Männerchorgesang und bürgerliche Bewegung 1815-1848 in Mitteldeutschland 9783412211967, 9783412210670


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Männerchorgesang und bürgerliche Bewegung 1815-1848 in Mitteldeutschland
 9783412211967, 9783412210670

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Männerchorgesang und bürgerliche Bewegung 1815–1848 in Mitteldeutschland

Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Kleine Reihe Band 37

Sebastian Nickel

Männerchorgesang und bürgerliche Bewegung 1815–1848 in Mitteldeutschland

2013 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung des Thüringer Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung aus: Hermann Jäger, Erinnerung an das fünfte Liederfest des Thüringer Sängerbundes in Eisenach. Eine vollständige Festbeschreibung mit sämmtlich gehaltenen Reden, Arnstadt 1847.

© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Charlotte Bensch Wissenschaftliche Redaktion: Falk Burkhardt Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-21067-0

Inhalt

VORWORT ....................................................................................................................

9

EINLEITUNG .....................................................................................................

11

1. 2.

Untersuchungsgegenstand, Fragestellung, Forschungsstand .......... Quellenkritische Bemerkungen und methodisches Vorgehen ........

11 20

POLITISCHE LEITIDEEN UND ORGANISATIONSFORMEN DER BÜRGERLICHEN BEWEGUNG IN DER ERSTEN HÄLFTE DES 19. JAHRHUNDERTS .................................................................................

33

I.

II.

1.

Frühliberalismus und Leitideen der bürgerlichen Bewegung .......... 1.1 Leitideen des Frühliberalismus .................................................... 1.2 Abspaltung der Demokraten und deren Leitideen ..................

33 34 36

2.

Das Vereinswesen ...................................................................................

38

3.

Organisationsformen der bürgerlichen Bewegung in Mitteldeutschland ............................................................................... 3.1 Politische Organisationsformen .................................................. 3.2 „Lichtfreunde“ und Deutschkatholiken als religiöse Organisationsformen ....................................................................

III. GESCHICHTE DER MÄNNERGESANGBEWEGUNG BIS 1848 ..................... 1.

43 43 51 67

Geschichte der deutschen Männergesangbewegung von den Anfängen bis zur Revolution 1848/49 .........................................

67

Die Entwicklung der vormärzlichen Männergesangbewegung in Mitteldeutschland .................................................................................... 2.1 Preußische Provinz Sachsen ........................................................ 2.2 Anhaltische Herzogtümer ............................................................ 2.3 Thüringische Herzog- und Fürstentümer ................................. 2.4 Königreich Sachsen .......................................................................

74 75 77 78 82

IV. DER MÄNNERCHORGESANG IN MITTELDEUTSCHLAND ALS MITTEL OPPOSITIONELLER ARTIKULATION VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUR REVOLUTION 1848/49 ....................................................................................

87

2.

1.

Friedrich Schneider, Wilhelm Müller und die Dessauer Liedertafel 1.1 Der Komponist Friedrich Schneider ..........................................

88 88

6

INHALT

1.2 Der Dichter Wilhelm Müller ....................................................... 92 1.3 Die Dessauer Liedertafel .............................................................. 95 1.4 Wilhelm Müller und die Dessauer Liedertafel .......................... 101 2.

Die Leipziger Liedertafeln und die Zöllner’schen Gesangvereine .. 2.1 Der Männergesang in Leipzig ...................................................... 2.2 Die Leipziger Liedertafel von 1815 ............................................ 2.3 Exkurs: Theodor Körner – der ,idealisierte Idealisierer‘ ......... 2.4 Carl Friedrich Zöllner und seine Gesangvereine in Leipzig ... 2.5 Die Leipziger Liedertafel von 1842 ............................................

119 119 120 138 143 155

3.

Der Thüringer Sängerbund und seine Liederfeste 1843–1847 ....... 3.1 Der Thüringer Sängerbund .......................................................... 3.2 Die Liederfeste des Thüringer Sängerbundes 1843–1847 ...... 3.3 Die Ehrenmitglieder Ludwig Storch und Ludwig Bechstein ..

161 161 165 194

4.

Liedertafel, Lehrergesangverein und die „Lichtfreunde“ in Magdeburg ........................................................................................... 4.1 Der Männergesang in Magdeburg bis 1848 .............................. 4.2 Die Magdeburger Liedertafel ....................................................... 4.3 Der Magdeburger Lehrergesangverein ....................................... 4.4 Gemeinsame oppositionelle Aktivitäten der Magdeburger Liedertafel und des Lehrergesangvereins ...................................

5.

6.

V.

Von Konzertsängern zu Barrikadenkämpfern – Die Männergesangvereine in Dresden ................................................ 5.1 Der Männergesang in Dresden bis 1848 ................................... 5.2 Der Dresdner Orpheus ................................................................ 5.3 Die Dresdner Liedertafel .............................................................. 5.4 Gesellschaftliches und politisches Engagement Dresdner Männergesangvereine im späten Vormärz und während der Revolution von 1848/49 ..............................................................

204 204 205 215 224 233 233 234 239 241

Männerchorkomposition als politische Stellungnahme bedeutender Komponisten .................................................................... 272 6.1 Felix Mendelssohn Bartholdy und sein Festgesang zur Säkularfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst (MWV D 4) für die Gutenbergfeier 1840 in Leipzig ...................................... 272 6.2 Robert Schumann und die Drei Freiheitsgesänge für Männerchor mit Begleitung von Harmoniemusik (ad libitum) (WoO 4) ............... 293

ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK .......................................................... 319

INHALT

7

ANHANG ..................................................................................................................... 329 1. Sänger-, Lieder- und Gesangfeste in Mitteldeutschland bis 1848 ........ 2. Gesangvereine in Mitteldeutschland bis 1848 ......................................... 3. Gedicht zum Geburtstag Carl Friedrich Zöllners im Jahr 1851 .......... 4. Ernst Julius Otto: Auf die Höhen! ............................................................... 5. Adolf Wandersleb: Lied der Gegenwart ........................................................ 6. Felix Mendelssohn Bartholdy: Gutenberglied .............................................

329 334 339 340 342 344

Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................. 349 Abbildungen, Tabellen, Notenbeispiele ................................................................. 351 Quellen- und Literaturverzeichnis .......................................................................... 352 Ortsregister ................................................................................................................. 382 Personenregister ........................................................................................................ 388

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2010/11 von der Philosophischen Fakultät II der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung erfolgte eine leichte Überarbeitung. Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Wolfgang Ruf (Halle/S.). Ohne seine langjährige Förderung, die ich als Student und Doktorand erfahren habe, wäre diese Arbeit über ein eher randständiges Thema in der Historischen Musikwissenschaft nicht zustande gekommen. Geduldig hat er die lange Phase der Entstehung begleitet und diese mit konstruktiver Kritik und Ermutigung vorangebracht. Großen Dank schulde ich auch meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Friedhelm Brusniak (Würzburg). In uneigennütziger Weise hat er mir eigene Arbeiten zum Thema zur Verfügung gestellt sowie durch intensive Gespräche neue Perspektiven auf die Thematik ermöglicht. Zu danken habe ich auch für die erteilten Veröffentlichungsgenehmigungen: der Stadt- und Regionalbibliothek und dem Stadtmuseum Erfurt, dem Stadtgeschichtlichen Museum und der Stadtbibliothek Leipzig, der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha, Tre Media Musikverlag (Karlsruhe), der Universitätsbibliothek Frankfurt/Main, der Universitätsbibliothek Halle, dem Stadtarchiv Magdeburg, dem Vogtlandmuseum Plauen, der Hochschule für Musik und Theater Leipzig und der Anhaltischen Landesbücherei Dessau (Wissenschaftliche Bibliothek und Sondersammlungen). Mein Dank gilt ferner dem Böhlau Verlag und der Historischen Kommission für Thüringen unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Werner Greiling und ihrem Geschäftsführer Falk Burkhardt, die diese Arbeit freundlicherweise in ihre Reihe aufgenommen hat. Für die großzügige finanzielle Unterstützung der Drucklegung möchte ich ebenfalls der Historischen Kommission für Thüringen, der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und dem Chorverband Sachsen-Anhalt danken. Ein ganz besonderer Dank gilt allen, die mir bei der mühsamen Arbeit des Korrigierens und der Fertigstellung des Manuskripts für die Drucklegung geholfen haben. Da ist in erster Linie mein Schwiegervater Dr. Andreas Küstner zu nennen. Eine große Hilfe waren mir auch Prof. Dr. Wolfgang Rath, mein Vater Karl-Heinz und mein Bruder Friedemann Nickel sowie Ekkehard Fellner. Vor allem aber möchte ich meiner Familie danken, die mir über die lange Zeit der wissenschaftlichen Arbeit genügend Freiräume ließ und mit (Un)Geduld der Fertigstellung harrte. Viel zu oft musste sie in den letzten Jahren auf den Ehemann und Vater verzichten. Ihr ist das Buch in Liebe und Dankbarkeit gewidmet. Erfurt, im Januar 2013

Sebastian Nickel

I.

Einleitung

1.

Untersuchungsgegenstand, Fragestellung, Forschungsstand

Untersuchungsgegenstand Der Liberalismus hat als eine der gesellschaftlichen Bewegungen im 19. Jahrhundert, dem sogenannten „bürgerlichen Zeitalter“, am nachhaltigsten dem Kampf um die Emanzipation des Bürgertums gedient. Der deutsche Frühliberalismus (1815–1848), der weithin deckungsgleich mit der bürgerlichen Bewegung war,1 stellte zunächst ein Sammelbecken all jener dar, die bürgerliche Rechte propagierten. Über die Gewichtung der Ziele und die Mittel für deren Durchsetzung gab es unterschiedliche Ansichten, was sich wiederum in verschiedenen Richtungen innerhalb der liberalen Bewegung und letztendlich in der Abspaltung der Demokraten niederschlug.2 Da die propagierte bürgerliche Lebensart mit ihren Wert- und Moralvorstellungen in einer noch ständisch geprägten Gesellschaft nicht umfänglich offen umgesetzt werden konnte, nutzte das liberale Bürgertum dafür das Vereinswesen, welches in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine große Blütezeit erlebte.3 Neben dem wichtigen Geselligkeitscharakter, der oft als Deckmantel genutzt wurde, spielte die Politik dort eine zunehmende Rolle. Das war in größerem Ausmaß zuerst bei den Vereinen der Turner und dann auch in denen der Sänger der Fall.4 Der Verein als bürgerlich-liberales Lebensmodell und Übungsfeld stellte somit das Verbindungsglied zwischen Musik und Liberalismus beziehungsweise bürgerlicher Bewegung dar. Zu den Vereinen, die sich nach außen unpolitisch gaben, aber durchaus gesellschaftspolitische Ziele verfolgten, gehörten auch die Männergesangvereine, die sich im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von elitären Zirkeln hin zu einer Massenbewegung entwickelten.5 Im Laufe der 1840er Jahre verdichtete sich bei den Sängern die Organisation ihrer Kommunikation durch Treffen, Feste und Zeitungen. Auf gemeinsamen Treffen wurden von Sängern liberale Ideen verbreitet, die sich dann vor allem in Festreden, Trinksprüchen und Liedern niederschlugen. Geprägt durch die Ursprünge in den Befreiungskriegen gegen die napoleonische Besetzung 1 2 3 4 5

WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 2, S. 5. Siehe dazu unten Kap. II.1.2. Siehe zum deutschen Vereinswesen im 19. Jahrhundert unten Kap. II.2. Siehe dazu allgemein DÜDING: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus. So wird die Zahl der Sänger auf mindestens 100.000 geschätzt. Siehe EBD., S. 180 und WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 2, S. 402. Zur Geschichte der Männergesangbewegung siehe unten Kap. III.1.

12

EINLEITUNG

enthielten die eigenen Liederbücher viele traditionsreiche Vaterlandslieder. In ihnen spiegelten sich die politischen Leitbilder des Befreiungskampfes wider, die „auf die nationale Sängerbewegung bis weit ins 20. Jahrhundert ausstrahlte[n]“.6 Daraus entwickelte sich eine wirkungsmächtige Tradition in der Männergesangbewegung, in der der nationale Integrationsgedanke eine größere Rolle als die Forderung nach liberalen Bürgerrechten spielte. Häufig wurden nationalpolitische Probleme artikuliert, die verfassungspolitischen hingegen zumeist nur indirekt angesprochen. Die nationalpolitische Ausrichtung schlug sich folglich bisher stark in der Historiografie des deutschen Männergesangwesens nieder, so dass die Berücksichtigung freiheitlicher Forderungen wie die Presse- und Meinungsfreiheit, die allgemeine Aufhebung der Zensur, die Gleichheit vor dem Gesetz, die Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren und die Vereidigung des Militärs auf die Verfassung in den Hintergrund trat. Auf der Erhebung dieser liberalen Forderungen durch mitteldeutsche Männergesangvereine liegt der Fokus der vorliegenden Arbeit. Der historische Rahmen der Arbeit ist zeitlich durch das Ende des Wiener Kongresses im Jahr 1815 und durch die bürgerliche Revolution von 1848/49 begrenzt. Obwohl in verschiedenen Publikationen auch Begriffe wie „Restauration“ oder „Biedermeier“ Verwendung finden, wird diese Periode gemeinhin als „Vormärz“ bezeichnet.7 Dieser Zeitabschnitt war vor allem durch die Auseinandersetzung zwischen dem nach politischer Teilhabe strebenden Bürgertum und dem auf überkommenen Gesellschaftsstrukturen beharrenden monarchischen Staat geprägt. Ausgangspunkt der Auseinandersetzung stellte ein Artikel in der beim Wiener Kongress 1814/1815 verabschiedeten Bundesakte dar.8 Im Artikel 13 wurde allen Staaten des neugeschaffenen Deutschen Bundes eine landständische Verfassung versprochen.9 Die zögerliche oder auch ausbleibende Einlösung dieses Versprechens bildete in den Folgejahren den Ausgangspunkt der revolutionären Einheits- und Verfassungsbewegung in Deutschland. Die schwelende Verfassungsfrage und die ausstehende nationale Einigung Deutschlands stellten die Voraussetzung für die Verbreitung und Popularisierung liberalen und nationalen Gedankenguts, nicht zuletzt in den Männergesangvereinen, dar. Die Auseinandersetzung zwischen Bürgertum und monarchischem Staat war im Vormärz größtenteils durch Aktion der einen Seite und Reaktion der anderen Seite geprägt. Auf das durch Studenten organisierte Wartburgfest von 181710 und das Attentat auf den reaktionären Schriftsteller August von Kotzebue durch den

6 7 8 9

KLENKE: Bürgerlicher Männergesang, S. 462. Siehe HARDTWIG: Vormärz, S. 7 f. Zum Wiener Kongress siehe BURG: Wiener Kongress und GÜNZEL: Wiener Kongress. Siehe zu den Auseinandersetzungen über den Artikel 13 der Bundesakte HUBER: Deutsche Verfassungsgeschichte 1, S. 644 ff. 10 Zum Wartburgfest siehe MALETTKE (Hg.): Wartburgfest.

UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND

13

Burschenschaftler Karl Ludwig Sand 181911 folgten die Karlsbader Beschlüsse.12 Eine Zeit der polizeistaatlichen Unterdrückung liberalen Gedankenguts und des Rückzugs aus der Öffentlichkeit wurde eingeläutet. Auf das Übergreifen der französischen Juli-Revolution von 183013 auf Deutschland und das Hambacher Fest 1832 als erster politischer Massendemonstration in Deutschland14 reagierte der Deutsche Bund durch einen Beschluss der deutschen Bundesversammlung am 21. Oktober 1830, die „Sechs Artikel“ am 28. Juli 1832 und die Wiener Konferenzen 1834 mit einer Reihe von Präventiv- und Repressivmaßnahmen.15 Es kam erneut zur Einsetzung einer zentralen Untersuchungskommission für politische Straftaten und zur Verschärfung der Karlsbader Beschlüsse hinsichtlich der Überwachung von Universitäten. Weitere Ereignisse, die die Auseinandersetzung des Bürgertums mit dem monarchischen Staat symbolisierten, waren 1837 die Entlassung der „Göttinger Sieben“16 und die sogenannte „Rheinkrise“ 1840.17 Hinzu traten die politischen Hoffnungen aufgrund des preußischen Thronwechsels im Sommer 1840. Im späten Vormärz brachen wirtschaftliche und soziale Krisen infolge der Industriellen Revolution und des starken Bevölkerungswachstums aus. Zusammen mit der aufkommenden „sozialen Frage“ mündeten diese Ereignisse im März 1848 in den Ausbruch der bürgerlichen Revolution in Deutschland. Die Aufständischen einigte das bürgerliche Programm, das die Beseitigung des Repressionssystems im Deutschen Bund, die Errichtung eines deutschen Nationalstaates mit frei gewähltem Parlament und wirksam garantierte Menschen- und Bürgerrechte forderte. Die eben knapp umrissene politische und wirtschaftliche Entwicklung traf in unterschiedlicher Ausprägung auch auf den hier untersuchten geografischen Raum zu – das Königreich Sachsen, die preußische Provinz Sachsen sowie die anhaltischen und thüringischen Kleinstaaten. Sie bildeten die Ursprungsgebiete 11 Siehe dazu SCHULZE: Das Blut des Verräters. 12 Durch die verabschiedeten Beschlüsse wurden die deutschen Universitäten einer generellen Polizeiaufsicht unterstellt, die Burschenschaften verboten, Publikationen unter 20 Bogen (320 S.) einer allgemeinen Zensur unterstellt und in Mainz eine Zentralbehörde zur Untersuchung revolutionärer Umtriebe eingerichtet. Zu den Karlsbader Beschlüssen siehe HUBER: Deutsche Verfassungsgeschichte 1, S. 739–753. 13 Zur französischen Juli-Revolution siehe HOLZAPFEL: Julirevolution 1830. 14 Zum Hambacher Fest siehe KERMANN/NESTLER/SCHIFFMANN (Hg.): Freiheit, Einheit und Europa. 15 In den Beschlüssen von 1832/1834 wurden die Karlsbader Beschlüsse verschärft sowie politische Vereine und außerordentliche Volksfeste und -versammlungen verboten. Siehe dazu HUBER: Deutsche Verfassungsgeschichte 2, S. 151–163 und S. 177–180. 16 Zu den „Göttinger Sieben“ siehe unten S. 149, Anm. 269. 17 Die patriotische Erregung in der deutschen Öffentlichkeit führte u. a. zum Verschwinden der Sympathien gegenüber Frankreich und auch seiner revolutionären Errungenschaften im deutschen liberalen Bürgertum. Fürsten und Regierungen billigten und förderten die emotionsgeladene antifranzösische Bewegung. Zur sog. „Rheinkrise“ siehe WALSCHMIDT: Rheinkrise und GRUNER: Rheinkrise.

14

EINLEITUNG

der späteren Länder Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen18 – also die Region, die heute gemeinhin als „Mitteldeutschland“ bezeichnet wird. Weder historischgeografisch, sprachgeschichtlich noch wirtschaftshistorisch kann von einem homogenen Gebilde „Mitteldeutschland“ die Rede sein. Nach Karl-Heinz Blaschke ist dies jedoch aus kulturhistorischer Sicht der Fall.19 Er spricht bezüglich des mitteldeutschen Raumes von einer konfessionellen Geschlossenheit, die weit bis in das 19. Jahrhundert bestehen blieb und die Mentalität, Grundsätze in Schul- und Bildungspolitik, die weltliche Obrigkeit und das ganze moralische Wertsystem nachhaltig prägte. Frucht dieser Prägung waren ein allgemein hohes Bildungsniveau durch ein dichtes Hochschul- und Städtenetz sowie eine hochentwickelte Musikkultur, die deutschlandweit im 18. und 19. Jahrhundert ihresgleichen suchte. Letztere war nicht zuletzt der Nährboden für die rasante und flächendeckende Ausbreitung von Männergesangvereinen im mitteldeutschen Raum.20 Das Untersuchungsgebiet der vorliegenden Arbeit erstreckt sich auf die preußische Provinz Sachsen, die anhaltischen Herzogtümer, das Königreich Sachsen und die thüringischen Herzog- und Fürstentümer als Integrationskerne der heutigen mitteldeutschen Länder. In der vorliegenden Studie wird im dritten Abschnitt die allgemeine Entwicklung des Männergesangwesens von Magdeburg im Norden über die sächsische Oberlausitz im Osten, die Sängerbünde im Erzgebirge und den Henneberger Sängerbund im Süden bis hin zum Constantia-SängerVerein um Quedlinburg und zum Thüringer Sängerbund im Westen nachgezeichnet. Im Mittelpunkt des vierten Abschnitts stehen ausgewählte Städte aus der preußischen Provinz (Magdeburg), aus Anhalt (Dessau), aus Sachsen (Leipzig und Dresden) sowie am Beispiel des Thüringer SängerbundesOrte aus West- und Mittelthüringen. Fragestellung Spätestens seit der Habilitationsschrift Dieter Düdings über den organisierten Nationalismus in Deutschland zwischen der napoleonischen Besetzung und dem Vorabend der bürgerlichen Revolution 1848/49 ist unbestritten, dass die Männergesangbewegung neben den Turnern ein integraler Bestandteil der bürgerlichen Bewegung war.21 Für den Bereich von Mitteldeutschland liegt, abgesehen 18 19 20 21

Siehe JOHN (Hg.): „Mitteldeutschland“, S. 11. Siehe BLASCHKE: Kirche, Kultur und Bildung, S. 217–228. Siehe dazu Anhang 2, S. 334 ff. DÜDING: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus. – Auch für den Historiker Dieter Langewiesche spielten die Turner und Sänger in der bürgerlichen Bewegung im Allgemeinen und bei der kulturellen Nationsbildung im Besonderen eine wesentliche Rolle. In seinem Aufsatzband über „Nation, Nationalismus, Nationalstaat“ räumt er daher im zweiten Abschnitt über die kulturelle Nationsbildung den Turnern („für Volk und Vaterland kräftig zu würken ...“) und den Sängern (Schwäbische Sängerbewegung) Platz für jeweils einen grundlegenden Aufsatz ein.

UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND

15

von einzelnen lokalen Forschungsarbeiten,22 noch keine umfassende Untersuchung vor. Dieses Desiderats möchte sich der Verfasser der vorliegenden Arbeit unter folgenden Fragestellungen annehmen: ¾ Spielte das Streben nach bürgerlichen Rechten auch in der Männergesangbewegung im mitteldeutschen Raum eine bedeutsame Rolle? ¾ Welche liberalen Forderungen standen dabei besonders im Mittelpunkt? ¾ In welcher Form drückte sich bürgerliches Freiheitsstreben einerseits im Vereinsleben und andererseits in der Öffentlichkeit aus? ¾ Blieb es bei der Bekundung politischer Wünsche in Liedern und Festreden oder ging das freiheitliche Engagement darüber hinaus? ¾ Wie prägend waren einzelne Persönlichkeiten bezogen auf die politische Gesinnung und das daraus resultierende Verhalten der Männergesangvereine? ¾ Engagierten sich auch namhafte Komponisten durch Chorleitertätigkeit oder Kompositionen für politische Ziele? ¾ Neigte die mitteldeutsche Männergesangbewegung wie die Mehrheit der Mitglieder deutscher Männergesangvereine dem Konstitutionalismus23 oder aber der Volkssouveränität als Regierungsform im ersehnten gesamtdeutschen Reich zu? ¾ Brachten politische Inhalte auch spezifische Kompositionsformen hervor? Forschungsstand Schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte die Geschichtsschreibung der Sängerbewegung ein. Ein erster Schritt dahin war eine Schrift anlässlich der ersten beiden sächsischen Männergesangfeste 1842 und 1843 in Dresden, die von Maximilian Leopold Löwe 1844 herausgegeben wurde.24 Der Band beinhaltet zwei kurze Abhandlungen über die bisherige Geschichte und die gegenwärtige Bedeutung des deutschen Männergesangs sowie als Anhang eine Auflistung der bis 1843 erschienenen Gesänge für Männerchor. Im Beitrag „Der deutsche Männergesang, nach seiner Bedeutung für die Gegenwart“ geißelt Hermann Ludwig Wolfram den „altgermanisch-neuaufgelegte[n] Wust“,25 der zu sehr der Vergangenheit verhaftet sei und den Blick in Gegenwart und Zukunft verstelle. Der Männergesang könne hingegen mehrere Aufgaben übernehmen:

22 Siehe unten S. 17 f. 23 Siehe dazu KLENKE: Bürgerlicher Männergesang, S. 468 und DÜDING: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus, S. 276. 24 LÖWE, (Hg.): Männergesang. Zu Löwe, der viele Jahre dem Vorstand der Dresdner Liedertafel angehörte, siehe unten S. 293, Anm. 984. 25 EBD., S. 22.

16

EINLEITUNG

Schloß sich nun aber der Männergesang der gesammten Wirksamkeit des Mannes an, so konnte er in gleichem Grade der frommen Andacht oder der politischen Freiheit, der Fröhlichkeit oder dem Ernste sich weihen, je nach dem jedesmaligen Bedürfnisse und Drange in den Gemüthern der Singenden und Hörenden.26

Bewusst klingt hier schon die politische Dimension an, die bis 1945 integraler Bestandteil der Männergesangbewegung war. In der Zeit von 1815 bis 1848 konzentrierten sich die politischen Zielsetzungen auf die Nationalstaatsidee und die bürgerliche Freiheitsbewegung. Die von Löwe herausgegebene Schrift sollte einen Ausgangspunkt für eine tiefer gehende Beschäftigung mit dem Männergesang darstellen. Diese Aufgabe übernahm der promovierte Jurist und spätere Ausschussvorsitzende des Deutschen Sängerbundes Otto Elben.27 Mit seinem Standardwerk Der volksthümliche deutsche Männergesang setzte 1855 die Geschichtsschreibung der Sängerbewegung ein.28 Diese umfassende Abhandlung gilt auch heute noch als unverzichtbar für die Erforschung des deutschen bürgerlichen Männergesangwesens. Sie erfuhr 1887, rechtzeitig zum 25-jährigen Jubiläum des Deutschen Sängerbundes, eine zweite, erweiterte Auflage.29 In seiner äußerst faktenreichen Monografie, in der die benutzten Quellen im Vorwort leider nur pauschal angegeben werden, setzte Elben seine Schwerpunkte in der Volkstümlichkeit und in dem nationalen Gehalt des Männerchorwesens in allen deutschsprachigen Gebieten. Das Streben nach bürgerlichen Rechten und politischer Teilhabe findet hier aber im nationalen Zusammenhang nur eine marginale Berücksichtigung. Das ist ebenso bei den nachfolgenden Abhandlungen von Julius Bautz (1890),30 Helmuth Thierfelder (1922),31 Richard Kötzschke (1927)32 und Heinrich Dietel (1938)33 der Fall. Nach 1945 tat sich die Musikwissenschaft mit der Frage nach dem Verhältnis von Musik und Politik bezüglich der deutschen Männergesangbewegung vom Anfang des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts recht schwer. Das lag laut des Historikers Dietmar Klenke an einem „Verdrängungsbedürfnis und [der] allgemeine[n] Entpolitisierung nach dem II. Weltkrieg“.34 Zu sehr hatte sich die bürgerliche Sängerbewegung im Deutschen Kaiserreich zu einer „staatstragenden 26 EBD., S. 12. 27 Zu Elben siehe KÖTZSCHKE: Otto Elben; ELBEN (Hg.): Otto Elben und HAUSER-HAUSWIRTH: Schwäbischer Sängerbund, S. 7–209, hier S. 59–65. 28 ELBEN: Männergesang (1855). 29 Durch die Besprechung Philipp Spittas in der Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft (4. Jg., 1888, S. 297–330) wurde Elbens Werk auch über engere Fachkreise bekannt. Siehe dazu ELBEN: Männergesang (1887), S. IX f. 30 Siehe BAUTZ: Männergesang. 31 THIERFELDER: Männergesang. Der Autor lehnte aber schon eine eindimensionale Sichtweise auf das nationale Einheitsstreben ab. Siehe EBD., S. 55. 32 KÖTZSCHKE: Männergesang. 33 DIETEL: Männergesang. 34 KLENKE: Bürgerlicher Männergesang, S. 458.

UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND

17

Institution“35 und durch die mehrheitliche Ablehnung der Versailler Nachkriegsordnung „zu einem Wegbereiter der nationalsozialistischen Diktatur“36 entwickelt. In den 1960er Jahren entstand im Auftrag des „Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte“37 in Heidelberg unter der Leitung des Sozialhistorikers Werner Conze die breit angelegte Studie In Lied und Tat.38 Der Bremer Musikhistoriker Klaus Blum breitete anhand einer immensen Materialfülle ein vielfältiges Panorama des deutschsprachigen Chorwesens von der Französischen Revolution bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges aus. Nach ihm ist in der Zeit von 1790 bis 1933 die Musik in der Form von Gesang „,politisch‘ eingesetzt und im Sinne der Benutzer erfolgreich verwendet worden“.39 Dabei haben sich die bürgerlichen Sängervereine jedoch auf das Schüren von politischen Emotionen beschränkt und sich somit jeglicher politischen Einflussnahme beraubt. Resümierend wies Blum der deutschen bürgerlichen Gesangbewegung eine „theoretisch-politische“, der Arbeitergesangbewegung hingegen eine „praktisch-politische“ Funktion zu.40 Auch die Musikgeschichtsschreibung in der DDR nahm die bürgerliche deutsche Sängerbewegung – dabei fast ausschließlich im mitteldeutschen Raum – ins Blickfeld. So beschäftigte sich Gerhard Schmidt am Anfang der 1960er Jahre mit dem Entstehen und der Wirkungsgeschichte der bürgerlichen und den Anfängen der Arbeitersängerbewegung.41 Der Schwerpunkt der Arbeit lag zwar auf der erzieherischen Funktion und der musikalischen Laienbildung am Beispiel Thüringens und Leipzigs, darüber hinaus setzte sich Schmidt aber auch mit der Bedeutung des Männerchorwesens für Politik und Gesellschaft auseinander. Dabei wies er in den Jahren 1830 bis 1848 ein verstärktes gesellschaftliches und politisches Engagement der Männergesangbewegung nach, das dem der Turner und Schützen nicht nachstand. Seiner These, dass im Vormärz in den Männergesangvereinen nur „die fortschrittlichen demokratischen Kräfte des deutschen Bürgertums“ zu finden waren, „die am Kampf um ein geeintes demokratisches Deutschland teilnahmen“, kann aber nur bedingt zugestimmt werden.42 Im Zuge 35 KLENKE: Der singende „deutsche Mann“, S. 205. 36 DERS.: Bürgerlicher Männergesang, S. 534. 37 Der „Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte“ wurde von Conze im Zuge der Verlagerung des methodischen Schwerpunkts von der Politik- auf die Sozialgeschichte innerhalb der westdeutschen Geschichtswissenschaft im Jahr 1957 gegründet. Der Arbeitskreis entwickelte sich bald zu einer wesentlichen Plattform der sich in der Bundesrepublik Deutschland herausbildenden interdisziplinären Sozialgeschichte. Siehe dazu u. a. ETZEMÜLLER: Sozialgeschichte als politische Geschichte. 38 BLUM: „In Lied und Tat“. Die Studie blieb aufgrund des großen Umfangs von etwa 3.600 Seiten ungedruckt. Das Manuskript befindet sich heute im Archiv der Stiftung Dokumentations- und Forschungszentrum des Deutschen Chorwesens Feuchtwangen. 39 EBD. Teil II, Kap. 3, S. 1085. 40 EBD., S. 742. 41 SCHMIDT: Männerchorgesang. 42 EBD., S. 189. Diese These trifft, bezogen auf den mitteldeutschen Raum, nicht umfänglich zu. Ist dieser Behauptung bezüglich des Dresdner Männergesangvereins Orpheus (siehe unten

18

EINLEITUNG

seiner Dissertation über die Musikgeschichte Magdeburgs im 19. Jahrhundert widmete der Musikpädagoge und Musikwissenschaftler Wolf Hobohm den ortsansässigen Männergesangvereinen und ihrer politischen Wirksamkeit im Vormärz einen eigenen Abschnitt. Dabei wies er auf die Verbindung zwischen der Sängerbewegung und den religiösen Dissidenten der „Lichtfreunde“ hin.43 Am Beispiel des Lehrers und Kantors Johann Friedrich Fincke in Plauen und des von ihm herausgegebenen Voigtländischen Turnbüchleins strich am Ende der 1980er Jahre der Musikwissenschaftler Albin Buchholz die Bedeutung einzelner Persönlichkeiten für die Sängerbewegung im Allgemeinen und für die bürgerliche Bewegung im Besonderen heraus.44 Darüber hinaus wurde die Verbindung der oppositionellen Bewegungen der Sänger und Turner am Beispiel Plauens hervorgehoben. Wieder gesamtdeutsch orientiert war die Habilitationsschrift Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus in Deutschland (1984) des Historikers Dieter Düding über den im Verein organisierten Nationalismus der Turner und Sänger in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.45 Obwohl sich diese Studie durch die Analyse des Liedguts und der Festreden der Männergesangvereine auch mit der bürgerlichen Freiheitsbewegung befasste, lag der Schwerpunkt jedoch auf dem Phänomen der Nationalbewegung. Auch Dietmar Klenke stellte in seinem 1989 erschienenen Aufsatz über Bürgerlichen Männergesang und Politik in Deutschland den nationalen Gedanken in den Mittelpunkt seiner Ausführungen.46 Breiteren Raum hingegen nahmen die bürgerlichen Freiheitsforderungen in Klenkes Standardwerk Der singende „deutsche Mann“.47 In der Habilitationsschrift Gesang, Feste und Politik (1994) des Historikers Henning Unverhau spielte das Streben nach bürgerlichen Rechten im Schatten der schleswig-holsteinischen Bewegung 1840–1848 themenbedingt eine untergeordnete Rolle.48 Dieter Langewiesche untersuchte in seinem Aufsatz Die schwäbische Sängerbewegung in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts den nationalen, den sozialen und den Bildungscharakter der Männergesangbewegung in Württemberg.49 Ausgelöst durch die Arbeiten der Historiker Düding, Klenke, Unverhau und Langewiesche über das Verhältnis von Männerchorgesang und Politik in Deutschland fand diese Thematik wieder verstärkt Eingang in die Musikwissenschaft. Ausdruck dieser Entwicklung war 1991 die Neuherausgabe der Abhandlung Elbens

43 44 45 46 47 48 49

Kap. IV.5.2) und der Zöllner’schen Gesangvereine in Leipzig (siehe unten Kap. IV.2.4) eine Berechtigung nicht abzusprechen, so ist jedoch für die Mehrzahl der mitteldeutschen Männergesangvereine eine konstitutionelle Ausrichtung anzunehmen. Deutlich wurde diese Spaltung u. a. in der Hildburghausener Liedertafel. Zur Literatur siehe unten S. 74, Anm. 48. HOBOHM: Musikgeschichte Magdeburgs 1, S. 216–254. BUCHHOLZ: „Voigtländisches Turnbüchlein“. DÜDING: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus. KLENKE: Bürgerlicher Männergesang. KLENKE: Der singende „deutsche Mann“. UNVERHAU: Gesang, Feste, Politik. LANGEWIESCHE: Schwäbische Sängerbewegung.

UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND

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von 1887 durch Franz Krautwurst und Friedhelm Brusniak, die das alte Standardwerk mit einer einführenden Erläuterung und einem unverzichtbaren Register versehen haben.50 Dadurch wurde die Pionierarbeit Elbens für die wissenschaftliche Arbeit über den deutschen Männergesang besser nutzbar gemacht. Der Musikpädagoge und Musikwissenschaftler Brusniak etablierte durch eigene Forschungen und seine Tätigkeit als Leiter des Sängermuseums des Fränkischen Sängerbundes in Feuchtwangen51 (seit 1999 Stiftung Dokumentations- und Forschungszentrum des Deutschen Chorwesens) die Geschichte des Männerchorgesangs als festen Bestandteil der Musikhistoriografie. So gab er 1989 mit einem Aufsatz den Anstoß, sich mit jüdischen Männerchören zu beschäftigen.52 In seinem Großen Buch des Fränkischen Sängerbundes53 (1991) zeichnete Brusniak die Vorgeschichte des 1862 gegründeten Fränkischen Sängerbundes nach, wobei Verbindungslinien zur südthüringischen Sängerbewegung gezogen wurden. Im MGGArtikel über „Chor und Chormusik“ (1995) hob er das Männergesangvereinswesen als wesentlichen Bestandteil des deutschen Chorwesens – v. a. im 19. Jahrhundert – hervor.54 In seiner Habilitationsschrift Anfänge des Laienchorwesens in Bayerisch-Schwaben (1997) untersuchte er anhand von Fallstudien aus Musik- und Gesangvereinen Grundzüge der Entwicklung des Sängerwesens in der südwestbayerischen Provinz und in den angrenzenden Regionen.55 Wiederholt beschäftigte sich Brusniak mit prägenden Persönlichkeiten des deutschen Männergesangs im 19. Jahrhundert.56 Schon früh verfolgte er interdisziplinäre Ansätze, wie seine Zusammenarbeit mit den Historikern Harald Lönnecker57 und Dietmar Klenke zeigt. Mit Klenke gab er die Feuchtwanger Beiträge zur Musikforschung heraus.58 Mit der Veröffentlichung des Aufsatzes Sängerfeste und Musikpolitik der deutschen Nationalbewegung in der Musikforschung59 wird die Rolle der Männergesangvereine als bedeutende Träger bürgerlicher Emanzipationsbestrebungen und der deutschen Nationalbewegung und somit als „Medium der politischen Kommunikation“

50 Siehe oben S. 16, Anm. 29. 51 Siehe dazu BRUSNIAK/KLENKE (Hg.): „Heil deutschem Wort und Sang!“ und DIES. (Hg.): Volksschullehrer und außermusikalische Musikkultur. 52 BRUSNIAK: Jüdische Männerchöre. 53 BRUSNIAK: Fränkischer Sängerbund. 54 DERS.: Chor und Chormusik. Für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe Sp. 779–800. 55 DERS.: Laienchorwesen in Bayerisch-Schwaben. 56 So wiederholt u. a. mit Otto Elben und Hans Georg Nägeli (siehe neuerdings „Das volksthümliche Streben“) und mit dem Dichter Friedrich Rückert (siehe neuerdings Friedrich Rückerts Mahnung). 57 Als Spezialist für die deutsche Burschenschaftsgeschichte (zur Urburschenschaft in Jena siehe unten S. 49) machte sich Lönnecker v. a. um die Erforschung der akademischen Gesangvereine in Deutschland verdient. Siehe dazu u. a. LÖNNECKER: „Goldenes Leben im Gesang!“ und DERS.: Lehrer und akademische Sängerschaft. 58 Siehe oben Anm. 51. 59 BRUSNIAK/KLENKE: Sängerfeste und Musikpolitik.

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EINLEITUNG

hervorgehoben.60 Spätestens mit dieser Publikation hat der deutsche Männerchorgesang einen festen Platz in der Musikhistoriografie gefunden. Davon zeugt unter anderem eine monumentale dreibändige Dissertation des Wiener Musikhistorikers Christian Fastl über das Gesangvereinswesen im südlichen Wiener Raum vom 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg.61 Für die Entwicklung der Männergesangbewegung im mitteldeutschen Raum gibt es bis heute keine Gesamtdarstellung. Die bisher vorliegenden Veröffentlichungen in Form von Monografien, Festschriften, Aufsätzen und Zeitungsartikeln beschränken sich auf einzelne Gesangvereine oder Sängerbünde. Dabei handelt es sich zumeist um rein chronologische Darstellungen, die in der Regel musikästhetische, soziale und nicht zuletzt politische Fragestellungen außer Acht lassen. Ausnahmen bilden die Forschungen Hobohms über die Gesangvereine in Magdeburg62 und die Artikel von Buchholz über den Plauener Kantor Fincke und sein Voigtländisches Turnbüchlein von 1846.63 Jedoch sind Forschungsergebnisse über verschiedene Männergesangvereine in Mitteldeutschland nicht in Beziehung gesetzt und miteinander verglichen worden. Die vorliegende vergleichende Studie skizziert ein erstes Gesamtbild zur Geschichte des bürgerlichen Männergesangs und seiner politischen Wirksamkeit in Mitteldeutschland.

2.

Quellenkritische Bemerkungen und methodisches Vorgehen

Quellenlage Verglichen mit der Zeit nach 1850 ist die Überlieferung von Vereinsmaterialien über die Männergesangbewegung aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Mitteldeutschland eher marginal. Für diesen Umstand können mehrere Gründe angeführt werden. So dürften Archive von Gesangvereinen vor allem deshalb selten überliefert sein, weil sie oft in privater Hand verblieben sind. Nach der Auflösung der jeweiligen Vereinigung bestand kein Interesse an der Sache an sich und dadurch auch nicht an einer Weitergabe an öffentliche Einrichtungen. Auch wurde die handschriftliche Überlieferung von Notenmaterial ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts zunehmend von gedruckten Liederbüchern in Form von Partituren und Stimmbüchern abgelöst, wie Rechnungsbücher aus dieser 60 EBD., S. 30. 61 FASTL: „Waldigen Hang, grünendes Tal“. Fastl konnte auf einen überreichen Fundus an Quellen zurückgreifen, der eine ausführliche Dokumentation und Auswertung erfährt. Nicht nur für die Geschichte von Männergesangvereinen in Österreich wird diese Arbeit für weitere Forschungen eine wesentliche Quelle darstellen. 62 Siehe oben S. 18. 63 Siehe EBD.

QUELLENKRITISCHE BEMERKUNGEN

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Zeit belegen. Ein weiterer Grund für die bruchstückhafte Überlieferung von liberalem und demokratischem Text- und Liedgut hat darin seine Ursache, dass im Zuge der nach 1849 einsetzenden Reaktion sicherheitshalber von vorsichtigen Vereinsvorständen diesbezüglich „belastende Schriftstücke wie Liedtexte, Noten, Programme und Korrespondenzen [...] aus den Akten entfernt [wurden]“.64 So endete die Überlieferung in verschiedenen Vereinsakten oft abrupt im Februar 1848 und setzte erst wieder Mitte/Ende des Jahres ein, was allein mit der Zurückdrängung des Vereinslebens durch die Revolution nicht ausreichend zu begründen ist.65 Daneben spielen auch kriegsbedingte Verluste von Archivmaterialien im Zweiten Weltkrieg eine Rolle.66 Zu den Quellen, die für die Untersuchung der Geschichte der Männergesangbewegung herangezogen werden können, zählen neben Vereins- und Verbandsschriften auch gedruckte Mitteilungen, Protokolle, Rundbriefe, Geschäftsberichte, Satzungen, Mitgliederverzeichnisse, Statistiken, Liedersammlungen, Programme, Festschriften, Zeitschriften und Zeitungen sowie zeitgenössische Erlebnisberichte und Autobiografien. Im Folgenden werden die für die vorliegende Arbeit ausgewerteten und in ihrem Charakter stark unterschiedlichen Quellengattungen aufgelistet, gewichtet und zusätzlich auf ihren qualitativen Wert hin untersucht. Liederbücher An handschriftlich geführten Liederbüchern mitteldeutscher Männergesangvereine aus der Zeit bis 1848 haben sich nur wenige Exemplare erhalten.67 Zu den erhaltenen Liederbüchern gehören Partituren und Stimmbücher der 1815 gegründeten Leipziger Liedertafel,68 die von Friedrich Schneider für die Leipziger 64 BRUSNIAK: Demokratische Ideale, S. [4]. 65 So gibt es bspw. in der Überlieferung der Liedertafel in Buttstädt vom 23. Februar bis zum 4. August 1848 eine Lücke (KA Sömmerda, Sing-Verein/Liedertafel Buttstädt, Nr. 13). Die Annalen des Gesangvereins in Kölleda brachen am 13. Juni 1849 ab und setzten erst wieder 1867 ein (StA Kölleda, Acta 1932, S. [88]). Bei der Überlieferung der Remdaer Liedertafel besteht zwischen dem 28. Februar 1848 und dem 28. August 1848 eine Lücke (HSA/ThLMA, NLR) sowie beim Altenburger Orpheus vom 19. Februar 1848 bis 19. Januar 1849 (ThStA Alt, Bestand Männerchor Orpheus, Nr. 3). 66 Diesbezüglich ist vor allem die Zerstörung des Deutschen Sängermuseums in Nürnberg 1945 zu nennen, welches u. a. den Nachlass von Otto Elben (1823−1899) enthielt. Siehe oben S. 16, Anm. 27. 67 Aufgrund dieser Tatsache konnte das ursprüngliche Vorhaben des Verfassers, mittels einer komparativischen Analyse Rückschlüsse auf die politische Ausrichtung mitteldeutscher Männergesangvereine zu ziehen, nicht verwirklicht werden. 68 Die handschriftlichen Partituren und Stimmbücher befinden sich in folgenden Beständen: UB Leipzig, Vierstimmige Gesänge, N.I. 10346a–b (2 Bde., Stimmbuch von Friedrich Rochlitz); HMT Leipzig, Bibliothek/Archiv (insgesamt sechs Stimmbücher für Tenor 1,2 und Bass 2, Sign.: MS 24 und 25); SML (Tenor 1 und Bass 1 im MK 173 und Tenor 2, Bass 1 und 2 im MK 172) sowie GSA, Gesänge für die Liedertafel in Leipzig, 32/1476 (es handelt sich hierbei um die

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EINLEITUNG

Liedertafel und die Dessauer Liedertafel komponierten Männerchorgesänge,69 eine handschriftliche Partitur der Claudius-Liedertafel in Naumburg,70 drei Stimmbücher des Wöllnitzer Gesangvereins,71 einige undatierte Partituren aus dem Bestand der Gothaer Liedertafel,72 zwei Partituren und acht Stimmbücher der Akademischen Liedertafel in Halle/Saale,73 vier, wahrscheinlich aus dem Nachlass der 1844 gegründeten Liedertafel in Kranichfeld stammende undatierte Stimmbücher,74 eine Partitur und verschiedene Stimmbücher aus dem Teilnachlass des Erfurter Sängerkreises75 sowie verschiedene Partituren und Stimmbücher unterschiedlicher Provenienz im Thüringischen Landesmusikarchiv in Weimar.76

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Partitur des Leipziger Liedertaflers Johann Philipp Christian Schulz. Zu Schulz siehe unten S. 123). Es handelt sich insgesamt um vier Bände. Im ersten Band (ALW, Nachlass Schneider, Mus. Schn. XV:12) sind die Lieder für die Liedertafel in Leipzig in zwei Perioden (8. Mai 1808 bis 19. Juni 1810 und 12. Oktober 1813 bis 13. März 1820) aufgelistet. Die weiteren drei Bände beinhalten die während der Dessauer Zeit komponierten Männerchorlieder. Die Einträge im 2. Band (Mus. Schn. XV:13) umfassen den Zeitraum 23.5.1821 bis 14.12.1830; im 3. Band (Mus. Schn. XV:14) vom 6.1.1831 bis 4.8.1839 und im 4. Band (Mus. Schn. XV:15) vom 25.8.1839 bis 7.12.1847. Insgesamt sind in den vier Bänden 339 Lieder für Männerchor enthalten. StA Naumburg, Claudius-Liedertafel, Sa 250. Die Stimmbücher für Tenor 1, Bass 1 und Bass 2 befinden sich in SDFC, Bestand Gesangverein Wöllnitz, B 253). Diese Liederbücher tragen fast alle den Stempel der Gothaer Liedertafel und fallen aufgrund der enthaltenen Lieder ins zweite Drittel des 19. Jahrhunderts. UFB, 20 Männergesänge, Mus. 4° 65c,1; 8 Lieder für Männer-Gesang, Mus. 8° 65c,6; 21 vierstimmige Gesänge für Männerchor (Mus. 4° 65i,3) und 32 Gesänge Männerchor (Mus. 4°65i,4). ULB Halle, Singstücke für Männerstimmen, o. Sign. und Choräle für Männerstimmen, o. Sign. Siehe zur Geschichte der Akademischen Liedertafel und zum Inhalt des Notenmaterials EBERLRUF: Eine unbekannte Quelle. Die Stimmbücher enthalten jeweils 27 Heimat- und Naturgesänge für vierstimmigen Männerchor. StB Kranichfeld, Stimmhefte der Liedertafel Kranichfeld, o. Sign. Es handelt sich dabei um eine Partitur mit 22 geistlichen Gesängen (Sign.: 12/07/01) und vier dazugehörige Stimmbücher (Sign.: 12/07/03 und 12/07/04) sowie ein Stimmbuch (Bass 1) mit 81 weitgehend weltlichen Gesängen (Sign.: 12/07/03). Zum ganzen Bestand siehe StM Erfurt, Vereine und Freizeit, 12/07c. So sind in verschiedenen Nachlässen des Thüringischen Landesmusikarchivs der Hochschule für Musik in Weimar (HSA/ThLMA) folgende handschriftlichen Partituren und Stimmbücher zu finden: im „Nachlass Grötzner“ 13 Gesänge für Männerchor mit drei Stimmheften (Sign.: NGR 10); ein Stimmheft (Tenor 2) mit 40 Gesängen aus dem Liederbuch Gesangverein Lindenau (NGR 11). Im „Nachlass Arno Werner“ zwei Stimmbücher des Liederbuchs für Männerchor mit 16 weltlichen und geistlichen Gesängen für Männerchor von Kantor Wilhelm Konrad (Kantor in Zschornewitz bei Wittenberg) aus dem Jahr 1824 (AW B 1763) und aus dem Bestand „Rara“ eine Partitur mit 40 Gesängen für vierstimmigen gemischten und Männerchor: Liederbuch für gemischten und Männerchor (Rara 3.1), vier Stimmbücher der Liedertafel Wahlhausen mit 114 Gesängen (Rara 3.2a–c), ein Liederbuch für Männerchor (Rara 3.5), ein unvollständiges Stimmheft für Bass 2 (Rara 11.10) und die Komposition Die Macht des Gesanges von Conrad Kocher (1786–1872) auf einen Text von Friedrich Schiller (Rara 3.7) – jeweils ohne Provenienzangabe.

QUELLENKRITISCHE BEMERKUNGEN

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Neue Lieder, die von Vereinsmitgliedern eingebracht und durch Abstimmung angenommen wurden, mussten von den Sängern in die persönlich geführten Stimmbücher eingetragen werden. Außerhalb des Vereins entstandene Lieder, die untereinander ausgetauscht wurden, fanden ihren Platz im Fremdenbuch. Dadurch ist der Zugang der Lieder für den heutigen Betrachter chronologisch nachvollziehbar. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die handschriftlichen Exemplare von gedruckten Liederbüchern abgelöst. Im Unterschied zu den offiziell gedruckten Büchern scheinen die handschriftlichen Exemplare größere Realitätsnähe zu vermitteln. Während gedruckte Exemplare vor zensurbedingten Eingriffen nicht sicher waren, kursierten die handschriftlichen Liederbücher fern der Öffentlichkeit. Daher mussten potentielle Komponisten und Textdichter zwar auf den musikalischen und poetischen Geschmack der Vereinsmitglieder, jedoch nicht auf gesellschaftliche und politische Gegebenheiten besondere Rücksicht nehmen. So sind politisch brisante Gesänge eher in vereinseigenen Liederbüchern zu finden. Für die vorliegende Studie wurden nur Liedbeispiele herangezogen, deren Texte deutlich auf das aktuelle Zeitgeschehen Bezug nehmen beziehungsweise bürgerliche Freiheitsziele postulieren. Gesänge, die die Natur und die Landschaft beschreiben und scheinbar unpolitischen Charakter haben, erfüllten zwar mitunter „wichtige national-politische Zwecke“,77 bedürfen aber der Entschlüsselung unter Zuhilfenahme anderer Quellen.78 Die in Liedtexten verwendeten Naturmetaphern – wie zum Beispiel der oft gebrauchte „deutsche Wald“ als Sinnbild germanisch-deutscher Art und romantisch verklärter Sehnsuchtsort – entziehen sich konkreten Zuschreibungen und symbolisieren zumeist nationalpolitische Inhalte. Daher wurde auf die Interpretation solcher Lieder weitgehend verzichtet, die sonst den gesteckten Rahmen überschritten hätte.79 Von den zahlreichen mitteldeutschen Sängerfesten sind ebenfalls nur wenige Partituren und Stimmbücher erhalten geblieben, so vom ersten und fünften Liederfest des Thüringer Sängerbundes 1843 und 1847,80 dem ersten Sängerfest des Erfurter Sängerbundes 1844 in Erfurt,81 vom Sängerfest in Arnstadt 184682 und 77 KLENKE: Bürgerlicher Männergesang, S. 460. 78 Zur Verschlüsselung politischer Botschaften in Bildern aus dem Naturbereich siehe JÄGER: Politische Metaphorik, S. 12–47. 79 Vgl. dazu LEHMANN: Der deutsche Wald und KLENKE: Der singende „deutsche Mann“, S. 40 f. 80 Für das erste Liederfest 1843 in Gotha hat sich in eine lithografierte Partitur (Erstes Liederfest des Thüringer Sängerbundes [Partitur]) und für das fünfte Liederfest 1847 in Eisenach eine für beide Festtage zusammengebundene lithografierte Gesamtpartitur nebst 22 Stimmbüchern aus dem Nachlass der Gothaer Liedertafel erhalten (Gesänge zum fünften Liederfest). Daneben existiert im Stadtmuseum Erfurt noch eine weitere lithografierte Partitur (Sign.: Vereine und Freizeit, 12/07/01) nebst jeweils einem Stimmbuch (12/07/03 und 12/07/04) für den 1. Festtag des Eisenacher Liederfestes von 1847. 81 Es handelt sich insgesamt um ein handschriftliches Stimmbuch pro Stimmgruppe, siehe StM Erfurt, Vereine und Freizeit, 12/07/03 und 12/07/04.

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EINLEITUNG

vom 3. Gesangfest des Sängerbundes an der Saale in Merseburg 1848.83 Bei anderen Überlieferungen von Sängerfestprogrammen handelt es sich um gedruckte Liedtextsammlungen. So haben sich von den ersten fünf Liederfesten des Thüringer Sängerbundes (1843–1847), von vier Gesangfesten des Rothenburger Sängervereines zwischen 1843 und 1847, vom 2. und 3. Anhalt-Bernburgischen Gesangfest in Bernburg 1845 und Harzgerode 1846, vom 2. Gesangfest des Sängerbundes an der Saale 1847 in Naumburg jeweils Programmhefte und teilweise Festberichte erhalten.84 Die Männergesangvereine in Mitteldeutschland haben auch aus gedruckten Liederbüchern gesungen. Dazu gehören überregional bekannte Sammlungen wie der Orpheus,85 Ernst und Scherz86 und das von Albert Methfessel herausgegebene Allgemeine Commers- und Liederbuch.87 Des Weiteren kamen aber auch gedruckte Liedsammlungen von Gesangvereinen hinzu, wie z. B. die Landshuter Liedertafel, die im Teilnachlass der Liedertafel aus Pfiffelbach enthalten ist.88 Dieser Umstand zeigt einerseits, dass der Austausch von Liedern sich nicht nur auf die umgebende Region beschränkte und das Kommunikationsnetz Erweiterung erfuhr; andererseits ist er auch ein Zeichen dafür, dass sich ein gesamtdeutsches Kernrepertoire herausbildete.89 82 Neben einer lithografierten Partitur sind von allen Stimmen jeweils zwei Stimmbücher erhalten geblieben. Siehe Sängerfest 1846. 83 Die lithografierte Partitur war ein Geschenk des Merseburger Bürgergesangvereins an die Liedertafel in Halle. Siehe Gesänge des Sängerbundes an der Saale 1848. 84 Zu den zuletzt genannten Sammlungen siehe unten Kap. III.2. 85 Beim Orpheus, der ab Mitte der 1830er Jahre in Leipzig bei Friedlein & Hirsch herausgegeben wurde, handelt es sich um die erste und zugleich umfangreichste gedruckte Sammlung ihrer Art in Mitteldeutschland. Nach Gerhard Schmidt war sie ein „Spiegelbild der verfügbaren Literatur“ (SCHMIDT: Männerchorgesang, S. 123). Bände dieser 485 Kompositionen umfassenden und in 14 Folgen erscheinenden Sammlung befinden sich u. a. im Teilnachlass der Gothaer Liedertafel (UFB, Mus. 8° 65d/1c, Bd. 2, Nr. 1–41 und Bd. 14, Nr. 101–135) und im Teilnachlass der Liedertafel aus Remda (HSA/ThLMA, NLR). Auch wurde in diversen in Nachlässen erhaltenen Zirkularen mit Programmentwürfen auf die Nummer im Orpheus hingewiesen, was den verbreiteten Gebrauch unterstreicht. 86 Die von Ernst Julius Otto (zu Otto siehe unten S. 234, Anm. 695) herausgegebene Sammlung Ernst und Scherz (gedruckt bei Glaser, Schleusingen) lässt sich u. a. im Nachlass der Gothaer Liedertafel (UFB, Mus. 4° 65m/1, Bd. 1, H. 1–6) und im Teilnachlass der Pfiffelbacher Liedertafel (HSA/ThLMA, NLP 2) nachweisen. Auch diese Liedersammlung wurde bei Programmentwürfen oft als Quelle mit jeweiliger Nummer angegeben. 87 Das Allgemeine Kommers- und Liederbuch von Albert Methfessel (1785–1869), das erstmals 1818 erschien, enthielt dreistimmige Burschenlieder, Trinklieder, Volkslieder, Vaterlandsgesänge und Kriegs- und Turnlieder. Als Vorgänger der erst später gedruckten vierstimmigen Männerchorsammlungen erfreute sich diese Sammlung in den mitteldeutschen Gesangvereinen einiger Beliebtheit. – Zum aus Thüringen stammenden Methfessel, der 1823 die Hamburger Liedertafel gründete und 1832 als Hofkapellmeister nach Braunschweig ging, siehe SITTARD: Methfessel. 88 Landshuter Liedertafel. 89 Der Suhler Männergesangverein bezog sogar Noten direkt aus der Schweiz. Es handelt sich dabei u. a. um einige Hefte von Hans Georg Nägelis Sammlungen für Männerchöre, wozu Der

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Zu den mit Notentext versehenen gedruckten Liederbüchern kommen noch von einzelnen Vereinen herausgegebene Liedtextsammlungen hinzu. Darin wird neben dem Text und dem Textdichter noch der jeweilige Komponist angegeben.90 Vermutlich handelt es sich dabei um Repertoirestücke, die auswendig gesungen wurden. Auch konnten ohne Noten mehr Texte in einem Band untergebracht werden. Der jeweilige Notensatz war im Zweifelsfall der Partitur oder den Stimmbüchern zu entnehmen. So ist zwar ohne Noten keine Musikanalyse, aber doch eine Liedtextanalyse möglich, die durch die Angaben über Textdichter und Komponisten in einen weiteren Kontext gestellt werden kann. Festschriften Die umfangreichste Quellengattung stellt die schier unüberschaubare und heute oft nur schwer nachzuweisende Festschriftenliteratur dar.91 Fast jeder Männergesangverein brachte zu Vereinsjubiläen gedruckte oder ungedruckte Festschriften heraus. Hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung und Gewichtung ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Während der Autor der Geschichte der Magdeburger Liedertafel jedes Vereinsjahr nach Ereignissen vergleichsweise ausführlich behandelt und die hinzukommenden Mitglieder erwähnt,92 beschränken sich die Ausführungen zum 90-jährigen Bestehen der Dessauer Liedertafel auf die Schilderung des Stiftungsfestes und der dabei festgesetzten Statuten.93 Während einige wenige Festschriften ein ausführliches Mitgliederverzeichnis mit Berufsangaben aufweisen,94 findet man bei den meisten Autoren kaum mehr als die Nennung der Namen von jeweiligen Gründungsmitgliedern. Gerade die Liste von Mitgliedern und deren Profession gibt wichtige Auskünfte über die soziale Zusammensetzung und gesellschaftliche Ausrichtung. Auch von den in den Gesangvereinen gesungenen Liedern, die sowohl vom künstlerischen Anspruch als auch von der politischen Gesinnung zeugen, geben die Festschriften oft nur sporadisch Auskunft. Diesbezüglich verweisen die Verfasser der Festschriften eher auf die handgeschriebenen oder im Druck herausgegebenen Liederbücher. Nur selten werden einzelne Konzertprogramme oder Programme von Gesangfesten

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schweizerische Männergesang und das Allgemeine Gesellschaftsliederbuch gehörten. Siehe dazu StA Suhl, Magistrat Suhl, Vereine, 2.1./5330. Zu Nägeli (1773–1837) siehe unten Kap. III.1, S. 71–74. Liedtextsammlungen gaben die Liedertafel aus Halle (Gesänge der Halleschen Liedertafel) und die Liedertafel aus Magdeburg (Texte zu handschriftlichen Melodien) heraus. Gerade die ungedruckten Festschriften kursierten nur unter den Vereinsmitgliedern und sind meist zusammen mit dem Nachlass verloren gegangen. Siehe HÄSELER: Magdeburger Liedertafel. Siehe WÄSCHKE: Dessauer Liedertafel. Siehe u. a. WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 110–126; MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 191 ff.; ELIS: Liedertafel zu Halberstadt, S. 48–59 und REUSCHE/HARTUNG (Hg.): Leipziger Liedertafel, S. 241–260.

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EINLEITUNG

angegeben.95 Wie ausführlich die jeweiligen Beschreibungen auch ausfallen, so bleibt allen Festschriften gemein, dass sie kaum über den Stand einer bloßen Chronik hinausgehen. Erst in den Festschriften der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geraten soziologische und allgemein historische Fragestellungen in den Fokus der Betrachtungen.96 Da es sich bei den Autoren zumeist um Mitglieder des Vorstands oder um die Schriftführer des Vereins handelt, ist der Inhalt zumeist subjektiv gefärbt. So kommt es oft zu einseitigen Darstellungen von Ereignissen und Entwicklungen. Zwar geben die Festschriften über die Geschichte, die Aktivitäten und die Mitglieder des Vereins Auskunft, lassen aber kritische Phasen und kontroverse Auseinandersetzungen im Verein meist unerwähnt. Auch gesellschaftliche und politische Intentionen der Mitglieder finden darin kaum Berücksichtigung. Dies mag zum einen mit der Ablehnung politischer Inhalte in Gesangvereinen im Allgemeinen, zum anderen mit Rücksichten auf gerade herrschende politische Zustände im Besonderen zu tun haben. Es ist daher für die Einschätzung der objektiven Qualität der Festschrift unabdingbar, die Stellung des Autors zum Verein und dessen politische Gesinnung, die Entstehungszeit der Festschrift sowie den speziellen historischen Kontext zu berücksichtigen. Andererseits sind gerade die älteren Festschriften aus dem 19. Jahrhundert bezüglich der Gründungsumstände und der Frühgeschichte der Vereine unverzichtbar. Deren Autoren konnten noch auf originale Akten zurückgreifen, die heute oftmals verschollen sind. Vereinsprotokolle und Korrespondenz In den bis heute erhaltenen Nachlässen von Männergesangvereinen vor 1848 sind größtenteils die Protokolle der periodisch durchgeführten Übungsstunden und Mitgliederversammlungen überliefert.97 Hinzu kommen vereinzelt Korrespondenzen mit benachbarten und befreundeten Vereinen, mit denen sie Lieder austauschten oder gemeinsame Gesangfeste und Sängerfahrten planten.98 In den Protokollen werden unter anderem Anwesenheitslisten geführt, Abstimmungsergebnisse notiert, Neuzugänge bestätigt sowie neu aufgenommene und gerade gesungene Lieder aufgelistet. Meist gehen diese Niederschriften nicht über informelle Notizen hinaus. Während den Protokollen daher meist nur statistischer 95 So bspw. in BEYER: Jenaer Männergesangverein und MÜLLER: Dresdner Orpheus. Dort nahmen die Autoren mehrere Programme in die Chroniken auf. 96 Siehe dazu v. a. die Festschriften Kötzschkes über die Leipziger Universitäts-Sängerschaft St. Pauli und die Dresdner Liedertafel (100 Jahre Dresdner Liedertafel). 97 In seltenen Fällen umfasst die Überlieferung die gesamte Lebensdauer eines Vereins. Als eine der wenigen Ausnahmen sind die vier ausführlichen Protokollbände der 1815 gegründeten Leipziger Liedertafel anzusehen, die die regelmäßigen Vereinsversammlungen vom 24. Oktober 1815 bis zum 28. März 1842 umfassen. SML, MK 170 und 171. 98 Eine ausführliche Korrespondenz über die Durchführung des 5. Liederfestes des Thüringer Sängerbundes 1847 in Eisenach führten die Liedertafel in Eisenach und die Liedertafel des Erfurter Musikvereins, die konträre Ansichten vertraten. Siehe dazu unten S. 181, Anm. 429.

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Wert zukommt, gibt die Vereinskorrespondenz schon eher über die Mentalität einzelner Mitglieder oder des Vereins als Institution Auskunft. Das hängt wiederum vom Grad der Verbundenheit mit dem angeschriebenen Verein ab. Hauptsächlich geht es in der Vereinskorrespondenz um Terminabsprachen und den Austausch von Liedern. Satzungen Die Satzungen der Männergesangvereine mussten zur Genehmigung dem Magistrat oder der übergeordneten Polizeibehörde vorgelegt werden.99 Erst wenn ein positiver Bescheid vorlag, konnte ein neuer Männergesangverein offiziell bestehen. Dieser administrative Vorgang ist von Bedeutung, wenn es um die qualitative Einordnung dieser Quellengattung geht. Aufgrund der Möglichkeit, dass eine Vereinsgründung nicht genehmigt werden konnte, sind die eingereichten Statuten sehr allgemein gehalten und enthalten sich jeglicher direkter politischer Aussagen.100 Zumeist ist im ersten Paragrafen allgemein von der Pflege des Gesanges und der sittlichen Veredelung der Mitglieder durch den Gesang die Rede. Daher können anhand der Statuten keine objektiven Aussagen über die politische Gesinnung der Mitglieder getätigt werden. Stattdessen ist den Gesetzen zu entnehmen, ob es sich bei der jeweiligen Gesangvereinigung um einen eher exklusiven und zahlenmäßig begrenzten Kreis – wie die „Liedertafel“ – oder um einen eher offenen Zusammenschluss von Personen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten – wie den „Liederkranz“ – handelt.101 Statistiken Zu den für die vorliegende Arbeit verwendeten Vereinsstatistiken zählen in erster Linie die Mitgliederverzeichnisse und die Auflistungen von Vereinsgründungen und Sängerfesten.102 Die Mitgliederlisten geben über die jeweilige Größe und die 99 Von einigen der mitteldeutschen Männergesangvereine haben sich die ursprünglichen Satzungen erhalten, so u. a. von der 1815 gegründeten Leipziger Liedertafel (SML, Gesetze der Leipziger Liedertafel, MK 170, von der 1837 gegründeten Gothaer Liedertafel (StA Gotha, Liedertafel, 0908, Bl. 22r–26v), von dem 1838 gegründeten Magdeburger Lehrergesangverein (LEINUNG: Magdeburger Lehrergesangverein (1898), S. 7 ff.), vom 1843 gegründeten Thüringer Sängerbund (STORCH: Thüringer Sängerbund, S. 20–24) und vom Constantia-Sänger-Verein (JENRICH/POHLE (Hg.): Quedlinburger Männer-Gesang-Verein, S. 68 ff.). 100 Siehe dazu u. a. die Statuten der Dessauer Liedertafel (siehe unten S. 100 f.), der Leipziger Liedertafel (siehe oben Anm. 94) und des Thüringer Sängerbundes (siehe unten S. 164). 101 Zur „Liedertafel“ und zum „Liederkranz“ siehe unten S. 70–73. 102 So wurden in folgende Festschriften Mitgliederverzeichnisse eingefügt: WEBER: Magdeburger Liedertafel, HÄSELER: Magdeburger Liedertafel und MÜLLER: Dresdner Orpheus. Für die Auflistung der Vereinsgründungen wurden verwendet: Jahrbuch des Deutschen Sängerbundes, Bd. 2, 1927, S. 154–195 und verschiedene Verbandszeitschriften. Siehe dazu unten Anhang 2, S. 334 ff. Zu der Auflistung von Sängerfesten wurde das Verzeichniss deutscher Musik- und Gesang-Feste durchgesehen. Siehe dazu unten Anhang 1, S. 329 ff.

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EINLEITUNG

soziale Struktur der Vereine Auskunft. Auch können anhand der Mitgliedslisten Persönlichkeiten ausfindig gemacht werden, die über das Vereinsleben hinaus sozial und politisch engagiert waren.103 Die Verzeichnisse von Vereinsgründungen zeigen deren Zeitpunkt, Ort sowie Art und Weise an und geben Aufschluss über die Verbreitungsdichte der Gesangvereine. Von den Auflistungen der Sängerfeste lassen sich Rückschlüsse auf die Zentren der Gesangvereine sowie die Existenz und die Lebensdauer von Sängerbünden ziehen.104 Zeitschriften und Zeitungen Die Vereinspublizistik im mitteldeutschen Raum setzte erst nach dem Untersuchungszeitraum ein. Diese Quellengattung, die oft tendenziöse Züge aufweist,105 konnte daher bis auf eine Ausnahme nicht berücksichtigt werden. Als einzige zeitgenössische Quelle kam jedoch die in Dresden redigierte und in Schleusingen herausgegebene Zeitschrift Teutonia in Betracht.106 Sie sollte „dem künftigen Musikhistoriker eine reiche, möglichst vollständige und zuverlässige Materialsammlung“107 über den deutschen Männergesang in die Hand geben. Auch war es ein Anliegen der Herausgeber, den deutschen Männergesangvereinen als Publikationsorgan zu dienen, theoretisches Rüstzeug und Literaturempfehlungen zu liefern und die Bedeutung des Männergesangs für die Gesellschaft im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Ferner sollten die deutschen Gesangvereine miteinander in Verbindung gebracht und dadurch ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl evoziert werden. Am Anfang der ersten Nummer von 1846 kommen im Vorwort unter der Überschrift „Was wir wollen“ – wahrscheinlich aus zensurbedingten Gründen – erst am Schluss deutlich politische Absichtserklärungen zum Ausdruck. Unter dem Rückgriff auf den alten Wahlspruch der Turner „Frisch, fromm, fröhlich und frei“ steht der politisch intendierte Anspruch: „Wir wollen Wahrheit und Recht.“108 Hinter jenen Worten, die so oft in politisch konnotierten Trinksprüchen und Liedtexten verwendet wurden,109 103 104 105 106

Siehe dazu unten S. 212–215 und S. 223 f. sowie S. 236–239. Siehe dazu Anhang 1, S. 329 ff. BRUSNIAK: Fränkischer Sängerbund, S. 8. Fast vollständige Jahrgänge liegen nur in ULB Halle (Sign.: Ed 100), im RWM (Sign.: 2882–2884) und in SB Bamberg (Sign.: 22/Z 1560) vor. In der UStB Köln (Sign.: RHK 1919) sind nur die Nr. 4 und 5 des Jahrganges 1847 vorhanden. Nach Auskunft von Prof. Dr. Friedhelm Brusniak (Würzburg) vom 31.01.2012 ist es vorgesehen, die Teutonia in der Feuchtwanger Dokumentations- und Forschungsstelle vollständig zu digitalisieren und zur Verfügung zu stellen. 107 EBD., Nr. 1, 1846, S. 6. 108 EBD., S. 10. 109 Siehe dazu u. a. die beim 5. Liederfest des Thüringer Sängerbundes 1847 gesungenen Lieder Thüringerlied und Der Sänger (siehe unten S. 193), das beim Dresdner Konstitutionsfest am 4. September 1843 erklungene Lied Freier Männer freies Wort von Johann Gottlob Müller (unten S. 247 f.), das Lied Je länger je lieber von Wilhelm Friedrich Kunze (unten S. 128 f.), den Trinkspruch Ernst Ludwig Wittigs beim Stiftungsfest des Dresdner Sängerkranzes am 7. März 1847

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verbergen sich die liberalen Freiheitsziele der Presse- und Meinungsfreiheit und der Gewährung von Bürgerrechten. Trotz der ausgeübten Zensur, die erst für die Nr. 7 des Jahres 1848 aufgehoben wurde,110 diente die Teutonia somit auch als Organ der Propagierung der politischen Ziele der deutschen Männergesangbewegung. Das ließen die Redakteure in eigenen Verlautbarungen sowie innerhalb von Berichten über Sängerfeste einfließen.111 Die Redaktion sah die Übermittlung politischer Botschaften als einen wesentlichen Inhalt der Berichterstattung an. Die Zusammentragung von statistischen Angaben über deutsche Gesangvereine und Sängerfeste sowie die Propagierung politischer Zielsetzungen der Männergesangbewegung machen die Teutonia zu einer unverzichtbaren Quelle für die Erforschung des deutschen Männergesangs bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Konzert- und Festprogramme Programme von Konzerten, die von einzelnen oder mehreren Gesangvereinen veranstaltet wurden, geben in erster Linie Auskunft über die dabei gesungenen Lieder. Anhand der angegebenen Titel sind Rückschlüsse auf das Repertoire, Vorlieben und das Leistungsvermögen der jeweiligen Gesangvereine und die inhaltliche Ausrichtung der Veranstaltung möglich. Wenn Ort und Anlass der Konzerte Erwähnung finden, können Aussagen darüber gemacht werden, ob das Konzert z. B. einen religiösen, einen karitativen oder gar einen politischen Charakter hatte. Die Festprogramme über abgehaltene Sängerfeste enthalten gegenüber den Konzertprogrammen in der Regel zusätzlich die Texte der gesungenen Lieder.112 Wenn eine Festbeschreibung beiliegt, kann ein konkretes Bild über die Vorbereitungen, Abläufe, Personen, teilnehmende Vereine und Ehrengäste sowie

(unten S. 260 f.) und das bei der Magdeburger Lehrerversammlung vom 6. Juni 1844 in Grunewalde verlesene Gedicht von Friedrich Wilhelm Harkort (unten S. 219 ff.). 110 Über dem Titel der Zeitschrift stand in fetten Lettern: „Erste censurfreie Nummer.“ Siehe Teutonia, Nr. 7, 1848, S. 97. 111 So fand bspw. der beim Gesangfest des sächsischen Hochlands-Sängervereins am 29. Juli 1846 in Neustadt/Sachsen gehaltene Trinkspruch des Juristen und radikal-demokratischen Politikers Wilhelm Michael Schaffrath (zu Schaffrath siehe unten S. 157, Anm. 300) beim Festbericht der Teutonia besondere Berücksichtigung. Dort wurden musikalische Termini bewusst auf politische Ereignisse übertragen, um die Bedeutung des Männergesangs für die politische Opposition hervorzuheben. So bezeichnete Schaffrath die Jahre 1816–1818 mit lento und adagio, das Jahr 1819 mit den Karlsbader Beschlüssen als „Pause“, „die jetzt noch fortdauert und nur beim Geben von provisorischen Ausnahmegesetzen einem presto, beim Aufheben derselben aber einem adagio oder lento Platz mache.“ Am Schluss des Trinkspruches stand die Forderung: „Weg mit dem Adagio, dem gemässigten Fortschritte, wo man nach jedem Schritte eine Pause macht. Der Fortschritt im Guten, Rechten in der Freiheit muss presto, prestissimo sein; diesem ein Hoch!“. Siehe Teutonia, Nr. 21, 1846, S. 327. 112 Siehe dazu u. a. die Festprogramme der Liederfeste des Thüringer Sängerbundes von 1843–1847 (siehe Kap. IV.3.2) und das Programm des Zweiten Jahresfestes des Sängerbundes an der Saale 1847 in Naumburg.

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EINLEITUNG

über den Festort gewonnen werden.113 Waren dem jeweiligen Autor darüber hinaus Zielstellungen des deutschen Männergesangs im Allgemeinen und die des zu beschreibenden Festes im Besonderen als wesentlich erschienen, ist es möglich, auch Auskünfte über die gesellschaftliche Bedeutung oder gar etwas über die politische Ausrichtung der jeweiligen Gesangfeste zu erhalten. So ging der Dichter und Schriftsteller Ludwig Storch in seiner Besprechung des 1. Liederfestes des Thüringer Sängerbundes ausführlich auf die gesellschaftliche Bedeutung des deutschen Männergesangs und des deutschen Liedes ein, das er als „Wunderheilmittel, die wahre Panacee der Zeit“114 bezeichnete. Theobald Buddeus, der Berichterstatter vom vierten Liederfest 1846 in Arnstadt, hielt es für wichtig darauf hinzuweisen, dass „unangefochten von verkrüppelnder Censur“ das Wort zum ersten Mal „frei [...], wie es der Brust entquillt, frei über unsere Lippen strömen [darf]“.115 Der Textautor und Berichterstatter des letzten Liederfestes des Thüringer Sängerbundes, Hermann Jäger, sprach in seiner Festbeschreibung vom Thüringer Sängerbund als „Republik des singenden Thüringens“.116 Auch wies er ausdrücklich auf die Parallelen zum Wartburgfest 30 Jahre zuvor hin.117 Methodik Da die aufgeführten Quellengattungen in ihrer Ergiebigkeit recht heterogen sind, müssen möglichst mehrere unterschiedliche Quellen für eine angemessene Interpretation herangezogen und verglichen werden. So bleibt beispielsweise die Auslegung der Liedtexte, die in der vorliegenden Arbeit zu den Hauptquellen zählen, nicht bei einer rein philologischen Herangehensweise stehen. Hinsichtlich der historischen Einordnung des Textes bedarf es der Kenntnis des zeitgenössischen Kontextes. Dafür ist es notwendig, allgemein- und regionalgeschichtliche Literatur heranzuziehen. Für den Lebenshintergrund der Komponisten und Textdichter sowie der über Gesangfeste berichtenden Publizisten und der Festredner ist auf biografische Literatur und Lexika zurückzugreifen.118 Auch muss, sofern möglich, eine Musikanalyse des Notentextes erfolgen. Dadurch können unter anderem Textinterpretationen der Komponisten anhand der Tonalität, der Harmonik und 113 Siehe dazu die Festberichte des 1., 3., 4. und 5. Liederfestes des Thüringer Sängerbundes (siehe Kap. IV.3.2) und die Berichte über die Gesangfeste des Rothenburger Sängervereins (siehe dazu unten S. 81, Anm. 90). 114 Siehe STORCH: Thüringer Sängerbund, S. 20. Zu Storch (1803–1881) siehe unten S. 195 ff. und S. 199–202. 115 BUDDEUS: Viertes Liederfest, S. 12 (Hervorhebungen im Original). 116 J[ÄGER]: Fünftes Liederfest, S. 9 (Hervorhebung im Original fett gedruckt). 117 Siehe EBD., S. 36. 118 Dazu zählen diverse einschlägige musikalische (u. a. MGG 1 und 2; Quellen-Lexikon) und germanistische Lexika (u. a. Anhalt’sches Schriftstellerlexikon) sowie Deutsche Biographie (ADB und NDB). Weiterhin dienten zur Erhellung des biografischen Kontextes auch Artikel in regionalen und lokalen Zeitungen und Zeitschriften.

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verschiedener dynamischer Angaben zum Vorschein gebracht werden. Bezüglich der Fragestellung und der Quellenlage ergibt sich für die vorliegende Arbeit folgende verschiedene Disziplinen kombinierende Vorgehensweise: Im Kapitel II erfolgt eine Einbettung der zu behandelnden Thematik in die allgemeinen historischen Zusammenhänge. Da der Frühliberalismus als politische Bewegung einen wesentlichen Ursprung der bürgerlichen Bewegung und damit auch der deutschen Sängerbewegung als Teil derselben darstellt, werden dessen Geschichte und Ziele hier genauer dargelegt. Daneben erfährt das Vereinswesen als Betätigungsfeld frühliberalen Denkens und Handelns eine besondere Berücksichtigung. Unter dem Dach und Schutz von Vereinen konnten sich oppositionelle Bewegungen wie die Turn- und Gesangvereine ausbilden und formieren. Der Standortbestimmung der Sängerbewegung im politischen Geschehen in Mitteldeutschland dient die Darstellung anderer Formen der regionalen Opposition zwischen Wiener Kongress und bürgerlicher Revolution. Dabei spielen die für die Erforschung der deutschen Männergesangvereine bisher kaum berücksichtigten Oppositionsbewegungen der protestantischen „Lichtfreunde“ und der Deutschkatholiken eine besondere Rolle. Um die Entwicklung und die Artikulation politischer Ziele der Männergesangbewegung besser verstehen und einordnen zu können, ist es notwendig, deren Ursprünge zu kennen. Daher steht im Kapitel III die geschichtliche Entwicklung der deutschen Männergesangbewegung bis 1848/49 allgemein und der in Mitteldeutschland besonders im Mittelpunkt der Ausführungen, wobei Letztere erstmals eine Zusammenfassung erfährt. Im vierten Kapitel wird an konkreten Beispielen dargestellt, auf welche Art und Weise während des Vormärzes bis hin zur bürgerlichen Revolution politische Botschaften und Ziele in gesungenen Liedern, gehaltenen Reden und dargebrachten Trinksprüchen auf Gesangfesten und politischen Massenveranstaltungen zum Ausdruck kamen. Dabei werden jeweils möglichst mehrere Quellengattungen – wie vornehmlich Festschriften, Partituren und biografische Zeugnisse – in Beziehung gesetzt und interpretiert. Am Beginn der Fallbeispiele stehen mit der Dessauer und der Leipziger Liedertafel zwei Gesangvereine im Mittelpunkt, die in der Frühphase des Vormärzes bis zur Julirevolution von 1830 oppositionelles Gedankengut in Form von intern gesungenen Liedern artikulierten. Die Darstellung der Liederfeste des 1843 ins Leben gerufenen Thüringer Sängerbundes soll exemplarisch zeigen, wie öffentliche Sängertreffen für politische Zwecke benutzt wurden. Bisher war das in der Forschungsliteratur nur beim fünften Liederfest 1847 in Eisenach der Fall. Anhand ausgewählter Magdeburger und Dresdner Männergesangvereine werden verschiedene Verbindungslinien zur religiösen Oppositionsbewegung der „Lichtfreunde“ auf evangelischer Seite (Magdeburg) und den Deutschkatholiken auf katholischer Seite (Dresden) aufgezeigt. Auch das Zusammenwirken der Männergesangvereine mit oppositionellen Politikern spielt eine wesentliche Rolle. Am Schluss der Ausführungen im vierten Kapitel steht die Darstellung des Engagements bedeutender Musiker für die

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EINLEITUNG

bürgerliche Bewegung durch Kompositionen für Männerchor. Anhand des Festgesangs Felix Mendelssohn Bartholdys zum Leipziger Gutenbergfest 1840 und der Deutschen Freiheitsgesänge von Robert Schumann anlässlich des Ausbruchs der Revolution 1848 sowie persönlicher Zeugnisse werden Aspekte der jeweiligen politischen Gesinnung der Komponisten herausgestellt. Das zusammenfassende fünfte Kapitel präsentiert den erreichten Forschungsstand über den Männergesang im mitteldeutschen Raum und eröffnet Perspektiven für künftige Forschungen.

II. Politische Leitideen und Organisationsformen der bürgerlichen Bewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Das Verfassungsversprechen beim Wiener Kongress wurde in den Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes in der Folgezeit entweder nur teilweise oder gar nicht eingelöst.1 Bei vielen Bürgern blieb nach den Befreiungskriegen daher eine große Enttäuschung zurück: Sie hatten zwar erfolgreich für das Vaterland gekämpft, durften aber weiterhin politisch nicht partizipieren. Als politische bürgerliche Bewegung, die den Rechts- und Verfassungsstaat durchsetzen, den Einzelnen gegen den Staat absichern und auch zur Teilhabe an politischen Entscheidungen befähigen wollte, setzte nun der deutsche Frühliberalismus um 1815 ein. Bis zum Ende des Vormärzes vereinten dessen Leitideen vom deutschen Nationalstaat und der politischen Emanzipation unterschiedliche bürgerliche Oppositionsbewegungen. Diese frühliberalen Strömungen organisierten sich hauptsächlich unter dem Dach von Vereinen und nutzten Periodika als Mittel des Austauschs und der Verbreitung politischer Meinungen. Dazu gehörten die liberale Bewegung und die aus ihr hervorgehende politische Strömung der Demokraten.2 Auch auf kirchlicher Seite gab es Formen der Opposition, die aufgrund der engen Verzahnung von Staat und Kirche politische Züge trugen. Die „Lichtfreunde“ und die Deutschkatholiken waren im mitteldeutschen Raum ein integraler Bestandteil der bürgerlichen Oppositionsbewegungen sowie institutionell und personell teilweise eng mit der Männergesangbewegung verbunden.3

1.

Frühliberalismus und Leitideen der bürgerlichen Bewegung

Der Liberalismus ist die älteste der modernen politischen Bewegungen und „eine der stärksten gemeineuropäischen Bewegungsmächte“.4 Der seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert vor allem aus England stark vordringende Liberalismus war 1 Siehe oben S. 12. 2 Bei der Abspaltung der Demokraten handelte es sich um einen nicht linearen und regional unterschiedlich verlaufenden schleichenden Prozess. Die Programmatik wies daher oft nur graduelle Unterschiede auf. Daher tragen die folgenden Ausführungen idealtypischen Charakter. 3 Siehe dazu ausführlich Kap. IV.4 und unten S. 253–256. 4 WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 2, S. 413. – Zum Liberalismus in Deutschland siehe FRÖLICH: Liberalismus und LANGEWIESCHE: Liberalismus. Zu den politischen Bewegungen, aus denen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die modernen politischen Parteien hervorgingen, zählen weiterhin der Konservatismus, der politische Katholizismus, der Nationalismus und der Sozialismus. Siehe dazu WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 2, S. 413–457.

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LEITIDEEN UND ORGANISATIONSFORMEN

eine breit gefächerte Strömung mit unzähligen mehr oder weniger ausgeprägten Varianten, die von Land zu Land wechselten. Eine generelle Charakterisierung ist daher nicht möglich. Nach Wehler sind vier den kontinentalen Liberalismus kennzeichnende Zielsetzungen festzustellen: eine auf Mitwirkung und Mitverantwortung beruhende repräsentative Verfassung, die Beseitigung der feudalen Privilegienordnung und der Umbau zu einer bürgerlichen Gesellschaft, eine selbst geregelte Marktwirtschaft sowie die Loslösung von traditionellen Fesseln, die autonom und selbstverantwortlich handelnde Individuen ermöglicht.5 Die Bewegung des Liberalismus repräsentierte die Interessen, die Denkweise und die gesellschaftlich-politischen Ziele des aufstrebenden Bürgertums. Im Vormärz wurde er primär durch die Bildungsschicht, die akademische Elite, Beamte in der Verwaltung und Justiz, Ärzte, Pastoren und Gymnasiallehrer, aber auch durch Anwälte und Journalisten als Angehörige neuer ,freier‘ Bildungsberufe repräsentiert. Daneben spielte vor allem in kleineren Staaten das städtische Gewerbe- und Kleinbürgertum und das größere Bauerntum im sozialen Spektrum des Liberalismus eine erhebliche Rolle.6 Unterhalb der überregional bekannten intellektuellen Wortführer bildete der Mittelstand, vor allem in den Jahren nach 1830, die Massenbasis der liberalen Bewegung.7 Der Liberalismus war zwar im zu untersuchenden Zeitraum die größte und wirkungsmächtigste Emanzipationsbewegung, wurde aber nicht zu „einer Staat und Gesellschaft umprägenden, beherrschenden Macht“,8 wodurch liberale Ideen und Vorstellungen leicht diskreditiert und als überholt abgetan werden konnten. Der Einfluss auf staatliches Handeln beschränkte sich nur auf Verwaltungsakte, Kammergesetze, ökonomische Erfolge oder langwierige Mentalitätsveränderungen in kleinen Schüben.

1.1 Leitideen des Frühliberalismus Im Zentrum der liberalen Grundrechtsforderungen standen die Individualrechte, d. h. vor allem Gewissens- und Religionsfreiheit und Sicherheit von Eigentum und Person. Hinzu kamen Rechte, die eine Öffentlichkeit entstehen ließen. Dazu gehörte in erster Linie eine freie Presse, die als unverzichtbar für ein funktionsfähiges Repräsentationssystem angesehen wurde. Ohne Pressefreiheit konnte es keine Freiheit des Staatsbürgers und keine Hoffnung auf ein gesamtdeutsches Staatsgebilde geben. Durch Pressefreiheit konnte auch der Meinungsfreiheit, einer weiteren wichtigen liberalen Forderung, Raum gegeben werden. Nach konservativer Vorstellung sollte es nur Freiheit zur Wahrheit geben. Die Liberalen 5 6 7 8

EBD., S. 413. HARDTWIG: Vormärz, S. 142. Im älteren Wortsinn waren damit „Gebildete“, im neueren kleine Gewerbebürger gemeint. Siehe EBD. WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 2, S. 416.

FRÜHLIBERALISMUS

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strebten aber auch die Freiheit zum Irrtum und zur Unwahrheit an, da niemand das Wahrheitsmonopol innehabe. Ihrer Meinung nach würde die Wahrheit nur in einem langen Prozess der Diskussion unterschiedlicher Meinungen entstehen. Dieses liberale Erbe ist bis heute tief im Bewusstsein verankert. Auch dahinter verbirgt sich die optimistische Annahme, dass sich die „vernünftige“ Wahrheit gegenüber Irrtümern, Dummheit und Unbildung letztendlich durchsetzt. Dieser langwierige Prozess konnte ohne öffentliche Meinung nicht in Gang gesetzt werden. Genauso wichtig war den Liberalen das Recht der freien Vereinigung. Der Verein „galt ihnen als zentrale Gestaltungsform der neuen nach-ständischen, bürokratischer Bevormundung entzogenen ,bürgerlichen Gesellschaft‘.“9 Nur dort konnte sich wirkliches bürgerliches Leben entfalten und auf die Gesellschaft ausstrahlen. Gleiches Wahlrecht für alle Männer gehörte hingegen nicht zum liberalen Grundrechtskatalog.10 Die Gleichheit vor dem Gesetz zog für die Liberalen nicht die Gleichheit von Besitz und Macht nach sich. Damit sollte durch einen mäßigen Zensus die Machtübernahme durch Mittellose verhindert werden, ohne jedoch kleinere und mittlere Besitzende auszuschließen. Bis zur Jahrhundertwende war die mittelständische Orientierung prägend für die liberale Bewegung und ließ die politische Ausgrenzung unterer Schichten als „Übergangsstufe und Erziehungshilfe auf Zeit erträglich erscheinen“.11 Die konstitutionelle Monarchie war für die Vertreter der Liberalen der angestrebte Garant der auf Vernunft und Freiheit gegründeten Gesellschaft. In der Verfassung wollte man sowohl Willkür von oben als auch von unten ausschließen. Der angestrebte liberale Rechtsstaat hatte beim politischen Wandel historisch Gewordenes zu berücksichtigen und vor revolutionärem Vorgehen zu schützen. Die Liberalen erkannten mit der konstitutionellen Monarchie auch in Grundzügen das „monarchische Prinzip“ an.12 Nach diesem verfügte der Monarch über den Staatsapparat, erließ Verordnungen, vertrat den Staat nach außen, entschied über Krieg und Frieden, ernannte und entließ Minister. Die weitreichende Kompetenz sollte nach liberaler Ansicht durch die Rechte für die Staatsbürger eingeschränkt werden, wodurch sich die konstitutionelle Monarchie grundlegend von der absoluten unterschied. Die Liberalen entmythologisierten durch die angestrebte Verfassung die dynastische Herrschaft, was laut Langewiesche zu den „herausragenden Verdiensten des Liberalismus“ gehört.13

9 LANGEWIESCHE: Liberalismus, S. 22. Zum Vereinswesen siehe unten Kap. II.2. 10 Für den Frühliberalismus stand die Frau „außerhalb der politisch vollberechtigten Staatsbürgergesellschaft“. Siehe LANGEWIESCHE: Liberalismus, S. 23. 11 EBD. 12 Zum „monarchischen Prinzip“ siehe HEUN: Das monarchische Prinzip. 13 LANGEWIESCHE: Liberalismus, S. 25.

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LEITIDEEN UND ORGANISATIONSFORMEN

Das liberale Programm beinhaltete also im Wesentlichen folgende Forderungen: die persönliche Freiheit des Individuums, die Zurückdrängung der Bevormundung durch Klerus und Staat, die juristische Gleichheit aller Menschen, den Anspruch auf Selbstverwirklichung, den Schutz des Eigentums, die ungehinderte Entfaltung der gesellschaftlichen Kräfte, die rechtliche Garantie der individuellen Freiheit und die Partizipation der Bürger an der Machtausübung.14

1.2 Abspaltung der Demokraten und deren Leitideen In den 1840er Jahren wurde deutlich erkennbar, dass sich der Liberalismus als hochkomplexe und heterogene politische Bewegung zunehmend aufsplitterte. So entstand eine neue radikale Strömung, die eine allmähliche organische Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse ablehnte und in der Republik ihr politisches Hauptziel sah.15 Noch bis zum Ende der Regierungszeit Friedrich Wilhelms III. hatten viele Liberale mit ihrem antirevolutionären „etatistische[n] Optimismus“ noch auf die reformstaatliche Tradition Preußens gebaut.16 Ihre hochgespannten Erwartungen wurden aber durch die konservative und restaurative Politik Friedrich Wilhelms IV. enttäuscht. Dadurch zerfiel die Allianz von Staat und Emanzipation endgültig, was der radikalen Bewegung machtvollen Auftrieb gab. Reform und Emanzipation erschienen nun nicht mehr mit, sondern nur noch gegen den Staat möglich. Der politische Radikalismus entstand außerhalb der Kammerdebatten und liberalen Publizistik in eigenen Zirkeln, Zeitschriften und nicht zuletzt im Exil. Es bildeten sich in den 1840er Jahren mit der konstitutionellen und der demokratischen Richtung zwei unterschiedliche liberale Strömungen heraus, deren Zielsetzungen jedoch nicht kategorisch unvereinbar waren. Während die Konstitutionalisten aus Angst vor revolutionärem Chaos maßvolle Reformen möglichst mit den Fürsten als Garantie gegen den Radikalismus anstrebten, betonten die Demokraten stärker die Freiheitsrechte und lehnten eine konstitutionelle Monarchie mit einer starken Stellung der Fürsten zugunsten einer „demokratischen Monarchie“ beziehungsweise einer „deutschen Republik“ ab.17 Beide Strömungen arbeiteten unter dem Eindruck der Fürstenwillkür und der antiliberalen Repressionspolitik des Deutschen Bundes auch weiterhin eng zusammen, bis die Spaltung am Vorabend der Revolution unübersehbar wurde. Danach organisierten sich die Demokraten und die „Konstitutionellen“ getrennt und proklamierten unterschiedliche politische Ziele. 14 FRÖLICH: Liberalismus, S. 8. 15 Zur demokratischen Bewegung in Deutschland siehe allgemein REINALTER/PELINKA (Hg.): Die demokratische Bewegung. 16 WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 2, S. 414. 17 FRÖLICH: Liberalismus, S. 15.

FRÜHLIBERALISMUS

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Die Demokraten favorisierten eine politische Weltanschauung, die der gesellschaftlich-politischen Entwicklung in Deutschland weit voraus war und schon die Grundzüge der heutigen parlamentarischen Demokratie entwarf. So stellte die Volkssouveränität im Gegensatz zum konservativen Prinzip der monarchischen Souveränität und auch zum liberalen Konstitutionalismus die Theoriebasis der Demokraten dar. Sie setzten sich für einen starken und tätigen Staat in der Hand aller Bürger ein, in dem Volkswille und Staatswille identisch sind. Als Staatsform wurde die Republik mit einem gewählten Präsidenten an der Spitze anvisiert. Allerdings wurde dieses Ziel aus pragmatischen Gründen nicht überall ausgesprochen, da sich die Demokraten der fehlenden Mehrheitsfähigkeit dieser Forderung durchaus bewusst waren.18 Das Parlament sollte die eigentliche Staatsgewalt innehaben, die Gesetze verabschieden und die Exekutive legitimieren und kontrollieren. Die Regierung kann nur aufgrund der parlamentarischen Mehrheit gebildet werden, führt die Staatsgeschäfte in eigener Verantwortung, wobei sie dabei dem Parlament Rechenschaft schuldig ist. Die Demokraten favorisierten im Gegensatz zu den Liberalen ein Einkammer-System, da ihrer Meinung nach sonst der Volkswille aufgespalten würde. Weiterhin stand in der demokratischen Programmatik im Gegensatz zum bundesstaatlichen Prinzip der Liberalen der unitarische Einheitsstaat. Die Demokraten dachten stärker theoretisch-revolutionär und weniger historisch-evolutionär als die Liberalen.19 Auch die egalitäre Tendenz stellte einen wesentlichen Unterschied zu den allgemein vorherrschenden liberalen Vorstellungen dar. Nach demokratischer Vorstellung konnte keine Freiheit ohne weitgehende Gleichheit existieren. Freiheit bedeutete für die Demokraten die Möglichkeit zu tätiger Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung jedes Einzelnen. Das Gemeinwesen sollte nicht nur auf der Basis rechtlicher, sondern auch politischer Gleichheit organisiert sein, damit eine weitgehende Selbstbestimmung möglich ist. Auch durften die Besitzunterschiede nicht zu groß sein, da sie die politische Gleichheit verhindern würden. Darin zeigt sich auch ein anderes Volksverständnis als bei den Liberalen. Letztere verstanden unter dem Begriff „Volk“ Besitzende und Gebildete, während die Demokraten mit Kleinhandwerkern, Krämern und Kleinbauern, aber auch mit Journalisten, Volksschul- und Gewerbelehrern als nichtprivilegierte Bildungsschichten die sogenannten „kleinen Leute“ im Blick hatten, die in einer Revolution eine Massenanhängerschaft bilden konnten. So ist auch die programmatische Forderung zu verstehen, das Volksschulwesen zu verbessern und die Unentgeltlichkeit des Unterrichts auf allen Stufen einzuführen.20 Da es vor der Revolution 1848/49 aufgrund der spät einsetzenden Industrialisierung in Deutschland noch keinen Sozialismus als Massenbewegung gab, waren 18 BOTZENHART: Reform, Restauration, Krise, S. 135. 19 HARDTWIG: Vormärz, S. 153. 20 BOTZENHART: Reform, Restauration, Krise, S. 135.

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LEITIDEEN UND ORGANISATIONSFORMEN

die Demokraten anfänglich auch eine Partei der Arbeiter und Handwerker. Von den Kommunisten beziehungsweise Sozialisten, deren Emanzipationsbewegung seit den 1840er Jahren die der Liberalen und Demokraten kreuzte, aber noch kein Machtfaktor ersten Ranges war,21 grenzten sich die Demokraten insofern ab, als sie keinen radikalen Umsturz der Eigentumsverhältnisse anstrebten. Die Besitzverteilung sollte allmählich durch eine Neuordnung der Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit erreicht werden, wie z. B. durch die Einführung einer progressiv gestaffelten Einkommens-, Vermögens- und Erbschaftssteuer, der Aufhebung indirekter Verbrauchsabgaben, der Aufteilung staatlichen, kirchlichen und kommunalen Grundbesitzes und der Festlegung von Mindestlöhnen.22 Weitere programmatische Unterschiede zu den Liberalen bestanden in den Fragen des Wahlrechts und des privaten Eigentums. Hatte das durch die Liberalen anvisierte Wahlrecht durch die Bindung an den Besitz exklusiven Charakter, sollte nach den Demokraten das allgemeine passive und aktive Wahlrecht auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens eingeführt werden. In diesem Zuge plädierten die Demokraten auch dafür, dass für die Zulassung zur Bürgerwehr und zum Amt des Geschworenen alle Zensusschranken beseitigt werden. Nach den Demokraten war das Recht auf freie Entfaltung durch die reale soziale Unfreiheit und Ungleichheit bedroht. Das Recht auf eine menschenwürdige Existenz war daher „eines der wichtigsten Grundrechte“, [das] der liberalen Garantie des Privateigentums übergeordnet“ wurde.23

2.

Das Vereinswesen

Die ersten Vereine in Form befristeter freiwilliger Zusammenschlüsse zur Verwirklichung definierter Ziele bildeten sich am Anfang des 17. Jahrhunderts heraus.24 Sie orientierten sich in ihrer Organisation an den Freimaurerlogen, dem englischen „Coffee house“ und am französischen „Salon“.25 Über den Begriff „Gesellschaft“ stieg der Verein bis zum 19. Jahrhundert „zur allgegenwärtigen und dominierenden Rechts- und Organisationsform privater und öffentlicher Aktivitäten auf“.26 Die Entstehung und die rasche Ausbreitung von Vereinen hatte nach Thomas Nipperdey mehrere Ursachen: der auf Vernunft und Autonomie gegründete Individualismus und die Verbürgerlichung der Kultur, der in 21 Zu den Anfängen des Sozialismus in Deutschland siehe einführend HUBER: Deutsche Verfassungsgeschichte 2, S. 414–434. 22 BOTZENHART: Reform, Restauration, Krise, S. 136. 23 EBD. 24 Zum Vereinswesen in Deutschland siehe grundlegend NIPPERDEY: Verein als soziale Struktur, S. 1–44 und HARDTWIG: Verein, S. 789–829. 25 SOBANIA: Vereinsleben, S. 170. 26 HARDTWIG: Verein, S. 791.

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der Aufklärung verwurzelte bürgerliche Fortschrittsglaube, die beginnende bürgerliche Emanzipation vom Staat und der staatliche Versuch, die Vereinheitlichung der Untertanenschaft voranzutreiben.27 Anfangs dominierten gelehrte, wissenschaftliche Gesellschaften beziehungsweise Sozietäten, die primär privaten Erkenntniswillen ohne jegliche Einengung verfolgten. Daraus sprach ein neues Selbstbewusstsein der Gelehrten gegenüber geburtsständischer Ordnung. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich die Gesellschaftsbewegung hin zu einer allgemeinen Bildungsbewegung. Die ganze Schicht der Gebildeten wurde erfasst, und verschiedene Vereinstypen konnten sich entwickeln. So entstanden in den 1780er und 1790er Jahren unter anderem landwirtschaftliche, patriotische sowie Lese- und Musiziergesellschaften. Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts war die Zahl der Vereine so stark angewachsen, „dass das Vereinswesen zu einer die sozialen Beziehungen der Menschen organisierenden und prägenden Macht wurde“.28 Im Zuge der Französischen Revolution kam es zu einer Entwicklung hin zu verborgenen (kryptopolitischen) und offenen politischen Vereinigungen, was sich auch in der Namensgebung niederschlug. So wurde der Terminus „Club“ übernommen und von Revolutionsgegnern als Denunziationsbegriff benutzt. In der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert gründeten sich verstärkt betont unpolitische Vereine. Die Ursachen dafür lagen sowohl in der Entpolitisierungspolitik der Regierungen als auch im allgemein wachsenden Bedürfnis, „Gemüt und Innerlichkeit in begrenzter Öffentlichkeit der außerfamiliären [...] Verbindung auszuleben“.29 Anstatt eines rationalen Tausches von Rechten und Verpflichtungen lag nun der Schwerpunkt auf der menschlichen Bindung als konstitutives Merkmal der Vergesellschaftung. Im Sprachgebrauch wurde der Begriff „Gesellschaft“ durch die gefühlshaltigeren Begriffe „Verein“ und „Bund“ ersetzt. Im Zuge der napoleonischen Besetzung und der daraufhin einsetzenden Reform- und Nationalbewegung kam es zur Übertragung der gefühlsbetonten Bindung im Vereinsbegriff auf den Bereich der politischen Ordnung. Dabei erhob eine auf Innerlichkeit und Moralität gegründete kleine Gemeinschaft in Form von Vereinigungen den Anspruch, als gesellschaftlicher und politischer Faktor offiziell anerkannt zu werden. Im Übergang vom europäischen Staatensystem des Absolutismus hin zur europäischen Nationalstaatsordnung im 19. Jahrhundert setzte sich der „Verein“, in dem freiwillige Entscheidungen selbstständiger und gleichberechtigter Mitglieder getroffen wurden, zunehmend durch. Seit der Mitte der 1830er Jahre kam zum Vereinsbegriff der nahezu bedeutungsgleiche Begriff der „Assoziation“ „als neue Pathosformel politisch-sozialer Diskussion“ hinzu.30 Dieser Terminus, der den „Verein“ als Leitbegriff zunehmend verdrängte, konnte bis zur Revolution 1848/49 jede 27 28 29 30

NIPPERDEY: Verein als soziale Struktur, S. 12 EBD., S. 2. HARDTWIG: Verein, S. 801. EBD., S. 809.

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Form freiwilliger Vergesellschaftung bezeichnen. Im Zentrum stand das Bewusstsein neuer Möglichkeiten der Naturbeherrschung: „Die Assoziation als die der bürgerlichen Erwerbs- und Konkurrenzgesellschaft entsprechende Gesellschaftsform löste den Menschen aus der Naturabhängigkeit und schaffte die Möglichkeiten zu schier unbegrenzter Selbstentfaltung.“31 Der Begriff „Verein“ hingegen wurde früh mit dem „politischen Verein“ in enge Verbindung gebracht. Dieser hatte aber noch nichts mit modernen Parlamentsparteien zu tun. Seine Aktivitäten beschränkten sich im Vormärz auf die Fokussierung auf einzelne Gesetzesvorhaben. Erst ab dem Ende der 1870er Jahre setzte sich die „Partei“ als Leitbegriff durch.32 Der Übergang von der aufgeklärt-absolutistischen Naturrechtslehre zur frühliberalen Theorie brachte für den Vereinsbegriff zwei neue Bedeutungskomponenten mit sich.33 Zum einen entwickelte sich im Zuge des gesellschaftlichen Übergangs zu einer modernen Staatsbürgergesellschaft durch den „bürgerlichen Verein“ ein Oppositionsbegriff gegenüber der traditionalen, gegliederten Sozialund Herrschaftsordnung heraus. Im neugeprägten bürgerlichen Verein schlug sich die Idee eines einheitlichen bürgerlichen und schließlich staatsbürgerlichen Rechts nieder, wobei sie noch sozial an die alteuropäische Ordnungseinheit zurückgebunden blieb. Zum anderen brachte der Vereinsbegriff den Vorgang der Vergesellschaftung rechtsgleicher Individuen als Grundlage staatlicher Gewaltausübung voran. Der Begriff des Staates als Verein, in dem die in der Natur angelegten kulturellen Entfaltungsmöglichkeiten des Natürlichen ins Zentrum gelangten, war ein Gegenmodell zum altständischen Konservatismus und der ahistorisch-etatistischen Herrschaftslegitimation. Die Formen des Zusammenlebens sollten nicht mehr auf einen dauerhaft abgeschlossenen Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag fixiert bleiben und legitimiert werden. Aufgrund dieser umwälzenden Möglichkeiten der Konzeption des Staates als Verein beziehungsweise der freiwilligen bürgerlichen Vereinsbildung allgemein erfolgte in der liberaloppositionellen Theorie die Aufnahme des Vereinsrechts in den vormärzlichen Katalog der unverzichtbaren Rechte des Einzelnen. Wurde dieses Recht seitens der Obrigkeit noch als Recht der Untertanen angesehen, erkannten es die liberalen Theoretiker – zunehmend seit den 1830er Jahren – als vorstaatliches Menschenrecht an.34 Mitte der 1840er Jahre erklärte der Jurist und liberale Politiker Carl Theodor Welcker (1790–1869) in seinem „Staats-Lexikon“ die freie Vereinigung der Bürger zur Grundlage der gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Ordnung sowie zum essentiellen Fundament der bürgerlichen und politischen Freiheit überhaupt.35 Während aber die liberal-konstitutionelle Richtung dabei 31 32 33 34 35

EBD., S. 810. Zur Geschichte der Parteienbildung siehe FENSKE: Deutsche Parteiengeschichte. HARDTWIG: Verein, S. 812. EBD., S. 814. WELCKER: Association, S. 723 ff.

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von einem harmonischen Zusammenwirken von Volk und Regierung ausging, war das Vereinswesen für die Vertreter des demokratischen Radikalismus kurz vor der Revolution 1848/49 auf die Aufhebung institutioneller und traditionaler Herrschaft ausgerichtet. In diesem Zusammenhang geriet der (politische) Verein zur Partei beziehungsweise zum Kampfinstrument gegen die monarchische Regierung und für eine Gesellschaftsform auf demokratischer Grundlage.36 Noch am Anfang der 1840er Jahre machten viele Vertreter des aufstrebenden Bürgertums den Staat für die sozialen Missstände infolge der Industrialisierung verantwortlich.37 Durch zunehmend eigenständige Urteilsbildung in wirtschaftlichen und sozialen Fragen fassten die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft die immer drängenderen sozialen Probleme als ihre genuin eigenen auf und sahen sich für deren Behebung immer mehr selbst verantwortlich. Nicht zuletzt unter dem Eindruck des schlesischen Weberaufstandes bildete sich das Wohltätigkeitsvereinswesen heraus. Es sollte helfen, soziale Spannungen zu verhindern und die unteren Volksschichten in die bürgerliche Gesellschaft zu integrieren. Die Termini „Verein“ und „Assoziation“ entwickelten sich so zu Integrationsbegriffen gegenüber der Unterschicht. Nach 1850 setzte sich der Verein endgültig als selbstverständliche Organisationsform gesellschaftlicher und politischer Aktivitäten der bürgerlichen Gesellschaft durch. Die bürgerlichen Vereine haben an der Verbürgerlichung der Gesellschaft und auch an der Konstituierung eines neuen Bürgertums großen Anteil und spiegeln so auch die Geschichte des Bürgertums im 19. Jahrhundert wider. Auch ist die Vereinsbewegung dafür verantwortlich, dass die Bevölkerung statt nach korporativen Gesichtspunkten zunehmend nach Bildung in bestimmte Schichten klassifiziert wurde. Dies evozierte wiederum ab der Mitte des 19. Jahrhunderts durch die erstarkende Arbeiterbewegung eine Zersplitterung des Vereinswesens.38 Das Männergesangvereinswesen als Teil der Vereinsbewegung Nach 1815 und verstärkt in den 1820er Jahren konstituierten sich besonders Kunst-, Konzert- und auch Gesangvereine.39 Als aus der „Vereinsbereitschaft der Bürger eine Art Vereinsleidenschaft geworden [war]“, breiteten sich die älteren Vereinstypen, zu denen auch die Gesangvereine zu zählen sind, um und nach 1840 „über das ganze Land aus“.40 Das bürgerliche Leben in Deutschland war mit einem Netz von Vereinsbildungen durchzogen. In seinem grundlegendem Aufsatz über den Verein im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert unterscheidet 36 37 38 39 40

HARDTWIG: Verein, S. 816. EBD., S. 819. SOBANIA: Vereinsleben, S. 189. NIPPERDEY: Verein als soziale Struktur, S. 2. EBD., S. 3. Siehe zu Mitteldeutschland Anhang 2, S. 334 ff.

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Nipperdey vier Motiv- und Zielkomplexe, die wiederum miteinander verknüpft sein konnten.41 So lag die Hauptmotivation zur Bildung eines Vereins entweder in freier Geselligkeit, in gegenseitiger humanistischer Bildung, in der Förderung des Gemeinwohls oder in der Förderung rein künstlerischer oder wissenschaftlicher Interessen. Bei allen Motiven handelte es sich um neuartige Bedürfnisse, die bisher in der herrschaftlich-korporativen Gesellschaft keine Erfüllung fanden. Gesangvereine bildeten sich hauptsächlich aus ersterem Grund heraus aus. Hier konnte sich der Bürger in Gesellschaft individuell entfalten, indem er sich durch gemeinsamen Gesang Kenntnisse in der Chorliteratur und über die Biografien von Komponisten und Dichtern aneignen konnte. Während die Mitgliedschaft in einer Reihe von anderen Vereinen entweder spezifische Bildungsvoraussetzungen erforderte oder an bestimmte Besitz- oder Einkommensverhältnisse gekoppelt war, gab es im Gesangvereinswesen die Tendenz, die Klassen- und Besitzschranken nicht zu beachten oder diese generell zu überwinden. Die Männergesangbewegung versuchte bewusst, alle Volksschichten unter ihrem Dach zu integrieren. Der Männergesangverein bezog als erster Typ der ursprünglich rein städtischen Vereinsbewegung auch die ländlichen Gebiete mit ein und breitete sich auch dort rasch aus.42 Im gemeinsamen Gesang konnten sich alle Schichten der Bevölkerung treffen und im Verein zusammenwirken. Dadurch entwickelten sich die großen Sängerfeste zum Podium für die Überwindung des Standes- und Klassencharakters.43 Dieser egalisierende Gedanke war jedoch in der Anfangszeit nur dem Typus der vorrangig in Süddeutschland beheimateten „Liederkränze“ vorbehalten, wohingegen sich der norddeutsche Typ der „Liedertafel“ erst nach und nach aus der anfänglichen Exklusivität von Vertretern des gehobenen Bürgertums befreien konnte.44 Schon bevor die soziale Problematik durch die epochalen schlesischen Weberaufstände verstärkt ins Bewusstsein verschiedener Vereine Mitte der 1840er Jahre drang und zur Bildung von karitativ motivierten Vereinen führte, engagierten sich Männergesangvereine im wohltätigen Bereich. So kamen Erträge von Wohltätigkeitskonzerten oft Opfern von Naturkatastrophen, wie Bränden, Überschwemmungen oder Hungersnöten, zugute.45 Durch die restriktiven gesellschaftlichen und politischen Bedingungen in der Vormärzzeit, in der bürgerliches Freiheits- und Einheitsstreben unterdrückt wurde, erschöpfte sich das Vereinsleben in den Männerchorvereinigungen oft nicht im gemeinsamen Gesang und in harmloser Geselligkeit. Die Verbindung und die Zusammenschlüsse mit anderen Gesangvereinen zu lokalen und regionalen Sängerbünden brachten die nationalpolitischen Implikationen zum Ausdruck, die 41 42 43 44 45

NIPPERDEY: Verein als soziale Struktur, S. 5 ff. Siehe dazu oben S. 82. Zu den deutschen Sängerfesten siehe unten S. 161. Siehe dazu unten S. 71. Siehe dazu KÖTSCHKE: Deutscher Männergesang, S. 299 f.

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von Anfang an eine bedeutende Rolle in der Männergesangvereinsbewegung spielten. Diese inhaltliche, in den Statuten nicht offen ausgesprochene Zielrichtung machte die Gesangvereine für neue Mitglieder interessant, deren politische oder kryptopolitische Vereine im Zuge der Karlsbader Beschlüsse oder der Bundesbeschlüsse von 1832/34 verboten worden waren. So kam den Männergesangvereinen bis zu deren Wieder- oder Neugründung auch eine Art Stellvertreterfunktion als Sammelbecken liberaler und auch demokratischer Bewegungen zu.46

3.

Organisationsformen der bürgerlichen Bewegung in Mitteldeutschland

Die Männergesangbewegung war eine von mehreren oppositionellen Bewegungen in Mitteldeutschland. Mit diesen stand sie institutionell sowie personell in Kontakt. Um ihre Rolle in der bürgerlichen Bewegung dieser Region im Vormärz besser einordnen zu können, müssen daher die politischen und religiösen Organisationsformen der bürgerlichen Bewegung in Mitteldeutschland näher betrachtet werden.

3.1 Politische Organisationsformen Königreich Sachsen Während andere deutsche Staaten sich bald nach den Befreiungskriegen Konstitutionen gaben, blieb es in Sachsen zunächst bei der altständischen Verfassungsform. Das Königreich war einer der rückständigsten Staaten des Bundes und galt seit der Rheinbundzeit als „zuverlässiger Hort eines starren Traditionalismus“.47 Erst in der Folge der revolutionären Ereignisse von 1830/31, bei denen hier aufgrund der fortgeschrittenen Industrialisierung in Bergbau, Textilindustrie und Maschinenbau die ersten Unruhen in Deutschland ausbrachen, wurde auch in Sachsen der konstitutionelle Weg beschritten. Die Verabschiedung einer Verfassung am 4. September 1831 leitete eine Epoche der Reformen ein.48 Nach der fortschrittlichen Wirtschaftsentwicklung zog nun in kurzer Zeit auch die Verfassungsstruktur des Königreiches nach, und Sachsen wurde zu einem der modernsten deutschen Staaten. Trotz aller politischen Fortschritte durch eine Verfassung stellte deren Einführung keinen radikalen Bruch mit der Vergangenheit dar. So 46 WEBER/ERNST: „Schläft ein Lied in allen Dingen.“, S. 35. 47 WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 2, S. 351. 48 Zur Verfassung siehe unten S. 246.

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hatte der König noch die alleinige Souveränität. Ein Gesetz über die Pressefreiheit wurde zwar im § 35 der Verfassung angekündigt, aber nicht beschlossen. Die Zweite Kammer des Landtags als eigentliches Abgeordnetenhaus war immer noch rein ständisch gegliedert.49 Auch war die Teilnahme an den Landtagswahlen durch einen allgemein hohen Zensus mehrfach eingeschränkt. Diese politischen Entwicklungen evozierten auch das Anwachsen eines öffentlichen Bewusstseins in solchem Ausmaß, dass Sachsen später neben Baden im ausgehenden Vormärz und während der Revolution „der am stärksten politisierte Staat Deutschlands“ wurde.50 Bis in die 1840er Jahre hinein führte dies jedoch noch nicht zu wirksamer politischer Teilhabe der bürgerlichen Opposition im Sächsischen Landtag. So blieb zunächst nur die Artikulation oppositionellen Gedankenguts über die Presse. Eines der ersten Beispiele für politisches Engagement auf diesem Wege war die satirisch-politische Wochenzeitschrift Die Biene, die von dem Lehrer und Publizisten Karl Ernst Richter in Zwickau herausgegeben wurde.51 In dem seit 1827 veröffentlichten Periodikum kämpfte Richter vor allem für die Volksbildung und eine Verfassung in Sachsen, wobei er Reformen befürwortete und revolutionäre Gewalt ablehnte. Im Jahr 1837 folgte die Leipziger Allgemeine Zeitung, die zum Sprachrohr des gehobenen und gebildeten Bürgertums wurde.52 Seit dem Jahr 1842 brachte der Philosoph Karl Biedermann die Deutsche Monatsschrift für Literatur und öffentliches Leben (1842) und den Herold (1844) heraus, die einem gemäßigten Liberalismus das Wort redeten.53 Während diese Periodika einen begrenzten Leserkreis erschlossen, erreichten die demokratischen Sächsischen Vaterlands-Blätter, die seit 1841 in Leipzig erschienen, und der vom demokratischen Schriftsteller und Politiker Robert Blum mit herausgegebene Verfassungsfreund einen breiteren 49 Der Zweiten Kammer gehörten 25 Abgeordnete der Bauern, 25 der Städte, 20 der Rittergutsbesitzer und fünf von Handel und Gewerbe an. Siehe die 1954 an der Universität Jena eingereichte und von Werner Greiling neu herausgegebene Dissertation von SCHMIDT: Politische Opposition, S. 21, Anm. 26. 50 BOTZENHART: Reform, Restauration, Krise, S. 112. 51 Der Lehrer und Publizist Richter (1795–1863) wurde 1818 in Zwickau zum Stadtrat und Vizebürgermeister gewählt und 1833 zusätzlich im 15. städtischen Wahlbezirk Abgeordneter der Zweiten Sächsischen Kammer. Nach dem Verbot der Biene 1833 ging Richter ins Exil in die USA und in die Schweiz. Nach seiner Rückkehr nach Sachsen im Mai 1849 gab er erneut Die Biene heraus. Im Dezember 1849 kam es wieder zum Verbot seiner Publikation und zusätzlich zu einem Berufsverbot. Zu Richter siehe KNÜPFER: Richter, S. 76–82. Zu Richter siehe auch unten S. 296. 52 Siehe SCHMIDT: Politische Opposition, S. 63. 53 Der Publizist und Politiker Friedrich Karl Biedermann (1812–1901) geriet durch seine liberalen Publikationen oft in Konflikt mit den Zensurbehörden. Im Jahr 1847 wurde er sogar wegen Majestätsbeleidigung angeklagt. Während der Revolution von 1848/49 war Biedermann Mitglied des Frankfurter Vorparlaments, Schriftführer des Fünfzigerausschusses, des Parlamentes und der Kaiserdeputation. Im Jahr 1851 erfolgte eine Verurteilung zu Festungshaft und 1853 die endgültige Enthebung als Philosophieprofessor. Zu Biedermann siehe WEBER: Durst nach Realität und BAZILLION: Karl Biedermann.

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Leserkreis und gaben der politischen Öffentlichkeit weiteren Aufschwung.54 Die Sächsischen Vaterlands-Blätter sammelten unter dem maßgeblichen Einfluss Blums Spenden für politisch Verfolgte, setzten sich für freiheitliche Anliegen bis hin zur Gleichberechtigung der Frauen durch die Veröffentlichung von Artikeln der Frauenrechtlerin Louise Otto ein.55 Größere Massenwirksamkeit erreichte dieses Blatt durch die Veröffentlichung des „Offenen Briefes“ des schlesischen Kaplans Johannes Ronge an den Trierer Bischof Wilhelm Arnoldi am 15. Oktober 1844. Damit stellten sich die Sächsischen Vaterlands-Blätter hinter die im Entstehen begriffene religiöse Oppositionsbewegung der Deutschkatholiken, in der Blum bald eine führende Rolle in Sachsen einnehmen sollte.56 Erst nach der Wahl zum Landtag 1839/40 konnte sich durch einflussreiche Politiker wie den Advokaten Karl Braun57 und Martin Gotthard Oberländer58 sowie den Kaufmann Robert Georgi59 eine schlagkräftige Opposition im sächsischen Landtag entfalten und sächsische Politik mitgestalten. Spätestens beim außerordentlichen Landtag 1847, den der sächsische König wegen der Wirtschaftskrise einberufen hatte, zeigte sich aber ein Riss innerhalb der Opposition. Sie konnte zu den sozialen und wirtschaftlichen Fragen keine einheitliche Haltung mehr finden. Die Trennung der Opposition in zwei Richtungen war am Vorabend der Revolution von 1848/49 faktisch vollzogen worden. Noch vor den Märzereignissen in Sachsen spaltete sich die bürgerliche Bewegung in Sachsen in einen demokratischen Flügel mit der Führungs- und Identifikationsfigur Blum und in einen liberalen Flügel, der in dem Verleger Biedermann ein Sprachrohr und einen engagierten Befürworter fand.

54 Zu Robert Blum (1807–1848), dem bedeutenden deutschen Politiker, Revolutionär und demokratischen Identifikationsfigur im Vormärz und während der Revolution 1848/49 siehe JESSE/ MICHALKA: Robert Blum; ZERBACK: Robert Blum und REICHEL: Robert Blum. 55 Zum Verhältnis von Blum und Louise Otto (1819–1895) siehe JESSE/MICHALKA: Robert Blum, S. 95–100. 56 Zu Ronge und der Bewegung der Deutschkatholiken siehe unten S. 56–60. 57 Alexander Karl Hermann Braun (1807–1868) bekam im Jahr 1839 ein Mandat in der Zweiten Sächsischen Kammer und profilierte sich dort bald zu einem der führenden Vertreter der liberalen Opposition. Zu Beginn des Landtags 1845/46 wurde er zum Präsidenten der Zweiten Kammer gewählt. Am 16. März 1848 ernannte der sächsische König Braun zum Justizminister und Vorsitzenden des Gesamtministeriums. In dieser Position setzte er verschiedene Märzforderungen, wie Pressefreiheit, Vereidigung des Militärs auf die Verfassung, Vereins- und Versammlungsfreiheit und die Mündlichkeit und Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren durch. Zu Braun siehe FLATHE: Braun. 58 Zu Oberländer siehe unten S. 238 f. 59 Robert Georgi (1802–1869) war Abgeordneter des Handels- und Fabrikstands und gehörte zu den profiliertesten liberalen Mitgliedern der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtages bis 1848. Im Märzministerium wurde er 1848 Finanzminister. Zu Georgi siehe TELGE: Robert Georgi.

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Preußische Provinz Sachsen Trotz mehrmaliger Verfassungsversprechen durch den preußischen König Friedrich Wilhelm III. ließ die Einführung einer Verfassung in Preußen bis zur Revolution von 1848/49 auf sich warten. Stattdessen wurden durch ein Gesetz vom 5. Juni 1823 Provinzialstände errichtet, in denen die Rittergutsbesitzer die Hälfte, städtische Grundbesitzer ein Drittel und die Bauernschaft ein Sechstel der Deputierten stellen durften. Die adelsfreundliche Aufteilung der Landstände, ihre stark eingeschränkten Rechte, eine territoriale Streulage des Landes und unterschiedliche ökonomische Entwicklungsstufen waren die entscheidenden Hindernisse für die Ausbildung einer bürgerlichen Oppositionsbewegung nach 1815 in der preußischen Provinz Sachsen.60 So war es vor allem die Universität in Halle/Saale, die zum Ausgangspunkt oppositionellen Wirkens wurde. Im Mittelpunkt standen dabei die nach den Karlsbader Beschlüssen verbotenen Burschenschaften und der aus ihnen hervorgegangene Jünglingsbund. Der 1821 gegründete und im September 1823 in Preußen zerschlagene studentische Geheimbund bezweckte die Vorbereitung eines revolutionären Umsturzes zur Erlangung der deutschen Einheit und die Einführung der Volkssouveränität.61 Ein Jahr nach der Zerschlagung des Jünglingsbundes wurden in Halle/Saale der Student und Junghegelianer Arnold Ruge und elf weitere Kommilitonen wegen der Teilnahme an einer „hochverräterischen geheimen Verbindung“ zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt.62 Erst der preußische Thronwechsel von 1840 und der starke wirtschaftliche Aufschwung im Zuge der Industrialisierung brachten für die bürgerliche Oppositionsbewegung in der preußischen Provinz Sachsen den Wendepunkt. Einen wesentlichen Beitrag für die politische Mobilisierung und Aktivierung breiter bürgerlicher Kreise leistete dabei die liberale Presse. Ausgehend vom Vorbild der Rheinischen Zeitung etablierten sich mit den Hallischen Jahrbüchern, dem Erfurter Stadt- und

60 Zu den Provinziallandtagen in der preußischen Provinz Sachsen siehe WILLENIUS: Bürgerliche Oppositionsbewegung. Zur oppositionellen Bewegung allgemein siehe ENGELMANN: Bürgerlich-antifeudale Oppositionsbewegung und FREITAG/PUHLE (Hg.): Freiheit, Bürger, Revolution. 61 Zu dem auf Veranlassung des Schriftstellers und radikalen Demokraten Karl Follen (1796–1840) gegründeten Jünglingsbund siehe FRAENKEL: Männerbund und Jünglingsbund. und HÜBNER: Arnold Ruge. 62 Zit. n. SCHLENKER/LEHMANN/SCHELLBACH (Hg.): Geschichte Sachsen-Anhalts, S. 169. Der Schriftsteller und Publizist Arnold Ruge (1802–1880) wurde im Frühjahr 1830 durch den preußischen König begnadigt. Ab dem 1. Januar 1838 gab Ruge die Hallischen Jahrbücher für deutsche Kunst und Wissenschaft als bedeutendstes Organ der Junghegelianer heraus, was zu verschiedenen Auseinandersetzungen mit den preußischen Behörden führte. Nach dem Entzug der Konzession 1841 ließ sich Ruge in der Schweiz und 1843 in Paris nieder. Im Jahr 1848 wurde Ruge in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt, die er aber bald politisch enttäuscht verließ. Stattdessen engagierte er sich im Demokratischen Verein. Nach der Niederschlagung der Revolution ging Ruge ins Exil nach Brighton. Zu Ruge siehe LAMBRECHT (Hg.): Arnold Ruge.

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Landboten, dem Magdeburger Wochenblatt für Angelegenheiten des bürgerlichen Lebens63 und den Blättern für den Harz und Umgebung in der preußischen Provinz Sachsen einflussreiche politische Periodika. Sie verschafften wesentlichen liberalen Grundforderungen wie z. B. der Presse- und Meinungsfreiheit sowie der in Preußen virulenten Verfassungsfrage eine breite Öffentlichkeit. Zwischen 1842 und 1844 entwickelten sich die liberalen Zeitungen „zu den ersten Kristallisationspunkten der liberalen Bewegung in der Provinz“.64 Auf kirchlicher Seite konstituierte sich im Juni 1841 die anfangs rein religiösoppositionelle Bewegung der „Lichtfreunde“. Ihre rationalistische Kritik richtete sich an eine „in das System der politischen Restauration eingebundene orthodoxe Theologie“, wodurch die Grundlage „einer oppositionellen Massenbewegung kleinbürgerlicher Schichten“ gelegt wurde.65 Auf staatlicher Ebene entwickelten sich, ausgehend von Magdeburg, in der preußischen Provinz Sachsen „Bürgerund Volksversammlungen“.66 Diese neue Organisationsform der bürgerlichen Bewegung entfaltete sich seit dem Sommer 1844 in den selbstverwalteten Kommunen. Sie war Ausdruck des immer stärker werdenden Bedürfnisses nach politischer Öffentlichkeit und Partizipation. Nachdem am 24. August 1844 unter großem Zuspruch die erste Bürgerversammlung in Magdeburg stattfand, entwickelten sich bald feste Organisationsstrukturen.67 Bewusst wurde dabei auf ein Statut, auf Mitgliedschaft oder Beiträge verzichtet, um die Versammlungen für die politische Polizei unangreifbar zu machen. Wie die „Lichtfreunde“ griff auch diese Oppositionsbewegung nicht nur auf weitere provinzialsächsische Städte, wie Halle/Saale, Merseburg und Erfurt, sondern auch auf weitere Teile Preußens über. So nahm die Magdeburger Opposition seit 1845 enge Kontakte zu Liberalen in und außerhalb der Provinz auf.68 Da die „Bürger- und Volksversammlungen“ breite Volksschichten integrieren und über diese Institution führende Liberale und Demokraten in Stadtverordnetenversammlungen und Landtage gelangen

63 Siehe dazu ENGELMANN: Rolle der Bürgerversammlungen. 64 ENGELMANN: Bürgerlich-antifeudale Oppositionsbewegung, S. 52. Zu weiteren politischoppositionellen Blättern vor und während der Revolution im Regierungsbezirk Merseburg siehe die Übersicht in MONECKE: Zeitungswesen, S. 88 f. 65 BOTZENHART: Reform, Restauration, Krise, S. 134. Zur Bewegung der „Lichtfreunde“ siehe unten S. 53–56. 66 Siehe zur oppositionellen Rolle der „Bürger- und Volksversammlungen“ ausführlich ENGELMANN: Rolle der Bürgerversammlungen. 67 Am 12. September 1844 gab sich die Versammlung ein Programm. Zu den Anfängen der „Bürger- und Volksversammlungen“ siehe ENGELMANN: Gründung der Magdeburger Bürgerversammlungen. 68 Bspw. tauschten sich Johann Gustav Coqui (1805–1876) und Eugen Fabricius (siehe unten S. 214 f.) als führende Köpfe der Magdeburger „Bürgerversammlungen“ regelmäßig mit dem Halberstädter Apotheker Friedrich Gottfried Hermann Lucanus (1793–1872) und dem Schönebecker Bürgermeister Ludwig Karl Eduard Schneider (1809–1889) aus, die in ihren Orten Initiatoren der dortigen Bürgerversammlungen waren. Siehe ASMUS: 1848 bis zur Gegenwart, S. 24.

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konnten, entwickelte sie sich neben der Presse zu einem der Hauptträger der bürgerlichen Opposition im späten Vormärz in Preußen.69 Mit der innerkirchlichen Bewegung der „Lichtfreunde“ und den „Bürger- und Volksversammlungen“ bildeten sich seit dem Anfang der 1840er Jahre zwei neue Träger bürgerlicher Opposition in den preußischen Provinzen heraus. Sie richteten sich gegen den monarchischen Staat und die protestantische Staatskirche, wurzelten in der preußischen Provinz Sachsen, breiteten sich rasch über die Landesgrenzen hinaus aus und bildeten bis zum Ausbruch der Revolution im März 1848 die Zentren der bürgerlichen Bewegung in dieser Region.70 Als provinzialsächsische Besonderheit kam hier zu den allgemeinen bürgerlichen Emanzipationsanliegen die Forderung nach religiöser Toleranz und der Abkehr vom Staatskirchentum hinzu.71 Thüringische Herzog- und Fürstentümer72 Während das benachbarte Königreich Sachsen erst 1831 eine Verfassung einführte, gab es in einigen thüringischen Staaten schon bald nach dem Wiener Kongress frühkonstitutionelle Formen.73 Dazu gehörten Schwarzburg-Rudolstadt und Sachsen-Weimar-Eisenach (1816), Sachsen-Hildburghausen (1818), Sachsen-Coburg-Saalfeld (1821), Sachsen-Meiningen (1824), Sachsen-Altenburg (1831) und später auch Schwarzburg-Sondershausen (1841). Somit wiesen von den thüringischen Staaten nur die reußischen Fürstentümer und das 1826 neu gebildete Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha bis 1848 keine modernen landständischen Verfassungen auf. Vor diesem Hintergrund kann Thüringen neben Süddeutschland als das Zentrum des Frühkonstitutionalismus bezeichnet werden. Die Verfassungsentwicklung in Sachsen-Weimar-Eisenach brachte dem Großherzogtum den Ruf ein, ein „Hort der Freiheit und des Fortschritts“ zu sein.74 Dazu trug auch bei, dass der Universität Jena die Lehrfreiheit gestattet wurde und die Burschenschaften am 18./19. Oktober 1817 das oppositionelle Wartburgfest abhalten durften. So konnte sich eine bürgerliche Opposition im Umfeld der Universität herausbilden und sogar öffentlich wirksam werden. Erst

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Siehe dazu ENGELMANN: Rolle der Bürgerversammlungen, S. 49 ff. ENGELMANN: Bürgerlich-antifeudale Oppositionsbewegung, S. 53. FREITAG, Werner: Recht und Freiheit, S. 24. Nach dem Wiener Kongress 1814/15 gab es mit vier ernestinischen Herzogtümern (Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Meiningen und Sachsen-CoburgGotha), zwei schwarzburgischen Fürstentümern (Schwarzburg-Rudolstadt und SchwarzburgSondershausen) und drei reußischen Fürstentümern (Reuß ä. L., Reuß j. L. mit Schleiz und Lobenstein-Ebersdorf) bis 1848 insgesamt neun thüringische Kleinstaaten, deren Staatsgebiete größtenteils in einzelne Territorien zerrissen waren. 73 Zur Verfassungsgeschichte in Thüringen siehe JONSCHER: Thüringische Verfassungsgeschichte. 74 EBD., S. 7.

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auf Druck Preußens und der Karlsbader Beschlüsse wurden die Freiheiten wieder eingeschränkt. Thüringen ist die Wiege des Typus einer gesamtnational und politisch ausgerichteten deutschen Burschenschaft, die nicht mehr nach Landsmannschaften aufgeteilt war.75 In Jena gründete sich am 12. Juni 1815 die „Urburschenschaft“, die geistig in den Befreiungskriegen und in der Nationalbewegung fußte. Neben der idealistischen Verherrlichung des alten deutschen Kaisertums trat sie für die nationale Einheit Deutschlands und bürgerliche Freiheiten wie die Rede-, Presseund Lehrfreiheit ein. Bis zum Verbot infolge der Karlsbader Beschlüsse nahm die Burschenschaft eine führende Rolle innerhalb der bürgerlichen Bewegung ein, wobei die Universität Jena um die liberalen, der Burschenschaft nahestehenden Professoren Heinrich Luden, Lorenz Oken und Jakob Friedrich Fries eine wesentliche Rolle spielte. Mit Fries und Oken mussten zwei der Professoren aufgrund ihrer politischen Einstellung die Universität Jena im Jahr 1818 beziehungsweise 1819 zeitweise oder ganz verlassen.76 Die revolutionären Ereignisse vom Herbst 1830 brachten das Erwachen eines politischen Interesses in breiteren Bevölkerungsschichten für staats- und wirtschaftspolitische Reformen mit sich, die über den universitären Raum hinausging. Auf die Veränderung des Staatswesens zielten die Forderungen nach der Einführung einer landständischen Verfassung, wo diese noch nicht existent war, nach der Regulierung des landesfürstlichen Domänenvermögens, nach der Abschaffung der Patrimonialgerichte und nach der gerechten Verteilung der Steuerlasten. Auch in Thüringen stellte die liberale Publizistik einen wesentlichen Faktor für die Propagierung bürgerlicher Emanzipationsforderungen dar. Um 1830 entstanden viele politische Zeitungen und Zeitschriften, was vor allem der in den Kleinstaaten oft abgemilderten Zensur zu verdanken war. Zu den bürgerlich-oppositionellen Periodika zählten unter anderem der Thüringer Volksfreund (1828–1831) in Jena, der Neue Thüringer Bote (1831) in Gotha, die Altenburger Blätter (1830– 1834) in Altenburg, der Deutsche Patriot (1830–1837) in Eisenberg und der von Joseph Meyer herausgegebene und bald unterdrückte Volksfreund (1832) in Hildburghausen.77 Davon ließ sich Meyer jedoch nicht entmutigen, und er gab seit 1832 trotz polizeistaatlicher Gängelung die Zeitschrift Universum heraus, in dem er „liberales Gedankengut in sinnfälliger historisch-geografischer Verbindung“ über Thüringen hinaus im deutschen Bürgertum verbreitete.78 Auch das seit 1839 erscheinende Große Konversationslexikon fand im Bürgertum seine Abnehmer und 75 Zur Geschichte der Burschenschaften in Deutschland siehe allgemein HEITHER: Blut und Paukboden. 76 Fries wurde 1818 amtsenthoben und konnte erst 1824 wieder zurückkehren. Oken musste infolge der Karlsbader Beschlüsse v. a. wegen der Herausgabe der radikaldemokratischen Isis 1819 die Universität verlassen. 77 Siehe PATZE/SCHLESINGER (Hg.): Geschichte Thüringens 5, S. 44. 78 EBD.

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wurde zum festen Begriff für freie Bildung. In Gotha, wo bis 1848 keine Verfassung existierte, brachte der Schriftsteller und demokratische Publizist Ludwig Storch 1842/43 den Thüringer Volksboten heraus. Der publizistische Vorgänger Neuer Thüringer Bote wurde im Januar 1831 nach nur drei Wochen wegen demokratischer Tendenzen verboten. Im Thüringer Volksboten griff Storch inhaltlich auf den Vorgänger zurück, ließ darin Oppositionelle zu Wort kommen und berichtete ausführlich über freiheitliche und nationale Bestrebungen in und außerhalb Thüringens, wobei die Sängerbewegung um den Thüringer Sängerbund einen besonderen Platz einnahm.79 Anhaltische Herzogtümer Anhalt gliederte sich im Untersuchungszeitraum in die Herzogtümer AnhaltDessau, Anhalt-Köthen und Anhalt-Bernburg, die zu den kleinsten deutschen Staaten des Deutschen Bundes zählten.80 Wie in der preußischen Provinz Sachsen mussten auch die Einwohner der anhaltischen Staaten bis zur Revolution 1848/49 warten, bis unter dem Druck der Bevölkerung eine Verfassung eingeführt wurde.81 So blieben die anhaltischen Herzogtümer bis 1848 altständischaristokratische Privilegienstaaten. Neben dem Parlament fehlten in den anhaltischen Staaten auch politische Zeitungen und Vereine, die das Volk politisch interessieren und bilden konnten. Auch die Zensur wurde per Gesetz relativ streng gehandhabt, weil sie sich auf sämtliche Druckschriften unabhängig von der Bogenzahl erstreckte.82 Bei den wenigen Zeitungen, die in Anhalt erschienen, handelte es sich um Regierungsorgane. Da im Gegensatz zu den anderen mitteldeutschen Staaten die Presse als Organ der bürgerlichen Bewegung ausfiel, mussten andere Möglichkeiten für oppositionelle Tätigkeiten gefunden werden. Dazu gehörten in den anhaltischen Staaten die innerkirchlichen Oppositionsbewegungen der Deutschkatholiken und der „Lichtfreunde“. Wegen der günstigen Verkehrsverhältnisse fanden seit Anfang der 1840er Jahre regelmäßig die Pfingsttreffen der „Lichtfreunde“ im Köthener

79 Zu Storch und seinem politischen Engagement, v. a. im Thüringer Sängerbund siehe unten S. 194–197 und S. 199–202. 80 Nach dem Erlöschen der Linie in Köthen 1847 übernahm Herzog Leopold IV. Friedrich von Anhalt-Dessau im November 1847 das Seniorat über Anhalt-Köthen. Siehe HERRMANN: Souverän oder Repräsentant, S. 116. 81 Zwar gab es am 12. Februar 1817 den Vorschlag von Anhalt-Bernburg, eine gemeinsame Verfassung zu erarbeiten. Das Vorhaben scheiterte aber nach zweijähriger intensiver Beratung zum einen daran, dass Herzog Ferdinand von Anhalt-Köthen sich gänzlich gegen eine Verfassung aussprach, und zum anderen daran, dass die Karlsbader Beschlüsse gerade fixiert wurden. Siehe dazu ENGLER: Revolution und Reaktion, S. 11. 82 Siehe S. EBD., S. 12.

