Märtyrer und Gottesknecht 9783666531392, 9783525531396


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Märtyrer und Gottesknecht
 9783666531392, 9783525531396

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M ärtyrer und Gottesknecht Untersuchungen zur urchristlichen Verkündigung vom Sühntod Jesu Christi

von

Eduard Lohse

2., durchgesehene und erweiterte Auflage

Göttingen • vandenhoeck & Ruprecht • 1963

Zorschungen zur Religion und Literatur des Riten und Reuen Testaments herausgegeben von D. Kud. B u l t m a n n Prof. d. Theol. ln M arbm g

Neue $olge, 46. heft Der ganzen Reihe 64. heft

© Danbenhoeck & Ruprecht, Güttingen 1955 — Prtnteb in Germany Ohne ausdrückliche Genehmigung deS Verlages ist eS nicht gestattet, daS Buch oder Teile daraus a u f foto, oder akustomechanifchem Wege -u vervielfältigen. Druck: Fotokop GmbH, Darmstadt 7029

Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist im November 1953 von der Evan­ gelisch-Theologischen Fakultät der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz als Habilitationsschrift angenommen worden. Herr Professor D. Dr. Joachim Jerem ias (Göttingen) hat mich zum Studium der rabbinischen Literatur angeleitet und auf die Frage nach der Sühnkraft des Todes hingewiesen. Für seinen steten Rat und manche Förderung weist ich mich meinem verehrten Lehrer zu bleibender Dankbarkeit verpflichtet. An­ regungen und hinweise zu meiner Arbeit habe ich von den Herren Profes­ soren D. Günther Borntamm (Heidelberg), D. Herbert Braun (Mainz), D. Dr. Kurt Galling (Mainz), Dr. Karl Georg Kuhn (Göttingen), D. Dr. Gustav Stählin (Mainz) und D. Walter Windfuhr (Hamburg) erhalten. Ihnen allen möchte ich ein w o rt herzlichen Dankes sagen für die Hilfe und Kritik, die sie mir zuteil werden liehen. Die Veröffentlichung der Arbeit wurde durch eine namhafte Druck­ beihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglicht. Für diese groß­ zügig gewährte Unterstützung mochte ich auch an dieser Stelle meinen Dank aussprechen. Für die Aufnahme der Untersuchung in die Reihe der „For­ schungen" schulde ich Herrn Professor D. Rudolf Bultmann aufrichtigen Dank.

Die zweite Auflage der Untersuchung stellt eine durchgesehene und er­ weiterte Fassung der ersten Auflage dar. Kleinere versehen sind berichtigt worden: vor allem aber sind in einem Anhang zwei Abschnitte hinzugefügt worden, die dazu dienen sollen, die in der gegenwärtigen Forschung ver­ handelten Probleme aufzunehmen und weiterzuführen. Der erste Abschnitt handelt von Sühne und Leiden in den Texten von (Qumtan, der zweite von der Bedeutung von Jes. 53 für die «christliche Verkündigung vom Sühntod Jesu Christi.

Inhalt A bkürzungsverzeichnis...............................................................................................

6

E r s te r T e il: D e r S ü h n t o ö im S p ä t j u d e n t u m V orbem erkung..............................................................................................................

9

I . D as V erständnis des T odes und die S ühnevorstellungen im S p ä t­ judentum ............................................................................................................

13

1. Der Zusammenhang von Schuld und Tod im Denken des Spätjudentums

13

2. Die Sühnevorstellungen im Spätjudentum................................................... Die kultischen Sühnemittel......................................................................... Die nichtkultischen Sühnemittel.................................................................. Die Sühnkraft der Umkehr................................................................ Die Sühnkraft der Leiden..................................................................

18 20 23 25 29

3. Die Lehre von der Sühnkraft des Todes im Rahmen der Sühnevorstel­ lungen des Spätjudentums.............................................................................

32

II. D er Tod als S ühne fü r die eigenen S ü n d e n ........................................

38

1. Die Todesstrafe als Sühne.............................................................................

38

2. Das Sündenbekenntnis vor dem Tode..........................................................

46

3. Die Wirkung des Sühntodes.........................................................................

50

4. Die Sühnkraft des freiwilligen Todes...........................................................

54

5. Exkurs: Das Begräbnis im Lande Israel ...................................................

58

III. Der stellvertretende S ühntod ......................................................................

64

1. Die Zeugnisse vom stellvertretenden Sühntod.............................................. Der Tod des Hohenpriesters....................................................................... Der Tod der ZUärtyrer............................................................................... Die Märtgrerberichte der Makkabäerbücher................................... Die rabbinischen Märtgrerberichte................................................... Der Tod der Gerechten............................................................................... Der Tod der V äter...................................................................................... Der Tod der unschuldigen Rinder..............................................................

64 64 66 66 72 78 87 92

2. Die Sühnkraft des stellvertretenden Todes ........... Der Gedanke der stellvertretenden Sühne................................................ Der Sühntod der Gerechten im Verhältnis zu Zes.53...........................

94 94 104

Inhalt

5

Z w e i t e r T e i l : O e r S ü h n t o b im N e u e n T e s t a m e n t Vorbemerkung.......................................................................................................

111

A. D e r S ü h n t o b J e s u C h r i s t i ....................................................................

113

I Die Verkündigung bet Utgemeinbe vom Sühntob Jesu C h risti... 113 1. Vas älteste Ketygma vom SühntobJesu Christi (1. Kor. 15, 3—5)____ 113 2. Die Worte Jesu über die Sühnkraft seinesTodes ................................. Mark. 10,45 Par.................................................................................... Mark. 14,24 Par.................................................................................... Exkurs: Luk. 23, 34........................................................................

116 117 122 129

3. Zormelhafte Wendungen der «christlichen Verkündigung vom Sühntob Jesu Christi................................................................................................. Der Tod Christi für uns........................................................................ Die Übendmahlsliturgie........................................................................ Das Blut Christi.................................................................................... Christus das passalamm........................................................................

131 131 136 138 141

I I . Die E ntfaltung bet «christlichen Verkündigung vom Sühntob Jesu C h risti...........................................................................................................

147

1. Paulus über den Sühntob Christi............................................................ (1) Das Ketygma der Utgemeinbe bei Paulus — (2) Christi Tod als Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes — (3) Christi Tod als Cnde des Gesetzes — (4) Die Versöhnung in Christi Tod

147

2. Der Hebräerbrief über den Sühntob Christi............................................. (1) Christi Tod als Sieg über Tod und Teufel — (2) Christi Tod ;ur Sühnung der Sünden — (3) Christus der Hohepriester nach der (Ordnung Melchisedeks— (4) Christi Sühntob als das Selbstopfer des Hohenpriesters— (5) Das Ketygma der Utgemeinbe im Hebräerbrief

162

3. Der 1. Petrusbrief über den Sühntob Christi........................................... 1. Exkurs: Der Tod Jesu im lukanischen Doppelwerk ............................. 2. Exkurs: Der Tod Jesu in den johanneischen Schriften.........................

182 187 191

B. D e r S ü h n t o b i n b e t f r ü h c h r i s t l i c he n M ä r t y r e r t h e o l o g i e ..

193

I. D as Leiden Christi und bas Leiden bet C h risten ............................. 1. Christi Tod als das Ende der Sühnemittel............................................ 2. Das eschatologische Verständnis des Leidens.......................................

193 193 199

I I . Die Sühnkraft bes M ä rty ie rto b e s.......................................................... Exkurs: Die B luttaufe bes M ä rty re rs ..................................................

203 211

A nhang: 1. S ühne und Leiden in den Texten von (Q u m ta n 2. Die B edeutung von Jes. 53 fü r die «christliche Verkün­ digung vom S ühntob Jesu C hristi.......................................... L iteratu rn ach w eis...............................................................................................

214 220 225

Abkürzungsverzeichnis A. T. A. N.T. Abhandlungen zur Theologie des M e n und Neuen Testaments B.F.L.TH. Beiträge zur Förderung christlicher Theologie V.W .A.N.T. Beiträge zur Wissenschaft vom M e n und Neuen Testament F.R.L.A .N .T. Forschungen zur Religion und Literatur des M e n und Neuen Testaments E. R. E. Encyclopedia of Religion and Ethica Tv. Th. Evangelische Theologie Jew.Enc. The Jewish Encyclopedia J.Q.R. The Jewish Quarterly Review J.Th. St. The Journal of Theological Studios M .G .W .J. Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums R. G. G. Die Religion in Geschichte und Gegenwart2 5. H. A. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Th. Bl. Theologische Blätter Th. L. Z. Theologische Literaturzeitung Th. R. Theologische Rundschau T.U. Texte und Untersuchungen zur altchristlichen Literatur Th. w . v . Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament Th. Z. Theologische Zeitschrift Z. A. w . Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Z.U.G. Zeitschrift für Kirchengeschichte Z. N W. Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Z. syst. Th. Zeitschrift für systematische Theologie Z. Th. K. Zeitschrift für Theologie und Kirche B acher, Tannaiten = w . B acher, Die Agada der Tannaiten, I S, 1903; II, 1890, Strafeburg B acher, p. Amoräer = w . B acher, Die Agada der palästinensischen Amoräer, 1 1892; I I 1896; I I I 1899; Strafeburg V illerbeck = H. L. Strack und Paul V illerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, 4 Bände, München 1922— 1928 V üchler, Sin and Atonement — A. V üchler, Studios in Sin and Atonement in the Rabbinic Literature of the first Century, Jews’ College Publications No. 11, London 1928 E h a rle s — R. H. C h a rle s, The Apocrypha and Pseudepigrapha of the Old Testament, 2 Bände, Gxford 1913 D a lm a n , Jes. 53 = G. D a lm a n , Jesaja 53, Das Prophetenwort vom Sühneleiden des Gottesknechtes, Schriften des Institutum Judaicum Berlin Nr. 13, Leipzig 1914 Kautzsch = E. Kautzsch, Die Apokryphen und Pseudepigraphen des M e n Testamentes, 2 Bände, Tübingen 1900 M o o re, Judaism — G. F. M o o re, Judaism in the first Centurios of the Christian Era, 3 Bände, Cambridge 1927—1930 S jö b e rg , Gott und die Sünder = L. S jö b e rg , Gott und die Sünder im palästinischen Judentum, nach dem Zeugnis der Tannaiten und der apokryphisch-pseudepigraphischen Literatur, V .w .A .N .T . IV, 27, Stuttgart 1938 Strack, Einleitung = H. L. Strack, Einleitung in Talmud und Midrasch, 6 München 1930 D olz, Eschatologie = P. D olz, Die Eschatologie der jüdischen Gemeinde im neutestamentlichen Zeitalter, 2 Tübingen 1934.

Textausgaben golgcnöc Textausgaben wurden benutzt: Biblia Hebraica, ed. H. K itte l, 8 Stuttgart 1945 (dazu: E. Kautzsch, Die heilige Schrift des Alten Testamentes, 4 Tübingen 1923) Septuaginta, ed. C. Rahlfs, Stuttgart 1935 Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testamentes, ed. E. Kautzsch, Tü­ bingen 1900 The Apocrypha and Pseudepigrapha of the Old Testament, ed. H. H. T h a rle s , Oxford 1913 P. R ie ß le r, Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel, Augsburg 1928 H. H. C h a rle s, The Testaments of the Twelve Patriarchs, London 1908 N. B onm etfch, Die Bücher der Geheimnisse henochs, Das sogenannte slavische henochbuch, (LU. 44,2, Leipzig 1922 L. Rost, Die Damaskusschrift (Kleine Texte Nr. 167), Berlin 1933 The Dead Sea Scrolls, ed. ITT. B u rro m s , New Hoven, I 1950, I I 1951 Zosephus, ed. N iese, Berlin 1887ff. philo, ed. L o h n -W e n d la n d , Berlin 1896ff. (dazu: Übersetzung von L ohn, Die Werke philos von Alexandrien III, Breslau 1919/Leisegang) K. B ih lm e y e r, Die apostolischen Däter I, Tübingen 1924 C. I . G oodspeed, Die ältesten christlichen Apologeten, Göttingen 1914 Die Kirchenväter sind nach den Texten der Berliner und w iener Ausgaben bzw. nach der patrologie von Utigne zitiert worden. Ausgaben der rabbinischen Literatur: INischnajoth, Berlin 1887ff. (unter Dergleich der Gießener NTischna) Talmud Vabli, Denedig 1520—1523, ed. G oldschm idt, Berlin 1897ff. Talmud Zeruschalmi, Denedig 1523 Tosefta, ed. Z uckerm andel, Pasewalk 1880 ITTiör. Pentateuch rabba, Denedig 1545 (übersetzt von w ünsche, Leipzig 1880—1884) IMdr. zu den BTegilloth, Stettin 1864 (überseht von wünsche, Leipzig 1880) NTekhilta zu Exodus, ed. w e iß 1865 / horovih 1931 (übersetzt von I . W in te r und A. w ünsche, Leipzig 1909) Sifra zu Leviticus, Bukarest 1860 Sifre zu Numeri und Deuteronomium, ed. g r ie d m a n n 1864, h o ro v ih : Sifre ad Numeros, grankfurt o. TU. 1917, ginkelstein : Sifre zu Deuteronomium, Breslau 1935ff.; K. G. K uhn: Sifre zu Numeri, Übersetzung und Erklärung, Stuttgart 1933ff. Sifre zutta (zu Numeri), ed. h o ro v ih , grankfurt a.NT. 1917 ITTiör. Tehillim, ed. B u b e r, Wilna 1891 IMdr. IMschle, ed. B u b e r, Wilna 1893 (überseht von w ünsche, Leipzig 1885) ITTiör. Tanchuma, Wien 1863 ITTiör. Tanchuma B, ed. B u b e r, Wilna 1885 Pesiqta (des Hob Kahana), ed. B u b e r, Lyck 1868 pesiqta rabbathi, ed. g rie d m a n n , Wien 1880

