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German Pages 249 [252] Year 1973
Münchener Ringvorlesung EDV und Recht Möglichkeiten und Probleme
EDV und Recht Band 6
1973
J. Schweitzer Verlag Berlin
Münchener Ringvorlesung EDV und Recht Möglichkeiten und Probleme Vorträge von F. L. Bauer, M. von Berg, H. Fiedler, F. Haft, E. Heinz, K. J. Hopt, A. Kaufmann, A. Langseder, H. Müller-Krumbhaar, H. C. Müller-Lutz, M. Paul, A. Podlech, J. Rödig, J. Scheubel, A. Schödlbauer, W. Steinmüller anläßlich der Ringvorlesung der Juristischen Fakultät der Universität München im Wintersemester 1971/72
Herausgegeben von Arthur Kaufmann, München
1973
^ J. Schweitzer Verlag Berlin
ISBN 3 8 0 6 9 0 3 4 8 0 © Copyright 1973 by J. Schweitzer Verlag, Berlin. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Satz: Fotosatz Jürgen Prill, Berlin — Druck: J. Schönwald KG, Berlin
Inhaltsverzeichnis
Verfasserverzeichnis Vorwort Arthur Kaufmann Einführung: Elektronische Datenverarbeitung im Recht — Chancen und Gefahren Friedrich L. Bauer Die Lage der Informatik in der Bundesrepublik Deutschland
VII VIII
1 9
H. C. Müller-Lutz Was der Jurist von der elektronischen Datenverarbeitung wissen sollte . .
13
M. Paul Programmiersprachen — Eine einführende Übersicht
25
Heiner Müller-Krumbhaar Selbstkonsistenz des Systems als Modellgrundlage für juristische Entscheidung und Planung
39
Jürgen Rödig Axiomatisierbarkeit Juristischer Systeme
49
Klaus J. Hopt Rechtssoziologische und rechtsinformatische Aspekte im Wirtschaftsrecht
91
Fritjof Haft Juristische Dokumentation mit Computern — Entwicklungsstand, Probleme und künftige Möglichkeiten
115
Josef Scheubel/Albert Schödlbauer Stand und Organisation der Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung Bayerns
135
Malte von Berg Die Rolle der Verwaltungswissenschaft für die Automation in der öffentlichen Verwaltung
147
Eckhart Heinz Kommunikationswissenschaftliche Modelle zur Lösung juristischer Informationsprobleme. Anwendung der Linguistischen Datenverarbeitung (LDV)
157
Wilhelm Steinmüller Stellenwert der EDV in der öffentlichen Verwaltung und Prinzipien des Datenschutzes
175
VI
Inhaltsverzeichnis
Alois Langseder Dezentrale elektronische Datenverarbeitung in Mehrzweckrechenzentren
199
Adalbert Podlech Verfassungsrechtliche Probleme öffentlicher Informationssysteme
207
Herbert Fiedler Forschungsaufgaben der Juristischen Informatik
229
Verfasserverzeichnis Friedrich L. Bauer
Prof. Dr., TU München, Mathematisches Institut der TU München, 8 München 2, Postfach 202420
Malte von Berg
Dr., Universität Bonn, Forschungsstelle für Juristische Informatik und Automation der Universität Bonn, 53 Bonn, Lennestr. 35
Herbert Fiedler
Prof. Dr. Dr., Universität Bonn, Forschungsstelle für Juristische Informatik und Automation der Universität Bonn, 53 Bonn, Lennestr. 35
Fritjof Haft
Dr., 8 München 40, Tristanstr. 1
Eckhart Heinz
Dr., Universität Bonn, 53 Bonn, Niebuhrstr. 49
Klaus Hopt
Priv.-Doz. Dr. Dr., Universität München, Institut für europäisches und internationales Wirtschaftsrecht, 8 München 22, Ludwigstr. 29
Arthur Kaufmann
Prof. Dr. Dr. h.c., Universität München, Institut für Rechtsphilosophie der Universität München, 8 München 2, Ludwigstr. 29
Alois Langseder
Ministerialdirigent Dr., Bayerische Staatskanzlei — Landesamt für Datenverarbeitung, 8 München 83, Albert-Schweitzer-Str. 62
Heiner Müller-Krumbhaar Dipl.-Phys., 8 München 13, Ainmillerstr. 6/III H. C. Müller-Lutz
Prof. Dr., 8035 Gauting, Pippinstr. 12
M. Paul
Prof. Dr., TU München, Mathematisches Institut der TU München, 8 München 2, Postfach 202420
Adalbert Podlech
Priv.-Doz. Dr., Universität Heidelberg, 6902 Sandhausen, Am Forst 28
Jürgen Rödig
Priv.-Doz. Dr., Universität Köln, Kriminalwiss. Institut der Universität Köln, 5 Köln 41, AlbertusMagnus-Platz
Josef Scheubel
Ministerialrat Dr., Bayer. Staatsministerium der Finanzen, 8 München 22, Odeonsplatz 4
Albert Schödlbauer
Oberreg.Rat Dr.-Ing., Bayer. Staatsministerium der Finanzen, 8 München 22, Odeonsplatz 4
Wilhelm Steinmüller
Prof. Dr., Universität Regensburg, Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Regensburg, 84 Regensburg, Postfach 397
Vorwort Die Juristische Fakultät der Universität München hat im Wintersemester 1971/72 eine Ringvorlesung unter dem Thema „Die Anwendung der elektronischen Datenverarbeitung im Recht — Möglichkeiten und Probleme" veranstaltet, die auch über die Fakultät hinaus lebhaftes Interesse fand. Vortragende waren fuhrende Informatiker, Rechtsinformatiker, Verwaltungsfachleute, Kommunikationswissenschaftler und Rechtstheoretiker aus nah und fern. Abgeschlossen und abgerundet wurde die Veranstaltung durch die Vorführung einer juristischen Datenbank (automatisierte juristische Dokumentation). Daß die Münchner Juristenfakultät just im 500. Jahr ihres Bestehens mit dieser Ringvorlesung den offiziellen Auftakt für die Lehre auf dem Gebiet der Datenverarbeitung und der Rechtsinformatik gab, darf als Zeichen für ihre Aufgeschlossenheit und Zukunftsorientiertheit gewertet werden. Und daß sie von allem Anfang an ihren Willen zur Kooperation mit anderen Hochschulen, Institutionen und Behörden bekundet hat, wird, so hoffen wir, nicht ohne Resonanz bleiben. In dem vorliegenden Band werden die Vorträge der Ringvorlesung einem noch breiteren Kreis von Interessierten zugänglich gemacht. Als damaliger Dekan darf ich auch an dieser Stelle nochmals allen Referenten für ihre Mitwirkung den Dank der Fakultät aussprechen. Unser Dank gilt nicht weniger dem J. SchweitzerVerlag, Berlin, insbesondere Herrn Dr. Arthur L. Sellier, durch dessen Entgegenkommen das Erscheinen dieses Sammelbandes ermöglicht wurde. Zwei Vorträge fehlen in dieser Sammlung: Ulrich Klug konnte wegen seiner starken dienstlichen Inanspruchnahme als Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Justizministerium sein Referat: „Konkrete Projekte der Anwendung elektronischer Datenverarbeitung im Recht — Planung und Realisierung" nicht für die Veröffentlichung überarbeiten, und Spiros Simitis sah sich aus verlagsrechtlichen Gründen gehindert, sein Referat über „Die Pläne für eine Bundesdatenbank" 1 für den Abdruck in diesem Band zur Verfügung zu stellen. So bedauerlich dies ist, so verständlich sind doch auch die Gründe der beiden Referenten, denen dafür zu danken ist, daß sie unter den gegebenen Umständen überhaupt an der Ringvorlesung mitgewirkt haben. Ich möchte dieses Vorwort nicht schließen, ohne Herrn Wiss. Assistent Jochen Schneider für seine großen Verdienste um die Organisation der Ringvorlesung wie auch um die Gestaltung dieses Bandes ein herzliches Wort des Dankes zu sagen. München, im September 1973
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Veröffentlichung ist vorgesehen
Arthur Kaufmann
Einführung: Elektronische Datenverarbeitung im Recht — Chancen und Gefahren von Arthur Kaufmann
Das Wort „Computer" wird heute von Fachleuten und Laien mit derselben Selbstverständlichkeit gebraucht wie etwa das Wort „Tonband". Dabei ist das, was dieses Wort bezeichnet, das „Elektronengehirn", noch keine Menschengeneration alt. Hingegen befindet sich der Computer selbst bereits am Beginn seiner vierten „Generation", und noch immer ist das Entwicklungstempo so stürmisch, daß die Computerbauer stets etwa fünfzehn Jahre hinter dem technologischen Wissen herhinken. Ebenso selbstverständlich, wie wir vom Computer reden, lassen wir uns von ihm bedienen: elektronisch hergestellte Lohnabrechnungen, Steuer- und Rentenbescheide, Kontoauszüge, Fernmelderechnungen und viele andere Benachrichtigungen ähnlicher Art gehören schon so sehr zu unserem Alltag, daß sie uns als solche gar nicht mehr bewußt werden. Vielleicht horchen wir noch auf, wenn von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen die Rede ist, die an Schulen und Universitäten zur Ausstellung von Zeugnissen und sonstigen Leistungsnachweisen eingesetzt werden, oder wenn uns etwa in einer Fernsehsendung der „Kriminalkommissar Computer" oder — wie kürzlich in einem schwedischen Film — der „Dr. med. Computer" vorgestellt wird. Das hat dann noch einen Hauch von Science fiction an sich, aber im Grunde wissen wir alle, daß es sich hier nicht um Utopien handelt, sondern um Wirklichkeiten von morgen. Der Siegeszug des Computers auf zahllosen Gebieten unseres Lebens hat natürlich auch vor dem Recht nicht haltgemacht. Eine Aufzählung und Beschreibung der einzelnen Einsatzbereiche der juristischen Datenverarbeitung ist hier nicht möglich. Einige Stichworte müssen genügen: Dokumentation und Auswertung von Quellenmaterial, juristischer Literatur und sonstiger rechtlich relevanter Daten (hierher gehören z.B. die Datenbanken DATEV und DOCUMENTA, die im Aufbau begriffene Juristische Bundesdatenbank, die Rechtskartei des Bundessozialgerichts, die Datenverarbeitungsanlagen in der Bundesanstalt für Arbeit und in der Bundesversicherungsanstalt sowie nicht zuletzt die von der Bayerischen Staatskanzlei — Landesamt für Datenverarbeitung in Angriff genommenen Informations- und Dokumentationssysteme); Einsatz von Computern im Gesetzgebungsverfahren, und zwar bei der Sammlung und Sichtung des Materials, bei der terminologischen Anpassung an andere Gesetze („automationsgerechte Gesetzgebung"), bei der Kontrolle der sachlichen Verträglichkeit mit bestehenden Vorschriften und vielleicht auch noch bei der Edition der Gesetze; sodann — und dies ist von besonderer praktischer Bedeu-
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Arthur Kaufmann
t u n g — die Verwaltungsautomation, w o b e i in erster Linie — weil am weitesten f o r t g e s c h r i t t e n — an die Finanz- u n d Steuerverwaltung zu d e n k e n ist, d a n n aber auch an die K o m m u n e n , die Polizei, das U n t e r r i c h t s w e s e n , die Verkehrsp l a n u n g , die B a u v e r w a l t u n g u n d last n o t least die Justizverwaltung m i t G r u n d buchwesen, Zahlungsbefehlsverfahren, Strafregisterführung, Kostenberechnung u n d K o s t e n e i n z i e h u n g u n d dergl. m e h r ; schließlich u n d endlich die Verwend u n g elektronischer Datenverarbeitungsanlagen bei der Rechtsprechung, die b e s o n d e r s p r o b l e m a t i s c h ist, weil echte Entscheidungsprozesse n i c h t a u t o m a t i siert w e r d e n k ö n n e n (die maschinelle A n f e r t i g u n g von S t e u e r b e s c h e i d e n , Z a h l u n g s b e f e h l e n o d e r k ü n f t i g auch v o n Bußgeldbescheiden stellt keine „ E n t s c h e i d u n g " im eigentlichen Sinne d a r ) ; d e r C o m p u t e r k a n n aber die juristische E n t s c h e i d u n g a u f b e r e i t e n , d.h. I n f o r m a t i o n e n liefern, die relevanten Alternativen aufzeigen, n i c h t zulässige Lösungen falsifizieren u . a . m . , so d a ß also k o r r e k t e r w e i s e n i c h t von einer R e c h t s p r e c h u n g des C o m p u t e r s , w o h l aber von einer c o m p u t e r u n t e r s t ü t z t e n R e c h t s p r e c h u n g die R e d e sein k a n n 1 .
1
Die einschlägige Literatur ist schon beträchtlich. Ich beschränke mich auf folgende Hinweise: Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 21 ff., 71 ff., 83 ff. u.ö.;Steinmüller, EDV und Recht - Einführung in die Rechtsinformatik (JA-Sonderheft 6), 1970, S. 44 ff.;Simitis, Rechtliche Anwendungsmöglichkeiten kybernetischer Systeme, 1966; Fiedler, Die Datenverarbeitung als Hilfsmitteljuristischer Dokumentation und Entscheidung, in: Datenverarbeitung im Recht - Sitzungsbericht T zum 48. Deutschen Juristentag, 1970, S. 19 ff.; ders., Rechenautomaten in Recht und Verwaltung, in: JZ 1966, 689 ff.\ders., Automatisierung im Recht und juristische Informatik, in: JuS 1970, 432 ff., 552 ff.; Klug, Elektronische Datenverarbeitungsmaschinen im Recht - Grundsätzliches zur Anwendung kybernetischer und informationstheoretischer Methoden im juristischen Bereich, in: Festschr. f. Hermann Jahrreis, 1964, S. 189 ff.;Prestel, Datenverarbeitung im Dienste juristischer Dokumentation, 1971; Mattheus, Die DATEV im Jahre 1971, in: DSWR 1971, 71 ff.; Conradi, DOCUMENTA - Konzept einer elektronischen Steuerrechtsdatenbank, in: DSWR 1971, 85 ff.;Zielinski, Die Juristische Bundesdatenbank als rechtspolitisches Problem, in: JZ 1971, 409 ff.; Heußner und Richter, Die Überfuhrung der Rechtskartei des Bundessozialgerichts in die elektronische Datenverarbeitung, in: DSWR 1971, 14 ii.\Pappai, Das neue Datenerfassungssystem in der Sozialversicherung, in: DSWR 1972, 225 ff.; Knapp, Über die Möglichkeit der Anwendung kybernetischer Methoden in Gesetzgebung und Rechtsanwendung, in: ARSP 49, 1963, 45 ti.;Raisch, Überlegungen zur Verwendung von Datenverarbeitungsanlagen in der Gesetzgebung und im Rechtsfindungsprozeß, in: JZ 1970, 433 ff.; Jaumann, Automationsgerechte Vorschriftengebung, in: Bayer. Staatszeitung Nr. 28 vom 11.7.1969, S. 4 f.;Maunz, Rechtsetzung durch Automation?, in: Bayer. Verw.Bl. 1970, 170 ff.; Fiedler, Theorie und Praxis der Automation in der öffentlichen Verwaltung, in: DÖV 1970, Heft 13/14; Steinmüller, Rechtsfragen der Verwaltungsautomation in Bayern, in: data report 6, 1971, 24 ff.; Kerkau, Rechtsfragen der automatischen Datenverarbeitung (ADV) in der öffentlichen Verwaltung, in: Recht im Amt 1970, 201 ii.\Rapp, Rechtsund Praktikabilitätsfragen des EDV-Grundbuchs, in: DSWR 1972, 149 ff.; Griese, Einfuhrung elektronischer Datenverarbeitung in der Hochschulverwaltung - ein Erfahrungsbericht, in: DSWR 1972, 209 ff.; Fiedler, Computer für die Justiz, in: JZ 1968, 556 ff.
Einführung: Elektronische Datenverarbeitung im Recht - Chancen und Gefahren
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In Anbetracht dieser unaufhörlich wachsenden Bedeutung der elektronischen Datenverarbeitung im Bereich von Recht und Verwaltung kann es nicht wundernehmen, daß sich jetzt auch der Deutsche Juristentag auf seinem 48. Kongreß in Mainz ( 2 2 . - 2 5 . September 1970) dieser Materie angenommen hat. Erstaunlich dagegen ist, daß die Juristischen Fakultäten diese Entwicklung bis dato fast völlig ignoriert haben. Alle bisherigen Projekte sind ohne sie geplant und durchgeführt worden, und kein einziger Jurist, der sich derzeit auf dem Gebiet der Rechtsinformatik betätigt, hat die dafür notwendigen Kenntnisse an einer Universität erworben. Natürlich bieten sich dafür Erklärungen an. Fast keine Juristische Fakultät verfügt über die erforderlichen Personalstellen und Sachmittel, um die Datenverarbeitung in Forschung und Lehre effektiv pflegen zu können. Die vorhandenen Lehrkräfte beherrschen diese Materie nicht, und sie sind auch allermeist zu sehr mit ihren herkömmlichen Aufgaben belastet, als daß sie in der Lage wären, sich in ein neues Fach einzuarbeiten. Aber lagen die Dinge in der Praxis, beispielsweise in der Finanzverwaltung, wesentlich anders, als man vor etwa einem Jahrzehnt mit der Automation begann? Warum hat man in jenen ersten Pionieijahren nicht auch bei den Rechtsfakultäten wenigstens einmal den Anfang gemacht und eben improvisiert, so gut es ging? Der entscheidende Grund kann nur in der unterschiedlichen Einstellung zur Datenverarbeitung liegen. Wie so manche andere aufsehenerregende technische Erfindung löste auch der Computer bei vielen, die in der Praxis mit ihm konfrontiert wurden, eine regelrechte Euphorie und nicht selten auch einen übertriebenen Optimismus aus. Nun hatte man die Maschine, von der Pascal und Leibniz einst träumten, und es konnte nur eine Frage der Zeit sein, bis das Elektronengehirn, das sich stets auf die Sache konzentriert und nie etwas vergißt, weil es für keinerlei Gemütsbewegungen anfällig ist, das menschliche Gehirn in tausendundein Funktionen ersetzen und entlasten wird 2 ! Darum ist es ganz natürlich, daß alle Computeranwendungen, die wir bislang erlebt haben, aus Initiativen und Zielvorstellungen der Praxis hervorgegangen sind. Begreiflich ist aber auch, daß man dabei oft über das Ziel hinausgeschossen ist — so wie Kinder ein neues Spielzeug ohne vernünftigen Plan auf seine sämtlichen Möglichkeiten ausprobieren müssen. Die Rede von einem „Richter-Automaten" ist ein charakteristisches Beispiel für solche unreflektierten Gedankenbasteleien. Die Haltung der Rechtswissenschaft war demgegenüber bis vor kurzem ausgesprochen computerfeindlich. Mangelndes Bedürfnis, im eigenen Bereich Datenverarbeitungsanlagen einzusetzen, korrespondierte mit dem tiefeingewurzelten Vorurteil gegen mathematische oder gar maschinelle Erledigung juristischer Aufgaben. Neben diesen irrationalen Gründen spielten und spielen aber auch
2
Vgl. ChliffordD.
Simag, Limiting Factor, 1970, S. 335.
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Arthur Kaufmann
rationale Argumente eine gewichtige Rolle: die Sorge, daß in einer total verwalteten, manipulierten Gesellschaft jegliche individuelle Eigenart nivelliert und die letzten Reste an Humanität durch einen vollendet funktionierenden Apparat beseitigt werden 3 - kurz: daß Orwells düstere Vision „1984" harte Wirklichkeit wird. Nicht von ungefähr kommen die massivsten Einwände dieser Art aus dem Lager der marxistischen Rechtstheoretiker. So schreibt etwa Hermann Klenner: „Abgesehen davon, daß es auch bei noch schneller arbeitenden digitalen Rechenautomaten unmöglich bleiben wird, die miteinander verflochtenen, sich dynamisch entwickelnden Prozesse von einer Leitungsinstanz im Detail zu erfassen und direkt zu steuern, würde eine solche Konzeption für den Sozialismus infolge seines humanistischen Grundanliegens unannehmbar sein." 4 Es ist sicher nicht übertrieben, wenn man in diesem Zusammenhang von einer ganz neuen Version des Positivismusstreites spricht. Selbst erklärten Rechtspositivisten überkommt bei der Vorstellung eines bis zur äußersten Perfektion gesteigerten Sicherheits- und Ordnungsmechanismus das Gruseln. Ob die Technik dem Menschen zum Segen oder zum Fluch gereicht, liegt allein am Menschen selbst. Der Computer kann den Juristen versklaven, wenn dieser sich der Maschine blind ausliefert, so wie ehedem - und teils noch heute — dem Gesetz oder der „herrschenden Meinung". Der Computer kann aber auch den Juristen erst wirklich frei machen für seine eigentliche Aufgabe, indem er diesen durch bessere Information in die Lage versetzt, seine Entscheidungen weniger auf gut Glück, sondern auf festerer Grundlage und damit rationaler zu treffen. Wer fuhrt und entscheidet, war schon immer eine Frage der Persönlichkeit, und daran wird sich auch im Zeitalter des Computers nichts ändern 5 . Bevor man Datenverarbeitungsanlagen im Bereich des Rechtswesens einsetzt, muß man wissen, was man damit erreichen will. Was soll verbessert werden? Soll die Justiz effektiver gemacht, also insbesondere mehr Rechtssicherheit gewährleistet werden? Oder geht es um eine inhaltliche, auf Maximierung sozialer Gerechtigkeit abzielende Erneuerung des Rechts und der Rechtsprechung? Oder was sonst trachtet man für das Recht zu gewinnen? Es versteht sich, daß der Einsatz von Datenverarbeitungsmaschinen sehr verschiedenartig sein muß, je nachdem, welche derartige Zielvorstellung man zugrunde-
3 4
5
Vgl. Ehmke, Kann der Computer Recht sprechen? in: Süddeutsche Zeitung vom 18.9.1969. Klenner, Lenins „Empiriokritizismus" und die Grundfrage der Rechtstheorie, in: Staat und Recht, 1967, S.1625. Von grundsätzlicher Bedeutung: Horkheimer, Kritik der instrumenteilen Vernunft, 1967. - Siehe dazu auch Arthur Kaufmann, Wozu Rechtsphilosophie heute?, 1971, S. 17 ff. So auch von Nell-Breuning, Rationalisierung und Automatisierung - Segen oder Fluch?, in: StdZt 175, 1965, 134 ff.
Einführung: Elektronische Datenverarbeitung im Recht - Chancen und Gefahren
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legt 6 . Einstweilen bestehen jedoch noch keine klaren rechtspolitischen Konzepte, was der Computer im Hinblick auf eine „bessere" Rechtspflege leisten kann und leisten soll. Einig ist man sich bislang im Grunde nur darüber, daß die vielbeklagte Informationsmisere, die das ganze Rechtswesen befallen hat, nur noch mittels elektronischer Datenspeicherung und Datenverarbeitung behoben — oder sagen wir besser: gemildert werden kann 7 . Wer heute eine juristische Aufgabe zu lösen hat, findet bestenfalls fünf Prozent der einschlägigen Literatur und Judikatur, und das, was er findet, ist mehr oder weniger ein Ergebnis des Zufalls. Daß es unter solchen Umständen kaum noch voraussehbar ist, welche Urteile die Gerichte fällen werden, liegt auf der Hand. Hier kann, wie ausländische Erfahrungen schon beweisen, der Computer wirksame Abhilfe schaffen, und so ist denn auch die Dokumentation seine eigentliche Domäne im Bereich der Justiz (es ist bezeichnend, daß das Wort „Rechtsinformatik" heute praktisch für den Gesamtkomplex der elektronischen Datenverarbeitung im Recht steht 8 ). Aber wird uns der Computer nicht mit Informationen überfluten, so daß wir darin zu ersticken drohen? Was ist, wenn wir statt der fünf Prozent des einschlägigen Materials künftig siebzig oder achtzig Prozent „ausgeschüttet" bekommen? Werden die Gerichte dann besser entscheiden? Wird es mehr Rechtssicherheit geben? Und vor allem: wird menschlicher geurteilt werden? Beim Computer gibt es ja nicht die „Wohltat des Vergessens" 9 , die segensreiche „Präventivwirkung des Nichtwissens" 10 , vielmehr ist es gerade seine Stärke, daß er „nichts übersieht" 11 , auch die lächerlichsten Kleinigkeiten nicht. Andererseits ist der Computer außerstande, sich so einfache Dinge zu merken wie beispielsweise den verzweifelten Schrei einer Geschändeten, den trostlosen Anblick eines Hinterhofmilieus, den penetranten Geruch auf Asphalt zerriebener Autoreifen, den unverwechselbaren Geschmack eines schottischen Whiskys. Dabei können solche „Daten" für die richtige Entscheidung eines Falles bedeutsamer sein als diejenigen, die die Datenbank liefert. Die Vorstellung, daß es grundsätzlich möglich sei, eine Anlage mit sämtlichen entscheidungsrelevanten Faktoren zu füttern, ist falsch. 6
Vgl. Zielinski, aaO. (wie Anm. 1), S. 411 f.
7
Siehe dazu vor allem Simitis, Informationskrise des Rechts und Datenverarbeitung, 1970.
8
Zutreffend aber Haft, aaO. (wie Anm. 1), S. 98, der bemerkt, daß die Bezeichnung „Rechtsinformatik" enger ist als die umfassendere Bezeichnung „Rechtskybernetik".
9
Zippelius, Einfuhrung in die juristische Methodenlehre, 1971, S. 130.
10
Popitz, Über die Präventivwirkung des Nichtwissens, 1968.
11
Hassemer, Automatisierte und rationale Strafzumessung, in: Gesetzesplanung Beiträge der Rechtsinformatik (EDV und Recht, Bd. 4), 1972, S. 118.
6
Arthur Kaufmann
Gibt der Computer einerseits zuviel, andererseits zuwenig Informationen, so muß eine Kontrollinstanz in Funktion treten, und diese kann nur der Mensch sein. Selbst wenn es einmal Computer gibt, die imstande sind, andere Computer zu programmieren, werden sie niemals den Menschen ersetzen können. Denn sie werden eines nicht vermögen: den Gesichtspunkt bestimmen, unter dem eine Anlage oder ein ganzes System von Anlagen Texte aufnehmen und gezielt wieder ausgeben kann, handelt es sich dabei doch um einen schöpferischen Akt, den eine noch so hoch entwickelte Maschine schlechterdings nicht leisten kann, heute nicht und auch nicht in Zukunft 1 2 . Die Leistungsgrenze des Computers liegt präzis an dem Punkt, an dem spezifisch menschliche Eigenschaften einsetzen: individuelle Eigenart, reflexives Bewußtsein, Denken, Sprache (der Computer kann im eigentlichen Sinne nicht „sprechen" 13 ), Bedeutung, Sinn- und Werthaftigkeit, Geschichtlichkeit... Deshalb wird dem Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen stets eine Güterabwägung voranzugehen haben, und zwar dahingehend, ob die Vorteile der Automation die damit notwendig verbundene Verarmung an menschlichen Werten aufwiegen. Gefahren drohen niemals unmittelbar durch die Technik, sondern immer nur durch den Menschen, der sich ihrer bedient. Das ist beim Computer nicht anders. In einer Zeit, in der Informationen einen hochbedeutsamen Machtfaktor darstellen, ist die Frage, wer über die Auswahl der zu speichernden Daten zu bestimmen hat, und vor allem auch, wer die Anlage abfragen darf, unter Umständen ein Politikum ersten Ranges. Schon jetzt zeichnet sich infolge des Informationsvorsprungs der Regierung eine Machtverschiebung zugunsten der Exekutive und zu Lasten des Parlaments ab. Doch dies ist nur eines von vielen Folgeproblemen, die die Automatisierung mit sich bringt. Datenmißbrauch ist auf mannigfache Weise möglich (z.B. Verletzung von Persönlichkeitsrechten, Urheberrechten oder auch Grundrechten), und sogar das Wort „Computerkriminalität" klingt nicht mehr fremd. Daher ist der Datenschutz zu einer der dringendsten gesetzgeberischen Aufgaben im Bereich der Rechtsinformatik geworden 14 . Es ist töricht, sich gegen den Computer aufzulehnen; er wird sich nicht aufhalten lassen. Es ist ebenso töricht, sich vom Computer faszinieren zu lassen; der Mensch ist ihm haushoch überlegen. Antoine de Saint-Exupéry, der mit
12
Vgl. Kaufmann-Hassemer, Grundprobleme der zeitgenössischen Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 1971, S. 67 f.; auch Zippelius, aaO. (wie Anm. 9), S. 129 f.
13
Siehe Arthur Kaufmann, Die Geschichtlichkeit des Rechts im Lichte der Hermeneutik, in: Festschr. f. Engisch, 1969, S. 243 ff., bes. S. 251 ff.; auch in: Arthur Kaufmann (Hrsg.), Rechtstheorie, 1971, S. 81 ff.
14
Dazu vor allem Simitis, Chancen und Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung - Zur Problematik des „Datenschutzes", in: NJW 1971, 673 ff.
Einführung: Elektronische Datenverarbeitung im Recht - Chancen und Gefahren
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der Philosophie wie mit der Technik auf du und du stand, sagte kurz vor seinem Tod einmal: „Ich glaube, daß der Tag kommt, an dem ein kranker Mensch sich in die Hände der Physiker und Informationstheoretiker begibt. Diese fragen ihn gar nichts, entnehmen ihm nur Blut, leiten irgendwelche Konstanten her, multiplizieren eine mit der anderen, und nachdem sie ihre Rechenmaschine befragt haben, heilen sie den Patienten mit einer einzigen Pille. Und trotzdem, wenn ich erkranke, werde ich mich an meinen Landarzt wenden. Er schaut mich aus den Augenwinkeln an, fühlt mir Puls und Bauch, hört mich ab. Dann reibt er sich das Kinn und lächelt mir zu, um den Schmerz besser zu lindern. Es versteht sich: Ich begeistere mich an der Wissenschaft, doch ich begeistere mich nicht minder an der Weisheit." 15
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Nach einem ARD-Fernsehbericht über die elektronische Datenverarbeitung in der Medizin.
Die Lage der Informatik in der Bundesrepublik Deutschland von Friedrich L. Bauer Informatik, eine neue wissenschaftliche Disziplin Ist die Informatik eine selbständige Wissenschaft, und wenn ja: wie ist sie einzuordnen? Natürlicherweise muß eine Antwort auf solche Fragen stets mit der Unsicherheit belastet sein, die davon herrührt, daß wir über einen in Entwicklung befindlichen Gegenstand etwas aussagen wollen und unser Blick nur beschränkt in die Zukunft reicht. Ein Blick zurück um etwa zehn Jahre ergibt aber bereits Perspektiven. Was damals noch als Anhängsel der Mathematik einerseits, der Nachrichtentechnik andererseits erschien, hat heute nach Aufgaben und Methoden einen unabhängigen Platz erreicht. Die Informatik benützt zwar in großem Umfang mathematische Methoden und sieht auch die Mathematik als vorzügliches formales Training an — nichtsdestoweniger darf sie sich nicht als Mathematik begreifen. Während in der Mathematik die Beziehungen sozusagen statisch, im Gleichgewicht befindlich sind, prägt in der Informatik der dynamische Ablauf die Denkweise. Man erkennt, wie so oft, den Unterschied an einfachsten Problemen am besten: Nehmen wir etwa den Begriff und die Herstellung der Menge aller Primzahlen. In mathematischer Auffassung etwa werden die natürlichen Zahlen — deren Existenz als unendliche Menge nicht in Zweifel gestellt wird — dem Sieb des Erathostenes unterworfen, wodurch alle Primzahlen übrigbleiben. In der Informatik lautet die Aufgabe, einen Algorithmus anzugeben, der beispielsweise zu jeder Primzahl die nächstgrößere liefert oder der zu gegebener Nummer n die n-te Primzahl in aufsteigender Folge liefert; es ist keine Rede davon, in irgendeiner Form die (unendliche) Menge aller Primzahlen selbst zu berechnen, und Euklids Satz, daß keine größte Primzahl existiert, nimmt die Gestalt an: Der vorgenannte Algorithmus ist nicht möglich.Die Stellung der Informatik zur Nachrichtentechnik wird vereinfacht durch die Erkenntnis, daß Informatik mit der Programmatur, der sogenannten „Software", zu tun hat. Damit ergibt sich von vornherein eine vernünftige Abgrenzung zur gerätemäßig orientierten Nachrichtentechnik. Gelegentlich geraten dabei auch mehr funktionell geprägte Teile der Nachrichtentechnik in den Sog der Entwicklung der Informatik oder werden noch dahin gelangen. Die Informatik ist also eine Geisteswissenschaft (was sie mit der Mathematik gemeinsam hat) und eine Ingenieurwissenschaft zugleich, eine neue aparte Kombination, nennen wir sie eine Geistes-Ingenieur-Wissenschaft oder Ingenieur-Geistes-Wissenschaft. Eine enge Nachbarschaft zu den Naturwissenschaften wie zu den materiellen Ingenieurwissenschaften zu haben, kann der Informatik jedoch nur nützen.
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Friedrich L. Bauer
Das Studium der Informatik Im September des Jahres 1969 legte die Kommission für Prüfungs- und Studienordnungen der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und der Westdeutschen Rektorenkonferenz eine „Rahmenordnung für die Diplomprüfung in Informatik" vor. Neben prüfungsordnungstechnischen Einzelheiten enthält die Rahmenordnung insbesondere die Modelle für den eigentlichen Studiengang. Die Einrichtung des Informatikstudiums geht zurück auf die „Empfehlungen zur Ausbildung auf dem Gebiet der Datenverarbeitung" des Bundesministers für Wissenschaftliche Forschung und auf die daraufhin gefaßte „Gemeinsame Stellungnahme des Fachausschusses Informationsverarbeitung der GAMM (Gesellschaft für Angewandte Mathematik und Mechanik) und des Fachausschusses 6 der NTG (Nachrichtentechnische Gesellschaft)" zu den genannten Empfehlungen. Mit dem Inkrafttreten der Rahmenordnung münden die vielfältigen Bemühungen um die Ausbildung des akademischen Nachwuchses auf dem Gebiet des Rechnereinsatzes (TU Berlin, U Bonn, TU Karlsruhe, TU München, U Saarbrücken, TU Stuttgart und andere) in ein eigenständiges Studium ein, das zum akademischen Grad eines „Diplom-Informatikers" führt. Übergehend zu den Problemen des Studiums der Informatik müssen wir zunächst den Vorrang formaler Beschreibungsmethoden betonen. Insofern haben einige Gegenstände der theoretischen Informatik — Automatentheorie etwa — ihre große erzieherische Bedeutung. Den Kern des Studiums der Informatik muß aber die Programmatur bilden, und der zweite Studienabschnitt muß seine Prägung erhalten durch den Inhalt zentraler, zweisemestriger Vorlesungen über algorithmische Sprachen und über Systemprogrammierung, wobei der eine Gegenstand die benutzernahen, der andere die maschinennahen Gesichtspunkte zu berücksichtigen hat. Theoretische Informatik dient dann der Absicherung, ebensosehr wie Fragen der Anwendungsprogrammierung die Wirklichkeitsbezogenheit herstellen. Im übrigen enthält der von den Fachverbänden ausgearbeitete (an allen Orten, an denen Informatik besteht, mehr oder weniger akzeptierte) Studienplan eine sehr begrüßenswerte Flexibilität, die sowohl dem mehr wissenschaftsbezogenen wie dem mehr praxisbezogenen Studium Raum läßt. Von besonderer Wichtigkeit ist, daß das Studium der Informatik mit dem Ziel des Diploms von einem Nebenfach begleitet wird. Die dadurch erzielte weite Kombinationsmöglichkeit kommt mit der Wahl von Wirtschaftswissenschaften oder Elektrotechnik besonders den Bedürfnissen des praktischen Berufseinsatzes bei Benutzern wie bei Systemherstellern zugute. Mathematik als Nebenfach ist sowohl für ausgesprochen praktische Programmaturspezialisten wie auch für wissenschaftsbetonte Spezialisierung geeignet. Sonderfälle der prak-
Die Lage der Informatik in der Bundesrepublik Deutschland
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tischen oder wissenschaftlichen Berufswahl können durch weitere Kombinationen — wie mit Physik, Linguistik, Jurisprudenz oder Medizin — ermöglicht werden. Die Bedeutung der Informatik als Hilfswissenschaft für viele weitere, „nichtmathematisierbare" Disziplinen wird sorgfältig im Auge zu behalten sein. Einschlägige Lehrveranstaltungen sollten, akademischen Wertvorstellungen zufolge, von Fach-Informatikern getragen werden, die sich den wissenschaftlichen Kriterien ihres Gebietes gestellt haben. Den an Informatik „interessierten" Fächern ist jedenfalls abzuraten, ihre „eigene" Informatik aufzubauen, etwa eine „Rechtsinformatik", die schmalbrüstig und schmalspurig bleiben müßte. Die Situation an den deutschen Hochschulen Die Anfänge der Informatik an der Technischen Universität München gehen auf die Zusammenarbeit von Prof. Hans Piloty und Prof. Robert Sauer zurück, die in den Jahren 1952 bis 1956 die Programmgesteuerte Elektronische Rechenanlage München (PERM) bauten, eine der ersten in Deutschland errichteten elektronischen Rechenanlagen. Aus dem Betrieb der PERM entsprangen viele für die Informatik relevante Forschungsarbeiten, insbesondere auf dem Gebiet der Entwicklung von Programmiersprachen und deren Übersetzung in eine maschinennahe Form: Die Bemühungen um die Programmiersprache ALGOL und die Mitarbeit in einer 1959 gegründeten, international besetzten Gruppe, der sogenannten ALCOR-Gruppe, die die Vereinheitlichung der ALGOL-Übersetzer zum Ziel hat, haben wesentliche internationale Kontakte mit sich gebracht. Erste Arbeiten an Betriebssystemen schlössen sich an. Von der Anwendung her motiviert, wurde besonders die Numerische Mathematik gepflegt. Seit 1962/63 wurde der Aufbau der Informatik in München planmäßig vorbereitet. Gefördert durch das Schwerpunktprogramm „Rechenanlagen" der Deutschen Forschungsgemeinschaft, sind viele nichtnumerische Arbeitsgebiete in Angriff genommen worden. Durch Forschungsarbeiten auf diesen Gebieten wurden Dozenten herangebildet, die es ermöglichten, im Wintersemester 1967/68 einen Studienzweig „Informatik" im Rahmen des Mathematikstudiums an der Technischen Universität München einzurichten. Die Diplomprüfungsordnung für Informatik steht vor der Genehmigung 1 — gerade rechtzeitig für die ersten Studienanfänger, die 1967 begannen und jetzt nach 8 Semestern abschließen. Damit ist an der TUM ein voll ausgebautes Studium der Informatik eingerichtet, das bereits auf eine Vielzahl von Erfahrungen zurückgreifen kann und in Deutschland führend sein dürfte. Neben dem Studium der Informatik, in
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Die Genehmigung erfolgte am 25.2.1972.
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Friedrich L. Bauer
erster Linie mit Mathematik, Elektrotechnik oder Wirtschaftswissenschaften als Nebenfach, besteht auch die Möglichkeit, Informatik als Nebenfach zum Studium der Mathematik zu wählen. Auch Studierende der Elektrotechnik können als Spezialisierung im Verlauf des zweiten Studienabschnitts eine Vertiefung in Informatik wählen. Möglichkeiten weiterer Fächerverbindungen, besonders interfakultativer Art, sind im Gespräch. Zur Zeit rechnet man an der TUM mit etwa 180 Studienanfängern pro Jahr, die eine Informatikausbildung erfahren. An einigen anderen deutschen Universitäten ist der Aufbau der Informatik im Gange. Er ist hauptsächlich gekennzeichnet durch den Mangel an erfahrenem und wissenschaftlich ausgewiesenem Lehrpersonal. Recht gute Voraussetzungen fiir ein Studium der Informatik liegen in Karlsruhe und Saarbrücken vor. Jedoch sollen die ernsthaften Bemühungen, denen man sich an manchen anderen Orten, beispielsweise in Hamburg, unterzieht, nicht verkannt werden. Neben den personellen Etatanforderungen ist die Beschaffung der benötigten kostspieligen Übungs-Rechenanlagen ein schwieriges Problem. Zukunftsaussichten Ein Studium der Informatik bietet für das Berufsleben große Chancen. Ein breites Einsatzfeld reicht von den Forschungs- und Entwicklungslabors der geräteherstellenden Industrie und der Programmatur-Ersteller bis weit in die Anwendungen hinein, Vertrieb und Einsatzplanung von Systemen ebenso umfassend wie Leitung von Rechenzentren und Benutzerberatung. Über die engeren Berufsfragen hinaus stellt sich die Frage nach dem Bezug zu unserer Welt. Die Informatik wird im Verlauf der nächsten Jahrzehnte unser Leben beeinflussen, verändern, zum Besseren oder zum Schlechteren — wie, wird von den Informatikern ebensosehr abhängen wie von den Führungskräften des Staates, der Wirtschaft, der Wissenschaft, die mit ihr in Berührung kommen, aber auch von der Einstellung des Staatsbürgers. Es ist daher zu begrüßen, daß die Einbeziehung der Informatik in den Unterricht der Kollegstufe des Gymnasiums gute Fortschritte macht, was zu einem künftigen tieferen Verständnis in der breiten Öffentlichkeit führen soll. Gerade gegenüber einem rasch aufstrebenden Gebiet ist das Wissen um Möglichkeiten und Grenzen die beste Sicherung gegen Mißbrauch, die vorteilhafteste Gewähr für menschheitsbezogenen Nutzen.
Was der Jurist von der elektronischen Datenverarbeitung wissen sollte von H. C. Müller-Lutz Die elektronische Datenverarbeitung, ursprünglich für wissenschaftliche und militärische Projekte konzipiert, (wenige Eingabedaten, kleiner Speicherbedarf, komplizierte Rechenoperationen, große Bearbeitungsgeschwindigkeit), ist seit knapp 20 Jahren in ständig steigendem Maße auch für Verwaltungsaufgaben aller Art im Einsatz. Nicht nur die naturwissenschaftliche Fakultät und die Mathematiker sind heute Computer-Verwender, sondern auch Wirtschaftswissenschaftler, Mediziner und Juristen wurden Nutznießer der elektronischen Dienstleistungen. Die elektronischen Datenverarbeitungsanlagen werden eingesetzt, um die in nnmer größerer Zahl entstehenden und benötigten Informationen zu speichern und zur Auswertung bereitzuhalten, d.h. mit der Datenexplosion oder Informationsinflation fertig zu werden, die über uns hereinbricht. Der jahrhundertelang gebräuchliche Informationsträger Papier erweist sich als zu räum- und personalaufwendig in Speicherung und Bearbeitung. Der Zugriff zu den auf Papier gespeicherten Informationen ist umständlich und scheitert oft schon daran, daß man den Umfang und Inhalt des Informationsmaterials nicht mehr überblicken kann. Jeder weiß etwas von der Elektronik, niemand das Grundlegende, die Spezialisten ausgenommen. Die landläufige Meinung geht dahin, daß mit der elektronischen Datenverarbeitung alles möglich ist. Schuld daran ist in erster Linie die feuilletonistische Art der Berichterstattung der Presse und die Propaganda der Hersteller. Eine Rolle spielt aber auch die Tatsache, daß der Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen auf dem Informationssektor in breiter Front eine noch sehr kurze Entwicklungszeit hat. Die Elektronik in praktischer Anwendung ist knapp 20 Jahre alt. Es gibt nur wenige Fachleute. Die meisten Amateure haben nur ein Potpourri-Wissen. Es kann deshalb nicht deutlich genug betont werden, daß der Computer kein Hexenmeister ist. Er arbeitet nur, wenn der Mensch alles genau vorgedacht hat. Die Notwendigkeit des computergerechten Vordenkens löst tiefgreifende Strukturänderungen in den Arbeitsabläufen und in der Informationstechnik aus. Die Datenverarbeitung löst viele Probleme; sie schafft gleichzeitig aber auch neue, und zwar zum Teil sehr weitreichende. Mit der normativen Kraft des Faktischen führt die Elektronik nicht nur zu sachlichen Umstrukturierungen, sondern — im kausalen Zusammenhang damit, was besonders betont werden muß — auch zu gedanklichen Änderungsprozessen. Die Menschen, die direkt oder indirekt mit dem Computer arbeiten
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und durch ihre Arbeit mit ihm in Berührung kommen, brauchen nicht nur neues, zusätzliches Wissen. Sie müssen gegenüber ihrer bisherigen konventionellen Arbeitsweise umdenken. Die elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, in Anlehnung an den angelsächsischen Gebrauch auch Computer (Rechenmaschinen) — unter Berücksichtigung der wissenschaftlich-militärischen Anfangsphase — genannt, heute als Electronic Data Processing Machines bezeichnet, stellen ein System dar, das aus verschiedenen Maschinenaggregaten besteht. Der Maschinenteil dieses Informationssystems, in der Fachsprache als „hardware" bezeichnet, besteht aus einer Reihe von Einheiten, die zum Teil in einer Zentraleinheit eingebaut sind, zum Teil als externe oder periphere Aggregate mit dem System arbeiten. Wichtigste Teile sind Steuer- bzw. Rechenwerk und die internen und externen Speicherwerke. Derjenige, der sich nicht hauptamtlich mit Computern befassen muß, sollte sich mit näheren Einzelheiten über das Maschinensystem nicht belasten. Es genügt die Kenntnis, daß Informationen unmittelbar gespeichert und ebenso intern verarbeitet, aber jederzeit durch Lochkartenstanzer, Schnelldrucker oder Bildschirme in visueller Form sichtbar gemacht werden können. Die Abruftechnik der jeweiligen Einheiten muß man sich aneignen, wenn man direkt mit ihnen arbeitet. Es ist ähnlich wie mit dem Auto: man muß es fahren, aber nicht reparieren können. Die elektronischen Datenverarbeitungsgeräte arbeiten nicht von alleine, sondern nur auf Befehl. Diese Befehle nennt man Programme. Wie es im einzelnen möglich ist, aufgrund solcher Programme in einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage Informationen zu speichern und zu bearbeiten, ist im Augenblick für die Allgemeinheit mehr oder minder unklar, zumindest nur in unscharfen Umrissen und damit undeutlich verständlich. Man „glaubt" es zu wissen, dJi. man weiß es nicht. Es ist aber entscheidend für jeden Benutzer der elektronischen Datenverarbeitung, zu wissen, wie ein Programm für eine elektronische Datenverarbeitungsanlage entsteht und welche Voraussetzungen dafür notwendig sind. Die Kenntnis dieser Voraussetzungen ist für Benutzer und Auftraggeber wichtiger als die genaue Beschreibung der Maschinen selbst und ihrer Fähigkeiten, ihres Aufbaus im einzelnen und der Maschinentechnik, deren Schilderung nur allzuleicht den Eindruck erweckt, es handele sich hier um Wundermaschinen, die man nur einzusetzen brauche, um alles zu bekommen. Die Wirklichkeit der elektronischen Datenverarbeitung als Informationssystem basiert auf 3 Voraussetzungen: 1. Die elektronische Datenverarbeitungsanlage kann jede von ihr gespeicherte Information wiederfinden. 2. Sie kann zwei durch Zahlen ausgedruckte Informationen vergleichen und damit Ja/Nein-Entscheidungen treffen sowie die 4 Grundrechenarten durchführen.
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3. Sie kann diese Funktionen in beliebigen Kombinationen, in bestimmter Reihenfolge beliebig oft durchführen, ohne daß der Mensch eingreifen muß. Diese Fähigkeiten der elektronischen Datenverarbeitungsanlagen müssen von der logischen Kombinations- und Denkfähigkeit des Menschen genutzt werden. Selbständig kann die elektronische Datenverarbeitungsanlage nicht denken. Bekommt sie entsprechende Befehle, dann kann sie ihre Fähigkeiten aber selbständig anwenden. Die elektronische Datenverarbeitung setzt grundsätzlich eine gedankliche menschliche Arbeitsvorbereitung voraus. Wie in der industriellen Fertigung verlagert sich ein großer Teil der Arbeitsdurchführung auf die Arbeitsvorbereitung. Die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine ist bei der Elektronik eine grundsätzlich andere als bei konventionellen Büromaschinen. Während bei den letzteren der Mensch zusammen mit der Maschine arbeitet, d.h. die Maschine ihm bei der Erledigung seiner Tätigkeit hilft, ist dies bei der elektronischen Datenverarbeitung nicht mehr der Fall. Die gemeinsame Arbeit wird durch aufeinanderfolgende, d.h. zeitlich getrennte Arbeiten ersetzt. Es entsteht eine echte Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine. Der Mensch entwickelt Arbeitsanweisungen und Befehle (Programme) für die elektronische Datenverarbeitungsanlage, nach denen diese dann später ohne menschliche Mitarbeit die gestellten Aufgaben durchfuhrt. Die für diese Zusammenarbeit erforderlichen Verständigungsmittel zwischen Mensch und Maschine sind das Schlüsselproblem der elektronischen Datenverarbeitung. Die Bearbeitungsinstruktionen müssen zuerst in eine automationsgerechte Form und anschließend in eine automationsgerechte Sprache gebracht werden, die die Maschine verwerten kann. Diese Vorbereitungs- und Übersetzungstätigkeiten können ohne den Menschen nicht geleistet werden. Der Mensch muß bei seinen Dispositionen berücksichtigen, daß eine automationsgerechte Form gefunden wird. Wenn man die Tätigkeit bezeichnen will, die notwendig ist, damit die elektronische Datenverarbeitungsanlage Informationsaufgaben löst und übernimmt bzw. speichert, dann spricht man von Programmierung. Im Gegensatz zur „hardware" (Maschinensystem) nennt man diesen Teil der elektronischen Arbeit „Software". Manchmal spricht man auch von Programmiersystemen im Gegensatz zu Maschinensystemen. Die Programme sind also Betriebsanweisungen für die elektronische Datenverarbeitungsanlage zur Durchführung der übertragenen Aufgaben. Für die Allgemeinheit ist es außerordentlich schwierig, sich von den Programmierungsvoraussetzungen und -erfordernissen sowie dem Ablauf der Programmierarbeiten eine einigermaßen zutreffende und klare Vorstellung zu machen. Die wichtigsten Phasen bzw. Arbeiten der Programmierung will ich deshalb an einem einfachen Beispiel praktisch erläutern. Es soll ein plastisches Bild von den Möglichkeiten und Grenzen der Programmierung, insbesondere aber von
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ihren Problemen, vermitteln. Die Programmierung beginnt mit der Problemanalyse. Die Aufgabenstellung wird festgelegt. Bei unserem Beispiel soll ein computer-gesteuerter Selbstfahrer (Auto-Roboter) in der Stadt München vom Starnberger Bahnhof zur Universität auf einer bestimmten Route sich selbständig, d.h. ohne menschliche Steuerung, hin- und herbewegen können. Dabei wird unterstellt, daß der Auto-Roboter folgende Fähigkeiten hat: — Er kann sich in Schritten von 1 m vorwärtsbewegen; — Er kann sich um 1 Grad nach links oder rechts drehen; — Die in ihm befindliche elektronische Datenverarbeitungsanlage, die ihn steuert, kann zählen und prüfen, wie weit sie gezählt hat und die eben genannten Tätigkeiten beliebig oft und in beliebiger Reihenfolge wiederholen. Für die Problemanalyse bzw. die Lösung der Aufgabe ist es zunächst notwendig, anhand eines Stadtplanes die Straßen festzulegen, die der Roboter benutzen soll, z.B. vom Starnberger Bahnhof über Bahnhofsplatz, Luisenstraße, Königsplatz, Briennerstraße, Odeonsplatz, Ludwigstraße, Geschwister-SchollPlatz. Auch andere Wege können gewählt werden. Die hier festgelegte Route hat den Vorteil der Einfachheit und der Übersichtlichkeit. Ob es die kürzeste Route ist, müßte eingehend geprüft werden, weil neben der reinen Entfernung selbstverständlich auch die Verkehrsbelastung, das Ampelsystem und ähnliche Punkte in der Praxis eine wichtige Rolle spielen. Man erkennt bereits an diesem Beispiel, das sich sinngemäß auf alle Aufgaben anwenden läßt, daß in der Analyse die optimale Lösung gesucht werden muß. Die Suche nach der optimalen Strecke zwischen Starnberger Bahnhof und Universität wäre eine Aufgabe, die nicht nur gedanklich vom Menschen, sondern ebenfalls mittels eines Programmes von der elektronischen Datenverarbeitungsanlage zuverlässig gelöst werden kann. Zu diesem Zwecke müssen alle möglichen Wege ausgemessen und die Drehungswinkel bzw. die Drehungsrichtungen ermittelt werden. Mit Hilfe eines Programms kann dann die elektronische Datenverarbeitungsanlage die optimale Lösung, d.h. den kürzesten Weg zwischen beiden Punkten, errechnen. Solche Optimierungsprogramme gibt es in der Praxis bereits häufig, z.B. werden sie von den Mineralölfirmen dafür verwendet, um die ideale, d.h. kürzeste Belieferungsstrecke für die Tankfahrzeuge zwischen den einzelnen Tankstellen zu finden. Damit der Roboter den für ihn bestimmten Weg zurücklegen kann, muß man, da er Straßennamen nicht lesen und sich auch nicht visuell orientieren kann, die Strecke objektivieren, d.h. festhalten, wie viele Schritte in einer bestimmten Richtung vorzunehmen sind und wieviel Grad an bestimmten Punkten nach links oder rechts gedreht werden muß. Es genügt nicht, die Strecken auf dem Stadtplan auszumessen. Es müssen die Entfernungen und Winkel ganz genau auf Kommastellen festgestellt werden, d.h. es ist notwendig, die Wegstrecken in natura mit Vermessungsgeräten zu ermitteln, und zwar auch deshalb, weil der Roboter nicht immer die Straßenmitte benutzen kann und auf Bürgersteige
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und etwa sonstige im Plan nicht eingezeichnete und nicht erkennbare Hindernisse (Verkehrszeichen, Straßenlaternen, Fußgängerstreifen, Plakatsäulen) Rücksicht nehmen muß. Würde das nicht beachtet, dann bestände die Gefahr, daß er, weil ihm die menschlichen Orientierungssinne und damit die selbständigen Entscheidungen zu kleineren Kurskorrekturen im einzelnen fehlen, eventuell an eine Straßenlaterne prallen. Das Beispiel zeigt deutlich den Unterschied zwischen menschlicher und maschineller Verhaltensweise. Die elektronische Datenverarbeitungsanlage kann nur im programmierten Rahmen, d.h. begrenzt Denkvorgänge übernehmen. Es fehlt ihr die individuelle Orientierungs- und Korrekturmöglichkeit. Sie kann keine selbständigen Entscheidungen treffen. Aufgrund der Feststellung der Analyse, die zeitaufwendig ist, kann man einen Programmablaufplan erstellen, der angibt, wie die elektronische Datenverarbeitungsanlage den Roboter vom Starnberger Bahnhof zur Universität steuert. Es handelt sich um die Übertragung des tatsächlichen Weges auf eine für den Computer verständliche, d.h. abstrakte Befehlsform. Der Programmablauf läßt erkennen, in welcher Form die elektronische Datenverarbeitungsanlage arbeitet. Es werden Schritte oder Winkel gezählt, und zwar Stück für Stück. So lange die im Programm vorgeschriebene Gesamtzahl, also im ersten Programmabschnitt z.B. 200 Schritte, nicht erreicht ist, wird immer ein weiterer Schritt angefügt. Die elektronische Datenverarbeitungsanlage stellt beispielsweise fest, daß sie 99 Schritte gezählt hat, meldet das demSteuerwerk, bekommt die Antwort, daß die geforderten 200 Schritte noch nicht erreicht sind, fügt einen weiteren Schritt dazu, bekommt wieder eine Nein-Meldung, bis 200 Schritte erreicht sind. Dann erfolgt ein „Ja" und damit die Möglichkeit, den nächsten Programmabschnitt zu beginnen. Die Rückanweisung bei „Nein" wird als „feedback" bezeichnet. Das „feedback" ist typisch für die Arbeitsweise der elektronischen Datenverarbeitungsanlage. Für jeden der im Programmablaufplan enthaltenen Schritte muß der Computer, damit er ihn ausführen kann, einen Befehl erhalten. Ein Programm setzt sich aushunderten oder tausenden von Befehlen zusammen. Die elektronischen Datenverarbeitungssysteme haben eigene Sprachen, in der Informationen empfangen, verarbeitet, gespeichert und ausgegeben werden. An die Stelle der Programmierung in der früher üblichen umständlichen Maschinensprache im sogenannten Binärsystem treten heute Kunstsprachen, die die Übersetzung der Umgangssprache in die Maschinensprache dadurch erleichtern, daß der Mensch nur eine Rohübersetzung in einer verschlüsselten Sprache liefert. Diese kann dann mit einem Übersetzungsprogramm in einer 2. Phase in die Maschinensprache übersetzt werden. Diese Kunstsprachen, auch Programmiersprachen genannt, können sowohl vom Menschen als auch vom Maschinensystem verstan-
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den werden und erleichtern damit die Arbeit der Erstellung des Programmablaufplans und der Programmverschlüsselung für den Menschen. Die Zahlen und Worte des so entstandenen Programms werden mit Hilfe eines Lochers manuell auf Lochkarten oder auf Magnetbänder übertragen. Auch eine Eingabe über Bildschirm ist möglich. Die elektronische Datenverarbeitungsanlage übersetzt die eingegebenen alphanumerischen Programmanweisungen in die Maschinensprache mit Hilfe des Übersetzungsprogramms und gibt die Anweisungen wieder als Lochkarte, Magnetband oder Magnetplatte (Programmkarten, Programmband, Programmplatte) zurück. Die auf diese Weise entstandenen Unterlagen stellen das echte Maschinenprogramm dar. Wird der Roboter-Computer mit diesem geladen, d.h. wird in eine elektronische Datenverarbeitungsanlage dieses Programm eingegeben, dann steuert diese ihn gemäß den Anweisungen vom Starnberger Bahnhof zur Universität selbständig auf der vorgeschriebenen Route. Es können auch Varianten eingelegt werden, z.B. ein bestimmter Aufenthalt an bestimmten Stellen in bestimmten Zeitabständen. Dieses Programmbeispiel ist zwar einfach, verdeutlicht aber nicht nur, wie ein solches Programm entsteht und welche Lösungsmöglichkeiten es gibt, sondern auch vor allen Dingen, welche Probleme damit verbunden sind, wobei auf die Schilderung der Programmanwendung im einzelnen verzichtet werden soll. Die wichtigsten Gesichtspunkte, die sich bei der Programmierung ergeben, sind folgende: 1. Durchdenken der Aufgabenstellung (Analyse) Eine Arbeit oder Aufgabe, die man lange Zeit manuell (Programmbeispiel), zu Fuß oder mit Hilfe von halbmechanischen Mitteln (im Programmbeispiel z.B. mit Fahrrad oder Auto) gelöst hat, auf ein elektronisches Datenverarbeitungssystem zu übertragen, erfordert eine völlig neue Bestandsaufnahme. Das bisherige Erfahrungswissen und die Aufgabe ihrer Durchführung und ihrer Lösung genügt nicht. Diese Notwendigkeit, die man bei der Übernahme von Büro- und Verwaltungsarbeiten nicht ohne weiteres erkennt oder zumindest in ihrer Bedeutung unterschätzt, wird an dem Wegebeispiel deutlich sichtbar. Wenn ein Student während seines Studiums mehrere Jahre lang den Weg vom Starnberger Bahnhof zur Universität täglich zurückgelegt hat, dann kennt er ihn natürlich sehr genau. Er wird ihn auch bei Nacht und unter ungünstigen Beleuchtungsoder Witterungsverhältnissen finden und er wird ihn anderen so genau beschreiben können, daß diese Personen den Weg allein nach seiner Beschreibung finden können. Es zeigt sich aber, daß das Wissen nicht ausreicht für eine Programmanalyse. Trotz scheinbarer genauer Kenntnisse des Weges müssen dafür die erforderlichen Grundlagen neu erarbeitet werden. Mit dem Wissen des Menschen kann die elektronische Datenverarbeitungsanlage nichts anfangen, obwohl es an und für sich für jeden Menschen ausreichend wäre, den Weg zu
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finden. Das Wissen ist aber nicht ausreichend genug, um den Weg für das Programm eindeutig und genau zu beschreiben (z.B. Schritt- und Winkelzahl). 2. Genauigkeit und Präzision der Angaben Für die Übernahme von Arbeiten auf die elektronische Datenverarbeitung ist nicht nur eine sorgfältige Analyse, sondern auch eine Übersetzung in eine abstrakte Form und eine bis ins kleinste gehende Präzision notwendig. Während der Mensch infolge seiner geistigen und visuellen Flexibilität bei ablaufenden Arbeiten Korrekturen anbringen kann, ist das für die Maschine, die nicht selbständig denkt, bzw. nicht sieht und hört, unmöglich. Im vorliegenden Programmbeispiel kann der Mensch bei kleineren Wegabweichungen sich visuell orientieren (markanter Punkt, z.B. Kirchturm); er kann sich nach dem Weg erkundigen; er kann Straßenbezeichnungen lesen und schließlich kleineren Hindernissen ausweichen, ohne den Kurs zu verlieren. Der Roboter kann das nicht. Jeder einzelne Winkel, Grad, Meterschritt müssen ihm genau vorgeschrieben bzw. vorgezählt werden. Diese Notwendigkeit zu genauester abstrakter Formulierung der Probleme besteht auch bei der Übernahme von Verwaltungsarbeiten. Die Registratur in ihrer bisherigen handwerklichen Aufbewahrungsform genügt zwar schlecht und recht den menschlichen Zugriffsmöglichkeiten (nach langem Suchen fand man das meiste), für die Computertechnik jedoch muß völlig anders und einheitlich aufbereitet werden (Beispiel: Adreß-Speicherung). In diesem Zusammenhang sei an die Pläne erinnert, juristisches Entscheidungsmaterial elektronisch zu speichern und damit jederzeit zugriffsbereit zu halten. 3. Ständige Pflege und Betreuung der Arbeiten (Programmpflege) Alle Arbeitsabläufe müssen auf mögliche Verbesserungen und notwendig werdende Änderungen ständig überwacht werden. Bei manuellen Routine-Arbeitsabläufen wird das oft unterlassen. Das ist mit der Grund dafür, warum empirisch gewachsene Arbeitsabläufe selbst dann noch weiter existieren, wenn sie ganz oder zum Teil überholungsbedürftig sind. Bei der elektronischen Datenverarbeitung ist die ständige Programmpflege ein dringendes Erfordernis. Das läßt sich auch an dem Programmbeispiel eindrucksvoll nachweisen. Es kommt des öfteren vor, daß Straßenarbeiten Umleitungen erforderlich machen. Wird auf dem Weg, den der Roboter gemäß seinem Plan zu nehmen hat, eine Gasleitung verlegt oder eine U-Bahn-Baustelle eröffnet, dann würde der Roboter, wenn man ihm die Hindernisse nicht über das Programm mitteilt, da er nicht sieht, unweigerlich verunglücken, d.h. zum Beispiel in einen U-Bahn-Schacht stürzen oder sich in einem Erdhaufen festrennen. Rechtzeitig vor Beginn solcher Arbeiten muß also das Programm geändert werden. Die Programmänderung löst dann, zumindest für eine Teilstrecke, eine neue Analyse der Arbeits-
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ablaufplanung aus. Solche Programmänderungen sind u.U. sehr arbeitsaufwendig. 4. Zeitaufwand der Programmierungsvorgänge Das Beispiel läßt erkennen, warum die Programmierung so lange dauert. Einmal ist die Programmanalyse wegen der genauen systematischen Arbeitsablauferstellung zeitaufwendig, zum anderen erfordert auch die Programmablaufplanung, das Niederschreiben und Verschlüsseln der Befehle, die Erstellung der Programmunterlagen, das nachfolgende Testen mit eventueller nachträglicher Berichtigung des Grundprogramms mit erneuten Tests ebenfalls nicht unerhebliche Zeit. Das Gleiche gilt für die Programmpflege. Die schnelle Abwicklung der Arbeiten selbst, die durch die elektronische Datenverarbeitungsanlage möglich ist, wird also erkauft mit einer langwierigen Arbeitsvorbereitung und langwierigen Änderungsarbeiten. Trotzdem ist insgesamt in der Regel ein erheblicher Zeitgewinn zu verbuchen, und zwar ist dieser umso größer, je öfter und je Länger die Programme laufen, ohne daß Änderungen notwendig sind. 5. Personalintensität der Programmierung Die elektronische Datenverarbeitung ist zwar maschinenorientiert, d.h. sie soll menschliche Arbeit maschinell erledigen und damit Personal sparen. Sie hat aber gleichzeitig Personalbedarf, weil die Programme personalintensiv sind. Auch zum Automatisieren braucht man Personal, und zwar sehr qualifiziertes Personal. Daran mangelt es zur Zeit. Das Problem „manware" ist neben der „Software" einer der Flaschenhälse beim Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung. 6. Die Kosten der elektronischen Datenverarbeitung bzw. Wirtschaftlichkeit Nicht nur die Kosten der elektronischen Datenverarbeitungsanlage selbst sind hoch — leistungsfähige Systeme kosten mehrere Millionen Mark Miete pro Jahr - sondern auch die Nebenkosten sind erheblich. Man braucht spezialbelüftete Räume. Es sind Umbauten notwendig. Die Systeme müssen ergänzt und geändert sowie gewartet werden. Besonders hoch sind die Personalkosten. Die Programmerstellung ist personalintensiv. Für die „Insider" ebenso wie für die „Outsider", d.h. für diejenigen Personen, die mit der elektronischen Datenverarbeitungsanlage nebenamtlich zusammenarbeiten, sind Schulungen notwendig. Einsparungen ergeben sich selten direkt. Die Vorteile der elektronischen Datenverarbeitung sind schwer quantifizierbar und damit meßbar. Alle Fragen müssen im übrigen im Zusammenhang gesehen werden. Die Anlage genügt allein nicht. Zur Herstellung der Programme braucht man gute Programmierer, aber auch Material in computergerechter Form. Oft ist eine
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Aufgabe theoretisch gelöst. Die Durchführung scheitert aber daran, daß das Material nicht in computergerechter Form vorhanden ist oder geliefert wird und die Umstellung zu schwierig ist. Man besitzt z.B. eine juristische Entscheidungskartei mit 2 Millionen Karteikarten. Man hat auch ein System gefunden, um automatische Zugriffe zu ermöglichen. Es ist aber jetzt notwendig, 2 Millionen Karteikarten nach dem neuen System zu codifizieren und dann in eine Datenbank einzugeben, damit sie dann später sofort gefunden werden können. Während die Programmierung, einschließlich dem Aufbau der Anlage und allem, was dazu gehört, 2 Jahre dauert, erfordert die Übernahme dieser Informationsbestände — unter Einsatz einer größeren Anzahl von qualifizierten Kräften — 5 Jahre und noch mehr. Die Praxis hilft sich in solchen Fällen dadurch, daß sie von einem gewissen Punkt an die Kartei neu aufbaut, die alten Bestände aber nicht übernimmt und dabei sich darauf verläßt, daß die Änderungsgeschwindigkeit das Erfahrungswissen zum Teil rasch entwertet. Alle diese Fragen des Einbaus der elektronischen Datenverarbeitungssysteme und ihrer Programme in die eigentliche Aufgabe, werden als „brainware" bezeichnet. Hier wird der Kontakt zwischen elektronischer Datenverarbeitung und Praxis im einzelnen hergestellt. Auf den Juristen bezogen, würde das bedeuten, daß er künftighin computergerecht denkt, d.h. computergerechte Gesetze macht. Eine entsprechende Anpassüngsbereitschaft und Anpassungsgeschwindigkeit ist Voraussetzung für die Anwendung der elektronischen Datenverarbeitung in der juristischen Praxis. So, wie der Techniker, der Kaufmann und der Betriebswirtschafter die bestehenden rechtlichen Grenzen kennen muß, so ist es erforderlich, daß der Gesetzgeber die technischen und betriebswirtschaftlichen Veränderungen erkennt und verwertet. Das bezieht sich sowohl auf die Rationalisierung des Rechts und der Gesetze wie auch auf die Auswirkungen der Rationalisierung auf das Recht. Die bestehende Rechtsordnung ist nicht elektronikfeindlich, d.h. das Rechtsgefüge verbietet den Computer nicht, nimmt ihn als solchen aber auch bisher kaum zur Kenntnis. Diese Computer-Neutralität führt — verbunden mit der traditionellen Grundeinstellung — zu einer gewissen Computerwiderspenstigkeit der Gesetzgebung und Rechtssprechung. Die Übergangsund Anpassungsschwierigkeiten, die neue Verfahrensstrukturen mit sich bringen, werden dadurch nicht erleichtert. Angestrebt werden sollte eine computerfreundliche Rechtsordnung. Methodische Maßnahmen, welche den Zweck haben, wirtschaftliche Leistungen mit einem vergleichsweise geringeren Kraft-, Zeit- und Kosteneinsatz zu erzielen, muß die Rechtsordnung fördern und nicht verhindern oder erschweren, und zwar im allseitigen Interesse. Unter diesen Umständen sind z.B. Ermessensklauseln möglichst zu vermeiden. Diese Überlegungen können allerdings in Konflikt geraten mit anderen, vielleicht höheren Anforderungen, denen die Rechtsordnung zu genügen hat, z.B. Gerechtigkeit oder Schuldnerschutz. Hier ist eine objektive und sorgfältige Abwägung, nicht zuletzt auch unter Berücksichtigung der kaufmännischen
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E f f e k t e , n o t w e n d i g . Diese Feststellungen beziehen sich auf alle Rechtsgebiete u n d auf alle Wirtschaftszweige. Die Juristen haben direkt und indirekt die B e d e u t u n g des Computers für das R e c h t erkannt. Trotzdem scheint es erforderlich, die ungewollte Bremswirkung der Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsanordnungen (hier ist z.B. auch die Post und die Bahn zu n e n n e n ) , die sich in einer Zeit schneller Änderungen immer unangenehmer bemerkbar m a c h t , deutlich herauszustellen. Wir brauchen schneller als bisher neues, u n d dann computergerechtes R e c h t . Die niedersächsische Landesregierung hat kürzlich die Absicht geäußert, ihre Gesetze und Verordnungen künftighin schon im Entwurf von Computerspezialisten auf ihre Automationsgerechtigkeit prüfen zu lassen. In dieser Hinsicht darf ich einige Grundsätze für die Vollzugs- und automationsgerechte Gestaltung v o n Rechts- und Verwaltungsvorschriften z u m Schluß meiner Ausführungen in 12 T h e s e n zusammenfassen: 1. Die Automation ist ein wesentliches Mittel, den Vollzug und die Dokumentation von Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu rationalisieren. Ihre vielfältigen Möglichkeiten können nur dann sinnvoll und wirtschaftlich genutzt werden, wenn die Rechts- und Verwaltungsvorschriften den Erfordernissen des Elektronikeinsatzes entsprechen. 2. Die automationsgerechte Gestaltung wirkt sich im Aufbau und Wortlaut der Vorschriften aus und kann auch deren Inhalt betreffen. Der materielle rechtliche Zweck der Vorschriften bleibt aber grundsätzlich unberührt, d.h. er darf aus Gründen der automationsgerechten Gestaltung nicht eingeschränkt werden. Im Zweifelsfall ist nach sorgfältiger Prüfung der kaufmännischen Konsequenzen - der Wahrung des materiell-rechtlichen Zweckes der Vorrang vor elektronisch-spezifischen Gesichtspunkte einzuräumen. 3. Die Automation der Verwaltungsabläufe bedingt einen einheitlichen, systematischen, lückenlosen und logischen Aufbau der Rechts- und Verwaltungsvorschriften. 4. Für gleiche Sachverhalte und Begriffe sollen gleiche Bezeichnungen, für unterschiedliche Sachverhalte und Begriffe unterschiedliche Bezeichnungen verwendet werden. Wenn eine Regelung Sachverhalte enthält, die auch in anderen Vorschriften vorkommen, sollen die Bezeichnungen einander angeglichen werden. Vorschriften sollen, soweit irgend möglich, so formuliert werden, daß ihr Sinn sich aus dem Wortlaut ergibt und nicht erst durch Auslegung ermittelt werden muß. 5. Differenzierungen und Ausnahmen schließen zwar die Automation der Verwaltungsarbeiten nicht aus; sie sollen aber auf das notwendige Maß beschränkt werden. 6. Dem Berechnungsverfahren zugrundegelegte Formeln sind nach Möglichkeit anzugeben. Stark differenzierte Ergebnisse sollen in Tabellen dargestellt werden. Soweit Ergebnisse gerundet werden müssen, soll festgelegt werden, in welcher Reihenfolge die Rechenoperationen ablaufen sollen, d.h. nach Ablauf welcher Rechenoperation die Rundung stattfindet und wann auf- bzw. abzurunden ist. 7. Ermessensklauseln, unbestimmte Rechtsbegriffe, Wertausfüllungsbedürftige Begriffe und Generalklauseln können den Verwaltungsablauf erschweren. Sie sollten deshalb vermieden werden, wenn sie nicht unbedingt erforderlich sind, um das angestrebte materiell-rechtliche Ziel zu erreichen. 8. Genehmigungs- und Zustimmungsvorbehalte beeinträchtigen den Rationalisierungseffekt von automatisierten Verwaltungsabläufen. Sie sollen daher nach Möglichkeit
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vermieden werden. Muß ein Genehmigungs- oder Zustimmungsvorbehalt beim automatisierten Ablauf hingenommen werden, dann ist das Genehmigungs- oder Zustimmungsverfahren den Erfordernissen der Elektronik anzupassen (z.B. Automatisierung der Fristen, Nicht-Beantwortung gilt als Zustimmung). 9. Termine sollten bei wiederkehrenden Massengeschäften so gelegt werden, daß die Arbeitsspitzen gut bewältigt werden können. 10. Bei Vorschriften, die mittels Automation ausgeführt werden sollen, ist zu prüfen, ob auf das Erfordernis der Unterschrift verzichtet werden kann. 11. Zur Durchfuhrung der EDV-technischen Vorbereitungsarbeiten muß ein ausreichender zeitlicher Abstand zwischen Verkündigung und Inkrafttreten der Vorschrift vorgesehen werden. 12. Bei der Vorbereitung von Vorschriften aller Art sind Elektronik-Fachkräfte zu einem möglichst frühen Zeitpunkt hinzuzuziehen.
Der Computer ist Ausdruck der Lebenshaltung unserer Generation. Er wird auch im Rahmen der Gesetzgebung und Rechtsanwendung ein Faktor von hoher Nützlichkeit werden.
Programmiersprachen Eine einführende Übersicht von M.Paul Einleitung Programmiersprachen dienen dem Zweck, Daten und Rechenvorschriften, die auf diese Daten angewandt werden sollen, zu beschreiben und mitzuteilen. Der Adressat einer solchen Mitteilung kann eine Person sein, die die Rechenvorschrift anwenden möchte oder eine Rechenanlage, auf der die Rechenvorschrift für bestimmte Daten ausgeführt werden soll. Im letzteren Fall nennt man die Rechenvorschrift auch ein Programm für die betreffende Rechenanlage. Sind Daten gegeben, so kann ein einzelner Programmlauf gemäß der Rechenvorschrift und den Daten auf der Anlage abgewickelt werden. Ein solcher Ablauf, zu dem also Programm und Daten gehören, heißt ein Prozeß. Prozesse. können sehr vielfältiger Natur sein. Wir führen einige Beispiele an: — Eine Menge von Texten zu katalogisieren, nach gewissen Stichwörtern lexikographisch zu ordnen und zu einem Archiv zusammenzufassen, — Einen neuen Text in das nach 1. gebildete Archiv einzuordnen, — Querverweise zu einzelnen Texten des Archivs anzugeben, — Gewisse Texte nach Stichwörtern aus dem Archiv herauszusuchen, — Die Texte auf ihre Bedeutung hin zu untersuchen und beispielsweise Widersprüche aufzudecken, — Therapievorschriften für Patienten zu überwachen, — Statische Berechnungen auszuführen und danach Konstruktionsangaben zu machen, — Industrielle Fertigungsprozesse zu kontrollieren und zu regeln. Der Aufgabe nach, die eine Programmiersprache erfüllen soll, gibt es vor allem zwei vorherrschende Gesichtspunkte für die Gliederung: Daten und Rechenvorschriften. Diese Gliederungspunkte werden uns leiten. Entsprechend dem Charakter eines knappen Überblicks, den diese einführende Übersicht ja nur geben kann, konnte ich auf manche interessante Details nicht eingehen. Besonders schwer fiel es mir dabei, daß ich auf die Behandlung von Prozeduren verzichten mußte, weil sonst der durch eine einstündige Einführungsvorlesung gesetzte Rahmen weit überschritten worden wäre. Um Interessierten den weiteren Zugang zu Programmiersprachen zu erleichtern, habe ich am Ende einige Literaturhinweise gegeben.
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M. Paul
I. Daten 1. Datenarten Bevor man etwas über die Darstellung der Daten sagen kann, mit denen die in einer Programmiersprache geschriebenen Programme arbeiten sollen, muß man zunächst festlegen, von welcher Art diese Daten sein dürfen. Solche Arten sind beispielsweise: — ganze Zahlen — reelle Zahlen — Wahrheitswerte — Zeichen — Zeichenreihen Man muß sich darüber im klaren sein, daß die Verwendbarkeit einer Programmiersprache mit der Festlegung der zugelassenen Datenarten von vornherein sehr stark beeinflußt wird. So wird man in einer Programmiersprache, in der Zahlen als Datenarten nicht zugelassen sind, nicht ohne weiteres eine Rechenvorschrift zur Lösung linearer Gleichungssysteme schreiben können; und in einer Programmiersprache ohne die Datenarten Zeichen und Zeichenreihen ist es nicht so leicht möglich, Programme für die Verarbeitung von Texten zu schreiben. 2. Standardbezeichnungen Ist entschieden, welche Datenarten berücksichtigt werden, so ist der nächste Schritt die Festlegung der Schreibweise oder Darstellung für bestimmte Objekte der verschiedenen Arten. Diese Darstellungen heißen Standardbezeichnungen. Ein bestimmtes Objekt der Art „ganze Zahl" ist etwa die Zahl 17. Es liegt nahe, diese Zahl auch in Programmiersprachen so darzustellen, d.h. 17 ist die Standardbezeichnung für die Zahl „siebzehn". Andere Beispiele für Standardbezeichnungen ganzer Zahlen sind: 0
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Für reelle Zahlen liegen die Verhältnisse nicht ganz so einfach. Wie soll man beispielsweise die reelle Zahl ^ darstellen? In Programmiersprachen verwendet man als Standardbezeichnungen reeller Zahlen in der Regel die Dezimalbruchschreibweise einschließlich eines möglichen Skalenfaktors. Für das Beispiel ^ erhalten wir so u.a. die Standardbezeichnungen: 1.25
1.25 10 0
0.125i O l
125 10 - 2
Diese Darstellungen sind vier verschiedene Standardbezeichnungen für dieselbe Zahl j . Die Skalenfaktoren erklären sich selbst. Ist der Skalenfaktor
l o 0,
so
Programmiersprachen
27
kann er entfallen. Weitere Beispiele für Standardbezeichnungen reeller Zahlen sind: -3.5 +3.14159 0.271828 10 1 Bei den Wahrheitswerten gibt es nur zwei verschiedene Objekte: den „wahren" und den „falschen" Wahrheitswert. Ihre Standardbezeichnungen sind in der Regel: true false Für Daten der Arten „Zeichen" und „Zeichenreihen" schließlich legt man folgendes fest: Jedes Zeichen, das in einer Programmiersprache verwendet werden kann, wird als ein Datenobjekt der Art „Zeichen" aufgefaßt. Beispiele für Zeichen sind: a 0 +
b 1
c 2 -
7 *
/
(
)
•
Zu den Zeichen werden aber auch Wörter gerechnet, die den Charakter eines Zeichens haben, z.B. true false begin end if then eise Diese sogenannten „Wortzeichen" werden durch Unterstreichen oder durch Fettdruck kenntlich gemacht. Es ist unmittelbar klar, daß die Standardbezeichnungen von Zeichen nicht die Zeichen selbst sein können. Sonst wäre beispielsweise nicht eindeutig, ob 5 die ganze Zahl „ f ü n f ' oder das Zeichen 5 darstellt. Die Eindeutigkeit ergibt sich dadurch, daß man die Standardbezeichnungen für Zeichen mit Hilfe der sogenannten Zeichenklammern ' ' festlegt. Man erhält so für die oben angegebenen Beispiele von Zeichen: 'a' '0'
'b' '1' »»
'c' '2'
T
tjy
'n*
'true' false' 'begin' 'end' 'if' 'then'
''
' *
'eise'
Ähnlich wie für Zeichen werden die Standardbezeichnungen für Zeichenreihen festgelegt. Objekte der Art „Zeichenreihen" sind Texte, die durch Hintereinanderschreiben von Zeichen entstehen, also z.B. a+2*b+(c*d-3.5j 0 l)
ALGOL 60 ist eine Programmiersprache
Standardbezeichnungen dieser beiden Zeichenreihen ergeben sich einfach durch Klammerung m i t ' und ', also 'a+2#b+(c*d-3.5 10 l)'
'ALGOL 60 ist eine Programmiersprache'
M. Paul
28
3. Benennungen Die Standardbezeichnungen reichen natürlich nicht aus, um allgemeine Rechenvorschriften zu formulieren, denn man müßte dann für jeden speziellen Satz von Daten stets ein neues Programm schreiben. Schon die einfachste Programmierungsvorschrift, etwa O
„Bilde die Zeichenreihe, die durch Hintereinanderfügen zweier gegebener Zeichenreihen in bestimmter Reihenfolge entsteht."
läßt sich mit Standardbezeichnungen allein nicht ausdrücken. Wählt man das Zeichen +, um das Aneinanderfügen von Zeichenreihen als Vorschrift darzustellen, so müßte man etwa 'ALGOL' + '60' bzw. '47' + '11' schreiben, um 'ALGOL 60' bzw. '4711' zu erhalten. Damit verfehlte man aber gerade das Wesentliche: Beiden Vorschriften ist offensichtlich gemeinsam, was oben unter (1) formuliert wurde. Nur die speziellen Daten unterscheiden sich von Fall zu Fall. Der Weg, den man bei Programmiersprachen einschlägt, um Programme unabhängig von speziellen Daten beschreiben zu können, ergibt sich in natürlicher Weise. Man führt zu diesem Zweck Objekte weiterer Arten ein. Sie heißen Namenobjekte und ihre Funktion ist, andere Objekte benennen zu können. Dementsprechend gibt es dann in Fortfuhrung unserer Überlegungen jedenfalls Namenobjekte folgender Arten: — Namen — Namen — Namen — Namen — Namen
für ganze Zahlen für reelle Zahlen für Wahrheitswerte für Zeichen für Zeichenreihen
Für Namenobjekte gibt es keine Standardbezeichnungen. Vielmehr können für sie Bezeichnungen frei gewählt werden. Solche frei gewählten Bezeichnungen nennt man Identifikatoren. Hierfür werden Zeichenreihen aus Buchstaben und Ziffern zugelassen, die mit einem Buchstaben beginnen. Beispiele sind: a b xl
yr arg qp7f
4. Vereinbarungen Da es für Namen keine Standardbezeichnungen gibt, müssen alle Namen, die in einem Programm auftreten, unter Angabe ihrer Art konkret eingeführt werden. Diesem Zweck dienen die Vereinbarungen. Beispiele sind: integer real
m, n, / x , y l , y2;
29
Programmiersprachen
boolean character string
p, q; c, z l , z2; u, v, w;
Durch diese Vereinbarungen wird festgelegt: die Identifikatoren m
n
/
X
yi q
y2
P c u
zl
V
sind Bezeichnungen für Objekte der Art „Namen „Namen „Namen „Namen „Namen
z2 w
fiir ganze Zahlen" für reelle Zahlen" für Wahrheitswerte" fiir Zeichen" für Zeichenreihen"
Durch die Vereinbarungen ergibt sich insbesondere auch die Flexibilität, daß ein bestimmter Identifikator einmal als Name für eine reelle Zahl, ein andermal etwa als Name für einen Wahrheitswert etc. verwendet werden kann. II. Operationen Mit den Datenobjekten der verschiedenen Arten werden a priori auch Operationen als ausfuhrbar unterstellt. Im einzelnen gehören dazu die folgenden: 5. Ganze und reelle Zahlen Für ganze und reelle Zahlen sind Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division vorgesehen. Diese Operationen werden in Programmiersprachen in der üblichen Weise dargestellt. Beispiele sind: 3+14
2-101
5*0.1i O -2
2.1-0.3 l o 5 0.5*(2-0.6*4/2.3)
6*3.2-5*2.7
Alle diese Operationen liefern entsprechend ganze bzw. reelle Zahlen als Ergebnisse. Es ist nur hinzuzufügen, daß für diese Operationen die gewohnten Prioritätsregeln gelten: a) * und / binden stärker als + und - . b) Bei gleicher Priorität bindet das linke Operationszeichen stärker als das rechte. c) Von a) und b) abweichende Prioritäten sind durch Klammern zu kennzeichnen. Diese regeln besagen beispielsweise: a) 2*0.3+6/5.2 ist gleichbedeutend mit (2*0.3)+(6/5.2). b) 3.2/0.2 lo 3*2.7 ist gleichbedeutend mit (3.2/0.2 lo )*2.7. c) In 7.2*(4.2-3.7) können die Klammern nicht weggelassen werden. Selbstverständlich können statt Standardbezeichnungen auch Namen für ganze bzw. reelle Zahlen verwendet werden.
30
M. Paul
Sind etwa a, b, c Namen für reelle Zahlen, so ist b*c+a folgende Operationsvorschrift „Multipliziere die mit b benannte Zahl mit der mit c benannten Zahl und addiere zum Ergebnis die mit a benannte Zahl". Weiter soll es für ganze und reelle Zahlen den Operator entier geben, der zu einer Zahl a die größte ganze Zahl liefert, die nicht größer ist als a. Außer diesen Operationen wird unterstellt, daß man ganze wie reelle Zahlen miteinander vergleichen kann, und zwar auf Gleichheit und Ungleichheit sowie hinsichtlich ihrer Größe. Für zwei Zahlen, die mit a und b benannt seien, sind in Programmiersprachen üblicherweise folgende Vergleiche vorgesehen: a =b ab
Das Ergebnis eines solchen Vergleichs ist der entsprechende Wahrheitswert. Benennt a die Zahl 2.3 und b die Zahl 5.7, so ergibt sich der Wahrheitswert truebei a +b
ab
6. Wahrheitswerte Für Wahrheitswerte sind die Operationen der logischen Verknüpfungen in folgender Prioritätenreihenfolge vorgesehen: Negation, Konjunktion, Disjunktion, Implikation, Äquivalenz. Das Ergebnis ist wieder ein Wahrheitswert. Die Bedeutungen werden aus den folgenden Wahrheitswerttafeln ersichtlich, p und q seien Namen für Wahrheitswerte. Negation: Schreibweise
"1p
Hp
p true
false
false
true
Konjunktion: Schreibweise
p Aq
P
q
p Aq
true
true
true
true
false
false
false
true
false
false
false
false
Programmiersprachen
31
Disjunktion : Schreibweise p v q p true
q true
p v
true
false
true
false
true
true
false
false
false
q
true
Implikation: Schreibweise p ->• q P true
q true
p q true
true
false
false
false
true
true
false
false
true
Äquivalenz: Schreibweise
p= q
P
q
p= q
true
true
true
true
false
false
false
true
false
false
false
true
Zusätzlich zu diesen Operationen sind auch für Wahrheitswerte Vergleiche möglich, und zwar nur auf Gleichzeit und Ungleichheit, d.h. p=q p*q Das Ergebnis eines solchen Vergleichs ist der entsprechende Wahrheitswert. Benennen etwa p und q beide den Wahrheitswert false, so ist das Ergebnis von p = q der Wahrheitswert true und das Ergebnis von p * q der Wahrheitswert false. 7. Zeichen und Zeichenreihen Für Zeichen und Zeichenreihen ist vor allem die Konkatenation, also das schon früher erwähnte Hintereinanderfügen, vorgesehen. Benennt u die Zeichenreihe 'Zeichen' und w die Zeichenreihe 'reihe', so ist das Ergebnis der Rechenvorschrift u + w die Zeichenreihe 'Zeichenreihe'.
32
M. Paul
Auch für Zeichen und Zeichenreihen sind die Vergleiche auf Gleichheit und Ungleichheit erklärt und liefern als Ergebnisse die entsprechenden Wahrheitswerte. Schließlich ist für Zeichenreihen s eine Operation lg s erklärt, die die Anzahl der Zeichen in der Zeichenreihe als ganze Zahl liefert. III. Anweisungen 8. Zuweisung und Leseanweisung Entsprechend der Funktion von Namenobjekten ist die wichtigste Vorschrift, die für sie in Programmiersprachen formulierbar sein muß, die sogenannte Zuweisung. In einer Zuweisung für einen Namen wird ausgedrückt, welches Objekt der Name nach Ausfuhrung der Zuweisung benennt. Eine Zuweisung hat folgende Form := Steht also links von dem Zuweisungszeichen := eine Bezeichnung für einen „Namen für eine reelle Zahl", so muß auf der rechten Seite eine Rechenvorschrift stehen, die eine reelle Zahl liefert. Sei z.B. a Name für eine reelle Zahl und b Name für die reelle Zahl 3.1 1 0 -1. Dann bedeutet a : = b - 0.215 das folgende: Die Rechenvorschrift b - 0.215 liefert als Ergebnis die durch 0.095 bezeichnete reelle Zahl. Nach Ausführung der Zuweisung benennt demnach a die reelle Zahl 0.095. Neben dieser Zuweisung gibt es noch eine weitere Vorschrift, die es gestattet, einem Namen ein Objekt zur Benennung zuzuordnen. Wir überlegen uns hierzu folgendes: Die Zuweisung setzt voraus, daß alle Daten, die in der Rechenvorschrift auf der rechten Seite der Zuweisung benötigt werden, bei der Ausfuhrung des Programms festgelegt sind. Um nun die Freiheit zu gewinnen, nicht alle Daten, mit denen man arbeitet, schon bei der Formulierung des Programms angeben zu müssen, fuhrt man die sogenannte Leseanweisung read () ein. Sie hat folgende Bedeutung: Bei Ausführung dieser Anweisung wird von der Datenstation ein Datenobjekt eingelesen und dem Namen, der durch den Identiflkator bezeichnet wird, zur Benennung zugeordnet. Die Leseanweisung erlaubt größere Flexibilität von Programmen. Ein Beispiel mag das erläutern: u bezeichne einen Namen fiir eine ganze Zahl. Durch die Zuweisung u := 3; wird erreicht, daß u die Zahl 3 benennt. Ein Programm mit dieser Zuweisung wird allerdings stets an dieser Stelle mit u die Zahl 3 benennen.
Programmiersprachen
33
Schreibt man aber read (u); anstelle von u := 3; so wird die Zahl, die durch u benannt wird, davon abhängen, welche Zahl bei der Datenstation zu dem Zeitpunkt eingegeben wird, zu dem die Anweisung read (u) ausgeführt wird. Das Programm ist damit also nicht von vornherein darauf festgelegt, daß u diese bestimmte Zahl benennt, sondern man kann von der Datenstation aus von Fall zu Fall bestimmen, welche ganze Zahl u benennen soll. 9. Reihungen und Wiedeiholungsanweisung Alles, was bisher gesagt wurde, reicht noch nicht aus, brauchbare Programme zu schreiben. Das hat folgenden Grund: Jede Anweisung bzw. Rechenvorschrift, die die Rechenanlage ausführen soll, müßte einzeln angegeben werden, wenn man keine weiteren sprachlichen Hilfsmittel zur Verfugung hätte. Ein einfaches Beispiel zeigt deutlich, was gemeint ist. Zehn Zeichenreihen, die mit a, b, c, d, e, f, g, h, i, j benannt werden, sollen schrittweise gelesen und dann konkateniert werden. Die Zwischenergebnisse sollen aufgehoben und mit k, 1, m. n, o, p, q, r, s, t benannt werden. Mit den bisherigen Hilfsmitteln würde das Programm so aussehen: stringa, b, c, d, e, f, g, h, i, j, k, 1, m, n, o, p, q, r, s, t; 1 read ( a , b , c , d , e , f , g , h , i , j ) k := a; 1 := k+b; m :=l+c; n := m+d 0 := n+e; P := o+f; q := P+g; r := q+h; s := r+i; t :=s+j In diesem Programm tritt, abgesehen von den unterschiedlichen Namen, neunmal die gleiche Anweisung auf. Außerdem müßte man ein anderes Programm schreiben, wenn statt 10 eine andere Anzahl von Zeichenreihen zu konkatenieren wäre. Zur Abhilfe führt man in Programmiersprachen Reihungen als Datenobjekte und im Zusammenhang damit die Wiederholungsanweisung ein. Eine Reihung faßt Datenobjekte gleicher Art zu einem zusammengesetzten Datenobjekt zusammen. Dazu werden spezielle Vereinbarungen verwendet. 1
Das Semikolon wird als Trennzeichen zwischen Vereinbarungen und Anweisungen untereinander, sowie zwischen Vereinbarungen und Anweisungen benützt.
