Die Agrarpolitik in Mitteldeutschland: und ihre Auswirkung auf Produktion und Verbrauch landwirtschaftlicher Erzeugnisse [1 ed.] 9783428422210, 9783428022212


137 49 52MB

German Pages 452 Year 1969

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Die Agrarpolitik in Mitteldeutschland: und ihre Auswirkung auf Produktion und Verbrauch landwirtschaftlicher Erzeugnisse [1 ed.]
 9783428422210, 9783428022212

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Wirtschaft und Gesellschaft in Mitteldeutschland Band 3

Die Agrarpolitik in Mitteldeutschland und ihre Auswirkung auf Produktion und Verbrauch landwirtschaftlicher Erzeugnisse

Von

Edgar Tümmler Konrad Merkel Georg Blohm

Duncker & Humblot · Berlin

E. T Ü M M L E R - K . M E R K E L . G. B L O H M

Die Agrarpolitik in Mitteldeutschland und ihre Auswirkung auf Produktion und Verbrauch landwirtschaftlicher Erzeugnisse

WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT IN MITTELDEUTSCHLAND Herausgegeben vom Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands beim Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen

Band 3

Die Agrarpolitik in Mitteldeutschland u n d ihre A u s w i r k u n g auf P r o d u k t i o n u n d V e r b r a u c h l a n d w i r t s c h a f t l i c h e r Erzeugnisse

Von Dr. Edgar Tümmler, Prof. Dr. Konrad Merkel Prof. Dr. Dr. h.c. Georg Blohm

D U N C K E R

& H U M B L O T

/

B E R L I N

Abgeschlossen im Frühjahr 1968

Alle Rechte vorbehalten © 1969 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1969 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany

Vorwort

Seit Ausgang des Krieges ist der Wiederaufbau der Wirtschaft in beiden Teilen Deutschlands nach völlig andersartigen Grundsätzen durchgeführt worden, nicht zuletzt als Folge der Einführung des Sozialismus in der Sowjetischen Besatzungszone. Hiervon wurde kaum ein anderer Wirtschaftszweig so entscheidend betroffen wie die mitteldeutsche Landwirtschaft, in der nicht nur die Eigentumsverhältnisse und die Betriebsgrößenstruktur, sondern auch die Bewirtschaftungsform grundlegend gewandelt worden sind. Außerdem hat, unabhängig von der unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Auffassung, in beiden Teilen Deutschlands die fortschreitende Entwicklung des modernen Industrie-Staates die ökonomischen Voraussetzungen für die Landwirtschaft grundlegend verändert und diese vor völlig neuartige Probleme der Anpassung gestellt. Da die landwirtschaftliche Produktion in beiden Teilen Deutschlands unter einer völlig verschiedenartigen agrarpolitischbetriebswirtschaftlichen Konzeption durchgeführt wird, muß auch dieser ökonomische Anpassungsprozeß entsprechend unterschiedlich verlaufen. Die seit Kriegsende vergangenen 23 Jahre haben genügt, die Schäden des Krieges zti beseitigen und das neue System in Mitteldeutschland nach vielen Wandlungen und Experimenten soweit zu konsolidieren, daß eine Aussage über die relative Vorzüglichkeit beider Systeme für die Zukunft der Landwirtschaft möglich erscheint. Unter diesem Gesichtspunkt ist es wohl zu verantworten, einmal eine eingehende Darstellung der agrarpolitischen Entwicklung und der derzeitigen wirtschaftlichen Situation der mitteldeutschen Landwirtschaft zu geben, immer im Zeichen des Vergleichs mit den Verhältnissen und der Entwicklung in der Bundesrepublik. — Die Verfasser sind hierbei ernsthaft bemüht, sich grundsätzlich jeder politischen Zweckpropaganda zu enthalten und in der Kritik sachlich zu bleiben. Der Teil I ist der Entwicklung der Agrarpolitik in Mitteldeutschland gewidmet. Der Aufbau des sozialistischen Systems nach dem sowjetrussischen Vorbild hat, wie in allen kommunistischen Ländern, so auch in der Sowjetischen Besatzungszone während der vergangenen 20 Jahre zu einem häufigen Wandel der agrarpolitischen Konzeption geführt. Es wird deshalb Wert darauf gelegt, die einzelnen Entwicklungsphasen in

VI

Vorwort

logischer Reihenfolge darzustellen, um die konsequente Verfolgung des Endziels zu zeigen. Die vorliegende Untersuchung und Beobachtung der agrarpolitischen Vorgänge in Mitteldeutschland schneidet mit Beginn dieses Jahres ab, sie kann daher die zukünftige Entwicklung nur vorsichtig abzuschätzen versuchen. Das gilt auch für die im Teil I I angestellte empirische Analyse der ökonomischen Vorgänge im Gesamtbereich der Land- und Ernährungswirtschaft. Hier werden die Produktionsleistungen der mitteldeutschen Landwirtschaft und ihr Beitrag zur Versorgung der mitteldeutschen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen nach weitgehend gesicherten Merkmalen vergleichend mit der Entwicklung in der Bundesrepublik dargestellt. I m letzten Teil I I I wird schließlich eine kurze kritische Betrachtung der Systeme in Ost und West von betriebswirtschaftlichem Standpunkt aus gegeben, um ihre voraussichtliche Auswirkung auf die zukünftige Entwicklung der Landwirtschaft in beiden Teilen Deutschlands abzuschätzen. Die Zielsetzung in Ost und West ist zum mindesten sehr ähnlich, die betriebswirtschaftliche Konzeption aber grundlegend unterschiedlich. Die Darstellung des Teiles I über „Die Agrarpolitik in Mitteldeutschland — Historische Entwicklung der Landwirtschaft in Mitteldeutschland und ihre agrarpolitische Konzeption" entstammt der Feder des im März des Jahres verstorbenen Dr. E. Tümmler. Der Teil I I „Agrarproduktion und Nahrungsmittelverbrauch" wurde von Professor Dr. K. Merkel, der Teil I I I „Kritische Betrachtungen zu den agrarpolitischen und betriebswirtschaftlichen Maßnahmen in Mitteldeutschland" von Professor Dr. Dr. h. c. G. Blohm verfaßt. Herrn Dipl.-Ldw. Thomas Hartmann, Mitarbeiter im Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands beim Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, danken die unterzeichneten Verfasser für seine Unterstützung, die er nach dem Tode von Dr. E. Tümmler geleistet hat.

Kiel und Berlin, im Frühjahr 1968 G. Blohm, K. Merkel

Inhalt Die A g r a r p o l i t i k i n Mitteldeutschland — Historische Entwicklung der Landwirtschaft i n Mitteldeutschland u n d ihre agrarpolitische K o n zeption V o n Dr. Edgar Tümmler

t, Berlin

1

Agrarproduktion u n d Nahrungsmittelverbrauch V o n Prof. Dr. Konrad

Merkel,

Berlin

169

Kritische Betrachtungen zu den argrarpolitischen u n d betriebswirtschaftlichen Maßnahmen i n Mitteldeutschland V o n Prof. Dr. Dr. h. c. Georg Blohm, K i e l

Register

369

437

Abkürzungsverzeichnis AE

=

Arbeitseinheit(en)

AK

= Arbeitskräfte

AWZ

= Ackerwertzahl

BHG

= Bäuerliche Handelsgenossenschaft

BML

= Bundesministerium f ü r Ernährung, Landwirtschaft u n d Forsten

COMECON

= Council for M u t u a l Economic Assistance

DSG

= Deutsche Saatgutgesellschaft

DWK

= Deutsche Wirtschaftskommission

DAL

= Deutsche Akademie der Landwirtschaftswissenschaften

GE

=

GPG

= Gärtnerische Produktionsgenossenschaft

GV

=

ha

= Hektar

LB

=

LDP

= Liberal-Demokratische Partei

Getreideeinheit

Großvieheinheit

Landwirtschaftsbank

LN

= landw. Nutzfläche

LPG

= Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft

LVG

= L e h r - u n d Versuchsgut

M

= M a r k (mitteldeutsche Währungseinheit)

MAS

=

Maschinen-Ausleih-Station

MD

=

Mitteldeutschland

MTS

=

Maschinen-Traktoren-Station Million

Mill.

=

NÖS

= Neues ökonomisches System der Planung u n d L e i t u n g der Volkswirtschaft

ÖLB

= ö r t l i c h e r Landwirtschafts-Betrieb

RGV

= Raufutterfressende

Großvieheinheit

RGW

= Rat f ü r gegenseitige Wirtschaftshilfe (COMECON)

RTS

=

Reparatur-Technische-Station

Abkürzungsverzeichnis

X SBZ

=

Sowjetische Besatzungszone

SED

=

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

SMAD

=

Sowjetische Militäradministration i n Deutschland

TN

=

Tagesarbeitsnorm

VdgB

=

Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe

VEAB

=

Volkseigener Erfassungs- u n d Aufkaufbetrieb

VEG

=

Volkseigenes Gut

v. H.

=

v o m Hundert

VMAS

=

Verwaltung der Maschinen-Ausleih-Stationen

W B

=

Vereinigung volkseigener Betriebe

VVEAB

=

Vereinigung volkseigener Erfassungs- und Aufkaufbetriebe

WG

=

Vereinigung volkseigener Güter

VVMAS

=

Vereinigungen volkseigener Maschinen-Ausleih-Stationen

wstvo

=

Wirtschaftsstrafverordnung

ZGE

=

Zwischengenossenschaftliche Einrichtungen

ZK

=

Zugkrafteinheit

Z K der SED

=

Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands

ZVdgB

=

Zentralvereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe

ZVOBI

=

Zentralverordnungsblatt

Teil I

Die Agrarpolitik in Mitteldeutschland Von Dr. Edgar Tümmler t, Berlin

Inhaltsverzeichnis

A . Das sowjetische V o r b i l d 1. Die K o l l e k t i v i e r u n g

2. Die B i l d u n g der Sowchose

7 9

10

B. Zielvorstellungen der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k

12

C. Entwicklungsstufen der mitteldeutschen Landwirtschaft (bis 1960)

20

1. Enteignung v o n landwirtschaftlichem Grundbesitz („Bodenreform")

20

a) Die Bodenreform als gemeinsames Z i e l der Besatzungsmächte . .

20

b) Die Bodenreform i n den westlichen Besatzungszonen

20

c) Die „Bodenreform" i n der sowjetischen Besatzungszone

22

(1) B i l d u n g eines Bodenfonds

22

(2) A u f t e i l u n g des Bodenfonds

27

(3) Neubauern

28

(4) Volkseigene Güter

30

(5) Sonstige volkseigene Landwirtschaftsbetriebe

32

2. Institutionen zur Durchsetzung agrarpolitischer Ziele

32

a) Die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe

33

b) Die Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS)

38

(1) Die organisatorische E n t w i c k l u n g der M T S

38

(2) Die politische Aufgabe der M T S

41

c) Die volkseigenen Erfassungs- u n d Aufkaufbetriebe

45

d) Die örtlichen Landwirtschaftsbetriebe

48

4

Inhaltsverzeichnis 3. Die K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft a) Merkmale (LPG)

Landwirtschaftlicher

54

Produktionsgenossenschaften 55

(1) Die rechtlichen u n d satzungsgemäßen Grundlagen der L P G

56

(2) Die L P G - T y p e n

61

(3) Die Mitgliedschaft

64

(4) Die Nutzung des Bodens u n d der Produktionsmittel

66

(5) L e i t u n g u n d V e r w a l t u n g der L P G

72

(6) Die Organisation u n d Bewertung der A r b e i t

73

(7) Die Verteilung der Einkünfte

76

(a) Die genossenschaftlichen Fonds

76

(b) Die Verteilung der N a t u r a l - u n d Gelderträge

78

(c) Der Gegenwert eines Bodenanteils

79

(8) Die Persönlichen Hauwirtschaften

80

(a) L a n d f ü r die Persönliche Hauswirtschaft

81

(b) Nutzvieh f ü r die Persönliche Hauswirtschaft

82

(c) A n t e i l an der Gesamtproduktion

83

(d) Die Frage der Beibehaltung der Persönlichen Hauswirtschaft

83

b) Durchführung der K o l l e k t i v i e r u n g (bis 1960)

86

(1) Vergünstigungen f ü r die L P G

90

(2) Vergünstigungen f ü r die L P G - M i t g l i e d e r

91

(3) Zwangsmaßnahmen gegen die Bauern

92

D. Die agrarpolitischen Maßnahmen nach der K o l l e k t i v i e r u n g 1960 1. Neuordnung der landwirtschaftlichen V e r w a l t u n g

97

a) Der Landwirtschaftsrat beim Ministerrat b) Das Staatliche Komitee für Erfassung u n d A u f k a u f schaftlicher Erzeugnisse

94

98 landwirt100

c) Das Staatliche Komitee f ü r Landtechnik u n d materiell-technische Versorgung der Landwirtschaft 101

Inhaltsverzeichnis d) Das Staatliche Komitee f ü r schaf tsrat

Forstwirtschaft

5 beim

e) Die Landwirtschaftsbank 2. Wirtschaftspolitische Maßnahmen a) Merkmale der zentralgelenkten Planwirtschaft

Landwirt102 103 104 104

b) Das Neue ökonomische System der Planung u n d L e i t u n g der Volkswirtschaft (NÖS) 107 (1) Das NÖS f ü r die Landwirtschaft

108

(a) Neugliederung der Aufgaben der staatlichen Organe i n nerhalb der Wirtschaftsverwaltung 110 (b) Verbesserung der Planungsmethodik

110

(c) Verstärkung der Funktionen der Vereinigung Volkseigener Betriebe ( W B ) u n d i h r Ausbau zu wirtschaftlichen Führungsorganen (Sozialistische Konzerne) 112 (d) Anwendung eines i n sich geschlossenen Systems ökonomischer Hebel 113 (2) Vertragsbeziehungen

118

(3) Kooperation

123

(a) Formen von Kooperationsbeziehungen

124

(b) Organisatorische u n d rechtliche Formen

124

(c) Wirtschaftliche Ziele

127

(d) Zwischengenossenschaftliche Einrichtungen

128

(e) Beziehungen zu Betrieben anderer Zweige der V o l k s wirtschaft 131 (f) Die gesellschaftliche Aufgabe der Kooperation

132

c) Preise, Prämien

133

d) Förderungsmaßnahmen

142

e) Umorganisation der Landtechnik

145

f) Lenkung des Arbeitskräftepotentials

149

E. Die agrarstrukturelle E n t w i c k l u n g (1960—1965)

155

A. Das sowjetische Vorbild Auf dem X X I I I . Parteitag der KPdSU Anfang April 1966 in Moskau kam erneut zum Ausdruck, daß in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Sowjetunion die Landwirtschaft nach wie vor die größte Sorge bereitet. Fünfzig Jahre kommunistische Agrarpolitik haben demnach keine befriedigende Lösung der Agrarfrage gebracht. U m so erstaunlicher ist, daß das Agrarsystem der Sowjetunion für fast alle kommunistischen Länder als Vorbild gedient hat und diese Position — in den Grundzügen jedenfalls — bis in die heutige Zeit hält. Auch auf Mitteldeutschland, das im Vergleich zur Sowjetunion und den anderen dem sowjetischen Machteinfluß unterliegenden Ländern über die leistungsfähigste und intensivste Landwirtschaft verfügt, ist nach 1945 das sowjetrussische Modell normativ übertragen worden. Wenn dies ungeachtet der ganz anders gearteten historischen, sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen erfolgt ist, so sind dabei sicherlich Motive zur Geltung gekommen, die bei näherer Betrachtung der gewaltigen Umgestaltung der Wirtschaft im gesamten Ostblock nur aus der Kenntnis der geistigen Grundlagen des Marxismus verstanden werden können1. I n seiner Schrift „Ursprünglicher Entwurf der Thesen zur Agrarfrage" (1920) hat Lenin seine Grundkonzeption über die Klassenstruktur der Landbevölkerung dargelegt. Diese „Thesen" sind vom zweiten Kongreß der Kommunistischen Internationale ( = Komintern) angenommen worden und bilden bis heute die Grundlage der kommunistischen Agrarpolitik. Das darin enthaltene Klassifizierungsschema, das auf der Aufspaltung der Landbevölkerung in Landproletariat, Halbproletariat und Parzellenbauern, Kleinbauern sowie Mittelbauern, Großbauern und private Großgrundbesitzer beruht, wurde später für Stalin die theoretische Grundlage für die Durchführung des „Klassenkampfes auf dem Lande" 2 . Während Lenin den Mittelbauern gegenüber eine Politik der „Neutralisierung" empfiehlt, fordert er die Beseitigung des privaten Großgrundbesitzes und später auch der Großbauern durch entschädigungslose Enteignung3. Die enteigneten Flächen können weitgehend unter die Klein1 Vgl. K . C. Thalheim, Grundzüge des sowjetischen Wirtschaftssystems, K ö l n 1962. 2 W. I. Lenin, Ausgewählte Werke i n 2 Bänden, Moskau 1946, Bd. I I , S. 759. 3 Ebenda, S. 764.

A . Das sowjetische Vonbild

8

bauernschaft, Halbproletarier und Landarbeiter aufgeteilt werden. Lenin läßt jedoch keinen Zweifel daran, daß auch die eigentliche Bauernwirtschaft „eine außerordentlich breite und sehr tief und fest wurzelnde Basis des Kapitalismus ist. Auf dieser Basis erhält sich der Kapitalismus und entsteht aufs Neue — im erbittertsten Kampf gegen den Kommunismus"4. Diese marxistisch-leninistische Grundkonzeption wurde unter der Führung Lenins im Oktober 1917 verwirklicht — in einem Lande, in dem es mehr Bauern als Proletarier gab, so daß es sich hierbei in erster Linie um eine Agrarrevolution handelte. Das Programm sollte in vier Phasen ablaufen, „in deren Endphase die Liquidierung des selbständigen Bauernstandes und sein Zusammenschluß in großen Kollektivbetrieben vorgesehen waren, sobald die Industrie die dazu notwendige technische Ausrüstung liefern konnte"5. Am 26. Oktober 1917 (8. November 1917) beschloß der II. Sowjetkongreß das Dekret über den Grund und Boden, wonach die Gutsbesitzer unverzüglich und ohne jede Entschädigung enteignet werden sollten6. Die erfolgte Aufhebung des Privateigentums an Grund und Boden und der absoluten Grundrente wird als Nationalisierung des gesamten Bodens bezeichnet. „ D i e D i k t a t u r des Proletariats ist ein zäher Kampf, ein blutiger u n d u n blutiger, gewaltsamer u n d friedlicher, militärischer u n d wirtschaftlicher, pädagogischer u n d administrativer K a m p f gegen die Mächte u n d Traditionen der alten Gesellschaft". (Lenin)

Nachdem die Lage der Landwirtschaft sich seit der Oktoberrevolution so verschlechtert hatte, daß nach Beendigung des Bürgerkrieges (1920) die gesamte Getreideproduktion nur etwa die Hälfte des Ernteertrages von 1913 betrug 7, ging die Sowjetregierung dazu über, eine taktische Kursänderung vorzunehmen. Die Reglementierung des gesamten Wirtschaftslebens wurde gelockert. Nach Lenins Direktiven wurde eine „Atempause" eingelegt, die unter der Bezeichnung „Neue ökonomische Politik" auch der Landwirtschaft die Möglichkeit einer Konsolidierung bot. Nach Lenins Tod im Jahre 1924 behielt sein Nachfolger Stalin den Kurs der wirtschaftlichen Erleichterungen und Zugeständnisse an die Bauern zunächst noch bei. Das Anwachsen der wirtschaftlichen Kraft der Bauern wurde jedoch allmählich als eine Gefahr für den Sozialismus angesehen. 4

5

Ebenda, S. 617.

K. Merkel und E. Schuhans, Die Agrarwirtschaft in Mitteldeutschland,

B e r l i n 1963, S. 14. 6 Geschichte der K P d S U (B), B e r l i n 1949, S. 261. 7 Vgl. E. P. Rochlin, A g r a r p o l i t i k u n d Agrarverfassung der Sowjetunion, B e r l i n 1960, S. 12.

1. Die K o l l e k t i v i e r u n g (1929—193«)

1. D i e K o l l e k t i v i e r u n g

9

(1929 — 1938)

„ W i r können den Bauern u n d noch mehr dem ländlichen Proletariat u n d Halbproletariat nicht verheimlichen, daß w i r zur Großwirtschaft öffentlichen Charakters übergehen u n d diese verwirklichen müssen, sobald m a n die p r a k tischen u n d rationellen Methoden eines solchen Übergangs den Massen erk l ä r t hat u n d die Massen diese verstanden haben" (Lenin) 8,

Stalin hat sich mit der Erläuterung dieser Methoden für die Massen nicht lange aufgehalten. Die Zusammenlegung von Bauernhöfen zu sozialistischen Großbetrieben wurde mit wirtschaftlichen Argumenten begründet; entscheidend für dieses Vorgehen aber waren ideologische und machtpolitische Gesichtspunkte. Von den verschiedenen Formen der Bewirtschaftung zusammengelegter Bauernhöfe setzten sich die Arteis durch, die ihrer Struktur nach am ehesten als Vorläufer der heutigen Kollektivwirtschaft, des Kolchos, gelten können. Die enteigneten Mitglieder des Arteis teilten nach Abzug von Steuern und Abgaben den Best der erzielten Agrarproduktion unter sich auf 9 . Über das Artel schrieb Stalin im März 1930: „Das wichtigste Kettenglied der kollektivwirtschaftlichen Bewegung, ihre im gegebenen Augenblick vorherrschende Form, die man jetzt anpacken muß, ist das landwirtschaftliche Artel 10 ." Hierzu sei bemerkt, daß das „Musterstatut des landwirtschaftlichen Artel", das — nach Abänderung seiner ursprünglichen Form aus dem Jahre 1930 — eine neue Fassung am 17. Februar 1935 erhielt, die bis in die heutige Zeit geltende Agrarverfassung des Kolchos darstellt. Die Bezeichnung „Artel" (Genossenschaft) bürgerte sich jedoch nicht ein, an ihre Stelle trat der Begriff des „Kolchos" (Kollektivwirtschaft) 11 . Dem „unabhängigen Bauerntum" galt nun der Kampf im Ringen um „den endgültigen Sieg des Sozialismus auf dem Lande". Nachdem eine umfangreiche Propaganda, mit der die Vorteile einer Umwandlung von Bauernhöfen in Kollektivbetriebe angepriesen wurden, ohne nennenswerten Erfolg geblieben war, eröffnete Stalin am 27. Dezember 1929 die „Offensive gegen die kapitalistischen Elemente des Dorfes". Die Leninsche These vom freiwilligen Eintritt in die Kollektivbetriebe wurde durch einen Regierungsbeschluß Anfang Januar 1930 verlassen. Unter Anwendung schärfster Druckmittel, die nur zeitweise etwas ab8 Diese Devise hatte Lenin i n seinen „ A p r i l - T h e s e n " bereits i m Jahre 1917 ausgegeben.

9

10

R. P. Rochlin, a.a.O., S. 16.

J. W. Stalin, Fragen des Leninismus, Moskau 1947, S. 307. R. P. Rochlin, a.a.O., S. 16 u n d 25; der „Kolchos" (Plural: „Kolchose") ist die Zusammensetzung der ersten Silben v o n „ K o l l e k t i v n o j e " u n d „chosjajstwo" = Kollektivwirtschaft. 11

A . Das sowjetische Vonhild

10

geschwächt wurden, waren bis zum Jahre 1938 neun Zehntel aller Bauernhöfe in Kolchosen erfaßt 12 . 2. D i e B i l d u n g d e r

Sowchose

13

„Sowchos" ist die Bezeichnung für Staatsgut. Von den beiden Formen des sozialistischen Eigentums an den Produktionsmitteln verkörpert der Sowchos den landwirtschaftlichen Betrieb auf der Grundlage des allgemeinen Volkseigentums. Die ersten Sowchose wurden bereits kurz nach dem Umsturz von 1917 durch die Übernahme vieler Großgüter direkt durch den Staat gebildet. Ein Teil dieser Staatsgüter gehören als Lehr- und Versuchsgüter zu den wissenschaftlichen Instituten und Forschungsanstalten; für Sonder auf gaben stehen zur Verfügung: Spezialbetriebe für Saatzucht und Tierzucht sowie Güter verschiedener staatlicher Einrichtungen und Verwaltungen. 3. D i e B e d e u t u n g d e r Maschinen-Traktoren-Stationen

(MTS)

I n der Sowjetunion entstanden die ersten Maschinen-Traktoren-Stationen nicht auf Anordnung des Staates, sondern durch Initiative der Kolchosbauern zunächst auf genossenschaftlicher Grundlage. Anzahl und Bestückung der MTS stiegen rasch an. Ausgehend von dem Grundsatz, daß die Produktionsmittel sich im Eigentum des Volkes (d. h. des Staates) zu befinden haben, stellte die Regierung, aus Mißtrauen gegenüber den gut florierenden „Maschinengemeinschaften", die MTS jedoch unter die Kontrolle der örtlichen Behörden. Am 10. September 1930 erfolgte schließlich die Beschlagnahme aller genossenschaftlichen MTS durch die (im Jahre vorher errichtete) Traktorenzentrale. Kurz darauf wurde auch diese Zentrale aufgelöst und durch eine Sonderverwaltung, später durch ein Ministerium abgelöst. Infolge des Fehlens von Traktoren und Großmaschinen waren die Kolchose in weitgehendem Maße von den MTS abhängig. Auf diese Weise konnten die bei den MTS errichteten „politischen Abteilungen" auf die Durchführung der von der Partei erlassenen Richtlinien Einfluß nehmen und die Bauern unter ständiger Kontrolle halten. Zweifellos haben die MTS in der Sowjetunion eine gewaltige landtechnische Aufgabe bewältigt. I m Jahre 1957 bestanden 7 900 MTS mit über 600 000 Traktoren. Außer Traktoren und Mähdreschern verfügten die MTS über eine reichliche Anzahl anderer Großmaschinen und Spezial12 13

R. P. Rochlin, a.a.O., S. 18 f.

Das W o r t „Sowchos" (Plural: „Sowchose") ist die Zusammensetzung der ersten Silben v o n „sowjetskoje chosjajstwo" ( = sowjetische Wirtschaft).

3. Die Bedeutung der Maschdinen-Traktaren-Stationien (MTS)

11

geräte, ohne die eine Mechanisierung der Kolchose nicht durchführbar gewesen wäre. Daß aber die politische Aufgabe der MTS eine gleichgroße Bedeutung hatte, wird daraus erkenntlich, daß nach Festigung der politischen Verhältnisse auf dem Lande die MTS in ihrer bisherigen Organisationsform im Jahre 1958 aufgelöst und ihre Maschinenaggregate an die Kolchose verkauft wurden. Dabei sind infolge der hohen Belastung des Staatshaushalts durch unrentable MTS sicherlich auch finanzwirtschaftliche Gründe maßgebend gewesen. — Die stark ausgebauten MTS wurden als Reparatur-Technische-Stationen (RTS) eingerichtet, die außer ihrer Aufgabe, die Traktoren und Großmaschinen der Kolchose zu reparieren, gleichzeitig für den Verkauf von Ersatzteilen, Brennstoff, Düngemittel u. a. zuständig wurden. Die hier aufgeführten ideologischen Motive und institutionellen Betriebs« und Wirtschaftsformen waren weitgehend richtunggebend auch bei der Umgestaltung der Landwirtschaft in der Sowjetzone. Darüber hinaus kam in der Sowjetunion noch eine ganze Reihe agrarpolitischer Maßnahmen zur Anwendung, die ihren Ursprung im System der Zentralverwaltungswirtschaft kommunistischer Prägung haben und gleichfalls in der Sowjetzone angewendet wurden. — Dies gilt besonders für die Chruschtschow-Ära (1953—1964), aber auch für die Zeit der nach seinem Sturz gebildeten neuen Regierung. Aus dem weitgefaßten Agrarprogramm Chruschtschows, das 1953 sofort anlief, sind besonders zu nennen: Steuererleichterungen für Kolchosmitglieder hinsichtlich ihrer Hofwirtschaften, Maßnahmen „zur weiteren Entwicklung der Landwirtschaft", Verordnungen „zur Änderung und Milderung des Erfassungssystems" und „zur Heraufsetzung der Abnahmepreise". Die neue Preisregelung brachte für die Kolchoserzeugnisse eine bedeutende Erhöhung der alten Sätze; sie wirkte sich aber auch günstig auf die Einkommenslage der Kolchosmitglieder dadurch aus, daß ab 1. Januar 1958 die privaten Hofwirtschaften von den Natural-Pflichtablieferungen befreit wurden. Die Kolchosmitglieder können seitdem ihre gesamten frei verfügbaren Produkte aus ihrer kleinen Hofwirtschaft auf den Kolchosmärkten verkaufen, wo sie Preise erzielen, die in der Regel weit über denen der staatlich festgesetzten liegen. Nicht unerwähnt bleiben soll, daß seit dieser Zeit weit stärker als bisher die landwirtschaftliche Wissenschaft und Forschung sowie das Lehr- und Ausbildungswesen gefördert wurden. Dennoch waren die K r i t i k e r unter den Führungskräften der Sowjetunion m i t den erzielten Ergebnissen, gemessen am Leistungsstand der L a n d w i r t schaft moderner Industriestaaten u n d i n Anbetracht der Höhe der i n den letzten Jahren investierten M i t t e l aus dem Staatshaushalt, unzufrieden. Eine Reihe von Rückschlägen i n der sowjetischen Agrarwirtschaft, dann die ständig wechselnden Änderungen i n der landwirtschaftlichen Verwaltungsstruktur

12

B. Zielvorstellungen der mitteldieiutschein A g r a r p o l i t i k

sowie die erfolglose Überwachung u n d Kontrolle der staatlichen Maßnahmen durch einen aufgeblähten Parteiapparat forderten zunehmend K r i t i k heraus. So hat auch die Ä r a Chruschtschow, i n der m i t v i e l Elan an die Bewältigung der Mißstände i n der Landwirtschaft herangegangen wurde, letztlich versagt. Diese Erkenntnis i n den höchsten Führungsgremien der Sowjetunion hat zweifellos m i t dazu beigetragen, daß Chruschtschow, der I n i t i a t o r vieler reformistischer, oft aber doch unzulänglicher Maßnahmen auf dem Agrarsektor, am 14. Oktober 1964 gestürzt wurde.

Die neue Regierung setzte die Bemühungen um eine Hebung der landwirtschaftlichen Produktion und Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsgütern fort, und zwar mit Maßnahmen, die später auch dem SED-Regime in Mitteldeutschland als nachahmenswertes Beispiel dienten und darum hier ebenfalls aufgeführt seien: weitere Erhöhung der Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse, Senkung von Betriebsmittelpreisen und Steuern, weitere Streichung von Steuerschulden, Herabsetzung der Ablieferungsnormen und damit Vergrößerung des Anteils der für den freien Verkauf bestimmten Produkte zu durchschnittlich höheren Preisen, was sich in einer Erhöhung des Gesamteinkommens der Mitglieder auswirkt. Ferner sind die Erweiterung der Düngemittel- und Mischfutterindustrie zu nennen. Insgesamt sollen in den Jahren von 1966 bis 1970 die Investitionen für die Landwirtschaft nahezu verdoppelt werden. I m Rahmen des hier gestellten Themas „Die Agrarpolitik in Mitteldeutschland" wurde zunächst ein kurzer Überblick über die wesentlichen Merkmale der agrarpolitischen Entwicklung in der Sowjetunion gegeben, um darzulegen, in wie starkem Maße die Agrarpolitik in der „DDR" vom sowjetischen Vorbild bestimmt wurde. Es ergibt sich hieraus vor allem die Frage, ob sich die Anwendung des sowjetischen Vorbildes auf die Landwirtschaft Mitteldeutschlands wirtschafts- und agrarpolitisch als ein Gewinn erwiesen hat.