8

Textausgaben

Pirqe R. Tli'eser, Prag 1784 Aboth de Höbbi Nathan (ed. Schechter), Wien 1887 Targum zu Jesaja: The Targum of Isaiah, ed. S te n n in g , Oxford 1949 Jalqut Schim'oni, Wilna 1898 J e llin e k , Veth-ha-INidrasch I—VI, Leipzig und Wien 1853—-1877 Schulchan 'Arukh, Jore De'a, Amsterdam 1745/46 (übersetzt von H. G. §. Löw e, Wien 1896). $ür die biblischen Schriften und die Traktate der Mischna sind die üblichen Ab­ kürzungen verwendet worden. Der jerusalemische Talmud ist im Unterschied zum baby­ lonischen durch vorgesetztes j. kenntlich gemacht worden. Die ZTTtfchna wird nach Kapitel und Paragraph zitiert, der babylonische Talmud nach Blatt und Spalte, der jerusalemische nach Blatt, Spalte und Zeile. Lei den Namen der Nabbinen ist in Klammern angegeben worden, in welche Zeit sie gehören. Zu diesen Angaben ist das Kommentarwerk von Villerbeck und die Zusammenstellung von H. L. Strack in seiner Einleitung in den Talmud (5 München 1930), 5.116—149 zu vergleichen.

Der Sühnrod im Spätjudentum V o rb e m e rk u n g Die älteste christliche Verkündigung sagt, daß Jesus Christus ge­ storben sei für unsere Sünden und am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten (l.K or.15,3—5). Und die Evangelien berichten, Jesus habe seinen kommenden Tod als Lösegeld für die vielen bezeichnet (IUI. 10,45 P ar.) und gesagt, daß sein Blut vergossen werde für die vielen (Ulk. 14,24 P ar.). Vas bedeutet, daß sein Tod Sühne bewirkt, Vergebung der Sünden für die vielen, für die Völkerwelt. w ollen wir das rechte Verständnis dieser Worte gewinnen, so müssen wir sie von ihrer Zeit her zu verstehen suchen und fragen, welche Ge­ danken man sich damals über die Bedeutung des Todes gemacht hat — und insbesondere, inwieweit der Tod als Sühntod verstanden worden ist. Vieser Aufgabe wollen wir nachgehen, indem wir die spätjüdischen Vorstellungen von der Sühnkraft des Todes untersuchen und damit eine notwendige Vorarbeit für die Interpretation der Aussagen, die das Neue Testament über die Sühnkraft des Todes macht, leisten1). Daß wir unsere Untersuchung auf das Spätjudentum beschränken und nicht auf die gesamte Umwelt des Neuen Testamentes ausdehnen, bedarf einer kurzen Begründung: Diese Bestimmung unserer Aufgabe ist einmal darin gegeben, daß die älteste Verkündigung von der Heilsbedeutung des Todes Christi in der palästinischen Urgemeinde laut geworden ist, also auf dem Hintergründe des Spätjudentums zu sehen ist. Dann aber sind die in dem griechischen und hellenistischen Bereich gelegentlich auftretenden Gedanken, daß vergossenem Blut reinigende und stärkende Kraft eignen oder durch die Hingabe menschlichen Lebens der göttliche Zorn beschwichtigt werden könne2), von dem alttestamentlich-jüdischen Verständnis von Tod *) vorarbeiten, die den gesamten Fragenkreis behandeln, sind nicht vorhanden, flm förderlichsten war m it der Aufsah von K. G. K u h n , Zu Rö.6,7, Z. R. W. 30 (1931), S. 305—310. Ferner sind die einschlägigen Abschnitte in folgenden Werken zu nennen: v a lr n a n , 3ef.53; B illerb eck , Index s .v . Sühne, Sühntod u.a.; M o o r e , Judaism; B üchler, Sin and Atonement, und S jö b e r g , Gott und die Sünder, w eitere Literatur ist zu den einzelnen Abschnitten angegeben. *) Line ausgezeichnete Materialsammlung hat Z .H .W a sz in k im Reallexikon für Antike und Christentum, Banb II (Stuttgart 1952), Sp. 459—473 [Blut], zu unserer Frage besonders Sp. 462— 464, dargeboten.

und Sühne bezeichnend unterschieden. Nicht das Bewußtsein, vor den Göttern als schuldverfallene Sünder zu stehen, veranlaßt die Griechen, kathartische Sühneriten zu vollziehen, sondern abergläubische ringst, in der man den Sühnepriester herbeiholt, um Hilfe und Abwehr der be­ drohenden Mächte zu erwirken2). Griechischem Denken ist es im Unter­ schied zum alttestamentlich-jüdischen fremd, den Tod als Sündenstrafe zu verstehen. Zwar gilt den Griechen das Leben als das höchste Gut, dem der Tod ein dunkles Ende setzt, vor dem man sich fürchtet2). Doch wird nicht in der Sünde der Menschen die Ursache für die ihnen auferlegte Sterblichkeit gesucht, sondern der Tod ist ein dem Menschen bestimmtes Schicksal, mit dem er fertig werden muß. Darum strebt der Grieche danach, Herr über den Tod zu werden. So wird dieser „entweder verstanden als ein bloßer Naturvorgang, dem sich der einzelne willig unterziehen kann in der Einsicht und gebotenen Einfügung in den gesetzmäßigen Gang des kos­ mischen Rhythmus von Werden und vergehen. Gder er wird als bewußte Tat in das Leben einbezogen als der letzte ritt der Lebensgestaltung, als ein adelig sterben2)". Da also auf die urchristliche Verkündigung vom Sühntode Christi die griechischen Gedanken über den Tod keinen Einfluß gehabt haben, sehen wir von einer Untersuchung der in der Kathartik begegnenden Sühne­ vorstellungen ab. Einleitend bedarf die Bestimmung unserer Aufgabe jedoch noch einer weiteren Klärung. Wir haben nämlich für unsere Unter­ suchung sorgfältig zwischen dem hellenistischen und dem palästinischen Judentum zu unterscheiden. Vas hellenistische Judentum ist in starkem Maße von griechischem Denken beeinflußt worden und hat im Unterschied zum palästinischen Judentum viele griechische Gedanken und Vorstellungen aufgenommen. Daß nun auch vom hellenistischen Judentum auf unsere §rage nach dem Verständnis des Todes als Sühntod kaum eine Antwort zu erwarten ist, sei in Kürze nachgewiesen an seinen beiden bedeutendsten Repräsen­ tanten, philo von Alexandria und Josephus. I n den Schriften philos finden wir kein wirkliches Sündenbewußtsein2). Griechischem Denken ent­ spricht ebenso, was philo über den Tod sagt. Venn für ihn bedeutet der Tod die Trennung von Leib und Seele. Der eigentliche Tod aber im *) vgl. dazu E. Rohde, Psgche II, *•10 Tübingen 1925, 5 .7 8 —80. Zur Sache siehe auch G. Stählin, neglyitjfia, Th. U). B VI (im Druck) und S. 95 f. unserer Untersuchung. •) vgl. R. B u ltm an n , T h .w .B. III, S .7 ff. *) R. B u ltm a n n , Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, Zürich 1949, S. 148. Zur Sache vgl. auch L. B enz, Das Todesproblem in der stoischen Philosophie, Stuttgart 1929, S. 90; Z. L eip oldt, Oer Tod bei Griechen und Juden, Leipzig 1942, S. 56ff.; I). fl. gifchcl, J.Q.R. 1947, S. 372ff. 4) vgl. H. Ivenschkewitz, Die Spiritualisierung der Kultusbegriffe Tempel, Priester und Gpfer im RT, Leipzig 1932, S. 86; ID. Knuth, Der Begriff der Sünde bei Philon von Alexandria, Jena 1934, passim.

Unterschied zum natürlichen Sterben tritt ein, wenn die Seele der Tugend abstirbt und sich Schlechtigkeit aneignet1). Uber an keiner Stelle lesen wir bei philo, daß der Tod Sühne für die Sünden des Menschen leisten könne8). Nicht wesentlich anders ist das Ergebnis, wenn wir das Verständnis des Todes bei Josephus untersuchen. Josephus stammt zwar aus Palästina und steht trotz des griechischen Gewandes seiner Schriften dem palästinischen Judentum viel näher als philo. Was nun die Frage des Todes betrifft, so ist er bemüht, eine zwischen den verschiedenen Ansichten des Judentums vermittelnde Stellung einzunehmen8). Uber vergeblich suchen wir auch bei ihm eine Erwähnung der Sühnkrast des Todes, fluch in den Be­ richten, die er uns über das Sterben jüdischer Märtyrer gibt, finden wir nirgends diesen Gedanken. Daran erweist sich neben manchen anderen Indizien, daß Josephus dem hellenistischen Judentum zugerechnet werden mutz. Venn wie in hellenistischen Märtyrerberichten die Märtyrer als Helden verherrlicht werden, so benutzt auch Josephus jede Gelegenheit, bei der vom Sterben der Märtyrer zu sprechen ist, um ihre Tapferkeit und Standhaftigkeit zu preisen8). Venn die Juden sterben lieber für das Gesetz, als daß sie gegen dessen Vorschriften verstoßen8). Sn den Ver­ folgungen blieben die Zeloten so tapfer und hart, daß sie durch keine Folterungen dazu zu bringen waren, den römischen Imperator als ihren Herrn anzuerkennen8). Und die Essener bewährten ihre Gesinnung, nach der sie einen ruhmvollen Tod einem langen Leben vorzogen, im Kriege gegen die Römer, indem sie sich auch aus der Folter nicht dazu zwingen ließen, verbotene Speisen zu genießen'). Sn hoffnungslosen Situationen beenden die jüdischen Freiheitskämpfer lieber selbst ihr Leben, als daß sie in die Hände der Feinde fallen8). So ermahnt vor dem Fall der Feste *) Leg. Alleg. I, 105—107 (Cohn I, S. 89), vgl. K nuth, a.a.O., S. 54f. *) vgl. H. Leisegang, bei: L.Lohn, Die Werke Philos von Alexandrien, Breslau 1919, III, S. 260, Snm. 1; I . J e re m ia s , Judaica 5 (1947/48), S. 253. — Die w ort­ gruppe iXäoxeoöai, iXaofiög, llaarrjQiog findet sich in den Schriften philos nicht im Zusammenhang mit Aussagen über den Tod eines Menschen. *) vgl. fl. Schlotter, Die Theologie des Judentums nach dem Bericht des Josephus, Gütersloh 1932, S. 263; Do!), Eschatologie, 5.269. 4) vgl. A. Schlotter, Der Märtyrer in den Anfängen der Kirche, Gütersloh 1915, S. 15. «) Contra Apionem I, 8 (§ 42/43); II, 30 (§ 219); Ant. XV 7, 8 (§ 248); XVII 6, 2—4 (§ 149—167); Bell. jud. I 33, 2f. (§ 648—653); II 1, 2 (§6). ") Bell. jud. VII 10,1 (§ 417—419); Ant. XVIII 1, 6 (§ 23—25). 7) Bell. jud. I I 8, 10 (§ 152). *) Ein alter Zelot, der den Kampf gegen herodes in den höhlen von flrbela aufgeben mußte, tötete seine sieben Söhne, sein Weib und zuletzt sich selbst, um nicht in die Hände des herodes zu geraten, Bell. jud. I 16,4 (§ 312—313), par.A nt.X IV 15,5 (§429). vgl. hierzu die Geschichte vom Martyrium der Mutter und der sieben Söhne, 2.Makk. 7,1—42. Zur Sache: fl. Schlotter, Der Märtyrer in den Anfängen der Kirche, Gütersloh 1915, S. 54. — Beim Zoll Jerusalems stürzen sich zwei vornehme Juden in die Flammen des zusammenbrechenden Tempels, Bell. jud. VI 5,1 (§ 280).