34
M. Paul
Beispiel: Es sei n eine Bezeichnung für einen Namen für eine ganze Zahl. Die Vereinbarung [1 :n] strings besagt dann, daß der Identifikator s ein Name für ein zusammengesetztes Objekt ist derart, daß dieses zusammengesetzte Objekt aus insgesamt n Zeichenreihen besteht. Die einzelnen Komponenten einer Reihung haben ebenfalls Namen. Die Vereinbarung [ 1 :n] string s legt für die Komponenten die Namen s [1], s [ 2 ] , . . . , s [n] fest. Benennt in unserem Beispiel n die Zahl 3, so könnte s ein Name für die Reihung ('AL', 'GOL', '60') sein, s [1] benennt 'AL', s [2] benennt 'GOL' und s [3] benennt '60'. Statt einer Indexposition können Reihungen auch mehrere Indexpositionen haben. Betrachten wir hierzu folgende Vereinbarung [l:n, l:m] integer a. Benennt z.B. n die Zahl 3 und m die Zahl 2, so könnte a die folgende Reihung benennen: ((7,8), (9,-5), (0,1)). Hier benennen etwa a [2,2] die Zahl -5, während a [3,1] die Zahl 0 benennt. Damit sind wir jetzt in der Lage, die Wiederholungsanweisung einzuführen. Sie hat eine der beiden folgenden Formen (1)
for i from < R V 1 > b y < R V 2 > to < R V 3 > do
(2)
while do
Die Bedeutungen liegen nahe. Bei der Form (1) ist i Name für eine ganze Zahl, die Rechenvorschriften RV1, RV2 und RV3 liefern als Ergebnisse ganze Zahlen, sagen wir a, s, e. Nach Ausführung dieser Rechenvorschriften wird dann i nacheinander die Zahlen a, a+s, a + 2 * s , . . . , a + [ — ] * s benennen und mit jeder dieser Benennungen die auf das do folgende Anweisung einmal ausführen. Bei der Form (2) ist die auf das while folgende Bedingung eine Rechenvorschrift, die einen Wahrheitswert liefert. Ist dieser Wert true, so wird die Anweisung ausgeführt und anschließend erneut die Rechenvorschrift für die Bedingung ausgeführt. Dies wiederholt sich solange, bis dabei der Wert false als Ergebnis auftritt.
Programmiersprachen
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Sehen wir jetzt noch einmal das Beispiel von Seite 33 an. Unter Verwendung zweier Reihungen und einer Wiederholungsanweisung erhalten wir [1:10] string a,b; for i from 1 by 1 to 10 do read (a [i]); b[l]:=a[l]; for i from 2 by 1 to 10 do b [ i ] :=b [i-1] + a [i]; Es ist auch klar, daß wir uns von der speziellen Einschränkung auf 10 Komponenten befreien können. Dazu wollen wir zunächst noch über die sogenannten zusammengesetzten Anweisungen sprechen. 10. Zusammengesetzte Anweisungen und Blöcke Es zeigt sich bei der Wiederholungsanweisung, daß es häufig nötig ist, mehr als eine einzige Anweisung unter die Wiederholungsklausel for i from by < R V 2 > to < R V 3 > do bzw. while do zu setzen. Das geschieht nun einfach dadurch, daß man zuläßt, daß mehrere Anweisungen durch Klammerung zwischen den Wortzeichen begin und end zu einer „zusammengesetzten Anweisung" zusammengefaßt werden. Hat man z.B. 5 Anweisungen S 2 , S 3 , S 4 , S 5 , so kann man sie zu einer einzigen Anweisung zusammenfassen: begin Si; S 2 ; S3;
; £ s end
Zwischen begin und die erste Teilanweisung einer zusammengesetzten Anweisung und nur an diese Stelle dürfen noch Vereinbarungen geschrieben werden. Eine Zusammengesetzte Anweisung mit Vereinbarungen heißt ein Block. Die Vereinbarungen eines Blockes gelten nur für diesen Block. Kehren wir jetzt nochmals zu unserem Beispiel von Seite 33 zurück. Wir wollten uns noch von der speziellen Komponentenzahl 10 befreien. Dies geschieht durch folgendes Programm: begin integer n; read (n); begin [l:n] string a, b; read (a [.1]); b [1] := a [1]; for i from 2 by 1 to n do begin read (a [i]); b[i] := b [i-1] + a [i] end end end
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Zu beachten ist folgendes: a) Das erste begin ist nötig, weil die Vereinbarung integer n nur in einem Block stehen darf. b) Das zweite begin ist aus folgendem Grund nötig. Die Vereinbarung [l:n] string a, b kann erst getroffen werden, nachdem n durch die Leseanweisung read (n) eine konkrete Zahl zur Benennung zugewiesen wurde. Die Vereinbarung [l:n] string a, b darf aber nicht auf eine Anweisung folgen. Es muß demnach ein zweiter Block eröffnet werden. c) Das dritte begin ist nötig, weil in der Wiederholungsanweisung zwei Anweisungen zu einer zusammengesetzten Anweisung zusammengefaßt sind. d) Bei Ausführung dieses Programms muß an der Datenstation eine ganze Zahl zur Benennung durch n und eine Reihung von n Zeichenreihen zur Benennung durch a eingegeben werden. 11. Bedingte Anweisungen Wir wollen noch sagen, in welcher Weise man Verzweigungen im Ablauf von Programmen darstellt. Das Mittel dazu ist die bedingte Anweisung, die eine der beiden folgenden Formen hat: 1)
if then eise fi
2)
if then fi.
Eine bedingte Anweisung wird folgendermaßen ausgeführt: Die Bedingung ist eine Rechenvorschrift, die einen Wahrheitswert liefert. Ist dieser Wert tfue, dann wird die Anweisung 1 ausgeführt, andernfalls wird bei Form 1) die Anweisung 2 und bei Form 2) keine Anweisung ausgeführt. Daran anschließend wird die Anweisung ausgeführt, die in der Aufschreibung des Programms der bedingten Anweisung folgt. Beispiel: if p then a := 7 eise a := 3 fi; b := a*5 In diesem Beispiel wird b nach Ausführung der beiden Anweisungen die Zahl 35 bzw. 15 benennen, je nachdem p den Wahrheitswert true oder false benennt. IV. Programmbeispiele Abschließend sollen in dieser einführenden Übersicht zwei einfache Programme angegeben werden. 1. Beispiel Problem: Es sollen n Zeichenreihen eingelesen und nach ihrer Länge aufsteigend geordnet werden.
Programmiersprachen
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Programmierungsplan: Nach dem Einlesen wird zunächst die erste Zeichenreihe mit allen übrigen nach ihrer Länge verglichen. Findet sich dabei eine kürzere, so vergleicht man diese statt der ersten weiter mit allen übrigen, u.s.w. Auf diese Weise wird eine Zeichenreihe kürzester Länge gefunden, die mit der ersten vertauscht wird. Damit steht eine kürzeste Zeichenreihe an der ersten Stelle. Dieses Verfahren wird dann für die zweite Stelle angewandt und weiter bis schließlich zur (n-1)ten Stelle fortgesetzt. Programm: begin integer n; read (n); begin integer mini, mini; string h; [ 1 :n] string z; for i from 1 by 1 to n do read (z [i]); for i from 1 by 1 to n-1 do begin mini :=i;minl := lg z [i]; for j from i+1 by 1 to n do if lg z [j] < lg z [mini] then begin mini := j; mini := lg z [j] end fi; if mini * i then begin h := z [i]; z [i] := z [mini]; z [mini] :=h end fi
end end end 2. Beispiel Problem: Es soll eine Zeichenreihe x eingelesen und mit der im 1. Beispiel geordneten Reihung z von Zeichenreihen verglichen werden. Beim Abschluß des Programmlaufes soll k den Index der Komponente von z benennen, die mit x übereinstimmt. Tritt x in der Reihung z nicht auf, so soll k die Zahl 0 benennen. Programmierungsplan: Wir vergleichen die Länge von x mit der Länge der mittleren Komponente von z. Damit wird die Reihung z in zwei Teile zerlegt und man vergleicht im entsprechenden dieser beiden Teile wieder mit der mittleren Komponente; dieses Verfahren setzt man fort, bis man die gesuchte Komponente gefunden hat oder sicher ist, daß x nicht in der Reihung z vorkommt.
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M. Paul
Programm: Zunächst machen wir eine wichtige Vorbemerkung. Im folgenden Programm gibt es keine Vereinbarungen und keine Zuweisungen für die Daten n und z. Es wird unterstellt, daß sie dieselbe Bedeutung wie nach Abschluß eines Programmlaufes des 1. Beispiels haben. Das heißt, man kann sich das folgende Programm eingebettet in weitere Blöcke vorstellen, in denen die Vereinbarungen integer n und [l:n] string z stehen und in denen n und z Zuweisungen erfahren, so daß die Zeichenreihen von z ihrer Länge nach aufsteigend geordnet sind. begin integer k, k l , k2; string x; read (x); k l := l ; k 2 : = n ; k := entier ((kl+k2)/2); while kl * k2 do begin if lg x ^ lg z [k] then k2 := k eise k l := k+1 fi; k := entier ((kl+k2)/2) end; while (lg x = lg z [k] A (k < n) A (x * z [k]) do k := k+1; if x * z [k] then k := 0 fi end Literatur zu diesem Beitrag Naur, P. (ed.): Revised report on the algorithmic language ALGOL 60. Numer. Math. 4 (1963), 4 2 0 - 4 5 3 . Baumann, R., Feliciano, M., Bauer, F.L., Samelson, K.: Introduction to ALGOL. Prentice Hall, Englewood Cliffs, 1964. IBM-Report, PL/I: Language specifications. IBM Corp., Programming System Publications, N.Y., 1965. Wirth, N.: The programming language PASCAL. Acta Informática 1 (1971), 3 5 - 6 3 . Bauer, F.L., Goos, G.: Informatik, Erster Teil. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, 1971.
Selbstkonsistenz des Systems als Modellgrundlage für juristische Entscheidung und Planung von
Heiner Miiller-Krumbhaar Einleitung Der Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen auf Gebieten, die traditionell menschlicher Abwägung und Beurteilung vorbehalten waren, bringt neben der angestrebten Rationalisierung vieler Arbeitsvorgänge einerseits offensichtlich neue Probleme (wie an anderen Stellen im Rahmen dieser Vorlesungsreihe ausgeführt wird), schafft andererseits aber auch erweiterte Möglichkeiten. Um einen Überblick über derartige zukünftige Möglichkeiten im Recht zu erhalten, erscheint es sinnvoll, einen Vergleich mit den Bereichen anzustellen, in denen die Datenverarbeitung bislang schon erfolgreich eingesetzt wird, Anwendung der gebührenden Vorsicht bei solchen Vergleichen vorausgesetzt. Der naturwissenschaftlich-technische Bereich bietet sich hier nun besonders an, da dort bislang am meisten vom Einsatz von Computern profitiert wurde, und deshalb dort auch die Möglichkeiten und Grenzen dieser Maschinen als Arbeitshilfsmittel deutlich zutage treten. Die im folgenden verwendete Terminologie ist dabei naturgemäß nicht identisch mit der dem Juristen geläufigen Ausdrucksweise; durch Verzicht auf formale Mathematik und weitgehende Konkretisierung im Beispiel sollte — wie ich hoffe — aber doch eine verständliche Darstellung zu erreichen sein.
Erster Teil Systemtheorie Charakteristisch für die Entwicklung menschlicher Aktivitäten unserer Zeit sind die Schlagworte „Wachstum", „Fortschritt" und „Komplexität". Die zunehmende Vernetzung von Vorgängen und Abläufen, welche früher noch isoliert betrachtet werden konnten (als Beispiel sei hier nur das Weltwährungssystem genannt) haben zur Suche nach Methoden geführt, welche geeignet sein könnten, diese komplizierten Strukturen transparenter zu machen. Es liegt in der Natur dieser Methoden, daß sie analytisch, also „zerlegend" sind, mit allen Vor- und Nachteilen analytischen Vorgehens. Ein wesentlicher Vorteil dieser Vorgehensweise ist es, daß vielfältig Anleihen bei den wissenschaftlichen Disziplinen gemacht werden können, welche ähnliche Lösungen in Spezialfällen schon seit längerem kennen. Dies trifft besonders für naturwissenschaftlich-technische Probleme zu. Die Ähnlichkeit der Problemstellungen bezieht sich dabei weniger auf die äußere Form, als auf die innere Struktur. Für diese letzteren Wissenschaftsbereiche
40
Heiner Müller-Krumbhaar
kennzeichnend ist dabei meist die gute Quantifiziert) arkeit der problembestimmenden Variablen: Man gibt exakte Versuchsbedingungen vor, und man kann Meßwerte zahlenmäßig erfassen. Im juristischen Bereich liegt die Situation anders: „JUDEX NON CALCULAT". Dieser Tatsache Rechnung tragend werden die nachfolgenden Erörterungen auf quantifizierte Aussagen verzichten. Die Bewertung wird dem Juristen vorbehalten bleiben. „Systemtheorie" soll nun hier als Oberbegriff für alle analytischen Untersuchungsmethoden der „Systeme"benutzt werden. Unter dem Ausdruck „System" wird dabei jede Ansammlung von einzelnen Objekten realer oder gedanklicher Natur verstanden, welche aufeinander irgendwelche Wirkungen ausüben können, also miteinander in Wechselwirkung stehen oder Abhängigkeiten voneinander, Interdependenzen, aufweisen. (Als Beispiel für ein Systerr sei etwa das „politische" System eines Staates angeführt, als ein anderes Beispiel etwa die Menge der Verkehrsteilnehmer und Verkehrseinrichtungen einer Stadt.) Wichtig für die Präzisierung des Systembegriffes ist ferner die Beobachtung, daß in realen Systemen, welche Menschen mit einbeziehen, also sozialen Systemen, letztere nicht nur innerhalb des jeweiligen Systems untereinander in Wechselwirkung stehen, sondern sowohl einzeln als auch in Gruppen oft Einflüssen von jenseits der Grenzen des gerade betrachteten oder betrachtbaren Systems ausgesetzt sind. Häufig als Imponderabilien bezeichnet stellen sie im systemtheoretischen Sinne kalkulierbare oder unkalkulierbare Störgrößen dar. Es ergibt sich daher die Notwendigkeit einer äußeren Abgrenzung des zu betrachtenden Systems gegenüber der jeweiligen Umgebung einerseits und andererseits einer inneren Abgrenzung der Systemteile und Wechselwirkungen gegeneinander. Nach den Grundsätzen der Systemanalyse 1 wird dabei meist so vorgegangen, daß man zunächst verschiedene Alternativen von Gedankenkonstruktionen zur Aufstellung eines theoretischen, mehr oder weniger detaillierten „Modells" auswählt. Es handelt sich dabei also um empirisches Vorgehen. Natürlich führen die Wahlfreiheiten und Bewertungsschwierigkeiten zu einer gewissen Willkür in der Aufstellung des Modells, so daß letztlich praktische Gesichtspunkte über dessen Qualität zu entscheiden haben. Mit solch einem Modell ist nun vorläufig noch keine wesentliche Erkenntnis gewonnen; es stellt zunächst nur ein statisches Abbild des Systems dar. Erkenntnis kann sich erst dadurch einstellen, daß das dynamische Verhalten 1
Ein Überblick über die Methodik der Systemanalyse, speziell im Hinblick auf Informationsverarbeitungssysteme: A. Daniels, D. Yeates, K. Erbach, „Grundlagen der Systemanalyse" (Köln 1971).
Selbstkonsistenz des Systems
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dieses Modelles untersucht wird. Ziel aller Modelluntersuchungen (hier sind speziell theoretische Studien gemeint) ist letztlich die Aufstellung einer (meist mathematischen) Formel, welche möglichst exakt die Reaktionen des Systems auf die Änderung irgendwelcher charakteristischer Parameter in geschlossener (algebraischer) Form darstellen soll. Die meisten Modelle realer Systeme sind nun aber leider schon so kompliziert, daß diese geschlossene Darstellung des dynamischen Modellverhaltens in einer mathematischen Funktion nicht mehr oder nur noch annäherungsweise möglich ist. (Als Beispiel aus der Raumfahrt mag etwa das Dreikörpersystem E r d e Mond—Raumschiff dienen. Ein Modell dieses Systems wären dann drei gedachte Punkte im Raum mit der jeweiligen Masse, zwischen welchen die entsprechenden Gravitationskräfte wirken. Näherungsweise kann die Rückwirkung des Raumschiffes auf das Erde—Mond-Untersystem wegen der geringen Masse des ersteren vernachlässigt werden. Trotzdem läßt sich auch unter diesen Vereinfachungen eine allgemeine algebraische Formel für die Bewegung des Raumschiffes - also etwa für eine beliebige Bahnkurve — exakt nicht angeben. Man ist vielmehr auf Näherungsverfahren, wie etwa die numerische Integration angewiesen, wodurch sich dann die Bewegung im speziellen Fall hier allerdings mit hoher Genauigkeit — wenn auch nur über einen begrenzten Zeitraum — berechnen läßt.). Wenn nun die zu untersuchenden Modelle noch komplizierter werden, also von mehr variablen Parametern abhängen, und größere Mengen innerer Verknüpfungen enthalten, so gelangt man mit den Approximationsverfahren (d.h. Näherungsmethoden) an einen Punkt, wo Zulässigkeit und Qualität der angenommenen Näherungen a priori nicht mehr gegeben sind und in den Auswirkungen kaum noch beurteilt werden können. Man kann sich von diesem Augenblick an dann nur noch der Untersuchungsmethoden bedienen, welche unter dem Sammelnamen „Simulation" 2 zusammengefaßt sind. Im Gegensatz zur exakt-analytischen Lösung eines Modells versucht man bei der Simulation nicht mehr einen allgemeinen funktionalen Zusammenhang zwischen Systemvariablen und Beobachtungsgrößen zu erhalten, sondern fragt nur noch nach der Antwort des Systems auf ganz bestimmte, direkt vorgegebene Abläufe. Damit ist natürlich nur eine geringere Information über das Modellverhalten des Systems zu erzielen als bei der exakten analytischen Lösung oder bei der approximativen; während man nämlich einer analytischen Formel ansehen kann, unter welchen Umständen sie in gewissem Sinn „kritische Werte" annehmen kann (also etwa gegen Null oder
2
Erläuterungen und Beispiele zur Systemtheorie u. Simulation im sozialen Bereich: S. Lindenberg, in//. Albert (ed.), „Sozialtheorie und soziale Praxis", S. 78 (Meisenheim 1971) - R f . Abelson, in: „Handbook of Social Psychology", Vol. 2, p. 274 (1968), Reading, Mass.
42
Heiner MüUer-Krumbhaar
Unendlich geht), - d.h. unter welchen Bedingungen das untersuchte Modell zu Instabilitäten neigt - , muß man bei der Simulation diese Bedingungen durch Ausprobieren ermitteln. Die Untersuchung von Systemen läuft also in einem zweistufigen Prozeß ab. 3 Zunächst ist ein Modell des Systems aufzustellen, danach ist dieses Modellsystem zu studieren. Um genaueste Kenntnisse über das Funktionieren eines Systems zu erhalten, sollte ein möglichst detailliertes Modell mit möglichst präzisen Methoden untersucht werden. Diese beiden Forderungen widersprechen sich aber, da bei zunehmender Kompliziertheit des Modells die Untersuchungsmethoden von exakt-analytisch über approximativ bis simulierend jeweils mit einem Verzicht auf Erkenntnis verbunden sind. Das bringt die Gefahr mit sich, daß Fehler bei der Aufstellung des Modells immer schlechter erkannt werden können, je detaillierter seine Konzeption ist. Folgende Regel für die Konstruktion von Modellen ergibt sich damit: 4 Ein möglichst einfaches Modell ist zunächst möglichst exakt zu untersuchen. Wenn die prinzipielle Funktionsrichtigkeit des Modells sich herausgestellt hat, also das dynamische Verhalten des Modells dem Verhalten des Systems im Rahmen seiner Möglichkeiten ähnlich ist, kann eine Untergliederung und Randerweiterung vorgenommen werden. Unter Beachtung dieser Regel soll im nun folgenden zweiten Teil zuerst ein mögliches Modell für das System der sozialen Konfliktsituation auf der einen Seite und der juristischen Regulierung mittels Gesetzgebung und Urteilsfindung auf der anderen Seite angegeben werden, und dann - als eine Gedankenspielerei — eine Betrachtung bestimmter Eigenschaften des Modells angestellt werden.
Zweiter Teil Ein Modell Das einfachste Modell eines mit der Umwelt wechselwirkenden Systems kann dargestellt werden als Untersystem „S", auf welches von der Umwelt „U"
3
Die Diskussion über allgemein gültige Definitionen der Systemtheorie ist noch im Gange, vergl. G. Gottschalk, in: „Analysen und Prognosen", S. 27, Januar 1972 Zeitschrift f. Anal. Chem. 256, S. 257 (1971).
4
Die hier angegebenen Definitionen und Gliederungen entspringen der Erfahrung aus naturwissenschaftlicher Tätigkeit und werden in ähnlicher Form auch im Bereich des „Operations research" verwendet (z.B. in H. Müller-Merbach, „Operations research", München 1971). Im sprachlichen Bereich entspräche dem Ausdruck „exakt-analytisch" etwa der Begriffsumfang „widerspruchsfrei, eindeutig, abgeschlossen, vollständig"; ist die verwendete Methode nicht geeignet, „abgeschlossene" oder „vollständige" Lösungen zu liefern, so wäre dies die Parallele zum „approximativen" Verfahren. Der Begriff „Simulation" ist hier wie dort gleichermaßen verwendbar.
Selbstkonsistenz des Systems
43
verschiedenartige, nicht notwendig bekannte Einflüsse ausgeübt werden, die eine beobachtbare Reaktion „B" des Systems zur Folge haben: Abb. 1
U
S
*
*
Als Beispiel für solch ein reagierendes System seien etwa die Bewohner der Stadt München genannt, die in ihrem sozialen Verhalten beobachtet werden sollen. Als Umwelteinfluß soll ein Einfluß verstanden sein, welcher seiner Natur nach zunächst wertfrei im juristischen Sinne ist, also etwa der optische Eindruck eines Fußballspieles von „Bayern-München" auf Giesings Höhen. Die juristische Beobachtung „B" des Systems „ S " ergibt dann vielleicht ein plötzliches Ansteigen von Ausschreitungen, wie Randalieren, Lärmen, Tätlichkeiten, grobem Unfug in den Straßen und Gaststätten der Münchener Innenstadt, wobei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesen Beobachtungen und der Spielniederlage des favorisierten Heimvereins angenommen werden kann. Der Jurist beschränkt sich nun aber nicht auf das Beobachten. Er versucht vielmehr das System „ S " in bestimmtem Sinne zu beeinflussen, nämlich durch die Gesetzgebung 5 . Es wird also vielleicht ein Gesetz erlassen, das den Aufenthalt in Gastwirtschaften nach verlorenen Heimspielen untersagt. Damit wird wiederum auf das Teilsystem „ S " eingewirkt, das dann etwa so reagiert, daß die Fußballfreunde nach besagtem Spielausgang ihr tätliches Mitteilungsbedürfnis ihrer Ehefrau angedeihen lassen. Worauf der Gesetzgeber sich zu neuen Gesetzen veranlaßt sieht etc. Die Beobachtungen „B" werden also über die Gesetzgebung „ G " rückgekoppelt: Abb. 2
Das Gesamtmodell setzt sich mithin zusammen aus der Menge der Umwelteinflüsse „ U " (worunter alle Einflüsse verstanden werden sollen, die die Menschen zu juristisch interessierender Aktivität anregen), aus dem Teilsystem „ S " als Menge der miteinander in Wechselwirkung stehenden Menschen, und aus dem Rückkoppelungssystem „G", dem jeweiligen Apparat der Gesetz-
5
Über das Verhältnis zwischen Gesetzgebung und Recht, speziell im Hinblick auf zukünftige Möglichkeiten der Informationsverarbeitung,.siehe K. Hopt, „Finale Regelungen, Experiment und Datenverarbeitung in Recht und Gesetzgebung", JZ, 3, S. 17 (1972).
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Heiner Mülle r-Krumbh aar
gebung. (Rechtsanwendung wird, da unmittelbar durch „ G " gesteuert, in das Teilsystem „ S " gelegt.) Während nun die Struktur des Teilsystems „ S " in erster Linie Soziologen und Politologen 6 beschäftigt, soll hier mehr Gewicht auf den Rückkopplungsteil „ G " gelegt werden, der selbst ja auch wieder ein kompliziertes System sich gegenseitig beeinflussender Größen darstellt. Das Teilsystem „ G " erfüllt in diesem Modell eine Regelungsfunktion. Dieser Regelmechanismus 7 ist weitgehend bewußt vom Menschen gestaltet. Das impliziert die Annahme eines Sollverhaltens für das System, welches durch die Regelung zu gewährleisten ist. Wie sieht nun aber das „Sollverhalt e n " aus? Zwei Gesichtspunkte legen hier den Typus der geforderten Soll-Bedingung fest: Erstens scheint nachgewiesen zu sein, daß das Recht nicht aus einem geschlossenen Axiomensystem explizit hergeleitet werden kann. Somit kann nicht verlangt werden, daß das System sich auf einen oder einige einmalig von außen vorgegebene Richtwerte einstellen soll. Die Soll-Bedingung m u ß daher eine systemimmanente sein (etwa in Form einer „Stabilitätsbedingung"). Der zweite Gesichtspunkt ist folgender: Da im Rahmen des hier angegebenen Modells keine Aussagen über die Art und Stärke der jeweiligen Wechselwirkungen zwischen den Objekten gemacht wurden, kann auch die Bedingung für das Sollverhalten keine detaillierten, zahlenmäßigen Aussagen enthalten, ebenso wie sie zwangsläufig wertfrei sein muß. Bedingungen dieser Art, die also beiden Gesichtspunkten Rechnung tragen, werden in der Physik als Homogenitäts-, Symmetrie-, Kontinuitäts- oder Konsistenz-Bedingungen bezeichnet. Der Charakter der Reflexivität wird dabei besonders in dem Ausdruck „Selbstkonsistenz"-Bedingung deutlich, der besagt, daß der Zustand oder der Ablauf eines beliebigen Systemteils (Untermenge) mit dem Rest des Systems übereinstimmen soll. In der Physik hat sich diese Betrachtungsweise besonders auf dem Gebiet der Vielteilchenprobleme bewährt. 8 Es soll nun geklärt werden, ob die für das angegebene Modell zu fordernde Selbstkonsistenz sich auf den jeweiligen Zustand oder den Ablauf des Systems beziehen soll.
6
J. Habermas, N. Luhmann, „Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie", (Frankfurt 1971).
7 8
H. Chestnut, "Systems engineering tools", New York (1965) H. Mäller-Krumbhaar, K. Binder: "A self-consistent Monte-Carlo-method for the Heisenberg-ferromagnet", Z. Physik 254, S. 269 (1972)
Selbstkonsistenz des Systems
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Ein globales Systemverhalten kommt zustande aufgrund der gegenseitigen dynamischen Wechselwirkung der Einzelobjekte untereinander. Daher kann Selbstkonsisteriz keine Forderung für den statischen Zustand des Systems in einem bestimmten Augenblick sein. Auf der anderen Seite ist nicht sichergestellt, daß die Art der Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Objekten konstant bleibt. Deshalb kann unverändertes Systemverhalten ebensowenig über lange Zeiträume gefordert werden. Als Ausweg bleibt nur eine Selbstkonsistenz-Bedingung, welche jeweils für Zeiträume gelten soll, die größer sind als die charakteristische Wechselwirkungszeit der Einzelobjekte untereinander, aber klein gegen die gesamte Reaktionszeit des Systems auf äußere Einflüsse. An diesem Punkt nun endet die Aussagefähigkeit des Modells, was die allgemeine Seite des Problems betrifft. Es muß daher gefragt werden, was diese Selbstkonsistenzbedingung nun im juristischen Sinne sein soll. Dritter Teil Anwendung und Auswirkungen Selbstkonsistenz, also die Übereinstimmung beliebig herausgegriffener Teile oder Teilabläufe eines Systems untereinander, stellt im sozialen System, welches durch den Eingriff des Juristen beeinflußt wird, nichts anderes dar als den Gleichheitsgrundsatz. Natürlich fordert dieses Gleichheitsprinzip nicht, daß die jeweils betrachteten Teil- oder Untersysteme gleich sein sollen — dies wäre ein statischer Grundsatz, der nichts mehr mit der hier betrachteten Regelung zu tun hätte - , sondern daß sie durch den Regelmechanismus gleichartig behandelt werden sollen, wobei diese Gleichartigkeit der Behandlung laufend zu überprüfen ist. Juristisch gesprochen handelt es sich einfach um die Gleichheit der Rechtsfolgenseite. Vom systemtheoretischen Standpunkt bleibt dabei jedoch noch eine für die juristische Praxis wichtige Frage offen. Es kann nämlich keine Aussage über die Art dieser juristischen Gleichbehandlung gemacht werden, da in dem angegebenen Modell keine Information über die konkrete Wirkung der Regelung auf die einzelnen Objekte des Teilsystems „S" enthalten ist. Mit anderen Worten: Es kann hier beispielsweise nicht geklärt werden, ob die Geldstrafe für ein bestimmtes Delikt in einem immer gleichen Betrag bestehen soll oder ob sie in einer bestimmten, jeweils „gleichen" Relation zur Einkommenslage des zu Verurteilenden stehen soll. Eine Bewertung verschiedener Sachverhalte in bezug auf Tatbestandsgleichheit kann also nicht getroffen werden; sie bleibt dem Juristen vorbehalten. Zieht man noch eine weitere Parallele zwischen dem theoretischen Modell und der juristischen Realität, so gelangt man zur Erörterung der erwähnten beiden kritischen Zeitspannen, zwischen weichet! die Selbstkonsistenzbedingung
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Heiner Müller-Krumbhaai
„möglichst g u t " erfüllt sein soll. Die Reaktionszeit des Systems auf äußere Einflüsse stellt dann konkret den Zeitraum dar, innerhalb dessen sich deutlich erkennbar ein sozialer Wandel vollzieht, etwa unter dem Einfluß neuer Technologien, aber auch aufgrund sich verändernder Lebensbedingungen durch Bevölkerungszunahme etc. Demgegenüber steht die Wechselwirkungszeit der Einzelobjekte untereinander, charakterisiert etwa durch die Zeit, welche erforderlich ist, sich Informationen zu beschaffen, Erfahrungen auszutauschen, u.ä. Die Bedeutung dieser zwei Zeitspannen für das Systemverhalten soll an einem extremen Beispiel verdeutlicht werden. Falls bestimmte äußere Einflüsse auf das Einzelobjekt eine derart starke Wirkung auslösen, daß es reagiert, bevor der übliche Wechselwirkungszeitraum verstrichen ist, so führt das zu einer plötzlichen Reaktion des Gesamtsystems, welche das System instabil werden läßt. R u f t in einem abgedunkelten Theatersaal etwa jemand „Feuer", so kommt mit großer Wahrscheinlichkeit Panikstimmung auf, da die einzelnen Menschen auf diesen Ruf sehr empfindlich reagieren, bevor sie genügend Zeit zum Meinungsaustausch gehabt haben, welcher allein ein geregeltes Verlassen des Theatersaales gewährleisten könnte. In einer Zeit, in der offensichtlich eine fortwährende Beschleunigung der sozialen Veränderungen stattfindet, ist es daher von entscheidender Wichtigkeit für das wirkungsvolle Funktionieren einer Regelung, daß Verzögerungszeiten auch im Regelmechanismus möglichst klein gehalten werden 9 . Das bedeutet für den juristischen Bereich, daß die jeweilige Gesetzgebung sich möglichst schnell an die sich ändernden sozialen Situationen anpassen sollte. Wie möglicherweise der Computer ein nützliches Hilfsmittel zur Verfahrensbeschleunigung darstellen kann, soll nunmehr erläutert werden. Ausgangspunkt für eine juristische „Entscheidungshilfe" bildet in diesem Fall die Selbstkonsistenzbedingung. Sie fordert, daß in gleichartigen Fällen gleichartig verfahren werden soll, und zwar soll die Gleichheit über eine bestimmte Zeit (vielleicht etwa 2 Jahre, um eine Zahl zu nennen) in möglichst hohem Maße erzielt werden. Die Entscheidung, „ o b " gleich und „wie" gleich, bleibt dabei als Wertung wiederum dem Juristen vorbehalten. Zur Gewährleistung der gleichen Beurteilung gleichartiger Fälle müssen jedoch dem jeweils entscheidenden Richter die jeweils möglichst ähnlichen Fälle, welche innerhalb des angegebenen Zeitraumes bereits verhandelt wurden, zur Verfugung gestellt werden. Diese „Falldokumentation" 1 0 kann nun mit großer Wahrscheinlichkeit weitgehend automatisiert werden. Das Problem, Ähnlichkeiten zu erkennen, ist hierbei vermutlich wesentlich einfacher als im Bereich der juristischen Literatur, welche nicht Tatbestände beschreibt 1 1 .
9 10 11
K. Lorenz, in: „Sozialtheorie und soziale Praxis", S. 281, (Meisenheim 1971) F. Haft, H. Müller-Krumbhaar, in: JA, S. 566 (1970). F. Haft, (in diesem Band)
Selbstkonsistenz des Systems
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Durch den Computer kann zunächst eine Sichtung und Vorauswahl der Fälle nach vorgegebenen Kriterien vorgenommen werden, welche dann durch den betreffenden Richter akzeptiert oder nach seinem Gutdünken auf einfache Weise modifiziert werden kann. Der Richter ist dadurch natürlich nicht gebunden. Der Schritt von der Entscheidungshilfe im Einzelfall zur Planungshilfe, also vom Dokumentations- zum Informationssystem, ist dann nur noch klein: Der Gesetzgeber ist daran interessiert, ein möglichst genaues Bild von der sozialen Situation (speziell von auftretenden Änderungstendenzen) zu erhalten, und zwar unter dem Blickwinkel des Juristen. Den Informationsfluß von dem in der Praxis entscheidenden Juristen zum Gesetzgeber zu verkürzen, erscheint demnach als erstes Ziel eines Informationssystems. Unter der Voraussetzung, daß ein „Falldokumentationssystem", wie es im vorigen beschrieben worden ist, installiert wurde, kann dieser Schritt sehr leicht vollzogen werden: Der mit der Bearbeitung eines bestimmten Falles betraute Richter prüft die ihm durch den Computer in der Reihenfolge abnehmender Ähnlichkeit unterbreiteten Fälle. Stellt er nun fest, daß trotz sachlicher Übereinstimmung des Tatbestandes er der Ansicht ist, die Entscheidung in seinem gerade anliegenden Falle müsse aufgrund sozialer Veränderungen anders ausfallen, so teilt er dies dem Informationssystem auf geeignete Weise mit (beispielsweise durch Ankreuzen eines Feldes in einem speziellen Dokumentationsformblatt; es bieten sich hier eine Vielzahl von Möglichkeiten an, die jetzt nicht im einzelnen erörtert werden sollen). Einmal im Jahr werden dann von einem, dem Gesetzgeber beigeordneten, Gremium die Fälle bzw. die dort angesprochenen Gesetze genauer untersucht, zu welchen eine Vielzahl von richterlichen Kommentaren ergangen ist. Dadurch können konkrete Entscheidungsschwierigkeiten der Richter sehr schnell erkannt werden, und die Diskussion über eine mögliche Gesetzesreform kann auf fester Grundlage stattfinden, da der Gesetzgeber direkt auf die Erfahrungen der Richter zurückgreifen kann, die ja sehr unmittelbar am sozialen Geschehen teilhaben, soweit es juristisch relevant ist. Drei Gesichtspunkte, welche die Wirkungen und Folgen eines solchen fallorientierten Dokumentations- und Planungssystems betreffen, scheinen mir noch erwähnenswert: Erstens: Die Konzeption des Verfahrens ist so, daß die eigentliche Entscheidung nicht automatisiert würde, sondern es würden lediglich Parallelen aufgezeigt, die es dem jeweiligen Juristen erlauben könnten, sein Hauptaugenmerk auf die Besonderheiten eines speziellen Falles zu lenken, ohne übermäßig durch Routinetätigkeiten belastet zu werden (Straßenverkehrsrecht!). Zweitens: Durch die mögliche Anmerkung des Richters, daß er einen bestimmten Fall anders als gleichgelagerte dokumentierte Fälle entschieden habe, — diese Freiheit bleibt ihm natürlich — erhält der Gesetzgeber auf schnellstmöglichem Wege authentische Informationen über die jeweilige Rechts-
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Heiner Müller-Krambhaar
anwendung. Dadurch kann einerseits das Gesetzgebungsverfahren beschleunigt werden, zum anderen erhält der einzelne Richter einen „de facto"-Einfluß auf die Gesetzgebung. Die Beurteilung dieses letzteren Effektes möchte ich dem Juristen überlassen. Drittens: Durch die in der Praxis dann geübte Fall-Orientierung könnte sich für die Rechtstheorie und für die Form der Gesetze eine Tendenz zur Kasuistik ergeben. Dabei scheint mir immerhin von gewissem Interesse zu sein, daß reine Kasuistik eigentlich erst durch den Gebrauch eines computerunterstützten Informationssystems konsequent durchzuführen ist, da die bisherige Schwierigkeit, der Informationsflut Herr zu werden, auch in den traditionell „fallorientierten" anglo-amerikanischen Systemen immer wieder zu Reglementierungen und Kodifikationen geführt hat. Inwieweit diese Tendenz wünschenswert erscheint, vermag ich allerdings nicht zu beurteilen. Zum Schluß dieser Ausführungen sei die Bemerkung gestattet, daß die angewandte Betrachtungsweise nicht Ausdruck technokratischer Selbstzufriedenheit ist, sondern daß das vorgeschlagene Konzept eines Informationssystems auch dazu dienen soll, einen Beitrag zur Verbesserung des mittlerweile in Gang gekommenen Dialogs zwischen Jurist und Techniker zu liefern. Die Einsicht, daß Erfolge in interdisziplinären Forschungsbereichen, wie dem der „Rechtsinformatik", in besonderem Maße von Umsicht und kritischem Vorgehen abhängen, mag noch illustriert werden durch ein Wort Johann Nestroys: „Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer ausschaut als er wirklich ist."
Axiomatisierbarkeit juristischer Systeme* von
Jürgen Rödig 1. VORBEREITENDE ÜBERLEGUNGEN Eine Axiomatisierang rechtlicher Bereiche scheint, wenn man der noch im neueren rechtsmethodologischen Schrifttum vorherrschenden Meinung 1 vertraut, eine entweder undurchführbare 2 oder aber eine zwar durchführbare, jedoch eher schädliche als nützliche Sache 3 zu sein. Gegen die Verwendbarkeit der axiomatischen Methode wird insbesondere der weniger logische als vielmehr axiologische Charakter juristischen Argumentierens 4 ins Treffen geführt. Schlüsse von der Art, wie die Juristen sie zu ziehen pflegen, seien keineswegs
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Die folgende Abhandlung beruht auf Vorträgen an den Universitäten München und Bielefeld sowie in der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung in Birlinghoven bei Bonn. In den sich an die genannten Vorträge anschließenden Diskussionen sind großenteils grundsätzliche Fragen aufgeworfen worden. Ich habe die diskutierten Fragen nahezu vollständig in die hier vorgelegte Studie einzubeziehen versucht. Dieser Umstand erklärt den Charakter der Abhandlung; er erklärt insbesondere die Weglassung einiger weiterer - ursprünglich vorgesehener — eher „technischer" Details.
1
Prägnant insoweit namentlich Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 3. Aufl. 1965, insbesondere § § 7 f., Engisch, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, in: Studium Generale 10, 1957; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1969, insbesondere S. 20 bis 29. - Eine vorzügliche Diskussion der in den angeführten Schriften vorgetragenen Argumente findet sich bei Eike v. Savigny, Zur Rolle der deduktiv-axiomatischen Methode in der Rechtswissenschaft, in: Rechtstheorie, hrsg. v. G. Jahr und W. Maihofer, 1971.
2
Die „Undurchführbarkeit" ist teilweise im Sinne der Unanwendbarkeit der (klassischen Version der) mathematischen Logik auf normative Sätze gemeint. Vgl. insofern Weihberger, Können Sollsätze (Imperativa) als wahr bezeichnet werden?, Prag 1958; ders., Rechtslogik, 1970, S. 195; Wagner-Haag, Die moderne Logik in der Rechtswissenschaft, 1970, etwa S. 78 f., 81. Im Grundsatz abweichend Rödig, Kritik des normlogischen Schließens, in: Theory and Decision 2 (1972), S. 79 ff.; ders., Über die Notwendigkeit einer besonderen Logik der Normen, in: Jahrbuch für Rechtstheorie und Rechtssoziologie, 1972, S. 163 ff.
3
Vgl. insoweit beispielsweise Arthur Kaufmanns und Winfried Hassemers treffliche Einführung in „Grandprobleme der zeitgenössischen Rechtsphilosophie und Rechtstheorie", 1971, etwa S. 68: Konkrete Einwände gegen das Ziel einer strengen Axiomatisierung des Rechts, und zwar nicht nur Einwände gegen die Realisierbarkeit, sondern „auch die Wünschbarkeit einer Axiomatisierung", sollen sich unter dem Gesichtspunkt juristischer Hermeneutik ergeben. Die tatsächlich aaO erhobenen Einwände sind indessen eher abstrakter Natur; sie bedürfen der Diskussion (siehe nachfolgend 2.1, 2.2.1).
4
Vgl. insoweit namentlich Canaris, Anm. 1, S. 21 bis 25.
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Jürgen Rödig
jeweils schon von den angenommenen Prämissen her erklärbar. Schließlich sei es allemal die inhaltliche Evidenz, an welche der Jurist mit seinen Argumenten appelliere 5 . Aufgrund dieser und ähnlicher Überlegungen wird, wie erwähnt, die Axiomatisierbarkeit juristischer Systeme bereits im Grundsatz bestritten. Gesetzt jedoch den Fall, die erwähnten Einwände hielten nicht Stich. Die Gegner einer Axiomatisierung gäben sich gewiß nicht geschlagen. Nun nämlich käme man, und zwar erst recht, auf die Gefahren einer Axiomatisierung rechtlicher Bereiche zu sprechen. Derartige Gefahren scheinen in der Tat vorhanden zu sein: Gilt axiomatisiertes Recht, so ist der Richter allem Anschein nach zumindest im Prinzip durch Automaten ersetzbar. Selbst unter der Voraussetzung, daß man den Richter nicht durch elektronische Rechner ersetzt, scheint jede Anwendung von axiomatisiertem Recht unweigerlich auf ein mit dem Funktionieren von Computern verwandtes Operieren mit juristischen Daten hinauslaufen zu müssen. Eine Axiomatisierung objektiven Rechts habe insbesondere so etwas wie einen Zementierungseffekt zur Folge. Das Recht behalte, wie man befürchtet, jeweils fortan den und nur den Inhalt, den man ihm anläßlich seiner Axiomatisierung gab. Die Möglichkeit, vermittels objektiver Interpretation der Gesetze eine Anpassung des Rechts an die sich stetig ändernden gesellschaftlichen Verhältnisse zu erreichen, sei einer Axiomatisierung zwangsläufig zum Opfer zu bringen. Ja man zögert nicht einmal, die axiomatische Methode in der zweifelhaften Rolle eines Werkzeugs der Machthaber totalitärer Staaten auftreten zu lassen. Auch insoweit sind die Gründe naheliegend 6 . Logische Perfektionierung trägt, wie man vermutlich befürchtet, auf dem Umweg über die Fixierung des gesetzten Rechts 7 zu einer Monopolisierung der Erzeugung objektiven Rechts bei den — beliebig wenigen — Verfassern 5 6
7
Siehe diesbezüglich Engisch, Anm. 1, S. 176. Hierzu mit Nachw. Hopt in seiner eindrucksvollen Studie über „Finale Regelungen, Experiment und Datenverarbeitung in Recht und Gesetzgebung", JZ 1972, S. 65 ff. (S. 68, Fn. 12). Was den Versuch einer Szientifizierung der juristischen Technik betrifft, so wäre laut Viehweg (Anm. 1, § 7 IV) u.a. erforderlich: „Eine strenge Axiomatisierung des gesamten Rechts verknüpft mit einem strikten Interpretationsverbot innerhalb des Systems, was am vollständigsten durch Kalkülisierung zu erreichen wäre." Demgegenüber setzt jedoch gerade eine Kalkülisierung, sofern man sich mit andern als mit ausschließlich syntaktischen Problemen befaßt, jeweils eine Deutung der verwendeten Kalküle voraus. Eine solche Deutung hat vermittels metasprachlicher Ausdrücke zu erfolgen. Wie diese Ausdrücke infolge ihrer Übersetzung in objektsprachliche Elemente aufhören sollen, ihrerseits der Interpretation zu bedürfen oder gar einer Interpretation unzugänglich zu sein, ist nicht ersichtlich. Auch mit der Anwendung der axiomatischen Methode hat ein Verbot von Interpretationen nichts zu tun. Diejenige Art der Szientifizierung juristischer Techne, welche Viehweg im Ergebnis auf eine so überzeugende Weise bekämpft, ist hinsichtlich ihrer Unbeweglichkeit gerade nicht durch den Einfluß der axiomatischen Methode, charakterisiert. Siehe hierzu nachfolgend 2.2.1, 3.2.2.3.
Axiomatisierbarkeit juristischer Systeme
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von Gesetzen bei. Deren Horizont sei es, der fortan den Spielraum der Gewinnung richtigerer Normen auf ein Minimum begrenze. Insbesondere die Rechtsprechung bekäme solche Begrenzung zu spüren; die ihr verbleibende Funktion erschiene in der Tat als „en quelque façon nulle". Alle diese Einwände verdienen mit dem größten Ernst diskutiert zu werden. Es geht nicht an, sie beispielsweise als den schlichten Ausdruck des Unwillens gegenüber dem Aufkommen bislang ungewohnter Methoden, sozusagen als juristisches Hinterwäldlertum, zu diskreditieren. Die Anwendung der axiomatischen Methode wird zweifelsohne Auswirkungen haben, und zwar nicht nur Auswirkungen hinsichtlich des durch einen Axiomatisierungsversuch jeweils betroffenen rechtlichen Stoffes. Mann kann es für durchaus geboten halten, der Anwendung der axiomatischen Methode so entschieden, wie es häufig geschieht, entgegenzutreten. Jedoch gerade angesichts des hohen Maßes an Verantwortungsbewußtsein, welches man zu investieren pflegt, sollte man die axiomatische Methode als solche so gut wie möglich kennen zu lernen versuchen. Es ist dringend an der Zeit, von der Axiomatisierung rechtlicher Bereiche detaillierter zu sprechen, als dies üblicherweise geschieht 8 . Zahlreiche der Gefahren, die man im Zusammenhang mit der Anwendung der axiomatischen Methode auf juristische Systeme beschwört, würden bereits im Hinblick auf einige der für diese Methode kennzeichnenden Eigenschaften mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht mehr beschworen. Jedoch auch jener für die neuere rechtstheoretische Entwicklung so außerordentlich unfruchtbaren Kontrastierung von einerseits „formalen" und andererseits mehr „inhaltlichen" (wie insbesondere soziologischen, hermeneutischen sowie sprachphilosophischen) Konzeptionen 9 ist anders als durch eine scharfe Trennung dessen, was die moderne Logik will, von dem, was die moderne Logik weder sucht noch kann, nicht mit Erfolg entgegenzuwirken. 2. UNTERSCHEIDUNG DES FORMALISIERTEN AXIOMATISCHEN SYSTEMS VOM AXIOMATISCHEN SYSTEM 2.1 Axiomatisches System Eine in besonderer Weise von Emotionen begleitete Version der Ablehnung von Axiomatisierungsversuchen hängt mit der immer wieder anzutreffenden Identifizierung axiomatisierter Systeme mit formalisierten axiomatischen Systemen zusammen.
8
Beispiel einer detaillierten und deshalb so aufschlußreichen Erörterung des Gegenstandes ist die bereits erwähnte (Anm. 1) Studie von Eike v. Savigny.
9
Mißverständlich insoweit auch Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Jurisprudenz, 1970, S. 101 f. Vgl. ferner Anm. 3.
52
Jürgen Rödig
Die für formalisierte Systeme kennzeichnende Verwendung künstlicher Sprachen, namentlich logischer Symbole, löst nach wie vor das größte Unbehagen aus 1 0 . Gefühle sind als solche weder verifizierbar noch falsifizierbar; einer Diskussion zugänglich ist jedoch der folgende gegen eine Formalisierung juristischer Bereiche ins Treffen zu führende Aspekt. Was in einem Staate rechtens sei, soll möglichst jeder durch das objektive Recht Betroffene wissen. Würde das objektive Recht axiomatisiert, so scheint die schon heute ihrer Unverständlichkeit wegen beklagte Rechtsordnung unweigerlich den Rest an Verständlichkeit einbüßen zu müssen. Eine Parallele zur Tätigkeit der pontifices in der Frühgeschichte des römischen Rechts scheint nahezuliegen. Wie die zwecks Bezwingung einer Gottheit zu verwendenden Worte, so hielten jene Priester auch die für die Herstellung einer rechtlichen Bindung von Menschen zu Menschen zu gebrauchenden Formeln bekanntlich auf das strengste geheim. Eine in diesem Sinne priesterliche Tätigkeit braucht indessen, was die zeitgenössischen Logiker betrifft, nicht befürchtet zu werden: Die Axiomatisierung eines Faches setzt dessen Formalisierung keineswegs notwendig voraus. Wir gehen aus von einem rechtlichen Gebiet, etwa von dem Gebiet des deutschen Wechselrechts. Vorausgesetzt sei ferner eine Abbildung dieses — je nach Definition des Begriffs „Gebiet" nur aus gedanklichen Elementen bestehenden — Gebiets in eine Menge von Sätzen. (1)
{si,s2,. .. , s m } .
Welche Sfitze zu der bei (1) genannten Menge gehören, ist eine schwierig zu entscheidende Frage. Man wird zunächst das Vorkommen einschlägiger Prädikate fordern. Man wird ferner verlangen, daß die Sätze, welche diese Prädikate enthalten, zugleich bestimmte Beziehungen zwischen den durch die Prädikate bezeichneten Attributen zum Ausdruck bringen. Wie daher einerseits das Vorkommen einschlägiger Prädikate nicht genügt, so braucht auf der andern Seite das Vorkommen nicht einschlägiger Prädikate nicht schädlich zu sein 11 . Man würde, was das Vorkommen nicht einschlägiger Prädikate betrifft, lediglich zu fordern haben, daß die betreffenden Sätze insoweit keinen auf sachlichen Annahmen beruhenden Inhalt besitzen. Eine in dieser Weise beschränkte Einbeziehung nicht einschlägiger Prädikate liegt um so näher, als sie im Ergebnis der Verwendung einschlägiger Prädikate innerhalb tautologischer Zusammenhänge entspricht. Ein einschlägiges wechselrechtliches Prädikat wäre
10
Das Erlernen der für die Verwendung prädikatenlogischer Kalküle nötigen Symbolik dürfte bei weitem weniger Mühe bereiten als beispielsweise das Erlernen der deutschen Einheitskurzschrift; siehe zu alledem Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Bd. 1, 1969, S. 4 f.
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Normalerweise werden freüich lediglich einschlägige Grundbegriffe sowie mithilfe ausschließlich dieser Begriffe definierte weitere (daher ebenfalls einschlägige) Begriffe berücksichtigt; vgl. etwa die — lesenswerte - Einführung in die axiomatische Methode bei Essler, Einführung in die Logik, 2. Aufl., 1969, S. 240 ff.
Axiomatisierbarkeit juristischer Systeme
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beispielsweise ein an die Vorschrift des Art. 11 Abs. 1 WG angelehntes 4-stelliges Prädikat mit dem über zwei Personen a, b, über einem Wechsel c und über einem Zeitpunkt d erklärten Inhalt, daß a den Wechsel c zur Zeit d an b vermittels Indossaments überträgt. Wir brauchen die Problematik der Abgrenzung der ein bestimmtes Gebiet abbildenden Sätze an dieser Stelle nicht näher zu verfolgen. Daß die Menge dieser Sätze unendlich sein wird, leuchtet bereits aufgrund der soeben entwickelten Kriterien ein: Gesetzt, die Menge sei endlich. Dann enthält sie wenigstens einen längsten Satz in dem Sinn, daß kein aus einer größeren Menge von kleinsten Zeicheneinheiten bestehender Satz zur selben Menge gehört. Man verknüpfe jenen Satz auf konjunktive Weise mit einem typographisch gleichen Satz. Dieser Satz ist wahr genau dann, wenn jener es ist 12 , und er geht über jenen auch nicht hinsichtlich der darin vorkommenden Prädikate hinaus. Er müßte also zu der das Gebiet abbildenden Satzmenge gehören, ist jedoch länger als jeder der nach Voraussetzung in der Satzmenge vorkommenden Sätze. - Der auf konjunktiver Verknüpfung beruhende Satz ist mit Bezug auf jeden der einzelnen miteinander verknüpften Sätze natürlich trivial, wie es überhaupt unendlich viele in unserer Satzmenge vorkommende zumindest relativ (zu andern Sätzen) triviale Sätze geben wird. Andere Sätze wird man indessen nicht als Trivialitäten abtun können, und die Abbildung eines Gebiets scheint bedauerlicherweise allemal eine notwendig fragmentarische Sache zu -
13
sein . Ähnlich fragmentarisch ist dem Anschein nach jeder Versuch, eine aus hinreichend vielen, und zwar insbesondere eine aus unendlich vielen, Elementen bestehende Menge zu bestimmen. Nun kann man eine Menge aber anerkanntermaßen nicht allein durch Aufzählung ihrer Elemente, vielmehr auch durch Angabe einer diese Elemente als Elemente der Menge definierenden Eigenschaft charakterisieren 14 . Was insbesondere die Bestimmung der zu einem Gebiet gehörenden Sätze betrifft, so kommt uns folgender Kunstgriff zustatten. Wir zeichnen den folgenden Umstand als die für diese Sätze kennzeichnende Eigenschaft aus. Die Sätze sollen die Eigenschaft haben, aus den zu
12
„(A° A A 0 ) " ist definitionsgemäß genau dann wahr, wenn „A°" wahr ist und wenn „A°" wahr ist, d.h. wenn „A°" wahr ist.
13
Vgl. insoweit die faszinierend klare Beschreibung der „vollkommensten" - nämlich der axiomatischen - Methode durch Blaue Pascal: Sur l'esprit de la göometrie" und „De l'art de parsuader", beide Abhandlungen abgedruckt in: La Logique ou Part de penser" (sog. „Logik von Port-Royal"), hrsg. v. A. Arnauld und P. Nicole, 1662. - Zur Einführung siehe Klug, Juristische Logik, 3. Aufl., 1966, S. 14 f.
14
Siehe Jürgen Schmidt, Mengenlehre I, 1966, S. 21.
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Jütgen Rödig
einer Teilmenge der Gesamtmenge gehörenden Sätzen logisch zu folgen 15 . Unser Kunstgriff gewinnt naheliegenderweise in dem Maß an Effektivität, als es uns gelingt, eine möglichst kleine Teilmenge von der soeben beschriebenen Beschaffenheit zu finden. Es soll sich insbesondere um eine echte 1 6 Teilmenge handeln, und sie soll nur aus endlich vielen Elementen bestehen. Die Menge {sj, s 2 , . . . , s k } mit k < n sei eine solche Teilmenge. Dann nennen wir jedes Sj (1 < i < k) ein , A x i o m " und jedes Sj (k < j < n) ein „Theorem". Der Durchschnitt der Menge der Axiome mit der Menge der Theoreme ist leer. Die Vereinigung beider Mengen ist identisch mit der Menge (1). Diese Menge wird, mit andern Worten, in einerseits Axiome und andererseits Theoreme gegliedert; wir nennen (1) unter dem Gesichtspunkt dieser Gliederung auch eine „Theorie". Ein wissenschaftliches Gebiet braucht keineswegs allemal auf dieselbe Weise in Axiome und Theoreme gegliedert zu sein 17 . Was unser Beispiel betrifft, so läßt sich vielleicht auch die Menge der Sätze s 2 , s 3 , . . . , s k , s k + 1 als hinlängliche Menge von Axiomen betrachten. Die Menge der Theoreme bestünde mithin in der Menge {s 1; s k + 2 , s k + 3 , . . . , s n } . Jede Menge läßt sich, allgemein gesagt, als Menge von Axiomen betrachten, sofern wenigstens sämtliche Axiome den Schluß auf jede andere zum selben Gebiet gehörende Aussage erlauben. Von „Axiomen" kann, wie sich bereits an dieser Stelle ergibt, nicht absolut die Rede sein. Jedes Axiom ist vielmehr als Element einer Menge von Axiomen, und diese Menge ist als das Ergebnis einer von mehreren Möglichkeiten der Einteilung einer Theorie in Axiome und Theoreme zu sehen. Ob ein Satz Axiom sei, sieht man ihm selbst nicht an. Schon in dieser Hinsicht also ist der Begriff des „Axioms" zu relativieren. Mit einer Axiomatisierung rechtlicher Bereiche wäre keineswegs eine Hervorhebung einzelner Rechtssätze in dem Sinn verbunden, daß diese und nur diese Sätze zum Ausgangspunkt von Beweisen gemacht werden könnten. Ist man andererseits zum Bekenntnis bereit, nicht über sämtliche der beispielsweise zum Wechselrecht gehörenden Sätze zu verfugen, also nur im Besitz von endlich vielen Sätzen zu sein, so kommt man jedenfalls in diesem Sinn um eine Anwendung der axiomatischen Methode gar nicht herum. Die Anwendung der axiomatischen Methode, also die Gliederung des einschlägigen Faches in Axiome und Theoreme, ist inso15
16 17
Das soeben mengentheoretisch motivierte Kriterium für die Zugehörigkeit eines Satzes zu einem axiomatischen System von Sätzen trifft insbesondere auf die zu der Teilmenge gehörenden Sätze selber zu: Jeder Satz a j (1 < i < n) folgt offenbar aus den Sätzen Oj, a 2 , -. . a„; die Implikation ((CKi A • • • A Ctj A . . . A a„) -»• 0(j) gilt, da falsches Ctj die implizierende Konjunktion falsifiziert, junktorenlogisch allgemein. M heißt „echte" Teilmenge von N, wenn jedes Element von M Element von N ist und es wenigstens ein Element von N gibt, das kein Element von M ist. Vgl. etwa Eike v. Savigny, Anm. 1, S. 328.
Axiomatisierbarkeit juristischer Systeme
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weit nicht nur möglich; sie ist sogar erforderlich. Problematisch ist allein, welche Mengen von Sätzen sich eignen, jeweils als hinreichende Mengen von Axiomen, als sogenannte „Axiomensysteme", zu fungieren. Es liegt nahe, beispielsweise die Menge der in einem Kodifikat vorkommenden Rechtssätze als ein solches Axiomensystem zu betrachten. Inwieweit diese Betrachtungsweise zulässig ist, soll alsbald näher ausgeführt werden. Zuvor sind noch einige Bemerkungen betreffs der Formalisierung axiomatisierter Theorien am Platz. 2.2 Formalisierung axiomatischer Systeme 2.2.1 Formalismus Die Gliederung der ein Gebiet abbildenden Aussagen in Axiome und Theoreme setzt eine Formalisierung dieser Aussagen nicht voraus. Aus den Sätzen, daß erstens jeder Angeschuldigte Beschuldigter ist und daß zweitens jeder Angeklagte Angeschuldigter ist (vgl. § 157 StPO), ist zwanglos auf den Satz zu schließen, es sei jeder Angeklagte Angeschuldigter. Man kann die beiden ersten Sätze als Axiome, den dritten als ein Theorem betrachten, und der Übergang von den Axiomen zu dem Theorem ist ausschließlich durch das Bestehen einer Folgerungsbeziehung bedingt. Auf die Verwendung einer künstlichen Sprache kommt es nicht an. Die Formalisierung stellt, wie gesagt, keine notwendige Voraussetzung für die Anwendung der axiomatischen Methode dar; sie ist indessen ein vorzügliches Instrument, den Wert der Axiomatisierung voll zur Geltung kommen zu lassen. Es ist die Folgerungsbeziehung, der die axiomatische Methode ihre Stärke verdankt. Erst aufgrund der Möglichkeit, aus gegebenen Sätzen auf weitere Sätze zu schließen, läßt sich die unendliche Menge der ein gegebenes Gebiet abbildenden Sätze ohne inhaltlichen Verlust auf eine kleinere Menge, insbesondere auf eine endliche Menge von Sätzen, reduzieren. Sehen wir von Ausdrücken ab, die freie Variable enthalten, beschränken wir uns also auf Aussagen, so läßt sich die Folgerungsbeziehung wie folgt definieren. Ein Satz s n folge aus Sätzen s 1 ; s 2 , . . . , s n _i genau dann, wenn es ausgeschlossen ist, daß Si, s 2 , . • • und sn_x wahr sind, s n dagegen falsch ist 18 . Es folgt also insbe18
Das Bestehen der Folgerungsbeziehung zwischen Ausdrücken a j , (x.2, • • • ö m einerseits und a n andererseits ist exakterweise jeweils mit Bezug auf die für diese Ausdrücke infrage kommenden Interpretationen (also mithilfe der Zuordnung von Attributen (Eigenschaften, Beziehungen) zu Prädikaten, von Individuen zu Subjekten usf.) zu bestimmen. Kommen auch Ausdrücke vor, welche freie Variable enthalten, so sind die zu interpretierenden Ausdrücke zuvor mithilfe entsprechender Konstanten zu belegen. Stellt das Ergebnis der Belegung eine wahre Aussage dar, so spricht man hinsichtlich des verwendeten Belags auch von einem „Modell" des belegten Ausdrucks; hierbei wird freilich häufig nicht hinreichend zwischen Interpretation und Belegung unterschieden. Vermittels des Modellbegriffs kann man das Bestehen der Folgerungsbeziehung zwischen gegebenen Prämissen und einem weiteren Satz auch davon abhängig machen, daß jedes Modell der Prämissen (d.i. jeder Belag, der ein Modell jeder Prämisse ist) zugleich ein Modell des zu erschließenden Satzes ist.
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Jürgen Rödig
sondere Sj aus s,, wenn Sj falsch ist oder wenn Sj wahr ist. Gerade der zuletzt genannte Aspekt der Folgerungsbeziehung ist für das juristische Schließen von besonderer Bedeutung. Ohne Schwierigkeiten einzusehen sind zwar Schlüsse der folgenden Art: Alle Logiker sind böse. Einige Juristen sind nicht böse. Einige Juristen sind keine Logiker. Weniger einleuchtend sind bereits Schlüsse wie dieser: 19 K hat genau 136 Walzer komponiert. Jeder Walzer enthält mindestens 140 Takte. Kein Walzer enthält mehr als 166 Takte. K hat mindestens 6 Walzer mit derselben Anzahl von Takten komponiert. Der zuletzt angeführte Schluß weist folgende Besonderheit auf. Es sind zwar sämtliche Prämissen vorhanden. Die conclusio überrascht gleichwohl. Für zahlreiche Beispiele juristischen Schließens ist in gewisser Hinsicht die umgekehrte Situation charakteristisch. Die Schlüsse überraschen im Ergebnis nicht. In der Menge der Prämissen sind jedoch Lücken enthalten. Ein Schluß ist, wie erwähnt, schon dann berechtigt, wenn die conclusio stimmt. Weshalb es denn auch naheliegt, in einer dem Juristen nicht ungewohnten Weise vom Ergebnis her zu denken. Gibt man nun aber vor, ein Ergebnis begründen zu wollen, so scheint die Wahrheit des Ergebnisses gerade nicht gesichert zu sein. In diesem Fall ist mithin nicht schon von der Wahrheit des zu erschließenden Satzes auf die Gültigkeit des Schlusses zu schließen. Bei Folgerungen der zuletzt erwähnten Art ist vielmehr eine Parallele zu dem sich an seinen eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehenden Freiherrn von Münchhausen zu ziehen. Das Argumentieren vom Ergebnis her stellt eine der gefährlichsten Versionen eines sozusagen „inhaltlichen Schließens" 20 dar. Eine nicht minder gefährliche Version des inhaltlichen Schließens ist die Praktizierung der sogenannten „begriffsjuristischen Methode" in dem Sinn, als man aus bestimmten Begriffen auf normative Sätze glaubt schließen zu können 2 1 . Als Beispiel sei der Schluß aus dem Begriff des Vertrages auf die Unzulässigkeit öffentlich-rechtlicher Verträge genannt. Tatsächlich lassen jeweils nur ein Satz oder eine Menge von Sätzen den Beweis auf eine weitere Aussage zu. Wenn man gleichwohl so
19
Das Beispiel ist angelehnt an ein Beispiel von Mates, Elementare Logik, 1969 (Amerikanische Originalausgabe 1965), S. 14.
20
Ein Beispiel „inhaltlichen Schließens" ist das „bedeutungsbestimmte Folgern", wie Weinberger (vgl. Anm. 2, S. 77 f.) es aaO trefflich charakterisiert.
21
Vgl .Rödig, Die Denkform der Alternative in der Jurisprudenz, 1969, § 29.6.
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tut, als werde bereits aus Begriffen geschlossen, so handelt es sich in Wirklichkeit um einen Schluß aus einer ebenso Undefinierten wie häufig auch undiskutierten Menge von mit dem betreffenden Begriff assoziierten Sätzen. Diese Sätze sind, wie beispielsweise aus dem Schluß aus dem Begriff des Vertrages auf die Unzulässigkeit öffentlich-rechtlicher Verträge22 erhellt, nicht selten dringend einer Diskussion bedürftig. Jedoch gerade dadurch, daß man angeblich aus Begriffen schließt, werden sie der sachlichen Debatte entzogen 23 . Sinn der Formalisierung axiomatisierter Systeme ist der Versuch und nur der Versuch, der soeben angedeuteten Gefahren inhaltlichen Schließens Herr zu werden. Der Grundgedanke ist einfach. Kennzeichnend für das formalisierte axiomatische System ist die Verwendung einer „characteristica universalis" in der durch Leibniz formulierten Bedeutung des Ausdrucks 24 . Es handelt sich um den Gebrauch einer künstlichen Sprache in dem Sinn, daß man gedankliche Operationen durch ein geregeltes Operieren mit sprachlichen Elementen ersetzt. Die benutzte Sprache wird, wenn man so sagen darf, ihrem „eigentlichen" Zweck, nämlich dem Zweck der Mitteilung, entfremdet. Das nur noch als Gegenstand geregelter Operationen betrachtete Zeichen hört auf, auf einen von ihm verschiedenen Inhalt zu zeigen. Das Zeichen zeigt vielmehr im Sinn der scholastischen Kategorie der „materialen Supposition" 25 auf sicji selbst. Das Zeichen gewinnt die Handfestigkeit eines kleinen Stückes Kalk. Wie mit einem „calculus" 26 kann man nunmehr mit ihm rechnen, und nur der höheren Berechenbarkeit wegen pflegen symbolische Kalküle an die Stelle natürlicher Sprachen zu treten.
22
Vgl. Otto Mayer, Zur Lehre vom öffentlich-rechtlichen Vertrage, in: Archiv für öffentliches Recht, 3. Bd. (1888), S. 3 ff. „Wahre" Verträge des Staates auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts sind nach Auffassung Mayers nicht einmal „denkbar" (S. 42). Die als Prämissen für die Ablehnung öffentlich-rechtlicher Verträge infrage kommenden Sätze (z.B. Verneinung der Existenz wenigstens zweier gleichberechtigter Subjekte des öffentlichen Rechts usf.) werden charakteristischerweise nicht annähernd expliziert.
23
Die „begriffsjuristische" Methode ist der axiomatischen Methode, wie man sieht, geradezu diametral entgegengesetzt. Gerade unter dem Gesichtspunkt der mathematischen Logik ist jene Methode prinzipiell zu verwerfen. Es wäre außerordentlich irreführend, die zeitgenössische juristische Logik insoweit, als diese Logik sich logistischer Hilfsmittel bedient, als eine neue Erscheinungsform von Begriffsjurisprudenz zu charakterisieren.
24 25
Eine hervorragende Einführung in Leibnizens Idee des Formalismus vermittelt Heinrich Scholz, Abriß der Geschichte der Logik, 2. Aufl., 1959, S. 48 ff. (52 f.). Vgl. Bochenski-Menne, Grundriß der Logistik, 3. Aufl., 1965, § 2.11 und Anhang zu § 2.11; für ein tieferes problemgeschichtliches Studium ist Bochenskh Formale Logik, 2. Aufl., 1962, § 27, zu empfehlen.
26
Übers. „Steinchen" usf.
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Eine der durch künstliche Sprachen zu erfüllenden Funktionen ist die Abkürzungsfunktion. Kommt es nun aber darauf an, jeweils von geordneten Mengen von Symbolen dergestalt zu einer weiteren symbolischen Reihe überzugehen, daß diesem Übergang der Übergang von gegebenen wahren Gedanken zu einem weiteren wahren Gedanken entspricht, so sind auch kurze objektsprachliche Einheiten der Deutung bedürftig. Sie sind zu interpretieren, und sie haben aufgrund derartiger Interpretationen keine schwächere Bedeutung als die Bedeutung, welche die als definiens verwendeten metasprachlichen — insbesondere umgangssprachlichen — Zeichen besitzen 27 . Hermeneutische Probleme, die sich im Hinblick auf das Verständnis oder auch im Hinblick auf das Vorverständnis umgangssprachlicher Prädikate ergeben, werden aufgehoben. Und zwar „aufgehoben" nicht im Sinn der Ausmerzung, vielmehr im Sinn der Aufbewahrung, ja geradezu der Konservierung. Zu Unrecht wird mitunter der Eindruck erweckt, als gingen mit der äußerlichen Kürze objektsprachlicher Prädikate notwendigerweise die Armut ihres Inhalts sowie die Problemlosig-
27
Eine gewisse Härte liegt allenfalls in der Übersetzung umgangssprachlicher Ausdrücke wie „ u n d " , , j a sogar", „aber" usf. durch rein extensional konzipierte Funktoren. So würden etwa die als Beispiele angeführten Wendungen vermutlich durchweg vermittels eines und desselben Junktors, nämlich des Konjunktors, abzubilden sein. Vermittels des Konjunktors wäre auch die im Sinn des Gegensatzes gebrauchte Wendung „während" zu erfassen. Wird „während" demgegenüber temporal verstanden, so dürfte eine Quantifizierung von Variablen für Namen von Zeitpunkten die angemessene Methode sein. Spezifisch inhaltliche Satzelemente wie Subjektskonstanten und Prädikate büßen infolge ihrer Symbolisierung ohnehin nicht an sachlichem Inhalt ein. Kommt es beispielsweise darauf an, ob auch elektrischer Strom als „Sache" iSd § 242 Abs. 1 StGB anzusehen sei, so bleibt die Spannung dieser Frage ungeachtet des Umstands erhalten, daß man die Eigenschaft, Sache zu sein, mithilfe des einstelligen Prädikats „Sa 1 (.)" symbolisert.
Axiomatisierbarkeit juristischer Systeme
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keit des Verständnisses ihres Inhalts einher. Selbst einige der vorzüglichsten neueren rechtsmethodologischen Schriften 2 8 sind von diesem Mißverständnis nicht frei.
28
Der Nutzen einer Kalkülisierung vermittels des „zweiwertigen reinen Aussagekalküls", vermittels „mehrwertiger Modelle einer prädikativen Semantik" sowie einer „deontischen Logik" (hierzu vgl. Anm. 2; den zweiwertigen Prädikatenkalkül scheint Esser nicht ins Auge zu fassen) endet laut Esser „am hermeneutischen Problem" (Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1970, S. 102). „Dieses" (d.i. das hermeneutische Problem) erlaube es „nicht, die Implikationen im Rechtsbegriff und den begrifflichen Kriterien der Tatbestände durch unsprachliche Modelle verläßlich zu reproduzieren". Implikationen, also Aussagen, sind „im Rechtsbegriff" freilich allenfalls in einem sehr übertragenen Sinn enthalten; vgl. insoweit die Kritik der begriffsjuristischen Methode sub 2.1. Was ferner das Ergebnis der Symbolisierung von Begriffen und Aussagen betrifft, so haben wir es nicht etwa mit „unsprachlichen" Modellen zu tun. Es handelt sich lediglich um nicht umgangssprachliche Sprachen. Derartige Objektsprachen pflegen jedoch auf umgangssprachlicher Basis definiert zu werden, und die Bedeutung des (symbolischen) definiendum bleibt, wie schon gesagt, nicht bereits der Kürze des Symbols wegen hinter der Bedeutung des (umgangssprachlichen) definiens zurück. Mißverständlich ist es schließlich, daß Esser Kalkülisierungsversuche im Hinblick darauf rügt, es gingen derartige Versuche „irrig von der logischen Struktur der Rechtsnormen und ihrer Begriffe aus, statt von deren Sub- oder Infrastruktur" (aaO). Auszugehen ist sowohl von logischen als auch von „Sub- oder Infrastrukturen". Die Alternative zwischen beiden Ausgangspunkten ist unrichtig gestellt. Unbegründet ist ferner die von Arthur Kaufmann und Winfried Hassemer gehegte Befürchtung, es verliere der zur Entscheidung stehende Sachverhalt bei „richterlicher Entscheidung im Wege formalen Schließens aus der Gesetzesnorm" seinen Eigenwert (Grundprobleme der zeitgenössischen Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 1971, S. 69). Ein logisches Verfahren, welches die Ableitung einer richterlichen Entscheidung „im Wege formalen Schließens" abzuleiten erlaubte, existiert tatsächlich nicht. Das richterliche Schließen ist bereits in logischer Hinsicht komplizierter, als gewöhnlich angenommen wird; auf die Notwendigkeit der Einbeziehung mindestens einer dritten Prämisse in das Modell des richterlichen Schließens wird noch einzugehen sein (3.2.2.2). Gerade im Rahmen dieser Prämisse läßt sich der - mißverständlich so genannte - „Eigenwert" des zu entscheidenden Sachverhalts realisieren. Daß es diesen „Eigenwert" im Sinne eines heuristischen Anstoßes zur Konkretisierung der generellen Norm bedarf und daß erst die konkretisierte Norm als Regelungsdeterminante taugt, heben Kaufmann und Hassemer durchaus überzeugend hervor. Eine den zu regelnden Sachverhalt an Konkretheit nicht erreichende Vorschrift ist der Anwendung auf diesen Sachverhalt bereits aus logischen Gründen nicht fähig; ließe sich hinsichtlich dieses Faktums Einigkeit erzielen, so bestünde Aussicht auf eine für die Entwicklung der rechtsiwssenschaftlichen Methodenlehre außerordentlich vorteilhafte Kooperation.
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2.2.2 Insbesondere maschinelles Beweisen Mit der Kalkulierbarkeit logischen Schließens ist offenbar eine notwendige Voraussetzung für maschinelles Beweisen erfüllt 29 . Liegt es doch auf der Hand, die Repräsentanten inhaltlicher Einheiten anstatt durch graphische Symbole durch technische Elemente - etwa mithilfe von elektronischen Kontakten, insbesondere elektronischen Schaltkreisen — zu verkörpern und das Operieren mit diesen Elementen einem seinerseits speicherungsfähigen Programm anzuvertrauen. Was namentlich die elektronische Verarbeitung juristischer Daten betrifft, so könnte man nach alledem versucht sein, die Axiomatisierung der einschlägigen juristischen Bereiche für eine unabdingbare Voraussetzung für den Einsatz automatischer Rechner zu halten. Jedoch so einfach läßt sich die Notwendigkeit der Anwendung der axiomatischen Methode leider
29
Siehe beispielsweise Hermes, Einführung in die mathematische Logik, 2. Aufl. 1969, S. 36.
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nicht demonstrieren. Die logische Struktur der Arbeitsweise von Computern 30 stimmt mit der logischen Struktur der durch den Computer zu verarbeitenden Daten nicht etwa notwendig überein31. Was beispielsweise den Einsatz des Computers zu Dokumentationszwecken betrifft, so reicht es aus, die zu verarbeitenden Dokumente unter einigen wenigen Gesichtspunkten zueinander in logische Beziehungen zu setzen. Jedoch auch unter dem Aspekt der
30
Es handelt sich beispielsweise um die geordnete Zusammenfassung zweier Mengen von Lochkarten. Es möge zwei Eingangskanäle I und II sowie einen Ausgangskanal III geben, ferner die Vorschrift, daß Karten aus I die „Vorfahrt" gebührt. Die Verbindung II — III soll, mit andern Worten, dann und nur dann Zustandekommen, wenn in II eine Karte eintrifft und in I nicht. Sowohl das Eintreffen von Karten (im Gegensatz zum Nichteintreffen) als auch die Elektrifizierung des Weichenmechanismus (im Gegensatz zu dessen Ruhestellung) läßt sich durch jeweils den positiven zweier gegebener Werte interpretieren („x" für Eintreffen einer Karte in I, „ y " für Eintreffen einer Karte in II, „z" für Verbindung II - III): (1)
x +
y +
z
+ -
+
+
Es liegt auf der Hand, die Abhängigkeit der Ausgangsvariablen z von den beiden Eingangsvariablen x und y junktorenlogisch zu deuten. Eingangs- und Ausgangsvariable werden als Aussagenvariable betrachtet, als Wertbereich der Variablen figuriert die Menge der Wahrheitswerte {WA, FA} . Die sich unter der Ausgangsvariablen befindende Wahrheitswertkolonne stellt mithin den Wertverlauf einer gewissen 2-stelligen Aussagenfunktion dar. Diese Funktion ist aufgrund des sogenannten Repräsentantentheorems sowohl durch eine (kanonische) konjunktive als auch durch eine (kanonische) disjunktive Normalform repräsentierbar. Man wird, da die positiven Werte des Wertverlaufs die negativen Werte überwiegen, die disjunktive Normalform wählen. Sie besteht aus einem und nur einem Disjunktionsglied, nämlich der Konjunktion (2) „(->xAy)" (vgl. die Zeile < - , + , + > in (1)). Was die entsprechende Reihenparallelschaltung betrifft, so wird man trivialerweise folgende Reihenschaltung wählen, wobei der linke Kontakt (Ruhekontakt) beim Nichteintreffen einer Karte in I in Ruhe bleibt und der rechte Kontakt (Arbeitskontakt) sich beim Eintreffen einer Karte in II regt, d.h. den Stromkreis schließt: / (3) • Vgl. zu alldem die vorzügliche Darstellung bei Dworatschek, Einfuhrung in die Datenverarbeitung, 4. Aufl., 1971, S. 221 ff. 31
Die Struktur des Verarbeitungsvorgangs ist, wie man sieht, zwar durch die Einschlägigkeit eines logischen Zusammenhanges charakterisiert. Einen parallelen Zusammenhang zwischen den zu verarbeitenden einschlägigen Aussagen oder auch Begriffen wird man jedoch vergeblich suchen.
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elektronischen Datenverarbeitung ist der Versuch der Axiomatisierung der einschlägigen juristischen Gebiete keine überflüssige Sache: Allein mit einer Anhäufung von Dokumenten braucht keineswegs eine Erleichterung der Tätigkeit des unter Zeitdruck über die betreffende Rechtsfrage entscheidenden Richters verbunden zu sein. Die in diesen Dokumenten vorkommenden Termini werden häufig trotz Gleichheit des Namens in verschiedenem Sinne gebraucht. Die systematischen Konzeptionen pflegen, soweit sie überhaupt vorhanden sind, in teilweise hohem Maß zu divergieren. Gleichwohl sind zahlreiche Dokumente erst vor dem Hintergrund derartiger Konzeptionen hinreichend zu erfassen. Wollte man nun aber jeweils den Gesamtzusammenhang dokumentieren, etwa den Inbegriff der einer richterlichen Entscheidung voraufgehenden einschlägigen Entscheidungen sowie der von dem Urteil — o f t nur stillschweigend — in Bezug genommenen sonstigen Texte, so wäre alsbald die Grenze einer wirtschaftlich noch vertretbaren Elektrifizierung des Dokumentationssystems erreicht. Bewendet es indessen bei der Speicherung von isolierten Dokumenten, so braucht, wie schon gesagt, nicht etwa eine Reduktion von Komplexität die Folge zu sein. Die Anwendung einer Technik, die exakter ist als die Verhältnisse, auf die sie angewendet wird, kann vielmehr ihrerseits zu Orientierungsschwierigkeiten führen. Und zwar zu Schwierigkeiten dergestalt, daß die maschinelle Verarbeitung umgekehrt proportional zur Möglichkeit gedanklicher Verarbeitung erfolgt. Gerade von der Anwendung der axiomatischen Methode darf man sich jene systematische Klärung versprechen, derer es im Hinblick auf eine effektive Dokumentation so dringend bedarf. Der Wert der Axiomatisierung für die Bewältigung der Synonymenproblematik liegt auf der Hand 3 2 . In diesem Zusammenhang ist der Entwurf von Einschlägigkeitsmustern zu erwägen, welche nach Möglichkeit von den Verfassern gerichtlicher Entscheidungen selber auszufüllen wären. Die in derartigen Mustern vorkommenden Begriffe wären jeweils inhaltlich im vorhinein zu normieren. Es wäre beispielsweise dahingehend zu differenzieren, ob die Verfasser der Entscheidung einen von ihnen gebrauchten Begriff definieren wollen, oder ob es ihnen darauf ankommt, ihn nur unter einigen von mehreren infrage kommenden Aspekten zu behandeln. Wie für eine in der soeben skizzierten Weise „automationsgerechte" Rechtsprechung, so dürfte sich die Axiomatisierung rechtlicher Bereiche auch im Hinblick auf den Erlaß automationsgerechter Gesetze 33 als ein kaum zu überschätzender Vorteil erweisen. Doch damit nicht genug. Der Großteil der im
32 33
Hinsichtlich der Ersetzbarkeit der elektronischen Datenverarbeitung zu Zwecken der Rechtsanwendung vgl. insbesondere die umsichtig informierende Darstellung bei Simitis, Informationskrise des Rechts und Datenverarbeitung, 1970, S. 95 ff. Siehe namentlich Simitis (Anm. 32), S. 84 ff.
Axiomatisierbarkeit juristischer Systeme
63
Folgenden zu skizzierenden Überlegungen stellt eine auch im Hinblick auf die allgemeine Theorie der Gesetzgebung notwendige Vorarbeit dar. Es handelt sich um die Verwendung von Legaldefinitionen, um den Sinn der Voranstellung Allgemeiner Teile, um die Handhabung des sogenannten „Regel-Ausnahme-Prinzips" sowie vor allem um die Unterscheidung zwischen Rechtssatz und Norm (4). 3. ANFORDERUNGEN AN JURISTISCHE AXIOMENSYSTEME 3.1 Widerspruchsfreiheit 3.1.1 Zum Prinzip der Widerspruchsfreiheit im Allgemeinen Die Verwendung von Axiomen ist, wie wir gesehen haben, eine insbesondere für den Juristen selbstverständliche Sache. Es wäre jedenfalls eigenartig, wenn ein Jurist von sich behaupten wollte, ein aus wenigstens einem gültigen Rechtssatz bestehendes Rechtsgebiet Satz für Satz zu wissen. Sind doch bereits in einem aus wenigstens einem gültigen Rechtssatz bestehenden Rechtsgebiet nachweisbar unendlich viele Rechtssätze enthalten. Was für die Gliederung der ein Gebiet abbildenden Sätze in Axiome und Theoreme im allgemeinen gilt (2.1), das gilt für die an Axiomensysteme zu stellenden Anforderungen insbesondere. Auch im Hinblick auf diese Anforderungen ist die Anwendung der axiomatischen Methode auf das Recht nur scheinbar ein novum. Es geht, um das Ergebnis vorweg zu skizzieren, nicht etwa darum, ob die axiomatische Methode anzuwenden sei oder nicht. Es geht vielmehr darum, inwieweit man die axiomatische Methode unter der Voraussetzung, daß man sie anwendet, auch exakt anwenden soll. Friedrich Carl v. Savigny behandelt im ersten Band des Systems des heutigen Römischen Rechts 34 im Anschluß an die „Auslegung einzelner Gesetze" (§§ 33 ff) die „Auslegung der Rechtsquellen im Ganzen" (§§ 42 ff). Unter dem „einzelnen Gesetz" wird weniger der isolierte Rechtssatz, also eine von andern Rechtssätzen durch Punkte, durch das Vorkommen in verschiedenen Paragraphen oder auf ähnliche Weise getrennte, Aussage verstanden. Es handelt sich vielmehr um das durch den Akt der Rechtssetzung, durch die Personen seiner Verfasser oder ähnlich gekennzeichnete Kodiflkat 35 . Was demgegenüber die „Auslegung der Rechtsquellen im Ganzen" betrifft, so sind die Überlegungen v. Savigny's an dem damals in Deutschland anzutreffenden allgemeinen Quellenkreis orientiert; v. Savigny36 nennt insoweit die Justinianischen Gesetze, das kanonische Recht, die Reichsgesetze, das wissenschaftlich entstandene Gewohnheitsrecht sowie den Gerichtsgebrauch. Die besondere
34
1840.
35 36
Aufschlußreich insofern etwa aaO, S. 262 bis 265. S. 264.
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Problematik dieses Nebeneinander liegt in der Heterogenität der einzelnen Quellen 37 . Die hinsichtlich der „Auslegung der Rechtsquellen als Ganzes" genannten Maximen hätte v. Savigny demgegenüber bereits anläßlich der „Auslegung der einzelnen Gesetze" vortragen können: Die Gesamtheit der verschiedenen Mengen von Rechtssätzen bilde „ein Ganzes, welches zur Lösung jeder vorkommenden Aufgabe im Gebiete des Rechts bestimmt ist. Damit es zu diesem Zweck tauglich sey, müssen wir daran zwey Anforderungen machen: Einheit und Vollständigkeit" (System des heutigen Römischen Rechts, 1. Band, S. 262). Fehlende Einheit und Unvollständigkeit werden demgemäß als „die mangelhaften Zustände jenes Ganzen" (S. 263) gesehen und mit den „an sich denkbaren Fällen" mangelhafter einzelner Gesetze verglichen: „I. Unbestimmter Ausdruck, der also überhaupt auf keinen vollendeten Gedanken führt. — II. Unrichtiger Ausdruck, indem der von ihm unmittelbar bezeichnete Gedanke von dem wirklichen Gedanken des Gesetzes verschieden ist" (S. 222) 38 . Was nun die mangelhaften Zustände der Quellen im Ganzen betrifft, so erläutert v. Savigny die Gesichtspunkte der Einheit und Vollständigkeit wie folgt: „Fehlt die Einheit, so haben wir einen Widerspruch zu entfernen, fehlt die Vollständigkeit, so haben wir eine Lücke auszufüllen" (S. 263). Mit den Kriterien der Widerspruchsfreiheit sowie der Vollständigkeit sind nun aber keine anderen als die beiden wichtigsten Anforderungen an Axiomensysteme genannt. Drittes Kriterium ist die Unabhängigkeit der Axiome; die Erfüllung dieser Anforderung braucht, wie wir sehen werden, nicht erwünscht zu sein. Ein Axiomensystem, d.i. die Menge der innerhalb eines axiomatischen Systems vorkommenden Axiome, heißt „widerspruchsfrei", wenn es nicht zwei Theoreme dergestalt gibt, daß das eine in einer Negation des anderen besteht. Sind zwei derartige Theoreme als Folgerungen aus den Axiomen zu gewinnen, so folgt aus den Axiomen auch die Konjunktion eines Satzes mit seiner Negation, also ein bereits aus logischen Gründen falscher Satz. Gesetzt, es gebe wenigstens ein Theorem von der Art einer solchen Konjunktion. Dann existiert, da eine Implikation nur bei Wahrheit des „Wenn"-Satzes und bei
37
38
Die sowohl für das Verständnis als auch für das Vorverständnis von Rechtssätzen grundlegenden Unterscheidungen zwischen der Setzung eines Rechtssatzes durch genau einen Verfasser in genau einem Akt, durch einen Verfasser in mehreren Akten, durch mehrere Verfasser in einem Akt sowie durch verschiedene Verfasser in verschiedenen Akten pflegen ein wenig vernachlässigt zu werden. Auf dieses Phänomen, das ersichtlich mit der Konzeption der juristischen Auslegung als einer „objektiven" (d.h. den Auslegenden an der Bestimmung des Inhalts des auszulegenden Textes beteiligenden) Auslegung zusammenhängt, kann im Rahmen dieser Abhandlung nicht näher eingegangen werden. Hinsichtlich des logischen Zusammenhangs zwischen der Widersprüchlichkeit von Sätzen sowie terminologischer Uneinheitlichkeit siehe nachfolgend 3.1.2.
Axiomatisierbaikeit juristischer Systeme
65
Falschheit des „dann"-Satzes unrichtig ist, keine falsche Implikation mit der genannten Konjunktion als „Wenn'-Satz. Die Implikation gilt mithin allgemein, und man kann den „dann "-Satz daher auch als eine Folgerung aus dem „Wenn"-Satz im Sinn der Folgerungsbeziehung (2.1) betrachten. Auf den Inhalt des „Dann"-Satzes kommt es nicht an. Der „Dann"-Satz kann insbesondere in einer falschen Aussage bestehen. Jeder Satz kann als „Dann"-Satz fungieren, und es leuchtet einerseits ein, daß ein im Hinblick auf jeden Satz schlüssiges axiomatisches System sowohl trivial als auch in praktischer Hinsicht unbrauchbar ist 3 9 . Einleuchtend ist andererseits eine weitere, und zwar zunächst überraschende, Formulierung des Prinzipes der Widerspruchsfreiheit; ein Axiomensystem heiße „widerspruchsfrei" genau dann, wenn es wenigstens eine Aussage gibt, welche kein Theorem, welche mithin aus den Axiomen nicht erschließbar sei. Sofern man die axiomatische Methode auf eine gegebene — insbesondere endliche — Klasse von Sätzen bezieht, so ist das Prinzip der Widerspruchsfreiheit in der Forderung enthalten, es dürften sich aus den diese Satzklasse axiomatisierenden Axiomen nur Elemente der Satzklasse oder auch Folgerungen aus Elementen der Satzklasse ergeben. Das Fehlen wenigstens eines aus den Axiomen erschließbaren Satzes stellt offenbar einen Sonderfall der zuletzt genannten — von Eike v. Savigny40 unter dem Stichwort „Korrektheit" formulierten — Forderung dar. Man wird allerdings verlangen, daß die zu axiomatisierende Satzklasse ihrerseits auf keine Widersprüche schließen läßt, also ihrerseits bereits widerspruchsfrei ist. Ließe sie den Schluß auf Widersprüche zu, so wäre die Forderung nach „Korrektheit" durch jede Menge von Axiomen trivialerweise erfüllt. Auch bei der üblicherweise aufgestellten Forderung nach dem Fehlen wenigstens eines aus den Axiomen erschließbaren Satzes pflegt stillschweigend vorausgesetzt zu werden, daß das zu axiomatisierende Gebiet seinerseits keine Widersprüche enthält. Daß man das Prinzip der Widerspruchsfreiheit gleichwohl durchweg auf die Bildung von Axiomensystemen beschränkt, ist bemerkenswert. Was die Praxis der Axiomatisierung betrifft, so haben wir es in der Tat mit einem unter dem Gesichtspunkt der Logik vorgenommenen Eingriff in die zu axiomatisierenden Gebiete selbst zu tun: Widersprüche, die vielleicht in dem zu axiomatisierenden Gebiet enthalten sind, fallen mit der Bildung widerspruchsfreier Axiomensysteme notwendigerweise hinweg. Das zu axiomatisierende Gebiet hört auf, mit dem
39
Aus ähnlichen Gründen kann man solche Wahrheitswertfunktionen nicht brauchen, welche ungeachtet der Wahrheit ihrer Argumente beispielsweise stets wahre Funktionswerte liefern; es handelt sich in diesem Fall, was die zweistelligen Wahrheitswertfunktionen betrifft, um die von Bochenski-Menne (Grundriß der Logistik, 2. Aufl., 1962, § 3.94) so genannte „Tautologie" (entgegengesetzter Fall, d.h. ausschließlich falsche Funktionswerte: „Antilogie"). - Auf die im logikwissenschaftlichen Schrifttum gebräuchliche Unterscheidung zwischen syntaktischer und semantischer Widerspruchsfreiheit ist hier nicht näher einzugehen.
40
Anm. 1,S. 327 f.
