrungen, in dieser Unterlage eine Gefahr, weil mit diesem Eindringen in den Bezug der beiden Wesenheiten, der göttlichen und der kreatürlichen, ein Gegensatz eingetreten, der, von g u t zu b ö s gerichtet, zwar die eine der beiden nicht berührt, die andere aber in ihren verschiedenen Gebieten infiziert. Es ist nämlich die untere physische Natur je nach Kraft und Stoff in diesem Zwiespalt in eine heilkräftig nährende und giftig zerstörende geteilt; Leben und Tod erscheinen in der organischen in stetem Kampf entzweit; das Sinnliche ist im Gesetz des Geistes und dem des Fleisches zerrissen; das Geistige selbst von Wahrheit und Lüge umeinander in Anspruch genommen; sogar das höhere Geisterreich ist der Zerrüttung nicht fremd geblieben und erscheint unter Geister guter Art und solche, die dämonischer Natur sind, ausgeteilt. Der allgemeine Charakter dieses neuen Gegensatzes ist, in kurzen Worten ausgesprochen, der, daß alles, was in einem Gliede desselben um das Gute, dessen Art es hat, geordnet steht, m i t Gott ist und tut und wirkt, während alles, was sich zu dem andern hält, w i d e r Gott wirkt und kämpft und streitet. — In diesem Charakter wachen daher die Mächte der guten Seite für die Ordnung, Harmonie und Schöne der physischen Natur; während die, welche ihnen entgegenstehen, Umsturz, Unordnung, das Auflehnen wilder, zügelloser Kräfte und das wirre Gegenstreben titanischen Grimmes fördern. So 53

sind nicht minder die einen Hüter des Friedens, der Wohlordnung und des gesicherten Lebens in der organischen Natur, während die anderen den Krieg der Lebenstriebe, die krankhafte Verzerrung des von jener Ordnung Umschriebenen und die Entwicklung des im Keime schlafenden Verderbens fördern . . . So sind also die beiden Reiche durch alle ihre Gebiete und in allen ihren Mächten und Kräften widereinander, und nur darin zeigt sich die Ueberlegenheit desjenigen, das in Gottes Sache streitet, über das andere, das gegen ihn zum Kampfe ausgezogen, daß, indem die wachsende Verneinung die Bejahung mittelbar in der Rückwirkung, wie die sinkende unmittelbar, erweitert, sie mit steigender wie mit nachlassender Tätigkeit gleich sehr die Sache des Gegners fördert und so, wenn auch widerwillig, ihr den Sieg bereitet. Es folgt daraus unmittelbar, daß diese Entzweiung in jeder der verschiedenen Arten von Mystik, die wir ausgefunden, wiederkehren muß. Der Mensch, in seiner Freiheit zwischen die beiden Reiche gestellt, findet wie im guten, das seiner Natur geblieben, Bänder, die mit dem Lichtreich enger ihn verknüpfen, so in der Sünde, die in dieses sein Wesen eingedrungen, andere, um mit den Mächten der Finsternis sich näher zu verbinden, und wird dann beidemal, dort in Bejahung, hier in Verneinung, über sich hinaus und unter sich hinunter, wirklich oder scheinbar gehöht und ausgetieft, schärfer gespannt und gekräftigt und gegeistigt. So hat die Naturmystik des Altertums in ihrer unteren niedersteigenden Seite in Steinen, Zauberkräutern und Zaubertieren die Bänder aufgesucht, um mit den zerstörenden Naturkräften unterer Ordnung im Bunde die eigene beschränkte Macht zu steigern, und jenes Geschlecht von Zauberweibern, das z. B. von Kolchis herübergewandert, hat in diesem finstern Naturbezuge die s c h w a r z e M a g i e begründet, während die w e i ß e , die auf die Lichtseite sich hingewendet, in den Pflegern, die sie in Priestergeschlechtern entgegengesetzter Art gefunden, jenen Sympathien nachgegangen, die sie mit den segenbringenden Naturkräften unterer Ordnung zu einigen versprochen. In gleicher Weise hat dieselbe Mystik, in ihren ansteigenden Strebungen mehr den geistigeren Untergewalten sich zuwendend, durch Zaubersprüche, geheimnisvolle Formeln, Beschwörungen, Talismane und Amulette sich in der einen Richtung der schadenbringenden, schreckenden Gewalten des Unterreiches zu bemächtigen gesucht, und indem sie im Dunkel der Mitternacht an den Kreuzwegen der finsteren Hekate und ihrem gespenstischen Gefolge Opfer und Dienst geweiht, hat sie sich nach dieser Seite zur G o ä t i e ausgebildet, während nach der 54

andern ähnliches Bestreben, die Mächte des Lichtreiches in den Umkreis menschlicher Tätigkeit zu ziehen, sich zur T h e u r g i e entwickelte. Der gleiche Gegensatz der Strebungen hat in ähnlicher Weise auch schon im magnetischen Hellsehen der neueren Zeit sich kundgegeben, und wie in seiner niedersteigend organisch-physischen Richtung lockende, verführende, zerstörende Mächte des Unterreiches anderen heilkräftigen, besserwirkenden, segenbringenden gegenüber in den Kreis dieses Hellsehens eingetreten, so hat in seinen ansteigenden psychischen Strebungen ein gleicher Dualismus zwischen finstern und hellen Geistern sich kundgegeben, und Bezüge haben so nach der einen wie der andern Seite sich gebildet, die dem, was im kirchlichen Gebiete in einer weit tieferen Weise sich begründet, analog gegenüberstehen. Es kann nicht fehlen, der gleiche Gegensatz muß auch in der religiösen Mystik, soweit die Entzweiung eingedrungen in ihr Gebiet, wieder zum Vorschein kommen und auch in sie eine neue Teilung bringen. Es ist aber die Zwietracht, die das Böse hervorgerufen, durch das gesamte kreatürliche Gebiet hindurchgegangen, es teilend unter ethisches Licht und Finsternis. Solange die Mystik mithin in dem Gebiete des Geschaffenen verweilt, wird sie diesem Gegensatze sich nimmer zu entziehen imstande sein. Mit dem Eintreten in die höheren geistigen Gebiete findet sie gleichmäßig von beiden Seiten sich begrüßt und angesprochen, und an den Scheideweg gestellt, gilt es sofort, wie sie sich bestimmt: ob sie sich zu den dämonischen Mächten hält, wo sie dann zur dämonischen Mystik sich ausgestattet; oder ob sie den Geistern des Himmels sich zuwendet und dann zur echten und rechten Mystik, die da ist vom guten Wasser, erhebt. Das wird für die beiden Grade dieser Mystik, den unteren, der sich mehr in die physische Natur versenkt, und den oberen, der mehr im eigentümlichen geistigen Gebiete weilt, Gültigkeit haben, und wie die dämonische Mystik dort der schwarzen Magie, hier der Goätie als ihrem Naturgrunde sich aufsetzt, so wird die bessere im tieferen Naturgebiete mehr der weißen Magie, im höheren der Theurgie aufstehen. Wie aber nun der Mystische, beiden Reichen durch innere Sympathie verwandt, sich in eigener Selbstbestimmung einbürgern kann, in einem oder dem andern nach Wohlgefallen, so werden doch, da beide sich in ihm berühren, auch selbst nach getroffener Wahl noch Wechselbezüge beider auf ihn stattfinden, in denen die Geschiedenen sich gleichsam vermitteln und eine Art von Uebergang begründen. Hat nämlich die Wahl auf die gute Seite sich entschieden und die Mystik im 55

Lichtgebiete sich festgesetzt, dann mag sie von da aus, als ihrer eigentlichen Heimat, auch ohne Gefahr die Gebiete der Nacht betretend, in n ä c h t l i c h f i n s t e r e r V i s i o n sie durchschauen und durchfühlen. Dagegen aber muß es auch den Mächten dieses Reichs gestattet sein, zur weiteren Reinigung und Läuterung des ihnen feindseligen Prinzipes, in der d ä m o n i s c h e n V e r s u c h u n g prüfend es anzusehen, ob es in der Anfechtung bestehe und sich bewähre. Das gleiche, nur in umgekehrter Richtung, wird dann erfolgen, wenn die Mystik den andern Pfad gewählt und, nachdem sie im mitternächtlichen Reiche ihren Standpunkt sich genommen, von da aus sich in das andere ergeht und seine Rückwirkung erfährt, die, wie die andere auf das Verderben, so auf Heil und Rettung gerichtet ist. Visionen und Versuchungen der ersten Art werden eine Brücke des Uebergangs aus der Mystik des guten Prinzipes ins Böse; sowie Gesichte und Einwirkungen der andern, die der Vermittlung der Mystik der bittern Wurzel mit jener der süßen bereiten, und beide eine Art von Mittelgebiet zwischen den beiden in sich scharf geschiedenen Gegensätzen erfüllen. Ueber allen diesen Zwiespalt hinauf erhebt sich dann endlich die e i n i g e n d e M y s t i k , so Anfang wie Endziel der ganzen mystischen Bewegung. Wie nämlich diese Bewegung von Gott und seiner Begnadigung ihren ersten Ausgang genommen, so ist all ihr Streben auch dahin gerichtet, zu jenem ersten Quellpunkt zurückzukehren und, hat sie ihn erreicht, dort in Befriedigung zu ruhen. In Gottes Wesen aber ist die Scheidung von Geistigem und Natürlichem nicht eingegangen, noch weniger wird es von dem Gegensatz von gut und bös berührt: denn sein eigenster Charakter ist eben lautere und heitere Einheit, durch nichts getrübt, und es teilt dies Gepräge auch jeglichem Zustande mit, in dem in sich Geteiltes mit ihm zur Einigung gelangt. Diese einigende Mystik ist daher Gipfel und Mitte aller Mystik, in welche die geteilten Radien aller vorbereitenden Strebungen zusammengehen und sich wie in ihrem gemeinsamen Knotenpunkte verbinden. 2.

Dies ist, im schnellen Ueberfluge aufgefaßt, die Darstellung der Mystik in ihren Hauptmomenten und der Weise, wie jene Geister sich den mystischen Verkehr der Seele mit der Gottheit vorgestellt. Seither haben die, so nach ihnen gekommen, andere Wege eingeschlagen; so manche, denen sonst wohl ein Beruf geworden, weiter fortzuführen, was jene begonnen, haben, da die Welt so gänzlich sich säkularisiert, sich aus56

schließlich gegen das Zeitliche hingewendet und nun in dieser Richtung die Grenzen des menschlichen Geistes zu erweitern sich bestrebt. Da sind denn jene Warten nun verfallen und verlassen, auf deren Zinnen alltäglich und allnächtlich, ohne zu ermüden, so viele Gotteskundige gewacht und in die Tiefen des Geisterhimmels hineingeschaut und hinübergehorcht; ungebraucht stehen jene hagioskopischen Apparate, die sie zur Schärfung ihres inneren Auges und Ohres angelegt; nicht mehr geübt wird jene Disziplin, in der die höhere Psyche so zarte Erregbarkeit und so geschärfte • Feinsinnigkeit gewonnen, daß die leisesten Rührungen die Leichtbewegliche angesprochen und sonst unhörbar verschwebende Anklänge in allen ihren Tiefen wiedergetönt. Wohl schwingt jener mächtige Geist in den Höhen noch immer sein Gefieder, aber wer hat den Mut, sich ihm hinzugeben, daß er ihn über sich selbst hinaufziehe und ihn in jene Regionen hinüberführe, in denen wohl die Seele froh aufatmet, der Leib aber nur mit Beklommenheit schweren Atem zieht? Wohl ist jenes geistige Reich, das die Erde in ihrem Bereiche hegt, noch nicht ermattet und erstorben; aber es umflutet nicht mehr, wie sonst, ein weitgedehnter Ozean, das Irdische, von den ewigen Gestirnen in Ebbe und Flut bewegt; es hat in viele kleinere Becken sich geschieden und fühlt in dieser Trennung nicht mehr jene höheren Einwirkungen, und die schwach angegebenen Schwebungen werden von den Stürmen, die die näheren unteren Kräfte wecken, leicht verwischt und ausgetilgt. Unvollendet sind daher die angelegten Sternkarten geblieben, die uns heimisch machen sollten in jenem Geisterhimmel; unerforscht die Gesetze jener feineren Wahlverwandtschaft, die Seele an Seele zieht; unbekannt das Gesetz jener großen durchgreifenden Gravitation, die sie alle mit Gott vereint; unenthüllt die Regel der Zyklen und Umläufe, in denen das Geistige fortschreitend sich bewegt. Dafür sind wir nun in die Welträume bis zur weitesten Ferne vorgedrungen, kein blasser Lichtnebel, der im Saume jenes weiten Sternenhimmels sich verbirgt, kann sich unserem geschärften Auge entziehen; kein leuchtender Punkt, wie ferne er von uns ab im Dunkel aufgeglommen, mag in die Länge sich verbergen; kein Komet mag die Grenze unseres Systems betreten, ohne daß die immer wachen Späher ihn entdecken. Alle die zahllosen Bahnen, die sich durch die Himmel ziehen, haben ihre Formel gefunden, und alle Wiederkehren ihre feste Bestimmung, und während die Milchstraße in ihre Sterne sich aufgelöst, erscheint der Mond in allen seinen Höhen und Vertiefungen wie zum Kataster aufgenommen. Auf unserer Erde aber löst die Geognosie die verklebten 57

Steinblätter jener großen Naturchronik, die gleich den Bücherrollen in Herkulanum die bergende Tiefe schützend aufgenommen, eines um das andere ab und liest in dem Entfalteten die Geschichten der alten Tage, die Urbeginns über die Erde hingegangen. Alle Naturkräfte, deren leiseste Spur wir um uns her vernommen, müssen, von uns befragt, selber das Gesetz ihrer Wirksamkeit verraten; Element um Element muß aus seinen Tiefen steigen und kundgeben, in welchen Eigenschaften es seine Eigentümlichkeit erkennt; was auf der Erde lebt und webt, es muß abermal erscheinen, damit es, seit die erste Benennung verloren gegangen, neuen Namen von der ordnenden Wissenschaft gewinne. Auch die Sphinx des Lebens muß ihre Rätsel deuten; die Maschen im organischen Gewebe sind nacheinander aufgelöst, und die Knoten, die sich in ihm geschlungen, haben sich entwirrt; die tief verborgenen, vielfach zusammengesetzten Lebensgesetze beginnen sich zu enthüllen; nicht minder auch jene geistige Natur, an die die Lebensmächte die Fäden ihres Wirkens knüpfen, sie hat ihre aufmerksame Betrachtung gefunden; der Zauberspiegel ist entdeckt, in dem die Seele sich selber im Konterfei erblickt, und in jener geistigen Katoptrik ist sie nun in die tiefsten Gründe ihres eigenen Wesens eingedrungen, und, wirksam im Gesetze, erforscht sie das Gesetz, in dem sie gewirkt, an dem Werke, das sie ausgewirkt. Das alles ist ohne Zweifel gut und löblich und aller Ehre und dankbarer Anerkenntnis würdig; ja, man muß einräumen, daß es vorzugsweise eine der Hauptbestimmungen des in d i e s e m Leben an d i e s e Welt gewiesenen Menschengeistes erfüllt. Aber wie dies Leben sich nicht selber Zweck sein kann und, wenn es den höheren Zweck zu sich herniederzieht, eben dadurch in all seinem Tun der Vergänglichkeit verfällt; so kann auch dieser ganze wissenschaftliche Apparat nicht seine Bestimmung in sich selber tragen und wird sogleich eitel und nichtig, wie der Geist in seinem Gebrauche sich auf sich selber setzt und, umgeben von all diesem Prunke, sich nun selber genügen zu können wähnt. Das aber ist die Torheit dieser Zeit, daß sie aus dem Mikrokosmus heraus im Makrokosmus sich vergällt und, jenen Seelen der alten platonischen Lehre gleich, die in den Weltspiegel geschaut, in diesem Schauen in Liebe gegen ihr eigenes Bild entbrannt und nun in den Spiegel hinein und ins Elementenmeer hinabgesunken. Jetzt haben die Kräfte, alle nach abwärts hingezogen, in der Tiefe ihren Ruhepunkt gefunden, befestigen sich in ihm und verwachsen mehr und mehr in die Naturseite des Daseins; die innere und höhere Seite, verlassen von aller Fülle, verödet immer sichtlicher; der innere Sinn 58

erstirbt, der Geist ist der Welt verfallen, und sie hat ihm das Joch ihrer Gesetze aufgelegt. Da alle Wissenschaft sich säkularisiert, hat ihr das Säkulum auch seinen Charakter aufgeprägt, sie ist profan, knechtisch und wandelbar geworden und muß, dem ewigen Juden gleich, ohne Unterlaß im Rade der Zeiten gehen und die endlose Seelenwanderung durch alle Naturreiche durchlaufen. Aber wenig ziemt es dem höheren Berufe des Geistes, so ausschließlich einseitiger Richtung sich hinzugeben. Gott hat die Natur nicht sich und dem Menschen als Spiegel hingestellt, damit dieser nur sein Bild selbstgefällig wiederfinde, sondern damit er in ihr und durch sie Gott in sich gewahre und in Liebe zu ihm neige. Hat er nur sich in der Natur gefunden, dann hat diese sich in ihm gefunden, und die Uebermächtige zieht ihn zu sich herab; hat er aber Gott in ihr und im Reflex von ihr in seinem eigenen Wesen wahrgenommen, dann hat Gott auch seiner wahrgenommen, und der Starke zieht ihn nun zu sich hinauf, und er ist jener niederziehenden Wucht entnommen. Von nun an erst ist der Geist der erstarrenden Einwirkung des Naturgesetzes entrückt; die Wissenschaft hat mit jener höheren Beziehung erst den rechten Inhalt gewonnen, der ihre hohle Leerheit erfüllt; indem mit ihrem sterblichen Teile sich ein unsterblicher vereint, ist die tote Formel in ihr zum begeistigten Symbole aufgelebt, und wie die Natur und die Geschichte sich als Träger der einen in ihnen wirksamen Gotteskraft erkannt, reden sie wahres Zeugnis von ihrer Wesenheit, und der Geist kann in seinem Verhältnis zu ihnen symbolisch sein Verhältnis zur Gottheit schauen. Wie daher Naturzustände und Seelenzustände gegenseitig sich entsprechen, so werden wieder beide zusammen nur der Ausdruck anderer Zustände sein, die Gott in der Seele hervorgerufen; jene werden nur als die differentiierten Gleichungen erscheinen, aus denen die Integrale sich leicht entwickeln lassen. Wie Leib und Seele sich der höhern Psyche, so fügen dann Naturwissenschaft und Geschichte sich der höhern Mystik an, sie erklären und bewähren sich gegenseitig; die höheren Beziehungen der einen, in die tiefere Region der andern eingeführt, sprechen sich dort nur in einheimischen Bildern und Tönen aus, und umgekehrt läßt sich dieser Weltsprache wieder leicht ihr tieferer Sinn abgewinnen. Gott hat dann seine Ehre und die Natur ihr Recht; die gründlichste Forschung wird in keiner Weise ausgeschlossen, ja sie wird vielmehr unbedingt gefordert, weil sie allein, und nimmer eine seichte oder auch phantastische Ansicht zum Ziele führt; aber mit dem Gott, den die Wissenschaft aufgenommen, hat ihr leerer Formalismus 59

erst wahrhafte innere Wesenheit erlangt. So wie der trostlose erstarrende Atheismus sie verlassen, ist das Leben in sie eingekehrt; sie, die 2uvor tot gewesen, wird nun zum bewegten Organismus hinaufgesteigert, der im Spiele seiner Formen und Bewegungen wie zuvor noch immer sich selber, aber zugleich auch das Höhere ausspricht und andeutet, das in ihm eingewohnt. Aus diesem Standpunkte genommen, kann nun die Mystik zur Deutung und Erklärung der Zustände, die ihre werktätige Uebung hervorgerufen, sich ohne Bedenken auf die Physik berufen, die in ihrem Gebiete verwandte Zustände kennt und anerkennt. So, um nur gleich das nächste aufzufassen, hat die Mechanik des Himmels es längst als Grundsatz festgesetzt, daß im Sonnensysteme die Momente der Gravitation der verschiedenen Planeten in einem zusammengesetzten Verhältnisse aus der Anziehung, die die Sonne in ihren verschiedenen Entfernungen auf sie übt, und aus ihrer innern spezifischen Schwere, in der sie selber je nach ihrer Natur zur Sonne neigen, sich zusammensetzen. Es wird aber, ist diese Voraussetzung zugestanden, jene Gravitation in zwiefacherWeise mit der Steigerung ihrer beiden Faktoren gesteigert werden, und zwar wird ihr Moment sich mehren, einmal und dieses im umgekehrten Verhältnisse der Quadrate der Entfernungen, wenn mit der Zunahme der Annäherung an die Sonne die Anziehung, die sie auf die näheren Körper übt, zugenommen, und dann, wenn mit Zunahme der spezifischen Schwere jener Weltkörper, durch irgendeine Naturveränderung in ihnen, ihre eigentümliche Hinneigung zur Sonne einen größeren Grad der Intensität erlangt; woraus denn folgt, daß diese Steigerung am schnellsten vonstatten gehen würde, wenn beide Faktoren gleichzeitig sich erhöben. Ebenso ist in der Physik längst ausgemacht, daß die innere Erleuchtung eines durchsichtigen Körpers aus einem zwiefachen Verhältnisse sich zusammensetzt, deren das eine seinen Ausdruck in dem Maße der räumlichen Entfernung des erleuchteten Körpers von der Lichtquelle findet, das andere durch den Grad der Durchsichtigkeit der durchschienenen Masse sich bedingt. Auch hier steigert sich die Intensität der Beleuchtung und Erleuchtung im Verhältnisse, wie einerseits die Annäherung zum Lichte zugenommen und anderseits der durchleuchtete Körper durch eine innere chemische Klarifikation alle das Licht hemmende verdunkelnde Masse in sich bezwungen und den einfallenden Strahlen bis zu seinem Innersten sich aufgeschlossen. Nun aber muß jede Lehre, die nicht das Dasein Gottes schlechthin leugnet, eine Vereinigung desselben mit aller Kreatur durch 60

die Allgegenwart annehmen und voraussetzen. „Gott", sagt der Papst G r e g o r d e r G r o ß e , „ist in allem, aber nicht eingeschlossen; außer allem, aber nicht ausgeschlossen; innen, weil er alles trägt, außen, weil er alles in seine Größe beschließt: durch alles ist er also ausgegossen und in der Essenz der Seele gegenwärtig." Diese Allgegenwart, durch die er ganz im Ganzen und ganz wieder in jedem Teile ist, muß aber notwendig, wie eine aktuale, so auch eine stets wirksame sein; denn dieselbe ewige Tathandlung, in der Gott die Kreatur ins Dasein hervorgerufen, setzt sich fort in der Zeit, um die Hervorgerufene in diesem Dasein stets zu befestigen. Es besteht also zwischen der Gottheit und der Seele ein Wechselverkehr, und dieser kann, da beide freie Wesen sind, so durch die Wirkung der einen und die Mitwirkung der andern in seiner Lebendigkeit zunehmend gesteigert oder auch gemindert werden, wie in der Naturwelt die Gravitation und die Durchleuchtung der Körper unter gleichen Bedingungen sich steigern und mindern. Nun ist aber, was hier die S o n n e n s c h w e r e ist, dort in jenem Gottesverhältnis die L i e b e , und zwar aus zwiefachem Momente sich zusammensetzend, aus der Liebe, in der Gott die Seele an sich zieht, und aus der spezifischen Liebe, die Gott der Seele eingepflanzt und in der sie nun mit größerer Wucht ihm entgegenneigt. Mehrt sich nun diese Liebe, indem die Seele, in sich zurückgehend, sich in ihrer tiefsten Innigkeit erfaßt, dann tritt sie eben dadurch, nicht extensiv und räumlich, aber dagegen intensiv und innerlich, näher an Gott heran, und es wächst nun schon dadurch im Verhältnis, wie sie sich näher angedrängt, nach einem höheren Quadratgesetze der Entfernungen, mit der zunehmenden Gottesnähe auch die Intensität der Liebe, durch die sie sich gezogen und gebunden fühlt, und wieder mehrt sich noch der Zug durch das freiwillige Entgegenkommen der höheren Gottesliebe. Dies freiwillige Entgegenkommen aber ist es eben, was die Fesseln des Naturzwanges aufgehoben und das Naturgesetz zur höheren Liebesfreiheit verklärt, ohne jedoch den Grund des Gesetzes selber aufzuheben; und ohne diese Befreiung würde die Keplerische Formel, daß die Quadrate der Umlaufszeiten sich wie die Würfel der Entfernungen verhalten, nicht bloß für die Sternenräume, sondern auch für alle Geisterwelten ihre Gültigkeit behaupten. Dasselbe wird aber auch vom Licht in der Seele gelten, was sich uns hier für ihre Gravitation bewährt. Das Licht in seiner Intensität, in der es die schauende Seele durchleuchtet, erscheint bedingt durch die Masse der von oben eintretenden Lichiströmung und durch den Grad der Reinheit und Erschlossenheit, in der diese Seele sich selbst der ein61

fallenden darbietet. In ihrer jetzigen Gottesferne fühlt sie aber nur in einem dunkeln Instinkte, wie die Pflanze den Sonnenstrahl, so die Nähe jener höheren Erleuchtung; wird sie aber näher zum Quellbrunn derselben zugelassen, dann mehrt sich schon dadurch die Masse der einfallenden Leuchtung, und steigert sie nun in gleichem Maße durch innere Reinigung die Klarheit jenes höheren auffassenden Organs, dann steigt in demselben Verhältnis auch die Klarheit ihres Schauens, und auch hier würde das optische Würfelgesetz der Entfernungen, intensiv genommen, gültig sein, wenn nicht auch in diesem Kreise die Freiheit das Joch des Gesetzes bräche und der Geist seinen Strahl aussendete, in welcher Kraft und Helle und wohin es ihm gefällt. 3.

Aus dem Gesagten ergibt sich leicht die natürliche Folge und Ordnung, in die sich die der Mystik angehörigen Materien zusammenfügen, nach der sie also auch am füglichsten und natürlichsten abgehandelt werden mögen. Zunächst, da der Mensch, wie er sich historisch findet, in Mitte aller der Naturbezüge, wie sie die gewöhnlichen Lebenszustände bezeichnen, das Subjekt aller Mystik ist, wird die Untersuchung auch mit ihm beginnen und das verflochtene Gewebe dieser Naturverhältnisse als die physische Grundlage aller später eintretenden höheren klar zutage legen. Der Mensch, austretend aus den gewöhnlichen Naturbezügen und unter der Leitung dieses höheren Entwicklungstriebes in die Wege, die nach inwärts gehen, hinüberlenkend, bedarf dazu einer gewissen Vorbereitung, in der die Natur und Eigenheit gebrochen wird und ihre auslaufenden Richtungen ihre Umkehr finden; die aszetische, ordnende und reinigende Disziplin, die diese Umwendung bewirkt, wird dann als der nächste Vorwurf der fortschreitenden Untersuchung sich darbieten. Die Gewohnheit des Lebens ist durchbrochen, die eng umfassenden Naturbezüge haben ihre Lösung gefunden und die Möglichkeit herbeigeführt, über sie hinaus andere und höhere anzuknüpfen; aber nun teilen sich die Wege, der eine führt auf weiter Bahn zu dem Abgrunde des Bösen hinunter, der andere auf engerer zur Höhe des Guten und des Ueberguten hinauf: die Wahl entscheidet, ob es dämonische Mystik sei oder christliche, der sich das Leben ergeben. Hat die Wahl auf die gute Seite sich entschieden, dann schreitet sofort die lichte Mystik auf gottgeebneter Bahn einher. Zwei Stadien teilen zunächst je nach zweien Vor62

gründen diese Bahn, deren erstes noch unten in den Anfängen mehr der Natur und natürlichen Dingen zugewendet steht, das andere im Fortschritte von diesen mehr abgewendet und tiefer in das Geheimnis der unsichtbaren Welt eingedrungen, der Gewöhnlichkeit mehr entrückt, dem Wunderbaren näher tritt. Hat die Wahl auf die böse Seite sich geneigt, dann sinkt sie auf abschüssiger Bahn dem Abgrunde immer näher, und auch dieser Absturz wird in zweien übereinander liegenden Abgründen geteilt erscheinen, deren einer dem andern ruft, und an denen auch die Untersuchung dämonischer Zustände Anhalt und Gliederung findet. Die lichte Mystik wird in solcher Weise einer finstern sich gegenüberstellen, und beide werden in einer überleitenden Abteilung im Mittelgebiete, das der Wechselwirkung beider Gebiete miteinander Raum gibt, äußerlich vermittelt; ihr Gegensatz höher hinauf aber wird in einer höheren göttlichen Vermittlung aufgehoben, die das Böse, obgleich Widersatz alles Guten, doch zum Guten wendet und bezwingt. Die e i n i g e nd e M y s t i k , die auf dieser Höhe die gereinigte Kreatur mit Gott verbindet, wird daher die letzte Tagweite des mystischen Weges, das Endabsehen der ganzen Untersuchung und Gipfel und Schlußstein des ganzen Gebäudes bilden.

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Erstes Buch

Die aufsteigende Mystik I. B e r u f u n g e n Wenn auch Gott alle liebend zieht und gleich der Sonne über alle sein Licht scheinen läßt und nicht etwa dem einen verschlossen, dem anderen sich auftut, dagegen aber nicht alle ihm erwidern, wie er es ihnen zuvorgetan: darum wendet er, der in seiner Allwissenheit weiß, an wem seine Einwirkung fruchtlos vorübergeht und wer sie ergreift, auch diesen vorzugsweise sich entgegen. Das ist, was man als Wahl bezeichnet, in der, wie mit erster Empfängnis die Geburt, so die Wiedergeburt beginnt und das wiedergeborene Leben zugleich die erste Weihe erlangt, um dann unter fortgesetzter Führung zum höheren zu gelangen. Sie wird daher das erste sein, dem wir unsere Aufmerksamkeit entgegenzuwenden haben. Ein Zug nach oben, der die Wende bewirkt, und ein warmer Anhauch, der sie begleitet, und ein Lichtblick, der, von ihm ausgehend, die gewendete Seele begrüßt, verkündet, daß die Wahl geschehen und der Gewählte in die Kreise des höheren Lebens eingetreten. Inwiefern von der einen Seite keine Verpflichtung zu der Gabe stattgefunden, ist sie als ein freies Geschenk der Gnade geboten worden; inwiefern aber dies Bieten nur auf die Gewißheit der Aneignung hin geschehen, diese aber, als von der Eigentümlichkeit des Annehmenden abhängig, an seine Anlage geknüpft erscheint, zeigt sich die Mitwirkung einer Art von Talent, eines Genius der Heiligkeit dabei im Spiele. Ueberall nämlich, wo etwas, in welchem Gebiete es sei, ohne unser direkt wirkendes T u n , nur mit unserem Z u t u n in uns gewirkt wird, setzen wir einen Genius voraus, der uns gedrängt, es in uns hervorgerufen. So sendet in philosophischen Dingen die Wahrheit ihren Strahl zu uns hernieder; wir lassen uns ihr und werden von ihr entzündet und befruchtet, und wir nennen das vom Genius begeistert. So ist es in anderer Weise das Schöne, das uns in seinen Harmonien berührt; wir geben uns hin, und wenn unser Inneres nun nachklingend in denselben Harmonien zum Görres-Mystik

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Selbsttönen sich bewegt, dann sagen wir, es habe uns der Genius der Kunst ergriffen. Es ist in beiden Fällen etwas in uns gekommen, das wir nicht in freiem Bewußtsein hervorgerufen; und doch haben wir nicht müßig dabei uns verhalten: denn es ist doch unser Werk, wir haben es gefaßt und, nachdem wir ihm irdischen Leib gegeben, es an den Tag erboren; nur das ihm einwohnende Lebenslicht ist ihm, wie durch blitzartige höhere Befruchtung, von anderswoher gekommen... Es wird daher alle Begeisterung, welcher Art sie auch immer sein möge, hat jede gleich einen selbst eigenen Grund in sich, doch zuletzt zurückgehen auf jenen ersten Grund, der in jeglicher nur oben unmittelbar, unten mittelbar sich wirksam zeigt: denn alle gute Gabe kommt von oben, und alle guten Geister sind von jenem einen göttlichen Geiste, der sie alle ausgestrahlt. Es ist aber, wie sich leicht begreift, die Wirkung dieser, in Allgegenwärtigkeit zur Erwählung und Führung wirksamen Gotteskraft an kein irdisch beschränktes Verhältnis gebunden; nicht an Ort und Zeit oder Gelegenheit; sie schlägt durch den Uebermut des frischen und gesunden Lebens durch, wie sie durch die Erschöpfung und Müde des Kranken sich nicht hemmen läßt; sie geht an der geistigen Einfalt nicht etwa verächtlich vorüber, noch auch läßt sie sich von der höchsten Geisteskraft Gewalt antun. Selbst die Gesinnung entscheidet nicht unbedingt; da die gute, sich willig öffnend, wie die leitenden Körper dem Blitze geöffnet sind, von selbst sich zum Ziele richtet, die verkehrte aber wohl bisweilen Gewalt erfährt und, durchbrochen von ihrer Macht, sich in sich selbst zur Willigkeit umgewendet und also befreit findet. Wie hier überall die innerliche Handlung dieselbe ist und nur die Form ihres Hervortritts sich wandelt, so wird auch das Verhältnis der Geschlechter nur einen solchen formalen Einfluß üben. Eben weil in jenem Verkehre mit Gott sein höherer, nur in Achtung fremder Freiheit sich selbst mäßigender Wille der stärkere ist, wird das Tun des mitwirkenden schwächeren bei beiden verhältnismäßig als ein Leiden und Lassen erscheinen und, wie Gott überhaupt in keine notwendige Relation zur Kreatur eintritt» obgleich sie zu ihm, so wird auch um so mehr die des Geschlechtes vor ihm verschwinden. In Rücksicht auf den aufwärtsgehenden Bezug der Seele zur Gottheit wird aber allerdings das gegenseitige Geschlechtsverhältnis von Bedeutung sein; und das weibliche als das vorzugsweise empfangende wird sich daher auch besonders für die leichtere Aufnahme höherer Einwirkung eignen, während im männlichen der Geschlechtscharakter in der stärkeren Gegenwirkung sich 66

kundgibt. Die Gesamtwirkung wird daher im ersten Falle mehr durch in beweglicher Fülle harmonisch geordnete Gestalt, im anderen mehr durch in Kraft und Leben mitwirksame Tätigkeit bezeichnet sein. Dieser Gegensatz, durch das ganze Dasein der vom höheren Strahl Berührten durchgehend, wird nicht minder auch schon im Beginne, in der Form der Weihe, hervortreten; und wir werden die reiche Mannigfaltigkeit, in der sich je nach der Verschiedenheit der Individualitäten diese Berührung äußert, wenigstens zur Rechten und zur Linken hin austeilen, wenn wir sie nach den Geschlechtern zusammenstellen. *

Wir nennen unter den Männern den heiligen J o s e p h v o n C o p e r t i n o zuerst, weil bei ihm in frühester Jugend schon sich die Wahl entschieden. Geboren in dem Orte des Königreiches Neapel, von dem er den Namen angenommen, 1603 in einem Stalle, verfließt ihm seine erste Kindheit unter der strengen Zucht der ernsten Mutter, die seines heftigen, zornigen Naturells Meister zu werden sich bemüht. Kaum hat er das achte Jahr erreicht, da geschieht es, daß, als der Knabe einst in der Schule den Ton einer fernen Orgel vernimmt, er außer sich kommt und Gesichte sieht, was fortan öfter wiederkehrt und ihm, weil er dann mit halbgeöffneten Lippen, im Schauen vertieft, unter seinen Mitschülern sitzt, von seiten derselben den Beinamen Bocca aperta erwirbt. Er wurde bald mit einer Geschwulst am Knie, die in Entzündung und Fäulnis überging, bald auch mit einem Kopfausschlag heimgesucht und findet unter seinen Schmerzen und in seiner Verlassenheit nur Trost in den Gesichten, die nun öfter wiederkehrten. Nachdem die Not sechs Jahre gedauert, wurde er von einem Eremiten geheilt, und er fand sich nun befestigt in der innerlichen Richtung, die er genommen; und sein Sinn richtete sich darauf, in einen Orden zu gehen. Unter den Konventualen möchte er sich am liebsten aufnehmen lassen; aber sein Oheim, selbst Franziskaner, will nicht einwilligen, weil ihm die nötigen Kenntnisse fehlen; so geht er denn als Laienbruder zu den Kapuzinern. Da hindern ihn aber seine Gesichte und Betrachtungen, wenn er sich äußeren Verrichtungen hingeben will; bald weiß er das weiße Brot nicht vom schwarzen zu unterscheiden, bald läßt er Geschirre aus den Händen fallen, bald kehrt er die Töpfe um, die er zum Feuer zu setzen geheißen wird. Anfangs belegt man ihn mit Pönitenzen, befindet aber zuletzt, nach achtmonatiger Prüfung, ihn als gänzlich untauglich. Der Habit wird ihm daher genommen, unter einer Empfindung, wie er später erzählt, als zöge man ihm Haut und 5«

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Fleisch von den Gebeinen; seine alten Kleider werden ihm zurückgegeben mit Ausnahme von Hut, Strümpfen und Schuhen, die sich nicht wieder finden wollen; und so zieht er nun, aus dem Kloster vertrieben, trostlos seines Weges dahin. Am Abend hielt er bei der Hütte einiger Hirten um Gottes willen um Aufnahme an; die aber nehmen ihn für einen Spionen oder Strauchmörder und lassen ihre drei Hunde auf ihn los; er entgeht dem Tode nur dadurch, daß zuletzt einer der Anwesenden ihn erkennt. Mit etwas Brot gelabt, setzt er nun am anderen Tage die Reise weiter fort; ein Reiter, mit einem Schwerte bewaffnet, sprengt auf ihn heran; er soll wieder ein Verräter sein und darum des Todes sterben. Zitternd erwidert er: er sei kein Verräter, sondern wolle nur zu seinem Onkel gehen, der in Veterana predige. Der Reiter droht immer mit wütender Geberde, bis auf einmal, als er um sich sieht, auf der ganzen weiten Ebene kein Reiter mehr zu sehen ist, weswegen er zu sich selber sagt: Dieser ist Malatasca, der böse Feind, gewesen, der mich in Furcht und Verzweiflung bringen wollte. Auf den Knien liegend vor seinem Oheim, läßt er nun dessen Schelten über den ungeschickten Landstreicher über sich ergehen, und auf seine Frage, was der neue Aufzug denn wieder zu bedeuten habe, erwidert er demütig: Die Kapuziner haben mir ihren Habit ausgezogen, weil ich zu nichts tauge. Der Oheim erbarmt sich nun seiner, hält ihn eine Zeitlang bei sich und führt ihn heimlich nach Copertino zurück, wo er die Vorwürfe der strengen, rauhen Mutter auch noch hinnehmen muß, die ihn zuletzt doch durch Flehen und Bitten ins Franziskanerkloster in Grotella bringt. Dort geht er nun in Ruhe die Wege, die ihm gewiesen sind, und erwächst bald zu solcher Höhe innerlichen Lebens, daß er noch öfter unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen wird.1 Oefter ist ein großer Teil der Lebenszeit schon vorübergegangen, und nun erst tritt eine bedeutsame Katastrophe ein, die dann für die Bestimmung der ganzen Zukunft entscheidend wirkt. J o h a n n e s v o n E r f u r t , im Beginne des fünfzehnten Jahrhunderts dort in Thüringen aus einem edlen Geschlechte geboren, verliebte sich in ein Mädchen, ihm gleich an Geburt, fand aber in dieser Leidenschaft einen Nebenbuhler an einem anderen Ritter. Es erhob sich zwischen beiden sofort Eifersucht und Streit, so daß sie zuletzt eins wurden, die Sache mit den Waffen auszufechten. Der Tag wurde dazu anberaumt, und als die Zeit herangekommen, legte Johannes seinen kostbaren, mit Gold und Perlen gestickten Wappenrock an, zierte in gleicher Weise auch sein Roß aufs allerbeste; desgleichen tat 68

auch sein Gegner, und so erschienen beide auf dem Kampfplatze, wo nebst der Geliebten eine unzählige Menge Volkes versammelt war. Nachdem sie das Feld einigemal umritten, rannten sie zum ersten Male aufeinander los, und es gelang Johannes, den Gegner durch den Stoß seiner Lanze aus dem Sattel zu heben. Der Gestürzte wurde von den Seinen wieder aufs Pferd gehoben; sie ritten dann zum zweiten Male aufeinander, es kam zu harten Stößen, beide aber hielten sich in ihren Sitzen. Nun aber ritten sie zum dritten und letzten Male gegeneinander, und dieser Widerstoß fiel so unglücklich für den Widersacher des Johannes aus, daß er, über sein Pferd herunterstürzend, den Hals brach. Ein allgemeiner Jubelruf begrüßte den Sieger; in diesem aber hatte der plötzliche Tod des Gegners ganz andere Gedanken hervorgerufen; sein Herz war plötzlich umgekehrt, und statt sich gegen seine Geliebte zu wenden, gab er dem Pferde die Sporen und ritt unmittelbar vor die Pforte des dortigen Predigerklosters, den Pförtner anrufend, daß er schnell die Tore öffne, er wolle ein Dominikaner werden. Gemach, gemach! sprach der Pförtner, indem er das Tor auftut, Ihr werdet nicht also mit Sattel und Roß und Stiefel und Sporn in den Habit fahren! Johannes ritt ein und tummelte sein Roß eine Zeitlang im Klosterhofe herum; als aber der Prior zu ihm herniedergekommen, stieg er ab, warf sich ihm zu Füßen und begehrte das Ordenskleid. Der Prior, verwundert, berief die Ordensbrüder zur Versammlung, und da Johannes nicht abließ, um Aufnahme anzuhalten, wurden sie einig, ihn dessen zu gewähren; und er legte am folgenden Tage seine kostbaren Kleider ab und wurde in die des Ordens eingekleidet. Bald kam nun dem Vater des Aufgenommenen und seinen Verwandten zu Ohren, was geschehen, und jener lief sogleich zum Kloster und forderte mit großem Geschrei seinen einzigen Erben, seinen, wie er sagte, wahnwitzig gewordenen Sohn; und als man ihm diesen im Ordenshabite vorführte, fehlte wenig, daß er ihn in seinem gähen Zorn nicht ermordete; die Brüder mußten ihn seinen Händen entreißen. Der Sohn suchte ihn nun damit zu begütigen, daß er ihn tröstete: er sei nicht dahin gegangen, um immer dort zu bleiben, sondern nur auf so lange, bis der Tumult und die Aufregung der Verwandten des Entleibten sich einigermaßen gestillt und in ihm selbst der Eindruck, den der Zweikampf in ihm hervorgebracht, vergangen. Der Vater begab sich nun beruhigt nachhause; der Aufgenommene aber wurde mit einem Auftrag nach Italien entsendet und erwuchs bald zu einem heiligen Manne, dem Apostel einiger russischer Völker, und starb im Jahre 1464.1 69

Vor manchen anderen ungewöhnlich früh hat an der heiligen K a t h a r i n a v o n S i e n a der Beruf ihres Lebens sich kundgegeben. Im Jahre 1347 als Zwillingskind geboren, war sie in zarter Jugend durch Tun und Reden allen Leuten so lieb und angenehm, daß die Mutter sie kaum zu Hause zu halten vermochte, weil alle sie gern um sich sahen. Als sie im fünften Jahre den Englischen Gruß gelernt, konnte sie nicht satt werden, ihn auszusprechen und machte sich die Gewohnheit, ihn beim Auf- und Niedersteigen der Treppe auf jeder Stufe zu wiederholen. Als sie nicht weit vom sechsten Jahre ihres Alters war, ging sie einst mit ihrem älteren Bruder aus, um der verheirateten Schwester eine Botschaft auszurichten; und wie sie wieder heimkehrt, sah sie aufwärtsblickend über der Dominikanerkirche in der Luft einen Thron mit königlicher Zierde ausgeziert und auf ihm den Herrn in der Kleidung des Oberpriesters, um ihn drei der Jünger. Wie sie zu dem freundlich sie Anschauenden aufblickte, sah sie, wie er ihr den Segen gab, und wurde zur Stunde so entzückt im Geiste, daß sie ihrer selbst und des Weges vergaß, bis der Bruder, der unterdessen ein gutes Stück vorangegangen, rückkehrend zwei- oder dreimal sie beim Namen rief und durch Schütteln sie wieder zu sich brachte. Der Strahl hatte sie getroffen, und ihr Herz begann nun zu entbrennen; sie suchte verborgene Orte, betete viel, redete wenig gegen der Kinder Art, tat sich Abbruch, wo sie konnte, und fing an, andere Kinder um sich zu versammeln, um sie zu gleichem Leben anzuleiten. Jetzt begannen sich auch schon die ersten Symptome höherer Zustände zu äußern; wenn sie die Treppen in ihres Vaters Hause auf- und niederging, schien es, als werde sie durch die Luft getragen, so daß sie die Stufen nicht berührte, was besonders dann geschah, wenn sie sich aus der Gesellschaft der Menschen flüchtete. Da sie in das Leben der Altväter sich vertieft, stieg in ihr die Begierde auf, zu tun wie sie; aber sie wußte nur kein Mittel zu ersinnen, um in die Einöde zu gelangen. Eines Morgens jedoch, als sie die Begierde nicht länger bewältigen mochte, nahm sie ein Brot und ging damit aus der Stadt. Wie sie so eine Weile fortgegangen und keine Häuser weiter neben sich erblickte, glaubte sie sich nun der lange gesuchten Wüste nahe; und als sie weiter forteilend eine Höhle fand, war sie entzückt, daß sie nun in der Einöde glücklich angelangt. Zur Stunde hub sie an, gar eifrig zu beten, und wurde nun allgemach von der Erde aufgehoben und bis an die Decke der Höhle geführt. Sie blieb eine Weile in diesem Zustande, wurde dann wieder allmählich auf die Erde zurückgesetzt und hatte nun das Verständnis erlangt, daß es Gottes Wille nicht sei, daß 70

sie in dem gefaßten Vorsatze beharre. Sie fand sich nun schnell in die Pforten der Stadt zurückgetragen, kehrte nach Hause zurück und verschwieg lange, was ihr begegnet. Sie hatte unterdessen ihr siebentes Jahr erreicht, und nun tat sie förmlich am einsamen Orte, dem Herrn ihre Reinigkeit aufopfernd, das Gelübde der Treue und wuchs fortan täglich an Heiligkeit. Sie hielt, was sie gelobt; und da später, als sie zu ihren Jahren gekommen, die Eltern in sie drangen, sich äußerlich zu zieren, damit sie sich verheiraten möge, gab sie zwar anfänglich auf das Zureden ihrer älteren Schwester zu ihrem späteren großen Leide eine Zeitlang nach; dann aber schor sie, um jedes weitere Zudringen mit einem Male abzuhalten, ihr Haar, und wie sehr die Eltern und die Brüder durch Worte und Werke sie ängstigten, sie blieb beharrlich, bezwang durch Demut allen Widerspruch und trat dann in den Orden des heiligen Dominikus.3 Dritthalb Jahrhunderte später wurde ihr jenseits des Meeres im anderen Weltteil eine Nacheiferin erweckt. Diese wurde 1586 zu Lima in Peru geboren und zuerst Isabella, dann aber, als die Mutter über der Schlafenden in der Wiege eine Rose gesehen, R o s a , später mit dem Zunamen a S. Maria genannt. Sie zeigte sich ganz wie die Heilige von Siena geartet, in ihrer Gemütsart ruhig, lieblich, anmutig; nie erfüllte ihr Geschrei das Haus, nur einmal weinte sie bitter, als man sie in eine fremde Wohnung getragen. Schon im dritten Jahre bewies sie die Leidensstärke, die sie in ihrem ganzen Leben ausgezeichnet, als ihr rechter Daumen zwischen den Deckel einer geschlossenen Kiste geklemmt wurde und sie nun den Schmerz mit einem Mute weit über ihr Alter hinaus verbiß und die Hand vor der herzueilenden Mutter verbarg. Sie zuckte nicht, als in der Folge der Nagel des Fingers abschwärte und der Wundarzt ihn mit einer Zang wegriß. Als sie vier Jahre alt war, hatte die Mutter mit schädlichen Mitteln einen Schaden an ihrem Ohre heilen wollen; darüber hatten eiternde Fisteln sich gebildet; sie blieb zweiundvierzig Tage unter der Hand des Wundarztes, und obgleich die heftigsten Schmerzen ihren Körper Tag und Nacht erschütterten, kam keine Klage aus ihrem Munde. Ihr Bruder hatte einst im Spiele ihr Haar mit Kot beschmutzt, und da dieser Schmutz dem Kinde nahe gegangen, hatte der Knabe altklug ihr in einer Predigt ausgelegt: die Zöpfe der Mädchen seien Stricke der Hölle, in denen unbehutsame Seelen zu ihrem Verderben sich verfingen. Diese Worte waren tief in sie hineingeschlagen, und sie nun, zu einem unablässigen Gebete entzündet, hatte, in den Fußstapfen ihres Vorbildes gehend, noch früher reif denn sie im süd71

lichern Lande, dem Herrn sich verlobt und dessen zum Zeugnis ihr Haar sich abgeschoren, r'ortan wurde sie nun nur noch aufmerksamer auf sich und wich, wie alle ihre Beichtväter bezeugten, nie mehr irgend bedeutend vom rechten Wege ab. Sie wußte nun ihren Eltern sich folgsam zu beweisen, selbst da, wo diese sie in ihren Wegen irrten, ohne sich dadurch von ihnen abbringen zu lassen, und ob sie gleich täglich zwölf Stunden dem Gebete widmete, brachte sie, zur Unterstützung derselben, doch durch unermüdete Anstrengung in einem Tage mehr Arbeit zustande als eine andere wohl in vieren. Die Schönheit ihrer Gestalt machte die mannbar gewordene bald zum Gegenstand vieler Bewerbungen, was die Eltern gern sahen; da sie sich aber beharrlich weigerte, setzten ihr die Brüder mit Scheltworten, Ohrfeigen und Fußtritten zu, wie es Lapa, die Mutter, mit Katharina auch gehalten; als sie aber nichts über ihren Entschluß vermochten, gaben sie endlich ihren Willen dazu, daß sie ins Kloster ging. Sie hatte sich früher vorgesetzt, in denselben Orden sich zu begeben, dem Katharina angehört; da inzwischen viele andere sie zur Genossin wünschten, versuchte sie es, damit es nicht scheine, als ob sie ihrem Sinne allzusehr folge, sich in ein anderes Kloster zu begeben. Als sie aber sich dazu aufmachen wollte, fand sie sich wie ein Fels dem Boden angewachsen; sie suchte sich loszumachen und rief ihren Bruder zu Hilfe: beide strengten aber umsonst sich an; sie wurde nicht eher gelöst, bis sie die Heimkehr freudig in sich beschlossen. Ein anderes Zeichen bestärkte sie in diesem Entschlüsse. Aus dem Haufen der Schmetterlinge, die in wunderbarer Farbenpracht die Fluren von Lima durchschwärmen, kam einer, bloß schwarz und weiß aufs schönste gestreift, auf sie zu und umflog sie im Kreise; und sie nahm das für einen Wink von oben, daß der schwarz und weiße Habit des Dominikanerordens ihr bestimmt sei. In ihn gekleidet wurde sie bald ein Wunder der Frömmigkeit und nahm alle Tugenden ihres Vorbildes an; ja ihr Beichtvater sah einst staunend, wie sie in Gestalt, Umriß, Ausdruck gänzlich in das Bild transformiert schien. Sie wurde nun auch bald ekstatisch, und ihre Zustände hüben dann damit an, daß sie weiß wurde wie Schnee, sofort im Andränge der Lebensgeister errötete, zuletzt im ganzen Antlitz leuchtete und Funken sprühend strahlte.4

II. D i e a s z e t i s c h e L ä u t e r u n g

Ganz außen in der Gottesferne, gleichsam am Rande des Daseins, hat die lenkende Obmacht den Begünstigten sich erlesen und will ihn nun zur Einigung in die Gottesnähe 72

führen. Sie muß ihn also umwenden und ihn Wege führen, die völlig entgegengesetzt sind denen, die er zuvor gegangen, so daß er dem den Rücken zukehrt, was zuvor als Ziel seines Strebens ihm vorgestanden, und dafür sich dem zuwendet, von dem er sich abgekehrt. Die Bande, die er geknüpft, sie müssen wieder zerrissen werden, damit die anderen, die er gelöst, sich wieder anknüpfen mögen . . . Alle Verhältnisse werden in dieser Umkehr ihre Wende finden, und so wird der ganze Mensch in allmählicher Umbeugung in all seinem Wesen in eine im tiefsten Grunde geänderte Beziehung zu Gott, zur Welt und zu sich selber kommen. Anders gestellt, anders gerichtet, anders orientiert und äquilibriert, muß er absehen von dem, wo er zuvor hingesehen, und sein Antlitz wenden gegen das, von dem er zuvor abgesehen, damit ihm tief innerlich werde, was ihm zuvor äußerlich gewesen, und, indem sich fernt, was in allzuvertrauliche Nähe sich an ihn herandrängt, das ihm Entfremdete wieder an die alte befreundete Nähe trete. Damit er also einem neuen Dasein erboren werde, muß wie in einem mystischen Sterben der Schwerpunkt seines Lebens sich verrücken; seine Liebe, die er auf die unrechte Seite hingelegt, muß sich zurücknehmen und wieder an die rechte Stätte geben, und SQ wird der wandernde Schwerpunkt an seinem Orte sich befestigen, und indem er nun allem anderen Ordnung und Folge gibt, wird das umgewandelte Dasein sich zurechtfinden und einrichten in der neuen Heimat, in die es eingewandert. Diese Wendung des ganzen Menschen in sich selber für eine neue Geburt — sie, das gemeinsame Werk des eigenen beharrlichen Willensentschlusses und der höheren führenden Gottesmacht — ist nun Zweck und Gegenstand seiner Bereitung durch die r e i n i g e n d e Mystik. 1. Ernährung Die Mystik, die da befreien und wiederherstellen will, muß den Verkehr der Leiblichkeit mit der äußeren Natur zunächst ins Auge fassen und ihn durch ihre Disziplin zu regeln unternehmen. Es ist aber dieser Verkehr in einem doppelten Prozesse, dem der E r n ä h r u n g und des A t m e n s, vermittelt; und die Elemente, die das Leben umfluten, gehen in ihnen aus und ein im Lebenshause und nähren, zurückbehalten und wieder ausgesendet, die Harmonie, die zwischen dem, was innen ist und außen, besteht. Und wie nun die unteren Elemente, zumeist in der Form von S p e i s e und von T r a n k , einquellen in den organischen Haushalt, wird die Aufmerksamkeit der Disziplin zunächst auf diese gerichtet 73

sein . . . Das Tierische vorerst, obgleich für sich auf eine höhere Stufe gestellt, widerstrebt doch im tiefsten Grunde der Aszese, und alles, was bis zu den äußersten Grenzen hin diesem Naturreiche angehört, ist von dem Gebiete der Mystik im allgemeinen ausgewiesen. Zunächst ist nämlich aller tierische Stoff schon durch einen eigentümlichen LebensprozeO hindurchgegangen und, indem das in diesem wirksame Leben sich ihn angeeignet, sein Eigentum geworden, das ihm ohne Zerstörung desselben durch Totschlag nicht wieder entzogen werden kann. Das Gewissen der alten Völker hat das Unrecht, das in einem solchen Raubmord liegt, gar wohl gefühlt und daher sich zur eigenen Beschwichtigung von der höheren Göttergewalt dazu ermächtigen lassen. Der Stier hat dort in Athen die Opferbrote auf dem Altar des Zeus Polios gefressen, darum wird er vom Tauion erschlagen; der Stierschläger flüchtet, aber der Fresser hat das Leben verwirkt und muß nun selber Speise werden; die Tat des Schlägers aber, alljährlich durch Richterspruch vor dem Prytanäum gesühnt, wird auf das Werkzeug gelegt, das sie vollbracht, und die Axt ins Meer versenkt. Aber nur aufs gewöhnliche Leben ist diese Erlaubnis ausgestellt, und es will sich geziemen, daß, wer über dasselbe hinaus will, Blut scheue und den Tod nicht zu seinem Speisemeister wähle. Aber andererseits will ihm auch Fleischesnahrung im allgemeinen nicht gedeihen: denn diese ist im Leben, das ihr früher eingewohnt, in die eigene Richtung übergebildet, und diese Richtung ist eben äußerer Naturausdruck des innen verborgenen Inhaltes tierischer Triebe, Kräfte, Leidenschaften und Instinkte, die alle in ihm Fleisch geworden und die, in ein anderes höherstrebendes Leben aufgenommen, in diesem ihrem Träger wieder eine Ueberleitung finden, um sich ihm einzuleiben... So sind also nur die mittleren Gebiete der weitgebreiteten Naturreiche, weil mystische Speise bietend, der mystischen Diätetik zugänglich; im Pflanzenreiche erwächst ihr vorzugsweise die gestattete Nahrung, da zu dem, was tiefer liegt, die Natur, zu dem höheren aber die Disziplin dem Leben den Zugang wehrt. Nur an einem Punkte hat vorzüglich die Aszese des Altertums einen Uebergrif! in die Tierwelt gestattet, indem sie M i l c h und H o n i g zur reinen mystischen Speise erklärt. Es ist aber die Milch zu dieser Würde gelangt, einmal weil sie eine freie Gabe des tierischen Lebens ist und ihm ohne Zerstörung desselben leicht sich abgewinnen läßt; dann weil in ihr als dem tierischen Lebenswasser die bestimmte Richtung, in der alles sonst Tierische herausgetreten, in Richtungslosigkeit sich aufgehoben und die also temperierte nun in ihrer 74

Milde einfach nährt, ohne zu überfüllen, und sich bestimmen läßt, ohne zu bestimmen. Der Honig aber, die liebliche Süße im Blütenkelch gemischt, entquellend der Blumenlippe, wenn sie die Sonne küßt, die schuldlose Frühlingsluft der Blütenwelt wie in einen Tropfen zusammengeronnen, von einem gleich schuldlosen, emsigen, tierischen Leben nur berührt, ohne von ihm befleckt zu werden, hat neben der Milch und noch über ihr dem Altertume als die unschuldige, reine Speise gegolten. — Beiden mystischen Speisen, von den äußersten Grenzen des Tierreichs hergenommen, fügen sich im W e i z e n und im W e i n e zwei andere bei, die recht der Mitte des Pflanzenreiches angehören und daher vorzugsweise den höheren Lebensformen sich zur Nahrung bieten... Im Weizen ist das Mark der Erde am unmittelbarsten aufgesproßt, und so erscheint er vor allem geeignet, Mark des Lebens zu werden und gesundes Fleisch im Organismus. Neben ihm aber hat die nahrungsprossende Erde noch ein anderes Gewächs hervorgetrieben, die Bebe nämlich, in der das milde Pflanzenblut sich zur Süße läutert, die dann durch einen anderen mystischen Naturprozeß sich zur höchsten Begeistigung im Weine klarifiziert. Blut und Nervengeist der Erde, ist daher der Wein dem organischen Blute und Nervengeiste am meisten kongenial und zu ihnen in den nächsten Rapport gesetzt... Daneben werden aber dann auch die anderen Früchte und Kräuter der Erde zulässig sein, und wir finden sie alle mehr oder weniger in die mystische Diätetik aufgenommen. *

Solche Enthaltsamkeit, wie sie uns in älterer Zeit in der Wüste und überall, wo Personen in mystische Zustände eingetreten, begegnet, finden wir auch allerwärts in neueren Zeiten unter gleichen Umständen wieder. R o s a v o n L i m a hatte schon als Kind den Genuß aller der Früchte, die in so großem Wohlgeschmack in Peru wachsen, sich untersagt; sechsjährig pflegte sie dreimal in der Woche nichts als Brot und Wasser zu kosten; seit ihrem fünfzehnten Jahre aber hatte sie den Genuß des Fleisches völlig aufgegeben. Sie kam bald dahin, daß, wenn man in Krankheiten sie mit irgendeiner ausgesuchten Speise erquicken wollte, man sie sogleich in Lebensgefahr brachte, während ein Bissen Brotes, in Wasser getaucht, sie bisweilen plötzlich wiederherstellte. Sie hatte, besonders in ihrer späteren Lebenszeit, das Jahr also sich eingeteilt, daß sie von Kreuzerhöhung bis zur Auferstehung sieben Monate hindurch nur einmal des Tages Brot und Wasser zu sich nahm, vom Beginne der Fasten an aber auch sich das Brot 75

entzog und nur von Pomeranzenkernen, jeden Freitag sogar nur fünfen an der Zahl, spärlich lebte, die übrige Zeit aber so wenig aufbrauchte, daß, was sie in acht Tagen verzehrte, kaum für einen zureichend schien. Einst hatte sie mit einem und zwar ziemlich kleinen Brote und einer Flasche Wasser sich fünfzig Tage lang begnügt, ein andermal diesen Zeitraum ohne einen Tropfen Wasser zugebracht. In ihrer letzten Lebenszeit pflegte sie Donnerstags in ihrem Betzimmer sich einzuschließen und verweilte in ihm drei Tage lang bis zum Sonntage, ohne zu essen, zu trinken oder zu schlafen, in einem Winkel sich im Gebet haltend, unvermögend, sich zu rühren oder einen Augenblick aufzustehen. Nicht zufrieden, also aufs Einfachste und Spärlichste sich gesetzt zu haben, war ihr auch noch die Lust im Genüsse dessen, was sie sich gegönnt, ein Anstoß; und sie gebrauchte daher bittere Kräuter aller Art, besonders die Blätter der Passionsblume, um der Speise diesen Reiz zu nehmen, während sie nicht kühles, sondern meist heißes Wasser trank. Und es war ein Wunder, daß sie von dem Fasten mehr Kräfte zu erhalten schien als von der nahrhaftesten Speise.1 So hat N i k o l a u s v o n d e r F l ü e , seit er seine Hütte in der Einsamkeit bewohnt, keine andere Nahrung als die Eucharistie zu sich genommen. Der Ruf dieser seiner Lebensweise war an die von Unterwaiden gekommen, und sie hatten der Erzählung davon keinen Glauben beigemessen. Man darf überhaupt nicht glauben, wie der Dünkel der gegenwärtigen Zeit sich eingebildet, der Zweifel an solchen Erscheinungen sei, bei der übergroßen Leichtgläubigkeit früherer Geschlechter, einem kommenden, in Aufklärung überklugen aufbehalten geblieben. Zu aller Zeit hat der Verstand gefühlt, daß durch dergleichen der sichere Boden, den er vorher unter sich gewußt, wankend geworden, und hat daher, der andringenden Unverständlichkeit solange als möglich sich erwehrend, alle Mittel, die ihm Gott gegeben, aufgeboten, um möglicher Täuschung auf den Grund zu sehen, und nur der Evidenz, und selbst dieser oft unwillig, hat er sich zuletzt gefügt. So hatte der Bischof Hugo von Lincoln im Jahre 1225, als die Nachricht an ihn gekommen, in Leicester lebe eine Nonne, die seit sieben Jahren keine Speise zu sich genommen und nur durch jene höhere Speisung, die sie alle Sonntage genossen, das Leben sich gefristet, der Erzählung keinen Glauben beigemessen und ihr fünfzehn Kleriker gesendet, die fünfzehn Tage lang unablässig sie im Auge hielten; und wie sie in all dieser Zeit, ohne irgendeine andere Nahrung zu genießen, doch immer bei Kräften sich

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erhalten und ihr Antlitz lilienweiß mit Rosenröte Überflossen geblieben, da hatte er erst sich überzeugt erklärt, beides wie es einem verständigen Mann geziemt. Ebenso hatten die Unterwaldener mit ihrem Einsiedler es gehalten; sie besetzten alle Zugänge zu der Hütte einen Monat lang und überzeugten sich endlich, daß nicht bloß in dieser Frist keine Nahrung ihm zugetragen worden, sondern auch keines Menschen Fuß seine Einsamkeit betreten. Da das indessen dem Bischof von Konstanz noch nicht Genüge geleistet, hatte er seinen Weihbischof zum Bruder hingesendet; und da der Kommende, verwundert, ihn nach so langer Enthaltung so frisch und lebendig zu finden, nach der Frage, welche Tugend er für die höchste erachte, die Antwort erhielt: den Gehorsam, hatte er sofort ein Brot ihm dargereicht mit dem Befehle, zu tun nach der Rede, die er gesagt. Der Klausner hatte Folge geleistet; aber gleich der erste Bissen, den er verschluckt, hatte das heftigste Erbrechen erregt, und die physische Unmöglichkeit war bald der weiteren Vollführung des Gebotes in den Weg getreten. Der Bischof aber hatte auch dem Boten nicht geglaubt, und erst als er sich zum Einsiedler begeben, durch den Augenschein sich überzeugen lassen. Der Bruder aber, als man ihn befragt, wovon er denn das Leben sich erhalte, hatte erwidert: wenn er bei der Messe zugegen sei oder selbst die Eucharistie zu sich nehme, fühle er eine Kraft und Lebensfülle und Süßigkeit, daß ihm davon im Ueberfluß Sättigung werde. Gegen die Vertrauteren hatte er oft geäußert, daß auch schon die bloße Betrachtung diesen Einfluß übe, so daß, wenn er das Leiden des Erlösers anschaue und den A t e m des Sterbenden in der Brust auffasse, dieser ihn dann im Innersten durchdringe und auf lange hin stärke.® Ganz in gleicher Weise hat ähnliche Lebensweise bei der heiligen K a t h a r i n a v o n S i e n a zu gleichem Ziel geführt. In früher Jugend beginnend, hatte sie bis zu ihrem fünfzehnten Jahre nur roten Wein mit Wasser so verdünnt, daß ihm allein die Farbe geblieben, getrunken und sparsame Speise dazu genossen. Ueber diese Zeit hinaus hatte sie dann mit bloßem Wasser und Kräutern sich begnügt, um das zwanzigste Jahr sich auch des Brotes enthalten und dann, ohne daß die Kraft ihres Leibes versiegt und gebrochen worden, alle äußere Nahrung sich versagt. Sie wurde dagegen erweckt, das Sakrament oft zu empfangen, das aber, wie es ihr ein Zunder immer größerer Liebe wurde, so auch diese in ihr bei erhöhter Empfindlichkeit immer schmerzlicher machte, so daß sie jedesmal beim Empfange große Pein litt. Aber zugleich durch77

strömte ein höherer Trost damit ihre Leiblichkeit, also daß ihr Körper nicht allein keiner Speise begehrte, sondern auch schlechterdings keine vertragen konnte; und wenn sie je über Vermögen etwas zu sich nahm, empfand sie große Schmerzen und konnte nichts bei sich behalten. Wie gewöhnlich in solchen Fällen war ob dieser Gabe viel Gerede unter die Leute und ihre Verwandten gekommen; diese gingen dann deswegen vielfältig ihre Beichtväter an, und d i e , selber zweifelnd, geboten ihr nun wiederholt, zu tun wie andere Leute tun und Speise zu sich zu nehmen; sie kam aber jedesmal beinahe in Todesgefahr. Sie versuchte bisweilen sich mit den anderen zu Tische zu setzen und quälte sich ab, einiges hinunterzubringen; aber wenn sie es auch nur kaute und den Saft allein verschluckte, wurde alles unter unsäglicher Pein, daß es den Gegenwärtigen ein Erbarmen war, wieder ausgewürgt. Nach vielfach versuchten und wieder versuchten Proben ließ man sie endlich gewähren; sie nahm nun nichts als bloßes Wasser zu sich, legte aber vor den Leuten es sich zu einer Strafe ihrer Sünden aus. Dagegen gewann auch sie jedesmal durch den Genuß des Sakramentes unglaubliche Kraft und Stärke; das bloße Anschauen desselben, ja auch nur die Priester, die es denselben Tag gehandhabt und Messe gelesen hatten, taten oft dieselbe Wirkung; und mehr als einmal, wenn sie todschwach gewesen, sah man plötzlich sie dadurch wieder zu Kräften kommen, aufstehen, gehen und ohne Beschwerde irgendein anstrengendes Liebeswerk verrichten.» *

Privilegierte nennen wir diese Menschen, weil sie sich nicht in ihre Bestimmung eingedrungen und, des Rufs dazu erharrend, sofort auch die Leitung von oben herab erlangt. Man wird sich nicht einbilden, daß ihre Natur eine andere als die gemeinmenschliche gewesen; diese aber neigt von selber nicht auf solche Wege. Auf Lust gerichtet, hat sie vor jeder Unlust Abscheu, und ihr schaudert vor solchen Qualen; instinktartig erwehrt sie sich alles dessen, was alle ihre Gefühle so hart verletzend auf sie angeht; und weist sie es nicht mit Anstrengung aller ihrer Mittel ohne Umschweif ab, dann weiß sie tausend Wege, es zu umgehen. Wird also dieser Naturschrei im Menschen besiegt, dann muß es ein Stärkerer sein, der zu diesem Sieg gestärkt, und dieser selbe muß dem mit sich streitenden Leben eine Sicherheit und Gewähr gegeben haben, auf die es, festen Glaubens vertrauend, den harten Kampf begonnen. Solches aber kann nur der Geist von oben, dieser hat sie daher in diese Kampfbahn eingeführt... Darum, so geht 78

denn ihr immerhin auf den Wegen, die euch bereitet sind, aber laßt die anderen auf den ihrigen gewähren: sie haben vor allem die Harmonie mit Gott gesucht, sicher, daß ihnen dann zuletzt in ihm auch die aufgegebene Harmonie mit der Welt zufallen werde. Eure Aufgabe ist, die rechte Harmonie mit der Welt aufzusuchen, denn im tiefsten Grunde derselben ist die Harmonie mit Gott verborgen, und die wird euch dann gefunden sein. Inzwischen ist nicht zu leugnen, daß, ist einmal die umschreibende Linie natürlicher Lebenszustände durchbrochen, in dem schrankenlosen Gebiete, das sich nun öffnet, das Maß und die Unterscheidung zwischen dem Treiben des höheren Geistes und dem eigenen übertreibenden Eifer schwer zu finden sei. Der Besitz des Leibes ist keine Allode; er hat die Natur des zu Lehen übertragenen Eigentums; nur über die Zinsen, und auch die nicht unbedingt, können wir verfügen: denn auch er ist zu einer höheren Verklärung vorbestimmt. Manche haben aber, wohl von großem, aber unbehutsamem Eifer hingerissen, mit ihm nicht bloß wie mit einem unbedingten Eigentum geschaltet, sondern es läßt sich bisweilen an, als sei mitunter in einem Anfluge manichäischer Täuschung, die in ihm ausschließlich den Grund alles Bösen sucht, auf seine Zerstörung hingearbeitet worden: was grell und nackt bei manchen Sekten des Mittelalters hervorgetreten. Darum hören wir wohl bisweilen den Mund unzweifelhafter Heiligen sich selber strafen, daß sie, des rechten Maßes verfehlend, die Macht ihrer Natur allzu sehr gebrochen und dadurch des Werkzeuges für das tätige Leben sich selbst beraubt. Eine allgemeine Regel ist indessen weder für die Uebung noch auch für die Beurteilung festzusetzen, da alles von der Eigentümlichkeit der Natur abhängt und, was die schwächere schon zerrüttet, kaum hinreicht, um die stärkere nur einigermaßen zu bändigen. 2. Leidensmut Solcherart sind die inneren Kämpfe, welche die Wanderer auf der engen, steilen Bahn zu kämpfen haben; aber zur gleichen Zeit wollen auch andere mit der äußeren Umgebung ausgestritten sein. Neben der allgemeinen, äußeren, physischen Natur, in die sie sich aufgenommen finden, sind sie auch einer moralischen als untergeordnete Glieder eingefügt und helfen, zusamt den anderen, den großen gesellschaftlichen Organismus ebenso zusammensetzen, wie sie andererseits integrierend in das äußere Naturganze eingehen. Aber dadurch, daß sie über beide Gesellschaften hinaus, tiefer denn die anderen, in einem 79

dritten unsichtbaren Reiche Einbürgerung erlangt, finden sie in jenem unteren Doppelverbande ganz anders sich gestellt als jene, die dem einen mit ganzem Leibe, dem anderen mit ganzer Seele angehören. Die Natur ihrerseits nämlich geht ihre gewiesenen Wege und kümmert sich um keine Mystik; der geistige Gesamtverband ist auch nichts weniger als mystisch gestimmt: das reißende Tier in ihm geht lauernd durch die Nacht, während das jagdbare durch die Wälder und über die Höhen streift, das zahme aber im Pfluge geht oder auf dem Anger weidet: innen aber der rechnende Verstand als Hausmeister buchhält und die nötigste Zucht besorgt. Was sich nun zu dieser Ordnung hält: Gewaltsames in sich dem Gewaltsamen, Zahmes dem Zahmen beigesellend und dem Imperativ des Oekonomen sich fügend, das gedeiht leidlich, physisch und moralisch in Gesundheit und Wohlbehagen. Da erscheinen aber nun diese Fremdlinge, wie Meteore einer höheren Welt, in Mitte dieser Ordnung, die ihnen eine Unordnung ist, wie sie ihr ein Aergernis, und finden natürlich keine Stätte sich bereitet. Sie haben nicht irdische Schwerkraft genug in sich, um in die auf sie eindringenden Verhältnisse scharf einzuschneiden, das allzu Zudringliche von sich abzuwehren und, mit dem Unabwendbaren langsam sich setzend, auf Erden einen sicheren Fuß zu gewinnen. Mehr des Fluges gewohnt als ruhig gemessenen Ganges, fühlen sie vielmehr bald sich aufgehoben und wie Vögel, die in den Sturm geraten, von der Macht unbemeisterter Elemente hingerissen und hin und hergeworfen. Nach einem anderen Grundtone ausgestimmt, finden sie bald nach allen Seiten hin sich von Mißklängen berührt, und das Fremdartige in ihnen will nirgendwo recht passen und zusammengehen. So Natur wie Gesellschaft fühlen beide in der ihnen eigentümlichen Heimat sich allzu stark, um durch ihre Nähe sich im mindesten irren zu lassen; sie also, die Eingedrungenen, die kaum das Recht der Schutzgenossen genießen, müssen es entgelten und büßen; und wie das physische Mißverhältnis sich in Krankheiten, Gebrechlichkeiten und Schmerzen aller Gattungen an ihnen ausläßt, so das moralische durch Heimsuchungen und Prüfungen anderer Art, die sie nun als solche, die da zur weiteren Bereitung der noch ungebrochenen Natur über sie verhängt und ihnen aufgelegt sind, in Ergebung hinnehmen müssen. Wie hart angefaßt sie also immer sich fühlen, wie tief einschneidend, versehrend, ja zerreißend ihre wunden Sinne die Einwirkung dieser Verhältnisse empfinden mögen: sie werden das alles, als sei es eine Lebensbedingung ihrer Persönlichkeit, hinnehmen müssen; und es wird dann erziehend, läuternd, reinigend wirken und somit als reinigendes 80

Mittel in die mystische Disziplin aufgenommen sein. Es wird nicht nötig sein, dies weiter in vielen Worten auseinanderzusetzen; wir dürfen nur zum Belege einige der merkwürdigeren Fälle hier anführen. Man erzählt, daß, wenn bisweilen in der Südsee Seefahrer auf Inseln gelandet, die, seit sie aus den Wellen sich erhoben, noch keines Menschen Fuß betreten, die ungewohnte Erscheinung die ganze tierische Bevölkerung allumher in Neugierde und Verwunderung aufgeregt. Aus Waldesdunkel kamen dann die Vögel angeflogen, umkreisten in Scharen die Häupter der Fremdlinge und setzten sich ihnen wohl auf Arm und Schultern; selbst die Bewohner der Tiefe, Seehunde und was sonst der Sippschaft angehört, stiegen aus dem Grunde an die Ufer, um mit trübem Auge das neue Weltwunder sich zu beschauen. Nicht anders geschieht es auch solchen, die, auf einsamen Pfaden gehend, das Leben nicht auf gemeiner, offener Heerstraße durchwandern. Lange ziehen sie unbemerkt oder ignoriert dahin; werden sie aber endlich durch die Lichtspuren, die ihre Fußstapfen zurücklassen, entdeckt, dann stürzt alles auf sie ein; dann geht es an ein Schauen und Forschen, an ein Zerren und Betasten, daß sie bald vom Schicksale jenes alten Propheten, der in die Hände der Thyaden gefallen, sich bedroht sehen. Jeder drängt sich heran, um den Geist zu erforschen, von dem sie getrieben werden; jeder deutet das Unbegreifliche sich nach seiner Weise: Wahnwitz, Betrug, Selbsttäuschung, natürliche Magie, Magnetismus, auf alles, nur auf das Rechte nicht, wird hingeraten. Nach allem Gaffen, Untersuchen und Versuchen bleibt darum auch das Wunder unbegriffen in seiner Beschlossenheit, gleichsam spottend der Ueberklugen, die gleich den Lalenbergern ausgezogen, um mit Netzen den Mondschein sich einzufangen, deren groben Fäusten aber jedesmal der Geist entschlüpft, wie sie ihn gefaßt zu haben glauben. Die aber, welche diesem massiv experimentierenden Vorwitz in die Hände zu fallen das Unglück haben, sind dann freilich auf den Seziertisch wie zur Vivisektion ausgestreckt und dürfen kaum zucken unter dem Messer, das in ihren Eingeweiden wühlt. Sonderbare, ungewöhnliche Wege geführt, müssen sie es sich gefallen lassen, daß die Welt daran Anstoß nimmt, und es ist ihnen nimmer gestattet, große Vorkehr zur Rechtfertigung zu treffen, oder auch die Mißgunst, die Bosheit, den Neid, die sie umlauern, auf eine bessere Meinung von sich zu bringen. Schon der bloße Zudrang, der sich um sie her sammelt, ist ihnen eine harte Plage; ihrer Stille und Einsamkeit mit Gewalt entrissen, sind sie mit einem Male in die Mitte des Getümmels, das sie so sorgfältig geflohen, zurückversetzt; ja, sie sind wie in die Görres-Mystik

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Geleise der Landstraße hineingelegt, gehörnt und ungehörntes Vieh, Roß und Wagen, Reiter und Fußgänger, alles zieht, reitet, fährt, stolpert, rasselt über sie daher, und sie müssen es mit aller Geduld über sich ergehen lassen; denn jedes ungeduldige Ueberwallen würde an ihnen innerlich aufs härteste geahndet werden. Am allergefährlichsten für sie ist aber der Zudrang der Massen des Volkes, die in gläubiger Einfalt ihnen mit Verehrung nahen und, indem sie an ihnen sich erbauen, wie zu Heiligen im Leibesleben beten und sie dadurch an den Rand eines Abgrundes drängen, wo ein Augenblick eitler Selbstbespieglung sie um die Früchte der Beharrlichkeit vieler Jahre bringt. Die Lebensberichte über die Mystischen sind voll von solchen Nöten; statt aller anderen führen wie hier nur an, was in dieser Art mit der C o l u m b a v o n R i e t i , freilich zum Teil veranlaßt durch ihre seltsamen Führungen, sich begeben. C o l u m b a war 1467 geboren in Reate, der alten Urheimat der Aborigener. In frühester Jugend schon war der Geist über sie gekommen und hatte auf die Wege sie geleitet, die so viele andere vor und nach ihr gegangen. Jede Entsagung, jegliche Art von Bußwerken hatte sie früh geübt und war dadurch vor der Zeit zur Reife gelangt. Im zwölften Jahre war die geistige Verlobung bei ihr eingetreten, nachdem sie jede weltliche von sich abgewiesen, unter dem heftigsten Widerstande ihrer Eltern und Verwandten, wobei sich die ekstatischen Zustände bei ihr häufig und immer häufiger eingestellt. Beim Eintritte ihres zwanzigsten Jahres halte sie in den Dominikanerorden sich aufnehmen lassen, jedoch nur in freier Verbindung ohne eigentliche Ablegung der Gelübde, nach der Weise der Tertiarier, außerhalb des Klosters mit anderen ihrer Art, unter der geistlichen Leitung eines seiner Mitglieder lebend. In solcher Lebensweise wurde ihr eines Tages ein Gesicht gezeigt: sie erblickte sich am Taufbecken der Kathedralkirche von Rieti; ihr zur Seite ihr OrdensheHiger samt der heiligen Katharina, die ihr auf einen vor ihr liegenden breiten, gerade ausgehenden Weg deuteten, der an einer Dominikanerkirche endete, und sie vernahm zugleich die Worte: Gehe aus von hier, um nicht mehr zurückzukehren, und komme zu dieser meiner Kirchel Sie sah verwundert zu den Heiligen auf, neigte sich vor ihnen, war aber furchtsam und wußte nicht, was sie beginnen solle. Fürchte nicht, war die Erwiderung, der Herr wartet dort deiner; zögere nicht, denn es dient zu deinem Heile, wir werden mit dir sein! Sie faßte nun Mut und begab sich auf den Weg, sah aber bald niemand mehr als zwei Drachen, die ihr den Weg verlegen wollten; wie sie aber zum Herrn um Hilfe 82

rief, griffen die Bestien sich untereinander an und ließen ihr freie Straße. Sie ging weiter, und bald drang aus Waldesdunkel eine Menge greulicher Tiere auf sie ein; Füchse, Wölfe und andere, die sie nie gesehen, umgaben sie; aber ein großer Hund zeigte sich und verscheuchte sie durch seinen bloßen Anblick. Als sie, betroffen über die Gefahren, zu wanken anfing, erschienen ihr die beiden Heiligen, ihr Mut einsprechend. Und wie sie in ihrer Mitte gegen die Kirche ging, kamen Raubvögel an sie herangeflogen, als ob sie ihr die Augen ausreißen wollen; sie aber, nun ermutigt, machte keine Bewegung, sie abzuwehren, lockte sie vielmehr auf sich heran. Wie sie aber nun miteinander der Kirche nahten, sah sie viel Volkes in den Türen stehen beiderlei Geschlechtes; die stritten miteinander und sahen sie mit wilden, schreckenerregenden Augen an, als ob sie ihr den Zugang wehren wollten. Sie trat inzwischen ein in die Kirche und sah sie nun gedrängt mit Heiligen und Engeln angefüllt, die anbetend vor der Jungfrau mit dem Kinde sich neigten. Es war das Gesicht ihres ganzen Lebens, das ihr gezeigt worden; sie verstand das gar wohl, und deutend die Kirche ihrer Vaterstadt auf den Anfang, die andere, zu der sie gewiesen worden, als das Ziel ihrer Laufbahn, urteilte sie, es sei ihr gesagt, wie dort dem Stammvater der Hebräer: Gehe aus von deinem Geschlechte und aus deiner Heimat in das Land, das ich dir zeigen werde, und sie rüstete sich sofort zur Vollziehung des Gebotes. Sie deutete bald ihrer Mutter die Nähe ihres Hinwegganges an, und die erschrak über die harte Rede, die sie auf bevorstehenden Tod auslegte; besonders als die Tochter deswegen Messen lesen ließ. Als die Zeit herangekommen, hatte sie am Vorabend ihrer Fahrt sich ein Osterlamm bereiten lassen und zwölf ihrer geistlichen Schwestern dazu eingeladen. Sie hielt mit ihnen dann ein heiteres Mahl, wusch ihnen die Füße, alle Mysterien des Erlösers an jenem Abend bei sich überlegend, und entließ sie nicht eher, bis sie ihnen Lebewohl gesagt und sich in ihr Gebet empfohlen. Am folgenden Morgen kam sie um ihre gewohnte Stunde nicht zum Vorschein; die Mutter wartete bis mittag, ging dann sorgenvoll vor ihre Kammer und, da sie auf ihren Ruf keine Antwort erhalten, hob sie oben auf dem Boden ein Brett auf, das die Decke ihres Zimmers bildete, und sah nun das Zimmer bei verschlossener Türe leer. Als diese erbrochen war, fanden sie ihre Kleider in Kreuzesform auf dem Boden ausgestreut, gleich der abgelegten Schlangenhaut; von ihr selber war keine Spur zu finden. Die Nachricht von dem, was geschehen, verbreitete sich bald im Orte; neugierig lief das Volk herzu, und da sie die Eltern 6*

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in Tränen fanden, konnte keiner von allen, die gekommen, des Weinens sich enthalten. Es schien allen unbegreiflich, wie sie bei geschlossenen Türen und Stadttoren also nackt davongegangen; und die Sache wurde nur noch unerklärbarer, als man nach den genauesten Nachforschungen keine Spur von ihr gefunden. Es ging zwar die Rede, sie sei im Geiste zur Einsiedelei eines heiligen Mannes bei Spoleto geführt worden und habe dann, nach einer gehabten Unterredung mit ihm, sich entfernt. Eine Frau wollte auf der Landstraße sie gesehen haben im Gefolge eines großen Hundes, aber man kam auf nichts Gewisses. Sie selber erzählte in der Folge auf Befragen ihrem Beichtvater: Sie habe sich nach ihrer Gewohnheit dem Gebete hingegeben; da sei sie, ohne daß sie wisse, wie ihr geschehen, ihrer alten Gewände entkleidet und mit anderen angetan worden, und so habe sie, wieder ohne zu wissen wie, auf der Straße sich gefunden. Als sie auf ihr nun einer Stadt, wahrscheinlich Spoleto, genaht, sei ihr ein Mann begegnet, der sie in sein Haus unfern der Landstraße zu Frau und Kindern eingeladen. Da sie ihm gefolgt, habe er sie in ein leeres Gebäude geführt, gegen die Fragende die Abwesenheit der Seinigen durch irgendeinen Vorwand entschuldigt und sei dann, sie einschließend, davongegangen, baldige Rückkehr versprechend. Es hatte aber gerade damals in einem benachbarten Königreiche (Neapel) ein Geistlicher die einzige Tochter eines angesehenen Mannes entführt; dieser hatte rund umher Steckbriefe der Entwichenen, mit großen Versprechungen für die Finder, nachgesendet; und das war einigen ausgelassenen jungen Leuten als eine günstige Gelegenheit erschienen, zugleich ihre Habsucht und ihre Lust an der Gefundenen zu büßen; und dafür hatten sie jenes Haus zu ihrem Hinterhalt, den Mann aber zu ihrem Späher gewählt. Columba, als sie sich allein gefunden, hatte sich ins Gebet begeben, vertrauend, daß ihr von oben Hilfe kommen werde. Der Mann kam bald mit allem zu einem Gelage Notwendigen zurück; mit ihm auch jene jungen Leute, die sogleich bei ihrem Anblick, weil Alter und Schönheit zusammentrafen, die Gesuchte in ihr gefunden zu haben glaubten. Sie redeten sie mit schmeichelnden Worten an und fragten sie nach der Heimat und dem Ziele der Reise und ob sie Klaretta aus dem Reiche sei. Sie schwieg eine Zeitlang; als sie aber stärker in sie drangen, sagte sie: Ich bin allerdings Klara, aber vom größeren Reiche, und gehe, wohin mich mein Meister berufen. Die Jünglinge wurden durch diese Worte nur noch hitziger und erpichter, boten ihr Kleider und Geschmeide und baten und beschwuren sie, daß sie ihnen hier in der Verborgenheit, von 84

niemand gesehen, zu Willen werde. Der Ausdruck von Zucht Und Würde, der in ihrem Antlitz lag, jagte ihnen indessen, ohne daß sie wußten wie ihnen geschah, eine gewisse Scheu ein, und sie hörten eine Weile schweigend an, wie sie ihnen von den Höllenstrafen, von Kürze der Lust und der harten Ahndung redete; bald aber unvermögend, den Ungestüm ihrer Leidenschaften länger zu mäßigen, brachen sie mit den Worten auf sie ein: Nun du an deinen Liebhabern dich gesättigt, lügst du Keuschheit und Enthaltsamkeit, aber lebendig oder tot mußt du unser sein! Wie sie aber der Wütenden sich erwehrte, wurde sie unter ihren Händen wie Stein, und sie vermochten sie nicht von der Stelle zu bewegen. Blind indessen vor Lust und Eifer, wollten sie ihr die Kleider wegreißen; da sie über diesem Bestreben ein Klingen an ihr vernahmen, wähnten sie, es sei Geld, und wurden nur um so hastiger; wie sie aber ihr Brusttuch geöffnet, fanden sie ein Kruzifix, Reliquien und eine Geißel. Als sie bestürzt die Kleider ihr weiter durchschnitten, sahen sie sie mit einem Zilizium angetan und um die Lenden mit zwei eisernen, drei Finger breiten Bändern gegürtet, während zwei einschneidende Eisenketten über der Brust sich kreuzten. Vom Schrecken des Herrn geschlagen, flohen sie entsetzt von dannen und haben in kurzer Zeit einer nach dem anderen den Tod gefunden. Der Elende aber, der sie ihnen zugeführt, warf sich ihr zu Füßen, flehte um Verzeihung und geleitete sie bis in die Vorstadt von Trevi, wo er ihr Frauen zum Geleite nach Foligno gab und dann in der Folge sein Leben besserte. In Foligno kam sie ins Kloster der Klarissinnen, die, verwundert wie sie hereingekommen, sich erkundigten, wer sie sei und von wannen sie gekommen. Sie sei eine Schwester, erwiderte sie auf diese Frage und verschwieg alles andere. Wie sie die Jungfrau nun also schweigsam, .dabei schön und anmutig, zugleich aber dem Gebete sehr zugetan fanden, stieg ihre Verwunderung; mehr noch, als sie keine Speise zu sich nehmen wollte. Sie meinten nun, nach der Frauen Art, ihr Herz leide vielleicht an Liebesnot, redeten ihr darum mit freundlichen Worten zu, lachten sie an, suchten mit Scherzen sie zu ermuntern und sprachen ihr zu, sich nicht verschmachten zu lassen. Da all ihr Zureden aber nicht fruchten wollte, lehnten sie, ihr freundschaftlich Gewalt antuend, das Haupt zurück und suchten ihr mit einem Löffel ein Konfekt von Anis beizubringen, das sie inzwischen ausspie. Doch saugte sie eines Tages, um ihnen zu Willen zu sein, an etwas Gemüse und trank Wasser dazu, redete aber sonst, mit ihnen zusammensitzend, von göttlichen Dingen, so daß alle in Tränen zerflossen. 85

Inzwischen war ihre Ankunft dem Podesta der Stadt bekannt geworden, und der sandte einen zu ihr, um sie zu befragen, ob sie jene vielgesuchte Klaretta sei. Lächelnd erwiderte sie: sie sei eine Klara, aber nicht jene, die sie suchten; in Wahrheit aber, setzte sie hinzu, bin ich Columba von Rieti und gehe, wohin mich mein Meister ruft. Es wurde sofort nach Rieti geschrieben, worauf ihr älterer Bruder mit einigen Gewaffneten herüberkam, willens, sie umzubringen. Er kehrte indessen, nachdem er sie vielfach mißhandelt hatte, wieder heim und ließ sie dort zurück, wo sie bald der Stadt ein Wunder galt. Die Nonnen beobachteten sie genau bei Tage wie zur Nachtzeit, sahen sie aber immer wachend, betend und sich kasteiend; und die Matrone, die sie in ihre Zelle aufgenommen, beteuerte, sie mehrmals anderthalb Ellen hoch in der Luft schwebend gesehen zu haben. Ihr Orden tat nun Vorsehung für sie; einige Ordensbrüder wurden abgesendet, und der Prior, der ihr früher den Habit zugeteilt, führte sie im Geleite einiger ehrbaren Frauen, da man übereingekommen, dem Rufe Gottes zu folgen, den Weg, den sie selbst angab. Sie kamen so nach Assisi, dann an den Tiber, wo sie von den Müllern aufgehalten wurden, und erreichten zuletzt Perugia. Dort fanden sie das ganze Volk aufgeregt; alles strömte ihr, wie vom Geiste ergriffen, entgegen; die Heilige, die Heilige kommt, auf und ihr entgegen! Männer und Frauen und Kinder in Haufen führten sie wie im Triumphe ein. Dort blieb sie nun allen durch ihre Einfalt, ihre Frömmigkeit und ihre Ekstasen ein Gegenstand der Verwunderung, und man beschloß, da auch andere Städte um sie buhlten, damit sie dort befestigt werde, ihr ein Kloster zu erbauen. Und es geschah, wie sie Rats geworden, und sie wurde Vorsteherin von etwa fünfzig Schwestern, die sich um sie versammelt hatten, nachdem sie im Jahre 1490 in ihrem dreiundzwanzigsten Jahre ihre Gelübde abgelegt. Wenn in solcher Weise durch die Begeisterung des Volkes sich in so kurzer Zeit ihr Gesicht erfüllte, so war ihr darum die Zustimmung der Einsichtigen, selbst in ihrem Orden, nicht so leicht gewonnen. Ein zwanzigjähriges Mädchen, das in einer Zeit, wie die laufende, der Alexander VI., durch seine Ausschweifungen verrufen, so nahestand — einer Zeit geistiger Auflösung, wilden Parteikampfes und kirchlicher wie politischer Zerrüttung — einsam auf den Landstraßen wandelte, in verdächtigen Häusern Abenteuer bestand und für dies seltsame Tun und sein Entweichen aus dem väterlichen Hause keinen anderen Grund angab als das Treiben des Geistes, der sich dieser seltsamen Führung angenommen: mußte bei allen, die, tiefergehend, von der leicht dem Irrtum unterworfenen 86

