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German Pages 652 [654] Year 2021
Mittelalterrezeption im Musiktheater
Mittelalterrezeption im Musiktheater
Ein stoffgeschichtliches Handbuch Herausgegeben von Christian Buhr, Michael Waltenberger und Bernd Zegowitz
ISBN 978-3-11-042610-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-042408-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-042423-2
Library of Congress Control Number: 2020950691 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Szenenbild aus Richard Wagners „Parsifal“, Dutch National Opera, Premiere 12.06.2012, Bühnenbild Anish Kapoor, Fotografie: © Ruth Walz Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: CPI booksGmbH, Leck www.degruyter.com
Inhaltsverzeichnis Vorwort IX Christian Buhr, Michael Waltenberger, Bernd Zegowitz
1 Eng an mittelalterliche Historie anschließende Stoffe 1.1 Einleitung 3 Christian Buhr 1.2
Personenzentrierte Stoffe
Agnes Bernauer Robert Gervasi
9
9
Cid 22 Gerhard Wild
Johanna von Orléans Frieder von Ammon
41
Karolinger 54 Bernhard Jahn Macbeth 71 Arnold Jacobshagen Ottonen 82 Christian Seebald
Richard Löwenherz Christian Seebald
Robin Hood 110 Christiane Hansen
Staufer und Welfen Bernd Zegowitz
Tamerlan 147 Bernhard Jahn
Wilhelm Tell 159 Martin Schneider
98
128
VI 1.3
Inhaltsverzeichnis
Ereigniszentrierte Stoffe
171
171 Kreuzzüge Tina Hartmann
2 Eng an mittelalterliche Dichtung anschließende Stoffe 2.1 Einleitung 189 Michael Waltenberger 2.2
Biographische Stoffe
2.3
Dichter und Sänger Andrea Schindler
Heroische Stoffe
201 201
228
Emma und Eginhard Bernd Zegowitz
228
Kudrun 234 Christian Buhr Nibelungen 247 Volker Mertens 2.4
Wieland der Schmied Bernd Zegowitz
Höfische Stoffe
264
275
275 Artus Martin-M. Langner
Aucassin und Nicolette Christian Buhr
Lancelot 299 Michael Waltenberger Lohengrin 314 Elke Ukena-Best Merlin 328 Norbert Abels
287
Inhaltsverzeichnis
VII
346 Parzival Volker Mertens Tristan 359 Christian Buhr, Florian Kragl 2.5
Legendarische Stoffe
375
Der arme Heinrich Andrea Schindler
St. Franziskus von Assisi Jürgen Maehder
375 380
Genoveva 389 Pia Selmayr 2.6
Märchen- und sagenhafte Stoffe
398
398 Melusine Daniela Fuhrmann Turandot 412 Kii-Ming Lo Undine 423 Jörg Krämer 2.7
Novelleske Stoffe
438
438 Griselda Albert Gier
3 Eng an Werke neuzeitlicher Autoren anschließende Stoffe 3.1 Einleitung 453 Bernd Zegowitz 3.2
Dante, Ariost, Tasso
460
Alcina und Ruggiero Bernhard Jahn
460
Armida und Rinaldo Albert Gier
473
VIII
Inhaltsverzeichnis
Francesca da Rimini Albert Gier
494
Roland 510 Florian Mehltretter Tankred 525 Florian Mehltretter 3.3
Walter Scott
535
535 Ivanhoe Barbara Eichner Literaturverzeichnis
551
Register der AutorInnen und Werke Verzeichnis der BeiträgerInnen
595
639
Vorwort Christian Buhr, Michael Waltenberger, Bernd Zegowitz Seit das medium aevum durch die Humanisten für überwunden erklärt worden ist, hat die europäische Kultur, um mit Umberto Eco zu sprechen, immer wieder neue und andere „Arten“ entwickelt, „vom Mittelalter zu träumen“. In den Wissenschaften ebenso wie in den Künsten wurde das Mittelalter für die Moderne zu einer wichtigen Reflexions- und Projektionsfläche: Auf ihr konnten Ursprünge und Utopien imaginiert werden; kollektiv Erwünschtes und Verdrängtes konnte als Spiegel- wie als Gegenbild der eigenen kulturellen und politischen Ansprüche erscheinen. Unter diesem Aspekt kommt den theatralen – und besonders den musiktheatralen – Ausformungen dieses Imaginären im Vergleich etwa zu literarischen oder bildkünstlerischen Mittelalterdarstellungen ein erhöhter Sym ptomwert zu: Der gesteigerte materielle, logistische und technische Aufwand, der kollaborative Produktionsprozess und die Öffentlichkeit der Aufführung setzen Institutionalität und ein politisch wie ökonomisch plausibles Kalkül mit den aktuellen Interessen des jeweiligen Publikums voraus. Stärker als bei anderen Formen der ‚produktiven Mittelalterrezeption‘ tritt insofern bei den musiktheatralen Adaptationen mittelalterlicher Stoffe und Sujets deren jeweilige „Gegenwartsbestimmtheit“ (Jürgen Kühnel) vor Augen. Aus den gleichen Gründen lässt sich allerdings dieser kulturelle Symptomwert schwerlich im Rahmen einer konsequent fortschreitenden Rezeptionsgeschichte fassen: Der (mehr oder weniger vermittelte) adaptierende Bezug auf mittelalterliche Prätexte ist lediglich Teilkomponente eines Komplexes, in dem literatur-, theater-, medien- und musikgeschichtliche Transformationen mit wechselnden pragmatischen und ökonomischen Faktoren von