Massada El'azar die Juden, sich zu töten, um nicht von den Römern gefangen zu werden, und ermuntert zu diesem Entschluß durch den Hin­ weis auf die Unsterblichkeit der Seele1). Josephus betont auch an anderen Stellen, daß der M ärtgrer nach seinem Tode in ein neues und besseres Leben kommen w irb2). Zudem wird ihm ewiger Nachruhm seiner Tapfer­ keit verheißen2). Es wird aber an keiner dieser Stellen der Gedanke der Sühnkraft des Todes auch nur erwähnt1). Dieses Ergebnis, das wir aus einem kurzen Blick auf philo und Josephus gewannen, bestätigt uns die Berechtigung der Abgrenzung, die wir unserer Untersuchung gesetzt haben, w enn sich gleichwohl in den Schriften des hellenistischen Judentum s gelegentlich Aussagen über den Sühntod finden — so vor allem in den Makkabäerbüchern —, läßt sich in diesen Zöllen nachweisen, daß unmittelbarer Einfluß des palästinischen Judentum s vorliegt. Unsere Aufgabe besteht nun also darin, die Literatur des palästinischen Judentum s auf die Vorstellung von der Sühnkraft des Todes hin zu unter­ suchen2). Wer nur einmal einen Einblick in die rabbinische Literatur ge­ wonnen hat, weiß, wie unendlich umfangreich diese ist. Da die spät­ jüdische Literatur von den Apokryphen bis zu den späten Midraschim einen großen Zeitraum umfaßt, ist von vornherein nichtzuerwarten, daß der genannte vorstellungskreis uns überall in dergleichen Zorm begegnen wird. Sondern wir haben durchaus mit verschiedenen und nicht immer übereinstimmenden Gedanken zu rechnen. (Es darf daher nicht unser Bestreben sein, die Mannigfaltigkeit der Aussagen in eine Linie stellen zu wollen, sondern es gilt, diese so zu erfassen, wie sie nebenein­ ander stehen, um dann das den verschiedenen Gedanken Gemeinsame verstehen zu können2). Unser Interesse richtet sich dabei vornehmlich auf die ältesten Aussprüche der Rabbinen, da wir die Vorstellungen des Juden­ tums zur Zeit des Reuen Testamentes kennenlernen wollen. Dazu werden aber auch spätere talmudische Belege nützlich sein können, wenn sie Rück­ schlüsse auf ältere Vorstellungen zulassen. Gb und wieweit dieses möglich ist, wird jeweils sorgfältig zu prüfen sein. !) Bell. jud. VII 8, 7 (§ 341 ff.). 2) Bell. jud. I 33, 3 (§ 653), Contra Apionem II 30 (§ 218). 3) Ant. V I 1 4 ,4 (§345); X V II 6 ,2 (§ 152— 153); Bell. jud. III 7, 1 7 (§204); III 8, 5 (§ 374). 4) vielleicht kann in Bell. jud. V 9 (§ 419) ein Anklang des Zühngedankens bzw. eine hellenisierung desselben gesehen werden, siehe S. 101. 6) E§ ist angestrebt, die Belege zum Gedanken des Siihntodes möglichst vollständig zu sammeln. Bei dem Umfang der rabbinischen Literatur wird das kaum völlig gelingen, aber doch hoffentlich so weit erreicht worden sein, dah die wichtigsten Grundgedanken klar herausgearbeitet werden können. Vas Auffinden der Belegstellen wurde durch die Sekundärliteratur, in erster Linie durch B illerb eck s Kommentarwerk, erleichtert. Die zitierten Stellen sind stets im Urtext nachgeprüft worden. 6) vgl. hierzu S jö b e r g , Gott und die Sünder, 5 . 2.

I. Das Verständnis des Todes und die Sühnevorstellungen im Spätjudentum 1. D er Z u sa m m e n h a n g von Schuld u n d Tod im D enken des S p ä tju d e n tu m s Wie im M e n Testament1), so wird auch im Spätjudentum mit Scheu und Zurcht vom Tode gesprochen2). Denn der Tod ist nicht einfach ein natürlicherweise eintretendes Ereignis, das ein reifes und vollendetes Leben abschließt2), sondern das Verhängnis des Todes bedeutet ein Straf­ urteil G ottes4). Es hat einmal eine Zeit gegeben, in der der Tod noch nicht das Leben überschattete: als Gott die Welt schuf, herrschte noch nicht der Todesengel2). Aber durch die Schuld des Menschen, der sich vom Teufel zur Sünde verleiten liefe6), kam der Tod in die Welt. Seitdem müssen alle Menschen sterben7). W arum sich von da an kein Mensch diesem Ver­ hängnis entziehen kann, wird im Spätjudentum auf verschiedene Weise zu erklären versucht. *) v g l. hierzu G. Q u e ll, Die Auffassung des Todes in Israel, Leipzig 1925; dort auf S. 4, Anm. 1 ältere Literaturnachweise; ID. (E ichrodt, Theologie des Alten Testa­ mentes, 2 B erlin 1948, I I I, S. 148— 168. Z ur Sache vgl. auch fxa / alpa nicht I r d t entsprechen kann. Außerdem aber ist zu bedenken: wenn Jesus das Passaopfer auf sein Sterben gedeutet haben sollte, so würde man ein solches Wort bei der Schlachtung des Lammes erwarten, nicht aber am Abend bei der Mahlzeit, bei der ja nicht ein Gpfer dargebracht, sondern *) Markus ist der älteste Zeuge dafür, daß die Eucharistie von der flgape getrennt und die beiden flbendmahlsworte zu einer gormel vereinigt wurden. 2) Dgl. R. B u ltm a n n , Das Evangelium des Johannes, Göttingen 1950, S. 175. 3) Zur Sache vgl. R. B u ltm a n n , Theologie des Neuen Testamentes, Tübingen 1953, S. 145 f. 4) So I . J e r e m ia s , a.a.G., S. 211—216. Diese These ist auch mit Nachdruck vertreten worden von G. W a lth e r, Jesus, das passalamm des Neuen Bundes, Gütersloh 1950, vgl. dazu die Besprechung von I . J e r e m ia s , TH.L.Z. 1951, Sp. 547. 6) Näheres dazu siehe S. 141 ff.

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Die Worte Jesu über Me Sühnkraft feines (Lobes

ein zubereiteter Braten verzehrt roitb1). Somit haben wir keinen Anlaß dazu, in die Texte etwas hineinzulegen, was sie nicht enthalten. Ein vergleich Jesu mit dem passalamm liegt also nicht vor2). 3m liturgischen Gebrauch durch die Gemeinde sind das Brot» und das Kelchmort enger einander angeglichen worden. So ist bei Paulus und Lukas auch zum Brotmort oä>pä pov rd eine den Sühntod Jesu bezeichnende Wendung hinzugefügt worden: vneg v /iw (öiöofievov)*). Bei Paulus fehlt dafür der Hinweis auf die Sühnkraft des Todes beim Kelchwort, wenn auch vielleicht einige Gemeinden die Eucharistie gelegentlich ohne wein und nur mit der Austeilung des Brotes gefeiert haben, so reicht doch diese Vermutung zur Erklärung der Veränderung der Abendmahlsformel bei Paulus nicht aus4), vielmehr ist zu beachten, daß sich für Paulus das Schwergewicht vom Kelchwort auf das Brotwort verlagert hat. Venn er entfaltet seine Abendmahlslehre im Anschluß an das Brotwort, um das Sakrament als Gabe des erhöhten Herrn zu verstehen, durch die er die Glaubenden in den Leib Christi einfügt6). Der Verwendung der Abendmahlsworte im Gottesdienst der Gemeinde entspricht es schließlich, daß das vnig noM&v in vniq vjiüv Übertragen wurde, um die unmittelbare Geltung der Sühnkrast des Todes Jesu für die versammelte Gemeinde zum Ausdruck zu bringen6). So sind die Abendmahlsworte zur Spendeformel geworden.

Nicht an ein Messiasbild, das im Judentum bereits vorhanden war und nur wie ein Gefäß daraus gewartet hätte, mit dem ihm entsprechenden Inhalt gefüllt zu werden, knüpfen die von der Gemeinde überlieferten Worte Jesu über die Sühnkraft seines Todes an. Sondern erst in dem Leiden und Sterben Jesu sind Menschensohn und Gottesknecht zu einer Gestalt verbunden worden und zusammengewachsen. Der Menschensohn geht den w e g der Niedrigkeit und Verborgenheit. Der Spruch vom Lose­ geld sagt, daß seine Sendung sich darin erfüllt, daß er sein Leben hingibt als Lösegeld für die vielen. Und das Kelchwort beim Abendmahl spricht aus, daß die Sühnkraft des vergossenen Blutes Jesu den vielen gelten *) vgl. v a lm a n , a.a.O., S. 115: „was auf dem Tische des Passahmahles bereit­ stand, war nicht das der Schlachtung zugeführte Lamm, mit welchem Jesus nach Jes.53,7 sich hätte vergleichen können, sondern ein wahrscheinlich schon in Stücke zerteilter schmack­ hafter Braten, der einem Zestschmause dienen sollte." 2) V alm an, a.a.O., S. 114f., 152 hat auch betont, daß man das Passaopfer nicht als sühnendes ansah. Vagegen hat J e re m ia s , a.a.O., S. 217f. gezeigt, daß zwar das gewöhnliche Passaopfer nicht sühnt, daß aber die Lämmer, die beim Auszug aus Ägypten geschlachtet wurden, und auch das Passaopfer der Cndzeit sühnende Kraft haben. Zur Sache siehe auch S. 142. Daher wird man sich ausdas alte Argument, daß das Passa­ opfer nicht sühnt, hier nicht berufen dürfen, da Jesus sich als das eschatologische Passa­ lamm bezeichnet haben könnte. Da jedoch dieser vergleich in keinem der vier Abeudmahlsberichte bezeugt wird, kann auch der Hinweis auf das Passaopfer der Cndzeit die Beweislast nicht tragen. 8) vgl. dazu J e re m ia s , a.a.O., S. 160f. 4) vgl. A. Schlotter, Der Evangelist Lukas, Stuttgart 1931, S. 422; E. Lohm eyer, Th.R. 1937, S. 213; E. G au g ler, Das Abendmahl im Neuen Testament, Basel 1943, S. 32f.; I . J e re m ia s , a.a.O., S. 160f. 5) Zur Sache siehe vor allem C. K äsem ann, Anliegen und Eigenart der paulinischen Abendmahlslehre, Cv.TH. 1948, S. 263—283. 6) vgl. 1. Kor. 15,3: vnig rä>v äfiagnöv 'fjpwv.