Begeisterung der Massen sich nicht bestechen ließen, großes Bedenken erregen; am meisten unter einem klugen, scharfsinnigen, genau aufmerkenden Volke wie die Italiener. Durchaus war sie daher von den älteren Geistlichen und den ersten Theologen mit Mißtrauen angesehen; schon öfter gewitzigt, nahmen sie billig großen Anstand, dem, was ihnen gefahrdrohend schien, ohne Rückhalt sich hinzugeben; sie wollten daher nichts wissen von ihr, betrachteten, was ihnen von ihr hinterbracht wurde, als verdächtige Neuerung und Aberglauben, erklärten sie für eine heuchelnde Vagabundin, die des Gewinnes wegen sich in der Welt umtreibe, glaubten nicht an ihre Enthaltsamkeit und suchten sich in glimpflicher Weise von ihr loszumachen, damit nicht etwa der Orden durch ihre Schuld beeinträchtigt werde. Unter diese Zweifler gehörte auch ihr späterer Beichtvater und Lebensbeschreiber, Sebastian von Perugia, der, als er mit dem damals noch jungen Cäsar Borgia zugegen gewesen und mit ihm Zeuge, wie sie ein sterbendes, erblindetes Kind zum Leben und zum Augenlichte erweckt, da der Jüngling deswegen die Glocken läuten wollte, ihn beschwichtigte mit den Worten: Nicht also, diese Schwester ist eine Fremde, Zugelaufene, noch Neuling im Orden, und wir wissen nicht, wenn sie gleich sagen, sie enthalte sich des Essens, ob sie heilig sei. Arg ist des Menschen, besonders der Weiber Bosheit; viel sind der Täuschungen und Ränke, womit sie die Gemüter berücken und verführen: sehen wir darum zehn Jahre zu, um ein sicheres Urteil über ihre Tugend und Heiligkeit zu fassen! Dieser Ansicht gemäß ließ man sie nun in all ihrem Tun und Lassen aufs genaueste beobachten, sandte ihr Leute von mancherlei Art, um ihren Geist zu prüfen und ihr Inneres zu erforschen; ihr wurde vielfach, insbesondere vom Bruder Sebastian, ins Herz geredet, nicht durch Lügen, Erdichtungen und ein leichtsinniges Leben sich die Verdammnis und dem Orden Schande zu bereiten. Sie antwortete auf alles mit Einfalt und heiterer Gelassenheit. Es geschah aber, daß der ordentliche Beichtvater der Schwestern erkrankte und Sebastian an seiner Stelle eintreten mußte und somit ihre Seelsorge erhielt. Das bedünkte ihm eine günstige Gelegenheit, sich über seine Zweifel Gewißheit zu verschaffen, und er traute sich Verschlagenheit genug zu, wenn etwas Unklares oder Unreines vorgefallen, sie darüber zu ertappen und dann mit Vorsicht sie zu beseitigen, mit dem Vorbehalte jedoch, ihr die Anerkenntnis nicht zu versagen, wenn sie auf rechten Wegen gehe. Als er daher ihre erste Beichte hörte, ließ er sie eine Zeitlang reden und sagte dann: Was sie dort gesprochen, sei einfältig und von der 87

Art, wie es wohl häufig vorzukommen pflege: seien wir vorsichtig, daß wir auf unserer Fahrt nicht in die Grube stürzen! Ich weiß nicht, wie meine Vorgänger es in diesen Dingen gehalten haben; es wird daher ratsam sein, daß mir eine klare Ansicht des ganzen früher geführten Lebens von Jugend auf gegeben werde, damit ich für die Zukunft ein sicheres Urteil zu fällen imstande bin. Sie erwiderte, daß sie mit Freude seinem Rate folge, und nachdem sie die nötige Zeit zur Vorbereitung sich genommen, entfaltete sie vor ihm ihren ganzen Lebenslauf. Punkt vor Punkt wurde alles, so Lebensweise wie Vergehen, aufs genaueste erörtert; bald sprach er ihr mit milden, liebreichen und herzgewinnenden Worten zu; dann suchte er sie mit den Schrecken von jenseits herüber zu erschüttern; dann wieder durch Erinnerung an die ewigen Güter sie zu bestimmen. Je tiefer er in ihr Gewissen drang, je mehr sie die innersten Falten ihres Herzens vor ihm entschleierte, mit um so größerer Freude, Ueberraschung und Erstaunen mußte er ihre Unschuld und Reine bewundern; er hatte nicht e i n e schwere Schuld an ihr gefunden. Indessen begnügte er sich noch keineswegs mit diesen Aufschlüssen; als ihr geistlicher Vater wieder genesen, nahm er Abrede mit ihm und ihren früheren Beichtvätern; sie sandten überall vorsichtige, vertraute Leute aus zu ihren Freunden und Bekannten und an alle die Orte, die sie durchwandert; sie untersuchten alles aufs genaueste und fanden es, wie sie gesagt, durch viele Zeugen bewährt. Er beobachtete überdem ihre ganze Lebensweise; sie mußte ihm entdecken, welchen Bußwerken sie sich unterziehe, und gestatten, daß er sie ordnete nach seinem Gutbefinden. Er hatte alles getan, was ein verständiger Mann tun kann in solchem Falle; wurde er nichtsdestoweniger betrogen, dann war keine Wahrheit mehr auf Erden und nichts denn Trug im menschlichen Herzen. Er mußte sich indessen nun seinerseits gefallen lassen, daß diejenigen, denen so anschauliche Ueberzeugung nicht werden konnte, ihm vorwarfen, er habe sich durch Altersschwäche von ihr betören lassen. Columba lebte unterdessen fort am Orte ihres Aufenthaltes, vom Volke umdrängt und als eine Heilige und Prophetin des Herrn verehrt; sie unterrichtete, erbaute, betete, übernahm dräuendes Unglück, warnte gegen bevorstehende Gefahr und verkündete bisweilen Glück und Sieg. Es war, sieht man, damals in den italischen Städten eine Art Wetteifer, sich solche Sibyllen zu gewinnen, um in den verworrenen Zeiten, wo alles brach und riß und auseinanderfallen wollte, sich eine Art von Halt zu verschaffen; wie daher Perugia diese, so ehrte aus gleichem Grunde Narni die Lucia, Mantua die Osanna, 88

andere Orte wieder andere. Es begab sich aber im Jahre 1495, daß der Papst Alexander VI., aus Furcht vor König Karl von Rom flüchtend, nach Perugia kam. Ihr Ruf war, wie natürlich, zu ihm gedrungen und, nachdem er den Gottesdienst in der dortigen Predigerkirche abgehalten, hatte er nach ihr gesendet. Sie kam an der Spitze ihrer Schwestern; kaum konnten dieHatschiere des Papstes durch das Gedränge ihr den Weg zum Throne des Kirchenfürsten im Chore öffnen. Als sie endlich dem Papste, umgeben von den Kardinälen, genaht, kniete sie nieder auf der Stufe seines Stuhles, faßte den Saum seines Gewandes, um ihn zu küssen, wurde aber sogleich unbeweglich gleich einem Steine. Alle ihre Mitschwestern wurden dem Papste vorgestellt und gingen dann ab in der Ordnung, wie sie gekommen. Sie beharrte immer noch in gleicher Stellung. Ihre Mutter, die man gleichfalls herzugeführt, wurde über sie befragt; immer noch hielt sie den Saum des Gewandes so fest, daß die Gelenke ihrer Finger eher gebrochen als gebeugt worden wären. Der Papst mußte sich also gedulden, bis sie wieder zu sich kam. Es geschah endlich; sie stand auf und wurde nun vom Papste befragt und ausgeforscht. Sie antwortete auf alle Fragen mit Klugheit und in ihrer gewöhnlichen Einfalt und Bescheidenheit. Wie der Papst aber tiefere Dinge berührte, wurde sie abermals ekstatisch und stand nun da, einer Marmorsäule gleich. Alexander, erstaunt, wendete sich nun wie drohend gegen ihren Beichtvater, der in der Nähe kniete, und sagte: Hüte dich und wisse, ich bin der Papst; darum sage mir über diese die reine Wahrheitl Sebastian gab ihr nun mit lauter Stimme, so gut er wußte und konnte, Zeugnis; und Cäsar Borgia, der zugegen, bestärkte dies sein Zeugnis durch die Erzählung, die er von dem früheren Unglauben des Zeugen an ihre Heiligkeit machte. Zu sich gekommen, antwortete sie wieder, wie sie zuvor getan, und wurde dann vom Papste gelobt und mit geistlichen Gaben entlassen. Nun hub sich aber unter seiner Umgebung, unter Frommen und Unfrommen, wie sie dieser wüste Hof damals in sich beschloß, ein Reden und Meinen und Vermuten über die ihnen seltsame Erscheinung. Die Ekstase hatten sie mit eigenen Augen gesehen, sie mußten diesen Glauben beimessen. Aber ihre Enthaltsamkeit im Essen und Trinken erschien, wie gewöhnlich bei Leuten, die einen übergroßen Wert auf dergleichen legen, noch unbegreiflicher, obgleich es keine gänzliche Enthaltung war, da Columba eben, um den Ruf derselben von sich abzuwenden, öfter vor den Leuten getrunken und einige Beeren genossen hatte. Die Philosophen kamen wie gewöhnlich mit ihrer Weisheit zuerst herangezogen; sie redeten 8iJ

vieles von der Circe, von den anderen Zauberweibern, die Menschen in Tiere umgewandelt, und machten dann viel Worte von den Sibyllen. Einige wollten ihr Horoskop erforschen, anderen erschien sie mondsüchtig, manche meinten, sie sei mit irdischer Feuchtigkeit überladen oder weissage Verstandes beraubt, noch anderen schien sie besessen; ja, einige hielten sie in ihrer Weisheit für ein bloßes Phantasiegebilde. Ihnen schlössen sich dann die Aerzte an; die machten sich mehr mit der Ekstase zu schaffen und mit dem Pulse, der im Verlaufe derselben ruhte, sowie auch kein Atem im Antlitz sich bewegte. Sie zerbrachen sich die Köpfe, ob sie es als die Entkräftung einer der Auflösung zueilenden Natur zu nehmen hätten, oder in welcher Weise sonst. Keinem fiel ein, die Ehre Gott zu geben; sie suchten sie der Natur lieber zuzuwenden und beriefen sich dabei auf Hermes im Asklepius, der gesagt: der Mensch habe etwas vom göttlichen Verstand in sich und werde dadurch über die Welt erhoben und fähig, Wunder in ihr zu wirken. In bezug auf ihre Enthaltsamkeit forschten sie nach Haarwuchs und nach dem Verhalten ihrer Nägel, nach Schweiß und Ausdünstung und dem Gerüche, der von ihr ausging, nach ihrer Menstruation, nach der Farbe ihres Angesichtes und nach dem Grade der Schärfe, die ihren Augen einwohnte. Dergleichen war nicht unverständig, ob es gleich nur mit großen Umwegen zum Ziele führen konnte; nur einer war klug genug, einen näheren Weg einschlagend, sich Kenntnis vom Zustande ihrer Zähne zu verschaffen; und er urteilte nun, da er diese völlig unangegriffen fand, sie müsse all ihr Leben in großer Enthaltsamkeit zugebracht haben. Die Religiösen nahmen unterdessen Anstoß an ihrer Lebensweise, daß sie dem Volke gestatte, Stücke ihrer Kleider abzuschneiden, daß sie bisweilen täglich zum Abendmahle und gegen die Gewohnheit ihres Ordens in größter Kälte barfuß gehe; daß sie manchmal gegen das Gebot: Mulier taceat in ecclesia, zum Volke rede und mehr dergleichen. Des Redens und Streitens war gar viel; wie gewöhnlich kam nichts dabei heraus, und sie gingen davon so klug, wie sie gekommen; alles ganz wie in ähnlichen Fällen noch heute und immerdar. Sie, wieder zur Ruhe gelangt, fuhr in ihrer Lebensweise fort, wirkte manche wunderbare Heilungen, sah viel Kommendes im Geiste vor und schaute ebenso im inneren Lichte in die räumliche Ferne. Von Rom aus ließ man indessen, zwischen Glauben und Unglauben immer schwankend, von Zeit zu Zeit über Kommendes sie befragen. Da begab es sich eines Tages, als der päpstliche Schatzmeister sie des Papstes wegen erforschte, daß sie in der Peterskapelle an der Erde sitzend 90

ihm in Gegenwart Sebastians ihre Gesichte auslegte, dabei redend und dräuend und zürnend mit solcher Kraft, daß Schrecken über die Hörer fiel, als sie mit Nachdruck die Gerichte verkündete, die hereinzubrechen im Begriffe seien. Nie hatte man die milde Jungfrau so gesehen wie damals, als sie der Geist wie im Sturme angeweht. Es war zu der Zeit, als Spanien und Portugal Gesandte nach Rom sendeten mit der Aufforderung an den Papst, seinen und seines Hofes Greueln endlich Schranken zu setzen, kurz zuvor, als Mord und Krieg über ganz Italien ausgegangen und Alexander selbst, da unter Blitz und Donner das Gemach über ihm zusammengebrochen, nur wie durch ein Wunder mit dem Leben davongekommen. Es war aber auch die Zeit, wo Savonarola in Florenz mit Kraft und Mut und eindringender Beredsamkeit, aber auch mit einem allzu ungebändigten Ungestüm gegen jene Zuchtlosigkeit sich erhob und als ein Opfer der aufgeregten Parteiwut fiel. Das mußte bei Hofe eine üble Stimmung gegen jede Art von Begeisterung und Begeistigung und Mißtrauen gegen die ganze Sibyllenschule hervorrufen; und so wurde neuerdings der Verdacht auch gegen Columba, diesmal aber mehr gegen ihren Beichtvater, rege. Er mußte nach Rom wandern und dort schriftlich und mündlich über ihren ganzen Wandel und all ihr Tun Rechenschaft ablegen, dann auch sich selbst darüber ausweisen, wie er es mit ihr gehalten und welches seine eigenen Grundsätze in ihrer Führung seien. Er tat alles mit Freimütigkeit und Geschick und wurde, vom Papste beschenkt, in Frieden entlassen. Aber von der Jungfrau ließ man darum noch nicht ab; ihr wurden von Rom aus Späherinnen gesendet, die sie aber bald im Geiste erkannte und nun leicht ertrug. Falsche Kranke schlichen sich ein zu ihr unter dem Vorwande, Heilung bei ihr zu suchen. Sie selbst wurde, als dies nicht zum Ziele geführt, von ihren Oberen abgesetzt und mit geistlichen Strafen belegt; überdem wurde ihr Beichtvater ihr genommen und ein anderer ihr gegeben. Pater Michael von Genua, ein vortrefflicher Prediger und ausgezeichneter Theologe, trat an Sebastians Stelle ein. Die Arges von ihr dachten, hatten ihn gegen sie eingenommen; er hatte deswegen sich fest vorgesetzt, Licht in dieser Sache sich zu verschaffen. Er bereitete daher aufs beste sich selbst durch eine Generalbeichte, durch Gebet, strenge Fasten und viele Bußwerke zu dem übernommenen neuen Amte mit solchem Ernste vor, daß er vor Schwäche und Hinfälligkeit ganz ein anderer denn zuvor erschien. Columba, wie immer in ungestörter Heiterkeit beharrend, hatte seinem Treiben zugeschaut und warnte ihn einst zu Weihnachten mit behut91

samer Rede vor Uebermaß. Als er, betreten darüber, sein Tun vor ihr zu verbergen suchte, erzählte sie, wie ihr sein ganzes Vorhaben gar wohl bekannt sei und setzte hinzu: Vater, Eure Sorgfalt gefällt mir, ich will gleichfalls beten und weiß sicher, ehe das neue Jahr gekommen, soll Euch Gewißheit werden. Er schien nicht darauf zu achten, verschloß aber ihr Wort in seinem Herzen. In der folgenden Christnacht, als Michael den Dienst geendet, blieb sie verzückt, und ihr wurde gesagt: Heute soll ihm Gewißheit werden. Am Morgen ging er zum Altare, und wie er den Introitus kaum gesagt, entbrannte er in solcher Liebesglut, daß er in Tränen ausbrach, die er nicht aufzuhalten imstande war. Als er zur Kommunion gelangte, wurde er mit solcher Süße Übergossen, daß er sich nicht zu fassen wußte, so daß er übersättigt zu seiner Zelle ging und jede andere Speise ihm zum Abscheu war. Am anderen Tag sagte Columba, ihm begegnend, mit Lächeln: Vater, ich war freudig, daß du meine Speise geschmeckt; beharrst du, dann wird sie dir immer lieblicher; zweifle nur nicht länger an meiner Erquickung, denn dies ist meine überaus süße Speiset Er war nun vollkommen von seinem Zweifel geheilt. Sie aber, in solcher Weise alle ihre Lebenszeit hindurch einer mißtrauischen Prüfung ausgesetzt, nahm alles in Geduld, antwortete nach der Wahrheit in schlichter Einfalt, überhob sich nicht in ihrem Selbstbewußtsein, sowie sich auch andererseits durch die Zudringlichkeit, die bisweilen ins Unglaubliche ging, sich nicht erzürnen ließ. Schon seit lange hatte sie geweissagt, daß sie bald nach ihrem dreiunddreißigsten Jahre sterben werde; jetzt, als im Jahre 1501 diese Zeit herangekommen, wurde ihr näher der Himmelfahrtstag als der Tag ihres Hingangs anberaumt. Sie bereitete sich dazu im Verlaufe der Fasten aufs beste vor, hatte unterdessen viele Verzückungen und Gesichte, ging am Auferstehungstage zum letztenmal zum Abendmahle und legte sich dann nach wenig Tagen nieder, um nicht wieder aufzustehen. Um die Mitte der Osterwoche überfiel sie in der Nacht ein heftiges Erbrechen; sie warf zuerst reines Blut in großer Menge aus, dann kam es in Stücke geronnen, zuletzt mit Eiter gemischt. Die Aerzte wurden herzugerufen, konnten aber über ihren Zustand und ihre Behandlung sich nicht vereinigen. Sie schwieg in großer Fassung, ließ sich das Sakrament geben, wurde verzückt und hatte viele Gesichte, deren einige sie den Umstehenden deutete und unter anderem sagte: O Herr! du läßt mich, deine Magd, durch die mancherlei Zeichen an meinem Blute die künftigen Zeichen im Himmel, das ist in der Kirche, andeuten; denn die Verschiedenheit des Blutes soll die verschiedenen Ruten ausdrücken, die in kurzem über 92

deine Kirche kommen sollen: Mord und Blutvergießen nämlich der Christen untereinander, Seuche, Sterben und Verderben vieler Völker. Die Hörer deuteten sich daraus die Krankheitssymptome, die sie gesehen. Die Leidende schien ihnen ein Bild der Kirche, ihr Blut das ihr einwohnende geistliche Leben, und zwar schien das ungemischte die Häupter der Priesterschaft, das geronnene die Führer der Faktionen, das mit Eiter gemischte das sich versündigende Volk zu bedeuten. Die Sterbende hatte nur allzu gut gesehen. Denn kurze Zeit darauf, nach Alexanders Vergiftung, hat Cäsar Borgia den Streit um die Nachfolge angehoben, der ganz Oberitalien in Flammen setzte und den der kriegerische Julius II. nur mit Strömen Blutes löschte. Sie aber lag in ihrem Zilizium dreiunddreißig Tage auf nackten Brettern, in all dieser Zeit nichts denn Wasser genießend, einmal nur kostend von einem Sirupe, den man ihr geboten, dazu einigemal an Orangen oder Kirschen saugend und nur durch die Eucharistie von Zeit zu Zeit gestärkt und durch liebliche Visionen aufgerichtet. Während dem Verlaufe der Krankheit quollen aus dem Boden ihrer Stube und zwischen den Brettern ihres Bettes Scharen von Ameisen mit roten Köpfen auf, die emsig sie umirrten; sie selber deutete sie auf das fremde französische Kriegsvolk, das die Kirche bedrängen und dann weggenommen werden solle. Die Gesichte nahmen zu, je näher sie ihrem Ende rückte; kurz nur war der Kampf mit dem Versucher: sie starb, heimgesucht von dem, den sie liebte, zur Mitternacht vor dem Tage seiner Auffahrt, den Kommenden freudig begrüßend. Das Auge der Toten blieb geöffnet und das Angesicht gerötet, als ob sie in sanften Schlaf gefallen; alle Glieder waren geschmeidig und in allem so anzusehen, als ob sie in Ekstase läge.4 3. Liebeswerke Durch die bisherigen Bereitungen werden die in Welt und Leiblichkeit verwachsenen Kräfte abgelöst, um, nachdem sie also beweglich und frei geworden, in rechter Ordnung ihre ungeteilte Richtung auf Gott und Göttliches zu erhalten. Aus der Bindung in dem Vielen geht der Weg zur Befreiung in dem Einen durch die Ueberwindung dieses Vielen, das zuvor gebunden hielt; ehe daher die Nötigung zu dem, was unter uns und um uns ist, in der Umkehr freies Streben wird zu dem, was über uns ist, muß zuvor in eigener Selbstüberwindung, was früher im Zwang geschehen, als selbstgegebene Tat sich wiederholen, um so durch die Liebe das Band des zwingenden Gesetzes auf immer zu zerreißen. Solches geschieht 93

nun in der Uebung der Liebeswerke, in denen der Uebendc, nachdem er von untergeordneter Selbstliebe und Weltliebe Befreiung erlangt, durch die Nächstenliebe zur Gottesliebe den Durchgang findet nach dem Grundsatze: daß, was eins ist in einem Dritten, eins auch untereinander ist und beim gegenseitigen Sichzusammentun der Mitte sich nicht entzieht. Auch diese Liebeswerke gelten daher als fördernde Mittel in der christlichen Aszese; die Armen unterstützen, die Kranken pflegen, sich des Seelenheils der an sie Gewiesenen annehmen, hat allen Aszetischen als unumgängliche Uebung und Bereitung gegolten, und sie haben geglaubt, nicht leicht möge einer auf den Weg der Maria gelangen, er sei denn zuvor auf denen der Martha hingegangen. Wenn irgend jemanden der Beruf geworden, Barmherzigkeit zu üben wie im Drange eines unwiderstehlichen Instinktes, dann ist es der heilige J o h a n n e s v o n G o t t gewesen. Eine legendenhafte Sage in seinem Leben drückt die Weise dieses Berufes aufs allerbeste aus. Als er einst über Feld ging, begegnete ihm ein überaus schönes Kind, das im Bauernröcklein barfuß einherging und wegen des rauhen Weges sich die Füße gar übel verletzte. Johannes hatte großes Mitleid mit dem Kleinen, wie er so erbärmlich daher ging, zog deswegen seine Schuhe ab und sagte: Liebes Kindl mein Herz wendet sich um, wenn ich dich also sehe; darum ziehe lieber diese meine Schuhe an, ich kann leichter barfuß gehen als du. Das Kind nahm die Schuhe an und versuchte, ob es darin gehen könne; weil sie ihm aber gar zu groß waren, gab es sie ihm zurück, sprechend: Ich kann in deinen Schuhen nicht gehen, gib sie aber einem anderen, welcher größer ist und ärmer denn ich. Johannes war betrübt und sagte: Eia, du gebenedeites Knäblein, weil dir meine Schuhe nicht dienen können, so mag dir wohl mein Rücken dienen, und ich will dich aus Liebe des Weges tragen. Er nahm nun das Kind auf den Rücken und trug es die Straße daher. Wie er aber eine Weile fortgegangen war, wurde das Kind so schwer, als wenn's ein großer Mann wäre und drückte ihn so hart, daß ihm am ganzen Leibe der Schweiß ausbrach. Gleichwohl ging er fort mit seiner Last, so gut es gehen wollte; und das Kind wischte ihm den Schweiß mit der Hand von der Stirn. Er kam endlich an einen Brunnen und war so müde, daß er nicht weiter fortgehen konnte; deswegen wollte er ein wenig ruhen und seinen Durst aus dem Brunnen löschen. Er setzte deswegen das Kind unter einem Baume nieder und ging dem Brunnen zu. Nach einer kleinen Zeit hörte er das Kind rufen, und als er sich um94

wendete, sah er in seiner Hand einen Granatapfel, in dessen Spalt ein kleines Kreuz stand. Das Kind hatte auch ein so schön leuchtendes Angesicht, als ob's ein Engel wäre, und sprach zu ihm mit lieblicher Stimme: Johannes, zu Granada wird dein Kreuz sein! Mit diesen Worten verschwand die Erscheinung; Johannes stand eine Zeitlang voll Erstaunens, dann brach er in Tränen aus, darum, daß er das Kind nicht erkannt und daß es so bald von ihm gewichen. Es war das Bild seines ganzen Lebens, das ihm hier also vorgekommen. Er ging nach Granada, wurde dort durch die Predigten des Avila aufs tiefste ergriffen und spielte nun, um für seine Sünden durch Demütigung zu büßen, eine Zeitlang den Toren in jener Stadt, wurde deswegen ins Irrenhaus abgeliefert und dort so lange furchtbar mißhandelt, bis er glaubte, es sei nun genug, und die angenommene Larve der Torheit von sich tat. Er diente darauf den Kranken eine Zeitlang in jenem Hause, und hier kam ihm der Gedanke, selber ein Hospital zu gründen, um in ihm dem Berufe seines Lebens ganz und gar nachzuleben. Er begann damit, daß er auf dem nahen Berge Reisig sammelte und es in die Stadt zum Verkaufe trug, wovon er sich selbst und andere ernährte. Es gelang ihm bald, ein leerstehendes Haus zu mieten; darin nahm er so viel Arme auf, als es fassen mochte; was sie bedurften, gewann er ihnen bald durch sein flehend Wort, das der Menschen Herz bis zum tiefsten Grunde im Mitleid zu bewegen wußte. Der Segen war über all seinem Tun; je mehr die Mittel wuchsen, um so mehr erweiterte er die Anstalt und breitete sie auf jede Art von Dürftigkeit und Bresthaftigkeit aus. Auf seinem Rücken schleppte er selber die Kranken herzu, daß er oft unter der Last zusammenbrach; Tag und Nacht sorgte er rastlos für seine Pflegebefohlenen. Kein Undank, keine Mißhandlung vermochte seinen Eifer zu hemmen. Nicht eigene Not und drükkender Mangel konnte ihn abhalten; wo die Almosen nicht ausreichten, lieh er Geld, um ihren Bedürfnissen zu genügen, und immer fand er dann solche, die für ihn einstanden. Einst war im königlichen Spitale bei Gelegenheit eines Gelages, das die Vorsteher gaben, Feuer ausgebrochen, und die Flammen hatten so schnell um sich gegriffen, daß, als die Leute herzugeeilt, niemand sich der Wut des Feuers wegen in die Nähe des Gebäudes wagte und man davon redete, von der Alhambra aus ein Mittelgebäude mit dem Geschütze zu demolieren, um den noch unversehrten Teil zu retten. Johannes war auch unter den ersten herbeigeeilt; als er die Wehklagen der Kranken von den Fenstern hörte, konnte er es nicht über sich gewinnen, müßig zu bleiben, und drang durch eines der ganz

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mit Rauch verhüllten Tore ein. Ohne Verzug schritt er innen zum Werke; den Kranken, die noch gehen konnten, wies er die Wege; andere führte er, andere wurden getragen, noch andere bisweilen paarweise geschleppt; die unteren wurden durch die Fenster herabgelassen: alles mit solcher Kraft und Schnelle, daß alle, besonders solche, die seinen durch Fasten und Wachen geschwächten Körper kannten, darüber staunten. Als die Kranken in Sicherheit waren, rettete er vom Geräte, was zu retten war, überall voran und mit Besonnenheit die beste Vorkehr machend. Er nahm dann eine Axt und bestieg den Speicher, um den Flammen zu wehren; während es ihm aber damit auf einer Seite gelang, brachen sie auf der anderen um so heftiger hervor. Eine halbe Stunde lang hatten die Anwesenden ihn aus den Augen verloren und ihn schon aufgegeben, als er auf einmal aus den Flammen hervorsprang, die Kleidung unverletzt, nur Augenbrauen und Wimpern verbrannt. Siebenzig Zeugen haben den Vorgang eidlich beschworen. In solchen Werken hatte er die zwölf letzten Jahre seines Lebens hingebracht, als ihn endlich im fünfundfünfzigsten der Tod am Fuße des Kruzifixes im Jahre 1550 fand. Die Hospitaliter, nach ihm genannt, haben ihren Ursprung von ihm genommen.8 4. Das Gebet Auch mit dem Ablösen von sich selber ist das Werk der Aszese noch nicht vollendet; die gelöste Seele mag nicht schwebend ohne alle tragende Unterlage bleiben; sie muß eine andere suchen, und diese kann ihr allein in Gott gefunden werden. Sie muß sich also nach dieser Seite wenden, und die Bande, die sie nach abwärts gelöst, wieder nach aufwärts anzuknüpfen suchen. Denn es reicht nicht hin, daß die Werke nicht bloß i n i h r und f ü r s i e nicht getan, die Gedanken i n i h r und f ü r s i e nicht gedacht werden, sie soll auch i n G o t t und f ü r Gott handeln und denken. Diesem Eintragen fügen sich, ist der Hochmut einmal gebrochen, die Kräfte leichter in ihrem obersten Teile, wo sie an sich schon mehr gegen die obersten Dinge gerichtet stehen; und weil sie allzumal geistig und abgeschieden sind und weder Zeit noch Stelle noch irgendeines Stoffes zu ihrem Wirken bedürfen, mehr nach aufwärts streben. Schwieriger aber ist's im anderen Teile, in dem sie niederwärts streben und zu den unteren Dingen sehen und sinnliche Wahrheit suchen und den Unterschied der Dinge auswendig geben und darum auch der Richtung nach aufwärts, als der ihnen unnatürlichen, zuwider sind. Dieser ihr 96

Widerstand muß zuerst gebrochen, und sie müssen in ihren Strömungen in sich gewendet, und die gewendeten dann in die höheren eingetragen sein, ehe denn sie alle miteinander in die große göttliche Grundströmung gebracht und, nachdem sie ihrer selbst darbend geworden, in Gott verloren, sich auch in Gott wieder finden mögen. Dieses Verwerden des ganzen inneren Menschen ist daher die unumgänglich notwendige Vorbedingung seines neuen Erwerdens in Gott und seiner vollkommenen Reinigung und Wiederherstellung. Damit der Eintrag des menschlichen Grundes in den göttlichen sich vollbringe, muß ein von jenem ausgehendes Verlangen, die Verbindung zu wirken, sich erheben und die Möglichkeit begründen, daß ein Band der Einigung sich vom einen zum anderen hinüberwebe. Jenes Verlangen äußert sich nun im G e b e t e , dem im Falle der Erhörung die G e w ä h r u n g , wie Einschlag dem Aufzuge, zur verknüpfenden Webe sich einwebt. Aller Gebete erstes und vorzüglichstes aber, sagt Ruysbrock, ist dieses: „Gib mir, Herr mein Gott, was d u willst und tu mit mir in allem nach deinem Wohlgefallen!" — dasselbe, was der Herr im Beginne seiner Leidenszeit gebetet, als er gesagt: Vater, nicht mein, sondern dein Wille geschehe! und damit den Grund zu unserem Heile gelegt. Dies Gebet, inwiefern es sich zwischen alles Kreatürliche und das Höhere im menschlichen Grunde setzt, löst und trennt ihn von Natur und aller Weltlichkeit in sich und um sich her; es reinigt ihn, indem alle Eigenheit in ihm sich aufgibt, damit alsdann der Gelöste und Gereinigte sich einigen könne mit dem Gottesgrunde. Scheidend aber und reinigend gehört das Gebet der Aszese an, und alle Mystischen haben es als ein mächtiges aszetisches Mittel und die Virtuosität in seiner Uebung als die notwendige Vorbedingung jedes weiteren Vorschrittes anerkannt. Unter den vielfältigen Belegen, die sich uns bieten, wollen wir hier nur des einzigen erwähnen, den uns die Lebensgeschichte der heiligen R o s a v o n L i m a bietet. Schon in frühester Jugend war ihr, gleich ihrem Vorbild, der heiligen Katharina von Siena, die Gabe des Gebetes zuteil geworden, so daß sie in ihrem zwölften Jahre schon die höchste Stufe in der Uebung derselben erstiegen. Es schien gleichgültig, ob sie schlief, ob sie wachte; immer waren die Augen ihres Gemütes auf Gott gerichtet. Wenn sie nähte, webte, stickte, wenn sie mit anderen redete, aß, wandelte, in der Kirche, im Garten, zu Hause, auf der Straße, überall und stetig war sie in der Gegenwart der Majestät, der die Engel dienen. Und das war Görres-Mystik

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das Erstaunenswerte in der Sache: während diese göttliche Nähe alle ihre inneren Kräfte und Vermögen in Anspruch nahm, blieben ihre äußeren Sinne völlig frei und ungebunden, so daß, während sie innen mit Gott redete, nach außen nichts die Geschäftige hinderte, im Haushalt alles Notwendige zu besorgen, allen an sie gerichteten Fragen Rede zu stehen, klar und ohne alle Zerstreuung zu sprechen und mit derselben Leichtigkeit, besonnenen Raschheit und regen Aufmerksamkeit zu handeln, wie solche pflegen, die nur den äußeren Geschäften mit Eifer obliegen. Auch das war wundersam an ihr, daß sie während des Betens nicht leicht von Gegenständen geirrt wurde, die sie nichts angingen, so daß es den Anschein hatte, als seien für diese allein ihre äußeren Sinne geschlossen. Man sah sie oft, wie sie in einer gefüllten Kirche in einem Winkel unfern des Hochaltars niedergekniet, so stundenlang unbeweglich beharren, die Augen auf den Altar gerichtet, keinen an ihr Vorübergehenden gewahrend, kein auch noch so plötzliches Geräusch vernehmend; ja, wenn etwas unmittelbar gegen ihr Auge sich bewegte, blieb dies ungerührt, und sie schloß nicht die Augenlider, als sei sie, dem Adler gleich, innerlich in ihre Sonne schauend, nach außen gänzlich erblindet. Sie schien dabei unbeweglich wie ein Fels; denn in welcher Lage sie im Anfange sich ins Gebet begeben, fand man sie nach Stunden, nach einem ganzen Tag und länger unverändert wieder. So blieb sie in der Kirche, wohin sie zum vierzigtägigen Gebete gegangen, wie versteinert vom Morgen bis zum Abend, ohne einige Bewegung und ohne etwas zu sich zu nehmen. So pflegte sie sich in ihrem häuslichen Oratorium vom Freitag morgen bis zum Samstage, manchmal bis zum Sonntage einzuschließen und bat dabei inständig, sie diese ganze Zeit ungestört zu lassen, was auch vorfallen möge. Als man um den Grupd dieser Bitte in sie gedrungen, gestand sie aufrichtig, sie könne in all dieser Zeit, wie unbeweglich geworden, nicht aufstehen, um etwa die Türe zu öffnen, wenn jemand daran klopfe. Sie hatte überdem täglich drei verschiedene Stunden bestimmt, in denen sie sich dem Gebete hingab, um darin Gottes Wohltaten und Gnaden mit Dankbarkeit zu erwidern und seine Attribute und Eigenschaften eine nach der anderen anbetend zu verehren, die sie sich zu dem Ende durch kundige Theologen hatte auslegen lassen, und die sich unter ihrer eifrigen Nachforschung stets mehrten, bis sie endlich die Zahl von hundertundfünfzig erreicht. Sie ermüdete dabei nicht, anderen die Nützlichkeit des Gebetes empfehlend, sie zu gleicher Inbrunst zu entzünden, und beschwor die Beichtväter, ihre

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Beichtkinder zu Gebetsübungen aufzumuntern und sie dadurch geistig immer mehr zu kräftigen. So groß war in der Heiligen der Drang zum Gebete, daß sie allen Geschöpfen, selbst solchen, die sie nicht vernehmen zu können schienen, den gleichen Eifer anmutete und sie zum Lobe und zur Anbetung Gottes zu bestimmen sich mühte. In dem letzten Jahre ihres Lebens kam durch die ganze Fasten hindurch mit Untergang der Sonne ein kleines Vögelchen mit wunderlieblicher Stimme zu ihrem Zimmer hingeflogen und setzte sich auf einen nahen Baum, dort gleichsam das Zeichen zur Anhebung des Gesanges erwartend. Rosa, wenn sie ihres abendlichen Sängers ansichtig wurde, rüstete sich ihrerseits gleichfalls, das Lob Gottes zu beginnen, und forderte das Vögelchen in eigenem Liede, das sie dafür gedichtet, zum Wettgesang heraus. Hebe an, o liebe Nachtigall, Singe süße Liedesweisel Schmett're hoben Sang aus voller Kehle, DaB den Herrn wir loben allzumal. Du sollst deinen Schöpfer preisen, Ich den Heiland voll Erbarmen, Unsern Gott wir beide insgemein. Auf! Tu auf die Kehle Sanges voll, Daß im muntern Wechselliede Unsre Töne lieblich sich begegnen.

Sogleich begann das Vögelchen mit linder, leiser Stimme seinen Schlag, schwang sich dann, auf Tonesschwingen ansteigend, höher und immer höher, wirbelte darauf eine Zeitlang schwebend auf der Höhe der Töne wie in Bogenlinien und ließ dann, selbst schweigend, die Jungfrau an die Reihe kommen. Rosa fiel sogleich mit der süßesten, wohlklingendsten Stimme ein, mit wundergroßer Behendigkeit und Fülle Gottes Lob fortsingend. Hatte sie geendet, dann nahm das Vögelchen das Lied wieder auf, mehrte die Einschnitte, goß aus geschmeidiger Kehle nun schmetternde, nun wirbelnde, bebende Laute; und nachdem es die Stimme bald gehoben, bald gesenkt und sie dann wieder in schnellem Uebergange gebeugt, schwieg es plötzlich, als sei das Zeichen ihm dazu gegeben. Sogleich fiel die Jungfrau wieder ein, hob aufs neue zu jubeln an, hochpreisend die unaussprechlichen Vollkommenheiten des höchsten Wesens, nun gehoben vom Ungestüm des Geistes, dann wieder in Seufzern sich verhauchend, bis ihr Schweigen den Gegengesang wieder hervorrief. So wechselten beide in Gottes 7»

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Lobe und das nicht etwa nur gelegentlich und zufällig, sondern eine ganze Stunde lang mit solcher Fuge und Ordnung, daß, wenn der Vogel sang, Rosa sich nicht rührte und umgekehrt, wenn diese den Sang aufgenommen, der Vogel, aufmerksam zuhorchend, nicht einmal zwitscherte. Endlich um die sechste Abendstunde flog er dann wie nach wohlvollbrachtem Werke davon, um zu ihm am folgenden Tage zurückzukehren.6

III. Die L o c k e r u n g d e r i r d i s c h e n

Bezüge

In dem Maße, wie die reinigende, vorbereitende Aszese in ihrem Werke weiterschreitet, wird der Bereitete tauglicher, der Beschränkung irdischer Verhältnisse sich zu entziehen und der Wirksamkeit höherer Beziehungen sich hinzugeben. Das Böse, das die Menschen in sich aufgenommen und mit dessen Eingang zugleich auch der Ausgang eines verhältnismäßigen Maßes des Guten in ihm verbunden war, hat ihn gleichsam belastend in die Sphäre jener irdischen Bezüge hinabgezogen und in ihr Gewirre ihn verstrickt. Wird nun das, was vom Uebel gekommen, gefernt und ausgetrieben, dagegen das abgeschiedene Gute wieder zugelassen, dann ist die niederziehende Last von einem solchen weggenommen, die Verstrickung ist gelöst, weil der bindende Zauber nicht ferner mehr besteht; und so steigt er, nicht länger mehr niedergehalten, wie von selber über sich. Solche Lösung aber hat alle reinigende Mystik sich zum Ziele genommen... Aus einem Gebiete ins andere hinüberragend, wird daher der Mystische durch all seine Lebenszeit hindurch, in stets mit seinem Fortschritt zunehmendem Verhältnis, zur Ueberleitung des Höheren ins Tiefere, zur Sichtbarmachung des Unsichtbaren dienen, und sonst in Verborgenheit Verhülltes wird an ihm offenbar werden. In dieser Ueberleitung werden daher Erscheinungen, die einer andern Ordnung der Dinge angehören, in die gewöhnliche herabgezogen, um sie wie Zugvögel eines andern Himmelsstriches zu durchwandern, ohne in ihr bleibende Wohnung zu nehmen auf immerdar; und so tut denn jene Fülle mannigfaltiger, wunderbar überraschender Phänomene sich auf, die an ein solches zweischlächtiges, in einer Welt zehrendes, in der andern atmendes Leben geknüpft erscheinen und die nun, in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit gefaßt, in sich verbunden, geordnet, gedeutet und zum Verständnisse gebracht sein wollen. Wie aber nun die Masse aller dieser Erscheinungen in der Mitte zwischen dem natürlichen Zustand und dem der vollkommenen Einigung liegt, so wird sie auch 100

wie alles Mittlere je nach ihrem Bezüge zu beiden Zuständen zweiteilig sich gliedern. J e nachdem nämlich wie um die Anfänge des mystischen Lebens das Natürliche noch überwiegt oder bei höherer Vollkommenheit das Uebernatürliche mehr vorschlägt, werden auch die hervortretenden Erscheinungen mehr das Gepräge des einen oder des andern tragen. 1. Rätselhafte Erscheinungen im Leiblichen Die reinigende Mystik, den ganzen ungeteilten Menschen ergreifend und ihn nach ihrer Art bereitend, wird auch die Wirkung dieser Bereitung in allen Gebieten seines Daseins sichtbar machen; am sichtbarsten jedoch in den niedrigsten und untersten, wo alles greiflich ist und plastisch, jegliche Veränderung also auch dem Sinne, der überall aufs Handgreifliche geht, am leichtesten bemerkbar. Sie hat ihren Lehrling dort gefunden, wie er in die irdischen Verhältnisse sich eingelebt und nun, im Einklang zu ihnen gestimmt, in runder, praller Gediegenheit sich ausgewirkt, damit er im Kampfe mit der Natur seinen Bestand zu sichern vermöge. Im Verlaufe der Lehrzeit, in die sie ihn sofort eingeführt, hat sie ihn widerleben lassen, was er durchgelebt; höheren Verhältnissen ihn zustimmend, hat sie mit den niederen ihn in Mißklang versetzt: jenen gesundend, wird er diesen daher erkranken müssen; und das eine wie das andere, in diesen Regionen nach Zahl, Maß und Gewicht sich aussprechend, wird zu auffallenden Erscheinungen führen, die in ihrer Ordnung nun zunächst unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Indem wir ihnen diese nach Maßgabe ihrer Wichtigkeit zuwenden, wird es nötig sein, vor allem einen Anknüpfungspunkt zu suchen, der ihre Mannigfaltigkeit zugleich befaßt, begründet und erklärt. Ein solcher würde uns gefunden sein, wenn irgendein Fall vorläge, in dem eine genaue physiologische Untersuchung uns einigermaßen befriedigende Rechenschaft gäbe von den allgemeinen organischen Veränderungen, die die mystische Lebensweise hervorgebracht, auf deren Grund alsdann die Deutung und das Verständnis so vielfach rätselhafter Vorgänge sich versuchen ließe. Glücklicherweise ist uns ein solches im Leben P h i l i p p o N e r i s aufbehalten, über welches aufmerksame Zeitgenossen und einsichtige Beobachter authentischen Bericht uns hinterlassen. Wir legen also diesen jeder weiteren Untersuchung zum Grunde, indem wir die wesentlichen Ergebnisse desselben in jener Beziehung ihr voraussenden. 101

P h i l i p p o hatte die Gewohnheit, täglich um die Gnade des Hl. Geistes zu flehen, und als er hernach Priester geworden, unterließ er nie, wenn es der Dienst irgend erlaubte, den andern Gebeten der Messe jenes, dessen Anfang ist: Deus, cui omne cor patet, purifica per infusionem sancti spiritus hinzuzufügen. Es geschah aber, daß, da er einunddreißig Jahre alt war und am Pfingstfeste wieder recht eifrig um die Gaben bat, er bald von solchen Flammen der Liebe sich entzündet fühlte, daß er nicht auf seinen Füßen zu stehen vermochte. Er warf sich daher sogleich auf die Erde nieder und suchte, indem er sich die Kleider aufriß, dem entbrannten Herzen einige Kühlung zu verschaffen. Als er eine Zeitlang also gelegen und die Glut einigermaßen sich gemindert hatte, erhob er sich, und von ungewöhnlicher Freude erfüllt, fühlte er fortdauernd am ganzen Körper sich erschüttert, weil Herz und Gebein im Herrn sich erfreute. Wie er nun aber, etwas ruhiger geworden, mit der Hand in den Busen griff, fand er die Brust über dem Herzen um die Dicke einer ganzen Faust erhöht, obgleich diese Anschwellung weder damals noch auch später ihm einigen Schmerz verursachte. Er lebte von dieser Begebenheit an noch zweiundfünfzig Jahre fort, und die Erweiterung der Brusthöhle, die dem Herzen mehr Raum gegeben, blieb unverändert bis zum Tode. Fortdauernd bei guten Kräften, war er immer heiter und fröhlich, ohne Anwandlung irgendeiner Niedergeschlagenheit oder Traurigkeit; aber ein Herzklopfen trat von da an bei ihm ein, das ihn jedesmal anwandelte, wenn er betete, das Meßopfer darbrachte, predigte, die Sakramente spendete oder dergleichen übte. Dann wurde er am ganzen Leibe so erschüttert, daß es schien, als wolle sein Herz aus der Brust hervorbrechen. Stuhl, Bett, ja selbst das Zimmer und alles, was um ihn war, zitterte dann, wie von einem Erdbeben erschüttert; einmal, als er in der Basilika des Apostelfürsten besonders inbrünstig betete, sah man ein massives Brett, auf dem er kniete, als habe es keinen Halt und kein Gewicht, erzittern. Umarmte er etwa, wie es oft geschah, einen der Seinen, der ihm lieb war, dann fühlte dieser den heftigen Anschlag seines Herzens und wurde selber, ohne zu wissen, wie ihm geschah, mit Freude durchgossen und gestärkt, wie viele es erfahren und bezeugt. In dieser Tätigkeit des Organs erglühte aber nicht bloß seine Brust, sondern sein ganzer Körper aufs heftigste, so daß selbst, als er schon, entkräftet durch Enthaltsamkeit aller Art, das Greisenalter erreicht, der Entbrannte in Wintersmitte noch Kühlung zu suchen sich genötigt fand. Darum mußte man zur Nachtzeit, selbst im wildesten Wetter, ihm Fenster und Türe des Zim102

mers, in dem er schlief, öffnen, mit einem Tuch oder Fächer ihm Luft zuwehen und dergleichen mehr vornehmen, um den Brand einigermaßen zu lindern und zu mäßigen. Manchmal mußte er sich mit kaltem Wasser den Gaumen ausspülen, den die von den Lungen aufschlagende Flamme erdörrt hatte. Darum öffnete er auch zur Herbstzeit immer die Kleider über der Brust; wenn dann die Seinigen ihn erinnerten, das zu unterlassen, weil es ihm schaden könne, erwiderte er: daß dies des inneren Brandes wegen untunlich sei. In härtester Kälte ging er durch die schneebedeckten Straßen; seine jungen Begleiter, in ihre Mäntel gehüllt, bebten vor Kälte; er aber schritt wie gewöhnlich lächelnd neben ihnen, vom Froste unberührt. Es schien dabei wunderbar, daß er jenes Herzklopfen, was dessen Dauer betraf, völlig in seiner Gewalt hatte und es durch bloße Intention des Gemütes zu beruhigen vermochte, wie er selbst dem Kardinal Fr. Borromäus, den er sehr liebte, versicherte. Darum hatten die Aerzte, die in seinen Krankheiten ihn besorgt, diese Erscheinung für eine übernatürliche erklärt, und viele der berühmtesten Zeitgenossen, Andreas Cisalpinus, Antonius Portas und andere, stimmten ihnen in Abhandlungen, die sie über diese Erscheinung geschrieben, bei. Er aber wurde, seit es ihm begegnete, nur eifriger und brennender in allen Liebeswerken und bisweilen vom Ungestüme der Liebe also ergriffen, daß er erliegen zu müssen schien und mit erstickter Stimme ausrief: „Lass ab von mir, o Herr, lass ab, denn menschliche Schwäche vermag nicht solchen Jubels Uebermaß zu tragen!" Ueber das, was bei jenem Ereignis mit ihm sich zugetragen, kann zunächst die Modalität seiner Krankheiten wenigstens einigen Aufschluß gewähren. Sie waren häufig in seinem Leben, so daß gewöhnlich in jedem Jahre eine einzutreten pflegte, und wurden dabei oft so heftig, daß man ihm viermal die letzte Oelung gab. Aber wenn er dann auch leiblich zu erliegen schien, war der Geist doch immer frei, der Ausdruck des Gesichtes heiter, der Ton der Stimme unverändert wie im Zustande der Gesundheit. Bei dem heftigsten Schmerze gab er kein Zeichen, das ihn verraten hätte; er selber tröstete vielmehr alle, die, um ihn zu trösten, gekommen waren. So groß war dabei die Beweglichkeit in seinem Leben, daß die Heilung ebenso plötzlich einzutreten pflegte wie das Kranksein, und der, welcher am Abend dem Tode nahe gewesen, am Morgen frisch und gesund umherwandelte und seine Verrichtungen übte, als ob er nimmer krank gewesen. Gewöhnlich wurde diese Heilung bei ihm in übernatürlicher Weise bewirkt: bald war es ein kurzes Gebet, das ihm die Gesundheit wieder gab, bald übten Reliquien 103

heilende Kraft auf ihn. Die Aerzte konnten dabei gewöhnlich nichts anderes tun, als kühlende Mittel dem inneren Glühen der Lebensgeister entgegenzusetzen. Ein Jahr vor seinem Tode hatte ein heftiges Fieber ihn ergriffen, nach wenig Tagen sprach er nicht mehr und aß nicht mehr; die Aerzte fühlten den Puls, erklärten, es sei um ihn geschehen, und zogen in ein nahes Zimmer sich zurück. Da hörten sie ihn rufen: „O meine hochheilige Herrin, o du Schönste, du Liebliche, o meine gebenedeite Herrin!" Als sie herzugeeilt, sahen sie ihn schwebend in der Luft über seinem Bette, die Hände bald ausstrekkend, bald zurückziehend, wie jemand, der etwas enge an sich drückt, und dabei immer rufend: Herrin, ich bin nicht würdig, ich bin nicht würdig!" Die Jungfrau war ihm erschienen und hatte ihm wieder Heilung gebracht. Als er, zu sich gekommen, die vielen Umstehenden erblickte, verhüllte er das Haupt in die Bettücher und weinte lange. Die Aerzte fühlten nach dem Pulse und fanden ihn gesund und heil; er aber verließ am folgenden Morgen munter das Bett, und es war, als ob nichts geschehen. Im folgenden Jahre ergriff ihn das Fieber wieder mit gleicher Heftigkeit und verließ ihn einen ganzen Monat nicht; als er aber darum betete, wurde ihm gewährt, die Feier der Apostel Philippus und Jakobus, die er hoch verehrte, am Altare in voller Gesundheit abzuhalten. Im folgenden Monate trat sofort ein Blutsturz ein, der ihm beinahe das Leben kostete; die Eucharistie aber, die ihm Baronius brachte, gab ihm Kraft und Ruhe für den Rest des Tages wieder. Am Abend kehrte der Blutsturz unter großen Schmerzen zurück; ein heftiger Husten, der ihn zu ersticken drohte, stellte sich ein, so daß er zu sterben schien. Kein Mittel äußerte einige Wirkung, darum sagte er am folgenden Tage zu den Aerzten: „Hebt euch weg mit euern Arzneien, ich habe bessere und wirksamere; denn ich habe Almosen gesendet, daß Priester in der Frühe für mich die Messe gelesen; und von da an hat sich das Bluten gestillt, Angst und Schmerz haben aufgehört, und ich fühle mich wieder hergestellt." Der Puls bewährte den staunenden Aerzten, daß er wahr geredet, und er blieb von da an bis in den folgenden Monat gesund und kraftvoll. Nun aber wurde er nicht bloß über Zeit und Tag, sondern selbst über die Stunde und die Art seines Todes verständig. Er traf daher alle seine Anstalten: entbot zu sich, die ihm wert waren, verrichtete selbst noch vor seinem Todestage die gewöhnlichen Geschäfte, las Messe, hörte Beichte bis zum Abend, aß dann zu Nacht; entließ zur dritten Nachtstunde die Seinen, nachdem er ihnen den Segen gegeben, und blieb bis zur fünften Stunde mit Gott allein. Dann hörten, die unter ihm waren, ihn in seinem 104

Zimmer gehen und fanden ihn bei leichtem Schleimauswurfe im Bette, von wo er ihnen den nahen Tod ankündete. Die Aerzte wurden gerufen, die Seinen umknieten sein Lager, er schien munter und sprach ohne Beschwer. Aber es währte nur kleine Zeit, und außer den wachen Sinnen und schwacher Wärme um die Brustgegend war bald wenig mehr von einem lebenden Menschen an ihm zu bemerken. Baronius bat den von dannen Eilenden noch um ein Wort und einen Segen für die Seinen; er hob die Augen und die Rechte zum Himmel, senkte sie dann, als hätte er das Erflehte erlangt, und hatte ausgelebt, ohne daß eine Zuckung die Nähe des Todes verkündet hätte. Nach seinem Tode machte nun die Eröffnung des Leichnams klar, was er bei seinem Leben verborgen gehalten. In Gegenwart vieler der Seinigen wurde sie am vierten Tage von den Aerzten Angelus Victorius und Joseph Zerla unternommen. Als man die Brust eröffnet hatte, fand man auf der linken Seite zwei der falschen Rippen, die vierte und die fünfte gebrochen. Der Bruch war sichtbar auf der Vorderseite der Brust, wo die Rippen in Knorpel endigen; die gebrochenen waren so erhoben, daß alle urteilten: die Aufhöhung sei nicht bloß faustgroß, sondern noch darüber hinaus. Die Aerzte, nachdem sie das alles wohl betrachtet und reiflich überlegt, erklärten einstimmig auf ihren Eid: der Bruch, ohne irgendeinen äußeren Zufall hervorgebracht, niemals von einem Schmerze oder einer Entzündung begleitet, könne dem Verstorbenen nur in übernatürlicher Weise gekommen sein. Sie urteilten dabei, es möge aus verschiedenen Ursachen, zu verschiedenem Zwecke ihm begegnet sein: einmal damit er nicht etwa, der Beschauung sich hingebend, durch den Andrang und die Ueberfülle der Glut des Todes werde; dann damit das Herz, von dem heftigsten Liebesbrand entzündet, Raum gewinne für seine Bewegungen, die Lungen aber gleichfalls leichter und über das gewöhnliche Maß hinaus sich zu erweitern vermöchten; endlich damit diese Lungen imstande seien, dem Herzen um so mehr Kühlung von außen zuzuführen. Sonst fand sich im Thorax nichts, was einen Mangel oder Zeichen einer Verletzung an sich getragen hätte. Das Herz erschien bei näherer Betrachtung sehr groß und muskelstark, über das gewöhnliche Maß hinaus; die überfließende Kraft der glühenden Lebensgeister habe diese übergroße Stärke in ihm hervorgerufen, erklärten Cisalpinus und Portas durch offenes Zeugnis. Die Lungenarterie, die aus der rechten Herzkammer das Blut zu den Lungen führt, damit es aus ihnen mit der Luft zur linken Kammer ströme, war doppelt so groß, als sie in der Regel zu sein pflegt. Im Herzbeutel befand sich kein 105

Wasser, und die Aerzte urteilten, die Inbrunst der Betrachtung habe es verzehrt. In den Vorkammern mit ihren Ohren war gleichfalls kein Blut, wie sich Zerla durch den Augenschein überzeugte. Kein übler Geruch war zu bemerken, auch als man die Eingeweide des Unterleibs absonderte, um sie getrennt vom übrigen Körper zu begraben.1 Eine gänzliche Umwendung des ganzen Lebens ist's, was die Mystik die Wiedergeburt nennt, und diese kann nicht schmerzlos sein. Denn alle diese Strömungen haben durch die ganze Gewohnheit des Daseins sich ihre Bahn bereitet, und das ganze Leben hängt nach dieser Seite über. Von Anbeginn hat es in diesen Geleisen sich bewegt, und alle seine Neigungen gehen dahin, wohin sie gerichtet stehen. Wie die Flüsse ohne Mühe abwärts strömen, so fließt es in ihnen vorwärts, und es scheint ihm unmöglich, zurückzugehen, gegen den Strom anzustreben und, sich losreißend von allem, was ihm seither förderlich gewesen, den bisherigen Führungen zu entsagen und auf unbekannten Pfaden andern Folge zu leisten, die sich ihm noch nicht bewährt. Und doch kann es nicht anders ergehen; es muß diesem allen, als der ersten und notwendigsten Bedingung jeglicher Wiedergeburt, sich unterziehen. Wie der schwächere Magnet, wenn der stärkere ihn berührt, in seinen Polen sich umkehrt, so muß auch der Ergriffene es sich gefallen lassen, in der Berührung mit Gott und göttlichen Dingen nun gleiche Umkehr zu erfahren und, statt wie bisher von der Höhe mit Vorliebe nach abwärts hinunter, nun aus der Tiefe mit Demut hinauf zu deuten. Als zunächst sich bietendes Kennzeichen eines im umgebornen Leben zur höheren Harmonie klarifizierten Leibes mag der Wohlgeruch uns dienen, in dem er duftet. Wie nämlich Uebelgeruch Ausdruck eines krankhaft zum Mißklang zerrissenen organischen Lebens ist, so wird die innere Harmonie desselben in dem von ihm ausgehenden Wohlgeruch sich zeigen. Die Redensart: im Gerüche der Heiligkeit stehen, ist daher keineswegs eine bloß bildliche; sie ist aus der Erfahrung abgezogen, nachdem es sich ihr unzähligemal bewährt, daß ein Wohlgeruch ausgeht von solchen, die ein heiliges Leben führen. Keineswegs erscheint er dabei auf die Person der Heiligen beschränkt, sondern teilt sich den Kleidern mit und allem, was sie berühren... Als nach dem Tode der hl. Theresia von Jesu die Schwester Maria unter allerlei Geräte diesen Geruch bemerkte und nachsuchte, fand sie ein Blatt Papier, beschrieben von der Hand der Heiligen, von dem der Geruch ausging; auch ein Salzfaß, das man der hl. Theresia auf ihrem Krankenbette 106

gebracht, und an dem sie die Spuren der Finger zurückgelassen, behielt ihn lange.» Besonders aber,war durch diese Eigenschaft der hl. J o s e p h v o n C o p e r t i n o vor vielen anderen ausgezeichnet, und der Prozeß seiner Seligsprechung hat darüber die unverwerflichsten Zeugnisse aufgestellt. P. Franziskus Maria de Angelis sagte darüber aus: Von seinem Körper und aus seinen Kleidern habe der süßeste Geruch geduftet, den der Zeuge keinem andern natürlichen oder künstlichen zu vergleichen wußte, außer denn jenem, der von dem Behälter ausgegangen, der die Reste des hl. Antonius von Padua beschloß: eine Uebereinstimmung, die zugleich mit ihm auch P. Andreas Birzius bemerkt; so wie P. Franz a Levanto seinerseits ihn mit dem des Brevieres der hl. Klara von Assisi, das in der Kirche von St. Damian bewahrt wird, verglich. Der Wohlgeruch machte jedem sich bemerklich, an dem er vorüberging, und blieb noch lange zurück, wenn er auch ferne war. Sein Zimmer war daher mit ihm angefüllt, er haftete an allem Geräte und drang über dasselbe hinaus in die Gänge des Klosters vor, so daß die, welche, ohne seine Zelle zu wissen, ihn besuchen wollten, nur dem Gerüche nachgingen und sie dann leicht unter den andern erkannten. So durchdringend war dieser Ausfluß, daß er sich dem, der ihn berührte, auf lange mitteilte; ja beim bloßen Besuche der Zelle ging er auf den Besuchenden über, so daß, als der schon genannte P. Fr. a Levanto einst, nur mit ihm redend, in seiner Zelle bei ihm gesessen, der auf ihn übertragene fünfzehn Tage hindurch nicht von ihm gewichen, ob er gleich täglich sich gewaschen. Die Zelle blieb auch immerfort wohlriechend, selbst als er sie in zwölf oder dreizehn Jahren nicht mehr betreten. Der Geruch hing den Kleidern, die er getragen, so fest an, daß er, wie oft sie mit Lauge und Seife gewaschen wurden, doch nicht von ihnen wich. Er teilte sich ebenso den priesterlichen Gewändern mit, die er angelegt, von denen er dann wieder auf die Schränke sich übertrug, die sie bewahrten. Die Wirkung hatte übrigens selbst für jene, die sonst keine Gerüche vertragen konnten, nichts Beängstigendes und Widerwärtiges; dieser war ihnen vielmehr durchaus lieblich und angenehm, und es bedünkte sie, als ob er ihre innersten Eingeweide durchdringe. Der Wundarzt Pierpaoli, der nach seinem Tode ihn geöffnet, bezeugte gleichfalls, wie derselbe Duft, den er während seines Lebens und im Verlaufe seiner Krankheit von sich gegeben, auch von dem eröffneten Körper ausgegangen.1 Gerade im Tode, wo sonst der Uebelgeruch der unzertrennliche Gefährte aller Verwesung ist, sehen wir bei den Heiligen 107

diesen Wohlgeruch am häufigsten vortreten und Jahrhunderte lang anhalten . . . Es ist K a t h a r i n a v o n B o l o g n a , die wir hier im Auge haben, und wir teilen mit, was Illuminata Bembi, die zugegen gewesen, als Augenzeuge über sie berichtet. Sie hebt aber an, von ihrem Tode zu erzählen, der im neunundvierzigsten Jahre ihres Lebens 1463 erfolgt, und wie gleich nach ihrem Hinscheiden ihr Angesicht so schön und blühend geworden, ihr Fleisch aber so zart wie das eines Kindes, wobei zugleich ihr Leib zusamt den Tüchern, worin sie gestorben, einen gar lieblichen Geruch von sich gegeben, so daß alle darüber in Erstaunen waren. Als man darauf ihren Leichnam in der Kirche am Sakramente vorübertrug, sah man ihr Angesicht fröhlich lächeln und unverkennbare Zeichen der Freudigkeit von sich geben, worauf alle Gegenwärtigen sich an sie drängten und, vom Anblick ihrer Schöne wie außer sich, ihr Hände, Füße und Gewänder küßten. Ihr Grab wurde darauf bereitet, und als man den Leichnam ohne Lade in dasselbe gelegt, ging ein übersüßer Geruch aus von ihm, der die ganze Gegend erfüllte. Die beiden Schwestern, die in die Grube gestiegen, dauerte das schöne und glänzende Angesicht, und damit es die eingeworfene Erde nicht bedecken möge, breiteten sie ein Tuch darüber hin und legten ein ungehobeltes Brett eine Hand hoch über den Leichnam. Sie hatten es aber so ungeschickt angestellt, daß die hineingeworfene Erde doch über das Angesicht und den ganzen Leib herniederfiel. Da das Begräbnis Vorüber, teilten die Schwestern aus Liebe und Andacht zu ihr, was sie im Leben gebraucht: Kleider, Mantel, Schleier und Strick, redeten dabei immerdar von ihrem heiligen Leben und ihren Tugenden und entbrannten noch mehr, als ihnen das Buch gelesen wurde, das sie geschrieben. Sie gingen häufig auf den Kirchhof, ihr Grab zu besuchen, weinten, beteten und lasen dort und spürten dabei immer in seiner Nähe einen lieblichen Geruch, so daß sie, weil weder Kräuter noch Blumen, sondern nur die nackte Erde dort zugegen, glauben mußten, er gehe aus dem Grabe hervor. Bald zeigten sich auch Wunder, da manche, die krank das Grab besucht, ihre Gesundheit wieder erhielten. Darum fing es die Schwestern an zu reuen, daß sie ohne Sarg also in die Erde eingescharrt sei, und sie klagten es dem Beichtvater des Klosters. Dieser, ein verständiger Mann, fragte uns, berichtet die Erzählerin weiter, was wir denn tun wollten, und wir antworteten: sie herausnehmen, in einen hölzernen Sarg legen und dann wieder verscharren. Er war verwundert über dies Anhalten; der achtzehnte Tag nach ihrem Tode war herangekommen; er meinte, sie werde schon in Verwesung über108

gegangen sein; wir aber beriefen uns auf den Wohlgeruch, und er gestattete zuletzt ihre Erhebung, wenn beim Graben sich kein Fäulnisgeruch zeige. Man ließ nun einen Sarg bereiten und ging noch denselben Abend ans Werk. Aber es entstand ein heftiges Unwetter mit Wind, Blitz und Hagel; die Schwestern begaben sich ins Gebet unter vielen Tränen, und das Ungewitter ließ nach; aber die Dunkelheit blieb, daß nicht Mond noch Sterne sichtbar waren. Da ging eine von uns heraus auf den Kirchhof und bat kniend Gott, daß er ein Zeichen gebe, ob das Werk ihm wohlgefällig; sogleich wurde der Himmel heiter, und die Sterne glänzten auf das Grab hernieder. Alle wurden wir nun mit Freude und Erstaunen erfüllt und gingen rasch ans Werk. Als wir den Leichnam gefunden und das Gesicht aufdeckten, fanden wir es zerquetscht und entstellt, weil das darübergelegte Brett es eingedrückt hatte, auch hatten drei der Schwestern beim Graben sie mit ihrem Spaten verletzt. Wir hatten sie in die Lade gelegt, und sie sollte wieder begraben werden; aber wir wurden ganz wunderbar dazu getrieben, sie statt dessen einstweilen unter das Tor zu stellen. Dort nahmen allmählich die eingedrückte Nase und das ganze Gesicht die vorige Gestalt an, die Tote war weiß, schön, wohlbehalten, als ob sie lebte, die Nägel ohne alle Schwärze, und duftete dabei den lieblichsten Geruch aus. Als die Schwestern am Morgen, zur Mette gehend, die Leiche dort fanden, staunten sie, weinend vor freudiger Ueberraschung und Andacht, und wie außer sich gesetzt durch den Wohlgeruch, ermüdeten sie nicht, sie zu berühren und zu küssen. Als die Mette eingeläutet war, gingen die meisten zur Kirche; einige aber blieben bei der Leiche zurück, um sie zu begraben. Aber die, so sie zu diesem Zwecke aufgehoben, wendeten sich, wie von einer Gewalt getrieben, trugen sie in die Kirche und setzten sie vor dem hl. Sakramente, wo alle Schwestern sich befanden, nieder. Da sah man unverkennbar ihr Angesicht zwei- oder dreimal wie im Jubel aufleuchten, während der Leib zugleich jedesmal im süßesten Gerüche duftete, gleichsam in der Nachbildung dessen, was sie bei ihrem Leben vorgenommen, wo sie, beim Eintritt in die Kirche vor Gott sich niederwerfend, nicht satt werden konnte, ihm ihre Ehrfurcht zu bezeugen. Alle Schwestern wurden dadurch aufs tiefste bewegt; der Geruch aber verbreitete sich durch Kirche und Kloster, hing sich an die Hände derer, die sie berührten, und niemand wußte, was es sei. Der Duft war nicht anhaltend, sondern ließ bisweilen nach, so lange, daß man ein oder das andere Vaterunser sprechen konnte; er roch einmal wie Moschus, dann wie Violen, dann wie Näglein und wieder 109

wie die kostbarste Würze, die man irgend finden konnte, ohne daß man zu sagen vermochte, was es eigentlich wäre. Die Leiche war unterdessen da und dort blutig, besonders an Haupt, Kehle und Beinen und Füßen, wo das Brett sie gedrückt; jetzt, da sie zuvor ganz weiß gewesen, fing sie an die Farbe zu wechseln und gerötet zu werden, während aus allen ihren Gliedern ein überaus wohlriechender Schweiß sich ergoß. Abwechselnd wie eine glühende Kohle rot und dann wieder blaß, schwitzte sie die aromatische Flüssigkeit, die bald wie reines Wasser, bald wie aus Wasser und Blut gemischt erschien. Wir, das alles sehend und anstaunend, riefen den Beichtvater herzu; das Gerücht hatte sich in der Stadt schon ausgebreitet, er kam schon unterrichtet mit dem trefflichen Arzte, Meister Johannes Marcanova, zum Kloster hingeeilt, und sie betrachteten und befühlten den Leib mit Aufmerksamkeit. Bald eilten noch mehr andere herzu: Geistliche, Aerzte, Weltliche und solche, die ein Urteil in der Sache hatten; der Weihbischof bezeugte, er habe wohl dreihundert heilige Leiber gesehen, aber keinen von solcher Schöne. Der Legat erlaubte, daß er sieben Tage lang dem Volke am Fenster des Chores gezeigt werde; alle sahen ihn rötlich und Wohlgestalt, dabei von Zeit zu Zeit die Farbe wechselnd. Der Bischof ließ darauf ein Mal in Form eines Altars erbauen, und sie wurde in ihm sofort in Anwesenheit der Vornehmsten der Stadt und in unser aller Gegenwart unter Hymnen und Gesängen beigesetzt und der Sarg mit zwei Schlüsseln verschlossen, deren einen der Beichtvater, den andern das Kloster verwahrte. Am nächsten Karfreitage gingen wir mit Erlaubnis den Leichnam besuchen, und nachdem wir die seidene Decke, die man darüber ausgebreitet, aufgehoben, fanden wir ihn ganz mit jenem Schweiße übergössen, der, wenn trocken, den allerbesten Geruch gewann. Als eine der Schwestern ein Stück Haut, da wo das Bett gedrückt, von den Füßen ablöste, floß sogleich Blut. In dieser Nacht sah man ihre Augen so eingefallen, daß kaum eine Spur von ihnen zu sehen war; da sie doch, als man sie beigesetzt, unversehrt waren wie bei einem Schlafenden. Wir wurden deswegen sehr betrüht, schlössen den Sarg und nahmen den Schlüssel zu uns. In der Osternacht gingen wir wieder zu ihrem Grabe, und als wir aufgeschlossen, fanden wir das eine Auge schön und die Pupille offen; nach kurzer Frist öffnete sich auch allmählich das andere, so daß sie am Morgen des Festes so schön war, daß sie zu strahlen schien; sie war blühend wie eine Rose mit offenen und klarscheinenden Augen. Sie wurde am zweiten Feste in diesem Zustande von den vorzüglichsten Geistlichen und Weltlichen der Stadt gesehen, die, vor Erstaunen darüber 110

außer sich, Wunderbares von ihr erzählten. Drei Monate nach ihrem Tode floß zu zwei verschiedenen Malen eine ganze Schüssel voll Blut aus ihrer Nase. Sie wurde in der Folge, da ganz Italien zuströmte, um sie zu sehen, in eine eigene Kapelle auf einen Sessel, reich gekleidet, die Hände auf ihrem Schöße liegend, gesetzt, wo sie durch ein eisernes Gitter, noch im vorigen Jahrhundert, wahrscheinlich auch zu dieser Stunde, gesehen werden kann: einer Lebenden ähnlich, nur daß die der Luft ausgesetzten Teile gebräunt erdunkeln.4 — Durch die Unverweslichkeit des Leibes werden denn auch, wie es scheint, sogar andere Gegenstände, die mit ihm in Berührung kommen, gegen die Verwesung geschützt. Als man im Jahre 1439, nach dem Ausbau der Kathedrale von Florenz, den Leichnam des hl. Zenobius neuerdings zu erheben beschlossen, fand man ihn zuletzt im Gewölbe eines Altares in seinem Marmorsarge. Als man diesen geöffnet hatte, sah man die Gebeine des Heiligen belegt mit den Blättern und Blüten jener Ulme, die tausend und zehn Jahre früher bei der ersten Beisetzung im Monat Januar geblüht und die man deswegen damals freudig in den Sarg gelegt. Sie hatten durch alle diese Zeit unversehrt, unverwesen und ohne irgendeinen Makel sich erhalten, gleich jenem Getreide, das man in den Katakomben von Rom gefunden und das seine Keimkraft nach so vielen Jahrhunderten sich noch bewahrt.5 2. Die gehöhte Sinnlichkeit a) S i n n l i c h e W a h r n e h m u n g f r e m d e r seelischer Zustände Wenn der natürliche Sinn in seiner Art nur Sinn ist für das Natürliche und um das Geistige sich nicht kümmert: dann wird dagegen der mystisch gesteigerte Gegensinn, tiefer eindringend und weit höher gestellt — indem ihm das rein Geistige aufgegangen, das jenem verschlossen geblieben —, zugleich einerseits den Widerschein desselben im Natürlichen wie in einem. Spiegel erblicken, andererseits aber auch das hinter der Hülle dieses Natürlichen etwa sich bergende Geistige unmittelbar erkennen. Für diese dreifache Wahrnehmungsweise bieten die Geschichten der Religiösen Tatsachen in Fülle dar. Zuvörderst gewahren sie mit Leichtigkeit das hinter leiblicher Hülle verborgene Seelische, und diese ihre Eigenschaft, die im Fleische wandelnden Geister in ihren Zuständen zu durchschauen, ist leicht an zahlreichen Beispielen nach111

zuweisen, von denen jedoch nur die, welche sich unmittelbar ans Auge knüpfen, aus dem die Seele ins andere schauend die fremde Seele erkennt, hierher gehören. Dem hl. J o s e p h v o n C u p e r t i n o wohnte, neben der Eigenschaft, fleischliche Sünden durch den Geruch zu erkennen, auch diese andere ein. Jene war in einem solchen Grade bei ihm ausgebildet, daß seine Ordensbrüder ihn, wenn solche Sünder ihm nahe gekommen, oft trostlos in seiner Zelle fanden, bemüht, durch Waschen und Reiben mit einem Schnupftuch oder auch durch Tabak den Geruch wieder aus der Nase zu bringen. In bezug auf die andere pflegte er wohl seinem Abt zu sagen: daß einige Personen ihm so häßlich erschienen, daß es ihm unmöglich sei, ihre Gegenwart und ihr Gespräch zu ertragen; und er führte dabei als Beispiele einen Eremiten und dann eine Frau an, die, im Rufe der Heiligkeit stehend, Visionen haben sollte, was aber alles falsch war, wie sich auswies, als er vermöge dieser seiner Kenntnis ihr ins Gewissen geredet und sie zum Bekenntnisse gebracht. Einst hatte der Kardinal Fachonetti, von Senigaglia aus, durch einen seiner Reitknechte ihm einen Brief gesendet. Kaum war Joseph des Knechts ansichtig geworden, sagte er mit strenger Miene zu ihm: Mein Sohn, du dienst einem so edlen Herrn und schämst dich nicht, mit einem so beschmutzten unflätigen Gesicht zu gehen! Gehe, wasche dich, damit nicht dein Herr, wenn er dich also sieht, Verdruß deinetwegen empfindet! Der arme Mensch kam darüber wie außer sich; er wußte, daß er am Morgen das Gesicht wohl gewaschen hatte, und konnte nicht herausbringen, wie er es beschmutzt haben mochte, ohne etwas Unreines anzurühren. Als er eine Zeitlang darüber nachgedacht, kam er darauf, es möge wohl nicht vom Schmutze des Gesichtes, sondern von der Befleckung des Gewissens die Rede gewesen sein; er machte daher, ehe er die Antwort abnahm, eine gute Generalbeichte und trat dann wieder vor den Heiligen hin. Dieser nahm ihn aufs freudigste auf, liebkoste ihn und sagte: So habe ich dich gewollt; wie du ankamst, warst du ein solcher Unflat, daß ich dich nicht ansehen konnte; jetzt, da du rein bist, kannst du kühn vor deinem Herrn erscheinen.8 Aehnliches erzählt Pastrovicchi von ihm aus den Akten. Als ein Vornehmer ihm einen jungen Edelmann zugeführt, fragte er jenen: Wer ist dieser Mohr, den du hergebracht; siehst du nicht, wie schwarz er ist? Er kehrte sich dann gegen den Jüngling, ihn anmahnend: Gehe, mein Sohn, wasche dein Gesicht! Als der Gewarnte seinem Rat gefolgt, empfing er ihn mit den Worten: Jetzt bist du schön, mein Sohn, wasche dich öfter; 112

denn gestern warst du so schwarz wie ein Mohr! Gehe, sagte er einem andern in ähnlicher Lage, wasche dein Angesicht, es ist mit Tinte besudelt! oder auch: O, wie häßlich bist du, gehe, richte deinen Bogen zurecht! Also pflegte er das Gewissen zu nennen.7 b) D i e V i s i o n

als P r o j e k t i o n des und Sinnlichen

Seelischen

Die Seele, nur in ihrem innersten und allertiefsten Grunde in sich selber, ist in ihrem Außen, in dem sie selbst Erscheinung wird, verbunden und geeinigt mit dem Körper, der, wie sie dort selbst in verschiedenen Vermögen sich offenbart, so auch in verschiedenen Organen sich ihr eingibt. Es mag sich daher nichts in dem also mit ihnen verwirkten Seelischen begeben, ohne daß sie selber mit verändert werden, und so hinwiederum. Wie nun innerlich Geistiges, einem solchen unteren Vermögen, dem des Gesichtes nämlich, sich anbequemend, in Herablassung es innerlich rührt und bewegt, wird diese Bewegung auch dem Organe sich mitteilen, und es wird sich nun das Umgekehrte ereignen, was im äußeren Sehen sich begibt: wie in diesem die Anregung des Organes sich der Seele einbildet, so hier die des Seelischen dem Organe. Die Folge wird sein, daß wie in äußerer Wahrnehmung die Seele das Bild, um es in sich aufzunehmen, entbildet, so das Organ seinerseits das Bildlose überbildet und überformt und ihm also äußere räumliche Gestalt gibt und, diese Gestalt außer sich stellend, sie sofort dahin projiziert, wohin der Bezug der geistigen Rührung gegangen. So also finden die vielfachen sinnlich bildlichen Erscheinungen, von denen die Bücher der Mystischen voll sind, ihre Deutung und Erklärung, und es begreift sich einigermaßen die wundersame Bilderwelt, von der sie sich umgeben finden. In der Regel aber sind es nur die Anfangenden, um die her sich diese Gestalten drängen, weil sie noch, unmündig wie sie sind, Kindern gleich Kindesspeise bedürfen. Wie daher die körperliche Erscheinung überhaupt als der unterste Grad im geistigen Reiche betrachtet wird, weil auch die Sinne am tiefsten stehen, so gelten auch solche Bilder nicht als sicheres Zeichen der Gottesfreundschaft, weil bei ihnen Blut und Einbildungskraft sich einmischen mögen, weil Krankheit und Manie ähnliches hervorrufen, und weil sie außerdem, wie sie bösen Ursprungs sein können, so auch wohl den Bösen gewährt werden. Darum wird auch das Verlangen nach solchen Gesichten von der Kirche nimmer gutgeheißen, sondern indem sie vielfältige Erfahrung gemacht, daß die wahrhaften Görres-Mystik

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ohne Verlangen als höhere Gabe gewährt und unter großen Furchten aufgenommen werden, dann urteilt sie mit Recht, daß das Sehnen nach ihnen in einem versteckten Hochmut wurzele, der dann seine gerechte Strafe in der Zulassung der Versuchung findet. Die solche nun mit Lust aufnehmen, sie als eigen besitzen wollen, sich darauf zugute tun, Großes von sich denken und sich weise wähnen, die werden, sagt ein alter Mystiker, in ihrem Sinne verstockt und des Dämons Kinder. Alle also, denen solche Erscheinungen zuteil werden, müssen — weil dergleichen sich, wie Richard von St. Viktor auslegt, in der Regel im Tale, bisweilen am Bergesabhang, nie auf dem Gipfel ereignet — sie mit Vorsicht aufnehmen, und selbst wenn ihnen Christus erscheint, sollten Moses und Elias als seine Zeugen im Geleite sein. c) D e r G e s a m t s i n n u n d d a s F e r n s c h a u e n Alle Sinne beziehen sich zuletzt auf einen Gesamtsinn, dem, als ihrem Unterwurfe, sie selber wieder objektiv gegenüberstehen, der sie, die sich untereinander nicht wahrnehmen, selbst wahrnimmt, der also ihre Wahrnehmungen unter sich ordnet und verbindet und in eine Gesamtwahrnehmung sie vereinigt. Dieser Gemeinsinn ist daher in die Mitte der besonderen Sinne gestellt, sie aber sind um ihn her in dem Umkreis geordnet, und zwar so, daß sie gruppenweise, je nach der Gliederung der Persönlichkeit, zueinander sich haltend, in geringerer oder größerer Entfernung von dieser gemeinsamen Mitte stehen. Eine solche erste Gruppe werden dem Zentrum am nächsten die Sinne des Hauptes bilden; eine zweite dieser gegenüber wird sich fernab in denen, die dem unteren Leben dienen, zusammenfinden, eine dritte mittlere endlich wird um die mittlere Region hergestellt erscheinen. Sie alle überragt dann der Zentralsinn, alles, was da wahrnehmend ist im Menschen, bis zum dunkelsten Selbstgefühl hinab, beherrschend und in sich behaltend. Werden aber nun in den mystischen Zuständen alle die einzelnen Sinne der Reihe nach gehöht, geeinigt und zentriert, dann wird dasselbe zugleich auch d e m geschehen, der ihrer aller Gemeinsamlichkeit in sich beschließt: er wird, der Stätte enthoben, die er seither eingenommen, in eine noch tiefere Mitte eingeführt und von ihr aus nun das Geteilte der anderen Sinne auch tiefer einigen. Diese Sinne werden darum zweitens auch in ihren Gruppen näher an diese gemeinsame Mitte treten und, in engerer Fassung gehalten, williger der herrschenden sich lassen. Ihr aber näher werden sie in der stärkeren Haltung auch untereinander sich näher kommen 114

und, nun auch unter sich stärker zentriert, wie sie innerlich sich näher treten, so äußerlich in bestimmten ausgewirkten Massen sich zusammentun, die nun ebenfalls wieder in derselben Haltung, untereinander sich näher rückend und massenweise sich bestimmend, als untergeordnete Momente in den Gemeinsinn eingehen. Dieser Gemeinsinn wird in und über der höchsten Gruppe der verschiedenen Sinne des Hauptes stehen, und indem die anderen dann sich unter diese, jede an ihrer Stätte, ordnen, werden alle im Gemeinsinn in ihrer engeren Fassung gehalten, in eine Einigung sich zusammenfügen, in der die geteilten Wirksamkeiten aller Sinne, insgesamt massenweise in große Grundwirksamkeiten aufgehend, zuletzt in .einer gemeinschaftlichen, tief gegründeten und darum weit ausgreifenden Sinneswahrnehmung sich einigen . . . Das ist nun jener Zentralsinn, der schon bei den magnetisch Hellsehenden in einem so hohen Grade der Schärfe sich entwickelt und auch den Mystischen nicht fehlt, aber bei ihnen vorzugsweise in die Regionen geht, in denen sie heimisch sich angesiedelt. Wenn nämlich bei jenen der Sinn, hauptsächlich gegen die Natur gekehrt, in ihr gegen oben und unten, in den zwei Momenten, sich gesteigert: dann wird er bei diesen, gegen Gott und das Heilige gewendet, auch in dieser Richtung nach aufwärts und abwärts gehöht erscheinen, und das Natürliche wird bei ihm nur wie zufällig in diesen Kreis eintreten, eben wie das Geistige nur untergeordnet in die Kreise der andern eingreift. Bei beiden in der Doppelrichtung, gegen Höhe und Tiefe hin, gesteigert, faßt er auch in beiden die ihm entsprechenden Gegenstände in einer gesteigerten Weise; mehr in ihrem Prinzipe also, und somit minder in der Erscheinung, weil er selber mehr prinzipienhaft geworden; mehr in der Mitte, weil er selber der Mitte näher getreten; mehr im Leben auch als in der Lebenswirkung, weil er auch seinerseits innerlicher geworden, tiefer ins Leben eingegangen. Weil aber also wirkend, wird er auch äußerlich die körperlichen Dinge nicht einzeln in ihrer räumlichen Ausbreitung verfolgen dürfen, sondern er wird sie, wie sie inmitten derselben in räumlicher Gegenwart beisammen sind, erfassen; somit also das Fernste in engster Nähe schauen. Ebenso wird er innerlich die geistigen Gegenstände nicht in ihrer zeitlichen Ausbreitung, eins ums andere, diskursiv erschauen, er wird sie vielmehr in die zeitliche Gegenwärtigkeit zusammengreifen und sohin auch nicht, wie in den gewöhnlichen Zuständen, sich durch die Zeit gebunden finden, sondern vorschauend und rückschauend sich über die fließende Gegenwart erheben. Darum ist er auch nicht darauf beschränkt, das Geistige, in die Hülle des Leiblichen gekleidet, bloß in seinen 8*

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Wirkungen auf dies Leibliche zu schauen, sondern, da das die geteilten Sinne sonst irrende Leibliche ihm durchdringlich geworden wie das Eigene, wird er das Fremde mit gleicher Leichtigkeit wie das Eigene durchblicken. So vordringend bis zur Werkstätte, wo die Wirkungen sich bereiten, wird er sie in ihrem Entstehen schon gewahren und Gedanken und Entschlüsse lesen und erkennen in der Kraft, die sie gezeugt, ehe denn der äußere Mensch sie in Rede und Tat ans Licht geboren. Ebenso wird es ums Heilige jeglicher Art beschaffen sein, das, der unsichtbaren Welt angehörig, im gewöhnlichen Zustande den Sinnen sich verbirgt, hier aber von diesem in Weihe gehöhten als das ihm in Gleichartigkeit Verwandte leicht erfaßt wird und wahrgenommen. Was sich uns also, für die einzelnen Sinne, im einzelnen bewährt, dasselbe wird auch im ganzen für diesen Gesamtsinn gelten: ja man wird sagen können, daß er es ist, der in den mystischen Zuständen, nun als der eine und dann wieder als der andere Sinn in Wirksamkeit tretend, die ungewöhnlichen Erscheinungen in ihnen bedingt; weswegen denn auch die Tatsachen, die dort vereinzelt gestanden, hier nun in Verbindung geeint und darum höher gesteigert wiederkehren. Im Gesamtsinne gründet nun auch die Gabe, in die Ferne von Raum und Zeit zu schauen. Jeglicher Mittelpunkt beherrscht den ganzen Umkreis, und wer in jenem, nicht etwa bloß geometrisch, sondern im Leben und in der Kraft ist, wird auch in diesem gegenwärtig sein, oder vielmehr er wird ihm gegenwärtig stehen, und vor dieser Nähe wird die Ferne dann verschwinden. Ebenso wird es dann auch um die Zeit beschaffen sein. Alles Werdende wie das Gewordene gehört ihrem Flusse an, das Fließen aber setzt ein ruhendes Sein voraus, in dem es zustande kommt und an dem es abläuft, das daher den Grund seines Bestandes in sich selber hat und dem andern Werdenden eben darum Grund seines Verlaufes wird. Dies Ruhende steht daher über der Zeitenströmung, es ist die Zentralzeit, in der die peripherische abläuft, die daher in der andern, wie begründet, so befaßt und beschlossen steht, so daß auch hier, wer in dieser Mitte steht, den ganzen Kreis, der sich um sie her bewegt, überschaut und in zeitlicher Gegenwärtigkeit Kommendes und Vergangenes erblickt. Wie in jenem räumlichen Fernsehen also mehr das natürliche, der Außenwelt zugewendete Hellsehen sich offenbart, so wird in diesem zeitlichen mehr das geistige, der Innenwelt zugewendete als prophetische Gabe sich kundgeben. Es ist aber diese Gabe, hier nur erst auf ihrer unteren Stufe gefaßt, im Gegensatze der höheren, sich und ihres göttlichen Ursprungs bewußten, mehr ein prophetischer, in 116

bewußtloser Eingebung wirkender Instinkt, der sich an jenen Gesamtsinn knüpft und darum auch nur seine Verlässigkeit in Anspruch nimmt. Tatsachen der mannigfaltigsten Art zeugen für dies zwiefache Fernschauen bei den Mystischen. Im Leben der s. Alpaidis de Cadoto wird erzählt: bei unaufhörlicher Kränklichkeit und bei außerordentlicher Magerkeit — da sie beinahe nichts gegessen — sei doch ihr Gesicht stark und schön gewesen, als ob sie in allen Wollüsten gelebt. Oft habe sie rücklings gelegen und dann nichts als den Kopf und den rechten Arm zu bewegen vermocht. In diesem Zustande hatte sie öftere Gesichte, sie sah dann die Welt und alles in ihr Befindliche im Geiste, und wenn sie nach einem oder mehreren Tagen aus jener tiefen Ruhe wieder hervorging, schien es ihr, als ob sie aus den Regionen des reinsten Lichtes in die Dunkelheit übergehe und als ob eine dichte Decke ihre Geistesaugen umhülle, wie sie dem Berichterstatter oft selbst gesagt. Sie erzählte, daß sie in ihrem Schauen die Welt wie eine Kugel erblicke, die Sonne größer als die Erde, diese wie ein Ei in der Mitte schwebend, von Wasser umflossen. Die Dinge und ihre Gründe und Ursachen seien so unendlich und verborgen, daß einer immer um so weniger fasse, je mehr er nachforsche. Sie war übrigens unwissend auf dem Felde beim Vieh erzogen.® Als Elisabeth von Schönau einst mit den Schwestern unter einem völlig abgeschlossenen Gewölbe saß, sah sie draußen einen Regenbogen stehen; die Schwestern gingen hinaus, um zu sehen, ob es sich wirklich so damit verhalte, und wunderten sich sehr, daß er der Schauenden durch die Mauern hindurch sichtbar geworden. Dieselbe erzählte ihrem Bruder, wie sie bei der Einweihung seiner Kirche in Bonn, obgleich wohl 16 Stunden fern, doch zugegen gewesen, sie beschrieb ihm alles, was sich dabei begeben, bezeichnete seine Kollegen, die Stiftsherren, die dabei zugegen gewesen, und gab an, was er selbst dabei getan. — Als der Lebensbeschreiber der Maria von Oignys fern von ihr in Paris geweiht wurde, erkannte sie, wie ihm zumute war, den Ort der Weihe, des weihenden Priesters Wesen und schrieb es ihm, wie sie es gesehen, hinzufügend unter anderm: der junge Baum hat jetzt geblüht, seine Früchte aber hat m i r Gott bestimmt. Er verstand das damals nicht und begriff es erst, als er, der seine erste Messe in Frankreich abzuhalten sich vorgenommen, sie wirklich in Oignys in ihrer Gegenwart hielt. Bei unzähligen andern ist ähnliches eingetreten, besonders das Meßopfer ist es alsdann, gegen das dies Hellsehen gerichtet ist, so daß die Mauern, die zwischenliegen, sich dem Blicke der 117