B. Zielvorstellungen der mitteldeutschen Agrarpolitik I n Mitteldeutschland wurde und wird die Agrarpolitik im Grundsatz und auch in ihrer methodischen Durchführung von der Sowjetunion bestimmt. Maßgebend sind demnach die Lehren des Marxismus-Leninismus. Erklärtes Ziel ist der „Aufbau des Sozialismus auf dem Lande", gekennzeichnet durch die „Vergesellschaftung der Produktionsmittel". Es gibt in Mitteldeutschland — dem sowjetischen Vorbild entsprechend — zwei Formen des gesellschaftlichen oder sozialistischen Eigentums:

B. Z i e l v o s t e l l u n g e n der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k

Das „Volkseigentum" ist die höchste Form des gesellschaftlichen Eigentums. Eigentümer ist das „gesamte werktätige Volk in Gestalt seines Staates". Demnach ist Volkseigentum mit Staatseigentum gleichzusetzen. Es ist „die entscheidende ökonomische Grundlage der Arbeiterund Bauernmacht". I m Lehrbuch „Politische Ökonomie" wird das Volkseigentum als „die reifere Form des sozialistischen Eigentums" bezeichnet, dem „in der gesamten Volkswirtschaft die führende und bestimmende Rolle" zufällt 1 . Das Gruppeneigentum, das „genossenschaftlich-sozialistische Eigentum" ist die zweite, und zwar — gegenüber dem „Volkseigentum" — niedere Form des gesellschaftlichen Eigentums, weil nicht das werktätige „gesamte Volk in Gestalt seines Staates" Eigentümer ist, sondern nur ein bestimmtes Produktions- und Verbraucherkollektiv (z. B. Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG)). Es entsteht durch Sozialisierung des Privat-Eigentums der „Genossenschafts"-Mitglieder. Es wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob die beiden „sozialistischen" Eigentumsformen, das „Volkseigentum" und das „genossenschaftlich-sozialistische Eigentum", auf die Dauer nebeneinander bestehen bleiben werden. Das Lehrbuch „Politische Ökonomie" sagt hierzu: „In dem Maße, wie sich die sozialistische Ökonomie zum Kommunismus entwickelt, werden die Unterschiede zwischen der genossenschaftlichkollektivwirtschaftlichen und der staatlichen Form des Eigentums verwischt und wird das einheitliche kommunistische Eigentum gebildet2." Sicherlich wird diese These als Fernziel immer verfolgt werden. Bei der Erörterung der möglichen Eigentumsformen in der Periode des „Sozialismus" sollen der Vollständigkeit halber an dieser Stelle noch mit aufgeführt werden: Das „persönliche Eigentum". Es w i r d definiert als das durch „eigene gesellschaftliche A r b e i t erworbene Eigentum an Gegenständen des persönlichen Bedarfs, die sich nicht i n K a p i t a l verwandeln, d. h. nicht als M i t t e l der A u s beutung benutzt werden können" 3 . Hierzu werden langlebige Konsumgüter (Autos, Kühlschränke, Waschmaschinen, aber auch Siedlungshäuser u n d Eigenheime) gerechnet, soweit sie der Befriedigung eigener Lebensbedürfnisse des Eigentümers dienen. Es rechnet aber nicht hierzu G r u n d u n d Boden, der niemals Objekt des persönlichen Eigentums sein kann. Das „Privateigentum". Es w i r d zwischen Privateigentum der einfachen Warenproduzenten ( K l e i n - u n d Mittelbauern, Handwerker, Einzelhändler) u n d dem kapitalistischen Eigentum unterschieden. Während das erstere aus der „Aneignung der Ergebnisse eigener A r b e i t " hervorgegangen ist, ist das kapitalistische Eigentum aus der „Aneignung der Ergebnisse fremder L o h n arbeit" oder aus der „Erzielung arbeitslosen Einkommens" entstanden. Z a h l reiche Verfügungsbeschränkungen, v o r allem f ü r das Grundeigentum, haben 1 2 8

Politische Ökonomie, Lehrbuch, B e r l i n (Ost) 1964, S. 443. Politische Ökonomie, a.a.O., S. 448. Politische Ökonomie, a.a.O., S. 448.

14

B. Z i e l v o r s e l l u n g e n der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k

den Begriff des Privateigentums seit 1945 ausgehöhlt, w i e i n den nachfolgenden Ausführungen, insbesondere über die Kollektivierung, ersichtlich w i r d . Die noch bestehenden Reste des Privateigentums sollen zur besseren Versorgung m i t Massenbedarfsgütern während der „Übergangsperiode v o m K a p i t a lismus zum Sozialismus" noch f ü r einige Zeit geduldet werden 4 .

Die Beschäftigung mit den Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus, insbesondere mit ihren Auswirkungen auf die Eigentumsverhältnisse in der Landwirtschaft, läßt erkennen, daß auch die Agrarpolitik — unter Heranziehung der Leninschen Analyse vor der Klassenstruktur der Landbevölkerung — eindeutig auf das Ziel gerichtet ist — Beseitigung des selbständigen Bauerntums, — Schaffung eines Landproletariats. Dem Hauptziel, der Beseitigung des selbständigen Bauerntums, liegt dabei gleichzeitig der Gedanke zugrunde, daß der in einem „sozialistischen" Großbetrieb unter ständiger politischer und arbeitsmäßiger Kontrolle stehende Mensch eher in das kommunistische System einzufügen ist als der auf eigenem Boden selbständig wirtschaftende Bauer. Unter dieser Perspektive ist die gewaltige agrarpolitische Umwälzung, die sich seit 1945 in Mitteldeutschland vollzogen hat, zu verstehen. Es fehlt nicht an einschlägigem Schrifttum in dem versucht wird, die agrarpolitischen Vorgänge in Mitteldeutschland theoretisch-ideologisch zu deuten bzw. zu begründen. Mitteldeutsche Autoren geraten dabei insofern in Schwierigkeiten, als spätere agrarpolitische Maßnahmen häufig im Widerspruch zu den vordem verkündeten Richtsätzen der Ideologen und kommunistischen Führungskräfte stehen. Wie auch immer die in Ost und West nachträglich angestellten Analysen der Motive für die agrarpolitische Zielsetzung der Sowjetzone ausfallen mögen, für den Zeitpunkt der Machtausübung durch die Sowjets kann unterstellt werden, daß ideologische Grundsätze doch mehr im Hintergrund des Geschehens standen. Das bedeutete für die Sowjetzone zunächst die strikte Erfüllung der im Potsdamer Abkommen 1945 auch auf dem Gebiet der Landwirtschaft festgesetzten Reparationsauflagen und zum anderen die unumstößliche Forderung, agrarpolitisch sich strikt an das sowjetische Vorbild zu halten. Diesen Weg konsequent und rücksichtslos zu beschreiten, war für die sowjetische Besatzungsmacht, angefangen von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) und den Leitern der Agrarabteilung in der Zentrale und in den Landesverwaltungen bis hin zu den Apparatschiks in den einzelnen Landkreisen und Gemeinden, relativ einfach. Wie sehr man sich dabei an das sowjetische Vorbild klammerte, ist daraus zu erkennen, daß häufig wichtige in der SBZ erlassene Dekrete 4 H. Thieme, „Die Eigentumsverfassung i n der SBZ" i n : Die Lage des Rechts i n Mitteldeutschland, Karlsruhe 1965.

B. Z i e l v o r s t e l u g e n der mitteldeutschin A g r a r p o l i t i k

mit den Texten der analogen Vorschriften in der Sowjetunion fast wörtlich übereinstimmten. Dabei kam es bei der Übersetzung sowjetischer Fachausdrücke zuweilen zu neuen Wortbildungen, mit denen die verantwortlichen Fachleute in der SBZ zunächst gar nichts anzufangen wußten. Andererseits wurden ganz bewußt Bezeichnungen aus dem deutschen Sprachgebrauch angewandt, wenn es darum ging, in der freien Welt positiv bewertete Begriffe aus wirtschaftlichen Geschehen mit einem anderen (kommunistischen) Inhalt zu füllen (typische Beispiele: „Bodenreform", „Genossenschaft"). Bemerkenswert ist, daß, abgesehen von den allgemeinen Enteignungsmaßnahmen, die nach der Besetzung von der Sowjetischen MilitärAdministration (SMA) getroffen wurden und in den SMA-Befehlen in den Jahren 1945 bis 19485 ihren Niederschlag fanden, bei den entscheidenden agrarpolitischen Maßnahmen in der Sowjetzone die sowjetische Besatzungsmacht nicht direkt in Erscheinung trat; jedenfalls ist ihre direkte Einwirkung offiziell, z.B. in der Unterzeichnung der Dekrete, nicht nachweisbar. So wurden denn die ersten Verordnungen auf agrapolitischem Gebiet nach 1945 von den sowjetzonaten Landesverwaltungen, spätere Maßnahmen von den sowjetzonalen Regierungsorganen erlassen. Sicherlich sollte mit diesem Vorgehen bezweckt werden, daß die Bauern Mitteldeutschlands sich nicht allzu genau am Beispiel der agrarpolitischen Entwicklung der Sowjetunion orientierten. Offenbar sollten sie über das Endziel sowjetzonaler Agrarpolitik, ihre Liquidierung als selbständige Bauern, in Unkenntnis gehalten werden. Auf diese Weise konnte im Stadium des „Aufbaues des Sozialismus" eine Opposition aus den Reihen der ländlichen Bevölkerung vermieden werden. So nur sind die — offenbar wider besseres Wissen — abgegebenen Versicherungen und Beteuerungen sowjetzonaler Spitzengremien und Hauptfunktionäre zu verstehen, von denen einige Beispiele nachstehend aufgeführt seien: (1) Erklärung

der KPD vom IL Juni 1945:

„ W i r sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre. Denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen i n Deutschland 8 ." (2) In derselben Erklärung

heißt es an anderer Stelle:

Es gilt, „die Sache der bürgerlichen demokratischen Umbüdung, die 1848 begonnen wurde, zu Ende zu führen u n d die feudalen Überreste v ö l l i g zu beseitigen... Es ist selbstverständlich, daß diese Maßnahmen i n keiner Weise den Grundbesitz u n d die Wirtschaft der Großbauern berühren werden" 7 . 5

Vgl. D r i t t e r Tätigkeitsbericht des Forschungsbeirates 1957/1961, S. 32 u n d 33. • W. Ulbricht, Z u r Geschichte der Neuesten Zeit, B e r l i n (Ost) 1955, S. 375 ff. 7 Ebenda, S. 375.

B. Zielvorstellungen der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k

16

(3) W. Pieck in einer KPD-Versammlung in Kyritz am 2. September 1945: „ A u c h die v o n den Feinden der Bodenreform oft kolportierte Behauptung, daß die K P D eine K o l l e k t i v i e r u n g der Bauernwirtschaften herbeiführen w i l l , entbehrt jeder Grundlage 8 ."

(4) W. Pieck in einem Interview am 25. August 1946: „Frage: Oft fragen Leser bei uns an, ob es stimmt, daß die SED eine K o l l e k t i v i e r u n g der Bauernwirtschaften anstrebe. Welches ist die Auffassung der SED zu dieser Frage?

Antwort: Diese Gerüchte kommen aus der junkerlichen Giftküche. Die SED setzt sich f ü r die unbedingte Sicherung des bäuerlichen Privateigentums ein. W i r w o l l e n dem Bauern die volle Selbständigkeit seiner Wirtschaft garantieren u n d i h n von dem Druck befreien, unter dem er während der Naziherrschaft gelitten hat. Den zugeteilten Boden erhielten die Bauern als Eigentum, u n d niemand k a n n ihnen dieses Eigentum wieder nehmen. W i r setzten uns auch dafür ein, daß dieses rechtlich erworbene Eigentum i n die Grundbücher eingetragen u n d dem Neubauern dafür entsprechende Besitzurkunden ausgestellt wurden. Aus diesen Tatsachen allein ergibt sich schon die Unsinnigkeit v o n der angeblich beabsichtigten Kollektivisierung. Es muß dabei erwähnt w e r den, daß die Junker u n d ihre Freunde ganz bewußt die bäuerlichen K o l lektivwirtschaften i n der Sowjetunion als eine bauernfeindliche W i r t schaftsform hinstellen. Die Kollektivwirtschaften i n der Sowjetunion entstanden auf G r u n d besonderer Bedingungen u n d trugen dazu bei, den Wohlstand der Bauern zu vermehren. Sie stellen eine besondere F o r m des Aufbaus der sowjetischen Landwirtschaft dar, die nicht auf Deutschland übertragen werden kann, w e i l hier andere Bedingungen vorliegen®."

(5) O. Grotewohl in der Regierungserklärung

am 15. November 1950:

„Es muß als vollständig unbegründet u n d falsch bezeichnet werden, daß die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik die Absicht habe, nach den Wahlen Maßnahmen zur Durchführung der K o l l e k t i v i e r u n g i n der Landwirtschaft zu ergreifen. Solche Gerüchte stammen v o n Feinden der D D R u n d entsprechen keinesfalls den Absichten der Regierung10."

(6) W. Ulbricht auf der Babelsberger Konferenz

am 2. und 3. April 1958:

„ M a n stelle sich doch einmal vor, was geschehen wäre, w e n n w i r i m Jahre 1945 den sofortigen A u f b a u des Sozialismus proklamiert hätten! Das haben w i r nicht getan; sondern w i r haben sorgfältig Lenins Lehre über die zwei T a k t i k e n i n der demokratischen Revolution angewandt, u m die Menschen schrittweise vorwärtszuführen — u n d nicht etwa deshalb, w e i l w i r nicht gewußt hätten, daß w i r den Weg der D i k t a t u r des Proletariats u n d des Sozialismus vorwärtsschreiten werden 1 1 ." 8

SBZ von 1945 bis 1954, Bonn 1956, S. 19. „Der Freie Bauer", Nr. 42 v o m 25. August 1946. „Tägliche Rundschau", Nr. 269 v o m 16. November 1950. 11 W.Ulbricht, Die Staatslehre des Marxismus-Leninismus u n d ihre A n wendung auf Deutschland, B e r l i n (Ost) 1958, S. 59. 9

10

B. Z i e l v o s t e l u n g e n der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k

Heute wissen wir, daß die vor 1952 — dem Jahr, in dem der „Aufbau des Sozialismus" verkündet wurde — abgegebenen Beteuerungen eine bewußte Irreführung der ländlichen Bevölkerung waren. Nach den Prinzipien des Marxismus-Leninismus konnte die kommunistische Führung in der Sowjetzone auch gar keinen anderen als den sowjetischen Weg gehen, wenn sie ihr Ziel, den „Aufbau des Sozialismus auf dem Lande" mit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel erreichen wollte. Bei der Verfolgung dieses Zieles mußten in Mitteldeutschland allerdings besondere Tatbestände berücksichtigt werden, die eine andere Ausgangslage bedeuteten und die, um die politische Gleichstellung mit der Sowjetunion herbeizuführen, in Richtung auf das sowjetische Modell manipuliert werden mußten: 1.Es bestand keine revolutionäre Bewegung auf dem Lande, mit der eine entschädigungslose Enteignung des größeren Grundbesitzes hätte eingeleitet werden können. Da also eine Agrarrevolution ausblieb, wurde sie auf Veranlassung der sowjetischen Besatzungsmacht von der deutschen kommunistischen Kommandostelle angeordnet. Es erfolgte also eine „Revolution von oben", die auf einem eindeutigen Diktat einer kleinen Minderheit beruhte. Wenn die Führer der „antifaschistisch-demokratischen" Parteien in der Sowjetzone (CDU, LDP, SPD) sich am 5. September 1945 dazu hergaben, den Aufruf zu einer „Bodenreform" als eine „unaufschiebbare, nationale, wirtschaftliche und soziale Notwendigkeit" mit zu unterzeichnen, so ist darin also nicht etwa die damalige Sehnsucht eines großen Teils der mitteldeutschen Landbevölkerung nach einer Aufteilung größeren Landbesitzes zu erblicken; diese Unterschriftsleistung zeugt vielmehr von der Gutgläubigkeit, mit der diese Parteien den kommunistischen Schachzügen gegenüberstanden. So gelang es der KPD, die in ihrem Sinne beabsichtigte „Bodenreform" als eine bürgerlich-demokratische Forderung hinzustellen und diese auch bei den bürgerlichen Parteien durchzusetzen. 2. Infolge der fehlenden Agrarrevolution erfolgte in Mitteldeutschland auch keine „Nationalisierung" (Verstaatlichung) des gesamten Bodens. Selbst von dem im Zuge der „Bodenreform" enteigneten Land wurde nur ein Drittel in „Volkseigentum"überführt und damit der Grundstock zur Bildung von „Volkseigenen Gütern" gelegt. Zwei Drittel der enteigneten Bodenflächen wurden privates, wenn auch gewissen Beschränkungen unterworfenes „Eigentum" der Neubauern. Es ist bezeichnend, daß in keinem der Ostblockstaaten anläßlich der kommunistischen Agrarreformen der Boden — wie in der Sowjetunion — vollständig verstaatlicht wurde. Das bäuerliche Eigentumsdenken war in diesen Ländern zu stark ausgeprägt, als daß man eine 2 Tümmler-Merkel-Blohm

18

B. 7Àelvorstellungen der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k

Totalenteignung in einem Zuge ohne politischen Schaden hätte riskieren können. Es war daher zweifellos eine taktische Maßnahme, sich darauf zu beschränken, einem nur relativ kleinen Kreis von Großgrundbesitzern Land zu nehmen und dieses einem großen Kreis von Bauern und Arbeitern zu übergeben. Mit diesem Vorgehen sollte der Leninschen Lehre entsprochen werden, die Kleinbauern und Landlosen als Bundesgenossen für die zur Verwirklichung kommunistischer Ziele anzahlmäßig unzureichende Arbeiterklasse zu gewinnen. Und die Mittel- und Großbauern, die immer als potentielle Gegner kommunistischen Gedankengutes angesehen werden, sollten durch die Vermeidung einer Nationalisierung ihres Bodens — getreu der Leninschen Doktrin — „neutral gehalten" werden. Die von G. Horz 12 als Hauptargument für den Verzicht auf eine Verstaatlichung des gesamten Bodens vertretene Ansicht, daß die auf Betreiben der Sowjets in ihrer Zone rasch vorgenommene Land Verteilung ihnen auch in Richtung auf die Westzonen des geteilten Deutschlands politischen Gewinn bringen sollte, mag zutreffen. Daß die Sowjets nach 1945 beabsichtigen, — zumindest mit ihrem kommunistischen Gedankengut — weiter nach Mitteleuropa vorzudringen und auf ganz Deutschland Einfluß zu gewinnen, ist bekannt. Insofern ist es naheliegend, daß die Sowjets „durch eine in ihrer Besatzungszone eiligst durchgeführte Bodenreform die soziale Fortschrittlichkeit der Sowjetunion beweisen und das scheinbare sowjetische Interesse am schnellen Wiederaufbau Deutschlands bekunden wollten, um so die Gunst der gesamten deutschen Bevölkerung einzutragen, aus der dann politisches Kapital geschlagen werden konnte". Aber Horz weist mit Recht darauf hin, daß eine „Sozialisierung des Bodens bei der deutschen Bevölkerung auch kaum Verständnis gefunden und außerdem zu sehr an die Agrarentwicklung in der Sowjetunion erinnert hätte". Man klammerte bewußt die riskante Eigentumsfrage für das Gros der Bauernschaft einfach aus und kam durch die Unterbindung der Unternehmerfunktion, wie dies durch die Zwangswirtschaft und später durch die Kollektivierung gegeben war, praktisch zum gleichen Ziel. Bei Berücksichtigung der dargelegten Ausgangslage wird deutlich, warum nach der Enteignungsaktion im Rahmen der „Bodenreform" der weit überwiegende Teil der davon betroffenen Großbetriebe zunächst in eine Vielzahl kleiner einzelbäuerlicher Betriebseinheiten aufgeteilt 12 G.Horz, Die K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft i n der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands unter besonderer Berücksichtigung des sowjetischen Vorbildes, Dissertation an der Wirtschafts- u n d Sozialwissenschaftl. Fakultät der Freien Universität Berlin, 1960.

B. Zielvorstellungen der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k

und keine sofortige Kollektivierung vorgenommen wurde. Hierzu lautet das Hauptargument der SED-Führung: Es wäre nicht angängig gewesen, „die enteigneten Gutsbetriebe sofort in kollektive Nutzung zu geben, da dies die Durchführung einer Massenkollektivierung zu einer Zeit bedeutet hätte, als die notwendigen politischen und ökonomischen Bedingungen fehlten. Die Erfahrungen der sozialistischen Umgestaltung des sowjetischen Dorfes haben gelehrt, daß dieser Übergang nur auf freiwilliger Grundlage vor sich gehen darf. Es ist nach Lenin wichtig, auf keinen Fall der Entwicklung der Massen vorauszueilen, sondern abzuwarten, wann aus der eigenen Erfahrung dieser Massen und aus ihrem eigenen Kampf die Vorwärtsentwicklung hervorwächst. Man darf nicht hinter der Entwicklung zurückbleiben, denn zurückbleiben heißt, sich von den Massen loslösen. Man darf aber auch nicht vorauseilen, denn vorauseilen heißt, die Massen verlieren und sich isolieren" 13 . Außerdem ist zweifellos richtig, daß nach der Zerschlagung und Ausplünderung der enteigneten Großbetriebe deren Ausstattung mit lebendem und totem Inventar völlig unzureichend und damit eine auch nur annähernd gesicherte Funktionsfähigkeit nicht gegeben war. Für die Zurückstellung der Kollektivierung war zweifellos der gleiche Grund entscheidend wie für den Verzicht auf die Nationalisierung des Bodens. Die KPD (damals noch vor der Verschmelzung mit der SPD!) fühlte sich politisch einfach nicht stark genug, eine agrarpolitische Umwälzung so gewaltigen Ausmaßes durchzuführen. Diese Auffassung wird untermauert durch die Tatsache, daß selbst 1960, nachdem das SED-Regime, gestützt auf die sowjetische Besatzungsmacht, in den Jahren vorher schon genügend Beweise rücksichtslosen Vorgehens gegen die Landbevölkerung geliefert hatte, die alteingesessenen und gut fundierten Bauern nur unter Anwendung härtester Mittel in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zu zwingen waren. Ein weiterer maßgeblicher Grund für das Hinausschieben der Kollek^ tivierung ist darin zu sehen, daß die kommunistische Führungsspitze ein abruptes Nachlassen der Produktionskraft der Landwirtschaft und damit ein Chaos auf dem Ernährungssektor befürchtete. Auch in dieser Beziehung hatte die Sowjetunion ein überzeugendes Beispiel geliefert. I m übrigen wurde mit der Zurückstellung der Kollektivierung für den vorgesehenen Gesamtablauf der Agrarentwicklung in Mitteldeutschland nichts riskiert: Die bei der Landzuteilung zugrunde gelegte Betriebsgröße war offenbar von vornherein so gering bemessen, daß die neu geschaffenen Kleinbetriebe nicht existenzfähig waren und somit später eine gute Begründung für die Schaffung „sozialistischer Groß 13

2*

G. G. Kottow,

Bodenreform i n Deutschland, B e r l i n (Ost) 1959.

20

C. EnitwicldairijgSÄtUifen dier m i 11 eldeutschetn Agrarpolitik {bis i960)

betriebsformen", in diesem Falle Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften, hergaben. So sind drei Entwicklungsstufen auf dem Wege zur Erreichung der Ziele sowjetzonaler Agrarpolitik festzustellen: 1. Entschädigungslose Enteignung im Zuge der Bodenreform (von 1945 bis etwa 1949). 2. Liquidierung der Mittel- und Großbauern (ab 1949 bis etwa 1952/53). 3. Kollektivierung durch Bildung von „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften" (ab 1952 bis zur vorläufigen Endphase im Jahre 1960). Das Vorgehen des kommunistischen Regimes nach dieser Zeit dient der Festigung und dem Ausbau der bis dahin erreichten agrarpolitischen Position.

C. Entwicklungsstufen der mitteldeutschen Agrarpolitik (bis 1960) 1. E n t e i g n u n g v o n l a n d w i r t schaftlichem Grundbesitz („Bodenreform") a) Die Bodenreform

als gemeinsames Ziel der Besatzungsmächte

Erst auf der Pariser Außenminister-Konferenz am 9. 7. 1946 wurde die Bodenreform offiziell angesprochen, indem Molotow eine Beschwerde darüber vorbrachte, daß eine Bodenreform nur erst in der sowjetischen Besatzungszone durchgeführt sei und daß sie in den westlichen Besatzungszonen nicht einmal begonnen habe 1 . Und erst zu Beginn des Jahres 1947 faßte der Alliierte Kontrollrat einen Beschluß, über den der Koordinierungsausschuß am 23. 3. 1947 auf der Moskauer Außenministerkonferenz berichtete: „Über die Notwendigkeit der Bodenreform herrschte grundsätzliches Einvernehmen, über die A r t der Durchführung dagegen nicht. Man einigte sich, die Bodenreform bis Ende 1947 durchzuführen. Der Rat der Außenminister bekräftigte diesen Beschluß am 12. 4. 1947."

b) Die Bodenreform

in den westlichen

Besatzungszonen

Während die britische und französische Militärregierung die gesamten besatzungsrechtlichen Vorschriften zur Durchführung der Bodenreform erließen, trat die amerikanische Militärregierung auf dem Gebiet der 1 Vgl. L. D. Clay, S. 301 f.

Entscheidung i n Deutschland, Frankfurt/Main

1950,

1. Enteignung v n landwirtschaftlichem Grundbesitz („Bodenreform")

21

Bodenreform nicht als Gesetzgeber in Erscheinung, sondern gab nur die Grundlinien für das Länderratsgesetz. I m übrigen wurde in allen drei Westzonen den deutschen Behörden aufgegeben, im Rahmen der von den Besatzungsmächten aufgestellten allgemein gehaltenen Vorschriften die Einzelheiten selbst zu regeln, wozu ein mehr oder weniger großer Raum für eigenes Ermessen gelassen wurde. Die Höhe der Entschädigung wurden den deutschen Stellen überlassen. So führten die Länder die Bodenreform in eigener Zuständigkeit durch. Nur ein Teil der Gesetze nahm auf die Vorschriften der Besatzungsmacht bezug. Als Hauptzweck der Bodenreform wurde die Vermehrung der selbständigen bäuerlichen Betriebe, die Schaffung von Siedlerstellen und die Seßhaftmachung einer großen Zahl von Menschen auf dem Lande herausgestellt. Das Gesetz von Schleswig-Holstein enthielt in seiner Präambel den Satz: „Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, die dem Großgrundbesitz anhaftende politische und wirtschaftliche Macht zu beseitigen"; und § 1 des Gesetzes besagt, daß freies und vererbliches Grundeigentum in die Hand derjenigen gehört, die es bearbeiten und bewirtschaften. — In dieser Schärfe kam dieser Gedanke in den Gesetzen der anderen Länder nicht zum Ausdruck. Von der Landabgabe wurden in den Bodenreformgesetzen des Westens sowohl der private Grundbesitz als auch der der öffentlichen Hand betroffen. Für den Großgrundeigentümer (Eigentümer von 100 ha und mehr landwirtschaftlicher Nutzfläche) wurde von den Ländern eine Höchstgrenze festgesetzt, die grundsätzlich 100ha betragen sollte, d.h. niemand sollte in Zukunft mehr als 100 ha landwirtschaftlich genutzten Boden zu Eigentum haben. Damit unterschritten die Länder sogar die in den Verordnungen der Militärregierungen mit 150 ha vorgesehene Höchstgrenze. I m allgemeinen wurde die Grenze nach einer den Gesamtumfang des Bodeneigentums und die Bonität des Landes berücksichtigenden Abgabetabelle unterschiedlich festgelegt. Nach den meisten Ländergesetzen konnten die Eigentümer der betroffenen Grundstücke der Abgabepflicht freiwillig genügen, ohne daß es einer Enteignung bedurfte. Heute kann festgestellt werden, daß die Bodenreform in den Westzonen, obwohl im einzelnen unterschiedlich, im ganzen recht nachsichtig durchgeführt wurde, was zur Folge hatte, daß die Verfahren oft nur schleppend abgewickelt werden konnten. Die hauptsächlichsten Gründe dafür waren: (1) Jede umfassende Umwandlung der Struktur von Grundbesitz wird sich, wenn sorgfältig und sinnvoll verfahren werden soll, immer über einen größeren Zeitraum erstrecken.

22

C. Bntwickl'uiigisstjuf'ein der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bis 1960)

(2) Die Kopplung einer Flurbereinigung mit der Bodenreform, wie dies hauptsächlich in Süddeutschland geschah, verlangsamt das Verfahren nicht unwesentlich. (3) Soweit Landabgabepflichtige Gerichtsverfahren anstrengten, wurden diese meist nur schleppend behandelt, da häufig Entscheidungen auch des Bundesverfassungsgerichts eingeholt werden mußten. (4) I n manchen Ländern beanspruchten Enteignungsverfahren Jahre.

6—8

I n der Zeit von 1945—1954 fielen in der Bundesrepublik rd. 211 000 ha Land aus der Bodenreform an, wovon rd. 150 000 ha aus privater Hand stammten. Etwa 130 000 ha wurden als Siedlungsland verwandt, und zwar rd. 23 500 ha für rd. 48 000 Anliegerstellen und rd. 107 000 ha für rd. 6 900 Stellen der bäuerlichen Siedlung. Der Rest wurde anderen Zwecken zugeführt. — Die 211 000 ha Land waren etwa „der dritte, vierte oder gar nur sechste Teil von dem, was für die Zeitspanne der Reform erwartet worden war" 2 . c) Die „Bodenreform"

in der Sowjetischen

Besatzungszone

Da bei Herannahen der sowjetischen Truppen viele Gutsbesitzer ihre Betriebe verlassen hatten, waren die Voraussetzungen geschaffen, schnell und ungehindert Enteignungsmaßnahmen durchzuführen. Um die Opposition bürgerlicher Kreise in Mitteldeutschland auszuschalten, schufen die Kommunisten die „Einheitsfront der antifaschistich-demokratischen Parteien" (KPD, SPD, CDU und LDP), in der es ihnen gelang, eine von den Vorsitzenden dieser Parteien unterzeichnete „Erklärung zur Aufteilung des Großgrundbesitzes" in Mitteldeutschland abzugeben3. Auf diese Weise hatte die K P D erreicht, die Bodenreform nicht als eine marxistisch-kommunistische Forderung, sondern als ein bürgerlich-demokratisches Anliegen hinzustellen. (1) Bildung eines Bodenfonds A m 3. September 1945 erließ die Provinz Sachsen-Anhalt, gestützt auf eine entsprechende Entschließung des antifaschistischen Blocks der vier genannten Parteien, eine „Verordnung über die Bodenreform" 4, in der es unter Artikel 1 heißt: „ D i e demokratische Bodenreform ist eine unaufschiebbare nationale, w i r t schaftliche u n d soziale Notwendigkeit. Die Bodenreform muß die L i q u i d i e r u n g des feudal-junkerlichen Großgrundbesitzes g e w ä h r l e i s t e n . . . Somit ist die Bodenreform die wichtigste Voraussetzung der demokratischen Umge2

W. Abel, Agrarpolitik, Göttingen 1958, S. 210. H. W. Dölling, Wende der deutschen Agrarpolitik, B e r l i n (Ost) 1950, S. 98. r H. Döring, V o n der Bodenreform zu den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, B e r l i n (Ost) 1953, S. 15 ff. 3

1. Enteignung v n landwirtschaftlichem Grundbesitz („Bodenreform")

23

staltung u n d des wirtschaftlichen Aufstieges unseres Landes. Der Grundbesitz soll sich i n unserer deutschen Heimat auf feste, gesunde u n d produktive Bauernwirtschaften stützen, die Privateigentum ihres Besitzers sind."

Als Ziel der „Bodenreform" wurde u. land der bereits bestehenden Bauernhöfe neue selbständige Bauernwirtschaften für und kleine Pächter geschaffen und Land abgegeben werden sollte.

a. angegeben, daß das Ackerunter fünf Hektar vergrößert, landlose Bauern, Landarbeiter an Umsiedler und Flüchtlinge

Nach Artikel 2 dieser Verordnung wurde „der gesamte Großgrundbesitz über 100 ha mit allen Bauten, lebendem und totem Inventar und anderen landwirtschaftlichen Vermögen" sowie der Grundbesitz von „Kriegsverbrechern, Kriegsschuldigen, Naziführern und aktiven Vertretern der Nazipartei und ihre Gliederungen" entschädigungslos enteignet. Darunter fiel nicht Grundbesitz und landwirtschaftliches Vermögen der „landwirtschaftlichen und wissenschaftlichen Forschungsinstitutionen", der „Versuchs- und Lehranstalten", der „landwirtschaftlichen Genossenschaften", der „Klöster, kirchlichen Institutionen, Kirchen und Bistümer" sowie der „Boden, der den Stadtverwaltungen gehörte und für die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse zur Versorgung der Stadtbevölkerung benötigt wurde" sowie das „Gemeinde^ land". Gleichlautende Verordnungen veröffentlichte am 5. September 1945 die Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern, am 6. September 1945 die Provinzialverwaltung der Mark Brandenburg und am 10. September 1945 die Landesverwaltungen Sachsen und Thüringen. Die sowjetische Besatzungsmacht hat sich bei dieser Bodenreform nicht erkennbar als Gesetzgeber eingeschaltet. Es muß jedoch bei der Gleichzeitigkeit der aufgezeigten Veröffentlichungen auf eine zentrale Steuerung geschlossen werden, die nicht von einer deutschen Stelle ausgehen konnte, da eine Zonenregierung damals noch nicht existierte. Daß es sich um eine einheitliche Aktion handelt, ist weiter aus den Verkündungsdaten der Verordnungen zu ersehen. Das Interesse der Militärregierung an der Durchführung der Bodenreform geht aus dem SMA-Befehl vom 9. 11. 1945 hervor, der von den Länder*- und Provinzialverwaltungen einen Bericht über die Durchs führung der Bödenreform mit Stand vom 20. 11. 1945 verlangt. Die Berichterstattung an die Militärregierung und die Kommandanturen wurde dann vom 1. 7. 1946 an monatlich gefordert. Die Vorbereitung für die Durchführung der Bodenreform lag in den Händen der Kreis- und Gemeindeverwaltungen unter der Kontrolle der Landes- bzw. Provinzialverwaltungen. Zur unmittelbaren Durchführung sahen die Gesetze und Verordnungen die Bildung besonderer Kommissionen auf Gemeinde-, Kreis- und Landesebene vor: „Bodenkommissior

24

C. Bntmckliuiigsstufen dfcr mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bis 1960)

nen". Etwa 10 000 Bodenkommissionen wurden gebildet, in denen 27 393 Kommunisten und Sozialdemokraten ( = 53,1 v. H.), 2 853 Mitglieder der CDU und L D P ( = 5,5 v. H.) sowie 21 200 Parteilose ( = 41,4 v. H.) vertreten waren 5 . Die Vertreter der bürgerlichen Parteien befanden sich also in einer völlig einflußlosen Minderheit. Nach Artikel II, Ziffer 1, der Bodenreform-Verordnung war ein „Bodenfonds" aus dem enteigneten Grundbesitz zu bilden. Die Enteignung erfolgte durch Gesetze und Verordnungen als allgemein gültige Maßnahme und nicht durch einen auf Grund der Bodenreform-Vorschriften auf jeden Einzelfall bezogenen Verwaltungsakt wie in den Ländern der Westzonen6. Über eine Entschädigung enthalten die Bodenreform-Gesetze nichts. Lediglich die brandenburgische Verordnung zur Ergänzung der Verordnung über die Bodenreform vom 14. 3. 1946 bestimmt als Auslegung des Artikels II, Ziffer 3, daß die Enteignung grundsätzlich entschädigungslos zu erfolgen habe. Die Bestätigung des bei der Verteilung des Bodens aufgenommenen Protokolls durch die Kreiskommission hatte zugleich die Wirkung, daß mit dieser der Bodenempfänger „rechtmäßiger Eigentümer des Bodens" wurde und „als solcher ins Grundbuch einzutragen" war 7 . Damit war die Eigentumszuteilung abgeschlossen. Es ergingen aber „zur Erledigung der juristischen Formalitäten und zur Feststellung der Eigentumsrechte der Bauern, die nach dem Gesetz über die Bodenreform Land zu persönlichem Eigentum erhalten haben" in den Ländern und Provinzen übereinstimmende weitere Gesetze, so z. B. in Thüringen das „Gesetz über die Eintragung der durch das Gesetz über die Bodenreform vom 10. 9. 45 an die Bauern aufgeteilten Ländereien vom 23. 5. 1945", und in Mecklenburg-Vorpommern die Verordnung Nr. 75 vom 28. 3. 1946. Dort wird in Artikel I wiederholt, daß die Erwerber Eigentümer der Grundstücke vom Tag der Rechtskraft des Protokolls an seien. Für die Erwerber sei ein Grundbuchblatt anzulegen, das weder in Form noch im Inhalt von den in Gebrauch befindlichen Grundbüchern abweichen dürfe. Die Eintragungen seien von den Gerichten vorzunehmen, selbst wenn die Katastervermessungen noch nicht vorlägen (Art. I I und III). Die alten Grundbücher seien nach der Eintragung zu vernichten. Das darüber aufzunehmende Protokoll dürfe nur die Nummer des Grundbuchs und den Bezirk angeben. 5 H. Reuber u. B. Skibbe, Die Bodenreform i n Deutschland m i t Zahlen u n d Dokumenten, B e r l i n (Ost) 1947, S. 19. 6 I n A r t i k e l I I , Ziffer 2, heißt es: „Folgender Grundbesitz w i r d . . . enteignet:". 7 z. B. Thüringen, 1. Ausführungs-Verordnung zu A r t . V ; vgl. Döring a.a.O., S. 291.