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Bahnhofsrestaurant statt.83 Die Sympathie mit den zunehmend auch politisch aktiv werdenden religiösen Oppositionsbewegungen ging sogar so weit, dass im Revolutionsjahr 1848 „ganze Ortschaften den freien Gemeinden der Dissidenten“ angehörten, die wiederum „der in Anhalt starken Märzbewegung wesentlich den Boden [bereiteten]“.84 Daneben gab es in Anhalt nach 1830 ein verdeckt politisches Vereinswesen, welches sich aber größtenteils auf Anhalt-Köthen beschränkte. Dazu zählte unter anderem die 1837 ins Leben gerufene „Keller-Gesellschaft“ in Köthen in der demokratisch gesinnte Juristen und Mediziner im Ratskeller der Residenzstadt gesellige politische Diskussionsabende veranstalteten.85 Sie unterhielten Kontakte zu radikaloppositionellen Zirkeln in Berlin. Einige der Mitglieder wurden später Delegierte des Vereinigten Landtages der Herzogtümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen. Nicht zuletzt diese Vereinigung trug dazu bei, dass Köthen sich zum geistigen Mittelpunkt der demokratischen Bewegung in Anhalt entwickelte.86 Ein weiteres Sammelbecken für die oppositionellen Kräfte in Anhalt-Köthen war das vom Rechtsanwalt und späteren anhaltdessauischen Märzminister August Köppe in den 1840er Jahren gegründete Lesemuseum.87 Dort wurden die damals verbreiteten Zeitungen und Zeitschriften gelesen und diskutiert. Von diesem „Dessauer Lesekabinett“ gingen dann Anfang 1848 die ersten Volksversammlungen aus.88

3.2 „Lichtfreunde“ und Deutschkatholiken als religiöse Organisationsformen Nachdem die bürgerliche Freiheits- und Nationalbewegung durch das Hambacher Fest 1832, die Relegation der „Göttinger Sieben“ 1837,89 den preußischen Thronwechsel und die „Rheinkrise“ im Jahr 1840 einen enormen Aufschwung erfuhr und im öffentlichen Bewusstsein fest verankert war, blieb auch der kirchliche Bereich von liberalen und demokratischen Tendenzen nicht unberührt. Ausgehend vom theologischen Rationalismus, der großen Wirkung religionskritischer 83 Siehe BREDERLOW: „Lichtfreunde“, S. 28 ff. – Im Jahr 1840 wurde die Strecke MagdeburgKöthen-Halle-Leipzig und 1841 die Eisenbahnlinie Berlin-Wittenberg-Dessau-Köthen in Betrieb genommen. Somit besaß Anhalt bezüglich der Größe seines Territoriums über das dichteste deutsche Eisenbahnnetz. Siehe HACHTMANN: Zwischen Sachsen und Preußen?, S. 167. 84 HACHTMANN: Zwischen Sachsen und Preußen?, S. 168. – Auch die Gesangbewegung in Anhalt blieb davon nicht unbeeinflusst. Siehe dazu unten Kap. IV.1.1. 85 Zur Köthener Keller-Gesellschaft siehe Historisches Museum Köthen (Hg.): Studien zur Revolution und GROßERT: Enno Sander. Der Pharmazeut und linksdemokratische Philosoph Enno Sander (1822–1912) publizierte viele der hier entstandenen revolutionären Ideen in verschiedenen Blättern. 86 Siehe GRÜNEFELD/LÜNEBERG: Revolution und Revolutionslieder, S. 108. 87 Zu Köppe siehe unten S. 98. 88 HACHTMANN: Zwischen Sachsen und Preußen?, S. 169. 89 Zu den „Göttinger Sieben“ siehe unten S. 149, Anm. 269.

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Schriften90 sowie vom Erstarken der orthodoxen Bewegung in Form des Ultramontanismus91 auf katholischer und der Neoorthodoxie auf protestantischer Seite, bildeten sich innerhalb der Amtskirchen mit den „Lichtfreunden“92 (seit 1841) und den Deutschkatholiken93 (seit 1844) innerkirchliche Oppositionsbewegungen heraus. Sie gehören zu den ersten organisierten Massenbewegungen in Deutschland während des 19. Jahrhunderts. Gemeinsam erreichten sie um 1850 eine Mitgliederzahl von etwa 150.000 in ca. 350 Gemeinden.94 Damit übertrafen sie die Zahl der in Vereinen organisierten Sänger.95 Die Ursachen der religiösen Opposition waren rein innerkirchlich begründet. Die beiden großen Kirchen waren nicht mehr in der Lage, die Entfremdung der Mehrheit der Gläubigen von der sich restaurierenden Kirche aufzuhalten. Ihre Jahrhunderte andauernde wirkungsmächtige Integrationskraft war im Schwinden begriffen. Aufgrund der engen Verzahnung von Thron und Altar auf protestantischer, der engen Anbindung an Rom auf katholischer Seite sowie der politischen Tätigkeit führender Figuren vermischten sich jedoch bald religiöse und politische Motive. Beide innerkirchlichen Reformbewegungen wurden nolens volens Teil der bürgerlichen Freiheitsbewegung im Vormärz. Neben Verbindungen zu anderen oppositionellen Bewegungen und Vereinen, wie z. B. zur Turnbewegung, kam es auch zu zahlreichen Berührungspunkten mit der Männergesangbewegung, die in der Forschung bisher erst ansatzweise erforscht worden sind.96 In der vorliegenden Arbeit betrifft dies einerseits die „Lichtfreunde“ und die Gesangvereine in Magdeburg97, andererseits die Deutschkatholiken und die Gesangvereine in Dresden.98 90 Die Verfasser waren meist linkshegelianische Theologen wie u. a. Ludwig Feuerbach (Wesen des Christentums), Bruno Bauer (Geschichte des Johannes und Geschichte der Synoptiker) und David Friedrich Strauß (Leben Jesu). 91 Zum Ultramontanismus siehe CONZEMIUS: Ultramontanismus und zum aktuellen Forschungsstand FLECKENSTEIN/SCHMIEDL (Hg.): Ultramontanismus. 92 Zu den „Lichtfreunden“ siehe allgemein BREDERLOW: „Lichtfreunde“. 93 Zu den Deutschkatholiken siehe allgemein GRAF: Politisierung des religiösen Bewusstseins. 94 Davon gehörten ca. 100.000 Frauen und Männer dem Deutschkatholizismus und ca. 50.000 der Bewegung der „Lichtfreunde“ an. Siehe PALETSCHEK: Frauen und Säkularisierung, S. 303 und DIES.: Frauen und Dissens, S. 73. 95 Düding ging in seiner Untersuchung über den Nationalismus im Vormärz von ca. 100.000 Sängern aus. Siehe DÜDING: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus, S. 180. 96 Für die Männergesangvereine und die „Lichtfreunde“ unter Uhlich in Magdeburg stellte Hobohm in seiner Dissertation eine Verbindung her. Siehe HOBOHM: Musikgeschichte Magdeburgs 1, S. 416 ff. – Für die Beziehungen zwischen der Männergesangbewegung und den Deutschkatholiken steht eine Untersuchung im mitteldeutschen Raum noch aus. So findet sich im Artikel „Deutschkatholiken“ in der Theologischen Realenzyklopädie lediglich ein allgemeiner Hinweis auf diese Verbindung. Siehe KUHN: Deutschkatholiken, S. 559–566. – DÜDING (Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus, S. 156) und PALETSCHEK (Frauen und Dissens, S. 52 ff.) beziehen sich auf den südwestdeutschen Raum. 97 Siehe unten Kap. IV.4. 98 Siehe unten S. 253–256.

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„Lichtfreunde“ und „Freie Gemeinden“ Am 29. Juni 1841 kamen in Gnadau bei Schönebeck/Elbe 16 rationalistische Theologen zusammen, um sich gegen zunehmende Angriffe der neoorthodoxen Richtung zu organisieren. Der Initiator dieses Treffens war der evangelische Prediger Leberecht Uhlich.99 Die versammelten Theologen gaben sich die Bezeichnung „Protestantische Freunde“. In der Öffentlichkeit setzte sich jedoch der Begriff „Lichtfreunde“ durch, da ihre Vertreter im aufklärerischen Pathos in Reden und Predigten immer wieder die Lichtmetapher als Zeichen des vermeintlich unaufhaltsamen rationalen Fortschritts verwendeten.100 Einen Anlass für diese Versammlung bot der sogenannte Magdeburger Bilderstreit von 1840. Dabei wurde zwischen Rationalisten und Pietisten über die Göttlichkeit und die Anbetung Jesu Christi gestritten.101 Den „Lichtfreunden“ ging es vor allem zum einen um die Zurückweisung des Absolutheitsanspruches der orthodoxen Richtung und zum anderen um die Behauptung und Stärkung des theologischen Rationalismus. Als grundsätzlich tolerante Bewegung billigten sie den Vertretern der Orthodoxie durchaus das Recht auf ein eigenes Verständnis zu. Die theologische Position blieb aber bewusst unbestimmt. Es wurden zwar bei der zweiten Versammlung am 20. September 1841 in Halle/Saale, an der 56 Teilnehmer aus Preußen, Sachsen und Anhalt teilnahmen, „Neun Grundsätze“ verabschiedet, in denen die Vernunft als oberste Instanz für alle Dinge des Glaubens besonders hervorgehoben wurde.102 Die Grundsätze waren aber aus Angst, dadurch die Freiheit des Einzelnen wieder einzuschränken, nie als verbindliches Glaubensbekenntnis anerkannt worden. Daher spricht Martin Friedrich von einer eher „hermeneutische[n] Grundhaltung“ der „Lichtfreunde“.103 99 Uhlich (1799–1872) studierte seit 1817 bei den rationalistischen Professoren Julius August Ludwig Wegschneider, Wilhelm Gesenius und August Hermann Niemeyer in Halle Theologie. Im Herbst 1820 trat er in Diebzig seine erste Pfarrstelle an. Sieben Jahre später wurde er Pfarrer in Pömmelte bei Schönebeck/Elbe, wo erste Bibelbesprechungen in seinem Hause stattfanden. Der „Sintenische Bilderstreit“ von 1840 (siehe unten Anm. 101) ließ Uhlich als theologischen Rationalisten an die Öffentlichkeit treten. Zu Uhlich siehe ENGELMANN: Uhlich; BREYWISCH: Uhlich und UHLICH: Uhlich in Magdeburg. 100 HATTENHORST: Bürgerliche Sektenbildung, S. 293. 101 Der Magdeburger Pfarrer der Heilig-Geist-Kirche Wilhelm Franz Sintenis (1794–1859) wandte sich in einem Zeitungsartikel gegen ein sentimentales Gedicht von Wilhelm Ribbeck (1793–1843), in dem die Anbetung von Jesus empfohlen wurde. Für ihn als theologischen Rationalisten galt Jesus Christus nicht als Sohn Gottes, sondern als zwar prophetischer, aber normaler Mensch und daher als nicht anbetungswürdig. Eine Anbetung war nach Sintenis Aberglaube und unevangelisch. Siehe dazu FRIEDRICH: Preußische Landeskirche im Vormärz, S. 114–119. 102 Diese sind abgedruckt in: KAMPE: Religiöse Bewegung 2, S. 166 ff. und SHIMODA: Volksreligiosität und Obrigkeit, S. 163. Zur Teilnahme an der zweiten Versammlung der „Lichtfreunde“ siehe BREDERLOW: „Lichtfreunde“, S. 27. 103 FRIEDRICH: Preußische Landeskirche im Vormärz, S. 122.

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Zunehmend wurden die Generalversammlungen der „Lichtfreunde“ auch von radikalen Rationalisten, wie dem Hallenser Pfarrer Gustav Adolf Wislicenus, besucht.104 Bei der siebten Versammlung am 29. Mai 1844 in Köthen hielt Wislicenus eine Rede unter dem Titel „Ob Schrift? Ob Geist?“. Darin verwarf er das protestantische Schriftprinzip. Die Bibelauslegung sollte seiner Meinung nach nur den Erkenntnismöglichkeiten durch den Geist eines selbstbewussten Individuums vorbehalten sein.105 Die Rede des Hallenser Pfarrers brachte nicht nur Spaltungspotential in die Bewegung. Sie hatte auch zur Folge, dass durch die offensichtliche Absage an ein verbindliches Glaubensbekenntnis und eine feste Liturgie die kirchliche sowie die staatliche Obrigkeit die „Lichtfreunde“ verstärkt ins Blickfeld nahm. Die Schrift „Ob Schrift? Ob Geist?“ wurde konfisziert und Wislicenus von seinem Pfarramt suspendiert und als Häretiker angeklagt.106 Nach dem Köthener Pfingsttreffen 1845 organisierten sich die „Lichtfreunde“ auch in Sachsen. Die erste Vereinigung von „Lichtfreunden“ im sächsischen Königreich konstituierte sich unter der Leitung des Archidiakons Rudolph Richard Fischer107 in Leipzig. Bald danach gründete sich am 10. Juli 1845 nach Leipziger Vorbild ein Verein von „Lichtfreunden“ unter der Leitung von Diakon Ernst Heinrich Pfeilschmidt und Kürschnermeister Carl Gustav Klette in Dresden.108 Ausgehend von der Provinz Sachsen, breitete sich die Bewegung der „Lichtfreunde“ über den mitteldeutschen Raum bis zu den östlichen Provinzen Preußens aus. Neben dem Zentralverein in Köthen entstanden in der Provinz Sachsen Zweigvereine in Magdeburg, Halle/Saale, Aschersleben, Halberstadt, Eisleben, Naumburg und Oschersleben. In Anhalt, Sachsen, Schlesien und Ostpreußen kamen dann unter anderem bis 1846 noch Vereine in Dessau, Leipzig, Dresden, Görlitz, Breslau, Hirschberg und Königsberg hinzu.109 Ab Mitte der 1840er Jahre wuchsen die Mitgliederzahlen der „Lichtfreunde“ stark an. Um 1850 gab es in Deutschland etwa 50.000 Anhänger.110 Die zunehmende Radikalisierung der „Lichtfreunde“, die Aufnahme breiter Schichten der Bevölkerung und die schnelle Ausbreitung über Mitteldeutschland 104 Zu Wislicenus (1803–1875) siehe THIERBACH: Wislicenus und BREDERLOW: „Lichtfreunde“, S. 29 ff. 105 BREDERLOW: „Lichtfreunde“, S. 29. 106 EBD., S. 30. Als die Suspension nicht zurückgenommen wurde, gründete Wislicenus am 2. Oktober 1846 in Halle eine „Freie Gemeinde“. Siehe dazu WISLICENUS: Freie Gemeinde in Halle. 107 Fischer (1801–1855) war Prediger an der Leipziger Universitätskirche und Pfarrer an St. Petri in Freiberg, bevor er 1837 Archidiakon in der Leipziger Nikolaikirche wurde. Er war mit Uhlich befreundet, nahm mit ihm an der Gründung des Vereins der Protestantischen Freunde 1841 in Gnadau teil und gab zusammen mit ihm die Blätter für christliche Erbauung von protestantischen Freunden (1842–1848) heraus. Zu Fischer siehe KOLBE: Demokratische Opposition, S. 31 und OZAWA: „… daß ein Musikant es bald in Noten brächte.“, S. 326, Anm. 9. 108 KOLBE, Demokratische Opposition, S. 31. Zu Klette siehe unten S. 236 f. und zu Pfeilschmidt unten S. 255, Anm. 810. 109 BREDERLOW: „Lichtfreunde“, S. 32. 110 PALETSCHEK: Frauen und Säkularisierung, S. 303.

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hinaus ließen den preußischen Staat aktiv werden. Er sah das Landeskirchentum in Gefahr und befürchtete das Entstehen einer politischen Bewegung. Deshalb wurden durch die Kabinettsorder vom 5. August 1845 alle Versammlungen der „Lichtfreunde“ und ihre Konstituierung als geschlossene Gesellschaft in Preußen verboten.111 Auch die Kirchenbehörden wurden aktiv, und es kam zu Disziplinarmaßnahmen. So wurden u. a. Julius Rupp in Königsberg (September 1845),112 Wislicenus in Halle/Saale (April 1846) und Uhlich (September 1847) in Magdeburg113 ihrer Ämter enthoben. Durch diese Maßnahmen sahen sich die religiösen Dissidenten dazu gezwungen, Organisationsformen außerhalb der offiziellen Kirche zu schaffen. Vor allem in Mitteldeutschland entstanden zahlreiche „Freie (protestantische) Gemeinden“.114 Sie wurden mit dem Ziel geschaffen, statt einer abgeschlossenen Konfession „eine freie menschliche Gesellschaft“ zu konstituieren.115 Da das preußische Verbot der Versammlungen der „Lichtfreunde“ aufgrund des Rechts auf freie Religionsausübung nicht mehr aufrechterhalten werden konnte, wurde es durch ein königliches Patent vom 30. März 1847 aufgehoben.116 Die Bewegung der „Lichtfreunde“ beziehungsweise der „Freien Gemeinden“ erlebte danach bis zur 1850 einsetzenden Reaktionsperiode eine weitere kurze Blütephase. Vom 5.–8. September 1847 fand die erste überregionale Konferenz der freien Gemeinden in Nordhausen statt, an der 44 Männer und Frauen teilnahmen.117 Ein zweites Konzil folgte am 3./4. Oktober 1849 in Halberstadt, an dem auch einige Deutschkatholiken teilnahmen.118 Es gab danach einen starken Mitgliederschwund, der durch die Überwachung von Versammlungen und Prozesse gegen und Inhaftierung von Predigern und hochrangigen Mitgliedern in Gang gesetzt wurde. Im Jahr 1859 erfolgte letztendlich die Vereinigung

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BREDERLOW: „Lichtfreunde“, S. 36. Zu Rupp (1809–1884) siehe unten S. 237, Anm. 710. Siehe UHLIG: Lichtfreunde, S. 121. So entstanden u. a. neben der „Freien Gemeinde“ in Halle im Januar 1846 eine „Freie Protestantische Gemeinde“ unter Julius Rupp, im Januar 1847 eine „Freie Protestantische Gemeinde“ unter der Leitung von Eduard Baltzer (1814–1887) in Nordhausen, im Juni 1847 eine „Freie evangelische Gemeinde“ unter der Leitung von Timotheus Wislicenus (1806–1883) in Halberstadt, und, mit der größten Mitgliederzahl, Ende November 1847 durch einen massenhaften Austritt aus der Landeskirche eine „Freie christliche Gemeinde“ unter Uhlich in Magdeburg. Siehe dazu BREDERLOW: „Lichtfreunde“, S. 49–63. KAMPE: Religiöse Bewegung 2, S. 229. Siehe zum Religionspatent HATTENHAUER: Preußisches Religionspatent und FRIEDRICH: Preußische Landeskirche im Vormärz, S. 387–420. Das Religionspatent ermöglichte zwar den Kirchenaustritt und die Gründung neuer Religionsgemeinschaften, führte aber auch zur Entfernung von Dissidenten aus der evangelischen Landeskirche. Siehe MYRRHE: Sozialkonzepte und ,Frauenfrage‘, S. 25. KAMPE: Religiöse Bewegung 2, S. 247. Zum Ablauf siehe BALTZER: Verein freier Gemeinden (1847). Siehe dazu DERS.: Verein freier Gemeinden (1849).

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mit den ebenfalls zahlenmäßig stark dezimierten Deutschkatholiken im Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands.119 Die „Lichtfreunde“ waren zunächst eine rein theologische Interessensgruppe rationalistischer protestantischer Pfarrer, der „das Hinausgreifen über den Bereich der kirchlich tätigen Theologen [zunächst] fern“ lag.120 Das Versammlungsverbot der „Lichtfreunde“ in Preußen vom 5. August 1845 und zahlreiche Solidaritätsadressen vieler Magistrate und Stadtverordnetenversammlungen führten in den Jahren 1844/45 jedoch zur Formierung einer Massenbewegung in den Jahren 1844/45, die sich immer mehr politisch artikulierte. Die Bewegung der „Lichtfreunde“ setzte sich überwiegend aus Volksschullehrern, Gymnasiallehrern, Pfarrern, Advokaten, Assessoren und Predigtamtskandidaten zusammen. Da ihr aber auch Kaufleute, Handwerker und kleine Beamte angehörten, kann man nicht von einer rein akademischen, sondern von einer Massenbewegung sprechen.121 Die Deutschkatholiken Am Beginn der Bewegung der Deutschkatholiken stand die Ausstellung des „Heiligen Rockes“ in Trier durch den Bischof Arnoldi im Sommer und Herbst 1844.122 Diese Wallfahrt, an der vom 18. August bis zum 6. Oktober 1844 nach zeitgenössischen Berichten über eine halbe Million Menschen teilnahmen,123 war Anlass scharfer Kritik durch die rationalistischen Katholiken, an deren Spitze der schlesische Kaplan Johannes Ronge stand.124 Ronge legte seine Ablehnung in

119 Auf dem Konzil am 16. Juni 1859 in Gotha vereinigten sich 54 verbliebene Gemeinden zum Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands. Siehe zu diesem freireligiösen Bund HEYER/ PITZER: Religion ohne Kirche. 120 GRAF: Politisierung des religiösen Bewusstseins, S. 48. 121 Siehe PALETSCHEK: Frauen und Dissens, S. 32. Zur Strukturanalyse sowohl der „Lichtfreunde“ als auch der Deutschkatholiken siehe EBD., S. 77–96. 122 Zu dieser Ausstellung siehe den zeitgenössischen Bericht von GÖRRES: Wallfahrt nach Trier und SHIMODA: Volksreligiosität und Obrigkeit, S. 97–126. 123 Siehe SCHIEDER: Kirche und Revolution, S. 421 ff. 124 Der katholische Theologe Ronge (1813–1887) beschäftigte sich mit dem Philosophen Immanuel Kant und liberalen Theoretikern wie Karl von Rotteck. Auch war Ronge, wie später viele führende Oppositionelle im Vormärz, Mitglied einer radikalen Burschenschaft. Im Jahr 1841 trat er seine erste Stelle als Kaplan in Grottkau an. Nachdem Ronge in den Sächsischen Vaterlands-Blättern im Jahr 1842 öffentliche Kritik an der römischen Amtskirche artikulierte, erfolgte 1843 die Amtsenthebung. Als Lehrer kam er anschließend nach Laurahütte, wo er verstärkt mit den sozialen Problemen der Gesellschaft im Vormärz in Berührung kam. Nach seinem „Offenen Brief“ an den Trierer Bischof Arnoldi folgte am 4. Dezember 1844 die Exkommunikation. Danach trat er verstärkt als Agitator und Organisator der deutschkatholischen Bewegung auf. Auf politischem Gebiet wurde Ronge als Mitglied im Frankfurter Vorparlament, des „Provisorischen Zentralausschusses deutscher Demokraten“ und als Vertreter des Demokratischen Vereins beim 1. Demokratenkongress in Frankfurt/M. aktiv. Aufgrund dieser politischen Tätigkeiten musste er 1849

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einem „Offenen Brief“ an den Trierer Bischof Arnoldi vom 15. Oktober 1844 in den Sächsischen Vaterlands-Blättern125 öffentlich nieder und verknüpfte darin „religiöse, soziale und politische Momente zeitgenössischer Gesellschaftskritik“.126 Damit wurde der Versuch der katholischen Kirche, das im späten Vormärz aufkeimende revolutionäre Potential „in die Bahnen religiöser und sozialpolitischer Ruhe und Ordnung zu lenken und sich des konservativen Einflusses auf die Massen zu versichern“, unterlaufen.127 Durch die Erstpublizierung in den Sächsischen Vaterlands-Blättern Blums, der für Ronge Partei ergriff und später die deutschkatholische Gemeinde in Leipzig mitbegründete,128 wurde in nur „wenigen Wochen [...] das Sendschreiben zur Nationalangelegenheit gemacht“.129 Dadurch entstand eine breite, sich sowohl mündlich als auch schriftlich äußernde Öffentlichkeit. Ronge hatte mit seinem Brief den Nerv des nach Freiheit in sowohl politischen als auch religiösen Angelegenheiten strebenden Bürgertums getroffen. Überall in Deutschland entstanden nun deutschkatholische Gemeinden. Den Anfang machte Breslau, wo am 22. Januar 1845 die erste Versammlung von Deutschkatholiken unter der Führung Ronges abgehalten wurde.130 Bei einer Rede Ronges traten die Prinzipien der entstehenden Religionsgemeinschaft zutage: Aufhebung der Hierarchie, freie Forschung in der Heiligen Schrift, freie Gemeindeverfassung und Selbstverantwortlichkeit für innergemeindliche Angelegenheiten. Am 9. Februar nahm die Gemeindeversammlung ein von Ronge verfasstes eigenes Glaubensbekenntnis an. In diesem „Breslauer Bekenntnis“ wurden die Grundzüge der deutschkatholischen Glaubenslehre, des Gottesdienstes und der Verfassung beschlossen. Darin erkannte die Breslauer Gemeinde mit der Taufe und dem Abendmahl, wie auch die evangelische Kirche, anstatt sieben nur noch zwei Sakramente an. Das neue Glaubensbekenntnis beinhaltete auch die Absage an die Anrufung von Heiligen, die Verehrung von Bildern und Reliquien, den Ablass und an die Wallfahrt, da ihnen Jesus Christus als der alleinige Mittler zwischen Gott und dem Menschen galt.131 Am 9. März 1845 wurde Ronge als einstimmig gewählter Pfarrer der deutschkatholischen Gemeinde in Breslau

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fliehen und ging bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland 1861 ins Exil nach England. Zu Ronge siehe GRAF: Ronge. „Urtheil des katholischen Priesters Herrn Johannes Ronge über den heil. Rock zu Trier“, in: Sächsische Vaterlands-Blätter, Nr. 164, 15. Oktober 1844. Siehe auch KAMPE: Religiöse Bewegung 1, S. 69–72. PALETSCHEK: Frauen und Dissens, S. 20. KUHN: Deutschkatholiken, S. 560. Siehe dazu unten S. 254. BAUER: Bürgerliche Revolution, S. 4. Allein in Sachsen kursierten mindestens 40.000 Nachdrucke. Siehe GRAF: Politisierung des religiösen Bewusstseins, S. 32. BAUER: Bürgerliche Revolution, S. 19 f. Die Gründung einer deutschkatholischen Gemeinde erfolgte am 4. Februar 1845. Siehe Meyers Konservationslexikon, Bd. 4, 41888, S. 798.

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eingeführt.132 Er repräsentierte die sich später unter dem Einfluss der Junghegelianer und rationalistischer „Lichtfreunde“ radikalisierende Richtung einer „der Selbsterlösung nahestehenden Religion des Diesseits“ und einer „Theologie der Revolution“ als Offenbarung Gottes.133 Vor Ronges „Offenem Brief“ war, zunächst unabhängig vom Breslauer Kaplan, mit dem katholischen Priester Johannes Czerski aus Schneidemühl (Provinz Posen) ein anderer führender Kopf der deutschkatholischen Bewegung an die Öffentlichkeit getreten.134 In einem von Schneidemühler Katholiken im Frühjahr 1844 aufgestellten Reformkatalog wurde unter anderem die Beseitigung des Zölibats, das Abendmahl in beiderlei Gestalt, die Aufgabe der Heiligenverehrung, die Einführung der deutschsprachigen Messe und die Aufhebung des Mischehenverbots gefordert.135 Nachdem der Pfarrvikar Czerski wegen seiner „Gewissensehe“ suspendiert worden war, traten am 19. Oktober 1844 etwa 70 römisch-katholische Schneidemühler Gemeindemitglieder aus ihrer Gemeinde aus, gründeten eine neue „christlich-apostolisch-katholische Gemeinde“, entwarfen ein „Offenes Glaubensbekenntnis“ und wählten Czerski zu ihrem Pfarrer.136 Czerski repräsentierte den gemäßigten Flügel der Deutschkatholiken, der sich am Vorbild des Lebens und Wirkens Jesu Christi auf Erden ausrichtete.137 In rasender Geschwindigkeit fasste der Deutschkatholizismus anschließend durch Gemeindegründungen über Schlesien und Sachsen, die als Zentren anzusehen sind, in ganz Deutschland Fuß. Schon im August 1845 gab es 170 Gemeinden mit 41 Predigern.138 Nach der Schätzung Sylvia Paletscheks sollen insgesamt etwa 100.000 Mitglieder in deutschkatholischen Gemeinden integriert gewesen sein.139 Zu dieser raschen Ausbreitung trugen die fünf von Ronge im Jahr 1845 unternommenen deutschlandweiten Reisen erheblich bei.140 Aufgrund des schnellen Wachstums und sich herausbildender Diversität an Glaubensauffassungen gab es dringenden Handlungsbedarf bezüglich der dogmatischen Klarheit der neuen Kirche. So konstituierte sich unter der Führung Blums und 132 BAUER: Bürgerliche Revolution, S. 27. 133 KUHN: Deutschkatholiken, S. 560. 134 Der ehemailige katholische Vikar (1813–1893) wurde am 17. Februar 1845 exkommuniziert. Zu Czerski siehe BAUTZ: Czerski. 135 Siehe dazu KAMPE: Religiöse Bewegung 1, S. 73 ff. und SHIMODA: Volksreligiosität und Obrigkeit, S. 127. 136 EBD., S. 128. 137 GRAF: Politisierung des religiösen Bewusstseins, S. 34. Mit der radikalen Richtung der Deutschkatholiken waren eigentlich nur die Ablehnung der Hierarchie und die Ablehnung des Zölibats gemeinsam. In allen wesentlichen dogmatischen Fragen herrschte anfangs noch weitgehende Übereinstimmung mit der offiziellen Kirchenlehre. Siehe EBD. 138 KUHN: Deutschkatholiken, S. 561. 139 Siehe oben S. 51, Anm. 94. Siehe dazu auch ZERBACK: Robert Blum, S. 170. 140 Zu den Rundreisen Ronges, die öffentliche Anerkennung, finanzielle Unterstützung und öffentliche Förderung sicherten, siehe KAMPE: Religiöse Bewegung 1, S. 159.

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Franz Jacob Wigards141 die deutschkatholische Kirche auf ihrem ersten Konzil vom 23.–26. März 1845 in Leipzig und gab sich dabei die „allgemeinen Grundsätze und Bestimmungen“ sowie den Namen „Deutsch-Katholische Kirche“.142 Die Versammlung verfasste ein allgemeines Glaubensbekenntnis und lehnte Papsttum, Zölibat, Beichte und Heiligenkult als obsolet ab. Trotz der Konstituierung zu einer einheitlichen Religionsgemeinschaft konnten die unterschiedlichen Positionen der Einzelgemeinden nicht vereinheitlicht werden, da die freie Auffassung und Auslegung des Inhaltes den einzelnen Gemeinden vorbehalten war. Die Entwicklung einer einheitlichen Theologie war daher nicht möglich.143 Integrativ blieb aber die angestrebte Emanzipierung von Rom und, zumindest bis zur Revolution, die gemeinsame Überzeugung, dass der Bruch zwischen christlichem Glauben und freiheitlicher Gestaltung der Gesellschaft nicht unumgänglich ist. Nach dem 2. Konzil mit 259 Gemeinden im Mai 1847 in Berlin, wiederum unter der Leitung von Blum und Wigard, wurde die Bewegung der Deutschkatholiken „danach von der 1848er Revolution eingesogen“.144 In der Revolution von 1848/49 beteiligten sich führende Deutschkatholiken aktiv als Mitglieder der demokratischen Linken.145 Nach deren Niederschlagung kehrten die meisten Deutschkatholiken wieder in die römisch-katholische Kirche zurück. Insgesamt waren die Deutschkatholiken, ebenso wie die „Lichtfreunde“, eine städtische Bewegung. Sie konstituierte sich hauptsächlich in protestantischen Städten, wie zum Beispiel in Leipzig, Dresden und Chemnitz“. In ihr waren breite bürgerliche Kreise, von Handwerkern bis hin zu Kaufleuten und Intellektuellen sowie auch Arbeiter integriert.146 Allerdings rekrutierte sich die Mehrzahl der Mitglieder aus kleinbürgerlichen und proletarischen Schichten. Im Gegensatz zu den „Lichtfreunden“ waren in der deutschkatholischen Bewegung von vornherein Laien eingebunden, durch die breite Kreise der Bevölkerung gegen die katholische Kirche mobilisiert werden sollten. Wie auch in anderen oppositionellen 141 Zum Stenografen und Politiker Wigard siehe unten S. 254, Anm. 804. 142 Zu den aus vier Kapiteln bestehenden „allgemeinen Grundsätze und Bestimmungen“ siehe SHIMODA: Volksreligiosität und Obrigkeit, S. 129 ff.; zur Namensgebung GEIS: Freireligiöses Quellenbuch, S. 274 und zum Leipziger Konzil allgemein PALETSCHEK: Frauen und Dissens, S. 27–30 und Concil der deutsch-katholischen Kirche. 143 Zu den verschiedenen deutschkatholischen Theologien siehe GRAF: Politisierung des religiösen Bewusstseins, S. 66–95 und KUHN: Deutschkatholiken, S. 560 f. 144 SHIMODA: Volksreligiosität und Obrigkeit, S. 131. Allerdings war dies in Deutschland keine gleichförmige Entwicklung. So entstand der Deutschkatholizismus in Bayern erst während der Revolution. In Sachsen stellte die Revolution keinen Entwicklungsbruch für die katholischen Dissidenten dar. 145 Als bekannte Protagonisten seien hier Robert Blum, Franz Jacob Wigard, Johannes Ronge, Heinrich Wuttke (1818–1876) und Gustav von Struve (1805–1870) genannt. Zum Deutschkatholizismus und seiner Rolle in den Parlamenten und der demokratischen Vereinsbildung während der Revolution 1848/49 siehe GRAF: Politisierung des religiösen Bewusstseins, S. 121–141. 146 SHIMODA: Volksreligiosität und Obrigkeit, S. 128.

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Bewegungen des Vormärzes spiegelten sich in der Bewegung der Deutschkatholiken die Gegensätze eher konstitutionell und eher republikanisch eingestellter Richtungen, sodass sich teilweise einzelne Gemeinden abtrennten. Als freie Assoziationen konstituiert, gehörten die Deutschkatholiken zu den ersten Vereinen in Deutschland, die neben dem Engagement in der sozialen Frage und in der Volksbildung sich auch der Frage der Frauenemanzipation annahmen, und, wie auch die „Lichtfreunde“, die Gleichberechtigung der Frau im Gemeindeleben verwirklichten.147 Politische Konsequenzen Über die politische Bedeutung der religiösen Oppositionsbewegungen der „Lichtfreunde“ beziehungsweise der „Freien Gemeinden“ und der Deutschkatholiken gehen die Meinungen in der Forschung auseinander. Die allgemeine Schwierigkeit der Bewertung des Deutschkatholizismus und der „Lichtfreunde“ als rein religiöse oder als kryptopolitische Oppositionsbewegung liegt darin begründet, dass die Begriffe Religion und Politik im Vormärz nicht trennscharf voneinander zu unterscheiden sind. Da das Bewusstsein des Großteils der Bevölkerung auch in den 1840er Jahren noch weitgehend religiös bestimmt war, hatte sich oppositionelles Denken notwendig religiös konstituiert.148 Die Ursache hierfür war, dass die politischen Forderungen des sich im späten Vormärz aufspaltenden Liberalismus breiten Schichten der Bevölkerung aufgrund fehlender persönlicher Erfahrungen zumeist abstrakt blieben, wohingegen bei religiösen Angelegenheiten auf Erfahrungen der eigenen Erlebniswelt zurückgegriffen werden konnte. Diese Tatsache muss immer vor Augen gehalten werden, wenn von der politischen Wirksamkeit der religiösen Oppositionsbewegungen die Rede ist. Die Verschränkung von religiöser und politischer Dissidenz zeigte sich zuerst bei der Bewegung der Deutschkatholiken. Sie konnte breite Volksschichten mobilisieren, indem Ronge zunehmend auch sozialpolitische Forderungen bei seinen zahllosen öffentlichen Predigten in den Vordergrund stellte. Nach seiner Vorstellung waren die religiöse Befreiung des Volkes und die Aufklärung über seine Menschenrechte Ausgangspunkte für die allgemeine politische Emanzipation.149 Dadurch wurde die ursprünglich religiöse Basis oft durch soziale und politische Handlungsmotivationen völlig überdeckt. Aufgrund der sich zuspitzenden politischen und allgemeinen sozioökonomischen Lage am Ende des Vormärzes wurde aus dem anfangs rein religiös motivierten Deutschkatholizismus zusätzlich eine sozialpolitische Bewegung. In dieser Zeit war die religiöse Opposition „die angemessene Artikulationsweise des sozialen und politischen Freiheitswillens sowohl 147 Siehe dazu ausführlich PALETSCHEK: Frauen und Dissens, S. 153–193. 148 GRAF: Politisierung des religiösen Bewusstseins, S. 168. 149 EBD., S. 48. Siehe dazu auch BAUER: Bürgerliche Revolution, S. 177.

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der kleinbürgerlichen Schichten als auch des liberalen, aufgeklärten Bürgertums“.150 Auch die „Lichtfreunde“ beziehungsweise die „Freien Gemeinden“ verbanden mit zunehmender Konfrontation mit dem Staat religiöse Forderungen mit dem Engagement auf sozialem und politischem Gebiet. Die ursprünglich gewollte innerkirchliche Auseinandersetzung gewann an politischer Dynamik, als die staatliche Obrigkeit „selbst zum Sachwalter der kirchlichen Reaktion wurde und tendenziell als Agent einer religiösen Partei handelte“.151 Dadurch sahen sich freiprotestantische Amtsträger zunehmend in eine Oppositionshaltung gegen den Staat gezwungen, der die Kritik an der von ihr verantworteten Kirchenpolitik „nur als Kritik der sie definierenden politischen Gesamttendenz begreifen konnte“.152 So initiierten sie zahlreiche sozial motivierte Vereinsgründungen, wie z. B. Bildungs- und Lesevereine.153 Ziel dieser Vereinigungen war es, sich durch Bildung eigene Urteile nicht nur in religiösen Dingen, sondern auch in gesellschaftlichen und politischen Fragen aneignen zu können. In diesem Zuge kam die religiöse Oppositionsbewegung vielfältig mit anderen oppositionellen Vereinigungen des Vormärzes wie den Turnern, Sängern und Burschenschaften in Verbindung. Ausdruck dieser Verknüpfungen waren zahlreiche Mehrfachmitgliedschaften einzelner Mitglieder.154 Waren die beiden religiösen Oppositionsbewegungen zwar organisatorisch getrennt, so gab es doch theologisch kaum noch wesentliche Unterschiede. An den ersten deutschkatholischen Gemeindegründungen nahmen auch viele Protestanten teil, und nicht wenige deutschkatholische Pfarrer hatten einen protestantischen Hintergrund.155 Daher kann man auch hinsichtlich der „Lichtfreunde“ und der Deutschkatholiken von einer einzigen religiösen Oppositionsbewegung sprechen.156 Auch bei vielen Zeitgenossen wurden beide Bewegungen in einem Atemzug genannt und bezüglich ihrer Zielsetzungen als Einheit verstanden. Das war auch seitens des obrigkeitlichen Staates der Fall.157 Er sah beide Bewegungen 150 151 152 153 154

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KUHN: Deutschkatholiken, S. 559. GRAF: Politisierung des religiösen Bewusstseins, S. 49. EBD., S. 50. Siehe dazu bspw. die Gründungen des Zschokke-Vereins und des Bildungsvereins in Magdeburg unten S. 212 sowie S. 223. So war bspw. der Mitbegründer der „Lichtfreunde“ in Dresden, der Kürschnermeister Carl Gustav Klette, sowohl führendes Mitglied im Dresdner Turnverein als auch im Männergesangverein Orpheus. Siehe dazu und zu Klette unten S. 236 f. – Franz Jacob Wigard gehörte sowohl zu den führenden Figuren der Dresdner und sächsischen Deutschkatholiken sowie auch dem Dresdner Turnverein an. Zu Wigard siehe unten S. 254, Anm. 804. So war der Pädagoge und Redakteur Eduin Bauer protestantischer Theologe, bevor er 1845–1849 deutschkatholischer Pfarrer in Dresden und Leipzig wurde. Siehe dazu unten S. 255, Anm. 808. PALETSCHEK: Frauen und Dissens, S. 44. So wurde Uhlich in der deutschlandweit verbreiteten Fahndungsliste der politischen Polizei fälschlicherweise als Deutschkatholik bezeichnet. Siehe Anzeiger für die politische Polizei, S. 320.

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als zunehmend staatsgefährdend an und reagierte mit Verboten und Repressionen. In den überwiegend katholisch geprägten Staaten Österreich und Bayern wurden die Gründungen von deutschkatholischen Gemeinden bis 1848 verboten, weil sie eine Quelle von „Radikalismus und Kommunismus“ seien.158 Auch auf protestantischer Seite wurde die Gefahr kommunistischer und sozialistischer Tendenzen bei den „Lichtfreunden“ in Verbindung mit Sängervereinen gesehen. In einem Schreiben des Oberpräsidenten der Provinz Sachsen an den Regierungspräsidenten von Erfurt vom September 1845 heißt es: Ew. Hochwohlgeboren ersuche ich ganz ergebenst, die im Regierungs-Bezirk schon bestehenden, resp. sich noch bildenden Sängervereine junger Handwerker in geeigneter Weise überwachen zu lassen, um davon in Kenntniß gesetzt zu werden, wenn sich in denselben socialistische und communistische Tendenzen bemerklich machen, und etwa eine nähere Verbindung derselben mit den protestantischen Freunden stattfinden resp. eintreten sollte.159

Es gehörte zur Taktik der staatlichen Behörden, nur die rein politische Wirksamkeit der „Lichtfreunde“ beziehungsweise „Freien Gemeinden“ zu beschreiben, um polizeiliche Verfolgung und Verbote legitimieren zu können. Der Vorwurf sozialistischer Umtriebe und kommunistischer Umsturzpläne entbehrten in der Realität bis zur Revolution größtenteils jeglicher Grundlage. Ziel der freien Protestanten war es primär, die Pluralität an Geistesströmungen innerhalb der evangelischen Kirche zu erhalten und so die zunehmende Entfremdung der Massen von der etablierten Kirche aufzuhalten, indem sie religiöse Zeitströmungen aufnahmen. Erst ausgehend von dieser Grundhaltung und weil sich diese Bewegung als Sachverwalter des (Kirchen-)Volkes sah, „wird sie im Laufe der Zeit immer mehr zum Katalysator für den politisch-gesellschaftlichen Kampf gegen die politische Reaktion“, worin auch die bleibende geschichtliche Bedeutung der „Lichtfreunde“ und der freien Gemeinden liegt.160 Erst im Zuge der Revolution kam es unter dem Einfluss der Linkshegelianer „zur schnellen theologischen wie politischen Radikalisierung, so dass viele Gemeinden nun von den Gegensätzen zwischen Demokraten und Liberalen geprägt wurden“.161 Während der Revolution von 1848/49 traten dann die religiösen gegenüber den politischen Fragen in den Hintergrund, wobei Erstere in den parlamentarischen und außerparlamentarischen Auseinandersetzungen durch Petitionen, vor allem in der Frage nach der Trennung von Staat und Kirche, immer präsent blieben. Die deutschkatholischen und die „Freien Gemeinden“ trugen überwiegend 158 KAMPE: Religiöse Bewegung 1, S. 193. 159 Schreiben des Oberpräsidenten Gustav von Bonin an den Regierungspräsidenten Justus Du Vignau vom 20. September 1845, in: ThStA Go, Regierung Erfurt, Nr. 437, Bl. 2r. – Unter diesen Vorzeichen wurde bspw. der Gesellen-Gesang-Verein in Kölleda seit 1845 überwacht. Siehe StA Kölleda, Acta 1526. 160 UHLIG: Lichtfreunde, S. 121. 161 GRAF: Lichtfreunde, S. 333.

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die revolutionäre Bewegung tatkräftig mit, da mit dieser große Zukunftshoffnungen verbunden waren.162 Innerhalb der unkonkreten deutschkatholischen Glaubenslehre gab es, bedingt durch die angestrebte Vereinbarung von gesellschaftlichem Wandel mithilfe einer religiösen Erneuerung, Bruchstücke einer Theologie der Revolution und des religiösen Humanismus.163 Daher fanden sich neben freien Protestanten viele Deutschkatholiken in Mandaten der Landtage und im Frankfurter Parlament wieder, beteiligten sich an revolutionären Aufständen und der Bildung von demokratischen Vereinen bis hin zum Engagement in der noch jungen Arbeiterbewegung.164 * Der Liberalismus als gesellschaftliche Bewegungsmacht repräsentierte die Interessen, die Denkweise und die gesellschaftlich-politischen Ziele des aufstrebenden Bürgertums in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wie keine andere gesellschaftliche Bewegung. Im politischen Liberalismus stand der Ruf nach nationaler Einheit und bürgerlichen Freiheitsrechten wie der Meinungs- und Pressefreiheit, des Rechts auf freie Vereinigung und rechtlicher Gleichheit, im Vordergrund. Die jeweilige Gewichtung konnte je nach Region und aktueller innen- und außenpolitischer Lage variieren. Bis in den späten Vormärz hinein integrierten sich verschiedene Richtungen mit unterschiedlichen Zielsetzungen unter dem liberalen Dach. Erst mit zunehmenden sozialen Spannungen und radikaleren Forderungen des linken Flügels kam es kurz vor dem Ausbruch der Revolution zur Spaltung in Mehrheitsliberale und Demokraten. Die Hauptursache für die Trennung lag im unterschiedlichen Staatsverständnis. Da vor 1848 nur selten die Möglichkeit bestand, den politischen Liberalismus in Parlamenten zu vertreten und in praktische Politik umzusetzen, wurden stattdessen bürgerliche Vereine zu Übungsfeldern. In Vereinen und freien Assoziationen praktizierten die Mitglieder durch gemeinsam erstellte Satzungen sowie durch freie Wahlen und Abstimmungen egalitäres und demokratisches Verhalten. Vor der Revolution von 1848/49 wurden politische Vereine zum Kampfinstrument für bürgerliche Rechte und gegen reaktionäre Regierungen. Auch die bürgerlichen Männergesangvereine wiesen überwiegend eine demokratische Struktur auf und traten nachdrücklich für die Überwindung von Standesschranken ein. Der

162 Zur Beteiligung von Vertretern der „Freien Gemeinden“ und der Deutschkatholiken siehe GRAF: Politisierung des religiösen Bewusstseins, S. 120–164, BREDERLOW: „Lichtfreunde“, S. 82–96, KUHN: Historische Friedensforschung, S. 62–67. 163 Dabei schwebte z. B. Ronge eine Gesellschaft zwischen der Herrschaft des Kapitals und dem atheistischen Kommunismus vor. Siehe dazu RONGE: Verhältniß der jungen Kirche. 164 KUHN: Deutschkatholiken, S. 561.

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politische Charakter der Männergesangvereine trat im ausgehenden Vormärz immer stärker hervor, da offen politische Vereine verboten worden waren. In Mitteldeutschland gab es aufgrund verschiedener Entwicklungsgrade unterschiedlich ausgeprägte Organisationsformen der politischen Opposition. So war das Königreich Sachsen vor allem aufgrund der Bedeutung Leipzigs als Zentrum des Buchhandels und einer reichen literarischen Szene im Vormärz am stärksten von den mitteldeutschen Ländern politisiert. Eine reiche oppositionelle Presselandschaft, ein vielfältig ausgeprägtes Vereinswesen und die oppositionelle Tätigkeit in der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtages führten zu einer stärkeren Politisierung der Öffentlichkeit und zu einer früheren Aufspaltung in Demokraten und Liberale als in den anderen mitteldeutschen Ländern. In der preußischen Provinz Sachsen gab es hingegen nur Provinziallandtage, die wegen eng beschnittener Kompetenzen zunächst kein Forum oppositioneller Tätigkeiten werden konnten. Erst der bürgerliche Hoffnungen enttäuschende preußische Thronwechsel von 1840 und der wirtschaftliche Aufschwung im Zuge der Industrialisierung brachte eine verstärkte Politisierung mit sich. Später als in Sachsen formierte sich nun auch hier eine politische Presse, und es kam verstärkt zu Vereinsbildungen. Wesentlichen Anteil an der Formierung und Verbreitung einer wirkungsvollen Opposition hatten in der preußischen Provinz die religiösen Dissidenten der protestantischen „Lichtfreunde“ und die von Magdeburg ausgehenden öffentlichen „Bürgerversammlungen“. In den thüringischen Staaten gab es vor 1848 größtenteils schon Verfassungen. So konnten sich speziell im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach bis zu den Karlsbader Beschlüssen oppositionelle Kräfte relativ frei entfalten. Ein gemeinsamer Nenner der sich verstärkt über Landesgrenzen hinweg zusammenfindenden Thüringer war das Ziel der Überwindung der Zersplitterung Thüringens, wobei der Thüringer Sängerbund im ausgehenden Vormärz eine wesentliche Rolle spielte.165 Bis auf Anhalt-Köthen hat es in den anhaltischen Staaten vor 1848 kaum öffentlich wirksame oppositionelle Bewegungen gegeben. Das hatte zum einen mit dem Fehlen einer politischen Öffentlichkeit mangels unabhängiger Presse und politischer Vereine, zum anderen mit den patriarchalischen Zügen der Fürstenhäuser sowie der Beamtenwillkür der Kleinstaaten zu tun. Die Bevölkerung wurde „von den Regierungen in politischer Unmündigkeit erhalten und bis in persönliche Verhältnisse des täglichen Lebens hinein bevormundet“.166 Die Köthener „Keller-Gesellschaft“ und die flächendeckende Verbreitung der „Lichtfreunde“ blieben die Ausnahmen.

165 Siehe dazu unten Kap. IV.3. 166 ENGLER: Revolution und Reaktion, S. 13.

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Neben der Presse und vereinzelter parlamentarischer Betätigung waren es in Mitteldeutschland vor allem religiöse Bewegungen, die Kristallisationspunkte der bürgerlichen Opposition bildeten. Die protestantischen „Lichtfreunde“ beziehungsweise „Freien Gemeinden“ sowie die Deutschkatholiken bildeten in ihren Gemeinden das „Modell einer utopischen demokratischen Gesellschaft“ vor und übten so eine enorme Anziehungskraft auf die aufstrebende bürgerliche Gesellschaft aus, der diese Gesellschaftsform im politischen Bereich verwehrt blieb.167 Daher bestand eine enge Verflochtenheit mit der demokratisch-oppositionellen Vormärzbewegung. Es blieb aber auch nicht aus, dass einige führende oppositionelle Politiker die Mitgliedschaft bei den religiösen Dissidenten als Forum für die Durchsetzung eigener politischer Vorstellungen benutzten. Die gesamte religiöse Oppositionsbewegung bewegte sich „im Übergangsbereich von religiöser Gemeinde, politischem Verein und Urzelle einer zukünftigen demokratischen Gesellschaft“.168

167 HARDTWIG: Kirchen in der Revolution, S. 84. 168 PALETSCHEK: Frauen und Dissens, S. 33.

III. Geschichte der Männergesangbewegung bis 1848

Zur Geschichte der Männergesangbewegung in Deutschland im Allgemeinen und zur Frühgeschichte im Besonderen liegt inzwischen eine erschöpfende, den deutschsprachigen Raum umfassende Forschungs- und Festschriftenliteratur vor.1 Darin wurden die Quellen der Sängerbewegung aber selten berücksichtigt.2 Für den mitteldeutschen Raum gibt es bisher noch keine Gesamtdarstellung der allgemeinen Entwicklung. Im Abschnitt 2 dieses Kapitels wird daher anhand von Vereinsgründungen und abgehaltenen Sängerfesten erstmals die Entstehung und Entfaltung der Männergesangbewegung bis 1848/49 im oben beschriebenen Untersuchungsraum kursorisch nachgezeichnet.3

1.

Geschichte der deutschen Männergesangbewegung von den Anfängen bis zur Revolution 1848/49

Die Bedeutung der Befreiungskriege gegen die napoleonische Besetzung für die Entwicklung und Identitätsfindung des modernen deutschen Männergesangs kann kaum überschätzt werden. Damals bildeten sich Wesensmerkmale heraus, die lange Zeit konstituierend für das Selbstverständnis der Männergesangbewegung blieben und sich in Reden und im Liedgut niederschlugen. Da ist unter anderem der Erbfeindmythos zu nennen, der in den Befreiungskriegen seinen Ursprung hatte und in vielen Vaterlandsliedern weiter gepflegt wurde.4 Weiterhin entstand das Leitbild des wehrhaften „deutschen Mannes“, den mannhaftes Kämpfertum, Treue, Bescheidenheit, Familiensinn und Ehrlichkeit auszeichneten, der dem Vaterland ergeben ist und es unter Einsatz seines Lebens jederzeit heldenhaft verteidigen würde. Des Weiteren bildete sich im Zuge der Befreiungskriege eine Nationalreligiosität heraus, die ihre Ursprünge unter anderem in den französischen Revolutionsfeiern hatte. Im Männerchorgesang verband sich von Beginn an nationales und religiöses Empfinden zu einer neuen Einheit. Dabei entstand ein „eigenartiger nationalreligiöser Synkretismus“.5 Unter der Berufung 1 Zur Forschungsliteratur siehe oben S. 15–20. 2 Auf die Quellen ging erstmals Dietmar Klenke (Der singende „deutsche Mann“, S. 31–48) ausführlich und umfassend ein. 3 Zum Untersuchungsraum siehe oben S. 13. 4 Zur Geschichte des Erbfeindmythos siehe KITTEL: Deutsches Nationalbewußtsein. 5 BRUSNIAK/KLENKE (Hg.): „Heil deutschem Wort und Sang!“, S. 17. Zur Nationalreligiosität im Allgemeinen siehe KLENKE: Nationalreligiosität und in der Sängerbewegung im Besonderen siehe BRUSNIAK: Nationalreligiosität.

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MÄNNERGESANGBEWEGUNG BIS 1848

auf die Idee des ,Volkskrieges‘ wurde, wie auch durch die Turner und Burschenschaftler, gegenüber dem einheimischen Adel ein Recht auf politische Mitbestimmung abgeleitet. Jeder, der an der Befreiung Deutschlands von der französischen Besetzung teilgenommen hatte, sollte auch politisch partizipieren können. Verbreitet wurde diese Forderung vor allem durch bildungsbürgerliche Kreise, denen es um die Aufwertung gegenüber dem Adel und einen eigenen Eliteanspruch ging. Um diesen weltanschaulich zu überhöhen und „mit der Weihe einer höheren, gleichsam göttlichen Moral zu versehen“,6 griffen sie auf Poesie und Gesang als gleichsam gottgegebene Gaben zurück.7 Einen großen Einfluss auf die Männergesangvereine übte philanthropischaufklärerisches Gedankengut aus, welches vor allem von Pädagogen in die Sängerbewegung hineingetragen wurde. Herausragender Vertreter dieser Ausrichtung war der Züricher Musikpädagoge Hans Georg Nägeli, der die sittlich-veredelnde Kraft ausgeübter Kunst in den Mittelpunkt stellte und über die Schweizer Grenzen hinaus propagierte.8 Zu den liberal gesinnten Pädagogen, die möglichst breite Volkskreise künstlerisch anleiten und dadurch Verrohung und Gewaltsucht vorbeugen wollten, zählten neben Nägeli der Stuttgarter Pädagoge und Hofrat Christian Carl André9 und der Esslinger Lehrer und „Sängervater“ Karl Pfaff.10 Sie waren die „intellektuellen Vordenker der deutschen Sängervereine“.11 Die Lehrer füllten die Gesangvereine mit Leben und trieben deren Entwicklung als Chorleiter, Vereinsführer und als Mitglieder von Lehrergesangvereinen voran. Dabei spielten die Volksschullehrer eine herausragende Rolle.12 Einen bedeutenden Einfluss auf die Männergesangbewegung ging auch vom Freimaurertum aus. Vor allem die freimaurerischen Ideale der Humanität, Gleichheit aller Stände, Hilfsbereitschaft und freien persönlichen Entfaltung fanden in der Ideenwelt des modernen deutschen Männergesangs ihren Niederschlag. Einerseits waren viele Mitglieder von Gesangvereinen auch Logenbrüder.13 6 7 8 9 10

KLENKE: Der singende „deutsche Mann“, S. 24. Siehe dazu auch unten Exkurs, S. 139. Siehe dazu unten S. 72. Zu Christian Carl André siehe BRUSNIAK: Christian Carl André und DERS.: Schubert-Rezeption. Der Pädagoge und Historiker Pfaff (1795−1866) wurde 1818 Lehrer und 1819 Konrektor am Pädagogium in Esslingen am Neckar und verfasste daneben historische Abhandlungen zur Geschichte Württembergs. Im Jahr 1827 war er einer der Hauptredner beim 1. Schwäbischen Liederfest. Unter Pfaffs Leitung konstituierte sich 1849 der Schwäbische Sängerbund, dessen erster Präsident er wurde. Zu Pfaff siehe BORST: Karl Pfaff. 11 KLENKE: Der singende „deutsche Mann“, S. 33. Auch in Thüringen waren Philanthropen an der Männergesangbewegung interessiert, wie die Teilnahme des Pädagogen und Pestalozzi-Schülers Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782–1852) am 1. Liederfest des Thüringer Sängerbundes 1843 in Molsdorf zeigt. Siehe STORCH: Thüringer Sängerbund, S. 66. 12 Siehe dazu vor allem BRUSNIAK/KLENKE (Hg.): Volksschullehrer und außermusikalische Musikkultur. 13 Siehe SCHUMANN (Hg.): Chronik Provinzialliedertafel, S. 13. So waren im mitteldeutschen Raum die Protagonisten der dortigen Männergesangbewegung Friedrich Schneider (in Leipzig und Dessau;

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Andererseits sind im Liedrepertoire der Männergesangvereine zahlreiche Freimaurerlieder zu finden.14 Im Gegensatz zum zurückgezogenen Vereinsleben der Freimaurer strebte das Männergesangwesen aber mehr in die Öffentlichkeit. Als Identifikationsfigur freimaurerischer Ideen in der Männergesangbewegung diente Wolfgang Amadeus Mozart, in dem man das „Ideal des bürgerlichen Künstlertums“ und somit „den wahren gottgewollten Adel“ zu sehen glaubte.15 Einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung des Männergesangs übte der Kirchengesang aus.16 Das hing vor allem damit zusammen, dass viele Männergesangvereine aus Kirchenchören wie den Adjuvantenchören hervorgingen.17 Sie waren nun zwar kirchenunabhängige Institutionen, nahmen aber weiterhin liturgische Aufgaben im Gottesdienst und bei Kasualien wahr.18 Andererseits entwickelte sich aus den religiösen Wurzeln im bürgerlichen Musikleben im Allgemeinen und im Männergesangwesen im Besonderen sowohl eine Kunst- als auch eine Nationalreligiosität heraus, die parallel zu dem zunehmenden Verlust traditioneller christlicher Bindungen im 19. Jahrhundert die Kunst oder ausübende Künstler als göttlich, heilig oder inspiriert beziehungsweise die Nation „zur höchsten innerweltlichen Heilsgemeinschaft und den Männergesang zu einem kirchenunabhängigen religiösen Ritus erklärte“.19 Als Ursachen für das bewusste Heraustreten national und liberal gesinnter Sängervereine aus kirchlichen Bindungen sind auf protestantischer Seite die enge landeskirchliche Bindung an den Landesherrn und auf katholischer Seite die supranationale Bindung an das Papsttum anzusehen, die zum einen liberalen und nationalen Zielsetzungen, als auch zum anderen der überkonfessionellen Orientierung in der Männergesangbewegung im Wege standen.

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siehe dazu unten S. 123) und Ludwig Bechstein (in Meiningen; siehe unten S. 197, Anm. 509) nachweislich Mitglieder in Freimaurerlogen. An erster Stelle steht hierbei das überaus beliebte Bundeslied von Mozart („Brüder, reicht die Hand zum Bunde“), das oft auf Stiftungsfeiern der Männergesangvereine gesungen wurde. Des Weiteren sind in den Vereinsliederbüchern oft Chöre bzw. deren Bearbeitungen aus der Zauberflöte zu finden. Siehe dazu u. a. ULB Halle, Singstücke für Männerstimmen, o. Sign., Nr. 10 (O Isis und Osiris). KLENKE: Der singende „deutsche Mann“, S. 35 (Hervorhebung im Original). Siehe dazu auch WEBER/ERNST: „Schläft ein Lied in allen Dingen.“, S. 15–25. So z. B. der Weidaer Männergesangverein (siehe dazu HELFER: Weidaer Männergesangvereins) und der 1810 gegründete Männerchor Winzerla (siehe dazu THIERS: „... Ich fand daselbst eine kleine Anzahl Musiker ...“). So bestand bspw. ein Kontrakt des Erfurter Musikvereins inklusive der angeschlossenen Liedertafel mit „hiesiger Domgeistlichkeit“, nach dem jährlich große Messen zu hohen Feiertagen aufgeführt, und „bei Exequien angesehener Verstorbener“ und bei kirchlichen Trauungen gesungen werden sollte. Siehe Brief des Vorsteher-Amtes des Erfurter Musikvereins an den Erfurter Magistrat vom 22. Juni 1844, S. [2], in: StA Erfurt, Bestand Erfurter Musik-Verein, Bd. 3, 5/741 B–29. (unpag.). KLENKE: Der singende „deutsche Mann“, S. 35. Der Begriff „Kunstreligion“, der sich um 1800 mit der Einführung durch Friedrich Schleiermacher etablierte, ist zwar in der Kunst- und Literaturkritik, in der Philosophie und in der Theologie gebräuchlich, aber bisher noch nicht eindeutig definiert. Siehe dazu DETERING: Kunstreligion und Künstlerkult.

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Für sie bildeten die national gesinnten Sängervereine eine neue weltanschauliche Heimat. Eine weitere Wurzel der Männergesangbewegung, die bislang kaum Beachtung gefunden hat, ist die Emanzipationsbestrebung der Juden.20 Der überkonfessionelle Rahmen der Männergesangbewegung mit der neuartigen Nationalreligiosität bot eine gute Möglichkeit, aus dem religiösen Minderheiten-Status herauszutreten.21 Dieses Bestreben personifizierte Felix Mendelssohn Bartholdy, der zwar evangelisch getauft und erzogen wurde, trotzdem jedoch mit antisemitischen Vorurteilen konfrontiert war. Mit seinen naturromantischen Liedern Der Jäger Abschied und O Täler weit o Höhen auf Texte Joseph von Eichendorffs, die den ,deutschen Wald‘ als „gottgesegnetes Symbol der deutschen Identität“ priesen,22 verewigte sich Mendelssohn im Kernrepertoire der Männergesangbewegung. Mit den eben genannten Liedern wird eine weitere Quelle der Männergesangbewegung angesprochen – die romantische Sehnsucht nach einer zivilisationsfernen und gottnahen Natur, die das Gefühl von Geborgenheit und Freiheit hervorruft. Auf der einen Seite wurde in diesem Zusammenhang eine Phantasie- und Traumwelt geschaffen, in der Figuren aus dem Bereich der Sagen und Mythen eine wesentliche Rolle spielten. Auf der anderen Seite äußerten sich in den Naturliedern der Sängerbewegung nationaldeutsche Empfindungen. Natur- und Landschaftssymboliken wie Eiche, Wald und Flusstal wurden ideologisch aufgeladen, als originär deutsch apostrophiert und als Zeichen der Einzigartigkeit und Überlegenheit der Deutschen gegenüber fortgeschrittenen westeuropäischen Nationen angesehen. Die Wurzeln der Männergesangvereinsbewegung sind zum einen in der Schweiz in Zürich beim Musikpädagogen Hans Georg Nägeli und zum anderen in Berlin beim Komponisten Carl Friedrich Zelter zu suchen.23 Im Jahre 1809 gründete Zelter als Leiter der Berliner Singakademie die Berliner Liedertafel.24 Das Vereinsleben wurde durch eine Satzung geregelt. Danach gab es mit Meister, Beimeister, Schreibmeister und Tafelmeister von allen Mitgliedern gewählte Funktionsträger. Die Mitgliederzahl war anfangs auf 25 Mitglieder inklusive des 20 Siehe dazu BRUSNIAK: Jüdische Männerchöre. 21 Davon zeugt ein Ausschnitt aus dem Festgedicht „Fort mit den Pedanten“ anlässlich des ersten Sängerfestes der Mozartstiftung 1838 in Frankfurt/M.: „Ob er Christ sei, Jude, Heide/ Aus der Nähe, aus der Weite/ Volksmann oder Royalist / Wenn er nur ein Sänger ist.“ Siehe Erinnerung an das erste Sängerfest der Mozartstiftung, S. 13. 22 Zit. n. KLENKE: Der singende „deutsche Mann“, S. 39. Zu Mendelssohn und der Männergesangbewegung siehe unten S. 273 f. und 278 f. 23 Zu Nägeli (1773–1837) und Zelter (1858–1832) siehe KÖTZSCHKE: Männergesang, S. 56–68. 24 Die erste Zusammenkunft von acht männlichen Mitgliedern der Singakademie fand zwar schon am 21. Dezember 1808 statt. Mit der Annahme der Statuten und der Wahl der Tafelbeamten am 24. Januar 1809 wurde die Gründung jedoch offiziell. Siehe DIETEL: Männergesang, S. 34 f. Zur Geschichte der Zelterschen Liedertafel siehe BORNEMANN: Zeltersche Liedertafel, S. 3–28.

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Meisters beschränkt.25 Die Liedertafel Zelters stellte einen exklusiven Herrenzirkel dar, der von der Öffentlichkeit streng abgeschirmt blieb und dadurch wenig Strahlkraft nach außen besaß. Er rekrutierte sich ausschließlich aus der ebenfalls Zelter unterstellten Singakademie, deren Mitglieder ausnahmslos dem gehobenen Bürgertum angehörten.26 Die Gründung der Berliner Liedertafel, die als Modell für die Gründungen des zweiten und dritten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts vor allem im nord- und ostdeutschen Raum Pate stand, hatte einen politischen Hintergrund. Als Zweck der Stiftung der Liedertafel wird unter § 22 der Satzung von 1808 folgendes angegeben: „Die Liedertafel sieht sich als eine Stiftung an, welche die ersehnte Zurückkunft des königlichen Hauses feiert und verewigt, wie überhaupt das Lob ihres Königs zu den ersten Geschäften der Tafel gehört.“27 Neben Geselligkeit, Humor und Natur spielten hier die Königstreue und das patriotische Bewusstsein als preußischer Staatsbürger eine besondere Rolle. Begriffe wie ,das deutsche Volk‘ und erst recht ein geeintes deutsches Vaterland, welche in den nachfolgend gegründeten Männergesangvereinigungen von zentraler Bedeutung waren, finden sich in der Satzung und in den Liedern der Berliner Vereinigung noch nicht. Die politisch-nationale Ausrichtung blieb den nach dem Vorbild der Zelterschen Liedertafel in Nord-, Mittel- und Ostdeutschland gebildeten Gesangvereinigungen vorbehalten, die sich nach 1815 unter dem Eindruck der Befreiungskriege bildeten.28 Der exklusive Charakter des Berliner Vorbilds, der noch bei den LiedertafelGründungen 1815 in Frankfurt/O. und in Leipzig eine wesentliche Rolle spielte, wurde durch die Gründung der sogenannten Jüngeren Liedertafel 1819 in Berlin29 aufgeweicht. Diese von den Komponisten Ludwig Berger (1777−1839) und Bernhard Klein (1793–1832) ins Leben gerufene Gesangvereinigung hob sich in sowohl organisatorischer als auch ideologischer Hinsicht von der Zelterschen Liedertafel ab. Sie stand allen, die an einer Mitgliedschaft interessiert waren, offen. Auch spiegelte sich der niedrige Altersdurchschnitt der durch die Befreiungskriege politisierten Mitglieder im Liedrepertoire und in Gesprächen wider, die eine zunehmend patriotisch-deutsche Gesinnung zum Ausdruck brachten. Damit war nun der Weg geebnet, der den im Verein ausgeübten deutschen Männergesang zu größerer Verbreitung und Volkstümlichkeit führte. Doch trotz dieser vorsichtigen sozialen Öffnung konnte keine Breitenwirkung in der Bevölkerung erzielt werden, da sich die Mitglieder in den Liedertafeln noch immer weitgehend aus der bürgerlichen Oberschicht der Bevölkerung rekrutierten und öffentliche Konzerte vorerst die Ausnahme blieben. Der entscheidende 25 Siehe KÖTZSCHKE: Männergesang, S. 59. 26 Diese Verfahrensweise war durchaus nicht unüblich, wie die Gründung der Liedertafel in Dessau 1821 unter Friedrich Schneider zeigt. Siehe dazu NICKEL: Schneiders Vertonungen, S. 137. 27 Zit. n. UNVERHAU: Gesang, Feste, Politik, S. 28. 28 Einen Überblick über Folgegründungen gibt ELBEN: Männergesang (1887), S. 25 und 28 ff. 29 Zur Jüngeren Berliner Liedertafel siehe DIETEL: Männergesang, S. 77 ff.

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Impuls für die Verankerung des Männergesangs in allen Schichten der Bevölkerung kam aus der Schweiz durch den Musikpädagogen und Verleger Hans Georg Nägeli. Anders als Zelter wollte Nägeli, der unter dem starken Einfluss der Erziehungslehre Johann Heinrich Pestalozzis stand, die musikalische Kunst zum Allgemeingut machen. Er sah im Gesang ein geeignetes Mittel der Sitten bildenden Volkserziehung: „Volksgesang regt alle Empfindungen an, bildet, bessert und führt Tausende vom Wege der Thorheit und des Lasters in die Arme der Tugend.“30 Mit der Schrift Gesangbildungslehre für den Männerchor31 schuf Nägeli die theoretischen Grundlagen für den Männergesang, dem er neben sittenbildender Wirkung auch eine enorme nationalerzieherische Aufgabe zuwies.32 Die von ihm teilweise selbst vertonten deutsch-patriotischen Lieder von Ernst Moritz Arndt (1769–1860), Max von Schenkendorf (1783–1817) und Theodor Körner (1791–1813)33 „sollten dem Volk die eigene politische Situation zu erkennen helfen und es anregen, nationale und politische Vorstellungen zu entwickeln“.34 Nägeli, der 1810 in Zürich einen an das dortige Gesangbildungsinstitut gebundenen Männerchor ins Leben gerufen hatte, warb für seine Vorstellungen vom Männerchorgesang und hatte mit seinem pädagogischen Wirken großen Erfolg. Die starke Resonanz ist vor allem darauf zurückzuführen, dass zahlenmäßig keine Beschränkung bestand und eine hervorgehobene gesellschaftliche Stellung zum Eintritt nicht vonnöten war. Zahlreiche Vorträge Nägelis über seine Vorstellungen von Männergesang, unter anderem in Karlsruhe, Tübingen und Stuttgart zwischen 1819 und 1825, trugen zu zahlreichen Gründungen von Männergesangvereinen in Baden und Württemberg bei.35 Statuten regelten das Vereinsleben und die Vereinsämter wurden durch Wahlen, meist per Ballotage zugewiesen.36 Die im süddeutschen Raum „Liederkranz“ genannten Männergesangvereine suchten im Gegensatz zu den norddeutschen „Liedertafeln“ von Anfang an die Öffentlichkeit. Die dadurch erregte Aufmerksamkeit evozierte zahlreiche weitere Gründungen im südwestdeutschen Raum der 1820er Jahre. Die „Liederkränze“ traten miteinander in Verbindung und versammelten sich ab 1827 zu einem jährlich veranstalteten Sängerfest. Das erste fand 1827 in Plochingen statt, wo durch Pfaff wohl zum ersten Mal öffentlich der Fall „der Stände lächerlicher Schranken! 30 Zit. n. SCHMIDT: Männerchorgesang, S. 66. 31 NÄGELI/PFEIFFER: Gesangbildungslehre. 32 Nägeli wies dem Männergesang aufgrund der spezifisch männlichen Artikulation „per se eine nationaldeutsche Qualität“ zu. Siehe dazu DÜDING: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus, S. 164 f. 33 Zu Theodor Körner siehe unten Exkurs, S. 138–143. 34 UNVERHAU: Gesang, Feste, Politik, S. 29. 35 Die Gründung in Stuttgart, bei der Nägeli selbst anwesend war, wurde zum Ausgangspunkt der Verbreitung der Männergesangvereinsbewegung in Süddeutschland. Der Verein bekam den Namen „Liederkranz“. Siehe DÜDING: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus, S. 166. 36 Dabei handelt es sich um eine aus Frankreich stammende geheime Abstimmung durch die verdeckte Abgabe von weißen (für „ja“) oder von schwarzen (für „nein“) Kugeln.

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[…] vor des Gesanges Macht“ gefordert wurde.37 Die Entwicklung vom Ständestaat hin zu einer Bürgergesellschaft gehörte spätestens seitdem zu den wesentlichen Zielen der Männergesangbewegung und wurde in zahllosen Festreden und Gesängen propagiert. Auf den schwäbischen Sängerfesten bildeten sich Organisationsform, Ablauf und Ambiente derartiger Zusammenkünfte aus, die Vorbildcharakter für alle folgenden hatten.38 Ab dem Ende der 1820er Jahre erreichte die süddeutsche Ausprägung der Männergesangbewegung auch andere deutsche Länder wie Hessen, Thüringen und Sachsen.39 Die dort gegründeten Männergesangvereine waren patriotischdeutsch orientiert und regelten das interne Leben nach demokratischen Prinzipien. Einen großen quantitativen Sprung machte die patriotisch-volkstümliche Sängerbewegung noch einmal in den 1840er Jahren bis zum Ausbruch der 1848er Revolution. Die Anzahl der Männergesangvereine stieg überall in Deutschland noch einmal explosionsartig an,40 was hauptsächlich vier Ursachen hatte: die außenpolitischen Spannungen der „Rheinkrise“ und die Aufbruchstimmung infolge des preußischen Thronwechsels im Jahr 1840, die Schleswig-HolsteinFrage und die zunehmende Verschärfung der sozialen Probleme und damit einhergehende Krisenzustände.41 Eine Ausbreitung der neuen, offeneren Organisationsform der Männergesangvereine nach West- und Norddeutschland gab es in den 1830er Jahren nur in Ansätzen. Erst seit dem Beginn der 1840er Jahre entstanden „Liederkränze“ auch in diesem Gebiet, wobei sie eine ähnliche Organisationsdichte wie die in Südund Mitteldeutschland erreichten. Zwar firmierten diese Vereine teilweise noch als Liedertafel, hatten jedoch mit den älteren Zusammenschlüssen meist nicht viel mehr als den Namen gemein. Auch hier setzten sich nun öffentliche Gesangsdarbietungen und die Rezeption patriotisch-deutschen Liedguts zunehmend durch.42 Es kam verstärkt zu neuen Bezeichnungen wie „Männergesangverein“, „Singe-“ oder „Gesangverein“. Diese Entwicklung, die die zahlenmäßige sowie vor allem auch die gesellschaftliche Öffnung der Männergesangvereine äußerlich zum Ausdruck brachte, wurde im mitteldeutschen Raum schon seit dem Ende der 1820er Jahre durchlaufen.43 37 KÖTZSCHKE: Männergesang, S. 95. Zu den schwäbischen Sängerfesten siehe KLETT: Schwäbische Liederfeste. Zum Plochinger Sängerfest siehe DIETEL: Männergesang, S. 115 ff. 38 Zur Vorbildwirkung der schwäbischen Sängerbewegung allgemein bis 1848/49 siehe v. a. LANGEWIESCHE: Schwäbische Sängerbewegung, S. 133–155. 39 Siehe dazu DÜDING: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus, S. 174−177 und unten Kap. III.2. 40 Siehe KLENKE: Der singende „deutsche Mann“, S. 12 und 52. 41 Siehe dazu oben S. 2 f. 42 Siehe Teutonia, Nr. 18, 1846, S. 284−288. 43 So gründeten sich z. B. im thüringischen Gebiet der Singe-Verein in Apolda (1828), der Akademische und der Bürgergesangverein in Jena (1828). Diese Pluralität in der Namensgebung gab es aber auch innerhalb eines einzelnen Männergesangvereins wie z. B. in Buttstädt, wo 1834 ein „Gesang-Verein“ gegründet wurde, der in verschiedenen Dokumenten wahlweise als „Sängerverein“,

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Der „stimmungsbetonte Nationalismus“44 der Sängerbewegung griff spätestens nach der „Rheinkrise“ auch auf die Bevölkerung über und fungierte als Teil der Nationalbewegung. Wie weit der Männergesang selbst zum Massenphänomen wurde, zeigte sich daran, dass es 1848 etwa 1.100 Männergesangvereine mit mindestens 100.000 Mitgliedern in Deutschland gab.45 Im Revolutionsjahr 1848 stockte die Entwicklung der Sängervereine. Der große Aufschwung, der deutschlandweit in den 1840er Jahren eingesetzt hatte, fand ein jähes Ende. Das Vereinsleben wurde durch die aktive Teilnahme der Mitglieder an den gesellschaftspolitischen Veränderungen in den Hintergrund gerückt.46 Die Mitgliederzahlen und Probenbesuche gingen stark zurück, weswegen einige Vereine, zumindest vorübergehend, ihr Vereinsleben einstellen mussten. Auch die in den zurückliegenden Jahren stark angewachsene Zahl an regionalen und nationalen Sängerfesten ging zurück.47 Eine weitere wesentliche Auswirkung der Revolution, die den Sängervereinen zu schaffen machte, waren die Auseinandersetzungen unterschiedlicher politischer Lager in den eigenen Reihen, die das Vereinsleben lähmten und teilweise zum Erliegen brachten.48 Erst nach der Niederschlagung der Revolution 1849 konnte sich das Vereinsleben der Männergesangvereine langsam wieder stabilisieren.

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Die Entwicklung der vormärzlichen Männergesangbewegung in Mitteldeutschland

Im mitteldeutschen Raum trafen die beiden Entwicklungsstränge der Männergesangbewegung – die Liedertafel Zelter’scher Prägung und der Liederkranz süddeutscher Provenienz – aufeinander und vermischten sich. Bevor die süddeutsche Männergesangbewegung ab dem Ende der 1820er Jahre über Franken und Hessen die mitteldeutsche Region erreichte, gründeten sich in der preußischen Provinz Sachsen, in Anhalt, in Thüringen und in Sachsen Liedertafeln nach

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„Sing-Verein“ oder aber auch als „Liedertafel“ bezeichnet wurde. Siehe KA Sömmerda, Sing-Verein/Liedertafel Buttstädt, Nr. 1. Daran ist zu erkennen, dass eine eindeutige Zuordnung als „Liedertafel“ oder „Liederkranz“ nicht mehr möglich war und sich Mischformen unterschiedlichster Art ausprägten. DÜDING: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus, S. 185. Schätzung von Düding in EBD., S. 180, der sich wiederum auf einen Bericht in der Teutonia (Nr. 3, 1849, S. 219) beruft. So heißt es u. a. in einer Festschrift über die Liedertafel in Langensalza stellvertretend für viele andere Männergesangvereine über das Jahr 1848: „Die Begeisterung für die Einheits- und Freiheitsideale jener Zeit war in den Sangesbrüdern so stark, dass sie ihre freie Zeit, ihre Abende nur diesen widmeten. Sie besuchten die politischen Versammlungen, diskutierten die politische Lage, die Maßnahmen der Regierung, die Ziele der Parteien und das Verhalten der Abgeordneten.“ Siehe Gesangverein Langensalza, S. 14. Siehe ELBEN: Männergesang (1887), S. 132 ff. und Anhang 1, S. 329 ff. Siehe dazu stellvertretend REINHARDT: Die Liedertafel Hildburghausen, S. 13.

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Berliner Vorbild, wie z. B. die Liedertafeln in Leipzig (1815), Magdeburg (1819), Dessau (1821), Köthen (1826), Zerbst (1827), Quedlinburg (1828), Nordhausen (1829), Barby (1830) und Halle/Saale (1834).49

2.1 Preußische Provinz Sachsen Zu den ältesten Männergesangvereinen in der preußischen Provinz Sachsen zählt die Liedertafel in Magdeburg, die 1819 auf Anregung von Carl Friedrich Zelter ins Leben gerufen wurde.50 Diese Gründung strahlte auf die Umgebung aus und war Anlass zu weiteren Konstituierungen von Männergesangvereinen. So entstanden unter anderem 1823 das Sängerkränzchen in Barby und 1828 eine Liedertafel in Quedlinburg, der in der Anfangszeit nur Lehrer angehörten. Vier Jahre später gründete sich dann der Männergesangverein Arion, der allen Berufsständen offen stand. Beide Quedlinburger Vereinigungen nahmen am 5. und 6. September 1838 an einem großen Sängerfest in Quedlinburg mit über 300 Sängern von den Liedertafeln aus Ballenstedt, Blankenburg/Harz, Halberstadt, Harzgerode, Hoym und Westerhausen teil.51 Im gleichen Jahr bildete sich in dieser Region provisorisch ein Sängerbund unter dem Namen Constantia. Der daraus hervorgehende Constantia-Sänger-Verein gab sich 1843 Statuten und schloss sich am 1. Januar 1844 auf dieser Grundlage zu einem festen Bund zusammen.52 Seit 1838 führte diese Sängervereinigung regelmäßig Sängerfeste in den Mitgliedsorten durch, bevor sie sich 1851 auflöste.53 Der Weißenfelser Seminarlehrer Ernst Julius Hentschel54 rief unter dem Eindruck der Bemühungen seines Freundes Johann Gottfried Hientzsch55 in Schlesien 49 Zur Geschichte der ersten Liedertafel in Leipzig siehe unten S. 120 ff.; zur Liedertafel in Magdeburg unten S. 205 f; zur Liedertafel in Dessau unten Kap. IV.1.3; zur Liedertafel in Köthen siehe HERBER: Liedertafel Cöthen; zur Zerbster Liedertafel siehe HOEDE: Zerbster Liedertafel; zur Liedertafel in Quedlinburg siehe JENRICH/POHLE: Quedlinburger Männer-Gesang-Verein; zur Liedertafel in Nordhausen siehe Festschrift zum 28. Thüringer Bundessängerfest, S. 18−23 und zur Geschichte der Halleschen Liedertafel siehe MARTIN: Hallesche Liedertafel. 50 Zur Magdeburger Liedertafel siehe unten Kap. IV.4.2. 51 Siehe JENRICH/POHLE: Quedlinburger Männer-Gesang-Verein, S. 10. 52 Siehe dazu EBD., S. 68. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten die Männergesangvereine aus Blankenburg/Harz, Bleicherode, Duderstadt, Elbingerode, Goslar, Groß-Bodungen, Halberstadt, Herzberg am Harz, Ilfeld, Lauterberg, Nordhausen, Osterode, Quedlinburg, Rossla und Sondershausen. Als Vorläufer dieser Sängervereinigung kann der 1832 begründete Konstantia-Sängerbund gelten, dem in einen losen Zusammenschluss die Liedertafeln aus Halberstadt, Quedlinburg und Blankenburg/Harz angehörten. Siehe DIECK: Halberstädter Liedertafel, S. 15 f. 53 Zu diesen Liederfesten siehe Anhang 1, S. 330 ff. In der Chronik der Clausthaler Liedertafel gab es noch 1853 ein Fest der Constantia in Clausthal. Siehe DIECK: Halberstädter Liedertafel, S. 22. 54 Zum von den Ideen Pestalozzis beeinflussten Musikpädagogen Hentschel (1804–1875), der für sein Wirken als Organisator des Lehrergesangfestes in Weißenfels und sein Wirken als Seminarlehrer 1833 zum königlichen Musikdirektor ernannt wurde, siehe RICHTER: Hentschel.

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im Herbst 1832 16 bis 20 Lehrergesangvereine zur Teilnahme an einem Lehrergesangfest zusammen. So konnte am 26. Juni 1833 ein großes Gesangfest in Weißenfels durchgeführt werden,56 zu dem Hentschel selbst das nötige Notenmaterial besorgte. Ein zweites Lehrergesangfest fand im Jahr darauf in Querfurt statt.57 Im Jahre 1834 wurde die Hallesche Liedertafel gestiftet. In Halle/Saale gab es in den 1840er Jahren weitere Gründungen von Männergesangvereinen. Darunter war auch 1847 eine Volksliedertafel, die mit Albert Müller, dem „Vater des volksthümlichen Gesangs im Saalegebiet [und ...] trefflichen Volksredner“,58 einen einfachen Handwerker als Vorsitzenden hatte und vor allem Volks- und Vaterlandslieder in ihrem Repertoire führte. Mit dem kurzlebigen Elbsängerbund gründete sich am 17. Juli 1846 unter der Federführung von Magdeburger Männergesangvereinen in Schönebeck/Elbe ein weiterer Sängerbund in der Provinz Sachsen. Unter seinem Dach wurden von 1846 bis 1848 drei Sängerfeste veranstaltet, die die Ausmaße von Volksfesten annahmen.59 Am 29. Juli 1846 wurde auf Anregung der Merseburger Liedertafel und ihres Dirigenten und Domorganisten Gottfried August Ritter (1811–1885) der Sängerbund an der Saale konstituiert. Dieser Sängerbund gab sich 1847 Statuten. Ihm gehörten anfangs acht Männergesangvereine aus Merseburg, Halle/Saale, Naumburg, Zeitz und Weißenfels an, die am 6. September 1846 im Schlosshof zu Weißenfels ihr erstes Bundesfest feierten.60 Auch im Gebiet um Naumburg gab es vor 1848 einige Männerchorgründungen. Neben dem Gesangverein Naumburg (1831), der späteren Claudius-Liedertafel, konstituierten sich unter anderem der Thomaesche Gesangverein 55 Der Lehrer, Komponist und Musikschriftsteller Hientzsch (1787–1856) erhielt musikalischen Unterricht bei Nägeli (Zürich) und Zelter (Berlin). Im Jahr 1822 wurde er Direktor am evangelischen Schullehrerseminar in Breslau. Dort begründete Hientzsch die jährlich veranstalteten schlesischen Musikfeste und die Musikzeitschrift Eutonia (1827–1837). Zu Hientzsch siehe Konversations-Lexikon 5, S. 232 f. 56 Das Gesangfest in Weißenfels fand am 26. Juni unter der Teilnahme von 400 Lehrern und insgesamt „circa gegen 4000 Sängern“ statt. Siehe dazu den Brief des Bürgerlichen Gesangvereins aus Jena an den Kantor Georg Friedrich Hanitsch (1790–1865) als Direktor des Gesangvereins Eisenberg vom 3. Juli 1833 in: HSA/ThLMA, Nachlass Adolf Beyer, NBJ 25,1, Bl. 121r. Siehe zum Gesangfest in Weißenfels auch WERNER: Gesangfest in Weißenfels und DIETEL: Männergesang, S. 136. 57 Siehe EBD., S. 136. 58 ELBEN: Männergesang (1887), S. 230. 59 Die Sängerfeste fanden von 1846 bis 1848 mit Schönebeck/Elbe, Magdeburg und Calbe/Saale in der näheren Umgebung von Magdeburg statt. Zum Elbsängerbund siehe unten S. 226 ff. 60 Das zweite Sängerfest fand 1847 in Naumburg statt. Siehe dazu Teutonia, Nr. 18, 1847, S. 277 ff. und Nr. 19, 1847, S. 293–298 und Zweites Jahresfest des Sängerbundes an der Saale. Zum Sängerbund allgemein siehe PFAUTSCH: Sängerbundes an der Saale und Teutonia, Nr. 23, 1847, S. 369 ff. und MANDEL: „Sängerbund an der Saale“.

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Laucha/Unstrut (1833), der Männergesangverein Stößen (1840), der Männerchor Leißling (1846) und die Liedertafel Freyburg/Unstrut (1847).61 Einige dieser Vereine nahmen auch an den Sängerfesten des Sängerbundes an der Saale teil.

2.2 Anhaltische Herzogtümer Eine der wichtigsten Persönlichkeiten für die Männergesangvereinsentwicklung in Mitteldeutschland war der Komponist Friedrich Schneider. Er gehörte zu den Mitbegründern der Leipziger Liedertafel 1815, für die er auch zahlreiche Kompositionen schuf.62 Nachdem Schneider 1821 anhaltisch-dessauischer Kapellmeister wurde, gründete er noch im gleichen Jahr zusammen mit dem Dichter Wilhelm Müller nach dem Leipziger Vorbild die Dessauer Liedertafel.63 Hauptsächlich für diese Vereinigungen schuf Schneider ungefähr 400 Lieder für vierstimmigen Männerchor.64 Neben der Federführung bei der Durchführung der Elbmusikfeste65 engagierte er sich auch als einer der Vorsteher bei der Gründung der Provinzialliedertafel, die am 30. Oktober 1830 in Bernburg ins Leben gerufen wurde.66 Dieser älteste deutsche Sängerbund wollte „im Reiche des Gesanges an den Ufern der Elbe und Saale eine Provinz aus Liedertafeln“ bilden.67 Wie eng dieser Sängerbund noch 1830 dem Zelter’schen Modell verpflichtet war, zeigen exklusive Grundsätze, nach denen z. B. ursprünglich nur geschlossene Veranstaltungen vorgesehen waren. Insgesamt überwog bei den Veranstaltungen der Provinzialliedertafel das gesellige Moment im vertrauten, fast familiären Kreise. Von Volksfesten süddeutscher Art waren die Zusammenschlüsse von Sängern norddeutscher Prägung in der Anfangszeit noch weit entfernt. Das Schwergewicht lag eindeutig in der Entfaltung persönlicher Beziehungen unter den Sängern. Dazu trugen auch gemeinsame Ausflüge in die Natur, Schifffahrten und Besuche bei befreundeten Liedertafeln bei.68 61 Siehe dazu SCHUMANN (Hg.): Chronik Provinzialliedertafel, S. 42. Der Liedertafel in Freyburg/ Unstrut gehörte auch „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852) an, wo er unter Polizeiaufsicht 1825 bis 1852 mit Unterbrechungen lebte. Siehe dazu Das alte Freyburg, S. 31. 62 Siehe dazu unten S. 127. 63 Siehe dazu ausführlich unten Kap. IV.1.3. 64 Siehe oben S. 22, Anm. 69. 65 Zu den Elbmusikfesten siehe SCHUMANN (Hg.): Chronik Provinzialliedertafel, S. 17–23. 66 Zur Provinzialliedertafel schlossen sich die Liedertafeln aus Dessau, Magdeburg und Zerbst zusammen, denen bald weitere auf den zunächst jährlich stattfindenden gemeinsamen Sängertreffen folgten – wie die Leipziger Liedertafel (1831), der Liederkranz aus Köthen (1833), die Liedertafel aus Barby (1834) und die Liedertafel aus Halle (1835). Zur Geschichte der Provinzialliedertafel siehe MÜLLER: Provinzialliedertafel, S. 24–30 und SCHUMANN (Hg.): Chronik Provinzialliedertafel, S. 23−34. 67 Zit. n. DIETEL: Männergesang, S. 129. 68 So besuchten sich bspw. die Liedertafeln von Magdeburg und Dessau sowie von Dessau und Leipzig mehrmals zu gemeinsamen Liedertafeln. Siehe dazu NICKEL: Wilhelm Müller, S. 119 ff.

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Nachdem schon 1831 und 1832 zwei Anhalt’sche Liederfeste stattgefunden hatten,69 wurde am 29. Juni 1844 in Roßlau der Anhaltische Singverein gegründet, der sich 1865 bei einem Sängerfest in Roßlau in den Anhaltischen Sängerbund umbenannte.70 Die Anregung zur Stiftung dieses Bundes ging vom Roßlauer Kaufmann und Vorsitzenden der 1834 gegründeten Roßlauer Liedertafel E. F. Eschebach (gest. 1885) und dem Lehrer und Direktor des Seelmann’schen Singvereins in Dessau August Seelmann aus.71 Am 7. September 1844 fand in Roßlau dann das erste Sängerfest mit 191 Sängern statt.72 Ein zweites folgte am 6. August 1845 in Coswig, bevor am 27./28. Juli in Dessau das dritte Sängerfest des Anhaltischen Singvereins, an dem ausschließlich Gesangvereine aus dem Herzogtum Anhalt-Dessau teilnahmen, durchgeführt werden konnte.73 Die Gesangvereine aus dem Herzogtum Anhalt-Bernburg gründeten bei ihrem ersten Anhalt-Bernburgischen Männergesangfest am 30./31. Mai 1844 in Ballenstedt einen Anhaltischen Sängerbund, dem als erste Vereine die Liedertafeln aus Ballenstedt, Bernburg, Coswig, Gernrode, Harzgerode und Hoym angehörten. Weitere Sängerfeste fanden 1845 in Bernburg und 1846 in Harzgerode und Alexisbad statt.74

2.3 Thüringische Herzog- und Fürstentümer Während der südliche Teil der preußischen Provinz Sachsen und auch Leipzig noch größtenteils den strengen Vorgaben des Berliner Vorbilds folgten, machte 69 Siehe dazu Verzeichniss deutscher Musik- und Gesang-Feste, S. 7. 70 EISENHARDT: Musikgeschichte Dessaus 1, S. 238. Dem Sängerverein gehörten mit Coswig, Dessau, Gröbzig, Jeßnitz, Oranienbaum, Raguhn, Roßlau und Zerbst zu Beginn acht Vereine aus allen anhaltischen Herzogtümern an. Zum Anhaltischen Singverein siehe auch Teutonia, Nr. 27, 1846, S. 425 f. 71 STEPHAN: Männergesang in Roßlau, S. 16 f. Der Seelmann’sche Singverein wurde 1843 vom Lehrer und Komponisten August Seelmann (1806−1885), einem Freund von Friedrich Schneider, gegründet. Zum Seelmannschen Singverein siehe Teutonia, Nr. 27, 1846, S. 424 f. und SEELMANN: Tagebuch 2 (StA Dessau-Roßlau. S 10.2). 72 Siehe SCHUMANN (Hg.): Chronik Provinzialliedertafel, S. 34. 73 Siehe dazu ausführlich Teutonia, Nr. 25, 1846, S. 389–392. Ein besonderer Höhepunkt in der Geschichte dieses Sängerbundes bis 1848 war die Sängerfahrt am 26. Juli 1847 in den Wörlitzer Park, die unter der Leitung von August Seelmann den Charakter eines Volksfestes annahm. Siehe ELBEN: Männergesang (1887), S. 231. Zur Fahrt nach Wörlitz siehe Sängerfahrt nach Wörlitz. 74 Siehe SCHUMANN (Hg.): Chronik Provinzialliedertafel, S. 34. Dieser Sängerbund muss spätestens mit der Umbenennung des Anhaltischen Singvereins 1865 nicht mehr bestanden haben. Wahrscheinlich steht eine eventuelle Auflösung mit dem Erlöschen der Anhalt-Bernburgischen Linie im Jahr 1863 im Zusammenhang. Zum ersten Anhalt-Bernburgischen Sängerfest in Ballenstedt siehe LITTE: „Liedertafel Harmonia“ Bernburg, S. 11 f. Zum zweiten Anhalt-Bernburgischen Sängerfest am 17./18. Juli 1845 in Bernburg siehe EBD., S. 12 f. und LHASA DE, Geheimer Konferenzrat BBG, R Nr. 69, Bl. 1r–4v. Zum dritten Gesangfest siehe Gesangfest zu Harzgerode und Alexisbad.

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sich im Bereich der thüringischen Länder der Einfluss Nägelischer Ideen besonders bemerkbar. Das schlug sich vor allem in der Aufhebung der Beschränkung der Mitgliederzahl und im Liedrepertoire nieder, in dem die deutsch-patriotischen Lieder eine wesentliche Rolle spielten. Die prägende Persönlichkeit für den Anfang der Ausbreitung des Männergesangs im südthüringischen Raum war Daniel Elster.75 Nachdem ihn sein bewegtes Leben76 1828 wieder nach Benshausen, seinem Geburtsort, geführt hatte, leitete Elster am 28. März 1832 eine Festaufführung in der Meininger Hauptkirche mit ungefähr 600 Sängern.77 Dieser Aufführung ging die Gründung eines anderthalb Jahre vorher um Hildburghausen herum gebildeten Sängerbundes (Verein für Männergesang) durch Elster und den Hildburghausener Oberlehrer Johann Nicolaus Hummel78 voraus, dem „gegen dreißig Dorfgemeinschaften“ angehörten.79 Als Reaktion auf die Erhebung Polens gegen den russischen Zaren und den damit einhergehenden solidarischen Gründungen von Polenvereinen in Deutschland wurde der Sängerbund am 15. Januar 1835 durch ein herzogliches Edikt gegen sich politisch betätigende Vereine verboten und löste sich auf.80 Die Hildburghausener Festaufführung sollte zum einen weitere Gründungen von Männergesangvereinen im südthüringischen Raum in den 1830er Jahren anregen81 und zum anderen weitere Liederfeste in anderen thüringischen Städten nach sich ziehen.82 Dabei konnten trotz vielfacher Bemühungen bis zum Anfang der 1840er Jahre kaum landschaftliche oder regionale Vereinigungen geschaffen werden. Ausnahmen bildeten der Hildburghausener Sängerbund unter Elster, der 75 Der Musikpädagoge Elster (1796–1857) war am Anfang der 1830er Jahre an Chorgründungen in Südthüringen beteiligt, die auf ganz Thüringen ausstrahlten. Als Burschenschaftler nahm Elster 1817 am Wartburgfest teil, und als Philhellene schloss er sich dem Befreiungskampf der Griechen gegen die türkische Herrschaft an. Im Jahr 1823 kam er in die Schweiz an das Lenzburger Lehrerbildungsinstitut und lernte dort Hans Georg Nägeli kennen. Vier Jahre später kehrte Elster nach Thüringen zurück, wo er sich mit Ludwig Storch, Ludwig Bechstein (zu Bechstein und Storch siehe oben S. 194–202) und Andreas Zöllner (siehe unten S. 197, Anm. 509) anfreundete. Zusammen mit diesen engagierte er sich für das thüringische Männerchorwesen. Im Jahr 1846 kehrt Elster als Professor an das Lenzburger Lehrerbildungsinstitut zurück. Zu Elster siehe BECHSTEIN (Hg.): Irrfahrten eines Musikanten und BRUSNIAK: Laienchorwesens in Thüringen. 76 Siehe dazu BECHSTEIN (Hg.): Irrfahrten eines Musikanten. 77 Siehe dazu auch den persönlichen Bericht Elsters in: ELBEN: Männergesang (1887), S. 68 und BECHSTEIN (Hg.): Irrfahrten eines Musikanten, S. 441 f. 78 Der Kantor und Seminaroberlehrer Hummel (1791–1870) wurde im Jahr 1824 Lehrer am Seminar in Meiningen und nach dessen Auflösung 1827 Oberlehrer am Lehrerseminar in Hildburghausen. Zu Hummel siehe ULLRICH: Hildburghäuser Musiker, S. 60. 79 EBD., S. 441. 80 EBD., S. 586. 81 Siehe KÖTZSCHKE: Männergesang, S. 97. So gründeten sich in der Folgezeit in Hildburghausen, Schleusingen, Suhl, Meiningen, Mehlis, im Henneberger und im Osterland zahlreiche Gesangvereine. Siehe THIER: „... daß etwas Großes und Schönes unter ihnen entstanden ist ...“, S. 2 f. 82 So fanden sich 1833 in Meiningen und Jena Gesangvereine, zumeist Lehrergesangvereine, zu geistlichen Gesängen zusammen. Siehe ELBEN: Männergesang (1887), S. 69.

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Sängerbund für die Freunde des Gesanges im Saalethal und seiner Nachbarschaft und der Osterländische Sängerverein. Ersterer wurde auf Initiative des 1828 gegründeten Bürgerlichen Gesang-Vereins in Jena 1833 geschaffen. Der auf Initiative des Jenaer Kaufmanns und langjährigen Vorsitzenden des Bürgerlichen Gesang-Vereins Gustav Schäfer ins Leben gerufene Sängerbund traf sich nachweislich noch 1834, 1835, 1836 und 1838 in Jena.83 Der Osterländische Sängerverein, dem unter anderem Männergesangvereine aus Eisenberg, Altenburg, Zeitz und Bürgel angehörten, hat sich vermutlich 1834 konstituiert, da am 21. Mai dieses Jahres das erste Gesangfest stattfand.84 Ab dem Ende der 1820er Jahre entstanden in Jena und Apolda 18 Jahre nach der Gründung des ersten thüringischen Männergesangvereins in Winzerla 181085 in größerer Anzahl die nächsten thüringischen Gesangvereine. In Jena kam es am 2. März 1828 und am 9. September 1828 zur Gründung des Akademischen und des Bürgerlichen Gesangvereins.86 Letzterer nahm schnell Verbindung zu anderen thüringischen Gesangvereinen auf, was dann später in dem Sängerbund Freunde des Gesanges im Saalethal und seiner Nachbarschaft mit jährlichen Sängerfesten seinen institutionellen Ausdruck fand. Am 10. November 1828 wurde schließlich der Singe-Verein in Apolda gegründet, der sich Mitte der 1840er Jahre als Männergesangverein bezeichnete und bald freundschaftliche Beziehungen zum Bürgergesangverein in Jena aufnahm.87 Im Zuge dieser Gründungen von Gesangvereinen in Jena und Apolda bestanden bereits weitere kleinere Gesangvereine wie in Bürgel, Dornburg/Saale, Eisenberg, Elxleben, Kahla, Maua, Roda, Sulza und Tannroda. Im Süden und in der Mitte Thüringens entstanden parallel weitere Gesangvereine wie 1829 der Gesangverein-Männerchor in Suhl,88 1830 der Sing-Verein in Mehlis89 und Liedertafeln wie 1831 in Erfurt, 1832 in Weimar und 1833 in Arnstadt. Erhebliche Sogwirkung hatte allerdings erst die Gründung der Gothaer Liedertafel im Jahre 1837. Im Zuge ihrer Stiftung entstanden im gleichen Jahr unter anderem Liedertafeln in Georgenthal, Ohrdruf und Waltershausen.

83 Siehe dazu EBD., S. 26–34. 84 Verzeichnis deutscher Musik- und Gesangfeste, S. 7. Zu den Gesangfesten des Osterländischen Sängervereins siehe auch Anhang 1, S. 329 ff. 85 Zu den Anfängen des Männerchores Winzerla, der lange Zeit ein reiner Kirchenchor blieb, siehe THIERS: „... Ich fand daselbst eine kleine Anzahl Musiker ...“, S. 6 f. 86 Zum Akademischen Gesangverein siehe KUNZE: St. Pauli in Jena und zum Bürgerlichen Gesangverein siehe BEYER: Jenaer Männergesangverein. 87 Zum Männergesangverein in Apolda siehe Hundert Jahre Apoldaer Männergesangverein. 88 Zum Gesangverein-Männerchor in Suhl siehe ZWICK: Gesang-Verein Männerchor 1829. Dieser Gesangverein setzte sich direkt mit Sangesbrüdern aus der Schweiz in Verbindung, um sich von dort Musikalien zu besorgen. Siehe DIETEL: Männergesang, S. 140. 89 Zur Geschichte der Chöre in Zella und Mehlis im Allgemeinen und der der Männerchöre im Besonderen siehe BAUMGÄRTNER: Zella-Mehliser Chöre.

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Erst nach 1840 schlossen sich in Thüringen verstärkt verschiedene Vereine nachweislich zu Sängerbünden zusammen. So bildete sich, ausgehend von einem am 8. Juni 1843 auf der Rothenburg stattfindenden Sängerfest, am 18. Februar 1844 in Sondershausen der Rothenburger Sängerverein.90 Ihm gehörten unter anderem Gesangvereine aus Artern, Frankenhausen, Heringen/Helme, Kelbra, Kindelbrück, Nordhausen und Sondershausen an. Weitere Gesangfeste und Treffen des Rothenburger Sängervereins wurden 1845 in Frankenhausen, 1846 in Oldisleben und 1847 in Weißensee veranstaltet.91 Unter der Leitung des Juristen Julius Schomburg konstituierte sich in Liebenstein am 1. Oktober 1845 der Sängerbund vom Walde.92 Dem Sängerbund gehörten bis 1848 neun Zweigvereine aus Angelroda, Elgersburg, Gera, Geschwenda, Gräfenroda, Liebenroda, Manebach, Martinroda und Roda an. Ebenfalls im Jahr 1845 wurde nach einem Aufruf des Kantors Wagner der Voigtländische Sängerbund im thüringischen Vogtland in Schleiz gegründet. Mitglieder beim zweiten und vorerst letzten gemeinsamen Gesangfest am 9. Juli 1846 in Zeulenroda waren unter anderem die Gesangvereine aus Auma, Gera, Lobenstein, Neustadt an der Orla, Schleiz, Zeulenroda und Ziegenrück.93 Am Ende des Jahres 1845 rief die Liedertafel in Hildburghausen zur Gründung eines neuen Sängerbundes in der Umgebung auf.94 Daraufhin konstituierte sich der Henneberger Sängerbund, der am 2. Juni 1846 in Suhl sein erstes Sängerfest durchführte. Zu den ersten Mitgliedern gehörten die Gesangvereine aus Eisfeld, Heldburg, Hildburghausen, Meiningen, Rodach, Römhild, Schleusingen, Suhl, Themar und Ummerstadt.95

90 Zur Gründung des Rothenburger Sängervereins siehe das Protokoll (9 S.) der konstituierenden Versammlung: StA Kölleda, Acta 1959. Zum Sängertreffen am 8. Juni 1843 siehe VON SYDOW: Gesangfest auf der Rothenburg 1843 und zum Sängerfest 1844 in Sondershausen siehe DERS.: Rothenburger Sänger-Verein 1844. 91 Zum Sängerfest am 26. Juni 1845 in Frankenhausen siehe DERS.: Rothenburger Sängervereins 1845. – Zur Sängerfahrt der Sängervereine aus Sondershausen, Frankenhausen, Weißensee und Kölleda nach Oldisleben am 14. Juni 1846 siehe StA Kölleda, Acta 1932, S. [83] und zum Sängerfest am 22. September 1847 in Weißensee siehe Gesang-Fest der Liedertafeln von Cölleda, Frankenhausen, Sondershausen, Sömmerda und Weißensee. – Am 21. Juni 1848 sollte ein weiteres Sängerfest des Rothenburger Sängervereins in Kölleda stattfinden. Dieses musste jedoch aufgrund der revolutionären Unruhen verschoben werden. Siehe dazu StA Kölleda, Acta 1527. 92 Schomburg (1817–1896) begann aufgrund der kurhessischen Verfassungskämpfe und seiner liberalen politischen Haltung seine amtliche Laufbahn im Herzogtum Gotha. Im Jahr 1848 wählte ihn der Liebensteiner Bezirk in den ersten Landtag zu Gotha. Zu Schomburg siehe DEBES: Sängerbund vom Walde, S. 5 ff. Zum Sängerbund vom Walde siehe EBD. und ThStA Go, Oberhofmarschall-Amt, Nr. 609a. 93 Siehe dazu Das Gesangfest in Zeulenroda, in: Teutonia, Nr. 19, 1846, S. 291−300. 94 Siehe Aus Hildburghausen im Februar, in: Teutonia, Nr. 5, 1846, S. 74. 95 Zum Sängerfest in Suhl siehe Liederfest in Suhl, in: Teutonia, Nr. 14, 1846, S. 211−219 und Willkommen und Rede in Suhl. EBD., S. 220 ff.

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Die nach 1840 gegründeten Sängerbünde prägten sich bewusst regional aus. Überregionale Ausdehnung hingegen wurde bewusst nur durch die Gründung des Thüringer Sängerbundes96 angestrebt, in den möglichst alle Gesangvereine Thüringens integriert werden sollten.97 Im Großen und Ganzen erstreckte sich das Einzugsgebiet des Thüringer Sängerbundes, der 1843–1847 seine ersten fünf Liederfeste veranstaltete, aber nur auf West- und Mittelthüringen.

2.4 Königreich Sachsen In Sachsen begann die Entwicklung des Männergesangwesens vergleichsweise spät. Abgesehen von der frühen Gründung der Leipziger Liedertafel 1815 und nachfolgenden Stiftungen weiterer Gesangvereine in Leipzig,98 zählen die Männergesangvereine in Hohenstein und in Pausa/Vogtland (1826) und der Schandauer Liederkranz (1828) zu den ältesten Gründungen im sächsischen Raum.99 In Chemnitz bildete sich 1832 ein Bürgergesangverein,100 aus dem heraus die Gesangfeste des Erzgebirgischen Sängervereins initiiert wurden. Dessen Gesangfeste fanden 1834 und 1835 in Chemnitz, 1836 in Rochlitz, 1837 in Frankenberg, 1838 in Hohenstein und 1839 wieder in Chemnitz statt.101 Die Mitglieder dieses Sängerbundes rekrutierten sich aus dem Erzgebirgsvorland, da zur gleichen Zeit auch ein Obererzgebirgischer Sängerbund existierte. Unter Federführung des ortsansässigen Liederkranzes wurden 1843 und 1844 dessen erste Sängerfeste in Johanngeorgenstadt veranstaltet. Weitere Feste folgten 1845 in Schwarzenberg, 1846 in Schneeberg und 1848 in Scheibenberg.102 Im Umkreis des Erzgebirgischen Sängervereins und seiner Sängerfeste entstanden seit Mitte der 1830er Jahre verstärkt Gesangvereine, die sich hauptsächlich die Pflege des volkstümlichen Männergesangs zur Aufgabe machten. „Im dichtbevölkerten Erzgebirge und in der Lausitz gab es bald fast kein Dorf, das nicht seinen Gesangsverein hatte [...].“103 Ein weiteres Zentrum für den Männergesang in Sachsen war das sächsische Vogtland um die Textilstadt Plauen. Hier konstituierte sich unter dem Lehrer und

96 97 98 99 100 101 102 103

Zum Thüringer Sängerbund siehe unten Kap. III.3.1. Siehe dazu unten S. 164. Siehe dazu unten S. 119. Siehe KÖTZSCHKE: Männergesang, S. 98 und zum Männergesangverein Pausa Festschrift zur 100jährigen Gründungsfeier. Siehe dazu Festschrift zur 100-Jahrfeier. Laut Teutonia (Nr. 5, 1846, S. 78) fand die Gründung am 14. Dezember 1833 statt. Siehe dazu RAU: Chemnitzer Gesangfeste, S. 43 ff. und KADEN, Werner: Kunstmann und Stahlknecht, S. 113. Siehe dazu Teutonia, Nr. 20, 1846, S. 307–322 und KADEN: Musikkultur, S. 120. KÖTZSCHKE: Deutscher Männergesang, S. 98.

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Kantor Johann Friedrich Fincke 1836 ein Lehrergesangverein.104 Im gleichen Jahr gründete der Plauener Kantor den Vogtländischen Volksschullehrer-Verein, der unter ihm von 1837–1847 Hauptinitiator der vogtländischen Gesangfeste auf sächsischem Gebiet war.105 Eine bedeutende Rolle für die Ausbreitung des Männergesangs in und um Leipzig spielte der Komponist Carl Friedrich Zöllner. Die Gründung und Leitung des Zöllnervereins 1833 in Leipzig „wurde zur Keimzelle der Leipziger und sächsischen Männergesangvereine“.106 Im Umkreis von Stolpen in der Sächsischen Schweiz bildete sich am Anfang der 1840er Jahre der Hochlands-Sängerverein. Ihm gehörten neben dem in Stolpen die Gesangvereine aus Hohenstein, Königstein, Neustadt/Sachsen und Wehlen an. Am 29. Juli 1846 fand in Neustadt/Sachsen das 5. Gesangfest des Hochlands-Sängerverein statt, sodass sich dieser Sängerverein vermutlich 1841 konstituiert hat.107 Im Gebiet an der Mulde um die Stadt Rochlitz bildete sich 1842 der Muldenthäler Sängerverein, der anlässlich eines gemeinsamen Konzertes verschiedener umliegender Gesangvereine in Kriebstein ins Leben gerufen wurde. Seit dem Jahr 1843 führte diese Sängervereinigung bis 1847 jährlich Sängerfeste durch. Dem Muldenthäler Sängerverein gehörten unter anderem die Gesangvereine aus Colditz, Geringswalde, Geithain, Grimma, Hainichen, Leisnig, Mittweida, Rochlitz und Waldheim an.108 Auch in der sächsischen Oberlausitz breitete sich das Männergesangwesen schnell aus. Drei Jahre nach der Gründung einer Liedertafel 1842 in Budissin/Bautzen konnte dort am 17. Oktober 1845 das erste sorbische Gesangfest

104 Fincke (1778–1868) pflegte enge Kontakte zum Plauener Turnrat um Otto Leonhard Heubner (siehe unten S. 265, Anm. 858). In Zusammenarbeit mit diesem gab Fincke 1846 das Voigtländische Turnbüchlein (Plauen 1846) heraus. Darin wurden u. a. Texte oppositioneller Dichter wie Hoffmann von Fallersleben (1798–1874), Georg Herwegh (1817–1875) und Friedrich von Sallet (1811–1843) vertont, in denen teils versteckt, teils offen bürgerliche Rechte eingefordert wurden. Als überzeugter Demokrat im Plauener Volksverein trat Fincke für einen verantwortlichen Präsidenten an der Spitze Deutschlands ein. Nachdem er am 4. Mai 1849 in einem Brief des Volksvereins an das sächsische Gesamtinisterium für die Anerkennung der Reichsverfassung und deren Publikation in Sachsen öffentlich eintrat, wurde Fincke verhaftet und zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach zweijähriger Haft auf dem Amtsberg erfolgte 1851 die Begnadigung. Zu Fincke als Organisator der Sängerbewegung im sächsischen Vogtland und als Politiker siehe BUCHHOLZ: „Voigtländisches Turnbüchlein“; DERS.: Kantor und „Achtundvierziger“, S. 22 f. und MERKEL: Vogtländische Musiker, S. 15–20. 105 Zur Auflistung der Vogtländischen Gesangfeste siehe BUCHHOLZ: „Voigtländisches Turnbüchlein“, S. 50 und Anhang 1, S. 330 ff. 106 SCHMIDT: Männerchorgesang, S. 46. Zu Zöllner und dem Männergesangvereinswesen in Leipzig siehe unten Kap. IV.2.4. 107 Siehe Teutonia, Nr. 21, 1846, S. 323 ff. 108 Siehe Teutonia, Nr. 20, 1847, S. 313 und Nr. 26, 1847, S. 429 f.

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stattfinden.109 Die sorbischen Gesangfeste, die danach regelmäßig durchgeführt wurden, entwickelten sich zu herausragenden Ereignissen im Oberlausitzer Kulturraum und stellten eine Initialzündung zur Ausbildung eines sorbischen Identitätsbewusstseins im Allgemeinen und einer bürgerlichen sorbischen Musikkultur im Besonderen dar. Unter dem Eindruck der Gesangfeste bildeten sich in der Umgebung zahlreiche Chöre, die das sorbische Musikleben in der Oberlausitz maßgeblich mitbestimmten. Bei einem Gesangfest in Ostritz am 22. August 1847 gründete sich der Oberlausitzer Sängerbund.110 Auch überregional nahmen die Männerchöre der Lausitz an verschiedenen Sängerfesten teil. So war beim zweiten sächsischen Sängerfest in Dresden im Juli 1843 „besonders die Lausitz [...] stark vertreten“.111 In Dresden kam das Männerchorwesen verhältnismäßig spät zur Entfaltung.112 Die älteste nachweisbare Vereinigung ist der 1834 gegründete Verein Orpheus, dessen erster Liedermeister der Musiklehrer und Komponist Carl Ferdinand Adam war.113 Dieser Gründung folgte 1839 die Konstitution der Dresdner Liedertafel, der berühmte Komponisten wie Carl Gottlieb Reissiger, Ernst Julius Otto, Richard Wagner und Robert Schumann vorstanden. Durch das Ausscheiden von zwölf Mitgliedern der Dresdner Liedertafel bildete sich Ende 1842 ein Liederkranz. Im Jahr 1844 zählten die genannten Männergesangvereine zusammen etwa 200 Mitglieder.114 Am 8./9. August 1842 und 6./7. Juli 1843 wurden in Dresden die ersten beiden allgemeinen sächsischen Männergesangfeste gefeiert, an denen 18 beziehungsweise 30 Männergesangvereine aus ganz Sachsen teilnahmen.115 Im Jahr darauf fand das allgemeine sächsische Sängerfest in Meißen statt.116 Im Jahr 1847 gründete sich in Dresden unter der Leitung von Maximilian Leopold Löwe der Allgemeine Dresdner Sängerverein, mit dem die

109 KORBJELA: Sorbische Musikkultur, S. 74. Die Organisatoren waren der Lehrer, Kantor und Begründer der sorbischen Kunstmusik Korla Awgust Kocor (1822–1904) und der mit ihm eng befreundete Pfarrer, Publizist und Begründer der sorbischen Dichtkunst Handrij Zejler (1804–1872). Bei diesem Fest erklang zum ersten Mal die von beiden geschaffene sorbische Nationalhymne. 110 Teutonia, Nr. 21, 1847, S. 381 f. 111 KÖTZSCHKE: 100 Jahre Dresdner Liedertafel, S. 24. 112 Zum Männergesangvereinswesen in Dresden siehe unten Kap. IV.5.1. 113 Adam (1806–1865) besuchte die Dresdner Kreuzschule. Nach einem abgebrochenen Jurastudium widmete er sich unter Thomaskantor Christian Theodor Weinlig (1780–1842) musikalischen Studien. Anschließend ließ er sich als Musiklehrer in Dresden nieder. Nach dem Orpheus 1834 gründete er zusammen mit Ernst Julius Otto auch den Dresdner Liederkranz. Im Jahr 1844 wurde Adam Musikdirektor und Kantor in Leisnig, wo er 1845 einen Liederkranz ins Leben rief. Zu Adam siehe BAKER/REMY (Hg.): Biographical Dictionary, pp. 4. 114 Siehe LÖWE (Hg.): Der Männergesang, S. 15. 115 Zu den Sängerfesten in Dresden 1842 und 1843 siehe unten S. 242–245. 116 ELBEN: Männergesang (1887), S. 84 und Teutonia, Nr. 4, 1846, S. 60. Zum Gesangfest siehe HARTWIG: Erinnerungsblätter, S. 46−48 und SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, Bl. 152r–156r (UB Leipzig, Rep. II, 157i).

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Dresdner Männergesangvereine zusammen Konzerte und Liederfahrten veranstalteten.117 * Die reichhaltige Geschichte der Männergesangbewegung in Mitteldeutschland reicht teilweise bis in die Zeit der Befreiungskriege zurück. Nach vereinzelten Männerchorgründungen bis etwa zur Mitte der 1830er Jahre setzte ein rasantes Wachstum ein, welches in der Mitte der 1840er Jahre seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Während in den anhaltischen Staaten trotz des Engagements Friedrich Schneiders eine verhältnismäßig geringe Dichte an Vereinsgründungen (14) zu verzeichnen ist, wies das Königreich Sachsen (188), vor allem in der Lausitz und im Erzgebirge, mit Abstand die meisten mit Gründungsjahr bekannten Männerchöre bis 1848 auf. Es folgen Thüringen (140) und mit einigem Abstand die preußische Provinz Sachsen (86). Mit der Gründung der überregionalen Provinzialliedertafel 1830 in Bernburg, dem ältesten Sängerbund im Deutschen Bund, setzten in Mitteldeutschland auch sehr früh die Gründungen von regionalen und überregionalen Sängervereinigungen ein. In Sachsen und Thüringen gab es jeweils neun Sängerbünde. Im stark zersplitterten Thüringen dürfte dabei vor allem die starke Sehnsucht nach einem einheitlichen Staatsgebilde eine wesentliche Rolle gespielt haben, wie die Gründung des Thüringer Sängerbundes 1843 zeigt. Mit der großen Anzahl an Gesangvereinen und Sängervereinigungen korrespondiert auch eine große Anzahl an Gesangfesten, die im mitteldeutschen Raum mit der ersten Provinzialliedertafel 1830 begannen und im Jahr 1846 mit 30 derartigen Zusammenkünften ihren Höhepunkt erreichten. Auch hier liegt der Schwerpunkt eindeutig in Thüringen und Sachsen, wo seit 1843 beziehungsweise 1842 landesweite Gesangfeste stattgefunden haben.118 Neben bestehenden musikalischen Traditionen und dem Wunsch nach Geselligkeit und Gesangausübung im bürgerlichen Verein kam es nicht zuletzt auf prägende Persönlichkeiten an. Ihre Bedeutung für die flächendeckende Ausbreitung des Männergesangwesens in Mitteldeutschland kann kaum unterschätzt werden. Zu ihnen zählen in Thüringen vor allem der Musikpädagoge Daniel Elster,119 der Komponist Adolf Wandersleb,120 der Regierungssekretär Christoph Rudolph Breidenstein,121 der Volksschriftsteller Heinrich Schwerdt122 sowie die 117 Siehe KÖTZSCHKE: Männergesang, S. 98 und ELBEN: Männergesang (1887), S. 213. 118 Siehe zur Statistik der Gesangvereine und Sängerbünde im mitteldeutschen Raum Anhang 1 und 2, S. 329 ff. und 334 ff. 119 Zu Elster siehe oben S. 79, Anm. 75. 120 Zu Wandersleb siehe unten S. 162, Anm. 327. 121 Zu Breidenstein siehe unten S. 162, Anm. 325. 122 Zu Schwerdt siehe unten S. 163, Anm. 334.

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Dichter Ludwig Storch und Ludwig Bechstein;123 in Sachsen die Komponisten Carl Friedrich Zöllner124 und Ernst Julius Otto125 sowie Maximilian Leopold Löwe;126 in den anhaltischen Staaten die Chorleiter Friedrich Schneider127 und August Seelmann128 und in der preußischen Provinz Sachsen die Komponisten August und Julius Mühling129 sowie Otto Claudius.130 Die Claudius-Liedertafel in Naumburg und die Zöllnervereine in Leipzig sind Ausdruck der Abhängigkeit von einzelnen herausragenden Dirigenten und Komponisten.

123 124 125 126 127 128 129 130

Zu Bechsteins und Storchs Engagement siehe unten S. 194–202. Zu Zöllner siehe unten Kap. IV.2.4. Zu Otto siehe unten S. 234, Anm. 695. Zu Löwe siehe unten S. 293, Anm. 984. Zu Schneider siehe unten Kap. IV.1.1. Zu Seelmann siehe oben S. 78, Anm. 71. Zu August und Julius Mühling siehe unten S. 204. Zu Otto Claudius siehe HOPPE: Chronik Claudius-Liedertafel, S. 8–14.

IV. Der Männerchorgesang in Mitteldeutschland als Mittel oppositioneller Artikulation von den Anfängen bis zur Revolution 1848/49

Obwohl sich Männergesangvereine auch im ländlichen Raum ausgebreitet haben, kann der Musikhistoriker im Untersuchungszeitraum fast nur auf Akten von in Städten beheimateten Männergesangvereinen zurückgreifen. Daher handelt es sich bei den folgenden Fallbeispielen um städtische Männergesangvereine, die eine ausreichende Überlieferung aufweisen. Bei der Auswahl der Männergesangvereine wurde darauf geachtet, dass aus jeder der vier mitteldeutschen Regionen mindestens eine Stadt besondere Berücksichtigung erfährt. So repräsentiert Magdeburg als Provinzhauptstadt die preußische Provinz Sachsen. Das Gleiche gilt für Dessau als Residenzstadt des größten anhaltischen Herzogtums. Die Städte Leipzig und Dresden stehen stellvertretend für die Entwicklung des Männergesangwesens im sächsischen Königreich. Der 1843 konstituierte Thüringer Sängerbund spiegelt die Geschichte des Männergesangvereinwesens bis 1848 in Thüringen wider. Auch die Chronologie spielt bei der Reihenfolge der Fallbeispiele eine Rolle. Während die Dessauer und die Leipziger Liedertafel überwiegend in der Zeit vor der Julirevolution 1830 behandelt werden, beschränken sich die Ausführungen über die übrigen Gesangvereine beziehungsweise Sängerbünde größtenteils auf den ausgehenden Vormärz und die bürgerliche Revolution von 1848/49. In Männergesangvereinen engagierten sich nicht nur Kleinmeister aus der zweiten und dritten Reihe. Auch bedeutende Tonkünstler machten sich als Dirigenten und Komponisten um die Männergesangbewegung verdient. Im mitteldeutschen Raum sind in dieser Hinsicht Robert Schumann und Felix Mendelssohn Bartholdy besonders hervorzuheben. Ihr Engagement ging teilweiseweit über rein musikalische Belange hinaus.

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1.

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Friedrich Schneider, Wilhelm Müller und die Dessauer Liedertafel

1.1 Der Komponist Friedrich Schneider Friedrich Schneider wurde 1786 in Altwaltersdorf bei Zittau als Sohn eines Kantors geboren.1 Nach dem Musikunterricht beim Vater und ersten kompositorischen Versuchen bis hin zu musikalischen Großformen studierte er ab 1805 in Leipzig, wo er bald in Kontakt mit dem Gewandhauskapellmeister und späteren Thomaskantor Johann Gottlob Schicht2 und dem Musikschriftsteller Johann Friedrich Rochlitz3 kam. Im Jahr 1806 wurde Schneider Gesangslehrer in der Ratsfreischule, 1807 Organist an der Universitätskirche, 1810 Musikdirektor bei der Secondaschen Operngesellschaft und 1813 Organist an der Thomaskirche. Seit 1816 leitete die Leipziger Singakademie. Sein damaliges kompositorisches Schaffen umfasste beinahe alle musikalischen Gattungen. Seinen größten und nachhaltigsten Erfolg feierte Schneider mit seinem Oratorium Das Weltgericht, das am 6. März 1819 im Gewandhaus uraufgeführt wurde.4 Nicht zuletzt der daraus erstandene Ruhm des Komponisten ließ ihn Anfang April 1821 seine neue Stelle als Herzoglich-Anhalt-Dessauischer Hofkapellmeister antreten. Durch Schneider erlebte das Musikleben der Muldestadt einen starken Aufschwung. Neben der Singakademie reorganisierte er auch die herzogliche Kapelle. Seit Februar 1822 gab es regelmäßige Konzerte in der Schlosskirche und ab Mai 1822 Abonnementkonzerte im Konzertsaal des Schauspielhauses.5 Im Jahr 1829 gründete Schneider in Dessau eine Musikschule, die er bis zur Schließung 1846 leitete, und aus der einige bekannte Komponisten hervorgingen.6 Die großen Verdienste Schneiders lagen weniger auf dem Gebiet der Komposition als im Bereich der Musik- und Gesangfestbewegung.7 Nachdem am 1. August 1825 in Magdeburg der Verein für die Musikfeste an der Elbe gegründet worden war, fungierte Schneider seit dem 1. Musikfest am 2. September 1825 als 1 Zu Leben und Werk Schneiders (1786–1853) siehe u. a. LOMNITZER: Friedrich Schneider und BEER/SCHMID: Schneider. Ein ausführliches Porträt von Leben und Werk des Dessauer Hofkapellmeisters bietet KEMPE: Friedrich Schneider. Kempe war Zeitgenosse Schneiders und kannte ihn gut. Seine Biografie ist jedoch wegen starker hagiografischer Einfärbung nicht als objektive Quelle anzusehen. 2 Zu Schicht siehe unten S. 124, Anm. 167. 3 Zu Rochlitz siehe unten S. 123. 4 Dieses Oratorium, das einen Meilenstein der Oratoriengeschichte zwischen Joseph Haydn und Mendelssohn darstellte, verbreitete sich sehr rasch und erlebte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Aufführungen. Zu Geschichte und Werk des Weltgerichts siehe SCHERING: Oratorium, S. 398–401 und LOMNITZER: Friedrich Schneider, S. 111–140. 5 SCHLETTERER: Schneider, S. 114. 6 Unter den insgesamt über 120 Schülern befand sich u. a. der Komponist Robert Franz (1815–1892). Siehe WEHNERT: Schneider, Sp. 1901. 7 Siehe dazu RUF: Liedertafel und Liederkranz, S. 124.

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dessen musikalischer Leiter.8 Diesem Auftritt sollten noch zahlreiche weitere von ihm geleitete Musik- und Gesangfeste – nicht nur in Mitteldeutschland – folgen.9 Auch an der Gründung der Provinzialliedertafel Ende Oktober 1830 in Bernburg, die jährlich gemeinsame Liedertafeln durchführte, war Schneider maßgeblich beteiligt.10 Sein Engagement in der Musik- und Gesangfestbewegung brachte ihm die (Ehren-)Mitgliedschaft in 25 musikalischen Körperschaften, vor allem in Männergesangvereinen beziehungsweise Sängerbünden, ein.11 Bei vielen Gesangfesten und Liedertafeln in Mitteldeutschland im 2. Viertel des 19. Jahrhunderts war der Dessauer Hofkapellmeister ein hoch verehrter und gern gesehener Gast.12 Aufgrund dieser Verehrung mag es nicht verwundern, dass seine Kompositionen auf dem Gebiet des Männerchors neben denen der Oratorien wohl die größte zeitgenössische Anerkennung und Verbreitung gefunden haben. Schneider war als Mitbegründer der alten Leipziger Liedertafel von 181513 neben Albert Methfessel, Conradin Kreutzer und Carl Maria von Weber einer der frühesten und führenden Komponisten von Gesängen für Männerchor.14 Seine Kompositionen für Männerchor orientierten sich im Wesentlichen am unkomplizierten homophonen Satz, die für Laien gut zu singen waren. Er

8 An der Gründung waren die Städte Aschersleben, Dessau, Halberstadt, Halle, Magdeburg, Nordhausen, Quedlinburg und Zerbst beteiligt. Insgesamt führte der Verein bis 1836 neun Musikfeste durch. Zu den Statuten des Elbmusikvereins siehe StA Erfurt, Bestand Erfurter Musikverein, Bd. 3, Bl. 6r–15v), und zu den Musikfesten WENTZKAT: Schneider und die Musikfestbewegung. 9 Je nach Definition, was unter einem Musik- bzw. Gesangfest zu verstehen ist, schwanken die Zahlen zwischen 39 (WENTZKAT: Schneider und die Musikfestbewegung, S. 97) und 84 (LOMNITZER: Friedrich Schneider, S. 375 f.). 10 Zur Provinzialliedertafel siehe oben S. 77, Anm. 66. 11 Siehe WEHNERT: Schneider, Sp. 1902. So gehörte Schneider bspw. der Nürnberger Liedertafel seit 1830 (BRUSNIAK: Fränkischer Sängerbund, S. 42), dem Thüringer Sängerbund seit dessen Bestehen 1843 (siehe unten S. 164) und dem Dresdner Orpheus seit 1844 (MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 43) als Ehrenmitglied an. 12 So fanden u. a. im Umkreis des am 26. Oktober 1822 durchgeführten Musikfestes in Magdeburg (HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 6) und am 9. Oktober 1847 in Erfurt (Liedertafel in Anwesenheit Schneiders) Ehrenliedertafeln sowie am 8. Juli 1843, dem ersten Festtag des 2. Sächsischen Männergesangfestes, eine Serenade zu Schneiders Ehren statt (MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 38). 13 Zur Leipziger Liedertafel siehe unten Kap. IV.2.2. 14 Schneider veröffentlichte bei Peters im Jahr 1818 vierstimmige Liedertafelgesänge (Sechs Gesänge für vier Männerstimmen, Leipzig 1818). Es handelte sich dabei, abgesehen von Carl Maria von Webers patriotischen Chören, um die ersten Männerchöre, die überhaupt in den Musikhandel gebracht wurden. Es sollten noch 124 weitere in den Druck gegebene Männerchorlieder folgen. Siehe dazu LOMNITZER: Friedrich Schneider, S. 52 und 54. In den handschriftlich geführten Liederheften der Männergesangvereine im mitteldeutschen Raum nahmen seine Kompositionen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts einen breiten Raum ein. So befinden sich bspw. in der 1838 gedruckten Liedersammlung für die Leipziger Liedertafel unter den 163 Gesängen 32 von Schneider. Siehe dazu Gesänge der Liedertafel zu Leipzig.

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bevorzugte hierbei kleine Formen, einfache Harmonien und kraftvolle Rhythmen.15 Zu Schneiders politischen Ansichten gibt es in der Literatur überwiegend Angaben, die das Bild eines sowohl dem musikalischen als auch dem politischen Konservatismus zuneigenden Komponisten zeichnen. Nach Helmut Lomnitzer „lebte [er] mit den Mächten der Tradition in innerstem Einverständnis“.16 Auch laut der sechs Jahre nach Schneiders Tod erschienenen Biografie des Zeitgenossen Friedrich Kempe blieb Schneider während des ausgehenden Vormärzes und der ausbrechenden Revolution 1848 „als Künstler und Mensch mitten in den Wogen des stürmenden Meeres“.17 Ganz unbeeinflusst ist aber auch Schneider nicht von den politischen Tagesereignissen geblieben. Diese Tatsache räumte zwar auch Kempe ein, relativierte jedoch diesbezügliche Hinweise durch einen „allgemein humanen Hintergrund“ Schneiders, dem kein politisches Glaubensbekenntnis zugrunde gelegen habe.18 Dagegen spricht aber u. a. die Komposition einer Constitutionsfest-Ouvertüre anlässlich des Dessauer Konstitutionsfestes am 5. November 1848,19 in der thematisch-motivisch der Dessauer Marsch und das Lied Was ist des Deutschen Vaterland verarbeitet wurden.20 Nicht nur die Verwendung des wohl bekanntesten vormärzlichen, die Einheit der deutschen Bundesstaaten herbeisehnenden Männerchorlieds spricht für einen gesellschaftlichen Hintergrund. Auch die Tatsache, dass Schneider zu diesem Zeitpunkt seit 20 Jahren keine Ouvertüre mehr geschrieben hatte,21 weist auf eine politisch motivierte Komposition hin. Hingegen deutete Schneiders Biograf Kempe dessen bisher in der Forschung vernachlässigtes Engagement für die Bewegung der „Lichtfreunde“ an: Vorzüglich war es das religiöse Treiben der Neuzeit, was Schneider ergriff. Die protestantische Kirche mit ihren Dogmen war seinem Gemüthe zu starr, er sah in der sich öffnenden ,freien Kirche‘ den Impuls zur Einigung.22

Die religiöse Oppositionsbewegung der „Lichtfreunde“ hatte in den anhaltischen Herzogtümern eine starke Basis. Daher fanden ihre Pfingsttreffen nicht nur aufgrund der guten Verkehrsverhältnisse seit 1842 in Köthen statt. Neben der Vertonung von 15 16 17 18 19 20

Zu den Männerchorkompositionen Schneiders siehe DIETEL: Männergesang, S. 164–169. Siehe LOMNITZER: Friedrich Schneider, S. 277. KEMPE: Friedrich Schneider, S. 338. EBD., S. 337. Siehe zum Programm der Konstitutionsfeier LHASA DE, Stami. DE 1, Nr. 98. Das Autograf und eventuell vorhandene Abschriften sind schon vor 100 Jahren unauffindbar gewesen. Der Hinweis auf die Existenz dieser Komposition entstammt einem alten Nachlassverzeichnis. Siehe LOMNITZER: Friedrich Schneider, S. 46. 21 FAST: Schneiders Sinfonien und Ouvertüren, S. 101. 22 Siehe KEMPE: Friedrich Schneider, S. 339. Kempe sah die Bewegung der „Lichtfreunde“ als rein religiöse Angelegenheit an, die keinerlei politische Bezüge aufwies. Dadurch konnte er Schneider als grundsätzlich unpolitischen Künstler bezeichnen.

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Chorälen für die Choralbücher der seit 1845 entstandenen „Freien Gemeinden“23 hat Schneider auch einige freiprotestantische Männerchorgesänge komponiert.24 Der früheste kompositorische Nachweis für das Engagement Schneiders für die protestantischen Dissidenten datiert vom 5. Oktober 1845. Es handelt sich hierbei um den religionskritischen Männerchorgesang Das freie Wort, der im gleichen Jahr bei Whistling in Leipzig gedruckt wurde.25 Der Text stammt vom Historiker und Dichter Karl Ferdinand Haltaus, der darin die religiöse Meinungsund Gewissensfreiheit als Voraussetzung für einen wahren und angstfreien Glauben beschwört.26 In der ersten Strophe rechnet der Autor mit der überkommenen Kirche ab, die den Gläubigen durch Dogmen in geistiger Unfreiheit lässt. Mit der immer mehr Zulauf gewinnenden Bewegung der „Lichtfreunde“ sei nun die Zeit gekommen, vollständig mit der Vergangenheit zu brechen: Brich deine Fesseln, Geist der Zeit, Der Glaube ist vermodert, Aus Trümmern der Vergangenheit Der Freiheit Flamme lodert. Der Heiland spricht: Es werde Licht! Die finstre Nacht muss weichen, Wir wandeln nur auf Leichen! (Str. 1)

Es gab zwar in den vergangenen Jahrhunderten mehrere Erneuerungsbestrebungen, die jedoch nicht dauerhaft erfolgreich waren. Die geistige Knebelung durch Verbreitung von Angst und Furcht erfolge immer noch durch „eine Schaar von Pfaffen“ (Str. 3). Um die Macht der reaktionären kirchlichen Mächte endgültig zu überwinden und eine freie, fern von Glaubenszwängen befindliche Kirche errichten zu können, wendet sich der Textautor gegen die Anwendung von Waffengewalt. Stattdessen setzt Haltaus ausschließlich auf die Kraft des wahren und freien Wortes: 23 Siehe KEMPE: Friedrich Schneider, S. 340. 24 Weitere Kompositionen für die Bewegung der „Lichtfreunde“ stammen aus dem Jahr 1847. Den Anfang machte das Lied mit dem Titel Das Licht für vierstimmigen Männerchor. Siehe ALW, Nachlass Schneider, Mus. Schn. XV:15, Nr. 40, Bl. 36r. Auch die Nummern 41, 42 und 48 hatten Bezug zur Bewegung der „Lichtfreunde“. Das Lied unter der Nr. 48 vom 23. September 1847 trägt den Titel Lied für die freie Gemeinde in Nordhausen. Siehe EBD., Bl 41r. 25 Zur Komposition siehe unten Abb. 1, S. 93. Der Druck wurde im musikalisch-literarischen Monatsbericht von Hofmeister angekündigt. Siehe HOFMEISTER: Musikalisch-literarischer Monatsbericht, S. 170. 26 Haltaus (1811–1848) war seit 1835 Geschichtslehrer an der Leipziger Thomasschule. Im Jahr der 4. Säkularfeier der Buchdruckerkunst in Leipzig gab Haltaus „Ein Album deutscher Schriftsteller“ (Leipzig 1840) heraus. Seine Gedichte erschienen erstmals 1844 (Leipzig: Fest) und in vermehrter Auflage noch einmal 1845. Besonders trat er als Autor von historischen Schriften und Lehrbüchern hervor. Zu Haltaus siehe SCHNORR VON CAROLSFELD: Haltaus.

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Doch eins, das führt gewiss zum Sieg, Wird Gotteskraft beweisen: Das freie Wort, Das ist ein Hort, Vor dem die Feinde zittern, Wie Sünder vor Gewittern! (Str. 4)

Bei der Komposition Schneiders handelt es sich um ein einfaches Strophenlied in E-Dur, das harmonisch keine Besonderheiten aufweist. Häufig sind in diesem Lied Unisono-Stellen anzutreffen (T. 1, 4, 5, 18–20), die vermutlich die Einigkeit und Entschlossenheit der „Lichtfreunde“ symbolisieren sollen. Die vierte und die letzte Zeile werden jeweils zur Bekräftigung im ff wiederholt.

1.2 Der Dichter Wilhelm Müller Der Dichter Wilhelm Müller wurde 1794 in Dessau als Sohn eines Schneidermeisters geboren. Nach dem Schulbesuch in Dessau ermöglichte ihm sein Vater die Aufnahme eines Studiums. Da das Herzogtum Dessau nicht über eine eigene Landesuniversität verfügte, nahm der junge Dessauer sein Studium im Sommersemester 1812 an der gerade gegründeten Universität in Berlin auf.27 Der Beginn des Studiums fiel zeitlich mit der infolge der Niederlage Napoleons in Russland beginnenden Erhebung gegen die Fremdherrschaft Frankreichs zusammen. Im Sommer 1812 „prädominierte bald schon das politische Interesse“.28 Davon wurde auch Müller erfasst. Zwei Wochen nach dem berühmten Aufruf des preußischen Königs vom 17. März 1813 meldete sich der junge Student, wie viele seiner Kommilitonen, von der Universität ab und stellte sich freiwillig dem preußischen Heer zur Verfügung.29 Er erlebte einige Schlachten, wurde Leutnant, kam ab Herbst 1813 nicht mehr an die Front und wurde in einem Depot in Prag sowie zuletzt in einem Kommandanturbüro in Brüssel eingesetzt.30 Im Jahr 1816 debütierte er zusammen mit vier weiteren Autoren als Lyriker mit der Veröffentlichung der Gedichtsammlung „Bundesblüten“.31 Die Sammlung entstand in den Jahren zwischen 1813 und 1815 und erinnerte an die teilweise gemeinsam verbrachte Kriegszeit in den gängigen Mustern der Lyrik der Befreiungskriege. Da die Ankündigungsverse die Worte „Freiheit“ und „Bund“ beinhalteten, kam Müller im Zuge der Veröffentlichung zum ersten Mal in Berührung mit der Zensur.32 27 28 29 30 31

LEISTNER (Hg.): So zieh ich meine Straße, S. 9. LEISTNER: Müller. Leben und Werk, S. 12. Zum Aufruf „An mein Volk!“ durch Friedrich Wilhelm III. siehe unten S. 132. Zu Müllers Militärdienst in den Befreiungskriegen siehe LEISTNER: Müller. Leben und Werk, S. 13. Die anderen Autoren waren Georg Graf von Blankensee, Wilhelm Hensel, Adolf Karl Graf von Kalckreuth und Wilhelm von Studnitz. 32 Der Band durfte in Berlin aufgrund einer königlichen „Verordnung wegen der angeblichen geheimen Gesellschaften“ vom 6. Januar 1816 nicht erscheinen.