Exkurs: Lk. 23,34

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soll. Sein Tod leistet Sühne für alle, — nicht nur für Israel, nicht nur für das Gottesvolk. Diese Sühne ist von universaler Geltung, weil der Nlenschensohn als der Gottesknecht stirbt. M t seinem Leben tritt er für die vielen ein, kauft sie los, schenkt Vergebung der Sünden. Darin wird die Schrift erfüllt, wird Gottes eschatologischer Ratschluß vollendet. Weil Christus auferstanden ist von den Toten, darum ist die sühnende Kraft seines Todes schon jetzt wirksam, wird sie seiner Gemeinde zugeeignet. Diese Botschaft verkündigt die Gemeinde, indem sie den Tod Jesu Christi als Erfüllung der Schriften, als Verwirklichung der Verheißungen von jef.53 versteht'). Exkurs: Zt. 23,34 Einige Exegeten haben auch in der Lk. 23,34 überlieferten Bitte Jesu — „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" — eine Aussage Jesu über die Sühnkrast seines Todes finden w ollen'). Daher bedarf dieser Vers hier einer näheren Prüfung. Zu beachten ist jedoch zunächst, datz die Bitte Jesu in manchen Handschriften nicht bezeugt ist. Vers 34a wird von B, D*,W , 0,a,sy*, sa, bo nicht geboten, während N*,C,Ä,A, lat, syv ist als „zugunsten von", nicht „an Stelle von" zu verstehen. (Dgl. W. B a u e r , Wörterbuch zum NT, ‘ Berlin 1958 s.v. aiq 9,15 fachlich — ätpeois, vgl. Röm. 3,24; Kol. 1,14; Eph. 1,7. — Der Beweis, der hier für die Notwendigkeit des Todes Christi geführt wird, steht in einer gedanklichen Spannung zu anderen Worten des hebr., die von der freiwilligen Selbst­ hingabe Christi sprechen. 4) vgl. G g llen b erg , a.a.®., S. 672f. ‘) Auch dieses Beispiel (9,18ff.) soll die Notwendigkeit des Todes Christi begründen, wenn es auch eigentlich nur beweist, dah eine Blutsprengung zur Einweihung des Bundes erforderlich ist. Zu beachten ist in 9,20 der deutliche Anklang an die Abendmahlsworte: Ex. 24,8 l ö o v t o a l f i a ist zu t o v t o t 6 a l / i a (vgl. Nlk. 14,24 Par.) abgewandelt worden. *) vgl. 10,17. hier wird Zer. 31 in zusammengefaßter Zorm zitiert, um den Ton auf die Zusage Gottes zu legen, der Sünden und Übertretungen nicht mehr gedenken zu wollen. ’) Wieder läßt die Zormulierung in 9,15 den paränetischen Akzent des Briefes erkennen: die ewige xXrjeovo/tla ist verheißen, sicher zugesagt, aber noch nicht gegen­ wärtig. Damm fallt nicht noch kurz vor der baldigen Austeilung des Erbes ab, da ihr dann leer ausgehen müßtet! 12 7029 ie&fe, Märtyrer

haben schon die Zusage des Heils empfangen» aber sie warten noch darauf, das Erbe antreten zu dürfen. Darum weist das Kerygtna auch der paränese den Weg: weil Christi Tod Vergebung der Sünden gewonnen hat, darf niemand noch abfallen und dadurch des Heils verlustig gehen. Es gilt vielmehr, sich von dem Hohenpriester, der schon die Vollendung bewirkt hat, heiligen zu lassen (10,14)x) und als die wahre Priesterschaft in das Heiligtum einzutreten. So entfaltet der hebr. in dem Bild vom Hohenpriester Christus und seinem allen anderen Sühnemitteln überlegenen Opfer das im prooemium vorangestellte Wort: xa&agiofidv rä>v äfiagricov noirjodfievos. Diese Sühne ist weder durch eine satisfactio von seiten der Menschen noch durch ein Begütigen oder Gnädigmachen der Gottheit bewirkt, sondern Christus ist ein barmherziger und treuer hoherpriester vor Gott, um die Sünden des Volkes zu sühnen (2,17), d.h., daß er die Sünden vor Gott unwirksam macht2). Als der barmherzige ist der Hohe­ priester mit einer Eigenschaft Gottes ausgezeichnet, so daß das von ihm erworbene heil des neuen Bundes ausschließlich eine Gabe Gottes ist2). Gott ist Subjekt der Sühne, er stiftet die Versöhnung, und er handelt durch den Sohn, der sich erniedrigte und gehorsam ward, um die Schuld der Menschen zu tilgen und zu beseitigen2). Heiligung und Reinigung der Seinen sind darin begründet, daß Christus den Tod für alle schmeckte (2,9)6). Nicht nur einzelne Taten und Übertretungen, die sich zu einer großen Summe ungetilgter Schuld häufen, sind durch Christi Tod gesühnt worden, sondern sein Opfer diente eben zur Beseitigung der einen Sünde, die sich hinter und in den einzelnen Sünden verbirgt"). Die gefährlichste Gestalt der Sünde überhaupt aber ist der Abfall vom lebendigen Gott (3,12f.)7). wenn daher der Brief die Leser vor dieser einen Sünde warnt, so tröstet er sie zugleich mit dem Hinweis, daß durch Christi Tod die Sünde vor Gott unwirksam gemacht und ihre Macht ge­ brochen worden ist. Darum gibt es keine Entschuldigung für denjenigen, der vom lebendigen Gott abfällt. Wird aber die durch Christi Opfertod x) Das Perfekt r exeleUoxev drückt aus, daß Christi Werk endgültig abgeschlossen ist und die Gegenwart bestimmt. Das Präsens äyiato/ii&ovg besagt, baß die Sühnfiaft seines Todes ständig gegenwärtig wirksam werden kann.

*) Zur Sache vgl. Riggenbach, S. 61, flrnn. 59; Büchse!, TH.W.B. III, S. 316. *) Dgl. G g llen b erg , S. 680. 4) Don diesem sühnenden handeln Christi sprechenauchdie Derbenäyid& iv (2,11; 9,13; 10,10.14.29; 13,12) und xa&aelfriv (9,14.22f.; 10,2). 6) Zur Sache vgl. Windisch, S. 22. *) Dabei reflektiert der hebr. — anders alsPaulus — nicht über den Ursprung der Sünde, sondern ist durchaus praktisch orientiert, da er vor der einen Sünde, dem Abfall, warnen will. Diese Sünde muß unoergebbar bleiben-

7) Dgl. K äfem ann, S. 25: „wie der Glaube seinen eigentlichen Charakter im Durchhalten findet, so die Sünde den ihren im Nachlassen."

erworbene und in der Taufe bereits zugeeignete Gnade im Glauben er­ griffen und festgehalten, so bleiben die Glaubenden in der Hut des Hohen­ priesters bewahrt. 5. w ie wird nun dieses breit ausgeführte Bild von Christus dem Hohen­ priester» der sich selbst als Sühnopfer darbringt, in den Rahmen der dem hebr. vorgegebenen Christologie (vgl. Phil. 2,5— 11) eingefügt? Der Vers 3 des prooemiums (1,1— 4) zeigt deutlich, daß Christus die Reinigung von den Sünden nur als der Erniedrigte, der nach seinem Tode zur Rechten Gottes erhöht wurde, erwirkt haben kann. 13,12 wird von Jesu Tod auf Golgatha, draußen vor den Toren der Stadt gesprochen. Richt im himm­ lischen Heiligtum also bringt Christus sich selbst zum Gpfer dar, sondern aus (Erben, am Kreuz. Aber wie der irdische Hohepriester nach vollzogener Darbringung der Gpfer in das Allerheiligste eintritt, so starb Christus als das Sühnopfer, um dann als der Hohepriester zum himmlischen Heiligtum aufzufahren. M t seinem Gpfertode tritt also Christus sein Hohepriesterliches Amt an1). Die Art, in der der hebr. den Gpfertod Christi mit dem Antritt seines hohenpriesterlichen Amtes verknüpft, läßt klar zutage treten, daß der hebt, das kultische Bild vom Hohenpriester und seinem Opfer dazu benutzt, um die universale Geltung des Sühntodes Christi herauszustellen. Der Rahmen des Bildes aber wird gesprengt, weil es seinen Inhalt nicht zu fassen vermag. Das Gpfer wurde auf Erden geschlachtet, und dieses Gpfer ist identisch mit dem Hohenpriester, der sein Amt im himmlischen Heiligtum zu versehen hat. 9,14 wird der versuch gemacht» diese Aussagen m it­ einander zu verbinden, indem gesagt w irb8): „(Er brachte sich selbst durch ewigen Geist untadelig Gott dar." Dieser Satz ist „sozusagen die Klammer, welche das ewige himmlische hohepriestertum Christi mit seinem Selbst­ opfer im Sterben zur Einheit zusammenschließt*)". Denn der ewige Geist, d.h. der Geist Gottes, war Christus als dem Sohn auch auf Erden eigen (7,16), durch ihn brachte er sich selbst zum Gpfer dar. Doch verblieb er nicht im Tode, sondern wurde durch das nvevpa alwviov zum Leben erweckt*), um als der Erhöhte sein priesterliches Amt anzutreten und als Zürsprecher und Helfer den Seinen beizustehen. Christus ist als der irdische und der erhöhte der eine Herr der Seinen. Denn „vom Sohn und Hohen­ priester, vom Erhöhten und Herrn kann die Gemeinde nur sprechen, weil sie den geschichtlichen kennt und im himmlischen Christus den irdischen erkennt*)". Darum darf Christi Gpfer nicht etwa als eine notwendige Vorbedingung zum Antritt seines hohenpriesterlichen Amtes verstanden *) Dgl. K äsem ann, S. 148; M ichel, S. 202. *) Dgl. G y llen b erg , S. 676. *) Dgl. R iggenbach, S. 267f. *) Dgl. Röm.1,4.

*) Michel, S. 346.

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Der Hebräerbrief über den Sühntod Christi

werden1), sondern es steht im Mittelpunkt seines priesterlichen Handelns, ist er doch Priester und Gpfer in einem. An dem Gegenbild des alten Bundes und des in ihm geübten Kultus soll aufgezeigt werden: auch mir haben eine Sühne — wir haben eine bessere Sühne — wir haben die einzige Sühne, nur mir2). Auf dem tvege dieser sich steigernden Argumentation werden die Leser zur (Erkenntnis des Satzes geführt: Christus ist es, der die Reinigung von den Sünden be­ wirkte (1 ,3 ), — er und kein anderer. Der Ansatz zu dieser Charakterisierung des Todes Christi und zur Gegenüberstellung mit der Sühnkraft der Gpfer war schon in einigen Zügen der Tradition, in der Christi Tod als Gpfer verstanden wurde, dem hebr. vorgegeben. Cs lassen sich im hebr. mancherlei Anklänge an traditionelle Wendungen nachweisen: 9,28 wird Zes. 53,12 zitiert: Christus wurde einmal (als Gpfer) dargebracht, um die Zünden vieler zu tragen. Der Vers Zes. 53,12 ist hier also dem Bild vom Gpfer Christi angepaßt worden. Vaß Christus für die vielen litt, klingt im Brief immer wieder an: vgl. 2,10; 5,9; 9,18—22 (hier wird betont, daß alle Gebote verlesen wurden und alles Volk besprengt wurde). An das AvTQov*U0oxt erinnert der offenbar aus der Liturgie herrührende Satz aicovlav Xvtqwciv evgdfievoQ (9,12), der an betonter Stelle steht8). Christus hat die messianische Erlösung, die von ewiger Geltung ist, gebracht, vie Abendmahlsworte werden 10,29 und 13,10—15 aufgenommen, und 9,20 ist ihnen das alttestamentliche Zitat aus Ex. 24,8 angeglichen worden, vie Wendung vti&q twv d/^aQTi&v, die in dem ältesten Kerggma der palästini­ schen Gemeinde enthalten war (1.Kor. 15,3), begegnet im hebr., sie findet freilich nur auf die sühnende Varbringung der Gpfer Anwendung (5,1; 7,27; 10,12.20). w as diese nicht zu leisten vermochten (5,1; 7,27), hat Christi Gpfer bewirkt (10,12). Die vniQ*$OTmil wird 2,9 verwertet*), hier handelt es sich offenbar um eine über­ nommene formelhafte Wendung, die den an ps. 8 angeschlossenen Gedankengang nicht weiterführt, sondern eine Überleitung zu 2,10 bildet, w enn es an dieser Stelle den Exegeten Schwierigkeiten bereitet hat, daß über den Zweck des Todes Zesu nicht schon im Anschluß an die Aussage über seine Erniedrigung, sondern erst nach der ausdrücklichen Erwähnung seiner Erhöhung gesprochen wird, so löst sich dieses Problem dadurch, daß der ona-^-Sah seine Stellung dem Kerggma von 1.Kor. 15,3—5 und Hörn. 4,25 ent­ sprechend gefunden hat. Christus litt und starb um unserer Sünden willen, aus Grund seiner Erhöhung und Verherrlichung aber wurde die Sühnkrast seines Todes schon jetzt wirksam. Daß Christus tatsächlich den Tod zugunsten jedes Menschen erlitten hat, kann also nur deshalb gesagt werden, weil der Gekreuzigte der Auferstandene und Erhöhte ist. Sprachen schon Röm. 6,10 und das 1. Petr. 3,18 angeführte Bekenntnis davon, daß Christus einmal der Sünde starb, so nimmt der hebr. diesen Sah auf, um nachdrücklich zu betonen, daß Christus einmal und damit ein für allemal sein sühnendes Selbstopfer dargebracht hat (7,27; 9,28). Einmal ist er in das Heiligtum geschritten (9,12), einmal sind wir geheiligt worden (10,10), — aber es gibt auch .utr eine Buße und keine zweite Gelegenheit zur Umkehr! *) So Büchfel, a.a.G., S. 67. 2) vgl. M ichel, S. 121, Anm. 2. 3) vgl. M ichel zur Stelle, vie am Ende des Satzes stehende Partizipialwendung rührt nicht aus dem Sühneritus her. 4) yevea&ai, ftavarov istpalästinische Ausdrucksweise für „sterben", vgl. Mt. 9,1P ar.; Zoh. 8,52. Zur Sache siehe Billerbeck I, S. 751 f.vielleicht entstammtalso die im Ö7i(DQ*Sa§ aufgenommene Formulierung palästinischer Tradition.