1. Enteignung v n landwirtschaftlichem Grundbesitz („Bodenreform")

25

Vom zuständigen Landrat wurde darüber hinaus dem Erwerber eine Urkunde überreicht, in der der Name des Erwerbers und die Größe des zugeteilten Landes aufgeführt sind. Auch die Verfassungen der Länder und Provinzen der SBZ enthalten außer der allgemeinen Eigentumsgarantie noch eine ausdrückliche Gewährleistung des Eigentums der Bodenempfänger. So sagt Art. 57 Abs. 2 der Verfassung von Thüringen vom 20. 12. 1946: „Den Bauern wird das Eigentum am Grund und Boden gewährleistet, das sie auf Grund des Gesetzes über die Bodenreform vom 10. 9. 1945 erhalten haben." Die Verfassung der „DDR" vom 7. 10. 1949 enthält in Art. 24, Abs. 4 und 5, folgenden Passus zur Bodenreform: „Der private Großgrundbesitz, der mehr als 100 ha umfaßt, ist aufgelöst und wird ohne Entschädigung aufgeteilt. Nach Durchführung dieser Bodenreform wird den Bauern das Privateigentum an ihrem Boden gewährleistet." Für das erhaltene Land hatte der Erwerber einen sogenannten „Übernahmebeitrag" zu leisten, der dem Wert einer Jahresrente, je nach Qualität des Bodens, von etwa 1000 bis 1500 kg Roggen#entsprach und zu den Ablieferungspreisen im Herbst 1945 etwa 200,— bis 290, — D M je ha betrug. Die Bezahlung konnte in Geld oder natura geschehen und erfolgte nach einer ersten Zahlung von 10 v. H. bis Ende 1945 in verschiedenen, für landarme Bauern und Umsiedler über 10 Jahre und für landlose Bauern, Landarbeiter und Umsiedler über 20 Jahre verteilten Raten. Es bestand für landlose Bauern, Kleinpächter, Landarbeiter und Umsiedler eine Stundungsmöglichkeit der Anzahlung auf drei Jahre. Der Übernahmebeitrag war so gering, daß der größte Teil der Neubauern diese Schuld relativ schnell begleichen konnte. Die Anordnung über die Einziehung der Bodenreform-Übernahmebeiträge vom 22. 10. 1952 läßt erkennen, daß es sich nicht um einen echten Kaufpreis gehandelt hat, eher um eine Gebühr für die Verwaltungsarbeit. Die Bodenreformgesetze und Verordnungen schreiben in Artikel V I vor, daß die durch die Bodenreform geschaffenen Wirtschaften weder ganz noch teilweise geteilt, verkauft, verpachtet oder verpfändet werden dürfen. Das durch die Bodenreform empfangene Land kann dem Bodenempfänger nur in bestimmten Fällen entzogen werden. Diese Fälle sind8: 8 Beschluß der Landesbodenkommission Sachsen v o m 19. 5. 1948, nach Döring, a.a.O., S. 291.

26

C. E n t w i c l g t f e n der m i e l d e u t s c h e n A g r a r p o l i t i k bis 960)

a) w e n n gegen den Eigentümer ein Strafurteil ergangen ist, das neben einer Freiheitsstrafe auf Vermögenseinziehung lautet (§ 2 Abs. 2 des Gesetzes über die Bestrafung von Wirtschaftsvergehen v o m 18. 6. 47, GBLSachsenA n h a l t I, Nr. 15 v o m 22. 7. 1947, Seite 113); b) w e n n der Eigentümer die Wirtschaft verlassen hat u n d das Entziehungsverfahren gem. § 1 der X . Ausführungsbestimmung zur Bodenreformverordnung durchgeführt ist; c) w e n n der Eigentümer sich nachträglich als N a z i - A k t i v i s t gem. A r t i k e l I I Ziffer 2a u n d b der Bodenreformverordnung herausstellt.

Nach dem Stand von Jahresmitte 1950 umfaßte die gesamte Wirtschaftsfläche der SBZ 10,75 Mill. ha. Auf die landwirtschaftliche Nutzfläche entfielen 6,53 Mill. ha, auf Forsten und Holzungen 2,90 Mill. ha, auf sonstige Flächen (Gewässer, Moore, öd- und Unland, Wege und Straßen, Gebäudeflächen usw.) 1,32 Mill. ha. Der Anteil des Ackerlandes an der landwirtschaftlichen Nutzfläche betrug rd. 76 v. H. Die Bodenreform kam in der SBZ bis Ende des Jahres 1947 zum Abschluß. Nach dem Stand vom 1. 1. 1950 befanden sich in dem zur Durchführung der Bodenreform gebildeten Bodenfonds folgende Betriebe und Flächen:

Bis zum 1. 1. 1950 in den Bodenfonds überführte Objekte Bisherige Eigentumsform

Z a h l der Objekte

Fläche

Anzahl

vH

ha

vH

Privatbesitz 100 ha und mehr unter 100 ha

7160 4 537

50,8 32,2

2 517 357 131 742

76,3 4,0

Staatsbesitz

1288

9,1

337 507

10,2

384

2,8

200 247

6,1

Staatswälder u. Forsten Siedlungsgesellschaften u n d Institutionen

169

1,2

22764

0,7

Sonstiger Grundbesitz . .

551

3,9

88465

2,7

14 089

100,0

3 298082

100,0

Insgesamt

Quelle: Nach W. Ulbricht, Zur Geschichte der Neuesten Zeit, Berlin (Ost) 1955, S. 414.

Tabelle 2 zeigt, daß in den Ländern mit hohem Anteil an Großbetrieben die Fläche, die dem Bodenfonds zugeführt wurde, wesentlich größer ist als in den Ländern mit vorwiegend mittel- und kleinbäuerlichen Betrieben (Sachsen und Thüringen).

1. Enteignung v a n landwirtschaftlichem Gruindibesitz („Bodenreform")

27

Zusammensetzung des Bodenfonds nach Ländern am 1. 1. 1950 Fläche

Betriebe Länder

Mecklenburg . .

Anzahl

vH

4 007

28,5

Jer Größe ha

268

1000 ha

GeBodensamtfonds fläche vH vH

Landw. Nutzfl. vH

1 074

32,6

46

54

35

21

.

3 355

23,8

282

948

28,7

Sachsen-Anhalt

3146

22,3

229

720

21,8

29

35

Sachsen

2 006

14,2

174

349

10,6

20

24

....

1575

11,2

132

208

6,3

14

15

M D insgesamt:

14 089

100,0

234

3 298

100,0

31

35

Brandenburg

Thüringen

Quelle: Nach W. Ulbricht, Zur Geschichte der Neuesten Zeit, Berlin (Ost) 1955, S. 414 ff.

(2) Aufteilung

des Bodenfonds

Von den im Bodenfonds erfaßten Ländereien mit einem Gesamtumfang von wurden an Privatpersonen verteilt: die restlichen

3 298 082 ha 2 189 999 ha = 66,4 v. H. 1 108 083 ha = 33,6 v. H.

des Bodens gingen vorwiegend in den Besitz der Länder über, wo sie den Grundstock zur Bildung „Volkseigener Güter" und „Sonstiger volkseigener Betriebe" bildeten, deren Zweck in der Wahrnehmung von im öffentlichen Interesse liegender Aufgaben besteht. Die Verteilung des Bodenfondslandes an Privatpersonen umseitiger Tabelle hervor.

geht aus

Von der gesamten Bodenfondsfläche von 3 298 082 ha waren 1 041 832 ha ( = 31,6 v. H.) Wald, wovon 433 044 ha an Privatpersonen verteilt wurden 9 . Die Waldzulage an Altbauern, die in der obigen Tabelle mit 62 742 ha gesondert ausgewiesen wird, betrug nach Heidrich 61 920 ha. Über 600 000 ha Forstflächen gingen in Staatswald über. Mit den rd. 2,2 Mill. ha an Privatpersonen verteilten Land aus dem Bodenfonds wurden 210 276 „Neubauern"-Stellen mit einer Durchschnittsgröße von 8,1 ha geschaffen; 122 321 bestehende Betriebe wurden um durchschnittlich 2,8 ha aufgestockt. Ferner erhielten 183 261 Perso• H. Heidrich, „ Z e h n Jahre D D R — Zehn Jahre sozialistische F o r s t w i r t schaft" i n : „Forst u n d Jagd", H. 10, B e r i l n (Ost) 1959, S. 434.

28

C. Entwicklungsstufen der mitteldeutschen Agrarpolitik (bis i960) Verteilung des Bodenreformlandes an Privatpersonen am 1.1.1950 Empfänger Bodenempfänger

Betriebsfläche

vH

Anzahl

vH

119121

21,3

932 487

42,6

Umsiedler

91 155

16,3

763 596

34,9

Landarme Bauern

82483

14,8

274 848

12,5

Kleinpächter

43 231

7,7

41 661

1,9

183 261

32,8

114 665

5,2

39838

7,1

62 742

2,9

559089

100,0

2 189 999

100,0

Landlose Bauern») u. Landarbeiter .

Nichtlandwirtschaftl. Arbeiter, Handwerker usw. Altbauern-Waldzulage Privatpersonen insgesamt

ha

durchschnittliche Zuteilung ha

a) z. B. Bauernsöhne ohne Land. Quelle: Nach W. Ulbricht, Zur Geschichte der Neuesten Zeit, Bd. I , Berlin (Ost) 1955, S. 415.

nen Gartenland (0,6 ha) und 43 231 Bewerber bisheriges Pachtland (durchschnittlich 1,0 ha) zu eigen10. (3) Neubauern Die wirtschaftliche Lage der Neubauern war, im ganzen gesehen, zu Anfang allgemein schlecht, wobei je nach wirtschaftlicher Herkunft und fachlichem Können sich allmählich erhebliche Unterschiede zeigten. Man konnte drei Kategorien feststellen: a) Neubauern, deren Wirtschaften sich verhältnismäßig schnell befriedigend entwickelten. Zu dieser Gruppe gehörten vorwiegend diejenigen Neubauern, die bei Übernahme des Landes über eigene Mittel, in der Hegel auch über eigenes Inventar in Form von Pferden oder Nutzvieh verfügten, bei denen die Frage der Wohn- und Wirtschaftsgebäude frühzeitig gelöst war und die auf gutem Boden mit günstigem Grünlandverhältnis einen relativ leichten Start hatten. Wenn zu diesen günstigen Voraussetzungen noch berufliche Erfahrung, eiserner Fleiß und der zähe Wille zum Aufbau hinzukamen, war die Grundlage für eine befriedigende Entwicklung gegeben. b) Das Gegenstück dazu war die große Zahl derer, die ihre Neubauernstellen bald verließen und für die man vergeblich nach neuen Be10

W. Ulbricht, a.a.O., S. 233.

1. Enteignung v n l a n d w i r t s a f t l i c h e m Grundbesitz („Bodenreform")

29

Werbern suchte. Wo Betriebe mit schweren und schwersten Böden in kleine Siedlerstellen aufgeteilt wurden, wie in der sogenannten Wische (Altmark) oder im Klützer Winkel (Mecklenburg), im Oderbruch und in der Uckermark, war für jeden einigermaßen erfahrenen Fachmann das Unternehmen von vornherein aussichtslos. Auch auf den leichtesten Böden, insbesondere in ausgesprochenen Trockengebieten, wo es an natürlichem Grünland und damit an einer ausreichenden Futtergrundlage für das Rindvieh fehlte, erwiesen sich Wirtschaften in der Größenordnung von knapp 10 ha in der Regel als nicht lebensfähig. Von den Fällen, wo persönliche Unfähigkeit oder auch mangelnder Wille zur Aufgabe der Siedlungen, die man in den ersten Nachkriegsjahren z. T. nur als willkommene Selbstversorgungsgelegenheit betrachtet hatte, geführt hat, soll hier nicht die Rede sein. Es handelte sich dabei meist um Siedler, die berufsfremd waren und über keinerlei landwirtschaftliche Erfahrungen verfügten. Eine Prüfung der Siedlungsbewerber auf ihre fachliche Eignung wurde nicht durchgeführt. Diese Kategorie hat sich dann bald anderen Verdienstmöglichkeiten zugewandt, c) Zwischen diesen beiden Extremen lag die große Masse der Neubauern, die sich mit wechselndem Erfolg bemühte, ihre Wirtschaften in Gang zu bringen und das Ablieferungssoll sowie die übrigen Verpflichtungen zu erfüllen. Für alle oder jedenfalls die Mehrzahl dieser Betriebe bestand die Schwierigkeit, daß sie kein ausreichendes lebendes und totes Inventar zur Verfügung hatten, vor allem keine genügende Anspannung besaßen und infolgedessen von den MaschinenTraktoren-Stationen abhängig waren, die ihnen die Arbeiten des Pflügens, der Ernte, des Dreschens und auch der größeren Fuhrleistungen im Werkvertrag abnehmen mußten. Es handelte sich bei dieser Kategorie um die große Masse der Neubauern als die Schicht derjenigen „werktätigen Bauern", die — nach Marx und Engels — „im festen Bündnis mit dem Industrieproletariat zur Errichtung des Sozialismus notwendig sind". Obwohl sich die Sowjetische Militäradministration einschaltete und „Maßnahmen zum wirtschaftlichen Aufbau der neuen Bauernwirtschaft" 11 erließ, die sich vor allem auf die Errichtung von notwendigsten Wohn- und Wirtschaftsgebäuden bezogen, begannen immer mehr Neubauern, ihre Stellen zu verlassen. Auch die ihnen zugestandenen wirtschaftlichen Erleichterungen in Form von günstigen Krediten, bevorzugter Belieferung mit Betriebsmitteln, Gewährung niedriger Normen für die Ablieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse vermochten das Aufgeben der Hof stellen nicht zu verhindern. Nach sowjetzonalen Angaben 11

Befehl der S M A D Nr. 209 v o m 9. September 1947.

30

C. E n t w i c l g t f e n der m i e l d e u t s c h e n A g r a r p o l i t i k bis 960)

waren am 30. Juni 1953 nur noch rd. 170 000 Neubauernstellen besetzt12; nach offiziell nicht bestätigten Verlautbarungen soll bis zu diesem Zeitpunkt bereits ein Drittel der Neubauern ihre Stelle aufgegeben haben. Die Entwicklung auf diesem Sektor der sowjetzonalen Landwirtschaft läßt vermuten, daß mit der Schaffung zu kleiner, nicht lebensfähiger Bauernwirtschaften der Grundstock für die Kollektivierung, das vorläufige Endziel zur Erreichung des „Aufbaus des Sozialismus auf dem Lande", gelegt werden sollte. (4) Volkseigene Güter Zu Beginn des Abschnitts über die Aufteilung des Bodenfonds wurde darauf hingewiesen, daß rd. ein Drittel dieser Fläche für bestimmte im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben reserviert wurde und vorwiegend in den Besitz der Länder überging. Über diese Betriebe und Flächen wurde in Artikel I der Anordnung vom 15. Juni 1949 (ZVOB111949, S. 498) folgendes bestimmt: „ A l l e bisher i m Eigentum der Länder, Kreise, Gemeinden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts — m i t Ausnahme der Kirchen — befindlichen Betriebe der Land-, Forst- u n d Gartenwirtschaften einschließlich aller zugehörigen Grundstücke, Gebäude, Anlagen, Ausrüstungen u n d sonstiger A r t von Vermögen sind Eigentum des Volkes. Sie bleiben, soweit die Anordnung nichts anderes bestimmt, den Ländern, Kreisen, Gemeinden, Organisationen u n d Institutionen bis auf weiteres zur treuhänderischen N u t zung unentgeltlich überlassen."

Der größte Anteil der im Rahmen der Bodenreform zu Volkseigentum erklärten Betriebe und Flächen entfiel auf die Bildung von „Volkseigenen Gütern" (VEG). Es handelte sich dabei um Großbetriebe, die sowohl aus privatem wie aus Eigentum der öffentlichen Hand stammten und von der Aufteilung ausgenommen wurden. Der letzte Absatz des Artikels I V der von den Länder- bzw. Provinzialverwaltungen im September 1945 erlassenen Verordnungen zur sowjetzonalen Bodenreform besagt: „ B e i der Durchführung der Bodenreform w i r d ein T e i l des Bodens zur O r ganisierung von Mustergütern u n d anderen wichtigen Zwecken bereitgestellt. Die Benennung dieser Grundstücke erfolgt durch die Provinzialverwaltung bzw. Länderverwaltungen."

Die benannten Güter gingen zunächst als „Landesgüter" in die Verwaltung der Länder, Kreise und Gemeinden über. In vielen Fällen handelte es sich in der Tat um mustergültige und anerkannte Saat- und Tierzuchtbetriebe, die wegen ihrer Bedeutung für die gesamte Landwirtschaft erhalten bleiben sollten. 12 J. Bieber, „Die Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften i n den Bezierken" I n : „Vierteljahreshefte zur Statistik der D D R " 1958, H. 1, S. 27.

1. Enteignung v n landwirtschaftlichem Grundbesitz („Bodenreform")

31

Oft waren keineswegs sachliche Gesichtspunkte und die bisherigen wirtschaftlichen Leistungen der Betriebe maßgebend, sondern ganz willkürliche Entscheidungen. I n manchen Gegenden hatten sich Wünsche und Ambitionen einzelner örtlicher Funktionäre in Absprache mit der SMAD durchgesetzt; in einigen Fällen war die Benennung durch die Landesverwaltung nicht rechtzeitig erfolgt, so daß Güter durch die Bodenkommission bereits aufgeteilt waren, als der Bescheid zu ihrer Belassung als Gutsbetrieb einging. Daraus ist zu erklären, daß nicht alle ehemaligen Staatsbetriebe sogenannte „Landesgüter" ( = Staatsgüter) blieben, sondern vielfach aufgeteilt und dafür Privatbetriebe Landesgüter wurden. Nach einer Untersuchung aus dem Jahre 1965 sind etwa 4 /s aller ehemaligen Betriebe der öffentlichen Hand über 100 ha Betriebsfläche aufgeteilt und nur Vs in die Gruppe der „Volkseigenen Güter" übernommen worden. A m 1.1. 1949 gab es insgesamt13: a)

317 Landesgüter 68 DSG-Betriebe

m i t 106 088 ha L N m i t 33 302 ha L N

Zusammen 385 Betriebe

m i t 139 390 ha L N

b) Dazu kommen i m Besitz der öffentlichen 145 Kommunalgüter 26 Universitätsgüter 21 Institutsgüter 20 Schulgüter 41 Partei- u n d V d g B - G ü t e r . . 48 Güter v o n Heilstätten u n d Heimen 19 Industriegüter 31 sonstige Güter

H a n d befindliche m i t 24 632 ha L N mit 7 170 ha L N mit 5 580 ha L N mit 2 731 ha L N mit 7 654 ha L N mit mit mit

4 174 ha L N 2 555 ha L N 2 937 ha L N

Zusammen 351 Betriebe

mit

57 433 ha L N

a) + b ) zus. 736 Betriebe m i t 196 823 ha L N = 3 , 2 v . H . d . L N c) Z u erwähnen sind weiter 67 Kirchen- u n d Stiftsgüter . . m i t 13 981 ha L N Insgesamt

.803 Betriebe

m i t 210 804 ha L N

Den auf diese Weise entstandenen „Volkseigenen Gütern" wurden in den folgenden Jahren noch erhebliche Nutzflächen hinzugefügt. Diese stammten größtenteils entweder aus dem Grundeigentum politisch unerwünschter oder geflüchteter Alt- und Neubauern oder wurden durch Ausübung des den V E G zustehenden gesetzlichen Vorkaufsrechts erworben 14 . Ferner erhielten die VEG von den „Sonstigen volkseigenen Land18 K . Merkel, E. Schuhans, Die Agrarwirtschaft i n Mitteldeutschland, Bonn/ B e r l i n 1963, S. 59. 14 A r t i k e l I I § 5 Absatz 4 der Anordnung v o m 15. J u n i 1949 (ZVOB1. I 1949, S. 498) u n d § 13 der Verordnung v o m 25. Januar 1951 (GBl. 1951, S. 48).

32

C. E n t w i c l g t f e n der m i e l d e u t s c h e n A g r a r p o l i t i k bis 960)

wirtschaftsbetrieben" (siehe nachfolgend) einen namhaften Flächenzuwachs. Zum Vorkaufsrecht heißt es im § 13 der Verordnung vom 25. 1. 1951: „(1) Bei allen entgeltlichen oder unentgeltlichen Veräußerungen v o n landwirtschaftlichen Grundstücken u n d Grundstücksteilen steht der W G 1 5 ein gesetzliches Vorkaufsrecht (Vorerwerbsrecht) zu, das i m Range anderen gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vorkaufsrechten vorangeht. (2) Ü b t eine W G das Vorkaufsrecht aus, so g i l t als Höchstpreis der von den zuständigen Behörden festgesetzte Taxpreis. (3) Das Vorkaufsrecht (Vorerwerbsrecht) k a n n n u r m i t Zustimmung des Ministeriums f ü r L a n d - u n d Forstwirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik, der Staatlichen Plankommission u n d des Ministeriums der Finanzen der Deutschen Demokratischen Republik ausgeübt werden. Durch Ausübung des Vorkaufsrechts (Vorerwerbsrechts) er-

worbene Grundstücke gehen in das Eigentum des Volkes über."

Die rechtliche Behandlung der VEG ist seit 1949 mehrfachen Wandlungen unterworfen gewesen. Während anfangs die Gesamtheit der VEG in der zur Anstalt des öffentlichen Rechts erklärten „Vereinigung Volkseigener Güter" ( W G ) zusammengefaßt war 1 6 , ist seit 1952 jedes Volkseigene Gut juristische Person des öffentlichen Rechts und Rechtsträger von Volkseigentum17. (5) Sonstige volkseigene Landwirtschaftsbetriebe Von den im Bodenfonds erfaßten und nicht an Privatpersonen verteilten Flächen wurde ein Teil an Länder, Kreise, Gemeinden, Körperschaften des öffentlichen Rechts und ähnliche Institutionen vergeben oder verblieb in deren Besitz. Hierzu gehörten auch die Landwirtschaftsbetriebe der volkseigenen Industrie, der Schulen, der Pflegeanstalten und Krankenhäuser. Ebenfalls fallen in diese Sparte die Güter der Parteien und Massenorganisationen, Gestüte, Mastanstalten usw. Statistisch wurden auch die Betriebe der Universitäten und Akademien einschließlich der Lehr- und Versuchsgüter vorübergehend dieser Gruppe zugerechnet. 2. I n s t i t u t i o n e n z u r Durchsetzung agrarpolitischer

Ziele

Nach der Liquidierung des Großgrundbesitzes durch die Bodenreform war es das nächste Ziel der sowjetzonalen Agrarpolitik, die bodenständigen Kräfte des Mittel- und Großbauerntums in ihrem Bestände zu 15 16 17

W G = Vereinigung Volkseigener Güter. A r t i k e l I I der Anordnung v o m 15. J u n i 1949 (ZOB1.1 1949, S. 498). § 1 Abs. (2) der Verordnung v o m 20. März 1952 (GBl. 1952, S. 225).

2. Lnisftitutdorien zur Durchsetzung lagnarpolitischer Ziele

33

schwächen und schließlich aufzureiben. Wenn der politische Druck sich auch hauptsächlich gegen die Großbauern mit Betrieben über 20 ha richtete, so wußte man doch zu genau, daß in Deutschland die gesamte Bauernschaft nicht in das Zukunftsbild kommunistischer Ideologie paßte. Es zeigte sich bald, daß die Bauern dem herrschenden System einen verhaltenen, unsichtbaren, aber entschlossenen Widerstand entgegensetzten. Die nachfolgend aufgeführten agrarpolitischen Maßnahmen dienten der Bekämpfung der Berufsgruppe der selbständigen Bauern. a) Die Vereinigung

der gegenseitigen Bauernhilfe

(VdgB)

Bereits in den Verordnungen über die Bodenreform war die Gründung von „Ausschüssen der gegenseitigen Bauernhilfe" auf örtlicher Ebene vorgesehen worden. Sie wurden zu Anfang hauptsächlich in Dörfern mit Neubauernbetrieben gebildet, um diese wirtschaftlich hilflosen Existenzen durch Förderungsmaßnahmen verschiedener Art zu unterstützen. Die Ausschüsse in den Dörfern wurden zu Verbänden auf Kreis- und Landesebene zusammengeschlossen; im Frühjahr 1946 gründeten 5 Landes- und Provinzialverbände jeweils „Vereinigungen der gegenseitigen Bauernhilfe" (VdgB), die als Körperschaften des öffentlichen Rechts von den Landesregierungen anerkannt wurden. Am 23. 1. 1947 erfolgte die Zusammenfassung der VdgB-Verbände in der „Zentralvereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe" (ZVdgB) 18 , lt. Befehl der SMAD ebenfalls Körperschaft des öffentlichen Rechts. Artikel I, Ziffer 2 des Musterstatuts der VdgB lautet: „Zweck der Vereinigung ist die Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft einschließlich ihrer Nebengewerbe durch Hebung der P r o d u k t i v i t ä t u n d des Wohlstandes der Bauernwirtschaften sowie der Schutz der demokratischen Rechte u n d der k u l t u r e l l e n Pflichten ihrer Mitglieder. . . . Sie hat organisierende, beratende u n d unterstützende Funktion."

Die VdgB stellt einen in Deutschland neuartigen, theoretisch auf gegenseitiger Hilfe der Bauernschaft basierenden Organisationstypus dar, grundverschieden von Bauernverbänden, Landwirtschaftskammern und Genossenschaften westdeutscher Prägung 19 . I n der ersten Zeit nach ihrer Gründung richtete sich ihre Haupttätigkeit auf die Bewältigung weitgehend betriebswirtschaftlicher Aufgaben; d. h. sie sollte die am Kriegs18

„Der Freie Bauer", Nr. 48, 1947, S. 3 f., vgl. auch G. Sperling, „20 Jahre VdgB als Ausdruck der Bündnispolitik der SED u n d die neuen Aufgaben der B H G i m Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung". I n : „Zeitschrift f ü r Agrarökonomik" 1966, H. 4, S. 184, B e r l i n (Ost). 19 Vgl. auch F. Büß, Die S t r u k t u r u n d F u n k t i o n der landwirtschaftlichen Genossenschaften i m Gesellschafts- u n d Wirtschaftssystem der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, M a r b u r g 1965. 3 Tümmler-Merkel-Blohm

34

C. E n t w i c l g t f e n der m i e l d e u t s c h e n Agrarpolitik bis i960)

ende devastierten Bauernbetriebe, vor allem aber die mit Betriebsmitteln völlig unzureichend ausgestatteten Neusiedlerstellen, allmählich funktionsfähig machen. Hierzu dienten in erster Linie der durch die VdgB eingeleitete Aufbau von „Maschinen-Ausleih-Stationen" (MAS) und die Nutzbarmachung weiterer überbetrieblicher Einrichtungen, soweit diese nicht anderen Organisationen übergeben wurden. Auch die landwirtschaftliche Wirtschaftsberatung erfolgte zunächst durch die VdgB. Die Aufgabenstellung der VdgB wurde später dadurch erweitert, daß ihr die Beschaffung und Verteilung von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln (Saatgut, Düngemittel, Futtermittel, Arbeitsgeräte, Maschinen) zugewiesen wurde. Der Eintritt in die VdgB war statutenmäßig zwar freiwillig; von Bauern, die nicht Mitglied waren, wurden jedoch besondere Verwaltungsgebühren für den Bezug von Betriebsmitteln oder bei Inanspruchnahme von Einrichtungen der VdgB erhoben. Die VdgB hatten es durch ihre Funktion als Verteilungsapparat für landwirtschaftliche Bedarfsgüter völlig in der Hand, politisch nicht genehme Bauern bei Zuteilungen oder beim Einsatz von Maschinen der MAS zu benachteiligen oder gar auszuschließen. Durch diese wirtschaftliche Monopolstellung, die praktisch alle Bauern zur Mitgliedschaft zwang, wurde die VdgB zu der von der SED angestrebten „Massenorganisation der werktätigen Bauern", die eine wichtige politische Aufgabe zu erfüllen hatte. Die Heranziehung des traditionellen Genossenschaftswesens als Hilfsorgan für die Beseitigung eines selbständigen Bauerntums vollzog sich in folgender Weise: Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) hatte durch den Befehl Nr. 146 „Über die Wiederaufnahme der Tätigkeit der landwirtschaftlichen Genossenschaften" vom 20. 11. 194520 angeordnet, landwirtschaftliche Genossenschaften wieder zuzulassen21. Auch hierfür mag das sowjetische Beispiel richtunggebend gewesen sein, wonach — den Lehren der Leninschen Genossenschaftstheorie entsprechend — die Propagierung und zeitweilige Bildung von Genossenschaften der psychologischen Vorbereitung auf die Kollektivierung dienen sollten. Da es in Mitteldeutschland noch genügend erfahrene Kenner des alten Genossenschaftswesens gab, ging der Wiederaufbau gut voran. I m April 1946 hatten die Raiffeisengenossenschaften in fünf Verbänden mit ihren Zentral-Genossenschaften bereits wieder 6325 Einzelgenossenschaften mit 792 988 Mitgliedern erfaßt 22 . Die Raiffeisen-Organisation erwies sich in der Beurteilung der SEDFunktionäre jedoch sehr bald als ein „reaktionäres Widerstandszen20

Verordnungsblatt für die Provinz Sachsen, Nr. 7/1945, S. 6. K . v. d. Neide, Raiffeisens Ende i n der sowjetischen Besatzungszone, Bonn 1952, S. 37. 22 Ebenda, S. 38. 21

2. Institutionen zur Durchsetzung agnarpolitißcher Ziele

35

trum", das — nach den Worten Ulbrichts auf dem SED-Kongreß im Jahre 1948 — mit „kapitalistischen Methoden" arbeite und einseitig den Interessen der Großbauern diene 23 . So mußten denn im Jahre 1948 die ländlichen Genossenschaften zunächst den Aufkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse aufgeben; diese Aufgabe übernahm Anfang 1949 die als Körperschaft des öffentlichen Hechts gebildete „Vereinigung volkseigener Erfassungs- und Aufkaufbetriebe" (VVEAB) 2 4 . Trotz verschiedener personeller Umbesetzungen in den leitenden Positionen der Genossenschaftszentrale und ihrer Landesverbände wurde der Einfluß der Großbauern immer noch für zu stark gehalten. Die Folge war, daß die Großbauern in der VdgB immer mehr ausgeschaltet wurden; sie zahlten — ihrer größeren Betriebsfläche entsprechend — zwar die höchsten Beiträge, durften aber keine Funktionen ausüben. Nachdem die führenden Genossenschaftler in Schauprozessen (Güstrow) als „Bauernfeinde" und „Kriegshetzer" zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden waren, wurden die Genossenschaften im November 1950 mit den VdgB unter dem Namen „Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (Bäuerliche Handelsgenossenschaft)", abgekürzt VdgB (BHG), verschmolzen 25. Die Führungsposten der VdgB (BHG) wurden mit politisch „fortschrittlichen" Kräften besetzt. Die Genossenschaften, nunmehr völlig in der Hand der VdgB, verloren somit immer mehr an wirtschaftlicher Bedeutung. So wurden die VdgB (BHG) zunächst in ihrer Handelsfunktion beschränkt. An die Stelle der früheren Kreisgenossenschaften des Raiffeisenverbandes waren die durch Verordnung vom 6. 12. 1951 gebildeten „Staatlichen Kreiskontore für landwirtschaftlichen Bedarf" getreten 28 . Die Kreiskontore unterstanden dem Rat des Kreises, Abteilung Land- und Forstwirtschaft; sie waren verantwortlich „für die Versorgung der sozialistischen Betriebe der Land- und Forstwirtschaft und der VdgB, Bäuerliche Handelsgenossenschaft e. G., mit Produktionsmitteln nach Maßgabe der vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft festgelegten Nomenklatur" 27 . Diese Neuregelung bedeutete, daß den VdgB (BHG) der Bezug und die Abgabe von Düngemitteln und sonstigen landwirtschaftlichen Betriebsmitteln nur noch an den privaten Sektor der Landwirtschaft zustanden, während die sozialistischen Landwirtschaftsbetriebe von den „Staatlichen Kreiskontoren für landwirtschaftlichen Bedarf" direkt versorgt wurden. I m Jahre 1963 sind dann die „Staatlichen Kreiskontore für landwirtschaftlichen Bedarf" in dem „Staatlichen Komitee für Landtechnik und materialtechnische Versorgung der Landwirtschaft" aufge28 24 25 26 27

3*

Ebenda, S. 13. Ebenda, S. 24. Ebenda, S. 25. GBl. S. 1157. Statut v o m 29. 8. 1958, GBl. I , S. 666.