Schauenden zu öffnen scheinen, und diese nun, was fern von ihnen vorgeht, leicht gewahren und besonders den Eintritt der Konsekration mit Klarheit erkennen. So ist es dem Franziskus von Dyrrachium geschehen, der von seiner Küche aus durch drei Mauern sah, was sich am Altar begab. Ein andermal aber sind es auch wohl weltliche Dinge, aber im Bezug zur Kirche stehend, die im Ferngesicht aufgehen. So dem Papst Pius, der im Jahre 1571, mitten in einem Gespräch mit dem Schatzmeister Bussato und andern, das er im Vatikan abgehalten, die Rede abbricht und, ans Fenster des Zimmers eilend, eine Zeitlang mit gegen den Himmel gehobenen Augen steht und dann zurückkehrend freudigen Angesichts zu ihnen sagt: Wir müssen Gott danken, denn in diesem Augenblicke hat unsere Flotte mit der feindlichen gekämpft und sie gänzlich ausgetilgt, worauf er niedergekniet und unter vielen Tränen Gott seinen Dank dargebracht. E s war aber die entscheidende Schlacht bei den Echinaden, zwischen der christlichen und türkischen Flotte, welche der Papst also gesehen. Zunächst dann Abt Makarius von Würzburg, der in Rom am Tische Eugens III. den Turm seiner Kirche vom Nordsturme umgeworfen sieht, und dem ein Weheruf darüber entfährt. Dann der hl. Lupus, der, in Sens zu Tische sitzend, im Geiste den Mann Gottes Winnebundus in die Stephanskirche eingehen sieht und nun vom Tische aufstehend ihm entgegeneilt. Weiter Godhard, der in großer Ferne den Tod seines Freundes Meinwerk, Bischofs in Paderborn, vernimmt und alles zum Totendienste rüstet. Wieder dann Lidwina, die genau die innere Einrichtung ferner Klöster den sie besuchenden Vorstehern derselben erklärt, und der hl. Vinzenz Ferrerius, der bisweilen seine Predigten unterbricht, dies oder das andeutend, was sich ferne oder nahe begibt. Dann St. Brigida von Kildar. die. mit zwei Bischöfen wandelnd, nachdem sie sich die Himmelsgegend ihrer Heimat zeigen lassen, ihnen von der Schlacht erzählt, die jetzt dort geschlagen wird, und, da die Bischöfe darüber erstaunen, ihre Augen bezeichnet, daß auch sie nun sehend werden und der eine selbst Augenzeuge ist, wie zwei seiner Brüder enthauptet werden. Wieder auch Joseph von Cupertino, der in die Ferne hinaus den Inhalt der Briefe spürt, die ihm geschrieben werden, in solchem Grade, daß, als einmal der Kardinal Rapaccioli in großer Beängstigung seinen Gemütszustand ihm schriftlich ausgelegt und nun den Brief eben absenden wollte, sein Sekretär ihm von der Post einen andern des heiligen Mannes überbrachte, der Punkt vor Punkt den seinigen beantwortet, so wie er ein andermal auch demselben alles und jedes, was er zu einer gewissen Stunde fern von ihm in Terni in seiner Stube vorgenommen und 118

gesagt, auslegt und erzählt, was der Kardinal später mit einem Eid erhärtet.' Ebenso bestimmt zeugen denn auch vielfältige Tatsachen für jenes prophetische Fernsehen in die Zeiten hinaus, obgleich im ganzen — da die Zukunft des noch nicht Gewordenen mit tieferem Dunkel bedeckt scheint als die Vergangenheit des schon Gewesenen, aber wieder Entwordenen — die Fälle minder häufig vorkommen als beim Schauen in die räumlichen Fernen. Von mancherlei Vorliegendem hier nur einiges: Im Leben des hl. Dominikus wird erzählt, wie er den blutigen Albigenserkrieg und den Tod, den Peter von Aragonien in ihm genommen, vorausgesehen. Ehe noch irgendeine Nachlicht von diesen Albigensern in die Gegend von Lüttich gedrungen, wußte Maria von Oignys den Kreuzzug gegen sie vorher; denn sie hatte viele Kreuze vom Himmel auf die Menschen niedersteigen gesehen, und der Herr hatte ihr gesagt, daß er diese Länder beinahe ganz verloren. Auch die Niederlage der Kreuzfahrer bei Mongausy hatte sie im Geiste vorhergesehen. Nicht minder vorschauend in die Zeiten zeigte sich der hl. Franz von Assisi, als er den neugeborenen' Sohn des M. de Rubies, aus dem Geschlechte der Ursiner, in die Arme genommen und in ihm den nachherigen Papst Nikolaus III. erkannt, oder die Jungfrau Oringa, die ein Kind in der Wiege weinen hört und seinen künftigen Tod am Galgen erkennt. Wieder ist es der hl. Antonius von Padua, der, so oft er einem Notarius, weltlich und fleischlich gesinnt in allem, begegnet, die Knie vor ihm beugt und, wie dieser ihn endlich zürnend deswegen angeht, die Antwort gibt: Gern hätte ich mich dem Märtyrtum hingegeben, von dir aber ist mir offenbart, daß du ein herrlicher Märtyrer zu werden bestimmt bist; was dann wirklich sich in kurzer Zeit erfüllt, obgleich damals der Notar der Rede gelacht. Darauf Laurentius Justinianus, der den Tautino Dandolo mit dem Aschenkreuze bezeichnend, ihm vorausgesagt: er werde im andern Jahre dieselbe Verrichtung an andern zu üben berufen sein. Wieder ist es der hl. Franz von Paula, der mitten im Frieden für die Abwendung des drei Monate hernach ausbrechenden Türkenkrieges seine Brüder beten läßt, oder Philippo Neri, der bei zweien seiner geistlichen Söhne, die an demselben Tage den Dominikanerhabit angenommen, die ganz verschiedenen Wege zum voraus bezeichnet, die sie durchlaufen werden. Dann auch Ignaz von Loyola, der im Herzog Franz Borgia den künftigen General seines Ordens erkennt, und Franz Olympius, der unter sieben ihm vorgestellten Söhnen der Markgräfin von Antio, wie Samuel den David, so den herausfindet, der einst seinem Orden an119

gehören wird. Weiter ist Johannes Sahaguntinus, der in Salmantica seine Predigt mit den Worten beginnt: Ich begehre, meine Zuhörer, daß ihr Frieden und Ruhe haltet, denn ich weiß, es wird sich Aufstand und Mord an dieser Stätte erheben, aber wer ihn zuerst anhebt, wird ein Mann des Todes sein. Die Worte mochten nicht verhindern, daß nicht bald die Schwerter aus den Scheiden gefahren und die Messer gezogen wurden, aber bald setzt das Geschrei: der zuerst angefangen, sei erschlagen, dem Handgemenge Grenzen . . . Auch dem hl. Joseph von Cupertino ist solch ein weit reichend Auge zugeteilt, und mit ihm schaut er nicht bloß den völligen Verlauf seines eigenen Lebens zum voraus, sondern auch, wie unzählige Beispiele vorliegen, den Lebenslauf anderer. Da er einst einem vielverschrienen Weibe begegnet, spricht er in dieser Kenntnis zu ihr: Gott will dich haben, lasse diesen eiteln Aufzug und liebe Gott, Magdalena! und sie bewährt später die Wahrheit der Anrede, da sie sich bessert und den Namen Magdalena annimmt. Als die Mutter einer Braut, der er einen Sohn vorgesagt, ihn voller Freude bittet, er solle in diesem Falle das Kind aus »der Taufe heben, läßt er ihr sagen, sie müsse eine bessere Rechnung machen, er werde dann nicht mehr am Leben sein, und es geschieht, wie er gesagt.10 Der hl. Rosa von Lima war derselbe Geist gegeben. Sie saß einst im Garten, den Schoß mit Rosen gefüllt, und ergötzte sich, von ihm getrieben, die Rosen Gott darbietend, sie untereinander in die Höhe zu werfen. Ihr Bruder, der hinzugekommen, hielt es für ein Spiel und wollte mit Anteil nehmen, aber seine Rosen fielen wieder zur Erde nieder, während die ihrigen schwebend blieben in der Luft und dort die Kreuzesform, mit einem Kreis umfangen, bildeten. Sie wußte das Bild zu deuten auf die Jungfrauen, die nach ihrem Tode in Lima in ein Kloster der hl. Katharina von Siena sich einigen würden.11 3. Mystische Begeisterung der schöpferischen Kräfte Die Seele ist, sagen die Mystiker, wie Janus zweigestaltig; zwei Zugänge sind ihr zugeteilt: nach oben zum Ewigen, nach unten zum Zeitlichen, durch jene Pforte gehen die sinnlichen Bilder und Gefühle ein, durch die andere die intelligiblen Formen. Sie selbst also in ihrer Eigenheit, von oben herab einer Reinigung, von unten herauf einer Ansteckung empfänglich und so vom äußeren Sinn und Leben abhängend, wie der Geist in seiner Richtung nach abwärts von ihr, ist innerhalb ihres Gebietes an Bild und Wort gebunden und vermag nichts zu wirken denn sie und in ihnen. 120

Das sinnlich im Wahrnehmungsvermögen empfangene oder selbsttätig von innen heraus in der Einbildungskraft hervorgebrachte Bild und das innerlich gesprochene Wort, so wie der in automatischer Freitätigkeit aushallende Laut, sind wieder Material, in dem dieselbe Einbildungskraft frei waltet, und das sie nach den Gesetzen eigentümlicher Assoziation zubildend zum K u n s t w e r k umgestaltet. Wir sind also hier im Gebiete der K u n s t angelangt, die, den Prozeß der von innen nach außen vorschreitenden Wortbildung und der von außen nach innen zurückgehenden Bilderausprägung voraussetzend, über ihnen ihren eigenen begründet, in dem Selbstgegebenes und Empfangenes in wundersamer Weise zu eigenartigen, selbständigen Gebilden sich verketten. Der in gewöhnlichen Verhältnissen, obgleich unter der Mitwirkung des Genius, frei geübten wird hier in mystischen eine e i n g e g o s s e n e K u n s t entsprechen . . . Schon das Altertum knüpfte in solchen Fällen, wo Ungemeines und darum Unerklärbares in diesen Gebieten aufgetaucht, die Begeisterung an einen Gott. Das Christentum, indem es sie dem göttlichen Geist, dem Geber jeder guten Gabe, zuschreibt und solche Werke als teilnehmend an seinem Ausfluß preist, ohne darum die menschliche Zutat zu verkennen, tut ihnen darin ohne Ueberschätzung und Unterschätzung ihr gebührend Recht, daß es in ihnen Erzeugnisse einer heiligen Kunst im Gegensatze einer bloß profanen ehrt und in den Ausübern derselben im Feuerweine von oben Begeisterte anerkennt. Unter den Malern, die Mystiker gewesen und denen man daher zugetraut, daß sie unter höherer Eingebung gebildet, wird vor allen J o h a n n e s v o n F i e s o l e genannt, der 1455 in Rom gestorben. Er, der kunstreichste seines Faches in seiner Zeit, gehörte dem Dominikanerorden an; geistreich zugleich und heilig, dabei seinen Mitbrüdern in großer Liebe zugetan, hielt er sich in all seinem Wandel also, daß man ihn den Englischen zu nennen pflegte. Als er nach Rom berufen worden, um die päpstliche Kapelle auszumalen, lebte er am dortigen Hofe wie zuvor in seinem Kloster, in derselben Enthaltsamkeit und den gleichen Bußwerken. Als der Papst Nikolaus V. endlich aufmerksam darauf wurde und wahrnahm, wie er nie seine Ordensfasten unterlasse, sprach er eines Tages zu ihm: Heute will ich, daß du Fleisch essest, weil sonst dein Leib durch die viele Arbeit allzusehr abgemattet wird. Johannes erwiderte unerschrocken: Heiligster Vater! Solches haben meine Vorgesetzten mir nicht anbefohlen. Wohl, sagte der Papst, so befehle ich es dir dann und dispensiere dich, denn ich bin der 121

Vorgesetzte aller Vorgesetzten. Kein Kruzifixbild malte er anders als unter Vergießung vieler Tränen; die Bilder der Jungfrau oder das Kreuzeszeichen aber führte er immer nur knieend aus. Was er in Tugenden und Beispielen vorstellte, bemühte er sich in seiner Seele nachzubilden; so mußte die Vorstellung wieder Abbild dessen sein, was er in sich vorgeschaut. Kein Wunder, daß, als er die Verkündigung Marias mit großer Kunst, Zierde und sonderbarer Gnade gemalt, Michelangelo von dem Bilde geurteilt: es sei menschlicherweise unmöglich, ein so holdseliges Bild der Jungfrau zu gestalten, der Maler habe denn selbst das Urbild gesehen. In der Anmut und zarten Lieblichkeit, die alle seine Schöpfungen eigentümlich auszeichnet, läßt sich der Widerschein einer höheren Schöne nicht verkennen; und von so viel andern Malern älterer Schule, deutscher wie welscher Zunge, die es ihm darin gleichgetan, darf man glauben, daß sie in dieser Schöne so viele ihrer Werke, die den Charakter von Visionen deutlich an sich tragen, ausgestaltet.18 Als die hl. K a t h a r i n a v o n B o l o g n a , einst von tödlicher Krankheit überfallen, schon die letzte Oelung erhalten und die Schwestern ihres Klosters deswegen im Gebete bei Gott um ihre Erhaltung flehten, wurde die Kranke plötzlich vom Geiste entrückt und sah in schöner Aue den Herrn auf einem glänzenden Throne sitzen, vor ihm aber einen stehen, der auf einer Laute immer nur die Worte spielte: et gloria ejus in te videbitur. Die Lieblichkeit dieses Gesanges war so groß, daß es schien, als wolle er ihre jubelnde Seele ganz vom Leibe scheiden; der auf dem Throne aber faßte sie bei der Rechten, sagend: Tochter, merke wohl auf, was dort gesungen wird! Er eröffnete ihr dann, daß sie für jetzt nicht sterben werde. Sie kam zur Freude der Ihrigen wieder zu sich und wiederholte nun immerfort mit Jubel die Worte, die sie gehört: und seine Herrlichkeit wird in dir gesehen werden. Sie verlangte, daß man ihr eine Laute verschaffe, und da keine zu finden war, wollte sie beinahe verschmachten; sie wiederholte so lange immer wieder die Frage, bis man endlich die gefunden, die noch jetzt in ihrem Kloster in Bologna aufbewahrt wird. Sie hatte nie gelernt, das Instrument zu spielen, gleichwohl vermochte sie sogleich den Sang, den sie gehört, auf ihm sich zurückzurufen. Sie kam darüber oft außer sich, lag auf ihrem Bette wie gänzlich unempfindlich und fuhr immer fort, die Augen gegen den Himmel gerichtet, das Lied zu singen, so daß die Jungfrauen um sie her nicht anders meinten, als sie werde vor Freuden sterben. Sie lebte von da an nur noch ein Jahr, während dessen sie ein mehr himmlisches als irdisches Leben lebte.13 122

Ihr schließt zunächst der hl. H e r m a n n J o s e p h v o n S t e i n f e 1 d sich an. Dieser hatte für die hl. Ursula und ihre Begleiterinnen eine große Verehrung gefaßt, und daraus war eine Art von vertraulichem Verkehr zwischen ihm und den Gefeierten, wie er in dergleichen Fällen immer eintritt, hervorgegangen. Sie waren ihm häufig erschienen, hatten ihm ihre Namen genannt, ihm mancherlei Geheimes bekanntgemacht und ihn in seinen Nöten und Sorgen oft getröstet. Um ihnen dafür seinen Dank und seine Liebe zu bezeugen, hatte er ihnen zu Ehren einen neuen Sang gedichtet; jene Hymne, die gewöhnlich als Anhang seinem Leben beigefügt ist und die mit den Worten beginnt: O vernantes Christi Rosae, Supra modum speciosae, O puellae, O Agnellae, Christi carae Columbellae. Als er das Lied zu schreiben angefangen, war ihm eine der Jungfrauen sichtlich erschienen und hatte, vor ihm stehend, ihm aufs liebreichste und vertraulichste mitgeteilt, was geschrieben werden sollte. Auch sah er eine schöne Taube auf seiner Schulter sitzen, in der er gleichfalls eine der Jungfrauen erkannte, was ihm Veranlassung gab, in der Dichtung die ganze Schar Tauben zu nennen. Aber er wollte dem Liede auch eine Melodie beifügen, und das hatte mehr Schwierigkeit; aber es gelang doch auch zuletzt, und die Komposition war vollendet. Die Weise, wie es damit zugegangen, fragte sein Lebensbeschreiber, der mit ihm in demselben Kloster gelebt, seiner in dergleichen Dingen großen Schweigsamkeit in folgender Weise ab. Als ich einst, erzählt er, nachdem lange Zeit seither vergangen, mit ihm allein und vertraulich beisammensaß, da hub ich scherzweise an, ihm eine Art von Anmaßlichkeit vorzuwerfen, daß er es gewagt, Melodien zu den Geschiehten und Gedichten zu komponieren; was doch solchen, die der Musik wohl erfahren, eine sehr schwierige Aufgabe scheine. Gezwungen, das kleine gegebene Aergernis wieder gutzumachen und die ihm fälschlich schuldgegebene Fehle zu entschuldigen, eröffnete er, der von sich schlechterdings keine Unwahrheit zu reden vermochte, die bisher verschwiegene Wahrheit. Nicht ich allein habe den Sang komponiert, sondern die heiligen Tauben haben mir dabei geholfen, sprach er, mich bedeutend. Als ich nun nach der Weise dieser wunderbaren Offenbarung fragte, fuhr er fort: Da ich, nachdem die Worte des Liedes niedergeschrieben waren, verlegen um die Melodie, mich auf 123

meinem Bettlein niederlegte, da hörte ich, wie ein Chor der Jungfrauen, über mir in der Luft schwebend, mir die Melodie vorsang, die ich dann, wie ich sie von ihnen gelernt, den Worten unterzusetzen mich bemühte. Darauf ich: Das aber scheint doch unglaublich und einem Märchen ähnlich, daß irgend jemand, wie geschickt er auch sei, einen einmal gehörten Gesang also dem Gedächtnis einpräge und ihn zudem auch niederschreibe. Aufgeregt durch diese Worte und bemüht, dem Zweifelnden genug zu tun, löste er nun meine Verwunderung durch noch Wunderbareres, indem er hinzusetzte: So oft es mir begegnete, daß ich ihren Sang vergaß und andere Noten niederschrieb, als ich Töne gehört, hüben sie an, die Töne, die ich vergessen, über mir nochmal zu singen. Sie wiederholten das abermal und nochmal und so oft, bis die Klänge sich aufs beste meinem Gedächtnisse eingeprägt und ich nun das Geschriebene ausmerzte und, was sie mich gelehrt, aufs genaueste niedergeschrieben. Er begann dann jene Strophen des Liedes abzusingen, die ihm seine Lehrmeisterinnen in solcher Weise durch öftere Wiederholung eingeprägt, sie dem Horchenden mit solcher fröhlichen Heiterkeit vorsingend, daß über der Erzählung Seele und Antlitz ihm in wunderbarer Fröhlichkeit bewegt wurden. Von vielen der älteren Kirchenlieder, die, während so viel anderes gewechselt und gewandelt, in ihrer Größe, durchdringenden und erschütternden Gewalt, Würde, Schöne oder reizenden Anmut und Lieblichkeit so viele Jahrhunderte durchtönt, in ewiger Jugend immer dieselben an Wirkung und Gewalt beharrend, darf man glauben, daß sie ähnlichen Ursprung in einer vom höheren Geiste hingenommenen Seele gefunden. Selbst Palästrina hat ja bekanntlich von einer seiner besten Kompositionen ausgesagt, wie er sie vorsingenden Engeln nachgeschrieben.1* Unter den Späteren ist es J a c o p o n e, der vor andern gar wohl verdient, daß wir etwas länger bei ihm verweilen. Er war geboren in Umbrien, nicht allzuferne von Rom, aus dem edlen Geschlechte der Benedettoni, und hatte, in der Taufe Jakob genannt, später aus Selbstverachtung den Namen Jacopone angenommen. Er war lange als Anwalt vor den Gerichten tätig gewesen und, regsam und lebendig wie er war, auf Ehren und einen berühmten Namen gar sehr versessen; in allen Künsten und Schwänken seines Berufes ausgelernt, dazu den Aufwand liebend, hatte er sich mit ganzer Seele der Welt und ihrem Treiben hingegeben. Da fügte es sich, daß der Einbruch der Sitze bei einem öffentlichen Schauspiele neben vielen anderen Frauen auch der seinigen den Tod brachte und 124

die früher ungeahnte Frömmigkeit dieser seiner Gattin, die er bei der Gelegenheit entdeckte, ihn wie außer sich brachte und eine gänzliche Umkehr in ihm bewirkte. Er hatte mit einem Male in sich geschlagen und fing nun an, mit demselben Eifer, den er seither der Welt zugewendet, den Dienst Gottes anzugehen. Er entzog sich dem öffentlichen Leben, verteilte sein Vermögen unter die Armen, ließ sich unter die Tertiarier des hl. Franziskus aufnehmen und trachtete fortan nur danach, sich selber zu überwinden, seiner Leidenschaften Meister zu werden und seine Vergehen zu büßen. Er sann deswegen, um das frühere Ringen nach Ruf und Namen zu bestrafen, nur darauf, wie er, als der verachtetste und letzte aller Menschen, allen zum Spott und Gelächter werden möge. Er tat und sprach deswegen Dinge, die darauf berechnet waren, ihn den Leuten lächerlich zu machen; die Vorstellungen seiner Verwandten dagegen hatten ihn nur eifriger gemacht, und er ließ kein Mittel unversucht, was ihn der Welt recht vom Grunde aus verächtlich machen konnte. Er erreichte seinen Zweck; die Knaben liefen ihm bald auf der Straße nach, ihn höhnend und verspottend; er nahm alles unbewegt hin. Auch die Bürger machten sich eine Lust daraus, ihn im Gespräche anzugehen; einige versuchsweise, ob sie ihn aufreizen möchten, einige der ernsten Reden wegen, die er führte. Dies Leben lebte er zehn Jahre fort, während dieser Zeit erstaunliche und unglaubliche Werke der Abtötung und Selbstüberwindung übend. Nach dem Ablaufe derselben schien es ihm, die längere Fortsetzung solcher Lebensart möge Gefahr bringen und es sicherer sein, sich unter der Hut des Gehorsams zu halten; er beschloß daher, sich in den Orden des hl. Franziskus aufnehmen zu lassen. Es kostete große Mühe, bis es ihm damit gelang, weil die Brüder Bedenken hatten, einen Mann, der überall als ein Tor geachtet wurde, zuzulassen; sein Gesang über die Verachtung der Welt, den er ihnen brachte, machte sie indessen anderen Sinnes und verschaffte ihm Zutritt. All sein Bestreben war nun aufs neue dahin gerichtet, sich selbst zu erniedrigen, und er nahm zugleich die härtesten Büßungen auf sich, ließ sich die niedrigsten Verrichtungen im Kloster gefallen und brachte, was ihm an Zeit übrig blieb, im Gebete zu. Wieweit er inzwischen auf diesem Wege vorgeschritten, war er doch vor Versuchungen nicht freigeblieben. So hatte ihn einst eine unbezwingliche Lust nach Fleisch angewandelt, und er hatte sich damit gestraft, daß er den Gegenstand dieser Begier in seiner Zelle aufgehängt, der erst durch seinen Gestank die eigene Zelle, bald die benachbarten erfüllte. Darüber hatte der Guardian 125

zürnend ihn am übelriechendsten Orte des Klosters eingesperrt. Er aber nahm die Strafe mit solcher Freude auf wie ein Geiziger, der einen Schatz gefunden, und sang von da aus, wie aus seinem Schlosse, mit heller Stimme Gottes Lob. Hier war es, wo er den Sang dichtete, der sechsundsiebzigste in der Folge seiner Dichtungen, beginnend mit den Worten: O Jubilo del Core Che fai cantar di amore. Da er in solcher Weise sang, freudig darüber, daß er an einem der Bezwingung der Natur so günstigen Orte weilte, und einzig von der Liebe begeistert, da erschien ihm der, den er so liebte, und der seiner Freunde selbst an solchen Stätten nicht vergißt, mit freundlichen Worten ihm Trost zusprechend: Werter Jacopone, weil du aus Liebe zu mir diese Unbill hingenommen und diesen Uebelgeruch nicht scheust, darum bin ich dich zu trösten herzugekommen; begehre, welche Gnade du willst, und sie soll dir werden. Da der Diener des Herrn den erkannte, den er einzig liebte, da erwiderte er: Das ist die Gnade, deren ich begehre, daß du mich an einen noch weit greulicheren und übelriechenderen Ort verstoßest, damit ich in ihm meine Sünden büßen mag, da der gegenwärtige dazu nicht beschwerlich genug ist. Um dieser demütigen Antwort willen übergoß ihn Gott mit solchen Tröstungen, wie er sie nie zuvor empfunden; und er hatte seit diesem Gesichte solches Licht von oben und so große Zunahme in der Liebe, daß er immerfort, wie in Süße berauscht, sich selber zu überragen schien und fortan, einzig in Betrachtung himmlischer Dinge versenkt, sich um nichts anderes kümmerte. Durch sein Dulden und Sichselbsterniedrigen hatte er eine so hohe Stufe der Heiligkeit erstiegen, daß er über alle Uebel und Plagen und Nöte, die-irgend im Leben begegnen mögen, gänzlich hinausgerückt erschien und von ihnen nicht weiter berührt wurde. Zugleich war seine dichterische Ader fließend geworden und ergoß sich in jenen Reichtum liebeglühender Dichtungen, die die Sammlung seiner Schriften aufbewahrt. Es war aber nichts, was ihm so nahe ging, als der beständige Anblick, wie Gott fortwährend in der Welt mit Unbill belohnt und immerfort beleidigt wird; solchem Schauspiel mochte er nicht ohne tiefen Schmerz und Tränen zusehen. Einst befragt von einem der Brüder, warum er also weine, erwiderte er: Ich beklage, daß die Liebe nicht wiedergeliebt wird. Der wärmste Eiferer zu Gottes Ehre und keine Gefahr und Beschwerde scheuend, wo es diese vor den Menschen zu verfechten galt, griff er darum die Laster, nicht bloß derer, die 126

ihm gleich, sondern auch jener, die über ihm waren, mit bewunderungswürdiger Freimütigkeit an, besonders wenn er wahrnahm, daß sie Gott nicht so ehrten, als sie sollten, wie er es selbst gegen den Papst Bonifaz VIII. bewies. Die Geschichte hat die Ereignisse, die dieses turbulente Pontifikat bezeichneten, aufbehalten; den besseren Zeitgenossen mußte, was vorging, zu mannigfaltigem Aergernis gereichen. Jacopone in seinem Eifer empfand, vor vielen andern, tief die Uebel, die dieser kräftige, aber ungebändigte Charakter der Kirche bereitet hatte: schon dadurch, daß er den guten Zölestin beredet, vom Stuhle herabzusteigen, und ihn dann im Gefängnisse hatte sterben lassen, woraus viel Zwietracht und Unheil hervorgegangen. Das strafte er an ihm mit großer Freiheit, um ihn zur Einsicht zu bringen, daß er übel tue. Einige schreiben ihm deswegen das Wort zu: Papst Bonifaz hat sich wie ein Fuchs ins Papsttum eingeschlichen, es wie ein Wolf geführt und wird es wie ein Hund verlassen; mit dem letzten Satze den grausamen Tod zum voraus andeutend, der ihm vorbehalten gewesen. Es starb nämlich elendiglich im Kerker; und da man ihn, wie sie sagen, tot, die Hände aber angefressen gefunden, so ging die Rede: er sei in Wut gestorben. Im Anfange seines Pontifikates zeigte er sich in geringeren Dingen dem Jacopone geneigt, so daß, als ihm gleich nach Besteigung des Stuhls geträumt, er sehe eine ungeheure, die ganze Erde umfassende Glocke, der aber der Klöppel fehlte, er ihn um die Deutung des Gesehenen befragte. Jacopone erwiderte: Deine Heiligkeit soll wissen, du selbst seist diese Glocke, deren Größe die bis zu den Grenzen der Erde reichende Macht und Autorität des päpstlichen Stuhles bedeutet; daß der Glocke aber der Hammer oder die Zunge fehlte, da sieh zu, ob dir nicht der Herr den Mangel guten Werkes oder guten Beispieles, womit du die ganze Welt durchtönen solltest, vorhalten will. Diese Deutung konnte dem heftigen Manne nicht gefallen; er hielt sich jedoch der Heiligkeit des Deutenden wegen noch zurück und wartete besserer Gelegenheit. Diese kam, als er, in tödlichem Hasse gegen die Colonnas entbrannt, sie in Präneste belagerte und, nachdem sie in Folge langer Belagerung und großen Verlustes seines Heeres zur Unterwerfung gezwungen worden, die Stadt zerstörte. Jacopone wohnte der Zeit, ein halbes Jahr lang, in Präneste, tadelte nun im Verlaufe dieser harten Belagerung das Tun des Papstes ohne Rückhalt und beklagte die unheilvolle und verwirrende Weise, in der das Kirchenregiment geführt wurde, auch nach seiner Art in Gedichten, besonders in jenem, das die Gebrechen aller Stände rügt, und das in der Sammlung das dreiundfünfzigste in der Ordnung ist: 127

Piange la Ecclesia; Piange et dolura. Er schrieb um die gleiche Zeit das fulminante Gedicht gegen den Papst, das achtundfünfzigste in der Ordnung, das mit den Worten beginnt: O Papa Bonifacio, Molt hai giocato al mondo. Wenn es der Liebeseifer, in dem seine Seele brannte, gewesen, der ihm die rücksichtslosen Worte dieser Gesänge eingegeben, dann erglühte auch andererseits der Zorneseifer in der Brust des nichts weniger als sanftmütigen Papstes, und er liel] ihn in Präneste, mit Ketten gefesselt, in einen tiefen Kerker werfen und ihn für Lebenszeit auf Wasser und Brot setzen. Das erzählt er selbst im fünfundfünfzigsten Sange seiner Sammlung mit vieler Laune und legt die Weise aus, wie er im Kerker behandelt wurde. Zwei andere Gedichte gehören noch dieser Zeit an: beide an Bonifaz gerichtet, sechsundfünfzigstes und siebenundfünfzigstes, deren erstes mit den Worten beginnt: O Papa Bonifacio, Io porto il tuo prefatio Et la maledictione, Et Scomunicatione, und den Papst bittet, ihm die Absolution zu geben und die andere Strafe bestehen zu lassen. Das andere hebt an: Lo pastor per mio peccato Posto ma fuor del ouile, Non me gioua alto belato Che marmeta per lo stile. Ein Gedicht an Papst Zölestin V., jenen vorangehend, schließt sich diesem Kreise gleichfalls an. Jacopone war zwanzig Jahre im Orden gewesen, da ihm dies begegnet; er blieb so lange im Kerker als Bonifaz lebte, vergnügt und zufrieden in aller Not und Beschwerde, die er zu ertragen hatte. Man erzählt, als einst der Papst, an seinem Kerker vorübergehend, ihn gefragt, wann er ausgehen werde aus dieser Haft, habe er erwidert: Wenn du wirst eingegangen sein. Und es erging in der Tat also; als der Papst in Anagni gefangen wurde, war Jacopone befreit. Von der Zeit an war all seine Sorge allein auf Gott und seine Liebe zu ihm gerichtet, und er entbrannte im Verlangen nach ihm also auf, daß er die Glut nicht länger mehr zu bemeistern vermochte und sie in dem Gedichte, das sieben128

undsechzigste in der Folge, ausgeatmet, das mit der Klage beginnt: Amor dilecto amore Perche mai lassato amore. Amor di la cagione De lo tuo partimento, Che mai lassata afflicta, En gran dubitamento, Se da schifeza ei vento Vogliote satisfare. Sio me voglio tronare Non tene torne amore? Diesem folgten dann viele andere Lieder, die er, dem Schwane gleich, kurz zuvor, ehe ihm der Tod genaht, gesungen. Da er, eben auch wieder der Mortifikation wegen, um seinen Versen ein schlechtes Ansehen zu geben, Worte aus allen italienischen Dialekten eingemischt, so sind sie bisweilen schwer verständlich. Aber sie atmen alle eine Glut wie jene, die man dem hl. Franziskus zuzuschreiben pflegt, und die daher auch gar wohl, wie einige Kritiker seines Ordens meinen, größtenteils von ihm ausgegangen sein mögen. Schmachtend in Liebe und im hohen Alter ergraut, voll Verdienste, aber geschwächt durch die harten Prüfungen, die er bestanden, und die Büßungen, die er übernommen, gefiel es endlich Gott, seinen Beschwerden ein Ziel zu setzen. Er verfiel in eine Krankheit, und da diese schnell stieg und die Brüder erkannten, daß er nicht viele Tage mehr zu leben übrig habe, rieten sie ihm, sich mit den Sakramenten der Kirche versehen zu lassen. Als er erwiderte: die Zeit dazu sei noch nicht herbeigekommen, ermahnten sie ihn, die Sache nicht weiter hinauszuschieben. Er aber blieb dabei, es sei noch Zeit genug für ihn übrig. Da sprach einer aus dem Haufen: Vergissest du denn, Vater, daß, wenn du die Sakramente nicht empfängst, du als ein Gottloser und Ungläubiger aus dem Leben gehst? Jacopone erhob nun die Augen und sprach: Io credo in Dio padre omnipotente, Et tre persone in un esser solo, Et che fe l'universo di niente, Et credo in Jesu Christo suo figliuolo, Et nato di Maria et crucifisso, Morto et sepolto con tormento et duolo. Die Brüder meinten, das reiche nicht hin; er müsse nicht bloß glauben, sondern vor dem Tode die Sakramente empfanGörres-Mystik

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gen. Darauf erwiderte er: Er warte seines liebsten Freundes, des Bruders Giovanni von Alverna, aus dessen heiligen Händen er das Sakrament empfangen wolle. Darüber wurden die Brüder noch mehr geängstigt und betrübt, da sie glaubten, es sei nicht leicht möglich, daß Fra Giovanni, so weit entfernt, zeitig genug herzukomme, noch weniger wolle es die dringende Gefahr gestatten, ihn zu berufen. Aufs heftigste beunruhigt, drangen sie daher noch stärker in ihn, daß er sich zum siegreichen Hingange nach Gebühr vorbereiten möge. Er aber, der früher selbst den Freund in seinen Nöten getröstet, wie der dreiundsechzigste Gesang der Sammlung bezeugt, wußte, daß er kommen würde, ihm den Liebesdienst zu erwidern, und so statt auf ihr Zudringen etwas zu erwidern, sang er mit lauter Stimme das Lied: Anima benedetta Dali' alto Creatore, Risguarda al tuo signore. Kaum hatte er geendet, da sahen die Brüder zwei der Ihrigen herangestiegen kommen, deren einer Fra Giovanni war, dessen Ankunft alle in die höchste Verwunderung setzte. Er eilte seinem Freunde beizuspringen, dessen naher Tod ihm im Gebete war geoffenbart worden, wie auch Jacopone von seiner Ankunft Kunde erhalten. Nachdem sie gegenseitig große Freude um ihr Wiedersehen empfunden, erhielt Jacopone aus der Hand des Bruders die heiligen Geheimnisse, denen er, entbrannt in Liebe, sein schönes Lied: Jesu nostra fidanza Del cuor somma speranza entgegensang. Nachdem er es beendet, ermahnte er die umstehenden Brüder, auf dem sicheren Wege der Tugend zu beharren; dann hob er Augen und Hände zum Himmel, und nachdem er mit großer Inbrunst gesprochen: Herr, in deine Hände empfehle ich meinen Geist!, wurde er aus dieser Welt hinweggenommen, gerade in der Nacht der Geburt des Herrn, als der Priester am Altare das Gloria anstimmte. Alle, die bei seinem Tode zugegen gewesen, waren überzeugt, er sei weniger der Macht der Krankheit erlegen als dem Feuer der Gottesliebe, das so sehr in ihm entbrannt, daß, da die zunehmende Schwäche der Natur den Andrang nicht länger habe ertragen mögen, dieser ihm das Herz abgedrückt. Sein Körper wurde feierlich von Collazzone nach Todi gebracht und im Kloster zu St. Clara außer der Stadt begraben, dann aber 1596 vom dortigen Erzbischof erhoben und in einem Grabmale beigesetzt mit der Inschrift: Ossa beati Jacoponi de Benedictis, Tudertini 130

Fratris ordinis Minorum, qui stultus propter Christum, nova mundum arte delusit, et coelum rapuit. Obdormivit in Domino die XXV. Martii anno Domini 1296. Die Angabe des Todesjahres muß jedoch als irrig in die XXV. Dec. 1306 geändert werden." An den Uebergang aus dem Kunstgebiete in die höheren geistigen Regionen ordnet sich zuletzt die Beredsamkeit, hier natürlich als geistliche erscheinend. Die lange Folge von reichbegabten Predigern, die seit den Zeiten der Apostel bis auf Tauler hinunter und weiterhin bis zu unseren Tagen heran in der christlichen Mystik ihre Erwecküng gefunden, um wieder ihrerseits Tausende zu erwecken, bieten sich hier unserer Betrachtung dar. Gedrungen indessen, nur überall die äußersten Spitzen der Entwicklungen zu fassen, können wir auch hier nur bei einem verweilen: V i n z e n z F e r r e r i u s , der diese Gabe vor vielen andern im eminentesten Grade besessen und Wunderdinge damit gewirkt. Von 1398 bis 1419 hat dieser unermüdete Mann nicht bloß nahe alle Provinzen seines Vaterlandes Spanien durchwandert, sondern auch, den andern Ländern sich nicht versagend, zuerst Südfrankreich, das Gebiet der Languedoc durchzogen und dann über Savoyen und Burgund gegen Flandern, die Picardie, Normandie, Poitou und die Bretagne sich gewendet. Darauf ist er durch die Lombardei gegen Genua gezogen und gegen Toscana hinunter, bis er, von seinem Könige abgerufen, neuerdings über die Balearen nach Spanien umkehren mußte. Dann, als ihn Heinrich IV. von Lancaster nach England hinüber erbeten, besuchte er auch diese Insel und ging bis Schottland hinauf und nach Irland hinüber. Wohin er sich wendete, zogen ihm Fürsten, Bischöfe, Prälaten und der ganze Klerus unter Gesängen entgegen, und er ritt dann in aller Demut in Mitte des Prachtzuges daher. Kam er dann er in eine Stadt, dann mochte in den Stunden, wo er predigte, kein Handwerker bei seiner Arbeit zurückbleiben; die öffentlichen Lehrer unterbrachen ihre Vorträge, und so groß war das Verlangen, ihn zu hören, daß kaum die Kranken zu Hause gehalten werden konnten. Er selber war in seinem Werke rastlos bemüht; nur fünf Stunden pflegte er dem Schlafe zu gestatten, dann las er Messe und ging sofort ans Tagewerk. Er war immer und überall von großen Volksmassen begleitet, oft an 80000, die gekommen, um ihn zu hören oder unter seiner Leitung Uebungen anzustellen. Für die Bedürfnisse aller dieser Leute hatte er dann vorgesorgt durch Priester, die er aus verschiedenen Orten dazu erwählt, und die Beicht saßen, den Gottesdienst abhielten, Bußzüge 9*

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anordneten und die Almosen unter die Bedürftigen austeilten, während Notare im Zuge sich befanden, um bei Aussöhnungen, die er herbeigeführt, sogleich die nötigen Dokumente auszufertigen. Und so eindringend war sein Wort, daß man die Zahl der Lasterhaften im allgemeinen, die er bekehrte, auf Hunderttausend berechnete, von denen manche zuvor in ihrer Zerknirschung vor allem Volke ein Bekenntnis ihrer Sünden abgelegt. In Spanien allein brachte er mehr als 25000 Juden zum christlichen Glauben und weihte viele Synagogen in Kirchen um, wie er auch 8000 Sarazenen eben dort bekehrt. Viele Klöster, Kirchen, Hospitäler, Brücken wurden an vielen Orten auf sein Zureden erbaut. Alle Städte, die er durchwandert, gaben Zeugnis von der Macht seines Wortes, um die Gemüter zu versöhnen; nicht zu zählen waren die Fälle, in denen er den Lauf alter Blutrache unterbrochen und der blutigen Folge von Wechselmorden Grenzen gesetzt. Die Zahl der Buhlerinnen, Kuppler, Mörder, Seeräuber, Wucherer, Gotteslästerer, die er zur Erkenntnis ihrer Verbrechen gebracht, wird allein auf 40000 angeschlagen. Und es war kein Wunder, daß er solche Wirkung hervorbrachte; denn mit der Heiligkeit des Lebens verband er jene gewaltige Beredsamkeit, die ebenso durch den Ernst des Inhalts wie durch den Glanz des Vortrags ausgezeichnet war, so daß alle, durch seine Feuerreden angeregt, nicht einen Menschen, sondern einen Engel des Himmels zu hören glaubten, wie denn auch manche die Engel während der Rede um ihn geschäftig erblickten. Alles, was er vorbrachte, war auf die heilige Schrift und das Zeugnis heiliger Männer begründet; und da er alle diese Zeugnisse immer gegenwärtig im Gedächtnisse hatte, überraschte sein Vortrag die Hörer durch seinen Reichtum, während er sie durch die einwohnende Kraft erschütterte. Sein Organ war dabei also beschaffen, daß es ihm ganz nach Willen gehorchte und nach dem Bedürfnisse des Augenblicks scharfe, ernste, weiche, immer ergreifende Töne ihm zu Gebote standen, so daß er kaum sprach, ohne seinen Zuhörern Tränen zu entlocken; dann aber, wenn er vom jüngsten Gerichte, von den Leiden des Herrn oder den Höllenstrafen redete, alles Volk in ein solches Schluchzen und Weinen ausbrach, daß er oft lange Zeit innehalten mußte. Vielen erschien das dabei an ihm wunderbar, daß, da die Zahl der Hörer meist so groß war, daß viele sehr weit von ihm stehen mußten, doch diese nicht weniger deutlich als die näheren ihn verstanden. Auch ein anderes war ein Wunder an ihm, daß er, den Aposteln gleich, die Gabe der Sprachen hatte. Da er nämlich, wie wir gesehen, so viele Länder durchzog und immer in seiner Mutter132

spräche, dem Dialekte von Valencia redete, verstanden ihn doch alle, junge wie alte und beiden Geschlechtern Angehörige Wort vor Wort, als sei er in eines jeden Vaterland geboren und rede in seinem Idiome. In Genua hörten ihn Griechen, Deutsche, Sarden, Ungarn und andere, die nichts als ihre Muttersprache kannten und doch am Ende der Predigt laut Zeugnis gaben, wie sie jedes Wort verstanden, als hätte er in ihrer Sprache geredet. In der Bretagne befinden sich viele, die man bretonisierende Bretonen nennt, deren einige zwar wohl französisch reden, die aber in Masse außer der eigenen nur ihnen bekannten Sprache keine andere kennen; auch diese verstanden seine valencianische Rede vollkommen, und sie wirkte vielfältige Frucht bei ihnen: eine Wirkung, die hier wie überall sich dadurch noch verstärkte, daß er seine Lehre durch viele und ausgezeichnete Wunder bekräftigen konnte. Viele Einsichtige unter seinen Zeitgenossen, wenn sie seine Gaben und die Löblichkeit und Frömmigkeit seines ganzen Lebens erwogen; wenn sie die um ihn sich drängenden Massen des Volkes betrachteten, das sich glücklich schätzte, ihn nur zu sehen und überglücklich jeden pries, dem es gegönnt war, ihm die Hand zu küssen; wenn sie die Werke ins Auge faßten, die er wirkte, die ungemeine Macht über die Gemüter, die ihm gegeben war, — die er besonders damals bewiesen, als er furchtlos in der Dauphine in ein Tal, nur von Räubern, Mördern und losen Gesellen bewohnt, die schon viele Prediger ermordet, so man ihnen gesendet, gegangen und nach wenig Tagen sie also umgewandelt, daß man das Tal, das zuvor Unflattal geheißen, Reintal nannte; — wenn sie die Wunderzeichen, die von ihm ausgingen, überlegt, urteilten daher: nach den Aposteln der frühesten Zeit des Christentums sei keiner gewesen, der ihm gleichgekommen, viel weniger aber einer, der ihn übertroffen. Sie hatten wohl nicht unrecht; keiner hatte wohl in solchem Umfange von dem Versprechen Gebrauch gemacht, das dort jedem gegeben worden: so er den gleichen Glauben mitbringe, werde er Gleiches, ja noch Größeres zu üben vermögen. Der Herr selbst aber hatte ihn, in Mitte des großen Kirchenschismas, in einem Gesichte am Schlüsse einer tödlichen Krankheit, zu seinem evangelischen Sendboten ernannt und, seinen Schutz zusagend, ihm die nötigen Gaben dafür zugeteilt; und der Papst Benedikt XIII. hatte nach langem Widerstreben die Sendung zuletzt bestätigt.18 4. Die Gabe der Heilung Die Gabe der Heilungen, die so gar häufig in den mystischen Gebieten vorkommen, würde eben deswegen keiner besonderen 133

Anführung zum Beleg bedürfen, wenn sie nicht in einem Beispiele sich in solcher Eminenz gezeigt, daß dies schon der Merkwürdigkeit der Tatsache wegen eine Erwähnung hier verdient. Es war S a l v a t o r a b H o r t a , der, in St. Columba de Forenza in Katalonien geboren, die erste Hälfte seines Namens in einer Art von Vorahnung, die zweite aber bei seinem Eintritt als Laienbruder ins Kloster der Rekollekten in Horta erhielt, dem jene Gabe in solcher Ueberfülle einwohnte. Er hatte im Noviziat strenge Aszese durchgemacht und sich dabei durch Uebung aller Tugenden der Liebe und Barmherzigkeit, gegen seine Ordensbrüder sowohl als gegen alle Weltlichen, in einer erstaunenerregenden Weise ausgezeichnet. Eine Art von Instinkt im Volke schien die ihm einwohnende Gabe früh entdeckt zu haben; denn kurze Zeit darauf, als er aus dem Noviziat getreten, strömten schon die Kranken und Bresthaften in Horta zusammen, so daß einst zweitausend derselben in dem Orte sich zusammenfanden, die er alle, nachdem sie gebeichtet und zur Kommunion gegangen, durch den Segen im Namen der hl. Dreifaltigkeit heilte. Gleiche Wohltat wurde durch viele Jahre hindurch andern solchen Haufen zuteil, deren Zahl in der heiligen Woche zu vier-, beim Feste der Verkündigung auf sechstausend gestiegen. In Valencia kamen auf dem Platze vor dem Kloster St. Maria von Jesu einst mehr als 10 000 Menschen, vom Vizekönig bis zum Tagwerker herab, zusammen, um seinen Segen oder Heilung durch ihn zu erlangen. Man darf sich nicht einbilden, daß seine Ordensbrüder die Sache begünstigten; sie fanden vielmehr durch den Zudrang sich sehr belästigt, und als er noch in Horta sich aufgehalten und der Provinzial das Kloster visitierte, brachten sie ihre Klagen deswegen bei demselben an. Dieser, der seinerseits der Sache auch nicht traute, berief den Verklagten, um ihn zu prüfen, in das Kapitel der Brüder, und als er vor ihm niedergekniet, redete er mit Heftigkeit ihn an: Ich hoffte dies Kloster in tiefem Frieden zu finden und muß es nun durch deine Schuld im allerunruhigsten Zustand sehen. Dich, dich Bruder Salvator, frage ich, wer dich ermächtigt, solcher Lebensweise dich zu unterfangen? Schämst du dich nicht, von den Leuten die Worte allumher zu vernehmen: Laßt uns zum Heiligen in Horta gehen! da sie doch lieber sagen sollten: Gehen wir zum bösen Geist, der die Brüder in Horta stört und irrt. Ihr aber, ihr andern Väter, bemerkt ihr nicht, wie er euch schändet, indem er sichs allein anmaßt, Wunder zu tun, als ob ihr nicht eben so heilig wäret wie er. Aber ich werde sorgen, daß dein Name nicht ferner mehr genannt wird und mit deinen Mira134

kein auch all das Laufen ein Ende nimmt. Für jetzt gebiete ich, daß dir die Disziplin gegeben werde; dann sollst du fortan nicht mehr Salvator, sondern Bruder Alphons heißen; und mit diesem Briefe wirst du zu Mitternacht ungesehen dich nach Kloster Reus begeben. Salvator erwiderte kein Wort, eilte sogleich zur Kirche, sich vor dem Altare der Jungfrau im Gebete niederwerfend, und ging dann zur bestimmten Stunde mit einem Laienbruder durch die Haufen, die das Kloster neuerdings umlagerten, barfuß davon, die ganze Reise im Gebete vertieft. In Reus angekommen, empfing ihn der Guardian vor dem versammelten Kapitel mit den Worten: Ich will diesen unruhigen Kopf, der durch seine Mirakel die Ruhe der Brüder stört, an einen Ort bringen, wo er mir keine Unruhe machen soll; er führte ihn dann zur Küche und schloß ihn mit den Worten ein: Hier koche den Brüdern und wirke, wenn du willst, deine Mirakel unter Schüsseln und Töpfen. Das Volk des Ortes aber, als der Morgen graute, geriet, ohne daß man die Veranlassung wußte, in Bewegung und stürzte mehr als 2000 Menschen stark aufs Kloster zu: alle, besonders die Kranken schrien, daß man ihnen den P. Salvator vorführe. Die Brüder, die nicht begriffen, wie die Sache ausgekommen, liefen bestürzt zum Guardian; dieser eilte in die Küche; während er aber dort den Knienden aufs heftigste schalt, erbrach das Volk die Türen, und der Guardian mußte sich entschließen, ihn der Masse vorzustellen, auf die Bedingung, daß alle ruhig in die Kirche sich verfügten. Er redete sie nun in seiner Art in wenigen einfachen Worten an, segnete sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes und ging dann wieder zur Küche. Die Menge der Krücken, Binden und Stäbe, die die Geheilten in der Kirche zurückgelassen, bezeugten die Wirksamkeit des Segens; der Guardian aber, als er sie sah, sagte: Seht nur, mit welchem Gerümpel dieser Bruder die Kirche anfüllt und sie in einen Stall verwandelt. Eine Zeitlang war nun Ruhe; bald aber, als das Volk den Weg zu ihm wieder gefunden, ging's in alter Weise. Der Provinzial versetzte ihn daher in der Reihe herum nach Barcelona, Saragossa und anderwärts hin; überall wurde er schnell gefunden, erkannt und von den Kranken um Heilung angefleht. W o er ging und weilte, war er wieder von ganzen Heeren von Bresthaften umgeben, die unter Gezeiten sich lagerten, so daß Daza, der Geschichtschreiber des Ordens, die Ziffern derselben weder zu berechnen noch auszusprechen wagt, weil es allzu unglaublich scheinen würde. Um der Verehrung und dem Zudrange des Volkes in ganz Spanien, das die Gabe und 135

die Heiligkeit seines Wandels wie durch Zauber an ihn zu binden schien, auszuweichen, war er zuletzt 1565 mit Peter Vinzenz Ferri, dem Generalvisitator des Ordens, nach Sardinien übergegangen und hatte sich nach Cagliari begeben, um im dortigen Kloster seine Wohnstätte zu nehmen. Dort blieb er derselbe, der er in Spanien gewesen: im Verkehre mit den Menschen offen, einfach, ohne Arg; gegen sich selber überstrenge; nie eine Zelle bewohnend, weil er die Nächte im Gebete in der Kirche zubrachte und nur bei Tage zu kurzem Schlafe in irgendeinem Winkel des Klosters anlehnte, sonst die Zeit mit Arbeit in Küche, Garten, am Tore, mit Almosenund Segengeben zubringend, durch sein ganzes 47jähriges Leben die Reinheit unbefleckt bewahrend, oft hart versucht, in vielfältigen Verfolgungen überaus geduldig und ergeben, gegen Arme und Kranke barmherzig ohnegleichen, übereifrig in Bekehrung der Sünder, oft ekstatisch und besonders vor dem Bilde der hl. Jungfrau in Gegenwart von Tausenden schwebend, vieler Gesichte gewürdigt, mit dem Geist der Prophetie, der Kenntnis geheimer Dinge und zudem mit der Herrschaft über die Elemente ausgerüstet: so war er in seiner Einfalt das Wunder seiner Zeit. Drei Tote brachte er ins Leben zurück, nebst vier anderen, die schon in die letzten Züge gegriffen. Dreiundzwanzig Lahme wurden von ihm durch das bloße Kreuzeszeichen aufgerichtet. Dreihundert, die vom Mutterleib auf stumm und taub gewesen, erhielten Sprache und Gehör wieder. Unzählige Besessene wurden von ihm befreit, obgleich der Prozeß deren nur elf namentlich aufführt, wie er auch zahllosen Blinden das Augenlicht zurückgegeben, obgleich die Akten nur dreißig dieser Fälle aufgenommen. Dieselben Akten erwähnen eines Mädchens, das, mit dem Gesichte rückwärts gewendet, geboren worden und, als er es mit dem Kreuzeszeichen bezeichnet hatte, sogleich in die rechte Richtung nach vorwärts gebracht wurde. Zehn- und mehr tausend mit Brüchen Behaftete erhielten durch ihn ihre Heilung; Bucklichte, Hinkende, an Krämpfen, Schwindel, Flechten, Stein, Krebs oder Elephantiasis Leidende, Kontrakte, Wassersüchtige, Asthmatische, Apoplektische, Krätzige, Epileptische, Skorbutische, Phthisische, Skrofulöse, Phrenetische und andere für unheilbar Erachtete, über alle Zahl hinaus, erhielten durch ihn ihre Gesundheit wieder. Nachdem zuletzt ihm, der so vieler Menschen Leben gerettet, die eigene Todesstunde offenbart worden, bereitete er sich aufs allerbeste zum Abscheiden und entschlief 1567 sanft, das Kruzifix mit brennendem Affekt ans Herz gedrückt, und noch nach seinem Tode wollten die Wunder nicht aufhören. 17 136

5. Die mystische Fühlung mit der Kreatur Die Anlage zu dieser Herrschaft über die Natur wurde im Ursprünge schon in den Menschen gelegt, da, als die schaffende Gottheit ihn ihm Zentrum seines irdischen Reiches ausgeschaffen, dies also, in den Umfang es verweisend, zum Gehorchen bestimmte... Unter den verschiedenen höheren Naturgebieten, die des Menschen altes Erbreich zusammengesetzt, bildet aber das der pflanzenhaften Hervorbringungen die Grenzprovinz, so daß, wie auf der Säule an der Landenge des Peloponnes, dort gegen die dunkle wurzelhafte Seite desselben hin angeschrieben werden könnte: hier ist unorganische, nicht aber organische Natur, und so nach der oberen Lichtseite hin: hier ist organische Natur und nicht unorganische. Dort also an der Grenzmark, wo sich die Gebiete scheiden, wird auch die vermittelte Herrschaft abgehen von der unvermittelten; die Tatsachen, die den Bestand der dort waltenden Gewalt des Menschen bezeugen, werden aus einem ins andere hinüberspielen, und wie sie überhaupt eine wohlbefestigte Macht voraussetzen, eben ihrer peripherischen Natur und dadurch begründeten Schwerverständlichkeit wegen, leicht einen legendenhaften Anstrich gewinnen. So wird im Leben der hl. R o s a v o n L i m a erzählt, daß, als sie einst in der Morgendämmerung nach ihrer Weise in die kleine Einsiedlerhütte, die sie sich im Garten erbaut, gegangen, die Eintretende, da sie die Türe desselben geöffnet, die aufgerichteten Bäume, Sträucher und Kräuter mit den Worten: Preise alles, was da auf Erden keimt, den Herrn! zur Vereinigung im Lobgesange eingeladen. Sogleich hätten in einer Art von Einklang die Zweige sich bewegt, die Blätter seien aneinandergestoßen, ein allgemeines Säuseln habe sich im Laub erhoben, auch die kleinen Pflanzen hätten mit ihren Häuptern genickt, und Blumen, Dolden und Stengel hätten, wie zu einer allgemeinen Regung belebt, in eine lieblich lispelnde Hymne zusammengestimmt. Hat die Begebenheit, wie hier erzählt, stattgefunden, dann ist es wohl jener durstende Trieb nach dem Lichte, wie ihn die Pflanze als ihr eigenstes Leben in sich trägt, der hier mitgewirkt. Indem dieser Trieb, in welchem sie über sich zu bedeutenden Höhen sich erhebt, durch das höhere Licht, das von der Betenden ausging, noch zu höherer W i r k samkeit sich angeregt gefunden, mußte sich auch ein über das Gewöhnliche hinausgehender Entwicklungsprozeß in der Pflanze, wie unter dem Wehen eines höheren Frühlings, begründen, der länger fortgesetzt wohl auch eigene selbständige 137

Blüte hervorgerufen hätte. Daher würde denn auch sich erklären, was mit den drei Rosmarinpflanzen sich zugetragen, die sie in ihrem Garten in Kreuzesform gebracht und die fröhlich bei ihr gediehen, deren eine aber, auf Bitte der Vizekönigin in den Hofgarten verpflanzt, sogleich gewelkt und abgestorben, dann aber, in ihren Garten zurückversetzt, am vierten Tage schöner, denn sie zuvor gewesen, wieder aufgegrünt. Daher auch die drei Nägleinblüten, die ihr der Busch mitten im Mai, der Winterszeit in jenen Gegenden, in der Nacht vor dem Feste der hl. Katharina von Siena, zur Ausschmückung ihres Bildes getrieben. In die Hunderte geht die Zahl der Fälle im Leben der Heiligen, wo entweder dürre Stäbe zu Bäumen aufgegrünt oder lebendig grünende, vom Fluche getroffen, gleich dem Feigenbaum in den Evangelien, abgewelkt oder unfruchtbar geworden, dann aber wohl auch vom Segen wiederhergestellt aufs neue ausgeschlagen oder auch Früchte angesetzt. Ebensooft kommt vor, daß Bäume und Pflanzen zur ungewöhnlichen Zeit Blüten oder Früchte getragen, daß sie ihrer Gattung sonst nicht gewährte Heilkräfte erlangt, daß sie beim Tode der Heiligen zu trauern angefangen oder umgekehrt bei der Berührung ihrer Leiche aufgegrünt oder auch wohl aus ihren Grabstätten heraufgewachsen. Wenn bei diesen Erzählungen auch manches Legendenhafte mit unterläuft, so setzt das so gar häufige Vorkommen doch einen Grund der Wahrheit voraus, an den der Faden ursprünglich sich angesponnen, und aus dem ihm von Zeit zu Zeit wieder Fäden beigetreten.18 Den Pflanzen schließen sich in der natürlichen Stufenfolge die unteren Tierklassen, Insekten, Würmer, Spinnen und verwandte Geschlechter in sich begreifend, an. Auch in diese Gebiete breitet sich die Herrschaft des in seinen Willenskräften wiederhergestellten Menschen aus, und die Geschichten, in denen sich uns das Leben solcher aufbehalten, wissen viele Fälle zu erzählen, in denen sie sich kundgegeben dadurch, daß auch diese Geschöpfe ihrer höheren Macht gehuldigt und sich gefügt. So sind es Bienen, die, wie von einem prophetischen Instinkt getrieben, aus- und einfliegend ihren Honig in den Mund der Kinder einlegen, die zu Heiligen zu erwachsen die Bestimmung haben. So berichtet es die Sage von dem hl. Ambrosius, dem hl. Isidor, dem hl. Dominikus; so wird es im Leben des hl. Petrus von Nolasco und der Augustinerin Rita von beiden erzählt, während anderwärts Schwärme dieser Tiere dem hl. Modomnoch über See nach Irland folgen. Gern auch gesellen diese Tiergeschlechter sich ihrer Einsamkeit bei und folgen, aller Schädigung sich enthaltend, ihrem Worte. 138

So hat R o s a v o n L i m a im Garten der Mutter jene enge Zelle sich gebaut, in welche der Schatten der nahen Bäume und die Feuchtigkeit des Bodens Scharen von Schnaken gelockt, um sich dort vor Sonnenhitze und nächtlicher Kälte zu bergen. Alle Wände waren mit ihnen bedeckt, in den Fenstern war ein beständiges Aus- und Einfliegen, die Hütte ertönte von ihrem Summen, aber keine berührte je die Jungfrau, wenn sie sich in ihr befand. Kam aber die Mutter oder sonst jemand, in ihrer Einsamkeit sie zu besuchen, dann fielen sie sogleich über die Eintretenden her, bohrten sich in sie ein, um ihr Blut zu saugen und ließen sie, mit Beulen bedeckt, zurück. Wenn dann alle verwundert waren, daß der Bewohnerin von dergleichen nichts widerfuhr, da sprach sie lächelnd: Als ich mich hier angesiedelt, habe ich mit ihnen einen Freundschaftsbund geschlossen, daß sie mir in nichts beschwerlich seien, so wie auch ich ihnen nicht schaden wolle, und so bewohnen wir nicht bloß diesen Ort miteinander in aller Eintracht, sondern sie helfen mir auch tapfer nach Vermögen bei Gottes Lobe. Und es war wirklich also. So oft die Jungfrau bei der Morgendämmerung ihre Zelle betrat, rief sie ihnen zu: Eia Freunde, auf zum Lobe Gottesl Sogleich begannen sie mit lindem Einklang ein Surren, und im Kreise sich zusammenschließend floß ihr Geschwirre in eins zusammen, und ihre Ordnung war so wohl geflochten und ineinandergefügt, als ob sie unter einem Führer ordentliche Chöre bildeten. War das vorüber, dann flogen sie aus zu ihrer Nahrung und wiederholten abends bei der Heimkehr nach der Aufforderung der Herrin denselben Sang; ihr Summen erfüllte so lange die kleine Hütte, bis auf Rosas Zuruf alle verstummten und insgesamt unter dem Gesetze nächtlichen Schweigens behalten schienen." Diesen und ihrem Tun verwandt, erscheint die Zikade, die bei Portiunkula vor der Zelle des hl. F r a n z v o n A s s i s i auf dem Feigenbaum ihre Wohnung hatte, von da auf seinen Ruf ihm auf die Hand geflogen und, als er sie aufgefordert: Singe, meine Schwester, singe zum Lobe des Herrn! sofort zu singen angefangen und nicht aufgehört, bis er sie wieder zu ihrem Ort entlassen. Zeigen die Tiere aber umgekehrt sich zudringlich, widerspenstig, lästig oder schädlich, dann müssen sie zu ihrem Schaden die abwehrende Macht erfahren. So wird vom hl. A n n o erzählt, wie er einst in der Messe die Hostie gebrochen und die Partikel auf die Patene gelegt, sogleich aber eine große Schmeißfliege herbeigekommen und einen Teil losbeißend ihn im Fluge davongetragen. Der bestürzte Erzbischof habe darauf Herz und Auge auf Gott gerichtet und zu ihm um Hilfe gefleht. Bald habe darauf das nahende Summen der 139

Fliege Zeugnis von der Gewalt, die sie leide, abgelegt; sie habe ihren Raub wieder auf die Patene zurückgetragen, sei aber dann, als sie wieder zum Fortfliegen sich erhoben, tot auf den Altar niedergefallen. Wespen, Käfer, Raupen, besonders aber Heuschrecken, wenn sie in jenen verheerenden Zügen kommen, müssen gleichfalls die Macht einer in Gott gekräftigten Willenskraft erprüfen. Die Spinnen treten in diesen Erzählungen durchaus nur in einem vertraulichen, hilfreich bergenden Verhältnisse hervor: wenn sie z. B., als der Märtyrer Felix vor seinen Verfolgern in eine Höhle entwichen, ebenso da Teuteria in die Zelle der sei. Tusca und der Bischof Cainus in einem Gebüsche sich verborgen, die Zugänge mit ihren Netzen schnell überspinnen und dadurch die Nachspürenden von der Verfolgung ablenken. Endlich wie die Biene in jenen Fällen als Herold vor den Heiligen hergegangen, so haben sich Schmetterlinge von wunderbarer Weiße dem Abschiede eines solchen, des hl. Ferrerius, beigesellt, indem sie in Masse sein Sterbebett umkreisten, bis er verschieden, und dann nimmer gesehen wurden. Auch von Fischen sind Beispiele eines solchen vertraulichen Anschmiegens an höhere Menschen aufgeschrieben. Als I d a v o n L ö w e n einst das Linnen zu waschen ausgegangen und am Ufer eines Teiches gebückt ihrer Arbeit oblag, da kamen Fische aller Art aus dem Grund herauf, als locke sie gute Speise. Die Jungfrau von allen Seiten umdrängend, umschwammen und umtanzten sie dieselbe und schienen Freude an ihrem Anblicke zu haben und sie wie grüßend und ihr Folge leistend nach ihrer Art ehren zu wollen. Sie kamen im Wetteifer von allen Seiten herbei; waren die ersten abgedrängt, dann traten andere an ihre Stelle, und so oft sie die Hände ins Wasser tauchte, hingen sie sich an ihre Finger an. Sie aber griff wohl einen nach dem andern und legte ihn vor sich auf die kleine Brücke, auf der sie stand; und indem sie, den einen entlassend, nun nach diesem, dann nach jenem haschte, entzog sich keiner durch die Flucht ihrer Hand, sondern wie Kinder an ihre Mutter hingen sie sich saugend an ihre Finger. Das dauerte so lange, bis sie die Menge durch ihren Wink entließ.10 In anderer Weise zeigt sich ähnlicher Drang um den sei. Gondisaivo Amaranthi, als er eines Tages, verlegen, womit er seine Dienstleute ernähren sollte, betrübt an den Fluß Tamaco hinabgegangen. Sogleich, wie er das Kreuzeszeichen über den Strom gemacht, bedeckt dieser sich um ihn her mit zahlreichen Fischen; der Heilige nimmt von ihnen, so viele er bedarf, und entläßt die anderen wieder in die Tiefe. Vor allen Tieren aber sind es die Vögel — denen schon das früheste Altertum, weil sie, in der Luft einheimisch, mit ihrem 140

ganzen Wesen zur Höhe streben, eine einwohnende prophetische Gabe beilegte — die, getrieben von einem inneren Instinkte, sich zu solchen Menschen halten, welche, weil sie in ihren höheren Kräften sich von der Erde abgelöst, nun auch mit den unteren in eine Art von kongenialer Verwandtschaft zu ihnen eingetreten. Recht auffallend hat sich das am hl. J o s e p h v o n C o p e r t i n o bei vielen Gelegenheiten ausgewiesen. Da er häufig die Bäume bestieg, entweder um dort ungestört seinen Betrachtungen sich hinzugeben oder auch aus anderen Ursachen, so geschah es häufig, daß er auf ihnen Nester besonders von Stieglitzen fand, und die bezeigten alsdann nicht die mindeste Furcht vor ihm; Männchen wie Weibchen ließen sich von ihm greifen, und er konnte mit ihnen vornehmen, was er wollte. Wenn er im Garten bei der kleinen Kapelle, wo er Messe zu lesen pflegte, bisweilen betete oder betrachtete, dann umflogen sie ihn singend und schäkernd ohne das geringste Mißtrauen; und wenn er ihnen dann etwa zurief: Singt, ihr Vöglein, singt recht lustig; habt keine Furcht, daß es mich verdrieße! dann erhoben sie ihre Stimmen noch höher und sangen noch lieblicher. Als er einst die Kirche von Groteila fegte und aus Demut den Unrat mit Händen wegtrug, kam ein schöner Vogel mit hellem und himmelblauem Gefieder, wie man ihn weder zuvor noch hernach dort gesehen, ihm auf die Hand geflogen, in der er den Kehricht hielt, als ob er etwas zu fressen suchte, und er ließ ihn, nachdem er ihn eine Zeitlang geliebkost, wieder fliegen. Sie schienen in allem auf sein Gebot zu hören und es aufs genaueste zu befolgen. Fabiani Cerusico in Groteila, den der Heilige genau kannte, hatte einen Hänfling in einem Korbe vor seinem Fenster hängen, und eine Amsel kam auf den Korb geflogen. Joseph sah den Vogel und rief ihm: Beim Gehorsam, fliege herein! Die Amsel flog nun auf das Fenster, und da sie es verschlossen fand, bemühte sie sich, durch Schlagen mit den Flügeln und durch Picken mit dem Schnabel es zu öffnen. Maria Leoneiii, ein junger Edelmann ebendort, sprach ihm einst von seiner Jagd, und Joseph bat ihn, daß er ihm einen Vogel bringe, um ihn im Käfig zu halten. Der junge Mann war darauf nach Hause gegangen und hatte einen Hänfling mit dem Korbe abgehoben, um ihn ins Kloster zu tragen. Unterwegs aber stieß er zufällig irgendwo an, so daß die Türe sich öffnete und der Vogel davonflog. Bestürzt hatte der Jüngling ihn mit den Augen verfolgt, und da er gesehen, wie er auf einen nahen Maulbeerbaum sich niedergelassen, setzte er den Korb an die Erde und sagte mit vielen Tränen zu ihm: Komm zurück, komm wieder, Vögelchen, Pater Joseph möchte dich gern haben! Wunderbar, der Vogel machte einen 141

Flug im Kreise herum und kehrte zum Korbe wieder, worauf er ihn vergnügt zum Heiligen hinübertrug. Er hatte einst einem Distelfink die Freiheit gegeben, zu ihm sprechend: Gehe, genieße, was dir Gott zugeteilt! Ich für mich will nichts von dir, als daß du, wenn ich dir rufe, wiederkommst, um mit mir deinen und meinen Gott zu loben. Der Vogel hielt sich von da im nächsten Garten auf, und so oft er rief, kam er zurück und half ihm singen. Er hatte lange einen anderen Vogel im Käfig, der ihm immer in der Morgenfrühe zusang: Bruder Joseph, sprich dein Gebet, Bruder Joseph, sprich dein Gebet! Einst hing der Vogel, den er sehr liebte, im Korbe vor dem Fenster, und weil das Zimmer nach dem nahen Walde sah, kam ein Stoßvogel auf den Korb gefahren. Der Vogel, durch sein Flattern und Schreien, rief seinen Herrn herzu; dieser eilte hin, kam aber zu spät und fand den Vogel schon getötet. Wie Joseph den Stoßvogel sah, der noch den Korb umkreiste, rief er ihm: Ei, du Dieb, du hast mir mein Vöglein umgebracht, du verdienst auch dafür umgebracht zu werden; komm, daß ich dich töte! Sogleich kam der Vogel, wie von höherer Macht gezwungen, und legte sich über den Korb, als sei er tot. Joseph gab ihm mit der Hand zwei oder drei leichte Schläge und sagte dann: Geh nur hin, diesmal soll dir verziehen sein, aber tu es nimmermehr! Den Klosterfrauen von St. Klara in Copertino versprach er einst ein Vöglein zu senden, das sie zum Lobe Gottes antreiben solle. Es geschah, wie er gesagt; so oft sie die Tagzeiten absangen, flog ein Waldvogel zu ihnen herein und sang gar lieblich. Aber dabei blieb es nicht; als einst zwei Novizinnen miteinander zankten, flog der Vogel zwischen sie hinein, tat mit seinen ausgebreiteten Flügeln und Klauen sein mögliches, um sie zu beruhigen; und als nun eine der Streitenden ihn geschlagen und fortgejagt, flog er davon und kam nicht wieder, nachdem er fünf Jahre lang im Kloster also verkehrt. Die betrübten Schwestern klagten Joseph ihr Leid darum; allein er versetzte ihnen: Es geschieht euch recht, warum habt ihr das Vöglein erzürnt und weggejagt! Von ihren Bitten jedoch besänftigt, versprach er, es wieder zurückzusenden; und in der Tat, auf das erste Zeichen im Chore kam es wieder an das Fenster, um zu singen, und lief noch zahmer denn zuvor im Kloster herum. Das Erstaunen mehrte sich noch, als die Klosterfrauen aus Kurzweil dem Vöglein eine kleine Schelle an den Fuß gebunden und es dann an einem Gründonnerstag und Karfreitag wieder aus dem Gesicht verloren. Wie sie sich darauf wieder an Joseph gewendet, sagte er: Ich habe ihn zum Singen, nicht zum Läuten gesendet; er ist ausgeblieben, weil er in diesen Tagen das Grab gehütet; ich will aber schallen, daß er 142

wiederkehrt. Wirklich kam er wieder und blieb noch lange Zeit bei ihnen. 21 C h r i s t i n a m i r a b i l i s ging oft ins Feld hinaus, rief dort die schönsten Vögel aller Art zusammen und saß dann mitten unter ihnen, sie mit der Hand liebkosend und sie küssend.22 Am Fenster der sei. J u t t a saßen, als sie am Tode lag, zahlreiche Vögel aller Gattung, mit lieblichem Gesänge alle Hörenden ergötzend; sie sangen so lange, bis ihre Todesglocke ausgeläutet.23 Merkwürdig besonders ist, was dem hl. H u g o, Bischof von L i n c o l n , mit einem Schwane begegnet. Am Tage, wo er nach erhaltener Weihe in seinem bischöflichen Sitze angekommen, kam auch ein Schwan, den man zuvor nie dort gesehen, angeflogen, tötete alle Schwäne, die er um ein nahes Schloß her vorgefunden, binnen wenig Tagen und ließ nur einen weiblichen übrig, den er sich beigesellt. Er zeigte sich nur allein dem Bischof vertraut und zahm, nahm Brosamen aus seinen Händen, versteckte seinen Kopf mit dem langen Halse in seine weiten Aermel wie sonst im Wasser, und blieb Tag und Nacht bei ihm wie ein treuer Schutzwächter. Ging der Bischof auf Reisen, dann flog er zum Teich zurück; die Rückkehr des heiligen Mannes aber verkündete er dann meist drei oder vier Tage zuvor durch Hin- und Herfliegen, Schreien und andere ungewöhnliche Bewegungen, so daß die Diener zueinander zu sagen pflegten: Laßt uns alles in Ordnung bringen, der Bischof wird bald zur Stelle sein. Bei seiner letzten Rückkehr vor seinem Tode ging er ihm aber nicht entgegen, konnte auch von den Dienern nur mit Mühe herbeigeführt werden und ließ, als er ihn sah, kein Zeichen von Freude und Vertraulichkeit blicken, sondern mit hängendem Kopfe sich krank stellend ging er trauernd davon. Er blieb aber nach dem Tode Hugos noch viele Jahre im Schlosse.24

IV. D i e E k s t a s e Es gibt zwei Grundzustände des Menschen, in deren einem er der Einwirkungen alles dessen, was nicht er selber ist, Herr bleibt, sie bemeistert und beherrscht und ihnen gegenüber seiner selbst vollkommen bewußt erscheint, während in dem andern diese Einwirkungen in ihrem Ueberdrange Macht über ihn gewinnen, ihn hinreißen und bemeistern, so daß sein Selbstbewußtsein aufgehen will in das vorwiegende Bewußtsein, wie dies in den Gegenstand, der Wille aber sich ebenso gebunden findet. Man sagt im ersten Falle: der Mensch ist bei sich, im andern: er ist außer sich, oder im Zustande der Ekstase. Da die menschliche Natur nun aber in der Mitte schwebt, 143

zwischen einer äußeren Natur, die tiefer steht denn sie, und einer höheren Wesenheit, der sie sich untergestellt findet, so wird sie auch in zwiefacher Weise außer sich geraten können: einmal nach abwärts sich an jene tiefere Natur verlierend, dann nach aufwärts in jene höhere Wesenheit aufgehend. Im ersten Zustande kann sie wohl, in tiefere Naturkreise eingeführt und dadurch scheinbar gehöht werden in ihrer Wirksamkeit; in Wahrheit aber findet sie sich um so mehr gebunden, je mehr die Kräfte, die sie bemeistern, von der Natur der Mitte haben. Inwiefern ihr höheres Selbstbewußtsein sich daher an das tiefere Bewußtsein verloren und ihre Willensfreiheit von jener Naturnotwendigkeit sich umsponnen findet, ist sie, a u ß e r sich kommend, in Wahrheit u n t e r sich gekommen. Im andern Zustande aber ist sie freilich sich selbst entrückt, scheinbar gebunden und in einen Zustand größerer Passivität versetzt; in Wahrheit aber ist sie durch die höhere Macht in den Kreis eines höheren Bewußtseins eingeführt, demgegenüber das besonnene Selbstbewußtsein als ein unversonnenes, von der eigenen Objektivität ergriffenes Bewußtsein erscheint, und ebenso in die Region einer höheren Freiheit erhoben, der entgegen die gewöhnliche Willensfreiheit als eine Art von Selbstgezwungenheit sich zu erkennen gibt. A u ß e r sich kommend in dieser Weise, ist sie daher in Wahrheit ü b e r sich gekommen; und wie dort geniedrigt, so hier gehöht. Es müssen aber die Gaben des göttlichen Geistes, die, mit Maß gespendet, das Leben in allmählicher Erhebung begeistigen, wenn mit Ueberfülle andrängend, eine Ekstase der zweiten Art in ihm hervorrufen, die also das Vorhandensein eines solchen Andranges als äußeres Zeichen ausdrückt und sohin von den minder zu den mehr bestimmten Symptomen wahrhaft mystischer Zustände hinüberleitet. In der Folge der Zeichen und Offenbarungen solcher Zustände wird also jetzt diese Ekstase, und zwar zuerst in ihrer Allgemeinheit, nähere Erwägung fordern, und wir werden diese damit einleiten und anheben, daß wir aus der Erfahrung und den Berichten glaubwürdiger Augenzeugen uns ein Bild der ganzen Erscheinung abzuziehen und dies uns dann zu deuten unternehmen. 1. Allgemeine Erscheinungen des ekstat. Zustandes Die ersten Symptome anhebender Ekstase werden sich am besten in den Begebnissen der B e a t r i x v o n N a z a r e t h nachweisen lassen, wie sie uns ihr Lebensbeschreiber aufbewahrt. Ihr hatte Ida von Nivelle vorgesagt, wie sie zu Weihnachten der Herr mit seinen ersten Gaben besuchen werde. 144

Der Feiertag war unterdessen vorübergegangen, ohne daß sich etwas gezeigt hätte; und als Beatrix das ihren Sünden zugeschrieben, hatte Ida sie auf die Oktave vertröstet. Wirklich, als sie, im Verlaufe derselben, einst in der Komplet im Chore sang und die Antiphone des Tages: propter nimiam charitatem suam, qua dilexit nos Deus, filium suum misit in similitudinem carnis peccati, ut omnes salvaret, in sich betrachtete, und dann ihr auch das Responsorium von Ostern in den Sinn kam: et David cum cantoribus cytharam percutiebat in domo Domini: da wurde sie über der Erwägung dieser Worte zum ersten Male verzuckt und sah mit geistigem Auge die hohe Trinität in der Schöne ihrer Klarheit und der Herrlichkeit ihrer Kraft; vor ihr David mit den Sängern jenes höheren Jerusalem, mit Sang und Zither ihre Majestät preisend, und alle Himmelsmächte umher, in Schauen versunken, ihre Liebe in freudigem Jubel ausatmend. Wie sie selber diesem Lobe des Schöpfers beizustimmen sich mühte, war die Komplet zu Ende gekommen, und die andern Schwestern verließen den Chor; sie aber bemerkte nicht was vorging, in ihr Schauen vertieft und wie schlafend in ihrem Stuhle eingeneigt. Ihre Nachbarin, die sie wirklich eingeschlafen glaubte, zupfte sie daher am Gewände; da sie das aber nicht erweckte, schüttelte sie sie endlich mit Anstrengung wach. Als die Entzückte, zu sich gekommen, in der Armseligkeit irdischer Verhältnisse sich wieder fand, hub sie an zu schluchzen und zu weinen, daß ihr Antlitz in Tränen sich badete, so daß die Schwester bestürzt die Weinende an die Brust nahm und, ihr die Tränen trocknend, sie durch alle Aeußerungen von Teilnahme wieder zu beruhigen versuchte und, nachdem es ihr damit einigermaßen gelungen, sie zu ihrem Bette führte. Als sie dort nun in der Einsamkeit überlegte, was ihr geschehen, wurde sie von einer unaussprechlichen Freude in ihrem Gemüte Übergossen; auch fand sich, da sie den ganzen Tag zuvor, wie fieberhaft, einen schweren Druck in allen Gliedern gefühlt, durch die Tränenflut jede Spur von Uebelbefinden getilgt. So groß war ihr Seelenjubel, daß, als bald darauf Ida mit einigen andern Schwestern die Freundin besuchen kam, sie aus Herzensfreude in ein Lachen ausbrach und es ihr schien, ihr Herz müsse brechen, wenn Ida näherkomme. Sie bat daher Gott innerlich, die Lampe des Dormitoriums möge erlöschen, damit niemand ihre Fröhlichkeit bemerkte, und es geschah, wie sie gebeten: die Lampe fiel herab und das Zimmer wurde dunkel. Da sie aber immer noch Furcht hatte, man möge sie hören, bat sie nochmal Gott, die Schwestern zu entfernen, und auch darin wurde sie erhört. Die Nahenden hatten eine innere Anmutung, umzukehren, und Görres-Mystik

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gingen sogleich, ohne sie zu stören, in ihre Zellen zurück. Sie nun, ruhig sich selbst überlassen, konnte der erhaltenen Gnade sich ungestört erfreuen und brach dabei in ihrer Freude, sie mochte wollen oder nicht, in so ungemäßigtes Lachen aus, daß sie oft zu Gott betete: er möge hindern, daß der Schall von niemand vernommen werde. Auch schien es ihr oft in dieser Nacht, als fliege sie in der Luft umher, und die Seligkeit, deren sie genoß, verlor sich nicht so bald; sie hielt einen ganzen Monat und länger an.1 Fragen wir näher nach den auffallendsten Erscheinungen, die der weiter vorgeschrittene Zustand der Betrachtung bietet, dann erzählt Peter von Dacien, Lektor und zweimal Prior der Prediger in Gotland, damals auf der Universität in Köln, uns einfach und gut, wie er C h r i s t i n a v o n S t u m m e l n , deren vieljähriger Tröster und Vertrauter er in der Folge wurde, in solcher Lage gefunden, als er zum zweitenmal sie gesehen. Er war mit Gerhard vom Greifen, ihrem damaligen Beichtvater, am 24. Februar 1264 nach Stummeln gegangen, und der dortige Pfarrer hatte ihn mit seinem Gefährten, dazu auch Christina, zu Tische geladen. Während des Essens hatte er sorgsam ihr Wesen und ihr Tun und Treiben beobachtet und sich erfreut, wie er sie in allem enthaltsam, heiter, demütig, in Selbsterniedrigung fröhlich, nur sparsame, aber nie müßige, immer erbauliche Reden führend, befunden und an Haltung, Kleidung und Benehmen weder Ueberflüssiges noch gesucht Spärliches an ihr wahrgenommen. Als die Gesellschaft aufgestanden und der Pfarrer zum Besuche eines Kranken ausgegangen, sang eine der gegenwärtigen Personen aus Andacht den Jubelgesang des hl. Bernhard, wie es scheint ins Deutsche übersetzt, worüber so Peter wie mehrere der Anwesenden öfter zu Tränen gerührt wurden. Plötzlich wurde Christina verzückt, so daß sie, in allen ihren Sinnen unbeweglich und an ihrem ganzen Leibe erstarrt, kein Lebenszeichen von sich gab und, was alle, die zugegen waren, noch mehr in Verwunderung setzte, zu atmen aufhörte. Ich gestehe, setzt der Berichterstatter, dem dergleichen noch gänzlich fremd gewesen, hinzu, daß ich weinte vor Freude, staunend zugleich über das Wunder und dejn göttlichen Geber solcher Gaben Dank sagend. Ich hatte dergleichen noch nie an einem Sterblichen gesehen und dachte, es sei das, was ich beim Apostel gelesen: denn es schien mir keinem Dinge von allem, was ich noch gesehen, ähnlicher gewesen zu sein, und ich gab um so genauer acht auf alles, was sich begab, auf alle Worte, die geredet wurden, und auf jede Bewegung und Gebärde, so sich zeigte. 146

Da sie also, etwas angelehnt an eine Bank, Gesicht und Hände in den Schleier gewickelt, etwa drei bis vier Stunden gesessen hatte, fing sie an, gähnend aufzuseufzen, so daß sie am ganzen Leibe etwas bewegt wurde; dann begann sie leicht aufzuatmen, jedoch seltener und minder tief, als gemeinhin die Menschen beim Atmen zu tun pflegen. Die Bewegung des Atems war jedoch so gering, daß sie nur bei großer Aufmerksamkeit gesehen wurde, weil es dabei nicht auf die gewöhnliche Weise zuging. Es war nämlich, wie gesagt, weniger Bewegung dabei und die Zwischenzeit zwischen Einatmen und Ausatmen größer. Da sie in solchem Zustand etwa zwei Messen lang gesessen hatte, fing sie allmählich an, tiefer aufzuatmen, nach der Weise, wie es die Menschen gewöhnlich damit zu halten pflegen. Dann begann sie zu reden, aber so leise, daß man beim schärfsten Hinhören sie kaum vernehmen konnte, dabei nicht artikulierter Rede sich gebrauchend, sondern etwa nur eines Liebeswortes, wie: Geliebtester! Süßester! Trauter! Bräutigam!, und war dabei in solchem Jubel bewegt, daß sie, am ganzen Leibe zitternd, länger als es den Lachenden geschieht, die ganze Zeit eines Miserere hindurch in einem Einziehen des Atems beharrte und dann ebenso lange unbeweglich blieb. Es dauerte aber dies Aufjubeln und Jauchzen, oder wie ich es nennen soll, da ich nie sonst dergleichen gesehen, zweier Messen Dauer hindurch. Als auch diese Weise, die die Umsitzenden, durch die damit verbundene Inbrunst und Liebe, zum Weinen bewegt, vorübergegangen, begann sie mehr Worte zu verbinden und Reden wie aus einem Ganzen zusammenzusetzen, worin sich Dank und Lobpreisen zu erkennen gaben. Sie erwähnte einigermaßen des Zustandes, in dem sie gewesen, sowie der Gaben im allgemeinen, die sie empfangen, obgleich sie auf einzelnes sich nicht einließ. Es war ungemein lieblich zu hören, wie sie ihre eigene Nichtigkeit erkannte und ihres Geliebten ungemeine Freigebigkeit und vertrauliche Milde. Und indem ihre Rede also zwischen Selbsterniedrigung und Preisen von Gottes Liebe wechselte, dauerte diese Weise wieder etwa eine Messe lang, worauf sie dann, in großer Bitterkeit des Herzens und Vergießung vieler Tränen, die Nöte dieses Elends zu beweinen anfing, in solcher Art, wie ich zuvor nie weinen gesehen, so daß, da ich früher wohl im Glauben die Tränen verstanden, mit denen das Weib des Herrn Füße benetzt, ich sie jetzt aber erst an diesem Exempel recht dem Herzen eingedrückt. Da auch diese Stunde vorübergegangen, begann sie, gleich einem andächtigen Menschen, alle, die ihr lieb waren, Gott aufs angelegentlichste anzuempfehlen. Ich führe das an, weil ich hier 10*

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zum ersten Male wahrnahm, daß sie wieder von menschlichen Motiven und Zwecken bewegt wurde, wie ich es wohl sonst auch, obgleich nach einem kleineren Maßstabe, unter den Menschen wahrgenommen. Und nachdem sie Freunde und Wohltäter aufs eindringendste empfohlen, betete sie auch für ihre Feinde mit dem größten Nachdruck zu Gott, daß er ihnen vergebe, ob sie auch aus Unwissenheit oder mit Vorsatz sich an ihr versündigt. Darauf begann sie, den Menschen, die sie fragten, Rede zu stehen, in nichts dessen, was vorgefallen, erwähnend, so daß es sie wohl eher zu ängstigen schien, wenn sie jemand davon reden hörte. Ein andermal hatte Peter sie mit dem Bruder Albrandinus heimgesucht, und beide hatten sie verschleiert nach der Kommunion in ihrem Bette wieder unbeweglich und ohne Atem gefunden. Der Gefährte hatte ihre Schulter berührt, um zu sehen, ob sie wirklich erstarrt sei, und da er befunden, daß es nicht also sich verhalte, hatte er heftig Peter angerufen: Es ist Lüge, was man von diesem Mädchen erzählt, daß es starr werde, denn es ist geschmeidig. Peter, dadurch einigermaßen verletzt, hatte ihn zur Geduld verwiesen; es sei noch nicht an der Zeit, denn es pflegte immer einige Frist zwischen der Kommunion und der Erstarrung zu verlaufen. Und wirklich, als sie nach dem Essen zurückgekehrt, fanden sie die Verzuckte noch in derselben Stellung, aber nun steinhart, wie eine Tote. Wieder ein andermal dauerte die Verzückung vom Abend bis wieder zum Sonnenaufgang; Peter und noch andere, zwölf an der Zahl, umsaßen die Verzuckte, und alle fanden sich durch einen wunderbaren, ungemein lieblichen Geruch erquickt. Nach der Kommunion pflegte sie sich hinter den Altar zu knien; sie lag dabei wie sitzend und saß wie liegend im Gebete, nach Art der Beginen zu Köln; Gesicht und Hände waren ihr verschleiert, und sie kam dann bald von sich in Verzückung. In dieser Weise war sie auch einst hinter dem Altare niedergekniet, und die Kirche war dann verschlossen worden. Als darauf Peter und der Pfarrer zu Tische gegangen, hatten sie erst nach dem Essen sich wieder zur Kirche verfügt. Da sie diese verschlossen gefunden, stellten sie sich an die Türe und vernahmen nun aus dem Innern hervor eine Stimme, die, menschlich zwar, aber nicht in menschlicher Weise modulierend, an Zartheit und Süße jede Menschenstimme übertraf, ohne daß sie jedoch Worte artikuliert hätte. Es war, als ob Honig die Menschenstimme durchflössen hätte und süßklingende Saiten in der menschlichen Kehle ausgespannt wären. Als sie die Kirche betraten, fanden sie außer Christina keinen Menschen in ihr; sie lag noch an der Stelle, wo sie dieselbe zuvor 148

verlassen hatten, in dem vorigen Zustande; und als sie ihr genaht, um anzuhören, ob jene Stimme von ihr gekommen, vernahmen sie über eine kleine Weile den Ton, als ob er aus der Brust der Jungfrau ausgehe. Es war der Jubel ihres Herzens, der wortlos im Ueberfließen aus ihr hervortönte. 8 Uebereinstimmend erzählt Raimund, was er in bezug auf diesen Zustand hundert-, ja tausendmal an der hl. K a t h a r i n a v o n S i e n a gesehen. Kam sie in die Betrachtung und hatte darin von allen körperlichen Sinnen sich abgezogen, dann begannen die Extremitäten des Körpers, Hände und Füße, sich krampfhaft zusammenzuziehen. Die Finger schlössen sich dabei so fest aneinander oder an das an, was sie gefaßt hatten, daß man sie eher zerbrochen als geschieden hätte. Die Hände und die Arme waren ebenso erstarrt und der Hals in gleicher Starrheit zusammengezogen, so daß es gefährlich war, sie in diesem Zustande dabei anzugreifen. Ihre Mutter Lapa, die nichts von der Sache begriff, bemühte sich mehr als einmal, den schiefgezogenen Hals während der Ekstase mit Gewalt wieder geradezurichten, und sie tat es mit solcher ungeschlachten Heftigkeit, daß, wäre nicht jedesmal eine anwesende Freundin glücklicherweise ins Mittel getreten, sie der Tochter — nach eigener Aussage derselben, als sie wieder zu sich gekommen — den Hals gebrochen hätte; sie fühlte wenigstens noch lange hernach den Schmerz von der gewaltsamen Behandlung. Die Augen waren dabei gänzlich geschlossen; sie vernahm keinen, auch nicht den stärksten Schall, und alle andern Sinne waren in gleicher Weise gebunden. Kam sie aus dieser Ekstase, besonders wenn sie von längerer Dauer gewesen, wieder zu sich, dann stand sie lange wie schlaftrunken, als eine solche, die nicht mehr schläft und sich doch nicht zum Wachen erwecken kann. 3 Es begreift sich leicht, daß in einem solchen Zustande, wo der allgemeine Anknüpfungspunkt der Gedanken sich verrückt, auch das Gefühl der verfließenden Zeit eine Aenderung erfahren müsse. T h o m a s v o n V i l l a n o v a war im Predigen, Messelesen, Beten fortdauernden Verzückungen ausgesetzt. In Vallisolet predigte er einst vor Kaiser Karl V. über die Fußwaschung. Er hatte den Gegenstand wohl behandelt und war zu den Worten St. Peters gekommen: Herr, du mir die Füße waschen?, und sie auslegend, hatte er angefangen: Du, Herr, mir? Du mein Gott, die Glorie der Engel, die Zier der Himmel, Herr aller Kreatur, du mir? Mir? Und nun konnte er nicht weiter fortfahren, noch auch ein Wort hervorbringen, und er stand unbeweglich wie eine Marmorsäule, die Augen gegen Himmel gerichtet und unaufhörlich in Tränen überfließend. 149

So ging es gar vielmal, und wenn es ihm begegnete, entfernte sich keiner der Anwesenden aus der Kirche; man wartete eine halbe, ja, eine ganze Stunde, bis er wieder zu sich gekommen. Unterdessen strömten Geistliche und Weltliche herbei, um ihn zu hören; denn man wußte schon, daß er in solchen Fällen wie ein Engel vom Himmel redete, alle im innersten Herzen bewegend. Er hatte deswegen zuletzt, um den Ruf der Heiligkeit von sich abzuhalten, das Predigen ganz aufgegeben; aber je mehr er die Ehre von sich abwies, um so mehr verfolgte sie ihn. Einst, in der Morgenfrühe des Auferstehungsfestes, hatte er, mit seinem Kaplan Bovillo in den verborgeneren Gängen des erzbischöflichen Palastes umwandelnd, die Antiphone: et videntibus illis elevatus est*) gebetet; darüber verzuckt, stand er nun aufrecht und schwebend von sechs Uhr morgens bis fünf Uhr abends durch elf Stunden, sowohl von den Hausgenossen als vielen andern gesehen. Als er wieder zu sich gekommen, fragte er den Kaplan, der mit ihm die Hören gebetet und nicht von der Stelle gewichen war: Wo sind wir stehen geblieben? Als dieser antwortete: Wir haben die None angefangen, und Ew. Gnaden hatten die Antiphone videntibus illis vorausgelesen. Wohl, sagte der Erzbischof, so beten wir die None fort; dann will ich die Messe lesen und darauf zum Chore gehen. Das wird nicht geschehen können, erlauchter Herr, sagte der Priester. Warum nicht? Eben hat die Glocke das Zeichen zur Komplet gegeben. Erstaunt erwiderte Thomas darauf: So wollen wir die None und die übrigen Hören beendigen; es ist mir leid, weniger um meinetwillen als deinetwegen, daß du die Messe nicht gelesen. Aber es hat also Gott gefallen, ohne deine oder meine Schuld; sei darum ohne Sorge, ihn beleidigt zu haben, denn du konntest mich nicht verlassen; mir aber war es nicht gestattet, die von Gott gegebene Gnade abzuweisen. Der Kaplan warf sich ihm hierauf zu Füßen, ihn inständigst bittend, daß er Gott zuliebe und ihm selbst zum Seelenheil ihm erkläre, was die lange Abwesenheit bedeutet. Thomas, nachdem Bovillo ihm Schweigen angelobt, sagte ihm nun: Wisse, Bruder, daß in dem Augenblicke, wo ich die Antiphone angefangen, eine Schar Engel dieselbe mir vom Munde weggenommen und in den Lüften so süß und wohlklingend sie zu singen angefangen, daß der liebliche Sang mich ganz und gar außer mich gebracht und mir die Sinne geraubt. Ich wundere mich aber, daß, wie du sagst, so viele Stunden vorübergegangen, da es mir doch in Wahrheit geschienen, als sei noch nicht eine halbe verflossen. So viel Lust ist aber in den himmlischen Tröstungen, daß der Tag nur eine halbe Stunde scheint.« *) [Die Antiphon ist aus der Liturgie des

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Himmelfahrtsfestes.]