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Abb. 1: Das freie Wort von Karl Ferdinand Haltaus und Friedrich Schneider

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Ein Jahr später begab sich Müller auf Empfehlung seines Professors August Boeckh mit dem Baron Albert von Sack auf eine Studienreise nach Griechenland. Bei einem Aufenthalt in Wien kam der junge Dichter mit Exilgriechen in Kontakt: „Dort vermittelten sich ihm zugleich deren politisch-ideelle Bestrebungen; was sich auf ihn übertrug, war der gegen die türkische Herrschaft gerichtete Emanzipationsimpuls.“33 Diese Begegnung sollte sich später in den „Liedern der Griechen“ niederschlagen.34 Beim sich anschließenden Aufenthalt in Italien erfuhr das Weltbild Müllers eine wesentliche Veränderung. Sein enger nationalromantischer Blick öffnete sich einem politischen Liberalismus, der ihn einschlägige Ressentiments ablegen ließ. Ende 1818 bewarb sich Müller in seiner Heimatstadt Dessau um eine Hilfslehrerstelle an der neu geschaffenen „Herzoglichen Gelehrtenschule“. Im April 1819 nahm er seine Tätigkeit als Lehrer auf und arbeite auf eigenen Wunsch gleichzeitig an der Einrichtung der „Herzoglichen Bibliothek“. Dank seines starken Engagements wurde er 1821 zum Herzoglichen Bibliothekar ernannt. Dieser Schritt spiegelt die Protektion durch den Herzog wider, die sich auch in der Ernennung zum Hofrat im August 1824 äußerte.35 Ein wichtiger Markstein für seine beachtliche lyrische und publizistische Tätigkeit war die im Dezember 1819 beginnende Zusammenarbeit mit dem ebenfalls liberal gesinnten Verleger Friedrich Arnold Brockhaus in Leipzig.36 Mit dem Verleger und später auch mit dessen Sohn und Nachfolger entwickelte Müller eine über das Geschäftliche hinausgehende Freundschaft, die sich in gegenseitigen Besuchen und einem regen Briefwechsel äußerte.37 Diesen durchzog der Austausch über die Möglichkeiten der Umgehung der Zensur wie ein roter Faden. Mit Müller und Brockhaus trafen sich zwei Brüder im politischen Geiste:

33 LEISTNER (Hg.): So zieh ich meine Straße, S. 18. 34 Der erste Band erschien unter dem Titel „Lieder der Griechen“ 1821 in Dessau. Es folgten „Neue Lieder der Griechen“; „Neueste Lieder der Griechen“ und weitere sieben „Griechenlieder“ in SAPHIR (Hg.): Griechisches Feuer, S. 29–38. Eine erste Gesamtausgabe erschien bei Brockhaus 1844 in Leipzig. Zu den Griechenliedern siehe SCHWAB: „... die Zeit beherrscht die Kunst.“ 1, S. 107–115; GAD: Wilhelm Müller, S. 157–166 und HARTUNG: Müllers Griechengedichte, S. 86–99. 35 Zwar brachte dem Dichter diese Ernennung weiteres soziales Prestige, er widersetzte sich jedoch jeglicher Vereinnahmung: „Ich bin [...] Hofrat geworden – d. h. dem Titel nach; denn sonst hat der Hof von mir freilich nichts von Rath zu nehmen, und ich auch nicht von dem Hofe.“ Siehe Brief an den schwedischen Dichter und Freund Daniel Amadeus Atterbom (1790–1855) vom 10. April 1825 in: WTB 5, S. 332. 36 Zur Zusammenarbeit Müllers mit Brockhaus siehe LEISTNER: Müllers Zusammenarbeit mit Brockhaus. 37 Siehe WTB 5. Dort sind 165 Briefe an den Verleger und dessen Sohn ediert.

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Müller gab sich ihm [Brockhaus, Anm. S. N.] als Sympathisant und Mitstreiter zu erkennen. Wenn es Brockhaus aber zugleich für geraten hielt, sein auf Liberalismus hinwirkendes verlegerisches Konzept mit taktischer Klugheit zu verfolgen, so stieß er auf Zustimmung auch hierin. Im übrigen traf man sich in der Ablehnung jener Opposition, die sich auf beschränkte Weise deutsch-patriotisch gerierte.38

Durch die Zensur, die 1807 in Dessau offiziell eingeführt wurde,39 war der Dessauer Dichter gezwungen, seine Anliegen zu verbergen beziehungsweise verhüllend anzudeuten. Dabei konnte er sich auf den allgemeinen, nicht ausgesprochenen Konsens über den Zustand der Zeit verlassen. So waren die Unterstützung der griechischen Befreiungsbewegung in den Griechenliedern und die damit einhergehende Kritik an der osmanischen Unterdrückung durchaus als Kritik an den restaurativen Gegebenheiten im Deutschen Bund gemeint. Weiterhin stellt eine Vielzahl der Trinklieder ein beredtes Zeugnis für mehr oder weniger verhüllte Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland dar.40 Durch die Heirat mit Adelheid Basedow, der Tochter des Regierungs- und Konsistorialrats Ludwig von Basedow am 21. Mai 1821 stieg Müller in die kleine gesellschaftliche Oberschicht der Residenzstadt auf. Trotz dieses gesellschaftlichen Aufstieges des Sohnes eines Handwerkers hielt es Müller nicht auf lange Zeit in der Enge Dessaus. Wann immer es sich anbot, ging er auf Reisen, die ihn vornehmlich nach Leipzig und Dresden führten. Nach einer schon lange Zeit im voraus geplanten Reise entlang des Rheins im Sommer 1827,41 bei der Müller auch mit Gustav Schwab, seinem ersten Biografen und Herausgeber seiner Schriften,42 zusammentraf, starb der Dessauer Dichter in der Nacht zum 1. Oktober 1827 im Alter von fast 33 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls in seiner Heimatstadt.

1.3 Die Dessauer Liedertafel Unter Friedrich Schneider, der am 2. April 1821 sein Amt als Herzoglich-AnhaltDessauischer Hofkapellmeister in der kleinen Residenzstadt antrat, wurde am 1. Mai 1821 die Singakademie neu gestiftet.43 Aus dieser Chorvereinigung, deren Mitglieder sich aus allen Ständen rekrutierten, ging ein halbes Jahr später – wie auch

38 39 40 41 42 43

LEISTNER (Hg.): So zieh ich meine Straße, S. 25. JABLONOWSKI: Dessau, S. 306. Siehe unten S. 105 ff. Siehe dazu WAHL (Hg.): Müllers Rheinreise. SCHWAB (Hg.): Vermischte Schriften. Zur Berufung zum Kapellmeister und den Anfängen in Dessau siehe ZIEGLER (Hg.): „Durch Nacht zum Licht“, S. 65–72 und zur Geschichte der Singakademie siehe WICKENHAGEN: Dessauer Singakademie.

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beim Berliner Vorbild unter Carl Friedrich Zelter44 – die Dessauer Liedertafel hervor.45 Das Stiftungsfest der Liedertafel fand am 15. Oktober 1821 im Haus des Kammerherrn und Intendanten des Hoftheaters Johann Georg von Berenhorst (1794–1852), der mit Schneider über Jahrzehnte in einem regen Briefwechsel stand, statt.46 Dabei handelt es sich um die erste Männerchorgründung in den anhaltischen Herzogtümern. Nach dem Vorbild der Dessauer Vereinigung entstanden dann weitere Liedertafeln und Männergesangvereine in dieser Region.47 Als erstes Gründungsmitglied neben Schneider und Müller ist Johann Georg von Berenhorst zu nennen. Der Geheime Kabinettsrat war als Intendant im Hoftheater seit seiner Berufung im Jahr 1817 mit der Aufgabe betraut, sich um die Finanzen zu kümmern und eine leistungsfähige Schauspielergesellschaft zu organisieren.48 Unter seiner und Schneiders musikalischer Leitung erlebte das Dessauer Hoftheater eine neue Blütezeit. Im Haus des Intendanten trafen sich regelmäßig viele am kulturellen Leben Interessierte. Auch Friedrich Schneider und Wilhelm Müller gingen hier ein und aus. Von diesen Treffen ging wohl die Initiative zur (Neu-)Gründung sowohl der Singakademie, deren 1. Vorsteher von Berenhorst war, als auch der Liedertafel aus.49 Ein weiteres Gründungsmitglied war Friedrich von Basedow (1797–1864), der Schwager Wilhelm Müllers.50 Der Enkel des Begründers des Dessauer Philantropins absolvierte ein Jurastudium und trat als Auskultator in die Beamtenlaufbahn in Dessau ein. Basedow war als Referendar, Assessor, Rat und Oberregierungsrat

44 Siehe SCHÜNEMANN: Singakademie zu Berlin, S. 31. Dort heißt es: „Liedertafel und Singakademie gehörten und gehören zusammen. An der Tafel singen die Besten des Männerchors, der Rückhalt für die Männerstimmen [...]“. Es ist anzunehmen, dass dies auch auf die Liedertafel in Dessau zutrifft. Zur Geschichte der Berliner Liedertafel siehe ELBEN: Männergesang (1887), S. 19–24 und BORNEMANN: Die Zelter’sche Liedertafel. 45 Dies beweist ein Verzeichnis im Schneider-Nachlass, welches alle Mitglieder der Singakademie von 1821 bis 1841 mit Zu- und Abgangsjahr aufführte. Siehe ALW, Nachlass Schneider, Karton IV, A/G 14. 46 BRÜCKNER: Häuserbuch Dessau 6, S. 494. Im Schneider-Nachlass befinden sich über 1.000 größtenteils noch nicht ausgewertete Briefe. 47 So wurden u. a. 1826 die Liedertafel in Bernburg und 1827 die Zerbster Liedertafel gegründet. Zu weiteren Gründungen von Männergesangvereinen in Anhalt siehe Anhang 2, S. 335. 48 VON PROSKY: Theater und Musik in Dessau, S. 547. 49 BRÜCKNER: Häuserbuch Dessau 6, S. 494. 50 In Wäschkes Festschrift wird fälschlicherweise Müllers Schwiegervater Ludwig von Basedow angeführt. Siehe WÄSCHKE: Dessauer Liedertafel, S. 6. Dass es sich jedoch um dessen Sohn handelt, geht aus dem Protokoll der 3. Liedertafel hervor, in dem von „dringenden Bräutigamsgeschäften“ von Dr. Basedow die Rede ist. Siehe in den Versammlungsberichten der Dessauer Liedertafel das 3. Protokoll vom 13. Dezember 1821. In: ALW, Nachlass Müller, Mappe V, S. 2.

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tätig. Im Jahr 1850 wurde er Vizepräsident und ein Jahr später Regierungspräsident der Regierung in Anhalt-Dessau, bevor er 1863 in den Ruhestand ging.51 Der Theologe Jakob Heinrich Köppe (1785–1846) war einer von zwei Geistlichen unter den Gründungsmitgliedern der Liedertafel. Von 1819–1830 hatte er das Amt eines Archidiakons und von 1830–1846 das des Superintendenten an der St. Marienkirche in Dessau inne.52 Beim zweiten Geistlichen handelt es sich um den Schuldirektor Heinrich Ludwig de Marées (1773–1825). De Marées entstammte einer traditionsreichen Dessauer Pfarrersfamilie und studierte in Halle/Saale Theologie. Später entsagte er dem Predigerberuf und wählte das Schulamt. Im Jahr 1799 wurde de Marées Sub-, später Konrektor und 1807 Seminarinspektor der Hauptschule in Dessau, bevor er 1819 die Direktion der Bürger- und Vorschule übernahm.53 Für Schneider verfasste er Texte zu mehreren Oratorien.54 Der Kammerrat Friedrich Bernhard Mohs (1785–1852) studierte Jura und kam sofort nach seinem Studium in den Staatsdienst. Dort wurde er bald Kammerrat und versah ab 1840 das Amt des Kammerdirektors. Im Zuge der Märzunruhen 1848 in Dessau wurde er in den einstweiligen Ruhestand versetzt.55 Ein weiteres Gründungsmitglied der Liedertafel, das später in höchste leitende Ämter vorstieß, war Leopold von Morgenstern (1790–1864). Der Rechtsund Staatswissenschaftler wurde nach seinem Studium Lehrer von Erbprinz Leopold Friedrich. Danach trat Morgenstern in den Staatsdienst ein, wo er später das Amt des Regierungsrats und 1835 das des Regierungspräsidenten bekleidete. Am 3. April 1848 wurde von Morgenstern wegen seiner reaktionären Einstellung von seinen Ämtern entlassen, woraufhin der anhaltisch-dessauische Herzog die Bildung des ersten konstitutionellen Ministeriums unter August Habicht (1805–1896)

51 Siehe BRÜCKNER: Häuserbuch Dessau 3, S. 221 und ZIEGLER (Hg.): Persönlichkeiten der Verwaltung, S. 14. 52 Siehe WÄSCHKE (Hg.): Geschichte Dessaus, S. 213. 53 Siehe WICKENHAGEN: Dessauer Schulwesen, S. 417 und 419 und SCHMIDT (Hg.): Anhalt’sches Schriftstellerlexikon, S. 234. 54 Darunter gehörte auch das Oratorium Das verlorene Paradies, das am 20. Oktober 1826 in der Dessauer Schlosskirche aufgeführt wurde. Siehe dazu Herzoglich-Anhalt-Dessauische wöchentliche öffentliche Nachrichten, Nr. 40, 7. Oktober 1826, S. 513. De Marées war auch Förderer des späteren Liedertafelmitglieds, Gründers des Dessauer (1843) und später Direktor des 1844 gegründeten Anhaltischen Singvereins August Seelmann (1806–1885). Dessen Tagebuch befindet sich seit 2009 im Bestand des Dessauer Stadtarchivs. Siehe dazu die zwei Bände des Tagebuchs, von denen der erste Band mit „Der Frühling“ (1806–1831) und der zweite Band mit „Mein Sommer“ (1832–1855) betitelt ist. StA Dessau-Roßlau, S 10.1.–2. 55 Siehe ZIEGLER (Hg.): Persönlichkeiten der Verwaltung, S. 49 f. – In einem „Gedicht über Mißstände durch die Regierungsweise des Fürsten und seiner Beamten, vor allem des Kammerrats Mohs“ wurde dessen reaktionäres Verhalten angeprangert. Siehe LHASA DE, Landesarchiv Oranienbaum, C 90, Nr. 33.

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und August Köppe (1818–1888) in die Wege leitete, welches am 5. April seine Arbeit aufnahm.56 Zwei weitere Mitglieder waren die Brüder Leopold Wilhelm Ludwig (1780–1845) und Marius Leopold Friedrich Siebigk (1785–1837). Leopold Siebigk war Kammerrat und später Kammerdirektor. Weiterhin war er für die Redaktion und Expedition von amtlichen wie privaten Anzeigen für die Herzoglich Anhalt-Dessauische wöchentlichen öffentlichen Nachrichten ab 1820 zuständig.57 Auch gehörte Leopold Siebigk zum Vorstand der Dessauer Singakademie.58 Der jüngere Bruder Friedrich Siebigk absolvierte die Dessauer Gelehrtenschule, studierte Jura und führte später eine Anwaltspraxis. Im Jahr 1815 wurde er zum 2. Bürgermeister gewählt, ein Amt, das er ab 1829 als alleiniger Inhaber ausübte.59 Nach der Vereinigung von Amts- und Ratsstadt im Jahr 1834 amtierte Siebigk zugleich als Stadt- und Landgerichtsrat. Der Stiftssekretär Carl Ludwig Rust (1786–1874) war als Sohn des Dessauer Hofmusikdirektors und Komponisten Friedrich Wilhelm Rust (1739–1796) eigentlich für eine musikalische Profession prädestiniert. Als „hervorragender Sänger und Violonist“ gehörte er „zum engeren Freundeskreis um Friedrich Schneider und Wilhelm Müller“.60 Aufgrund seiner sängerischen Fähigkeiten wurde Rust auch von Schneider in der Singakademie oft als Solist herangezogen.61 Er ergriff aber den Beruf eines Juristen. Als solcher wurde er Stiftsrat bei der Administration des Fürstlichen Amalienstiftes. Als einziger hauptberuflicher Musiker neben Schneider war Christoph Conradi (1778–1847) unter den Gründungsmitgliedern. Conradi wurde 1805 Kantor an der Schlosskirche – ein Amt, das die Präfektur des Herzoglichen Singechores beinhaltete. Er beteiligte sich aktiv an der Neustiftung der Singakademie, deren 1. Sekretär er war und deren Kasse er bis zu seinem Tode führte.62 Neben diesen Tätigkeiten leitete Conradi eine Musikalienhandlung, die auch Gesänge für Männerstimmen im Sortiment führte.63 Wenn man sich die Biografien der oben genannten Mitglieder betrachtet, fällt auf, dass sich viele bereits vor der Gründung der Liedertafel im Musikleben der Residenzstadt engagierten. So waren die meisten schon an der (Neu)gründung der Singakademie beteiligt und versahen dort teilweise wichtige Ämter. An der Wiederbelebung der Singakademie und wenig später der der Liedertafel manifestierte 56 57 58 59 60 61 62

Siehe WÄSCHKE (Hg.): Geschichte Dessaus, S. 172. Siehe BRÜCKNER: Häuserbuch Dessau 8, S. 728 und Bd. 18, S. 1577. Siehe EISENHARDT: Musikgeschichte Dessaus 1, S. 254. Siehe BRÜCKNER: Häuserbuch Dessau 16, S. 1405. Siehe EISENHARDT: Musikgeschichte Dessaus 1, S. 26. Siehe WICKENHAGEN: Dessauer Singakademie, S. 29. Siehe EISENHARDT: Musikgeschichte Dessaus 1, S. 207 sowie 254 und WICKENHAGEN: Dessauer Singakademie, S. 26. 63 Siehe dazu u. a. Herzoglich Anhalt-Dessauische wöchentliche öffentliche Nachrichten, Nr. 44. 2. November 1822, S. 510 f. und Nr. 23. 9. Juni 1827, S. 304 f.

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sich auch in Dessau das bürgerliche Selbstbewusstsein, das städtische Musikleben selbst in die Hand zu nehmen und aus der Verantwortung des Hofes zu lösen. Auch ist auffällig, dass es sich bei den Mitgliedern mehrheitlich um Juristen handelte, die entweder im höheren Staatsdienst standen, wie die Gebrüder Siebigk, oder auf dem Weg dorthin waren, wie von Morgenstern, von Basedow und Mohs. Neben den Juristen kommen mit de Marées und Köppe auf der einen und mit Schneider und Conradi auf der anderen Seite zwei weitere Berufsgruppen hinzu – Geistliche und Berufsmusiker. Als Dichter und Bibliothekar stand Wilhelm Müller in dieser Reihe beruflich singulär da, was ihn neben de Marées für die Dichtung von Liedtexten prädestinierte. Man kann also, nicht nur, was die anfängliche Beschränkung auf zwölf Mitglieder angeht, von einem elitären Kreis sprechen, der sich aus Vertretern des gehobenen Bürgertums, zumeist Staatsbeamten, zusammensetzte. Was weiterhin hervorsticht und die Dessauer Liedertafel in die Reihe mit anderen Liedertafelgründungen stellt, ist das persönliche Erlebnis der Befreiungskriege. Die Mehrzahl der Gründungsmitglieder nahm an der Erhebung gegen Napoleon teil und wurde dadurch politisch geprägt. Eine kleine Erinnerungsschrift anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Beginns der Befreiungskriege in Dessau führt einige Dessauer Liedertafler auf, die neben Wilhelm Müller an der Erhebung gegen Napoleon teilnahmen.64 Das bei den Befreiungskriegen erwachte deutsche Nationalbewusstsein und auch das freiheitliche Bestreben nach inneren Reformen prägte diese Generation, was sich unter anderem auch im Repertoire der zeitgenössischen Liedertafeln, so auch in Dessau, niederschlug. Neben Trink- und Naturliedern kam den Vaterlandsliedern ein wichtiger Platz zu. Politisch-oppositionelle Lieder hingegen sind bis in den späten Vormärz hinein seltener in den Liederbüchern der deutschen Männergesangvereine zu finden. Umso mehr verdienen es die Vertonungen der obrigkeitskritischen Tafellieder von Müller, besonders hervorgehoben zu werden, die in Schneiders Vertonung in Dessau und anderswo gesungen wurden.65 Ihre Aufnahme in das Dessauer Liederbuch dürfte nicht nur den in der Liedertafel bestehenden Freundschaften, sondern auch gemeinsamen politischen Überzeugungen geschuldet sein. Dass einige Gründungsmitglieder (Morgenstern, Mohs) später reaktionäres Gedankengut

64 So werden dort als Teilnehmer Stiftsrat Leopold Friedrich Wilhelm von Harsleben (1791–1840), Regierungspräsident Morgenstern, Friedrich von Basedow, Kabinettsrat von Berenhorst, Stadtund Gerichtsrat Christian Friedrich Jahn (1795–1847) und Regierungsrat Mohs als aktive Teilnehmer an den Befreiungskriegen erwähnt. Siehe Nachricht über das am 2. Mai 1838 zu Dessau gefeierte Jubelfest, S. 26 ff. Danach war von Harsleben, der dem Festkomitee angehörte, Leutnant der Freiwilligen Jäger von 1814, von Morgenstern Hauptmann und Regimentsquartiermeister, von Basedow, Mohs und Jahn als Freiwillige Jäger in den Feldzügen von 1815 und von Berenhorst Husarenleutnant und Adjutant in kaiserlich-österreichischen Diensten. 65 Siehe dazu unten S. 118, Anm. 133.

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vertraten, mag in der später eingeschlagenen höfischen Karriere samt Nobilitierung seine Ursachen gehabt haben. Die oben erwähnte und allgemein übliche anfängliche Beschränkung auf zwölf Mitglieder trug zum exklusiven Charakter der Vereinigung bei. In Paragraf 2 des Statuts der Dessauer Liedertafel heißt es hierzu: Diese [zwölf Männer, Anm. S.N.] bilden den Stamm der Gesellschaft, und [...] nur im Nothfall [ist] eine Vermehrung derselben zur Verstärkung einer Stimme zuzulassen. Die zwölf ältesten Mitglieder heißen Zwölfer auf Lebenszeit und verlieren diesen Namen nur, wenn sie die Gesellschaft entweder freiwillig oder durch den einhelligen Beschluß der übrigen Mitglieder verlassen. In die Zahl der Zwölfer rücken alle jüngeren Mitglieder nach der Ordnung, in welcher sie in die Gesellschaft getreten sind, ein.66

Den Statuten nach lehnte sich die Liedertafel eng an das Leipziger Vorbild an.67 Wie in Leipzig sollte sich die Gemeinschaft einmal monatlich bei einzelnen Mitgliedern zur Liedertafel treffen. Dabei wurde eine Verbindung von Kunstpflege und heiterer Geselligkeit angestrebt. Die Mitglieder der Dessauer Liedertafel sprachen sich jedoch mehrheitlich gegen das zirkuläre Treffen in ihren Häusern aus und einigten sich auf einen festen Standort – das „Wittmann’sche Lokal“. Für die Besorgung von Stimmbüchern und des Protokollbuches übernahm Schneider die Verantwortung. Des Weiteren wurden in der Stiftungsversammlung drei Beamte der Liedertafel gewählt – der Chorleiter, der Sekretär für eine Dauer von drei Monaten und ein Fiskal für die Dauer von sechs Monaten. Der Sekretär war für die Anfertigung der Protokolle, der Fiskal für die Verwaltung der Kasse und beide gemeinsam für die Beobachtung der „Strafgesetze“ verantwortlich.68 Die Mitgliedschaft in der Liedertafel wurde laut § 3 an verschiedene Bedingungen geknüpft: Der Kandidat sollte ein sicherer Sänger und guter Gesellschafter sein sowie musikalische Bildung und im Idealfall poetische Begabung besitzen.69 Der Aufforderung nach eigener musikalischer und lyrischer Betätigung für die Liedertafel kamen auch einige Mitglieder nach. So steuerten neben Schneider die Gründungsmitglieder Köppe, Rust und Conradi eigene Kompositionen und neben Müller auch de Marées70 eigene Dichtungen bei.71 Über die Aufnahme entschieden die anderen 66 Die Dessauer Liedertafel, S. 495. 67 Allerdings wich der Dessauer Codex gegenüber dem Leipziger Vorbild in einigen Paragrafen ab. Siehe dazu Nachlass Müller, Mappe V, S. 1. Siehe zur Leipziger Liedertafel unten Kap. IV.2.2. 68 Sogenannte Strafgelder fielen bspw. an, wenn ein Mitglied zu spät kam, einen schlechten Witz erzählte, mutwillig falsch sang oder es versäumte, neue Lieder in sein Stimmbuch einzutragen. Die Strafkassengelder kamen in der Regel einem wohltätigen Zweck zugute. 69 Siehe dazu Die Dessauer Liedertafel, S. 495. 70 Anlässlich des Todes von Ludwig de Marées schuf Müller ein Gelegenheitsgedicht, welches auf der Liedertafel am 22. März 1825 von ihm selbst vorgetragen wurde. Siehe LOHRE (Hg.): Wilhelm Müller, S. 378 f.

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Mitglieder, welche eine strenge Zensur ausübten. Jede neue Komposition musste vor der Aufnahme in das Liederbuch in drei Versammlungen hintereinander gesungen worden sein. Dann entschied die gesamte Liedertafel durch einstimmige Ballotage.72 Alle nicht von Mitgliedern herrührenden, aber angenommenen Lieder kamen in das sogenannte Fremdenbuch.73 Die Kompositionen, die nicht aus der Runde kamen, waren vor allem damals weithin bekannte und beliebte Lieder, wie z. B. Kreutzers Uhland-Vertonungen und Webers Opernchöre.74

1.4 Wilhelm Müller und die Dessauer Liedertafel Müller als Mitglied der Liedertafel Als die Liedertafel am 15. Oktober 1821 gestiftet wurde, war auch Wilhelm Müller zugegen, der sogleich das Amt des Sekretärs übernahm.75 Insgesamt hat der Dichter zweimal das Amt des Sekretärs wahrgenommen – zum zweiten Mal von Dezember 1826 bis Februar 1827.76 Der Literatur über die Dessauer Liedertafel nach zu urteilen war Wilhelm Müller neben Friedrich Schneider die treibende Kraft bei der Gründung der Dessauer Liedertafel. Müllers Name wird dort ebenbürtig neben dem des Hofkapellmeisters in diesem Zusammenhang genannt.77 Nach Wäschke regte Müller seinen Freund Schneider zur Gründung der Liedertafel an.78 Die Freundschaft mit dem Komponisten rührte wahrscheinlich aus der gemeinsamen Mitgliedschaft in einer Leipziger Freimaurerloge her.79 Der Beitritt zur Liedertafel war auch ein weiterer Schritt zur gesellschaftlichen Etablierung des Dichters in seiner Heimatstadt. Die Zugehörigkeit zu dieser Vereinigung bedeutete, dass die Mitglieder aus dem höheren Beamtentum ihn gesellschaftlich als einen der Ihren ansahen. Wenn auch der soziale Aspekt der 71 Siehe dazu unten Tab. 1, S. 102. 72 Zur Ballotage siehe oben S. 72, Anm. 36. Dieses demokratische Verfahren fand auch bei der Aufnahme von neuen Mitgliedern in der Dessauer Singakademie Anwendung. Siehe WICKENHAGEN: Dessauer Singakademie, S. 3. 73 WÄSCHKE: Dessauer Liedertafel, S. 13. 74 LEISTNER: Müller, Leben und Werk, S. 25 und LOHRE (Hg.): Wilhelm Müller, S. 71. 75 Siehe ALW, Nachlass Müller, Mappe V, S. 1. In seiner Eigenschaft als Sekretär war er v. a. für das Führen des Protokolls zuständig. Aufgrund der oben erwähnten dreimonatigen Amtszeit tragen die ersten drei Protokolle die Unterschrift von Müller. 76 Siehe ALW, Nachlass Müller, Mappe V, S. 1 ff. In dieser Mappe sind alle von Müller geführten und jene Protokolle, die seine Person betreffen, in einem Typoskript zusammengetragen. Weitere von Müller geführten Protokolle datieren vom 14. und 21. Dezember 1826, 18. Januar und 25. Februar 1827. Siehe dazu auch NICKEL: Wilhelm Müller, S. 114–117. 77 So z. B. bei WÄSCHKE: Dessauer Liedertafel, S. 7 und LOHRE: Wilhelm Müller, S. 70. 78 WÄSCHKE: Dessauer Liedertafel, S. 7. 79 WTB 1, S. XLIII. Zu Müllers Freimaurerei siehe HARTUNG: Müllers Beziehung zur Freimaurerei, S. 174–182.

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Mitgliedschaft nicht zu leugnen ist, so darf doch Müllers Interesse an der Musik nicht unterschätzt werden. Er bezeichnete sich selbst als „musikalischen Laien“, was bei näherer Betrachtung einer bescheidenen Untertreibung gleichkommt.80 Er hatte durchaus Repertoirekenntnisse in der Instrumentalmusik und auf dem Gebiet des Musiktheaters. Auch seine Freundschaft mit Carl Maria von Weber dürfte zu seiner musikalischen Bildung beigetragen haben.81 Da sich die Liedertafel den Statuten nach selbst verpflichtete, eigene Liedschöpfungen hervorzubringen, war die Zugehörigkeit Müllers ein wahrer Glücksfall. Der Dichter „steuerte die meisten und weitaus besten Texte bei“.82 Laut der Auflistung Heinrich Lohres nach den handschriftlichen Protokollen der Dessauer Liedertafel über die vertonten Trinklieder Müllers,83 die auch bei den Zusammenkünften gesungen wurden, handelt es sich um zwölf Texte, die ausschließlich aus den Trinkliedern für Liedertafeln stammen:84 Komponist

Vertontes Tafellied

Erstaufführung/ Aufnahme ins Liederbuch

Friedrich Schneider

König Wein Die Arche Noäh Der neue Demagoge Geselligkeit Freiheit im Wein Der Zechbruder und sein Pferd85 Doppeltes Vaterland Die schönsten Töne Gesellschaftliches Trinklied für Philister Warnung vor dem Wasser Selbstgenügsamkeit des Zechers Meine Muse

15.10.1821/13.12.1821 15.10.1821/13.12.1821 15.11.1821/Januar 1822 14.3.1822/20.5.1822 17.4.1823/27.6.1823 17.4.1823/27.6.1823 20.5.1822/19.7.1822 20.5.1822/19.7.1822 13.2.1823 20.5.1822/16.8.1822 18.12.1823 18.12.1823

Karl Probst Friedrich von Basedow ohne Angabe des Komponisten

Tab. 1: Bei der Liedertafel gesungene Lieder Müllers 80 Siehe Brief an Bernhard Josef Klein vom 15. Dezember 1822, abgedruckt in: KOCH: Bernhard Klein, S. 35. Siehe dazu auch Wollny-Bredemeyer: „Ich kann weder spielen noch singen“. 81 Müller widmete die „Tafellieder für Liedertafeln“ Weber als „Dem Meister des deutschen Gesanges“. Siehe WTB 1, S. 128. Darin kamen nicht nur die Freundschaft und Verehrung des Dresdner Komponisten, sondern auch ähnliche Orientierungen zum Ausdruck. So bezog auch Weber das Volkslied in sein Schaffen ein, war mit der Liedertafelbewegung verbunden und rekurrierte in seinem Schaffen auf den Umkreis der Befreiungskriege. Siehe SCHWAB: „... die Zeit beherrscht die Kunst“ 1, S. 104. 82 WTB 1, S. 296. 83 LOHRE: Wilhelm Müller, S. 375 ff. 84 Laut Ludwig Maximilian Löwe wurden 37 Dichtungen Müllers von Friedrich Schneider vertont. Siehe dazu LÖWE (Hg.): Der Männergesang, S. 14. Es konnten aber nur insgesamt 17 Vertonungen Schneiders von Müller’schen Trinkliedern nachgewiesen werden. Siehe Tab. 1, S. 102 und Tab. 2, S. 103. Die Angaben in den beiden Tabellen sind dem Nachlass Schneiders entnommen. 85 Dieses Lied ist auch unter dem Titel Schicksal eines Zechbruders zu finden. Siehe ALW, Nachlass Schneider, MuS. Schn. XV:13, S. 31 und Mus. Schn. VI:16b.

DESSAU

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Von den Kompositionen stammen sechs von Schneider, drei von Konzertmeister Karl Probst und eine von Friedrich von Basedow. Bei den übrigen zwei Kompositionen wurden laut Lohre keine Komponisten angegeben. Von allen fanden wiederum mit neun Kompositionen drei Viertel der vertonten Texte Aufnahme ins Liederbuch. Neben den oben genannten Liedern hat Schneider noch weitere Trinklieder von Müller vertont, die nach Lohres Liste nicht während der Zusammenkünfte der Dessauer Liedertafel gesungen wurden. Diese sind entweder im Nachlass als Einzelexemplare enthalten oder fanden ihren Eintrag in das vom Dessauer Hofkapellmeister selbst geführte handschriftliche Liederbuch für die Liedertafeln in Leipzig und Dessau,86 von denen Die freie Elbe und Die Reise ins Paradies für unser Thema von Bedeutung sind: Lied

Eintrag

Anmerkungen

Die freie Elbe

18.4.1822 19.4.1822, Nr. 9 23.[1.1823] Nr. 22

unvollständiges Einzelexemplar

Den Sängern der Lindenstadt Zukunft

23.3.1823 23.3.1823, Nr. 23 Geist der Zeit und Geist 23.3.1823 des Weins 24.3.1823, Nr. 24 Der Teufelsbanner 24.3.1823 24.3.1823, Nr. 26 Der Lauf der Welt 29.3.1823 29.3.1823, Nr. 27 Vergangenheit o. Datum, Nr. 29 Die Reise ins Paradies Meine Kameradschaft Unserm Fürsten

Warnung vor dem Wasser

30.3.1823 30.3.1823, Nr. 30 o. Datum, Nr. 31 8.6.1827

Orig. Anm.: „In Leipzig bei Seifferts gesungen, wo wir die Leipziger Liedertafel bei 20 Grad Hitze besuchten.“ Einzelexemplar Einzelexemplar Einzelexemplar Einzelexemplar Entweder am 29. oder am 30. März 1823 komponiert Einzelexemplar wahrscheinlich 30.3.1823 Das als Einzelexemplar erhaltene Lied wurde beim 2. Elbmusikfestes in Zerbst, das am 15. und 16. Juni 1827 stattfand, bei einer mit einem Fackelzug verbundenen Huldigung des AnhaltDessauischen Herzogs Leopold IV. Friedrich gesungen.87

2.7.1839, Nr. 102

Tab. 2: Von Schneider vertonte, aber nicht ins Liederbuch aufgenommene Lieder Müllers

86 Siehe dazu oben S. 22, Anm. 69. 87 Siehe HOEDE: Zerbster Liedertafel, S. 14.

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Welchen Stellenwert Müller als Liederdichter hatte, zeigte sich gleich in der Stiftungsversammlung am 15. Oktober 1821. Dort wurden neben älteren Liedern schon zwei neue, von Schneider vertonte Texte gesungen: Die Arche Noäh und König Wein.88 Auch an den Ausflügen und Konzerten der Liedertafel nahm Müller, soweit es seine Zeit zuließ, regen Anteil. Da Friedrich Schneider bestrebt war, Kontakt zu anderen Liedertafeln aufzunehmen und zu pflegen – in diesem Zusammenhang sind vor allem die Magdeburger und die Leipziger Vereinigung zu nennen – kam es zu regelmäßigen gegenseitigen Besuchen.89 Als Müller am 1. Oktober 1827 überraschend verstarb, war dies auch „ein fast unersetzlicher Verlust für [... die] L[iedertafel]“.90 Sein Freund Friedrich Schneider schrieb darüber in seiner Autobiografie von 1831: Ein schmerzlicher Verlust für mein Herz, wie auch für einen Teil meiner Wirksamkeit war der Tod des Dichters Wilhelm Müller. Er war gewissermaßen die poetische Seele der Liedertafel, und seine Dichtungen haben zu manchen Kompositionen Veranlassung gegeben, die gern gesungen wurden.91

Das geplante Stiftungsfest am 15. Oktober 1827 wurde auf den 15. November verschoben, und am 24. Oktober wurde in dem Lied Traure, mein Vaterland seiner gedacht.92 Neben diesem Lied finden sich in dem von Schneider geführten Liederbuch für Liedertafeln zwei weitere Kompositionen zum Gedenken an den verstorbenen Freund und Dichter.93

88 Siehe ALW, Nachlass Müller, Mappe V, S. 1. Zur Analyse des Liedes König Wein siehe unten S. 106 f. 89 Siehe dazu NICKEL: Wilhelm Müller, S. 119–122. 90 Siehe ALW, Nachlass Müller, Mappe V, S. 7. 91 Zit. n. LOMNITZER: Friedrich Schneider, S. 299 f. 92 Siehe ALW, Nachlass Müller, Mappe V, S. 8. 93 ALW, Nachlass Schneider, Mus. Schn. XV:13, Nr. 65–67. Es ist zu vermuten, dass diese auch zu seinem Begräbnis, vorgetragen durch die Dessauer Liedertafel, erklangen. Siehe dazu WAHL (Hg.): Müllers Rheinreise, S. 101.

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Müllers „Tafellieder für Liedertafeln“ (Auswahl) Wilhelm Müller gehört zu den am häufigsten vertonten Dichtern des 19. Jahrhunderts. Nach der Dissertation von Richard P. Koepke sind von ihm 123 Gedichte von 241 Komponisten 530mal vertont worden.94 Bei dieser Zusammenstellung sind allerdings größtenteils nur begleitete Sololieder und Volkslieder für gemischten Chor berücksichtigt worden. Vertonungen für vierstimmigen Männerchor fehlen fast völlig.95 In der Zwischenzeit sind entweder weitere Kompositionen entdeckt worden beziehungsweise neue hinzugekommen.96 In seinen Trinkliedern knüpfte Müller an die barocken Formen des 17. Jahrhunderts und vor allem der Anakreontiker des 18. Jahrhunderts an.97 Während sich die Motivik in der Dichtung der Letzteren jedoch aus Schäferpoesie speist, deren Rahmen „immerwährender Frühling, Liebe und Freundschaft, Wein und Rosen“ bildet und so einer Weltflucht Vorschub leistet,98 stellte der Dessauer Dichter einen unmittelbaren Gegenwartsbezug her. Er benutzte das herkömmliche Trinkliedervokabular für eine doppelte Lesart, indem aufgrund der herrschenden Zensur seine Aussagen verschlüsselt wurden. So gewannen Müllers Trinklieder „durch ihre durchgehende Einbindung in die neue, für die Konstitution einer antirestaurativen bürgerlichen Öffentlichkeit relevante Organisationsform der Liedertafeln [...] eine grundsätzlich neue Wertigkeit“.99 Die neue Gewichtung äußert sich bei Müller darin, dass das in der Geselligkeit der Liedertafel verankerte Trinklied als Ausdruck gemeinsamer politischer Überzeugungen angesehen wurde beziehungsweise Politik überhaupt eine wesentliche Rolle im bisher diesbezüglich harmlos geltenden Genre für sich beanspruchte.100

94 Siehe KOEPKE: Müllers Dichtung, S. 20. Diese Zahl ist allerdings vom Autor selbst noch einmal korrigiert worden, sodass er letzten Endes auf 250 Komponisten mit insgesamt 531 Kompositionen kommt. Koepcke selbst erhob keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da er die Zeit nach 1905 nicht mehr berücksichtigte. Siehe EBD., S. 41. 95 Die Müller-Lieder Der Zechbruder und sein Pferd, Freiheit im Wein, Geselligkeit sowie König Wein von Schneider, Gesellschaftliches Trinklied für Philister sowie Doppeltes Vaterland von Probst und Warnung vor dem Wasser von Friedrich von Basedow sind in Koepckes Dissertation nachträglich handschriftlich hinzugefügt worden. 96 So z. B. die Neu-Vertonung der Winterreise durch Reiner Bredemeyer, die u. a. bei der 1. Internationalen Wilhelm-Müller-Konferenz 1994 in Berlin vorgetragen wurde. Weiterhin gab es 1994 anlässlich des 200. Geburtstages des Dichters einen Kompositionswettbewerb in Dessau, wofür über 50 Einsendungen für 3–5-stimmigen gemischten, für Frauen- und für Männerchor eintrafen. Siehe dazu Das Wandern ist des Müllers Lust. 97 Darüber hinaus wurde Müller auch von Goethes „Geselligen Liedern“ und Pierre-Jean Bérangers Chansons sehr angeregt. Siehe dazu MICKEL: Müller, der Wanderer, S. 25 und 30. – Zur Geschichte der Trinklieder allgemein siehe BANNACH/DEMMLER (Hg.): Trinkpoesie. 98 VON SAALFELD/KREIDT/ROTHE (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur, S. 159. 99 SCHWAB: „... die Zeit beherrscht die Kunst.“ 1, S. 94. 100 Dies drückt sich explizit in den Tafelliedern Geselligkeit, Arche Noäh und Rückwärts aus.

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Von Januar bis Dezember 1823 erschienen in den Deutschen Blättern für Poesie, Litteratur, Kunst und Theater insgesamt 19 Tafellieder von Müller. Zwölf der Gedichte hatte er in den zweiten Band der „Waldhornisten-Lieder“ aufgenommen. Die anderen sieben entfielen vermutlich wegen ihres politischen Gehalts aus Rücksicht auf die Zensur, die in Breslau nicht so rigoros wie beispielsweise in Berlin gehandhabt wurde.101 So ist es wahrscheinlich auch zu erklären, dass das Gedicht Der Krebs unter dem Titel Rückwärts in den „Liedern für Liedertafeln“ in veränderter Form veröffentlicht wurde.102 König Wein Das Lied König Wein wurde bei der Stiftungsversammlung der Liedertafel nach der Verabschiedung der Satzung gesungen und ist später bei Peters im Druck erschienen.103 Am 13. Dezember 1821 fand es endgültig Aufnahme in das Liederbuch. Der Eintrag in Schneiders handschriftlich geführten Liederbüchern datiert vom 15. Oktober 1821.104 Nach Gernot Gad ist dieses Lied „als Manifest und Vereidigungsformel der neuen Mitglieder“ zu verstehen,105 was sich auch daran zeigt, dass es im 2. Band der „Sieben und siebzig Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten“ (Dessau 1824) an erster Stelle der Tafellieder steht. Nach dem Text Müllers huldigt die Tafelrunde nur einem Herrn – dem „König Wein“. Nur ihm allein ist die Treue zu halten. Dieser Treue-Eid verschweigt laut Gad sein eigentliches Ziel, nämlich den „Treuebruch mit der bestehenden Ordnung“.106 Seiner Meinung nach artikulierte sich die Unzufriedenheit mit den Zeitverhältnissen der Restaurationsphase an dieser Stelle „nur mittelbar“, da gerade Unausgesprochenes für die Sänger am Lied so reizvoll war. Gad spricht vom „heimliche[n] Vergnügen am Demagogentum“,107 wobei die Liedertafler jedoch oft „als Zecher in der Maske von Demagogen erscheinen“.108 Nach HansRüdiger Schwab stellt der Wein „im Topos der inneren Immigration“ das „Exil innerhalb der unerfreulichen Zeitläufe“ dar.109 Im Gegensatz zu Gad handelte es sich seiner Meinung nach bei den Mitgliedern der Dessauer Liedertafel jedoch nicht um „harmlose Zecher in der Maske von Demagogen“, da „sie die 101 Dabei handelt es sich um folgende Lieder: In vino veritas!, Trinkspruch, Die Reise ins Paradies, Lieb’ und Wein, Unsere Konstitution, Der Diplomatenschmaus und Der Lauf der Welt. 102 Siehe Deutsche Blätter für Poesie, Litteratur, Kunst und Theater, Nr 13. 23. Januar 1823, S. 50. 103 Siehe ALW, Nachlass Müller, Mappe V, S. 1. 104 Siehe oben Tab. 1, S. 102. 105 GAD: Wilhelm Müller, S. 160. 106 EBD., S. 161. 107 EBD. 108 EBD., S. 162. 109 SCHWAB: „... die Zeit beherrscht die Kunst.“ 2, Anm. 75, S. 54 f.

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bedrückenden Zustände viel zu sarkastisch [durchschauen]“.110 Dafür stehen schon allein die Biografien und politischen Ansichten von Friedrich Schneider und Wilhelm Müller, die das Leben der frühen Dessauer Liedertafel wesentlich mitbestimmten. Auch außerhalb des geschützten Raums der Männergesangvereine äußerte sich Müller politisch.111

Abb. 2: König Wein von Wilhelm Müller und Friedrich Schneider

Das Lied steht in E-Dur, im 4/4-Takt und umfasst 10 Takte. Am Schluss wird die letzte Verszeile wiederholt. Das beherrschende rhythmische Element ist eine punktierte Achtel- mit folgender Sechzehntelnote, was den marschartigen Charakter des Stücks unterstreicht. Damit ist es einer Ehrenbezeugung für einen Herrscher, hier den Wein, angemessen. Das Lied ist streng homophon gesetzt und überschreitet in harmonischer Hinsicht den engen Kadenzrahmen kaum.

110 SCHWAB: Gegengesellschaftliche Phantasien, S. 244. 111 Siehe dazu oben Kap. IV.1.2.

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Der neue Demagoge Das Lied Der neue Demagoge wurde zum ersten Mal im Band 2 der „Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten“ gedruckt.112 Bei der Liedertafel erklang es beim zweiten Treffen am 15. November 1821 und wurde im Januar 1822 ins Liederbuch aufgenommen.113 Da infolge der Zensur und anderer Formen der Überwachung vor allem seit 1819 eine geistig-literarische und politische Öffentlichkeit praktisch nicht mehr vorhanden war, zog sich das Bürgertum in gesellschaftliche Zirkel und Freundeskreise zurück. In Müllers Fall war dies die Liedertafel in Dessau, für die er mit seinen Trinkliedern „politische Chansons“ verfasste.114 In dem vorliegenden Gedicht wird der Wein allein zum Symbol eines deutschen Nationalcharakters erhoben. Nach Hans-Rüdiger Schwab ließ Müller in diesem Gedicht „wiederholt durchblicken, daß der Wein als Refugium eine positive Gegenwelt zu den restaurativen Verhältnissen verbürgt, denen gegenüber er jede Teilnahme verweigert“.115 Dies manifestiert sich in den beiden ersten Strophen: Euch, ihr edlen deutschen Reben, Sei mein Lied geweiht! Sing ein andrer von den Helden Dieser lieben Zeit. Fehlen mir auf ihre Namen, Reime zum Gedicht, Und zum Ungereimten brauchen Sie den Dichter nicht.116

Der Wein, der symbolisch für die wahre deutsche Lebensart stand, wird in diesen Versen zum Gegenbild der herrschenden politischen Klasse, denen die Macht und deren Erhalt beziehungsweise Ausweitung wichtiger als die deutsche Wesensart ist: „Und er hält in alter Treue / Seinen deutschen Bund“ (Str. 7). In der vierten Strophe spielt Müller auf die restriktive geistige Enge im Deutschland der Restaurationszeit an: „Deutsch und frei und stark und lauter“ ist in Deutschland nur der Wein am Rhein geblieben. Damit meint der Dichter vermutlich die linksrheinischen Gebiete und die ehemaligen Rheinbundstaaten, die durch französischen Einfluss einen modernen Verwaltungsstaat mit konstitutioneller Monarchie und mit verfassungsmäßig garantierten Grundrechten bekamen. Das Gedicht 112 MÜLLER: Gedichte eines reisenden Waldhornisten. 113 Siehe oben Tab. 1, S. 102. 114 Siehe dazu den Brief Müllers an Friedrich Arnold Brockhaus vom 26. Februar 1823, abgedruckt in: WTB 5, S. 253. 115 SCHWAB: „... die Zeit beherrscht die Kunst.“ 1, S. 95. 116 Zit. n. WTB 1, S. 144.

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endet mit beißendem Spott, der die Folgen der Demagogenverfolgung aufs Korn nimmt, indem er sie ad absurdum führt: Ist der [Wein, Anm. S. N.] nicht ein Demagoge, Wer soll einer sein? Mainz, du heil’ge Bundesfeste, Sperr ihn nur nicht ein!117

Mit der „heil’gen Bundesfeste“ war die Einrichtung der außerordentlichen Zentral-Untersuchungskommission des Deutschen Bundes infolge der Karlsbader Beschlüsse 1819 gemeint, die ausgerechnet in der Stadt der Erfindung des Buchdrucks eingerichtet wurde.

Abb. 3: Der neue Demagoge von Wilhelm Müller und Friedrich Schneider

Das Lied steht in C-Dur und im 3/4-Takt und umfasst insgesamt 12 Takte. Auch hier wird der enge Kadenzrahmen kaum verlassen – nur zwei Mal weicht der Komponist auf Medianten aus (T. 5 und 6). Bei strenger Homophonie wiederholt sich der letzte Strophenvers mit einer anderen Melodie. Die ersten vier Takte 117 Zit. n. EBD., S. 145.

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bleiben auf dem Text „Euch, ihr edlen deutschen Reben“ im hellen und reinen C-Dur. Dadurch ist das wahre deutsche Wesen (edel und frei) in Form des Weines symbolisch gemeint. Was dieser Reinheit überhaupt nicht entspricht, sind die herrschenden Zeitumstände mit den ironisch als „Helden dieser lieben Zeit“ bezeichneten Politikern der Restauration. Die Tonart wechselt an dieser Stelle über d-Moll nach a-Moll. Es schließt sich danach eine Bekräftigung desselben mit Rückkehr ins Dur an. Am Schluss steht die für Schneider typische fallende kleine Sexte im Tenor 1 (g1–h). Freiheit im Wein Zuerst gedruckt erschien dieses Lied in den von Karl von Holtei in Breslau herausgegebenen Deutschen Blättern am 25. März 1823.118 Freiheit im Wein wurde zum ersten Mal am 17. April 1823 gesungen und am 27. Juni desselben Jahres ins Liederbuch übernommen.119 Der Eintrag in Friedrich Schneiders handschriftlich geführten Liederbüchern datiert vom 29. März 1823.120 Auch in diesem Lied erscheint der Wein im Topos der inneren Immigration immer wieder als einzig verbliebene „Freistatt“ (4. Strophe), die als Exil innerhalb der unerfreulichen Zeitläufte beschworen wird. In Deutschland verstehen sich gerade die organisierten Liedertafeln als Hort der Pflege, Stärkung und Verbreitung des Widerstandswillens gegen die zeitgenössische Realität. So heißt es in der 6. Strophe: Wird auch die Freiheit vogelfrei Hier oben wohl genannt, Da unten hat die Sultanei Sie noch nicht weggebannt.121

Deutlich kritisiert Müller hier die geistige Enge und Unfreiheit. Die Hoffnung, dass sich dieser Zustand ändert, schöpft er unter anderem aus dem Befreiungskampf der Griechen gegen die türkische Fremdherrschaft. Der Wein ist auch hier Garant der Wahrheit, der zum Widerstandswillen kräftigt. Ein Anfang hierfür ist die Inspiration zu freien Liedern (Str. 9). Zwar ist die Weltfluchttendenz in diesem Tafellied in der ersten Strophe („so zög ich aus der Welt“) durchaus vorhanden, so wird doch in der 4. Strophe vor ebendieser gewarnt – „Die beste Freistatt liegt so nah in unsres Wirtes Haus“. 118 Deutsche Blätter für Poesie, Litteratur, Kunst und Theater, Nr. 48, 25. März 1823, S. 189 f. Mit dem Schriftsteller und Theaterregisseur Holtei (1798–1880) verband Müller seit der gemeinsamen Arbeit beim Gesellschafter im Frühjahr 1817 eine enge Freundschaft. Siehe dazu HATFIELD (Hg.): Gedichte von Wilhelm Müller, S. XI. 119 Siehe oben Tab. 1, S. 102. 120 Siehe EBD. 121 Zit. n. WTB 1, S. 146.

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Abb. 4: Freiheit im Wein von Wilhelm Müller und Friedrich Schneider

Das in F-Dur und im 4/4-Takt stehende Lied fällt mit acht Takten sehr kurz aus. Es gibt im Gegensatz zu anderen Liedern keine Wort- beziehungsweise Verswiederholungen und kaum Melismatik – abgesehen vom ersten Tenor ist es ein rein syllabischer Chorgesang. Die ersten beiden Takte erklingen unisono. In der ersten Strophe werden die beiden Tenöre bei der „bess’ren Welt“ in der Melodie nach oben geführt, wodurch die Sehnsucht nach dieser zum Ausdruck gebracht wird. Nach der Feststellung, dass die jetzige Umwelt nicht zum Verbleiben einlädt, geht die Melodieführung wieder nach unten. Sowohl harmonisch als auch rhythmisch und in der Tonfolge ist das Lied sehr einfach gehalten. Die freie Elbe Das Lied Die freie Elbe wurde in der Zeitschrift Aurora. Taschenbuch für 1823 zum ersten Mal gedruckt.122 Nach Lohre gibt es keinen Nachweis, ob dieses Lied in der Liedertafel gesungen wurde. Der Eintrag in Schneiders handschriftlich geführten Liederbüchern datiert vom 19. April 1822.123 122 WTB 2, S. 319. 123 Siehe oben Tab. 2, S. 103. Zur Komposition siehe unten Abb. 5.

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Der Inhalt des Liedes bezieht sich auf die Elbschifffahrtsakte vom 12. Dezember 1821. Darin wurde die Elbe zum 1. Januar 1822 dem freien Verkehr übergeben. Vorher mussten die anhaltischen Staaten Zollgebühren an Preußen zahlen, da der Schiffsverkehr notgedrungen über preußisches Gebiet führte.124 Die Auseinandersetzung um die freie Schifffahrt auf der Elbe spielt in Müllers Briefwechsel keine unwesentliche Rolle. Das gütliche Ende der leidenschaftlich debattierten Angelegenheit befreite den Dichter aus einem Dilemma, wie aus einem Brief an den Dichter Friedrich de la Motte Fouqué vom 7. März 1822 hervorgeht: [...] Wir fühlen uns hier in Anhalt jetzt etwas freier und wohler, seitdem die freien Wogen der Elbe an unsern Ufern rauschen, und trinken unsern Wein mit dem wonnigen Gefühl, daß kein fremder Herrscher und seine Beamten von jedem Glase mittrinken. Nun darf ich auch das wahrhaft drückende Gefühl, das ich, als Anhaltiner, oder richtiger, als Untertan eines deutschen Bundesstaates, gegen Preußen hegen mußte, das ich eine Zeitlang als mein Vaterland geliebt und dafür gekämpft habe, von mir werfen [...].125

Im Liedtext schwingt eine gehörige Portion Lokalpatriotismus mit, der in der dritten Strophe mit einem Loblied auf den Herzog Leopold IV. Friedrich (1794–1871) verbunden wurde: Auf das Wohl von unserm Fürsten. Ewig, ewig müsse dürsten Wer darauf Bescheid nicht gibt, Wer nicht unsern Fürsten liebt.126

Der Herzog hat es nach Meinung des Dichters geschafft, als wohlmeinender Landesvater dem Volkswillen zur Geltung zu verhelfen. In diesem Fall hat er die Politik nicht der Clique der Höflinge überlassen. Wie in Unsre Konstitution,127 deutet sich auch in diesem Gedicht die Vorstellung einer konstitutionellen Monarchie an, in der der Fürst die Sache der Freiheit – in diesem Fall die freie Schifffahrt – zu der Seinen macht, wofür ihm das Volk zu Dank verpflichtet ist.

124 Zu den Auseinandersetzungen über die Zollgebühren für den Schiffsverkehr auf der Elbe siehe WÄSCHKE: Anhaltische Geschichte, S. 388 ff. 125 WTB 5, S. 213. 126 Zit. n. WTB 2, S. 170. 127 WTB 2, S. 184 f.

DESSAU

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Abb. 5a: Die freie Elbe von Wilhelm Müller und Friedrich Schneider, T. 1–27

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Abb. 5b: Die freie Elbe von Wilhelm Müller und Friedrich Schneider, T. 28–43

Mit 43 Takten ist Die freie Elbe eines der längsten von Schneider vertonten Trinklieder. Das dreigeteilte Lied steht in B-Dur. Der erste Teil (T. 1–9) erklingt sehr kräftig im Fortissimo und hat feierlich eröffnenden Charakter, in dem der Jubel über die freie Schifffahrt zum Ausdruck kommt. Er endet in der Dominante und ist vom Mittelteil auf zweierlei Weise abgegrenzt – durch eine Fermate und einen Taktwechsel: auf einen 4/4- folgt nun ein 6/8-Takt. Der 2. Teil (T. 10–27) ist dynamisch differenziert komponiert: f (T. 10) – p (T. 14) – ff (T. 24–27). Ein lang ausgehaltener Akkord auf der Subdominante in den oberen drei Stimmen beendet den Mittelteil, währenddessen der Bass 2 die soeben erklungene Textzeile in Dreiklangsbewegung abwärts, wie am Schluss, beendet. Es schließt sich nun der Schlussteil an, der harmonisch wieder zur Tonika zurückführt. Vom Text her erklingt nur jeweils die letzte Versstrophe. Vor dem Schlusston ist im Tenor 1 wieder die charakteristische fallende kleine Sexte (f1–a) zu finden. Insgesamt gesehen, handelt es sich bei Der freien Elbe um das frischeste und abwechslungsreichste der hier besprochenen Lieder. Hier und da wird die strenge Homophonie (T. 2–3) und Syllabik (Teil 2 und 3) aufgebrochen.

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Die Reise ins Paradies Das Lied Die Reise ins Paradies wurde in den Deutschen Blättern am 25. März 1823 zum ersten Mal gedruckt.128 Für ein Erklingen bei der Liedertafel gibt es auch hier keinen Nachweis. Der Eintrag in Schneiders handschriftlich geführten Liederbüchern datiert vom 30. März 1823.129 Auch im Text dieses Liedes kommt zum Ausdruck, dass Müller den Wein als eine positive Gegenwelt zu den restaurativen Verhältnissen ansieht. Deutlich und bissig wird der rückwärtsgewandte Charakter der Zeitverhältnisse zum Ausdruck gebracht, wenn es in der zweiten Strophe heißt: [...] Laßt uns mit ihr [der Zeit, Anm. S. N.] rückwärts gehen, Und nicht wieder vorwärts sehn! Rückwärts geht’s durch Hexenfeuer, Von den Raben zu dem Geier, Rückwärts durch des Teufels Küche, [...].130

Müller beklagt die Festschreibung des Stillstands durch die Mächtigen. Die Errungenschaften der Aufklärung sollen rückgängig gemacht, Intoleranz und Gewaltherrschaft – hier als Hexenverfolgung dargestellt – neu etabliert werden. Im Gedicht ist der Topos der Reise, zentral in Müllers Schaffen, enthalten. Er „entpuppt sich im Gedicht als historischer Krebsgang, als ein Weg zurück ,durch Hexenfeuer‘ und ,durch des Ketzerdampfs Gerüche‘ hin ,bis zum alten Drachen, / Der den Apfel tät bewachen‘“.131 Die Zeitgenossen verstanden die Anspielung auf die Praktiken der Inquisition, die Häresie strengstens bestrafte. Die politischen Praktiken jener Tage nach 1819 ähnelten laut Müller denen der Inquisition. In der 2. Strophe des Liedes wird der Wein als Mittel zur Reise ins wirkliche Paradies angepriesen. Dieser lockert die Zunge, belebt den Geist und eröffnet wenigstens als berauschendes Getränk den Weg in ein künstliches Paradies. Der Reaktion setzt Müller so ein dionysisches Weinmotiv gegenüber. Das in C-Dur und im 2/4-Takt stehende Lied ist mit 49 Takten das längste der hier besprochenen Trinklieder. Durch einen Wechsel zwischen Soli- und Tutti-Stellen weist es eine dreiteilige Struktur auf. Das Lied beginnt mit einem Tutti-Teil (T. 1–14), der auf der Dominante endet. Der sich anschließende SoliTeil (T. 15–30) bleibt in der Dominante. Der Schlussteil im Tutti (T. 31–49) führt wieder zur Tonika zurück. Somit weist das Lied eine symmetrische Anlage auf. Neben ausdifferenzierten Notenwerten sind auch rhythmische Elemente wie Triolen (T. 9 u. 41) und punktierte Achtel mit Sechzehntel vorhanden. 128 129 130 131

Deutsche Blätter für Poesie, Litteratur, Kunst und Theater, Nr. 48, 25. März 1823, S. 189. Siehe oben Tab. 2, S. 103. Zit. n. WTB 2, S. 182. MATTERN: Wilhelm Müller, S. [10].

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Abb. 6: Die Reise ins Paradies von Wilhelm Müller und Friedrich Schneider

DESSAU

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Der Schluss ist durch die fallende kleine Sexte im Tenor 1 und die Achtelbewegungen in Tenor 2 und Bass 1 (T. 47f.), während die anderen Stimmen den letzten Ton noch aushalten, charakteristisch. Harmonisch ist dieses Lied wieder einfach gehalten und führt nicht über den engen Kadenzrahmen hinaus. * Bei der Zusammenarbeit zwischen dem Dichter Wilhelm Müller und der Dessauer Liedertafel kann man von einem Verhältnis mit großem beiderseitigen Nutzen sprechen. Müller verschaffte die Zugehörigkeit zur exklusiven Liedertafel einerseits gesellschaftliches Prestige, andererseits wurden seine Trink- und Gesellschaftslieder – in diesem Fall ein Dutzend seiner „Tafellieder für Liedertafeln“ – in dieser Runde vertont, nicht zuletzt durch seinen Freund Friedrich Schneider. Weiterhin fand der Lyriker in der Liedertafel am gesellschaftlichen Leben Interessierte, mit denen er neben musikalischen und leiblichen Genüssen auch politische Ansichten teilen konnte. Die Liedertafel wiederum hatte mit Müller einen hochbegabten Dichter in ihren Reihen, der für ein vergleichsweise hohes Niveau an Texten sorgte, die meist politisch brisant waren und die Dessauer Vereinigung, jedenfalls für einige Jahre, aus anderen Liedertafeln heraushob. Dass die Dessauer Liedertafel wusste, was sie der zweiten Gründerfigur neben Schneider zu verdanken hatte, zeigte sich unter anderem an der regen Teilnahme an den Feierlichkeiten zu Müllers 100. Todestag 1927 in Dessau. Bei den vorgestellten Vertonungen Müller’scher Trinklieder handelt es sich durchweg um Strophenlieder. Neuerungen in der Liedvertonung, wie z. B. variiertes oder durchkomponiertes Strophenlied, sind bei Schneider, der neue, für die Romantik typische Tendenzen in der Komposition zeit seines Lebens ablehnte, nicht zu finden.132 Harmonisch und rhythmisch sind die Lieder – von wenigen Ausnahmen abgesehen – meist schlicht gesetzt. Die Gestaltung wird eher durch Akzente, Wechsel von p zu ff, Soli zu Tutti oder durch Taktwechsel übernommen. Auch der Ambitus bleibt im gewöhnlichen Rahmen – der Tenor kommt nicht über a1 und der Bass nicht über d1 hinaus beziehungsweise unter F. Bei aller Schlichtheit muss bedacht werden, dass Schneider direkt für seine Liedertafeln komponierte und deren Bedürfnisse kannte und daher seine Vertonungen auf deren Können ausrichtete. Dabei durfte er einen bestimmten Schwierigkeitsgrad nicht überschreiten, da sich die Liedertafel in der Regel nur ein Mal im Monat traf. Auch die Fähigkeit zum Blattsingen spielte als Aufnahmekriterium im Zweifelsfall eine geringere Rolle. Das charakteristische Stilmittel von Müllers politischer Lyrik unter den Bedingungen der Zensur besteht in der Verschlüsselung seiner Aussagen zu einer dop132 Siehe LOMNITZER: Friedrich Schneider, S. 276 f.

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peldeutigen Lesart des herkömmlichen Trinklieder-Vokabulars. Dadurch gewannen die an die Formen des 17. und 18. Jahrhunderts anknüpfenden Trinklieder eine grundsätzlich neue Wertigkeit. Die vertonten Tafellieder, die nicht zuletzt durch die durch Schneider gegründete Provinzialliedertafel eine überregionale Verbreitung fanden,133 widmeten sich also nur vordergründig dem Lobpreis des Weines. Dahinter steckten jedoch antirestaurative, Müllers liberale Gesinnung zum Ausdruck bringende Anspielungen auf das Zeitgeschehen. Dieser freisinnige Geist scheint auch die Liedertafel selbst beherrscht zu haben, sonst hätten diese Lieder wohl kaum Aufnahme gefunden. Das trifft auch für Schneider selbst zu, hat er doch zehn weitere Trink- beziehungsweise Gesellschaftslieder Müllers für vierstimmigen Männerchor vertont, die nach Heinrich Lohres Liste nicht in der Dessauer Liedertafel gesungen wurden.134 Die intensive Pflege politisch intendierter Trinklieder war im Gegensatz zu anderen Männergesangvereinen in Mitteldeutschland – so u. a. im Vergleich zur befreundeten Leipziger Liedertafel – vergleichsweise stark ausgeprägt. Schneiders liberale politische Gesinnung wurde wohl in der Leipziger Liedertafel geweckt, die als Vorbild zur Gründung der Dessauer Vereinigung diente. Kompositorisch kam seine politische Einstellung in der Vertonung von Müllers oppositionellen Trinkliedern zum Ausdruck. Im späten Vormärz fand Schneiders freiheitliche Gesinnung durch sein kompositorisches Engagement für die „Lichtfreunde“ auch auf religiösem Gebiet ihre Fortsetzung.

133 So wurden in den Liedertafeln in Magdeburg, im Harz oder in Hamburg bspw. Müllers vertonte Texte gesungen. Siehe dazu HATFIELD (Hg.): Gedichte von Wilhelm Müller, S. XVII f. Auch die Hallesche Liedertafel (siehe dazu Gesänge der Halleschen Liedertafel), die Claudius-Liedertafel in Naumburg (siehe dazu StA Naumburg, Claudius-Liedertafel, Sa 250) und die Leipziger Liedertafel (siehe dazu Gesänge der Liedertafel zu Leipzig) sangen Müller’sche Lieder. 134 Siehe dazu oben S. 102, Anm. 83.

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2.

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Die Leipziger Liedertafeln und die Zöllner’schen Gesangvereine

2.1 Der Männergesang in Leipzig Mit der Gründung der Leipziger Liedertafel im Jahr 1815 hielt der mehrstimmige und im Verein organisierte Männergesang vergleichsweise früh Einzug in die sächsische Metropole. Auf die exklusive und nur auf 12 Mitglieder beschränkte Vereinigung folgte am 4. Juli 1822 die Gründung der Universitäts-Sängerschaft St. Pauli durch den Universitätsorganisten Traugott Wagner.135 Dem akademischen Gesangverein gehörten überwiegend Studenten der Theologischen Fakultät an. Das Hauptaugenmerk lag auf der musikalischen Ausgestaltung der Gottesdienste in der Paulinerkirche. Aber schon bald fanden auch öffentliche Konzerte in Leipzig statt. Als nächster Männergesangverein in Leipzig wurde der Orpheus am 9. September 1829 gegründet.136 Seit dem Anfang der 1830er Jahre bestimmte Carl Friedrich Zöllner den Männergesang in Leipzig wesentlich mit. Am 17. März 1833 gründete er den Ersten Zöllnerverein. Im Zuge „Zöllners unermüdlicher Tätigkeit wuchs in allen Kreisen die Lust und Liebe zum Männergesang“, die weitere Gründungen, wie des Arion, des Kurzwelly’schen Vereins und des Ossian hervorrief.137 Im Jahr 1840 konstituierte sich unabhängig vom ersten der Zweite Zöllnerverein, der sich an allen größeren Aufführungen der ersten Vereinigung beteiligte.138 Als dritten Verein rief Zöllner 1845 den GesellenGesangverein ins Leben, dem hauptsächlich Schumachergesellen angehörten.139 Von der 1815 gegründeten Liedertafel zweigte sich 1838 mit der Jüngeren Liedertafel ein eigenständiger Gesangverein ab. Am 13. Januar 1843 konstituierte sich unter Hermann Theobald Petschke der Leipziger Männergesangverein.140 Da dieser Vereinigung namhafte Musiker Leipzigs angehörten, konnten hohe künstlerische Ziele verfolgt werden. So „ziemlich alle älteren und neueren Erscheinungen der Männergesangsliteratur“ wurden durchgesehen und nach genauer 135 Die Universitäts-Sängerschaft St. Pauli in Leipzig gilt als die erste studentische Sängerschaft in Deutschland und war anfangs auf 16 Sänger beschränkt. Diese Beschränkung wurde jedoch bald aufgehoben und die Mitgliederzahl stieg rasch. Durch öffentliche Auftritte gewann der Männerchor hohes Ansehen und durfte sich seit 1840 an den Gewandhauskonzerten beteiligen. Siehe dazu ausführlich KÖTZSCHKE: Universitätssängerschaft St. Pauli. 136 Siehe MANGNER: Leipziger Liedertafel, S. 102. Der Orpheus wandelte sich aber schon im Jahr seiner Gründung in einen gemischten Chor um. Siehe SENFF: Führer durch die musikalische Welt, S. 56. 137 MANGNER: Leipziger Liedertafel, S. 102. 138 HÄNSCH: Zöllner, S. 68. 139 EBD. 140 Die musikalische Leitung des anfangs 25 Sänger umfassenden Gesangvereins hatte der Jurist und Komponist Petschke (1806–1888) bis zum 1. Juni 1855 inne. Die Mitgliederzahl stieg in den Folgejahren stetig an, sodass im Jahr 1847 82 Sänger zu verzeichnen waren. Siehe SENFF: Führer durch die musikalische Welt, S. 64 f.

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Prüfung gegebenenfalls ins eigene Repertoire übernommen.141 Neben den sich regelmäßig treffenden Männergesangvereinen gab es auch eine Anzahl von sich lose privat zusammenfindenden Gesangvereinigungen. Dazu gehörten auch der Schoch’sche Verein und der Quartettverein, die jeweils im Jahr 1842 ihren Ursprung hatten. Beide vereinigten sich 1845 zum Odeon, der späteren Leipziger Liedertafel.142 Von einer sehr guten Quellenlage kann man nur bei der älteren Leipziger Liedertafel sprechen. Neben einem ausführlichen historischen Abriss von Eduard Mangner haben sich unter anderem die vier Protokollbücher von 1815 bis 1846 und einige handschriftliche und gedruckte Stimmbücher der Nachwelt erhalten.143

2.2 Die Leipziger Liedertafel von 1815 Die 1815 gegründete Leipziger Liedertafel hatte Vorbildcharakter für viele nachfolgende Gesangvereine im mitteldeutschen Raum. Ein ausführlicheres Eingehen erscheint daher angemessen. Die Gründung der Leipziger Liedertafel fand am 24. Oktober 1815 in der Wohnung ihres Stifters Jacob Bernhard Limburger statt.144 Das Ratsmitglied und Mitglied der Gewandhausdirektion lernte auf seinen Reisen die Liedertafeln in Berlin und in Frankfurt/O. kennen. Daraus entwickelte sich die Idee, auch in Leipzig eine Liedertafel entstehen zu lassen. Limburger, der selbst den höchsten gesellschaftlichen Kreisen Leipzigs angehörte, hatte genaue Vorstellungen über den Zweck und die Ausrichtung der zu schaffenden Vereinigung: Ein nicht zahlreicher, aber durch das Band gegenseitiger Achtung u[nd] Anspruchslosigkeit fest verschlungener Kreis will bei instrucktive[r] Unterhaltung über musikalische Gegenstände sich den Freuden einer einfachen Tafel und gemeinschaftlichen Gesanges widmen.145

141 Diese Vorgehensweise deckte sich mit dem im § 1 der Statuten erhobenen Anspruch: „Der Männergesangverein bezweckt die möglichst vollkommene Ausführung vier- und mehrstimmigen Männergesangs und soll sich bestreben, die Literatur des Männergesanges thunlichst nach allen Richtungen hin kennen zu lernen.“ Siehe EBD., S. 65. 142 Zu diesen Vereinen siehe unten Kap. IV.2.5. 143 Zu Mangner siehe MANGNER: Leipziger Liedertafel; zu Stimmbüchern oben S. 26, Anm. 97 und S. 21, Anm. 68. Darüber hinaus haben sich im Musikbestand des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig noch die handschriftlichen Erinnerungsblätter vom Gründungsmitglied Wilhelm Friedrich Kunze erhalten: SML, MK 170, worin sich ein kurzer historischer Abriss und Auszüge aus sämtlichen Protokollen befinden. 144 MANGNER: Leipziger Liedertafel, S. 68. 145 SML, Erinnerungs-Blätter, MK 172, S. 3.

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Was die herausgehobene gesellschaftliche Stellung und die zahlenmäßige Beschränkung der Mitglieder betrifft, folgte die Leipziger Liedertafel dem Berliner Vorbild Zelters. Während jedoch Zelters Vereinigung 25 Mitglieder hatte, beschränkte sich Limburgers Sängerverein von Anfang bis zum Ende seines Bestehens auf den Kernbestand von zwölf Personen, den sogenannten „Zwölfern auf Lebenszeit“.146 Damit hob sich die Leipziger Liedertafel von anderen derartigen Vereinigungen ab, die früher oder später die Anzahl der Mitglieder erhöhten oder die Begrenzung ganz abschafften. So kam es, dass die Liedertafel im Laufe ihres über 30jährigen Bestehens insgesamt nur 23 aktive und mit Felix Mendelssohn Bartholdy nur ein Ehrenmitglied aufwies.147 Die zahlenmäßige Beschränkung wurde bewusst gewählt, um auf der Grundlage eines „traulich freundschaftlichen Verhältnisses“ untereinander eigene Liedtexte und Vertonungen ohne falsche Bescheidenheit einbringen zu können.148 Zwar konnten bis 1836 einerseits 163 gedichtete beziehungsweise komponierte Lieder entstehen.149 Andererseits jedoch brachte es diese Exklusivität mit sich, dass die Zöllner’schen Vereine einen regen Zulauf erhielten, 1838 sich die Jüngere Liedertafel abspaltete und das Vereinsleben der älteren Vereinigung seit 1836 sukzessive erlahmte. So fand am 28. März 1842 die 292. und letzte offizielle Versammlung der Liedertafel statt. Anschließend kam es nur noch zu sporadischen Treffen, bis mit dem Tod Limburgers am 26. Februar 1847 die Tätigkeit der alten Leipziger Liedertafel endgültig erlosch. Die Vereinsgründung selbst hatte, wie auch beim Berliner Vorbild, in erster Linie vaterländische Ursachen. So waren zum Gründungszeitpunkt der Leipziger Liedertafel „kaum die Töne der Kriegs-Trompeten verstummt“,150 und das deutsche Volk stand noch unter dem Eindruck der gerade erst abgeschüttelten französischen Fremdherrschaft. Unter diesem Blickwinkel ist die Einschätzung des Gründungsmitglieds und Chronisten Wilhelm Friedrich Kunze zu verstehen, dass sich am 24. Oktober 1815 „in Geist und Gesinnung ächt deutsche Männer“ trafen.151 Darin spiegelt sich das gestiegene Selbstbewusstsein des Bürgertums, 146 Siehe § 2 der Statuten vom August 1820 in Gesetze Liedertafel in Leipzig, S. 5 (SML, MK 170). Erst wenn ein „Zwölfer“ durch Wegzug, Abwahl oder Tod aus der Liedertafel ausschied, konnte ein weiteres Mitglied, je nach der Reihenfolge ihres Eintritts, in diesen erlauchten Kreis nachrücken. Siehe EBD. 147 Zu Mendelssohn und der Leipziger Liedertafel siehe unten S. 272 ff. und zu den Mitgliedern dieser Vereinigung Gesänge der Liedertafel zu Leipzig, S. 1. 148 MANGNER: Leipziger Liedertafel, S. 62. Diese anvisierte Unbefangenheit fand jedoch mit dem Eintritt Felix Mendelssohn Bartholdys 1835 ein jähes Ende. Siehe SML, Erinnerungs-Blätter, MK 172, S. 104. 149 Siehe Gesänge der Liedertafel zu Leipzig. 150 Siehe Leipziger Tageblatt und Anzeiger, Nr. 298b, 24. Oktober 1840, S. 2477. Es handelt sich bei dieser Ausgabe um ein Extra-Abendblatt, das anlässlich des 25jährigen Bestehens der Leipziger Liedertafel herausgekommen ist. 151 SML, Erinnerungs-Blätter, MK 170, S. 3.

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aus dem einige, erstmals in der deutschen Geschichte, neben der regulären Armee selbst als Freiwillige teilgenommen hatten. Sie fühlten sich als die wahren Verteidiger deutscher Werte und Kultur und schlossen als Konsequenz aus der napoleonischen Besetzungszeit, dass eine Wiederholung nur durch die Vereinigung der deutschen Bundesstaaten zu verhindern sei. Bei den Mitgliedern der Liedertafel ist an erster Stelle der Stifter selbst zu nennen. Nach dem Chronisten der Gewandhauskonzerte Alfred Dörffel war Jacob Bernhard Limburger (1770–1847) „ein Kunstfreund edelster Gattung, von Herzen und musikalischer Begabung selbst ein Künstler, wie ein Vorbild für alle, denen die Würde der Menschheit in die Hand gegeben ist“.152 Limburger gehörte, wie auch andere Mitglieder der Liedertafel, der Bewegung der Freimaurer an. In die 1776 gegründete Leipziger Loge „Balduin zur Linde“ war er 1801 eingetreten, übte 1811–1816 das Amt des Meisters vom Stuhl aus und fungierte anschließend bis zu seinem Tod als Ehrenmitglied.153 Limburger war seit 1808 Ratsmitglied, 1814–1831 Vorsteher des Georgen- und Waisenhauses und als Stadthauptmann und Baumeister in Leipzig tätig. Der Kaufmann und Wachstuchfabrikant Wilhelm Friedrich Kunze (1785–1862), dichterisch und gesanglich hoch veranlagt, gehörte 1809–1811 der Gewandhausdirektion an. Sein Haus in der Klostergasse „war jahrelang Sammelpunkt hervorragender Leipziger Künstler, Dichter und Gelehrte[r]“.154 In der Kommunalgarde in Leipzig bekleidete er das Amt eines Stadtleutnants und eines Rottmeisters.155 Im Jahr 1837 wurde Kunze verpflichteter Wechselsensal und 1840 Bevollmächtigter der Leipziger Feuer-Versicherungsgesellschaft.156 Als Chronist der Leipziger Liedertafel verfasste er anhand der vier Protokollbände ein Jahr vor seinem Tod einen kurzen Abriss der Geschichte der Liedertafel.157 Ein weiteres Gründungsmitglied der Liedertafel war der Philosophieprofessor und Musikkritiker Johann Amadeus Wendt (1783–1836), der auch der Gewandhausdirektion angehörte. Als Publizist gab er das Leipziger Kunstblatt, das Taschenbuch zum geselligen Vergnügen und den Deutschen Musenalmanach heraus. Im Jahr 1825 wurde er Hessen-Darmstädtischer Hofrat, und 1829 folgte er einem Ruf als

152 Zit. n. MANGNER: Leipziger Liedertafel, S. 61. 153 Siehe Bei der zum Gedächtnis Limburgers zu haltenden Trauerfeier, S. [1]. Zu den wichtigsten der mehr als 15 Logen in Leipzig gehörten zu dieser Zeit „Minerva zu den drei Palmen“ (gegr. 1741), „Balduin zur Linde“ (1776) und „Apollo“ (1799). Zum Logenwesen in Leipzig im 18. und 19. Jahrhundert siehe HOYER: Leipziger Freimaurerlogen. 154 MANGNER: Leipziger Liedertafel, S. 63. 155 ROSTIZ-DRZEWIECKI: Communalgarden, S. 81. 156 „Sensal“ ist eine alte Bezeichnung für einen Makler, der gewerbsmäßig Geschäfte nachweist und Abschlüsse vermittelt. 157 SML, Erinnerungs-Blätter, MK 170.

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Philosophieprofessor nach Göttingen, wo er 1836 starb. Wendt war Mitglied der Freimaurerloge „Minerva zu den drei Palmen“.158 Auch der Dichter und Musikschriftsteller Johann Friedrich Rochlitz (1769–1842) war Gründungsmitglied der Leipziger Liedertafel und gehörte seit 1805 der Gewandhausdirektion an.159 Dabei hatte er großen Anteil an der Berufung von Felix Mendelssohn Bartholdy zum Gewandhauskapellmeister im Jahr 1835. Nach einem Theologie- und Philosophiestudium in Leipzig begründete er zusammen mit dem Verleger Gottfried Christoph Härtel (1763–1827) im Jahr 1798 die Allgemeine musikalische Zeitung, die er bis 1818 redigierte, und der er weiterhin als Mitarbeiter verbunden blieb. Die Essenz seiner umfangreichen musikschriftstellerischen Arbeiten wurde im zweibändigen Sammelwerk Für Freunde der Tonkunst veröffentlicht.160 Als bedeutendster Komponist der Anfangszeit der Liedertafel, „für die er viele seiner schönsten Gesänge schrieb“,161 ist Friedrich Schneider anzusehen.162 Wie Limburger und Wendt gehörte auch er einer Leipziger Loge an („Balduin zur Linde“). Nach seinem Weggang aus Leipzig im März 1821 zeichnete sich Schneider als Gründer und Urheber von Liedertafeln in Dessau und Umgebung nach dem Leipziger Vorbild aus. Auch der Komponist, Musiktheoretiker und Theologe Gottfried Wilhelm Fink (1783–1846) war Logenbruder.163 Neben seinem Theologiestudium in Leipzig widmete er sich kompositorischen Studien. Von 1811–1816 war Fink Vikar an der reformierten Kirche in Leipzig. Dort begründete er 1812 eine Erziehungsanstalt, der er von 1813–1827 vorstand. Anschließend übernahm er die Chefredaktion der Allgemeinen musikalischen Zeitung, die er bis 1842 innehatte. Seit 1841 war Fink zusätzlich Privatdozent für Musikwissenschaft an der Leipziger Universität. Aus seiner kaum überschaubaren Fülle an Veröffentlichungen sind bezüglich unseres Themas der Musikalische Hausschatz der Deutschen164 (1843) und Die teutsche Liedertafel165 (1844) hervorzuheben. Ein weiteres Gründungsmitglied der Liedertafel war der Gewandhauskapellmeister Johann Philipp Christian Schulz (1773–1827).166 Nach dem Besuch der Thomasschule studierte er an der Leipziger Universität zunächst Theologie und

158 Zu Wendt siehe HEINZE: Wendt, S. 747 f. 159 Zu Rochlitz siehe VON BIEDERMANN: Rochlitz und SCHMIDT: Rochlitz. 160 ROCHLITZ: Freunde der Tonkunst. Zu Rochlitz als Musikschriftsteller siehe EHINGER: Rochlitz als Musikschriftsteller. 161 SCHLETTERER: Schneider, S. 113. 162 Zu Schneider allgemein siehe oben Kap. IV.1.1 und zu seiner Zeit in Leipzig siehe MOHS: Schneider und Leipzig, S. 159–181. 163 Zu Fink siehe KRAFT: Fink und HUST: Fink. 164 FINK (Hg.): Musikalischer Hausschatz. 165 DERS. (Hg.): Teutsche Liedertafel. 166 Zu Schulz siehe HARASIM: Schulz.

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dann, unter dem Einfluss des Thomaskantors Johann Gottlob Schicht, Musik.167 Als Schicht im Februar 1823 starb, übernahm Schulz dessen Ämter als Musikdirektor der Universität und als Direktor der Gewandhauskonzerte. Auch der aus Eilenburg stammende Bankier Wilhelm Gotthelf Ernst Seyfferth (1774–1832) war von 1817 bis 1832 Mitglied der Gewandhausdirektion. Im Jahr zuvor wurde Seyfferth bei der Einführung der neuen Städteordnung zum 1. Vizevorsteher der Leipziger Kommunrepräsentantschaft gewählt.168 Das Gründungsmitglied Heinrich Dörrien (1787–1858) war Jurist, Ratsmitglied und königlicher Regierungsrat. Von 1814–1858 gehörte er dem Direktorium der Gewandhauskonzerte an, davon 1815–1852 als Sekretär.169 Außerdem fungierte Dörrien 20 Jahre lang als Mitvorsteher der „Rats- und Wendlerschen Freischule“.170 Die übrigen „Urzwölfer“ waren der Medizinprofessor Christian Adolf Wendler (1783–1862), der Arzt Carl Friedrich Gustav Klug (1774–1821) und der Kaufmann Adolph Schlesinger (gest. 1830).171 Bei den Mitgliedern der Leipziger Liedertafel handelte es sich um einen exklusiven Zirkel, dessen Kristallisationskern in der Direktion der Gewandhauskonzerte lag – sieben der „Urzwölfer“ gehörten ihr an. Mit Friedrich Schneider hatte die Liedertafel einen bedeutenden Komponisten in ihren Reihen. Friedrich Rochlitz und Gottfried Wilhelm Fink waren Chefredakteure der Allgemeinen Musikalischen Zeitung, dem führenden Fachmagazin für Musik in Deutschland. Neben diesen musikalischen Autoritäten gehörten weiterhin drei Mediziner und drei Kaufmänner als musikalische Dilettanten der Liedertafel an. Fast alle Mitglieder verband die Mitgliedschaft bei den Freimaurern. Ein weiteres verknüpfendes Element war, ob aktiv oder passiv, das Erlebnis der Befreiungskriege. Einige der Mitglieder hatten persönliche Beziehungen zu Theodor Körner.172

167 Schicht (1753–1823) wurde im Jahr 1785 Gewandhauskapellmeister. Zusammen mit Jacob Bernhard Limburger rief er 1802 die Leipziger Singakademie ins Leben. Von 1810 bis zu seinem Tod hatte Schicht das Thomaskantorat inne. Zu Schicht siehe EITNER: Schicht und HEMPEL: Schicht. 168 MANGNER: Leipziger Liedertafel, S. 67. 169 Zu Dörrien als Mitglied des Gewandhausdirektoriums siehe WASSERLOOS: Kulturgezeiten, S. 82, Anm. 128 und Stadtlexikon Leipzig, S. 113. 170 MANGNER: Leipziger Liedertafel, S. 67. 171 EBD., S. 68. Die weiteren nachrückenden Mitglieder der Liedertafel bis 1838 waren der Verleger Karl Friedrich Ennoch Richter (1816), der Musikverleger Wilhelm Härtel (1817), der Jurist Theodor Alexander Platzmann (1824), der Generalkonsul Gustav Moritz Clauß (1824), Carl Albert Hering (1826), der Justizrat und Mitglied der Gewandhausdirektion Heinrich Conrad Schleinitz (1826), der Mediziner und Leipziger Theaterdirektor Carl Christian Schmidt (1827), der Musikverleger Carl Friedrich Kistner (1830), der Chirurg Ernst August Carus (1832), der Kaufmann und Mitglied der Gewandhausdirektion Gustav Ludwig Preußer (1834), der Jurist und Landwirt Heinrich Wilhelm Ernst Crusius (1835) und der Jurist Adolf Emil Wendler (1838). 172 Siehe dazu unten Exkurs, S. 138 f.

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Das Kotzebue-Attentat im März 1819 In der zweiten Versammlung der Leipziger Liedertafel am 26. November 1815 wurde beschlossen, dass jeder ein eigenes Liederbuch zu führen hat. Ein Jahr später, am 22. September 1816, kam das selbstständige Führen von Fremdbüchern mit Liedern auswärtiger Komponisten dazu. Daneben gab es bis 1819 vier durch den Peters-Verlag gedruckte Exemplare.173 Bis 1838 erfolgte jedoch eine Druckpause. Auf der 46. Versammlung am 23. Mai 1819 „hält [man] es nicht mehr für passend, daß ferner unsere Lieder gedruckt werden“.174 Da im Protokoll keine Gründe für diesen Entschluss angegeben werden, können darüber nur Vermutungen angestellt werden. Es war zu diesem Zeitpunkt zwei Monate her, dass der Theologiestudent und Burschenschaftler Karl Ludwig Sand den konservativen Schriftsteller und russischen Generalkonsul August von Kotzebue am 23. März 1819 ermordete.175 Dadurch wurde die an verschiedenen deutschen Höfen herrschende Revolutionsangst noch verstärkt, da diese Tat zwar mit gemischten Gefühlen, aber „keineswegs [...] mit einhelliger Empörung aufgenommen [wurde]“.176 So machte sich in national und liberal eingestellten Kreisen des Bürgertums die Angst vor den Folgen des Attentats breit, welches für den österreichischen Außenminister und nachmaligen Staatskanzler Fürst von Metternich die Gelegenheit bot, später durch die Karlsbader Beschlüsse Maßnahmen zur Überwachung und Bekämpfung liberaler und nationaler Tendenzen zu ergreifen. Auch in der Leipziger Liedertafel traf die Nachricht von diesem für die bürgerliche Freiheitsbewegung so folgenreichen Mordanschlag bald ein. Im Protokoll der Zusammenkunft vom 28. März 1819 heißt es nach der Ankunft beim für diese Liedertafel verantwortlichen Wirt: Doch dessen [Johann Amadeus Wendt, S. N.] freundliches Willkommen vermochte nicht die düstre ahnungsvolle Stimmung der Brüder zu verscheuchen: Der Sinn war getrübt, die gewohnte Freude dahin. Die furchtbare litterarisch politische Katastrophe, Kotzebues Schicksal, erfüllt die Gemüther mit Schaudern und Schwermuth.177

Auf der einen Seite waren die Mitglieder der Liedertafel, deren gehobene gesellschaftliche Stellung vermuten lässt, dass sie derartige revolutionäre Taten ablehnten und verurteilten, über das tragische Schicksal des europaweit populären Lustspielautors und Dramatikers erschüttert. Auf der anderen Seite sahen die Liedertafler, dass dieses Ereignis weit über die Dimension eines Einzelschicksals herausragte, indem sie die Bluttat als „furchtbare litterarisch politische Katastrophe“ bezeichneten. Es war ihnen wohl klar, dass diese politisch motivierte Tat 173 174 175 176 177

SML, Erinnerungs-Blätter, MK 170, S. 16 und 19. EBD., S. 22. Zum Attentat und seinen Folgen siehe SCHULZE: Das Blut des Verräters, S. 256–276. WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 2, S. 337. SML, Protokoll Leipziger Liedertafel 1, MK 171, S. [151].

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obrigkeitliche Folgen nach sich ziehen würde, die sich gegen freiheitliche Bestrebungen richten würden. Aus diesem Gefühl der Unsicherheit heraus ist wahrscheinlich der Entschluss gefasst worden, eigene Liederbücher vorerst nicht mehr zu drucken, um nicht in den Verdacht demagogischer Umtriebe zu geraten. Lieder und Liedtexte der Liedertafel Die bei der Liedertafel gesungenen Lieder entstammen sowohl aus handschriftlich geführten Stimmbüchern als auch aus gedruckten Exemplaren. Der letzte überlieferte Druck mit Liedern eigener Mitglieder erschien im Jahr 1838.178

Abb. 7: Liederbuch der Leipziger Liedertafel (Tbl.) 178 Gesänge der Liedertafel zu Leipzig.

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Bei allen 163 Liedern werden jeweils der Komponist und der Textdichter angegeben. Die von Kunze zusammengestellte Liedersammlung beginnt mit dem von Rochlitz gedichteten und komponierten Trinkspruch Hoch lebe deutscher Gesang (26. November 1815) und endet mit Wollet ihr den Lenz befragen von Fink (16. Januar 1836). Es handelt sich demnach um eine chronologische Sammlung. Nicht alle Textdichtungen, aber alle Kompositionen stammen von Mitgliedern der Liedertafel. Mit 32 Liedern vertonte Friedrich Schneider die meisten Liedtexte. Ihm folgten Schulz und Fink mit jeweils 25, Rochlitz mit 18 sowie Wendt und Dörrien mit jeweils 15 Gesängen. Als Textdichter zeichneten sich besonders Fink und Wendler mit jeweils 18 und Rochlitz mit elf eigenen Lieddichtungen aus. Den Großteil des Liederbuchs machen gesellige Lieder aus. In Wein-, Trink-, Tisch- und Scherzliedern werden die Liebe und die Freundschaft, die Natur und der Wein besungen. Es sind aber auch Vaterlandslieder enthalten, in denen jedoch mehr die sächsische Heimat als das ersehnte einige deutsche Vaterland thematisiert wird.179 Jene sind den Fremdenbüchern vorbehalten. Vom Fremdenbuch der Leipziger Liedertafel sind die Stimmbücher des Tenor 1 und des Bass 1 im Nachlass Kunzes überliefert. Die handschriftlichen Notenhefte enthalten 72 Gesänge.180 Darin dominieren Volks- und Vaterlandslieder sowie geistliche Gesänge. Als bekannte Männerchorkomponisten sind hier Conradin Kreutzer, Franz und Ernst Julius Otto, Carl Maria von Weber und Carl Friedrich Zöllner zu nennen. Die Lieder, die für unser Thema von Bedeutung sind, machen einen geringen Prozentsatz aus. Von ihnen soll im Folgenden die Rede sein. Im verbliebenen Nachlass der Liedertafel, der heute im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig aufbewahrt wird, befinden sich handschriftliche Stimmbücher von eigens komponierten Liedern, die nicht im gedruckten Exemplar von 1838 enthalten sind.181 Es handelt sich dabei vermutlich um Gesänge, die zwar in den Zusammenkünften gesungen wurden, aber letztendlich keine Aufnahme in das offizielle Liederbuch gefunden haben. Insgesamt sind 44 Gelegenheitslieder verzeichnet, die zu verschiedenen Anlässen, wie zu Geburten, Taufen, Geburtstagen oder bei gemeinsamen Ausflügen erklangen.

179 Siehe dazu Gesänge der Liedertafel zu Leipzig, Nr. 121: Der Sachsen Vaterland von Heinrich Dörrien und Siegfried August Mahlmann (1771–1826) und Nr. 64: Unserm Könige, dem Jubelgreis von Dörrien und Christian Adolf Wendler. 180 Siehe SML, Leipziger Liedertafel 2, MK 171. 181 Siehe SML, 3 Stimmbücher, MK 172: Die Stimmbücher (Tenor 2, Bass 1 und Bass 2) weisen keine Nummerierung auf. Im Goethe-Schiller-Archiv in Weimar hat sich zusätzlich die einzige handschriftliche Partitur aus dem Besitz des Gründungsmitgliedes Johann Philipp Christian Schulz erhalten. Siehe dazu oben S. 21, Anm. 68.

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Eines der Lieder mit dem Titel Je länger je lieber wurde von Kunze komponiert und von Karl Friedrich Burdach gedichtet.182 Darin werden verschiedene Trinksprüche auf die Säulen der Männergesangbewegung ausgebracht. Nach der Freundschaft (Strophe 2) und der Liebe (Strophe 3) thematisiert der vierte Vers die Wahrheit: 4. Zum dritten der Wahrheit, die rein wie das Licht Der Sonne die Nebel zerstreuet! Wer wandelt die Pfade des Rechts und der Pflicht, Den schützen die Götter, er fürchtet sich nicht, Wenn zürnend das Schicksal ihn dräuet. [Refr.] Uns leitet die Wahrheit mit weiserem Sinn, Je länger je lieber durchs Leben dahin.183

Hier wird die Wahrheit als unbedingte Richtschnur für das Leben betrachtet. Auch bei widrigen Umständen sollte dieser Weg nicht verlassen werden. Wer seine Rechte und Pflichten achtet und bei der Wahrheit bleibt, den können keine Schicksalsschläge aus der Bahn werfen. Dass die Maßgabe der Wahrheitsliebe auch für die Herrschenden gilt, zeigt die nächste Strophe, in der der Freiheit ein Hoch ausgebracht wird: 5. Zum vierten der Freiheit, was frommt und was nützt, Zu denken, zu reden, zu schreiben! Hoch lebe die Freiheit!, sie schirmet und schützt Der Mächtigen Thronen, wenn’s stürmt und blitzt, Die Bösen nur mögen nicht bleiben. [Refr.] Hoch lebe je länger je lieber der Mann, Der frei sich die Herzen durch Liebe gewann!184

Eindeutig wird am Anfang der Strophe die Meinungs- und Pressefreiheit postuliert. Wirklich frei ist demnach nur der, der die Möglichkeit hat, alles, was er denkt, auch offen auszusprechen, aufzuschreiben und auch verbreiten zu können. Nur wenn das der Fall ist, sind „der Mächtigen Throne“ sicher, auch „wenn’s stürmt und blitzt“ – eine deutliche Anspielung auf die allgemeine Revolutionsangst der Fürstenhäuser seit der Französischen Revolution, welche bei jeder freiheitlichen Regung von neuem aufflackerte. Der mutmaßliche Textdichter Burdach beteiligte sich 1841 an der Subskription von Johann Jacobys „Vier Fragen“, um diese Schrift mit einer Petition um Beantragung von Reichsständen

182 Siehe SML, 3 Stimmbücher, MK 172, jeweils Nr. 37. Der Textdichter war vermutlich der Anatom und Physiologe Karl Friedrich Burdach (1776–1847), der in Leipzig Medizin studierte und dort 1808 in die Loge „Minerva zu den drei Palmen“ eintrat. Zu Burdach siehe VOIGT: Burdach und BURDACH: Rückblick. 183 Siehe SML, 3 Stimmbücher, MK 172, jeweils Nr. 37 (Hervorhebung im Original). 184 EBD. (Hervorhebung im Original).

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dem Landtag zu übergeben.185 Mit der Unterstützung dieser radikalen Schrift versprach sich Burdach eine Beschränkung der Willkür in der Staatsverwaltung. Für ihn hatte jeder gebildete Staatsbürger das Recht, „sein Urtheil und seine Wünsche in Betreff der Einrichtungen des Staats öffentlich aussprechen“.186 Diese Haltung findet in diesem Lied ihren deutlichen Ausdruck. In dem Lied Die Heimath von Karl Friedrich Ennoch Richter und Samuel Christian Pape sucht ein Heimatloser sein verlorengegangenes Vaterland.187 Sehnend und träumend irrt er auf der Suche danach umher. Dieser Anonymus steht sinnbildlich für die nach Frieden und Freiheit trachtenden bürgerlichen Sänger: Das schöne Land, wo Fried’ und Freiheit thronen, Wo nie das Schwert und nie die Fessel klirrt; Da will er hin, da muss er wieder wohnen, Das ist das Land, wohin er träumend irrt.188

Die Mitglieder der Leipziger Liedertafel bringen hier ihre Sehnsucht nach einem friedlichen und freiheitlichen Deutschland zum Ausdruck. Mit der „Fessel“ dürfte hier nicht nur fremdländische Besetzung, auf die der Dichter wahrscheinlich in Bezug auf Napoleon anspielt, sondern auch geistige Knebelung durch die Zensur gemeint sein. Im Vaterlands-Lied, das von Rochlitz gedichtet und komponiert wurde, wird die enge Verbundenheit zum heimatlichen Boden thematisiert.189 Das Verhältnis zwischen Individuum und dem eigenen Vaterland stellt Rochlitz als ständiges Geben und Nehmen zu beiderseitigem Nutzen dar. So empfängt der Mensch aus der heimischen Erde nicht nur Essen und Trinken, sondern genießt auch Schutz: Nicht nährt dein Brot allein, Es labt mich auch der Wein, Dein Antlitz wacht. Wie meine Hütte dort, So wird mein Trost und Hort, Mein Glaub und freies Wort Von dir bewacht.190 (Str. 2) 185 JACOBY: Vier Fragen. – Der Arzt und preußische Politiker Jacoby (1805–1877) artikuliert in dieser folgenreichen Schrift offen die Forderung der bürgerlichen Oppositionsbewegung, an politischen Entscheidungen teilhaben zu können. Er forderte die Einführung einer Verfassung in Preußen und beruft sich dabei auf das Versprechen von Friedrich Wilhelm III. vom 22. Mai 1815. Dafür wurde er wegen Hochverrats verurteilt, danach aber freigesprochen. Zu Jacobys politischer Tätigkeit siehe GRAB: Johann Jacoby. 186 BURDACH: Rückblick, S. 451. 187 Gesänge der Liedertafel zu Leipzig, Nr. 105, S. 129 f. Dieses Lied wurde am 28. März 1824 ins Liederbuch aufgenommen. 188 EBD., S. 130. 189 EBD., Nr. 76, S. 94 f. Das Lied fand am 26. Dezember 1819 Aufnahme ins Liederbuch. 190 EBD., S. 94.

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Mit dem Schutz ist hier nicht nur das leibliche Wohl, sondern auch die Freiheit, zu glauben und zu sagen, was man denkt, gemeint. Eigentlich kommt diese Schirmfunktion dem Landesherrn zu. Wie die Auswirkungen der Karlsbader Beschlüsse zeigten, waren die Fürsten nicht willens oder dazu in der Lage. Daher weist Rochlitz diese Aufgabe lieber einem abstrakten, nur in den Köpfen national und liberal eingestellter Bürger bestehendem Gebilde zu. Im Fremdenbuch der Leipziger Liedertafel sind zwei Lieder enthalten, deren Texte auf den ersten Blick einen rein humoristischen Inhalt haben.191 Zudem ist die Handlung in das Reich der Tierwelt verlegt worden. Es handelt sich zum einen um Die Maikäfer (Nr. 21) von Johann Karl Friedrich Rex192 und zum anderen um das Froschlied (Nr. 22) von Carl Friedrich Zelter.193 Beide Dichtungen stammen von Förster. Es handelt sich hier um Friedrich Christoph Förster, den engen Freund und Kampfgefährten Theodor Körners.194 Die Maikäfer werden in diesem Lied als Metapher für das Volk verwendet, das sich in seinem Freiheitsdrang nicht einschränken lassen will.195 Wie sich Maikäfer im Frühling – hier ist der ersehnte politische Frühling gemeint – ungezwungen bewegen wollen, so möchte auch das deutsche Bürgertum seine gesellschaftlichen und politischen Ziele ohne staatliche Einschränkung verfolgen dürfen. Dem Vorbild des freien, unbeschränkten Lebens der Maikäfer wollen auch die Sänger 191 Das zweibändige Fremdenbuch befindet sich in HMT Leipzig, Bibliothek/Archiv, Vierstimmige Gesänge verschiedener fremder Komponisten, MS 24. Ein Stimmbuch stammt von Wilhelm Friedrich Kunze (Tenor 2). Im zweiten Stimmbuch (Bass 1) ist kein Eigentümer verzeichnet. 192 Das Lied Die Maikäfer wurde in der Liedertafel im März 1821 zum ersten Mal gesungen und beim dritten Mal Ende Mai 1821 einstimmig ins Fremdenbuch aufgenommen. Siehe SML, Protokoll Leipziger Liedertafel 2, MK 171, S. [47] und [49]. – Der königliche Musikdirektor Johann Karl Friedrich Rex (geb. 1780) war seit 1813 Kantor an der Dreifaltigkeitskirche und Gesangslehrer am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Berlin. Für die Zeltersche und die jüngere Berliner Liedertafel schrieb er neben Die Maikäfer noch zwei weitere Lieder für Männerstimmen, die aber Manuskript blieben. Siehe EITNER: Quellen-Lexikon 8, S. 200 f. 193 Siehe HMT Leipzig, Bibliothek/Archiv, MS 24, Bl. [21]–[22] (Stimmbuch Tenor 2 [Kunze]). – Das Froschlied, das in anderen Liederbüchern bzw. Ausgaben auch unter dem Titel Frühlingsmusikanten geführt wird, so u. a. in: ULB Halle, Singstücke für Männerstimmen, o. Sign., Nr. 76, S. 522 f. und in: ZELTER: Ausgewählte Männerchöre, Nr. 18, S. 30–33), lag erstmals in TafelLieder für Männerstimmen im Druck vor. In der Leipziger Liedertafel wurde es Ende April 1821 zum ersten Mal gesungen und Ende Juni in das Fremdenbuch aufgenommen. Siehe SML, Protokoll Leipziger Liedertafel 2, MK 171, S. [48] und [51]. 194 Zu Friedrich Christoph Förster siehe unten S. 142, Anm. 233. In den vorhanden Stimmbüchern wird „D. Förster“ als Textautor angegeben. Es kann sein, das sich hinter dem „D.“ die Abkürzung für den Doktortitel Friedrich Försters verbirgt. Im Liederbuch der jüngeren Berliner Liedertafel wird für dieses wie für 26 weitere Lieder im Textregister nur Förster angegeben. Daher ist anzunehmen, dass es sich wie bei dem Froschlied um Friedrich Förster als Textautor handelt. Siehe Gesänge der jüngeren Liedertafel, S. 243. 195 Zur Verwendung von politisch motivierten Tiermetaphern im Vormärz siehe JÄGER: Politische Metaphorik, S. 41 ff.

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nacheifern: „So auch nach Käfern Art / Wir halten unsre Fahrt! / Wir loben uns ein Liebchen / Und was im Oberstübchen.“ (Str. 5). Das lässt sich aber in der Lebenswirklichkeit der Reaktionszeit nach den Karlsbader Beschlüssen nicht umsetzen und ist nur im geschlossenen Rahmen eines (Männergesang-)Vereins in gewissem Umfang realisierbar. Daher findet sich in der sechsten und letzten Strophe unvermittelt ein politischer Gegenwartsbezug, in dem fehlende Freiheit im öffentlichen Leben angeprangert und die Gewährung von vollgültigen Freiheitsrechten vom König eingefordert wird: Werd ich Geheimer Rath Ich sag’s dem König grad Das Volk will Freiheit üben, bei vollem Becher lieben.

Damit spielt der Textautor auf das in den Befreiungskriegen gegebene Versprechen der Fürsten an, die Bevölkerung an den öffentlichen Angelegenheiten des Staates zukünftig partizipieren zu lassen. Halbherzige Kompromisse werden rundweg abgelehnt. Die gewährten bürgerlichen Freiheiten sollten vollständig sein: „Das Volk will Freiheit üben, / bei vollem Becher lieben.“ Wie in vielen anderen deutschen Staaten war man auch in Sachsen am Anfang der 1820er Jahre noch weit von einem Verfassungs- und Rechtsstaat entfernt. Erst nach der Julirevolution von 1830 wurde im Jahr 1831 die erste sächsische Verfassung eingeführt. Die Mitglieder der Leipziger Liedertafel hatten demnach gute Gründe, dieses Lied in ihr Repertoire aufzunehmen und es zu singen. Im Froschlied, das mit „bequem humoristisch“ überschrieben ist, soll ein altgedienter Frosch in einem fiktiven Königreich mit seinem Quaken dafür sorgen, dass dem Winter der lang ersehnte Frühling folgt. Die Frösche legen sich ins Zeug, wie ihnen befohlen. Das Quaken wird dem König aber zu viel und zu laut. Er lässt sie mit Gewalt zum Schweigen bringen, um wieder seine Ruhe zu haben. Es scheint sich hier vordergründig um ein launig-humoristisches Gedicht zu handeln. Dagegen sprechen aber verschiedene Tatsachen. So gibt der Komponist selbst über den alles andere als politisch harmlosen Charakter des Liedes Auskunft. In einem Brief an Goethe vom 14. Juli 1824 bezeichnet Zelter er es als „Tafellied [… mit] satyrisch politische[r] Tendenz“, das er „etwa vor 3 Jahren für unsere zweite Liedertafel in Musik gesetzt [habe]“.196 Das Gedicht wurde 1824 auch vom Breslauer Kapellmeister Gottlob Benedict Bierey mit der Angabe 196 OTTENBERG/ZEHM (Hg.): Goethe und Zelter, S. 811. Das Lied wurde am 15. Mai 1821 von Zelter vertont. Siehe EBD., S. 638. Mit der „zweiten Liedertafel“ ist die 1819 von Ludwig Berger und Bernhard Klein ins Leben gerufene Jüngere Liedertafel gemeint. In deren Liederbuch von 1835 erschien dieses Lied mit geringfügig anderem Text unter der Nummer 50 mit dem Titel Demagogisch, was die Zielrichtung des Gedichts stärker zum Ausdruck bringt. Siehe Gesänge der jüngeren Liedertafel, S. 51.

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Goethes als Textautor vertont.197 Er erkannte die politische Tendenz, indem er das Lied unter dem Titel Demagogisch. Gedicht für eine Singstimme und vier Frösche mit Begleitung des Fortepianos bei Förster in Breslau herausbrachte.198 Bei näherer Betrachtung unter historischem Blickwinkel eröffnen sich dem Leser allegorische Bezüge auf das politische Zeitgeschehen. Der Textautor und Mitglied des Lützowschen Freikorps Friedrich Förster stellt das von ihm erlebte und empfundene Geschehen vor, während und nach den Befreiungskriegen auf einer vermeintlich unverfänglichen Erzählebene dar. Am Beginn des Gedichts steht die Bedrückung der napoleonischen Besetzung: „Es wollt’ einmal im Königreich / Der Frühling nicht erscheinen.“ (Str. 1) Der preußische König Friedrich Wilhelm III. ringt sich erst nach langem Zögern zu einem Krieg gegen Napoleon durch. Nach der Beratung mit seiner Regierung wurde „einem alten Frosch befohlen, / mit seiner grünen Schaar, / den Frühling einzuholen“ (Str. 1) Mit dem „alten Frosch“ und „seiner grünen Schaar“ war der preußische Generalleutnant Gebhard Leberecht Blücher gemeint, der nach seiner durch Gerhard Johann David von Scharnhorst betriebenen Rückholung zum Oberbefehlshaber der schlesischen Armee und nach der siegreichen Völkerschlacht bei Leipzig zum Generalfeldmarschall ernannt wurde.199 Wegen seiner offensiven Truppenführung und der Überschreitung des Rheins bezeichneten ihn zuerst die russischen Verbündeten und dann später auch das Volk als „Marschall Vorwärts“.200 Erst nach den langwierigen, aber letztendlich erfolgreichen Verhandlungen Preußens mit Russland über eine Kriegsallianz und durch einen starken patriotischen Druck der Öffentlichkeit wandte sich der zögerliche König mit seinem Aufruf „An mein Volk“ am 17. März 1813 an die Bevölkerung und proklamierte einen Unabhängigkeitskampf für König, Vaterland und Ehre.201 Erst bei der ersten größeren Schlacht der Befreiungskriege bei Großgörschen nahe Leipzig wohnte der König zum ersten Mal der Armee bei.202 Bis dahin wartete er im Quartier in Breslau ab: 197 Gottlob Benedict Bierey (1772–1840) wurde 1791 Musikdirektor bei der Secondaschen Truppe. Im Jahr 1808 bekam er die Stelle als Kapellmeister am Breslauer Theater und gründete dort einen gemischten Gesangverein. Nach einem Intermezzo von 1828 bis 1834 in Weimar ging er nach Breslau zurück, wo er 1840 starb. Siehe EITNER: Quellen-Lexikon 1, S. 38 f. 198 OTTENBERG/ZEHM (Hg.): Goethe und Zelter 1799 bis 1827, S. 638. 199 Am 28. Februar 1813 wurde Blücher (1742–1819) Oberbefehlshaber des Schlesischen Armeekorps. Siehe GÖRLITZ: Fürst Blücher von Wahlstatt, S. 223. Zu Blücher siehe BAUER: Leberecht von Blücher und CREPON: Leberecht Blücher. 200 In dem verbreiteten und vielgesungenen Lied Blücher am Rhein von Carl Gottlieb Reissiger (op. 157,1, 1840) und August Kopisch wird Blüchers Übertritt über den Rhein in der Neujahrsnacht 1814 und der Einmarsch in Paris am 31. März 1814 besungen. 201 Der Aufruf wurde abgedruckt und verbreitet in: Schlesische privilegirte Zeitung, Nr. 34, 20. März 1813, S. 1 f. In diesem Aufruf rechtfertigte zum ersten Mal ein preußischer Regent vor seinen Untertanen seine Politik. 202 TAMM-KUHLMANN: Friedrich Wilhelm III., S. 375.

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Sobald der Frosch im Grase schreit Der König fühlt Behagen. „Der Frühling“, spricht er, „ist nicht weit, Laßt mich ins Freie tragen!“ (Str. 2)

Mit dem Ausspruch „Der Frühling ist nicht weit“ war nicht nur die Befreiung von der französischen Besetzung, sondern auch gleichzeitig ein politischer Neuanfang gemeint. In einer gemeinsamen Proklamation des preußischen Königs und des russischen Zaren vom 15. März 1813 aus dem Hauptquartier in Kalisch wurden die „politische Freiheit, die Wiedergeburt eines ehrwürdigen Reiches, dessen Gestaltung den Fürsten und Völkern Deutschlands anheimgestellt werden sollte, hervorgegangen aus dem ureigenen Geiste des deutschen Volkes und in Einheit“ versprochen.203 Diese Zusage offerierte dem deutschen Volk seine politische Selbstbestimmung, die politische Freiheitsrechte und ein einiges Reich ausdrücklich mit einbezog. In der dritten Strophe wird die Sogwirkung der Befreiungskriege mit der damit einhergehenden nationalen Aufbruchsstimmung, in die immer mehr Kriegsfreiwillige aus mehreren Bevölkerungsschichten gerieten, beschrieben: Ein Dritter, Vierter quakte drein, So sangen sie zu Vieren. Und Jeder nahm das Maul recht voll Es schmetterten die Kehlen. Um sich für Seine Majestät Gehorsamst abzuquälen. (Str. 3)

Mit „jeder nahm das Maul recht voll“ dürften zum einen der aus Patriotismus und Franzosenhass gespeiste Kampfesmut und die damit einhergehende Todesverachtung, zum anderen aber auch die aus der freiwilligen Kriegsteilnahme abgeleiteten Forderungen nach einer Verfassung und darin verankerten Freiheitsrechten gemeint sein. Nachdem Napoleon aus Deutschland vertrieben worden war und der Wiener Kongress kurz vor dem Abschluss stand, gab der preußische König Friedrich Wilhelm III. auf Betreiben des Staatskanzlers von Hardenberg am 22. Mai 1815 ein zweites Verfassungsversprechen für Preußen ab.204 Für eine Umsetzung setzte sich der preußische Monarch jedoch nicht nachdrücklich ein, sodass die Einberufung einer Verfassungskommission bis 1817 auf sich warten ließ und weitergehende Bestrebungen angesichts zunehmender restaurativer 203 Der Aufruf der seit dem Traktat von Kalisch vom 28. Februar 1813 gegen Napoleon verbündeten Monarchen wurde vom russischen Generalfeldmarschall Michael Illarionowitsch Kutusow (1745–1813) verfasst. Siehe KOHUT: Theodor Körner, S. 144 und NIPPERDEY: Deutsche Geschichte, S. 85. 204 SIEMANN: Vom Staatenbund zum Nationalstaat, S. 68 ff. Das erste Verfassungsversprechen war auf Betreiben Hardenbergs im Finanzedikt vom 27. Oktober 1810 enthalten. Zu den preußischen Verfassungsversprechen siehe neuerdings SCHMITZ: Vorschläge und Entwürfe.

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Kräfte im Umfeld des Königs schließlich nicht weiter verfolgt wurden.205 Aufgrund des zweimaligen Versprechens einer „Nationalrepräsentation“ 1810 und 1815 von höchster Stelle aus wurde die Einlösung desselben vehement gefordert: „Doch ärger ward nun das Geschrei, / der König konnts nicht tragen“ (Str. 4). Der preußische König wollte nach dem Wiener Kongress nichts mehr von der Einlösung seines offiziell gegebenen Versprechens wissen. Er neigte der auf dem monarchischen Prinzip beruhenden Politik des Gleichgewichts der europäischen Mächte zu, die der österreichische Staatskanzler und führende Politiker der Restaurationszeit Fürst von Metternich betrieb. Die Einführung einer Verfassung hätte das monarchische Prinzip ausgehebelt, ein einheitlicher deutscher Nationalstaat das angestrebte paritätische Machtgefüge in Europa ins Wanken gebracht. Daher wird mit dem „Kanzler“, der den König in der vierten Strophe „schnell herbei[ruft]“, um „das Volk aufs Maul zu schlagen“, vermutlich Metternich gemeint sein, da Hardenberg in seiner Zeit als preußischer Staatskanzler die Einführung einer Verfassung und eine begrenzte Mitbestimmung der Bürger anvisierte.206 Der König rechtfertigt seine Handlungsweise in der zweiten Hälfte der vierten Strophe mit einem indirekten Verweis auf die „Heilige Allianz“.207 Innerhalb ihrer Ausrichtung sah er keinen Spielraum für die Umsetzung der freiheitlichen Forderungen: „und sprach, ,s’ist gut, jetzt blüht der Dorn.‘“ Beschwichtigend, und eine kleine Hintertür offen lassend, fügt der König hinzu: „Wir bleiben euch gewogen.“ Doch dann droht er den aufsässigen Bürgern offen und bezeichnet diese als „Demagogen“: „Doch schweiget nun bei unserm Zorn / Halts Maul ihr Demagogen.‘“ Mit dieser drastischen Ansprache spielte Förster auf die Demagogenverfolgung im Zuge der Karlsbader Beschlüsse an, die mit dem Universitätsgesetz, dem Pressegesetz und dem Untersuchungsgesetz eine politische Friedhofsruhe über die deutschen Bundesstaaten brachten.208 Gerade in Preußen war 205 Die Verfassungskommission tagte im Juli 1817 ohne Ergebnis zum ersten und letzten Mal. Siehe NIPPERDEY: Deutsche Geschichte, S. 277. 206 Siehe dazu die Rigaer Denkschrift „Über die Reorganisation des preußischen Staates“ vom 12. September 1807, abgedruckt in: VON RANKE: Hardenberg 3, S. 365. Siehe dazu HAUSSHERR: Hardenbergs Reformdenkschrift und BENTZIEN: Hardenberg. – Hardenberg stimmte zwar letztendlich den Karlsbader Beschlüssen und der Demagogenverfolgung zu, betrachtete seine Zustimmung jedoch als Manöver, um seine verfassungsrechtlichen Vorstellungen anschließend doch noch umsetzen zu können. Siehe NIPPERDEY: Deutsche Geschichte, S. 277. 207 Die „Heilige Allianz“ bezeichnet das Bündnis der Monarchen von Russland, Österreich und Preußen, welches am 26. September 1815 geschlossen wurde. Das auf Anregung des tief religiösen Zaren Alexander I. geschlossene Bündnis, das 1815 um England (Quadrupelallianz) und 1818 um Frankreich (Pentarchie) erweitert wurde, bekannte sich zum Gottesgnadentum des Herrschers und der christlichen Religion als Fundament der herrschenden politischen Ordnung. Sie verpflichteten sich zum gegenseitigen Beistand gegen bürgerliche und nationalstaatliche Umwälzungen, die diese Ordnung infrage stellen. Zur „Heiligen Allianz“ siehe SCHWARZ: Heilige Allianz. 208 Siehe dazu HUBER: Deutsche Verfassungsgeschichte 1, S. 732 ff.

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die Verfolgung liberaler und nationaler Bewegungen besonders ausgeprägt. Liberale und nationale Ideen wurden als staatsgefährdend begriffen und deren Verfechter als Demagogen verfolgt und inhaftiert. Um diesem Schicksal zu entgehen, ziehen sich die Sänger der Liedertafel in der fünften und letzten Strophe in den scheinbar unpolitischen und von den gesellschaftlichen Stürmen geschützten Raum des Gesangvereins zurück: Da loben wir uns unser Reich Wir sind gar wohl berathen. Was kümmern uns die Frösch im Teich Was alle Potentaten. Der Frühling geht der Sommer kehrt Der Herbst, der Winter wieder. Wir singen fest und unverwehrt Die allerschönsten Lieder.

Eine so scharfsinnige Nachzeichnung der politischen Entwicklung vom Anfang der Befreiungskriege bis hin zu den Karlsbader Beschlüssen konterkariert aber diese in der letzten Strophe aufgestellte Schutzbehauptung. Andererseits zeigt sich hier aber auch der allgemeine Rückzug des Bürgertums ins Private als Folge der Karlsbader Beschlüsse. In den zeitgenössischen Rezensionen spielen die politischen Anspielungen, wahrscheinlich wegen der Zensur, keine Rolle. In der Allgemeinen musikalischen Zeitung, in der alle sechs Hefte der Reihe „Tafel-Lieder für Männerstimmen“ für die Berliner Liedertafel knapp unter der Rubrik „Kurze Anzeigen“ anonym rezensiert werden, nimmt das 5. Heft mit Kompositionen Zelters etwas mehr Raum ein.209 Über das als Frühlingsmusikanten veröffentlichte Lied heißt es dort knapp: „sehr schön und ächt possierlich.“210 Ludwig Rellstab äußert sich in seiner ausführlichen Rezension der sechs Hefte in der Berliner allgemeinen musikalischen Zeitung etwas genauer.211 Nach allgemeinen Bemerkungen über Zelters Kompositionen, denen er „eine gewissermaßen humoristische Stimmenführung, und gleichartige Benutzung, nicht blos der Worte, sondern sogar der Sylben“ attestiert, geht er auf die Frühlingmusikanten ein, wo dies seiner Meinung nach besonders zum Tragen kommt.212 In dem Liedsatz, der durch ständigen Wechsel der Soli von Tenor und Bass 1 einerseits und Tenor und Bass 2 andererseits gekennzeichnet ist, bevor die letzte Textzeile durch Tutti im Forte (T. 28ff.) bekräftigt wird, steht die Imitation des Quakens der Frösche im Vordergrund. Besonders deutlich tritt dies in Takt 9–13 durch mehrmalige Motivwiederholungen in allen 209 Allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 46, 14. November 1827, Sp. 781–784. 210 EBD., Sp. 784. 211 Berliner allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 7, 14. Februar 1827, S. 51 f. und Nr. 8, 21. Februar 1827, S. 59–62. 212 EBD., S. 61.

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Stimmen hervor. Nach Rellstab wird in dieser Liedkomposition „mit dem Quaken der Frösche sehr launiger musikalischer Scherz getrieben“, der „dieses Lied auch zu einem Liebling der Liedertafel gemacht hat“.213 Es ist aber ebenfalls zu vermuten, dass auch der Textinhalt an der Beliebtheit des Liedes einen wesentlichen Anteil hatte. Auch wenn das sächsische Königreich offiziell mit Napoleon verbündet war und durch den Wiener Kongress erhebliche Gebietsabtretungen hinnehmen musste, so standen doch zumindest die Mitglieder der Leipziger Liedertafel hinter den Zielen der Befreiungskriege, was durch das häufige Singen dieses Liedes und durch die unten beschriebene enge Verbindung zum Freiheitskämpfer und -sänger Theodor Körner zum Ausdruck kam.214

Abb. 8a: Froschlied von Friedrich Förster und Carl Friedrich Zelter, T. 1–13 (Bass 1)

213 EBD. 214 Siehe dazu unten Exkurs, S. 138 f.

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Abb. 8b: Froschlied von Friedrich Förster und Carl Friedrich Zelter, T. 14–35 (Bass 1)

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2.3 Exkurs: Theodor Körner – der ,idealisierte Idealisierer‘215 Wie in vielen anderen Männergesangvereinen wurden einige Freiheitslieder Körners auch in der Leipziger Liedertafel gesungen. So finden sich unter anderem im 1838 gedruckten Liederbuch Lützows wilde Jagd in der Vertonung seines Freundes Kunze und das Trinklied Auf, Brüder, trinket froh mit mir in der Vertonung von Friedrich Schneider.216 Darüber hinaus gab es in der Leipziger Liedertafel einige Gründungsmitglieder, die teilweise enge Beziehungen zum Dichter und Freiheitskämpfer Theodor Körner pflegten beziehungsweise sich literarisch mit ihm beschäftigten.217 Auch diese Tatsache zeigt, dass die Befreiungskriege eine wesentliche Rolle bei der Gründung und dem Selbstverständnis der Liedertafel auch in Leipzig spielten.218 Die Beziehungen zu Körner werfen ein Schlaglicht auf die nationale und freiheitliche Gesinnung der Mitglieder und somit auch auf die Liedertafel selbst. Daher erscheint es durchaus legitim, näher auf die politischen Intentionen des Dichters einzugehen. Den Chronisten der Leipziger Liedertafel Wilhelm Friedrich Kunze verband eine tiefe Freundschaft mit Theodor Körner, der als Dichter der Befreiungskriege seinen Worten im Lützowschen Freikorps Taten folgen ließ. Kunzes Schwester Julie wuchs nach dem Tod der Eltern 1803 mit Theodor Körner im Hause der Familie Körner in Dresden auf und wurde gemeinsam mit ihm erzogen. Als Körner Anfang November 1808 zur Hochzeit von Julie Kunze und Alexander von Einsiedel reiste, lernte er dort ihren Bruder kennen: „Mit Wilhelm Kunze, dem Bruder der Neuvermählten, und dessen Frau Betty [...] verband ihn seitdem eine herzliche Freundschaft, die später auch in schicksalsschweren Stunden sich bewähren sollte.“219 Bei seinem Aufenthalt mit dem Lützowschen Freikorps vom 17.–25. April 1813 wurde Körner auf eigenen Wunsch bei Kunze einquartiert. Dort schrieb er 215 Die Formulierung ging aus einer Unterredung mit Herrn Prof. Dr. Friedhelm Brusniak (Würzburg) hervor. 216 Siehe Gesänge der Liedertafel zu Leipzig, S. 27 f., Nr. 23 und S. 111 f., Nr. 90. 217 So verfasste bspw. Johann Amadeus Wendt „eine charakteristische Beschreibung des jungen Körner als Leipziger Studenten“. Siehe MANGNER: Leipziger Liedertafel, S. 64. – Zu Körner (1791–1813) allgemein siehe JONAS: Theodor Körner; KOHUT: Theodor Körner; MÜLLERBOHN: Theodor Körner; WELDLER-STEINBERG (Hg.): Körners Briefwechsel; BERGER: Theodor Körner und ZÄNGER: Theodor Körner. 218 Der Begriff „Befreiungskriege“ wurde aus ideologischen Gründen in der Restaurationsphase nach 1815 bewusst von konservativer Seite zur Deutung der Kriege als allein gegen Napoleon und dessen Besetzung Europas gerichtete Auseinandersetzung benutzt und durchgesetzt. Dieser Terminus richtete sich gegen die Interpretation der antinapoleonischen Kriege als „Freiheitskriege“ durch liberale und patriotische Kräfte, die über das Ende der Besetzung hinaus die Einigung Deutschlands unter einer gemeinsamen Verfassung anstrebten. Zur Begrifflichkeit siehe BERDING: Problem der Freiheitskriege. 219 BERGER: Theodor Körner, S. 66.

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sein bekanntes Gedicht Lützows wilde Jagd, das eine Sammlung von zwölf Vaterlandsliedern vervollständigte. Jene sollte auf Körners Wunsch von Kunze herausgegeben werden – ein Vorhaben, das aufgrund der kriegerischen Ereignisse erst nach der Völkerschlacht bei Leipzig umgesetzt werden konnte.220 Als Körner bei einem Überfall der Franzosen auf das Freikorps der Lützowschen Jäger am 17. Juni 1813 bei Kitzen verletzt wurde, bewährte sich die Freundschaft zu Kunze aufs Neue. Nachdem sich der Dichter schwer verletzt mithilfe seiner Kameraden nach Großzschocher durchschlagen konnte, rief er durch einen nach Leipzig geschmuggelten Brief Kunze zu Hilfe. Dieser machte „sofort mit aufopfernder Entschlossenheit die nötigen Anstalten, um ihn aus seinem unsicheren Versteck an einen weniger gefährdeten Ort zu bringen“.221 Da sich in Kunzes Haus aber Franzosen einquartiert hatten, zog er den Medizinprofessor und späteren Liedertafler Christian Adolf Wendler heran. Einen Tag später wurde der verwundete Körner in einem Fischerkahn über die Weiße Elster und die Pleiße zum Hintereingang des Hauses von Wendler gebracht. Unter Lebensgefahr – die Franzosen hatten ein Kopfgeld auf Körner ausgesetzt – versteckte der Ordinarius für Staatsarzneikunde an der Medizinischen Fakultät den Freiheitskämpfer auf seinem Gut Kahnsdorf bei Borna. Bis zu seiner vollständigen Genesung pflegten Wendler und seine Familie Körner liebevoll. Anschließend ermöglichte er ihm die Flucht aus Leipzig.222 Die Freundschaft zum und die Hilfe für den Dichter glühender Vaterlandsliebe durch die zwei späteren Gründungsmitglieder der Leipziger Liedertafel lässt erahnen, was unter der Beschreibung der Liedertafler als „in Geist und Gesinnung ächt deutsche Männer“223 zu verstehen ist. Die Sehnsucht nach Freiheit und Einheit war so tief verankert, dass die beiden Männer ihr Leben riskierten, um Körner gesund zu pflegen, damit dieser das gemeinsame Ziel der Befreiung von der napoleonischen Fremdherrschaft besingen und mit erkämpfen konnte. Es dürfte aber nicht nur das primäre Ziel der Befreiung von der fremdländischen Besetzung gewesen sein, was diese Männer miteinander verband. Die Lieder der Befreiungskriege sollten vordergründig die erst langsam aufkeimende Vaterlandsliebe stärken und darüber hinaus die unbedingte Kampf- und Opferbereitschaft mit dem Ziel der Vertreibung Napoleons aus Deutschland wecken. Sie rissen das Volk aus „der völligen Teilnahmslosigkeit gegen die Geschicke 220 Siehe dazu Kunzes eigenen Bericht in: KOHUT: Theodor Körner, S. 235. Die Gedichtsammlung kam im November 1813 unter dem Titel „Zwölf freie deutsche Gedichte“ in Leipzig heraus. Auf dieser Veröffentlichung basiert die von Christian Gottfried Körner (1756–1831) herausgegebene populäre Gedichtsammlung „Leyer und Schwert“, die erstmals 1814 bei Nicolai in Berlin erschien. 221 KOHUT: Theodor Körner, S. 237. 222 Zur Verwundung Körners bei Kitzen bis zum Wiederanschluss an das Freikorps siehe u. a. JONAS: Theodor Körner, S. 720 und ZÄNGER: Theodor Körner, S. 34–38. 223 Siehe dazu Zitat oben S. 121.

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ihres Vaterlandes“.224 Einige Sänger der Befreiungskriege dachten aber über die Erhebung des deutschen Volkes und den herbeigesehnten Sieg über Napoleon hinaus. So antizipierten die meisten unter ihnen die Wiedererrichtung des alten deutschen Kaiserreiches in neuem Glanz. Davon erhofften sie sich ein starkes Deutschland, das nie wieder unter das Joch einer Besetzung geraten kann. Andere wiederum nahmen Friedrich Schiller beim Wort, der, „während andere sich dem Bauche behaglich weihten und feile Saiten zum Kettenrasseln jubelnd darbrachten, von Zwingherrenmord [...] und Freiheitsliebe, von Menschenrechten und Volksherrlichkeit“ sang.225 Sie wollten neben der Freiheit des Staates nach außen auch politische Freiheit im Innern. Zu ihnen zählte auch Theodor Körner. Er war mit einem „begeisternden Sinn für Freiheit und Menschenwürde“ ausgestattet,226 der in der väterlichen Erziehung und der Auseinandersetzung mit dem Werk Schillers wurzelte. Körner hatte zu seinem Vater ein inniges Vertrauensverhältnis, das sich in einem regen Briefverkehr niederschlug, und in dem alle persönlichen und beruflichen Dinge eingehend besprochen wurden.227 Als der Vater von Theodors festem Entschluss erfuhr, als Soldat in den Krieg gegen Napoleon zu ziehen, hielt er ihn nicht davon ab, sondern bestärkte ihn in diesem patriotischen Beschluss. In einem Brief vom 22. März 1813 schrieb er Theodor, „dass wir Beide ganz eines Sinnes sind“.228 Auch in politischer Hinsicht konnten Vater und Sohn sich der Unterstützung des jeweils anderen gewiss sein. So ist anzunehmen, dass der Vater in der 1813 veröffentlichten Flugschrift „Deutschlands Hoffnungen“229 auch Theodors Meinung aussprach. Darin wandte sich Christian Gottfried Körner an die deutschen Kriegsfreiwilligen und schwor sie einerseits auf einen entbehrungsreichen, aber durch Gott gesegneten Kampf für die Freiheit des deutschen Vaterlandes ein. Andererseits führte er aber auch die Möglichkeiten innerer Veränderungen vor Augen, die dann seiner Ansicht nach unumgänglich sein würden:

224 SCHMITZ-MANEY (Hg.): Dichter der Befreiungskriege, S. 3. In der neueren Literatur wird die umfassende Mobilisierung des Nationalbewusstseins als Mythos und Position intellektueller Minderheiten angesehen. Vielmehr spielten bei der Kriegsmotivation der Bevölkerung Loyalität zum jeweiligen Landesherrn, religiöse und ökonomische Beweggründe eine wesentliche Rolle. Siehe dazu PLANERT: Mythos vom Befreiungskrieg, S. 474–477 und S. 655 ff. 225 GERVINUS: Geschichte der deutschen Dichtung 5, S. 753. 226 BERGER: Theodor Körner, S. 272. 227 Siehe dazu WELDLER-STEINBERG (Hg.): Körners Briefwechsel. 228 Siehe KOHUT: Theodor Körner, S. 136. 229 KÖRNER: Deutschlands Hoffnungen. Nach Kohut stellt „diese Flugschrift [...] ein klassisches Zeugnis der politischen Übereinstimmung zwischen Vater und Sohn und der schwärmerischen religiös-weihevollen Erhebung gegen die Fremdherrschaft“ dar. Siehe KOHUT: Theodor Körner, S. 137.

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Bei dem erneuerten Wohlstande des Volkes aber wird es den Fürsten nicht an Kräften fehlen, so manches Bedürfnis des Staates zu befriedigen, wofür wenig oder nichts geschehen konnte, so lange man blos dem Drange des Augenblicks zu folgen genöthigt war. Und welche Aussichten würden sich für jede Gattung von Thätigkeit eröffnen, wenn über mehrere gemeinschaftliche Angelegenheiten, als über Aufhebung der Verbietungsgesetze, die Benutzung der Flüsse, die Gleichheit des Münzfußes und ähnliche Gegenstände ein Einverständnis zu bewirken wäre!230

Hier klingt, wenn auch nicht offen ausgesprochen, der Wunsch nach einer Verfassung und nach einem parlamentarischen Gremium an, in dem solche Angelegenheiten besprochen werden können. Bei den antizipierten Reformen auf wirtschaftlichem Gebiet, die erst mit dem preußisch dominierten Zollverein von 1834 in Gang gesetzt wurden, blieb die Flugschrift aber nicht stehen. Auch die geistige Freiheit in Form des Forschens nach Erkenntnis und des Strebens nach Edlem, Großem und Heiligem sollte nach der Erringung äußerer Freiheit Wirklichkeit werden. Nur dann könne Deutschland auch im Innern zu neuer Stärke finden: Wo diese Vorzüge einheimisch sind, da eröffnen sich die herrlichsten Aussichten, sobald die Freiheit der gegenseitigen Mittheilung nicht mehr beschränkt ist. Ausartungen dieser Freiheit werden zwar nicht zu verhüten sein, aber um die Freiheit im Zaum zu halten, vermag deutsche Sitte mehr als äußerer Zwang.231

Mit der „Freiheit der gegenseitigen Mittheilung“ wird eindeutig Presse- und Meinungsfreiheit gefordert. In ihrer Unterdrückung sieht Christian Gottlieb Körner eine wesentliche Ursache für die innere Schwäche und den fehlenden Patriotismus in Deutschland. Er wendet sich ausdrücklich gegen obrigkeitliche Beschränkung dieser bürgerlichen Freiheitsrechte. Um Auswüchse derselben zu vermeiden, reicht seiner Meinung nach eine auf Vaterlandsliebe und Wahrheitsstreben fußende Gesinnung aus. Körner ist zuversichtlich, dass dieser für Deutschland historisch bedeutende Augenblick Männer hervorbringen wird, „die das Rechte auf rechte Art zu sagen wissen [...]“.232 Damit wirft der Vater des Freiheitsdichters – auch in dessen Namen – den Königen und Fürsten vor, ihrem Volk nicht zu vertrauen und durch Vorenthaltung von Freiheitsrechten einer Entwicklung Deutschlands zu einem starken und einigen Staat im Weg zu stehen. Implizit steht hier auch die Vorhaltung im Raum, dass die Herrschenden aufgrund dieser restriktiven und rückwärtsgewandten Haltung an der napoleonischen Besetzung eine Mitschuld tragen.

230 Zit. n. EBD., S. 139. 231 EBD., S. 139 f. 232 EBD., S. 140.

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Auch Theodor Körner selbst griff die Fürsten wegen ihrer Rolle bei der napoleonischen Fremdherrschaft an. In einem Brief an seinen Freund und späteren Kampfgefährten und Biografen Friedrich Förster233 schrieb er: An die Wiener Freundinnen habe ich den Aufruf unseres Königs geschickt und lege Dir einige Abdrücke zur Verbreitung in Sachsen bei. Müssen nicht alle deutschen Fürsten, die solch’ Evangelium lesen und nicht daran glauben, schamroth werden?234

Körner sah das Verhalten der Fürsten, die sich mit Napoleon verbündeten, als Verrat an. Sie waren in seinen Augen ihrer Aufgabe als für das deutsche Volk verantwortliche Staatenlenker nicht gerecht geworden und hatten versagt. Somit kann auch die alte Gesellschaftsordnung nicht aufrechterhalten werden. Körner pries dafür gegenüber Förster die sozialen Verhältnisse in der Armee: „König und Volk, Staat und Vaterland sind hier in innigster Gemeinschaft verbunden. Das, was man Hof und Hofstaat nennen konnte, giebt es nicht mehr: das ganze Land ist ein Feldlager der Freiheit geworden.“235 Standesunterschiede werden nivelliert, die klare Trennlinie und Aufgabenverteilung zwischen Fürst und Untertan weicht auf. Als Beispiel hierfür führte Körner das für diesen Krieg geschaffene „Eiserne Kreuz“ an: „Der alte Unterschied, wo man dem tapferen Grenadier eine bleierne Münze und dem feigen Hofjunker einen goldenen Stern gab, hat aufgehört.“236 In einer von allen Bevölkerungsschichten getragenen Armee kommt es nicht mehr auf den gesellschaftlichen Stand, sondern allein auf die Leistung an. Körner konnte sich durchaus vorstellen, dies auch auf die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse zu übertragen: „Das ist ein Princip, aus dem eine neue Gestaltung der ganzen bürgerlichen Ordnung hervorgehen kann.“237 Diese zukünftige Gesellschaftsordnung sollte auf voraussetzungsloser Egalität beruhen und das bürgerliche Leistungsprinzip das Vorrecht der Geburt ablösen. Die Voraussetzung für solche politischen Utopien war jedoch die Überwindung der Besetzung, der das volle Augenmerk und die gesamte Tatkraft gewidmet werden

233 Der Theologe und Historiker Friedrich Christoph Förster (1791–1868) trat zusammen mit Körner Mitte März 1813 in das Lützowsche Freikorps ein. Nach den Befreiungskriegen ließ er sich in Berlin nieder, wo er der Berliner jüngeren Liedertafel angehörte. Nach einem Aufsatz mit dem Titel „Über die geschichtliche Entwickelung der Verfassung Preußens“ für Heinrich Ludens Zeitschrift Nemesis im Jahr 1817 wurde Förster vor ein Kriegsgericht gestellt und 1819 aus dem königlichen Dienst entlassen. Zu seinem Leben aus autobiografischer Sicht siehe KLETKE (Hg.): Kunst und Leben. Der autobiografische Bericht endet jedoch kurz vor den Befreiungskriegen. Eine kurzen Lebensabriss bietet FÖRSTER: Förster. Siehe zu Förster auch PETERLEIN: Dichter der Befreiungskriege. 234 Zit. n. KOHUT: Theodor Körner, S. 157. 235 EBD., S. 158. 236 EBD. Das „Eiserne Kreuz“ wurde am 10. März von Friedrich Wilhelm III. gestiftet. Siehe NIPPERDEY: Deutsche Geschichte, S. 83. 237 KOHUT: Theodor Körner, S. 158.