So begegnet uns eine ganze Reihe übernommener formelhafter Wen­ dungen, die sich über den ganzen Brief verstreut finden. Der hebr. hat sich ihrer bedient, um das Bild vom Selbstopfer des Hohenpriesters zu zeichnen, Die Zeichnung dieses Bildes selbst aber ist das eigene Werk des Derfassers. Denn der hebr. ist „kein Nachklang einer anderen Theologie, sondern eine selbständige §orm der urchristlichen Verkündigung')". Diese Verkündigung einer angefochtenen Gemeinde zuzusprechen, ist die Absicht des Schreibens. Dabei greift der hebr. in den Ausführungen über den sühnenden Tod Christi nicht aus die spätjüdischen Vorstellungen über die Sühnkraft des Todes zurück, sondern gibt das ihm überlieferte Kerygnta in einer neuen Ausgestaltung weitet2). Die Verkündigung vom Heilstode Christi dient im hebr. — wie wir gesehen haben — in zweifacher Weise zur Anrede der Gemeinde: der sühnende Tod Christi, der die gültige und wirksame Vergebung bewirkte, tröstet die angefochtenen und zagenden Christen und lädt zum Glauben ein. Der Sieg Christi über Tod und Teufel, durch den er den Weg bahnte, fordert zur Nachfolge auf. Denn wie Christus Gehorsam lernte und von Gott erhöht wurde, so ist auch Christus Urheber der ewigen acorrjgia für alle diejenigen, die ihm gehorchen (5,9). Deshalb mutz der Christ gehorsam sein, um das heil, das Christus bereitet hat, nicht zu verfehlen. Das Erbe ist schon da, es ist schon gewonnen, aber noch ist es verborgen bis zur baldigen parusie (9,15). Christus ist schon erhöht zur Rechten Gottes, aber noch ist ihm nicht alles untertan (2,8). Cr sitzt zur Rechten Gottes und wartet, datz die Zeinde zum Schemel seiner Zütze niedergelegt werden (10,13). Aber die Unterwerfung der Gegner ist — wie der Brief mit einem Blick auf die bedrängte Lage der Gemeinde schreibt — schon im Gang. (Es kann nicht mehr lang währen (10,37), dann wird der Sieg Christi offenbar werden. Darum nur jetzt nicht noch abfallen, um nicht etwa noch in letzter Stunde der aoirrjQia verlustig zu gehen. Der Tag naht (10,25), er ist schon vor der Tür, denn Christus hat sein sühnendes Dpfer am Ende der Zeiten dargebracht und damit die Endereignisse eingeleitet (9,26). Einmal ist er gestorben, einmal hat er für alle Sühne und Vergebung der Sünden bewirkt, ein zweites Mal wird er es nicht tun. ') M ichel, S. 346. *) Datz religionsgeschichtliche Einflüsse bei der Entfaltung der Derkündigung vom sühnenden Tode Christi im hebr. gestaltend mitgewirkt hoben sollten, lätzt sich nicht erweisen und muh als unwahrscheinlich gelten. Denn die jüdischen Spekulationen über den himmlischen priesterdienst des Michael und Metatron sind erst späteren Ursprungs und lassen keine sicheren Rückschlüsse auf ältere Darstellungen zu. Gnostische Einflüsse, die bei dem Derständnis des Todes Christi als Sieg über den Teufel festzustellen waren, können für die Wertung des Todes Christi als Sühntod nicht in Betracht kommen. Der hebr. schöpft also aus christlicher Tradition und entfaltet diese in seiner Lehre vom hohenpriesterlichen Selbstopfer Christi.

An der Sünde des Abfalls findet nach dem hebr. auch die Sühnkraft des Todes Christi ihre Grenze1). Der Abfall gilt als die eine Sünde schlecht­ hin (3,12f.). w er ihr verfällt, hebt auf, was Christus durch seinen Tod vollbracht hatte: die Beseitigung der Sünde (9,26). Cr läßt die Sünde, die schon abgetan war, wieder Macht gewinnen. Zür ihn gibt es darum kein sühnendes Opfer mehr (10,26). Darin erhält die paränese ihren letzten (Ernst. Über Gewinn und Derlust des ewigen heiles wird jetzt entschieden. Darum gilt es, von der durch Christi Tod erschlossenen und in der Taufe zugeeigneten Möglichkeit Gebrauch zu machen und in glau­ bendem Gehorsam einzutreten in das von Christus aufgetane Heiligtum, um Erbarmen und Gnade zu empfangen (4,16; 10,19). Wer aber der durch Christi Tod bewirkten Dergebung nicht traut, wer nicht am Bekennt­ nis festhält, für den gibt es keine Möglichkeit einer Sühne mehr, denn die Opfer vermögen sie nicht zu leisten und Christi Tod ist unwiederholbar. Noch einmal wird er nicht sterben. Sondern wenn er zum zweitenmal erscheint, dann wird er das heil vollenden, die Gläubigen mit sich nehmen und in die himmlische Welt einführen2). 3. Der 1. P e tr u s b r ie f ü b er den S ü h n to d Christi 3n seinem Trost- und Mahnschreiben, das die leidenden Christen in den Bedrängnissen trösten und sie zur Geduld und zum Ausharren er­ mutigen möchte (5,12), hat der Derfasfer des 1. Petrusbriefes in reichem Matze überliefertes Gut verschiedener Herkunft verwertet2). Der Trost, den er seinen Lesern zu bieten hat, liegt in dem ihnen verkündigten Kerygma, und die Mahnungen, mit denen er sie aufruft, werden in den Paränesen ausgesprochen, die weithin traditionell geprägt4), aber nun auf die konkrete Situation der Gemeinden bezogen sind. Paränese und Kerygma sind nun aber nicht so miteinander verbunden, datz wie in den paulinischen Briefen der Imperativ aus dem zuvor entfalteten Indikativ abgeleitet und in ihm begründet wird. Sondern die paränese steht voran und wird anschließend durch den Hinweis auf den Willen und die großen Taten Gottes befestigt. So folgt z.B. in 1,15s. auf die Aufforderung, einen heiligen Wandel zu führen, das Zitat von Lev. 19,2 „ Ih r sollt heilig sein, denn ich bin heilig", und in 5,5 unterbaut das Wort prov. 3,34 „Gott widersteht den hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade" h Dieser Gedanke ist dem hebr. eigen und kann nur verstanden werden im Blick auf die besondere Situation der angeredeten Gemeinde. Dieser entspricht die paränetische Absicht des Briefes. -) vgl. G y lle n b e rg , S. 686. *) Zur näheren Begründung der hier vorgetragenen Charakterisierung der Paränese im l.p e tr. verweise ich auf meinen Aufsatz „paränese und Kerygma im 1. Petrusbrief", Z .N .w .4 5 (1954), S. 68—89. 4) vgl. z.V. die Haustafel 2,11—3,12.

die an alle gerichtete Mahnung, im Verhalten zueinander Demut anzu­ legen. Ist es in diesen beiden Beispielen ein Schriftwort, das die Be­ gründung zur paränese gibt, so verwendet der Brief an anderen Stellen Lied- und Besenntnisftagmente, um die Ermahnungen im Kerygma zu verankern, fluch die kerygmatischen Kormulierungen des Briefes, die Aussagen über den Sühntod Ehristi enthalten, sind also aus der Tradition übernommen worden. Denn der 1. Petr, entfaltet nicht eine eigene Theo­ logie über den Tod Christi, sondern er schließt sich an die Verkündigung der Gemeinde an, um die alte Botschaft zu wiederholen und durch sie die paränese zu begründen. 3m Eingang des Briefes werden die Leser angeredet als Beisassen, die erwählt sind xarä Tigoyvwoiv & e o v nargög, ev aytao/iü Jivev/narog, elg vnaxofjv xai gavria/uov alfiaroi; ’lrjoov X q i o t o v . Die Erwählung der Christen wird damit dreifach näher bestimmt, wobei das letzte Glied betont am Ende steht und das diesseitige Ziel der Erwählung Gottes angibt. Auffällig ist daran, daß der Gehorsam vor der Besprengung mit dem Blut Christi genannt wird. Doch gerade diese Reihenfolge der Worte ist für den 1. P etr, bezeichnend, da ja die Voranstellung der paränese vor das Kerygma dem Charakter des ganzen Briefes entspricht. Wahr­ scheinlich aber ist diese Nebeneinanderordnung der beiden Begriffe auch durch das Vorbild von Ex. 24,3—8 mitbedingt, hier wird nämlich zuerst erzählt, daß Mose dem Volk die Gebote und Rechtssatzungen Gottes vor­ trug und das Volk sich daraufhin zum Gehorsam gegen diese verpflichtete, um dann erst in v . 8 zu berichten, daß Mose das Volk mit dem Blut der geschlachteten Gpfer besprengte und dadurch die Bundesschließung zwischen Gott und Israel in Kraft setzte. Ebenso mahnt nun der 1. Petr, zunächst die Christen zum Gehorsam gegen Gottes Willen und weist sie dann hin auf die Besprengung mit dem Blute Christi1). Weil sie bereits in den durch den Sühntod Zesu geschlossenen Bund aufgenommen worden sind, also schon teilgewonnen haben an der sühnenden Kraft seines Todes, darum sind sie nun zur vnaxorj gerufen2). fluch der vergleich Jesu mit dem passalannn, den der 1. Petr, aus der Tradition aufgenommen hat, steht im Dienste der Paränese. Denn die Leser werden aufgefordert, die noch verbleibende Zeit ihrer Sremdlingschaft mit Zurcht zu wandeln (1,17), wissen sie doch, daß sie nicht mit vergänglichen Gütern, Gold oder Silber, losgekauft worden sind, sondern mit dem teuren Blute Christi als eines fehl- und fleckenlosen Lammes3). ') Zum Begriff „Blut Christi" siehe S. 138 ff. *) Wenn man ’ltjaov X q i o t o v auch mit vjiaxoijv verbinden will, dann auf keinen Soll im Sinne eines Gen. subj. (wie nach öavno/iöv ai/iaro;), sondern nur als Gen. obj. — Gehorsam gegen Jesus Christus (vgl. 2. Kot. 10,5). Doch den Genitiv einmal als objectivus und einmal als subjectivus verstehen ju wollen, ist kaum möglich. Daher muß vnoxory» absolut gefaßt werden. Dgl. 1,14 xixva vnaxorjq. *) Zum vergleich Christi mit dem passalamm siehe S. 141 ff.