Vorzüglich der hl. J o s e p h v o n C o p e r t i n o ist von dieser Seite merkwürdig, weil sein ganzes Leben gleichsam ekstatisch gewesen. Denn jedes Ding, das sich irgend auf Gott bezog, Glockenklang wie Eirchengesang, die Nennung der Namen des Herrn, seiner Mutter oder der Heiligen, irgendeine Erzählung aus der Leidensgeschichte, die Erwähnung der Glorie des Paradieses oder der Anblick eines heiligen Bildes: alles vermochte schon die Ekstase bei ihm hervorzurufen, so daß, da es an solchen Veranlassungen nie fehlte, beinahe ununterbrochen eine der andern folgte. In der Messe wandelten sie ihn am häufigsten an, und es war ihm ein sicheres Vorzeichen ihres Kommens, wenn er früher in seiner Kammer bei der Vorbereitung im Lesen der Epistel oder des Evangeliums das Herz bei einer besonderen Stelle schlagen fühlte. 5 Bisweilen, wenn er ihr Herannahen bemerkte, suchte er sie von sich abzuhalten, hielt sich darum am Altare fest und zitterte darüber so heftig, daß es schien, die Gebeine wollten sich ihm ausrenken. Gewöhnlich traten sie ein, wenn er die Kommunion zu sich nahm; oft aber schon, wenn er die Hostie brach, ja wohl, wenn er das Kreuz über sie machte; ein andermal, wenn er den Kelch erhoben oder auch dem Volke die Kommunion austeilte, ja, bisweilen, wenn er ihm den Segen gab: immer aber waren es innerliche Betrachtungen, die sie herbeigeführt, und es war nicht in seine Gewalt gegeben, diese von sich abzuhalten. Dieser Verzückungen, Betrachtungen und vielen Tränen wegen dauerten daher seine Messen — vorzüglich an Festtagen und in besonders heiligen Orten, auch wohl, wenn er von da aus den Himmel sehen konnte — drei Stunden und länger. Ein Zittern überfiel ihn dabei oft, so daß er die Hostie mit Mühe und langsam, nur bis zur Höhe der Brust, und dann nach einigem Verweilen erst weiter erheben konnte.8 Eben weil ihm diese Zustände so überhäufig kamen, daß sie störend auf die Klosterordnung wirkten, hatten seine Obern angeordnet, daß er 35 Jahre lang mit den andern Brüdern weder zum Chor und zu Prozessionen noch auch zum gemeinschaftlichen Tische zugelassen würde, sondern auf seinem Zimmer blieb, wo man ihm eine eigene Kapelle zugerichtet hatte. In den letzten Jahren seines Lebens hatte sogar die Inquisition, des übergroßen Zulaufs der Leute wegen, sich veranlaßt gesehen, ihn in ein einsames Kloster des Gebirges, zu den Kapuzinern auf Pietra Rubea, zu entsenden. Er hatte, wie immer, willig Folge geleistet, aber es führte nicht zum Zwecke; nicht bloß von Monte Feltro, sondern von Urbino, Fossombrone, Fano, Pesaro, Aricium, ja, bis von Cesena her strömte alles Volk zusammen, um das Wunder des Jahrhunderts anzustaunen, so 151

daß nicht bloß Kirche, Kreuzgang und Vorplatz angefüllt waren, sondern, die nicht Zutritt fanden, die Dächer abdeckten, um ihn zu sehen. So sehr war er nun aber in diesen Verzückungen sich selbst und allem Aeußeren entfremdet, daß er bei den vielfältigen, zum Teil unbescheidenen Versuchen, die in solchen Fällen Verwunderung und Neugierde anzustellen pflegen, nicht das mindeste Zeichen einiger Rührung von sich gab. Man konnte ihn auf der Erde schleifen und mit Nadeln stechen, ihm die Finger verrenken, mit angezündeten Kerzen die Glieder brennen, mit den Fingerspitzen in die Augen fahren, Splitter unter die Nägel schieben oder sonst irgend Gewaltsames mit ihm vornehmen; er empfand nichts von allem. Bisweilen wurde der Eintritt des Zustandes durch ein einfaches, dreifaches, bisweilen wohl auch fünffaches Oh! oder auch einen lauten Schrei angedeutet. Als man ihn über die Ursache dieses Schreies befragte, erklärte er ihn durch das Beispiel vom Schießpulver: wie dies nämlich, im Gewehre angezündet, mit lautem Schalle auseinanderschlage, so gehe vom Herzen ein solcher Hall aus, wenn es in Gottesliebe entzündet werde. So wie er den Ton ausgestoßen, sank er auf die Knie, die Hände kreuzweise ausgestreckt und die offenen Augen gegen den Himmel gerichtet, so jedoch, daß die Pupille sich unter dem oberen Augenlide verbarg. Sein Fleisch war dabei starr und kein Atem ging aus seinem Munde.7 Ueberraschte ihn der Zustand, wenn er irgendeine Handlung verrichtete, dann beharrte er in ihr so lange, bis er vorübergegangen. So hielt er, wenn er etwa die Kommunion austeilte, die Hostie in der Hand, unverrückt in der Stellung bleibend, in der die Verzückung ihn gefunden. Als er einst, den Kelch fassend, zur Sakristei ging und seine Schritte beschleunigte, weil er fühlte, daß der Geist ihn übernehmen wolle, stürzte er an der Türe rücklings nieder, und er lag nun, den Kelch fest gegen die Brust gedrückt; und man vermochte ihm denselben nicht zu entwinden, bis der Obere herzugeeilt und er nun auf das Wort desselben: lasciate P. Gioseppe per obedienza, sogleich die Hände öffnete und den Festgehaltenen entließ. Er lag aber immer noch wie tot an der Erde und so fest geschlossen, daß Fra Lodovico ihn fruchtlos aufzuheben sich mühte und einige Leute ihn wegtragen mußten. Ein andermal hatte er einen Christus, ins Leichentuch gewickelt, erblickt; sogleich war er außer sich gekommen, hatte dann nach einer Viertelstunde zweimal die Worte ausgesprochen: sepultus est Dominus! und war nun mit großer Gewalt gegen die Erde gestürzt. Fra Junipero von Palermo, der zugegen war und von seinen Zuständen nichts wußte, 152

wollte ihm mit aller Gewalt helfen, daß er nicht falle, aber er konnte den Sturz nicht verhindern und erzählte nachher, daß, obgleich sein Körper mit Gewalt niedergeworfen worden, er ihm doch so leicht geschienen wie ein Strohhalm. 8 Er beharrte in der Verzückung, bis ihn entweder der Geist entließ oder das Gebot seiner Obern ihn zurückrief, wobei er nach seiner Versicherung nicht zwar die Worte der Rufenden vernahm, aber erkannte, daß Gott um des Verdienstes des Gehorsames wegen ihn zu sich kommen lasse.9 Geschah es in einer oder der andern Weise, dann sah man seinen Körper in allen Gelenken der Knochen heftig sich bewegen, so daß man deutlich den Schall der aneinanderstoßenden vernahm; er sprach dann allemal die Worte: fiat Domine cor meum immaculatum, ut non confundar!, dehnte sich noch eine Zeitlang, und wie einer, der aus einem tiefen Schlaf erwacht, entschuldigte er sich bei den etwa Anwesenden, daß er also sich vom Schlummer überraschen lassen: ein Versehen, das, wenn es auf einem Naturfehler beruhe, verzeihlich sei*).10 Bisweilen sind es Krankheiten, in deren Gefolge die Ekstase sich einstellt; eben diese sind dann gleichfalls von ungewöhnlicher Art, so in Ursprung wie im Verlauf und in der Beendigung. M a r i a M a g d a l e n a v o n P a z z i s , schon in ihrer Kindheit sehr begnadigt, war im sechzehnten Jahre in das Kloster der Karmelitinnen ihrer Vaterstadt eingetreten. Sie hatte ihr Noviziat ohne Tadel durchgemacht und wünschte nun zur Profeß zugelassen zu werden; man vertröstete sie indessen auf die Zeit, wo noch einige andere der Aufgenommenen es zugleich mit ihr ablegen könnten. Sie aber, wohl kundig dessen, was ihr bevorstand, erwiderte, daß es anders ergehen werde. Sie wurde in der Tat von einer schweren Krankheit überfallen, ein heftiger, immer zunehmender Krampfhusten war das eine Symptom derselben, ein gleich heftiges, konvulsives Erbrechen das andere, und da beide miteinander im Widerspruch standen und sie, der krampfhaften Zusammenziehung der Brust wegen, nichts herauszuwürgen vermochte, schien es, als müsse sie in der übergroßen Anstrengung, unter Oeffnung aller Blutgefäße, zerreißen. Die Aerzte begriffen nichts von dem Uebel und mußten zuletzt alles Ankämpfen gegen die Wut der Krankheit aufgeben. Achtzig Tage hatte sie in den allerheftigsten Schmerzen, bei*) Bei dem heil. Peter von Alcantara, Franz von Paula, Philippo Neri und vielen anderen war es ebenso. Die um den letzteren waren, meinten anfangs, ein Schlagfluß habe ihn getroffen, behandelten ihn mit Arzneimitteln, setzten ihm spanische Fliegen und ließen ihm die letzte Oelung geben, worauf er sogleich zu sich kam.

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nahe ganz unfähig, irgendeine Nahrung zu sich zu nehmen, gelegen, ihr Geist wurde stärker und stärker, aber ihr Fleisch immer schwächer bis zur dringendsten Todesgefahr. Da man also an ihrem längeren Leben verzweifelte, beschlossen die Oberinnen, sie zu der so sehnlich gewünschten Profession zuzulassen. Sie ließ sich von den Schwestern in den Chor tragen und legte dort ihr Gelübde mit der größten Freudigkeit ab. Als man sie in ihr Bett zurückgebracht, bat sie die Schwestern, sie ein wenig ruhen zu lassen; diese waren ihr gern zu Willen und verließen, nachdem sie die Vorhänge ihres Bettes zugezogen, die Stube. Eine Stunde war vergangen, und da man keinen Laut von ihr vernahm, auch der Husten, der sie so sehr gepeinigt, ruhte, begaben die ängstlich Harrenden sich in das Krankenzimmer zurück und fanden sie verzuckt und lieblich in Gott ruhend, das Antlitz schön, die Wangen blühend, das Auge auf das Kruzifix geheftet. Es war nicht mehr die bleiche, abgemagerte Schwester Maria Magdalena, sondern wie ein Engel aus dem Paradiese. Das war ihre erste Ekstase, die zwei Stunden hindurch dauerte; von da an, durch vierzig Tage hindurch, wurde sie jeden Morgen, wenn sie das Brot der Engel zu sich genommen, in gleicher Weise in Gott entrückt. Um ihre gänzliche Wiederherstellung zu bewirken, hatte eine ihrer Mitschwestern eine Wallfahrt zum Grabe der Mutter Maria Bagnesia in ihrem Namen gelobt, ihr aber von dem Gelöbnis nichts gesagt. Aber sie hatte es gar wohl im Geist erkannt und, als der Beichtvater sie das nächstemal besuchte, ihm ihren Wunsch ausgedrückt, das Gelübde zu lösen. Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, da fühlte sie allen Schmerz aus der Brust und den Seiten entwichen, den Husten gestillt und ihre ganze Krankheit geheilt. Sie sagte inzwischen nichts von der Veränderung, die mit ihr vorgegangen, erhob sich sofort von ihrem Bette und ging mit derjenigen Schwester, die für sie das Gelübde gelobt, und einer zweiten, die sie bezeichnet hatte, zu Fuße zum Grabe der Dulderin, blieb drei volle Stunden im Gebet vor demselben kniend, schlief dann, wieder zum Krankenzimmer zurückgekehrt, die ganze Nacht hindurch ruhig und war zum Erstaunen des ganzen Klosters fortan gesund und heil.11 Wollen wir uns einen Begriff verschaffen, in welcher Weise ein vorwiegend ekstatisches Leben im allgemeinen sich gestalte, dann bietet am unterrichtendsten das des BarfüßerKarmeliten D o m i n i k u s v o n J e s u M a r i a sich uns dar. Geboren 1559 zu Calatayud in Aragonien, aus dem biskayischen Hause der Ruzzola, hatte sich seine Bestimmung der Mutter 154

schon vor der Geburt durch mancherlei Zeichen angekündigt. Da zu seiner Zeit die Christenheit durch die Reformation in ein ähnliches Verhältnis gesetzt worden wie das Volk des Alten Bundes durch den Abfall Israels von Juda und er nun den Beruf hatte, der neuen Zeit zu sein, was Elias der früheren gewesen, mußte er dazu mit den erforderlichen Gaben sich ausgerüstet finden. Das zeigte sich denn auch bald schon in Kindesjahren; wie er durch die seinem Alter ungewöhnliche Lebensweise schon damals die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, so lebte er auch schon in dieser Zeit in vielfältigem Verkehre mit der unsichtbaren Welt, erlangte die Gabe der heilenden Hand, und als er mit acht Jahren in das KarmelitenKloster seiner Vaterstadt sich hatte aufnehmen lassen, zeigten die Gesichte, die ihm dort zuteil wurden, mit welchem ungewöhnlichen Grade von Energie er in die höheren Gebiete eingetreten. Als er eines Abends ein Gnadenbild dieser Kirche, ein Kruzifix, umfassend, die Füße des Herrn mit dem Strom seiner Tränen bedeckte, wurde er verzuckt und ihm wurde der ganze Verlauf des Leidens im Gesichte gezeigt. Da es in der Handlung nun zur Kreuzigung gekommen und er das Kreuz noch immer aufs allerfesteste umfangen hielt, sah er Maria Magdalena vor sich stehen, die von ihm verlangte, daß er ihr ihren Ort am Fuße desselben räumen sollte und ihn davon wegziehen wollte. Er weigerte sich, obgleich mit demütiger Ehrerbietung, rang darum mit ihr wie früher Jakob mit dem Engel und erhielt zuletzt den Sieg und den Segen, so daß er bis zur Morgenfrühe am Fuße des Kreuzes liegen durfte. Nach Valencia versetzt, kam er bald mit dem großen Heiligen und Wundertäter jener Zeit, Nikolaus Fattor, und durch ihn mit Ludwig Bertrand in engere Freundschaft und Verkehr, und als jener, nachdem er zuvor nach höherem Gebote ihn zum Erben seines Geistes eingesetzt, gestorben, blieb Dominikus mit Ludwig fortdauernd enge verbunden, so daß beide, da sie oft einander nicht leiblich besuchen konnten, sich gegenwärtig in Gesichten erschienen. Jetzt wuchs der Geist in ihm stärker und immer stärker, der Gaben wurden immer mehrere auf sein Haupt gelegt; aber nun mußte er auch erfahren, daß wahr wurde, was ihm Nikolaus damals vorhergesagt: er solle den Weg des Kreuzes geführt werden. Als er bei Ausrüstung der großen unüberwindlichen Flotte gegen England den üblen Ausgang des Unternehmens vorausgesagt, da hatte dies den Patriotismus seiner Landsleute gegen ihn in Harnisch gebracht. Weil damals eine Nonne in Portugal, die man für eine ^eilige gehalten, vor der Inquisition sich als eine Betrügerin erwiesen, fochten ihn auch seine Gegner von dieser Seite an, und es 155

brach die allerheftigste Verfolgung gegen ihn aus, die ihn in zweimalige Untersuchung vor der Inquisition brachte, die er aber beide siegreich bestand. Es schien nun, als würden zur Beschämung seiner Widersacher die Ekstasen häufiger und öffentlicher. Zu seiner eigenen Bestürzung und Beschämung wurde er oft in der Kirche vor allem Volke verzuckt. Es begegnete ihm bisweilen während der Predigt, ein anderesmal, wenn er am Altare stand; und er war jedesmal dann so sehr in Gott vertieft ui\d versenkt, daß es ihn bedünken wollte, er hätte ohne Gottes besondere Stärkung nicht eine halbe Stunde in diesem Leben dauern können. Daher kam es denn auch, daß jedesmal seine Nerven, wenn die Ekstase vorüber war, mit großen Schmerzen sich angegriffen fanden und bei der krampfhaften Zusammen ziehung der Muskeln er in allen seinen Gliedern sich so zerschlagen fühlte, daß er sich nicht zu bewegen vermochte noch auf den Füßen stehen konnte. Auch würgte er dann jedesmal viel Blut aus, in größerer oder geringerer Menge, je nach der Tiefe der Verzückung, oder auch je nachdem man ihn schneller oder allmählicher zurückgerufen. Der Magen war dann auch so geschwächt, daß er keine Speise zu sich nehmen konnte. Natürliche Krankheiten vermochten aber ihrerseits nicht den Eintritt der Ekstase aufzuhalten. Er hatte in Madrid Pestkranke versehen und fühlte nach Verlauf einer Stunde schon sich angesteckt; eine Pestbeule, eines halben Eies stark, zeigte sich am Halse und eine zweite nahe beim Ohre! Er bereitete sich deswegen bis um Mitternacht zum Tode, und als er dann mit Beschwer die Mette gebetet hatte, fiel ihm ein, wie er Reliquien von der hl. Theresia besitze, und berührte damit die heftig brennende Beule am Halse. Sogleich wurde er verzuckt und blieb etwa eine halbe Stunde in diesem Zustande. Die Heilige war ihm erschienen, hatte seinen Hals berührt, ihm die Heilung zusagend, und als er wieder zu sich kam, fand er sich gesund und heil und bei so guten Kräften, als wenn ihm nichts begegnet wäre. Wie tief er aber immer in jenem Zustande befangen sein mochte, ein Wort seiner Obern reichte hin, ihn wieder zurückzubringen. Als er einst mit seinem Prior und einigen anderen vom Landgute des Herzogs von Medina Celi nach Alcala zurückkehrte und seiner Gewohnheit nach den andern ziemlich weit voranging, um dem Gebete obzuliegen, hatte der Prior eben gegen die Gefährten von den Wundern des Gehorsams geredet. Da sie unter diesen Reden an einen Strom gekommen, befahl der Prior, um sein Wort zu bewähren, dem vorgehenden Heiligen, der seine Stimme nicht vernehmen konnte, sich ohne 156

Verzug in das Wasser zu werfen. Er tat es sogleich und stieg nicht wieder heraus, bis es ihm befohlen war. Kein Wunder, daß der Ekstatische um so mehr dem Wort gehorchte. Als die Brüder 1594 ihn zu ihrem Subprior gewählt, wurde er am Abend unter geistlichen Gesprächen verzuckt. Nach einer Stunde wollte der Prior eine Probe seiner Tugend vornehmen und befahl etlichen Geistlichen, daß sie ihn in seinem Namen wieder zu sich berufen sollten, er hatte aber in keiner Weise den Willen und die Meinung gefaßt, daß er zu sich komme. Die Geistlichen gingen hin, aber obgleich sie ihm mehrmal zuriefen, blieb er doch in seinem Zustand. Der Prior erklärte darauf nach einiger Zeit einigen Anwesenden beiseite, daß er jetzt den Willen habe; kaum hatte er darauf die Worte des Befehles bei sich ausgesprochen, fing schon die Verzückung sich zu lösen an. Er befand sich bei seinem Ordensgenerale, und da dieser die gleiche Probe mit ihm versuchen wollte, befahl er ihm, gleichfalls ohne den Willen dazu gefaßt zu haben, daß er wieder zu sich komme; er blieb ganz und gar im vorigen Zustande. Er gebot dann, daß er mit einem anderen Geistlichen die Komplet beten solle, also verzuckt, wie er war; er betete sofort das Aufgegebene zur größten Verwunderung aller Anwesenden. Er hieß ihn dann in seine Zelle gehen, und er ging, verzuckt wie er war, in Begleitung der anderen zu seiner Zelle. Der General brachte darauf den jungen Herzog von Oria, der zufällig sich eingefunden, zu ihm in die Zelle und gebot dem immer noch Verzuckten, daß er dem Kommenden etwas sage. Er sprach darauf das prophetische, sich später erfüllende Wort: Gott mache aus ihm einen guten Kardinal 1 Da der Fürst und andere hernach befürchteten, er möge durch die lange Dauer der Ekstase allzusehr leiden, schickten sie zum General mit Bitten, daß er ihn zu sich bringen wolle. Dieser befahl dem Gesendeten, daß er ihm in seinem Namen Rückkehr gebiete. Der Geistliche entledigte sich des Auftrages, ohne daß Dominikus ein Zeichen der Folgeleistung zu erkennen gab; schon sagten einige: Dominikus habe seinen Gehorsam verloren; da man aber den Boten mit noch zwei anderen wieder zum Generale schickte, anzudeuten, wie er nicht gehorcht, lachte dieser und sagte, wie er sein Gebot innerlich wieder zurückgenommen. Damit man aber sehe, wie sicher sein Gehorsam ist, so befehlt ihm jetzt in meinem Namen, daß er sogleich zu sich komme und sich zu Bette lege. Es geschah also, er kam zu sich, beurlaubte sich von den Anwesenden und legte sich sogleich zu Bette. Als Dominikus von Toledo nach Madrid versetzt worden, ließ ihn eines Morgens der König Philipp II. vor sich kommen, 157

unterhielt sich lange über wichtige Dinge mit ihm, und da unterdessen die Zeit zur Tafel herangekommen, befahl er ihm, bis nach derselben im Schlosse zu verweilen, weil er noch weiter mit ihm reden wolle. Dominikus verfügte sich deswegen in ein anderes Zimmer, begab sich ins Gebet und wurde bald verzuckt. Einer der Kammerherren hinterbrachte das dem König, der sogleich mit der Königin und allen gegenwärtigen Hofherren hinging, um das Wunder anzusehen. Man sagte dem König, wie er leicht lange in diesem Zustande bleiben und dadurch vielleicht leiden dürfte; darum sandte dieser zum Ordensgenerale um den Gehorsam, der ihm sofort alle seine Gewalt übertrug. Der König erfreute sich dieser Gelegenheit und bediente sich der erlangten Gewalt, um die Natur der Ekstase zu erforschen. Er befahl ihm daher, aber auf solche Weise, die ein böser Geist weder wissen noch erkennen konnte, das ist nur äußerlich, ohne innerlichen Willen, daß er zu sich kommen sollte; der Ekstatische aber tat nach dem innerlichen Wollen und blieb in der Verzückung. Er gebot ihm dann, daß er der Königin Antwort gebe auf alles, was sie ihn fragen werde, und er antwortete, immer dabei verzuckt, auf alle Fragen. Bisweilen faßte der König innerlich den Willen, daß er nicht antworten solle, obgleich er ihn äußerlich dazu ermahnte, er schwieg dann und antwortete nicht ein einziges Wort. Zuletzt befahl er ihm mit Mund und Willen, daß er wieder zu sich kommen solle; sogleich erwachte er und warf wie gewöhnlich viel Blut aus, das die Anwesenden mit Tüchern auffingen und bewahrten, er selbst aber war wie vernichtet und beschämt, daß er in diesem Zustande vom ganzen Hofe betroffen worden. Uebrigens verhinderte ihn bei dieser wie bei anderer Gelegenheit die große Schwäche nach der Ekstase nicht, seine kirchlichen Verrichtungen zu üben. Als er einst in Lodano vor Schmerz und Krampf sich nicht zu rühren ver mochte, betete er zu Gott und stand dann sogleich auf, sang das Hochamt und trug das Sakrament in der Prozession mit solcher Stärke und Behendigkeit, daß es den Anwesenden schien, als berühre er nicht die Erde mit den Füßen. Um das Jahr 1613 hatte Maximilian von Bayern, als Dominikus in Rom lebte, Kenntnis von ihm erlangt und in einen Briefwechsel mit ihm sich eingelassen. Seinem Gebete verdankte er bald die Herstellung seiner Gesundheit, sein Bruder Albrecht aber drei Söhne, die er aus früher kinderloser Ehe gewonnen. Max lud ihn daher ein, nach München herüberzukommen mit dem Versprechen, den Barfüßern dort eine Kirche zu bauen. Erst 1620 aber konnte er diesem Verlangen Folge leisten und kam über die Alpen. Er traf Deutschland in 158

den Vorbereitungen zum Dreißigjährigen Kriege; die Böhmen hatten Friedrich V. zum König aufgeworfen und unter Maximilian hatte die katholische Ligue sich gebildet und den Bayernherzog zu ihrem Oberfeldherrn ernannt, ihr und Ferdinands Heer stand schon gerüstet und zu dem bevorstehenden Feldzuge hatten eben beide den heiligen Mann vom Papste zum Beistand sich erbeten, und er hatte trotz seiner Schwachheiten sich sogleich willig gefunden. In Braunau war ihm während der Messe das erste Gesicht geworden, das dem Herzog Sieg versprach, und er hatte, im Lager von Schärding angelangt, die Herzogin damit getröstet. Er weihte nun das Banner des Heeres, und ihm wurde bei dieser Gelegenheit das zweite Gesicht, bald auch in Linz während einer Ekstase das dritte, das die Vereinigung der Kaiserlichen und Reichsheere gebot und dann gewissen Sieg vor den Mauern vor Prag zu suchen befahl. Er setzte darauf zuerst die Vereinigung der Heere, die auch dem Herzog Maximilian als die geratenste Maßregel erschien, im Kriegsrate gegen Bouquoy und andere durch, die mit guten Gründen zum gesonderten Agieren rieten, zu Gorn dann gegen dieselben auch den Einmarsch in Böhmen und den Zug nach Prag, um mit einer Hauptschlacht den Feldzug zu entscheiden. Unterdessen nahm er sich des Heeres mit brennendem Eifer an, besuchte die Soldaten, unterrichtete sie, ermunterte sie zur Tapferkeit, ermahnte sie zu einem religiösem Leben, vernahm ihre Notdurft, sprang ihnen bei in allem, wie er nur vermochte und zeigte sich in Geistlichem und Weltlichem ihnen als ein Vater, in Worten wie in Werken, während er auch die Heerführer in geistreichen Reden zum Vertrauen, Eifer des Glaubens und zu christlicher Stärke zu begeistern wußte. Als beim Einzug in das wüstgelegte Feindesland Krankheiten im Heere einrissen, die, bald pestartig geworden, Tausende wegrafften, trug er alle Trübsal und Not mit dem Kriegsvolke, betete für dasselbe Tag und Nacht zu Gott, besuchte die Allerärmsten in Ställen und auf Heuböden mit Rat und Trost und Spendung der Sakramente, bettelte Almosen für sie und sprang ihnen mit Arzneien, so viel er konnte und mochte, bei, während er zugleich auch den Herzog in seinen Sorgen zu trösten hatte. Die böhmischen Festen fielen, wie er vorhergesagt, er rettete durch zeitige Warnung das Heer vor einem nächtlichen, gut berechneten Ueberfalle; vor Prag angelangt aber fanden sie den überlegenen Feind in der vorteilhaften Stellung gewissem Siege entgegensehend. Noch einmal muß er im letzten Kriegsrat unmittelbaren Angriff, mit Max und Tilly gegen die Mehrzahl, durch die Macht seiner Beredsamkeit durchsetzen. Die Schlacht hat sich schnell entzündet. 159

eine halbe Stunde hat sie unentschieden sich geschlagen; da fällt der Fürst von Anhalt mit seinen Reitergeschwadern in den rechten Flügel, nachdem er die deckende Reiterei vertrieben; zwei Regimenter werden erst in Unordnung, dann in die Flucht gebracht, die Ungarn rufen Sieg, das ganze Heer der Katholischen wankt, und die andere Hälfte der Stunde der Schlachtdauer verläuft zu ihrem Nachteil. Unterdessen hat Dominikus im Gebete mit Gott gerungen, und wieder wird ihm in der Verzückung Sieg zugesagt, da eilt der Bayernherzog in großen Sorgen hin zu ihm und ruft ihn an: Wie nun, Pater Dominikus, die Unsern fliehen und der Feind will siegen. Da schrie der noch halb Verzuckte mit vielen Tränen zum Himmel auf: Verlasse mich nicht, o Herr, mein Gott, weiche nicht von mir, Gott meines Heils, eile mir zu helfen und führe mich recht in deiner Sache! Darauf zum Herzog gewendet, sagte er: Es ist nicht möglich, daß wir unterliegen, der Herr der Heerscharen, der Gott des Elias, ist mit uns. Er verlangte darauf ein Roß, und der 62jährige, durch die Aszese gebrochene, mit Krankheit und Schwachheit beladene Mann ritt nun, einem Jüngling gleich, mit dem Herzog in das Gewühle der Schlacht; das Kruzifix in der Hand, ein Bild der Jungfrau am Halse, dem die Reformierten mit dem Dolche die Augen ausgestochen, rief er mitten im Kugelregen und von manchen getroffen, aber nicht verletzt, den Kämpfenden Mut zu: Euer, euer, ihr Streiter des Herrn, wird bald der Sieg sein; Gott hat sich aufgemacht, und die ihn hassen, vergehen wie der Rauch vor seinem Angesicht. Zugleich betete und flehte er laut auf zu Gott und der Jungfrau, sprach wieder Worte der Begeisterung, segnete das Heer, betete wieder, und wie er so, ein Beispiel lebendigen Glaubens und nicht zu erschütternden Vertrauens, in Mitte des Gewühles, allen sichtbar, stand und sein Kruzifix Lichtstrahlen, vielen wahrnehmbar, um sich goß, mußte sein Erscheinen Wunder wirken. Das Ungestüm des Feindes war gebrochen, das Heer der Katholischen hatte sich ermannt, mit 500 Pferden, die Tilly den Anhaltischen entgegenwarf, wurden diese zurückgetrieben und der jüngere ihrer Führer gefangen, die Ungarn wurden in die Moldau gesprengt, die ganze Schlachtlinie der mit Mut Begeisterten bewegte sich vorwärts; in wenigen Augenblicken war der glänzendste Sieg erstritten, zahllose Gefangene waren in den Händen der Sieger, Prag ergab sich am folgenden Tage. Wie Deutschland es dem Capistranus verdankt, daß der Halbmond sich nicht auf seinen Türmen erhob, so ist es dem Karmeliten dafür verbunden, daß seine eine Hälfte dem alten Glauben treugeblieben, wie Italien den Frieden, Frankreich die Glaubenseinheit ihm verdankt. 160

Die siegenden Feldherren erkannten es willig an; Maximilian, Bouquoy, Tilly kamen nacheinander, ihn auf dem Schlachtfelde zu umarmen und ihm ihren Dank zu bringen; auch die Feinde taten indirekt dasselbe Bekenntnis, da sie den Verlust der Schlacht dem spanischen Zauberer zuschrieben, den der Bayernherzog vom Papst erhalten und mit sich führe, der ihnen Roß und Mann verbannt und ihrem Heere unzweifelhaften Sieg abgebannt. Solche Kraft wohnte in ihm, daß lange nach seinem Tode Max von ihm zu sagen pflegte: Licht ging aus von seinen Augen, und wir Fürsten mußten vor ihm zittern. Dominikus kehrte nun mit dem Herzog nach München zurück, wurde von da zum Kaiser Ferdinand nach Wien berufen und verweilte darauf nach der Rückkehr wieder eine Zeitlang in der Hauptstadt Bayerns, wo die Ekstasen dann ihren gewohnten Gang gingen. Von St. Joseph bis Maria Verkündigung, bezeugte der Herzog selbst, war er in solchem Zustande, daß man an all seinen Reden merken konnte, er müsse anhaltend in Gott vertieft gewesen sein. Am Tage der Verkündigung selbst begab sich in seinem Beisein Folgendes: Die Herzogin hatte ein Bild der hl. Jungfrau, in kunstreicher Weise aus Wachs bossiert, vor ihr das Christkind; und als sie nun miteinander in der Hofkapelle nach der Vesper das Bild betrachteten, gab die Herzogin dem mitanwesenden Dominikus das Bild des Kindes eine kleine Zeit zu halten, bis sie an dem der Jungfrau einiges gerichtet hatte. Er bat sie zweimal um Gottes Willen, ihn dessen zu entheben, weil das kostbare Bild Schaden leiden könne, die Herzogin aber, die nicht wußte, was er damit meine, bestand auf ihrem Willen und gab es dem in einem Sessel Sitzenden zu halten. Sogleich wurde seine Seele gerührt, er sprach nur die wenigen Worte: o quam amabilis! o quam desiderabilis! brach darauf in einen Schrei aus und wurde sofort verzuckt; das Gesicht und die offenen, gegen den Himmel gerichteten Augen unbeweglich, aber die letzten leuchtend und glänzend wie zwei Sterne, also daß die Anwesenden zugleich Verwunderung, Andacht, Furcht und Ehrerbietigkeit anwandelte. Beide Hände waren wie Marmor, und fest geschlossen umfaßten sie das Bild, so daß man mit keiner Gewalt auch nur einen Finger zu öffnen vermochte. Wie sehr ihn der Herzog bei seinem Namen rief, gab er doch kein Zeichen von sich, und die Verzückung dauerte nach seinem Zeugnisse zwei Stunden, bis sein Beichtvater P. Petrus a matre Dei gerufen wurde und ihn durch den Gehorsam wieder zu sich brachte, wobei er, wie gewöhnlich, viel Blut auswarf und lange Zeit nichts Görres-Mystik

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anderes als die Worte: Verbum caro factum est wiederholte. Seine Rückkehr nach Rom durch Lothringen, den Rhein hinunter nach Belgien und durch Frankreich über die Alpen war durch die Wunderwirkungen, die er übte, die Friedenshandlungen, die er vollbrachte, und den erstaunlichen Zudrang auf allen seinen Wegen nur mit dem Zuge des hl. Bernard vor so vielen Jahrhunderten zu vergleichen. Ebenso war es, als er 1629 noch einmal nach Wien hinüberging, auf Geheiß des Papstes, um bei Ferdinand die mantuanischen Händel zu vertragen und, wie er zehn Jahre früher vorhergesagt, dort zu sterben. Mit Freude hatte Ferdinand ihn aufgenommen und wurde nun am Weihnachtstage auch selbst Zeuge seiner Verzückungen. Er hatte seine drei Messen gelesen und sprach aufs lieblichste von dem großen Geheimnisse, das an dem Tage gefeiert wurde; da rief er auf einmal mit starker Stimme: O mein Gott! und wurde in Gegenwart des Kaisers allen Sinnen entzuckt. Ferdinand bemühte sich umsonst, ihn wieder zu sich zu bringen; er mußte seinen Beichtvater Alexander a Jesu Maria rufen lassen, der nach einigem Verweilen ihn wieder durch den Gehorsam zurückbrachte, worauf er so liebliche, süße, wunderbare Worte redete, daß alle Anwesenden in Tränen ausbrachen. Als Alexander, auf Veranlassung des Kaisers, ihn am Abend darauf befragte, ob er in der Ekstase, als er ihn gerufen, den Rufenden gehört und verstanden habe, antwortete Dominikus: er habe keineswegs seine Stimme vernommen, sondern die Sache begebe sich also, daß, gleichwie im Beginne und Verlaufe der Ekstase Gott die Seele aufs kräftigste an sich ziehe, also daß sie den Sinnen entfremdet werde, so, wenn durch den Gehorsam äußerlich etwas befohlen werde, höre Gott auf, sie mit solcher Stärke zu ziehen und lasse sie wieder zu sich kommen, auf daß sie dem Gehorsam genugtue. Er verhandelte die Angelegenheiten, wegen deren er gesendet worden, im Laufe des Jänners 1630, erkrankte dann am 29. dieses Monats, und die Krankheit hatte einen ebenso wundersamen Verlauf wie sein ganzes Leben. Er hatte mit großen Schmerzen zu kämpfen, die ihm durch Tröstungen vergolten wurden; bei seinem Versehen war Ferdinand selbst zugegen, die Ablution ihm reichend; zuletzt lag er acht Tage lang, ohne Gebrauch einigen Sinnes, still und sanft, bisweilen im Angesicht so wunderbar aufglühend und mit solcher Lieblichkeit verklärt, daß viele seinen Zustand für eine fortdauernde Verzückung hielten. Am achten Tage, den 16. Februar abends, öffnete er noch einmal die Augen lieblich, sah alle Umstehenden, besonders den anwesenden Kaiser an, und schloß sie dann auf immer.11 162

2. Psychologische Befunde Die Tatsachen, wie sie in den angeführten Fällen sich herausgestellt, reichen hin, um uns eine klare Anschauung des ganzen Zustandes, in der Verknüpfung aller seiner Erscheinungen, zu gewähren. In bezug auf das Hervortreten derselben wird zuvörderst, vorn gewöhnlichen Lauf der Dinge her, eine günstige Anlage keineswegs ausgeschlossen sein. Wenn unser Geist, aus dem Kreise seiner gewöhnlichen Gedanken und Wahrnehmungen hinausgesetzt, zu einer höheren Erkenntnis sich gehöht findet, fühlen und sagen wir, er sei außer sich. Ein Geist also, dem es gegeben ist, mit Leichtigkeit sich von den Sinnen und ihren Wahrnehmungen abzulösen, von sich selber und dem ordentlichen Gange seiner Gedanken abzusehen und sich in sich sammelnd und absorbierend in den geheimnisbedeckten Tiefen der Unsichtbarkeit unterzutauchen; der, dem hinreichende Schwungkraft zugeteilt ist, daß er der niederziehenden Gewalt des erdhaft Schweren im Gedankenreiche sich zu entringen und im Fluge zum höheren geistigen Aether sich zu erheben wagen darf: den erkennen wir schon in irdischen Verhältnissen als einen Begeisterungsfähigen, und er wird auch zur Aufnahme jener höheren Begeisterung sich wohlbegabt finden. Ebenso, wenn jemand, absehend von allem sonst Begehrenswerten und von sich selber, all sein Verlangen dem Gegenstande seiner Freundschaft oder seiner Liebe entgegenwendet und nun mehr lebt, wo er liebt, als wo er seelt: dann sagen wir gleichfalls von ihm, die Liebe habe ihn außer sich gesetzt. Hat nun irgend jemand ein so reiches Gemüt zu seinem Teil erlangt, daß er, von allen selbstisch vereinzelnden Bezügen leicht absehend, die ganze Fülle seiner Neigungen auf einen äußeren geliebten Gegenstand zu übertragen und an ihn sich ganz zu verlieren imstande ist, dann wird er, wie er in irdischen Beziehungen leicht überwallend ist, so auch unter geänderten Verhältnissen in höheren überzuströmen sich geeignet finden. Krankheiten gewisser Art, inwiefern sie jene geistige Abgezogenheit oder dieses gemütskräftige Aneignen fördern oder auch nur größere Beweglichkeit in die Anschauungen und Affekte bringen, können daher allerdings auch diese Anlage steigern. Aber das alles ist das minder Wichtige und Bedeutende; das Entscheidende aber sind die unsichtbaren Mächte und vor allem Gott, der seine Gaben zuwendet, wem er will, und auch den minder reich Ausgestatteten damit besucht, wenn es ihm so wohl gefällt oder er sich des Besuches sonst würdig gemacht... 11»

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So erscheint also die Ekstase in ihrem Hervortreten oder Außenbleiben weder an leibliche Verhältnisse noch an seelische, nicht an die Selbstbestimmung des Willens noch an geistige Tätigkeit und irgendeine Gedankenfolge notwendig gebunden, sondern wie überall der Geist weht, wo er will und wie er will, so vorzüglich auch hier in diesem Falle, wo er recht eigentlich in seinem Gebiete waltet. Daß nicht organische Verhältnisse hier entscheiden, zeigt sich vorzüglich am Beispiele des hl. Dominikus, der, obgleich in seinem Blute schon vom Peststolle vergiftet, doch von ihr ergriffen wurde und in ihrem Verlaufe durch Auswurf des Krankheitsgiftes seine Heilung fand... Wenn so die gänzliche Erschöpfung der Kräfte der Natur den Eintritt der Ekstase nicht aufzuhalten vermochte, dann wird man ihren Ursprung wohl anderwärts als im Umkreise dieser Natur aufzusuchen sich gedrungen finden. Aber auch im Gebiete des Willensentschlusses kann er nicht gefunden werden, denn der Wille ist machtlos, und weit gefehlt, daß er nach Wohlgefallen die Erscheinung in sich herbeirufen könnte, vermag er nicht einmal die nahende, ihrer sich mit Macht erwehrend, von sich abzuhalten. Viele haben dergleichen schon fruchtlos versucht, wir wollen aber unter ihnen nur eine Mystische anführen, die in diesem Versuche vorzüglich sich anstrengt. Die in allem bewunderungswürdige hl. K a t h a r i n a v o n G e n u a war es auch darin, daß sie nicht bloß für nichtig erachtete, was die Welt hoch zu halten pflegt, sondern noch weit mehr als dies, alles für eine Pest der Seele achtete, was minder erleuchtete Gemüter für eine Gunst des Himmels halten. Weit entfernt daher, an Ekstasen, Visionen und dergleichen Wohlgefallen zu haben, hatte sie vielmehr von frühester Jugend auf den Herrn inständigst gebeten, ihr nie dergleichen zu gewähren. Aber Gott war auf diese ihre Bitte keineswegs eingegangen und, nachdem er sie zum vollen Selbsthasse und zur unbedingten Hingabe in seinen Willen geführt, nachdem er aller sinnlichen Gelüste sie entkleidet, hatte er sie mit seinen Gaben überschüttet, sie stundenlang außer sich setzend und mit höheren Gesichten sie besuchend. Da war es nun wunderbar anzusehen, mit welcher Gewalt sie dies von sich abzuwehren versuchte. Kaum fühlte sie, durch die Erfahrung belehrt, im Herzen und in der Seele die ersten Symptome, die jenem göttlichen Einfall vorherzugehen pflegen, da nahm sie alle ihre Kraft zusammen, um ihm zuvorzukommen, so daß sie der Gewalt wegen unbeschreibliche Schmerzen an ihrem Leibe litt. Aber sie mochte tun was sie wollte, sie 164

konnte der höheren Gewalt nicht widerstehen, und wenn sie dann wieder zu sich kam, war sie jedesmal so schwach und leidend, daß es ein Wunder schien, wie sie, nachdem sie so viele Stunden des Tages unter unaussprechlichen Schmerzen im Himmel geweilt, noch ferner auf Erden leben könne. So lange sie noch in der Jugend Kräfte hatte, sich der Beobachtung zu entziehen, wußte sie sich, so wie sie die Entzückung nahen fühlte, so wohl zu verbergen, daß, wäre nicht die heilige Neugierde ihrer Umgebung allzu aufmerksam gewesen, ihre täglichen Ekstasen gänzlich unbekannt geblieben wären. Im späteren Alter, wo diese ihre Kräfte nicht mehr ausreichten, um in Zeiten sich zu entfernen, mußte sie es geschehen lassen, daß sie allen bekannt wurden. Sie suchte sie dann unter Vorgeben von Anwandlungen des Schwindels zu bedecken, aber das konnte ihren Beichtvater Cattaneo Marabotto nicht täuschen, der vielmehr davon Veranlassung nahm, sie unter dem Gehorsam zu nötigen, die Geheimnisse des Himmels zu offenbaren, die er dann im Auszuge mit dem Leben der Heiligen uns aufbehalten. So oft sie nun in oder außer der Ekstase von der Liebe Gottes redete, blühte ihr leuchtendes und rosiges Angesicht gleich dem eines Seraphs, während die Worte hoher Weisheit, die sie redete, eines in Himmelslicht strahlenden Cherubs zu sein schienen, so daß alle, die sie hörten, aufs tiefste und schmerzlichste bewegt, vor Erstaunen sich nicht zu fassen wußten. Bei allem dem vermochte sie nicht den aller kleinsten Teil dessen, was ihr Gott in diesen ihren Gesichten gezeigt, auszusprechen, weswegen sie denn lieber gar nicht davon redete." Tritt nun die Ekstase auf eine oder die andere Weise ein, dann kündigt sie allerdings dem, den sie ergreifen will, ihre Annäherung durch ein gewisses Vorgefühl an, und wenn er dadurch gewarnt mit dem Geiste zu kämpfen versucht, dann wird dieser Kampf wohl auch durch äußere Anzeichen, Zittern und dergleichen, sich verraten. Aber der Eintritt des Zustandes selber ist Sache eines Augenblickes, ohne Uebergang, wie durch einen plötzlichen Einfall hervorgerufen, und dieses blitzähnliche Ergriffenwerden gibt sich durch den Schrei zu erkennen, der den Einschlag des Geistes häufig zu begleiten pflegt, und in dem die von ihm überraschte Natur sich einigermaßen Luft zu machen sucht. Eben dieser Ueberraschung wegen bleiben die Glieder in der Stellung und Haltung, in der der Eintritt des Zustandes sie gefunden; auch die höhere Gedankenfolge, die nun anhebt, scheint in die gewöhnliche also eingeschoben: daß sie zwischen das letzte Glied der durch die 165

Ekstase abgebrochenen — mit dem sie in der Regel, wie sich am Beispiele der Beatrix von Nazareth gezeigt, in einer gewissen inneren Verwandtschaft steht — und das erste der hernach wieder fortgesetzten so in die Mitte tritt, daß der späteren Reflexion kaum ein Zwischenraum sichtbar wird. Daher eben auch der schnelle Verlauf der Zeit, wie wir an Thomas von Villanova gesehen und wie es sich bei vielen Ekstatischen noch gezeigt, unter anderen bei Maria von Oignys. die einmal drei Tage anhaltend in der Ekstase gelegen, und die all dieser lange Zeitraum kaum ein Augenblick zu sein bedünkt, begreiflich, da sich die Zeit ebenso an der Nacheinanderfolge der Momente jener Gedankenverkettung wie der Raum an der Hintereinanderfolge äußerer Gegenstände erkennt und schätzt. Es ergibt sich klar: das Tätige in Mitte aller Persönlichkeit, das, sich allstets hinaus und hinab bewegend, in alle Verrichtungen eingeht, ist ergriffen und sein Streben in eine andere Richtung hineingeleitet worden; die Aeußerungen, die es zuvor beseelt, sind daher ins Stocken gekommen, um so mehr, je mehr sie in die Sphäre des besonnenen Willens fallen. Darum hat sich über das ganze sonst so laute, vielbewegte Leben Stille und Ruhe ausgegossen, denn die Brunnquellen, in denen es sich in allen Richtungen verströmt, sind zu ihrem Ursprünge zurückgegangen und haben ihr Bett im Trockenen zurückgelassen. Die Sinne, in den Gesamtsinn aufgegangen, haben daher gänzlich sich geschlossen; ihnen ist aber nicht etwa Gewalt geschehen, nur die in ihnen wirksame Tätigkeit ist abgezogen, und die Einbildungskräfte, weil ihnen nicht ferner mehr bildsamer Stoff geboten worden, haben darum gleichfalls ihr Bildungswerk nach dieser Seite eingestellt, und so auch die Verstandestätigkeiten die Kettenfolge ihrer bisherigen Gedankenreihen abgebrochen. Ein allgemeiner Starrkrampf hat das gesamte Bewegungssystem, infolge der Zuckungen, die es einige Momente durchfahren, ergriffen, und hält es nun aufs engste beschlossen. Die bewegenden Kräfte, die durch seine verschiedenen Organe sich verteilt, sind, wie es scheint, mehr in eine Gesamtkraft zurückgegangen, die sich näher an die Mitte und zur Höhe des Menschen hinaufgedrängt, und der allgemeine Schwerpunkt ist ihnen in dieser Richtung, wie es den Anschein hat, gefolgt und hat gleichfalls dem Haupte näher seine Stelle gefunden. Die Macht der irdischen Schwere, die in ihm wirksam, die gewöhnlichen Bewegungen hemmt und bindet, hat gleichfalls sich gemindert; denn Fra Junipero hat den in die Ekstase hinsinkenden Joseph von Copertino wie einen Strohhalm leicht gefunden, und es will der Beatrix die ganze Nacht nach ihrer ersten Ekstase 166

scheinen, als fliege sie in der Luft. Aehnliches hat auch in den unteren Lebenssystemen sich zugetragen, das Blut ist von der Richtung zur Oberfläche ab, gegen die Mitte des Systemes hingedrängt, seine Bewegung stockt daher in den Adern, der Puls wird langsam, klein und schwach, der Atem ebenso retardiert und minder tief, nur an der Oberfläche spielend, und es nehmen diese Symptome mit der Stärke der Verzückung zu, so daß beim höchsten Grade derselben Atem und Puls kaum bemerklich bleiben und nur eine in der Gegend des Herzens leicht spielende Bewegung die fortdauernde Anwesenheit des Lebens noch verrät. Alle Kräfte und Tätigkeiten aber, die sich also vom Aeußeren abgezogen, sind nun nach innen hingerichtet und gegen Gott gewendet, und alle Verrichtungen, die sie sonst in der Außenwelt geübt, werden jetzt in der inneren in einer höheren Ordnung der Dinge vollbracht. Und wie nun diese Vertiefung in Gott und die unsichtbaren Dinge den Grad der Verzückung bedingt und danach die äußeren Erscheinungen wechseln, so wird auch je nach der Verschiedenheit der Gegenstände, die diese neu aufgehende, zuvor bedeckte Welt den zu ihnen gewendeten Kräften bietet, gleichfalls die Ekstase sich modifizieren, und wir haben von dieser Seite her, in den angeführten Beispielen, sie schon zweiartig gefunden, nämlich der jubilierenden eine trauernde gegenüberstehend. Fragen wir nun nach der Dauer, in der ein solcher Zustand sich behaupten mag, dann erscheint diese im ordentlichen, sich selbst überlassenen Verlauf der Dinge verschieden, je nach der Eigentümlichkeit des Individuums und der Tiefe der Absorption, in die es sich verloren. O s a n n a v o n M a n t u a wurde einst in der Fastenzeit verzuckt und blieb drei Tage in diesem Zustande, und so tief war ihre Immersion in die göttlichen Dinge, daß sie nicht mehr wußte, ob sie noch mit ihrem Körper verbunden oder schon von ihm gelöst sei. Es schien ihr, als werde sie von einem Lichte und absonderlichen Glanz getragen, in einer nicht bloß menschlichem Verstände, sondern dem eines Engels unfaßlichen Weise; ihr Gemüt stand so aufgerichtet in Gott, daß kein Verlangen weiter in ihrem Herzen zurückgeblieben und sie nimmer wieder zum Elende des gebrechlichen Lebens zurückzukehren dachte. Am dritten Tage jedoch mußte sie sich schon dazu verstehen, aber ein unsäglicher Schmerz hatte sie nun ergriffen, und sie ließ nicht ab zu seufzen und zu weinen; sie schien nur noch zu leben im Nachgenusse der Seligkeit, die ihr geworden, und konnte sich über den Verlust derselben nicht zufrieden geben, bis sie der Herr am Auffahrtstage, nachdem sie zur Kommunion gegangen, 167

mit einer folgenden tröstete, die zwei Tage dauerte, und der, nach der Versicherung einiger, eine andere dreitägige zur Pfingstzeit folgte. Oefter konnten diese ihre Ekstasen auch durch Zwischenzeiten, in denen sie bei sich war, unterbrochen werden, ohne darum aufzuhören. So wurde sie zu Allerheiligen durch einige Worte, die sie gehört, verzückt; als aber die Stunde, zur Eucharistie zu gehen, gekommen, war sie plötzlich wieder zu ihren Sinnen gelangt. Sie hatte nun das Sakrament genommen und war, in einem Winkel der Kirche niederkniend, abermals verzuckt geworden und bis Sonnenuntergang in diesem Zustande geblieben. Als sie heimgekehrt von den Ihrigen zum Abendessen gerufen wurde, war sie ihnen zulieb an den Tisch gegangen, obgleich alle Speise sie anekelte; wie sie aber so zu Haupten des Tisches stand und die anderen meinten, daß sie nun niedersitzen würde, war sie plötzlich wieder verzuckt und blieb also drei Stunden an derselben Stelle stehend. Dann, ein wenig aufgeweckt, ging sie, so gut sie konnte, in einen Winkel des Zimmers, kniete nieder und war sogleich wieder hingenommen. Als man sie darauf in ihr Zimmer gebracht, beharrte sie die ganze Nacht im ekstatischen Zustand,14 im Genüsse all der Seligkeit, die ihr dieser jedesmal bereitete. Wie bei ihr, so war es auch bei der Ursula Benincasa, die in ihrem zehnten Jahre, als sie den Englischen Gruß gebetet, zum erstenmal ekstatisch geworden, ein Zustand, der nun jedesmal, so oft sie zur Kommunion ging, sich an ihr wiederholte und jedesmal bis zum Abend dauerte, während er bei Nikolaus Fattor öfter durch vierundzwanzig Stunden sich hinzog. Bei der sei. Oringa breitete er wieder über mehrere Tage, bei der Angela von Foligno und der Rosa von Peru über drei Tage sich aus. Der hl. Ignaz von Loyola war, nach dem Zeugnisse derer, die zugegen gewesen, einmal sieben Tage anhaltend verzuckt, Magdalena von Pazzis bisweilen acht, welche Dauer maft auch an den Ekstasen des hl. Franz von Paula bemerkt zu haben glaubte. Hat die Ekstase ihre Zeit gedauert, dann kehrt die Natur, wenn sich selber überlassen, allmählich wieder zu ihren gewöhnlichen Verhältnissen zurück. Die allmähliche Stufenfolge dieses wieder Zusichkommens: das leichte gähnende Aufseufzen, das in einem linden Wehen wieder beginnende, mehr und mehr sich vertiefende Atmen, das leise, unartikulierte Reden in bloßen Ausrufungen mit innerem Jubilieren, das in stufenweisem Fortschritte vorgehende Zusammenfließen und Einigen dieser einzelnen freudigen Laute in die gebundene Rede, die Gottes Preis verkündet, die Tränen dann in ihrer Ueberfülle, die vollends in den gewöhnlichen Zustand hinüberleiten, 168

das alles hat uns Peter von Dazien an der Kölnischen C h r i s t i n a gut und genau nachgewiesen. Man sieht, eine Macht, die über alles Verhältnis hinaus stärker ist als die Natur, und der sich nicht widerstehen läßt, hat den Zustand herbeigeführt, und das Plötzliche seines Eintrittes in einem Nu gibt den Maßstab zur Beurteilung der Gewalt, die hier geschehen. Läßt aber diese überlegene Macht wieder ab von der Seele, die sie ergriffen, und sinkt die erhobene in den Umkreis ihrer gewöhnlichen Beziehungen zurück, dann ist sie sich selber und ihrer eigenen Kraft zurückgegeben, und sie muß nun aus eigenem Vermögen sich wieder im Leben zurechtzufinden suchen. Die vom Weine, den sie gekostet in Fülle und Ueberfülle, noch immer Trunkene muß sich langsam wieder auf sich zurückbesinnen, in leichten Regungen gibt diese wiederkehrende Besinnung sich bald nach außen zu erkennen, aber nur die innerste Mitte wird im Beginne von diesen Bebungen der ihrer selbst sich wieder bemächtigenden umspielt. Bald erweitern sich die von ihr abfließenden Wellenkreise, die mit ihnen ausgehenden Kräfte kehren, eine nach der andern, in die ihnen entsprechenden Organe zurück, was zuvor beschlossen worden, wird wieder aufgetan, bis zuletzt das wieder erwachte Leben den äußersten Umkreis erreicht und alles nun bald in den gewöhnlichen Geleisen sich wie zuvor bewegt. Die zögernde Langsamkeit, mit der das alles sich vollbringt, gib das Maß der Wirkung, die die natürlichen Kräfte des Menschen in den ganzen Akt hineingetragen. Aber es gibt ein Mittel, dieses Zusichkommen zu beschleunigen. Die Ekstatischen sind, mitten in ihrer Selbstentäußerung, weil noch im Leben, auch fortdauernd in Vereinigung mit der Kirche und durch das Band des Gehorsams mit ihr verbunden; in seiner Macht nun, durch die dazu Berechtigten zurückgerufen, müssen sie gehorchen. Ueber die Art und Weise, wie dies Folgeleisten möglich gemacht wird, haben wir durch den hl. Joseph von Copertino und den hl. Dominikus vollkommen übereinstimmende Aufschlüsse erhalten: sie hören nicht die sie zur Rückkehr verpflichtenden Worte, aber die Macht, die sie ergriffen, hat sie vernommen und entläßt sie aus der Einigung, damit sie ihrer Verpflichtung Folge leisten können. Diese Leistung ist aber prompt und schnell, weil sie das Gebotene nun nicht in eigener Kraft, sondern in der Macht der gebietenden Gewalt, die sich zuletzt wieder vom höheren Geiste deriviert, vollbringen. Aber die Natur wird dann bei manchen Individuen, wenn allzurasch in Anspruch genommen, durch den plötzlichen Einschuß der Lebensgeister wohl gern verletzt. Wenn Maria von Oignys in ihrer Verzuk169

kung lag und Fremde von fern her kamen, um sie zu sehen, dann wurde sie bisweilen geweckt; sie ihrerseits, wenn sie die Gegenwart der Fremden erfuhr, tat sich, um kein Aergernis zu geben, Gewalt an und entriß sich dem Zustande mit so großem Schmerze, daß ihr manchmal die Blutgefäße zerrissen und sie Blut spie; aber sie nahm das Uebel gerne hin, um nur die Fremden nicht zu irren. Bisweilen jedoch, wenn sie innerlich im Geiste das auch ferne Nahen von Besuchenden erfuhr, entwich sie in Feld und Wald, daß sie manchmal einen ganzen Tag lang nicht wiederzufinden war. Ein andermal aber wurde sie vom Geist selber mit den Worten: Gehe hin, denn deiner wartet jemand, nicht aus Fürwitz, sondern einer Notdurft wegen, aus der Verzückung entlassen.1" Gleiches trat, wie wir gesehen, beim hl. Dominikus a S. M. beim plötzlichen Zurückrufen ein, während es bei anderen ohne nachteilige Folgen sich erwies. Was Einigung im Geiste ist, erscheint leiblich als eine Art von Ansaugung; rasches Losreißen kann daher leicht Blutung erregen, entweder in den Gefäßen des Magens oder öfter wohl in denen der Lunge. Das in der Macht des Gehorsams gesprochene Wort wirkt übrigens, wie uns am Beispiele sich erwiesen, in die räumliche Ferne; es kann auf andere, die sonst an sich keine Macht besitzen, übertragen und nach Belieben über dem Aussprechen, selbst aus der Ferne, innerlich wieder zurückgenommen werden. J a in vielen Fällen, wie bei König Philipp und Dominikus, hat selbst das Uebertragene sich nicht aussprechen gedurft; bloß innen in der Verborgenheit des Willens lautlos gefaßt, hat es seine Wirkung nicht verfehlt. Die Nachwirkungen der Ekstase geben sich in verschiedener Weise kund. Wir haben schon an der B e a t r i x v o n N a z a r e t h gesehen, wie ihre Freude am Nachgenusse der ersten Ekstase sich nicht wollte zurückdrängen lassen. Später kam sie häufig in diesen Zustand und tauchte so tief unter, daß, während alle ihre Körperkräfte gebunden und ihre zuckenden Glieder wie von einer allgemeinen Lähmung ergriffen waren, sie innerlich das Gefühl hatte, als könne sie weder leben noch auch sterben, und als wolle die Seele sich aus dem Körper herausdrängen und zur Höhe aufsteigen, so daß sie den Drang nicht länger tragen zu können schien und deswegen zur öfteren Kommunion ihre Zuflucht nahm, die sie dann stärkte und der öfteren Heimsuchung gewachsen machte. Da geschah es ihr denn wohl, daß sie, aus der Verzückung wieder zu sich gekommen, ihres Willens sich ganz beraubt fühlte, so daß derselbe, in den göttlichen überformt, vollführte, was dieser ihr eingab. Das hielt viele Tage hindurch an, so daß ihr Gesundheit, 170

Krankheit, Glück und Unglück völlig gleichgültig waren und sie nach dem Ratschlüsse des eigenen Willens weder Ewiges noch Zeitliches erwählte. Sie fühlte sich dabei nicht bloß im Herzen brennender, im Gewissen klarer, sondern auch im Körper stärker; zugleich fand sich ihr Geist um so leichter und reiner klarifiziert, je tiefer die Verzückung gewesen. Dadurch geschah es, daß sie dann im Umgange mit den Menschen nur mit solchen ohne Schmerz verkehren mochte, die selber reinen Geistes waren, andere aber nicht einmal hören konnte, weil sie durch ihre Nähe sich bis zum Tode gedrückt fühlte.18 Auch 0 s a n n a fand sich, nach dem Vorübergange der Ekstase, in Gottesliebe aufs heftigste entzündet, so daß, wo sie immer sein mochte, Sinn und Gedanken ihr unausgesetzt zum Himmel standen und sie erst lange Zeit hernach ihren Geist irgendeinem andern Gegenstande zuzuwenden vermochte. Dabei war solche Demut in ihr, daß sie jedes Geschöpf Gott werter glaubte als sich selber, während zugleich eine hohe, unbeschreibliche Freude ihr ganzes Innere erfüllte, und in ein durch keine Gewalt, die sie anwenden mochte, zurückzuhaltendes Lachen ausbrach, besonders dann, wenn irgendein Bekannter bei ihrem Erwachen zugegen war. Sie war dann so beschämt, daß sie weder die Augen aufzuschlagen noch sich zu erheben wagte, solange er zugegen war. Unter allen Umständen blieb sie jedoch eine Zeitlang schweigend, teils um die reichlich rinnenden Tränen abzutrocknen, teils um die abgezogenen und abgetöteten Sinne und Kräfte wieder in die Glieder auszugießen. Bisweilen lag sie dabei halbtot an der Erde oder saß da, aufs stärkste angegriffen, kaum imstande, ein Wort zu reden. Ein andermal war sie aber dabei auf der Stelle wieder beweglich und lebendig und kräftig, daß sie weite Strecken durchgehen konnte, ohne daß sie dabei die Erde zu berühren schien. Auch bei ihr scheint diese bewegliche Leichtigkeit habituell geworden zu sein, was sich bei einem Schiffbruch zeigte, den sie in Gesellschaft mit vielen andern auf dem Po gelitten. Diese, worunter auch ihr Bruder, gingen öfter unter Wasser, während sie in schweren, genäßten Winterkleidern, das Kruzifix in der Hand, vom Flusse hinund hergeworfen, lange auf seinen Wellen schwamm, bis alle miteinander gerettet wurden. Es schien ihr dabei, als habe sie eine feste Unterlage unter ihren Füßen, die sie, während sie umgetrieben wurde, aufrecht hielt.17 Fragen wir endlich nach den Verhältnissen des in der Ekstase verzuckten Leibes zu den Naturelementen, dann begreift sich leicht, wenn er, über die gewöhnlichen Naturgesetze hinausgehoben, auch bis zu einem gewissen Punkte 171

ihrer Macht entrückt erscheint. Besonders das Feuer, sonst das gewalttätigste, zerstörendste von allen, findet sich ihm gegenüber in seiner fressenden Schärfe gebunden, worüber besonders Raimund im Leben der hl. K a t h a r i n a v o n S i e n a merkwürdige Tatsachen aufbehalten. Sie saß, erzählt er, einst in der Küche am Herd, den Bratspieß drehend und das Essen für die Hausgenossen besorgend, gab sich aber bald ihren Betrachtungen hin und wurde durch diese zur Ekstase geführt, wo dann natürlich der Bratspieß stillstand. Die Gattin ihres Bruders, Lysa, die ihren Zustand kannte, war indessen für sie eingetreten, und da sie das Essen fertiggemacht, war sie, um es aufzutragen, davongegangen und hatte sie am Herd sitzend in der Verzückung zurückgelassen. Als Lysa aber nun, nachdem die Hausgenossen sich schlafen gelegt, spät zur Küche zurückgekehrt, um zu sehen, wes Weise es mit ihr enden wolle, sah sie zu ihrem Schrecken, wie die Verzuckte, vom Stuhle gefallen, mit dem Gesichte in Mitte der glühenden Kohlen lag, deren gerade eine große Masse sich zusammengefunden. Mit einem Schrei stürzte sie auf die Liegende hin und riß sie aus den Flammen heraus, gefaßt darauf, sie ganz verbrannt zu finden. Aber zu ihrem Erstaunen war keine Verletzung an ihr zu sehen noch ein Geruch zu verspüren, ja, nicht einmal irgendein Teil ihres Gewandes mit Asche bedeckt. Wieder zu sich gekommen, ging sie davon, ohne daß eine Nachwirkung an ihr zu bemerken gewesen wäre. Das war nicht das einzige Mal, daß dergleichen sich begeben; mehrere Male wurde sie, in Gegenwart vieler, durch unsichtbare Gewalt ins nahe Feuer hineingestürzt; wenn dann die Anwesenden sie weinend und schreiend den Flammen zu entreißen suchten, erhob sie sich plötzlich lächelnd aus ihnen, ohne daß ein Brand oder eine Verletzung an ihr sichtbar gewesen wäre, und sie sagte dann nichts, als etwa nur die Worte: Fürchtet euch nicht, das hat Malatasca (so nannte sie den Teufel) getan! Als sie ein anderes Mal an einem Pfeiler in der Kirche, unter Bildern, vor denen viele Lichter brannten, kniete, war während ihrer Betrachtungen eines derselben ihr auf den Kopf gefallen und erlosch, nachdem es bis zum Ende ausgebrannt, zuletzt ohne irgendeine Verletzung an ihrem Schleier zurückzulassen, wovon hernach ihre Gefährtinnen Lysa, Franziska und Alexia Zeugnis gaben.18 Mit Simeon von Assisi verhielt es sich ebenso. Als er einst ekstatisch war, fiel ihm eine brennende Kohle auf den Fuß; sie blieb liegen, bis sie erloschen war, er aber fühlte keine Hitze, noch brachte ihm die Kohle einige Verletzung. Dem Zustande der Ekstase vollkommen entgegengesetzt ist jener, den man in diesem Gebiete mit den Namen der Trocken172

heit, Dürre, Verlassenheit, Trostlosigkeit zu bezeichnen pflegt. Die Mystischen wissen vieles von ihm zu berichten, vorzüglich aber hat R o s a v o n L i m a seine Schrecken gefühlt, und was sie davon ihrer Umgebung mitgeteilt, wird hinreichen, um uns einen anschaulichen Begriff von seiner Furchtbarkeit zu verschaffen. Als die Jungfrau schon bis zu den höheren Graden der Einigung angestiegen, wurde sie alltäglich von den entsetzlichsten Umnachtungen des Gemütes heimgesucht, die nicht etwa bloß vorübergehend über sie kamen, sondern stundenlang sie also ängstigten, daß sie oft nicht wußte, ob sie in der Hölle sitze oder im harten Verließ des Reinigungsortes, oder in welchen Kerker sonst man sie hinabgeworfen. Plötzlich wie in einem Nu befand sie sich dort, wo keine Erinnerung an die Lieblichkeit der Gottheit, kein Schmack göttlicher Anwesenheit, keine Spur und kein Schatten irgendeines Trostes zu finden. Es war eine Wüste der Finsternis, der Zerschlagenheit, der Stumpfheit, die Heimat des Todes, die Nacht der Verlassenheit, die Höhle des Jammers, in dem die Jungfrau, wie ferne von Gott, so nahe sich selber, in ihrer Einsamkeit sich fand. Sie lag seufzend unter der furchtbaren Last der Finsternisse, unvermögend, sich zu einem übernatürlichen Gegenstande, ja, auch nur zu einem natürlichen zu erheben. Ihr Geist mühte sich, auch nur den kleinsten Funken, der Gottheit zu erspähen, aber alles Licht war davongeflohen; der Wille wollte nach Liebe ringen, aber er starrte wie zu Eis geronnen; das Gedächtnis strengte sich an, auch nur das Bild früherer Tröstungen heraufzuführen, aber umsonst. Um die Pein zu schärfen, erinnerte sie sich wohl wie durch einen Nebel, einmal Gott gekannt und geliebt zu haben, aber sie fühlte zugleich, daß sie ihn jetzt weder kenne noch liebe und ihn als einen ganz Unbekannten, Abwesenden, Weltfremden nur von ferne anstiere. Sie bemühte sich dann, den zu ihrem tiefsten Schmerze ihr so ganz Entfremdeten wenigstens in der Spur, die er in seinen Geschöpfen zurückgelassen, auszufinden; aber die erschienen ihr nimmermehr in der Gestalt, in der sie in gewohnter Analogie ihren Schöpfer ausdrückten. Schrecken und Angst bemeisterten sich ihrer daher ganz und gar; ihr bedrängtes Herz schrie auf: Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen! Aber in der Leere der gehöhlten Seele antwortete niemand, nicht einmal der Widerhall. Sie warf sich wieder in neue Anstrengungen, aber alle Wärme der Affekte war erloschen, alle Geisteskraft abgestumpft, jegliche Empfindung von Frömmigkeit war wie im betäubendsten Schlaf begraben. Die Jungfrau, von ihrem Geliebten weggerissen und zugleich in sich zerrissen, wußte 173

nicht mehr, was in diesen Martern beginnen. Das aber war ihrer Schmerzen größter, daß diese Uebel sich anließen, als sollten sie ewig dauern; daß sich des Elendes kein Ende absehen ließ und, da eine Mauer von Erz jedes Entrinnen unmöglich machte, kein Ausgang aus dem Labyrinthe zu entdecken war, so daß die Bestürzte keinen Unterschied zwischen ihrem Jammer und der Höllenstrafe auszufinden wußte. Sie suchte sich zwar damit zu trösten, daß sie unter diesen Peinigungen notwendig erliegen müsse, weil es unmöglich schien, daß ein schwaches Leben auf die Länge sich gegen sie zu behaupten vermöge; aber da war ihr die Unsterblichkeit zuwider, die keine Not zerstören, keine Hölle erlöschen kann. Sie war oft nahe daran, um Hilfe zu schreien, aber sie unterdrückte den Aufschrei, wohl wissend, daß ihr niemand helfen könne in einem Unheil, das sie nicht mit Worten auszusprechen und niemand, wie weise er sei, zu ergründen wisse. Durch fünfzehn lange Jahre wurde sie, einmal wenigstens an jedem Tage, zitternd und bebend in diese Nacht der Desolation gestoßen und wand sich mindestens eine Stunde, oft länger, in diesem Todeskampfe; weit gefehlt, daß die Gewohnheit seine Schrecken gemildert hätte, schien sie dieselben vielmehr zu mehren: denn wenn am andern Tage das Entsetzen unter der bleichen Larve der Ewigkeit wiederkehrte, versagte das gebundene Gedächtnis ihr den Dienst, sie dessen zu erinnern« daß sie am vorhergehenden Tage schon einmal entronnen. Nur bisweilen fiel, wie durch eine enge Ritze, ein Lichtstrahl in ihren Zustand, der sie daraufbrachte: er werde nicht ewig dauern, und sie trage die Peinen des Reinigungsortes und nicht der Hölle; aber auch dann ängstigte sie die Ferne des Geliebten, die Härte der Verbannung aus seiner Gegenwart; sie suchte ihn und wollte ihn lieben, vermochte es aber nicht; ihr Geist irrte, tastete wie blind um sich; der Grund ihres Herzens war erdorrt, die Kraft gebrochen, der Sinn abgestumpft: sie klopfte an, seufzte, weinte, wehklagte; alles umsonst, bis sie zuletzt mit den Worten: nicht mein, sondern dein Wille geschehe!, sich ergab.18 3. Das visionäre Leben Erhoben und gesteigert, wird das gewöhnliche geistige Schauen zur V i s i o n potenziert. Es unterscheidet aber schon Augustinus" richtig drei Gattungen von Visionen: deren erste die k ö r p e r l i c h e n befaßt, die in den äußeren Sinnen geschehen; die zweite die s e e l i s c h e n , die in der Einbildungskraft und Phantasie, durch von körperlichen Dingen abgezogene Formen, geschaut 174

werden; die dritte endlich die i n t e l l e k t u a l e n , die ohne solche Formen erfaßt werden, in sich begreift. Da die erste dieser drei Gattungen schon im Vorhergehenden abgehandelt ist, so werden uns hier nur noch die beiden andern zu erwägen übrig bleiben... W i e sich innerhalb der geistigen Persönlichkeit die Schauungen als vorbildliche Typen wirken, werden innerhalb der organischen nachbildlich die Regungen und, wo es räumliche Gestaltungen sind, auch diese Formen als sichtbares äußeres Zeichen dieser innern Tätigkeit, als ihr nicht aufgegangener, übertretender Rest in Leuchttingen ausströmend. Jene Schauung verhält sich aber nun zu dieser Gestaltung, wie der Gedanke zu dem ihn umschreibenden ungesprochenen Wort, in dem er abbildliche Form gewinnt und räumlich in Gestaltungen oder zeitlich in Regungen sich aussprechen mag. In der Seele werden die Worte nun zu Lauten oder auch zu räumlichen Bildern artikuliert und somit äußerlich offenbart. Die Ekstase wird auch dies Bildungswerk ergreifen und nach ihrer Weise Steigern können... a) D i e

Leuchtungen

W i r stellen zuvörderst die Tatsachen, die sich in reichlicher Menge in bezug auf diese Erscheinung bieten, in ein umfassendes Bild zusammen. Zuerst finden wir schon in der Kindheit der Heiligen vieles von Leuchtungen aufgeschrieben, die, wenn sie wirklich mit ihrem späteren Leben zusammengehangen, alsdann vorbedeutender Art sein mußten. Manche mögen zufällig eingetreten sein, aber sie kehren doch allzuoft wieder, als daß man sie alle dem Zufalle beilegen könnte. So erschien, als der hl. Karl Borromeo geboren wurde, über dem Gemache der Mutter ein ungewöhnlicher Glanz, einem Lichtgusse gleich, sechs Ellen in der Breite und von einer Länge, soweit ein Büchsenschuß austrägt. Als der Einsiedler Gutlacht ans Licht getreten, ging ein Purpurstreifen vom Himmel herunter bis zu einem Kreuze, das vor der Türe des Hauses stand. Ebenso ruhte über dem Vaterhause des hl. Wilfrid von Eborach in der Geburtsstunde eine Feuersäule, die das Dunkel der Nacht erhellte; eine gleiche auch über dem des hl. Franz von Paula. Auch die Mutter der Ursula Benincasa sah nicht bloß das Gesicht ihres Kindes leuchtend, sondern das ganze Zimmer schien in Flammen zu stehen. Dasselbe war bei der Agnes Politiana der Fall; die Wiege des hl. Maternianus, später Bischof von Reims, war acht Tage nach der Geburt des Knaben von einem Lichte um175

glänzt, das, nachdem es zum Erstaunen aller Anwesenden drei Stunden gedauert, in eine Feuerkugel gesammelt gegen Himmel stieg. Im Laufe des Lebens selbst knüpfen diese Leuchtungen, gleich den Ekstasen, sich am liebsten an innerlich begeistigende und erhebende religiöse Akte. Das bloße Gespräch von göttlichen Dingen reicht bei solchen, die des Lichtes voll sind, schon hin, seine Ausströmungen in Bewegung zu setzen. So sah der hl. Philipp von Neri den hl. Karl Borromäus, so oft er solche Reden mit ihm führte, im Angesichte gleich einem Engel leuchten. In gleicher Weise gab der Schüler des hl. Franz von Assisi, Aegidius, wie in seinem Leben beschrieben ist, als er zu Perugino bei nächtlicher Weile von solchen Dingen handelte, so viel Licht von sich, daß der Mond, der damals voll war, mindern Glanzes zu sein schien denn er. Der hl. Kolumbinus von Siena ging einst unter seinen Gefährten aufs Feld und sprach zu ihnen von des Schöpfers Weisheit und Güte, wie sie selbst aus Kräutern und Blumen hervorleuchten. Unter den Reden sich mehr und mehr entflammend, sank er zuletzt zu Boden und hörte zu sprechen auf. Die Seinen erinnerten sich der Braut im hohen Liede, wie sie, aufgelöst in Liebe, nach Blumen und Granatäpfeln, sich zur Labung, verlangt. Sie bedeckten den an der Erde Liegenden mit Blumen, die sie allumher gepflückt, so daß nicht der kleinste Teil seines Körpers sichtbar blieb. Nach einiger Zeit eilten sie um die Wette, die Blumen wieder wegzuräumen, weil sie dieselben für durch die Berührung geheiligte Reliquien hielten. Wie sie aber nun das Gesicht enthüllten, glänzte es ihnen sonnengleich entgegen, so daß die Augen, vom Glänze geblendet, ihn nicht anzusehen vermochten. Nach einiger Zeit ließ dieser Glanz nach, und das Antlitz erhielt, jedoch nur allmählich und langsam, Gestalt und Farbe wieder; nur an den Wangen blieb eine überaus liebliche Röte zurück, wie die Maler sie auszudrücken suchen, wenn sie ein seraphisches Gesicht abbilden wollen." Die Predigt, als ein aus größerer Sammlung hervor an eine größere Menge gerichtetes Gespräch, wird daher gleichfalls dieser Lichtentbindung günstig sich erweisen. So geschah es oft, wenn der hl. Bernardinus in der Martinskirche von Siena predigte, daß er vor allem Volke leuchtend wurde. Als einst der hl. Franz von Sales dem Volke die zehn Gebote erklärte und am Schlüsse seine Rede an Gott den Vater richtete, sahen alle ihn um und um mit Licht umgeben, so daß man vor der Ueberfülle desselben ihn nicht recht erkennen konnte. 11 Der Gegenstand der Rede pflegt nicht ohne Einfluß auf die E r 176

scheinung zu sein. So oft der ehrwürdige Camillo de Lellis von der Gottesliebe predigte, begann sein Antlitz zu leuchten wie die Sonne. Bei Joannes Marinonius blitzte das Feuer aus, so oft er in der Anrede an das Volk wärmer wurde; desgleichen bei Garzias Blandez. Dagegen war auch wieder die gespannte Aufmerksamkeit auf eine Predigt, die der hl. Ignaz von Loyola in Barcelona hörte, hinreichend, um sein Haupt leuchtend zu machen, was übrigens der hl. Philipp von Neri, selber oft in diesem Zustand, an ihm sonst noch mehrmal gesehen zu haben bezeugte. Ist es hier die lebhafte innere Bewegung, so wird dagegen im Gebete und der Betrachtung die Einkehr in tiefster Fassung und Einigung in sich selber, um aus innerstem Herzen sich zu Gott zu erheben, das Licht in Fülle, wie dort auf dem Bewegten, so hier auf den Betenden herüberleiten. So geschah es der Esperanza von Brenegalla in Valencia, die alle Abend bis Mitternacht vor dem Altarsakramente zu beten pflegte und darum häufig in Verzückung mit einem Glänze, der die ganze Kirche durchleuchtete, gefunden wurde. Das gleiche wird von der Hieronyma Carvallo in Portugal berichtet. Die Lampe, die zur Nachtzeit vor dem Bette St. Heriberts zu brennen pflegte, war einst erloschen, und der bei ihm schlafende Kleriker war darüber erwacht und sah sich ängstlich um, wie er wieder zu Licht kommen könne. Da sah er mit einem Male vom Bette, wo der Erzbischof mit ausgespannten Armen betete, ein glänzendes Licht ausgehen, das fortdauernd zunahm, so daß er zuletzt die Arme des Betenden nicht mehr davor zu erkennen vermochte. Er beschwor eidlich die Wahrheit der Erscheinung.33 Als der hl. Aegidius einst in Santarem im Chore sich befand und die Annäherung der Ekstase fühlte, war er schnell zur Sakristei geeilt, aber an der verschlossenen Türe, von dem Geiste ergriffen, vor ihr hingesunken. Elvira Duranda, eine fromme Frau, war zufällig hinzugekommen und sah ihn durch ein kleines Fensterlein in jenem Zustande. Wie sie nun eine Weile so gestanden, erblickte sie eine Säule des glänzendsten Lichtes auf ihn niedersteigen, die, in ihn eindringend, seinen ganzen Körper also durchleuchtete, daß er nicht anders als der reinste vom Sonnenlicht durchschienene Kristall erglänzte. Staunend stand sie, in den wundersamen Anblick vertieft, bis nach Verlauf von beinahe zwei Stunden das Licht allmählich verschwand und Aegidius, mit einem Seufzer erwachend, einem Blinden gleich, an den Wänden herumzutasten anfing. Das pflegte ihm immer in seinen Ekstasen zu geschehen; denn es war ihm dann jedesmal zumute, als wäre er aus dem glänzendsten Lichte plötzlich an einen dunklen Ort versetzt worGörrcs-Mystik

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den.2* Dasselbe geschah dem hl. Joachim von Siena aus dem Servitenorden, als er in seiner Vaterstadt mit den andern Brüdern zu Chore ging; sein Haupt leuchtete, von einer Flamme umglänzt,' 5 wie unter gleichen Verhältnissen das des hl. Franz von Paula. Dem Thomas Cantipratanus erzählte Bertha, Aebtissin des Zisterzienserklosters Reclinatorium in Flandern: wie sie einst, als sie noch im Kloster von Aquiria gewesen, eines Geschäftes wegen sich veranlaßt gefunden, eine durch Heiligkeit ausgezeichnete Mitschwester aufzusuchen. Ueberall nach ihr sich umsehend, habe sie die Gesuchte endlich einsam in einem Winkel der Kirche außer sich gefunden. Als sie, ihr nahetretend, kein Zeichen von sich gegeben, habe sie ihr den Schleier vom Gesicht geschoben, und da sei ihr von diesem ein Leuchten, strahlender als die lebhafteste Flamme, entgegengeschlagen, über dessen überraschenden Glanz sie aber also sehr in Furcht geraten, daß sie beinahe von Sinnen rückwärts hingesunken." Es begreift sich übrigens, daß höhere Gesichte und Erscheinungen auch mit solchem Leuchten begleitet sind und daß, wo jene häufig eintreten, auch dies habituell werden kann. So wurde die sei. Lidwina, so oft sie ihr Engel besuchte oder die Verzuckte von der Anschauung höherer Dinge zurückkehrte, jedesmal mit solcher Klarheit umleuchtet gefunden, daß die Ihrigen ihr nicht zu nahen wagten; ihr selbst aber, ob sie gleich immer im Finstern lag und das materielle Licht ihren Augen unerträglich war, erschien dies höhere Licht — von dem bei nächtlicher Weile ihre kleine Stube also erfüllt war, daß sie denen, die die Erscheinung nicht kannten, im Feuer zu stehen schien, - ungemein wohltätig und angenehm. I d a v o n N i v e l l e s beschreibt selbst, wie ihr geschehen, als dies Leuchten sich zuerst bei ihr gezeigt. Sie hatte ein wunderbares Gesicht des Herrn gehabt, der sie besuchte; dies erzählt sie und fährt fort: da wurde mit solcher Süße und göttlicher Erkenntnis innen meine Seele erleuchtet, daß ich von dem Tage fortan, so viel mir gestattet war, die Anschauung der göttlichen Trinität hatte. Zu dieser Stunde hat nämlich ein solcher Strom höheren Lichtes, aus dem ewigen Quellbrunnen desselben ausquellend, mich so wunderbar erfüllt und innen und außen leuchtend gemacht, daß ich hernach, wo ich immer sein mochte, im tiefsten Dunkel der Nacht, ohne äußeren Lichtes zu bedürfen, mit meinen körperlichen Augen sah und ohne Beschwer in einem Buche lesen oder jede Arbeit sonst verrichten konnte; besonders da meine Hände und mein Angesicht, wie in Sonnenstrahlen leuchtend, mir zum Sehen als Lichter dienten.*7 178

Zwei Personen, die miteinander im gegenseitigen Verkehre, in Betrachtung versunken, ekstatisch geworden, scheinen, wie in der Ekstase, so auch im Leuchten sich zu fördern. Die heilige Klara hatte den heiligen F r a n z i s k u s v o n A s s i s i oft und viel gebeten, daß er ihr den Trost gewähre, einmal mit ihr zu essen; er aber hatte es ihr immer abgeschlagen. Als endlich die Gefährten des Heiligen diese seine Weigerung als allzu große Strenge erklärten, wurde er dadurch veranlaßt, bei wiederholter Bitte einzuwilligen, und hatte, Tag und Ort bestimmend, das Kloster St. Maria de Angelis, wo sie eingekleidet worden, dazu gewählt. Sie ging mit ihren Gefährtinnen hin; der Heilige kam gleichfalls mit seinen Genossen; alle Andachtsorte wurden zuerst besucht, und man ging dann zu Tische. Der Heilige hatte aber an der Erde auftragen lassen und saß nun nieder mit der hl. Klara und so sein Gefolge mit ihrem Geleite. Für den ersten Auftrag fing nun Franziskus von Gott zu reden an, so heilig und lieblich und dabei so hoch, daß er selbst und die hl. Klara,, bald auch die andern, die an diesem armen Tische saßen, darüber verzuckt wurden, indem die Gnade des Allerhöchsten über sie kam. Wie sie aber also außer sich saßen, Augen und Hände gegen Himmel gerichtet, schien es den Leuten von Assisi und der ganzen Umgegend, St. Maria zu den Engeln und der Wald nahebei stehe in Flammen; sie liefen daher in Haufen zur Hilfe herbei. Als sie aber zur Stelle kamen, fanden sie alles unversehrt, und ins Haus eindringend, sahen sie endlich die Heiligen um den Tisch in ihrem Zustand sitzen und mit Macht aus der Höhe umgeben. Ihnen wurde nun klar, daß es göttliches Feuer sei, das den Ort, hohen Trostes voll, erfüllt, und so gingen sie dann, selbst getröstet, von dannen. Franziskus und Klara aber, davon gesättigt, verlangten wenig nach anderer Speise; Klara kehrte nach St. Damian zurück, von den Ihrigen freudig aufgenommen, weil diese gefürchtet hatten, der Heilige wolle sie anderwärts hin versetzen.28 In diesem wie in vielen anderen Fällen, die uns später noch begegnen werden, ist das Licht so gewaltig und durchdringend, daß es weit in die Ferne die Umwohner aufregt, die Nahenden aber, wie bei der sei. Coleta, der Margareta Revennas und andern geschehen, wie Sonnenglanz blendet. Ein anderes Mal — je nach der Verschiedenheit der Ekstatischen, nach dem Grade der Verzückung und nach der Modalität der sonstigen inneren Zustände — erscheint die Leuchtung gemäßigter und durch viele Abstufungen hindurch allmählich zu einem bloßen Schimmer hinab erbleichend. Die Oertlichkeit macht dabei keinen Unterschied, und sie tritt ebenso in freien, wie in 12*