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66
tatsächlich aromatisierten Satzsystem identisch zu sein. Das tatsächlich a r o matisierte Satzsystem ist sozusagen von störenden Sätzen gereinigt. Welche Sätze stören, läßt sich natürlich logisch nicht entscheiden. Logisch entscheidbar ist nur, daß sich jeweils in einer Menge von wenigstens zwei Sätzen wenigstens ein Störer befindet. 3.1.2 Widerspruchsfreiheit juristischer Systeme Der Terminus „Widerspruch" wird im rechtsmethodologischen Schrifttum häufig anders als in der mathematischen Logik verwendet41 .Die Abweichungen sind teilweise außerordentlich verwirrend. Engisch fuhrt als erste Kategorie von Widersprüchen in der Rechtsordnung die von ihm so genannten „gesetzestechnischen Widersprüche" auf; diese bestünden „namentlich in einer Uneinheitlichkeit der Terminologie" (Einführung in das juristische Denken, 5. Aufl., 1971, S. 157). Uneinheitlichkeit der Terminologie liegt vor sowohl im Fall des Gebrauches eines und nur eines Namens für verschiedene Bedeutungen als auch im Fall des Gebrauchs wenigstens zweier Namen für eine und nur eine Bedeutung. Engisch42 wählt als Beispiel u.a. den Beamtenbegriff. Gesetzt, es enthalte eine Rechtsordnung sowohl den Rechtssatz, es sei kein auf frischer Tat ertappter Beamter durch Private festnehmbar, kurz: (2)
[ 2 j
„V p ( B e 1 ( p ) - - 1 F p I ( p ) ) ' \
AE
als auch den Satz, es dürfe ein auf frischer Tat ertappter Beamter, der keine Ernennungsurkunde besitzt, durch Private festgenommen werden: (3)
[3J
„V p ( ( B e 1 ( p ) A - 1 E b 1 ( p ) ) ^ F p 1 ( p ) ) "
AE.
pe sei ein Beamter, der keine Ernennungsurkunde besitzt: (4) [4J „Be 1 (pe) A-.Eb'Cpe))" AE. Dann folgt aus (2) — individualisierte Fassung — und (4) mithilfe des junktorenlogisch allgemeingültigen Schemas (5) (5)
,,(((A° - v - i B ° ) A (A° A -i C 0 )) -»• -i B 0 )"
der Ausschluß der Festnehmbarkeit von pe durch Private: (6)
[2J
(7)
[4,6J
„(Be 1 (pe) ->
Fp 1 (pe))"
„-.Fp^pe)"
[2J
GB
02,4 J
JL.
Aus (3) und (4) ergibt sich das glatte Gegenteil: (8)
[ 3 J „((Be 1 (pe) A
Eb 1 (pe)) -»• Fp1 (pe))"
J^il*)"
[ 3 j
GB
C3AJ
JL.
(9)
C3AJ
41
Insoweit klar und treffend Schreiber, Logik des Rechts, 1962, S. 57 ff. (59 bis61).
42
Einführung in das juristische Denken, 5. Aufl., 1971, S. 157.
Axiomatisierbaikeit juristischer Systeme
67
Bedienen wir uns nunmehr anstatt nur eines Beamtenbegriffes zweier derartiger Begriffe 43 , etwa der Begriffe „BeJ" und „Be^"- D e r
erste
dieser Be-
griffe werde in (2), der zweite in (3) verwendet. Kommt nun in (4) der Begriff „Be j " vor, so ist nur noch auf „ -, Fp 1 (pe)", dagegen nicht mehr auf „Fp 1 (pe)" zu schließen. Wird in (4) demgegenüber der Begriff „Be^" gebraucht, so ergibt sich zwar „ F p ' i p e ) " , jedoch nicht „ -, F p ' ( p e ) " . Ein Widerspruch kommt mithin in keinem der beiden Fälle zustande. Wir haben, mit anderen Worten, einen nach Voraussetzung tatsächlich vorhandenen Widerspruch mithilfe einer uneinheitlichen Terminologie nicht etwa erzeugt, vielmehr behoben. Die Parallelisierung der Uneinheitlichkeit der Terminologie mit der Widersprüchlichkeit von Sätzen ist mit der immer wieder anzutreffenden Identifizierung von Begriffen mit Aussagen 44 verwandt. Auf diese Ungenauigkeit ist bereits im Zusammenhang mit der Kennzeichnung der sogenannten „Begriffsjurisprudenz" als eines Schließens aus Begriffen hingewiesen worden (2.2). Es handelt sich, um an das bereits erwähnte Beispiel anzuknüpfen, um Folgerungen aus dem Begriff des „Vertrages". Weitere Beispiele derart folgenreicher Begriffe liefern die Privatautonomie, der Vertrauensschutz, nicht zuletzt Treue und Glauben. Mit der Vorschrift des § 242 BGB scheinen wir zugleich in unmittelbare Nähe zu überpositivem Recht vorgestoßen zu sein. Auch die in diesem Bereich dominierenden Begriffe wie die Begriffe der Gerechtigkeit, der Zweckmäßigkeit und der Rechtssicherheit werden zum Ausgangspunkt von
43
44
In rechtlicher Hinsicht problematisch ist der umgekehrte Fall, nämlich die Existenz genau eines Namens für mehrere Arten von Beamten. Was diesen Fall betrifft, so kann sich einerseits der Anschein des Bestehens von tatsächlich nicht bestehenden Widersprüchen ergeben (vgl. insoweit das im Text folgende Beispiel). Es besteht jedoch andererseits Gefahr für die Behauptung inhaltlich unrichtiger Sätze. Angenommen, es gehe der strafrechtliche Beamtenbegriff über den staatsrechtlichen hinaus. Dann trifft der Ausdruck >• V p (Be 1 (p)->- Be 1 (p))" zwar voraussetzungslos zu; ist innerhalb des (generalisierten) Implikans jedoch der strafrechtliche und innerhalb des (generalisierten) Implikats der staatsrechtliche Beamtenbegriff gemeint, so ist die generalisierte (= formale) Implikation durch jedes Beispiel eines lediglich „strafrechtlichen" Beamten widerlegbar. Was daher die Gefährlichkeit uneinheitlicher Terminologie betrifft, so ist sie der Gefährlichkeit von Widersprüchen im Ergebnis verwandt, und den Ausführungen von Engisch ist insoweit zu folgen. Die verheerenden Folgen der Identifizierung von Begriff und Aussage reichen bis in die rechtsdogmatische Erfassung des Begriffs der „Unterlassung" hinein; siehe insoweit Rödig, Die privatrechtliche Pflicht zur Unterlassung, in: Rechtstheorie, 1972, Bd. 1,S. 1 ff.
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Schlußfolgerungen genommen. Das ist nicht alles. Die Begriffe werden überdies in ein gegenseitiges Verhältnis der „Spannung" gebracht; 45 wiederum ist ausdrücklich von „Widersprüchen", und zwar von „Prinzipienwidersprüchen", die Rede 46 . Auch derartige Widersprüche sind in den Kategorien der zeitgenössischen Logik nicht unterzubringen. Logisch nachvollziehbar wäre allenfalls die Herstellung eines Widerspruchs aus zwei Sätzen, von denen man den einen mit dem Begriff der Gerechtigkeit, den andern mit dem Begriff der Zweckmäßigkeit assoziiert. Jedoch gerade von einer auch nur einigermaßen verläßlichen Abbildung der genannten Begriffe in normative Sätze sind wir himmelweit entfernt. Höchst verwirrend ist es schließlich, den „Begriff' im Sinne eines durch die Rechtsidee geförderten Rechtsinstituts mit einem bestimmten Rechtsverhältnis in Widerspruch zu setzen. Auch eine noch so zerrüttete Ehe „widerspricht" nicht dem Ehebegriff 47 . Insbesondere eine Fortführung von Hegel's Lehre vom konkret-allgemeinen Begriff 48 erscheint in diesem Zusammenhang schwerlich als klärend. Auch der sogenannte „Wertungs-Widerspruch" oder auch der „teleologische Widerspruch", wie Engisch49 ihn beschreibt, ist meist kein „Widerspruch" im logischen Sinn. Die Sätze, zwischen denen er bestehen müßte, pflegen auch in diesem Fall nicht explizit genannt zu sein. Man sollte sich, allgemein gesprochen, im Rahmen der juristischen Argumentation davor hüten, einen Begriff ins Treffen zu führen, ohne imstande zu sein, die mit diesem Begriff in diesem Zusammenhang assoziierten Rechtssätze jeweils ausdrücklich zu nennen. Die Befolgung der soeben formulierten Regel hätte vermutlich zahlreiche — teilweise außerordentlich fruchtlose — rechtswissenschaftliche Diskussionen verhindert. Wer sich der axiomatischen Methode bedient oder sich dieser Methode auch nur zu bedienen versucht, ist im vorhinein nicht in Gefahr, vor lauter Begriffen die diese Begriffe enthaltenden Sätze aus dem Auge zu verlieren. Wer ein Satzsystem axiomatisiert, hat es natürlich auch mit Begriffen zu tun, und man betrachtet nicht umsonst die Definitionslehre als ein Element der
45 46 47 48
Vgl. Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 1947, S. 23 ff. Vgl. Engisch (Anm. 42), S. 162 f. Vgl. aber Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl., 1969, S.477. Siehe Anm. 47, S. 476 ff. — Was insbesondere die dem konkret-allgemeinen Begriff als einem konkreten Begriff innewohnende Dialektik betrifft, so spricht wiederum einiges dafür, daß man zwar von Begriffen spricht, jedoch Aussagen meint. Nur zwischen Aussagen kommen Widersprüche zustande; die zwischen mehreren Gegenständen (oder deren begrifflichen Abbildungen) bestehende Verschiedenheit (= Diversität) ist eine von der Widersprüchlichkeit scharf zu unterscheidende logische Kategorie.
49
Anm. 42, S. 160 f. und 161 f.
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Axiomatik im weiteren Sinn 50 . Wichtig ist jedoch, daß die zu definierenden Begriffe jeweils nur als — unselbständige — Elemente von Aussagen einen gedanklichen Inhalt zu produzieren vermögen, und daß es erst recht verfehlt wäre, sich von den entsprechenden Definitionen einen auch noch so bescheidenen sachlichen Gehalt zu versprechen. Definitionen müssen erstens rückgängig gemacht werden können (Eliminierbaikeitskriterium). Sie dürfen zweitens nicht in der Lage sein, Sätze über solche Inhalte beweisbar zu machen, die ohne die verwendeten Definitionen unbeweisbar wären (Kriterium der Nichtkreativitätsl). Beide Kriterien lassen korrekte Definitionen 52 als im Prinzip überflüssig erscheinen. 3.2 Vollständigkeit 3.2.1 Zum Kriterium der Vollständigkeit im Allgemeinen Wie jede Axiomatisierung, so ist insbesondere die Anwendung der aromatischen Methode auf juristische Systeme der Forderung der Widerspruchsfreiheit zu unterwerfen. Sofern der Jurist gleichwohl willens ist, Spannungen von der Art zu ertragen, wie sie angeblich — um nur ein Beispiel zu nennen — zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit bestehen, haben wir es weniger mit Konflikten im Sinne einander widersprechender Sätze als vielmehr mit der bloßen Verschiedenheit rechtspolitischer Gesichtspunkte zu tun (3.1.2). Man wird natürlich herausfinden wollen, bei welchen Modellen der Ausgestaltung dieser Zielsetzungen sich einander widersprechende rechtliche Sätze ergeben. Um dies zu erfahren, kommt man um eine Abbildung der betreffenden Aspekte, Zielsetzungen oder auch „Begriffe" in jeweils eine Menge von Sätzen nicht herum. Erst auf der Basis einer Menge von Sätzen ist sinnvoll nach Widersprüchen zu fragen. Kommen bei dieser Fragestellung Widersprüche heraus, so wird man sie entweder entfernen oder aber folgerichtig jeden noch so törichten Satz, namentlich jeden noch so widersinnigen Rechtssatz, als gültig anerkennen müssen (3.1.1). Wie die Anwendung des Widerspruchsprinzips, so stellt auch die Befolgung der Vollständigkeitsmaxime eine vorzügliche Methode juristischer Selbstkritik dar. Die Forderung nach Vollständigkeit von Axiomensystemen wird im wissenschaftstheoretischen Schrifttum mithilfe verschiedener Formulierungen erhoben 53 . Es liegt nahe, die Vollständigkeit eines Axiomensystems insbeson50 51
Vgl. Essler, Einführung in die Logik, 2. Aufl., 1969, S. 248. Dieses Kriterium wurde erstmals 1931 durch Leiniewski formuliert; siehe Anm. 50, S. 252.
52
Eine gute Einführung in die neuere Definitionstheorie gibt Klug, Juristische Logik, 3. Aufl., 1966, § 8 (S. 85 ff.).
53
Siehe insbesondere die subtile Darstellung bei Hu1. Schmidt, Mathematische Gesetze der Logik I. 1960, S. 141 f. sowie 176 ff. - Vgl. ferner Essler, Anm. 50, S. 245 f.
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dere folgendermaßen zu fassen. Gegeben seien zwei Ausdrücke, welche höchstens einschlägige Begriffe in einer nicht tautologischen Weise enthalten und von welchen der eine die Negation des anderen ist. Dann heiße das einschlägige Axiomensystem vollständig, wenn die Axiome den Schluß auf wenigstens einen der genannten Ausdrücke gestatten. Bei der soeben angeführten Formulierung kann es mit folgenden zwei Einschränkungen bewenden. Gesetzt den Fall, daß die genannten Ausdrücke Variable enthalten, welche sich binden lassen. Dann kommt es darauf an, daß sie keine freien, dJi. keine nicht gebundenen, Variablen enthalten. Angenommen beispielsweise eine ungebundene 0-stellige Prädikatenvariable „A°"; man kann auch von einer , Aussagenvariablen" sprechen. Verlangt man die Beweisbarkeit von „A° " oder von „ A° ", so kann man bei Beweisbarkeit von „A°" vermittels der Einsetzung einer falschen Aussage und bei „ -, A ° " vermittels der Ersetzung von „A° " durch eine wahre Aussage einen falschen Ausdruck gewinnen. Zweite Einschränkung: Gegeben zwei Aussagen, d.h. zwei 0-stellige Aussageformen, welche höchstens einschlägige Begriffe auf eine nicht tautologische Weise enthalten. Eine dieser Aussagen sei die Negation der andern. Gesetzt sodann, es sei von beiden Aussagen höchstens eine (Widerspruchsfreiheitsprinzip), aber auch mindestens eine aus den Axiomen beweisbar. Dann ist zwar „Vollständigkeit" in dem Sinn erreicht, daß sich aufgrund der Hinzufügung eines weiteren Axioms, welches eine nicht schon logisch wahre Aussage bezüglich der einschlägigen Begriffe enthält, ein Widerspruch ergäbe. Mit dieser Art von „Vollständigkeit" ist indessen keineswegs eine Deckung der aus Axiomen und Theoremen bestehenden Satzmenge mit der das zu axiomatisierende Gebiet abbildenden Menge von Sätzen erreicht. Es genügt nicht nur das Bestehen von jeweils einer von mehreren in sich widerspruchsfreien Beziehungen zwischen den einschlägigen Begriffen. Wie sich die einzelnen Begriffe zueinander verhalten, ist zwar erstens unter Vermeidung von Widersprüchen und Lücken, zweitens jedoch auch auf eine inhaltlich determinierte Weise zu bestimmen, und diese Kongruenz der axiomatisierten Theorie mit dem zu axiomatisierenden Gebiet, die wir als „materiale Kongruenz" bezeichnen, kommt nur mithilfe informeller Kriterien zustande.
3.2.2 Zur Vollständigkeit juristischer Systeme 3.2.2.1 Horizontale Vollständigkeit Bereits das Studium des Grundsatzes der Vollständigkeit im Allgemeinen hat die Notwendigkeit der Einbeziehung außerlogischer Gesichtspunkte ergeben (3.2.1). Was insbesondere die Vollständigkeit juristischer Systeme betrifft, so geht dem Problem der Abdeckung eines juristischen Gebiets durch Axiome das Problem der Konturierung des Gebiets als solchen voraus. Es fragt sich, welche Begriffe überhaupt als einschlägige Begriffe darin vorkommen sollen,
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und zwar zunächst in horizontaler Hinsicht: So kann man beispielsweise einerseits versuchen, die im zweiten Buch des BGB enthaltenen Vorschriften zu aromatisieren. Man kann es andererseits für zweckmäßiger halten, sich auf die Vorschriften über die Miete oder den Dienstvertrag zu beschränken, dann jedoch weitere Kodifikate wie in diesem Fall arbeitsrechtliche und in jenem Fall mietrechtliche Rechtssatzsysteme einzubeziehen. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich bei der Berücksichtigung Allgemeiner Teile. Auf diese Schwierigkeiten gehen wir später, wenn auch nur andeutungsweise, noch ein. Einzelheiten werden im Rahmen einer allgemeinen Theorie der Gesetzgebung abzuhandeln sein. Auch auf die Existenz von Lücken, deren Beseitigung Friedrich Carl v. Savigny unter dem Stichwort „Vollständigkeit" behandelt (3.1.1), ist vielfach erst aufgrund der Annahme eines bereits in bestimmter Weise konturierten sachlichen Gebiets zu schließen. Es sei TB die Menge der unter die Tatbestände ausdrücklich statuierter Normen subsumierbaren Sachverhalte. Dann klafft nicht etwa hinsichtlich jedes zu TB, d.h. zum Komplement von TB, gehörenden Sachverhalts eine Regelungslücke. Betrachten wir beispielsweise die Menge der die Beschädigung einer Sache betreffenden ausdrücklich formulierten privatrechtlichen Sätze, insbesondere Sätze betreffend die Ersatzpflicht wegen unerlaubter Handlung sowie Sätze betreffend die sogenannte „Leistungsgefahr" (vgl. etwa §§ 243 Abs. 2, 270 Abs. 1,300 Abs. 2 BGB). Alle diese Sätze sind vor dem Hintergrund des Satzes „casum sentit dominus" zu sehen, und eine Lücke ist weniger im Hinblick auf die von den Gesetzesverfassern erkennbar beabsichtigte Regelung als vielmehr im Hinblick auf die Absicht ausdrücklicher Formulierung dieser Regelung vorhanden. Wir haben es erneut mit einem Problem der Gesetzgebungstechnik zu tun. Auf die Technik der Setzung eines Rechtsgebiets kommt es erst an, nachdem die zu setzende Regelung hinsichtlich ihres rechtlichen Inhalts konzipiert worden ist. Wenn man auch insoweit von „Lücken" spricht, so ist jedenfalls häufig nicht so sehr das Fehlen einer Regelung als vielmehr die Ablehnung von anderen, insbesondere von sich aus den jeweils sogenannten „allgemeinen Rechtsgrundsätzen" ergebenden 54 , Rechtsfolgen gemeint. Das zu axiomatisierende Gebiet wird, wie man sieht, als solches als der Korrektur bedürftig angesehen. Erst das bereits korrigierte Gebiet ist im Sinn der axiomatischen 54
Charakteristisches Beispiel ist insoweit die „Ergänzung" des positiven Gesellschaftsrechts durch die für fehlerhafte Gesellschaften (insbesondere für fehlerhafte Gesellschaften auf mangelhafter Vertragsgrundlage sowie für Scheingesellschaften) ausgebildeten Normen. - Eine gründliche Diskussion des Lückenproblems kommt an dieser Stelle nicht in Betracht; vgl. insbesondere die eindringende Untersuchung von Engisch (Anm. 42, S. 134 ff.), von Lorenz (Anm. 47, S. 350 ff.) sowie von Conans. Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 1964. Ein eindrucksvolles Beispiel für den kombinatorischen Aspekt des Lückenproblems gibt Fiedler, Juristische Logik in mathematischer Sicht, ARSP 52 (1966), S. 105 f f
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Methode zu ordnen, und zwar zu ordnen insbesondere mit der Maßgabe, daß die jeweils als Axiome gewählten Sätze den Schluß auf sämtliche der das Gebiet abbildenden Sätze erlauben. Der Entwicklung eines vollständigen Axiomensystems geht, was den zuletzt beschriebenen Lücken-Typus betrifft, nicht wiederum eine Vervollständigung, vielmehr eine Modifikation des zu -axiomatisierenden Gebiets im Sinne einer Änderung bereits vorhandener Sätze voraus. 3.2.2.2 Vertikale Vollständigkeit Gesetzt, wir unternähmen den Versuch, das Wechselrecht zu axiomatisieren. Mit der Erweiterung der im WG enthaltenen Rechtssätze um weitere Rechtssätze, die sich zum Teil im BGB oder in anderen Gesetzen befinden oder die gewohnheitsrechtlich anerkannt sein mögen, ist es, was die rechtliche Beurteilung konkreter Sachverhalte anbelangt, natürlich nicht getan. Noch in zeitgenössischen Darstellungen wird zu Unrecht der Eindruck erweckt, als könne es im Hinblick auf den Prozeß der Rechtsanwendung bei jeweils zwei und nur zwei Prämissen, nämlich einer — generellen — Rechtsnorm und der — individuellen — Beschreibung eines Sachverhalts, bewenden 55 . Es kommt vielmehr zusätzlich darauf an, den Sachverhalt in Richtung der zu generalisierenden Norm oder auch die Norm in Richtung des Sachverhalts zu transformieren. Es handelt sich beispielsweise um die Konkretisierung der als Substrate des Wechsels infrage kommenden körperlichen Gegenstände wie Papier, Karton oder das zur Anfertigung eines Zigarrenkistchens verwendete Holz. Doch damit nicht genug. Auch die durch die Norm statuierte Rechtsfolge bedarf der Konkretisierung, und es ist schließlich die Konkretisierung des Tatbestandes mit der Konkretisierung der Rechtsfolge in Übereinstimmung zu bringen. Gerade das zuletzt erwähnte Erfordernis scheint im einschlägigen Schrifttum
55
Eine treffende Formulierung des herkömmlichen Modells des richterlichen Syllogismus findet sich bei Hopf (Anm. 6, S. 65): Es ist die Rede von dem „richterlichen Syllogismus mit seinen zwei Gliedern, der bestimmten Norm (praemissa maior) [gemeint ist, wie sich aus dem voraufgehenden Satz ergibt, der „gesetzlich normierte bzw. in Rechtsprechung und Rechtslehre präzisierte Obersatz"] und dem individuellen Sachverhalt (praemissa minor)". Hopt bezieht sich auf Lorenz (Anm. 47), S. 228 ff. Das aaO, S. 230, verwendete Gleichheitszeichen ist, da man den Tatbestand nicht auch als Fall des Sachverhalts betrachten kann, als „E" zu lesen, d.h. als Ausdruck für die Elementbeziehung. Der Implikator wäre entsprechend als Ausdruck für die Inklusion (kurz „ C " ) aufzufassen. Trotz dieser Modifikationen kommt kein Schluß auf eine konkrete Rechtsbeziehung zustande. Wie T, so hätte auch R konkretisiert werden müssen, und zwar nicht irgendwie, sondern in exakter Entsprechung zur Konkretisierung von T. - Der kritische Ansatz Hopts ist im Ergebnis berechtigt, und er wäre es auch in der Begründung, wenn tatsächlich dergestalt geschlossen werden könnte, wie die herkömmliche Konzeption des richterlichen Syllogismus dies suggeriert.
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nicht genügend berücksichtigt zu werden 56 . Was die für einen schlüssigen Vollzug des richterlichen Syllogismus erforderlichen Prämissen betrifft, so bedarf es wenigstens einer dritten Prämisse, und diese Prämisse steht den herkömmlich anerkannten Prämissen in ihrer logischen Dignität durchaus gleich57. Auch insoweit also setzen die jeweils einschlägigen Rechtsgebiete, indem sie ein gewisses Abstraktionsniveau nicht unterschreiten, inhaltliche Komplettierung voraus. Ein System von analytischen Sätzen dergestalt, daß der Prozeß der Subsumption als ein quasi-logisches oder gar als logisches Verfahren erschiene, pflegt nicht zur Verfugung zu stehen. Es wäre wiederum verfehlt, sich von der Anwendung der axiomatischen Methode die Erfüllung einer nicht einmal durch das zu axiomatisierende Gebiet selbst erfüllten Forderung zu versprechen. Abwegig ist namentlich jenes teilweise zu Abschreckungszwecken entworfene Bild eines Richter-Computers, welches die Vorstellung suggeriert, als sei eine lediglich mit allgemeinen Rechtsnormen sowie mit Sachverhaltsdaten gefütterte elektronische Datenverarbeitungsanlage konkrete rechtliche Sollenssätze auszugeben imstande 58 . Auch diese Vorstellung ist nur vor dem Hintergrund der herkömmlichen Konzeption des richterlichen Schließens zu erklären. Die technische Phantasie geht ersichtlich über das logisch Realisierbare hinaus. Erst ein bis auf die Sachverhaltsebene hinunter konkretisiertes Rechtsgebiet stellt eine lückenlose Regelung dar. Eine solche Vollständigkeit ist weder durch die fleißigsten Kommentatoren noch durch die speicherungsfähigsten Rechner erreichbar. Bei welchem Abstraktionsniveau man jeweils stehen bleiben solle, ist nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Ein wichtiges — wenngleich keineswegs das einzige oder auch das einzig richtige — Kriterium bildet der Übergang von der Umgangssprache in die juristische Fachsprache i.e.S. 59 . Auch die Frage nach dem jeweils angemessenen Konkretionsgrad bildet eines der im Rahmen einer allgemeinen Gesetzgebungstheorie zu behandelnden Themen. 56
Das ist verständlich: Es liegt nahe, den Rechtsanwendungsprozeß anhand der relativ übersichtlichen Anwendung von objektivem Strafrecht zu exemplifizieren (Vgl. Anm. 52, S. 47 ff.), und strafrechtliche Rechtsfolgen pflegen nicht in derselben Weise wie privatrechtliche Rechtsfolgen konkretisiert und in ihrer konkreten Fassung auf entsprechend konkretisierte Tatbestände bezogen zu werden.
57
Einzelheiten finden sich in einer demnächst erscheinenden Schrift betreffend die Struktur des Rechtsanwendungsprozesses. - Berechtigte Kritik am richterlichen Syllogismus herkömmlicher Konzeption als einem in der Tat verkürzten Modell des Rechtsanwendungsprozesses äußert insbesondere Rittner, Verstehen und Auslegen als Probleme der Rechtswissenschaft, 1967, S. 53. Mißverständlich insoweit auch Viehweg (Anm. 1, § 7 IV, letzter Absatz).
58 59
Wichtig diesbezüglich namentlich die Analysen Essers (Anm. 2, S. 46 f.); aufschlußreich auch Brinckmann, Juristische Fachsprache und Umgangssprache, in: ÖVD 2 (72), S. 60 ff.
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3.2.2.3 Beweisvollständigkeit Logische Kriterien sind weder im Hinblick auf die Breite (3.2.2.1) noch im Hinblick auf die Tiefe — nämlich auf das Ausmaß der Konkretisierung (3.2.2.2) — des zu aromatisierenden Gebiets ausfindig zu machen. Wir können uns insbesondere auf den Entwurf von sehr kleinen, von sozusagen „mikro-axiomatischen", Systemen beschränken. Gegeben sei die Herleitung eines Satzes aus anderen Sätzen. Man kann die zuletzt genannten Sätze, also die Prämissen des Beweises, als die Elemente eines axiomatischen Systems betrachten 6 0 . Die Konklusion erscheint als eines der aus den Axiomen herleitbaren Theoreme. Der gewöhnlich auf das Verhältnis zwischen dem Axiomensystem und dem zu axiomatisierenden Gebiet abgestellte Begriff der „Vollständigkeit" läßt sich nunmehr mit Bezug auf die Herleitbarkeit des zu beweisenden Satzes relativieren: Der Beweis heiße „vollständig", wenn er sämtliche der für die Herleitung des Satzes erforderlichen Prämissen enthält. „Vollständigkeit" im Sinne der Beweisvollständigkeit ist ein Gesichtspunkt ausschließlich logischer Art. Das Gebot der Wahrung dieser Art von „Vollständigkeit" gilt für juristisches Argumentieren uneingeschränkt. Namentlich begriffsjuristische Gedankengänge sind durch das Fehlen von Prämissen charakterisiert (2.2.1,3.2.1). Normative Sätze sind durch Rechtsbegriffe nicht ersetzbar. Auch mithilfe der Berufung auf Rechtsgüter oder gar auf Interessen sind rechtliche Normen, die man flir die Herleitung konkreter Sollenssätze benötigt, nicht zu substituieren. Entscheidungen „aus der Interessenlage heraus" stehen insoweit begriffsjuristischen Gedankengängen gleich. Man sollte sie nicht minder vermeiden wie Begründungen „vom Ergebnis h e r " (2.2.1). Es ist ein für die Entwicklung der rechtswissenschaftlichen Methodenlehre bemerkenswertes Faktum, daß sich selbst führende Autoren zum Zweck, die Begrenztheit des Wertes deduktiver Verfahren zu demonstrieren, auf das Phänomen des „Vorverständnisses" berufen 6 1 . Hinsichtlich des logischen Aspekts des „Vorverständnisses" ist zweierlei zu sagen. Erstens. Ist ein Rechtsgebiet erst im Sinne von entweder so oder so verstandenen Normen der Anwendung auf Sachverhalte fähig, so stellt das Rechtsgebiet weder einen im Sinn der vertikalen Vollständigkeit (3.2.2.2) noch im Sinn der Beweisvollständigkeit „vollständigen" Inbegriff von Rechtssätzen dar. Eine der Bedingungen für logisch korrekte Deduktionen ist nicht erfüllt. Zweitens. Eines der zwecks Vervollständigung angewendeten Mittel kann die Ermittlung der von den Gesetzesverfassern, ein anderes Mittel kann die Berücksichtigung der von dem Gesetzesinterpreten subintelligierten Gesichtspunkte sein. Das neuere Schrifttum betont interessanterweise Gesichtspunkte der zuletzt genannten Art. Um was für Gesichtspunkte es sich nun immer handle, so haben wir es
Klug (Anm.
60
Vgl. insofern auch
61
Treffend Brinckmann (Anm. 59, Fn. 37) im Hinblick
52), S. 175.
auf Esser (Anm.
2), S. 101 f.
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doch jedenfalls mit Elementen der Begründung rechtlicher Normen oder auch konkreter Sollensurteile, folglich mit Elementen von andernfalls unvollständigen Beweisen zu tun. Die Vervollständigung von Beweisen ist Erfüllung einer logischen Notwendigkeit, und die Erfüllung logischer Notwendigkeiten ist kaum das richtige Mittel, das Bestehen derartiger Notwendigkeiten infrage zu stellen. Auch mit der Berufung auf Topik ist nur scheinbar eine Alternative zur axiomatischen Methode gewonnen. Lassen wir einmal unsinnige wie sinnlose62 Topoi außer acht, ebenfalls solche Topoi, welche lediglich in (weder wahren noch falschen, vielmehr erst als Bestandteile von Gedanken bzw. Sätzen relevanten) Begriffen bestehen. Dann ist betreffs des dem Topos zukommenden Aussagegehalts danach zu unterscheiden, ob die Aussage sachlich informiert oder aber tautologisch ist. Der tautologische Topos ist als Inhalt eines logischen Axioms oder als Grundlage einer Folgerung (2.1, 2.2.1) verwendbar. Der sachlich informierende Topos liegt demgegenüber entweder neben der Sache, d.h. es kommt auf gerade diese Information im Rahmen gerade dieses Begründungszusammenhanges nicht an. Oder aber der Topos ist die Begründung zu ermöglichen oder auch abzusichern geeignet. Dann handelt es sich wiederum um ein Mittel zur Vervollständigung von andernfalls lückenhaften Deduktionen. Auf einer offenbar unrichtigen Sicht der axiomatischen Methode würde insbesondere die Kontrastierung axiomatischer Systeme mit sogenannten „beweglichen" Systemen beruhen. Der Vorteilhaftigkeit „beweglicher Systeme" redet namentlich Wilburg in seiner Grazer Rektoratsrede vom 22. November 1950 63 das Wort. Wilburg legt anhand mehrerer „Grundsätze" wie beispielsweise des konkursrechtlichen Grundsatzes der Gleichheit pfandloser Gläubiger 64 dar, es seien derartige Grundsätze uneingeschränkt kaum einmal anzuerkennen. Sie seien vielmehr der Relativierung durch weitere Gesichtspunkte bedürftig, und sogar das Verhältnis jeweils mehrerer Gesichtspunkte sei, wie Wilburg am Beispiel des Schadensrechts („des Nervenzentrums des Privatrechts" 65 ) demonstriert, elastisch zu gestalten. Die Haltlosigkeit uneingeschränkt geltender Grundsätze macht Wilburg insbesondere anhand ihrer Konsequenzen plausibel. Ein durchaus axiomatisches Verfahren: Die Haltbarkeit eines Rechtssatzes läßt sich nicht besser prüfen als dadurch, daß man den Satz
62
63 64 65
Als Sonderfall eines sinnlosen, nämlich keinen - wahren oder falschen - Aussagegehalt besitzenden Topos' soll hier auch die Ausdrucksfoim der Frage gelten; hinsichtlich der Bedeutung der Frage für die Präzisierung des Begriffs des Topos' vgl. Rödig (Anm. 21), § 9. 2. Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950. Vgl. Anm. 63, S. 6 ff.; ferner ders., Gläubigerordnung und Wertverfolgung, in: Jur. Blätter, 1949, S. 29 ff. Anm. 63, S . I I .
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als Axiom einfuhrt und aus diesem Axiom auf offensichtlich untragbare Theoreme oder auch auf Widersprüche zu anderen Sätzen schließt, von denen vorausgesetzt worden ist, daß sie keine Einschränkungen erleiden sollen. Ob man einen Rechtssatz einschränkungslos anerkennt oder nicht, hat nach alledem mit der Frage, ob man den Rechtssatz als Axiom auftreten lassen solle, nicht das Geringste zu tun. Der von Viehweg verwendete Begriff des „Axioms" ist nicht der Begriff „des Axioms" im Sinn der zeitgenössischen, namentlich durch die Lehre David Hilbert's66 geprägten, axiomatischen Methode. Nur mithilfe der Verwendung voi-Hilbertscher Vorstellungen ist es Viehweg gelungen, den Juristen gegenüber axiomatischen Systemen mißtrauisch werden und „bewegliche Systeme" als Beispiele einer anderen als der axiomatischen Form des juristischen Denkens erscheinen zu lassen. Die Beweglichkeit eines Systems kann sowohl auf der Möglichkeit der Hinzufügung als auch auf der Möglichkeit der Streichung als auch auf der Möglichkeit der Ersetzung von Axiomen durch andere beruhen. Beweglich pflegt insofern insbesondere jedes System von Rechtsanwendungsprozessen zu sein. Die im Rahmen von Rechtsanwendungsprozessen verwendeten Sätze stellen teilweise Sachverhaltsbeschreibungen dar, und derartige Beschreibungen sind von Fall zu Fall verschieden. Gerade anläßlich der Rechtsanwendung tut man gut, auf „Vollständigkeit" im Sinne der Beweisvollständigkeit zu achten. Die herkömmliche — dreigliedrige — Konzeption des richterlichen Syllogismus ist, wie bereits erwähnt (3.2.2.2), die Konzeption eines infolge der Unvollständigkeit der Prämissen unzulässigen Schlusses. Ein unbewegliches System von Rechtsanwendungsprozessen, beispielsweise ein unbewegliches System für die Anwendung des Strafrechts, müßte die Beschreibung sämtlicher einschlägiger Sachverhalte, in unserm Beispiel also die Beschreibung sämtlicher vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Straftaten, enthalten. Niemand kommt auf die Idee, ein derartiges System zu fordern. Es ist vielmehr eine Selbstverständlichkeit, daß man die Menge der für das zu beweisende Urteil erforderlichen normativen und faktischen Ausgangssätze verschieden bestimmt. Der Qialität dieser Sätze als Axiome tut das keinen Abbruch, und es ist für den herkömmlichen juristischen Gebrauch des Begriffs „Axiom" charakteristisch, daß man den Terminus auf generelle normative Sätze beschränkt, den Terminus also weder fiir Sachverhaltsbeschreibungen noch für solche Rechtssätze verwendet, die bereits in Richtung der zu subsumierenden Sachverhalte konkretisiert worden sind. 3.3 Unabhängigkeit Das Kriterium der Unabhängigkeit von Axiomensystemen wird gewöhnlich folgendermaßen formuliert: Ein Axiomensystem heiße unabhängig genau 66
Bahnbrechend insoweit der 1923 gehaltene Vortrag über „Die logischen Grundlagen der Mathematik", teilweise abgedruckt bei Bochehski, Formale Logik, 2. Aufl., 1962, § 38.28.
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dann, wenn keines der Axiome von den übrigen deduziert werden kann. Die mit dem Ausdruck „Unabhängigkeit" gemeinte Eigenschaft von Axiomensystemen ist indessen einer schärferen Fassung bedürftig. Möglicherweise stellt ein Axiom die konjunktive Verknüpfung zweier elementarer Sätze dar, und es folgt gerade einer dieser Sätze aus den übrigen Axiomen. Daher wird, was die Unabhängigkeit von Axiomensystemen betrifft, allgemein zu fordern sein, daß sich jeweils weder ein Axiom noch eine abgeschwächte — wenngleich noch informative — Fassung des Axioms aus den übrigen Axiomen herleiten lasse. Um eine Frage der Unabhängigkeit würde es sich beispielsweise handeln, wenn der Verfasser eines Lehrbuchs des Sachenrechts betreffs der Vorschrift des § 946 BGB behauptete, diese Bestimmung sei eigentlich überflüssig; der Inhalt der Vorschrift sei bereits in den §§ 93 f. BGB enthalten. Für die Güte des Lehrbuchs würde diese Bemerkung nicht sprechen. Jedoch auf den sachenrechtlichen Aspekt des Beispiels kommt es an dieser Stelle nicht an. Mit dem Erfordernis der Unabhängigkeit von Axiomensystemen ist die Erfassung des Inhalts des zu axiomatisierenden Gebiets mithilfe einer möglichst kleinen Menge möglichst knapper Sätze gemeint. Es handelt sich im Grunde um die Formulierung des Prinzips der axiomatischen Methode überhaupt (2.1). Gleichwohl braucht eine strenge Beachtung des Unabhängigkeits-Erfordernisses nicht wünschenswert zu sein. Es kann vielmehr naheliegen, aus mnemotechnischen oder ähnlichen Gründen in beschränktem Umfang auch solche Sätze als Axiome anzusehen, deren Inhalt sich zumindest teilweise aus anderen — bereits als Axiome anerkannten — Sätzen ergibt. Würde man beispielsweise bei der Setzung eines Rechtsgebiets mehrere Fassungen unterscheiden, und zwar eine streng axiomatische, eine automationsgerechte sowie eine eher volkstümliche Fassung 67 , so könnten sich hinsichtlich der zuletzt genannten Version Wiederholungen um der Verdeutlichung von Zusammenhängen willen durchaus als zweckmäßig erweisen. 4. TRANSFORMATION VON RECHTSSÄTZEN IN NORMEN 4.1 Tücken paragraphenweiser Formalisierung Sowohl die Gliederung der ein Gebiet abbildenden Sätze in Axiome und Theoreme (2) als auch die Anforderungen, welche man an Axiomensysteme
67
Auch ein Gesetz wie das BGB stellt keineswegs die geeignete Form eines Rechtslesebuchs dar. Ein derartiges Lesebuch würde nicht minder zweckmäßig sein als eine - selbstverständlich nicht jedermann verständliche - axiomatisierte Version des Gesetzes. Zweckmäßig wäre es, für sämtliche dieser Versionen zu sorgen; als die maßgebliche würde man vermutlich eine umgangssprachlich axiomatisierte Fassung anzusehen haben. Das „Verständlichkeitsproblem" (oben 1) wäre auf diese Weise ohne Verlust an Exaktheit gelöst.
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zu stellen pflegt (3), sind für den praktizierenden Juristen durchaus selbstverständliche Dinge. Die gegen die Anwendung der axiomatischen Methode vorgetragenen Angriffe sind, sofern man sie genauer betrachtet, gegen eine andere als gegen die „axiomatische Methode" im Sinn der zeitgenössischen mathematischen Logik gerichtet. Insbesondere der richterliche Syllogismus, der als hauptsächliches Objekt jener Angriffe figuriert, ist ein purer Pappkamerad: Gerade der richterliche Syllogismus hält so, wie man ihn herkömmlicherweise versteht, den Anforderungen moderner Logik nicht stand. Eine Kritik von logisch korrekten Modellen juristischen Denkens wäre selbst den scharfsinnigsten Trägern der neueren juristischen Methodenlehre nur schwerlich geglückt. Dankbarere Objekte rechtsmethodologischen Scharfsinns sind demgegenüber gewisse Probleme der exakten Realisierung juristischer Axiomensysteme. So selbstverständlich es ist, die axiomatische Methode im Prinzip zu befolgen, ebenso mühsam ist ihre Durchfuhrung im Detail. Es liegt natürlich nahe, sich sowohl an der Sprache als auch an der inneren Ordnung gegebener Gesetzeswerke zu orientieren. In zahlreichen Lehrbüchern der modernen Logik 68 werden Beispiele für die Formalisierung umgangssprachlicher Sätze gebracht, und man freut sich schon darauf, die in den einzelnen Paragraphen rechtlicher Kodifikate enthaltenen Vorschriften Satz für Satz in eine symbolische Fassung zu versetzen. Lohn dieser Arbeit scheint die Möglichkeit zu sein, nunmehr auch mit rechtlichen Vorschriften rechnen zu können, und zwar rechnen zu können ähnlich wie mit den natürlichen Zahlen oder — genauer — wie mit GuiseppePeanos Axiomen für die Theorie der natürlichen Zahlen 69 . Fangen wir an mit § 1 BGB. Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt nach dieser Bestimmung „mit der Vollendung der Geburt". Was die logische Struktur der Vorschrift betrifft, sagt Heller. „Als gesetzlichen Tatbestand haben wir hier die Vollendung der Geburt, als Rechtsfolge den Eintritt der Rechtsfähigkeit. Im Hinblick darauf, daß jeder Mensch mit der Vollendung seiner Geburt nach unserem geltenden Recht rechtsfähig wird, kann gesetzt werden: TB -»• Rf. Andererseits ist man aber auch berechtigt, zu setzen: TB => Rf, da ein nasciturus noch nicht im Völlsinne rechtsfähig ist. Da mithin in beiden Richtungen eine Implikationsbeziehung besteht, haben wir hier eine Äquivalenz vor uns: TB ** R f ' (Logik und Axiologie der analogen Rechtsanwendung, 1961. S. 60). Sowohl die Vollendung der Geburt als auch das Erlangen der Rechtsfähigkeit sind offenbar auf menschliche Personen, und zwar auf jeweils eine und dieselbe natürliche Person, zu beziehen. Der Zusammenhang von Geburt und Rechtsfähigkeit wird ferner nicht etwa nur hinsichtlich dieser oder jener be68 69
Lehrreich insoweit namentlich Anm. 19, S. 91 ff. Vgl. diesbezüglich Hermes, Einfuhrung in die mathematische Logik, 2. Aufl.,., 1969, S. 13 f. und S. 20 f.
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stimmten natürlichen Person, vielmehr hinsichtlich sämtlicher der zu einer Rechtsgemeinschaft gehörenden Rechtsgenossen behauptet. Es bedarf daher ferner der Ersetzung der materialen Äquivalenz (20) „(Tb ** Rf)" durch eine formale. Es sei „p" eine Variable mit der Menge der Namen sämtlicher Rechtsgenossen als Wertbereich. „ G b ' O " bezeichne die Eigenschaft, die Geburt vollendet zu haben, „ R g ' Q " die Eigenschaft, rechtsfähig zu sein. Dann ist man versucht, (20) wie folgt mithilfe einer formalen Äquivalenz zu reparieren: (21) „V p ( G b ' ( p )
Rg'ip))".
Jedoch Formel (21) ist, wie man anhand jedes zwar geborenen, jedoch auch schon verstorbenen Rechtsgenossen erkennt, widerlegbar 70 . Richtig ist nur (22) „V p ( R g ' ( p ) ->-Gb 1 (p))", doch von der in (22) enthaltenen Information wird man bei der Entscheidung aktueller Rechtsfälle absehen können. Von erheblicher Bedeutung für eine adäquate Formalisierung rechtlicher Sätze ist der auch im einschlägigen Schrifttum stark vernachlässigte Gesichtspunkt der Zeit. Es liegt nahe, die soeben behandelten Prädikate „ G b ' O " und „ R g ' Q " wie folgt durch den Bezug auf bestimmte Zeitpunkte (die entsprechende Variable laute „z") zu relativieren. „ G b ' Q " geht über in das 2-stellige Prädikat „Gb 2 (. , . . ) " als den objektsprachlichen Namen für die 2-stellige Beziehung, daß das an der Stelle . unbestimmt genannte Individuum zu dem an der Stelle . . unbestimmt genannten Zeitpunkt die Geburt vollendet. Ähnlich wird „ R g ' Q " in „Rg 2 ( . , . . ) " transformiert: Erlangung der Rechtsfähigkeit durch . zum Zeitpunkt . . . Mithilfe der soeben entwickelten Prädikate ist § 1 BGB nun aber in der Tat als eine formale Äquivalenz formulierbar: (23) „Vp
Vz (Gb 2 (p, z) **• Rg 2 (p, z))".
Formel (23) ist, wie man sieht, auf der Basis eines mehrsortigen Prädikatenkalküls 71 entwickelt. Verwendet man demgegenüber ausschließlich Variablen mit jeweils derselben Menge von Konstanten als Wertbereich, so muß erklärt werden, daß es sich bei dem jeweils ersten Element des (geordneten) Paares „(p, z ) " um die Andeutung des Namens einer natürlichen Person („Pe 1 (.)"), beim zweiten Element um die Andeutung des Namens eines Zeitpunktes („ZpHO") handelt.
70
Mißverständlich insoweit auch Anm. 52, S. 42.
71
Siehe Hilbert-Ackermann, S. 117.
Grundzüge der theoretischen Logik, 4. Aufl., 1959,
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Die Formel lautet dann: (24) „ V p A z ((Pei(p) A Z p » ( z ) ) - (Gb 2 (p, z) - Rg*(p, z)))". Bereits aus dem soeben diskutierten Beispiel kann man ein für die moderne Logik charakteristisches Faktum ersehen. Es gibt gar nicht „die logische Struktur" von Sätzen, insbesondere nicht „die logische Struktur" von Rechtssätzen, von welcher etwa Esser12 spricht. Was die linguistische Analyse umgangssprachlicher Ausdrücke betrifft, so mag eine Verabsolutierung von Strukturelementen in gewissem Umfang gerechtfertigt sein. Wie man einen Satz dagegen logischerweise zerlegt, ob man namentlich ausschließlich einfache Tenne oder auch zusammengesetzte Terme 73 , ob man 0-stellige Prädikate (= Aussagen), 1-stellige oder mehrstellige Prädikate usf. verwendet: alle diese Vorgehensweisen gelten logisch gleich, und für welches Verfahren man sich entscheidet, ist allein durch Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit determinierbar. Es besteht insbesondere keinerlei logische Notwendigkeit, normative Sätze in jeweils eine normative sowie eine faktische Komponente zu gliedern, wie das — auf eine etwas mißverständliche Weise — im zeitgenössischen normlogischen Schrifttum 7 4 gerne geschieht: Die Gesolltheit des durch „A" beschriebenen Verhaltens mag durch „!A" gekennzeichnet werden (ist „!" als Anwendung eines Prädikats auf eine Aussage zu interpretieren? ); nicht minder berechtigt wäre „ G b ° " sowie vor allem die Zuordnung des 1-stellig konzipierten Prädikats der Gebotenheit ( „ G b 1 ^ ) " ) auf ein (nach Belieben vermittels eines zusammengesetzten Terms näher zu charakterisierendes) Verhalten ve: „GbVr.
Grenzen der Beliebigkeit der logischen Strukturierung des zu formalisierenden Satzes ergeben sich namentlich im Hinblick auf die Einbettung des Satzes in ein funktionierendes System solcher Sätze. So könnte es beispielsweise unzweckmäßig (wenngleich nicht „unlogisch") sein, entsprechende Prädikate im Rahmen mancher Rechtssätze durch den Bezug auf Zeitpunkte zu relativieren, in anderen nicht; die für die Herleitung zahlreicher Theoreme erforderliche strukturelle Kongruenz der Prämissen ginge unweigerlich verloren. Mit dieser Überlegung sind wir zugleich auf den zentralen Gesichtspunkt gestoßen. Strukturelle Kongruenz der Prämissen ist nur unter dem Aspekt der Makrosturktur der ein Rechtsgebiet abbildenden Sätze erreichbar. Die Struktur des einzelnen Rechtssatzes, dessen „Mikrostruktur" sozusagen, ist anhand der für
72 73
Anm. 2, S. 102. Hinsichtlich der Eliminierbarkeit von mehr als 0-stelligen Funktoren vgl. Anm. 69, S. 49.
74
Hierzu Rödig (Anm. 2), II 2.1.
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die Makrostruktur maßgebenden Gesichtspunkte zu bestimmen. Es handelt sich insoweit nicht allein um logische Stilistik, also beispielsweise darum, ob man eine Beziehung durch ein 2- oder ein mehr als 2-stelliges Prädikat erfaßt. Es handelt sich vor allem um die für die Konsistenz eines Satzsystems entscheidende logische Verträglichkeit der dazu gehörenden Sätze. Gerade insoweit ist die paragraphenweise Formalisierung größtes Unheil anzurichten imstande: Schreiben7S Formalisierung des § 812 Abs. 1 S. 1 BGB, die bereits in anderem Zusammenhang und unter weiteren Aspekten zu diskutieren war 76 , lautet wie folgt: (25) „ {G (x, y, w) A -i N [G (x, y, w)]} -* N [H (y, x, w)] " Zu lesen: „Gelangt ein Wert w von einer Person x zu einer andern Person y und ist es nicht rechtens, daß w von x zu y gelangt, so ist es rechtens, daß y dem x w herausgibt." In Anlehnung an Schreibers Symbolismus formulieren wir § 814 BGB (mit „Vr 814 ( . , . . , . . . ) " für den Tatbestand des § 814 BGB): (26) „Vr 814 (x, y, w)
N [H (y, x, w)]"
Angenommen nunmehr ein Fall, der sowohl die Voraussetzungen des § 812 Abs. 1 S. 1 als auch die des § 814 BGB erfüllt: (27) „G (a, b, c) A i N [G (a, b, c)] A Vr 814 (a, b, c)" Aus (27) folgt durch Abschwächung eine aus den beiden ersten Konjunktionsgliedern bestehende Konjunktion; aus der Individualisierung von (25) ergibt sich mittels Anwendung des modus ponendo ponens (28) „N [H (b, a, c)]" Aus (27) folgt ferner durch Abschwächung das letzte Konjunktionsglied allein; diesmal ergibt sich mithilfe der Individualisierung von (26) (29) „ "> N [H (b, a, c)]" Aus (28) und (29) ist auf beliebige Sätze zu schließen; die Vorschriften der §§ 812 Abs. 1 S. 1,814 BGB wären insbesondere sich selbst zu widerlegen in der Lage.
75 76
Vgl. Anm. 41, S. 28 f. Logische Struktur von Normensystemen am Beispiel der Rechtsordnung, hrsg. v.
Rave, Brinckmann und Grimmer, 1971, S. 25 ff.
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Angreifbar ist auch folgende Formalisierung des § 263 Abs. 1 StGB, die Hassemer in seiner gedankenreichen Studie über „Tatbestand und Typus" (1968) im Anschluß an den Vorgang Schreibers notiert: ^
„Vft (x) V EwT (x) V UwT ( x ) D J D Vsch " Vors (x) ' Arw Vv (x) i)Rf(x)"
Zu lesen: „Wenn durch Vorspiegelung falscher (Vft) oder durch Entstellung (EwT) oder Unterdrückung wahrer Tatsachen (UwT) seitens eines Individuums (x) ein Irrtum (J) entsteht, woraus sich ein Vermögensschaden (Vsch) ergibt, und wenn bei diesem Individuum Vorsatz (Vors) und Absicht auf einen rechtswidrigen Vermögensvorteil (Arw Vv) vorliegen, dann gilt für dieses Individuum die Rechtsfolge (Rf)" (S. 26 ff.) 7 7 . Eine — nicht bereits bei Schreiber anzutreffende — Besonderheit liegt in der Unterlassung der Relativierung von „J" und „Vsch" durch „x". Sei „pe" ein Element des Wertbereichs von „x", also der Name einer als Betrüger infrage kommenden Person. Dann läßt sich (30) entweder nicht im Hinblick darauf konkretisieren, daß beispielsweise gerade dieser Täter — also pe — gerade diesen Schaden angerichtet hat. Oder aber es besitzt „Vsch" von vornherein diesen konkreten Inhalt; dann ist die Formel als allgemeine Formulierung einer strafrechtlichen Norm nicht zu gebrauchen. Jedoch auch eine insoweit korrigierte Version der Formel bringt uns nicht weiter. Die Verhaltensweise von pe sei etwa insgesamt durch Notwehr gedeckt. Was diesen Fall betrifft, so darf erneut von einer die betreffende Rechtsfolge verneinenden generellen Rechtsnorm ausgegangen werden. Wie anläßlich von Schreibers Formalisierung des § 812 Abs. 1 S. 1 BGB ist auch diesmal ein Widerspruch konstruierbar 78 . 4.2 Rechtssatzkollision und Realisationszusammenhang Die Vorschriften der §§ 812 Abs. 1 S. 1 BGB und 263 Abs. 1 StGB sind so, wie ihre Verfasser sie hingeschrieben haben, gar nicht gemeint. Die Gesetzesverfasser haben mit diesen sowie den sie jeweils umgebenden Bestimmungen zwar eine bestimmte Regelung treffen wollen. Sie haben sich jedoch zu diesem
77
Ein nicht mit räumlichen Schwierigkeiten verbundenes Verfahren der Verwendung von Punkten findet sich beispielsweise bei Asser, Einführung in die mathematische Logik I, 2. Aufl., 1965, S. 14 ff.
78
Was die von Hassemer aaO., S. 27, Fn. 35, diskutierten Fälle betrifft, daß der Täter nicht gefaßt wird oder ein Fehlurteil ergeht, so kann die den Rechtssatz ausdrückende (formale) Implikation nicht unrichtig werden: Das Implikat beschreibt die Gesolltheit der Bestrafung („ist zu bestrafen"), nicht ihren faktischen Eintritt. Also wird das Implikat auch nicht durch faktischen Nichteintritt der Bestrafung widerlegt. A den ontischen oder auch deontischen Charakter der Implikation als solcher kom es nicht an.
Axiomatisierbarkeit juristischer Systeme
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Zweck zugleich bestimmter Techniken bedient. Eine dieser Techniken ist das schwerlich zu Recht als „Prinzip" bezeichnete Regel-Ausnahme-Prinzip. Insbesondere mit der Anwendung des Regel-Ausnahme-Prinzips ist die Formulierung von miteinander kollidierenden Rechtssätzen verbunden. Die Anwendung der Rechtssätze setzt die Behebung von Rechtssatzkollisionen voraus. Die Rechtssätze sind, mit andern Worten, in die tatsächlich gemeinten Normen zu transformieren, und erst diese Normen sind jeweils nach und nach in Richtung des aktuellen Sachverhalts, auf den sie angewendet werden sollen, zu konkretisieren. Man kann je nach der Anzahl der in Normen zu transformierenden Rechtssätze verschiedenstellige Rechtssatzkollisionen unterscheiden. 2- oder mehrstellige Rechtssatzkollisionen bilden Fälle der herkömmlich so genannten „Gesetzeskonkurrenz". Bei l'Stelligen Rechtssatzkollisionen haben wir es mit den Verfahren schlichter Auslegung oder auch der — mit der analogen Rechtsanwendung korrespondierenden — Restriktion von Rechtssätzen zu tun. Was die analoge Rechtsanwendung betrifft, so wäre die Kategorie der Rechtssatzkollision in Richtung O-stelliger Kollisionen zu extrapolieren. Der Akt des Verstehens (bzw. des Vorverstehens) eines Kodifikats ist nach alledem — zunächst überraschenderweise — mit der Behebung von Rechtssatzkollisionen äquivalent. Die systematische Erfassung der Rechtssatzkollision hat bis in das neueste Schrifttum hinein unter der Verquickung mit einem prinzipiell anderen, wenn auch im Ergebnis mitunter gleichfalls zur „Nichtanwendung" von Rechtssätzen führenden, Verfahren gelitten. Es handelt sich um die Behandlung solcher, jeweils bereits konkretisierter, Normen, hinsichtlich deren die Erfüllung der Rechtsfolge der einen Norm den Wegfall des Tatbestandes der andern bewirkt. Ein Beispiel bildet der im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen materiellem und prozessualem Anspruch gern behandelte sogenannte „Straßenbahnfall" 7 9 . Wird ein Fahrgast aufgrund eines durch den Straßenbahnführer verursachten Unfalls verletzt, so kann der Fahrgast Ersatz seines Schadens u.a. unter dem Gesichtspunkt der Vertragsverletzung verlangen. Die Leistung des Ersatzes hat nun aber den Wegfall des Schadens, mithin zugleich den Wegfall eines Merkmals des Tatbestandes eines mithilfe des privaten Deliktsrechts (oder auch des Rechts der Gefährdungshaftung) zu begründenden Anspruchs, zur Folge. Das zuletzt beschriebene Verhältnis jeweils mehrerer Normen sei „Realisationszusammenhang" genannt. Normen, zwischen denen Realisationszusammenhang besteht, brauchen im Gegensatz zu miteinander kollidierenden Rechtssätzen nicht erst in Normen transformiert zu werden.
79
Siehe etwa die klare Darstellung bei Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 1970, S. 22 ff.
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Der strukturelle Unterschied zwischen Realisationszusammenhang und Rechtssatzkollision ist fundamental. Irrefuhrenderweise pflegen beide Institute, was das Privatrecht anbelangt, gleichermaßen unter dem Stichwort „Anspruchskonkurrenz" behandelt zu werden 8 0 . 4.3 Behebung von Rechtssatzkollisionen. Rangverhältnisse Gegeben seien genau zwei Rechtssätze aus einem und demselben Kodifikat. Die Abänderungsbedürftigkeit wenigstens eines dieser Rechtssätze kann u.a. indiziert sein durch die Herleitbarkeit eines Widerspruchs. Die Änderung des einen oder auch des andern Rechtssatzes kann insbesondere in der Einschränkung des Anwendungsbereichs des einen Satzes zugunsten des Anwendungsbereichs des andern Satzes bestehen. Ist der zuletzt genannte Anwendungsbereich in dem zuerst genannten Anwendungsbereich als echter Teil enthalten, so pflegt von „Spezialität" gesprochen zu werden 8 1 ; man wird zusätzlich zu fordern haben, daß die durch die beiden Rechtssätze statuierten Rechtsfolgen miteinander unverträglich sind. Es handelt sich beispielsweise um die generelle Anordnung der Bestrafung des Diebes. Wer jedoch speziell seinen Ehegatten bestiehlt, soll straflos bleiben. Der modus der Behebung der Kollision zwischen beiden Rechtssätzen scheint mit Selbstverständlichkeit die Herstellung eines Rangverhältnisses zu sein. Haben die Rechtssätze verschiedenen Rang, so gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste. Der Rang des generellen Satzes ist höher, mit dem Ergebnis, daß der spezielle Satz niemals zur Anwendung gelangt. Also muß — zweite Möglichkeit — der spezielle Satz ranghöher sein. Wiederum ist freilich eine Einschränkung zu machen. Der spezielle Satz ist insoweit und auch nur insoweit mit höherem Rang auszustatten, als sich sein Anwendungsbereich mit dem des generellen Satzes deckt. Normale Diebe sollen von der dem Ehegatten eingeräumten Rechtswohltat nicht profitieren. Die Herstellung von Rangverhältnissen ist indessen lediglich dem Anschein nach so ungefährlich, wie man dies anzunehmen scheint 82 . Es ist zunächst ein rechtsmethodologisches Bedenken vorzutragen; wieweit es Stich hält, kann hier dahingestellt bleiben: Soll ein Rechtssatz S 2 höheren Rang als ein Rechtssatz Sj besitzen, so muß dies angeordnet werden, und zwar nicht durch irgendeinen, sondern durch einen dritten, die Sätze Sj und S2 regierenden Satz S3-
80
Klärend insoweit auch nicht Georgiades, Die Anspruchskonkurrenz im Zivilrecht und Zivilprozeßrecht, 1968, S. 164, § 17 (S. 167 ff.): Die von Georgiades unter dem Stichwort „Anspruchsnormenkonkurrenz" behandelten Fälle stellen jedenfalls großenteils Fälle des Realisationszusammenhangs dar.
81
Grundlegend zu alledem Klug, Zum Begriff der Gesetzeskonkurrenz, in: ZStW 68 (1956), S. 399 ff. Vgl. Anm. 47, S. 206 bis 209.
82
Axiomatisierbarkeit juristischer Systeme
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Daß S 3 insoweit höher steht, bedarf erneut der Anordnung: S 4 . usw. —. Ein regressus ad infinitum scheint nicht auszubleiben 83 . Ein eher praktischer Einwand hängt damit zusammen, daß man anläßlich der Formulierung des rangniedrigeren Satzes nicht ausdrücklich anzugeben pflegt, welche ranghöheren Sätze in der Lage sein sollen, ihn insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Spezialität zu durchbrechen. Man denke nur an die zahlreichen Zweifelsfragen, mit denen die Gerichte sich im Hinblick auf das Ausmaß der Einschlägigkeit der §§ 987 ff BGB (Konkurrenz der Regeln des sogenannten „Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses" m i t andern Rechtsinstituten) herumzuschlagen haben. Sowohl in rechtsmethodologischer als auch in praktischer Hinsicht unangreifbar ist demgegenüber folgender Weg. Der Tatbestand der generellen Vorschrift wird, ohne daß es der Herstellung eines Rangverhältnisses bedürfte, um ein weiteres Tatbestandsmerkmal, und zwar um die Negation des für den speziellen Tatbestand charakteristischen Kriteriums, ergänzt. Widersprüche sind nun nicht mehr herleitbar. Es ist ferner explizit gesagt, wieweit die vermittels des speziellen Rechtssatzes zum Ausdruck gebrachte Einschränkung reicht. Die auf mehr oder minder wohldefinierte Weise durch „Ausnahmen" durchbrochene „Regel" hört auf, juristische Energie zu verzehren. Was die Ergänzung genereller Rechtssätze durch negative Tatbestandsmerkmale betrifft, so wird allerdings immer wieder der folgende Einwand ins Treffen geführt. Eine derartige Ergänzung habe, so befürchtet man, die Bildung von Rechtssätzen von einer nicht mehr zu übersehenden Länge zur Folge. So gelte es beispielsweise hinsichtlich jeder Normierung einer Straftat, jeweils sämtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, unter denen sich ein Ausschluß der Rechtswidrigkeit, ein Ausschluß der Schuldhaftigkeit, ein Strafausschließungsgrund, das Vorliegen eines Prozeßhindernisses usf. ergibt. Auf ähnliche Weise bedürften Sätze des materiellen Privatrechts oder auch des materiellen öffentlichen Rechts einer ins Unübersehbare reichenden Ergänzung. Auch die Erledigung dieses Einwandes läuft auf nichts anderes als auf die Beschreibung von Eigenschaften der axiomatischen Methode hinaus. Einen Teil der „Axiomatik" iwS. bildet, wie bereits erwähnt 84 , die Theorie der Definition. Die Verwendung von Definitionen ist in der Tat ein probates Mittel, jeweils charakteristische Gruppen von rechtsbegründenden oder rechtsvernichtenden bzw. -einschränkenden Tatbestandselementen auf eine sowohl für die Leichtigkeit der Rechtsanwendung als auch für den Rechtsunterricht zweckmäßige Weise zusammenzufassen. Auch ohne den ausdrücklichen Einsatz von
83 84
Problematisch insoweit u.a. die Annahme verschiedenrangigen Verfassungsrechts; vgl. etwa BVerfG 3,225 (siehe allerdings S. 233). Siehe bei Anm. 50.
85
Vgl. Anm. 57, S. 62.
86
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Definitionen läßt sich, und zwar mithilfe entsprechender generalisierter Äquivalenzen, die gewünschte Übersichtlichkeit erreichen. Wir demonstrieren dieses Verfahren anhand einiger — bereits in anderen Zusammenhängen unter teilweise anderen Gesichtspunkten diskutierter — Formeln für das Bestehen eines Anspruches. Die Allgemeinheit dieser für die axiomatische Entwicklung privatrechtlicher Systeme charakteristischen Formeln ist, wie man sogleich bemerkt, von einer prinzipiell anderen Art als die angebliche „Allgemeinheit" der in herkömmlichen Kodifikaten auftretenden „Allgemeinen Teile". Kennzeichnend ist insbesondere die Orientierung selbst elementarster Sätze an den durch das objektive Recht jeweils zu begründenden rechtlichen Folgen. Die Technik einer auf die skizzierte Weise vorgehenden Gesetzgebung wiese insoweit Ähnlichkeiten mit der Technik des als „logische" oder auch als „Anspruchsmethode" bezeichneten Verfahrens der Bearbeitung privatrechtlicher Fälle86 auf. Die Variablen „ p i " und „p 2 " stehen für Namen von Rechtsgenossen, „Zj", „ z 2 " und „ z 3 " für Namen von Zeitpunkten; „s" steht für den Namen einer Sache. Es handelt sich also wiederum um einen mehrsortigen Kalkül. „ F r 2 ( . , . . ) " soll bedeuten, daß . früher als . . geschieht. Der Inhalt (,,JN(.)") der weiteren Prädikate: JN („Hr 4 ( . , . . , . . . , . . . . ) " ) = . kann von . . zum Zeitpunkt . . . die Herausgabe von . . . . verlangen; JN („Er 4 ( . , . . , . . . , . . . . ) " ) = . erwirbt zum Z e i t p u n k t . . . gegenüber . . das Recht auf Herausgabe von . . . . ; ähnlich wird der Verlust des subjektiven Rechts („VI 4 ( . , . . , . . . , )") erklärt.
86
Vorbildlich insoweit etwa Essers Fälle und Lösungen zum Schuldrecht (1. Auf! 1963).
87
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Hinsichtlich des Bestehens eines Anspruchs auf Herausgabe bezüglich eines bestimmten Zeitpunkts notieren wir nunmehr: (40) „V P l V p 2 V z 3 V s s (Hr 4 fa, p 2 , z 3 , s) « 3 z, ( " ' F r 2 ( z 3 , z t ) A Er 4 ( p i , p 2 , z 1 , s) A - . 3 z 2 ( - Fr 2 (z 2 , Zi) A - Fr2 (z 3 ) z 2 ) A VI4 ( p i , p 2 , z 2 , s ) ) ) ) " 8 7
Diese an Allgemeinheit wohl nicht zu übertreffende, für den Aufbau des Systems jedoch unerläßliche — nicht etwa bereits aus logischen Gründen richtige, dJi. nicht tautologische — Formel ist jetzt Schritt fiir Schritt zu konkretisieren. Es möge genau zwei — zusammenfassende — Formen für den Erwerb der Berechtigung geben, etwa Erwerb aufgrund Vertrages (,JEv 4 ( . , . . , . . . , . . . . ) " ) sowie Erwerb aufgrund bereicherungsrechtlicher, deliktischer oder ähnlicher Haftung ( „ E h 4 ( . , . . , . . . , . . . . ) " ) . Mit der Einführung dieser ersten Differenzierung ist zugleich die Notwendigkeit der Einbeziehung einer zweiten verbunden: Wir dürfen nicht vergessen, daß sich möglicherweise nunmehr auch die Gründe für einen Verlust der Berechtigung 88 verschieden gestalten („Vv 4 ( . , . . ) " versus „Vh 4 ( . , . . , . . . , . . . . )"): (41) „ V P i V p 2 V z 3 V s ( H r 4 ( p i , p 2 , z 3 , s ) ^ ( 3
Zl
(".Fr2
( z 3 , z ! ) A Ev 4 ( p i , p 2 , Z ! , s ) A -n 3 z 2 (-i Fr 2 ( z ^ z j ) A-^Fr 2 ( z 3 , z 2 ) A V v 4 ( p j , p 2 , z 2 , s))) v 3 z, ( - Fr 2 (z 3 , z i ) A Eh 4 ( p i , p 2 , z 1 , s ) A ' 3 z 2 (
1
Fr 2 ( z ^ z j )
A -> Fr 2 (z 3 , z 2 ) A Vh 4 (pi, p 2 , z 2 , s))))" Ein nächster Schritt würde namentlich in der weiteren Konkretisierung der — bereits im Zusammenhang mit der Unterscheidung der Erwerbsgründe erst87
Annähernd „wörtlich" übersetzt: „Eine Person (Kläger) kann von einer andern (Beklagter) genau dann zu einem Zeitpunkt z 3 Herausgabe einer Sache verlangen, wenn es erstens einen Zeitpunkt zi gibt, der (jedenfalls!) nicht später als Z3 liegt und zu welchem der Kläger den Anspruch auf Herausgabe erworben hat, und wenn es zweitens keinen zwischen zt und z 3 liegenden (oder sich gar mit Zi oder z 3 deckenden) Zeitpunkt z 2 gibt, zu welchem der Kläger diesen Anspruch verloren hat." Folgende (elegantere) Übersetzung verdanke ich E. v. Savigny: „pi hat spätestens zu zi gegen p 2 das Recht auf s erworben und von da an bis z 3 nicht verloren." Das Zusammenfallen von zj mit z 3 (folglich auch mit z 2 ) ist, wie man sieht, in Formel (40) berücksichtigt worden.
88
Hinsichtlich der Einordnung der Verjährung als eines Verlustgrundes siehe die vorzüglichen Ausführungen bei Rimmelspacher, Materiellrechtlicher Anspruch und Streitgegenstandsprobleme im Zivilprozeß, 1970, S. 53 ff.
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mals konkretisierten — Verlustgründe bestehen 89 ; beispielsweise Verlust der Berechtigung durch Übergang auf einen Dritten (insbesondere Abtretung) oder aber durch deren sogenannten „Untergang", durch ihr „Erlöschen". Die anläßlich der Diskussion der Ausführungen Hellers und Schreibers behandelten Vorschriften der §§ 1, 812 Abs. 1 S. 1 BGB büßen ihre Selbständigkeit ein: Der Regelungsgehalt von § 1 BGB, sofern man überhaupt von einem solchen sprechen kann, geht beispielsweise ein in die Konkretisierung von ,JEv4 ( . , . . , . . . , . . . . ) " oder auch von „Eh 4 ( . , . . , . . . , . . . . )". § 812 Abs. 1 S. 1 BGB wird zur Detaillierung von „Eh 4 ( . , . . , . . . , )" verwendet werden müssen. Was insbesondere die Integrierung von § 812 Abs. 1 S. 1 BGB anbelangt, so ist, wie man sieht, von vornherein für das Ausbleiben von Widersprüchen gesorgt. Das Erlöschen oder die Abtretung des mittels Bereicherungsrechts begründeten Anspruchs werden ebenso berücksichtigt („Vh 4 ( . , . . , . . . , . . . . )") wie das mithilfe negativer Tatbestandsmerkmale zu formulierende Nichtentstehen des Anspruchs gemäß § 814 BGB. 5. ZEMENTIERUNGSEFFEKT. Wissenschaftssoziologische Aspekte Wir befassen uns zum Schluß — anstelle einer Zusammenfassung — mit einigen Gesichtspunkten betreffend die „Wünschbarkeit" einer Axiomatisie rang des Rechts. Des Rechts? Allein der Klarheit halber sei bemerkt, daß eine Axiomatisierung der gesamten positiven Rechtsordnung selbst unter der Voraussetzung, daß man das Abstraktionsniveau der Gesetzessprache allenfalls geringfügig unterschreitet, vorläufig nicht infrage kommt. Ob eine solche Axiomatisierung überhaupt einmal infrage kommt, ist eine zweifellos reizvolle Frage. Gleichwohl könnte es voreilig sein, auf diese Frage schon heute in entweder diesem oder jenem Sinn eine abschließende Antwort geben zu wollen. Vielleicht tut man besser, auch über die Axiomatisierung nur insoweit zu sprechen, als mit dem Sprechen über die axiomatische Methode Versuche ihrer Realisierung korrespondieren. Ist die Realisierung einzelner Gebiete geglückt, so ist zu erwägen, ob sie sich in axiomatisierter Fassung kombinieren lassen usf. Wieweit dieser Prozeß fortgesetzt werden kann oder fortgesetzt werden sollte, ist, wie gesagt, cura posterior. Was insbesondere die Frage nach der Wünschbarkeit einer Axiomatisierung rechtlicher Systeme betrifft, so wollen wir uns auf die Wünschbarkeit einer Axiomatisierung eng begrenzter Systeme beschränken. Gegen die Wünschbarkeit einer Axiomatisierung pflegt namentlich die Gefahr einer Zementierung des durch die axiomatische Methode betroffenen Rechtsgebiets eingewendet zu werden. Es genügt, die diesen Einwand widerlegenden, ihn geradezu als abwegig erscheinen lassenden, Eigenschaften der axiomatischen Methode zu resümieren: Mit der Axiomati89
Treffend diesbezüglich Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß, 1961, S. 260.
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sierung eines Gebiets geht nicht etwa ein Bekenntnis zur Richtigkeit der das Gebiet abbildenden Sätze Hand in Hand. Man braucht insbesondere die jeweils als Axiome hervorgehobenen Sätze nicht für richtig oder doch für „richtiger" als andere Sätze zu halten (3.2.2.3). Die für die voi-Hilbertsche Epoche der Logik vielleicht teilweise zutreffende Konzeption des Axioms als eines sachlich unerschütterlichen Satzes ist überholt. Der Begriff des „Axioms" ist also erstens inhaltlich zu relativieren. Er ist zweitens der formalen Relativierung bedürftig: Gegeben sei eine — nur aus wahren oder auch aus falschen oder sogar nur aus falschen Sätzen bestehende — Menge von Sätzen. Dann sind nicht etwa einige dieser Sätze im vorhinein „grundlegend" in dem Sinn, daß man partout sie und keine andern als Axiome anzusehen hätte. Als Axiomensystem ist vielmehr jeder Inbegriff von Sätzen geeignet, der die Herleitung jedes anderen zum selben Gebiet gehörenden Satzes erlaubt (2.1). Drittens. Sowohl das umgangssprachliche (2.1) als auch das mittels einer künstlichen Objektsprache (2.2.1) formulierte Axiom ist einer Interpretation nicht nur fähig, sondern geradezu bedürftig. Gewisse Interpretationen der einschlägigen Prädikate können natürlich die Inadäquatheit des Systems im Hinblick auf das zu axiomatisierende Gebiet zur Folge haben. Man muß also adäquate Interpretationen zu finden und die logische Struktur des Axiomensystems diesen Interpretationen gegebenenfalls anzupassen versuchen. Möchte man einige Prädikate trotz typographischer Gleichförmigkeit an verschiedenen Stellen ihres Vorkommens verschieden interpretieren, so genügt es, an die Stelle jeweils eines und nur eines Prädikats entsprechend viele Prädikate zu setzen. Inhaltlich unproblematisch ist der umgekehrte Fall des Vorkommens mehrerer Prädikate trotz Identität ihres Sinnes (3.1.2). Halten wir daher fest, daß die Anwendung der axiomatischen Methode die Beweglichkeit des zu axiomatisierenden juristischen Systems auf der einen Seite nicht stört. Die Beweglichkeit des Systems wird andererseits durch die Anwendung der axiomatischen Methode sogar gesteigert. Die neuere rechtssoziologische Forschung 9 0 hat ihre Wichtigkeit nicht zuletzt durch ihre Kennzeichnung der richterlichen Entscheidungstätigkeit als eines u.a. durch die Zugehörigkeit des Entscheidenden zu einer bestimmten sozialen Schicht charakterisierten Verhaltens bewiesen. Als „Einbruchsstellen der Mittelschichtswerte in das Richterurteil" werden — mit Recht — Begriffe wie „Treu und Glauben", „Unzucht" oder „öffentliche Sicherheit" genannt. Weitere Einbruchsstellen finden sich überall dort, wo der Eindruck erweckt wird, es werde aus generellen Rechtssätzen nebst den Beschreibungen individueller Sachverhalte auf konkrete rechtliche Sollensurteile „geschlossen". Derartige Schlüsse halten weder dem Kriterium der vertikalen Vollständigkeit (3.2.2.2) noch dem Kriterium der Beweisvollständigkeit (3.2.2.3) stand. Eine logisch exakte Analyse bringt vielmehr sogleich das Fehlen zusätzlich erforderlicher 90
Überzeugend insoweit namentlich Lautmann, Jurisprudenz, 1971, S. 75 ff.
Soziologie vor den Toren der
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Prämissen als Licht. Bereits die Notwendigkeit, diese Prämissen ausdrücklich zu formulieren (man könnte von einem „Explizierungszwang" sprechen), macht sie zu einem erheblich besseren Objekt für Kritik. Das Vorkommen stillschweigender Prämissen im Rahmen „allgemeiner Rechtsgedanken" oder gar im Rahmen von Rechtsbegriffen (2.1, 3.2.2.3) hat den Effekt eines diese Prämissen gegen sachliche Diskussion abschirmenden Panzers. Was beispielsweise den immer wieder berufenen Gesichtspunkt der „Rechtssicherheit" angeht, so ist es schwer, wenn nicht gar unzumutbar, in abstracto etwas dagegen zu sagen. Wird Rechtssicherheit demgegenüber in Richtung anwendungsfähiger Rechtssätze konkretisiert 91 , dann könnten sich alsbald nicht minder konkrete Bedenken ergeben. Man wird Prämissen, welche bereits ihre Aufdeckung dem logischen Zwang zur Explizierung verdanken, auf ihre Annehmbarkeit hin zu testen versuchen. Man wird insbesondere fragen, inwieweit sich diese Sätze mit andern, und zwar mit relativ verläßlicheren, Sätzen vertragen. Wiederum wird die Prämisse als Element eines Systems von Axiomen betrachtet, doch diesmal zu einem eher tückischen Zweck; man untersucht sozusagen, ob überhaupt und gegebenenfalls in welchem Maß sich die Prämisse in der ihr zugewiesenen Rolle bewährt. Den Zwang zur Explizierung bekäme aber auch eine solide Technik der Gesetzgebung zu spüren. Die in diesem Rahmen typischerweise auftretenden Lücken sind Fälle horizontaler Unvollständigkeit (3.2.2.1). Mit der logischen Notwendigkeit zur Vervollständigung ist gerade diesmal in auffallender Weise ein Zwang zu inhaltlicher Ergänzung oder auch inhaltlicher Modifikation verbunden. Einen ähnlich heuristischen Effekt äußert die axiomatische Methode im Zusammenhang mit der Behebung von Rechtssatzkollisionen (4.2, 4.3). Bereits der Versuch, und zwar bereits ein heute vielleicht noch so sehr zum Scheitern verurteilter Versuch der Axiomatisierung der ersten drei Bücher des BGB, des Wechselrechts oder eines noch begrenzteren Gebiets könnte eine ungeahnte Mannigfaltigkeit neuartiger rechtsdogmatischer Aspekte ergeben 92 . Die Arbeit, die getan werden muß, ist immens. Hat die vorliegende Studie für die Sache, um die es geht, auch nur einen weiteren Mitarbeiter gewonnen, so hat sie ihre hauptsächliche Absicht erfüllt.
91 92
Beispiel: Verbrauch der Strafklage gegen einen irrig lediglich wegen unbefugten Schießens verurteilten Mörders (nach RGSt 70,26 (30 f.)). Als problematisch könnte sich beispielsweise die von den Verfassern des BGB gewählte Konstruktion der Übertragbarkeit eines identischen Anspruchs trotz Verschiedenheit von Zedent und Zessionar erweisen. - Als weitere problematische Kategorie sei die der Unterlassungspflicht genannt; motivierend für die Kritik dieser Figur (siehe Rödig, Die privatrechtliche Pflicht zur Unterlassung, Rechtstheorie, 1972, Bd. 1, S. 1 ff.) ist nicht zuletzt der Entwurf eines axiomatischen Systems für die Theorie der Alternative (Anm. 21, insbes. § 33) gewesen.
Rechtssoziologische und rechtsinformatische Aspekte im Wirtschaftsrecht von Klaus J. Hopt Die Wirtschaft ist für den modernen Staat und seine Rechtsordnung Gegebenheit und Herausforderung. So verwundert es nicht, daß sich Juristen in Ost und West mit dem Wirtschaftsrecht als einer Antwort auf diese Herausforderung befassen und unter Einsatz aller Hilfsmittel ihrer Disziplin versuchen, diese Antwort möglichst treffend zu gestalten. Trotz zahlreicher Bemühungen ist dabei jedoch weder über die inhaltliche Ausgestaltung des Wirtschaftsrechts, noch selbst über die Definition dieses Rechtsgebiets Einigkeit erzielt worden. Im Osten streitet man in verschiedenen Ländern noch um die Existenz eines besonderen Wirtschaftsrechts 1 . Im Westen konnten vor kurzem allein für den deutschen Sprachbereich und nur für die Zeit nach dem ersten Weltkrieg 35 verschiedene Stellungnahmen aufgezählt werden 2 . Ein solcher Befund erklärt sich daraus, daß im Bereich des Wirtschaftsrechts in besonderem Maße Interessen und Rechtspositionen der einzelnen Wirtschaftssubjekte und des Staates, privatrechtliche und öffentlichrechtliche Ordnungselemente, Rechtswerte und (wirtschäfts- und sozialpolitische Zweckmäßigkeiten aufeinandertreffen. Dieses spezifische Spannungsverhältnis sollte man nicht begrifflich überspielen. Wirtschaftsrecht als eigenständiges Rechtsgebiet überhaupt zu leugnen und dem Zivilrecht vorzubehalten (weitgehend in Ungarn, Rumänien, Bulgarien, überwiegend auch in der UdSSR), wird der Sachlage nicht gerecht. Unbefriedigend bleibt aber auch, Wirtschaftsrecht schlechthin als eines der Gebiete des
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Abgesehen von einigen Verdeutlichungen und ergänzenden Beispielen sind Vortragsform und Einführungscharakter beibehalten. Der Beitrag ist zuerst veröffentlicht in BB 1972, 1017-1024.
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Für die DDR Heinz Such, Aktuelle Probleme der Erhöhung der Wirksamkeit des Wirtschaftsrechts, Staat und Recht 1970, 365; zuletzt Kurt Lengwinat, Besprechung Heuer, Klinger, Panzer, Pflicke, Sozialistisches Wirtschaftsrecht - Instrument der Wirtschaftsführung, Staat und Recht 2/1972, 329. Für die CSSR, die 1964 ein eigenes Wirtschaftsgesetzbuch erlassen hat, Viktor Knapp, für Polen Stefan Buczkowski, beide in Colloque de Droit Economique, Paris, 1966. Für die UdSSR V.V. Laptev, Chozjajstvennoe pravo, Moskau, 1970 sowie AndreasBilinsky, Das sowjetische Wirtschaftsrecht, 1968. Etwas zurückliegend Eberhard Schneider, Das Wirtschaftsrecht im kommunistischen Rechtsdenken, 1964, S. 63 ff, 112 ff mit Nachweisen. Ausführlich Walter R. Schluep, Was ist Wirtschaftsrecht? in: Festschrift für Walter Hug, Bern, 1968, S. 25. Ausländische Literatur bei Gérard Farjat, Droit Economique, 1971, p. 279 et s.
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öffentlichen Rechts zu behandeln. Statt dessen sollte man die bestehenden Gegensätze in einem die Trennung von privatem und öffentlichem Recht übergreifenden, selbständigen Wirtschaftsrecht zur Kenntnis nehmen und zu integrieren versuchen3. Beschreitet man diesen Weg wie in den westlichen Ländern überwiegend, dann liegt zunächst nahe, dieses Wirtschaftsrecht von anderen Rechtsgebieten wie Handelsrecht, Arbeitsrecht, Unternehmensrecht reinlich zu scheiden. Die verschiedensten Anläufe sind genommen worden: etwa Wirtschaftsrecht vom Substrat her als das Recht, das sich mit der Wirtschaft beschäftigt4, Wirtschaftsrecht als allgemeines Industrierecht5, Wirtschaftsrecht als interdisziplinäre wirtschafts-rechtliche Methode6. So verdienstlich solche Abgrenzungs- und Definitionsversuche sind — aus dem Anliegen der Systembildung heraus oder in den sozialistischen Ländern nicht zuletzt um mit Hilfe des Wirtschaftsrechts als einem theoretisch begründeten und ausgegrenzten Gebiet für die Wirtschaft Handlungsraum gegenüber staatlichem Zentralismus zu schaffen —, klare Konturen frei von Unschärfen bieten sich nicht, ja Rittner hat eine Definition des Wirtschaftsrechts sogar als logisch unmöglich bezeichnet7. Demgegenüber gilt es im folgenden nicht, definitorisch auszugrenzen, sondern — als Vorarbeit für die inhaltliche Ausgestaltung des Wirtschaftsrechts — im Gegenteil den Blick zu weiten, nämlich rechtssoziologische und rechtsinformatische8 Aspekte im Wirtschaftsrecht zu beleuchten und von daher vielleicht einige Durchblicke auf Entwicklungen und Aufgaben im Wirtschaftsrecht zu eröffnen. Wenn von dieser Zielsetzung her die eine Komponente des Wirtschaftsrechts aufgegriffen und in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt 3
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Soeben LudwigRaiser, Die Zukunft des Privatrechts, 1971, S. 11-13; auch Gerd Rinck, Das Wirtschaftsrecht im abklingenden Spannungsfeld zwischen öffentlichem und privatem Recht, WiR 1/1972, 5(17): Verzahnung. Besonders deutlich Friedrich Klausing, Wirtschaftsrecht, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht, Festschrift für Heymann, 1931, S. 1 (4 i.)Schluep (Fußnote 2) S. 40 ff.
5
Z.B. Heinrich Lehmann, Grundlinien des deutschen Industrierechts, in: Festschrift für Zitelmann, 1913, 2. Abt., S. 1 - 4 6 . Die Kontroverse zwischen einem weiten und einem engeren Begriff des Wirtschaftsrechts findet sich ebenso außerhalb Deutschlands, etwa in Frankreich, Belgien, Italien. Nachweise bei Alex Jacquemin, Guy Schrans, Le droit économique, 1970, p. 53 et s; vgl. dort auch p. 94 et s.
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Jacquemin, Schrans (Fußnote 5) p. 86 (91). Max Rumpf, Der Sinn des Wirtschaftsrechts AcP 120 (1922) 153 (161): vollrechtliche, sprich rechtssoziologische Betrachtungsweise. Anklänge auch bei Heinrich Kronstein, Wirtschaftsrecht Rechtsdisziplin und Zweig der Rechtstatsachenkunde, 1928, in: Ausgewählte Schriften, 1962, S. 3 (10 ff).
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Fritz Rittner, Staatslexikon, 6. Aufl., Bd. 8, 1963, Artikel: Wirtschaftsrecht. Eine einheitliche Begriffsbildung (Rechtsinformatik, Rechtskybernetik, EDV und Recht) ist bisher noch nicht festzustellen, gegenüber den sachlichen Problemen jedoch sekundär.
Rechtssoziologie und rechtsinformatische Aspekte im Wirtschaftsrecht
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wird, nämlich die staatliche Wirtschaftsregelung, ihr Ablauf, ihre rechtliche Verfassung und ihr Planungsinstrumentarium, so werden damit andere Komponenten nicht geleugnet und Rechtswerte, insbesondere die Rechtssicherheit, nicht der Zweckmäßigkeit wirtschaftsrechtlicher Regelung hintangestellt mit dem Fernziel einer umfassenden Sozialtechnologie. Nur sollte man sich heute, da die Hoffnung in die ausschließlich selbstregulierende Kraft des staatlich eingesetzten und erhaltenen Wettbewerbssystems getrogen hat 9 , gerade auch von juristischer Seite bemühen, die Regelungs- und Planungskomponente des Wirtschaftsrechts — anderen Disziplinen auch dort offen, wo sie anders denken und dem Juristen ungewohnt formulieren — bestmöglich zu erfassen. Einen guten Ansatz für ein solches Bemühen bietet die Frage nach der Funktion des Wirtschaftsrechts. Diese Fragestellung verhilft zu einem Doppelten: sie knüpft an das bis heute angesammelte Gedankengut zum Wirtschaftsrecht an und baut auf ihm auf; zugleich erleichtert sie die Heranziehung neuer, anderen Disziplinen entnommener Gedankengänge und bietet gerade dadurch die Chance neuer Fragen und über diese zu neuen Erkenntnissen 10 . 1. Funktion des Wirtschaftsrechts 11 ist es, die wirtschaftlichen Verhältnisse in einem Staat bzw. als internationales Wirtschaftsrecht im zwischenstaatlichen Verkehr zu regeln. Regeln heißt einerseits, diese Verhältnisse in Bestand und Prozeß rechtlich zu legitimieren 12 , um sie auf diese Weise für die Teilnehmer am Wirtschaften verläßlich und berechenbar zu machen. Regeln bedeutet andererseits, die wirtschaftlichen Verhältnisse unter dem Anspruch einer dem Regelnden gestellten Aufgabe nicht einfach zu akzeptieren, sondern sie zu gestalten oder, wie neuerdings ohne Unterschied in der Sache von manchen Soziologen gesagt wird, kontrafaktisch zu leugnen. Damit rückt der Gegensatz zwischen dem Bestehenden und seinem Wirken auf das Wirtschaftsrecht einerseits (Wirtschaftsrecht als Überbau oder als Funktion der Faktizität) und andererseits der normativen, wirtschaftsrechtlichen Gestaltung eben dieser Faktizität (Sozialtechnologie) ins Blickfeld. Wirtschaftsrecht als durch die wirtschaftlichen und - breiter — gesellschaftlichen Verhältnisse bedingt zu erkennen oder Wirtschaftsrecht als Komplex der Normen zu verstehen, die 9 10
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Statt aller Raiser (Fußnote 3) 26, 34. Dazu Karl W. Deutsch im Vorwort zur 2. Auflage seines Buches The Nerves of Government: Models of Political Communication and Control, The Free Press of Glencoe, 1963 (1966), deutsch: Politische Kybernetik, Modelle und Perspektiven, 2. Aufl., 1970. Raiser (Fußnote 3) S. 13,Rittner (Fußnote l)\Schluep (Fußnote 2) S. 83 f. Allgemeiner Werner Maihofer, Die gesellschaftliche Funktion des Rechts, in: Die Funktion des Rechts in der modernen Gesellschaft, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 1 (1970), S. 11 ff. Max Weber, Rechtssoziologie, 2. Aufl., 1967 (Winkelmann, Hrsg.), S. 74, 92 f, 100, 103 (Kapitel: Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen aus: Wirtschaft und Gesellschaft) und S. 128, 206 (Rechtssoziologie).
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„der sozialen Ordnung und Lenkung des wirtschaftlichen Gesamtprozesses dienen" 1 3 bzw. diesen koordinieren, scheint gegensätzliche Positionen abzustecken. Nach der ersten unterfiele das Wirtschaftsrecht wenn nicht einer Politökonomik, so doch dem Primat der kritischen Soziologie; nach der letzteren herrschte kontrafaktisch autonom das Recht mit bestimmten Organisationsmustern und Verhaltensanforderungen. Der Gegensatz, der besonders der marxistisch-leninistischen Rechtstheorie zu schaffen gemacht hat, besticht — und trügt. Die Wirklichkeit liegt, wie so oft, komplexer. Das verdeutlichen einige elementare systemtheoretische 1 4 Überlegungen. a) Wirtschaft läßt sich als System auffassen 1 5 , und zwar als ein soziales System. Es steht als Subsystem des umgreifenden Systems Gesellschaft mit diesem und mit zahlreichen anderen kleineren und größeren Subsystemen in vielfältiger Wechselbeziehung. Mit einer solchen Auffassung verbunden ist die Vorstellung, daß dieses System — bei aller Unschärfe an den Systemrändern — nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten lebt und daß sich diese Gesetzmäßigkeiten, die allen Systemen gemeinen ebenso wie die dem System Wirtschaft eigenen, ermitteln lassen. Ob dies, wie insbesondere die amerikanischen Sozialkybernetiker und Organisationstheoretiker 16 annehmen, zunächst hypothetisch, dann aber auch empirisch verifizierbar geschehen soll und geschehen kann, oder ob diese Gesetzmäßigkeiten einem die sozialen Systeme von anderen, mechanischen und organischen, abhebenden Sinn folgen — so etwa Luhmann und Habermas in ihrer soeben veröffentlichten, anregenden Kontroverse 17 —, ist an dieser Stelle zweitrangig. Sicher ist jedenfalls, daß das System Wirtschaft in bestimmter Weise und mit spezifischer Funktion, nämlich der
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Franz Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, 1933 (1964), S. 189. Schluep (Fußnote 2) S. 74 ff, 80 ff: Koordinationsrecht. Eine Einführung in das "systems engineering" von technischer Seite bringt Harold Chestnut, Systems Engineering Tools, New York, London 1965 (1966). Eine Einfuhrung von politikwissenschaftlicher Seite Wolf-Dieter Narr, Theorienbegriffe und Systemtheorie, 2. Aufl., 1971, und FriederNaschold, Systemsteuerung, 2. Aufl., 1971. Z.B. Luhmann, Wirtschaft als soziales System, in: Niklas Luhmann, Soziologische Aufklärung, 2. Aufl., 1971, S. 204, wohl teilweise angeregt durch Talcott Parsons, Neil J. Smelser, Economy and Society, The Free Press of Glencoe, 1956. Vgl. auch Neil J. Smelser, Soziologie der Wirtschaft, 1968, bes. p. 70 et s. Ferner Eberhard Wille, Planung und Information, 1970, S. 205 ff. Deutsch (Fußnote 10) S. 11 ff mit einem interessanten Literaturüberblick. Luhmann, Sinn als Grundbegriff der Soziologie, in: Jürgen Habermas, Niklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung? 1971, S. 25 ff, dort auch Habermas, S. 145, 171 ff. Hans F. Zacher, Aufgaben einer Theorie der Wirtschaftsverfassung, in: Festschrift für Böhm, 1965, S. 63 (96).