36

C. E n t w i c l g t f e n der m i e l d e u t s c h e n Agrarpolitik bis 960)

gangen, und zwar im Zuge einer Verwaltungsneuordnung für die gesamte Landwirtschaft 28 . Eine Sonderstellung nahm i n Mitteldeutschland seit jeher die Saatgutbewirtschaftung ein, u n d zwar sowohl die Planung sowie die Saatgutvermehrung und -anerkennung als auch der Saatguthandel (Im- u n d Export). Die für die oben genannten Aufgabengebiete 1946 gegründete Deutsche Saatzucht-Gesellschaft wurde 1951 aufgelöst, ihre Teilgebiete anderen Institutionen zugewiesen. Übrig blieb für die bereits Ende 1950 gegründete DSG-Handelszentrale nur die Saatgutbewirtschaftung. Nach verschiedenen Umorganisationen des Handels- und Verteilungsapparates für Saatgut wurde i m Zuge der Vereinfachung des Verwaltungsapparates 29 Anfang 1958 die „Vereinigung Volkseigener Betriebe Saat- und Pflanzgut" ( W B Saat- u n d Pflanzgut) gebildet, die dem „Landwirtschaftsrat" unterstellt und für den Handel und die Verteilung des gesamten Saatgutes i n der SBZ zuständig ist. Die W B Saat- und Pflanzgut ist bis heute das leitende Wirtschaftsorgan der i h r unterstehenden Volkseigenen Saatzuchtgüter und DSG-Handelsbetriebe geblieben.

Auch im Geld- und Kreditgeschäft trat in den Jahren 1950—52 eine Änderung ein. Während bis zu diesem Zeitpunkt die ländlichen Kreditgenossenschaften und ihre regionalen Zentralkassen (Landesgenossenschaftsbanken) ihren Geschäftsbetrieb aufrechterhalten durften, erfolgte im Zuge der Umgestaltung des ländlichen Genossenschaftswesens ihre Einbeziehung in die Bäuerlichen Handelsgenossenschaften (BHG) und damit in den politischen Kontrollbereich der VdgB. Die Landesgenossenschaftsbanken mußten ihre Tätigkeit als selbständiges Organ endgültig einstellen; ihre Funktionen und ihr Vermögen gingen auf die im Februar 1950 als „genossenschaftliches" Spitzeninstitut errichtete „Deutsche Bauernbank" über, die 1963 zur „Landwirtschaftsbank" (LB) umgebildet wurde. Die Aufgabenstellung dieses Finanzinstituts umfaßt die finanzwirtschaftliche Lenkung und Kontrolle des gesamten Wirtschaftsbereiches Landwirtschaft mit Ausnahme der Volkseigenen Erfassungs- und Aufkaufbetriebe. So wird auch an diesem Beispiel deutlich, mit welcher Konsequenz den Bauern jeglicher Einfluß auf den allgemeinen Wirtschaftsablauf genommen wurde. Nach 1952 war den VdgB aufgetragen worden, „ständige Arbeitsgemeinschaften" zu bilden und somit „aktiv am Kampf für die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft teilzunehmen", d. h. der in der VdgB erfaßte Bauer, obgleich privater Unternehmer, wurde statutenmäßig verpflichtet, an der Beseitigung seiner eigenen wirtschaftlichen Selbständigkeit mitzuwirken. Mit zunehmender Kollektivierung, die im Jahre 1952 eingesetzt hatte, verlor auch die VdgB immer mehr an wirtschaftlicher Bedeutung. 1948 waren die Maschinen-Ausleih-Stationen aus der VdgB ausgegliedert und 28 29

Ebenda, S. 666 f. GBl. I, 1958, S. 183.

2. Institutionen zur Durchsetzung ¡agrarpoldtischeir Ziele

37

in zentrale Regie des Staates genommen worden, wobei auch die einzelnen Genossenschaften ihre Maschinenhöfe und Werkstätten einschließlich Inventar der neuen MAS-Verwaltung zur Verfügung stellen mußten. Auch die Wirtschaftsberatung mußte die VdgB abgeben; diese ging auf die Agronomen der MAS über mit der Anweisung, nur diejenigen Bauern zu beraten, denen eine landtechnische Unterstützung überhaupt gewährt wurde. Großbauern blieben zumeist unberücksichtigt. Parteioffiziell hatte es geheißen, daß mit der Bildung von „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften" (LPG) die VdgB nicht überflüssig geworden sei, sondern „neue, höhere Aufgaben gestellt" erhalte, und zwar: „ A k t i v e M i t h i l f e zur E r f ü l l u n g der Volkswirtschaftspläne u n d zur Steigerung der M a r k t p r o d u k t i o n ; Produktionshilfe f ü r die L P G ; i m Rahmen der nationalen Bauernpolitik gründliche politische Überzeugungsarbeit, u m alle Bäuerinnen u n d Jugendlichen als Mitglieder der L P G zu gewinnen; i m sozialistischen Dorf den sozialistischen Wettbewerb zu organisieren; die A r b e i t der Dorfakademien u n d der Dorfklubs zu organisieren; den Sozialismus auf dem Lande zum Siege zu führen."

Mit dieser Aufgabenskizzierung wird deutlich, daß die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe allmählich nur noch zu einem politischen Machtinstrument der SED auf dem Lande geworden war. Anläßlich der Übernahme der früheren Raiffeisengenossenschaften in die VdgB im November 1950 hatte man durch die Bezeichnung Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (Bäuerliche Handelsgenossenschaft) noch den Anschein erwecken wollen, als ob es sich hierbei um eine Verschmelzung zweier etwa gleichberechtigter Gemeinschafts- Organisationen handele. Bereits 1954 wurde das Verhältnis BHG zur VdgB beim richtigen Namen genannt. Die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe firmierte wieder als VdgB ohne die Zusatzbezeichnung, und die BHG wurden — ebenso wie die Spezialgenossenschaften, z. B. Molkereigenossenschaften u. a. — als Genossenschaften der VdgB bezeichnet. In den folgenden Jahren, insbesondere auf der Tagung des Zentralvorstandes der VdgB im Dezember 1957, hat es dann schwierige Auseinandersetzungen zwischen den Spitzengremien der VdgB, BHG und LPG gegeben, bei denen der künftige Status der BHG, ihre eventuelle Überführung in die LPG, zur Erörterung standen. Besonders „fortschrittliche" VdgB-Funktionäre sorgten dafür, daß 1958 insgesamt 1 414 Einrichtungen der BHG im Werte von 13,7 Millionen D M an die LPG übergeben wurden. Seitdem sind jedoch keine größeren Umsetzungen mehr erfolgt. Die Einrichtungen der BHG, z.B. Nebenbetriebe mit Dienstleistungsoder Produktionsaufgaben, Transportfahrzeuge, Düngerstreumaschinen,

38

C. E n t w i c l i i g t i f e n dier m i e l d e u t s c h e n A g r a r p o l i t i k bis 960)

Kartoffelsortierer, Aufzuchtstationen, Brutanstalten, Wäschereien, Silier- und Trocknungsanlagen usw., sind zum Teil noch in ihrem Besitz geblieben. Die BHG-Mitglieder berufen sich dabei auf die Tatsache, daß ihre Einrichtungen nicht, wie dies bei anderen Massenorganisationen, z. B. beim Verband der Konsumgenossenschaften, der Fall ist, Eigentum der Dachorganisation, in diesem Falle also der VdgB, sind; die BHGMitglieder vertreten vielmehr den Standpunkt, daß die Einrichtungen der BHG ihnen als Mitglieder selbst gehören, und zwar entsprechend den von ihnen eingebrachten Anteilen. Bisher haben die Auseinandersetzungen über den Status der BHG, und vor allem über das Verhältnis der BHG-Mitglieder zu den LPG, in die ihre Mitglieder eintreten mußten, noch keine eindeutige und einheitliche Klärung gebracht. Wie auch immer die Entscheidung ausfallen mag, festzuhalten ist, daß die VdgB besonders in den Jahren nach Abschluß der Bodenreform, einen ganz entscheidenden Anteil an der Beseitigung des selbständigen Bauerntums gehabt hat und damit zu einer von der SED zielbewußt eingesetzten Institution zur Vorbereitung der Kollektivierung wurde. b) Die Maschinen-Traktoren-Stationen (1) Die organisatorische Entwicklung

(MTS)

der MTS

Mit der Zuteilung von Land durch die Bodenreform waren zwar 210 000 Neubauernstellen gebildet worden, ihre Ausstattung mit lebendem und totem Inventar blieb jedoch völlig unzureichend. Wohl konnte das auf den enteigneten Gütern vorhandene Nutzvieh und auch das Kleingerät an die Neubauern verteilt werden; die starken Schlepper und Großmaschinen der Güter kamen für eine Aufteilung an die neu geschaffenen Siedlerstellen nicht in Betracht. So ergab sich zwangsläufig, die größeren Inventarstücke an geeigneter Stelle zu konzentrieren und gemeinschaftlich zu nutzen. Die Zusammenfassung der Schlepper und Maschinen in den MAS hatte ein nur geringes Ergebnis. Von mehr als 10 000 enteigneten Betrieben mit rd. 2 Mill. ha landwirtschaftlicher Nutzfläche konnten bis Ende 1946 an die neuen Bodenempfänger übergeben werden: 6 007 Schlepper, 1187 Lokomobilen, 12 553 Elektromotoren, 429 Lastautos und Anhänger, 8 380 Schlepp-Pflüge, 10 041 Garbenbinder, 5 531 Dreschmaschinen sowie 3 027 Strohbinder und -pressen 30. Auf Grund der durch die VdgB erlassenen Richtlinien entstanden im Jahre 1946/47 insgesamt 3 427 Maschinen-Ausleih-Stationen mit 6 122 Schleppern. Wenn man berücksichtigt, daß von den Schleppern nur rd. 75 v. H. einsatzfähig waren, entfielen auf 1 Station nur 1,3 einsatzbereite Schlepper. 80

H. W. Dölling,

Wende der deutschen A g r a r p o l i t i k , B e r l i n (Ost), S. 116.

2. Institutionell zur Durchsetzung laigrarpoUtiscfoer Ziele

39

Zu den MAS traten noch 181 „Maschinenhöfe" hinzu, die jeweils auf Kreisebene eingerichtet wurden; es handelte sich dabei um Stationen, die mit Großwerkstätten und Spezialmaschinen ausgestattet waren und im Falle der Überlastung einzelner MAS einen Traktoren- und MaschinenAusgleich herbeiführen sollten31. Die Einrichtung von Maschinen-Ausleih-Stationen war in der Konzeption gut; in der praktischen Durchführung erwiesen sich die MAS der Aufgabe jedoch nicht gewachsen. Die Unzufriedenheit der Bauern über den ständigen Ausfall dringend benötigter Traktoren und Maschinen, über den permanenten Mangel an Ersatzteilen, über den oft nicht fristgemäßen Maschineneinsatz sowie über die schlechte Arbeitsqualität wuchs ständig, so daß die MAS nur dann in Anspruch genommen wurden, wenn sich kein anderer Ausweg bot. Die Unzulänglichkeiten und Mißstände der MAS lieferten der 1947 als höchste Verwaltungsinstanz der SBZ gebildeten „Deutschen Wirtschaftskommission" (DWK) einen guten Vorwand für die Gründung einer „Verwaltung der Maschinen-Ausleih-Stationen" (VMAS), der die VdgB und die ländlichen Genossenschaften die in ihrem Besitz befindlichen Maschinen-Ausleih-Stationen, Maschinenhöfe, Werkstätten, das Inventar an Schleppern, Maschinen, Geräten und sonstigen Einrichtungen „unbeschadet der Regelung der Eigentumsverhältnisse zur alleinigen Nutzung zur Verfügung" stellen mußten. Durch diese Maßnahme wurden die VdgB und ländlichen Genossenschaften hinsichtlich ihres landtechnischen Eigentums praktisch auf dem Verwaltungswege enteignet. Durch eine Verordnung vom November 1948 wurden die einzelnen MAS aus der Verwaltung der örtlichen VdgB herausgelöst; nur in ihrer Zentrale blieben die MAS mit dem Vorstand der Zentralvereinigung der VdgB vorerst koordiniert 32 . Die Gründung der VMAS mit der Verbindung zur VdgB-Zentrale war nur ein taktischer Vorgang mit dem Ziel der Enteignung des MASVermögens; denn schon im März 1949 wurde die „Verwaltung der Maschinen-Ausleih-Stationen" — unter Beibehaltung derselben Bezeichnung — in eine Anstalt des öffentlichen Rechts umgewandelt und der Hauptverwaltung Land- und Forstwirtschaft der D W K unterstellt. Damit war der erste Schritt getan, um den MAS-Komplex zu einer Einrichtung der volkseigenen Wirtschaft zu machen33. Mit Wirkung vom 1. 1. 1951 wurden dann fünf „Vereinigungen volkseigener Maschinen-Ausleih-Stationen" ( W M A S ) als Anstalten des 81 82

H. W. Dölling, a.a.O., S. 27.

„ A n o r d n u n g über die Gründung der V e r w a l t u n g der M A S " v o m 10. 11. 1948, Zentralverordnungsblatt, B e r l i n (Ost), S. 525. 88 „ A n o r d n u n g über die Verbesserung der A r b e i t der M A S u n d die E r w e i terung der H i l f e f ü r Bauern m i t Traktoren u n d landwirtschaftlichen Maschinen" v o m 9. 3. 1949, Zentralverordnungsblatt, B e r l i n (Ost), S. 145.

40

C. E n t w i c l g t f e n der m i e l d e u t s c h e n A g r a r p o l i t i k bis i960)

öffentlichen Rechts mit Sitz in Schwerin, Potsdam, Halle, Dresden und Erfurt errichtet 84 und dem inzwischen gebildeten „Ministerium für Landund Forstwirtschaft" unterstellt. Das Vermögen der Verwaltung der MAS, also auch die von der VdgB und den landwirtschaftlichen Genossenschaften eingebrachten Einlagen, wurde endgültig in das „Eigentum des Volkes" überführt 35 . Nach der Änderung der sowjetzonalen Verwaltungsreform am 23./24. Juli 1952, durch die an die Stelle der 5 Länderverwaltungen 14 Bezirksverwaltungen traten, wurden auch die 5 W M A S wieder aufgelöst und mit Wirkung vom 16. Oktober 1952 14 „Bezirksverwaltungen der Maschinen-Traktoren-Stationen" 36 gebildet; diese wurden mit Wirkung vom 28. Februar 1953 als selbständige Abteilungen „Verwaltung MTS" in die Räte der Bezirke eingegliedert 37. Ihre fachlichen Weisungen erhielten die Bezirksverwaltungen der MTS vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft in Berlin, bei dem für die MTS eine Zentralstelle, die Hauptabteilung V „Verwaltung der MTS", eingerichtet worden war. Die organisatorische Entwicklung der MAS/MTS ist charakteristisch für den „Aufbau des Sozialismus" in Mitteldeutschland. Zunächst werden unter Wahrung des Privateigentums und unter betonter Herausstellung der Privatinitiative genossenschaftliche Einrichtungen geschaffen bzw. wieder neu zugelassen, um die Bauern zu veranlassen, sowohl ihre Vermögenswerte aufzuzeigen als auch ihr persönliches Leistungsvermögen einzusetzen. Dann werden die Vermögenswerte „unbeschadet der Regelung der Eigentumsverhältnisse" in einer Institution zusammengefaßt, die wegen ihrer großen im öffentlichen Interesse des Berufsstandes liegenden Bedeutung zu einer „Anstalt des öffentlichen Rechts" erklärt wird. Diese Anstalt wird mit ihren Einrichtungen und ihrem Vermögen einige Zeit später in „Volkseigentum" umgewandelt. Danach werden die ehemals privaten Einrichtungen dieser Institution als staatliche Betriebe oder Anlagen zum Einsatz gebracht — nur mit dem Unterschied, daß inzwischen die örtlichen Funktionäre entscheiden, wem sie zugute kommen sollen. Trotzdem gelang es, daß im Rahmen dieser organisatorischen Entwicklung die MTS in ihrer technischen Ausstattung und in ihrer Lei34 Vgl. Verordnung über die B i l d u n g von Vereinigungen volkseigener M a schinen-Ausleih-Stationen v o m 14. 12. 1950, GBl. S. 1197. 35 Ebenda, S. 1197. 86 Die aus der Sowjetunion übernommene Bezeichnung „Maschinen-Traktoren-Stationen" anstelle „Maschinen-Ausleih-Stationen" gebrauchte Ulbricht erstmals anläßlich der Verkündung des „planmäßigen Aufbaus des Sozialismus" auf der I I . Parteikonferenz der SED am 12. J u l i 1952. Offiziell eingef ü h r t wurde diese Bezeichnung i n der Anordnung v o m 3. 3. 1953. 87 Anordnung des Ministeriums f ü r L a n d - u n d Forstwirtschaft über die Reorganisation der ehemaligen Vereinigungen volkseigener Maschinen-Ausleih-Sationen v o m 3. 3. 1953, i n : „Zentralblatt der D D R " , S. 96.

2. n s t i t u t i n zur Durchsetzung lagnarpolitiscer Ziele

41

stung gut vorankamen. Während am 1. 9. 1947 noch 3 867 MAS vorhanden waren, wurde ab 1955 eine Konzentration des gesamten MASKomplexes vorgenommen. I m Zuge dieser organisatorischen Straffung wurden rd. 600 große und mit einem umfangreichen Maschinenpark ausgestattete Betriebe geschaffen, neben denen noch 30 Spezialwerkstätten bestanden. Um diese 600 MTS wurde ein dichtes Netz von fast 3 000 MTS-Stützpunkten angelegt, um lange Wegstrecken zu vermeiden und dadurch Zeit- und Betriebsverluste einzusparen. Der im Vorhergehenden aufgezeigte Status der Verwaltungsorganisation von 1953 ist, von kleineren Abweichungen auf der unteren Ebene abgesehen, bis zu den Jahren 1959/60 eingehalten worden. Seitdem trat eine neue Periode im Rahmen der organisatorischen Entwicklung der MTS ein; sie ist gekennzeichnet durch die stufenweise Übergabe der MTS-Traktoren und -Maschinen an die LPG und durch die Umorganisation des gesamten Landtechnikwesens. (2) Die politische Aufgabe der MTS Durch die Verfügungsgewalt über die Landtechnik verschaffte sich das SED-Regime ein Mittel, politischen Einfluß auf dem Lande auszuüben. Ebenso wie bei dem Aufruf zur Durchführung einer Bodenreform sowie bei der Aufforderung zur Gründung von Ausschüssen der gegenseitigen Bauernhilfe wurden bei der Bildung von Maschinen-AusleihStationen die Bauern zunächst in dem Glauben gehalten, daß es sich hierbei um Einrichtungen handele, die allein wirtschaftlichen Zwecken dienen sollten. Die politischen Hintergründe traten erst zutage, als eine Verschleierung der vom Regime verfolgten Absichten oder gar Aufhalten dieses Vorgehens praktisch nicht mehr möglich war. In diesem Stadium wurden dann auch von offizieller Seite die wahren Ziele bekanntgegeben. Es ist dies die gleiche Entwicklung, wie sie auch bei den MTS in der Sowjetunion zu verzeichnen ist. In beiden Fällen ist nach der Schaffung von Maschinen-Ausleih-Stationen auf weitgehend freiwilliger Grundlage die Verstaatlichung durchgeführt worden; in beiden Fällen wurden die MAS als politisches Führungsinstrument eingesetzt. I n Mitteldeutschland begann eine systematische politische Tätigkeit durch die MAS mit der Verkündung der „Anordnung über die Verbesserung der Arbeit der MAS" vom 9. März 194938. Hierin war erstmals vom Bau sogenannter Kulturhäuser die Rede, wobei die auf den MAS tätigen „Kulturleiter" für die „politische Ausrichtung" der Menschen verantwortlich waren. Die sonst noch außerhalb der Landtechnik liegenden Aufgaben (Einrichtung von Bibliotheken, Förderung von Sport und Unterhaltung) waren Beiwerk, — allerdings auch unter dem Ge38

Zentralverordnungsblatt B e r l i n (Ost) 1949, S. 145.

42

C. Entwicklungsstufen der (mitteldeutschein A g r a r p o l i t i k (bis i960)

sichtspunkt, alle menschlichen Beziehungen im ländlichen Bereich zu dirigieren und zu kontrollieren. I m Gesetz über den ersten „Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik (1951—1955)" vom I. November 195139 heißt es: „Die E n t w i c k l u n g der Landwirtschaft ist entscheidend abhängig v o n der Demokratisierung des Dorfes, von der Verbreitung der fortschrittlichen agrartechnischen Erfahrungen u n d v o n der Entwicklung des k u l t u r e l l e n L e bens. Die Maschinen-Ausleih-Stationen... müssen mehr als bisher die w e r k tätigen Bauern i n bezug auf technische H i l f e . . . unterstützen. Sie müssen Zentren des agrartechnischen, demokratischen u n d k u l t u r e l l e n Fortschritts i m Dorf werden."

In der Präambel der Verordnung über die Finanzierung der MTS vom 5. März 195340 wird die Aufgabe der MTS noch deutlicher: „ B e i der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus i n der Landwirtschaft spielen die Maschinen-Traktoren-Stationen eine entscheidende Rolle. 14

Auf der II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 war der Aufruf zum „Aufbau des Sozialismus" erfolgt, der für die Landwirtschaft die Bildung von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften enthielt, was praktisch den Beginn der Kollektivierung bedeutete. Auch die MTS sind als Wegbereiter der Kollektivierung anzusehen. In welchem Maße die politische Arbeit durch die MTS seit dem Aufruf zur Bildung von LPG forciert wurde, geht daraus hervor, daß die II. Parteikonferenz im Juli 1952 unter anderem die Auflage erteilte, in allen MTS „Politische Abteilungen" einzurichten. Seitdem mußte sich der „Kulturleiter" auf die politische Schulung der MTS-Mitglieder selbst, vor allem der jugendlichen Mitglieder konzentrieren und dabei die kulturpolitische Arbeit (Einstudierung und Vorführung von tendenziösen Laienspielen, Organisation der sozialistischen Neuerermethoden, ideologische Anleitung der Klubs junger Agronomen usw.) in den Vordergrund stellen. Die Aufgaben der Leiter der neugebildeten Politischen Abteilungen der MTS waren weiter gefaßt; die Politleiter wurden für die kommunistische Infiltration der gesamten Landbevölkerimg des MTS-Bereichs verantwortlich 41 . Ulbricht hat anläßlich der Eröffnung eines für die Ausbildung Politischer Leiter bei den MTS errichteten Instituts die Bedeutung der politischen Aufgabe der MTS mit folgenden Worten ausgedrückt: "Dieses I n s t i t u t soll die Mitarbeiter der Politischen Abteilungen so schulen, die wissenschaftlichen Erfahrungen der Sowjetunion, insbesondere der MTS, 89 40 41

GBl. S. 973. GBl. S. 419. Nach J. Rocho, a.a.O., S. 59.

2. Institutionen zur Durchsetzung lagmarpoUtiisch'er Ziele

43

u n d unsere eigenen Erfahrungen so auswerten, daß die Maschinen- u n d Traktoren-Stationen zu Zentren der Umgestaltung des Dorfes auf sozialistischer Grundlage w e r d e n . . . . Der Leiter der Politischen Abteilung der M T S muß alles wissen! E r muß sich dafür interessieren, w i e das Leben i n den Dörfern geht, die zum Bereich der M T S gehören. E r muß sich Mühe geben herauszufinden, auf welchem Wege es am besten möglich ist, den Produktionsgenossenschaften zu helfen, die Mitglieder der Produktionsgenossenschaften von den neuen Aufgaben zu überzeugen u n d andere werktätige Bauern zu gewinnen 4 2 ."

In Erfüllung ihres landtechnischen und politischen Auftrages wurden die MTS zum entscheidenden Faktor bei der Bekämpfung der Mittelund Großbauern und bei der Kollektivierung der Landwirtschaft. Durch ihre Monopolstellung auf dem gesamten Gebiet der Landtechnik hatte die MTS-Leitung es in der Hand, die wichtigsten Maschinenaggregate nur auf den Betrieben einzusetzen, deren Förderung dem politischen Konzept entsprach. Das waren zunächst die Neusiedler und sonstigen Kleinbauern und nach Verkündung des „Aufbaus des Sozialismus" im Jahre 1952 die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Die noch selbständigen Bauern wurden nur insoweit berücksichtigt, als noch freie Kapazitäten bei den MTS vorhanden waren. Diese Benachteiligung hatte zur Folge, daß die noch vorhandenen Privatbauern ihre Arbeiten nicht rechtzeitig erledigten und Schwierigkeiten bei der Erfüllung des Ablieferungssolls hatten. Diese Taktik lieferte der SED ein weiteres Argument dafür, daß der sozialistische Großbetrieb der Bauernwirtschaft überlegen sei. Durch die Vorenthaltung von Schleppern und Maschinen blieb den noch selbständig wirtschaftenden Bauern, die auch mit neuen Schleppern und Maschinen nicht beliefert wurden, nichts übrig, als ihre Höfe zu verlassen oder den LPG beizutreten. Eine weitere gegen die Mittel- und Großbauern gerichtete Maßnahme war die Staffelung der Tarifsätze für die landtechnischen Arbeiten. Die Gebühren wurden unter politischen Gesichtspunkten abgestuft; für die „werktätigen Einzelbauern" und LPG bestanden niedrige Sätze, für sonstige Privatbetriebe mit zunehmender Betriebsgröße progressiv steigende. Die Tarifsätze sind im Laufe der Jahre mehrfach geändert worden. Zu Beginn der MAS-Tätigkeit waren sie nur nach Schleppertyp bzw. PS-Zahl gestaffelt. Ab 1949 erfolgte erstmals eine Abstufung der Gebühren- nach der Hektargröße der Betriebe 43 . In den Jahren 1953 und 1954 betrugen die Tarifsätze für Betriebe über 20 ha ein Mehrfaches von denen, die für Betriebe bis 10 ha bzw. von 10 bis 15 ha festgesetzt waren, und mehr als das Doppelte von denen, die für Betriebe von 15 bis 20 ha 42

„Der Freie Bauer" v o m 16. Januar 1953. Anordnung über die Verbesserung der A r b e i t der M A S v o m 9. März 1949, Zentral Verordnungsblatt B e r l i n (Ost) 1949, S. 145. 48

44

C. E n t w i c l g t f e n dier m i e l d e u t s c h e n A g r a r p o l i t i k bis 960)

Tarifsätze der Maschinen-Traktoren-Stationen (Stand: August 1956) DM/ha Tarif

Tarif I I

Tarif I I I

LPG

Betriebe bis zu 10 ha L N

Betriebe über 10 ha L N

Pflügen auf Böden m i t A W Z bis 33 10—20 cm 21—25 cm über 25 cm

1517,19,-

18,21,23,-

21,24,26-

Untergrundlockerung m i t Bodenmeißel

19,-

23,-

30,-

Pflügen auf Böden m i t A W Z von 34—60 10—20 cm 21—25 cm über 25 cm

19,23,24,-

23,27,30,-

26,30,33,-

Untergrundlock er ung m i t Bodenmeißel

23,-

30,-

37,-

Pflügen auf Böden m i t A W Z über 60 10—20 cm 21—25 cm über 25 cm

20,2428-

25,29,34,-

28,33,38,-

Untergrundlockerung m i t Bodenmeißel

27,-

34,-

41,-

Wiesenumbruch

30,-

37,-

48,-

Scheibeneggen

7 -

9,-

10,-

Drillen

5 -

6,-

9,-

Kartoffellegen

15,-

25,-

31,-

Grasmähen

10,-

13,-

15,-

Mähdreschen

12-

16,-

18,-

4 -

5,-

6,-

A r t der Arbeitsleistung

plus j e t ausgedroschenen Getreides Quelle: GBl. n , 1956, S. 282.

I

2. n s t i t u t i n zur Durchsetzung a g r p o l i t i s c h e r Ziele

45

galten. Ab 1956, als der Anteil der mittel- und großbäuerlichen Betriebe an der Gesamtzahl der Betriebe durch die Kollektivierung schon stark abgesunken war, wurden die Unterschiede in den Tarifgebühren abgeschwächt. Immerhin lagen sie für Privatbetriebe über 10 ha L N bei einer ganzen Reihe von Arbeiten immer noch wesentlich höher als für die LPG. Die Gebührentarife haben noch verschiedentlich Änderungen erfahren; im Zuge der Umorganisation des gesamten Landtechnikwesens sind auch die Ausleihtarife auf eine neue Basis gestellt worden. Auch über die landwirtschaftliche Beratung, die den Maschinen-Ausleih-Stationen zugewiesen worden war, hatten die MAS eine weitere Möglichkeit, ihrem Auftrag, „politisches Gedankengut geschickt unter fachlicher Tarnung der Landbevölkerung näherzubringen", nachzukommen. Daß die zu diesem Zweck auf den MAS stationierten „Agronomen", soweit sie überzeugte Anhänger des Systems waren, die Gelegenheit ihrer ständigen Zusammenarbeit mit den Bauern nutzten, gleichzeitig politische Kontrollfunktionen auszuüben, gehörte mit zu der Hauptaufgabe der MAS, „Zentren der Umgestaltung des Dorfes auf sozialistischer Grundlage" zu sein. Das SED-Regime ließ sich die Erfüllung dieser äußerst wichtigen Aufgabe etwas kosten. Für Ausrüstung und Arbeiten der MTS wurden allein in den Jahren 1952—1957 rd. 2,66 Milliarden D M (Ost) gezahlt 44 . c) Die Volkseigenen Erfassungs- und Auf kauf betriebe (VEAB) Gemäß Anordnung vom 29. 3. 194945 und Verordnung vom 14. 12. 195046 wurden Volkseigene Erfassungs- und Aufkaufbetriebe eingerichtet, die mit ihren Bezirks- und Kreiskontoren in der „Vereinigung der Volkseigenen Erfassungs- und Aufkaufbetriebe" (VVEAB) zusammengeschlossen wurden. Die als Körperschaft des öffentlichen Rechts gebildete W E A B stellt die zentrale Organisation zur Erfassung und zum Aufkauf der gesamten landwirtschaftlichen Marktproduktion dar. Das sind die Mengen, die von den landwirtschaftlichen Betrieben auf Grund der Ablieferungspflicht (Erfassung) oder als darüber hinaus erzeugte Mengen (Freie Spitzen) an die VEAB geliefert und von diesen erfaßt bzw. aufgekauft werden. „Über den Markt gehen" außerdem die nach Erfüllung der Ablieferungspflicht noch möglichen Verkäufe auf den „Bauernmärkten", d. h. die Direktverkäufe vom Bauern an den Konsumenten, die mengenmäßig aber kaum ins Gewicht fallen. Auch der Handel mit Zucht- und Nutzvieh ist von den am 1.1. 1952 gegründeten 44 45 46

Vgl. „Deutsche Finanz Wirtschaft", Nr. 6 B e r l i n (Ost) 1957, S. 231. Zentralverordnungsblatt B e r l i n (Ost) 1949, S. 244. GBl. 1950, S. 1209.