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Der 1. Petrusbrief über Öen Sühntod Jesu Christi

Wie in l,1 8 f. überlieferte §ormulierungen zur Begründung der paränese verwendet werden, so wird in 2,21— 25 ein Lhristuslied, das Jesu Leiden und Sterben mit Wendungen aus Jes. 53 schildert, angeführt, um die Sklaven in ihrem Leiden zu trösten und sie auf das Vorbild ihres Herrn, der unschuldig leiden mutzte, hinzuweisen1). IHit einem begründenden Ansetzt das Lied ein2). Da es sich ursprünglich nicht nur an in Not befindliche Sklaven wendete, sondern von der ganzen christlichen Gemeinde ge­ sungen wurde, ist in D. 24 von „unseren Sünden"2) gesprochen, und es darf vermutet werden, datz es im Liede auch in D. 21 vniq fmwv geheitzen haben wird*). Dadurch aber, datz der Briefschreiber das Lied nun auf die Situation seiner Leser anwendet, ist an die Stelle der Aussage in der ersten Person die unmittelbare Anrede in der zweiten Person getreten. Die folgenden Derse 22/23 schildern in vier Sätzen das geduldige Leiden Jesu6): der erste nimmt Jes. 53,9 auf6); die beiden mittleren zeigen in Antithesen, daß Jesus schweigend alles erduldete: „w urde er gescholten, so schalt er nicht wieder. Als er litt, drohte er nicht7)." Und der vierte Satz sagt in wirkungsvoller Gegenüberstellung zu dem Schweigen, das Jesus den Nkenschen gegenüber wahrte, datz er es aber dem befahl, der gerecht richtet2). D. 24 lehnt sich wiederum an Jes. 53 an und schliefet die Schilderung des Leidens Jesu mit einem Hinweis auf dessen sühnende Wirkung. So rahmen zwei Aussagen über den Sühntod Christi den kleinen, nach Jes. 53 geformten passionsbericht ein und betonen damit, wem zugut dieses alles geschehen mufete. Auch in D. 25 ist auf den Zusammenhang, in dem die ganze Haustafel steht, kein Bezug genommen, sondern hier endet das Lied, in dem die Gemeinde bekennt, dafe sie auf Grund der durch Jesu Leiden und Sterben bewirkten Dergebung der Sünden aus irrenden Schafen2) zur Herde unter dem Hirten und Bischof ihrer Seelen versammelt ist. So geht letztlich auch aus *) Stichwortanschlufe ndaxovxeg (20) — ina&ev (21). 2) Zum Lied vgl. H. B u ltm a n n , Bekenntnis- und Liedfragmente im 1. Petrus­ brief, Conjectanea Neotestamentica XI (1947), S. 12f. Dafe die Derse 21 ff. älter sind als die voranstehende paränese, geht auch daraus hervor, dafe der Hinweis auf das Dorbild Christi eine genaue Entsprechung zu dem eben Gesagten erwarten liefee. Statt eines Satzes wie Sri xai Xgiaxog äya&onoiöv xai naox oxd/iaxi avxov. l.Clem. 16,10 hat den gleichen, abweichenden Text wie l.p e tt. 2,21: Sn dvoplav odx inolrjaev ovöi evQ&fh) 66Xog iv x $ oxopan avxov. wahrscheinlich handelt es sich UM eine alte Dariante des I^XX-Textes, die vielleicht unter Einstufe von Zeph. 3,13 ent­ standen ist. 7) Die Schilderung des geduldigen Leidens Jesu wird der Anlafe dafür sein, dafe das Lied im Anschlufe an die Sklavenparänese zittert wird, um den leidenden Sklaven das Dorbild Christi hinzustellen. Dafe diese Sätze erst vom Derfasser des Briefes gebildet worden sein sollten, ist daher nicht anzunehmen. Gegen B u ltm a n n , a.a.G., S. 13. 8) Dem nagedödTj von Jes. 53,12 steht das naQeölöov Jesu gegenüber. Er liefe sich preisgeben und stellte Gott alles anheim. 9) Dgl. Jes. 53,6: ndvxeg d>g ngoßaxa inXavrj&rjfiev.

Der 1. Petrusbrief über den Sühntod Jesu Christi

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diesem Schlich des Liedes hervor, daß wir es nicht mit ad hoc formulierten Wendungen, sondern mit dem Zitat eines Christusliebes zu tun haben. xai Xqioxoq ena&ev in eg i/i& v (tf/iüv) — mit diesem Bekenntnissatz

hebt das Lied an, wobei das vorangestellte xal nun die Christen und Christus zu einer Leidensgemeinschast zusammenschließt. Das Wort Zna&ev entspricht dem and&avev im alten Kerygma 1. Kot. 15,3, da auch sonst der 1. Petr. nda%eiv im Sinne von sterben verwendet (3,18; 4,1)*). 3tt dieser kurzen Zormulierung, daß Christi Passion für uns erlitten sei, ist das Thema des Liedes angegeben. Dieses Thema wird in D. 21b vom Verfasser des Briefes abgewandelt, indem er Christus den Sklaven als Dorbild hinstellt, An sie ergeht die Aufforderung, seinen Kußtapfen nachzufolgen. Damit aber ist nun gar nicht mehr von dem stellvertretenden Sühntod die Rebe, sondern Christi Leiden wird als vorbildliches verstanden*). Der fetyg« matische Akzent des Liedes ist also vom Derfasser des Briefes zugunsten der paränese verschoben worden. D. 21 b wird daher nicht ursprünglich zum Liede gehört haben.

Wenn nun die folgenden Derse 22/23 Jesu Leiden als sündloses und unschuldiges schildern*), so wird damit die V, 24 gebotene Erklärung des kurzen Satzes von v . 21a wirksam vorbereitet. D. 24 erläutert dann die zu Beginn des Liedes thematisch vorangestellte Aussage über den Sühntod Jesu, indem Wendungen aus Jes. 53 zugrunde gelegt und kommentierend erweitert werden, hieß es Jes. 53,11.12 vom Gottesknecht, daß er die Sünden der Dielen trägt, d.h. daß er sie auf sich lud, so wird nun das avayigeiv auf Christi Tod bezogen und gesagt, daß er an seinem Leibe unsere Sünden auf das holz hinaufnahm*). 3n ähnlicher Bedeutung wird ava, ndvr a dnifteivev. 8,2 wird das Leiden Jesu als Vorbild der Standhaftigkeit geschildert und zur Nachfolge aufgerufen, fluch hier tritt also neben die Verkündigung des Sühntod es Christi das Verständnis seines Leidens im vorbildhasten Sinne. 6) Zum Charakter des Liedes vgl. die Kommentare, ferner: R. B u ltm a n n , a.a.©., 5 .1 —14; ®. C u llm a n n , Die ersten christlichen Glaubensbekenntnisse, 2 Zürich 1949, S. 15f.; W. B ie d e r, Die Vorstellung von der Höllenfahrt Jesu Christi, Zürich 1949; I . J e r e m ia s , Zwischen Karfreitag und ©stern, Z .K .lv. 42 (1949), S. 194ff. 3,18—22 unterbrechen den Zusammenhang, denn der Gebankengang von 3,13—17 wird erst 4,1 fortgesetzt. (Es handelt sich also um das Zitat fest geprägter Zormulierungen, die das heilswerk Christi vom Tod über die hadesfahrt bis hin zur Auferstehung, Himmelfahrt, sessio ad dexteram und zur universalen Herrschaft Christi beschreiben. 3 n v . 20 f. ist eine Taufunterweisung eingeschoben, die vielleicht noch erkennen lässt, datz das Bekenntnis ursprünglich seinen Sitz im Leben bei der Taufe gehabt hat. vgl. dazu zuletzt: fl. A dam , Das Sintflutgebet in der Taufliturgie, Jahrbuch der Theol. Schule Bethel 1952, S. 9—23, bes. S. 20f.

um unserer Zünden willen, der Gerechte für die Ungerechten." 3n An­ lehnung an Jes. 53,11 bekennt sich die Gemeinde dazu, daß Christus die Strafe auf sich nahm, die die Ungerechten hätte treffen sollen1), w ie der Wechsel der Präpositionen n e g l und v n eg feinsinnig anzeigt, sind unsere Sünden die Ursache (negl ä /ia g n t» v) dafür, datz Christus starb, damit die Sühnwirkung seines Todes den Ungerechten (vneg äöLxcov) zukomme. 3m Unterschiede zu den vielen Sühnopfern, die immer wieder dargebracht werden mutzten, und zu dem ständig wiederholten sühnenden Sterben der Gerechten ist Christus einmal gestorben und hat damit allgenugsame Sühne geleistet. 3n seinem Tode aber ist die Wende der Zeiten angebrochen, da der Gekreuzigte auferstanden und zur Rechten Gottes erhöht ist. Cr ist darum auch der Helfer der Seinen, der gelitten hat, „damit er u n s2) zu Gott hinführte"3). So nimmt der 1. Petr, traditionelle Wendungen, die die sühnende Bedeutung des Todes Christi bekennen, auf, um die paränese auf das Uerggma zurückzuführen. Eine eigene Theologie über den Tod Christi entfaltet er nicht, aber er aktualisiert überliefertes Gut, indem er es mit den Ermahnungen verknüpft und wirksam in die konkrete Lage der Ge­ meinden hinein verkündigt.

1. Exkurs

D er Tod J e s u in dem lukanischen v o p p e lw e rk Wir haben gesehen, datz Paulus, der Hebräerbrief und der 1. Petrus­ brief die Verkündigung der Urgemeinde vom Sühntode Jesu Christi auf­ genommen und weitergeführt haben, w enn nun dagegen in einigen kleineren Schriften des Neuen Testaments wie dem Jakobusbrief, dem 2. und 3. Johannesbrief und dem 2. Petrusbrief nichts über den sühnenden Tod Jesu gesagt wird, so kann das einfach damit erklärt werden, datz in einem kurzen Brief nicht die gesamte urchristliche Verkündigung entfaltet werden kann. Wie aber verhält es sich mit dem lukanischen Voppelwerk, der umfangreichsten Schrift im Neuen Testament? 3m Lukasevangelium ist das U rg ov= W o tt, das Markus und M atthäus überliefert haben, nicht enthalten. Und in der Apostelgeschichte wird die *) B u ltm an n (a.a.O.) will die Ivendung dixaios v t i e q äölxcov als Zusatz des Briefschreibers ansehen, den er eingefügt hätte, weil die Christen öiä öixaioavvrjv litten (v . 14). Doch mutz vielmehr umgekehrt angenommen werden, datz der Verfasser gerade dieser Wendung wegen das Bekenntnis hier anführt, um die leidenden Christen mit dem Hinweis auf ihren Herrn, der unschuldig und stellvertretend litt, zu trösten. 2) rjfiäi ist die besser bezeugte und sicher ursprüngliche Lesart. Denn im Bekenntnis spricht die Gemeinde (so auch B u ltm an n , o.a.©.). vfiäg ist nachträgliche Angleichung an den Kontext mit den Ermahnungen in der zweiten Person. 3) Zu 1. Petr. 4.1 siehe 5.195.

Vergebung der Sünden nicht auf Grund des Kreuzes Christi zugesprochen, sondern Kct. 2,38 non Umkehr und Taufe abhängig gemacht, 3,19 von der Umkehr und 5,31 von der Erhöhung Jesu zur Rechten Gottes (vgl. 10,41; 13,38). 3n den Reden der Apostelgeschichte, die dem Aufritz des Kerygmas von 1. Kot. 15,3—5 entsprechen, wird zwar von Tod und Auferstehung Jesu berichtet, aber nichts von der Sühnkraft seines Sterbens erwähnt. Wie ist dieser Tatbestand zu erklären? Do Cutas nicht von der sühnenden Bedeutung des Sterbens Jesu zu sprechen scheint, hat man gemeint, ihm könnte für sein Evangelium eine noch ältere Überlieferung als Rkarkus vorgelegen haben, die den Gedanken des Sühntodes noch nicht gekannt hätte1). Lukas habe diese älteren Formen vorgezogen und damit ein Zeugnis abgelegt, „datz jeden­ falls nicht in allen Kreisen der Urgemeinde die Beziehung des Todes Jesu aus Sünden-Sühne und Sünden-Vergebung so klar erkannt war, wie es nach der Darstellung des Markus und den Worten des Paulus scheinen könnte2)“. Doch wenn auch nicht in jeder Aussage des Reuen Testamentes über den Tod Jesu dessen sühnende Bedeutung hervorgehoben wird, so ist es doch angesichts des Zeugnisses von 1. Kor. 15,3—5; Röm. 4,25 u .a.3) als ausgeschlossen zu bezeichnen, datz die älteste Überlieferung Jesu Tod nicht als zur Vergebung der Sünden geschehen verstanden haben sollte1). Wohl aber ist zu fragen, ob Lukas im Unterschiede zum ältesten Kerygma Jesu Tod nicht als sühnenden angesehen haben könnte3). Datz jedoch auch Lukas um die sühnende Bedeutung des Todes Jesu gewutzt hat, geht mit Sicherheit aus Act. 20,28 hervor, hier heitzt es, datz Christus sich die Gemeinde Gottes durch sein eigenes Blut erwarb*). ') So: Z. W eih, Das Urchristentum, Güttingen 1917, S. 84. *) 3. W eih, ebenbort. *) lvenn 3- Weih in 1. Kot. 15,3 bas „für unsere Sünben" als pauHnifches Jnterpretament ansehen möchte (a.a.0., S. 84), so hat er für diese Ansicht mit Recht keine Zustimmung erhalten. 4) 3ebes Sterben hat nach Meinung bes Spätjubentums Sühnkraft, selbst bas bes Detbtechets, siehe S. 38ff. Deshalb ist es kaum benfbar, daß irgendwelche Kreise bet palästinischen Urgemeinde 3esu Tob nicht als sühnenben angesehen haben sollten. 5) Mit bieser Erklärung haben einige Forscher das Problem zu lösen versucht: £. n. Sybel, Theos. Studien und Kritiken 95 (1923/24), S. 123; weitere Angaben bei 3. Z erem ias, Die Abendmahlsworte 3«su, ’ Göttingen 1960, S. 151 Anm. 2; ferner E. Schweizer, Ev.TH. 1950, S. 274(f. Dagegen: E. L ohm eyer, Th. R. 1937, S. 181; 3 e re m ia s, a.a.®. Freilich besagen die hinweise darauf, datz bas Leiben in der Schrift geweissagt sei (Act. 2,23; 3,18; 13,27.29; 17,3.11; 26,22f.) noch nicht, datz Lukas den „Sühnopfergebanken" kenne. Auch aus der Bezeichnung 3«su als des Gerechten ergibt sich bieser Schlutz noch nicht (Act. 3,14; 7,52; 22,14). *) Zu negienorfoaTo wirb man Christus als Subjekt ergänzen müssen. Datz aus bet formelhaften Wendung r>jv ixxXrjolav xov #eov als Subjekt bes Relativsatzes 0es nraixoi noXiovg nXovrl£ovreg — dt’ Jjptis ijirtoxevoev nXovotog wv, Iva v/teig jfj ixelvov nrw xeltf nXovztfoTjTE (2. Kor. 8,9). Denn 2. Kor. 8,9 handelt es sich um die Crniedrigung des Präexistenten, der um unseretwillen arm wurde. Lediglich deshalb, weil an beiden Stellen die Vokabeln „arm" und „reich" begegnen, das Armsein des Apostels dem Heilswerk Christi vergleichen zu wollen, ist Willkür. ') 2.Kor. 1,5: P h il.3,10: Kol. 1,24; 1.P e tr.4,13; 5,1; vgl. auch l.petr.1,11. 4) Zu den Begriffen Tia&ijfiara bzw. &/-lyeig X q i o t o v vgl. ©.Schmitz, Die Christusgemeinschaft des Paulus im Lichte seines Genetivgebrauches, Gütersloh 1924, S. 190 ff.