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sollte: „Doch sei jetzt unser Blick nur auf den Feind gerichtet; das andere wird sich hernach schon finden.“238 Politische Ziele der bürgerlichen Teilnehmer an den Befreiungskriegen, die über die Überwindung der französischen Fremdherrschaft hinausgingen, konnten nach dem Sieg über Napoleon nicht Wirklichkeit werden. Die deutsche Einheit geriet durch die Gründung des Deutschen Bundes in weite Ferne, Konstitutionen gab es nur in wenigen Bundesstaaten, und die Karlsbader Beschlüsse erstickten eine sich gerade entwickelnde öffentliche politische Kultur im Keim. Diese uneingelösten Forderungen aus der Zeit der Befreiungskriege, wie die Überwindung der Standesunterschiede, die Presse- und Meinungsfreiheit und die Abschaffung der adligen Vorrechte, die auch von Körner artikuliert wurden, griff neben den Burschenschaften und den Turnern auch die Sängerbewegung deutschlandweit und auch in Leipzig auf.

2.4 Carl Friedrich Zöllner und seine Gesangvereine in Leipzig Wie kaum ein anderer hat der Gesangslehrer, Komponist und Chorleiter Carl Friedrich Zöllner die Entwicklung des Männerchorgesanges in Sachsen und darüber hinaus beeinflusst und maßgeblich mitbestimmt.239 Zwar begründete Zöllner die Tradition des weltlichen Männerchorgesanges in Sachsen nicht, er stellte diesen aber auf eine breitere gesellschaftliche Basis.240 Zöllner öffnete und popularisierte den Männerchorgesang für mittel- und kleinbürgerliche Schichten der Bevölkerung unter folgendem Anspruch: „Die Tonkunst sollte nicht mehr für einen kleinen Kreis Bevorzugter sein, sie sollte in das Volk dringen und Gemeingut aller werden!“241 Carl Friedrich Zöllner Zöllner wurde als Sohn eines Schulrektors 1800 in Mittelhausen (bei Sangerhausen) geboren. Nach dem Besuch von Gymnasien in Eisleben und Eisenach wurde er auf Fürsprache des damaligen Thomaskantors Schicht, der ihn auch in Musiktheorie unterrichtete, 1814 Schüler der Thomasschule in Leipzig. Zöllner nahm an der Leipziger Universität 1819 ein Theologiestudium auf, das er aber 1822 zugunsten der Musik aufgab. Auf Vermittlung Schichts bekam er 1820 eine 238 EBD. 239 Zu Zöllners Leben und Werk siehe HÄNSCH: Zöllner; KÖTZSCHKE: Zöllner und RECTANUS: Zöllner, Sp. 1548 f. 240 Das behauptet Schmidt fälschlicherweise in seiner Hallenser Dissertation von 1962. Siehe SCHMIDT: Männerchorgesang, S. 44. Für Schmidt stellte die Gründung des ersten Zöllnervereins „die Keimzelle der Leipziger und sächsischen Männergesangsvereine“ dar. Siehe EBD., S. 46. 241 Zit. n. SCHMIDT: Musikleben Leipzigs, S. 155.

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Stelle als Gesangslehrer an der Leipziger Ratsfreischule.242 Zwei Jahre später richtete Zöllner mit seinem Freund und Kommilitonen Wilhelm Hemleben ein privates Musikinstitut ein, in dem sonntägliche Gesangsübungen für Mädchen der Ratsfreischule stattfanden. Nach kurzzeitiger kompositorischer Arbeit auf dem Gebiet der Kirchenmusik unter dem Einfluss Schichts wandte sich Zöllner seit der Zeit um 1830 ausschließlich dem Männerchorgesang zu. Die Herausgabe seines Ersten Liederheftes für Männerstimmen Anfang 1833 bei Kistner in Leipzig war die Initialzündung zur Gründung des ersten Zöllnervereins. Weitere Männerchorgründungen in Leipzig folgten. Zöllner war nicht nur Komponist, sondern auch Herausgeber von Männerchorgesängen. So gab er zwischen 1842 und 1853 insgesamt fünf Bände des Orpheus – der ersten und bedeutendsten Sammlung von mehrstimmigen Männerchorliedern in Mitteldeutschland – heraus.243 Neben Friedrich Schneider war Zöllner die führende Persönlichkeit auf dem Gebiet des Männerchorwesens in Mitteldeutschland bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Er war nicht nur als Komponist, sondern auch als geschätzter und gefeierter Dirigent und Organisator von Musik- und Gesangfesten im mitteldeutschen Raum aktiv.244 Seine Kompositionen für den vierstimmigen Männerchor waren meist einfache Strophenlieder. Thematisch umfassten Zöllners Männerchorgesänge neben einem Großteil an gesellig-heiteren Liedern auch weihevollernste, religiöse und vaterländisch-nationale Inhalte. Männergesangvereine unter Zöllners Leitung Von den Männergesangvereinen, die Zöllner leitete, sind kaum zeitgenössische und somit auch keine Vereinsunterlagen überliefert. Einen intimen Einblick in das Leben und Werk des Leipziger Männerchorkomponisten sowie in das Vereinsleben liefern zeitgenössische Berichte seines Freundes Johann August Schumann.245 Schumann, der unter dem Thomaskantor Christian Theodor Weinlig ausgebildet 242 Zu Zöllner als Gesangslehrer an der Ratsfreischule siehe HÄNSCH: Zöllner, S. 46–56. 243 HÄNSCH: Zöllner, S. 84. Insgesamt kam es seit Mitte der 1830er Jahre zur Herausgabe von 485 Kompositionen verschiedener Komponisten. Diese Sammlung wurde über Mitteldeutschland hinaus bekannt und geschätzt und entwickelte sich über einen Zeitraum von 15 Jahren zu einem „Spiegelbild der verfügbaren Literatur“. Siehe SCHMIDT: Männerchorgesang, S. 123. 244 Die große Wertschätzung des Komponisten, die weit über den mitteldeutschen Raum hinausreichte, lässt sich anhand von 23 Ehrendiplomen, so u. a. durch die Gesangvereine in Würzburg und Heidelberg (1843), Mainz (1847) und Wien (1849) ablesen. Siehe dazu SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, Bl. 17r–21v. Darin befindet sich eine heterogene Seitennummerierung. Bis Bl. 145v existiert ein Folio-Format. Dann schließt sich eine Seitenzählung an, die durch diverse handschriftliche Nachträge in sich nicht mehr konsistent ist. 245 An erster Stelle steht das Manuskript SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen. Daneben existiert u. a. auch eine Sammlung von Materialien unterschiedlichster Art (Nachrufe, Briefe, Programme) aus seinem Leben (UB Leipzig, Rep. III. 15l).

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wurde, trat am 1. April 1836 in den Zöllnerverein ein und wurde dort zum „langjährigen und vertrautesten Freund Zöllners“.246 Nach dem Tode Zöllners übernahm er die Leitung des wiedervereinigten Zöllnervereins. Der Erste Zöllnerverein konstituierte sich am 17. März 1833, zugleich an seinem 33. Geburtstag, in Zöllners Wohnung. Dieser Tag war seitdem der Stiftungstag, der jährlich feierlich bei Zöllner begangen wurde. Seitdem komponierte Zöllner fast ausschließlich Gesänge für Männerchor. Bald schon gehörte der Erste Zöllnerverein zu den leistungskräftigsten Männerchören der Messestadt, was nicht zuletzt Zöllners musikpädagogischen Fähigkeiten zu verdanken war. Für diesen Männerchor schuf der Komponist die Müllerlieder und Die Zigeuner, die in Leipzig schnell sehr beliebt wurden und auch überregionale Verbreitung gefunden haben.247 Im Jahr 1837 hatte der Erste Zöllnerverein 20 Mitglieder.248 Drei Jahre später konstituierte sich, unabhängig von der ersten Vereinigung, der Zweite Zöllnerverein. In dessen Statuten wurde erst eine Teilnehmerzahl von zwölf, später dann von 16 Mitgliedern festgelegt.249 Dieser Männerchor beteiligte sich an allen größeren Aufführungen der älteren Brudervereinigung. Am 17. März 1851 wurde auf einer Versammlung beschlossen, die beiden bestehenden Zöllnervereine zu vereinigen. Der zusammengeschlossene Männergesangverein trug danach den Namen Älterer Zöllnerverein und wies zu diesem Zeitpunkt 29 Mitglieder auf. Am 21. Februar 1845 wurde Zöllner seinem Anspruch, den Männerchorgesang auch in den unteren Schichten des Volkes zu verankern, durch die Gründung des Gesellen-Gesangvereins gerecht.250 Dieser Verein, der zu seinem ersten Stiftungsfest 1846 44 Mitglieder hatte, beheimatete ausschließlich Schumachergesellen. Die Gründung des Gesellen-Gesangvereins verschaffte Zöllner einen großen Popularitätsschub, sodass ihm die Leitung des Chors des Fortbildungsvereins für Kunst- und Gewerbegehilfen angetragen wurde. Seit April 1848 leitete er dann den in der Zweiten Abteilung des Kunst- und Gewerbevereins integrierten Chorverein.251 Daraus entwickelte sich 1854 der Zöllner’sche Mittwochs-Verein, der sich wiederum nach Zöllners Tod mit zwei anderen, noch aktiven Zöllnervereinen – dem Gesellen-Gesangverein und dem Jüngsten Zöllnerverein – im Oktober 1860 zu einem gemeinsamen Zöllnerverein verband.252

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SENFF: Führer durch die musikalische Welt, S. 69. Des Müllers Lust und Leid und Die Zigeuner. HÄNSCH: Zöllner, S. 67. SENFF: Führer durch die musikalische Welt, S. 67. Siehe SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, S. 202. Siehe HÄNSCH: Zöllner, S. 69. Siehe EITNER: Zöllner, S. 429 und SENFF: Führer durch die musikalische Welt, S. 69.

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Ein weiterer, von Zöllner geleiteter Gesangverein war der Künstler-Verein, der nach seinen Statuten 1851 24 Mitglieder aufwies und nach starkem Rückgang 1857 im wiedervereinigten Zöllnerverein aufging.253 Die letzte Chorleitung, die Zöllner übernahm, war die einer Vereinigung von ehemaligen Ratsfreischülern. Nach der ersten Übungsstunde am 1. November 1856 konstituierte sich dieser Männerchor im Februar 1857 mit 18 Mitgliedern als Jüngster Zöllnerverein. Das vierte und letzte Stiftungsfest wurde am 31. Oktober 1860 gefeiert.254 Seit seiner Teilnahme am 3. sächsischen Männergesangfest in Meißen 1844 strebte Zöllner eine Sängervereinigung verschiedener Gesangvereine in Leipzig an.255 Zwar gab es am 9. November 1846 ein gemeinsames Konzert der beiden Zöllnervereine mit drei weiteren Leipziger Gesangvereinen.256 Es dauerte aber danach noch 13 Jahre, bis dieses Vorhaben unter seiner Leitung umgesetzt werden konnte. Im August 1859 dirigierte Zöllner im Leipziger Tivoli erstmals 20 Leipziger Männergesangvereine. Weitere Auftritte folgten am 10. November 1859 zur Feier von Schillers 100. Geburtstag und zum großen Arndt-Konzert am 28. Juni 1860.257 Nach Zöllners Tod am 25. September 1860 wurde beschlossen, diese Vereinigung unter Zöllners Namen verbindlich zusammenzuführen. Nach der Erstellung der Statuten und der polizeilichen Genehmigung konnte sich am 14. Juli 1861 der Zöllnerbund mit 338 offiziellen Mitgliedern konstituieren.258 Politische Bezüge in Zöllners Gesangvereinen Von den einzelnen Zöllnervereinen haben sich keine Liederbücher und Protokolle erhalten, die Aufschluss über die gesungenen Lieder, die jeweilige Vereinstätigkeit und die politische Gesinnung Auskunft geben könnten. Diesbezügliche Informationen liefert fast ausschließlich das von Johann August Schumann verfasste Manuskript über Zöllners Leben und Wirken, in dem persönliche Aufzeichnungen, verschiedene Briefe und Zeugnisse unterschiedlichster Art zusammengetragen wurden.259 Daneben enthält noch die Biografie von Rudolf Hänsch 253 Siehe HÄNSCH: Zöllner, S. 68. 254 EBD., S. 71. 255 SENFF: Führer durch die musikalische Welt, S. 70. In Meißen war es laut Schumann „der erste Weg, Louise Otto aufzusuchen“ um der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin „ein Ständchen zu bringen.“ Zit. n. SCHMIDT: Männerchorgesang, S. 71. Louise Otto-Peters (1819–1895) gilt als Mutter der deutschen Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts und begründete 1849 mit der Frauen-Zeitung die erste Zeitschrift der deutschen Frauenbewegung. Darin verfocht sie u. a die Beseitigung der rechtlichen Überordnung des Mannes und von Hürden für die weibliche Berufstätigkeit. Zu Peters siehe NAGELSCHMIDT (Hg.): Louise Otto-Peters. 256 Daran nahmen die Universitäts-Sängerschaft St. Pauli, der Männerchor Philharmonie und der Zittauer Sängerverein teil. Siehe SCHMIDT: Männerchorgesang, S. 50. 257 HÄNSCH: Zöllner, S. 71. 258 Zum Zöllnerbund siehe SENFF: Führer durch die musikalische Welt, S. 70 ff. 259 SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen.

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Informationen über das Vereinsleben, wobei sich der Autor wiederum meist in seinen Ausführungen auf Schumanns Aufzeichnungen bezogen hat. Mit dem Lied Die deutschen Bundesstaaten (siehe dazu unten Abb. 9, S. 150), das eminent politische Bezüge zur Zeit des Vormärzes aufweist, schuf Zöllner seinen wohl bekanntesten und verbreitetsten politischen Männerchorgesang.260 Der Gesang spielte deutlich auf die Zersplitterung Deutschlands in 39 Bundesstaaten an und erklang am 3. Juli 1847 bei der Versammlung der Zöllnervereine im Leipziger Tivoli erstmals öffentlich. Er wurde „mit dem durch die Rücksicht auf die Censur gebotene[n] veränderte[n] Schluß bereits von gedruckten, aber noch nicht durch das Feuer der Censur gegangenen Exemplaren gesungen“.261 Die Zensoren erkannten also schnell die inhaltliche Brisanz dieses Liedes. Auf dem Titelblatt findet sich unter dem Titel der Zusatz „Cantus memorialis“. Der Gesang sollte demnach ausdrücklich noch einmal die Zersplitterung Deutschlands verdeutlichen. Nach einem eröffnenden Teil im Andante maestoso, in dem gefragt wird, wie das deutsche Vaterland heißt, folgt ab Takt 17 die Aufzählung aller 1847 bestehender deutscher Bundesstaaten nach jeweiliger Landesgröße. Am Anfang des ersten Abschnitts stehen daher Österreich und Preußen, am Schluss hingegen die beiden Mecklenburger Großherzogtümer. Im zweiten Abschnitt werden die thüringischen und anhaltischen Kleinstaaten, das Großherzogtum Oldenburg sowie das Herzogtum Holstein aufgelistet. Dann folgen die kleinsten Territorien, unter anderem die Herzogtümer Braunschweig und Schaumburg-Lippe. Am Schluss der Aufzählung stehen die freien Städte Frankfurt/M., Bremen, Hamburg und Lübeck. Wie auch beim überaus populären Arndt’schen Was ist des Deutschen Vaterland von Gustav Reichardt von 1813 steht die Frage am Anfang, woraus das deutsche Vaterland besteht. Während bei Arndt der gesamte deutschsprachige Raum („Soweit die deutsche Zunge klingt“, Str. 5) ein geeintes Vaterland bilden sollte, zählt Zöllner nur alle zum Deutschen Bund gehörigen Bundesstaaten einzeln auf. Das geht so weit, dass auch der kurhessische Mitregent Friedrich Wilhelm I. Erwähnung findet:262 „Zusammen neununddreißig Bundesstaaten / Regiert von Vierzig Potentaten, / denn in Kassel ist ein Mitregent, / der sich nennt: Kurprinz 260 Die Komposition wurde 1847 bei Stoll in Leipzig gedruckt. Ein Exemplar befindet sich in VMP, Musiksammlung, SM 3.20 und wurde wahrscheinlich von den dortigen Gesangvereinen gesungen. 261 SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, S. 211. Mit der angesprochenen Veränderung am Schluss ist wahrscheinlich die Annotation „Osterferien 1847“ zu verstehen, die sich auf das vorletzte Wort „Ferien“ bezieht. Siehe dazu unten, S. 148. 262 Kurprinz Friedrich Wilhelm I. von Hessen-Kassel (1802–1875) wurde am 30. September 1831 von seinem Vater, dem Kurfürsten Wilhelm II., zum Mitregenten ernannt. Von 1847 bis zur preußischen Okkupation Kurhessens 1866 war er Kurfürst von Hessen. De facto übte er jedoch schon vorher die Amtsgeschäfte aus. Zu Friedrich Wilhelm I. siehe WIPPERMANN: Friedrich Wilhelm I.

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Friedrich Wilhelm.“263 Zusammen mit dem Zusatz „könnten etwas / noch größer sein“ (T. 64f.) und der jeweiligen Wiederholung der in drei Blöcke aufgeteilten Fürstentümer führte Zöllner so die Zersplitterung Deutschlands in kleinste Bestandteile plastisch vor Augen und so seine Kritik daran auf die Spitze. Die Erwähnung von Friedrich Wilhelms I. stellt auch eine indirekte Anspielung auf den Verfassungsstreit in Hessen-Kassel dar.264 Mit quasipädagogischem Impetus fordert ein Solist (Bass 2) im einleitenden Teil (Andante maestoso, T. 1–14) nach der Eingangsfrage („Wie heißt das deutsche Vaterland?“, T. 1f.) die Aufmerksamkeit des Auditoriums ein: „Soll ich sie nennen? wollt ihr sie kennen? / Nun wohlan! / So hört und merkt die deutschen Bundesstaaten“ (T. 7–16), was durch einen Akzent auf „merkt“ (T. 15) noch verstärkt wird. Der wiederholte Einsatz des Bass-Solisten in Takt 66f. („Merket noch die freien Städte“) macht ironisch darauf aufmerksam, dass sich niemand so viele Staatengebilde merken kann, und diese zudem auch überflüssig sind. Zwar wird in diesem Lied der Wunsch nach einem einheitlichen Staat auf deutschem Boden nicht direkt ausgesprochen. Er schwingt jedoch mehr als deutlich mit. Am Schluss des Gesanges geht es um Frankfurt/M. als Sitz des Deutschen Bundes: „Und Frankfurt heißt die freie Stadt, / worin der Bund jetzt Ferien hat.“ (T. 108–115) Das Wort „Ferien“ wird in einer Anmerkung mit „Osterferien 1847“ näher erläutert. In Wirklichkeit stellt diese Annotation eine Reaktion auf die Zensur dar. Dass mit „Ferien“ in Bezug auf den Deutschen Bund gemeint sei, dass dieser seinen wirklichen Aufgaben nicht nachkomme, war dem Zensor wohl bewusst. Eine wesentliche Aufgabe des Deutschen Bundes lag nach Zöllner in erster Linie darin, die aberwitzige Zersplitterung Deutschlands aufzuheben und einen einheitlichen deutschen Staates herzustellen. Weiterhin dürfte sich der Vorwurf der Untätigkeit des Bundes nicht zuletzt auf die fehlende Gewährung von politischer Mitbestimmung und bürgerlichen Rechten bezogen haben. Die Komposition Zöllners traf bei den Zeitgenossen auf sehr fruchtbaren Boden. Auch wenn sich die Anzahl der deutschen Staaten im Laufe der Zeit verringerte, „so behielt doch die frei sarkastische Composition ihr Interesse und ward von den Sängern gern gesungen, vom Publikum gern gehört, namentlich in der vormärzlichen Zeit“.265 So erklang dieser Gesang auf einem vom Schauspieler 263 Die deutschen Bundesstaaten, S. 3 (T. 81–103). 264 Mit der Einführung der damals liberalsten deutschen Verfassung im Jahr 1831 kam es zur einer langwierigen Auseinandersetzung zwischen dem Prinzregenten und späteren Kurfürsten und dem reaktionären Innen- und Justizminister Ludwig Hassenflug (1794–1862) auf der einen und den mehrheitlich liberal gesinnten Landständen auf der anderen Seite. Während der Prinzregent und spätere Kurfürst sowie Hassenflug mit allen Mitteln versuchten, die Verfassung auszuhebeln, ging es den Landständen um den Ausbau der liberalen Errungenschaften. Zum kurhessischen Verfassungsstreit siehe PFEIFFER: Verfassungsstreit in Kurhessen und KOCHHEIM: Verfassungsstreit. 265 Siehe SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, S. 211. Auch andere Leipziger Männergesangvereine nahmen die Bundesstaaten in ihr Repertoire auf, wie z. B. der Odeon, der den

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Berthold gegebenen Konzert am 13. November 1847 und bei einem Abendessen der Gesellschaft „Erholung“ am 12. Dezember 1847, wobei er jeweils „einen stürmischen Applaus hervorrief“.266 Einen weiteren Hinweis auf die freiheitliche Gesinnung Zöllners und in seinen Gesangvereinen gibt der Gesangabend eines Zöllnervereins Ende Januar 1846 bei der Familie des Historikers Ernst Wilhelm Gottlieb Wachsmuth.267 Dieser Versammlung wohnten unterschiedliche liberale Intellektuelle und Politiker bei. Unter ihnen befand sich auch der Jurist und Staatsrechtler Wilhelm Eduard Albrecht.268 Er war einer der „Göttinger Sieben“, die gegen die Aufhebung des Staatsgrundgesetzes von 1833 am 18. November 1837 öffentlich protestierten.269

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Gesang am 15. Dezember 1847 bei einem Kränzchen im Saal der Europäischen Börsenhalle in der Katharinenstraße aufführte. Siehe REUSCHE/HARTUNG (Hg.): Leipziger Liedertafel, S. 14. Auch in Dresden erklangen Die Bundesstaaten mehrmals, so am 29. November 1847 bei einem Konzert des Dresdner Orpheus im Saal des Hôtel de Pologne (MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 71) und beim Konzert des Dresdner Turngesangvereins und des Odeon am 11. April 1848 „zum Besten der Bewaffnung der hiesigen Turner-Freischar“ in der großen Wirtschaft des „Großen Gartens“ (Dresdner Anzeiger, Nr. 126, 11. April 1848, S. 2). Wie viele andere Kompositionen Zöllners wurde dieser Gesang auch bei verschiedenen deutschen Gesangfesten und Konzerten gesungen, wie z. B. beim Gesangfest in Leisnig am 25. August 1847 (siehe Teutonia, Nr. 20, 1847, S. 319) und bei Konzerten des Chemnitzer Bürgergesangvereins am 12. September 1847 in Chemnitz und am 17. Oktober 1847 in Mittweida (siehe Teutonia, Nr. 21, 1847, S. 424 f.). SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, S. 211. Beim erwähnten Schauspieler Berthold handelt es sich wahrscheinlich um den Bassbuffo Gotthelf Leberecht Berthold (1796–1851), der 1882–1847 dem Ensemble des Leipziger Opernhauses angehörte. Dort machte er sich als Interpret mehrerer Lortzing-Opern einen Namen, in deren Uraufführungen er mehrere große Buffo-Partien sang. Neben seiner Tätigkeit als Opernsänger war er zeitlebens auch als Schauspieler aktiv. Zu Berthold siehe Großes Sängerlexikon 1, S. 381. SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, S. 207. Einen genauen Termin gibt Schumann nicht an. Wachsmuth (1784–1866) wurde 1825 als Professor für Geschichte an die Universität Leipzig berufen und begründete dort die „Leipziger Forschungen zur Weltgeschichte und bürgerlichen Revolutionsgeschichte“. Zu Wachsmuth siehe VON WEGELE: Wachsmuth. – Der Name Wachsmuth taucht in einer Akte über politisch verdächtige Personen auf, welche die preußische Regierung herausgab. Unter der Nr. 35 wird er im Zusammenhang mit zum Tode verurteilten und dann wieder begnadigten Studenten genannt, die Mitglieder des „Jungen Deutschlands“ waren. Siehe SCHMIDT: Männerchorgesang, S. 80, Anm. 204. Albrecht (1800–1876) arbeitete nach seiner Amtsenthebung in Hannover als Privatdozent in Leipzig, wo er 1840 zum Professor der Rechte und zum Hofrat ernannt wurde. Im Revolutionsjahr 1848 war Albrecht Teilnehmer am Vorparlament, Delegierter im Siebzehnerausschuss und vom 18. Mai bis 17. August 1848 Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. Zu Albrecht siehe BORSDORFF: Albrecht. Zu den „Göttinger Sieben“ gehörten neben Albrecht der Literaturhistoriker Georg Gottfried Gervinus (1805–1871), der Historiker Christoph Dahlmann (1785–1860), die Brüder Jacob (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859), der Orientalist und Theologe Heinrich Ewald (1803–1875) und der Physiker Wilhelm Eduard Weber (1804–1891). Zur Protestation und zu den „Göttinger Sieben“ siehe SAAGE-MAAß: Göttinger Sieben und SEE: Göttinger Sieben.

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Abb. 9: Die deutschen Bundesstaaten von Carl Friedrich Zöllner

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Nach Albrechts Meinung durfte die Verfassung nicht einseitig vom Monarchen aufgehoben werden, ohne die Ständeversammlung vorher zu konsultieren. Das Recht beziehungsweise die Pflicht zur Verteidigung der Verfassung leitete der Staatsrechtler vom Beamteneid, der auf die Verfassung und nicht auf den König geleistet wurde, ab.270 Des Weiteren war nach dem Bericht Schumanns der Schriftsteller Gustav Kühne anwesend.271 Er gehörte der literarischen Bewegung „Junges Deutschland“ an, die am 10. Dezember 1835 durch den Frankfurter Bundestag verboten wurde.272 Die politischen Vorstellungen der Jungdeutschen, die auch Kühne vertrat, orientierten sich an den liberalen Zielen des Vormärzes, wie der Verfassung, der Pressefreiheit und der staatlichen Einheit. Der Gesellschaft des Gesangabends bei Professor Wachsmuth gehörte auch der Rechtswissenschaftler und Politiker Ludwig von der Pfordten an. Der Hofrat und Universitätsrektor gehörte zu den führenden Persönlichkeiten der sächsischen Liberalen.273 Er war Verfasser einer Petition der Universität, durch welche die im März 1848 gestellten Forderungen der Stadt Leipzig kräftig unterstützt wurden. Darin mahnte von der Pfordten Reformen auf den Gebieten der Verwaltung, der Presse, der Rechtspflege sowie die Regeneration des Deutschen Bundes an.274 Auch von der Pfordtens Teilnahme an der kirchlichen Totenfeier für Robert Blum am 19. November 1848 in der Dresdner Frauenkirche offenbarte 270 SAAGE-MAAß: Göttinger Sieben, S. 28. 271 SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, S. 207. Bei Schumann findet sich der Name „Kühn“, wobei es sich wahrscheinlich um einen Schreibfehler handelt. Kühne (1806–1888) lernte in Berlin den späteren „jungdeutschen“ Schriftsteller und Journalisten Theodor Mundt (1808–1861) kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Von 1835 bis 1856 lebte er als Herausgeber und Schriftsteller in Leipzig. Als sein erster Roman (Quarantäne im Irrenhaus, 1835) erschien, in dem unter der Maske eines Irren liberale Ansichten vertreten wurden, zählte Kühne zum weiteren Kreis des „Jungen Deutschlands“. Daraufhin gerieten seine Werke in den Bann der Zensur. Zu Kühne siehe WOLF: Gustav Kühne. 272 Der Name der Bewegung spiegelt die Aufbruchsstimmung nach der Julirevolution von 1830 wider. Im Verbotsbeschluss von 1835 wurde die lose Gruppierung als literarische Schule bezeichnet. Ihr gehörten u. a. Ludwig Börne (1786–1837), Karl Gutzkow (1811-1878), Heinrich Laube (1806–1884), und Theodor Mundt an. Gegen die klassisch-romantische Literaturepoche stellten die Vertreter des „Jungen Deutschlands“ die Forderung nach einer emanzipatorischen Literatur der Einmischung, die sich kritisch-reflektierend mit allen Belangen der Gegenwart auseinander setzen und kraft ihrer philosophischen, religiösen und politischen Ideen zu gesellschaftlichen Veränderungen beitragen sollte. Zum „Jungen Deutschland“ siehe WITTE (Hg.): Vormärz. 273 Der Jurist Ludwig Karl Heinrich Freiherr von der Pfordten (1811–1880) wurde im Jahr 1843 von der Leipziger Universität zum Rechtsprofessor berufen, deren Rektorat er 1845 übernahm. Nach seinem Ministeramt im sächsischen Gesamtministerium von März 1848 bis Februar 1849 wurde er im April 1849 Außenminister und im Dezember desselben Jahres auch Vorsitzender im Ministerrat in Bayern. Zu von der Pfordten, der einer der Vorkämpfer der Trias-Politik war, siehe WIPPERMANN: Pfordten und SCHMIERER: Pfordten. 274 REICHEL: Robert Blum, S. 76.

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seine liberale Gesinnung.275 Im April 1848 sorgte er für die Umsetzung der öffentlichen liberalen Forderung nach der Bildung einer Kommunalgarde in jeder Gemeinde als Vorbereitung einer allgemeinen Volksbewaffnung. In der deutschen Frage wandte sich von der Pfordten gegen die in der Nationalversammlung aufgetretene Meinung, dass die deutsche Verfassung in allen Einzelstaaten zur Ratifizierung vorgelegt werden müsse.276 Als letzter bekannter liberaler Zeitgenosse findet der Schriftsteller Berthold Auerbach bei Schumann Erwähnung. Der engagierte Verfechter jüdischer Gleichberechtigung wurde aufgrund der Mitgliedschaft in einer verbotenen Burschenschaft 1834 verhaftet und 1836 wegen staatsfeindlicher Umtriebe zu zwei Monaten Festungshaft verurteilt.277 Im Jahr 1838 fand er in Frankfurt/M. Aufnahme in die Freimaurerloge „Zur aufgehenden Morgenröte“. Auerbach hatte Umgang mit Karl Gutzkow, Karl Marx und Ferdinand Freiligrath, mit dem ihn eine „warme dauernde Kameradschaft verband“.278 Auch zur Sängerbewegung unterhielt Auerbach enge Beziehungen.279 In diesem liberalen Kreis fühlten sich Zöllner und die singenden Vereinsmitglieder sehr wohl, wie Schumann konstatierte: „Die Unterhaltung war eine sehr interessante und gemüthliche […]. Wir sangen sehr fleißig und fanden allseitige Anerkennung.“280 Bei der angesprochenen Unterhaltung dürften, bedingt durch die Anwesenheit der angeführten liberalen Zeitgenossen, auch politische Themen im Vordergrund gestanden haben. Wie andere Gesangvereine wurden auch die Zöllnervereine in der Revolution 1848/49 von einer starken Politisierung erfasst, die das Vereinsleben beeinträchtigen. Bei den Zöllnervereinen ist dieser Umstand jedoch nicht überaschend, da ihre Vereinstätigkeit „stets von echt liberaler Gesinnung erfüllt war“.281 Laut Schumann „überflügelte [die Politik] die Musik und im schwachbesuchten Vereine wurde über die damals sich drängenden Ereignisse politisirt [...]“.282 Das 275 Von der Pfordten schickte sofort, nachdem ihm Blums Verhaftung bekannt wurde, seinen Gesandten Julius von Könneritz (1792–1866) nach Wien, um eine Freilassung aufgrund Blums Immunität als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung zu erreichen. Siehe REICHEL: Robert Blum, S. 171. 276 WIPPERMANN: Pfordten, S. 696. 277 Die Strafe von zwei Monaten Festungshaft verbüßte Auerbach (1812–1882) auf der Festung Hohenasperg, wo 50 Jahre zuvor Christian Friedrich Daniel Schubart (1739–1791) wegen scharfer sozialkritischer Schriften eingekerkert worden war. Nach seiner Entlassung im März 1837 blieb Auerbach als Vorbestrafter der Weg ins Rabbinat verschlossen, sodass er sich notgedrungen der Schriftstellerei zuwandte. Zu Auerbach siehe SARNECKI: Erfolgreich gescheitert. 278 EBD., S. 414. Zu Freiligrath siehe unten S. 307 f. 279 Auerbach war u. a. Ehrenmitglied der Dresdner Liedertafel und berichtete vom deutschen Sängerfest in Frankfurt/M. 1838 (Sängerfest zu Frankfurt a. M.). 280 SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, S. 207. 281 HÄNSCH: Zöllner, S. 90. 282 SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, Bl. 142v.

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zeigte sich z. B. an einem Geschenk der Sänger für ihren Chorleiter zu dessen 48. Geburtstag am 17. März 1848 – ein Hut mit einem schwarz-rot-goldenen Band.283 Dieser Hut symbolisierte die in Zöllners Chören herrschende freiheitliche und die nationale Einigung ersehnende Gesinnung. Im Zuge der sich in ganz Deutschland ausbreitenden Märzrevolution schien die Umsetzung politischer Vorstellungen von Zöllner und seinen Sängern in greifbare Nähe zu rücken. So bildeten sich in den meisten der deutschen Klein- und Mittelstaaten unter dem Druck der Straße liberale Märzministerien. Das Frankfurter Vorparlament stand kurz vor seiner Konstitution. In Sachsen selbst kursierte zur Zeit von Zöllners Geburtstag die überall plakatierte Bekanntmachung „An das sächsische Volk“, welche von der neuen Regierung unter Karl Braun sofort nach ihrer Einsetzung am 16. März 1848 in Umlauf gebracht wurde.284 Darin sind Hauptgrundsätze und Maßregeln enthalten, über die sich die neue Regierung mit Zustimmung des sächsischen Königs geeinigt hatte. Sie enthalten wesentliche bürgerliche Freiheitsforderungen: Beeidigung des Militairs auf die Verfassung. Aufhebung der Censur für immer. Ein Preßgesetz ohne das System der Concessionen und Cautionen. Reform der Rechtspflege auf Grundlage der Mündlichkeit und Oeffentlichkeit; in Strafsachen Geschwornengericht. Reform des Wahlrechts. Anerkennung des Vereinsrechtes mit Repressivbestimmungen wegen Missbrauchs. Gesetzliche Ordnung der kirchlichen Verhältnisse im Geiste der Dudlung und Parität. […] Kräftige Mitwirkung zu zeitgemäßer Gestaltung des deutschen Bundes mit Vertretung des Volkes bei demselben.285

Nach Schumann löste diese öffentliche Bekanntmachung eine „frohe Stimmung […] auf Zöllners Stube“ aus, sodass die Vereinsmitglieder sogleich „eine Adresse unterzeichneten, und […] Zöllner einmal über das andere seine Freude über die Auszeichnung äußerte, die seinem 48. Geburtstage durch politische richtige Thatsache zu Theil werde“.286 Die Proklamation der Märzregierung stellte für Zöllner wohl eines seiner schönsten Geburtstagsgeschenke dar – lang gehegte liberale Hoffnungen standen kurz vor der politischen Umsetzung. So ist es nur folgerichtig, dass die Zöllnervereine in ihrer politischen Euphorie singend an der Gedächtnisfeier anlässlich der Eröffnung des Frankfurter Parlamentes am 20. Mai 1848 im Tivoli teilnahmen. Sie konnten sich laut Schumann einfach „der Aufforderung“ zur aktiven Teilnahme „nicht entziehen“.287

283 HÄNSCH: Zöllner, S. 90 und SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, S. 216. 284 Siehe FLATHE: Braun, S. 269. 285 Der Aufruf ist abgedruckt in: LUDWIG/NEEMANN: Revolution in Sachsen, S. 71. Siehe dazu auch Leipziger Zeitung, Nr. 78, 18. März 1848. Zweite außerordentliche Beilage und Dresdner Anzeiger, Nr. 102, 18. März 1848, S. 1. 286 SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, S. 216. 287 EBD.

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Als Zöllner am 18. März 1849 seinen 49. Geburtstag feierte, erklang ein weiteres, von August Schumann komponiertes revolutionäres Lied. Darin heißt es in der ersten Strophe: Auf, jagt sie von dannen, Despoten, Tyrannen! Verbannet die Throne und brecht entzwei, den Scepter, die Krone, und werdet frei, und gründet ein Reich, wo alles gleich!288

Hier wird radikaldemokratisch eine Republik mit gleichen Rechten für alle Bürger ohne Monarchie proklamiert. Scheinbar ist noch nichts von der revolutionären Aufbruchsstimmung vom März 1848 verlorengegangen, die auch die Zöllnervereine erfasste und begeisterte. Aber in der letzten Strophe bricht sich jedoch die zunehmende Enttäuschung über den realen Verlauf der Revolution Bahn, über deren Umsetzung sich im Frankfurter Parlament immer mehr Parteien und Gruppierungen zunehmend unversöhnlich zerstritten. Der scheinbar endlosen öffentlichen politischen Debatten überdrüssig, favorisiert der Textdichter den Rückzug ins harmonische Vereinsleben, wo unter der Leitung Zöllners anscheinend demokratische Vorstellungen in nuce eher umzusetzen sind: Doch wo ein Herz, ein edles schlägt, Das Kraft und Muth im Innern trägt, Da lasset uns weilen, den Helden umringen, Uns sonnen an seinem Feuerblick; Da lasset das Lied der Freiheit erklingen Und feiern die kleine Republik, Wo Eintracht und Liebe die Herzen regiert, Weil unser Zöllner präsidirt, Wo Lieb und Freundschaft rufen aus: Es blüh des Präsidenten Haus!289

Von einer politischen Kapitulation und einem völligen Rückzug in die biedermeierliche Idylle des harmlosen Vereinslebens konnte bei den Sängern um Carl Friedrich Zöllner aber nicht die Rede sein. Davon zeugt das Spottlied Wrangelmarsch, welches Zöllner als Reaktion auf den Einfall der preußischen Truppen in Sachsen unter General Friedrich Graf von Wrangel im Spätsommer 1849 komponierte.290 Darin geißelte Zöllner das rücksichtslose und konterrevolutionäre

288 EBD., S. 217. 289 EBD. 290 SCHMIDT: Männerchorgesang, S. 82. Nach Schumann ließ Zöllner beim Singen dieses Liedes die Sprengung einer „stürmischen Versammlung der Communisten und Republikaner, der Socialisten und Demokraten“ durch General von Wrangel von den Sängern darstellen. Siehe SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, S. 215. – Zu Wrangel siehe VON POTEN: Wrangel. Wrangel war es auch, der am 5. Mai 1849 „das Füsilier- und 1. Grenadier-Bataillon des

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Vorgehen des preußischen Militärs unter General von Wrangel während der Revolution 1848/49. Auch noch in späteren Jahren wurde dieses Lied von den Zöllnervereinen gesungen. Natürlich kamen Zöllner und seine Zöllnervereine nicht an der politischen Realität vorbei. In dem Lied Wo ist die Freiheit blieben, mein armes Vaterland? kommen die Enttäuschung des Männerchorkomponisten über die niedergeschlagene Revolution und die sich nun durchsetzende Reaktion deutlich zum Ausdruck. So heißt es darin unter anderem: Wo ist die Freiheit blieben, Mein armes Vaterland, Die flammend dir geschrieben In tiefster Seele stand? Wo weht dein Reichspanier, So kühn errungen? Wo wird dein Schwarzrotgold Noch frei geschwungen?291

Die hier gestellten rhetorischen Fragen spiegeln die Resignation angesichts der endgültig gescheiterten Revolution. Alle dabei errungenen bürgerlichen Freiheitsrechte sind größtenteils wieder rückgängig gemacht worden. Daher bleibt den enttäuschten Sängern nichts anderes übrig, als das Schicksal der deutschen Nation allein in Gottes Hand zu legen: O Vaterland! O Vaterland! O du, mein Vaterland, Mein theures Vaterland! Mit seiner starken Hand Beschütze dich der Herr.292

2.5 Die Leipziger Liedertafel von 1842 Ein weiterer Leipziger Männergesangverein, der oppositionelles Gedankengut pflegte und auch öffentlich machte, war die seit 1848 offiziell unter dem Namen Leipziger Liedertafel fungierende Vereinigung, deren Anfänge im Jahr 1842 Kaiser Alexander Grenadierregiments zum Marsche nach Dresden“ in Gang setzen ließ. Siehe VON MONTBÉ: Maiaufstand in Dresden, S. 88. 291 SCHMIDT: Männerchorgesang, S. 82. 292 Siehe SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, S. 215. Aber noch zwei Jahre später am 17. März 1851, wieder zum Geburtstag Zöllners, war die demokratische Gesinnung in den Zöllnervereinen ungebrochen, wie ein sarkastisches Heldengedicht mit überzeichneten Gegenwartsbezügen zeigt. In einem Zöllner überreichten Gedicht wird die reale politische Situation der Reaktionszeit ins Gegenteil verkehrt, was die eigenen demokratischen Anschauungen umso stärker hervortreten ließ. Siehe zum Gedicht, das sich auf die vom 23. Dezember 1850 bis zum 15. Mai 1851 in Dresden tagende Ministerialkonferenz bezog, unten Anhang 3, S. 339.

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liegen.293 Ursprünglich existierten zwei sich lose in privaten Wohnungen zusammenfindende Gesangvereinigungen – der Schoch’sche Verein294 und der Quartettverein.295 Während sich der Quartettverein aus angehenden Beamten, Künstlern und auch Handwerkern zusammensetzte, gehörten dem Schoch’schen Verein hauptsächlich Kaufleute an. Beide Vereinigungen verschmolzen im Mai 1845 zum Odeon, der sich im Juli 1848 den Namen Leipziger Liedertafel gab.296 Die Pflege des geistlichen Gesanges spielte im Schoch’schen Verein eine untergeordnete Rolle. Der volkstümliche Gesang stand hingegen im Vordergrund und wurde vor allem in spontanen Ständchen auf den Straßen der Stadt zu Gehör gebracht. Dass man dabei auch vor politischen Themen nicht zurückschreckte, zeigt folgende überlieferte Begebenheit: An warmen Frühlingsabenden gings auch wohl im Chor um die Promenade, und man dünkte sich nicht wenig, wenn der Polizei zum Hohne: ,Die Presse frei, sonst ist’s mit unsrer Ehr’ vorbei‘ erschallte und ganze Schaaren theilnehmender Zuhörer sich anschlossen.297

Der Wunsch der Sänger nach Pressefreiheit kommt hier unverblümt zum Ausdruck, und zwar öffentlich und nicht im geschützten Kreis der Vereinsmitglieder. Die tradierte Begebenheit des Chronisten Guido Reusche zeigt, dass die durch die Vereinsmitglieder artikulierte Forderung nach Pressefreiheit auf breite Resonanz in der Leipziger Bevölkerung stieß. Angesichts dieser Episode ist es nicht erstaunlich, dass während der Revolution 1848/49 die Politik das Vereinsleben weitgehend bestimmte. Deutlich wurde das am 28. Februar 1848, als die Nachricht vom Ausbruch der Revolution in Paris in Leipzig eintraf: An diesem und den meisten folgenden Abenden drängte das gesellige Element (vielleicht richtiger das politisirende) das musikalische fast in den Hintergrund; Alles wollte belehren und bekehren, und wenn ja einmal flott gesungen wurde, so waren es Vaterlandslieder.298

Das verstärkte Singen von Vaterlandsliedern spielte schon seit Anbeginn der Männergesangbewegung eine wesentliche Rolle. Hier spiegelt sich die durch die revolutionären Ereignisse gestiegene Hoffnung wider, dass die staatliche Einheit Deutschlands zum Greifen nahe zu sein schien. Bewusst wurde dabei die Öffentlichkeit gesucht. 293 Siehe dazu REUSCHE/HARTUNG (Hg.): Leipziger Liedertafel, S. 1–18. 294 Die nicht dokumentierten Ursprünge der ohne offiziellen Namen existierenden Gesangvereinigung liegen im Jahr 1842. Zusammengehalten wurde sie durch den Schweizer Kaufmann Ehregott Leberecht Schoch, der einfache vierstimmige Männerchöre komponierte. EBD., S. 2. 295 Der Quartettverein wurde von Robert Franke, einem Beamten der Leipzig-Dresdner Eisenbahn, ins Leben gerufen. EBD., S. 5. 296 EBD., S. 16. 297 EBD. 298 EBD., S. 15.

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Nach den Chorproben gingen die Vereinsmitglieder in Lokalitäten, wo man „die Würze kräftiger deutscher Volksreden in den Kauf erhielt“, und brachten dort ihren „Enthusiasmus durch frisch gelernte Vaterlandslieder“ zum Ausdruck.299 Für den Vereinschronisten bedeutete der Abend des 27. März 1848 den Höhepunkt der politischen Wirksamkeit des zu dieser Zeit unter dem Namen Odeon firmierenden Männergesangvereins. Damals brachten die Vereinsmitglieder im Schützenhaus einigen am folgenden Tag nach Frankfurt/M. zum am 31. März eröffneten Vorparlament abreisenden Abgeordneten ein Abschiedsständchen dar. Vor Angehörigen der demokratischen Linken wie Robert Blum, Wilhelm Michael Schaffrath,300 Carl Gotthelf Todt,301 Adolf Ernst Hensel302 und Julius Otto Heinrich von Dieskau303 sang der Odeon unter anderem Das deutsche Lied von Johann Wenzel Kalliwoda, Was ist des Deutschen Vaterland von Reichardt und Abschied vom Walde von Mendelssohn. Nach dem zweiten Lied redete Schaffrath über die Aufgaben der zukünftigen Parlamentsabgeordneten und „brachte schließlich den Männergesangvereinen Deutschlands, welche durch ihre kräftigen ,Gesangsdemonstrationen‘ keinen unerheblichen Theil an den Errungenschaften der Neuzeit hätten, ein Hoch aus […]“.304 Eindeutig würdigt Schaffrath hier den nicht unerheblichen Anteil der Männergesangvereinsbewegung an der bürgerlichen Bewegung, die in die Revolution von 1848/49 mündete. Daraufhin ließ mit Ernst Pietsch der Vorsteher des Odeon nach dem dritten Lied „die wackern Vertreter des gesammten deutschen Volkes

299 EBD. 300 Der Jurist und demokratische Politiker Schaffrath (1814–1893) gehörte zusammen mit Robert Blum zum deutschlandweiten Oppositionellenkreis, der sich seit 1839 regelmäßig auf dem Weingut Hallgarten am Rhein („Hallgarten-Kreis“) traf. Als Angehöriger des sächsischen Landtags profilierte er sich seit 1845 als radikaler Oppositionspolitiker. In den Jahren 1848/49 gelangte Schaffrath sowohl in das Vorparlament, in den Fünfzigerausschuss als auch in die Frankfurter Nationalversammlung. Schaffraths politisches Wirken stand unter der Maßgabe, die Freiheit nicht in der Einheit, sondern die Einheit in der Freiheit zu verwirklichen. Zu Schaffrath siehe FRANK: Kampf um die freie Advokatur, S. 7–13 und oben Einleitung, S. 29, Anm. 111. 301 Zu Todt siehe unten S. 237 f. 302 Der demokratische Politiker und Jurist Hensel (1811–1862) zog 1845 als städtischer Abgeordneter von Bernstadt in die Zweite Kammer des Sächsischen Landtags ein. Seit 1848 stand er der Zweiten Sächsischen Kammer als Landtagspräsident vor. Nach der Niederschlagung des Dresdener Maiaufstandes wurde Hensel verhaftet, aus Mangel an Beweisen aber freigesprochen. Zu Hensel siehe MATZERATH: Hensel. 303 Der aus Plauen stammende Jurist von Dieskau (1798–1872) gehörte schon vor Schaffrath der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtags an. Am 18. Mai 1848 zog er mit fünf weiteren sächsischen Anwälten ins Frankfurter Parlament ein. In der Sitzung der Zweiten Sächsischen Kammer vom 22. Juni 1837 stellte er die zum liberalen Grundrechte-Katalog gehörende Forderung nach der Pressefreiheit. Siehe LUDWIG/NEEMANN: Revolution in Sachsen, S. 45. 304 REUSCHE/HARTUNG (Hg.): Leipziger Liedertafel, S. 15.

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drei Mal hoch leben“, was Reusche wiederum als „die größte politische That des Vereines“ bezeichnete.305 Weitere Auftritte bei politisch motivierten Versammlungen folgten. So sang der Odeon beziehungsweise die Leipziger Liedertafel am 5. April 1848 im Hôtel de Pologne bei einem dort stattfindenden Konzert zum Besten des bewaffneten Studenten-Korps und im Sommer des Jahres vor der 12. KommunalgardenKompagnie daselbst.306 Trotz allen politischen Engagements konnte das Vereinsleben weitergeführt werden. So war bei der Generalversammlung am 18. Dezember 1848 vom Erlernen vieler neuer Lieder, insgesamt 26 Mitgliedern und einer gut gefüllten Vereinskasse die Rede. Der Chronist Reusche zog daher folgendes Fazit: „Das Jahr 1848 [ist] für den Verein viel besser als für manchen Potentaten [gewesen]“.307 Im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Männergesangvereinen versiegte das Gesangvereinsleben in Leipzig während der Revolution 1848/49 nicht, sondern blühte hingegen sogar auf. * Die Männergesangvereine in Leipzig, von denen sich zeitgenössische Dokumente und Festschriften erhalten haben, wiesen einige bedeutsame Bezüge zur bürgerlichen Bewegung in Mitteldeutschland auf. Eine der Identität stiftenden Wurzeln der Männergesangbewegung lag in den Befreiungskriegen.308 Das bezog sich zum einen auf den deutschen Nationalismus mit dem obersten Ziel der nationalstaatlichen Einheit, zum anderen auf die Umsetzung von Bürgerrechten bis hin zur politischen Partizipation als Erbe der Aufklärung und der Französischen Revolution. Auch in der Leipziger Liedertafel machte sich dieses freiheitliche Streben bemerkbar. Einige Mitglieder des ältesten Leipziger Männergesangvereins hatten entweder, wie im Fall Kunzes, enge Beziehungen zum Freiheitsdichter und -sänger Theodor Körner oder nahmen persönlich an den Kämpfen gegen die napoleonische Besetzung teil. In der Literatur über Theodor Körners Leben und Werk, die hauptsächlich aus der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg stammt, kommt fast ausschließlich ein nationalistisch eingefärbtes Heldenbild zum Tragen.309 Das freiheitliche politische Erbe der an den Befreiungskriegen beteiligten bürgerlichen Intellektuellen wurde in der Literatur kaum beachtet oder gar verdrängt. Es spielte aber für die Leipziger Liedertafel eine wichtige Rolle, was sich auch darin zeigt, dass sich unter den überlieferten

305 306 307 308 309

EBD. EBD., S. 16. EBD., S. 17. Siehe dazu oben S. 67 f. Siehe dazu v. a. JONAS: Theodor Körner, Theodor und MÜLLER-BOHN: Theodor Körner.

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Gesängen der Liedertafel vergleichsweise wenige Vaterlandslieder befinden.310 Das zeugt davon, dass die Mitglieder der Liedertafel eher dem freiheitlichen als dem nationalistischen Erbe der Befreiungskriege verpflichtet waren. Seinen Ausdruck findet dieser wichtige Aspekt in den oben näher ausgeführten Liedern Je länger je lieber, Maikäfer und Froschlied.311 Die Leipziger Liedertafel von 1815 blieb aber nur einem exklusiven kleinen Kreis vorbehalten, der kaum nach außen wirkte. Die Entfaltung einer öffentlichen Wirkung blieb anderen Männergesangvereinen, wie den Zöllnervereinen und den später im Odeon (1845) beziehungsweise der Leipziger Liedertafel (1848) vereinigten Schoch’schen und dem Quartettverein vorbehalten. Für sie waren öffentliche Gesangsdarbietungen in Form von Ständchen und Konzerten eine Selbstverständlichkeit. Mit dem Gesang Die Presse frei, sonst ist’s mit unsrer Ehr’ vorbei durch den Schoch’schen Verein scheute man dabei auch nicht davor zurück, wichtige Anliegen der bürgerlichen Bewegung öffentlich zu artikulieren. An der Reaktion der Bevölkerung, die in „ganzen Schaaren“ einstimmte, lässt sich ablesen, dass mit der Pressefreiheit ein von der breiten bürgerlichen Mehrheit gefordertes Freiheitsrecht per Gesang eingefordert wurde.312 Kennzeichnend für die jüngeren Männergesangvereine in Leipzig wie den Odeon und die Zöllnervereine war, dass sie in engerem persönlichem Kontakt zu Demokraten und Liberalen standen, was sie gegenüber anderen Männergesangvereinen in den anhaltischen Herzogtümern und in Thüringen heraushob. Beim Zusammentreffen von Männergesangvereinen und oppositionellen Politikern wurde aber nicht nur gesungen, sondern auch politische Konversation betrieben. So war ein Zöllnerverein Ende Januar 1846 bei einem Gesangabend im Hause Professor Wachsmuths zu Gast, wo sich überregional bekannte Oppositionelle versammelten.313 Der Odeon wiederum nahm am 27. März 1848 im Schützenhaus an einer Festveranstaltung anlässlich der bevorstehenden Abreise sächsischer Parlamentsabgeordneter nach Frankfurt/M. zum Vorparlament teil.314 Die Durchführung von Festmahlen und anderweitigen öffentlichen Zusammenkünften mit Parlamentsabgeordneten ist im mitteldeutschen Raum eher selten anzutreffen und in Leipzig neu.315 Dabei kam das hohe Ansehen zum 310 So finden sich z. B. im 1838 gedruckten Liederbuch unter den 163 abgedruckten Liedern nur zwei und im Fremdenbuch nur vier Vaterlandslieder. Siehe dazu Gesänge der Liedertafel zu Leipzig und die beiden Fremdenbücher in SML, MK 173. 311 Siehe dazu oben S. 130–136. 312 REUSCHE/HARTUNG (Hg.): Leipziger Liedertafel, S. 4. 313 Siehe dazu oben S. 149–152. 314 Siehe dazu oben S. 157 f. 315 Derartige Veranstaltungen hatten bspw. in den Herzogtümern Schleswig und Holstein, wo es im Vergleich zu anderen Staaten bis zum Sommer 1846 ein großzügiges Versammlungsrecht gab, schon seit 1840 Tradition. Dabei wurden einzelne Abgeordnete von Wählern begrüßt oder informative Veranstaltungen mit denselben durchgeführt und somit die interessierte Öffentlichkeit mit politischen Themen konfrontiert. Siehe dazu UNVERHAU: Gesang, Feste, Politik, S. 18.

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Ausdruck, in welchem die Männergesangvereine bei der bürgerlichen Oppositionsbewegung standen. Während sich bis in den späten Vormärz hinein die politische Gesinnung vorzugsweise in den eigenen (Vereins-)Reihen offenbarte, stellten sich Männergesangvereine aus Leipzig 1848/49 öffentlich hinter die Zielsetzungen der Revolution beziehungsweise hinter deren parlamentarische Vertreter. Das durch die Verfolgung oppositioneller Bestrebungen in der Restaurationszeit gehemmte und verborgen vorhandene politische Interesse und der gesellschaftliche Veränderungswille konnten sich nun frei entfalten.

THÜRINGER SÄNGERBUND

3.

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Der Thüringer Sängerbund und seine Liederfeste 1843–1847

Seit dem ersten schwäbischen Sängerfest 1827 in Plochingen kam es im Deutschen Bund zu regional organisierten Gesangfesten von in Sängervereinen, Sängerbünden, Gesangvereinen, Lehrer-, Studenten- oder Kirchengesangvereinen organisierten Männern.316 Je nach Ausrichtung der Zusammenkunft wurde nach Liederfesten, Sängerfesten und Gesangfesten unterschieden. Während in den Liederfesten das deutsche Lied, bei den Sängerfesten die Geselligkeit im Vordergrund standen, rückten die eigentlichen Gesangfeste den Kunstgesang, oft verbunden mit Wettgesängen, ins Zentrum.317 Neben den regionalen Sängerfesten wurden ab Anfang der 1840er Jahre auch überregionale Treffen veranstaltet. Diese Entwicklung kulminierte in den drei allgemeinen deutschen Gesangfesten vor 1848, die 1845 in Würzburg,318 1846 in Köln319 und 1847 in Lübeck320 stattfanden. Die Gesangfeste im Deutschen Bund vor 1848 entwickelten sich zum „vorherrschenden Kommunikationsmedium unter den Sängerassoziationen und für die Sänger zum wichtigsten Bekenntnisforum für nationale Gefühle und Gedanken“.321 Aber auch für die Artikulation liberaler Forderungen nach Presseund Meinungsfreiheit und anderen verfassungsmäßig garantierten Bürgerrechten wurden die Sängerfeste zunehmend genutzt. Ein Beispiel für die stärkere Gewichtung bürgerlicher Emanzipationsbestrebungen gegenüber nationalen Zielsetzungen stellen die Liederfeste des Thüringer Sängerbundes dar.

3.1 Der Thüringer Sängerbund Die Quellenlage der Frühgeschichte des Thüringer Sängerbundes ist gegenüber den anderen Sängerbünden in Thüringen vergleichsweise gut. Von den fünf Liederfesten vor 1848 sind alle Festordnungen und – außer vom 2. Sängerfest 1844 in Gotha – alle offiziellen Festschriften der Nachwelt erhalten geblieben.322 Über Gründung, Aufbau und Wachstum des Thüringer Sängerbundes geben vor allem 316 Zum Sängerfest in Plochingen siehe DIETEL: Männergesang, S. 115 ff. 317 Siehe dazu WEIBEL: Musikfeste des 19. Jahrhunderts, S. 52 ff. und Verzeichniss deutscher Musik- und Gesang-Feste, S. V. 318 Zum Sängerfest 1845 in Würzburg siehe GAERSCHEN (Hg.): Deutsches Sängerfest zu Würzburg und BRUSNIAK: Würzburger Sängerfest von 1845. 319 Zum Sängerfest in Köln siehe Großes Sängerfest und Teutonia, Nr. 15, 1846, S. 227−239 und Nr. 17, 1846, S. 259–264 und Nr. 18, 1846, S. 279−284 und KLENKE: Der singende „deutsche Mann“, S. 63–69; 320 Zum Sängerfest in Lübeck siehe StA Lübeck, Bestand Lübecker Liedertafel, 05.4–051/1 und ELBEN: Männergesang (1887), S. 114 f. 321 DÜDING: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus, S. 181. 322 Siehe dazu unten in den jeweiligen Festbeschreibungen unter Kap. IV.3.2.

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Korrespondenzen zwischen einzelnen Bundesmitgliedern und Zeitungsberichte Auskunft. Von zwei Liederfesten haben sich Partituren mit den von allen teilnehmenden Liedertafeln gesungenen Liedern erhalten.323 Um die Gründung des Thüringer Sängerbundes haben sich vor allem zwei Männergesangvereine verdient gemacht – die Erfurter und die Gothaer Liedertafel. Die Erfurter Liedertafel, aus der der Gedanke der Gründung eines thüringischen Sängerbundes kam,324 gründete sich 1831 „auf Betrieb des musikalisch gebildeten, enthusiastischen Verehrers der Musik, Regierungssecretär Breidenstein“ und wurde offiziell als Liedertafel des Erfurter Musikvereins bezeichnet.325 Die Gothaer Liedertafel ging am 19. April 1837 aus der Coburger Liedertafel hervor.326 Die unter der musikalischen Leitung des Lehrers Adolf Wandersleb stehende Gothaer Liedertafel initiierte am 16. August 1837 eine Liederfahrt in die Hofanlage Freudenthal bei Wandersleben, damit sich umliegende Liedertafeln, deren Gründungen durch die Gothaer Vereinigung angeregt wurden, kennen lernen konnten.327 Diesem Zusammentreffen entsprang seitens Andreas Ketschaus, des Leiters der Erfurter Liedertafel,328 und Breidensteins die Idee, „neue und gute Gesänge unter den einzelnen Vereinen zirkulieren zu lassen und dieselben dann 323 Es handelt sich um die Partituren für das erste Liederfest 1843 in Molsdorf und das fünfte Liederfest 1847 in Eisenach, die in der FB Gotha erhalten geblieben sind. Siehe dazu oben S. 23, Anm. 80. 324 Siehe dazu ThStA Go, Geheime Kanzlei. J.J., Nr. 55, Bl. 23v. Zur Geschichte der Erfurter Liedertafel siehe NICKEL: Erfurter Liedertafel, S. 102–106. 325 Siehe STORCH: Thüringer Sängerbund, S. 9. Ein genauer Termin der Gründung konnte leider nicht ermittelt werden. Der Jurist und Sekretär der Königlichen Regierung Christoph Rudolph Breidenstein (1796−1868) war ein langjähriges Vorstands- und werktätiges Mitglied des 1826 gegründeten Erfurter Musikvereins. Aufgrund seines Engagements bei der Gründung des Thüringer Sängerbundes wurde er auch als „Schöpfer des Sängerbundes“ bezeichnet. Siehe EBD., S. 29. 326 Zur Geschichte der Gothaer Liedertafel bis 1937 siehe MOTSCHMANN: Hundert Jahre Musik in Gotha; Fünfzig Jahre der Liedertafel zu Gotha und 100 Jahre Liedertafel zu Gotha. Zur Gründungsgeschichte der Liefertafel siehe StA, Liedertafel, 8.2.19/908. 327 Der Lehrer und Komponist Adolf Wandersleb (1810–1884) übernahm 1838 offiziell die musikalische Leitung der Gothaer Liedertafel, die er mit Unterbrechungen bis 1882 innehatte. Er machte sich um den Thüringer Sängerbund so verdient, dass er später als „Vater und die Seele der Thüringer Gesangvereine und des Thüringer Sängerbundes“ bezeichnet wurde. Siehe VOIGT: Thüringer Sängerbund, S. 144. Zu Wandersleb siehe auch KOHLSTOCK: Wandersleb und GROSCHE: Wandersleb, S. 7. Zur Liederfahrt auf die Hofanlage Freudenthal siehe StA Gotha, 0908, Bl. 23r–25v und 29r–40r. 328 Der mit Breidenstein befreundete Oberlehrer und Organist Andreas Ketschau (1798–1869) war Mitbegründer des Sollerschen Musikvereins 1819 in Erfurt und Musikdirektor des Erfurter Musikvereins seit dessen Gründung am 16. Juli 1826. Ab 1831 leitete er auch die Liedertafel dieser Vereinigung. Ketschau oblag später auch die musikalische Oberleitung des 1. Liederfestes des Thüringer Sängerbundes am 16. August 1843 im Molsdorfer Schlossgarten. Zu Ketschaus Leben und Wirken siehe BRÜCK: Viva la musica, S. 21–37.

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zusammen zu singen“.329 So fand das Liedgut für den vierstimmigen Männerchor in der Anfangszeit der Männergesangbewegung seine hauptsächliche Verbreitung und konnte so langsam, wenn auch regional begrenzt, zum Allgemeingut werden. Es dauerte aber noch fünf weitere Jahre, bis auf dem Hof der Wanderslebener Burgruine Gleichen am 17. August 1842 ein Sängerfest abgehalten werden konnte.330 Dort versammelten sich über 3.000 Menschen, darunter ca. 600 Sänger aus neun Liedertafeln.331 Die Auswahl der Lieder sollte der Erweckung und Stärkung sowohl deutschpatriotischer Gesinnung als auch der Verbundenheit mit der Region dienen. Der Verlauf und der Erfolg dieses Sängerfestes trugen zu dem Entschluss bei, möglichst im darauffolgenden Jahr einen ganz Thüringen umfassenden Sängerbund zu schaffen. Am 22./23. Oktober 1842 lud die Erfurter Liedertafel zu einer Beratung über die Gründung eines Thüringer Sängerbundes nach Erfurt ein. Nach einer einleitenden Rede Breidensteins stellte die Erfurter Liedertafel einen von ihrem Vorstand erarbeiteten und aus elf Artikeln bestehenden Entwurf zur Gründung des Thüringer Sängerbundes zur Diskussion.332 Am 14. Januar 1843 wurde im Vereinslokal der Gothaer Liedertafel dieser Entwurf durch zehn anwesende Gesangvereine einstimmig angenommen.333 Somit hatte sich der Thüringer Sängerbund mit der Verabschiedung des Statuts unter der Federführung der Erfurter Liedertafel und des Pfarrers und Volksschriftstellers Heinrich Schwerdt konstituiert.334 Am gleichen Tag wurden mit den eng befreundeten Dichtern Ludwig Bechstein und Ludwig Storch,335 dem Lehrer Gottfried Wilhelm Dennhardt336 329 Siehe VOIGT: Thüringer Sängerbund, S. 144. Dieser Gedanke fand auch im Statut des Thüringer Sängerbundes (siehe § V.a) seinen Niederschlag. Siehe EBD., S. 5. 330 Siehe zum Ablauf den Bericht Storchs in: Der Thüringer Bote, Nr. 63, 24. August 1842, S. 281–284 und zum Programm Thüring’sches Sängerfest 1842. 331 Das waren die Liedertafeln und Gesangvereine aus dem preußischen Erfurt und Langensalza, aus den schwarzburgischen Städten Arnstadt, Plaue und Stadtilm und aus dem gothaischen Herzogtum Georgenthal, Gotha, Ohrdruf, Waltershausen und Wechmar. Siehe EBD., S. 3. 332 Siehe ThStA Go, Geheime Kanzlei. J.J., Nr. 55, Bl. 22r–23v. 333 Dabei handelt es sich um die Liedertafeln und Gesangvereine aus Erfurt, Arnstadt, Eisenach, Georgenthal, Langensalza, Ohrdruf, Plaue, Stadtilm, Waltershausen und Wechmar. VOIGT: Thüringer Sängerbund, S. 4. 334 Der Theologe Heinrich Schwerdt (1810–1888) ging 1831 als Substitut nach Neukirchen (bei Eisenach) und wurde dort als Nachfolger seines Vaters Pfarrer. Auch als Pädagoge, Journalist und Schriftsteller war er aktiv. Politische Tätigkeit entfaltete Schwerdt u. a. als zweimaliges Mitglied im Landtag von Sachsen-Coburg-Gotha. Siehe WEIGEL: Bechstein, S. 185, Anm. 317. 335 Die thüringischen Dichter und Schriftsteller Ludwig Storch und Ludwig Bechstein (1801–1860) gehörten zu den bedeutenden Gründungsfiguren des Thüringer Sängerbundes. Zu ihren Personen und zu ihren Beziehungen zum Thüringer Sängerbund siehe unten S. 194–202. 336 Der Theologe, Pädagoge und Philologe Gottfried Wilhelm Dennhardt (1792–1857) lehrte seit 1835 als Professor am evangelischen Gymnasium in Erfurt, wo er auch dem Vorstand sowohl des Erfurter Musikvereins als auch des Gustav-Adolf-Vereins angehörte. Auch arbeitete er für verschiedene Zeitschriften und brachte anlässlich des Gutenbergfestes 1840 das ThüringischErfurter Gedenkbuch heraus. Siehe dazu WEIGEL: Bechstein, S. 181, Anm. 305.

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und dem Dessauer Hofkapellmeister Friedrich Schneider337 die ersten Ehrenmitglieder des soeben gegründeten Sängerbundes ernannt. Bei seiner Konstituierung am 14. Januar 1843 in Gotha wurde auch das Statut des Thüringer Sängerbundes verabschiedet. Darin sind in elf Paragrafen unter anderem die Modalitäten des Bei- und Austritts (§ II, III bzw. X), der Bundeskasse (§ IX) und der Organisation der Liederfeste durch einen Verwaltungsausschuss (§ VII) geregelt.338 Zum Zweck des Thüringer Sängerbundes heißt es in § IV: Zweck des Thüringer Sängerbundes ist, das deutsche Lied zu pflegen und mehr und mehr zum Gemeingut zu machen, auch durch die Macht desselben vaterländischen Sinn, der in geistiger und sittlicher Erhebung des deutschen Volks, in einer innigeren Einigung seiner verschiedenen Stämme, in unverbrüchlicher Treue gegen die angestammten Herrscher und in unverletzlichem Gehorsam gegen die Landesgesetze seine Befriedigung findet.339

Neben der Pflege und Verbreitung des deutschen Männergesangs – laut Paragraf V durch gegenseitigen Austausch von Liedern und Annuität der Liederfeste – wird hier die Ausbreitung des deutschen Nationalbewusstseins als vorrangiges Ziel genannt. Der angesprochene „vaterländische Sinn“ findet hier eine nähere Erläuterung beziehungsweise Einschränkung. Es ist zwar von einer „innigeren Einigung“ die Rede, jedoch soll dies nicht gegen bestehende Landesgesetze verstoßen und nicht Ungehorsam gegen den jeweiligen Landesvater zur Folge haben. Die Einheit des deutschen Vaterlandes wird hier eher innerlich statt äußerlich propagiert.340 Der Sängerbund setzte es sich zum Ziel, möglichst alle Liedertafeln beziehungsweise Männergesangvereine in Thüringen unter seinem Dach zu vereinen. Aufgrund des Bestehens mehrerer lokaler Sängerbünde auf thüringischem Raum und der fehlenden Eisenbahnanbindung waren diesem Ziel natürliche Grenzen gesetzt. Nach Friedhelm Brusniak ist dieser Paragraf bewusst in einem loyalen Tonfall gehalten, „um der Zensur keine Angriffsfläche zu bieten. Tatsächlich waren sich die Gründer des Thüringer Sängerbundes der politischen Tragweite dieses Schrittes sehr wohl bewusst [...].“341 Dass sie sich mit der Gründung des Sängerbundes und den damit verbundenen Liederfesten auf schwankendem 337 Zu Schneider siehe oben Kap. IV.1.1. 338 Das Statut ist abgedruckt sowohl in VOIGT: Thüringer Sängerbund, S. 5 ff. als auch in STORCH: Thüringer Sängerbund, S. 20–24. Es wurde nach dem Vorbild der Satzung der Erfurter Liedertafel konzipiert. Siehe WEIGEL: Bechstein, S. 185. 339 Siehe Abdruck in STORCH: Thüringer Sängerbund, S. 21. 340 Obwohl hier eindeutig das gesamtdeutsche Vaterland als Bezugsrahmen dient, changiert die inhaltliche Ausrichtung des Thüringer Sängerbundes zwischen regionalem Patriotismus und deutschem Nationalismus, was sich in zahlreichen Reden und Liedtexten der ersten fünf Liederfeste des Thüringer Sängerbundes niederschlägt. Siehe dazu unten Kap. IV.3.2. 341 BRUSNIAK: Nationalreligiosität, S. 87.

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Boden bewegten, zeigte sich vor allem daran, dass Reden und Liedtexte auf den ersten drei Sängerfesten der Zensur unterworfen waren, was unter anderem Storch und Bechstein davon abhielt, den beiden Liederfesten in Gotha und auch in Arnstadt beizuwohnen.342

3.2 Die Liederfeste des Thüringer Sängerbundes 1843–1847 Nachdem der Thüringer Sängerbund ins Leben gerufen worden war, begann die Planung des ersten Liederfestes, da gemäß des § Vb „jährlich ein Sänger- und Volksfest zu veranstalten“ war.343 Für die Organisation wurde die Erfurter Liedertafel des Erfurter Musikvereins als engerer Verwaltungsausschuss gewählt. Die vorbereitende, jeweils am Festort ansässige Liedertafel hatte auch die Aufgabe, die entweder gemeinsam und die von einzelnen Gesangvereinen zu singenden Lieder auszuwählen, mit Tempoangaben in einer Partitur zusammenzufassen und an die teilnehmenden Mitglieder zu verschicken. Im Fokus der folgenden Ausführungen stehen das erste, vierte und fünfte Liederfest des Thüringer Sängerbundes, von denen vor allem das erste und vierte Liederfest bisher keiner näheren Untersuchung unterzogen wurden. Sie stehen exemplarisch für die politische Inanspruchnahme und Bedeutung dieser thüringischen Sängerfeste.344 Das erste Liederfest am 16. August 1843 im Schlossgarten zu Molsdorf Aufgrund der Mittellage und der örtlichen Begebenheiten wurde der Schlossgarten Molsdorf als Ort des ersten Liederfestes des Thüringer Sängerbundes ausgewählt. Einer im Juli 1843 erfolgten öffentlichen Einladung durch die Erfurter Liedertafel des Erfurter Musikvereins, dem das Programm beigelegt war, leisteten insgesamt 600 Sänger aus 19 Männergesangvereinen und Liedertafeln Folge.345 Weiterhin nahmen der Musikchor des Königlichen 31. Infanterie-Regiments zu Erfurt und das Königliche 8. Kürassier-Regiment zu Langensalza am Liederfest teil. Laut Festprogramm sollten beim ersten Liederfest des Thüringer Sängerbundes je sieben Lieder in vier Abteilungen gesungen werden. Wegen starker 342 Siehe dazu ausführlich unten S. 199–202. 343 VOIGT: Thüringer Sängerbund, S. 21. 344 Zum zweiten und dritten Liederfest des Thüringer Sängerbundes siehe NICKEL: Liederfeste 1844 und 1845. 345 Siehe VOIGT: Thüringer Sängerbund, S. 29–32. Es handelte sich dabei um die Liedertafeln und Gesangvereine aus Arnstadt, Ehringsdorf, Eisenach, Erfurt, Georgenthal, Gotha, Langensalza, Langewiesen, Mühlhausen, Neukirchen b. Eisenach, Ohrdruf, Plaue, Salzungen, Schmalkalden, Sömmerda, Stadtilm, Suhl, Waltershausen und Wechmar. Insgesamt nahmen nach dem Bericht Heinrich Schwerdts über 10.000 Menschen an diesem 1. Liederfest des Thüringer Sängerbundes teil. Siehe den Bericht Schwerdts „Sängerfahrt und Sängerfest“.

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Hitze und der fortgeschrittenen Zeit wurde ab der 3. Abteilung das Programm erheblich abgekürzt.346 Bei diesem ersten Liederfest des Thüringer Sängerbundes fand die feierliche Weihe der Bundesfahne statt. Dabei fungierte das Ehrenmitglied Bechstein als Bannerträger. Die Bundesfahne wurde von allen Sängern mit einem dreifachen Hoch begrüßt. Symbolisch neigten sich „alle Fahnen der Liedertafeln [...] vor der Bundesfahne als ihrem Haupte“.347 Auf der Fahne stand in goldenen Buchstaben das Hauptanliegen des Thüringer Sängerbundes programmatisch geschrieben: „Thüringer Sängerbund – Deutsches Lied verkünde deutschen Sinn.“348 Die Bedeutung der Fahneninschrift betonte zum Schluss des Liederfestes der Mitinitiator des Thüringer Sängerbundes, der Erfurter Regierungssekretär Breidenstein, mit folgenden Worten: „Das ist unsere Losung, das ist der bedeutsame Spruch des Paniers [...].“349 Neben dem gemeinsamen Gesang spielte das gesprochene Wort bei allen Liederfesten des Thüringer Sängerbundes eine erhebliche Rolle. Für poetische Ansprachen vor und zwischen den Abteilungen konnten angesehene Dichter und Redner aus Thüringen gewonnen werden, von denen besonders Bechstein, Storch, Dennhardt und Philipp Heinrich Welcker durch ihr Engagement für den Thüringer Sängerbund hervorzuheben sind.350 Durch die Ansprachen und Gedichte, die im Sinnzusammenhang mit den gesungenen Liedern standen, wurden die Sänger einerseits poetisch begrüßt und verabschiedet und andererseits immer wieder auf den höheren Sinn und Zweck des deutschen Männergesangs in gesellschaftlicher, nationaler sowie regionaler Hinsicht in metaphernreichen Bildern hingewiesen. Nach August Voigt, einem der ersten Chronisten des Thüringer Sängerbundes, standen Lied und Poesie bei den Liederfesten anregend und befruchtend „im schönen Wechselverhältnis“.351 Einige der beim ersten Liederfest 346 Siehe STORCH: Thüringer Sängerbund, S. 38. Nach dieser Erfahrung zog man für das nächste Liederfest in Betracht, die Anzahl der Lieder um die Hälfte zu verringern. So sollte dem Hauptzweck des Sängerbundes Rechnung getragen werden, nämlich den „Austausch der Gesinnungen und die Verbrüderung der Bundesgenossen und Landsleute“. Siehe EBD., S. 67. 347 EBD., S. 38. Auf der rechten Seite der heute verschollenen Bundesfahne befand sich mit dem weiß- und rotgestreiften Löwen im blauen Wappenschild, das alte Wappen der Landgrafen Thüringens; auf der linken Seite die oben genannte Inschrift, die von zwei sich kreuzenden Eichenzweigen zur Hälfte umschlungen war. 348 EBD. Siehe dazu § IV. im Statut des Thüringer Sängerbundes. 349 VOIGT: Thüringer Sängerbund, S. 13. 350 Welcker (1794–1871) war in Gotha 1820–1842 Gymnasiallehrer, seit 1843 Kustos am Herzoglichen Naturalienkabinett und zuletzt 1845–1871 Direktor der Herzoglichen Bibliothek daselbst. Welcker gab Gedichte heraus, darunter u. a. Thüringer Lieder (1831), ein Festgedicht bei der vierten Säkularfeier der Buchdruckerkunst (1840) und Festgaben zu Deutschlands Schillerfeier (1859). Siehe WEIGEL: Bechstein, S. 182, Anm. 306 und PACHNICKE: Gothaer Bibliothekare, S. 21. 351 VOIGT: Thüringer Sängerbund, S. 9. Die beim offiziellen Teil gehaltenen Grüße, Denk- und Weihesprüche sind alle in Storchs Festschrift über das erste Liederfest 1843 in Molsdorf

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in 1843 Molsdorf gehaltenen Ansprachen, die alle in Storchs Festschrift (siehe unten Abb. 10) überliefert sind, wiesen politische Bezüge auf.

Abb. 10: Festschrift zum ersten Liederfest 1843 in Molsdorf (Tbl.)

Nach Gustav Reichardts Was ist des Deutschen Vaterland (2. Lied der 2. Abteilung), welches nach Storch „verdienter Maßen zur Nationalhymne geworden ist“,352 folgte, eingebettet in weitere Vaterlandslieder, ein von Professor Dennhardt „den deutschen Fürsten und deutschen Völkern“ gewidmeter Denkspruch, womit der regionale, auf Thüringen bezogene Rahmen gesprengt wurde.353 In der Ansprache ist von einer neuen „herrliche[n] Zeit“ die Rede, in der das deutsche überliefert. – August Voigt (1838–1903) wurde kurz nach dem Abschluss seines Studiums Lehrer an der philanthropischen Erziehungsanstalt in Schnepfenthal. Danach wirkte er als Professor am Herzog-Ernst-Seminar in Gotha. Neben seiner Arbeit als Lehrer widmete sich Voigt vornehmlich dem Gesang. In seiner Studienzeit gehörte er 1861–64 der Jenaer Liedertafel an. Über 34 Jahre hatte Voigt den Vorsitz der Gothaer Liedertafel inne und war langjähriges Vorstandsmitglied des Thüringer Sängerbundes. Siehe dazu SCHNEIDER: Gothaer Gedenkbuch, S. 166. 352 STORCH: Thüringer Sängerbund, S. 46. 353 EBD., S. 46–49.

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Volk als Frucht der Befreiungskriege gegen Napoleon wie eine neue „kräftige Eiche“ emporwächst. Das Signal zum Befreiungskampf sei durch „der Barden begeisterte Oden“ gekommen.354 Erst daraufhin hätten sich die Kämpfer gesammelt, die von den Fürsten angeführt wurden, um mit Gottes Hilfe die äußere Freiheit wieder zu erringen und eine neue Zeit anbrechen zu lassen. An dieser sollten alle Bewohner des Reiches teilhaben: „Gedeihe die neue, die kräftige Eiche / An Wurzel und Haupt, wie am Stamme gesund.“ Dazu bedurfte es auf der einen Seite „weise[r] und gütige[r] Fürsten“, auf der anderen Seite der „Tugend der Bürger“ und „ihr[es] Fleiß[es]“.355 Hierin kommt das durch die freiwillige Teilnahme an der Befreiung von der napoleonischen Herrschaft gestiegene Selbstbewusstsein des Bürgertums zum Ausdruck. Auch wenn ihr Anteil an den Soldaten gering gewesen war, leiteten die freiwilligen Kriegsteilnehmer aus ihrer Beteiligung politisch-emanzipatorische Forderungen ab. Sie wollten die neue „herrliche Zeit“ mitgestalten. Am Ende des Denkspruchs wendet sich Dennhardt direkt zuerst an die Fürsten, dann an die deutschen Völker und letztendlich an das deutsche Vaterland. Den Fürsten, die „die eigene Wohlfahrt im Volksglück erschauen“, wird ein „donnerndes Hoch“ gebracht. Die Souveräne sitzen zwar „in [den] obersten Wipfeln“ der deutschen Eiche, sind aber dem Wohlergehen des von ihnen regierten Volkes verpflichtet. Daher gilt das „donnernde Hoch“ nur den „hochherzigen Fürsten“. Nur ihnen sind die „biederen Völker“, „die unter des Eichbaumes Zweigen nun wohnen“ unter dem Schutz des fürstlichen Wipfels zu Loyalität und Gehorsam verpflichtet.356 Das durch die Eiche symbolisierte Vaterland, welches sowohl die Fürsten als auch die regierten Völker umfasst, soll ewig stark und frei bestehen. Für dieses Ziel ist notfalls auch das Blut jedes Einzelnen einzusetzen. Nach dem Lied Wer ist frei (6. Lied der 2. Abteilung) von Martini357 bestieg der Gothaer Dichter Storch die Rednerbühne und trug seinen Denkspruch „Deutsche Biederkeit und Treue“ der Versammlung vor.358 In diesem Gedicht werden noch einmal besonders die deutschen Tugenden Biederkeit und Treue hervorgehoben. Auffallend darin ist, dass entgegen dem vorigen Gedicht nicht die Treue zum jeweiligen Landesherrn, sondern nur gegenüber dem Mitbürger und dem Vaterland zur Sprache kommt. Durch dieses Weglassen einer hier eigentlich zu erwartenden Ehrerbietung bringt der demokratisch gesinnte Storch

354 Damit waren die Sänger der Befreiungskriege wie z. B. die Lyriker Theodor Körner und Max von Schenkendorf gemeint. 355 STORCH: Thüringer Sängerbund, S. 47. 356 EBD., S. 48 (Hervorhebungen im Original). 357 In der Partitur wird als Komponist Johann Wenzel Kalliwoda angegeben. Siehe Erstes Liederfest des Thüringer Sängerbundes (Partitur), S. 47. 358 EBD., S. 49 ff.

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seine politische Meinung subtil zum Ausdruck, ohne dass diese jedoch der Zensur zum Opfer fiel.359 Nach Lützows wilde Jagd (1. Lied der 3. Abteilung) von Carl Maria von Weber, dem wohl beliebtesten Lied aus der Zeit der Befreiungskriege, folgte der Denkspruch „Deutscher Muth und deutsche Tapferkeit“.360 Darin wird noch einmal ausführlich auf die Befreiungskriege und ihre singenden und kämpfenden Helden eingegangen. Der Kampf und die damit verbundenen Opfer galten mit Gottes Hilfe dem Vaterland und den „Fürsten, d[en] Rechten“. Dies ist eine loyale Einschränkung, die immer wieder sorgfältig in den Festansprachen eingewoben wurde. Das Untertanenverständnis war nach den Befreiungskriegen nicht mehr absolut. An das Lied Thüringen von Daniel Elster (6. Lied der 3. Abteilung) und einen Denkspruch Bechsteins gleichen Titels schloss sich die Buchpräsentation „Thüringen in der Gegenwart“ von Bechstein an.361 Nach Voigt stellte dieser Vorgang „einen ergreifenden Glanzpunkt des Festes“ dar.362 Das Buch wurde vom Autor und von Ludwig Storch als Verleger dem Thüringer Volk übergeben. Darin werden deutsche Vaterlandsliebe und thüringischer Patriotismus gegenüber gestellt, wobei die Heimatliebe einen größeren Stellenwert erfährt. Bezüglich der Zukunft eines hoffentlich bald geeinigten Thüringens heißt es am Schluss: „Reife zur Vollendungsschöne, / Zieh ein großes Völkerloos! / Immer schirmen treue Hüter / Von Geschlecht Dir zu Geschlecht / Die unsterblich hohen Güter: / Edle Freiheit, Sitte, Recht.“363 In diesen Worten kommt noch einmal die vom großen Enthusiasmus und Optimismus getragene Aufbruchsstimmung dieses ersten Liederfestes des Thüringer Sängerbundes bezüglich seiner Bedeutung und zukunftsweisenden Wirkung für die thüringische Heimat zum Ausdruck. Mit der „Vollendungsschöne“ ist hier nicht nur die geistige und administrative Einheit Thüringens gemeint. Es geht im letzten Vers ausdrücklich auch um bürgerliche Rechte wie „edle Freiheit“ und „Recht“ im Sinne von Rechtsstaatlichkeit, die es zu erreichen beziehungsweise dann zu bewahren gilt. Unter der „edlen Freiheit“, die nicht näher erläutert wird, dürfte eher die innere Freiheit gemeint sein, die hinsichtlich der schriftlichen und mündlichen Meinungsäußerung gerade für Bechstein und Storch als Dichter und Verleger von eminenter Bedeutung war. In den der Nachwelt durch Storchs Publikation erhaltenen Weihe- und Denksprüchen ist eine ungeheure Aufbruchstimmung, verbunden mit hohen Erwartungen an den neugegründeten Thüringer Sängerbund, enthalten. Die mit der Sängerbewegung in Thüringen verknüpften Hoffnungen werden darin euphorisch und pathetisch zum Ausdruck gebracht. Dabei wurde der patriotische 359 360 361 362 363

Zu Storch und seiner politischen Ausrichtung siehe unten S. 195 ff. STORCH: Thüringer Sängerbund, S. 51 ff. BECHSTEIN: Thüringen. VOIGT: Thüringer Sängerbund, S. 12. STORCH: Thüringer Sängerbund, S. 55 (Hervorhebung im Original).

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Wunsch nach geistiger Vereinigung aller Thüringer mit der Idee eines gesamtdeutschen Vaterlandes verbunden. Das deutsche Lied sollte als „herrliche Kraft und Herrsch[erin] über die Gemüther [...] die Herzen zusammenführ[en] und binde[n]“ und dabei eine herausragende Rolle spielen.364 Neben patriotischen und nationalen Inhalten kommen in den Denksprüchen auch Anliegen gesellschaftspolitischer Natur – wenn auch aufgrund der geübten Vorzensur dezent – zum Ausdruck. Die in den Reden erhobenen Forderungen bleiben teilweise nicht bei der bloßen gewünschten Vereinigung stehen, sondern thematisieren deren gesellschaftliche Ausgestaltung. Im vereinigten Thüringen, wie auch im gesamtdeutschen Vaterland, sollten z. B. nach Bechstein „Edle Freiheit, Sitte [und] Recht“ herrschen. Auch hier kommt dem Lied eine wichtige Aufgabe zu, da nach Breidenstein die gesungenen „Lieder die öffentlichen und socialen Zustände in ihren Abstufungen und Verzweigungen“ offenbaren.365 Insgesamt sollten 28 Lieder in vier Abteilungen gesungen werden, was jedoch aufgrund der Witterungsverhältnisse und eintretender Dunkelheit nicht verwirklicht werden konnte. Die Lieder, die alle gemeinsam gesungen haben, lagen allen teilnehmenden Gesangvereinen in Partituren und Stimmbüchern vor. Gesänge, welche durch einzelne Liedertafeln zum Vortrag gelangten, standen nur den jeweiligen Chören zur Verfügung. Vom ersten Liederfest in Molsdorf hat sich eine Gesamtpartitur in der Forschungsbibliothek Gotha erhalten.366 Im Folgenden werden, wie auch bei den Liedern der anderen Liederfeste bis 1847, nur die Lieder kurz besprochen, die für unsere Fragestellung relevant erscheinen. Bei den gesungenenen Liedern handelt es sich größtenteils um Strophenlieder, denen nur wenige durchkomponierte entgegenstehen. Der Ambitus bleibt im normalen Rahmen – er geht im Tenor nicht über a1 hinaus und reicht im Bass nicht unter F. Es gibt fast ausschließlich nur Tonleiterausschnitte, einfache Tonsprünge, und die Notenwerte reichen von halben bis zu Achtel-, selten Sechszehntelnoten. Als Taktart dominiert der 4/4-Takt und als Tonart C- und D-Dur. Zeittypisch lassen sich in vielen Stücken verhältnismäßig viel Chromatik und eine große Anzahl von verminderten Akkorden finden. In den Schlussakkorden ist der Vorhaltquartsextakkord dominant. Die erste Abteilung der dargebotenen Gesänge dominieren inhaltlich Liedtexte, die die Aufgaben, Wirkungen und die Freiheit des Männergesangs zum Thema haben. Der Weihgesang („O Schutzgeist alles Schönen“) von Wolfgang 364 EBD., S. 11 f. 365 Das Zitat stammt aus einer Rede Breidensteins auf der Konferenz am 22./23. Oktober 1842 in Erfurt, auf der über die Bildung des Thüringer Sängerbundes beraten wurde. Zit. n. EBD., S. 14. 366 Erstes Liederfest des Thüringer Sängerbundes (Partitur). In der Partitur sind zwischen den Gesängen als Hinweis für den Dirigenten und die Sänger die letzten Verse der jeweiligen Denksprüche angegeben.

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Amadeus Mozart steht bei diesem ersten Liederfest des Thüringer Sängerbundes programmatisch am Anfang der Gesangsdarbietungen.367 Darin wird einerseits das Heilige und Reine und andererseits die versöhnende und einigende Kraft des Gesangs hervorgehoben. Die Eintracht der Sänger im brüderlichen Sängerbund wird in vielen Liedern und Festreden bei den Liederfesten des Thüringer Sängerbundes als wesentliche Voraussetzung für die innere Harmonie und das Fortbestehen der Vereinigung angesehen und besonders betont.368 An zweiter Stelle der ersten Abteilung steht Heinrich Marschners Liedesfreiheit.369 Darin werden die Freiheit der Musik im Allgemeinen und die des Liedes im Besonderen thematisiert. Der Dichter Ludwig Schnabel (ca. 1792–1845) wünscht sich in der ersten Strophe des 1821 gedichteten Liedes, dass „sich der Strom der Lieder [...] ungehindert wie des Sturmes Drang [...] ergieße[n]“ möge. Die Zeitumstände ließen dies sowohl zur Entstehungszeit des Liedtextes (1821) als auch 1843 noch nicht zu. Nur in geistiger Freiheit könne das Lied seine volle Wirkung entfalten. Um dies zu verdeutlichen, wurde die zu dieser Zeit sehr gebräuchliche Metapher des Lenzes für Aufbruch und Freiheit verwendet: „Wie uns das Reich des Lenzes frei umblüht, / Umwog’ uns auch das Reich der Töne“ (Str. 2). Die Freiheit des deutschen Männerchorliedes ist auch Thema der folgenden Lieder Das deutsche Lied370 von Johann Wenzel Kalliwoda, Der deutsche Männerchor371 von Ernst Julius Otto, Der Thüringer Sängerbund372 von Andreas Ketschau und Bundeslied373 von E[duard] Wagner. Die Begriffe „Freiheit“ und „frei“ werden jedoch meist nur allgemein und ohne nähere Erläuterung verwendet. So bleibt die Stoßrichtung des Freiheitsbegriffes in den Liedtexten und somit auch des Sängerbundes mehr oder weniger unklar, was natürlich auch der ausgeübten Zensur geschuldet war.374 Was aber in den meisten Liedtexten zum Ausdruck kommt, ist, dass es wirkliche Freiheit zurzeit nicht gibt und wohl nur im jenseitigen Himmelreich herrscht. So heißt es in der letzten Strophe des Bundesliedes von Wagner: Hoch oben über Welt und Zeiten Eint uns ein schön’res Bruderband,

367 EBD., S. 3–6. 368 Siehe dazu v. a. unten die Festreden beim 5. Liederfest 1847 in Eisenach S. 184 ff. 369 Erstes Liederfest des Thüringer Sängerbundes (Partitur), S. 6–10. Zur Interpretation der Liedesfreiheit siehe auch KLENKE: Der singende „deutsche Mann“, S. 51. 370 Erstes Liederfest des Thüringer Sängerbundes (Partitur), S. 15–18. 371 EBD., S. 18 ff. Im Liederbuch der Landshuter Liedertafel wird als Komponist Franz Otto angegeben. Siehe Landshuter Liedertafel, S. 168. 372 Erstes Liederfest des Thüringer Sängerbundes (Partitur), S. 20 ff. 373 EBD., S. 23–30. Dieses Lied wurde neben Thüringen von Eisenhofer (1783–1855) nicht a cappella gesungen. Die begleitenden Holz- und Blechbläser gehen wechselnd colla parte mit den einzelnen Chorstimmen. 374 Siehe unten Exkurs, S. 176.

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Winkt uns ein schön’res Vaterland Mit ew’gen Glanzes Herrlichkeiten.375

Während in der ersten Abteilung Lieder über den Männergesang und Festlieder zu Ehren des neugegründeten Thüringer Sängerbundes erklangen, dominierten in der zweiten Abteilung der Lieder Vaterlandsgesänge. Darunter befanden sich unter anderem Was ist des Deutschen Vaterland376 von Gustav Reichardt, das auf keinem größeren Liederfest in Deutschland fehlen durfte, das Vaterlandslied377 von Adolf Eduard Marschner und Deutschland, stehe fest378 von Friedrich Schneider. In den Vaterlandsliedern wurde die Einheit des deutschen Vaterlandes trotz territorialer Zersplitterung beschworen, wobei die kulturelle und geistige Einheit gemeint ist. Eine territoriale Vereinigung kommt aufgrund politischer Rücksichtsnahme und Verbundenheit mit den angestammten Fürstenhäusern nicht zur Sprache: Ob Meer auch und alpige Halden Vielmarkig zertheilen die Flur, Ihre Banner viel Fürsten entfalten, Ein Deutschland an Herzen ist’s nur.379

Um diese Einheit zu erhalten und auch nach außen verteidigen zu können, wird neben altdeutschen Tugenden, wie Sitte, Treue, Wahrhaftigkeit in Wort und Tat sowie Biederkeit, vor allem die Eintracht beschworen – eine wichtige Lehre aus der napoleonischen Besetzungszeit. Die dritte Abteilung beginnt mit zwei Liedern, die an die Befreiungskriege erinnern: Lützows wilde Jagd380 von Weber und Blücher am Rhein381 von Carl Gottlieb Reissiger. Daran schließen sich hauptsächlich Natur- und Heimatlieder an, darunter unter anderem Thüringen382 von Franz Xaver Eisenhofer, Der Jäger Abschied383 von Felix Mendelssohn Bartholdy und der Waldgesang384 von Albert Methfessel. Im Waldgesang, einem dem Thüringer Sängerbund gewidmeten, durchkomponierten Lied, wird der Wald als Idylle und Rückzugsrefugium besungen. 375 376 377 378 379 380 381 382 383 384

Erstes Liederfest des Thüringer Sängerbundes (Partitur), S. 13. EBD., S. 33–39. EBD., S. 39–42. EBD., S. 42 ff. Vaterlandslied von Adolf Eduard Marschner (1819–1853) und Carl Rinne (2. Strophe) in Erstes Liederfest des Thüringer Sängerbundes, S. 13. Erstes Liederfest des Thüringer Sängerbundes (Partitur), S. 51–62. EBD., S. 63–74. Bezüglich des Komponisten gibt es unterschiedliche Angaben. Im Festprogramm (S. 21) wird Daniel Elster, in der Partitur Eisenhofer angegeben (S. 88). Das Lied wurde auf allgemeinen Wunsch von der Liedertafel aus Arnstadt vorgetragen. Erstes Liederfest des Thüringer Sängerbundes (Partitur), S. 89 ff. EBD., S. 78–88. Vier Hörner und drei Posaunen begleiteten den Liedsatz und spielten jeweils das Vor-, Zwischen- und Nachspiel.

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Nur dort kann sich der Sänger verstanden und wirklich frei fühlen, und sich somit ungezwungen trotz bedrängender Zeitläufte äußern. So heißt es in der letzten Strophe: Da fühlt die Brust am eignen Klang: Sie darf sich was erkühnen! O frische Luft! O Götterlust! Gesang, Gesang im Grünen.385

Die Weihe des Gesangs von Carl Maria von Weber beschloss die Gesangsdarbietungen auf dem ersten Liederfest des Thüringer Sängerbundes.386 Das letzte Lied widmete sich ebenso wie der Weihgesang von Mozart am Beginn der Aufgabe des Gesanges.387 Im Gegensatz zum Weihgesang wird hier jedoch weniger der heilige als vielmehr der gesellige Charakter des Gesanges hervorgehoben. In den Liedern, die offiziell beim Liederfest laut Festprogramm vorgetragen wurden, waren inhaltlich die Themenbereiche Bedeutung und Macht des Gesanges, Heimat- und Vaterlandsliebe und Geselligkeit bestimmend. Hervorzuheben sind hierbei vor allem die Lieder, die den Gesang im Allgemeinen und den der schönen thüringischen Heimat im Besonderen priesen. Sie hatten beim ersten Liederfest des Thüringischen Sängerbundes konstituierenden Charakter. Ideen und Ideale der bürgerlichen Freiheitsbestrebungen spielten sowohl in den Weihsprüchen als auch in den Liedern eine Rolle, wobei sie in den Festansprachen deutlicher zutage traten. Exkurs: Die Auseinandersetzungen um die Genehmigung des ersten Liederfestes des Thüringer Sängerbundes 1843 in Molsdorf In der Festschrift von Storch über das erste Liederfest des Thüringer Sängerbundes wurde die Erlaubnis zum Abhalten des Festes von Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg-Gotha „mit hoher fürstlicher Huld und Liberalität erteilt“.388 Der sich dahinter verbergende lang anhaltende Kampf um die Genehmigung des Liederfestes zwischen dem Herzoglichen Ministerium und dem Festkomitee findet hier, wahrscheinlich aus Gründen der Zensur, keine Erwähnung. Hinweise auf die Auseinandersetzungen geben die in einer Festausgabe anlässlich des 100jährigen Bestehens der Gothaer Liedertafel im vom Gothaer Tageblatt herausgegebenen Periodikum Rund um den Friedenstein vom 15. April 1937 und Unterlagen im Staatsarchiv Gotha.389 385 Erstes Liederfest des Thüringer Sängerbundes, S. 20. 386 EBD., S. 31. 387 Wenn in den Festansprachen und Liedern vom Gesang die Rede ist, so ist damit in erster Linie der deutsche Männergesang gemeint. 388 STORCH: Thüringer Sängerbund, S. 28. 389 Rund um den Friedenstein, Nr. 8, 15. April 1937, S. [3 f.]. Dort berichtet der Rechtsanwalt und Notar Edwin Zeyß aus Gotha unter dem Titel „Sänger und Reaktion im Kampf um das Sängerfest

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Da das Schloss Molsdorf zum Hausvermögen Ernst I. gehörte, musste bei der Herzoglichen Regierung die Genehmigung zur Abhaltung des Liederfestes eingeholt werden. Die Verhandlungen darüber übernahm die in Gotha ansässige Liedertafel im Auftrag des Festkomitees in Erfurt. Zu Beginn des Jahres 1843 setzte sich der Vorstand der Gothaer Liedertafel mit dem Herzoglichen Oberhofmarschall-Amt in Verbindung. Mit der Mitteilung von Hofrat Wilhelm Heinrich Ewald,390 dem Justiziar des Oberhofmarschall-Amtes und Mitglied der Gothaer Liedertafel, vom 7. Februar, dass „der regierende Herzog die Benutzung des Molsdorfer Gartens zu dem Feste der Thüringischen Liedertafeln gnädigst genehmigt habe“, schien die Abhaltung des Liederfestes gesichert.391 Das Festkomitee musste allerdings versprechen, dass „auf Ordnung gesehen und alles vermieden werde, was in politischer Beziehung Anstoß geben könnte“.392 Nun aber schaltete sich das Herzogliche Ministerium ein und erhob aus politischen Erwägungen heraus Einwendungen gegen das Liederfest. Das Ministerium befürchtete ernste diplomatische Verwicklungen, wenn innerhalb der Grenzen des Herzogtums bürgerliche Freiheitsrechte und die staatliche Einheit Deutschlands in einem Sängerfest unter der Beteiligung preußischer Liedertafeln propagiert würden.393 Neben außenpolitischen Bedenken dürften aber auch Befürchtungen bezüglich der innenpolitischen Auswirkungen eines Volksfestes auf die öffentliche Meinung eine Rolle gespielt haben.394 Nachdem der Vorwand, das Fest aufgrund privatrechtlicher Bedenken – d. h. wegen einer möglichen Zerstörung des

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im Schlosspark zu Molsdorf (1843)“ über die Auseinandersetzungen um die herzogliche Genehmigung des Liederfestes. Wahrscheinlich bezieht sich der Autor, der keine Quellen angibt, auf eine Akte im Thüringer Staatsarchiv Gotha, in der die Auseinandersetzung zwischen Thüringer Sängerbund und der herzoglichen Regierung dokumentiert ist. ThStA Go, Geheime Kanzlei. J.J., Nr. 55. Wilhelm Heinrich Ewald (1791–1865) wurde im Oberhofmarschall-Amt 1831 Assessor und 1833 Kriegsrat. Seit 1842 oblag ihm die Verwaltung der Kulturinstitute im Schloss Friedenstein. Siehe PACHNICKE: Gothaer Bibliothekare, S. 21. ThStA Go, Geheime Kanzlei. J.J., Nr. 55, Bl. 2r. Der Adressat des Briefes ist namentlich nicht erwähnt. Nach dem Gutachten des Oberhofmarschalls bezüglich der Abhaltung des Liederfestes vom 1. März 1843 wurde dem Verwaltungsausschuss vom Herzog für das Liederfest im Molsdorfer Garten eine vorläufige Erlaubnis erteilt. Siehe EBD., Bl. 5v. EBD., Bl. 2r. Rund um den Friedenstein, Nr. 8, 15. April 1937, S. [4]. Vermutlich fürchtete das Herzogliche Ministerium die Anwendung der Bundesexekutions-Ordnung von 1820, die dem Deutschen Bund das Recht verlieh, notfalls Gewalt anzuwenden, wenn Anordnungen des Bundes nicht verfolgt werden. Daher schlug die Herzogliche Landesregierung vor, nur gothaische Liedertafeln am Fest teilnehmen zu lassen. Das Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha bekam erst nach der Revolution von 1848/49 im Jahre 1852 eine Verfassung und wurde so zu einer konstitutionellen Monarchie. Daher war es seitens des Ministeriums zu befürchten, dass auf Massenveranstaltungen wie z. B. auf Sängerfesten, politische Forderungen bezüglich verfassungsrechtlich verankerter bürgerlicher Freiheitsrechte erhoben werden konnten.

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Parks durch den Zustrom der Massen395 – abzusagen, durch eine positive Aussage des Oberhofmarschall-Amtes gegenstandslos geworden war,396 mussten andere Gründe für das Absagen des Festes gesucht werden. Dafür fragte die gothaische Landesregierung bei der Erfurter Regierung an, ob diese die Satzungen des Thüringer Sängerbundes, insbesondere § 4, nach dem durch die Macht des Gesanges vaterländischer Sinn gefördert werden sollte, anerkenne. Die Regierung in Erfurt teilte daraufhin mit, dass ihr die Bildung des Thüringer Sängerbundes mit seinem länderübergreifenden Charakter politisch unbedenklich erscheine, wodurch ein Verbot in dieser Hinsicht nicht zu rechtfertigen war.397 Nun sah sich die gothaische Landesregierung gezwungen, neben administrativen offen auch politische Bedenken gegenüber der Gothaer Liedertafel ins Feld zu führen. Die Herzogliche Regierung merkte in einem Bericht an, dass sie „dergleichen Zusammenkünfte im Herzogthum Gotha wegen der möglichen Ausschreitungen einzelner, exaltierter Bundes-Mitglieder und wegen der hieraus entspringenden Conflikte mit benachbarten Regierungen [für] nicht besonders wünschenswerth erachte“.398 Auch kenne sie die Leiter des Thüringer Sängerbundes nicht und wisse nicht, ob diese imstande seien, „dem besorglichen Hinüberschweifen der Sänger in das Gebiet der Politik unter allen Umständen vorzubeugen“.399 Weiterhin kam seitens der Regierung das Argument hinzu, dass in friedlichen Zeiten ein Volksfest unbedenklich erscheine. Davon könne aber momentan nicht die Rede sein. Dieser Vorbehalt deutet darauf hin, dass im ausgehenden Vormärz auch im kleinen Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha zunehmende Angst vor öffentlichen Zusammenkünften und damit einhergehender politischer Betätigung herrschte. Diese in erster Linie politischen Bedenken teilte das Ministerium dem Herzog mit, der daraufhin erwog, die Genehmigung zurückzuziehen. Daher sah sich der Vorstand der Erfurter Liedertafel als Festkomitee unter der Führung von Dennhardt gezwungen, auf einer Audienz beim Herzog am 23. April auf Schloss Friedenstein den Fürsten zu überzeugen, dass dem Herzogtum durch das Fest 395 Siehe dazu einen Brief aus der Geheimen Kanzlei an das Oberhofmarschall-Amt vom 21. Februar 1843 in: ThStA Go, Geheime Kanzlei. J.J., Nr. 55, Bl. 2r. Darin wird ein zielgerichtetes Gutachten angefordert, nach dem es „räthlicher erscheinen möchte, die gedachte Versammlung ganz von Molsdorf abzuwenden.“ Siehe EBD. 396 Siehe Gutachten des Oberhofmarschalls bezüglich der Abhaltung des Liederfestes vom 1. März 1843 in EBD., Bl. 3r–5v. Neben ordnungstechnischen Bedenken wurden auch Bedenken politischer Art zurückgewiesen. Eine „Ausartung“ des Liederfestes sei nicht zu befürchten, „da viele Staatsdiener, Geistliche und Schullehrer Mitglieder der Liedertafeln sind.“ Siehe EBD., S. 4v. 397 Siehe Bericht der Herzoglichen Landesregierung über die beabsichtigte Versammlung des Thüringer Sängerbundes 1843 in Molsdorf vom 8. März 1843 in EBD., Bl. 7r. 398 EBD., Bl. 8v. Dieser Passus ist im Original wegen der Wichtigkeit dieses Arguments durch eine rote Markierung hervorgehoben worden. 399 EBD., Bl. 8r. Auch hier erfolgte eine besondere Hervorhebung durch eine Markierung.

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keine politischen Verwicklungen drohen würden.400 Das Gespräch bei Ernst I. ließ diesen wieder der Zustimmung zuneigen, was immer noch den Widerspruch des Ministeriums fand, das unter allen Umständen ein länderübergreifendes Sängerfest auf gothaischem Boden vermeiden wollte. Nach erneuter Petition der Erfurter Deputation an den Herzog vom 28. April,401 worin privatrechtliche und politische Bedenken zurückgewiesen wurden und ein eventuell nötig werdender Schadensersatz in Aussicht gestellt wurde, eröffnete Ernst I. am 9. Mai dem Oberhofmarschall-Amt, dass er unter bestimmten restriktiven Bedingungen die Genehmigung zum Liederfest auf Schloss Molsdorf erteilen wolle.402 Zu den Bestimmungen gehörte unter Punkt 4, dass das Festprogramm vorher bei der Landesregierung einzureichen und zu genehmigen sei und bei Bedarf von der Regierung geändert werden dürfe. Des Weiteren ist laut Punkt 5 der Veranstalter verpflichtet, sich polizeilicher Aufsicht zu unterwerfen und die Kosten dafür zu tragen. Laut Punkt 6 müssen „alle und jede Reden und Vorträge anderer Art, als Gesang, gänzlich ausgeschlossen bleiben“. Bei Verstößen gegen die letzte herzogliche Bestimmung würde der Redner sofort von den beaufsichtigenden Beamten „zur Ruhe verwiesen“ werden.403 Am 26. Mai dankte der Vorstand der Erfurter Liedertafel für die erteilte Genehmigung, erbat aber gleichzeitig von der Landesregierung die „Einschaltung einiger kurzer Denksprüche und Toaste“, um der Ermüdung von Sängern und Zuhörern zu begegnen und um dem Fest so eine besondere Weihe zu geben.404 Auf diese „oratorisch-poetische Zugabe“ wurde im Schreiben so großer Wert gelegt, dass bei negativer Bescheidung seitens der Landesregierung das Liederfest abgesagt werden würde.405 Daraufhin erfolgte am 10. Juni die endgültige herzogliche 400 Siehe dazu das von Hofrat Ewald angefertigte Protokoll von dieser Audienz vom 23. April 1843 in EBD., Bl. 11. 401 EBD., Bl. 12r–17v. Bezüglich der Sorge um den Missbrauch des Sängerfestes als Bühne für politische Kundgebungen versicherte das Festkomitee dem Herzog, dass es „mit persönlicher Verantwortlichkeit [...] dafür verbürgen würde, keine anderen als bewährte Männer, von denen bekannt ist, daß sie jedweden, allermeist den politischen Schwindel streng von sich entfernt halten, zu öffentlicher Rede aufzufordern.“ EBD., Bl. 14r. Interessanterweise wird zur Zerstreuung oben genannter Bedenken auch auf die Zusammensetzung der Liedertafeln hingewiesen, die gegen einen politischen Missbrauch spräche. Bei den Bundesmitgliedern handele es sich demnach hauptsächlich um die „Altersklasse gesetzter Männer, nicht aber unverständiger Jünglinge“, die „zu der Klasse beamteter Personen oder gewerbetreibender, ruhiger Bürger, nicht der amt- und geschäftlosen Jugend gehören“. Daher und aufgrund des Zweckes der Gesangvereine wären „politische Tendenzen ausgeschlossen.“ EBD., Bl. 14v. 402 Siehe Schreiben des Herzogs Ernst I. an das Oberhofmarschall-Amt vom 9. Mai 1843 in EBD., Bl. 11. 403 EBD., Bl. 25v. Das Festprogramm wurde dem Herzog durch die Erfurter Liedertafel zusammen mit der Einladung zur Teilnahme am Liederfest in einem Brief vom 6. August 1843 eingereicht. Siehe EBD., Bl. 34r–51v. 404 Siehe dazu Bericht der Herzoglichen Landesregierung vom 30. Mai 1843 in EBD., Bl. 27r–29r. Hier: Bl. 28r. 405 EBD.

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Genehmigung unter der Bedingung, dass alle Lieder und Redebeiträge vor dem Fest einzusenden und von höchster Stelle zu genehmigen seien.406 Nun konnte das Liederfest am 16. August 1843 im Schlosspark zu Molsdorf stattfinden. Der Herzog selbst erschien trotz besonderer Einladung seitens des Festkomitees nicht zum Liederfest. Ob das Fernbleiben Ernsts I. „Unwohlsein“ geschuldet war oder aus Rücksichtnahme gegenüber beziehungsweise auf Wunsch führender Staaten des Deutschen Bundes geschah, muss ungeklärt bleiben.407 Das vierte Liederfest am 12. August 1846 in Arnstadt Nachdem das zweite und dritte Liederfest jeweils in Gotha durchgeführt wurde, fand das vierte Liederfest zu Arnstadt im fürstlichen Schlossgarten von Fürst Günther Friedrich Carl II. von Schwarzburg-Sondershausen, der auch persönlich anwesend war, statt.408 An diesem Sängerfest nahmen ungefähr 700 aktive Sänger aus 21 Vereinen des Thüringer Sängerbundes, 17 Deputierte aus zehn nicht dem Bund zugehörigen Sängervereinen sowie zahlreiche Instrumentalisten aus den Musikchören aus Erfurt und Langensalza teil.409 Die musikalische Leitung lag in den Händen von Kantor Christian Gottlob Stade, dem Direktor der Arnstädter Liedertafel.410 Eine wesentliche Besonderheit dieses Liederfestes war, dass in Arnstadt zum ersten Mal bei den Liederfesten des Thüringer Sängerbundes die freie Rede

406 Siehe dazu Brief des Herzogs an die Herzogliche Landesregierung vom 10. Juni 1843 in EBD., Bl. 30r. Die Vorlage des zu genehmigenden Programms bei der Landesregierung wurde in einem Brief des Herzogs an das Oberhofmarschall-Amt vom 30. Juli1843, in welchem die Erlaubnis zur Abhaltung des Festes bekräftigt wurde, noch einmal an erster Stelle eingefordert. Siehe dazu EBD., Bl. 14. 407 STORCH: Thüringer Sängerbund, S. 65. Nach dem Schreiben des Herzogs vom 10. Juni 1843 ist auch eine terminliche Unpässlichkeit des Herzogs für das Fernbleiben beim Liederfest verantwortlich. Darin wird die Bitte geäußert, „die Veranstaltung des Festes gegen das Ende des Monats August“ zu verschieben. Siehe ThStA Go, Geheime Kanzlei. J.J., Nr. 55, Bl. 30v (Hervorhebungen im Original). 408 Allerdings ließ die Zusage des regierenden Fürsten bis nach dem 5. Juli 1846 auf sich warten, wie aus einem Schreiben des Arnstädter Festkomitees an die Liedertafel des Erfurter Musikvereins vom 5. Juli 1846 hervorgeht. Bedenken seitens des Fürstenhauses bzw. der Regierung können hier nur vermutet werden. Siehe dazu die Akte der Erfurter Liedertafel (Bd. 2) in StA Erfurt, Bestand Erfurter Musikverein, Bd. 3, 5/741 B–30 (unpag.). 409 Unter den nicht zum Thüringer Sängerbund gehörenden Vereinen war neben Vertretern aus Bürgel, ButtstädtLiedertafel, Corbach, Großbreitenbach, Großkörner, Laucha/Unstrut, Mehlis, Möhrenbach und Sondershausen mit Julius Schomburg auch der Bundesleiter des im Jahr zuvor gegründeten Sängerbundes vom Walde. Zum Sängerbund vom Walde siehe oben S. 81, Anm. 92. 410 Stade (1778–1865) gründete neben der Liedertafel (1833) auch den Gesang-Verein (1831) daselbst. Siehe zur Arnstädter Liedertafel Teutonia, Nr. 25, 1846, S. 394–399.

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zugelassen wurde. Dieser Umstand erfuhr in der Festbeschreibung besonders oft Erwähnung. Nach der musikalischen Begrüßung durch die Ouvertüre von Franz Lachners Catarina Cornaro bestieg der Arnstädter Gymnasialdirektor Karl Theodor Pabst die Rednertribüne und richtete eine Willkommensrede, die mit zahlreichen historischen Vergleichen gespickt war, im Namen seiner Heimatstadt an die Festgemeinde.411 Nach dem Herleiten einer Parallele zwischen Kampfspielen der Hellenen im Altertum und dem Sängerfest in Arnstadt, wo nun ein „Kampf der Lieder“ stattfindet, kommt der Redner auf den Grund für die Zusammenkunft der Sänger zu sprechen. Dieser liegt seiner Meinung in erster Linie in der Festigung eines nationalen Bewusstseins: „Der deutsche Männergesang am Liederfeste soll uns zum lebendigen Bewußtsein bringen, daß ,eines Stamms wir sind und eines Bluts, ein Vaterland es ist, das uns erzogen, ob uns auch Flüsse, Berge, Wälder trennen und jeder Fürst sein eigen Volk regiert‘“.412 Am Schluss seiner Rede hebt Pabst das Verdienst des Landesfürsten Günther Friedrich Carl II. bezüglich der Aufhebung der Zensur hervor. Dieser habe als erster deutscher Fürst bei einem „Thüringer Sängerfest“ die Rede freigegeben. Für diese „hochherzige Gesinnung“ gebühre ihm einerseits großer Dank, und andererseits sollte dieses Vertrauen nicht enttäuscht werden: „Unangefochten von verkrüppelnder Censur darf heute frei das Wort, wie es der Brust entquillt, frei über unsere Lippen strömen, und Thüringens Männer werden dieses Vertrauen nicht täuschen, nicht mißbrauchen.“413 In diesen Worten kommt die große Freude über die Aufhebung der Vorzensur zum Ausdruck, die als „verkrüppelnd“ empfunden wurde und die jeweiligen Redner nicht immer alles das zum Ausdruck bringen ließ, was sie bewegte. Das Schlusswort im offiziellen Teil, das in der bewährten gedichteten Form gehalten war, übernahm das Ehrenmitglied Dennhardt aus Erfurt, der darin „seinen dreifachen Dank [...] gegen den Himmel, [...] gegen den Fürsten [...] und gegen die Sänger“ aussprach.414 Hinter dieser harmlosen Kurzbeschreibung von Voigt kommen jedoch bei näherer Betrachtung gesellschaftskritische Anklänge zum Vorschein. So wurde im zweiten Vers die Macht des Gesanges angesprochen, die „des Vorurtheils Bollwerk nieder[stürzt]“ und „aus Fürsten und Bettlern Brüder [macht]“.415 Deutlich kommt hier der Wunsch nach einem „Niedersinken […] der Stände lächerlicher Schranken! […] vor des Gesanges Macht“ zum Ausdruck, der 1827 beim ersten schwäbischen Sängerfest durch 411 BUDDEUS: Viertes Liederfest, S. 8–12. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Festreden auf den Thüringer Liederfesten handelte es sich zum ersten Mal um einen reinen Prosatext. 412 EBD., S. 10 (Hervorhebungen im Original). 413 BUDDEUS: Viertes Liederfest, S. 12 (Hervorhebung im Original). 414 VOIGT: Thüringer Sängerbund, S. 23. 415 BUDDEUS: Viertes Liederfest, S. 16.

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Pfaff in Plochingen zum ersten Mal öffentlich zutage trat.416 Zwar geben Fürsten und adlige Gäste den Sängerfesten ein zusätzlich feierliches Gepräge, dennoch „trägt von Natur schon ein Sangfest Ehren“.417 Zwar ist bei diesem Fest die bisher geltende Zensur durch den Landesfürst abgeschafft worden, doch klingt im sechsten Vers an, dass dies überall der Fall sein müsse und die Sängerbewegung dazu beitragen kann und wird: Der Menge soll Hymnus auch wohl gelingen, Die Fesseln der Kunst wird sie schon bezwingen, Ihr Klang über Berge und Thäler dringen.418

Mit den „Fesseln der Kunst“ dürfte die Zensur sowohl von Lyrik- und Prosatexten als auch von Liedtexten gemeint sein. Nach diesem plötzlichen gesellschaftskritischen Einschub erfolgt in der siebten Strophe gleichzeitig die Warnung vor „der Schwindler Schwarm“ im Thüringer Sängerbund, die „der Ordnung, gut Reg’ment zuwider“ sind und „das Besteh’nde gern um und über[stürzen]“.419 Das ist eine deutliche Absage an revolutionäre Umsturzversuche nach radikaldemokratischen Vorstellungen, wie sie z. B. Ludwig Storch verfochten hatte, der unter anderem auch deshalb in Distanz zur Sängerbewegung geriet. Dass Aufrührer und Umsturz überhaupt thematisiert werden, zeigt, dass auch der Thüringer Sängerbund nicht an dieser Realität am Vorabend der Revolution vorbeikam. Beim vierten Liederfest des Thüringer Sängerbundes wurden 13 Lieder in drei Abteilungen zu Gehör gebracht. Im Gegensatz zu den bisherigen Liederfesten erklangen bei diesem Liederfest wieder mehr religiöse Gesänge. Sie prägten die erste Abteilung. Die zweite Abteilung beinhaltete ausschließlich Vaterlandslieder. An erster Stelle stand An das Vaterland420 von Conradin Kreutzer. Es folgte Mein Lieben421 von J. Adam auf einen Text von Hoffmann von Fallersleben. Darin kommt die Unbedingtheit der Vaterlandsliebe des vier Jahre zuvor als Germanistikprofessor in Breslau entlassenen Dichters zum Ausdruck.422 So wird das deutsche Vaterland 416 417 418 419 420

Siehe dazu oben S. 72. BUDDEUS: Viertes Liederfest, S. 16. EBD., S. 15. EBD., S. 17. Festordnung für das vierte Sängerfest, S. 7. Als Textautor ist C. Falke angegeben. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um eine Bearbeitung der bekannten Lieddichtung gleichen Titels von Ludwig Uhland. Siehe dazu Männergesänge von verschiedenen Komponisten, S. 170−174. 421 Festordnung für das vierte Sängerfest, S. 7 f. 422 Zu Hoffmann von Fallersleben in Schlesien im Allgemeinen siehe neuerdings folgende Dissertation: HAŁUB: Hoffmann von Fallersleben. Zur politischen Dichtung im Besonderen EBD., S. 78–92. Zu Fallersleben als Verfasser politischer Lieder siehe BRUSNIAK: ,Singend dichten‘.

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als „meine Braut“ bezeichnet, neben der alles andere unwesentlich erscheint und der man sich ständig als würdig erweisen muss: „Ich suche nichts, als dich allein, / Und deiner Liebe werth zu sein!“.423 Während bei von Fallersleben mit Vaterland das zu vereinende ganze Deutschland gemeint ist, wurde im folgenden Vaterlandslied von Andreas Zöllner Thüringen als „Heimathland“ die Treue geschworen.424 Das Deutsche Weihelied von August Mühling beschwört „der alten Barden Vaterland“ und dessen Treue und „alte deutsche Sitten“, die es zu bewahren gilt.425 In der letzten Strophe wird, über 50 Jahre vor Pfaffs Diktum von 1827, der Verbrüderung von Sangesbrüdern das Wort geredet: „Und jeder echte deutsche Mann / soll Freund und Bruder heißen.“ Dem Weihelied folgte dann als letztes Lied Was ist des Deutschen Vaterland von Gustav Reichardt. In der dritten Abteilung erklang unter anderem das Lied Freie Kunst von Lorenz Lehmann.426 Darin wird der Gesang als demokratisches Gut dargestellt, das von allen Menschen ausgeübt werden kann und keinerlei ständischer Beschränkung unterliegt. Nach dem Schlusswort von Professor Dennhardt sang die versammelte Festgemeinde gemeinsam ein Allgemeines Volkslied von Traugott Maximilian Eberwein.427 Darin wird zum einen die geistige Einheit des deutschen Volkes beschworen, deren wichtigster Bezugspunkt die deutsche Sprache ist: „Sind wir nicht ein Brudervolk / Durch die Muttersprache?“. Zum anderen wird die Kunst als Hort der Wahrheit postuliert: „Stets noch siegen Licht und Kunst, / Freiheit, Lieb’ und Lieder“.428 Hier erfährt die eherne Trias „Wein, Weib und Gesang“ eine Umdeutung. Der „Wein“ wird durch „Freiheit“, die hier die geistige Unabhängigkeit meint, ersetzt, und ihm somit eminente Bedeutung zuerkannt. Erst danach gilt dem Fürsten der Gruß des deutschen Liedes, der dadurch auch an die Verpflichtung erinnert wird, an der geistigen Einheit Deutschlands mitzuwirken. Das gehört neben seiner von Gott gegebenen Aufgabe, als „Schild und Hort“ seines Volkes zu wirken, auch zur Bestimmung eines „edlen Fürsten“. Wenn in der vorletzten Strophe dem ortsansässigen Fürsten der Segen Gottes gewünscht wird, hat das hier nicht nur mit den Pflichten der Untertanen, sondern bestimmt auch mit der Aufhebung der Zensur für dieses Fest zu tun, um die sich Fürst Günther Friedrich Carl II. von Schwarzburg-Sondershausen aus Sicht der Sänger besonders verdient gemacht hat.

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Festordnung für das vierte Sängerfest, S. 8. EBD., S. 8 f. Der Text stammt von Ludwig Bechstein. EBD., S. 9 f. Der Text stammt von Matthias Claudius (1740–1815). EBD., S. 12. Die bekanntere Vertonung stammt von Mendelssohn. Siehe Männergesänge von verschiedenen Komponisten, S. 131−134. 427 Festordnung für das vierte Sängerfest, S. 13−15. Den Text schrieb der auch als Redner bei den Liederfesten fungierende Gothaer Professor Philipp Heinrich Welcker. Der Komponist Eberwein (1775–1831) war Hofkapellmeister und Musikdirektor in Rudolstadt. 428 EBD., S. 14.

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Die Festordnung des vierten Liederfestes weist im Gegensatz zu den vorangegangenen Festen eine klare thematische Gliederung auf. Das Entfallen der Zensur machte sich durchaus in den Reden und Liedern bemerkbar. So wird bei diesem Fest wieder stärker das nationale Bewusstsein und die Notwendigkeit betont, Standesschranken zu überwinden. Weiterhin dankt Dennhardt in seinem Schlusswort noch einmal ausdrücklich für die Abschaffung der Zensur für dieses Liederfest, nicht ohne jedoch diese auch für andere Länder und Gebiete indirekt einzufordern. Das fünfte Liederfest am 23. und 24. August 1847 in Eisenach Das fünfte und letzte Liederfest des Thüringer Sängerbundes vor der Revolution von 1848/49 fand im Marienthal und auf der symbolträchtigen Wartburg in der Umgebung Eisenachs statt. Allerdings gab es vor dem Liederfest Überlegungen, dieses aufgrund der herrschenden Hungersnot zu verschieben, wofür sich vor allem die Liedertafel des Erfurter Musikvereins aussprach.429 Das Festkomitee war sich der prekären Lage durchaus bewusst: „Es wäre ja Hohn gewesen, Freudenfeste zu feiern, zu jubeln und zu singen, während bleiche, hohlwangige Gesichter uns umstanden hätten.“430 Da aber die Vorbereitungen weit gediehen waren und sich die Nahrungssituation besserte, fand das Liederfest an den festgelegten Tagen statt. Als Tribut an die entbehrungsreiche Zeit wurde es dann als „Dank- und Erntefest“ gefeiert, was sich auch in den Festreden und in einigen Liedern niederschlug. Zum ersten Mal erstreckte sich das Liederfest über zwei Tage und wurde am Vorabend des ersten Festtages durch ein Begrüßungskonzert eröffnet. Die Zahl der teilnehmenden Sänger aus 26 Vereinen betrug etwa 1.200 Männer.431 Mit insgesamt geschätzten 16.000–20.000 Beteiligten war es zugleich das größte Fest im thüringischen Raum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.432 Eine organisatorische Verbesserung stellte der Einsatz von Extrazügen dar, die die

429 Siehe dazu NICKEL: Erfurter Liedertafel, S. 114 ff. 430 J[ÄGER]: Fünftes Liederfest, S. 9. 431 VOIGT: Thüringer Sängerbund, S. 25. Die Zahlen der teilnehmenden Gesangvereine differieren in den einzelnen Festschriften. Nach dem Bericht von Hermann Jäger kamen von den 28 Teilnehmern als neue Bundesmitglieder die Liedertafel Dreyßigacker, der Männerchor Eisenach, die Liedertafel Geisa, die Liedertafel Jena, Vertreter des Sängerbundes vom Walde, der Singverein Marksuhl, Treffurt und der Gesangverein der Armbrustschützen-Gesellschaft zu Weimar hinzu. Siehe J[ÄGER]: Fünftes Liederfest, S. 9. Nach einem anderen, anonymen Bericht kam auch die Liedertafel Buttstädt neu hinzu. Siehe Fünftes Liederfest des Thüringer Sängerbundes, S. 3. Mit der Liedertafel Wechmar schied hingegen ein Gründungsmitglied des Thüringer Sängerbundes im Vorfeld des Liederfestes aus. Siehe StA Erfurt, Bestand Erfurter Musik-Verein, 5/741 B – 30. (unpag.). 432 HAHN: „Sängerrepublik“, S. 193.

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thüringische Eisenbahn bereitstellte.433 Durch diesen neuen Reisekomfort verkürzte sich die Reisezeit erheblich. Der erste Teil des Liederfestes wurde im Marienthal, der zweite Teil auf der Wartburg und im Marienthal abgehalten. Die musikalisch-künstlerischen Ansprüche waren gegenüber den vorhergehenden Liederfesten gestiegen, wie die Gewinnung Mendelssohn Bartholdys als Komponist des Eröffnungsgesanges und die drei dem Thüringer Sängerbund gewidmeten Gesänge von Albert Methfessel und Friedrich Schneider zeigen.434 Einen weiteren bedeutsamen Punkt stellten die Parallelen mit dem von den Burschenschaftlern getragenen und veranstalteten Wartburgfest am 18./19. Oktober 1817 dar, in der neben dem Gedenken an 300 Jahre Reformation auch die Erinnerung an die Völkerschlacht 1813 in Leipzig eine wesentliche Rolle spielte. Wie 1817 wurde auch 1847 Luther als Befreier aus geistiger Knebelung gefeiert. Auch Festelemente wie der Wechsel von Festreden, Deklamationen, Gesängen und der Schmuck mit Eichenlaub sowie der Festzug von Eisenach auf die Wartburg rekurrierten deutlich auf die „Burschenfahrt“ von 1817. Bildhaften Ausdruck fand dies im gedruckten Festprogramm, in dem ein Minnesänger mit einer Harfe und mittelalterlicher Tracht am Fuße der Wartburg, an eine Eiche gelehnt sitzend, abgebildet ist. Das Gesicht und die Frisur des Minnesängers erinnerte „aber eher an einen Wartburgfeststudenten von 1817“, was auch durch den auf einer das Bild einrahmenden Girlande niedergeschriebenen Wahlspruch Jahns für die Turner „Frisch, frei, fröhlich, fromm“ untermauert wurde (siehe unten Abb. 11, S. 183).435 Die Feier auf der Wartburg gab aber auch Anlass für Beanstandungen. So gestaltete sich die konfessionelle Ausrichtung, was natürlich auch dem genius loci geschuldet war, in den Augen der (andersgläubigen) Kritiker zu einseitig lutherisch.436 Dieser Umstand musste Kritik evozieren, da sich die Sängerbewegung als überkonfessionell verstand. In der 1847 bei Meinhardt in Arnstadt herausgegebenen Festschrift befinden sich neun offiziell gehaltene Festreden und Weihesprüche.437 Unter den Festrednern befinden sich der Festgemeinde vertraute Namen wie Dennhardt, Schwerdt,

433 Fünftes Liederfest des Thüringer Sängerbundes, S. 6. Die Strecke von Weißenfels nach Eisenach wurde kurz zuvor im Juni 1847 fertig gestellt. 434 Mendelssohn Bartholdy war zwar auch als Ehrengast eingeladen, um seine Komposition zu dirigieren, sagte jedoch seine Teilnahme ab. Siehe BRUSNIAK: Nationalreligiosität, S. 90 f. Von Albert Methfessel stammen ein Festlied (2. Lied der 1. Abteilung am 1. Festtag) und Der Sängerbund (2. Lied am 2. Festtag im Marienthal). Friedrich Schneider widmete dem Thüringer Sängerbund sein doppelchöriges Vater unser (op. 103). 435 HAHN: „Sängerrepublik“, S. 203. 436 Siehe dazu u. a. VOIGT: Thüringer Sängerbund, S. 27; BRUSNIAK: „Ein feste Burg ist unser Gott“ und DERS.: Nationalreligiosität, S. 93–98. 437 J[ÄGER]: Fünftes Liederfest, S. 48–68.

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Bechstein und Storch. Letztere beiden nahmen nach 1843 wieder an einem Liederfest teil, was auch der Fürsprache Schwerdts zu verdanken war.438

Abb. 11: Festschrift zum fünften Liederfest des Thüringer Sängerbundes 1847 (Tbl.)

438 Siehe EBD., S. 26.

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Als erster Festredner betrat Professor Dennhardt nach dem ersten Lied die Rednertribüne auf dem Eisenacher Marktplatz. In einem siebenstrophigen Weihespruch zur Begrüßung der Sänger ist von „zwei Hauptgedanken an diesem Fest“ die Rede: Gotteslob aufgrund guter Ernte und Dank an den Großherzog Karl Friedrich zu Sachsen-Weimar-Eisenach (1783–1853), unter dessen Schutz der Thüringer Sängerbund „freier handeln und singen darf“.439 In der sechsten Strophe thematisierte Dennhardt die „Macht des Gesanges“, durch die die nationale Verbundenheit sowohl der Fürsten als auch der Völker in den einzelnen Bundesstaaten gestärkt wird. In den letzten beiden Zeilen dieser Strophe stellte der Redner selbstbewusst den Thüringer Sängerbund als maßgeblich für die Wohlfahrt des Landes heraus: „So soll in seinen Bundessängern schauen / Das Vaterland der Freiheit Unterpfand.“440 Die letzten Worte des Weihespruches galten weißgekleideten Jungfrauen, die an die Festteilnehmer Hutschmuck in Form von Eichenzweigen verteilten. Auch die „höchsten Herrschaften“ bekamen diesen „deutschen Festschmuck [...] zum Zeichen, daß auch sie zum Feste gehörten“.441 Dies war ein sehr augenfälliges Zeichen für das zentrale Anliegen der Männergesangbewegung, wonach Standesgrenzen überwunden werden müssen. Nach dem Lied Auf die Höhen! von Ernst Julius Otto (4. Lied der 1. Abteilung) sprach Ludwig Storch – auf dem Podium von Heinrich Schwerdt als Zeichen der Verbundenheit begleitet – einen „Weihespruch zum Preise Thüringens“.442 Dieser Weihespruch trug ausgesprochen nationalreligiöse Züge.443 Nachdem Storch die Schönheit seines Heimatlandes gepriesen hatte, ging er allgemein auf „viel edle, große Menschen“ ein, die Thüringen hervorgebracht habe. Dabei hob er besonders den Reformator Martin Luther und den Schriftsteller und Philosophen Johann Gottfried Herder hervor – den einen als „Vertreter der Wahrheit“, den anderen als „Lehrer reinen Menschenthums“. Ihnen gelte es im Streben nach Wahrheit und Humanität für eine bessere Zeit nachzueifern: „Halt an den Schätzen fest, die sie errungen / Und du wirst eine schöne Zukunft schauen.“444 Gerade den Sängern als Hütern und Verkündern des deutschen Liedes komme im Ringen um eine bessere Zukunft eine besondere Bedeutung zu. Eine herausgehobene Stellung wird im Zeichen der Wartburg Luther zugewiesen, „der dem deutschen Lied die Weihe gab“.445 Nach dem Thüringerlied auf eine Melodie von Martin Luther (5. Lied der 1. Abteilung) entstand aufgrund des Wegfalls von Friedrich Schneiders Auftragskomposition 439 440 441 442 443 444 445

EBD., S. 48. EBD., S. 49. EBD., S. 19 (Hervorhebung im Original). EBD., S. 53 f. Siehe dazu BRUSNIAK: Nationalreligiosität, S. 93. J[ÄGER]: Fünftes Liederfest, S. 53 f. EBD., S. 54.

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Vater Unser (op. 103) eine Pause, in der der liberale Eisenacher Landtagsabgeordnete Oskar von Wydenbrugk an das Rednerpult trat.446 Er hielt „eine in der Festordnung nicht angezeigte geistvolle, kräftige Rede“,447 der das laut Jägers Festschrift nicht informierte Festkomitee mit Sorge entgegenblickte.448 Diese Sorge erwies sich als unbegründet, da der Advokat auf allzu scharfe politische Polemik verzichtete. Gleichwohl versuchte Wydenbrugk auf subtile Art, nationale und freiheitliche Anliegen im Rahmen des Liederfestes, das ihm ein großes Podium bot, zum Ausdruck zu bringen. Hauptthema der Rede waren die im „Deutschen Lied“ verkündete deutsche Vaterlandsliebe und das daraus erwachsende zukünftige einige und freie deutsche Vaterland. In diesem Zusammenhang kritisierte Wydenbrugk den im Thüringer Sängerbund weitverbreiteten und auf Thüringen beschränkten Patriotismus als zu engstirnig. Es reichte seiner Meinung nach nicht aus, mit Blick auf die ferne thüringische Vergangenheit „dem angestammten Lande treuen Sinnes zugethan [zu] bleiben“. Es galt vielmehr, „hoffend und strebend in die Zukunft“ zu schauen und gemeinsam die Einheit Deutschlands zu gestalten.449 Dabei müsste die Selbstständigkeit der Einzelstaaten jedoch nicht restlos geopfert werden. Um das zu veranschaulichen, griff Wydenbrugk auf die seinerzeit beliebte Baum-Metapher zurück.450 Darin stellen die Einzelstaaten die verschiedenen selbstständigen Zweige am Stamm des deutschen Baumes dar. Die einzelnen Staaten müssen in diesem Staatsgebilde von ihrer „Selbständigkeit nach innen nur so viel opfern, als zum Heile des Ganzen noth thut“. Für die Preisgabe der zum Wohle der deutschen Einheit erforderlichen Souveränität würde den Einzelstaaten „als Lohn“ dann die „doppelte Selbständigkeit nach außen und doppeltes Glück nach innen“ winken.451 An dieser Stelle wurde einer föderativen Idee das Wort geredet, in der Zentralismus keinen Platz hatte und die Hegemonie eines Bundesstaates, wie im 1866 beziehungsweise 1871 umgesetzten Modell der kleindeutschen Lösung unter der Führung Preußens, abgelehnt wird. Nur in so einem gleichberechtigten Staatsgebilde könne „die Macht, das Gedeihen, der Gewinn und der Ruhm des Ganzen [...] auch auf den kleinsten Theil“ zurückfallen.452 Aber die Rede Wydenbrugks beschränkte sich nicht nur auf nationale 446 Der Jurist Oskar von Wydenbrugk (1815–1876) war seit Februar 1847 Mitglied und bald einer der Hauptwortführer der liberalen Opposition im Weimarer Landtag. Dort setzte er sich u. a. für die Öffentlichkeit von Landtagssitzungen, die Judenemanzipation und die Einheit Deutschlands ein. Zu von Wydenbrugk siehe BEHREND-ROSENFELD: Oskar von Wydenbrugk. 447 J[ÄGER]: Fünftes Liederfest, S. 55 ff. Die Rede Wydenbrugks wurde auch abgedruckt in: GERBER (Hg.): Quellen zur Geschichte Thüringens, S. 32–35. 448 J[ÄGER]: Fünftes Liederfest, S. 28. 449 EBD., S. 56 (Hervorhebung im Original). 450 Siehe dazu u. a. STORCH: Thüringer Sängerbund, S. 47 f. und Teutonia, Nr. 1, 1846, S. 4 f. 451 J[ÄGER]: Fünftes Liederfest, S. 56 (Hervorhebungen im Original). 452 Nicht nur der Redner, sondern auch ein Großteil der Festgemeinde scheint dieser Idee der Ebenbürtigkeit aufgeschlossen gegenüber gestanden zu haben, wie der Eklat um das von dem Erfurter Sängerbund außerplanmäßig vorgetragene Lied Preußen voran zeigt, worin ausdrücklich

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Aspekte, sondern trug auch freiheitliche Züge. Bei dem oben zitierten „doppelten Glück nach innen“ und dem zurückfallenden „Gewinn“ dürfte der liberale Politiker vor allem die bürgerliche Mitbestimmung in politischen Fragen mittels eines Parlamentes im Rahmen einer Verfassung im Blick gehabt haben. Diese Möglichkeit war auch 1847 nicht in allen thüringischen Staaten gegeben.453 Deutlicher wird Wydenbrugk bezüglich der Feststellung, dass die jeweiligen Fürsten sich der Volksmeinung immer wieder vergewissern müssen, um legitim Macht ausüben zu können. Für ihn gilt „die alte Wahrheit, daß jede Macht ihre einzig feste Grundsäule in der gemeinsamen Überzeugung Derer hat, über welche sie sich erstreckt“.454 Mit dieser deutlichen Absage an jegliches altständisches Denken und die Wiedererrichtung des Feudalstaates stand der Redner auf dem gesicherten Boden einer der Grundüberzeugungen der deutschen Sängerbewegung. Am Schluss seiner Rede betont Wydenbrugk noch einmal die wichtige Aufgabe der deutschen Sängerfeste, die darin bestehe, die Vaterlandsliebe zu pflegen und singend zu verbreiten. Nach dem Lied Sangesweisen von Friedrich Schönewald (1. Lied der 2. Abteilung) ergriff der Altphilologe Karl Friedrich Ameis aus Mühlhausen das Wort zur „Huldigung den Frauen“.455 Das Lob der Frauen verband Ameis zugleich mit der Absage an jegliche Politisierung, die „das harmonische Bundesgefühl der Thüringer Sänger in ihren Kreisen nimmermehr dulden kann!“. Dadurch spielte er deutlich auf seinen Vorredner an, der seiner Meinung nach mit einer „vom Staubgewölke politischer Parteiung umhüllte[n] Stimme auf fremdartigem Gebiete“ politisch zu agitieren suchte. Politik gehörte laut Ameis nicht in ein Sängerfest, „sondern Liebe und Eintracht“.456 Hier zeigte sich schon der Riss in der deutschen Sängerbewegung, der im späten Vormärz immer sichtbarer und tiefer wurde und letztendlich in der Revolutionszeit zum zeitweiligen Erliegen des Männergesangs führte.457

453 454 455

456 457

die Führungsrolle Preußens besungen wurde. Der Festschrift-Autor Jäger stellte einen „offenbar [...] unangenehme[n] Eindruck [fest …], den dieses Lied machte“ und stellte anschließend die Frage: „Warum auch Preußen hervorheben in der Republik der T h ü r i n g e r Sänger?“. Siehe J[ÄGER]: Fünftes Liederfest, S. 43 (Hervorhebung im Original). Siehe dazu oben S. 48. J[ÄGER]: Fünftes Liederfest, S. 56. EBD., S. 57–61. Der Altphilologe Karl Friedrich Ameis (1811–1870) wurde 1837 an das Gymnasium in Mühlhausen berufen, wo er bis zu seinem Tod als erster Oberlehrer arbeitete. Zu Ameis siehe LOTHOLZ: Ameis, 1875, S. 392 f. – Ameis, der auf dem Liederfest 1847 in Eisenach Ehrengast und Redner war, machte sich während der Vakanzzeit durch seine schlichtende Tätigkeit um die Wiederbelebung des Thüringer Sängerbundes verdient und wurde daher als zweiter Gründer des Bundes bezeichnet. Siehe VOIGT: Thüringer Sängerbund, S. 141 und KOHLSTOCK: Thüringer Sängerbund, S. 51. EBD., S. 60. Siehe dazu ELBEN: Männergesang (1887), S. 133.