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geschlossenen Räumen hervor. Um 1441 lebte in Villafranca, im Gebiete von Astorga, Justus; diesen sah einst ein Edelmann der Umgegend, als er in seinem Kloster eingekehrt, zur Nachtzeit im Walde verzuckt und mit Flammen und Glanz umgeben und wurde dadurch im Geiste so bewegt, daß er der Welt entsagte und in den Orden der Minoriten sich aufnehmen ließ. 29 An die Persönlichkeit des Leuchtenden geknüpft, verändert übrigens der Schimmer natürlich mit ihm den Ort, wie es mit J . Gapistranus der Fall gewesen, als dieser, nachdem er den päpstlichen Segen erlangt und in Assisi den höheren erfleht, sein Missionsund Predigtamt angetreten. Er wurde nämlich, von diesem Orte ausgehend, von einem Lichtglanze umgössen, der ihn dann auf eine halbe Meile seines Weges begleitete. 30 In den bisher beigebrachten Fällen ist durchgängig nichts über die Richtung der Lichtströmungen ausgesprochen; aber es gibt andere Beobachtungen, die auf einen Gegensatz in dieser Richtung, in Einströmung und in Ausströmung, deuten. Es hat nämlich den Zeugen bisweilen geschienen, als werde das Licht von außen in den Ekstatischen hineingeleuchtet. — St. G e r t r u d, geb. 626, sah einst, wie sie selbst voll Schreckens ihrem Lebensbeschreiber erzählte, als sie vor dem Altare betend stand, eine flammende, leuchtende Sphäre auf sich herabkommen, so daß die ganze Kirche erleuchtet war. Das dauerte etwa eine halbe Stunde, worauf die Erscheinung dann allmählich wieder verschwand, später jedoch noch einmal, aber diesmal in Gegenwart der Schwestern, über ihr sich zeigte. 31 Bruder Leo von Catanea pflegte oft mit einem andern heiligen Laien in der Kirche zu beten. Lange Zeit hindurch sah nun ein Bauer, dessen Wohnung nicht weit von dieser Kirche stand, zur Nachtzeit einen überaus glänzenden Lichtball sich vom First der Kirche erheben, und da ihn das in Verwunderung setzte und er einmal näher an die Kirche ging, sah er zwei überaus helle Lichter aus ihr hervorgehen und bis zum Himmel ansteigen. Noch verwunderter schellte er an der Klostertüre den Pförtner wach, und da er diesem schon bekannt war, ließ er sich von ihm die Kirche öffnen, ohne ihm von der leuchtenden Erscheinung etwas zu sagen. Als sie geöffnet, sahen sie Leo und seinen Gefährten, betend vor dem Sakramente in Gott versenkt, körperlich in der Höhe schweben und begriffen nun, was diese Lichter bedeuteten. — Wenn hier ein Ausgehen des Lichtes sichtlich stattgefunden, so ist wieder beim hl. Franz von Sales der Eingang desselben nicht zu verkennen. Dieser hatte am Tage der Verkündigung Mariä eine Predigt gehalten und war dann am Abend in seinem Zimmer 180

vor einem Kruzifixe niedergekniet, dem Geheimnis, das er gefeiert, näher nachdenkend. Er hatte nur wenige Augenblicke in tiefer Betrachtung gekniet, da fiel der Hl. Geist in sichtbarer Gestalt auf ihn. Ein Feuerball nämlich, bald in viele Flämmchen aufzuckend, die ihn da und dort, oben und unten umhüllten und mit unschädlichem Feuer berührten. Als die Feuerkugel niedergekommen, befand er sich von einiger Furcht eingenommen, die er aber bald ablegte, und er fühlte sich nun mit solcher Süße höherer Liebe erfüllt, daß der Menschensprache die Worte fehlen, um dergleichen auszudrücken. — Ebenso bestimmt geht es bei der Schwester Magdalena^ von der Empfängnis hervor. Als eines Tags die Schwestern den Chor betraten, sahen sie sie kniend und mit erhobenem Antlitz zu einem Kruzifixe hinaufschauend, von dem eine große Klarheit und ein Glanz wie von der Sonne ausging. Sie blickten verwundert und erstaunt der Erscheinung zu, und ihre Verwunderung wuchs, als sie das Haupt neigte und zu sich kam und sofort der Glanz verschwand, sie selbst aber, die von Natur dunkelfarbig war, wieder in ihrer gewöhnlichen Gesichtsfarbe erschien. — Was nun den Bezug der Leuchtung zu den verschiedenen Organen der Leiblichkeit des Verklärten und die dadurch herbeigeführte Modalität der Erscheinung selbst betrifft, so sehen wir bei voller Ausbildung derselben auf der Höhe des Volllichtes den ganzen Körper mit ihm umflossen. Christina Mechthild Tüschelin, im Kloster Adelhausen bei Freiburg, war oftmals in solcher Weise am ganzen Leibe wie mit Sonnenglanz umgeben, so daß sie niemand anzuschauen vermochte und sie deswegen sich in ihrem Zimmer einschließen mußte, damit die Schwestern im Chore bleiben konnten. Es ist dieselbe, die einst ganz vertraulich mit dem Heiland redete, mit großer Naivität zu ihm sagend: Liebster Herr! Du hast ja meine Seele zu deinem Ebenbild erschaffen; billiger solltest du darum in derselben wohnen als im Ziborium. Ihr wurde darauf die Antwort: Wenn deine Seele aller zeitlichen und weltlichen Dinge also beraubt und leer sein wird, gleich wie dieses Gefäß, in dem ich bin, so will ich eigentlich in ihr wohnen wie hier.32 Ebenso hatte Violanta, Königin von Aragonien, ihren Beichtvater Vinzenz Ferrerius einst im Gebete belauscht und ihn mit Licht ganz umgössen gesehen. Auch Coleta wurde oft im Gebete also vom glänzendsten Licht umhüllt, daß die Schwestern mehr als einmal zusammenliefen, in der Meinung, es brenne in ihrer Zelle. Auch Wärmeentbindung schien bisweilen im Gefolge dieser Leuchtungen einzutreten, denn man fand einmal ihren Schleier versengt, obgleich kein Feuer nahe und ferne sich 181

vorfand. 33 Andere Fälle der Art werden künftig beim Schweben uns begegnen, wo die Lichtentwicklung gemeinhin sich in ihrer ganzen Fülle zu zeigen pflegt. Nach dem, was wir seither in diesem Gebiet erfahren, wird es uns nicht in Verwunderung setzen, daß auch beim Tode, um den Augenblick der Lösung aller irdischen Verhältnisse und der Anknüpfung anderer in höheren Regionen, Lichterscheinungen eintreten. So war jener ungenannte Kartäuser, den Raysius anführt, nach Mittag aus dem Refektorium zu seiner Zelle gekehrt und wurde dort vom Feuer innerer Begeisterung also übernommen, daß die Schwäche des Gefäßes die Glut nicht zu fassen vermochte und das Leben zerrann. Zwei Kaufleute, die gerade am Kloster vorüberreisten, sahen eine helle Flamme von ihm aufsteigen und sagten es an der Pforte an. Man eilte, vom Lichte geleitet, zur Zelle, erbrach ihre Türe und fand in ihr keine Spur des Brandes. Im kleinen Garten aber hinter ihr sah man den Erblichenen kniend, die Hände gefaltet und erhoben, und über ihm die Feuersäule. 34 So war auch Johannes vom Kreuze, als er starb, vom allerglänzendsten Lichte umgössen, in dessen Mitte er die Seele aushauchte. 35 Die sei. Gentiiis aus Ravenna erkannte an einem Lichte, das über ihrem Haupte erschien, das Nahen ihres Todes. So erfüllte ein Glanz das Gemach, in dem Didaco Ortiz, das Haus, in dem der Kardinal Aretius, und den Berg, auf dem der ehrw. Baptista Mönch in Fulio starb. Die Maria Villana schien ein solcher Glanz in die andere Welt abzurufen, und als der Karmeliter Franco Grotti 1292, achtzig Jahre alt, den Geist aufgab, erfüllte sich das ganze Kloster mit einem Lichte, das sich sammelnd in der Zelle des Sterbenden zusammenzog und dann ihn, wie es schien, nach aufwärts begleitend unter Verbreitung des lieblichsten Wohlgeruches hinschwand. 36 Als es mit Gastrensis, Bischof von Capua, zum Ende neigte, da versammelte er, wie in seinem Leben erzählt wird, die Seinigen zum Meßopfer, das er feierte, und wie er nun in dieser Feier die Geheimnisse aussprach, leuchtete er so hell auf, daß keiner der Anwesenden ihn anschauen konnte. Der Glanz aber hörte nicht auf, bis er nach dem Schlüsse derselben vor allen Anwesenden sich in sein Grab gelegt, in dem er seinen Geist aufgab. Auch der Tod Bernards, Bischofs von Vienna, war mit Licht und Wohlgeruch begleitet; so auch wurde beim Tode des Abtes Stephan die Zelle mit solchem Lichte erfüllt, daß man die Leiche nicht mehr erkannte. An der Maria Benigna de Serni bemerkten die Schwestern ihres Klosters die Leuchtungen u m so häufiger, je näher sie ihrem Tode kam. 182

Aber selbst noch über den Tod hinaus will das Licht bisweilen nicht von der Grabstätte lassen. Manche der Erscheinungen desselben an solchen Stellen mögen freilich elektrischer Natur gewesen sein oder sonstige Phosphoreszenzen in der Nähe der Leichenzersetzung; aber der Tatsachen sind doch auch hier zu viele, als daß sie sich alle auf diese Weise erklären ließen; besonders da die leuchtenden Leichen den Uebergang bilden. Leuchtend zeigte sich z. B. der Leichnam der Jungfrau Edelthrida beim Waschen in mehreren ihrer Glieder. Gesicht und beide Hände glänzten bei Alanus dem Britannier, nach dem Zeugnisse des Chrysostomus; das Antlitz der Heiligen Juventius und Maximus aber so sehr, daß niemand sie anzusehen vermochte. Daran schließen sich dann unmittelbar die Leuchtungen, die gleich nach dem Begräbnisse erscheinen und mehrere Tage dauern. So bis zum dritten Tage bei S. Epiphanius Ticinensis, mehrere Tage über der Zisterzienserin Mencia. Dann die gelegenheitlichen Aufleuchtungen: so als ein Jahr nach dem Tode des hl. Wilfrid das Volk an seinem Grabe zusammengeströmt und ein Licht, vom Aufgang kommend, nun das Grab erhellt. Meistens ist die Form der Mitteilung, daß ein durchdringend Licht aus dem Innern der Kirche durch die Fenster leuchtet, das dann bei näherer Untersuchung an die Grabstätte geknüpft erscheint. b) S i n n l i c h g e a r t e t e E r f a h r u n g e n des inneren Auges Jener wundersame Proteus, der in uns verborgen wirkt und gestaltet, nun die Erinnerung früher gefaßter Eindrücke zur Traumgestalt ausbildend, nun vor dem halbwachen oder durch äußere Erregungen berauschten Sinne schwebende Schemen gesehener und nicht gesehener Dinge in solcher Plastizität auswirkend, daß sie an Handgreiflichkeit selbst das natürlich Hervorgebrachte zü übertreffen scheinen, dann wieder im krankhaften Zustande im Zwielicht von Helle und Dunkel wirre Gebilde webend und seltsame Phantome heraufbeschwörend, dieser Tausendkünstler mag auch in der bildlosen Seele des Mystikers große Gesichte heraufführen. Von seiner Wohnung führen Straßen aus in alle Welt, und wir sehen von allerwärts her Pfade zu ihr ziehen, und gar vieles wird auf ihnen ihm zugetragen. Der Sonne Stand, des Mondes Lauf, die Aspekten der Gestirne, die Mischung der Elemente, das alles ist daher seinem Wirken nicht fremd; aus den unteren Lebensgebieten steigt es wie Nebel der Frühe zu ihm herauf, während von oben herab Gedankenformen zu ihm sich nieder 183

lassen; die Lüge naht versuchend, wie auch die Wahrheit sich Zugang zu ößnen weiß. Dieser truglosen Wahrheit, die von Gott und allen guten Geistern und allem Geordneten in Natur und Persönlichkeit herkommt, kann sich daher leichtlich die Täuschung beimischen, die in allem Ungeordneten, Wilden, Lügenhaften durch alle Reiche ihren Ursprung nimmt: beide zu unterscheiden, muß Sache einer Kritik sein, die ernsten Sinnes sorgfältig alle Zeichen prüft, auf alles merkt, was vorausgegangen, was im Akte selber sich begibt, was als Folge im Geleite geht und als Endergebnis sich herausgeworfen, und erst, wenn alle Umstände zu gutem Zeugnisse sich vereinigen, das Gebotene und auch dann immer nur bedingungsweise als voll und echt erkennt und, wo es diese Prüfung nicht besteht, es nach den Umständen verwirft oder auf sich beruhen läßt. Was zunächst die physisch-organischen Einwirkungen betrifft, so ist von dieser Seite bedeutsam, was C a r d a n u s von sich selbst und seinen Jugendanlagen berichtet. Er sagt nämlich: Wenn ich will, sehe ich, was ich will, und zwar mit den Augen, nicht im Geiste, gleich jenen Bildern, von denen ich gesagt, daß ich sie als Kind gesehen. Jetzt aber erfolgt es, wie ich glaube, durch Beschäftigungen; aber nicht anhaltend, nicht vollkommen und nicht durchaus zu jeder Zeit, wenn ich will; aber doch nur, wenn ich will. Die Bilder aber, die ich sehe, sind immer in Bewegung. Und so sehe ich Wälder, Tiere, Gegenden und was ich immer zu sehen wünsche. Ich halte dafür, die Ursache dessen sei die Tätigkeit der Einbildungskraft und die Schärfe des Gesichts. In frühester Jugend hatte ich das mit Tiberius Cäsar gemein, daß ich in tiefster Finsternis alles sah wie bei hellem Tage; bald aber wurde mir dies Licht genommen. Noch jetzt sehe ich immer noch einiges, ob ich gleich das Gesehene nicht klar zu unterscheiden vermag; und auch dessen ist die Wärme des Gehirns, die Feinheit der Lebensgeister und der Substanz des Auges sowie die Energie der Einbildungskraft Grund und Ursache*). — Man sieht, diese Spiegelung wird dadurch bewirkt, daß die in der Einbildungskraft selbsttätig hervorgerufenen Bilder, auf das ihnen zumeist verwandte Gesichtsorgan bezogen, dies von innen heraus eben also regen, wie die äußeren Objekte es sonst nur von außen herein vermögen, wodurch der imaginierte Gegenstand die *) In seiner Schrift De variet. rerum. 1. VI. c. 43. Er hatte überdem auch die Fähigkeit, in einer Art von Ekstase sich außer sich zu setzen, wobei er das Gefühl hatte, als ob das Herz sich ihm spalte, um die Seele zu entlassen, und zugleich eine Empfindung über diese seine ganze Seele sich verbreitete, als ob eine Tür sich öffne, um einen Geist davonzulassen, worauf es ihn dann däuchte, er sei außer seinem Körper und halte nur duTch eine kräftige Anstrengung noch einen Teil seiner Körpergestalt fest.37

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gleiche plastische Objektivität, wie sie sonst nur dem Wirklichen eigen ist, gewinnt. Die Bedingungen, die das Entstehen eines solchen idealen Bilderkreises, das mit täuschender Wahrheit die Wirklichkeit nachspiegelt, hervorrufen, sind also: eine lebhafte, warme, gleichsam selbstleuchtende, künstlerischtätige Einbildungskraft, als deren äußerer organischer Ausdruck bei Cardan das selbstleuchtende, im Dunkel sehende Auge erschien; dann aber auch in diesem Auge selber, gegen die innere, vom Geistigen berührte Seite hin, eine große Erregbarkeit, Rührsamkeit und ein sammelndes, bindendes Vermögen, was sich äußerlich in der Schärfe des Gesichtes zeigte, deren er sich bewußt gewesen. Die Gebilde, die im gewöhnlichen Zustande sich im Naturlichte dem Sinne zuerst einschreiben und dann sich in den Geist übertragen, werden jetzt umgekehrt aus ihm hervor, in geistiges Licht gefaßt, dem Sinne eingetragen und wecken das in ihm ruhende organische Licht, daß es sich in leuchtenden Zügen zusammentut, in der das Gestaltete objektive Leiblichkeit gewinnt. Swedenborg hatte, wie es scheint, eine ähnliche Anlage; äußere Naturreize, wie Opium, Hioscyamus und andere, rufen sie vorübergehend hervor, krankhafte Steigerungen einzelner Kräfte können sie nicht minder in Tätigkeit versetzen, und so sehen wir das Hellsehen im Somnambulismus mit ihr zusammenhängend. Aber auch die Aszese wird sie entwickeln können, wenn sie dieselbe nicht schon vorgefunden; in beiden Fällen wird sie sich daher auch in der Mystik geltend machen. Jene leichten Anflüge der Vision, die sich bei frommen Leuten, deren Jugend unter Druck, Entbehrung und Leiden hingegangen, häufiger, als man zu glauben scheint, einstellen, können ihr größtenteils zugerechnet werden; nur daß selbst hier schon die Unwillkürlichkeit bei vollem Bewußtsein den Uebergang in ein anderes Gebiet andeutet. Hildegardis sah, wie sie uns selbst berichtet, die Bilder ihrer inneren Welt stets und anhaltend vor sich schweben, während sie zugleich und mit klarer Bewußtheit die Bilder der äußeren in sich aufnahm und beide Arten von Gestaltungen aufs bestimmteste zu unterscheiden wußte. Das mochte bei ihr ursprünglich, eben wie bei Cardanus, natürliche Anlage gewesen sein; als sie aber, im Fortschritte ihres innerlichen Lebens, sich mehr und mehr vertiefte, mußte ihr entgegen dem äußeren der innere Sinn aufgehen, der eben in jener inneren Erregbarkeit des Gesichtssinnes, die ein Element jener Anlage gewesen, sich schon begründet gefunden. Mit ihm war ihr denn eine neue, bisher verborgene Objektivität geöffnet, die ihr fortan ihren Bilderkreis zuführte, und die Gestalten, in ihrer Hervorbringung der Willkür entzogen, 185

gewannen nun die gleiche objektive Wahrheit wie jene, die aus dem Gebiete äußerer Natur ihr zugeströmt. War die Vertiefung so weit gediehen, daß ihr Inneres den Einflüssen des Geistes von oben sich aufgeschlossen und, nachdem dieser an die Stelle der einbildenden Kraft getreten, der innere Sinn für ihn die gleiche Erregbarkeit gewonnen wie zuvor der äußere für die Gebilde dieser Kraft: dann hatte die Wahrheit der Gestalten vollends göttliche Gewähr erlangt, weil von Gott keine Täuschung ausgehen mag. Dies aber in allen Fällen zu unterscheiden, ist sogar schwer für diejenigen, die selbst in solchen Zustand eingetreten und soviel mehr für andere, die nur von außen hineinschauen mögen und denen zuletzt kein anderes Kriterium der Wahrheit übrigbleibt als die Wirkungen, die aus der Anregung hervorgehen, ob sie zum Guten oder zum Schlimmen führen. Darum sind alle Mystiker ohne Ausnahme, von Bonaventura und dem hl. Thomas von Aquin bis zu Johannes vom Kreuze, Theresia und denen, so nach ihnen gekommen, der Meinung: diese Gattung von Visionen, als vielfältigen Täuschungen unterworfen, sei nicht viel höher zu halten als die der ganz sinnlichen, und sie möchten jener leichten Nahrung zuzurechnen sein, die schwächeren Naturen geboten wird, bis sie stärkere vertragen. Darum sei praktisch unabläßlich bei denen, die im Zustande einer solchen Unmündigkeit sich befinden, darauf zu halten, daß sie, die Schale aufgebend und zum Kerne dringend, ihrer sich entschlagen: als solcher, die der Vollkommenheit, die allein in lichter Gotteserkenntnis und Liebe besteht, weil alle Erfüllung des Gesetzes in der Liebe ist, wohl eher nachteilig sich beweisen. Reichlich und überreichlich ist übrigens das Leben der Mystischen mit solchen Bildern und Visionen angefüllt. Bei L i d w i n a v o n S c h i e d a m dauerten sie vierundzwanzig Jahre ununterbrochen fort, während deren Verlaufe sie jede Nacht, zum mindesten eine Stunde, ihren Sinnen entrückt und für jeden, der sie sah, entseelt daliegend, außen in physische Finsternis gehüllt, aber von einem inneren Lichte umleuchtet und von einem Wohlgeruch umduftet, diese ihre Gesichte sah: der einzige Trost, der ihr in ihrer Krankheit und Verlassenheit gegönnt gewesen. In einer Folge solcher Gesichte wird der Veronika von Binasco das ganze Leben des Erlösers nach und nach gezeigt; vom Auszuge Josephs an, wo er das Tier, das die Jungfrau trägt, führend, nach Bethlehem gekommen, bis zur Kreuzigung hin und über dieselbe hinaus; dabei aufs ausführlichste über jeden einzelnen Umstand sich verbreitend, der dabei vorgefallen. Aehnlicher Art ist die Bilderreihe, die F r a n z i s k a v o n R o m gesehen, und aus der ihr Biograph einen 186

Teil in ihre Lebensbeschreibung aufgenommen und sie in einer Folge von 97 Visionen uns aufbewahrt. Aehnliches hat sich in unseren Tagen an der E m m e r i c h v o n D ü l m e n wiederholt. Nicht bloß auf die Passion haben ihre Gesichte sich beschränkt, sondern drei Jahre hindurch folgen sie dem Herrn durch alle seine Wege Schritt vor Schritt, über alles Palästina, die Natur des Landes, Ströme, Berge, Wälder, bewohnte Orte, die Einwohner, ihre Wohnstätten, Sitten und Gebräuche, Kleidung und Lebensweise. Alles geht in den klarsten und anschaulichsten Bildern an ihr vorüber. Episodisch knüpfen sich dann an Menschen und Oertlichkeiten und die zwischenlaufenden Festbilder des Kirchenjahrs Rückblicke in die noch frühere Vergangenheit, so daß auch diese bis zum ersten Ursprung der Dinge in einer großen umfassenden Anschauung vor ihr liegt und das Ganze sich in ein gewaltiges, religiöses Weltepos zusammenschließt, das, vom Himmel zur Erde spielend, mit den Weltaltern sich gliedert und mit den Menschenaltern sich untergliedert, und wie es also, ein weltumkreisender Ozean, aus verborgener Quelle hinströmt, an der Oberfläche die Pracht seiner Ufer und den ausgelegten Reichtum der Zeiten spiegelnd, innen aber durchsichtig bis zum Grunde den Blick in die Wunderwelt der Tiefe und den inneren verborgenen Zusammenhang der Dinge öffnend, im ganzen das wunderbarste, reichste, umfassendste, tiefsinnigste und ergreifendste Gesicht, das sich irgend je in dieser Art mystischer Auffassungsweise gebildet, vor dem anschauenden Sinn heraufführt. Nicht bloß aber den Wandel des Herrn und seiner Heiligen auf Erden und im Reiche der Sichtbarkeit schauen die Verzuckten, sondern sie werden auch in die unsichtbaren entrückt, und die sonst verhüllten Gegenstände dieses Reiches werden ihnen aufgedeckt, und sie sehen dieselben unter Formen und Gestalten, die ihre Einbildungskraft sich von irdischen Dingen abgezogen. Auch hier liegen so viele Beispiele im Leben der Heiligen vor, daß es unnot ist, hier besondere Einzelheiten anzuführen. Nur bei einem der bei diesen Entrückungen vorkommenden Umstände glauben wir verweilen zu müssen, weil er, an sich seltener eintretend, überdem auf Verhältnisse, die in anderen Gebieten uns später begegnen werden, ein Licht zu werfen dient. Da Gott in diesen Reichen wie im ganzen Umfange des Weltalls, als die innerste überweltliche Mitte steht, und vor seinem Throne alle Radien vom ganzen Umfange her zusammengehen, so wird es denn auch nicht selten geschehen, daß Ekstatische, wenn gleichzeitig miteinander verzuckt, sich vor ihm begegnen und in höheren 187

Verkehr miteinander kommen. Auch darüber liegen verschiedene Beispiele vor, unter denen wir nur das folgende wählen. Als I d a v o n N i v e l l e s eines Tages verzuckt war, erfuhr sie, eine andere ihr sehr liebe Freundin sei in demselben Augenblicke in dem gleichen Zustande; und dieser hinwiederum wurde gezeigt, wie Ida im gleichen Abgrunde göttlichen Lichtes mit ihr sich eingetaucht finde. Von da an waren beide im Herrn aufs engste verbunden, und es schien, als seien sie eine Seele und ein Herz in ihm geworden; ein Verhältnis, das noch inniger wurde, als sich ihnen in einem Gesichte die hl. Jungfrau als dritte Freundin beigesellt. Aehnliches begegnete ihr mit einem frommen Geistlichen, der von ihr gehört, aber nicht an sie glauben wollte. Er hatte sie, um seiner Zweifel wegen ins reine zu kommen, schon dreimal ohne Erfolg besucht; und da er darauf, um der Ungewißheit loszuwerden, an den Altar gegangen, Messe zu lesen, war ihr Antlitz ihm gezeigt worden; und eine Stimme hatte Zeugnis für sie abgelegt. Staunend über das, was ihm begegnet, war er nach der Messe zu ihr zurückgekehrt und hatte sie krank gefunden. Als er sie erblickt, war sie ihm wie eine an Leib und Seele Verklärte erschienen, und er war über den Anblick schnell verzuckt geworden. Als Ida das gewahr wurde, hatte sie die gleiche Empfindung von einer Verklärung und wurde nun ihrerseits gleichfalls zum Himmel entrückt, wo nun beide sich begegneten und einen feierlichen Tag miteinander begingen. Als der Priester, nach einiger Zeit wieder zu sich gekommen, von der Anwesenden sich beurlaubte, fragte ihn diese, warum er mit Ida gar nichts geredet. Er erwiderte:' Ich habe sattsam mit ihr geredet, wie die Seelen der Verklärten oben im Himmel miteinander zu reden pflegen; und das gleiche erwiderte auch Ida, als sie wieder zu sich gekommen, auf die gleiche Frage. Ein anderer ihr gleichfalls sehr vertrauter Priester wurde, im Gespräche mit der Aebtissin eines benachbarten Klosters, unter der Rede verzuckt; und da er wieder zu sich gekommen, sagte er auf Befragen der Erstaunten: Ida hat heute des Herrn Leib empfangen und, wie gewöhnlich zum Himmel verzuckt, hat sie dort ein Gebet für mich dem Herrn dargebracht. Er kam darauf sogleich wieder zum andern Male außer sich und fand dort im Angesichte des Herrn die Betende, zu der dieser sagte: Gib, meine Tochter, diesem Manne einen Teil der Gnade, die ich dir so reichlich und würdiglich zugeteilt. Er hatte — das Haupt vor dem Herrn, wie zum Gesegnetwerden, eingeneigt — mit Freuden das Wort vernommen; und sie war ihm genaht und hatte ihm, nicht von Mund zu Mund, sondern von Geist zu Geist, einen Kuß gegeben. 188

Von da an hatte es ihm geschienen, als sei sein Geist untrennbar mit dem der Ida in jener höheren Karitas verbunden; und er gestand der'Aebtissin hernach, daß er nie in seinem ganzen Leben eine solche Fülle göttlicher Erkenntnis empfangen als in diesem Gesicht. Die Aebtissin aber stellte Nachforschungen an und erfuhr, daß Ida an diesem Tage, wie der Priester gesagt, wirklich verzuckt gewesen.*8 Der Eintritt in diese dem Menschen sonst verschlossenen Gebiete macht nun auch das Anknüpfen eines Verkehrs mit den höheren Bewohnern derselben möglich, der gleichfalls gar häufig bei den Mystischen vorkommt. Auch sie müssen, um dem Menschen verständlich zu sein, in menschlicher Gestalt erscheinen. Schon eine Andeutung dieser Gestalt reicht jedoch zu diesem Zwecke aus, wie es beim Bekenner Furseus der Fall gewesen, der in einem Gesichte, mit Dunkel umgeben, über sich vier geflügelte Hände erblickte, die ihn zu beiden Seiten unterstützten, und deren Antlitz, leuchtend im Glänze, sich ihm erst enthüllte, als sie ihn höher hinaufgetragen.3» Johanna vom Kreuze aber beschrieb den ihrigen: als leuchtend mehr denn die Sonne, mit schneeweißen Gewändern, mit Flügeln, über alle Maßen schön, eine Krone auf dem Haupte, das Kreuzeszeichen vor der Stirne und an den verschiedenen Gliedern mit mancherlei symbolischen Inschriften und allerlei Bildern der Passion bezeichnet. Ueber die Weise des Verkehrs selber ist das Umständlichste, was im Leben der hl. F r a n z i s k a v o n R o m durch Magdalena Anguillaria, meist aus den Notaten ihres Beichtvaters Martinotti, sich aufgeschrieben findet. Ihr, die im Ehestand lebte, war ein neunjähriger Knabe, Evangeliste genannt, ein gutartiges, frommes Kind, an der Pest gestorben. Ein Jahr nach seinem Tode erschien ihr der Knabe in der Gestalt und Kleidung, wie er auf der Welt gewesen, nur unvergleichlich schöner denn zuvor; ihm zur Seite aber stand ein Jüngling, noch viel schöner denn er. Die Mutter erschrak zuerst, wurde aber bald überaus freudig, als sie das Kind nähertreten und sie ehrerbietig grüßen sah; sie konnte sich nicht enthalten, die Arme nach ihm auszustrecken, um ihn zu umarmen; da sie aber nichts zu fassen vermochte, ergötzte sie sich wenigstens an seinem Anblick und fing an, den Kleinen zu befragen, wo er sich in jener Welt befinde, was er treibe und ob er auch dort der Mutter gedenke. Der Knabe erwiderte ihr: unser einziges Geschäft ist dort, in den unendlichen Abgrund göttlicher Güte hineinzuschauen und mit großer Freude und herzlicher Liebe seine Majestät zu preisen. Meine Stätte aber ist in dem zweiten Chore, diesem Jüngling, den du siehst, zur Seite, der viel 189

schöner ist denn ich, weil er dort höher steht. Er ist aber dir von Gott, zum Tröste auf deiner Pilgerfahrt, zum beständigen Gefährten geordnet, damit du ihn Tag und Naeht dir gegenwärtig sehest. Ich aber bin gekommen, um die Schwester Agnes mit mir dahin zu nehmen, damit sie mit mir die Freuden des Himmels genießen möge. Der Knabe blieb etwa eine Stunde bei der Mutter, vom ersten Aufdämmern der Morgenröte bis zu Sonnenaufgang, und verschwand dann; die Schwester erkrankte darauf nach wenigen Tagen und starb, fünf Jahre alt; die Lichtgestalt des Engels aber blieb fortan immer bei der Mutter. Er stand unausgesetzt zu ihrer Rechten, und sie bezeugte, daß, wenn sie ihn anzuschauen versuche, ihr nicht anders werde als einem, der in die Sonne zu sehen sich bemühe. Sie genoß aber seines Anblickes nicht bloß, wenn sie in ihrer Kammer dem Gebete oblag, sondern auch auf der Straße, in der Kirche, in Gesellschaft mit andern. Ließ sich in ihrer Gegenwart einer der Anwesenden etwa ein Vergehen zuschulden kommen, dann bedeckte er schamhaft mit beiden Händen sein Antlitz und sie pflegte zu sagen, daß sie in diesem wie im hellsten Spiegel zugleich die Würde des Wesens der Engel und die eigene Nichtigkeit mit solcher Evidenz anschaue, daß ihr solche Selbsterkenntnis früher nie zuteil geworden. Bei dreifach verschiedener Gelegenheit war ihr gestattet, ihn schärfer anzusehen: einmal, wenn sie betete, dann wenn sie von den unreinen Geistern gepeinigt wurde, endlich, wenn sie mit ihrem Beichtvater über ihn redete, der, wie er selbst aufgeschrieben, sie öfter unter dem Gehorsam verpflichtete, über Gestalt und Art ihres Schützers sich zu erklären, weil er sich selber dann mit Heiterkeit und Freude Übergossen fühlte. Sie, dann Folge leistend, erzählte: wie es nicht ihr gewöhnlicher Schutzengel sei, sondern einer, der dem zweiten Chore angehöre, dabei von solchem Licht umgössen, daß sie bei seinem Scheine zur Nachtzeit wie am hellen T^ge ihr Offizium zu beten vermöge. Angesicht und Auge hielt er immer gegen den Himmel aufgerichtet, was ihr den göttlichen Spiegel in Erinnerung brachte, den sie in ihren Gesichten schaute, und in dem sie, in Liebe entbrannt, sich zu Gott erhob. Er schien ihr immer jugendlich, wie ein neunjähriger Knabe, die Hände vor der Brust gekreuzt, das Haar kraus und goldgelb, auf die Schultern niederfließend. Er war gekleidet in ein schneeweißes Gewand, darüber ein Levitenröcklein, wie sie die Subdiakonen zu tragen pflegen; bald weißer als Schnee, dann himmelblau, zuzeiten in Purpurröte glühend. Damit war seine ganze Gestalt bis zu den Knöcheln umkleidet; die Füße aber waren sauber, auch wenn er 190

mit ihr durch kotige Straßen ging. Sprach sie von ihm zu ihrem Beichtvater, dann wurde der Glanz seines Angesichts gemindert, daß sie mit Augen ihn ungeblendet anschauen konnte, ließ sie aber ab mit Reden, nach kurzer oder langer Frist, dann wurde es wieder leuchtend wie zuvor. Darum fing der Beichtvater mit Vorsatz oftmals von ihm zu sprechen an und fragte mancherlei über ihn; dann schaute ihn Franziska mit großer Freundlichkeit, legte auch wohl, auf das Geheiß Martinottis, ihm die Hände auf das Haupt. Sie fühlte dann zwar nichts, aber ihr Antlitz wurde wie in einem seraphischen Feuer entzündet, so daß der Beichtvater großen Trost davon empfand. Im Anfange, wo sie seiner Gesellschaft sich zu freuen begann, geschah es, daß, wenn sie beim Drange ihrer Hausgeschäfte oder bei dem vielfältigen Zuspruch der Leute einen Verdruß empfand oder in eine Unvollkommenheit fiel, der Begleiter sogleich von ihr wich, wodurch gewarnt sie ohne Verzug demütig ihre Schuld erkannte, sie reumütig abbat und dann sofort wieder die vorige Freudigkeit fühlte, wenn er mit neuer Anmut zurückgekehrt. Drei oder viermal geschah ihr das vor ihrem Beichtvater, der von sich selbst bezeugt, er habe in all ihren Schmerzen und Leiden kein besseres Mittel gewußt, um sie aufzurichten, als die Rede auf ihren Engel zu lenken. Diese Weise, in der der Engel sie strafte, dauerte aber nur so lange, bis sie sich gänzlich in Gottes Willen hingegeben und es dahin gebracht, daß sie bis zum Jüngsten Tage, wenn er es so gewollt, unter häuslichen Sorgen und weltlichen Geschäften hätte hinbringen können. Gott wollte nämlich, daß sie diese Scheu vor dem Umgange mit Menschen und den allzu großen Hang zur Einsamkeit von sich tue. Der Engel war auch ihr Führer und Lehrer in aller Tugend und trug Sorge, daß sie nicht, von allzu großem Eifer hingerissen, in Bußwerken zu viel tue oder mit zu heftigem Ungestüm dem Guten zustrebe. Wollte er ihr irgendein göttlich Geheimnis offenbaren, dann bewegte er Augen und Lippe, und sie vernahm eine gar liebliche, wie von fernher tönende Stimme. Taten ihr die Dämonen irgendein Leid an, dann heftete er die sonst immer gegen Himmel gerichteten Augen auf sie, und über diesem Anblick entwich alle Sorge aus ihrer Seele. Sie lachte daher, von diesem Augenblicke an, mit großem Heldenmute all ihrer Anfälle. Bedrängten sie seine Schutzbefohlene etwa einmal allzusehr, dann trieb er sie mit einem bloßen Schütteln seines strahlenden Hauptes in die Flucht.* 0 — In ähnlichen Beziehungen zu solchen himmlischen Geistern haben Dominika vom Paradiese, Columba von Rleti, Rosa von Lima, Laurentia Lorini und 191

viele andere gestanden, unter den Männern aber Wilhelm von Narbonne, Walter von Straßburg, Nikolaus von Ravenna und sonst noch viele. So vertrauliche Verhältnisse, wie sie in diesen Beispielen vielfältig vorgekommen, haben die älteren Theologen auf die Frage gebracht: ob wohl auch hier nach der guten Seite hin ein so enger Bezug, wie er der bösen zu in der Besessenheit stattfindet, eintreten möge? Die Stelle im zweiten des Ezechiel, wo der Seher in die Worte ausbricht: „Ich habe das Wort des Redenden vernommen, und er sagte zu mir: Menschensohn, steh' auf deinen Füßen, und ich werde reden mit dir! und d e r G e i s t i s t i n m i c h e i n g e g a n g e n , nachdem er zu mir geredet und mich auf meinen Füßen aufgerichtet" — bestimmt sie, diese Frage zu bejahen; mit dem Vorbehalte jedoch der Freiheit des Willens in voller Ueberlegung und somit auch aller Zurechnung. In der Tat scheinen manche Tatsachen für eine, in manchen Fällen sehr enge geknüpfte Verbindung zu sprechen; die, wenn auch nicht der eigentlichen Besessenheit, doch wenigstens dem, was man Umsessenheit zu nennen pflegt, vergleichbar sein möchte. Der Art ist, was Rodolius in dem von ihm feierlich beschworenen Leben des P e t r u s M o n o c u l u s erzählt. Der heilige Mann, der im Rufe eines solchen engeren Verhältnisses stand, einst deswegen um Auskunft gedrängt, hatte sich selbst darüber in diesen Worten erklärt: Als ich noch Novize war, hatte ich ein Schauen, als ob ein milder und himmlischer Geist sichtbar in mich eingegangen. Von da an beherrscht mich dieser Geist oder diese Kraft in gewissem Sinne; lenkt mich immer und überall, und führt mich, wie Joseph seine Lämmer. Bin ich zerstreut und ins Aeußere ausgelaufen, dann sammelt er mich oft innerlich; will ich mit anderen mich abgeben, nötigt er mich zum Gebete und bringt es oft dahin, daß ich Dinge, die ins Auge fallen oder in die Ohren klingen, nicht vernehme. Aus diesem Geständnisse, fährt der Berichterstatter fort, erklärt sich so manches, was wir an ihm gesehen und was er an sich selber wahrgenommen. Einst in jüngeren Jahren war er im Chore vor Ermüdung eingeschlafen; da fühlte er einen leichten Schlag, der ihn erweckte. Anfangs meinte er, es sei der Prior gewesen, da er aber, um sich sehend, niemand in der Nähe gewahrte und die Sache sich öfter wiederholte, mußte er die Warnung seinem Geist zuschreiben. Gleich Moses, der den Herrn sehen wollte, trug auch er Verlangen, daß dieser Geist ihm sichtbar werde. Als er deswegen öfter darum gebeten, geschah es eines Nachts, als er wieder von ihm geweckt wurde und nun scharfen Auges um sich 192

schaute, daß er einen schönen, lichtglänzenden Jüngling mit goldenem Haare neben sich erblickte, der vor ihm die Mitte des Chores durchschritt und dann wieder verschwand. Als er einst am Sonntag zur Mitternacht unter den Brüdern sang und heftigen Kopfwehs wegeh den Chor zu verlassen gedachte, hörte er neben sich mit klarer Stimme aus dem 17. Psalm die Worte „Laudans invocabo Dominum, et ab inimicis meis salvus ero" sprechen. Er blieb nun, dadurch gestärkt; da aber das Weh und mit ihm der Vorsatz wiederkehrte, ertönten die Worte abermals und so die ganze Nacht hindurch, in stetem Kampfe des Schmerzes und der Stärkung durch die Stimme. Als er darauf zur Kommunion gegangen, fiel es ihm wie eine schwere Last vom Haupte, und er war von seinem Schmerz befreit. So hatte der Geist sich ihm durch drei Sinne: Gefühl, Gesicht und Gehör wahrnehmbar gemacht.*1 Noch bestimmter tritt das Ergriffenwerden und das unwillkürliche Getriebensein in Rede und Gebet im Beispiele des hl. R a i n e r v o n P i s a selbst außer der Ekstase hervor, ohne daß jedoch unsichtbare Geister bestimmt ihre Anwesenheit verraten. Rainer, Zeitgenosse der hl. Hildegard, war jedoch später denn sie in Pisa geboren und im Jahre 1160 früher als sie gestorben. Nach der Lebensbeschreibung, die sein Zeitgenosse Benincasa teils aus dem Augenschein, teils nach Rainers mündlichem Bericht geschrieben, war er in seiner Jugend ein lustiger Bruder und ging singend mit einer Rotte um, als ein Wort eines heiligen Mannes, Albert aus Korsika, sein Herz getroffen und ihn in sich schlagen gemacht. Er betrieb nun bald sein anderes Leben mit solchem Eifer, daß seine Eltern selbst ihn für töricht hielten und ihn einsperrten, worüber er das Augenlicht verlor, und als er es im Gebete wieder erhalten, zum Dank das Heilige Land besuchte. Dort wurden ihm viele Gesichte, und als er nach Jerusalem gekommen und den Kalvaricnberg bestiegen, legte er dort auf den Altar das einzige nieder, was er besaß, sein Pilgerkleid und seinen Psalter, und erhielt beides vom Priester als Almosen zurück. Es beginnt nun eine Reihe von Vorgängen und Ereignissen, die, mit steter Beziehung und Berufung auf die Erzählung in den Evangelien, die in ihm vorgehende Transformation als ein Abbild dessen, was einst dem Herrn geschehen, als er auf Erden gewandelt, vorstellen. Er erhält den Paraklet, wird vom bösen Geiste versucht, hält in der Wüste die 40tägige Faste, so daß er die vierzig Tage hindurch nur zweimal in der Woche Speise zu sich nimmt; eine Enthaltsamkeit, die er drei Jahre nacheinander wiederholt. Während dieser seiner AbgeGörres-Mystik

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schledenheit geschah es, daß, als er einst den Psalter für seine Angehörigen und Freunde betete und, zu der Stelle gekommen, wo es heißt: minuisti eum paulo minus ab angelis, die Stimme ihm versagte, so daß er die Worte schlechterdings nicht auszusprechen vermochte. Wie er sich nun darum mühte, ging von seinem Munde eine Stimme aus, heller und stärker denn die seine, die, also umredend, die Stelle sprach: et minui me ab angelis, gloria, et honore coronavi te, et constituí te super opera mea. Was von Gott vorkam, redete die Stimme also in erster Person, was von David, sprach er dann in der zweiten; und wo es in dieser am Ende heißt: requiem aeternam dona eis Dominel sang die Stimme das Gloria in diesen Worten: gloria patri in te, gloria spiritui sancto in te. War die Seite also ausgelesen, dann schlug Rainer, sich selbst Hörer und Gehilfe, sie um und, wie er zu der Stelle gekommen, wo es heißt: concidisti saccum meum et circumdedisti me laetitia, wurde ihm also gelesen: ego concidi cerebrum tuum ad lacrimas emittendas, et post replevi te laetitia caecitatem auferendo et lumen restituendo. Da, wo es heißt: eructavit cor meum verbum bonum und nun folgt: audi filia et vide, eröffnete sich ihm die Stimme näher, indem sie sprach: audi me, fili! et cognosce me, quia ego sum Deus, creator tuus, qui creavi te ex utero matris tuae. Auf diese Worte schloß Rainer den Psalter, warf sich an die Erde und betete: O mein Gott, Schöpfer Himmels und der Erde, ich bin nicht würdig, daß du redest durch meinen Mund; ich, der ich ein Ehebrecher, Meineidiger, Mörder und in den Strikken jeglicher Sünde gefangen bin. Und wie er nun aufstand und wieder nach dem Psalter griff, wiederholte die Stimme dieselben Worte und setzte dann hinzu: ego sum resurrectio mortuorum: propter quod ego elegi te, ut ostenderem virtutem meam in te in generatione et gentibus, civitate mea et tua, atque populo meo Christiano. Et sie in Syon firmavi te, ut esses Dux et princeps super populum meum Christianum. So wurde vom Morgen bis zur Nacht der ganze Psalter über ihn gelesen, mit allen Gesängen und Litaneien, in welchen letzteren die Stimme sagte: veniat mater mea, et adoret me in te; veniant Angeli mei et adorent me in te, veniant Patriarchae et Prophetae mei et adorent me in te usw. Das alles hatte Rainer dem Benincasa mit denselben Worten erzählt, in denen dieser es aufgeschrieben, und dieser setzt zur GeWähr seiner Glaubwürdigkeit hinzu, nicht im Traume wäre ihm dergleichen eingefallen, hätte er es nicht aus seinem Munde vernommen. Mehr Aehnliches erfolgte, um diese seine Ueberbildung zu bekräftigen. Er bestieg den Tabor und weilte dort in einem benachbarten Kloster 40 Tage, auf des Berges 194

Höhe ging ein Licht von seinem Auge aus, und er sah in diesem Lichte den Herrn in seiner Verklärung, siebenmal glänzender als die Sonne, daß er geblendet auf sein Angesicht sich niederwarf. Er wurde aber auch mitunter in strenger Zucht gehalten. Sieben Jahre mußte er, für das Volk die Buße übernehmend, in schlechtem Brote und Wasser unausgesetzt fasten. Er hatte einst auf dem Markte nur einen Mann getroffen, mit einem Brote besserer Art als sein gewöhnliches, und es nun schnell weggekauft, vergnügt bei sich sprechend: Gottlob, daß ich heute einmal besser Brot essen kann, da ich kein schlechteres gefunden, was Gott selber nicht tadeln magl Wie er aber nun damit nach Hause ging, kam das Wort seiner Stimme über ihn: Nicht ein Bissen wird von diesem Brote in deinen Mund kommen! Kehre mit mir zurück, und ich werde dir zeigen, was dir werden soll! Er aber, widerbellend, sagte darauf: So soll ich also immer ein Knecht sein, daß ich nicht ein einzigesmal wagen darf, minder schlechtes Brot zu essen. Mir wäre besser, ich stürbe, als unaufhörlich unter einem solchen Joche zu bleiben. Die Stimme erwiderte: Mach' nicht viel Redens, kehre um, wie gesagt, denn von diesem wirst du nimmer essen! Er wurde nun zu einem geführt, dessen Brot genau um so viel schlechter als das gewöhnliche sich befand, wie das gekaufte besser ausgefallen. Er kaufte nun dieses, betrübt in sich sprechend: Es wäre wohl besser gewesen, ich hätte gewartet, bis ich das gewöhnliche Brot gefunden, und gab darauf das andere den Armen. Wie er aber nun das schlechte, nachdem er es gesegnet, aß, schmeckte es ihm nach jedem Wohlgeschmack, und er war wieder vergnügt und dankte Gott. Als er über den Undank der Römer gegen die Päpste nachdachte und in seinem Herzen urteilte: sie seien wert, daß ihnen der Stuhl genommen würde, sagte die Stimme: Deine Gedanken sind meine Gedanken geworden; deine Wege meine Wege, sagte der Herr; was sich denn auch bald erfüllte. Ihm wunde nun geboten, nach seiner Vaterstadt zurückzukehren: er gehorchte willig und machte sich dort bald durch die Wunderzeichen, die er übte, im Volke bekannt. Er sah sich von Besessenen umdrängt, die Dämonen zeugten für seine Sendung und wie sein Vater, dessen Bild er im Angesicht trage, sein Urteil über sie bekräftigen werde, und er trieb sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes aus. Die Zeiten, wo der Herr auf Erden wandelte, schienen wiedergekehrt, so häuften sich die Wunder um ihn her. Er sah sich bald von solchen umgeben, die sich zu ihm hielten, aber die kühne mystische Idee, die er ausgesprochen, die, wie es schien, nur durch eines Haares Breite von törichter Selbstvergötterung geschieden war, 13»

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mußte auch heftigen Widerspruch erwecken; bei Freunden wie bei Feinden lag das Mißverständnis nahe, besonders in einer Zeit, die mit diesen Dingen noch weniger bekannt gewesen. So erhob sich dann unter Weltlichen wie Geistlichen ein starker Sturm gegen ihn, denn das sollte ihm als sein Teil an den Leiden angerechnet werden. Die Wunderzeichen dauerten indessen bis zu seinem Tode fort, der im angegebenen Jahr erfolgte, und hielten noch an, als er längst gestorben war.« c) D i e V i s i o n a l s g e i s t i g e E m p f ä n g n i s Zu den Gesichten, die sich in den äußeren Sinnen bilden, und zu denen, die sich im inneren Sinne und der Einbildungskraft formieren, fügen sich in dritter Gattung jene, die in den geistigen Kräften sich gestalten, und die A u g u s t i n u s darum intellektuale nennt, wie er die ersten als körperliche, die zweiten als seelische bezeichnet. Die drei Arten Hegen ihm übereinander in der Ordnung, in der die entsprechenden geistigen Vermögen im Menschen zueinander gestellt erscheinen, die körperlichen also zu unterst wie die äußeren Sinne. Was diese gefaßt, was z. B. die Augen geschaut, wird sogleich der Seele geboten in einem Bilde, und ist es nun ein irrationaler Geist wie bei einem Tiere, dann hat es dabei sein Bewenden. Ist aber die Seele vernünftig, dann wird auch dem Geiste zugetragen, was der Sinn geschöpft, so daß, wenn dies Zeichen von irgend etwas ist, es sogleich zum Verständnis gelangt, was es bedeutet, So sah König Belsazar, was die Hand an die Mauer geschrieben: die Sinne führten das Bild seiner Seele zu, und es wurde in seiner Seele geschaut, aber noch nicht verstanden, bis Daniel herzugekommen und die Deutung eröffnet. So bezieht sich denn auch die körperliche Vision auf die seelische und diese auf die intellektuale, die mit unkörperlichen, nach keinem körperlichen Bilde geformten Gegenständen sich beschäftigt und darum, während die andern vielfach täuschen können, insoferne über die Täuschung hinaus ist, als, was in ihr wirklich zum Verständnis kommt, auch wahr sein muß, das aber, was nicht wahr ist, auch nicht verstanden wird. Es mag sein, setzt er zuletzt hinzu, daß auch diese höheren Gesichte in vielen Graden abgestuft erscheinen, ob ich gleich die Folge davon nicht anzugeben vermag. Denn wie in unserem körperlichen Lichte auch die Gestirne glänzen, die da weit edlere Körper sind als die irdischen, so kann es auch unter den Gegenständen, die im höheren Lichte gesehen werden, vorzüglichere, ja eigentlich göttliche geben, die dann auch in höherer Weise geschaut werden müssen*). *) Aug. de Genesi ad Liter. I. XII. c. 1—30.

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Sei es, daß Augustinus diese Sätze aus gemachten Erfahrungen abgezogen, oder daß er sie durch Divination geahnt, es ist, wie er gesagt: die intellektuale Vision gehört einem eigenen Gebiete des mystischen Schauens, dem dritten in der Ordnung, an. Im ersten sind es die äußeren Sinne, die hellsehend geworden und, indem sie Bezüge auffassen, die ihnen sonst im gewöhnlichen Zustande entgehen, bildet sich eine neue äußere Sinnenwelt um sie her, gleichsam ein Sternenhimmel, der zuvor hinter der früher umhüllenden, jetzt zerrissenen Wolkenhülle verborgen gelegen. Im zweiten ist der innere Sinn zu einem gleichen Hellsehen gelangt. Er, der im gewöhnlichen Zustande auf die eigene geistige Persönlichkeit angewiesen, nur durch Vermittlung des Aeußeren mit anderen verkehrt, hat jetzt direkten Bezug zur Geisterweit erlangt und schaut sie unmittelbar, ohne äußerer Hülle zu bedürfen, und so öffnet sich ihm eine neue innere Sinnenwelt, ein geistiger Sternenhimmel, den zuvor die eigene irdisch-geistige Verdunklung eingehüllt. Jetzt in dritter ist es nicht äußerer noch innerer Sinn, die für höhere Formen und Schemen sich aufgetan, es ist der Geist selber über den Sinnen aktiv hellsehend geworden, indem er aufzuleuchten angefangen, wie das äußere Organ im organischen, eingeleibten Lichte strahlt, und schaut nun in diesem Lichte aktiv die Dinge nicht in ihren äußeren Formen, die sich ihm einprägen, sondern von innen heraus, yon ihnen in der Mitte erfaßt und sie ebenso erfassend. Ist daher auf jenen beiden Stufen die so bei dem äußeren wie inneren Sinne immer mitwirksame Einbildungskraft nicht abzuweisen, dann ist sie hier zugleich mit dem Sinne aufgeschlossen und somit diese Einwirkung des Subjektiven ferngehalten. Es wird also eine Art von m y s t i s c h e r K u n s t sein, in der die Gebilde auf den beiden ersten Stufen sich gestalten, äußere plastische im äußeren, innere poetische im innern Sinne: beide mit allen den Abstufungen und Uebergängen, die zwischen objektiv gegebener und subjektiv in der Einbildungskraft willkürlich hervorgebrachter Kunst eintreten mögen. Auf dritter Stufe wird aber dann die m y s t i s c h e W i s s e n s c h a f t sich bilden, die zwar diesem Wechsel nicht unterliegt, dafür aber allerdings einem andern, der, zwischen der gewöhnlichen geistigen Wirkungsweise und der ungewöhnlichen in den mystischen Zuständen sich bewegend, leicht eine durch die andere trübt. Um uns über diese intellektuale Anschauung und den Zustand derjenigen, die sich zu ihr erhoben, deutlichere Begriffe zu verschaffen, als Augustinus geben konnte, befragen wir 197

solche, die sich darin befunden: zuvörderst die h e i l i g « T h e r e s i a , die, das innere Auge einerseits nach aufwärts, andererseits nach abwärts auf sich selbst gerichtet, einsichtig, verständig und geistreich, wie sie war, sich immer Rechenschaft zu geben sucht von dem, was in ihr vorgegangen, und dabei vorsichtig und gar wohl kundig der Bedeutung der Worte, deren sie sich gebraucht, uns ihre Erfahrungen rund und klar mitzuteilen weiß. Zuerst breitet sie sich in ihrem Berichte über die Ekstase aus, die dieser Anschauung vorangeht, sagend: es komme dem Ekstatischen vor, als sei er in eine Region entrückt, ganz verschieden von der, in welcher wir uns befinden. Dort erscheint auch ein Licht, ganz anders denn das unsere, so daß, wenn jemand all sein Leben sich anstrengen würde, dergleichen willkürlich in sich hervorzurufen, es ihm weder mit diesem Lichte noch dem in ihm gesehenen gelingen würde. Es geschieht bisweilen, daß er in diesem Lichte mit einem Male eine solche Masse von Gegenständen sieht und erlernt, daß er in anderer Weise durch Nachdenken vieler Jahre nicht den tausendsten Teil davon erlangen würde.4* Sie fährt dann weiter fort: einmal erschien mir die Menschheit des Herrn in der Weise, wie er bei der Auferstehung gemalt zu werden pflegt; seine Schöne und Majestät waren unaussprechlich, über alles hinaus, was sonst auf Erden schön genannt wird oder was die Einbildungskraft im Laufe langer Zeit ersinnen kann. Der schneeige Glanz, in dem er strahlte, blendete nicht das innere Auge, ergötzte es vielmehr. Sein Licht war so verschieden von dem unsern, daß selbst das Sonnenlicht in Vergleich mit ihm sich unrein ansah und es sich nicht der Mühe zu verlohnen schien, die Augen gegen dasselbe zu öffnen. Es verhielt sich zu ihm wie reines, sonnenbeschienenes Wasser in einem Kristallgefäße zu schmutzigem in der Lache oder auch wie wahres Licht zu gemaltem. Die äußeren Sinne vermögen es nicht aufzufassen, denn es wird nur von den inneren gesehen; auch kann man durch Schließen der Augen seine Wahrnehmung nicht verhindern: denn wie auch die Seele ihre Aufmerksamkeit abwendet, sie wird gezwungen, acht zu geben und es mit dem inneren Auge anzuschauen. Es schien mir nach einigen Zeichen, als sei es nur das Bild des Herrn; nach manchen andern aber, als wäre er selbst zugegen; es war dann einige Dunkelheit an ihm, die mich jenes glauben machte, obgleich es auch dann die gemalten Bilder, mehr noch als ein Mensch sein Konterfei, übertraf. Zu anderen Malen, besonders nach der Kommunion, erschien er aber in solcher Majestät und gebot mit solcher Macht in seiner Wohnstätte, daß die Seele sich in ihm wie vernichtet fühlte und an seiner Gegenwart 198

nicht zweifeln konnte. Dann wird sie, obgleich der Herr sich freundlich erweist, doch vom Gefühl ihrer Sündhaftigkeit überwältigt und trauert aufs schmerzlichste darum. So groß ist die Gewalt einer solchen Erscheinung, daß, träte Gott nicht hilfreich durch Wegnahme derselben ein, die menschliche Schwäche auf die Länge es nicht zu ertragen vermöchte, weswegen ich denn auch glaube, daß, wenn die Seele lange in einem solchen Anschauen verweilen kann, es nicht eine wahre Vision gewesen, sondern eine tiefe Betrachtung oder ein Gebilde eigener Phantasie, eine natürliche Schwachheit, wie sie bei uns Frauen häufig eintritt, keine Wirkung zurücklassend, als etwa die Betrachtung eines heiligen Bildes, und schneller als ein Traum aus dem Gedächtnis sich verlierend. Ist es aber ein wahres Gesicht gewesen, dann bleibt es so fest eingeprägt, daß es nie in Vergessenheit wieder entfallen kann — außer in der Dürre, wo die Seele beinahe selbst Gottes vergißt —; denn die Seele wird von ihm allzusehr bereichert und mit erneuter lebendiger Gottesliebe erfüllt. Darum ist solche Vision, obgleich seelisch, doch hochzuhalten und meinem Urteil nach gefahrlos, weil der Dämon an ihr keinen Teil hat, da vor den Gesichten, die er gewirkt, alles Gute in der Seele sich verliert, so daß sie verwirrt und zu allem Besseren unfähig aus ihnen hervorgeht.** Ueber die intellektualen Visionen sich dann gleichfalls ausbreitend, läßt sie darauf in dieser Weise sich vernehmen. Im höchsten Grade der Ekstase werden alle Seelenvermögen so gebunden, daß sie nicht mehr vernommen werden und man nicht weiß, was in ihnen vorgeht, und das zwar der engen Einigung mit Gott und der Transformation in Gott wegen, die jedoch nicht lange dauern. Darum jedoch verlängert sich bisweilen die Dauer der Ekstase auf Stunden hinaus: weil Gott, nachdem er die Seele mit allen ihren Kräften und Vermögen an sich gezogen, dann etwa zwei derselben, Gedächtnis und das Denkvermögen, entläßt und bloß den Willen mit sich verbunden erhält, nachdem die volle Immersion nur kurze Zeit gedauert. Obgleich alsdann der Wille, in seiner Einigung mit Gott, die Entlassenen so an sich hält, daß sie ihn nicht zu hemmen vermögen, ist diese gehaltene Sammlung doch nicht so eng geschlossen, daß im Verlaufe der ganzen Dauer der Ekstase gar kein Auslaufen des Gedächtnisses und Denkvermögens geschähe. Nur das läßt sich behaupten, daß beide Vermögen in der Ekstase gemeinhin in Gottes Lob aufgehen oder das, was in der Seele sich begibt, einzusehen beschäftigt sind. Doch zeigen sie sich dazu nicht hinreichend tauglich und erweckt, sie sind vielmehr in einem Zustande wie ein Mensch, 199

der aus tiefem Schlafe und Traume noch nicht vollkommen erwacht. Kommt es nun zu einer intellektualen Vision, dann erfolgt, so viel ich einsehe, in den Seelenvermögen oder in den Sinnen gar keine Bewegung, weswegen auch der Teufel keine Gelegenheit findet, mitzuwirken; aber das tritt nur selten und dann immer vorübergehend ein. Ein anderes Mal sind dabei die Vermögen nicht ganz gehöht und gebunden, noch die Sinne ganz geschlossen, beide nur in sich gesammelt. Wenn aber Gott durch eine volle und wahre Vision etwas offenbart, dann prägt er sich selbst dem Innersten der Seele so tief ein, daß, wenn sie hernach wieder zu sich kommt, sie in keiner Weise Zweifel hegen mag, sie sei in Gott und Gott in ihr gewesen, und die Wahrheit dieser Ueberzeugung haftet so fest in ihr, daß, wenn Gott hernach auch Jahre hindurch die gewährte Gnade nicht wiederholen würde, sie doch nimmer der empfangenen vergessen könnte. Wie es aber geschieht, daß die in einem solchen intellektualen Gesichte geschauten Gegenstände, obgleich nicht gesehen, doch so unvertilgbar dem Gedächtnisse sich einprägen, das kann ich nicht erklären; aber das weiß ich für gewiß, daß ich die Wahrheit sage, und wenn jemand diese Sicherheit nicht in sich erführe, von dem möchte ich nicht behaupten, daß seine ganze Seele mit Gott geeinigt gewesen, nur etwa ein unteres Vermögen, oder daß ihm sonst eine Gnade von Gott widerfahren. Bisweilen knüpft sich der Verkehr der Verbundenen durch Worte, die Gott ins Innerste der Seele spricht, so zwar, daß die Seele, die bei einem bloß eingebildeten Gespräche nach Willkür ihre Aufmerksamkeit abwenden kann, hier schlechterdings aufmerken muß. Diese Worte sind dann kurz, gedrängt, in engster Form den reichsten Inhalt bergend, so daß ein Wort nicht nur vieles, sondern selbst solches befaßt, was sonst mit Worten nicht ausgesprochen werden mag. Sie sind dabei höchst wirksam, indem die Tat unmittelbar der Rede folgt, so daß, wenn sie etwa lauten: Fürchte nicht! sogleich alle Aengsten, Zaghaftigkeiten, ja, selbst alle Zweifel an der Wahrheit des Gesichtes weichen und die Seele sich sogleich klar und beruhigt findet und nimmermehr vergißt, was ihr widerfahren; welche Wirkungen nie bei bloß imaginären Reden eintreten. Derselbe Verkehr macht sich aber auch, in anderer Weise, ohne vermittelnde Worte mit gleicher Sicherheit bemerklich. Weiterhin erzählt sie darüber an anderer Stelle, von sich wie von einer dritten Person redend: sie habe lange Zeit hindurch in der intellektualen Vision den Herrn gegenwärtig sich zur Seite gesehen. Mit körperlichen Augen war nichts zu erblicken, doch war seine Anwesenheit so sicher, daß gar nicht gezweifelt werden konnte; besonders als er, um die Furchten 200

zu zerstreuen, die der Beichtvater ihr eingeredet, gesagt: Fürchte nicht, ich bin's! Diese Worte stärkten sie so sehr, daß aller Zweifel verschwand, und sie wurde dabei zu seiner steten Erinnerung angetrieben, im Bewußtsein, daß er immer auf sie schaue; weil sie fühlte, daß der Herr ihr zur Rechten stehe, nicht zwar dem Sinn vernehmlich, aber in höherer, unerklärbarer und darum um so gesicherterer Weise sich zu erkennen gebend. Aber nicht bloß ihn selbst vernimmt die Seele in solcher Weise, sie wird auch von ihm in andern großen Mysterien unterrichtet, die sie in der göttlichen Essenz zu schauen glaubt, weil sie klar sieht, wie alles in Gott befaßt und begriffen wird. Der Uebergang von der seelischen Anschauungsweise in diese geistige oder die Verbindung beider scheint in einem Gesicht zu liegen, von dem sie anderwärts berichtet: Sie habe einst in einer Ekstase den Thron Gottes gesehen und darauf ihn selbst zwar nicht erblickt, aber wohl vernommen, und es habe ihr geschienen, als werde er von einigen Tieren getragen, und ihr sei der Gedanke aufgestiegen, ob es nicht die vier Tiere seien. Wie er aber gewesen und was in ihm gewesen, sah sie nicht, sondern ihr wurden nur Scharen von Engeln sichtbar, die ihr schöner schienen als andere Engel, die sie im Himmel erblickte, und sie dachte, es möchten wohl Cherubim und Seraphim sein. Die Herrlichkeit also, schließt sie, die ich damals wahrgenommen, mag niemand, der sie nicht gesehen, in seiner Einbildungskraft ermessen.«5 Man erkennt hier leicht die Höhe der Bedeutsamkeit der geistigen Anschauung in ihren verschiedenen Graden. Es ist die Kurve des Spiegels und die Form des Objektives einerseits, sowie die des Auges und die Schärfe des ihm einwohnenden Lichtes, was in unserer Optik über die Deutlichkeit und Klarheit des Bildes entscheidet. Hier aber, wo ein anderes Licht im inneren Auge des Auges aufgegangen, hat sich im Spiegel auch ein magischer Spiegel angesetzt, der, dem neuen Lichte gerecht, auch seine Gestalten und in ihnen die des gemeinen Lichtes in einer höheren und wurzelhafteren Weise, in Gesichten spiegelt, so daß, nach dem Ausdruck vieler, die solche Gesichte gesehen, die gesamte Welt nun wie in einem Lichtstrahle geschaut wird, in den sie ihre ganze Strahlensphäre, wie zu höherer Lichtpotenz, geeint. Aus räumlicher wie zeitlicher Gegenwärtigkeit sieht daher diese Anschauung die Dinge, nicht in ihre Zerstreutheit sich zerstreuend, sondern sie vielmehr in ihrer Einheit aufhebend und dadurch, ohne selbst ein Mannigfaltiges zu werden, sie in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit befassend. Es ist also ein ideales Schauen, weit über das gewöhnliche Denkleben hinaus, was sich hier aufgetan, 201

eine höhere Art des Wissens, die sich dadurch gebildet, daß das früher tiefste im Geiste sich noch tiefer ausgetieft und das weiteste in ihm noch weiter sich ausgeweitet, und somit auch eine neue Welt diesseits und jenseits der gewöhnlichen, die selbst aus einem anderen Gesichtspunkte geschaut, eine andere geworden, welche hier aufgegangen. d)KritikderVision Es liegt den Gesichten, wenn sie auf dem rechten Grunde ruhen und aus der rechten Lebensördnung hervorgegangen, ohne Zweifel ein Objektives zum Grunde, weil das Gegenteil dieser Annahme das Gesetz folgerechter Stetigkeit, das, wie durch die Naturordnung, so durch die Heilsordnung geht, aufheben würde. Die ganze Persönlichkeit, in der die Vision hervorgetreten, hat durch alle ihre Gebiete eine Steigerung erfahren, im Gefolge welcher ihren Tätigkeiten überall, in erweiterten Wirkungskreisen, andere Objekte sich geboten, an denen sie sich auslassen mögen... Das also Gewirkte ist etwa nicht bloß in subjektiver Einbildung vorhanden, sondern es hat nach außen eine handgreifliche Wirklichkeit. Wenn nun das also durch alle Regionen menschlicher Wirksamkeit gleichmäßig sich also verhält, wie wäre es nicht widersinnig anzunehmen, daß allein die erste und höchste darin eine Ausnahme mache, und daß alle diese Vorkehrungen in der Tiefe, die wirklichen und wahrhaftigen Kräftigungen aller unteren Tätigkeiten, nur gemacht seien, um die höheren mit leeren, nichtigen Täuschungen zu berücken! Es muß also objektive Wahrheit in den Gesichten sein, die auf dem Grunde einer solchen übernatürlichen Steigerung erwachsen, und diese Wahrheit wird dieselbe sein, auf der alle primitive Offenbarung ruht. Wenn aber in solcher Weise die sichere Begründung und höhere Geltung dieses intuitiven Wissens auch außer allem Zweifel steht, so würde man sich doch gar sehr betrügen, wollte man alles, was aus seinem Kreise an uns kommt, sogleich unbesehen und ungeprüft, als sichere und unzweifelbar ausgemachte Wahrheit hinnehmen. Die Visionen werden von dem (in aller Wissenschaft wirksamen) Gesetze allmählichen Fortschrittes in Klarheit, Evidenz und Sicherheit sich nicht lossagen können, ja, sie werden ihm, aus der Region ewiger Wahrheit in die Gebiete menschlicher Gebrechlichkeit niedersteigend, wie in zweimaliger Brechung zweimal unterliegen: einmal beim Eintritte in die gehöhte und gesteigerte Persönlichkeit, und dann zum andern Male beim Uebergange aus' dieser in die Zustände des gewöhnlichen Lebens. 202

Was zunächst das erste betrifft, so wird dabei zuvörderst zu erwägen sein: daß der Geist, an den die Mitteilung geschieht, nicht etwa bloß eine Tafel ist, an die sich mit mehr oder weniger Schärfe das Gesicht als ein Bild hinwirft, sondern daß er selbsttätig, aus einem ihm einwohnenden Lichte in eigener Bildungskraft sich die Gebilde wirkt, und nicht eigentlich sie selbst, sondern sein Wirken und in ihm wieder das Wirken höherer Kräfte schaut... Hier aber kommt er in einen ganz neuen, ungewohnten Zustand; die Tätigkeiten sind alle gesteigert, ihr Verhältnis ist ein anderes geworden, neue Regionen haben ihrer Wirksamkeit sich aufgetan, eine andere Temperatur muß daher für sie gefunden werden: was um so schwerer ist, da die neue erhöhte Anregung zugleich von ganz ungewohnter Seite herkommt und die zweite Begeisterung sich daher nur mit Mühe mäßigen und ordnen läßt. Aber darauf beschränkt sich noch keineswegs ausschließlich die Schwierigkeit. In jeder höheren Ordnung sind zugleich auch alle tieferen einbegriffen, und so ist jede höhere mystische Ekstase auch mit physischem Hellsehen verknüpft; im Verhältnisse, wie die inneren geistigen Mächte den Geist erfassen und erregen, findet sich dieser daher auch von den Naturmächten in lichterer Weise angesprochen. Darum kann der Zudrang einer Ueberfülle neuer Bilder auch von dieser Seite her kaum abgehalten werden, die, weil sie nur bei großer Aufmerksamkeit von dem, was von der Höhe niederkommt, sich scheiden lassen, leicht eine blendende und verwirrende Wirkung üben. Aber mehr noch: nicht bloß mit der äußeren Natur ist der Ekstatische in einem solchen engeren, leicht überwältigenden Rapport, er ist auch zu sich selbst in einen gleichen eingetreten. Er schaut sich selber nämlich nicht wie zuvor in seinem zeitlichen Nacheinander und seinem räumlichen Nebeneinander an, sondern in beständiger Selbstgegenwärtigkeit sieht er alles in und an sich in seiner Einheit; sein ganzes Leben liegt wie in einen Punkt zusammengedrängt vor ihm; alles dessen, was er je gedacht, geschaut, imaginiert, erfahren und zugelernt und gewirkt, ist er, gibt er sich anders hin, wie in unmittelbarster Nähe sich bewußt, und er schaut es geichfalls wie in einem Lichtstrahle. Auch hier also dringt wieder eine Gedanken- und Bilderfülle auf ihn ein, all sein Wissen, das er je gewußt, tritt an ihn heran und, ohne daß er weiß, wie ihm geschehen, mischen sich den Gedanken, die im höheren Lichte in ihn eingequollen, die Gedanken des alten Lichtes bei; beide verfließen ineinander, weil ihre Quellen so nahe aneinander liegen; und es fordert ein scharfes geistiges Auge und viele Uebung, um auseinanderzuhalten, was so gern ineinanderfällt, und diese Bilder, die aus 203

dem äußeren Leben ins innerliche, wie Träume aus dem Wachleben in den Schlaf, einfallen, auszuscheiden von den Gesichten des mystischen Hellsehens . . . Während daher der Ekstatische auf die Geisterstimmen hört, die sein Inneres ansprechen, und zu den Sternen des neuen Himmels aufsieht, der sich ihm geöffnet, redet und schaut zugleich auch die ganze Umgebung mit hinein; und nur langsam und allmählich, wie das neue Licht höher steigt, verbirgt sich das alte niedergehend, und allein in den höchsten Graden des Schauens scheint es völlig ausgeschlossen. Aber wir haben die Heilige von Avila berichten hören, wie selten solche Höhe eintritt und wie schnell ein solcher, der sie erreicht, sich wieder niedergezogen findet. Wenn so die Ekstase selbst ihre Gefahren hat, weil mit der Steigerung der geistigen Kräfte zugleich auch die Masse des zu Bemeisternden anwächst, dann droht noch einmal Irrung, wenn das im Schauen Gefaßte im Medium der Mitteilung an die Welt übergehen soll. Der Verzuckte hat schon einmal — aufnehmend, was ihm Gott geredet, gezeigt und gespendet — das Zugeteilte aus der Gottessprache in die Sprache der gehöhten Kreatur übersetzt, um es sich verständlich zu machen; jetzt muß es, um der Welt verständlich zu werden, im zweiten Durchgang in ihre Sprache übertragen sein. Solch ein Uebertrag kann aber, wie sich leicht erkennt, nur mit ungemeinen Schwierigkeiten Zustandekommen. Dasselbe Individuum soll, was es zuvor mit gehöhten Kräften gesehen und erfahren, nachdem es vorübergegangen, mit geminderten und geniederten auffassen und reproduzieren. Nicht aus eigener Macht hat es diese Bilder in sich hervorgerufen, sondern eine höhere Gewalt hat sie in sein Inneres hineingebildet, und nun soll es doch, nach dem Zurücktritte der höheren Bildnerin, das Vergangene wieder in sich hervorrufen, um es in Menschensprache abzuschatten. Das Gedächtnis muß natürlich hilfreich zwischentreten, aber völlig hingerissen von dem Gegenstande und aufgegangen in das Gesicht, das er gesehen, um so mehr, je höher und darum vollkommener und verlässiger es gewesen — wie hätte der Verzuckte auch nur Besinnung und Zeit gefunden, das Gesehene demselben einzuprägen. Die Welt seiner Schauungen, nur trüb in ihm gespiegelt, muß daher, gleich der Tagswelt im Schlafe, über ihm wie ein Sternenhimmel über einer nebelerfüllten Atmosphäre liegen; nur die Lichter erster Größe mögen die Trübung noch mit ihrem Glanz durchbrechen; das Licht der andern wird in eine bloße Hellung zusammenfließen, in der sich das einzelne kaum unterscheiden läßt. Wird aber auch im Nachschimmer der glänzenden und darum tief eindringenden Erscheinung ihr mit Deutlichkeit nachgeschaut, 204

dann ergibt sich doch wieder eine andere Schwierigkeit, die eben mit zunehmender Klarheit sich wachsend mehrt und durch die Sprache herbeigeführt wird. Die Sprache nämlich, obgleich selbst aus einem höheren Zustande hervorgegangen, hat sich doch bald den gewöhnlichen Lebensverhältnissen zugebildet, und wenn sie auch selbst hier dem Tiefereindringenden bisweilen sich versagt, so erweist sie sich doch im ganzen und allgemeinen in diesen Sphären zureichend für jeden Bedarf. Aber gerade darum kann sie nimmer jenen höheren Anschauungen genügen, die eben, weil sie einem anderen Leben angehören, für das gegenwärtige noch keine Ausdrücke sich zugebildet und zum Teil auch eines anderen Materials, als das gewöhnliche ist, dazu bedürfen würden, wie man irdische Gegenstände wohl mit erdhaften Pigmenten malt, himmlische aber dazu den in Farben erblühenden reinen Lichtstrahl fordern. Aus dem Gefühle der Unzureichlichkeit des gewöhnlichen Mittels der Gedankenmitteilung ist bei manchen Ekstatischen die Bildung einer eigenen Sprache hervorgegangen, die dann aber wieder, weil wesentlich symbolischer Art, nur in ihrem gröberen, erdverwandten Elemente ins irdische Verständnis fällt und allein im höheren Zustande in ihrem höheren verstanden wird. Ist aber auch diese Schwierigkeit, so viel möglich, überwunden, dann ist damit die Sache noch keineswegs ganz abgetan. Die höheren Anschauungen, in irdischer Hülle gefaßt, treten nun, in dem sie umgestaltenden Geiste, in den gewöhnlichen Gedankenkreis ein und sind, wenngleich höherer Abkunft, sonst in allem andern den dort heimischen Hervorbringungen ähnlich. Wie wird nun zu verhindern sein, daß sie mit dem so nahe Verwandten sich nicht verbinden und in die allgemeine Ideenassoziation eintretend und, wie gebend, so auch hinwieder nehmend, in diesem Verkehr, Kinder Gottes mit den Töchtern der Menschen, nicht ebenfalls ein Riesengeschlecht erzeugen, das Verwirrung um sich breitet. Aber wenn auch hier in ihrer Eigentümlichkeit festgehalten, müssen sie noch einmal die Prüfung des geistlichen Führers, in der Regel auch der Obern bestehen; gerechte Aengstlichkeit entfernt dann nicht bloß, was Anstoß geben könnte, sondern mitunter auch Nichtanstößiges, mißverstehend läßt sie es, der größeren Sicherheit wegen, beseitigen, oder es wird beredet und modifiziert, und so erst kommt es dann zur Einsicht und Kenntnis der Mitwelt, oft erst der Nachwelt, wo keine Revision durch persönliche Verständigung mehr statthat. Noch eine andere Quelle möglicher Täuschungen fügt sich den bisher aufgezählten bei, indem den wilden Wässern der Natureinflüsse, die schon schwer vom höheren Lichtbrunnen 205

sich abdämmen lassen, nun auch noch verwirrendes Böse sich beigesellt. Wird nämlich der Mensch über sich in höhere Gebiete hinaufgehoben, dann läßt sich nicht verhindern, daß mit den Regionen des guten Lichtes sich zugleich auch die nächtlichen Gebiete ihm öffnen und mit den Wegen zu den besseren Mächten zugleich auch die zu denen der Finsternis sich anbahnen... Wohl hat die Heiligkeit und somit das vorwiegend Gute ihn zu jener Höhe hinaufgehoben, aber die menschliche Schwäche ist mit hinaufgestiegen; gerade der Zustand selber bereitet in Hochmut, Stolz und Vermessenheit ihr drohende Gefahr. Ueberdem, in wie vielen Graden stuft nicht die Heiligkeit sich ab; welchem Wechsel ist bei der allgemeinen Durchsäuerung der menschlichen Natur mit dem Bösen ihre Heiligung nicht unterworfen, und wie ist auch hier, wie beim physischen Gehen, alles Ansteigen durch ein fortgesetztes Fallen herbeigeführt! Da nun aber jede Makel und Fehle eine Versuchbarkeit begründet, und von keinem Menschen gesagt werden kann, daß er makellos sei, so ist mit diesen Versuchungen, zugleich auch mannigfaltigen dämonischen Täuschungen und Illusionen der Weg bereitet, und niemand kann ergründen, inwieweit sie Gott zur Prüfung oder Förderung oder Strafe gestattet... So ergibt und erweist sich von allen Seiten, daß selbst in der höheren Vision, und um so weniger in der tieferen, keine unmittelbare, fertige, ohne weitere Bemühung hinzunehmende und allenfalls frischweg in die Polemik gegen Andersdenkende anzuwendende Wahrheit zu haben sei. Auch nach dieser Seite hin ist also das menschliche Leben keineswegs vom Fluche der Mühsal losgesprochen, und will es sich aneignen, was ihm von dort geböten wird, so mag es nur, wie die Aneignung der Erzeugnisse des Erdreiches, durch Bekämpfung der wilden Kräfte und mühsame Ausreutung der mit aufgehenden Dornen und Disteln geschehen. Auch die höhere Vision unterliegt also sorgfältiger kritischer Prüfung, und zwar, weil von theologischen Gegenständen die Rede ist, der Kirche zuerst, dann aber auch der Wissenschaft, weil Gott, Urheber aller Wahrheit — der wissenschaftlich gefundenen, wie der auf mystischem Wege erschauten — mit sich selber nicht im Widerspruche sein kann. Aus allem diesen erklärt und rechtfertigt sich nun vollkommen die erleuchtete Vorsicht der Kirche in solcheD Fällen... Sie selber läßt in allen bedeutenderen Fällen die Prüfung auf dem Grunde früher gemachter Erfahrung mit Sorgfalt beginnen, das Leben der Sehenden zugleich mit den Gesichten bis zum tiefsten Grund erforschend, und ihr Urteil langsam und allmählich nach den Umständen bestimmen. 206

4. Das Reden und Singen in der Ekstase Hat der Gedanke, ausgegangen vom ersten Grunde, im zweiten sich zum Worte gefaßt, dann nimmt dies, artikuliert im dritten für die Mitteilung an die Umgebung, seinen Aushall als Laut und Ton. Auch die ihn formierenden Kräfte können, im höheren Zustande, eine Steigerung erfahren, und was die also gehöhten dann wirken und gestalten, wird in ganz anderer Modalität als das sonst Hervorgebrachte erscheinen. Der Geist erfaßt sie dann in ihrer diskursiven Tätigkeit und sie einführend in seine eigene Höhe artikuliert er Worte in ihnen, die des Menschen Geist nicht ausgedacht, und das Redeorgan spricht Töne aus, die einem anderen anzugehören scheinen, oder wenn es die eigene Rede ist, die sich ausredet, dann sind es geflügelte Gedanken, die in geflügelten Worten ihren Ausgang nehmen. So stand es um M a r i a M a g d a l e n a P a z z i s , wenn sie in die Verzückung eingetreten. Sie sprach dann oft in Form eines Zweigesprächs, bald mit dem ewigen Vater, darauf mit dem inkarnierten Worte, wieder mit dem Hl. Geiste, der hl. Jungfrau oder andern Heiligen, und fragte dabei und antwortete, je nach den Umständen, in ihrer oder der eigenen Person. Es hielt nicht schwer, in solchen Fällen zu unterscheiden, in wessen Person sie redete; sie änderte nämlich jedesmal die Stimme. In der Person des Vaters gebrauchte sie sich eines erhabenen, würdigen Tones und gab den Worten eine gewisse Majestät, von der sich niemand einen Begriff zu machen imstande ist, der es nicht gehört. In dem Namen des Sohnes oder des Hl. Geistes wendete sie gleichfalls eine edle und hohe, aber dabei liebliche Tonart an; wenn sie aber im eigenen Namen redete, war ihre Stimme so gedämpft, daß man sie kaum verstand, und sie brachte die Worte in einer so demütigen Weise vor, daß sie sich selber vernichten zu wollen schien. Es hatte dabei den Anschein, als wenn sie in diesem Zustand der Welt weit entrückt sei, und mußte sie dann, auf Gottes Befehl, aus ihm hervor, mit irgend jemand reden, dann sprach sie mit gehaltener Stimme, wie zu einem, der ihr ferne stünde. Man hörte sie dann wohl auch bisweilen in sich sagen: Er ist zu weit, er kann mich nicht vernehmen. Ihr Beichtvater überzeugte sich davon, als er einst in der Ekstase sie durch den Gehorsam zu sich entbot. Sie kam, und zu ihm redend fragte sie ihn etwas, und wie er nun antwortete, sie ihn aber nicht verstand, sagte sie, wie vor Gott sich entschuldigend: Wir sind zu weit voneinander, dieser da unten versteht 207

mich nicht!, woraus er schloß, daß es ihr damals däuchte, sie sei im Himmel, er aber ferne auf der Erde. Ihr leichteres oder schwereres Verstehen hing übrigens von der Tiefe der Ekstase ab, die Stimme ihrer Oberin erkannte sie jedoch allezeit, so oft sie von ihr angeredet wurde und gehorchte ihr ohne Verzug. Redete sie allein über das, dessen Verständnis ihr Gott eröffnet, dann waren es hohe Reden von geistigen und göttlichen Dingen, tiefe lichtvolle und inhaltsreiche Deutungen der Heiligen Schrift, und alle ihre Reden waren wohlgefügt, und Anfang und Ende entsprachen sich mit Anmut. Oft redete sie in lateinischer Sprache, nicht bloß die Schriftstellen in ihr zitierend, sondern auch die eigenen Reden in ihr fügend. Das erregte dann jedesmal großes Erstaunen der Nonnen, die wohl wußten, daß sie in der Welt nie diese Sprache gelernt, ja, als sie eingetreten, überhaupt kaum zu lesen verstanden und darum Unterricht darin erhalten, obgleich sie es auch so nicht bis zur Korrektheit gebracht und außer der Entrückung nicht eine lateinische Sentenz ohne Fehler wiederzugeben vermocht hätte.4* Bei der J o h a n n a v o m K r e u z e , in Cubas bei Madrid, äußerte sich drei Jahre hindurch die innere Begeisterung durch vielfache Predigten, die sie im Zustande der Ekstase abhielt. Dieser ihrer Beredsamkeit war, sehr bedeutsam, ein einige Monate anhaltendes Stummsein vorangegangen; als sie darauf die Sprache wieder erhalten, begannen die Vorträge, so zwar, daß sie bisweilen jeden vierzehnten oder achten Tag, zu Zeiten jeden dritten und vierten, dann wieder einen Tag um den andern, oft auch an einem Tage zwei- oder dreimal redete. Da die seltsame Sache bald im Lande umher ruchbar geworden, wurde sie von vielen heimgesucht, aber natürlich aus ganz verschiedenen Ursachen. Einige hielten sie für verrückt, andere meinten, es sei Betrug, und die verwunderten sich dann nicht wenig, wenn sie ihnen auslegte, was sie im Herzen trugen, und dann wohl hinzusetzte: Wer seid ihr, daß ihr Gottes Allmacht zu ermessen und ihr Schranken zu setzen euch unterfangt? Bald fand sich auch der Inquisitoren einer ein, um ihren Geist zu erforschen; sie redete aber an diesem Tage so schön und kräftig, kniend und von Tränen Übergossen, daß er auf die Brust schlagend bekannte: was er aus ihrem Munde gehört, sei alles von Gott. Sie sprach in diesen Reden oft in mancherlei Sprachen, lateinisch, griechisch, arabisch baskisch und andern, die sie außer der Ekstase alle nicht verstand. Der Bischof von Avila, Franzisko Ruiz, hatte ihrem Kloster zwei Mohrenfrauen von Oran geschenkt, die so hart208

näckig in ihrem Mohamedanism waren, daß, wenn man ihnen vom Christenglauben redete, sie in Tränen ausbrachen und sich das Gesicht zerkratzten, bis das Blut niederrann. Als man d i e einst in ihren Vortrag führte, redete sie mit ihnen arabisch in solcher Weise, daß sie sich sogleich taufen ließen. Die Vorgesetzten ihres Ordens hatten indessen, des Aufsehens wegen, der Aebtissin befohlen, sie in ihrer Zelle zu versperren und niemand, selbst die Schwestern nicht, zu ihren Vorträgen zuzulassen. Es geschah, wie verordnet worden; nun aber blieb sie so lange in Verzückung, daß der Aebtissin bange wurde, und deswegen eine Schwester hinsandte, um nachzusehen. Die fand sie redend wie früher und um sie viele Vögel, die aufmerksam zuhörten; da darauf alle zugelaufen, befanden sie es, wie jene gesagt. Man gestattete ihr nun wieder zu anderen zu reden; aber nur vornehme Personen und solche, die Erlaubnis vom Provinzial hatten, sollten zugelassen werden. Nun kamen nacheinander Menschen aller Stände zu ihr, um das Wunder zu schauen: der Feldherr Gonsalvo di Cordova, der Kardinal Ximenez, viele Fürsten und Herren und Frauen, und alle gaben Zeugnis. Auch Kaiser Karl V. war unter denen, die kamen, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, und blieb ihr hernach immerfort gewogen. Sie war damals 24 Jahre alt. Gewöhnlich fing der Vorgang mit einem stillen, demütigen Gebete an, dann hoben sie die Schwestern auf und trugen sie auf ihr Bett in ihrer Zelle. Alsbald begann sie mit lauter und klarer Stimme allen, die zugegen waren, den Frieden zu bieten und redete dazu wunderbarliche Sachen. Sie fing dann an, die Schrift und Evangelien auszulegen, wie sie gerade an dem Tage in der Kirche gelesen wurden, und das dauerte je nach Umständen vier, fünf, sechs, ja sieben Stunden, mit solcher Anmut, daß man nie jemand sagen gehört, er habe Langeweile dabei empfunden, oder wie es ihn gereut, wenn er dabei bis zum Ende ausgehalten. Sie selbst wurde nicht müde, ob sie gleich während der Rede einer Toten gleichgesehen. Gewöhnlich hatte sie den einen Arm aufs Herz gelegt; als ein Geistlicher einst diesen mit großer Gewalt weggezogen, ließ sie ihn sinken, ohne sich im Reden irren zu lassen, bis eine der Schwestern ihr den gesunkenen wieder an die Stelle legte. Kam sie wieder zu sich, dann war sie gar schön, Kleider und was sie nur berührte, alles roch aufs lieblichste, aber sie war von der Anstrengung schwach und matt und am ganzen Leibe mit Schweiß überronnen, so daß sie anders gekleidet werden mußte. Die Schwester Maria Evangelista schrieb, was sie also in einem Jahre von 1508—1509 geredet, auf; in allem 71 Predigten, einige zwölf, ja zwanzig Bogen stark, alle zusammen 733 Folioblätter Görres-Mystik

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einnehmend, die, noch im Kloster zum Kreuz aufbewahrt, mit der Geburt Christi beginnend und durch alle Evangelien und Festtage des Jahres bis wieder zum Advent gehend, einen eigentlichen Festkalender bilden.47 Schon früher sind uns Beispiele für das Singen und Klingen, selbst außerhalb der Ekstase, begegnet, und wenn es bei anderen nicht zu unterscheiden war, ob die Erscheinung in oder außer derselben eingetreten, so hat doch das Tönen in der Brust der C h r i s t i n a v o n S t u m m e l n sich unleugbar als ein solches ausgewiesen, das den Eintritt des ekstatischen Zustandes als Bedingung seiner Aeußerung forderte, und dann auch in seiner Unwillkürlichkeit am entschiedensten sich ausgebildet. W i e man von Dunstans Harfe gesagt, sie habe vor der Matrone Aedelpyrin die Antiphone: gaudent in coelis animae Sanctorum, qui Christi vestigia sunt secuti von selbst getönt, so erklingen dann auch solche Ekstatische, wenn der Geist im Sturme oder im linden Wehen sie durchfährt, und die Töne, die er ihnen entlockt, gehen entweder in der Form eines lauten ausbrechenden Jubels oder eines in der Brust sich beschließenden lieblichen Sanges von ihnen aus, die sich der Rede, in die die anderen in solchem Falle sich ausgelassen, unmittelbar anschließen und, nur eine Stufe tiefer, den Gemütskräften näher fallen. Beispiele zum Belege fehlen nicht im Leben der Mystischen. So kamen die Ekstasen häufig in dem der hl. Humiiiana vor. Einst, da sie im heftigsten Magenkrämpfe also außer sich gesetzt worden, vernahmen die Anwesenden ein lieblich Singen, das von ihr den Ausgang nahm, aber mit so zarter Stimme, daß, wenn sie nicht das Ohr an ihren Mund legten, sie wohl den Ton hörten, aber den Inhalt nicht zu unterscheiden vermochten. Wie das Singen aufhörte, kehrten die Schmerzen wieder zurück.48 Besonders merkwürdig erscheint auch hier wieder die C h r i s t i n a , m i r a b i l i s . Sie war sehr vertraut mit den Schwestern von St. Katharina außerhalb der Mauern von St. Trond. Als sie einst, mit diesen zusammensitzend, vom Herrn redete, wurde sie plötzlich und unversehens vom Geist ergriffen und ihr Körper wie ein Kreisel spielender Knaben in die Runde umgetrieben, mit solcher Schnelle, daß wegen der Heftigkeit des Umlaufes nicht ferner mehr die Form ihrer Glieder zu unterscheiden war. Als sie eine Zeitlang also umgelaufen, ruhte sie, als ob die Heftigkeit nachgelassen, mit allen ihren Gliedern; nun begann aber zwischen Kehlkopf und Brust ein wundersames Singen, das niemand zu begreifen noch auch durch Fleiß oder einige Kunst ihr nachzutun vermochte. Nur 210

das Fließende der Musik und ihre Tonfolge war in diesem Gesang; die Worte der Melodie aber, wenn man dergleichen ja Worte nennen kann, klangen in gänzlich unbegreiflicher Weise mit ein. Weder aus ihrem Munde, noch aus ihrer Nase ging indessen ein Ton oder ein Hauch hervor, denn nur innerhalb der Brust war diese engelgleiche Melodie beschlossen. Alle Glieder ihres Leibes waren unterdessen in tiefster Ruhe und ihre Augenlider wie bei einer Schlafenden geschlossen. Nach einiger Zeit allmählich wieder zu sich kommend, stand sie wie trunken, ja wahrhaft trunken auf und rief nun laut: Führet alle Schwestern zu mir, damit sie mit mir den liebreichen Herrn in seinen Wundertaten preisen! Als nun alle zusammenströmten, weil sie insgesamt großen Trost und rechte Freude an ihr hatten, begann sie das: Herr Gott, dich loben wir! anzustimmen. Sie sang immer je einen Vers allein, und die Schwestern antworteten ihr mit dem andern. Als sie nach der Beendigung des Sanges erst recht zu sich gekommen und von den andern nun erfuhr, was sie getrieben, floh sie vor Scham und Bestürzung davon, nannte sich eine Törin und litt große Schmerzen, als eine der Schwestern sie mit Gewalt zurückzuhalten versuchte. Später, als sie aus ihrem Hause und von ihren Verwandten weg nach Schloß Loen an der deutschen Grenze gezogen und dort neun Jahre lang bei der sehr frommen Klosterschwester Ivetta verweilte, hörte man sie noch oft, wenn sie allnächtlich die Metten besuchte und bei verschlossenen Türen allein zurückgeblieben, auch außer der Ekstase singen. Sie ging dann auf und ab und sang lateinisch, in wunderbaren Konsonanzen fortschreitend, mit so lieblicher Stimme, daß es mehr Sang eines Engels denn eines Menschen zu sein schien. Er war so wunderbar anzuhören, daß er nicht bloß den Klang aller Instrumente, sondern auch jeder Menschenstimme übertraf. Und doch war das Singen nicht vergleichbar der Stimme, die im ekstatischen Zustande ihr aus dem Innern der Brust ertönte. Sie hatte übrigens in ihrer Jugend nicht den mindesten Unterricht erlangt und verstand doch das Lateinische, das sie gesungen, so wie sie auch die schwierigsten Stellen der heiligen Schriften, wenn von ihren Freunden befragt, aufs überraschendste zu deuten wußte." — Auch mit den Leuchtungen erscheint dies Singen bisweilen verbunden. So hatten die vor der Zelle des Kartäusers P e t r u s P e t r o n i u s harrenden Brüder Tag und Nacht hindurch die süßesten und lieblichsten Töne und Gesänge vernommen. Eine Zeitlang hatten sie den Tönen zugehorcht, dann aber, wie es so die Art des Menschen ist, ins Verborgene sich gern hineinzudrängen, mußte die Türe ihrer Gewalt weichen, und als sie 14*