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Befriedigung von Bedürfnissen bei Güterknappheit, funktioniert. Die Struktureigenheiten und Verhaltenseigenschaften dieses Systems zu erkennen, interessiert dann; weniger einen gegenständlichen Bereich Wirtschaft aus anderen und gegenüber anderen Bereichen abzugrenzen. Dieses reale System Wirtschaft, das freilich nicht ohne die rechtliche Konstitution vorgefunden wird, selbst dann nicht, wenn diese sich nur in der Gewährleistung einer staatlichen Eingriffen abholden Wettbewerbswirtschaft zeigt, präformiert die Rechtsordnung vielfältig. Das ist fast selbstverständlich in zweierlei Hinsicht: Das Wirtschaftsrecht kann bestimmte Sachgesetzlichkeiten dieses Systems nicht ignorieren oder muß, falls es sie zu ignorieren versucht, mit Störungen oder gar dem Zusammenbruch des Systems rechnen. Und weiter: Die Macht des Bestehenden (Trägheit des Systems) drängt zur Legalisierung. Dann droht die Gefahr, daß Wirtschaftsrecht sich als Ausfluß und Instrument des Bestehenden erschöpft. Verläßlichkeit und Berechenbarkeit scheinen zwar dann am ehesten gewährleistet, wenn der Staat sich wirtschaftlicher Gestaltung durch das Recht enthält; indessen wäre der Preis zu hoch, nämlich rechtlich ungebunde „Willkür entfesselter sozialer Macht" 1 8 . Wirtschaft als System zu verstehen, impliziert, Wirtschaftsrecht als auf dieses System zugreifendes Systemregelungsrecht19 oder Steuerungsrecht aufzufassen, eine Vorstellung, die sich heute auch in den sozialistischen Ländern ihren Platz erobert h a t 2 0 . Zwei Elemente sind dann für das Wirtschaftsrecht wesentlich: Die Wirtschaft als Ausschnitt aus der Gesamtwirklichkeit und der steuernde Zugriff des Rechts auf diesen. Nach den systeminternen Ablaufsgesetzmäßigkeiten treten damit die Außenbeziehungen des Systems zu anderen Systemen und zu externen Einwirkungen in den Blick. Für die Steuerung durch Wirtschaftsrecht eröffnet dieser Blick eine entsprechende Erweiterung traditioneller juristischer Aufgabenstellung. Zum einen muß der das System Wirtschaft normativ Gestaltende über die systeminternen Gesetzmäßigkeiten Bescheid wissen. Die über Ansätze nicht
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Nicht das wirtschaftsrechtliche Normgefüge als System ist gemeint, sondern die Wirtschaft, auf die sich diese Normen steuernd beziehen, und der wirtschaftsrechtliche Steuerungsprozeß als Steuerungssystem. Steuerung in diesem Sinn umfaßt begrifflich beides, Intervention und Ordnungsbegründung durch Rechtsgesetze. Zum Gegensatz beider (Steuerungs-)formen Kurt Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, in: Bettermann, Nipperdey, Scheuner, Die Grundrechte, Bd. III 1, 1958, S. 1 ( 3 4 , 3 6 ) .
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Zuletzt z.B. Wolfgang Seiffert, Theoretische Probleme der Herausbildung des Sozialistischen Internationalen Wirtschaftsrechts, Staat und Recht 3/1972, 368 (369 f, 379) mit zahlreichen Nachweisen. Zur Steuerungsfunktion des sozialistischen Rechts allgemeiner Gerhard Stiller und Reiner Arlt auf der Weltkonferenz der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie 1971 in Brüssel, Bericht Staat und Recht 1/1972, 121 (126 ff).
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hinausgekommene gegenseitige Durchdringung von Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsrecht, ja die „Einheit der Rechts- und Sozialwissenschaften" 21 findet so Bestätigung und Ermunterung. Wenn demgegenüber neuerdings etwa im Kartellrecht 22 wieder mehr die Autarkie des Wirtschaftsrechts betont wird, so mag das auch darauf zurückzuführen sein, daß bei sozialen Systemen, zu denen die Wirtschaft gehört, wichtige Fragen nicht oder erst in Ansätzen meß- und berechenbar sind 2 3 . So etwa die Frage nach den Funktions- und Stabilitätsbedingungen des Systems, nach der Abhängigkeit des Systems von speziellen Teilprozessen, nach der Relevanz einer bestimmten Anordnung oder des Ausfalls von Systemteilen, nach kritischen oder Knotenpunkten innerhalb des Systems oder nach der Leistung des Systems und seiner Teile bei bestimmten Datenkonstellationen. Die systemtheoretische Fragestellung regt aber an, nach immer exakteren Antworten auf diese Fragen zu suchen 2 4 — was keineswegs heißt, daß eine totale Erfassung des Systems Wirtschaft abzusehen oder auch nur zu wünschen wäre. Kenntnis der systeminternen Gesetzmäßigkeiten genügt jedoch nicht. Der das System wirtschaftsrechtlich steuernde Gesetzgeber oder Richter 2 5 muß zum anderen die Folgen externer Einwirkungen, hier durch Normsetzung im gesetzgeberischen oder Rechtsfindungsprozeß, auf das System Wirtschaft und seine Teile abschätzen lernen. Solche Einwirkungen sind nicht nur punktuelle Interventionen, sondern auch institutionelle Gestaltungen etwa durch die Entscheidung für Wettbewerbsprinzip und Privatautonomie als Selbststeuerungsmechanismen. Da nun dieses System sich in der Realität laufend wandelt, gilt für das Wirtschaftsrecht, das sich auf dieses System bezieht, daß es sich ebenfalls wandeln muß, will es nicht der Realität nachhinken und seine Steuerungsaufgabe verfehlen. Das legt aber eine ganz bestimmte Auffassung von Wirtschaftsrecht nahe, Wirtschaftsrecht nämlich als Prozeß 2 6 , der normativ dem faktischen Wandlungsprozeß entspricht, eine Absage an die herkömmliche statische Betrachtung des Wirtschaftsrechts als bereits in Kraft gesetzter 21
Zur Einheit der Rechts- und Staatswissenschaften, Ringvorlesung, Freiburg, WS 1966/67, 1967; Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, Schriften des Vereins für Socialpolitik, NF Bd. 33, 1964.
22
Jürgen F. Baur unter Betonung der systematischen Auslegung, Der Mißbrauch im deutschen Kartellrecht, 1972.
23
Auch Derek C. Bok, Section 7 of the Clayton Act and the Merging of Law and Economics, 74 Harv. L. Rev. 226 (1960-61), der von dem "problem of indeterminateness" spricht, und wie man damit am besten fertig wird (p. 228, 238 et s.).
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Deutsch (Fußnote 10) S. 15, 19, 27, 140 et s. Vgl. Klaus Hopt, Die Dritte Gewalt als Politischer Faktor, 1969, S. 185 ff, 205 ff. Die Parallele zum anglo-amerikanischen "law in action" liegt nahe. Freilich ist damit primär die Durchsetzung des Rechts im (Gerichts-)System gemeint. Doch führt auch das von der statischen Auffassung des Rechts im Buch weg.
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und noch nicht aufgehobener Ordnungs- oder Koordinationsnormen. Weil dies zu wenig beachtet wird, führt denn auch die herkömmliche Dichotomie von Rechtsdogmatik und Rechtspolitik gerade im Wirtschaftsrecht zu untragbaren Ergebnissen. Dazu genauer später. b) Wie verhält sich nun aber Wirtschaftsrecht zum Privatrecht? Steuert nicht auch dieses, etwa das Familienrecht die Familien als Kleinsysteme, und regelt es nicht ebenfalls wirtschaftliche Sachverhalte, etwa das Gesellschaftsrecht Voraussetzungen und Form wirtschaftlicher Organisation? Wer von der systemtheoretischen Betrachtungsweise eine Abgrenzung im Sinne eines exakten Schnitts zwischen den Rechtsgebieten erwartet, wird hier straucheln. Indessen geht es ja nicht wie in der UdSSR, nachdem die CSSR, die DDR und Jugoslawien hier schon vorausgegangen sind, um die Etablierung und Grenzbefestigung einer besonderen Fachdisziplin Wirtschaftsrecht: Das führt zurück zu gegenständlichem Denken. Nur eine schwerpunktmäßige, fließende Abgrenzung können wir erwarten, so wie auch die zugrundeliegenden Systeme — Familie, Unternehmen, Wirtschaft, Gesellschaft usw. — nicht autark sind, sondern ineinandergreifen. Ein soziales System ist nicht die gesamte Realität, auch kein gegenständlich begrenzter Bereichsausschnitt aus dieser.Ein soziales System ist ein Realitätsausschnitt unter einem bestimmten Sinnaspekt 2 7 . Wirtschaftsrecht regelt danach die Wirtschaft als ein die einzelnen Wirtschaftssubjekte überragendes Gefüge 28 . Nicht das einzelne Rädchen, das Räderwerk ist gemeint. Insoweit sind wirtschaftsrechtliche Normen die Wirtschaft steuernde Systemregelungsnormen im Gegensatz zu solchen, die systemteilbezogen ohne Relevanz für das System Wirtschaft als ganzes bleiben. Konkret: Kartellrecht ist zweifellos Wirtschaftsrecht, denn es dient unmittelbar der Erhaltung einer bestimmten Form des Wirtschaftens, nämlich des Wirtschaftens unter Wettbewerb, auf die hin unsere Wirtschaftsordnung derzeit angelegt ist 2 9 . Umgekehrt bleiben die kaufvertraglichen Beziehungen zwischen zwei einzelnen Wirtschaftssubjekten dem Privatrecht vorbehalten,
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Z.B. Niklas l.uhmann, Moderne Systemtheorien als Form gesamtgesellschaftlicher Analyse, Vortrag auf dem 16. Deutschen Soziologentag, Frankfurt 1968, abgedruckt in Habermas, Luhmann (Fußnote 17) S. 9 (11 ff). Auch (ohne systemtheoretisches Gedankengut) Rittner (Fußnote 7) sowie Ludwig Raiser, Wirtschaftsverfassung als Rechtsproblem, in: Festschrift für Julius v. Gierke, 1950, S. 181 (190).
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Ähnlich wie bei einer grobkörnigen Reproduktion bleibt das unterhalb einer bestimmten Schwelle liegende Netzwerk (Systemteile und Substrukturen) unbeachtet bzw. anderer Behandlung vorbehalten.
29
Freilich nur unterverfassungsrechtlich. Zum Grundsatz der wirtschaftspolitischen Neutralität der Verfassung an Hand der Rechtsprechung des BVerfG besonders Peter Badura, AöR 92 (1967) 382 (384, 392 ff). Vgl. aber die Diskussion zur Einführung des Stabilitätsgesetzes, zusammengestellt bei Willi Thiele, Einführung in das Wirtschaftsverfassungsrecht, 1970, S. 113 ff.
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das in erster Linie die Aufgabe hat, „Interessenkonflikte zwischen rechtlich gleichgeordneten Rechtssubjekten möglichst sachgerecht zu lösen" 3 0 . Scheidepunkt zwischen Wirtschaftsrecht und Privatrecht, beiden gleichermaßen zugehörig 31 , ist demnach die Privatautonomie. Sie ist privatrechtlich gesehen Garantie der wirtschaftlichen Selbstverwirklichung des einzelnen Wirtschaftssubjekts (Systemteil). Sie ist wirtschaftsrechtlich gesehen ein zur Steuerung der Wirtschaft (System als ganzes) eingesetzter und benutzter (Selbst-)Steuerungsmechanismus, der das Wirtschaftsrecht von Detailsteuerung entlastet durch Ausgrenzung der Einzelbeziehungen ins Privatrecht. Noch ein Letztes: Der Ausfall eines Rädchens kann, um im oben gebrauchten Bild zu bleiben, das Räderwerk insgesamt zum Stillstand bringen. Stimmt das Bild, muß ein Vertrag zwischen einzelnen Wirtschaftssubjekten das System als ganzes berühren können — und dann wirtschaftsrechtlich relevant sein. An zwei Beispielen läßt sich zeigen, daß das zutrifft. Der Kartellvertrag, zwischen zwei Wirtschaftssubjekten geschlossen, tastet das Funktionieren des Wettbewerbsprinzips als Korrelat der Privatautonomie an. Er unterfällt deshalb dem Wirtschaftsrecht und ist von den Normzwecken des Kartellrechts her zu verstehen und zu behandeln. Es ist also unrichtig, Kartellverhalten — ohne seine Auswirkungen auf das System zu berücksichtigen, — nach rein privatrechtlicher Betrachtungsweise als Vertrag zu qualifizieren bzw. den Vertragscharakter zu verneinen. Das Teerfarbenurteil des BGH ist gerade aus diesem Grund heftig kritisiert worden 3 2 . Wo somit die Beziehungen zwischen zwei Systemteilen, als für das Funktionieren des Systems Wirtschaft gefährlich oder doch bedeutsam, auf dieses durchschlagen —, dort ist das Wirtschaftsrecht mit seiner systemregelnden Funktion betroffen. Daß diese Systemrelevanz nicht immer und ohne weiteres auf der Hand liegt und daß dementsprechend der Anwendungsbereich des Wirtschaftsrechts immer erst wertend bestimmt werden muß, steht nicht entgegen. Aufgabe dieses so verstandenen Wirtschaftsrechts ist es gerade, auf solche Systemrelevanz zu achten und dort zu reagieren, wo z.B. „selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft" 3 3 nicht nur einzelne Privatrechtsbeziehungen beherrscht, sondern durch die Quantität solcher Herrschaftsverhältnisse die Privatautonomie als Steuerungsmechanismus 34 qualita-
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BVerfG, NJW 1971, 1645 (1648), Mephisto. Zum Einbruch des Wirtschaftsrechts in bisher dem Privatrecht vorbehaltene Gebiete z.B. Farjat (Fußnote 2) p. 41: „démantèlement" du droit civil par le droit économique; auch p. 59 et s. Raiser (Fußnote 3) S. 11: Schrumpfungsprozeß. Ernst-Joachim Mestmäcker, Warum das Kartellverbot nicht am Privatrecht scheitert, WuW 1971, 835. Großmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht, 1933. Mit anderem Ansatz Manfred Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970.
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tiv antastet. Damit wird das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht Wirtschaftsrecht. Die Korrektur einzelner unbilliger Bedingungen, etwa eines Haftungsausschlusses, verbleibt weiterhin dem Privatrecht. Wo aber solche punktuelle Korrektur nicht ausreicht und das System als solches berührt wird, muß das Wirtschaftsrecht eingreifen; typisch hierfür sind öffentlich-rechtlich überwachte Versicherungsbedingungen 3 s . Diesen Zusammenhang erkennt die jüngste Diskussion um Ungenüge der Inhaltskontrolle und Notwendigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen, etwa einer allgemeinen präventiven Verwaltungskontrolle von AGB. 2. Betrachten wir das Wirtschaftsrecht nicht als das einmal gesetzte, statische Recht, sondern als ein Recht in Aktion und Reaktion gegenüber dem System Wirtschaft 3 6 , dann richtet sich das Interesse des Wirtschaftsrechtlers nicht nur auf die einmal eingeschlagene, fixierte Steuerungsrichtung, sondern auch und mehr auf die Steuerung als solche, sei es auf die Richtungskorrektur, sei es auf den Steuerungsmechanismus. Wenn wir Modell und Realität dieser Steuerung gegenüberhalten wollen, muß vorweg eines klargestellt werden: Jeder Steuerung durch Rechtsnormen liegt eine ähnliche Abfolge zugrunde. In dem Maße, in dem ein Rechtsgebiet, sei es etwa das Arbeitskampfrecht oder in bestimmten Bereichen auch das Privatrecht, über bloße Interessenkonfliktslösung hinaus bewußt sozialgestaltend und steuernd eingesetzt wird oder werden wird, muß ein ähnlicher Steuerungsprozeß durchlaufen werden. Bis dahin — also bis zum weiteren Vordringen der Sozialtechnologie 37 in der Rechtsordnung, einer Entwicklung, die man statt zu beklagen und vergeblich zu bekämpfen besser akzeptieren, aber unter Kontrolle halten sollte, — bleibt das Wirtschaftsrecht ein Prototyp solchen Steuerungsrechts 3 8 .
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Vgl. § 5 III Nr. 2, 13 VAG; dazu Bruck-Möller, Versicherungsvertragsgesetz, 8. Aufl., 1. Bd., 1961, Einl. Anm. 23 ff; rechtsvergleichend Heinz Kraus, Versicherungsaufsich tsrecht, 1971, S. 123 ¡derselbe S. 1: Teilgebiet des Wirtschaftsrechts. Dasselbe gilt erst recht für die Geschäftsbedingungen der "regulated industries" und "public Utilities" in den USA. Auch Kurzbericht Eike von Hippel, Präventive Verwaltungskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen? ZRP 1972, 110.
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Das bedeutet aber nicht, das Wirtschaftsrecht nur noch als „angewandte Wirtschaftswissenschaft" zu sehen und jeden Bezug zum übrigen Rechtssystem und seinen Werten zu leugnen. In diese Richtung freilich Günter Schmölders, Die Weiterbildung des Wirtschaftsrechts, ZGesStW 101 ( 1 9 4 1 ) 6 4 (bes. S. 73).
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Schon Roscoe Pound, An Introduction to the Philosophy of Law, 1922 (1925), p. 5 9 et s. (99): "(A) continually more efficacious social engineering". Scharf ablehnend aber z.B. Wilhelm Henke, Sozialtechnologie und Rechtswissenschaft, Der Staat 1969, 1.
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Das Wirtschaftsrecht hebt sich gegenüber anderen Rechtsgebieten, die zwar auch auf die Realität einwirken wollen, aber nicht in dem hier beschriebenen Sinn steuern, und gegenüber anderen Steuerungssystemen, die sich nicht auf das System Wirtschaft beziehen, heraus.
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Zeichnen wir zunächst als Gerüst für die weiteren Ausfuhrungen die Schrittfolge dieses Steuerungsprozesses in einem rigoros vereinfachten Modell 39 , das, in der Wirtschafts- und der Planungswissenschaft gebräuchlich auch in der Rechtswissenschaft seinen didaktischen Zweck erfüllen kann. Sechs Schritte oder Prozeßstufen lassen sich unterscheiden, freilich nur analytisch; in der Praxis wirtschaftsrechtlicher Gestaltung fließen sie ineinander. Konfrontiert mit einer partiell oder total unbefriedigenden Systemrealität bildet der Steuernde eine Zielkonzeption. Auf welches Ziel hin und zur Verwirklichung welcher Wertvorstellungen soll das System Wirtschaft beeinflußt werden? Diese Ziele können taktische oder strategische, Nah- oder Fernziele, Über- oder Unterziele sein 4 0 . Sie sind verfassungsrechtlich vorgezeichnet 41 , frei gewählt (z.B. Vermögensbildung, Mitbestimmung) oder wie häufig im Wirtschaftsrecht sachgesetzlich erzwungen. Schon auf dieser Ebene der Zielsetzung erscheint damit die Dialektik zwischen (in Zielen formulierten) Wertvorstellungen, welche die Realität beeinflussen wollen, und der Realität, die ihrerseits auf diese Zielsetzung einwirkt. Sodann muß der Steuernde sich ein genaues Bild von der Wirtschaftsrealität machen, die es normativ zu verändern gilt. Kenntnis der Realität bedeutet hier freilich nicht eine komplette Sammlung aller einschlägigen Daten, schon gar nicht über alle einzelnen Systemteile, also über das einzelne Wirtschaftssubjekt, das Unternehmen, den Verbraucher. Benötigt werden Planungsdaten, nicht zahllose Einzelinformationen 42 . Die oben getroffene Scheidung von Systemsteuerung durch Wirtschaftsrecht und systemteilbezogenem Interessenausgleich etwa im Privatrecht findet hier ihre konsequente Entsprechung.
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Für ein kompliziertes Schema (zu den Informationsströmen und Steuerungsfunktionen im Prozeß der außenpolitischen Entscheidungsbildung) Deutsch (Fußnote 10) S. 340 (Anhang).
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Dazu im einzelnen besonders die wirtschaftswissenschaftliche Literatur, z.B. mit Nachweisen Gérard Gäfgen, Hrsg., Grundlagen der Wirtschaftspolitik, 1966, S. 211 ff. Auch BVerfG, NJW 1971, 1255 (1257): Haupt- und Nebenziele. Kritisch von dem Zweck-Mittel-Schema der Betriebswirtschaftslehre weg zur Systemtheorie Niklas Lühmann, Die Grenzen einer betriebswirtschaftlichen Verwaltungslehre, VerwA 56 (1965) 303 (305 ff) und allgemeiner Niklas Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, 1968.
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BVerfGE 5, 85 (198): leitendes Prinzip aller staatlichen Maßnahmen ist der Fortschritt zur sozialen Gerechtigkeit. Auch Peter Badura, Auftrag und Grenzen der Verwaltung im sozialen Rechtsstaat, DÖV 1968, 446 (449): bestimmt ist das Ziel, offen bleiben die Mittel und Wege.
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Hierin liegt eine große Chance für den Schutz des Individuums und seiner Privatsphäre gegen umfassende Durchleuchtung, eine Gefahr, die im Zusammenhang mit den Möglichkeiten der EDV mehr und mehr gesehen wird (grundlegend Arthur R. Miller, The Assault on Privacy, Ann Arbor, 1971 und dazu Jordan J. Baruch, 84 Harv.L.Rev. 1740, 1971). Diese Chance gilt es zu nutzen.
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Zielkonzeption und Planungsdaten müssen zu einer Ziel-Mittel-Konzeption verbunden werden. Einen geraden, unilateralen Weg von der gegenwärtigen Realität, wie sie sich in den Planungsdaten spiegelt, zur künftigen, der Zielkonzeption genügenden Realität gibt es nun leider fast nie. Statt dessen bietet sich ein Netz oder Baum verschiedener, mehr oder weniger unliebsamer ZielMittel-Verknüpfungen an. Von ihnen scheiden die einen aus Sach- oder Kostengründen aus, die anderen beachten nicht die politisch oder verfassungsrechtlich einzuhaltenden Nebenbedingungen, wieder andere bergen einen höheren Unsicherheitsfaktor der Zielerreichung. Hier gilt es ein relatives Optimum zu finden. Die Unsicherheiten und Meinungsverschiedenheiten über die Zielkonzeption, über die Richtigkeit und Relevanz der Planungsdaten und schließlich über die Verbindung beider zur Ziel-Mittel-Konzeption kumulieren auf der eigentlichen Normsetzungsstufe. Im politischen Prozeß wird hier in aller Regel das Gewollte verwässert, ein Kompromiß geschlossen. Die Norm entfaltet ihre Steuerungswirkung teils durch ihre bloße Existenz, teils in der praktischen Anwendung und Durchsetzung. Diese Prozeßstufe ist am weitesten ausgeformt. Hier liegt herkömmlicherweise die Domäne des Juristen. Schließlich muß der durch Wirtschaftsrecht Gestaltende Rückmeldung darüber bekommen, ob und wie seine Steuerung anspricht. Diese Information benötigt er, um untaugliche Mittel durch andere zu ersetzen, eine Übersteuerung zu korrigieren, und nicht vorhergesehene, unerwünschte Nebenfolgen soweit möglich zu neutralisieren, andernfalls sie gegen die Zielwerte abzuwägen 43 . a) Dieses Modell des wirtschaftsrechtlichen Steuerungsprozesses mit der Realität wirtschaftsrechtlicher Gestaltung zu konfrontieren, ernüchtert. Einige Striche müssen genügen. Die Zielkonzeption wird vielfach, ungewollt oder gewollt, nicht transparent. Die wirklich verfolgten Ziele verschwimmen nicht selten hinter vorgeschützten Idealen und taktischen Manövern oder sie verbergen sich in der Vieldeutigkeit der Sprache und ihrer Begriffe. Das gilt erst recht dort, wo verschiedene Zielkonzeptionen aufeinanderprallen und in der politischen Realität des Parlaments zusammenfließen oder verdeckt werden. Bei Zielkonflikten schließ-
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Zum feedback z.B. Arturo Rosenblueth, Norbert Wiener, Julian Bigelow, Behavior, Purpose and Teleology, in: Philosophy of Science, vol. 10, Jan. 1943, p. 18-24, auch in: Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft, Beiheft zu Band 8 (1967).
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lieh ist der wirtschaftsrechtlich Gestaltende oft nicht imstande, manchmal nicht willens, einen ganz bestimmten Kurs zwischen mehreren miteinander konkurrierenden Zielen (magisches Dreieck)44 zu formulieren 45 . Das, was die Amerikaner legislative fact-finding nennen, eine Aufgabe, die bei aller Unterschiedlichkeit amerikanischer und deutscher Wirtschaftsgesetze die gleiche ist, befriedigt kaum. Drastisch drückt das Cowan aus: „And when we come to the methods by which legislators find facts, it is best to draw the curtain and move silently away from the mess." Und Zacher bedauert: „Auf welch kläglicher, zufälliger Tatsacheninformation ergehen nicht selten Entscheidungen der Legislative und Exekutive in unserem Staat!" 46 . Allerdings scheint sich hier ein Wandel anzubahnen. Das bezeugen z.B. die umfängliche Sachverhaltsermittlung durch die ¿?/e£?e«fcop/-Kommission zur Einführung der paritätischen Mitbestimmung oder die vom Bundesjustizministerium veranlagte Rechtstatsachenuntersuchung Baumgärtels über die Dauer von Zivilprozessen als Grundlage für die Beschleunigungsnovelle47. Bei der Ziel-Mittel-Konzeption steht es wenig besser. Die Prognose stützt sich öfter auf Intuition und Hoffnung als auf Berechnung und Wissen. Das Fehlen wissenschaftlicher Aussagen über den Steuerungsverlauf und erst recht über das Ausbleiben von Nebenfolgen kann nicht nur zu beachtlichen unvorhergesehenen Mehrkosten führen wie jüngst nach dem Arbeitsförderungsgesetz bei den Umschulungsgeldern für Hausfrauen. Dieses Fehlen erleichtert es auch den Vertretern des status quo — und das sind im Wirtschaftsrecht in aller Regel diejenigen Wirtschaftssubjekte, die ohnehin über eingespielte Kanäle der Lobby Macht auszuüben imstande sind —, mit dem Hinweis auf ein Risiko für die Wirtschaft bestimmte Ziele zu entschärfen und geeignete Mittel und Wege zu blockieren. Deutlich spricht dazu die Reaktion der Betroffenen bei neuen Steuerungsvorschlägen, z.B. die Diskussion um die Einführung des GWB, des Kreditwesengesetzes, der Konzentrationskontrolle, der
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Oder magisches Viereck. Vgl. § 1 S. 2 StabilitätsG; Klaus Stern, Paul Münch, Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, 1967, Anm. II, VI zu § 1. Zu konjunkturpolitischen Zielprojektionen aber jetzt das Stabilitätsgesetz. Vgl. besonders Bericht Elbrächter, Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen, BT-DrS V 1678, Anlage, I 4 und zu § 1 und zu § 2. Thomas A. Cowan, Decision Theory in Law, Science and Technology, Rutgers L. Rev. 17 (1963) 499 (501); Zacher (Fußnote 18) S. 105. Gottfried Baumgärtel, Rechtstatsachen zur Dauer des Zivilprozesses (Erste Instanz, zusammen mit Peter Mes, Zweite Instanz, zusammen mit Gerhard Holtmann), 1972.
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Mitbestimmung, der Erfassung oligopolistischen Parallelverhaltens 48 . Das Argument, keine Experimente mit der Wirtschaft, wiegt dann oft so schwer, daß ganz übersehen wird, wenn sich bestimmte Systemteile zu Unrecht mit dem System als ganzem gleichsetzen. Bei der eigentlichen Normsetzung ergeben sich für das Wirtschaftsrecht besondere Schwierigkeiten, die aus der Komplexität des Regelungssachverhalts herrühren und den Juristen als solchen vielfach überfordern 4 9 . Jedenfalls derzeit ist die Rechtsordnung weitgehend außerstande, über die Verteidigung von Grundrechten hinaus inhaltliche Anforderungen an die wirtschaftsgestaltende Normsetzung zu formulieren. Die überaus restriktive Rechtsprechung zum Gleichheitssatz als Grenze gesetzgeberischer Gestaltung 50 , die richterliche Zurückhaltung bei gesetzgeberischem Unterlassen 51 , die Diskussion um die Haftung für gesetzgeberische Eingriffe 52 in das freie Spiel der Wirtschaft und schließlich das Zögern bei der Anwendung der Sozialstaatsklausel auf Sachverhalte wirtschaftlicher Macht s 3 sind auch in diesem Zusammenhang zu sehen 5 4 . Zuletzt hat der BVerfG in seiner Entscheidung zum Absicherungsgesetz diesen Trend bestätigt und das früher von ihm selbst aufgestellte Kriterium der Eignung des Gesetzes zu dem von dem Gesetzgeber konkret verfolgten Zweck in ein solches der Ungeeignetheit schlechthin umgekehrt und damit außer für „ganz besonders gelagerte Fälle" entschärft 5 5 . Demgegenüber scheint die Anwendung des gesetzten Wirtschaftsrechts ein gesichertes Refugium juristische Arbeit zu sein. Der Schein täuscht. Wer in strenger Reihenfolge den überkommen Auslegungskatalog handhabt, findet im
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Diese Erfahrungen sind dieselben im Ausland, z.B. für die Schweiz Hans Merz, Kartellrecht - Instrument der Wirtschaftspolitik oder Schutz der persönlichen Freiheit? in: Festschrift für Böhm, 1965, S. 227 (236), für die USA etwa bei Louis Loss, Securities Regulation, 2d ed., vol. I, 1961, p. 128.
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Näher Klaus Hopt, Finale Regelungen, Experiment und Datenverarbeitung in Recht und Gesetzgebung, JZ 1972, 65. Z.B. BVerfGE 18, 315 (331); 19, 119 (125); 21, 12 (26 ff); 25, 371 (400). Außer der bekannten Rechtsprechung des BVerfG (dazu die Nachweise bei Leibholz-Rinck, Grundgesetz, 4. Aufl., 1971, Art. 3, Rz. 16) BGH, NJW 1971, 1657: keine Enteignung durch Untätigkeit des Gesetzgebers.
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Z.B. BGHZ 45, 63; BGH, DB 1968, 2211 = WM 1968, 1280; BGH, AWD 1968, 1435 = WM 1968, 1174. Dazu Hans-Georg Koppensteiner, Intervention, Wettbewerb und Unternehmen, BB 1967, 217.
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Zur Diskussion Ernst Forsthoff, Hrsg., Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968. Aber BVerfGE 10, 89 (117): Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als eine Anforderung an die Ziel-Mittel-Konzeption. Im Zusammenhang mit Art. 12 GG zuletzt BVerfG, NJW 1971, 1255 (1256 f, 1258 f)BVerfG, NJW 1971, 1603. Im Ansatz schon BVerfGE 19, 119 (127).
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Wirtschaftsrecht eine widerspenstige Materie, eine Tatsache, die Anstoß zur weiteren methodischen Überlegung bei der Anwendung des Wirtschaftsrechts geben sollte 56 und nicht wie leider manchmal zu Emotion und Polemik gegen die bei Soziologen angeblich übliche Geringschätzung exakter Interpretation. Daß die wörtliche und grammatikalische Auslegung vielfach nicht weiterfuhrt, ist im Wirtschaftsrecht aus dem Umgang mit komplex formuliertem Gesetzesmaterial Gemeinplatz und soeben wieder für die unter Art. 85 Abs. 3 EWGVertrag zu erstellende Kosten-Nutzen-Bilanz von wirtschaftswissenschaftlicher Seite aufgezeigt worden 57 . Die historische Auslegung ist ebenfalls problematisch. Im Gesetz kumulieren eine Vielfalt unterschiedlicher, manchmal geradezu gegensätzlicher Vorstellungen vom F unktionieren des zu regelnden Systems. Die notwendigerweise persönlichen Vor- und Einstellungen der Referenten und Parlamentsredner lassen nicht ohne weiteres einen eindeutigen Schluß auf die wirklich verfolgten Ziele des Gesetzgebers zu. Ein gutes Beispiel bietet das Absicherungsgesetz. Hier verneinen die einen, daß ein Nebenzweck dieses Gesetzes die Einnahmenerzielung sei; die anderen bejahen das entschieden, beide (auch) unter Bezug auf historische Auslegung58. Als interessante Illustration wie problematisch gerade im Wirtschaftsrecht Auslegung nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik sein kann, berichtet schließlich Peter Ulmer von der Herbsttagung 1971 des Arbeitskreises Kartellrecht: Rittnerz Ansicht, Handelsvertreterbindungen fielen nicht unter die Mißbrauchsaufsicht des § 18 GWB — von Rittner methodisch schlüssig erarbeitet und als „eindeutig" bezeichnet — stieß dennoch bei der großen Mehrheit der Teilnehmer auf Ablehnung 59 . Die für das Wirtschaftsrecht wichtigste Auslegungsmethode ist denn auch die teleologische. Bei ihr wird das mit der Norm als Regelungsmuster verbundene Ordnungsziel (Esser) zum Maßstab. Von daher sind die eingesetzten Mittel zu verstehen. So gesehen
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Peter Ulmer, Überlegungen zur wirtschaftlichen Betrachtungsweise im Kartellrecht, WuW 1971, 878. Alex P. Jacquemin, The Criterion of Economic Performance in the Anti-Trust Policies of the United States and the European Economic Community, 7 Common Market Law Review 205 (1970) at 211, 214 et s., 219 et s., 224 et s. Vgl. auch für US-amerikanische Wirtschaftsgesetze die verwunderte Stellungnahme des Sozialwissenschaftlers Martin Shubik, A Game Theorist Looks at the Antitrust Laws and the Automobile Industry, Stanford L.Rev. 8 (1956) 594 (627): "The wording of parts of the Sherman Act is so loose and for the most part so devoid of economic meaning that the law is probably adequate for anything the courts are willing to allow the Government to do." Bettermann, Loh, Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Besteuerung von Altkontrakten durch das Absicherungsgesetz, BB 1969, 70 (72) einerseits, andererseits BFH, BStBl 70 II 246 und BVerfG, NJW 1971, 1603 (1604). Ulmer (Fußnote 56) 879 FN 9a.
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hätte das Teerfarbenurteil des Bundesgerichtshofs keineswegs zu seinem wettbewerbspolitisch fatalen Ergebnis zu kommen brauchen 60 . Die Normziele können nun freilich ihrerseits einer dreifachen Entwicklung unterliegen. Erstens: Die Teleologie wird in den Augen der Nachfahren unrichtig. Neue Zielvorstellungen setzten sich durch. Prioritäten bei konkurrierenden Zielen werden verschoben. Ein Beispiel bietet der als Rechtsfortbildung zu qualifizierende Versuch der EWG-Kommission in Continental Can, Art. 86 EWG-Vertrag für eine gewisse, dort sicher nicht eingeplante Konzentrationskontrolle zu aktualisieren61. Ob der EuGH ebenfalls den Ausschluß des letzten aktuellen oder potentiellen Wettbewerbs durch Konzernierung als mißbräuchliches Verhalten ansehen und damit das Vorpreschen der Kommission billigen wird, ist zumindest fraglich. Zweitens: Die Teleologie wird von den Daten, auf die sie sich: bezieht, unterlaufen. Die Realität ändert sich. Die Steuerung greift ins Leere oder, noch prekärer, an der falschen Stelle des Systems. Wie beispielsweise die Privatautonomie die ihr zugedachte wirtschaftsrechtliche Ordnungsfunktion unter dem Druck wirtschaftlicher Macht, die immer stärker wird, verfehlt, ja im Gegenteil diese Macht verfestigen hilft, hat eindringlich Biedenkopf gezeigt 62 . Drittens: Der eingeschlagene Weg, die Ziel-Mittel-Konzeption, erweist sich nachträglich gesehen als von vornherein falsch, weil der Gesetzgeber aufgrund unvollkommener Information gehandelt hat. Das zeigte sich für das Absicherungsgesetz von 1968, welches die außenwirtschaftliche Konjunktur nicht hinreichend abzukühlen imstande war und die Aufwertung der DM im Herbst 1969 nicht verhindern konnte 63 . Gleiches galt für das Bayerische Apothekengesetz von 1952, das, wie die Entwicklung nach dem Erlaß des Apothekenurteils des BVerfG gezeigt hat, zu Unrecht objektive Zulassungsbeschränkungen zum Schutz der Volksgesundheit als unerläßlich betrachtet hatte. Für die das Wirtschaftsrecht anwendenden Behörden und Richter stellen sich mit solchen Entwicklungen mitunter fast unüberwindliche Schwierigkeiten, die sie entweder unter Berufung auf ihre rechtsanwendende Aufgabe von sich weisen oder wie in den genannten Beispielen als Mitgestalter bewußt neben und für den Gesetzgeber in ihrem, d.h. dem von ihnen als konsensfähig betrachteten
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Mestmäcker (Fußnote 32).
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Entscheidung vom 9.12.1971, AB1.E.G. Nr. L 7/1972, S. 2 5 - 3 9 einerseits und z.B. andererseits die der Bedeutung der Entscheidung schwerlich angemessenen Vorwürfe von Lazar Focsaneanu, L'Article 86 du Traité de Rome et la Décision „Continental Can Company" de la Commission de la C.E.E., Une interprétation contestable d'un texte mauvais, J.C.P. 1972 I 2452, besonders zum Mißbrauchsbegriff. Kurt H. Biedenkopf, Über das Verhältnis wirtschaftlicher Macht zum Privatrecht, in: Festschrift für Böhm, 1965, S. 113. BVerfG, NJW 1971, 1603.
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Weg 6 4 zu lösen versuchen. So kommt es zu der Aussage Wieackers, daß die rechtsdogmatische Methode ihr Hauptanwendungsgebiet im traditionellen Privatrecht habe 6 5 . Die Rückmeldung aus dem System an den Steuernden schließlich ist heute noch überwiegend dem Zufall überlassen und auf nicht zu übersehende Fehlfunktionen der Steuerung beschränkt. Eine allgemeine systematische Erfolgskontrolle wirtschaftsrechtlicher Steuerung fehlt 6 6 . Rückmeldungen laufen heute weitgehend entweder durch Interessengruppen ein, die über ihre Lobby oder im Hearing den Sachverhalt nicht selten gezielt einseitig vortragen, oder über die der Verwaltung und den Gerichten fallmäßig punktuell zufließenden Informationen. Aber letztere müssen ganz erheblich anwachsen 6 7 , um aus dem einzelnen Verfahren in das anwendende System und aus diesem zu den wirtschaftsrechtlich steuernden Stellen zu gelangen. Da überdies die wirtschaftlichen Beziehungen mit zunehmender Wichtigkeit seltener, manchmal überhaupt nicht mehr vor die Gerichte kommen — wegen faktischer Ohnmacht (Prozeßdauer, Prozeßrisiko, andauernde Angewiesenheit auf den Geschäftsgegner) oder wegen im Verkehr erzwungener Selbstentrechtung (Schiedsklauseln, Gerichtsstandsvereinbarungen, Haftungsausschlüsse) — und da wirtschaftliche Prozesse oft auf Kosten Dritter ablaufen, denen von der Rechtsordnung keine eigenen Rechte eingeräumt sind oder nur zögernd eingeräumt werden 6 8 , bleibt die Rückmeldung über Gerichte und Behörden kärglich. 64
Josef Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1970, passim; Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, entwickelt am Problem der Verfassungsinterpretation, 1967, S. 167 ff und passim; sehr kritisch zu Kriele aber Friedrich Müller, Fragen einer Theorie der Praxis, AöR 1970, 154.
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Deutlich Franz Wieacker, Zur praktischen Leistung der Rechtsdogmatik, in: Hermeneutik und Dialektik, Festschrift für Gadamer, Bd. II, 1970, S. 311 (316): Entscheidung individueller Interessenkonflikte in der bürgerlichen Rechtsprechung. Zuletzt Jean-Pierre Dubois, Le projet de groupement d'intérêt économique sur le plan européen, le contexte institutionnel et l'intégration politique, Rev.trim.dr. eur. 1970,625 (626). Überlegungen und methodische Ansätze zu einer solchen Erfolgskontrolle z.B. bei Richard Lempert, Strategies of Research Design in the Legal Impact Study, Law and Society Review 1 (1966/67) 111-132; Lawrence M. Friedman, Stewart Macaülay, Law and the Behavioral Sciences, New York, 1969, p. 197 et s., 306 et s. Vgl. ferner Jacquemin, Schrans (Fußnote 5) p. 15 et s. und Gerhard Stiller, Probleme und Ergebnisse der Untersuchungen zur Effektivität des sozialistischen Rechts, Staat und Recht 1971, 211.
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Ein solcher Fall war z.B. die Flut von Prozessen, die auf die deutschen Finanzgerichte im Anschluß an den Beschluß des EuGH zur unmittelbaren Vollziehbarkeit von Art. 95 EWG-Vertrag hereinbrach. Dazu Klaus Hopt, 6 Common Market Law Rev. 1968-69, p. 414 und 8 Common Market Law Rev. 1971, 97. Ein Beispiel aus dem Privatrecht ist die Regelung der Produktenhaftung des Herstellers dem Endverbraucher gegenüber. Einen wichtigen Schritt vorwärts auf einem Teilbereich tut Rupert Scholz, Wirtschaftsaufsicht und subjektiver Konkurrentenschutz, 1971.
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Anders ist es dort, wo für eine periodische Berichterstattung gesorgt ist, etwa durch § 50 GWB für einen jährlichen Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts oder durch § 103 I VAG entsprechend für das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen, bemerkenswerterweise aber nicht für das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen. Der Bericht des Bundeskartellamts soll nicht nur die Öffentlichkeit, sondern gezielt den Gesetzgeber über Lage und Entwicklungen auf dem Aufgabengebiet des Amtes unterrichten. Er ist nämlich mit einer Stellungnahme, also gegebenenfalls mit Reformvorschlägen der Bundesregierung dem Bundestag unverzüglich zuzuleiten, wie sich aus dem im ursprünglichen Regierungsentwurf (§ 41) noch nicht enthaltenen § 5011 GWB ergibt. Zu erwähnen sind ferner noch die Berichtstätigkeit der Deutschen Bundesbank und auch die nicht amtlichen Stellungnahmen, die aus dem Kreis der Mitarbeiter etwa des Bundeskartellamts auf Grund ihrer Erfahrungen in die literarische Diskussion eingebracht werden. Ähnliche Ansätze organisierter Rückmeldung wie hier in Deutschland sind in Frankreich festzustellen. Dort erstattet seit einem Dekret vom 22.12.1967 die Cour de Cassation Jahresberichte mit statistischen Informationen, Trendanalysen und, besonders wichtig, Anregungen für Gesetzesänderungen. Diese Anregungen sind vom Gesetzgeber bisher in einer ganzen Reihe von Fällen aufgegriffen worden 6 9 . b) Wirtschäftsrecht nicht als statisches, in sich abgeschlossenes Normensystem zu sehen, sondern als einen das System Wirtschaft regelnden und umgekehrt von diesem beeinflußten Steuerungsprozeß, hat im Vergleich von Modell und Realität eine ganze Reihe von Schwierigkeiten und Aufgaben bewußt gemacht, die sonst in der Routine der Praxis und bei der Fixierung der Rechtswissenschaft auf die Normanwendung leicht unbeachtet bleiben. Diese systemtheoretische Sicht schärft aber nicht nur den Blick für neue Fragestellungen 70 . Sie weist auch den Weg zum Einsatz oder wenigstens zur Berücksichtigung anderer Disziplinen bei den Lösungsversuchen 71 : Soziologie einerseits, zunächst in ihrer empirisch-verhaltenswissenschaftlichen, dann der kritischen Form, und andererseits Wissenschaft von der Gestaltung, also von der Steuerung (technike kybernetike) und von den für diese Steuerung notwendigen Informationen und Informationsnetzen.
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Dazu die jährlichen Besprechungen von Henry Solus, zuletzt in J.C.P. 1972 I 2473. Die zugrundeliegenden Probleme sind selbstverständlich nicht neu. Entscheidend ist aber, mit welchen Augen sie gesehen und befragt werden — das gilt für die Systemtheorie überhaupt - und mit welchen Instrumenten sie angegangen werden. Zutreffend beklagt Zacher (Fußnote 18) S. 89, daß „das Recht auf die ökonomischen Herausforderungen von heute mit dem wirtschaftspolitischen Instrumentarium allenfalls von gestern zu antworten pflegt". Zum Methodenproblem der Wirtschaftsverfassung Zacher, S. 81 ff.
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Halten wir uns wieder an die Reihenfolge der Prozeßschritte im Modell. Ziele brauchen heute anders als etwa noch vor kurzem in der Betriebswirtschaftslehre nicht mehr nur als vorgegebene Wertentscheidung und wissenschaftlicher Analyse unzugänglich betrachtet werden. Die Ziele oder anders das Anspruchsniveau des Steuernden paßt sich im Prozeß der Steuerung an die realen Möglichkeiten an (Theorie des beschränkten Rationalverhaltens) 7 2 . Diese Anpassung wird zu einem Objekt der Entscheidungstheorie. Und: Die Zielbildung ist nicht nur Produkt des Entscheidungsprozesses, sondern zugleich präformiert durch den status quo des Systems. Diese Präformation — nachzuweisen für einzelne Gesetze an ihrer Entstehungsgeschichte, insbesondere der Einflußnahme der Lobby, aber auch für die wirtschaftsrechtliche Ordnung im ganzen — wird zum Forschungsgegenstand für eine die Grundlagen des Wirtschaftsobjekts aufdeckende (genetische) Rechtssoziologie. Ein besonders interessantes Beispiel für die Wechselwirkung zwischen Regelungszielen und Realität bietet die Tätigkeit von wirtschaftslenkenden Behörden, etwa der US-amerikanischen independent regulatory agencies. Ihnen und besonders der Interstate Commerce Commission wird vielfach der Vorwurf gemacht, vom Kontrolleur zum Werkzeug der zu kontrollierenden Unternehmen und Wirtschaftszweige geworden zu sein 73 . Die Realität des Systems Wirtschaft zu erfassen, vermag nur mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Methoden zu gelingen. Zunächst ist hier sicher empirischverhaltenswissenschaftlich ausgerichtete Forschung notwendig. Die Daten müssen unverzerrt durch persönliche Sicht und Vorurteile oder mit einem Modewort intersubjektiv ermittelt werden 7 4 . Sodann gilt es kritisch erklärend Verhaltensweisen und Systemgesetzlichkeiten zu erfassen, eine Aufgabe für Wirtschaftswissenschaft, (Wirtschafts-)Soziologie und Kybernetik zugleich. Die so ermittelten Daten über das System können bei der Komplexität und Fülle 75 nur noch unter Einsatz der EDV gespeichert, geordnet und manipuliert werden. Eine Sozialdatenbank ist für den wirtschaftsrechtlichen Steuerungsprozeß unschätzbar; ihren Aufbau auch nur hinauszuschieben, wird mit
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Herbert A. Simon, Models of Man: Social and Rational, 4th ed., New York, London, 1966; derselbe, Theories of Decision-Making in Economics and Behavioral Science, 49 Am.Econ.Rev. 253 (1959). In Deutschland z.B. Heinz Sauermann, Reinhard Selten, Anspruchsanpassungstheorie der Unternehmung, ZGesStW 118 (1962) 577; auch Gerhard Kahe, Reinhard Hujer, Dirk Ipsen, Kybernetik und Wirtschaftsplanung, ZGesStW 125 (1969) 17, bes. S. 41 ff. Interessante Texte bei Friedman, Macaulay (Fußnote 66) p. 455 et s. Näher Erwin K. Scheuch, Auswahlverfahren in der Sozialforschung, in: René König, Handbuch der empirischen Meinungsforschung, Bd. 1 (1962) S. 309 ff. Zu den Quellen für solches Datenmaterial (aus der Sicht der Politikwissenschaft) Karl W. Deutsch, Neue Forschungsmethoden, Modelle, Theorien, in: Wolfgang Zapf, Hrsg., Theorien des sozialen Wandels, 1969, S. 188 (190 ff).
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kostspieligen Fehlsteuerungen erkauft, — ein Zusammenhang, der zu bedenken ist, wenn die Kosten des Aufbaus einer solchen Datenbank als prohibitiv plakatiert werden. Die Forderung nach wissenschaftlicher oder jedenfalls rationaler Prognose beherrscht die Ebene der Ziel-Mittel-Konzeption. Die dazu eingesetzten Hilfsmittel sind vielfältig 76 . Teils erleichtern sie durch Verbreiterung der Argumentenskala das prognostische Urteil, so etwa Kommissionsgutachten, Hearing, teils mathematisieren sie dieses Urteil, mehr und mehr auch unter Einsatz des Computers, wie z.B. die modernen Methoden des Modellbaus, der Modellrechnung, der Simulation und auch des Planspiels 77 . So wichtig dieses Instrumentarium moderner Planungswissenschaft 78 ist, sollte man sich jedoch über die Grenzen der heutigen Möglichkeiten keinen Illusionen hingeben. Auch wenn die Juristen die richtigen Fragen stellen, müssen die befragten Disziplinen, insbesondere die Nationalökonomie, nicht selten präzise Antworten über tatsächliche Situationen und Auswirkungen von Steuerungsmaßnahmen schuldig bleiben 7 9 . Die sozialwissenschaftlich erhellte Ziel-Mittel-Konzeption mußte, wenn sie zur wirtschaftsrechtlichen Norm wird, nunmehr spezifisch rechtlich kontrolliert werden. Diese Kontrolle muß einerseits dem Umstand Rechnung tragen, daß der Gesetzgeber notwendigerweise (auch) aufgrund unvollkommener Information handeln und unter Unsicherheit entscheiden muß. So ginge es sicher nicht an zu fordern, daß Notwendigkeit und Geeignetheit grundrechtsbeschränkender Regelungen mit logisch-experimenteller Gewißheit festgestellt sind. Der wirtschaftsrechtliche Handlungsspielraum des Gesetzgebers wäre sonst unerträglich eingeengt. Die Prognose des Gesetzgebers braucht nur „sachgerecht und vertretbar" zu sein 80 . Andererseits darfeine Fehlprognose und das heißt eine gesetzgeberische Fehlentscheidung nicht ein für allemal hingenommen werden. Eine der Folgerungen hieraus ist, daß eine vertretbare gesetzgeberische Fehlprognose die in Grundrechte eingreifende Maßnahme
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Klaus Hopt, Finale Regelungen, Experiment und Datenverarbeitung in Recht und Gesetzgebung, JZ 1972, 65 (68 ff). Klaus Hopt, Simulation und Planspiel in Recht und Gesetzgebung, DVR (Datenverarbeitung in Recht und Gesetzgebung) 1 (1972)1.
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Einheitliche Terminologie besteht noch nicht: Planungswissenschaft, Planungspolitik (policy sciences), Zukunftswissenschaft, operationale Rechtssoziologie u.a.
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Ernst Steindorff, Zweckmäßigkeit im Wettbewerbsrecht, 1959, S. 28 f. Speziell bei Simulationen ist die Gefahr der Scheinpräzision zu beachten. Sind die eingegebenen Größen nur geschätzt, besagen auf Dezimalen genaue Simulationsergebnisse nur wenig.
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BVerfG, NJW 1971, 1603; auch BVerfG, NJW 1971, 1255 (1257).
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zwar nicht schon deswegen verfassungswidrig macht, der Gesetzgeber jedoch verpflichtet sein soll, sie nach Erkenntnis der tatsächlichen Entwicklung dieser entsprechend aufzuheben oder zu ändern 81 . Auf der Stufe der eigentlichen Rechtsanwendung wird man sich mit zwei Problemen befassen müssen: Ermittlung der in der Norm verwirklichten ZielMittel-Konzeption, was schwierig, aber gewohnt ist; aber auch Entwicklung einer Reaktion dann, wenn sich diese Konzeption verschiebt, sei es infolge fehlerhafter Sicht der Realität oder weil die gesetzgeberischen Ziele bzw. die Realität des Systems Wirtschaft sich gewandelt haben. Diese letztere Aufgabe, Rechtsfortbildung im Wirtschaftsrecht, wird in der DDR beispielsweise schlechthin geleugnet; es gelte im Gegenteil, „jede Spontaneität bei der Durchsetzung des normierten Willens des sozialistischen Staates auszuschließen" 8 2 . In der BRD hingegen erkennt man überwiegend die Tatsache an, daß der Rechtsanwender an der (wirtschaftsrechtlichen) Steuerung teilhat; streitig sind aber Raum und Grenzen dieser Teilhabe83. Auf zwei wichtige Grenzen hat vor kurzem Robert Fischer hingewiesen84. Auf Gebieten, auf denen der Gesetzgeber selbst ständig novellierend tätig ist, hat sich der Richter stärker zurückzuhalten als auf anderen. Das muß gerade im Wirtschaftsrecht berücksichtigt werden, wenn der Gesetzgeber es bei der Errichtung einer Ordnung nicht bewenden läßt, sondern laufend interveniert. Zurückhaltung ist auch dort notwendig, wo der Richter bei den ihm zur Verfugung stehenden Mitteln die Auswirkungen und Tragweite einer Rechtsfortbildung nicht abzusehen vermag. So hat der BGH die zugegebenermaßen wünschenswerte Anpassung 81
BVerfG 16, 147 (181 ff); 18, 315 (322); 25, 1 (13 f, 23 f); vgl. auch BVerfG, NJW 1971, 1603. In der Literatur aufgegriffen und ausgebaut z.B. von Rupert Scholz (Fußnote 68) S. 107 f; derselbe, Konzentrationskontrolle und Grundgesetz, 1971, S. 34 ff; Michael Kloepfer, Das Geeignetheitsgebot bei wirtschaftslenkenden Steuergesetzen, NJW 1971, 1585 (1586). Hier müssen noch viele Fragen neu durchdacht werden. Was bedeutet es rechtlich, wenn sich mit neuer Sicht der Wirklichkeit das Anspruchsniveau verschiebt und das sich möglicherweise in parallelen Gesetzen bereits niedergeschlagen hat? Wird das Auseinanderfallen zwischen Realität und Norm nur im Rahmen einer Geeignetheitsprüfung relevant? Welche Bedeutung hat eine Verpflichtung des Gesetzgebers aufzuheben oder anzupassen, welche Folgen hat die Verletzung dieser Pflicht? Wie kann ein Gericht das Auseinanderfallen feststellen und welche Anforderungen sind an eine solche Feststellung des Gerichts im einzelnen zu stellen?
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Stephan Supranowitz, Zu einigen weiteren Aufgaben bei der Gesetzgebung und Rechtsverwirklichung nach dem VIII. Parteitag der SED, Wirtschaftsrecht (BerlinOst) 2/1972,61 (63).
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Z.B. Robert Fischer, Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, 1971; dazu Konrad Redeker, Legitimation und Grenzen richterlicher Rechtsetzung, NJW 1972, 409. Esser (Fußnote 64). Mit der bloßen Berufung auf das Gewaltenteilungsprinzip ist die Frage jedenfalls nicht zu lösen. Zutreffend Fischer, S. 10.
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Fischer,(Fußnote
83) 28 ff.
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des § 1542 RVO an die Regelung des § 67 W G (kein Quotenvorrecht des Sozialversicherers) unterlassen, insbesondere deshalb weil „sachverständige Untersuchungen und Erhebungen" über die wirtschaftlichen Auswirkungen einer solchen Auslegung auf die Sozialversicherungsträger notwendig seien, wie sie nur im Gesetzgebungsverfahren durchgeführt werden könnten 8 S . Zeichnet sich so eine der Auswirkungen bewußtere und die Gestaltung offener zugebende Mitwirkung der Rechtsanwender an der wirtschaftsrechtlichen Steuerung ab, so erweist sich gerade für das Wirtschaftsrecht erneut die Unbrauchbarkeit der mitunter geäußerten Vorstellung einer „automatisierten" Rechtsanwendung 86 . Durch eine systematische Effektkontrolle muß schließlich sichergestellt werden, daß der Steuernde lernt (Regelkreis). Die im Gefolge der wirtschaftsrechtlichen Steuerung aufgetretenen Änderungen im System müssen empirisch registriert und kritisch auf die Steuerung oder andere Einflüsse zurückgeführt werden. Leider steckt diese sog. impact control trotz der oben erwähnten Ansätze organisierter Rückmeldung durch Berichterstattung der Behörden und Gerichte noch in den Kinderschuhen. Die auf diese Weise gewonnenen Datenmengen können in Datenbanken gespeichert und geordnet werden. Das gilt für die aus dem System Wirtschaft entnommenen Daten (Primärdaten) ebenso wie für die Daten über das Steuerungssystem (Sekundärdaten), zu denen außer den oft vielfältig verschlungenen Wirtschaftsgesetzen, wie wir gesehen haben, auch die innerhalb bestimmter Grenzen mitsteuernden administrativen und judiziellen Entscheidungen gehören: von hierher also auch ein Argument für die Rechtsdatenbank 87 . Der auf diese Weise angestrebte feedback betrifft sowohl die der Steuerung zugrundeliegenden Modellvorstellungen über die Realität (Modellkritik) 88 wie auch die Richtigkeit der ZielMittel-Konzeption (Maßnahmenkritik). Letzten Endes läßt sich ein umfassen-
85
BGH, NJW 1969, 98 (100). Auch BAG, NJW 1970, 723: „noch nicht genügend Anschauungsmaterial". Zum Problem rationaler finaler Gestaltung der Richter auch Hopt (Fußnote 76) 65 ff.
86
Das deckt sich nicht zufällig mit der amerikanischen Stellung. Näher Hopt, Entwicklungen der Rechtsinformatik in den USA, Teil 3, DSWR (Datenverarbeitung in Steuer, Wirtschaft und Recht) 1 (1971/72) Heft 10, S. 304, 306). Dazu die interessante Kontroverse Diethart Zielinski, Die Juristische Bundesdatenbank als rechtspolitisches Problem, JZ 1971, 409 und Sigmar Uhlig, Zur Problematik eines Juristischen Informationssystems, JZ 1971, 644.
87
88
Vgl. Martin Shubik, Simulation and Gaming: Their Value to the Study of Pricing and other Market Variables, in: Alfred R. Oxenfeldt, Models of Markets, New York, London, 1963, p. 307 (308 et s.).
112
Klaus J. Hopt
des Informationssystem anstreben, das rationale und das heißt zunächst einmal informierte Planung und Steuerung ermöglicht, ohne auf dem Altar dieses Fortschritts die Privatsphäre des einzelnen zu opfern 8 9 . 3. Wenn wir diese Skizze zusammenfassen, die auszubauen im Rahmen dieser Veranstaltung nicht Zeit und Ort ist, können wir zum Ende eine Reihe von Kriterien für ein funktionsfähiges Wirtschaftsrecht aufstellen. Sie stehen allesamt unter der Polarität Wirtschaftsrecht und Faktizität. Das Wirtschaftsrecht steht und fällt mit seiner Wirklichkeitsnahe. Wenn das System Wirtschaft von dem Steuernden nicht richtig gesehen wird, also sich Modell und Realität nicht decken; wenn die Systemfaktizität sich von derjenigen wegentwickelt, die das Wirtschaftsrecht zu steuern sucht, ohne daß gleichzeitig das Wirtschaftsrecht sich mitentwickelt; oder wenn schließlich gar das Wirtschaftsrecht sich versteinernd in Ausbildung von Eigengesetzlichkeiten von dieser Faktizität wegrückt, dann greift die Steuerung entweder nicht mehr oder störend, ja zerstörend an falscher Stelle. Zwei Mißverständnissen sei aber vorgebeugt. Wirklichkeitsnähe heißt nicht, daß der Gesetzgeber auf Generalisierungen, Vermutungen und Fiktionen verzichten müßte. Diese brauchen, wenn richtig eingesetzt, der im jeweiligen Stadium erzielbaren Wirklichkeitsnähe des Wirtschaftsrechts nicht zu widersprechen. Ein Standardbeispiel bietet das amerikanische Kartellrecht mit seinen Figuren des per se-Verbots und der rule of reason. In gewissen Fällen die Notwendigkeit umfänglicher und unsicherer Nachforschungen durch den Rechtsanwender auszuschließen, kann sehr sinnvoll sein 90 . Das Kriterium der Wirklichkeitsnähe steht ferner nur für die Regelungsseite des Wirtschaftsrechts 91 und ist mit der Forderung nach Rechtssicherheit in Einklang zu bringen: nicht daß aus Gründen der Rechtssicherheit bestandswahrend die Wirklichkeitsnähe geopfert werden dürfte, vielmehr so, daß z.B. rückwirkende Grundrechtsbeschränkungen grundsätzlich unzulässig und darüberhinaus Übergangsregelungen zur Vermeidung von Überraschung und zwecks erleichterter Anpassung der Wirtschaftssubjekte erforderlich sind. Aus dem Kriterium der Wirklichkeitsnähe läßt sich das der Adaptationsfähigkeit ableiten; wir können auch Lernfähigkeit sagen 92 . Ein Wirtschaftsrecht muß fähig sein, sich an die laufend verändernde Systemrealität anzupassen.
89
Wenn Helmut Klages, Planungspolitik, 1971, S. 102 f, daraufhinweist, daß eine Totalüberwachung wegen ihrer Komplexität und Schwerfälligkeit praktisch nicht durchzuhalten sei, hilft das kaum weiter; soweit braucht es nämlich gar nicht erst zu kommen. Schon weniger ist unerträglich. Principiis obsta.
90
Steindorff
91
S. o. Einleitung.
92
Zum (kybernetischen) Lernen bei sozialen Systemen Deutsch (Fußnote 10) besonders S. 145 ff, 233 ff.
(Fußnote 79) S. 36 ff einführend. Bok (Fußnote 23)
Rechtssoziologie und rechtsinfoimatische Aspekte im Wirtschaftsrecht
113
Das heißt keineswegs, die bestehenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse schlechthin zu legalisieren und auf die Gestaltung der Realität nach frei gewählten Wertvorstellungen zu verzichten. Doch kann der Steuernde solche Werte sinnvoll nur setzen, wenn diese im Blick auf die Realität durchsetzbar sind. Eine sich dergestalt adaptierende Wirtschaftsrechtsnorm steuert vielleicht wenig; eine sich nicht adaptierende steuert gar nicht, ja mehr, macht den Anspruch des Rechts, Realität zu formen, unglaubwürdig und desavouiert so auch andere Stuerungsnormen und schließlich das Wirtschaftsrecht als Steuerung insgesamt 93 . Bei der Frage, wer diese Adaptation zu verantworten hat, der Gesetzgeber oder auch der Rechtsanwender, stellen sich die bereits erwähnten Probleme. Soweit ein Gericht an dieser Adaptation teilnimmt und etwa ein bestimmtes wirtschaftliches Verhalten (z.B. eine Werbung) entgegen einer bisher ausdrücklich erlaubenden Rechtsprechung untersagt, wären dann konsequent wie bei gesetzgeberischer Gestaltung auch hier Übergangsregelungen zu fordern. Diese Konsequenz hat das BVerfG soeben auch gezogen 94 . Eng zusammen mit der Adaptationsfähigkeit hängt die Reaktionsgeschwindigkeit. Je schneller das Wirtschaftsrecht sich an die veränderte Realität anpaßt, desto geringer bleibt der Verlust an Steuerungswirkung. Ein gewisses zeitliches „Nachhinken" des Gesetzgebers ist allerdings unvermeidlich und in Kauf zu nehmen 9 5 . Schnellere Anpassung erlauben aber die Verlagerung der Einzelsteuerung vom Gesetzgeber auf eine Behörde und die Wahl informellerer Verfahren statt streng formalisierter 96 . Auch hier gilt freilich wie oben der Vorbehalt der Rechtssicherheit.
93
Zu diesem Effekt (im Zusammenhang mit unglaubwürdigen Prognosen) Hans K. Schneider, Planification als normatives Informationssystem und als Koordinationsprinzip, ZGesStG 120 (1964) 329 (334 ff). Umgekehrt kann unter bestimmten Voraussetzungen der bekannte Selbsterfüllungseffekt solcher Prognosen eintreten. Z.B. Schneider, aaO; Robert K. Merton, Die Eigendynamik gesellschaftlicher Voraussagen, in: Ernst Topitsch, Hrsg., Logik der Sozialwissenschaften, 6. Aufl., 1970, S. 144 ("self-fulfilling prophecy" und ihr Gegenstück "suicidal prophecy").
94
BVerfG, NJW 1972, 573 (574) mit Anm. Schröder (675). Schon vorher z.B. BAG, NJW 1969, 678 und NJW 1970, 723 (zur Unzulässigkeit von Wettbewerbsverboten fur sog. hochbesoldete Angestellte ohne Zusagen einer Karenzentschädigung).
95
Vgl. BVerfGE 18, 315 (332).
96
Hierzu die interessante Note, Informal Bargaining Process: An Analysis of the SEC's Regulation of the New York Stock Exchange, 80 Yale L.J. 811 (1971). Zum Plan-Paktieren Hans Peter Ipsen, Rechtsfragen der Wirtschaftsplanung, in: Joseph H. Kaiser, Planung II. 1966, S. 63 (100 ff).
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Klaus J. Hopt
Reaktion und Reaktionsgeschwindigkeit sind nicht genug. Ein wirksames Wirtschaftsrecht muß die anstehenden Änderungen der Faktenwelt antizipieren. Bereits voll in Gang befindliche Prozesse entfalten ihre Eigenwirkung im System. Sie abzubremsen oder umzulenken, erfordert übermäßige Steueranstrengung. Besser ist es, bestimmte Prozesse erst gar nicht zur Auswirkung kommen zu lassen oder von vornherein Gegenmaßnahmen zu ergreifen, Gegenprozesse zu entfesseln. Damit ist die Prognosefähigkeit 97 angesprochen. Die Prognosefähigkeit wird kybernetisch gelegentlich auch mit „lead" bezeichnet, Führung 9 8 . Das weist zum Letzten und wieder zurück zum Ausgangspunkt. Die Güte eines Wirtschaftsrechts bestimmt sich nicht nur sozialtechnologisch oder sozialkybernetisch nach seinem Steuerungseffekt, sondern auch und primär nach den Werten, auf die hin als Ziele gefaßt die Steuerung eingesetzt wird. Wirtschaftsrecht darf nicht als bloße Technik verstanden und systemtheoretische Betrachtung nicht dazu gebraucht werden, das jeweils Gewollte wertneutral durchsetzen zu helfen 9 9 . Wirtschaftsrechtliche Steuerung setzt Werte voraus und gegen die Realität durch 1 0 0 . Werte sind aber letztlich immer auf Menschen bezogen. Das führt über zur Wertperzeption des Menschen als wirtschaftsrechtlichem Planer und als im Wirtschaftsrecht Verplantem. Aber damit sind wir bei dem anderen Pol des Wirtschaftsrechts und bei einem neuen Thema.
97 98
Eine Einführung in die Wirtschaftsprognose gibt Kurt W. Rothschild, Wirtschaftsprognose, Methoden und Probleme, 1969. Zu load, lag, gain, lead als kybernetischen Begriffen z.B. Deutsch (Fußnote 10) S. 261 ff, 144.
99
Zur Technizität als einem Merkmal des Wirtschaftsrechts Schluep (Fußnote 2) S. 86 ff. Zur Ambivalenz systemtheoretischer Betrachtung, die Krisen zu vermeiden und das System zu erhalten helfen kann wie umgekehrt, das System durch Verschärfung von Krisen zu zerstören und Platz für ein neues zu machen: Habermas (Fußnote 17) S. 142 (169 f u.a.) und die Erwiderung von Lühmann (Fußnote 17) S. 291 (398 ff).
100
Raiser (Fußnote 27) S. 196 ff; materiale (und das heißt auch soziale) Gerechtigkeit in der Wirtschaft. Auch Ballerstedt (Fußnote 19) S. 1, 22, 36 und Ernst Steindorff, Wirtschaftsrechtliche Maßstäbe im Arbeitsrecht, RdA 1965, 253 (254).
Juristische Dokumentation mit Computern — Entwicklungsstand, Probleme und künftige Möglichkeiten von Fritjof Haft Vorbemeikung Den nachfolgend abgedruckten Vortrag habe ich am 30. November 1971 gehalten; inzwischen sind bald zwei Jahre vergangen. Bei einer so jungen Fachrichtung wie der Rechtsinformatik und angesichts der raschen Fortentwicklung aller mit der Datenverarbeitung zusammenhängenden Disziplinen ist das eine lange Zeit. Inzwischen hat es bedeutsame Entwicklungen gegeben; ich nenne nur die Vorlage des nahezu 600 Seiten umfassenden Berichtes „Das Juristische Informationssystem — Analyse, Planung, Vorschläge" an den Bundesminister der Justiz im Januar 1972 und die Durchführung des ersten großen Kongresses über Juristische Informationssysteme in München im Mai 1973. Ich selbst habe mit der Ausarbeitung einer Habilitationsschrift begonnen, die den Problemen exakten juristischen Sprechens und Entscheidens gewidmet ist. Einige Zwischenergebnisse habe ich veröffentlicht, so „Juristisches Informationssystem — Erwartungen und Perspektiven" in NJW 1973, S. 85 ff und „Methodenprobleme der Datenverarbeitung im Recht" in DSWR 1973, S. 120 ff; 136 ff. Seit dem Sommersemester 1973 halte ich außerdem eine Vorlesung „Einführung in die Rechtsinformatik" an der Universität Tübingen. All dies hat naturgemäß dazu geführt, daß ich einiges heute anders sehe als zu der Zeit, da ich diesen Vortrag hielt, so insbesondere, was die strukturale Linguistik angeht. Manches würde ich heute nicht mehr so wie hier formulieren. Aber dies betrifft nur Teilaspekte, keine wesentlichen Überlegungen. Von der grundsätzlichen Richtigkeit des hier vorgestellten Ansatzes bin ich nach wie vor überzeugt. 1. Entwicklungsstand und Probleme Nach mehr als zwölfjähriger internationaler Forschungsarbeit, durch die über fünfzig Projekte, Computer zur Lösung der „Informationskrise des Rechts"'
1
Grundlegend dazu Spiros Simitis: Informationskrise des Rechts und Datenverarbeitung, 1970.
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Fritjof Haft
einzusetzen, in Gang gebracht worden sind, zeichnet sich folgendes Bild 2 ab: Die technisch-systematischen Voraussetzungen der allgemeinen Literaturerschließung unter Einsatz der Datenverarbeitung sind zwar geschaffen worden; von einer spezifisch juristischen Dokumentation kann aber darum noch nicht gesprochen werden. Über den Versuch, universell verwendbare „InformationRetrieval-Systeme" unter anderem auch am Objekt juristischer Texte zu erproben und einzusetzen, ist man bislang kaum hinausgekommen; Ansätze, die zweifellos sehr großen Möglichkeiten der nichtnumerischen Datenverarbeitung 3 in einer Weise zu nutzen, die auf die besonderen Belange des Rechts abgestimmt ist, sind nur in geringem Maße unternommen worden 4 . Es zeigt sich aber immer deutlicher, daß die Lösung des juristischen Dokumentationsproblems entscheidend davon abhängt, inwieweit es gelingt, über die bisher entwickelten Methoden der automatisierten Textdokumentation hinaus Verfahren zu entwickeln, die den juristischen Benutzerbedürfnissen entsprechen 5 . Diese Feststellung bedarf der näheren Erläuterung.
2
Eine Behandlung einzelner Projekte ist hier nicht möglich. Der Verfasser hat sich mit den wichtigsten Vorhaben auseinandergesetzt in Fritjof Haft: Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 102 ff. sowie über die neuere Entwicklung berichtet in Datenverarbeitung in Steuer, Wirtschaft und Recht DSWR 1 (1971) Heft 1 S. 29 ff. (Literatur-Wegweiser: Juristische Dokumentation mit Computern). Weitere Hinweise finden sich in den von Spiros Simitis u.a. herausgegebenen Materialien zur Rechtsinformatik, Folge 1, 1971 und in der von Wolfram Schubert und Wilhelm Steinmüller herausgegebenen Bibliographie JUDAC, 1971. Zur Entwicklung in den USA Klaus Hopt: Entwicklungen der Rechtsinformatik in den USA, in DSWR 1971/72, S. 235 ff.; 280 ff.; 304 ff.
3
Zur Abgrenzung der Begriffe numerische, kommerzielle und nichtnumerische Datenverarbeitung Heiner Müller-Krumbhaar: Die Programmierung und der Benutzer, in DSWR 1 (1971/72) Heft 1 S. 22 ff. Das Bild einer spezifisch juristischen Dokumentation ist entstanden, weil ein Schwerpunkt der Literaturdokumentation im Recht liegt. Mit prinzipiell denselben Methoden wird aber auch Literatur aus den Bereichen Wirtschaftswissenschaft, Medizin, Naturwissenschaft und Mathematik in Datenbanken mit dem Ziel der inhaltlichen Erschließung eingespeichert. Vgl. Eugen Ulmer: Elektronische Datenbanken und Urheberrecht, 1971, S. 2.
4
5
Diese zentrale Frage steht im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen, vgl. Fritjof Haft: Überblick über das Gebiet der Rechtsinformatik, in JA 1972, S. 205 f. Alle Nebenaspekte der Dokumentation (technische Detailfragen, organisatorische Probleme, Wirtschaftlichkeit usw.) müssen hier ausgeklammert bleiben. Daß es entscheidend auf das juristische Benutzerbedürfnis ankommt, wird auch bei der Lektüre des Ersten Zwischenberichtes über die Arbeiten der Projektgruppe Juristisches Informationssystem an den Bundesminister der Justiz deutlich (Beilage Nr. 5 zum Bundesanzeiger Nr. 62 vom 31. März 1971). Inzwischen siehe den Schlußbericht der Projektgruppe vom Januar 1972.
Juristische Dokumentation mit Computern
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a) Literaturdokumentation Beim Aufbau von automatisierten Literaturdatenbanken geht es nicht darum, das Medium „Buch" durch das Medium „Computer" zu ersetzen. Vielmehr geht es darum, einen verbesserten Weg zur problembezogenen inhaltlichen Erschließung von Literatur zu suchen; der Computer übernimmt dabei die Rolle des Wegweisers. Diese Aufgabe kann im traditionellen Informationswesen nur sehr unvollkommen erfüllt werden. Von den aktiven Informationszentren der Zukunft erhofft man sich grundsätzlich verbesserte Lösungen. Diese Zukunftsvision erweist sich jedoch bei genauerer Betrachtung als in jeder Weise problematisch; es gilt, zunächst zu fragen, wieso gerade die elektronische Datenverarbeitung zur Inhaltserschließung Umgangs- und fachsprachlicher Texte beitragen kann; alsdann wird zu klären sein, was Inhaltserschließung für den Juristen bedeutet. Computer sind — das ist bekannt — nicht auf den Umgang mit Zahlen beschränkt. Sie können Buchstaben, Wörter, Sätze und (im Prinzip) beliebig umfangreiche Texte speichern. Sodann können sie diese Texte verarbeiten, wobei als wichtigste Operation der Wortvergleich im Vordergrund steht. Ein Computer kann seinen Speicherbestand mit der bekannt großen Geschwindigkeit darauf durchsehen, ob bestimmte Wörter darin enthalten sind 6 . Nun ist es offensichtlich, daß die informationelle Aussagekraft der Wörter unterschiedlich ist. Der Artikel „die" hat eine geringere informationelle Bedeutung als etwa das nachfolgende Substantiv (und Fachwort) „Amtsunterschlagung". Die erste Aufgabe, der sich die Literaturdokumentation gegenübersah, bestand daher darin, die informationell wichtigen von den weniger wichtigen Wörtern zu trennen. Bereits dies erwies sich als problematisch, weil exakte und intersubjektiv gültige Trennungskriterien nicht angebbar sind; schon hier zeigte sich, daß Dokumentation keine durchwegs exakte Wissenschaft ist. Immerhin ließen sich hier empirische Lösungswege finden: Der erste besteht in einer manuellen Textanalyse, bei der den in Frage stehenden Texten die für sie besonders aussagekräftigen Stichwörter — die sogenannten Deskriptoren — zugewiesen werden. Das hat sich freilich als ein sehr aufwendiges Verfahren erwiesen, dessen Resultate ganz unbeständig sind 7 . Der zweite Weg besteht darin, alle Deskriptoren ein für allemal in einer Positivliste festzulegen, diese zu speichern und alsdann den Computer zu beauftragen, die in der Datenbank enthaltenen Texte auf das Vorhandensein von
6
7
Vgl. näher Fritjof Haft: Elektronische Datenverarbeitung im Recht, S. 6 ff, S. 107 ff; Heiner MüUer-Krumbhaar: Der Computer als System, in DSWR 1 (1971/72) Heft 2 S. 43 ff. Es zeigte sich, daß selbst ein- und dieselbe Person einem Dokument bei mehrmaliger Bearbeitung durchaus unterschiedliche Deskriptoren zuwies, vgl. näher Haft: Elektronische Datenverarbeitung im Recht, 1970, S. 118 f.
118
Fritjof Haft
Deskriptoren zu überprüfen. Dabei ergibt sich allerdings der Nachteil, daß neue Wörter ebensowenig berücksichtigt werden können wie vergessene Wörter 8 ; eine Positivliste ist daher nur im Zusammenhang mit den Möglichkeiten der Thesaurusbildung interessant; davon wird noch zu sprechen sein. Der dritte Weg besteht — umgekehrt — darin, eine Negativliste aller Wörter aufzustellen, die mit Gewißheit informationell ohne Bedeutung sind, beispielsweise Artikel und Präpositionen. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß die Syntax der natürlichen Sprache ohnehin im Computer irrelevant ist; auch die gern zitierten „Volltextmethoden" stellen nichts anderes als eine Anhäufung vieler Deskriptoren dar 9 . Wörter, die für die Syntax der Umgangssprache wichtig sind, können daher informationell verlustlos eliminiert werden. Dieser dritte Weg hat in der Praxis die größte Bedeutung erlangt 10 . Der vierte Lösungsweg besteht schließlich in einer statistischen Methode. Hier nutzt man die Fähigkeit des Computers aus, Rechnungen durchzuführen und Sortiervorgänge vorzunehmen. Die Grundüberlegung besagt dabei, daß Worthäufigkeitsverteilungen Rückschlüsse auf den informationellen Aussagewert der Wörter zulassen; der Artikel „die" wird in allen Texten mit etwa gleicher Wahrscheinlichkeit auftauchen, während das Wort „Amtsunterschlagung" nur in wenigen Dokumenten erscheinen, dort aber eine besondere Aussagekraft haben wird 11 . Auf die statistische Methode wir noch näher einzugehen sein. Mit der Deskriptorengewinnung wäre das Problem der Dokumentation gelöst, wenn es möglich wäre, jede nur denkbare Thematik durch ein einziges Stichwort präzise zu kennzeichnen. Nun beweist aber jedes Stichwortregister und
8
Die Gefahr der Erstarrung, d.h. der mangelnden Anpassungsfähigkeit an den ständigen Bedeutungswandel, begründet den Haupteinwand gegen alle Projekte zur Erstellung juristischer Thesauren. Dabei ist-zu unterscheiden zwischen dem Bedeutungswandel der Wörter einerseits und dem Sprechwandel andererseits. Beiden Phänomenen kann in einem Thesaurus nicht (oder nur sehr ungenügend) Rechnung getragen werden.
9
Unzutreffend daher die Annahme von Bernhard Prestel: Datenverarbeitung im Dienste juristischer Dokumentation, 1971, bei einem Volltextsystem gebe es keinen Informationsverlust. Die gesamte durch die umgangssprachliche Syntax vermittelte Information geht verloren. In dem Satz „Hund beißt Mann" geht die Aussage verloren, daß der Hund es ist, der den Mann beißt, nicht umgekehrt.
10
Dies ist der Weg, den John Horty, der Pionier der juristischen Dokumentation, an der Universität Pittsburgh (USA) gegangen ist. Er hat zu den verläßlichsten Resultaten geführt. Vgl. näher Haft: Elektronische Datenverarbeitung im Recht, S. 133 ff.
11
Praktische Erfahrungen mit der statistischen Methode haben aber offensichtlich zu unbefriedigenden Resultaten geführt. So scheint ein großangelegtes Gemeinschaftsprojekt der American Bar Foundation mit der IBM-Corporation (vgl. Haft: EDV im Recht, S. 157 ff.) gescheitert zu sein. Siehe neuerdings auch Leo Reisinger: Thesaurusstrukturen juristischer Datenbanken, in DSWR 1971/72, S. 437 ff.; 465 ff.
Juristische Dokumentation mit Computern
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jeder Schlagwortkatalog, daß diese Möglichkeit nur in beschränktem Maße gegeben ist und zu groben und problematischen Einteilungen führt 1 2 . Für die Dokumentation stellte sich daher als zweite große Aufgabe die Aufgabe, die verschiedenen Deskriptoren miteinander zu verknüpfen. Die Einspeicherung in den Computer bedeutet ja die Aufgabe der natürlichen, umgangssprachlichen Syntax; es galt daher, eine künstliche Syntax zu finden. Als Lösungsmöglichkeit boten sich einige elementare Grundverknüpfungen der modernen Aussagenlogik 13 an, nämlich die Konjunktion (Verknüpfung zweier Deskriptoren durch „und"), Adjunktion (Verknüpfung zweier Deskriptoren durch einschließendes „oder" im Sinne des lateinischen „vel") und schließlich die Negation „nicht" (die zwar keine „Verknüpfung" im eigentlichen Sinne ist, die jedoch als Verneinung von bestimmten Deskriptoren hier eine wichtige Rolle spielt). Damit lassen sich elementare Kombinationen herstellen. Am wichtigsten ist die Konjunktion; mit ihr wird der Tatsache Rechnung getragen, daß komplexe Probleme nur durch eine Mehrzahl von Stichwörtern ausgedrückt werden können. Durch Adjunktion lassen sich Synonyme und assoziierte Wörter erfassen. Durch Negation schließlich kann man verwandte, aber nicht gewünschte Themenkreise ausschließen. Diese Technik hat erhebliche praktische Bedeutung erlangt. Der Computer gestattet es nämlich, selbst umfangreiche Deskriptorenverknüpfungen in einem Arbeitsgang zu realisieren. Er erlaubt mit anderen Worten mehrdimensionale Suchen, während im manuellen Verfahren praktisch nur eindimensionale Suchen möglich sind 14 . Darin liegt — über die Automatisierung des bloßen Suchvorganges hinaus — eine bedeutsame Verbesserung. Mit der Syntax einer so formalisierten Kunstsprache ist freilich ein erheblicher Informationsverlust verbunden. So wird beispielsweise aus dem umgangssprachlichen Satz „Hund beißt Mann" durch Verknüpfung dieser drei Wörter mittels Konjunktion eine Kombination, in der offen bleibt, ob der Hund es ist, der den Mann beißt, oder umgekehrt. Man könnte natürlich ver-
12
Es ist denn auch nur ein einziger praktischer Versuch in dieser Richtung unternommen worden - das sogenannte "Point of Law-Verfahren" - und gescheitert. Vgl. Haft: EDV im Recht, S. 124 f.
13
Insgesamt sind 16 Grundverknüpfungen möglich, die in Anlehnung an die umgangssprachlichen Junktoren definiert wurden, vgl. Ulrich Klug: Juristische Logik, 3. Aufl. 1966; Heinz Wagner - Karl Haag: Die moderne Logik in der Rechtswissenschaft, 1970; Ota Weinberger, Rechtslogik, 1970.
14
Ein Beispiel für mehrdimensionale manuelle Verfahren zur inhaltlichen Erschließ ßung juristischer Literatur ist beschrieben in Fritjof Haft: Informationssysteme nach Maß, in DSWR 1 (1971/72) Heft 6, S. 186 ff. Solche Verfahren können jedoch nur in beschränktem Umfang realisiert werden.
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suchen, weitere — anspruchsvollere — Deskriptorenverknüpfungen 15 vorzunehmen, aber das fuhrt sofort zum Problem der Formalisierang von Umgangssprache, das sich bisher als letztlich unlösbar erwiesen hat. Davon wird noch zu reden sein. In der Praxis jedenfalls haben sich alle Versuche als erfolglos erwiesen, andere als die genannten elementaren Grundverknüpfungen zum Einsatz zu bringen. Nun wäre dieser syntaktische Informationsverlust möglicherweise nicht allzu schwerwiegend, wenn nicht eine weitere Schwierigkeit auf semantischer Ebens hinzukäme. Mit jeder sprachlichen Formalisierung ist die Fiktion absoluter inhaltlicher Genauigkeit verbunden. Deskriptoren sind sprachliche Gebilde, denen immer derselbe Sinn zugeordnet ist. Allein aufgrund ihrer grafischen äußeren Gestalt, allein wegen der Identität der zu ihrer Darstellung verwendeten Zeichenkombination haben sie entweder völlig dieselbe Bedeutung oder sind etwas völlig anderes (das letztere kann paradoxerweise schon aufgrund eines Schreibfehlers der Fall sein). Die semantische Dimension ist für die Datenverarbeitung nur insofern relevant, als hier von der Fiktion einer exakten Semantik ausgegangen ist. Es handelt sich aber nicht nur um eine Fiktion, sondern auch um eine Utopie. Soweit Wörter der Umgangssprache Erfahrungsinhalte bezeichnen (und das ist bei allen unbestimmten Rechtsbegriffen der Fall), sind sie exemplarisch eingeübt und können schon aus diesem Grunde nicht exakt sein 16 ; die juristische Auslegungskunst legt hiervon Zeugnis ab 1 7 . Daß sich aus dieser Unbestimmtheit der Wörter die Anpassungsfähigkeit der Sprache (und damit auch des Rechts) an den ständigen Wandel der sozialen Tatsachen und Auffassungen ergibt, sei nur am Rande vermerkt. Mit der Unbestimmtheit der Wörter ist ihre Kontextabhängigkeit verbunden. Es ist zwar das Anliegen jeder wissenschaftlichen Terminologie, eine kontextinvariante Verwendung der jeweiligen Fachausdrücke zu ermöglichen. Im Recht ist dies jedoch wegen der Verankerung aller normativen Regelungen im Alltagsleben — und das heißt: in der Umgangssprache — nicht möglich. Der
15
So könnte man bei dem erwähnten Beispiel eine Ursprung-Ziel-Verknüpfung vornehmen. Diesen Versuch hat man an der Western Reserve University (USA) unternommen; vgl. näher Haft: EDV im Recht, S. 149 ff. Offenbar ist dieser Versuch jedoch insgesamt gescheitert.
16
Vgl. Wilhelm Kamiah - Paul Lorenzen:
17
Es ist das Verdienst der juristischen Hermeneutik, die ursprüngliche Verwiesenheit von Gesetz und Sachverhalt aufgedeckt zu haben, vgl .Arthur Kaufmann - Winfried Hassemer: Grundprobleme der zeitgenössischen Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, 1971, S. 68 ff. Der Gesetzeswortlaut für sich kann nicht exakt sein; er klärt sich immer nur und immer wieder bei der konkreten Anwendung auf den Fall. Die Vorstellung, Gesetzesworte könnten jemals inhaltlich exakt werden, ist eine Utopie.
Logische Propädeutik, 1967, S. 27 ff.
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Tatbestand des Mordes beispielsweise ist in § 211 StGB in 36 Wörtern beschrieben ; aber was diese Wörter bedeuten, kann erst wirklich verstanden werden, wenn ein Mord in der sozialen Realität geschehen ist und um dieses Ereignis insgesamt angemessen zu beschreiben, mag es eines Buches wie Dostojewskis „Raskolnikow" bedürfen. Die Umgangssprache als eine allen menschlichen Handlungen und Empfindungen angepaßte Universalsprache ist unlösbar mit der Rechtssprache und der Juristensprache verbunden; eine kontextinvariante Wortverwendung im Recht ist ausgeschlossen. Es ist daher leicht einzusehen, daß die juristische Dokumentation sich mit der Fiktion einer exakten Semantik von Deskriptoren nicht zufriedengab, erwies doch auch die Praxis die Unhaltbarkeit dieser Position. Da überdies die logischen Verknüpfungen einer formalen Kunstsprache das Problem der Kontextabhängigkeit der Wörter nicht lösen, vielmehr umgekehrt dessen Lösung voraussetzen, ergab sich eine dritte große Aufgabe für die Dokumentation: die Suche nach einem informationellen Bezugssystem. Darunter ist ein Modell zu verstehen, welches es gestattet, den Vorgang des inhaltlichen Vergleiches verschiedener Formulierungen in einem formalen Verfahren nachzuvollziehen, wobei es nicht nur um die Identität verschiedener Aussagen geht, sondern auch — und vor allem — um deren gegenseitige Relevanz. Wenn beispielsweise A ein Glas Wasser als halbvoll und B dasselbe Glas als halbleer bezeichnet, so sind diese Aussagen inhaltlich identisch, soweit es nur um die Frage der Wasserfüllung des Glases geht. Im übrigen unterscheiden sie sich zwar, weil A diese Tatsache optimistisch, B dagegen pessimistisch beurteilt, sind aber deswegen gegenseitig nicht irrelevant18. Ein informationelles Bezugssystem muß auch diese Relevanz aufdecken können. Es ist hier nicht möglich, die Entwicklung der modernen Sprachwissenschaft angemessen nachzuzeichnen, seit Ferdinand de Saussure19 als erster den bedeutsamen Unterschied zwischen der Sprache als Handlungsschema und der Rede als Aktualisierung dieses Handlungsschemas erkannt hat. Nur das für die Dokumentation wichtige bisherige Resultat kann dargestellt werden. Alle Anstrengungen, natürliche Umgangssprache wenigstens soweit zu formalisieren,
18
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An diesem Beispiel läßt sich auch der Unterschied zwischen analytischer und ganzheitlich-hermeneutischer Betrachtungsweise deutlich machen. Analytisch gesehen treffen A und B gleiche Aussagen, hermeneutisch gesehen nicht. Vgl. KamlahLorenzert: Logische Propädeutik, S. 128 ff. Cours de linguistique générale, 1916, deutsch: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 2. Aufl. 1967. Die von de Saussure eingeführten Termine ,.langue" und „parole" haben sich internationale durchgesetzt. In jüngster Zeit hat Noam Chomsky ungefähr dieselbe Unterscheidung, mit den Begriffen der sprachlichen „Kompetenz" und „Performanz" getroffen, vgl. John Lyons: Einfuhrung in die moderne Linguistik, 1971, S. 52 f.