Christen teil an den Leiden Christi (1. Petr. 4,13) und wissen sich bannt in der letzten Zeit stehend. Dem Leiden aber ist ein Matz gesetzt, und wenn dieses erfüllt ist» dann tritt die parusie ein1). Don diesem Gedanken her ist Kol. 1,24 zu verstehen: „Nun freue ich mich an den Leiden um euretwillen und erfülle, was noch an den Trübsalen Christi fehlt, an meinem Zleische für seinen Leib, das ist die Gemeinde." Christus selbst hat in seiner Passion das Matz der endzeitlichen Trübsal noch nicht erfüllt, und in dem, was nun dem Apostel widerfährt, wird ein weiterer Teil der endzeitlichen Leiden abgetragen, so datz die dMipeig, die den Apostel getroffen haben, nicht mehr übet die Gemeinden kommen werben1). Ze mehr Paulus an Leiden erfahrt, um so weniger bleibt noch für die Ge­ meinde übrig. Denn alles, was erduldet wird, dient dem ganzen Leibe Christi, damit die Leiden schneller ein Cnbe nehmen und die Herrlichkeit anbrechen kann. Teilhaben an den Leiden Christi ist daher nicht eine mystische Passionsgemeinschaft, die den Herrn und die Gemeinde ver­ bindet1), denn die Mystik ist von dem Matz der Zeit gelöst und lässt den Mysten in seinem Gegenüber aufgehen. Lage daher hier der Ausdruck einer mystischen Passionsgemeinschaft vor, so wäre nicht zu erklären, warum von einem Matz der Leiden Christi, zu dessen (Erfüllung noch ein Mangel besteht, gesprochen wird*). Teilhaben an den Leiden Christi bedeutet vielmehr, im Cschaton zu stehen, das mit der Passion Jesu, seinem Sterben und Auferstehen angehoben hat und feiner baldigen Dollendung entgegen­ strebt. Das Leiden Christi ist vollständig und für alle Zeiten geschehen, um Sühne zu leisten und Dergebung zu bewirken. Das Leiden Christi ist aber noch nicht beendet als Anbruch des Cschaton, so datz es weiterhin in dem Leiden seines Leibes, der Gemeinde, geschieht5). Die Christen aber können und jetzt auch ID. M ich aelis, T h.w .V . V, S. 930ff., der freilich den Begriff als Leiden um Christi willen verstehen möchte. Damit wird aber der eschatologifche Charakter der Christusleiden nicht getroffen. ') Zur Darstellung des eschatologischen Matzes siehe oben S. 197, Anm. 9. *) Zur Stelle vgl. auch C. P e r c y , Die Probleme der Kolosser» und Cpheserbriefe, Lund 1946, S. 128—134. w eil percy den eschatologischen Akzent der Aussage nicht hervorhebt, bleibt seine Interpretation blatz und farblos (bes. S. 132). *) So S ch n eid er, a.a.V., S. 48—60. *) Dgl. C. L o h m e y er, Der Brief an die Kolosser, Göttingen 1930, S. 77f.: „Dar allem bleibt in solcher Leidensmystik hier der Ausdruck M angel der Leiden Christi' ungeklärt. Denn in dem .mystischen Nachleiden' ist entweder das ganze Leiden Christi gegenwärtig und M angel' in keinem Augenblicke spürbar, oder es bleibt das eigene Leiden des Glaubens von jenem vorbildlichen Leiden Christi geschieden, bleibt aus sich heraus mangelhaft, so lange bis der Tod oder die parusie alle diese irdischen Mängel nachsichtig ausgleicht. Dann kann auch niemals von einem .(Erfüllen' gesprochen werden." Den mystischen Charakter der Stelle hat mit Recht auch G. K itte l, Kol. 1,24, Z.syst.Th. 1941, S. 186—191 abgelehnt. Datz Paulus hier jedoch auf Herrenworte wie litt. 5,11; 10,22.24 u.a. anspielen sollte, hat Kittel nicht wahrscheinlich machen können. 6) Dgl. die treffende Erklärung B e n g c lsz u Kol. 1,24: „Fixa est mensura pasaionum, quas tota exantlare debet ecolesia. Quo plus igitur Paulus exhausit, eo minus et ipsi

in den Verfolgungen jubeln, weil im Leiden schon die zukünftige Herrlich­ keit, die durch die Auferstehung Jesu Christi verbürgt ist, Gegenwart wird. Die Leiden hier sind nicht vergleichbar mit der wunderbaren Zukunft (Rom. 8,17)1). Ja, gerade daran, daß die Leiden über die Christen kommen, erkennen sie, datz die Erlösung nahe ist (1. Petr. 4,12—19; 2.Thess.1,6f.). Darum sind die verfolgten fröhlich, die, die an den Leiden Christi teilhaben, getröstet, weil Gott das Ende, die Verherrlichung des Gottesvolkes, bald heraufführen wird. So ist die urchristliche Leidenstheologie eschatologisch bestimmt und bezieht im Unterschied zum Judentum die Leiden der Christen aus das in Christus bereits angebrochene Eschaton. Die Leiden, die über die Ge­ meinden kommen, bringen sie der zukünftigen Herrlichkeit, die in Kürze offenbart werden wird, mit raschen Schritten näher. Ein sühnender Wert aber kann dem Leiden und Sterben der Christen nicht zukommen, weil der Tod Christi vollständige und ewig genügende Sühne bewirkt hat2).

II. Die Sühnkraft des Märtyrertodes Das Urchristentum kannte noch nicht eine besondere Wertschätzung des Märtyrers, weil das Leiden der Jünger und Gemeinden wie wir sahen unter eschatologischem Aspekt als Teil der n a ^ f i a x a X q io x o v verstanden wurde. Als jedoch die eschatologische Erwartung zurücktrat, änderte sich auch die Auffassung des Leidens und Martyriums. Weil es aus der eschatologischen Zugehörigkeit zu den n a & r jp a x a X q io x o v heraus­ tritt, gewinnt es eine eigene Bedeutung in sich selbst. Der Bezug zum Leiden Christi wird nun vielfach darin gesehen, daß sich in dem Leiden der Christen das Leiden Christi wiederholt, so daß die Passion des Jüngers der des Meisters vergleichbar werden kann2). —

posthac et ceteris relinquitur. Hoc facifc communio sanctorum“ (Gnomon Novi Testa­ ment!, ed. Berlin 1860, sec. ed. tertiam 1773, 5.510). x) v g l. ferner 2.K o r.4 ,7 f.; Phil. 3,10s.; 2.Gim. 2,11 ff.; l.p e tr . 4,13. 2) Es ist daher gewitz kein Zufall, datz wir keinen einzigen Bericht vom Martyrium eines der Apostel haben. Eine besondere Wertschätzung des Märtyrers hat die erste Christenheit noch nicht gekannt. Auch im Bericht über das Martyrium des Stephanus ist die preoigt des Zeugen wichtiger als der erlittene Tod. v g l. dazu A .S ch la tter, Ver Märtyrer in den Anfängen der Kirche, Gütersloh 1915, S. 59. 8) Der Märtyrer wird — wie Ignatius häufig betont — ein Nachahmer des n ä fto g X q i g t o v . Im nd& og des Gläubigen, der ein /LiijuTjTrjg des ersten Märtyrers wird, wieder­ holt sich das n ä& og des Kultgottes. Erst durch den Tod, erst dann, wenn die wilden Tiere das Grab des Märtyrers geworden sind und nichts mehr von ihm übrig gelassen haben, wird Ignatius in Wahrheit ein Jünger seines Herrn geworden sein (Hörn. 4,2; vgl. ferner Rom. 5,1; Eph.1,2, Trall. 5,2; P o l.7,1). Jetzt steht er noch am Anfang des /ucrityreveo& cu (Eph. 3,1). Sein ganzes Streben aber geht dahin, f i W V T y v efoai t o v n ä fto v g

Durch das Zurücktreten des eschatologischen Verständnisses und die dadurch veränderte Bewertung des Leidens war nun aber auch bedingt» daß dem Sterben des M ärtyrers sühnende» d. H. sündentilgende Kraft bei­ gemessen werden konnte. I n steigendem Matze wird daher schon vom zweiten Jahrhundert an wieder auf das M ärtyrerbild des Spätjudentums zurückgegriffen und — im Unterschiede zu den Zeugen des Neuen Testa­ mentes — von der Sühnkraft des M ärtyrertodes gesprochen, die ihm selbst und den Gemeinden, für die der M ärtyrer stirbt, zugute kommen soll1). Die jüdische Anschauung, datz die Seele des M ärtyrers unmittelbar nach dem Tode in die himmlische Welt eingeht, wird vom Christentum übernommen, aber dahin abgewandelt, datz der vollendete M ärtyrer bei Christus weilen darf. Schon Paulus erwartete, datz er nach seinem Tode bei Christus sein würde (Phil, l, 23; vgl. Lk. 23,43), und die Johannes­ apokalypse sagte, datz die Seelen der M ärtyrer unter dem himmlischen M a r liegen, d.h. datz sie sich unmittelbar bei Gott befinden (Apk. 6,9— l l ) 2). Aber autzer geringen Ansätzen in der Apokalypse ist im Neuen Testament diese Anschauung über das Schicksal der M ärtyrer nach dem Tode nicht weiter entfaltet worden. Die erste Zeit stand noch zu stark unter der Er­ wartung der baldigen Parusie, um sich mit solchen Ziagen näher zu be­ schäftigen. Paulus hatte die Thessalonicher damit getröstet, datz bei der parusie Christi die Toten auferstehen und Lebende und Tote miteinander bei dem Herrn weilen würden allezeit (l.Thess. 4,13— 18). Diese Auskunft genügte. Als aber die eschatologische Hoffnung zurückgetreten war, mutzte nun die Zrage beantwortet werden, was mit den M ärtyrern nach dem & € o v fx o v (Röm. 6,3). So ist n n i r \x r \g geradezu als feste Bezeichnung für den Zttärtym verwendet worden, v g l. 3gn. Röm. 6,3; ttran.1,2; Mart. Pol. 17,3. Zur Sache vgl. H. S ch lier, Religionsgeschichtliche Untersuchungen zu den Ignatiusbriefen, Gießen 1929, bes. S. 158ff.; H. w . Bartsch, Gnostisches Gut und Gemeindetradilion bei Ignatius von Antiochien, Gütersloh 1940, S. 80ff. *) Bitt dem Entstehen einer eigenen Blärtgrertheologie hängt es auch zusammen, daß man die Berichte vom Sterben der Blärtgrer der Passion Jesu angleicht. Erste Ansätze dazu finden wir schon im Blartgrium des Stephanus: er betet für seine Verfolger und stirbt mit demselben lvort, das Jesus vor seinem Tode sprach (H ct.7,59f.; vgl. £!. 23,34.46). wesentlich deutlicher aber tritt uns später dieser Zug im Blartgrium des Polgkarp entgegen: sein Richter heißt herodes (6,2; 8,2); die Soldaten, die Polgkarp verhaften, ziehen aus d>g i n i XflOTrjv (7,1, vgl. Bit. 26,55). Blan setzt Polgkarp auf einen Esel (8,1). Seinen Leidensweg geht Polgkarp mit dem Gebet auf den Lippen: „Der Wille Gottes geschehe" (7,1). Die bewußten Anspielungen auf die Leidensgeschichte Jesu schließen natürlich die Historizität der genannten Züge nicht notwendig aus, denn es darf angenommen werden, daß schon im zweiten Jahrhundert die Blärtgrer selbst (vgl. Ign atiu s!) die Parallelität ihres Sterbens zu dem Sterben Jesu empfanden und daher im Leiden sich so zu verhalten suchten, wie der Herr es tat. So wird vom Tode des Jakobus berichtet, daß er als Zeuge starb „wie auch der Herr" (Luseb., H. E. IV 22,4). Auch Jakobus betet sterbend für seine Verfolger (Euseb, H.E. II 23,16). 2) Siehe S. 196f. to v