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Im Gegensatz zu den drei vorangegangenen Liederfesten gab es neben mehr Festreden auch deutlich mehr Lieder. Am ersten Festtag wurden insgesamt zwölf Lieder zu Gehör gebracht. Tags darauf erklangen neben dem Choral auf dem Marktplatz drei Lieder auf der Wartburg und elf Lieder im Marienthal. Vom fünften Liederfest in Eisenach hat sich eine Gesamtpartitur in der Forschungsbibliothek Gotha erhalten.458 Zur Faktur der Lieder gilt ähnliches zu sagen wie zu den Liedern, die beim ersten Liederfest in Molsdorf gesungen wurden.459 Am Beginn des offiziellen Programms zum fünften Liederfest des Thüringer Sängerbundes stand der Morgengruß (MWV G 37) von Felix Mendelssohn Bartholdy.460 Mit diesem auf dem Marktplatz von Eisenach gesungenen Lied wurden alle Anwesenden begrüßt. Nachdem sich die Festteilnehmer in das Marienthal begeben hatten, erklang das Lied Gebet des Eisenacher Musikdirektors Friedrich Kühmstedt.461 Darin wird der Segen Gottes für dieses Liederfest erbeten und für die reiche Ernte gedankt. Im nachfolgenden und dem Thüringer Sängerbund gewidmeten Festlied von Albert Methfessel werden Zweck und Ausrichtung des Thüringer Sängerbundes auf den Punkt gebracht.462 Da galten die gesungenen Lieder in erster Linie dem „mächtigen Gott, der sie nie verlässt“, dann „dem Weine, dem Weibe, dem Hochgesang“ und nicht zuletzt, seiner vaterländischen Ausrichtung geschuldet, der deutschen Heimat.463 Dies geschieht jedoch nicht zweckfrei. Neben der gewünschten Einheit werden hier Freiheit und (Bürger-) Recht postuliert: „Die Freiheit, das Recht und ein ein’ges Band.“464 Dass mit der Freiheit nicht nur die äußere gemeint ist, wird durch die Verbindung mit dem „Recht“ deutlich. Die Verbindung von Freiheit und Recht kommt im Liedgut der deutschen Männergesangvereine im Allgemeinen und bei den Liederfesten des 458 Gesänge zum fünften Liederfest. In den Partituren, die mit dem Vater Unser von Friedrich Schneider zusammengebunden sind, befinden sich zwischen den Gesängen als Hinweis für den Dirigenten und die Sänger die letzten Verse der jeweiligen Denksprüche. Allerdings weisen die Lieder in den Partituren eine andere Reihenfolge auf als im offiziellen Festprogramm. Die folgenden Text- und Musikanalysen orientieren sich an der Reihenfolge im Festprogramm. 459 Siehe dazu oben S. 170. 460 Siehe Gesänge zum fünften Liederfest (Erster Festtag), S. 1 f. Der Text stammt vom Vorsitzenden des Festkomitees Heinrich Schwerdt, der bei diesem Sängerfest mehrmals als Textautor und Redner in Erscheinung trat. Die Komposition entstand am 20. Februar 1847 und wurde durch Mendelssohn mit geringfügigen Textänderungen am 1. März 1847 an Schwerdt versandt. Siehe WEHNER: Werkverzeichnis Mendelssohn, S. 112. 461 Siehe Gesänge zum fünften Liederfest (Erster Festtag), S. 3−7. Während des Liedes sollten die Sänger ihre Kopfbedeckung ablegen, wodurch „dieser Augenblick zu einem Gottesdienste, zu einer religiösen Feier im Tempel der Natur [wurde]“, der nach Jäger „vielleicht mehr Eindruck machte, als mancher sonntägliche in der Kirche“. Siehe J[ÄGER]: Fünftes Liederfest, S. 25. 462 Siehe Gesänge zum fünften Liederfest (Erster Festtag), S. 8 f. Der Text stammt von Theodor A. Schröder. 463 Fünftes Liederfest des Thüringer Sängerbundes, S. 10 (Hervorhebungen im Original). 464 EBD. (Hervorhebungen im Original).

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Thüringer Sängerbundes im Besonderen oft zum Tragen. Auch fällt die Parallele zum Lied der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben auf, wo es am Anfang der dritten Strophe „Einigkeit und Recht und Freiheit“ heißt, wobei hier der Einheit Deutschlands der Vorrang vor der Herstellung von Rechtsstaatlichkeit gebührt.465 Im folgenden Lied Zuruf ans Vaterland von Julius Mühling steht die Freiheit im Mittelpunkt, und zwar in beiderlei Hinsicht: So geht es zum einen um die im Kampf gegen äußere Feinde durch der „Väter Muth“ erstrittene Freiheit des Vaterlandes und zum anderen um die innere, geistige Freiheit, der das Vaterland verpflichtet ist („Bleibe wach, o Vaterland“) und das diese „zum Gedeihen“ zu bringen hat.466 Dies gilt insbesondere für den Bereich der Bildung und für den Gesang: „Führe, wo aus voller Brust / Weisheit strömt und Sangeslust, / Freiheit, du den Reihen!“467 Ziemlich deutlich wird hier das Recht des freien Wortes angesprochen und eingefordert. Noch deutlicher trat die Forderung nach Meinungsfreiheit im folgenden Lied Auf die Höhen! von Ernst Julius Otto hervor.468 Dabei kommt es in den ersten beiden Strophen harmlos als Naturlied einher, in dem die Herrlichkeit der Natur durch des Schöpfers Hand im eigenen Vaterland gepriesen wird. So heißt es am Ende jeder Strophe resümierend und bekräftigend: „Schön bist du, mein Vaterland.“ Der Leser resp. Sänger wird in der ersten Strophe aufgefordert, zur Betrachtung seiner Heimat „Auf die Höhen [und ...] in die freie Bergesluft“ zu steigen, um einen ungehinderten und vom einengenden Alltag unbefangenen Überblick zu bekommen. In der dritten Strophe nimmt der Textautor direkten Bezug zum stattfindenden Liederfest in Eisenach, deren Mitglieder sich über Standesgrenzen hinweg verbrüdern: „Seht das Volk, so treu und bieder / Reicht es sich, die Bruderhand.“ In der vierten und letzten Strophe jedoch nimmt dieses Lied unmittelbar politischen Charakter an. Direkt und unmissverständlich wird hier die fehlende Meinungsfreiheit im deutschen Vaterland angeprangert und deren Verwirklichung eingefordert: Und kommt erst die große Stunde, Wo mit Macht von Ort zu Ort Man aus jedem deutschen Munde Schallen hört das freie Wort, Wo die Fesseln werden fallen, 465 Die Reihenfolge und somit die Gewichtung der Forderungen erfuhr in einer Vertonung von Franz Abt, die auf dem Arnstädter Sängerfest 1846 gesungen wurde, interessanterweise eine Änderung. Dort hieß es „Recht und Einigkeit und Freiheit für das deutsche Vaterland“. Hier erhielt also die Rechtsstaatlichkeit den Vorzug. Siehe Sängerfest 1846, S. 10 f. 466 Gesänge zum fünften Liederfest (Erster Festtag), S. 10 f. 467 Fünftes Liederfest des Thüringer Sängerbundes, S. 11. 468 Gesänge zum fünften Liederfest (Erster Festtag), S. 13 ff. Zur Komposition siehe unten Anhang 4, S. 340 f.

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Die die Geister noch umspannt; – Dann bist du vor andern allen Doppelt schön, mein Vaterland!469

Wenn man bedenkt, dass ein halbes Jahr nach diesem vorerst letzten Liederfest des Thüringer Sängerbundes die bürgerliche Revolution Europa und damit auch Deutschland erfasste und die, wenigstens zeitweise, Einlösung der ersehnten bürgerlichen Freiheitsrechte in Form von liberalen Verfassungen mit sich brachte, kommt diesen letzten Versen der Lieddichtung prophetischer Charakter zu. Mit der „großen Stunde“, in der „die Fesseln [...] fallen“, werden die gewaltigen revolutionären Ereignisse herbeigesehnt und antizipiert. Erst wenn die Meinungsfreiheit als zentrale bürgerliche Freiheitsforderung verwirklicht ist, kann man demnach als Deutscher wirklich und zu Recht stolz auf sein Vaterland sein.470 Auch musikalisch wird das erwartete Fallen der geistigen Fesseln unterstützt. Während in den ersten drei Strophen im Soloteil durchgehend ein Piano vorgesehen ist, wird an dieser Stelle nun ein Forte gefordert (T. 16ff.). Eine glorreiche Vergangenheit, die oft auf Gesang- und Liederfesten beschworen wurde, die Freiheit nach außen und eine herrliche Naturlandschaft wie der Thüringer Wald reichen für eine umfassende Vaterlandsliebe eben nicht aus und stellen nur deren äußeren Rahmen dar. Erst die geistige Freiheit hebt das eigene Land aus anderen heraus und lässt den Einwohner sich umfassend mit seinem Heimatland identifizieren: „Dann bist du vor andern allen / Doppelt schön, mein Vaterland!“ Interessanterweise wird in der offiziellen Festbeschreibung von Hermann Jäger nur auf den ersten Teil des Gedichts mit der Naturbeschreibung eingegangen. Der politisch evidente Teil findet keine Erwähnung: „[die] liebliche Komposition von J. Otto stimmte die Gemüther wieder weicher, und die meisten stimmten innerlich mit in die Worte ein: ,Auf die Höhen müßt ihr steigen / In die freie Bergesluft u.s.w.‘.“471 Da die vierte Strophe hinsichtlich ihrer politischen Aussage aber nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig lässt, kann es sich bei dieser verharmlosenden Beschreibung nur um eine Vorsichtsmaßnahme gegenüber der zuständigen Regierung und deren argwöhnischen Behörden gehandelt haben. Als Textdichter wird in der Partitur der Name „Klette“ angegeben.472 Wahrscheinlich handelt es sich dabei um den Dresdner Stadtrat und das Vereinsmitglied des Dresdner Orpheus Carl Gustav Klette. Der Kürschnermeister war in 469 EBD., S. 12 (Hervorhebung im Original). 470 Auch nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49 wurde dieses politische Männerchorlied weiter gesungen. Die Hoffnung auf die Umsetzung der darin propagierten umfassenden Meinungs- und Pressefreiheit blieb bestehen. So ist dieses Lied neben anderen Vaterlandsliedern in den handschriftlichen Stimmbüchern der vermutlich 1853 gegründeten Liedertafel in Walschleben bei Erfurt unter der Nr. 64 zu finden. Zu den Stimmbüchern siehe KA Sömmerda, Nachlass Oskar Kästner, Nr. 5, 6, 8 und 10. 471 J[ÄGER]: Fünftes Liederfest, S. 26. 472 Siehe unten Anhang 4, S. 341.

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der Dresdner Männergesangbewegung sehr aktiv, mit dem Komponisten Ernst Julius Otto bekannt und durch eigene Gesänge und oppositionelle Aktivitäten hervorgetreten.473 Diese Namensangabe ist nur bezüglich der 4. Strophe korrekt. Die ersten drei Strophen stammen von dem liberalen Schriftsteller und Publizisten Hermann Kletke, dessen Name in einem Schweizer Männergesangbuch unter diesem Liedtitel angegeben wurde.474 Dort hat der Liedtext vier Strophen, die etwas vom ursprünglichen Text abweichen, und eine dritte Strophe, die in der Eisenacher Fassung nicht existiert. Auch in anderen älteren Liedsammlungen, wie z. B. in den Volksgesängen475 und im Sängerhain476 ist dieses Lied mit ähnlichen Änderungen zu finden. Allen diesen Ausgaben ist jedoch gemein, dass in der ersten Strophe anstatt „müsst ihr steigen“, es „möchte ich steigen“ heißt und vor allem die in der Eisenacher Fassung angegebene vierte Strophe fehlt.477 Auf die Höhen ist ein strophisch gegliedertes Lied in D-Dur und steht im 3/4Takt. Es weist einen gleichmäßigen Aufbau in 4-Takt-Perioden auf. Darin bleibt das rhythmische Grundschema in den Strophen und im Refrain bis auf kleinere Variationen immer gleich. Zusammen mit der akkordisch-homophonen Stimmführung ergibt sich dadurch eine relativ gute Singbarkeit. Insgesamt nimmt der Refrain mit 18 von 42 Takten einen relativ großen Raum ein, was seine Bedeutung für das Lied als Bekräftigung des vorher Ausgesprochenen unterstreicht. Das wird nicht zuletzt durch ein viermaliges Auftreten des Textes und durch die dreimalige Wiederholung im Tutti unterstrichen. Polyphone Strukturen gibt es nicht ansatzweise. Der Wechsel von Soli- und Tuttistellen lockert die starre strophische Gliederung etwas auf. Das folgende Thüringerlied nach der Melodie von Ein feste Burg ist unser Gott auf einen Text von Storch war, oberflächlich betrachtet, in erster Linie von „überschäumende[m] Regionalbewusstsein“ geprägt.478 Im Mittelpunkt dieses Gesanges steht aber nicht nur der in diesem Lied als „Thüringens größter Sohn“ gefeierte Reformator Martin Luther, der als Bannerträger der Wahrheit auf der Wartburg mit seiner Bibelübersetzung „des Lichtes Waffen“ geschmiedet hat und dem es im Streben nach Wahrheit und deren Verteidigung nachzufolgen gilt. Was 473 Zu Klette siehe oben Kap. S. 236 f. 474 Siehe dazu Rütli, S. 561 f. Der Schriftsteller und Publizist Hermann Kletke (1813−1886) war Redakteur der Vossischen Zeitung, die die Interessen des liberalen Bürgertums vertrat. Zu Kletke siehe FRÄNKEL: Kletke und FASSEL: Kletke. 475 Sammlung von Volksgesängen, S. 24 ff. 476 Chorbuch des „Sängerhain“, S. 33 ff. 477 Auf die Höhen fand bald länderübergreifende Verbreitung. So wurde es nachweislich bei einem Konzert des Rochlitzer Männergesangverein zusammen mit der Geringswaldaer Liedertafel am 16. Januar 1848 bei einem gemeinsamen Konzert in Rochlitz (siehe Teutonia, Nr. 7, 1848, S. 73) und beim 4. Sängerfest des Sängerbundes an der Saale in Merseburg (siehe Gesänge des Sängerbundes an der Saale, Anhang, S. 2) gesungen. 478 HAHN: „Sängerrepublik“, S. 208. Zum Lied siehe Gesänge zum fünften Liederfest (Erster Festtag), S. 16 f.

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infolge dieses Strebens noch für geistige Güter beziehungsweise bürgerliche Errungenschaften mit Gottes Hilfe gefördert und erhalten werden sollen, kommt in der zweiten Strophe zum Ausdruck: So fördre mit des Lichts Gewalt Der Geister mächt’ges Streben! Stets ringe das Geschlecht, Zu Tugend, Wahrheit, Recht, Zu Kunst und Wissenschaft.479

In diesen Versen manifestiert sich die Inanspruchnahme der Bereiche Bildung und Wissenschaft beziehungsweise der Kultur allgemein als genuin bürgerliches Hoheitsgebiet. Daneben klingen mit der Forderung nach „Wahrheit“ und „Recht“ auch verstärkt gestiegenes gesellschaftliches und politisches Engagement und Selbstbewusstsein des Bürgertums an, das auch auf diesem Gebiet die Emanzipation einfordert. In der letzten Strophe fordert Storchs noch einmal dazu auf, Luther im Streben nach Wahrheit nachzufolgen und damit einen gesellschaftlichen Zeitenwechsel heraufzubeschwören: Vorwärts, mein Volk, auf Luther’s Bahn! Vorwärts auf hellen Wegen! Es bricht ein neuer Welttag an; Jauchz’ muthig ihm entgegen! Thüringen nah’ und fern Begrüß’ den Morgenstern! Was deines Volks Gebet Dir heute heiß erfleht, Erwachse dir zum Segen!480

Da von einem „neue[n] Welttag“ die Rede ist, kann trotz des Zurückgreifens auf das christliche Symbol des „Morgenstern[s]“ hier kein jenseitiges Paradies gemeint sein. Vielmehr wird, wie im vorangegangen Lied Auf die Höhen, das kommende Ereignis der 1848/49er-Revolution ersehnt und antizipiert. Diese, trotz unübersehbarer christlicher Wortgebung weltliche Deutung des Textes erscheint aufgrund der moderat demokratischen Gesinnung des Textautors umso plausibler.481 Als 4. Lied der 2. Abteilung des ersten Festtages erklang das Lied der Gegenwart von Adolf Wandersleb und Hermann Jäger, in dem ein realer Gegenwartsbezug hergestellt wurde.482 Inhaltlich geht es in den ersten drei Strophen um die lang 479 Fünftes Liederfest des Thüringer Sängerbundes, S. 13. 480 EBD. 481 Zu Storchs politischen Ansichten und seiner Betätigung in der Revolutionszeit siehe unten S. 194–197. 482 Gesänge zum fünften Liederfest (Zweiter Festtag), S. 1−3. Laut Partitur sollte das Lied die Wartburgfeier am zweiten Festtag eröffnen. Aufgrund seiner politischen Aussage wurde es

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ersehnte reiche Ernte des Jahres 1847, die einer längeren Hungersnot ein Ende bereitete und einem Scheitern dieses Liederfestes in Eisenach zuvorkam.483 Wegen dieses Hintergrundes sollte dieses Lied, das vom Komponisten selbst dirigiert wurde, „als Erntelied einen der Hauptmomente des Festes bilden“.484 Während in den ersten Strophen von der Ernte aus „der Erde Schoos“ die Rede ist, kommt plötzlich in der vierten Strophe eine Saat der anderen Art zur Sprache, die im Gegensatz zur vorigen noch nicht aufgegangen ist: Laßt auch andre Saat gedeihen, Kraft und Freiheit, Licht und Recht, Fürsten, die dem Volk sich weihen, Daß wir edler Frucht uns freuen, Wenn die Zeit der Ernte schlägt!485

So bricht dieses Erntedanklied unvorhergesehen aus dem ursprünglich rein religiösen Kontext des Gotteslobs heraus. Das wird auch an dem Wechsel von der 2. Person Singular in die 2. Person Plural deutlich. Der Adressat ist nicht mehr Gott, sondern die versammelte Festgemeinschaft, worunter auch die fürstliche Familie zu finden war. Gerade unter diesen Umständen kommt der öffentlichen Einforderung liberaler Grundrechte besondere Bedeutung zu. Mit dem Verlangen nach „Fürsten, die dem Volk sich weihen“ wurden die Landesväter in die Pflicht genommen, sich nicht nur der leiblichen Wohlfahrt des Volkes im althergebrachten Untertanenverständnis zu widmen. Sie sollten darüber hinaus das sich emanzipierende Bürgertum, deren Vertreter dieses Liederfest vorbereiteten und prägten, als mündige Staatsbürger akzeptieren und seinem gestiegenen gesellschaftlichen und politischen Gestaltungswillen vor allem auch rechtlich eine Basis verschaffen. Aus diesem neuen Selbstbewusstsein heraus erwuchsen die Forderungen nach „Kraft und Freiheit, Licht und Recht“. Mit „Kraft und Freiheit“ dürfte vor allem ein nach außen starkes, freies und einiges deutsches Vaterland impliziert sein, welches seine Stärke aber nur durch innere geistige („Licht“) und rechtliche Freiheit („Recht“) behaupten kann. Wer sich dieser freiheitlichen „Saat“ nicht verpflichtet fühlt – und hier sind vor allem die Fürsten und ihre Regierungen gemeint –, hat das Recht verwirkt, an der daraus hervorgehenden „edle[n] Frucht“ zur „Zeit der Ernte“ – der antizipierten Revolution − teilhaben zu dürfen. Auch kompositorisch hebt sich diese Strophe von den anderen ab, indem die einfache Strophenform an dieser Stelle unterbrochen wird und sich der Gesang zu einem variierten Strophenlied entwickelt. Der Bass 1 („hervorhebend und wahrscheinlich an einer weniger prominenten Stelle untergebracht. Zur Komposition siehe unten Anhang 5, S. 342 f. 483 Siehe dazu oben S. 181. 484 J[ÄGER]: Fünftes Liederfest, S. 29 (Hervorhebungen im Original). 485 Fünftes Liederfest des Thüringer Sängerbundes, S. 18.

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tragend“) übernimmt mit der Melodie die politische Botschaft, während die anderen Stimmen nur begleitende Funktion haben. Die Punktierung auf der Textstelle „Kraft und Freiheit, Licht und Recht“ in derselben Stimme hebt die zentralen bürgerlichen Freiheitsforderungen noch einmal besonders hervor. Die Strophe endet in a-Moll und einer Fermate, wodurch die Wichtigkeit und Dringlichkeit der „anderen, politischen Ernte“, die noch nicht erfolgt war, betont wird. In der fünften und letzten Strophe verlässt der Textautor die politische Ebene wieder und ruft zum Dank und Lobpreis Gottes für die reiche Ernte auf. Der zweite Festtag stand im Zeichen der Wartburgfeier. Nach dem Singen eines Chorals auf dem Marktplatz begab sich die Festgemeinde hoch zur Wartburg. Dort wurde zur Eröffnung der urprotestantische Luther-Choral Ein feste Burg ist unser Gott gesungen, worin auch ganz deutlich eine Reminiszenz an das Wartburgfest von 1817, das ja auch als Reformationsfest gefeiert wurde, zu erkennen ist.486 Nach der folgenden „Wartburgsfeier-Rede“ von Bechstein487 erklang der Sängergruß an die Wartburg von Andreas Zöllner und Ludwig Bechstein.488 Darin wird die große Geschichte der Wartburg in Form des Sängerkrieges, des Aufenthalts Luthers in ihren Gemäuern und ihre Funktion als nationales Denkmal gepriesen. Mit dem Lied Der Sänger auf die Weise des beliebten sizilianischen Schifferliedes O sanctissima, o piissima wurde bewusst ein katholisches Gegengewicht zum eingangs erklungenen Reformationschoral geschaffen, um den überkonfessionellen Charakter zu wahren.489 Im Text selbst kommen die Aufgaben und Eigenschaften eines deutschen Sängers zur Sprache: das Streben nach Eintracht, der feste Glaube an Gott, die tiefe Verbundenheit mit Heim und Herd und die heilige Treue zu Fürst und Vaterland. In der letzten Strophe ist von der lebenslangen Liebe zu „Wein, Weib und Gesang“, der jedoch das Streben nach „Licht, Recht [und] Wahrheit“ in nichts nachstehen soll, die Rede. Die gesellschaftspolitischen Bestrebungen werden hier also mit den harmlos geselligen Ambitionen des Männergesangs auf eine Stufe gestellt und durch einen Eid vor Gott und der Gemeinschaft untermauert: „Gott wird es hören, / So wir das schwören! / Schwört es, Thüringens Kinder!“ Damit wird jedes Mitglied nolens volens neben der Pflege der Eintracht zum Einstehen für bürgerliche Freiheitsrechte regelrecht verpflichtet.

486 Dieses Lied wurde von der versammelten Festgemeinschaft in der angeblich rhythmischen Originalgestalt zusammen mit Trompeten, Posaunen und Pauken gesungen. Siehe Gesänge zum fünften Liederfest (Anhang), S. 3 f. Bei der Aufführung konnten „die Sänger die ungewohnte Rhythmisierung nicht nachvollziehen[...].“ BRUSNIAK: Nationalreligiosität, S. 91. 487 Siehe J[ÄGER]: Fünftes Liederfest, S. 65 f. 488 Gesänge zum fünften Liederfest (Zweiter Festtag), S. 3 ff. 489 EBD., S. 6. Das Lied wurde von C. F. Weisheit arrangiert und von C. Zwez mit einem neuen Text unterlegt.

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Nach der Wartburgfeier versammelte sich die Festgemeinde wieder im Marienthal, wo ein Abschiedslied auf einen Text von Heinrich Schwerdt den offiziellen Teil des Liederfestes in Eisenach beschloss. In diesem, „vom ganzen Volke zu singen[den]“ Lied wird ein bleibender Eindruck des Liederfestes beschworen: „Nie zerreißt, was uns umschlungen, / Nie verhallt, was wir gesungen: / Daß es stets so bliebe!“490 Der Vorsitzende des Eisenacher Festkomitees bringt die Hoffnung zum Ausdruck, dass die viel besungene Eintracht die Sangesbrüder zusammenhält und die in den Reden und Liedern unter anderem enthaltenen nationalen und liberalen Botschaften angekommen sind und weitergetragen werden. Das fünfte Liederfest des Thüringer Sängerbundes 1847 in Eisenach stieß nicht nur organisatorisch, sondern vor allem auch inhaltlich in neue Dimensionen vor. Während liberale Freiheitsforderungen angesichts der Zensur 1843–1845 in den vorangegangenen Liederfesten mehr oder weniger subtil in Reden und Liedern zum Ausdruck kamen, treten sie beim Liederfest in Eisenach umso deutlicher hervor. Dieser Umstand dürfte neben der ausbleibenden Zensur auch der Präsenz von Ludwig Storch und Ludwig Bechstein geschuldet sein, die nach dreijähriger Pause wieder an einem Liederfest des Thüringer Sängerbundes teilnahmen.

3.3 Die Ehrenmitglieder Ludwig Storch und Ludwig Bechstein Zu den ersten Ehrenmitgliedern des Thüringer Sängerbundes gehörten Ludwig Bechstein und Ludwig Storch. In dieser Auszeichnung kamen die Verdienste der lange Zeit eng befreundeten Dichter für die Gründung des Thüringer Sängerbundes besonders zum Ausdruck.491 Beide traten bei den Sängertreffen am 16. August 1842 auf der Burgruine Gleichen, bei der Gründung am 14. Januar 1843 in Gotha und beim ersten und beim letzten Liederfest des Thüringer Sängerbundes am 16. August 1843 in Molsdorf492 sowie am 23. und 24. August 1847 in Eisenach als Festredner und Autoren von Liedbeiträgen in Erscheinung.493 Dadurch trugen sie „wesentlich zum Erfolg der Veranstaltungen bei“.494 490 EBD., S. 11. 491 Über die Freundschaft, die in der gemeinsamen Heimatliebe zu Thüringen gründete, gibt v. a. der rege Briefwechsel Auskunft, von dem leider nur Briefe von Bechstein an Storch erhalten sind. Siehe dazu SCHMIDT-KNAEBEL: Bechsteins Briefe und WEIGEL: Bechstein. 492 In einem von Bechstein geführten Tagebuch findet sich unter dem Titel „Gedenkbuch für Ludwig Bechstein“ ein Bericht über seinen Aufenthalt in Arnstadt und die sich anschließende Teilnahme an dem Liederfest in Molsdorf. Siehe EBD., S. 172–176. 493 Auf Texte von Storch erklangen bei den fünf Liederfesten vor 1848 folgende Lieder: ein Festlied anlässlich der Tausend-Jahrfeier Deutschlands auf die Melodie von Sind wir vereint zur guten Stunde, Tanzlied (Andreas Zöllner), Thüringen (Daniel Elster) in Molsdorf 1843; Heil Thüringen

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Ludwig Storch495 Storchs aktive Teilnahme an der Männergesangbewegung in Thüringen begann 1842 mit der Teilnahme am Sängerfest auf der Wandersleber Burgruine Gleichen. Seitdem setzte er sich unermüdlich für einen überregionalen Sängerbund in Thüringen ein. Das geschah vor allem in publizistischer Form in dem von ihm in Gotha herausgegebenen Thüringer Volksboten.496 Darin berichtete Storch nicht nur ausführlich über das Sängerfest auf der Burgruine Gleichen, sondern propagierte auch die bei dieser Veranstaltung entstandene Idee der Gründung eines gesamtthüringischen Sängerbundes.497 Im „Deutschen Lied“ sah Storch das Medium, durch welches die allgemein beklagte Zersplitterung Deutschlands – zunächst mental – überwunden werden konnte, da in ihm „eine geistige Macht und Herrlichkeit, eine unsichtbare Gewalt über die Gemüther [läge], [so] daß sie mehr als irgend eine andre geeignet ist, den Nationalsinn zu wecken, zu stärken, zu beleben und zu großartigen Handlungen anzuspornen“.498 Diese Zuweisung einer so immensen nationalen Bedeutung des Gesangs trug wesentlich zur schnellen und flächendeckenden Verbreitung der Männergesangbewegung auf deutschsprachigem Boden bei. Storch beschränkte sich aber nicht nur auf die nationale Sehnsucht nach einem vereinten deutschen Vaterland. Er wies dem deutschen Männergesang auch die Erfüllung weiterer Ziele der bürgerlichen Bewegung zu, als er angesichts des am 16. August 1843 stattgefundenen ersten Liederfestes des Thüringer Sängerbundes in seinen Erinnerungen euphorisch folgende Worte zu Papier brachte:

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(nach der Melodie von God save the Queen) in Gotha 1844 und Thüringerlied (auf die Melodie von Ein feste Burg ist unser Gott) in Eisenach 1847. Auf Texte von Bechstein wurden im selben Zeitraum folgende Lieder gesungen: Ein Königswort (C. F. Weisheit), Vaterlandslied (Andreas Zöllner) in Gotha 1844 und Sängergruß an die Wartburg (Andreas Zöllner) und Der Weingesang (Friedrich Kühmstedt) in Eisenach 1847. Zum Sängergruß an die Wartburg siehe SCHMIDTKNAEBEL: Bechsteins Briefe, S. 175 und 206. Siehe KÖLLNER/WEIGEL: Storch, S. 18. Ihr Engagement blieb aber nicht nur auf Thüringen begrenzt, wie Bechsteins Teilnahme an Sängerfesten des Fränkischen Sängerbundes zeigt. Siehe dazu BRUSNIAK: Fränkischer Sängerbund, S. 57 f. und BOBLENZ: Bechstein und „Thüringens Pannier“, S. 136. Bechstein war auch Ehrenmitglied des Schweinfurter Liederkranzes. Siehe Verzeichniss deutscher Musik- und Gesang-Feste, S. VII. Zu Storch siehe KÖLLNER/WEIGEL: Storch und SCHMIDT-KNAEBEL: Bechsteins Briefe. Im Januar des Jahres 1831 versuchte Storch in Gotha das Vorgängerblatt Neuer Thüringer Bote herauszugeben. In einer Vorab-Ankündigung brachte er in der ersten Ausgabe seine demokratische Gesinnung bezüglich der politischen Bevormundung der Bevölkerung ungeschminkt zum Ausdruck: „Die Menschheit ist mündig geworden. [...] sie will mitsprechen in ihren eigenen Angelegenheiten.“ Zit. n. KÖLLNER/WEIGEL: Storch, S. 15. Das hatte zur Folge, dass die Zeitung von der Zensur nach nur drei Wochen verboten wurde und ihr Erscheinen eingestellt werden musste. Siehe dazu WEIGEL: Bechstein, S. 182 ff. Zit. n. EBD., S. 184.

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Seht, da einigen sich edle Männer zum Sängerbund, und die Sonne des deutschen Liedes, die dasselbe Gestirn der deutschen Treue und Liebe ist, verkündet durch eine herrliche Morgenröthe ihren prächtigen Aufgang. Die beklommenen Herzen wälzen die dunklen Lasten der Zeit ab, treten sich näher, vereinigen sich im Liederbund, und der Völkerfrühling einer besseren Zeit sendet seine warmen Boten. [...] Wir werden genesen durch das deutsche Lied. Es ist ein Wunderheilmittel, die wahre Panacee der Zeit.499

Das von Männergesangvereinen gesungene „Deutsche Lied“ stellte für Storch das Allheilmittel schlechthin dar, das zur Durchsetzung höchster Ziele dienen könne. So sollen die Gebrechen des deutschen Volkes durch den Männergesang eine umfassende Heilung erfahren. Der Zerteilung Deutschlands – hinsichtlich des Thüringer Sängerbundes ist zuerst diejenige Thüringens gemeint – soll die geistig einigende Kraft des Gesanges entgegengesetzt werden. Daneben klingen in pathetischen Worten auch politische Zielsetzungen an. So wird das deutsche Männerchorlied als Wegbereiter „einer besseren Zeit“ bezeichnet. Der in diesem Zusammenhang angesprochene „Völkerfrühling“ dürfte angesichts Storchs demokratischer Gesinnung neben nationaler Einheit auch politische Emanzipation und Partizipation der Bevölkerung gemeint haben. Storchs Engagement für die Männergesangbewegung in Thüringen führte Anfang 1843 zur Ernennung zum Ehrenmitglied der Gothaer Liedertafel, was dieser in seiner Dankesrede als größere Ehre bezeichnete, „als wenn mich ein Fürst mit einem Orden beschenkt hätte“.500 In dieser Aussage zeigt sich die volkstümliche Haltung des Gothaer Dichters, der in den Liedertafeln einerseits die geselligen „Repräsentanten der gemüthlichen Volksblüthe sah“501 und andererseits durch sie über harmlose Geselligkeit hinaus politische Ziele verfolgte, die über den Konstitutionalismus der Mehrheit seiner Zeitgenossen hinausgingen. Storch war in der Revolutionszeit in Gotha unter anderem als begnadeter Volksredner des dortigen demokratischen Lagers aktiv, wobei er vor allem im März und April 1848 seine Mitbürger für Demokratie und Fortschritt begeistern wollte.502 Auch bezeichnete er unter anderem die Erschießung Blums, den er von seinem Aufenthalt in Leipzig her kannte, am 9. November 1848 als „scheußlichen Mord“ und gab dem Frankfurter Parlament durch dessen Untätigkeit 499 500 501 502

STORCH: Thüringer Sängerbund, S. 20. Zit. n. WEIGEL: Bechstein, S. 187. Zit. n. EBD., S. 179. Eine Rede vom 26. März 1848 im Gothaer Schießhaus ist erhalten geblieben. Darin heißt es u. a.: „Sechsunddreißig Millionen Deutsche begrüßen mit Hochentzücken den Morgen des langersehnten Freiheitstages, die Befreiung von den schmachvollen Fesseln des Geistes. Wir werden uns endlich an einem gemeinsamen deutschen Parlamente beteiligen, wodurch wir mit den übrigen Teilen des deutschen Vaterlandes auf das Innigste verbunden werden. Mit gerechtem Stolze darf nun Jeder von uns rufen: Ich bin ein Deutscher!“ Die Rede ist abgedruckt bei KÖLLNER/WEIGEL: Storch, S. 91.

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eine Mitschuld.503 Während Storch die Konstitutionellen der Halbherzigkeit bezichtigte, wandte er sich aber auch gegen die Gewaltanwendung der Radikalen.504 Seine gesellschaftspolitischen Vorstellungen schienen jedoch den Forderungen der Letzteren zuzuneigen, da er in einem Brief an Bechstein „Adelthum, Beamtenthum und Bürgerthum“ als gesellschaftliche Schichten abzuschaffen gedachte, womit er über allgemeine liberale Vorstellungen hinausging.505 Nach dem Scheitern der Revolution musste der in Gotha zeit seines Aufenthaltes dort nicht wohlgelittene Schriftsteller die Residenzstadt verlassen, da ihm durch sein unbeugsames Auftreten während der Revolution eine sichere Existenz verwehrt blieb und ihm Verhaftung drohte.506 Ludwig Bechstein507 Durch seine thüringische Sagenforschung und Heimatdichtung wurde der Meininger Dichter für die patriotisch gesinnte thüringische Sängerbewegung zu einer idealen Identifikationsfigur, die unbedingt für ihre Sache gewonnen werden musste. Diese Aufgabe übernahm dessen Freund Storch, der ihn 1830 zusammen mit Philipp Heinrich Welcker während seines Studiums in Leipzig kennenlernte.508 Ludwig Bechstein selbst kam neben seiner Freundschaft mit Storch vor allem durch seine Zusammenarbeit mit dem Meininger Kantor und Komponisten Andreas Zöllner, der viele seiner Texte vertonte,509 und der Verbundenheit

503 EBD., S. 93. Es handelt sich dabei um ein Zitat aus der Revolutionsrede anlässlich der Gedächtnisfeier zu Ehren Blums am 6. Dezember 1848. Darin sagte Storch Wien und Berlin als Hort der Reaktion das Schicksal von Babylon und Troja voraus und plädierte im Fall des Scheiterns der Revolution für die Auswanderung freiheitlich gesinnter Kräfte nach Amerika, „wo man sich dann eine neue und sichere Hütte der Freiheit erbauen werde.“ Zit. n. WEIGEL: Bechstein, S. 55, Anm. 53. 504 KÖLLNER/WEIGEL: Storch, S. 20. 505 Brief Bechsteins an Storch vom [?]. August 1848. Zit. n. SCHMIDT-KNAEBEL: Bechsteins Briefe, S. 195. Wahrscheinlich ist in diesem Zusammenhang eher die bürgerliche Oberschicht gemeint, von der sich Storch in Gotha geschnitten sah. 506 Es begann nun eine mehrjährige unstete Wanderzeit, die Storch über Stationen wie Georgenthal, Waltershausen, Leipzig, Bayreuth, Hamburg, Regensburg und Würzburg letztendlich 1866 als Pensionär der Schillerstiftung nach Kreuzwertheim führte, wo er 1881 starb. Siehe dazu auch KIRCHNER-WEIMAR: Runensteine, S. 106–109. 507 Zu Bechstein siehe Hennebergisches Museum Kloster Veßra (Hg.): Ludwig Bechstein und SCHMIDT-KNAEBEL: Bechsteins Briefe. 508 KÖLLNER/WEIGEL: Storch, S. 15. 509 Andreas Zöllner (1804–1862) gründete am 10. Januar 1838 die Meininger Liedertafel, deren Dirigent er 13 Jahre lang war. Zu Zöllner allgemein siehe MÜLLER: Andreas Zöllner und zu seinen Liedvertonungen Bechstein’scher Texte siehe die Auflistung in: BRUSNIAK: Bechstein und die Sängerbewegung, S. 116 ff. Darunter waren auch einige Texte freimaurerischer Provenienz. Zu Bechstein als Freimaurer, der er am 6. Oktober 1842 in Meiningen als Mitglied der Loge „Charlotte zu den drei Nelken“ wurde, siehe WEIGEL: Bechstein, S. 389–400.

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mit Daniel Elster510 mit der Männergesangbewegung in Berührung. Insgesamt sah der Meininger Hofrat in den Männergesangvereinen eine Bewegung, die „den Rosenkranz der Dichtung wie ein Siegesbanner von Land zu Lande trägt“.511 Damit dürften sowohl heimatlich gebundene als auch politisch-gesellschaftliche Lyrik gemeint sein. Essenziell trat Bechstein für den Thüringer Sängerbund in der Frage der Gestaltung der Bundesfahne in Erscheinung.512 Er sorgte dafür, dass beim ersten Sängerfest des Thüringer Sängerbundes 1843 nur eine thüringische Fahne gehisst wurde, nachdem auf der Burg Gleichen im Jahr zuvor noch eine preußische Fahne wehte. Dies war ein Schritt von hoher Symbolkraft, der zum einen das patriotische Anliegen des Sängerbundes hinsichtlich des geistigen Zusammenwachsens der thüringischen Länder und zum anderen das Zurückweisen preußischen Einflusses zum Ausdruck brachte. Die Revolution anfänglich begrüßend, stieß Bechstein sich am gewalttätigen Verlauf. Er befürwortete Ziele der Revolutionäre, wie „die edle Freiheit des Rechts, der Sitte, [...] des Wortes, der Presse“, lehnte aber „die Ueberstürzungen, Zügellosigkeiten und Raubzüge“ entschieden ab und machte dafür die Demokratie und deren Verfechter verantwortlich, die die „Hefe des Volkes aufwühlte[n]“.513 Für ihn stellte der Kampf gegen die Fürsten und Besitzenden eine nicht zu überschreitende Grenze dar. Mit dieser Position fand er sich auf der Seite der Mehrheit des Bürgertums wieder, die organisch fortschreitende gesellschaftliche Veränderungen in Zusammenarbeit mit den Fürsten wünschten. Hinter dieser Haltung verbarg sich die große Angst vor dem Terror während der Französischen Revolution. Dem sogenannten Volkswillen misstraute der Meininger Dichter daher: „Ich bin kein Demokrat, kann keiner sein. [...] Von dem Frankfurter Parlament hoffe ich nichts.“514 Während Storch als Demokrat zum politischen Schwärmertum neigte, kann Bechstein eher als nüchterner Realist in politischen Angelegenheiten bezeichnet werden. So antwortete er kurz vor Ausbruch der Revolution auf die Frage eines katholischen Geistlichen, wie er denn die politische Lage beurteile, folgendermaßen: „Die Fürsten werden den Völkern Zugeständnisse machen müssen, oder Gefahr laufen, fortgejagt zu werden.“515 Angewidert von den heftigen und schier endlosen politischen Auseinandersetzungen im Paulskirchenparlament, wendete er sich von der parlamentarischen Politik als solcher ab: „Es ist das ganze politi510 Über das ereignisreiche Leben Elsters gab Bechstein 1836 erstmals unter dem Titel Fahrten eines Musikanten eine Biografie heraus. Siehe oben S. 79, Anm. 75. 511 WEIGEL: Bechstein, S. 189. 512 Siehe dazu ausführlich BOBLENZ: Bechstein und „Thüringens Pannier“, S. 138–144. Zur endgültigen Gestalt der Bundesfahne siehe oben S. 166, Anm. 347. 513 Siehe Brief an Storch vom 17. Juni 1850. Zit. n. SCHMIDT-KNAEBEL: Bechsteins Briefe, S. 164. 514 Siehe Brief Bechsteins an Storch vom 31. Dezember 1848. Zit. n. EBD., S. 190 (Hervorhebung im Original). 515 Siehe EBD.

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sche Wesen nur ein künstlich aufgeschraubtes Machwerk, und im Grunde Dreck. Hauptsache ist, daß jeder seine Pflicht erfülle, das Leben schön genieße, und [...] erfreue und nütze.“516 Sehr ausführlich äußerte sich Bechstein zu politischen Themen und Ereignissen der Revolutionsjahre 1848/49 in seinen Briefen an die Schweinfurter Großindustriellenfamilie Catharina und Wilhelm Sattler.517 Darin verteidigte der Meininger Dichter die Monarchie. Er wünschte sich Veränderungen im gesellschaftlichen und politischen Leben, lehnte aber Gewalt von unten entschieden ab. Daher engagierte sich Bechstein als Hauptmann der elften Kompanie in der Meininger Bürgerwehr.518 Storch und Bechstein bei den Liederfesten des Thüringer Sängerbundes Noch beim ersten Liederfest des Thüringer Sängerbundes 1843 in Molsdorf wurden Storch und Bechstein als zentrale Figuren, die zum Gelingen des Festes erheblich beitrugen, angemessen gefeiert und gewürdigt.519 Die anfängliche Begeisterung und das damit verbundene Engagement ließen jedoch bei beiden in den folgenden Jahren merklich nach. So nahmen sie an den Festen in Gotha (1844 und 1845) und in Arnstadt (1846) nicht teil.520 Das Fehlen dieser öffentlichkeitswirksamen Ehrenmitglieder des Thüringer Sängerbundes musste für die Veranstalter der folgenden Liederfeste einen herben Rückschlag bedeutet haben, der in vielen Festberichten entweder verschwiegen oder gar negiert wurde.521 So heißt es in der Festschrift von Voigt über Bechstein, dass er nach Molsdorf auf allen „folgenden Sängerfesten [...] erschienen [ist], zum letzten Mal in Eisenach“.522 Auch bei Storch entspricht die Darstellung nachweislich nicht der Tatsache, dass dieser bei den Festen in Gotha „hervorragend tätig“ gewesen 516 517 518 519

Siehe Brief Bechsteins an Storch vom 19. April 1850. Zit. n. EBD., S. 192. Siehe dazu WEIGEL: Bechstein, S. 219–224. EBD., S. 221. Für Bechstein war es vor allem in ideeller Hinsicht eine gelungene Veranstaltung, wie er unter frischem Eindruck an Storch schrieb: „Die Molsdorfer Sache wird mich ewig freuen. Haben wir auch nichts davon, so hat doch unsere Freundschaft einen Moment gefeiert [...]. Und wie haben wir die Diskussion mit dem Volk strahlend bestanden. Das ist am Ende doch ein Lichtblick in unserem armen Leben [...].“ Brief Bechsteins an Storch vom 19. August 1843. Zit. n. WEIGEL: Bechstein, S. 48. 520 Bechstein selbst gibt dafür in einem Brief vom 18. Juni 1849 an seinen langjährigen Freund, den Gothaer Museologen und Dichter Adolf Bube (1802–1873), Auskunft. Siehe dazu EBD., S. 273. 521 Eine Ausnahme bildete Heinrich Schwerdt in seinem Bericht über das zweite Liederfest 1844 in Gotha in der Thuringia. Darin beklagt er offen das Fernbleiben Bechsteins und Storchs und deren Fähigkeit, mit dem gesprochenen Wort die Massen zu begeistern: „Aber heute war ja L. Bechstein nicht gekommen und das schöne Fest entbehrte eines schönen Kranzes, den sein Dichterwort um alle Seelen geschlungen hätte. Und Ludwig Storch, mit seinem begeisterten Gemüthe und mit seinen begeisterten Lippen? – Der arme Freund, wir hätten ihn so gern in unserer Mitte begrüßt!“ Zit. n. WEIGEL: Bechstein, S. 196, Anm. 342. 522 VOIGT: Thüringer Sängerbund, S. 140.

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war.523 In der Illustrirten Zeitung wurde das Fernbleiben beider als Familientrauer bemäntelt.524 Erst zum fünften Liederfest 1847 in Eisenach erklärten sich Storch und Bechstein wieder bereit, an der Ausgestaltung aktiv mitzuwirken. Bis dahin hielt sich Storch auch auffällig publizistisch zurück, was ob seines vorherigen Engagements im Thüringer Boten und in der Molsdorfschen Festschrift erstaunt. Bechstein wird erst wieder in der Festschrift zum vierten Liederfest in Arnstadt 1846 erwähnt. Er war dort als Festredner vorgesehen, zog seine Zusage wahrscheinlich aus terminlichen Gründen zurück.525 Seine Wiederannäherung an den Thüringer Sängerbund gerade bei diesem Liederfest liegt wahrscheinlich in der Tatsache begründet, dass erstmals durch Fürst Günther Friedrich Carl II. von Schwarzburg-Sondershausen die Vorzensur bei den Liederfesten aufgehoben wurde.526 Die Unterbindung der freien Rede war auch der Hauptgrund der Absage Bechsteins auf die Einladung zum zweiten Liederfest 1844 in Gotha. In einem Briefkonzept Bechsteins an die Gothaer Liedertafel vom 5. August 1844 spricht er diesbezüglich von „einer recht eigentlichen Bevormundung und bisher in Deutschland beispiellosen Vor-Censur der Reden“, durch die er sich in seiner Ehre als jahrelanger loyaler Diener seines „innigst geliebten und verehrten Herzogs und Herrn“ verletzt sieht. Daher sei es für ihn „ehrenvoller, zu schweigen, wie zu reden“.527 Bechstein nahm also Anstoß am Misstrauen der Behörden gegenüber situierten und in Staatsdiensten stehenden Persönlichkeiten wie ihm, denen unbesonnene und politisch instrumentalisierte Worte ebenso zuwider sind. Daher wandte er sich gekränkt von den Liederfesten des Thüringer Sängerbundes ab.528 In Briefen an Storch brachte er zum Ausdruck, dass er für sich kein solches Fest mehr bräuchte und in Ruhe gelassen werden möchte: „Mir sind diese Sängerfeste sehr gleichgültig jetzt.“529 Dieses Desinteresse seitens Bechstein mag auch darin begründet sein, dass er an der Authentizität des offen deklarierten

523 EBD., S. 140. 524 Illustrirte Zeitung, Nr. 69, 26. Oktober 1844, S. 263. Diese Kaschierung der wirklichen Hintergründe wurde von Bechstein als „schöne Lüge“ bezeichnet. Zit. n. WEIGEL: Bechstein, S. 194, Anm. 339. Auch dürfte seitens Bechstein und Storch ihre Abneigung gegen Gotha eine Rolle gespielt haben. 525 Siehe BUDDEUS: Viertes Liederfest, S. 13. 526 Siehe oben S. 178. 527 BRUSNIAK: Bechstein und die Zensur, S. [3]. Das Eintreffen dieses in Meiningen geschriebenen Briefes (GSA. Sign. GSA 04/III, 13) in Gotha ist nicht bezeugt. Siehe dazu auch DERS.: „Lasst die frischen Lieder tönen.“ 528 Das bedeutete aber nicht, dass Bechstein generell nicht mehr an Zusammenkünften mehrerer Gesangvereine partizipierte. So nahm er bspw. aktiv am Sängerfest südthüringischer und nordfränkischer Vereine vom 29./30. Juli 1846 in Sonneberg teil. Siehe Teutonia, Nr. 19, 1846, S. 301 ff. und BOBLENZ: Bechstein und „Thüringens Pannier“, S. 145. 529 EBD.

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Patriotismus zweifelte: „Der ganze Patriotismus dieser Sangesbrüder ist leider etwas hohl und wurmstichig, gemacht, nicht recht von Herzen.“530 Trotz der zunehmenden inneren Distanz nahmen Storch und Bechstein gemeinsam am fünften Liederfest des Thüringer Sängerbundes in Eisenach teil. Dabei dürfte zum einen die Verehrung der Wartburg, zum anderen der Umstand eine Rolle gespielt haben, dass keine Zensur mehr ausgeübt wurde. Die befreundeten thüringischen Dichter Storch und Bechstein hatten erheblichen Anteil an der Entwicklung des Männergesangwesens in Thüringen im Allgemeinen und der des Thüringer Sängerbundes im Besonderen. Während Storch vor allem als publizistisches Sprachrohr und Propagandist fungierte, diente Bechstein aufgrund seiner Stellung als thüringischer Heimatdichter mehr als ideale patriotische Identifikationsfigur. Beiden gemein war der anfängliche Glaube an die Macht des gesungenen Wortes für die Veredlung der Sitten, die Ausbildung eines nationaldeutschen Bewusstseins und das Setzen von politischen Zeichen. Als klares politisches Zeichen ist zu verstehen, dass die beiden Dichter aufgrund der Zensurvorschriften gemeinsam dem zweiten bis vierten Liederfest aus Protest gegen Reglementierungen der Rede- und Pressefreiheit ostentativ fernblieben.531 In ihren politischen Zielsetzungen zeigten sich jedoch einige gravierende Unterschiede, die unter anderem zum Auseinanderbrechen der ehedem engen Freundschaft beitrugen.532 Im Verlauf der Revolution hatte Bechstein seine Meinung zu einem Umsturzversuch nach französischem Vorbild geändert. Nachdem er die Revolution zunächst mit dem Ausruf „Heil dem Sturm!!“ begrüßt hatte,533 geriet er nach zunehmender Gewalt aufseiten der Aufständischen in Gegensatz zu dieser bürgerlichen Erhebung. Er hielt Herzog Bernhard II. Erich Freund von Sachsen-Meiningen, dem er seinen beruflichen Werdegang hauptsächlich verdankte, die einmal versprochene Treue.534 Dies stieß auf scharfen Widerspruch des aktiven Demokraten Storch, der Bechstein mit „Erz-Reactionair, Fürstenknecht, Camarillamann, Höfling, Speichellecker“ und anderen abwertenden Ausdrücken beschimpfte.535 In den Zielen der Revolution waren sich die beiden 530 WEIGEL: Bechstein, S. 195. 531 Siehe oben Exkurs, S. 176. 532 So wird innerhalb der Bechstein-Forschung mehrheitlich die Meinung vertreten, dass in den politischen Divergenzen die Hauptursache für das Scheitern der Freundschaft zu suchen ist. Siehe WEIGEL: Bechstein, S. 287. Nach Susanne Schmidt-Knaebel spielten dabei die Auseinandersetzungen um Storchs gescheitertes Verlags-Comptoir eine gleichrangige, wenn nicht sogar eine wesentlichere Rolle. Siehe SCHMIDT-KNAEBEL: Bechsteins Briefe, S. 164 f. 533 Siehe dazu den Brief an Storch vom 19. März 1848, der einen Tag nach den Unruhen und Straßenkämpfen von Berlin geschrieben wurde. Siehe KÖLLNER/WEIGEL: Storch, S. 34. 534 Der Herzog gewährte Bechstein von 1829–1831 ein Stipendium zum Studium der Philosophie, Geschichte, Literatur und Kunst in Leipzig und München, und ernannte ihn 1840 zum Hofrat. Siehe BRUSNIAK: Bechstein, Sp. 602. 535 Siehe KÖLLNER/WEIGEL: Storch, S. 34.

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Dichter wohl einig, unüberbrückbare Differenzen gab es hingegen bei deren Umsetzung. Da diese Unterschiede größtenteils erst im Verlauf der Revolution verstärkt zutage traten, beeinträchtigte das Storchs und Bechsteins Aktivitäten für den Thüringer Sängerbund nicht, in dem sie mittels Reden und Dichtungen gemeinsam sowohl für die geistig-kulturelle Einheit Thüringens und Deutschlands als auch für Presse- und Redefreiheit eintraten. * Die Liederfeste des Thüringer Sängerbundes spiegeln exemplarisch das Verhalten der Männergesangbewegung gegenüber der fürstlichen beziehungsweise administrativen Obrigkeit. Es gab immer ein Changieren zwischen Anpassung an repressive Gegebenheiten und der Artikulation oppositioneller Meinungen. Auf der einen Seite bekamen die Gesangvereine rein künstlerisch-organisatorisch intendierte Statuten, die jeglichen Anschein von Politisierung – vor allem bei Sängerfesten – von vornherein ausschlossen. Auf der anderen Seite scheuten die Organisatoren der Liederfeste bei der Durchsetzung von inhaltlichen Fragen nicht davor zurück, es auf eine Konfrontation mit den Behörden ankommen zu lassen.536 Auch wurde in einigen Liedern, mehr oder weniger subtil, liberalen Kernforderungen – wie nach der Einheit Deutschlands und nach der Einführung von bürgerlichen Rechten – durch gemeinschaftlichen Gesang Nachdruck verliehen. Das geschah aber nicht bei allen Liederfesten in gleichem Maße. Kam der bürgerliche Wille zur politischen Emanzipation 1843 in Molsdorf in Reden und Liedern angesichts der Vorzensur entsprechend deutlich zum Ausdruck, fehlten freiheitliche Anklänge beim zweiten und dritten Liederfest in Gotha fast völlig. Erst das vierte Liederfest in Arnstadt ließ durch die Abschaffung der Vorzensur die Artikulation bürgerlich-freiheitlicher Forderungen wieder stärker hervortreten. Ihren Höhepunkt erreichten diese beim fünften Liederfest des Thüringer Sängerbundes 1847 in Eisenach, wo man in dieser Hinsicht in neue Dimensionen vorstieß. Dabei ließen sich die Redner, Textdichter und Sänger auch nicht von anwesenden Vertretern des angestammten Herrscherhauses abhalten. Die Zeit der politischen Zurückhaltung war anscheinend vorbei. Die bürgerliche Revolution des folgenden Jahres warf ihre Schatten voraus, wie vor allem die Rede Wydenbrugks und die Lieder Auf die Höhen und Lied der Gegenwart deutlich unterstreichen. Besondere Hervorhebung verdient der Umstand, dass in den Reden und Liedern der Liederfeste des Thüringer Sängerbundes im Großen und Ganzen zeittypische martialische Ausdrucksweisen und markige nationalistische Auswüchse unterblieben. Gerade beim fünften Liederfest in Eisenach – wo zwar 536 Siehe dazu oben Exkurs, S. 176.

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auch Vaterlandslieder erklangen, aber gerade auf Was ist des Deutschen Vaterland verzichtet wurde – lag der politisch-inhaltliche Schwerpunkt mehr auf den ersehnten bürgerlichen Freiheitsrechten. Damit stellten sich die Veranstalter des fünften Liederfestes durchaus gegen den allgemeinen Trend in der deutschen Sängerbewegung, im Zweifelsfall der deutschen Einheit und der Stärke nach außen den Vorrang zu gewähren. Es gab zwar seit dem vierten Liederfest 1846 in Arnstadt keine Vorzensur mehr. Trotzdem fehlten beim fünften Liederfest 1847 in Eisenach deutliche politische Forderungen an prominenter Stelle. Anscheinend waren die Sänger hinsichtlich der dauerhaften Abschaffung der Zensur aufgrund ihrer bisher gemachten Erfahrungen mit den Behörden noch misstrauisch. Zum einen wurde die Rede Wydenbrugks dem Festkomitee vorher nicht bekannt gegeben; zum anderen bettete man die politischen Forderungen in den näher besprochenen Strophenliedern (Auf die Höhen und Lied der Gegenwart) in einen harmlosen Kontext ein. Unter dem Deckmantel von Ernte- beziehungsweise Naturliedern treten in hinteren Strophen unvermittelt politische Emanzipationsansprüche zutage. Bei dieser Art der Einbettung oppositioneller Forderungen handelt es sich überwiegend um ein thüringisches Phänomen. Dass die Sympathien seitens der Thüringer Sängerbewegung der politischen Opposition galten, zeigte sich offen nicht nur an der Beteiligung ihrer Ehrenmitglieder Storch und Bechstein als prominente thüringische Schriftsteller, sondern auch an der Einladung des liberalen Politikers Wydenbrugks und des demokratischen Erfurter Stadtverordneten Goswin Krackrügges.537 Daher kann der (Musik-)Historiker durch die Lektüre der Festschriften und Zeitungsberichte sowie durch persönliche Zeugnisse „Aufschluss über die gesellschaftlichen und politischen Zielvorstellungen des thüringischen Bürgertums am Vorabend der Revolution 1848/49“ erhalten.538 Am Beispiel der Liederfeste des Thüringer Sängerbundes konnte gezeigt werden, dass die thüringischen Liederfeste – insbesondere das in Eisenach 1847 – als Foren genutzt wurden, Tausenden von Teilnehmern bestimmte Anliegen der bürgerlichen Opposition nahe zu bringen. Die Veranstalter versuchten durch Reden und gesungene Lieder Hoffnungen auf einen politischen Aufbruch zu wecken.

537 Siehe J[ÄGER]: Fünftes Liederfest, S. 16. Zu Krackrügges Verbindung zur Erfurter Männergesangbewegung siehe NICKEL: Erfurter Liedertafel, S. 105 f. 538 HAHN: „Sängerrepublik“, S. 199.

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4.

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Liedertafel, Lehrergesangverein und die „Lichtfreunde“ in Magdeburg

4.1 Der Männergesang in Magdeburg bis 1848 Kein Geringerer als Carl Friedrich Zelter regte am 27. Februar 1819 zur Stiftung der Magdeburger Liedertafel an.539 Damit setzte die Männergesangbewegung in der Domstadt verhältnismäßig früh ein und hatte Vorbildcharakter für die Ausbreitung von Gesangvereinen in der preußischen Provinz Sachsen. Johann Andreas Seebach, der Organist an der Ulrichskirche und Kenner der Berliner Liedertafel, wurde zum ersten Dirigenten ernannt.540 Auf ihn folgte 1824 Musikdirektor August Mühling, nach dem 1847 sein Sohn Julius Mühling die Leitung übernahm. Am Oktober 1838 konstituierte sich mit dem Magdeburger Lehrergesangverein ein weiterer Männerchor in Magdeburg, der am 8. November 1838 seinen Stiftungstag begehen konnte.541 Als erster Leiter des Lehrergesangvereins bis 1848 fungierte der Mitbegründer und Gesangslehrer Johann Joachim Peter Wachsmann.542 Im Jahr 1843 wurde der Magdeburger Bürgergesangverein gegründet, aus dem sich bald die Zweite Liedertafel und der Wehrig’sche Männergesangverein abspalteten. Zwei Jahre später gründete der Lehrer Friedrich Carl Schwarz einen Gesellen-Gesangverein in der Provinzhauptstadt.543 Um das Jahr 1840 kam es im Umkreis von Magdeburg zu einer Welle von Männerchor-Gründungen. Nach Friedrich Häseler führte es dazu, dass „schon nach einigen Jahren [...] die meisten der Städte und Dörfer [...] ihren Männergesangverein [hatten]“.544 Vereinsakten der erwähnten Gesangvereine aus dem hier behandelten Zeitraum sind – bis auf auf ein Protokollbuch der Magdeburger Liedertafel545 – nicht erhalten geblieben. Auch gedruckte oder handschriftliche Liederbücher, die es nach Rudolf Otto Weber gegeben hat, sind bis auf ein kleines Textbuch verloren 539 Zelter wohnte im Herbst 1818 einer Aufführung von Haydns Jahreszeiten durch den Seebach’schen Gesangverein bei. Bei einem anschließendem Mahl in der Loge „Friedrich zur Glückseligkeit“ regte er zur Gründung einer Liedertafel an, der zunächst nur Mitglieder des Seebach’schen Gesangvereins angehörten. Siehe HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 2. 540 Zu Seebach (1777–1823) siehe HOBOHM: Seebach. 541 Siehe LEINUNG: Magdeburger Lehrergesangverein (1928), S. 9. Zum Magdeburger Lehrergesangverein siehe unten S. 215 f. 542 Zu Wachsmann (1787–1853) siehe HOBOHM: Musikgeschichte Magdeburgs 1, S. 649 ff. 543 HOBOHM: Musikgeschichte Magdeburgs 1, S. 225. 544 HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 37. 545 KHM MD, Protokollbuch Magdeburger Lehrer-Gesangverein, M 563, S. 2. Dieser Band enthält die Protokolle des Magdeburger Lehrergesangvereins von 1838–1845 und 1866–1886 und befindet sich im Bestand der Bibliothek des Kulturhistorischen Museums in Magdeburg (Sign.: M 563). Zwei weitere Protokollbände sind im Altbestand der Magdeburger Stadtbibliothek im Zeitraum von 1890–1894 (Sign.: Hz 9953 und Hz 9954-56) vorhanden.

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gegangen.546 Als Quellen dienen überwiegend Festschriften und Zeitungs- beziehungsweise Zeitschriftenartikel.

4.2 Die Magdeburger Liedertafel Über die Geschichte der Magdeburger Liedertafel im 19. Jahrhundert geben zum einen die Festschriften von Häseler (1869) und die darauf aufbauende von Weber (1894), zum anderen Artikel in der Magdeburgischen Zeitung Auskunft.547 Gerade die Festschrift von Häseler geht über eine protokollarische Sammlung von Kurzmeldungen hinaus und zeichnet ein facettenreiches Panorama der Geschichte der Liedertafel bis 1869. Webers Festschrift hingegen weist ein Mitgliederverzeichnis bis 1893 und eine ausführliche Inventarliste der Liedertafel auf. Die 21 Gründungsmitglieder der Magdeburger Liedertafel gehörten sowohl der bürgerlichen Oberschicht als auch dem Mittelstand und dem Bildungsbürgertum an.548 Die Liedertafel hatte anfangs einen exklusiven Charakter, der dadurch zum Ausdruck kam, dass sich Mitglieder bis 1844 nur aus dem Seebach’schen Gesangverein rekrutierten und Fremde auch durch eigene Mitglieder nicht eingeführt werden durften. Zur ersten Liedertafel kam es am 18. März 1819 im Lokal „Stadt Berlin“, woran nach Häseler zusammen mit Seebach 22 Mitglieder teilnahmen.549 Der erste nachgewiesene Auftritt außerhalb der monatlichen Zusammenkünfte erfolgte in der Loge „Ferdinand zur Glückseligkeit“ in Magdeburg im März 1822, wodurch die allgemein enge Verbindung von Männergesangvereinen und Logen im mitteldeutschen Raum einen weiteren Ausdruck fand.550 Schon bald wurden Verbindungen zu anderen, auswärtigen Liedertafeln geknüpft. Dabei ist in erster Linie die Dessauer Vereinigung unter Friedrich Schneider zu nennen, der 1822 in einer „Extra-Liedertafel“ geehrt wurde, woran sich einige gegenseitige

546 Laut Weber gab es zur Zeit der Entstehung der Festschrift im Jahr 1893 u. a. noch drei handschriftliche Partituren mit 129 Männerchorgesängen von August Mühling, einige handschriftliche Stimmbücher und den ersten gedruckten Band der „Gesänge der Magdeburger Liedertafel“ von 1851, der 100 Lieder enthielt. Siehe MEYER: Chronik der Zweiten Liedertafel, S. 108 f. Allein im Altbestand der Magdeburger Stadtbibliothek hat sich ein gedrucktes Textheft mit zwölf Liedern erhalten, die hauptsächlich von August Mühling und Friedrich Schneider stammen. Siehe Texte zu handschriftlichen Melodien. 547 Siehe HÄSELER: Magdeburger Liedertafel sowie WEBER: Magdeburger Liedertafel als auch Artikel in der Magdeburgischen Zeitung, wie u. a. 100 Jahre Magdeburger Liedertafel und Von Liedern und Tafeln. 548 Zu den Namen und Berufen siehe HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 2. 549 EBD., S. 4. 550 Siehe WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 82 und SCHUMANN (Hg.): Chronik Provinzialliedertafel, S. 10 ff.

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Besuche und Unternehmungen anschlossen.551 Im Jahr 1824 erfolgte die Einführung der „Sommer- und Herbst- oder öffentlichen Liedertafeln“, die den Bekanntheitsgrad der Liedertafel in der Stadt weiter vergrößerte.552 Auch durch die Einführung eines sonntäglichen Morgengesangs im Friedrich-Wilhelms-Garten trat die Liedertafel verstärkt in die Öffentlichkeit. Das oppositionelle Engagement der Magdeburger Liedertafel In der Festschrift von Häseler legt der Autor in seiner Rückschau auf 50 Jahre Liedertafel Wert auf die Feststellung, „dass sich bei der großen Mehrzahl der Liedertafler immer ein besonnener, ruhiger, allen Extremen auf kirchlichem wie auf politischem Boden abgewandter Geist erhielt“.553 Diese Feststellung post festum sollte wahrscheinlich herausstreichen, dass die Liedertafel schon immer in erster Linie ein Gesangverein und kein politischer Verein war – eine Feststellung, die der Beruhigung der misstrauischen Behörden der Reaktionszeit nach 1848/49 diente. Sie impliziert jedoch, dass es in der Liedertafel eine Minderheit gegeben hat, die auf den Gebieten der Religion und der Politik aktiv war – zwei Ebenen, die im späten Vormärz vor allem in Magdeburg kaum voneinander zu trennen waren. Augenfällig spielt Häseler als Autor der Festschrift auf die Verbindungen der Liedertafel mit den kirchlichen Oppositionsbewegungen der Deutschkatholiken und der „Lichtfreunde“ an, deren Tätigkeit er als damaliges Mitglied der Liedertafel selbst miterlebt hat.554 Anfang April 1845 kam Johannes Ronge nach Magdeburg.555 Der Aufenthalt in Magdeburg stand im Zusammenhang mit vier weiteren Reisen, die Ronge unternahm, um dem Deutschkatholizismus öffentliche Anerkennung, finanzielle Unterstützung durch das Bürgertum und amtliche Förderung zu sichern.556 In der preußischen Provinzhauptstadt hatte sich im Januar 1845 eine deutschkatholische Gemeinde konstituiert.557 Am 22. Februar 1845 fand die erste Versammlung im Saal der höheren Gewerbs- und Handelsschule statt. Bis zum 17. März 1845 unterzeichneten 152 Personen das neue Glaubensbekenntnis der

551 WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 82. Zur engen Verbindung der beiden Liedertafeln siehe NICKEL: Wilhelm Müller, S. 121 f. 552 WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 82. 553 HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 55. 554 Siehe zu den „Lichtfreunden“ und Deutschkatholiken oben Kap. II.3.2. 555 Zu Ronge und den Deutschkatholiken siehe oben S. 56–60. 556 Zur ersten Rundreise Ronges, die ihn nach Liegnitz, Görlitz, Löbau Dresden, Leipzig, Halle, Berlin, Potsdam und nach Magdeburg führte siehe KAMPE: Religiöse Bewegung 1, S. 159–163. 557 MYRRHE: Sozialkonzepte und ,Frauenfrage‘, S. 125.

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Deutschkatholiken.558 Daher konnte am 13. April 1845 der erste deutschkatholische Gottesdienst unter der Leitung des Kaplans Karl Kerbler in einer der Stadtkirchen öffentlich stattfinden.559 Während des Empfangs Ronges in Magdeburg brachte Uhlich einen Trinkspruch auf die Männer des „Leipziger Konzils“ aus.560 Dem schloss sich die Liedertafel am 2. April 1845 in Form eines Ständchens für den von Zeitgenossen als Reformator des 19. Jahrhunderts gefeierten Ronge an.561 Die Liedertafel brachte damit ihre Sympathie mit der katholischen Oppositionsbewegung zum Ausdruck, die sich ebenso wie die der „Lichtfreunde“ gegen den als reaktionär empfundenen Dogmatismus der offiziellen Kirche und gegen gesellschaftliche Missstände wendete.562 Aufgrund einiger Gemeinsamkeiten der beiden religiösen Bewegungen erscheint es nur konsequent, dass die Liedertafel zusammen mit dem Lehrergesangverein im gleichen Jahr auch Uhlich ein Ständchen bei seiner Ankunft in Magdeburg brachte.563 Bei der Provinzialliedertafel am 6. Juni 1846 im Casino in Magdeburg sprach die ortsansässige Liedertafel den Wunsch aus, Uhlich „in ihrer Mitte an den Freuden der Liedertafel Theil nehmen zu sehen“.564 Die Provinzialliedertafel stellte eine gute Gelegenheit dar, mit Uhlich in Kontakt zu treten, da die Teilnahme an Veranstaltungen der „Lichtfreunde“ beispielsweise für Lehrer, die in der Liedertafel trotz des Bestehens des Lehrergesangvereins eine zahlenmäßig nicht unbedeutende Berufsgruppe stellten, verboten worden war.565 Die Einladung Uhlichs geschah auf allgemeinen Wunsch, was auch durch die folgende Aussage des berichtenden Korrespondenten zum Ausdruck kommt:

558 BAUER: Deutschkatholische Kirche, S. 215. Vom Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung wurde diese freireligiöse Bewegung mit 500 Talern pro Jahr für drei Jahre unterstützt. Magdeburger Wochenblatt, Nr. 32, 9. August 1845, S. 527. 559 BAUER: Deutschkatholische Kirche, S. 216. Am 3. August 1845 konnte in Magdeburg die erste deutschkatholische Kirche in Deutschland durch Ronge, Kerbler und Robert Brauner (1816–1854) eingeweiht werden. Siehe EBD. Zu Kerbler siehe unten S. 255, Anm. 806. 560 Magdeburgische Zeitung, Nr. 78, 4. April 1845, S. 1. Hier wird der Empfang Ronges, an dem etwa 200 Männer im Saal des Hotels „Stadt London“ teilnahmen, kurz beschrieben. Zum „Leipziger Konzil“ im März 1845, bei dem sich die Deutschkatholiken ihren Namen gaben und „allgemeine Grundsätze“ beschlosssen, siehe oben S. 59. 561 Siehe WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 86 und HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 48. 562 Diese Sympathie bestand auch später noch, als die Bewegung der Deutschkatholiken im Bund Freireligiöser Gemeinden aufgegangen war. So heißt es bei Häseler: „Man spricht jetzt nicht mehr viel von Ronge, aber sein Brief ist und bleibt eine große That.“ Siehe HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 48. 563 Siehe dazu unten S. 225 f. 564 Teutonia, Nr. 13, 1846, S. 203. 565 Siehe dazu unten S. 222.

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„Ausserdem machte ein Gast [Uhlich, S. N.] die Sitzung noch anziehender.“566 Nach der offiziell erfolgten Einladung nahm Uhlich die Gelegenheit wahr, der ihn einladenden Gemeinschaft „seinen Dank dafür in einigen Worten auszusprechen, indem er seinen derzeitigen Zustand mit dem eines Träumenden verglich, der zu fliegen glaube, und durch die angedichteten Schwingen über den Druck des vergessenen Erdenlebens erhoben werde“. Dafür machte er die Sängerbewegung im Allgemeinen und die Provinzialliedertafel im Besonderen verantwortlich: „Sie, die Gesangsfreunde, hätten wie sich selbst, so auch ihn empor[ge]tragen, und möchten sie – so schloss er − noch lange die Gesangschwingen so frisch, so kräftig und so fröhlich rühren, um sich und Andere über den Druck der Erdenluft emporzuheben.“567 Mit dem „Druck der Erdenluft“ werden die allgemeinen restriktiven politischen und gesellschaftlichen Bedingungen in der Provinz Sachsen im Vormärz gemeint sein, unter denen besonders die „Lichtfreunde“, aber auch die in Gesangvereinen organisierten Männer zu leiden hatten.568 Am 17. Juli 1847 wurde laut der Festschriften von Häseler und Weber im Casino die 300. Wiederkehr des ersten protestantischen Gottesdienstes in Magdeburg gefeiert.569 Die Feierlichkeit stand ganz im Zeichen der Auseinandersetzung zwischen den Orthodoxen und den Rationalisten der „Lichtfreunde“. So berichtet der Chronist der Magdeburger Liedertafel und vermutliche Zeitgenosse Häseler, dass „die Feier [...] eine protestierende gegen die derzeit immer schroffer

566 Teutonia, Nr. 13, 1846, S. 203. 567 EBD. 568 Die enge Verbundenheit der Magdeburger Liedertafel mit den „Lichtfreunden“ zeigte sich auch beim Auftritt zur Amtseinführung des Pfarrers Friedrich Wilhelm Hildebrandt (1811–1893) Mitte März 1847 in der Magdeburger St. Jacobi-Kirche. Siehe WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 86. Hildebrandt gehörte in Halle den „Lichtfreunden“ unter Wislicenus an. Seine Berufung zum Oberpfarrer an der Jacobikirche führte im Vorfeld zu Protesten innerhalb konservativer Kreise in der Gemeinde und zur zeitweiligen Verweigerung der Amtsbestätigung seitens des Konsistoriums. Zur Berufung an die Magdeburger St. Jacobi-Kirche und die damit verbundenen Auseinandersetzungen siehe verschiedene Akten Hildebrandts in AKPS, Friedrich Wilhelm Hildebrandt, Rep. A, Spec. P, H 201; Pfarrstellenbesetzung St. Jacobi, Rep. A, Spec. G, A 834 und Spezialakte Hildebrandt, Rep. A, Spec. C, A 22976. Zur Biografie Hildebrandts siehe KRIEWALD: Hildebrandt, S. 298. 569 HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 55 und WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 86. Eigentlich gilt allgemein der 17. Juli 1524, als mehrere Gemeinden die evangelische Gottesdienst- und Gemeindeordnung annahmen, als Tag der Einführung der Reformation in Magdeburg. Am 17. Juli 1846 wurde aber auch im preußischen Vereinigten Landtag die Mündlichkeit und Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren – eine wesentliche bürgerliche Freiheitsforderung – verabschiedet. Die Erinnerung an beide Ereignisse wurde am 17. Juli 1847 in Magdeburg bei einem „Doppelfest patriotischer und christlicher Gesinnung“ miteinander verknüpft. Magdeburger Wochenblatt, Nr. 30, 24. Juli 1847, S. 490. Zum Ablauf des ganzen Festes siehe EBD., S. 490–494.

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auftretende streng kirchliche Richtung“ gewesen sei.570 Sehr wahrscheinlich nimmt Häseler hierbei auch Bezug auf das laufende Disziplinarverfahren des Evangelischen Konsistoriums gegen Uhlich, der am 13. September 1847 von seinem Pfarramt suspendiert wurde.571 In den Protest gegen dieses und ähnlich gelagerte obrigkeitliche Vorgehen stimmte auch die Magdeburger Liedertafel ein, indem sie folgenden Gesang öffentlich vortrug: Sorglos gehen wir unsern Gang – Wir, durch Luther frei und frank – Lockt die Kirch’ als böse Mutter – Uns zur Knechtschaft! Auf mit Luther – Singt Gesang. Frei von Wahn und Glaubenszwang – Will mit straffen Lehrsymbolen – Uns zurück die Mutter holen – Schönen Dank!572

Der Komponist dieses Chorstückes ist der Dessauer Hofkapellmeister und Direktor der dortigen Liedertafel Friedrich Schneider. Mit der Vertonung dieses Textes gab er sich als Sympathisant der „Lichtfreunde“ zu erkennen.573 An den drastischen Worten und an der Herkunft des Komponisten wird deutlich, wie heftig die innerkonfessionelle Auseinandersetzung auch öffentlich geführt wurde und über die Landesgrenzen hinweg für Aufsehen sorgte.574 Im Liedtext stehen sich die beiden religiösen Richtungen unversöhnlich gegenüber. Auf der einen Seite wird die orthodox geführte Amtskirche als „böse Mutter“, die „zur Knechtschaft“ führt, bezeichnet sowie mit „Wahn und Glaubenszwang“ verbunden. Auf der anderen Seite stehen die sich auf Luther berufenden evangelischen Christen im „ächt protestantischen Geiste“.575 Letztere werden zum Widerstand gegen die Lockungen und auch Drohungen der Gegenseite aufgerufen. Dazu soll der Gesang in Analogie zu den Bekenntnisliedern der Reformationszeit als geeignetes Mittel dienen. Einer Rückkehr in den Schoß der „Mutter Kirche“ wird am Schluss des überlieferten Textes eine deutliche Abfuhr erteilt: „Will mit straffen Lehrsymbolen / Uns zurück die Mutter holen / Schönen Dank!“ Der offiziellen 570 HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 55. 571 Zur Disziplinaruntersuchung des Konsistoriums gegen Uhlich siehe Amtliche Verhandlungen. 572 Von diesem Gesang ist leider nur dieser Textausschnitt überliefert. Siehe HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 55. 573 Leider war das Lied im Gegensatz zu anderen Gesängen, die für „Freie Gemeinden“ der Region komponiert wurden, nicht in Schneiders handschriftlich geführten Liederbüchern zu finden. Zu Schneider und seinem Engagement für die „Lichtfreunde“ siehe oben S. 90 ff. 574 Mitte der 1840er Jahre war Anhalt und dort v. a. Köthen eine Hochburg sowohl der „Lichtfreunde“ als auch der Deutschkatholiken. Siehe dazu HACHTMANN: Zwischen Sachsen und Preußen?, S. 168. 575 HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 55.

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Amtskirche wirft der unbekannte Verfasser des Liedtextes dogmatische Unfreiheit und oktroyierten Glaubenszwang vor, weshalb ein längeres Verbleiben unter dem Dach der offiziellen Kirche notgedrungen ausgeschlossen bleibt. Aufgrund der Aussagen des von der Magdeburger Liedertafel nachweislich gesungenen Textes ist zu vermuten, dass einige ihrer Mitglieder sich dann der sich Ende 1847 bildenden „Freien Gemeinde“ unter Uhlichs Leitung in Magdeburg angeschlossen haben. Man kann bei dieser Feier, die bewusst in einem profanen Gebäude stattfand, durchaus von einer protestantischen Veranstaltung im Wortsinne sprechen. Der offensiv und öffentlich vorgetragene Protest gegen das Vorgehen der Orthodoxen wurde gleichzeitig mit dem Singen von Vaterlandsliedern, die ein einiges Deutsches Reich propagierten, verbunden, was sich wiederum auch implizit gegen die preußische Obrigkeit richtete.576 Die Magdeburger Reformationsfeier hatte zudem durch die Teilnahme zahlreicher lokaler liberaler und demokratischer Oppositioneller auch einen eminent politischen Bezug. Da eine ausführliche Stellungnahme zum Vereinigten Landtag in den „Bürgerversammlungen“ verboten worden war, wurde diese Reformationsfeier als Podium politisch-oppositioneller Kräfte in Magdeburg genutzt.577 Unter den Rednern waren unter anderem Friedrich Wilhelm Pax, Leberecht Uhlich, Wilhelm Franz Sintenis und Eugen Fabricius zu finden.578 Pax und Fabricius gingen auf die große Bedeutung des Landtages in Preußen für die weitere Entwicklung der antifeudalen Opposition ein und brachten Trinksprüche auf liberale Zielsetzungen wie z. B. die Pressefreiheit aus. Sintenis und Uhlich bezogen sich dann auf die religiösen Auseinandersetzungen in Magdeburg.579 Dadurch wurde aus einer per se rein religiösen Jubiläumsfeierlichkeit eine allgemeine Oppositionsveranstaltung, die sowohl politische als auch kirchliche Belange einbezog. So entstand eine neue Dimension in der oppositionellen Entwicklung in Magdeburg. Politisch-oppositionelle Vertreter sowie kirchlich-oppositionelle Vertreter traten öffentlich gemeinsam auf. Deutlich kommt daran zum Ausdruck, dass die Bewegung der „Lichtfreunde“ die Grenzen der religiösen Opposition deutlich überschritten hat und sich eindeutig politisch artikulierte. Weiterhin bezeugt diese Reformationsfeier auch das Bestreben der innerstädtischen bürgerlichen Opposition, trotz unterschiedlicher Zielsetzungen im Detail für die Umsetzung bürgerlicher Freiheitsbestrebungen – hier

576 Weiterhin wurden die Gesänge Was ist des Deutschen Vaterland von Gustav Reichardt, Hinaus von Friedrich Schneider, Stimmt an mit hellem Klang von August Mühling und Wer ist ein Mann von Johann Rupprecht Dürrner (1810–1859) gesungen. Siehe EBD. 577 Siehe zu den „Bürgerversammlungen“ oben S. 47 f. 578 Zu Pax und Fabricius siehe unten S. 214, Anm. 597 sowie S. 214 f. und zu Sintenis oben S. 53, Anm. 101. 579 Siehe ENGELMANN: Rolle der Bürgerversammlungen, S. 139. Zur Feier siehe den Bericht im Magdeburger Wochenblatt, Nr. 30, 24.7.1847, S. 490 ff. und zum Festvortrag Uhlichs EBD., S. 493.

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unter anderem die Frage der Verfassung, das Recht auf freie Religionsausübung und die Pressefreiheit – gemeinsam ein- und aufzutreten. Die Ereignisse der Revolution 1848/49 erfassten auch die Magdeburger Liedertafel. Anders als in den meisten Festschriften von Männergesangvereinen geht hier bei Weber und Häseler der Bericht weit über die Feststellung hinaus, dass sich durch „die fieberhafte Unruhe der politischen Ereignisse […] die Vereine entvölkerten [und] die Feste unterblieben“.580 Zwar spiegelte das Vereinsleben der Magdeburger Liedertafel die politischen Ereignisse wider, es kam aber nicht völlig zum Erliegen. Häseler gab zu Protokoll, dass man „von der Liedertafel im Großen und Ganzen […] aber rühmen [kann], daß sie sich Besonnenheit und Ruhe in dieser starken, überflutheten Strömung bewahrte“.581 Die vermeintliche „Besonnenheit“ hielt die politisch interessierten und involvierten Mitglieder der Liedertafel aber nicht davon ab, anstelle der Chorproben politische Diskussionen abzuhalten. An reguläre Übungsstunden war also in dieser bewegten Zeit kaum zu denken. Dass aber trotzdem der Gesang gepflegt wurde, zeigt der Auftritt der Liedertafel zu Ehren des aus England zurückkehrenden Kurprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen sowie die Teilnahme am Turn- und Sängerfest auf der Harzburg im Herbst 1848.582 Im letzten Viertel des Jahres 1848 sorgten die politischen Entwicklungen jedoch dafür, dass der Besuch der Liedertafel zurückging: „Im September wurde wieder eine Liedertafel gehalten, aber noch gingen die Wogen im Staatsleben so hoch und schlugen brausend an jedes Haus, daß an Übung der Kunst des Gesanges noch nicht zu denken war.“583 Es wurde mehr diskutiert als gesungen, wenn mehrere zusammen kamen. Daher machte ein Mitglied der Liedertafel den Vorschlag, „statt des musikalischen Directors einen Vorsitzenden zu wählen, der die politische Debatte leitet, [da] in der Liedertafel doch nicht mehr [gesungen wird]“.584 Die Notizen Häselers sprechen eine deutliche Sprache, vor allem gegen die Behauptung in vielen Festschriften, dass es sich bei den Sängern der Männerchöre um unpolitische und nur an „Wein, Weib und Gesang“ interessierte Männer handelte.

580 ELBEN: Männergesang (1887), S. 133. 581 Siehe HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 57. 582 Zum Ständchen vor dem Prinzenpaar siehe WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 87 und zur Teilnahme am Sängerfest auf Einladung des Braunschweiger Männergesangvereins siehe HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 58. 583 EBD., S. 59. 584 EBD., S. 60.

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Politisch aktive Persönlichkeiten der Magdeburger Liedertafel Anhand des Mitgliederverzeichnisses in der Festschrift von Weber können Liedertafler identifiziert werden, die sich politisch betätigten oder deren Handlungsweisen Sympathien mit liberalen oder auch demokratischen Oppositionsbewegungen erkennen lassen.585 Die erste Erwähnung in dieser Hinsicht gebührt dem Mitbegründer und späteren Ehrendirektor der Liedertafel Karl Gottfried Kretschmann.586 Der Buchhändler und Verleger engagierte sich – getreu seinem eigenen Wahlspruch „Erst Mensch, dann Geschäftsmann“587 – vielfältig auf politischem, sozialem und kulturellem Gebiet. Kretschmann war bis zu seinem Tod 1850 die treibende Kraft der Magdeburger Liedertafel, was sich unter anderem in seiner Ernennung zum Ehrendirektor niederschlug. Im Jahr 1844 gründete er den Zschokke-Verein zur Verbreitung wohlfeiler Volksschriften.588 Als Namenspatron fungierte der in Magdeburg geborene Schriftsteller und Politiker Johann Heinrich Daniel Zschokke, der sich in der Schweiz „zeitlebens für die demokratische Verwirklichung aufklärerischer Ideale“ einsetzte.589 Seit dem Anfang der 1840er Jahre beteiligte sich Kretschmann an den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen in Magdeburg. Dabei war er mit den „Lichtfreunden“ besonders eng verbunden. So verlegte Kretschmann einige ihrer Schriften und Predigten. Seine Freundschaft mit Uhlich führte noch am Ende seines Lebens zu starken „Anfeindungen von Seiten reaktionärer Kreise und der konservativen Regierung in Magdeburg um den Oberpräsidenten Gustav von Bonin“.590 Dazu gehörte auch die Einbeziehung in die polizeilichen Untersuchungen bezüglich der Aufdeckung der Berliner 585 WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 110–124. Dieses Verzeichnis umfasst alle nachweisbaren Mitglieder von der Gründung 1819 bis zum Redaktionsschluss der Festschrift 1893. 586 Kretschmann (1784–1850) war Buchhändler und Verleger und seit 1814 Mitglied der Loge „Ferdinand zur Glückseligkeit“. Er engagierte sich auf der Basis seiner liberalen Gesinnung jahrelang als Stadtverordneter. Besondere Verdienste erwarb sich Kretschmann als Direktor des Bürgerrettungsinstitutes und als Mitglied der Armen-Holzversorgungs-Gesellschaft um die Verbesserung der Armenversorgung. Auf kulturellem Gebiet sind sein Engagement für die Konstituierung der Liedertafel 1819 und die Durchführung des 7. Elbmusikfestes in Magdeburg 1834 hervorzuheben. Siehe HEINRICH: Kretschmann. Zu Kretschmann siehe auch HOBOHM: Musikgeschichte Magdeburgs 1, S. 629 ff. und WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 81 ff. 587 HOBOHM: Musikgeschichte Magdeburgs 1, S. 631. 588 Schon Ende 1843 ist ein Komitee zur Bildung eines Zschokkevereins in Magdeburg zusammengetreten, um über den Entwurf und die Bestätigung von Statuten zu beraten. Siehe Magdeburger Wochenblatt, Nr. 47, 19. November 1843, S. 749. Zum Zschokke-Verein siehe EBD., 4. Jg., Nr. 19, 9. Mai 1846, S. 337–341. 589 SCHANDERA: Zschokke. 590 HEINRICH: Kretschmann, S. 388. Gustav von Bonin (1797–1878) war von 1845 bis 1850 Oberpräsident der Provinz Sachsen und Regierungspräsident von Magdeburg. Als Angehöriger des gegenrevolutionären Kreises um den ultrakonservativen Magdeburger OberlandesgerichtsPräsidenten Ludwig von Gerlach (1795–1877) hatte von Bonin großen Anteil an der Niederschlagung der Revolution in der Provinz Sachsen.

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Zelle des Bundes der Gerechten, in deren Gefolge Kretschmanns Wohnung nach gesetzlich verbotenen Schriften durchsucht wurde.591 Unter den Ehrenmitgliedern der Liedertafel befand sich auch der Lehrer Friedrich Löw.592 Er war „ein entschiedener Demokrat des Kreises um Leberecht Uhlich und Victor von Unruh“.593 Seit den 1830er Jahren betätigte sich Löw politisch. So gehörte er seit Dezember 1844 der provisorischen Leitung der oppositionellen „Bürgerversammlungen“ in Magdeburg 594 und im Jahr 1848 der Redaktion der Elb-Zeitung für politisches und soziales Leben, Aufklärung, Recht und Freiheit an.595 Die Elb-Zeitung vertrat während des Revolutionsjahres 1848 hauptsächlich die Interessen der sogenannten „Jungen Demokraten“. Löw war Mitte April 1848 Gründungsmitglied des Constitutionellen Clubbs, als dessen Sprecher er auch fungierte. Diese Vereinigung, die am 19. April 1848 zu ihrer ersten öffentlichen Sitzung zusammenkam, verfolgte neben liberalen auch eindeutig demokratische Ziele.596 Auch zählte Löw zu den Mitbegründern des durch Pax am 9. Dezember 1848 entstandenen linksliberal ausgerichteten Vereins zur 591 ENGELMANN: Rolle der Bürgerversammlungen, S. 137. Zu diesen Untersuchungen siehe auch unten S. 214, Anm. 603. – Der Bund der Gerechten war ein Vorläufer der späteren sozialistischen und kommunistischen Parteien und ging im Jahr 1836 auf Initiative des Frühsozialisten und Publizisten Wilhelm Weitling (1808–1871) in Paris aus dem dort schon seit 1834 bestehenden Bund der Geächteten hervor. Zum Bund der Gerechten siehe RIEMKASTEN: Bund der Gerechten. 592 WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 110. Siehe dazu auch HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 47. Friedrich Löw (1809–1881) war ab 1835 Deutschlehrer am Schullehrerseminar in Magdeburg, seit 1847 Lehrer und bald darauf bis 1880 Rektor der 2. mittleren Bürgerschule daselbst. Die Magdeburger Liedertafel hatte ihm „so manche poetische Festgabe zu verdanken“. Siehe WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 86. 593 Siehe HOBOHM: Musikgeschichte Magdeburgs 1, S. 231. Der Ingenieur und preußische Regierungs- und Baurat Victor von Unruh (1806–1886), der 1846 nach Magdeburg kam, engagierte sich 1848 als Vertreter eines konstitutionellen Staatsmodells englischer Prägung. Mit den Stimmen gemäßigter Liberaler und einiger Konservativer zog er neben Friedrich Wilhelm Pax in das Berliner Parlament ein, wo er am 28. Oktober 1848 zum Präsidenten der „Verfassungsgebenden Versammlung“ gewählt wurde. Aufgrund seiner Rolle in der Revolutionszeit lehnte Friedrich Wilhelm IV. dessen Berufung zum Magdeburger Stadtoberhaupt Anfang 1850 ab. Siehe ENGELMANN: Unruh. 594 ENGELMANN: Rolle der Bürgerversammlungen, S. 51. 595 Es handelte sich hier um die Umbenennung des Magdeburger Wochenblattes für Angelegenheiten des bürgerlichen Lebens. Nach den Märzereignissen und deren Errungenschaften – unter ihnen die Aufhebung der Zensur – konnte die politische Zielrichtung der von Fabricius herausgegebenen Zeitung auch offen im Titel zum Ausdruck kommen. 596 Im veröffentlichten Protokoll der ersten Sitzung vom 19. April 1848 ist das aus 20 Zielen bestehende politische Programm des Constitutionellen Clubbs zu finden. Darin wurde neben einer konstitutionellen Monarchie die Abschaffung des Zensus für das Bürgerrecht, die Abschaffung der Adelsvorrechte, die vollständige Trennung der Kirche von Staat und Schule und das unbedingte Recht auf freie Versammlung, Vereinigung und freies Publizieren gefordert. Siehe ASMUS: 1848 bis zur Gegenwart, S. 63. Zur konstituierenden Versammlung siehe Magdeburgische Zeitung, Nr. 96, 21. April 1848, Erste Beilage, S. 3 f.

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Wahrung der Volksrechte in Magdeburg.597 Das Hauptziel dieses Vereins bestand darin, die in der Revolution errungenen bürgerlichen Rechte zu verteidigen. Eugen Fabricius,598 der Verleger der oben erwähnten Elb-Zeitung, gehörte der Magdeburger Liedertafel seit 1837, im Jahr 1858 auch als Mitglied des geschäftlichen Vorstandes an.599 Er gab seit Februar 1843 das Magdeburger Wochenblatt für Angelegenheiten des bürgerlichen Lebens heraus, welches innerhalb „kürzester Zeit zum Organ der liberalen Bewegung der Stadt avancierte“.600 Darin durften namhafte Liberale und Demokraten der Stadt publizieren. Besonders unterstützte Fabricius die „Lichtfreunde“, deren Anhänger er war.601 Auch förderte er die im August 1844 ins Leben gerufenen und später verbotenen „Bürgerversammlungen“ in Magdeburg tatkräftig und publizistisch, letzteres vor allem in der seit dem 17. April 1848 täglich erscheinenden Elb-Zeitung. Zusammen mit Löw wurde Fabricius am 5. Dezember 1844 zum stellvertretenden Vorsitzenden der „Bürgerversammlungen“ gewählt.602 Im Zusammenhang mit der Aufdeckung der Magdeburger Gemeinde des Bundes der Gerechten, der seit Anfang der 1840er Jahre unter dem Deckmantel eines Lesezirkels bestand, geriet Fabricius ins Fadenkreuz der staatlichen Behörden. Der Magdeburger Polizeidirektor und Landrat Ludwig von Kamptz beschuldigte den umtriebigen Buchhändler „kommunistischer Umtriebe“, was aber wegen fehlender Beweise nicht zu einer Verurteilung führte.603 Die enge Verbundenheit mit den „Lichtfreunden“ und dem von ihnen vertretenen religiösen Liberalismus äußerte sich nicht durch publizistische Unterstützung. Nach 597 Siehe zum Verein allgemein LHASA MD, Oberpräsidium der Provinz Sachsen, Rep. C 28 If, Nr. 1751. Der Pädagoge und linksliberale Politiker Friedrich Wilhelm Pax (1798–1867) gehörte zu den Initiatoren der „Lichtfreunde“. Er gründete 1844 die Bürgerversammlungen mit, die zum antifeudalen Kristallisationspunkt wurden und deren Vorsitz er 1846 übernahm. Im Jahr 1847 wurde er Stadtverordneter und 1848 mit überwältigender Mehrheit in die preußische Nationalversammlung gewählt, wo er dem linken Zentrum zugehörig war. Um der einsetzenden Reaktion nach der Auflösung des preußischen Parlamentes und der oktroyierten Verfassung vom 5. Dezember 1848 entgegen treten zu können, wurde im Dezember 1848 der Verein zur Wahrung der Volksrechte, der bis ins Jahr 1851 bestand, ins Leben gerufen. Im April 1849 bildeten die inzwischen 44 entstandenen Zweigvereine der Provinz Sachsen unter der Führung von Pax den Zentralverein zur Wahrung der Volksrechte. Siehe dazu ENGELMANN: Pax. 598 Eugen Friedrich Fabricius (1810–1889) übernahm 1836 die Rubachsche Buchhandlung in Magdeburg, war seit 1844 größtenteils als Verleger und Publizist tätig und zog sich 1848 ganz aus dem Sortimentsbuchhandel zurück. Zu Fabricius siehe ENGELMANN: Fabricius. 599 WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 114. 600 ENGELMANN: Fabricius, S. 169. Zur Geschichte und oppositionellen Ausrichtung des Magdeburger Wochenblattes siehe ENGELMANN: Rolle der Bürgerversammlungen. 601 Siehe dazu EBD., S. 36–42 und S. 98 ff. 602 EBD., S. 79. 603 ENGELMANN: Fabricius, S. 169. Die Aufdeckung der Berliner Zelle des Bundes der Gerechten führte zu Verbindungen nach Magdeburg. Der Schneider Alexander Beck und der Buchbinder Friedrich August Behrens nutzten den Magdeburger Lesezirkel, um kommunistische Literatur zu vertreiben. Die polizeiliche Untersuchung weitete sich auf die wegen ihrer oppositionellen Haltung verdächtigen Buchhändler Fabricius und Kretschmann aus. Siehe ENGELMANN: Rolle der Bürgerversammlungen, S. 137.

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der Gründung der „Freien Gemeinde“ in Magdeburg trat er dieser nicht nur bei, sondern ließ sich auch in deren Ältestenrat wählen. Des Weiteren war Fabricius Gründungsmitglied des linksliberalen Constitutionellen Clubbs.604 Auch engagierte er sich nach dem Staatsstreich in Preußen im Herbst 1848, ebenso wie Löw, im Verein zur Wahrung der Volksrechte.

4.3 Der Magdeburger Lehrergesangverein Der Magdeburger Lehrergesangverein konstituierte sich auf Initiative des Lehrers Carl Ströhmer, dem Rektor der Volksknabenschule. Er entwarf ein Zirkular mit dem Aufruf zur Gründung eines Gesangvereins, das am 4. Oktober 1838 in Umlauf gesetzt wurde.605 Auf der ersten großen Versammlung am 31. Oktober 1838 wählten die Teilnehmer Wachsmann zu ihrem Dirigenten sowie sechs Vorsteher und berieten über die Vereinsstatuten. Am 8. November 1838, der später zum offiziellen Stiftungstag bestimmt wurde, trat der Verein offiziell mit 57 Mitgliedern ins Leben. Die ersten Zusammenkünfte fanden in einer Klasse der Volksknabenschule statt.606 Laut § 5 sollte es öffentliche Auftritte nur „auf besondere Veranlassung“ hin geben.607 Dabei handelte es sich unter anderem um Huldigungen des preußischen Königspaares,608 Jubiläen,609 Liederfeste, Geburtstage und Beerdigungen von verstorbenen Mitgliedern. Nach Hobohm gab es sängerische Ehrbezeugungen durch Magdeburger Gesangvereine „bei jeder sich bietenden Gelegenheit“.610 Wie in ganz Preußen knüpfte auch das Magdeburger Bürgertum große Hoffnungen an König Friedrich Wilhelm IV., der im Juni 1840 den preußischen Thron bestieg. So waren in der Domstadt „die Erwartungen groß, daß der neue König bürgerliche Zugeständnisse machen würde“.611 Nachdem aber die lang ersehnte 604 605 606 607 608

Siehe Elb-Zeitung, Nr. 2, 18. April 1848, S. 1. LEINUNG: Magdeburger Lehrergesangverein (1898), S. 5. KHM MD, Protokollbuch Magdeburger Lehrer-Gesangverein, M 563, S. 2. LEINUNG: Magdeburger Lehrergesangverein (1898), S. 7. Die Huldigungen vor dem Königspaar fanden am 19. Juni 1841 gemeinsam mit der Magdeburger Liedertafel und am 20. August 1842 gemeinsam mit der Liedertafel des Seebach’schen Singvereins und der Sing-Akademie jeweils vor dem Palais statt. Siehe KHM MD, Protokollbuch Magdeburger Lehrer-Gesangverein, M 563, S. 5 f. und 9 f. 609 So sang der Lehrergesangverein zum 25-jährigen Dienstjubiläum des Magdeburger Oberbürgermeisters und Landrat Wilhelm August Francke (1785–1851) am 1. Juli 1842, wobei dieser als „Beschützer der schönen Künste, namentlich des Gesanges“ gefeiert wurde. Siehe dazu den Bericht über den Besuch bei Francke in KHM MD, Protokollbuch Magdeburger LehrerGesangverein, M 563, S. 8 f. Francke war ein eifriger Befürworter und Förderer von Musikfesten in Deutschland. Gemeinsam mit dem Dessauer Hofkapellmeister Friedrich Schneider rief er die Elbmusikfeste ins Leben, die 1825 in Magdeburg ihren Anfang nahmen. 610 HOBOHM: Musikgeschichte Magdeburgs 1, S. 231. 611 ENGELMANN: Rolle der Bürgerversammlungen, S. 1.

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moderne Verfassung abgelehnt wurde und auf kirchenpolitischem Gebiet die dezidiert antirationalistische Richtung immer stärker Einzug erhielt, verstärkten sich die oppositionellen Regungen in den enttäuschten liberalen Kreisen des Bürgertums, was sich unter anderem in der Herausbildung der „Lichtfreunde“ und der Abhaltung von „Bürgerversammlungen“ in Magdeburg äußerte. In diese Entwicklungen war auch der ortsansässige Lehrergesangverein involviert. Lehrergesangverein und Lehrerbewegung in der preußischen Provinz Sachsen Neben dem geselligen Beisammensein und kollegialen Austausch kam dem Magdeburger Lehrergesangverein auch in politischer Hinsicht eine wichtige Aufgabe zu. So setzte sich der Chor „für die Belange der demokratischen Lehrerbewegung vor 1848 ein“, deren Ziel vor allem die Trennung von Staat und Kirche war.612 Dieser Einsatz für oppositionelle Ziele ließ auch bald Verbindungen zu einer anderen oppositionellen Bewegung des Vormärzes entstehen – der antiorthodoxen Bewegung der „Lichtfreunde“. Im Frühjahr 1844 wurde innerhalb des Lehrergesangvereins die Idee geboren, im Sommerhalbjahr wieder eine Sommerliedertafel zu veranstalten, die in den vorangegangenen Jahren nicht mehr stattgefunden hatte.613 Aus einem ursprünglich als Vereinsfeier geplanten Lehrertreffen entwickelte sich durch eine Einladung der Lehrer aus der Umgebung Magdeburgs ein Lehrergesangfest mit über 150 Teilnehmern am 6. Juli 1884 in Grunewalde bei Schönebeck/Elbe.614 Bei den Planungen zur Organisation des Lehrertreffens kam im Protokoll einer nicht datierten Versammlung des Magdeburger Lehrergesangvereins Leberecht Uhlich, der zu diesem Zeitpunkt als Pfarrer in Pömmelte bei Schönebeck/Elbe wirkte, ins Spiel. Der Vorschlag, ihn in die Vorbereitungen an prominenter Stelle zu integrieren, wurde in der Vereinsversammlung durch Stimmenmehrheit angenommen u[nd] [gleichzeitig] der Vorsteher beauftragt, Herrn P[astor]. Uhlich von unserem Vorhaben in Kenntniß zu setzen und denselben um seine persönliche Theilnahme und um eine Einladung der Lehrer seiner Umgegend zu bitten.615

Bei Uhlich, der schon früher für größere Zusammenkünfte von Lehrern plädiert hatte, fiel diese Idee auf fruchtbaren Boden. Zwar waren Lehrerversammlungen in Preußen wegen der Angst vor dem Missbrauch für oppositionelle Zwecke 612 HOBOHM: Musikgeschichte Magdeburgs 1, S. 226. 613 Siehe KHM MD, Protokollbuch Magdeburger Lehrer-Gesangverein, M 563, S. 23. 614 Siehe LEINUNG: Magdeburger Lehrergesangverein (1898), S. 16. Danach kamen etwa 80 Lehrer aus Magdeburg und etwa 60 bis 70 Kollegen aus der Umgebung zusammen. Zur Sommerliedertafel der Lehrer siehe auch „Lehrer-Liedertafel in Grunewalde am 6. Juli“ (Magdeburger Wochenblatt, Nr. 28, 13. Juli 1844, S. 449 ff.). 615 Siehe KHM MD, Protokollbuch Magdeburger Lehrer-Gesangverein, M 563, S. 23.

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verboten worden. In der preußischen Provinz veröffentlichte man das generelle Verbot aber nicht, „weil die Schulräte von Stadt und Regierung Magdeburg dem Oberpräsidenten versichert hatten, dass Lehrerversammlungen nicht zu erwarten seien“.616 Daher konnte die als Lehrer-Liedertafel getarnte Lehrerversammlung im Sommer 1844 ohne Beanstandung der Behörden in Grunewalde stattfinden. Gleich zu Beginn der Veranstaltung zeigte sich sehr deutlich, welchen oppositionellen Charakter diese Veranstaltung hatte. Beim Eintreffen der mit einem Dampfschiff auf der Elbe anreisenden Magdeburger Lehrer wurden diese von den Kollegen aus der Umgebung und schon anwesenden Magdeburgern singend begrüßt. Die Dichtung des dargebrachten Liedes stammt von Adolph Diesterweg und die Vertonung von dem Schönebecker Lehrer Zabel.617 Dieser Chorgesang, den Uhlich mitsamt einem Gruß des liberalen Pädagogen an die Versammlung übermittelt hatte, trägt eindeutig oppositionelle Züge.618 Nach einer einleitenden Begrüßung in der ersten Strophe wird im zweiten Vers das Besondere des Lehrertreffens zum Ausdruck gebracht. So betont Diesterweg den erhebenden, freimachenden Charakter einer solchen Veranstaltung: „Und des Geistes Flug wird freier / Bei des Tages hoher Feier, / Jeder giebt, was er vermag.“619 Damit meint Diesterwegs nichts anderes als den freien Meinungsaustausch, der im Kreise (schul-)politisch gleichgesinnter Kollegen eher möglich ist als im Alltag. Jeder kann und soll sich an einem solchen Tag – sei es singend, sei es sprechend – in die Allgemeinheit einbringen. In der dritten Strophe wird dann deutlich das Recht auf Bildung und Meinungsfreiheit angesprochen: Menschenbildung ist des Bundes Stetes, einz’ges Losungswort. Wahre Freiheit, freie Wahrheit

616 Siehe HOBOHM: Musikgeschichte Magdeburgs 1, S. 235. 617 Der Pädagoge Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg (1790−1866) trat für die Verbesserung der Lehrerbildung, für die Anerkennung des Lehrerstandes sowie für die Ausgestaltung des Volksschulwesens im Geiste Pestalozzis ein. Er war ein liberaler Schulpolitiker, der sich sowohl gegen den kirchlichen als auch gegen zuviel staatlichen Einfluss im Schulwesen einsetzte. Für ihn stellten Anschauung und Selbsttätigkeit didaktische Grundsätze dar, denen er politische Bedeutung gab. Sein festgesetztes Ziel war es, kritische und mündige Staatsbürger heranzubilden. Dadurch kam der angestrebten Volksbildung der Charakter einer Volksbefreiung zu. Durch die Herausgabe der kritischen Zeitschrift Rheinische Blätter (ab 1827) und des Jahrbuches für Lehrer- und Schulfreunde (ab 1851) hatte Diesterweg großen Einfluss auf die Lehrerschaft gewonnen. Nach der gescheiterten Revolution 1848/49 wurde er 1850 aus dem Schuldienst aus politischen Gründen entlassen. Zu Diesterwegs Leben und politischer Betätigung WEIß: Diesterweg. 618 Der Liedtext findet sich in KHM MD, Protokollbuch Magdeburger Lehrer-Gesangverein, M 563, S. 24 und ist auch abgedruckt in: LEINUNG: Magdeburger Lehrergesangverein (1898), S. 16 f. Die Vertonung ist nicht überliefert. 619 Siehe EBD.

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Giebt auf Erden Himmelsklarheit Ist des Volkes bester Hort.620

Diesterweg hebt hier, scheinbar unpolitisch, die Bildung des Menschen als „stetes, einz’ges Losungswort“ hervor. Welche eminent politische Bedeutung aber dahinter steht, verdeutlichen die folgenden Zeilen. Für den liberalen Pädagogen bedeutet Bildung nicht allein die Vermittlung von Wissen. Laut Diesterweg sollte es dabei in erster Linie um die Ausbildung zu einem mündigen und kritischen Staatsbürger gehen. Er setzt somit einem stofflich-lexikalischen Bildungsbegriff, der unreflektiertem Untertanenverständnis Vorschub leistet, ein humanistisch orientiertes Bildungsideal entgegen. Nur eine umfassende und nicht von vornherein auf bestimmte Zwecke festgelegte Bildung führt zu „wahre[r] Freiheit [und] freie[r] Wahrheit“. Es bleibt zwar offen, was unter „wahrer Freiheit“ zu verstehen ist. Doch dürften damit neben dem Recht auf Bildung die Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie andere bürgerliche Freiheitsrechte gemeint sein. Nur durch deren Einlösung ist des Volkes Wohlfahrt gesichert. Da das aber in der damaligen reaktionären gesellschaftlichen Lage nicht so schnell zu erwarten war, beschwört Diesterweg in den letzten beiden Strophen die versammelten Lehrer, die Hoffnung auf bessere gesellschaftspolitische Zeiten nicht aufzugeben und für das Anbrechen eines neuen Zeitalters gemeinsam bereit zu sein: Drücken uns oft bittre Sorgen, Droht uns manches Felsenriff; Nach dem Abend kommt ein Morgen; Wohl uns, wenn wir dann geborgen, Brüder, unser Hoffnungsschiff! Lasst uns halten treu zusammen In der tief bewegten Zeit! Für die Wahrheit ewig streiten, So der Freiheit Bahn bereiten! Dem sei unsre Kraft geweiht.

Diesterweg spricht in der letzten Strophe von einer „tief bewegten Zeit“ und bringt damit implizit zum Ausdruck, dass die erhoffte Zeit nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Hoffnung dafür bietet die Tatsache, dass die verschiedenen Oppositionsbewegungen in den 1840er Jahren immer mehr miteinander in Kontakt kommen und gemeinsam für einen Kernbestand an bürgerlichen Rechten eintreten. In Magdeburg und Umgebung treffen nun oppositionell gesinnte Lehrer, Sänger und die „Lichtfreunde“ aufeinander. Sie alle können sich mit den obigen Aussagen und Forderungen Diesterwegs identifizieren, was allein die Tatsache zeigt, dass Uhlich den Liedtext nach dem Mittagessen und zwischen 620 Siehe KHM MD, Protokollbuch Magdeburger Lehrer-Gesangverein, M 563, S. 24 (Hervorhebung im Original).

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Vorträgen des Magdeburger Lehrergesangvereins noch einmal, wie zur Bekräftigung, vortrug. Dieser Gesang nahm so die Gestalt einer Losung beziehungsweise des Leitthemas dieser als Lehrer-Liedertafel getarnten Lehrerversammlung am 6. Juni 1844 in Grunewalde an und bekräftigte deren betont oppositionellen Charakter. Nach der Wiederholung des Diesterweg-Textes überbrachte Uhlich noch einen persönlichen Gruß des Pädagogen an die Versammlung und trug ein Gedicht des rheinischen Unternehmers und Politikers Friedrich Wilhelm Harkort vor.621 Harkort engagierte sich ebenso wie Diesterweg für die Volksbildung und die Verbesserung des Schulunterrichts, von der er sich auch eine Reform der sozialen Situation erhoffte. In dem von Uhlich verlesenen Gedicht manifestiert sich in den ersten beiden Strophen die optimistische Aufbruchstimmung des späten Vormärzes: Die Zeit regt kühn die Schwingen, Und Geisteswaffen klingen, Es zuckt der Wahrheit Strahl Und sprengt des Kerkers Pforten Das Licht bricht aller Orten Heran in Berg und Thal. Möge vom Niemen622 zum Rhein Vorwärts! Die Losung stets sein! Hinan! des Lichtes Streiter! Es führt das Recht euch weiter, Der Tag behält das Feld. Des Morgenrothes Flammen, Sie schlagen hell zusammen, Die Nacht flieht vor dem Held. Möge vom Niemen [...]!623

Hier ist optimistisch und fortschrittsgläubig von einem baldigen Sieg der „Wahrheit“ über „des Kerkers Pforten“ die Rede, womit unzweifelhaft die geistige Knebelung durch die Zensur gemeint sein dürfte. Da sich die Vorkämpfer der 621 Friedrich Wilhelm Harkort (1793–1880) war einer der führenden rheinischen Unternehmer der Frühindustrialisierung. Maßgeblich an der Bildungspolitik im 19. Jahrhundert beteiligt, gründete er den Verein für die deutsche Volksschule und für Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse (Volkshochschulverein). Harkort war als Altliberaler 1848 Mitglied der preußischen Nationalversammlung und als Angehöriger der Fortschrittspartei bis 1867 des preußischen Abgeordnetenhauses. Als politischer Publizist entwickelte er 1844 ein Modell zur Integration der Arbeiter in die bürgerliche Gesellschaft und zur Sozialpolitik. Zu Harkort siehe REIMER: Harkort und THIER: Harkort. 622 „Niemen“ ist der polnische Namen für den ostpreußischen Grenzfluss Memel. 623 KHM MD, Protokollbuch Magdeburger Lehrer-Gesangverein, M 563, S. 25. Das Gedicht wurde auch in der Magdeburgischen Zeitung (Nr. 168, 20. Juli 1844, S. 4) abgedruckt.

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Meinungsfreiheit und der Freiheit in der Lehre, hier in Bezug auf die in Grunewalde versammelten Lehrer, im Recht befänden, kann es nur einen Sieger in der Auseinandersetzung zwischen geistiger Freiheit und deren Unterdrückung geben. In der Metapher vom Licht der Wahrheit auf der einen und der Finsternis der geistigen Knebelung auf der anderen Seite flieht „die Nacht [...] vor des Morgenrothes Flammen“. Es handelt sich also demnach nicht um ein zukünftiges ersehntes Ereignis, sondern um einen gesellschaftlichen Prozess, der längst im Gange ist und unweigerlich vor dem baldigen Abschluss steht. Die letzte Zeile des Refrains („Vorwärts! Die Losung stets sein!“) bringt zum Ausdruck, dass dieser Prozess unumkehrbar ist. Dass die Auseinandersetzung zwischen Licht und Dunkel rein geistiger Natur ist, kommt in dem Begriff „Geisteswaffen“ am Beginn der ersten Strophe zum Ausdruck. Im Gegensatz zu vielen anderen vaterländischen Liedern des Vormärzes, in denen vorrangig die nationale Einigung und die Freiheit nach außen eine Rolle spielt, geht es hier um die Freiheit im Innern. Dieser kommt dabei in der dritten Strophe der Primat zu: Ward manche Schlacht geschlagen In alt’ und neuen Tagen Auf blutgetränktem Grund, Kein Lorbeer ist errungen, Des Ruhm so hell erklungen, Als der sich jetzt giebt kund.624

Die geistige Freiheit wird als höheres Gut angesehen als jeder Sieg, der jemals auf dem Schlachtfeld errungen wurde. Erst die Herstellung einer Grundlage, auf der die Bürger eines Staates die Möglichkeit haben, sich Wissen anzueignen und ihre daraus entstehende Meinung öffentlich ohne repressive Konsequenzen kundzutun, stellt einen wahren Triumph für die Nation dar. Das kann durchaus als Rekurs auf die Befreiungskriege gelesen werden, welche zwar die französische Besetzung beendeten, aber nicht die erhofften innenpolitischen Veränderungen, wie die Einsetzung einer Verfassung mit bürgerlichen Rechten in ganz Deutschland, mit sich brachten. In der vierten und letzten Strophe wird noch einmal die „Freiheit im Reich der Geister“ vehement eingefordert. Dazu tritt noch die Forderung nach gesetzlich verankertem Recht, das ausnahmslos für alle Staatsbürger zu gelten hat: „Gesetz der Herr und Meister / in Palast, Hütt’ und Zelt!“625 Damit wird die Gleichheit vor dem Gesetz, die seit der Französischen Revolution zum Grundrechtskatalog gehört, in unmissverständlicher Art und Weise eingefordert. Während sonst bei auf innere Verhältnisse gerichteten Freiheitsliedern allgemein meist 624 KHM MD, Protokollbuch Magdeburger Lehrer-Gesangverein, S. 25. 625 EBD.

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nur ein nicht näher beschriebenes „Recht“ verlangt wurde, bringt Harkort hier deutlich zum Ausdruck, worauf es im Kern ankommt. Als Grundlage und Garant für geistige Freiheit und gesetzlich verankertes Recht ist das Wissen anzusehen, für dessen Weitergabe und Vermittlung in erster Linie die Lehrer verantwortlich sind. Dass sie mit dieser ihnen anvertrauten Aufgabe verantwortungsvoll umgehen wollen, zeigt sich in den folgenden Zeilen: „Des Wissens Born stets helle! / Der Treu’ und Liebe Quelle / Offen für alle Welt“.626 Damit soll obrigkeitlichen Verdächtigungen begegnet werden, Bildung von vor allem unteren Schichten würde nur Aufruhr und Rebellion zur Folge haben. Revolutionäre Entwicklungen lagen denn auch nicht im Interesse des Großteils der liberalen Opposition, die die Furcht vor den Folgen der Revolution von unten, bei der „die Gewalt in die Hände des Pöbels und der rohen Kräfte gelangt“, mit der Obrigkeit teilten.627 Der Zusatz „offen für alle Welt“ steht einerseits für den Gedanken der Volksbildung im Sinne Pestalozzis, zum anderen für einen Kosmopolitismus, der den zum Chauvinismus und zur Xenophobie neigenden Nationalismus der Zeit überwinden sollte.628 Am Schluss des Gedichts wird der Refrain in der letzten Zeile abgewandelt. Danach soll „vom Niemen zum Rhein / Licht Deutschlands Wächter stets sein!“.629 Wenn geistige Freiheit und gesetzlich sanktioniertes Recht sich erst einmal in Deutschland etabliert haben, kann nur allseitige Bildung den Fortbestand dieser fortschrittlichen Errungenschaften garantieren. Nach einem weiteren Gedicht und zwei Trinksprüchen auf Diesterweg und Uhlich ergriff jener das Wort und regte ein weiteres Treffen mit größerem zeitlichem und personellem Umfang an. Diese Anregung wurde allgemein begrüßt, sodass ab Mitte Juli 1844 die Vorbereitungen zur Abhaltung eines ersten Lehrerfestes der gesamten Provinz Sachsen beginnen konnten. Ein weiteres provinzialsächsisches Lehrerfest unter der Beteiligung des Magdeburger Lehrergesangvereins fand am 2. Oktober 1844 in Magdeburg statt. Bei diesem Fest entstand die Idee, ein selbstständiges Lehrergesangfest in Form einer Provinziallehrerliedertafel zu veranstalten, das durch Kreisliedertafeln vorbereitet werden sollte.630 Die Verwirklichung dieser Pläne wurde jedoch durch ein Zirkular der Königlichen Regierung vom 11. Dezember 1844 erschwert, das an alle Superintendenten und Schulinspektoren des Regierungsbezirkes und den Magistrat von Magdeburg erging. Darin wurde die Abhaltung von Schullehrerfesten nicht gestattet und 626 EBD. 627 Zit. n. WEIß: Diesterweg, S. 56, Anm. 50. 628 So verlangte Diesterweg die „Verbrüderung mit der ganzen Menschheit“ und bezeichnete übersteigerten Nationalismus mit einhergehendem Fremdenhass als „den Menschen entehrende Gesinnungen“. Siehe EBD., S. 55 f. 629 KHM MD, Protokollbuch Magdeburger Lehrer-Gesangverein, S. 25. 630 EBD., S. 29.

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„jedem Lehrer [...] die Teilnahme an solchen Festen ein für allemal ernstlich [verboten]“.631 Bei Zuwiderhandlungen sollten die Schulaufsichtsbehörden Bericht erstatten. Trotz des persönlichen Engagements des Magdeburger Stadtschulrates Ernst Grubitz bei den zuständigen Behörden für die Abhaltung des Lehrerfestes blieb das Verbot bestehen.632 Alle diesbezüglichen Korrespondenzen wurden eingestellt. Die beabsichtigte Provinziallehrerliedertafel fand nach inoffiziellen Einladungen mit wenigen Teilnehmern am 3. Oktober 1845 in Magdeburg statt.633 Weitere Lehrergesangfeste sind nicht überliefert.634 Der rege Austausch mit Uhlich als dem Führer der „Lichtfreunde“ in Bezug auf die Organisation und die Durchführung der Lehrerfeste 1844 und 1845 blieb nicht ohne Folgen für die Lehrer in der Provinz Sachsen und somit auch nicht für den Magdeburger Lehrergesangverein. Dem Verbot der Lehrerversammlungen vom 11. Dezember 1844 folgte eine Verfügung vom 20. September 1845, nach der es den Lehrern der Provinz nicht mehr erlaubt war, sich an öffentlichen Kundgebungen und schriftlichen Protesten der „Lichtfreunde“ zu beteiligen.635 Nach Hobohms Vermutung war das Verbot Folge der Zusammenkünfte 1844 in Grunewalde und 1845 in Magdeburg, bei denen jeweils Uhlich eine herausgehobene Rolle gespielt hatte.636 Obwohl der Magistrat der Stadt Magdeburg mit Oberbürgermeister Francke an der Spitze die Veröffentlichung des Verbotes für rechtswidrig ansah und daher eine Bekanntgabe an die Lehrerschaft verweigerte und somit seine Solidarität mit den Aktivitäten der Lehrer zum Ausdruck brachte, musste er sich doch letzten Endes dem preußischen Kulturminister Johann Albrecht Friedrich von Eichhorn (1779–1856) beugen.637

631 LHASA MD, Oberpräsidium der Provinz Sachsen, Rep. C 28 II, Nr. 447, Bl. 11r. 632 Der Reformpädagoge und Magdeburger Schulinspektor Grubitz (1809–1889) erweiterte die Kompetenzen der Lehrerkonferenzen und Schulvorstände an den Volks- und Bürgerschulen. Er führte die Befreiung der städtischen Schulen von der kirchlichen Aufsicht, bedingt auch durch seine Freundschaft mit dem Reformpädagogen Diesterweg, weiter voran. Zu Grubitz siehe BOLLMANN: Grubitz. 633 Siehe dazu den Bericht in KHM MD, Protokollbuch Magdeburger Lehrer-Gesangverein, S. 39 ff. 634 Das Protokollbuch des Lehrergesangvereins bricht bei der gemeinsamen Probe zur Provinziallehrerliedertafel am 3. Oktober 1845 in Magdeburg auf der Seite 39 abrupt ab und setzt erst auf Seite 53 mit einer Notiz aus dem Jahr 1866 wieder ein. Vermutlich stellt das Freilassen der Seiten im Protokoll bis 1866 einen ostentativen Protest gegen reaktionäre Zeitumstände dar. Auch ist es möglich, dass dadurch Beweismaterial bei einer Beschlagnahmung durch die Polizeibehörden verhindert werden sollte. 635 LAUMANN: Schulverwaltung der Stadt Magdeburg, S. 161. 636 Siehe HOBOHM: Musikgeschichte Magdeburgs 1, S. 237. 637 LAUMANN: Schulverwaltung der Stadt Magdeburg, S. 161 f.

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Politisch aktive Persönlichkeiten des Magdeburger Lehrergesangvereins Wie bei der ortsansässigen Liedertafel gibt es auch für den Magdeburger Lehrergesangverein Auflistungen von Mitgliedern, denen man Persönlichkeiten entnehmen kann, die sich politisch betätigt haben.638 Der Lehrer der 2. Bürgerschule in Magdeburg Christoph Heinrich Hoppe 639 gehörte zu den Stamm- beziehungsweise Gründungsmitgliedern des Magdeburger Lehrergesangvereins.640 Sein Engagement galt besonders dem sozialen Bereich, wo er vor allem in den 1844 initiierten „Bürgerversammlungen“, deren provisorischer Leitung er angehörte, aktiv war. Laut eines Berichtes des Polizeidirektoriums an den Präsidenten des königlichen Regierungspräsidiums Franz von Borries (1785–1858) vom 26. August 1847 heißt es, dass Uhlich das „Haupt der kirchlich liberalen Partei“ sei, und „Professor Pax und Lehrer Hoppe seine Haupt-Anhänger sind [...]“.641 Hoppe gehörte dem linksliberalen Flügel der „Bürgerversammlungen“ an, leitete deren Zusammenkünfte und hielt dabei auch Vorträge. In seinem Vortrag „Über die Ständeordnung“ in der Bürgerversammlung am 9. Januar 1846 traten offen demokratische Ansichten zutage. Hoppe betonte darin, dass Abgeordnete der Kammern wie auch Stadtverordnete dem „Willen des ganzen Volkes“ unterlägen.642 Diese Rede rief die Staatsbehörden auf den Plan und führte zu der Androhung, dass die „Bürgerversammlungen“ im Wiederholungsfalle geschlossen würden.643 Besonderes Engagement zeigte Hoppe auf dem Gebiet der Bildung von Handwerksgesellen und -gehilfen. Vordergründig sollte es hier um die Hebung geistiger und sittlicher Kraft gehen. Allerdings verbarg sich dahinter der Versuch, politischen Einfluss auf die Unterschichten zu gewinnen und diese in die bürgerliche Oppositionsbewegung zu integrieren.644 Seit dem 10. Februar 1845 fanden innerhalb des Magdeburger Bildungsvereins wöchentliche Vorträge statt. Auf Hoppes Initiative nahmen Anfang 1846 schon ungefähr 500 Handwerksmeister und -gesellen teil.645 Wie auch der Verleger Fabricius betätigte sich Hoppe im linksliberalen Constitutionellen

638 Siehe LEINUNG: Magdeburger Lehrergesangverein (1898), S. 10 ff. und KHM MD, Protokollbuch Magdeburger Lehrer-Gesangverein (M 563), in dem sich zwar keine Mitgliederliste findet, aber verschiedene Namen (z. B. nach Vorstandswahlen) aufgeführt sind. 639 Hoppe war von 1825 bis 1829 Hilfslehrer an der Vorbereitungsschule in Magdeburg. Anschließend trat er die Stelle als vierter Lehrer der Magdeburger Bürgerschule an. Im Jahr 1836 wurde Hoppe dort zum zweiten Lehrer befördert. Siehe dazu das Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Magdeburg, Jg. 1825, S. 407 und Jg. 1829, S. 314 und Jg. 1836, S. 288. 640 Siehe LEINUNG: Magdeburger Lehrergesangverein (1898), S. 11. 641 Siehe Akten über die Polizeiaufsicht über die Volksversammlungen etc. in LHASA MD, Regierung Magdeburg, Präsidialregistratur, Rep. C 28 Ia, Nr. 809, Bl. 29v. 642 Zit. n. ENGELMANN: Rolle der Bürgerversammlungen, S. 120. 643 EBD., S. 121. 644 EBD., S. 102 und 158. 645 Magdeburger Wochenblatt, Nr. 12, 21. März 1846, S. 210 ff.

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Clubb. Sein Name findet sich im Gründungskomitee, das öffentlich zum Eintritt in diese Vereinigung aufrief.646 Während der ersten großen Versammlung des neu konstituierten Lehrergesangvereins am 31. Oktober 1838 wählten die Mitglieder den Lehrer an der Magdeburger Volksschule für Knaben Johann August Wehrig zu einem der sechs Vorsteher.647 Im Jahr 1842 wurde er auch Mitglied der ortsansässigen Liedertafel und nach seinem Ausscheiden 1852 deren Ehrenmitglied.648 Unter seiner Leitung ging 1843 aus der Liedertafel der Bürgergesangverein hervor, von dem sich wiederum im selben Jahr die Wehrig’sche Sängervereinigung abzweigte.649 Im Gesangverein der „Freien Gemeinde“ in Magdeburg, der sich Ende 1849 gebildet hatte, fand Wehrig vermutlich eine religiöse und auch politische Heimat.650 In einem Bericht des Landrats und Magdeburger Polizei-Direktors Adolph Franz Anton von Gerhardt (1803–1879) an die Magdeburger Regierung wird diese Sängervereinigung als „demokratisch“ bezeichnet und „zu allen Gelegenheiten, wo die ,Freie Gemeinde‘ und der Volksverein anfeuernder Gesänge bedürfen, herangezogen“.651 Daher sah man deren Mitglieder als des Umsturzes verdächtig an. Bei Wehrig zog man bei weiterer öffentlicher Betätigung die Entfernung von der Volksschule in Erwägung. Der Gesangverein der „Freien Gemeinde“ stand so unter genauer Beobachtung der Polizei: „Deklamatorische Vorträge und Gesänge [durften] nur unter vorher eingeholter Erlaubnis gehalten werden [...].“652

4.4 Gemeinsame oppositionelle Aktivitäten der Magdeburger Liedertafel und des Lehrergesangvereins Wegen einiger Doppelmitgliedschaften und ähnlich gelagerten künstlerischer Interessen gab es viele gemeinsame Auftritte und Ausflüge der beiden bedeutendsten vormärzlichen Magdeburger Männergesangvereine. Dass auch das Interesse an religiösen und politischen Themen Berührungspunkte bot, zeigen folgende Aktivitäten. 646 Siehe Elb-Zeitung, Nr. 2, 18. April 1848, S. 1. Zum Constitutionellen Clubb siehe oben S. 213, Anm. 596. 647 LEINUNG: Magdeburger Lehrergesangverein (1898), S. 7. Wehrig wurde im königlichen Lehrerseminar in Magdeburg zum Lehrer ausgebildet und trat 1831 eine Volksschullehrerstelle „Erster Klasse“ an. Siehe Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Magdeburg, Jg. 1831, S. 432. 648 Die Ehrenmitgliedschaft währte von 1853–1877. Siehe WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 111. 649 HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 45. Dem Bürgergesangverein stand er vom 1. April 1843 bis zum 14. Juni 1844 als Dirigent vor. Siehe MEYER: Chronik der Zweiten Liedertafel, S. 59. 650 Siehe dazu UHLICH: Zehn Jahre in Magdeburg, S. 32. 651 Siehe dazu die Akten über Gesangvereine 1847–1939 in LHASA MD, Oberpräsidium der Provinz Sachsen, Rep. C 20 Ib, Nr. 1857, Bl. 107r. 652 EBD.

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Der Empfang Uhlichs in Magdeburg am 1. Oktober 1845 Nachdem Uhlich durch den Kirchenvorstand zum 2. Prediger der Magdeburger Katharinengemeinde gewählt und nach einigen Widerständen auch vom Konsistorium bestätigt wurde, traf der führende Kopf der „Lichtfreunde“ am 1. Oktober 1845 mit der Eisenbahn in Magdeburg ein. Dort wurde ihm „ein triumphaler Empfang bereitet“.653 Zur Begrüßung des in Magdeburg bekannten und beliebten Predigers wollten auch die Liedertafel und der Lehrergesangverein ihren sängerischen Beitrag in Form eines gemeinsamen Ständchens leisten. Die beiden Männergesangvereine wurden aber durch Polizeibeamte an der Ausführung gehindert, weil sie ihr Ständchen nicht ordnungsgemäß angemeldet hatten. Erst zwei Tage später, vermutlich am 3. Oktober 1845, konnte der sängerische Willkommensgruß nach vorschriftsgemäßer Anmeldung dann doch unter der Zuhörerschaft „viele[r] Tausende[r]“ stattfinden.654 Dafür mussten die Vorsteher der beiden Gesangvereine „sich für jede Unordnung, die erfolgen könnte, verantwortlich machen [lassen]“.655 Der Polizei erschien eine derartige öffentliche Sympathiebekundung dieser bedeutenden Magdeburger Männerchöre für Uhlich politisch inopportun. Sie war daher möglichst zu verhindern, was letztendlich aber nicht gelang. Das verhinderte Abendständchen für Oberbürgermeister Francke am 10. September 1846 Die Veröffentlichung der Verfügung vom 20. September 1845, welche den Lehrern der Provinz Sachsen im Allgemeinen und den in Gesangvereinen organisierten im Besonderen den öffentlichen Umgang mit den „Lichtfreunden“ verbot, konnte auch nach Einschreiten durch den Magistrat nicht verhindert werden.656 Daher empfahl Oberbürgermeister Francke den Männerchören, sich in politischer Hinsicht vorsichtig zu verhalten. Deswegen lehnte er auch ein gemeinsames Abendständchen des Magdeburger Lehrergesangvereins und der Liedertafel zu seinen Ehren am 10. September 1846 ab, weil dadurch 1. nicht nur ihm persönlich Unannehmlichkeiten erwachsen, sondern 2. seiner Wirksamkeit für das fernere Wohl der Stadt Eintrag geschehen und 3. der guten Sache der

653 BREYWISCH: Uhlich, S. 174 und Magdeburgische Zeitung, Nr. 230, 2. Oktober 1845, S. 2. Die Amtseinführung fand am 2. Oktober in Anwesenheit „sämmtlicher Geistlicher der evangelischen Pfarrkirchen, der städtischen Behörden, der Mitglieder des Kirchen-Collegiums und vieler Einwohner“ statt. Siehe EBD., Nr. 234, 7. Oktober 1845, S. 2. 654 HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 49. Ein konkretes Datum ist in den Festschriften nicht angegeben. Siehe WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 86 und HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 48. 655 EBD. 656 LAUMANN: Schulverwaltung der Stadt Magdeburg, S. 161.

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der geistigen Freiheit, zu deren Bewahrung die günstigsten Aussichten vorhanden wären, Schaden zugefügt werden.657

Der Magdeburger Oberbürgermeister bringt so seine Sympathien für die Bestrebungen der Männerchöre zum Ausdruck, die er „der guten Sache der geistigen Freiheit“ zuordnet. Zwar war Francke sehr königstreu und genoss das Vertrauen Friedrich Wilhelms IV., jedoch sorgte seine politische und religiöse Toleranz auch für ein hohes Ansehen innerhalb der bürgerlichen Oppositionsbewegung in der Domstadt.658 Um den Oberbürgermeister und sich selbst nicht in Schwierigkeiten zu bringen, nahmen die beiden Gesangvereine seinen Rat an. Die Tatsache, dass ein ähnlicher Auftritt zu Ehren des Oberbürgermeisters anlässlich seines 25-jährigen Dienstjubiläums im Juli 1842 ohne Probleme durchgeführt werden konnte, zeigt, wie sich die politischen Rahmenbedingungen in Magdeburg geändert hatten.659 Der Elbsängerbund Als dem Lehrergesangverein der Kontakt zu Uhlich auf dem Weg über die Lehrerfeste und auf den öffentlichen Versammlungen verboten worden war, mussten neue Möglichkeiten der Zusammenkunft gefunden werden. Sehr wahrscheinlich trug diese Suche zur Gründung des Elbsängerbundes am 17. Juli 1846 in Schönebeck/Elbe bei, dem aus Magdeburg der Lehrergesangverein, die Liedertafel, der Bürgergesangverein und der Wehrig’sche Gesangverein angehörten.660 Schon im Sommer 1845 traf man sich zur Vorbereitung der Gründung unter der Leitung Julius Mühlings „zum gemeinschaftlichen Gesang“.661 Diese ersten Schritte zur Konstituierung fallen in die Zeit der Verbote sowohl der Lehrerfeste als auch des Kontaktes mit den „Lichtfreunden“.662

657 Von diesen Bedenken berichtete der Vorsitzende der Magdeburger Liedertafel Kretschmann den Mitgliedern beider Liedertafeln, die daraufhin das musikalische Ständchen absagten. Siehe LEINUNG: Magdeburger Lehrergesangverein (1898), S. 25 f. 658 ENGELMANN: Rolle der Bürgerversammlungen, S. 189, Anm. 4. So reiste Francke im Februar 1848 nach Berlin, um die Ausweisung Uhlichs per Regierungsentschluss aus Magdeburg rückgängig zu machen. Siehe Anzeiger für die politische Polizei, S. 325. Auch sorgte er dafür, dass Wilhelm Weitling nach seiner Ausweisung aus Preußen für seine Überfahrt nach Amerika mit Papieren und Geld ausgestattet wurde. Siehe ASMUS: Weitling. 659 Zum Ständchen von 1842 siehe oben S. 215, Anm. 609. 660 Siehe LEINUNG: Magdeburger Lehrergesangverein (1898), S. 24 f. und HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 51. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten Schönebeck/Elbe, Groß Salze, Frohse, Calbe/Saale, Barby, Sudenburg, Groß Ottersleben und mehrere Landgemeinden. 661 Siehe EBD., S. 52. 662 Siehe dazu oben S. 221 f.

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Das erste Sängerfest des Elbsängerbundes fand am 6. September 1846 in Grunewalde bei Schönebeck/Elbe statt.663 Dabei traten drei Gesangvereine aus Magdeburg und Gesangvereine aus Sudenburg, Barby, Calbe/Saale, Groß Salze, Frohse und Schönebeck/Elbe mit etwa 400 Sängern zu einem gemeinschaftlichen Chor unter der Leitung von Julius Mühling zusammen.664 Für den Ort des zweiten Sängerfestes gibt es verschiedene Angaben. Während in den Festschriften ohne genauere Datumsangabe Calbe/Saale angegeben wird,665 ist der Magdeburgischen Zeitung und einem Bericht des Magdeburger Polizeidirektors Wenzel ein Elbsängerfest am 22. August 1847 in Magdeburg zu entnehmen.666 Laut Polizeibericht des Polizeidirektoriums an den Oberpräsidenten von Bonin kamen insgesamt ungefähr 650 Sänger, 4.000 auswärtige und etwa doppelt so viele Magdeburger Gäste zusammen. Nach der Eröffnung auf dem Marktplatz begab sich die Festgemeinde per Dampfschiff zum Herrenkrug in Magdeburg, wo auf einer Sängertribüne zehn Gesänge unter der Leitung von Julius Mühling vorgetragen wurden. Dem Polizeibericht nach kam es nach dem vierten Lied zu einer „Demonstration im Interesse der Kirchlich-liberalen Partei“, welche vermutlich den Aktenvermerk provozierte.667 Ohne sich vorher mit dem Festkomitee abzusprechen, brachte der Tuchfabrikant Adolf Nicolai, Liedertafler und Demokrat aus Calbe/Saale, vom Dirigentenplatz aus ein Hoch auf Leberecht Uhlich aus.668 Nicolai rühmte den populären Prediger „als Streiter für die Freiheit der Meinung [und] als den Begründer mehrerer Gesangvereine als ,Vater Uhlich‘“.669 Zwar versuchte der Autor des Polizeiberichts diesen Vorgang 663 LEINUNG: Magdeburger Lehrergesangverein (1898), S. 25. Zum Gesangfest siehe auch Bericht in: Calbesches Kreisblatt, Nr. 38, 19. September 1846, S. 301 f. 664 Siehe EBD., S. 301. 665 Siehe HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 52; WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 86 und LEINUNG: Magdeburger Lehrergesangverein (1898), S. 25. 666 Siehe Magdeburgische Zeitung, Nr. 196, 25. August 1847, S. 3 und LHASA MD, Oberpräsidium der Provinz Sachsen, Rep. C 20 Ib, Nr. 1857, Bl. 2r–3r. Entweder irrt Häseler als Autor der ältesten Festschrift, von der Weber und Leinung ihre diesbezüglichen Angaben vermutlich übernommen haben, oder es fanden zwei Sängerfeste des Elbsängerbundes im Jahr 1847 statt. Ein Irrtum seitens der angesehen Magdeburgischen Zeitung und durch das Polizeipräsidium kann ausgeschlossen werden. Dass es sich beim Polizeibericht um eine Veranstaltung des Elbsängerbundes handelte, zeigt ein Vermerk in der Polizeiakte, nach dem das Komitee des Elbsängerbundes am Tag vorher ein Exemplar des Festprogramms, ein Billett für das Dampfschiff und eine Eintrittskarte für das Fest dem Polizeidirektorium hat zukommen lassen. Siehe EBD., Bl. 1r. Zudem wird im Calbeschen Kreisblatt (Nr. 38, 19. September 1846, S. 302) für 1847 nach Magdeburg eingeladen. 667 LHASA MD, Oberpräsidium der Provinz Sachsen, Rep. C 20 Ib, Nr. 1857, Bl. 4r. 668 Adolf Nicolai (1815–1896) entstammte einer alten Tuchmacherfamilie und wurde 1838 Mitinhaber der Wollwarenfabrik Gebrüder Nicolai in Calbe/Saale. In der Zeit um 1848 war Nicolai einer der führenden Demokraten im Raum um Calbe/Saale. Als dieser wurde er bei der Wahl der Deputierten zur Frankfurter Nationalversammlung Stellvertreter des gewählten Deputierten und Demokraten Friedrich Wilhelm Löwe (1814–1886). Siehe SCHWACHENWALDE: Nicolai. 669 LHASA MD, Oberpräsidium der Provinz Sachsen, Rep. C 20 Ib, Nr. 1857, Bl. 4r.