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daß eine gegenseitige Übertragung verschiedener Zeichenfolgen möglich ist (das betrifft nur den vergleichsweise einfachen Bereich der inhaltlichen Identität, nicht den für die Dokumentation letztlich entscheidenden Bereich der inhaltlichen Relevanz verschiedener Aussagen) sind bis heute gescheitert. Die Einstellung der mit viel Emphase begonnenen Bemühungen zur automatisierten Sprachübersetzung zeigt, daß es bislang nicht gelungen ist, ein analytisches Modell des Sprechens aufzubauen. Und es sieht nicht so aus, als ob ein solches analytisches Modell in absehbarer Zukunft dargestellt werden könnte. Dazu wäre eine Lösung des Rätsels erforderlich, worauf die menschliche Fähigkeit der Rede beruht; hierfür fehlen noch alle Ansatzpunkte 2 0 . Wenn in der Systemtheorie 21 ein geschlossenes analytisches Modell wegen der Kompliziertheit der darzustellenden Strukturen nicht aufgestellt werden kann, bietet sich der Versuch an, eine Stufe zurückzugehen und es approximativ mit Näherungsmethoden zu versuchen. Man versucht dann, ein Modell zu bilden, das der abzubildenden Wirklichkeit zwar nicht analytisch exakt in allen Einzelheiten entspricht, das ihr jedoch mehr oder weniger nahe kommt. Das Modell wird also vereinfacht. Entsprechende Bemühungen in der Dokumentation sind durch das schon erwähnte Stichwort „Thesaurus" gekennzeichnet. Ein solcher „Wortschatz" ist zunächst die bereits besprochene Positivliste der informationell wichtigen Wörter, der Deskriptoren. Diese übt — im Computer gespeichert — eine Ausblendfunktion aus. Aber das ist noch nicht das Entscheidende. Vielmehr dient ein solcher Thesaurus dazu, Wortverknüpfungen vorzunehmen und Klassifika-
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„Sowohl bei der .Produktion' als auch bei der .Erkennung' - gleichgültig, ob sie durch Sprecher und hörer einer Sprache erfolgen oder durch ein Computerprogramm , das das menschliche .Verhalten' beim Gebrauch der Sprache sim ulieren soll scheint,Rückkopplung' zwischen den beiden Prozessen eine Rolle zu spielen... Noch wenig Fortschritt ist bei der Untersuchung dieses Problems von der psychologischen Seite her erzielt worden", Lyons a.a.O. (Fußnote 19), S. 163 f. Und Yehoshua Bar-Hillel hat seine optimistische Aussage zur automatisierten Sprachübersetzung aus dem Jahre 1952 "If a human being can do it, a suitably programmed computer can do it too" später mit folgenden Worten zurückgenommen: „Es scheint, daß wir Menschen, um jene gewisse Disposition 1. Ordnung zu erwerben, die man .Kompetenz' in einer gegebenen Sprache nennt, von einer angeborenen Disposition 2. Ordnung Gebrauch machen, deren anatomische und physiologische Aspekte uns heute noch völlig unbekannt sind" (zitiert nach Walter R. Fuchs: Informationstheorie und Kybernetik, Knaurs Buch der Denkmaschinen, 1968, S. 323 f. Vgl. auch die Diskussion dieser Probleme bei Noam Chomsky: Aspekte der SyntaxTheorie, S. 68 ff.; 83 ff.
21
Zu der im folgenden vorgenommenen Einteilung „Analyse - Approximation Simulation" vgl. näher den Beitrag von Heiner Müller-Krumbhaar zur Ringvorlesung.
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tionsschemata durchzusetzen 22 . Das erstere geschieht beispielsweise, indem Synonyme im automatisierten Verfahren miteinander verknüpft werden, so daß ein Benutzer, der das Wort „Geldinstitut" verwendet, auch zu Dokumenten geführt wird, in denen von „Bank" die Rede ist; von hier aus ergibt sich auch ein Ansatz zur Lösung des Homonymieproblems, indem ein Unterschied gemacht wird, ob das Wort „Bank" in Verbindung mit dem Wort „Geld" oder in Verbindung mit dem Wort,,Park" verwendet wird (problematisch wird es freilich bei der Verknüpfung mit,Anlage"). Das letztere geschieht, indem hierarchische Strukturen aufgestellt werden, die beispielsweise über den gemeinsamen Oberbegriff „Haustier" die Brücke schlagen zwischen „Hund" und „Katze" 2 3 . Das Thesaurus bildet also ein (ebenso grobes wie statisches 24 ) Modell der Sprache. Er erlaubt es, Deskriptoren auszublenden, miteinander zu verknüpfen und den Positionen eines Klassifikationsschemas zuzuordnen. Damit können verschiedene Formulierungen bis zu einem gewissen Ausmaß inhaltlich aufeinander bezogen werden. Die praktischen Versuche haben jedoch erwiesen, daß ein Thesaurus, der dem Reichtum der umgangssprachlichen Korrelationen auch nur annähernd Rechnung tragen würde, nicht geschaffen werden kann. Das Objekt „Sprache" ist auch für Approximationsverfahren noch zu kompliziert. Da nun das Recht in der Umgangssprache verankert ist, kann mithin auch ein näherungsweise aufgestelltes Modell juristischer Strukturen (von einigen Teillösungen abgesehen) nicht verwirklicht werden. Wenn Analyse und Approximation nicht möglich sind, eröffnet die Systemtheorie schließlich noch als letzten Weg die Simulation. Dabei wird das Modell noch weiter vereinfacht und es wird nur mehr nach der Antwort des Systems auf bestimmte, direkt vorgegebene Abläufe gefragt. Damit ist das Stichwort „Statistik" wieder aufzugreifen. Bei der statistischen Methode wird nur mehr das mengenmäßige Auftreten von Wörtern oder von
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Am intensivsten hat man sich wohl am römischen Kassationsgerichtshof mit dem Thesaurusproblem befaßt, vgl. Ugo Bemi Canani: Elektronische Rechtsdokumentation in Italien, in DSWR 1 (1971/72) Heft 2 S. 39 ff.
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Für künftige Arbeiten auf diesem Gebiet könnte sich der Ansatz von KamlahLorenzen (Logische Propädeutik) als hilfreich erweisen, eine wissenschaftliche Terminologie durch exemplarische Einführung von Prädikatoren und Prädikatorenregeln aufzubauen. Vgl. die Durchfuhrung dieses Ansatzes am strafrechtlichen Handlungsbegriff bei Ivan Glaser: Sprachkritische Untersuchungen zum Strafrecht, 1970, S. 33 ff.
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Vgl. Fußnote 8. Das Problem der Begriffsunschärfe der Deskriptoren ist in einem Thesaurus auch durch beigefugte Definitionen nicht zu lösen, weil Definitionen zirkelhaft nur zu anderen Deskriptoren fuhren. Vgl. Kamlah-Lorenzen: Logische Propädeutik, S. 77 ff.
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Wortkombinationen aufgrund bestimmter, vorgegebener Annahmen ausgewertet. Eine Grundüberlegung zur Trennung der Deskriptoren von den informationell unwichtigen Wörtern aufgrund der Häufigkeitsverteilung von Wörtern wurde bereits angedeutet. Eine andere Überlegung besagt, daß Substantive in Überschriften besonders aussagekräftig sind. Ein weiteres Beispiel ist die Annahme, daß das regelmäßige gemeinsame Erscheinen zweier Wörter im selben Satz auf eine gegenseitige Abhängigkeitsbeziehung hindeutet. Diese und andere Annahmen werden dann durch Auswertung größerer Textmengen überprüft; dabei ist es auch möglich, einen statistischen Bezugstext zusammenzumischen. Dieser Bezugstext kann dann als Modell dienen, dem die zu analysierenden Texte jeweils gegenübergestellt werden 25 . Im Recht sind konkrete Versuche insbesondere mit dem Ziel der automatisierten Erfassung und Gewichtung assoziierter Wörter unternommen worden 2 6 . So wollte man im automatisierten Verfahren die Beziehungen aufdecken zwischen Texten, in denen vom täglichen Genuß einer Flasche Schnaps die Rede ist und Texten, die von gewohnheitsmäßiger Trunksucht handeln. Offenbar ist jedoch der Reichtum der Umgangssprache auch für solche Simulationsverfahren noch zu groß. Von wirklichen Erfolgen ist noch nicht berichtet worden. Jenseits der Simulation aber bietet die Systemtheorie kein Verfahren mehr zur Gewinnung eines informationellen Bezugssystems. Im Ergebnis bleibt also festzustellen, daß die automatisierte Literaturdokumen tation über einen Vergleich von Deskriptoren auf der Basis der Fiktion einer exakten Semantik und über eine sehr einfache aussagenlogische Syntax nicht hinausgekommen ist. b) Juristisches Benutzerbedürfnis Die Mühe, welche den Juristen infolge der Auseinandersetzung mit der naturwissenschaftlich orientierten Informatik abgefordert wird und vielleicht auch der Glaube, der technische Fortschritt werde gewissermaßen schon von selbst die Probleme lösen, haben dazu geführt, daß man bisher kaum versucht hat, von der juristischen Seite her eine Lösung des Dokumentationsproblems in
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Ein besonders fortgeschrittenes Verfahren dieser Art ist beschrieben in Siegfried A. Wagner: Automatische Stichwortanalyse nach dem Rangkriterienverfahren, Dissertation Karlsruhe 1966. So bei dem schon in Fußnote 11 erwähnten ABF-IBM-Verfahren, ferner beim Projekt der George Washington University (USA), vgl. Haft: EDV im Recht, S. 151 ff. Neuerdings verwendet auch das von der Siemens AG konzipierte System GOLEM statistische Methoden.
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Angriff zu nehmen 2 7 . Diese letztere Vorstellung wird dadurch verstärkt, daß der technische Fortschritt in der Tat ein Problem lösen wird, das in der bisherigen Diskussion juristischer Datenbanken nahezu ausschließlich behandelt worden ist: das Problem, inwieweit die gegenwärtig sowohl im privaten wie im öffentlichen Bereich vorherrschende Tendenz, sich auf höchstrichterliche Entscheidungen zu konzentrieren, zu einer gefährlichen, weil einseitigen Auswahl f u h r t 2 8 . Dieses Problem wird von der Technik gelöst werden. Man wird die automatische Satztechnik verbreiten, bei der die Datenträger für die Dokumentation als Nebenprodukt abfallen; man wird die optischen Belegleser weiter entwickeln und man wird vielleicht sogenannte assoziative Speicher einsetzen, durch die sequentielle anstelle der gegenwärtigen parallelen Suchverfahren ermöglicht werden, was zu einer engen Verknüpfung der Vorgänge „Speicherung" und „Verarbeitung" führt. All dies wird es künftig auf wirtschaftliche Weise ermöglichen, auch die wissenschaftliche Literatur in juristische Datenbanken einzuspeichern. Das Problem der Auswahl wird also vom technischen Fortschritt gelöst werden. Freilich ist dies ein rechtspolitisches, kein methodisches Problem. Das methodische Problem nach einer für Juristen geeigneten Datenbank wird dadurch nicht berührt. Es liegt auf der Hand, daß dieses Problem nur von den Juristen selbst — mit Blick auf die technischsystematischen Möglichkeiten der Datenverarbeitung — gelöst werden kann. Entscheidend ist dabei die Frage nach dem Benutzerbedürfnis. Der unreflektierte Hinweis auf die Fülle von Entscheidungen, Aufsätzen, Büchern, Kommentaren usw. beantwortet diese Frage nicht, denn diese Informationslawine ist das Produkt traditioneller Informationstechniken und hat übrigens auch positive Aspekte. Das letztere wird deutlich bei einer Auseinandersetzung mit der sogenannten „Redundanztheorie des Lernens" 2 9 . Diese Theorie, die hier
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Die methodischen Erwägungen werden gegenwärtig stark Uberlagert durch die rechtspolitische Auseinandersetzung über die - in der Tat drängenden - Probleme des Datenschutzes und der Datensicherung. Dazu Simitis: Chancen und Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung. Zur Problematik des Datenschutzes, in NJW 1971, S. 673 ff. Ebenso drängend unter den juristischen Folgeproblemen einer Automatisierung im Recht ist die Frage nach dem Verhältnis von Parlament und Verwaltung angesichts eines drohenden Informationsübergewichts der Exekutive. DazuSteinmüller: Rechtsfragen der Verwaltungsautomation in Bayern, in data report 6 (1971) Heft 3, S. 24 ff.
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Zur geplanten juristischen Bundesdatenbank: Diethard Zielinski: Die Juristische Bundesdatenbank als rechtspolitisches Problem, in JZ 1971, S. 409 ff. Zu dem privatwirtschaftlichen Projekt Juradat (dazu vgl. die Darstellung von Peter Schumann in JA 1971, letzte Seiten 14 f) kritisch eine Arbeitsgruppe „EDV und Recht" der FU Berlin: Die Informationsmacher, 1970, sowie dieselben in Kritische Justiz, 1970, S. 463 ff. Das Projekt wurde inzwischen eingestellt.
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Diese Bezeichnung geht auf Felix von Cube: Kybernetische Grundlagen des Lernens und Lehrens, 3. Aufl. 1971 zurück. Vgl. auch Helmut Seiffert: Information über die Information, 1970, S. 71 ff.
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nicht im einzelnen behandelt werden kann, subsumiert die menschlichen Lernund Wahrnehmungsprozesse unter das gemeinsame strukturelle Prinzip der Redundanzerzeugung. „Die Redundanzprozesse, die sich in Prozesse des Informationsabbaues von Ereignissen und Texten und in Prozesse zunehmender Negentropie oder Ordnung aufgliedern lassen, haben dabei den Sinn, dem Menschen . . . die Außenwelt so informationsarm zu machen, daß eine Orientierung und ein geordnetes Verhalten darin möglich wird" 3 0 . Die Einarbeitung in einen komplexen juristischen Problemzusammenhang kann nun als ein differenzierter Fall allmählicher Informationsgewinnung durch Redundanz angesehen werden. Aus der ständigen Wiederkehr derselben Begriffe, Gedanken und Argumente beim Durchlesen verschiedener Texte zum selben Gegenstand erwächst allmählich ein „Relief des Problemzusammenhanges", 31 das die Grundlage für ein eigenes — und zwar souveränes — Verständnis der Thematik bildet. Dabei gilt: je wichtiger und anerkannter ein Gedanke ist, desto häufiger wird er in den verschiedenen Texten behandelt und desto mehr tritt er im Relief des Problemzusammenhanges hervor. Die Informationslawine mit ihren zwangsläufigen Wiederholungen hat also im traditionellen Informationswesen eine wichtige Funktion. Dies gilt im Recht umso mehr, als bislang keine Methodenlehre juristischer Information entwickelt worden ist und es allein dem Zufall überlassen bleibt, wie das Sich-informieren über den juristischen Meinungsstand zu einem bestimmten Problem stattfindet 3 2 . (Der Zufall ist hier dreifach wirksam: hinsichtlich der Auswahl der gefundenen Literatursteilen; hinsichtlich der Reihenfolge der Lektüre und hinsichtlich der Menge). Eine einfache Erwägung zeigt nun, daß der Anspruch auf vollständige Literaturerfassung, wie er gegenwärtig durchwegs von den Befürwortern juristischer Datenbanken erhoben wird, mit diesem Redundanzprinzip kollidiert. Wenn das Problemrelief einmal aufgebaut ist - und das ist schon nach der Lektüre von relativ wenigen einschlägigen Texten der Fall — ist es jedenfalls solange sinnlos, weiter einschlägige Texte heranzuziehen, als diese nicht neue Gedanken enthalten (was aufgrund des Redundanzprinzips unwahrscheinlich ist) und diese neuen Gedanken nicht auch wichtig sind (was noch unwahrscheinlicher ist). Es bedarf also nicht erst des Einwandes, eine zu große Fülle von einschlägigem Material beeinträchtige die schöpferische Spontaneität und
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von Cube a.a.O. (Fußn. 29), S. 112.
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Seiffert a.a.O. (Fußn. 29), S. 79.
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Damit soll nicht behauptet werden, daß der juristische Informationsprozeß unsystematisch verläuft. Es soll vielmehr auf die zahlreichen objektiv und subjektiv nicht nachvollziehbaren - zufälligen — Gegebenheiten hingewiesen werden, die diesen Prozeß bestimmen (Soweit es sich um subjektive Gegebenheiten handelt, wäre es Aufgabe einer juristischen Ideologiekritik, die erkenntnisleitenden Interessen aufzudecken).
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Kreativität der richterlichen Einzelfallentscheidung 33 , um zu erkennen, daß eine umfassende juristische Datenbank, die „alles einschlägige Material liefert", informationstheoretisch im Ansatz verfehlt ist. Ist darum aber auch das Bemühen um die juristische Dokumentation sinnlos? Die Antwort lautet nein. Zu offensichtlich ist die Krise, in die das traditionelle juristische Informationswesen geraten ist, eine Krise, die nicht allein aus der Menge des Materials resultiert, sondern auch — und vor allem — aus der zunehmenden Kompliziertheit der sozialen Tatbestände wie rechtlichen Regelungen 3 4 . Die Dokumentation kann hieraus einen Ausweg weisen. Freilich darf sie ihre Anstrengungen dabei nicht auf die vollständige und damit redundante Literaturerfassung konzentrieren, sondern muß sich auf ihre Wegweiserrolle besinnen. Das Problem der Masse und der Redundanz kann nur durch Differenzierung gelöst werden und diese Differenzierung muß sich am Benutzerbedarf orientieren. Nun ist es alles andere als einfach, dieses juristische Benutzerbedürfnis auszumachen, weil ja eine Methodenlehre juristischer Information nicht vorhanden ist und Zufall wie Redundanz das Feld beherrschen. Eine Untersuchung des Ist-Zustandes wird daher wenig Aufschlüsse bringen, zumal die gegenwärtige Situation durch beschränkte technische und methodische Möglichkeiten gekennzeichnet ist, die gerade durch die Datenverarbeitung überwunden werden sollen. In dieser Lage mag folgende Überlegung weiterhelfen. Das Bedürfnis nach einer möglichst präzisen Terminologie hat dazu geführt, daß die bislang entwickelten Deskriptormethoden ungeachtet ihrer teils unterschiedlichen Ausgestaltung im Detail sich nach Möglichkeit am juristischen Begriffsapparat orientiert haben. Man hielt die juristischen Fachausdrücke für schärfer und präziser als die Wörter der Umgangssprache und entschied sich daher vorzugsweise für diese als Deskriptoren. Damit aber schlug man eine Richtung ein, die vom juristischen Benutzerbedürfnis wegführt. Juristische Termini sind nämlich nicht nur Arbeitsmittel des Juristen; sie kennzeichnen vielmehr auch die Ergebnisse juristischer Arbeit. Das Zu- oder Absprechen des unbestimmten Rechtsbegriffs schließt den juristischen Entscheidungsgang ab 3S . Wenn daher ein Dokumentationssystem auf der Verwendung juristischer Fachausdrücke
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So Franz Wieacker: „Recht und Automation" in Festschrift für Eduard Böttcher zum 70. Geburtstag, 1969, S. 388, 394. Ein anschauliches Beispiel bietet die gegenwärtig diskutierte Kartellnovelle, mit der ein nahezu unüberschaubares Gebiet - der Mißbrauch wirtschaftlicher Macht geregelt werden soll. Dazu näher Fritjof Haft: Überblick über das Gebiet der Rechtsinformatik - Teil 2, in JA Heft 4 1972.
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aufgebaut wird, so führt das zu dem Paradox, daß das System immer besser funktioniert, je weniger es benötigt wird, und daß es perfekt wird, sobald es überhaupt nicht mehr gebraucht wird. Diese Einsicht fuhrt zu der Überlegung, ob die juristische Dokumentation nicht besser auf den anderen Grenzpunkt juristischer Tätigkeit hin orientiert sein sollte, nicht auf das Ende, sondern auf den Anfang juristischer Tätigkeit, nicht auf die Lösung, sondern auf den Fall. Die Beschreibung eines sozialen Konfliktes ist ja der Ausgangspunkt jedweder juristischen Tätigkeit. Zwischen ihr und der Lösung des Konflikts durch Entscheidung muß daher jede juristische Suche angesiedelt sein — unabhängig davon, wo sie im Einzelfall (zufallsbedingt) stattfindet 3 6 . Eine Falldokumentation hätte daher mindestens den Vorteil, daß sie gemeinsam mit den Deskriptorenmethoden das gesamte Feld der juristischen Informationstätigkeit abdecken würde. So betrachtet ergibt sich die Antwort auf die Frage nach dem juristischen Benutzerbedürfnis. Der Jurist beginnt seine Tätigkeit mit der Darstellung des Falles und seine erste Frage lautet, ob es diesen — das heißt, einen unter juristischem Aspekt möglichst ähnlichen — Fall schon einmal gegeben hat. Wenn diese Frage bejaht werden kann, will er wissen, wie dieser Fall beurteilt worden ist. Mit anderen Worten: er erwartet sich über den ähnlichsten Fall die hilfreichste Lösung. Nun bedarf es für den Ähnlichkeitsvergleich eines Maßstabes und dieser Maßstab ergibt sich aus dem Gesetz; es kommt ja auf die juristische Fallähnlichkeit an. So wie das Gesetz der Maßstab für die Auswahl des Rechtsfalles aus einem sprachlich und sozial sehr viel umfassenderen Ereignis ist 3 7 , so ist auch das Gesetz Maßstab für den Vergleich ähnlicher sozialer Konfliktsituationen. Daraus ergeben sich folgende Fragen: Ist ein Ähnlichkeitsvergleich von Fällen unter juristischem Aspekt erst nach ihrer Subsumtion unter das Gesetz möglich? Und wenn ja, folgt daraus weiter, daß die Idee einer unmittelbaren Falldokumentation eine Utopie ist? Im traditionellen Verfahren sind beide Fragen wohl zu bejahen 38 . Die Umgangssprache — in der allein Fälle dargestellt werden können — wird in inhaltlichem Denken vollzogen. Dieses aber verbietet — das ist eine methodologische Grundeinsicht — komplizierte Operationen. Diese können nur formal,
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Damit wird die Frage nach dem individuellen juristischen Suchverhalten gegenstandslos. Vgl. Fritjof Haft: Aufbau eines Dokumentationssystems für die Versicherungswirtschaft, in Der Versicherungsbetrieb 1972, S. 21 ff. Es wiederholt sich hier — gewissermaßen auf einer strengeren Stufe - der Vorgang, mit dem die Sprache das ontologische Problem des Gegenstands löst. Eine nähere, auch rechtshistorische und rechtsvergleichende Begründung muß einer gesonderten Untersuchung vorbehalten bleiben.
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das heißt losgelöst von inhaltlichen Erwägungen, durchgeführt werden; die Erfolge der Naturwissenschaften und der Mathematik wären ohne formale Arbeitsverfahren nicht möglich gewesen 39 . Nun ist der Vergleich vieler sozialer Geschehnisse nach einer vorgegebenen Struktur eine äußerst komplizierte Operation, und zwar bereits dann, wenn die Struktur relativ einfach ist und erst recht dann, wenn sie kompliziert ist 4 0 . Die Umgangssprache als inhaltlich zu handhabendes Instrument ermöglicht diese Operation nicht; sie stellt dafür einfach kein Werkzeug zur Verfügung. Der Ausweg aus diesem Dilemma ist bekannt. Er besteht in der Beschreibung eines abstrakten, idealisierten „Urfalles" im Tatbestand einer Norm, unter den die konkreten Situationsbeschreibungen jeweils für sich zu subsumieren sind 4 1 . Erst wenn dies geschehen ist, können sie — beispielsweise in einem juristischen Kommentar — als juristisch ähnliche Fälle zusammengefaßt werden. Die juristische Falldokumentation durch unmittelbaren Fallvergleich ist daher im traditionellen Verfahren nicht möglich. Wenn man sich aber vor Augen hält, daß die Verfahren der elektronischen Datenverarbeitung ausschließlich formale Arbeitsverfahren sind, daß inhaltliche Erwägungen für den Computer auch dann irrelevant sind, wenn er Umgangssprache „verarbeitet" 4 2 , dann erhebt sich die Frage, ob nicht die Situation hier eine andere ist und ob man nicht aus inhaltlichen Not eine formale Tugend machen kann. Damit sind die künftigen Möglichkeiten der Dokumentation angesprochen.
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Vgl. das instruktive Beispiel bei Wagner-Haag: Die moderne Logik in der Rechtswissenschaft, S. 12 f. Vgl. mit Beispielen Fritjof Haft - Heiner Müller-Krumbhaar: SEDOC - ein Vert fahrensvorschlag zur Erschließung juristischer Literatur mit Computern, in JA 1970, S. 566 ff. Dazu sei nochmals auf Fußnote 17 verwiesen. Die juristische Hermeneutik hat gezeigt, „daß Handlungsanweisungen, wie etwa ein Gesetz, erst dann verstanden werden können, wenn sie auf die konkrete Situation angewendet werden, in der sie gelten sollen . . . Andererseits ist eine juristische Qualifizierung des Rechtsfalles nur unter dem Aspekt des Gesetzes möglich." Rechtsfindung ist „nie einfach nur ein logischer Syllogismus, sonder ein Hand in Hand gehendes Hinübertasten vom Bereich des Seins in den Bereich des Sollens und vom Bereich des Sollens in den Bereich des Seins, ein Wiedererkennen der Norm im Sachverhalt". Und diese Unfertigkeit des Gesetzes ist eine „apriorische, notwendige", Kaufmann-Hassemer a.a.O. S. 69, 71. Der Auffassung, die semantische Zeichendimension sei in irgendeiner Weise eine Kategorie des Computers, kann nicht nachdrücklich genug widersprochen werden. Diese Auffassung geht auf den Irrtum zurück, aus statistischer, kommunikationstheoretischer Information könnten Einsichten in die semantische Information gewonnen werden, ein Irrtum, der aus der Bezeichnung „Informationstheorie" herrührt, die in Wahrheit eine (nachrichtentechnisch orientierte) Theorie der Signalübertragung ist. Vgl. Steinmüller: EDV und Recht, S. 22 ff.
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2. Künftige Möglichkeiten Aus dem Gesagten ergibt sich, daß eine am juristischen Benutzerbedürfnis orientierte Dokumentation dem Informationssuchenden vom Fall weg Auskunft auf die Frage erteilen müßte, ob ein solcher Fall schon in der Literatur behandelt worden ist. (Natürlich ist dieses „vom Fall weg" problematisch, weil Fall und Gesetz ja aufeinander verwiesen sind; den „reinen" Fall gibt es ebensowenig wie das „reine" Gesetz. Die hier anzustellenden Überlegungen werden jedoch deutlicher, wenn man heuristisch von einer scharfen Trennung zwischen Fall und Gesetz ausgeht und erst dann überlegt, wie die ursprüngliche Verwiesenheit beider Bereiche berücksichtigt werden kann; es wird sich zeigen, daß dabei überraschende Perspektiven zutage treten. Zunächst also wird von der Fiktion ausgegangen, es gebe in der sozialen Wirklichkeit vollständige Fälle, von denen — wie bei einer Klausuraufgabe — nur feststeht, daß sie einer rechtlichen Lösung zuzuführen sind.) Die Frage lautet: Kann durch Einführung der Datenverarbeitung ein direkter Fallvergleich durchgeführt werden? Diese Frage ist zu bejahen, wenn es gelingt, ein informationelles Bezugssystem zu schaffen, an dem die verschiedenen umgangssprachlichen Fallbeschreibungen gemessen werden können. Nun haben aber die bisherigen Bemühungen gezeigt, daß der Reichtum der Umgangssprache und ihre doppelte Gliederung in „Sprache" und „Rede" allen Anstrengungen trotzen, sie durch Analyse, Approximation oder Simulation in einem Modell zu erfassen. Die „Verarbeitung" umgangssprachlicher Texte ist offensichtlich ohne menschliches Verstehen nicht möglich. Das Verstehen aber ist — wie gesagt — keine Kategorie der Datenverarbeitung. Aus dieser Einsicht heraus ergibt sich ein Ansatzpunkt, der vielleicht weiterhelfen kann. Es hat sich als problematisch erwiesen, vorhandene Beschreibungen zu verarbeiten, da eine direkte formalisierte Behandlung der Sprache unmöglich ist und die Übertragung in eine exakte Kunstsprache zu einem beträchtlichen Informationsverlust führt. Sollte man angesichts dieser Schwierigkeiten nicht einen Schritt zurückgehen und bereits die erste Objektbeschreibung so vornehmen, daß im unmittelbaren Anschluß daran — ohne eine zweite Objektbeschreibung mit dem damit verbundenen Informationsverlust — formalisierte, automatisierbare Arbeitsverfahren (hier: der Fallvergleich) möglich sind? 43 Damit würde einerseits der Tatsache Rechnung getragen, daß das
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Die infoimationstheoretisch begründete Anregung, statt einer auf Textanalyse begründeten „Beschreibung der vorhandenen Objektbeschreibung" von vornherein nur eine - und zwar eine formalisierbare - Objektbeschreibung anzustreben, wurde erstmals von Heiner Müller-Krumbhaar in einem Referat im Seminar von Professor Dr. Steinmüller an der Universität Regensburg im WS 1971/72 vorgetragen.
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Verstehen umgangssprachlicher Texte als Gegenpol menschlicher Rede (die Aktualisierung der semantischen Dimension sprachlicher Zeichen), nicht durch ein entsprechendes Modell programmierbar gemacht werden kann, zum anderen würde die Forderung des Computers nach einer exakten Sprache erfüllt. Eine solche von vornherein möglichst präzise vorgenommene Objektbeschreibung unterscheidet sich grundlegend von einer durch Übersetzung gewonnenen zweiten Objektbeschreibung. Eine Übersetzung verlangt zwei fertige Sprachen und Transformationsregeln. Eine originäre Beschreibung in einer neu zu schaffenden (freilich umgangssprachlich zu verankernden) Sprache verlangt dagegen ein entsprechendes Handlungsschema (Sprechschema). Bei der Übersetzung ist es nicht möglich, die Kunstsprache, in die übersetzt wird, zu verbessern; Entwicklung der Sprache und Übersetzung stehen nicht in unmittelbarer Wechselwirkung. Ein Sprechschema kann dagegen allmählich ausgebaut und empirisch entwickelt werden; es lebt und hat damit die Fähigkeit, sich an den permanenten umgangssprachlichen Wandel anzupassen 4 4 . Natürlich kann mit der aufgrund eines solchen Sprechschemas gewonnenen Beschreibung niemals der sprachliche Reichtum der Umgangssprache gewonnen werden. Aber hier ist zu bedenken, daß die Umgangssprache ja ein universales Instrument ist, das allen menschlichen Handlungen und Empfindungen entsprechen muß, während das hier in Rede stehende Sprechschema eine einzige Funktion hat - den unter juristischem Aspekt 4 s vorzunehmenden Ähnlichkeitsvergleich von Fällen. 44
Es geht also nicht darum, Beschreibungsähnlichkeiten aufzudecken, sondern darum, Objektähnlichkeiten aufgrund des durch die umgangssprachliche Beschreibung vermittelten Objektverständnisses zu erkennen. Dieses Verständnis erlaubt die Loslösung vom umgangssprachlichen Text und die erneute Beschreibung in einer zwar umgangssprachlich verankerten, aber durch explizite Vereinbarung an Hand eben der Fälle (Beispiele) präzisierten Kunstsprache, die dann formalisierbar ist. Zur exemplarischen Einführung von Prädikatoren und Prädikatorenregeln sowie zum Verstehen vgl. Kamlah-Lorenzen: Logische Prppädeutik, S. 23 ff, 94 ff und passim. Im Unterschied zu dem dort entwickelten Ansatz wird hier jedoch nicht angenommen, daß der Vorgang der exemplarischen Begriffseinführung jemals zu einer Begriffsklärung führt. Vielmehr ist dieser Vorgang unendlich; jeder neue Fall ist zunächst zweifelhaft. Je mehr Fälle jedoch (und zwar durch gegenseitigen Vergleich) entschieden sind, desto sicherer kann dieser Vorgang vollzogen werden und desto größer ist die Chance des gegenseitigen Verstehens.
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Hier liegt natürlich die entscheidende Schwierigkeit, weil dieser juristische Aspekt ja gegenwärtig nur aus dem gesetzlichen Tatbestand abgeleitet werden kann. Es existiert jedoch ein reiches Anschauungsmaterial von bereits beschriebenen und für ähnlich befundenen Fällen, beispielsweise in Urteilstatbeständen. Auf dieser empirischen Basis muß versucht werden, die fallimmanenten juristischen Strukturen — und zwar losgelöst vom Gesetz — zu verfeinern und zu extrapolieren. Vgl. Haft: Überblick über das Gebiet der Rechtsinformatik - Teil 2, in JA 1972, Heft 4 sowie die beiden Anwendungsbeispiele bei Haft - Müller-Krumbhaar: SEDOC - ein Verfahrensvorschlag zur Erschließung juristischer Literatur mit Computern, in JA 1970, S. 566 ff.
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Ein weiterer möglicher Einwand besagt: Auch ein fallorientiertes Sprechschema muß in der Umgangssprache verankert werden; die notwendige Begriffsunschärfe der Wörter kann damit nicht überwunden werden. Dieser Einwand ist zutreffend, aber es ist zu bedenken, daß das Schema nur zur Darstellung von Fällen und damit von Tatsachen dient. Der Bereich juristischer Erörterungen und Lösungen ist hier ausdrücklich ausgeklammert. Im sinnlich wahrnehmbaren Tatsachenbereich ist aber die Begriffsunschärfe der Wörter geringer und ist die Chance der gegenseitigen Verständigung größer als im Bereich des nur geistig denkbaren 4 6 . (Natürlich kann die damit ausgeklammerte Problematik über den Bereich der sogenannten .inneren Tatsachen' wiederkehren, wenn der „Fall" beispielsweise die Straftat eines Gesinnungstäters ist. Aber im allgemeinen spielt das wohl nicht die überwiegende Rolle 47 ). Ein erster Vorschlag für ein solches Sprechschema, (der an anderer Stelle etwas genauer ausgeführt ist 4 8 und im übrigen insbesondere auch im Hinblick auf eine formallogisch verfeinerte Verknüpfung der Wörter einer eingehenden Überprüfung bedürfte) wäre der folgende: 1. Verstehe den mitgeteilten Fall, aber löse dich von der Formulierung. 2. Teile den Fall in seine juristisch unterscheidbaren Stationen ein, aber vermeide juristische Fachausdrücke. Verwende umgangssprachliche Oberbegriffe, z.B. „Vorbereitung", „Auflauern", „Überfall", „Widerstand", „Flucht" usw. 3. Gliedere diese Bilder chronologisch, soweit das möglich ist. 4. Suche nun nach etwas allgemeineren Unterbegriffen zu den Oberbegriffen, z.B. (zu „Vorbereitung") „Maskierung", „Waffe", „Sack". 5. Ordne nun die in der mitgeteilten Fallbeschreibung verwendeten Wörter hierarchisch richtig ein; z.B. (in die Kette „Vorbereitung" „Waffe") „Revolver", „geladen" usw.
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Dazu näher Fritjof Haft: Computerunterstützte juristische Datenbanken Grenzen und Möglichkeiten, in Recht im Amt 1971, S. 41 ff. Eine Verständigung über Wörter wie „Stuhl" und „Tisch" ist eher möglich als über Wörter wie „Recht" und „Schuld". Auch hier handelt es sich im übrigen nur um Näherungsmethoden; ein direkter Beleg für das Verstehen von Äußerungen ist nicht gegeben; ein solcher ist nur für das Mißverstehen vorhanden. Vgl. John Lyons, Einfuhrung in die moderne Linguistik, S. 418.
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In jedem Falle werden innere Tatsachen für die juristische Behandlung nur im Zusammenhang mit äußeren Tatsachen relevant, so daß dieser sichere Anhaltspunkt durchwegs gegeben ist. Inwieweit sich das Problem im übrigen negativ auf den hier vertretenen Ansatz auswirkt, muß noch genauer untersucht werden. Das hier als Handlungsanweisung formulierte Schema liegt dem von Haft - MüUerKrumbhaar in JA 1970, S. 566 ff beschriebenen Verfahren SEDOC zugrunde.
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Eine erste Überprüfung hat ergeben, daß ein solches Schema praktikabel erscheint. Es wäre eine Aufgabe praktischer Experimente 49 — die bisher noch nicht durchgeführt worden sind - es weiter zu überprüfen und die erforderlichen Modifikationen vorzunehmen. Das durchgängig angewandte Schema nun erlaubt die Ausfuhrung des automatisierten Fallvergleichs. Dazu brauchen lediglich Entscheidungskriterien für diesen Fallvergleich festgelegt werden, wobei die dafür vorzugebenden Wertentscheidungen im Wege der Simulation allmählich verbessert werden können. Dabei gilt es, gewissermaßen mit vielen Kugeln (Art der Oberbegriffe, derne Reihenfolge, Art der mittleren Hierarchiebegriffe, deren Reihenfolge usw.) zu jonglieren. Das Ziel dabei ist nicht nur eine einfache Ja-Nein-Entscheidung zwischen „Ähnlich" und ,glicht ähnlich", sondern eine differenzierte Klasseneinteilung nach der Art von „Sehr ähnlich", „ähnlich", „noch ähnlicn", „wenig ähnlich" usw. s 0 . Die Tatsache, daß das Sprechschema ein juristisches, ausschließlich für Ähnlichkeitsvergleich geschaffenes Handlungsschema ist, soll dabei verbürgen, daß die Einteilung in Ähnlichkeitsklassen sich ausschließlich auf die juristische Ähnlichkeit bezieht. Und der Vergleich vollzieht sich jeweils spezifisch zwischen einzelnen Fällen, nicht etwa zwischen dem Fall und einem vorgegebenen Muster. Wenn dieser Ansatz sich als realisierbar erweist — was von seiner praktischen Erprobung abhängt — bietet sich damit die Lösung des Dokumentationsproblems nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht an. Es wird dann nicht nur irgendwie relevante Literatur ermittelt, sondern es wird die relevante Literatur nach dem Grade ihrer Relevanz geordnet. Damit erscheint das erwähnte Redundanzproblem prinzipiell als lösbar. Zum Abschluß soll das eingangs ausgeklammerte Problem der gegenseitigen Verwiesenheit von Fall und Gesetz noch im Lichte dieser Überlegungen — freilich in übermäßiger Kürze — besprochen werden. Wenn der direkte juristische Fallvergleich im Zuge der Einfuhrung der elektronischen Datenverarbeitung in das Recht möglich wrid, dann bedarf es der gesetzlichen Tatbestandsbeschreibung nicht mehr. Die Alternativen Gesetz und Richterspruch werden gegenstandslos. An ihre Stelle tritt ein Handlungsschema, das eine verfeinerte
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Zur Bedeutung des Experiments für die Rechtsinformatik Haft: Überblick über das Gebiet der Rechtsinformatik - Teil 1, in JA 1972, S. 206 f. Solche Experimente hätten hier die Aufgabe, eine erste Basis zu schaffen, die dann ständig weiter auszuarbeiten wäre. Ein fertiges, statisches System wird ja nicht angestrebt. Vielmehr geht es um ein dynamisches System, eine Handlungsanweisung, die einer sich stets wandelnden Wirklichkeit gerecht werden muß.
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Ein erster Vorschlag hinsichtlich der Entscheidungskriterien für den Ähnlichkeitsvergleich und der Ähnlichkeitsklassen von Entscheidungskriterien findet sich mit den erforderlichen Algorithmen in dem in Fußn. 48 zitierten Beitrag SEDOC.
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richterliche (menschliche) Fallanalyse ermöglicht, von der aus sowohl der einzelne Fall durch (automatisierte) Zuordnung der dieser Fallklasse zugesprochenen Wertentscheidung gelöst wird als auch das soziale Ganze, in das er eingebettet ist, optimal ausgestaltet werden kann S I . Man mag dies für Utopie halten, aber es ist wohl nicht mehr zu beweifeln„daß der Computereinsatz im Recht viele überlieferte Vorstellungen relativieren wird 52 . Daß die damit entworfenen Zukunftsbilder nicht nur negativ zu sehen sind, wird deutlich, wenn man sich klarmacht, daß die Datenverarbeitung nur eine von vielen Erscheinungen ist, die unsere Welt komplizierter machen — aber die einzige, die uns die Chance bietet, diese Kompliziertheit auch in der Zukunft noch zu bewältigen. Vielleicht hat der amerikanische Rechtshistoriker William Seagle eine solche Vision gehabt, als er seine am Vorabend des Computer-Zeitalters geschriebene „Weltgeschichte des Rechts" 5 3 mit den Worten beschloß: „Uns erscheint das Recht als ein ewiger Begriff, aber es ist denkbar, daß eine zukünftige Gesellschaft die Bedeutung der These .Gerechtigkeit gemäß dem Gesetz' gar nicht mehr kennen wird. Die Welt des Rechts ist schließlich nur ein kurzes Experiment; denn die Menschheit hat viel länger nach Sitten und Gewohnheiten gelegt, als nach Recht und Gesetz. Vielleicht stehen wir vor einem Zeitalter der Wissenschaft, und vielleicht wird auch dieses länger dauern als das Zeitalter des Rechts".
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Möglicherweise bahnt sich damit eine Synthese zwischen juristischer Logik und juristischer Hermeneutik an, die sich „zwar nicht so unversöhnlich und aggressiv gegenüber(stehen), wie man das von früheren rechtstheoretischen Systemen behaupten kann", die aber „ebenso wie frühere Ansätze die beiden Alternativen der Zuordnung von Gesetz und Richterspruch (realisieren)", Kaufmann-Hassemer a.a.O. (Grundprobleme) S. 65. Es wird deutlich, daß die automatisierte juristische Dokumentation - konsequent zu Ende gedacht - wegen des unlösbaren Zusammenhanges zwischen Information, Bewertung und Entscheidung das gesamte rechtstheoretische Arbeitsfeld abdeckt. Von hier aus ergeben sich reizvolle künftige Forschungsaufgaben der Rechtsinformatik. Vgl. näher Haft: Überblick über das Gebiet der Rechtsinformatik, in JA 1972, Heft 4; ferner zum Gesichtspunkt Systemoptimierung Haft-Müller-Krumbhaar: Computerunterstützte Verwaltungssysteme - ein Verfahrensvorschlag zum sozialen Mietrecht, in DSWR 1 (1971/72) Heft 8; zum Aspekt Planung Haft: Automatisierte juristische Dokumentation und Gesetzesplanung, in: Gesetzesplanung - Beiträge der Rechtsinformatik, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Rechtsinformatik München/Regensburg, 1972.
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Vgl. die Verlängerung einiger bereits jetzt erkennbaren Entwicklungslinien bei Haft: EDV im Recht, S. 179 f. William Seagle: Teh Quest for Law, New York 1941, deutsch: Weltgeschichte des Rechts, München, 3. Aufl. 1969.
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Stand und Organisation der Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung Bayerns von Josef Scheubel und Albert Schödlbauer
Die wachsende Bedeutung der EDV in der öffentlichen Verwaltung Unter den zahlreichen Maßnahmen, die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung zu erhöhen und an die gegenwärtigen und künftigen Anforderungen anzupassen, spielt die elektronische Datenverarbeitung (EDV) zweifellos eine hervorragende Rolle. Zwar genießt sie nicht jene Publizität, wie sie etwa den Maßnahmen zur Neugliederung der Verwaltungsbezirke oder anderen Bestrebungen zur Verwaltungsreform zuteil wird; für Fachleute ist aber erkennbar, daß ihre Auswirkungen auf den Arbeitsgang und möglicherweise auch auf die Struktur der öffentlichen Verwaltung auf lange Sicht wesentlich tiefer greifen werden. Während früher ein Einfuhrung technischer Hilfsmittel (Buchungsautomaten, Lochkartenanlagen, Tischrechenmaschinen) nur für relativ eng begrenzte Arbeitsvorgänge eine Beschleunigung und Vereinfachung ermöglichte und nur geringe organisatorische Eingriffe erforderlich machte, erfordert die Einführung der EDV sowohl in der Kosten-Nutzen-Analyse als auch im organisatorischen Bereich zwingend eine übergeordnete Betrachtungsweise, die zumindest auf eine Änderung der Verwaltungsmethoden abstellt. Naturgemäß werden hiervon zunächst vorwiegend diejenigen Verwaltungen berührt, die unmittelbar mit der EDV befaßt sind. Von diesen „Automationsinseln" gehen aber Impulse aus, die einen Wandel auch bei anderen Verwaltungszweigen auslösen können.
Diese Tendenz prägt die künftige Entwicklung. Sie wird bei den Massen- und Routineaufgaben zu einer Überbrückung der noch bestehenden Automationsinseln führen, wodurch alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung, die miteinander durch gemeinsame Informationsquellen und -ziele in Beziehung stehen, im Rahmen einer „integrierten Datenverarbeitung" verknüpft werden können. Vorteile ergeben sich dabei in erster Linie für den Verwaltungsvollzug, der dadurch leistungsfähiger zu werden verspricht. Darüber hinaus wird es aber in absehbarer Zeit möglich werden, die Daten des Verwaltungsvollzugs zu Planungsinformationen zu verdichten und dadurch in höherem Maße, als dies bisher der Fall sein konnte, zur Grundlage von Entscheidungen aller Art zu machen. Für ein derartiges System ist der Begriff „Informationssystem" vorgesehen.
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EDV-technische Hinweise1 Die EDV-Anlagen oder Computer zeichnen sich insbesondere durch folgende Merkmale aus: hohe Operationsgeschwindigkeit große Speicherfähigkeit die Möglichkeit der Programmspeicherung und -modifikation das günstige Preis/Leistungs-Verhältnis. Der Einsatz von Computern ist vor allem dann angebracht, wenn — in großem Umfang ständig wiederkehrende, nach ihrem sachlichen Inhalt logisch gleiche oder gleich zu behandelnde Aufgaben zu erledigen sind, — Rechenaufgaben durchgeführt werden sollen, die durch ihre große Zahl oder durch ihre Schwierigkeit manuell zu zeitraubend wären, — umfangreiche Statistiken und Auswertungen sonstiger Art anzufertigen sind. Normalerweise liegen die Daten, die erstmals der EDV zugeführt werden, in einer nur dem Menschen verständlichen Form vor, z.B. handschriftlich gestellte Anträge, Steuererklärungen usw. Diese Daten müssen zunächst „erfaßt", das heißt auf einen maschinenlesbaren Datenträger, auf Lochkarten, Lochstreifen oder Magnetbänder umgesetzt werden, bevor sie eine EDV-Anlage verarbeiten kann. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Daten über Bildschirmgeräte oder andere „Terminals" unmittelbar in die EDV-Anlage einzugeben. Wegen der manuellen Komponente, die mit diesem als Datenerfassung bezeichneten Vorgang verbunden ist, liegt hier sowohl wirtschaftlich als auch organisatorisch der entscheidende Engpaß der Datenverarbeitung. Die menschliche Arbeitskraft ist bekanntlich teuer, rar und — gemessen an den Geschwindigkeitsmaßstäber der elektronischen Datenverarbeitung - außerordentlich langsam. Daher verdienen die Möglichkeiten der „optischen Beleglesung" besonderes Augenmerk. Optische Belegleser können Markierungen, maschinen- und sogar handgeschriebene Zeichen, die bestimmten Formvorschriften genügen, unmittelbar lesen, wodurch sich die manuellen Vorarbeiten bei der Datenerfassung beträchtlich verringern lassen.
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Dieser Abschnitt, der an sich über das Thema des Vortrages hinausgreift, wurde eingeschoben, um dem angesprochenen Personenkreis das Verständnis des nachfolgenden Berichts zu erleichtern. Das Schwergewicht der Schilderung liegt dabei weniger auf der Zentraleinheit der EDV-Anlage, in der die arithmetischen und Vergleichsoperationen mit elektronischer Geschwindigkeit ablaufen, sondern bei den sog. peripheren Geräten, weil diese Geräte, an der Nahtstelle zwischen der manuellen und automatisierten Verarbeitung stehend, in besonderer Weise die einzelnen Anwendungsbereiche kennzeichnen.
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Wichtigstes Gerät zur Datenausgabe ist der Schnelldrucker, der mit einer Geschwindigkeit von bis zu 100 000 Zeilen/Stunde die Verarbeitungsergebnisse der EDV-Anlage ausdruckt und sie so wieder in eine für den Menschen lesbare Form umsetzt. Für die Aufnahme der Betriebs- und Verarbeitungsprogramme sowie der Daten ist jede EDV-Anlage mit Arbeitsspeichern ausgestattet. Speicherelemente sind hier überwiegend Kern- und Halbleiterspeicher, deren Zugriffszeit sehr sehr kurz ist. Die Größe des Arbeitsspeichers ist ein Maß für die Leistungsfähigkeit einer Anlage. Der Arbeitsspeicher einer EDV-Anlage reicht jedoch, auch wenn er großzügig bemessen ist, in der Regel nicht aus, alle Rechenprogramme, mit denen eine Anlage betrieben wird, und alle Daten, die über einen längeren Zeitraum gespeichert werden müssen, aufzunehmen. Kernspeicher und Halbleiterspeicher sind überdies sehr teure Speichermedien. Die EDV-Anlage wird daher fast immer von peripheren Speichergeräten wie Magnetband- und Magnetplattenspeichern ergänzt. Der Magnetplattenspeicher hat vor dem Magnetbandspeicher den Vorzug, daß er — wie der Arbeitsspeicher der EDVAnlage — den direkten Zugriff zu den Daten ermöglicht, während die Daten auf einem Magnetband nur der Reihe nach zugänglich sind. Das Magnetband ist jedoch das billigste der genannten Speichermedien. Schließlich noch ein Wort zu den wichtigsten Verarbeitungsverfahren: Die Stapelverarbeitung ist derzeit das wirtschaftlichste und am weitesten verbreitete Verfahren. Bei diesem Verfahren werden alle Daten, die von einem bestimmten Programm verarbeitet werden sollen, zunächst einmal gesammelt und dann in einem Schub — meist zu bestimmten Terminen — verarbeitet. Größere EDV-Anlagen erlauben die Multiprogrammverarbeitung. Die Zentraleinheit einer EDV-Anlage ist, da sie elektronisch arbeitet, naturgemäß wesentlich schneller als die mechanisch arbeitenden peripheren Geräte. Beim Ablauf ein-/ausgabeintensiver Programmteüe könnten dadurch für die Zentraleinheit relativ lange Arbeitspausen entstehen. Dieser wegen der hohen Kosten der Zentraleinheit unerwünschte Umstand läßt sich bei größeren Anlagen durch die Multiprogrammverarbeitung weitgehend umgehen. Hierbei wird der Ablauf mehrerer Programme unter Einhaltung bestimmter Prioritäten vom Betriebsprogramm der Anlage so gesteuert, daß immer dann, wenn die Zentraleinheit von einem Programm bei Ein-/Ausgabeoperationen nicht in Anspruch genommen wird, das nächste Programm die freie Kapazität verwertet. Die einzelnen Programme werden dadurch zeitlich ineinander verzahnt verarbeitet. Im Gegensatz zur Stapelverarbeitung werden beim Echtzeit-Verfahren die Daten nicht gesammelt, sondern unmittelbar nach ihrem Anfall verarbeitet. Sind mehrere Benutzer zu bedienen, so erfolgt die Bearbeitung in der Reihenfolge, in der die einzelnen Programme aufgerufen werden. Das Time-SharingVerfahren ist eine besonders elegante Form der Echtzeitverarbeitung, bei der
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eine größere Zahl von Teilnehmern über Dialoggeräte scheinbar gleichzeitig mit der EDV-Anlage arbeiten kann. Der Anschein der Gleichzeitigkeit wird dadurch erweckt, daß in einem zyklischen Verfahren einem Teilnehmer nach dem anderen automatisch Rechenkapazität und kurze Abschnitte an Rechenzeit zugewiesen werden. Der Ablauf der einzelnen Programme wird dadurch gerastert und zeitlich auseinander gezogen. Das bedeutet zwar, daß die schnelle Maschine für jeden Benutzer langsamer arbeitet; dies ist aber meist unerheblich, da die Reaktionszeit des Menschen auf irgendwelche unerwarteten Zwischenergebnisse ohnehin meist relativ lang ist. Sowohl das Multiprogramm- als auch das Time-Sharing-Verfahren erfordern EDV-Anlagen mit großen Arbeitsspeichern, da im Arbeitsspeicher neben dem Programmsystem für den Betrieb der Anlage (Betriebssystem) gleichzeitig mehrere Verarbeitungsprogramme resident sein müssen. Schließlich ist noch auf die Datenfernverarbeitung hinzuweisen. Datenfernverarbeitung ist die Verbindung von Datenfernübertragung und Datenverarbeitung in einem organisatorisch zusammengehörigen System. Die Daten werden über Datenstationen (Eingabe- oder Dialoggeräte) in möglichster Nähe zur Datenquelle erfaßt, als elektrische Impulse über Leitungen zur EDV-Anlage übertragen und dort verarbeitet. Auf dem umgekehrten Weg werden die Ergebnisse dann an die Datenstationen (Ausgabe- oder Dialoggeräte) zurückgegeben. Die Verarbeitung ist sowohl im Echtzeit- als auch im Stapelverfahren möglich. Für die Übertragung der Daten stehen die Fernmeldeeinrichtungen der Deutschen Bundespost, insbesondere das Telex-, Datex- und Fernsprechnetz zur Verfügung. EDV in der bayerischen Staatsverwaltung Im Bereich des gesamten öffentlichen Dienstes in Bayern gibt es heute bereits rund 100 Computer verschiedenster Größe, Herkunft und Verwendung. Allein in der bayerischen Staatsverwaltung sind für Verwaltungsaufgaben verschiedenster Art derzeit 21 EDV-Anlagen eingesetzt. Bei der Inneren Verwaltung betreibt das Statistische Landesamt drei EDVAnlagen, mit deren Hilfe die zahlreichen statistischen Aufgaben und eine Reihe weiterer Aufgaben sowohl fiir die Innere Verwaltung (zentrale Abrechnung von Bußgeldbescheiden, polizeiliche Kriminalstatistik, Fahndungsvergleich, Ermittlung von Wahlergebnissen; Arbeiten fiir die Oberste Baubehörde usw.) als auch für andere Geschäftsbereiche (Justizstatistiken der Zivil- und Strafsachen, Festsetzung der Realsteuerkraftzahlen, Berechnung der Schlüsselzuweisungen des Staates an die Gemeinden, Erstellung einer Lehrerdatei usw.) bearbeitet werden. Die letzte große Arbeit war die Auswertung der Volks- und Berufszählung 1970, bei der unter Einsatz eines Optischen Beleglesers die allen Bürgern bekannten Fragebogen automatisch gelesen und ausgewertet wurden. Die elektronische Auswertung statistischer Erhebungen ist übrigens ein typisches Anwendungsfeld des Verfahrens der Stapelverarbeitung.
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Ein wichtiger Baustein eines künftigen Informationssystems der öffentlichen Verwaltung stellt die „Statistische Datenbank" dar. Die Datenbank enthält derzeit für jede Gemeinde Bayerns rd. 650 verschiedene Daten, die stets abrufbereit zur Verfügung stehen und miteinander automatisiert in Beziehung gebracht werden können. Die Polizei baut ein Informationssystem zur Verbrechensbekämpfung auf der Grundlage folgender Datensammlungen auf: — Personendatei für registrierte Straftäter und für Personen, die zur Festnahme und Aufenthaltsermittlung gesucht werden; — Sachfahndungsdatei für abhanden gekommene Fahrzeuge und sonstige Gegenstände; — Merkmalsdatei mit den Personenbeschreibungen und den modus-operandiMerkmalen registrierter Straftäter; — Falldatei mit den Merkmalen zur Personenbeschreibung und zur Arbeitsweise namentlich noch nicht ermittelter Täter und den Daten für die polizeiliche Kriminalstatistik. In Amerika, wo man auf diesem Gebiet z.T. schon etwas weiter ist, hat das Federal Bureau of Investigation (FBI) in Zusammenarbeit mit den staatlichen und kommunalen Plizeien der Bundesländer bereits ein umfassendes polizeiliches Informationssystem aufgebaut, das im Dialog-Verkehr mit 39 Regionalcomputern und über rund 4.500 Terminals binnen 30 Sekunden Auskünfte über gesuchte Personen und Sachen, insbesondere Kraftfahrzeuge und Schußwaffen gibt. Bei der KFZ-Fahndung sieht das in der Praxis dann so aus, daß eine Polizeistreife z.B. an der Auffahrt zu einer Brücke oder am Anfang einer sonstigen Prüfstrecke laufend die Autonummern der durchfahrenden Kraftfahrzeuge registriert und per Funk an die nächste Dateneingabestation meldet; von dort aus werden die Nummern sofort über ein Terminal in die EDVAnlage eingegeben und automatisch mit der Datei der gestohlenen Kraftfahrzeuge verglichen. Die als gestohlen gemeldeten Kraftfahrzeuge, die das System in Sekundenschnelle ermittelt, werden einer zweiten Polizeistreife am Ende der Prüfstrecke mitgeteilt, die dann das Erforderliche veranlassen kann. Um ein derartiges System, das auch für Bayern in Vorbereitung ist, verwirklichen zu können, muß das Verfahren der Datenfernverarbeitung eingeführt werden, das ein umfangreiches Leitungsnetz voraussetzt; ferner werden EDVAnlagen benötigt, die einen direkten Zugriff zu den Daten ermöglichen, also z.B. mit Plattenspeichern ausgerüstet sind. Eine Vielzahl von Aufgaben steht naturgemäß im technischen Bereich der Obersten Baubehörde zur Übernahme auf die elektronische Datenverarbeitung heran. Zu nennen sind z.B. Ausschreibung, Abrechnung, Kostenschätzung und Kostenberechnung bei Baumaßnahmen, Terminplanungen und Kostenplanungen mit Hilfe der Netzplantechnik, Datensammlung und Datenauswertung
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von Investitions- und Betriebskosten betriebstechnischer Anlagen, Aufbau verschiedener Fachdatenbanken, vor allem einer Straßendatenbank, in der alle wichtigen Angaben über die größeren Straßen enthalten sein werden, sowie die Speicherung und Verwertung verschiedenster für die Wasserwirtschaft bedeutsamer Daten. Diese und weitere Aufgaben sind bereits in Angriff genommen oder werden in den nächsten drei bis vier Jahren verwirklicht werden. In der Justizverwaltung sind die Planungen für die Einführung der EDV zunächst dadurch erschwert, daß wegen der Notwendigkeit eines bundeseinheitlichen Verfahrens in vielen Bereichen Übereinstimmung mit den anderen Ländern und mit dem Bund hergestellt werden muß. Eine von den Justizministern der Länder eingesetzte EDV-Kommission, der auch das Bundesjustizministerium angehört, hat folgende Aufgabengebiete für eine Überprüfung auf Automationseignung ausgewählt: die Dokumentation von Rechtsnormen, Rechtsliteratur und Judikatur, das Grundbuchwesen, das Zahlungsbefehlsverfahren, die Kostenberechnung und Kosteneinziehung, die Strafregisterführung im Zusammenhang mit dem kürzlich errichteten Bundeszentralregister. Aus diesem Aufgabenkatalog untersucht Bayern zusammen mit anderen Ländern die Überführung des Grundbuchwesens in das automatisierte Verfahren. Eine Ist-Analyse und ein Sollkonzept sind bereits erstellt. Das Soll-Konzept geht von der Integration bzw. vom Zusammenwirken mit den benachbarten Verwaltungsbereichen Liegenschaftskataster, Notariat, Finanzverwaltung, Flurbereinigung, Straßenbau usw. aus. Ziel der geplanten Umstellung auf EDV ist die Beschleunigung der Bearbeitung, um damit neben einer innerbetrieblichen Rationalisierung vor allem den Wohnungs- und Eigenheimbau oder auch Vorhaben der öffentlichen Hand (z.B. Flurbereinigung und Straßenbau) zu fördern. Außerdem kann damit gerechnet werden, daß durch die Erfassung des gesamten Grundstückswesens und des Bodenkredits auch für Landesplanungszwecke brauchbare Strukturdaten geliefert werden können. Da auch im Grundbuchwesen die ständige Auskunftsbereitschaft angestrebt wird, muß das elektronisch geführte Grundbuch auf einem Fernverarbeitungskonzept aufgebaut werden. Eine Fülle von Einsatzmöglichkeiten für die EDV gibt es im Geschäftsbereich des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus2. Im Hochschulbereich ist die EDV einerseits Gegenstand der Forschung und Lehre, zum anderen dient sie als Arbeitsmittel auf allen Gebieten der Wissenschaft.
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vgl. hierzu „Einführung der Datenverarbeitung im Bildungswesen - Schülerdatei 1"; Reihe B Heft 1 der Schriften des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus
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Die Entwicklung der technischen Einrichtungen der EDV erfolgt nicht nur in der Industrie, sondern ist auch eine echte Aufgabe der technischen Fakultäten, die hier insbesondere in der Frühzeit der elektronischen Datenverarbeitung bahnbrechende Arbeiten geleistet haben (z.B. Bau der immer noch arbeitenden Programmgesteuerten elektronischen Rechenanlage München — PERM - durch die Professoren Piloty und Sauer an der Technischen Hochschule München in den Jahren 1952 bis 1956). Ebenso ist die Vermittlung des erforderlichen technischen Wissens an Studierende der Informationstechnik, der Nachrichtentechnik und der Elektrotechnik eine wichtige Aufgabe der Hochschulen. In den letzten Jahren sind insbesondere die theoretischen Grundlagen der Datenverarbeitung entwickelt worden. Dies hat zur Einfuhrung von Studiengängen der Informatik geführt, die aufgrund von neuerarbeiteten Prüfungsordnungen mit dem akademischen Grad des Diplominformatikers abgeschlossen werden können. Ein weiteres großes Anwendungsfeld für die EDV liegt im Bereich der Unisersitätskliniken. Einsatzmöglichkeiten bestehen hier u.a. für Verwaltungsaufgaben, zur Rationalisierung des Laborbetriebs sowie als Mittel der Diagnostik und der Therapie. Rechenzentren bestehen derzeit an den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Würzburg und Regensburg; den Münchener Universitäten steht vor allem das Leibniz-Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissensehaften zur Verfügung. Selbstverständlich werden auch die neuen Hochschulen Rechenanlagen erhalten. Bei den Fachhochschulen liegt der Schwerpunkt der EDV im Lehrbetrieb. Auch in den Bibliotheken kommt ein Großteil der Arbeitsvorgänge — von der Erwerbung bis-zur Ausleihe — für den Einsatz von Datenverarbeitung in Betracht. Als erste Bibliothek in Bayern arbeitet die Universitätsbibliothek Regensburg mit einem Computer. Er wird auch für die Bibliothek der neu errichteten Universität Augsburg eingesetzt, wodurch es in Augsburg in kürzester Zeit gelang, Buchbestand und Katalog aufzubauen. Auch die Bayerische Staatsbibliothek hat mit den Tests zur Einführung der EDV begonnen. Im Bildungsbereich (im engeren Sinne) begegnen wir mannigfachen Anwendungsmöglichkeiten der Datenverarbeitung, deren Einsatzbereiche sich in 5 Gruppen gliedern lassen: — Unterricht (EDV als Gegenstand der Unterweisung — Informatik, und als Medium der Unterweisung — technische Hilfe beim programmierten Unterricht sowie der Auswertung von Tests und Prüfungen) — Bildungsplanung und Bildunsgsstatistik, — Bildungsforschung (einschließlich Dokumentation) — Bildungsberatung — Verwaltung (Einsatz der Schulverwaltungsdateien zur Rationalisierung und Automatisierung von Massenarbeiten, maschineller Vollzug von Gesetzen).
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Im Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Finanzen unterhält die Steuerverwaltung ein Rechenzentrum mit zwei EDV-Anlagen beim Zentralfinanzamt München für Einkommensteuerveranlagungen (750000 Fälle/Jahr), für den Lohnsteueijahresausgleich (1,8 Mio Fälle/Jahr), für die Einheitswertfeststellungen sowie zur Erhebung der veranlagten Steuern und der Kfz-Steuer im Großraum München. Ein zweites Rechenzentrum mit einer weiteren Anlage wurde in Nürnberg errichtet. Die maschinelle Steuerfestsetzung wird demnächst auf die Umsatzsteuer, die Gewerbesteuer und auf die Vermögenssteuer ausgedehnt werden. Das Endziel des Ausbaues ist der Verbund von Steuerfestsetzung und Steuererhebung in einem Daten(fern)verarbeitungssystem, das allen Finanzämtern den direkten Zugriff zu den maschinell geführten Steuerkonten ermöglicht. Die allgemeine Finanzverwaltung wird ihr Rechenzentrum bei der Bezirksfinanzdirektion München (Landesbesoldungsstelle) weiter ausbauen. Hier werden Dienst- und Versorgungsbezüge (insgesamt 280 000 pro Monat) für die bayerischen Beamten berechnet und zahlbar gemacht, Rechenarbeiten der Vermessungsverwaltung erledigt, alle zentralen Auswertungen aus dem Haushalts*, Kassen- und Rechnungswesen vorgenommen, Wiedergutmachungsrenten berechnet und zahlbar gemacht (38 000 Zahlungen/Monat) und die Rechenarbeiten der Finanzbauverwaltung durchgeführt. Die Vermessungsverwaltung verfugt neben der vorgenannten Rechenkapazität noch über zwei eigene kleinere Rechner, ferner über elektronisch gesteuerte Zeichenanlagen, mit deren Hilfe die Ergebnisse der Vermessungstätigkeit in Katasterkarten anschaulich dargestellt werden. In der Zukunft wird insbesondere die maschinelle Führung des Liegenschaftskatasters eine große Rolle spielen, wobei — wie bereits erwähnt — die Planungen über eine technische Integration mit dem Grundbuch auf ein elektronisches Informationssystem für alle Grundstücksdaten hinzielen. Ziel ist ein Verbundsystem mit automatisierter Fortschreibung und mit Direktzugriff für alle berechtigten Instanzen. Den wohl umfangreichsten Beleganfall aller staatlichen Dienststellen hat die staatliche Lotterieverwaltung zu bewältigen, die schon seit Jahren Lotto- und Totobelege mit automatischen Lesegeräten auswertet und mit einer EDVAnlage weiterverarbeitet. Die Wirtschaftsverwaltung betreibt keine EDV-Anlage. Jedoch zeichnen sich auch hier eine Reihe von Anwendungsgebieten ab, z.B. für die Wirtschaftsförderung, die Wirtschaftsbetreuung, die Verkehrsplanung und für die Energieaufsicht. Weitere Anwendungsmöglichkeiten sind in der Eichverwaltung und im Kfz-Zulassungswesen gegeben. Bei der Land- und Forstwirtschaftsverwaltung läuft eine große zentrale Anlage (die größte in der Bayer. Staatsverwaltung) für Agrarstrukturberechnungen, Abwicklung von Subventionen aller Art, Lochberechnungen usw. sowie für Aufgaben landwirtschaftlicher Verbände. Alle Daten, die von den ver-
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schiedensten, voneinander unabhängigen Benutzern des Rechenzentrums über die landwirtschaftlichen Betriebe erfaßt werden, sind so in einer einzigen EDV-Anlage zusammengefaßt. Aufgrund der gemeinsamen Benutzung der Anlage durch die verschiedensten Institutionen ist eine wichtige Voraussetzung zur Errichtung eines umfassenden landwirtschaftlichen Informationssystems geschaffen. Auch die Staatsforstverwaltung berechnet mit dieser Maschine unter Zuhilfenahme eines Optischen Beleglesers u.a. den Holzeinschlag und den Holzverkauf. Ein umfangreiches Aufgabengebiet, das derzeit programmiert wird und demnächst auf die Anlage übernommen werden soll, ist die Berechnung der Waldarbeiterlöhne. Für die Zwecke der Flurbereinigung besteht bereits seit längerer Zeit ein Rechnernetz mit zwei Anlagen bei der Flurbereinigungsdirektion München und 6 kleineren Rechnern bei den Direktionen Ansbach, Bamberg, Krambach, Landau, Regensburg und Würzburg. Bei der Flurbereinigungsdirektion München werden zentrale Berechnungen und Registerarbeiten durchgeführt, während bei den übrigen Direktionen vornehmlich vermessungstechnische Berechnungen in der erforderlichen „Frontnähe" erledigt werden. Die Flurbereinigung gehört neben dem Statistischen Landesamt und dem Landesvermessungsamt zu den ältesten Anwendern programmgesteuerter Datenverarbeitungsanlagen im Bereich der öffentlichen Verwaltung Bayerns. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß die Automation hier mit einem selbstgebauten programmgesteuerten Relais-Rechenautomaten begann, den Dr.-Ing. H. Seifers 1953—1955 am Flurbereinigungsamt München konstruierte und den die Fa. Zuse später in weiterentwickelter Form serienmäßig herstellte und mit großem Erfolg an viele Dienststellen der Vermessungs- und Flurbereinigungsverwaltungen vertrieb. Der von Seifers gebaute Prototyp steht heute im Deutschen Museum in München. Im Geschäftsbereich des Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung werden beim Landesversorgungsamt Bayern rd. 470 000 Kriegsopferrenten abgerechnet. Neuerdings wurde der automatisierte Datenfluß um die Berechnung der Renten und um die Erstellung der Rentenbescheide erweitert. Die Arbeiten zur Übernahme von 120000 Kriegsschadensrenten nach dem Lastenausgleichsgesetz sind im Gange. Für die elektronische Bearbeitung vorbereitet werden automationsgeeignete Aufgaben der Gewerbeaufsicht, z.B. die Erfassung aller aufsichtspflichtigen Betriebe und aller überwachungsbedürftigen Anlagen sowie die Auswertung der Überprüfungen, ferner die Auswertung der Untersuchungen nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz. Schließlich dürften in der nächsten Zeit Dokumentationen für die Arbeits-, Versorgungs- und Sozialmedizin und die Führung eines Tarifarchivs erwartet werden. Eine große Bedeutung mißt die Oberste Landesplanungsbehörde, die beim Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen ressortiert, der Datenverarbeitung beim Vollzug des Landesplanungsgesetzes, bei der Aufstellung und Fortschreibung der Landesentwicklungsprogramme und der Regional-
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pläne zu. Die EDV wird für die fortlaufende Beobachtung struktureller Vorgänge, für Analysen und Entscheidungen in der Landesentwicklung zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel werden. Erste Auswertungen werden mit Hilfe einer Datenbank für Zwecke der Landesplanung bereits durchgeführt. Landesamt für Datenverarbeitung Neue Impulse hat die Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung durch das „Gesetz über die Organisation der elektronischen Datenverarbeitung im Freistaat Bayern" (EDVG) vom 12.10.1970 (GVB1. S.457) erfahren. Mit diesem Gesetz wurde ein der Staatskanzlei unterstelltes Landesamt für Datenverarbeitung errichtet (Art. 3); ferner ist bestimmt, daß dem Landesamt sog. Gebietsrechenstellen als unselbständige Außenstellen angegliedert werden. Den Gebietsrechenstellen wird die Aufgabe zufallen, diejenigen Verwaltungsaufgaben draußen im Land zu erledigen, die nicht notwendigerweise zentral abgewickelt werden müssen. Im übrigen ist dem Landesamt für Datenverarbeitung in technischen und organisatorischen Fragen eine gewisse Schlüsselfunktion für den innerstaatlichen und staatlich-nichtstaatlichen Datenaustausch zugewiesen. Das Landesamt soll ferner die Programmierung fördern und einen Programmnachweis aufbauen und fortfuhren. Schließlich obliegt dem Amt die nachhaltige Förderung der für die Weiterentwicklung der Verwaltungsautomation lebensnotwendigen Aus- und Fortbildung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes auf dem Sektor Datenverarbeitung. Die Konstruktion der Gebietsrechenstellen erwuchs aus dem Bestreben, die staatliche Datenverarbeitung in möglichster Frontnähe zu betreiben. Dadurch wird es im Laufe der Zeit möglich sein, all die staatlichen Stellen, die ständig den direkten Zugriff zu den gespeicherten Daten brauchen und keine eigenen Anlagen auslasten können, über Datenfernübertragungseinrichtungen mit kurzen Leitungswegen und mit relativ geringen Übertragungskosten an staatliche EDV-Anlagen anzuschließen. Ein weiterer Vorteil liegt ferner darin, örtlich zusammenhängende Daten im Rahmen der „horizontalen Integration" automatisiert miteinander zu verknüpfen. Soweit Art und Umfang der Aufgaben dies erforderlich machen, betreiben die Ressorts daneben eigene EDV-Anlagen (Art. 6). Die Abgrenzung der Aufgaben zwischen den Anlagen der Gebietsrechenstellen und den Ressortrechnern ist noch nicht endgültig festgelegt. Als Zuordnungskriterien bieten sich im ersten Fall Merkmale an, die für die horizontale Integration sprechen (als wichtigstes: ständiger Datenfluß zwischen den integrierten Bereichen), im zweiten Fall funktionsbezogene Kriterien (z.B. hoher Autonomiegrad einer Aufgabe). Diese Fragen werden u.a. auch in einem als allen Ressorts bestehenden staatlichen Koordinierungsausschuß (Art. 8 und 9) unter Vorsitz des Finanzministeriums erörtert.
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Der kommunale Bereich Die oft erhobene Forderung nach besseren Leistungen der Verwaltung und der Zwang, Personalvermehrungen möglichst zu begrenzen, veranlaßten auch die kommunalen Verwaltungen schon früh, bestimmte Verwaltungsabläufe zu rationalisieren und die Möglichkeiten der Automation zu nutzen. Gerade im kommunalen Bereich boten und bieten sich hier viele Ansatzpunkte, weil ein beträchtlicher Anteil der Massen- und Routineaufgaben der öffentlichen Verwaltung hier anfallen und hier erledigt werden müssen. Zunächst verlief hier die Entwicklung nicht einheitlich. So bemühten sich Gemeindetag und Landkreisverband unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen Konzeptionen über verbandseigene Rechenzentren für die bei ihnen angeschlossenen Gebietskörperschaften eine gewisse Einheitlichkeit in der Datenverarbeitung zu erzielen. Auf der anderen Seite bauten aber auch etwa 20 Städte eigene selbständige Verarbeitungszentren mit Anlagen unterschiedlichster Hersteller auf. Unter diesen Umständen verdienen die neuesten erfolgreichen Bemühungen der bayerischen kommunalen Spitzenverbände, die kommunale Datenverarbeitung in Bayern auf einen einheitlichen Nenner zu bringen, größte Beachtung. Trotz unterschiedlicher verbandspolitischer Standpunkte konnten sich die Verbände einigen, unter dem Dach einer von ihnen getragenen Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB) im kommunalen Bereich eine einheitliche EDV-Organisation aufzubauen. Die Anstalt wird die Anlagen des Gemeindetags und des La ndkreisverbandes übernehmen und wird kommunale Gebietsrechenstellen aufbauen. Die meisten Städte, insbesondere auch solche, die bereits eigene EDV-Anlagen betreiben, haben sich vertraglich verpflichtet, bestimmte Aufgaben aus dem Einwohner- und dem Finanzwesen auf die AKDB zu übertragen. Diese Entwicklung gewinnt besondere Bedeutung mit der Einfuhrung des sog. bundeseinheitlichen Personenkennzeichens, das 1975 vergeben werden soll. Die Grundlage für diese positive Entwicklung wurde ebenfalls durch das bereits erwähnte EDV-Gesetz gelegt. Bayern ist in diesem Gesetz nicht dem Vorbild der Länder Hessen und Schleswig-Holstein gefolgt, die die staatliche und kommunale Datenverarbeitung durch Gesetz zusammenfaßten. Man hat vielmehr hier bewußt von einem solchen Zwangszusammenschluß abgesehen, der in Bayern wohl auch kaum durchsetzbar gewesen wäre. Man wollte mit dem Gesetz lediglich die unerläßliche Koordination und den Datenaustausch zwischen dem staatlichen und dem kommunalen Bereich gewährleisten. Institute, die diese Zusammenarbeit sicherstellen sollen, sind ein staatlichkommunaler Ausschuß (Art. 11), eine kommunale Anstalt, nämlich die bereits erwähnte AKDB (Art. 14) und eine Verordnungsermächtigung, um vom Staat aus (nach Anhörung des staatl .-kommunalen Ausschusses) den Datenverbund und den Datenaustausch regeln zu können (Art. 12).
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EDV bei den Sozialversicherungsträgern Auch bei den Sozialversicherungsträgern ist die enge Zusammenarbeit der einzelnen Körperschaften auf dem Gebiet der EDV von großer Bedeutung. Ferner bestehen mit anderen Trägern öffentlicher Aufgaben (Kommunalverwaltung, Bundesanstalt für Arbeit, Bundesregierung, Bundespost) und sogar mit dem privaten Bereich (Arbeitgeber) enge Verflechtungen, die sich maßgeblich auf die EDV-Organisation auswirken. Derzeit sind bei den bayerischen Sozialversicherungsträgern 19 Rechenanlagen im Einsatz; fünf davon entfallen auf die Landesversicherungsanstalten, die mit rd. 3,2 Millionen Versicherten und 1,2 Millionen Rentnern einen beachtlichen Arbeitsanfall zu bewältigen haben. Ziel der Automationsbemühungen ist es, die Versicherungsund Leistungsdaten aller Versicherten zu speichern, um die Leistungen zugunsten der Versicherten beschleunigt feststellen zu können. Ferner wird das automatisierte Verfahren, das gleichsam als Abfallprodukt wertvolles statistisches Material liefert, den Sozialversicherungsträgern und dem Gesetzgeber wertvolle Planungs- und Entscheidungshilfen zuführen, ohne die eine zukunftsorientierte Gesellschaftspolitik kaum noch denkbar ist. Zusammenfassung Die EDV hat in der öffentlichen Verwaltung in Bayern einen guten Stand erreicht. Die Entwicklung war bisher sowohl in den Geschäftsbereichen des Staates als auch im kommunalen Bereich und bei anderen Trägern öffentlicher Aufgaben durch eine organische Entwicklung zusammenhängender Aufgabenbereiche gekennzeichnet. Das bayerische EDV-Gesetz ist ein wirksames und flexibles Instrument, den Aufbau zügig weiterzuführen und auf ein gemeinsames Ziel hinzuentwickeln, das in der Zusammenführung und Integration zusammenhängender Bereiche gesehen wird. Die dadurch mögliche vielfältige Nutzung vorhandener Informationen läßt nicht nur wirtschaftliche Vorteile, sondern auch eine erhebliche Verbesserung der Leistungen der öffentlichen Verwaltung auf vielen Gebieten erwarten.
Die Rolle der Verwaltungswissenschaft für die Automation in der öffentlichen Verwaltung* von Malte von Berg I. Nicht nur der ständig zunehmende Einsatz von EDV-Anlagen in der öffentlichen Verwaltung, sondern auch eine erhöhte Sensibilität der Öffentlichkeit für Möglichkeiten und Folgen.technologischer Entwicklungen haben im Hinblick auf die Verwaltungsautomation zu einer Reihe virulenter Fragen und Probleme geführt. So wird zum Beispiel die Hoffnung geäußert, die Verwaltungsautomation könne das belastete Verhältnis des Bürgers zur Exekutive verbessern. In der Tat lassen sich einige Tendenzen für einen bürgerfreundlichen Einsatz der ADV (automatisierte Datenverarbeitung) anführen. Typisch für verbesserten „Bürgerservice" auf dem Gebiet der Massenauswertungen ist die Berechnung der sog. dynamischen Rente — eine Vollzugsaufgabe, die ohne ADV-Einsatz nicht durchführbar wäre. Neben den Massenaufgaben werden durch den Ausbau dialogorientierter Verfahren in Zukunft Einzelauswertungen für den Bürger an Bedeutung gewinnen. Insbesondere die Einrichtung von Auskunftsdiensten z.B. über die Höhe derzu erwartenden Rente, über den Stand der Steuerkonten oder im Einwohnermeldewesen zeigen eine Richtung an, in der sich die ADV in eine bürgerfreundliche Verwaltungsorganisation einbauen ließe. Diesen hoffnungsvollen Perspektiven stehen massive Klagen der Öffentlichkeit über den bürgerfeindlichen Einsatz der ADV entgegen. Die Kritik zielt auf die umfangreichen und komplizierten Fragebögen und Antragsformulare, auf die unverständlichen in sogenanntem „Computerchinesisch" abgefaßten Ausdrucke und endet mit den Schlagworten von der „Verdatung des Menschen" und vom „gläsernen Bürger". In ähnlicher Form unentschieden geblieben ist bislang die Frage, ob die Automation den Angehörigen der Verwaltung dient. Auf der einen Seite werden Vorteile, wie Entlastung von Routinearbeit und erweiterte Räume für kreative Tätigkeit, Tendenzen zur Teamarbeit und zur Ablösung bürokratischer Strukturen genannt. Die Gegenposition begründet sich auf Befürchtungen aus dem Abbau von Bürgerkontakten und Ermessensentscheidungen zugunsten vollautomatisierter Vollzüge — eine Entwicklung, die daraufhinauslaufe, den Verwaltungsangehörigen immer mehr in die Rolle des seelenlosen Bürokraten zu drängen.
Erweiterte Fassung des Vortrages.
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Malte von Berg
Eine weitere Gefahr wird von vielen in einer Tendenz der ADV zur Zentralisierung gesehen. Der Aufbau eines Bund, Länder und Gemeinden umfassenden Computerverbundnetzes bedinge eine zentrale Steuerung und gefährde mithin die überkommenen dezentralen Verwaltungsstrukturen wie z.B. das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung, des Föderalismus oder der Ressortgliederung. Andere wiederum meinen, daß gerade durch die Einsatzmöglichkeit von Datenfernverarbeitung und Terminals die Chancen gestiegen seien, gewünschte Dezentralisierungen auch praktisch durchzuführen. Auch in der Frage der Parlamentarismuskritik setzt die Datenverarbeitung insofern neue Akzente, als der Aufbau von Regierungs- und Verwaltungsinformationssystemen das schon bestehende Informationsungleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative weiter verstärken könnte. Die Möglichkeiten zur Gegensteuerung, etwa über die Normierung von Zugriffsrechten auf die genannten Informationssysteme oder durch den Aufbau eines parlamentseigenen Informationssystems stellen derzeit noch ein offenes Problem dar. Die Auswahl einiger virulenter Folgeprobleme der ADV dürfte zunächst deutlich gemacht haben, daß es heute in erster Linie nicht mehr um Streitfragen geht, die auf der Ebene liegen, ob automatisiert erstellte Bescheide richtige Verwaltungsakte oder nur sogenannte Verwaltungsfabrikate seien. Es geht vielmehr um einen auf breiter Front erfolgten Einbruch hochentwickelter Technologie in die öffentliche Verwaltung mit dem in der Praxis zwar erst ansatzweise begonnenen, aber konsequent angestrebten Ziel, verbundnetzartige Informationssysteme zu errichten, die das Gesicht der öffentlichen Verwaltung verändern werden. Darüber hinaus sollten die angeführten Beispiele zeigen, daß zu allen als negativ bewerteten Folgewirkungen des ADV-Einsatzes Gegenpositionen aufgebaut werden können. Das heißt, die Beispiele dienten dazu, die noch unbewiesene These zu verdeutlichen, daß gewisse unerwünschte Nebenfolgen der Verwaltungsautomation nicht nur vermeidbar, sondern bei richtiger Steuerung sogar in positive Nebenwirkungen überführbar sind. Letztlich liegt dieser These eine Ablehnung des technokratischen Ansatzes zugrunde, indem bestimmte Folgen der ADV nicht als Sachzwänge, sondern höchstens als Tendenzen, die im Einzelfall auch umkehrbar sind, angesehen werden. In Verbindung mit dieser grundsätzlichen Position stehen eine Reihe von konkreten Fragestellungen wie z.B.: Inwieweit stoßen die Maßnahmen zur Vermeidung von Dysfunktionen an die Grenzen der Wirtschaftlichkeit? oder inwieweit bzw. in welcher Form ist der Begriff der Wirtschaftlichkeit überhaupt geeignet, den ADV-Einsatz in der öffentlichen Verwaltung zu steuern? oder in welcher Form können die Vor- und Nachteile der Verwaltungsautomation bewertet werden?
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Übertragen auf das konkrete Problem der Zentralisierung würden sich die genannten Fragen wie folgt stellen: Besteht ein Sachzwang zur Einebnung der überkommenen Verwaltungsstrukturen bei fortschreitender Anwendung der ADV oder läßt sich nur eine in diese Richtung gehende Tendenz feststellen, die durch Gegensteuerung behebbar wäre? Noch weiter würde eine Position gehen, die ADV nur als neutrales Organisationsmittel ansieht, das in gleicher Weise zur Zentralisierung wie zur Dezentralisierung eingesetzt werden kann. Konkret wäre im Anschluß daran zu klären, ob beispielsweise die Maßnahmen zu einem dezentralisierten ADV-Einsatz die Wirtschaftlichkeit in Frage stellen würde, bzw. ob die Erhaltung eines bestimmten Grades an Dezentralisierung — etwa aus dem Grund der vertikalen Gewaltenteilung innerhalb der Exekutive - unverzichtbar ist und deshalb außerhalb von Kostenerwägungen stehen muß. Bei der Behandlung derartiger Probleme erscheint es angebracht, einschlägige Resultate der Verwaltungswissenschaft heranzuziehen. Der Versuch wird jedoch schon deshalb enttäuschend verlaufen, weil hierzulande eine eigenständige Wissenschaftsdisziplin, die sich mit dem Gegenstandsbereich der öffentlichen Verwaltung befaßt, erst in Ansätzen besteht. Die letzte umfassende Darstellung des Stoffes durch die „Verwaltungslehre" Lorenz von Steins liegt mehr als ein Jahrhundert zurück. Es fehlt an einer auf dem neuesten Stand befindlichen anerkannten Verwaltungstheorie, die über die vorhandenen Grundrisse und die Abhandlungen zu Einzelfragen hinausgeht, ebenso, wie an einer breiten Etablierung im Hochschulbereich. Bei dieser Situation nimmt es nicht wunder, wenn beispielsweise die Unmenge praktischen Materials zu Fragen der Verwaltungsautomation in Form von Systemanalysen, Konzepten, Gutachten, Selbstdarstellungen u.a. wissenschaftlich in keiner Weise befriedigend ausgewertet wird. Diese ebenso kurze wie düstere Beschreibung zum Stande der Verwaltungswissenschaft hellt sich etwas auf durch den heute allgemein vorhandenen Konsens hinsichtlich der Bedeutung und Förderungswürdigkeit dieser Disziplin.
II. Als vorläufiges negatives Ergebnis bleibt damit festzustellen, daß die Probleme der Verwaltungsautomation nicht aus gesicherten Positionen der Verwaltungstheorie angegangen werden können. Die Schwierigkeiten vergrößern sich weiter, wenn man in Rechnung zieht, daß auch die wissenschaftstheoretische Grundfrage nach einer einheitlichen Verwaltungswissenschaft noch ungeklärt ist — vielfach wird behauptet, es könne sinnvoll nur mehrere Verwaltungswissenschaften geben, die z.B. als Verwaltungsrechtswissenschaft, Verwaltungsökonomie, Verwaltungspolitologie und Verwaltungssoziologie jeweils Teilgebiete anderer Wissenschaften seien. Zu der Streitfrage ist hier nicht Stellung zu nehmen; davon unabhängig ist jedoch die Feststellung, daß alle Diszipli-
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nen, die sich mit der öffentlichen Verwaltung befassen - seien sie in Erkenntnisziel und Methode auch weit voneinander entfernt - einen gemeinsamen „allgemeinen Teil" haben müssen. Dieser vor die Klammer gezogene abstrakte gemeinsame Bereich ist, wie sich gerade am Beispiel der Verwaltungsautomation zeigen läßt, unverzichtbar. Der Versuch, sich den genannten Problemen über die Verwaltungsrechtslehre zu nähern, scheitert schon daran, daß alle Ausführungen — beginnend mit der Definition der Verwaltung — in spezifisch juristischer Weise verengt sind. Das läßt sich recht deutlich an der im Lehrbuch für Verwaltungsrecht von Wolff entwickelten Definition demonstrieren: „Öffentliche Verwaltung im materiellen Sinne ist also die mannigfaltige, zweckbestimmte, nur teilplanende, selbstbeteiligt entscheidend durchführende und gestaltende Wahrnehmung der Angelegenheiten von Gemeinwesen und ihrer Mitglieder als solcher durch die dafür bestellten Sachwalter des Gemeinwesens", (s. Wolff, Verwaltungsrecht I, 8. Aufl., S. 13) Offensichtlich ist diese auf juristische Belange zugeschnittene Definition wenig geeignet, die Probleme der Verwaltungsautomation anzugehen. In gleicher Weise erscheint auch eine rein rechtsdogmatische Betrachtung dem Thema nicht angemessen. An dieser Stelle wird man einwenden, daß es für die Aufgabe des öffentlichen Rechts, juristisch relevante Fragen der Verwaltungsautomation zu entscheiden, genügen müsse, sich die notwendigen Fachkenntnisse — wie auf anderen Gebieten auch — durch Einarbeitung in die Materie und fallweise Herbeiziehung von Sachverständigen zu verschaffen. Der Einwand trifft zu auf Streitfälle von der Art, ob automatisiert erstellte Bescheide Verwaltungsakte oder lediglich Verwaltungsfabrikate seien, er verliert entsprechend der rechtspolitischen Bedeutsamkeit juristischer Entscheidungen zur Verwaltungsautomation zunehmend an Gewicht. Beispielsweise wird es für die Entscheidung der Frage, ob ein landesgesetzlich normierter Anschlußzwang der Gemeinden an bestimmte Rechenzentren gegen die Selbstverwaltungsgarantie verstößt, nicht genügen, sich lediglich auf eine Auswertung von Lehre und Rechtsprechung des Art. 2 8 Abs. 2 GG zu beschränken. Die zu entscheidende Frage steht in Zusammenhang mit dem Aufbau von sog. Landesinformationssystemen und dem damit verbundenen Strukturwandel der öffentlichen Verwaltung; es wird notwendig, die hinter den Schlagworten „Funktion der Selbstverwaltung nach Entstehung, Verfassungswirklichkeit und zukünftigen Tendenzen" stehenden Problemkomplexe aufzuarbeiten und die Gesetzlichkeiten automatisierter Verfahren unter Verwertung technologischer, organisatorischer, wirtschaftlicher und struktureller Aspekte einzubeziehen. Dem steht ein naheliegendes Bedenken gegénüber: Juristische Entscheidungen, die mit derartig heterogenen Ansätzen belastet sind, könnten sich als nicht mehr praktikabel erweisen. Daran ist soviel richtig, daß die speziellen Argumentationstechniken juristischer Dogmatik in ihrer komplexitätsreduzierenden Funktion nicht durch Methodensynkretismus und Begründungsüberlastung in Frage gestellt werden dürfen. Auf der anderen Seite verlieren bestimmte Ent-
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Scheidungen zur Verwaltungsautomation, wie das Beispiel zur Selbstverwaltung zeigt, an Überzeugungskraft und Realitätsbezug, wenn verwaltungswissenschaftliche und rechtsinformatische Bezüge angeklammert bleiben. Das Dilemma löst sich nur durch die Zuweisung dieser Problematik an die erst in Ansätzen bestehenden Disziplinen der allgemeinen Verwaltungswissenschaft und der Rechtsinformatik. Eine wesentliche Aufgabe dieser Disziplinen wäre demzufolge die Aufarbeitung und Vorstrukturierung von Problemzusammenhängen, die von der Rechtsdogmatik nicht geleistet werden kann und deshalb in einer auf exegetische Zwecke zugeschnittenen Form erfolgen muß. Hier wie auch in anderen Bereichen zeigt sich das Bedürfnis nach fachübergreifenden integrierenden Teildisziplinen als notwendiges Gegengewicht zu der fortschreitenden fachwissenschaftlichen Spezialisierung. Als Spezialist für normative Regelungen in Sozialsystemen hat der Jurist darüberhinaus auch im Bereich der Rechtsetzung eine wesentliche rechtspolitische Beraterrolle zu übernehmen. Die Beiträge zu einer wissenschaftlichen Rechtspolitik, die eine typische interdisziplinäre Aufgabe ist, werden im Gegensatz zur Politikwissenschaft, Soziologie und den Wirtschaftswissenschaften bedauerlicherweise noch kaum von der Rechtswissenschaft geliefert. Die normative Fassung politischer Zielvorstellungen, der funktionale Vergleich verschiedener Rechtsformen oder allgemein die Aktivierung des gesamten juristischen Begriffsapparates für die Zwecke einer Rechtsetzungswissenschaft stellt eine Aufgabe dar, die dem Juristen eine bedeutende Rolle innerhalb einer wissenschaftlichen Rechtspolitik zuweist. Zur Verdeutlichung kann das schon genannte Beispiel der Selbstverwaltungsgarantie nochmals aufgegriffen werden: Die Lösung des gesetzgeberischen Problems, den Kommunalbereich in den Aufbau eines Landesinformationssystems einzubinden, setzt zunächst einmal eine Systematisierung der in Betracht kommenden Rechtsformen voraus. Zu denken wäre in diesem Zusammenhang an die verschiedenen Formen des Benutzungszwanges, an eine Koordinierung durch Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften und Einzelweisungen, oder an partizipatorische Lösungen wie Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände, Errichtung paritätisch aus Vertretern des Landes und des Kommunalbereichs zusammengesetzter Koordinierungsgremien u.a. Darüber hinaus sind diese Rechtsformen oder ihre Kombinationen auf Zielgenauigkeit und Rechtsförmlichkeit zu prüfen, Fragen des systematischen Gesetzesaufbaus sind zu klären und nicht zuletzt ist bei der Ausgestaltung im einzelnen immer wieder die Frage nach der Angemessenheit schärferer oder mehr generalklauselartiger Fassung der Tatbestandsmerkmale zu stellen.