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sich umgesehen, hatten sie niemand denn Petrus allein gefunden, aber sein Angesicht war mit Licht Übergossen und glänzte in der Majestät eines Ueberirdischen, so daß alle in freudige Ausrufungen ausgebrochen.M Uebrigens entsprechen diesen Tönungen, die von den Ekstatischen oder sonst in höhere Zustände Eingetretenen ausgegangen, andere, die man um sie her vernommen, ohne ihren Ursprung in ihnen selbst suchen zu können, und die man deswegen höheren Wesen zugeschrieben. Am häufigsten wird uns von ihnen bei der Feier des Gottesdienstes, besonders der Messe erzählt, wo man unsichtbare Chöre um die Heiligen her das Sanctus oder andere Hymnen intonieren hörte. Noch häufiger hat es sich am Sterbebette derselben, im Augenblicke der Lösung der Seele von der Leiblichkeit, gezeigt. 5. Die Stigmatisation Die Stigmatisation, jene große Transformation des gesamten unteren Menschen, tritt in der Regel nicht mit einem Male und in voller Ausbildung aller ihrer Erscheinungen hervor, sondern stufenweise und allmählich sich durch die verschiedenen Regionen ausbreitend vollendet sie sich erst dann, wenn sie nach und nach alle in den Kreis ihrer Umwandlungen hineingezogen. Auch nicht urplötzlich, wie in einem Schlage, pflegt sie sich in diesen ihren Zwischenstufen auszubilden, sondern erst nachdem jede durch mancherlei Vordeutungen sich angekündigt. Beides muß uns bestimmen, der sich mitteilenden Gnade auf diesen ihren Wegen in ebenso allmählich vorschreitender Betrachtung uns anzuschließen. Als V e r o n i k a G i u l i a n i 1693 im dreiunddreißigsten Jahre ihres Lebens sich bereitete, ganz im Herrn zu leben, damit er in ihr auflebe, wurde ihr ein geheimnisvoller Kelch gezeigt, den sie sogleich als Ankündigung der ihr bevorstehenden Uebernahme des Leidens erkannte. Das Gesicht kehrte in den darauffolgenden Jahren unter verschiedenen Gestalten wieder; bald erschien ihr der Kelch in großer Klarheit und mit Glanz umgeben, bald bloß ohne irgend einige Zierde. Bisweilen war es, als ob die Flüssigkeit, die er enthielt, überkoche und in Masse sich ergieße; ein andermal quoll sie nur langsam, Tropfen vor Tropfen, aus. Der Geist war immer willig in ihr, den dargereichten bis zum Grunde auszuleeren, aber das Fleisch schauderte vor ihm zurück. Zuletzt wurde sie Meister über den Widerstand ihrer unteren Natur und seufzte nun: Wann, o Herr, wird die Stunde kommen, daß du mir deinen 212

Kelch darreichst? ich dürste, ich dürste, nicht nach Tröstungen, sondern nach Bitterkeit und Leiden. Eines Nachts unter dem Gebete erscheint ihr endlich der Erflehte mit dem Gefäße und spricht: Es steht bei dir, ihn hinzunehmen und zu schmecken, was ich versucht, jedoch nicht zur Stunde, aber bereite dich, ihn zu trinken, wenn die Zeit gekommen! Sie hatte dann wieder Erscheinungen der Jungfrau, die ihr Mut zusprachen. Abermals erschien ihr nun der Herr an der Säule, mit Blut und Wunden bedeckt, den Kelch in der Hand, und sagte: Schaue diese Wunden, meine Geliebte, es sind so viele Stimmen, die dir zurufen, meinen bitteren Kelch zu trinken, ich gebe dir ihn und will, daß du ihn prüfest. Er verschwand darauf, aber der Kelch blieb ihr immer vor Augen: sie fühlte sich an Leib und Seele gestärkt und ein brennendes Verlangen in ihrem Herzen, Gottes Willen nachzukommen; aber ihre Natur bebte vor dem steten Anblicke zurück, und ein heftiges Fieber überfiel sie. Bisweilen sah sie den Kelch über sich ausgegossen und fühlte dann sich von einer Feuerglut durchdrungen, in der sie um so mehr dürstete, je mehr sie trank. Bisweilen sah sie einen Tropfen auf ihre Speise fallen, und dann war ihr Gaumen auf lange Zeit mit einem gallenbitteren Geschmack erfüllt, und sah sie die Tropfen selber an, dann war es ihr, als verwandelten sie sich in Schwerter und Lanzen, die ihr Herz von einem Ende zum andern durchdrangen. Dabei mußte sie sich, auf das Geheiß ihrer Obern, ärztlicher, das Uebel verschlimmernder Behandlung unterwerfen, vielfache Versuchungen erdulden und überdem noch innerlich die ärgste Dürre ertragen, so daß die Todesagonie ihr nicht schrecklicher als ihr Zustand zu sein bedünkte.51 Ein anderer Kelch, ähnlichem Zustande vorangehend und ihn ankündigend, kommt auch im Leben der sei. K a t h a r i n a d a B a c o n i s i o , geboren 1486 im gleichnamigen Orte in Piemont, vor. Ihr reichte, als sie vier Jahre alt war, der hl. Petrus, als sie sein Martertum mit tiefem Verlangen, es ihm darin gleichzutun, in einem Bilde betrachtete, ihn mit den Worten dar: Meine Tochter, nimm und trinke das Blut dessen, der dich erlöst, damit du, durch ihn gestärkt, auch den Becher seines bittersten Leidens zu trinken vermagstl Kaum hatte sie einige Tropfen zu sich genommen, wird sie wie trunken in göttlicher Liebe, daß sie sich kaum auf den Füßen erhalten kann und sich an die Mauer der Kirche anlehnen muß." Man sieht, wie das vorbildliche Leiden am Oelberge angefangen, so muß auch das nachbildliche dort beginnen, und die, welche einlenken in diese Wege, müssen mit dem Herrn aus demselben Kelche trinken, der ihm dort gereicht worden. Darum darf denn auch der B l u t s c h w e i ß nicht fehlen, den dort die Betrübnis bis zum 213

Tode hervorgetrieben, und wir finden ihn häufig an diesen einleitenden Akt geknüpft. Um von den vielen Beispielen nur eines anzuführen, wollen wir hier nur der sei. Lutgardis erwähnen, die in der Beschauung des Leidens oft außer sich kam und sogleich am ganzen Leibe mit Blut Überflossen wurde, das, allen sichtbar, vom Angesicht und den Händen niederrann. 81 Bisweilen gesellt sich dem Kelche wohl auch ein Kreuz hinzu, wie derselben Katharina geschehen, indem es ihr der Herr versuchsweise einmal auf die Schulter gelegt, und als sie es beim zweiten Darbieten mit Ergebung auf die Achsel genommen, bleibt ihr die eine Schulter auf Lebenszeit, wie von einem schweren Gewicht beladen, unter die Höhe der anderen hinuntergedrückt, und sie fühlt Schmerzen an ihr, die zuzeiten wachsen und dann wieder abnehmen." In der Regel hebt die eigentliche Stigmatisation mit der Darreichung der Dornenkrone an, unter Umständen, die sich im ganzen gleichzubleiben pflegen. V e r o n i k a G i u l i a n i erzählt selber, was sich, als der Kelch vorübergegangen, in dieser Hinsicht mit ihr zugetragen. Als ich in der Nacht des 4. April 1694 im Gebete zu großer Sammlung gekommen, wurde mir ein Gesicht im Geiste, in dem der Herr mir mit einer Dornenkrone erschien. Ich sagte sogleich: Mein Geliebter, dieser Dornen mache mich teilhaftig, denn sie sind für mich, nicht aber für dich, mein höchstes Gut. Ich hörte ihn darauf erwidern: Ich komme eben, um meine Geliebte zu krönen, zugleich nahm er sich die Krone ab und setzte sie mir auf. So groß war der Schmerz, den ich sogleich empfand, daß ich mich nie erinnere, je einen wütendem empfunden zu haben, und als ich wieder zu mir gekommen, dauerten die Peinen fort, daß ich nicht auf den Füßen zu stehen vermochte, noch auch wußte vor Ermattung, was anfangen. Deswegen betete ich zu Gott: einmal, daß er mir Stärke gebe, die Geschäfte zu verrichten, die mir im Kloster obliegen und dann, daß er mir all seine Gnaden nur insgeheim zuwenden möge. Sogleich bekam ich all meine Kräfte wieder, so daß ich meinen Geschäften obliegen konnte, aber ich fühlte die Schmerzen der Dornen fort, so daß ich bei jedem Neigen des Hauptes den Geist aufgeben zu müssen glaubte. So oft mir in der Folge im Gebete das Verlangen zu leiden sich erneute, fühlte ich, wie sich die Dornen mir wieder ins Haupt eindrückten, so daß ich vor Schmerz zur Erde stürzte und lange außer mir in Ohnmacht blieb. Alles das entzündete mich aber nur zu noch größerem Verlangen, was dann wieder ein neues Eindrücken der Krone bewirkte, so daß ein Leiden dem andern zu rufen schien. Das dauerte durch ihr ganzes übriges Leben 34—35 Jahre also fort, und aus dem, was 214

sie in den zwölf nächsten nach der Krönung niedergeschrieben, ergibt sich, daß die Schmerzen in dieser Zeit, mehr oder weniger stark, fortdauernd gewesen, an den Freitagen, zur Fastnacht und in der Fastenzeit jedesmal zugenommen, am unerträglichsten aber in der heiligen Woche sich zeigten. Sie betete dabei immer: Herr, bist du es, der die Dornen eintreibt, drücke noch stärker zu, damit ich noch mehr Pein empfinde! Als die Sache ihren geistlichen Vorstehern bekannt wurde, gaben diese der Schwester Florida Ceoli den Auftrag, ihr Haupt zu untersuchen, und diese berichtete hernach eidlich im Prozesse: Wie sie um ihre Stirne einen roten Ring gefunden, bisweilen mit Beulen, groß wie ein Stecknadelkopf, besetzt. Ein andermal sei die Stirne rundum mit violetten Zeichen, in der Gestalt wie Dornen, besät gewesen, die gegen die Augen sich hinabzogen, insbesondere habe sie einen dieser Eindrücke bemerkt, der bis unter das rechte Auge gegangen, das getränt, und als sie die Tränen mit dem Schleier abgetrocknet, habe sie dieselben blutig gefunden. Der Bischof Antonio Eustochy wollte sich inzwischen dabei nicht beruhigen; er sandte Aerzte und Wundärzte, um ihre Heilung zu versuchen, und gab ihr dadurch Gelegenheit, sich noch mehr Verdienste zu sammeln. Die Aerzte begannen sie mit einem gewissen Oel zu salben, das ihr solchen Brand verursachte, daß sie glaubte, ihr Haupt werde im Feuer aufgehen, während sie im Innern des Gehirns eine Eiskälte fühlte. Deswegen wurden sie Rats, ihr Moxa auf dem Haupte und gleicherweise auf einem der Füße anzubrennen; ihre unerschrockene Festigkeit setzte bei dieser Gelegenheit alle Anwesenden in Erstaunen. Während keine der Schwestern auszuhalten vermochte, forderte sie den Wundarzt Massan auf, ohne Besorgnis zu Werke zu gehen, und es war nach seinem Ausdruck, als ob er an einem Steinbild operiere. Die Kopfwunde vom Brande schloß sich in wenigen Tagen unter Zuwachs von Schmerzen über allen Ausdruck; man setzte ihr nun an den Hals eine andere, die man aber zuletzt, da sie im Nervenreiz weder am Tage noch zur Nachtzeit Ruhe hatte, zugehen lassen mußte. Die Aerzte beschlossen nun, ihr ein Haarseil einzuziehen; die Nonnen weigerten sich, dabei Handreichung zu tun; sie übernahm es selbst, und ob sie gleich die Operation bald noch schmerzhafter als die vorige befand, hielt sie dieselbe doch mit Heldenmut aus. Das Gefühl der Kälte nahm ab, aber am Haupte änderte sich nichts. Sie legten ihr darum ein Blasenpflaster auf die Arme; nun gesellten sich aber ihren andern Uebeln solche Krämpfe in Armen und Füßen bei, daß man beide Fontanellen sich wieder schließen lassen mußte. Noch wurde sie mit Zugpflastern hinter den Ohren 215

gepeinigt, nichts wollte verfangen, und da das Uebel sich nur mehrte, mußte sich endlich die Fakultät überwunden geben und den Zustand für einen übernatürlichen außerhalb ihres Bereichs erklären. 55 Nachdem das Haupt in solcher Weise die blutige Krone erlangt, kann das Herz ihm gegenüber nicht leer ausgehen; und es wird mit der Seitenwunde bedacht, die, zu ihm gerichtet, es oft genug erreicht. Darum folgt diese in der Regel auf das Blutschwitzen und die Dornenkrone, sich ihnen beigesellend, ob sie gleich auch wohl allein für sich erscheint. Auch hier liegt bei der G i u l i a n i ein eigenhändiger Bericht vor Augen, den sie, auf Geheiß ihres Beichtvaters, ihm zur Auskunft aufgeschrieben. Im Winter des Jahres 1696 hatte sie neuerdings anhaltenden geistlichen Uebungen sich unterzogen; ein großer Liebeseifer hatte sich darüber in ihr entzündet, und dieser war in der Christnacht zu einem wahren Rausche angewachsen. Sie hatte die Genossinnen im Kloster mit dem Rufe: Schwestern, merkt ihr nicht, daß der Morgen naht, es ist nicht mehr Zeit zu schlafen; auf, auf, erhebt euch! zur Mette geweckt, und der Herr war ihr darauf in Kindesgestalt erschienen, ganz lieblich und voller Freundlichkeit. Das Kind hatte, wie mir schien, also erzählt sie, in der Hand einen Stab von Gold, an dessen oberem Ende es wie eine Feuerflamme brannte, während das untere eine Lanzenspitze trug, und es setzte jenes an sein, dieses an mein Herz, und ich fühlte sofort, wie dasselbe von einem Ende zum andern durchbohrt wurde. Plötzlich sah ich nichts mehr in der Hand des Kindes, aber es blickte mich freundlich an und gab mir das Verständnis, daß ich jetzt durch ein enges Band mit ihm verbunden sei. Ich erkannte und faßte damals vieles, aber mir ist keine klare Erinnerung geblieben, darum schreibe ich nichts davon. Als ich aber wieder zu mir gekommen, war ich wie närrisch und wußte nicht, wie mir geschehen. Ich hatte ein Gefühl, als sei die Herzwunde offen, aber ich wagte nicht danach zu sehen. Als ich ein Tuch in die Nähe brachte, zog ich es blutbefleckt zurück und fühlte große Schmerzen. Als aber hernach E. Hochwürden mir befahl, Nachsuchung zu halten, ob ich wirklich verwundet sei, tat ich's und fand die Wunde offenstehend, aber sie blutete derzeit nicht; die Oeffnung war einen starken Messerrücken dick und man sah das frische Fleisch. Das ist's, was mir widerfahren; zu Neujahr, acht Tage später, aber fing die Wunde wieder an zu bluten und blieb eine lange Zeit hindurch offen. Alles sei zu Gottes Ehren. 5 * *

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Man hat die ersten Spuren dieser Erscheinung in den Worten des Apostels Paulus: ego Stigmata domini nostri porto zu finden geglaubt; freilich ohne die Gewähr irgendeiner kirchlichen Tradition, weswegen die Deutung auf die vielfachen Mißhandlungen, die er in einem Dienste erfahren, allerdings näher liegt. Auch das macht jene mystische Deutung zweifelhaft, daß in der ganzen älteren Zeit des Christentums kein Beispiel einer eigentlichen Stigmatisierung vorkommt, so daß durch sie hauptsächlich die neuere Mystik von der älteren sich zu unterscheiden scheint. Der erste, von dem man weiß, daß ihm die Gabe zuteil geworden, ist der hl. F r a n z v o n A s s i s i gewesen, und dieser Umstand muß uns bestimmen, bei ihm länger zu verweilen und nach den authentischen Berichten, die Bonaventura und andere seiner Zeitgenossen aufbehalten, die einzelnen Umstände dabei darzustellen, um damit gleich ein Bild der ganzen Erscheinung zu gewinnen. Der Heilige pflegte sein ganzes Leben unter praktische Wirksamkeit zum Heile des Nächsten und beschauliche Betrachtung zum eigenen Weiterkommen zu teilen und sich des letzteren Zweckes wegen von Zeit zu Zeit auf den Berg Alverna im Apennin zurückzuziehen, wo er dann, dem Erzengel zu Ehren, die 40tägige Fasten hielt, stetem Gebet oblag und, von der Flamme höheren Affekts entzündet, oft und anhaltend ckstatisch wurde und, mit Gott redend, ihn in seiner Herrlichkeit, sich ihm gegenüber aber in seiner Nichtigkeit erkannte. So hatte er es auch zwei Jahre vor seinem Tode gehalten, und da er dort viel über die Weise geforscht, wie er für die Zukunft sich nach Gottes Willen zu halten habe, war ihm eingegeben worden: er dürfe nur die Evangelien aufschlagen und würde dort die Antwort erfahren. Er hatte, Folge leistend, sich darauf ins Gebet begeben und dann das Buch vom Altare im Namen der Dreifaltigkeit dreimal durch seinen Gefährten eröffnen lassen, und dreimal hatte sich bei dieser Eröffnung die Passion des Herrn aufgeschlagen. Er erkannte daraus, wie es Gott am wohlgesälligsten sei: daß er, wie zuvor schon sein Tun dem Herrn nachgeeifert, so fortan auch in der Uebernahme von Ungemach und Leiden es ihm nachzutun berufen sei, und sogleich war er, wenn auch schon sehr entkräftet durch seine Lebensweise, doch ohne Bedenken willig, darin Folge zu leisten. Als er darum eines Morgens, zum Feste der Kreuzerhöhung, wieder an der Seite des Berges betete, im herzlichsten Verlangen, mit dem Herrn gekreuzigt zu werden, sah er einen Seraph mit sechs sowohl leuchtenden als feurigen Flügeln aus der Höhe des Himmels zu sich herabschweben, und wie der Niederschwebende ihm nahegekommen, erblickte er 217

zwischen den Flügeln die Gestalt eines Gekreuzigten, Hände und Füße ausgedehnt. Zwei Flügel hüben sich über seinem Haupte, zwei waren zum Fliegen entfaltet, zwei andere deckten den Leib. Er staunte ob des Gesichtes, und sein Herz fühlte zugleich Freude, daß er der Erscheinung gewürdigt worden* und Schmerz um des Leidens wegen, das er sah und das ihn wie mit einem Schwerte durchdrang. Ihn wunderte zugleich, wie doch die Unleidsamkeit eines Seraphs mit schmerzlichem Dulden verträglich sei; er begriff aber bald, wie die Erschauung ihm bedeute: daß er nicht durch die Marter des Fleisches, sondern durch die Entzündung des Geistes dem Herrn gleichförmig werden solle. Als die Erscheinung verschwunden, hatte sie ihm im Herzen einen großen Brand, in seinen Gliedern aber eine wundersame Bezeichnung zurückgelassen. Es waren nämlich an seinen Händen und Füßen die Zeichen der Nägel erschienen, wie er sie kurz zuvor am Bilde des Gekreuzigten gesehen; zugleich war seine rechte Seite wie mit einer Lanze durchbohrt. Die Wunden öffneten sich in Mitte der Extremitäten bedeutenden Umfangs und bluteten. In ihrer Mitte waren wieder aus dem Fleische und Zellgewebe Nägel gewachsen, eisernen ähnlich; schwarz, hart, fest, oben mit Köpfen, unten zugespitzt und wie umgeschlagen, so daß zwischen ihnen und der Haut ein Finger eingelegt werden konnte. Sie waren nach allen Seiten beweglich, indem sie, von einer Seite gedrückt, auf der entgegengesetzten vortraten, konnten aber nicht ausgezogen werden; wie es die hl. Klara erfuhr, als sie nach seinem Tode einen derselben auszuziehen versuchte, aber nicht damit zustande kam. Die Finger blieben übrigens vor wie nach beweglich, und die Hände taten ihren Dienst; auch die Füße versagten sich nicht, doch war der Gang ihm beschwerlich geworden, und er ritt deswegen fortan bei seinen Zügen durch die Gegend. Die Seitenwunde war tief und groß, drei Finger breit, wie ein Bruder erfahren, der zufällig sie berührt, dabei rot, durch Zusammenziehung des Fleisches wie gerundet und oft mit Blut seine Kleider benetzend. Nie gingen alle jene Male in Brand oder Eiterung über, nie wendete er irgend ein Arzneimittel gegen sie an, und es war ein Wunder, daß er bei den stetigen Schmerzen und dem fortdauernden Blutverlust, den sie ihm verursachten, noch zwei Jahre am Leben bleiben konnte. Als der Heilige übrigens mit den Zeichen vom Gebirge niederstieg, hatte er großes Bedenken bei der Sache, da er sich scheute, die Geheimnisse Gottes offenkundig zu machen, und doch auch einsah, daß es denen, die näher um ihn waren, nicht verborgen bleiben könne. Ungewiß daher, ob er reden oder schweigen solle,»rief er einige der Vertrauteren zusammen und 218

legte ihnen in allgemeinen Reden seine Zweifel vor. Da aber einer der Einsichtigeren, wahrnehmend, daß ihm Wunderbares begegnet sein müsse, ihn bedeutete, daß es nicht seinetwegen, sondern um der andern willen an ihn gekommen, ließ er sich bestimmen, nicht zu verbergen, was für die übrigen nützlich sein könne, und erzählte, was er gesehen, hinzusetzend: der so ihm erschienen, habe einige Worte geredet, die er nie, so lange er lebe, einem Menschen offenbaren würde. Er verhüllte übrigens die Male vor den Leuten, so sehr er immer vermochte, legte darum Schuhe an und hielt die Hände sorgfältig bedeckt, doch sahen bei seinem Leben viele der Brüder, was sich nicht ganz verbergen lassen wollte; der Papst Alexander und manche Kardinäle gaben als Augenzeugen Zeugnis, und nach seinem Tode sahen mehr als fünfzig Klosterbrüder, dann die hl. Klara mit ihren Schwestern und unzählige Weltliche, die aus der ganzen Umgegend zusammengeströmt, was sich Wunderbares mit ihm begeben, und konnten es mit Händen greifen.57 •

Es ist zuweilen nur zu den Schmerzen der Male gekommen, ohne daß diese selbst sichtbar und bleibend sich befestigt hätten. Inzwischen hat es sich wohl auch begeben, daß diese Male so eben zur Sichtbarkeit gelangen sollten und dann aufs Anhalten der zu Bezeichnenden gleichsam zurücktretend nur unsichtbar eingeprägt wurden. So ist es, nach der Erzählung des Raimund von Capua, mit der hl. K a t h a r i n a v o n S i e n a der Fall gewesen. Eine Art von Einleitung zu dem Akte war, nach seinem Berichte, am 18. August des Jahres 1370 geschehen. Sie war zur Kommunion gegangen, und im Augenblicke, wo sie das Sakrament genommen, schien ihr: daß, wie der Fisch ins Wasser, das Wasser aber in den Fisch eingeht, so ihre Seele in Gott sei und Gott in ihr, und in diesem Gefühle fand sie also sich gezogen und gebunden, daß sie kaum ihre Zelle und ihr Bett erreichen konnte, über welches sie nach einiger Zeit, in Gegenwart von drei Zeugen, schwebend sich erhob und Worte tiefen Inhalts und süß wie Honig zur Rührung aller zu reden und für viele, darunter auch für ihren Beichtvater, der es von ferne fühlte, zu beten begann. Unter dem Gebete hatte sie die Hand ausgestreckt, und es wollte scheinen, als habe sie das Gefühl eines großen Schmerzes übernommen; sie aber hatte darauf, nach ihrer Gewohnheit, nur die Worte geredet: Christus der Herr sei gelobt! Von ihrem Beichtvater beim Gehorsam verpflichtet, mitzuteilen, was in ihr vorgegangen, hatte sie gesagt: Als sie inständig um das ewige Heil für ihre Freunde gebeten und der Herr es ihr versprochen, 219

habe sie, nicht aus Unglauben, sondern der Erinnerung wegen, ein Zeichen verlangt. Der Herr habe darauf gesagt: So streck« deine Hand aus! und es sei ihr nun gewesen, als habe er mit einem Nagel ihr die ausgestreckte durchbohrt; sie habe den Schmerz einer wirklichen Wunde gefühlt und trage nun, aber nur ihr sichtbar, das Mal an der rechten Hand. Als sie darauf später, im Geleite vieler und auch Raimunds, nach Pisa gereist und bei einem Bürger, nahe bei der Kirche der hl. Christina, eingekehrt, hatte der Beichtvater ihr am Sonntage nach Ihrer Bitte die Messe gelesen und ihr die Kommunion gereicht. Sie kam nach Gewohnheit außer sich, wie aber die Anwesenden eine Zeitlang standen, um den Erfolg zu erwarten, sahen sie die an der Erde Liegende plötzlich sich erheben, sich auf die Knie setzen und die Arme ausstrecken, während das Gesicht leuchtete. Nachdem sie eine Zeit hindurch also gekniet, ganz starr und mit geschlossenem Auge, schien es, als sei sie tödlich niedergeworfen: sie stürzte zusammen und kam erst nach einiger Zeit wieder zu sich. Sie ließ dann ihren Beichtvater rufen und sagte ihm insgeheim: Wisse Vater, daß ich jetzt die Male unseres Herrn durch sein Erbarmen an meinem Leibe trage. Als er um die Weise des Vorgangs fragte, erwiderte sie: Ich sah den Herrn, ans Kreuz geschlagen, in großem Glänze auf mich herabkommen, und darum wurde mein Leib im Ungestüm des Geistes, der seinem Schöpfer entgegen wollte, genötigt sich zu erheben. Da sah ich aus seinen heiligen Wunden fünf blutige Strahlen nach meinen Händen, Füßen und meinem Herzen gehen, und das Geheimnis gewahrend rief ich sogleich aus: Ach Herr, mein Gott, ich beschwöre dich, lasse die Male an meinem Leibe nicht sichtbar werden! Während ich noch redete, wechselten die Strahlen die Blutfarbe in eine hellglänzende, und in der Form reinen Lichtes kamen sie an die fünf Stellen meines Körpers. Darauf Raimund: Ging denn nicht auch einer der Strahlen gegen deine rechte Seite? Nein, erwiderte sie, vielmehr zur linken, gerade zu meinem Herzen hin, denn die leuchtende Linie, von seiner rechten Seite ausgehend, streifte mich nicht querüber, sondern in gerader Richtung. Fühlst du denn, fragte der Beichtvater, an diesen Orten einen empfindlichen Schmerz? Sie darauf sagte mit einem tiefen Seufzer: So groß ist der Schmerz, den ich an allen fünf Stellen empfinde, besonders aber um das Herz, daß, wenn Gott nicht ein neues Wunder wirkte, nicht wohl, wie mir scheint, das leibliche Leben, ohne bald zu enden, mit der Größe desselben bestehen könnte. Bald darauf fiel sie in eine so tiefe Ohnmacht, wie ihre Freunde sie noch nie gesehen, also daß alle, zum tiefsten Mitleiden und zu Tränen bewegt, für ihr 220

Leben fürchteten, sie, wieder zu sich gekommen, sagte ihnen auch, sie sehe deutlich, wenn Gott nicht ins Mittel trete, würde sie bald des Todes sein.5» •

Wird die Bitte um die Verborgenheit des zu Gewährenden entweder nicht gemacht, oder, wenn gemacht, entweder gar nicht oder doch nicht für den Augenblick gewährt, dann treten die Male alle insgesamt, jedes an seinem Orte, hervor. So bei der V e r o n i k a G i u l i a n i , die auch hier wieder klaren Bericht uns hinterlassen. Zu Weihnachten 1696 war zuerst ihre Seitenwunde erneuert worden, weil sie wahrscheinlich früher sich wieder geschlossen hatte; zugleich ward ihr die volle Stigmatisation für den folgenden Karfreitag angekündigt, der in dem Jahre auf den 5. April gefallen. In ihrem Tagebuche sagt sie, unter der Aufschrift 5. April, darüber folgendes: In dieser Nacht war ich in Betrachtung und hatte die Erscheinung des auferstandenen Herrn mit der Mutter und den Heiligen, wie sonst oft. Der Herr gebot mir, daß ich meine Beichte ablege. Ich tat also und begann: Ich habe, o mein Gott, gesündigt gegen dich und bekenne vor dir; wie ich aber diese Worte ausgeredet, konnte ich vor Schmerzen über die Unbill, die ich Gott zugefügt, nicht weiter fortfahren. Der Herr sagte daher zu meinem Schutzengel, daß er für mich fortfahre. Er gehorchte, und mir eine Hand aufs Haupt legend, sagte er in meinem Namen: O ewiger und unsterblicher Gottl Ich der Schützer dieser Seele, um dir, o höchster Richter, Folge zu leisten, und zum Heile derselben, rede jetzt in ihrem Namen und bekenne alles, was sie begangen hat in Gedanken, in Worten oder in Werken. Während er so redete, schien es mir, als sehe ich mich wie umgeben von allen meinen Sünden; der Herr aber erschien mir nicht verhüllten Angesichtes, sondern offen und ganz Erbarmen, und während ich erkannte, daß er mir zu vergeben willens sei, ließ er mich zugleich die Wunden seiner Hände und die der Seite erblicken. Wie der Engel die bedeutenderen Sünden statt meiner bekannte, mehrte sich in mir die Pein und der Schmerz; der Herr aber machte mir Mut und sagte: Ich verzeihe dir, und mit meinem Blute tilge ich alle Senden aus, die du in deinem Leben magst verschuldet haben. Ich hatte nun eine neue Verzückung, denn der Herr zog meine Seele an sich, und ich gewann ein klares Licht über meine Verschuldungen, und der Schmerz darum durchdrang mir das Herz; aber im Verhältnis, wie der Engel mich meiner Sünden wegen anklagte, sah ich sie vor mir verschwinden, und das gab mir Trost, weil ich wahrnahm, daß meine Seele sich 221

reinigte, Gottes Willen gemäß und durch das Verdienst seiner Wunden. 0 Gott, was ich empfunden in diesem Uebermaß der Liebe, kann ich weder in Wort noch Schrift beschreiben; ich kann nur über ihre Wirkungen in mir mich aussprechen, und diese waren ein unendlicher Schmerz über meine Schulden, so daß ich gern alles Leiden, was bis zu diesem Augenblicke stattgefunden und was noch bis zum jüngsten Tage über alle Menschen kommen wird, samt allem, was die Märtyrer gelitten, auf mich genommen hätte, um sie ungeschehen zu machen. Der Engel endete die Beichte mit einem allgemeinen Bekenntnis und stellte mich dann dem Herrn ganz gereinigt vor, worauf dieser aufstand und mir sagte: Vade in pace, iam amplius noli peccare. Er gab mir darauf seinen Segen, und alles verschwand sofort. Wieder zu sich gekommen, setzte sie nun die Gefühle fort, die sie während der Verzückung begeistert hatten: Herr, mehr Leiden, mehr des Kreuzes! war ihr beständiger Ruf; sie nahm ein Kruzifix, drückte es an sich, küßte die Wunden und flehte um die Schmerzen derselben der Reihe nach. Ihr Herz entflammte sich darüber mehr und mehr und schlug heftig, als ob es sich aus der Brust herausdrängen wolle, so daß sie bald wieder wie in Todesagonie außer sich kam. Nach einer Stunde abermals zur Besinnung gelangt, gab sie sich ins Gebet, und während desselben wurden ihr die Wunden eingedrückt Sie wurde verzuckt, und der Herr erschien ihr jetzt ans Kreuz geschlagen, die Mutter unter demselben stehend. Sie bittet diese um ihre Verwendung, weil sie selber nichts könne und vermöge, erhält Gewährung und, zugleich mit der hellsten Einsicht in ihre Nichtigkeit, auch die Versicherung vom Herrn, wie er sie sich jetzt ganz verähnlichen wolle. Dreimal wird sie darauf von ihm gefragt, was sie wolle und begehre; dreimal muß sie erwidern: mit ihm gekreuzigt zu sein. Dann sagte er: Ich gewähre dir, aber will Treue von dir für alle Zukunft, und durch Hilfe dieser Wunden, die ich dir, dem zum Zeichen, aufdrücke, gebe ich dir die Gnade zu dieser Treue. Sogleich gehen nun aus den fünf Wunden die fünf glänzenden Strahlen gegen sie, und sie sieht in den Strahlen kleine Flammen. Vier davon sind die Nägel, die fünfte die Lanze, alle wie golden, aber feurig durch und durch. Herz und Hände und Füße werden von ihnen durchzuckt; sie fühlt große Schmerzen, aber findet in Mitte derselben sich in den Herrn transformiert; die Flammen aber kehren in den Strahlen zurück dahin, von wannen sie ausgegangen. Sie kommt nun wieder zu sich und findet sich, die Arme ausgestreckt, ganz erstarrt; sie macht bald den Versuch, nach der Seitenwunde zu sehen, kann aber nicht wegen den Schmerzen in den Händen, 222

findet sie aber zuletzt, bei wiederholtem Versuche, offen und Blut und Wasser aus ihr fließend. Sie muß nun, als ihr Beichtvater, was geschehen, anzeigte, der strengsten Untersuchung sich unterwerfen, die das Inquisitionstribunal in Rom dem Bischof ihrer Diözese Eustachi übertrug, um auszumitteln, ob die Sache Wahrheit oder Trug und Heuchelei sei. Dieser verfuhr in solcher Weise, daß, war sie wirklich Betrügerin, sie sich beinahe unausbleiblich verraten mußte. Seine Prüfungen gingen hauptsächlich darauf hin, sich ihrer Geduld, Demut und Unterwerfung zu versichern; weil nur dadurch sich, was guten Geistes ist, bewährt. Er nahm ihr das Amt der Novizenmeisterin ab, interdizierte sie, schalt sie am Sprachgitter mit so lauter Stimme aus, daß man es in den Gängen der Nonnen vernahm; nannte sie eine exkommunizierte Hexe und drohte ihr, sie in Mitte des Klosters verbrennen zu lassen. Er ließ sie dann in einem der Krankenzimmer einschließen und verbot ihr zu schreiben oder ins Sprachzimmer zu gehen. Sie wurde darauf vom Chore und der Messe ausgeschlossen, die Festtage ausgenommen, und selbst an diesen durfte sie nur unter der Türe, wie eine Exkommunizierte, stehen, und zwar nur in Begleitung der Laienschwester Franziska, die Befehl hatte, sie als Heuchlerin und Zauberin hart zu halten und ihr das Reden mit den anderen Schwestern nicht zu gestatten. Sie wurde dann auf eine Zeit auch von der Kommunion ausgeschlossen und durfte im Beichtstuhl nur eine gewisse Zeit verweilen, die die Aebtissin ihr bestimmte. Zugleich ließ der Bischof durch die Aerzte die Kur ihrer Male unternehmen und jedesmal nach dem Verbinden die Hände in Handschuhe einschließen und diese mit seinem Siegelringe versiegeln. Die Versuche dauerten bis tief in den Oktober; die Wunden, statt zu heilen, wurden nur größer; Veronika selber aber blieb sich unverändert gleich, immer demütig, resigniert, ruhig, nie an sich denkend und sich um keine Mißhandlung bekümmernd, die sie erfuhr. Auf die wiederholten Berichte des Bischofs erklärte sich die Inquisition zuletzt befriedigt, und man ließ sie in Ruhe.59 *

In den Tatsachen, die wir angeführt, ist der ganze Vorgang unter seinen vorzüglichsten Gesichtspunkten der Anschauung nahe getreten, und wir sehen uns dadurch in den Stand gesetzt, ein Urteil über Ursprung, Modalität und Verlauf desselben zu begründen und festzuhalten. Zunächst finden wir als die notwendigste und darum auch in allen Fällen ohne Ausnahme eintretende Vorbedingung von Seite der Seele eine übergroße Teilnahme und das allerschmerzlichste Mitgefühl mit dem 223

Leiden dessen, den sie zum Gegenstande ihrer Liebe sich genommen... Es ist aber die Natur aller mitleidigen, teilnehmenden Gefühle, jeden, den sie ergriffen, außer sich zu setzen, ihn seiner selbst zu entäußern und ihn dafür dem Gegenstande seiner Teilnahme und somit diesen sich zu verinnerlichen und einzubilden. Mit dem solchen Betrachtungen schnell sich beigesellenden ekstatischen Zustande und der zugleich hervortretenden und ihren Bildern Inhalt gebenden Vision knüpft zwischen dem angeregten Affekte und seinem nun noch näher gerückten Gegenstande ein gesteigerter Wechselverkehr sich an, tiefer und immer tiefer versenkt sich jener in die Peinen, es wächst mit der stärker empfundenen Rührung die Trauer, die die Seele übernommen, an der erstarkten aber glüht ihrerseits stärker die Liebe auf, die dann rückwirkend die bewegte wieder sich noch mehr entfremdend, sie noch größerer Teilnahme und Trauer fähig macht... So zuletzt, berauscht und betrunken im Glühweine, den die Seele aus den strömenden Wunden getrunken, will sie nimmer sich zur Ruhe geben; sie sei dann durch völlige Ueberleitung des Schmerzensbildes in die eigene Form und die Einbildung des ganzen Inhalts seiner Leiden in die eigene Leidensfähigkeit ganz dem Gegenstande ihrer Liebe angeeignet und in ihn transformiert. Der unteren vitalen Seele kann aber keine Signatur vorbildlich aufgeprägt werden, ohne daß nicht gleichzeitig, unter ihrer Mitwirkung, dieselbe abbildlich im Leibe sich wiederholte. Denn einmal ist diese Seele durchaus plastischer Natur und dann auch sie vor allen, so lange das Leben dauert, so eng und genau mit ihrem Leibe verschlungen, daß nichts in ihr ist und geschieht, das nicht seinen Reflex fände in dieser Leiblichkeit und an ihr sich äußerlich offenbarte. Nach diesem Gesetze hat diese Seele sich selber zum Abbild diesen ihren Leib gebaut; jede Veränderung in ihr ruft daher jetzt auch eine Metamorphose in ihm hervor. Hat daher die Seele die Stigmatisation erlangt, dann hat mit demselben Akte, der sie seelisch dem seelischen Gegenstande ihrer Affekte assimiliert, auch der Prozeß nach außen angehoben, der die ihr verbundene Leiblichkeit der seinigen verähnlicht, und im Gefolge desselben wird dann auch gleichzeitig an dieser die Stigmatisation hervortreten. In der Richtung von innen zu außen aber hat sich der Seele jener Affekt mitgeteilt, der sie gewundet; denn der Gegenstand desselben gehört dem unsichtbaren Reiche an, das die Tiefen der Geisterweit in sich beschließen. In gleicher Richtung wird das Empfangene sich daher dem Leibe mitteilen, denn der Leib umfängt die ihm einwohnende Seele 224

äußerlich, wird aber seinerseits auch wieder von ihr, der weiteren, umfaßt. Was aber also der Seele, inwiefern sie in sich ist, von daher zugekommen, wo das Tiefere in ihr beschlossen ruht, das ist ihr, inwiefern sie mit ihrem Leibe sich verbunden findet, in einem Gesichte zur Wahrnehmung gelangt, das sich ihr nach außen projizierend, in einem räumlich von ihrem Leibe geschiedenen äußerlichen Bilde an sie tritt, dessen Aufnahme nun in der Richtung von außen nach innen und also in ihr den Leib umfassendes Moment zuerst geschieht... Das Licht ist hier das Medium, durch das alle Ueberleitung vom Vorbilde zum Abbilde geschieht, und das Beispiel der L u c i a v o n N a r n i zeigt, daß dies nicht bloß für die Male, sondern auch für die anderen Bezeichnungen gilt. Diese betete einst vor dem Kreuzaltare der Predigerkirche des Ortes; da sahen alle, die zugegen waren, aus der Seitenwunde des Kruzifixes drei Strahlen ausgehen, die ihr Angesicht anschienen, während ein anderer, aus dem Munde des Gekreuzigten ausgehend, ihr Haupt mit einem Diadem von Licht umflocht, das während der ganzen Dauer der Messe anhielt.*4 Daraus wird klar, daß alle Erscheinungen der Stigmatisation nur die Wiederholung der Lichterscheinungen sind, die, oben im feineren, beweglicheren Elemente ausgewirkt, jetzt ihr Analoges unten im Leben, in seinem Mobil, dem Blute, sich ausgestalten und es in der Art und Weise der tieferen Region vollbringen. Damit es aber wirklich zu einer solchen in allen ihren Momenten vollständigen Bezeichnung komme, bedarf es, neben höherer Mitwirkung und besonderer Anlage, auch noch eigener fördernder Vorbereitung. Was die Mitwirkung betrifft, so geht sie natürlich von jenen höheren Mächten aus, die, wie sie die Kreatur ursprünglich in ihrem Bilde ausgestaltet, so auch jetzt zu ihrer Umgestaltung nach ihrem Gleichnisse als wirksame Kräfte mit eintreten. In bezug auf die Anlage wird aber zunächst eine vorschlagende Wirksamkeit der Lebenskräfte gefordert, so daß der Zug der inneren Tätigkeit sich gern nach dieser Seite richtet und, was innen sich begeben, sich am liebsten in der dort gültigen Form ausspricht... Beinahe in allen Fällen sehen wir die Erscheinung in der heiligen Woche, oder doch ihr nahe, sich entwickeln; nicht bloß, weil dann im Kirchenjahr die Trauerzeit herangekommen und in ihr alle Affekte der Teilnahme und des Mitleidens sich im Gemüt entwickeln, sondern weil dann auch die vorhergegangene, streng gehaltene Faste dem Leiblichen die zur Umbildung nötige Biegsamkeit neuerdings in einem erhöhten Grade mitgeteilt. Die Ekstase, die unter diesen Umständen sich leicht entwickelt, umfängt dann den im tiefsten Grunde Angeregten wie jener Schlaf, den Görres-Mystik

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Gott über den ersten Stammvater herabgesendet, als er die erste Stammutter von ihm nehmen wollte; und unter ihrer Hülle wirkt sich dann das Werk teilweiser leiblicher Umgeburt. 6. Die bewegte Ekstase Die Ekstase ergreift den ganzen und vollen Menschen; wie dieser aber in sich vielfach gegliedert ist und die diesen Gliederungen einwohnende eine und selbe Persönlichkeit nach Wohlgefallen nun in der einen und dann wieder in der andern wirksam hervortritt, so kann auch der einige Geist, der die Ekstase wirkt, nach seinem Belieben nun diese und dann wieder jene Gliederung vorzugsweise verzucken, und es wird, je nach der Natur der Region, in die er eingefallen, seine Wirkung in anderer und anderer Weise sich offenbaren. Zwei dieser Erscheinungsformen haben wir bis jetzt erwogen und sehen also 'nun an die dritte uns gewiesen. Wir befanden nämlich, wie der Einschlag in die geistigen Kräfte, wenn gegen die Kontemplativen ihrer Gruppe gerichtet, in ihnen die V i s i o n in allen ihren Formen, in den organischen Trägern derselben aber die L e u c h t u n g e n weckt, während er, in die Willenskräfte geschehend, zu entsprechenden Bewegungen derselben führt, die zunächst im L a u t e sich veräußern. Ebenso hat es sich ausgewiesen, daß, wenn derselbe Geist in die vitalen Kräfte seinen Einfall gemacht, alsdann diese, von ihm über sich geführt, außerhalb der Geleise des natürlichen Lebens, jedoch nach ihrer Weise wirksam, eine plastische Umbildung des Menschen nach einem andern höheren Vorbild wirken und daraus nun die S t i g m a t i s a t i o n in allen ihren Momenten und Gestalten hervorgehe . . . Im geistigen Vorbilden und im plastischen Nachbilden ist das Bewegungsorgan im Starrkrämpfe gebunden und in unbeweglicher Haltung festgestellt, während innerhalb jene vermittelnden Strömungen gehen, so daß in solcher Weise die Vision und teilweise auch die Stigmatisation in s t i l l e r E k s t a s e sich erwirken. Aber es gibt im Spiele der drei Gliederungen einer Persönlichkeit noch einen anderen Wechself a l l . . . Die Bindung des Organs, die in jenem anderen Verhältnis eingetreten, wird jetzt aufgehoben; die bewegenden Strömungen, nicht länger mehr angehalten, gehen nun wieder, und zwar voller und reicher, in ihren gewiesenen Bahnen dahin, die Bewegungen, ihrer Hemmnisse entledigt und von einer übernatürlich gehöhten Willensmacht gelenkt, werden daher gleichfalls sich über alle natürlichen Verhältnisse hinaus gestärkt und gekräftigt finden, und so wird die b e w e g l i c h e E k s t a s e jetzt an die Stelle der stillen treten. 226

a) D e r m y s t i s c h e

Stationenweg.

Alle bewegliche Ekstase drückt, wie sich leicht erkennt, im Gebiete der Gnade das aus, was das Nachtwandeln im Naturgebiete vorstellt. Wie beim Wandeln im wachenden Zustande der Geist im Menschen am Steuer steht und von oben herab in Besonnenheit, je nach Zweck, in Wahl die Mittel ordnet und die Bewegungen lenkt, so ist es beim Umgehen im Schlafe das dunkle untere Leben, das für das verhüllte höhere eingetreten und nun, im Naturtrieb geleitet und in den ihm eingepflanzten Instinkten von unten herauf das Bewegungsorgan ergreifend und bestimmend, seine Bewegungen ordnet und richtet und darum auch mit der ganzen Sicherheit des Naturinstinktes sie vollbringt. In der beweglichen Ekstase aber ist der höhere Geist in den Geist des Menschen eingeschlagen, und dieser hat sich ihm auf die Dauer des Zustandes hingegeben, so daß er zu ihm in ein Verhältnis eingetreten, ähnlich dem, das zwischen ihm selbst und dem unteren Leben besteht, nur daß hier Hörigkeit auf Lebenszeit, dort aber freie Unterwerfung auf Fristen hin stattfindet. Der höhere Geist, der sich nun der Herrschaft angenommen, führt sie auf seine Weise, sie lenkend in seinen Intentionen und nach seinem Wohlgefallen, von oben herunter oder von unten herauf, bestimmend und Bewegungen wirkend, die der Wille von ihm innerlich genommen und dann äußerlich vollzogen... Es kann aber denen, die der Geist also ergriffen, kein größeres Ziel vorschweben als der Herr selbst, vollendend das Werk, weswegen er herabgekommen, auf seinem Leidensweg, und nichts Ergreifenderes mag ihrer Teilnahme sich bieten, als die Szenen dieses Leidens. Wie nun die gleichgestimmte Saite sogleich erbebt, wenn sie den verwandten Ton erklingen hört, so wird in der Rührung auch ihr Innerstes erwachen, und allen Tönen des Schmerzes wird der Widerhall aus ihm hervor mit einem Laut der Klage antworten; und wie sie nun, nicht bloß betrachtend, sondern tätig wiederholend den Hinschreitenden auf allen seinen Wegen begleiten und in freier Hingebung in der Teilnahme die Leiden auf sich übertragen, wiederholen diese sich in ihnen im Abbild und verlaufen noch einmal wie in einer lebendig produktiven Erinnerung vor den Augen der zuschauenden Menschen. Merkwürdig ist, was sich mit der J o h a n n a v o n J e s u s M a r i a in Burgos ergeben, und wird dadurch nur bedeutender, daß, während bei der Agnes nur summarisch das Vorgegangene erzählt ist, bei ihr umständliche Berichte in der Lebensbeschreibung des Francesco von Amayugo aufbehalten 15»

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sind. Johanna, die durch den Tod ihres Gatten im Jahre 1622 Witwe geworden, hatte, nachdem sie fast 60 Jahre in der Welt gelebt, im St.-Klara-Kloster zu Burgos im Jahre 1626 den Habit genommen und ihren neuen Stand mit wiederholten harten Büßungen angetreten, zugleich aber, bei der eifrigsten Erfüllung aller klösterlichen Regeln, auch alle ihre früheren Uebungen fortgesetzt. Zu diesen gehörten nun auch insbesondere jene Betrachtungen über die Leidensgeschichte, die früher schon ihr zu einem ganzen Drama sich ausgebildet, das nun aber in der Stille des Klosters sich vollends abschloß und vollendete. Die Aebtissin, die um das Geheimnis wußte, pflegte sie nun am Donnerstag abends, damit sie ungestört bleibe, in ihrer Zelle zu verschließen und öffnete diese nicht eher wieder als am Freitag abends um die fünfte oder sechste Stunde, weil Johanna dann ihre Uebung beendigt hatte. Wie behutsam sie aber immer die Sache angestellt, die Neugierde der Klosterschwestern, die, was vorgehe, bald ausgekundschaftet, hatte nicht abgelassen, bis sie Mittel gefunden, sich unvermerkt Zugang zu verschaffen, was um so eher geschehen konnte, da Johanna, während der ganzen Uebung in fortdauernder Verzückung, ihre Anwesenheit nieht bemerkte. Sie sagten in der Folge bei gerichtlicher Information das Folgende eidlich aus: wie sie, Schritt vor Schritt all ihren Bewegungen nachgehend, es gesehen. Sie pflegte ihre Betrachtungen gewöhnlich Donnerstag abends zwischen fünf und sechs Uhr mit einer Durchforschung ihres Gewissens anzufangen und dann Gott um Vergebung ihrer Vergehen zu bitten. Dann trat sie sofort im Geiste in den Saal des letzten Abendmahls, und die Schwestern, die sie sitzend in Verzückung gefunden, sahen nun, wie sie sich erhob und kniend durch die Zelle wandelte, da und dort stille haltend und den Leib, wie vor einem sitzenden Menschen, einbeugend: es war leicht zu erkennen, daß sie mit der Fußwaschung beschäftigt sei. Sie erhob sich dann, sang stehend einige Lobgesänge und fing an, sich wieder in Bewegung zu setzen, und man sah, daß sie den Herrn in den Oelgarten Gethsemani begleitete. Dort angekommen, betrachtete sie seinen harten Kampf, fühlte alle seine Angst und Trauer mit ihm; ihr Herz wollte ihr vor Leid vergehen, und äußerlich traten alle Zeichen dessen hervor, was sie innerlich fühlte. Von acht bis elf Uhr lag sie in dieser Betrachtung vertieft, zwischendurch stand sie bisweilen aufrecht und legte sich wohl auch an die Erde. Im Anfang war eine immer zunehmende Betrübnis über ihrem Angesichte ausgebreitet; ihre Augen gingen in Tränen über, die Angst wuchs, und man bemerkte, 228

wie immer zerreißender der Schmerz in ihrem Herzen wühlte. Als endlich die Gemütsbewegung aufs höchste gekommen, begann ein mächtiger Blutschweiß an ihr auszubrechen, so daß die Tropfen bis zur Erde hinabflössen. Um die elfte Stunde wendete die Erscheinung der Schar, von Judas geführt, ihre Aufmerksamkeit auf die Gefangennahme des Herrn hin. Die Schwestern sahen, wie sie vom Gebete aufstand, hin- und herging und dann mit großer Gewalt zur Erde geworfen wurde, immer aber dabei den Ausdruck freundlicher Würde in ihrem Angesichte behauptete. Die Zuschauenden urteilten, es werde hier die Verhaftung des Herrn vorgestellt, und in der Tat, sie betrachtete unterdessen den Verrat, der an ihm geübt worden, und wie sie ihn, der sich freiwillig hingegeben, unter vielen Streichen, mit Ketten gebunden, hinwegrissen. Sie folgte ihm auf dem ganzen Wege, beschaute jede blutige Fußstapfe, die er zurückgelassen, sah sein geschwollenes Antlitz und sein öfteres Niederstürzen, und die Tiefe ihres Mitgefühls gab sich dadurch an ihr zu erkennen, daß ihr Angesicht braun und blau wurde, während unter den Nägeln ihrer Hände das Blut hervordrang und an ihren Armen, zunächst bei den Händen, tiefe, blau und braun unterlaufene Striemen sich zeigten, als sei sie stark mit Stricken und Ketten gebunden. Gegen ein Uhr in der Nacht sah sie dann den Gefangenen im Palast des Hohenpriesters Annas, .barhaupt und barfuß, mit niedergeschlagenem Auge und himmlisch demütigem Angesicht, wie der Priester ihn über seine Lehre und seine Jünger fragte und dann, auf seine unsträfliche und vernünftige Antwort, einer der Knechte mit so großer Macht ihm einen Backenstreich gab, daß er zur Erde stürzte und das Blut aus seinem Munde brach. Dem zum Zeichen wurde denn auch eine ihrer Wangen so dick, schwarz und aufgeschwollen, als hätte sie den Streich empfangen. So folgte sie ihm in gleicher Weise zu Kaiphas, durch alle Mißhandlungen hindurch, die er erfahren, sah mit Schrecken die Verleugnung des Apostels und blieb dann die übrige Zeit der Nacht in einer Ecke der Zelle in solcher Stellung, daß es schien, als sei sie wahrhaftig gefangen und eingesperrt. Am Freitag, von morgens früh vier Uhr an, ging Johanna durch ihre Zelle, so geschwind und eilfertig von einem Ort zum andern, daß man nicht verkennen konnte, sie gehe von Pilatus zu Herodes, von einem Richterstuhl zum andern. Das Urteil der Geißelung, das der erste ausgesprochen, machte ihrem Herzen große Angst und Beschwer. Sie sah nun im Geiste, wie die Schergen mit Haufen hinabgingen in den Vorhof des Richthauses, wo das Volk in großer Menge versammelt 229

war, und dem Herrn befahlen, die Kleider abzulegen, auch selbst bald Zugriffen und ihm die Gewänder abrissen. Gegen acht Uhr sah man die Geißelung an ihr geschehen; sie stand mitten in ihrer Zelle, ihr Angesicht war so bleich und verfallen wie eines toten Menschen; sie legte ihre Hände kreuzweise übereinander und krümmte den Leib, als würde sie an eine niedrige Säule gebunden. Auf diese Weise stand sie eine lange Zeit; ihr Angesicht aber, das im Anfange bleich und todfarbig war, bekam jetzt eine unreine, betrübte und erbärmliche Gestalt, so daß an ihrer Pein und Betrübnis die Schwestern wohl erkannten, daß die Geißelung ihre Seele beschäftige. Um die neunte Stunde war sie bei der Dornenkrönung angelangt, dabei erwägend den alten auf die Erde gelegten Fluch, daß sie dem gefallenen Menschen Distel und Dornen trage, wie er nun auch an dem Schuldlosen sich bewähre. Sie war am Ende der Geißelung wie ohnmächtig zur Erde niedergefallen; jetzt stand sie langsam und zitternd wieder auf, setzte sich auf die Erde, schloß ihre Augen, schlug die Arme kreuzweise übereinander, und nun begannen von ihrem Haupte viele Bächlein Blutes herabzurinnen. Es schien auch, als würden ihr dabei viele Schläge und Backenstreiche gegeben, denn nach Aussage der Schwestern ward ihr Angesicht, das früher weißfarbig gewesen, alsdann so blutig und aufgeschwollen, daß es ein Grausen war anzusehen, woraus sie dann verstanden, daß sie jetzt ein Nachbild der Krönung sei. Von der zehnten bis zur zwölften Stunde folgte sie ihrem Geliebten und ging mit ihm und allem Volke den traurigen Weg des Kreuzes, mit großen Schmerzen, die noch verdoppelt wurden durch den Anblick der tiefen Traurigkeit der Jungfrau, die den Kommenden erwartet hatte. Sie hatte im Beginn dieser Betrachtung ein eisernes Kreuz, 33 Pfund schwer, das noch im Kloster verwahrt wird, von der Wand genommen, legte es nun auf ihre Schultern und ging damit auf den Knien durch die Zelle. Wie sie auf diesem Wege der harrenden Jungfrau begegnete, stand sie eine Weile unbeweglich still, und man hörte sie zu der Trauernden so zarte, liebreiche Worte reden, daß den Zuhörern das Herz überging. Nachdem sie endlich Abschied genommen, ging sie wieder im Leidenswege fort und blieb dann von zwölf bis ein Uhr am Mittag in der Betrachtung der Kreuzigung. Sie hatte nun das eiserne Kreuz weggelegt und ein hölzernes genommen, das zu ihrem Vorhaben nach ihrem Maße gemacht war. Das legte sie sofort an die Erde, ließ sich dann nieder und streckte ihren Leib darüber aus, und es schien auch nicht anders, als würde sie in der Tat und wahrhaftig an das Kreuz genagelt. Nachdem eine 230

kleine Weile vergangen, sahen die Schwestern, wie das Kreuz mit der daran Befestigten in die Höhe erhoben ward und also wunderbar in der Luft stand, daß es die Erde nicht berührte. Johanna, also gekreuzigt, vergoß ganze Ströme von Blut, sowohl aus dem Haupte als aus den Wunden der Hände und Füße und der Seite. Von der Höhe sah sie unterdessen auf die Mutter hinab und gewahrte, wie sie mit ihrem Sohne in unaussprechlichen Schmerzen innerlich gekreuzigt war und alles unsichtbar fühlte, was er sichtbarlich litt. Die Schwestern hörten sie darauf Gott für alle ihr Anbefohlene, Lebendige wie Tote, anrufen; dann gegen die dritte Stunde laut und mit beweglicher Stimme klagen: Mein Gott! Mein Gott! Warum hast du mich verlassen?, und bald darauf den Mund und das ganze Angesicht verziehen, als hätte sie einen gallenbittern Trank gekostet. Sie ging nun in die tiefste und schmerzlichste Todesbetrachtung über und betete, daß mit dem Leben des Herrn auch das ihre enden möge. Als darüber die Zeit herangekommen, daß er seinen Geist in die Hände des Vaters befohlen, befahl auch sie den ihrigen; und nachdem sie mit lauter Stimme das: Es ist vollbracht! ausgerufen, schien sie mit hängendem Haupte tot vor Schmerz und ohne Macht Atem zu holen. Sie fiel nun vom Kreuze herunter auf die Erde; das Kreuz aber blieb in der Luft fest und aufrecht hängen. Nach einiger Zeit richtete sie sich wieder auf die Knie, nahm ihren Schleier und, gegen das Kreuz gewendet, schien sie ihn jemand hinzureichen, um etwas hineinzuschlagen, und die Schwestern verstanden, daß sie ihn der Jungfrau dargeboten, um den Leichnam ihres Sohnes dareinzuhüllen. Während dies geschah, blieb sie fortdauernd in sich versammelt, weinte bitterlich und redete zu der Jungfrau gar zärtliche und liebreiche Worte. Das dauerte also bis zur fünften oder sechsten Stunde am Abend; dann kam sie wieder zu sich, und die Aebtissin pflegte nun zurückzukehren, ließ das Blut aufwischen, das Johanna vergossen, und alles lenkte wieder in die Geleise des gewöhnlichen Lebens ein. Während des ganzen Vorganges waren die Schwestern erstaunt über die absonderliche Ehrbarkeit und den Anstand, die sie bei allen diesen vielfältigen Stellungen und Bewegungen bewahrte, während bei jedem Schritte ihre Gebeine einen weithin vernehmbaren Laut von sich gaben. Im Verlaufe der ganzen Uebung standen immer zwei Lichter auf ihrem Altare angezündet; einst hatte die Aebtissin samt andern Schwestern diese ausgelöscht, und sie waren dann nach Abschluß der Türe davongegangen; als sie aber hernach wieder kamen, fanden sie die Lichter wieder brennend. Sie pflegte auch nach Beendigung der Betrachtungen, ungeachtet des 231

großen Blutverlustes, noch in derselben Nacht die Mette zu besuchen.81 Etwa zwanzig Jahre lang ist dies fremde Wunder also fortgegangen und hat in jeder Woche immer aufs neue sich wiederholt. Schon unter dem 10. November des Jahres 1617 hat der öffentliche Notar von Burgos, Didac del Rio Estrada, ein förmliches Instrument darüber ausgestellt, in dem er, nachdem die Discalceaten ihn dazu förmlich aufgefordert, Zeugnis gibt über das, was er bei ihr gesehen. Er erzählt im Eingang die dreimal wiederholte Aufforderung, nennt dann Straße, Haus und Zimmer, wo er Johanna getroffen, und führt alle Zeugen, die er dort vorgefunden oder selber mitgebracht, ausführlich mit ihren Namen und Würden auf. Er berichtet dann unter anderm, daß er Freitag morgens zwischen 9—10, zur Stunde also, wo die Dornenkrönung statthatte, zu wiederholten Malen gesehen, wie aus dem Innern der Augen allmählich durch die Augenwinkel eine gute Masse Bluts herausgelaufen, dessen ein Teil, in kleinen Tropfen wie Tau, in die Wimpern sich gehängt und dann in größeren auf ihr Angesicht gefallen. Aus Mund und Nase sei dann ebenfalls viel Blut herausgelaufen, also daß ihr Halstuch davon benetzt worden, doch sei es, weil mit Speichel und Schleim verwischt, nicht so rot wie das andere gewesen. Darauf habe sie auf ihre Knie sich gesetzt, sei eine Weile in dieser Stellung geblieben und habe nach und nach vier ehrerbietige Neigungen ihres Leibes gemacht, worauf sie dann fortkniend einige Schritte bis zum Fuße eines dort stehenden Kreuzes hingegangen, wobei die Hirnschale gar hart erkracht. Darauf habe sie das Kreuz auf ihre Schultern genommen und es, immer kniend, durch das Zimmer getragen, in diesen Stationen bis ein Viertel nach der zwölften Stunde verharrend. Dann sei sie in eine Ohnmacht gefallen, die bis drei Uhr gewährt; und nun habe sie klagend das Kreuz mit ihren Händen genommen und es von der Wand gesondert. Das Kreuz sei darauf in der Luft ohne einige Anhaltnis geblieben, und sie habe es auch mit ihren Knien nicht gehalten. Damit das besser gesehen würde, habe einer der Anwesenden mit einem Licht geleuchtet, und er habe sich überzeugt, daß das Kreuz allein mit dem untersten Ende auf der Erde aufgesessen und sonst ungehalten aufrecht gestanden, solchergestalt, daß es ein Wunder gewesen. Zwischen drei und vier Uhr sei sie darauf, an diesem Kreuze angeheftet, verzuckt geblieben; ihr Beichtvater habe mehrmal auf sie geblasen, worauf sie mit ihrem Kreuze sich bewegt und in der Luft geschwebt, gleich dem Blatte eines Baumes, das der Wind angeblasen. Später habe sie, an eine Seite des Kreuzes, sich auf 232

die Erde gelegt und wie in großer Klage mit dem Angesicht auf die rechte Hand gestützt; er sei darauf näher hinzugetreten, um zu sehen, was sie vornehme, und er habe, als sie sich aufgerichtet, ihr Angesicht ganz rein gefunden, frei vom Blute, das ihr früher aus den Augen und dem Munde gelaufen, nur am rechten Nasenloch sei ein wenig zurückgeblieben. Als sie darauf wieder in Verzückung eingetreten, hätten dann alle gesehen, wie ihr Angesicht sehr scheinend geworden, so daß man diesen Glanz an der Türe des Zimmers hätte sehen können. Darüber sei halb fünf am Abend herbeigekommen; sie habe darauf bis etwa fünf Uhr ohne Kreuz dieselben Gänge wiederholt, die sie am Morgen mit ihm gemacht; darauf seien vier tiefe Beugungen gefolgt, und sie sei dann zwischen 5—6 wieder zu sich gekommen, und schmerzlich seufzend habe sie gesagt: Ach, mein Jesu!, und das seien die einzigen Worte gewesen, die sie seit der Frühe geredet; sondern was die Zuschauer gehört, sei nur Jammer und Klage gewesen; auch habe sie, wenn man ihr zugerufen oder sie berührt und ihr den Puls gefühlt, all diese Zeit über kein Zeichen einer Empfindung von sich gegeben." Dem, was ehrenhafte Männer über diese Folge von Erscheinungen uns aufbehalten, glaube ich hier noch das beifügen zu müssen, was der Augenschein mich selbst darüber gelehrt: nicht etwa, um dies ihr Zeugnis durch das meinige zu beglaubigen, sondern einmal, weil es mir unangemessen scheint, von Dingen derart, die ehemals sich begeben, zu reden und diejenigen, die noch jetzt sich ereignen, mit Stillschweigen zu übergehen; und dann, um an diesem Beispiele neuerdings zu zeigen, daß dieser Akt, als ein allgemein historischer zu allen Zeiten wiederkehrend, immer derselbe und doch in jedem Individuum ein anderer sich gestaltet. Es ist die M a r i a v o n M o r l in Kaltem im südlichen Tirol, die mir dazu die Veranlassung gibt, und ich werde zuerst die allmähliche Entwicklung ihres Zustandes durch ihren Lebensgang verfolgen, nach den Erkundigungen, die ich bei den allerglaubhaftesten Leuten, die sie von Jugend auf gekannt, eingezogen*), und dann zuletzt *) Ich nenne darunter P. Capistran, ihren Beichtvater, so gewissenhaft in seinen Aussagen, daS, wenn ihm auch nur irgend ein geringfügiger Umstand, nicht ganz der Wahrheit gemäfi, in der Rede entschlüpft, er nicht fortfährt, ehe er sich berichtigt hat; der Herr Eberle, Probst an der Hauptkirche in Bozen, früher ihr Pfarrer; Herr Doktor Marchesani in Bozen, der sie durch viele Jahre behandelte; Herr von Giovanelli, Merkantilkanzler in Bozen, der sie von Kindheit auf gekannt und den ganz Tirol seinerseits wieder kennt; Frau von Jasser, die Wohltäterin des Hauses, und so ehrenhaft und zuverlässig wie die früher Genannten.

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hinzufügen, wie ich sie gefunden und was ich an ihr gesehen und welchen Eindruck sie mir gemacht. Maria war am 16. Oktober im Jahre 1812 geboren, und von ihrer sehr verständigen und frommen Mutter wohl erzogen, half sie ihr, die einen schweren Hausstand mit großer Tüchtigkeit führte, als sie einigermaßen herangewachsen, mit Eifer und Geschick. Sie hatte sich von ihrer frühesten Jugend her immer als ein gutes Kind erwiesen, stand aufs beste mit ihren Schulgenossen, teilte gern mit ihnen, was sie hatte, und half ihnen, wo sie konnte. Sie hatte gute Geistesanlagen, ohne eigentlich geistreich zu sein; auch waren keine Zeichen einer besonders lebhaften Einbildungskraft an ihr zu bemerken, noch auch tat sie etwas, was die ja vorhandene hätte steigern und nähren können, wie sie denn auch, so früher wie späterhin, nur wenige Bücher gelesen. Was sie aber auszeichnete, war große Verständigkeit und Geschicklichkeit in allen Verrichtungen, dabei eine liebreiche Gutmütigkeit, die sich besonders gegen die Armen äußerte, und ein seltener Eifer im Gebete, dem sie sich oft und viel in der ihrem elterlichen Hause naheliegenden Kirche der Franziskaner hingab. Ihrer körperlichen Anlage nach venöser Natur, hatte sie frühe schon mit allen den Uebeln zu kämpfen, die aus einer solchen Anlage hervorzugehen pflegen. Schon in ihrem fünften Jahre wurde sie von Hämorrhagien befallen und verlor häufig Blut aus Magen und Eingeweiden. Seitdem kränkelte sie oft und viel. Eine körperliche Mißhandlung, die sie in ihrem neunten oder zehnten Jahre erfahren, äußerte ihre nachteiligen Folgen gleichfalls in dieser Richtung; es zeigte sich wieder häufiger Blutauswurf mit heftiger, beinahe asthmatischer Brustbeklemmung; und es bildete sich in der linken Seite ein Schmerz aus, der wahrscheinlich in einer Anschoppung in der Milz seinen Ursprung hatte und der sie bis zu dieser Stunde nicht verlassen hat. Ungeachtet sehr viele und darunter sehr geschickte Aerzte sie behandelten, wurde doch das Uebel im Verlauf der Jahre immer schlimmer. Alle angewendeten Mittel wollten keine Hilfe bringen; sie fand sich mehrmals am Rande des Grabes, und man hatte mehr als einmal sie als dem Tode verfallen aufgegeben; sie genas aber immer wieder zu leidlicher Gesundheit, ohne daß der Keim des Uebels erstickt worden wäre. Sie wurde dadurch nur noch ernster gestimmt und religiöser, als sie zuvor gewesen, und gab noch eifriger ihren Andachtsübungen sich hin. Seit ihrem 13. Jahre wurde P. Capistran, ein frommer, wackerer, durch Leiden vielgeprüfter Mann, ihr Beichtvater und zugleich eine Stütze ihrer Familie, der treue Rat ihrer 234

Mutter und ein Helfer in den vielfältigen Nöten, wie sie ein rückgängiger Haushalt bei einer zahlreichen Familie herbeizuführen pflegt. Da Maria sich um diese Zeit wieder in etwas erholt, sandte man sie über das Gebirge nach Cles im Nonsberg hinüber, damit sie dort das Italienische erlerne. Sie blieb dreiviertel Jahre jenseits und besuchte während dem Verlaufe dieser Zeit nur einmal wieder ihr väterliches Haus. Als sie damals, nach dem Nonsberg zurückkehrend, von der Mutter, die sie zum letzten Male sehen sollte, Abschied nahm, ging, wie sie später selbst erzählte, ein schneidender Schmerz durch ihre Seele, und sie glaubte, daß es ihr unmöglich sei, sich von ihr zu trennen. Es scheint dies die erste Aeußerung eines Ahnungsvermögens gewesen zu sein, das sich nun in ihr zu entwickeln begann und das sich schon bestimmter aussprach, als nach einiger Zeit die Mutter 1827 wirklich starb und Maria nun, was jedoch nicht mit aller Sicherheit ermittelt ist, jenseits ihre Todesstunde angab. Neun unerzogene Kinder, wovon das jüngste erst zehn Tage alt war, blieben nun dem Vater, der außerstande war, dem Haushalt vorzustehen, zurück; und so mußte denn Maria heimkehren und die Last auf ihre Schultern nehmen. Sie tat es mit Freudigkeit, unterzog sich allem mit Eifer und Geschick, wurde dadurch nur noch ernster und in sich gekehrter und nahm noch öfter denn bisher ihre Zuflucht zu Religion und Kirche. Denn sie hatte einen harten Stand, und es lastete schwer auf ihr. Innerlich nagte das Leid um ihre Mutter, das so tief bei ihr eingefressen, daß man sie noch drei Jahre nach dem Tode derselben darum jammern hörte, eine Klage, die sich später, beim weiteren Fortschritt auf ihrer Bahn, nachdem alles Irdische allmählich von ihr abgefallen, wieder beruhigte. Aeußerlich mehrten sich mehr und mehr die Sorgen; wachsende Not, Verdruß und Kummer bedrängten sie stärker und stärker, so daß sie zuletzt ihre Kräfte überwältigten und sie nun zusammenbrach. Sie erkrankte in ihrem 18. Jahre aufs heftigste, Krämpfe aller Art durchzuckten ihren geschwächten Körper, Konvulsionen erschütterten ihre Glieder, und die Blutungen traten wieder häufig ein. Als der Arzt zu ihr kam, war es der 29. Tag, daß sie nichts gegessen und nur mit einigen Gläsern Limonade das Leben sich gefristet hatte. Er tat das dabei Uebliche in Arzneien, ließ ihr Opium einreiben und verordnete sonst, was ihr taugte. Sie fühlte sich schnell dadurch erleichtert, die Krämpfe ließen nach, und die tieferschütterte Natur beruhigte sich allmählich wieder. Inzwischen wollte es nicht zur völligen Gesundheit gedeihen; der Schmerz in der Seite hörte nicht auf, und sie siechte fortdauernd. Ein Jahr oder mehr war darüber hingegangen; da befragte sie eines Tages 235

den Arzt, ob er ihre völlige Wiederherstellung für möglich halte. Und da dieser erwiderte, er könne ihr keine Heilung, sondern bei wiederholten Anfällen bloß Linderung der Schmerzen zusagen, entgegnete sie mit festem Entschlüsse: daß, wenn sie nicht geheilt werden könne, sie auch der'Linderung nicht bedürfe, indem sie bereit sei, alles Leiden, so Gott ihr zusende, mit Freuden auf sich zu nehmen. Dieser Entschluß ging wahrscheinlich, außer ihrer völligen Ergebung in die göttliche Fügung, auch aus dem Wunsche hervor, ihrem Vater bei seinen zerrütteten Vermögensumständen nicht durch die Bezahlung ärztlicher Hilfe zur Last zu fallen. Es geschah, wie sie gewollt, und sie zeigte sich fortan unter anhaltenden großen Leiden als ein Muster heldenmütiger Ergebung. So waren ihre äußeren Führungen; ihre inneren sind, wie natürlich, weniger bekannt geworden. Den körperlichen Prüfungen hatten auch geistige mancherlei Art sich beigesellt, und wie sie mehr auf ihren innerlichen Wegen vorwärtsschritt, meldeten sich auch in gewöhnlicher Weise Versuchungen, von denen, merkwürdig und zum Teil handgreiflich, wie sie sind, an einem anderen Orte die Rede sein soll. Ihre einzige Arznei in allen ihren Fährlichkeiten war, wie schon früher, der häufige Empfang des Altarssakramentes. Sie machte in dieser Weise vom Jahre 1830 bis 1832 schnelle, obgleich stufenweise vorgehende Fortschritte auf ihren Wegen, ohne daß jedoch äußerlich irgendeine ungewöhnliche Erscheinung an ihr bemerkt worden wäre. Nach Verlauf dieser Zeit jedoch, als sie ihr 20. Jahr erreicht, gewahrte ihr Beichtvater, daß sie zu gewissen Zeiten auf Fragen, die er an sie richtete, keine Antwort gab und nicht bei sich zu sein schien. Als er die, so um sie waren, deswegen befragte, erwiderten diese: das geschehe ihr jetzt jedesmal, so oft sie zur heiligen Kommunion gegangen. Das hatte ihn zuerst aufmerksam gemacht und, da er zuvor mit allen anderen das, was sich an ihr zeigte, für die Folgen einer gewöhnlichen Krankheit genommen, zuerst den Gedanken in ihm geweckt, daß wohl noch ein anderes dabei obwalten möge. Das bestätigte sich bald, als im Verlauf der Zeit die Erscheinungen an ihr sich steigerten und bestimmter ausprägten. Es fügte sich daher noch im Verlaufe desselben Jahres, daß P. Capistran zum vollen Verständnis kam, welche Bewandtnis es um diese ihre Zustände habe. Die Prozession des Fronleichnamstages wurde, wie überall so auch in Kaltem, mit großer Feierlichkeit abgehalten; Böller wurden abgefeuert, die Musik zog auf, und aller Lärm und alle Bewegung ging unter den Fenstern der Leidenden vorüber. Rauschende Musik aber hatte von je üble Wirkung auf sie gehabt, und die heftigsten 236

Krämpfe hatten wohl schon beim Schalle einer einzelnen Violine oder auch eines Glasinstrumentes sie befallen. Der Beichtvater, selbst mit der Feier beschäftigt, wollte sich darum einen freien Tag bereiten, ihr selber aber die Störung und Aufregung ersparen; und da er nun schon wußte, daß sie jedesmal nach Empfang des Sakramentes sechs bis acht und mehr Stunden in Ekstase bleibe, hielt er es für ratsam, .sie mit Tagesanbruch zu speisen, um sie dann für den ganzen Tag beruhigt zu haben. Er ging daher in der Morgenfrühe um 3 Uhr hinüber, reichte ihr das Sakrament, und sie wurde ohne Verzug ekstatisch. Er überließ sie nun sich selbst, kam am Tage seinen Geschäften nach, und da er auch am folgenden Tage verhindert war, ging er erst nachmittags um 3 Uhr zu ihr hinüber und fand sie noch kniend in derselben Stellung, wie er sie vor 36 Stunden verlassen hatte. Als er, darüber verwundert, sich im Hause befragte, erfuhr er, daß sie immerfort in ihrer Andacht geblieben. Man achtete im Hause überhaupt nur wenig auf sie, überließ sie ihren Zuständen und ihren Gebeten, ohne viel auf sie zu sehen, und sie mußte, wenn sie etwas bedurfte, die Leute erst errufen, um ihr Bedürfnis zu befriedigen. Der Beichtvater begriff nun erst, wie tief die Ekstase schon bei ihr gewurzelt, wie sie ihr gleichsam zur andern Natur geworden und sie fortdauernd in ihr beharren würde, wenn er ihr nicht dadurch, daß er sie wieder zu sich selber rief, Grenzen setze. Er übernahm nun die Regulierung des Zustandes, indem er sie in der Macht des Gehorsams, zu dem sie durch ein förmliches Gelübde als Tertiarierin sich verpflichtet, in bestimmter Ordnung wieder zu sich brachte. Mit der Ekstase bildete sich auch ihr inneres Sehvermögen schärfer und schärfer aus, und man machte darüber mancherlei Erfahrungen. Als sie einst, wieder hart erkrankt, versehen wurde, hatten sich nach Gewohnheit die dem Priester begegnenden Leute ihm angeschlossen, und ihr Zimmer war mit ihnen angefüllt. Auf einem Tische unfern ihres Bettes stand eine kleine silberne Schale, bei dieser Gelegenheit mit Weihwasser gefüllt, auf die sie, als ein Vermächtnis ihrer Mutter oder weil es ihr sonst ein liebes Angedenken war, einen großen Wert legte. Sie nahm das Sakrament und kam nach gewöhnlicher Weise in Ekstase; als sie wieder zu sich gekommen, hatten die Leute sich verlaufen, aber die Schale fehlte. Sie hatte großes Leid darum und klagte bald auch ihrem Beichtvater den Verlust, der sie betroffen. Dieser tröstete sie, so gut er konnte, und riet ihr, um die Wiedererlangung zu beten. Sie fand das gut geraten, und ihr Gebet blieb nicht ohne Erfolg. Als sie das nächstemal aus ihrer Verzückung wieder zu sich 237

gekommen, sagte sie freudig: Ich werde die Schale wieder erhalten. Auf Befragen, ob sie den kenne, der sie genommen, erwiderte sie: Allerdings, aber ich habe zu Gott gebeten, daß er sein Gewissen rühre, damit er das Geraubte wiedergebe, ohne daß ihm eine Beschämung deswegen werde. Es geschah, wie sie gesagt; etwa acht Tage später fand man die Schale in der Küche unter anderem Geräte versteckt. Ein andermal warnte sie ihre Umgebung, man möge an der Decke ihres Zimmers nachsehen, weil von dort eine große Gefahr drohe. Man achtete anfangs nicht darauf; da sie aber wiederholt und immer dringender warnte, ließ man durch Handwerksleute Untersuchung halten, und es entdeckte sich, daß, da einer der Balken gänzlich angefault, der Decke naher Einsturz gedroht, ja, daß es zu verwundern, daß dieser nicht schon längst erfolgt. Die Sache stand auf diesem Punkte mit ihr, als sich in der zweiten Hälfte des Jahres 1833 ein sonderbares Ereignis u m sie her ergab. Der Ruf von ihrem Zustande und ihrem ekstatischen Gebete hatte sich schnell durch Tirol ausgebreitet, und mit einem Male und beinah gleichzeitig allerorten hatte eine allgemeine Bewegung das Volk ergriffen, und alles stürzte in Masse herzu, um eine Erscheinung mit Augen zu sehen, von der man wohl in den Legenden gelesen, die man aber in der Wirklichkeit zu finden längst aufgegeben hatte. Mit Kreuz und Fahnen machten sich daher die Gemeinden nacheinander auf und wallfahrteten nach Kaltem, und der Zulauf wurde ungeheuer. Vom Ende des Monats Julius bis zum 15. September jenes Jahres mögen wohl 40000 Menschen und darüber, aus allen Ständen, sich zu ihr hingedrängt haben, um die für die Außenwelt bei scheinbar geöffneten Sinnen völlig Verschlossene und bloß innerlich Betende und Betrachtende zu sehen und sich an dem unbeschreiblichen und ergreifenden Anblicke zu erbauen. Niemand wußte den plötzlichen Andrang sich zu erklären; der Klerus, der wohl eher dergleichen ungewöhnliche Erscheinungen, und zum Teil mit Recht, scheut, hatte ihn keineswegs veranlaßt; es wollte eher den Anschein gewinnen, als habe derselbe Geist, der in der Ekstatischen gewirkt, auch die Massen angeregt und hingetrieben, um sie zu Zeugen dieser seiner Wirksamkeit zu machen. Auch ging alles in bester Ordnung vor sich, ohne irgendeinen Exzeß, die sieben Wochen hindurch, die das Fluten und Zuströmen dauerte, obgleich sich an manchem Tage gegen 3000 Menschen in das enge Zimmer gedrängt hatten, in welchem höchstens 40 bis 50 zu gleicher Zeit Raum fanden. Weltliche und geistliche Obrigkeit wünschten indessen, den Zulauf aufzuheben; die Polizei hatte auch ihre in solchen Fällen gewöhnlichen Aengste, und das Volk 238

wurde belehrt, daß man in einer bestimmten Zeitfrist niemand mehr zulassen werde. Die Kunde davon verbreitete sich bald über das ganze Land, und der Andrang hörte auf ohne Murren und Unzufriedenheit; aber die Pfarrer hatten noch lange nachher die guten Folgen des Eindrucks zu rühmen, den die Erscheinung im Gemüte des Volkes zurückgelassen. Im Spätherbste desselben Jahres kam der verstorbene Fürstbischof von Trient nach Kaltem, stellte eine Untersuchung an und vernahm mehrere Zeugen unter dem Eide. Das Resultat der Untersuchung und die Zeugenaussagen wurden nicht bekanntgemacht, weil die Sache natürlich noch nicht zu einem Endurteil reif erschien. Der Fürstbischof wollte vorderhand bloß einen festen Anhaltspunkt gewinnen, um sich gegen die Regierung, die schädlichen Aberglauben und vielleicht gar frommen Betrug oder einfältige Selbsttäuschung vermutete, erklären zu können. Seine Aeußerung beschränkte sich auf den einfachen Ausspruch: die Krankheit der Maria von Morl sei allerdings keine Heiligkeit, allein ihre bewährte Frömmigkeit sei auch keine Krankheit. Seitdem wurden die früheren polizeilichen Einschreitungen und Hudeleien sehr gemildert. All jener Lärm war an der Ekstatischen vorübergegangen, ohne sie anders als ganz zuletzt, und zwar zu ihrer großen Bestürzung, berührt zu haben; und so hatte ihr immer mehr zureifendes Innere in der Stille sich fortentwickelt. Die Stigmatisation war in ihr eingetreten, und es war dabei ebenso einfach wie bei allem andern zugegangen. Schon im Herbste desselben Jahres 1833 hatte ihr Beichtvater zufällig bemerkt, daß die Orte in Mitte der Hände, wo die Male später erschienen, sich zu vertiefen begannen, wie wenn es der Ausdruck eines halb erhabenen Körpers wäre; zugleich schmerzten jene Stellen, und es zeigten sich häufige Krämpfe um dieselben her. Das brachte ihn schon damals auf die Vermutung, daß es zur Stigmatisation kommen werde, und es erging, wie er vermutet hatte. Zu Lichtmeß, am 4. Februar des Jahres 1834, fand er sie mit einem Tuche, mit dem sie von Zeit zu Zeit, kindisch erschrocken, wie es schien, sich die Hände wischte. Da er Blut daran bemerkte, fragte er sie, was dies zu bedeuten habe. Und sie erwiderte: Sie selber wisse nicht recht, was ihr widerfahren; sie müsse sich wohl blutrünstig gerissen haben. Es waren aber die Male, die von da an bleibend in den Händen sich befestigten, bald auch an den Füßen sich zeigten und denen sich zugleich auch die Seitenwunde beigesellt. So einfach ist die Weise, in der P. Capistran sie behandelt, und so wenig auf Wundersüchtigkeit gestellt, daß er sie nicht einmal fragte, welcher innerliche Vorgang etwa eingetreten und zunächst den Anstoß zum 239

Erscheinen dieser Male gegeben. Sie zeigten sich beinahe rund, einigermaßen ins Ablonge gezogen, etwa drei bis vier Linien im Durchmesser, beiden Händen und Füßen, oben wie unten, ansitzend; die Gestalt der Seitenwunde, nur von ihrer ganz vertrauten Freundin gesehen, war nicht zu bestimmen. Am Donnerstag abends und am Freitag drang meistens helles Blut in Tropfen aus ihnen allen hervor; an den übrigen Tagen deckte eine vertrocknete Blutkruste die Wunde, ohne daß die geringste Entzündung oder Geschwulst oder auch, neben dem getrockneten Blute, die mindeste Spur einer Lymphe zu finden wäre. Sie verbarg die Sache, wie gewöhnlich alles, was ihren innern Zustand verraten konnte, aufs sorgfältigste. Aber da, nachdem 1833 bei Gelegenheit einer feierlichen Prozession die jubilierende Ekstase an ihr hervorgetreten, diese eines Tages in Gegenwart mehrerer Zeugen wiederkehrte und sie nun, einem verklärten Engel gleich, mit den äußersten Fußspitzen das Bett kaum berührend, blühend wie eine Rose, mit kreuzweise ausgestreckten Armen im freudigsten Affekte stand, wurden die Male den Anwesenden in den Handflächen sichtbar, und die Sache ließ sich nun nicht länger mehr verbergen. Ihre Gesundheit war dabei leidlich geblieben; nur im Herbste des Jahres 1834 wurde sie wieder krank und litt außerordentlich an schmerzhaften Konvulsionen; das Leiden dauerte mehrere Wochen; seit den Weihnachtsfeiertagen, oder eigentlich seit dem Tage der unbefleckten Empfängnis, wurde sie indessen wieder frisch und wohlaussehend und erhielt sich in diesem Zustande das ganze folgende Frühjahr und den Sommer hindurch. Im Herbste desselben Jahres, als ich das südliche Tirol besuchte, sah ich sie zu wiederholten Malen. Kaltem, ihr Geburtsort, liegt in reizender Umgebung. Auf dem rechten Ufer der Etsch, von der Einmündung der Eisack an, erhebt sich ein zwei bis drei Stunden weit sich hinziehendes, schön geformtes, mäßig hohes Mittelgebirge, dessen Wurzeln mit denen des höheren Zuges, der das Etschtal vom Nonsberg scheidet, sich verflechten und zwischen sich eine Einsattlung fassen, die in ziemlicher Breite sich 300 bis 400 Fuß über die Wasserfläche der Etsch erhebt. In Mitte derselben ist diese wieder wie in einen Krater ausgetieft, aus dessen Grunde der helle Spiegel eines kleinen Sees hinaufleuchtet, allum von einem grünen Rebenkranz umfaßt, von dem aus Kaltem mit seinen durchgängig altertümlichen Steinhäusern in leichtem Ansteigen sich erhebt, seinerseits wieder umgeben von seinen lachenden fruchtbaren Marken und von vielen andern Orten, alten Burgen, Kalvarienbergen und weiter Fernsicht auf die Schnee240

alpen hinauf und durch die nackten oder wäldergekrönten Bergeshäupter ins Etschtal gegen Trient hinunter. Eines dieser Steinhäuser, ganz noch so wie es etwa das 15. oder 16. Jahrhundert erbaut, ist ihr väterliches Haus; dort liegt sie in sauber geweißtem Zimmer, in anständiger Umgebung, auf harter Matratze, aber in immer reinlich gehaltener Leinwand, zur Seite des Bettes ein kleiner Hausaltar aufgestellt, hinter ihr an den Fensterpfeilern einige Bilder aufgehängt, zu denen sie besondere Andacht hat; die Fenster nach Landesart zur Abhaltung des allzu grellen Lichtes und zur Erfrischung der Luft bei der Hitze des Klimas mit Jalousien geschlossen. Sie selbst ist mittlerer Größe, in allen Gliedern zart gebaut, ganz nach Art des jenseitigen deutschen Volkes, das aus verschiedenen nach und nach einwandernden Stämmen sich gemischt, in dem aber, wenigstens in dortiger Gegend, das rheinisch-fränkische Blut vorzuherrschen scheint, wahrscheinlich durch die Kolonien, die die deutschen Kaiser von dort aus in jenem wichtigen Passe nach Welschland angesiedelt. Infolge der sparsamen Nahrung, die sie zu sich nimmt — von Zeit zu Zeit, wenn sie das Bedürfnis dazu fühlt oder der Beichtvater es gebietet, einige Traubenbeeren, irgendein anderes Obst, auch wohl etwas Brotkrume und dergleichen, was sich eben vorfindet — ist sie natürlich abgemagert, doch nicht mehr, als es sich oft genug bei anderen findet, die ein gewöhnliches Leben führen; ihr Gesicht hatte sogar damals eine gewisse Fülle, die jedoch je nach ihrem Zustande ziemlichem Wechsel sich unterworfen findet. Als ich das erstemal zu ihr kam, fand ich sie in der Stellung, in der sie sich den größeren Teil des Tages befindet: kniend im unteren Teile ihres Bettes und in der Ekstase. Die Hände mit den sichtbaren Malen waren vor der Brust gefaltet, das Angesicht gegen die Kirche hingewendet und etwas nach aufwärts erhoben, der Blick der Augen mit dem Ausdruck der tiefsten Absorbtion in die Höhe gerichtet, bei völlig geschlossenen Sinnen durch nichts von außen störbar; keine Bewegung an der knienden Gestalt stundenlang bemerkbar, außer ein leicht in der Brust spielendes Atemholen und bisweilen ein ebenso leichtes Schlucken, manchmal auch ein kleines oszillierendes Wanken: ein Anblick, keinem andern vergleichbar als von ferne dem, den die Engel Gottes geben mögen, wenn sie in Betrachtung seiner Herrlichkeit versunken vor seinem Throne knien. Kein Wunder, daß die Gestalt von der allerergreifendsten Wirkung auf jeden Beschauenden ist, selbst die rohesten Gemüter ihm nicht zu widerstehen vermögen und Tränen der freudigsten Ueberraschung und Erhebung um sie her in Menge fließen. Sie beschäftigt sich in diesen Ekstasen jetzt ins GSrres-Mystik

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vierte Jahr hinein, nach der Aussage ihrer Gewissensräte wie ihres Pfarrers, mit einer fortlaufenden inneren Anschauung des Lebens und Leidens Christi, mit Anbetung des hl. Altarssakramentes und mit einem wohlgeregelten, betrachtenden Gebete nach der Ordnung des Kirchenjahres. Was zunächst diese Gebete betrifft, so hat sie einige derselben ihrem Beichtvater aufgeschrieben, und sie sind, nach seinem Zeugnisse, voll warmen, frommen Gefühles und darum reich an Erbauung. Ihr Gesichte und ihr Hellsehen in die Ferne, dem Raum und der Zeit nach, haben immer nur Heiliges und Kirchliches zum Gegenstande, und ungleich den Somnambulen ist sie über ihren eigenen körperlichen Zustand gleich allen anderen Menschen völlig blind; so wie denn auch die Ereignisse, welche sie vorausgesagt, durchgängig zur Zeit der Vorhersage keinen irgend haltbaren Erkenntnisgrund gehabt, weil ihr viel späteres Eintreffen ausschließlich von der immer wandelbaren und nicht zu berechnenden freien menschlichen Willkür und von höherer Fügung abgehangen. Ueber ihre Gesichte und ihren inneren Zusammenhang hat sie sich nur gegen ihre Beichtväter ausgesprochen; aber es ist ihr dabei oft hinderlich, daß sie bei ihrer geringen äußeren Erfahrung häufig für die Dinge, die sie gesehen, keinen Namen zu finden weiß. Deutlich aber spiegelt sich das Allgemeine des Bildes, das vor ihrer Seele steht, in der mimischen Haltung ihrer mehr oder weniger an dem Gegenstande desselben teilnehmenden Persönlichkeit ab. So sieht man zu Weihnachten sie das neugeborene göttliche Kind mit großer Freude in ihren Armen wiegen; am Dreikönigstage kniet sie mitanbetend hinter den huldigenden Weisen; auf der Hochzeit zu Kana liegt sie, auf der einen Seite auflehnend, mit zu Tische: ein Umstand, der ihr wohl sicher von außen nicht bekanntgeworden, da die Kirchenbilder jene alte Sitte nicht aufgenommen. So drückt an anderen Tagen ihre Haltung ebenso charakteristisch die Modalität des Gegenstandes aus, der ihre Betrachtung eben beschäftigt. Vorzüglich aber ist es die Passion, die am öftesten in den Gesichtskreis ihrer Beschauungen tritt und die sich bei der Tiefe des Eindrucks, den sie ihr macht, auch am lebhaftesten in ihr ausdrückt. In der heiligen Woche wie natürlich in der Betrachtung am tiefsten aufgefaßt und darum auch am schärfsten im Bilde sich ausprägend, kehrt sie doch auch durch den ganzen Verlauf des Kirchenjahres jeden Freitag zurück und bietet daher hinreichende Gelegenheit zur Beobachtung dar. Auch hier zeigt sich an ihr, was überall charakteristisch sie bezeichnet: der einfache, naturgemäße Verlauf der Erscheinung, die man gleichsam in ihrem Entstehen bei ihr wahrnimmt 242

und deren genetische allmähliche Entfaltung, ganz harmonisch mit den Anlagen ihrer Persönlichkeit, sich leicht verfolgen läßt. Man sieht, ihr Geist hat frühe schon das Vermögen erlangt, nicht etwa bloß, wie es im gewöhnlichen oberflächlichen Leben der Fall ist, den Gegenstand der Betrachtung aus der Ferne zu beschauen oder ihn in seinen Extremitäten zu bestreifen, sondern sich erst dicht an ihn heran- und dann in ihn hineinzudrängen und, ihm also in engster Nähe gegenwärtig, mit ihm in den genauesten Wechselverkehr zu treten. Der Geist, in seiner Hingebung dem Uebermächtigen zuletzt nähertretend als sich selber, wechselt mit ihm die Rollen, der Gegenstand wird ihm wie Geist und er dafür diesem seinem Geiste gegenständlich; und so handelt dieser mit ihm nach Wohlgefallen und gestaltet ihn sich nach seinem Bilde. Im Verhältnis also, wie dies Aneignungsgeschäft vorwärtsschreitet, sehen wir das Nachspiel der inneren Handlung außen am Leib erscheinen, und die Betrachtung, sich in ihm verkörpernd, wird wieder Gegenstand der Betrachtung für den außen Schauenden. So denn auch im vorliegenden Falle. Die Handlung beginnt schon am Vormittage des Freitages, und wenn man ihr in ihrem Gange folgt, dann sieht man, daß, wie manche sprechend denken oder vielmehr denkend sprechen, ohne sich der Worte bewußt zu sein, so diese nachhandelnd die Handlung betrachtet oder vielmehr ihr zuschauend sie nachtut, ohne Wissen dieses ihres Tuns. Darum ist auch im Anfange der Wellenschlag, in dem der Affekt das bewegliche Medium erregt, nur gemach und weniger über dies ruhige Gleichgewicht hinausgehend; im Verhältnisse aber, wie die Handlung im Vorschreiten wehevoller und darum ergreifender wird, werden auch die Züge des Bildes tiefer eingefurcht und treten daher kenntlicher hervor, bis zuletzt, wenn die Sterbestunde am Kreuze naht und innen die Schmerzen sich bis zum tiefsten Grunde eingewühlt, außen das Bild des Todes aus allen Zügen spricht. Wenn sie dann, die Hände vor der Brust gefaltet, auf ihrem Bette kniet, die tiefste, kaum vom Atemzuge der Anwesenden unterbrochene Stille um sie her: dann ist es, als ob nun ihr die Lebenssonne im Niedergange steht und langsam sich unter den Gesichtskreis senkt bei mehr und mehr ermattendem Lichte, Todesschatten, sich aus der Tiefe lösend, ebenso allmählich an ihr hinaufsteigen und Glied um Glied verhüllend sich um ihre Seele wälzten, bis diese, beim Erlöschen des letzten Schimmers, ganz in ihre Umnachtung hingesunken. Bleich, wie sie während des ganzen Vorgangs ist, sieht man sie dann immer mehr erbleichen, wie die Todesschauer häufiger ihre Gebeine durchfahren und das sinkende Leben mehr und mehr verdämmert. Schwer 16*