Tode geschehen würde. Die srühkatholische Kirche gibt eine klare Lösung dieses Problems, denn ihr gilt das M artyrium als ein hervorragendes Verdienst, auf Grund dessen der M ärtyrer in den Himmel versetzt wird. Damit aber war dem Einströmen der jüdischen Märtyrertheologie das Tor geöffnet. Das M artyrium erleiden bedeutet — wie Ignatius sagt — imxvyxaveiv ’&eov I bzw. X qiotov , d.h. unmittelbar zu Gott zu gelangen (Gph.12,2; Klagn. 14; Trall.12,2; 13,3,- Röm .1,2; 2,1; 4,1; 5,3; (8,3); 9,3; Sm yrn.11,1; P o l.7,1). Diesem Ziel geht der M ärtyrer entgegen und fordert die Gemeinde zur Zürbitte auf, damit er das ihm bestimmte Los erlange (Philad. 5,l). von leidenschaftlicher Sehnsucht nach der Voll­ endung erfüllt, zieht es Ignatius in den Tod, weil er den Hingang zum Vater erschließt (Rom. 7,2). Er versteht sein Sterben als äno&aveiv ei? ’Irjoovv X qiot 6v (Rom. 6,1), denn durch den Tod wird er zum erhöhten Herrn kommen. Darum, sagt er allem Irdischen ab und ist nur danach bestrebt, im Sterben vollendet zu werden und bei dem Herrn sein zu dürfen1). I n dem einen Augenblick seines Sterbens erwirbt der M ärtyrer das ewige Leben (Mart. Pol. 2,3)2). Er wird in die Zahl der vollendeten aufgenommen und darf gleich nach seinem Tode in das Paradies eintreten3), so daß der Tag seines M artyrium s als sein Geburtstag gilt (Mart.Pol.18,3; vgl. schon Sgn. Röm. 6,2). Der M ärtyrer geht in die himmlische Welt ein und empfängt den Kranz der Unvergänglichkeif). Dort „preist er mit den Aposteln und allen Gerechten jubelnd Gott, den allmächtigen Vater, und benedeit unseren Herrn Jesus Christus, den Heiland unserer Seelen, den Lenker unserer Leiber und Hirten der katholischen Kirche in der Ökumene" (Mart. Pol. 19,2). Auch der Pastor Hermae sagt in Sim. IX 28,3— 6, daß das Leiden um des Hamens willen sündentilgende Kraft hat und neues Leben verleiht. Wer entschlossen das Leiden in der Verfolgung auf sich nahm, der hat größeres Verdienst erworben als diejenigen, die erst zweifelten und zagten, ob sie in den verhören leugnen oder bekennen sollten, und sich dann nach anfänglichem Schwanken doch zum Leiden entschlossen. Alle Sünden, die sie begingen, hat Gott den M ärtyrern vergeben und ihnen das Leben bei ihm geschenkt. J a , den M ärtyrern gebührt der Ehrenplatz zur Rechten Gottes, weil sie sein Wohlgefallen erworben haben. Und niemand, selbst —

!) 3n diesem sehnsüchtigen verlangen sind die Gedanken der Ignatius charakteristisch von denen des Apostels Paulus unterschieden, der über seine Sehnsucht nach der Vereini­ gung m it dem Kytios die Verantwortung für seine Gemeinden stellte (phil.l,2Z f.). *) Damit ist ein in den jüdischen Martyrien häufig begegnender Zug wieder auf­ genommen: diä fttäg wgai; xrjv atcbviov £a>i)v i(ayoQa£6ftevoi, siehe S. 55 f. s) Zahlreiche spätere Belege zusammengestellt bei Karl h o ll, Gesammelte Aufsätze II, Tübingen 1928, 5.86, Anm. 4. 4) vgl. 2.Tim. 4,8,- flpf. 2,10; 3,11; 4,4.10; Jak. 1,12; 1 .Petr. 5,4. Nach l.P e tr.5 ,4 wird der Kranz den Ältesten erst beigelegt, wenn der Trzhirte erscheinen wird.

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Die Sühnkraft des Tslärtyreitoöcs

der Prophet nicht, darf ihnen diesen Platz streitig machen wollen (Vis. III 1,9; 2 ,2 )!). So wird die sühnende Kraft des Märtyrertodes für den sterbenden Mär­ tyrer selbst wirksam, denn er wird — der jüdischen Märtyrertheologie ent­ sprechend — unmittelbar nach dem Tode in die himmlische Welt versetzt und darf bei Gott und Christus weilen. Aber das Leiden und Sterben des Märtyrers hat auch für die Gemeinden, für die ganze Kirche entsündigende Kraft2). Bereits zu Anfang des zweiten Jahrhunderts begegnen wir diesen Gedanken über die sühnende Kraft des Märtyrertodes in den Briefen des Ignatius. Für ihn liegt in seiner Leidenstheologie der Akzent nicht auf dem bekennenden Zeugnis, sondern auf dem Leiden selbst, hinter dem Ziel des Vollendetwerdens im Leiden tritt alles andere zurück, selbst die Verantwortung und Fürsorge für die Gemeinden. Der Tod des Märtyrers ist die höchste Stufe der Vollendung, die ein Christ erreichen kann. Denn er erleidet das gleiche Geschick wie sein Herr und Gott, er geht denselben w e g wie er3). Darum bittet Ignatius die Römer inständig, um keinen Preis ihm den w e g zu diesem Ziel versperren zu wollen (Rom. 4,1f.; 6,3). Denn sein Sterben ist geradezu eine Notwendigkeit für die Kirche, weil die Kraft seines Todes ihr wieder zuströmen wirb4). Ignatius versteht seinen Tod als ein Opfer, das Gott zu Ehren3) und den Gemeinden zum Nutzen dargebracht werden soll3). So bezeichnet *) Zur Stelle vgl. K. h o ll, a.a.O., S. 69. 2) Unzutreffend ist die Darstellung G. M ichels in seiner Schrift „Prophet und Märtyrer", Gütersloh 1932, S. 31: „Später hat man sich vielfach mit dem Gedanken des Vorbildes Jesu im Leiden begnügt oder man wußte sich in die Todesgemeinschaft mit dem Christus hineingestellt, aber man wagte nicht mehr, prophetisch zu sagen, daß man wie der Christus für andere als Sühne und Opfer leide." Gerade das hat man in steigendem Maße behauptet! 8) Smyrn. 4,2. Zur Sache vgl. die Interpretation der Märtyrertheologie des Ignatius durch v. C a m p e n h au se n , a.a.O., S. 67—78. 4) Nicht nur der Tod hat sühnende Bedeutung sondern ebenso können auch die Leiden, die der Bischof für seine Gemeinde aus sich nimmt, diese Kraft haben: nävxwv rag vöaovg ßdorate Ign. Pol. 1,3. Damit wird eine Wendung des Verses Zes. 53,4 auf den leidenden Bischof bezogen. — Ein Zitat aus Zes. 53 wird sonst nur noch einmal auf Märtyrer angewendet: im Bericht über die lugdunensischen Märtyrer 1 ,23 (K n o p f-K rü g er, Aus­ gewählte Märtyrerakten, 8 Tübingen 1929, S. 21) werden Ausdrücke aus Jes. 53,2.5 eingeflochten. Freilich heißt es an derselben Stelle, daß Christus im Märtyrer leidet, so daß auch hier das christologische Verständnis von Ies. 53 nicht ganz preisgegeben worden ist. 5) vgl. Hont. 4,1: iyä> ixwv vnig &eov äno&vfjaxo). Ä) Möglicherweise ist dieser Gedanke auch darin ausgesprochen, daß Ignatius sich zweimal neQltprjpa Jjpwv nennt ((Eph. 8,1; 18,1). Dieses w o rt kann das Sühnopfer bezeichnen (vgl. w . B a u e r, Die Briefe des Ignatius von Antiochia, Tübingen 1920, S. 207 und G. Stählin, Th. w . v . VI s. v. neglyriiia), ist aber wahrscheinlich von Ignatius nur in dem auch sonst üblichen Sinne gebraucht worden, nach dem es einen Ausdruck der Selbsterniedrigung darstellt ( = „euer alleruntertänigster Dienet", Bauer). Auch Barn. 4,9; 6,5 ist negbpypa ähnlich zu verstehen. Für die Bedeutung „Sühnopfer" könnte in Cph. 8,1 die Wendung xal äyvfäopau vpwv *Eq>eola)v sprechen.

er die sühnende Bedeutung seines bevorstehenden Todes mehrfach mit kultischen Begriffen. Die Römer bittet er» sie könnten ihm nichts Gröberes gewähren, als Gott als Trankopfer dargebracht zu werden, solange noch ein Rltar bereitstehe (Rom. 2,2). Mit dieser Anwendung des Bildes vom Trankopfer geht Ignatius weit über die Art hinaus, in der Paulus einmal dieses Bild in einem Wort über seinen Tod anklingen ließ (Phil. 2,17; vgl. 2.Tim. 4,6)*). Denn dadurch, daß der Altar ausdrücklich genannt und hinzugefügt wird, daß die Gemeinde Gott loben soll, „daß er den Bischof Syriens gewürdigt hat, sich im Untergang der Sonne (d.h. im westen) zu befinden, vom Ausgang herbeigebracht2)", zeigt Ignatius, daß er sein Martyrium als kultisches Gpfer gleichsam in Gegenwart der versammelten Gemeinde, für die dieses Gpfer dargebracht werden soll, vor sich gehen sieht2). Die Tiere, die Ignatius zerreißen und verschlingen werden, sind die Werkzeuge, durch die Gott das Gpfer dargebracht werden soll (Rom. 4,2). „Weizen Gottes bin ich und durch die Zähne wilder Tiere werde ich gemahlen, damit ich als reines Brot des Christus erfunden werde", schreibt Ignatius (Röm. 4,1) und weist damit vergleichend auf das Brot der Eucharistie hin4). Wie Jesu Gpfertod durch die Eucharistie sakramental wirksam ist (Smyrn. 7,1), so wird auch der Tod des Märtyrers sühnende Kraft haben, die der lebenspendenden Wirkung der Eucharistie vergleichbar ist. Ignatius weiht sich zum Gpfer für die Gemeinden (Trall. 13,3; (Eph. 8,1)*), damit er Gott durch seinen Tod erlange und für die Gemeinden das Lösegeld, das sühnende Gpfer, darbringe. Mehrfach bezeichnet Ignatius seinen bevorstehenden Tod als Lösegeld, das er für die Gemeinden zahlt (Eph. 21,1; vgl. Smyrn. 10,2; Pol. 2,3; 6,1). Die sühnende Kraft des Märtyrertodes wird für die Glaubens­ genossen und für diejenigen wirksam, die seine Bande geliebt haben (Pol. 2,3). Ausgeschlossen von der Sühnwirkung des Märtyrertodes aber sind die Häretiker (Smyrn. 5,1) und diejenigen, die sich dem Bischof, den Presbytern und Diakonen nicht unterordnen (Pol. 6,1). Denen aber, die dem Bischof und den Amtsträgern folgen, wird die Kraft des dargebrachten Lösegeldes zugeeignet*). *) Liehe S. 195f. Dgl. o. L a m p e n h a u s e n , a.a.