Die bis hierher vorgenommenen Weichenstellungen lassen sich thesenhaft wie folgt zusammenfassen:
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a) Es besteht ein Bedürfnis nach einer auf rechtliche Zusammenhänge ausgerichteten, aber über die Rechtsdogmatik hinausgehenden Verwaltungswissenschaft. Mit der so verstandenen „juristischen Verwaltungswissenschaft" würden die auf die öffentliche Verwaltung bezogenen Spezialdisziplinen aus anderen Mutterwissenschaften wie z.B. die politologische oder soziologische Verwaltungswissenschaft einen vor die Klammer gezogenen einheitlichen allgemeinen Teil gemeinsam haben. Inwieweit ein solcher allgemeiner Teil geeignet wäre, den Kern einer einheitlichen Verwaltungswissenschaft zu bilden, kann hier dahingestellt bleiben. b) Die zuarbeitende Funktion der „juristischen Verwaltungswissenschaft" für Rechtsdogmatik und Rechtspolitik läßt sich mit dem aus der Verwaltungsautomation stammenden Terminus der Entscheidungshilfe kennzeichnen. c) Die Folgeprobleme der Verwaltungsautomation haben einen Grad an Bedeutsamkeit und struktureller Komplexität erreicht, der auf rechtlichem Gebiet von der Dogmatik nicht zureichend bewältigt werden kann. Für die Behandlung dieser Probleme bietet sich eine juristische Verwaltungswissenschaft an, die ihrerseits in Strukturfragen der ADV-Anwendung im Recht von der Disziplin der Rechtsinformatik unterstützt wird. Was den Inhalt und die Methode einen allgemeinen Teils der Verwaltungswissenschaften anbetrifft, kann auf den systemtheoretischen Ansatz Bezug genommen werden, den Luhmann in seiner Theorie der Verwaltungswissenschaft entwickelt hat. Luhmann sieht die Verwaltung als ein System zur Herstellung bindender Entscheidungen für das Publikum. Neben dem Publikum werden noch das Verwaltungspersonal und die Politik als Umwelt oder Grenzen des „Systems Verwaltung" gesehen. Nach Luhmann umfaßt die Staatsverwaltung die drei Gewalten der Judikative, Legislative und Exekutive als Subsysteme, die ihrerseits nach dem Grad politischer Beeinflußbarkeit unterschieden sind. Auf eine breitere Darstellung und eine Diskussion dieses Ansatzes kann hier nicht eingegangen weiden; für eine juristische Verwaltungswissenschaft und speziell für die Probleme der Verwaltungsautomation interessiert innerhalb des systemtheoretischen Entwurfs primär die Rolle des Rechts. In diesem Zusammenhang spricht Luhmann von Recht als interner Struktur der Verwaltung; Normen liefern als koordinierende Generalisierungen der Erwartungen und Interessen der verschiedenen Umwelten des Systems die Entscheidungsprogramme, nach denen im Einzelfall gehandelt wird. Die Veränderbarkeit des Rechts dient dabei als ein Mittel, das System gegenüber Umweltänderungen bestandssicher zu erhalten. III. Der Luhmann'sche Ansatz und die vorausgegangenen Thesen können hier weder im einzelnen begründet noch sorgfältig dargestellt werden. Möglich erscheint jedoch, die allgemeinen und skizzenhaften Ausfuhrungen durch das Durchspielen eines Beispiels mit einem gewissen Anschauungsgehalt zu ver-
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sehen. Einen dazu geeigneten Stoff liefert das für die ADV in der öffentlichen Verwaltung schon klassische Gebiet der vom Staat oder an den Staat zu erbringenden Geldleistungen wie Steuern, Beiträge und Gebühren, Renten, Sozialhilfe, Arbeitslosenfürsorge, Lastenausgleich, Ausbildungsförderung, Wohngeld, Kindergeld u.a. Der Einsatz der ADV auf dem genannten Gebiet ist nicht etwa zu einem gewissen Abschluß gelangt, sondern birgt noch weithin ungenutzte Möglichkeiten, die sich bei entsprechend langfristiger Betrachtung zu folgenden Tendenzen verdichten lassen: a) Entlastung der Verwaltung von Datenermittlungsaufgaben durch den Aufbau von Datenbanken b) Rückwirkung der ADV auf die inhaltliche Gestaltung der Vollzugsaufgaben i.S. eines ganzheitlichen Systems c) Verstärkung der wechselseitigen Wirkung von Sozialdaten und Vollzugsaufgaben. Die besagten Tendenzen lassen sich gut an dem hier nicht einschlägigen, dafür aber umso demonstrativeren Beispiel der automatischen Ampelschaltung verdeutlichen. Die erste Stufe automatisierter Verkehrsregelung durch starre Ampelschaltung stellt eine noch undifferenzierte Regelung dar, die in einer nächsten Stufe durch automatische Messung des Verkehrsflusses verfeinert werden kann. Theoretisch vorstellbar und technisch schon im Experimentierstadium ist die dritte Stufe einer DV-unterstützten Verkehrsgesamtleitung in der Art, daß dem einzelnen Verkehrsteilnehmer für beliebige Stadtfahrten von einer Zentrale über entsprechende Empfangsgeräte die nach dem jeweiligen Verkehrsfluß günstigste Route angezeigt wird. Das Beispiel zeigt sehr deutlich einige Tendenzen auf, die sich in ähnlicher Form auch bei besagten Abgaben- und Leistungsnormen abzuzeichnen beginnen. Zunächst zeigt das Beispiel, daß es nicht richtig ist, nur dann von günstigen Automationsvoraussetzungen zu sprechen, wenn pauschale Regelungen vorliegen. Im Gegenteil eignen sich gerade — wie im Ampelbeispiel so auch bei den Abgaben- und Sozialnormen — differenzierte Regelungen für eine Automatisierung, oder anders ausgedrückt, hochdifferenzierte Verfahren wie die Verkehrsgesamtsteuerung oder die Berechnung der dynamischen Rente wären manuell überhaupt nicht mehr durchführbar. Manuelle und automatisierbare Verfahren haben ihre jeweils spezifischen Stärken und Schwächen. Die Eröffnung neuer Dimensionen einerseits und der Verlust an Flexibilität andererseits gehören bei automatisierten Verfahren zusammen — die bevorzugte Behandlung gebrechlicher Personen bei der Straßenüberquerung ist bei manueller Verkehrsregelung eine natürliche Sache, jedoch auch für die differenzierteste Verkehrsgesamtsteuerung ein unlösbares Problem. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die je nach Materie in unterschiedlichem Maße notwendige Flexibilität auch bei automatisierten Verfahren zu erhalten bzw. einzubauen. Auf dieses Problem wird im folgenden noch zurückzukommen sein.
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Was die im Ampelbeispiel schon zum Abschluß gekommene, bei den Abgaben- und Leistungsnormen vorerst nur tendenziell erkennbare Entwicklung zur automatisierten Datenermittlung betrifft, so sind hier sehr unterschiedliche Nebenwirkungen in Erwägung zu ziehen. In einer heute noch utopisch anmutenden aber relativ sicher prognostizierbaren Datenbankorganisation der Zukunft werden alle für die Verwaltung wesentlichen Personen-, Sach- und Finanzdaten vom Personenstand über die Wohnverhältnisse bis hin zu genauesten Informationen über das Einkommen der Bürger elektronisch gespeichert sein. Diese ständig aktualisierten Daten stehen über Datenfernverarbeitung weitgehend räum- und zeitunabhängig allen Verwaltungsstellen zur Erledigung ihrer Aufgaben zur Verfügung. Eine erfreuliche Folge dieser Entwicklung für die Verwaltungsumwelten „Publikum" und „Personal" besteht in der Entlastung der Bürger von langwierigen Behördengängen und komplizierten Antragstellungen über Fragebögen und in einer Erleichterung der Verwaltungstätigkeit durch den zunehmenden Wegfall des undankbaren Geschäfts der Datenermittlung. Als eine weitere positive Nebenwirkung verdient der zu erwartende Rückgang fehlerhafter Daten Beachtung, der durch eine Vielfalt automatisierter Kontrollen ermöglicht wird. Negativ zu Buche schlägt gerade im Zusammenhang mit der automatisierten Datenermittlung die unter das vieldiskutierte Stichwort des Datenschutzes fallende Gefährdung der Privatsphäre. Die Suche nach wirksamen rechtlichen Möglichkeiten zur Gegensteuerung, die Abschätzung des bei alternativen Lösungen erforderlichen Aufwands und die Entwicklung von Bewertungskriterien dürfte eine vorrangig in Angriff zu nehmende rechtspolitische Aufgabe der Verwaltungswissenschaft und der Rechtsinformatik sein. Neben der Tendenz zur Einbeziehung der Datenermittlung legt der dynamische Charakter des Integrationsbegriffes bei ADV auch eine Rückwirkung auf die inhaltliche Gestaltung der Abgaben- und Leistungsnormen i.S. einer zunehmenden Verflechtung nahe. Auf den ersten Blick mögen Hundesteuer und Kindergeld wenig miteinander zu tun haben; beide Aufgaben gehören jedoch in das Gesamtsystem eines staatlich vermittelten finanziellen Umverteilungsprozesses. Eine bedeutsame Folge der fortschreitenden Automatisierung auf dem Gebiet der Abgaben- und Leistungsnormen dürfte in der zunehmenden Berücksichtigung der Interdependenzen zwischen den einzelnen Aufgaben zu sehen sein. Auch in diesem Zusammenhang eignet sich das Ampelbeispiel zur Demonstration: Die Entwicklungslinie verläuft hier von der voneinander unabhängigen manuellen Verkehrsregelung an den einzelnen Kreuzungen über die Berücksichtigung naheliegender Interdependenzen bei automatisierter Steuerung — wie z.B. die Einrichtung der sog. grünen Welle — bis hin zu der letzten Genralisierungsebene einer Verkehrsgesamtsteuerung. Der Übertragbarkeit des einfachen Ampelmodells auf die hochkomplexen Zusammenhänge des staatlichen Umverteilungsprozesses sind offensichtliche Grenzen gesetzt;
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dennoch dürfte sich zum einen die Ausnutzung der Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Aufgaben in der Datenbasis und zum anderen die Anwendung systemanalytischer Methoden bei der Gesetzesplanung einschließlich einer ADV-gestützten statistischen Erfolgskontrolle in einer im Grundsatz ähnlichen Richtung auswirken. Gerade die Komplexität des staatlichen Umverteilungsprozesses, der in seiner Vielfalt von Plänen, Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften nicht mehr überschaubar ist, hat zu einer Zersplitterung in einzelne Gebiete und Aufgaben geführt, die oftmals zu sehr von politischen Tagesbedürfnissen und zu wenig von systematischer Einordnung geprägt sind. So sehr vor diesem Hintergrund eine durch Automatisierung geförderte straffere Systematisierung begrüßenswert erscheint, so gilt es doch, den wesentlichen Engpaß automatisierter Verfahren, der in dem geringen Flexibilitätspotential besteht, nicht aus den Augen zu verlieren. Ein verfehltes oder überholtes Einzelgesetz mit geringen Interdependenzen zu anderen Gebieten bleibt in seinen negativen Wirkungen lokalisierbar und kann vor allem geändert werden, ohne größere Zusammenhänge des Gesamtsystems in Mitleidenschaft zu ziehen. Bei dem Entwurf materiell integrierter DV-Verfahren müssen demnach funktional gleichwertige Instrumente gefunden werden, die in der Lage sind, die notwendige Flexibilität in modifizierter Form bereitzustellen. Eine schon in Ansätzen vorhandene Lösungsmöglichkeit zeigt sich in dem Versuch, die Mobilität der gesellschaftlichen Entwicklung in die Normen selbst einzubauen, durch die Setzung von Recht, das mittels Sozialindikatoren seine Veränderbarkeit im voraus festlegt. Ein gutes Beispiel für eine derartige Technik bietet die Berechnung der dynamischen Rente; der Flexibilitätsgewinn dieser Regelung liegt in der Anpassung der Berechnungsgrundlage an das sich ändernde Lohnniveau, das als Sozialindikator wiederum durch automatisierte Verfahren ermittelt werden kann. Die nähere Untersuchung dieser und ähnlicher Strukturprobleme bietet einer juristischen Verwaltungswissenschaft zusammen mit der Rechtsinformatik ein weites Forschungsfeld. Es bleibt zu hoffen, daß die Notwendigkeit derartiger Forschungen in noch größerem Umfang anerkannt wird, als dies heute schon der Fall ist.
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Literatur zu diesem Beitrag A Verwaltungswissenschaften v.d. Groeben, Schnur, Wagener, Über die Notwendigkeit einer neuen Verwaltungswissenschaft, „Politik und Verwaltung", Heft 1, Baden-Baden 1966 König, Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 46, Berlin 1970 Lorenz, Verwaltung undDemokratie, eine Einführung in die moderne Verwaltungswissenschaft, München 1972 Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964 Luhmann, Theorie der Verwaltungswissenschaft, Köln 1966 Rasch, Die staatliche Verwaltungsorganisation, Köln 1967 Thieme, Verwaltungslehre, Köln 1967 B Automation in der öffentlichen Verwaltung v. Berg, Automationsgerechte Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Köln 1968 Fehl, Informationssysteme, Verwaltungsrationalisierung und die Stadtplaner, Bonn 1971 Göttlinger, EDV Planung in der öffentlichen Verwaltung, Berlin 1972 Goller, Scheuring, Trageser, Das KI System, Automation, Kommunikation und Information in Politik und Verwaltung, Stuttgart 1971 Jähnig, Automatisierte Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung, Köln 1971 Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, Berlin 1966 Meincke, Integrierte Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung unter besonderer Berücksichtiung der Kommunalverwaltung, Stuttgart 1970.
Kommunikationswissenschaftliche Modelle zur Lösung juristischer Informationsprobleme. Anwendung der Linguistischen Datenverarbeitung (LDV). von Eckhart Heinz Das Thema meines Vortrags mag manchem Hörer vielleicht außergewöhnlich breit formuliert erscheinen und hätte wohl auch in sehr viel kürzerer Foim angekündigt werden können, etwa unter der einfachen Bezeichnung „Linguistische Datenverarbeitung" — da der Rahmen des Vortrags durch das Gesamtthema der Ringvorlesung bereits abgesteckt war — oder, um etwas ausführlicher und allgemeiner zu sein: „Die Bedeutung der Linguistik für juristische Informationssysteme", was möglicherweise das zur Zeit gängige Problembewußtsein in diesem Bereich noch am ehesten getroffen hätte.Wenn Sie sich inhaltsanalytisch mit der von mir gewählten Formulierung beschäftigt haben — und der eine oder andere von Ihnen hat dies vielleicht getan — so dürfte Ihnen ganz gewiß eines aufgefallen sein: daß Sie es hier mit jemandem zu tun haben, der in Bezug auf dieses zur Zeit gängige Problembewußtsein ein deutliches Unbehagen empfindet und der von der Einfachheit möglicher Lösungen nicht allzu sehr überzeugt ist, was die differenzierende - und für einige vielleicht auch provozierende — Aufzählung von Kommunikationswissenschaft, Rechtswissenschaft und Sprachwissenschaft nebeneinander mit dem nun doch provozierenden Übergewicht der Kommunikationswissenschaft im Titel nahelegt. Ich muß gestehen, daß mir dieser Effekt nicht unsympathisch ist, wenn er auch zunächst nicht — oder jedenfalls nicht bewußt — intendiert war; aber die Provokation erweist sich immer noch als der beste Weg zur Änderung eines bestehenden und unergiebig gewordenen Problembewußtseins, und ich hoffe, daß ich Ihnen in dieser Hinsicht — und gerade soweit Sie Juristen sind — heute einiges zu bieten habe. Der unmittelbare Anlaß für die von mir gewählte Formulierung des Themas — unabhängig von der eben erwähnten argumentativen Komponente — ist jedoch rein theoretischer — und zwar kommunikationstheoretischer — Natur gewesen; wir meinen nämlich heute, daß das ausformulierte Thema einen ganz wesentlichen Beitrag zur Informationsvermittlung leisten kann und diesem Zweck überhaupt zu dienen bestimmt ist — also nicht etwa nur als Titel der Identifikation von Texten dient — und daß es diese Aufgabe besonders gut dann erfüllt, wenn es die im Text enthaltenen Teilthematiken in irgendeiner Form bereits anspricht und dadurch auf sie als Probleme aufmerksam macht. Der Kenner weiß dann: der Vortrag behandelt offenbar die Eigenart — und eventuell die Besonderheit — juristischer Informationsprobleme und wird einige Vorschläge zu ihrer Lösung seitens der Kommunikationswissenschaft bieten, wobei vermutlich diese Vorschläge gegenüber anderen Lösungsvorschlägen abgegrenzt werden. Das wesentlich Neue in die-
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sem Zusammenhang ist zweifellos der Begriff der „linguistischen Datenverarbeitung", hervorgehoben noch durch das Akronym „LDV", das im Rahmen des Gesamtthemas der Ringvorlesung „Die Anwendung der elektronischen Datenverarbeitung im Recht - Möglichkeiten und Probleme" das Interesse an einer neuen Verfahrensart weckt, die — weil wir es im Rechtsbereich fast immer mit Daten in sprachlicher Form zu tun haben — von vornherein sehr viel Plausibilität besitzt. Daß sich die Konzeption der Linguistischen Datenverarbeitung seit der Abgabe meines Vortragsthemas leider grundlegend geändert hat und mit ihrer ursprünglichen, der Elektronischen Datenverarbeitung durchaus verwandten Bedeutung nur noch wenig gemein hat, ist allerdings ein Umstand, der in der Formulierung des Themas noch nicht zum Ausdruck kommt, so daß ich hierauf besonders hinweisen möchte; ich hoffe, daß diese „Meta-Information" Ihre vom Thema her geweckten Erwartungen noch entsprechend zu modifizieren in der Lage ist, um Verständnis auch für unsere neue Konzeption zu finden, die wir als einen entscheidenden Schritt in Richtung auf die maschinelle Bewältigung von Informationsproblemen betrachten. Sie haben in den vorangegangenen Stunden vermutlich schon einiges über Informationssysteme und die verschiedenen heute gebräuchlichen Techniken gehört oder Sie werden hierüber noch etwas hören, bzw. Sie kennen bereits die einzelnen Projekte, beispielsweise aus der Lektüre der Zeitschrift "Law and Computer Technology". Ich möchte mir deshalb eine Revue dieser Techniken und Systeme ersparen und Ihnen weder die angeblichen Vorteile von „full-text"-Verfahren, die Herstellung von KWIC- oder KWOC-Indices, die Systeme SMART oder SYNTOL oder auch nur das einigermaßen raffinierte juristische Informationssystem am italienischen Kassationsgerichtshof zu den Leitsätzen des Massimario darlegen. Ebensowenig möchte ich Ihnen über diejenigen Verfahren berichten, die mit Hilfe eines „Thesaurus" und durch die Anwendung Boole'scher Algebra nach mengentheoretischen Gesichtspunkten eine Auswahl unter den Dokumenten eines entsprechenden Speichers treffen und dem Informationssuchenden dadurch die Recherche erleichtern sollen, obwohl vielleicht gerade die Struktur eines Thesaurus und seine halboder vollautomatische Herstellung in linguistischer Sicht — und als Beispiel für die LDV bisheriger Prägung — interessant wäre. Für all diese Verfahren gilt nämlich, daß sie einzelne sprachliche Zeichen („Begriffe", „Schlagwörter" usw.) aus ihrem sprachlichen Zusammenhang (dem „Text") herausnehmen und an sich objektivieren, d.h. zu einem „datum" machen unter der Voraussetzung, hierdurch auch ein „Informationsdatum" erhalten zu haben, und diese Voraussetzung ist einfach falsch, jedenfalls so lange, als unsere datenverarbeitenden Maschinen noch nichts weiter als Rechenmaschinen sind. Unser Zahlensystem läßt sich nur deshalb ohne weiteres in diese Maschinen einfuhren, weil auch die Binärschritte in dieser Maschine nichts anderes als ein Zahlensystem darstellen und eine Umwandlung unseres gebräuchlichen Dezimalsystems in das binäre System die Kontinuität des Systemzusammenhangs zwischen einzelnen
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Zahlen nicht aufhebt.Und obwohl es nun zwar durchaus möglich ist, sprachliche Zeichen durch Zahlen zu ersetzen und damit in einer solchen Maschine zu repräsentieren, ihre Abfolge darzustellen und vieles andere mehr — woraus die bisherige LDV ihren Nutzen gezogen hat, indem sie durch die Maschine automatisch Wortregister (wie etwa den für die philosophische Forschung äußerst nützlichen KANT-INDEX), automatische Substantiv- oder Verblisten aus Texten, automatische Wortstatistiken, usw. im Verhältnis zu den bisherigen manuellen Methoden viel genauer und vollständiger anfertigen konnte — so läßt sich doch auf diese Weise eines nicht erzielen: daß nämlich mit der Darstellung der Sprachzeichen durch Zahlen gleichzeitig bereits das sprachliche System zur Abbildung gelangen würde; denn zwischen den Zahlen herrscht dann natürlich immer nur das Zahlensystem, d.h. das Verhältnis der Zahlen zueinander, nicht aber das Sprachsystem, d.h. das Verhältnis der Wörter zueinander, weshalb — solange die Maschine mit Zahlen nur rechnerisch umgehen kann — auch nur die genannten Ordnungsvorgänge automatisierbar sind. Der Informationssuchende, der einen Thesaurus benutzt, kann mit diesem insofern aber immer nur einen „analogen" Zugang zu einem Dokumentenspeicher gewinnen, weil er die Sprachzeichen des Thesaurus durch sein eigenes Sprachverständnis interpretieren muß. Im Hinblick darauf, daß das sprachliche Zeichen den Ansatzpunkt all dieser Verfahren bildet, kann bei ihnen in einem allgemeinen Sinn auch von „semantischen Suchverfahren" gesprochen werden. Wie Sie wissen, galt das Wort „Semantik" etwa seit der Mitte der 50er Jahre und jedenfalls für die gesamten 60er Jahre als das geheimnisvolle Zauberwort und Erkennungszeichen der Insider im Bereich um die maschinelle Sprachbearbeitung, vor allem auch um die automatische Sprachübersetzung, ohne daß dieser Bereich damit jedoch bisher hätte geöffnet werden können, und erst allmählich beginnt sich die Einsicht durchzusetzen, daß dieses „Zauberwort" doch wohl nicht über die in ihm vermuteten Eigenschaften verfügt. Erstaunlich ist nur, wie langsam dieser Erkenntnisprozeß voranschreitet, obwohl doch von Anfang an hätte klar sein müssen, daß die Semantik als die Relation zwischen Wort und Begriff nur ein „shifting" zwischen zwei verschiedenen Vorstellungsebenen bewerkstelligen kann, ohne zur Lösung des eigentlichen Problems, nämlich einen Zugang zum Inhalt dieser Vorstellungen zu gewinnen, auch nur das geringste beizutragen, dJi. dieses Problem wird mit Hilfe der Semantik einfach von der einen auf die andere Ebene verlagert. Im Grunde enthielt diese Feststellung bereits der ALPAC-Report, der seinerzeit in den Vereinigten Staaten ein vorläufiges Ende für die sehr kostspieligen Versuche an der automatischen Sprachübersetzung brachte. Daß darauf folgend dann die Theorie der „generativen Grammatik", vor allem Chomsky's Idee der „syntaktischen Tiefenstruktur", durch ihr Operieren allein mit syntaktischen Mitteln — aber immerhin mit Beschränkung auf eine einzige Ebene, nämlich die Sprachebene — gleichfalls das Problem nicht lösen konnte, dürfte jedoch
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spätestens seit Ungeheuers Essay über „Paraphrase und syntaktische Tiefenstruktur" deutlich geworden sein. Dieser für die Kommunikationswissenschaft typische Ansatz beim sprachlichen Phänomen der Paraphrase eröffnete einen ganz neuen Weg, indem er fast zwangsläufig die Beschäftigung mit dem unveränderlichen Substrat von Text und Paraphrase — nämlich dem „Thema" des Textes und dem thematischen Zusammenhang zwischen einem Text und seiner Paraphrase — nahelegte, einem Zusammenhang, der nicht nur das Verhältnis von Gesetzestext und Kommentar, sondern ebenfalls das Verhältnis von Leitsatz und Gerichtsurteil bestimmt und dessen Bedeutung daher gerade für die Zwecke eines juristischen Informationssystems unmittelbar einsichtig sein sollte. Wir hatten bereits im Jahr 1970 das Bundesjustizministerium auf die Notwendigkeit einer Untersuchung dieses im Anschluß an Ungeheuer als ,,Paraphrasenrelation" bezeichneten Zusammenhangs für das geplante juristische Informationssystem in der Bundesrepublik aufmerksam gemacht, ohne Erfolg allerdings, weil das Ministerium und seine maßgebenden Berater immer noch glauben, sie könnten doch die anstehenden Probleme mit Hilfe der bisherigen semantischen Verfahren — in irgendeiner „weiterentwickelten" Form natürlich — noch lösen. Wenn man weiß, mit welchem personellen und finanziellen Aufwand nun schon seit über 15 Jahren beispielsweise in den Vereinigten Staaten in dieser Richtung gearbeitet wird, ohne daß bisher ein nennenswertes Ergebnis erzielt werden konnte, so kann man den Mut des Ministeriums zweifellos nur bewundern. Hinzu kommt jedoch ein weiteres, und dieses Problem ist noch entschieden ernster zu nehmen als die ohnehin schon genügend gravierende Frage einer Verschwendung finanzieller Mittel infolge fehlender Forschung: das Problem nämlich, ob nicht vielleicht die Struktur unseres gegenwärtigen Rechtssystems bzw. unsere Auffasung von diesem System als die eigentliche Ursache für die von Simitis festgestellte „Informationskrise des Rechts" verantwortlich gemacht werden muß, daß wir es also nicht mit einem Informationsproblem, sondern mit einem Strukturproblem zu tun haben, oder aber daß zumindest die volle Schwere des bestehenden Informationsproblems erst durch eine fehlerhafte Entwicklung unserer Rechtsstruktur hervorgerufen wurde, wodurch die Frage nach der „Lösung juristischer Informationsprobleme", wie sie den Gegenstand meines Vortrags bildet, gewiß eine etwas überraschende — und für Juristen möglicherweise sogar eine peinliche — Wendung nimmt. Leider läßt sich diese Fragestellung jedoch nicht einfach umgehen, und ich bitte Sie um Geduld, wenn ich die Probleme oder das, was uns bisher davon bekannt geworden ist, so kurz wie nur möglich anschneide, um Ihnen vielleicht auch für Ihre eigenen rechtstheoretischen Forschungen in der Zukunft einige Anregungen mitzugeben. Wenn man die Aufgabe gestellt bekommt, Möglichkeiten und Wege zur Bewältigung der Informationskrise des Rechts zu finden, so liegt es nahe, zunächst einmal eine Bestandsaufnahme zu versuchen, festzustellen, wo im Bereich des Rechts die Informationsnot besonders augenfällig ist, und sich da-
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mit sozusagen eine „Topologie der Informationskrisenherde" im Rechtsbereich zu schaffen, um entsprechende Modelle zur Lösung dieser Krise entwickeln zu können. Nicht ganz zufällig, weil unsere rechtstheoretischen Untersuchungen bereits in diese Richtung gewiesen hatten, begann die Bestandsaufnahme im Zivilrecht und beschäftigte sich insbesondere mit den gerichtlichen Entscheidungen und der Kommentierung zu unserem Bürgerlichen Gesetzbuch. Und da gab es eine interessante Entdeckung: die einzelnen Paragraphen dieses Gesetzbuchs sind keineswegs gleichmäßig mit Entscheidungen und Kommentaren belegt, wie es eigentlich nach dem so langen Zeitraum des Inkraftstehens dieses Gesetzbuchs erwartet werden könnte, vielmehr gibt es auch heute noch Paragraphen, denen selbst die Kommentierung kaum neue Informationen hinzufügt, während andere Paragraphen durch die Masse der ihnen untergeschobenen Entscheidungen praktisch aus ihren Fugen gehoben zu sein scheinen, wobei ich nicht einmal an das berühmte Beispiel des § 242 BGB und den ihm allein gewidmeten Sonderband in Staudingers Kommentar denken möchte, weil dieser Paragraph rechtstheoretisch eine besondere Problematik enthält, auf die ich hier nicht eingehen will. Betrachten Sie aber beispielsweise den § 823 BGB, der ohne die Hinzuziehung eines Kommentars vom neuesten Stand für den rechtsuchenden Staatsbürger oft nur wertloses bedrucktes Papier darstellt, so verstehen Sie wohl, was ich meine, und die Frage erhebt sich doch, warum dies so ist; es muß doch einen Grund dafür geben, daß den einzelnen Paragraphen eine so unterschiedliche Behandlung zuteil wird. Diese Frage hat uns ganz außerordentlich beschäftigt, und zunächst glaubten wir mit der herrschenden Lehre davon ausgehen zu können, daß der unterschiedliche Grad an Eindeutigkeit der verschiedenen Paragraphentexte für die unterschiedliche Behandlung verantwortlich gemacht werden müsse und daß es sich insofern um eine Problematik der Auslegung des gesetzgeberischen Willens handele. Diese Erklärung versagt jedoch dort, wo eine sog. Weiterentwicklung des Rechts durch den Richter oder sogar eine Neuentwicklung rechtlicher Regeln durch den Richter in Betracht kommt, und je länger wir uns mit der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs befaßten, desto mehr kamen wir zu der Überzeugung, daß hier letztlich in den meisten Fällen doch nur eine Kodifizierung von Recht stattgefunden hatte, das bereits als Richterrecht entwickelt worden war und dann mit der Aufnahme in das Bürgerliche Gesetzbuch auch nicht seinen Charakter als Richterrecht verlieren und zu normativem, dem Willen des Gesetzgebers entsprungenem Recht werden konnte. Daß das Bürgerliche Gesetzbuch daneben wirkliche Nonnen enthält, soll damit nicht in Abrede gestellt sein, denn natürlich kann etwa die Volljährigkeitsbestimmung des § 2 BGB, um ein Beispiel zu nennen, nur als eine solche Norm aufgefaßt werden. Entschließt man sich aber bezüglich der anderen Regeln des BGB zu der von der herrschenden Lehre abweichenden, unkonventionellen Betrachtungsweise, wie wir sie gerade dargelegt haben, so wird die Weiterentwicklung dieses Rechts und auch eine Neuentwicklung, wie etwa die Regelung der „positiven Forderungsverletzung" ohne weiteres mög-
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lieh und denkbar. Als Konsequenz stehen dann aber nicht nur die Neuentwicklung — was selbstverständlich ist — sondern auch bereits die Weiterentwicklungen prinzipiell außerhalb der Regelungen des BGB, weshalb man sich ihnen auf dem Weg der Auslegung des derzeitigen BGB-Textes überhaupt nicht mehr nähern kann, und die Kommentare, in denen diese Regelungen zu finden sind, stellen daher nicht nur eine ergänzende Informationsquelle zum Verständnis der Paragraphen des BGB dar, sondern sind eine unmittelbare Fundstelle für dieses Recht, weshalb der Zugang zu ihnen auch so außerordentlich wichtig geworden ist. Die allgemeine Forderung, wie sie heute immer den juristischen Informationssystemen zugrundegelegt wird, solche Systeme müßten „einen Zugriff auf das geltende Recht, die Rechtsprechung und Kommentierung" gestatten, trifft daher nur bedingt zu, weil sie von einer unangemessenen Stufung dieser Informationsquellen ausgeht; nicht weil er die Rechtsinformation in zugänglicherer Form enthalten würde, sondern weil er mehr Recht enthält, ist der Kommentar heute das eigentlich geltende Gesetzbuch geworden, während das BGB nur noch in seinen normativen Teilen Aktualität besitzt. Das müßte jedoch nicht so sein, und ich halte es für eine wesentliche Forderung unserer Zeit, zunächst einmal unsere Kodifikationen auf den neuesten Stand zu bringen — wie etwa im Bereich des Zivilrechts — oder auch ganz neue Kodifikationen zu schaffen — eine ganz besonders wichtige Aufgabe etwa im Bereich des Völkerrechts — um mit diesen Sammlungen des Rechts einen ersten Schritt zur Bewältigung der Informationskrise im Rechtsbereich zu tun. Die Kodifikation des Rechts ist auch heute noch eine sehr moderne Aufgabe, der sich vor allem der Staat nicht entziehen darf, jedenfalls so lange nicht, als automatische und allen rechtsuchenden Staatsbürgern zugängliche juristische Informationssysteme bei uns noch fehlen, und an die Erfüllung dieser Aufgabe muß der Staat immer wieder mit aller Deutlichkeit erinnert werden. Die Schwierigkeit ist nun, daß unsere Rechtstheorie zum einen nicht weiß, wie eine solche Kodifikation als wirksame Maßnahme gegenüber der Informationskrise des Rechts überhaupt aussehen soll, daß sie also — verzeihlicherweise — die erforderlichen kommunikativen Techniken nicht kennt, zum anderen aber gerade auch, daß sie nicht einmal weiß, welcher Art das hier zu sammelnde Recht ist, das doch offenbar von den Gerichten geschaffen — oder sagen wir vorsichtiger: entwickelt — wird. Befassen wir uns zunächst kurz mit der zweiten Problematik, so erhebt sich die Frage: wie läßt sich eigentlich begründen, daß es auch bei uns ein Richterrecht als „Recht" gibt? Halten wir uns an die Formulierung des Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes, so müssen wir davon ausgehen, daß Rechtsregeln aus „Gesetzen" zu entnehmen sind, diese Gesetze aber vom „Gesetzgeber" geschaffen werden, und es fällt dann doch ziemlich schwer zu erklären, in welcher Weise die Rechtsprechung außer an solche Gesetze auch noch an „Recht" gebunden ist, wie es in Art. 21 Abs. 3 des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt. Immerhin scheint die Kühnheit
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unserer Annahme - die auch Josef Esser in seiner Schrift „Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts" zum Ausdruck bringt es gebe neben dem Gesetzesrecht ein selbständiges Richterrecht, bereits durch diese Formulierung des Art. 21 Abs. 3 GG etwas gemildert, und - angenommen, Josef Esser weiß, was dieses „Recht" ist, aufgrund dessen der Richter entscheidet, wenn er sich nicht auf ein Gesetz stützt — so würden wir wohl sehr gerne und um ein schwieriges Problem erleichtert seine in dem genannten Buch dargelegte Auffassung übernehmen, nach der dieses Recht sich aus dem „Rechtsgrundsatz" ergibt. Leider ist Josef Esser jedoch „Positivist", wie er selbst immer wieder sagt, was bedeutet, daß er seiner Theorie nach einen rechtsetzenden Akt braucht, den er nun gerade im Richterspruch finden will, und das widerspricht nun wieder sowohl der Vorschrift des Art. 21 Abs. 3 GG — daß der Richter nämlich aufgrund von Recht bereits entscheiden soll, weil er an Recht „gebunden" ist — als auch der Vorschrift des Art. 21 Abs. 2 GG, nach der eine strenge Gewaltentrennung zumal zwischen Gesetzgebung, d.h. aber: Recht-Setzung, und der Rechtsprechung, dJi. der Gerichtsbarkeit, angeordnet wird, und somit kann Josef Essers Idee jedenfalls im Geltungsbereich des Grundgesetzes schon zu keiner praktikablen Methode führen. Darüber hinaus ist Essers Ansicht, es gebe überhaupt eine „Vorstufe des Rechts", wie er solche Rechtsgrundsätze betrachtet, die dann zu „Recht", nämlich zu Rechtsnormen „positiviert" werden müßten, einfach falsch; auf diese Weise läßt sich zwischen dem angloamerikanischen Zivilrecht, das bekanntlich sog. Rechtsgrundsätze kennt, und dem kontinental-europäischen Zivilrecht auch im Sinn eines einheitlichen Zivilrechts keine Brücke schlagen, wie Josef Esser wohl gern möchte. Ich würde Josef Essers Idee unerwähnt gelassen haben, gerade weil sie zur Erweiterung unseres Rechtsverständnisses keinen Beitrag leistet, wenn sie nicht so sehr Ausdruck der heute in allen Rechtsbereichen vorherrschenden normativen Rechtstheorie wäre und wenn diese Theorie nicht so verheerende Auswirkungen hätte, besonders im Hinblick auf die anstehenden Kodifikationsaufgaben. Im Völkerrecht beispielsweise bedeutet doch der Vorschlag Bin Chengs, einen multilateralen Vertrag zur Anerkennung der von ihm gesammelten Völkerrechtsgrundsätze — jedenfalls der Sätze, die er dafür hält — zu schließen, nichts anderes als einen klaren Verzicht auf die in Art. 38 des Statuts für den Internationalen Gerichtshof neben Völkervertrags- und -Gewohnheitsrecht zugelassene dritte Entscheidungsquelle, die „allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts", wobei zur Form der von Bin Cheng gefundenen „Rechtsgrundsätze" wie schließlich auch der Forderung in Art. 38 des IGHStatuts, daß die „allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts" als solche von den „zivilisierten Nationen anerkannt" sein müßten, noch einiges gesagt werden könnte; denn auch die zuletzt genannte Forderung ist wohl bereits ein Produkt der normativen Rechtstheorie. Kodifikation ist nach dieser Theorie eben nicht anders denkbar als durch Rechtsetzung, im innerstaatlichen Bereich durch den Gesetzgeber, im Völkerrecht durch den Abschluß
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eines „anerkennenden" Vertrags, für den wir seit der Wiener Vertragsrechtskonferenz von 1969 ja ein besonders kostbares Exemplar besitzen: den "treaty of treaties". Wen wundert es da noch, daß die Völkerrechtskodifikation — eine Aufgabe der Vereinten Nationen gemäß Art. 13 der VN-Charta — nicht voranschreitet? Wie kann jedoch ein Völkerrecht begründet werden, wenn nicht durch Vertrag oder Gewohnheit, und wie läßt sich im innerstaatlichen Bereich das „Richterrecht" als Recht vertreten, das durch eine richterliche Entscheidung nicht erst gebildet wird, sondern bereits diese Entscheidung selbst trägt? Um dies zu verstehen, ist die Kenntnis einiger rechtstheoretischer Grundannahmen Voraussetzung, ohne die im Rechtsbereich auch nicht diskutiert werden kann. Zunächst gehört hierher die hoffentlich nicht als trivial empfundene Feststellung, daß es in diesem Bereich nicht nur eine Kategorie „Rechtsregeln" gibt, die sich noch in „Rechte", „Pflichten" und „Zuständigkeiten" zerlegen läßt, sondern daß daneben noch eine sehr viel wichtigere Kategorie „Verfassungsregeln" — und hier denke ich nicht nur an unsere staatlichen Verfassungen — besteht, die ganz andere Regeln, nämlich „Strukturregeln" enthält. Denn mit Hilfe der Strukturregeln begründen wir zuallererst einen rechtlichen Bereich, indem wir durch sie willentlich Gruppierungen schaffen, die jeweils ihrem Aufbau nach zwar eine Parallele zu sozialen Gruppen darstellen, im übrigen jedoch das Entstehen einer spezifischen sozialen Gruppe aufgrund der Interaktion der Beteiligten ausdrücklich verhindern soll; und erst das Vorhandensein einer solchen verfassungsmäßigen Gruppierung verleiht den in ihrem Rahmen geschaffenen Verhaltensregeln den Charakter von „Rechtsregeln", die sonst — d.h. soweit mindestens der Rahmen einer sozialen Gruppe vorhanden ist - lediglich den Charakter von „Sozialregeln" — und zwar entweder in der Form von „Imperativen" oder aber in der Form von „moralischen Grundsätzen" — tragen. Es ist aber dieser Einfluß der Gruppenstruktur auf die jeweils als solche erkannten Verhaltensregeln, den wir als deren „Geltung" bezeichnen, so daß wir zwischen einer „rechtlichen Geltung" innerhalb rechtlicher Gruppen und einer „sozialen Geltung" — bzw. ungenau: einer „faktischen Geltung" — innerhalb sozialer Gruppen unterscheiden können. Nun sind auch Verhaltensregeln willentlich formulierbar, und diese „normativen" Regeln müssen dann nur der Struktur der jeweiligen Gruppe Rechnung tragen, um Geltung zu erlangen, d.h. in einer Gruppe mit Über- und Unterordnung kann nicht der Untergeordnete eine für den ihm Übergeordneten geltende normative Rechts- oder Sozialregel artikulieren; aber auch der Übergeordnete kann nicht ein für den Untergeordneten geltendes Verhalten vorschreiben, das den konkreten Rahmen der Über- und Unterordnung sprengt. Es dürfte jedoch klar sein, daß normative Regeln immer nur die Ausnahme bilden können und daß das meiste Verhalten der Beteiligten an einer Gruppe entweder intuitiv „richtig" ist, dJi. in den strukturellen Rahmen der Gruppe paßt, oder aber reflektiert wurde und dann natürlich auch als „geregelt" erscheint.
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Wie geht das einzelne Gruppenmitglied im letzteren Fall aber vor? Es überlegt sich, welche kausalen Auswirkungen ein von ihm intendiertes Verhalten auf die Gruppenstruktur hat, und lehnt die Ausfuhrung dieses Verhaltens ab, wenn eine Verletzung der Gruppenstruktur sichtbar wird, oder fühlt sich andernfalls berechtigt, diese Intention seines Verhaltens zur „Richtlinie" für dessen tatsächliche Ausfuhrung zu machen, und diese Richtlinie ist es dann, die sein Verhalten regelt und für die ich im Unterschied zu den normativen Verhaltensregeln die Bezeichnung „regulative Verhaltensregel" als angemessen empfunden habe. Es versteht sich, daß diese „Regulative" nichts anderes sind als diejenige Form des Rechts, die unter den Begriff des „Naturrechts" eingeordnet wird, und diese Feststellung treffe ich mit besonderer Genugtuung, weil sie mir erlaubt, einer von mir besonders geschätzten rechtstheoretischen Schule, nämlich der etwa zwischen Hugo Grotius und ihrem letzten Vertreter, Paul Fauchille, einordenbaren Völkerrechtslehrer, wieder zur wohlverdienten Anerkennung zu verhelfen. Dieses von Roberto Ago wohl mit seiner Idee eines „diritto spontaneo" gemeinte Recht ist es also, das nicht durch Erlaß, Vertrag oder Gewohnheit begründet wird und dennoch vorhanden ist, weil es logisch aufgefunden werden kann; und dieses Recht ist es auch, das allein unter den Begriff der „allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts" subsumiert werden kann, ohne daß es auf seine Anerkennung durch die zivilisierten Nationen irgendwie ankommen würde. Als „Naturrecht" ist dieses Recht aber genausowenig aus der „Natur des Menschen" herleitbar, wie heute so gern behauptet wird, noch entspringt es, wie erst kürzlich der Ansprache Pabst Paul VI. an den neuen deutschen Botschafter beim Vatikan zu entnehmen war, einem göttlichen Gebot, es sei denn — und darüber möchte ich nicht streiten — man verstünde die Logik als den Ausdruck dieses göttlichen Gebots. Als logisches Recht steht es aber auch im innerstaatlichen Zivilrechtsbereich der unmittelbaren richterlichen Einsicht offen und ist damit in der Lage, die Entscheidung nicht normativ geregelter Fälle zu tragen. Hinsichtlich der Korrektur normativ falscher, d.h. nicht mit der Gruppenstruktur der Bundesrepublik Deutschland in Einklang stehender Verhaltensregeln, ist allerdings zu beachten, daß diese zwar prinzipiell durch Art. 100 GG dem Bundesverfassungsgericht und dem Gesetzgeber vorbehalten wurde; soweit jedoch der Zivilrechtsbereich in der Bundesrepublik in Betracht kommt, der infolge seiner Koordinationsstruktur dem völkerrechtlichen Bereich vergleichbar ist, wurde durch die Sonderregelung des Art. 25 GG bereits die unmittelbare Geltung der völkerrechtlichen Naturrechtsregelung, d.h. der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts, anstelle der widersprechenden BGB-Regelung festgelegt, so daß Art. 25 GG — bisher in seiner Funktion noch kaum erkannt — als ein besonders starker Schutz des Staatsbürgers gegenüber einer willkürlichen Regelung durch die Inhaber der staatlichen Gewalt betrachtet werden kann. Äußerlich gesehen, d.h. ihrer sprachlichen Form nach, haben diese Naturrechtsregeln als Regulative die gleiche Gestalt wie normative Rechtsregeln,
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aber ebenso auch wie normative Sozialregeln oder etwa regulative Sozialregeln, nämlich die einheitliche Gestalt von Verhaltensregeln, d.h. es handelt sich bei ihnen um kommunikative Einheiten, denen die gesuchte Verhaltensregelung als Information entnommen werden soll; das Problem dieser Informationsvermittlung existiert daher bei allen Arten von Verhaltensregeln in gleicherweise, unabhängig davon, ob diese Regeln willentlich geschaffen oder logisch hergeleitet wurden oder ob sie im Rahmen einer Rechtsgruppe oder etwa im Rahmen einer Sozialgruppe gelten. Auch dann, wenn Identität zwischen dem Schöpfer einer Verhaltensregel und ihrem Adressaten besteht — wenn ein Gruppenmitglied beispielsweise selbst für sein eigenes zukünftiges Handeln rechtliche oder soziale Regulative herleitet - ist dieses Problem in gleicher Weise vorhanden und entspricht dem allgemeinen Problem der sprachlichen Kommunikation, auf das hier nicht weiter eingegangen werden soll. Daneben tauchen jedoch gerade im Bereich der Verhaltensregeln noch zwei weitere Probleme auf, deren Erörterung im Zusammenhang meines Themas notwendig wird, weil es sich um typische Probleme gerade der juristischen Informationsgewinnung handelt, und zwar einmal das Problem der Aufsuche der einzelnen einschlägigen Verhaltensregel zunächst aus dem Gesamt aller vorhandenen und kommunikativ prinzipiell zugänglichen Verhaltensregeln, und zum anderen das Problem der Konsistenzprüfung des kommunikativ ermittelten Inhalts der gefundenen Verhaltensregel im Hinblick auf „zugehörige" Texte (Entscheidungen, Gesetzesmaterialien, Kommentierungen), wobei das Auffinden dieser Texte üblicherweise wiederum einen Suchvorgang impliziert. Tatsächlich sind es diese beiden Suchvorgänge, an denen sich heute die Diskussion um die sog. Informationskrise des Rechts entzündet, und die Bewältigung der Informationskrise bedeutet daher eine Bewältigung dieser beiden Suchvorgänge, läßt man einmal unberücksichtigt, daß zum Auffinden von Regulativen für eine konkrete Situation an die Stelle des Suchvorgangs auch eine unmittelbare logische Gedankenarbeit treten könnte,¡um das Regulativ direkt herzuleiten, was im übrigen oft genug auch geschieht; immerhin bleibt in diesem Fall meist ein Rest Unsicherheit im Hinblick auf die Fehlerlosigkeit der logischen Gedankenfuhrung durch den einzelnen Betroffenen, und diese Unsicherheit ist es, die auch Denkwilligen den Vorteil einer Sammlung solcher Regulative deutlich macht, in denen das zutreffende und seit langem bewährte Regulativ lediglich aufgesucht werden muß.Deshalb ist es ja so notwendig, daß in allen Rechtsbereichen, im Völkerrecht wie auch im innerstaatlichen Zivilrecht, eine Sammlung dieser Regulative erfolgt und daß vor allem auch im Zivilrechtsbereich der Bundesrepublik die nach der Schaffung des BGB noch entwickelten allgemeinen Zivilrechtsgrundsätze in diese Sammlung aufgenommen werden. Daß von einer „Gesetzgebung" insofern keine Rede ist, dürfte klar sein, und wir müssen uns wohl von dem Gedanken lösen, daß beispielsweise die entsprechende Aufbereitung des BGB eine gesetzgeberische Aufgabe des Bundestags wäre; sie ist dies ebensowenig wie alle anderen notwendigen Bearbeitungen unserer Gesetzestexte, von denen im Folgenden anläßlich der
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Erörterung des ersten und zweiten kommunikationswissenschaftlichen Modells zur Lösung juristischer Informationsprobleme, und zwar der Aufsuche der rechtlichen Verhaltensregeln, gesprochen werden muß. Daß die Kodifizierung des Rechts, d.h. die Sammlung der geltenden Rechtsregeln und ihre mehr oder weniger systematische Anordnung, zwar eine Voraussetzung für die Vollständigkeit einer Rechtsregelsuche ist, ohne aber verhindern zu können, daß mit wachsendem Bestand dieser Sammlung doch die Aufsuche einzelner Regeln sich immer mehr erschwert, läßt sich am besten vielleicht an Justinians Codex Iuris zeigen, der eine solche Rechtsregelsammlung darstellt. Es gibt eine Reihe kommunikativer Techniken, um sich in einer solchen Sammlung — abgesehen von einer Orientierung nach der systematischen, d.h. aber: thematischen Anordnung der Rechtsregeln — zurechtzufinden ; beispielsweise kann man einen „Sachindex" anlegen oder die einzelnen Regeln mit Überschriften versehen, wie es etwa im BGB dann durch die Initiative eines Verlagshauses geschehen ist, d.h. man versucht auch insoweit „Themen" dingfest zu machen. Man könnte jedoch auch genausogut „semantisch" vorgehen und etwa „Schlüsselwörter" im Text der Sammlung beispielsweise durch den Druck hervorheben. Die Schwierigkeiten des justinianischen Corpus Iuris liegen jedoch weniger in dem Umstand des relativen Ungeordnetseins begründet als vielmehr in der Art der Formulierung dieser Regeln. Wir würden heute vielleicht sagen, sie tragen den Charakter von „Leitsätzen", d.h. sie beziehen sich jeweils auf einen ganz bestimmten Fall, für dessen Regelung sie ein Verhaltensmodell liefern, so daß für alle auch nur ähnlichen Fälle bereits die Anwendung dieser Regel nur im Wege der Analogie möglich ist. Die Suche innerhalb dieses Kodexes kompliziert sich dadurch aber noch einmal, indem die gesuchte Regel möglicherweise direkt, möglicherweise aber auch nur als Analogie angesteuert werden kann, woran der mangelnde Grad an Abstraktheit dieser Regeln verantwortlich ist. Es ist die geradezu geniale Leistung von Johann Georg Schlosser - auch unter Juristen, und sehr zu Unrecht, meist nur als der Schwager Goethes bekannt - auf diesen Umstand zum ersten Mal hingewiesen zu haben und in seinem Buch „Vorschlag und Versuch einer Verbesserung des deutschen bürgerlichen Rechts ohne Abschaffung des römischen Gesetzbuchs" von 1777, das ihm — was leider auch kaum bekannt ist — die Aufforderung zur Mitarbeit am preußischen Allgemeinen Landrecht eintrug, nicht nur die Methodik, sondern auch die Möglichkeiten abstrakterer Formulierungen durch beispielhafte „Gesetzes"-Texte einleuchtend darstellte. Sicher ist, daß Schlosser, der eine Mitarbeit am preußischen Allgemeinen Landrecht schließlich aus persönlichen Gründen ablehnte, diesem kuriosen Gesetzeswerk nicht nur eine wesentlich andere Form verliehen, sondern auch verhindert hätte, daß dieses Werk durch den Positivisten Svarez zu einem Normencodex gestaltet wurde; seine umfassende Kritik von 1789 an dem Entwurf zum preußischen Allgemeinen Landrecht konnte daran dann nichts mehr ändern. Schlosser war kein Kommunikationswissenschaftler und
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beschrieb doch sehr genau, worauf es bei der kommunikativen Verbesserung des justinianischen Codex Iuris ankam: auf das Weglassen alles dessen, was bei den Gesetzen des Codex „durch ihre Veranlassung zu sehr bestimmt ist", dJi. ihre Kasuistik, und auf das „Herausziehen des Grundsatzes" aus diesen Gesetzen, um „das weitläufige corpus iuris, das seit hundert Jahren nicht fünfzig Juristen durchlesen haben, auf einen mäßigen Oktavband von weniger als zehn Bogen zu bringen". Welches ist jedoch das Mittel, dessen sich Schlosser bei der Herleitung seiner „Grundsätze" bedient? Es ist das gemeinsame Thema aller zusammengehörender Gesetze im Codex Iuris, das ihm erlaubt, diejenige Formulierung zu finden, zu der alle jene Gesetze des Codex im gleichen Verhältnis der Paraphrase stehen, und das heißt, daß es sich bei der Herleitung solcher Grundsätze um einen Vorgang handelt, der sich allein auf der sprachlichen Ebene vollzieht, wobei diese Grundsätze ihrer Formulierung nach den Charakter von Verhaltensregeln nicht verlieren dürfen, um noch als solche Grundsätze erkannt zu werden. Wenn es einmal gelingt, die Sprache maschinell in ihrer Funktion als Kommunikationsmittel zu beherrschen, dürfte eine automatische Herleitung solcher Grundsätze beispielsweise aus den Leitsätzen gerichtlicher Urteile keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereiten; daß der „Paraphrasenrelation" hierbei aber eine entscheidende Bedeutung zukommt, versteht sich von selbst. Schlosser hatte aber auch recht, wenn er bei Vorhandensein einer solchen Sammlung von Grundsätzen — die infolge der Paraphrasenrelation mit den Leitsätzen inhaltsgleich sind — den Rückgriff auf solche Leitsätze und deren gesonderte Sammlung für verzichtbar hielt, wenn wir auch eine solche Sammlung als Auslegungsmittel für die Sammlung der Grundsätze begrüßen würden; dies ändert jedoch keinesfalls etwas an der Notwendigkeit, daß jeder neue Leitsatz auf seine thematische Repräsentation in der Sammlung der Grundsätze geprüft werden muß, um diese Sammlung aller regulativen Rechtsregeln in ihrer Vollständigkeit zu erhalten — eine Aufgabe, die daher niemals abgeschlossen sein kann und deshalb die Mühe um eine maschinelle Bewältigung nahelegt. Was die Formulierung von Rechtsnormen anbelangt, so liegt die Problematik nur insofern anders, als diese Normen die gesetzgeberische Intention der Regelungsbefugten zum Ausdruck bringen sollen; ist diese Intention jedoch einmal formuliert, so könnte die Schaffung der Normen selbst wohl ebenfalls maschinell geschehen, wodurch sichergestellt wäre, daß von den intendierten Thematiken keine versehentlich vergessen oder mißverständlich in der Norm repräsentiert würde, wie es bei den intuitiven Formulierungstechniken heute noch gelegentlich passieren kann. Die Hoffnung Schlossers, durch die Herleitung von Rechtsgrundsätzen - die ich als das erste kommunikationswissenschaftliche Modell zur Lösung juristischer Informationsprobleme bezeichnen würde — ein für alle Mal das Informationsproblem im Zivilrecht beseitigt zu haben, läßt sich aufgrund unserer Erfahrungen allerdings nicht teilen, denn betrachten wir beispielsweise unser BGB, das die von Schlosser gewünschte sprachliche Struktur trägt, so zeigt
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sich, daß es nicht gerade leicht ist, sich in diesem Paragraphenwald zurechtzufinden — die in den Kommentaren verstreuten und im BGB noch nicht aufgenommenen Regeln sogar einmal außer Betracht gelassen — und es fragt sich, welche Technik in diesem Fall helfen könnte, um das durch ein Übermaß an Rechtsgrundsätzen neu aufgetretene Informationsproblem zu bewältigen. Daß die bereits erwähnten, heute gebräuchlichen Indizierungstechniken, die auch die Basis für die verschiedenen inzwischen entwickelten maschinellen Dokumentationssysteme abgeben, nur ungenügend diesem Problem näherrücken und jedenfalls ein außerordentlich gutes Gedächtnis des Benutzers verlangen, ist bekannt. Die kommunikative Lösung, die nun wieder für Regulative und Normen gleichermaßen anwendbar ist, sieht jedoch anders aus, und hier haben wir das zweite kommunikationswissenschaftliche Modell zur Lösung juristischer Informationsprobleme, das in der Zusammenfassung einer Themengruppe unter einem „Gesamtthema" besteht. Dieses Gesamtthema hat allerdings eine spezifische Form; seine einzelnen Bestandteile repräsentieren nämlich begrifflich die jeweils einzelnen Themen aus der zugrundeliegenden Themengruppe und geschickterweise so, daß auch eine enge semantische Verbindung vom Gesamtthema zum einzelnen Paragraphen und seinem Thema hergestellt werden kann. Leider habe ich bisher noch kein Gesetz gefunden, das diese Technik verwenden würde; offenbar geht unser Gesetzgeber, obwohl er selbst genug Schwierigkeiten hat, das geltende Recht zu überblicken, davon aus, daß das vollständige Lesen und die vollständige Kenntnis eines ganzen Gesetzeswerks für den Rechtsanwender selbstverständlich sein müsse, auch wenn nur eine einzige Regelung aus diesem Gesetzeswerk für seinen Fall einschlägig ist und gesucht wird — in der gegenwärtigen Situation eine geradezu unvorstellbare Zumutung. Da mir ein Beispiel zur Illustration dieses Modells jedoch wichtig erschien, habe ich selbst ein Beispiel bilden müssen und — ich bitte dies zu verzeihen — die Regeln des Romme-Spiels in Gesetzesform aufgestellt. § 1 dieser Regeln hat die Gestalt einer Definition und lautet: „Romme ist ein Kartenspiel, bei dem von den Mitspielern derjenige gewinnt, der unter Gebrauch der Spielregeln als erster alle Karten aus der Hand gelegt hat." § 2 handelt dann von den „Karten", § 3 von den Aktionen der Spieler usw., dJi. anhand der Themenaufzählung in § 1 kann der Leser des darauf folgenden Textes die Suche nach der ihn interessierenden Regelung anhand dieses Themenkatalogs vornehmen, wobei er noch durch das Auftauchen der Themenbezeichnungen in § 1 und am Beginn der jeweils einschlägigen Paragraphen, womit diese Bezeichnungen „Schlüsselwort"-Charakter gewinnen, semantisch unterstützt wird. Es handelt sich bei diesem Modell somit um das Modell für eine echte Gesetzestechnik, und es wäre wohl an der Zeit, daß sich unser Gesetzgeber mit diesem Modell befreunden würde, um auch seinerseits einen ihn nur wenig kostenden Beitrag zur Steuerung der Informationskrise
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des Rechts zu leisten. Zu erwähnen wäre lediglich noch, daß die herrschende Lehre heute die genannten Gesamtthemen als den eigentlichen Gegenstand der „allgemeinen Rechtsgrundsätze" betrachtet; daß dies ein Irrtum ist, müßte nun jedoch einsichtig sein, denn die Gesamtthemen über Regulativen stellen eine kommunikative Technik des Verweisens auf solche Regulative dar, enthalten selbst aber keine Regelung, und eine Regelung kann aus ihnen auch nicht abgeleitet werden; insofern ist der seinerzeit zu Studienzwecken noch intuitiv aufgebaute § 1 der genannten Romme-Regeln als Beispiel eines Gesamtthemas untypisch, weil er bereits selbst neben der Definition des Spiels eine Regelung enthält, nämlich die Regelung des „Gewinnens" im Spiel. Während sich das erste Modell mit der Verbesserung der kommunikativen Struktur einzelner Rechtsregeln befaßte und das zweite Modell sich auf die kommunikative Gestaltung von Rechtsregelsammlungen bezog, d.h. auf ganze Gesetzeswerke, könnte die klassifikatorische Einteilung aller Gesetze, wie sie zur Zeit in Teil III des Bundesgesetzblatts versucht wird, als ein zwar noch sehr unvollkommenes, weil nur intuitiv, nicht aber auf einer theoretischen Basis der Kommunikation erstelltes, dennoch als ein mögliches drittes, kommunikative Prinzipien verwendendes Modell zur Lösung juristischer Informationsprobleme betrachtet werden, wenn es nicht gar zu sehr auf die Zwecke einer oberflächlichen Ordnung dieser Gesetze ausgerichtet wäre. Immerhin ist auch dies eine mögliche Antwort auf kommunikative Notwendigkeiten. Wir haben uns jedoch überlegt, daß — wenn man sich heute dem Problem einer makrostrukturellen Gliederung als eines kommunikativen Mittels im Rechtsbereich stellt — daß man dann auch versuchen sollte, gleichzeitig die übrigen Informationen, die der Rechtsuchende noch benötigt, um die Konsistenzprüfung des von ihm gefundenen Inhalts einer Rechtsregel durchzuführen, im Rahmen einer solchen Gliederung zu lösen. Das heißt, man sollte in eine solche Gliederung dann nicht nur die Gesetze aufnehmen, sondern auch die jeweils zugehörigen gerichtlichen Entscheidungen bzw. die Gesetzesmaterialien — und eventuell auch Kommentierungen als den thematischen Zwischenstufen zwischen den Regelungstexten und den Entscheidungstexten bzw. den Gesetzesmaterialien. Erinnert man sich an den Zusammenhang, der zwischen diesen Textmassen besteht, d.h. der Verbindung zwischen Regulativen und Entscheidungen sowie zwischen Gesetzesnormen und Gesetzesmaterialien — und diesen Zusammenhang klar zu machen schien mir doch sehr wichtig — so dürfte ein an den verschiedenen Themen der Rechtsregeln anknüpfendes System von Verweisungen eine Möglichkeit darstellen, wie mit herkömmlichen Mitteln diese Aufgabe bewältigt werden könnte. Daß es sich hierbei um eine zwar nützliche, aber doch auch sehr mühsame Aufgabe handeln würde, kann man sich wohl vorstellen. Die Unterstützung einer solchen Ordnungsaufgabe durch maschinelle Hilfsmittel ist bei dem heutigen Stand der Technik aber — wie eingangs schon bemerkt — gar kein Problem. Setzt man jedoch konsequent den Gedanken der thematischen Stufung in ein System
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um, das den Benutzer zu den von ihm gewünschten Informationen hinführt, so gewährt dieses System ein Verfahren der Informationssuche, das wir im Gegensatz zu den eingangs genannten und heute üblichen „analogen" Verfahren als „HOMOLOGVERFAHREN" bezeichnet haben, und zwar „homolog" deswegen, weil der Benutzer des Systems anhand der ihm jeweils vom System zur Auswahl gestellten thematischen Formulierungen unmittelbar seine eigene Fragestellung auf der Tatbestandsseite analysiert und fortschreitend schließlich auf die zu ihr gehörende Regelung als der Rechtsfolge stößt. Auch die Kommentierungen und schließlich die zugehörigen Entscheidungen bzw. Gesetzesmaterialien werden nach diesem Prinzip erreicht, wobei die Anzahl der zu überwindenden Stufen allein von der Gesamtzahl der im System anzusteuernden Endinformationen sowie der Zahl der auf jeder Stufe zur Auswahl stehenden Themenformulierungen abhängt. Immerhin lassen sich bei 10 Themen auf jeder Stufe mit 4 Stufenschritten bereits 1.000 Informationen ansteuern, bei weiteren 4 Stufen aber sogar schon ein Bereich von 10.000.000 Informationen; dieses Verhältnis zwischen der Leistung des Systems und dem Benutzeraufwand, der allerdings im konkreten Fall durch kommunikationswissenschaftliche Untersuchungen genau festgestellt und optimiert werden sollte, scheint uns recht vielversprechend zu sein, solange wir eben noch keine vollautomatischen, selbst kommunikativ arbeitenden Informationsspeicher zur Verfügung haben. Jedenfalls ist allein ein solches System in der Lage, die in Rechtsfragen unbedingt erforderliche Vollständigkeit der Information zu gewährleisten, wie gleichzeitig aber auch den Output gerade auf diese Information zu beschränken, während heutige Systeme aufgrund der verwendeten Technik auch nicht annähernd diese beiden Wünsche erfüllen können, die sich aufgrund der kommunikativen Kapazität des Menschen nicht voneinander trennen lassen, ohne entweder in der einen oder in der anderen Richtung die Präzision der Suche aufzugeben. Daß die Entwicklung eines vollautomatischen, selbst kommunikativ arbeitenden Informationsspeichers das Ziel sein muß, das wir letzten Endes anstreben, bedarf nach allem, was bisher gesagt wurde, keiner weiteren Begründung, zumal ein solches System auch die übrigen genannten Aufgaben, wie etwa eine angemessene Formulierung der Rechtsregeln sowie eine angemessene Gestaltung ganzer Gesetzeswerke — „angemessen" immer im kommunikativen Sinn — zu erfüllen in der Lage sein dürfte. Dies setzt aber voraus, daß wir endlich wissen, was überhaupt „Sprache" ist und daß wir endlich die Funktion der Sprache kennenlernen bzw. das Funktionieren des Systems, das über den Weg der Sprache mit sich selbst oder mit anderen ähnlichen Systemen kommunizieren kann; denn aufgrund unserer jüngsten Untersuchungsergebnisse glauben wir die Hoffnung haben zu dürfen, daß in der Sprache eine vollständige Repräsentation unserer Denkprozesse stattfinden kann, so daß ein Verlassen des sprachlichen Bereichs, um beispielsweise Abstraktionsvorgänge darzustellen, nicht erforderlich ist. Deshalb halten wir auch ein Einbeziehen
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von Logik, Mathematik, Systemtheorie — sei es auch nur in der Form einer Grammatiktheorie — nicht mehr für angezeigt, sondern bemühen uns allein um die Theorie der Sprache und ihrer Funktion, wobei wir erste Ergebnisse durchaus bereits erzielt haben. Den institutionellen Rahmen, in dem diese Untersuchungen vorangetrieben werden, stellt das Großprojekt „Linguistische Datenverarbeitung" — kurz: LDV-Projekt — des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim und Bonn dar, wobei sich die Arbeitsgruppe in Bonn im wesentlichen aus Mitarbeitern des Instituts für Kommunikationsforschung und Phonetik der Universität Bonn zusammensetzt, so daß eine Kontinuität der Arbeiten am LDV-Projekt und der Entwicklung einer allgemeinen Kommunikationstheorie gesichert ist, wie sie seit langem von dem letztgenannten Institut angestrebt wird. Ob am Ende des Projektzeitraums bereits eine Maschine stehen wird, mit der ein Mensch sprachlich kommunizieren kann, ist nicht das eigentliche Ziel dieses Projekts, das sich als Forschungsprojekt mit der Entwicklung der für eine solche Maschine erforderlichen Theorie befaßt; und daß „linguistische Datenverarbeitung" als Terminus schon nach so kurzer Zeit des Bestehens dieses Projekts einen ganz anderen Inhalt bekommen hat als der bisherigen Auffassung entsprach, darf gewiß auch als ein erster und nicht unwesentlicher Erfolg dieses Projekts gewertet werden. Eines steht jedenfalls fest: daß nur eine kommunikationswissenschaftliche Entwicklung der Linguistischen Datenverarbeitung in der Lage sein wird, eine neue Generation von Informationssystemen, auch von juristischen Informationssystemen, zu schaffen; dies sollten alle, denen an der Erstellung solcher Informationssysteme gelegen ist, zur Kenntnis nehmen und die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen. Was bleibt jedoch für uns Juristen in der gegenwärtigen Situation zu tun? Sehen wir zunächst einmal von der Verwirklichung eines Homologsystems ab, so verbleibt vor allem die Vervollständigung unserer Rechtsregelsammlungen und deren Gestaltung nach den Grundsätzen der beiden erstgenannten kommunikationswissenschaftlichen Modelle zur Lösung unserer juristischen Informationsprobleme, und diese Aufgabe kann — obwohl es sich ihrem Inhalt nach jeweils um eine kommunikationswissenschaftliche Aufgabe handelt, die eine Anwendung kommunikationswissenschaftlicher Methoden impliziert — doch nur von Juristen, d.h. aber dann: auch kommunikationswissenschaftlich gebildeten Juristen, ausgeführt werden, weil nur Juristen über das für die sprachliche Gestaltung der Rechtsregelsammlungen erforderliche juristische Theorienarsenal verfügen, das den für die juristische Problemlösung angemessenen Abstraktheitsgrad besitzt. Hierin liegt gleichzeitig auch die Berechtigung unserer besonderen „Juristensprache", die weder durch sog. umgangssprachliche Formulierungen noch durch die Einführung einer wie auch immer gearteteten „künstlichen Sprache" für den Rechtsbereich — etwa im Sinn der Formeln, in denen sich die deontische Logik versucht — ersetzt werden kann. An dieser Aufgabe mit dem Ziel, dem mit juristischen Begriffen vertrauten
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Staatsbürger das geltende Recht zugänglich zu machen, kommen wir in gar keinem Fall vorbei, solange die erwähnte neue Generation der Informationssysteme noch nicht im Stadium der Verwirklichung ist; und je eher wir mit der Bewältigung dieser Aufgabe beginnende eher der Staat mit dieser ihm letztlich aufgrund des Sozialstaatsprinzips übertragenen Aufgabe beginnt, desto eher werden wir auch der heute so drängenden Sorge um die Informationskrise des Rechts begegnen können. Dies sind auch Aufgaben, zu deren Lösung wir bereits alles zur Verfugung haben, was wir brauchen; und deshalb gibt es auch keine Entschuldigung personeller oder materieller Art für ein weiteres Hinausschieben ihrer Inangriffnahme. Daß:dies eine Trennung von so lieb gewordenen Ideen wie der durchgehenden Normativität der Rechtsordnung oder etwa des ausschließlichen sprachlichen Gestaltungsrechts unserer Gesetze durch den Gesetzgeber erforderlich macht, sollte eigentlich kaum zu bedauern sein; ein richtiges Verständnis der Struktur unseres Rechts und der Funktionalität der Sprache dürfte gerade für den Rechtsstaat, der viel öfter als bisher vielleicht bekannt ist, durch „Buchstabentreue" gefährdet wird, nur einen Gewinn bedeuten. Aber auch dann, wenn eine Verwirklichung des Homologverfahrens angestrebt würde, könnte man auf die entscheidende Mitarbeit der Juristen aus den gleichen Gründen ihrer Sachkenntnis, die in ihrer Fähigkeit im Umgang mit der Rechtssprache zum Ausdruck kommt, nicht verzichten, denn dieses System müßte natürlich zunächst einmal manuell — unter der beschriebenen Verwendung maschineller Hilfsmittel — aufgebaut werden, um sodann seinen Benutzern zur Verfügung zu stehen. Dem Juristen kann außer einem Training in kommunikativer Technik daher auch in Zukunft nichts angelegener sein, als sich eine möglichst umfassende Kenntnis des Rechtsbereichs zu erwerben.
Literatur zu diesem Beitrag H.G. Tittrhann, Die sogenannte Inhaltsanalyse (content analysis) und der sprachliche Kommunikationsprozeß, in: K.G. Schweisthal (Hg.), Grammatik, Kybernetik, Kommunikation. Festschrift für Alfred Hoppe, 1971, S. 179 ff. Aviezri S. Fraenkel, Legal Information Retrieval, in: Advances in Computers, Vol. 9, 1968. Allen Kent, Einführung in die Informationswiedergewinnung, 1966. Barbara Evans Markuson, Automation in Libraries and Information Centers, in: Annual Review of Information Science and Technology, Vol. 2, 1967. G. Salton, Automatic Information, Organization and Retrieval, 1968. R.C. Cross, J.C. Gardin, F. Levy, Automatisation des recherches documentaires. Un modèle général LE SYNTOL. 1968. E. Laporta, R. Borruso, A. Falcone, V. Novelli, Sistema di Ricerca elettronica délia Giurisprudenza, 1969.
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G. Billmeier, D. Krallmann, Bibliographie zur statistischen Linguistik. IPK-Forschungsberichte des Instituts für Kommunikationsforschung und Phonetik der Universität Bonn, Bd. 18 (69/3). Noam Chomsky, Sprache und Geist, 1970. Gerold Ungeheuer, Paraphrase und syntaktische Tiefenstruktur, u.a. in: IPK-Forschungsberichte Bd. 13 (68/4). Spiros Simitis, Informationskrise des Rechts und Datenverarbeitung, 1970. Bin Cheng, General Principles of Law As Applied by International Courts and Tribunals, 1953. Eckhart Heinz, Der Beitrag der Rechtstheorie zur Kodifikation des Arbeitsrechts, in: Recht der Arbeit 1972, S. 341 ff. - Rechtsregeln als Gegenstand sprachlicher Kommunikation, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (ARSP) 1972, S. 29 ff. - Zur Bedeutung und Auslegung von Art. 25 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, in: Recht und Staat, Festschrift für Günther Küchenhoff zum 65. Geburtstag, 1972, S. 805 ff. - Codification of Public International Law, in: Proceedings of the Belgrade World Conference on World Peace Through Law 1971 (in Vorbereitung). - Text und Paraphrase. Zur Entwicklung einer Theorie der Sprache, in: Rave, Brinckmann, Grimmer (Hg.) Syntax und Semantik juristischer Texte, 1972, S. 7 ff. - Untersuchungen zur Anwendung des Homologverfahrens, in: Festschrift des Instituts für Kommunikationsforschung und Phonetik der Universität Bonn zum 50-jährigen Bestehen (in Vorbereitung).
Stellenwert der EDV in der öffentlichen Verwaltung und Prinzipien des Datenschutzrechts* von Wilhelm Steinmüller 1. Zweiteilung des Themas Über Datenschutz als Verhinderung unerwünschter Folgen der Datenverarbeitung zu reden, hat erst Sinne, wenn vorher klar geworden ist, welche Möglichkeiten die Datenverarbeitung überhaupt bringt. Sind ihre Chancen erkannt, so sollten sich auch für ihre Gefahren vernünftige Vorkehrungen treffen lassen. Darum also die Zweiteilung des Themas; Datenverarbeitung hat zwei Seiten: Licht und Schatten, und man sollte nicht in den Fehler verfallen, den sich Juristen leider so oft zu schulden kommen lassen, nur vom Schatten zu reden. Dabei wird man einsehen müssen, daß der Übergang zwischen Licht und Schatten nicht einmal sehr deutlich auszumachen ist. 1.1 Datenschutz ist die Kehrseite der Datenverarbeitung. Es ist also in der umgekehrten Reihenfolge des Themas zu fragen; erstens: was bedeutet Datenverarbeitung speziell im Hinblick auf die öffentliche Verwaltung? Was also ist ihr „Stellenwert"? Erst wenn der zu regelnde Ausschnitt aus der gesellschaftlichen Realität zutreffend geschildert ist, darf die zweite Frage gestellt werden, wie nämlich diese Realität rechtspolitisch vernünftig zu gestalten sei: das Thema des Datenschutzes. Nun ist inzwischen die Literatur fast uferlos geworden; die Verwirrung ist nicht gering: von völliger Überflüssigkeit, ja Schädlichkeit des Datenschutzes bis zu seiner totalen Verrechtlichung gehen die Meinungen. Um so dringlicher ist es angesichts dieser Lage, auf Einzelheiten zu verzichten und vielmehr die zentralen Prinzipien des Datenschutzes herauszuarbeiten. Um gleich eines vorwegzunehmen: die bisherigen Lösungsvorschläge werden weder den Bedürfnissen einer modernen Verwaltung noch den Erfordernissen der Datenverarbeitung hinreichend gerecht; auch deswegen, weil sie vor allem aus der amerikanischen Diskussion übernommen wurden, wo eine etwas andere Ausgangslage besteht. Es ist nicht einmal sicher, ob sie den Bürger hinreichend zu schützen vermögen.
Die Vortragsform ohne Nachweise ist wegen einer geplanten größeren Veröffentlichung belassen (U. Dammann u.a., Datenbanken und Datenschutz, im Ersch.). Ergänzte Fassung von ÖVD 2. 1972, 11 453 ff.
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1.2 Das magische Dreieck der EDV Ein neuer Ansatz ist darum notwendig, der drei zunächst unvereinbar erscheinenden Forderungen genügen muß, die das „magische Dreieck" des Datenschutzes ausmachen 1 . Erstens: Datenschutzmaßnahmen dürfen die moderne Verwaltung nicht mehr als notwendig behindern. Von dem Funktionieren der Verwaltung hängt das Funktionieren des modernen Verwaltungs- und Leistungsstaates ab. Datenverarbeitung ist Stütze, nicht Bremse der Verwaltung. Zweite Forderung: Die Organisation der Verwaltungsautomation muß EDVgerecht sein. Zum Dritten: Beide Erfordernisse stehen unter dem rechtlichen Vorbehalt der Verfassung; mit anderen Worten, die Ergebnisse müssen rechtspolitisch erwünscht sein, dürfen insbesondere den Bürger sowie die Gruppen und Institutionen der Gesellschaft nicht gefährden. Ist dieses magische Dreieck zu bewältigen? Ich bin jedenfalls davon überzeugt; nur ist ein Umdenken notwendig. Es genügt nicht, von tradierten juristischen Begriffen auszugehen und mit ihnen die neuartige Wirklichkeit zu bewältigen zu versuchen. Es geht nicht an, neuen Wein in alte Schläuche zu füllen. Vielmehr muß zunächst die neue Realität zutreffend erfaßt und in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung gesehen werden. Das ist das Entscheidende. Sodann sind die rechtlichen Kategorien zu ihrer befriedigenden gesellschaftlichen Einordnung und Gestaltung zu erarbeiten. Es ist überflüssig zu bemerken, daß der „point of no return" längst erreicht ist: Die Entwicklung der Datenverarbeitung ist nicht mehr aufzuhalten. Nunmehr ist die Aufgabe, ihre Zukunft zu gestalten. 2. Was „ist" Datenverarbeitung? 2.1 Terminologie Terminologisch sollten wir uns kurz fassen. Verständigen wir uns darin, daß Datenverarbeitung, EDV, automatisierte Datenverarbeitung das Gleiche bedeuten sollen; daß auch Datenverarbeitung und Informationsverarbeitung ohne Unterschied gebraucht werden; daß schließlich auch zwischen Datum und Information hier nicht differenziert zu werden braucht, obwohl das wissenschaftlich keineswegs identisch ist. Das gleiche gilt für Datenbank und (seil, rechnerunterstütztes) Informationssystem. Denn die Wortwahl ist für unsere Ausführungen ohne wesentliche Bedeutung.
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In Anlehnung an das magische Drei- bzw. Viereck der Volkswirtschaft.
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Ebenso darf hier gleichsinnig von Computer, Rechner, Automat oder Datenverarbeitungsanlage gesprochen werden. Auch „öffentliche Verwaltung" oder kurz Verwaltung soll im weitesten Sinn gefaßt werden, also den gesamten Bereich der Staatstätigkeit umfassen und nicht auf die Exekutive eingeschränkt sein. Nur bei dem Begriff Datenschutz sollten wir etwas genauer werden. Als erster Anhaltspunkt gelte: Datenschutz schützt den Bürger, Datensicherung schützt die Daten und ihre Verarbeitung. Oder anders: Datenschutz schützt vor Datenverarbeitung, Datensicherung schützt die Datenverarbeitung 2 . Innerhalb des Datenschutzes bestehen verschiedene Schutzobjekte: einmal die Bürger, als Einzelne wie in Gruppen; Letzteres ist wesentlich, denn moderne Demokratie ist — wenigstens im westlichen Verständnis — notwendig auch Minderheitenschutz. Zweites Schutzobjekt sind auf der staatlichen Seite die öffentlichen Institutionen. Auch sie werden von der Datenverarbeitung nicht nur positiv gefördert, sondern möglicherweise auch beeinträchtigt. Im folgenden allerdings soll vorwiegend von ersterem die Rede sein, also vom sogenannten Individualdatenschutz. 2.2 Verwaltung „ist" Datenverarbeitung Was hat nun aber Datenverarbeitung mit der modernen Verwaltung zu tun? Scheinbar handelt es sich um ganz verschiedene Dinge. Allenfalls, so meint man noch vielerorten, könne der Automat dem Menschen einige geistlose Massenarbeiten abnehmen. In Wirklichkeit aber werden Verwaltung und EDV eine innige Verbindung eingehen; eine Verbindung, die so innig sein wird, daß die moderne Verwaltung vermutlich vor ihrer größten Revolution steht. Dies ist darin begründet, daß Verwaltung und EDV in einem gewissen Sinne Datenverarbeitung, Informationsverarbeitung „sind". Dies bedarf freilich einiger Interpretation. Wenn Akten transportiert werden, wenn ein Sachbearbeiter eine Schiebeverfügung macht oder ein Polizist recherchiert, wenn ein Verwaltungsakt ergeht oder die Bauplanung fixiert wird, so sind dies stets verschiedene Formen von Informationsverarbeitung. Immer werden Informationen ermittelt, in irgend einer Form fixiert („erfaßt"), gespeichert, weitergegeben, verändert, verwertet, schließlich — was oft vergessen wird — vernichtet („gelöscht"). Diese verschiedenen Formen von der Datenermittlung bis zur Datenlöschung bilden Prozesse (Vorgänge) der Informationsverarbeitung, oder kurz: sie sind Informationsprozesse.
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Beides gehört natürlich zusammen und bedarf, wie stets bei Schlagworten, der Präzisierung wie der Ergänzung (s.u. 5.5.1).
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Das gilt natürlich entsprechend in der Legislative und Judikative. Auch sie bearbeiten Informationen vielfältigster Art zu bestimmten Entscheidungen; Gesetze werden geschaffen, als generelle imperative Information, Gesetze werden ausgeführt durch Gewährungen, Gebote und Verbote, wieder also durch Informationen, schließlich wird die Gesetzesausführung und manchmal auch die Gesetzgebung kontrolliert durch Urteile und andere Kontrollentscheidungen, wiederum also durch Informationen. Es trifft also zu: Verwaltungsprozesse im weitesten Sinn können als Informationsverarbeitung interpretiert werden. Was geschieht nun, wenn der Computer in diesen Prozeß der öffentlichen Informationsverarbeitung eingebaut wird? Auch der Computer ist „Datenverarbeitungs-Anlage". Er verarbeitet Informationen, nur eben „automatisiert", d.h. anstelle menschlicher Informationsverarbeitung, öffentliche Verwaltung und Computer „verarbeiten" also beide „Informationen" — je auf ihre Art. Auf dieser grundlegenden Gemeinsamkeit von Verwaltung und EDV beruht nun alles weitere. 2.3 Systemelemente Ehe wir den Computer und die Verwaltung als ein einheitliches neuartiges System betrachten können, müssen wir vorweg gesondert die spezifischen Eigenarten der automatisierten und der menschlichen Informationsverarbeitung klären. Denn die Verbindung der zunächst recht heterogenen Bestandteile „Verwaltung" und „EDV" zu einem Informationssystem ist kein selbstverständlicher Vorganges entsteht ein Mensch-Maschine-System eigener Art. Um es besser zu verstehen, ist es notwendig, es in seine einzelnen Bestandteile aufzulösen und sie zunächst gesondert zu untersuchen. Es sind dies zumindest sechs Elemente. An erster Stelle steht für eine vordergründige Betrachtung die sog. Hardware, also die physikalischen Bestandteile der Anlage. Entgegen dem Augenschein sind sie das Uninteressanteste an der Datenverarbeitung. Zweites Element ist die sogenannte Software, also die Informationen, die dem Computer überhaupt erst sagen, daß er etwas tun soll und wie er es tun soll. Denn der Computer ist von Geburt tot und ohnmächtig; erst wenn er menschlichen Geist objektiviert und versachlicht in „Programmen" eingeflößt bekommt, kann er reagieren. Das Entscheidende ist also die Software. Das dritte Element sind die Daten, also Primärinformationen aller Art, die eingegeben, bearbeitet und weitergegeben sowie schließlich gelöscht werden. Als viertes Element kommt die technische, funktionelle und institutionelle Organisation hinzu; der Computer muß in ein System von Abläufen und Menschen eingebaut werden; in eine Behörde etwa, eine Bibliothek, ein Gericht, ein Parlament. Dadurch erst entsteht das Mensch-Maschine-Kommunikationssystem, kurz auch „Mensch-Maschine-System".
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Fünftens ist die System-Umwelt-Koppelung des Gesamtsystems in die Betrachtung einzubeziehen. Das System ist nicht isoliert ; es steht in vielfältigen Beziehungen mit seinen umgebenden Systemen („Umsystem"). Mit ihnen tauscht es Daten oder Programme, aber auch Menschen aus; umgekehrt gibt das Umsystem meist die Ziele des Systems vor und reagiert auf dessen Anforderungen. Es sind also fünf Elemente zu beachten: Hardware, Software, Daten, Organisation und Umweltkoppelung 3 . In dieser Sicht erscheint der Computer nicht isoliert, sondern verbunden mit dem sechsten Element, dem Menschen. Das resultierende System hat merkwürdige Eigenschaften, die abweichen von bisher bekannten Systemen. Denn es verbindet spezifische Eigenschaften des Menschen mit spezifischen Eigenschaften des Computers zu spezifischen Eigenschaften des Gesamtsystems. 2.4 Systemeigenschaften datenverarbeitender Systeme
2.4.1 Das menschliche Teilsystem Die'besonderen Eigenschaften des menschlichen Teilsystems sind schnell geschildert. Er kann denken, er kann lernen; vor allem aber ist er im Verhältnis zum Computer kreativer. Er kann weit Entferntes zusammensehen, er kann assoziieren; ihm fallen scheinbar abwegige Dinge ein, die sich später als richtig herausstellen; er kann Analogien bilden; er kann Ziele suchen, sie formulieren und dann politisch durchsetzen.
2.4.2 Das maschinelle System als Denk- und Lernprothese Die besonderen Eigenschaften des EDV-Teilsystems sind anderer Art. Sie sind keineswegs trivial, sondern bringen die umfassendste Revolution der menschlichen Gesellschaft seit Erfindung des Buchdrucks. Wenn häufig gesagt wird, der Computer sei schlicht ein Verwaltungsmittel, wie auch eine Gesetzessammlung, ein Stück Papier oder ein Bleistift, so trifft das zwar zu, besagt jedoch wenig; denn er ist ein durchaus neuartiges „informationsverarbeitendes" Verwaltungsmittel.
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Eine systemtheoretisch präzise Betrachtung, die auch die informationswissenschaftlichen Erkenntnisse mit einbezieht, wird einige Differenzierungen vornehmen müssen. So ist selbstverständlich die Umweltkoppelung, weil Relation, kein Element des Systems, wohl aber das gekoppelte Element selbst; auch die systemtheoretische Interpretation von Informationsprozessen steht noch aus und muß späterer Untersuchung vorbehalten bleiben.
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Er trägt nämlich den Charakter eines allgemeinen neuen Arbeitsmittels. Diese Aussage ist folgenschwer. Besinnen wir uns, was ein Arbeitsmittel ist. Ein solches Arbeitsmittel erbrachte die Erfindung des Feuers. Es hat den menschlichen Lebensraum erweitert. Das Rad, ein anderes Arbeitsmittel, hat den menschlichen Bewegungsraum ausgedehnt. Die Schrift hat das menschliche Gedächtnis potenziert. Die Maschinen schließlich haben die menschliche physische Kraft ins Unvorstellbare vervielfacht. Und nun der Computer: Er ist keine Maschine in diesem Sinne. Er ist vielmehr erstens ein ,.Denkzeug", eine Denkprothese, die menschliches Denken außerhalb des Menschen nachmacht, d.h. „simuliert". Dies geschieht ziemlich effektiv überall dort, wo entsprechende Programme existieren, wo also einschlägiges menschliches Problemlösungsverhalten dem Computer eingegeben werden kann. Dort entfaltet der Computer seine wahren Fähigkeiten. Dies ist der Grund, warum die Hardware vergleichsweise sekundär ist; es kommt darauf an, daß und inwieweit menschliches Denken objektiviert wird in Programmen, und, wie hinzuzufügen ist, in organisationellen Strukturen. Als Denkzeug vervielfältigt der Computer menschliches Denken, und zwar nicht nur analytisches Denken. Daran denken wir normalerweise, wenn wir vom Computer und seinen Fähigkeiten reden; wenn er etwa mit Blitzesschnelle komplizierteste mathematische Berechnungen durchführt, oder wenn er Wettervorhersagen macht, für die Hunderte von Mathematikern Hunderte von Jahren rechnen würden; oder wenn er aus einer Million Bürgern in drei Sekunden den gesuchten herausfindet. Das war bisher dem Menschen nicht möglich. Die Entwicklung wird aber weiter gehn. Es gibt heute bereits Ansätze zu Systemen, die „kreativ" denken können, genauer: es zu simulieren gestatten. Computerzeichnungen sind hierfür ein erstes, relativ simples Beispiel; andere sind die Lernmatrizen von Steinbuch, chemische Analysierprogramme in interplanetarischen Sonden, u.a. Der Computer ist nicht nur „Denkprothese"; er ist zweitens „Lernsimulator". Was damit gemeint ist, ergibt sich aus einem Vergleich zum menschlichen Lernen: Wenn jemand „lernt", nimmt er Informationen auf, sammelt sie, vergleicht sie mit bisher gespeicherten Informationen; letztere haben aber bereits im Gedächtnis eine bestimmte Ordnung, so daß sie ein Modell der Umwelt bilden. Die neu hinzukommenden Informationen optimieren das vorhandene Umweltmodell, indem sie Nichtwissen vermindern und Neues auf Bekanntes reduzieren bzw. mit ihm verbinden. Nun aber sind Datenbanken mit ihrer Organisation (und erst recht ausgebaute Informationssysteme) in gewisser Hinsicht nichts anderes als ins Riesenhafte gesteigerte externe Lernmodelle.
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Die gespeicherten Informationen mit ihrer Struktur bilden Teile der Systemumwelt ab: Bevölkerung, Teile der Erdoberfläche (z.B. Grundstücke oder Straßen), Strukturen und Methoden. Diese beiden spezifischen Eigenarten der Denk- und Lernsimulation vervielfältigen die entsprechenden menschlichen Fähigkeiten.
2.4.3 Aufhebung menschlicher Grenzen Die „Vervielfältigung" menschlicher Fähigkeiten ist nun genauer zu betrachten. Sie ist derart, daß spezifisch menschliche Grenzen aufgehoben werden, und dies in mindestens fünf Punkten. Dabei ist zu beachten, daß das, was jetzt zu schildern ist, nicht von unsicheren Prognosen ausgeht, sondern vorhandene Möglichkeiten darlegt. Die weitere Entwicklung mag noch darüber hinausgehen. Welche Grenzen des Menschen werden aufgehoben? Es sind dies zunächst Grenzen der Langsamkeit, der Zuverlässigkeit, der Zeit, des Raumes und der Komplexität. (1) Der Mensch trifft pro Sekunde maximal 10 bis 15 logische Entscheidungen. Der Rechner ist millionen- bis milliardenfach schneller. Das erlaubt den Aufbau bisher unberechenbarer Simulationsmodelle über ökonomische, juristische oder soziologische Strukturen. Was dies für die staatliche Entwicklung bedeutet, ist unten darzulegen. (2) Der Rechner ist millionenfach genauer und zuverlässiger als der Mensch. Er macht bei gegebenem Schwierigkeitsgrad tausend- bis millionenfach weniger Fehler. Datenverarbeiter wissen freilich, daß ein normales größeres System dennoch etwa einmal am Tag total zusammenbricht, trotz der millionenfach größeren Zuverlässigkeit. Eine Folge dieser Genauigkeit: Sie verleiht der automationsunterstützten Entscheidung einen hohen Grad an Plausibilität (genauer: Scheinrationalität), was man unter anderem an der abnehmenden Zahl angefochtener Computerbescheide ablesen kann. Sie erweckt den Anschein der materiellen Richtigkeit, während es sich in Wirklichkeit lediglich um formelle Richtigkeit handelt. (3) Der Rechner hebt wegen dieser Schnelligkeit und Zuverlässigkeit — nun kommen die eigentlich interessanten Dinge — die Zeitabhängigkeit der Information und ihrer Verarbeitung durch Menschen tendenziell auf. Dies gilt natürlich nur innerhalb des Systems, d.h. so weit, wie die Informationsleitungen laufen. Wenn an irgendeiner Stelle ein Ergebnis geschieht, dann kann die diesbezügliche Information „gleichzeitig" — sozusagen in real time — ins System aufgenommen werden. Sie kann ohne Begrenzung durch die Langsamkeit des Merischen verarbeitet werden (z.B. Kurskorrektur einer Rakete). Sie ist sogar ab diesem Zeitpunkt „unsterblich", nämlich solange, bis die Information wieder gelöscht ist.