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sich der Brust entwindende Seufzer kündigen die zunehmende Bedrängnis an; den mehr und mehr starrenden Augen entpressen sich Tränentropfen, die langsam über die Wangen niederrinnen. Leichte Zuckungen umspielen den anfangs nur wenig, dann zunehmend stärker klaffenden Mund; wie ein zum Gewitter sich ausbildendes Wetterleuchten durchzucken sie anfangs in engeren Kreisen, dann immer mehr ausholend in weiteren und weiteren das Angesicht und wachsen zuletzt zu Konvulsionen an, die von Zeit zu Zeit ihren Leib aufs heftigste erschüttern. Jenes bange Aufseufzen hat unterdessen in ein herzzerreißendes Stöhnen sich verwandelt, das aus der angstgepreßten Brust heraufächzt; die Wangen bedecken sich mit dunkler Röte; die verdickte Zunge scheint am lechzenden Gaumen zu kleben; die Konvulsionen werden immer stärker und tiefer einschneidend. Die vor der Brust gefalteten Hände, die anfangs nur unmerklich gesunken, gleiten nun schneller hinab; die Nägel beginnen sich blau zu färben, und die Finger verschlingen sich krampfhaft ineinander. Bald wird ein Röcheln hörbar in der Kehle; der Atem, immer gepreßter, ringt sich nur mit Mühe aus der wie mit eisernen Banden umfangenen Brust; die Züge verstellen sich bis zur Unkenntlichkeit; der Mund des Schmerzensbildes ist jetzt weit geöffnet, die Nase zugespitzt, die starren Augen wollen brechen; in langen Zwischenräumen drängen noch einige röchelnde Atemzüge stokkend sich durch die erstarrten Organe: endlich ist's, als ob der letzte sich verhauchen wolle; dann neigt sich das Angesicht, und das Haupt, mit allen Zeichen des Todes bezeichnet, senkt sich in gänzlicher Erschöpfung, und es ist ein anderes, kaum mehr kenntliches Gesicht, das jetzt gegen die Brust niederhängt. Anderthalb Minuten etwa bleibt alles in dieser Stellung: dann richtet das gesunkene Haupt sich wieder auf, die Hände werden gegen die Brust erhoben, das Gesicht ist wie im Nachlaß gespannter Federn in eine ruhige Gestalt zurückgeschlagen; sie kniet nun da, beruhigt, das Auge gegen den Himmel aufgeschlagen und beschäftigt, ihr innerliches Dankgebet darzubringen. Und das wiederholt sich in jeder Woche und zwar, wie ich bei öfterem, scharf aufmerkendem Hinsehen gefunden, jedesmal in den einzelnen Zügen je nach ihrer inneren Stimmung wechselnd und nur in den Hauptmomenten sich gleichbleibend. Denn es ist nichts Angelerntes in der Sache; wie der Brunnen aus dem Felsen, so quillt es ohne alle Künstlichkeit aus ihrem Naturell hervor; darum erscheint nichts Falsches, Uebertriebenes, Gewaltsames in der ganzen Darstellung: sie würde unter gleichen Umständen in der Wirklichkeit ganz ebenso hinsterben. 244

Wie tief sie aber nun immer in diese ihre Anschauungen sich verloren haben mag, ein leise gesprochenes Wort ihres Beichtvaters, oder wer sonst mit ihr im geistlichen Verbände steht, reicht hin, um sie sogleich wieder zu sich zu bringen. Es ist alsdann gar kein Mittelzustand zu bemerken; nur so viel Zeit verläuft, als nötig ist, sich im Bewußtsein in einem schnellen Blicke zu erfassen und die Augen zu öffnen, und sie ist bei vollkommener Besinnung, als wäre sie nie verzuckt gewesen. Ihr Ausdruck ist dann ein ganz anderer geworden: der eines unbefangenen, in Einfalt und Natürlichkeit erwachsenen Kindes. Darum ist das erste, was sie beim Erwachen vornimmt, wenn sie Zeugen erblickt, mit den bezeichneten Händen schnell unter die Decke zu fahren, wie ein Töchterchen, das sich etwa die Manschetten mit Tinte besudelt und die Hände nun vor der kommenden Mutter verbirgt. Dann blickt sie, schon an den Zudrang der Menschen gewöhnt, mit einer Art von Neugierde unter den Umstehenden herum, jeden nach ihrer Art freundlich begrüßend. Sie mag es nicht gerne leiden, wenn der Ernst des Eindrucks, den die Szenen, von denen die Anwesenden Zeugen gewesen, in ihrem Ausdruck noch allzu sichtbar ist oder wenn man ihr mit einer Art von Feierlichkeit und Verehrung naht, und sucht dann durch ein ungesucht fröhliches Benehmen diese Eindrücke zu verwischen. Da ihr seit geraumer Zeit der Mund geschlossen ist, strebt sie mit Zeichen und Winken sich verständlich zu machen, und wo das nicht ausreichen will, läuft sie wieder, wie ein Sprechens unerfahrenes Kind, mit den Augen zu ihrem Beichtvater hin, ihn auffordernd, daß er ihr helfe und für sie rede. Der Ausdruck ihres, obgleich dunkeln Auges ist fröhliche, unbefangene Kindlichkeit; klar wie es ist, kann man durch dasselbe bis zum innersten Grunde ihrer Seele schauen und überzeugt sich bald, daß nirgendwo im ganzen Umkreis sich ein dunkler Winkel findet, in dem sich irgendein Arg verstecken könnte. Nichts Trübes, Kopfhängerisches, Ueberspanntes ist in ihrem ganzen Wesen zu entdecken, keine sentimentale, verschwommene Weichlichkeit, keine heuchlerische Grimmasse, noch auch eine Spur irgendeines versteckten Hochmutes: überall nichts als der Ausdruck heiterer, fröhlicher, unbefangener, in Einfalt und Schuldlosigkeit bewahrter Jugend, die sich ohne Bedenken sogar dem Scherze hingibt, weil ein einwohnender sicherer Takt jeden Schein von Unschicklichem abzuweisen weiß. Sie kann, wenn sie sich unter Freunden weiß, einmal zu sich gebracht, wohl längere Zeit bei sich bleiben; aber man fühlt doch durch, daß es ihr nur mit Anstrengung ihrer Willenskräfte auf die Länge gelingt, weil die Ekstase ihr zur andern 245

Natur geworden, das Beisichsein aber wie ein künstlicher Zustand. Mitten in der Unterhaltung, wenn sie noch an allem lebhaften Anteil zu nehmen scheint, sieht man es plötzlich wie in ihren Augen dämmern, und keine Sekunde vergeht, und sie ist wieder ohne allen Zwischenzustand von der Verzückung hingenommen. Während meiner Anwesenheit hatte man sie gebeten, ein eben neugeborenes Kind aus der Taufe zu heben. Mit großer Freude hatte sie den Täufling in ihre Arme aufgenommen; sie zeigte den aller lebhaftesten Anteil an der heiligen Handlung; aber sie wurde im Verlauf derselben mehrmals ekstatisch und mußte immer wieder zurückgerufen werden. Es ist ein merkwürdiger Anblick, diesem Hinschwinden zuzuschauen. Es ist, als wenn sie, auf dem Rücken liegend, auf den Wellen eines Lichtgewässers schwämme und nun noch ganz fröhlich um sich blickte. Mit einem Male sieht man sie gemach niedersinken; die Wellen spielen eine Weile um die Sinkende her und schlagen zuletzt über ihrem Angesicht zusammen, und man gewahrt sie unten in der Tiefe von der lichten Durchsichtigkeit umfangen. Dann ist aber auch das harmlose Kind mit einem Male verschwunden, und wenn, wie es bei günstigen Stimmungen nicht selten der Fall ist, das weiter geöffnete, dunkelleuchtende, keinen besonderen Gegenstand fassende, sondern in allen Radien wie in die Unendlichkeit hinaus strahlende Auge plötzlich in Mitte veredelter Züge aufglänzt, dann blickt sie groß wie eine Sibylle, unter allen Verhältnissen aber würdig, edel und ergreifend. Wenn sie aber also ihren Andachten und Betrachtungen sich hingibt, dann darf man nicht glauben, daß sie deswegen aller Sorge für ihre Familie sich entzieht. Sie leitet immer noch von ihrem Bette aus den ganzen Haushalt, darin früher von einer seither verstorbenen Schwester unterstützt. Da sie durch Verwendung guter Leute seit einigen Jahren in den Genuß einer Stiftung gesetzt worden und für sich selber nichts bedarf, verwendet sie den Ertrag derselben für die Erziehung ihrer noch unerwachsenen Geschwister, die sie je nach ihren Anlagen in verschiedene Anstalten entsendet hat. Alle Tage nachmittags um 2 Uhr ist die Zeit, die sie zur Abmachung dieser Geschäfte bestimmt; dann wird sie von ihrem Beichtvater zu sich gerufen; mit ihm überlegt sie die schwierigen Vorkommenheiten, ordnet an, was geschehen soll, sorgt für alles, denkt an alles, kommt allen Bedürfnissen derjenigen, deren sie sich angenommen, zuvor, und in dem großen praktischen Verstände, den sie dabei entwickelt, weiß sie jedes aufs beste zu beschicken, so daß alles um sie her sich in guter Ordnung fügt. 246

So ist es um diese Maria von Morl beschaffen, der, wie es scheint, in unseren Tagen die Sorge für die ewige Lampe übertragen worden, die im Heiligtume brennt, damit ihr Licht durch Versäumnis nicht erlösche und der Faden, der sich durch die Zeiten schlingt, nicht abreiße. Man soll freilich niemand, nach altem Worte, vor seinem Tode selig preisen, und so mag man auch kein definitives Urteil über irgendeine Persönlichkeit fällen, bis ihr ganzer Lebensweg vor der Anschauung ausgebreitet liegt. Aber eine solche Atmosphäre von Wahrheit liegt um diese her, daß man leicht vertrauend sich hingibt und, keine Täuschung fürchtend, gern und sicher in ihrer Nähe weilt. Das ist es eben auch gewesen, was ihre Wirkung auf das Volk begründet und es möglich gemacht, daß sie schon durch ihr bloßes stilles Dasein und ihre rührende Erscheinung jenen mächtigen Einfluß auf dasselbe ausgeübt. b) D a s e k s t a t i s c h e

Wandeln

Das ekstatische Wandeln schließt sich in ordentlicher Reihenfolge unmittelbar den Stationen an. In diesen ist es nur an einen bestimmten Gegenstand gewiesen, es verläuft in einer gleichfalls gegebenen Folge von Bewegungen und erscheint mit inneren Vitalbewegungen aufs engste verkettet, die ihm eine gewisse Bindung geben, wie es sie hinwiederum bis zu einem gewissen Grade bedingt. Hier aber sind Gegenstand wie Folge mannigfaltig; im Verhältnisse, wie das Vitale ferner getreten, regt das Automatische sich schon bestimmter. M a r i a M a g d a l e n a d e P a z z i s , die wir schon als ein Beispiel für die ruhige Entzückung angeführt, mag uns auch zunächst als Muster für diese Art der bewegten gelten. Wandelte diese eine solche Ekstase an, dann durfte sie darum die Arbeit, die sie etwa früher angefangen, keineswegs unterbrechen. Wenn sie nähte, Gold schnitt oder heilige Bilder malte, dann fuhr sie, wenn der Geist sie ergriffen, doch oft stundenlang fort im Werke. Die Schwestern verbanden ihr dann bisweilen wohl die Augen oder schlössen die Fensterladen; das störte sie alles nicht, und sie machte ohne Augenlicht in solcher Weise viele schöne Arbeiten, die im Kloster noch aufbewahrt werden. Ebenso wandelte sie in dem Zustande umher, stieg Leitern auf und ab mit solcher Behendigkeit, daß sie eher zu fliegen als mit den Füßen die Erde zu berühren schien. Einst knetete sie Teig zum Brotbacken für den Unterhalt der Nonnen und hörte mitten in der Arbeit zur Kommunion läuten. Sie wurde sogleich ekstatisch und lief nun, wie sie war. die. Arme bloß, den Teig an den Händen, zur Stelle, 247

wo die andern versammelt waren, ohne selbst ihren Zustand ziu bemerken. So eilte sie ein anderesmal, mit dem Essen beschäf tigt, als das Zeichen zur Beichte gegeben wurde, mit dem Teller und der Speise in den Händen zum Beichtstuhle und beichtete zum Erstaunen der andern, die davon später eidliches Zeugnis ablegten. Als sie einst mit den Novizen in die Schlafsäle ging, wurde sie plötzlich verzuckt, zog sich nach einigem Verweilen Schuhe und Strümpfe aus, ging dann in ihre Zelle, räumte alles bis auf ein kleines Kruzifix von ihrem Altare, leerte ebenso ihr Bett bis auf die Kissen und einen Sack, begab sich sofort ins Kleiderzimmer der Schwestern und nahm das abgerissenste Kleid, das sie finden konnte, um es anzulegen; zuletzt warf sie sich auf die Knie und stimmte mit gen Himmel gerichteten Augen ein Herr Gott, dich loben wirl an. Als das zu Ende, erhob sie sich wieder, trug ihre abgelegten Kleidungsstücke zusammengewickelt zur Priorin: ihr andeutend, daß ihr geboten sei, fortan sich, wie sie war, zu halten und zu kleiden. Darauf verfügte sie sich von da zum Chore, bestieg den dort befindlichen Altar, und mit ihrer Hand die Hand des Bildes der Jungfrau fassend, schrieb sie, wie sie sagte, in die Hände der Reinheit Mariä das Gelübde unverbrüchlicher Armut, des Gehorsams und der Keuschheit. Die Obern wollten sie, um ihren Geist zu prüfen, an der Ausführung des über die Ordensregeln hinaus Angelobten hindern; sie unterwarf sich ohne Verzug, fühlte aber sogleich in den Füßen einen Schmerz, so daß sie sich auf ihnen nicht aufrechtzuerhalten vermochte. Die Priorin redete ihr zu, sich Gewalt anzutun und umherzugehen; sie versuchte es willig, kam aber bald so weit, daß sie auf Händen und Knien kriechen und zur Kommunion auf den Armen ihrer Mitschwestern getragen werden mußte. Man bestand indessen fortdauernd auf dem Verbote; da aber der Schmerz immer zunahm, sah man doch zuletzt sich gedrungen nachzugeben. Im Augenblicke, wo sie Schuhe und Strümpfe ausgezogen, fühlte sie die Bindung sich lösen und alle Schmerzen weichen; sie konnte nun ohne Beschwerde wieder gehen und begab sich zum Bilde der Jungfrau, um ihr Dank zu sagen. Wie die äußere Hemmnis sie in diesem Falle in ihren Bewegungen gebunden, so befreite sie dagegen der Geist, wenn sie sich ihm überlassen durfte, in solcher Weise, daß sie keine Gefahr zu scheuen hatte. Am Feste der Kreuzauffindung, dem 3. Mai 1592, durchwanderte sie den Chor und stieg nun ohne Leiter und irgendeine menschliche Hilfe oben auf den 15 Ellen hohen, nur 8 Zoll breiten Kranz der Kirche; und ohne Zagen auf ihm stehend, nahm sie das dort befestigte Kruzifix ab, indem sie die Nägel auszog, drückte 248

es an die Brust, stieg dann mit ihm herab, gab es den Schwestern zum Küssen und trocknete das Bild, als hätte sie es im Schweiße gesehen, mit ihrem Schleier: es war schwindelerregend für alle, die als Augenzeugen zugegen waren. Gab Gott ihr irgendetwas von seiner Erhabenheit zu schmecken, zu sehen oder zu verstehen, dann vermochte sie die unaussprechliche Freude darüber nicht in sich zu verschließen: sie ließ sich vielmehr an ihr in wundersamen Mienen und Gebärden aus, sie tanzte und sprang dann so behende, als wenn sie ein körperlicher Geist wäre. Man sah sie in solchen Fällen wohl auch in der Zelle umwandeln, wo sie sich eben befand, nun sich an den Boden werfen, als ob sie vor dem Throne der Gottheit anbete, dann aber unbeweglich stehen und den Himmel so unverwandt anschauen, daß man hätte glauben sollen, sie wolle sich der Erde entheben. Am anhaltendsten zeigte sich dieser Zustand bei ihr im Jahre 1585, wo er von Pfingsten än acht Tage ununterbrochen dauerte, also daß sie täglich nur zwei Stunden zur Erfüllung ihrer Pflichten zu sich kam. Sie erhielt dann jeden Morgen den Geist unter verschiedenen Formen: als Feuer, Taube, Fluß, Säule, Nebel, Windeswehen und Feuerzunge, und wurde dann ganz freudig und erglänzend, daß es ein Wunder zu sehen war." F r a n z i s k a v o n R o m kam häufig in den Zustand ruhiger Ekstase und ging aus ihm dann oft in den der beweglichen über. In jenem, der sie meist im Beginne der Messe anwandelte, war sie gleich einem Marmorbilde, und niemand vermochte dann, welche Gewalt er irgend anwendete, ihre Hände, die sie vor der Brust gefaltet hielt, auseinanderzuziehen: aber diese Erstarrung verhinderte sie nicht, wenn die Kommunion ausgeteilt wurde, mit den andern zum Altare zu gehen, das Sakrament zu sich zu nehmen und dann wieder zu ihrem Platze zurückzukehren. Obgleich außer sich in diesem Zustande, war sie dann doch keineswegs außer dem Bereiche des Gebotes ihres Beichtvaters. Kniete sie, und er befahl ihr aufzustehen, dann tat sie es ohne den mindesten Verzug; wollte er, daß sie sich niederlege oder umwandele, dann gehorchte sie nicht minder unverweilt, antwortete auch auf seine Frage: sonst für alle andern, sie mochten rütteln, rufen oder auch beim Gehorsam ihr gebieten, unbeweglich gleich einem Steine. Einst war sie in der Kirche zur hl. Maria jenseits der Tiber in die bewegliche Ekstase geraten; da befahl ihr der Beichtvater Mateotti, daß sie gehe, um das hl. Sakrament anzubeten, und so lange vor ihm aufgerichtet stehen bleibe, als es der Herr gestatte. Sogleich erhob sie sich, ging mit gefalteten Händen hin, wo das Sakrament ausgestellt 249

war, kniete nieder am Eingang der Kapelle und blieb knien bis zum Ende der Predigt, worauf sie sich erhob und wieder zum Orte zurückging, wo sie zuvor gestanden. So oft sie übrigens aus einer solchen Ekstase wieder zu sich kam, fand sie sich einigermaßen des Gesichtes beraubt und erhielt es erst nach Verlauf geraumer Zeit allmählich wieder." c) D a s e k s t a t i s c h e

Schweben

Wird die Bindung, die den schweren Körper an die schwere Erde fesselt, durch die innere Begeistigung noch mehr aufgehoben, dann bedarf er ihres Widerstandes nicht länger mehr, um sich im Gleichgewichte aufrechtzuerhalten; auch ein anderes Element, das Wasser zunächst, ist hinreichend, ihn zu tragen. So schließt sich dem ekstatisch gelösten Wandeln über die Erde hin als nächstverwandte Erscheinung das Wandeln über die Wasser an. Es fehlt in der Geschichte der Heiligen und Mystischen nicht an Beispielen eines solchen Wandeins. Der hl. P e t e r v o n A l c a n t a r a kam einst auf seinen Wanderungen ans Ufer der angeschwollenen Guadiana und fand kein Schiff, das ihn überführe. Er wendete sofort die Augen gen Himmel, bezeichnete sich voll lebendigen Glaubens mit dem Zeichen des Kreuzes und sprach dann zum Genossen: Mein Sohn, habe festes Vertrauen auf Gott, hebe dein Gewand ein wenig auf und folge mir! Sie setzten nun in die Fluten und gingen hinüber, das Wasser reichte ihnen nur bis an die Knöchel. Ein andermal ging er durch Alcantara nach Pedroso, kam, vor sich hingehend, von seinem Gefährten ab und erreichte zuletzt, in das Lesen eines frommen Buches vertieft, die Ufer eines sehr bedeutenden Flusses, den die Flüsse Alagon und Mareta miteinander bilden. Er aber, immer mit seinem Gegenstand beschäftigt, bemerkte gar nicht die Gewalt, mit der die Wässer, vom Regen angeschwollen, vor ihm strömten, und setzte unbekümmert seinen Weg über den wilden Strom wie auf festem Boden fort. Umsonst hatten die, welche am Ufer der weggetriebenen Barke warteten, ihn mit lautem Schreien angerufen, als sie ihn dem Strome nahen sahen, er hatte nichts vernommen; wie er aber am andern Ufer angekommen, warfen die, welche ihm von jenseits zugesehen, sich ihm sogleich zu Füßen und verehrten ihn als einen Heiligen mit Tränen. Er kam darüber wieder zu sich, wurde verwundert und verwirrt, kehrte, als er von ihnen erfahren, was sich begeben, sich um, sah nun das Wasser und seinen Gefährten jenseits und warf sich bei diesem Anblick sogleich zur Erde, um Gott zu danken. Nochmal, als er von Truxillo nach 250

LaViciosa sich verfügte, ging er, statt auf einem Umwege von sechs Meilen die Brücke von Jaraiceo zu suchen, über den regengeschwollenen Strom Almonte; das Wasser war ihm, wie er bei seiner Heimkunft den Vätern erzählte, nicht bis an die Knie gegangen. Sie fanden es am andern Tage wohl noch einer Picke hoch in seinen Ufern gehen. Endlich war er auch einst in dunkler Nacht an den Tajo gekommen, und als er jenseits ein wundersames Licht erblickt, war er sogleich darauf zugegangen. Die Klarheit schien ihn zu blenden, so daß seine Sinne sich gebunden fanden und er den Fluß nicht sah noch auch das Schlagen der Wellen hörte und wie auf festem Lande fortging. Jenseits angelangt, gewahrte er das Haus des Fährmanns, und wähnend, er sei noch jenseits, klopfte er bei ihm an und bat, daß er ihn überfahre, weil er nach Algarabelles müsse. Der Fährmann hielt ihn für irreredend und beredete ihn zuletzt, daß er warte, bis der Tag gegraut, wo er dem Verwunderten dann den Strom zeigte, über den er gegangen.44 Derselbe Heilige, wenn er — schon in früher Jugend, in seinem achtzehnten Jahre — auf den Termin ging und zur Zeit des Offiziums nach Ablegung seines Zwerchsackes auf der Landstraße niederkniete, weil er den Menschen sich ferne glaubte, Gott sein Herz öffnete und der Betrachtung himmlischer Dinge sich ergab, wurde alsdann schnell verzuckt und erhoben. Wenn nun Reisende des Weges kamen, blieben sie voll Erstaunen stehen, wenn sie den armen Bruder mehrere Fuß über der Erde schwebend erblickten, und warteten, bis er wieder zu sich gekommen, um seinen Segen zu erlangen. Er aber, so wie er die Harrenden gewahrte, nahm eilig den Sack wieder auf den Rücken, und verwirrt und zornig über sich selbst, daß die Welt ihn also gesehen, nahm er sogleich die Flucht, und nur das Zilizium konnte dann seinen Eifer mäßigen und ihn in seinem eiligen Laufe hemmen. Wenn er Messe las, war es besonders wunderbar, im Ablaufe derselben ihn vor dem Tabernakel zu sehen, das Antlitz ganz in Flammen, der Körper unbeweglich und so aufmerksam, daß er mit leiblichen Augen das verborgene Mysterium zu schauen schien. Beim Lesen des Evangeliums, wenn er zu den Worten kam: Jesus sprach, Jesus sagte, wandelte neue Inbrunst ihn an; wenn er den Kanon anfing, stieg diese zu solcher Höhe, daß sein Gesicht ganz in Feuer stand; je näher der Konsekration, um so mehr wurde sein Herz bewegt, so daß er zuletzt in voller Gebundenheit der Sinne die heilige Handlung zu unterbrechen genötigt war. Nach der Konsekration wurde er, was er auch tun mochte, um die Heftigkeit der inneren Bewegung zu mäßigen, doch oft von ihr hingerissen, der Sinne beraubt und erhob sich dann schwebend 251

am Altare, meist in der Höhe einiger Ellen über dem Bodein. So unter andern einmal, als ihn die Bernhardinerinnen in Avila gebeten, die Messe bei ihnen zu lesen; durch die heftige Entflammung seines ganz in Gott vertieften Geistes wurde er während derselben hoch erhoben. Er blieb drei Stunden in diesem Zustand, kam dann wieder zu sich und setzte nun mit gleicher Inbrunst die Messe fort unter häufigen Tränen der Nonnen, denen er dann mit einiger Bestürzung zuredete, Gott zu danken, daß er so erstaunliche Erfolge seiner Güte an einem so Unwürdigen kundmache. Im Chore war er gewöhnlich Gott so verbunden, daß sein Körper sich fünfzehn Ellen hoch bis zu den Gewölben erhob. Die Erschauung des Sternenhimmels brachte ihn oft zu den tiefsten Betrachtungen, so auch der Pflanzen und Kräuter. Wenn, wie es mitunter geschah, Tau und Regen auf seinem nackten Haupte beim nächtlichen Gebete gefroren, ohne daß er es gewahr wurde, dann sahen ihn die Brüder in diesem Zustande oft zwölf Ellen hoch schwebend, in Gott verschlungen. In einer Ermahnung, die er einst diesen Brüdern machte, begann er unter anderm: Gott hat sich inkarniert!, vertiefte er sich nun in das Geheimnis, erhob dann nach einiger Zeit wieder die Stimme in einem unvergleichlichen Affekte: Gott hat sich bekleidet mit unserem Fleische! Mit dem letzten Worte tat er einen Schrei, der ausging wie eines Donners Schlag, und dann, getrieben durch die Gewalt der inneren Bewegung, die ihn ergriffen, eilte er zu seiner Zelle, wo seine Seele, unfähig zu widerstehen, in eine dreistündige Entrückung fiel. Derselbe Schrei hatte noch vielmal die gleiche Folge, besonders wenn er die Mysterien des Glaubens betrachtete. Beim Grafen Oropese bewohnte er eine kleine Einsiedelei im Garten, und da wußten die Bedienten schon voraus: daß, wenn er zögerte, zum Essen zu kommen, sie ihn bei Oeffnung der Türe fanden, die Arme ausgebreitet und schwebend in der Luft, die Augen fest an den Himmel geheftet. Sie hatten meist nicht den Mut, ihn zu stören, und dann blieb er in der Regel den ganzen Tag in diesem Zustande, selbst bisweilen die Nacht hindurch, manchmal sogar bis zur Stunde des andern Tages, wo er die Messe zu lesen hatte. Bisweilen geschah es ihm mitten in der Rede, die er mit andern von himmlischen Dingen hielt: so, als er im Kloster der Inkarnation die heilige Theresia besuchte, wo denn diese ihn zum ersten Male in diesem Zustande gewahrte. Einige Male auch wandelte es ihn vor versammeltem Volke an; so in Arenas, als er die Messe las. Da dergleichen ihm, wie natürlich, große Verehrung von Seiten der Menge zuwendete, bat er oft Gott aufs inständigste, das Ueber252

maß zu mildern und die Zeichen seiner Güte zu verbergen. Er pflegte häufig den Kreuzweg von Pedrosa zu besuchen und wurde vielmal dort verzuckt. Die Hirten sahen ihn dann von ferne vor dem Kreuze schwebend, so wie die, welche zufällig vorüberreisten; und alles lief hin, um das wundersame Schauspiel näher zu sehen. Bisweilen vernahm er dann wohl das Geräusch der Menschen und der Pferde; sogleich flüchtete er, wie fliegend durch die Luft, in der Höhe eines Stockes über die Erde erhoben, und verbarg sich im Kloster. Bisweilen aber war die Ekstase stärker als der Lärm um ihn her; und dann war er ein Gegenstand der Bewunderung und des Erstaunens für alle, die sich um ihn versammelt hatten. Als er wenige Monate vor seinem Tode bei der Visitation seiner Klöster nach La Yicieuse gekommen, sahen ihn die Brüder oft auf den nahen Berg steigen, mehr durch Gottes Hilfe als durch seine geschwächten Kräfte getragen, und dort, in vertrautem Gespräche mit Gott, sich stundenlang anhaltend in die Luft erheben. Wieder zu sich gekommen, hörten sie ihn alle Kreaturen zum Lobe Gottes auffordern, mit solcher Innigkeit und Heftigkeit, daß man unten im Kloster jedes Wort verstand.6» Wir werden jede weitere Auseinandersetzung über den Ursprung und den Verlauf dieser Bewegungsweise unnötig machen, wenn wir den angeführten Tatsachen nur noch das beifügen, was eine Sachkundige, die hl. T h e r e s i a , aus eigener scharfer Selbstbeobachtung über die Erscheinung geurteilt. Gleichwie die Wolken, also hebt sie die Rede an, die Dünste der Erde anziehen, so erhebt Gott die Seele zu sich in den Himmel, um ihr seine Reichtümer zu zeigen. In der Ekstase hält sich die Seele, als beseelte sie nicht den Körper; denn die Erfahrung zeigt, daß in ihr die natürliche Wärme sich verliert, jedoch nicht ohne ein Gefühl von Lust und Süße. Der Entrückung läßt sich auch kein Widerstand leisten; denn die Seele wird gar oft ohne alle Vorbereitung und Mitwirkung von ihrer Seite von Gott wie von einem Adler hinweg, ohne zu wissen wohin, entführt; worüber sie denn Furcht, aber wieder mit Süße gemischt, anwandelt. Da bedarf es dann guten Mutes, sich der Leitung des Entführenden hinzugeben, dem sie, wenn sie auch widerstrebt, doch nicht Obstand zu leisten vermag. Oft versuchte ich, der Entrückung zu widerstehen aus Furcht vor Täuschung oder wegen den Menschen, in deren Nähe sie mich ankam. Einige Male gelang mir der Versuch, jedoch mit großer Erschöpfung der Kräfte, als hätte ich mit einem Riesen gerungen; in andern Fällen aber konnte ich damit nicht zustande kommen. Gemeiniglich wurde mit der Seele das Haupt nach aufwärts gezogen und bisweilen, obgleich 253

selten, der ganze Körper von der Erde erhoben. Manchmal, wenn das in anderer Gegenwart sich zeigte, habe ich mich an die Erde geworfen, damit sie es nicht bemerkten; da ihnen aber dann das Niederfallen auffallend war, so bat ich Gott, daß er mir fortan nicht also sichtlich die Gnade zuwende, was ich denn auch erlangt. Versuchte ich den Widerstand, dann schien mir, als gebe sich eine ungemeine Kraft unter meine Füße und hebe mich aufwärts. Anfangs wurde ich zaghaft, wenn ich mich also erhoben fühlte; denn ob es gleich süß ist, so entrückt zu werden, verlor sich doch nicht der Sinn; denn ich fühlte mich eben erhoben; dann aber folgte eine Ehrfurcht vor der Majestät, die also erhob, und die Liebe zu dem also liebenden Herrn. Oft schien es mir, als habe der Körper alle Schwere verloren; manchmal beschränkte sich das Leichtwerden dahin, daß ich nicht mehr fühlte, wie ich mit den Füßen auf der Erde stand. Der Körper beharrt dann in dem Zustand, in welchem die Ekstase ihn gefunden, sitzend, wenn er gesessen, die Hände offen oder geschlossen, wie sie dann gewesen. Das Atmen wird so gehemmt, daß, wie der Entrückte sich auch anstrenge, er nicht zu reden vermag; bisweilen, in tiefster Entrückung, läßt sich nicht unterscheiden, ob irgend noch Atem vorhanden; doch wenn mit dem Nachlasse derselben der Verzückte wieder ein wenig zu sich kommt, fängt er auch wieder zu atmen an. In der Regel und in den geringeren Graden bleiben die Sinne wohl geöffnet; aber sie werden doch verinnert, so daß, während der Körper keine tätige Wirksamkeit mehr hat, doch die Wahrnehmung fortdauert und der Verzückte die Töne wie aus weiter Ferne hört. In einigen Fällen jedoch wurden mir die Sinne ganz geschlossen; das geschah aber selten und nie auf lange Zeit, und nur im höchsten Grade, in der engsten Einigung mit Gott, und bei der völligen Ueberbildung, wenn er die ganze Seele mit allem ihrem Vermögen in sich hineingezogen. In solchen Fällen bleibt der Entrückte wohl noch zwei bis drei Tage so verwirrt und absorbiert, daß es den Anschein hat, er sei noch nicht recht bei sich.67 d) D i e E n t r ü c k u n g

und

der e k s t a t i s c h e

Flug

In den bisher betrachteten Fällen hat der höhere Geist in allmählichem, stillem Vorschritt und mit gemäßigter Wirkung in die Seele eingegriffen, und indem er langsam sie innerlich über sich selbst erhoben, ist der Leib nach seiner Art dieser ansteigenden Bewegung gefolgt und hat sich in bedeutender Höhe über der Erde schwebend erhalten. Fällt aber der Geist plötzlich und mit Ungestüm, wie mit Blitzeskraft, ein, dann 254

steht die Wirkung natürlich mit der Heftigkeit dieses Einfalles im Verhältnis, und es kommt nicht etwa bloß zu einer mit Gemach langsam ansteigenden Schwebung, sondern die ergriffene Persönlichkeit wird von der gewaltsam wirkenden Gotteskraft wie mit einem Rucke aufgerissen und in einem Schlage aufgezuckt; und im Gefolge dieser blitzähnlichen Wirkungsweise wird sie hoch zum Fluge aufgeschnellt und in Entrükkung (Raptus) hingenommen. Da es also die Raschheit und Energie des Einfalls der wirkenden Kräfte ist, durch die beide Zustände sich unterscheiden, zwischen der geringsten und höchsten Energie aber unzählige Zwischenstufen liegen, so begreift sich, daß beide Zustände nicht schroff voneinander abgeschieden sind, sondern durch manche Uebergänge ineinander sich verlieren. Die Höhe des Ansteigens beim Entrücktwerden wird durch die Dimensionen der Orte, wo es sich begibt, oft so sehr bestimmt, daß er sich schwer vom eigentlichen Schweben unterscheiden läßt; eben wie auch das Wandeln in das Schweben in solcher Weise übergeht. Der hl. P e t r u s v o n A l c a n t a r a hatte im Garten von Badajoz sich eine Einsiedelei unter sehr höhen Fichten erbaut, wo er sich, in der Einsamkeit frei seinen Bewegungen überlassen konnte. Man sah ihn dort im Gebete oft in die Luft erhoben und manchmal in sehr großen Distanzen hoch über den Wipfeln dieser Bäume schweben und in diesem Zustande sehr lang verweilen. Ebenso hatte er es in Plasencia gehalten; und auch hier sah man ihn oft hoch schwebend, die Hände in Kreuzesform ausgestreckt, während eine große Menge kleiner Vögel um ihn flogen, die durch ihren Gesang ein angenehmes Konzert bildeten und sich sogar auf seine Arme setzten, von denen sie nicht wegflogen, bis er wieder bei sich selber war. Gewöhnlich hielt er sich jedoch näher an der Erde. Man sieht, die kleineren Ansteigungen verwandelten sich in diesen Fällen unmerklich in größere; und um die eigentliche Entrückung von der schwebenden Verzückung zu unterscheiden, bleibt kein anderes Merkmal übrig als die Heftigkeit und Plötzlichkeit der Bewegung; das bestimmte Endziel, dem sie entgegengeht, um in ihm, wenn sie es erreicht, mit einer gewissen Willkür zu ruhen und dann, ebenso willkürlich zurückgehend, sich in entgegengesetzter Richtung wieder herabzulassen.68 Vor allen andern war aber der hl. J o s e p h v o n C o p e r t i n o durch die ihm verliehene Eigenschaft solchen Schwebens und Fliegens ausgezeichnet; und da er in neueren Zeiten gelebt, konnte diese wundersame Beschaffenheit an ihm in authentischer Weise leicht ermittelt werden. 255

Als er nämlich, im Jahre 1603 geboren, 1663 gestorben war, wurde sogleich nach der in solchen Fällen üblichen Weise, nachdem kaum zwei Jahre seit seinem Tode vergangen und alle Zeugen noch bei Leben waren, der Prozeß über sein Leben und seine Wunder in Nardo, Assisi und Osimo instruiert und die Ergebnisse desselben von der zu dergleichen in Rom geordneten Kongregation aufs schärfste geprüft. Zugleich, schon im Todesjahre, hatte der Ordensgeneral der Minoriten, Giacomo da Ravenna, den P. Roberto Nuti von Assisi beauftragt, sein Leben zu schreiben. Der Beauftragte tat, wie ihm befohlen worden, und 15 Jahre später erschien von ihm: Vita del servo di Dio P. F. Giuseppe da Copertino, sacerdote dell ordine dei minori conventuali. Composto dal P. R. Nuti. Palermo 1678, und Wien 1682. Der Verfasser legte dabei, wie er im Vorberichte sagt, zum Grunde, was er selbst mit eigenen Augen gesehen; dann, wa6 ihm glaubwürdige Zeugen berichtet, sowohl solche, die dem Orden angehört, als andere, die mit dem Heiligen verkehrt; zudem was Martelli von Spoleto, Don Bernardino Benaducci und Don Archangelo Rosimi, Abt von Assisi, die alle drei mit ihm im vertrautesten Umgange gelebt und viele Unterredungen mit ihm gehabt, tagtäglich aufgezeichnet über ihn und sein Tun und Wesen. Als darauf 1711 die von Urban VIII. gesetzte Frist verlaufen und man die Untersuchung neuerdings aufgenommen, schrieb D. Bernini teils aus den früheren Akten, teils aus anderen Manuskripten, die man bei dieser Untersuchung zugelassen, ein zweites Leben, das 1722 in Rom erschien. Als endlich Papst Benedikt XIV. 1753 nach neuer Untersuchung zur Beatifikation geschritten, wurde bei Gelegenheit der Feier derselben in der Peterskirche ein drittes gedrucktes Leben unter die Anwesenden ausgeteilt, das auf Befehl des Papstes nur die nackten Tatsachen, aus den Akten ausgezogen und durch hinreichende Zeugen erhärtet, befaßte und ohne allen Schmuck der Rede von dem Definitor des Ordens Pastrovicchi geschrieben war. Bei keiner historischen Tatsache ist daher größere Sorgfalt angewendet worden, um die rechte Wahrheit auszufinden; und so dürfen wir dann dem unbedenklich vertrauen, was diese Zeijgnisse, wie wir sie hier aus diesen Quellen zusammenstellen, über diese merkwürdige Eigenschaft des Heiligen berichten. Als Joseph in früher Jugend sich noch in Groteila aufhielt, hatte er sich am Feste des hl. Franziskus zum Gebet in eine kleine Kapelle begeben, die einen Büchsenschuß weit von seinem Kloster unter Olivenbäumen stand; von dort aus vernahmen die Brüder bald einen fünfmal nacheinander wiederkehrenden Schrei; und als sie hineilten, sahen sie ihn an der 256

zerfallenen Decke der Kapelle, ein dort angebrachtes Kreuz umarmend, wohl zwanzig Palmen über der Erde schweben*). Als er eben dort in der Nacht des Weihnachtsabends den Schall der Pfeifen einiger Hirten, die er zur Verehrung der Geburt des göttlichen Kindes eingeladen hatte, vernahm, hub er zuerst aus übermäßiger Freude an zu tanzen, seufzte dann tief auf, stieß einen lauten Schrei aus und flog nun, einem Vogel gleich, von der Mitte der Kirche bis zum Hochaltar, der mehr als fünfzig Fuß entfernt war, und umfaßte das Tabernakel in Verzückung etwa eine Viertelstunde lang. Keine der vielen brennenden Kerzen, die zu der Zeit den Altar schmückten, fiel herunter, und kein Teil seines Gewandes faßte Feuer. Das Erstaunen der Hirten war groß gewesen, nicht geringer aber die Verwunderung seiner Ordensbrüder und der Einwohner von Copertino, als er einst, mit einem Chormantel angetan, der Prozession am Franziskusfeste beiwohnen sollte und nun mit einem Male auf die 15 Spannen hohe Kanzel der Kirche flog und auf ihrem äußersten Rande mit ausgestreckten Armen lange entzückt und wundersam kniend verweilte. Ebenso staunenerregend war die Verzückung, die ihn an einem Gründonnerstag abends ergriff, als er mit andern Religiösen vor dem auf dem Hochaltar gerüsteten, mit vielen Lampen und leuchtenden Wolken gezierten heiligen Grabe betete. Er flog nämlich mit einem Male auf, um den Kelch, der seine Liebe beschloß, zu umfassen; nichts von den umgebenden Zieraten wurde dabei beschädigt oder verrückt; ynd so flog er nach einiger Zeit, von seinen Obern zurückgerufen, wieder an den Ort, wo er zuvor gewesen. Als Santi Rossi von Trevo Novize war in jenem Kloster und, von einer Krankheit ergriffen, bettlägerig wurde, besuchte ihn Joseph eines Tags mit mehreren andern; und es begann bald ein Gespräch über religiöse Gegenstände. Joseph heftete während des Redens die Augen auf ein kleines Kruzifix, das an der Wand über einem Tische hing, der, wie es in Krankenstuben gewöhnlich ist, mit vielen Gläsern, Karaffinen, Salbentöpfen und anderem leicht gebrechlichen Geräte besetzt war. Als die Rede nun auf die Empfängnis der Jungfrau gekommen, erhob er sich plötzlich mit einem Schrei von der Erde, flog gegen das Kruzifix ay der Mauer und schwebte wohl eine halbe Viertelstunde lang in der Luft vor ihm, nach deren Verlauf er sich auf jenes Tischchen niederließ, ohne irgendeinen der darauf befindlichen Gegenstände zu verrükken oder zu zerbrechen. Gleich verwunderlich war, was sich mit ihm begeben, als er auf einer kleinen Anhöhe zwischen Copertino und dem *) Romanisches Längenmaß: eine Handbreit, von palma, die flache Hand. Görres-Mystik

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Kloster von Grotella einen Kalvarienberg aufrichten ließ und er nun, als auf dem Gipfel desselben schon die beiden äußeren Kreuze standen, bemerkte, wie das mittlere seiner Schwere und Höhe wegen, die 54 Spannen betrug, nicht leicht von zehn Männern bemeistert und an seinen Ort gebracht werden konnte. Sogleich ergriff ihn sein inneres Feuer, und er flog nun von der Pforte des Klosters wohl 80 Schritte weit dem Kreuze zu, hob es auf wie leichte Spreu und setzte es in die ihm zubereitete Grube. Dies Kreuz war in der Folge der Gegenstand seiner steten Andacht und seiner Flüge. Einst umstand er dasselbe mit anderen Priestern, und einer unter ihnen hatte die Frage aufgeworfen: wie sie tun würden, wenn der Herr an diesem Kreuze wirklich angenagelt und ihnen ein Kuß erlaubt wäre. Der eine meinte in Demut, er werde ihm dann die Füße küssen; der andere die Seitenwunde, andere anderes; er aber, als an ihn die Reihe gekommen, rief mit lauter Stimme und glühendem Antlitz: Ich, ich würde seinen heiligsten Mund küssen, durch Galle und Essig vergällt. Zugleich nahm er seinen Flug zur Höhe des Kreuzes, heftete seinen Mund genau an die Stelle, wo der Mund des Gekreuzigten gestanden hätte, wäre er zur Stelle gewesen, und stand so zum Erstaunen aller auf einem Nagel, der zum Zeichen, daß dort die Füße des Erlösers angenagelt seien, eingeschlagen war, lange Zeit; man mußte eine Leiter aus dem Kloster herbeibringen, um ihn dort wieder herabzunehmen. Mehr als einmal kehrten solche Flüge auf Entfernungen von zehn bis zwölf Schritten zu diesem Kreuze wieder. Als er einst, von der Herabkunft des Hl. Geistes über die Apostel redend, einen Priester mit brennender Kerze vorbeigehen sah, kam der Geist selber über ihn, daß er vier Schritt hoch sich in die Luft erhob. Ein andermal wurde er auf einen nahen Oelbaum erhoben, als ein Priester ihn mit den Worten anredete: P. Joseph, welch einen schönen Himmel hat nicht Gott erschaffen. Man sah ihn nun eine halbe Stunde lang auf einem Zweige des Baumes kniend, und es bedünkte die Zuschauer überaus wunderbar, daß der Ast sich unter ihm nur leicht auf und niederbewegte, gleichsam als ob ein Vogel sich auf ihm wiege. Der heiligen Jungfrau, war er besonders in Liebe zugetan, pflegte nicht anders denn seine liebe Mutter sie zu nennen, zierte ihr Bild in Grotella immerfort mit Lilien, Rosen und anderen Blumen, wie sie die Jahreszeit hervortrieb, brachte ihr Kirschen und andere Früchte und lobte sie in vielen einfältigen und freudigen Liedern. Wen er nur ihren Namen nennen hörte, fiel er schon in Verzückung; und als seine Brüder einst in der Ordnung die Litanei miteinander absangen, flog er 258

gleich beim ersten Worte: Heilige Maria! über drei Paare derselben, die vor ihm knieten, hinweg ihrem Altare zu. Als er daher, nach Assisi versetzt, oben am Gewölbe der Kirche ihr Bild wahrnahm, ganz ähnlich dem, das in Groteila verehrt wurde, rief er aus: Ach, meine Mutter ist mir gefolgt, und wurde nun achtzehn Schritte ihr entgegen in die Luft erhoben. Das gleiche wiederholte sich wenige Tage später vor einem andern Bilde, das man ihm gezeigt; und es geschah ihm ebenfalls häufig, wenn eines der Lieder in seiner Gegenwart gesungen wurde, die er ihr zu Ehren gedichtet hatte. So einmal, nach der Aussage des P. Juniperus von Palermo, als die Novizen einen solchen Gesang in seiner Gegenwart angestimmt. Er wurde sogleich in kniender Stellung schwebend; und da nun einer der Anwesenden, des herabhängenden Habites wegen, Zweifel hegte, ob er doch nicht etwa die Erde berühre, legte er ihm die Hände unter und überzeugte sich, daß er in keiner Berührung mit ihr stand. Jeder Gesang überhaupt brachte ihn leicht in diesen Zustand. Der Kapellmeister des Klosters von Assisi, P. Ant. Cossandri von Brescia, hatte drei Knaben unter seiner Zucht, die wie die Engel zu singen wußten. Als diese einst in der Zelle Josephs vor ihm ein Gespräch mehrerer Seelen im Fegfeuer absangen, wurde er sogleich erhoben; und wie er kniend schwebte, legte ihm gleichfalls einer der Knaben, aus gleichem Grunde, mit demselben Erfolge die Hände unter. Ebenso leicht geschah es ihm, wenn ein Festtag der Jungfrau seinen Liebeseifer weckte. Einst, am Feste der Empfängnis, war er in der Morgenfrühe gegen 3 Uhr zur Kirche gegangen, hatte seine Andacht vor dem Hauptaltare verrichtet und war dann zu dem der Empfängnis, um das gleiche zu tun, hingegangen. Dort hatte die Verzückung sich seiner bemeistert, und dreimal war er in kniender Stellung zum Altare geflogen und wieder zu seinem Mantel an der Erde zurückgekehrt. Darauf hub er sich wieder von der Erde, flog auf große Entfernungen nun dahin, nun dorthin und sang dabei mit großer Freudigkeit: O g r o ß e S c h ö n h e i t M a r i a s ! , dann wieder mit traurigem, kläglichem Tone: 0 S c h e u s a l d e r S ü n d e ! , dann zur Jungfrau kehrend: D u b i s t s c h ö n u n d r e i n ! ; und in solcher Weise singend und auf den Knien tanzend hatte er eine ganze Stunde zugebracht. Da war der Kustos Mastrilli, ungesehen von ihm, herzugekommen, und in diesem war die Furcht aufgestiegen, er möge sich verletzen; denn er war barfuß und die Sprünge und Flüge auf den Knien waren groß und weit. Er rief ihn daher aus gutem Willen durch den Gehorsam zurück; Joseph kam zu sich, nahm Mantel und Sandalen und ging, ohne ein Wort zu reden, zu seinem Ort im Chore. 17*

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Der Kustos aber machte sich in der Folge Vorwürfe, seine Verzückungen also ohne Not gestört zu haben; und in der Tat schien seine Sorge überflüssig, da er, wie er selbst dem Abte erzählt, in allen seinen Ekstasen nie den mindesten Schaden an irgendeinem Teile seines Leibes genommen. Als er einst in Neapel in der geheimen Kapelle der Kirche des hl. Gregor von Armenien, die den Klosterfrauen von St. Ligorio angehörte, betend im Winkel kniete, flog er plötzlich von da mit einem starken Schrei auf und stand bald mit kreuzweise ausgestreckten Armen und vorgebogenem Leibe unter Blumen und Kerzen, so daß die Klosterfrauen erschrocken zu schreien anfingen: Er verbrennt, er verbrennt! Aber er kehrte, nachdem er einen neuen Schrei ausgestoßen, unverletzt im Fluge wieder in die Mitte der Kirche zurück, und dort auf den Knien aufs geschwindeste sich umdrehend, sang er immerfort: beatissima Virgine, beatissima Virgine! So flog er 15 Schritte weit auf ein neues Bild des hl. Antonius von Padua in Monopoli, das seine Ordensbrüder ihm gezeigt, und kehrte auf demselben Wege zurück. Einst sah man ihn durch das Gitter eines kleinen Chors in der St.-Ursula-Kapelle, wo das Sakrament aufbehalten wurde, nach und nach hervorgehen, mit gebogenen Knien und glänzendem Angesicht, und dann, durch den Gehorsam abgerufen, auf demselben Wege zurückkehren. Als er einst mit einem Priester in eine Dorfkirche eingetreten und dieser, von ihm befragt: Ob wohl das allerheiligste Sakrament hier bewahrt wird?, weil kein Licht brannte, erwiderte: Wer kann das wissen?, hörte dieser ihn sogleich in ein lautes Geschrei ausbrechen und sah ihn dann dem Tabernakel zufliegen, es umfangen und das darin beschlossene Sakrament anbeten. Nicht aber bloß stieg er in solchen Umständen selbst in die Lüfte, er nahm wohl auch andere mit sich dahin. Das begegnete unter andern dem P. Kustos von Assisi, als Joseph nach feierlich gesungener Vesper zu Ehren der unbefleckten Empfängnis in der Noviziatskapelle dem Verweilenden zuredete, mit ihm öfter die Worte: Maria, du Schöne! zu wiederholen. Während dieser, Folge leistend, einfiel in die vorgesprochenen Worte, wurde er von ihm bei den Seiten gefaßt und in die Lüfte erhoben. Dasselbe geschah bei der Einkleidung einiger Jungfrauen im Kloster der heiligen Klara in Copertino. Als man den Vers: veni sponsa Christi anstimmte, lief er aus dem Winkel, wo er kniend gebetet, auf den Beichtvater des Ordens der Observanten zu, nahm ihn bei der Hand, erhob ihn mit übernatürlicher Kraft von der Erde und drehte ihn im Wirbel um. 260

Einst wurde ihm ein unsinniger Edelmann, auf einen Sessel gebunden, vorgestellt, damit er durch seine Vorbitte geheilt werde. Joseph ließ ihm die Bande abnehmen, ihn in seiner Zelle mit Gewalt zum Knien bringen, stand dann auf, legte ihm die Hände aufs Haupt und sagte: Edler Balthasar, fürchte dich nicht, befiehl dich Gott und seiner heiligsten Mutter. Als er die Worte ausgesprochen, faßte er ihn bei den Haaren, und indem er sein gewöhnliches lautes Oh! hören ließ, erhob er sich von der Erde und zog ihn mit in die Lüfte, hielt ihn dort, zum Erstaunen aller Anwesenden, eine Zeitlang schwebend und ließ sich dann mit dem Genesenen wieder zur Erde nieder. Bisweilen wurde bei seinen Auffahrten wohl auch ein Schall vernommen. So hatte er während seines Aufenthaltes in Fossombrone am Pfingsttag in der Frühe Messe gelesen in seiner Kapelle, und als er die Worte: veni creator spiritus ausgesprochen, war das Feuer so urplötzlich schnell in ihn eingeschlagen, daß er aufs geschwindeste, sich vom Altare losmachend, mit einem Knalle, als ob es donnere, in die Höhe schoß und wie ein Blitz in der Kapelle umfuhr, mit solchem Ungestüme, daß alle Zellen desselben Ganges erschüttert wurden und die erschrockenen Brüder herausliefen, laut schreiend: Erdbeben, Erdbeben! Als sie in die Kapelle Josephs eingetreten, fanden sie erstaunt den Grund dieser gewaltsamen Bewegungen in ihm, der da verzuckt und in der Fülle höheren Trostes versenkt war. Nicht bloß das Volk und seine Ordensgenossen waren Zeugen dieser wundersamen Erhebungen; Papst Urban VIII. selbst geriet einst vor Erstaunen beinahe außer sich, als ihn der General seines Ordens zum Fußkusse bei ihm eingeführt und Joseph nun bei der Betrachtung, wessen Stellvertreter im Kirchenfürsten ihm hier nahe sei, verzuckt und schwebend wurde. Der Papst sagte sogleich, wenn Joseph noch bei seinem Leben sterbe, wolle er selbst bezeugen, was er hier gesehen. Herzog Friedrich von Braunschweig, sich zur lutherischen Konfession bekennend, war, 25 Jahre alt, auf seiner Reise durch die größeren Höfe Europas gegen 1650 von Rom nach Assisi gekommen, um Joseph, der ihm durch den Ruf schon in Deutschland bekanntgeworden, kennenzulernen. Dort angelangt, wurde er wohl aufgenommen und in den fürstlichen Personen bestimmten Zimmern beherbergt. Da er sogleich sein Verlangen zu erkennen gab, mit Joseph zu reden und dann sofort wieder abzureisen, wurde er am folgenden Morgen mit den beiden Grafen in seinem Gefolge, deren einer protestantisch, der andere katholisch war, an den Eingang der Kapelle geführt, wo Joseph Messe las. Dieser wußte nichts 261

von der Anwesenheit der Fremden; da er inzwischen die Hostie brechen wollte, befand er sie so hart, daß er sie mit keiner Gewalt zerteilen konnte, was ihm wohl auch sonst begegnet. Er legte sie daher auf die Patene zurück, und die Augen auf sie gerichtet, brach er zuerst in ein heftiges Weinen aus, wurde dann verzuckt und flog nun in kniender Stellung, mit einem starken Schrei, fünf Schritte rückwärts durch die Luft; und als er mit einem gleichen Schrei wieder durch die Luft zum Altare zurückgekehrt, teilte er nun die Hostie, jedoch nicht ohne große Gewalt. Als er nach Beendigung der Messe auf Geheiß des Fürsten von dem Oberen um die Ursache seines Weinens befragt wurde, antwortete er: Die, so du mir diesen Morgen zur hl. Messe gesendet, haben ein hartes Herz; denn sie glauben nicht alles, was die Kirche glaubt; darum hat sich das Lamm Gottes heute unter meinen Händen erhärtet, daß ich es kaum brechen konnte. Das Herz des Herzogs war durch die Begebenheit wie durch die Antwort gerührt; er eilte daher nicht mehr so sehr mit der Abreise und blieb den Tag noch bis zur Completzeit mit Joseph zurück. Am andern Tage wollte er wieder seiner Messe beiwohnen, in deren Verlaufe bei der Aufhebung der Hostie das Kreuz in ihr allen schwärzlich erschien, während der Priester, eine Spanne hoch von dem Fuße des Altars erhoben, wohl eine Viertelstunde lang mit aufgehobenen Händen in derselben Stellung blieb. Dem Herzog kamen bei diesem Anblick die Tränen in die Augen; der unkatholische Graf aber sagte im Zorne: Verflucht sei die Stunde, in der ich in dies Land gekommen! In meinem Vaterlande war mein Gemüt ruhig, hier ängstigen mich nun Besorgnisse und Gewissensskrupel. Joseph aber, der alles im Lichte von oben sah, versicherte einen seiner Vertrauten der Bekehrung des Herzogs in diesen Worten: Seien wir nun wohl getröstet, der Hirsch ist getroffen!, und wirklich, nachdem er mit dem Fürsten bis zum Mittag geredet, lief er ihm, als er ihn, nach der Vesper auf sein Zimmer gehen sah, entgegen, und ihn mit seinem Gürtel umfangend, sagte er mit großem Eifer des Geistes zu ihm: Ich umgürte dich für das Paradies." Das glänzendste und wundersamste Schauspiel, das Schweben und Leuchten miteinander hervorbringen mögen, hat sich um den hl. P e t e r v o n A l c a n t a r a in seinem Kloster Pedroso zugetragen. Er beschaute vom Garten desselben aus, in Gegenwart einiger Zeugen, aufmerksam das Kreuz, das er selbst auf dem Gipfel des nahen Berges aufgepflanzt, und vertiefte sich bald so in die Leidensbetrachtungen, daß sein Geist, den Leib aufhebend, ihn mit Ungestüm vor das Kreuz trug, wo er, die Arme ausgebreitet, verweilte. 262

Er war dort so von der Süße des Himmels durchdrungen, daß man auf seinem Antlitz alles las, was in seiner Seele vorging. Von seinen Augen, die er fest aufs Kreuz heftete, gingen sehr glänzende Strahlen aus, deren Enden das Kreuz berührten; und von diesem sah man wieder andere Strahlen von ungemeiner Klarheit aufleuchten, die, von seinem Stamme anhebend, bei ihm, dem Anschauenden, endeten. Zugleich sah man über seinem Haupte eine Wolke von unvergleichlicher Weiße in Form eines Schirms erscheinen, die ein Licht, glänzender als die Sonne, von sich gab und, sich bis zum Fuße des Berges ausbreitend, nicht bloß das Kloster, sondern die ganze Gegend mit wundersamer Klarheit erfüllte. Die Brüder liefen zusammen, um das Schauspiel zu sehen; einige warfen sich auf die Knie, wie Moses vor dem brennenden Dornbusche; die andern legten das Gesicht an die Erde, wie die Apostel bei Jesus; keiner beinahe hatte den Mut, das Wunder näher zu betrachten, das Gott in seinem Diener wirkte. Sie wußten nicht, was sie am meisten bewundern sollten: die Strahlen des Kreuzes, das Schweben des Heiligen oder die leuchtende Wolke, die ihn umgab. Nachdem sie lange aus dem Verborgenen der Erscheinung zugesehen, gingen sie still davon, um ihn nicht zu betrüben, wenn er wieder zu sich gekommen. Die Wolke zerstreute sich zuletzt, und das große Licht verschwand; zugleich kam der Verzuckte zu sich und ging nach dem Kloster zurück, um sich in seiner Zelle zu verbergen.™ Als der hl. J o s e p h v o n C o p e r t i n o auf Befehl Innozenz' X. von Assisi ins Kloster von Petra Rubea geführt wurde, traf der Erzbischof Hyazinth von Avignon mit ihm in Citta di Castello zusammen und wurde dort, als er sich mit ihm in seinem Zimmer eingeschlossen, Augenzeuge einer der Ekstasen, wie sie häufig über ihn zu kommen pflegten. Sie redeten von geistlichen Dingen, und P. Joseph sprach vom Undanke der Menschen und wie er sich wundere, daß nicht Schamröte jeden beim Anblicke eines Kruzifixes anwandle, in der Erinnerung dessen, was der Gekreuzigte für ihn getan und was er dagegen leiste. Er begann nun der Reihe nach alle Leiden aufzuzählen, die Agonie, das Geißeln, die Krone, die Nägel. Darüber schien es mir, erzählt der Erzbischof in seinem Berichte, als säuere sich sein Mund und ziehe sich zusammen wie bei einem solchen, der scharfen Essig getrunken. Zu gleicher Zeit sank er von der Kiste, auf der er saß, plötzlich in die Knie, mit ihnen so scharf aufschlagend an die Erde, daß ich ihn verwundet glaubte. Er kniete nun da: die Augen offen, die Pupille unter den oberen Augenlidern verborgen, die Arme kreuzweise ausgestreckt, wie man den heiligen Franziskus zu malen pflegt, als 263

er die Wunden empfangen. Ich betrachtete ihn eine Zeitlang aufmerksam und wollte dann versuchen, ob ich seine Arme bewegen könne, was nur mit Mühe gelang. Der Bewegte ging nun wie ein Pendel, und ich konnte leicht in ihm jene Oszillationen hervorrufen, wie wir täglich an Libellen, die in der Luft schweben, sie bemerken; so sehr war dieser Arm aus seinem natürlichen Verhältnisse gebracht. Nach einer Viertelstunde kam er wieder zu sich, setzte sich abermals auf seine Kiste und sagte entschuldigend: Verzeihe, daß ich mich vom Schlafe habe überraschen lassen!71 — Man sieht hier deutlich: Durch das Eingreifen des Zeugen hat sich, was sonst nach innen sich vollbrachte, in der Rückwirkung nach außen hin geworfen und ist nun in der Form schwingender Pendelbewegung sichtbar geworden. Indem nun diesen Strömungen sich diejenigen beigesellen, die durch die hinteren Extremitäten gehen und die Bewegung steuern, wirkt sich der Flug, und zwar bisweilen mit solcher Gewalt und Schnellkraft, daß die Luft, mit Blitzesschnelle durchschnitten, wie wir gesehen, mit Gewalt zusammenschlägt und ein weithin hörbarer Schall und eine allumher fühlbare Erschütterung die Folge ist. e) T ä t i g e W i r k u n g in d i e

Ferne

Betrachtet man die Tatsachen, die auf ein solches Hinnehmen lauten, genauer, dann findet sich, daß dies auf dreifach verschiedene Weise geschehen mag. Einmal wird nämlich die Person selbst an Ort und Stelle mit Ungestüm hingetragen, und eine solche Hinnahme wird alsdann am meisten von der Art des Bewegungssystems haben. Oder zum andern: Die Person beharrt zwar an ihrer Stätte, wird aber im Geiste in die Ferne hingeführt, vollführt, was ihr aufgegeben worden, und bringt dem zum Beweise gewisse Zeichen an ihrer Leiblichkeit mit, was am meisten von der Art des Vitalsystems hat, in der sich die Stigmatisation erwirkt. Odei* endlich die handelnde Persönlichkeit, fortdauernd beharrlich in ihrer Stätte bleibend und dort wahrgenommen, wird zu gleicher Zeit auch anderwärts gesehen und in ihrer wirksamen Tätigkeit erkannt, welches Doppelsehen am meisten von der Natur der Vision an sich trägt. Besonders die Todesstunde sehen wir von Erscheinungen der dritten Wirkungsweise umspielt. Wundersam in dieser Art ist, was sich zwischen der Schwester A n g e l a d e l l a P a c e und ihrem Beichtvater P. Giuseppe kurz vor ihrem Hinscheiden zugetragen. Sie war im Jahre 1662 bereits 52 Jahre alt geworden, als ihr innerlich Kundschaft kam, wie das Ende ihrer 264

irdischen Laufbahn nahe. Sie wurde bald von einem heftigen Fieber ergriffen, und da der Beichtvater sie so sehr übel fand, ließ er die Aerzte berufen, die, als sie die Bösartigkeit der Krankheit gewahrten und die Erschöpfung ihrer Kräfte durch die frühere Härte ihrer Lebensweise in Ueberlegung nahmen, urteilten, daß ihr wenige Tage, ja, nur Stunden zu leben vergönnt seien, und darum rieten, ihr die Sterbsakramente zuzuteilen. Sie aber, die wußte, daß St. Ursulatag ihr Sterbetag sein werde, sagte dem Beichtvater: es werde nicht also ergehen, wie die Aerzte meinten. Wirklich, nachdem sie einen Monat lang vieles ausgestanden, wurde ihr Zustand so, daß die Aerzte sich ihres Lebens getrösteten und es bald den Anschein gewann, als sei alles Uebel vorübergegangen. Als der Beichtvater, dem sie sehr wert war, sie also in der Besserung fand und aus der Erfahrung wohl wußte, wie unbedingt sie dem Gehorsam sich unterwerfe, gebot er ihr: nicht bloß vollkommen gesund aufzustehen, sondern noch viele Jahre beim Leben zu bleiben, um dem Herrn also noch länger zu dienen. Dies kühne Gebot brachte das Gesetz der Natur und das der Gnade in einen bedenklichen Widerspruch; Angela, die dies fühlte, sagte darum heiteren Angesichts: Vater, wenn Ihr auf das Gutachten der Aerzte also gebietet, muß ich wohl gehorchen; aber wisset, daß ich morgen über acht Tage aus diesem Leben scheiden muß; jedoch wird dies nicht ohne Euern Segen und ohne Euere mir aus freiem Willen gegebene Erlaubnis geschehen. Was die Erlaubnis betrifft, erwiderte Giuseppe, so werde ich sie dir niemals geben; wenn du daher, wie ich hoffe, gehorsam bist, wirst du diesmal gewiß nicht sterben. Ich werde sterben, sagte darauf Angela, und zwar, wie ich gesagt, mit Euerer Erlaubnis; denn ich bin zur ewigen Hochzeitfeier geladen, und daran könnt Ihr mich nicht hindern. Ihr werdet Euch vielmehr vom Herrn gedrungen finden, mir die Erlaubnis zu gewähren, und überdem auch die Sterbsakramente mir erteilen. Der Beichtvater war verwundert über die Sicherheit, mit der sie das alles sagte, besonders was den letzten Umstand betraf, weil er gar wohl wußte, daß der Ortspfarrer entschlossen sei, ihr jenen Dienst zu leisten; er ging daher mit wenig Vertrauen auf ihre Worte von dannen. Bald jedoch kamen ihm Sorgen um den Ausgang, als das Fieber wieder sich verschlimmerte und die Schmerzen sich ihr in solcher Weise mehrten, daß es schien, alle die, welche sie aus Schwachheit oder in der Uebernahme in ihrem Leben gelitten, würden ihr jetzt nochmal in Masse zu leiden aufgegeben. Sie ertrug indessen dies alles, zum Erstaunen der Aerzte, mit Geduld, ja, mit Heiterkeit, es dankbar hinnehmend, 265

und darüber kam der 20. Oktober heran, der, wie sit wußte, ihrem Todestage voranging. Wohl einsehend, daß, was sie ihrem Beichtvater vorgesagt, auf gewöhnlichem Wtge sich nicht erfülle, gab sie sich nun ins Gebet und bat Gott, daß er Vorsorge dafür trage. Es geschah aber, als P. Giuseppe an diesem Tage, etwas nach Mitternacht, in seiner Zelle im Marienkloster ruhte, er an die Türe klopfen hörte und nun, indem er völlig wach bei sich überlegte, welche Dringlichkeit das zu so ungewöhnlicher Zeit herbeigeführt haben möge, nahm er wahr, wie die Türe sich öffne und jemand eintrete und vor seinem Bette niederknie. Ob es gleich dunkel war im Zimmer und er nicht sah, wer gekommen, erkannte er doch am Schritte, daß es Angela sei, und rief nun in Furcht und Erstaunen: Schwester Angela, was führt dich zu dieser Stunde in meine Zelle? Er hörte sie nun deutlich mit ihrer Stimme antworten: Ich bin gekommen, Vater, um Eueren Segen und die Erlaubnis zu meinem Sterben mir zu holen. Giuseppe weigerte sich, das Verlangte zu gewähren, sie aber ließ nicht ab zu bitten, sagend: es sei Gottes Wille also; er aber widerstrebte ihr durch zwei volle Stunden. Im Verlaufe dieser Zeit hatte er, durch eine innere Macht bewegt, wohl dreimal die Erlaubnis erteilt, aber die gegebene immer wieder zurückgenommen, zum vierten Male aber war sie, ohne ihm Zeit zum Widerruf zu lassen, aufgestanden und davongegangen, die Türe hinter sich verschließend, wie sie es zuvor gewesen. Er hatte sich sofort vom Bette erhoben und voll Beängstigung und Erstaunens über das, was ihm begegnet, ohne recht zu wissen, was er tue, das Fenster geöffnet und, gegen den Ort hingewendet, wo sie lag, ihr den Segen gegeben, also sehr wider Willen die Erlaubnis, die er ihr zu sterben gegeben, bekräftigend. Nun läutete die Glocke zum Gebete, und er ging mit den andern Geistlichen zum Chore, nicht ohne innerliche Verwirrung des Vorfalls wegen. Er stand nicht lange, da wurde er mit großer Eile vom Pförtner gerufen, der ihm ansagte: Schwester Angela lasse ihn um die Erteilung der Sterbsakramente bitten. Er begab sich nun zu ihr und wollte jemand nach dem Pfarrer senden, ohne dessen Erlaubnis er die Sakramente nicht administrieren konnte, aber Angela sagte ruhig: Der Pfarrer wird die Erlaubnis nicht weigern, ja, er wird Euch darum bitten. Er wandte sich nun gegen die Sterbende und sagte: Also, Schwester Angela, es soll wirklich gestorben sein; aber wie steht's um den Gehorsam, wer hat die Erlaubnis dazu erteilt? Sagte ich nicht, daß ich sie nimmer geben würde! Angela erwiderte: Ja, Pater, ich sterbe, und sterbe mit Eurer Erlaubnis, und Ihr wißt wohl, daß Ihr mir sie nicht einmal, sondern 266

viermal gegeben habt. Da er sich anstellte, er verstehe nicht, was sie ihm da sagte, erzählte sie ihm alles, was in seiner Zelle vorgefallen. Sie legte ihm nun ihre Beichte ab; unterdessen war der Gesendete zum Pfarrer geeilt, hatte diesen aber am Podagra bettlägerig gefunden, und da er ihn zu kommen gebeten, hatte der Kranke erklärt, daß er zu seinem Leidwesen verhindert sei und P. Giuseppe bitte, an seiner Stelle einzutreten. Es geschah, wie sie gebeten; Angela blieb noch eine Stunde nach dem Empfang der Sakramente in tiefer Betrachtung verschlungen und starb dann ohne Agonie sanften Todes. Der Beichtvater bekräftigte mit einem Eide die Aussage, die er über das Vorgefallene gemacht. 7 '

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Zweites Buch

Die absteigende Mystik Nachdem früher die untere Mystik der Heiligen verhandelt worden, muß die Betrachtung jetzt zu der der Dämonischen übergehen. Am Uebergange liegt die Naturmystik, der einen wie der andern als irdische Unterlage sich unterbauend. Die schickliche Stelle, um von dieser zu reden, war also hier gegeben; daß dies nicht in anmutiger Kürze sich abtun lassen wollte, daran ist der Reichtum der Natur schuld und die Tiefe, in der diese Dinge wurzeln. Wie ist es nun um diese natürliche Magie beschaffen; ist sie wirklich der Art, daß kein vernünftiger Mensch ihr Glauben beimessen darf, und daß der kindische um so eher zur Mündigkeit gelangt, je früher er sich von ihr lossagt? Die Frage hat viele Seiten, von denen sie betrachtet werden kann, wie man im Buche sehen wird; der langen Rede kürzester Sinn scheint aber auf Folgendes hinauszulaufen. Der Mensch ist ein aus Natur und Geist in eine Persönlichkeit verbundenes Wesen, was nur dadurch sich bilden kann, daß die Natur in ihm etwas vom Geiste, der Geist hinwiederum etwas von der Natur angenommen und beide nun im Lebensbande aufs engste untereinander sich geeint. Die Natur in ihm, mit einem ihr untergeordneten Geistigen verbunden, der N a c h t m e n s c h in der Persönlichkeit, ist nun, weil aus der Erde hervorgegangen, auch der Mensch der Erde; er gehört ihr also, auf die Bedingung jedoch, daß sie ihm angehöre. Denn er ist das eigentliche Zentrum der Erde und aller ihrer Bildungen, er ist also durch Radien mit allen ihren Reichen und Peripherien verbunden, lebt mithin in ihnen allen, wie sie in ihm; ist Leib von ihrem Leibe und Geist von ihrem Geiste; fühlt darum auch in alles sich hinein, wie er alles aus ihr herausfühlt, und beherrscht durch seine Rapporte alle ihre unteren Kreise, indem er ihnen allen dient. Der Geist mit einem ihm untergeordneten Natürlichen verbunden, der T a g m e n s c h in der Persönlichkeit, ist aber seinerseits nicht von der Erde und gehört ihr also auch nicht an, ungleich dem vorigen. Denn einem höheren Zentrum als 268

das ihrige verbunden, lebt er, gleichwie dieses, wohl im niedern und dem mit ihm geknüpften Peripherischen, also jedoch, daß er frei gelöst und doch wieder dasselbe in sich aufnehmend, es überschwebt, es stets auf sich beziehend und in seinem Lichte es zum klaren Bewußtsein bringend. Sein Reich ist das Geistige, dem er entstammt; daher gehen seine Rapporte und Verbindungen in dies Reich; und wie Freiheit das Gepräge aller Geister ist, so ist er auch mit Anerkenntnis dieser seiner Freiheit in dasselbe aufgenommen. Jener Nachtmensch und dieser Tagmensch sind nun in den einen und selben Menschen verbunden, ursprünglich ohne sich durcheinander zu verwirren oder aufzuheben; weil eben ihr gemeinsames Sein in Gott, der über ihren beiden Welten steht, die Getrennten auseinanderhaltend, doch in sich zusammenhält. Der erste hat dem andern sein leibliches Haus erbaut und hat Wohnung in ihm genommen; aber der andere, der mit beim Bau gewesen, durchwohnt nun das Gebaute gleichfalls und gebraucht sich seiner zu seinem Zwecke. Die ganze Leiblichkeit ist daher zweiherrisch, und die Doppelherrschaft greift durch alle Organe hindurch und drückt sich in ihnen aus; und dieselbe Schiednis geht durch alle Verrichtungen hindurch bis zur höchsten Spekulation hinauf, die, in subjektive und objektive geteilt, nur in Gott und was Gottes ist Ruhe und Einheit findet. So war es uranfänglich. Der höhere Mensch war der Gebieter, der untere dienstbar, und jener herrschte durch seine höhere Mitte über die Tiefen des andern. Dieser als Zentrum der Natur durchschaute die ihm verbundene Natur, wie wir unsern Leib durchschauen; er beherrschte sie, wie wir unsere Glieder beherrschen, und belebte sie in gleicher Weise. Er befaßte also in sich das Bild und Gesetz der unteren Natur, wie der andere das der höheren; und wie dies Bild und dies Gesetz, diese Naturweisheit, die Naturethik und dazu die natürliche Vitalität ins Höhere eingetragen und in Gott aufgehoben wurde, beherrschte der Mensch in Gott ohne Anstrengung und ohne Mühe die ihm zugeteilte Region. So sollte es auch bleiben und sich befestigen durch die geforderte Gewähr. Da schlug ein neues Moment, die Sünde, ein Produkt des geistigen Reichs hervor und störte die ganze Ordnung. Der Tagmensch hatte die Missetat begangen, in ihm auch der Nachtmensch, beide miteinander traf die Strafe. Die Sünde setzte sich zwischen jenen und Gott, und auch das höhere Geisterreich verfinsterte sie bis zur Unsichtbarkeit und fesselte den Tagmenschen an den Zwang des alten Gesetzes. Sie drang zwischen den andern und die äußere Natur, um269

nachtete ihm auch diese in ihren tieferen Gebieten und machte den Nachtmenschen dem Naturgesetze hörig. Sie drang endlich auch zwischen beide menschliche Naturen desselben Menschen, schied sie wie mit Schwertes Schärfe und machte im Tode in ihren unteren Gebieten sie lösbar voneinander. Sie umnachtete eine für die andere und kehrte die Ordnung der Mittelpunkte um, so daß, da der höhere zuvor herrschend in seiner Höhe gestanden, umfaßt von dem andern; jetzt der untere herrschend in der Mitte steht und der obere ihn umfaßt, wie dem Scheine nach der Himmel die Erde. Nun muß der Tagmensch im Schweiße seines Angesichts die Wissenschaft, wie die Erde mit dem Pflug, bebauen. Was aber nun durch den Tod in Trennung voneinander gelöst werden mag, das kann auch durch Krankheit innerhalb eines gewissen Spielraums auseinanderweichen und eines um das andere eines gewissen Uebergewichtes sich erfreuen. Es kann also das untere Zentrum, äußerlich auf der Höhe sich im Zerebellum bergend, weit vorweg überwiegend werden und das höhere im Zerebrum ganz und gar sich unterordnen und bemeistern. Dann wird der Mensch, der der Natur schon hörig ist, ganz und gar ihr leibeigen; der Tagmensch dient dem Nachtmenschen ganz und gar, wie dieser der äußeren Natur verfallen ist. Der eine herrscht aber in der Macht dieser Natur über den andern, denn er denkt Naturanschauungen und wirkt Naturwirkungen in den Kräften dieser Natur, mit der er sich geeinigt findet, und lebt ganz und gar in ihrem Leben. Er ist ein natürlicher Magier, der da herrscht als dienstbarer Geist der umgebenden Welt. Mit einem solchen Verhältnis würden viele unter den Weisen der Welt sich nun versöhnen; aber dies einmal zugegeben, kommt nun die Kehrseite desselben herangezogen und will sich nimmer abweisen lassen. Ist innerhalb jenes Spielraums nämlich eine Lösung nach der unteren Seite hin möglich, dann wird auch eine nach der oberen hin zugegeben werden müssen. Der Mensch kann nämlich, besonders seit die Erlösung ihn befreit, noch all sein Tun und seine Mühen dem oberen, gegen Gott hingerichteten Mittelpunkte entgegenwenden und diesen, soviel das im Leben tunlich ist, von der Macht des unteren zu befreien sich bestreben, und eine Gnade von oben kann ihm dabei hilfreich entgegenkommen. Dann wird, wenn dies gelungen, der Mensch nach unten frei, denn die höhere Mitte in ihm ist die zentrale geworden; und er hat nach oben nicht Knechtschaft, sondern Freiheit in Gott eingetauscht. Sein Prinzip ist nun: Ich erkenne nur, inwiefern mich und in mir Gott erkennt; ich will nur, inwiefern Gott mich und in mir 270

will; ich lebe nur, inwiefern Gott mich und in mir lebt. Er ist jetzt auch ein Seher und ein Magier geworden, aber einer der höheren Art, weil Gott in ihm seine Werke schaut, seine Taten wirkt und ein unsterbliches Leben lebt.