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als isolierten Einzelfall darzustellen und verwies auf die Missbilligung seitens des offensichtlich nicht informierten Festkomitees. Es spricht aber deutlich für sich, dass „die große Masse laut einstimmte“.670 Vielmehr kommt dadurch der prominente Status Uhlichs bei der regionalen Männergesangbewegung trotz aller staatlichen Verbote deutlich zum Ausdruck. Die im Lebehoch angesprochene „Freiheit der Meinung“ dürfte kurz vor dem Ausbruch der Revolution und angesichts der zunehmenden Politisierung der Bewegung der „Lichtfreunde“ über den innerkirchlichen Rahmen hinausgehen und politische Meinungsfreiheit mit einschließen. Das dritte und letzte Sängerfest des Elbsängerbundes fand den Festschriften nach im August 1848 auf einem Festplatz im Herrenkrug statt.671 In der Magdeburgischen Zeitung, die schon über das Elbsängerfest 1847 in Magdeburg berichtete, ist für ein Fest im August 1848 aber keine Notiz zu finden. Stattdessen wurde im Festbericht von 1847 für das Jahr 1848 nach Calbe/Saale eingeladen.672 Es ist also anzunehmen, dass das dritte Elbsängerfest in Calbe/Saale und nicht in Magdeburg stattfand. Dort hielt Uhlich eine lange Rede unter dem programmatischen Titel „Frei der Mann, frei der Gesang“.673 Gemeinsames Engagement während der Revolution 1848/49 Nachdem die Frankfurter Nationalversammlung am 29. Juni 1848 eine „Provisorische Deutsche Centralgewalt“ mit dem volksverbundenen österreichischen Erzherzog Johann als Reichsverweser an der Spitze gewählt hatte, folgte am 16. Juli ein Erlass des Reichskriegsministers, worin alle Armeen der deutschen Staaten aufgefordert wurden, sich am 6. August auf den Reichsverweser und somit auf Deutschlands Einheit zu verpflichten. Obwohl die preußischen Truppen diesen Schritt verweigerten, fanden am 6. August 1848 in vielen großen Städten Deutschlands große Feiern anlässlich der Anerkennung der „Deutschen Einheit in Freiheit“ statt. Zu der Feier in Magdeburg hatten die Bürgerwehr, der Constitutionelle Clubb und die Volksversammlung um 11 Uhr auf dem Krakauer Anger eingeladen. Zu den Eingeladenen zählten offiziell auch „Magdeburgs Sänger“, an die öffentlich die Forderung erging, „sich dieser Feier anzuschließen, und zu einer Probe [...] sich Sonnabend Nachmittag 1 Uhr im Locale der Vereinigung (Neue Weg) einzufinden und die Stimmen mitzubringen“.674 Die Zahl der Teilnehmer wurde auf 14.000 geschätzt. Nach einem Bericht der Magdeburgischen Zeitung versammelten sich schon nach 9 Uhr auf verschiedenen Plätzen Züge der 670 LHASA MD, Oberpräsidium der Provinz Sachsen, Rep. C 20 Ib, Nr. 1857, Bl. 4r. 671 Siehe HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 53; LEINUNG: Magdeburger Lehrergesangverein (1898), S. 25 und WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 87. 672 Magdeburgische Zeitung, Nr. 196, 25. August 1847, S. 3. 673 Siehe HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 53. Der Inhalt der Rede ist nicht überliefert. 674 ASMUS: 1848 bis zur Gegenwart, S. 76.

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Bürgerwehr, der Schützen und der Gesangvereine mit Emblemen und Fahnen und zogen zum Krakauer Anger. Nach dem Zusammentreffen wurden die vierstimmigen Gesänge Ein Geist, Ein Herz, Ein Gott soll walten von August Mühling und Was ist des Deutschen Vaterland von Gustav Reichardt „von dem zahlreich versammelten Sängerchor“ gesungen.675 Daran schloss sich eine Festrede von Rudolph Dulon, dem demokratisch orientierten Pfarrer der deutsch-reformierten Gemeinde, an.676 Darin wurde zuerst dem Reichsverweser, dann der „Deutschen Einheit“ und erst an dritter Stelle dem König ein „donnerndes Hurrah“ gebracht, woran sich vor allem die Kritik der konservativen Behörden und Vereine entzündete. Dem anwesenden Sängerchor dürften unter anderem auch die Magdeburger Liedertafel und der Lehrergesangverein oder zumindest Vertreter derselben angehört haben, auch wenn in den Festschriften eine Beteiligung als Verein nicht vermerkt worden ist. Für eine Teilnahme spricht das bis 1848 in Liedern und gezielten Auftritten gezeigte Engagement beider Männergesangvereine für bürgerliche Rechte und die deutsche Einheit – beides zentrale Anliegen der Männergesangbewegung.677 Allen Teilnehmern war die Freude auf ein so lange Zeit erhofftes und nun anscheinend kurz bevorstehendes geeintes Deutschland gemein: „Hiermit laden wir alle Diejenigen aus Magdeburg und Umgebung, welche in dem Obigen den Ausdruck ihrer [vaterländischen] Gesinnung finden, zur Betheiligung an dieser Feier ein.“678

Abb. 12: Programm zur Feier der „Anerkennung der Deutschen Einheit“ am 6. August 1848 in Magdeburg 675 EBD., S. 77. Siehe zum Programm auch Magdeburgische Zeitung, Nr. 183, 5. August 1848, S. 4. 676 Rudolph Dulon (1807–1870) war 1842–1848 Pfarrer der Deutsch-Reformierten Gemeinde in Magdeburg. Unter dem Einfluss von Uhlich und Heinrich Ernst Sachse (siehe unten, S. 230, Anm. 680) nahm er eine sehr radikale kirchliche und politische Haltung ein. Im Jahr 1848 war er führend an der Herausbildung demokratischer Vereine in Magdeburg beteiligt. Nach seiner Entlassung aus der Deutsch-Reformierten Gemeinde ging er nach Bremen und wurde dort später Prediger der „Freien Gemeinde“. Zu Dulon siehe DUBSLAFF: Dulon. 677 Bei Ablehnung dieser freiheitlich-liberalen Veranstaltung hätte die Liedertafel nicht die Aufführung des Liedes ihres langjährigen Leiters August Mühling geduldet. 678 Magdeburgische Zeitung, Nr. 183, 5. August 1848, 1. Beilage, S. 4.

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Auch die Teilnahme einer Deputation der Liedertafel auf Einladung des Magdeburger Bürgerwehrklubs an der Feier zum ersten Jahrestag der Märzrevolution am 18. März 1849 ist bezeugt. Im Anschluss an die Bekanntgabe dieser Einladung gab es eine lebhafte Diskussion, an deren Ende ein knappes Abstimmungsergebnis für eine Teilnahme stand.679 Eine Beteiligung von Vertretern des Lehrergesangvereins ist aufgrund des bis zur Revolution gezeigten politischen Engagements ebenfalls anzunehmen. Die Erinnerungsfeier veranstalteten Teile der Bürgerwehr, Arbeiter-, Gewerk- und Gesangvereine zusammen mit dem linksliberalen Verein zur Wahrung der Volksrechte vor dem Sudenburger Tor. An ihr nahmen trotz vorbeugender Maßnahmen der Staatsbehörden Tausende Einwohner der Stadt teil. In der von dem rationalistischen und demokratischen Prediger Heinrich Ernst Sachse gehaltenen Gedenkrede wurden die Errungenschaften der Märzrevolution gewürdigt, so die Pressefreiheit, die deutsche Einheit, die Öffentlichkeit der Gerichte und die Gleichheit vor dem Gesetz.680 Der vereinigte Sängerchor eröffnete und beschloss die Veranstaltung mit einem Lied. Nach der offiziellen Veranstaltung sangen der Verein zur Wahrung der Volksrechte und die Gesangvereine „noch ein Lied und zogen dann nach dem alten Markte, stimmten dort ,Das Deutsche Vaterland‘ an und schlossen mit einem Hoch auf ,die Berliner Vorkämpfer‘“.681 * In seiner Dissertation über die „Bürgerversammlungen“ und das Magdeburger Wochenblatt im ausgehenden Vormärz resümiert Jürgen Engelmann hinsichtlich der Sänger, Turner, Schützen und Bildungsvereine, „dass diese Vereine wenig geeignet waren, die bürgerlich-antifeudale Bewegung in der Provinz Sachsen, wie in Preußen überhaupt, weiterzuentwickeln und zu tragen“.682 Dieser Behauptung muss, zumindest was die Gesangvereine in der Domstadt betrifft, widersprochen werden. 679 WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 87 und HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 60. Zur Deputation gehörten der Postrat Petersen und der Lehrer Häseler. 680 Sachse (1813–1883) wurde 1846 Diakon der Katharinenkirche in Magdeburg. Nach Verfolgungen und Verboten wegen der Verbreitung der Ideen Uhlichs trat er Anfang 1850 in dessen „Freie Gemeinde“ ein und wurde am 14. Februar desselben Jahres deren zweiter Prediger. An der Seite Uhlichs war er maßgeblicher Mitbereiter der oppositionellen religiösen Bewegung in Magdeburg. In seinen Ansichten radikaler als Uhlich gehörte Sachse 1848/49 zusammen mit Friedrich Wilhelm Pax zum Kern des demokratisch-aktionistischen Flügels innerhalb der Magdeburger Oppositionsbewegung. Zu Sachse siehe KRIEWALD: Sachse und AKPS, Spezialakte Sachse, Rep. A, Spec. P, S 320 (PA). 681 Nach dem Bericht der Magdeburgischen Zeitung versammelten sich am Abend einige der teilnehmenden Vereine zu eigenen Feiern. Es ist gut möglich, dass auch die Magdeburger Gesangvereine sich zu einer solchen Feier zusammengefunden haben. Zur Feier siehe Magdeburgische Zeitung, Nr. 66, 20. März 1849, S. 1. 682 ENGELMANN: Rolle der Bürgerversammlungen, S. 53.

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Die oppositionelle Bewegung in Magdeburg wies ein besonderes lokales Gepräge auf. Große Teile der demokratischen und liberalen Opposition sammelten sich in den 1840er Jahren in Magdeburg um die antiorthodoxe Bewegung der „Lichtfreunde“, die in der Provinzhauptstadt ihr gewichtigstes Zentrum hatte. Zu dieser Opposition gehörten unzweifelhaft einige große Magdeburger Männerchöre – in erster Linie der Lehrergesangverein und die Liedertafel. Beide Bewegungen einte das Streben nach bürgerlichen Freiheitsrechten wie der Meinungsund Glaubensfreiheit, wobei Letztere eine besondere Rolle spielte. In keiner anderen mitteldeutschen Stadt waren Männergesangvereine und eine der religiösen Oppositionsbewegungen – hier in Magdeburg die „Lichtfreunde“ – so eng personell und institutionell verbunden. Der Lehrergesangverein beförderte in erster Linie Gedankengut der Lehrerbewegung, deren vordringlichstes Ziel die Trennung von Staat und Kirche war. Im Zuge dieses Bestrebens sollte zum einen die prekäre Lage der Volksschullehrer gegenüber den geistlichen Pädagogen verbessert, zum anderen eine größere Freiheit in der pädagogischen Arbeit erreicht werden. Das hielt den Lehrergesangverein jedoch nicht davon ab, gemeinsame Aktionen mit der Liedertafel im ausgehenden Vormärz und während der Revolution durchzuführen, in denen bürgerliches Freiheitsstreben zum Ausdruck gebracht wurde. Die oppositionellen Regungen der Männerchöre wurden durch den Magistrat mit dem Oberbürgermeister an der Spitze gedeckt und teilweise offen gefördert. Nach Oberbürgermeister Francke hatten die „Bürgerversammlungen“ und die Organisation der Männerchöre in Vereinen ihre Ursache in dem „Drang nach Öffentlichkeit, [der] durch die Zensur der Zeitungen unterbunden war“.683 Der nur in Vereinen mögliche Austausch von Ideen, Anschauungen und Meinungen wurde demnach als legitim angesehen. Zu diesem Austausch gehörten vor allem bestimmende politische Ideen, die in den „Bürgerversammlungen“, den „Volksversammlungen“ der „Lichtfreunde“ und auch beim geselligen Verkehr in den Männerchören eine Rolle gespielt haben. Es handelte sich um Anliegen des liberalen deutschen Bürgertums, so die Verfassungsfrage, die Religionsfreiheit und andere bürgerliche Rechtsforderungen. Im Zweifelsfall standen die beiden Magdeburger Gesangvereine als Institution jedoch auf der Seite des preußischen Königshauses, was sich an Huldigungen für das Königs- und auch Prinzenpaar bei Aufenthalten in Magdeburg zeigte. Solche Auftritte brachten trotz Enttäuschungen nach dem Thronwechsel von 1840 das prinzipielle Vertrauen in die Monarchie, auch in der Revolutionszeit, zum Ausdruck.684 Behinderungen oder Verbote von öffentlichen Auftritten wurden in 683 Zit. n. HOBOHM: Musikgeschichte Magdeburgs 1, S. 229. 684 Im Revolutionsjahr 1848 gab es gemeinsame Huldigungen von Lehrergesangverein und Liedertafel vor dem aus England zurückkehrenden preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm und König Friedrich Wilhelm IV. Dabei fiel der Gesang bei einem Fackelzug unter Julius Mühlings Leitung aus, weil eine Deputation der Volksversammlung eine Demonstration aufgrund einer

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erster Linie den Ministerien und Polizeibehörden angelastet. An der Treue zum Königshaus durch die Gesangvereine kann es keinen Zweifel geben, auch wenn einzelne Mitglieder, wie Hoppe, Wehrig oder auch Fabricius, demokratisches Gedankengut vertraten beziehungsweise mit diesem sympathisierten. Es ist daher, wie auch bei der Mehrheit der Liberalen im Vormärz, davon auszugehen, dass beim Einsatz für bürgerliche Freiheitsrechte immer das Modell der konstitutionellen Monarchie favorisiert wurde. Diese politische Ausrichtung findet auch darin ihren Ausdruck, dass die Liedertafel bestrebt war, sich von demokratischen und allzu königskritischen Tendenzen zu distanzieren. So wurde zwar eine Abordnung zur Jahresfeier der Märzrevolution am 18. März 1849 geschickt. Ihr Auftrag laut Weber war aber in erster Linie das „Abwühlen“ – also die Beruhigung der politischen Gemüter.685 Im Großen und Ganzen konnte in Magdeburg durch die Tätigkeit einzelner exponierter und politisch aktiver Mitglieder sowie auch der Liedertafel und des Lehrergesangvereins als Institutionen gezeigt werden, dass die Magdeburger Männergesangvereine sowohl im späten Vormärz als auch während der Revolution ein wesentlicher Bestandteil der bürgerlichen Bewegung in Magdeburg waren.

abschlägig beschiedenen Bitte zur Audienz durchführte. Siehe dazu WEBER: Magdeburger Liedertafel, S. 87. 685 Siehe EBD. Dazu sollte auch die vom Liedertafler Nebelung vorgeschlagene Liedauswahl beitragen, die u. a. Heil dir im Siegerkranz beinhalten sollte. Siehe HÄSELER: Magdeburger Liedertafel, S. 60.

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Von Konzertsängern zu Barrikadenkämpfern – Die Männergesangvereine in Dresden

5.1 Der Männergesang in Dresden bis 1848 Das Männerchorwesen in der sächsischen Elbmetropole prägte sich erst in den 1830er- und 1840er Jahren aus.686 Mit der Gründung des Männergesangvereins Orpheus im Jahr 1834 hielt auch in Dresden der im Verein organisierte Männergesang Einzug. Im Jahr 1839 folgte die Dresdner Liedertafel, die zusammen mit dem Orpheus viele Wohltätigkeitskonzerte veranstaltete und tatkräftig an den sächsischen Männergesangfesten 1842 und 1843 in Dresden beteiligt war. Im Jahr 1842 konstituierte sich unter der Leitung des Lehrers Gansauge der Männergesangverein Odeon.687 Im gleichen Jahr entstand nach einer Abspaltung von zwölf Männern von der Liedertafel unter den Komponisten Ernst Julius Otto und Carl Ferdinand Adam der Dresdner Liederkranz, dem „künstlerisch betrachtet [wohl] tüchtigsten“ Dresdner Männergesangverein.688 Neben den hier genannten Männergesangvereinen gab es noch viele weitere kleinere Vereinigungen bis 1848, so u. a. den Arion (gegr. 1842), den Körting’schen Verein (gegr. 1843), den Liederkreis Harmonie (gegr. 1844) und den Turngesangverein (gegr. 1847).689 Auch konstituierte sich im Sommer 1848 unter dem Lehrer und Komponisten Carl Banck ein Handwerkergesangverein.690 Bei einem Sängertag im „Großen Garten“ wurde am 21. Juli 1847 die Gründung eines Allgemeinen Dresdner Sängervereins beschlossen.691 Dieser Vereinigung, die „im Dresdner gesellschaftlichen und Kunstleben eine große Rolle

686 Zur Geschichte des Männerchorwesens in Dresden gibt es bisher noch keine Überblicksdarstellung. Es existieren nur einzelne Festschriften und Zeitungsartikel in der Teutonia über den Orpheus (siehe unten Kap. IV.5.2) und die Liedertafel (siehe unten Kap. IV.5.3). 687 Zum Odeon siehe Teutonia, Nr. 2, 1847, S. 32 ff. und Nr. 14, 1847, S. 223 f. 688 Siehe Teutonia, Nr. 6, 1847, S. 90. Der erste Liedermeister war Ernst Julius Otto. Siehe EBD., Nr. 1, 1846, S. 17. 689 Nach Hans John exisitierten im Jahr 1849 noch weitere Männergesangvereine: Tannhäuser (gegr. 1844), Arietta (gegr. 1846), Germania (gegr. 1849), Genova (gegr. 1849), Liederkreis (gegr. 1849) und mit Sängerkreis und Stradella noch zwei weitere Vereinigungen ohne zu ermittelnde Gründungsdaten. Siehe JOHN: Dresdner Maiaufstand und Schumann, S. 136. 690 Siehe Teutonia, Nr. 19, 1849, S. 296. Der Musikschriftsteller und Komponist Carl Ludwig Albert Banck (1808–1889) war Mitarbeiter bei der Neuen Zeitschrift für Musik. Er kam 1840 nach Dresden, wo er anfangs als Komponist und Gesangslehrer sowie als Journalist und als Kunstkritiker im Dresdner Tageblatt tätig war. Kompositorisch trat Banck v. a. als Liederkomponist in Erscheinung. Zu Banck siehe LIER: Banck und KEIL: Clara Wieck, S. 190 ff. 691 Siehe Teutonia, Nr. 18, 1847, S. 283. Die offizielle Gründung erfolgte am 24. September 1847. Siehe ELBEN: Männergesang (1887), S. 213.

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gespielt [hat]“,692 gehörten zunächst die Vereine Orpheus, Liedertafel, Liederkranz, Arion und Odeon an. Mit der Redigierung der Teutonia, der bedeutendsten zeitgenössischen Zeitschrift über den Männergesang in Deutschland, wurde Dresden das publizistische Zentrum für das deutsche Männergesangvereinswesen.693 Der Chefredaktion gehörten in der kurzen Zeit des Bestehens (1846–1849) mit dem Mediziner und Musikkritiker Julius Schladebach694 und dem Kreuzkantor Ernst Julius Otto aktiv in Dresdner Männergesangvereinen tätige Personen an.695

5.2 Der Dresdner Orpheus Wie für die anderen Dresdner Männergesangvereine haben sich auch für den Orpheus keine primären Quellen in Form von Protokollbänden oder Liederbüchern erhalten. Über die Geschichte dieses Gesangvereins informieren vor allem Artikel in der Teutonia und diverse Festschriften.696 Unter Letzteren ist besonders diejenige des langjährigen Direktors Johann Gottlob Müller hervorzuheben, der diesen Verein von 1840–1880 geleitet hat und daher aus eigenem Erleben die Entwicklung bis 1864 sehr detailliert nachzeichnen konnte.697 Geschichte des Dresdner Orpheus Der Dresdner Orpheus wurde am 7. Mai 1834 in der Wohnung und unter der Leitung des Theologiestudenten Ernst G. Mann durch „gemeinschaftlich abgefaßte 692 KÖTZSCHKE: 100 Jahre Dresdner Liedertafel, S. 30. 693 Zur Teutonia siehe oben S. 28. 694 Der Mediziner, Komponist und v. a. einflussreiche Musikkritiker Schladebach (1810–1872), der auch für Schumanns Neue Zeitschrift für Musik, die Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung und das demokratische Dresdner Morgenblatt Musik- und Theaterkritiken schrieb, schied 1849 aus der Redaktion der Musikzeitschrift aus. Siehe FREYSTÄTTER (Hg.): Musikalische Zeitschriften, S. 76. 695 Der langjährige Kreuzkantor und Männerchorkomponist Otto (1804–1877) arbeitete als Lehrer am Blochmannschen Institut in Dresden. Ab 1828 interimistisch und seit 1830 offiziell bekleidete er bis 1875 das Amt des Dresdner Kreuzkantors. Wegen seiner Verdienste um die Männergesangbewegung wurde 1876 der Julius-Otto-Bund gegründet. Zu Otto siehe SCHEUMANN: Julius Otto; HELD: Kreuzkantorat, S. 153–163 und neuerdings auch BRUSNIAK: Schumann, Otto und die Sängerbewegung. 696 Siehe dazu u. a. Teutonia, Nr. 1, 1846, S. 16 und Nr. 11, 1846, S. 171–175 sowie FUNKE: Dresdner Orpheus und MÜLLER: Dresdner Orpheus. 697 MÜLLER: Dresdner Orpheus. – Der Musiklehrer und Komponist Müller (1811–1886) war Musiklehrer an der zweiten Bürgerschule in Dresden, als er durch die Bekanntschaft mit dem Hofkapellmeister Reissiger zu weiteren Musikstudien und ersten Kompositionen angeregt wurde. Bald gab er als Dirigent des Orpheus zahlreiche Hefte mit Kompositionen für Männerchor heraus. Im Jahr 1860 wurde Müller zum Kantor und Musikdirektor an der Dresdner Dreikönigskirche gewählt. Siehe dazu Konversations-Lexikon 7, S. 195.

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Paragrafen zu gegenseitiger Fortbildung im Gesange“ offiziell gegründet.698 Zwei Monate nach der Gründung übernahm der Kantor und Liederkomponist Carl Ferdinand Adam die künstlerische Leitung.699 Schon nach einem Jahr trat der Männerchor bei einem ersten Konzert öffentlich auf und nahm an großen gemeinsamen Aufführungen unter Ernst Julius Otto teil. Zahlreiche weitere öffentliche Konzerte, deren Erlöse zumeist karitativen Zwecken zugutekamen, folgten.700 Auf Adam und den Musiklehrer C. F. Märkel folgte am 12. September 1840 der Lehrer Johann Gottlob Müller. Am Tag der Amtsübernahme Müllers, der bis 1880 die Leitung innehatte, erhielt der Orpheus auch neue Statuten. Eine Woche später wurden am 19. September 16 Vereinsbücher angeschafft, „in welche die damals beliebten Lieder von C. G. Reißiger, C. Zöllner, C. Löwe, F. Mendelssohn-Bartholdy, C. Kreutzer, Fr. Kücken und J. G. Schärtlich aufgenommen [wurden]“.701 Von der Liedertafel und dem Orpheus ging die Initiative aus, die sächsischen Männergesangvereine zum ersten großen sächsischen Männergesangfest 1842 nach Dresden einzuladen. Aufgrund einer starken Resonanz veranstaltete der Orpheus zusammen mit der Dresdner Liedertafel im Jahr darauf das zweite sächsische Männergesangfest.702 Am 14. Dezember 1844 nahm der Orpheus an der Entgegennahme und am 15. Dezember an der feierlichen Beisetzung der von England überführten Asche Carl Maria von Webers auf dem Friedhof der katholischen Gemeinde in Friedrichstadt zusammen mit der Dresdner Liedertafel teil.703

698 FUNKE: Dresdner Orpheus, S. 5. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten außer Mann noch der Theologiestudent Abendroth, der Finanzkalkulator Barth, der Oberkonsistorialkanzlist Bachmann, der Schuldirektor Bachmann, der Kaufmann Großmann, der Buchhändler Kori und der Lehrer Tränkner. EBD., S. 31. 699 Zu Adam siehe oben S. 84, Anm. 113. 700 So nahm der Orpheus u. a. mehrmals an den vom Pädagogischen Verein veranstalteten und unter der Leitung von Ernst Julius Otto stehenden „Geistlichen Konzerten zum Besten hilfsbedürftiger Witwen und Waisen“ der Volksschullehrer 1835, 1836 und 1840 teil. Siehe FUNKE: Dresdner Orpheus, S. 8, 13 und 21. 701 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 20. Wahrscheinlich handelt es sich bei „J. G. Schärtlich“ um den Komponisten Johann Christian Schärtlich (1789–1859), der als langjähriger Leiter der Potsdamer Liedertafel zahlreiche Männerchöre vertont hat. Zu Schärtlich siehe WELTI: Schärtlich. 702 Siehe dazu unten S. 242–245. 703 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 51 f. Das Dirigat bei den gesungenen Trauergesängen übernahm mit Richard Wagner einer seiner Nachfolger im Amt des Hofkapellmeisters. Siehe HARTWIG: Erinnerungsblätter, S. 7.

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Politisch aktive Mitglieder und Ehrenmitglieder In der bis 1864 durch die Festschrift des langjährigen musikalischen Leiters Müller überlieferten Mitgliederliste sind einige Namen zu finden, die über den Gesang hinaus auch politisch-oppositionelle Bedeutung erlangt haben.704 Der Kürschnermeister Carl Gustav Klette trat am 29. Januar 1841 in den Orpheus ein, in dem er von September 1844 bis Oktober 1845 das Amt des Vizekassierers und von Oktober 1845 bis Mai 1851 das des Sekretärs bekleidete.705 Klette war also über ein Jahrzehnt in leitender Stellung im Gesangverein engagiert. Für diesen verfasste er auch mehrere Gedichte, die von Johann Gottlob Müller und anderen Komponisten vertont wurden. Politisch-oppositionell betätigte er sich 1842–1846 als Stadtrat in der Dresdner Stadtverordnetenversammlung.706 Weiterhin war er Ersatzmann von Franz Jacob Wigard in der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtags und zog 1849 in dieselbe ein. Dort stellte er Ende Januar 1849 den Antrag auf die sofortige Publikation der in Frankfurt/M. verabschiedeten Grundrechte.707 Klette engagierte sich auch in verschiedenen protestantischen Vereinen. So war er prominentes Mitglied der Dresdner „Lichtfreunde“ und gründete zusammen mit dem Diakon Ernst Heinrich Pfeilschmidt nach Leipziger Vorbild am 10. Juli 1845 eine „Freie Gemeinde“ in Dresden.708 Als deren Vertreter initiierte er die Solidaritätsadresse für Johannes Ronge, verfasste eine von den meisten Vereinsmitgliedern unterschriebene Petition an die Zweite Kammer des Sächsischen Landtags um „Mündlichkeit und Öffentlichkeit bei den Gerichtsverfahren“ und organisierte die Teilnahme des Orpheus an den Konstitutionsfeierlichkeiten.709 Auch war Klette Mitglied des 1844 gegründeten Dresdner Hauptvereins der „Gustav-Adolf-Stiftung“. Dort engagierte er sich 1846 gegen die Ausschließung des Königsberger Predigers und Gründers 704 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 191 ff. 705 EBD., S. 192. 706 In einer Mitgliederliste, die der Dresdner Stadtrat auf eigene Initiative hin veröffentlichte, ist Klette (1810–1857) unter den „Unangesessenen“ zu finden. Siehe Dresdner Anzeiger, Nr. 223, 11. August 1842, S. 1. Siehe auch Nr. 99, 9. April 1846, Beilage. Von 1847–1849 war Klette unbesoldeter Stadtrat. Siehe KRETZSCHMAR/SCHLECHTE (Hg.): Gesandtschaftsberichte, S. 253, Anm. 317. 707 Siehe Ebd., S. 278. Zu den von der Reichsversammlung beschlossenen und am 27. Dezember 1848 vom Reichsverweser Erzherzog Johann verkündeten Grundrechten siehe HUBER: Deutsche Verfassungsgeschichte 2, S. 774–783. 708 KOLBE: Demokratische Opposition, S. 31. Die königliche Regierung reagierte auf diese Gründung mit einer Verordnung vom 19. Juli 1845, in der alle Vereine und Versammlungen verboten wurden, die das Augsburger Bekenntnis von 1530 („Confessio Augustana“) infrage stellten. Das kam einem Verbot der „Lichtfreunde“ in Sachsen gleich, gegen das Klette als Dresdner Stadtrat anzukämpfen versuchte. Siehe dazu die Protokolle der Dresdner Stadtratssitzungen nach dem 19. Juli 1845 im Dresdner Anzeiger. Zu den „Lichtfreunden“ allgemein siehe oben S. 53–56 und zu Pfeilschmidt unten S. 255, Anm. 810. 709 Zur Solidaritätsadresse siehe unten S. 255, zur Petition unten S. 245 f. und zu den Konstitutionsfeierlichkeiten unten S. 246–253.

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der dortigen „Freien Gemeinde“ Julius Rupp710 aus dem Zentralverein.711 Überhaupt setzte sich der Kürschnermeister energisch für die allgemeine Religionsfreiheit ein. So unterzeichnete er Anfang März 1848 eine Petition „betreffend die religiöse und politische Gleichstellung aller Religionspartheien“.712 Auch war Klette Mitglied im Dresdner Turnverein und stand ihm als Geschäftsführer vor.713 Nach der Einsetzung der sächsischen Märzregierung unter Braun engagierte er sich für die unter Innenminister Oberländer ins Leben gerufene „Kommission für Erörterung der Gewerbs- und Arbeitsverhältnisse“.714 Klette gehörte einer fünfköpfigen Deputation an, die die Akten der Buchdruckerprinzipale und der Buchdruckergehilfen in Leipzig und Dresden durchsehen, ein Gutachten erstellen und dieses dann der gesamten Kommission vorlegen sollte.715 Am Dresdner Maiaufstand nahm er aktiv teil.716 Das Ehrenmitglied Carl Gotthelf Todt wurde 1826 wegen der Zugehörigkeit zu einer verbotenen Verbindung für zwei Jahre von der Leipziger Universität verwiesen.717 Bei der journalistischen Tätigkeit neben den Ämtern als Stadtschreiber, Stadtrichter und als Adorfer Bürgermeister (1832–1849) deckte der Politker und Jurist im von ihm 1835 gegründeten Adorfer Wochenblatt und in der von ihm beeinflussten Zeitschrift Die Ameise eklatante Missstände in der Verwaltung auf. So gelangte Todt zu regionaler Bekanntheit und wurde 1836 als Abgeordneter in die Zweite Kammer des Sächsischen Landtags gewählt. Zusammen mit seinem Freund Julius Otto Heinrich von Dieskau, dem einzigen weiteren liberalen Oppositionellen aus Plauen, vertrat er dort zunehmend radikale Positionen.718 Darunter fiel 1839 sein Preßgesetzentwurf, der eine liberale Umgestaltung des bestehenden Pressegesetzes zum Inhalt hatte. Als Mitglied im Freundeskreis um Robert Blum fungierte Todt im Sächsischen Landtag als Verbindungsmann des Ende 1845 gegründeten demokratischen Redeübungsvereins in Leipzig zu den 710 Der theologisch rationalistische und politisch liberale Theologe Rupp wurde am 17. September 1845 als Prediger der Königsberger reformierten Gemeinde entlassen. Ein Jahr später gründete er daselbst eine „freie evangelische Gemeinde“, die sich später mit der deutschkatholischen Gemeinde zur „freien evangelisch-katholischen Gemeinde“ zusammenschloss. Während der Revolution war Rupp als Demokrat aktiv. Zu Rupp siehe GRAF: Rupp und BREDERLOW: „Lichtfreunde“, S. 49. 711 BLANCKMEISTER: Dresdner Hauptverein, S. 21. Zur Geschichte des Gustav-Adolf-Vereins siehe DRESCHER: Gustav-Adolf-Verein. Die Teilnahme des Orpheus an einer kirchlichen Feier der Gustav-Adolf-Stiftung am 16. August 1847 dürfte auch auf Klette zurückgehen. Siehe MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 68. 712 Siehe Dresdner Anzeiger, Nr. 94, 10. März 1848, S. 4. 713 Siehe EBD., Nr. 244, 1. September 1846, S. 5. 714 Zu dieser Kommission siehe HstA, Ständeversammlung, Nr. 2817. 715 FREY: Oberländer, S. 70. Ab dem 7. August 1848 war er dann 2. Vizepräsident der Arbeiterkommission. EBD., S. 84. 716 Siehe dazu unten S. 266. 717 Zu Todt siehe WIPPERMANN: Todt. 718 Zu von Dieskau siehe oben S. 157, Anm. 303.

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oppositionellen Landtagsabgeordneten in Dresden.719 Weiterhin war der langjährige Adorfer Bürgermeister für den Gustav-Adolf-Verein aktiv, in dem er sich für die religiöse Freiheit engagierte. Seiner Meinung nach würden die „religiösen Zwistigkeiten“ dann aufgehoben werden, wenn „das constitutionelle Staatsprinzip sich über alle deutschen Länder verbreitet haben würde“.720 Im März 1848 wurde Todt als Vertreter der Stadt Leipzig ins Frankfurter Vorparlament gewählt. Von der sächsischen Märzregierung unter Karl Braun erfolgte die Berufung Todts zum Vertreter Sachsens in eine Versammlung von Vertrauensmännern, die eine Revision der Bundesverfassung erarbeiten sollte. Todt war es auch, der am 30. April 1849 die vom König zwei Tage zuvor angeordnete Auflösung der beiden sächsischen Kammern „bleich und mit bebender Stimme“ verkündete.721 Die Auflösung des Landtages war damit offiziell vollzogen. Im sich anschließenden Maiaufstand war Todt Mitglied der „Provisorischen Regierung“.722 Als er die Radikalität und die Aussichtslosigkeit des Aufstandes erkannte, nutzte Todt die Übergabe des Hilfeersuchens der „Provisorischen Regierung“ an die Zentralgewalt in Frankfurt/M., um Dresden zu verlassen.723 Nach der Niederschlagung der Mairevolution ging er als politisch Verfolgter ins Exil nach Zürich. Das Ehrenmitglied Martin Gotthard Oberländer studierte in Leipzig Rechtswissenschaften, wo er in den Verdacht geriet, Mitglied der Burschenschaften zu sein.724 Nach seinem Examen ging er 1825 als unbesoldeter Ratsund Polizeiaktuar nach Zwickau, bevor er ein Jahr später die Zulassung als Advokat bekam. In den Jahren 1836/37 und 1839/40 war Oberländer stellvertretender Abgeordneter im Sächsischen Landtag. Von 1842–1847 gehörte er der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtags an, wo er bald zu einem der führenden Politiker der Opposition avancierte. Dort folgte Oberländer seinem Credo: „Mein Inneres ist erwärmt von der Liebe für Freiheit, Recht und Vaterland [...].“725 Am 22. März 1848 wurde er gegen den Willen des sächsischen Königs als Innenminister ins liberale Märzkabinett berufen. In diesem Amt sah er sich mit großen gewerblichen und sozialen Problemen in Sachsen konfrontiert. Jener Probleme nahm sich Oberländer dergestalt an, dass er eine Kommission von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Vertretern des Innenministeriums ins Leben rief, die am 29..Mai ihre Arbeit aufnahm und am 7. August 1848 zum ersten Mal öffentlich tagte.726 Dabei sollten beide Seiten gehört werden, wobei die Kommission als Mittler zu 719 Aus dieser Vereinigung ging später die sächsische Vaterlandspartei, die „wohl erste politische Partei in Deutschland“, hervor. Siehe REICHEL: Robert Blum, S. 64. 720 Magdeburger Wochenblatt, Nr. 43, 24. Oktober 1846, S. 773. 721 VON MONTBÉ: Maiaufstand in Dresden, S. 14. 722 Zum Dresdner Maiaufstand siehe unten S. 265–269. 723 VEIT: Deutsche Revolution 2, S. 486. 724 Zu Oberländer (1801–1868) bis zur Revolution siehe FREY: Oberländer. 725 EBD., S. 19. 726 EBD., S. 47, 69 ff. und 81.

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fungieren hatte. In diesem Zuge setzte sich Oberländer als Reaktion auf Louise Otto-Peters öffentliche Adresse in der Leipziger Arbeiter-Zeitung vom 20. Mai 1848 auch für die Rechte der arbeitenden Frauen ein.727 Auch war Oberländer maßgeblich an der Liberalisierung des sächsischen Wahlrechts beteiligt. Ergebnis dieser Bemühungen war das „Provisorische Wahlrecht“, das am 15. November 1848 in Kraft trat und bei der Wahl im Dezember 1848 eine überwältigende Mehrheit des linken politischen Spektrums zur Folge hatte.728 Bei den Bemühungen um ein neues Wahlrecht konnte sich der sächsische Innenminister jedoch nicht mit der demokratischen Forderung nach einem Einkammersystem durchsetzen, was Karl Braun und Ludwig von der Pfordten sowie die Mehrheit der Zweiten Kammer ablehnten.729 Neben dem Amt als sächsischer Innenminister kam im August 1848 noch die Leitung des Reichskommissariats für die Reußischen Gebiete hinzu. Nach dem Rücktritt des Märzkabinetts unter Braun am 24. Februar 1849 wirkte Oberländer als „Geheimer Regierungsrat“ weiter im sächsischen Innenministerium. In dieser Funktion versuchte er während der Mairevolution zwischen der „Provisorischen Regierung“ und dem König zu vermitteln. Letzterer wies ihn aber ab, weil er dabei die Anerkennung der Reichsverfassung, eine Amnestie für alle am Maiaufstand Beteiligten und die Wahl eines parlamentarischen Ministeriums verlangte.730 Auch übte Oberländer das Amt des Vorsitzenden der „Königlichen Immobiliarbrandkassen-Versicherung“ in Dresden aus, welche er zu einer obligatorischen staatlichen Versicherungsanstalt ausbaute. Diese Arbeit führte 1857 zu dem Vorwurf der Sächsischen Constitutionellen Zeitung, dass er eine „socialistische Weltanschauung“ vertrete.731

5.3 Die Dresdner Liedertafel Weder Protokollbände noch Liederbücher der Dresdner Liedertafel haben sich erhalten. Dafür gibt es jedoch einige Festschriften, die Auskünfte über die Geschichte dieses Gesangvereins geben.732 727 Es handelt sich um die „Adresse eines Mädchens an den hochverehrten Minister Oberländer, an die von ihm berufene Arbeiterkommission und an alle Arbeiter“. Daraufhin wurde Louise Otto-Peters von Oberländer und Finanzminister Robert Georgi zu einem persönlichen Gespräch eingeladen. Zur Adresse von Otto-Peters siehe OTTO-PETERS: Recht der Frauen auf Erwerb, S. 117 ff. 728 Siehe dazu NEEMANN: Landtag und Politik, S. 43 ff. Zu den Landtagsverhandlungen darüber siehe FREY: Oberländer, S. 74 ff. 729 FLÖTER, Jonas: Reform oder Revolution?, S. 47. 730 Siehe VON MONTBÉ: Maiaufstand in Dresden, S. 122 und MEINEL: Otto Leonhard Heubner, S. 192. 731 Siehe NEEMANN: Landtag und Politik, S. 190. 732 An erster Stelle ist hierbei die umfangreichste Festschrift anlässlich des 50-jährigen Bestehens 1889 zu erwähnen: HARTWIG: Dresdner Liedertafel. Weiterhin geben, auf dieser Festschrift

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Zur Dresdner Liedertafel merkte ihr Chronist Kötzschke in seiner Geschichte des deutschen Männergesangs an: „Es wird wohl keinen Verein auf der Erde geben, der so berühmte Künstler an seiner Spitze gehabt hat wie die Dresdner Liedertafel.“733 Damit spielte Kötzschke auf die bekannten Komponisten Carl Gottlieb Reissiger, Carl Ferdinand Adam, Ernst Julius Otto, Richard Wagner, Ferdinand Hiller und Robert Schumann an, die bis zur Revolution von 1848/49 der Dresdner Liedertafel als Dirigenten vorstanden. Auch unter den Mitgliedern war „eine große Anzahl Namen hervorragender Männer [...] aus den gebildeten Ständen, Männer der Kunst- und Gelehrtenwelt“.734 Am 3. Januar 1839 konstituierte sich die Dresdner Liedertafel mit 32 Mitgliedern.735 Dabei wurde auch die Mitgliederzahl auf 33 Personen begrenzt – 32 Sänger und ein Liedermeister. Der erste künstlerische Leiter war der Hofkapellmeister und Komponist Carl Gottlieb Reissiger. Schon am Ende des ersten Jahres ihres Bestehens fiel die Vereinigung auseinander. Am 26. Dezember 1839 kam es zum Bruch, weil „der Verein sich an das konstitutionell-sächsische Klima nicht gewöhnen konnte“.736 Eine Mehrzahl der Mitglieder stimmte für die Auflösung und trat mit Reissiger an der Spitze aus. Sie wollten wahrscheinlich eine Liedertafel alten Stils, in der sich in eng begrenzter Anzahl und ohne öffentliche Auftritte nur städtische Honoratioren treffen sollten. Eine Minderheit lehnte jedoch eine Begrenzung der Mitglieder ab und favorisierte eine gesellschaftliche Öffnung. Mit zehn Mitgliedern blieb gut ein Drittel der alten Liedertafel zurück und setzte das Vereinsleben fort. Ein Jahr später gab es schon wieder insgesamt 25 Mitglieder, die zumeist Juristen oder Theologen waren. Deren musikalische Leitung übernahm zunächst der Musiklehrer Carl Ferdinand Adam, bevor ihn im Oktober 1840 der Kreuzkantor Ernst Julius Otto ablöste. Im Jahr 1842 initiierte die Liedertafel mit dem Dresdner Orpheus das erste sächsische Männergesangfest, welches vom 7.–9. August 1842 in Dresden stattfand. Zusammen mit dem ältesten Dresdner Männergesangverein wurde auch das zweite sächsische Männergesangfest am 6./7. Juli 1843 in Dresden organisiert.737 Von Februar 1843 bis November 1845 stand die Dresdner Liedertafel unter der Leitung von Richard Wagner, der nach seinem Ausscheiden Ehrenmitglied

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aufbauend, folgende Publikationen Auskunft über die Geschichte der Dresdner Liedertafel: HARTWIG: Erinnerungsblätter und KÖTZSCHKE: 100 Jahre Dresdner Liedertafel. Aus neuerer Zeit stammt der Aufsatz von JOHN: Dresdner Liedertafel. Kötzschke: Männergesang, S. 98. HARTWIG: Erinnerungsblätter, S. 4. So waren unter ihnen als Ehrenmitglieder der Dichter Julius Mosen, der Schriftsteller Berthold Auerbach, der Maler und Dichter Robert Reinick, der Komponist und Generalmusikdirektor Julius Rietz und der Dichter Franz Koppel-Ellfeld. Siehe LEMKE (Hg.): Dresdner Liedertafel, S. [1]. Davon gibt es keine urkundliche Nachricht. Siehe KÖTZSCHKE: 100 Jahre Dresdner Liedertafel, S. 16. EBD. Siehe dazu unten S. 242–245.

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wurde. Auf Wagners Empfehlung hin wurde Ferdinand Hiller738 am 13. November 1845 zum Nachfolger als Liedermeister bestimmt, unter dem „eine musikalisch sehr fruchtbare Zeit“ anbrach.739 Inzwischen war die Dresdner Liedertafel nicht nur zu einem bedeutenden Männergesangverein, sondern auch zu einem gesellschaftlichen Faktor geworden. Beim Stiftungsfest 1845 befanden sich unter den ca. 250 Anwesenden auch Oppositionsvertreter der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtages.740 Hiller folgte im November 1847 Robert Schumann als Liedermeister der Dresdner Liedertafel nach, der dieses Amt bis Oktober 1848 wahrnahm.741 Ihn löste im November 1848 Ernst Julius Otto ab.

5.4 Gesellschaftliches und politisches Engagement Dresdner Männergesangvereine im späten Vormärz und während der Revolution von 1848/49 Der Dresdner Orpheus und die Liedertafel sind schon sehr früh mit ihren Gesängen durch Konzerte und andere Veranstaltungen an die Öffentlichkeit getreten. Dabei stießen sie bei der Bevölkerung auf sehr große Resonanz. Durch die Gründung weiterer Männergesangvereine in Dresden nahm die öffentliche Wirksamkeit der Männergesangvereine weiter zu und ging über das Veranstalten von Konzerten hinaus. So richteten der Orpheus und die Liedertafel die beiden ersten sächsischen Männergesangfeste aus und nahmen rege an auswärtigen Sängerfesten teil, um einerseits Geselligkeit mit anderen Sängern zu genießen und andererseits den Männergesang in der Bevölkerung weiter zu popularisieren. Dass dabei auch politische Überzeugungen eine nicht unerhebliche Rolle spielten, zeigt unter anderem die Beteiligung an den jährlich am 4. September stattfindenden Konstitutionsfeiern und das Abfassen einer Petition an die Zweite Kammer des Sächsischen Landtags seitens des Orpheus.

738 Der Komponist, Pianist und Musikdirektor Hiller (1811–1885) ging im Jahr 1844 nach Dresden, wo er freundschaftlich mit Wagner und Schumann verkehrte. Ende 1847 folgte er einem Ruf nach Düsseldorf, um dort als Nachfolger von Julius Rietz die Konzerte des Musikvereins zu leiten. Als Hiller im Herbst 1850 als städtischer Kapellmeister nach Köln ging, empfahl er Schumann erfolgreich als seinen Nachfolger. Zu Hiller siehe NIEMÖLLER: Hiller. 739 KÖTZSCHKE: 100 Jahr Dresdner Liedertafel, S. 28. 740 EBD., S. 25. 741 Siehe zu Robert Schumann und der Dresdner Liedertafel unten S. 293 ff.

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Die sächsischen Männergesangfeste 1842 und 1843 in Dresden742 Nachdem es in vielen Regionen des Königreichs in den vorangegangenen Jahren einige kleinere Gesangfeste von Männergesangvereinen gegeben hatte, war es nur eine Frage der Zeit, wann ein landesweites Sängerfest veranstaltet werden würde. Wie bei den kleineren Gesangfesten sollten auch diese großen Feste neben der Geselligkeit und dem gemeinsamen Gesang das gestiegene Selbstbewusstsein des aufstrebenden Bürgertums zum Ausdruck bringen.743 Von dieser Tatsache zeugt allein schon die ausführlichere Berichterstattung von beiden Festen durch die von Blum ins Leben gerufenen linksliberalen Sächsischen Vaterlands-Blätter.744 Das erste sächsische Männergesangfest fand am 8. und 9. August 1842 in Dresden statt. Daran nahmen 18 sächsische Gesangvereine und etwa 500 Sänger teil. Am ersten Festtag gab es vor der gemeinsamen Abfahrt in festlich geschmückten Gondeln auf der Elbe nach Blasewitz die ersten fünf gemeinsamen Gesangsdarbietungen. Die Lieder thematisierten zum einen die einigende und erhebende Macht des gemeinsamen Gesanges und zum anderen das zur Einigung strebende deutsche Vaterland. Von den Vaterlandsliedern entfaltete der Zuruf an Deutschland von Ernst Julius Otto auf einen Text seines Sohnes Julius Otto „den lebhaftesten Enthusiasmus“.745 Darin wurde in erster Linie die Einigkeit des deutschen Vaterlands beschworen, um gegen äußere Feinde besser bestehen zu können. Damit reagierte das Lied auf die Befreiungskriege und die „Rheinkrise“ zwei Jahre zuvor. Mit dem Ausruf am Ende der letzten Strophe „Bleibe einig, bleibe frei“ wird die Notwendigkeit des Zusammenhalts aller Deutschen mit dem Ziel der Freiheit nach außen zum Ausdruck gebracht. Trotz aller Opfermetaphorik im Stil der Lieder der Befreiungskriege ist am Anfang der 1840er Jahre gleichzeitig die Freiheit im Inneren intendiert. Die freiheitliche Tendenz wurde im zuvor gesungenen Lied Freie Kunst von Carl Ferdinand Adam auf einen Text von Ludwig Uhland deutlich.746 Auch dieses Gedicht stammt aus der Zeit der Befreiungskriege.747 Uhland fordert darin die freie Meinungsäußerung in Wort und Gesang, die durch

742 Zu den sächsischen Männergesangfesten in Dresden 1842 und 1843 allgemein siehe Allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 35, 31. August 1842, Sp. 684 sowie Nr. 30, 26. Juli 1843, Sp. 550 f. und Dresdner Anzeiger, Nr. 229, 17. August 1842, S. 7 sowie Nr. 194, 13. Juli 1843, S. 1 f. und Nr. 197, 16. Juli 1843, S. 1 f. (Danksagung im Namen beider Männergesangvereine). 743 Zu den Sängerfesten in Sachsen siehe Anhang 1, S. 329 ff. 744 Siehe dort zum Männergesangfest von 1842 Nr. 99, 18. August 1842, S. 403 f. sowie Nr. 100, 20. August 1842, S. 406 f. und zum Männergesangfest von 1843 Nr. 113, 16. Juli 1843, S. 503 ff. 745 Siehe EBD., Nr. 99, 18. August 1842, S. 404. 746 Der Komponist und Kantor Adam war zu dieser Zeit zweiter Liedermeister der Dresdner Liedertafel. Siehe MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 29. 747 Es wurde erstmals abgedruckt in Deutscher Dichterwald, S. 3 f.

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die napoleonische Besetzung unterdrückt wurde. Auch gegen Ständeschranken opponierte der Textdichter: Heilig achten wir die Geister, Aber Namen sind uns Dunst; Würdig achten wir die Meister, Aber frei ist uns die Kunst. (Str. 7)748

Die Forderungen nach Meinungsfreiheit und rechtlicher Gleichheit waren auch 30 Jahre später noch nicht erfüllt worden und somit für die bürgerliche Bewegung relevant geblieben. Auch wenn der Text des Liedes auf die Befreiungskriege rekurriert, dürfte der Gegenwartsbezug den Sängern und Zuhörern sehr deutlich vor Augen gestanden haben. Nach der Ankunft in Blasewitz erklangen dann die Gesänge Der Männergesang von Franz Otto und das Schwertlied von Carl Maria von Weber und Theodor Körner, die ebenfalls an das Erbe der Befreiungskriege erinnern. Passend dazu wandelten die Sänger gemeinsam auf den Spuren Theodor Körners in Loschwitz, wo dessen Vater 1785 ein Weinberggrundstück erworben hatte.749 Dort weilte auch auf Einladung Gottfried Körners der mit ihm befreundete Dichter Friedrich Schiller – ein weiterer, durch seine von Patriotismus, Humanität und Freiheitssinn getragenen Dichtungen in Sängerkreisen verehrter Urvater der deutschen Sängerbewegung.750 Der zweite Festtag stand dann ganz im Zeichen des geselligen Beisammenseins. Durch gemeinsame Unternehmungen sollte das Gemeinschaftsgefühl der Sangesbrüder gestärkt werden. Das zweite sächsische Männergesangfest, das wieder vom Dresdner Orpheus und der ortsansässigen Liedertafel organisiert wurde, fand am 6. und 7. Juli 1843 auch in Dresden statt.751 Daran nahmen diesmal 30 Vereine mit über 1.000 Sängern teil. Während beim ersten Fest ein Konzert mit geistlichen Werken fehlte, gab es diesmal ein solches am ersten Tag in der Frauenkirche.752 Unter den dabei vorgetragenen Werken war auch Das Liebesmahl der Apostel (WWV 69) von 748 EBD., S. 4. 749 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 30. Zum Erbe Theodor Körners und dessen Bedeutung für die Sängerbewegung siehe oben Exkurs, S. 138–143. 750 So gehörten einige Männerchöre aus Opern wie Wilhelm Tell zum Standardrepertoire der Männergesangvereine. Auch in Schillervereinen und bei Jubiläen (1859) waren Männergesangvereine stark involviert. Die mehrfachen Vertonungen von Schillers Dichtung Macht des Gesanges, wovon eine von Johann Gottlob Müller bei diesem Männergesangfest erklang, zeugten von der starken Rezeption Schillerscher Gedichte im deutschen Männergesangvereinswesen. So steht bspw. eine anonyme Vertonung dieses Textes am Anfang der Liederbücher der Akademischen Liedertafel in Halle. Siehe ULB Halle, Singstücke für Männerstimmen, o. Sign., Nr. 1, S. 1–25. Zu Schillers Verhältnis zur Musik siehe BRUSNIAK: Schiller und die Musik. 751 Zum Programm des Gesangfestes siehe SLUB, Allgemeines Männergesangfest in Dresden 1843, Hist.Sax.G.136,34.v1. Darin ist das Programm des Gesangfestes abgedruckt. 752 Zum Programm des geistlichen Konzerts siehe MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 36 f.

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Richard Wagner. Es handelt sich um eine Auftragskomposition, deren Aufführung vom Komponisten selbst geleitet wurde.753 Am zweiten Festtag fand wieder eine gemeinsame Gondelfahrt auf der Elbe statt. Vor der Abfahrt an der Elbbrücke wurden gemeinsam die ersten fünf Lieder gesungen:754 Ins Freie von Josef Hartmann Stuntz, Liedesfreiheit von Heinrich Marschner, Das freie Wort von Johann Gottlob Müller,755 Wo möchte ich sein von Carl Friedrich Zöllner und Schifferlied von C. E. Gebauer, dem Vizedirektor des Dresdner Orpheus.756 Die größtenteils freiheitsbewegten Liedtexte stammten dieses Mal nicht nur aus der Zeit der Befreiungskriege (Ins Freie und Liedesfreiheit), sondern waren auch jüngeren Datums, wie die Gesänge Das freie Wort und Wo möchte ich sein zeigen. Darin kam zum Ausdruck, dass zwar einige Anliegen aus der Zeit der Befreiungskriege noch aktuell waren, aber im Vormärz eine Erweiterung oder Ergänzung erfuhren. Während beispielsweise in der Liedesfreiheit die Freiheit der Musik im Allgemeinen und die des Liedes respektive Liedtextes im Besonderen nur andeutungsweise thematisiert werden,757 kommt die Forderung nach Rede- und Meinungsfreiheit in Das freie Wort unverblümt zum Ausdruck. Damit wurde in diesem großen Rahmen eine neue Qualität in der öffentlichen Artikulation bürgerlicher Freiheitsforderungen durch die Männergesangbewegung erreicht. Man deutete die freiheitlichen Anliegen nun nicht mehr nur verschlüsselt an, sondern sprach sie unmissverständlich aus. Bezüglich der Vertonung von Das freie Wort meldete der anwesende Korrespondent der VaterlandsBlätter jedoch Kritik an – er maß ihr „weniger Werth“ als den anderen Kompositionen zu.758 Die Kritik entzündete sich am Ton-Wort-Verhältnis. Nach Meinung des Journalisten korrespondierte der Inhalt des Textes nicht mit der Art der Komposition: Man kann es nur einen argen Mißgriff nennen, daß Müller mit seiner spielenden, tändelnden Melodie an einen Herwegh’schen Text sich wagte und mit einer so leichten Composition die Zuhörer für’s freie Wort zu begeistern versuchen wollte.759

Für den Rezensenten des Oppositionsblattes hätte dieser Text eine qualitativ wertvollere und angemessenere Komposition verdient, die das Publikum aufgrund seines ernsten freiheitlichen Anliegens aufgerüttelt und mitgerissen hätte,

753 LÖWE: Der Männergesang, S. 12. Zum Liebesmahl der Apostel und zum allgemeinen nationalreligiösen Charakter des zweiten sächsischen Männergesangfestes siehe FISCHER: Im Geist der Liebe vereint. 754 Nach dem Urteil des Rezensenten der Sächsischen Vaterlands-Blätter war diese Gesangsdarbietung nicht gelungen, da die Schiffe dafür ungeeignet aufgestellt waren. Siehe EBD., Nr. 100, S. 504. 755 Zu diesem Lied siehe unten S. 256. 756 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 37. 757 Siehe zu diesem Lied oben S. 171. 758 Sächsische Vaterlands-Blätter, Nr. 100, S. 504. 759 EBD.

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was aufgrund der eher lieblichen Komposition von Müller anscheinend nicht der Fall gewesen war. Die beiden ersten allgemeinen sächsischen Männergesangfeste in Dresden zeigen zum einen die flächendeckende Verbreitung der Männergesangvereine im sächsischen Königreich und zum anderen deren Willen, sich auch auf Landesebene zu treffen, sich auszutauschen und gemeinsam zu singen. Als rein bürgerliche Angelegenheit zeugen diese Treffen auch vom gestiegenen Selbstbewusstsein des Bürgertums, größere musikalische Veranstaltungen auch selbst in die Hand nehmen zu können. Mit dem Anspruch auf autonome bürgerliche Kunstausübung ging anhand einiger Gesangstexte auch der Wunsch nach politischer Mitbestimmung einher. Insofern waren diese beiden sächsischen Gesangfeste zugleich auch bürgerliche Volksfeste mit politischen Implikationen. Die Petition des Dresdner Orpheus vom 8. Dezember 1842 Normalerweise beschränkten sich die Beiträge von Männergesangvereinen zur bürgerlichen Bewegung im Vormärz auf das öffentliche Vortragen von Vaterlandsgesängen und Freiheitsliedern. Meistens geschah dies nicht in eigener Initiative, sondern die Männerchöre wurden offiziell zu bestimmten Veranstaltungen eingeladen. Eine direkte politische Aktion war aufgrund verpflichtender Statuten nicht erlaubt und von der Mehrzahl der Sänger auch nicht gewollt. Zudem gefährdete eine offene politische Parteinahme das erstrebte und beschworene Band der Eintracht und Brüderlichkeit. Daher stellt die am 8. Dezember 1842 vom Verein unterbreitete Petition an die Zweite Kammer des Sächsischen Landtags eine Besonderheit dar.760 In der vom Vizesekretär Klette verfassten Petition ging es „um Mündlichkeit und Öffentlichkeit bei den Gerichtsverfahren“.761 Dabei handelte es sich um eine der wesentlichen Forderungen der oppositionellen Vormärzbewegung, die dann auch in Sachsen durch das Märzministerium unter Karl Braun im Jahr 1848 umgesetzt wurde.762 Die Petition hatte im laufenden Sächsischen Landtag 1842/1843 Erfolg. Eine große Mehrheit der Zweiten Kammer hatte sich 1843 „für Öffentlichkeit und Mündlichkeit im Strafverfahren ausgesprochen“, deren Umsetzung die königliche Regierung jedoch strikt ablehnte.763 Die von Klette verfasste Bittschrift an die 760 Siehe dazu Sächsische Vaterlands-Blätter, Nr. 153, 13. Dezember 1842, S. 640: „Hier in Dresden liegt eine solche Petition dermalen aus und soll schon mit vielen Unterschriften bedeckt sein.“ (Petition um „Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens in Strafsachen – Eingang von Stadtrat Mittweida“). 761 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 33. Zu Klette siehe oben S. 236 f. 762 Die Demokratisierung der Gerichtsverfahren durch Mündlichkeit und Öffentlichkeit gehörte zu Brauns persönlichen Hauptanliegen. Siehe KRAUSE: Aufruhr in Dresden, S. 12. 763 EBD.

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Zweite Kammer wurde von den meisten der anwesenden Vereinsangehörigen unterschrieben.764 Dieser für einen Sängerverein ungewöhnliche und angesichts des bestehenden Vereinsrechts auch existenzgefährdende Vorgang zeigt das starke politisch-oppositionelle Interesse innerhalb des Orpheus, das auch vor solchen politisch-öffentlichen Aktionen nicht Halt machte. Die Beteiligung an den sächsischen Konstitutionsfeiern Durch die Einführung der ersten sächsischen Verfassung am 4. September 1831 wurde das Königreich Sachsen eine konstitutionelle Monarchie.765 Damit ging unter anderem die Herstellung eines einheitlichen Staatsgebietes, die Umwandlung der Ständeversammlung in ein Zweikammerparlament, die Einsetzung von verantwortlichen Ministern und die Fixierung von staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten einher.766 Die Installation eines neuen politischen Systems brachte einen neuen Feiertag mit sich – den sogenannten „Constitutionstag“.767 Nachdem die Verfassungsübergabe mit einem großen öffentlichen Staatsakt am 4. September 1831 in Dresden gefeiert worden war, gab es in Dresden jährlich offizielle Feierlichkeiten.768 Spätestens seit 1838 fanden jedoch auch halböffentliche Konstitutionsfeiern der Kommunalgarde statt.769 Neben den offiziellen Feierlichkeiten gab es also auch nichtoffizielle Aktivitäten. Dieser Differenzierungsprozess unterschiedlicher Träger des Verfassungsgedenkens brachte in den 1840er Jahren einen großen Schub für das öffentliche Gedenken mit sich. Vielfältige Veranstaltungen konkurrierten nun miteinander. Eine von oben oktroyierte Verfahrensweise der Feierlichkeiten und deren inhaltliche Ausrichtung wurden nicht mehr akzeptiert. Gesellschaftliche und politische Gruppen wie die Kommunalgarde, die Stadtverordneten, Turn- und Gesangvereine und Vaterlandsvereine „nutzten den Verfassungstag als Podium, um sich [...] nach außen darzustellen [...] und ihren Geltungsanspruch innerhalb der Gesellschaft“ zu bekräftigen.770 Neben der Kommunalgarde und den Turnern nahmen 1843 nachweislich zum ersten Mal auch mehrere Gesangvereine an einer Konstitutionsfeier teil771 – eine 764 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 33. 765 Zur sächsischen Verfassung von 1831 siehe BLASCHKE: Sächsische Verfassung. 766 Am 26. Januar 1833 legten die Abgeordneten der Ersten Kammer den Eid auf die Verfassung ab. Siehe LUDWIG/NEEMANN: Revolution in Sachsen, S. 37. 767 BARTH: „Fürstenlieb und Volkestreue“, S. 245. 768 Siehe dazu ESPE: Feierlichkeiten in Dresden. 769 BARTH: „Fürstenlieb und Volkestreue“, S. 253. 770 EBD., S. 267. 771 Siehe zum Ablauf des Konstitutionsfestes von 1843 die Bekanntmachung des Dresdner Anzeigers, Nr. 244, 1. September 1843, S. 1. Nach Kötzschke hat die Dresdner Liedertafel schon 1841 an einer öffentlichen Konstitutionsfeier teilgenommen. Siehe KÖTZSCHKE: 100 Jahre Dresdner Liedertafel, S. 20. Die Teilnahme an Konstitutionsfeiern blieb aber nicht nur auf die Dresdner

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Tradition, die bis 1847 fortgeführt wurde. Carl Gustav Klette, Stadtrat und Vereinsmitglied des Orpheus, berichtete in einer Vereinsversammlung, dass er als Stadtverordneter die Frage an den Stadtrat gerichtet habe, ob das jährliche Konstitutionsfest auf eine andere Art durchgeführt werden könne und ob dabei die Darbietung von Männergesang erwünscht sei. Am 24. August 1843 teilte Klette dann mit, dass die Konstitutionsfeier am 4. September 1843 mit Männergesang stattfinden könne. Nachdem der Hofkapellmeister Carl Gottlieb Reissiger die musikalische Leitung beim Konstitutionsfest abgelehnt hatte, übernahm Orpheus-Direktor Müller dieses Amt. Insgesamt beteiligten sich 180 Sänger am öffentlichen Gesang. Darunter waren Mitglieder des Orpheus, der Liedertafel, des Arion, des Liederkranzes, der Dreißig’schen und der Mühl’schen Akademie.772 Zur Aufführung gelangten unter anderem folgende Lieder: Freier Männer freies Wort von Johann Gottlob Müller773 und Vaterlandslied von Ernst Julius Otto.774 In diesen Gesängen wird vor allem der Forderung nach vollständiger Meinungsund Redefreiheit Ausdruck verliehen. So heißt es in Ottos Vaterlandslied am Ende der zweiten Strophe: So lang das deutsche Lied noch klinget, Das freie Wort zum Lichte dringet, Ein kühner Leu. So lange bleibt mein Vaterland frei!

In Müllers Freier Männer freies Wort kommt der Anspruch des Bürgertums auf die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland offen zum Tragen. So heißt es in der dritten Strophe, in der wieder auf die zu dieser Zeit beliebte Baum-Metapher zurückgegriffen wurde:775 Bürgerglück, o goldner Zweig, Frische Wurzeln schlagend blühe Zu des Lichtes Reich,

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Männergesangvereine beschränkt. So nahm auch die Frankenberger Liedertafel am 4. September 1845 durch Gesangsbeiträge am dortigen Konstitutionsfest teil. PRIBER/TÄSCHNER: Männergesangverein Frankenberg, S. 14 f. MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 39. Das Lied erschien als Nr. 4 in: MÜLLER: 4 Lieder. Der Text stammt vom Vereinsmitglied Hermann Blüher. Ein Autograf dieses Liedes ist in UB Frankfurt/M., Mus. Hs. 230 zu finden. Zusammen mit dem Liebeslied Botschaft hat es der Komponist „seinen deutschen Sangesbrüdern der freien Stadt Frankfurt freundlichst gewidmet.“ Siehe EBD., Tbl. MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 40. Daneben erklang u. a. auch noch Das deutsche Lied von Johann Wenzel Kalliwoda. Zur Baummetapher siehe u. a. die Rede Wydenbrugks auf dem 5. Liederfest des Thüringer Sängerbundes oben S. 184 ff. – Die nun folgenden Textzitate aus Freier Männer freies Wort sind aus dem Autograf entnommen. Siehe dazu unten Abb. 13, S. 250.

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Segensfrüchte tragend; Dich pflanzt freier Männer Hand In das theure Vaterland.

Für die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen und politischen Leben ist jedoch das Recht auf freie Meinungsäußerung unabdingbar. Nur wenn der Wahrheit zu ihrem Recht verholfen wird, können die als „Segensfrüchte“ bezeichneten bürgerlichen Rechte gedeihen: In der Freiheit goldnem Licht Quillt der Geister Bronnen, Der die Finsternis durchbricht Wie das Licht der Sonnen! In dem Lichte wohnt die Kraft, Die der Freiheit Thaten schafft. (Str. 2)

In den beiden letzten Strophen werden diejenigen angesprochen, die für die Durchsetzung bürgerlicher Rechte kämpfen. Das waren die oppositionellen Politiker, die in der Zweiten Sächsischen Kammer saßen und höchstwahrscheinlich auch an diesem Konstitutionsfest 1843 teilgenommen haben: Edle Männer streuen Saat In den Schoos der Zeiten; Ihm entkeimt die hohe That, Wahrheit zu verbreiten! Bürgerglück von ihrer Hand Ehrt das ganze Vaterland. Heil den Männern, die voll Muth, Die mit regem Streben Voll des Geistes Himmelsgluth, Die das Ziel erstreben! Aus des Herzens tiefem Drang Ihnen all’ ein Hochgesang! (Str. 5 u. 6)

Die hier anklingende geistige Verbindung der Dresdner Männergesangvereine mit den Vertretern der politischen Opposition, die hier als bürgerliche Heilsbringer besungen werden, wird später sowohl durch weitere Beteiligung der Gesangvereine an den folgenden Konstitutionsfesten als auch durch die Teilnahme der Oppositionspolitiker an den jeweiligen Stiftungsfesten noch ausgebaut und manifestiert – nicht zuletzt durch die Aufnahme von volksnahen Politikern als Ehrenmitglieder in die Männergesangvereine.776 Die Komposition Müllers für vierstimmigen Männerchor (siehe unten Abb. 13, S. 250) ist mit „Kräftig und entschlossen“ überschrieben. Damit korrespondiert 776 Siehe dazu oben S. 236–239.

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auch der marschmäßige Duktus durch 3/4-Takt und häufige Punktierungen. Auch ein durchgehendes Forte und die Ausführungsanweisung „Voller Chor“ tragen zu einem kraftvollen, dem wichtigen Anliegen angemessenen Gesang bei.777 Bis Takt 8 verläuft die Stimmführung homophon. Von Takt 9 bis zum Schluss werden die letzten beiden Strophenzeilen durch die dynamische Angabe „ben marcato“, Wiederholungen und polyphone Einsprengsel (T. 9–12) besonders hervorgehoben. Daher kann man von einem Refrain sprechen, der die Grundaussagen jeder Strophe noch einmal zusammenfasst. Insgesamt wird im in F-Dur stehenden Strophenlied der enge Kadenzrahmen nicht verlassen, und der Ambitus übersteigt nicht den normal üblichen Rahmen. Aufgrund seiner homophonen Setzweise und der einfachen Harmonik konnte dieser Gesang schnell von den teilnehmenden Sängern eingeübt und jederzeit aus dem Stegreif vorgetragen werden.778 Nach dem Musikkritiker Julius Schladebach hat diese Ausrichtung auf die Ausführung durch größere Sängermassen den Komponisten „in der Erfindung etwas gehemmt“. Die Komposition war seiner Meinung nach „nicht so eigen und gewählt, [...] als es der Komponist wohl vermocht hätte“.779 Nach der erneuten Teilnahme Dresdner Gesangvereine im Jahr 1844 trat am 14. August 1845 Klette in seiner Funktion als Stadtrat an den Orpheus heran, ob der Gesangverein auch in diesem Jahr an der musikalischen Ausgestaltung teilnehmen würde.780 Zusammen mit den anderen teilnehmenden Gesangvereinen traf sich der Orpheus am 3. September 1845 zu einer gemeinsamen Probe im Gewandhaus.781 Zu dieser Konstitutionsfeier wurden durch das Komitee zur Feier des Konstitutionsfestes ausdrücklich „alle Bürger“ zur Teilnahme eingeladen, egal „ob sie Staats- oder städtischen Behörden, oder dem eigenen Berufe allein angehören“.782 In dem hervorgehobenen Wort „alle“ manifestiert sich der demokratische Gedanke, der sich hinter den Konstitutionsfeiern verbarg. Am 4. September 1845 wurde ein gemeinsamer Festzug durchgeführt.

777 Vielleicht hat sich Müller bei dieser Komposition die Kritik zu Herzen genommen, die an seiner Vertonung von Das freie Wort für das sächsische Männergesangfest 1843 in Dresden in den Sächsischen Vaterlands-Blättern geübt wurde. Siehe dazu oben S. 244. 778 Das Lied erklang u. a. noch einmal bei der 10. Stiftungsfeier des Orpheus am 7. Mai 1844. Siehe MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 44. 779 Siehe Rezension in Teutonia, Nr. 21, 1847, S. 336. 780 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 58. Die entsprechende Stadtratsitzung (Nr. 450) fand tags zuvor am 13. August 1845 statt. Siehe Dresdner Anzeiger, Nr. 231, 19. August 1845, S. 2. 781 Siehe EBD., Nr. 246, 3. September 1845, S. 2. 782 Siehe den Aufruf des Festkomitees vom 28. August 1845, in: Dresdner Anzeiger, Nr. 241, 29. August 1845, S. 4 und Nr. 242, 30. August 1845, S. 3 (Hervorhebung im Original).

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Abb. 13: Freier Männer freies Wort von Hermann Blüher und Johann Gottlob Müller

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Daran nahmen die Kommunalgarde, der Stadtrat, die Stadtverordneten, die Mitglieder des Stadtgerichts und die Innungsdeputierten teil. Auf dem Neumarkt musizierten laut Programm ab 9 Uhr die Königliche Kapelle und folgende Dresdner Gesangvereine: der Orpheus, die Liedertafel, der Liederkranz, der Arion, der Odeon, der Körtingsche Sänger-Verein und der Gesangverein des Dresdner Turnvereins.783 Am 27. August 1846 beriet und beschloss der Orpheus die Teilnahme am bevorstehenden Konstitutionsfest. Gegen 3 Uhr nachmittags setzte sich dann am 4. September ein gemeinschaftlicher Zug „unter Vortragung der Fahnen auf den Altstädter Turnplatz [in Bewegung], wo eine besondere Tribüne für die Sänger errichtet [wurde], auf welcher theils Einzelgesänge theils Gesammtvorträge stattfanden“.784 Als Gesänge erklangen unter anderem Vaterlandslieder auf Texte von Hoffmann von Fallersleben wie Deutschland über Alles von Reissiger und Mein Lieben von Carl Ferdinand Adam sowie Bürger ist jeder Sohn von Heinrich Marschner.785 Während das Deutschlandlied die herbeigesehnte Vereinigung aller deutschen Staaten in „Recht und Freiheit“ ersehnt, thematisiert das Lied Marschners die einer wirklichen Einheit und Freiheit entgegenstehenden Standesunterschiede. Für den Textdichter Wolfgang Müller von Königswinter gibt es in einem vereinigten Vaterland nur gleichberechtigte Staatsbürger, egal, ob es sich um Vertreter des Adels, des Bürgertums oder des Bauernstandes handelt.786 So heißt es in der vierten und letzten Strophe:787

783 Siehe Dresdner Anzeiger, Nr. 246, 3. September 1845, S. 1. Auch der Dresdner Turnverein war zugegen. Siehe BARTH: „Fürstenlieb und Volkestreue“, S. 253. 784 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 63 f. Siehe zum Programm auch Dresdner Anzeiger, Nr. 244, 1. September 1846, S. 1. 785 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 63. Der Komponist und Kapellmeister Marschner (1795–1861) trat im Jahr 1824 in Dresden das Amt des Musikdirektors an der Oper an. In Leipzig wurde er 1828 Mitglied der literarisch-humoristischen Gesellschaft Tunnel an der Pleiße (seit 1831), für den er einige Gesänge für Männerchor, wie die 3 Tunnellieder (op. 46) und die Sechs Gesänge (op. 52), schrieb. Der politisch liberal eingestellte Marschner vertonte viele bekannte und beliebte Männerchöre, wie u. a. die „Unpolitischen Lieder“ von Hoffmann von Fallersleben (1840) und die im Vormärz beliebte und vielgesungene Liedesfreiheit (op. 75,1). Zu Marschner siehe WAIDELICH: Marschner und BEHRENDT/VOGT (Hg.): Marschner. 786 Hinter dem Pseudonym Wolfgang Müller verbirgt sich der Arzt, Dichter und Musikschriftsteller Peter Wilhelm Carl Müller (1816–1873), der auch Müller von Königswinter genannt wurde. Einige seiner im Vormärz entstandenen Gedichte waren sozial ausgerichtet und wiesen ihn als Anhänger der Ziele der „jungdeutschen“ Literaten aus. Im Revolutionsjahr war Müller Mitglied des Frankfurter Vorparlamentes. Müllers Gedichte wurden u. a. von Heinrich Marschner, Conradin Kreutzer und Robert Schumann vertont. Zur Biografie Müllers siehe LUCHTENBERG: Müller von Königswinter. Zu seinen Beziehungen zur Musik siehe LOOS: Müller von Königswinter. 787 Siehe Voigtländisches Turnbüchlein, Nr. 64, S. 159.

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Und alle Namen sind uns Schall, Arm, niedrig, hoch und reich; Wir nähren, lehren, wehren All’, So sind wir alle gleich; So bilden wir das Vaterland, So dienen wir dem Thron; Im Vaterland ist nur ein Stand: Bürger ist jeder Sohn.

Jeder, der für das allgemeine Wohl tatkräftig arbeitet, sollte als gleichberechtigter Bürger anerkannt werden. Nicht wie bisher die Geburt, sondern das bürgerliche Leistungsprinzip diente dabei als Maßstab. Allein der Text dieses einzelnen Liedes zeigt, wie weit sich die vom Bürgertum getragenen Konstitutionsfeiern inzwischen von den staatlich verordneten inhaltlich entfernt haben. Statt Lobeshymnen auf die Gnade der sächsischen Krone bezüglich der Gewährung der Verfassung von 1831 anzustimmen, werden selbstbewusst politische Anliegen vorgetragen. Diese Verfassungsfeier trug mit den Festivitäten anderer Vereinigungen auch dazu bei, den Verfassungsgedanken in breiteren Bevölkerungskreisen zu verankern. Auch 1847 wurde der Kreis der Teilnehmer an den offiziellen Konstitutionsfeierlichkeiten erweitert. So nahmen die Stadtobrigkeit, die Kommunalgarde, Männer- und Turngesangvereine, Innungen, Geistliche und Offiziere am Festzug teil.788 Unter den Geistlichen befanden sich weder evangelische Hofgeistliche noch katholische Amtsträger.789 Das Ausbleiben Ersterer verrät die Distanzierung des Königs und der Staatsregierung von den sich verselbstständigenden Konstitutionsfeiern. Die Letzteren nahmen wohl durch das Engagement der Deutschkatholiken Abstand. Für die offizielle Verfassungsfeier wurde vor dem Rathaus auf dem Altmarkt ein mit Laubgewinden und Fahnen geschmücktes Podium für die Gesangvereine und Musikchöre errichtet.790 Neben dem Orpheus nahmen auch die übrigen Dresdner Männergesangvereine teil und vereinigten über 200 Sänger. Als Gesänge erklangen unter anderem Das deutsche Lied von Kalliwoda, Liedesfreiheit von Marschner und Sachsenlied von Ernst Julius Otto.791 Inzwischen verlagerte sich im Verlauf der 1840er Jahre das Schwergewicht der Konstitutionsfeierlichkeiten stärker auf nichtoffizielle Träger, was das Treffen von Turnern und Sängern am 788 Siehe BARTH: „Fürstenlieb und Volkestreue“, S. 254. 789 Teutonia, Nr. 21, 1847, S. 338. 790 Der anonyme Korrespondent bemängelt in seinem Bericht, dass auf dieses beliebte Arrangement zurückgegriffen wurde, „obwohl schon eine mehrjährige Erfahrung gelehrt hat, dass dieser Raum für die Gesangeswirkung – und sie ist einmal die Hauptsache der Feier, da von der gehaltenen Rede gemeinhin gar nichts zu vernehmen – ein durchaus ungünstiger sei.“ EBD., S. 337. 791 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 70.

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Nachmittag deutlich zeigt.792 Nach einem gemeinsamen Festmahl auf dem Feldschlösschen versammelten sich die Sänger am Nachmittag zusammen mit über 1.000 Turnern im „Reisewitzschen Garten“, um „dort das eigentliche Volksfest mit Turnen und Gesang zu begehen“.793 Auch hier nahm eine Sängertribüne die Sänger auf, die bis zum Abend im Wechsel mit vor den Zuhörern gehaltenen Reden ernste und heitere Gesänge zu Gehör brachten. Bei dieser Feier „mischten sich politische Motivation und vereinsinterne Geselligkeit in unauflöslicher Weise“.794 Im Zuge der nach dem niedergeschlagenen Maiaufstand von 1849 einsetzenden Reaktionszeit verschwanden die Konstitutionsfeiern aus der Öffentlichkeit. So wurden am 4. September 1849 keine offiziellen Verfassungsfeierlichkeiten veranstaltet. Für die liberal und demokratisch orientierten Vereine und Gesellschaften gab es keinen Anlass mehr, im großen Rahmen zu feiern. Das Grundvertrauen in die Entwicklungsfähigkeit der Verfassung war durch den gescheiterten Maiaufstand, einschneidende Verfassungsänderungen und gerichtliche Verfolgung politisch unliebsamer Personen erschüttert. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht die Vorgehensweise des Dresdner Auswanderungs-Vereins, der am 4. September im Großen Garten ein Konzert mit Feuerwerk zu seinen Gunsten veranstaltete.795 Somit rief die einzige öffentliche Veranstaltung indirekt dazu auf, das Land aufgrund fehlender verfassungsrechtlicher Freiheit zu verlassen. Neben einer schlechten wirtschaftlichen Lage war die Enttäuschung über das Scheitern der 1848er Revolution eine wesentliche Ursache für die Auswanderung aus Sachsen ins westliche Ausland, vor allem in die USA.796 Auch der Dresdner Orpheus nahm an dieser Veranstaltung teil und sang gemeinsam mit anderen Gesangvereinen insgesamt zehn Lieder, an dessen Schluss nach verschiedenen Wander- und Abendliedern das Lied Wer ist unser Mann? von Carl Friedrich Zöllner stand.797 Das Engagement in der Dresdner deutschkatholischen Gemeinde Nicht nur in Magdeburg standen Männergesangvereine mit religiösen Oppositionsbewegungen in Kontakt.798 Während es in der Hauptstadt der preußischen Provinz 792 Siehe BARTH: „Fürstenlieb und Volkestreue“, S. 254. 793 Dabei wurden die Sänger und Turner „unter dem Andrange Tausender empfangen.“ Siehe dazu Teutonia, Nr. 21, 1847, S. 339. 794 Siehe BARTH: „Fürstenlieb und Volkestreue“, S. 254. 795 Siehe EBD., S. 259. 796 LUDWIG/NEEMANN: Revolution in Sachsen, S. 158. 797 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 70. Zu Zöllner siehe oben S. 143 f. 798 Siehe dazu oben Kap. IV.4. – Nicht nur in Mitteldeutschland gab es Berührungspunkte zwischen der Sängerbewegung und den Deutschkatholiken. So vertonte der in Braunschweig lebende und aus Thüringen stammende Komponist Albert Methfessel (siehe oben S. 24, Anm. 87) ein den Deutschkatholiken gewidmetes Lied für Männerchor des Braunschweiger Literaten, Achtundvierzigers und Sympathisanten der „Lichtfreunde“ Eduard Schmelzkopf

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Sachsen vornehmlich die „Lichtfreunde“ waren, kamen in Dresden die Männergesangvereine mit den Deutschkatholiken in Berührung.799 Der Deutschkatholizismus, der sich neben den „Lichtfreunden“ analog den politischen Vereinen „zu einem tragenden Element bürgerlicher Emanzipation entwickelte“, war in Sachsen auf fruchtbaren Boden gestoßen.800 Der wesentliche Grund seiner starken Resonanz ist in dem in Sachsen bestehenden Gegensatz zwischen mehrheitlich protestantischer Bevölkerung und katholischem Hof zu suchen. Robert Blum rief am 12. Januar 1845 zur Gründung einer von Rom unabhängigen Kirche in Leipzig auf.801 Daraufhin gab es am 9. Februar 1845 die erste Versammlung der Deutschkatholiken im Leipziger Börsensaal.802 Kurz nach der Gründung einer deutschkatholischen Gemeinde in Leipzig war es der Destillateur Franz Schmidt, der mit dem Artikel „Dresden, schläfst du?“ im Dresdner Anzeiger nach 15 Jahren wieder zur Gründung einer eigenständigen katholischen Kirche aufrief.803 Daraufhin versammelten sich unter Schmidts Leitung am 7. Februar 1845 im Hôtel de Luxembourg mehrere Protestanten und Katholiken. Hierbei ergriff Professor Franz Jacob Wigard das Wort und rief zur Einzeichnung in eine Gründungsliste auf.804 Wigards Aufruf folgten daraufhin 50 katholische Anwesende. In der nächsten Versammlung am 13. Februar übernahmen Wigard, Schmidt und der Polizeikommissär Faulhaber einstweilig das Vorstandsamt, bevor Wigard auf der Sitzung am 22. Februar 1845 die „Konstitutionsurkunde der

799 800 801 802

803 804

(1814–1896). Es trägt den Titel Bundeslied und wurde vermutlich anlässlich von Johannes Ronges Anwesenheit am 29. Oktober 1846 in Braunschweig gesungen (Gemeinde in Braunschweig, S. 120). Das Lied ist abgedruckt im Musikalischen Bouquet des Archivs für Natur, Kunst, Wissenschaft und Leben, Nr. 4, 1847, S. [1]. Für den freundlichen Hinweis auf diese Quelle danke ich Herrn Prof. Dr. Friedhelm Brusniak (Würzburg). Zu den Bewegungen der „Lichtfreunde“ und der Deutschkatholiken siehe oben Kap. II.3.2. FLÖTER: Reform oder Revolution?, S. 37. SCHMIDT: Robert Blum, S. 85. KAMPE: Religiöse Bewegung 1, S. 132. Eine Verbindung der Männergesangbewegung zur deutschkatholischen Gemeinde gab es auch in Leipzig. So bearbeitete Carl Friedrich Zöllner 1846 das Choralbuch der Deutschkatholiken in der Messestadt für vierstimmigen Gesang und Orgel, welches 1846 beim Leipziger Verlag Naumburg herausgekommen ist. Siehe HÄNSCH: Zöllner, S. 88. In einem Teilnachlass von Zöllner in UB Leipzig (Rep. III. 15l.) befindet sich ein Brief des Verlegers C. W. B. Naumburg an Zöllner vom 25. November 1846 (Bl. 126). In der beiliegenden Sendung befanden sich auch sechs von Zöllner gewünschte Freiexemplare. Wahrscheinlich hat sie Zöllner auch für seine Chöre benutzt. Zu einem erhaltenen Exemplar siehe Choralbuch zum Gesangbuch. KAMPE: Religiöse Bewegung 1, S. 134. Der Arzt, Stenograf und Politiker Wigard (1807–1885) wurde im Jahr 1834 Stenograf beim Sächsischen Landtag in Dresden und gehörte dem Vorstand des Dresdner Turnvereins seit dessen Gründung im Jahr 1844 an. Er saß im Vorparlament und seit dem 18. Mai 1848 bis zum Ende des Rumpfparlaments am 18. Juni 1849 in der Frankfurter Nationalversammlung. Weiterhin gehörte Wigard dem Ausschuss zum Entwurf der Reichsverfassung an. Aufgrund seiner Teilnahme am Rumpfparlament wurde er zwar wegen Hochverrats angeklagt, später aber freigesprochen. Zu Wigard siehe FUCHS: Franz Jacob Wigard und BAUER: Deutschkatholische Kirche, S. 191–201.

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allgemeinen christlichen oder deutschkatholischen Gemeinde zu Dresden“ vorlegte, welche mit wenigen Änderungen angenommen wurde.805 So fand am 6. April 1845 unter der Leitung von Johannes Ronge und Karl Kerbler der erste öffentliche Gottesdienst im Saale der Stadtverordneten statt.806 Die Deutschkatholiken in Sachsen bewegten sich bis zur Revolution 1848/49 auf rechtlich schwankendem Boden. Erst am 2. November 1848 wurden die Deutschkatholiken im „Gesetz über die Rechtsverhältnisse der deutschkatholischen Glaubensgenossen“ als christliche Kirchengesellschaft auf der Grundlage der Verfassungsurkunde vom 4. September 1831 anerkannt.807 Am 31. August 1845 konnte durch Ronge mit Eduin Bauer der erste Prediger eingeführt werden.808 Bis zur Revolution 1848/49 verzeichnete die neue kirchliche Gemeinde in Dresden einen stetigen Mitgliederzuwachs.809 Zwischen der deutschkatholischen Gemeinde in Dresden und Dresdner Männergesangvereinen, vor allem dem Orpheus und der Liedertafel, lassen sich schon früh Verbindungslinien nachweisen. Eine von Diakon Ernst Heinrich Pfeilschmidt810 verfasste und vom Vizekassierer Klette ausgelegte Solidaritätsadresse an den tags zuvor exkommunizierten Johannes Ronge erhielt am 5. Dezember 1844 beim Orpheus „zahlreiche Unterschriften“.811 Am 3. April 1845 ging beim Orpheus eine Anfrage der sich gerade erst konstituierten Deutschkatholiken ein, ob der Männergesangverein deren ersten Gottesdienst am 6. April musikalisch unterstützen würde. Dieses 805 KAMPE: Religiöse Bewegung 1, S. 136. Zu den ersten drei Versammlungen der deutschkatholischen Gemeinde in Dresden siehe WIGARD: Die ersten drei Erbauungsstunden. 806 Zu Ronge siehe oben S. 56 ff. Der Kaplan Kerbler trat im März 1844 zum Deutschkatholizismus über und wurde im Januar 1845 in Breslau neben Ronge zum ersten Prediger der dortigen Gemeinde gewählt. Für Kerbler war der Deutschkatholizismus eine wesentliche Voraussetzung der nationalen Einheit Deutschlands. Siehe GRAF: Politisierung des religiösen Bewusstseins, S. 36 und 39 f. 807 Dieses Gesetz ist abgedruckt in Deutschkatholische Kirchengemeinschaft, S. 1–5. 808 Der Pfarrer, Lehrer und Redakteur Bauer (1816–1892) gab von 1841–44 die Zeitschrift Der Schulbote aus Sachsen heraus und war von 1845 bis 1849 Prediger der deutschkatholischen Gemeinden in Leipzig und in Dresden. Dort gehörte er 1849 gleichzeitig dem Sächsischen Landtag an. Bauer gab einige Schriften zur Geschichte der deutschkatholischen Kirche heraus. Zu Bauer siehe KRETZSCHMAR/SCHLECHTE: Gesandtschaftsberichte, S. 229, Anm. 284. 809 KAMPE: Religiöse Bewegung 1, S. 136 f. Am 28. August 1845 wies die Dresdner deutschkatholische Gemeinde 230 Stammnummern auf. Siehe EBD., S. 137. Zur Ordination Bauers siehe WIGARD: Einführung Eduin Bauer. 810 Der Theologe Pfeilschmidt (1809–1894) wurde 1838 Diakon an der Dresdner Annenkirche. Als Verfechter eines konfessionellen Liberalismus gehörte er dem Vorstand des Dresdner GustavAdolf-Vereins an. Auch betätigte sich Pfeilschmidt als Publizist mehrerer Zeitungen. In zahlreichen Vereinen war er auch gesellschaftlich sehr aktiv, so z. B. im Vaterlandsverein und im Dresdner Kirchlichen Verein. Zu Pfeilschmidt siehe KOLBE: Demokratische Opposition, S. 32 und BLANCKMEISTER: Pastorenbilder, S. 182 f. 811 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 51.

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Anliegen fand im Verein „freudigen Anklang“, sodass am 6. April um 11 Uhr im Saal der Stadtverordneten der öffentliche Gottesdienst mit ca. 50 Vereinsmitgliedern stattfinden konnte.812 Seitdem übernahm der Orpheus häufig die musikalische Ausgestaltung der deutschkatholischen Gottesdienste. Das zeigt ein Gesuch des Vorstands der katholischen Dissidenten, dass „die Mitglieder des Vereins [...] auch fernerhin ihre Beihülfe bei dem Gottesdienste gewähren und mit andern abwechselnd die Leitung desselben übernehmen“.813 Die Bitte wurde „beifällig aufgenommen“ und ihr per Entschluss entsprochen.814 So unterstützte der Orpheus die Dresdner Deutschkatholiken auch am 8. Juni 1845 im Saal der Stadtverordneten unter der Leitung von Wigard bei deren erster Erbauungsstunde.815 Konzerte und Stiftungsfeste Die gewöhnliche Artikulation von politischen Forderungen durch Männergesangvereine geschah größtenteils bei öffentlichen Konzerten in Gestalt von vierstimmigen Männergesängen. Diese Form der Meinungsäußerung nutzte auch der Orpheus, der seit seiner Gründung 1834 ein äußerst reges Konzertleben pflegte, wobei Wohltätigkeitskonzerte einen prominenten Platz einnahmen. Ein anderer Ort für die Artikulation von politischen Forderungen waren die jährlich feierlich begangenen Stiftungsfeste der Vereine, zu denen auch Ehrengäste geladen wurden. Unter diesen befanden sich im ausgehenden Vormärz nicht selten neben Ehrenmitgliedern auch oppositionelle Politiker, mit denen sich die Sänger solidarisierten. Am 27. März 1843 fand im Saal des Hôtel de Pologne ein Konzert „zum Besten der Hülfsbedürftigen im Erzgebirge und Voigtlande“ statt. Das Wohltätigkeitskonzert teilte sich in einen geistlichen und in einen weltlichen Teil.816 Nachdem die vier geistlichen Gesänge tröstende Worte gespendet hatten, wurde der zweite Teil der Gesangsdarbietungen durch den Gesang Das freie Wort auf einen Text von Georg Herwegh in der Vertonung von Johann Gottlob Müller mit einem politischen Knalleffekt eröffnet.817 812 EBD., S. 53. Bei einer Mitgliederzahl von 78 aktiven Sängern nahm mit etwa 2/3 der Vereinsmitglieder die große Mehrheit am Gottesdienst teil. Siehe zum Gottesdienst auch BAUER: Deutschkatholische Kirche, S. 190. 813 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 63. 814 EBD. 815 WIGARD: Die ersten drei Erbauungsstunden, S. 4. 816 EBD., S. 35. An dieser Aufführung nahmen auch Mitglieder der Halberstädter Liedertafel teil. Die Abgesandten des Halberstädter Gesangvereins nahmen eine Abschrift der Partitur vom Gesang Das freie Wort mit nach Hause, was wiederum ein bezeichnendes Licht auf die Gesinnung der dortigen Mitglieder wirft. Siehe DIECK: Halberstädter Liedertafel, S. 17. 817 Der Dichter und Übersetzer Georg Herwegh wurde mit den „Gedichten eines Lebendigen“ (Zürich/Wintherthur 1841), denen auch das von Müller vertonte Gedicht entstammt, zum

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Es war durchaus ungewöhnlich, das Gedicht eines bekennenden, noch dazu im Exil lebenden Republikaners in einem Männerchorkonzert vor der Revolution 1848/49 zu Gehör zu bringen. In dem im Ausland entstandenen Lied, das den Nerv der sich gerade ausbildenden oppositionellen Vormärzbewegung trifft, wird eindrücklich die Meinungs- und Pressefreiheit eingefordert. Für Herwegh stellte sie die unabdingbare Voraussetzung für alle weiteren Reformschritte dar:818 Sie sollen alle singen Nach ihres Herzens Lust; Doch mir soll fürder klingen Ein Lied nur aus der Brust: Ein Lied, um dich zu preisen, Du Nibelungenhort, Du Brot und Stein der Weisen, Du freies Wort! (Str. 1)

In der zweiten und dritten Strophe macht der Dichter deutlich, dass für ihn die Meinungsfreiheit wichtiger als die Freiheit Deutschlands nach außen sei: „Habt ihr es nicht gelesen: / Das Wort war vor dem Rhein.“ (Str. 2). Das Lied entstand unter dem Eindruck der national-patriotischen Erregung infolge der „Rheinkrise“ von 1840, die unzählige antifranzösische und nationalistische Gedichte und Lieder zur Folge hatte.819 Damals fand die bürgerliche Opposition in der „Rheinkrise“ ein Ventil für ihre innenpolitische Unzufriedenheit. Herwegh sah deutlich die Gefahr, dass eine kriegerische Auseinandersetzung drohte und dabei der eigentliche Gegner im Innern aus dem Blick geriet: Und eh’ ihr einen Schläger Erhebt zum Völkermord, Sucht unsern Bannerträger, Das freie Wort! (Str. 2)

In der vierten Strophe kommt die Sängerbewegung ins Spiel. Diese lief nach Herwegh Gefahr, blind dem grassierenden Nationalismus und der Formel „Erst Einheit, dann Freiheit“ zu folgen. Stattdessen sollte ihr die Aufgabe zufallen, der Bevölkerung durch Wort und Gesang in Konzerten und bei Sängerfesten das Hoffnungsträger des um demokratische Rechte kämpfenden deutschen Bürgertums. Er war der einzige namhafte politisch-oppositionelle Dichter des Vormärzes, der den Weg vom bürgerlichrevolutionären Demokraten zur deutschen Arbeiterbewegung gefunden hat. Zu Herwegh siehe ENZENSBERGER: Herwegh. 818 Auszüge aus dem Gedicht werden nach folgender Ausgabe zitiert: TADEL (Hg.): Herweghs Werke 1, S. 32 f. Kursivsetzungen sind dem dortigen Abdruck entnommen. Die Komposition von Müller konnte nicht ausfindig gemacht werden. 819 So entstanden allein zum Rheinlied von Nikolaus Becker über 200 Vertonungen, woran sich u. a. auch Robert Schumann beteiligte. Siehe dazu unten S. 275. Zur „Rheinkrise“ siehe oben S. 13, Anm. 17.

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hohe Gut der freien Meinungsäußerung ans Herz zu legen und sich dafür überall in Deutschland einzusetzen: Heraus denn aus der Wolke, Die, Sänger, euch umflort; Erst predigt eurem Volke Das freie Wort!“ (Str. 4)

Dieser Aufgabe versuchte der Orpheus im besagten Konzert nun gerecht zu werden, was in der deutschen Männergesangbewegung nicht selbstverständlich war, wie auch Herwegh nüchtern feststellte. Die Komposition erklang aber auch in einem weit größeren Rahmen, und zwar am zweiten Festtag des zweiten sächsischen Gesangfestes gut drei Monate später am 7. Juli 1843 in Dresden.820 Dort wurde das Lied mitsamt seiner Botschaft von über 1.000 Sängerkehlen vor mehreren Tausend Zuhörern vorgetragen. So kamen der Orpheus und weitere 29 sächsische Männergesangvereine in Sachsen der in diesem Lied von Herwegh aufgestellten Forderung an die Männergesangvereine nach. Am 10. März 1846 feierte der Dresdner Liederkranz in den Sälen des Belvedere auf der Brühlschen Terrasse sein 5. Stiftungsfest.821 An dem Stiftungsfest nahmen als geladene Gäste mit Carl Hugo Tzschucke,822 Adolf Ernst Hensel,823 Carl Gotthelf Todt,824 Wilhelm Michael Schaffrath,825 Hermann Gottlob Joseph826 und Franz Xaver Rewitzer827 viele bedeutende Mitglieder der Zweiten Sächsischen 820 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 37. 821 Siehe Teutonia, Nr. 6, 1846, S. 90. 822 Der Jurist und Politiker Tzschucke (1809–1879) war 1840–1850 Bürgermeister in Meißen, zweiter Sekretär der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtags und vom 20. Mai 1848 bis 9. November 1848 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung. Tzschucke nahm aktiv am Dresdner Maiaufstand teil und wurde danach wegen Hochverrats angeklagt und zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Siehe BEST/WEEGE (Hg.): Biographisches Handbuch, S. 339. 823 Zu Hensel siehe oben S. 157, Anm. 302. Eigentlich war mit Karl Braun auch der Präsident der Zweiten Sächsischen Kammer und spätere Regierungschef des Märzkabinetts eingeladen. Nach einer erfolgten Zusage musste dieser aber auf eine Teilnahme verzichten. Siehe Teutonia, Nr. 6, 1846, S. 93. 824 Zu Todt siehe oben S. 237. 825 Zu Schaffrath siehe oben S. 29, Anm. 111 und S. 157, Anm. 300. 826 Der Jurist und radikal-demokratische Politiker Joseph (1811–1869) zog im Jahr 1845 in die Zweite Kammer des Sächsischen Landtages ein und profilierte sich dort bald als Demokrat. Im Frankfurter Nationalparlament gehörte er der linksradikalen Fraktion „Donnersberg“ an. Nach der Niederlegung seines Mandates kehrte Joseph im Januar 1849 als Präsident der ersten Kammer nach Dresden zurück. Zu Joseph siehe HIRSCHEL: Sachsens Regierung, S. 74–88 und MATZERATH: Aspekte sächsischer Landtagsgeschichte, S. 19 f. 827 Der Webermeister Rewitzer (1798–1869) gehörte seit 1845 der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtags an, wo er sich u. a. für die Aufhebung der Zensur einsetzte. Mitte Mai 1848 wurde Rewitzer als erster Handwerker in Deutschland Präsident des nach dem alten Wahlgesetz zusammengetretenen außerordentlichen Landtages. Am 2. März 1845 gründete sich unter seiner Leitung eine deutschkatholische Gemeinde in Chemnitz. Nach der Niederschlagung des Dresdner

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Kammer, mit Wigard der Vorsitzende der deutschkatholischen Gemeinde und mit dem Zoologieprofessor Emil Adolf Roßmäßler828 aus Tharandt ein weiterer liberaler Politiker und Deutschkatholik teil. Dass bedeutende liberale wie auch demokratische Vertreter der zweiten Kammer des Sächsischen Landtags so zahlreich an der Stiftungsfeier des Dresdner Liederkranzes teilnahmen, wirft einerseits ein bezeichnendes Licht auf die politische Ausrichtung des Gesangvereins. Andererseits zeigt die starke Präsenz der sächsischen vormärzlichen Opposition, dass der Männergesangbewegung in der Residenzstadt eine bedeutende Rolle im Kampf um bürgerliche Freiheiten zugesprochen wurde. Auch veranschaulicht die Anwesenheit von Liberalen, Demokraten und Deutschkatholiken die starke integrierende Wirkung der Männergesangvereine. Unter ihrem Dach konnten, zumindest bis zum Ausbruch der Revolution, unterschiedliche oppositionelle Richtungen eine gemeinsame Heimat finden. Im Jahr darauf feierte der Dresdner Liederkranz am 7. März 1847 sein nächstes Stiftungsfest. Es kamen ungefähr 200 geladene Gäste, worunter sich wieder „einige Mitglieder der zweiten Kammer“ befanden.829 Dabei wurden die Burschenfahrten von Ernst Julius Otto nach einer Dichtung seines Sohnes Julius Otto zusammen mit Deklamationen unter der Leitung des Hofschauspielers Rudolph Heese aufgeführt. Ein Abendessen schloss sich an, das von verschiedenen Tafelliedern und Trinksprüchen begleitet wurde, die thematisch auf das verflossene Studentenleben im Allgemeinen und das in Burschenschaften im Besonderen ausgerichtet waren. Zwei der Trinksprüche flossen in den Bericht Schladebachs wegen ihres „allgemeine[n] Interesse[s]“ in der Teutonia mit ein.830 Den ersten brachte mit Julius Otto der Textdichter des Studentenlebens aus. Darin ruft Otto der akademischen deutschen Jugend zu, dass in ihren Händen durch ihre sittliche Kraft und bürgerliche Tugendhaftigkeit Deutschlands Zukunft liege. Sie solle an der kommenden Zeit eines freien und geeinten deutschen Vaterlandes bauen. Auf die

Maiaufstandes wurde er wegen seines engen Kontaktes zur „Provisorischen Regierung“ wegen Hochverrats angeklagt, musste aber aus Mangel an Beweisen nach dreimonatiger Untersuchungshaft freigelassen werden. Siehe zu Rewitzer UHLMANN: Franz Xaver Rewitzer und VALENTIN: Deutsche Revolution 1, S. 220 und 227 sowie 2, S. 413. 828 Der Zoologe Roßmäßler (1806–1867) engagierte sich in den 1840er Jahren im Tharandter Bürgerverein. In Frankfurt/M. wurde er Mitglied des Fünfzigerausschusses und dann bis zum Ende des Rumpfparlamentes Mitglied des Frankfurter Nationalparlamentes. Dort trat er als Mitglied der gemäßigten Linken im „Deutschen“ und später „Nürnberger Hof“ v. a. in Fragen der allgemeinen Schulbildung in Erscheinung. Nach der Niederschlagung des Dresdner Maiaufstandes wurde Roßmäßler vom Staatsdienst suspendiert und des Hochverrats angeklagt, aber später freigesprochen. Zu Roßmäßler siehe BURGEMEISTER: Emil Adolf Roßmäßler. 829 Teutonia, Nr. 9, 1847, S. 141. Zum Ablauf des Festes siehe den Bericht von Julius Schladebach EBD., S. 138–143. 830 Siehe EBD., S. 141 ff.

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anwesenden Oppositionellen der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtags bezogen heißt es dort: Die [Deutschlands Jugend, Anm. S. N.] weiter an dem Werke bauen soll Was Heldenmänner, heil’gen Geistes voll, Begonnen jetzt begeistert, gluthentbrannt, Mit hellem, klaren Blick, mit rüst’ger Hand.831

Hier kommt wieder die optimistische Aufbruchstimmung zum Ausdruck, die fast dreißig Jahre zuvor durch die Karlsbader Beschlüsse erstickt worden war. Wie damals, als die akademische Jugend im Gefolge der Befreiungskriege Verfassung und deutsche Einigung erstrebte, sollte nun mithilfe der voranschreitenden parlamentarischen Opposition den nie in Vergessenheit geratenen Zielsetzungen zum endgültigen Durchbruch verholfen werden. Auch in dem mit abgedruckten, vom republikanischen Journalisten und Mitglied des Liederkranzes Ernst Ludwig Wittig verfassten Trinkspruch wird ein politischer Gegenwartsbezug hergestellt. In dem vierstrophigen Trinkspruch lässt er zuerst die durch Aufbruch und Verfolgung geprägte Geschichte des Burschenschaftswesens Revue passieren. Am Ende der ersten Strophe geht Wittig auf das Verbot der Burschenschaften infolge der Karlsbader Beschlüsse ein: „Und wie im Lied, heisst’s auch in diesen Hallen: / ,Die Form zerbrach, das Haus, es ist zerfallen!‘“832 Der auf geistige Freiheit und brüderliche Verbundenheit gerichtete Geist konnte trotz der institutionellen Verfolgung aber nicht erfolgreich unterdrückt werden: „Die Form! Das Haus! Die mochten sie zerschlagen, / Doch nicht den Geist, der in dem Bund gelebt.“ Welcher Geist damit gemeint ist, kommt in der zweiten Strophe deutlich zum Ausdruck: Den Geist der Freiheit, der in unsern Tagen Für Volkesrecht und für die Wahrheit strebt, Den Geist der Liebe, der die Welt errettet, Den Freien hebt, den armen Knecht entkettet.833

Es ist das vormärzliche bürgerliche Streben nach voller sozialer und politischer Teilhabe, das in Sachsen durch die Verfassung von 1831 noch nicht vollständig erreicht werden konnte. Die Verwendung des Wortes „Volkesrecht“ impliziert, dass die Partizipation über das Bürgertum hinaus allen Bevölkerungsschichten zugutekommen sollte. Wer für die Umsetzung dieser demokratischen Zielsetzungen im späten Vormärz aus der Sicht Wittigs zuständig ist, wird in der abschließenden vierten Strophe klar, indem sich diese an die parlamentarischen Gäste wendet:

831 EBD., S. 141. 832 EBD., S. 142. 833 EBD.

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Drum ihnen, die des Rechts, der Freiheit Stützen, Und deren Schild von unbeflecktem Stahl, Drum ihnen, deren gute Waffen blitzen Ringsum in jedem deutschen Ständesaal, Und ihnen, die in unsrer Mitte sitzen Als Ehrengäste bei der Sänger Mahl: Ein donnernd Hoch dem Haupte wie den Gliedern, Ein donnernd Hoch den treuen Bundesbrüdern!834

Die Tatsache, dass hier von „treuen Bundesbrüdern“ die Rede ist, zeigt die enge Verzahnung unterschiedlicher oppositioneller Gruppierungen im späten Vormärz. Der Dresdner Liederkranz als Teil der Männergesangbewegung sah sich als Verbündeter liberaler und demokratischer Politiker in der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtags und umgekehrt. Beide einte der Kampf um bürgerliche Freiheitsrechte, für den die Männergesangvereine gegenüber den Politikern durch Einladungen, Gesänge und Trinksprüche ihre Unterstützung zum Ausdruck brachten.835 Exkurs: Ernst Ludwig Wittig Wittig wandte sich nach dem Studium der Theologie in Leipzig aus finanziellen Gründen der Journalistik zu.836 Seine journalistische Laufbahn begann in der von Karl Marx geleiteten Rheinischen Zeitung, bevor er für zahlreiche sächsische Zeitungen und Zeitschriften – wie für die von Blum herausgegebenen Sächsischen Vaterlands-Blätter, für den Vorwärts, für das Dresdner Tageblatt und für das Dresdner Morgenblatt – schrieb. Besonders aktiv unterstützte Wittig den polnischen Unabhängigkeitskampf. Er „war ein entscheidendes Bindeglied zwischen der polnischen demokratischen Bewegung in Dresden und Sachsen nach 1841“.837 So gehörte er Anfang April 1848 zu den Mitbegründern des Dresdner Polenkomitees. Darüber hinaus spielte Wittig auch bei der Herstellung von Kontakten mit radikalen Demokraten im internationalen Rahmen eine wesentliche Rolle. Als die Revolution im März 1848/49 Sachsen und Dresden erfasste, erreichte auch Wittigs politisch-journalistische Tätigkeit ihren Höhepunkt. Dabei stand er in enger Verbindung mit der demokratischen Bewegung. Diese war gerade in Sachsen besonders stark und aktionsfähig. In keinem anderen deutschen Staat 834 EBD. 835 Das war auch beim Stiftungsfest des Orpheus’ am 7. Mai 1846 der Fall, als die Landtagsabgeordneten Todt und Oberländer anwesend waren. Es kam dabei zu „vielseitigen Toasten auf die Zweite Kammer, sowie auf die deutsch-katholische Kirche.“ Siehe Teutonia, Nr. 11, 1846, S. 172. 836 Zu Wittig (1815–nach 1870) siehe ZEISE/ZESSIN: Ernst Ludwig Wittig. 837 GROSS/JOHN (Hg.): Geschichte der Stadt Dresden, S. 544.

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bildete sich ein „so starker sozial-republikanischer Flügel in der demokratischen Partei heraus“.838 Wittig gehörte der Gruppe von Dresdner Oppositionellen an, die Anfang März 1848 in einem Zehn-Punkte-Programm wesentliche Märzforderungen an den König erstellten, dieses am 7. März veröffentlichten und zur ersten großen Bürgerversammlung im Hôtel de Pologne am 8. März in Dresden einluden.839 Die Petition an den sächsischen König, der etwa 1.500 Dresdner Bürger zustimmten, trug mit zum Sturz der konservativen Regierung Könneritz bei. Anfang April 1848 wurde Wittig Mitglied des demokratischen Vaterlandsvereins, in dem er wegen seiner umfangreichen journalistischen Tätigkeit aber kaum in Erscheinung trat. Auch engagierte er sich besonders in sozialen Fragestellungen. In seiner Artikelserie „Der vierte Stand und seine Rechte“ im Dresdner Morgenblatt plädierte er dafür, auch den unteren Volksschichten durch Gewährung von demokratischen Rechten und Freiheiten gesellschaftliche und politische Partizipation zu ermöglichen.840 In der Dresdner Zeitung, dem vom Dresdner Vaterlandsverein im Herbst 1848 ins Leben gerufenen demokratischen Presseorgan, setzte sich Wittig für das politische Asylrecht des aus Preußen ausgewiesenen russischen Revolutionärs und Anarchisten Michail Bakunin ein.841 Während des Wiener Oktoberaufstandes organisierte Wittig den Einsatz der aus Sachsen und Thüringen eintreffenden Freischaren. Nach der Niederschlagung durch das österreichische Militär entkam Wittig als bewaffneter Revolutionär nur knapp der Verhaftung und konnte nach Dresden zurückkehren. Als Redakteur der kleinbürgerlich-demokratischen Dresdner Zeitung machte er dieses Blatt zum wichtigen Bindeglied zwischen den Wortführern der äußersten Linken unter Samuel Erdmann Tzschirner und der demokratischen Volksbewegung.842 Am Dresdner Maiaufstand nahm Wittig vor allem publizistisch regen Anteil.843 Um Ludwig Wittig, Musikdirektor August Röckel und Michail Bakunin bildete sich ein kleiner revolutionärer Kreis, der um die Anerkennung der 838 839 840 841

ZEISE/ZESSIN: Ernst Ludwig Wittig, S. 229. GROSS/JOHN (Hg.): Geschichte der Stadt Dresden, S. 548. Siehe Dresdner Morgenblatt, Nr. 95–97, 4–6. April 1848. Zu Bakunin (1814–1876), der sich in verschiedenen revolutionären Kreisen Europas bewegte und engagierte und der einer der Führer des Dresdner Maiaufstandes 1849 war, siehe allgemein GRAWITZ: Bakunin und WITTKOP: Bakunin. Zu seiner Rolle im Dresdner Maiaufstand siehe Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.): Bakunin, Semper, Wagner. 842 Der Advokat Tzschirner (1812–1870) war der Revolutionsführer des Dresdner Maiaufstandes. Er wurde 1848 in einer Nachwahl für die Demokraten in die Zweite Kammer des Sächsischen Landtags gewählt. Dort stieg Tzschirner bald zum demokratischen Mehrheitsführer und Vizepräsidenten auf. Nach der Niederschlagung des Maiaufstandes und dem Ende der Revolution ging Tzschirner nach Zürich ins Exil. Zu Tzschirner siehe WEBER: Samuel Erdmann Tzschirner. 843 Siehe dazu unten S. 267.

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Reichsverfassung kämpfte.844 Diesem gehörten auch der Baumeister Gottfried Semper und der Hofkapellmeister Richard Wagner an.845 Nach dem Scheitern des Maiaufstandes flüchtete Wittig zuerst nach Süddeutschland. Dort beteiligte er sich durch Kurierdienste an der badischen Revolution.846 Nach deren Niederschlagung durch preußische Truppen schloss sich ein unstetes Emigrantenleben im Ausland an, das Wittig unter anderem in die Schweiz, nach Paris, nach Brüssel und letztendlich 1853 in die USA führte. Von dort kehrte er im Sommer 1862 aufgrund der allgemeinen Amnestie in Preußen für Revolutionäre von 1848 nach Deutschland zurück, wo er aber nicht mehr richtig Fuß fassen konnte. Öffentliche Auftritte während der Revolution im Jahr 1848 Die Revolution in Deutschland war eine Zeit der großen Volksversammlungen, bei denen neugewonnene Freiheiten begrüßt beziehungsweise nicht erlangte öffentlichkeitswirksam gefordert wurden. Auch ließ man bei solchen Gelegenheiten politische Persönlichkeiten hochleben, die eine herausgehobene Rolle in dieser bewegten Zeit spielten. Dresdner Revolutionäre legten der königlichen Regierung am 7. März 1848 einen Katalog mit wichtigen Märzforderungen vor. Darin wurde neben der Pressefreiheit, der Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Freiheit des Versammlungs- und Vereinsrechtes und der Reform der Rechtspflege auch die Vereidigung des Militärs auf die Verfassung verlangt.847 Es handelte sich dabei um eine wichtige politische Forderung, da das Militär einen wesentlichen Machtfaktor darstellte. Durch die eidliche Bindung an eine liberalisierte Verfassung konnte der Missbrauch des Militärs durch den regierenden Fürsten erheblich eingeschränkt werden. Die Bedeutsamkeit dieser Märzforderung kam darin zum Ausdruck, dass die Umsetzung derselben schon am 22. März 1848 erfolgte. In Dresden wurde an diesem Tag das sächsische Militär bei einer offiziellen Feier von den Mannschaften über die Offiziere bis hin zum Generalstab vereidigt, was beispielsweise in Freiberg am gleichen Tag „als Verbrüderung des Militärs mit dem Volk“ gefeiert

844 Der Dichter und Komponist Röckel (1814–1876) erhielt seine musikalische Ausbildung bei seinem Onkel Johann Nepomuk Hummel. Nach Stationen als Hofkapellmeister in Weimar und Musikdirektor in Bamberg kam er 1843 nach Dresden, wo er unter Richard Wagner Musikdirektor am Hoftheater wurde. Röckel brachte in Dresden die republikanischen Volksblätter heraus, nahm aktiv am Dresdner Maiaufstand teil, wurde danach verurteilt und inhaftiert und erst nach 13-jähriger Haft entlassen. Zu Röckel siehe HEYNE: Röckel. 845 GROSS/JOHN (Hg.): Geschichte der Stadt Dresden. Bd. 2, S. 553. 846 ZEISE/ZESSIN: Ernst Ludwig Wittig, S. 242. Zur badischen Revolution 1849 siehe FREI/ HOCHSTUHL: Wegbereiter der Demokratie. 847 Zum Dresdner Forderungskatalog siehe OBERMANN (Hg.): Flugblätter der Revolution, S. 49 f.

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wurde.848 Laut der Festschrift von Müller beteiligte sich der Orpheus an der Dresdner Feier.849 Zusammen mit anderen Dresdner Männergesangvereinen brachte er seine Sympathie mit dieser wichtigen Märzforderung öffentlich zum Ausdruck.850 Am 10. Juli 1848 beteiligte sich der Orpheus zusammen mit der Dresdner Liedertafel am Empfang des deutschen Reichsverwesers, dem österreichischen Erzherzog Johann von Österreich.851 Dieser war knapp zwei Wochen zuvor von der Frankfurter Nationalversammlung mit großer Mehrheit zum provisorischen Staatsoberhaupt eines noch nicht vereinten Deutschlands gewählt worden.852 Für die bürgerliche Bewegung war der volksverbundene und liberalen Anliegen durchaus aufgeschlossene Habsburger hinsichtlich der ersehnten Einheit Deutschlands ein Hoffnungsträger. Erzherzog Johann war maßgeblich am Sturz Metternichs beteiligt und forderte als einer der ersten Fürsten die deutsche Einigung. Auf der Reise nach Frankfurt/M. traf er am 10. Juli 1848 in Dresden ein, „wo ihm, wie überall, die zum erstenmal erwachte begeisterte Zuversicht auf Verwirklichung der deutschen Einheitsidee ein freudiger Empfang bereitet“ wurde.853 Neben dem sächsischen Königshaus nahmen auch die Minister, die Direktoren der Kammern und die obersten Beamten der Stadt an dem festlichen Empfang teil. In einem offenen Wagen fuhren der König und der Erzherzog unter freudigen Zurufen der Volksmassen „nach dem Schlosse, vor welchem die Sängerchöre versammelt waren“.854

848 Zur Vereidigung des Militärs in Dresden und zum Festprogramm siehe GROSS/JOHN (Hg.): Geschichte der Stadt Dresden. Bd. 2, S. 548 sowie Dresdner Zeitung, Nr. 106, 22. März 1848, S. 1 und zur Vereidigung in Freiberg MATZERATH: Adel und Hauptstadt, S. 166. 849 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 72. 850 Siehe Dresdner Zeitung, Nr. 106, 22. März 1848, S. 1. 851 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 77. 852 Siehe MAGENSCHAB: Erzherzog Johann, S. 352. Die provisorische Staatsgewalt mit Erzherzog Johann (1782–1859) an der Spitze konnte aber nie tatsächlich Macht ausüben, weil die deutschen Einzelstaaten weiterhin die Exekutivgewalt innehatten. Nach dem Scheitern der deutschen Revolution legte Erzherzog Johann das Amt des Reichsverwesers am 10. Dezember 1849 nieder. 853 Siehe dazu LINDAU: Geschichte Dresdens, S. 820. 854 EBD. Die dabei gesungenen Lieder sind nicht überliefert.

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Der Dresdner Maiaufstand vom 3. bis 9. Mai 1849855 Der Dresder Maiaufstand war der Versuch, im Zuge der „Reichsverfassungskampagne“ den sächsischen König Friedrich August II. zu stürzen und eine sächsische Republik zu errichten.856 Der sächsische König war ein Gegner der Reichsverfassung und löste per Dekret am 28. April 1849 den Landtag auf, der zuvor mit großer Mehrheit die Anerkennung der Reichsverfassung beschlossen hatte. Nach einer Petitionswelle und dem Rücktritt einiger Minister demonstrierte am 3. Mai die Dresdner Kommunalgarde trotz königlichen Verbots für die Annahme der Reichsverfassung. Infolge der versuchten Erstürmung des Zeughauses geriet die Lage außer Kontrolle und das Militär feuerte in die Menge. Es setzte ein Barrikadenkampf zwischen der Dresdner Bevölkerung und dem Militär ein. Der König und die verbliebenen Minister flohen in der Nacht vom 3. auf den 4. Mai aus Dresden auf die Festung Königstein. Im Dresdner Rathaus riefen die Führer der Demokraten und die Organisatoren des Barrikadenkampfes am 4. Mai eine „Provisorische Regierung“ aus, der der radikaldemokratische Samuel Erdmann Tzschirner,857 der gemäßigte Demokrat Otto Leonhard Heubner858 und der Liberale Carl Gottlob Todt859 angehörten. Nachdem der sächsische König den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. um militärische Hilfe gebeten hatte, wurde der Aufstand am 9. Mai nach einem zähen Häuserkampf endgültig niedergeworfen. Einige Teilnehmer des Maiaufstandes gehörten – wie z. B. Carl 855 Zum Dresdner Maiaufstand siehe SCHATTKOWSKY (Hg.): Dresdner Maiaufstand; MATZERATH (Hg.): Sächsischer König und Dresdner Maiaufstand; VON MONTBÉ: Maiaufstand in Dresden und KRAUSE: Aufruhr in Dresden. 856 Als „Reichsverfassungskampagne“ wird der Versuch radikaldemokratischer Politiker bezeichnet, die Anerkennung der von der Frankfurter Nationalversammlung ausgearbeiteten und am 28. März 1849 verabschiedeten Paulskirchenverfassung in allen deutschen Staaten durchzusetzen. Zwar hatten 28 Staaten am 14. April 1849 diese gebilligt, es fehlten aber alle großen und mittleren Staaten wie Preußen, Österreich und Sachsen, ohne die ein friedlicher Abschluss unmöglich war. Ausgelöst wurde die „Reichsverfassungskampagne“ durch die Ablehnung der Kaiserkrone durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. und die Auflösung der Nationalversammlung. Zur „Reichsverfassungskampagne“ siehe WEHLER: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 2, S. 754 f. 857 Zu Tzschirner siehe oben, S. 262, Anm. 842. 858 Der Jurist, Politiker und Dichter Heubner (1812–1893) war seit 1833 führendes Mitglied der Turnerbewegung in Sachsen, wo er v. a. im Vogtland zahlreiche Turnvereine ins Leben rief. Für jene verfasste er auch viele Liedtexte, weswegen er u. a. auch als „Turnvater des Vogtlandes bezeichnet“ wurde. In Dresden und Leipzig engagierte sich Heubner in den demokratischen Vaterlandsvereinen. Als sächsischer Landtagsabgeordneter der Ersten Kammer setzte er sich seit dem 10. Januar 1849 vehement für die Annahme der Reichsverfassung ein. Wegen seiner aktiven Teilnahme an dem Dresdner Maiaufstand erhielt er 1850 wegen Hochverrats die Todesstrafe – ein Urteil, das im gleichen Jahr in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt wurde. Nach einem Gnadenerlass im Jahr 1859 kam er wieder auf freien Fuß, ohne jedoch seine bürgerlichen Ehrenrechte wiederzuerlangen. Zu Heubner siehe MEINEL: Otto Leonhard Heubner und BEST/WEEGE: Biographisches Handbuch, S. 179 f. 859 Zu Todt siehe oben S. 237.

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Gotthelf Todt – auch Dresdner Gesangvereinen an. Sie stehen für den revolutionären Flügel der Männergesangbewegung. Ein aktiver Teilnehmer aus dem Kreise der Dresdner Männergesangvereine an dem Aufstand war das Orpheus-Mitglied Carl Gustav Klette.860 Er gehörte der äußersten Linken in der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtages an. Als deren Mitglied unterschrieb er am 30. April 1849, kurz nach dem königlichen Dekret zur Auflösung des Parlamentes, einen öffentlichen Aufruf der linken Kammeropposition.861 Darin wird der Vorwurf der Staatsminister, dass die Kammern nicht den wirklichen Willen des Volkes widerspiegeln, entschieden zurückgewiesen: Mit dem Bewusstsein, unseren Auftrag in dem Sinne der Mehrzahl des Volkes, so weit es uns verstattet war, erfüllt zu haben, und frei von dem Bestreben, den Verdächtigungen der Minister mit Anklagen gegen dieselben zu antworten, auch unbekümmert um die Nachreden derselben, der Reactionaire und der Staatsbevorzugten, treten wir in den Kreis unserer Mitbürger zurück.862

Die öffentliche Bekanntmachung wurde unter anderem von demokratischen Abgeordneten wie dem „sächsischen Turnvater“ Leonhard Heubner, dem Philologen Hermann Köchly, dem Meißner Bürgermeister Carl Hugo Tzschucke und dem Plauener Advokat Heinrich Haußner unterschrieben. Alle nahmen zusammen mit Klette am drei Tage später ausbrechenden Maiaufstand aktiv teil.863 Bei der Stadtratsitzung am 3. Mai, dem ersten Tag des Maiaufstandes, wurde Klette mit vier anderen Stadträten Mitglied eines Sicherheits-Ausschusses, der sich einer nochmaligen Deputation der Stadtverordneten an den König anschloss.864 Dem Dresdner Stadtrat bescheinigt Alban von Montbé, Oberleutnant des sächsischen Generalstabes und Chronist des Maiaufstandes, allgemein eine starke Zuneigung zur „Umsturzpartei“, deren Anhänger Klette zweifellos war.865 Als die letzte Königsdeputation scheiterte, kümmerte sich der Sicherheitsausschuss um die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung mittels der Kommunalgarde aus Dresden und Freiberg sowie um die Versorgung mit Lebensmitteln aus dem Umland.866 Nach der Niederschlagung des Aufstandes wurde Klette „wegen versuchter Theilnahme am Hochverrath“ zu zwei Jahren Haft verurteilt und später zu einem Jahr Haft begnadigt.867 860 861 862 863 864 865 866 867

Zu Klette siehe oben S. 236 f. Zum Aufruf siehe VON MONTBÉ: Maiaufstand in Dresden, S. 17–20. EBD., S. 19. Siehe Anzeiger für die politische Polizei, S. 295, 119, 87 und 189. Siehe VON MONTBÉ: Der Maiaufstand, S. 74. EBD., S. 25. Die Aufrufe dazu sind jeweils durch Klette mitunterzeichnet worden. Siehe EBD., S. 92 und 121. Siehe Anzeiger für die politische Polizei, S. 323.

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Ein weiterer aktiver Teilnehmer am Dresdner Maiaufstand war Ernst Ludwig Wittig, ein Mitglied des Dresdner Liederkranzes.868 In einem kleinen Kreis revolutionärer Dresdner Demokraten war Wittig schon vor der Ankunft von Bakunin in Dresden in die geheimen Vorbereitungen des Maiaufstandes involviert, wobei sein Redaktionsbüro der Dresdner Zeitung als Anlaufstelle für konspirative Verbindungen fungierte. Durch ein öffentliches Schreiben stellte sich die Redaktion der Dresdner Zeitung demonstrativ in den Dienst der revolutionären Erhebung, indem sie den Ausschuss des Vaterlandsvereins um die Versorgung mit aktuellen Nachrichten bat.869 Wittigs Teilnahme an der revolutionären Erhebung in Dresden beschränkte sich nicht nur auf die Publizistik. Mit dem Arzt Hermann Eberhard Friedrich Richter gehörte er zu den Anführern einer Gruppe von Aufständischen, die am 7. Mai eine Barrikade in der Frohngasse verteidigten.870 Dabei kamen Wittig seine Erfahrungen als Teilnehmer am Wiener Oktoberaufstand an der Seite Blums zugute.871 Nach der Niederschlagung wurde Wittig wegen Hoch- und Staatsverrat gesucht. Durch Flucht nach Süddeutschland, ins europäische Ausland und schließlich in die USA konnte er sich einer drohenden Verurteilung entziehen. Der bekannteste aktive Teilnehmer mit Verbindung zum Männergesangswesen war der Dresdner Hofkapellmeister Richard Wagner.872 Ihm wurde am 27. Januar 1843 das Amt des Liedermeisters der Dresdner Liedertafel durch Maximilian Leopold Löwe angetragen, woraufhin er am 18. Februar 1843 zum ersten Mal diesen Männergesangverein in leitender Funktion dirigierte.873 In einem Schreiben vom 6. November 1845 legte Wagner das Amt nieder, wurde aber anschließend Ehrenmitglied der Dresdner Liedertafel. Die Zugehörigkeit zu einem bürgerlich-oppositionellen Gesangverein wie der Dresdner Liedertafel ist der Ausbildung seines politischen Gedankenguts gewiss förderlich gewesen. Während der Revolution 1848/49 beteiligte sich Wagner in vielfältiger Weise an der bürgerlichen Erhebung. So hielt er unter anderem in der Versammlung des Dresdner Vaterlandsvereins vom 14. Juni 1848 eine wichtige Rede mit dem Titel „Wie verhalten sich die republikanischen Bestrebungen dem Königreiche 868 Zu Wittig siehe auch oben Exkurs, S. 261 ff. 869 Siehe VON MONTBÉ: Der Maiaufstand, S. 96 f. 870 Siehe EBD., S. 220 f. Der Begründer des deutschen Ärztevereinsbundes Richter (1808–1876) wurde 1837 Professor an der medizinisch-chirurgischen Akademie in Dresden. Wegen seiner Teilnahme am Maiaufstand in Dresden kam es zu einer Anklage wegen Hochverrats und einer Amtsenthebung. Zu Richter siehe KRETZSCHMAR/SCHLECHTE (Hg.): Gesandtschaftsberichte, S. 373, Anm. 421 und Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte, Sp. 1378 ff. 871 Siehe VON MONTBÉ: Der Maiaufstand, S. 220. 872 Zu Wagners Beteiligung an der Revolution und am Dresdner Maiaufstand siehe u. a. MÜLLER: Wagner in der Mai-Revolution; GREGOR-DELLIN: Wagner, S. 234–276; KROHN: Wagner und die Revolution und OPELT: Revolutionär oder Staatsmusikant?, S. 112–131. 873 Siehe KÖTZSCHKE: 100 Jahre Dresdner Liedertafel, S. 22 und 24.

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gegenüber?“,874 die auch anonym als Extrabeilage am 15. Juni im Dresdner Anzeiger und Tageblatt erschien.875 In diesem Vortrag trat Wagner für eine konstitutionelle Monarchie auf breitester demokratischer Grundlage ein, was sowohl unter Dresdner Demokraten als auch Liberalen großes Aufsehen hervorrief. Während die Liberalen republikanische Gedankenzüge rügten, nahmen ihm die Republikaner die Verbeugung vor dem Königtum übel. Nachdem der preußische König am 3. April 1849 die ihm angetragene deutsche Kaiserkrone zurückgewiesen hatte, verfasste Wagner eine am 8. April in Röckels Volksblättern veröffentlichte Hymne auf die Revolution, „eine rhapsodische Abhandlung, die alle Dämme und Schranken brach“.876 In derselben Zeit beteiligte er sich auch an Zusammenkünften, in denen der bewaffnete Aufstand in Dresden vorbereitet werden sollte.877 Als die Dresdner Mairevolution am 3. Mai 1849 ausbrach, war Wagner aktiv an vorderster Stelle beteiligt. Der nach der Flucht des Königs am 4. Mai 1849 gebildeten „Provisorischen Regierung“ unter Heubner, Todt und Tzschirner diente Wagner als Abgeordneter, Verbindungsmann und Kundschafter auf dem Turm der Kreuzkirche. Bis zum Ende des Maiaufstandes war er vielfältig revolutionär aktiv und hielt Verbindung sowohl zu Bakunin als auch zur „Provisorischen Regierung“ in der Person von Heubner.878 Als der Widerstand der Aufständischen am 9. Mai 1849 gebrochen war, zog sich Wagner gemeinsam mit 2.000 anderen Revolutionären in Richtung Freiberg zurück. Gemeinsam mit Semper gelang ihm die Flucht. Diese führte ihn über Weimar, wo ihm Franz Liszt Unterschlupf gewährte und ihn mit einem falschen Pass versorgte, am 28. Mai ins Exil nach Zürich. Seit dem 16. Mai 1849 wurde Wagner steckbrieflich gesucht.879 Für Wagner, der sich nicht als Politiker verstand, war die Revolution nur Mittel zum Zweck. Er erhoffte sich daraus eine grundlegende künstlerische Umwälzung und die Durchsetzung seines eigenen Kunstkonzeptes, dessen Anerkennung ihm verwehrt blieb, was ein „nicht zu unterschätzender Anstoß zu einer 874 GREGOR-DELLIN: Wagner, S. 238. Müller nennt in seiner Untersuchung zu Wagners Teilnahme an der Mairevolution hingegen den 16. Juni 1848 als Vortragsdatum. Siehe MÜLLER: Wagner in der Mai-Revolution, S. 5. Dem Dresdner Vaterlandsverein trat Wagner auf Veranlassung August Röckels bei. Siehe NAUHAUS (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 767, Anm. 650. 875 Dresdner Anzeiger, Nr. 191, 15. Juni 1848, Extrabeilage, S. 1–4. Zur Rede Wagners vor dem Dresdner Vaterlandsverein siehe OPELT: Revolutionär oder Staatsmusikant?, S. 65–71. 876 Zit. n. GREGOR-DELLIN: Wagner, S. 259. Zur Veröffentlichung siehe GROß/JOHN: Geschichte der Stadt Dresden. Bd. 2, S. 660. 877 Diese Zusammenkünfte fanden in der Naumannschen Wohnung im königlichen Menageriegarten statt. Dort trafen sich seit etwa drei Wochen vor Ausbruch des Maiaufstandes regelmäßig Wagner, Röckel, Bakunin, Wittig und der Wohnungsinhaber Naumann. Siehe dazu KRAMER: „Lasst uns die Schwerter ziehen“, S. 49 f. 878 Siehe EBD., S. 63–67. 879 Darin wurde er „wegen wesentlicher Teilnahme an der [...] aufrührerischen Bewegung“ gesucht. Zum Steckbrief siehe MÜLLER: Wagner in der Mai-Revolution, S. 62.

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Radikalisierung gewesen ist“.880 Daher engagierte er sich beim Maiaufstand als Kundschafter, Verbindungsmann und Propagandist. Nach Gregor-Dellin war Wagner so „die Sturmglocke und das Mundstück der Revolution“,881 deren Erfolg in erster Linie den Weg zur Durchsetzung seines neuen Kunstkonzeptes bereiten sollte.882 Nach dem Dresdner Maiaufstand initiierte der Allgemeine Dresdner Sängerverein am 9. Juli 1849 ein Konzert „zum Besten der durch die Maiereignisse E r k r a n k t e r und V e r w a i s t e r “ in der großen Wirtschaft des Großen Gartens.883 Mit ihrer Teilnahme machten die Dresdner Männergesangvereine aus ihrer Solidarität mit dem Maiaufstand zwei Monate zuvor öffentlich keinen Hehl. * Nach den Gründungen des Orpheus (1834) und der Liedertafel (1839) spielte der Männergesang im Kulturleben der sächsischen Residenzstadt schnell eine bedeutende Rolle, was sich vor allem an einer Vielzahl von Konzerten und an der Organisation der sächsischen Männergesangfeste 1842 und 1843 zeigte. Die sächsischen Männergesangfeste waren zum einen Zeichen bürgerlichen Selbstbewusstseins, zum anderen Ausdruck eines Vereinigungswillens, der über Sachsen in Richtung der nationalen Einigung hinauswies. In den gesungenen Liedern und gehaltenen Reden spielten aber nicht nur der ersehnte deutsche Nationalstaat, sondern auch liberale Vormärzforderungen eine wesentliche Rolle. Ein hervorstechendes Merkmal der Dresdner Männergesangvereine bezüglich ihrer politischen Aktivitäten war die enge Verbundenheit mit Oppositionspolitikern der beiden Kammern des Sächsischen Landtags. Während sich der Kontakt mit Politikern in Leipzig größtenteils auf den Abschied von zum Frankfurter Vorparlament durchreisenden Persönlichkeiten beschränkte,884 gab es in Dresden schon Jahre vor dem Ausbruch der Revolution rege Kontakte zur sächsischen Kammeropposition. Diese zeigte sich vor allem in Form von Ehrenmitgliedschaften, gemeinsamer Beteiligung an den Verfassungsfeiern und Einladungen zu Stiftungsfeiern, denen seitens der Politiker zahlreich Folge geleistet wurde. Sobald dabei Sängervereine und politische oder religiöse Oppositionelle zusammenkamen, 880 OPELT: Revolutionär oder Staatsmusikant?, S. 48. 881 GREGOR-DELLIN: Wagner, S. 260. 882 Unmittelbarer Ausdruck der Vermischung von künstlerischen und politischen Intentionen bei Wagner war dessen Plan einer Theaterreform. Danach sollte das Theater von feudalen Bindungen losgelöst und demokratische Prinzipien eingeführt werden. Siehe dazu OPELT: Revolutionär oder Staatsmusikant?, S. 53–57. 883 MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 83 (Hervorhebungen im Original) und KÖTZSCHKE: 100 Jahre Dresdner Liedertafel, S. 32. Zum Programm siehe Dresdner Anzeiger, Nr. 189, 8. Juli 1849, S. 4. 884 Siehe dazu unten S. 157 f.

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gab es gegenseitige Huldigungen. Die eine Gruppierung strich dabei die Wichtigkeit der anderen heraus.885 Bemerkenswert ist auch das Engagement Dresdner Männergesangvereine für die religiöse Oppositionsbewegung der Deutschkatholiken. So wie in Magdeburg die führenden Gesangvereine die „Lichtfreunde“ unterstützten, solidarisierten und engagierten sich der Dresdner Orpheus und die Dresdner Liedertafel mit beziehungsweise für die deutschkatholische Gemeinde in Dresden.886 Den Anfang dafür machte der Orpheus mit einer Solidaritätsadresse für den tags zuvor exkommunizierten Johannes Ronge am 5. Dezember 1844. Nach der Konstituierung der Dresdner Gemeinde beteiligten sich der Orpheus und die Liedertafel regelmäßig an der musikalischen Ausgestaltung der Gottesdienste. Durch die Solidarisierung mit den Deutschkatholiken schlugen die Dresdner Männergesangvereine eine weitere Brücke zu einer anderen vormärzlichen Oppositionsbewegung. Dass die Oppositionsgruppen in Dresden bestrebt waren, sich eng zu verbinden, zeigte sich unter anderem auch an Verbindungslinien zu den oppositionellen Turnern. So beteiligten sich Sänger und Turner gemeinsam an den Verfassungsfeiern und blieben anschließend bei den Volksfesten mit Turnen und Gesang zusammen.887 Personifiziert wurde diese enge Verzahnung oppositioneller Gruppierungen in der Gestalt des Stadtrats Klette.888 Dieser war sowohl Mitglied des Gesangvereins Orpheus, der Dresdner „Lichtfreunde“, des Gustav-AdolfVereins sowie Geschäftsführer des Dresdner Turnvereins. Was die Dresdner Männergesangvereine unter anderen Vereinigungen in Mitteldeutschland auch hervorhob, war das revolutionäre Engagement im Dresdner Maiaufstand Anfang Mai 1849. Während andere Vereine unter dem Eindruck der Gegenrevolution zunehmend resignierten oder sich vorsichtig von ursprünglich verfolgten vormärzlichen Idealen, wie beispielsweise in Magdeburg,889 distanzierten, ging das öffentliche politische Engagement der Dresdner Männergesangvereine weiter. Führende Persönlichkeiten der Männergesangvereinsbewegung in Dresden – wie Klette, Wagner und Wittig – beteiligten sich aktiv am 885 Als bspw. die beiden oppositionellen Abgeordneten der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtags Todt und Oberländer das Stiftungsfest des Dresdner Orpheus am 7. Mai 1846 besuchten, vergewisserten sich der Männergesangverein und die anwesenden Gäste ihrer gemeinsamen politischen Grundanschauungen, wobei „es natürlich an vielseitigen Toasten auf die zweite Kammer [...] nicht fehlte“. Auch wurden bei dieser Gelegenheit Lieder „von sämmtlichen Anwesenden gesungen“, die sich oft durch „sarkastische Anspielungen und Beziehungen auf die Gegenwart“ auszeichneten und das Zusammengehörigkeitsgefühl auf politischem Gebiet verstärkten. Siehe Teutonia, Nr. 11, 1846, S. 172. 886 Zum Verhältnis der Magdeburger Männergesangvereine zu den „Lichtfreunden“ siehe dazu oben Kap. IV.4. 887 So z. B. am 4. September 1847 im Jahr im „Reisewitzschen Garten“. Siehe dazu oben S. 253. 888 Zu Klette siehe oben S. 236 f. 889 Siehe dazu oben S. 231 f.

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Versuch, durch gewaltsame Aktionen doch noch die Märzforderungen durchzusetzen und eine demokratische Republik zu errichten. Auch nach der Niederschlagung des Aufstands mithilfe preußischer Truppen erlahmten die politischen Aktivitäten der Dresdner Gesangvereine nicht. So beteiligten sie sich am Konzert „zum Besten der durch die Maiereignisse Erkrankter und Verwaister“ am 9. Juli 1849 und dem des Auswanderungsvereins am 4. September 1849. Daran zeigte sich auch die eher demokratische, die Republik erstrebende politische Ausrichtung der Dresdner Männergesangvereine gegenüber der eher liberalen, die konstitutionelle Monarchie favorisierenden Mehrheit anderer politisch aktiver Vertreter der Sängerbewegung außerhalb Sachsens.

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6.