46

C. E n t w i c l g t f e n der m i e l d e u t s c h e n A g r a r p o l i t i k bis i960)

Volkseigenen Handelskontoren für Zucht- und Nutzvieh nach deren Auflösung am 30. 6. 1955 auf die VEAB übergegangen 47. Durch die VEAB wurde die freie Betätigung des privaten Landwarenhandels ausgeschaltet. Die VEAB sind mit weitgehenden Vollmachten zur Eintreibung der Ablieferungssollmengen ausgestattet. Als wirksamste Maßnahme gegen den Mittel- und Großbauernstand erwies sich der doppelte Agrarpreis und das differenzierte Ablieferungssoll. Der Preisunterschied zwischen den der gesetzlichen Ablieferungspflicht unterliegenden Produkten (Ablieferungssoll = Erfassungspreis) und den darüber hinaus angebotenen Mengen (Freie Spitzen = Aufkaufpreis) war beträchtlich. Kennzeichnend aber ist, daß der Aufkaufpreis bei pflanzlichen Produkten nur das 1,5 bis 3-fache, bei tierischen Produkten das 3- bis 4-fache des Erfassungspreises betrug. Dieser Unterschied in der Bewertung hatte zur Folge, daß die Erzeuger von vorwiegend Getreide und Kartoffeln (Hauptproduktion der größeren Bauernwirtschaften) nur relativ geringe Freie-Spitzen-Einnahmen erzielen konnten, während die Erzeuger von vorwiegend tierischen Produkten (Hauptproduktion der kleineren Bauernwirtschaften) mehr Möglichkeiten erhöhter Einnahmen durch die Aufkaufpreise erhielten. Der Anteil der FreieSpitzen-Verkäufe an den gesamten Verkaufserlösen betrug im Jahre 1954: bei Betrieben von 1—5 ha L N

Mengenmäßig Wertmäßig

51 v.H. 82 v. H.

bei Betrieben von 20—50 ha L N

13,5 v. H. 41,0 v. H.

Die Normen für das Ablieferungssoll waren so festgesetzt, daß sie sowohl bei pflanzlichen wie bei tierischen Produkten mit der Betriebsgröße progressiv anstiegen. I n den ersten Jahren erfolgte die Differenzierung schematisch. Die Bauern erhielten für die pflanzliche Produktion einen Anbauplan, für die tierische Produktion einen Viehhalteplan. Das Ablieferungssoll wurde entsprechend dem Umfang der landwirtschaftlichen Nutzfläche ohne Rücksicht auf die natürlichen Produktionsbedingungen und den Bestand an Betriebsmitteln festgelegt 48. Die einschlägigen Verordnungen enthielten zwar Weisungen, wonach Bodengüte, Acker- und Grünlandflächen sowie Neubauernstellen im Aufbau usw. besonders berücksichtigt werden sollten; in der Praxis fanden diese Richtlinien aber kaum Beachtung. Am nachhaltigsten wirkte sich das Veranlagungsverfahren beim Ablieferungssoll für Tierprodukte aus. Die 47

Ebenda. Anfänglich w a r die Veranlagung f ü r die Pflichtablieferung tierischer Produkte nach der Vieh-Stückzahl erfolgt; i m Jahre 1950 wurde auch für tierische Produkte die Veranlagung nach der landwirtschaftlichen Nutzfläche eingeführt. 48

2. n s t i t u t i n zur Durchsetzung a g r p o l i t i s c h e r Ziele

47

Die Ablieferungsnormen für Agrarprodukte ab Juni 1953 Betriebsgrößenklasse i n ha L N Erzeugnis 1-2

2-5

5 - 1 0 10-15 15-20 2 0 - 3 5 3 5 - 5 0

über 50

1. Die durchschnittlichen Ablieferungsnormen der Privatbetriebe i n absoluten Mengen

Pflanzliche Erzeugnisse i n dz/ha Anbaufläche: Getreide Kartoffeln Winter-Ölsaaten

3,4

5,3

8,2

11,1

13,0

15,0

16,0

27,6

41,0

54,5

69,9

80,1

84,7

89,8

5,6

7,4

8,4

9,0

9,0

8,9

9,0

Tierische Erzeugnisse in kg/ha Veranlagungspflichtiger L N : 65

83

96

100

101

102

102

103

Milch (3,5% Fett)

321

406

418

453

457

458

460

459

Eier i n Stück/ha

101

112

120

119

120

121

120

121

Lebendvieh

2. Die Progression der Ablieferungsnormen, bezogen auf die Größenklasse 5—10 ha = 100

Pflanzliche Erzeugnisse: Getreide

41

65

100

135

159

183

195

196

Kartoffeln

51

75

100

128

147

155

165

163

Winter-Ölsaaten

67

88

100

107

107

106

107

110

Tierische Erzeugnisse: Lebendvieh

68

86

100

104

105

106

106

107

Milch (3,5 °/o Fett)

77

97

100

108

109

110

110

110

Eier

84

93

100

99

100

101

100

101

Quelle: K. Merkel u. E. Schuhans, Die Agrarwirtschaft in Mitteldeutschland, Bonn. Berlin 1963, S. 47.

48

C. Entwicklungsstufen der m i t teldeutscfran A g r a r p o l i t i k (bis 19-60)

mit zunehmender Betriebsgröße steigende Ablieferungspflicht für tierische Erzeugnisse widerspricht den betriebswirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten in jeder Weise; denn je größer der Betrieb, um so niedriger ist sein Hektarbesatz an Vieh, d. h. um so geringer werden die Ablieferungsmöglichkeiten für Tierprodukte. Die bewußte Ignorierung dieser Gesetzmäßigkeit hat die Kleinbetriebe begünstigt, viele Mittel- und Großbauern aber wegen Nichterfüllung des Ablieferungssolls wirtschaftlich ruiniert und zur Flucht gezwungen. Zwar sind ab 1956 der Viehhalteplan und ab 1957 der Anbauplan formell aufgehoben worden; da jedoch die Vorschriften für die Erfüllung des Ablieferungssolls beibehalten wurden, blieb auch die wirtschaftliche Zwangslage der Mittel- und Großbauern bestehen. Für die Volkseigenen Güter und Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften galten besondere Ablieferungsbestimmungen, wobei die Ablieferungssätze für die LPG Typ I I I etwa den niedrigen Sätzen der Privatbetriebe von 5—10 ha Größe entsprachen. Nachdem das Ziel der agrarpolitischen Maßnahmen des SED-Regimes, die Kollektivierung des selbständigen Bauernstandes, im Frühjahr 1960 erreicht war, ist das bis dahin geltende Ablieferungssystem immer stärker auf die Vertragsform verlegt worden. d) Die örtlichen

Landwirtschaftsbetriebe

(ÖLB)

Die Auswirkungen der Zwangswirtschaft, insbesondere die Maßregelungen bei der Eintreibung des Ablieferungssolls, führten in den Jahren 1951 bis 1953 zu einer Massenflucht, wie sie vordem nicht aufgetreten war. Zunächst wurden die verlassenen Höfe den Volkseigenen Gütern und — nach Beginn der Kollektivierung im Jahre 1952 — den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zur Nutzung zugeteilt, oder es fielen die „herrenlosen Betriebe" den Gemeinden zur Bewirtschaftung zu. Dann aber nahm die Zahl der verlassenen Bauernwirtschaften einen solchen Umfang an, daß die Bildung einer besonderen Auffangorganisation zwingend wurde. Zu diesem Zweck kam es gemäß einer Verordnung vom September 195349 zur Bildung der „örtlichen Landwirtschaftsbetriebe" (ÖLB), in denen neben den von ihren Besitzern aufgegebenen Bauernwirtschaften auch Kreis- und Kommunalbetriebe, sowie staatliche und Gemeindeländereien zusammengefaßt wurden. Auch andere in Nutzung der Gemeinden befindlichen Betriebe, z. B. aus dem Bodenfonds stammende und noch nicht verteilte oder von den Neubauern wieder zurückgegebene Ländereien („volkseigene Ländereien in Rechtsträgerschaft"), wurden den ÖLB zur Bewirtschaftung zugewiesen. 49 Verordnung über die Bewirtschaftung freier Betriebe u n d Flächen und die Schaffung v o n Betrieben der örtlichen Landwirtschaft v o m 3. 9. 1953, GBl. I, S. 983.

2. n s t i t u t i n zur Durchsetzung a g r p o l i t i s c h e r Ziele

49

Die ÖLB waren selbständige juristische Personen. Die Betriebsleiter wurden von der Gemeinde eingestellt; sie hatten unter der Anleitung, Koordinierung und Kontrolle der Räte der Kreise zu wirtschaften. Der Umfang der ÖLB-Ländereien betrug zur Zeit seines größten Ausmaßes im Jahre 1953 rd. 24 000 Betriebe mit rd. 700 000 ha Gesamtfläche. Für die Arbeit auf den ÖLB kamen die tariflichen Regelungen der Volkseigenen Güter zur Anwendung; das galt auch für die Arbeitszeit und Entlohnung. Bisher hatten auf diesen Höfen die Bauern und ihre Familienangehörigen — ohne Begrenzung der Arbeitszeit und oftmals nur bei geringem Einkommen — gearbeitet. Nachdem diese Arbeitskräfte durch die Flucht ausgefallen waren, wurden ihre Betriebe als ÖLB zu einer starken finanziellen Belastung des öffentlichen Haushalts. Das Regime hatte daher ein großes Interesse, den Bestand der ÖLB, denen im Hinblick auf ihre Eingliederung in die LPG ohnehin nur ein vorübergehendes Dasein zugedacht war, möglichst rasch zu vermindern. I n der Tat haben die ÖLB in demselben Maße, in dem sie in die LPG überführt wurden, ihre wirtschaftliche Bedeutung verloren. Dabei soll auch nicht übersehen werden, daß die Übernahme der devastierten Betriebe für die LPG zwar einen zahlen- und flächenmäßigen Gewinn brachte; zugleich aber waren gerade diese Betriebe wegen ihres desolaten Zustandes, in den sie während der Zeit der „Herrenlosigkeit" geraten waren, eine nicht zu unterschätzende wirtschaftliche Belastung für die LPG. Für die Beurteilung der weiteren agrarpolitischen Entwicklung in der SBZ ist ein Rückblick auf die besitzrechtliche Situation der verlassenen Höfe aufschlußreich. Die bereits 1948 für alle Wirtschaftsbereiche geltende „Wirtschaftsstrafverordnung" (WStVO) 50 gab eine hinreichende Grundlage, Bauern wegen eines „Wirtschaftsverbrechens" mit Verwarnungen, Geldstrafen, Gefängnis, Zuchthaus und Vermögenseinziehung zu bestrafen. Zu „Verstößen gegen die Wirtschaftsplanung und Versorgung der Bevölkerung" gehörte auch die Nichterfüllung des Ablieferungssolls. I m Regelfall kamen Geldstrafen und Gefängnis zur Anwendung, wobei während der Strafverbüßung die Verwaltung des Betriebes durch einen von der Gemeinde bestimmten Treuhänder erfolgte. Nur bei sogenannten schweren Verstößen wurde eine Vermögenseinziehung vorgenommen. In diesem Fall kam der Betrieb aber nicht in den Bodenfonds; er konnte also auch nicht an einen Neubauern als Eigentum vergeben werden, sondern die zuständige Gemeinde erhielt ihn zur Nutzung, wodurch er später in die ÖLB-Verwaltung überging und auf diesem Wege in die LPG gelangte. 50 Verordnung über die Bestrafung von Verstößen gegen die Wirtschaftsordnung v o m 23. September 1948, Zentralverordnungsblatt B e r l i n (Ost), S. 439; geändert durch Verordnung v o m 29. Oktober 1953, GBl. S. 1077.

4 Tümmler-Merkel-Blohm

50

C. E n t w d j g t f e n der m i e l d e u t s c h e n A g r a r p o l i t i k bis 960)

Durch eine Verordnung vom 8. Februar 195151 wurde für die von den Bauern verlassenen Höfe und Flächen die Bezeichnung „nicht bewirtschaftete landwirtschaftliche Nutzflächen" eingeführt und bestimmt, daß alle bis zum 1. Januar 1951 vom Eigentümer oder von einem durch den Eigentümer ermächtigten Dritten oder von einem rechtmäßigen Besitzer nicht genutzten landwirtschaftlichen Bodenflächen unter diese Bezeichnung fallen. Sinngemäß galt dies auch für verlassene Neubauernflächen. Zunächst wurde festgelegt, daß die nicht bewirtschafteten landwirtschaftlichen Nutzflächen durch den Rat des Kreises an bäuerliche Betriebe zu angemessenen Pachtsätzen zu verpachten oder zur unentgeltlichen Bewirtschaftung abzugeben seien. Nicht bewirtschaftetes Bodenreformland sollte allerdings an Neubauern erneut vergeben werden; soweit eine solche Regelung jedoch nicht möglich war, sollte Bodenreformland zunächst von bäuerlichen Betrieben oder anderen Interessenten landwirtschaftlich genutzt werden. Nicht bewirtschaftete landwirtschaftliche Nutzflächen konnten auch von Volkseigenen Gütern zur Bewirtschaftung übernommen werden. Soweit es sich dabei um nicht durch die Bodenreform enteignete Flächen handelte, sind die den Volkseigenen Gütern übergebenen „nicht bewirtschafteten Flächen" nur in seltenen Fällen in das Eigentum des Volkes übergegangen. Den Volkseigenen Gütern steht allerdings lt. Verordnung vom 25. Januar 195152 bei allen Veräußerungen landwirtschaftlicher Grundstücke ein gesetzliches Vorkaufsrecht zu. Die eigentlichen Härtebestimmungen, die die Massenflucht der Mittelund Großbauern in den Jahren 1952 und 1953 auslösten, waren die „Verordnung über devastierte landwirtschaftliche Betriebe" vom 20. März 195253, die „Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten" vom 17. Juli 195254 und die „Verordnung zur Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion und der Versorgung der Bevölkerung" vom 19. Februar 195355. So konnte nach der Verordnung vom 20. März 1952 nicht nur für Betriebe, die von ihren Eigentümern verlassen waren, vom Landrat ein Treuhänder eingesetzt werden, sondern auch für Wirtschaften, die „infolge Arbeitsunfähigkeit der Eigentümer oder infolge schlechter Wirtschaftsführung des Eigentümers eine weit unterdurchschnittliche Produktion hatten". Beschlagnahme oder Enteignung kamen auch in diesem Falle noch nicht in Betracht. I n der Verordnung vom 17. Juli 1952 wurde bestimmt, daß landwirtschaftliches Vermögen und Grundbesitz von Personen, die Mitteldeutsch61 62 M 54 65

GBl. GBl. GBl. GBl. GBl.

S. 75. S. 47. S. 226. S. 615. S. 329.

2. Institutionen zur Durchsetzung agrarpoli tischer Ziele

51

land ohne polizeiliche Abmeldung verlassen hatten, zu beschlagnahmen und nach den Vorschriften über die Durchführung der demokratischen Bodenreform zu behandeln sei. Dieses Vermögen bzw. dieser Grundbesitz konnten einem Volkseigenen Gut oder einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft zur unentgeltlichen Nutzung übertragen werden. Eine weitere Verschärfung trat durch die Verordnung vom 19. Februar 1953 ein, die die relativ milden Verordnungen vom 18. Februar 1951 und 20. März 1952 aufhob und bestimmte, daß Besitzern von landwirtschaftlichem Grundbesitz, die gegen die Gesetze der „DDR" verstießen — hier vor allem wegen Ablieferungsrückstand, die weitere Bewirtschaftung untersagt, und daß der nicht ordnungsgemäß bewirtschaftete Grundbesitz in die Verwaltung des Rates des Kreises zu nehmen bzw. bevorzugt Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zu Nutzung zu übergeben sei. Nach den bis dahin geltenden Bestimmungen wurde also unterschieden zwischen den bei Republikflucht beschlagnahmten Betrieben (VO vom 17. 7. 1952) und den Betrieben, bei denen den Eigentümern infolge Devastierung die Bewirtschaftung entzogen wurde. I m letzteren Fall ist demnach eine Beschlagnahme oder Enteignung nicht erfolgt. Diese rigorosen Vertreibungsmaßnahmen wirkten sich auf die Agrarproduktion und damit auf die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung so negativ aus, daß die Regierung sich entschließen mußte, die drei letztgenannten Verordnungen aufzuheben. Sie proklamierte den sogenannten „Neuen Kurs". Mit Datum vom 11. Juni 195358 wurden zwei Verordnungen erlassen: a) „Verordnung über die in das Gebiet der DDR und den demokratischen Sektor von Großberlin zurückkehrenden Personen". Nach dieser Verordnung erhielten alle republikflüchtigen und zurückkehrenden Personen das auf Grund der Verordnung vom 17. Juli 1962 beschlagnahmte Eigentum zurück bzw. eine Ersatzleistung. Lt. § 2 wurden die Verordnungen vom 17. Juli 1952 (Beschlagnahme-Verordnung) und vom 19. Februar 1953 (Wirtschaftsentzug) aufgehoben. b)Die 2. Verordnung vom 11. Juni 1953 betraf „die Aufhebung der Verordnung zur Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion und der Versorgung der Bevölkerung" vom 19. Februar 1953 (Wirtschaftsentzug). Mit der 2. Verordnung vom 11. Juni 1953 wurde die Verordnung vom 19. Februar 1953 nochmals aufgehoben. Hier heißt es, „falls durch die Rückgabe von Betrieben, die von LPG bereits beM

4*

GBl. S. 805.

52

C. Bntwiickliungsstuf ein 'der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (hiß 1960)

wirtschaftet wurden, eine ernste Gefährdung der Existenz der LPG entsteht, sei Ersatz zu leisten". Es erhob sich die Frage, in welcher Rechtslage sich nun die Betriebe republikflüchtiger Personen befanden, die auf Grund der Verordnung vom 11. Juni 1953 nicht in das Gebiet der „DDR" zurückkehrten bzw. sich nicht um Rückgabe ihrer Betriebe zur Eigenbewirtschaftung bemühten. Hier setzte die Verordnung vom 3. September 195357 über die „Bewirtschaftung freier Betriebe und Flächen und die Schaffung von Betrieben der örtlichen Landwirtschaft" (ÖLB) mit ihren Durchführungsbestimmungen vom 30. September 195358 und vom 5. Februar 195450 ein. Zur Beurteilung des in der SBZ damals geltenden rechtlichen Status aller landwirtschaftlichen Flächen, die außerhalb der Bodenreform durch wirtschaftspolitische Zwangsmaßnahmen ihren Besitzer verloren haben, sind folgende Betriebskategorien zu unterscheiden: Bei Besitzverlust 1. Republikflüchtige

vor dem 10. Juni 1953: und zurückgekehrte

Personen erhielten, wenn sie einen

diesbezüglichen Antrag stellten, i h r Eigentum ohne Rücksicht darauf, ob es durch die Verordnung v o m 17. J u l i 1952 beschlagnahmt w a r oder sich auf G r u n d der Verordnung v o m 19. Februar 1953 i n der V e r w a l t u n g des K r e i ses befand, zurück bzw. Ersatzleistung;

2. verlassene Betriebe von republikflüchtigen und zurückgekehrten bzw. in der „DDR" befindlichen Personen, die keinen Antrag auf Rückgabe ihres Eigentums bis zum 30. September 1953 gestellt hatten, verblieben a) w e n n die Betriebe sich i m Verband von L P G befanden, weiter bei den L P G , b) w e n n die Betriebe sich i m festen Verband von Volkseigenen Gütern befanden, gegen Stellung eines Ersatzbetriebes bei dem Volkseigenen Gut, (kam die Übergabe eines Ersatzbetriebes nicht zustande, w u r d e der Betrieb v o m Volkseigenen Gut durch K a u f i n Eigentum übernommen)

3. für republikflüchtige

Personen, die nicht zurückgekehrt

waren, galt:

a) Soweit die Betriebe sich i m Verband von L P G befanden, verblieben sie „bis zur Rückkehr der Besitzer" i n unentgeltlicher Nutzimg der LPG, b) soweit die Betriebe sich i m losen Verband von Volkseigenen Gütern befanden, verblieben sie „bis zur Rückkehr der Besitzer" i n unentgeltlicher Nutzung der Volkseigenen Güter, c) soweit die Betriebe sich i n Nutzung der Gemeinden befanden, w u r d e n sie „bis zur Rückkehr der Besitzer" zusammen m i t den volkseigenen K r e i s - u n d Gemeindebetrieben (unbesetztes Bodenreformland) zu sogenannten „Betrieben der örtlichen Landwirtschaft" zusammengefaßt. Die Überführung v o n „Betrieben der örtlichen Landwirtschaft" i n 57 58 59

GBl. S. 983. GBl. S. 1013. GBl. S. 225.

2. n s t i t u t i n zur Durchsetzung l a g r p o l i t i s c h e r Ziele

53

L P G w u r d e gefördert. I n diesem Falle hatten die L P G m i t den „ B e trieben der örtlichen Landwirtschaft" Nutzungsverträge abzuschließen 6 0 . Wurden Flächen der örtlichen Landwirtschaftsbetriebe i n dieser F o r m an L P G abgegeben, dann galten sie nicht als „eingebrachter Boden" 6 1 .

I n der 2. Durchführungsbestimmung zur Verordnung vom 3. September 1953, die mit dem 5. Februar 1954 datiert ist, wird klar herausgestellt 62 : „Landwirtschaftliche Betriebe von Eigentümern, die das Gebiet der D D R vor dem 11. Juni 1953 verlassen haben u n d noch nicht zurückgekehrt sind, verbleiben bis zu ihrer Rückkehr i n unentgeltlicher Nutzung der Volkseigenen Güter, der Betriebe der örtlichen Landwirtschaft u n d der L a n d w i r t schaftlichen Produktionsgenossenschaften."

Bei Besitzverlust nach dem 10. Juni 1953 verfügt eine Anordnung vom 1. Dezember 195363, daß Vermögenswerte von Personen, die die „DDR" nach dem 10. Juni 1953 verlassen haben, entweder a) durch einen vom Eigentümer dafür eingesetzten Bevollmächtigten oder b) durch einen vom Staatlichen Notariat eingesetzten Abwesenheitspfleger oder c) in besonderen Fällen durch einen vom Rat des Kreises eingesetzten Treuhänder verwaltet werden. Der sehr wichtige § 3 dieser Anordnung lautet: „Die Vermögenswerte von Personen, die die Deutsche Demokratische Rep u b l i k nach dem 10. J u n i 1953 verlassen, ohne i m Besitz einer polizeilichen Abmeldung zur dauernden Übersiedlung nach Westdeutschland zu sein, u n terliegen aus diesem Grunde keinen Beschlagnahmemaßnahmen. Hinsichtlich dieser Vermögenswerte t r i t t demzufolge auch keine Veränderung der Eigentumsverhältnisse auf G r u n d des Verlassens der Deutschen Demokratischen Republik ein."

Also auch bei den Betrieben, die nach Verkündung des „Neuen Kurses" verlassen worden sind, liegt keine Beschlagnahme oder Enteignung vor. Daraus dürfte eindeutig hervorgehen, daß ein Unterschied gemacht wird zwischen den Betrieben, die durch die Bodenreform enteignet wurden und solchen, die aufgrund wirtschaftspolitischer Zwangsmaßnahmen von ihren Besitzern zwar verlassen, aus diesem Grunde aber nicht enteignet wurden. Einzige Ausnahme: Vermögenseinziehung bei 60 61 62 63

GBl. GBl. GBl. GBl.

S. 225 u n d Zentralblatt 1954, S. 423. 1953, S. 983, § 7, Abs. 3. 1954, S. 225, § 1. 1953, S. 1231.

54

C. Entwadcl/ungsstufen dier n i i ttelcLeutschien Agraxpoliitik (bois 1960)

Verstoß gegen die Wirtschaftsordnung vom 6. Oktober 1948).

(Wirtschaftsstraf-Verordnung

Es ist immerhin bemerkenswert, daß die ÖLB angehalten wurden, einen Flächennachweis zu führen, der die volkseigenen und privaten Ländereien getrennt ausweist64. Es ist nicht bekannt, ob an dem hier ausgeführten eigentumsrechtlichen Status der ÖLB inzwischen Änderungen vorgenommen worden sind. Dies ist kaum anzunehmen, da in Verordnungen nachfolgender Jahre immer noch Bezug genommen wird auf die Verordnung vom 3. September 1953 über die „Bewirtschaftung freier Betriebe und Flächen und die Schaffung von Betrieben der örtlichen Landwirtschaft". Aber abgesehen von der Regelung der rechtlichen Verhältnisse bei den verlassenen Höfen wird das Ausmaß rigoroser Agrarpolitik deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Gesamtfläche, die über die staatlichen Auffangstellen (nach der Bodenreform) ihren Besitzer gewechselt hat, mit über 1 Million Hektar angenommen werden kann. 3. K o l l e k t i v i e r u n g

der

Landwirtschaft

„Was die Kollektivhöfe anbetrifft, so haben w i r v i e l Dummheiten gemacht. Der Bauer ist, w i e er ist, u n d w i r d sich i n nächster Z u k u n f t nicht ändern. Bauern sind keine Sozialisten, u n d Pläne machen, als ob sie Sozialisten w ä ren, hieße auf Sand bauen. Die Verwandlung der bäuerlichen Psychologie u n d Gewohnheiten ist ein Ding, das Generationen braucht. Die A n w e n d u n g von Gewalt macht es auch nicht

besser."

(Lenin)

Auf der II. Parteikonferenz der SED am 12. Juli 1952 wurde der „planmäßige Aufbau des Sozialismus" beschlossen. Das Kernstück dieses Beschlusses für die Landwirtschaft war die „freiwillige Vorbereitung des Sozialismus auf dem Lande" durch Gründung von „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften" (LPG). Wir sahen in den vorangegangenen Abschnitten, daß diese „Vorbereitung" äußerst konsequent und auf breiter Basis durchgeführt wurde. Hierzu gehört auch die Auswahl der Bezeichnung Produktions-,, Genossenschaften" für Betriebsformen, die unter wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Einwirkung des Sowjet-Systems mit einem vom Grundsatz her völlig anderen begrifflichen Inhalt versehen worden sind. Unter nur wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet muß ein Unterschied gemacht werden zwischen einer Genossenschaft im traditionellen Sinne, die vornehmlich als Ein- und Verkaufsgenossenschaft 64

GBl. 1954, S. 227, § 14.

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

55

landwirtschaftlicher Betriebsmittel und Erzeugnisse in Erscheinung tritt, und einer Kollektiv- oder Produktiv-„Genossenschaft", mit der die gemeinschaftliche Durchführung des landwirtschaftlichen Produktionsprozesses bezweckt wird. Berücksichtigt man lediglich den Unterschied in der wirtschaftlichen Aufgabenstellung, so gibt es für einen politischkritischen Vergleich beider „Genossenschafts"-Formen gar keinen Anlaß. Die Kritik an der Bezeichnung „Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft" wird erst dadurch ausgelöst, daß mit der Verwendung der Bezeichnung „Genossenschaft" (im Sinne Raiffeisens) und mit der Übernahme genossenschaftsähnlicher Formen für ausschließlich aus politischen Gründen geschaffene Betriebe „sozialistischer" Prägung die breite Öffentlichkeit bewußt irregeführt werden soll. Zweifellos hat sich die Verwendung der Bezeichnung Genossenschaft nicht nur wegen der Propagandawirkung nach dem Westen hin, sondern auch für den Gebrauch in der mitteldeutschen Landbevölkerung zunächst als eine geschickte Tarnung der wahren Absichten des kommunistischen Regimes erwiesen. Es zeigt sich immer wieder, daß viele der westlichen Welt entlehnte Bezeichnungen (Demokratie, Freiheit, Bodenreform u. a.) von den Kommunisten mit Erfolg mißbraucht werden. a) Merkmale Landwirtschaftlicher

Produktionsgenossenschaften

Um den Eindruck zu erwecken, daß die Gründung Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften einem dringenden Wunsch der Landbevölkerung entsprach, waren schon vor der II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 auf Veranlassung leitender Funktionäre in einigen Kreisen der SBZ Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften ins Leben gerufen worden. Als Begründung für die Bildung von LPG wurden später in den am 19. Dezember 1952 erlassenen Musterstatuten und — in etwas abgewandelter Form — in den Musterstatuten vom 9. April 1959 folgende „Ziele und Aufgaben" für die LPG herausgestellt: „ D i e schnelle Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion u n d die weitere Verbesserung der Lebensbedingungen der werktätigen Bauern u n d anderen Werktätigen i n der Landwirtschaft erfordern den Übergang von der zersplitterten einzelbäuerlichen Produktionsweise zur genossenschaftlichsozialistischen Großproduktion. Die B i l d u n g von Landwirtschaftlichen P r o duktionsgenossenschaften ist der Weg der E n t w i c k l u n g der Landwirtschaft i n der Deutschen Demokratischen Republik, der die werktätigen Bauern u n d anderen Werktätigen i n der Landwirtschaft zum Sozialismus f ü h r t 6 5 . " 65 Beschluß über die Musterstatuten der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, GBl. I , 1959, S. 333.

56

C. E n t w i c k n g s s t f e

der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bis 1960)

In welcher Weise „der Weg der Landwirtschaft zum Sozialismus" über die LPG beschritten werden soll, mag aus einer Darlegung ihrer wesentlichen Merkmale erkenntlich werden: (1) Die rechtlichen und satzungsmäßigen Grundlagen

der LPG

„Das Hecht der LPG hilft, die Landwirtschaftspolitik der Sozialistischen Einheitspartei und unseres volksdemokratischen Staates zu verwirklichen und die werktätige Bauernschaft in den sozialistischen Aufbau einzubeziehen. Es trägt damit zur Herausbildung einer neuen Klasse, der Klasse der Genossenschaftsbauern, und zur weiteren Festigung des Bündnisses zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft bei. Es kann daher auch in diesem Bereich des gesellschaftlichen Lebens kein Auseinanderfallen von Hecht und Politik geben, da das Recht mit seinen Mitteln die jeweiligen politischen Forderungen durchzusetzen hat 66 ." Mit diesem Postulat läßt Arlt keinen Zweifel darüber, daß das Recht dem politischen Ziel zu dienen hat. So ist es auch einleuchtend, daß für die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der SBZ nicht die Rechtsnormen des Genossenschaftsgesetzes von 1898 als verbindlich festgelegt wurden, sondern „Musterstatuten für landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften", die auf der Grundlage der Musterstatuten kollektiver Wirtschaftsformen der Sowjetunion ausgearbeitet worden waren 67 . In einer Untersuchung über „Die satzungsmäßigen Grundlagen der kollektiven Landwirtschaft in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands im Vergleich mit anderen kommunistischen Ländern" kommt Priew m zu der Schlußfolgerung, daß die „Musterstatuten kollektiver Wirtschaftsformen für die SBZ und sechs Länder, in denen nach dem Zweiten Weltkrieg kommunistische Parteien die Regierungsgewalt an sich bringen konnten, die russischen Musterstatuten bestimmend gewesen sind. Während aber in den Musterstatuten für ,kollektiv-wirtschaftliche Übergangsformen in der Landwirtschaft' 69 der einzelnen Länder Bestimmungen des sowjetischen TOS- und Artel-Musterstatuts unterschiedlich enthalten sind, ist für die Musterstatuten der ,kollekiven land68 R. Arlt, Grundriß des LPG-Rechts, B e r l i n (Ost) 1959, S. 63 (Hervorhebungen v o m Verfasser). 87 Bekanntmachung der Musterstatuten der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften v o m 19. Dezember 1952, GBl. S. 1375. 68 H. Priew, Dissertation aus dem I n s t i t u t für A g r a r p o l i t i k u n d Sozialökon o m i k des Landbaus an der Landwirtschaftlichen Hochschule StuttgartHohenheim, 1959, Untersuchte Länder: Sowjetische Besatzungszone Deutschlands, Sowjetunion, Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, China, NordKorea. 89 Gemeint sind Betriebsformen etwa entsprechend den L P G v o m T y p I u n d I I i n der SBZ.

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

57

wirtschaftlichen Betriebe' 70 in allen Staaten grundsätzlich das (in der Sowjetunion bis heute geltende) Artel-Musterstatut Vorbild gewesen. Die Kollektiven landwirtschaftlichen Betriebe' in sieben Ländern tragen somit keine wesentlich eigenständigen nationalen Züge; sie sind im grundsätzlichen direkte Nachahmungen einer zuerst auf sowjetischem Territorium geschaffenen Betriebsform." Noch bevor die ersten Musterstatuten für die LPG im Dezember 1952 bekanntgemacht wurden, war am 7. August 1952 eine „Verordnung über die Bestätigung und Registrierung von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften" erlassen worden 71 . I n einer Durchführungsbestimmung 72 zu dieser Verordnung wurden erstmals die Formalitäten für die Gründung von LPG bekanntgegeben. Danach hatten Bauern und Landarbeiter, die eine LPG gründen wollten, ein Gründungskomitee zu bilden, das eine Gründungsversammlung einberuft, auf der das Statut beraten und beschlossen wird. I m § 2 der Durchführungsbestimmung heißt es: „Die Gründung darf nur auf der Grundlage der Freiwilligkeit erfolgen." Ferner wurde bestimmt, daß das in der Gründungsversammlung beschlossene Statut beim Rat des Kreises registriert werden muß, wodurch die LPG Rechtsfähigkeit erlangt. Muster für das Register sowie für ein Verzeichnis der LPG-Mitglieder und ein LPG-Bodenbuch waren im Gesetzblatt vorgeschrieben 73. Nach der Registrierung mußte das Statut zusammen mit dem Gründungsprotokoll dem Ministerium für Land- und Forstwirtschaft zur Bestätigung eingereicht werden. § 5 der Verordnung vom 7. August 1952 lautet: „Die auf die Organisation der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften bezug nehmenden Bestimmungen sowie Durchführungsbestimmungen zu dieser Verordnung werden mit Zustimmung des Ministerrates vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft erlassen." § 6 (3) der Durchführungsbestimmung lautet: „Jede auf Grund einer Versammlung der Mitglieder beschlossene Änderung des Statuts oder der Organe ist dem Rat des Kreises zur Eintragung in das Register zu melden. Die Änderungen erlangen erst nach erfolgter Registrierung Rechtskraft." Trotz der Betonung der Freiwilligkeit bei der LPG-Gründung wie bei der formellen Durchführung des Gründungsvorgangs wurde bereits in dieser ersten LPG-Verordnung deutlich, daß die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften mit Beginn ihres Bestehens unter ständiger Beobachtung und Kontrolle der in den Räten der Kreise und im 70 Gemeint sind Betriebsformen etwa entsprechend den L P G v o m T y p I I I i n der SBZ. 71 Verordnung über die Bestätigung u n d Registrierung von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften v o m 7. August 1952, GBl. S. 713. 72 Ebenda, S. 716. 78 Ebenda, S. 717.