I. O k k u l t e p h y s i s c h e B e z i e h u n g e n v o n M e n s c h zu M e n s c h Ist der Mensch im weitesten Umkreise mit allen Naturreichen, neben dem gewöhnlichen allgemeinen Lebensverkehr, noch in außergewöhnliche magische Wechselwirkung gesetzt, dann wird er auch im enger geschlossenen Gebiete der eigenen Gattung in ein ähnliches Wechselverhältnis sich verflochten finden, in das alle in Lebenskonsonanz verbundenen Individuen eingehen und vermöge dessen eines das andere ergreift und von ihm ergriffen wird, und zwar je nach allen Regionen ihrer Persönlichkeit, so zum Guten wie zum Bösen... Eben aber weil dieser Bezug durch alle Regionen geht, wird er schon in der untersten vegetabilischen beginnen; und wenn, nach dem Erlöschen aller höheren Lebenskräfte im Tode, diese tiefsten unter Umständen in ihrer Sonderung am entschiedensten hervortreten, wird auch die durch sie begründete Wechselwirkung am auffallendsten sich zeigen. Sie wird von da in die tierische Lebensregion sich ausbreiten, dahin, wo uns gleich in den Geschlechtsverhältnissen die physische Wurzel derartiger Beziehungen entgegentritt: Bezüge, die, mit der Umsessenheit beginnend, zuletzt im Besitzen und Besessensein auf dem natürlichen Wege zur Zeugung führen. Auf der magischen Linie werden dann in diesem selben Gebiete jene gegenseitigen Befruchtungen zum Leben oder zum Tod sich finden, in denen eine Persönlichkeit auf die andere, durch Mitteilung der einwohnenden Lebenskräfte in die Ferne wirksam, heilenden oder verderbenden Einfluß übt, eine Wirkung, die, entweder als Anlage in die tieferen Regionen gelegt, schon in der bloßen Anwesenheit des Begabten oder Heimgesuchten durch die von ihm ausgehenden Einflüsse ins wache Leben eingreift oder, wie bei den magnetisch-somnambulistischen Erscheinungen vorsätzlich geübt und an gewisse Manipulationen geknüpft, in die tieferliegenden Lebensgebiete eingreift und im Heil- oder Todesschlaf sich den Zugang bahnt. 1. Der gute und der böse Blick Es gibt eine magische Infektion, in der sich der Tod, in der Hülle eines falschen Scheinlebens nahend, in seiner verderbenden Wirkung auf das gesunde und ungebrochene Leben offenbart. 271

Solche lebendigen Todausstrahler haben z. B. in Spanien sich gefunden, und eine Reisende, die im Jahre 1679 dies Land und seinen Hof besucht, läßt sich darüber von einer jungen spanischen Frau folgendes erzählen: „Mit Ihrer Erlaubnis! Sie müssen wissen, daß es in diesem Lande Leute gibt, die ein solches Gift in den Augen haben, daß sie, wenn sie jemanden, vorzüglich ein kleines Kind, Starr ansehen, verursachen, daß es an der Auszehrung stirbt. Ich habe einen Mann gesehen, der ein also süchtiges Auge hatte; da er nun die Leute krank machte, wenn er sie mit diesem Auge ansah, so zwang man ihn, es mit einem Pflaster zu bedecken; denn das andere war bei ihm unschädlich und hatte nichts Giftiges. Wenn er manchmal bei seinen guten Freunden war, so brachte man einige Hühner herbei, hierauf sagte er: Sucht euch eines aus, das ihr wollet totgesehen haben. Zeigte man nun auf eins, dann blickte er das Huhn starr an, und man sah es darauf bald einigemal im Kreis herumtaumeln und in kurzer Zeit tot darniederfallen." Ich fragte die junge Frau, ob man nichts Außerordentliches an den Augen dieser Leute wahrnehme? „Nein," sagte sie, „außer daß sie einen solchen Glanz und eine solche Lebhaftigkeit haben, daß es scheint, als ob sie ganz Feuer seien und als wenn sie einen wie mit Pfeilen durchschießen wollten." 1 — V i d a kannte einen solchen, der oben auf der Höhe von Viterbo wohnte. Es war ein alter Mann von widerwärtigem Ansehen; das düstere Auge war mit Blut unterlaufen, und borstiges, graues Haar bedeckte seinen Scheitel. Er nun tötete durch seinen Blick von kriechenden Tieren, was ihm vorkam, kleines Gevögel und jedes schwächere Leben. Trat er irgendwo in einen Garten ein, wenn der erste Frühling die Keime hervorgetrieben und die Bäume in der Blüte standen, dann war es eine Verwüstung unter den Pflanzen und in aller Grüne: denn wohin er irgend den entsetzlichen Blick und der Augen Schärfe richtete, da sah man auf einmal alle Blüten, wie vom Todeshauche angeweht, hinwelken und absterben.4 Er stand keineswegs allein, auch andern ist das gleiche vorgekommen, und B o r e 11 begegnete in seiner Praxis solchen, aus deren Augen so giftige Ausflüsse sich entwickelten, daß sie nicht allein die Milch in den Brüsten der Säugammen vertrockneten, sondern auch die Blätter an den Bäumen und die Früchte Versehrten, die man erdorren und abfallen sah. Es kam soweit, daß sie nur mehr wagten, irgendwo hinzugehen, wenn man auf die Anzeige ihres Nahens zuvor die kleinen Kinder mit ihren Ammen, neugeborene Tiere und überhaupt alle Sachen, denen sie schädlich hätten werden können, hinweggeschaflt.. .3 272

Auch den Alten war jene Erscheinung keineswegs unbekannt, und Plinius berichtet aus Isigonus und Nymphodorus: es gebe in Afrika Familien von solchen, deren lobend Wort das Gelobte verderbe, die Bäume verdorre und die Kinder töte.1 Dergleichen fänden sich auch bei den Triballen und Illyriern, die durch ihren Blick bezauberten und alles töteten, was sie länger, besonders mit zornigen Augen anblickten, am leichtesten jedoch Kinder, und es sei merkwürdig, daß sie zwei Pupillen in jedem Auge hätten. Nach Apollonides gebe es auch Frauen der Art in Skythien, die Bythien genannt würden; nach Phylarchus aber habe auch im Pontus das Geschlecht der Thybier und vieler anderen die gleiche Eigenschaft, die durch die doppelte Pupille an dem einen Auge, das Bild eines Rosses am andern bezeichnet seien. Solche könnten dabei im Wasser nicht untergehen, selbst von Kleidern belastet. Ihnen nicht ungleich sei auch nach Dämon das Geschlecht der Pharnazen in Aethiopia, deren Schweiß die von ihm berührten Glieder süchtig mache, und Cicero erkläre den Blick aller der Frauen als schädlich, die doppelte Pupillen hätten. P1 u t a r c h, da wo er von diesem Augenzauber redet, wie er besonders Kindern wegen ihrer noch weichen und flüssigen Komplexion nachteilig sei, setzt dann hinzu: es zeigten sich jedoch jene Anwohner des Pontus, die man in früherer Zeit Thybier genannt, nach Phylarchus nicht bloß den Knaben, sondern auch den Männern verderblich; denn alle siechten und erkrankten, gegen welche sie Blick und Atem oder Rede hingewendet. Die Sache sei, wie es scheine, durch die ausgekommen, welche in jener Gegend Handel trieben und Sklaven von dort ausführten. 5 Das ist das böse Auge, gegen welches die Alten ihre Kinder durch die Faszinen, wie heute noch die Spanier durch die Higas bewaffneten, während die italienischen Mütter durch die Worte: „di gratia non gli date mal d'ochio!", die sie den sie Lobenden zurufen, das Uebel von ihnen abzuwenden suchen. Die doppelte Pupille und die Bilder von Pferden im Auge, die man an solchen Verderbern bemerkt — entsprechend den Katzenpfoten und Krötenfüßen, die man in denen der Hexen wahrgenommen —, weil beide von einem Krämpfe in der Pupille herrühren, zeugen für die krampfhafte Anlage derjenigen, die durch solche Eigenschaft ausgezeichnet sind; so wie auch ihr Nichtuntergehen im Wasser, auf den Grund dieser Anlage hinweisend, in der Hexenprobe wiederkehrt. Finsterblickende, tiefliegende, scharf konvexe Augen sind daher den slavischen Völkern verdächtig, und sie suchen Hilfe gegen sie bei solchen aus ihrer Mitte, die im Rufe stehen, den bösen Blick derselben wegzaubern zu können. Görres-Mystik

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Das Uebel ist die telchinische Seuche, von der schon die urältesten griechischen Zeiten so viel zu erzählen wußten; eine Krankheit, die der Neid der Teichinen, jener in Menschen umgewandelten Hunde des Aktäon, ausgebrütet, und die sich dann verderblich gegen alles, das in ihre Nähe gekommen, gewendet. Neben dem Zorne war es also hauptsächlich die neidische Mißgunst, in der man den Ursprung des Uebels gesucht, das ihr gleichsam nur einen Körper gegeben, durch den sie, wie jede andere Seuche, im Gebiete des Lebens verderblich wirkte; ein Verhältnis, das sich in ihrer lateinischen Benennung Fascinatio so wie in anderer Weise in dem deutschen Worte Scheelsucht trellend ausdrückte. Legte man einer solchen Sucht aber die Macht bei, vom Süchtigen ausgehend mit Verderben anzustecken, dann mußte man ihr auch jene andere zugestehen, sich gegen sich selbst gewendet selber zu verderben, und so erzählte das Altertum: Euthelides habe, seine Schönheit mit neidischem Auge in der Quelle erschauend, sie in Krankheit hinwelken gemacht. Die Sage, die einen so allgemein verbreiteten und gründlich durchgebildeten Glauben vorgefunden, hat des willkommenen Gegenstandes sich zu bemeistern nicht versäumt; und so erzählt sie bei den Polen von dem Edelmanne, der am Weichselufer einsam im weißen Hause, von allen Nachbarn mit Angst und Zagen geflohen, wohnte, weil sein Blick allen Menschen Krankheit und Tod brachte, seine Herden tötete und die Scheunen in Brand steckte und nur durch Ansehen eines welken Erbsenbüschels eine Zeitlang gebunden wurde. Endlich in Liebe zur Tochter eines andern Edelmannes entbrannt, die die Wölfe zu ihm ihre Zuflucht zu nehmen genötigt, nimmt er sie zur Gattin; weil aber sein Uebel auch sie und die Tochter, die sie ihm gebärt, mit Unglück bedroht, reißt er sich die Augen aus und vergräbt die glänzenden Kristalle an der Gartenmauer. Er war nun genesen, aber die vergrabenen Augen gewinnen in der Erde neue Kraft, also, daß sie den alten Diener, der früher als der einzige in der Nähe des Herrn ausgehalten, zuletzt noch töten, als er aus Neugierde sie ausgegraben.6 Jedes Verderben aber setzt ein Unverdorbenes voraus, in dem es sich erzeugt; und wie nun dies, von einer gewaltsamen, zerreißenden, zerstörenden Aktion ergriffen und negativ potenziert, zum Mittelpunkte eines Kreises von Verderbnis und einem Brunnquell schädlicher Einflüsse wird, so kann es, von einer wohltätigen, höhenden und steigernden Macht angeregt und positiv potenziert, Zentrum eines Kreises von Segen und Born heilbringender Influenzen werden. 274

Den Verderbern von Hause aus, wie sie an uns vorübergegangen, werden daher andere sich gegenübergestellt finden, die von der Natur her mit einer angeborenen Heilkraft sich ausgerüstet sehen. Diese, früherhin vorzüglich in Spanien nicht selten vorkommend, wurden in der Landessprache Saludadores, Heilkräftige, und Ensalmadores, Besprecher, genannt. Sie bildeten eine Art von Genossenschaft, in der ein Teil ansässig seinen Geschäften oblag, während die andern durch Städte und Dörfer zogen. Ein Kreuz hing ihnen vor der Brust, das sie denen, die geheilt zu werden verlangten, zum Küssen darboten, dabei einige Sprüche hersagend und den Kranken leicht anhauchend oder ihn küssend, auch wohl bei Vergiftungen oder bei der Hundswut ein Stück Brot, das sie angebissen, ihnen darreichend. Die Schäden begriffen sie mit nach Zahl und Weise bestimmten Grillen; und es gelang ihnen oft, dadurch eingewurzelten Uebeln zu begegnen, Eisen aus den Wunden zu ziehen und sie dann zu heilen. Sie behaupteten: zur Ausübung ihrer Kunst sei ihnen der reichliche Genuß des Weines vonnöten, ohne Zweifel zur Erhöhung der einwohnenden lebenskräftigen Gabe; was denn aber, verbunden mit anderer Ungebühr, die das umschweifende Leben herbeigeführt, viele von ihnen sehr verrufen machte. Keine Verbindung war jedoch zwischen diesem ihrem Wandel und der Heilgabe wahrzunehmen, woraus sich urteilen ließ, sie sei nicht an ihr Moralisches, sondern an ihr Physisches geknüpft. Viele trugen das Bild eines Rades an ihrem Leibe, das Zeichen des Märtyrertumes der hl. Katharina, die damit zum Tode gebracht worden; auch sagten sie aus von sich: ein Saludador, der dem andern begegne, kenne ihn sogleich an natürlichen Zeichen, wenn er ihn auch nie zuvor gesehen. Sie rühmten sich wohl auch, wie sie brennende Kohlen ohne Verletzung anzugreifen imstande seinen und im Feuerofen ohne Schaden verweilen könnten, was jedoch an dem sich nicht bewährte, den V a i r gesehen, der, weil sein Gefährte, nicht unterrichtet, daß er im Ofen sei, die Türe hinter ihm zugeschlossen, verbrannte.7 Ebenso rühmten sie sich des Vermögens, in weite Ferne zu sehen, wovon T o r q u e m a d a ein merkwürdiges Beispiel anführt. Er berichtet nämlich im dritten Buche seines Jardin de Flores (Salamanca 1577) p. 159, zuerst im allgemeinen über sie redend: sie hätten vorzüglich die Gabe, vom Bisse wütender Hunde zu heilen und Menschen und Tiere vor Schaden zu bewahren. Sie sagten von sich aus, wie das Rad der hl. Katharina ihrem Gaumen oder einem andern Teile des Körpers sich aufgeprägt finde; doch sei nicht zu leugnen, daß sie sich größerer Dinge rühmten, als sie zu leisten imstande seien. Sie gehörten 18*

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meist den unteren Volksklassen an, und es sei interessant zu sehen und zu hören, welcher Gebete und Beschwörungen, übelgefügter, oft unverständlicher und lächerlicher Worte sie sich bei Uebung ihrer Kunst bedienten. Daher komme es, daß, da auch ihre Aufführung bei manchen nicht sehr löblich sei, viele Zweifel an der Art ihrer Gabe hegten; doch möge das wohl auch mitunter daher rühren, daß manche sich für Saludadores ausgäben, die keine seien. Er erzählt nun ein Beispiel wirklicher Heilung, die einer an seinem Vater vollbracht. Als dieser in früher Jugend eine weite Reise angetreten, hatte ihn im Verlaufe derselben ein Hund angefallen und, ehe er ausweichen konnte, ihn durch den Stiefel ins Bein gebissen, so daß ein oder zwei Tropfen Blutes aus der Wunde gegangen. Er hatte aber aus der Sache nichts gemacht und die Reise drei oder vier Tage fortgesetzt, bis er eines Morgens in einem Dorfe zur Messe läuten gehört und abgestiegen, um sie anzuhören. Als er zur Kirche gegangen, trat ein Bauer an ihn heran und redete ihm mit den Worten zu: „Sagt mir, Herr! Euch hat ein Hund gebissen?" Der Gefragte, der die Sache schon vergessen, erwiderte: „Allerdings hat mich vor wenig Tagen einer angefallen, warum fragst du?" Da lächelte der Bauer und sagte: „Dankt Gott, daß er Euch hergeführt, um Euer Leben zu retten, denn ich bin ein Saludador; der Hund aber, der Euch ins Bein gebissen, war rasend; kam Euch bis zum neunten Tage keine Hilfe, dann wart Ihr verloren. Und damit Ihr Euch überzeugt, daß ich die Wahrheit rede, will ich Euch die Zeichen des Hundes sagen." Und er beschrieb nun den Hund, wie Torquemada ihn gesehen. „Um Euch zu heilen," sagte darauf der Bauer, „muß ich eine Zeitlang Euch hier behalten." Er ging nun mit ihm in sein Haus und besprach ihn dort und alles, was sie aßen, und nach dem Essen abermals. Dann sagte er: „Ihr müßt schon einige Geduld haben in dem, was ich vornehme!" Da der Gebissene in großer Furcht sich willig zeigte, stach er ihm mit der feinen Spitze eines Messers an drei Orten in die Nase, daß einige Blutstropfen hervordrangen, die er gesondert auf einen Teller setzte, worauf er ihn die Wunde mit besprochenem Weine waschen hieß. Er ließ nun das Blut nicht aus den Augen, bis in jedem der Tropfen ein kleiner Wurm sich zu bewegen anfing; dann sagte er: „Herr! aus Gottes Gnade seid Ihr heil, — dankt ihm, daß er Euch hergeführt!" 8 2. Das Alpdrücken Den Uebergang von diesen Einwirkungen, die im wachen und vollkommen nüchternen Zustand eintreten, zu den eigent276

lieh magnetischen bilden nun jene, die sich an den des natürlichen, wenn auch schon krankhaft affizierten Schlafes anknüpfen und, weil dem Willen und dem Bewußtsein wie sinnlicher Auffassung entrückt, einen Zustand von Passivität als Bedingung ihres Eintretens voraussetzen. Derart ist, was man im Deutschen mit dem Namen des Alps bezeichnet; hier zunächst gefaßt, inwiefern er auf Geschlechtsverhältnisse Beziehung und also die dahin gehörigen Nervensysteme zu seinem Herde hat. Die Römer, auf die Verschiedenheit dieser Verhältnisse und ihren Gegensatz Rücksicht nehmend, haben ihn daher Incubus und Succubus, ab ineumbendo und succumbendo, die Griechen Ephialtes, d. i. insultor genannt; die gälischen und germanischen Völker aber, eine geisterhafte Einwirkung dabei voraussetzend, haben diese dort dfen D ü s e n oder T a u s e n, hier in Deutschland aber den A l f e n zugeschrieben. Die Aerzte nahmen nach ihrer Weise den ganzen Zustand als Krankheit oder Folge der Krankheit, der sie mit Heilmitteln zu begegnen suchten, während die früheren Theologen mehr dahin neigten, in bedeutenderen Fällen ihn aus einer Bezauberung herzuleiten. Er kann beides sein, aber auch als Anlage in einem an die Sexualorgane sich knüpfenden, magnetisch in die Ferne reichenden Bande seinen Ursprung nehmen. Als Arzt hat P a u l d e r A e g i n e t e (L. III. c. 15) ihn also beschrieben, wie er noch zu dieser Stunde sich zu zeigen pflegt.* Der Ephialtes, sagt er, erhielt nach einigen seinen Namen von einem Menschen, der also hieß, oder weil die, welche davon ergriffen werden, glauben, sie würden von einem Geiste angefallen und übermeistert. T h e m i s o n nennt ihn jedoch im zwölften Buche seiner Episteln Pnigalion, weil er den Magen und die Stimme erstickt.*0 Diese Krankheit entsteht von allzuvielem Trinken und allzulange anhaltender Unverdaulichkeit. Ein unterdrücktes Atemholen befällt die von dem Uebel Ergriffenen; die Sinne sind ihnen betäubt und gelähmt, in ihrem Schlafe wandelt sie ein Gefühl von Erstickung und eines mit Plötzlichkeit einbrechenden Uebels an. Ihre Stimme findet sich überdem gebunden und läßt sich nur unartikuliert und stotternd vernehmen, und es kommt ihnen vor zu ihrer großen Verwunderung, als ob ein Mann oder eine Frau, um ihr Aufschreien zu verhindern, ihnen den Mund zuhielten. Sie bewegen deswegen Arm und Beine im Bette, um sie abzutreiben, aber alles umsonst. Ja, sie meinen sogar, sie hörten sie reden und zum Beischlafe auffordern, sähen sie ohne weiteres ihr Bett besteigen, um irgendeinen Streich auszuführen. Er setzt hinzu: Man müsse in Zeiten dagegen Vorkehr 277

treffen, weil das Uebel sonst zu einem Schlagfluß oder einer Epilepsie führen könne. Nach so vielen Jahrhunderten ist es noch bis zur Stunde sich völlig gleich geblieben, und ein neuerer Arzt 11 schildert es in der folgenden Erzählung in gleicherweise: Neulich kam ein Geistlicher zu mir, mich um Hilfe bittend, weil er sonst zugrunde gehe. Sieh nur, sagte er, wie mager ich bin, einem Gespenste gleich, da ich sonst wohlbeleibt und wohlaussehend gewesen. Beinahe jede Nacht nämlich kommt zu mir ein Weib, das ich gar wohl kenne, läßt sich auf meine Brust fallen und drückt und preßt mir die Luftwege, daß ich kaum atmen kann. Will ich aufschreien, dann verschließt sie mir den Mund, will ich im Schrecken mich erheben, dann kann ich es nicht vollbringen, denn ich kann weder die Hände bewegen, um sie abzutreiben, noch auch die Füße, um zu entfliehen, darum, weil sie mich gebunden und gebannt hält. Der Arzt lächelt zu dem Jammer, weil er das Uebel gleich erkennt, und spricht: Das ist alles eitel Einbildung und eine bloße Täuschung. Wie? erwidert er, eine Einbildung, was ich mit diesen meinen Augen gesehen, was ich mit diesen meinen Händen getan, und zwar ganz wach und meiner Sinne mächtigl Ich sehe sie vor mir, halte ihren Angriff aus, suche sie von mir abzuwehren, aber alles umsonst, weil Mattigkeit, Furcht, Beängstigung und die Gewalt, die ich leide, mich befängt. Wie unsinnig bin ich herumgelaufen, jeden um Rat fragend und um seine Hilfe bittend. Einen klugen Franziskaner habe ich deswegen angegangen, aber er wußte kein Mittel als ein eifriges Gebet zu Gott, das Uebel von mir abzuwenden, was ich längst schon mit großem Eifer, aber fruchtlos versucht. Darauf ging ich zu einem alten Weibe, die beim Volke ihrer Zauberkunst wegen berufen war; die gab mir ein altbekanntes Mittel, bei dessen Gebrauche die, welche mich also bedränge, mir am gleichen Tage sichtbar werden müsse. Ich sträubte mich lange, weil ich es für unnütz und gottlos hielt; endlich trieb mich die unerträgliche Not und Ungeduld, es anzuwenden. Da kam nun freilich die Plagerin in mein Haus, sich über Blasenschmerz beklagend, aber wie ich auch immer aufs Bitten mich verlegen mochte oder durch Drohungen zu schrecken suchte, daß sie fortan zur Nachtzeit mir nicht ferner schreckhaft sei, sie blieb unvorgesetzt, mich totzuängstigen. Kaum, setzt der Verfasser hinzu, konnte ich ihm durch vieles Zureden die Sache aus dem Sinne bringen; doch fing er vom zweiten, dritten Besuche an heiterer zu werden, die Natur des Uebels einzusehen und auf Genesung zu hoffen. Der Arzt sagt nicht, ob er sie erlangt. Die Sache hat sich allerwärts und zu allen Zeiten 278

wiederholt, so daß ein eigener Ausdruck, mich hat die Drude gedrückt, Uebersetzung des malum daemoniacum bei Plinius, sie bezeichnen muß. Auch in den Beichtstühlen kommt sie häufig genug mit verwickelnden und auffallenden Nebenumständen vor. Es wird nicht nötig sein, uns lange bei diesem Zustande aufzuhalten, da es nur eine andere Form eines schon in so manchen andern an uns vorübergegangenen Uebels i s t . . . Bei allen diesen Affektionen insgesamt ist es jenes untere gangliöse Gehirn, das als der Herd der ganzen Anregung erscheint, aber diese wird nun in das eine Nervengeflechte, nun ins andere, je nach Verschiedenheit des Zustandes, geschehen; und nachdem sie mannigfaltig verschiedene Rückwirkungen in den andern Geflechten hervorgerufen, werden alle nun in diesem und in jenem Ganglion sich sammeln. So werden es daher hier die Geflechte des Sexualsystems sein, die den ersten Eindruck in einem physisch oder psychisch geknüpften Bande vermitteln, in der Rückwirkung wird dann der im ganzen Vitalsystem hervorgerufenen Anregung eine Bindung der andern Systeme der Sinnenwahrnehmung und Bewegung entsprechen, dadurch begründet, daß selbst schon im Gangliensysteme die höhere Tätigkeit in den Lungengeflechten sich gebunden findet, wodurch eben die große Beängstigung entsteht. Aber dies Gebundensein, obgleich die am häufigsten vorkommende Form des Zustandes, ist jedoch keineswegs die ausschließliche; er gestattet vielmehr — und gerade da am meisten, wo er am reinsten hervortritt — das entschiedene Gegenteil eines solchen Verknüpftseins und lähmender Gebundenheit. So hatte dem gelehrten Theologen Martinus von Arles1» der Beichtvater einer frommen verheirateten Matrone berichtet, wie sie ihm anvertraut: Es komme ihr gar häufig im Schlafe vor, als reite sie mit Gefolge über Feld und Aue, und wie sie so über die Wasser reite, wohne irgendeiner ihr bei mit dem vollen Lustgefühle des Aktes, und das geschehe noch dazu ihr gar oft. Das Reiten über Land und Wasser ist hier Folge des Gefühles einer Lösung des Muskelsystems, in der der drückende Alp, statt aufzusitzen, selber in Rosses-Gestalt zum Träger wird. Uebrigens ist die ganze Erregung, wie jede andere des Gangliensystems, wie man sieht, mit einer Vision verbunden, die wieder nur nach der Natur des Zustandes sich modifiziert und, wenn sie im Vampyrism die Gestalt eines blutsaugenden Gespenstes vorführt, hier die einer verführenden, gewaltsam belastenden und zwingenden oder mit Furie hinreißenden Gewalt annimmt. Bei der allgemeinen Mitleidenschaft, in der alle Systeme miteinander verbunden sind, geht 279

also auch hier, wie bei den andern Affektionen, die Anregung von einem derselben aus, verbreitet sich aber von da über alle andern: über die geistigen in Form dieser Vision; über die bewegenden in der Aktion der Bindung oder Lösung der dort wirksamen Tätigkeiten; über die vitalen in beklemmender, beängstigender Unlust oder in expansiver Lust. Es begreift sich übrigens leicht, daß der ganze Zustand von außen herein als ein Leiden an den E r g r i f f e n e n kommen kann, wenn irgendeine andere Persönlichkeit, die sich mit ihm in einen solchen magnetischen Rapport versetzt, durch denselben seiner mächtig geworden; daß er aber auch in dem Affizierten selbsttätig entstehen kann, der alsdann zum E r g r e i f e n d e n wird und in ihm Rapporte mit einem andern sucht und, wenn er sie gefunden, in solcher Weise sich mit ihm verbindet. In einer dritten, mitten inneliegenden, am häufigsten vorkommenden Form wird er endlich als ein phantastisches, traumartiges, bloß von Persönlichkeit zu Persönlichkeit hinüberdeutendes Spiel ohne bestimmte Realität erscheinen. 3. Magnetische Rapporte Das führt uns in natürlicher Folge zu dem Lebensmagnetismus hinüber, und zwar zu jenen unteren Graden desselben, in denen sich ein solches magisches Band zwischen dem Schlafwachenden und dem ihm Verbundenen knüpft. In diesem Zustande ist nämlich dem in die innere Traumwelt Uebergegangenen, durch die Beschlossenheit des äußeren Lebens, die Wachwelt gänzlich versunken bis auf die Individualität, mit der er in der Fortsetzung desselben Lebensbandes, das sein höheres seelisches Sein an das untere irdischleibliche knüpft, sich verbunden findet. Dieser eine, dem die Macht gegeben ist, ihn aus diesem Zustande zurückzurufen und ihn wieder in denselben zu versenken, ist dadurch, daß er Anfang und Ende desselben beherrscht und somit auch im ganzen Verlaufe die Herrschaft führt, an die Grenze der beiden Welten gestellt, ihm ein Seelenführer oder Verführer, je nach den Umständen. Seine Stelle ist außerhalb des Kreises, in dem der Schlafwache sich beschlossen findet; von dort aus wirkt er in der äußeren Welt auf den andern, der seinerseits in der andern Hemisphäre wurzelt, und bestimmt von seinem Standpunkt aus das, was diesem noch aus dem wachen Zustande geblieben; so wie er seinerseits von ihm wieder Bestimmung empfängt in allem, was er von des andern Zustand in sich hat. So werden also die unteren Stufen, wo die Macht des Aeußeren überwiegt, auch durch das Vorwiegen der Gewalt des 280

Magnetisierenden und die gänzliche Hörigkeit des Magnetisierlen bezeichnet sein. In dieser Hörigkeit sieht der Schlafwachende nichts von allem Aeußeren mit eigenen Augen, noch hört er etwas mit eigenem Ohr, was ihm sich in diesen Sinnen vernehmlich machen will, müht sich umsonst die Beschlossenheit derselben zu durchbrechen. Denn er sieht nun mit den Augen und hört mit dem Ohre dessen, der über ihn gebietet, und nicht leicht kann etwas Zugang zum befangenen Geiste finden, was nicht zuvor in diesem seinem Sinne gewesen. Ebenso ist es auch um die unteren Sinne beschallen; was der Bindende schmeckt und riecht, was sein Gemeingefühl alliziert, wird vernommen von dem Gebundenen. Auf gleiche Weise ist es um den Willen getan, der Schlafwachende hat seine Persönlichkeit, aber wie sich von selbst versteht nur äußerlich, an d e n verloren, der auf solchem Wege seiner Meister geworden. Seine innere Willenskraft, unerreichbar jeder äußeren Gewalt, ist zwar frei vor wie nach; aber nach außen ist diese Kraft von einer anderen umsessen, die sich in der Richtung von außen zu innen, eine zweite wirkende Ursächlichkeit, lenkt und determiniert zu ihren Zwecken. Endlich ist es um die Gedanken und Ideen nach oben hin ebenso beschaffen wie um die Leidenschaften und Affekte gegen die Niederung des Menschen hin. Den Gedanken, die der eine von innen heraus denkt, wirft der andere Gedanken entgegen, die er seinerseits ihm eingedacht, und den aus- und einquellenden Gefühlen und Affekten des ersten begegnen ein- und ausquellende des andern. Es bildet sich also in dieser Wechselwirkung eine Doppelströmung von Persönlichkeit zu Persönlichkeit durch alle Gebiete derselben hindurch; so zwar, daß überall das von außen herantretende als das Mächtigere das von innen vorbrechende umfaßt, zurücktreibt, bemeistert und beherrscht, ohne darum dem inneren Seelischen anders als durch Antrieb, Lockung und Verführung irgendetwas anzuhaben. Und es ist nun diese Wirkung keineswegs bloß auf die unmittelbare Nähe der Verbundenen beschränkt, sondern sie geht, wie jede andere magische, ebenso auch in die Ferne, weil bei aller höheren Beziehung nur das Qualitative in Harmonie oder Disharmonie, Sympathie und Antipathie, keineswegs aber das Quantitative in Zeit und Raum, Nähe und Ferne bestimmt wird. Da der Magnetisierende bei dieser Aktion ganz auf dem festen Grunde des gewöhnlichen Lebens steht und doch auf meilenweite Entfernungen den ihm Verbundenen schlafwachend macht, so ergibt sich daraus, daß alles Leben, nicht bloß das gehöhte, eine Wirkung in die Ferne hat, und daß diese nur unvernommen bleibt, weil es in seiner Umgebung an Erregbarkeiten fehlt, an denen 281

sie sichtbar werden k ö n n t e . . .13 Beziehungen solcher Art sind uns bei den Heiligen in ihren Ekstasen häufig begegnet, wir werden sie bei den dämonischen Erscheinungen ebenso häufig wiederfinden, in der natürlichen Magie treten sie seltener, am häufigsten noch bei jener Art von Ekstase, die, wenn der Kampf des Lebens ausgekämpft ist, im Tode sich zu zeigen pflegt, hervor. Unter vielen Beispielen der Art führen wir nur eines der durch glückliche Fügung der Umstände bewährtesten hier an. Maria, die Gattin des John Goffe von Rochester, erkrankt an einem langwierigen Uebel und wird deswegen nach Westmulling, 9 Meilen von ihrem Wohnorte, in ihres Vaters Haus gebracht, wo sie am 4. Juni 1691 stirbt. Am Tage vor ihrem Tode wandelt sie ein großes Verlangen an, ihre beiden Kinder zu sehen, die sie unter der Pflege einer Amme zu Hause zurückgelassen, und sie bittet ihren Gatten, ein Pferd zu mieten, sie müßte nach Rochester gehen und bei ihren Kindern sterben. Man macht ihr begreiflich, sie sei nicht in dem Zustande, das Bett zu verlassen und zu Pferd zu sitzen, sie aber besteht darauf, wenigstens den Versuch zu machen; kann ich nicht sitzen, so lege ich mich der Länge nach aufs Roß, sagte sie, denn ich muß meine Lieblinge sehen. Ein Geistlicher war um 10 Uhr abends noch bei ihr, dem sie ihre Willigkeit zu sterben und die Hoffnung, die sie auf Gottes Barmherzigkeit hatte, erklärte. Aber, sagte sie, mein Jammer ist, daß ich meine Kinder nicht mehr sehen kann. Zwischen 1 und 2 Uhr am nächsten Morgen kam sie außer sich. Eine Witwe Turner, welche die Nacht bei ihr gewacht, sagte, ihre Augen seien offen und starr gewesen, der Mund aber geschlossen; die Frau brachte ihre Hände an ihren Mund und die Nasenlöcher und fühlte keinen Atem, sie glaubte, die Kranke liege in einer Ohnmacht, und war ungewiß, ob sie tot sei oder lebendig. Als sie später am Morgen wieder zu sich kam, erzählte sie ihrer Mutter, sie sei zu Hause bei ihren Kindern gewesen. Das ist unmöglich, erwiderte die Mutter, du bist alle die Zeit nicht aus diesem Bette gekommen. Wohl, sagte darauf die andere, aber ich war vergangene Nacht bei ihnen, als ich im Schlafe lag. Uebereinstimmend mit dieser ihrer Rede sagte und beteuerte nun die Amme in Rochester, die Witwe Alexander, und sie war willig es mit einem Eide vor der Obrigkeit zu bekräftigen und das Sakrament darauf zu nehmen: wie sie am Morgen etwas vor 2 Uhr die Gestalt der Maria Goffe aus dem Nebenzimmer, in dem bei offener Türe das eine Kind allein schlief, kommen gesehen, und wie sie etwa eine Viertelstunde an der Seite des Bettes gestanden, in dem sie mit dem jüngeren Kinde 282

lag. Ihre Augen bewegten sich, und ihre Lippen schienen zu sprechen, aber sie sagte nichts. Die Amme setzte hinzu: sie sei vollkommen wach gewesen, und weil es einer der längsten Tage im Jahre war, habe es hell zu werden angefangen. Sie setzte sich in ihrem Bette auf, blickte unverwandt die E r scheinung an und hörte die Glocke auf der Brücke 2 Uhr schlagen. Nach einer kleinen Weile sagte sie: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, was bist du? Auf diese Worte entfernte sich die Gestalt und ging von dannen, sie warf sich schnell in ihre Kleider und folgte, konnte aber nicht ausfinden, was aus ihr geworden war. Nun und nicht früher wandelte sie ein Grausen an, und sie ging aus dem Hause, das am Wasser lag, und wandelte einige Stunden auf dem Kai herum, nur von Zeit zu Zeit nach den Kindern sehend. Um 5 Uhr morgens klopfte sie an einem Nachbarhause an, aber erst eine Stunde später ließ man sie bei wiederholtem Klopfen ein, und sie erzählte den Leuten nun, was sich begeben. Die wollten sie bereden, sie habe geträumt, sie aber erwiderte: Wenn ich sie in meinem ganzen Leben je gesehen, dann sah ich sie diese Nacht. Eine von denen, die bei ihrer Rede zugegen gewesen, Marie, die Gattin des J. Sweet, erhielt am Morgen Botschaft von Mulling herüber: die Goffe liege am Sterben und wolle sie sprechen; sie ging daher am gleichen Tage hinüber und fand sie in den letzten Zügen. Die Mutter der Kranken erzählte ihr nun unter anderem, wie sehr ihre Tochter nach den Kindern sich gesehnt und nun sage, sie habe sie gesehen. Das brachte der Frau Sweet die Worte der Amme wieder ins Gedächtnis, denn bis dahin hatte sie nichts davon erwähnt, sondern es als einen Irrwahn der Frau lieber verschwiegen. Thomas Tilson, der Pfarrer von Aylesworth bei Maidstone, der den Verlauf dieses Ereignisses bekanntgemacht, erhielt die ausführliche Nachricht darüber am Begräbnistage von John Garpenter, dem Vater der Verstorbenen. Am 2. Juli verhandelte er die Sache umständlich mit der Amme und den beiden Nachbarn, zu denen sie am Morgen gegangen. Am folgenden Tage hörte er durch die Mutter es bestätigen, dann durch den Geistlichen, der am Abend bei ihr gewesen, und durch die Wärterin, die die Nacht über bei ihr gewacht; alle waren einstimmig in der Erzählung der Geschichte, und das Zeugnis des einen bestätigte die Aussage der andern. Alle waren verständige, ruhige Leute, denen es nicht zu Sinne kam, der Welt etwas aufzubinden oder mit Lüge umzugehen; auch war gar nicht abzusehen, was sie dazu bewogen haben sollte; die ganze Erzählung ist also eine reine, wohlbewährte und darum vollkommen glaubwürdige Tatsache. 14 283

Man sieht, wie die kataleptischen und schlafwachen Aflektionen das Eintreten eines derartigen Doppelgesehenwerdens begünstigen; aber daß es auch als Anlage in mancher Persönlichkeit sich findet, erweist sich durch mancherlei Beispiele, die von solchen aufgezeichnet sind, die bei vollkommener Gesundheit in diesen Zwiespalt mit sich selber eingetreten. Ein junger Mensch in London, den Morton kannte, war nach dessen Zeugnisse nüchtern, religiös, sinnig, nicht zu wunderlichen oder leichtsinnigen Einbildungen geneigt, auch nicht närrisch oder kränkelnd, noch auch zur Doppelsichtigkeit oder wachen Träumerei, wie so manche Gespensterseher, geneigt, sondern ein wohlunterrichteter, besonnener und ernster Mann, und doch geschah ihm folgendes: Er stand als Lehrling bei einem Kaufmann in London, der eine Faktorei in Amerika hatte, und sollte sogleich dahin sich einschiffen. Das Schiff lag segelfertig in Gravesand; sein Lehrherr machte die nötigen Briefe und sonstigen Abfertigungen für ihn zurecht, konnte ihn daher beim Drange der Arbeit nicht wie gewöhnlich mit zu Tische nehmen und hieß ihn darum in der Schreibstube bleiben, bis er komme, ihn abzulösen. Demgemäß, als er abgespeist, ging er hinunter, um ihn zum Essen hinaufzusenden, und sah ihn durch die Türe der Schreibstube dort beim Buchhalter schreibend sitzen, wie er ihn zuvor verlassen. In dem Augenblicke wurde er durch irgendeinen Umstand bestimmt, wieder schnell die Treppe hinauf zum Eßzimmer zu gehen, von wannen er eben herabgestiegen, ließ daher den jungen Mann, ohne mit ihm zu reden, in der Schreibstube zurück; wie er aber oben war, sah er ihn mit seinen andern Leuten am Tische sitzen. Das Vorzimmer, in dem sie saßen, öffnete gegen die Treppe und konnte von ihm ganz übersehen werden, so daß darin kein Irrtum stattfinden mochte; der junge Mann, wenn er sich nicht unsichtbar zu machen verstand, konnte nicht ungesehen auf der Treppe an ihm vorübergegangen sein, was ihm auch die Schicklichkeit nicht gestattet hätte. Der Lehrherr sprach nicht zu ihm, was ihn hernach gereute, sondern ging in der Bestürzung vorüber in das Eßzimmer, das rechts von dem der Leute lag, aber er sandte von da sogleich jemand hinüber, nachzusehen, ob er wirklich dort am Essen sitze, und er war ganz eigentlich dort, so daß, was er in der Schreibstube gesehen hatte, das Scheinbild gewesen sein mußte. Daß es Anlage bei ihm war, ergibt sich aus späteren Umständen, die sich mit ihm zugetragen. Er war seit längerer Zeit in Boston und ging von da aus seinen Lehrherrn im Proskripte eines Briefes um Nachricht seines Bruders wegen an. Denn, sagte er: Jüngst, am 20. Juni, als 284

ich völlig wachend nach 6 Uhr in der Frühe im Bette lag, sah ich diesen meinen Bruder am Fuße des Bettes die Vorhänge öffnen, und er blickte, ohne zu sprechen, mir ins Gesicht. Ich, voller Schrecken, faßte mich doch genug, um sagen zu können: Bruder, was ist's mit dir? Er hatte seinen Kopf mit einem blutigen Tuch umbunden, war sehr blaß und schrecklich anzusehen und sagte: Ich bin schändlich ermordet von dem und dem, aber mir soll Gerechtigkeit werden; worauf er verschwand. Der junge Mensch, ein Student in London, war 14 Tage vor dem Datum des Briefes dort in einer Schlägerei mit einem Schüreisen niedergeschlagen worden und bald darauf an der Wunde gestorben. Morton hatte den Brief eine Stunde nach seiner Ankunft in London gelesen, kannte die Hand des Schreibers wie ihn und seinen Bruder vollkommen wohl, konnte also nicht hintergangen werden." Ist die Erzählung bei Tharsander" so wie manche andere ähnliche in der Wahrheit gegründet, dann kann das zweite Bild zugleich dem Eigner und andern Personen um ihn sichtbar sein. Die Frau eines Amtmannes ist dort in die Schreibstube ihres Gatten gegangen und, ihn auf seinem gewöhnlichen Stuhle sehend, wird sie ungewiß, ob dies Gesicht ihr rechter Ehemann sei oder der, den sie in der Wohnstube gelassen. Sie läuft daher bestürzt hinunter und erzählt ihrem Herrn, was ihr oben begegnet sei. Der will die Sache selber in Augenschein nehmen, geht in Begleitung seiner Frau hinauf und findet das Gespenst in seiner eigenen Gestalt, ebenso gekleidet wie er, auf dem Stuhle sitzend und schreibend. Er tritt nun hinzu und spricht: Gesell! Hier gehört mir und nicht dir zu sitzen; du hast hier nichts zu schaffen, weiche! Indem er nun zugleich den Stuhl rückt, verschwindet die Erscheinung. — Das wird eine Art von seltener g e i s t i g e r F a t a M o r g a n a sein, in der die Seele, außen ohne sichtbare Störung, dem Körper einwohnend, durch ihre Organe dem Spiele ihrer Nervengeister zuschaut, die das Spektrum, statt es dem Leibe einzugeben, außerhalb desselben hinausgeworfen.

II. Das Gebiet der p s y c h i s c h - m a g i s c h e n Berührungen Ist es wahr, wie es denn wahr sein muß, daß alle Gebiete des Daseins, von einem allgemeinen, sie alle fassenden Bande umschlungen, zueinander gestimmt in einem fortdauernden Wechselverkehre stehen, dann wird auch das Reich der Unsichtbarkeit, das im Inneren der äußeren Sichtbarkeit sich bewegt, mit dem Unsichtbaren im Menschen durch Hilfe 285

irgendeines Mediums in Gemeinschaft und Verbindung stehen, in der beide ineinander spielend gegenseitig Einwirkungen mitteilen und empfangen. Auf diese Mitteilung ist der Wechsel verkehr der beiden Kirchen, der streitenden unten und der triumphierenden oben gebaut, und wie die Lehren von den Schutzgeistern, der Vorbitte und den Totenopfern auf der Gemeinschaft der Heiligen ruhen, so muß der Glaube an eine Geisterweit überhaupt in den dahin einschlägigen Tatsachen sich bewähren, und alles geht zuletzt wieder auf die Anerkenntnis einer providenziellen Führung aller Dinge als auf seinen innersten Grund zurück. Die höheren Berührungen in diesem Verkehr, weil ganz geistiger Natur, werden daher auch in den geistigen Reichen verlaufen, also in Unsichtbarkeit und Unfühlbarkeit geborgen nicht in die Sinne fallen. Aber es wird geschehen können, daß beide Verkehrende sich auch in der Sichtbarkeit begegnen und die Zeichen ihrer Wechselwirkung äußerlich vernehmlich werden; dann wird diese wenigstens in einem ihrer Momente hinabreichen in das Gebiet natürlicher Faßbarkeit und dort in ihm einen eigentümlichen Komplex von Vorgängen und Tatsachen hervorrufen, die, physischer Natur in ihrem niedern, transzendenter in ihrem höheren Teil, eben darum den Charakter psychisch-magischer an sich tragen. Wir haben Tatsachen der Art in den befangeneren Regionen des Daseins in Fülle hervortreten gesehen, wie sollte es erklärbar sein, wenn wir in den höheren, in ihrem Gesichtskreis mehr erweiterten und in ihren Kräften mehr durchdringenden sie vermißten? Allerdings bildet die Erde als Weltkörper ein geschlossenes Ganzes, eine schwimmende und schwebende Insel in den Räumen, in der alles, was den inneren Kern umsteht, im Bande sicherer und augenfälliger Instinkte in greiflicher Gegenwärtigkeit sich verbunden findet. Aber diese also in Abrundung geschlossene Masse ist nicht einsam in die Weltwüste hinausgestellt; mit andern Aehnlichen wieder in natürlichen Sympathien verflochten und verstrickt, sonnt sich die ganze Schar im Lichte jener höheren Flammeninsel, die ihrerseits doch, unbeschadet dieser ihrer Geschlossenheit, alle, die ihr gegeben sind, in ihrem feuergewebten Mantel birgt. Sollte es nun im Geisterreiche anders geordnet sein? Gibt es aber nun eine ähnliche in die Reiche der Sichtbarkeit hinabgehende Verbindung der Geister, dann wird diese in ihrer Möglichkeit, je auf zwiefache Weise begründet, denkbar sein. Einerseits ist nämlich, wie wir vielfältig uns überzeugt, der Mensch im irdischen Dasein keineswegs so enge in die Leiblichkeit eingefangen, daß ihm nicht unter besonders 286

günstigen Umständen ein Blick über die Umhülle hinaus, in die Tiefen der Dinge hinein und auf das, was hinter der gröberen Erscheinung liegt, gestattet wäre. Solche Anlage ist in ihren unteren Graden allerdings auf greifliche Gegenstände beschränkt, in denen sie die ungreiflichen und oft unbegreiflichen Naturkräfte erschaut. In ihren höheren aber sehen wir sie schon, eines Höheren sich vermessend, den in die Leiblichkeit gehüllten Geist außer sich erspähen, in seinem Geheimnis ihn erkennen und in seiner Zukunft ihn erschauen. Es wird daher ganz und gar auf der Linie des angehobenen Fortschritts liegen, wenn bei günstiger Anlage und regster Rührbarkeit dem in dieser Richtung wirksamen inneren Sinne solches lichtsammelnde Vermögen einwohnt, daß er wie ein lichtstarkes Fernrohr weiter Oeflnung auch die schwächste, nur eben aufdämmernde Gestaltung schon aufzufassen vermag, so daß er nicht ferner mehr der fremden Leiblichkeit als des Ausganspunktes für sein Schauen bedarf, sondern auch die abgeschiedenen Geister schaut und in ihrem Wesen lichter oder dunkler sie erkennt. Denn — und darauf gründet sich die zweite Weise, in der solche Schauungen und Begebnisse sich formieren können — wenn auch der Tod bei diesen Abgeschiedenen das Band gelöst, das ihr Geistiges mit ihrem Leiblichen verbunden, dann sind sie darum nicht aller Leiblebenskräfte bar geworden, weil ja eben der Ansatz zu einem neuen, in der Erstehung aller Dinge sich wiedergebärenden Leben mit hinübergegangen sein muß, da diese allein aus dem Keime dieser Kräfte geschehen kann. So Geartete können daher, in eben diesen Kräften noch mit dem Schauenden verbunden, in ihnen auch einerseits von ihm geschaut werden, a n d e r e r s e i t s a b e r in d i e s e n K r ä f t e n d u r c h N a t u r w i r k u n g e n , die sie im G e b r a u c h e d e r selben h e r v o r r u f e n , selbst solchen sich bem e r k l i c h m a c h e n , die kein g e h ö h t e s S c h a u ungsvermögen besitzen. Es begreift sich, daß nicht alltäglich und allnächtlich, auf allen Straßen und Wegen dergleichen sich begeben wird. Eben die Voraussetzung einer solchen überhäufigen Begegnung hat, in der Gespensterfurcht, die sie herbeigeführt, nur immer mehr sich stärkend, alle die vielfältige Verwirrung in diesem Gebiete hervorgerufen und durch die Menge von Trugbildern, die sie hervorgebracht, die unleugbaren Tatsachen in den Hintergrund gedrängt und die Wahrheit selbst unwahrscheinlich gemacht. Die Reiche der Lebenden und der Abgeschiedenen, wie die beiden zueinandergehörenden Hyperbeln, nur in wenigen Punkten um ihre Scheitel einander nahe, sehen wir 287

in ihrem ganzen Verlaufe sonst in allen andern nach entgegengesetzten Richtungen mehr und mehr voneinander abstreben und in unbegrenzte Fernen sich verlieren. Wie selten also immer auch die Konjunktionen der in solche Bahnen geworfenen Persönlichkeiten sein mögen, sie werden doch eintreten, und zwar in der angegebenen doppelten Weise, dadurch, daß entweder der ungewöhnlich geschärfte Sinn das, was sonst außer seinem Sehkreis liegt, in einem natürlichen Gesichte wahrnimmt, oder in der Art, daß das Unsichtbare, in den ihm gebliebenen physischen Kräften in die Sichtbarkeit eintretend, auch dem unbewaffneten Sinne sich vernehmbar macht. In beiden Fällen wird die häufigere oder seltenere Vorkommnis wieder durch den Standpunkt der dabei wirksamen Persönlichkeiten bedingt erscheinen, so daß im ersten die Stellung des Schauenden, im andern die des Geschauten mehr von Einfluß ist. Denn das unsichtbare Reich, eben wie das sichtbare, hält gar viele Ordnungen von Geistern in sich beschlossen, und es wird Berührungen aller dieser Ordnungen mit dem Menschen geben können, aber begreiflich werden diese Berührungen um so seltener eintreten, je höher die Berührende gestellt erscheint. Nur in den unteren Gebieten, die, weil an das irdische Leben am nächsten grenzend, am meisten mit ihm gemein haben, wird auch eine relativ größere Gemeinschaft stattfinden, und wenn hier die unteren Grade der Erregbarkeit von Seiten des Schauenden zureichen, so werden dort gesteigerte erforderlich sein, um das weiter Entrückte zur Wahrnehmung zu bringen. Während daher die untersten Ordnungen unter gewissen Umständen dem ungeschärften Sinne sich vernehmlich machen können, wird es, wo diese fehlen, schon jener Steigerung bedürfen, die etwa der spontane Somnambulismus in die Funktion jenes dann erwachenden G e m e i n s i n n e s bringt, um diese trüben Lichtnebel des nächtlichen Geisterhimmels zu gewahren. Da dieser Sinn das ihm Gleichartige in der Weise, wie sie auf seiner Höhe gilt, aufnimmt, so wird er also auch nur bis zu jener Geisterordnung hinaufreichen, die eine der Lösung der Geisterart, der er angehört, vergleichbare Lösung durch den Tod erlangt, wird sohin also nicht leicht über die Zwischenregionen im Totenreiche sich erheben. Nur da, wo nicht etwa bloß, wie bei den Somnambulen, eine m a g i s c h e Erhebung, sondern eine wirklich m y s t i s c h e infolge einer strengen Aszese in langer Durchübung stattgefunden, wird das Sehervermögen auch in höhere Gebiete sich erheben, und auch die tiefer ins Innere des Geisterhimmels gestellten Ordnungen werden einem so gesteigerten Sinne aufgehen können. Wie hier nach Graden, so 288

werden aber auch diese Erscheinungen im Gegensatze des Guten und des Bösen sich teilen und sich zur Rechten und zur Linken hinwenden. Durch das Gesagte sind uns die Wege zur Behandlung dieser mannigfaltigen Arten von Einflüssen gewiesen; und indem wir die verschiedene Modalität, so der Auffassung als Einwirkung, unserer Untersuchung als leitendes Prinzip unterlegen, werden wir sie anheben, indem wir die neueröffnete mit der früher geführten durch das Mittelglied jener ersten Regung eines durchschauenden und fernschauenden und Vorschauen den Sinnes, die man unter dem Namen des z w e i t e n G e s i c h t e s kennt, verbinden und diesem dann die ganze übrige Folge von Erscheinungen in ihrer allmählich fortschreitenden Entwicklung, mit den unteren Graden anhebend und allmählich zu den höheren übergehend, anreihen, auf diese Weise den Gegenstand in der umfassendsten und lichtvollsten Weise zu behandeln uns bemühend. 1. Das zweite Gesicht und das Schauen in die Ferne Im Falle des Doppelsehens ist das Spektrum, aus seiner Umhülle in die Weite hinausgetragen, anderwärts erschienen; für die Person also hat sich die Ferne dadurch aufgehoben, daß sie aus sich hinausgehend dem Entfernten somit gegenwärtig worden. Umgekehrt wird dann auch, wie sie dem andern in dieser Ferne zur Sichtbarkeit gelangt, so auch dieser andere ihr sichtbar sein; und wenn jenes Heraustreten durch eine natürliche Magie erfolgt, so wird auch dies Fernsehen, körperlich im Raum, geistig in der Zeit, Folge solcher magischen Naturverknüpfungen sein. Aus dieser Wurzel hervorgegangen, zeigt es sich nun unter anderen als Anlage im britischen Norden, seltener bei den Hochländern, häufiger bei den Inselbewohnern, in der Erscheinung, die man dort second sight zu nennen pflegt. Im Gälischen nennt man solche, die dies Gesicht haben, Taishatrim und Phissichin, das letztere Wort aus der Wurzel Phis, Vorwissen, das andere von Taish abgeleitet, das da einen Schatten bezeichnet, der zwar nicht mit Händen zu greifen, aber durch das Auge doch einigermaßen zu sehen ist; dasselbe, was man auf der Insel Faroe, wo die gleiche Anlage nicht selten vorkommt, mit ausdrucksvoller Bezeichnung einen hohlen Menschen nennt. Diese Anlage ist auf jenen Inseln und Gebirgen nicht etwa von heute oder gestern her zu Hause, sondern sie ist zu aller Zeit vorhanden gewesen, ja vor dem Anfange des vorigen Jahrhunderts häufiger als im Verlaufe desselben; am häufigsten, ehe das Christentum in Görres-Mystik

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jenen Gegenden sich ausgebreitet. Sie erscheint nicht etwa sparsam und sporadisch, an diesen oder jenen Fleck geknüpft, in irgendeinem abgelegenen Winkel einer Insel hervorgetreten, sondern hat sich an Orten, die 50 und mehr Meilen voneinander entlegen gewesen und deren Einwohner nicht den geringsten Verkehr miteinander gehabt, gleichzeitig kundgegeben. Die Gabe findet sich nicht durch Geschlecht bedingt, denn Frauen und Männer haben sie gehabt; nicht durch das Alter, denn man hat gesehen, daß Kinder in der Wiege furchtsam und erschrocken aufgeschrien, wenn ein Erwachsener in ihrer Nähe das Gesicht gesehen; selbst Tiere, Pferde, Kühe, Hunde hat man unruhig werdend befunden bei solcher Gelegenheit und davon den gleichen Schluß auch auf sie gezogen, freilich mit zweifelhafter Berechtigung, da die Erscheinung wohl eher darauf deutet, daß sie den Zustand des Sehenden empfinden, ohne darum notwendig sein Gesicht zu sehen. Die Anlage scheint ebensowenig durch Temperament oder Gesundheitszustand im allgemeinen bedingt; es sind keineswegs solche, die durch melancholische Stimmung vor ihren anderen Landsleuten ausgezeichnet wären, sie werden von diesen weder als Träumer und Phantasten, die sich leichtlich etwas einbilden mögen, gescholten, noch als besonders Begnadigte geehrt; und wie auch kein Gewinst irgendeiner Art ihnen dadurch zuteil wird, so halten sie vielmehr die Sache für etwas sehr Beschwerliches, wovon sie gern befreit sein möchten. Einfach in ihrem Leben, mäßig in ihrer Nahrung, sowohl was die Masse als die Eigenschaft der Nahrungsmittel betrifft, wie alle diese Insel- und Bergbewohner sind, und darum keineswegs von chronischen und hysterischen Uebeln im allgemeinen heimgesucht, sind es noch weniger etwa bloß die kränklicheren unter ihnen, die der Gabe sich erfreuen; sondern diese kehrt ein, wo es ihr wohlgefällt, und man hat bisweilen gesehen, daß sie in den Familien vom Vater zum Sohne fortgeerbt, während sie ebensooft, an die Erfolge sich nicht kehrend, in einem Hause erloschen, um in andern aufzutauchen. Solche, die sie in der Jugend nicht gehabt, bekommen sie bisweilen im Alter, ohne zu wissen, wie ihnen dabei geschehen. Auch hat man die Bemerkung gemacht, daß einem trunkenen Menschen nie ein solches Gesicht zuteil geworden. Es sind in der Regel einfältige, ungelehrte, aufrichtige Leute, die solche Erscheinungen haben; sie erzählen, was sie gesehen, ohne eine absonderliche Wichtigkeit darauf zu legen, und die ihnen Glauben beimessen, lassen sich auch nicht so leicht mit Lügen berücken. Sie merken auf, ob das Gesehene wirklich sich erfüllt, und dann 290

tun sie freilich ihren Sinnen und ihrer Vernunft nicht Gewalt an, um künstlich zu leugnen, was sich ihnen natürlich bewährt. Man sieht also, es ist eine Naturanlage, die keiner äußeren Vorrichtung bedarf, um geweckt zu werden, aber an eine besondere Stimmung des Nervensystems geknüpft erscheint, was sich auch an der Beobachtung zeigt, die man gemacht: daß, wenn ein Anfänger, der noch nicht seit langem das andere Gesicht erlangt, zur Nachtzeit außerhalb des Hauses eine Erscheinung sieht und darauf einem Feuer nahekommt, er sogleich in Ohnmacht fällt. Auch das ist merkwürdig, daß, wenn mehrere solcher Seher beisammen sind, sie keineswegs alle dasselbe Gesicht zu gleicher Zeit erblicken; wenn aber einer unter ihnen sehend wird und nun den andern berührt oder seinen Fuß auf den des andern setzt, dann sieht auch dieser sein Gesicht, was sohin die Mitteilbarkeit der Gabe beweist. Man muß daher urteilen, daß, wenn viele solcher Schauenden durch gegenseitige Fassung bei den Händen einen Kreis bilden wollten, das Gesicht durch sie alle durchlaufen würde, was wieder darauf schließen läßt, daß es ihnen in der Herzgrube und den solarischen Geflechten zur Wahrnehmung gelangt. Obgleich aber diese also gehöhte Wahrnehmung ihren Brennpunkt an jener Stelle hat, wo sie wie in ein Sensorium commune aus ihrer Mannigfaltigkeit sich sammelt, kann sie doch der Reihe nach durch alle Sinne zugeleitet werden. So liegt z. B. der des Geruches keineswegs so tief, daß er nicht zu einem solchen Zuleiter dienen könnte; und bei manchen hat es, freilich in der niedrigsten Ordnung, die Form angenommen, daß sie z. B. ins Haus einzubringenden Fischfang zum voraus gerochen. Wieder kündigt in anderen Fällen die Zukunft, z. B. der Tod irgendeiner Person, dem Fernhörer durch einen Schrei in der Stimme des Bedrohten sich an, was so oft vorkommt, daß man diesen Schrei mit einem eigenen Namen, Taisk, in den Niederlanden Wrath bezeichnet. Am häufigsten ist es aber doch das Auge, das die Zuleitung bildet. Die Augenlider sind, wo der Vorblick in ganzer Stärke eintritt, auseinandergezogen, in einzelnen Fällen krampfhaft nach innen eingehalten und umgeschlagen, und das Auge sieht starr vor sich hin. Denn die Erscheinung hat also der Aufmerksamkeit des Sehers sich bemeistert, daß er sonst nichts anderes sieht noch auch gedenkt und nun tiefsinnig oder fröhlich erscheint, je nachdem das Gebilde gewesen, das sich ihm vorgestellt. Das Gesicht ist jedoch in der Regel nicht von längerer Dauer und währt meist nur so lange, als der Schauende die Augen unverwandt und ohne zu blinzeln festhalten kann. Die daran gewohnt sind, betrachten es mit einem starren 19*

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Blicke, damit sie es um so länger sehen; die Furchtsamen aber sehen es nur vorübergehen unter dem Zittern der Augenlider. Der Seher weiß übrigens keineswegs weder den Gegenstand noch auch die Zeit des Eintritts oder den Ort, wo das Gesicht ihn überfällt, zum voraus; es kommt ihm eben, ganz ohne sein Zutun ihn überraschend. Auch geschieht es wohl zuweilen, daß dieselbe Erscheinung gleichzeitig von verschiedenen Personen gesehen wird, die in einer ziemlichen Entlegenheit voneinander leben. Die Ferne, auf die hingesehen wird, scheint nicht begrenzt, sie hat in einzelnen Fällen bis nach Amerika hinübergereicht. Bisweilen sind es Gegenstände der Natur und Kunst: Häuser, Gärten, Bäume, Schiffe usw. an Orten, wo nichts dergleichen noch zurzeit vorhanden, aber etwa künftig erst sich finden soll. Dagegen greift das Gesicht auch ein andermal in die unsichtbaren Geisterreiche hinüber, und es werden Geister in der Gestalt von Frauen, mancherlei Tierarten oder auch Feuerballen gesehen, wiewohl diese Art des Gesichtes bei dem allmählichen Einschwinden der ganzen Anlage seit dem Anfange des vorigen Jahrhunderts gar selten geworden. Solche Geister gaben dann durch mancherlei Töne und Klänge von Harfen, Pfeifen, Hahnenschrei sich zu erkennen. Auch hat man bisweilen zur Nachtzeit Stimmen in den Lüften vernommen, die irländische Lieder gesungen, deren einige, nach Martins Zeugnis, noch im Gedächtnis der allerglaubwürdigsten Leute sich aufbehalten. Einer dieser Gesänge stellte die Stimme eines kurz zuvor verstorbenen Weibes dar und bezog sich auf ihren Zustand in der anderen Welt. Zuweilen laufen auch hexenhafte Anklänge mit unter, wie bei dem Seher in Knokow auf Skye, der ganz gesund plötzlich vom Stuhle fällt, weil im Gesichte ihm ein fernabwohnend ungeschlachtes Weib, das Liebe zu ihm trägt, erscheint und, Grimm im Angesichte, Schmachreden im Munde, mit Kopf und Händen so lange ihn bedroht, bis er umgefallen. Andere haben einen Geist zur Seite, worunter besonders einer, unter dem Namen Brownie beim Landvolk wohlbekannt, in Gestalt eines schlanken Mannes mit langem, braunem Haare, früher häufig in allen ansehnlichen Familien auf den Inseln und dem festen Lande eingesprochen. Bei einem dieser Seher war er in Knabengestalt immerfort zugegen, zugleich mit einem andern, Meigmalloch genannt, in Form eines Mägdleins; und man glaubte, beide gehörten einem alten Geschlechte, Granz in Strahtsbey, an, aus dem auch dieser Seher hervorgegangen, bei dem das Ferngesicht vorzüglich stark und klar gewesen. Man erzählte von ihm, daß er ordentlich, wenn er nach dem Feuer sehe, vorherzusagen wisse, was für Fremde des nächsten Tages oder kurz

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hernach in sein Haus kommen würden, die er dann nach Kleidung, Wallen und bisweilen auch mit ihren Namen bezeichnete. Wurde etwa ein Stück von seinem Vieh vermißt, dann konnte er seinem Knechte den Ort anzeigen, wo solches anzutreffen, ob es im Kote oder auf trockenem Lande liege, ingleichen ob es etwa bereits tot sei oder bald sterben werde, ehe sie dazu gelangen könnten. Wenn er im Winter neben anderen um das Feuer in einem dichtgeschlossenen Kreise saß, pflegte er die von der Gesellschaft manchmal zu ersuchen, sie möchten für einige Personen Platz machen, die neben ihm ständen, obschon keiner von den andern etwas sah. Er erblickte zu allen Zeiten seine zwei Geister um sich, manchmal aber auch mehrere derselben; auch schien er zum öftern ganz zornig, ein andermal wieder sehr bekümmert, obgleich ihn nichts von dem, was den Anwesenden in die Sinne fiel, dazu bewegen konnte. In der Regel sind es Menschen und menschliche Zustände: Geburt, Heirat, Streitigkeiten, Kriege und Schlachten, Lebensweise, Freundschaften, Todesart, Begräbnisse, welche in Gesichten zur Wahrnehmung gelangen. Was die Menschen selbst betrifft, so ist es keineswegs notwendig, daß diese vom Seher zuvor gekannt sind. Ebensowenig ist es notwendig, daß das Bild dem gewöhnlichen beschränkten Bilderkreise jener Inlulaner angehöre. Archibald Macdonald auf der Insel Skye, ein berufener Seher, war im Flecken Knokow eingekehrt und meldete nun vor dem Abendessen den Hausleuten: wie er eine seltsame Sache gesehen, die ihm zeitlebens nicht vorgekommen. Er habe nämlich einen Mann mit einer häßlichen, langen Mütze erblickt, der den Kopf in einem fort geschüttelt, das seltsamste unter allem aber wäre eine kleine Harfe nur mit vier Saiten gewesen, an welcher oben zwei Hirschgeweihe sich angebracht befunden. Alle, die von diesem wunderlichen Gesichte hörten, fingen an, über Archibald zu lachen, sagend: er müsse nicht bei Tröste sein oder geträumt haben; er aber blieb darauf und meinte, nach der Erfüllung werde die Reihe an ihm sein, auszulachen. Er kehrte in seine Heimat zurück, drei oder vier Tage später aber kam ein Mann mit einer Mütze und Harfe zu dem Hause, und Harfe, Saiten, Hörner und Mütze trafen vollkommen mit dem Gesichte überein; er schüttelte auch mit dem Kopfe, wenn er spielte, denn er hatte zwei Schellen an die Mütze angeheftet. Es war ein armer Mann, der ums Brot Musik machte und den man niemals in diesen Gegenden gesehen, er hatte sich zur Zeit des Gesichtes auf der Insel Barray befunden, die von diesem Teile von Skye mehr als 20 Meilen entfernt liegt. Alle Einwohner des Fleckens bezeugten die Wahrheit des Vorgangs. 293

Die Gesichte von menschlichen Zuständen sind mit gewissen symbolischen Zeichen begleitet, die auf die einzelnen Umstände des Vorgangs hinweisen, also daß die Deutung des Gesichtes ein Geschick voraussetzt, das nur durch Erfahrung oder Mitteilung sich erwirbt. So wird die Zeit des Eintreffens durch die Tageszeit, in der die Erscheinung aufgestiegen, bezeichnet. Ein Gesicht in der Morgenfrühe deutet auf Erfüllung binnen weniger Stunden, am Mittag auf eine solche im Verlaufe des Tages, am Abend vielleicht noch in der Nacht und dann durch die Nacht um so viel Wochen, Monate und bisweilen Jahre später, als die Stunde tiefer in sie hineinfällt. Es kommt jedoch auch bisweilen vor, daß Gesichte von Sehern gesehen werden, die bei ihren Lebzeiten sich nicht erüllen, sowie auch wieder andere, die niemand versteht, bis sie erfüllt worden. Ein Pächter von Glenary geht mit seinem Sohne, um die Hälfte des vorigen Jahrhunderts, in Sommersmitte nach Glenshiray in Geschäften, und beide kehren nach Beendigung derselben um die Mittagszeit wieder heim. Wie sie zur Gairanbrücke kommen und gegen Inverness sich wenden, sind sie erstaunt, eine große Zahl Bewaffneter gegen sich heranziehen zu sehen. Die vordersten haben eben Eilinalieu erreicht, sie ziehen enge geschlossen in bester Ordnung sieben Mann hoch einher, zur Seite von vielen Weibern und Kindern begleitet. Die Sonne scheint hell und voll, daß der Glanz der Waffen bisweilen ihre Augen blendet, und wie sie, von Zeit zu Zeit stehen bleibend, die Fahnen zählen, befinden sie sechzehn Paare derselben. Der Vater hatte früher in den Hochlanden gedient und erklärte dem verwunderten, immer aufs neue fragenden Sohne, welche Beschaffenheit es um solche Heereszüge habe, meinend: das vorüberziehende Heer komme von Irland, habe in Kyntyre gelandet und ziehe nach England hinunter, es möge seiner Schätzung nach zahlreicher sein denn die Heere auf beiden Seiten in der Schlacht von Cullodon. Bei der Wendung des Weges kommen sie nun dem Vordertreffen so nahe, daß sie den Führer des Heeres, der ihm zu Pferde voranzieht, in seiner Kleidung und allen seine Zügen erkennen, wo dann der Vater dem Sohne rät, etwas abseitszugehen, damit er nicht etwa von den Ziehenden mitgeschleppt werde. Dieser, Folge leistend, klettert über einen Steindamm, der in einiger Entfernung dem Wege zur Seite zieht, und geht nun, von ihm gedeckt, weiter vorwärts. Als er so weit gekommen, daß er in Sicherheit zu sein glaubt, geht er zum Vater zurück, der unterdessen, in Gedanken hinschreitend, wenig acht auf den Zug gehabt; zu ihrer Verwunderung ist alles jetzt verschwunden. Ein Reiter, dem sie nun begegnen und der den Haufen 294

mitten durchritten, wie sie gesehen zu haben glauben, hat nichts bemerkt, klagt aber über die Hitze des Tages und die drückende Luft, die ihm den Atem versetzt und auch sein Roß so geschwächt, daß er es leiten müsse. Bis zu dieser Stunde hat sich das Gesicht noch nicht erfüllt. 1 Noch andere symbolische Zeichen begleiten solche Gesichte. Soll einer ruhigen Todes im Bette sterben, so ist es das Leichentuch, das, von unten auf nach oben hin, um so mehr von dem Leibe des Sterbenden verhüllt, je näher ihm die Sterbestunde steht. Ist es ein gewalttätiger Tod, der seiner wartet, dann geht ihm das Wasser bis zum Halse, wenn er ertrinken soll, ein Dolch steckt in seiner Brust, ein Strick ist ihm um den Hals gelegt, oder er erscheint hauptlos, je nach der Weise des Todes, den er zu sterben hat, während Heiraten durch eine oder mehrere Frauen, dem Manne zur Seite, sich angedeutet finden.® Diese Symbolik, das charakteristische Kennzeichen alles anschaulichen Wissens, zeigt sich gleich entschieden auch anderwärts. Die Isländer, die das Gesicht haben, sagen von sich aus: wie sie von Kindheit auf, ohne Anwendung irgendeiner Kunst und eines äußerlichen Mittels, auch ohne weder am Leibe noch im Geiste krank zu sein, durch bloße Anlage eines Menschen Schatten oder Naturgeist in Gestalt irgendeines Tieres ganz klar, kenntlich und eigentlich heraustreten sehen und aus dieser Gestalt nun die Neigungen und Gesinnungen des Menschen zu beurteilen vermögen. Zweierlei setzt dabei an solchen Personen in Verwunderung: einmal, daß sie dieses oder jenes abwesenden Menschen Ankunft oft etliche Stunden zum voraus wissen, und wenn man sie um die Art befragt, wie sie solches erfahren, erwidern: es pflege der Schatten des Erwarteten oft einen weiten Weg vor seinem Leibe herzugehen, und diesen hätten sie gesehen. Zweitens, daß sie aus der also ihnen sichtbar gewordenen Gestalt die geheimen Anschläge des Menschen oder zum wenigsten seine Gemütsart erkennen können. So wenn sie ihn in Wolfsgestalt erblicken, schließen sie, er sei gesinnt, einen Raub zu üben, oder wenigstens von Natur raubsüchtig. Ist er einem Fuchse gleich gebildet, so geht ihr Urteil auf listige Ränke und Verschlagenheit, wie die Löwengestalt ihnen auf Mut und tapfere Entschlüsse deutet. Darum pflegen sie oft die dänischen Kaufleute, die bei ihnen Handel treiben, vor diesem oder jenem zu warnen, weil sie die Geister beider sich einander zuwider und befeindet sehen und daraus auf einen verborgenen, bald ausbrechenden Groll ihre Schlüsse machen, die in der Regel durch die Erfahrung bestätigt werden. 295

In Wales haben die Todeszeichen wieder andere Form angenommen, es sind nämlich die stillen Lichter, in der Landessprache Canhwillau Cyrth, Körperlichtlein genannt, die in diesem Lande, besonders in den Grafschaften Cardigan, Carmarthen und Pembrock als solche Todesboten beobachtet werden. Hört man beschreiben, wie sie einem brennenden Lampenlichte gleichen, mit dem Unterschiede, daß sie abwechselnd nun aufleuchten und dann wieder verschwinden, das letzte besonders, wenn jemand gegen sie kommt, worauf sie jedoch hinter ihm sogleich wieder erscheinen und ihres Weges weitergehen, — hört man, daß kaum in jenen Gegenden ein irgend Bejahrter sei, der sie nicht einmal wenigstens gesehen, dann überzeugt man sich leicht, daß es Irrlichter sind, die zunächst den Grund zu dieser Art von Gesichten gegeben. Aber wie es scheint, hat, indem das Hellsehen der dortigen Einwohner des Naturgegenstandes sich bemeistert, dadurch das Physische an ihnen in die psychischen Gebiete sich hinübergeleitet und dort zu einer vollkommenen Semiotik sich ausgebildet. Denn wie man aus der großen Zahl und Häufigkeit der in diesen Gegenden sichtbaren Lichter schließen muß, kommen nicht bloß die gröberen, auch gewöhnlichen Sinnen schon bemerkbaren Erscheinungen der Art zur Wahrnehmung, sondern auch die feinen, zarteren, die, wie die Nebelsterne des Himmels nur dem weiter geöffneten Fernrohr, so dem geschärfteren Auge sichtbar werden. Darum schweifen die dortigen Stillichter nicht etwa bloß auf Feldern und Auen um, sondern sie dringen ins Innere der Häuser ein. So hören wir denn erzählen, wie, als in Cardigan einer der dortigen Einwohner zu Bette gelegen mit all seinen Hausgenossen, eines dieser Lichter, als er nach Mitternacht erwacht, in seine Stube gekommen, worauf dann eines nach dem andern, wohl zwölf an der Zahl, sich hinzugefunden, in der Gestalt von Männern, zwei oder drei aber auch Frauen gleich mit kleinen Kindern in den Armen. Bald darauf habe es geschienen, als ob die Stube heller und weiter werde, denn sie zuvor gewesen, und die Lichter eine Art von Tanz begännen. Alle hätten sich darauf um einen Teppich hergesetzt zum Gelage, sie hätten, gegen ihn lächelnd, ihm von ihrer Speise angeboten, doch habe er keine Stimme hören können. Er habe daher fort und fort zu Gott um seinen Schutz gerufen, bis endlich eine wispernde Stimme in wallischer Sprache ihm geboten, er solle ruhig sein. Als es so vier Stunden gewährt, habe er sich bemüht, sein Weib zu wecken, sie wollte aber nicht munter werden. Nachdem der Tanz noch eine Zeitlang in einer andern Stube fortgedauert, seien sie fortgegangen, worauf er dann auf296

gestanden, habe aber, wie klein die Stube gewesen, die Türe nicht finden können, bis sein Schreien die Hausgenossen aufgeweckt. John Ludwig, der Friedensrichter an Ort und Stelle, gibt dem Manne das Zeugnis, daß er ein ehrlicher armer Hausvater sei und im besten Leumund stehe. Da er nur zwei Meilen weit von ihm wohnte, ließ er ihn vor sich bringen und machte ihn glauben, er wolle ihm einen Eid auf die Wahrheit abnehmen, er fand sich ganz willig, denselben abzulegen.® — Die Hausmeisterin bei Baronet Rudds zu Llangathen geht in die Kammer, worin die Mägde schlafen, und sieht in ihr fünf Lichter beisammen. Bald darauf wird die Kammer frisch getüncht und zum schnelleren Austrocknen ein großes Becken mit Kohlen feuer hineingestellt. Fünf der Mägde gehen dann nach ihrer Gewohnheit dort zu Bette, aber zu frühe, man findet sie frühmorgens alle erstickt.* — Selbst an der eigenen Person des Sehers kommen sie bisweilen zum Vorschein. Katharina Wyat in der Stadt Tenby sieht, als sie eines Abends in ihrer Schlafkammer sich befindet, zwei derselben recht auf ihrem Leibe, sie will sie mit der Hand wegschlagen, vermag es aber nicht, sie verschwinden dann nach einiger Zeit von selbst. Bald hernach kommt sie mit zwei totgeborenen Kindern nieder. — Davis selbst, ein Prediger, mußte einst bei einer Gerichtsversammlung eine feierliche Predigt abhalten und reist nach Beendigung derselben wieder nach Haus zurück. Bei beginnender Abenddämmerung, da es noch so hell wie am Mittag war, schien es ihm zwei- oder dreimal, als fliege hinter ihm, rechts zwischen seinen Schultern und seiner Hand, etwas Weißes, etwa in der Größe einer welschen Nuß, und die Empfindung kehrte immer in Zwischenräumen von je 70 oder 80 Schritten zurück. Anfangs macht er sich nichts daraus und hält es für den Schein seiner Halskrause, aber es wurde immer röter und röter. Zum wenigsten war es kein Irrwisch, setzt er hinzu, sondern ein pures klares Feuer, sowohl dem Lichte wie der Farbe nach. Er kehrte deswegen sein Pferd zwei- oder dreimal um, zu sehen, wo es herkäme und ob es ihm etwa ins Gesicht fahren werde, dann aber konnte er niemals etwas erblicken; wenn er aber wieder sich nach vorwärts wendet, fliegt es wie vorher um ihn herum. Man könnte versucht sein, die Leuchtung für eine elektrische Erscheinung zu erklären, aber was folgt, ist mit dieser Voraussetzung nicht wohl vereinbar. Als der Prediger ins Dorf Llaurislid gekommen, wo er nicht willens war einzukehren, und nun am Eingange hart an einem Wirtshause vorüberritt, sprang sein Feuer, als er eben dem Tore gegenüber sich befand, von ihm ab auf dieses hin, als ob es dort einkehren wolle. Er sah es nun nicht ferner mehr, 297

ihm wurde aber unheimlich zumute, und er blieb deswegen fernab von jenem Hause, in einem andern am Ende des Flekkens. Dort erzählte er dem Wirte, was ihm begegnet, der teilte es am andern Tage einigen von der Gerichtsversammlung mit, die wieder andern, und so wurde auf derselben von nichts als dem Gesichte des Predigers geredet. Es geschah aber noch in derselben Session, daß ein Edelmann, Wilhelm Lloyd genannt, erkrankte und auf der Reise nach Hause von einem so heftigen Paroxysmus überfallen wurde, daß er in dem Hause, wo der Prediger sein Feuer gelassen, einkehren mußte, wo er dann auch vier Tage später gestorben.5 — Morris Griflith, ein sehr religiöser Prediger, als er in Pembrokeshire in Tre-Daveth sich aufhielt, sah vom Hügel hinunter in der Tiefe ein großes Licht, es war sehr rot und stand etwa eine Viertelstunde still im Wege zur Lanferchllawddoy-Kirche. Der Prediger ging schnell auf die andere Seite des Hügels, um es besser zu sehen, und sah nun, wie es zum Kirchhof schwebte, dort eine Zeitlang wieder stille stand und dann in die Kirche einzog. Er wartete, und nach kurzer Zeit sah er es wieder aus der Kirche kommen und an einer gewissen Stelle des Kirchhofs eine Zeitlang verweilen, worauf es dann verschwand. Einige Zeit hernach starb der Sohn eines Einwohners im Orte, Higgon genannt. Die Leiche hielt eine Viertelstunde am Orte, wo das Licht gestanden, weil ein Wasser dort den Leichenzug aufgehalten, und wurde dann an der Stelle begraben, wo es zuvor verschwunden war.6 Da die Erscheinung so oft und in so vielfacher Gestalt in jenen Gegenden wiedergekehrt, hat man die vorbedeutenden Zeichen mit den verschiedenen Arten der Erfüllung zu vergleichen angefangen und auch hier wie im Norden gewisse Regeln zur Deutung des Gesichtes abgezogen. Ist das Licht klein, blaß oder bläulicht, so deutet man es in einer dieser Regeln auf unzeitige Geburt oder die Leiche eines Kindes; ist es stark und groß, dann ist der Angedeutete zu seinen Jahren gekommen. Sind zwei, drei oder mehrere große, gemischt mit kleinen, zugegen, dann sind es ebenso viele Todesfälle, in gleicher Mischung aus Erwachsenen und Kindern zusammengesetzt. Kommen zwei der Lichter von unterschiedenen Orten her und scheinen sich zu bewegen, so ist es mit den Leichen derselbe Fall, weicht eines zuweilen ein wenig auf dem Wege zur Kirche hin, dann pflegt in der Regel auch irgendein Hindernis den Zug zu hemmen. Uebrigens sind diese Totenlichter nicht bloß auf Wales beschränkt, sie sind auch auf der Insel Man vorgekommen. Als der Befehlshaber zu Belfast, Leathes, 1690 auf der Reise durch einen Sturm dreizehn Mann verloren, sagte es 298

ihm bei einer Landung dort sogleich ein alter Priester. Als der Hauptmann fragte, wie ihm das bekannt geworden, erwiderte er: durch dreizehn Lichter, die er auf den Kirchhof habe kommen sehen. Wie aber in allen diesen Fällen das Licht die Todesbotschaft ausrichtet, so anderwärts wohl auch die Finsternis, indem, wie Martin anführt, zu seiner Zeit in Bommel in der Provinz Holland ein Weib gewesen, die einen dunklen Bauch um das Angesicht derjenigen gesehen, denen der Tod nahe gewesen, was, da es vielfach sich bewährt, ihr zugleich große Verfolgung und große Zudringlichkeit herbeigeführt. Sonst ist die Gabe keineswegs allein auf jene Gebiete des Inselreichs beschränkt, sondern pflegt auch anderwärts im Volke häufiger, als man gewöhnlich glaubt, vorzukommen. Die Hochlande wie die Hebriden und Wales sind von den Ueberresten des gälisch-bretonischen Stammes bewohnt; daß also die Gesichte vorzüglich bei ihnen so häufig vorkommen, deutet darauf hin, daß vorzüglich dieser Zweig des gälischen Volkes mit solcher Gabe bedacht gewesen, und berechtigt zu dem Schlüsse, daß sie auch den anderen Verzweigungen nicht fremd geblieben. Wirklich hat sie noch am Anfange des vorigen Jahrhunderts in der Dauphine und den Cevennen häufig sich gezeigt, und der damalige Aufstand dieser Gegenden war auf sie begründet. Auch die germanischen Stämme sind reichlich zu aller Zeit mit ihr bedacht gewesen, und das Alrunenwesen hat darauf geruht. Nicht leicht möchte irgendeine Provinz des Reiches sein, wo sie zu dieser Stunde gänzlich ausgegangen, häufig kommt sie noch jetzt unter dem westfälischen Landvolk, stellenweise in der Schweiz und in Schwaben, in der Gegend von Salzburg und anderwärts vor. Auch den slavischen Stämmen ist sie, wie es scheint, nicht fremd geblieben, wenigstens ist sie zur Zeit der Religionsunruhen in Böhmen in einem bedeutenden Grade hervorgetreten. Vorzüglich sind es aber die finnischen Stämme in ihrer weiten Ausbreitung durch Europa und den ganzen Norden Asiens, denen ein reichlich Teil davon zugefallen, der diese Völker vor vielen andern in den Ruf der Zauberei gebracht. Man sieht: es sind die Nordischen und im Süden hauptsächlich die Bergbewohner, die mit diesem Geisterblick am reichlichsten begabt erscheinen, weil sie, mehr an die Grenze der inneren und äußeren Welt gestellt, auch in ihrer Stimmung mehr zwischen innerem und äußerem Sinne hin- und herüberschwingen und somit also Gesichte zweier Welten leichter bei ihnen wechseln als bei den Bewohnern der üppigen Erdniederungen, die mehr im Aeußeren befestigt stehen.7 299

Das zweite Gesicht hat uns somit an die Grenze der Geisterwelt geführt, die in ihm wie mit Sternenschimmer in das gewöhnliche Leben hineinzuscheinen beginnt. Unser Weg weist uns also jetzt zu ihr hinüber, damit wir betrachten, wie denn diese in ihrem näheren Antreten dem auffassenden Sinne sich gibt. Die hier zunächst sich bietende Stufe ist, daß das Schauen in die Ferne, das auf der vorigen innerhalb des Lebenskreises sich beschließt, jetzt über denselben hinaus vorbricht und seinen Gesichtskreis über die sonst verschlossenen Regionen der Abgeschiedenen ausbreitet. Es ist dann nur eine Steigerung oder auch eine andere Form der Gabe, die, aller Grade solcher Steigerung empfänglich, je nach der ihr zugeteilten Schärfe und Regsamkeit ein flacher oder tiefer eindringendes Geistersehen begründen wird. Neben dieser Weise, die mehr durch den Schauenden bedingt erscheint, wird dann die andere sich geltend machen, die, mehr an das Geschaute geknüpft, durch ein Entgegenkommen und ein sich Geben dieses Geschauten sich begründet. Das in seiner Abgeschiedenheit unvernehmbare unsinnlich Geistige kann nämlich, durch Selbstdepotenzierung in physischen Kräften, ein Medium sich bereiten, in dem es dem in ähnlichen Kräften verhüllten Menschengeiste sich mitzuteilen vermag, und die wirkliche Mitteilung wird alsdann entweder durch Bilder, selbst an ungeschärfte Sinne, geschehen oder sonst durch auffallende Naturwirkungen sich vermitteln. Auf der Linie der ersten Art von Mitteilung wird ein großer Teil des G e s p e n s t e r w e s e n s , auf jener der andern das gesamte S p u k w e s e n liegen, beide in den unteren Graden oft voneinander getrennt, auf den höheren aber bei tieferem Einschneiden durchgängig im gemeinsamen Grunde sich begegnend, so daß Erscheinung und tätiges Einwirken sich zu verbinden pflegen. Das erste, schon in den vorchristlichen Zeiten tief im Volksglauben wurzelnd, hat erst mit der Ausbreitung des Christentums in seiner spiritualistischen Richtung den rechten Grund gefunden. Wie daher die Erscheinungen Verstorbener schon in den allerersten christlichen Zeiten nicht selten vorkommen; wie schon der heilige Martialis, Bischof von Limoges, nach seinen Akten die Seele der heiligen Valeria, als sie den Märtyrertod zur Zeit Vespasianus' erlitten, in Gestalt einer leuchtenden Flamme zum Himmel ansteigen gesehen, und wie von Justinus an beinahe alle Kirchenväter für den Grund der Wahrheit in solchen E r scheinungen Zeugnis geben, so sind sie in der Folge in allen Menschenaltern und Jahrhunderten bis auf unsere Tage hinunter in zahlreicher Menge wiedergekehrt und haben zu aller Zeit die Gemüter viel beschäftigt. Da der Gegenstand aber, in

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den unteren Graden befangen, der naheliegenden Täuschungen wegen Gegenstand vielfältiger Kontroverse geworden und daru m ohnehin vielseitige Behandlung gefunden, das aber, was trotz derselben immer zweifelhaft geblieben, in den höheren Graden von selber sich bewährt, so werden wir nach dieser flüchtigen Berührung an ihm vorübergehen und dafür jener anderen Reihe von Erscheinungen, die das sogenannte Spukwesen bietet, unsere Aufmerksamkeit zuwenden, da hier das Auffallende der Wirkungen, am hellen, lichten Tage sich ereignend, dem Zweifel selbst in den unteren Gebieten weniger Raum gestattet. 2. Der Spuk Zu allen Zeiten und bei allen Völkern haben sich in der Nähe der Menschen Wirkungen mancherlei Art begeben, die sie, weil keine physische Ursache zu ihrer Erklärung ausfindig zu machen war, der Wirkung von Geistern zuzuschreiben sich gedrungen fanden. Da die Aeußerungen dieser Geister überhaupt etwas Unbestimmtes, Seltsames, Eigensinniges, bisweilen Neckischspielendes und Lärmendes an sich hatten, so hat man dies ihr Tun mit dem Namen des Spukens, sie selbst aber mit dem Namen der Spuk- und Poltergeister bezeichnet. Die vertrauliche Weise, in der die Unschädlicheren unter diesen Wesen sich oft hilfreich in den Haushalt der Menschen eingedrängt, örtlich an diese oder jene Stelle, an Haus und Hof sich knüpfend, hat diese Art dann bald in der Meinung des Volkes mit den altberufenen Zwergen identifiziert, die, wie sie unaufgehalten durch alle Materie schreitend, sich überall freien Zugang öffnen, so auch sich unsichtbar zu machen wissen. Wie sie daher unter dem Namen der uaßaXXoi schon bei den Griechen mit den zwerghaften Kabiren in naher Berührung gestanden, so haben sie im Norden in ihrer kunstreichen Behendigkeit und in ihrem zugreifenden behilflichen Wesen unter ihrem Namen Kobolde, plattdeutsch Kabuntermannekens und Gülterkens, schwedisch Trullen, Gobelins und Lutins bei den Franzosen, Trazgos bei den Spaniern, Farfarellis in Italien, Coltren bei den Russen, überall im Volke bekannt und im ganzen keines üblen Leumunds sich erfreuend, als eine Art von Hauszwergen ihm gegolten, mit denen es, besonders in der vorchristlichen Zeit, in einem vertraulichen Verhältnisse gestanden, die Dienste dieser Laren mit kleinen Opfern lohnend. Wollen sie in einem Hause sich ansiedeln, dann tragen sie, also erzählt das nordische Volk, zur Nachtzeit Holzscheiter auf einen Haufen und bringen in die Milchkübel Kot 301

von mancherlei Tieren. Trinkt dann der Hausvater am Morgen mit seiner Familie von der Milch und wirft er die Holzhaufen nicht auseinander, dann bleiben sie bei ihm, wohnen in dem Holzstoße und empfehlen sich den Hausbewohnern dadurch, daß sie Getreide aus fremden Scheunen zutragen, Holz in die Küche führen und mehr dergleichen Geschäfte übernehmen. Dies heimlich vertraute Tun, besonders in der christlichen Zeit durch mancherlei nicht unbegründete Bedenklichkeiten, wie es scheint, gestört, ist seither durchgängig aus der Ordnung einer freiwilligen Dienstbarkeit herausgetreten und in ein seltsam befremdendes und störendes Treiben umgeschlagen, dem die Zeugen verwundert zusehen, ohne es sich erklären und deuten zu können. Da inzwischen gerade hier eine Menge der auffallendsten, am hellen, lichten Tage sich begebenden, von zahlreichen Augenzeugen bewährten und mit allen Sinnen wahrnehmbaren physischen Wirkungen uns begegnen, so ist es schon der Mühe wert, bei ihnen eine Zeitlang zu verweilen und der hinter diesen sichtbaren Wirkungen verborgenen Ursache nachzuforschen. Wir sagten, schon in den frühesten Zeiten kommen dergleichen vor, und wir finden wirklich, um von Vorchristlichem nicht zu reden, schon bei Augustinus8 das Gut des Hasparius, Cubedi genannt, in der Diözese des Bischofs, von solchen Geistern beunruhigt und durch das Gebet eines Priesters seiner Genossenschaft, um dessen Sendung der Eigner angehalten, befreit. Zur Zeit des Ostgotenkönigs Theoderich ist in Ravenna das Haus des Arztes Elpidius von Kobolden bewohnt, die ihn oft mit einem Steinregen empfangen, und er bittet den heiligen Gäsarius, Bischof von Arles, auf seiner Durchreise um Hilfe. Dieser reinigt das Haus mit Weihwasser, und die Plage verschwindet, ohne daß sich weiter etwas blicken läßt.8 Als derselbe Heilige einst bei einer Umreise durch seine Diözese in ein Gebiet gekommen, Succentriones genannt, fand er dort prächtige Bäder, an denen aber jeder, der vorüberging, bei seinem Namen sich rufen hörte, worauf dann gewaltige Steine ihm vor die Füße fielen oder ihm nachgeworfen wurden, so daß niemand mehr dort vorbeizugehen wagte. Als der spätere Lebensbeschreiber des Heiligen, der ihm damals den Stab vorzutragen pflegte, diesen in der nahen Kirche vergessen hatte, waren die Leute froh darum, hingen ihn an den Wänden der Bäder auf, und das Uebel verschwand.10 — Ebenso erzählt der Priester Georg, Zögling des Archimandriten Theodor, in seinem Leben: Zu seiner Zeit seien im Hause eines Tribunen, auch Theodor genannt, gleichfalls von solchen Geistern Menschen und Tiere 302

vielfältig behelligt worden. Saß das Gesinde zum Mittag- oder Abendessen am Tische, dann wurden Steine auf denselben hingeworfen, so daß ein großer Schrecken alle überfiel. Auch wurde den Mägden das Garn auf dem Stuhle zerrissen, und eine solche Menge von Schlangen und Mäusen erfüllte zuletzt alle Räume, daß niemand aus Furcht dort mehr zu weilen wagte. Endlich betrat der Diener Gottes das Haus, brachte die Nacht mit Singen und Beten in ihm zu, segnete es mit Weihwasser, das er geweiht, überall aus, und es wurde vom Spuk befreit. — Das gleiche erzählt der Lebensbeschreiber des heiligen Hubertus vom eigenen Hause des Bischofs in Lüttich. Sigebertus hat in seiner Chronik unter dem Jahre 958 die Erscheinungen des Geisterhauses zu Camonz bei Bingen aufgenommen, wo auch geworfen und gepoltert wurde, bis der Erzbischof von Mainz Geistliche hinüberschickte, die dem Unwesen Einhalt taten. Unter dem Jahre 1130 berichtet Trithemius über den Geist Hödeken oder Hütchen, der am Hofe Bernhards von Hildesheim eine Art von Schaffner, Warner und Helfer im Schlosse vorgestellt, an den die Sage sich so sehr angehängt, daß sie noch immer Hütchens Rennpfad nachzuweisen weiß, auf dem er einmal eilig von Schloß Winzenburg aus zu ihm hingelaufen. Später dann ist es der, welcher nach Wilhelm von Paris in einem Hause der Pfarrei von St. Paul in Poitiers gehaust und, Fenster und Glaswerk zerbrechend, mit Steinen geworfen, ohne doch jemand zu verletzen. Von da an werden die Nachrichten über dergleichen immer häufiger und umständlicher. Man darf nicht glauben, daß man in früheren Zeiten solche Vorgänge ohne weitere Untersuchung nur auf Hörensagen hingenommen. Man hat bei solcher Gelegenheit überall scharf zugesehen, selbst in Spanien, das man mit dem Aberglauben so sehr in Verruf gebracht. Als ich, erzählt Antonio de Torquemada,11 vor etwa zehn Jahren noch auf der Hohen Schule von Salamanca mich befunden, lebte dort eine angesehene Frau, Witwe schon bei Jahren, die in ihrem Hause vier oder fünf Mägde hielt, wovon zwei jung und hübscher Gestalt waren. Es verbreitete sich damals von ihrem Hause ein Gerücht im Volke: in ihm halte sich ein Kobold (Trazgo) auf, der allerlei Streiche übe und unter andern von den Dächern Steine in solcher Menge und so anhaltend herabwerfe, daß, obgleich die Würfe keinen Schaden anrichteten, sie den Hausgenossen doch viel Verdruß und Ungemach verursachten. Der Unfug kam so weit, daß der damalige Corregidor Kenntnis davon nahm und sich vorsetzte, was an der Sache wahr sei, zu erforschen. Er 303

ging also in Begleitung von mehr als 20 Menschen, die gerade zugegen waren, in das berufene Haus und ordnete, als er an Ort und Stelle angekommen, einen Alguazil mit vier Mann ab, daß sie mit brennender Fackel alles aufs genaueste untersuchten und nicht einen Winkel unerforscht ließen, wo sich irgendein Mensch verbergen könne. Sie taten, wie ihnen befohlen worden, in solcher Weise, daß nichts fehlte als noch die Böden aufzuheben, und kehrten dann zurück mit dem Bescheide: es sei alles sicher, und niemand könne im Hause verborgen sein. Der Corregidor wendete sich nun zur Hausfrau und suchte ihr begreiflich zu machen, daß man sie zum besten gehabt, indem ihre jungen Mägde wahrscheinlich Liebhaber unterhielten, wie daher das beste Mittel sei, den Spuk loszuwerden, wenn sie ein aufmerksames Auge auf ihr Tun und Treiben gerichtet halte. Die gute Frau wurde über dies Zureden gar sehr bestürzt und wußte nicht, was sie darauf erwidern sollte, doch blieb sie dabei, es habe mit den Steinen seine Richtigkeit, und sie würden wohl auch noch ferner geworfen werden. Der Corregidor und die, welche mit ihm waren, verließen nun, noch weiter ihren Scherz mit ihr treibend, die Stube; wie sie aber an das Ende der Treppe gelangt, kam mit großem Gepolter eine solche Masse von Steinen die Stufen derselben herabgerollt, daß es schien, es seien drei bis vier Körbe voll derselben ausgeschüttet worden. Die herabkommenden fuhren ihnen zwischen den Beinen und Füßen hindurch, ohne jedoch einen irgend schmerzhaft zu verletzen. Der Corregidor befahl nun denen, die er zuvor ausgesendet, ohne Verzug mit größter Schnelligkeit hinaufzueilen und nachzusehen, ob sie den nicht ertappen könnten, der sie herabzuwerfen sich erkühnt. Sie taten nach seinem Geheiße, aber nicht mit besserem Erfolge als das erstemal. Wie sie noch damit beschäftigt waren, fing es am Portal des Eingangs Steine in Menge zu regnen an, so daß sie oben an dasselbe aufschlugen und dann abspringend an seinem Fuße niederstürzten. Wie nun alle betreten und verwundert angafften, was sich vor ihnen begab, nahm der Alguazil einen der größten Steine, die niedergefallen, und ihn über das Dach eines gegenüberstehenden Hauses werfend, rief er: Sei's der Teufel oder ein Kobold, sende mir jetzt diesen Stein zurück! In demselben Augenblicke sahen alle, wie der Stein, über das Dach zurückkehrend, ihm gegen die Kappe über den Augen fuhr, und sie mußten erkennen, daß es Wahrheit sei, was man ihnen hinterbracht. Nach einiger Zeit kam ein Geistlicher, von denen, die sie Torres menudas nennen, nach Salamanca und sprach einige Exorzismen in dem Hause, worauf dann das Werfen und die anderen Erscheinungen sofort aufhörten. 304

Um auch hier der Untersuchung eine sichere Grundlage zu unterstellen, auf die sich mit Verlaß fortbauen läßt, teilen wir hier eine Folge von Erscheinungen der Art mit, die vor nicht langer Zeit sich ereignet haben, und die glücklicherweise einen unbefangenen, aufmerksamen, hinreichend unterrichteten Beobachter gefunden, dessen Zeugnis als durchaus glaubwürdig und unverwerflich erscheinen muß. Der Schauplatz dieser Ereignisse war der sogenannte Münchhof, eine Stunde von Voitsberg, drei Stunden von Grätz. Der Beobachter aber, H. I. v. Aschauer, damals Verweser in Kamach, ein in der Physik und Mathematik vorzüglich erfahrener Mann und daher auch seither als Lehrer der technischen Mathematik am Johanneum in Grätz angestellt. Ich folge buchstäblich dem Berichte, den er über seine Erfahrungen, unter dem 21. Januar 1821, an einen ihm Befreundeten abgestattet, ihn nur da und dort, jedoch nur in unwesentlichen Dingen, aus einem späteren ergänzend, den er mir selbst vor etwa neun Jahren mitzuteilen die Gefälligkeit gehabt. Er beteuert, daß er die Wahrheit des Erzählten in jedem Augenblicke beschwören könne, und daß er vor der ganzen Welt als ehrlos gebrandmarkt sein wolle, wenn in seiner Beschreibung ein auch nur übertriebenes Wort zu finden sei. Er eröffnet aber seinen Bericht zuerst mit dem, was sein Schwager, der Hausherr auf dem Hofe, Obergemeiner, ihm mündlich mitgeteilt, dahin lautend: Beiläufig im Oktober 1818 wurden nachmittags und abends verschiedene Male Würfe an die Zimmerfenster des Hofes zu ebener Erde wie mit kleinen Steinen verspürt, wobei wohl auch mitunter einige Scheiben zerbrachen, was jedoch immer aufhörte, sowie die Leute Feierabend machten und zur Ruhe gingen. Obergemeiner glaubte anfangs, es seien Schulkinder, die sich im Vorbeigehen den Spaß machten; da er aber ungeachtet alles Aufpassens niemand entdecken konnte und es nun auch an der vorderen und hinteren Haustüre, die beide versperrt waren, stark zu pochen anfing, ohne daß der Kettenhund anschlug, so geriet er auf die Vermutung, es sei Raubgesindel, das ihn herauslocken wolle, und schloß deswegen die Türe nicht auf. Da ihm aber das Gesinde furchtsam und er selbst der Unruhe überdrüssig zu werden anfing, so beschloß er, die Sache ernsthafter zu behandeln. Er ging deswegen gegen Ende des Monats, ohne seinen Hausgenossen etwas zu sagen, zu den umliegenden Bauern und nahm sie alle, 24—36 Mann, sämtlich bewaffnet, mit zu seinem Hause, umstellte alle seine Gebäude in ziemlich weitem Kreise mit ihnen und, nachdem er angeordnet, daß die Wachen keinen Menschen weder einnoch auszulassen hätten, ging er nun selbst mit Koppbauer Görres-Mystik

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und noch einigen anderen in das Haus, versammelte dort alle seine Leute, um sich zu überzeugen, daß keiner abgehe, und durchsuchte dann alle Gebäude vom Dachfirst bis in die Keller. Das geschah gegen halb 5 Uhr abends, die Wachen hatten unterdessen ihren Kreis immer enger geschlossen; niemand war gefunden worden, aber niemand, weder Mensch noch Tier, konnte auch durch den Kreis gedrungen sein7~Währenddessen aber hatte es schon angefangen, auf die Küchenfenster verschiedene starke Steinwürfe zu machen, und da nun die Würfe immer stärker wurden, stellte sich Koppbauer ganz anlehnend nach außen in ein solches Fenster, um die Richtung der Würfe zu erkennen. Als er so stand und Obergemeiner mit einigen anderen in der Küche war, geschah ein starker Wurf in eben dieses Fenster, so daß mehrere Scheiben bersteten hinter dem Rücken Koppbauers, der darüber sehr erzürnte, weil er glaubte, die in der Küche hätten, um ihn zu necken, das Fenster eingeworfen. Da aber Obergemeiner ihn eines Besseren belehrte und das Erstaunen der anderen dessen Worte bestätigte, so verfielen sie nun darauf, es müsse von innen heraus geworfen werden, was denn auch wirklich in dieser Richtung gegen alle Fenster vor sich ging, aber nach halb 7 Uhr mit einem Male ganz aufhörte. Unterdessen war das Durchsuchen fortgegangen; Ofenlöcher, Kamine, kurz alles wurde erforscht, wo sich nur ein Mensch oder ein Tier verbergen konnte; auch blieben die Wachen die ganze Nacht in der Nähe des Hauses. Es blieb Ruhe bis um 8 Uhr vormittags, wo das Werfen in Gegenwart von mehr als 60 Menschen wieder begann. Man sah nun deutlich, daß es die Steine unter den Küchenbänken, z. B. d heraus, in die Fenster bc, und zwar in ganz unerklärlicher Weise aufwärts, in zurückgeschlagener krummer Linie og werfe. Es waren die sogenannten Sechssteine, Y