MÄNNERCHORGESANG IN MITTELDEUTSCHLAND

Männerchorkomposition als politische Stellungnahme bedeutender Komponisten

Es gab nur wenige bedeutende Komponisten, deren politische Auffassungen und Ideen sich in eigenen Kompositionen für Männerchor im Vormärz niederschlugen. Dazu gehörten Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann.890 Beide waren, zumindest zeitweise, eng mit zwei der bedeutendsten Männergesangvereinen in Mitteldeutschland verbunden – Mendelssohn als Ehrenmitglied der Leiziger und Schumann als Dirigent der Dresdner Liedertafel. Es gab unterschiedliche Motivationen, die die beiden befreundeten Komponisten zu diesem Engagement führten.

6.1 Felix Mendelssohn Bartholdy und sein Festgesang zur Säkularfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst (MWV D 4) für die Gutenbergfeier 1840 in Leipzig Für den vierstimmigen Männergesang hat Mendelssohn im Zeitraum von 1820 bis 1847 insgesamt 38 Stücke komponiert.891 Davon wurde nur eine geringe Anzahl gedruckt. Demnach ist zu vermuten, dass die meisten Gesänge im geschlossenen Kreis der Männergesangvereine verbleiben sollten, für den sie komponiert worden waren. Über diesen privaten Rahmen ging der Festgesang zum Gutenbergfest 1840 in Leipzig, an dessen Aufführung zahlreiche Mitglieder von Leipziger Männergesangvereinen teilnahmen, jedoch hinaus. An der Komposition lässt sich nicht nur Mendelssohns Verbundenheit mit der bürgerlichen Bewegung im Allgemeinen, sondern auch mit der Männergesangbewegung im Besonderen zeigen. Mendelssohn und die Leipziger Liedertafel Mendelssohn gehörte seit dem 20. September 1835, also schon einen Monat nach seiner Ankunft in Leipzig, der 1815 in Leipzig gegründeten Liedertafel als Mitglied 890 Die im Folgenden behandelten Chorwerke der beiden Komponisten berücksichtigen das jeweilige Niveau der Männerchöre, für die sie komponiert wurden. Das Herunterbrechen des kompositorischen Anspruchs gegenüber anderen eigenen Kompositionen wird u. a. daran deutlich, dass sowohl Mendelssohn für seinen Festgesang als auch Schumann für seine Drei Freiheitsgesänge jeweils keine Opuszahlen vergeben haben. Trotzdem ist anzunehmen, dass sich auch diese Werke von Männerchorvertonungen der Kollegen aus der zweiten Reihe aufgrund größerer künstlerischer Potenz unterscheiden, was jedenfalls auf die in den vorangegangenen Kapiteln behandelten Chorlieder zutrifft. Eine umfassende komparative Analyse, die den Rahmen der Arbeit sprengen würde, dürfte diese These vermutlich bestätigen. 891 Siehe WEHNER: Werkverzeichnis Mendelssohn, S. 97. Zur Kompositionsweise von Mendelssohns Männerchören siehe GOLDHAN: Mendelssohns Lieder.

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an.892 Der erste Leipziger Männergesangverein war sich der Bedeutung des Eintritts eines so bedeutenden Komponisten sehr wohl bewusst, was sich darin niederschlug, dass Mendelssohn Zeit des Bestehens der Liedertafel als einziges Ehrenmitglied geführt wurde.893 Der dadurch geehrte neue Gewandhauskapellmeister komponierte für die Liedertafel einige Gesänge und nahm an offiziellen Veranstaltungen derselben teil. So leitete er unter anderem im Oktober 1838 das 23. Stiftungsfest der Leipziger Liedertafel.894 Beim silbernen Jubiläum der ältesten Leipziger Männergesangvereinigung am 24. Oktober 1840 gehörte Mendelssohn zu den Ehrengästen. Zu Beginn der Feier, die in den Räumen der Loge „Minerva“ stattfand, erklang auch ein „Lied von Mendelssohn“.895 Nachweislich wurden von der Leipziger Liedertafel zehn Lieder für vierstimmigen Männerchor von Mendelssohn in die handschriftlich geführten Partituren beziehungsweise Stimmbücher übernommen.896 Nachdem Mendelssohn begonnen hatte, für den 1815 ins Leben gerufenen Gesangverein zu komponieren, waren die musikalischen Dilettanten des Vereins angesichts des berühmten Meisters mit eigenen Kompositionen sehr zurückhaltend geworden.897 Ähnlich wie Schumann hatte Mendelssohn gegenüber den Männergesangvereinen zunehmend künstlerische Vorbehalte.898 Diese kamen nach dem Besuch beim 25-jährigen Jubiläum der Leipziger Liedertafel in Briefen an die Schwester und die Mutter deutlich zum Ausdruck. So schrieb er am 24. Oktober 1840 an Fanny Hensel: „Es wurde so falsch gesungen und noch falscher gesprochen, und wenn’s recht langweilig war, so war’s im Namen des ,deutschen Vaterlandes‘, oder in der ,alten deutschen Weise‘.“899 Zu den ästhetischen kamen nun auch politische Divergenzen hinzu, die Mendelssohn von der Leipziger Liedertafel innerlich Abstand nehmen ließ: Gott sei bei uns, was ist das deutsche Vaterland für ein langweiliges Ding, wenn es von dieser Seite betrachtet wird. Ich erinnere mich noch lebhaft an Vaters ungeheuren

892 893 894 895 896

897 898 899

Siehe MANGNER: Leipziger Liedertafel, S. 70. Siehe Gesänge der Liedertafel zu Leipzig, S. [1]. Siehe MANGNER: Leipziger Liedertafel, S. 103. Siehe SML, Erinnerungs-Blätter, MK 172, S. 102. Der Text zu diesem Lied stammt vom „Urzwölfer“ Christian Adolf Wendler. Siehe zu Wendler oben S. 124. Es handelt sich dabei um die Gesänge Trinklied (MWV G 15), Wasserfahrt (G 17), Sommerlied (G 19), Türkisches Schenkenlied (G 23), Ersatz für Unbestand (G 25), Liebe und Wein (G 26), Der Jäger Abschied (G 27), Wanderlied (G 28), Nachtgesang (G 29) und Lied (G 30). Siehe dazu WEHNER: Werkverzeichnis Mendelssohn, S. 103 ff. und 448 f. Die Gesänge G 17, 19, 23 und 26–28 widmete Mendelssohn als Sechs Lieder (Leipzig 1840, op. 50) sowohl der alten als auch der jüngeren Liedertafel. Siehe dazu TODD: Mendelssohn Bartholdy, S. 426 f. MANGNER: Leipziger Liedertafel, S. 104. Siehe dazu unten S. 294 f. Brief an Fanny Hensel vom 24. Oktober 1840, in: MENDELSSOHN BARTHOLDY/MENDELSSOHN BARTHOLDY (Hg.): Briefe, S. 234.

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Grimm gegen die Liedertafeln und überhaupt gegen alles, was in einiger Verwandtschaft mit Vetter Michel steht, und fühle so etwas Ähnliches in mir.900

Mendelssohn stieß sich wahrscheinlich sowohl am künstlich hochgezüchteten frankophoben Nationalismus im Zuge der im Herbst 1840 offen ausgebrochenen „Rheinkrise“ als auch an der bloßen Forderung nach einem großdeutschen Reich, wie sie unter anderem im weitverbreiteten und beliebten Männergesang Was ist des Deutschen Vaterland zum Ausdruck kommt.901 Diese Interpretationen des deutschen Nationalismus waren ihm als kosmopolitischem Künstler viel zu eng gefasst. Mendelssohn fehlte bei der Fokussierung auf die ersehnte territoriale Größe und die militärische Stärke nach außen die Betonung der geistigen Größe Deutschlands, also das, was die Gebiete der Kunst, der Kultur und des Bürgersinnes betrifft. Trotz alledem hat Mendelssohn auch noch bis in sein letztes Lebensjahr hinein weiterhin Männerchöre für Liedertafeln geschrieben.902 Seine Kritik an Liedertafeln bezog sich anscheinend vordergründig auf die Leipziger Vereinigung, die sich offensichtlich überlebt hatte.903 So nahm Mendelssohn beispielsweise 1843 zusammen mit Carl Friedrich Zöllner am 13. Liederfest der Provinzialliedertafel in Leipzig teil.904 Glanzpunkt seines Engagements für die deutsche Männergesangbewegung war die Übernahme der künstlerischen Leitung beim deutsch-vlämischen Sängerfest 1846 in Köln. Sein Festgesang an die Künstler für vierstimmigen Männerchor, Blech-Blasorchester und Orgel (MVW D 6), der am 14. Juni beim Kölner Sängerfest uraufgeführt wurde, stand als Festkomposition dabei im Mittelpunkt.905 Mendelssohns politische Gesinnung Lange Zeit ist in der Mendelssohn-Literatur behauptet worden, dass der Komponist sowohl in seinen künstlerischen als auch in seinen politischen Überzeugungen sehr konservativ ausgerichtet war. Georg Knepler ist es zu verdanken, dass dieses Bild korrigiert beziehungsweise differenziert werden musste. Nach Kneplers Meinung verklärte Mendelssohn die Vergangenheit nicht und erwartete einiges an 900 Brief an Lea Mendelssohn vom 27. Oktober 1840, in: EBD., S. 239. 901 Zur „Rheinkrise“ 1840 siehe oben S. 13, Anm. 17 und zum Gesang Was ist des Deutschen Vaterland KLENKE: Bürgerlicher Männergesang, S. 463 f. 902 So u. a. die Abschieds-Tafel (MWV G 33) im Jahr 1845 für den Thüringer Sängerbund, der ihn am 1. Januar 1844 zu seinem Ehrenmitglied ernannte, und den Morgengruß des Thüringer Sängerbundes (G 38) im Jahr 1847 für das fünfte Liederfest des Thüringer Sängerbundes. Siehe WEHNER: Werkverzeichnis Mendelssohn, S. 110 und 112. 903 Siehe dazu oben S. 121. 904 Hierbei studierte er mit der Provinzialliedertafel Der Jäger Abschied (MWV G 27) und Der frohe Wandersmann (G 34) ein. Siehe SCHUMANN (Hg.): Chronik Provinzialliedertafel, S. 26. 905 Zur Deutung der politischen Dimension des Festgesangs siehe BRUSNIAK/KLENKE: Sängerfeste und Musikpolitik, S. 48 f.

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Verbesserungen von der Zukunft: „Denn so sehr er die Welt liebte – er sah sie nicht unkritisch und sein Vaterland erst recht nicht. [...] und er hatte nicht den Wunsch, es durch Verklärung der Vergangenheit zu befestigen.“906 Einen Einblick in seine politischen Ansichten bringt die Auseinandersetzung in Deutschland während der „Rheinkrise“ 1840. Eine gewaltige patriotische Welle führte im Herbst 1840 neben zahlreichen patriotischen Kundgebungen unter anderem dazu, dass Nikolaus Beckers Rheinlied („Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein“) von über 100 Komponisten, darunter auch Franz Liszt und Robert Schumann, vertont wurde.907 Auch an Mendelssohn traten Verleger heran und boten ihm für eine Komposition hohe Summen. Er weigerte sich und spottete über kleine Komponisten, die sich „wie toll darüber her [machen, um] sich unsterblich daran zu komponieren“.908 Der durch die „Rheinkrise“ ausgelöste und in den 1840er Jahren zunehmende Nationalismus war nicht nach Mendelssohns Geschmack. Hand in Hand mit der Abneigung gegen einen künstlich hochgezüchteten Nationalismus ging bei ihm auch die Ablehnung der Glorifizierung der deutschen Vergangenheit. Das „altdeutsche Getue“ war für ihn nicht mehr zu ertragen, da seiner Meinung nach „gar zu viele Missverständnisse dabei vorfallen“ könnten.909 Was die deutsche Politik insgesamt betrifft, so war Mendelssohn nach Eric Werner ein „liberaler Kleindeutscher“, der einem großdeutschen Parlament ablehnend gegenüberstand.910 Das einte ihn im Prinzip mit den „Göttinger Sieben“, die nach ihrem Protest gegen die Aufhebung der hannoverschen Verfassung 1837 entlassen worden waren. Mendelssohn hat die Professoren nach ihrer Entlassung regelmäßig unterstützt, bis sie eine neue Stelle gefunden hatten.911 Friedrich Christoph Dahlmann und Jakob Grimm waren auch beim Festmahl am ersten Festtag des Gutenbergfestes 1840 in Leipzig.912 Es ist wahrscheinlich, dass sie dort auch mit Mendelssohn zusammengetroffen sind. Mit seiner Option für eine kleindeutsche Lösung ohne Österreich mittels des Deutschen Zollvereins stand der Komponist auch seinem Freund und Historiker Johann Gustav Droysen sehr nahe.913 Beide kritisierten Eigenschaften des 906 KNEPLER: Musikgeschichte, S. 754 f. 907 BRUSNIAK: Chor und Chormusik, Sp. 797. 908 Brief an Karl Klingemann vom 18. November 1840, in: MENDELSSOHN BARTHOLDY/ MENDELSSOHN BARTHOLDY (Hg.): Briefe, S. 246. 909 WERNER: Mendelssohn, S. 361. Ebenso lehnte es Mendelssohn auch ab, in einer für Gardeoffiziere reservierten Loge zu erscheinen. Siehe EBD. 910 EBD., S. 273. 911 Mendelssohn war in Zweifel, ob sich die bürgerliche Bevölkerung wirksam für die sieben Professoren einsetzen würde. Siehe WERNER: Mendelssohn, S. 360. – Zu den „Göttinger Sieben“ siehe oben S. 149, Anm. 269. 912 Dresdner Wochenblatt für Vaterländische Interessen, Nr. 53, 1. Juli 1840, S. 332. 913 Der Historiker Droysen (1808–1884) war 1827–1829 Hauslehrer von Mendelssohn, woher eine lebenslange Freundschaft herrührte. Seit 1835 hatte Droyen in Berlin (1835), in Kiel (1840), in

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Spießertums, wie die Engstirnigkeit und das politische Desinteresse, sowie die durch die Zensur hervorgerufene geistige Enge. So schrieb Droysen 1837 an Mendelssohn: [Der] Druck der Gegenwart. [...] Du hast es oft genug geklagt, daß die Luft hier nichts taugt; es ist die unablässige Tuerei des Tretrads; man kommt nicht recht weiter; und reißt einmal irgend ein heftiges Tun draußen Luken auf, daß man hinaussehen kann in die bunte, vielbewegte Welt, nach Göttingen oder Köln, so sagt die Zensur: es gibt Zug, macht die Luken zu! Und die dunstige Arbeit geht dann bei dem trüben Lampenlicht der selbstgefälligen Intelligenz weiter fort. Ich habe rechte Sehnsucht, endlich einmal hinauszukommen.914

Bei aller Reformbereitschaft lehnte Mendelssohn, der die politische Entwicklung seiner Zeit aufmerksam beobachtete, eine revolutionäre Vorgehensweise ab. Die Reformen sollten für ihn unter Beibehaltung alles Positiven allmähliche Veränderungen herbeiführen. Für eine radikale Vorgehensweise war er zu sehr den liberalen Ansichten und Vorstellungen, in denen er aufgezogen wurde, verhaftet. Auf der einen Seite beklagte Mendelssohn rückwärts gewandte Anschauungen und die Ablehnung von Neuerungen, auf der anderen Seite wollte er die Vorteile des bürgerlichen Daseins, die er nicht näher ausführte, erhalten und seiner Umwelt Zeit für Veränderungen zugestehen. Er bezieht sich dabei auf die deutschen Spießbürger oder Kleinstädter, [...] deren Fehler ich wahrhaftig so gut kenne wie keiner, die aber doch auch ihr Gutes und Herrliches haben, wenn man nur erst über die Spießbürgerei, den Zopf [Sinnbild für Rückständigkeit, Anm. S.N.] und alle Dinge dieser Art hinweg ist. Und dazu gehört Zeit [...] um ihn mehr und mehr aus[zu]rotten.915

Diese Veränderungen sollten seiner Meinung nach durch fortschrittliche Autoritäten durchgeführt werden. Nach anfänglicher Euphorie für schnelle und durchgreifende Änderungen im gesellschaftlichen Leben folgte auch bei Mendelssohn bald im Verlauf der 1840er Jahre einerseits Resignation als Folge enttäuschter Hoffnungen hinsichtlich des Ausbruchs aus der geistigen Enge der Zeit und andererseits die Angst vor den Folgen einer Revolution: Jena (1851) und wieder in Berlin (1859) Geschichtsprofessuren inne. Die schleswigholsteinische Frage brachte ihn zur Politik. Im Jahr 1848 war Droysen Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung und wurde dort zu einem einflussreichen rechtsliberalen Politiker. Zu Droysen siehe NIPPEL: Droysen. 914 Brief vom 31. Dezember 1837 an Mendelssohn, in: WEHMER (Hg.): Ein tief gegründet Herz, S. 54. – Die explizite Erwähnung Göttingens rekurriert auf die „Göttinger Sieben“, die von Köln auf die sogen. „Kölner Wirren“. Diese erreichten 1837 im Konflikt zwischen katholischer Kirche und dem preußischen Staat über die konfessionsverschiedenen Ehen mit der Verhaftung und Inhaftierung des Erzbischofs Clemens August Droste zu Vischering (1773–1845) und darauffolgenden öffentlichen antipreußischen Kundgebungen und Protesten ihren Höhepunkt. Siehe dazu HARDTWIG: Vormärz, S. 169 ff. 915 KNEPLER: Musikgeschichte, S. 757.

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Die politische Gärung jener Zeit war ihm besonders verdrießlich; er hing sich an jeden ihrer, freilich zahlreichen Auswüchse, um Unheil davon zu verkünden. Er, der als Jüngling sich einen Radicalen nannte, der noch vor fünf Jahren über Jacoby’s ,vier Fragen‘916 gejauchzt und sich in patriotischer Ekstase geäußert, war nun tief innerlich verletzt und gestört durch das, was jene ersten Befreiungssignale hervorgerufen hatten. Weil ihm die Stimmführer mißfielen, mißfiel ihm auch die Bewegung, er wollte, die Dinge sollten sich durch berufsmäßige Autoritäten umgestalten. [...] der Gedanke an eine Revolution erschreckte ihn – die politische Krise machte ihn nicht ,radikaler‘, sondern konservativer.917

Es ist demnach bei Mendelssohn ein politischer Sinneswandel in der Mitte der 1840er Jahre zu konstatieren. Der Komponist blieb ein Liberaler, der aber den Mob „als seiner und jeder echten Entwicklung Erzfeind“ hasste und fürchtete.918 Mendelssohn erwartete von einer radikalisierten Freiheitsbewegung Gewaltakte, die der Durchsetzung liberaler Ideen im Wege stehen würden. Er suchte daher eine „monarchisch-konservativ-liberale“ Mittellinie, die schwer zu definieren und noch schwerer einzuhalten war.919 Hinsichtlich der nach dem Tod des Komponisten erfolgten bürgerlichen Revolution von 1848/49 antizipiert Werner Mendelssohns politisches Dilemma folgendermaßen: Wenn er die Revolution von 1848 erlebt hätte, hätte er in jeder Beziehung zwischen den Stühlen gesessen: dem Liberalismus der nationalistischen Burschenschaften stand er ebenso ablehnend gegenüber wie er es dem Frankfurter Parlament gegenüber gewesen wäre; andererseits war er ein Liberaler und Demokrat: er hätte also nach Friedrich Wilhelms IV. Abdankung in den sauren Apfel eines Bismarckschen Preußens beißen müssen. Das ist ihm nun doch erspart geblieben.920

Auch kann eine Verschränkung zwischen politischer Einstellung und dem musikalischen Schaffen Mendelssohns beobachtet werden. Wie Mendelssohn die Musik der Vergangenheit liebte, schreckte er auch in der Politik vor dem Umsturz des Alten und Bestehenden zurück: So, wie Mendelssohn musikalisch zu bessern dachte, wünschte er sich die politischen Veränderungen: von innen heraus, von ,Sachverständigen‘, ohne Gefährdung des bestehenden Guten durchgeführt.921

Mendelssohns Schwankungen unterworfene politische Einstellung schlug sich auch in seinem Verhältnis zum Männerchorgesang allgemein nieder. Auf der 916 Es handelt sich dabei um die Schrift Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen (1841) von Johann Jacoby. Siehe dazu S. 129, Anm. 185. 917 Zit. n. KNEPLER: Musikgeschichte, S. 759 ff. 918 WERNER: Mendelssohn, S. 461. 919 EBD. 920 EBD., S. 271. 921 KNEPLER: Musikgeschichte, S. 763. Knepler plädiert auch bei Mendelssohn dafür, dessen Konflikte im Leben daher nicht losgelöst von seiner Musik zu betrachten.

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einen Seite sah er im Männergesang die „Niederung der akademischen Philisterei der ,Alten Herren‘ oder des weniger akademischen Mob-Patriotismus oder Nationalismus“.922 Auf der anderen Seite hat er trotzdem erfolgreich für Männerchor komponiert. Wie ist diese Widersprüchlichkeit zu erklären? Das ambivalente Verhältnis hatte damit zu tun, dass Mendelssohn aufgrund seiner jüdischen Herkunft unter der unvollkommenen Integration des Judentums litt und ein großes Interesse an der Überwindung von konfessionellen Feindbildern hatte.923 Daher ist zu vermuten, dass er durch seine Kompositionen für Männerchor „seiner Neigung, sich im Rahmen der ungemein dynamischen Massenbewegung der Männerchorsänger zu profilieren“, nachgekommen ist, um dabei eine „neuartige Nationalreligiosität“ zu schaffen.924 Ein weiteres Motiv für das Engagement für Männerchor dürfte bei Mendelssohn darin begründet sein, dass der erzieherisch-ästhetische Wert und ein geselliger, unterhaltender Charakter für ihn untrennbare Seiten der Musik im Gesangverein darstellten, die seiner Auffassung nach wohl im Männerchorgesang am ehesten zu vereinbaren waren.925 Hinsichtlich des Festgesangs an die Künstler dürfte für Mendelssohn der erzieherisch-ästhetische Wert im Vordergrund gestanden haben. Mit diesem Werk „gab Mendelssohn den Sängervereinen ein musikalisches Manifest ihres Eliteanspruchs an die Hand“.926 Poetisch verschlüsselt zielt die Kritik auf den geburtsständigen Fürstenstand. Nicht sie, sondern die Sänger und Künstler stellten in diesem Festgesang die wahre Aristokratie dar: „Die Kunst beanspruchte, im göttlichen Auftrage Vorreiter auf dem Wege des gesellschaftlichen Fortschritts zu sein“, wobei dem Männerchorgesang dabei eine wesentliche Rolle zukam.927 Auch wenn Mendelssohn häufig mit den gesellschaftlichen Verhältnissen haderte, so war er doch emotional eng mit seinem Vaterland verbunden. In diesem Sinne schrieb der Komponist 1829 an Droysen: „So ist Deutschland ein kurioses Land; hatte seit langer Zeit nichts davon gesehen als Widerliches: [...] nennt man aber den Namen, so wird das Herz einem weich.“928 Durch diese innere Bindung an Deutschland ließ sich Mendelssohn trotz der gegen Ende seines Lebens sich ausprägenden Distanz zu politischen Massenbewegungen nicht von der Komposition von Werken für Männerchor mit nationalem Inhalt für regionale oder gesamtdeutsche Sängerfeste abhalten. Dafür spricht auch sein Plan, für das deutsche Sängerfest 1848 in Frankfurt/M. eine Kantate für Männergesang auf den Text von

922 923 924 925 926 927 928

WERNER: Mendelssohn, S. 386. BRUSNIAK/KLENKE: Sängerfeste und Musikpolitik, S. 46. EBD. Zur Nationalreligiosität siehe oben S. 67. GOLDHAN: Mendelssohns Lieder, S. 182. BRUSNIAK/KLENKE: Sängerfeste und Musikpolitik, S. 49. EBD. Brief vom 3. November 1829 an Mendelssohn, in: WEHMER (Hg.): Ein tief gegründet Herz, S. 31.

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Klopstocks patriotischem Weihespiel Hermanns Schlacht (1769) schaffen zu wollen.929 Resümierend ist festzuhalten, dass Mendelssohn ein sehr an den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen interessierter Zeitgenosse war. Der Komponist hatte eine liberale Einstellung und favorisierte die kleindeutsche Lösung ohne Österreich mittels des Deutschen Zollvereins. Was Mendelssohn jedoch von einigen Zeitgenossen, wie beispielsweise Richard Wagner, unterschied, waren die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen aus den konstatierten Missständen in der deutschen Gesellschaft. Er lehnte mit zunehmendem Alter jede Art von Revolution ab und plädierte für eine organische gesellschaftliche Umgestaltung unter Beibehaltung des bestehenden „Guten“. In dieser Hinsicht ist auch ein Brief des Leipziger Orientalisten Julius Fürst an Robert Schumann bezüglich der politischen Sozialisation Mendelssohns aufschlussreich, der in Leipzig eng mit Schumann befreundet war.930 Fürst stellte sich in seinem ersten Brief an Schumann, in dem er diesen um die Komposition seines Revolutionsgedichts vom Frühjahr 1848 bat, einleitend als Freund Mendelssohns vor.931 Da Mendelssohn laut Fürst „in den letzten Jah[ren] öfter ein politisches Lied von mir [Julius Fürst, Anm. S. N.]“ verlangte, rief jener Schumann „im Sinne eines Vermächtnisses des theueren Verstorbenen“ auf, dieses gemäßigte Freiheitsgedicht – in dem der Ausbruch der Revolution zwar begrüßt, aber Gewaltausbrüche deutlich abgelehnt wurden – zu veröffentlichen.932 Offensichtlich haben sich Fürst und Mendelssohn über politische Angelegenheiten ausgetauscht, sodass Fürst zu der Einschätzung kommen konnte, dass Mendelssohn mit dem Inhalt des Textes einverstanden und auch zu einer Komposition desselben bereit gewesen wäre. Mendelssohn identifizierte sich mit zentralen Zielen der bürgerlichen Bewegung, vor allem der Forderung nach der Abschaffung der Zensur, und nahm daher wohl auch aus eigener politischer Überzeugung heraus den Auftrag der Komposition eines Festgesangs für die Säkularfeier in Leipzig an.

929 ELBEN: Männergesang (1887), S. 430. 930 Zum Brief von Fürst an Schumann und zum vertonten Revolutionslied Deutscher Freiheitsgesang siehe unten S. 313–316 und zur Person Fürsts unten EBD. S. 313, Anm. 1077. 931 Mendelssohn war durch die Vermittlung seines Freundes, des Schauspielers Eduard Devrient (1801–1877) 1832 wegen der Konzeption des Paulus (op. 36) an Fürst herangetreten (TODD: Mendelssohn Bartholdy, S. 303). Jener half daraufhin Julius Schubring (1806–1889) bei der Zusammenstellung des ersten Mendelssohn’schen Oratoriums (WERNER: Mendelssohn, S. 304). Weiterhin stand Fürst mit Mendelssohn in einem Briefwechsel, in dem sie sich u. a. über Operntexte austauschten. Siehe KONOLD: Mendelssohn, S. 233 f. 932 HIRSCHBERG: Soldaten, Krieg und Vaterland, S. 59.

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Das Gutenbergfest in Leipzig Das Gutenbergfest 1840 in Leipzig bettete sich in die vormärzliche nationale Bewegung ein, die ihre Aktionsschwerpunkte neben Süd- und Südwestdeutschland auch in Sachsen hatte.933 Die Forderung nach freier mündlicher und schriftlicher Meinungsäußerung wurde im Vorfeld der vierten Säkularfeier der Erfindung des Buchdrucks in zunehmendem Maße mit der nationalen Erinnerungsfigur Gutenberg verknüpft. Die politische Instrumentalisierung Gutenbergs im Vormärz führte dazu, dass die technische Erfindung selbst eine neue Interpretation erfuhr: „Der ,liberale‘ Gutenberg ist nicht der Erfinder der Buchdruckerkunst, sondern der Erfinder der Presse, der Maschine, mit deren Hilfe der Druck- und Vervielfältigungsvorgang bewerkstelligt wird.“934 Dadurch wurde Gutenberg pointiert in Zusammenhang mit der zentralen politischen Forderung nach Pressefreiheit gebracht. Als Initiator der deutschlandweiten Bewegung für die Erinnerungsfeierlichkeiten zu Ehren Gutenbergs ist der Braunschweiger Buchdrucker Johann Heinrich Meyer anzusehen, der 1837 nach der Aufstellung des Gutenbergdenkmals vom dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen in Mainz in seinem Journal für Buchdruckerkunst, Schriftgießerei und die verwandten Fächer zur Vorbereitung der 4. Säkularfeier aufrief.935 Dieser Aufruf fand überall im In- und Ausland ein großes Echo. In vielen Großstädten wurden Vorbereitungskomitees ins Leben gerufen und Feiern für den 24. Juni 1840 angekündigt. In einer Zeit bedrückender Zensurbestimmungen wurde das Jubiläum der Erfindung der Buchdruckerkunst als willkommene Gelegenheit wahrgenommen, die Figur Johannes Gutenberg als Wegbereiter der freien Presse zu feiern.936 Schon vor dem öffentlichen Aufruf Meyers bereitete sich die Stadt Leipzig auf die Ausrichtung der vierten Säkularfeier vor.937 Die Veranstalter konnten dabei eine bis in das Jahr 1640 zurückreichende Tradition vorweisen.938 In Leipzig wurde vom 24.–26. Juni 1840 das größte Fest dieser Art in Deutschland ausgerichtet. Bei diesem Gutenbergfest kamen Formen politischer Instrumentalisierung der Person Gutenbergs und seiner Erfindung für zeitgenössische Forderungen deutlich zum Ausdruck, wobei die musikalische Ausgestaltung eine wesentliche Rolle spielte. Zusätzlich zur Tradition lag die Ausrichtung des größten deutschen Gutenbergfestes im Jahr 1840 in der Bedeutung Leipzigs als deutsches Zentrum des Buch- und Musikalienhandels begründet. Leipzig war seit dem 18. Jahrhundert 933 DÜDING: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus, S. 141. 934 STEEN: Vormärzliche Gutenbergfeste, S. 148. 935 RAABE: Gutenberg, S. 212. Zum Mainzer Gutenberg-Denkmal siehe BECKER: GutenbergDenkmal. 936 RAABE: Gutenberg, S. 211. 937 Bei einer Generalversammlung der Leipziger Buchdruckerinnung zu Ostern 1836 wurde die Ausrichtung eines Gutenbergfestes beschlossen und daraufhin ein Organisationskomitee ins Leben gerufen. KADE: Vierte Säcularfeier zu Leipzig, S. 17. 938 Siehe dazu NICKEL: Mendelssohns „Festgesang“, S. 7 ff.

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eines der bedeutendsten Zentren des deutschen Buchhandels und Verlagwesens, Sitz der Buchhändlerbörse und der Vereinigung der Buchhändler. Am Johannistag 1840 begannen die offiziellen Feierlichkeiten.939 Nach einer morgendlichen Reveille wurden die Festteilnehmer von den Deputierten des Festkomitees zur Thomaskirche geleitet, wo um 7.30 Uhr ein großer Festgottesdienst stattfand, der von der üblichen Liturgie abwich.940 Im Mittelpunkt dieses Gottesdienstes stand die Festpredigt des Superintendenten Christian Gottlob Leberecht Großmann.941 Der zugrunde gelegte Text aus dem Johannesevangelium: „Es ward ein Mensch von Gott gesandt, der hieß Johannes. Derselbe kam und zeugte von dem Licht.“ (Joh. 6,1–8) bildete den Ausgangspunkt für den Vergleich Gutenbergs mit Johannes dem Täufer. Das Thema der Predigt war „die Verklärung der menschlichen Kunst im Lichte des Glaubens an die göttliche Erziehung des Menschengeschlechts“.942 Paul Raabe beschreibt den Grundtenor der Predigt folgendermaßen: Die von einem leidenschaftlichen Pathos getragenen Sätze, in denen das Erbe der Aufklärung ebenso wie der Glaube an die Fortschritte der eigenen Zeit unüberhörbar zu vernehmen sind, charakterisieren einen Augenblick, an dem das selbstbewusst gewordene Bürgertum [...] politische Forderungen nach Mitverantwortung und Meinungsfreiheit an die Regierenden richtete, die unmissverständlich auf die Einlösung vorenthaltener bürgerlicher Grundrechte drängten.943

Anhand der kirchlichen Feier, die auch in anderen Orten zum Festprogramm gehörte, sollte verdeutlicht werden, dass die Erfindung Gutenbergs und die in ihr liegenden politischen und gesellschaftlichen Implikationen Teil des göttlichen Weltenplans seien. Die religiöse Vereinnahmung beziehungsweise Überhöhung fand in diesem Gottesdienst durch den Predigttext und seine Auslegung konkreten Ausdruck.944 Nach dem Gottesdienst gab es einen großen Festumzug durch Leipzig. Auf dem Marktplatz stellte sich die Menge um die Festoffizin auf, woraufhin der

939 Zur Leipziger Säkularfeier gab es bald zahlreiche Beschreibungen, was auch die Bedeutung dieses Volksfestes noch einmal hervorhob. Zum Verlauf siehe besonders KADE: Vierte Säcularfeier zu Leipzig und Beschreibung aller stattgefundenen Feierlichkeiten. 940 Zum Ablauf des Gottesdienstes siehe NICKEL: Mendelssohns „Festgesang“, Anhang, S. 132 f. 941 Der Pfarrer Großmann (1783–1853) wurde 1829 zum Theologieprofessor, Superintendenten und Pfarrer an die Thomaskirche in Leipzig berufen. Als Mitglied der Ersten Kammer des Sächsischen Landtages trat Großmann für die Einführung einer Synodalverfassung ein. Im Jahr 1832 rief er anlässlich des 200. Todestages des Schwedenkönigs Gustav II. Adolf (1597–1632) die Gustav-Adolf-Stiftung ins Leben, aus der 1842 der Evangelische Verein der Gustav-AdolfStiftung hevorging. Zu Leben und Werk Großmanns siehe ROTTER: Großmann. 942 KADE: Vierte Säcularfeier zu Leipzig, S. 35. 943 RAABE: Gutenberg, S. 211. 944 Die von Großmann gehaltene Predigt wurde veröffentlicht. Siehe dazu Leipziger Allgemeine Zeitung, Nr. 190, 8. Juli 1840, S. 1540.

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Festgesang von Mendelssohn aufgeführt wurde.945 Anschließend betrat mit Raimund Härtel der Vorsitzende des Festkomitees die Rednerbühne und hielt die offizielle Festrede. Darin hob er die Bedeutung des Buchdrucks für Freiheit und Fortschritt hervor. Bei den Schlussworten verschwand die Hülle von dem Standbild Gutenbergs und von der Festoffizin, woraufhin Letztere zu arbeiten begann. Die dabei gedruckten Lieder wurden unter den Festteilnehmern verteilt und dann mit Orchesterbegleitung gemeinsam gesungen.946 Mit diesem zentralen Programmpunkt, bei dem die Presse am Ort durch Schriftgießer, Setzer und Drucker zu arbeiten begann, sollte der direkte Weg vom Autor zum Publikum ohne Zensur veranschaulicht und damit das unmittelbare politische Ziel einer freien Presse artikuliert werden. Am Nachmittag gingen die Festlichkeiten im gerade erst fertig gewordenen Festsalon weiter. Am 2. Festtag, dem 25. Juni, wurde am Vormittag im Saal der Buchhändlerbörse die Ausstellung über die Entwicklung der Typografie eröffnet.947 Um 3 Uhr nachmittags begann ein großes Festkonzert in der Thomaskirche, bei dem unter anderem Mendelssohns Lobgesang (MWV A 18) uraufgeführt wurde.948 Mit diesem Konzert war der offizielle Teil des Gutenbergfestes beendet, und es folgten nun gesellige Veranstaltungen wie der Ball am Abend, an dem „mehr als 4000 Personen aller Stände“ teilnahmen.949 Der Festgesang Mendelssohns Während der Leipziger Gutenbergfeier spielte die Musik, wie auch in anderen Festorten wie Mainz und Berlin, eine herausragende Rolle.950 Unterschiedlichste Kompositionen in Form von Liedern, Kantaten, Opern und auch Instrumentalmusik erklangen öffentlich bei Versammlungen, Konzerten und Opernaufführungen. Die für das Leipziger Fest geschaffenen Musikwerke transportierten zumeist eine inhaltliche Botschaft. In den Reden, Zeitungsberichten und in den beim Fest ausgesprochenen Trinksprüchen kam der nationale und – unter Berufung auf Gutenberg als Initiator der Pressefreiheit – auf die Aufhebung der Zensur zielende Charakter zum Tragen. Dieser wurde durch die Musik und die ihr eigenen Mittel aufgenommen und weiter transportiert, wobei die allgegenwärtige Lichtmetaphorik und ein patriotischer Gestus eine herausragende Rolle spielten.951 945 Siehe dazu unten S. 283 f. 946 Beschreibung aller stattgefundenen Feierlichkeiten, S. 8. 947 Ein ausführlicher Bericht bzw. eine genaue Auflistung der gezeigten Objekte sind den Beilagen der Leipziger Allgemeinen Zeitung in den Nr. 201–204 von 1840 zu entnehmen. 948 Zum Inhalt des Festkonzerts siehe NICKEL: Mendelssohns „Festgesang“, S. 35 ff. 949 Beschreibung aller stattgefundenen Feierlichkeiten, S. 68. 950 Zur Musik während des Leipziger Gutenbergfestes siehe NICKEL: Mendelssohns „Festgesang“, S. 28–35. 951 Damit sind all jene textlichen und musikalischen Elemente gemeint, die im direkten oder übertragenen Sinne die Erfindung der Buchdruckerkunst als Aufbruch in eine ,erleuchtete‘, d. h.

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Es handelt sich bei der Musik zum Gutenbergfest also nicht etwa um schmückendes Beiwerk, sondern größtenteils um konstituierende Beiträge zur Säkularfeier, ohne die das Leipziger Nationalfest von 1840 nicht seine originäre und gemeinschaftsbildende Ausprägung erhalten hätte. Paradigmatisch dafür steht der Festgesang Mendelssohns, der an zentraler Stelle der öffentlichen Feierlichkeiten erklungen ist und somit in den Dienst der Säkularfeier gestellt wurde. Wann die Bestellung der Komposition des Festgesangs bei Mendelssohn genau erfolgte, kann nicht belegt werden. Die Quellenlage lässt, wie auch Armin Koch vermutet, auf eine mündliche Absprache schließen.952 Mendelssohn erhielt den Auftrag wahrscheinlich vor dem Jahreswechsel 1839/1840. Schon in früheren Planungen hatten die Veranstalter nach dem großen Festumzug auf dem Marktplatz einen Festgesang vorgesehen. Die Festmusik sollte, nachdem die Festteilnehmer ihre Plätze eingenommen hatten, mit „einem zu diesem Zweck besonders einstudirten vollstimmigen Männergesang“ zu Gehör gebracht werden.953 Unter mehreren zur Auswahl stehenden Texten fand der des Freiberger Gymnasialprofessors Adolf Eduard Prölss Annahme.954 Der Philologe und Theologe Prölss war nach seiner Promotion 1826 für vier Jahre Hauslehrer bei der Buchdruckerfamilie Härtel gewesen. Nach einer Tätigkeit als Institutslehrer und als Aushilfslehrer an der Kreuzschule in Dresden trat er 1835 eine Stelle als Lehrer des Gymnasiums in Freiberg an, die er über fast 40 Jahre innehaben sollte. Prölss war literarisch weitflächig tätig. So schrieb er neben Oratorientexten und mehreren Gesangs- und Erbauungsbüchern auch zahlreiche Aufsätze und Gedichte, die in philologischen, kirchlichen und auch belletristischen Zeitschriften veröffentlicht wurden. Laut des Mendelssohn-Freundes und -biografen Wilhelm Adolf Lampadius wurde aus „zahlreich eingegangenen Texte[n]“ derjenige von Prölss ausgewählt, weil dieser „in der That mit gediegenem volksthümlichen Ton auch musikalischen Wohllaut verband“.955 Die Aufführung des Festgesangs fand am 24. Juni 1840 vor der Enthüllung des Gutenbergdenkmals auf dem Leipziger Marktplatz statt. Ihr gingen nachweislich vier öffentliche Proben voraus.956 Nachdem der Festzug auf dem Marktplatz zum Stehen gekommen war, versammelte sich das Publikum auf der Festtribüne

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eine bessere, fortschrittliche Zukunft versinnbildlichen, die auch 1840, besonders hinsichtlich der freien Meinungsäußerung, noch ausstand. KOCH: Choräle und Choralhaftes, S. 166. StA Leipzig, XLVII.40, Bl. 16r. Es handelt sich hierbei um die Bekanntgabe eines Entwurfs für das Programm vom 5. August 1839 seitens der damaligen Mitglieder des Festkomitees. Zum Leben und Wirken von Prölss (1803–1882) siehe NICKEL: Mendelssohns „Festgesang“, S. 63–67. LAMPADIUS: Mendelssohn, S. 255. Die Proben fanden am 5., 18., 19. und 23. Juni 1840 an unterschiedlichen Orten statt. Siehe dazu Leipziger Tageblatt und Anzeiger, Nr. 167, 15. Juni 1840, S. 1344; Nr. 170, 18. Juni 1840, S. 1374; Nr. 171, 19. Juni 1840, S. 1383 und Nr. 175, 23. Juni 1840, S. 1420. Zu den Proben siehe NICKEL: Mendelssohns „Festgesang“, S. 68 ff.

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und um die Festoffizin, welche im Mittelpunkt des Marktes auf einer kleineren Tribüne angebracht wurde. Daneben stand eine Kopie des Mainzer Standbildes von Gutenberg, die zu diesem Zeitpunkt noch verhüllt war. Als alle Platz genommen hatten, „begann ein großer Männerchor mit doppeltem Orchester die Ausführung einer von Herrn M. A. E. Prölß in Freiberg gedichteten und von Herrn Dr. Felix Mendelssohn-Bartholdy für diesen Zweck componirten Cantate“.957 Die große Festtribüne war amphitheatralisch angelegt worden.958 Auf dem oberen Halbkreis hatten ungefähr 1.200 Personen sitzend, auf dem unteren etwa 850 Personen stehend Platz genommen. Für die Sänger wurde ein besonders abgegrenzter Raum zur Verfügung gestellt. Aufgrund der Anlage des Werkes mit doppeltem Blechbläserensemble und der dadurch bedingten räumlichen Trennung von Chor und dem zweiten kleineren Bläserensemble bedurfte es eines zweiten Dirigenten. Diese Aufgabe übernahm der Konzertmeister Ferdinand David. Über die Anzahl der mitwirkenden Sänger gibt es unterschiedliche Angaben. Die Zahlen schwanken zwischen über 300 und 500 Personen.959 Beim Festgesang handelt es sich um ein vierteiliges Werk für Männerchor und zwei Blechblasorchester.960 Das Blechblasorchester umfasst insgesamt sechs Trompeten, sechs Hörner, sechs Posaunen und eine Ophikleïde. Davon sind dem separat aufzustellenden zweiten kleineren Orchester, welches in der zweiten Strophe des ersten Chorals als Echo des größeren fungiert, zwei Trompeten, zwei Hörner und drei Posaunen zugeteilt.961 Mendelssohn verwendet die Instrumente, mit Ausnahme der Bassinstrumente, jeweils paarig. Ein Serpent, von dem Fink in seiner Rezension berichtete, ist in der Ausgabe von Julius Rietz nicht zu finden.962 Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass das Instrument zur Verstärkung des Bassfundaments hinzugezogen wurde. Im dritten und vierten Teil der Komposition tritt pro Orchester zusätzlich noch jeweils eine Pauke hinzu. Bei der nachfolgenden Besprechung steht das Gutenberglied aufgrund seiner politischen Aussagen im Vordergrund.

957 KADE: Vierte Säcularfeier zu Leipzig, S. 36. 958 EBD., S. 31. 959 Während in der Allgemeinen musikalischen Zeitung von „mehr als 300“ Personen die Rede ist (Nr. 30, 22. Juli 1840, Sp. 611, gehen Kade und Estermann von 500 Sängern aus. Siehe dazu KADE: Vierte Säcularfeier zu Leipzig, S. 31 und ESTERMANN: Gutenbergfeiern, S. 151. 960 Zum Gesamtwerk siehe MENDELSOHN BARTHOLDY: Festgesang zur Säcularfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst. 961 1. Orchester: jeweils 2 Trompeten in C und in D bzw. Es, jeweils 2 Hörner in G und in C bzw. Es, jeweils 1 Alt-, Tenor- und Bassposaune und 1 Ophikleïde; 2. Orchester: 2 Trompeten in C; 2 Hörner in D und jeweils eine Alt-, Tenor- und Bassposaune. Über die Besetzungsstärke der Orchester bei der Erstaufführung ist nichts bekannt. Aufgrund des stark besetzten Männerchores ist zu vermuten, dass die Stimmen mehrfach besetzt wurden. 962 Siehe unten S. 290, Anm. 973.

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Abb. 14: Text des Festgesangs von Adolf Eduard Prölss

Die Einteilung der vorliegenden Dichtung in vier verschiedene Abschnitte, die dann auch separat vertont wurden, hat vor allem inhaltliche Gründe. Im Text des einleitenden Chorals wird der Anlass für die Dichtung herausgestellt und Gott für die Erfindung des Buchdrucks und für das stattfindende Gutenbergfest gedankt. Damit sind die Feierlichkeiten gleich zu Beginn eindeutig in einen christlichen Kontext eingebettet, womit auch an den zuvor stattgefundenen Festgottesdienst angeknüpft wird. Weiterhin taucht am Ende der ersten Strophe mit „Er hat aus dichtverhüllter Nacht / Das Licht hervorgerufen“ zum ersten Mal eine Lichtmetapher auf, die mehrmals im Verlauf des Festgesangs erscheint. In der zweiten Strophe erfolgt ein kurzes Resümee der Wirkung der gefeierten Erfindung. Für das positive Fazit zieht Prölss wieder eine Lichtmetapher heran: „Wo Finsterniß und Grau’n einst lag / Da glänzt nun sonnenhell der Tag.“ Abschließend wird noch einmal zum Lobpreis Gottes aufgerufen. Der Text der Nr. 2 steht ganz im Zeichen der glorifizierten Person Gutenbergs, an der nationaler Stolz und nationale Sehnsüchte festgemacht werden. Die erste Strophe stellt deutlich heraus, dass es ein Deutscher war, der die bahnbrechende Erfindung gemacht hatte. Daher ging das Licht der Wahrheit auch von Deutschland aus: „Gutenberg, der deutsche Mann / zündete die Fackel an.“ Als Hintergründe für diese ausdrückliche Klarstellung sind einerseits die sich abzeichnende

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„Rheinkrise“, andererseits der Streit mit Straßburg über den Ort der Erfindung des Buchdrucks anzusehen.963 In der zweiten und dritten Strophe ändert sich das Tempus. Durch den Wechsel in die Präsensform wird die Aktualität Gutenbergs und seiner Erfindung hervorgehoben. Mit den anfänglichen Zeilen „Neues, allgewalt’ges Streben / Wogt im Land des Lichtes auf“ findet wahrscheinlich eine Anspielung auf die nationale Aufbruchstimmung in den deutschen Bundesstaaten durch die beginnende „Rheinkrise“ statt. Gutenberg wird als Patron genannt, der durch seine Erfindung die Voraussetzungen dafür geschaffen hat.964 Noch deutlicher wird die Vereinnahmung der Person Gutenbergs für zeitgenössische Ziele in der dritten Strophe. Dort spielt der Textdichter indirekt auf die Zensur an, die als Antagonismus zum Licht der Wahrheit als „Finsterniss“ in Form von unterdrückter Meinungsäußerung erscheint. Zwar wehren sich die hinter der Zensur stehenden Kräfte heftig, so ist diese doch trotzdem dem Untergang geweiht. Das Streben nach freier Meinungsäußerung lässt sich auf Dauer nicht aufhalten: „Sie erblaßt, sie sinkt als Leiche / Doch gekrönt als Siegesheld / Steht das Licht vor aller Welt.“ Am Ende der dritten Strophe schließt sich der Kreis zur ersten Strophe, indem die Nationalität Gutenbergs hervorgehoben wird.965 In den drei Strophen der Nr. 2 findet sich eine dreifache Funktionalisierung des Erfinders wieder: Gutenberg als deutscher Nationalheros, Gutenberg als Wegbereiter der nationalen Einigung Deutschlands und Gutenberg als Patron der ersehnten Pressefreiheit. In der Nr. 3 nimmt der Textdichter nach einem abermaligen Tempuswechsel Bezug auf den christlichen Glauben und das wichtige Vertrauen im Glauben an Gott. Es kommt nicht von ungefähr, dass ein Vers aus der Schöpfungsgeschichte aufgrund seiner Lichtmetaphorik an den Anfang gesetzt wird: „Der Herr sprach: Es werde Licht!“ (1. Mose 1,3) Durch die Analogie zur Erschaffung der Erde findet eine religiöse Überhöhung der Erfindung des Buchdrucks statt. Damit werden die Person Gutenbergs und Gott als helfende religiöse Instanz miteinander verbunden. Durch seinen festen Glauben an die Wahrheit des Bibelwortes habe es ihm Gott ermöglicht, gegen alle Hindernisse – Gutenberg wurde aus seiner Heimatstadt Mainz zeitweise ausgewiesen – die Entwicklung seiner bahnbrechenden Erfindung zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Zusammen mit den letzten drei Zeilen der Nr. 3 wird Gutenberg quasi in den Status eines heiligen „Helden“ erhoben. Die religiöse Überhöhung des Erfinders, und damit auch die der Erfindung 963 Siehe NICKEL: Mendelssohns „Festgesang“, S. 47. 964 Der zeitnahe Inhalt sorgte neben der eingängigen Melodie dafür, dass dieses Lied bei den Zeitgenossen durch verschiedene Notenausgaben populär wurde. Siehe dazu NICKEL: Mendelssohns „Festgesang“, S. 76–80. 965 Im Klavierauszug (MENDELSSOHN BARTHOLDY: Festgesang für Männerchor) und in der Rietz’schen Ausgabe (siehe oben S. 284, Anm. 960) wurde an dieser Stelle das Wort „deutscher“ durch die unspezifischere Bezeichnung „wackrer“ ersetzt. Vermutlich war Mendelssohn, der Korrekturen am Text vornahm (siehe NICKEL: Mendelssohns „Festgesang“, S. 61), die Wiederholung der Nationalität Gutenbergs zu ostentativ.

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selbst, ist an dieser Stelle an ihrem Höhepunkt angelangt: „Heil dir, nun krönt Unsterblichkeit / Dich, frommer Held, mit Herrlichkeit / Heil dir, Heil uns in Ewigkeit!“ Durch einen erneuten Wechsel der Zeitform zurück ins Präsens beim letzten Hochruf erfolgt ein Bezug zu den Zeitgenossen, wodurch der ewig währende Segen der Erfindung besonders herausgestellt wird. Der abschließende Choral ist ein Loblied zu Ehren Gottes, der Erfinder und Erfindung erst ermöglicht hat. Damit wird die Heroisierung Gutenbergs zumindest teilweise relativiert. In der sehr pathetisch gehaltenen Anrufung Gottes kommt die inständige Bitte zum Ausdruck, dass alle Menschen von der vielfach als „Licht“ apostrophierten Wahrheit profitieren mögen. Dieser Prozess sei jedoch noch nicht abgeschlossen: „Laß in des Lichtes Schein / Der ganzen Menschheit Heil / Herr! Immermehr gedeih’n.“ Der angesprochene „Ruf von Millionen“ wurde durch den Gesang der auf dem Marktplatz versammelten Menschenmenge symbolisiert. Die gesamte Dichtung preist auf der einen Seite die Erfindung und den Erfinder des Buchdrucks, wobei vor allem Gutenberg in Verbindung mit seinem festen Glauben an Gott eine religiöse Überhöhung erfährt. Auf der anderen Seite wird durch einen Tempuswechsel auch ein Gegenwartsbezug zur nationalen Einigungsbewegung und zur Forderung nach der Aufhebung der Zensur hergestellt. Die beiden Kernforderungen werden zwar nicht direkt angesprochen, treten jedoch durch eine entsprechende Wortwahl hervor. Vaterland in deinen Gauen (Nr. 2) Bei diesem im Original als „Lied“ bezeichneten Abschnitt handelt es sich um den bekanntesten Teil des Festgesangs, welcher als „Gutenberglied“ populär geworden ist.966 Darin wird der Erfinder zum ersten und einzigen Mal direkt erwähnt und geehrt. Während in den einrahmenden Chorälen sowie in „Der Herr sprach: Es werde Licht!“ (Nr. 3) vorrangig die historische Einbettung und die religiöse Überhöhung der Erfindung des Buchdrucks erfolgte, finden sich im „Gutenberglied“ verschiedene Zeitbezüge, die für unser Thema von besonderem Interesse sind.967 Die Melodik des „Gutenbergliedes“ zeichnet sich durch Kantabilität aus. Einerseits übersteigt der Tonraum kaum die Oktave, andererseits gibt es außer in Takt 11 und 37 (siehe unten Notenbeispiel 1) keine weiteren großen Tonsprünge. Das Lied weist mit viertaktigen Abschnitten eine liedhafte Periodik auf. Man könnte aufgrund dieses Aufbaus sowohl von einem variierten Strophenlied als auch 966 Für die Bezeichnung „Lied“ im engeren Sinn und gegen einen Choral sprechen eine variierte strophische Gliederung, ein marschartiger Rhythmus, eine periodisch gegliederte Melodik und die typisch liedhaften Quartsextvorhalte mit Auflösung als Zeilenschlüsse. Siehe dazu JOST: Lied und KOCH: Choräle und Choralhaftes, S. 164. Zur Komposition siehe unten Anhang 6, S. 344 ff. 967 Zur Analyse der anderen Sätze siehe NICKEL: Mendelssohns „Festgesang“, S. 86–89 und S. 93–100.

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von einer Bar-Form (AAB) sprechen. Da jedoch der Terminus ,variiertes Strophenlied‘ zu eng mit dem Klavierlied verknüpft ist, liegt eine Bezeichnung als einfaches Strophenlied mit veränderter dritter Strophe, der Form nach AAA’, näher. Die Melodie erhält durch die Punktierungen einen marschartigen Charakter.968 Dieser wird durch die fanfarenartigen Ausbrüche des Männerchores im Fortissimo in der Oktave, die durch das gesamte Orchester beantwortet werden, verstärkt. Der antwortende Bläserchor unterstreicht mittels Punktierung im Fortissimo und durch ein zusätzliches Sforzato die Heldenverehrung Gutenbergs. Ein durch die Punktierungen und das Unisono hervorgerufener heroischer Charakter korrespondiert an dieser Stelle deutlich mit dem Text. Die Zeile steht ganz im Zeichen der glorifizierten Person Gutenbergs, an der nationaler Stolz und nationale Sehnsüchte festgemacht werden. Der Text der Nr. 2 rückt brisante aktuelle politische Themen, indirekt angesprochen, in den Mittelpunkt. Daraus ist der teilweise martialische Charakter dieses Stückes zu erklären.969 Durch die Hervorhebung an der gleichen Stelle (siehe unten Notenbeispiel 1) wird die dreifache Funktion Gutenbergs besonders herausgestellt.970

Notenbeispiel 1: Mendelssohn: Festgesang, Nr. 2, T. 9–13 und 35–39 968 Auch Mendelssohn spricht in seinem Brief an Edward Buxton vom 30. April 1843 von „soldierlike and buxom motions“. Siehe HENSEL: Familie Mendelssohn, S. 180. 969 Bezogen auf das von Mendelssohn angesprochene „soldierlike“ (siehe EBD.) lassen sich hinsichtlich der sich abzeichnenden „Rheinkrise“ Assoziationen zu den Befreiungskriegen herstellen, die die Wehrhaftigkeit Deutschlands gegenüber Frankreich herausstellen sollen. 970 Siehe oben S. 285 ff.

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Die ersten beiden Strophen sind schlicht harmonisiert. Durch den Wechsel von G-Dur und D-Dur wird der enge Kadenzrahmen nicht durchbrochen. Das geschieht jedoch mit der Veränderung der Melodie in der dritten Strophe nach der Auftaktquarte. Nachdem die 2. Strophe in der Tonika G-Dur endet, findet nun eine Modulation nach A-Dur statt, welche zu Beginn von Takt 25 abgeschlossen ist. Die mit dem Harmoniewechsel einhergehende melodische Variation hat mit dem Text zu tun. Nachdem die ersten beiden Strophen Gutenberg als Nationalheros und als Wegbereiter der nationalen Einigung preisen, wird am Anfang der dritten Strophe das Ringen um die Aufhebung der in Sachsen vier Jahre zuvor verschärften Zensur – metaphorisch als Kampf der Finsternis mit dem Licht dargestellt – thematisiert.971 Durch die Sforzati im Instrumentalensemble (T. 21), den fallenden Tritonus im Chor (T. 23) und durch die häufige Folge von Punktierungen wird der verzweifelte Kampf der Finsternis verdeutlicht.972 Die aufsteigende Linie in Takt 23 ff. symbolisiert noch einmal das letzte Aufbäumen der dunklen Mächte auf den Text „ob sie wütet, sich empört“. Das Aufbegehren ist jedoch umsonst, wie die nächsten Takte zeigen. Im Fortissimo und Unisono führt die Melodie sowohl in den Männerstimmen als auch in den Instrumenten nach unten. Jubelnd und einstimmig wird die Niederlage der finsteren Kräfte dargestellt: „sie erblasst, sie sinkt als Leiche“ (T. 25 ff.). Zur Bekräftigung des Sieges wiederholt sich – eingeleitet durch das Instrumentalensemble (ohne Trompeten) und verstärkt durch ein Sforzato (T. 27) – die Passage noch einmal, wobei der Text auf den Abschnitt „sie sinkt als Leiche“ (T. 28 f.) verkürzt ist. Das Ende dieses Abschnitts bringt den Sieg des Lichtes über die Finsternis musikalisch zum Ausdruck. Durch einen Beginn im Piano, ein bald einsetzendes Crescendo und eine chromatisch aufsteigende Linie im Männerchor, teilweise unterstützt durch das Blechbläserensemble, wird die langsame, aber unaufhaltsame Ausbreitung des Lichtes der Wahrheit in der ganzen Welt symbolisiert (siehe unten Notenbeispiel 2, S. 290). Nach der Darstellung des Sieges der Wahrheit kehren auf den Text „Gutenberg, du wackrer Mann“ in Takt 33 die ursprüngliche Melodie und ihre Begleitung aus den ersten beiden Strophen wieder. In den Besprechungen durch Robert Schumann in der Neuen Zeitschrift für Musik und durch Gottfried Wilhelm Fink in der Allgemeinen musikalischen Zeitung wurden die Angemessenheit, die Faktur und die allgemeine Wirkung gelobt, wobei die

971 Am 13. Oktober 1836 trat im Königreich Sachsen mit der „Verordnung über Verwaltung der Preßpolizei“ eine Verschärfung der Zensur in Kraft. Die Verwaltung der Preßpolizei ging vom Kultusministerium auf das Ministerium des Innern über, und ein Zensurschein wurde eingeführt. Siehe dazu Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, Jg. 1836, S. 278 ff. 972 Der punktierte Rhythmus in Takt 23 wird durch eine punktierte Achtel mit folgender Sechzehntel noch verschärft.

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Aufführungsumstände im Freien Kritik fanden.973 Weder bei Schumann noch bei Fink spielte der Text, dessen Inhalt und Form die spätere Rezeption negativ beeinflusste, eine Rolle. Während Schumann über den Text überhaupt kein Wort verlor, sprach Fink nur von einem „zweckmäßigen Texte“.974 Die Zurückhaltung bezüglich der Textkritik lag wahrscheinlich in der Rücksicht auf die Zensur begründet.

Notenbeispiel 2: Mendelssohn: Festgesang, Nr. 2, Takt 31–35

Neben verschiedenen Ausgaben scheint es noch eine Bearbeitung des „Gutenbergliedes“ gegeben zu haben. Dabei handelt es sich um eine Änderung des Textes durch Mendelssohns Jugendfreund Johann Gustav Droysen, der das über Leipzig hinaus bekannt gewordene Stück für eine in Kiel ansässige Liedertafel einrichten wollte:975 Sodann – ob ich schon davon gesagt, weiß ich nicht – unterlege ich Deinem tapferen Gutenbergsliede für unsere soeben entstandene Liedertafel, die 150 singende Mitglieder zählt, einen andern Text, wenn du es erlaubst. Statt ,Gutenberg‘ heißt es dann ,Vaterland‘ und ,deutsches Volk‘, und wenn es niedergeschrieben ist, schicke ich es dir

973 Siehe dazu Neue Zeitschrift für Musik, Nr. 2, 2. Hbd., 4. Juli 1840, S. 7 sowie Allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 30, 22. Juli 1840, Sp. 611 f. 974 EBD., Sp. 611. 975 Zu Droysen siehe oben S. 275, Anm. 913.

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zur Approbation. Überhaupt wäre das ganz eine neue Art, wenn du einmal ein Lied mit einer Überschrift komponiertest und ich mache die Worte hinterdrein; ich wollte mich nicht mit deinen Waffen rächen!976

Durch die im Brief angedeuteten Textänderungen wird der Inhalt anscheinend in einen erweiterten nationalen Kontext gestellt. Gutenberg als Lichtgestalt gerät dabei in den Hintergrund. Die Bindung an einen konkreten Anlass wurde so aufgehoben, und es entstand dadurch ein zeitloses Werk.977 Die Bearbeitung Droysens und die anderen genannten Veröffentlichungen lassen auf eine allgemeine Beliebtheit der 2. Nummer des Festgesangs auch über Leipzig hinaus schließen. Dafür spricht auch der Bericht der Sächsischen Vaterlands-Blätter über das erste sächsische Männergesangfest 1842 in Dresden. Für den Berichterstatter stellte das Gutenberglied Mendelssohns die Initialzündung für die Begründung der sächsischen Männergesangfeste dar: Nur S a c h s e n , das industrielle, gesang- und festlustige Sachsen, was so große Kräfte für diesen Zweck hat, was unter Mendelssohn’s Leitung beim Gutenbergfeste in Leipzig das: ,Vaterland, in deinen Gauen brach der Tag des Lichtes an‘, schon so kräftig hinaustrug, daß es wohl seine Stärke erkennen konnte, ließ lange auf sich warten. Da kam Dresdens Liedertafel und sein Orpheus mit dem Programm zu einem sächs[ischen]. Männergesangfeste [...].978

* Das Gutenbergfest 1840 in Leipzig stand ganz im Zeichen der liberalen Kernforderungen nach Pressefreiheit und nationaler Einigung. Diese nationale Ausrichtung manifestierte sich einerseits an den die deutschen Bundesstaaten symbolisierenden und an der Festhalle angebrachten Fahnen. Andererseits kamen viele auswärtige Festteilnehmer vor allem aus jenen Städten und Bundesstaaten, in denen derartige Feiern verboten worden waren. Hinsichtlich der zentralen Forderung nach Pressefreiheit spielte die in vielfältigen Formen auftretende Lichtmetaphorik eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die „Flügel der Morgenröte“ waren Sinnbild der bürgerlichen Freiheit und wurden zum Stichwort der gesamten Leipziger Feier.979 Gerade am Festgesang ist eine inhaltliche und organisatorische Verwobenheit von Fest und Musik klar zu erkennen. Das Werk wurde an zentraler Stelle im 976 Brief vom 31. Dezember 1841 an Mendelssohn, in: WEHMER (Hg.): Ein tief gegründet Herz, S. 74. 977 Bei dem überarbeiteten Text handelt es sich wahrscheinlich um den Festgesang von Mendelssohn, der beim Gesangfest am 19.–21. Juli 1856 in Braunschweig anlässlich der 25-Jahr-Feier des Norddeutschen Sängerbundes erklungen ist. Im Programmheft wurde für den gegenüber dem Original geringfügig abweichenden Text kein Textdichter angegeben. Auch war die Kieler Liedertafel anwesend, was ebenfalls für die Annahme spricht, dass es sich hierbei um die Textbearbeitung durch Droysen handelt. Siehe dazu Programm zum Gesangfest Braunschweig 1856, S. 22 und 31 ff. 978 Sächsische Vaterlands-Blätter, Nr. 99, 18. August 1842, S. 403 (Hervorhebungen im Original). 979 ESTERMANN: Gutenbergfeiern, S. 153.

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Festablauf dargeboten und stimmte auf zentrale Elemente der öffentlichen Veranstaltung auf dem Markt ein. Weiterhin konnte die Festgemeinschaft auch aktiv an der Aufführung teilhaben, indem der abschließende Choral auf eine bekannte Choralmelodie mitgesungen wurde, was den das Volk vereinenden Charakter des Festes deutlich herausstellte. Die Anlage des Werkes ist ganz auf die inhaltliche Ausrichtung des Gutenbergfestes und auf den Aufführungsort und -zeitpunkt ausgerichtet. Durch den Text wurden Gutenberg, seine Erfindung und deren Auswirkungen auf die Menschheit durch neu textierte und einrahmende Choräle und die bei diesem Fest allgemein gebräuchliche Lichtmetapher – unter anderem in der Nr. 2: „Gutenberg, der deutsche Mann / Zündete die Fackel an“ – gepriesen und letztendlich, dem Zeitgeist entsprechend, religiös überhöht. Die Auswahl eines stimmgewaltigen Männerchores dürfte neben stimmtechnischen vor allem nationalpolitischen Überlegungen geschuldet gewesen sein. Die Männergesangbewegung hatte inzwischen eine führende Rolle innerhalb der bürgerlichen Bewegung übernommen. Die Männerchor-Festkantate spielte in der Anfangszeitzeit der Sängerfeste eine immer bedeutendere Rolle, da sie eine künstlerisch erhabene und zugleich religiöse Aura verbreitete und das politische Anliegen aufwertete.980 Mendelssohn selbst hatte offenbar keine Bedenken, nationale Inhalte und religiöse Elemente in einem Werk zusammen zu bringen, was besonders bei den Gesangfesten dieser Zeit üblich war. Auf der einen Seite gab es neu textierte Choralmelodien und einen freien Chorgesang mit religiösem Inhalt, auf der anderen Seite stand dem das Gutenberglied gegenüber, in dem an der Person Gutenbergs nationaler Stolz und nationale Sehnsüchte festgemacht wurden. Man kann also sagen, dass der Festgesang in Bezug auf Anlage, Besetzung und Text auf ein bestimmtes Ereignis, das Gutenbergfest 1840 in Leipzig, zugeschnitten war. Das kam inhaltlich einerseits durch die zentrale Stellung Gutenbergs als Erfinder und seine religiöse Überhöhung, andererseits, in indirekter Form, durch die separate Einbindung drängender nationaler Ziele zum Ausdruck. Bei der Frage nach Mendelssohns Motivation, den Auftrag einer Komposition anzunehmen, die auf einem politischen Text basierte, musste aufgrund fehlender diesbezüglicher Aussagen des Komponisten auf dessen politische Ansichten allgemein zurückgegriffen werden. Aus diesen lassen sich jedoch den Festgesang betreffende Schlussfolgerungen ziehen. Die Tatsache, dass sich zentrale Forderungen der bürgerlichen Nationalbewegung mit eigenen Überlegungen des Komponisten deckten, lässt auf eine politische Motivation schließen.981 980 BRUSNIAK/KLENKE: Sängerfeste und Musikpolitik, S. 44. 981 Es stellt sich spätestens hier die Frage, ob auch andere Männerchorlieder Mendelssohns auf ähnliche Art und Weise politisch zu interpretieren sind. Nach eigenen Untersuchungen und laut Aussage von Dr. Ralf Wehner von der Leipziger Mendelssohn-Gesamtausgabe (12.01.2012) ist das nicht der Fall. So wurde bspw. beim Rheinweinlied (MWV G 35) fast jeder nationalistische Anklang herausgenommen.

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6.2 Robert Schumann und die Drei Freiheitsgesänge für Männerchor mit Begleitung von Harmoniemusik (ad libitum) (WoO 4) Die sogenannten „Revolutionschöre“ Schumanns haben bisher in der Schumann-Literatur nur am Rande Erwähnung gefunden. Eine ausführliche Besprechung ist, abgesehen von Kurzanalysen, noch nicht erfolgt.982 Robert Schumann und die Dresdner Liedertafel Nachdem Ferdinand Hiller am 9. November 1847 als Dirigent der Dresdner Liedertafel in Richtung Düsseldorf verabschiedet worden war, trug der Gesangverein Robert Schumann die musikalische Leitung an.983 Das Vorstandsmitglied Maximilian Leopold Löwe984 suchte den Komponisten deswegen am Nachmittag des 19. November 1847 auf. Am Abend des 20. Novembers 1847 fand dann die erste Probe unter Schumanns Leitung statt.985 Für gut elf Monate führte er diesen bedeutenden Dresdner Männerchor und nahm an dessen Reisen, Festveranstaltungen und Konzerten teil. Die neue Chorleitertätigkeit inspirierte sein kompositorisches Schaffen: Schon für den ersten Abend, an dem er offiziell sein Amt antrat, hatte er einen Männerchor auf einen Test von Friedrich Rückert komponiert, und ihm schloss sich eine Reihe anderer Kompositionen für Männerchor an: die ,Ritornelle von Rückert in kanonischer Weise für mehrstimmigen Männergesang‘986 und die ,Drei Gesänge für Männerchor‘987 [...] noch vor Jahresschluss, wovon namentlich die ,drei Gesänge‘ Robert selbst sehr befriedigten.988

982 Siehe dazu SYNOFZIK: Drei Freiheitsgesänge; DERS.: Drei Gesänge, S. 468 und ABERT: Schumann, S. 41 f. 983 HARTWIG: Erinnerungsblätter, S. 29. 984 Der Philologe und Philosoph Löwe (1795–1865) war Professor für Deutsch an der 1828 eröffneten Technischen Bildungsanstalt in Dresden. Er zeichnete für die Organisation der beiden sächsischen Männergesangfeste in Dresden 1842 und 1843 verantwortlich. In der Dresdner Liedertafel, deren Vorstand er schon früh angehörte, bekleidete er das Amt des 1. Schreibmeisters. Zu Löwe siehe BAUDIS: Löwe. Zu Schumann als Liedermeister der Dresdner Liedertafel siehe unten S. 293 ff. 985 NAUHAUS (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 445. Anfangs notierte Schumann in seinem Tagebuch jede Probe der Liedertafel und nummerierte diese auch bis zur neunten Veranstaltung. Anschließend finden sich nur noch sporadische Eintragungen. 986 Die aus sieben plus zwei (Anhang) Gesängen bestehenden Ritornelle (op. 65), in denen die hohe Wertschätzung Friedrich Rückerts durch Schumann zum Ausdruck kommt, wurden in der Probe am 4. Dezember 1847 gesungen. Im Juli 1849 kam es zum Druck bei Breitkopf & Härtel. Zu den Ritornellen siehe BRUSNIAK: Ritornelle nach Friedrich Rückert und SYNOFZIK, Thomas: Ritornelle in canonischen Weisen. 987 Es handelt sich dabei um die Drei Gesänge für Männerchor (op. 62). Siehe dazu BRUSNIAK: Drei Gesänge und unten, S. 297. 988 LITZMANN: Clara Schumann, S. 173.

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Schumann nutzte demnach ausgiebig die Gelegenheit, einem Chor vorzustehen und für diesen verstärkt zu komponieren. Natürlich musste er dabei auf die spezifischen Bedürfnisse und auch Fertigkeiten der Laiensänger eingehen. Besonders ambitioniert durften die Gesänge für Männerchor also nicht sein. Deshalb beschränkte sich Schumann größtenteils auf homophone Sätze und einfache Strophenlieder mit begrenzter Harmonik. Wenn er auch seine künstlerische Potenz nicht voll entfalten konnte, so bot sich ihm hier doch die Gelegenheit, verstärkt für Männerchor zu komponieren, politische Ansichten auszutauschen und ins kompositorische Schaffen einfließen zu lassen. Als Schumann im November 1847 zum Liedermeister der Dresdner Liedertafel gewählt wurde, entstanden patriotische und freiheitliche Lieder für vierstimmigen Männerchor.989 Diese konnten dann sogleich geprobt werden. In den Proben der Dresdner Liedertafel fand zu dieser Zeit in jeder Versammlung eine politische Debatte „in strenger parlamentarische[r] Form“ statt.990 Daher erscheint es nicht abwegig, dass Schumanns politische Lieder in diesem Zusammenhang oft erklungen sind und sich der Komponist selbst an den politischen Debatten beteiligte. Dass die Politik besonders im Revolutionsjahr eine große Rolle gespielt hat, geht aus den Protokollen der Dresdner Liedertafel hervor. So berichtete der Schreibmeister am 15. März 1848: „Die Gespräche waren sämtlich auf die politischen Zeitereignisse gerichtet.“991 Schumanns musikalische Leitung der Dresdner Liedertafel war aber nur von kurzer Dauer. Das hatte hauptsächlich zwei Ursachen. Zum einen konnte die einfache und konservative Satzweise einen progressiven Komponisten wie Schumann auf längere Sicht nicht befriedigen. Zum anderen kam am 5. Januar 1848 die Leitung des von ihm gegründeten Vereins für Chorgesang hinzu, die seine Zeit zusätzlich in Anspruch nahm.992 Zur Niederlegung des Dirigats der Dresdner Liedertafel entschied er sich laut seinem Tagebuch am 21. Oktober 1848. Dort ist folgender Eintrag zu finden: „der ,Liedertafel‘ abgeschrieben“.993 Über seine Demission und deren Ursachen berichtete er in einem Brief an den Geiger und Komponisten Johann Joseph Hermann Verhulst:

989 In diesem Zusammenhang sind v. a. die patriotischen Drei Gesänge für Männerchor (op. 62) zu nennen, die zwar auf die Befreiungskriege rekurrierten, aber direkt auf die Zeitereignisse Bezug nahmen. Siehe dazu SYNOFZIK: Drei Gesänge, S. 467 und BRUSNIAK: Drei Gesänge, S. 406 f. 990 KÖTZSCHKE: 100 Jahre Dresdner Liedertafel, S. 19. 991 Zit. n. EBD., S. 32. 992 Dieser „Chorverein“ ist als einer der Vorläufer der 1884 gegründeten Singakademie Dresden anzusehen. Siehe dazu BÜTTNER (Hg.): Schumannsche Singakademie und SYNOFZIK: Dresdner Chorverein, S. 468 f. 993 NAUHAUS (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 473.

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Auch im Dirigieren hab’ ich mich gut geübt. Ich habe hier einen Chorverein gegründet, der in vollstem Flor steht. Auch einen Männergesangverein dirigierte ich, gab’s aber wieder auf, da er mir zuviel Zeit kostete. Und hat man den ganzen Tag für sich musiziert, so wollen einem diese ewigen Quartsextakkorde des Männergesangstils auch nicht munden.994

Dass für seinen Abschied von der Liedertafel nicht politische, sondern künstlerische Motive eine gewichtige Rolle spielten, bringt auch folgende resignierende Aussage über die Dresdner Liedertafel zum Ausdruck: „Der Chor will nicht zu viele Kreuze und Bee, er singt sonst ungern und falsch obendrein.“995 Mit der Niederlegung des Amtes des Liedermeisters zog sich Schumann aber nicht aus dem Vereinsleben der Dresdner Liedertafel zurück, sondern blieb diesem weiter verbunden. So nahm er unter anderem am Stiftungsfest der Dresdner Liedertafel am 29. Januar 1849 teil.996 Am 30. August 1850 feierte die Dresdner Liedertafel zu Ehren Schumanns, der nach Düsseldorf ging, auf der Brühlschen Terrasse ein Abschiedsfest.997 Ende 1852, als Schumann schon zwei Jahre in Düsseldorf weilte, ernannte ihn die Dresdner Liedertafel zu ihrem Ehrenmitglied.998 Schumanns demokratische Gesinnung Robert Schumann hat sich zeit seines Lebens mit explizit politischen Äußerungen in der Öffentlichkeit sehr zurückgehalten. Dies mag zum einen politischer Vorsicht und Rücksicht auf seine Familie und zum anderen „seiner außergewöhnlichen Zurückhaltung und Verschlossenheit“ geschuldet gewesen sein.999 So sind Hinweise auf seine politische Gesinnung vorzugsweise in seinen Tage-, Haushalts- und Notizbüchern sowie in Briefen zu finden. Da „dem politischen Schumann [...] nicht mit Geschmacksurteilen beizukommen [ist]“ und seine diesbezüglichen Ansichten „nur vor einem geschichtlich definierten Hintergrund überhaupt zu verstehen [sind]“,1000 werden im Folgenden entsprechende ausgewählte Einträge in Tagebüchereintragungen und Äußerungen in Briefen mit historischen Erläuterungen versehen. Robert Schumanns Vater August Schumann war in Zwickau Schriftsteller und Verleger. Er gab ab 1817 die Erinnerungsblätter für gebildete Leser heraus. Gleich in 994 995 996 997 998 999

Brief vom 4. November 1848 in: MÜNNICH (Hg.): Schumanns Briefe, S. 288. SCHUMANN: Gesammelte Schriften, S. 490. NAUHAUS (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 482. KÖTZSCHKE: 100 Jahre Dresdner Liedertafel, S. 28. LENKE: Schumanns Dresdner Jahre, S. 65. KÖTZSCHKE: 100 Jahre Dresdner Liedertafel, S. 28. Nach Reinhard Kapp erlaubte ihm „seine Persönlichkeitsstruktur [...] keine öffentlichen Auftritte. Selbst in der privaten mündlichen Diskussion ist er gewöhnlich ohnmächtig.“ Zit. n. KAPP: Schumann nach der Revolution, S. 320. 1000 EBD., S. 316.

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der ersten Ausgabe erschien darin ein Artikel über die Rede des Burschenschaftlers Heinrich Arminius Riemann beim Wartburgfest 1817.1001 Im Hause Schumann hing, als Ausdruck der Verbundenheit mit den Zielen der Burschenschaft, ein Bild des Kotzebue-Attentäters Karl Ludwig Sand.1002 Die Sympathie mit den Idealen der organisierten Studenten, die Robert Schumann im Vaterhaus erlebte, schlug sich 1825 in der Gründung eines burschenschaftlich organisierten literarischen Schülervereins am Zwickauer Gymnasium nieder.1003 Später trat er in Heidelberg der Studentenverbindung Saxo-Borussia ein.1004 Einigen Einfluss auf Schumanns politische Bildung hatte sein Lehrer, der Journalist und oppositionelle Politiker Karl Ernst Richter.1005 Dieser war mit Schumanns Vater befreundet. Richters oppositionelle Wochenzeitschrift Die Biene wurde 1833 verboten, woraufhin dieser in die Emigration in die USA und später von dort in die Schweiz ging, bevor er 1848 nach Sachsen zurückkehrte. Als im Juli 1830 die Revolution in Paris ausbrach, machte sich Schumann über die Ausbreitung der Erhebungen in Europa Notizen in seinem Tagebuch.1006 Über den Aufenthalt in Straßburg berichtete ein Jugendfreund: Kurz nach den Julitagen reisten wir nach Straßburg und besahen uns den neuen französischen Enthusiasmus. Er [Schumann] freute sich auch über die belgische Revolution [1830/31], ohne gerade ein engagirter Demokrat zu sein.1007

Die Anteilnahme an der Revolution ging so weit, dass er im August 1830 in Straßburg auch revolutionäre Parolen aufnimmt. Es handelt sich dabei um eine auf den Königssturz gemünzte Paraphrase des Vaterunsers, das mit folgenden Worten beginnt: „Unser gewesener König, der du bist ein Hallunke; dein Name werde verwünscht; dein Reich komme nimmer über uns; dein Wille geschehe weder in Frankreich noch anderswo [...].“ Es endete mit den Worten: „Denn aus ist dein Reich, deine Macht u. Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“1008 Schumann verfolgte also aufmerksam die politischen Ereignisse in und außerhalb Deutschlands. So schrieb er an seine spätere Frau Clara Wieck: „[...] es afficirt mich alles, was in der Welt vorgeht, Politik, Literatur, Menschen.“1009 So 1001 Der Theologe Riemann (1793–1872) war Mitglied des Lützower Freikorps und Mitgründer der Jenaer Urburschenschaft. In der Festansprache auf der Wartburg am 18. Oktober 1817 rief er vor 500 Studenten zu Freiheit und Einheit auf. Im Jahr 1848 bekam Riemann im ersten frei gewählten Landtag in Mecklenburg ein Mandat. Er unterstützte die „Reichsverfassungskampagne“ und sympathisierte mit der badischen Revolution im Sommer 1849. Zu Riemann siehe KOCH: Riemann und HOFMANN: Riemann. 1002 Siehe dazu EISMANN: Schumann, S. 24. 1003 Siehe hierzu SCHOPPE: Schumanns „litterarischer Verein“. 1004 Siehe EISMANN (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 231. 1005 Zu Richter siehe oben S. 44, Anm. 51. 1006 Siehe EISMANN (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 323. 1007 Zit. n. KNEPLER: Musikgeschichte, S. 789. 1008 Zum genauen Wortlaut siehe EISMANN (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 323. 1009 Brief an Clara Wieck vom 13./16[?]4.1838. Siehe MÜNNICH (Hg.): Schumanns Briefe, S. 186.

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interessierte ihn der Sonderbundskrieg im November 1847 in der Schweiz, welchen er als Auftakt zu weiteren revolutionären Erhebungen ansah.1010 Den Sieg der liberalen protestantischen Truppen über den konservativ-katholischen Sonderbund begrüßte Schumann mit folgenden Worten: Wem hätten nicht die Siege der freien Schweiz das Herz gerührt. In den Eichendorffschen Gedichten fand ich eines, wie es auf die augenblicklichen Zustände nicht schöner passen könnte, noch dazu höchst poetisch. Soll so ein Stück einschlagen, so muss es rechtzeitig in der Welt einschlagen. [...] Das ganze Heft ließe sich noch als gutes Weihnachtsgeschenk dem Fürst Metternich bescheeren.1011

Den Titel des hier gemeinten Gedichts Der Tiroler Nachtwache, welches 1810 anlässlich des Hofer-Aufstandes entstand, formulierte Schumann in seiner Komposition für vierstimmigen Männerchor in Der Eidgenossen Nachtwache um.1012 So stellte der Komponist einen aktuellen Gegenwartsbezug zum Sonderbundskrieg in der Schweiz her. Schumann verfolgte in seinem Lektürebüchlein die vorrevolutionären Ereignisse in Deutschland sehr aufmerksam. Er selbst war mit dem Oppositionspolitiker und späteren sächsischen Innenminister Martin Gotthard Oberländer befreundet, den er aus Zwickau kannte.1013 Oberländer setzte sich als Zwickauer Stadtrat beim ersten Schumann-Fest 1847 dafür ein, die Dresdner Regierung einzubeziehen.1014 Dass Schumann auch das revolutionäre Geschehen der Jahre 1848/49 in Deutschland und in Sachsen genau beobachtete, geht aus zahlreichen stichpunktartigen Eintragungen in seinen Tage- und Notizbüchern hervor. Unter dem 28. Februar schreibt er von den „Pariser Nachrichten“.1015 Damit sind die heftigen Kämpfe um den 23./24. Februar 1848 in Paris gemeint, die zum 1010 KAPP: Schumann nach der Revolution, S. 327. Zum Sonderbundskrieg vom 3. November bis 29. November 1847 siehe REMAK: Bruderzwist nicht Brudermord. 1011 Siehe Brief Robert Schumanns an den Verleger Friedrich Whistling (1808–1861) vom 22. Dezember 1847. Zit. n. SYNOFZIK: Schumann und demokratische Bewegungen, S. 4. Davor bot er die Partitur auch den Verlagen Kistner und Peters in Leipzig an, die ihm jedoch absagten. Siehe BRUSNIAK: Drei Gesänge, S. 406. 1012 Die Komposition erschien im Februar 1848 zusammen mit dem Freiheitslied von Rückert und dem Schlachtgesang von Klopstock als op. 62 bei Whistling in Leipzig und wurde erstmals am 8. Januar 1848 bei der sechsten von ihm geleiteten Probe der Dresdner Liedertafel gesungen. Siehe NAUHAUS (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 450. Zur Analyse der Drei Gesänge für Männerchor siehe EBD., S. 406 f. 1013 Zu Oberländer siehe oben S. 238 f. 1014 Zum Schumannfest in Zwickau siehe den zeitgenössischen Zwickauer Zeitungsbericht in: EISMANN: Schumann, S. 155 und LITZMANN: Clara Schumann, S. 167–169. Auch bot Oberländer der Familie Schumann eine kostenlose Unterkunft in seinem Haus an. Siehe SYNOFZIK: Schumann und demokratische Bewegungen, S. 5. 1015 NAUHAUS (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 454.

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Sturz der Juli-Monarchie von 1830 führten. Die Einsetzung einer „Provisorischen Regierung“ und die unter dem Druck der Volksmassen ausgerufene Republik bildeten das Signal für die freiheitlichen Erhebungen in ganz Europa. Am 5. März 1848 notiert sich Schumann in sein Tagebuch: „Ungeheure politische Aufregung – die Pressefreiheit v. Bundestag erklärt“.1016 Bezug genommen wird hier auf den Beschluss des deutschen Bundestages vom 3. März, den deutschen Regierungen die Aufhebung der Zensur freizustellen. Daraufhin versprach der sächsische König, diese Vereinbarung dem neu zu wählenden Landtag zur Beschlussfassung vorzulegen.1017 Auch am 8. März 1848 ist von einer „ungeheure[n] politische[n] Aufregung“ die Rede.1018 Diesmal geht der Eintrag vermutlich auf die erste große Dresdner Bürgerversammlung im Hôtel de Pologne am 8. März zurück. Die daraus hervorgehende Petition mit wesentlichen Märzforderungen an den sächsischen König, die etwa 1.500 Dresdner Bürger unterzeichneten, trug wesentlich zur Bildung des sächsischen Märzministeriums unter Braun bei.1019 Die Eintragungen „Völkerfrühling“ vom 18. März und „Abends die großen Nachrichten a[us]. Berlin“ vom 19. März 1848 beziehen sich wahrscheinlich auf die ins politische Gedächtnis eingebrannten Barrikadenkämpfe von Berlin und deren Folgen.1020 Als der preußische König am 18. März die Einberufung des Vereinigten Landtages, die Pressefreiheit und die Verabschiedung einer Verfassung zugestand, wollte eine Menschenmenge dem König vor dem Berliner Schloss danken. Als aus der Menge Drohungen gegen das Militär laut wurden, ließ der König den Schlossplatz räumen. Anschließend begannen blutige Barrikadenkämpfe mit über 100 Toten. Daraufhin ließ der König am 19. März die Truppen aus Berlin abziehen und erwies den sogenannten „Märzgefallenen“ mit einer Verneigung seine Reverenz. Zwei Tage später stellte er sich symbolisch an die Spitze der liberalen und nationalen Bewegung, indem er mit einer schwarz-rotgoldenen Schärpe angetan durch die Straßen Berlins ritt und das Aufgehen Preußens in Deutschland verkündete. Unter dem 24. Mai findet sich der scheinbar harmlose Eintrag „Blumentisch f. Klara v. d. Polen“.1021 Dahinter steht das im liberalen Bürgertum seit der Julirevolution vorhandene Engagement für die vor russischer Fremdherrschaft geflohenen polnischen Freiheitskämpfer.1022 Auch in Dresden gab es seit Anfang April 1016 1017 1018 1019 1020 1021 1022

EBD., S. 455. Siehe dazu Dresdner Anzeiger, Nr. 92, 8. März 1848, S. 1. NAUHAUS (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 455. Siehe dazu oben Exkurs, S. 262. NAUHAUS (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 456. EBD., S. 461. Für die deutschen Liberalen waren die sich 1830/31 gegen Russland erhebenden Polen Opfer der „Heiligen Allianz“ und ein Vorbild für die nationale Erhebung. In fast allen deutschen Staaten bildeten sich sogen. Polenvereine. Zur Polenfreundschaft in Deutschland siehe EHLEN: Der polnische Freiheitskampf und HALLGARTEN: Deutsche Polenfreundschaft.

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1848 ein Polenkomitee zur Unterstützung der polnischen Revolutionäre, in dem sich besonders der Journalist Ernst Ludwig Wittig und der Hofpostamtssekretär Carl August Martin engagierten.1023 Auch die Schumanns sympathisierten mit den freiheitlichen Zielen der polnischen Exilanten, die teilweise auch ihre eigenen waren. Schon im März 1848 trat Clara Schumanns wohlwollende Anteilnahme für die Aufständischen im Gebiet des Großherzogtums Posen in einem Tagebucheintrag zutage: „Polen und Rußland sollen im Aufstande sein! Wie sollte es mich freuen, machte Polen sich wieder frei!“1024 Daraus ist zu erklären, warum sie am 23. Mai 1848 zusammen mit Johanna Wagner und Eduard Devrient an einer Matinee „Zum Besten eines wohltätigen Zweckes“ teilnahm. Hinter der karitativen Bezeichnung verbarg sich ein Konzert zugunsten der nach ihrer Niederlage am 9. Mai 1848 vor dem Terror des preußischen Militärs geflohenen polnischen Revolutionäre.1025 In ihrem Tagebuch schrieb Clara darüber: „Recht hübsch besucht, fast von lauter Polen. Viel Applaus, Gutes oder Schlechtes – einerlei!“1026 Aus dem Wörtchen „einerlei“ geht hervor, dass es bei dieser Veranstaltung weniger um die musikalische Qualität als um die zum Ausdruck gebrachte Solidarität mit den aufständischen Posener Polen ging. Auch in der zweiten Jahreshälfte 1848 beobachtete Schumann das politische Geschehen sehr aufmerksam, was sich sowohl in seiner Korrespondenz als auch in seinen Notizbüchern zeigt. So informierte er sich über den Wiener Oktoberaufstand von 1848.1027 Dessen Niederschlagung bezeichnete Schumann in einem Brief an den Komponisten Gustav Nottebohm vom 4. November 1848 als „Katastrophe“.1028 Sein Interesse fand auch die badische Revolution im Sommer 1849. Im Taschennotizbuch finden sich die Namen von Johann Ludwig Maximilian Dortu, Gustav Nikolaus Tiedemann, Wilhelm Adolph von Trützschler,

1023 Siehe dazu SCHRÖDER: C. A. Martin. Zu Wittig siehe auch oben Exkurs, S. 261 ff. 1024 LITZMANN: Clara Schumann, S. 179. 1025 Unter der Führung des polnischen Revolutionärs Ludwik Mierosławski (1814–1878) erhob sich im Großherzogtum Posen die polnische Bevölkerung im April und Mai 1848 gegen die preußische Herrschaft und für die Vereinigung ganz Polens, das seit 1831 unter direkter russischer Herrschaft stand. Am 9. Mai 1848 wurde der Aufstand von einer preußischen Übermacht niedergeschlagen und Mierosławski verhaftet. Zum Posener Aufstand 1848 siehe MAKOWSKI: Großherzogtum Posen. 1026 LITZMANN: Clara Schumann, S. 179. 1027 Zum Verlauf des Wiener Oktoberaufstand siehe DUNDER: Wiener October-Revolution. 1028 Zit. n. KAPP: Schumann nach der Revolution, S. 325. Der Begründer der Skizzenform Nottebohm (1817–1882) war Musikwissenschaftler und Komponist und ab 1840 Schüler Schumanns und Mendelssohns am Leipziger Konservatorium. Zu Nottebohm siehe MOSER: Nottebohm und zur Korrespondenz mit Robert Schumann FEDERHOFER-KÖNIGS: Wiener Musikleben, S. 47–101.

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Karl Höfer und Georg Böning.1029 Alle wurden nach ihrer Gefangennahme im Sommer 1849 standrechtlich erschossen.1030 Nachdem die Revolution in Dresden ausgebrochen war, flüchtete die Familie Schumann am 5. Mai 1849 aus Dresden. Dabei trafen sie auf Oberländer, der auf dem Weg zum König war, um diesen zum Nachgeben zu bewegen.1031 Die Flucht führte Schumann auf den Landsitz des Kunstmäzens Major Friedrich Anton Serre in Maxen.1032 Nach Clara Schumann fühlte sich das Ehepaar bei Serre nicht besonders wohl, weil sich dort Adlige aufhielten, „die vom Volke nur en canaille und Gesindel sprachen, so daß es einem ganz unbehaglich wurde – der Major ist der einzig liberale Mensch im ganzen Hause und sagte einige Male tüchtig den Aristokraten seines Herzens Meinung“.1033 Es war also eher die Sorge um seine große Familie als etwa politische Aversion gegen die Revolution, die Schumann nach Maxen trieb. Dass er mit seiner Frau emphatischen Anteil an den Maiereignissen nahm, zeigen die folgenden Ausführungen Claras: Donnerstag, den 10., hörten wir von schrecklichen Greueltaten, die das Militär verübte; alles schossen sie nieder, was sie an Insurgenten fanden. [...] Es ist zu schrecklich, solche Dinge erleben zu müssen! So müssen sich die Menschen das bißchen Freiheit erkämpfen! Wann wird einmal die Zeit kommen, wo die Menschen alle gleiche Rechte haben werden? Wie ist es möglich, daß der Glaube unter den Adligen, als seien sie andere Menschen als wir Bürgerlichen, so eingewurzelt durch so lange Zeiten hindurch sein konnte!1034

Nach ihrer Rückkehr nach Dresden waren Clara und Robert Schumann gezwungen, preußische Soldaten einzuquartieren. Dieser Umstand hat das republikanisch eingestellte Ehepaar sehr geschmerzt, wie Clara in ihrem Tagebuch auch zum Ausdruck bringt: Erst kommen sie [die preußischen Soldaten, Anm. S. N.], um unsre Bürger, die ihnen nichts getan, niederzuschießen, und dann müssen wir ihnen noch umsonst zu essen und zu trinken geben – das ist die Schmach! – Dresden wimmelt von Preußen, wo man geht und steht, stößt man auf sie, daß es einem ganz unerträglich wird [...].1035

1029 Zu den fünf Revolutionären siehe OZAWA: Am Anfang war das „Soldatenlied“, S. 234 f., Anm. 63. 1030 Siehe Anzeiger für die politische Polizei, S. 133, 197, 203 und 209. 1031 LITZMANN: Clara Schumann, S. 186 und NAUHAUS (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 490. 1032 Der Major und Kunstmäzen Serre (1789–1863) diente 1813 bei Großgörschen als Freiwilliger in den Befreiungskriegen. Im Jahr 1819 kaufte sich Serre das Schloss und Rittergut Maxen, das 15 km südlich von Dresden neben seiner Wohnung zum Zentrum literarisch-künstlerischen Lebens und auch gemeinnütziger Bestrebungen wurde. Clara und Robert Schumann gehörten zum engen Freundeskreis des Ehepaars Serre. Zu Serre siehe LIER: Serre. 1033 Zit. n. MÜNNICH (Hg.): Schumanns Briefe, S. 161. 1034 Zit. n. EBD. 1035 LITZMANN: Clara Schumann, S. 193.

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Trotz der Gewaltexzesse beim Dresdner Maiaufstand sympathisierte Schumann mit den Revolutionären. Das zeigt unter anderem sein Besuch des Konzertes „zum Besten der durch die Mai-Ereignisse Erkrankten und Verwaisten“ am 9. Juli 1849 in der großen Wirtschaft des Großen Gartens, zu dem er auch seine Kinder mitnahm.1036 Das Revolutionsjahr 1849 wurde zum fruchtbarsten Kompositionsjahr von Schumanns gesamter Schaffenszeit.1037 So entstanden während der Flucht aus Dresden einige Lieder aus dem Album für die Jugend (op. 68), davon die meisten auf Texte des Dichters Hoffmann von Fallersleben.1038 Sie weisen thematisch oft Frühlingsmotive auf – ein Symbol für den Völkerfrühling der Revolutionszeit.1039 Von Maxen zogen die Schumanns bald weiter nach Kreischa. Dort komponierte Robert Schumann Mitte Juni Vier Märsche (op. 76). Vokalwerke mit eindeutigen Texten zu schreiben, war in der auslaufenden Revolution im Sommer 1849 zu gefährlich geworden. Daher vertrat Schumann sein demokratisches Gedankengut in seiner Instrumentalmusik. Gegenüber seinem Verleger schrieb er über die Märsche, die er umgehend gedruckt haben wollte: „Ich wußte meiner Aufregung nicht besser Luft zu machen – sie sind mit wahrem Feuereifer geschrieben. [...] Bedingung: Sie müssen gleich gedruckt werden.“1040 Auf dem Titelblatt der Vier Märsche war ausdrücklich die Jahreszahl „1849“ vermerkt.1041 Seine Sympathie mit den revolutionären Ereignissen in Dresden ging so weit, dass Schumann plante, eine Oper mit Revolutionssujet zu schreiben.1042 In Dresden fühlte sich Schumann nach dem Scheitern der Revolution aufgrund der einsetzenden Restauration in der Nähe des königlichen Hofes nicht mehr wohl. Seine freiheitliche Gesinnung war einflussreichen Kreisen der Stadt durchaus bekannt, was vermutlich sein berufliches Fortkommen behinderte. Als ihn der berühmte Shakespeare-Übersetzer Graf Wolf Heinrich von Baudissin von den Vorzügen der konstitutionellen Monarchie zu überzeugen versuchte, antwortete Schumann ihm: „Die Republik bleibt doch die beste Staatsform!“1043 Resigniert nutzte der Komponist die Möglichkeit, im Jahr 1850 Nachfolger Ferdinand Hillers als Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf zu werden. 1036 NAUHAUS (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 497. 1037 Zum Einfluss des Dresdner Maiaufstandes auf Schumanns Lied-Kompositionen siehe JOHN: Dresdner Maiaufstand und Schumann. 1038 Siehe zu diesen Liedern folgenden Aufsatz: OZAWA: Am Anfang war das „Soldatenlied“. 1039 Daher trägt auch die CD mit Robert Schumanns Liedern aus der Zeit von 1840 bis 1849 den Titel „Völkerfrühling“. Zur CD-Einspielung siehe unten S. 302, Anm. 1045. 1040 Siehe MÜNNICH (Hg.): Schumanns Briefe, S. 290. 1041 OZAWA: Am Anfang war das „Soldatenlied“, S. 230, Anm. 48. 1042 Im Taschennotizbuch notierte Schumann: „Der Barrikadier (Opernstoff)“. Hauptperson hätte Gottfried Semper (1803–1879) sein können, der an vorderster Stelle am Barrikadenbau in Dresden beteiligt war. Siehe EBD. 1043 Zit. n. EISMANN: Schumann, S. 158. Zum Diplomaten, Schriftsteller und Übersetzer Graf von Baudissin siehe SCHNORR VON CAROLSFELD: Baudissin.

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Drei Freiheitsgesänge für Männerchor (WoO 4) Nachdem die Revolution Deutschland und somit auch Dresden als Heimat Schumanns erreicht hatte, setzte dieser sich auch kompositorisch mit der bürgerlichen Massenerhebung auseinander. Im April 1848 entstanden die Drei Freiheitsgesänge für vier Männerstimmen (WoO 4), auch „Revolutionschöre“ genannt. Dazu gehörten Zu den Waffen (Nr. 1) auf einen Text von Titus Ullrich, Schwarz-Rot-Gold (Nr. 2) auf einen Text von Ferdinand Freiligrath und Deutscher Freiheitsgesang (Nr. 3) auf einen Text von Julius Fürst, denen ursprünglich eine Begleitung durch Harmoniemusik unterlegt war. Gedruckt wurde jedoch nur der Deutsche Freiheitsgesang.1044 Ein gemeinsamer Druck der drei Gesänge blieb aufgrund des teilweise politisch brisanten Inhalts und des Scheiterns der Revolution erst Julien Tiersot 65 Jahre später vorbehalten.1045 Als Auslöser für die Komposition der drei freiheitlichen Lieder gilt die Übersendung des Gedichts Deutscher Freiheitsgesang durch den Orientalisten und Herausgeber Julius Fürst an Schumann am 27. März 1848, die mit der Bitte um Vertonung versehen war.1046

Abb. 15: Abschrift der Partitur der Freiheitsgesänge (Tbl. – Ausschnitt) 1044 Der Abdruck für Männerchor a cappella erfolgte im Herbst 1848 in: Album, Zum Besten des Frauenvereins, S. 18 f. 1045 Erst in einem Aufsatz in der Revue musicale (Nr. 4, 15. April 1913) veröffentlichte Tiersot im Anhang alle drei „Revolutionschöre“ mit einer von ihm hinzugefügten Klavierbegleitung. Eine Neuauflage erfuhren diese politischen Männerchorgesänge 1980 unter dem Titel Deutsche Freiheitsgesänge von 1848 durch Kurt Hofmann im Verlag J. Schuberth & Co in Hamburg (J.S. 110a), diesmal a cappella. Die Originalfassung mit Harmoniemusik ad libitum brachte 1998 Joachim Draheim heraus (siehe unten S. 303, Anm. 1047). 1046 Siehe Brief vom 27. März 1848 an Schumann. Abgedruckt in: HIRSCHBERG: Soldaten, Krieg und Vaterland, S. 58 f.

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Zu den Waffen (Nr. 1)1047 Als letzten der Freiheitsgesänge vertonte Schumann am 11. April das Gedicht Zu den Waffen des Schriftstellers Titus Ullrich.1048 Dieser war nach seinem Studium der Philosophie und der Altertumswissenschaften in Breslau und Berlin als Privatlehrer und Schriftsteller tätig. In Berlin machte Ullrich Bekanntschaft mit dem Religionskritiker und Junghegelianer Bruno Bauer und dem Philosophen und Journalisten Max Stirner (1806–1856). Mit ihnen verkehrte er im radikal-oppositionellen Klub „Die Freien“, dem auch Friedrich Engels und Karl Marx kurzzeitig angehörten. Von 1844 bis 1848 war Ullrich Mittelpunkt des Berliner „RütliKlubs“.1049 Im Jahr 1845 gab er die episch-didaktische Dichtung Das Hohe Lied als Erstlingswerk heraus, das Schumann innerhalb von drei Tagen gelesen hatte.1050 Mit der journalistischen Arbeit für die am 1. April 1848 gegründete liberale Berliner National-Zeitung konnte Ullrich seit Frühjahr 1848 seine finanzielle Lage verbessern. Schumann schätzte Ullrichs Werke und war mit ihnen sehr vertraut.1051 In einem Brief an seinen Verleger Whistling vom 24. April 1848 schrieb er Leipziger Freunden: „Die sollten Titus Ullrichs Victor lesen – das ist der wahre Revolutionsprophet gewesen!“1052 Nach der biografischen Skizze Ludwig Fränkels war Ullrich „nichts weniger als ein Mann der That“.1053 Vermutlich ist der Gesang Zu den Waffen bei der Probe der Dresdner Liedertafel am 15. April 1848 erklungen.1054 Nach Herrmann Abert spiegelt der Liedtext Ullrichs „die Enttäuschung des deutschen Volkes wider“, das bis dahin nur mit nicht gehaltenen Versprechungen der 1047 Die folgenden Ausführungen über Text und Komposition der Freiheitsgesänge beziehen sich auf nachstehende Ausgabe: SCHUMANN: Drei Gesänge für Männerchor. Bei der Analyse bleibt die Begleitung durch Harmoniemusik unberücksichtigt. 1048 NAUHAUS (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 457. Zu Ullrich (1813–1891) siehe EBD., S. 925; FRÄNKEL: Ullrich; SAUER: Ullrich und EDLER: Schumann und Ullrich. 1049 FRÄNKEL: Ullrich, S. 201. „Das Rütli“ in Berlin war vor 1848 eine zwanglose Gesellschaft von Künstlern, Schriftstellern und Privatiers. Diese versammelten sich wöchentlich und gaben gemeinsam eine Zeitung heraus, aus der sich 1848 der Kladderadatsch entwickelte. Bekannte Mitglieder waren die Schriftsteller Theodor Fontane (1819–1898), Theodor Storm (1817–1888), Paul Heyse (1830–1914) und der Maler Adolph Menzel (1815–1905). Zum „Rütli“ siehe BERBIG/WÜLFING (Hg.): Rütli. 1050 EDLER: Schumann und Ullrich, S. 109. Der Name Ullrich taucht in Schumanns Tagebüchern erstmals 1832 auf. Siehe EISMANN (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 366. 1051 In einem Brief vom 28. Juni 1847 an Christian Friedrich Hebbel (1813–1863) spricht Schumann davon, dass er Ullrichs Werke „fast auswendig“ kenne. Siehe ERLER: Schumanns Leben, S. 30. Nachweislich traf Schumann den von ihm verehrten Dichter im Februar 1847 in Berlin. Siehe NAUHAUS: Schumanns Lektürebüchlein, S. 86, Anm. 18. 1052 Boetticher: Schumann, S. 191. 1053 FRÄNKEL: Ullrich, S. 202. So schrieb Ullrich nach den Berliner Ereignissen um den 18. März 1848 das Revolutionsgedicht „Die Todten des 18. März“, das im Jahr darauf veröffentlicht wurde. KAPP: Schumann nach der Revolution, S. 389. 1054 NAUHAUS (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 458.

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Fürsten abgespeist wurde.1055 Nun ist die erhoffte Revolution in Deutschland im März 1848 endlich ausgebrochen: „Der Geist erstehet aus dem Grab / Mit neuem Tag im Bunde!“ (Str. 1). Aber der bisherige Verlauf geht dem Textdichter nicht weit genug. Seiner Meinung nach geben sich die nach Freiheit sehnenden Bürger mit wenigen Zugeständnissen wie z. B. der Gewährung von Pressefreiheit zufrieden: „Und ihr gebt noch den Herren Dank, / daß sie euch so vergnügen?“ (Str. 1). Dabei sind solche minimalen Konzessionen der Fürsten durch den Druck von der Straße unausweichlich geworden. In der zweiten Strophe spricht Ullrich diesbezüglich von einem „Gaukelspiel“, das die Revolutionäre ahnungslos „geäfft umlunger[n]“. Seiner Meinung nach reicht die Aufhebung der geistigen Knebelung für eine wirklich umfassende Revolution nicht aus: Noch gibt es Linnen, gibt noch Brot, Zu speisen euch, zu kleiden: Ein Wort, ein Wort, und eure Not Verwandelt sich in Freuden! (Str. 2)

Erst existentielle Nöte wie Armut und Hunger können den Blick für die Machenschaften der Herrschaftseliten schärfen und die Bereitschaft zur revolutionären Erhebung wecken. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen die wirklichen Revolutionäre still leiden: „O Qual, zu tragen ein Herz so voll, / und knirschen müssen in stummem Groll!“ (Str. 3). In der dritten Strophe tritt die antikirchliche und sozialrevolutionäre Zielrichtung des Gedichts unverhüllt hervor. Hier kommt der Einfluss des Linkshegelianers und Religionskritikers Bauer auf Ullrich zur Geltung. Mit der Textzeile „Das Reich, und die Kraft, die Herrlichkeit!“, die zuvor als „mystisch[es] Dreieck“ bezeichnet werden, zitiert Ullrich den Schluss des Vaterunsers, eines der zentralen Gebete des Christentums. Dadurch bringt er die Institution Kirche in Zusammenhang mit der geistigen und rechtlichen Unterdrückung der Bevölkerung im Vormärz. Die Ursache dafür sei in der für die Revolution unheilvollen Allianz von Thron und Altar im 19. Jahrhundert zu suchen. Die enge Anbindung der Kirche an die Staatsführung, symbolisiert durch den Summepiskopat der evangelischen Landeskirchen,1056 habe diese das Gefühl für die Bedürfnisse und Nöte der Bevölkerung verlieren lassen: Schaut auf, daß ihr nicht wittert, Wie unten klafft die Fuge weit, Und Säul’ und Angel zittert!

1055 ABERT: Schumann, S. 41. 1056 Der Summepiskopat war ein staatskirchenrechtliches System, innerhalb dessen das Staatsoberhaupt als summus episcopus („oberster Bischof“) die kirchenleitende Funktion in der ihm unterstehenden Landeskirche ausübte.

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Hier wird die soziale Frage, die durch die vorwärtsschreitende Industrialisierung und gravierende Ernteausfälle in Deutschland im späten Vormärz zunehmend an Schärfe und Dringlichkeit gewonnen hatte, angesprochen. Die Kirche fällt bei der Lösung derselben aufgrund der beschriebenen Nähe zur Staatsgewalt aus. Die Überwindung der rechtlichen und materiellen Ungleichheit kann daher nur durch eine revolutionäre Volkserhebung erreicht werden. Endlose Verhandlungen mit den Fürsten, die nur minimale Zugeständnisse zur Folge haben, bringen das deutsche Volk der wirklichen Gleichheit nicht näher. Solange sich diese Einsicht nicht beim Großteil des liberalen und auch des demokratischen Bürgertums durchsetzt, kann eine wirkliche Revolution nach dem Vorbild Frankreichs nicht stattfinden. Deren Verfechter sind die Hände gebunden: „Ha, fühlen des Armes gewalt’ge Sucht, / Und führen nicht können des Schlages Wucht!“ (Str. 3) Mit diesem Appell an die Deutschen, die Waffen zu ergreifen anstatt sinnlose Verhandlungen zu führen, endet dieses Gedicht. Der erste der Freiheitsgesänge ist als der „musikalisch bedeutendste“ anzusehen.1057 Das in b-Moll stehende Stück ist zu Schumanns Lebzeiten nachweislich nicht öffentlich aufgeführt worden. Im Anfangsteil der Komposition (T. 1–8) dominiert das oktavierte Unisono. Auf der letzten Silbe der ersten Zeile „erklingt enthüllend“ ein es-Moll-Akkord (T. 2) im sf, der laut Synofzik „tonartlich die Geisterstunde heraufbeschwört“.1058 Bekräftigt wird dies noch durch ein messa di voce auf dem Wort „Geister“ im Takt 3. Im ersten Teil des Mittelteils (T. 9–16) tändelt es zwischen den eröffnenden Tenören und den als Echo antwortenden Bässen hin und her. Durch das Mittel der Chorspaltung wirkt dieser Abschnitt besänftigend und abwiegelnd – der Volkszorn droht gebändigt und kanalisiert zu werden. Mit den markanten Sforzati auf „falsch“ (T. 13) und „Gift“ (T. 14) sowie mit dem Akzent auf dem Wort „Lügen“ (T. 16) sollen aber die potentiellen Revolutionäre aus der Apathie gerissen werden. Der triolierende Zweiertakt im Schlussteil (T. 17–23) steht im ff und in der parallelen Tonart Des-Dur. Dadurch wird die aufgestaute Unduldsamkeit der Revolutionäre ausgedrückt, die den Sieg bringenden Kampf sehnsuchtsvoll erwarten. Die ersten beiden Strophen enden dann jeweils in der hoffnungsvollen Dur-Dominante auf einer Fermate. Dadurch wird die Hoffnung auf die jeweils nächste Strophe geschürt, dass die „wahre Revolution“ nun endlich ausbricht. Am Ende der dritten Strophe gibt es zwar „einen rhythmisch scharf präcisirten Appell an die Waffen“,1059 der jedoch in der zugrundeliegenden Moll-Tonart endet und so mit dem resignierenden Grundcharakter des Gedichts korrespondiert.

1057 SYNOFZIK: Drei Gesänge, S. 468. 1058 DERS.: Drei Freiheitsgesänge, S. 400. 1059 ABERT: Schumann, S. 41.

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Abb. 16: Zu den Waffen von Titus Ullrich und Robert Schumann T. 1–3, 16–19 und 20–23

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Schwarz-Rot-Gold (Nr. 2) Den Gesang Schwarz-Rot-Gold komponierte Schumann am Nachmittag des 4. April 1848. Gegenüber seiner abwesenden Frau berichtete er davon: „Wir waren gestern abend nach der Pikardie zu. Vorher versuchte ich noch ein patriotisches Lied, das von Freiligrath, es ist mir auch nicht übel gelungen.“1060 Dieses revolutionäre Männerchorlied wurde nachweislich am 7. Juni 1848 bei einem Konzert „für [die] Ausrüstung einer deutschen Flotte“ in der großen Wirtschaft des Großen Gartens durch den Allgemeinen Dresdner Sängerverein gesungen.1061 Das am 17. März 1848 im Londoner Exil gedichtete Lied stammt vom radikaldemokratischen Freiheitsdichter Ferdinand Freiligrath, der damit auf die bisherigen Märzereignisse in Deutschland reagierte und zum bewaffneten Kampf für eine gesamtdeutsche Republik aufrief.1062 Freiligrath nahm 1842 eine Ehrenpension des preußischen Königs Friedrich Wilhelms IV. an, die er in einer Auseinandersetzung mit Georg Herwegh über das Verhältnis von Politik und Lyrik folgendermaßen begründete: „Der Dichter steht auf einer höhern Warte, als auf den Zinnen der Partei.“1063 Bald danach schritt die Politisierung des Dichters zum Republikaner voran, und er kündigte 1844 die königliche Pension wieder auf. Nachdem Freiligrath mit dem Gedichtband „Ein Glaubensbekenntniß“1064 den Übergang zur politischen Dichtung vollzogen hatte, ging der nun politisch verfemte Dichter im August 1844 ins Exil, aus dem er Anfang Mai 1848 nach dem Ausbruch der Revolution nach Düsseldorf und Köln zurückkehrte. Er schuf in dieser Zeit politisch radikale Gedichte, die ihn zum „Trompeter der Revolution“ werden ließen.1065 Im Juli 1848 war Freiligrath Delegierter beim 1060 BOETTICHER: Robert Schumann, S. 439. 1061 Dresdner Anzeiger, Nr. 181, 5. Juni 1848, S. 4. Daneben erklangen u. a. noch Sturmbeschwörung von Johann Rupprecht Dürrner, Liedesfreiheit von Heinrich Marschner, Deutscher Volksgesang von Johann Gottlob Müller und Wer ist unser Mann? von Carl Friedrich Zöllner. Siehe MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 75. 1062 Zu Freiligraths (1810–1876) Wirken in der Revolution siehe ZUMFELD: Freiligrath und die Revolution und GRIEL: Dichtung und Revolution. 1063 Zit. n. RÖSCH: Kunst und Religion, S. 267. Es handelt sich dabei um eine Verszeile aus Freiligraths Gedicht „Aus Spanien“, das in dem Gedichtband „Ein Glaubensbekenntniß“ herausgekommen ist. 1064 Darin postulierte Freiligrath liberale Forderungen nach einer Verfassung, bürgerlichen Grundrechten und Zensurfreiheit. Erst im politischen Gedichtband „Ça ira“ (Herisau) von 1845 rief er zur Volksrevolution und damit zum Sturz der bestehenden Ordnung öffentlich auf. Zum Gedichtband Glaubensbekenntniß siehe PLACHTA: Zensur, Selbstzensur und Exil. 1065 Zu diesen Gedichten gehören u. a. „Trotz alledem!“ und „Die Toten an die Lebenden“, in denen Freiligrath scharf die bürgerlichen Märzminister angriff, als er sie der Halbheit bezichtigte und ihnen vorhielt, die Vollendung der Revolution zu verhindern. Letzteres Gedicht führte im August 1848 zur Anklage durch die preußische Justiz. In einem aufsehenerregenden Prozess wurde Freiligrath aber freigesprochen. Zum Prozess siehe ZUMFELD: Freiligrath und die Revolution, S. 7 f. Die Bezeichnung Freiligraths als „Trompeter der Revolution“ stammt

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ersten gesamtdeutschen Demokratentreffen in Frankfurt/M. und im August 1848 beim rheinischen Demokratenkongress in Köln. Im Oktober 1848 trat er der Redaktion der Neuen Rheinischen Zeitung bei. Zeitgleich resultierte aus der redaktionellen Zusammenarbeit mit Marx und Engels die Mitgliedschaft im Bund der Kommunisten, womit Freiligraths politischer Radikalisierungsprozess seinen Kulminationspunkt erreichte.1066 Nach steckbrieflicher Suche im Zuge des heraufziehenden Kölner Kommunistenprozesses ging er am 12. Mai 1851 abermals ins Exil nach London.1067 Erst 1868 kehrte er nach einer Amnestierung wieder zurück. Seine Dichtung Schwarz-Rot-Gold war zum Entstehungszeitpunkt der Komposition noch nicht in Deutschland im Druck erschienen, sondern kursierte in Leipzig als Flugblatt.1068 Schumann bekam diese Dichtung durch den Leipziger Freund Ernst Ferdinand Wenzel zu Gesicht.1069 Aufgrund des aus der Feder eines prominenten revolutionären Dichters stammenden Textes avancierte dieser Männergesang zum populärsten der drei Freiheitsgesänge, wie überhaupt die Gedichte Freiligraths zu Kampfgesängen der demokratischen Bewegung wurden.1070 Zusammen mit den anderen im Februar und März 1848 entstandenen Gedichten handelt es sich auch hier um ein Begrüßungsgedicht der noch jungen Revolution.1071 Nach Volker Griel hatten diese Gedichte einen bestimmten „Appellcharakter“, nämlich „den des Aufrufs zum elanvollen und konsequenten politischen Handeln zur Fortsetzung und Weiterführung der Revolution mit dem entscheidenden Ziel einer

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von Friedrich Engels (1820–1895). Siehe GRAB: Freiligrath als „Trompeter der Revolution“, S. 122. Beim Bund der Kommunisten handelt es sich um den unter der Führung von Karl Marx und Friedrich Engels im Jahr 1847 reorganisierten Bund der Gerechten. Ziel des neuen Bundes war laut Statut der Sturz der alten Eliten und die Herrschaft des Proletariats und die Gründung einer neuen Gesellschaft ohne Klassen und Privateigentum. Als programmatische Schrift dieses Bundes ist das im Februar 1848 erschienene „Kommunistische Manifest“ anzusehen. Zum Bund der Kommunisten siehe HUNDT (Hg.): Bund der Kommunisten. Zum Verhältnis von Freiligrath und Marx siehe BÜTTNER: Freiligrath und Marx. Zum Kölner Kommunistenprozess von 1852 siehe GOLSONG: Kölner Kommunistenprozess und BITTEL (Hg.): Kommunistenprozess. ROESSLER: Schumann oder Freiligrath, S. 169. Wenzel schickte Freiligraths Flugblatt am 1. April 1848 an Schumann. OZAWA: „… daß ein Musikant es bald in Noten brächte“, S. 333 f. In einem vereinfachten Satz wurde dieses Lied v. a. von jungen Sozialdemokraten als Kampflied gesungen. Nach 1918 diente es dem Reichsbanner (Frontkämpferbund der Sozialdemokraten in der Weimarer Republik) in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus als offizielle Hymne. Siehe ROESSLER: Schumann oder Freiligrath, S. 170. Bei den anderen Gedichten handelt es sich um „Im Hochland fiel der erste Schuß“ und „Die Republik“, die beide im Februar als Reaktion auf den Ausbruch der Pariser Revolution entstanden sind sowie um „Schwarz-Rot-Gold“ und „Berlin“, die sich auf die Ereignisse in Hanau, Leipzig, Wien und Berlin bezogen. Alle wurden in der Deutschen-Londoner-Zeitung am 3., 10., 24. und 31. März veröffentlicht. Siehe GRIEL: Dichtung und Revolution, S. 348, Anm. 40.

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selbstbestimmten Republik und Volksdemokratie“.1072 Schon in der Anfangszeit der bürgerlichen Erhebung betonte Freiligrath, dass die Einsetzung der „Märzministerien“ und die Aufnahme oppositioneller Forderungen in die Verfassung keineswegs ausreichen, um die Revolution unumkehrbar zu machen. Das sei so lange nicht der Fall, wie die Fürsten noch auf ihren Thronen säßen und Deutschland noch nicht vereint sei. Von den ursprünglich zwölf Strophen fanden nur die erste, die zweite, die dritte und die letzte Strophe Aufnahme in die Komposition. Ob diese Auswahl unter Auslassung der „explizit republikanischen beziehungsweise fürstenfresserischen Strophen“ auf Schumann zurückgeht, muss offenbleiben.1073 Es ist aber zu vermuten, dass auch die anderen Strophen innerhalb der Dresdner Liedertafel gesungen und sie eher aus pragmatischen Beweggründen weggelassen wurden. Auch ist davon auszugehen, dass Schumann dieses Gedicht nicht zur Vertonung herangezogen hätte, wenn ihm nicht eine Identifikation mit dem gesamten Inhalt möglich gewesen wäre. In den ersten beiden Strophen kommt die Begeisterung über die im Entstehen begriffene Revolution in Deutschland zum Ausdruck. So heißt es in Mitte der ersten Strophe: „Ha! Wie das blitzt und rauscht und rollt!“ Jahrelang unterdrückte freiheitliche Regungen („In Kümmernis und Dunkelheit, / Da mussten wir sie bergen!“) können endlich frei artikuliert werden: „Nun haben wir sie doch befreit, / Befreit aus ihren Särgen!“ Damit sind bürgerliche Freiheitsrechte wie beispielsweise Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit gemeint. Symbolisiert werden die gewährten oder die noch zu erringenden Freiheiten durch die unterschiedlich konnotierte Farbenfolge „Schwarz-Rot-Gold“.1074 In diesem Zusammenhang handelt es sich eindeutig um die republikanisch-revolutionäre Sichtweise, denn den Farben werden im Refrain revolutionäre Attribute zugeordnet: „Pulver ist schwarz, Blut ist rot, golden flackert die Flamme!“ Das schwarze Pulver steht für den bewaffneten Aufstand gegen das monarchische 1072 EBD., S. 334. 1073 KAPP: Schumann nach der Revolution, S. 395. 1074 Die ersten, die diese Farben bewusst unter dem Rückgriff auf alte Bundesfarben wählten, waren die Mitglieder des Lützowschen Freikorps, deren Uniformen diese Farben kennzeichneten. Auf dem Wartburgfest im Jahr 1817 wurden diese Farben dann von den Burschenschaften und bald darauf von demokratischen und liberalen Gruppierungen als Symbol gegen Kleinstaaterei und Fürstenherrschaft eingesetzt. Seit dem Hambacher Fest 1832 galt die schwarz-rot-goldene Trikolore als Sinnbild für das Streben nach Freiheit, Bürgerrechten und deutscher Einheit. Am 12. November 1848 erließ die Frankfurter Nationalversammlung das „Gesetz betreffend Einführung einer deutschen Kriegs- und Handelsflagge“, in dem die Farben „Schwarz-Rot-Gold“ als nationales Symbol festgelegt wurden. Wegen des Widerstandes der Einzelstaaten konnte die allgemeine Einführung jedoch nicht umgesetzt werden. Zur Geschichte der Farben „Schwarz-Rot-Gold“ bis 1848 siehe KAUPP: „Lasset uns eine Farbe tragen“.

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Herrschaftssystem, das rote Blut für das dabei eingesetzte Leben und die goldene Flamme symbolisiert die zu erringende Freiheit und Gleichheit in einem republikanischen Staatssystem. Dies bringt auch der Text der achten Strophe deutlich zum Ausdruck: Die Freiheit ist die Nation, Ist aller gleich Gebieten! Die Freiheit ist die Auktion Von dreißig Fürstenhüten! Die Freiheit ist die Republik! Und abermals: die Republik! Pulver ist schwarz, Blut ist rot, Golden flackert die Flamme!

Erst wenn die „dreißig Fürstenhüte“ zugunsten einer Republik versteigert worden sind, die auf Freiheit und Gleichheit für alle beruht, ist für Freiligrath die Revolution vollendet. Die Revolution dürfe nicht bei politischen Fortschritten, die durch mühsame Verhandlungen mit den Fürsten erreicht werden, stehen bleiben: Das ist noch lang die Freiheit nicht, Wenn man, statt Patronen, Mit keiner andern Waffe ficht, Als mit Petitionen! (Str. 6)

Für Freiligrath geht es also nicht nur um die politische, sondern auch um die soziale Revolution, d. h. um nichts weniger als eine völlig neue Gesellschaftsordnung. Sie soll unter den symbolbehafteten Farben „Schwarz-Rot-Gold“ errungen werden. Dass die Erneuerung nicht ohne einen gewaltsamen Umsturz vonstattengehen kann und die entstandenen Märzregierungen nur den Beginn einer gesellschaftlichen Umwälzung darstellen können, bringt der Dichter in der zweiten Strophe zum Ausdruck: Das ist das alte Reichspanier, das sind die alten Farben! Darunter haun und holen wir Uns bald wohl junge Narben! Denn erst der Anfang ist gemacht, Hurra! Noch steht bevor die letzte Schlacht! Hurra!

Freiligrath war bemüht, vor allem bezüglich seiner politisch-sozialen Gedichte, seine Werke zwecks politischer Agitation in der aufbegehrenden deutschen Bevölkerung verbreitet zu wissen. Der Dichter wusste um die diesbezüglich großartigen Möglichkeiten durch den von Mund zu Mund sich schnell verbreitenden Gesang. Auch dürfte die flächendeckende Verbreitung des Männergesangwesens in Deutschland mit seinen öffentlichkeitswirksamen Gesangfesten dem im Exil

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weilenden Freiligrath nicht entgangen sein. So ist es durchaus denkbar, dass er beim Wunsch nach einer Vertonung in der zwölften und letzten Strophe an eine Komposition für Männergesang gedacht hat: Und der das Lied für euch erfand In einer dieser Nächte, Der wollte, daß ein Musikant Es bald in Noten brächte! Heißt das: ein rechter Musikant! Hurra! Dann kläng’ es hell durchs deutsche Land! Hurra!

An welche Art der Komposition Freiligrath auch immer gedacht haben mag, in Schumann hatte er den „rechte[n] Musikant[en]“ gefunden. Der im Gedicht zu Papier gebrachte Wunsch ist nicht einmal drei Wochen nach der Niederschrift durch den amtierenden Liedermeister der Dresdner Liedertafel in Erfüllung gegangen. Durch diese Komposition identifizierte sich Schumann mit dem Inhalt des revolutionären Gedichts, das auch in der stark reduzierten Strophenauswahl seine republikanische Ausrichtung nicht verlor. Schwarz-Rot-Gold kann durchaus als politisches Bekenntnis Schumanns in Form einer Komposition verstanden werden. Ebenso wie die beiden anderen Gesänge weist auch diese Komposition eine überwiegend homophone Struktur und eine einfache Strophenform auf. Der Ambitus reicht gegenüber den anderen Liedern aber mit D–a1 im Bass etwas über den normalen Rahmen hinaus. Hingegen erfährt der enge Kadenzrahmen keine Erweiterung. Die Tonart D-Dur lässt sich einerseits besser als das b-Moll in Zu den Waffen für einen Laienchor singen, andererseits handelt es sich neben Cund Es-Dur um eine bevorzugte Tonart für Vaterlands- und Freiheitslieder.1075 Während Zu den Waffen noch polyphone Einsprengsel aufweist, ist Schwarz-RotGold durchgängig homophon gehalten. Die ersten acht Takte haben einleitenden Charakter. Sie sind durch Punktierungen auf der Zählzeit „1“ und Dreiklangsbrechungen gekennzeichnet. Bei dem Wort „befreit“ im Takt 7 erklingt zum ersten Mal der höchste Ton a1 im Tenor 1, was die Wichtigkeit der Befreiung der metaphorisch hoch aufgeladenen „deutschen Farben“ musikalisch unterstreicht. Im ersten Abschnitt wird die Vorgeschichte („In Kümmernis und Dunkelheit“) und das bisher Geschehene („Nun haben wir sie doch befreit“) resümiert, was sich harmonisch in der Modulation zur Dominante A-Dur widerspiegelt. Im zweiten Teil der Komposition (T. 9–18) gewinnt das Revolutionslied deutlich an 1075 So stehen u. a. Was ist des Deutschen Vaterland von Gustav Reichardt, Deutschland, stehe fest von Friedrich Schneider und Das deutsche Lied von Johann Wenzel Kalliwoda in C-Dur; Auf die Höhen von Ernst Julius Otto, Blücher am Rhein von Carl Gottlieb Reissiger und Lied der Gegenwart von Adolf Wandersleb in D-Dur und An das Vaterland von Conradin Kreutzer, Freiheit, die ich meine von Karl August Groos (1789–1861), Liedesfreiheit von Heinrich Marschner und Lützows wilde Jagd von Carl Maria von Weber in Es-Dur.

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Fahrt. Die euphorische Begrüßung der ausbrechenden Revolution und die kaum zu bändigende Erregung finden in den sich abwechselnden Triolen und Punktierungen, den Tonrepetitionen und durch das häufige Erklingen des obersten Tones ihren Ausdruck. So erreicht der Tenor 1 das a1 auf dem hier zweimal hintereinander erklingenden „Hurra!“ (T. 10 f.) und hält diesen auch über zwei Takte lang aus. Dynamisch hervorgehoben wird der Refrain „Pulver ist schwarz [...]“ durch ein ff, was diesen noch einmal besonders betont. Das sf auf „golden“ auf a1 (T. 15) sowie die Wiederholung von „Golden flackert die Flamme“ im Ganzen (17 f.) bringt die Gewissheit der Unumkehrbarkeit der frisch ausgebrochenen Revolution zum Ausdruck. Somit herrscht in diesem Gesang ein optimistischerer Grundton als in Zu den Waffen.

Abb. 17: Schwarz-Rot-Gold von Ferdinand Freiligrath und Robert Schumann T. 9–13 und 14–18

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Deutscher Freiheitsgesang (Nr. 3) Die Komposition der letzten Nummer der Freiheitsgesänge nahm Schumann als erste am 1. April 1848 in Angriff.1076 Bei dem Dichter handelte es sich um Julius Fürst.1077 Der jüdische Orientalist nahm im Vormärz als Mitglied des Schriftsteller-Vereins und des Schiller-Vereins an verschiedenen Aktivitäten des liberalen Leipziger Bürgertums teil. Während der Revolution stellte Fürst seine Wochenschrift Orient zunehmend in den Dienst der liberalen Sache. In Leipzig gehörte er kurzfristig der dortigen Bürgerwehr an. Im Frankfurter Vorparlament war Fürst einer der fünf nicht konvertierten jüdischen Gelehrten. Dort setzte er sich für die jüdische Gleichberechtigung und den Zusammenhang zwischen jüdischen und liberalen Interessen ein. Als Fürst Schumann den Deutschen Freiheitsgesang zusandte, war er sich der qualitativen Dürftigkeit dieser Dichtung durchaus bewusst. Es war ihm in erster Linie wichtig, dass Schumann dieser „einen Werth verleihen [möge], den es dichterisch nicht hat“.1078 Maßgebend für eine schnelle Publikation war für den Textdichter vor allem die aus dem Gedicht sprechende Gesinnung. Schumann, der die Komposition am 10. April 1848 an Fürst versandte, äußerte Zweifel, ob dieser weite Verbreitung zuteilwerden würde. Der Gesang erklang zum ersten Mal wohl am 1. April, dem Tag seiner Fertigstellung, in der Probe der Dresdner Liedertafel.1079 Zur ersten öffentlichen Aufführung kam es nachweislich am 10. Mai 1848 in der großen Wirtschaft des königlichen Gartens innerhalb eines Konzerts „zum Besten der Nothleidenden im Erzgebirge“ durch den Allgemeinen Dresdner Sängerverein.1080 Wahrscheinlich im Zusammenhang mit dieser Erstaufführung gemeinsam mit dem von Johann Wilhelm Hartung geleiteten Musikkorps setzte Schumann einen ad-libitum-Begleitsatz für Harmoniemusik hinzu. Neben der Aufnahme in das Benefizalbum für die Erwerbung eines Schlachtschiffes bot Schumann die komplette Sammlung der Freiheitsgesänge am 14. März 1849 dem Verleger Carl Luckhardt an, der jedoch kein Interesse zeigte.1081 1076 NAUHAUS (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 457. 1077 Der jüdische Sprachwissenschaftler und Philosoph Fürst (1805–1873) hielt seit 1839 als erster ungetaufter Jude Vorlesungen an der Leipziger Universität, an der er 1864 der erste jüdische Professor wurde. In der von 1840–1851 herausgegebenen Wochenschrift Der Orient engagierte sich Fürst für die wissenschaftlichen und reformatorischen Bestrebungen des Judentums in Deutschland. Zu Fürst siehe VOGEL: Julius Fürst. 1078 Zit. n. HIRSCHBERG: Soldaten, Krieg und Vaterland, S. 58. 1079 NAUHAUS (Hg.): Schumanns Tagebücher, S. 457. 1080 Siehe Dresdner Anzeiger, Nr. 153, 10. Mai 1848, S. 4. Daneben erklangen weiterhin Schwertlied von Julius Rietz (1812–1877), Deutscher Volksgesang von Johann Gottlob Müller, Bundeslied von Ernst Julius Otto, Unser Vaterland von Valentin Eduard Becker (1813–1890) und ein von Julius Otto „nach einer polnischen Nationalmelodie“ arrangierter Aufruf. Siehe MÜLLER: Dresdner Orpheus, S. 74. 1081 Siehe RSH, Verzeichnis der empfangenen und abgesandten Briefe, Nr. 1431.

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In den ersten beiden Strophen wird die gerade erst ausgebrochene Revolution in Deutschland vorbehaltlos begrüßt. Nach Fürst kann sowohl die Erhebung des deutschen Volkes gegen geistige Knebelung und gegen die Unterdrückung von Freiheitsrechten als auch dessen Eintreten für ein einheitliches deutsches Vaterland nicht mehr rückgängig gemacht werden: Der Sieg ist dein, mein Heldenvolk! Wer dürfte dir ihn nehmen! Der Raben unheilkündend Schrei’n Wird deinen Flug nicht lähmen. (Str. 1)

Das durch die Revolution sich auf breiter Front Bahn brechende Freiheitssehnen lässt sich durch die alten Herrschaftseliten nicht mehr aufhalten. Das monarchistische Herrschafts- und Standesdenken wird wie ein Kartenhaus zusammenfallen: „Die alte Weisheit geht zur Gruft / Und lässt nicht einmal Moderduft, / Sie war ein leerer Schemen!“ (Str. 2). Einem neuen Zeitalter, in dem alle Bürger in ihrem Denken und Handeln frei sind, steht nichts mehr im Wege. Bis hierher sind im Text keine substanziellen Unterschiede zu den anderen beiden Freiheitsliedern hinsichtlich der euphorischen Begrüßung und der Zielrichtung der Revolution festzustellen. Das ändert sich in der dritten Strophe, wenn bezüglich der Durchsetzung dieser Ziele ein zur Mäßigung aufrufender Ton angeschlagen wird. Im Gegensatz zu Ullrich und Freiligrath ruft Fürst nicht zur Waffengewalt auf. Wie der Großteil des liberalen und demokratischen deutschen Bürgertums plädiert er für die Durchsetzung bürgerlicher Freiheitsziele auf dem Verhandlungswege. Ein gewaltsames revolutionäres Vorgehen könnte deren Durchsetzung in Gefahr bringen: Dein Flug ist kühn, doch ist er fest; Die Wildheit wirst du zähmen. Dir ist der Taumel ja verhasst, Die Freiheit unser neuer Gast, Du hast ihn würdig aufgefasst Und weißt ihn aufzunehmen! (Str. 3)

Als politisch engagierter Wissenschaftler hatte Fürst bei der Formulierung dieser Zeilen gewiss die sich immer schärfer zutage tretende Spaltung der bürgerlichen Freiheitsbewegung in ein konstitutionell-liberales Lager auf der einen und in ein republikanisch-demokratisches Lager auf der anderen Seite vor Augen. Im Brief an Schumann dachte er hinsichtlich der „Brauseköpfe, [...] die das Licht zur Flamme anfachen möchten“, an die Ereignisse um den 18. März 1848 in Berlin, deren Augenzeuge er gewesen war und die er als „aufregende und fast kriegerische Tage“ bezeichnete.1082 Von einem Lied „als dichterischem und musikalischem 1082 HIRSCHBERG: Soldaten, Krieg und Vaterland, S. 58. Der Brief wurde am 27. März in Berlin geschrieben.

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Ausdruck für die gewaltige Zeit“ versprach sich der Leipziger Orientalist einen gewaltigen Einfluss auf die öffentliche Meinung, da es den gleichen Effekt wie der „mächtigste Aufruf an Deutschland“ haben würde.1083 Daher war Fürst der Meinung, dass „unter solchen Umständen [... das] Lied eine That [sei]“, die „versöhnend und einigend wirkt“.1084 Es mutet auf den ersten Blick sehr illusorisch an, welche Wirkung sich der Dichter vom (Männer-)Gesang verspricht. Wenn man sich aber die rasche Verbreitung des Männergesangvereinswesens in Deutschland und dessen Wirken in der Öffentlichkeit durch Sänger- und Volksfeste im ausgehenden Vormärz vergegenwärtigt, lassen sich Fürsts Überlegungen nicht so ohne Weiteres von der Hand weisen. In der letzten Strophe des Freiheitsgesanges tritt trotz gemäßigter Diktion eine sozialrevolutionäre Komponente auf. Nicht nur die bürgerlichen Ober- und Mittelschichten, sondern die gesamte Bevölkerung soll an den neu gewonnenen Freiheitsrechten in einem geeinten Deutschland teilhaben: Dein kräft’ger Arm die Schwachen trägt, Die heut’ sich selbst noch lähmen. Bald gibt’s dann Keinen, der da zagt, Und Allen neues Leben tagt, Ob denen Deutschlands Banner ragt. Du wirst sie All’ aufnehmen! (Str. 4)

Fürst, der die revolutionären Auseinandersetzungen in Berlin miterlebt hat, schlägt zwar bezüglich der Durchsetzung bürgerlicher Freiheitsrechte gemäßigte Töne an und lehnt Gewalt ausdrücklich ab, bleibt in den revolutionären Zielsetzungen jedoch nicht weit hinter Ullrich und Freiligrath zurück. Mit der Ablehnung roher Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele erhoffte er sich eine realistische Chance auf eine dauerhafte freiheitliche Gesellschaft. In Schumann meinte er dafür einen Gesinnungsgenossen zu finden. Der letzte Gesang der „Revolutionschöre“ ist mit der dynamischen Angabe „feurig“ überschrieben. Die ersten vier Takte haben fanfarenartigen Charakter und sind sehr einprägsam. Es handelt sich hierbei auch um die Botschaft des Liedes, die mit der Schlusszeile („Dein ist der Sieg!“) in jeder Strophe wiederholt wird. Durch Motivwiederholung (Takt 2) und Unisono (T. 3–4) eingängig gesetzt und durch Akzente auf „Sieg ist dein“ und „Heldenvolk“ sowie ein sf auf „nehmen“ noch einmal dynamisch deutlich herausgestellt, kam diese Komposition auch dem Anliegen des Textdichters sehr entgegen. Fürst erhoffte sich von der Vertonung durch Schumann einen den revolutionären Ereignissen angemessenen „Schwung und [eine] leicht sangbare und doch nicht oberflächliche Melodie“ und dadurch eine schnelle Popularisierung im sich erhebenden deutschen Volk.1085 Er 1083 EBD. 1084 EBD. 1085 EBD.

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sah sein Anliegen gerade am Anfang der Komposition umfänglich verwirklicht: „Die Composition der beiden ersten Verszeilen scheint mir vollkommen alle betreffenden Erfordernisse [einer Popularisierung, Anm. S. N.] zu haben [...].“1086 Die nächsten vier Takte sind durch die rhythmisch-melodische Figur geprägt, in welcher sich einer punktierten Viertel fünf Achtelnoten in meist diatonischer Folge anschließen. Es erklingt ineinander übergehend zuerst in beiden Tenören (T. 5), anschließend im Bass 2 (T. 6), dann im Bass 1 (T. 7) und dann wieder im Bass 2 (T. 8). Diese Figur unterstützt den parlierenden Charakter dieses Abschnitts. Dieser ändert sich dann wieder abrupt in Takt 9, wo das Füreinander-Einstehen der Revolutionäre beschworen wird. Die Punktierung wird schärfer und eine Überbindung auf „all’“ betont noch einmal die Einigkeit. Anschließend setzt Schumann wieder Akzente auf wichtigen Textstellen. So erhält „der deutsche Aar“ (T. 10 f.), der die deutsche Einheit aller Bundesstaaten symbolisierte, eine besondere Betonung. Ein wesentliches Ziel der bürgerlichen Bewegung im Vormärz wird dadurch noch einmal besonders hervorgehoben. Auch in den anderen Strophen erfahren zentrale Begrifflichkeiten, wie „Freiheit“ (Str. 3) und „Allen“ (Str. 4) ein zusätzliches Gewicht. Der Akzent auf „Weh“ (T. 12) gilt den am alten Staatssystem festhaltenden Fürsten und Regierenden als Warnzeichen. Wenn diese die Zeichen der revolutionären Zeit nicht erkennen wollen, so werden sie von der Welle der Ereignisse hinweggespült. Am Schluss (T. 17–20) steht die Behauptung „Dein ist der Sieg“. Die Unumstößlichkeit dieser Gewissheit erfährt durch ein ff und die zweimalige Wiederholung zusätzliche Unterstützung.