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(4) Sie ist damit aber auch - viertens - „allgegenwärtig" geworden. Denn sie kann überall abgerufen werden, wo eine Leitung hinfuhrt und wo die entsprechenden technischen Vorkehrungen getroffen sind;m.a.W.: soweit das System reicht. Nun ist aber die Systemgröße praktisch unbegrenzt; das System kann umfassen Schleswig-Holstein, aber auch die Verbindung zur Hessischen Datenzentrale, oder zu Bundessystemen oder (über Satellitenfunk) zu beliebigen Systemen weltweiten Umfangs. In der Tat existieren durchaus derartige Überlegungen und Versuche. Das sind ganz merkwürdige Eigenschaften, die die automationsunterstützte Information bekommt; sie wird zeit- und ortsunabhängig. Sie ist „überall gleichzeitig". Das gleiche gilt übrigens auch für die Programme. Wird aber die Information sozusagen „allgegenwärtig" und „unsterblich" (diese quasi-theologischen Termini werden bewußt eingeführt), dann kann die Konsequenz nur lauten, daß auch die örtliche und zeitliche Zuordnung der Information sowie das „Vergessen" ebenfalls geplant werden muß. Es ist keineswegs selbstverständlich, wo eine Information hinkommt, wie schnell sie eintrifft, ob sie evtl. verzögert wurde, ob dies legitimerweise geschah, usf. Das muß aber jetzt geplant, d.h. programmiert und rechtlich sanktioniert werden. Das ist völlig neu. (5) Die letzte menschliche Grenze, vielleicht auch Unzulänglichkeit, die vom Rechner partiell aufgehoben wird, ist die des menschlichen Fassungsvermögens, der Kapazität. Wegen der Schnelligkeit, Zuverlässigkeit und Größe dieser Mensch-Maschine-Systeme kann die Komplexität der Planungs- und Informationssysteme ungeheuer gesteigert werden. Sie sind zwar in sich völlig rational, da sie auf eindeutigen Programmen und Informationsstrukturen beruhen; aber sie sind doch so groß und komplex, daß sie der Mensch nicht mehr überschauen kann. Er beherrscht die Vielfalt der Elemente und Beziehungen nicht mehr. Bestenfalls kann er im Organisationshandbuch nachsehen, wenn er nicht gezwungen ist, seine Denk- und Lernfähigkeit nochmals über Computer zu verstärken, um überhaupt das System zu bewältigen. Eine von vielen Folgen besteht darin, daß Entscheidungen solcher Systeme für den Menschen praktisch nicht mehr voraussagbar sind, damit allenfalls noch intuitiv beurteilt werden können. Das bekannteste derartige System ist das amerikanische militärische FrühwamSystem. Weniger bekannt ist die Tatsache, daß die allenthalben entstehenden Systeme integrierter Datenverarbeitung der öffentlichen Verwaltung mindestens ebenso komplex, wenn nicht komplexer sind, und deswegen ebenfalls
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und gerade vom Bürger nicht mehr durchschaut werden können. Selbst mächtige Interessenverbände, Parteien, Parlamente, erst recht der Amtsrichter bei seinem einschlägigen Urteil können diese Systeme nicht mehr überblicken oder gar beurteilen. Sie sind für System-Externe unkontrollierbar geworden 4 . (6) „Wo die Gefahr ist, wächst das Rettende auch". Die bemerkenswerteste Eigenschaft dieser Systeme wurde noch nicht erwähnt: ihre Variabilität und damit Adaptivität. Als Denkzeug und Lernprothesen sind sie veränderlicher und damit anpassungsfähiger als alle bisherigen Erfindungen des Menschen, vielleicht mit Ausnahme der Elektrizität. Diese so komplizierten und komplexen Systeme sind zugleich gestaltbarer als alle großen Erfindungen zuvor. Sie fugen sich vollkommen dem, was ihnen der Mensch befiehlt. Dieses Wissen von der Anpassungsfähigkeit der Rechner und ihrer Strukturen ist freilich nicht allgemein verbreitet. Es hat sogar den Anschein, als ob es sich um ein Geheimwissen handle; die Behauptung technischer Sachzwänge der Datenverarbeitung hat die größte Wahrscheinlichkeit, von gläubigen Bürgern widerspruchslos hingenommen zu werden. Allein, wer sich auf Sachzwänge der EDV beruft, ohne genau anzugeben, was er damit meint, macht sich unglaubwürdig. Wo dieses Argument auftaucht, geht es zumeist um wirtschaftliche oder um politische Ziele (sie mögen in sich durchaus legitim sein!), oder um technischen Unverstand, welch letzterer übrigens gerade bei EDV-begeisterten Juristen nicht selten anzutreffen ist. Diese sechsfache Entgrenzung betrifft zunächst nur das automatisierte Teilsystem. Wegen der Interdependenz der Teilsysteme teilt sich die Entgrenzung (mehr oder minder) dem Gesamtsystem mit und wird zu dessen Charakteristikum. 2.4.4 Leistungen des Gesamtsystems Sie befähigt das Mensch-Maschine-System „Verwaltung" zu spezifischen Leistungen des Gesamtsystems. Fürs erste erlauben sie die „Reduktion von Umweltkomplexität" (Lühmann). Schon die Umwelt des Menschen ist unvorstellbar vielfältig; jede Sekunde strömen auf ihn Milliarden Informationen ein; davon kann er etwa zehntausend aufnehmen, aber nur etwa zehn Informationen pro Sekunde zu Entscheidungen verarbeiten. Diese Reduktion von Umweltkomplexität gilt natürlich ebenso für die Verwaltung; desgleichen für den Richter, wenn er„aus einem Aktenberg eine einzige Information herausfiltert („Der Angeklagte wird v e r u r t e i l t . . . ").
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Extern in diesem Sinn ist jeder, der nicht in der Befehlszentrale des Systems sitzt: sogar der einzelne Beamte, der sich des Systems bedient.
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Die zweite Funktion derartiger Systeme besteht, mit der ersten zusammenhängend, in ihrer größeren Unabhängigkeit von der Umwelt. Denn die erhöhte Fähigkeit zur Reduktion komplexer Informationsmengen auf wenige Entscheidungen gestattet eine größere Unabhängigkeit der Systeme von Störungen Dritter. Sie sind „sicherer", sie sind abgeschirmt von störender Umgebung. Auch die von den Entscheidungen Betroffenen können so effizient aus der Planung und Entscheidungsfindung innerhalb des Systems ausgeschlossen werden. Zugleich sinkt die Bereitschaft des Systems, externe Partizipation zuzulassen, da sie systemintern nur noch als Störfaktor, und zwar als unerwünschter Störfaktor, aufgefaßt wird. Eine höchst undemokratische Nebenwirkung! Die Umweltunabhängigkeit wird verstärkt durch die dritte Systemleistung: Die interne Modellbildung durch Denk- und Lernsimulation. Umweltmodelle haben die Funktion, mit der Umwelt experimentieren zu können, ihr Verhalten vorauszusagen und damit planbar zu machen. Oftmals ist es verboten, unmöglich oder unerwünscht, Experimente mit der Umwelt selbst anzustellen. Sind jedoch die notwendigen Informationen über die Umwelt in geeigneter Struktur vorhanden und bestehen die erforderlichen Programme zu ihrer Verarbeitung, dann ist es möglich, die Experimente innerhalb des Systems mit dem informationellen Abbild der Umwelt anzustellen, ohne daß diese betroffen wird oder auch nur davon erfahren muß. 2.5 Integrierte Datenverarbeitung Durch die Einfuhrung des Rechners in die Teilsysteme der öffentlichen Verwaltung entstehen neuartige Mensch-Maschine-Systeme, die die Eigenschaften und Leistungen des Rechners und des Menschen kombinieren. Es entstehen „integrierte Systeme" mit folgender (idealtypischer) Charakeristik: Alle Daten über Personen oder Sachen in einem bestimmten Gebiet bzw. Funktionsbereich werden nur einmal ermittelt. Sie werden ebenso nur einmal erfaßt und fixiert, es wird nur einmal gespeichert. Hunderte von Karteien entfallen damit zugunsten (tendenziell) eines Datenpools. Es wird ferner, was sehr wichtig ist und gleichwohl meist zu erwähnen vergessen wird, nur einmal programmiert; die Programme werden nur einmal gespeichert und gepflegt. Dadurch entstehen überhaupt erst die einheitlichen Strukturen. Es wird auch nur einmal gelöscht, und das erst dann, wenn die Daten bzw. Programme von allen Benutzern nicht mehr benötigt werden. Und es wird so oft wie möglich verarbeitet; dieselben Programme, Daten und ihre Elemente werden immer neu kombiniert und verarbeitet. Die Konsequenz des Vorausgehenden ist, daß Daten und Programme so oft wie möglich innerhalb des Systems weitergegeben bzw. ausgetauscht werden sollen. Die Problematik integrierter Systeme der öffentlichen Verwaltung besteht nun in folgendem: Die Tendenz (nicht der Sachzwang!) der Datenverarbeitung geht dahin, möglichst große Systeme zu bauen, weil sonst die schnellen
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Rechner nicht wirtschaftlich ausgenützt würden; auch die Politiker haben diesbezügliche Planungswünsche. Eine Reihe weiterer Faktoren wirkt sich in gleicher Richtung aus. Die Größe dieser Systeme tendiert dazu, mit ihnen möglichst große Gebietsflächen mit möglichst wenig Daten- und Programmaufwand (sonst reichen die heute noch relativ kleinen Speicher nicht!) abzudecken. Diese idealtypische Struktur liegt etwa dem Bayerischen Informationssystem zugrunde, wie es in der bekannten Siemens-Broschüre als ein großes Dreieck mit totaler horizontaler und vertikaler Integration gezeichnet ist. Jedes Datum kann horizontal (örtlich) und vertikal (in der Hierarchie, d.h. meist: nach oben) ohne Grenzen fließen. Diese grobe Skizze bedarf der Verfeinerung: Wegen der Orts- und Zeitunabhängigkeit der Daten und Programme ist es gleichgültig, wo ermittelt wird, wo erfaßt wird, wo gespeichert und gelöscht wird, ja sogar, wo verarbeitet wird. Es genügt, wenn die Einmalermittlung, Einmalspeicherung etc. „virtuell" erzielt wird. Dies geschieht durch geeignete Informationsorganisation, die die einzelnen an verschiedenen Orten verlaufenden Informationsprozesse im System so koordiniert, daß sie dem Benutzer (virtuell) als einziger Prozeß erscheinen. Es sieht für ihn so aus, als verliefe er „am Ort" und für ihn allein 5 . Damit wird die organisatorische Gestalt eines solchen integrierten Systems variabler als bisherige Systeme. Dies gibt dann auch die Möglichkeit zur befriedigenden Lösung des Datenschutzproblems. Die Variabilität der Informationsorganisation erlaubt es, die institutionelle und Ablauforganisation den Erfordernissen der Verfassung so anzupassen, daß Datenschutzmaßnahmen im engeren Sinne nur noch beschränkt notwendig werden. Damit tritt aber ein neues Prinzip auf den Plan. Wenn es gleichgültig ist, wo die Datenverarbeitung geschieht, dann kann es nur darauf ankommen, wer befiehlt, m.a.W. wer die Daten- und Programmherrschaft hat. Das aber ist zugleich ein juristisches Prinzip, ein Prinzip, das noch gründlicher Durchdringung bedarf. Man sieht, was es mit diesem „Verwaltungsmittel EDV" und seinen Möglichkeiten auf sich h a t . . . 3. Restriktionen und Gefahrenquellen Die „reine", idealtypische (nämlich technokratischen Idealvorstellungen entsprechende) Form der integrierten Datenverarbeitung, die selbstverständlich auch im privaten Bereich angestrebt wird, kann aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht vollständig realisiert werden. 5
Generalisiertes Prinzip des multiprocessing und timesharing!
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3.1 Benutzerfremdheit „Idealtypisch" konzipierte Mensch-Maschine-Systeme sind trotz ihrer scheinbar einfachen logischen Struktur in Wirklichkeit derart komplex und abstrakt, daß sie benutzerfremd werden. Man hat vor allem in den USA mit Millionenaufwand derartige Informationssysteme projektiert und z.T. fertiggestellt; es stellte sich heraus, daß sie nicht oder kaum benutzt wurden; viele erreichten nicht einmal die Realisierungsphase. Es hat also den Anschein, als ob die öffentliche Verwaltung Systeme oberhalb einer gewissen Größenordnung abstieße, wenn sie benutzerfremd geplant, d.h. nicht eigens dem Menschen angepaßt sind. Die Erfahrungen aus der USA zeigen aber auch, wohin die Tendenz geht: Abkehr von zu großen Zentralsystemen, dafür aber Aufbau kleinerer, jedoch benutzerorientierter Systeme, die miteinander vermascht, d.h. auf „benutzerfreundliche" Weise zu Großsystemen zusammen geschaltet werden. Dadurch entsteht eine neuartige Synthese zwischen den bisherigen Extremen großer zentraler Systeme und kleiner, isoliert ressortorientierter Systeme. Diese vermaschten modularen Systeme vereinen ein hohes Maß an Komplexität (die gegebenenfalls ihrerseits nur noch mathematisch beherrschbar ist, die aber — darin liegt der praktische Unterschied — für den Benutzer nicht mehr spürbar ist) mit einem ebenso hohen Maß an Benutzerfreundlichkeit und Adaptivität an die wechselnden Bedürfnisse der Verwaltung.
3.2 Rechtliche Restriktionen Daß die eingangs skizzierte Idealvorstellung einer total integrierten Datenverarbeitung auch rechtlichen Bedenken unterliegt, weil sie gegen eine ganze Reihe von Verfassungsprinzipien verstoßen würde, braucht nicht näher ausgeführt werden; tangiert wären — ohne Anspruch auf Vollständigkeit — der Grundsatz der Gewaltenteilung, das parlamentarische Prinzip, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, das Ressortprinzip, das Selbstverwaltungsrecht, das Persönlichkeitsrecht, ja die Menschenwürde. Aus diesem Grund ist es notwendig, zur integrierten Datenverarbeitung neuen Typs mittels der eben angeführten vernaschten modularen Systeme zu kommen. Auch sie müssen verfassungs- und verwaltungsgerecht organisiert werden. Hierfür sind nun Maßstäbe zu entwickeln. Es empfiehlt sich auch hier zunächst die Realität der Datenverarbeitung sowie ihre Gefährdungen aufzusuchen und nicht die Normativität abstrakter juristischer Prinzipien voranzustellen. Zunächst müssen wir wissen, wo die tatsächlichen Probleme auftreten; dann erst kann der Jurist sich regulativ um ihre Lösung bemühen.
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3.3 Gefahrenquellen Gefahren können von allen Elementen des Informationssystems ausgehen: von der Hardware, von der Software, von den Daten, von der Organisation und von dem Systemzweck (der Umweltrelation) als Ganzem; weitere Gefährdungen ergeben sich aus den besonderen Eigenschaften des Mensch-MaschineSystems „Verwaltung" als ganzem, und schließlich, nicht zu vergessen, aus dem Menschen selbst. Einige Hinweise mögen das Gemeinte verdeutlichen. Zunächst einige Hardware-Probleme. Man kann Datenfernleitungen anzapfen; der Wartungsdienst, der Zutritt zu allem hat, kann auch die letzten Sicherungen umgehen; jemand baut einen miniaturisierten ferngesteuerten Störgeber ein; oder — was häufig vorkommt — es werden Datenträger mit oder ohne Duplizierung entwendet, z.B. Bänder mit der Kundendatei von Versandhäusern, der Mitgliederdatei vom Diner's Club, usf. Ein Beispiel aus dem Software-Bereich: Ein Bankprogrammierer läßt sich vom Computer bei der Zinsberechnung die Pfennigbruchteile aus dem Abrunden auf sein Konto überweisen und hat nach kurzer Zeit Hunderttausende „erspart". Gerade im Softwarebereich sind die Möglichkeiten größer als die Phantasie des Redners. Bei den Gefahren, die von den Daten selbst ausgehen, dürfen nicht die Daten allein betrachtet werden; vielmehr muß von vornherein der Informationsprozeß als ganzer berücksichtigt werden. Es gibt Gefahren, die von der Informationsermittlung ausgehen, wenn etwa ein Polizist bei der Recherche allzu neugierig ist; auch dem Informationshunger der Behörden müssen Grenzen gesetzt werden. Ebenso können bei der Datenerfassung, bei der Datenspeicherung, bei der Datenverarbeitung bis zur Datenlöschung Mißbräuche der verschiedensten Art vorkommen. Darum ist es notwendig, diese realen Teilprozesse für sich und zusammen so zu strukturieren, daß vermeidbare Fehler unterbleiben. Das ist übrigens mit geringerem Aufwand verbunden als allgemein angenommen wird. Auch die Organisation der Datenverarbeitung kann negative Folgen haben. Man braucht nur das (mißverständliche) Stichwort vom Informationsgleichgewicht zwischen zweiter und erster bzw. dritter Gewalt zu zitieren: Wenn die Verwaltung sich ein großes Informationssystem mit entsprechenden Möglichkeiten der Denk- und Lernsimulation aufbaut, dann sind alle diejenigen benachteiligt, die über dieses Arbeitsmittel nicht verfugen. So ist es z.B. bedenklich, daß sich weder Justiz noch Parlamente hinreichend der Möglichkeiten der EDV zu bedienen gedenken. Auch allzu weitgehender Datenaustausch oder gar Zentralisierung der Programm- und Datenherrschaft in einer Hand verstoßen gegen unser Rechtssystem.
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Selbst von der Systemkoppelung können Gefahren ausgehen; nicht nur wenn spezielle Programme, oder Informationen über bestimmte Personen an Private weitergegeben werden; viel gefährlicher ist der über das Personenkennzeichen ermöglichte und etwa im Sozialversicherungsbereich schon realisierte Datenverbund zwischen Staat und Wirtschaft. Darum ist auch vor der unbeschränkten Freigabe des Gebrauchs des Personenkennzeichens in der Wirtschaft zu warnen. 3.4 Beispiele Einige wenige willkürlich herausgegriffene Beispiele mögen diese Gefährdungen belegen. Es sind übrigens Beispiele, die bereits von EDV-technisch eher primitiven Systemen ausgehen. In den Vereinigten Staaten erfassen Kreditbüros routinemäßig alle Klagen bei Gerichten oder bei Großkunden; wer erfaßt ist, erhält u.U. keinen Kredit mehr. Dagegen wird der Ausgang der Prozesse nicht gespeichert, denn darüber gibt es keine ebenso leicht zu erfassenden Listen. Jemand verdiente als Geschäftsführer des Gewerkschaftsbundes von Los Angeles 30.000 Dollar im Jahr. Seine familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse waren tadellos. In kurzer Folge verweigerten ihm aber alle Firmen persönlichen Kredit. Größere Nachforschungen ergaben, daß er in seiner Eigenschaft . als Beauftragter für Arbeit mehrere hundert Prozesse zu führen hatte. Eine Kreditauskunftei hatte nun regelmäßig die Law Journals ausgewertet, in denen er folglich als Kläger oder Beklagter in zahlreichen Prozessen auftauchte. Ein weiteres Beispiel betrifft die meist als harmlos (und darum nicht als regelungsbedürftig) angesehene manuelle Datenverarbeitung von Privaten — also etwas, was scheinbar weit vor den Gefahren der Automation liegt: Ein Assistent arbeitete in einem deutschen Adreßverlag. Er bemerkte, daß häufig Jutesäcke voll geschlossener Briefumschläge angeliefert wurden. Diese Briefe waren an bekannte Wochenzeitungen und -Zeitschriften adressiert. Auf die Frage an die Mitarbeiterinnen, die diese Briefe auswerteten, wurde ihm erklärt, diese Briefe stammten von Lesern, die sich auf Anzeigen meldeten. Sie würden von diesen Zeitschriften dem Adreßverlag verkauft und übersandt. Die Tätigkeit der Angestellten bestand darin, die verschlossenen Umschläge zu öffnen, evtl. Photos von heiratslustigen Damen anonym zurückzuschicken sowie den übrigen Briefinhalt auf persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse auszuwerten. Die gewonnenen Informationen wurden vervielfältigt und zum Verkauf angeboten. Die prinzipielle Bedeutung dieses Beispiels liegt im leicht realisierbaren Übergang von manueller zu elektronischer Datenverarbeitung und der Gefährdung des Informationssektors überhaupt. Anstelle zahlreicher Beispiele aus der öffentlichen Verwaltung soll nur auf einen Punkt hingewiesen werden: auf die Aufhebung des Steuergeheimnisses
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im Bereich der Studienförderung. Nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz müssen die Finanzämter den Förderungsämtern alle „erforderlichen" Auskünfte über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auszubildenden, dazu seiner Eltern und sogar seines Ehegatten geben - auch gegen den Willen der Betroffenen. Man mag zum Steuergeheimnis geteilter Meinung sein ¡bedenklich ist jedenfalls, weil durch statistische Zwecke nicht mehr gedeckt, daß nach dem BAFöG alle diese Informationen nichtanonymisiert (!) an die Hochschulstatistik weitergegeben werden. Diese aber ist unselbständiger Bestandteil der Statistischen Bundesdatenbank; d.h. es stehen für alle berechtigten Benutzer der Bundesstatistik die wichtigsten individuellen Informationen über eine ganze Bevölkerungsklasse der Bundesrepublik zur Verfügung. Zudem: Datenfernverarbeitung ist vorgesehen! Wer die Berechtigten zur Abfrage dieser Daten sind, ist rechtlich obendrein nicht eindeutig festgelegt. Mit anderen Worten: ein effektiver Datenschutz ist, abgesehen von dem hierfür völlig unzulänglichen Statistikgeheimnis, nicht vorhanden. Übrigens ist nach dem Bayerischen Hochschulgesetzentwurf eine Pflicht des Studenten zur Offenlegung seiner Personendaten bei Androhung von „Entlassung" von der Hochschule (!) vorgesehen. Eine derart drakonische Sanktion ist ziemlich einmalig in der deutschen Rechtsordnung und ihrer Geschichte seit 1933.
4. Bisherige Lösungsversuche Wie kann man die Gefahren der EDV steuern? Ehe ein neuer Ansatz des Datenschutzes aufgezeigt wird, seien kurz die bisherigen Vorschläge geschildert. In den Vereinigten Staaten werden die Probleme des Datenschutzes schon sehr viel länger diskutiert; es ist darum sinnvoll, die dort vorgeschlagenen Lösungen zu referieren. 4.1 Amerikanische Vorschläge Ausgangspunkt der Diskussion ist das right of privacy, das right to be let alone, also die bei uns sogenannte „Privatsphäre". Zweitens sei notwendig die „Verrechtlichung" (Kamiah) aller Informationsflüsse, also die Normierung der verschiedenen Teile des Informationsverarbeitungsprozesses. Zum dritten hält man es für erforderlich, diesen Prozeß selbst Restriktionen zu unterwerfen: Ermittlungsbeschränkungen, Weitergabeverbote, Löschungspflichten. Viertens seien Datensicherungsmaßnahmen erforderlich. Fünftens seien staatliche Kontrollen, Anzeige- und Genehmigungspflichten nicht zu vermeiden. Vor allem aber bedürfe es institutioneller Maßnahmen, nämlich der Errichtung eines institutionellen Überwachungsorgans; hier wurden nun sehr verschiedene Möglichkeiten erörtert, vom Ombudsmann über eine zweigeteilte Behörde nach dem Control of Personal Information Bill von 1971 bis zu Bürgerkommissionen. Schließlich seien diese Vorschläge über straf- und zivilrechtliche Haftungsvorschriften abzusichern.
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Es ist nicht unwichtig zu bemerken, daß auch die verschiedenen Vorschläge und Gesetze, die auf dem Gebiet des Datenschutzes in Deutschland bestehen, auf der amerikanischen Diskussion basieren, vielleicht mit Ausnahme des Referentenentwurfs zum Bundesdatenschutzgesetz.
4.2 Kritik Kritisch ist zu diesen Lösungsvorschlägen zu sagen, daß eine gewisse Orientierungslosigkeit gegenüber dem neuartigen Phänomen der Datenverarbeitung vorzuherrschen scheint; man kann sich gelegentlich nicht des Eindrucks erwehren, daß auch eine unausgesprochene Angst die bezeichnende Regression auf die Privatsphäre bedingt. Die positiven Möglichkeiten der modernen Datenverarbeitung werden dagegen zu wenig für den Datenschutz nutzbar gemacht. Auch die Bedürfnisse der öffentlichen Verwaltung sind nicht zureichend beachtet. Selbst der Jurist, der — sofern er nicht der Faszination der EDV erliegt — allzu leicht einer gewissen Technikfeindlichkeit zum Opfer fällt, kann sich mit den juristisch keineswegs einwandfreien bisherigen EDV-Gesetzen nur schwer einverstanden erklären.
5. Der neue Ansatz Gegenüber diesen Versuchen ist ein neuer Ansatz des Datenschutzes vorzulegen. Gefordert ist eine Struktur, die die drei Ziele des,»magischen Dreiecks" des Datenschutzes erfüllt, die bisher zusammen unerfüllbar schienen, nämlich Schutz des Bürgers, Funktionsfähigkeit der Verwaltung und Ausnutzung der Möglichkeiten der Datenverarbeitung innerhalb integrierter Systeme.
5.1 Abschied von liebgewordenen Vorstellungen Dabei gilt es freilich von einigen liebgewordenen Vorstellungen Abschied zu nehmen, damit dergestalt der Weg frei wird für neuartige Ansatzpunkte. Es sind vor allem zwei Worthülsen, die die Orientierung erschweren: die „Privatsphäre" und die der sogenannten „personenbezogenen Daten" als Widerspiegelung der Privatsphäre auf dem Informationssektor. Zur Präzisierung: Es soll nicht die Privatsphäre überhaupt verabschiedet werden; ebensowenig kann von den personenbezogenen Daten abgesehen werden. Vielmehr soll ihre Bedeutung auf das wahre Maß relativiert werden. Es wird vor allem behauptet, daß sie als Ausgangspunkt des Datenschutzes ungeeignet sind. 5.1.1 Relativität der Privatsphäre Die „PrivatSphäre" ist bisher Ausgangspunkt aller Datenschutzdiskussionen; sie sei das vorrangige Schutzobjekt 6 . 6
Ich übergehe weitergehende Auffassungen, etwa im HessDSchG, und beschränke mich auf typische Argumentationen.
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Zunächst ist terminologisch eine doppelte Unterscheidung angebracht. Privatsphäre kann zweierlei bedeuten. Sie kann etwas überwiegend Tatsächliches meinen; etwas, das in der sozialen Wirklichkeit vorkommt, nämlich den real existierenden Bereich, der vor jedem gesellschaftlichen Zugriff geschützt ist oder den ich als Privatmann geschützt wissen will. Sie kann aber auch etwas Normatives bezeichnen, nämlich den normativ zu postulierenden Bereich, für den gilt, daß er von jedem gesellschaftlichen Zugriff frei sein soll'. Da diese Bedeutungen in der Diskussion nicht immer auseinander gehalten werden, besteht einige Verwirrung. In jedem Falle aber gilt, daß die „Privatsphäre" als Grundlage einer Datenschutzregelung ungeeignet ist. Denn die „normative" Privatsphäre ist relativ, wie das Scheidungsaktenurteil des Bundesverfassungsgerichtes gezeigt hat. Es ist kein Teil der Privatsphäre bekannt, der auf jeden Fall und in jeder Beziehung von legitimem staatlichem Zugriff frei wäre. Vielmehr gibt es kaum einen privaten Bereich, der nicht irgendwo in der öffentlichen Verwaltung legitimerweise erfaßt wäre, und sei es beim Scheidungsrichter, beim Bewährungshelfer oder im Einstellungstest. Es kommt immer nur darauf an, über welchen Teil der Information „verfügt" werden darf. Das aber ist relativ zum jeweiligen Berechtigten. „Was die Fürsorgerin weiß, geht den Bürgermeister nichts an". Die „tatsächliche" Privatsphäre vollends ist unbekannt. Es existieren keine empirischen Untersuchungen über ihren Umfang und ihre Grenzen; wären sie vorhanden, so müßten selbst sie einen normativen Begriff ihrer Untersuchung zugrundelegen. Der Begriff der,.Privatsphäre" ist nicht nur ungeklärt. Er ist vor allem zu eng. Hinter der Vorstellung von der „Privatsphäre" steckt häufig eine überholte Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft, zumal sie einseitig das isolierte Individuum beachtet und auf das Kernstück westlichen Demokratieverständnisses vergißt: den Schutz von Minderheiten. Gerade sie aber sind von der EDV möglicherweise am meisten bedroht — man denke nur an die Unterdriickungs- und Überwachungsmöglichkeiten gegenüber mißliebigen Bevölkerungsteilen. Zudem muß man gerade in rechtspolitischer Sicht bedenken, daß die moderne kapitalstarke Wirtschaft mit ihrer Absatzorientierung und ihrer Tendenz zur Schaffung stets neuer Bedürfnisse nicht mehr an einer „Privatsphäre" interessiert ist. Ihr Interesse geht vielmehr dahin, die Privatsphäre des einzelnen wie (im übertragenen Sinn) von Gruppen transparent zu machen, um die geeigneten Werbe- und Absatzmethoden zu entwickeln. Auch das muß der Gesetzgeber im Rahmen des Datenschutzes berücksichtigen.
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In beiden Fällen wäre zusätzlich zwischen der Privatsphäre und den Informationen darüber zu differenzieren, was hier nicht durchgeführt werden soll.
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5.1.2 Relativität der „personenbezogenen Daten " Auch der Begriff der sog. „personenbezogenen Daten" ist zur Bewältigung des Datenschutzproblems nicht ohne weiteres geeignet, sofern man darunter diejenigen Daten versteht, die sich auf Personen (oder gar: auf die „Privatsphäre") beziehen. Man kann die Informationen, die über die Welt bestehen, einteilen in Personenund Sachinformationen; dazu kommen methodische Informationen. Allenthalben nimmt man an, lediglich Personeninformationen seien Gegenstand des Datenschutzes, und auch diese nur, soweit sie sich erkennbar auf eine bestimmte Person beziehen. Diese Grundannahme ist falsch; sie geht davon aus, daß Informationen isoliert für sich bestünden und/oder eine eindeutige, ein für allemal festgelegte Bedeutung hätten. Beide Vermutungen treffen nicht zu. Mit geeigneten Zusatzinformationen kann (fast) jede Sachinformation mit einer (oder mehreren) Person(en) in Verbindung gebracht werden. Sie wird dadurch „personenbezogen", insofern sie über eine Person Auskunft gibt. Das gleiche gilt für anonymisierte oder statistische Informationen: Auch sie sind mit Zusatzinformationen auflösbar in Informationen über Personen. Es kommt nur auf die Eignung der Zusatzinformationen und die Leistungsfähigkeit der Auswertungs- und Aufbereitungsmethoden an. Ohne ihre Kenntnis kann niemand sagen, welche „personenbezogenen Informationen" ein konkretes Systen enthält. Nun gibt es einfache Programme, denen man ansieht, was man damit tun kann, und abstrakte Programme, denen man nicht ansieht, was man damit tun kann. Die zweite Art ist für den Datenschutz besonders problematisch. Gerade Auswertungsprogramme sind sehr häufig dieser A r t . . . Gegenstand des Datenschutzes sind also nicht die personenbezogenen Informationen, sondern alle Informationen, die in einem konkreten Informationssystem mit Hilfe von Zusatzinformationen und zugehörigen Programmen zu personenbezogenen Informationen (im neuen Sinn) verbunden werden können. Das ist das Entscheidende. Das heißt also, es kommt für die Qualifizierung von Daten als „personenbezogen" an 1. auf die Programme im System, 2. auf die konkrete Datenorganisation, 3. auf die Aufbau- und Ablauforganisation dieses konkreten individuellen Informationssystems. Erst ihr Zusammenspiel konstituiert die „personenbezogenen Daten". Damit stellt sich das Probien verschärft. Die bisherigen Lösungsansätze haben sich als unbrauchbar erwiesen, da sie von einem unzulänglichen Begriff der Privatsphäre und von einem EDV-fremden Verständnis der Information ausgehen. Auf ihnen aber beruhen im wesentlichen alle bisherigen Gesetze und Gesetzentwürfe, wieder mit Ausnahme des Entwurfes zum Bundesdatenschutzgesetzes. Was tun?
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S.2 Umfassende Regelung Der neue Ausgangspunkt ist die Realität der Datenverarbeitung und der öffentlichen Verwaltung. Rufen wir uns noch einmal die Elemente des DV-Systems ins Gedächtnis zurück: Verwaltung ist Verarbeitung von Information. Durch Einführung der Automation wird die Verwaltung zum Mensch-Maschine-System. Über Programme und verschiedene Organisationsformen werden sie zu integrierten Systemen, die im Verbund mit DV-Systemen der Wirtschaft stehen können und auch manuelle Teilsysteme arbeitsteilig umfassen. Daraus folgt für die künftige Regelung des Datenschutzes die Notwendigkeit einer umfassenderen Regelung, als sie bisher überwiegend in Betracht gezogen wurde.
5.2.1 Einbeziehung manueller Datenverarbeitung Zunächst muß die manuelle Datenverarbeitung in die Datenschutzregelung einbezogen werden; vor allem aus zwei Gründen. Manuelle Datenverarbeitung ist wegen der Fortschritte der Datenerfassung und der Programmierung allzuleicht in elektronische Datenverarbeitung zu überführen (und umgekehrt); das ist nur eine Frage der Kosten und der zweckmäßigen Organisation. Sodann können unbequeme Schutzvorschriften allzu leicht umgangen werden: Man weicht dann eben insoweit auf manuelle Datenverarbeitung aus.
5.2.2 Einbeziehung privater Datenverarbeitung Zweitens ist zu fordern die Einbeziehung auch der privaten Datenverarbeitung in die Regelung des Datenschutzes. Die Gesetzgebungskompetenzen können insoweit kein entscheidendes Hindernis sein. Diese Forderung ist nicht allein deswegen zu erheben, weil die öffentliche Datenverarbeitung sich allzugerne aus steuerlichen oder sonstigen — möglicherweise durchaus legitimen — Gründen privatrechtlich organisiert. Schwerer wiegt, daß öffentlichrechtliche Datenschutzvorschriften leicht privatrechtlich umgangen werden können. Entscheidend aber ist die Gefährlichkeit, die von der privaten Datenverarbeitung als solcher ausgeht: sie unterliegt geringeren Anforderungen, ist flexibler und steht unter der größeren Faszination des Geldes. Schließlich sind es die Möglichkeiten des Datenverbundes zwischen Staat und Wirtschaft, die zu durchaus unerwünschten, ja bedrohlichen Entwicklungen fuhren können.
5.2.3 Einbeziehung des Institutionaldatenschutzes Drittens ist einzubeziehen der Kollektiv- oder besser „Institutionaldatenschutz", wie dieser Gegenstandsbereich vorläufig in Ermangelung einer klareren Bezeichnung heißen mag. Darunter sei verstanden der Schutz überpersonaler gesellschaftlicher Institutionen, namentlich des Staates selbst, vor unerwünschter Datenverarbeitung. Individueller Datenschutz ist angesichts der Größe des Problems nicht mehr ausreichend ; er muß kollektiv abgesichert werden. Umgekehrt wird die prekäre balance of powers öffentlicher Institutionen, auf der die parlamentarische Demokratie beruht, ohne effektiven Individualdatenschutz nicht von Dauer sein.
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5.3 Verfassungsrechtliche Einordnung Dies führt zur schwierigen Frage der verfassungsrechtlichen Einordnung des Datenschutzes. Vor allem ist die „Informationsseite" der Staatsorganisation und der Grundrechte noch nicht verfassungsrechtlich aufgearbeitet. Gleichwohl: Wenn Datenschutz die Verhinderung (gesellschaftspolitisch) unerwünschter Datenverarbeitung ist, dann kann juristisch konkretisiert werden: Datenschutz ist Verhinderung verfassungsrechtlich unerwünschter Datenverarbeitung. Ohne auf die schwierigen Fragen einer theoretischen Grundlegung der Rechtspolitik einzugehen, kann jedenfalls soviel behauptet werden: „Unerwünscht" ist Datenverarbeitung auf jeden Fall dann, wenn sie unseren Verfassungsprinzipien widerstrebt. Ohne nähere Begründung sei hier vermutet, Datenschutz beruhe verfassungsrechtlich vor allem auf zwei Säulen, dem Rechtsstaatprinzip des Art. 20 GG und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Art. 2 und 1 GG. Diese zwei Säulen des Datenschutzrechts sind zu verstehen als die verfassungsrechtliche Widerspiegelung der grundlegenden realen Polarität zwischen öffentlicher Verwaltung und Bürger. 5.4 „Kompetenzorientierte Datenverarbeitung" und „Programmkontrolle" Um hier nur die Auswirkung des Art. 20 GG zu demonstrieren, sei :kri tisch auf den Entwurf zum Bundesmeldegesetz hingewiesen. Dort heißt es sinngemäß: Die für das Meldewesen zuständigen Behörden der Länder haben die Aufgabe, die personenbezogenen Daten zur Verfugung zu stellen, deren Kenntnis zur gesetzmäßigen Erfüllung öffentlicher Aufgaben erforderlich ist. Kriterium ist also „Erforderlichkeit" und „Erfüllung öffentlicher Aufgaben". „öffentliche Aufgabe" ist aber zu weit; es gibt wenige Informationen, die nicht bei einiger Phantasie zur gesetzmäßigen Erfüllung öffentlicher Aufgaben „erforderlich" wären, wie das Scheidungsaktenurteil beweist. Es ist ein engeres Kriterium erforderlich, nämlich die Kompetenz bzw. Zuständigkeit der Einzelbehörde. Es dürfen also einer Behörde nur diejenigen, aber auch alle diejenigen Informationen zur Verfugung stehen, die für die von ihr im Rahmen der Zuständigkeit zu erlassenden Rechtsakte unbedingt erforderlich sind. Dies ist der Grandsatz der „kompetenzorientierten Datenverarbeitung". Also doch totale „Verrechtlichung" der Informationsflüsse? Keineswegs; •allerdings kommt man nun zum Kernstück der Datenschutzüberlegungen. Oben war auf die Eigenart des Rechners hingewiesen worden, die ihn von herkömmlichen Maschinen unterscheidet: daß er „Denkprothese" und „Lernsimulator" sei;daß es darum weniger auf die physisch greifbare Hardware als vielmehr auf die Programme ankomme, da in ihnen menschliches Problemlösungsverhalten objektiviert sei. Aus dieser Erkenntnis sind nun Folgerungen zu ziehen. Die kompetenzorientierte Datenverarbeitung ist durchführbar über entsprechende Programme. Über Programme werden Daten erfaßt, gespeichert
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und verarbeitet; über Programme werden sie weitergegeben und gelöscht. Ohne Programme keine EDV; sie regeln die Informationsflüsse, ermöglichen die Fernverarbeitung, steuern die Ergebnisse. Sie sind darum auch der Hebel, an dem eine verfassungskonforme, zugleich aber verwaltungsfreundliche und datenverarbeitungsgerechte Regelung des Datenschutzes anzusetzen hat: Sie ordnen jeder Behörde die ihr im Rahmen ihrer Kompetenzen zukommenden Daten und Programme aus dem gemeinsamen („integrierten") Pool zu; sie verhindern aber auch bei geeigneter Auslegung den Zugriff auf andere Daten und Programme. Programme also sind der Mittelpunkt des Datenschutzes, nicht die Daten. Im Schlagwort: Datenschutz heißt vor allem Programmkontrolle. Wie ist die Programmkontrolle zu organisieren? Die Anforderung lautet: Es muß gewährleistet sein, daß alle rechtmäßig verwendeten Programme nur rechtmäßige Datenflüsse und Ergebnisse generieren. Dies bedingt eine umfassende Programmkontrolle „von der Wiege bis zur Bahre". Gleichwohl ist dieses Verfahren billiger und einfacher als die nicht zu Unrecht gefürchtete totale Verrechtlichung der Informationsströme. Einige Hinweise sollen genügen. Da fertige Programme kaum überprüft werden können, ist an „begleitende Programmkontrolle" bereits bei der Entstehung der Programme zu denken. Fertige Programme sind genehmigungspflichtig; nicht genehmigte Programme sind von der Verarbeitung zurückzuweisen. Geeignete Programmbanken mit besonderen Vorkehrungen sind zu schaffen. Entsprechendes gilt für die Programmpflege. Weitgehende Standardisierung der Programmierung, der Programmbeschreibung und der Programmsprachen ist nächste Konsequenz. 5.5 Flankierende Maßnahmen Ein derart konzipierter Datenschutz, der vom Herzstück der EDV, der Software, ausgeht, läuft gleichwohl leer, wenn er nicht durch flankierende Maßnahmen abgedeckt wird, die die anderen Elemente des „Mensch-MaschineSystems EDV" berücksichtigen. 5.5.1 Daten- und Programmsicherung Vorwiegend im Bereich der Hardware (und des Menschen) liegen die verschiedenen Möglichkeiten der Datensicherung, also des Schutzes der Daten (und des Computers) vor Beeinträchtigungen. Sie können und müssen mittelbar für den Datenschutz fruchtbar gemacht werden. Da die einzelnen technischen, personellen und organisatorischen Vorkehrungen prinzipiell keinen vollständigen Schutz bieten, handelt es sich um ein schwieriges Optimierungsproblem, für das keine generelle normative Lösung existiert; hinzu kommt, daß Datensicherungs-und Datenschutzmaßnahmen einander in manchen Bereichen ersetzen können, so daß die Wahl weiter kompliziert wird. Die Normierung der Standards der Datensicherung sollte wegen dieser Schwierigkeiten einer hersteller- und benutzerunabhängigen regelmäßig
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tagenden Expertenkommission (gegebenenfalls im Rahmen der Kontrollinstitution, s.u.) anvertraut werden, deren Vorschläge im Verordnungswege verbindlich gemacht werden können. Eine hinreichend präzise Ermächtigungsnorm ist zu schaffen, die klarstellt, daß der Schutz der Daten keineswegs finanziellen Gesichtspunkten untergeordnet werden darf. Dies ist um so wichtiger, weil effektive Datensicherung sehr schnell sehr teuer wird. Außerdem pflegen finanzielle Belastungen einen starken Anreiz für weitere Forschungen zu bieten 8 . Die leitende Erkenntnis lautet: Jede Datensicherungsmaßnahme ist durchbrechbar. Was für die Sicherung der Daten gilt, trifft erst recht auf die Programme zu (, Programm Sicherung"). Datensicherung ist darum meist zu eng gebraucht. 5.5.2 Organisatorische Maßnahmen Wer aber sichert Rechner, Daten und Programme, wer wacht über die Einhaltung der Grundsätze des Programmschutzes? Zunächst ist es Sache der datenverarbeitenden Behörde selbst. Sie wird zweckmäßigerweise einen Sachverständigen (bzw. entsprechend der Bedeutung eine Kommission) hierfür bestellen und mit den erforderlichen Rechten ausstatten („Datensicherungsbeauftragter"). Natürlich kann dies nicht ausreichen; unter den Prämissen hochkomplexer integrierter Datenverarbeitung mit starken Verflechtungen bedarf vor allem die Programmkontrolle eines zentralen Stabes hochbezahlter und weisungsunabhängiger Spezialisten, die an eigener Datenverarbeitung nicht interessiert sind. Sie müssen hinreichend mit Befugnissen ausgestattet sein, so daß sie mit Nachdruck das öffentliche Interesse vertreten können. Kurz: Datenschutz verlangt nach einer Institutionalisierung der Daten- und Programmkontrolle in einer kompetenten, unabhängigen, mächtigen, jedoch nicht eigeninteressierten Stelle. Ihre Mitarbeiter überprüfen die Programmerstellung, genehmigen die fertigen Programme, überwachen die Programmpflege, kontrollieren die Datensicherungsmaßnahmen, entwickeln bzw. genehmigen Standardisierungen. Wie diese Stelle jedoch im einzelnen zu organisieren sei — ob sie mit einer bestehenden Behörde (nicht dem Datensicherungsbeauftragten!) in irgendeiner Form zu verbinden oder selbständig zu errichten sei, ob vielleicht nur eine schon bestehende Stelle auszubauen sei, — dies ist demgegenüber eine sekundäre Frage. Entscheidend ist nur, ob diese Stelle den angegebenen Kriterien genügt.
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Die Datensicherungsforschungen stehen völlig in den Anfängen.
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Um diese Datenschutzstelle jedoch nicht zu groß werden zu lassen, ist die bisher geschilderte Datenschutzstruktur zu vollenden durch ihr Schlußstück: die „kompetenzorientierte DV-Organisation". Wir stehen heute vor der Wahl, entweder technisch optimale Systeme zu bauen, die zwar Datenverarbeitern und Systemanalytikern gefallen, aber nachträglich unter einer Flut von wenig EDV-gerechten und verwaltungshemmenden Datenschutzvorschriften zu ersticken drohen. Oder es werden von vornherein Systeme kompetenz- und datenschutzgerecht geplant. Das ist wesentlich billiger, auch wenn dabei alle Beteiligten Abstriche von ihren Wunschvorstellungen machen müssen. Diese Möglichkeit wird eröffnet durch die ungewöhnliche Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des „Arbeitsmittels EDV" ( „ I n t e g r i e r u n g ¿es Datenschutzes in die Organisation der EDV").
5.5.3 Dissoziation der Verwaltung Die organisatorische Einbeziehung des Datenschutzes in das System der öffentlichen Verwaltung wird bewerkstelligt durch die Ausbildung einer mehr oder minder selbständigen Informationsorganisation, die — im Idealfall — die bestehende Behördenstruktur abbildet; es entsteht ein dem Verwaltungsaufbau homomorphes (d.h. ähnliches) Informationssystem parallel zur bisherigen Behördenstruktur. Ihre Anfangsform sind etwa die „Datenzentralen" mit ihren Außenstellen. Die Abbildung wird übrigens im wesentlichen durch die Programm- und Datenorganisation geleistet, während die äußere Erscheinungsform der Datenzentralen durchaus abweichen kann (und wird). Dadurch tritt in der weiteren Konsequenz eine gewisse Dissoziation der Verwaltung ein; das bisher einheitliche Verwaltungsverfahren differenziert sich in zwei Teile, einen manuellen und einen automatisierten; damit tritt aber auch neben (und in) die bisherige horizontal und vertikal gegliederte Verwaltungsorganisation die „ähnlich" strukturierte Informationsorganisation. Informations- und bisherige Verwaltungsorganisation stehen jedoch keineswegs unverbunden nebeneinander; zahlreiche Berührungspunkte komplizieren das Bild. Vor allem aber bilden beide zusammen das neuartige integrierte und vermaschte ,.Mensch-Maschine-System Verwaltung", in dem arbeitsteilig Mensch und Maschine zusammenwirken: innovierend, programmierend und kontrollierend der Mensch, ausführend der „Servicebetrieb EDV". Die bestehende Behördenstruktur bleibt damit (möglicherweise und im wesentlichen) unangetastet; auch die Informationsströme bleiben im wesentlichen die gleichen; sie werden nur ergänzt durch die Entstehung der Informationsorganisation, die die oben geschilderten Voraussetzungen integrierter Systeme auf höherer Ebene erfüllt.
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Da diese Informationsorganisation auch die Grunderfordernisse des Individualdatenschutzes wahrt, sofern gewisse Individualrechte des Bürgers hinzukommen 9 , ist damit das „magische Dreieck" der scheinbar widersprüchlichen Ziele der Verwaltung, der EDV und des Datenschutzes erfüllt. Ungelöst bleibt jedoch das Problem des Institutionaldatenschutzes — das Problem vor allem des Verhältnisses von Parlament und Justiz zu Regierung und Verwaltung auf der Ebene der Information.
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Sie werden in der Literatur hinlänglich diskutiert: Anspruch auf Auskunft, Löschung, Schadenersatz usw.
Dezentrale elektronische Datenverarbeitung in Mehrzweckrechenzentren von
Alois Langseder Am 1. Oktober 1970 ist das Gesetz über die Organisation der elektronischen Datenverarbeitung im Freistaat Bayern (EDVG) in Kraft getreten, das im wesentlichen zwei Ziele verfolgt: — Verwaltungsarbeiten mit Hilfe von Computern möglichst rationell zu erledigen; — ein computerunterstütztes Informationssystem für die Planung und als Entscheidungshilfe aufzubauen. Elektronische Datenverarbeitungsanlagen sind auch schon vor dem 1. Oktober 1970 in der staatlichen und kommunalen Verwaltung Bayerns eingesetzt worden. Die bisherige Praxis in der öffentlichen Verwaltung war jedoch ausschließlich darauf gerichtet, einzelne umfangreiche Aufgabengebiete mit'Hilfe der Maschine schneller und wirtschaftlicher zu erledigen, z.B. die Berechnung von Löhnen, Gehältern und Versorgungsbezügen, den Ausdruck von Lohn-, Steuer- und Wählerkarten, die Gebührenerhebung für Strom, Wasser und Gasbezug, für Steuerbescheide oder für die Berechnung von Wohn- und Ausbildungsbeihilfen. Charakteristisches Kennzeichen dieser Automatisierungsvorgänge waren jeweils isolierte Lösungen. Seit einigen Jahren weiß man jedoch, daß die Maschinen der 3. Computergeneration, die etwa seit 1965 angeboten werden, mehr leisten können. Sie können Informationen (= Daten), die bei verschiedenen Verwaltungsabläufen entstehen, miteinander verknüpfen. Daraus ergeben sich erhebliche Konsequenzen; sie lassen sich am besten an Hand der Angaben über die Person erklären, wenngleich sie nicht hierauf beschränkt sind: Name, Anschrift, Angaben über den Familienstand werden in der öffentlichen Verwaltung für eine Fülle von Aufgaben immer wieder benötigt, z.B. für die Ausstellung von Ausweisen und Führerscheinen, in der Steuerverwaltung, bei Wahlen, bei der Kraftfahrzeugzulassung, in der Sozialversicherung usw. Die dafür zuständigen Stellen fuhren, auch wenn sie im Einzelfalle bereits mit EDV-Anlagen arbeiten, bisher eigene Namens- und Anschriftenverzeichnisse, die ständig auf dem laufenden gehalten werden müssen. Mit Hilfe der heute eingesetzten Computer kann diese Arbeit entfallen. Das Einwohnermeldeamt kann als zentrale Sammelstelle für alle die Person betreffenden Angaben die öffentliche Verwaltung mit den erforderlichen Unterlagen versorgen, ohne daß dazu noch zusätzliche Handarbeit erforderlich ist. Die Angaben müssen vom Einwohnermeldeamt auf einen Datenträger aufgenommen werden, von dem sie direkt den zuständigen berechtigten Stellen nach Bedarf automatisch mitgeteilt werden. Die Automation
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Beispiel für eine integrierte Datenverarbeitung
(Zusammenstellung nur beispielhaft, nicht vollständig)
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des Einwohnerwesens ist in diesem Beispiel also der zentrale Ausgangspunkt; ihre Einführung ist keine Utopie mehr, sie ist bereits Gegenstand eines Gesetzentwurfes der letzten Bundesregierung für ein neues Melderecht, der dem Deutschen Bundestag zur Beratung vorgelegt wurde. Ein solcher Informationsaustausch zwischen verschiedenen Stellen wird als integrierte Datenverarbeitung, manchmal auch als Informationssystem bezeichnet. Beide Begriffe sind jedoch nicht eindeutig fixiert. Wir wollen deshalb als integrierte Datenverarbeitung eine Organisationsform der elektronischen Datenverarbeitung verstehen, die es ermöglicht, Daten hur einmal zu erfassen, sie jedoch für verschiedene Verwaltungsaufgaben, für die diese Angaben benötigt werden, zur Verfügung zu stellen. Eine solche integrierte Datenverarbeitung bietet gegenüber den bisherigen Automatisierungsvorhaben außerordentliche Vorteile. Man könnte in diesem Zusammenhang von der Rationalisierung der Automation sprechen. Gerade der teuerste Teil der Datenverarbeitung, nämlich die manuelle Datenerfassung wird dadurch auf einen Bruchteil des bisherigen Aufwandes zurückgeführt. Für die Zukunft ist das von besonderer Bedeutung, weil Handarbeit immer teurer wird, Maschinenarbeit dagegen — zumindest relativ — billiger. Integrierte Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung kann nur durch Zusammenwirken der staatlichen und kommunalen Verwaltung realisiert werden. Deshalb bedurfte sie einer gesetzlichen Grundlage, die sowohl die Zusammenarbeit der Kommunen untereinander wie auch mit den staatlichen Stellen und umgekehrt festlegt. Die entsprechenden Vorschriften enthalten die Art. 2, 7 , 1 0 und 12 EDVG. Wichtigste Voraussetzung für eine integrierte Datenverarbeitung ist, daß die eingesetzten Datenverarbeitungsanlagen in ein Verbundsystem eingegliedert werden. Die Anlagen müssen so ausgestattet sein, daß sie direkt Informationen austauschen können. Werden Maschinen verschiedener Hersteller verwendet, so erhebt sich die Forderung nach gegenseitiger Verträglichkeit; man spricht von dem Erfordernis der technischen Kompatibilität. Sie bezieht sich sowohl auf die technische Struktur der EDV-Anlagen wie auf die verwendeten Anweisungen (sog. Software). Die einzelnen EDV-Anlagen sind untereinander durch Leitungen verbunden. Diese Verbindung der Rechenzentren ist in verschiedenen Formen möglich, etwa über Maschennetze, in dem jede Anlage mit jeder anderen eine direkte Leitung verbindet. Ein solches Maschennetz ist allerdings, wenn es über große Strecken führt, sehr aufwendig. Die wirtschaftlichste Lösung, ähnlich dem Telefonnetz, ist die sternförmige Leitungsführung. Sie setzt eine Vermittlungszentrale voraus, von der aus alle erforderlichen Verbindungen hergestellt werden können.
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Die Übermittlung von Daten durch Leitungen hat jedoch einen wichtigen Nachteil: Sie ist teuer. Auch in technischer Hinsicht sind heute noch nicht alle Wünsche erfüllt, wenn große Datenmengen übertragen werden sollen: Die Übertragungsgeschwindigkeit entspricht in keiner Weise der Leistungsfähigkeit großer EDV-Anlagen. Deshalb muß vermieden werden, daß ständig große Datenmengen über weite Entfernungen transportiert werden müssen. Hieraus entspringt die Forderung nach größtmöglicher Dezentralisation der Rechenanlagen: Die Maschinen müssen möglichst nahe an den Entstehungsort der Daten herangebracht werden. Hierfür ist ein Organisationsmodell entwickelt worden, das dem EDVG zugrunde liegt. Nach Art. 3 Abs. 1 dieses Gesetzes sollen für die staatliche Verwaltung sog. Gebietsrechenstellen in der erforderlichen Zahl eingerichtet werden. Eine entsprechende Vorschrift für die Kommunalverwaltung fehlt im Gesetz. Da die Verwaltungsbedürfnisse der Gemeinden und Landkreise jedoch ohnehin auf eine Dezentralisierung gerichtet sind, ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, daß die Kommunen ohnehin zu einer entsprechenden Organisationsform finden werden. Die bisherige Entwicklung in Bayern bestätigt diese Annahme. Die weitere Organisation kann man sich deshalb entsprechend der nachfolgenden schematischen Skizze vorstellen. Die Dezentralisation der Rechenzentren in der staatlichen Verwaltung läßt sich für den Aufbau einer integrierten Datenverarbeitung nur durchführen, wenn die automatisierbaren staatlichen Verwaltungsarbeiten in einem bestimmten Einzugsbereich, etwa in einem Regierungsbezirk, in einem Rechenzentrum zusammengefaßt werden. Diese Stellen müssen also ressortübergreifend als Mehrzweckrechenzentren organisiert werden. Das erfordert für dezentralisierbare Aufgaben ein Abgehen von der bisherigen Praxis. Gegenwärtig sind in der staatlichen Verwaltung in Bayern ausschließlich aufgabenbezogene Fachrechenzentren eingerichtet, die einem bestimmten Ministerium zugeordnet sind. Für die Beibehaltung und weitere Errichtung solcher Rechenstellen wird vorgebracht, daß es Aufgabengebiete gebe, die eine große EDV-Anlage alleine schon auslasten könnten und es unzweckmäßig sei, Aufgaben verschiedener Art zusammenzufassen. Außerdem wird angeführt, daß die Automatisierung im engen Kontakt zur jeweiligen Fachverwaltung durchgeführt werden muß; die Planung und Entwicklung von automatisierten Verwaltungsverfahren sei nur möglich, wenn Teams aufgestellt werden, in denen sowohl erfahrene Fachleute des Verwaltungszweiges, aus dem die Arbeit stammt, wie auch Spezialisten für Systemanalyse und Programmierung zusammengefaßt sind. Erfahrungsgemäß sei es viel leichter, solche qualifizierte Kräfte aus einer Fachverwaltung zur Mitarbeit heranzuziehen, als sie an eine Stelle außerhalb des Ressorts abzustellen.
Dezentrale elektronische Datenverarbeitung in Mehrzweckrechenzentren
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kommunale Gebietsrechenzentren
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staatliche Gebietsrechenstellen
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Fachdatenbanken
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Diese Einwände gehen an der Sache vorbei. Massen- und Routinearbeiten, die bis heute automatisiert worden sind, mußten, von einer einzigen Ausnahme abgesehen, von den Fachverwaltungen in einem Rechenzentrum für das ganze Land zusammengefaßt werden. Eine Dezentralisation, wie es in einem integrierten Mpdell erforderlich ist, wurde in keinem Fall erreicht. Damit müssen die benötigten Daten von den zuständigen Ämtern jeweils über weite Strecken nach München transportiert werden. Das ist im gegenwärtigen Entwicklungsstadium unproblematisch, da der Datentransport auf dem Postwege erfolgt.
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Die weitere Entwicklung kann jedoch an der Datenfernverarbeitung über Leitungen nicht vorbeigehen. Hierbei taucht bereits das erste, durch zentrale Fachrechenstellen nicht mehr lösbare wirtschaftliche Problem auf. Diese Probleme werden jedoch noch wesentlich größer, wenn weitere umfangreiche Aufgabengebiete in die Datenverarbeitung einbezogen werden, z.B. das bereits erwähnte Einwohnerwesen, das Grundbuch, die Vermessungsverwaltung, die Kraftfahrzeugzulassung usw. Zu den wirtschaftlichen Fragen kommen technische, die jedenfalls heute noch nicht gelöst sind. Auch beim Aufbau dezentraler Rechenstellen bleibt die Zuständigkeit der einzelnen Fachverwaltung für Planung und Entwicklung automationsgeeigneter Verfahren unberührt. In den Rechenstellen wird lediglich die maschinentechnische Abwicklung verschiedener Aufgaben zusammengefaßt. Auch in einem solchen System ist es geradezu unerläßlich, daß die notwendigen Vorarbeiten von den Fachkräften der jeweiligen Verwaltung vorgenommen werden. Systemanalytiker und Programmierer, die außerhalb der jeweiligen Verwaltung stehen, können dazu nur technische Hilfe leisten. Im übrigen sind Mehrzweckrechenzentren nichts Neues. Sowohl in der staatlichen wie auch in der kommunalen Verwaltung sind sie in Betrieb, als sog. Service-Rechenzentren in der Privatwirtschaft sogar die Regel. Überall, wo sie eingerichtet sind, haben sie sich bewährt. Eine ausschließlich fachbezogene, also vertikale Organisation der elektronischen Datenverarbeitung würde den Aufbau einer integrierten Datenverarbeitung nicht nur wesentlich teurer machen, sondern darüberhinaus auch wesentlich erschweren, wenn nicht unmöglich machen. Untersuchungen haben nämlich ergeben, daß der Informationsfluß zwischen den verschiedenen Behörden eines bestimmten Einzugsgebietes am größten ist, während der Informationsaustausch zwischen Behörden gleicher Art in einem größeren Einzugsbereich demgegenüber als gering bezeichnet werden kann. Die Änderung der Anschrift, des Familienstandes usw. eines Einwohners wird z.B. das Finanzamt, die Paßbehörde, das Grundbuchamt, die Gewerbeaufsichtsbehörde, das Gewerbeamt, die Kraftfahrzeugzulassungsstelle usw. betreffen, nicht aber gleichzeitig viele Finanzämter im ganzen Land. Hinzu kommt, daß gerade in den persönlichen Verhältnissen eines Einwohners nur vergleichsweise wenige Änderungen über bestimmte regionale Grenzen hinausgehen. Mit anderen Worten: Die Menschen ziehen viel öfter in einem regional eng begrenzten Gebiet um als über weite Entfernungen. Die Mehrzahl dieser Veränderungen kann deshalb in fachübergreifenden Mehrzweckrechenzentren innerhalb der regionalen Rechenstelle dem jeweiligen Aufgabenträger mitgeteilt werden, Leitungswege müssen nicht in Anspruch genommen werden. Ein weiteres Argument für dezentrale Mehrzweckrechenzentren ist die Kapazitätsauslastung. In einem reinen Fachrechenzentrum muß die EDV-Anlage jeweils so groß angelegt werden, daß sie die Verarbeitungsspitzen bewältigen kann. Die Spitzenbelastung tritt bei verschiedenen
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Verwaltungsaufgaben jedoch nur an wenigen Tagen des Monats oder des Jahres auf. Im Mehrzweckrechenzentrum kann zwischen den Spitzen verschiedener Aufgaben dagegen leichter ein Ausgleich gefunden werden. Die integrierende und damit rationalisierende Wirkung ressortübergreifender regionaler Gebietsrechenstellen zeigt sich beim Aufbau der Datenbestände für die jeweilige Fachverwaltung. Während in jedem Fachrechenzentrum z.B. Adressen, Personenstand der betroffenen Einwohner gespeichert und aktualisiert werden müssen, genügt es im Mehrzweckrechenzentrum, diese Aufgabe in einer Datei für die verschiedenen Aufgaben bereitzuhalten. Der Datenbestand für die Steuerverwaltung, das Grundbuch, die Kraftfahizeugzulassung oder das Gewerbeamt enthält nur noch das unveränderliche Personenkennzeichen vor den jeweiligen Fachdaten. Name, Anschrift usw. können sodann in der aktuellen Form aus der Einwohnerdatei mit Hilfe des Personenkennzeichens entnommen werden.
Datenorganisation in einem regionalen Mehrzweckrechenzentrum
In einem Flächenstaat von der Größe Bayerns kann eine integrierte Datenverarbeitung nicht von heute auf morgen aufgebaut werden. Sie kann nur das Ergebnis eines langjährigen Entwicklungsprozesses sein. Wichtig ist jedoch, Fehlentwicklungen und Fehlinvestitionen zu vermeiden und die laufend durchzuführenden Automationsvorhaben auf das angestrebte Ziel hin auszurichten.
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Eine integrierte Datenverarbeitung wird auch in der Lage sein, die zweite eingangs erwähnte Zielsetzung des EDVG zu realisieren, nämlich Unterlagen für Planungen und Entscheidungen bereitzustellen. Sind viele Verwaltungsvorgänge automatisiert, so stehen eine Fülle von Informationen in rasch greifbarer Form zur Verfügung. Die Maschine kann sie in kürzester Zeit aggregieren und mit anderen Informationen verknüpfen. Ein Informationssystem ist dann gleichsam ein Nebenprodukt der Datenverarbeitung. Allerdings entsteht nicht aus jeder Automation ein Informationssystem. Sie muß dazu in der öffentlichen Verwaltung nach einheitlichen Grundsätzen betrieben werden. Jede einmal gespeicherte Information muß eindeutig identifiziert und eindeutig regional zugeordnet sein. Das setzt wiederum einheitliche regionale Einzugsbereiche voraus. All das sind aber Forderungen, die auch an eine integrierte Datenverarbeitung gestellt werden müssen. Damit schließt sich der Kreis zum Informationssystem.
Verfassungsrechtliche Probleme öffentlicher Informationssysteme* von Adalbert Podlech
Zu Beginn eine Vorbemerkung. Die Wissenschaft von der elektronischen Datenverarbeitung, die Informatik, befindet sich in einem explosiven Entwicklungsstadium. Die technischen Neuerungen beim Bau und Betrieb von Computern erschließen immer neue Anwendungsbereiche und -möglichkeiten. Die Versuche der Anwendung im Bereich der Rechtserzeugung und -Anwendung stehen erst ganz im Anfang. In dieser Situation lassen sich einigermaßen interessante und in ihrer Gültigkeit nicht auf einen zu kurzen Zeitraum begrenzte Aussagen verfassungsrechtlicher Relevanz über diese Anwendung nur machen, wenn man prognostisch gegenwärtig beschreibbare Entwicklungslinien auszieht. Für Juristen ist die mit solchen Prognosen verbundene Unsicherheit methodisch deswegen unschädlich, weil die Widerlegung der Prognose keine Widerlegung der rechtlichen Würdigung der Prognose ist. Ein Beispiel möge das verdeutlichen. Die Frage nach der technischen Möglichkeit einer teilweisen Ersetzbarkeit von Richtern durch Computer beantwortet sich nicht aufgrund der traditionellen jurisischen Methodenlehre, sondern vorwiegend danach, ob es linguistisch möglich ist, Umgangssprache im erforderlichen Maße semantisch zu normieren — eine Frage, deren Beantwortung zur Zeit noch völlig offen ist 1 . Verfassungsrechtlich lautet die Frage: Unterstellt, programmierte Rechtsanwendung im Bereich der durch Art. 92 GG den Richtern vorbehaltenen Rechtsprechung ist technisch möglich, unter welchen rechtlichen Bedingungen ist dann die Heranziehung von Computern zur Rechtsprechung erlaubt? Die Richtigkeit einer Antwort auf diese Frage wird nach den Regeln der Logik nicht vom Zutreffen oder Nichtzutreffen der Unterstellung berührt. Aus diesem Grund werde ich im folgenden mich auf einen technisch utopischen Standpunkt stellen, d. h. ich werde bei den nichtrechtlichen Voraussetzungen meiner Ausführung nicht fragen ob sie aus technischen, finanziellen oder politischen Gründen in den nächsten Jahren *
1
Die Ausführungen sind der nur geringfügig stilistisch veränderte und um die Anmerkungen ergänzte Text eines Vortrages, der am 25. 1. 1972 im Rahmen der Ringvorlesung „Die Anwendung der elektronischen Datenverarbeitung im Recht" der Juristischen Fakultät der Universität München unter dem Titel „Verfassungsrechtliche Probleme öffentlicher Datenbanken" gehalten wurde. Vergl. dazu//. Brinkmann, H. Rieser, Paraphrasen juristischer Texte, in: Rechtstheorie, 3 (1972) S. 8 3 - 8 9 . Eine konzentrierte Übersicht über das zur Erörterung dieser Frage benötigte Rüstzeug geben D. Wunderlich, Terminologie des Strukturbegriffs, in: J. Ihwe (Hrg.), Literaturwissenschaft und Linguistik, 1. Bd., Grundlagen und Voraussetzungen, Frankfurt/M. 1971, S. 9 1 - 1 4 0 ; J. Petöfi, Probleme der ko-textuellen Analyse von Texten, in: ebd. S. 1 7 3 - 2 1 2 . Vgl. inzwischen L. Reisinger, Automatisierte Normanalyse und Nonnanwendung, Berlin 1972.
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realisiert werden oder nicht. Meine persönliche Meinung ist allerdings, daß nicht Unerhebliches realisiert werden wird. Für diesen Fall sollten wir verfassungsrechtlich vorgedacht haben. Nun zum Thema. Es empfiehlt sich, bei seiner Behandlung von öffentlichen Datenbanken auszugehen. Unter einer öffentlichen Datenbank sei eine solche verstanden, die, in welcher Rechtsform auch immer, allein oder zusammen mit einem anderen Träger, von einem Träger öffentlicher Verwaltung betrieben wird. Das Kennzeichen von Datenbanken im engeren Sinn ist, daß sie Informationssysteme mit Einzeldatenspeicherung sind. Dazu einiges Terminologische. Gegeben seien Mengen von Objekten. In der Logik, der Grammatik und den Informationswissenschaften rechnet man auch die Menschen zu den Objekten. Auch ich verwende diese vereinfachende Terminologie. Über diese Objekte besitzen wir Informationen. Information wird im Sinne der Umgangssprache als Kenntnis über Sachverhalte oder Vorgänge benutzt. Durch Zeichen fixierte Informationen nennt man Daten2. Die zu einem Datenobjekt gehörenden Daten nennt man den zugehörigen Datensatz3. Für eine Person als Datenobjekt bilden zum Beispiel die schriftlich fixierten Angaben über Geburt, Geschlecht, Beruf, Prüfungen, Einkommensverhältnisse und ähnliches einen Datensatz. Die Sammlung solcher Datensätze über gleichartige Objekte nennt man Datei. Aus praktischen Gründen werden Dateien nach Ordnungsbegriffen geordnet. Solche Ordnungsbegriffe sind für Personen das Personenkennzeichen4, für andere Objekte Gruppenkennzeichen 43 , Kraftfahrzeugs-, Grundstücks-, Firmen- oder Gemeindenummern oder -Kennziffern. Eine Datenbank ist die technisch durch eine EDV-Anlage realisierte Sammlung einer oder mehrerer Dateien mit den dazu gehörenden Anwendungs- und Auswertungsprogrammen5. Fügt man zu diesen Datenbanken im engeren Sinn 2
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Genauer: Daten heißen durch Zeichen oder kontinuierliche Funktionen aufgrund bekannter oder unterstellter Abmachungen dargestellte Informationen. (DIN 44300, Stand 1972, Nr. 19). Eine axiomatisch gefaßte und empirisch angewandte Theorie der Daten im Sozialbereich liefert Cl. H. Coombs, A Theory of Data, (1964), New York, London, Sydney 1967. Vergl. auclM. Angermann, W. G. Crusen, W. Schmidt, Analyse zum Datenvolumen und Datenverkehr, Beiträge zur integrierten Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung Bayerns, Heft 2, Hrg. Siemens AG, 2. Aufl. München 1970, S. 43 f., 136 ff.;/. Hertel, Das bundeseinheitliche Personenkennzeichen, in: ÖVD, 1 (1971) S. 23 f.;H. R. Walter, R. A. Fischer (Hrg.), Informationssysteme in Wirtschaft und Verwaltung, Berlin, New York 1971, S. 22. Vergl. dazu W. Steinmüller, EDV und Recht. Einführung in die Rechtsinformatik, Berlin 1970, S. 77 f.;/. Hertel, Das bundeseinheitliche Personenkennzeichen, S. 9 - 2 6 . Das Kl-System. Automatisierte Kommunikation und Information in Politik und Verwaltung, von Fr. Goller, H. Scheuring, A. Trageser, Stuttgart 1971, S. 52 f. Zum Beispiel der Einwohnerdatenbank vergl. E. Föcker, Die Grundstufe des Einwohnerwesens unter Berücksichtigung des bundeseinheitlichen Personenkennzeichens, in: ÖVD, 1 (1971) S. 6 3 - 7 2 .
Verfassungsrechtliche Probleme öffentlicher Informationssysteme
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die Dokumentationssysteme hinzu, so hat man die Datenbanken im weiteren Sinn. Dokumentationssysteme sind Informationssysteme, in denen Informationen — vorwiegend solche ursprünglich textlich gefaßte Informationen wie Statistiken, Gerichtsentscheidungen, Literatur und ähnliches 6 — unter Angabe von Stichworten gespeichert und unter Angabe dieser Stichworte oder ihrer Synonyma wieder aufgefunden werden können (Information Retrieval)1. Bereits über die Datenbanken im bisher definierten Sinn ließen sich verfassungsrechtliche Erörterungen anstellen. Die entscheidende verfassungsrechtliche Problematik rührt nun jedoch daher, daß Datenbanken im definierten Sinn in Zukunft nicht isoliert betrieben werden, sondern daß sie Elemente umfassender Informationssysteme 8 auf der technischen Grundlage integrierter Datenverarbeitungsanlagen mit Hilfe der Datenfernverarbeitung sein werden 9 .
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Genauer: Dokumentationssysteme enthalten nichtfonnatierte Informationen. Informationen sind formatiert, wenn sie aufgrund ihrer Position im Datensatz interpretiert werden können. Vgl. dazuH. R. Walter, R. A. Fischer, a.a.O., S. 26. Vergl. dazu H. G. Kömer, Maschinelle Dokumentation, in: K. Steinbuch (Hrg.), Taschenbuch der Nachrichtenverarbeitung, 2. Aufl. Berlin, Heidelberg, New York 1967, S. 1229-1268; F. W. Kistermann, Dokumentation und elektronische Datenverarbeitungssysteme, in: R. Gunzenhäuser (Hrg.), Nicht-numerische Informationsverarbeitung, Wien, New York 1968, S. 345-366; W. Steinmüller, EDV und Recht, S. 44 ff.; H. Fiedler, Automatisierung im Recht und juristische Informatik III, in: JuS, 10 (1970) S. 603 ff.; O. Nocke, Was leistet und wie arbeitet die moderne Dokumentation? in: ÖVD, 2 (1972) S. 24-34. Beispiele für rechtspolitische und gesellschaftliche Probleme, die sich aus der Errichtung von Dokumentationssystemen ergeben können, finden sich bei D. Zielinski, Die Juristische Datenbank als rechtspolitisches Problem, in: JZ,13 (1971) S. 409-414. Dazu S. Uhlig, Zur Problematik eines Juristischen Informationssystems, in: ebd. S. 644-648.
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Dazu W. Kunz, H. Rittel, Die Informationswissenschaften. Ihre Ansätze, Probleme, Methoden und ihr Ausbau in der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg, Berkeley 1969, S. 48 ff.;//. R. Walter, R. A. Fischer, a.a.O., S. 90 ff.
9
Vergl. dazu: Bayerisches Informationssystem, Beiträge zur integrierten Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung Bayerns, Heft 1, Hrg. Siemens AG, 2. Aufl. München 1970, S. 43 ff., 59; A Langseder, Gedanken zum Aufbau eines bayerischen Informationssystems, in: Bayerische Verwaltungsblätter, 17 (1971) S. 2 ff.;,4. Schödlbauer, Der Stand der Datenverarbeitung in der bayerischen öffentlichen Verwaltung, in: ebd. S. 135-138; A Angermann u. a., Analyse zum Datenvolumen und Datenverkehr, S. 21; W. Thiel, H. Wenger, On-line-Datenerfassung und Dialog, Beiträge zur integrierten Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung Bayerns, Heft 4, Hrg. Siemens AG, München 1971, S. 39 ff.; Großer Hessenplan. Hrg. Hessische Zentrale für Datenverarbeitung, Wiesbaden 1970, S. 23 ff.; Kl. Bresse, Das Verbundsystem der hessischen Datenverarbeitung für die Landes- und Kommunalverwaltung, in: ÖVD, 1 (1971) S. 4 - 8 . Eine allgemeine Übersicht über die Problematik geben W. Steinmüller, EDV und Recht, S. 71 ff.;//. Fiedler, Automatisierung im Recht und juristische Informatik II, in: JuS, 10 (1970) S. 554 ff.
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Ich muß das Funktionieren solcher Systeme hier als bekannt voraussetzen10. Nur einige Aufbauprinzipien möchte ich kurz skizzieren. Muß in den folgenden Ausführungen auf konkrete Organisationsformen Bezug genommen werden, so fungiert als Beispiel der Entwurf eines Bayerischen Informationssystems, wie es von der Firma Siemens entwickelt und publiziert worden ist 11 . Ich zähle die grundlegenden Aufbauprinzipien auf: 1. Das Prinzip der Einmalermittlung und Einmalerfassung aller benötigten Daten 12 . Dieses Prinzip besagt, daß die Menge aller von der öffentlichen Verwaltung benötigten Daten, die nicht aus bereits erhobenen Daten gewonnen werden können, in Untermengen zerlegt wird und jeder Untermenge genau eine erhebende staatliche oder kommunale Behörde zugeordnet wird. Die Zahl der Kontaktstellen der Bürger mit der Verwaltung und die quantitative Größe des Informationsflusses von den Bürgern zur Verwaltung werden dadurch drastisch reduziert 13 . 2. Das Prinzip der Einmalspeicherung. Das Prinzip besagt, daß auch die Datensätze über Datenobjekte, die von mehreren öffentlichen Verwaltungsstellen zur Aufgabenerledigung benötigt werden, die sogenannten Grunddatensätze dieser Datenobjekte, nur einmal gespeichert werden, etwa in einem regionalen Speicherzentrum14. Nur in Ausnahmefällen bewahren staatliche oder kommunale Behörden ihre „eigenen" Daten auf, nämlich dann, wenn die benötigten Daten ausschließlich von ihnen benötigt werden. Solche Datensätze nennt man Fachdatensätze. Grenzen der Zuständigkeit zwischen einem Land und den Gemeinden oder Gemeindeverbänden sind keine Organisationsgrenzen für die Datenspeicherung, wohl möglicherweise für die Datenverarbeitung. 3. Zum Prinzip der Einmalspeicherung gehört das ergänzende Prinzip des wahlfreien oder direkten Zugriffs auf die gespeicherten Daten durch die benützenden Stellen15. Ob der technischen Ermöglichung eines umfassenden Zugriffs aller Stellen auf alle Daten ein entsprechendes Zugriffsrecht korrespondiert, ist eine der wichtigsten Fragen dieses Gebietes. 10
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13
Veigl. auch E. Meincke, Integrierte Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung unter besonderer Berücksichtigung der Kommunalverwaltung, Stuttgart 1970, S. 31 ff. Siehe dazu die Angaben in Anm. 9. A. Angermann u. a., Analyse zum Datenvolumen und Datenverkehr, S. 21; E. Meincke, Integrierte Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung, S. 62 ff.; Das Kl-System, S. 69 f. Bayerisches Informationssystem, S. 59; Das Kl-System, S. 214 ff.
14
Ebd. S. 57;A. Angermann u. a., Analyse zum Datenvolumen und Datenverkehr, S. 21, 33; E. Meincke, Integrierte Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung, S. 64 ff.
15
Bayerisches Informationssystem, S. 39, 57 f.
Verfassungsrechtliche Probleme öffentlicher Informationssysteme
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4. Einheitlichkeit der Ergebnisse der Datenverarbeitung bedingt Einheitlichkeit der Programme. Diese ist nicht gewahrt, wenn alle staatlichen oder kommunalen Stellen eigene Programme verwenden 1 6 , anstatt landeseinheitlich festgelegter Programme. Technisch wird dies realisiert durch eine zentrale Programmbank, von der benötigte Programme abgerufen werden oder die das „Urmuster" der bei den einzelnen staatlichen oder kommunalen Rechenstellen eingespeicherten Programme verwahrt 17 . Besonders für die Gemeinden ist dieses Prinzip der Einmal-Programmierung sehr einschneidend. Es beschränkt das Recht der Selbstverwaltung im Bereich der Rechtsanwendung nahezu auf die Personalhoheit 1 8 . 5. Läßt man von den drei verfassungsrechtlichen Gewalten die Gerichtsorganisation einmal außer Betracht - über ihr Verhältnis zu einem integrierten Informationssystem ist mit Ausnahme des Grundbuchwesens bisher wenig nachgedacht worden 1 9 — und betrachtet man Legislative und Exekutive, so fällt die eindeutige Präponderanz der Exekutive auf. Das ganze System ist der Exekutive zu- und ihrer Spitze, der Regierung, untergeordnet. Im Idealfall liegt, mathematisch formuliert, Homomorphie zwischen der Exekutivbehördenorganisation und dem durch integrierte Datenverarbeitungsanlagen realisierten Informationssystem vor. Das kann man das Prinzip der exekutiven Strukturierung des öffentlichen Informationssystems nennen 2 0 . 16 17 18
Es gibt keinen Algorithmus zur Prüfung der Äquivalenz von Programmen. Bayerisches Informationssystem, S. 25. Art. 12 (Weisungsrecht) des Gesetzes über die Organisation der elektronischen Datenverarbeitung im Freistaat Bayern (EDVG) vom 12. 10. 1970 (GVGL S. 457) sieht vorläufig nur Weisungen zur Organisation der Verfahren und zur Formalisierung von Daten vor. Weiter interpretiert den Organisationsbegriff der EDVG W. Steinmüller, Rechtsfragen der Verwaltungsautomation in Bayern, in: data report, 6 (1971) S. 25. Weitergehend ist durch § 12 Abs. 2 des Gesetzes über die Datenzentrale Baden-Württemberg vom 17. 11. 1970 (GesBl. S. 492) der Landesregierung eine Verordnungsermächtigung zur Vereinheitlichung der Programme und der Formatierung von Daten erteilt worden. Vergl. auch ebd. §§ 1 Nr. 1, 12 Abs. 1 Satz 3. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Errichtung der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung und Kommunaler Gebietsrechenzentren vom 16. 12. 1969 (GVB1.1 S. 304) entscheidet der Koordinierungsausschuß, also ein Organ der körperschaftlich organisierten Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung über programmtechnische Fragen von gemeinsamer Bedeutung. Diese Regelung ist unter Berücksichtigung der technischen Erfordernisse wohl die selbstverwaltungsfreundlichste Lösung. Zu diesem Problembereich vergl. W. Steinmüller, Rechtsfragen der Verwaltungsautomation in Bayern, S. 30. Zum Bereich der staatsunmittelbaren Verwaltung vergl. Nr. 2.21.2 der Anlage zum Erlaß des Ministers der Finanzen und Forsten betreffend die Errichtung der zentralen Datenverarbeitungsstelle für das Saarland vom 4. 12. 1970 (Amtsblatt S. 981).
19 20
Vergl. dazu unten S. 162 ff. Vergl. dazu Bayerisches Informationssystem, S. 61 ff.;A. Angermann u. a., Analyse zum Datenvolumen und Datenverkehr, S. 119 f., 122 ff. Zu der hinter diesem Prinzip stehenden Tendenz vergl. K. H. Böckstiegel, Neue Aspekte der Gewalten-
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6. Schließlich ist es technisch möglich und rechtlich vorgesehen, daß private Träger von Datenverarbeitungsanlagen, wie Banken, Großbetriebe, Genossenschaften von Berufsgruppen und andere an das System im Wege der Datenfernverarbeitung angeschlossen werden. Ein Kommunikationsfluß von Privaten zu Behörden wäre etwa die Übertragung von Lohnsteuerunterlagen vom Betrieb zum Finanzamt 21 , ein Fluß von einer Behörde zu Privaten wäre die Übertragung einer Zahlungsanweisung von einer öffentlichen Kasse zu einer Bank als Kontoführerin eines Gehalts- oder Rentenempfängers. Die technische oder rechtliche Möglichkeit der Datenübertragung zwischen dem öffentlichen Informationssystem und Privaten kann man das Prinzip der gesellschaftlichen Offenheit nennen 22 . Die geschilderten Aufbauprinzipien eines EDV-unterstützten öffentlichen Informationssystems werfen eine Fülle verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Fragen auf. Als Beispiel der verwaltungsrechtlichen Fragen, auf die ich hier nicht eingehe, sei die Frage der örtlichen Zuständigkeit genannt, die insofern problematisch wird, als zwar die datenerfassende Stelle örtlich definiert ist, nicht aber die verarbeitende Stelle, da es innerhalb bestimmter Grenzen nicht sinnvoll ist zu fragen, wo sich in einer integrierten Datenverarbeitungsanlage ein bestimmter Vorgang abspielt. Die verfassungsrechtlichen Fragen lassen sich einteilen in grundrechtsbezogene und in organisatorische Fragen, wobei die Grenzen insofern fließend sind, als sich organisatorische Regelungen als Vorschriften zum Schutz von Grundrechtspositionen erweisen können. Zu den ersten gehört etwa die Frage des Datenschutzes im engeren Sinn als Schutz der Privat- oder Intimsphäre der Bürger (Art. 2 Abs. 1, 6 Abs. 1 GG)23, das Recht auf Zugang zu den Informationen des Systems
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teilung seit Inkrafttreten des Grundgesetzes, in: NJW, 23 (1970) S. 1712-1718; zum Infoimationsmonopol der Regierung bes. S. 1714. Kritisch gegenüber diesem Prinzip W. Steinmüller, Rechtsfragen der Verwaltungsautomation in Bayern S. 23 f. Als Vorstufe vergi, das durch die VO über die Datenübermittlung in den gesetzlichen Rentenversicherungen vom 21. 4. 1971 (BGBl. I S. 362) geregelte Datendirektübermittlungsverfahren mittels Magnetbändern, die vom Arbeitgeber dem zuständigen Sozialversicherungsträger im off-line-Betrieb übermittelt werden. § 13 „Rückmeldung" sieht zugleich eine off-line-Übermittlung vom Versicherungsträger zum Arbeitgeber vor. Vergi, dazu H. Naeth, u. a., Direkte Datenübermittlung zwischen Arbeitgeberund Rentenversicherungsträgern, Stuttgart 1971. „Direktübertragung" steht dabei im Gegensatz zu dem durch § 1399 RVO, § 121 AnVG angeordneten Verfahren. Vergi, dazu Bayerisches Informationssystem, S. 111;P. Winkler, Datenaustausch zwischen Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung am Beispiel der Sozialversicherung, in: ÖVD, 1 (1971) S. 2 6 - 3 0 . Der Ausdruck „Privat- oder Intimsphäre" dient nur zur Bezeichnung eines Problemtopos. Seine Verwendung bedeutet nicht die Übernahme der verfehlten Sphärentheorie. Dazu weiter unten.
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(Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), zu den letzten gehört das Problem der Gewaltenteilung (Art. 2 0 Abs. 2 GG) und das Recht auf kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG). Das Problem der Gewaltenteilung muß unter dem Gesichtspunkt integrierter Datenverarbeitungsanlagen abstrakter gefaßt werden als Unterfall der internen Systemdifferenzierung des politischen Gesamtsystems genannt „Staat" 24 . Dann gehören zu diesem Problembereich das Bund-Länder-Verhältnis, das Verhältnis der Funktionsträger der herkömmlichen Gewaltenteilung zueinander, die Differenzierung der öffentlichen Verwaltung in Ressorts mit Unterbehörden (horizontale Gliederung), in Verwaltungsebenen (vertikale Gliederung) und in unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung (Problem der Selbstverwaltungskörperschaften wie Gemeinden, Sozialversicherungsträger und Hochschulen 2 5 ; denken wir bei letzteren etwa an das Bundeshochschulstatistikgesetz mit der Vorschrift über die Errichtung einer hochschulspezifischen Datenbank beim Statistischen Bundesamt 26 ). Versucht man, konkrete Gestaltungen im Bereich der Rechtserzeugung und -Anwendung mittels Datenverarbeitungsanlagen anhand der Verfassung zu überprüfen, ob sie zulässig oder unzulässig, und erstenfalls, ob sie vielleicht sogar gefordert sind, so bemerkt man zuerst, daß selbstverständlich nicht nur der Verfassungstext schweigt, sondern daß auch die klassische verfassungsrechtliche Dogmatik aller Schulen und Methodenrichtungen nichts oder nur sehr wenig zur Beantwortung dieser Fragen hergibt 27 . Dabei steht es im Grundrechtsbereich etwas besser als im organisatorischen Teil, weil die
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Vergl. dazuN. Luhmann, Grundrechte als Institution, Berlin 1965, S. 14 ff.; ders., Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, Berlin 1966, S. 21. Grundlegend zur Systemdifferenzierung ders., Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964, S. 73 ff. Vergl. auch W. Steinmüller, EDV und Recht, S. 51 ff. Zum jetzigen Stand der verfassungsrechtlichen Dogmatik vergl. N. Achterberg, Probleme der Funktionslehre, München 1970, bes. S. 109 ff. ÄhnlichM. v. Berg, U. Harboth, A. Jarass, B. Lutterbeck, Schafft die Datenverarbeitung den modernen Leviathan? in: ÖVD, 2 (1972) S. 3. Gesetz über eine Bundesstatistik für das Hochschulwesen vom 31. 8. 1971 (BGBl. I S. 1473), § 18 Datenbank: „Im Statistischen Bundesamt wird eine hochschulspezifische Datenbank als unselbständige Einrichtung errichtet. Das Statistische Bundesamt ist verpflichtet, die bei ihm gespeicherten Daten im Rahmen eines arbeitsteiligen Verbundsystems den Statistischen Landesämtern im vollen Umfang zur Verfügung zu stellen. Den übrigen interessierenden Stellen stehen die gespeicherten Daten unter Beachtung der Geheimhaltungsvorschriften zur Verfügung. Für die Hochschulplanung von Bund, Ländern und Hochschulen sind die Daten vorrangig bereitzustellen." Da nach § 4 für alle Studenten eine Bestands- und Ferfoy/sstatistik erstellt werden soll, sind in der Datenbank personenbezogene Angaben über Studienberechtigung, Studienverlauf und Studienabschluß enthalten. Vergl. dazu die pointierte Formulierung vonN. Luhmann, Verfassungsmäßige Auswirkung der elektronischen Datenverarbeitung, in: ÖVD, 2 (1972) S. 44 f.; M. v. Berg, U. Harboth, A. Jarass, B. Lutterbeck, Schafft die Datenverarbeitung den modernen Leviathan? S. 3 f.
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Herausarbeitung von Funktionen der Grundrechte bereits ein Rüstzeug zur Behandlung der Fragen liefert. Aber auch hier sind noch eingehende systemanalytische, sozialpsychologische und andere Forschungen erforderlich, um die Dogmatik der Grundrechte zur Entscheidung der anstehenden Fragen gehaltreich zu machen. Im organisatorischen Bereich hat sich für unsere Fragestellung die Trennung der Wissenschaft von der res publica in das Staatsund Verwaltungsrecht, die Verwaltungslehre, die Betriebs- und Volkswirtschaft und die Politikwissenschaft verheerend ausgewirkt 28 . Die Vereinseitigung, die Folge dieser Trennung ist, läßt sich nicht in kurzer Zeit aufheben. Als verfassungsrechtliche Methode, die bei dieser Sachlage anzuwenden ist, empfiehlt sich unter anderem folgendes. Als erstes müssen die Funktionen der Grundrechte und der verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen aufgrund der derzeitigen Auslegung der Verfassung, wie sie insbesondere das Bundesverfassungsgericht vorgenommen hat, formuliert werden. Lassen diese Formulierungen, was wahrscheinlich ist, keine Entscheidung der anstehenden Fragen zu, so müssen die Funktionen unter Einbeziehung soziologischer, insbesondere systemanalytischer Forschungen abstrakter gefaßt werden. Als Beispiel einer solchen Abstraktion habe ich oben die Gewaltenteilung, das Bund-LänderVerhältnis, die horizontale und vertikale Behördengliederung 29 und die Einführung der Selbstverwaltung als Unterfälle des allgemeinen soziologischen Prinzips der Systemdifferenzierung angeführt. Unter Gesichtspunkten der integrierten Datenverarbeitung lassen sich die einzelnen Unterfälle des allgemeinen Prinzips der Systemdifferenzierung insofern nicht mehr trennen, als sie wenigstens teilweise gegenseitig funktional äquivalent sind und Beeinträchtigungen eines Teilprinzips durch isoliert betrachtet rechtmäßige Ausnutzung eines anderen Teilprinzips bewirkt werden können. Daher muß die Schutzfunktion eines verfassungsrechtlich geschützten Teilprinzips — etwa der Gewaltenteilung - auf dem Weg über die Ausdehnung des Schutzes auf das allgemeine Prinzip auf ein anderes Teilprinzip - etwa das der Aufrechterhaltung vertikaler und horizontaler Behördengliederung — ausgedehnt werden. Die hierzu erforderlichen verfassungsdogmatischen Operationen und die Darlegung der diese Operation rechtfertigenden methodischen Überlegungen kann ich hier nicht vornehmen 293 . Ich muß mich im folgenden auf die methodisch unabgesicherte Behandlung einiger konkreter Fragen beschränken. 28
Vergl. dazu H. Fiedler, Theorie und Praxis der Automation in der öffentlichen Verwaltung, in: ÖVD, 1 (1971) S. 94 f.
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Auf das Ressortprinzip (Art. 62, 65 GG) als weitere Unterteilung der Gewaltenteilung hat ebenfalls^. Luhmann, a.a.O. S. 47, hingewiesea Die horizontale Behördengliederung wäre aufgehoben, wenn „universelle Verarbeitung im staatlichen Bereich" vorliegen würde, was bedeuten würde, daß „samtliche Verflechtungen vieler. Verwaltungsbereiche in einem universellen Programm" abgebildet werden müßten. Vergl. dazu Bayerisches Informationssystem, S. 47. Dieses Modell ist a.a.O. aus technischen, nicht aus rechtlichen Gründen abgelehnt worden.
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Vergl. dazu etwa/. Schneider, in: Das KI-System, S. 264 ff.
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Ich beginne mit dem Topos des Geheimnisschutzes der Einzelperson30. In der 31 funktionalen Interpretation der Grundrechte schützt Art. 2 Abs. 1 GG die Selbstdarstellungsmöglichkeiten der Bürger 32 . Selbstdarstellung heißt dabei der sozialpsychologisch empirisch beschreibbare soziale Interaktionsvorgang, in dem Menschen selbstbewußte Individualität gewinnen. Informationstheoretisch formuliert ist die wenigstens teilweise eigene Entscheidung darüber, welche Informationen über die eigene Person in die Umwelt, insbesondere darüber, in welche Sektoren der Umwelt gelangen, notwendige Voraussetzung einer gelungenen Selbstdarstellung 33 . Insofern war die noch aus der Zeit vor der funktionalen Interpretation der Grundrechte stammende Auffassung, daß die Anwendung von Lügendedektoren und Wahrheitsseren Art. 2 Abs. 1 GG widersprechen, eine richtige Vorwegnahme des Regelungsgehaltes dieses Grundrechts 34 . In den geschützten Selbstdarstellungsprozeß wird eingegriffen,
30
Ich gehe im folgenden von der Voraussetzung aus, daß es einen objektiv geschützten Intim- und Persönlichkeitsbereich einer Person nicht gibt, da jedes Geheimnis relativ ist auf den Geheimhaltenden und mögliche Adressaten des Inhalts des Geheimnisses. Vergl. zu dieser Problematik R. Kamiah, Right of Privacy, Köln 1969, S. 81 ff.;//. H. Maas, Information und Geheimnis im Zivilrecht, Köln 1970, S. 91 f.; U. Seidel, Persönlichkeitsrechtliche Probleme der elektronischen Speicherung privater Daten, in: NJW, 23 (1970) S. 1582; Chr. Mallmann, Das Problem der Privatsphäre innerhalb des Datenschutzes, in: J. Schneider, Datenschutz Datensicherung, mit Beiträgen von W. Steinmüller, Chr. Mallmann, Beiträge zur integrierten Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung Bayerns, Heft 5, Hrg. Siemens AG, München 1971, S. 21 ff.