58

C. E n t w i n g s s t f

der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bi 1960)

Landwirtschaftsministerium werden sollten.

eingesetzten

SED-Funktionäre

gehalten

Dieses Grundprinzip trat noch krasser zutage, nachdem mit den im Dezember 1952 amtlich herausgegebenen und für jede LPG verbindlich festgelegten Musterstatuten eine weitgehende Reglementierung der Organisation und des gesamten Wirtschaftsgeschehens der LPG eintrat. Nach diesen Musterstatuten konnten drei Typen von LPG gebildet werden, die sich nach dem Umfang der Vergesellschaftung der Produktionsmittel und nach der Verteilung der Geld- und Naturaleinkünfte unterscheiden. Die Musterstatuten für jeden der drei Typen enthielten genaue Vorschriften über die Mitgliedschaft, über die Bodennutzung und Verwendung des lebenden und toten Inventars, über die Pflichten der Genossenschaft, ihres Vorstandes und ihrer Mitglieder, über die Arbeitsorganisation, Disziplin und Bewertung der Arbeit, über die Verteilung der Einkünfte und die Verwaltung der LPG. Darüber hinaus wurde im Dezember 1952 noch eine „Musterbetriebsordnung für landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften" erlassen 74, in der die Arbeitsorganisation und Vergütung der Arbeit in der LPG, ferner Arbeitsschutz und Sozialbetreuung sowie die Verwendung des Vermögens der LPG im einzelnen behandelt werden. Auch ein Katalog über „Musterarbeitsnormen und Bewertung der Arbeit in Arbeitseinheiten" wurde unter dem gleichen Datum im Gesetzblatt veröffentlicht 75. Die Erfahrungen der ersten Jahre der Kollektivierung zeigten, daß eine allzu starre Schematisierung dem angestrebten Ziel, den Sozialisierungsprozeß in der Landwirtschaft zu fördern, zuwiderlief. Bei strenger Einhaltung der geltenden Musterstatuten war eine allmähliche Umwandlung der LPG vom Typ I und I I zum Typ III, der höchsten Kollektivierungsform in Mitteldeutschland, kaum gegeben. Der „stufenweise Übergang zur sozialistischen genossenschaftlichen Großproduktion" war aber gerade das agrarpolitische Ziel, das mit der Bildung von LPG-Typen von unterschiedlichem Vergesellschaftungsgrad erreicht werden sollte. Hinzu kam, daß örtliche Besonderheiten manche Probleme aufwarfen, die ebenfalls mit den geltenden Musterstatuten nicht zu lösen waren. Diesen Erschwernissen in der Entwicklung der Kollektivierung wurde dadurch Rechnung getragen, daß die Musterstatuten für die drei LPGTypen aus dem Jahre 1952 im April 1959 Neufassungen erhielten 76 . 74 Bekanntmachung der Musterbetriebsordnung f ü r Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften v o m 19. Dezember 1952, GBl. S. 1389. 75 Bekanntmachung des Musters f ü r Tagesarbeitsnormen u n d Bewertung der A r b e i t i n den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften v o m 19. Dezember 1952, GBl. S. 1392. 76 Beschluß über die Musterstatuten der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften v o m 9. A p r i l 1959, GBl. I, S. 333.

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

59

Diese Musterstatuten, die mit Ausnahme derjenigen für den Typ I I im Grundsätzlichen auch heute noch gelten, waren von den Landwirtschaftsexperten des Zentralkomitees der SED ausgearbeitet und nach entsprechender propagandistischer Vorbereitung auf der im Februar 1959 tagenden VT. LPG-Konferenz beschlossen worden. In ihnen wurde ein Teil der Bestimmungen der bisher geltenden Musterstatuten übernommen; darüber hinaus bringen sie jedoch noch eine Reihe von Einzelbestimmungen, die auf den Erfahrungen der zurückliegenden Jahre beruhen. Besonders hervortretend sind die Hinweise und Maßnahmen zur Vorbereitung des Übergangs der LPG vom Typ I und I I zum Typ I I I , ferner ausführliche Bestimmungen über die Betriebs- und Arbeitsorganisation sowie über die Vergütung der Arbeit und das Prämienwesen zur Steigerung der Produktion und Arbeitsproduktivität. Auch sind präzise Vorschriften zur Erweiterung der „genossenschaftlichen Fonds" erlassen worden. Sie enthalten außerdem genaue Bestimmungen über den Schutz des „genossenschaftlichen Eigentums" und über eine Schadenersatzpflicht bei schuldhaftem Verhalten der Mitglieder. Einen breiten Raum nehmen die Weisungen über die Leitung und Verwaltung der LPG ein. Die Aufgaben der Mitgliederversammlung, die Rechte und Pflichten der Mitglieder und des Vorstandes werden präzisiert; eine Normenkommission, eine Kommission zur Übernahme und Bewertung des eingebrachten Bodens und Inventars, eine Revisionskommission sowie andere Kommissionen sind zu bilden. Allen Organen und Mitgliedern ist bis in alle Einzelheiten vorgeschrieben, wie sie sich zu verhalten haben. Auch die „Musterbetriebsordnung für landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften" vom 19. Dezember 1952 erhielt eine Neufassung77, die den Musterstatuten angepaßt wurde. Während in den ersten sieben Jahren nach Beginn der Kollektivierung die rechtlichen Verhältnisse der LPG und ihre Mitglieder lediglich statutenmäßig geregelt waren, wurde am 3. Juni 1959 erstmals ein Rahmengesetz, das „Gesetz über die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften" 78, erlassen, das zum Teil völlig neue Rechtsverhältnisse auf dem Lande schuf. Es ist mit diesem Gesetz das sogenannte „Recht der LPG" als selbständige Rechtsform entstanden79. Der Sinn dieses Gesetzes war, „ . . . die gesellschaftliche Stellung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zu festigen und die Beziehungen der LPG zu regeln, die über die in dem Statut und der 77 Bekanntmachung des Beschlusses über die Empfehlung f ü r die Ausarbeitung der inneren Betriebsordnung der L P G v o m 6. August 1959, GBl. I, S. 657. 78 GBl. I, 1959, S. 577. 79 Gleichzeitig besonderes Lehrfach (Recht der L P G u n d Bodenrecht).

60

C. E n t w i c k n g s s t f e

der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k ( b s 1960)

Inneren Betriebsordnung festgelegten innergenossenschaftlichen Grundsätze hinausgehen.. ." 80 . Während also die Statuten die rechtliche Grundlage für die Regelung innergenossenschaftlicher Verhältnisse, insbesondere für das Verhältnis der Mitglieder zu ihrer LPG und untereinander, bieten, regelt das „LPG-Gesetz" vornehmlich die Rechtsstellung der LPG. Demgemäß ist im „LPG-Gesetz" festgelegt, daß „die vom Ministerrat der DDR bestätigten Musterstatuten allgemein verbindliche Rechtsnormen und die gesetzliche Grundlage für die Ausarbeitung des Statuts jeder LPG bilden. Werden auf Vorschlag der zentralen Konferenzen der Vorsitzenden und Aktivisten der LPG die Musterstatuten durch den Ministerrat geändert, so haben die Genossenschaften innerhalb von 6 Monaten ihr Statut den neuen Regelungen der Musterstatuten anzupassen" 81. I m „LPG-Gesetz" sind ferner die Modalitäten der LPG-Gründung festgelegt; in diesem Zusammenhang wird bestimmt: „Das beschlossene Statut ist dem Rat des Kreises zur Registrierung vorzulegen. Der Rat des Kreises hat vor der Registrierung zu prüfen, ob die Gründung der Genossenschaft den Zielen der sozialistischen Genossenschaftsbewegung entspricht und ihr Statut alle Grundsätze des Musterstatuts beinhaltet" 82 „Mit der Registrierung des beschlossenen Statuts durch den Rat des Kreises erhält die Genossenschaft Rechtsfähigkeit. Mit der Erlangung der Rechtsfähigkeit wird die LPG ein juristisch selbständiger sozialistischer landwirtschaftlicher Großbetrieb . . . 88 ." Für die Beurteilung aus westlicher Sicht ist entscheidend, daß die Grundsätze der LPG sowie die Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder gesetzlich festgelegt sind und ein Musterstatut für alle LPG des gleichen Typs rechtsverbindlich ist. Die Bauern haben nicht die Möglichkeit, in freier Selbstbestimmung sich ein Statut nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen zu geben. Dadurch unterscheidet sich eine LPG von einer traditionellen Genossenschaft durch ein sehr wesentliches Merkmal. Jedenfalls ist diese Form der gesetzlichen Regelung, wonach jede von der SED-Führung vorgenommene Änderung der Musterstatuten alle LPG auf den vorgeschriebenen Kurs zwingt, eines der wirksamsten Mittel zur zunehmenden Vergesellschaftung des landwirtschaftlichen Privatbesitzes. Hierfür ist die Änderung des Musterstatuts für die LPG Typ I I im Jahre 1962 ein überzeugendes Beispiel84. Auf die neuen Typenmerkmale wird im nachfolgenden Abschnitt eingegangen. Der Hauptzweck der 80

GBl. I, S. 577. Ebenda, S. 577, § 2 (Hervorh. v. V.). 82 S. 577, § 3 (1) u n d (2) (Hervorh. v. V.). 83 S. 577, § 4 (1) u n d (2). 84 Beschluß über das Musterstatut f ü r landwirtschaftliche genossenschaften T y p I I v o m 2. August 1962, GBl. I I , S. 521. 81

Produktions-

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

61

Schaffung eines neuen Musterstatuts für Typ I I bestand darin, den Kollektivierungsgrad in diesem Typ zu erhöhen und damit „schrittweise den Übergang zum Typ I I I zu vollziehen". Dieses Vorgehen liegt in der konsequenten Verfolgung des agrapolitischen Hauptzieles, „den Sozialismus auf dem Lande aufzubauen"; und so ist es auch durchaus einleuchtend, daß Ewald auf dem I X . Deutschen Bauernkongreß in Ostberlin Ende Februar 1966 die Notwendigkeit ankündigte, auch die Musterstatuten der LPG vom Typ I und I I I „entsprechend den herangereiften gesellschaftlichen Entwicklungsbedingungen zu überarbeiten". (2) Die LPG-Typen Die Erkenntnis, daß die überwiegende Mehrheit der deutschen Bauern einer Totalkollektivierung Widerstand entgegensetzen würde, veranlaßte das SED-Regime, die Überführung der bäuerlichen Privatbetriebe in die Kollektivform stufenweise vorzunehmen. Dementsprechend wurden drei Typen von LPG gebildet, die sich nach dem Grad der Vergesellschaftung der Produktionsmittel, d. h. also nach dem Grad der gemeinsamen Nutzung von Boden, Vieh, Maschinen und anderem Inventar sowie teilweise auch von Wirtschaftsgebäuden, und nach der unterschiedlichen Verteilung der Geld- und Naturaleinkünfte unterscheiden. Die Typen I und I I sind als Übergangsformen anzusehen, die etwa den Tosen, den „Genossenschaften für gemeinsame Bodenbearbeitung" entsprechen 85; sie bilden die Vorstufe zum Typ III, der dem sowjetischen Kolchos am nächsten kommt 88 . I m Typ I wird nur das Ackerland (eigenes und gepachtetes) zur gemeinsamen Nutzung in die LPG eingebracht. Alle übrigen Flächen und Produktionsmittel verbleiben in Eigentum und individueller Nutzung der Bauern. Die Musterstatuten sehen vor, daß auf Beschluß der Mitgliederversammlung auch Grünland, Dauerkulturen oder Wald einzubringen sind. Auch sind die Mitglieder verpflichtet, im Bedarfsfall zur Bearbeitung der LPG-Ländereien tierische und motorische Zugkräfte sowie Maschinen und Geräte gegen Bezahlung zur Verfügung zu stellen. „In Vorbereitung des allmählichen systematischen Übergangs zum Typ I I I können genossenschaftliche Wirtschaftsgebäude und Anlagen (Jungvieh-Offenställe, Futtersilos usw.) errichtet sowie einzelne Tiergattungen genossenschaftlich gehalten werden." 86

Vgl. Priew, a.a.O. Vgl. Beschluß über die Musterstatuten der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften v o m 9. A p r i l 1959, GBl. I, S. 333. F ü r T y p I I inzwischen ersetzt durch: Beschluß über das Musterstatut für landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, T y p I I v o m 2. August 1962; GBl. I I , S. 521. I n der Darstellung der Merkmale der einzelnen Typen ist weitgehend der T e x t der zur Zeit geltenden LPG-Musterstatuten herangezogen worden. 86

62

C. Entwicklungsstufen dier mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bis 1960)

Großbauern — das sind nach parteiamtlicher Festlegung Bauern mit Betrieben über 20 ha L N — müssen neben ihrem Ackerland und dem Wald auch alle übrigen Flächen einbringen. Die Mitgliederversammlung beschließt über den Umfang von Wiesen und Weiden, die sie zur eigenen Bewirtschaftung behalten können und in welchem Umfang sie Bodenanteile erhalten. — Auch beschließt die Mitgliederversammlung, wieviel Vieh, landwirtschaftliche Maschinen und Geräte ihnen als persönliches Eigentum zur individuellen Nutzung verbleiben. Das darüber hinausgehende Inventar ist zur genossenschaftlichen Nutzung einzubringen. Zur LPG kann auch Boden gehören, „der vom Staat zur Nutzung ohne Entschädigung der Genossenschaft übergeben wird". Beim Typ I werden, nach Abführung bestimmter Geld- und Naturalanteile an die LPG-Fonds, die aus der gemeinschaftlichen Arbeit verbleibenden Geld- und Naturaleinkünfte bis zu 40 v. H. nach Bodenanteilen und mindestens 60 v. H. nach Arbeitseinheiten verteilt. I m Typ II werden außer dem Ackerland auch die motorischen und tierischen Zugkräfte sowie Maschinen und Geräte zur gemeinsamen Nutzung in die LPG eingebracht. Die Verteilung der Einkünfte erfolgt — auch hier nach Bildung der Fonds — bis zu 30 v. H. nach Bodenanteilen und mindestens 70 v. H. nach Arbeitseinheiten. Der Typ I I ist anzahl- und flächenmäßig seit jeher nur wenig in Erscheinung getreten und wurde statistisch zumeist mit Typ I zusammen erfaßt. Dem Typ I wie dem Typ I I ist gemeinsam, daß ihre Mitglieder, soweit sie Bauern waren, noch über ihre Hofstellen verfügen und ihre individuelle Nutzviehhaltung behalten haben. Die dem Typ I I ursprünglich zugedachte Aufgabe, den direkten Übergang zum Typ I I I zu fördern, wurde nur zögernd erfüllt; jedenfalls entsprach das Ergebnis keineswegs den Erwartungen. Dies mag der Hauptgrund dafür gewesen sein, daß im Jahre 1962 das Musterstatut für den LPG Typ I I geändert wurde 87 . Der Entwurf dieses neuen Musterstatuts weicht in Aufbau und Wortlaut von dem bisher geltenden nicht unwesentlich ab. Stärker als bisher wird der Aufbau einer genossenschaftlichen Viehhaltung bereits im Typ I I gefordert. Die Durchführung dieses Aufbaus wird genau präzisiert: (a) Von den bisher i n individueller Nutzung befindlichen sollen laufend Tiere i n die L P G eingebracht werden; 87

Viehbeständen

Beschluß über das Musterstatut f ü r landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften v o m T y p I I v o m 2. August 1962, GBl. I I , S. 521.

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

63

(b) die Nachzucht der bisher i n diesem T y p i n d i v i d u e l l gehaltenen Viehbestände soll der L P G zugeführt werden; (c) die auf diese Weise vorhandenen LPG-Viehbestände sollen durch Z u k a u f kontinuierlich erweitert werden.

I m Zuge des Aufbaus einer genossenschaftlichen Viehhaltung sollen auch das gesamte Grünland, die Dauerkulturen und sonstige nutzbare Flächen in die LPG Typ I I eingebracht werden; auch der Wald wird eingebracht und genossenschaftlich bewirtschaftet. Bemerkenswert ist, daß den Mitgliedern in der Ausübung ihrer „Persönlichen Hauswirtschaft" Beschränkungen auferlegt sind. — Ferner ist die Möglichkeit eines Austritts aus privaten Überlegungen, wie dies bisher im Statut der LPG aller Typen möglich war, nicht mehr vorgesehen. Nach dem neuen Text kann die Mitgliedschaft nur „durch Tod, Ausschluß oder aus anderen gesellschaftlich gerechtfertigten Gründen enden". I n aller Deutlichkeit kommt im neuen Musterstatut für den Typ I I zum Ausdruck, daß „die Leitung der Genossenschaft auf der Grundlage der Beschlüsse der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands erfolgt". Damit wird zum ersten Mal seit Bildung der LPG in den Musterstatuten zugegeben, daß der Einfluß der LPG-Organe auf die Leitung ihrer Genossenschaft beschränkt ist. Formell ist die Einwirkung der SED in der Weise gesichert, daß der Rat des Kreises von der Mitgliederversammlung die Veränderung eines „fehlerhaften Beschlusses" verlangen kann. „Kommt die Mitgliederversammlung dieser Forderung nicht nach, so kann der Rat des Kreises nach einer Stellungnahme der Ständigen Kommission für Landwirtschaft die fehlerhafte Entscheidung der Mitgliederversammlung durch Beschluß aufheben 88." I n den Musterstatuten wird erklärt, daß der Typ I I die Voraussetzungen zu schaffen hat, bei systematischer Erweiterung der genossenschaftlichen Viehwirtschaft schrittweise den Übergang zum Typ I I I zu vollziehen. I m Typ III wird der gesamte Grund und Boden, also einschließlich des Grünlandes, des Waldes, der Fischteiche und aller sonstigen Flächen, zur gemeinsamen Nutzung eingebracht. Das Mitglied übergibt der LPG außerdem die Traktoren, Maschinen, Geräte, das Vieh und in bestimmten Fällen auch die Wirtschaftsgebäude. Die Verteilung der Einkünfte erfolgt im Typ I I I nur noch bis zu 20 v. H. nach Bodenanteilen und mindestens zu 80 v. H. nach Arbeitseinheiten. 88

GBl. I I , 1962, S. 527.

64

C. EnitwiickliingsstuifeirL der mitteldeutschen Agrarpolitik (bis i960)

Für alle 3 Typen gilt: „Die Ländereien der Genossenschaft werden zu einer einheitlichen großen Bodenfläche zusammengelegt; die dazwischen liegenden Feldraine und Grenzsteine werden beseitigt." Persönliche Hauswirtschaft: Den Mitgliedern der LPG aller drei Typen ist die Möglichkeit zur Führung einer kleinen Eigenwirtschaft gegeben. (3) Die Mitgliedschaft I n den Musterstatuten für alle drei LPG-Typen ist festgelegt, daß Eintritt bzw. Mitgliedschaft freiwillig sind. Das Prinzip der Freiwilligkeit ist von den leitenden Funktionären des SED-Regimes immer wieder betont worden. Auch im Gesetz über die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften vom 3. Juni 195989 wird als Grundsatz herausgestellt: „Die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) sind sozialistische landwirtschaftliche Großbetriebe, die durch den freiwilligen Zusammenschluß werktätiger Bauern und Bäuerinnen, werktätiger Gärtner und Landarbeiter und anderer Bürger, die bereit sind, an der genossenschaftlichen Produktion teilzunehmen, entstehen". In der vom „Ausschuß für deutsche Einheit" herausgegebenen Bauernfibel heißt es sogar: „Jeder wird zur Rechenschaft gezogen und bestraft, der versucht, werktätige Bauern oder Landarbeiter zum Eintritt in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften durch Zwang, gleich welcher Art, zu veranlassen." Das Prinzip der Freiwilligkeit ist seit Bildung der LPG und in besonderem Maße beim überstürzten Abschluß der Zwangskollektivierung im Frühjahr 1960 nachweisbar in Tausenden von Einzelfällen verletzt worden. Mit den Mitteln der Propaganda und Agitation, des wirtschaftlichen Drucks und des politischen Terrors wurden die Bauern Mitteldeutschlands in die LPG hineingezwungen. Ein im April 1960 im Auftrag der Bundesregierung vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen herausgegebener Dokumentationsbericht „Die Zwangskollektivierung des selbständigen Bauernstandes in Mitteldeutschland" legt Zeugnis von dem totalen Mißbrauch des freiheitlichen Genossenschaftsprinzips ab. Nach den Musterstatuten für alle drei LPG-Typen können alle Personen Mitglied werden, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, das Statut anerkennen und bereit sind, die Pflichten eines Mitgliedes zu erfüllen. Die Mitgliedschaft ist also nicht an die Einbringung von Grund und Boden gebunden. Infolge des Beitritts von Landarbeitern, Industriearbeitern, Handwerkern und vor allem von Familienangehörigen der 89

GBl. I, S. 577, § 1 (1).

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

65

Bauern überwiegt im Durchschnitt aller LPG sogar die Zahl derjenigen Mitglieder, die selbst kein Land eingebracht haben. Nicht Mitglied werden können „Personen, von denen auf Grund ihres Verhaltens zu unserem Arbeiter- und Bauern-Staat und zum Aufbau des Sozialismus die Gefahr unehrlicher oder feindlicher Tätigkeit in der Genossenschaft droht". Die Beendigung der Mitgliedschaft kann nach den Musterstatuten für die LPG vom Typ I und I I I durch Austritt, Ausschluß oder Tod erfolgen. — Nach dem 1962 herausgegebenen Musterstatut für die LPG Typ I I „endet die Mitgliedschaft durch Tod, Ausschluß oder Ausscheiden aus gesellschaftlich gerechtfertigten Gründen". Was unter „gesellschaftlich gerechtgefertigten Gründen" zu verstehen ist, erläutert Arlt 90, indem er seiner Darstellung von anzuerkennenden Gründen des Ausscheidens folgende Grundsatzerklärung voranstellt: „Die Mitgliedschaft i n einer L P G ist auf Dauer, das heißt auf Lebenszeit, berechnet. Die Beendigung der Mitgliedschaft zu Lebzeiten eines Mitgliedes stellt daher eine Ausnahmeerscheinung dar. Die Mitgliedschaft k a n n n u r bei Vorliegen gesellschaftlich gerechtfertigter Gründe u n d auf dieser Grundlage i n gegenseitigem Einvernehmen zwischen dem M i t g l i e d u n d der L P G beendet werden. I n der Regel w i r d die Mitgliedschaft durch den Tod des Genossenschaftsbauern beendet. Die Stabilität der Mitgliedschaft i n der L P G gründet sich auf die feste Verbindung, die der Einzelbauer zu seinem Boden und zu seiner Wirtschaft als K o m p l e x bestimmter Produktionsmittel besaß u n d die nunmehr auf eine den sozialistischen Grundsätzen des Zusammenlebens entsprechende Grundlage gestellt wurde. (Das findet seinen j u r i s t i schen Ausdruck i n der Tatsache, daß der Genossenschaftsbauer unmittelbarer Träger des genossenschaftlichen Eigentums ist.) Die Herstellung eines festen Bandes zwischen den einzelnen Produzenten zur gemeinsamen Bewirtschaft u n g ihres Bodens u n d zur F ü h r u n g ihrer Wirtschaft verbietet, leichtfertig u n d aus eigensüchtigen M o t i v e n die Genossenschaft u n d den Berufsstand zu verlassen."

Für ein Ausscheiden aus gesellschaftlich gerechtfertigten Gründen nennt Arlt dann folgende Beispiele: Das Überwechseln eines Mitgliedes aus einer LPG mit übermäßigem Arbeitskräftebesatz in eine arbeitskräftemäßig unterbesetzte LPG oder in einen spezialisierten sozialistischen Landwirtschaftsbetrieb oder in eine wirtschaftlich schwache LPG; ferner das Ausscheiden eines Mitgliedes zwecks Übernahme einer dauernden Funktion im Staatsapparat, ferner Übertritt in eine andere LPG, in der ein Mitglied entsprechend seiner beruflichen Qualifikation besser eingesetzt werden kann. Aber auch eine durch ärztliche Bescheinigung ausgewiesene Krankheit oder die Schließung einer Ehe, wenn der Ehepartner an einem anderen Ort wohnt und ihm nicht zuzumuten ist, Mitglied der LPG seines Ehepartners zu werden, sind „gesellschaftlich gerechtfertigte Gründe" für ein Ausscheiden. 90

R. Arlt , Rechte u n d Pflichten der Genossenschaftsbauern, a.a.O., S. 375.

5 Tümmler-Merkel-Blohm

6S

C. Entwicklungsstufen »der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bdis i960)

Jedenfalls ist ein Austritt aus rein persönlichen Gründen und auseigenem Entschluß, wie dies bislang — zumindest formal-juristisch — möglich war, nicht mehr gegeben. I m neuen Musterstatut für die LPG Typ II, das Arlt bereits zur Grundlage seiner Interpretation für Möglichkeiten des Ausscheidens aus allen drei Typen nimmt, sind auch keine Bestimmungen mehr über die Modalitäten und Regelungen eines Austritts enthalten. Das aber bewirkt, wie Arlt es offen ausspricht, „das LPG-Mitglied auf Lebenszeitdamit wird bezweckt, ein LPG-Mitglied in der Regel fortan mit seinen gesamten eingebrachten Werten (Bodenflächen, lebendem und totem Inventar, Wald usw.) untrennbar an die LPG zu binden. Ein Mitglied wird aus der LPG ausgeschlossen, wenn es „sich schwer gegen die Interessen der Arbeiter- und Bauern-Macht vergeht oder gröblich und wiederholt gegen seine genossenschaftlichen Pflichten verstößt, insbesondere das genossenschaftliche Eigentum mißachtet oder die Arbeitsdisziplin v e r l e t z t . . D e r Ausschluß soll in der Regel erst dann erfolgen, wenn die Anwendung anderer „Erziehungsmaßnahmen" erfolglos geblieben ist. „Die Mitgliederversammlung kann beim Ausschluß festlegen, daß als Wiedergutmachung für entstandenen Schaden die Vergütung für die geleisteten Arbeitseinheiten und den eingebrachten Boden . . . ganz oder teilweise zurückbehalten wird. Dadurch werden weitere Schadenersatzansprüche nicht ausgeschlossen91." Auch im Gesetz über die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften 92 wird der Schutz des genossenschaftlichen Eigentums durch die Mitglieder deutlich hervorgehoben und auf die verschiedenen Formen der Anwendung einer Schadenersatzpflicht hingewiesen. (4) Die Nutzung des Bodens und der Produktionsmittel Die Flächen der Landwirtschaftlichen aller drei Typen bestehen

Produktionsgenossenschaften

(a) aus Boden, sowohl eigenem als auch Pachtland, der von den Mitgliedern eingebracht wird, und (b) aus Boden, welcher der LPG von der öffentlichen Hand zur Nutzung ohne Entschädigung übergeben wird 9 3 . Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, daß im Rahmen der Führung einer Persönlichen Hauswirtschaft jedes Mitglied mit eigenem Haushalt bis zu 0,5 ha Land zur persönlichen Nutzung behalten kann. Mitglieder, die keinen Boden eingebracht haben, können hierfür von der LPG bis zu 0,5 ha Boden erhalten. Dieses Land wird in der Regel den Flächen entnommen, die den LPG von der öffentlichen Hand 91 92 93

GBl. I, 1959, S. 353, Ziffer 28 (2). GBl. I, 1959, S. 377, § 14—17. GBl. I , 1959, S. 577.

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

67

übergeben wurden und die zum größten Teil von geflüchteten Bauern stammen. Bei dem unter (b) bezeichneten Boden handelt es sich zum überwiegenden Teil um Flächen, die, obwohl von ihren Besitzern durch Flucht verlassen, noch im privaten Eigentum der geflüchteten Bauern stehen. Auch fallen hierunter Flächen, die von ihren Eigentümern infolge Alter oder Krankheit nicht mehr bewirtschaftet werden können. Nach § 7 des Gesetzes über die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften 94 bleibt der in die LPG zur allgemeinen Nutzung eingebrachte Boden Eigentum der Mitglieder. Dieses Eigentum unterliegt jedoch einschneidenden Beschränkungen. So verliert — nach den Musterstatuten für die LPG vom Typ I und I I I — ein Mitglied bei seinem Ausscheiden aus der LPG den Rückgabeanspruch auf den von ihm eingebrachten Boden; dafür soll ihm Boden entsprechender Größe und Güte am Rande der LPG-Ländereien gegeben werden. Da aber nach Abschluß der Kollektivierung im Jahre 1960 der Austritt eines Mitgliedes aus der LPG zum Zwecke der Eigenbewirtschaftung seines Bodens nachweislich unmöglich gemacht wird, ist auch die in den Musterstatuten enthaltene Regelung des Landaustausches praktisch illusorisch. Arit 9 5 unterstreicht diesen Tatbestand mit einem Hinweis auf den Beschluß der Volkskammer über die Entwicklung der LPG vom 25. April 1960, indem er sagt: „ D i e Volkskammer bestätigte den Übergang aller Bauern zur genossenschaftlichen A r b e i t i n L P G u n d drückte damit staatsrechtlich aus, daß es ein Zurück zu der historisch überlebten einzelbäuerlichen Produktionsweise i n der DDR nicht mehr gibt."

Eine Eigentumsbeschränkung liegt ferner darin, daß ein LPG-Mitglied seinen eingebrachten Boden nur an die öffentliche Hand, an die LPG oder an Mitglieder mit wenig oder keinem Land verkaufen darf. — Bei der Interpretation dieser Bestimmung wird darauf hingewiesen, daß im Verkaufsfall in der Regel die LPG oder landarme LPG-Mitglieder als Käufer in Betracht kommen sollen. Der Ankauf von in LPG befindlichem Land durch den Staat entspreche nicht der Agrarpolitik der Arbeiter- und Bauern-Macht. Diese Politik richte sich auf die Festigung und Entwicklung der LPG. Die Beibehaltung des Eigentums an Grund und Boden für die LPG-Bauern gehöre zu den Grundprinzipien des sozialistischen LPG-Rechts. Der Ankauf von Land durch die öffentliche Hand sei nur für verschiedene Ausnahmefälle vorgesehen, z. B. Errichtung von Krankenhäusern, Industriebetrieben usw. 94 95

5*

Ebenda. R. Arlt t Rechte u n d Pflichten der Genossenschaftsbauern, a.a.O., S. 48 f.

68

C. Entwiickkingsstaifeii der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bis 1960)

Die Eigentumsbeschränkungen am eingebrachten Boden werden überdies an dem den LPG zustehenden Nutzungsrecht 96 am Boden (einschließlich auch der übernommenen Pachtflächen) deutlich. Danach kann eine LPG im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen die landwirtschaftlichen Nutzungsarten verändern, Meliorationsarbeiten durchführen, das Wege- und Grabennetz erweitern, Neubauten und Umbauten vornehmen, und zwar auch ohne Zustimmung des Bodeneigentümers. Die LPG kann in Ausübung ihres Nutzungsrechts auch Bodenbestandteile ausbeuten, die wirtschaftlich nutzbar und nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht Volkseigentum sind, z. B. Bodenmaterial aus Lehmund Kiesgruben, Steinbrüchen, Torfstichen u. ä. Aus all diesen Einschränkungen und Eingriffen geht deutlich hervor, daß die in § 7 des LPG-Gesetzes enthaltene Zusicherung „der i n die Genossenschaft zur allgemeinen Nutzung eingebrachte Boden bleibt Eigentum der Mitglieder"

praktisch wertlos ist. Über das eingebrachte Land hat die LPG ein Bodenbuch zu führen, das als ein Verzeichnis über die genutzten Flächen anzusehen ist. Dieses Verzeichnis dient als Grundlage für die Berechnung der auszuzahlenden Bodenanteile; in ihm sind folgende Eintragungen vorzunehmen: (a) die von den Mitgliedern eingebrachten auf den Namen des Eigentümers eingetragenen Flächen; (b) die von der öffentlichen Hand übergebenen Flächen aus Volkseigentum oder nicht verteiltem Bodenreform-Land; (c) die vom Staat übergebenen, Dritten gehörenden Flächen als vom Staat zur Nutzung übergebenes Land. Hierbei handelt es sich zumeist u m L a n d geflüchtete Bauern, das über die ö r t l i c h e n Landwirtschaftsbetriebe den L P G „zur unentgeltlichen Nutzung übergeben" w u r d e u n d das, w i e oben gesagt, formalrechtlich i m Eigentum der geflüchteten Bauern verblieben ist. V o n diesen Flächen können Mitglieder, die ohne oder m i t wenig L a n d i n die L P G eingetreten sind (Landarbeiter, Industriearbeiter, H a n d w e r ker u. a.), Boden ins Bodenbuch eingetragen erhalten, u n d zwar i n einem Flächenumfang, der nicht größer sein soll als der Durchschnitt der von den übrigen L P G - M i t g l i e d e r n eingebrachten Bodenflächen.

Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Eintragung von Ländereien in das Bodenbuch keine Änderung des Eigentumsstatus an diesem Boden bewirkt. Bei der Landzuweisung an landarme Mitglieder erfolgt also keine grundbuchamtliche Eintragung auf den Namen des Landarbeiters. Das ist nach den sowjetzonalen Bestim96

GBl. I, 1959, S. 577, §§ 8—10.

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

69

mungen auch gar nicht möglich, da die auf den Namen eines landarmen LPG-Mitgliedes im Bodenbuch eingetragene Fläche nach wie vor im Eigentum des geflüchteten Bauern verbleibt. Die Eintragung im Bodenbuch erfolgt, wie bereits erwähnt, lediglich, um die landarmen Mitglieder mit der ihnen „fiktiv" zugewiesenen Fläche an der Verteilung der Einkünfte nach Bodenanteilen mit partizipieren zu lassen. Damit soll die Gleichstellung des landeinbringenden und landarmen Mitgliedes gewährleistet werden. I m Rahmen der Ausweitung des sozialistischen Sektors der Landwirtschaft können speziell in einer LPG Typ I I I Ländereien vielfacher Herkunft enthalten sein: Altbauernland,

d. h. Land aus angestammtem Besitz der Bauern;

Neubauernland, d.h. Land aus der Bodenreform, das der Neubauer auch nach der Einbringung in die LPG als Eigentum behält; Pachtland von Pächtern aus der Zeit vor 1945 und von „Neupächtern" 97 . Ferner kann in der LPG Kaufland enthalten sein, daß diese von ehemaligen Mitgliedern oder anderen Personen direkt oder über die öffentliche Hand erworben hat. Kaufland wird genossenschaftliches Eigentum. In den LPG können schließlich noch Ländereien

der ÖLB, hauptsächlich Flüchtlingsland, enthalten sein.

Aufschlußreich ist die Interpretation, die Schmidt in Anlehnung an Marx zur „qualitativen Veränderung der Eigentumsverhältnisse" am Boden gibt, sofern dieser von Einzelbauern zur genossenschaftlichen Bewirtschaftung in eine LPG eingebracht wird: „Das private Eigentum des Einzelbauern an einem ganz bestimmten, i n der F l u r k a r t e genau bezeichneten Grundstück verwandelt sich i n das Eigentum 97 „Die Mitglieder der L P G T y p I u n d I I bleiben w e i t e r h i n Pächter des i n die Genossenschaft eingebrachten Pachtlandes, u n d zwar auch dann, w e n n der Verpächter selbst M i t g l i e d der Genossenschaft geworden ist. Das bedeutet, daß sie w e i t e r h i n alle Rechte u n d Pflichten aus dem bestehenden Pachtrechtsverhältnis haben. Sie sind verpflichtet, den Pachtzins an den V o r pächter zu entrichten; andererseits hat ihnen die Genossenschaft entsprechend der Güte u n d Menge des eingebrachten Pachtlandes Bodenanteile zu g e w ä h r e n . . . Bei eingebrachtem Pachtland v o n Mitgliedern der L P G T y p I I I t r i t t der Rat des Kreises i n die rechtliche Stellung des bisherigen Pächters — des jetzigen Mitgliedes der Genossenschaft — ein." Arlt begründet diese Darlegung des Unterschiedes hinsichtlich des Pachtverhältnisses i n den L P G niederen oder höheren Typs damit, daß die M i t glieder der L P G T y p I u n d I I aus ihren individuellen Viehhaltungen hohe Einnahmen erzielen, so daß sie noch genügend M i t t e l f ü r die Begleichung des Pachtzinses besitzen. „ D i e Zahlung des Pachtzinses f ü r Pachtländereien, die i n L P G T y p I I I eingebracht wurden, durch den Rat des Kreises stellt eine besondere F o r m der staatlichen Unterstützung gerade dieses Typs dar." (R. A r l t , Rechte u n d Pflichten der Genossenschaftsbauern, a.a.O., S. 43 f.)

C. Entwicklungsstufen der mitteldeutsche

A g r a r p o l i t i k (bis i960)

des Genossenschaftsbauern an einem nach Qualität u n d Größe bestimmten A n t e i l an der genossenschaftlich bewirtschafteten Fläche. Tatsächlich ist es so, daß der landeinbringende werktätige Einzelbauer das Eigentum an seinem Grundstück behält, daß die Grundbucheintragungen bestehenbleiben, daß also dieser von ihm eingebrachte Boden sein Bodenanteil ist Das eintretende M i t g l i e d verzichtet jedoch auf die individuelle Verfügungsgewalt über die Bewirtschaftung seiner Parzelle u n d e r w i r b t dafür das volle Mitbestimmungsrecht über die genossenschaftliche Bewirtschaftung des großen genossenschaftlichen Bodenfonds, w o m i t gleichzeitig die Verpflichtung zur Teilnahme an der genossenschaftlichen A r b e i t verbunden ist. Es ist daher notwendig, daß wir zwischen privatem bäuerlichen Eigentum, das die Grundlage für die bäuerliche Einzelarbeit darstellt, und dem Eigentum der Genossenschaftsbauern an einem Bodenanteil an der genossenschaftlich bewirtschafteten Fläche unterscheiden. Dieses Eigentum der Genossenschaftsbauern am Bodenanteil setzt der sozialistischen Organisation der Produktion keine Hemmnisse mehr entgegen" 9 8 . „Die Gewährleistung des Grundeigentums der Mitglieder ist die günstigste Form, das Eigentum als Hindernis f ü r die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft zu überwinden, aber, das muß betont werden, aus dem privaten bäuerlichen Eigentum an einem bestimmten Bodenstück wird Eigent u m des Genossenschaftsbauern an einem A n t e i l an der genossenschaftlich bewirtschafteten Bodenfläche. So ist es m i t der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft möglich, das private bäuerliche Grundeigentum zu überw i n d e n u n d durch die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse m i t einem neuen I n h a l t zu erfüllen, ohne es r a d i k a l zu beseitigen 9 9 ." D i e hier vorgenommene Deutung der „qualitativen Veränderung des Eigentums" a m Boden läßt erkennen, w i e sehr die SED-Ideologen versuchen, der in A r t i k e l 24 der 1949 proklamierten Verfassung der „ D D R " enthaltenen Garantie „ . . . nach Durchführung dieser Bodenreform w i r d den Bauern das P r i v a t eigentum an i h r e m Boden gewährleistet" gerecht zu werden, während sie sich gleichzeitig bemühen, den traditionellen Eigentumsbegriff allmählich i m Sinne der sozialistischen D o k t r i n einzuschränken. Es ist dies i m übrigen nur einer der Schritte auf dem i n der „Politischen Ökonomie", Lehrbuch, vorgeschriebenen Wege: „Der volle Sieg des Sozialismus i n der Landwirtschaft setzt voraus, daß der gesamte Boden vergesellschaftet, i n gesellschaftliches Eigentum verwandelt wird100." W ä h r e n d i n der LPG Typ I i m Regelfall n u r das Ackerland eingebracht w i r d und motorische und tierische Zugkräfte sowie Maschinen und Geräte nur i m Bedarfsfall, und dann gegen Bezahlung, der L P G 98 W. Schmidt, Die planmäßige B i l d u n g u n d Verwendung der genossenschaftlichen Fonds. I n : „Die Deutsche Landwirtschaft", 1959, S. 521. 99 W. Schmidt, „Die Bedeutung und der I n h a l t des Gesetzes über die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften". I n : „Die Deutsche L a n d w i r t schaft", 1959, S. 209. 100 Politische Ökonomie, a.a.O., S. 660.

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

71

zur Verfügung zu stellen sind, müssen in den Typ II die motorischen und tierischen Zugkräfte sowie Maschinen und Geräte eingebracht werden; nach dem neuen Musterstatut für den Typ II vom 2. August 1962 wird bereits in diesem Typ auch der Aufbau einer genossenschaftlichen Viehhaltung gefordert. I m Typ III hat der Bauer den gesamten Betrieb mit sämtlichen Flächen sowie mit vollem lebenden und toten Inventar und gegebenenfalls mit Wirtschaftsgebäuden der LPG zur allgemeinen Nutzung zu übergeben, soweit eine kleine Landfläche und eine geringe Anzahl von Vieh nicht zur Führung der Persönlichen Hauswirtschaft 101 benötigt werden. Zu den einzubringenden Beständen gehören auch der Wald sowie langjährige Kulturen wie Obstgehölze, Hopfenanlagen, Rebpflanzungen usw. Das in die LPG eingebrachte Inventar, Wirtschaftsgebäude und Waldbestände werden durch eine von der LPG-Mitgliederversammlung für diese Zwecke gewählte Kommission, gegebenenfalls unter Hinzuziehung amtlicher Sachverständiger, bewertet. Das Mitglied einer LPG Typ I I I ist verpflichtet, einen Inventarbeitrag zu leisten: (a) Mitglieder, die Land eingebracht haben, entrichten den Inventarbeitrag aus dem Wert des an die LPG übergebenen Inventars, (b) Mitglieder, die Boden aus den in der LPG befindlichen Flächen der öffentlichen Hand im Bodenbuch eingetragen erhielten, können den Inventarbeitrag in Geld entrichten. Die Höhe des Inventarbeitrages soll in der Regel 500,— D M je Hektar eingebrachter Bodenfläche und 800,— D M je Hektar eingebrachter Waldfläche betragen. Ist der Wert des eingebrachten lebenden und toten Inventars höher als die Summe des festgelegten Inventarbeitrages, so soll der Unterschied als „zusätzlicher Inventarbeitrag" betrachtet und von der LPG zinslos zurückgezahlt werden. Termin und Zahlungsweise legt die Mitgliederversammlung fest, Rückzahlungen für eingebrachten Wald erfolgen „allein aus den Einkünften der Waldwirtschaften der LPG unter Sicherung der erweiterten Reproduktion". — Ist der Wert des eingebrachten toten und lebenden Inventars niedriger als die Summe des festgelegten Inventarbeitrages, hat das Mitglied die fehlende Summe an die LPG in bar zu bezahlen. Soweit Wirtschaftsgebäude eingebracht sind, kann eine Sonderregelung dahingehend vereinbart werden, daß diese, anstatt einer Verrechnung auf den Inventarbeitrag, gegen Übernahme der Instandhaltungskosten, Steueranteile und Versicherungsbeiträge oder gegen Berücksichtigung bei der Verteilung der Einkünfte (Inventarrente) genossenschaftlich genutzt werden. Dieses Verfahren entbindet die LPG von der Übernahme und dem Ankauf von für die LPG ungeeigneten Gebäuden. 101

GBl. I 1959, S. 577.

72

C. E n t w i c k n g s s t f e

der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bis 1960)

Das vom Mitglied in die LPG eingebrachte Inventar sowie die Wirtschaftsgebäude, soweit sie nicht unter die Sonderregelung fallen, und der Waldbestand werden genossenschaftliches Eigentum. Beim Wald werden nur die Holzbestände genossenschaftliches Eigentum; der Boden nicht, denn formalrechtlich bleibt dieser im Eigentum des LPG-Mitgliedes. Werden von der LPG in Ausübung ihres Nutzungsrechtes Gebäude oder sonstige Anlagen errichtet oder LPG-Flächen aufgeforstet, so werden diese Gebäude, Anlagen und der Wald bestand genossenschaftliches Eigentum 102 . Soweit die LPG — in Ausnahmefällen — Eigentum an Grund und Boden erwirbt, wird auch dieses zum genossenschaftlichen Eigentum 103 . Die drei LPG Typen sind nicht nur gekennzeichnet durch die Einbringung von Flächen unterschiedlicher Nutzungsarten, sondern vor allem durch den unterschiedlichen Grad der Vergesellschaftung der übrigen Produktionsmittel. Immerhin bleibt festzustellen, daß in der mitteldeutschen Landwirtschaft die Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln auf etwa zwei Drittel der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche durchgeführt worden ist. (5) Leitung und Verwaltung

der LPG

Die in den Musterstatuten enthaltenen Bestimmungen über die Leitung und Verwaltung der LPG erwecken zunächst den Eindruck, daß es sich hier um die Grundsätze einer Genossenschaft im westlichen Sinne handelt. „Die LPG wird durch die Mitgliederversammlung, den Vorstand und den Vorsitzenden geleitet. Das höchste Organ der LPG ist die Mitgliederversammlung." 104 Die verwaltungsmäßigen Zuständigkeiten der Mitgliederversammlung sind genau festgelegt; sie erscheinen dem Worte nach im Sinne einer „innergenossenschaftlichen Demokratie" durchaus akzeptabel. Die Mitgliederversammlung tritt in der Regel monatlich zusammen; ihre Beschlüsse werden mit einfacher Stimmenmehrheit gefaßt. Die Mitgliederversammlung ist beschlußfähig, wenn mindestens zwei Drittel der Mitglieder anwesend sind. Wie einflußlos das „höchste Organ der Genossenschaft", die Mitgliederversammlung, ist, geht aus der im neuen Musterstatut für die LPG Typ I I enthaltenen Bestimmung hervor, wonach „die Leitung der Genossenschaft auf der Grundlage der Beschlüsse der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der gesetzlichen Bestimmungen der Deutschen Demokratischen Republik, der Beschlüsse der örtlichen Volksvertretungen und der Bestimmungen des Statuts erfolgt" 105 . Mit dieser Prämisse 102 103 104 105

GBl. I 1959, S. 578, § 13. Ebenda, § 8 (2). GBl. I 1959 S. 357. Musterstatut f ü r L P G T y p I I , GBl. I I , 1962, S. 521, N r . 32 (2).

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

73

ist die Grundlage für die entscheidende Bestimmung des Musterstatuts, über „Die Leitung und Verwaltung der Genossenschaft" gegeben 106 : „Der Rat des Kreises ist berechtigt u n d verpflichtet, von der Mitgliederversammlung die Veränderung eines fehlerhaften Beschlusses zu verlangen. K o m m t die Mitgliederversammlung dieser Forderung nicht nach, so k a n n der Rat des Kreises nach einer Stellungnahme der Ständigen Kommission f ü r Landwirtschaft die fehlerhafte Entscheidung der Mitgliederversamml u n g durch Beschluß aufheben."

Da die maßgeblichen Positionen im Rat des Kreises und in der Ständigen Kommission für Landwirtschaft mit SED-Funktionären besetzt sind, kann die Mitgliederversammlung das „Genossenschaftsprinzip der Selbstverwaltung" nur in dem Sinne zur Anwendung bringen, als es den Zielen des herrschenden Regimes entspricht. Dieser Leitsatz gilt selbstverständlich auch für die übrigen Verwaltungsorgane der LPG. Von diesen sind, abgesehen vom Vorstand und dem Vorsitzenden, deren Kompetenzen genau festgelegt wurden, die wichtigsten: die Revisionskommission, die mit weitgehenden Vollmachten zur Kontrolle der gesamten Wirtschaftsführung auch gegenüber dem Vorsitzenden, dem Vorstand und der Buchhaltung ausgestattet ist; der Buchhalter, der einen ständigen Überblick über den Stand der wirtschaftlichen Entwicklung der LPG haben soll. Er hat den Vorsitzenden regelmäßig über die Ergebnisse der Wirtschaftsführung zu unterrichten und im Falle der Nichtbeachtung der von ihm festgestellten Mängel die Revisionskommission zu verständigen; die Normenkommission, welche die Vorschläge für die Tagesarbeitsund die Bewertungsnormen für die verschiedenen Arbeiten ausarbeitet. Die Normen sind von der Mitgliederversammlung jährlich vor der Produktionsplanung zu bestätigen. (6) Die Organisation und Bewertung der Arbeit Über die sozialistische Arbeitsorganisation, Disziplin und Bewertung der Arbeit sind in den Musterstatuten sowie in einer eigens zu diesem Zweck herausgegebenen „inneren Betriebsordnung" 107 für alle drei LPG Typen genaue Anweisungen enthalten. Besonders charakteristisch für die Arbeitswirtschaft in den LPG sind folgende Vorschriften: (a) Die gesamte Arbeit in den LPG ist von den Mitgliedern selbst zu leisten. Nur Arbeitskräfte mit Spezialkenntnissen (Agronomen, Veterinäre, Techniker) können beschäftigt werden. Eine weitere Ausnahme ist die zeitweise Beschäftigung von bezahlten Kräften bei 108

Musterstatut f ü r L P G T y p I I , GBl. I I , 1962, S. 521, Nr. 34 (3). Beschluß über die Empfehlung für die Ausarbeitung der inneren Betriebsordnung der LPG, GBl. I, 1959, S. 657. 107

74

C. E n t w i c k n g s s t f e

der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bis 1960)

Arbeitsspitzen, die mit den Mitgliedern und deren Familienangehörigen nicht bewältigt werden können. (b) Die jährliche Mindestarbeitsleistung der LPG-Bauern wird durch Beschluß der Mitgliederversammlung bestimmt. Es soll erreicht werden, daß die Mitglieder ihre Arbeitskraft hauptsächlich der LPG und nicht ihrer Persönlichen Hauswirtschaft zur Verfügung stellen. Bei Nichterreichen der festgelegten Mindestarbeitsleistung können bei der Arbeitsvergütung Abzüge an den zustehenden Bodenanteilen und Naturalien gemacht werden. (c) Eine ganzjährige Beschäftigung wird den Mitgliedern nicht garantiert Infolge dieser unsicheren und im Jahresablauf ungleichmäßigen Entlohnung ergibt sich für die LPG-Mitglieder — gerade entgegen der von der SED verfolgten Tendenz — die Notwendigkeit, in der Persönlichen Hauswirtschaft sich eine zusätzliche Einnahmequelle zu sichern. (d) Die LPG-Mitglieder werden in ständige Produktionsbrigaden eingeteilt, von denen die wichtigsten die Feldbaubrigaden und die Viehwirtschaftsbrigaden sind. Diese werden für längere Zeiträume zusammengestellt und nach Arbeitsgruppen unterteilt, entsprechend der Struktur der LPG und den örtlichen Verhältnissen. — Mit der Bildung von Produktions- bzw. Arbeitsgruppen soll erreicht werden, die LPG-Mitglieder nach ihrem Können einzusetzen und durch die Zuweisung abgegrenzter Aufgabengebiete die Eigenverantwortlichkeit und damit die Leistungsfähigkeit zu erhöhen. (e) Die ständigen Produktionsbrigaden werden von einem vom Vorstand eingesetzten und von der Mitgliederversammlung bestätigten Brigadeleiter (Brigadier) geleitet. Dieser ist für die Arbeit der Brigade verantwortlich und berechtigt, den Mitgliedern der Brigade Weisungen zu erteilen. — Die Brigademitglieder haben das Recht und die Pflicht, in Brigadeversammlungen und Produktionsberatungen Vorschläge zur Verbesserung der Arbeit zu unterbreiten und Kritik an der Arbeit des Brigadeleiters oder anderer Brigademitglieder zu üben 108 . (f) Die Bewertung der Arbeit erfolgt nach Arbeitsnormen. Als Maßeinheit gilt die Arbeitseinheit (AE). Die von dem Mitglied geleistete Arbeit wird durch den Brigadier berechnet und bewertet. Jedes Mitglied hat ein Leistungsbuch zu führen, in dem der Brigadier allwöchentlich die Übereinstimmung der Eintragungen mit dem von ihm geführten Leistungsnachweis bestätigen muß. 108

Musterstatut f ü r L P G T y p I I I ; GBl. I , 1959, S. 355.

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

75

Jeden Monat wird eine Leistungsliste aufgestellt, in der die geleisteten Arbeitseinheiten jedes einzelnen Mitgliedes enthalten sind. Diese Leistungsliste hängt „an gut sichtbarer Stelle zur Kenntnis für alle Mitglieder" aus. Die Tagesarbeitsnormen (TN) sind in einem MusterarbeitsnormenKatalog festgelegt, der an wissenschaftlichen Instituten ausgearbeitet und von der für die Landwirtschaft zuständigen höchsten Verwaltungsspitze (Landwirtschaftsrat) bestätigt worden ist. Die Tagesarbeitsnormen jeder LPG werden von der Normenkommission festgelegt und sind von der Mitgliederversammlung jährlich zu bestätigen. Die Arbeitsleistung jedes LPG-Mitgliedes wird in Arbeitseinheiten (AE) ausgedrückt. „ F ü r jede L P G ist es wichtig, zu messen, welchen A n t e i l das einzelne M i t g l i e d an der Arbeit, an ihren Ergebnissen u n d an den darauf beruhenden Einkünften der L P G hat. Dazu dient als Maß die Arbeitseinheit (AE), die eine neue, dem Charakter der L P G entsprechende ökonomische K a t e gorie darstellt. Die A E erfüllt zwei Funktionen. Sie ist Maßeinheit der Arbeit , indem sie den A n t e i l des einzelnen an der gemeinsamen P r o d u k t i o n erfaßt, u n d Maßeinheit für die Verteilung der Einkünfte an die M i t glieder 1 0 9 ."

Alle Arbeiten sind in sogenannte Bewertungsgruppen mit unterschiedlichen Bewertungsfaktoren eingeteilt, durch welche die körperliche Belastung, die Kompliziertheit der Arbeit sowie der Grad der Verantwortung und die Bedeutung der Arbeit berücksichtigt werden sollen 110 . Auf diese Weise sollen — nach sowjetischem Vorbild — die Quantität und Qualität der Arbeit jedes Mitgliedes täglich ermittelt werden. Dies geschieht nach folgender Formel: tatsachliche Arbeitsleistung X Bewertungsfaktor — -— Tagesarbeitsnorm Beispiel:

3000 X 1,2 2000

._ A _ = Arbeitseinheit

Rüben verziehen = Bewertungsfaktor 1,2 A E Tagesarbeitsnorm = 2000 lfd. Meter je Tag tatsächl. Leistung = 3000 lfd. Meter je Tag , ft A T n . , , _ _ . , = 1,8 A E als anzurechnende Tagesleistung.

Fortschrittliche LPG haben für alle Feldarbeiten Qualitätsmerkmale festgelegt und nach folgenden Güteklassen vergütet: 109 110

R. Arlt t Rechte u n d Pflichten der Genossenschaftsbauern, a.a.O., S. 155. Ebenda, S. 156.

76

C. E t w i n g s f e

Güteklasse

1

Güteklasse

II

Güteklasse I I I

der mitteldeutschen Agrarpolitik (bis 1960)

— einwandfreie Arbeit, Normerfüllung und Einhaltung der Qualitätsmerkmale = 100 Prozent Vergütung — genügende Arbeit, Qualitätsmerkmale zu 80 Prozent ererfüllt = 80 Prozent Vergütung — schlechte Arbeit, Qualitätsmerkmale nicht beachtet = 50 Prozent Vergütung

Damit ist eine Konkretisierung des in Ziff. 22 Musterbetriebsordnung enthaltenen Grundsatzes vorgenommen worden, daß der Brigadier berechtigt (und verpflichtet) ist, schlecht ausgeführte Arbeiten ohne Anrechnung von AE wiederholen zu lassen bzw. nicht oder geringer zu bewerten 111 . Die Vergütung sämtlicher Arbeiten erfolgt im Rahmen der Verteilung der Gesamteinkünfte der L P G 1 1 2 . Die hier aufgeführten Vorschriften machen die strenge Unterordnung unter die kollektiv-wirtschaftliche Arbeitsorganisation und somit die innere Umstellung deutlich, der ein vordem selbständig wirtschaftender Bauer beim Einsatz in einer LPG ausgesetzt ist. Die nicht oder nur schwer gelingende Anpassung der gesamten Lebens- und Arbeitsweise an die dem sowjetischen System entlehnte und dem deutschen Bauern von Grund auf widerstrebende Kollektivarbeit dürfte wohl das schwierigste Hindernis auf dem Wege zum Aufbau des Sozialismus auf dem Lande sein. (7) Die Verteilung

der Einkünfte

(a) Die genossenschaftlichen Fonds Bei der Verteilung der Einkünfte spielen die genossenschaftlichen Fonds, deren Bildung durch die Musterstatuten vorgeschrieben ist, eine besondere Rolle. „Jeder Fonds der LPG stellt einen besonderen, einem bestimmten Zweck gewidmeten Teil des Vermögens der LPG dar, der vorwiegend im Prozeß der wirtschaftlichen Tätigkeit verwendet, vom Recht anerkannt und besonders erfaßt wird. Die genossenschaftlichen Fonds sind also abgesonderte Vermögensteile oder Sondervermögen der LPG. Um einen bestimmten Komplex genossenschaftlicher Eigentumsobjekte, Sachen oder Geldmittel, als Fonds bezeichnen zu können, muß dieser nicht nur vom übrigen genossenschaftlichen Vermögen abgesondert, sondern auch einem bestimmten wirtschaftlichen Zweck im Produktions- und Wirtschaftsablauf gewidmet sein. Der genossenschaftliche Fonds ist also nicht eine in erster Linie rechnerische, rein wertmäßig ausgedrückte und lediglich in der Bilanz erscheinende Einheit" 118 . „ I n ökonomischer Hinsicht versteht man unter einem kollektivwirtschaftlichen Fonds einen bestimmten, abgesonderten Teil des kollektivwirtschaft111 112 113

Ebenda, S. 157. GBl. I 1959 S. 355. R. Arlt, Grundriß des LPG-Rechts, Berlin (Ost), 1959, S. 291.

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

77

liehen Vermögens, der eine besondere Zweck-(Wirtschafts-)bestimmung besitzt u n d i n Übereinstimmung m i t i h r i m Prozeß der erweiterten sozialistischen Reproduktion genutzt w i r d 1 1 4 . "

Unter diesen Gesichtspunkten haben die LPG folgende Fonds zu bilden: (a) einen Grundmittelfonds.

Hierzu gehören

aa) alle Grundmittel der LPG, z. B. Wirtschaftsgebäude und Anlagen (Be- und Entwässerungsanlagen, Baumschulen u. ä.), Maschinen und Geräte, Transportmittel, aber auch Gebäude und Einrichtungen für die soziale und kulturelle Betreuung; bb) die Geldmittel des Grundmittelfonds; sie setzen sich zusammen aus den Eintrittsbeiträgen und Zahlungen der Mitglieder auf den Inventarbeitrag sowie aus den jährlichen Zuweisungen aus den Geldeinnahmen der LPG (vgl. Jahresendabrechnung). Die Geldmittel dienen der Werterhaltung (mit Ausnahme laufender Reparaturen) und der Erweiterung der LPG-Wirtschaft; zur Werterhaltung gehört die Wiederbeschaffung unbrauchbar gewordener Anlagegüter, z. B. Gebäude und Inventar. Die Geldmittel werden auch verwendet zur Rückzahlung von langfristigen Krediten und zur Bezahlung des zusätzlichen Inventarbeitrages. Der Grundmittelfonds soll ein „unteilbarer Fonds" sein, da nur durch die Unteilbarkeit die Gewähr für seine Zweckbestimmung gegeben ist, nämlich „der Reproduktion zu dienen". Grundsätzlich sollen die unteilbaren Fonds auch bei einem Übertritt von LPG-Mitgliedern von einer LPG in eine andere unberührt bleiben, obwohl gerade in diesen Fällen gewisse Ausnahmen zugelassen sind. (b) einen Saatgut- und Saatgutreservefonds (c) einen Futtermittelfonds (d) einen Hilfsfonds, welcher der Unterstützung arbeitsunfähiger und anderer unverschuldet in Not geratener Mitglieder dienen soll; dieser Fonds ist im Laufe der letzten Jahre hinsichtlich seines Anwendungsbereichs (zum Beispiel bei Krankheit, Schwangerschaft, Arbeitsunfall, Wehrdienst) zunehmend erweitert worden; (e) einen Kulturfonds, stimmt ist;

der für die Förderung kultureller Belange be-

(f) einen Prämienfonds; dieser Fonds hat im Laufe der letzten Jahre eine ständig zunehmende Bedeutung erlangt. Nach den Musterstatuten sind alle LPG verpflichtet, eine „Prämienordnung" zu beschließen. I n der Hauptsache kommen folgende Prämien in Betracht: 114 M. J. Kosyr, Die Objekte der kollektivwirtschaftlichen Eigentumsrechts, Moskau, 1956, S. 87.

78

C. E n t w c k i n g s s t i f e

der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bis 1960)

aa) Prämien für das auch unter erschwerten Bedingungen erreichte oder zeitlich unterbotene Arbeitsziel (Zielprämien), bb) Prämien für Qualitätsmerkmale, die über die Güte- oder Qualitätsnormen hinausgehen (Qualitätsprämien), cc) betriebswirtschaftliche Prämien für Steigerung der Produktion gegenüber dem Vorjahr, für Übererfüllung der geplanten Produktionsziele oder für Unterschreitung der vorgegebenen Kostenund Aufwandskennzahlen 115 , (g) einen Rücklagefonds zur Finanzierung von Vorschüssen für geleistete Arbeitseinheiten sowie Sicherung eines stabilen Wertes der Arbeitseinheit. (b) Die Verteilung der Natural- und Gelderträge Die Verteilung der Natural- und Gelderträge in der LPG erfolgt auf der Grundlage der Jahresendabrechnung (Wirtschaftsjahr = Kalenderjahr) nach folgendem Verfahren: Vom gesamten Naturalertrag und Verpflichtungen der LPG vor der Verteilung zustellen für

sind zur Befriedigung der Bedürfnisse

an die Mitglieder

die notwendigen Anteile bereit-

1. die Pflichtablieferungen u n d Vertragslieferungen an die Volkseigenen Erfassungs- u n d Aufkaufbetriebe (VEAB) 2. den Eigenverbrauch des Betriebes zur Produktionserneuerung (Saatgutfonds, Futtermittelfonds) 3. die Freiverkäufe („freie Spitzen") an V E A B bzw. Bauernmarkt 4. die Naturalprämien an die LPG-Mitglieder.

Von den Gelderträgen der LPG sind zur Befriedigung der Bedürfnisse und Verpflichtungen der LPG vor der Verteilung an die Mitglieder die notwendigen Anteile bereitzustellen für 1. die Bezahlung der festgesetzten Steuern an den Staat, die Versicherungsbeiträge u. a. 2. die Aufwendungen f ü r die laufende Produktion ausschließlich Entgelte der Mitglieder f ü r Bodenanteile u n d geleistete A r beitseinheiten (AE) 3. den Grundmittelfonds („Unteilbarer Fonds") f ü r Amortisationen u n d V e r mögenserhöhung sowie f ü r die Rückzahlung von langfristigen K r e d i t e n 4. den Hilfsfonds 5. den Kulturfonds 6. den Prämienfonds 7. den Rücklagefonds. 115

R. Arlt,

Rechte u n d Pflichten der Genossenschaftsbauern, a.a.O., S. 165.

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

79

Zur Verteilung an die Mitglieder entfallen von den nach Befriedigung der Bedürfnisse und Verpflichtungen der LPG verbleibenden Natural- und Gelderträgen bei Typ III mindestens 80 v. H. u n d bis bei Typ

20 v. H .

auf die i m Laufe des Wirtschaftsjahres v o n den M i t g l i e dern geleisteten „Arbeitseinheiten " anteilmäßig verteilt auf die v o n den Mitgliedern eingebrachten oder — bei Landlosen — diesen zugewiesenen „Bodenanteile ",

II

mindestens bis bei Typ I mindestens bis

70 v. H. 30 v. H.

auf „Arbeitseinheiten" u n d auf „Bodenanteile",

60 v. H. 40 v. H.

auf „Arbeitseinheiten" u n d auf „Bodenanteile".

Die Mitglieder einer LPG erhalten also keinen verbindlich vereinbarten Arbeitslohn (Zeitlohn oder Leistungslohn), sondern einen Anteil an dem Überschuß der LPG. A u f die — geplanten — Überschüsse werden während des Wirtschaftsjahres Naturalvorschüsse und Abschlagszahlungen auf die Endabrechnung der A r beitseinheiten an die Mitglieder ausgegeben. Die Höhe der i n Geld u n d N a t u ralien an jedes M i t g l i e d entsprechend seinen Arbeitsleistungen ausgegebenen Vorschüsse soll 70 v. H. des f ü r das laufende Jahr geplanten Wertes der A r beitseinheiten nicht übersteigen. A u f Bodenanteile werden keine Vorschüsse i n Geld oder Naturalien gewährt. Z u den Naturalvorschüssen gehören auch Rauh-, G r ü n - u n d Saftfutter f ü r die Persönliche Hauswirtschaft.

Der Gegenwert einer Arbeitseinheit 116 ergibt sich bei Typ I I I aus dem Wert der 80 v. H. der an die Mitglieder zur Verteilung verbleibenden Natural- und Geldüberschüsse, dividiert durch die Anzahl der insgesamt, d. h. von allen Mitgliedern, geleisteten Arbeitseinheiten. Da die LPG mit unterschiedlichem Erfolg wirtschaften, muß auch die Vergütung für die AE von LPG zu LPG verschieden ausfallen. (c) Der Gegenwert eines Bodenanteils Bei der Berechnung der Bodenanteile wird der gesamte von der LPG genutzte Boden (land- und forstwirtschaftliche Nutzflächen) zugrunde gelegt; und zwar (1) der von den Mitgliedern eingebrachte, (2) der den LPG von der öffentlichen Hand zur Nutzung übergebene und (3) der von der LPG — in Ausnahmefällen — erworbene Boden. 118

Berechnung der Arbeitseinheit, s. o.