Abb. 18a: Deutscher Freiheitsgesang von Julius Fürst und Robert Schumann, T. 1–5

1086 EBD., S. 59.

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Abb. 18b: Deutscher Freiheitsgesang von Julius Fürst und Robert Schumann, T. 6–11

* Zahlreiche Tagebucheintragungen und politische Äußerungen in Briefen, die oben nur kursorisch gestreift werden konnten, zeugen von einem äußerst wachen politischen Interesse Schumanns.1087 Die revolutionären Ereignisse der Jahre 1830 und 1848/49 hatten direkte Auswirkungen auf sein künstlerisches Schaffen. So wurde er durch die Juli-Revolution von 1830 „zum Musikschriftsteller und Komponisten“ und in den Jahren 1848/49 „zum politischen Autor“.1088 Im Gegensatz zu Richard Wagner hinterließ er aber keine ausführlichen Gedankengänge über die Revolution. Trotz aller öffentlichen Zurückhaltung des Komponisten blieb seine republikanische Gesinnung jedoch nicht verborgen. So traf er sich einige Male mit dem späteren aktiven Revolutionär Wagner, mit dem er politisch „ziemlich“ übereinstimmte.1089 Ohne Kenntnis der politischen Einstellung des Komponisten wäre auch Fürst als Textdichter des Deutschen Freiheitsgesanges nicht mit der Bitte um Vertonung an Schumann herangetreten. Robert Schumann war zusammen mit Jacques Offenbach einer der wenigen zeitgenössischen Musiker von Rang, die Texte der Revolution vertont haben.1090 Auf dem Gebiet des Männerchorgesanges fand Schumann eine Ausdrucksform, in der er seine politische Einstellung am besten artikulieren konnte, was ihm auf dem publizistischen und anderen öffentlichkeitswirksamen Wegen aufgrund seiner zurückhaltenden Persönlichkeitsstruktur versagt blieb. Nach Edler stellten die 1087 Siehe oben S. 295–301. 1088 Siehe KAPP: Schumann nach der Revolution, S. 327. 1089 ERLER: Schumanns Leben, S. 3. So tauschte sich Schumann mit Wagner u. a. am 15. Mai 1848 über dessen „Theaterrepublik“ (NAUHAUS: Schumanns Tagebücher, S. 460) und am 20. Mai über dessen revolutionäres Gedicht „Gruß aus Sachsen an die Wiener“ (EBD.) aus. 1090 Offenbach (1819–1880) komponierte von April bis Juni 1848 in Köln mit Pressfreiheit, Galgen, Das Reiterlied, Lied der Bürgerwehr und Das Vaterland revolutionäre und patriotische Lieder. Siehe ROESSLER: Schumann oder Freiligrath, S. 172.

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drei Freiheitsgesänge „die am wenigsten verschleierte musikalische Parteinahme Schumanns für die republikanische Bewegung dar“.1091 In der Dresdner Liedertafel fand er liberale und demokratische Zeitgenossen, mit denen er sein politisches Weltbild teilen konnte. In ihren Reihen dürfte sich der republikanisch eingestellte Komponist auf dem Gebiet der politischen Konversation wohlgefühlt haben. Dass er im Oktober 1848 das Amt des Liedermeisters schon nach einem Jahr niederlegte, lag mehr an der qualitativen Beschränktheit des Männerchores als an politischen Differenzen. Nach den Drei Gesängen für Männerchor (op. 62), in denen er zwar auf die Befreiungskriege rekurrierte, darin aber einen Gegenwartsbezug herstellte, trat Schumann mit den Freiheitsgesängen (WoO 4) nun offen auf die politische Bühne. Zwei der drei „Revolutionschöre“ wurden nachweislich in der Öffentlichkeit gesungen, das Lied Schwarz-Rot-Gold avancierte dabei zu einem populären Volksgesang. Die „Revolutionschöre“ waren auch ein Spiegel von Schumanns innerer Zerrissenheit zwischen republikanischem Geist und der Bejahung der Revolution einerseits und der Ablehnung von exzessiver Gewalt zu deren Durchführung andererseits, was auch sein Verhalten beim Maiaufstand erklärt. Während vor allem Zu den Waffen explizit Waffengewalt zur Durchsetzung politischer und sozialer Ziele propagiert, schlägt der Freiheitsgesang dezidiert zur Besonnenheit aufrufende Töne an. Auch fehlten bei der offiziellen Strophenauswahl für Schwarz-RotGold die explizit republikanischen und sozialrevolutionären Verse Freiligraths. Trotz aller auch in den besprochenen Kompositionen zutage tretender politischer Unentschiedenheit Schumanns bleibt festzuhalten: Kein offiziell für einen Männergesangverein tätiger bedeutender Liedermeister hat – abgesehen von Carl Friedrich Zöllner in Leipzig1092 – im mitteldeutschen Raum derartig prononciert republikanische Männerchorgesänge, die zudem auch noch öffentlich aufgeführt wurden, komponiert.

1091 EDLER: Schumann und seine Zeit, S. 227. 1092 Zu Zöllners politisch-oppositionellen Gesängen siehe oben S. 146–155.

V. Zusammenfassung und Ausblick

Zusammenfassung

Das Männergesangvereinswesen in Mitteldeutschland setzte mit den Gründungen in Winzerla (1810), Leipzig (1815), Weida (1818) und Magdeburg (1819) vergleichsweise früh ein. Auch wies der mitteldeutsche Raum mit der 1830 konstituierten überregionalen Provinzialliedertafel den ältesten Sängerbund Deutschlands auf. Ihre Gründung gab den Auftakt zu einem dichten Netz an Sängerbünden, das seine Schwerpunkte in Thüringen und Sachsen hatte. Seit 1830 wurden in zunehmendem Maße jedes Jahr regionale und auch überregionale Sängerfeste veranstaltet, die wiederum zahlreiche Neugründungen evozierten. Mit 428 durch ein Gründungsjahr nachweisbaren Männergesangvereinen wies der mitteldeutsche Raum insgesamt eine sehr hohe Dichte auf. Die städtischen Männergesangvereine spielten als Teil der oppositionellen Vereinsbewegung in Mitteldeutschland eine bedeutsame Rolle. Von einer einheitlichen mitteldeutschen Gesangbewegung kann dabei aber nicht die Rede sein. Waren beispielsweise die Männergesangvereine der preußischen Provinz Sachsen und in Anhalt überwiegend konstitutionell ausgerichtet, gab es in Leipziger und Dresdner Vereinen starke demokratische Tendenzen. Der Grad der Politisierung beziehungsweise der politischen Ausrichtung hing erheblich vom Organisationsgrad der Opposition in den jeweiligen mitteldeutschen Regionen ab. Während in der preußischen Provinzhauptstadt Magdeburg und auch in den thüringischen Herzog- und Fürstentümern erst ab Mitte der 1840er Jahre verstärkt oppositionelle Bestrebungen in öffentlichen Auftritten zutage traten, setzte diese Entwicklung im Königreich Sachsen schon erheblich früher ein. Die Ursache dafür lag in der politisierten Literaturszene, in der umfangreichen oppositionellen Presse und nicht zuletzt in der vergleichsweise fortschrittlichen Verfassung seit dem Jahr 1831. Letztere gab es bis 1848 weder in der preußischen Provinz Sachsen noch in den anhaltischen Herzogtümern. Auch öffentlich wahrnehmbare oppositionelle Zeitungen, die bürgerliche Emanzipationsforderungen öffentlich propagierten, gab es in der preußischen Provinz Sachsen erst ab dem Anfang der 1840er Jahre und in Anhalt überhaupt nicht.1 Der allgemeine Organisationsgrad der Opposition und die öffentliche politische Betätigung der Männergesangvereine in Mitteldeutschland hingen unmittelbar zusammen.

1 Die restaurationskritischen Tafellieder von Friedrich Schneider und Wilhelm Müller wurden nachweislich sowohl in Dessau als auch in Leipzig nur im exklusiven Kreis der jeweiligen Liedertafeln gesungen.

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Ohne Zweifel wurde auch die Männergesangvereinsbewegung in den mitteldeutschen Staaten durch den Frühliberalismus und dessen bürgerliche Emanzipationsforderungen beeinflusst. Ihren Niederschlag fand die Integration liberaler Leitideen in Form von Liedern, die im Verein, auf Konzerten und bei Sängerfesten gesungen wurden, sowie in Ansprachen, Grußworten und Trinksprüchen bei offiziellen Gelegenheiten. Eine herausragende Rolle spielten dabei vor allem die Presse- und Meinungsfreiheit und die Überwindung von Standesschranken. Die Abschaffung der Pressezensur stand nicht zuletzt deshalb an prominenter Stelle, weil der mitteldeutschen Männergesangbewegung viele bedeutende Dichter und Schriftsteller verbunden waren. In dieser Hinsicht sind vor allem die Namen Wilhelm Müller (Dessau), Ludwig Bechstein (Meiningen) und Ludwig Storch (Gotha) zu nennen, die durch die Zensur auch beruflich betroffen waren. Zu den Männerchorgesängen, die die Presse- und Meinungsfreiheit besonders thematisierten, gehören unter anderem Das freie Wort von Friedrich Schneider2 und von Johann Gottlob Müller,3 Je länger je lieber von Wilhelm Friedrich Kunze,4 Freier Männer freies Wort von Johann Gottlob Müller5 und Auf die Höhen! von Ernst Julius Otto.6 Auch in vielen anderen Gesängen, in denen allgemein von „Freiheit“ die Rede war, schwang der Wunsch nach der Aufhebung der Zensur mit. Eine weitere wesentliche liberale Forderung in der mitteldeutschen Männergesangbewegung war die Gewissens- und Religionsfreiheit. In vielen Männerchorgesängen und Festansprachen ist von der „Wahrheit“ die Rede.7 Dahinter verbirgt sich neben dem Recht auf freie Meinungsäußerung auch das Recht darauf, eigenen Überzeugungen nach sorgsamer individueller Prüfung folgen zu dürfen. Dazu gehört, im Vormärz ganz wesentlich, die freie Religionsausübung. Durch die enge Verbindung mit den religiösen Oppositionsbewegungen der „Lichtfreunde“ und der Deutschkatholiken geriet diese liberale Kernforderung, die bis dahin kaum eine Rolle gespielt hatte, in den Fokus der Männergesangbewegung. In Anhalt-Köthen, Magdeburg, Leipzig und Dresden waren die beiden später als Religionsgemeinschaften anerkannten Bewegungen besonders stark vertreten. Vor allem in Magdeburg und in Dresden brachten verschiedene Männergesangvereine durch Treffen mit leitenden Persönlichkeiten und durch die musikalische Unterstützung der Gottesdienste ihre Sympathie mit dem Recht auf Religionsfreiheit öffentlich zum Ausdruck.8

2 3 4 5 6 7

Siehe dazu oben S. 91 f. Siehe dazu oben S. 257 f. Siehe dazu oben S. 128 f. Siehe dazu oben S. 247 ff. Siehe dazu oben S. 188 ff. Dazu gehören u. a. Je länger je lieber (siehe oben Anm. 4) und Storchs „Weihespruch zum Preise Thüringens“ beim 5. Liederfest des Thüringer Sängerbundes (siehe oben S. 184). 8 Siehe dazu u. a. oben S. 207 f. und S. 255 f.

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Auch die Forderung nach der Gleichheit vor dem Gesetz wurde in Gesängen und öffentlichen Reden thematisiert. Im Aufruf „der Stände lächerlicher Schranken!“ zu Fall zu bringen, einer der Hauptforderungen der Männergesangbewegung überhaupt, fand dieses Verlangen schon 1827 in Plochingen seinen Niederschlag.9 Nachdem die meisten Männergesangvereine demokratische Verhaltensweisen in Form von geheimen Wahlen und gleichem Stimmrecht im Vereinsleben praktizierten, sollte die Umsetzung auch im öffentlichen Leben erfolgen. Ausdruck der Hoffnung auf rechtliche Gleichheit ist ein bei der Lehrer-Liedertafel in Grunewalde am 6. Juni 1844 von Leberecht Uhlich vorgetragenes Gedicht Friedrich Wilhelm Harkorts, in dem es heißt „Gesetz der Herr und Meister / in Palast, Hütt’ und Zelt!“10 Auch der Gesang Bürger ist jeder Sohn bringt die Hoffnung auf die Überwindung der Standesunterschiede zum Ausdruck.11 Während die Forderung nach der Gleichheit der Staatsbürger aus liberaler Sicht nur den juristischen Bereich meinte, gingen die Demokraten mit der Forderung nach politischer Gleichheit noch einen Schritt weiter. Auch in der mitteldeutschen Sängerbewegung wurden solche Forderungen erhoben. So erklang zum 49. Geburtstag Carl Friedrich Zöllners am 18. März 1849 ein Lied, in dem für die Abschaffung der Monarchie und die Einführung einer Volksrepublik plädiert wurde.12 Zu den liberalen Emanzipationsforderungen gehörten auch die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen und die Vereidigung des Militärs auf die Verfassung.13 Bei der Einforderung der Mündlichkeit und Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen ging der Dresdner Orpheus einen für Männergesangvereine außergewöhnlichen Weg. Er richtete als Verein eine öffentliche Petition an den sächsischen Landtag.14 Während es die Männergesangbewegung sonst mit öffentlichen Willenskundgebungen auf Festen und Konzerten bewenden ließ, ging der älteste Dresdner Männergesangverein zu einer direkten politischen Aktion über. Durch diese Eingabe wurde die Grenze zwischen einem rein geselligen und einem (krypto)politischen Verein verwischt. Von einer ähnlichen politischen Aktion eines anderen deutschen Männergesangvereins gibt es bisher kein Zeugnis. Daher ist dieser Vorgang als singuläres mitteldeutsches Phänomen anzusehen. Eine spezifisch mitteldeutsche Besonderheit ist die Verbindung der Sängerbewegung mit den religiösen Oppositionsbewegungen der protestantischen „Lichtfreunde“ und der Deutschkatholiken. In der vorliegenden Studie konnten diesbezüglich 9 10 11 12 13

Siehe dazu oben S. 72. Siehe dazu oben S. 220. Siehe dazu oben S. 251 f. Siehe dazu oben S. 154. Zur Vereidigung des sächsischen Militärs auf die Verfassung am 22. März 1848 in Dresden und die Beteiligung Dresdner Männergesangvereine siehe oben S. 263 f. 14 Siehe dazu oben S. 245 f.

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für Magdeburg schon vorhandene Erkenntnisse erweitert und für Anhalt und Dresden erstmals Verbindungslinien aufgezeigt werden.15 Vordergründig ging es bei der Kooperation beider Massenbewegungen um die Erringung beziehungsweise Wahrung der Religionsfreiheit entgegen obrigkeitlicher Bevormundung. Wegen der engen Verzahnung von Staat und Kirche in dieser Zeit stellte allein diese Tatsache schon ein Politikum dar. Die Regierung in Magdeburg versuchte daher der Verbindung, deren Gefährlichkeit sie erkannte, mit einem Verbot einen Riegel vorzuschieben.16 Die Magdeburger Männergesangvereine schufen den „Lichtfreunden“ in der Person von Uhlich durch dessen Beteiligung an den Sängerfesten des Elbsängerbundes ein öffentliches Podium, und Uhlich nutzte dies unter anderem auch für politische Reden.17 In Dessau engagierte sich Friedrich Schneider nachweislich für die Anliegen der „Lichtfreunde“ und der „Freien Gemeinden“. Seine Unterstützung kam in Liedkompositionen zum Ausdruck, die sich inhaltlich mit der Religionsfreiheit auseinandersetzten.18 Als sich in Dresden eine deutschkatholische Gemeinde gebildet hatte, beteiligten sich mehrere Dresdner Männergesangvereine an der Ausgestaltung der Gottesdienste. Führende Vertreter sächsischer Deutschkatholiken wurden zu Stiftungsfesten der Gesangvereine eingeladen.19 Inhaltliche Gemeinsamkeiten bezogen sich jedoch nicht nur auf religiöse Fragen, wie die gleichzeitige Anwesenheit von oppositionellen Politikern zeigt. Auch gingen führende sächsische Deutschkatholiken spätestens 1848 in die Politik und waren dort hauptsächlich im linksliberalen Spektrum tätig.20 Die enge Zusammenarbeit und Verbundenheit der Sängerbewegung mit den „Lichtfreunden“ und den Deutschkatholiken zeigt deutlich, dass beim Kampf um bürgerliche Freiheitsrechte bewusst Bündnispartner gesucht

15 Lediglich für die thüringischen Staaten konnten bisher keine derartigen Bezüge hergestellt werden, was vermutlich auch damit zu erklären ist, dass die „Lichtfreunde“ hier nicht so stark wie bspw. in der preußischen Provinz Sachsen oder im Königreich Sachsen Fuß fassen konnten. 16 Den Mitgliedern des Magdeburger Lehrergesangvereins wurde laut einer Verfügung vom 20. September 1845 verboten, sich an öffentlichen Aktionen der „Lichtfreunde“ zu beteiligen. Siehe dazu oben S. 222. 17 So hielt Uhlich beim dritten Sängerfest 1848 eine Rede unter dem Titel „Frei der Mann, frei der Gesang“. Siehe oben S. 228. 18 Dazu gehören Das freie Wort von Haltaus (siehe oben S. 91 f.), der Gesang zur Magdeburger Reformationsfeier am 17. Juli 1847 (siehe oben S. 209) und eine der „Freien Gemeinde“ in Nordhausen gewidmete Komposition. Siehe dazu oben S. 91, Anm. 24. 19 So zum Stiftungsfest des Dresdner Liederkranzes am 10. März 1846. Siehe dazu oben S. 259. 20 Franz Jacob Wigard, der Leiter der deutschkatholischen Gemeinde in Dresden, war in Frankfurt/M. Mitglied des „Deutschen Hofs“ (siehe oben S. 254, Anm. 804) und Franz Rewitzer, der 1845 die deutschkatholische Gemeinde in Chemnitz mitbegründete, war 1848 Präsident der Zweiten Sächsischen Kammer und hatte engen Kontakt zur „Provisorischen Regierung“ während des Maiaufstandes (siehe oben S. 258, Anm. 827).

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wurden. Neben den Turnern und oppositionellen Politikern gehörten im mitteldeutschen Raum die religiösen Dissidenten an prominenter Stelle dazu.21 Insgesamt betrachtet gab es im mitteldeutschen Raum eine deutliche Korrelation zwischen prägenden Persönlichkeiten und verstärkter politischer Ausrichtung der Männergesangvereine beziehungsweise der Sängerbünde.22 Bedurfte es zum Beispiel in den Magdeburger Männergesangvereinen und in der Dresdner Liedertafel bei verschiedener oppositioneller Betätigung nach derzeitiger Quellenlage zwar kaum herausragender Initiativen einzelner Mitglieder, ergibt sich bei den meisten anderen untersuchten Vereinigungen ein anderes Bild. So wären in Dessau ohne die Zusammenarbeit der Gründungsväter Friedrich Schneider und Wilhelm Müller die obrigkeitskritischen Trinklieder in der Dessauer Liedertafel kaum entstanden. Auch in Leipzig ist ohne Carl Friedrich Zöllner sowohl die Gründung der nach ihm benannten Gesangvereine als auch deren offen demokratische Ausrichtung nicht vorstellbar. Im Dresdner Orpheus war der Vizekassierer und spätere Sekretär Carl Gustav Klette die politisch treibende Kraft. Auf seine Initiative hin wurde eine öffentliche Solidaritätsadresse an den kurz zuvor exkommunizierten Johannes Ronge mehrheitlich unterschrieben, die Petition um „Mündlichkeit und Öffentlichkeit bei den Gerichtsverfahren“ an die Zweite Sächsische Kammer verfasst sowie die Beteiligung an den sächsischen Konstitutionsfeiern ab 1843 organisiert. Auch im Thüringer Sängerbund war es Männern wie Heinrich Schwerdt, Adolf Wandersleb, Ludwig Bechstein und Ludwig Storch zu verdanken, dass politische Forderungen öffentlich artikuliert wurden. Mit der Frage nach der politischen Prägung der Männergesangvereine durch einzelne Persönlichkeiten geht auch die Frage nach der politischen Ausrichtung einher. Die Spaltung der liberalen Bewegung in die Vertreter des Konstitutionalismus einerseits und die Verfechter der Volkssouveränität andererseits bildete sich auch in den Gesangvereinen ab. Während in Magdeburg die Männergesangvereine noch bis in die Zeit der 1848er Revolution keine Gelegenheit ausließen, Mitgliedern des preußischen Königshauses ehrerbietige Ständchen zu bringen und auch in Dessau die Monarchie nicht zur Disposition stand, sangen die Zöllnervereine auch noch 1849, als sich die Niederlage der Revolution abzeichnete, radikaldemokratische Lieder. In Dresden kämpften einige prominente 21 Zu gemeinsamen Aktivitäten mit den Turnern siehe u. a. die gemeinsamen Veranstaltungen im Zuge der Konstitutionsfeiern in Dresden (siehe oben S. 252). 22 Überhaupt scheint die Prägung durch einzelne Gründungspersönlichkeiten gerade in Mitteldeutschland besondere Züge zu tragen. Schon vor 1848 gab es hier mindestens neun Gesangvereine, deren offizielle Bezeichnung die Namen eigener oder anderer berühmter Dirigenten zierten: die Zander’sche Liedertafel in Güsten, der Wehrig’sche Gesangverein in Magdeburg, die beiden Zöllnerschen Gesangvereine in Leipzig und der Zöllnersche Gesangverein in Bernburg, der Schoch’sche Verein in Leipzig, die Claudius-Liedertafel in Naumburg, der Thomaesche Gesangverein in Laucha/Unstrut und der Fellersche Gesangverein in Eisenberg. Vergleichbares aus anderen Regionen ist bisher nicht bekannt.

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Gesangvereinsmitglieder wie Ernst Ludwig Wittig und Richard Wagner im revolutionären Maiaufstand auf der Seite der „Provisorischen Regierung“. Sie setzten damals bewusst ihr Leben für eine demokratische Umwälzung in Deutschland ein. Durch sie wurde der Festspruch „Lied wird That / Fruh und spat“ Wirklichkeit.23 Insgesamt gesehen ist eine konstitutionelle Ausrichtung in der preußischen Provinz Sachsen und auch in Thüringen zu verzeichnen,24 während auf sächsischer Seite verstärkt demokratische beziehungsweise linksliberale Positionen innerhalb der Männergesangbewegung auszumachen sind, was sich nicht zuletzt an der Vertonung (radikal)demokratischer Dichter manifestierte.25 Auch berühmte und bedeutende Komponisten haben sich in Mitteldeutschland für den Männerchorgesang mit politischem Gehalt engagiert. An erster Stelle sind hier Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig und Robert Schumann in Dresden zu nennen. Beide waren als Chorleiter und Komponisten der Leipziger und der Dresdner Liedertafel tätig. Mit dem Festgesang für die Gutenbergfeier 1840 in Leipzig stellte sich Mendelssohn bewusst in den Dienst der bürgerlichen Bewegung, deren Ziele sich weithin mit seinen eigenen politischen Vorstellungen deckten. In diesem konkreten Fall handelte es sich vor allem um die Forderung nach Presse- und Meinungsfreiheit, die durch über 300 Leipziger Sänger zu Gehör gebracht wurde. Diese Aufführung war auch die Initialzündung für überregionale Sängerfeste und für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Männergesangbewegung in Sachsen. Robert Schumann äußerte sich aufgrund seiner zurückhaltenden Natur kaum politisch in der Öffentlichkeit, war auf kompositorischem Gebiet aber umso aktiver. Nachdem er im November 1847 die Leitung der Dresdner Liedertafel übernommen hatte, entstanden unter anderem die patriotischen Drei Gesänge für Männerchor (op. 62). Während dort tagespolitische Themen unter dem Rückgriff auf Sujets der Befreiungskriege verschleiert werden, tritt Schumanns demokratische Gesinnung in den Freiheitsgesängen offen zutage.26 Er war einer der wenigen

23 Das in der Männergesangbewegung weit verbreitete „Lied-und-Tat-Motiv“ hat einen seiner Ursprünge in der Märzrevolution von 1848. Der Wiener Männergesangverein hielt am 16. März 1848 eine Versammlung ab, an deren Ende der Wahlspruch „Frei und treu in Lied und Tat“ stand. Siehe BLUM: „In Lied und Tat“. Teil I/0, S. 4. Der Festspruch „Lied wird That / Fruh und spat“ fand beim Passauer Sängerfest von 1851 Verwendung. Siehe BRUSNIAK: Fränkischer Sängerbund, S. 86. Nach der Niederschlagung der Revolution diente der Festspruch in verschiedenen Versionen als Durchhalte-Parole. 24 Im Magdeburger Lehrergesangverein mit seiner Verbindung zur demokratischen Lehrerbewegung gab es durchaus demokratische Tendenzen, die jedoch nicht so offen zutage traten wie bspw. in Dresden und Leipzig. 25 In diesem Zusammenhang sind u. a. Ferdinand Freiligrath, Georg Herwegh, Hoffmann von Fallersleben, Friedrich von Sallet und Wolfgang Müller von Königswinter zu nennen. 26 Siehe dazu oben S. 302–317.

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Komponisten von Weltgeltung, die revolutionäre Texte vertonten, die noch dazu auch öffentlich aufgeführt wurden. Eine spezifische Ausdrucksweise oder Kompositionsform politischer Lieder für Männerchor im Vormärz gibt es zwar nicht, sie weisen aber eine wesentliche Gemeinsamkeit auf. So handelt es sich bei den meisten Liedern mit politischen Inhalten um einfache oder variierte Strophenlieder. Diese musikalische Form erleichterte nicht nur das Einüben für sängerische Laien, sondern war auch gut für die Tarnung politischer Botschaften geeignet. Besonders deutlich ist das bei den Gesängen Auf die Höhen! und Lied der Gegenwart beim fünften Liederfest des Thüringer Sängerbundes der Fall, deren unmissverständliche Emanzipationsforderungen sowohl in einen harmlosen Kontext eingebettet wurden als auch jeweils erst in den letzten Strophen auftraten.27 Die Tarnung politischer Inhalte spielte auch bei Wilhelm Müllers Tafelliedern, die Friedrich Schneider durchweg als Strophenlieder komponierte, eine wesentliche Rolle. Unter dem Deckmantel von Trinkliedern wurde Kritik an den restaurativen Verhältnissen nach den Karlsbader Beschlüssen geübt. Dem Leser respektive Hörer dieser Lieder musste für das nähere Verständnis die doppeldeutige Lesart des herkömmlichen Trinklieder-Vokabulars bewusst sein. Durch Müller erhielt das Trinklied so eine neue Wertigkeit. In anderen politischen Gesängen wurden die Botschaften hinter historischen Anspielungen oder Naturmetaphern versteckt. So weist Müllers Die Reise ins Paradies Anspielungen auf die Hexenverfolgung auf, die mit der Demagogenverfolgung in Beziehung gesetzt wurde.28 Im Froschlied und in Die Maikäfer von Carl Friedrich Zelter und Johann Karl Friedrich Rex wird das aufstrebende und nach den Befreiungskriegen in seinen politischen Hoffnungen enttäuschte Bürgertum als Volk von Fröschen beziehungsweise Maikäfern dargestellt. Beide Lieder rekurrieren auf den „Frühling“, der gemeinhin als Metapher für umfangreiche gesellschaftspolitische Veränderungen im Vormärz stand.29 Für politische Botschaften zu erwartender Marschduktus, fanfarenartige Punktierungen oder Häufungen von Unisono-Stellen sind in den für die vorliegende Arbeit eingesehenen Liedern selten anzutreffen. Das blieb eher den Vaterlandsliedern vorbehalten. In den während der Revolution entstandenen Kompositionen wurden zensurbedingte Rücksichten hingegen verworfen. Die politischen Forderungen traten nun ohne Umschweife hervor. Pathos und revolutionäre Aufbruchsstimmung schlugen sich auch direkt in den Kompositionen nieder. Verstärkt setzten die Komponisten Unisono-Stellen, Punktierungen und Akzente an wichtigen Textstellen ein.30 27 28 29 30

Siehe dazu oben S. 188 ff. und S. 191 f. Siehe dazu oben S. 115. Zu den Liedern Froschlied und Die Maikäfer siehe oben S. 130–137. Siehe dazu v. a. Schumanns Kompositionen Zu den Waffen und Schwarz-Rot-Gold oben S. 305 und 311.

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Wie auch in anderen deutschen Gebieten fungierten die Sängerfeste in Mitteldeutschland als Podium für die Propagierung bürgerlicher Emanzipationsforderungen. Im Gegensatz zu anderen Regionen, wie beispielsweise in den Herzogtümern Schleswig und Holstein, spielten aber hier die Freiheitsforderungen gegenüber den nationalstaatlichen Zielen eine stärkere Rolle.31 So ist im mitteldeutschen Raum die Tendenz zu beobachten, dass – vor allem in der sächsischen und thüringischen Männergesangbewegung – eher die Einheit in der Freiheit als die Freiheit in der Einheit angestrebt wurde.32 Zu dieser politischen Ausrichtung trugen regelmäßige Treffen mit oppositionellen Politikern wesentlich bei. Bei den Zusammenkünften handelte es sich zumeist um Stiftungsfeste der Gesangvereine,33 Besuche im privaten Rahmen34 oder Ehrbekundungen durch öffentliche Gesangsdarbietungen.35 Dass sich unter den anwesenden Politikern überwiegend Abgeordnete und Amtsträger aus dem linken politischen Spektrum befanden, ist bezeichnend.36 Die Treffen dienten sowohl den Gesangvereinen als auch den Politikern als Mittel gegenseitiger Selbstvergewisserung und Solidarisierung. Die Sänger wussten ihre Anliegen bei den Politikern gut aufgehoben, und die Politiker erkannten, dass ihre politischen Ziele durch die Massenbewegung der Sänger mittels Konzerten und Sängerfesten eine unschätzbare Verbreitung erlangen konnten. Die in der vorliegenden Arbeit intendierte Fokussierung auf die bürgerlichen Freiheitsforderungen der mitteldeutschen Sängerbewegung bringt es mit sich, dass einige andere wichtige Aspekte der allgemeinen Sängerbewegung, wie z. B. die Trägerschaft des deutschen Nationalgedankens und der Aufbau von dichten Kontaktnetzen, nur am Rande erwähnt werden konnten. Auch sie bieten sich als Gegenstand weitergehender Untersuchungen an. Ein Beispiel für eine über Deutschland hinausgehende Vernetzung ist die Schweiz. Als Ursprungsort demokratischen Volksgesangs und Quelle politischer Lieder spielte sie eine wichtige Rolle für die deutsche Männergesangbewegung. Dafür steht vor allem Daniel Elster, der die Ideen Nägelis in Süd-Thüringen 31 UNVERHAU: Gesang, Feste, Politik, S. 15. 32 Siehe dazu die Ausführungen zu den beiden Männergesangfesten 1842 und 1843 in Dresden oben S. 242–245 und zu den Liederfesten des Thüringer Sängerbundes (Kap. III.3.2). – Zur Verdeutlichung des freiheitlichen Stranges der mitteldeutschen Männergesangbewegung diente auch der Exkurs über Theodor Köner (siehe oben S. 138–143). 33 Siehe dazu u. a. S. 256–261. 34 Siehe dazu den Besuch des Zöllnerschen Gesangvereins bei Professor Wachsmuth im Januar 1846 oben S. 151 f. 35 Siehe dazu das Abschiedsständchen des Leipziger Odeons für durchreisende demokratische Politiker zum Frankfurter Vorparlament am 27. März 1848 oben S. 157 f. 36 Stellvertretend dafür seien hier die Namen Robert Blum, Adolf Ernst Hensel, Hermann Gottlob Joseph, Martin Gotthard Oberländer, Wilhelm Michael Schaffrath, Carl Gotthelf Todt, Carl Hugo Tzschucke und Franz Jacob Wigard genannt.

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verbreitete. Für Schumann diente der schweizerische Sonderbundskrieg von 1847 als Ausgangspunkt für seine drei patriotischen Gesänge für Männerchor (op. 62). Der Gesangverein-Männerchor in Suhl bezog einen Großteil seines Repertoires direkt aus der Schweiz. Eine Analyse der Beziehungen zwischen der Sängerbewegung in Mitteldeutschland und der Schweiz erscheint daher als lohnenswert. Ein weiterer Forschungsaspekt, der der Vertiefung bedarf, ist die Judenemanzipation innerhalb der Männergesangbewegung. Die Untersuchungen hierfür stehen immer noch am Anfang.37 Anknüpfungspunkte für weiterführende Untersuchungen sind Felix Mendelssohn Bartholdys38 und Berthold Auerbachs Engagement in der deutschen Sängerbewegung39 sowie Julius Fürsts Kontaktaufnahme mit Robert Schumann wegen der Vertonung seines Deutschen Freiheitsgesanges.40 Erst wenn mehrere konzeptionell ähnlich gelagerte Studien über die Männergesangbewegung in anderen deutschen Regionen vorliegen, kann der mitteldeutsche politisch-oppositionelle Männergesang konkreter in seiner Bedeutung für die gesamtdeutsche Entwicklung eingeordnet werden. Wie an der Methodik der vorliegenden Arbeit und Hinweisen auf Forschungsperspektiven zu sehen ist, sind dabei überregionale Vergleiche und eine interdisziplinäre Herangehensweise unabdingbar.

37 38 39 40

Siehe oben S. 70 . Siehe dazu v. a. oben S. 278. Siehe dazu oben S. 152 und EBD., Anm. 277. Fürsts Anliegen kann durchaus als emanzipatorisch-politischer Schachzug verstanden werden. Siehe dazu oben S. 279 und 313.

Anhang Anhang 1 Sänger-, Lieder- und Gesangfeste in Mitteldeutschland bis 1848 Sänger-, Lieder- und Gesangfeste bis 1848

Die nachfolgende Auflistung ist Resultat der Durchsicht von Vereinsakten, Festschriften, Zeitschriften und Veröffentlichungen über den Männergesang im mitteldeutschen Raum sowie der Durchsicht des vom Schweinfurter Liederkranz für das deutsche Gesangfest vom 26.–29. Juni 1847 in Lübeck erstellten Verzeichnisses aller bis dahin stattfindenden deutschen Musik- und Gesangfeste.1 Da es zahlreiche, auch im ländlichen Gebiet stattfindende Gesangfeste im kleineren Rahmen gab, über die nicht in Festschriften und Periodika berichtet wurde, kann diese Aufzählung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Sie dient mehr der Dokumentation eines flächendeckenden Sängerfestwesens im mitteldeutschen Raum. 1830 30. Oktober

Bernburg (Provinzialliedertafel)

1831 9. Juli 2. Oktober o. Angabe o. Angabe

Köthen (Provinzialliedertafel) Belrieth Jena Köthen (1. Anhalt’sches Liederfest)

1832 28. März 14. Juni Juli

Meiningen (Verein für Männergesang Hildburghausen) Köthen (2. Anhalt’sches Liederfest) Barby (Provinzialliedertafel)

1833 13. Februar 28. März 26. Juni 22. August 29./30. September o. Angabe

Hildburghausen (Verein für Männergesang Hildburghausen) Meiningen (Lehrergesangfest) Weißenfels (1. Thüringer Lehrergesangfest) Jena (Freunde des Gesanges im Saaletal) Köthen (Provinzialliedertafel) Luckau

1834 21. Mai 14. August 20./21. September 16. Oktober 19. Oktober

Zeitz (Osterländischer Sängerverein) Jena (Freunde des Gesanges im Saaletal) Zerbst (Provinzialliedertafel) Querfurt (2. Thüringer Lehrergesangfest) Chemnitz (Erzgebirgischer Sängerverein)

1 Verzeichniss deutscher Musik- und Gesang-Feste.

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ANHANG

1835 21. Juli 13. August 5./6. September 13. September

Altenburg (Osterländischer Sängerverein) Jena (Freunde des Gesanges im Saaletal) Köthen (Provinzialliedertafel) Chemnitz (Erzgebirgischer Sängerverein)

1836 25. Mai 26. Mai 16. Juni 10. August 12. August 22. August August August 18. September o. Angabe

Weißenfels (Lehrergesangfest) Eisenberg (Osterländischer Sängerverein) Buttstädt Blankenburg/Harz (Konstantia-Sängerbund) Dessau (Provinzialliedertafel) Rochlitz (Erzgebirgischer Sängerverein) Jena (Freunde des Gesanges im Saaletal) Plauen (Lehrergesangfest) Dessau (Provinzialliedertafel) Langewiesen

1837 7./8. März 17. Mai 29. Mai 15. Juni 18. Juli 18. August 18. August 30. August 4. September 18. September o. Angabe o. Angabe o. Angabe o. Angabe

Meiningen Pegau (Osterländischer Sängerverein) Stolpen Eisenberg Greiz Buttstädt Freudenthal (unterhalb der Burgruine Gleichen) Plauen (Vogtländisches Gesangfest/Sachsen) Dresden (Lehrergesangfest) Frankenberg/Sachsen (Erzgebirgischer Sängerverein) Arnstadt Oelsnitz (Vogtländischer Volksschullehrerverein) Burg Scharzfels (Constantia) Waltershausen

1838 7. Juni 7. Juni 20. Juni 19. Juli 24. Juli 9. August 15. August 20. August 23. August 5./6. September 26. September o. Angabe

Burg Scharzfels (Constantia) Arnstadt Schmölln (Osterländischer Sängerverein) Taucha (Schullehrer-Gesangfest) Burg Mansfeld Jena (Freunde des Gesanges im Saaletal) Waltershausen Hohenstein (Erzgebirgischer Sängerverein) Plauen (Vogtländisches Gesangfest/Sachsen) Quedlinburg Gotha Magdeburg (Provinzialliedertafel)

SÄNGER-, LIEDER- UND GESANGFESTE BIS 1848

1839 26. März 21. Mai 22./23. Mai 25. Mai 17. Juli 18. Juli 24. Juli 12. August 14. August 15./16. August 26. September

Bautzen/Budissin Ronneburg (Osterländischer Sängerverein) Burg Scharzfels (Constantia) Halle/Saale (Provinzialliedertafel) Rötha (Lehrer-Gesangfest) Chemnitz (Erzgebirgischer Sängerverein) Düben Greiz Plauen (Vogtländisches Gesangfest/Sachsen) Blankenburg/Harz (Volkssängerfest) Gotha

1840 10. Juni 21./22. Juni 30./31. Juli 15./16. August 20. August 4. Oktober

Altenburg (Osterländischer Sängerverein) Nordhausen (Constantia) Blankenburg/Harz (Volkssängerfest) Zerbst (Provinzialliedertafel) Plauen (Vogtländisches Gesangfest/Sachsen) Zerbst

1841 5. Juni 30. Juni Oktober o. Angabe

Barby (Provinzialliedertafel) Oelsnitz (Vogtländisches Gesangfest/Sachsen) Halle/Saale Osterode (Constantia)

1842 21. Mai 15. Juni 23./24. Juni 8./9. August 17. August

Köthen (Provinzialliedertafel) Arnstadt Plauen (Vogtländisches Gesangfest/Sachsen) Dresden (Sächsisches Männergesangfest) Burg Gleichen (Thüringisches Sängerfest)

1843 8. Juni 8. Juni 10. Juni 28. Juni 6./7. Juli 9. August 16. August Sommer Sommer o. Angabe o. Angabe

Rothenburg (Rothenburger Gesang-Verein) Mühlhausen Leipzig (Provinzialliedertafel) Reichenbach (Vogtländisches Gesangfest/Sachsen) Dresden (Sächsisches Männergesangfest) Stolpen (Hochlands-Sängerverein) Schloß Molsdorf b. Erfurt (Thüringer Sängerbund) Meißen Johanngeorgenstadt (Obererzgebirgischer Sängerbund) Duderstadt (Constantia-Sänger-Verein) Geringswalde (Muldenthäler Sängerverein)

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ANHANG

1844 29.–31. Mai 30. Mai 30./31. Mai 1. Juni 1. Juni 26. Juni 28. Juli 28. Juli 6.–8. August 12. August 18. August 21. August 21.–23. August 25. August 7. September 18. September

Nordhausen (Constantia-Sänger-Verein) Erfurt (Erfurter Sängerbund) Ballenstedt (Anhaltischer Sängerbund) Dessau (Provinzialliedertafel) Hildburghausen Plauen (Vogtländisches Gesangfest/Sachsen) Neustadt an der Haide Colditz (Muldenthäler Sängerverein) Meißen (Sächsisches Männergesangfest) Gotha (Thüringer Sängerbund) Kösen Johanngeorgenstadt (Obererzgebirgischer Sängerbund) Sondershausen (Rothenburger Sänger-Verein) Weimar (Säkularfeier Johann Gottfried Herders) Roßlau (Anhaltischer Singverein) Saalfeld

1845 15.–17. Mai 18. Mai 5. Juni 11. Juni 15. Juni 15. Juni 18. Juni 26. Juni 14. Juli 15. Juli 17./18. Juli 23. Juli 6. August 13. August 1. September 7. September 3. Oktober 17. Oktober o. Angabe o. Angabe o. Angabe

Halberstadt (Constantia-Sänger-Verein) Halle/Saale (Provinzialliedertafel) Mühlhausen Erfurt (Erfurter Sängerbund) Burgruine Greifenstein Großbreitenbach Oybin Frankenhausen (Rothenburger Sänger-Verein) Schleiz (Vogtländischer Sängerbund/Thüringen) Auerbach (Vogtländisches Gesangfest/Sachsen) Bernburg (Anhaltischer Sängerbund) Schwarzenberg (Obererzgebirgischer Sängerbund) Coswig (Anhaltischer Singverein) Dresden (Hochlands-Sängerverein) Gotha (Thüringer Sängerbund) Colditz (Muldenthäler Sängerverein) Magdeburg (Lehrergesangfest) Bautzen/Budissin (Sorbisches Gesangfest) Hildburghausen Leipzig (Lehrergesangfest) Rodach

1846 1. März 17. Mai 2. Juni 4. Juni 5. Juni 6. Juni 11. Juni

Dessau (25. Amtsjubiläum Friedrich Schneiders) Burgruine Greifenstein Suhl (Henneberger Sängerbund) Osterode (Constantia-Sänger-Verein) Harzgerode und Alexisbad (Anhaltischer Sängerbund) Magdeburg (Provinzialliedertafel) Langensalza

SÄNGER-, LIEDER- UND GESANGFESTE BIS 1848

14. Juni 21./22. Juni 5. Juli 9. Juli 9./10. Juli 12. Juli 12. Juli 19./20. Juli 27./28. Juli 29. Juli 29./30. Juli 30. Juli 4. August 10. August 12. August 17. August 27. August August 6. September 6. September 6. September 6. September Oktober

Oldisleben (Rothenburger Sänger-Verein) Ilmenau Kranichfeld Zeulenroda (Vogtländischer Sängerbund/Thüringen) Roßwein Elgersburg (Sängerbund vom Walde) Großkeula Zeitz Dessau (Anhaltischer Singverein) Neustadt/Sachsen (Hochlands-Sängerverein) Sonneberg Schneeberg (Obererzgebirgischer Sängerbund) Arnstadt Pößneck Arnstadt (Thüringer Sängerbund) Pausa (Vogtländisches Gesangfest/Sachsen) Marienberg Artern Muldethal (Osterländisches Sängerfest) Weißenfels (Sängerbund an der Saale) Schönebeck/Elbe (Elbsängerbund) Rochlitz (Muldenthäler Sängerverein) Weißenfels

1847 29. Mai Anfang Juli 27./28. Juli 15.–17. August 22. August 22. August 23./24. August 25./26. August 3. September 13. September 22. September 8. Oktober

Zerbst (Provinzialliedertafel) Rodach Naumburg (Sängerbund an der Saale) Freiberg (Erzgebirgischer Sängerbund) Ostritz (Oberlausitzer Sängerbund) Magdeburg (Elbsängerbund) Eisenach (Thüringer Sängerbund) Leisnig (Muldenthäler Sängerverein) Neukirchen/Erzgebirge Elsterberg (Vogtländisches Gesangfest/Sachsen) Weißensee (Rothenburger Sänger-Verein) Bautzen/Budissin (Wendisches Gesangfest)

1848 13. Juni 1. Juli August o. Angabe o. Angabe

Kamenz (Wendisches Gesangfest) Löbau Calbe/Saale (Elbsängerbund) Merseburg (Sängerbund an der Saale) Scheibenberg (Obererzgebirgischer Sängerbund)

333

334

ANHANG

Anhang 2 Gesangvereine in Mitteldeutschland bis 1848 Gesangvereine bis 1848

In der folgenden Auflistung werden nur Männergesangvereine genannt, deren Gründungsdaten bekannt sind. Die Gesamtzahl der im Untersuchungsgebiet befindlichen Gesangvereine von 428 dürfte noch um mindestens ein Drittel höher zu veranschlagen sein. In den für die vorliegende Studie durchgesehenen Unterlagen finden in Protokollen und Briefwechseln zwischen befreundeten Gesangvereinen viele weitere Männerchöre ohne Gründungsdatum Erwähnung. Als Quellen dienten neben der Auflistung von Vereinsgründungen im Jahrbuch des Deutschen Sängerbundes von 19271 Vereinsakten, Festschriften, Zeitschriften, biografische Veröffentlichungen sowie Publikationen über den Männergesang im Allgemeinen und den im mitteldeutschen Raum im Besonderen.2 Preußische Provinz Sachsen 1809 1813 1819 1823 1828 1828 1829 1830 1831

1832

1833

MGV Dilettanten der Musik Naumburg Akademische Liedertafel Halle/Saale Liedertafel Magdeburg MGV Landsberg (b. Halle/Saale) Sängerkränzchen Barby Liedertafel Quedlinburg Liedertafel Halberstadt Liedertafel Nordhausen GV Männerchor Suhl Liedertafel Barby MGV Cottbus Liedertafel des Erfurter Musikvereins GV Naumburg (sp. Claudius-LT) MGV Euterpe Aschersleben MGV Arion Quedlinburg Liedertafel Roßleben BGV Stolberg GV Liederkranz Esperstedt Thomaescher GV Laucha/Unstrut Männer- Liedertafel Schafstädt LGV Weißenfels Meistergesangverein Weißenfels (Schumacher)

1834 1835

1836

1837 1838

1839 1840 1841 1842

Liedertafel Halle/Saale Verein für Männergesang Naumburg Bergmännischer Musik- und Gesangverein Großkamsdorf Liedertafel Langensalza MGV Schraplau Liedertafel Euterpe Erfurt MGV Grochlitz MGV Gröbers MGV Herzberg/Elster GV Langensalza MGV Tangermünde Quartettverein Erfurt Liedertafel Torgau Naumannscher GV Calbe/Saale GV Arion Lauchstädt LGV Magdeburg Müllerscher MGV Staßfurt Liederkranz Nordhausen MGV Liederkranz Schönebeck/Elbe MGV Stößen Harmonie-Liedertafel Erfurt MGV Wolmirstedt MGV Brumby Liedertafel Eintracht Erfurt

_______________________________________________

1 Jahrbuch des Deutschen Sängerbundes, Bd. 2, 1927, S. 154–195. 2 Für die Tabelle werden folgende Abkürzungen verwendet: BGV = Bürgergesangverein, GV = Gesangverein, LGV = Lehrergesangverein, MGV = Männergesangverein, MV = Musikverein.

GESANGVEREINE BIS 1848

1843

1844 1845

1845

1846

1847

1848

Thomas-Liedertafel Erfurt Liedertafel Schönebeck/Elbe MGV Wippra Vorstädter Gesangverein Calbe/Saale Sängerkreis Erfurt BGV Magdeburg Wehrig’scher GV Magdeburg Zweite Liedertafel Magdeburg Städtische Liedertafel Hettstedt Barfüßer-Liedertafel Erfurt Regler-Liedertafel Erfurt Schützen-Liedertafel Erfurt Liedertafel Ermsleben Liedertafel Genthin Handwerker-Gesellen-GV Görlitz MGV Görlitzer Sängerbund Männer-Liedertafel Halle/Saale Schwarzscher MGV Magdeburg MGV Oberfarnstädt MGV Sangerhausen GV Veltheim Liedertafel Wanzleben Liedertafel Weißenfels Liedertafel Zeitz Prediger- Liedertafel Erfurt Liedertafel Giebichenstein Liedertafel Gröningen MGV Halle/Saale Männerchor Leißling Regler-Liederkranz Erfurt Liederkranz Görlitz Concordia Riestedt Gesangverein Schweinitz Hallesche Volksliedertafel MGV Erfurt Liedertafel Heiligenstadt Handwerker-Liedertafel Naumburg Bürger-Wehr-GV Quedlinburg Handwerker-GV Roßleben Bürger-Liedertafel Wernigerode

Anhaltische Staaten 1821 1826 1827 1834 1835

Liedertafel Dessau Liedertafel Köthen Liedertafel Zerbst Liedertafel Harzgerode Bürger-Liedertafel Roßlau Liedertafel Roßlau Liedertafel Ballenstedt

335 1838 1843 1844 1845 1846 1847

Liedertafel Bernburg Seelmann’scher Singverein Dessau Liedertafel Hoym Liedertafel Union Köthen Zander’sche Liedertafel Güsten Zöllner’scher GV Bernburg GV Badersleben

Königreich Sachsen 1815 1822 1826 1828 1829 1832 1833 1834

1835

1835

1836

1837

1838

Liedertafel Leipzig Universitäts-Sängerschaft St. Pauli Leipzig MGV Hohenstein MGV Pausa Liederkranz Schandau Orpheus Leipzig BGV Chemnitz Singverein Rochlitz MGV Frankenberg Erster Zöllnerverein Leipzig BGV Stollberg MGV Crimmitschau Orpheus Dresden Concordia Lunzenau MGV Spremberg MGV Reichenbach Liederkranz Berggießübel Männerchor Borna Liedertafel Burgstädt MGV Hirschfeld MGV Lengenfeld MGV Mittweida MGV Pulsnitz Germania Waldheim MGV Weißenberg MGV Gahlenz MGV Markneukirchen MGV Netzschkau MGV Oberwiesenthal LGV Plauen Orpheus Rochlitz Liedertafel Buchholz MGV Schönau Liederkranz Eibenstock MGV Elsterberg MGV Königstein Concordia Mylau Eintracht Sohland MGV Annaburg Männerchor Elterlein

336 1838

1839

1840

1841

1842

1842

ANHANG

MGV Orpheus Großröhrsdorf MGV Hohnstein Jüngere Liedertafel Leipzig Ossian Leipzig MGV Meerane MGV Eintracht Olbernhau Liedertafel Pegau MGV Reichenau Männerchor Rodau MGV Stollberg Liederkranz Buchholz Liedertafel Dresden Liederkranz Geyer MGV Hainichen MGV Obercunnersdorf MGV Oelsnitz Amphion Riesa Liederkranz Roßwein Liederkranz Schlettau MGV Wehlen Liederkranz Annaberg Typographia Leipzig MGV Niedercunnersdorf Liederkranz Schwarzenberg Lyra Zöblitz Liedertafel Zwönitz MGV Dippoldiswalde MGV Eibau Arion Leukersdorf MGV Marienberg Liedertafel Meißen MGV Neustadt/Sachsen Liederkranz Neustädtel MGV Stolpen Liedertafel Wurzen Liederkranz Aue Liedertafel Bischofswerda Liedertafel Budissa (Bautzen) MGV Budissin (Bautzen) GV/MV Burkhardtsdorf Arion Dresden Liederkranz Dresden Odeon Dresden MGV Ebersbach Liederkranz Johanngeorgenstadt Schoch’scher Verein Leipzig Quartettverein Leipzig MGV Lichtenstein/Sachsen MGV Orpheus Markranstädt

1843

1844

1845

MGV Oberlungwitz GV Loge Pirna MGV/Liedertafel Pirna Männerchor Plauen MGV Orpheus Plauen GV Ressource Plauen Liederkranz Schönheide Concordia Strehla Liedertafel Wermsdorf MGV Wildenfels Körting’sche Verein Dresden GV Liedertafel Ellefeld MGV Frankenberg/Sachsen Liedertafel Frohburg MGV Grünhain MGV Leipzig MGV Löbau Liedertafel Lommatzsch MGV Öderan Liederkranz Oschatz Liederkranz Waltersdorf Liedertafel Zittau MGV Zschopau Liederkranz Zwickau Liederkreis Harmonie Dresden Tannhäuser Dresden MGV Dürrhennersdorf MGV Eilenburg Liederkranz Frankenberg/Sachsen Liedertafel Freiberg MGV Großenhain Liedertafel Kötzschenbroda Männerchor Großzschocher Männerchor Radebeul MGV Reichenbrand MGV Rosenthal Liederkranz Roßwein MGV Sayda Liedertafel Scheibenberg MGV Taura MGV Tharandt Arion Döbeln Bürger-Singverein Liedertafel Freiberg Liederkranz Freiberg Liedertafel Hohenstein MGV Kottmarsdorf Liederkranz Leisnig Gesellen-Gesangverein Leipzig Odeon Leipzig

GESANGVEREINE BIS 1848

1846

1847

1848

Liederkranz Lößnitz MGV Muskau Sängerbund Niederoderwitz Liederkranz Nossen Apollo Rabenau MGV Rothenburg/Oberlausitz BGV Taucha Liedertafel Wilsdruff MGV Burkau Liedertafel Delitzsch Arietta Dresden Lyra Freiberg Liederkranz Geringswalde BGV Lyra Glauchau MGV Hartha BGV Johanngeorgenstadt Männerchor Lobstädt MGV Neukirchen MGV Schönau-Neustadt MGV Oberschlemma Liederkranz Olbersdorf Arion Roßwein Liederkranz Zittau Liedertafel Zwenkau MGV Brandis Liedertafel Colditz Turngesangverein Dresden MGV Einsiedel Erheiterung Freiberg Harmonie Neuhausen Eintracht Seifen MGV Keuschberg Germania Leipzig Sängerkranz Oschatz MGV Wolkenstein Liedertafel Zschopau Liedertafel Augustusburg Allgemeiner MGV Chemnitz Männerchor Crimmitschau Handwerkergesangverein Dresden Sängerkreis Großschönau Knappengesangverein Halsbrücke Liedertafel Leipzig MGV Stötteritz Einigkeit Wahren Liedertafel Liebenwerda MGV Neukirch Harmonie Rabenstein MGV Thum MGV Weißbach

337

Thüringische Staaten 1810 1816 1818 1825

MGV Winzerla Akademischer GV Jena MGV Weida Männerchor Liederkranz Hildburghausen 1827 MGV Altenburg Feller’scher GV Eisenberg Moosburgchor Rotterode 1828 MGV Apolda Akademischer GV Jena BGV Jena 1828/29 GV Kölleda 1830 Alt-Liedertafel Mehlis MGV Schleusingen 1831 GV Pößneck MGV Sonneberg 1832 Liederkranz Erlau BGV Gößnitz Sängerverein Ilmenau GV Saalfeld Liedertafel Weimar 1833 Liedertafel Arnstadt Gesangverein/Liedertafel Buttstädt GV Hirschberg Männerchor Nohra Liedertafel Schmalkalden 1834 Männerchor Camburg Liedertafel Münchenbernsdorf GV Waltershausen Liedertafel Waltershausen Liedertafel Wechmar GV Wöllnitz 1835 Männerchor Dorndorf GV Gräfenthal Liedertafel Körner GV Eintracht Langewiesen MGV Schmiedefeld 1836 Liedertafel Gotha Liedertafel Dermbach Liedertafel Elgersburg Bürger-Sing-Verein Greiz 1837 Liedertafel Artern Liedertafel Tennstedt Liedertafel Gotha Liedertafel Frauenwald GV Niederroßla 1837 Liederkranz/Liedertafel Ohrdruf Liedertafel Schlotheim GV Zottelstedt

338 1838

1839 1840

1841

1842

1843 1843

1844

ANHANG

MGV Orpheus Altenburg Liedertafel Blankenburg/Thüringen Liedertafel Meiningen Liedertafel Mühlhausen Liedertafel Pfiffelbach Schützengesangverein Großenstein Liedertafel Manebach GV Sitzendorf MGV Bibra Männerchor Liedertafel Gera MGV Harmonie Neustadt an der Orla Männerchor Plaue MGV Wasungen Liedertafel Angelroda Liederkranz Gera MGV Heringen/Helme MGV Königsee Liedertafel Remda Liedertafel Sondershausen Liedertafel Arion Eisenach Männerchor Eisenach GV Gera Liedertafel Gräfenroda GV Großbreitenbach MGV Keula Liedertafel Treffurt Singe-Verein Triptis GV Steinach Sängerkranz Coburg Liedertafel Eisfeld Liedertafel Dietendorf MGV Concordia Herbsleben Liedertafel Hildburghausen Liedertafel Jena Liederkranz Römhild Liederkranz Salza MGV Solle Zeulenroda Männerchor Remptendorf GV Schmiedefeld GV Tambach Liedertafel Geschwenda Liedertafel Hellingen Gesellen-Gesang-Verein Kölleda Liedertafel Kranichfeld Liedertafel Liebenstein Liedertafel Neustadt an der Haide GV Ilmenau Liedertafel Pößneck Sängerlust Roda

1845

1846

1847

1848

Liedertafel Saalfeld Turnergesangverein Veilsdorf Liedertafel Zella GV Eisfeld MGV Ophelia Eisenberg Liedertafel Geisa Liedertafel Gräfentonna Liedertafel Kahla GV Marksuhl Bürgerlicher Gesangverein Rudolstadt /Rudolstädter Sängerbund GV Steinbach Sängerkranz Schwarza Liedertafel Stockhausen Männerchor Arnstadt Eintracht Asbach GV Bodelwitz GV Effelder GV Gehren Luther-Liedertafel Hohenleuben MGV Klosterlausnitz GV Mengersgereuth Eintracht Angstedt MGV Hochheim MGV Liebschütz GV Lobeda GV Oberweißbach Liederkranz Ronneburg Liedertafel Schloßvippach Singverein Waffenrod Liederkranz Wernshausen GV Ziegenrück GV Großjena GV Eintracht Leutenberg Harmonie Meiningen GV Kaltennordheim MGV Hochsußra GV Oberschönau MGV Oberschönau GV Harmonie Orlamünde GV Buchonia Stepfershausen MGV Stepfershausen GV Vieselbach Germania Weimar

GEDICHT ZUM GEBURTSTAG CARL FRIEDRICH ZÖLLNERS

339

Anhang 3 1 Gedicht zum Geburtstag Carl Friedrich Zöllners im Jahr 1851 Zöllners Geburtstagsgedicht 1851

Kund und zu wissen thun wir der Nation, Daß in der vierundzwanzigsten Session Die Herrn Minister, welche jetzt berathen Das Wohl und Weh der deutschen Bundesstaaten, Einstimmig folgenden Beschluß gefaßt: Dresden, siebzehnten März – Brühl’scher Palast. Da leider, zu der deutschen größter Schande, Jetzt in dem großen deutschen Vaterlande Nur wenig brave Männer noch sich zeigen, Die zur Demokratie sich nicht hinneigen; – Die gar zu gern die dummen deutschen Laffen Ein großes ein’ges Deutschland wollen schaffen, und da Sie d’rum vor Allem danach streben, Den kleinen Staaten zu entziehn das Leben: So glaubten wir, daß jetzt die Zeit gekommen, Wo, zu des Vaterlandes Nutz und Frommen, Die Männer von uns auszuzeichnen seien, Die nicht ihr Ohr den Volksverführern leihen, Die noch mit fester Treu am Alten hängen Und nicht zur deutschen Republik hindrängen. Solch einen Mann – wir haben ihn gefunden, Er hat in der Begeist’rung heilgen Stunden Der deutschen Bundesstaaten Lob gesungen, Das Aller Herzen mächtig hat durchdrungen! In ihm wohnt noch die treue Lieb zum Alten, Er scheint noch fest an Thron und Fürst zu halten; Nie wird die kleinen Staaten er verachten Und frech nach einem ein’gen Deutschland trachten! – Solch edler Sinn, auf den herab vom Thron Man gnädig blickt, verdient, daß man ihn lohne. Drum weih’n die deutschen Fürsten ihm – nicht Orden, Denn die sind zu alltäglich jetzt geworden; Nein – als der Huld und Gnade höchstes Zeichen Woll’n sie ihm die Portraits jetzt überreichen. Sie soll er tragen stets zum Angedenken Der Gnad und Huld, die ihm die Fürsten schenken. Und daß man wisse, wer der Edle ist! Carl Zöllner, der berühmte Componist!“

1 Siehe SCHUMANN: Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, S. 222 f. (Unterstreichungen im Original).

340

ANHANG

Anhang 4 OTTO: Auf die Höhen!

Abb. 19: Auf die Höhen! von Hermann Kletke/Carl Gustav Klette (?) und Julius Otto

OTTO: AUF DIE HÖHEN!

341

342

ANHANG

Anhang 5 Wandersleb: Lied der Gegenwart

Abb. 20: Lied der Gegenwart von Heinrich Jäger und Adolf Wandersleb

WANDERSLEB: LIED DER GEGENWART

343

344

ANHANG

Anhang 6 Mendelssohn Bartholdy: Gutenberglied

Abb. 21: Gutenberglied von Adolf Eduard Prölss und Felix Mendelssohn Bartholdy (S. 344–348)

MENDELSSOHN BARTHOLDY: GUTENBERGLIED

345

346

ANHANG

MENDELSSOHN BARTHOLDY: GUTENBERGLIED

347

348

ANHANG

Abkürzungsverzeichnis Abb. ADB AKPS ALW BBKL AfS BzM GbllMagd GSA GWU HAAB HJb HMT HSA/ThLMA HZ Jb. Jg. KA KHM MD LHASA DE LHASA MD MA MCGV MGG MGG 2 MBL MK Ms MVAL MVGAE NDB RGG 4 RSH RWM SDFC sp. SVGL HStA SA SB

Abbildung Allgemeine Deutsche Biographie Archiv der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, Magdeburg Anhaltische Landesbücherei Dessau, Wissenschaftliche Bibliothek und Sondersammlungen Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon Archiv für Sozialgeschichte Beiträge zur Musikwissenschaft Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg. Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde des Herzogtums und Erzstifts Magdeburg Goethe-Schiller-Archiv, Weimar Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Weimar Historisches Jahrbuch Hochschule für Musik und Theater Hochschularchiv/Thüringisches Landesmusikarchiv, Weimar Historische Zeitschrift Jahrbuch Jahrgang Kreisarchiv Kulturhistorisches Museum Magdeburg Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg Musikabteilung Mitteilungen des Chemnitzer Geschichtsvereins Die Musik in Geschichte und Gegenwart (1949 ff.) Die Musik in Geschichte und Gegenwart (1994 ff.) Magdeburger Biographisches Lexikon Musikkarton Manuskript Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt Neue deutsche Biographie (1953 ff.) Religion in Geschichte und Gegenwart (1998 ff.) Robert-Schumann-Haus Zwickau, Archiv Reuter-Wagner-Museum Eisenach Stiftung Dokumentations- und Forschungszentrum des Deutschen Chorwesens, Feuchtwangen später Schriften des Vereins für die Geschichte Leipzigs Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden Staatsarchiv Staatsbibliothek

350 SLUB SM StA StB SML StM StuRB StRM SZAHF Tab. Tbl. ThStA Alt ThStA Go TRE UFB UB ULB UStB VMP VBP WTB ZfG ZVThGA

ANHANG

Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, Dresden Sammelmappe Stadtarchiv Stadtbibliothek Stadtgeschichtliches Museum Leipzig Stadtmuseum Stadt- und Regionalbibliothek Stadt- und Regionalgeschichtliches Museum Studienzentrum August Hermann Francke – Archiv und Bibliothek, Halle/Saale Tabelle Titelblatt Thüringisches Staatsarchiv Altenburg Thüringisches Staatsarchiv Gotha Theologische Realenzyklopädie Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha Universitätsbibliothek Universitäts- und Landesbibliothek Universitäts- und Stadtbibliothek Vogtlandmuseum Plauen Vogtlandbibliothek Plauen Wilhelm Müller. Werke, Tagebücher, Briefe. Hg. von Maria-Verena Leistner. Mit einer Einleitung von Bernd Leistner. 5 Bde. und Registerbd. Berlin 1994. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde

Abbildungen, Tabellen, Notenbeispiele Abbildungen Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18:

Das freie Wort, in: ALW, Nachlass Schneider, Mus. Schn. XV:15, Nr. 29, Bl. 26 .... König Wein, in: EBD., Nr. 5, Bl. 4v ................................................................................. Der neue Demagoge, in: EBD., Nr. 7, Bl. 5v ..................................................................... Freiheit im Wein, in: EBD., Nr. 28, Bl. 18r ..................................................................... Die freie Elbe, in: EBD., Nr. 9, Bl. 6v–7v ........................................................................ Die Reise ins Paradies, in: EBD., Nr. 30, Bl. 19 .............................................................. Liederbuch der Leipziger Liedertafel, in: SML, MK 170 (Tbl.) .............................. Froschlied, in: HMT Leipzig, MS 24, Nr. 22, Bl. 24v–25v ........................................... Die deutschen Bundesstaaten, in: VMP, Musiksammlung, SM 3.20 .............................. Festschrift zum ersten Liederfest 1843 in Molsdorf, in: STORCH: Thüringer Sängerbund (Tbl.) ........................................................................................................... Festschrift zum fünften Liederfest des Thüringer Sängerbundes 1847 in: Fünftes Liederfest des Thüringer Sängerbundes (Tbl.) ...................................... Programm zur Feier der „Anerkennung der Deutschen Einheit“ am 6. August 1848 in Magdeburg, in: Magdeburgische Zeitung, Nr. 183, 5. August 1848, 1. Beilage, S. 4 .................................................................................... Freier Männer freies Wort, in: UB Frankfurt/M., Mus. Hs. 230, S. [1] ....................... Text des Festgesangs, in: KADE: Vierte Säcularfeier zu Leipzig, S. 71 ............................ Abschrift der Partitur der Freiheitsgesänge .................................................................... Zu den Waffen .................................................................................................................. Schwarz-Rot-Gold ............................................................................................................. Deutscher Freiheitsgesang ....................................................................................................

93 107 109 111 113 116 126 136 150 167 183 229 250 285 302 306 312 316

Abb. 15 bis 18 entnommen aus: SCHUMANN: Drei Gesänge für Männerchor. Copyright © Tre Media Musikverlag - Karlsruhe, Germany (TME 115 E) Reproduced by permission of MGB Hal Leonhard, Italy. Abb. 19: Auf die Höhen!, in: Gesänge zum fünften Liederfest (Erster Festtag), S. 13 ff. ...... 340 Abb. 20: Lied der Gegenwart, in: EBD. (Zweiter Festtag), S. 1–3 ................................................ . 342 Abb. 21: Gutenberglied, in: MENDELSSOHN BARTHOLDY: Festgesang für Männerchor, S. 6–10 ............................................................................................................................. . 344

Tabellen Tab. 1: Tab. 2:

Bei der Liedertafel gesungene Lieder Müllers ............................................................ 102 Von Schneider vertonte, aber nicht ins Liederbuch aufgenommene Lieder Müllers ................................................................................................................. 103

Notenbeispiele Bsp. 1: Bsp. 2:

Mendelssohn: Festgesang, Nr. 2, T. 9–13 und 35–39 .................................................. 288 Mendelssohn: Festgesang, Nr. 2, T. 31–35 .................................................................... 290

Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Ungedruckte Quellen Schriftgut Thüringisches Staatsarchiv Altenburg Bestand „Männerchor Orpheus“: Nr. 3. Anhaltische Landesbücherei Dessau, Wissenschaftliche Bibliothek und Sondersammlungen Nachlass Friedrich Schneider: Karton IV, A/G 14. Nachlass Müller: Mappe V. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau Geheimer Konferenzrat BBG: R. Nr. 69. Stami. DE 1, Nr. 98. Landesarchiv Oranienbaum: C 90, Nr. 33. Stadtarchiv Dessau-Roßlau Tagebuch August Seelmann: S 10.1.–2. Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden Ständeversammlung: Nr. 2817. Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, Dresden Allgemeines Männergesangfest in Dresden 1843: Hist.Sax.G.136,34.v1. Stadtarchiv Erfurt Bestand Erfurter Musik-Verein, Bd. 3: 5/741 B–30 (darin: Erfurter Liedertafel). Bestand Erfurter Musik-Verein, Bd. 3: 5/741 B–29 (darin: Unterstützung fremder Künstler). Bestand Erfurter Musikverein, Bd. 3: 5/741 B–31 (darin: Gründung eines Thüringer MusikVereins). Stadtarchiv Gotha Liedertafel: 8.2.19/908. Thüringisches Staatsarchiv Gotha Oberhofmarschallamt: Nr. 609a. Regierung Erfurt: Nr. 437. Geheime Kanzlei. J.J.: Nr. 55. Stadtarchiv Kölleda Acta 1526. Acta 1527. Acta 1932. Acta 1959. Stadtarchiv Leipzig Acta XLVII.40. Stadtgeschichtliches Museum Leipzig Erinnerungs-Blätter an die erste Liedertafel: MK 170. Gesetze der Liedertafel in Leipzig: MK 170. Protokoll der Leipziger Liedertafel, Bd. 1 und 2: MK 171.

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

353

Universitätsbibliothek Leipzig A[ugust]. Schumann, Zöllners Tagebuchaufzeichnungen, Briefe und Zeugnisse, Rep. II, 157i. Teilnachlass Carl Friedrich Zöllner: Rep. III. 15l. Stadtarchiv Lübeck Bestand Lübecker Liedertafel: 05.4–051/1. Archiv des Konsistoriums der Kirchenprovinz Sachsen, Magdeburg Friedrich Wilhelm Hildebrandt (Personalakte): Rep. A, Spec. P, H 201. Pfarrstellenbesetzung St. Jacobi: Rep. A, Spec. G, A 834. Spezialakte Hildebrandt: Rep. A, Spec. C, A 22976. Spezialakte Heinrich Ernst Sachse: Rep A, Spec. P., S 320 (PA). Bibliothek des Kulturhistorischen Museums Magdeburg Protokollbuch Magdeburger Lehrer-Gesangverein (1838–1886): M 563. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg Oberpräsidium der Provinz Sachsen: Rep. C 20 Ib. Nr. 1857. Oberpräsidium der Provinz Sachsen: Rep. C 28 If, Nr. 1751. Oberpräsidium der Provinz Sachsen: Rep. C 28 II, Nr. 447. Regierung Magdeburg, Präsidialregistratur: Rep. C 28 Ia, Nr. 809. Stadtarchiv Naumburg Acta des Magistrats zu Naumburg: Nr. 3008, 8948. Kreisarchiv Sömmerda Sing-Verein/Liedertafel Buttstädt: Nr. 1, 13. Stadtarchiv Suhl Magistrat Suhl, Vereine: 2.1./5330. Hochschularchiv/Thüringisches Landesmusikarchiv, Weimar Nachlass Adolf Beyer: NBJ 25,1. Nachlass Liedertafel Remda: NLR. Teilnachlass der Pfiffelbacher Liedertafel: NLP. Robert-Schumann-Haus Zwickau, Archiv Verzeichnis der empfangenen und abgesandten Briefe: Nr. 1431.

Handschriftliche Noten Anhaltische Landesbücherei Dessau, Wissenschaftliche Bibliothek und Sondersammlungen Nachlass Friedrich Schneider: Mus. Schn. VI:16b; XV:12, 13, 14, 15. Stadtmuseum Erfurt Vereine und Freizeit: 12/07c, 12/07/03, 12/07/04. Stiftung Dokumentations- und Forschungszentrum des Deutschen Chorwesens, Feuchtwangen Bestand Gesangverein Wöllnitz: B 253. Universitätsbibliothek Frankfurt/Main Johann Gottlob Müller: Zwei Lieder für Männerstimmen: Mus. Hs 230. Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha 8 Lieder für den Männer-Gesang: Mus. 8° 65c, 6. 21 vierstimmige Gesänge für Männerchor: Mus. 4° 65i,3. 32 vierstimmige Gesänge für Männerchor: Mus. 4°65i/4. Partitur zu 20 Männergesängen: Mus. 4° 65c,1.

354

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt Halle/Saale Singstücke für Männerstimmen: o. Sign. Choräle für Männerstimmen: o. Sign. Stadtbibliothek Kranichfeld Stimmhefte der Liedertafel Kranichfeld: o. Sign. Hochschule für Musik und Theater Leipzig, Archiv Vierstimmige Gesänge verschiedener fremder Komponisten, 2 Bde.: MS 24. Vierstimmige Gesänge verschiedener Komponisten: MS 25. Stadtgeschichtliches Museum Leipzig Leipziger Liedertafel 2. MK 171. 3 Stimmbücher: MK 172. Universitätsbibliothek Leipzig Vierstimmige Gesänge verschiedener Komponisten, 2 Bde.: N.I. 10346a–b. Stadtarchiv Naumburg Partitur der Claudius-Liedertafel: Sa 250. Vogtlandmuseum Plauen Musiksammlung: SM 3.20. Kreisarchiv Sömmerda Nachlass Oskar Kästner: Nr. 5, 6, 8, 10. Goethe-Schiller-Archiv, Weimar Gesänge für die Liedertafel in Leipzig: GSA 32/1476. Hochschule für Musik, Hochschularchiv/Thüringisches Landesmusikarchiv, Weimar 13 Gesänge für vierstimmigen Männerchor: NGR 10. Liederbuch des Gesangvereins Lindenau: NGR 11. Liederbuch für Männerchor: AW B 1763. Liederbuch für Männerchor: Rara 3.5. Liederbuch für vierstimmig gemischten und vierstimmigen Männerchor: Rara 3.1. Stimmbücher der Liedertafel zu Wahlhausen: Rara 3.2a–c. Stimmheft für Bass 2: Rara 11.10.

2. Periodika Allgemeine musikalische Zeitung, Jg. 1815–1848. Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Magdeburg, Jg. 1820–1840. Anhaltischer Kalender, Jg. 1931. Archiv für Natur, Kunst, Wissenschaft und Leben, Jg. 1847. Archiv für Sozialgeschichte, Jg. 1974. Beiträge zur Musikgeschichte des Bezirkes Karl-Marx-Stadt, Jg. 1988. Berliner allgemeine musikalische Zeitung, Jg. 1825–1830. Beiträge zur Landesgeschichte Sachsen-Anhalts, Jg. 1993 f. Calbesches Kreisblatt. Ein amtliches und Volksblatt zur Belehrung und Unterhaltung für Stadt und Land, Jg. 1846. Das Sängermuseum, Jg. 1992. Der Türmer von Chemnitz, Monatsschrift für Geschichte, Kunst und Leben in Chemnitz und dem Erzgebirge, Jg. 1937. Deutsche Blätter für Poesie, Litteratur, Kunst und Theater, Jg. 1823.

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

355

Deutsche Sängerschaft, Verbandsorgan der Deutschen Sängerschaft (Weimarer CC), Jg. 1933. Dresdner Anzeiger, Jg. 1840-1849. Dresdner Geschichtsbuch, Jg. 1998. Dresdner Morgenblatt für Unterhaltung und Belehrung, Jg. 1848. Dresdner Wochenblatt für Vaterländische Interessen, Jg. 1839 f.. Elb-Zeitung für politisches und soziales Leben, Aufklärung Recht und Freiheit, Magdeburg Jg. 1848. Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg. Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde des Herzogtums und Erzstifts Magdeburg, Jg. 1939 ff. Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, Jg. 1835 f. Grabbe-Jahrbuch, Jg. 1989–2012. Herzoglich Anhalt-Dessauische wöchentliche öffentliche Nachrichten, Jg. 1821–1827. Heimat-Jahrbuch für den Regierungsbezirk Merseburg, Jg. 1929. Historisches Jahrbuch, Jg. 2003. Illustrirte Zeitung, Jg. 1843 ff. Jahrbuch des deutschen Sängerbundes, Jg. 1927. Kirchliche Reform. Eine Monatsschrift für die neue Zeit, Jg. 1846 ff. Leipziger Tageblatt und Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Amts- und Landgerichtes Leipzig und des Rathes und Polizeiamtes der Stadt Leipzig. Jg. 1839 ff. Leipziger Zeitung. Amtsblatt des Königlichen Landgerichts und des Königlichen Amtsgerichts Leipzig sowie der Königlichen Amtshauptmannschaft Leipzig, Jg. 1840–1848. Magdeburger Blätter. Jahresschrift für Heimat- und Kulturgeschichte in Sachsen-Anhalt, Jg. 1990 f. Magdeburger Wochenblatt für Angelegenheiten des bürgerlichen Lebens, Jg. 1843–1848. Magdeburgische Zeitung, Jg. 1819–1849, 1929, 1933. Die Musikforschung, 1948–2012. Neue Zeitschrift für Musik, Jg. 1840. Neuer Thüringer Bote. Ein Volksblatt für Thüringen und die Nachbarländer, Jg. 1830. Reichenbacher Kalender, Jg. 2003. Revue musicale SIM (Société Internationale de Musique, Section de Paris), Jg. 1913. Rund um den Friedenstein. Blätter für Thüringer Geschichte und Heimatgeschehen, Jg. 1937. Sachsen und Anhalt. Jahrbuch der Historischen Kommission für Sachsen-Anhalt, Jg. 1926. Sächsische Vaterlands-Blätter, Jg. 1840–1845. Schlesische privilegirte Zeitung, Jg. 1813. Sing mit! Informationsheft des Sängerkreises Giebichenstein, Jg. 1998. Stimmen aus dem Werrathale, Eine Zeitschrift für freimüthige Besprechung der vaterländischen Angelegenheiten des Herzogthums S. Meiningen, Jg. 1849. Teutonia. Literarisch-kritische Blätter für den deutschen Männergesang, Jg. 1846–1849. Thüringen singt, Jg. 1992–2012. Thüringer Bote. Ein Volksblatt, Jg. 1842 f. Thuringia. Zeitschrift zur Kunde des Vaterlandes, Jg. 1842 f. Unser Anhaltland. Illustrierte Wochenschrift für Kunst, Wissenschaft und heimatliches Leben. Jg. 1901 ff. Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft, Jg. 1888. Vogtländische Heimatblätter. Zeitschrift für Natur, Kultur und Heimatgeschichte, Jg. 1981–2000. Zeitschrift des Vereins für thüringische Geschichte und Altertumskunde, Jg. 1922, 1926. Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, Jg. 1852. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Jg. 1990–2010.

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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

3. Gedruckte Quellen, Textausgaben und zeitgenössisches Schrifttum Album, Zum Besten des Frauenvereins zur Erwerbung eines vaterländischen Kriegsfahrzeugs, 2. Abtheilung, Dresden 1848. Anzeiger für die politische Polizei Deutschlands auf die Zeit vom 1. Januar 1848 bis zur Gegenwart, Ein Handbuch für jeden deutschen Polizeibeamten, hg. von ––r. [i. e. Hermann Müller], Dresden 1855. BALTZER, Eduard: Der Verein freier Gemeinden in seiner ersten zu Nordhausen vom 5.–8. September gehaltenen Versammlung und Verhandlung, Halle/S. 1847. DERS.: Der Verein freier Gemeinden in seiner zweiten zu Halberstadt am 3. und 4. Oct. 1849 gehaltenen Versammlung, Nordhausen 1849. BAUER, Bruno: Die bürgerliche Revolution in Deutschland seit dem Anfang der deutsch-katholischen Bewegung bis zur Gegenwart, Berlin 1849. DERS.: Kritik der evangelischen Geschichte des Johannes, Bremen 1840. DERS.: Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker, 2 Bde., Leipzig 1841–1842. BECHSTEIN, Ludwig: Irrfahrten eines Musikanten, 2. verbesserte und im vierten Band vermehrte Auflage in zwei Theilen, Frankfurt/M. 1854, Neuausgabe von Matthias BRETSCHNEIDER, Meiningen 2007. Beschreibung aller bei der vierten Säcularfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst am 24. 25. und 26. Juni stattgefundenen Feierlichkeiten, Ein Denkmal für die Nachwelt, Leipzig 1840. BAUER, Eduin: Geschichte der Gründung und Fortbildung der deutschkatholischen Kirche, Meißen 1845. BECHSTEIN, Ludwig: Thüringen in der Gegenwart, Gotha 1843. Bei der zum Gedächtnis des verklärten Br. Jacob Bernh. Limburger am 1. April 1847 in der Loge Balduin zur Linde zu haltenden Trauerfeier, Leipzig [1847]. (Exemplar in: SML [MK 172]) BORNEMANN, Wilhelm: Die Zeltersche Liedertafel in Berlin, ihre Entstehung, Stiftung und Fortgang, nebst einer Auswahl an Liedertafel-Gesängen und Liedern, Berlin 1851. BUDDEUS, Th[eobald]: Erinnerung an das vierte Liederfest des Thüringer Sängerbundes in Arnstadt am 12. August 1846, Erinnerungen, Arnstadt [1846]. BURDACH, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben, Selbstbiographie, Leipzig 1848. Das erste Concil der deutsch-katholischen Kirche gehalten zu Leipzig unter Mitwirkung von Czerski und Ronge, Leipzig 1845. Deutscher Dichterwald, Von Justinus Kerner, Friedrich Baron de la Motte-Fouqué, Ludwig Uhland und Andern, Tübingen 1813. DUNDER, Wenzeslaw Georg: Denkschrift über die Wiener October-Revolution, Ausführliche Darstellung aller Ereignisse aus ämtlichen Quellen geschöpft, mit zahlreichen Urkunden begleitet, dann nach eigenen Erlebnissen und nach authentischen Berichten von Augenzeugen und Authoritäten, nebst einem Rückblick auf die vorausgegangenen Zustände vom 13. März bis 5. October 1848, dem Namen-Verzeichnisse der Minister, der Reichstags-Abgeordneten, der Gemeinderäthe, der Nationalgarde-Verwaltungsräthe, dem Stande der Ober-Commando-Offizier-Corps, der Nationalgarde- und der k. k. Militär-Macht, Wien 1849. Ehrenkranz des ersten deutschen Sängerfestes zu Würzburg am 4., 5. und 6. August 1845, hg. von Egbert GAERSCHEN, Würzburg 1845. EISMANN, Georg: Robert Schumann, Ein Quellenwerk über sein Leben und Schaffen, Bd. 1, Leipzig 1956. DERS. (Hg.): Robert Schumann, Tagebücher, Bd. 1, 1827–1838, Frankfurt/M. 1987. ELBEN, Arnold (Hg.): Dr. Otto Elben, Lebenserinnerungen 1823–1899 (Darstellungen aus der württembergischen Geschichte, 22), Stuttgart 1931.

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ELBEN, Otto: Der volksthümliche deutsche Männergesang, Geschichte und Stellung im Leben der Nation, der deutsche Sängerbund und seine Glieder, Tübingen 1855. DERS.: Der volksthümliche deutsche Männergesang, Geschichte und Stellung im Leben der Nation, der deutsche Sängerbund und seine Glieder, (Reprint der 2. Auflage, 1887)/SPITTA, Philipp: Der deutsche Männergesang, (Reprint aus: „Musikgeschichtliche Aufsätze“, 1894), Mit Einführung und Register hg. von Friedhelm BRUSNIAK und Franz KRAUTWURST, Wolfenbüttel 1991. ELIS, Carl: Geschichte der Liedertafel zu Halberstadt während des Zeitraums vom 8. Februar 1829 bis zum 8. Februar 1854, Auf Ersuchen des Vorstandes zur fünf und zwanzigjährigen Jubelfeier zusammengestellt, Halberstadt 1854. Erinnerung an das dritte Liederfest des Thüringer Sängerbundes zu Gotha am 1. September 1845, Im Auftrage der Gothaischen Liedertafel geschrieben von einem Thüringer, Gotha 1845. Erinnerung an das 1. Sängerfest der Mozartstiftung, geh. zu Frankfurt am Main, 29./30. Juli 1838, Festgabe des Frankfurter Liederkranzes, Frankfurt/M. 1838. ESPE, Carl August: Feierlichkeiten in der Residenzstadt Dresden bei der am 4. September 1831 erfolgten Übergabe der Verfassungsurkunde des Königreichs Sachsen, Dresden [1831]. Festordnung für das vierte Sängerfest des Thüringer Sängerbundes am 12. August 1846 in Arnstadt, Arnstadt [1846]. FEUERBACH, Ludwig: Wesen des Christentums, Leipzig 1841. FÖRSTER, Ernst: Förster, Friedrich Christoph, in: ADB, Bd. 7, 1878, S. 185–189. FREILIGRATH, Ferdinand: Ein Glaubensbekenntniß, Zeitgedichte, Mainz 1844. FREY, Arthur: Oberländer, Biographische Skizze, Leipzig/Dresden 1848. FREYSTÄTTER, Wilhelm (Hg.): Die musikalischen Zeitschriften seit ihrer Entstehung bis zur Gegenwart, Chronologisches Verzeichnis der periodischen Schriften über Musik, München 1884. GEIS, Lothar: Freireligiöses Quellenbuch 1844–1926, Eine Sammlung grundlegender Texte über Inhalt und Ziele Freier Religion, Hg. von der Freireligiösen Gemeinde Mainz, Mainz 22007. Die deutsch-katholische Gemeinde in Braunschweig von ihrer Entstehung am 7. März 1845 an bis Pfingsten 1847, Aus den Acten und Urkunden mit Beziehung auf die Rechte der römisch-katholischen Kirche daselbst zusammengestellt von dem zeitigen Vorsteher Johannes Jacob SELENCKA, Braunschweig 1847. GERBER, Stefan (Hg.): Quellen zur Geschichte Thüringens, Revolution 1848/49, Erfurt 2000. GERVINUS, Georg Gottfried: Geschichte der deutschen Dichtung, Bd. 5, Leipzig 1861. Gesänge der jüngeren Liedertafel zu Berlin (Textbuch), Berlin 1835. Gesänge der Halleschen Liedertafel, Halle/Saale [1838]. (Exemplar in: SZAHF [S/Verl.674] Gesänge der Liedertafel zu Leipzig, Als Manuscript für die Mitglieder. Leipzig [1838]. (Exemplar in: SML [MK 170]) Gesang-Fest der Liedertafeln von Cölleda, Frankenhausen, Sondershausen, Sömmerda und Weißensee am 22. September 1847 in Weißensee, Weißensee [1847]. Drittes Anhalt-Bernburgisches Gesangfest zu Harzgerode und Alexisbad am 5ten Juni 1846, Stolberg 1846. HÄSELER, Friedrich Leopold: Geschichte der Magdeburger Liedertafel aus deren Acten, aus mündlichen Überlieferungen und Selbsterleben, Magdeburg 1869. HIRSCHEL, Bernhard: Sachsens Regierung, Stände und Volk, Mannheim 1846. HOFMEISTER, Adolph: Musikalisch-literarischer Monatsbericht neuer Musikalien, musikalischer Schriften und Abbildungen für das Jahr 1845, 17. Jg., Leipzig 1845. HUNDT, Martin (Hg.): Bund der Kommunisten 1836–1852 (Studienbibliothek DDR-Geschichtswissenschaft, 9), Berlin 1988. JACOBY, Johann: Vier Fragen beantwortet von einem Ostpreußen, Mannheim 1841.

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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

[JÄGER, Hermann]: Erinnerung an das fünfte Liederfest des Thüringer Sängerbundes zu Eisenach, Eine vollständige Festbeschreibung mit sämmtlich gehaltenen Reden, Arnstadt 1847. Zweites Jahresfest des Sängerbundes an der Saale, am 27. und 28. Juli 1847 zu Naumburg, Naumburg [1847]. (Exemplar in: StRM [D 616]) KADE, Emil: Die vierte Säcularfeier zu Leipzig am 24. 25. 26. Juni 1840, Eine Denkschrift im Auftrage des Comité zur Feier der Erfindung der Buchdruckerkunst, Leipzig 1841. KAMPE, Ferdinand: Geschichte der religiösen Bewegung der neueren Zeit, 2 Bde., Leipzig 1852–1853. KEMPE, Friedrich: Friedrich Schneider als Mensch und Künstler, Ein Lebensbild nach OriginalMittheilungen, Original-Briefen und Urtheilen namhafter Kunstrichter, hg. von Arthur Lutze, Dessau 1859. KÖRNER, Christian Gottfried: Deutschlands Hoffnungen, Leipzig 1813. KRAUSE, Carl: Aufruhr in Dresden am 3., 4., 5., 6., 7., 8. und 9. Mai 1849, Nach amtlichen Quellen geschildert, Dresden 31849. KÜHNE, Gustav: Eine Quarantäne im Irrenhaus, Leipzig 1835. Erstes Liederfest des Thüringer Sängerbundes am 16. August 1843 im Herzoglichen Schloßgarten zu Molsdorf, hg. von der Liedertafel des Erfurter Musik-Vereins, Erfurt [1843]. Fünftes Liederfest des Thüringer Sängerbundes am 23. und 24. August 1847 im Marienthale bei Eisenach, Eisenach [1847]. Liedertafel bei Anwesenheit des Hofkapellmeisters Herrn Dr. Friedrich Schneider, Erfurt 1847. LINDAU, Martin Bernhard: Geschichte der Haupt- und Residenzstadt Dresden von der frühesten bis auf die gegenwärtige Zeit, Bd. 2, Dresden 1862. LÖWE, Maximilian Leopold (Hg.): Der Männergesang, die bisher für ihn erschienenen Compositionen und die allgemeinen Männergesangfeste zu Dresden in den Jahren 1842 und 1843, Dresden 1844. MENDELSSOHN BARTHOLDY, Carl/MENDELSSOHN BARTHOLDY, Paul (Hg.): Briefe aus den Jahren 1833 bis 1847 von Felix Mendelssohn Bartholdy, Bd. 2, Leipzig 51865. MÜLLER, J[ohann] G[ottlob]: Der Dresdner Männergesangverein Orpheus nach seinem 30jährigen Bestehen. Andeutungen in chronologischer Folge über Gründung und Fortschreiten, Zweck, Wirksamkeit, Beziehungen und Erinnerungen des Vereins, während des Zeitraumes vom 7. Mai 1834 bis mit 7. Mai 1864, Dresden 1864. MÜLLER, Wilhelm: Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten, Dessau 1821. MÜLLER, Wilhelm: Lieder der Griechen, Dessau 1821. DERS.: Neue Lieder der Griechen, Erstes und Zweites Heft, Leipzig 1823. DERS.: Neueste Lieder der Griechen, Leipzig 1824. MONTBÉ, A[lban] von: Der Maiaufstand in Dresden, Auszugsweise bearbeitet nach officiellen Quellen, Dresden 1850. MÜLLER, August Wilhelm: Aus des Liederkomponisten Andreas Zöllner Leben und Streben, Eine Skizze, Magdeburg 1862. MÜNNICH, Richard (Hg.): Aus Schumanns Briefen und Schriften, Weimar 1956. Nachricht über das am 2. Mai 1838 zu Dessau gefeierte Jubelfest der Anhaltiner, welche den Feldzügen gegen Frankreich in den Jahren 1813, 1814 u. 1815 beigewohnt haben, Zu einem Gedächtnis an dasselbe zusammengetragen und allen seinen Kameraden gewidmet von einem Theilnehmer am Feste, Dessau 1838. NÄGELI, Hans Georg/PFEIFFER, Michael Traugott: Gesangbildungslehre für den Männerchor, Zürich 1817. NAUHAUS, Gerd (Hg.): Robert Schumann, Tagebücher, Bd. 3, Haushaltsbücher, T. 2: 1847–1856, Basel/Frankfurt 1982.

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

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OBERMANN, Karl (Hg.): Flugblätter der Revolution, Eine Flugblattsammlung zur Geschichte der Revolution von 1848/49 in Deutschland, München 1972. OTTENBERG, Hans-Günter/ZEHM, Edith (Hg.): Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter in den Jahren 1799 bis 1827, Bd. 1, in: RICHTER, Karl (Hg.): Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke, Bd. 20.1, München/Wien 2006. PFEIFFER, F.: Der Verfassungsstreit in Kurhessen, in: Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, Bd. 13, 1852, S. 9–93. Programm zu dem am 19., 20. und 21. Juli 1856 in Braunschweig stattfindenden Gesang- und 25jährigen Jubelfeste des Norddeutschen Sängerbundes, Braunschweig 1856. (Exemplar in: ULB Halle [AB 151461 (9)] ROCHLITZ, Friedrich: Für Freunde der Tonkunst, 4 Bde., Leipzig 1824–1832. ROSTIZ-DRZEWIECKI, Hans Carl Florian: Die Communalgarden des Königreichs Sachsen, in ihrer Entstehung, gesetzlichen Begründung, Organisirung und gegenwärtigen Gestalt, Dresden 1832. RONGE, Johannes: Verhältniß der jungen Kirche zur socialen Frage, München 1848. Sängerfahrt nach Wörlitz von Seiten des Anhaltischen Singvereins, Montag, den 26. Juni 1847, Festordnung und Liedertexte, Dessau [1847]. Das Sängerfest zu Frankfurt a. M. Frankfurt/M. [1838]. Großes Sängerfest, Deutsch-Vlämischer Sängerbund, Programm, Festordnung, Text der Gesänge, Verzeichnis sämmtlicher Mitwirkenden, hg. vom Deutsch-Vlämischen Sängerbund, Köln 1846. SAPHIR, Moritz Gottlieb (Hg.): Griechisches Feuer auf dem Altare edler Frauen, Erstes Heft, Berlin 1826. SCHUMANN, Robert: Gesammelte Schriften über Musik und Musiker, hg. von Martin KREISIG, Bd. 1, Leipzig 51914. SCHWAB, Gustav (Hg.): Vermischte Schriften von Wilhelm Müller, Mit einer Biographie Müller’s begleitet, 5 Bde., Leipzig 1830. SCHWERDT, Heinrich: „Sängerfahrt und Sängerfest“, in: Thuringia, Nr. 37, 1843, Sp. 584. SENFF, Barthold: Führer durch die musikalische Welt, Adressbuch, Chronik und Statistik aller Städte von Bedeutung, Leipzig 1868. STORCH, Ludwig: Der Thüringer Sängerbund und sein erstes Liederfest zu Molsdorf den 16. August 1843, Blätter der Erinnerung, Gotha 1843. STRAUß, David Friedrich: Das Leben Jesu, 2 Bde., Tübingen 1835–36. SYDOW, Friedrich von: Das Gesangfest auf der Rothenburg am 8. Junius 1843, Den sämmtlichen bei diesem Feste betheiligt gewesenen Sängern freundlich zugeeignet, Sondershausen 1843. DERS.: Des Rothenburger Sänger-Vereins erste Gesangs-Feier, am 21., 22. und 23. August 1844 in Sondershausen, Sondershausen [1844]. DERS.: Des Rothenburger Sängervereins drittes Gesang-Fest in Frankenhausen am 25., 26. und 27. Juni 1845, Frankenhausen 1845. Texte zu handschriftlichen Melodien der Magdeburger Liedertafel, [Magdeburg] o. J. (Exemplar in: StB Magdeburg [Hv 150]) Thüringisch-Erfurter Gedenkbuch der vierten Säcular-Jubelfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst zu Erfurt am 26. und 27. Juli 1840, Erfurt 1840. Thüring’sches Sängerfest am 17ten August 1842 auf der Burg-Ruine Gleichen bei Wandersleben, Erfurt [1842]. UHLICH, Leberecht: Leberecht Uhlich in Magdeburg, Sein Leben von ihm selbst beschrieben, Gera 21872. DERS.: Zehn Jahre in Magdeburg, 1845–1855, Magdeburg 31855. Amtliche Verhandlungen betreffend den Prediger Uhlich zu Magdeburg, Magdeburg 1847.

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Verzeichniss deutscher Musik- und Gesang-Feste, Den beim großen deutschen Sängerfeste in Lübeck am 26. bis 29. Juni 1847 versammelten Liedertafeln gewidmet, Schweinfurt 1847. WIGARD, Franz: Die ersten drei Erbauungsstunden der Deutschkatholiken zu Dresden, Dresden/Leipzig 1845. DERS.: Die feierliche Einführung des Pfarrers Dr. Eduin Bauer und der neu gewählten Ältesten in die deutschkatholische Gemeinde zu Dresden am 31. August 1845, nebst den an diesem Tage von Wigard und Dr. Bauer gehaltenen Reden, Meißen 1846. ZEHM, Edith: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter in den Jahren 1799 bis 1832, in: RICHTER, Karl (Hg.): Johann Wolfgang Goethe, Sämtliche Werke Bd. 20.3, München/Wien 2006.

4. Gedruckte und litographierte Noten Allgemeines Commers- und Liederbuch enthaltend ältere und neue Burschenlieder, Trinklieder, Volkslieder, Vaterlandsgesänge, Kriegs- und Turnlieder, mit dreistimmig ausgesetzten Melodien, hg. von Albert METHFESSEL, Rudolstadt 21820. Vierstimmiges Choralbuch zum Gesangbuch für deutsch-katholische Christen, hg. von Carl Friedrich ZÖLLNER, Leipzig 1846. (Exemplar in: HAAB [Str. III: 177]) Chorbuch des „Sängerhain“, hg. von Ludwig ERK, Friedrich ERK und Wilhelm GREEF, Essen 51927. Ernst und Scherz, Original-Compositionen für große und kleine Liedertafeln, Erster Band, H. 1–6, hg. von Julius OTTO, Schleusingen o. J. (Exemplar in: UFB [Mus. 4° 65m/1]) Ernst und Scherz, Original-Compositionen für große und kleine Liedertafeln, Dritter Band, Heft 13–18, Nro. 69–103, hg. von Julius OTTO, Schleusingen o. J. (Exemplar in: HSA/ ThLMA [NLP 2]) Ernst und Scherz, Original-Compositionen für große und kleine Liedertafeln, Vierter Band, Heft 19–24, Nro. 104–139, hg. von Julius OTTO, Schleusingen o. J. (Exemplar in: HSA/ ThLMA [NLP 2]) Ernst und Scherz, Original-Compositionen für große und kleine Liedertafeln, Fünfter Band, Heft 25–30, Nro. 140–177, hg. von Julius OTTO, Schleusingen o. J. (Exemplar in: HSA/ ThLMA [NLP 2]) Ernst und Scherz, Original-Compositionen für große und kleine Liedertafeln, Heft 31–32, hg. von Julius OTTO, Schleusingen o. J. (Exemplar in: HSA/ ThLMA [NLP 2]) Ernst und Scherz, Original-Compositionen für große und kleine Liedertafeln, Heft 41–42, hg. von Julius OTTO, Schleusingen o. J. (Exemplar in: HSA/ ThLMA [NLP 2]) Erstes Liederfest des Thüringer Sängerbundes, Partitur, o. J. (Exemplar in: UFB [Mus. 4°, 65a/2]) FINK, Gottfried Wilhelm (Hg.): Musikalischer Hausschatz der Deutschen, Eine Sammlung von 1.000 Liedern und Gesängen mit Singweisen und Klavierbegleitung, Leipzig 1843. DERS. (Hg.): Die teutsche Liedertafel, Leipzig 1845. Gesänge des Sängerbundes an der Saale zum Gesangfeste in Merseburg 1848, [Merseburg 1848. (Exemplar in: StA Halle/Saale, Handschriften [F 26]) Gesänge zum fünften Liederfest des Thüringer Sängerbundes, Partitur, Eisenach 1847, Erster und Zweiter Festtag, Waltershausen [1847]. (Exemplare in: UFB [Mus4° 00065l] und StM Erfurt [12/07/01]) Landshuter Liedertafel, Sammlung ausgewählter vierstimmiger Lieder, 1. Jg., Landshut 1846. (Exemplar in: HSA/ ThLMA [NLP 1])

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Männergesänge von verschiedenen Komponisten, zunächst für die oberen Klassen höherer Lehranstalten, Gymnasien, Seminarien, Real- und Gewerbeschulen, sowie für Deutschlands Liedertafeln und Lehrervereine, hg. von Johann Michael ANDING, Hildburghausen o. J. (Exemplar in: UFB [Mus. 8° 65g, 3] MENDELSSOHN BARTHOLDY, Felix: Festgesang für Männerchor zur Eröffnung der am ersten Tage der Säcularfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst auf dem Markt zu Leipzig Statt findenden Feierlichkeiten, Klavierauszug, Leipzig [1840]. (Exemplar in: StB Leipzig [PM 4061]) MENDELSSOHN BARTHOLDY, Felix: Festgesang zur Säcularfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst, in: RIETZ, Julius (Hg.): Felix Mendelssohn Bartholdy’s Werke, Serie 15, Nr. 120, Leipzig. o. J., Reprint: Farnborough 1968. MÜLLER, J[ohann] G[ottlob]: 4 Lieder für vierstimmigen Männergesang, Dresden 1848. Orpheus, Sammlung auserlesener Gesänge für vier Männerstimmen ohne Begleitung, Zweiter Band, H. 7–12, No. 1–41, Leipzig o. J. (Exemplar in UFB [Mus. 8° 65d/1c]) Orpheus, Sammlung von Liedern und Gesängen für vier Männerstimmen, Vierzehnter Band, 3. Folge, 4. Bd., No. 101—135, hg. Von Carl ZÖLLNER, Leipzig o. J. (Exemplar in UFB [Mus. 8° 65d/1c]) Das Rütli, Ein Liederbuch für Männergesang, [St. Gallen] 351904. Arnstädter Sängerfest 1846, Partitur, [Arnstadt 1846]. (Exemplar in: UFB [Mus. 4° 65k,6]) Sammlung von Volksgesängen für Gemischten Chor, Bd. 2: Liederbuch für Schule, Haus und Verein, hg. von Ignaz HEIM, Zürich 1904. SCHUMANN, Robert: Deutsche Freiheitsgesänge von 1848, hg. von Kurt Hoffmann, Hamburg 1980. DERS.: Drei Gesänge für Männerchor mit Begleitung von Harmoniemusik ad lib. (1848), Studienpartitur, hg. von Joachim DRAHEIM, Karlsruhe 1998. Tafel-Lieder für Männerstimmen, Für die Liedertafel zu Berlin in Musik gesetzt von Carl Fried. ZELTER, H. 5, Berlin [1826]. Voigtländisches Turnbüchlein, Hg. vom Turnrath zu Plauen, Zweite Abtheilung, Lieder, Plauen 1846. (Exemplar in: VBP [2078 Q]) Das Wandern ist des Müllers Lust, Neue Chorkompositionen nach Gedichten von Wilhelm Müller, hg. vom Sängerkreis Anhalt-Dessau e.V., Dessau 1994. ZELTER, Carl (1758–1832): Ausgewählte Männerchöre. Hg. von der Deutschen Akademie der Künste. Leipzig 1958. (1758–1832): Ausgewählte Männerchöre, hg. von der Deutschen Akademie der Künste, Leipzig 1958. ZÖLLNER, Carl Friedrich: Die deutschen Bundesstaaten (op. 11), Leipzig 1847. (Exemplar in: VMP, Musiksammlung [SM 3.20]) DERS.: Des Müllers Lust und Leid, In sechs Gesängen aus der schönen Müllerin von Wilhelm Müller. Leipzig [1844]. DERS.: Die Zigeuner, Fantasiestücke für 4 Männerstimmen (op. 10), Leipzig [1846].

5. Literatur 100 Jahre Liedertafel zu Gotha, in: Rund um den Friedenstein, Blätter für Thüringer Geschichte und Heimatgeschehen, Nr. 8. 15. April 1937, S. [1–4]. 100 Jahre Magdeburger Liedertafel, in: Magdeburgische Zeitung, Nr. 122, 3. März 1929, S. 8. ABERT, Hermann: Robert Schumann (Berühmte Musiker, 15), Berlin 1903.

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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

381

ZIEGLER, Günter (Hg.): „Durch Nacht zum Licht“, Friedrich Schneider 1786–1853, Ausstellungskatalog, Dessau 2003. DERS. (Hg.): Persönlichkeiten der Verwaltung, Biographische Skizze zur anhaltinischen Verwaltungsgeschichte 1800–1933 (Zwischen Wörlitz und Mosigkau. Sonderheft, 3), Dessau 1994. ZERBACK, Ralf: Robert Blum, Eine Biographie, Leipzig 2007. ZUMFELD, Heinz: „Kein Leben mehr für mich ohne Freiheit!“, Ferdinand Freiligrath und die Revolution von 1848, Ein Dokumentarbeispiel, Bielefeld 1995. ZWICK, Rudolf: 100 Jahre Gesang-Verein „Männerchor 1829“, Suhl 1929.

6. Nachschlagewerke Allgemeine Deutsche Biographie, 56 Bde., Leipzig 1875–1912. Baker’s Biographical Dictionary of Musicians, ed. by Theodore BAKER and Alfred REMY, New York 31919. Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts, hg. von Julius Leopold PAGEL, Berlin/Wien 1910. Encyclopädie der Freimaurerei, nebst Nachrichten über die damit in wirklicher oder vorgeblicher Beziehung stehenden Geheimen Verbindungen in alphabetischer Ordnung von C. LENNING. Durchgesehen und, mit Zusätzen vermehrt, hg. von einem Sachkundigen, 3 Bde. Leipzig 1828. Musikalisches Konversations-Lexikon, hg. von Hermann MENDEL und August REISSMANN, 12 Bde., Reprint: Hildesheim/Zürich/New York 2001. [zuerst 1870–1883] Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Allgemeine Enzyklopädie der Musik, hg. von Friedrich BLUME, 17 Bde., Kassel u. a. 1949–1986. Die Musik in Geschichte und Gegenwart, hg. von Ludwig FINSCHER, 29 Bde., 2. völlig neu bearb. Aufl., Kassel u. a. 21994–2008. Biographisch-bibliographisches Quellen-Lexikon, hg. von Robert EITNER, 10 Bde., Graz 1900–1904. Religion in Geschichte und Gegenwart, Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, hg. von Hans Dieter BETZ, Don S. BROWNING, Bernd JANOWSKI und Eberhard JÜNGEL, 8 Bde., 4., völlig neu bearb. Aufl., Tübingen 1998–2007. Großes Sängerlexikon, München, hg. von Karl Josef KUTSCH und Leo RIEMENS, 7. Bde., 4. erw. und aktualisierte Auflage, München 2003. Anhalt’sches Schriftstellerlexikon oder historisch-literarische Nachrichten über die Schriftsteller, die in Anhalt geboren oder gewirkt haben, aus den drei letzten Jahrhunderten gesammelt und bis auf unsere Zeiten fortgeführt, hg. von Andreas Gottfried SCHMIDT, Bernburg 1830. Staats-Lexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften, in Verbindung mit vielen der angesehensten Publicisten Deutschlands hg. von Carl VON ROTTECK und Carl Theodor WELCKER, 18 und 4 Suppl.-Bde., Altona 1845–1848. Stadtlexikon Leipzig von A bis Z, hg. von Horst RIEDEL, Leipzig 2005. Theologische Realenzyklopädie, hg. von Horst BALZ, Gerhard KRAUSE und Gerhard MÜLLER, 36 Bde., Berlin 1977–2010.

Ortsregister Das Ortsregister enthält alle im Hauptteil (inkl. Fußnoten) und in den Anhängen 1 und 2 aufgeführten Orte. Ausgenommen sind territoriale Bestandteile in den jeweiligen Herrschertiteln und geografische Landschaftsbezeichnungen. Register

Alexisbad 78, 332 Altenburg 49, 80, 330 f., 337 f. Altwaltersdorf b. Zittau 88 Angelroda 81, 338 Angstedt 338 Annaberg 336 Annaburg 335 Apolda 73, 80, 337 Arnstadt 23, 30, 80, 163, 165, 172, 177 f., 182, 194, 199 f., 202, 203, 330, 331, 333, 337, 338 Artern 81, 333, 337 Asbach 338 Aschersleben 54, 88, 334 Aue 336 Auerbach 332 Augustusburg 337 Auma 81

Borna 139, 335 Brandis 337 Braunschweig 24, 211, 253, 280, 291 Bremen 147, 229 Breslau 54, 57 f., 76, 106, 110, 131 f., 179, 255, 303 Brighton 46 Brumby 334 Brüssel 92, 263 Buchholz 335 f. Burg Gleichen 163, 194, 198, 331 Burg Mansfeld 330 Burg Scharzfels 330 f. Bürgel 80, 177 Burgstädt 335 Burkau 337 Burkhardtsdorf 336 Buttstädt 21, 73, 177, 181, 330, 337

Badersleben 335 Ballenstedt 75, 78, 332, 335 Bamberg 263 Barby 75, 77, 226 f., 329, 331, 334 Bautzen/Budissin 83, 331–333, 336 Bayreuth 197 Belrieth 329 Benshausen 79 Berggießübel 335 Berlin 51, 59, 70, 76, 92, 106, 120, 130, 139, 142, 151, 197, 201, 206, 212 f., 214, 226, 230, 275, 282, 298, 303, 308, 314 f. Bernburg 24, 77 f., 78, 85, 89, 96, 323, 329, 332, 335 Bernstadt 157 Bibra 338 Bischofswerda 336 Blankenburg/Harz 75, 330, 331 Blankenburg/Thüringen 338 Blasewitz 242 f. Bleicherode 75 Bodelwitz 338

Calbe/Saale 76, 226–228, 334 Camburg 337 Chemnitz 82, 149, 258, 322, 329, 331, 335, 337 Clausthal 75 Coburg 162, 338 Colditz 83, 332, 337 Corbach 177 Coswig/Anhalt 78, 332 Cottbus 334 Crimmitschau 335, 337 Delitzsch 337 Dermbach 337 Dessau 14, 22, 25, 27, 31, 51, 54, 68, 71, 75, 77 f., 87–90, 94–108, 117 f., 123, 164, 205, 209, 319 f., 322 f., 330, 332 f., 335 Diebzig 53 Dietendorf 338 Dippoldiswalde 336 Döbeln 336 Dornburg/Saale 80 Dorndorf 337

ORTSREGISTER

Dresden 14 f., 28, 31, 52, 54, 59, 61, 84, 87, 95, 138, 149, 155, 157, 206, 233, 283, 291, 293 f., 298, 300–302, 320–326, 330–332, 335–337 Dreyßigacker 181 Düben 331 Duderstadt 75, 331 Dürrhennersdorf 336 Düsseldorf 241, 293, 295, 301, 307 Ebersbach 336 Effelder 338 Ehringsdorf 165 Eibau 336 Eibenstock 335 Eilenburg 336 Einsiedel 337 Eisenach 23, 26, 31, 143, 162 f., 165, 171, 181–195, 199, 201–203, 333, 338 Eisenberg 49, 76, 80, 323, 330, 337 f. Eisfeld 81, 338 Eisleben 54, 143 Elbingerode 75 Elgersburg 81, 333, 337 Ellefeld 336 Elsterberg 333, 335 Elterlein 335 Elxleben 80 Erfurt 22 f., 47, 62, 69, 80, 89, 162–166, 170, 173–177, 175, 181, 203, 332, 334 Erlau 337 Ermsleben 335 Esperstedt 334 Esslingen am Neckar 68 Feuchtwangen 17, 19 Frankenberg/Sachsen 82, 247, 330, 335 f. Frankenhausen 81, 332 Frankfurt/M. 56, 70, 147 f., 152, 157, 159, 236, 238, 247, 259, 264, 279, 308, 322 Frankfurt/O. 71, 120 Frauenwald 337 Freiberg 54, 263 f., 266, 268, 283 f., 333, 336 f. Freudenthal 162, 330 Freyburg/Unstrut 77 Friedenstein, Schloss 174 f. Frohburg 336 Frohse 226 f. Gahlenz 335 Gehren 338

383 Geisa 181, 338 Geithain 83 Genthin 335 Georgenthal 80, 163, 165, 197 Gera 81, 338 Geringswalde 83, 190, 331, 337 Gernrode 78 Geschwenda 81, 338 Geyer 336 Giebichenstein 335 Glauchau 337 Gnadau 53 f. Görlitz 54, 206, 335 Goslar 75 Gößnitz 337 Gotha 22–24, 27, 49, 56, 80 f., 161–166, 168, 170, 173–175, 177, 180, 194–197, 199 f., 202, 320, 330–332, 337 Göttingen 123, 276 Gräfenroda 81, 338 Gräfenthal 337 Gräfentonna 338 Greifenstein, Burgruine 332 Greiz 330 f., 337 Grimma 83 Gröbers 334 Gröbzig 78 Grochlitz 334 Gröningen 335 Groß Ottersleben 226 Groß Salze 227 Groß-Bodungen 75 Großbreitenbach 177, 332, 338 Großenhain 336 Großenstein 338 Großgörschen 132, 300 Großjena 338 Großkamsdorf 334 Großkeula 333 Großkörner 177 Großröhrsdorf 336 Großschönau 337 Großzschocher 139, 336 Grottkau 56 Grunewalde 29, 216–222, 227, 321 Grünhain 336 Güsten 323, 335 Hainichen 83, 336 Halberstadt 54 f., 75, 88, 332, 334

384 Halle/Saale 22, 24 f., 46 f., 51, 53–55, 75–77, 88, 97, 118, 206, 208, 243, 331 f., 334 f. Halsbrücke 337 Hambach 13, 51, 309 Hamburg 24, 118, 147, 197, 302 Hanau 308 Hartha 337 Harzburg, Burg 211 Harzgerode 24, 75, 78, 332, 335 Heidelberg 17, 144, 296 Heiligenstadt 335 Heldburg 81 Hellingen 338 Herbsleben 338 Heringen/Helme 81, 338 Herzberg am Harz 75 Herzberg/Elster 334 Hettstedt 335 Hildburghausen 18, 49, 79–81, 329, 332, 337 f. Hirschberg 54, 337 Hirschfeld 335 Hochheim 338 Hochsußra 338 Hohenleuben 338 Hohenstein 82, 83, 330, 335 f. Hohnstein 336 Hoym 75, 78, 335 Ilfeld 75 Ilmenau 333, 337 f. Jena 19, 44, 48 f., 49, 73, 76, 79 f., 167, 181, 276, 296, 329 f., 337 f. Jeßnitz 78 Johanngeorgenstadt 82, 331 f., 336 f. Kahla 80, 338 Kalisch 133 Kaltennordheim 338 Kamenz 333 Karlsruhe 72 Kelbra 81 Keula 338 Keuschberg 337 Kiel 275, 290, 291 Kindelbrück 81 Kitzen 139 Klosterlausnitz 338 Kölleda 21, 62, 81, 337 f. Köln 161, 241, 274, 276, 307 f., 317

REGISTER

Königsberg 54 f., 236 f. Königsee 338 Königstein 83, 265, 335 Körner 337 Kösen 332 Köthen 50 f., 54, 64, 75, 77, 90, 209, 329–331, 335 Kottmarsdorf 336 Kötzschenbroda 336 Kranichfeld 22, 333, 338 Kreischa 301 Kreuzwertheim 197 Kriebstein 83 Landsberg b. Halle/Saale 334 Landshut 24 Langensalza 74, 163, 165, 177, 332, 334 Langewiesen 330, 337 Laucha/Unstrut 77, 177, 323, 334 Lauchstädt 334 Lauterberg 75 Leipzig 14, 17 f., 21 f., 24, 26 f., 31 f., 44, 51, 54, 57, 59, 61, 64, 68, 71, 75, 77 f., 82 f., 86–91, 94 f., 100–104, 118–160, 182, 196, 197, 201, 206 f., 234, 236–238, 251, 254 f., 261, 265, 269, 272–274, 275, 279–283, 290–292, 297, 299, 303, 308, 313, 315, 318–320, 323 f., 326, 331 f., 335–337 Leisnig 83, 84, 149, 333, 336 Leißling 77, 335 Lengenfeld 335 Lenzburg 79 Leukersdorf 336 Leutenberg 338 Lichtenstein/Sachsen 336 Liebenroda 81 Liebenstein 81, 338 Liebenwerda 337 Liebschütz 338 Liegnitz 206 Lindenau 22 Löbau 206, 333, 336 Lobeda 338 Lobenstein 81 Lobstädt 337 Lommatzsch 336 London 307 f. Lößnitz 337 Lübeck 147, 161 Luckau 329

ORTSREGISTER

385

Lunzenau 335

Nürnberg 21, 89

Magdeburg 14, 18, 20, 25, 27, 29, 31, 47, 51–55, 61, 64, 75–77, 87–89, 104, 118, 204–218, 221–232, 253, 270, 319 f., 322 f., 323 f., 330, 332 –335 Mainz 13, 109, 144, 280, 282, 284, 286 Manebach 81, 338 Marienberg 333, 336 Markneukirchen 335 Markranstädt 336 Marksuhl 181, 338 Martinroda 81 Maua 80 Maxen 300 Meerane 336 Mehlis 79, 80, 177, 337 Meiningen 69, 79, 81, 197, 200, 320, 329 f., 338 Meißen 84, 146, 258, 331, 332, 336 Mengersgereuth 338 Merseburg 24, 47, 76, 190, 333 Mittelhausen 143 Mittweida 83, 149, 335 Möhrenbach 177 Molsdorf, Schlossgarten 68, 162, 174, 187, 194, 199, 202, 331 Mühlhausen 165, 186, 331 f., 338 Muldethal 333 München 201 Münchenbernsdorf 337 Muskau 337 Mylau 335

Obercunnersdorf 336 Oberfarnstädt 335 Oberlungwitz 336 Oberschlemma 337 Oberschönau 338 Oberweißbach 338 Oberwiesenthal 335 Öderan 336 Oelsnitz 330 f., 336 Ohrdruf 80, 337 Olbersdorf 337 Oldisleben 81, 333 Oranienbaum 78 Orlamünde 338 Oschatz 336 f. Oschersleben 54 Osterode 75, 331 f. Ostritz 84, 333 Oybin 332

Naumburg 22, 24, 54, 76, 86, 118, 323, 333 f. Netzschkau 335 Neuhausen 337 Neukirch 337 Neukirchen b. Eisenach 163, 165 Neukirchen/Erzgebirge 333, 337 Neustadt an der Haide 332, 338 Neustadt an der Orla 81, 338 Neustadt/Sachsen 29, 83, 333, 336 Neustädtel 336 Niedercunnersdorf 336 Niederoderwitz 337 Niederroßla 337 Nohra 337 Nordhausen 55, 75, 81, 88, 322, 331 f., 334 Nossen 337

Paris 46, 132, 156, 213, 263, 296 f., 308 Passau 324 Pausa/Vogtland 82, 333, 335 Pegau 330, 336 Pfiffelbach 24, 338 Pirna 336 Plaue 163, 165, 338 Plauen 18, 20, 82 f., 157, 237, 266, 330–332, 335, 336 Plochingen 72, 161, 179, 321 Pömmelte 53, 216 Pößneck 333, 337 f. Potsdam 206, 235 Prag 92 Pulsnitz 335 Quedlinburg 14, 75, 88, 330, 334 f. Querfurt 76, 329 Rabenau 337 Rabenstein 337 Radebeul 336 Raguhn 78 Regensburg 197 Reichenau 336 Reichenbach 331, 335 Reichenbrand 336 Remda 21, 24, 338 Remptendorf 338 Riesa 336

386 Riestedt 335 Rochlitz 82 f., 190, 330, 333, 335 Roda 80 f., 338 Rodach 81, 332 f. Rodau 336 Rom 52, 59, 254 Römhild 81, 338 Ronneburg 331, 338 Rosenthal 336 Rossla 75 Roßlau 78, 332, 335 Roßleben 334 Roßwein 333, 336 f. Rötha 331 Rothenburg 331 Rothenburg/Oberlausitz 337 Rothenburg/Thüringen 81 Rotterode 337 Rudolstadt 180, 338 Saalfeld 332, 337 f. Salza 338 Salzungen 165 Sangerhausen 335 Sayda 336 Schafstädt 334 Schandau 82, 335 Scheibenberg 82, 333, 336 Schleiz 81, 332 Schlettau 336 Schleusingen 24, 28, 79, 81, 337 Schloßvippach 338 Schlotheim 337 Schmalkalden 165, 337 Schmiedefeld 337 f. Schmölln 330 Schneeberg 82, 333 Schneidemühl 58 Schnepfenthal 167 Schönau 335 Schönau-Neustadt 337 Schönebeck/Elbe 47, 53, 76, 216 f., 226, 333 f. Schönheide 336 Schraplau 334 Schwarza 338 Schwarzenberg 82, 332, 336 Schweinfurt 195, 199 Schweinitz 335 Seifen 337 Sitzendorf 338

REGISTER

Sohland 335 Sömmerda 81, 165 Sondershausen 75, 81, 177, 332, 338 Sonneberg 333, 337 Spremberg 335 Stadtilm 163, 165 Staßfurt 334 Steinach 338 Steinbach 338 Stepfershausen 338 Stockhausen 338 Stolberg 334 Stollberg 335, 336 Stolpen 83, 330 f., 336 Stößen 77, 334 Stötteritz 337 Straßburg 286, 296 Strehla 336 Stuttgart 68, 72 Sudenburg 226 f. Suhl 24, 79–81, 165, 327, 332 Sulza 80 Tangermünde 334 Tannroda 80 Taucha 330, 337 Taura 336 Tennstedt 337 Tharandt 259, 336 Themar 81 Thum 337 Torgau 334 Treffurt 181, 338 Triptis 338 Tübingen 72 Ummerstadt 81 Veilsdorf 338 Veltheim 335 Vieselbach 338 Waffenrod 338 Wahlhausen 22 Wahren 337 Waldheim 83, 335 Walschleben 189 Waltersdorf 336 Waltershausen 80, 163, 165, 197, 330, 337 Wandersleben 162 Wanzleben 335 Wartburg 12, 30, 48, 79, 181 f., 184, 187, 190 f., 193 f., 201, 296, 309

ORTSREGISTER

Wasungen 338 Wechmar 163, 165, 181, 337 Wehlen 83, 336 Weida 69, 319, 337 Weimar 22, 80, 127, 132, 181, 263, 268, 332, 337 f. Weißbach 337 Weißenberg 335 Weißenfels 75 f., 182, 329 f., 333–335 Weißensee 81, 333 Wermsdorf 336 Wernigerode 335 Wernshausen 338 Westerhausen 75 Wien 20, 94, 142, 144, 152, 197, 262, 267, 299, 308, 324 Wildenfels 336 Wilsdruff 337 Winzerla 80, 319, 337 Wippra 335 Wittenberg 22, 51 Wolkenstein 337

387 Wöllnitz 22, 337 Wolmirstedt 334 Wörlitz 78 Würzburg 28, 138, 144, 161, 197, 254 Wurzen 336 Zeitz 76, 80, 329, 333, 335 Zella 80, 338 Zerbst 75, 77 f., 88, 96, 103, 329, 331, 333, 335 Zeulenroda 81, 333, 338 Ziegenrück 81, 338 Zittau 336 f. Zöblitz 336 Zottelstedt 337 Zschopau 336 f. Zschornewitz 22 Zürich 68, 70, 72, 76, 238, 262, 268 Zwenkau 337 Zwickau 44, 238, 295, 297, 336 Zwönitz 336

Personenregister Das Register umfasst alle im Haupttext (inkl. Fußnoten) erfassten Personen. Ausgenommen sind jene, die in der Forschungsdiskussion Erwähnung finden. Abendroth 235 Abt, Franz 188 Adam, Carl Ferdinand 84, 233, 235, 240, 242, 251 Adam, J. 179 Albrecht, Wilhelm Eduard 149 Ameis, Karl Friedrich 186 André, Christian Carl 68 Arndt, Ernst Moritz 72, 146 f. Arnoldi, Wilhelm, Bischof von Trier 45, 56 f. Atterbom, Daniel Amadeus 94 Auerbach, Berthold 152, 240, 327 Bachmann (Oberkonsistorialkanzlist) 235 Bachmann (Schuldirektor) 235 Bakunin, Michail 262, 267 f. Baltzer, Eduard 55 Banck, Carl Ludwig Albert 233 Barth 235 Basedow, Adelheid 95 Basedow, Friedrich von 96, 99, 102 f. Basedow, Ludwig von 95 f. Baudissin, Wolf Heinrich Graf von 301 Bauer, Bruno 52, 303 f. Bauer, Eduin 61, 255 Bechstein, Ludwig 69, 79, 86, 163, 165 f., 169 f., 180, 183, 193–201, 203, 320, 323 Beck, Alexander 214 Becker, Nikolaus 257, 275 Becker, Valentin Eduard 313 Behrens, Friedrich August 214 Béranger, Pierre-Jean 105 Berenhorst, Johann Georg von 96, 99 Berger, Ludwig 71, 131 Bernhard II. Erich Freund, Herzog von Sachsen-Meiningen 201 Berthold, Gotthelf Leberecht 149 Biedermann, Friedrich Karl 44 f. Bierey, Gottlob Benedict 131 f. Blankensee, Georg Graf von 92 Blücher, Gebhard Leberecht 132 Blüher, Hermann 247, 250

Blum, Robert 44 f., 58 f., 151 f., 157, 196 f., 237, 254, 267, 326 Boeckh, August 94 Bonin, Gustav von 62, 212, 227 Böning, Georg 300 Börne, Ludwig 151 Borries, Franz von 223 Braun, Alexander Karl Hermann 45, 153, 237–239, 245, 258, 298 Brauner, Robert 207 Bredemeyer, Reiner 105 Breidenstein, Christoph Rudolph 85, 162 f., 166, 170 Brockhaus, Friedrich Arnold 94 Bube, Adolf 199 Buddeus, Theobald 30 Burdach, Karl Friedrich 128 f. Buxton, Edward 288 Carus, Ernst August 124 Claudius, Matthias 180 Claudius, Otto 86 Clauß, Gustav Moritz 124 Conradi, Christoph 98–100 Coqui, Johann Gustav 47 Crusius, Heinrich Wilhelm Ernst 124 Czerski, Johannes 58 Dahlmann, Friedrich Christoph 149, 275 David, Ferdinand 284 Dennhardt, Gottfried Wilhelm 163, 166– 168, 175, 178, 180–182, 184 Devrient, Eduard 279, 299 Dieskau, Julius Otto Heinrich von 157, 237 Diesterweg, Friedrich Adolph Wilhelm 217–219, 221 f. Dörrien, Heinrich 124, 127 Dortu, Johann Ludwig Maximilian 299 Droysen, Johann Gustav 275, 278, 290 f. Dulon, Rudolph 229 Dürrner, Johann Rupprecht 210, 307 Eberwein, Traugott Maximilian 180 Eichendorff, Joseph von 70, 297

PERSONENREGISTER

Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich von 222 Einsiedel, Alexander von 138 Eisenhofer, Franz Xaver 171 f. Elben, Otto 16, 19, 21 Elster, Johann Daniel 79 f., 85, 169, 172, 194, 198, 327 Engels, Friedrich 303, 308 Ernst I., Herzog von Sachsen-CoburgGotha 173 f., 176 Eschebach, E. F. 78 Ewald, Heinrich 149 Ewald, Wilhelm Heinrich 174, 176 Fabricius, Eugen Friedrich 47, 210, 213–215, 223, 232 Faulhaber 254 Ferdinand, Herzog von Anhalt-Köthen 50 Feuerbach, Ludwig 52 Fincke, Johann Friedrich 18, 20, 83 Fink, Gottfried Wilhelm 123 f., 127, 284, 289 Fischer, Rudolph Richard 54 Fontane, Theodor 303 Förster, Friedrich Christoph 130, 132, 134, 137, 142 Francke, Wilhelm August 215, 222, 225 f., 231 Franke, Robert 156 Franz, Robert 88 Freiligrath, Ferdinand 152, 302, 307–315, 318, 324 Friedrich August II., König von Sachsen 45, 153, 238 f., 262, 264–266, 268, 298, 300 Friedrich Wilhelm I., Kurfürst von HessenKassel 147 f. Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 46, 92, 129, 131–134, 142 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 215, 229, 231, 265, 268, 298, 307 Friedrich Wilhelm, Kurprinz von Preußen 211, 231 Gebauer, C. E. 244 Gesenius, Wilhelm 53 Groos, Karl August 311 Gutzkow, Karl 152 Habicht, August 97 Haltaus, Karl Ferdinand 91, 93, 322 Hanitsch, Georg Friedrich 76

389 Hardenberg, Karl August von 133 f. Harkort, Friedrich Wilhelm 29, 219, 221, 321 Harsleben, Leopold Friedrich Wilhelm von 99 Härtel, Gottfried Christoph 123 Härtel, Raimund 282 Härtel, Wilhelm 124 Hartung, Johann Wilhelm 313 Häseler, Friedrich Leopold 205 f., 208, 230 Hassenflug, Ludwig 148 Haußner, Heinrich 266 Haydn, Joseph 88, 204 Hebbel, Christian Friedrich 303 Heese, Rudolph 259 Hemleben, Wilhelm 144 Hensel, Adolf Ernst 157, 258, 326 Hensel, Fanny 273 Hensel, Wilhelm 92 Hentschel, Ernst Julius 75 Herder, Johann Gottfried 184 Hering, Carl Albert 124 Herwegh, Georg 83, 244, 256–258, 307, 324 Heubner, Otto Leonhard 83, 265 f., 268 Heyse, Paul 303 Hientzsch, Johann Gottfried 75 f. Hildebrandt, Friedrich Wilhelm 208 Hiller, Ferdinand 240 f., 293, 301 Hofer, Andreas 297 Höfer, Karl 300 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich 83, 179, 188, 251, 301, 324 Holtei, Karl von 110 Hummel, Johann Nepomuk 263 Hummel, Johann Nicolaus 79 Jacoby, Johann 128, 129, 277 Jäger, Hermann 30, 181, 186 f., 191 Jahn, Christian Friedrich 99 Jahn, Friedrich Ludwig 77, 182 Johann, Erzherzog von Österreich 228, 236 f. Joseph, Hermann Gottlob 258, 326 Kalckreuth, Adolf Karl Graf von 92 Kalliwoda, Johann Wenzel 157, 168, 171, 311 Kamptz, Ludwig von 214 Kant, Immanuel 56

390 Karl Friedrich, Großherzog zu SachsenWeimar-Eisenach 184 Kempe, Friedrich 88, 90 Kerbler, Karl 207, 255 Ketschau, Andreas 162, 171 Kistner, Carl Friedrich 124 Klein, Bernhard Josef 71, 102, 131 Kletke, Hermann 190, 340 Klette, Carl Gustav 54, 61, 189, 236 f., 245, 247, 249, 255, 266, 270, 323, 340 Klopstock, Friedrich Gottlieb 279, 297 Klug, Carl Friedrich Gustav 124 Kocher, Conrad 22 Köchly, Hermann 266 Kocor, Korla Awgust 84 Könneritz, Julius von 152, 262 Konrad, Wilhelm 22 Kopisch, August 132 Köppe, August 51, 98 Köppe, Jakob Heinrich 97, 99 f. Koppel-Ellfeld, Franz 240 Kori 235 Körner, Christian Gottfried 139 f., 243 Körner, Theodor 72, 124, 130, 136, 138–143, 158, 168, 243 Kotzebue, August von 12, 125, 296 Krackrügge, Goswin 203 Kretschmann, Karl Gottfried 212–214, 226 Kreutzer, Conradin 89, 101, 127, 179, 235, 251, 311 Kücken, Friedrich Wilhelm 235 Kühmstedt, Friedrich 187, 195 Kühne, Gustav 151 Kunze, Julie 138 Kunze, Wilhelm Friedrich 28, 120–122, 127 f., 130, 138 f., 158, 320 Kutusow, Michael Illarionowitsch 133 Lampadius, Wilhelm Adolf 283 Laube, Heinrich 151 Lehmann, Lorenz 180 Leopold IV. Friedrich, Herzog von AnhaltDessau 50, 97, 112 Limburger, Jacob Bernhard 120–124 Liszt, Franz 268, 275 Löw, Friedrich 213, 215 Löwe, Carl 235 Löwe, Friedrich Wilhelm 227 Löwe, Maximilian Leopold 15, 84, 86, 267, 293

REGISTER

Lucanus, Friedrich Gottfried Hermann 47 Luckhardt, Carl 313 Luden, Heinrich 49, 142 Luther, Martin 182, 184, 190 f., 193, 209 Mahlmann, Siegfried August 127 Mann, Ernst G. 234 Marées, Ludwig de 97, 99 f. Märkel, C. F. 235 Marschner, Adolf Eduard 172 Marschner, Heinrich August 171, 244, 251 f., 307, 311 Martin, Carl August 299 Martini 168 Marx, Karl 152, 261, 303, 308 Mendelssohn Bartholdy, Felix 32, 70, 87 f., 121, 123, 157, 172, 180, 182, 187, 235, 272–292, 299, 324, 327 Mendelssohn, Lea 274 Menzel, Adolph 303 Methfessel, Albert 24, 89, 172, 182, 187, 253 Metternich, Klemens Wenzel Lothar Fürst von 125, 134, 264, 297 Meyer, Johann Heinrich 280 Meyer, Joseph 49 Mierosławski, Ludwik 299 Mohs, Friedrich Bernhard 97, 99 Montbé, Alban von 266 Morgenstern, Leopold von 97, 99 Mosen, Julius 240 Mühling, August 86, 180, 204 f., 210, 229 Mühling, Julius 86, 188, 204, 226 f., 231 Müller von Königswinter, Wolfgang 251 s. unter Müller, Peter Wilhelm Carl Müller, Albert 76 Müller, Johann Gottlob 28, 234–236, 244, 247 f., 250, 256, 320 Müller, Peter Wilhelm Carl 251 Pseud.: Müller von Königswinter, Wolfgang Müller, Wilhelm 77, 92–108, 110, 112, 115, 117 f., 320, 323, 325 Nägeli, Hans Georg 19, 24, 68, 70, 72, 76, 79, 327 Napoleon I., Bonaparte 92, 99, 129, 132 f., 136, 138–140, 142 f., 168 Naumann 268 Naumburg, C. W. B. 254 Nebelung 232

PERSONENREGISTER

Nicolai, Adolf 227 Niemeyer, August Hermann 53 Nottebohm, Martin Gustav 299 Oberländer, Martin Gotthard 45, 237–239, 261, 270, 297, 300, 326 Offenbach, Jacques 317 Oken, Lorenz 49 Olbernhau 336 Otto, Ernst Julius 24, 84, 86, 127, 171, 184, 188–190, 233–235, 240–242, 247, 252, 259, 311, 313, 320, 340 Otto, Franz 171, 243 Otto, Julius 242, 259, 313 Otto-Peters, Louise 45, 146, 239 Pabst, Karl Theodor 178 Pape, Samuel Christian 129 Pax, Friedrich Wilhelm 210, 213 f., 223, 230 Pestalozzi, Johann Heinrich 72, 75, 217, 221 Petersen 230 Petschke, Hermann Theobald 119 Pfaff, Karl 68, 72, 179 f. Pfeilschmidt, Ernst Heinrich 54, 236, 255 Pfordten, Ludwig von der 151f., 239 Pietsch, Ernst 157 Platzmann, Theodor Alexander 124 Preußer, Gustav Ludwig 124 Probst, Karl 102, 105 Prölss, Adolf Eduard 283–285, 344 Reichardt, Gustav 147, 157, 167, 172, 180, 210, 229, 311 Reinick, Robert 240 Reissiger, Carl Gottlieb 84, 132, 172, 234, 240, 247, 251, 311 Rellstab, Ludwig 135 Rewitzer, Franz Xaver 258, 322 Rex, Johann Karl Friedrich 130, 325 Ribbeck, Wilhelm 53 Richter, Hermann Eberhard Friedrich 267 Richter, Karl Ernst 44, 296 Richter, Karl Friedrich Ennoch 124, 129 Riemann, Heinrich Arminius 296 Rietz, Julius 240 f., 284, 313 Rinne, Carl 172 Ritter, Gottfried August 76 Rochlitz, Johann Friedrich 21, 88, 123 f., 127, 129 f. Röckel, August 262 f., 268

391 Ronge, Johannes 45, 56–60, 63, 206 f., 236, 254 f., 270, 323 Roßmäßler, Emil Adolf 259 Rotteck, Karl von 56 Rückert, Friedrich 19, 293, 297 Ruge, Arnold 46 Rupp, Julius 55, 237 Rust, Carl Ludwig 98, 100 Rust, Friedrich Wilhelm 98 Sachse, Heinrich Ernst 229 f. Sack, Baron Albert von 94 Sallet, Friedrich von 83, 324 Sand, Karl Ludwig 13, 125, 296 Sander, Enno 51 Sattler, Catharina 199 Sattler, Wilhelm 199 Schäfer, Gustav 80 Schaffrath, Wilhelm Michael 29, 157, 258, 326 Scharnhorst, Gerhard Johann David von 132 Schärtlich, Johann Christian 235 Schenkendorf, Max von 72, 168 Schicht, Johann Gottlob 88, 124, 143 Schiller, Friedrich 22, 140, 146, 243 Schladebach, Julius 234, 249, 259 Schleiermacher, Friedrich 69 Schleinitz, Heinrich Conrad 124 Schlesinger, Adolph 124 Schmelzkopf, Eduard 253 Schmidt, Carl Christian 124 Schmidt, Franz 254 Schnabel, Ludwig 171 Schneider, Friedrich 21, 68, 71, 77 f., 85 f., 88–111, 114–118, 123 f., 127, 138, 144, 164, 172, 182, 184, 187, 205, 209 f., 215, 311, 319 f., 322 f., 325 Schneider, Ludwig Karl Eduard 47 Schoch, Ehregott Leberecht 156 Schomburg, Julius 81, 177 Schönewald, Friedrich 186 Schröder, Theodor A. 187 Schubart, Christian Friedrich Daniel 152 Schubring, Julius 279 Schulz, Johann Philipp Christian 22, 123, 127 Schumann, August 295 Schumann, Clara 299 f. Schumann, Johann August 144, 146, 151–154

392 Schumann, Robert 32, 84, 87, 234, 240 f., 251, 257, 272 f., 275, 279, 289, 293–318, 324 f., 327 Schwab, Gustav 95 Schwarz, Friedrich Carl 204 Schwerdt, Heinrich 85, 163, 165, 182, 184, 187, 194, 199, 323 Seebach, Johann Andreas 204 f. Seelmann, August 78, 86, 97 Semper, Gottfried 263, 268, 301 Serre, Friedrich Anton 300 Seyfferth, Wilhelm Gotthelf Ernst 124 Siebigk, Leopold Wilhelm Ludwig 98 f. Siebigk, Marius Leopold Friedrich 98 Sintenis, Wilhelm Franz 53, 210 Stade, Christian Gottlob 177 Stirner, Max 303 Storch, Ludwig 30, 50, 79, 86, 163, 165–169, 179, 183 f., 190 f., 194–203, 320, 323 Storm, Theodor 303 Strauß, David Friedrich 52 Ströhmer, Carl 215 Struve, Gustav von 59 Studnitz, Wilhelm von 92 Stuntz, Josef Hartmann 244 Thorvaldsen, Bertel 280 Tiedemann, Gustav Nikolaus 299 Todt, Carl Gotthelf 157, 237 f., 258, 261, 265 f., 268, 270, 326 Tränkner 235 Trützschler, Wilhelm Adolph von 299 Tzschirner, Samuel Erdmann 262, 265, 268 Tzschucke, Carl Hugo 258, 266, 326 Uhland, Ludwig 101, 179, 242 Uhlich, Leberecht 52–55, 61, 207, 209 f., 212 f., 216 f., 219, 221–223, 225–230, 321 f. Ullrich, Titus 302–304, 306, 314 f. Unruh, Victor von 213 Verhulst, Johann Joseph Hermann 294 Vignau, Justus Du 62 Vischering, Clemens August Droste zu, Erzbischof von Köln 276 Voigt, August 167 Wachsmann, Johann Joachim Peter 204, 215

REGISTER

Wachsmuth, Ernst Wilhelm Gottlieb 149, 151, 159 Wagner 81 Wagner, E[duard] 171 Wagner, Gotthelf Traugott 119 Wagner, Johanna 299 Wagner, Richard 84, 235, 240 f., 244, 263, 267–270, 279, 317, 324 Wandersleb, Adolf 85, 162, 191, 311, 323 Weber, Carl Maria von 89, 101 f., 127, 169, 172 f., 235, 243, 311 Weber, Wilhelm Eduard 149 Wegschneider, Julius August Ludwig 53 Wehrig, Johann August 224, 232 Weinlig, Christian Theodor 84, 144 Weisheit, C. F. 193, 195 Weitling, Wilhelm 213, 226 Welcker, Carl Theodor 40 Welcker, Philipp Heinrich 166, 180, 197 Wendler, Adolf Emil 124 Wendler, Christian Adolf 124, 127, 139, 273 Wendt, Johann Amadeus 122 f., 125, 127, 138 Wenzel 227 Wenzel, Ernst Ferdinand 308 Whistling, Friedrich 297, 303 Wigard, Franz Jacob 59, 61, 236, 254, 256, 259, 322, 326 Wilhelm II, Kurfürst von Hessen-Kassel 147 Wislicenus, Gustav Adolf 54 f., 208 Wislicenus, Timotheus 55 Wittig, Ernst Ludwig 28, 260–263, 267 f., 270, 299, 324 Wrangel, Friedrich Graf von 154 Wuttke, Heinrich 59 Wydenbrugk, Oskar von 185 f., 202 f., 247 Zabel 217 Zejler, Handrij 84 Zelter, Carl Friedrich 70, 72, 75 f., 96, 121, 130 f., 135, 137, 204, 325 Zöllner, Andreas 79, 180, 193 f., 197 Zöllner, Carl Friedrich 83, 86, 119, 127, 143–155, 235, 244, 253 f., 274, 307, 318, 321, 323 Zschokke, Johann Heinrich Daniel 212 Zwez, C. 193