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Da die funktionale Verfassungsinterpretation noch nicht allseitig anerkannt ist, diese Problematik hier aber nicht aufgerollt werden kann, sei nur die Fragestellung einer solchen Methode skizziert. Frage: Warum erstrebt oder gibt sich eine Gesellschaft Grundrechte (oder grundlegende verfassungsrechtliche Organisationsprinzipien)? Antwort: Weil sich Konsens darüber herbeiführen läßt, daß die Menge der durch die effektive Geltung von Grundrechten (oder grundlegender verfassungsrechtlicher Organisationsprinzipien) geordneten Zustände der Menge beliebiger anderer Zustände vorzuziehen sei. Die funktionale Analyse untersucht die Unterschiede zwischen beiden Zustandsmengen dadurch, daß die die Mengen definierenden Größen funktionalisiert werden. Eine Größe heißt dabei funktionalisiert, wenn die Bedingungen ihrer Ersetzbarkeit angegeben sind. Vergl. dazu N. Luhmann, Sinn als Grundbegriff der Soziologie, in: J. Habermas, N. Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - was leistet die Systemforschung? Frankfurt/M. 1971, S. 89 f.
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GrundlegendN. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 52 ff., bes. S. 61 ff. Zum weiteren Problemhorizont der Persönlichkeitsidentifikation vergl. ders., Sinn als Grundbegriff der Soziologie, S. 81 ff. Ebd. S. 67; Chr. Mallmann, Das Problem der Privatsphäre innerhalb des Datenschutzes, S. 25. Als ältere Darstellung der Gefahrdung vor der Computer-Zeit ist noch immer empfehlenswert H. J. Scholler, Die Freiheit des Gewissens, Berlin 1958, S. 131-166. Zur neueren Problematik vergl. R. Kamiah, Right of Privacy, bes. S. 25-56.
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wenn Persönlichkeitsproflle zusammengestellt und übermittelt werden können. Mit Persönlichkeitsprofil sei dabei ein Datensatz über eine Person bezeichnet, der umfassende Auskunft über die Persönlichkeit gibt 343 . Die mittels der integrierten Datenverarbeitung, speziell mittels des Ordnungsbegriffs Personenkennzeichen, ermöglichte Zusammenfassung aller im Bereich der öffentlichen Verwaltung über eine Person vorhandenen Informationen ist die Ermöglichung einer behördlichen Erstellung von Persönlichkeitsprofilen35. Daraus ist eine erste verfassungsrechtliche Folgerung zu gewinnen: Das Personenkennzeichen darf in integrierte Datenverarbeitungssysteme, die mehrere Behördenzweige umfassen, nur eingeführt werden, wenn die Bildung von Persönlichkeitsprofilen rechtlich und organisatorisch-technisch ausgeschlossen ist. Überlegen wir uns nun einige Folgerungen, die aus diesem Grundsatz zu gewinnen sind. Zum ersten ist rechtlich und technisch sicherzustellen, daß jeder Behörde nur die personenbezogenen Informationen zugänglich gemacht werden, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt. Personenbezogen heißen Informationen und die sie tragenden Daten dann, wenn ihr Datenobjekt eine Person ist und die Daten entweder mit dem Personenkennzeichen verknüpft sind oder sich das Datenobjekt aus den Daten erschließen läßt36. Das bedeutet, daß bei der Festlegung, welche personenbezogenen Informationen zu speichern sind, nicht nur definiert werden muß, wer die Informatio-
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Ein Grund für die starke Bedrohung der Individuen durch die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen ist die Blockierung der Zukunft. „In der Gegenwart müssen jetzt Unbestimmtheiten bereit gehalten werden, die sich erst durch künftige Dispositionen ausfüllen lassen, oder Bestimmtheiten, die auf spätere Umdeutung hin angelegt sind." TV. Luhmann, Sinn als Grundbegriff der Soziologie, S. 58.
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Neben diese individualrechtliche Argumentation laßt sich ebenfalls durch funktionale Analyse eine zweite stärker sozialbezogene Argumentation stellen, die auf der für gegensätzliche Gruppen notwendigen Existenz autonomer Basisräume (Familien, Kleingruppen) als Keimbereiche abweichender, zur Erhaltung der Lernfähigkeit des Gesamtsystems unentbehrlicher Ideen beruht. Vergl. dazu M. v. Berg, U. Harboth, A. Jarass, B. Lutterbeck, Schafft die Datenverarbeitung den modernen Leviathan? S. 6 f. Zur systemtheoretischen Grundlage dieser Argumentation vergl. TV. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 101 ff. Auf abstrakterer Ebene wird dieses Thema behandelt von M. Maruyana, Goal-Generating Dissifaction, Directive Disequilibrium and Progress, in: Sociologia Internationalis, 5 (1967) S. 1969-1988;TV. Luhmann, Sinn als Grundbegriff der Soziologie, S. 99 f.
36
Zum Umstand, daß sich das Datenobjekt unter Umständen aus zu statistischen Daten aggregierten personenbezogenen Daten wiedergewinnen läßt, vergl. L. J. Hoffmann, W. F. Miller, Getting a Personal Dossier from a Statistical Data Bank, in: Datamation, 16 (1970) S. 74-75;i%. Hirsch, The World's Biggest Data Bank, in: ebd. S. 6 6 - 7 3 . Vergl. auch die Begründung zu § 8 Abs. 3 des unter Anm. 38 zitierten Entwurfs eines Bundes-Datenschutzgesetzes.
Verfassungsrechtliche Probleme öffentlicher Informationssysteme
217
nen erhebt und fortschreibt, sondern auch, wer das Recht des Zugriffs hat. Für diese Definition gibt es Verfahren, die sich vorwiegend des mathematischen Hilfsmittels der Matritzen bedienen 37 . Der gelegentlich geäußerte Einwand, aufgrund der bundesverfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsund Amtshilfe (Art. 35 Abs. 1 GG) hätte jede Behörde ein Auskunftsrecht, ist insofern nicht schlüssig, als das formelle Recht auf Amtshilfe erst besteht, wenn die um Auskunft ersuchende Behörde materiell einen Anspruch auf Besitz einer bestimmten Information hat. Gerade um die rechtliche Definition dieses Anspruchs aber geht es. Die hier vertretene Auffassung findet sich auch im interfraktionellen Entwurf eines Bundesdatenschutzgesetzes 38 . Dort heißt es: § 8 Auskunftsberechtigung (1) Eine Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte ist nur zulässig, wenn dem Empfänger ein Recht auf Grund einer Rechtsvorschrift zusteht, es sei denn, daß bei der Auskunft keine Rückschlüsse auf Einzelpersonen möglich sind. (2) Eine generelle Befugnis, personenbezogene Daten innerhalb eines Verwaltungsressorts oder zwischen verschiedenen Verwaltungsressorts oder Behörden oder Einrichtungen der öffentlichen Hand beliebig abzurufen, auszutauschen oder zu verwerten, besteht nicht. Jedes Verwaltungsressort darf unbeschadet eines Rechts nach Absatz 1 nur Daten abrufen, die es selber eingegeben hat. Die Anerkennung dieses Grundsatzes hat eine selten bedachte Folge. Das Behördensystem ist hierarchisch strukturiert 382 . Mathematisch ist jede Behördenorganisation als baumartiger doppelgerichteter Graph darstellbar 38b , wobei die Anordnungsrichtung von der Spitze zur Basis, die Informationsrichtung von der Basis zur Spitze führt. Läßt man diese Organisation unmodifiziert zu, ist die Bildung von Persönlichkeitsprofilen an der Spitze der Verwaltung auch dann möglich, wenn der Informationsaustausch zwischen einzelnen Behörden beschränkt ist. Das bedeutet dreierlei. Erstens muß auch
37
Vergl. dazu J. Schneider, Datenschutz - Datensicherung, S. 66 ff.
38
Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor unbefugter Verwendung personenbezogener Daten (Datenschutzgesetz), (Gesetzentwurf der Abgeordneten Hirsch, Dichgans, Kirst und Genossen), Bundestagsdrucksache VI/2885. Zur Rechts- und Amtshilfe siehe die Begründung zu § 8 Abs. 2.
38 a
Zur Systemfremdheit zwischen hierarchischem Behörden-Aufbau und EDV-unterstützten Informationssystemen vergl. Das KI-System, S. 176 f.
38b
Vergl. dazu Fr. Harary, R. Z. Norman, D. Cartwright, Structural Models. An Introduction to the Theory of Directed Graphs, New York, London, Sydney 1965, bes. S. 283 ff.
218
Adalbert Podlech
für übergeordnete Behörden das Definitionserfordernis gelten. Zweitens muß die Menge der einer übergeordneten Behörde zugänglichen personenbezogenen Informationen eine echte Teilmenge der Vereinigung der Mengen der ihren untergeordneten Behörden zugänglichen personenbezogenen Informationen sein. Drittens dürfen im Aktenvorlageweg Datenbanken entnommene personenbezogene Informationen der übergeordneten Behörde nur weitergeleitet werden, wenn entweder der Betroffene von einem Rechtsbehelf Gebrauch gemacht hat oder die vorgesetzte Behörde von sich aus zur Rechtskontrolle tätig wird. Im letzten Fall ist der Betroffene von der Anordnung der Aktenvorlage durch die untergeordnete Behörde zu informieren. Schließlich noch eine letzte Folgerung. Das Bayerische Informationssystem läuft in der Spitze zusammen in der Bayerischen Informationszentrale, technisch realisiert durch eine Großrechenanlage 39 . Diese Zentrale soll folgende fünf Funktionen erfüllen. Sie soll sein: erstens ein Inhaltsverzeichnis des gesamten Bayerischen Informationssystems 40 ; sie soll sein zweitens die Durchschaltestelle im Verkehr der regionalen Speicherzentren miteinander und damit für jeden Verkehr zwischen Behörden, der die Regionalgrenzen, die sich in etwa mit den Grenzen der Regierungsbezirke decken, überschreitet 41 ; sie soll sein drittens die Programmbank für das gesamte System 42 und sie soll sein viertens und fünftens ein Warn-43 und ein Kontrollsystem 44 . Behördenorganisatorisch soll die Bayerische Informationszentrale beim Bayerischen Landesamt für Datenverarbeitung errichtet werden. Nach Art. 3 Abs. 2 bayEDVG ist das Landesamt für Datenverarbeitung der Staatskanzlei unmittelbar nachgeordnet. Es ist offensichtlich, daß die Staatskanzlei bei dieser Organisation technisch nicht gehindert und rechtlich nicht kontrolliert werden kann, wenn sie beabsichtigt, Persönlichkeitsprofile zu erstellen. Diese Organisationsform der Spitze eines mittels integrierter Datenverarbeitung aufgebauten öffentlichen Informationssystems ist verfassungsrechtlich unzulässig. Von den angeführten fünf Funk-
39
Vergl. dazu Bayerisches Informationssystem, S. 64 fi.\A. Angermann u. a., Analyse zum Datenvolumen und Datenverkehr, S. 119 ff., 122.
40
Bayerisches Informationssystem, S. 64. Vergl. dazu Das Kl-System, S. 83 f.
41
Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 7 bayEDVG; Bayerisches Informationssystem, S. 64, A. Angermann u. a., Analyse zum Datenvolumen und Datenverkehr, S. 33.
42
So Das Kl-System, S. 109. Vorsichtiger: Bayerisches Informationssystem, S. 25. Ob die Einrichtung einer Programmbank durch Art. 4 Abs. 1 Nr. 4 bayEDV gedeckt ist, ist sehr fraglich. Die Frage der Rechtsgrundlagen einer staatlichen Tätigkeit im EDV-Bereich bedarf dringend der Klärung.
43
Bayerisches Informationssystem, S. 66; W. Steinmüller, EDV und Recht, S. 85; M. v. Berg, Harboth, Jarass, B. Lutterbeck, Schafft die Datenverarbeitung den modernen Leviathan?, S. 5; Das Kl-System, S. 109;//. R. Walter, R. A. Fischer (Hrg.), Informationssysteme in Wirtschaft und Verwaltung, S. 239 f.
44
Bayerisches Informationssystem, S. 66; Das Kl-System, S. 109.
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tionen der Bayerischen Informationszentrale müssen die Funktionen einer Programmbank und des Kontrollsystems aus der Unterordnung unter die Staatskanzlei gelöst und einer mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestatteten Behörde unterstellt werden, weil es sonst einen Schutz der Bürger gerade an der politisch neuralgischen Stelle vor von außen nicht feststellbaren Rechtsverletzungen nicht gibt. Die wirkungsvollsten Sicherungen gegen unbefugten Zugriff auf Daten lassen sich mit Hilfe von Schutzprogrammen erzielen . Wer Herr der Programme ist, ist Herr der Anlage. Mindestens die Schutzprogramme müssen daher der rechtlichen und organisatorischen Verfügungsgewalt von Stellen entzogen sein, die dem Weisungsrecht politischer Instanzen unterstehen. Zu demselben Ergebnis kommt man, wenn man anstatt des Weges über Art. 2 Abs. 1 GG den oben angedeuteten Weg über eine Neuinterpretation des Grundsatzes der Gewaltenteilung oder über das Rechtsstaatsprinzip geht 46 . Nachdem ich eine Auswirkung verfassungsrechtlicher Grundsätze auf die Organisation eines EDV-unterstützten öffentlichen Informationssystems dargestellt habe, möchte ich noch ein Problem aus dem Schnittfeld der drei Gewalten behandeln, nämlich das nach der Frage des gültigen Gesetzestextes. Erfolgt eine Gesetzesanwendung mit Hilfe von EDV-Anlagen, etwa im Steueroder Rentenrecht, so haben wir folgenden Gang der Dinge. Der Gesetz- oder Verordnungsgeber erläßt wie bisher einen in der natürlichen Sprache verfaßten normativen Text. Der einzige Unterschied zu früher besteht in der Beachtung der Grundsätze einer automationsfördernden Gesetzgebung. Dieser normative Text wird dann von einer Behörde durch Übersetzung in eine problemorientierte Programmsprache in ein EDV-Programm umgeschrieben. Die im Einzelfall rechtsanwendende Behörde entscheidet den Einzelfall unter mehr oder weniger intensiver Mitbeteiligung von Behördenmitgliedern mittels eines solchen Programms. Wird eine so getroffene Entscheidung angefochten und ist ein Gericht zur endgültigen Entscheidung berufen, so hat das Gericht drei
45
Vergl. dazu/. H. Schulze, Datenschutz in der Datenverarbeitung, in: IBM-Nachrichten, 21 (1971) S. 6 4 0 - 6 4 5 ; / . Schneider, Datenschutz - Datensicherung, S. 61 ff.; U. Dammann, Zum Datenschutz im Einwohnerwesen, in: ÖVD, 2 (1972) S. 73; Vergl. auch Nr. 3.3 und 3.4 der Vorläufigen Regelung des Datenschutzes in den Rechenzentren des Landes. RdErl. d. Nds. Mdl. vom 9. 11. 1970 (Nds. BMI. S. 1326).
46
Ebenso Sp. Simitis, Informationskrise des Rechts und Datenverarbeitung, Karlsruhe 1970, S. 113; ders., Chancen und Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung, in: NJW, 24 (1971) S. 6 8 1 ; A Podlech, Verfassungsrechtliche Probleme öffentlicher Datenbanken, in: DÖV, 23 (1970) S. 4 7 3 - 4 7 5 ; W. Steinmüller, Allgemeine Grundsätze zur rechtlichen Regelung des Datenschutzes, in: J. Schneider, Datenschutz - Datensicherung, S. 16. Ähnlich K. Meyer-Hentschel, Datenverarbeitung und Schutz des Individuums, in: Staats- und Kommunalverwaltung, 17 (1971) S. 267;7. Schneider, Datenschutz - Datensicherung, S. 33.
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Aufgaben zu erfüllen. Es hat erstens zu prüfen, ob das Programm eine adäquate Übersetzung des normativen Textes ist. Die Erfüllung dieser Aufgabe zerfällt in zwei Unteraufgaben, nämlich die Interpretation des normativen Textes und die Überprüfung der Adäquanz zwischen Interpretation und Programm. Zweitens hat es zu prüfen, ob die der Programmanwendung zugrundeliegenden Tatsachen stimmen. Drittens ist zu prüfen, ob die Einführung der Tatsachen in die EDV-Anlage47 und die Anwendung des Programms technisch fehlerfrei gewesen sind. Die Einführung einer Tatsache in eine EDV-Anlage zerfällt in die Vorgänge der Datenentstehung als Vorgang der erstmaligen Fixierung der Daten, der Datenaufbereitung als Vorgang der formalen Identifizierung und Strukturierung der Daten, der Datenerfassung als Vorgang der Umsetzung der Daten auf EDV-geeignete Datenträger und der Dateneingabe als Vorgang der Übertragung von externen Speichern in Speicher zum Zweck der Verarbeitung der Daten. Unter Datenverarbeitungsgesichtspunkten am systemfremdesten bei der gerichtlichen Prüfung ist die Rechtskontrolle der Programme durch Gerichte 473 . Durch eine Änderung der Interpretation in einem einzelnen Punkt können im Extremfall ganze Programmsysteme in ihrer Struktur betroffen sein. Die Praxis etwa der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts über die Programme der Bundesanstalt für Angestelltenversicherung zeigt allerdings, daß ein solcher Extremfall unwahrscheinlich ist. Um der an dieser Stelle jedoch zweifellos bestehenden Unsicherheit zu entgehen, könnte man auf den Gedanken kommen, das in einer problemorientierten Programmsprache abgefaßte Programm zum normativ gültigen Text zu erklären, also vom Gesetz- oder Verordnungsgeber verabschieden zu lassen und die in der natürlichen Sprache formulierte Fassung nur als inhaltsverdeutlichende Übersetzung beizufügen48. Ich möchte gleich sagen, wo ich die Einwände gegen ein solches Verfahren nicht sehe, nämlich im Publikationsprinzip49. Der Gedanke, normative Texte seien in deutscher Sprache zu publizie-
47 47 a
Veigl. auch W. Thiel, H. Wenger, On-line-Datenerfassung und Dialog, S. 3 ff. Nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Datenverarbeitung. N. Luhmanrt, Verfassungsmäßige Auswirkungen der elektronischen Datenverarbeitung, S. 46 f., hat daraufhingewiesen, daß der ganze Bereich von Fallentscheidungen mit überschießenden Regelungselementen, von Präjudizien, von Ermessensausübung mit Selbstbindungseffekt durch die Programmierung den rechtlichen Rang von Verwaltungsvorschriften mit Rechtssatzfunktion erhält, die richterliche Kontrolle somit Nomenkontrolle wird.
48
So wenigstens teilweise U. Klug, Juristische Logik, 3. Aufl. Berlin, Heidelberg, New York 1966, S. 169.
49
Umgekehrt ist es eine Forderung des Publikationsprinzips, daß EDV-Programme, mit deren Hilfe Rechtsanwendung erfolgt, publiziert werden müssen. Sind sie zu umfangreich, muß wenigstens die Publizierung einer Programmbeschreibung erfolgen. VergL dazu .4. Podlech, Verfassungsrechtliche Probleme öffentlicher Datenbanken, S. 475.
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ren, damit jeder Betroffene wissen könne, was rechtens sei, ist anachronistisch. Auch kein nicht spezialisierter Jurist kann auf den hier interessierenden Gebieten wie Steuer-, Sozialversicherungs- oder Kriegsfolgerecht durch Lektüre der Gesetzesblätter feststellen, was rechtens ist. Umgekehrt wird in Zukunft jeder Jurist problemorientierte Programmsprachen beherrschen. In diesem Fall läßt sich durch Lektüre der Programme oder wenigstens der Programmbeschreibungen und der Flußdiagramme 50 , leichter feststellen, was rechtens ist, als bei der Lektüre der jetzigen Normativtexte, da die ersten entscheidungsdefinit sind 51 , die letzten aber nicht. Die Entscheidungsdefinitheit scheint mir nun gerade der entscheidende Gesichtspunkt zu sein. Die fehlende Entscheidungsdefinitheit in der natürlichen Sprache formulierter normativer Texte hat eine unverzichtbare soziale Funktion. Diese Funktion besteht in der Ermöglichung der Lernfähigkeit der Rechtsordnung 52 . Nun ist zweifellos Lernfähigkeit eine Eigenschaft, die auch technisch durch EDVAnlagen realisierte Systeme haben können 53 . Nur: Es gibt bisher keine Möglichkeit, EDV-Anlagen, und erreichten sie die Komplexität der konzipierten öffentlichen Informationssysteme, mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit in ihrer Totalität zurückzukoppeln. Da man nachweisen kann, daß Gesetzgebungsorgane systemtheoretisch betrachtet zu geringe Komplexität aufweisen, um innerhalb hinlänglicher Zeiträume die soziale Problematik abzuarbeiten S4 , die zu ihrer Abarbeitung der Veränderung — also der Erweiterung, Kürzung oder Uminterpretation — der Rechtsordnung bedarf 55 , ist die wenigstens partielle Herrschaft der Gerichte über normative Texte notwendige, 50
An die Publikumsform können noch bestimmte, benutzerfreundliche Bedingungen gestellt werden.
51
Zur Entscheidungsdefinitheit vergl. H. A. Schmidt, Mathematische Gesetze der Logik, 1. Bd. Vorlesungen über Aussagenlogik, Berlin, Göttingen, Heidelberg 1960, S. 50 ff.
52
Zu diesem Problembereich grundsätzlich N. Luhmann, Positivität des Rechts als Voraussetzung einer modernen Gesellschaft, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, 1 (1970) bes. S. 178 ff., 191 ff.
53
Vergl. dazuH. Zemaneck, Lernende Automaten, in: K. Steinbuch (Hrg.), Taschenbuch der Nachrichtenverarbeitung, S. 1 3 8 3 - 1 4 5 0 .
54
Das Gesetz, wonach Komplexität nur durch hinreichend komplexe Systeme abgearbeitet werden kann, ist erstmals formuliert worden von W. R. Ashby, An Introduction to Cybernetics (1965), London 1970, S. 206 ff. Systeme geringer Komplexität, wie Gesetzgebungsorgane, Einzelbehörden, Gerichte, ersetzen die zu geringe Eigenkomplexität durch Erstreckung in der Zeitdimension. Zu den Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, vergl. N. Luhmann, Sinn als Grundbegriff der Soziologie, S. 46 ff.
55
So A. Kisza, Model cybernetyczny powstawania i dzialania prawa (mit engl. Summary: A cybernetic model of arising and action of the law), Wroclaw 1970, S. 167. In diesen Zusammenhang gehören die unglücklichen Versuche der Einführung eines référé législatif. Vergl. dazu H. W. Kruse, Das Richterrecht als Rechtsquelle des innerstaatlichen Rechts, Tübingen 1971, S. 13 f.
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leider nicht auch zugleich hinreichende Bedingung für die ausreichende Lernfähigkeit der Rechtsordnung 56 . Aus dieser Überlegung sind folgende Schlußfolgerungen zu gewinnen. Vom Standpunkt der Datenverarbeitung, insbesondere vom Standpunkt der Systemanalyse und der Programmierung, ist ein in einer natürlichen Sprache verfaßter normativer Text nichts anderes als eine mehr oder weniger genau definierte Aufgabe, eine Aufgabe, die von Behörden oder Gerichten zu lösen ist. Die Legislative hat also die Funktion der Aufgabendefinition 57 . Die Exekutive löst diese Aufgabe im Falle der automatischen Rechtsanwendung oder der EDV-unterstützten Rechtsanwendung durch die Erstellung und Anwendung von Programmen. Die Exekutive hat also die Funktion der Systemanalyse, der Programmierung und der Programmanwendung. Die Gerichte überprüfen in der oben beschriebenen Weise die korrekte Erfüllung dieser Funktion. Die Judikative hat also die Funktion der Kontrolle einschließlich der Kompetenz, verbindlich Programmänderungen verlangen zu können 58 . Besondere Probleme entstehen nun in dem Bereich, in dem Gerichte ohne Zwischenschaltung von Behörden Recht anwenden, wie im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit 59 . Bei der jetzigen Organisationsform ist hier die beschriebene Funktionentrennung nicht durchführbar. Bei der folgenden Erörterung der Frage der organisatorischen Zuordnung der drei Funktionen von Aufgabendefinition, Aufgabenerfüllung und Kontrolle der Aufgabenerfüllung gehe ich vom derzeitigen Stand der Aufgabenverteilung zwischen
56
Ebenso Sp. Simitis, Informationskrise des Rechts und Datenverarbeitung, S. 95, 104 f.; ders., Chancen und Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung, S. 673 f. A.A. N. Luhmann, Positivität des Rechts als Voraussetzung einer modernen Gesellschaft s. S. 191.
57
Vergl. dazu H. A. Simon, Recent Advances in Organization Theory, in: Research Frontiers in Politics and Government, Washington 1955, S. 2 3 - 2 4 ; ¿V. Luhmann, Positivität des Rechts als Voraussetzung einer modernen Gesellschaft, S. 190 ff. Ein weiterer Grund, als Normativtexte nicht entscheidungsdefinite EDV-Programme zu verabschieden, könnte in der erforderlichen sachlichen Generalisierung des Normativtextes liegen, die ein Mindestmaß an Unbestimmtheit des konkreten Inhalts des Textes bedingt. Vergl. dazu N. Luhmann, ebd. S. 179. Siehe auch die ebd. S. 185, 189 f. beschriebene Problematik der Verteilung der Entscheidungslast zwischen Legislative und Exekutive. Vergl. auch ders., Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, S. 51 ff.
58
Zu diesem Problemkreis siehe P. Raisch, Überlegungen zur Verwendung von Datenverarbeitungsanlagen in der Gesetzgebung und im Rechtsfindungsprozeß, in: JZ, 25 (1970) bes. S. 440.
59
Zur Problematik vergl. H. Fiedler, Automatisierung im Recht und juristische Informatik, in: JuS, 11 (1971) S. 67 ff. Unberücksichtigt bleiben im folgenden reine Dokumentationssysteme, die bei Gerichten errichtet werden. Ein Beispiel wird beschrieben bei K. Brachmann, H. Heußner, G. Schroeder-Printzen, R. Richter, W. Geinitz, D. Hebebrandt, Grundkonzeption für die Errichtung einer sozialrechtlichen Datenbank beim Bundessozialgericht, Berlin 1972.
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223
Exekutive und Judikative, insbesondere im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit aus 60 , lasse also die Frage noch offen, welcher Kernbereich staatlicher Tätigkeit Ausübung rechtsprechender Gewalt im Sinne des Art. 92 GG ist. Unberücksichtigt bleiben also noch die bereits sehr weit fortgeschrittenen Überlegungen, im Zuge der Einführung der Datenverarbeitung im Bereich des Registerrechts, insbesondere des Grundbuchwesens, eine Flurbereinigung zwischen den Grundbuch-, Kataster-, städtischen Bau- und ländlichen Flurbereinigungs- und Siedlungsämtern durchzuführen, indem für die Ämter eine einheitliche Grundstücksdatei eingeführt wird, die alle tatsächlichen und rechtlichen Informationen über die Grundstücke enthält und die Grundbuch im Sinne des § 837 BGB ist 61 . Im Bereich der Judikative im jetzigen organisationsrechtlichen Sinn werden das Mahnverfahren und das Registerrecht die ersten Bereiche der Rechtsanwendung mittels EDV-Anlagen sein. Weitere Bereiche, in denen vom technischen und systemanalytischen Standpunkt die Einführung bald möglich wäre, sind im Bereich des Zivilrechts Entscheidungen nach § 323 ZPO (Abänderungsklage) bei Unterhaltsleistungen gegenüber Kindern, Ehegatten oder Schadensersatzberechtigten 62 und im Bereich des Strafrechts die Mehrzahl aller Fälle des Verkehrsstrafrechts, soweit auf Geldstrafen erkannt wird. In allen diesen Bereichen ist nach dem derzeitigen Organisationsrecht zwischen den Akt der Legislative und den Akt der Judikative kein Entscheidungsakt der Exekutive eingeschaltet, wenn man von der funktional anders gearteten Entscheidung der Staatsanwaltschaft absieht. Es besteht bei der Programmerstellung also nur die Möglichkeit, daß entweder die Legislative die EDV-Programme als normative Texte erläßt, die dann die Gerichte binden, oder daß die Gerichte die Programme erstellen. Das erste würde ich aus den oben angeführten Gründen für unzulässig halten. Es bleibt die Frage, ob Gerichte Programme erstellen dürfen 63,64 , die für alle Spruchkörper natürlich nur dann verbindlich wären, wenn entsprechende Vorschriften in das Gerichtsverfassungsgesetz und die Prozeßordnungen aufgenommen würden. Die Folge einer solchen Regelung wäre, daß Gerichte als bürokratisch
60
Zum Verhältnis von freiwilliger Gerichtsbarkeit und Exekutive vergl. N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 98 ff., 161 ff.
61
Vergl. dazu Grundbuchwesen, Beiträge zur integrierten Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung Bayerns, Heft 3. Hrg. Siemens AG, München 1970;/'. N. Rattel, Fr. Göttlinger, H. Kobes, Fr. Miller, Rahmen-Soll-Konzept Grundstücksdatenbank, Berlin 1971;//. Wallner, Die Grundstücksdatenbank in Schweden, in: ÖVD, 2 (1972) S. 7 - 1 4 .
62
VergL dazu V. Knapp, Über die Möglichkeit der Anwendung kybernetischer Methoden im Recht, in: Staat und Recht, 12 (1963) S. 613-636\ders.. Über die Möglichkeit der Anwendung kybernetischer Methoden in Gesetzgebung und Rechtsanwendung, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 19 (1963) S. 4 5 - 5 6 . 63,64 Zu dem Problemkreis vergl. Fr. Göttlinger, EDV-Planung in der öffentlichen Verwaltung, Berlin 1972, S. 19 ff.
224
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organisierte Entscheidungsgremien ihre eigenen Programme erstellen und anwenden würden und eine gegenüber dieser formell verwaltenden Tätigkeit im Bereich von Massenvorfällen unabhängige Kontrollinstanz nicht mehr vorhanden wäre 65 . Eine Lösung dieses Problems könnte meines Erachtens darin bestehen, daß immer dann, wenn heute Gerichten zugewiesene Entscheidungstätigkeit mit Hilfe von Datenverarbeitungsanlagen erfolgen soll, eine Behörde im Geschäftsbereich der Justizministerien vorgeschaltet werden muß, der die Aufgabe der Programmerstellung und Programmanwendung im Einzelfall besitzt 66 . Die organisatorische Trennung von Registrator, Urkundsbeamter und Grundbuchführer zusammen mit dem verfügenden Rechtspfleger einerseits und dem Grundbuchrichter andererseits, der in der Regel nur noch über Rechtsbehelfe entscheidet, kann hier im Ansatz zum Vorbild werden. Die Aufspaltung der derzeitig einheitlichen Gerichtsorganisation in einen exekutiven und einen judikativen Teil im Gefolge der Einführung der Datenverarbeitung zwingt allerdings dazu, die derzeit vorwiegend akademische Frage zu entscheiden, welche Tätigkeit rechtsprechende Gewalt im Sinne des Art. 92 GG ist. An diesem Entscheidungsbereich würde sich eine Grenze der Zulässigkeit streitentscheidender EDV-Entscheidungen ergeben. Ohne in den völlig kontroversen Streit um die Auslegung des Art. 92 GG an dieser Stelle begründet eingreifen zu wollen 67 , meine ich, daß die Verhängung von Geldstrafen im Verkehrsstrafrecht, Entscheidungen über die Höhe wiederkehrender Leistungen in Unterhalts- oder Schadensersatzfällen, das Mahnverfahren und alle Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit automatisiert werden dürfen, soweit es sich nicht um Entscheidungen handelt, die aufgrund eines Rechtsbehelfs zu ergehen haben. Organisatorischer Träger der EDV-erzeugten Entscheidungen muß eine Behörde sein, die gegenüber Verwaltungsanweisungen durch Mitglieder der Gerichtsverwaltung unabhängig ist. Die EDV-erzeugten Entscheidungen dieser Behörde müssen der formellen Rechtskraft fähig und insbesondere vollstreckbar sein. Ein die Rechtskraft hemmender Rechtsbehelf gegen die EDV-erzeugte Entscheidung muß die Sache vor die 1. Instanz des zuständigen Gerichtszuges bringen. Ich darf zur Vermeidung von Mißverständnissen auf die eingangs meiner Ausfuhrungen gemachten Vorbemerkungen verweisen und kurz meine Thesen 65
Ein weiteres Argument gegen die Automation von Gerichtsentscheidungen findet sich bei TV. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Neuwied, Berlin 1969 S. 72.
66
Diese Behörde könnte weitere Funktionen erfüllen, deren Erfüllung durch gerichtliche Spruchkörper im herkömmlichen Sinn schwierig ist. N. Luhmann, Verfassungsmäßige Auswirkungen der elektronischen Datenverarbeitung, S. 46, hat darauf hingewiesen, daß vor allem für die Justiz der Gedanke fremd sei, daß jede Einzelentscheidung neben der Herbeiführung eines fallbezogenen Effekts auch noch statistisch auszuwerten sei, um die Strukturen an den Effekten zu überprüfen.
67
Zum Stand der Meinungen siehe R. Herzog, in: Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, München 1958 ff., Art. 92 (1971). In dieser neuesten Kommentierung findet sich kein Hinweis auf EDV-Probleme.
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225
zusammenfassen. Ich habe keine Ausführungen darüber gemacht, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang die wenigstens teilweise Übertragung von Entscheidungen aus dem Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit von Rechtspflegern oder Richtern auf EDV-Anlagen rechtspolitisch erwünscht ist. Sollte sie technisch möglich und rechtspolitisch erwünscht sein, so halte ich die organisatorische Trennung zwischen der die EDV-erzeugte Entscheidung verantwortenden Behörde und der über diese Entscheidung richtenden Gerichte verfassungsrechtlich für geboten. Auch in diesem Bereich ist die Funktionstrennung zwischen legislativer Aufgabendefinition, der exekutiven Aufgabenerfullung und der judikativen Kontrolle der Aufgabenerfüllung im Falle der automatisierten Rechtsentscheidung durchzuführen. Zum Schluß möchte ich noch auf ein schon erwähntes Prinzip künftiger öffentlicher Informationssysteme zurückkommen, das wohl die radikalste Infragestellung unserer traditionellen Auffassung von Staat und öffentlicher Verwaltung darstellt, nämlich auf das Prinzip der gesellschaftlichen Offenheit öffentlicher Informationssysteme. Es war oben harmlos klingend definiert worden als die technische und rechtliche Ermöglichung der Datenübertragung zwischen öffentlichen und privaten Informationssystemen. Das Prinzip ist wohl zum erstenmal formuliert worden in der Entscheidung des Deutschen Bundestages vom 28. März 1969, in der es heißt: „Der Bundestag ersucht die Bundesregierung darauf hinzuwirken, daß . . . bei der zunehmenden Anwendung der EDV die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit allen interessierenden Kreisen in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft in einem umfassenden, jedoch arbeitsteiligen Datenbanknetz von vorneherein in Betracht gezogen wird. . ," 6 8
Eine erste Konkretisierung dieses Prinzips findet sich im Zweiten EDV-Bericht der Bundesregierung an den Bundestag vom 17. April 1970 unter dem Stichwort „Planung eines allgemeinen arbeitsteiligen Informationssystems für die Bundesrepublik Deutschland" 69 . Die Bundesregierung hat noch im April 1970 eine interministerielle Arbeitsgruppe „Datenbanksystem" beim Bundesministerium des Innern gebildet, die bereits im Mai 1971 unter dem Titel „Das Informationsbankensystem. Vorschläge für die Planung und den Aufbau eines allgemeinen arbeitsteiligen Informationsbankensystems für die Bundesrepublik Deutschland" der Bundesregierung einen umfassenden Bericht vorgelegt hat. Dieser ist jedoch bis heute vom Kabinett noch nicht behandelt und deswegen entgegen den Intentionen der Verfasser der Öffentlichkeit noch nicht 68
Entschließung des Deutschen Bundestages vom 28. 3. 1969 zur 3. Beratung des Haushaltsgesetzes 1969 (Umdruck 631, Anlage 3 zum Sten. Bericht über die 226. Sitzung der 5. Wahlperiode), Punkt 2j).
69
Deutscher Bundestag, Drucksache VI/648, Nr. 5.
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übergeben worden 6 9 3 . Einiges läßt sich aufgrund des Zweiten EDV-Berichts der Bundesregierung und der allgemein bekannt gewordenen Vorstellungen jedoch jetzt schon sagen70. Das geplante Informationsbankensystem soll alle öffentlichen Datenbanken im engeren Sinn und alle Dokumentationssysteme im Bereich der Bundesrepublik als Elemente enthalten, gleichgültig, ob letztere von Behörden, der Wirtschaft, der Wissenschaft oder sonstigen gesellschaftlichen Gruppen getragen werden 71 . Nun sind, wie oben dargelegt, öffentliche Datenbanken im weiteren Sinn in Zukunft Subsysteme der auf Länder- und Bundesebene entstehenden öffentlichen Informationssysteme, in denen netzwerkartig datenerfassende, datenspeichernde und datenverarbeitende Stellen im Bereich der Verwaltung und Rechtsprechung verknüpft sind. Entsprechend werden die Datenbanken der Wirtschaft über Datenfernübertragungsleitungen mit den Verarbeitungsanlagen und betriebsinternen Datenbanken mindestens der Großbetriebe verbunden sein 72 . Verbindet man die Bankensysteme der öffentlichen Hand und der Wirtschaft miteinander, die ihrerseits Subsysteme datenverarbeitender Systeme sind, und schaltet man zudem noch öffentliche und private EDV-Anlagen im einzelnen kurz, wie etwa zwischen regionalen Speicherzentren, den Datenbanken der Sozialversicherungsträger und den Anlagen der Finanzämter einerseits und den Personaldatenbanken 73 der Betriebe andererseits, so entsteht in der Endstufe ein Netz 74 , dessen Knoten die Menge aller die öffentlichen Informationssysteme realisierenden EDVAnlagen, die Menge aller übrigen Dokumentationssysteme und eine nicht genau feststellbare Menge sonstiger privater EDV-Anlagen, und dessen Kanten das Datenfernübertragungsnetz der Bundespost sein werden. In jeweils mehr 69 a
Nach dem Vortrag ist der Bericht für die Öffentlichkeit freigegeben worden: Das Informationsbankensystem. Vorschläge für die Planung und den Aufbau eines allgemeinen arbeitsteiligen Informationsbankensystems für die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1971, Band 1, Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe beim Bundesministerium des Innern an die Bundesregierung, Band 2, Materialband (Gutachten, Empfehlungen, Stellungnahmen). Ich habe oben den Text des Vortrages - wie auch sonst - nicht geändert.
70
Vergl. auch W. Steinmüller, EDV und Recht, S. 81 ff. Die Beschreibung, die Steinmüller von dem universalen Informationssystem gibt, berücksichtigt jedoch noch nicht das Prinzip der gesellschaftlichen Offenheit.
71
Vergl. dazu Kl. Grimmer, Social System-Engineering, in: DÖV, 24 (1971) S. 486; M. v. Berg, U. Harboth, A. Jarass, B. Lutterbeck, Schafft die Datenverarbeitung den modernen Leviathan?, S. 7; Das Kl-System, S. 70 ff., 94 ff.
72
Zur Rolle der integrierten Informationssysteme in diesem Bereich siehe E. Heinen (Hrg.), Industriebetriebslehre, Wiesbaden 1972, S. 7 6 1 - 7 9 1 .
73
Vergl. dazu die Angabe bei E. Dollenbacher, Der numerierte Mensch, in: ÖVD 0 (1971) S. 39, daß in Industriebetrieben Datensätze mit 2300 Stellen je Mitarbeiter üblich seien.
74
Zu solchen Netzen vergl. A. Angermann u. a., Analyse zum Datenvolumen und Datenverkehr, S. 119 ff.; W. Thiel, H, Wenger, On-line-Datenerfassung und Dialog, S. 26 ff.
Verfassungsrechtliche Probleme öffentlicher Informationssysteme
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oder weniger streng voneinander separierten Subsystemen dieses Netzes spielen sich in Zukunft alle gesellschaftlich relevanten Informationsverarbeitungen der öffentlichen und privaten Verwaltungen ab 75 ' 76 . Nur geringfügig idealisiert stellt das Netz dieses umfassenden Informationssystems ein homomorphes Abbild der Gesamtgesellschaft dar, das außer der um Dimensionen größeren Komplexität erstmals in der Geschichte gesellschaftlicher Modellbildung die Dimension der Zeit mit abbildet 77 . Auf die gesellschaftskritischen Aspekte einer solchen Modellbildung kann ich hier nicht mehr eingehen 78 . Nur noch ein öffentlich-rechtlicher Aspekt: In einem solchen System werden Behörden der öffentlichen Verwaltung weniger durch die traditionellen verwaltungsrechtlichen Merkmale, sondern durch die Schnittstellen des Informationssystems und die Menge der diese Schnittstellen rechtmäßig passierenden Daten und Programme definiert sein 79 . Darum wird in solchen Systemen das Prädikat „Hoheitlich" für verwaltende Tätigkeit in solchen Informationssystemen nicht mehr sinnvoll verwendet werden können. Das Staats- und Verwaltungsrecht der Zukunft wird nahezu sein gesamtes Vokabular umdefinieren und die bisher für die traditionellen Rechtsprobleme gefundenen rechtlichen Lösungen neu überdenken müssen. Wohl nie in der Geschichte der Rechtswissenschaft stand eine rechtswissenschaftliche Disziplin vor einer solch umfassenden Aufgabe und wohl nie war eine Disziplin 75
Verwaltungsentscheidungen sind als Gegensatz zu Entscheidungen des TopManagement und des politischen Systems aufzufassen. Welche Kriterien diese Unterscheidung definieren, braucht hier nicht erörtert zu werden. Die Betonung der Kenva/run^sentscheidungen soll nur das Mißverständnis vermeiden, als hielte ich die Ersetzung der Entscheidungen politischer Instanzen und des Top-Management durch EDV-Entscheidungen in größerem Umfang für möglich. Auf die hier auftauchenden systemanalytischen und methodischen Probleme vorwiegend mathematischer und metamathematischer Art kann hier nicht eingegangen werden.
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Zu den Parallelen zwischen öffentlichen und privaten Verwaltungen unter Datenverarbeitungsgesichtspunkten vergl. Sp. Simitis, Chancen und Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung, S. 675 f., 672. Vergl. dazu H. Fiedler, Automatisierung im Recht und juristische Informatik I, in: JuS, 10 (1970) S. 432; W. Steinmüller, Rechtsinformatik, Elektronische Datenverarbeitung und Recht, in: Juristische Rundschau, (1971) S. 7; de«., Rechtspolitische Bemerkungen zum geplanten staatlichen Informationssystem, in: Th. Wiirtemberger, Rechtsphilosophie und Rechtspraxis, Frankfurt/M., 1971, S. 81-87; de«., Rechtsfragen der Verwaltungsautomation in Bayern, S. 28 f.
77
78 79
Vergl. dazu die Andeutungen bei Sp. Simitis, Chancen und Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung, S. 675 f. Vergl. dazu H. R. Walter, R. A. Fischer (Hrg.), Informationssysteme in Wirtschaft und Verwaltung, S. 266 ff. Nach DIN 44302, Stand 1968, Nr. 14, ist eine Schnittstelle definiert durch die Gesamtheit der Festlegungen über die physikalischen Eigenschaften der Verbindungslinien zwischen zwei EDV-Einrichtungen und die auf diesen Leitungen ausgetauschten Signale sowie über die Bedeutung der ausgetauschten Signale. Die juristische Problematik der Schnittstellen liegt natürlich bei der letzten Festlegung.
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Adalbert Podlech
auf eine solche Aufgabe weniger vorbereitet 80 . Sollte diese Aufgabe von der Rechtswissenschaft nicht in dem durch die Politik und die Technik, insbesondere aber in dem durch die zur Verfügung stehende Finanzsumme bestimmten Zeitraum 81 gelöst werden, dürfte die Wissenschaft vom öffentlichen Recht ihre gesellschaftliche Relevanz auf nicht absehbare Zeit eingebüßt haben. Ich teile nicht die Ansicht derer, die darin einen Fortschritt sähen.
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81
Vergl. dazu N. Luhmann, Evolution des Rechts, in: Rechtstheorie, 1 (1970) S. 19 ff.; ders., Positivität des Rechts als Voraussetzung einer modernen Gesellschaft, S. 187 f., 197. Ohne Übertreibung kann man sagen, daß zur Zeit das wichtigste rechtsstaatserhaltende Prinzip in der Bundesrepublik die Finanzinappheit ist.
Forschungsaufgaben der Juristischen Informatik von Heibert Fiedler Ausgehend von den Problemen der Datenverarbeitung in Recht und Verwaltung beginnen sich die Konturen der neuen Disziplin „Juristische Informatik" (oder, synonym: „Rechtsinformatik") abzuzeichnen. Obwohl deren Konzipierung noch keineswegs abgeschlossen ist, scheint bereits heute die große Bedeutung erkennbar, welche ihr für Theorie und Praxis, für Recht und öffentliche Verwaltung zukommen wird. Es geht hierbei nicht nur um den großen Nachholbedarf der Lehre rationaler Methoden für Juristen und Verwaltungsfachleute, Wesentlich für eine Rechtsinformatik als eigenständige Wissenschaftsdisziplin ist das Gebiet der spezifischen Forschungsaufgaben, welche sie zu erfüllen hat, und der Ertrag von Forschungsleistungen, welche sie dort wird erbringen können. Hier soll eine Übersicht wichtiger Forschungsaufgaben der Rechtsinformatik angedeutet werden (III). Dieses Forschungsgebiet bildet heute noch weitgehend Neuland; seine Strukturierung hängt eng mit der Auffassung und Gliederung des Gebietes der Rechtsinformatik überhaupt zusammen. Daher sollen hier zunächst Entwicklung und Konzeption der Rechtsinformatik umrissen werden (I, II). Abschließend soll die Bedeutung rechtsinformatischer Forschung auch an einem speziellen Beispiel gezeigt werden (IV). I. Von der „EDV in Recht und Verwaltung" zur Juristischen Informatik Wie die Ausbreitung der Datenverarbeitung überhaupt, so ist auch ihre Anwendung in Recht und Verwaltung tatsächlich zunächst eine Angelegenheit der „Praxis" gewesen1. Eine naheliegende und praktisch wichtige Aufgabe war es zunächst, diese Anwendungsfalle zu sammeln und zu sichten 2 . Als thematisches Schlagwort für dieses teilweise eher rechts- und verwaltungskundliche Interesse könnte man etwa nehmen „EDV in Recht und Verwaltung". Dieses Schlagwort beschreibt zugleich eine jahrelange, erste Phase in den Beziehungen zwischen Datenverarbeitung und Rechtswissenschaft — eine Phase, in der die DV-Methoden einer skeptischen oder auch aus verengt „geisteswissenschaftlicher" Tradition heraus ablehnenden Führungsschichte in Staat und Verwal-
1
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Fiedler, Rechenautomaten in Recht und Verwaltung, JZ 1966, S. 689; ders., Theorie und Praxis der Automation in der öffentlichen Verwaltung, ÖVD 1971, S. 92. - Eine von Anfang an stärkere Initiative der rechtswissenschaftl. Theorie findet sich allerdings bei der elektronischen Rechtsdokumentation. Vgl. Fiedler, JZ 1966, a.a.O., mit einem ersten Versuch der Übersicht; im Sinne der Gesamtübersicht jetzt vor allem auch Haft, Elektronische Datenverarbeitung im Recht, Berlin 1970.
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Herbert Fiedler
tung ihre „praktische Brauchbarkeit beweisen" mußten. Inzwischen ist in pragmatischer Hinsicht diese Phase abgelaufen: heute ist es für niemanden mehr ein empfehlenswertes Rezept, die Einsatzmöglichkeit der DV in irgend einem Lebensbereich einfach zu ignorieren — man wird davon ebenso überfahren werden, wie im wörtlichen Sinn vom Straßenverkehr. Die rechtsiwssenschaftliche Theorie hat sich jedoch etwa in Deutschland nicht auf die Sammlung und Sichtung unter dem Motto „EDV in Recht und Verwaltung" beschränkt. Bereits frühzeitig ging es hier auch um ein theoretisches Verständnis der DV-Methodik und ihrer Anwendung als Basis für eine Beurteilung ihrer Möglichkeiten und Auswirkungen. Hierzu gehört zunächst schon der Hinweis auf die mathematische Grundlage der klassischen Computerverfahren im Begriff des „Algorithmus" als formal-schematischem Arbeitsverfahren 3 . Tatsächlich ist mit dem Begriff des „Algorithmus" bereits ein Schlüsselbegriff des gesamten hier anzusprechenden Komplexes gegeben. Der Algorithmusbegriff als Basis der klassischen DV-Verfahren erweist zunächst die „praktische" DV als nichts anderes, denn die Verkörperung letztlich mathematischer „Theorie" 4 . Zugleich aber zeigt der Algorithmusbegriff als Basis der Anwendung der klassischen DV-Verfahren den Weg, auf welchem auch für Recht und Verwaltung die DV in ihren Möglichkeiten und Auswirkungen methodisch begriffen werden kann 5 . Auch nach dem neuesten Stand der Entwicklung wird man im juristischen Bereich gut daran tun, den Algorithmusbegriff (den präzisierten Begriff des formal schematischen Arbeitsverfahrens) als Basis wichtiger Elemente der DV-Anwendung nicht aus den Augen zu verlieren. Mit dem theoretischen Verständnis der DV und ihrer Anwendung in Recht und Verwaltung hängt die Erkenntnis ihrer grundsätzlichen Bedeutung eng zusammen. So ging es in der Frühzeit der Verwaltungsautomation nicht nur um die Sammlung praktischer Anwendungsfälle und um ihre theoretische Interpretation, sondern vor allem auch um den Hinweis darauf, daß es sich dabei nicht etwa einfach um „Rationalisierung" auf der Ebene der „Bürotechnik" handelt 6 . So konnte schon frühzeitig daraufhingewiesen werden, daß es sich bei 3 4 5
6
Fiedler, Rechenautomaten als Hilfsmittel der Gesetzesanwendung, Deutsche Rentenversicherung 1962, S. 149 ff. Fiedler, ÖVD 1971, a.a.O., S. 92. Die Bedeutung des Algorithmusbegriffs in diesem Sinne hat der Verf. wiederholt betont, vgl. z.B. Deutsche Rentenversicherung 1962 a.a.O., JZ 1966 a.a.O., Vortrag auf dem DJT 1970 (Sitzungsbericht T, S. 19), Automatisierung im Recht und Juristische Informatik, Teil 1, JuS 1970, S. 434. Hierauf hat - wie auf die grundsätzliche Bedeutung der DV überhaupt - vor allem die KGSt (Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung, Köln) in ihren Schriften und Seminaren unermüdlich hingewiesen. Vgl. jetzt auch die Schrift des KGSt-Hauptgutachters W. Jähnig, Automatisierte Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung, Köln und Berlin 1971.
Forschungsaufgaben der Juristischen Informatik
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der DV-Methodik um ein eigenartiges Organisationsprinzip der geistigen Arbeit handelt, welches im rechtlichen Anwendungsbereich die Aufgabenstellung ebenso beeinflussen kann wie die Struktur der Aufgabenträger 7 . Ganz allgemein wurde die grundsätzliche Bedeutung der Automation für Recht und Verwaltung mehrfach betont und literarisch aufgegriffen 8 . Zur Beachtung der grundsätzlichen Bedeutung der Automation für Recht und Verwaltung gehörte auch der Hinweis auf spezifisch rechtliche Auswirkungen und Probleme, die dadurch aufgeworfen werden. Hierher zu rechnen ist insbesondere der frünzeitige Hinweis 9 auf die Probleme des maschinellen Verwaltungsakts 10 sowie die Problemstellung der „Automationsgerechten Rechtssetzung" 11 . Aufgrund der tatsächlichen Ausbreitung der DV in Recht und Verwaltung und vor allem der Zukunftsprojektion ihrer Möglichkeiten trat dann immer mehr der Wunsch nach einer rechtlichen Grenzziehung hinzu, inspiriert in Deutschland z.T. durch angelsächsische Vorbilder12. Terminologisch wurde schließlich mit der Bezeichnung „Rechtsinformatik" 13 bzw. „Juristische Informatik" und auch „Verwaltungsinformatik" 14 ein jedenfalls hier und jetzt glücklich scheinender Klammerbegriff gefunden, welcher die theoretischen und praktischen Aspekte der DV-Anwendung in Recht und
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9 10 11 12"
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Fiedler, JZ 1966, a.a.O., S. 698, 696. Vgl. hier für frühzeitige Hinweise vor allem noch: Klug, Elektronische Datenverarbeitungsmaschinen, in: Festschrift für H. Jahrreiss, Köln 1964, S. 189; ders., Juristische Logik, 3. Aufl. 1966, S. 157; Simitis, Rechtliche Anwendungsmöglichkeiten Kybernetischer Systeme, Tübingen 1966; ders., Dokumentation und Juristische Urteilsfindung, Loccumer Protokolle 1966, S. 28; ders., Automation in der Rechtsordnung - Möglichkeiten und Grenzen, Karlsruhe 1967;Podlech, Anforderungen der Kybernetik an die Rechtswissenschaft, Recht und Politik 1967, S. 84; Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, Berlin 1966. Zeidler, Über die Technisierung der Verwaltung, Karlsruhe 1959. Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Aufl. Köln 1964. Klug-Fiedler, Die Berücksichtigung der automatisierten Gesetzesausführung in der Gesetzgebung, Deutsche Rentenversicherung 1964, S. 269; monographisch vMerg, Automationsgerechte Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Köln 1968. Insbesondere Kamiah, Right of Privacy, Köln 1969; Seidel, Persönlichkeitsrechtliche Probleme der elektronischen Speicherung privater Daten, NJW 1970, S. 15Sl;Podlech, Verfassungsrechtliche Probleme öffentlicher Datenbanken, DÖV 1970, S. 473; Simitis, Konsequenzen der Datenverarbeitung für die Rechtsordnung, Vortrag auf dem DJT 1970 (Sitzungsberichte T, S. 35); ders., Chancen und Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung, NJW 1971, S. 673; Steinmüiler u.a., EDV und Recht — Einführung in die Rechtsinformatik, JA- Sonderheft Nr. 6, Berlin 1970. Steinmüller, EDV und Recht, a.a.O.; Simitis, Materialien zur Rechtsinformatik, Folge 1, Frankfurt/M. 1971. Fiedler, Theorie und Praxis der Automation in der öffentlichen Verwaltung, DÖV 1970, S. 472.
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Herbert Fiedler
Verwaltung einschließlich ihrer spezifisch rechtlichen Probleme zusammenfaßt. Mag auch die genauere Konzeption der Rechtsinformatik noch nicht ausdiskutiert sein, so scheint doch ihre prinzipielle Anerkennung inzwischen gesichert zu sein. Die „EDV in Recht und Verwaltung" ist nicht mehr nur Gegenstand einiger rechts- und verwaltungskundlicher Sammelarbeit oder einer allgemein-wissenschaftstheoretischen Standortbestimmung, sondern erscheint der Bearbeitung durch eine eigenständige Disziplin wert. Hierbei scheint eine Rückbesinnung auf den wissenschaftlichen Bereich nötig, aus welchem der Terminus „Informatik" kommt — nämlich der allgemeinen Wissenschaft von der Informationsverarbeitung. Gerade im Hinblick auf die rechtliche Anwendung ist hier auf eine gewisse Differenzierung hinzuweisen15: Informatik im „westlichen" Sinne als "Computer Science" und im „östlichen" Sinne als Wissenschaft von der methodisch fundierten Dokumentation und Information. Dieser Gegensatz soll hier mit seinen Folgen für die Rechtsinformatik genau so wenig ausdiskutiert werden, wie die Konzeption der Rechtsinformatik selbst. Jedoch kann bemerkt werden, daß die Schärfe dieser Gegenüberstellung gerade durch die neuere Entwicklung gemildert scheint. Wissenschaftliche Dokumentation und Information hängt in ihrer Praxis und auf einem fortgeschrittenen Niveau (wo allein sie größere Bedeutung erlangt) eng mit dem Computereinsatz zusammen. Und die „Computer science" betrachtet heute nicht nur den „Computer" für sich genommen, sondern auch in seiner Beziehung zum Menschen und als Element von Mensch/MaschineOrganisationen. Insbesondere die „offizielle" 16 Anerkennung von „Anwendungsinformatiken" wie gerade der Rechtsinformatik, aber auch der betriebswirtschaftlichen, medizinischen usw. Informatiken zeigt, daß sich die Informatik auch in der „westlichen" Auffassung nicht auf die „Theorie des Computers" im engsten Sinn von „hardware" und „Software" konzentriert. Darüber hinaus scheint sie eine allgemeine Wissenschaft der Kommunikation, Entscheidung und Informationsverarbeitung zu werden — für welche allerdings ihre spezifische mathematische („strukturelle") Grundlage wesentlich ist. Auf den letzteren Punkt, der gerade für die hier vertretene Konzeption der Rechtsinformatik (als Strukturtheorie) von besonderer Bedeutung ist, wird unten noch zurückzukommen sein. Hier schon kann festgestellt werden, daß die „Informatik" auch im allgemeinen Sinne sich anschickt, die Beachtung
15
16
Vgl. insbesondere Steinmüller, Rechtsinformatik, Elektronische Datenverarbeitung und Recht, JR 1971 S. 1 ; E. Lutterbeck, Informationswissenschaften und Informatik, in: Dokumentation und Information (hrsg. v. E. Lutterbeck), Frankfurt/M., 1971, S. 35; allgemein Kunz-Rittel, Die Infonnationswissenschaften, München 1972. Vgl. 2. DV-Programm der Bundesregierung, hrsg. v. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Bonn 1971, S. 30.
Foischungsaufgaben der Juristischen Informatik
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grundsätzlich wichtiger organisatorischer Aspekte der Informationsverarbeitung einzubeziehen — ähnlicher Aspekte, wie sie etwa auch die Wandlung von der „EDV in Recht und Verwaltung" zur „Rechtsinformatik" kennzeichnen. Motivierung für das heutige Interesse an der Rechtsinformatik ist aber nicht nur eine inzwischen vertiefte Erfassung der Gesetzlichkeiten und Implikationen der „EDV in Recht und Verwaltung". Nicht nur das Verständnis der Anwendungen der DV in Recht und Verwaltung hat sich in den kaum zwei Jahrzehnten ihres Bestehens vertieft, sondern vor allem auch diese Anwendungen selbst haben sich in einer anfangs nicht leicht absehbaren Weise ausgeweitet und verändert. Noch weit darüber hinaus allerdings gehen die Perspektiven künftiger Anwendungen - so weit, daß man heute für die Diskussion und Planung solcher Perspektiven eine eigene, und vor allem kritische, Methodik wird fordern müssen. So ist „der Computer" bereits dabei, sich vom schlichten Verwaltungsroboter zum Nervenzentrum der Regierungen zu entwickeln. Seine Nützlichkeit, z.T. Unentbehrlichkeit für Routineaufgaben der Exekutive (von der Kommunalbis zur Staatsverwaltung) ist in den Industriestaaten heute unzweifelhaft. Aber auch sein Einsatz für Aufgaben der Planung und Information ist erfolgreich in Angriff genommen worden. Die Berichte z.B. über den Einsatz der DV in der Bundesverwaltung 17 und in der Kommunalverwaltung 18 geben darüber Aufschluß. In Deutschland werden heute für viele Länder DV-unterstützte „Landesinformationssysteme" umfassenden Charakters ernsthaft geplant, welche erst im Zeitraum eines Jahrzehnts zu realisieren wären 19 . Für den Bund sei hier an die Überlegungen zu einem „Juristischen Informationssystem" erinnert, welche Umfang, Zeitperspektive und Schwierigkeit eines solchen Unternehmens zugleich zeigen . Hierbei sind noch weitergehende organisatorische Überlegungen zum Informationswesen 21 außer Betracht gelassen. Auch die heute im Planungsstadium stehenden Projekte besitzen dabei eine zwar genau zu differenzierende, in vielen Fällen aber durchaus reale Bedeutung. Hier werden oft heute schon Weichenstellungen für eine Neustrukturierung vorgenommen, welche sich erst viele Jahre später auswirken können und gegenwärtig noch kaum zu Bewußtsein kommen. Insbesondere besteht so
17 18 19 20
21
2. Bericht der Bundesregierung über den Einsatz der DV in der Bundesverwaltung vom 17.4.1970, Bundestags-Drucksache VI/648. Automation in der Verwaltung - Erhebung 1969 zum Funktionskatalog. Anlage 3 zum Rundschreiben Nr. 1/1970 der KGSt So etwa Planungsüberlegungen in Bayern und anderen Ländern. Vgl. den Schlußbericht der gemeinsamen Projektgruppe „Das Juristische Informationssystem - Analyse, Planungen, Vorschläge" hrsg. vom Bundesminister der Justiz, Karslruhe 1972. Vgl. „Das Informationsbankensystem" (Interministerielle Arbeitsgruppe „Datenbanksystem" beim Bundesminister des Innern), Bd. 1 - 3 , Köln 1971/1972.
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die Gefahr, daß viele Wertgesichtspunkte nicht zur Geltung kommen, deren Beachtung allgemein dem Staatsbürger und speziell dem Juristen zukommt. Die Stichworte des DV-Organisationsrechts, des Datenschutzes und der automationsgerechten Gesetzgebung markieren nur den Anfang des heute so nötigen spezifisch juristischen Interesses im Rahmen der Rechtsinformatik. Unter den verschiedenen „Anwendungsinformatiken", d.h. den Spezialisierungen der Informatik in einzelnen Wissenschaftsgebieten wie der Wirtschaftswissenschaft, Technik, Medizin usw. könnte der Rechtsinformatik besondere Bedeutung zukommen. Dies hängt damit zusammen, daß das Recht gerade die Regelung von Informations- und Entscheidungsvorgängen zum Inhalt hat, welche damit auch für die Rechtswissenschaft zum Hauptthema werden. Die Automatisierung in Recht und Verwaltung unterfällt damit unmittelbar einem fachspezifischen Hauptinteresse. Tatsächlich ist die grundsätzliche Bedeutung der DV im Rechts- und Staatswesen inzwischen auch international zu Bewußtsein gekommen. Die Auffassungsweise und Terminologie sind allerdings noch nicht einheitlich. So scheint das französische „informatique juridique" gegenwärtig enger aufgefaßt zu werden als das deutsche „Juristische Informatik" bzw. „Rechtsinformatik"; im angelsächsischen Rechtskreis spricht man noch von „Computers and the Law"; in den Oststaaten scheint der hier gemeinte Komplex eher unter den Terminus „Rechtskybernetik" gebracht zu werden. Das Grundverständnis der Automatisierung im Rechts- und Staatswesen, welches hier unter der Bezeichnung „Juristische Informatik" angedeutet wird, scheint sich jedoch allgemein herausgebildet zu haben. II. Zur Konzeption der Juristischen Informatik Während weitgehend Einigkeit darüber besteht, daß Ausgangspunkt und Gegenstand der Rechtsinformatik die Datenverarbeitung in Recht und Verwaltung bildet, ist die genauere Abgrenzung und Orientierung noch in der Diskussion. Zur Abgrenzung stellt sich z.B. die Frage nach dem Verhältnis zwischen Rechts- und Verwaltungsinformatik. Für die Orientierung wird eine eher erweiternd wirkende Tendenz von Steinmüller vertreten: Rechtsinformatik wird aufgefaßt als die Lehre von den Möglichkeiten, Voraussetzungen und Folgen der EDV im Recht 22 . Die Rechtsinformatik erscheint hier als „Problemwissenschaft", die in voller interdisziplinärer Breite alle Aspekte der DV in Recht und Verwaltung erfaßt. Demgegenüber stellt sich die Frage, ob nicht ganz allgemein jede — auch anwendungsorientierte — Informatik vor allem an das Spezifikum der DV anknüpfen sollte, nämlich an die mathematische Methodik. Zur Vermeidung einengender Mißverständnisse dieser Methodik wird diese hier mit einer für alle mathematischen Wissenschaften und deren Anwendung im weitesten Sinne geltenden Umschreibung „strukturell" genannt. 22
Steinmüller, EDV und Recht, a.a.O., S. 30; ders., JR 1971, a.a.O., S. 3.
Forschungsaufgaben der Juristischen Informatik
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Die Rechtsinformatik könnte so als Strukturwissenschaft gesehen und, wie die Informatik in allen ihren Anwendungsarten, an einer mathematischen Methodik orientiert werden. Obwohl rein klassifikatorische Probleme nicht überbewertet werden sollen, muß doch folgendes betont werden: Die gesellschaftliche Bedeutung der Datenverarbeitung ist nicht allein aus einer Technologie (etwa der Nachrichtenübertragung und -speicherung), sondern gerade in einem tieferen Sinne nur aus der in der Informationsverarbeitung zugrunde gelegten mathematischen Methodik zu verstehen. Die Technologie der Datenverarbeitung ist nichts anderes als eine Verkörperung dieser Methodik. Die gesellschaftliche Bedeutung der Datenverarbeitung hängt danach eng zusammen mit der gesellschaftlichen Bedeutung der Mathematik im weitesten Sinne der „Strukturwissenschaften" (einschl. der formalen Logik, Kybernetik usw.). Demgemäß wird es hier für zweckmäßiger gehalten, auch die Rechtsinformatik schwerpunktmäßig zugleich als methodenorientiert aufzufassen und in ihrem Kern als „Strukturtheorie" zu verstehen 23 . Diese Tendenz verdeutlicht, daß gerade die „strukturellen" Zusammenhänge der Datenverarbeitung für ihre Möglichkeiten, Voraussetzungen und Folgen maßgebend sind. Außerdem bietet sie den Vorteil, daß auch über den Anlaß der tatsächlichen DV-Anwendung hinaus eine spezifische Erweiterung der Rechtsinformatik im Sinne einer Allgemeinen Strukturtheorie der juristischen Information und Entscheidung möglich ist, welche nicht mit der Rechtstheorie schlechthin zusammenfällt. Folgt man der hier vertretenen Tendenz einer spezifisch-methodischen Orientierung, so ist für die Konzeption der Rechtsinformatik folgendes wesentlich: — Ausgangspunkt und Basis der Juristischen Informatik ist die praktische Anwendung der DV in Recht und Staat. Hierbei ist „Recht" gewissermaßen das abstrakte System, „Staat" das zugehörige konkrete System („Recht" als normative Ordnung der organisierten Gesellschaft, d.h. des Staates mit seinen Untergliederungen in Länder, Gemeinden usw.). Es genügt für die moderne Jurisprudenz — und erst recht die Rechtsinformatik — nicht mehr, nur das abstrakte System des Rechts zu betrachten. Gerade für die Anwendungsproblematik der DV ist es unumgänglich, daß man sich auch mit der Realisierung und Fortentwicklung des Rechts in Gesellschaft und Behördenapparat beschäftigt, mit der Wirksamkeit, Kritik und Planung des Rechts. Daher ist die Rechtsinformatik von der Informatik der Regierung, Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz nicht scharf trennbar. Vor allem nach der Vorstellung des „Rechtsstaats" muß sie diese Gebiete zwangsläufig mit einbeziehen.
23
Fiedler, JuS 1971, a.a.O., S. 229.
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- Das Interesse der Juristischen Informatik richtet sich auf die Struktur rechtlich normierter, zugleich als gesellschaftliche Realität betrachteter Zusammenhänge (z.B. Organisationen, Verfahren, Regelungen, Dokumente) im Hinblick auf die Datenverarbeitung. Insbesondere in der mathematisch fundierten empirischen Strukturanalyse von Organisationen, Verfahren, Regelungen, Dokumenten im Hinblick auf die DV-Anwendung sind für eine Juristische Informatik sehr konkret faßbare Ansatzpunkte gegeben, welche für si£ spezifisch sind. Diese Strukturanalyse muß anhand der tatsächlichen Durchführung von DV-Anwendungen laufend überprüft werden. Hieraus ergeben sich die interdisziplinären Verwandtschaften der Rechtsinformatik: methodisch zu den Strukturwissenschaften (Mathematik, Logik, Informatik); inhaltlich zu den Sozial Wissenschaften, insbesondere den „Informationswissenschaften". Durch die Rechtsinformatik tritt der im engsten Sinne rechtswissenschaftliche Aspekt zwangsläufig in Beziehung zur Verwaltungswissenschaft, Justizforschung, Gesetzgebungslehre, Regierungs- und Politikwissenschaft. Neben Rechtsvergleichung und Rechtsgeschichte wird gerade für die Rechtsinformatik eine Rechtszukunftsforschung (Rechtsfuturologie) treten müssen. Das letztere ergibt sich aus der erheblichen Zeitdimension der Planungen von DV-Anwendungen und deren Realisierung. Hier ergibt sich eine konkrete Notwendigkeit der Prognose und Vorausplanung von Recht aus technologischen Gesetzlichkeiten. Eine Rechtsfuturologie oder Zukunftsforschung des Rechts 24 könnte dabei insbesondere 3 Dimensionen einschließen: die Prognose rechtlich relevanter Tatsachen; die Prognose von Rechtsentwicklungen und schließlich eine in einem genaueren Sinne zukunftsbezogene Rechtspolitik. Beim Versuch einer formelartigen Zusammenfassung ergibt sich für die hier vertretene Auffassung etwa die Umschreibung: Rechtsinformatik ist die (strukturell orientierte) Theorie der Datenverarbeitung in Recht und Verwaltung. Faßt man die allgemeine Informatik in dem oben zu (I) angedeuteten weiteren Sinne auf, so würde diese ungefähr der Formulierung entsprechen: Rechtsinformatik ist die spezielle Informatik von Recht und Verwaltung; oder: die Anwendung der Informatik auf rechtliche Zusammenhänge in Staat und Gesellschaft. Demgemäß ist die Rechtsinformatik einerseits an der Anwendung der DV orientiert, enthält andererseits Ansätze zu einer mathematisch fundierten Informationswissenschaft des normativen Bereichs in Staat und Gesellschaft. Noch besser verdeutlichen läßt sich der hier vertretene Standpunkt durch Angabe einer Untergliederung der Rechtsinformatik, nach welcher diese folgende Gebiete umfaßt: a) spezielle Rechtsinformatik, dJi. strukturell orientierte Theorie der DVAnwendung in Recht und Staat (Regierung, Verwaltung, Gesetzgebung, Justiz), 24
Vgl. auch Maihof er, Realistische Jurisprudenz, in: Rechtstheorie, hrsg. v. G. Jahr und W. Maihofer, Frankfurt/M. 1971, S. 427 (S. 430 ff.).
Forschungsaufgaben der Juristischen Informatik
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b) allgemeine Rechtsinformatik, d.h. DV-orientierte Strukturtheorie der rechtlich bestimmten Information und Entscheidung, c) Dogmatik des DV-Rechts und eines allgemeinen Informationsrechts (wegen enger Wechselwirkung zwischen dogmatischen und strukturellen Methoden wird diese dogmatische Disziplin zweckmäßig in den Bereich der Rechtsinformatik einbezogen). Eine Erläuterung scheint hier vor allem zu den Begriffen „strukturell" und „Strukturtheorie" nötig. Diese wurden hier eingeführt als eine solche Umschreibung des Wesens der Formalwissenschaften, wie formale Logik und Mathematik, welche kein einengendes Mißverständnis insbesondere der Mathematik befürchten läßt. Die Hinzufügung dieser Begriffe bedeutet nichts anderes, als daß die hier vertretene Auffassung auch die Rechtsinformatik methodisch an den Formalwissenschaften orientieren möchte. Dies bedeutet zwar insbesondere die Betonung der Bedeutung von Präzisierung und mathematischer Analyse als Voraussetzung der praktischen Anwendung wie des theoretischen Verständnisses von DV-Systemen. Es bedeutet aber nicht das Erfordernis einer Mathematisierung aller Überlegungen im Sinne irgend eines bestimmten, vorgegebenen Formalismus. Die Betonung der Eigenschaft als „Strukturtheorie" soll gerade bedeuten, daß die verschiedensten Mittel der Strukturierung und exakten Beschreibung herangezogen werden können. Hierzu gehören etwa auch exakte Beschreibungen qualitativer Verhältnisse, nicht etwa allein quantitative Beschreibungen. Am besten wird man Ansätze und Möglichkeiten einer „Strukturtheorie" auf juristischem Gebiet anhand schon gelieferter Beispiele struktureller Betrachtungen klarmachen können. Hierher gehören etwa die Strukturuntersuchungen (Systemanalyse) des juristischen Informationswesens, welche für das Projekt „Juristisches Informationssystem" unternommen wurden 2 S . Entsprechendes gilt für andere Planungen und Systemanalysen für DV-Systeme in Recht und Verwaltung. Hierher gehören aber auch die mehr theoretischen Konstruktionen und Strukturüberlegungen zur Datenverarbeitung im Recht 2 6 und ebenso allgemeine strukturwissenschaftliche Untersuchungen im Recht 2 7 .
25
Vgl. oben Anmerkung 20
26
Vgl. z.B. Suhr u.a., Computer als juristischer Gesprächspartner, Berlin 1970; Suhr u.a., Begriffsnetze, Invarianten, Routinen der Kritik, Berlin 1971. Vgl. hier auch einige für Anwendungen der DV evtl. den Weg bereitende Bemühungen der formalen juristischen Logik, z.B. zuletzt Rödig, Die Denkform der Alternative im Recht, Berlin 1969; ders., Untersuchungen zur Struktur gerichtlicher Prozesse, Habilitationsschrift Köln 1972; sowie die Untersuchungen zu einer formalen Modellbildung im Recht, etwa Haag, Rationale Strafzumessung, Köln 1970; v. Linstow, Berechenbares Strafmaß, Diss. Jur. München 1972.
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III. Übersicht zu den Forschungsaufgaben der Rechtsinformatik Die Forschungsaufgaben folgen in ihrer Gliederung der obigen Konzeption. So entsteht z.B. bei der speziellen Rechtsinformatik eine mehr anwendungsorientierte Forschung mit kürzerer Zeitperspektive; der allgemeinen Rechtsinformatik entspricht mehr die Grundlagenforschung mit längerer Zeitperspektive. Die Forschungen zum DV-Recht und Informationsrecht beziehen sich z.T. bereits auf die Gesellschaft des DV-Zeitalters, welches in Abhängigkeit vom Fortschreiten der DV erst bevorsteht und haben daher z.T. futurologischen Charakter. Dieser Sachverhalt sollte besonders hervorgehoben werden; man muß sich bei der Betrachtung rechtsinformatischer Probleme darüber Rechenschaft geben, in welcher Form und in welchen Zeiträumen mit der Realisierung der vorausgesetzten DV-Anwendungen zu rechnen ist. Dies geschieht heute noch zu wenig. Da das Gesamtgebiet der Rechtsinformatik aus Neuland besteht, koinzidiert ein Überblick über offene Forschungsaufgaben heute beinahe mit einer Übersicht ihres Gesamtsystems. Im folgenden wird aber nicht etwa eine vollständige Aufstellung und ein Katalog von Forschungsaufgaben erstrebt, sondern nur eine schwerpunktmäßige Anfuhrung von Beispielen. Diese sollen insbesondere die Möglichkeit und Fruchtbarkeit der Ansätze einer Rechtsinformatik plausibel machen. A) Spezielle Rechtsinformatik 1. Grundaufgaben und Methodik der Automation in Recht und Verwaltung (Strukturanalyse, Systemanalyse, Anwendungspraxis) a) Aufweis automatisierbarer Zusammenhänge b) Darstellung und Erfassung in automationsgeeigneter Form c) Methoden zur Realisierung der Automation und zur Einführung der Datenverarbeitung Schwerpunkte dieser Grundaufgaben sind heute insbesondere: Integrierte Bearbeitung verschiedener Aufgaben der Exekutive; Entwicklung in Richtung auf entscheidungsorientierte Informationssysteme in Recht und Verwaltung; juristische Dokumentation und Information Retrieval; automatische Textverwaltung und Textbearbeitung; document-handling; Dialogmethoden zur Formularbearbeitung und Subsumtionshilfe; Formularauswertung; juristische Programmier- und Dialogsprachen, Datenorganisation. 2. Ansätze zu einer Theorie Über die Behandlung einzelner Fälle hinaus wird sich die juristische Informatik mit der Sammlung und Systematisierung von Erfahrungen sowie der Entwicklung allgemeiner sachbezogener Modelle befassen. Hier ergeben sich insbesondere folgende Themen: a) juristische Datenkataloge, Datenstrukturen; Zusammenhang mit juristischen Tatbeständen;Merkmalkataloge, Kombinatorik der Merkmale und Tatbestände;
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b) juristische Funktionskataloge, algorithmische Formulierung von Verfahrensweisen (auch kombinierte Verfahren im Dialog von menschlichen und maschinellen Beiträgen, Mensch als „Orakel"); c) Organisationstheorie der juristischen Automation (insbesondere „Integration", auch bei mehreren Aufgabenträgern; institutionelle und funktionelle Organisation); d) Verfolgung der strukturellen Auswirkungen der Automation in Recht und Staat (auch Mensch-Maschine-Systeme, Beziehungen zwischen Gruppen, Institutionen und DV-Systemen; organisatorische Folgerungen). Ansätze für Theoriebildungen liefern insbesondere noch die Systemanalyse und das Operations Research von Verwaltung, Gesetzgebung, Rechtspflege und Regierung. Dies bedingt zugleich einen kooperativen, interdisziplinären Arbeitsstil zusammen mit Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften. B) Allgemeine Rechtsinformatik Die Datenverarbeitung gibt vielfältigen Anlaß zu strukturellen Untersuchungen juristischer Zusammenhänge für DV-Anwendungen. Solche Untersuchungen weisen dabei oft über den begrenzten Zweck der DV-Anwendung hinaus auf eine allgemeine Systemtheorie und „Strukturtheorie" juristischer Zusammenhänge, insbesondere natürlich der juristischen Information und Entscheidung. Hierher gehören (soweit an der Möglichkeit der DV orientiert): 1. Allgemeine Strukturtheorie der juristischen Organisation, Information und Entscheidung. Zu erwähnen sind: Strukturtheorie justistischer Organisation (auch Staatsund Verwaltungslehre); Strukturen und Typologie von Informationssystemen in Recht und Verwaltung; Strukturtheorie juristischer Regelungen und Entscheidungen (juristische Methodenlehre); Strukturanalyse juristischer Verfahren (in Anknüpfung an das Operations Research und die Spieltheorie); hierher gehört auch eine juristische Kybernetik i.S. der Lehre von der Steuerung und Regelung dynamischer Systeme in Recht und Verwaltung. 2. Strukturtheorie der sprachlichen Darstellung und Kommunikation im rechtlichen Bereich. Zu erwähnen sind: Formalisierung, formale Sprachen, formale Logik (auch normative und „deontische" Systeme; Modallogik); Dokumente und Formulare im Recht; formatierte oder teilweise formatierte Darstellungen, insbesondere von Rechtsnormen und Entscheidungen; Theorie der Dokumentation in Recht und Verwaltung; strukturelle Linguistik im juristischen Bereich. C) Theorie des DV-Rechts und eines allgemeinen Informationsrechts Neben die Rechtsinformatik i.e.S., welche die oben genannte spezielle und allgemeine Rechtsinformatik umfaßt, tritt innerhalb der Rechtsinformatik im
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weiteren Sinne auch noch die Theorie des DV-Rechts und eines allgemeinen Informationsrechts. Diese Theorie umfaßt sowohl die Dogmatik wie auch die Rechtspolitik der genannten Gebiete. Hierzu wären insbesondere zu nennen: 1. Wechselwirkung zwischen DV-Struktur und rechtlicher Normierung. Natürlich sind die Strukturfragen der DV und DV-Anwendung von deren positivrechtlicher Normierung zu trennen (hier deutet sich eine methodische Trennung an: Rechtsinformatik-Dogmatik des Informationsrechts). Jedoch müssen sie dabei trotzdem wieder zueinander in Beziehung gesetzt werden, wie sie auch effektiv in einem Verhältnis der Wechselwirkung stehen. Auch diese Wechselwirkung gehört zu den Gegenständen der Juristischen Informatik i.w.S. a) Rechtliche Normierungen der DV werden notwendig, beeinflussen so die DV und DV-Anwendung. — Beispiele: Datenschutz; Regelung der DV-Organisation im Behördenbereich. b) Andererseits beeinflußt die Entwicklung der DV die bestehenden rechtlichen Regelungen und ist insofern ein wichtiger Faktor der Rechtspolitik. — Beispiele: automationsgerechte Rechtssetzung; automationsgerechte Rechtsprechung (hinsichtlich der Dokumentation); automationsfreundliche Verfahren in Recht und Verwaltung (z.B. für Kontrolle und Rechnungsprüfung). c) Die Wechselwirkung zwischen DV und Recht ist natürlich my zum Teil eine unmittelbare und berührt ebenso nur zum Teil „strukturelle" Zusammenhänge. Zum Teil beruht diese Wechselwirkung auf der Veränderung irgendwelcher gesellschaftlichen Zustände durch die DV. Hierher gehören z.B. Auswirkungen für das Urheber- und Wettbewerbsrecht (z.B. Frage des Schutzes von Computerprogrammen). 2. Modelle und Hilfsmittel für eine rechtliche Regelung der Information im DV-Zeitalter Nach der obigen Abgrenzung sind solche Modelle und Hilfsmittel hier vor allem soweit einzubeziehen, als sie strukturelle Zusammenhänge betreffen. Zu erwähnen sind insbesondere, mit dieser Nebenbedingung: rechtspolitische Überlegungen zum DV-Recht; Informationsrecht (im objektiven Sinne); Sicherung bzw. Neubegründung verfassungsrechtlicher Grundbegriffe, wie Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat, Gewaltenteilung usw. im DV-Zeitalter; Beziehungen zur Futurologie und Friedensforschung. Bei allen hier genannten Überlegungen wird es darauf ankommen, einerseits von positivrechtlichen Zusammenhängen auszugehen und die juristische Methodik zu beachten, andererseits sich durch die Methoden der Mathematik, DV und Systemtheorie anregen zu lassen und auch abzusichern.
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Hieraus ergibt sich schon, daß das Recht der DV neben den strukturellen auch inhaltliche Zusammenhänge wird berücksichtigen müssen. Es ist wahrscheinlich, daß sich im Zusammenhang mit der DV ein ganzes Gebiet des Datenund Informationsrechts entwickelt. Dieses würde den üblichen Regeln der juristischen Dogmatik unterstehen und dann ein Gegenstück zur durch strukturelle Zusammenhänge bestimmten Rechtsinformatik bilden, mit der es natürlich in enger Wechselbeziehung stehen müßte, sodaß es auch in deren Zusammenhang zu behandeln wäre. Angesichts der großen Bedeutung, welche das Recht der DV und Information bald gewinnen wird, sollte jedoch nicht der falsche Eindruck erweckt werden, als sei „Rechtsinformatik" einfach eine neue dogmatische Disziplin. Dieses Verständnis wäre fiir den Juristen sicherlich bequemer, würde aber nicht eigentlich weiterfuhren. Das Novum und die Chance der Rechtsinformatik liegt nicht so sehr in einem neuen Gegenstandsbereich der juristischen Dogmatik, als in einer neuen Betrachtungsweise und Methodik, welche in die Rechtswissenschaft eindringt. Diese verkörpert sich vor allem in dem, was hier Rechtsinformatik i.e.S. (in Unterscheidung vom Informationsrecht) genannt wurde, also in einer von der DV ausgehenden Strukturtheorie. Diese kann in einer grundsätzlichen Weise für die verschiedensten Zweige des Rechts und der Rechtsiwssenschaft neuartige Beziehungen zu den Foimalwissenschaften wie auch zu den empirischen Sozialwissenschaften herstellen helfen. Als Beispiel sei hier nur eine mathematisch und empirisch fundierte „Benutzerforschung" oder „Systemforschung" in Recht und Verwaltung genannt 28 . IV. Das Projekt „Juristisches Informationssystem" als Anlaß und Beispiel rechtsinformatischer Forschung Mitte 1972 wurde der Schlußbericht einer gemeinsamen Projektgruppe veröffentlicht, welcher die Grobkonzeption eines Juristischen Informationssystems für die Bundesrepublik zum Gegenstand hat 2 9 . Hier soll natürlich nicht in eine Sachdiskussion über diese Konzeption eingetreten werden 30 . Es 28
Vgl. in diesem Zusammenhang etwa auch die Untersuchungen „Rechtstatsachen zur Dauer des Zivilprozesses" (Modell einer Gesetzesvorbereitung mittels EDV), hrsg. von Baumgärtel-Mes (1. Instanz, 2. Aufl.) und Baumgärtel-Hohmann (2. Instanz), Köln 1972.
29
„Das Juristische Informationssystem . . . ", a.a.O., (Anm. 20).
30
Vgl. zur Diskussionsphase vor der Veröffentlichung des Schlußberichts, anknüpfend an die Tagung der Rechtswissenschaft über das Projekt „Juristisches Informationssystem" bei der GMD am 29./30.4.1971 insbes. die Schriften: Bürck, Aktuelle Probleme der geplanten Juristischen Bundesdatenbank, in: Der Betrieb 1972, S. 321;Dammann, Juristische Dokumentationssysteme und Rechtsentwicklung, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 1971, S. 287; Kilian, Diskussionstagung zum Vorhaben einer Juristischen Datenbank, in: NJW 1971, S. 1397; Uhlig, Zur Problematik eines Juristischen Informationssystems, in: JZ 1971, S. 644; Zielinski, Die Juristische Bundesdatenbank als rechtspolitisches Problem, in: JZ 1971, S. 409.
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kann aber dieses Projekt als typisches Beispiel dafür angeführt werden, wie durch große DV-Vorhaben rechtsinformatische Forschung veranlaßt und z.T. auch unmittelbar gefördert wird. An diesem Beispiel erweist sich die Systemanalyse zugleich als eine Art Forschungsmethodik für komplexe juristische und soziologische Sachverhalte. Es handelt sich hier z.T. um systematisch anwendbare Verfahren, welche ebenso konstruktive wie kritische Beiträge ergeben und insbesondere zur Aufdeckung von Strukturen fuhren können. Tatsächlich hat die Projektarbeit hier zu einem wesentlichen Teil Forschungsergebnisse geliefert und auch liefern müssen, die in sich interessant sind und eine Grundlage vieler späterer Überlegungen bilden können. Demgemäß erfolgt auch die Darstellung im Schlußbericht so, daß die Vorschläge von den Arnlysen und Erkenntnissen möglichst getrennt dargestellt wurden. A Einige Teilergebnisse der Untersuchungen betreffen z.B.: 1. Strukturelle und insbesondere quantitative Aspekte wichtiger juristischer Dokumentmengen (Wie groß ist der Bestand? Wie groß ist der jeweilige Neuzugang? Welche Formate treten auf? Alle diese Fragen sind bis jetzt kaum genauer erforscht worden) 2. Kategorisierung und quantitative Aspekte wichtiger Benutzergruppen (Dies wäre in einer Benutzerforschung mit sozialwissenschaftlichen Methoden fortzusetzen. Auch hier liegen bislang noch viel zu wenige Forschungsergebnisse vor) 3. Informationsverhalten der Juristen und evtl. Benutzer einschließlich der Ansätze zu einer theoretischen Analyse (Verhalten als Konsumenten, Produzenten, Verarbeiter; dies war bisher eine Domäne der juristischen Methodenlehre, welche aber dabei in anderer Weise vorgeht als die hier angestellten Untersuchungen) 4. Hardwaremäßige Rahmenvorstellungen großer Informationssysteme (Kapazität, Verarbeitungs- und Übertragungsgeschwindigkeiten. Es zeigt sich, daß für ein umfassendes Juristisches Informationssystem bereits hier kritische Fragen auftreten können) 5. Softwarefragen von Dokumentation und Information-Retrieval (einschließlich der Beurteilung wichtiger bestehender juristischer Dokumentationssysteme. Hier ergaben sich durch Besuche und konkretes Studium z.T. desillusionierende Wirkungen gegenüber manchen Meinungen der Literatur im Stile von „in USA hat man schon . . . " Weitere Aufgabe: Differenzierung von Systemtypen) 6. Organisationsfragen eines Juristischen Informationssystems, nach Seite der Datenerfassung wie auch der Abfrage 7. Kompatibilitätsfragen gegenüber anderen Systemen
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B Teilergebnisse führten in gegenseitiger Rückkoppelung zu Modellkonstruktionen und damit ebenso zu neuen Strukturerkenntnissen wie zu neuen Fragen Hier wären insbesondere folgende einzelne Rückkoppelungszusammenhänge zu erwähnen, die natürlich untereinander auch wieder zusammenhängen: 1. Rückkoppelung zwischen dem Mengengerüst der Benutzer und Dokumente einerseits, der verfügbaren Hardware andererseits 2. Rückkoppelung zwischen dem Inhalt der Benutzerbedürfnisse einerseits, der Retrieval-Software andererseits 3. Rückkoppelung zwischen der Systemkonzeption mit ihren Auswirkungen einerseits, den Prinzipien der Rechts- und Verfassungsordnung andererseits C Aus diesen Teilergebnissen folgen einerseits Ansätze zu einem realistischen Systemvorschlag und zur Methodik des weiteren Vorgehens. Hierin liegt der konstruktive Beitrag und der Hauptinhalt der Vorschläge des Projekts. Andererseits ergaben sich aber auch neue kritische Fragen, Hinweise auf Lücken des Wissens und der Forschung. Hieraus ergab sich insbesondere ein Anstoß zur ,,Parallelforschung" neben der künftigen Entwicklungsarbeit. „Kritische" Fragen z.B.: 1. Was kann elektronische Rechtsdokumentation für den Rechtsstaat leisten? Was hat sie z.B. in USA für die Stärkung des Rechtsstaats geleistet? 2. Wie können Rechtstatsachen oder Sozialdaten in juristischen Verfahren methodisch verwendet werden? Wie können diese Begriffe dabei überhaupt präzisiert werden? 3. Wie werden Gerichtsentscheidungen publiziert oder nicht publiziert? (Publikationspraxis, Auswahlkriterien) 4. Wie ist das juristische Problemlösungsverhalten tatsächlich strukturell beschaffen, welche Unterstützungen könnten sinnvollerweise computerisiert gegeben werden? Hiermit sei die kurze Betrachtung zur exemplarischen Rolle des Projekts „Juristisches Informationssystem" abgeschlossen. Trotz ihres zwangsläufig sehr fragmentarischen und unvollkommenen Charakters dürfte sie zeigen, welch große Bedeutung die Anwendungen der Rechtsinformatik für Recht und Rechtswissenschaft besitzen. Vor allem die rechtswissenschaftlichen Fakultäten werden sich im Sinne einer auch interdisziplinären Zusammenarbeit viel stärker als bisher hieran beteiligen müssen.
DVR-Beiheft
J. Schweitzer Verlag • Berlin PODLECH
Datenschutz im Bereich der öffentlichen Verwaltung Entwürfe eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 75 GG) zur Einführung einer Rahmenkompetenz für Datenschutz und eines Bundesdatenschutz-Rahmengesetzes. Von Dr. phil. Dr. jur. Adalbert Podlech, Universitätsdozent in Heidelberg. Oktav. X V I , 97 Seiten. 1973. Kartoniert DM 6 4 , - ISBN 3 8059 0339 1 (Datenverarbeitung im Recht, Beiheft 1) Jede Datenschutzregelung im Bereich der öffentlichen Verwaltung hat zum Ziel, unerwünschte, insbesondere verfassungswidrige Informationsverarbeitung und Informationskonzentrierung zu verhindern. Der hier vorgelegte Alternativ-Entwurf zum Referenten-Entwurf eines Bundesdatenschutz-Gesetzes zeichnet sich dadurch aus, daß er versucht, von außen unkontrollierbare Verstöße gegen Datenschutzregelungen zu unterbinden. Dies gelingt nur durch eine geeignet gewählte Kombination organisatorischer und technischer Gesichtspunkte. Die Datenverwaltung integrierter Informationssysteme w i r d von der materiellen öffentlichen Verwaltung getrennt und eigenen Rechtsprinzipien und Verfahren unterstellt. Die wichtigsten Rechtsprinzipien sind dabei die Grundsätze der Erforderlichkeit und Gesetzmäßigkeit der Informationserhebung und des Informationsaustausches. Erstmals finden sich in diesem Entwurf auch Vorschläge zur prozessualen Behandlung von EDV-Programmen, die in der öffentlichen Verwaltung Anwendung finden.