80

C. E n t w i c k n g s s t f e

der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bis 1960)

Mitglieder, die Land eingebracht haben, erhalten die auf diese Flächen entfallenden Anteile mit Ausschluß der Großbauern. Die Höhe der Bodenanteile von Großbauern soll die Durchschnittsgröße der von anderen Mitgliedern eingebrachten Bodenflächen nicht überschreiten. Diese auf die „Überflächen" der Großbauern entfallenden Bodenanteile werden dem Unteilbaren Fonds der LPG zugeführt. Die Großbauern haben aber für die gesamte von ihnen eingebrachte Fläche den Inventarbeitrag zu zahlen. Auf diese Weise soll das sogenannte Prinzip der „Vergütung der Arbeit nach Leistung" betont und der kapitalistischen „Vergütung der Bodenrente" entgegengewirkt werden. Den Mitgliedern, die selbst kein Land eingebracht haben, werden Flächenanteile aus den unter (2) und (3) genannten Herkünften angerechnet. Die restlichen Bodenanteile, die auf (2) und (3) entfallen, werden dem Unteilbaren Fonds der LPG zugeführt. Seit Jahren wird die Frage diskutiert, ob bei der Einkünfteberechnung die bisherige Berücksichtigung der Bodenanteile nicht in Fortfall kommen und die Vergütung der Arbeit ausschließlich nach geleisteten Arbeitseinheiten erfolgen sollte. Einige „fortschrittliche" LPG sind diesen Weg bereits gegangen. Den LPG, die keine oder nur geringe Überschüsse erzielten, wurden staatliche Kredite zur Bezahlung der Arbeitseinheit gegeben. Bis Ende 1959 wurde ein Mindestwert von 7,— DM-Ost je Arbeitseinheit gesetzlich garantiert, so daß ein Mitglied bei 25 — 35 AE im Monat ein Mindest-Brutto-Arbeitseinkommen von 175,— bis 245,— DM-Ost erzielen konnte. Nach Abschluß der Kollektivierung ist die staatliche Stützung in Höhe von 7,— DM-Ost je AE — rückwirkend ab 1. 1. 1960 — ebenso wie eine Reihe anderer finanzieller Förderungsmaßnahmen durch Gesetz aufgehoben worden. Nachdem in wirtschaftlich schlecht stehenden LPG Unruhe wegen des niedrigen Einkommens aus der LPG-Arbeit eingetreten war, wurden für diese LPG wieder zusätzlich Wirtschaftskredite zur Verfügung gestellt, die auch zur Hebung des Auszahlungswertes der Arbeitseinheit verwendet werden dürfen. Zur Verteilung der Einkünfte ist zu sagen, daß mit Vorrang die Verpflichtungen gegenüber dem Staat zu erfüllen sind, danach ist der Wirtschaftsbetrieb der LPG zu versorgen; erst der dann verbleibende Überschuß wird an die Mitglieder verteilt. In den wirtschaftlich gut funktionierenden LPG wird zunehmend das Bestreben der LPG-Funktionäre erkennbar, auf Kosten der Auszahlungen an die Mitglieder einen möglichst hohen Anteil dem Grundmittelfonds zuzuführen. (8) Die Persönlichen Hauswirtschaften . Die Haupteinnahmequelle der LPG-Mitglieder soll die genossenschaftliche Wirtschaft sein. Nur „durch individuelle Arbeit zusätzlich die per-

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

81

sönlichen Bedürfnisse der Mitglieder und ihrer Familien zu befriedigen", hat bei allen drei Typen der LPG jedes Mitglied das Recht, eine Persönliche Hauswirtschaft zu führen. Wenn mehrere Mitglieder in einem Haushalt leben, so steht ihnen dieses Recht nur gemeinsam zu. I n den Musterstatuten ist ausdrücklich festgelegt, daß „die Führung der persönlichen Hauswirtschaft den genossenschaftlichen Interessen unterzuordnen ist. Sie darf nicht einen solchen Umfang annehmen, daß die Erfüllung der genossenschaftlichen Pflichten des Mitgliedes beeinträchtigt wird". Die Herausstellung dieses Grundsatzes beruht nicht nur auf der Forderung, die „alte Eigentümerideologie" allmählich zu beseitigen, sondern auf der Erfahrung, daß die Eigenwirtschaft der LPG Arbeitskräfte entzieht. Von den Betriebswirtschaftlern in Mitteldeutschland wird darauf hingewiesen, daß die Produktion in den Persönlichen Hauswirtschaften mit einem zu hohen Arbeitsaufwand belastet ist. (a) Land für die Persönliche Hauswirtschaft In den LPG Typ I und III kann das Mitglied mit seiner Familie bis zu 0,5 ha Land einschließlich Gartenland persönlich nutzen. Nach den neuen im Jahre 1962 herausgegebenen Musterstatuten für die LPG Typ II kann jedes Mitglied nur bis zu 0,25 ha Land einschließlich Gartenland zur persönlichen Nutzung erhalten. Nur wenn mehr als zwei Familienmitglieder in der LPG mitarbeiten, darf die Zuteilung bis zu 0,5 ha Land betragen. Damit soll verhindert werden, daß nur ein Familienangehöriger in der LPG tätig ist. Zu beachten ist ferner, daß der bisher geltende Anspruch auf die Persönliche Hauswirtschaft in eine Kannbestimmung umgewandelt worden ist. — Neu ist auch, daß nach Musterstatut für LPG Typ I I ein Mitglied nur „bei Erfüllung der beschlossenen Mindestarbeitsleistung" Land für Zwecke der Persönlichen Hauswirtschaft erhalten kann. Auffallend ist, daß nach den Musterstatuten von 1959 für die LPG Typ I (Ziffer 8) und Typ I I I (Ziffer 3) jedes Mitglied 0,5 ha Land zur persönlichen Nutzung „behalten" kann, während nach den 1962 herausgegebenen Musterstatuten für Typ I I (Ziffer 8) das Mitglied Land zur persönlichen Nutzung „erhalten" kann. Arlt 117 bezeichnet die erstgenannte Formulierung als irreführend; denn „dem M i t g l i e d steht es nicht zu, von sich aus zu bestimmen, welches L a n d es persönlich nutzen w i l l u n d diese Fläche gar zurückzubehalten. Die Rechtslage findet vielmehr ihren exakten Ausdruck i m § 10 Abs. 1 Buchstabe f des LPG-Gesetzes, i n dem es heißt, daß die L P G i n Ausübung ihres Nutzungsrechts berechtigt sind, den Mitgliedern Boden entsprechend den Bestimmungen des Statuts zur persönlichen Nutzung zuzuteilen 117

R. A r i t , Rechte u n d Pflichten der Genossenschaftsbauern, a.a.O., S. 40.

6 Tümmler-Merkel-Blohm

82

C. E n t w i n g s s t f e

der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bis 1960)

Die LPG hat es „auf Beschluß der Mitgliederversammlung" in der Hand, nicht mehr Boden für die Führung der Persönlichen Hauswirtschaft zu belassen, als das Mitglied „ohne Beeinträchtigung seiner Arbeit in der Genossenschaft bewirtschaften kann". Mitglieder, die keinen Boden eingebracht haben, können von der LPG Land zur persönlichen Nutzung erhalten. Es handelt sich hierbei zumeist um Land, das von der öffentlichen Hand in die LPG gelangt ist. Auf Wunsch der Mitglieder können die 0,5 ha Land gemeinsam bewirtschaftet werden. Die Bauern-Mitglieder bevorzugen eine Lage in der Nähe ihres Anwesens, doch darf dadurch der Flächenkomplex der LPG nicht zerstückelt werden. I m Musterstatut für den LPG Typ I I wird bestimmt, daß bei genossenschaftlicher Bewirtschaftung der Hauswirtschaftsflächen die Kosten von den betreffenden Mitgliedern zu erstatten sind. (b) Nutzvieh für die Persönliche Hauswirtschaft Mitglieder von LPG des Typs III können „als persönliches Eigentum zur persönlichen Nutzung und zum Verkauf an den Staat bis zu 2 Kühen mit Kälbern, 2 Mutterschweinen mit Nachwuchs, 5 Schafen mit gleicher Anzahl Nachzucht bis zum Alter von elf Monaten, eine unbegrenzte Anzahl Ziegen, Geflügel, Kaninchen und anderes Kleinvieh sowie bis zu 10 Bienenstöcken erhalten". Als Futter für diese begrenzte Nutz V i e h haltung stehen die nach Bodenanteilen und Arbeitseinheiten zu verteilenden Naturalien zur Verfügung. In den LPG Typ I befinden sich das gesamte Nutzvieh und in den LPG Typ II zur Zeit noch der überwiegende Teil des Nutzviehs in individueller Nutzung. Sämtliche Produkte aus der Persönlichen Hauswirtschaft können zu den erhöhten Aufkauf-Preisen frei verkauft werden. Bedeutung gewinnt die Persönliche Hauswirtschaft in den LPG Typ I und I I jedoch für Mitglieder, die ohne Land in die LPG gekommen sind. Für diesen Personenkreis sehen die Musterstatuten vor, daß sie eine individuelle Viehhaltung in dem für Typ I I I vorgesehenen Umfang einrichten können. Nach dem neuen Musterstatut für die LPGTyp I I von 1962 soll „diesen Mitgliedern Hilfe und Unterstützung durch die Organe der Genossenschaft gewährt" werden. Für alle drei Typen gilt, daß „dem Mitglied zum Bau von Wohn- und Stallgebäuden für die Persönliche Hauswirtschaft genossenschaftlich genutztes Land zugewiesen werden kann. Das persönliche Nutzungsrecht an der bebauten Parzelle ist im Bodenbuch gesondert auszuweisen. Es erlischt beim Ausscheiden des Mitgliedes. Das Eigentum an Hauswirtschaftsgebäuden ist unabhängig vom Eigentum an Grund und Boden". —

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

83

Arlt berichtet, daß ursprünglich vorgesehen gewesen sei, die Hauswirtschaftsgebäude und das dazugehörige Bauland den landlosen LPG-Mitgliedern als persönliches Eigentum zu übergeben. Hiervon sei man jedoch abgekommen, „weil nicht immer geeignetes volkseigenes oder genossenschaftliches Bau- oder Tauschland zur Verfügung stand. Es mußte vielmehr die Erteilung eines Nutzungsrechts am Hausgrundstück genügen. Damit war es ohne weiteres möglich, eine Persönliche Hauswirtschaft auch auf privatem, von der LPG genutztem Boden zu errichten" 118 . (c) Anteil an der Gesamtproduktion In den Statistischen Jahrbüchern sind keine Angaben über den Anteil, den die Persönlichen Hauswirtschaften an der Gesamtproduktion haben, enthalten. Derartige Feststellungen dürften in Anbetracht der Tatsache, daß neuerdings die in den Persönlichen Hauswirtschaften erzeugten und aus der individuellen Viehhaltung der LPG vom Typ I und I I stammenden Produkte gemeinsam erfaßt werden, auch kaum noch möglich sein. Die ausgewiesenen Daten über die Viehbestände in den Persönlichen Hauswirtschaften der LPG Typ I I I lassen jedoch vermuten, daß der Produktionsanteil besonders an tierischen Erzeugnissen beträchtlich sein muß 1 1 9 . Vor allem wird der Eigenbedarf eines großen Teils der landwirtschaftlichen Bevölkerung durch die Erzeugnisse aus der Persönlichen Hauswirtschaft weitgehend gedeckt. Es ist dies einer der Hauptgründe dafür, daß in der Auseinandersetzung zwischen den Ideologen und den Wirtschaftlern um die Beibehaltung der Persönlichen Hauswirtschaft sich auch in der SED-Führung die wirtschaftlichen Argumente bisher durchgesetzt haben. (d) Die Frage der Beibehaltung der Persönlichen Hauswirtschaft Es war eine taktisch kluge Überlegung, den Bauern das Recht zur Führung einer Persönlichen Hauswirtschaft in der LPG zuzusprechen. Mit der Aussicht, auch als Mitglied einer LPG eine kleine Eigenwirtschaft zu behalten und diese selbständig zu führen, wurde vielen Bauern der Zwang des Eintritts in eine LPG, speziell des Typs III, gemildert. Arlt gibt dies auch ohne weiteres zu: „Die persönliche Hauswirtschaft u n d damit ein gewisser Bereich i n d i v i duellen Wirtschaftens ist f ü r die Genossenschaftsbauern erforderlich, w e i l der ehemalige Einzelbauer beim E i n t r i t t i n die Genossenschaft zunächst nicht v ö l l i g dem individuellen Wirtschaften entsagen w o l l t e 1 2 0 . "

118 119 120

6*

R. Arlt , Rechte u n d Pflichten der Genossenschaftsbauern, a.a.O., S. 314. „Statistisches Jahrbuch der D D R 1966", S. 261. R. Arlt , Rechte u n d Pflichten der Genossenschaftsbauern, a.a.O., S. 305.

C. E n t w i u n g s s t u f e n der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bis i960)

Arlt 121 weist auch auf Untersuchungen von Cesarz 122 hin, wonach „sich die Existenz von Hauswirtschaften auf die Ansässigkeit der Mitglieder und ihre Verbundenheit zur LPG günstig auswirkt". Nicht zu unterschätzen ist die Tatsache, daß durch die Persönlichen Hauswirtschaften Arbeitskräfte, insbesondere Familienangehörige, die nicht in eine LPG eintreten wollen und vielfach in der Nähe des Familienwohnsitzes einem anderen Beruf nachgehen, in Zeiten von Arbeitsspitzen der Landwirtschaft erhalten bleiben. Entscheidend aber für die Beibehaltung einer Persönlichen Hauswirtschaft ist das Streben nach einem höheren Gesamteinkommen. Dies gilt besonders für Mitglieder wirtschaftsschwacher LPG. Aber auch in LPG mit besseren Ergebnissen wird die Frage der Beibehaltung der Hauswirtschaften zunehmend aktueller. Arlt weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß Cesarz in einer Untersuchung, in der er die Einkünfte aus der Persönlichen Hauswirtschaft und die der LPG auf Arbeitseinheiten (AE) zusammengezogen hat, zu dem Ergebnis gekommen ist, daß die Gesamteinkünfte je AE zwischen 18 und 20 D M (Ost) betrugen. „Die Genossenschaftsbauern erreichten somit Einkünfte, die kaum hinter dem Durchschnittseinkommen der Industriearbeiter zurückstehen." Cesarz schlußfolgert daraus: „Es k a n n angenommen werden, daß die Genossenschaftsbauern dieser drei L P G die belastende individuelle Produktion nicht abschaffen werden, bevor nicht die Vergütung der genossenschaftlichen A r b e i t etwa die jetzige Höhe der Gesamteinkünfte j e Arbeitseinheit erreicht haben w i r d 1 2 3 . "

Es ist eine ganz natürliche Reaktion, und es gibt eine ganze Reihe von Beispielen, daß Mitglieder gut funktionierender LPG, die einen relativ hohen Wert für die Arbeitseinheit erzielen, von sich aus die strapaziöse und unproduktive Hauswirtschaft bereits aufgegeben haben. Ein befriedigendes Einkommen aus den Überschüssen der LPG ist daher der erfolgversprechendste Weg zur Beseitigung der Persönlichen Hauswirtschaft, wie sie von den politischen Führungskräften letztlich doch verfolgt werden muß, da Kollektivierung und bäuerliche Eigenwirtschaft auf die Dauer unvereinbar sind. I n Zukunft wird man — in Anbetracht der zunehmenden Konsolidierung der LPG und der sich daraus ergebenden höheren Einkünfte — aus den oben angeführten Gründen sicherlich nicht zu besonderen Förderungsmaßnahmen übergeben; es ist zu erwarten, daß Wege beschritten werden, die zu einer allmählichen Aufgabe oder zu einer anderen Nutzungsart der Persönlichen Hauswirtschaften „aus eigener 121

Ebenda, S. 308. W. Cesarz, Die persönlichen Hauswirtschaften i n der L P G T y p B e r l i n (Ost), 1960. 123 W. Cesarz, a.a.O., S. 51. 122

III,

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

85

Erkenntnis der Mitglieder" führen. Hierzu gehört zum Beispiel, daß bei der Verteilung der Naturalüberschüsse aus der LPG das Leistungsprinzip stärker in den Vordergrund gerückt wird. So haben einige LPG beschlossen, bei unzureichender oder mangelhafter Arbeitsleistung Abzüge von der Naturalverteilung vorzunehmen 124 . Die Versorgung der Persönlichen Hauswirtschaften mit Futter aus den Naturalüberschüssen der LPG ist entscheidend für den Umfang der individuellen Viehhaltung. Mitglieder mit einer ausgedehnten Persönlichen Hauswirtschaft sind allein aus diesem Grunde gezwungen, selbst oder gemeinsam mit ihren Familienangehörigen eine relativ hohe Zahl von Arbeitseinheiten zu erzielen, wozu sie jedoch wenig Neigung haben. Dieser circulus vitiosus bestärkt viele Mitglieder — zumal, wenn die „neuen Formen der Bewirtschaftung der Flächen der Persönlichen Hauswirtschaft und ihre rechtlichen Aspekte" zunehmend enger gezogen werden, — in der Auffassung, die Vorteile der Persönlichen Hauswirtschaft in anderer Weise zu nutzen. Hierfür haben sich in der Praxis — und das ist die vorhin erwähnte „andere Nutzungsart" der persönlichen Hausparzellen — zwei Formen herausgebildet: — „Die genossenschaftliche Bewirtschaftung durch Eingliederung i n die Fruchtfolge der L P G u n d die Ausführung aller Arbeiten durch die L P G ; — die gemeinsame Bewirtschaftung ohne Einbeziehung i n die genossenschaftliche Fruchtfolge 1 2 5 ."

Angeblich soll sich die letztgenannte Form, bei der „das persönlich genutzte Land zu einer Fläche und zu einer Fruchtfolge zusammengefaßt und sowohl individuell als auch im Kollektiv bearbeitet" wird, weniger durchgesetzt haben. — Die erstgenannte Form hingegen, die zweifellos auch der Zielrichtung der SED-Führung entspricht, soll sich gut bewährt haben: Vor der Herbstbestellung haben die Mitglieder den Umfang der im Rahmen der ihnen zustehenden Parzellen von ihnen gewünschten Anbauflächen anzugeben. Der Arbeitsaufwand für diese Flächen wird mit den Erträgen verrechnet, wobei die Durchschnittserträge der Kulturen der LPG zugrunde gelegt werden, was gleichzeitig einen zusätzlichen Anreiz für die LPG-Mitglieder zur Erhöhung der LPG-Erträge bieten soll. Auch Arlt setzt sich für diese Form der Führung einer Persönlichen Hauswirtschaft ein: 124 K . Bönning er, H. Brummer, R. Hähnert, „Gedanken über neue Formen der Bewirtschaftung der Flächen der persönlichen Hauswirtschaft u n d ihre rechtlichen Aspekte". I n : „Zeitschrift für Agrarökonomik", B e r l i n (Ost), 1964, S. 246—248. Hier unter anderem ein Beschluß der L P G „Vereinte K r a f t " , Strömthal: „Wer weniger als 80 v. H. der festgelegten Arbeitstage schuldhaft nicht erbringt, k a n n durch die Mitgliederversammlung von der Naturalverteilung f ü r individuelle Flächen teilweise oder ganz ausgeschlossen werden." 125 R. Arlt, Rechte u n d Pflichten der Genossenschaftsbauern, a.a.O., S. 325.

86

C. E n t w i c k n g s s t f e

der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bis 1960)

„Das bedeutet nichts anderes als eine allmähliche, in eine besondere Form gekleidete Vergenossenschaftung auch dieses Restbereiches individueller landwirtschaftlicher Produktionstätigkeit 126." Zusammenfassend sind als wesentliche Merkmale einer LPG gegenüber Genossenschaftsformen im traditionellen Sinne zu nennen: 1. Die gesetzlich garantierte Freiwilligkeit beim Eintritt in die LPG ist mißachtet worden. 2. Die Mitglieder sind nicht befugt, ihrer LPG ein ihren Vorstellungen entsprechendes Statut zu geben. 3. Die LPG können ihre wirtschaftliche Tätigkeit nicht in freier Entscheidung und voller Selbständigkeit ausüben, sondern haben ihre Produktion auf die vorgeschriebenen Verpflichtungen abzustellen. 4. Die Durchführung der Arbeit erfolgt in Arbeitsbrigaden nach vorgeschriebenen Arbeitsnormen. 5. Die Entlohnung bzw. Einkünfteverteilung erfolgt nach einem für jede LPG vorgeschriebenen Verfahren. Für die Einkünfteabrechnung bildet die geleistete Arbeit die Grundlage. Das Entgelt für den eingebrachten Boden spielt eine untergeordnete Rolle. 6. Die garantierte Erhaltung des Eigentums am eingebrachten Boden ist dadurch eingeschränkt, daß ein Mitglied bei seinem Ausscheiden aus der LPG den Rückgabeanspruch an seinem (eingebrachten) Boden verliert. 7. Die Einschränkung des Eigentumsbegriffs kommt dadurch zum Ausdruck, daß ein Verkauf des eingebrachten Bodens nur an den Staat, an die LPG oder an Mitglieder mit wenig oder keinem Land erfolgen kann. b) Durchführung

der Kollektivierung

Seit der Bildung von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften im Jahre 1952 bis zum Abschluß der Kollektivierung im Jahre 1960 sind vier Entwicklungsphasen zu unterscheiden 127: In der ersten Phase (1952 und 1953) waren es vor allem Neubauern, die mit dem aus der Bodenreform empfangenen Land infolge fehlender Gebäude, Betriebsmittel oder mangelnder persönlicher Qualifikation den wirtschaftlichen Anforderungen nicht gewachsen waren und sich in LPG zusammenschlossen. Der Anteil der Neubauern und ehemaligen Landarbeiter in den LPG betrug 1952 rd. 90 v. H., im Jahre 1953 rd. 80 v. H. 128

R. Arlt, Rechte u n d Pflichten der Genossenschaftsbauern, a.a.O., S. 310. Die Festigung u n d der Ausbau der L P G ab 1960 w i r d i m K a p i t e l D behandelt. 127

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

87

Die Entwicklung der LPG 1952—1960

Stichtag

Z a h l der L P G davon InsgeTyp I samt Typ u. I I

L a n d w . Nutzfläche der L P G Insgesamt I I I 1000 ha

davon in v H Typ I T y p I I I der L N u. I I

31.12.1952

1906

1740

166

218,0

189,0

29,0

3,3

31.12.1953

4 691

2 765

1926

754,3

311,6

442,7

11,6

31.12.1954

5120

2 060

3060

931,4

188,0

743,4

14,3

15.11.1955

6 047

1395

4 652

1 279,2

127,4

1 151,8

19,7

31.12.1956

6 281

1021

5 260

1 500,7

87,6

1 413,1

23,2

31.12.1957

6 691

1 137

5 554

1 631,9

86,5

1 545,4

25,2

31.12.1958

9 637

3 268

6 369

2 386,0

306,2

2 079,8

37,0

15. 6.1959

9566

3 018

6 548

2 586,1

285,3

2 300,8

40,2

31.12.1959

10465

2 896,9

402,4

2 494,5

45,1

31. 5.1960

19345

5 384,3

2 005,8

3 378,5

83,6

31.12.1960

19 261

5 420,5

1983,9

3 426,6

84,2

13 022

6 323

Quelle: Merkel, K. u. Schuhans, E. Die Agrarwirtschaft in Mitteldeutschland, Berlin 1963, S. 81 und Ergänzung für 1960: „Statistisches Jahrbuch der DDR 1961", S. 421.

Altbauern, gegen die sich vor allem die im Jahre 1952 erlassenen „Härtebestimmungen" richteten, waren Ende 1953 mit nur rd. 15 v. H. am Mitgliederbestand beteiligt, denn ein großer Teil der betroffenen Bauern hatte Haus und Hof verlassen und war in die Bundesrepublik geflohen. Die stark anschwellende Flüchtlingswelle, die allgemeine Unsicherheit und abwartende Haltung der SED-Führung nach Stalins Tod (5. 3. 1953) sowie der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 trugen dazu bei, in der zweiten Hälfte des Jahres 1953 die Kollektivierung nicht sonderlich zu forcieren. I n diese Zeit fällt die Verkündung des „Neuen Kurses", mit dem die im Jahre 1952 vornehmlich zur Bekämpfung der Mittelund Großbauern erlassenen Verordnungen teilweise wieder aufgehoben bzw. in eine weniger radikale Form umgewandelt wurden. Wegen

88

C. E n t w i c k n g s s t f e

der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bis 1960)

Soziale Herkunft der LPG-Mitglieder 1952 bis 1960 Altbauern Stichtag

Landarbeiter

Industriearbeiter

Neubauern

insgesamt

davon Großbauerna)

Sonstige

LPGMitgl. insges.

Z a h l der L P G - M i t g l i e d e r 31.12.1952

4459

31.12.1953

48238

31.12. 1954

74375

15.11.1955

28879

3 315

347

37 000

55130

19 863

5 319

128 550

1 731

55 491

19 726

(1 259)

7 033

158 356

96146

11 287

58 755

21 194

(2 347)

9 564

196 946

31.12.1956

98 606

21 673

62 924

26 292

(4 509)

10104

219 599

31.12.1957

97 341

25 847

65179

28 948

(5 276)

11 711 229026

31.12.1958

117 903

33 453

98 952

81 189

(12 791)

21 441 352 938

30.11.1959

129 725

40 634

114 769

111836

(18381)

38 374 435 365

31. 5.1960

157 821

48 029

672 037

67 133

945 020

31.12.1960

157 916

48 637

677 818

77 168

961 539





-

I n v H der gesamten Mitglieder 31.12.1952

12,1

31.12.1953

37,5

31.12.1954

47,0

15.11.1955

78,0

9,0

-

0,9

100

42,9

15,5

-

4,1

100

1,1

35,0

12,5

(0,8)

4,4

100

48,8

5,7

29,8

10,8

(1,2)

4,9

100

31.12.1956

44,9

9,9

28,6

12,0

(2,1)

4,6

100

31.12.1957

42,5

11,3

28,5

12,6

(2,3)

5,1

100

31.12.1958

33,4

9,5

28,0

23,0

(3,6)

6,1

100

30.11.1959

29,8

9,3

26,4

25,7

(4,2)

8,8

100

31. 5.1960

16,7

5,1

71,1

7,1

100

31.12.1960

16,4

5,1

70,5

8,0

100



a) M i t einer eingebrachten L N über 20 ha. Quelle: Merkel, K. u. Schuhans, E. Die Agrarwirtschaft in Mitteldeutschland, Berlin 1963, S. 83 und Ergänzung für 1960: „Statistisches Jahrbuch der DDR" 1960/61, S. 428/429 1962, S. 412.

3. K o l l e k t i v i e r u n g der Landwirtschaft

89

Nichterfüllung des Ablieferungssolls sollten keine Betriebe mehr beschlagnahmt werden; die von Treuhändern bewirtschafteten Betriebe sollten wieder zurückgegeben, inhaftierte Bauern nach erneuter Überprüfung der Gerichtsurteile aus der Haft entlassen werden. Geflüchtete Bauern wurden zur Rückkehr aufgefordert. Die Bauern selbst nahmen den gesetzlich zugesicherten Milderungen gegenüber eine abwartende Haltung ein. In einigen hundert Fällen kam es zu Auflösungen von LPG. Die zweite Phase (1954 und 1955) stand noch unter den Auswirkungen der geschilderten politischen Situation. Der Anstieg der Anzahl der LPG vollzog sich nur langsam, aber das Schwergewicht verlagerte sich auf den vom SED-Regime angestrebten Typ I I I . Dabei ist zu beachten, daß dieser Zuwachs vor allem auf die gesteuerte Überführung der örtlichen Landwirtschaftsbetriebe, in denen hauptsächlich das Land geflüchteter Bauern erfaßt war, zurückzuführen ist. Ende 1954 überwog der Typ I I I der Anzahl nach die LPG Typ I und I I ; Ende 1955 betrug der Anteil der LPG Typ I I I bereits 77 v. H. aller LPG, auf die zu dieser Zeit rd. 20 v. H. der gesamten landwirtschaftlichen Nutzungsfläche entfielen. Die Überführung der örtlichen Landwirtschaftsbetriebe brachte zwar Flächen in die LPG, aber keine Bauern. Der Anteil der Altbauern an der Gesamtzahl der Mitglieder sank Ende 1955 auf 10,8 v. H. ab; auf Neubauern (Land- und Industriearbeiter) entfielen rd. 85 v. H. Die dritte Phase (1956 und 1957) ist durch eine allgemeine Stagnation in der Entwicklung der Kollektivierung gekennzeichnet. Die Statistik weist nur eine Zunahme um 644 LPG aus. I m Zuge der Unruhen in Polen und des Aufstandes in Ungarn kam es insbesondere in Polen zu spontanen Auflösungen von Kollektivbetrieben. I n diese Zeit fällt die in den Städten durchgeführte Aktion „Industriearbeiter aufs Land". Die SED sah sich zu dieser Maßnahme gezwungen, um Arbeitskräfte für die verlassenen Höfe zu gewinnen. Gegenüber 1955 verdoppelte sich daraufhin der Anteil der Industriearbeiter an der Gesamtzahl der LPG-Mitglieder. Es befanden sich am 31. 12. 1957 als Mitglieder in LPG 123 188 Land- und Industriearbeiter, 65 179 Neubauern und nur 28 948 Altbauern ( = 12,6 v. H.). Aus dem Reservoir verlassener Höfe stand kaum noch Land zur Verfügung. Um den „Aufbau des Sozialismus" voranzutreiben, mußte eine neue Initiative entfaltet werden. Die vierte Phase (Herbst 1957 bis Ende 1959) setzte mit der 33. Tagung der SED ein, die im Oktober 1957 stattfand, und auf der „der Grundstein für den Sieg der Genossenschaftsbewegung gelegt wurde" 128 . 128 W. Herferth, „Der Aufschwung der Genossenschaftsbewegung nach der 33. Tagung des Z K der SED i m Oktober 1957". I n : „Zeitschrift f ü r Geschichtswissenschaft", 1966, Heft 2.

C. Entwicklungsstufen der mitteldeutschen A g r a r p o l i t i k (bis i960) D i e von Lenin empfohlene T a k t i k , bei der Übergangsarbeit sowohl Lockmittel w i e Druckmittel einzusetzen, w a r schon seit Beginn der K o l lektivierung praktiziert worden; sie w u r d e nunmehr i n verstärktem M a ß e angewandt. Z u den Lockmitteln gehörten eine Reihe vielfältiger Förderungsmaßnahmen und ökonomischer Anreize, zu den Druckmitteln der Erlaß wirtschaftspolitischer Zwangsmaßnahmen und der Einsatz von unaufhörlich agitierenden Funktionären zur psychologischen Z e r mürbung der Bauern. (1) Vergünstigungen

für die

LPG

1. Vergünstigungen bei der Ablieferung. Die Ablieferungsnormen f ü r pflanzliche Produkte entsprachen dem relativ niedrigen Ablieferungssoll der selbständigen Betriebe i n der Größengruppe von 5—10 ha abzüglich noch einer weiteren Ermäßigung bei T y p I u n d I I u m 10 v. H., bei T y p I I I u m 15 v. H. Die Ablieferungsnormen der L P G T y p I I I f ü r tierische Produkte entsprachen ebenfalls den niedrigeren Durchschnittsnormen der Betriebe von 5—10 ha abzüglich einer weiteren Ermäßigung u m 20 v. H. Bei Übernahme freier, d . h . verlassener Betriebe u n d Flächen durch die L P G konnte das Ablieferungssoll unter bestimmten Umständen vorübergehend teilweise ermäßigt oder auch ganz gestrichen werden. L P G - M i t g l i e d e r sind f ü r ihre Persönlichen Hauswirtschaften von der Ablieferungspflicht bei pflanzlichen Produkten v o n jeher befreit gewesen; ab 1. Januar 1959 wurden die Persönlichen Hauswirtschaften der Mitglieder von L P G T y p I I I auch i n tierischen Erzeugnissen ablieferungsfrei. 2. Bevorzugter Einsatz der Maschinen-Traktoren-Stationen zu niedrigstem Tarifsatz; Beratung der L P G durch die auf den M T S stationierten Agronomen. 3. Zusätzliche Belieferung m i t Handelsgütern u n d bevorzugte Versorgung m i t Saat- u n d Pflanzgut. 4. Bevorzugung i n der Zuteilung von Baumaterial, Maschinen u n d Geräten. 5. Erlaß von Verbindlichkeiten gegenüber dem Staat. Denjenigen LPG, die ö r t l i c h e Landwirtschaftsbetriebe oder freie, d . h . verlassene Flächen zur Bewirtschaftung übernahmen, konnten bestehende Verbindlichkeiten gegenüber dem Staat erlassen werden; sie konnten darüber hinaus einen staatlichen Zuschuß erhalten bis zu 400,— D M j e ha der übernommenen freien Flächen i m Jahre der Übernahme u n d i m Bedarfsfall i m zweiten Jahr noch 200,— D M u n d i m d r i t t e n Jahr noch 100,— D M je ha landwirtschaftliche Nutzfläche. 6. Gewährung von Sonderkrediten u n d Liquiditätskrediten. Unter dieser Bezeichnung waren Kredite zu verstehen, die den L P G durch die Deutsche Bauernbank auf der Grundlage eines Beschlusses des Kreistages zur Deckung von „selbstverschuldeten" Produktionsausfällen, Kostenüberschreitungen u n d Überschreitung der Z a h l der geplanten Arbeitseinheiten