Fall zu Fall zusammenwirken. In der Abfolge musiktheatraler Aktualisierungen eines Sujets kann man deshalb zwar immer wieder einzelne prägnante Rezeptionsverhältnisse erkennen, zum Beispiel bei mehrfach vertonten Libretti oder Parodien erfolgreicher Opern. Historisch aussagekräftig sind auch unterschiedliche musiktheatrale Adaptationen derselben literarischen Vorlage (etwa die Opern nach Giovanni Boccaccios Griselda-Novelle) sowie dezidierte musiktheatrale Alternativprojekte (etwa Jules Massenets Esclarmonde als französischer Gegenentwurf zum Mittelalter des Wagner’schen Musikdramas). Aber eine aus sich selbst heraus folgerichtige Entwicklung mit größerer Reichweite – oder gar eine stimmige Synthese zur ‚Geschichte der Mittelalteroper‘ – ergibt sich daraus nicht. Historische Aussagekraft gewinnen die einschlägigen Werke weniger als Stationen eines konsequent verlaufenden Rezeptionsprozesses, sondern vor allem als markante Verdichtungen des gesellschaftlichen Imaginären in der Überhttps://doi.org/10.1515/9783110424089-201
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Vorwort
lagerung vielfältiger und je unterschiedlicher kultureller Bedingungen und Einflüsse. Unter dieser Perspektive sind nicht nur die wenigen Stoffkreise interessant, die längerfristig und relativ kontinuierlich auf der Bühne des Musiktheaters präsent sind (z. B. der arthurische Magier Merlin, Torquato Tassos Armida und Rinaldo oder auch die Heldenfiguren Roland und El Cid), sondern etwa auch diejenigen, die innerhalb knapper Zeitspannen erstaunlich produktiv werden, um dann wieder aus dem Blickfeld zu geraten (z. B. Kudrun oder Walther von der Vogelweide), und solche, die zunächst isoliert auftreten, um sehr viel später erneut aufgegriffen zu werden (z. B. Hans Pfitzners Armer Heinrich nach Hartmann von Aue asierende und Ernst August Klötzkes neue, auf Tankred Dorsts Dramatisierung b Bearbeitung des Stoffs). Gerade auch in solchen diskontinuierlichen Verläufen können sich unterhalb volatiler Vorlieben ein Wandel ästhetischer Normen und fundamentale kulturelle und diskursive Verschiebungen abzeichnen. Indizien dafür liefern nicht nur erfolgreiche, sondern auch scheiternde Versuche der Popularisierung von Mittelalterbildern. Und kulturhistorisch signifikant ist nicht nur die kaum zu überschätzende Strahlkraft der mediävalen Musikdramen Richard Wagners, sondern ebenso die unregelmäßig verteilte Vielzahl einschlägiger, für sich genommen meist nur kurzlebiger Produktionen der Mittelalteropern kaum bekannter Literaten und Kapellmeister, an der wechselnde Konjunkturen bestimmter Stoffe und Sujets abzulesen sind. Auch hier nämlich vollzieht sich eine fundamentale ‚Arbeit am Mythos‘ als gegenwartsbestimmte Verhandlung grundlegender kultureller Differenzen unter den Bedingungen einer historisch entfernten Welt: Gerade an stereotyper Zuspitzung und simpler dramaturgischer Antithetik lassen sich wirksame Funktionalisierungen von Mittelaltersujets etwa für Entwürfe traditionaler gesellschaftlicher Ordnung und patriarchaler Geschlechterdifferenz, nationaler Identität und geschichtlich begründeter Machtansprüche besonders gut ablesen. Dieses disperse Feld des kollektiven ‚Traums‘ vom Mittelalter ist bisher nur oberflächlich beleuchtet worden. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass seine Erschließung eine Bündelung unterschiedlicher disziplinärer Kompetenzen und Kenntnisse erfordert – ein Aufwand, der im gemeinsamen Blick etwa auf das Phänomen Wagner gerechtfertigt erscheinen mag, kaum aber für die ‚Niederungen‘ des musikdramatischen Alltagsgeschäfts. Das Handbuch Mittelalterrezeption im Musiktheater hat vor diesem Hintergrund weder den Anspruch einer vollständigen lexikalischen Abdeckung seines Gegenstandsbereichs noch den einer zusammenfassenden und systematisch vereinheitlichenden Bestandsaufnahme gesicherten Wissens. Vielmehr versteht es sich als Vademecum, das exemplarische Zugänge in ein nur grob vorkartiertes
Vorwort
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Gebiet eröffnet. Mit seiner Hilfe lassen sich einzelne stoffgeschichtliche Linien verfolgen, die zu weiterreichenden historischen Metamorphosen des mediävalen Imaginären führen. Es soll also zum einen als Nachschlagewerk grundlegende Informationen zur Rezeption zentraler mittelalterlicher Stoffe bieten und in dieser Hinsicht den je aktuellen Forschungsstand dokumentieren; zum andern bietet es im genaueren Blick auf einzelne, oft bislang kaum oder allenfalls im engeren fachgeschichtlichen Skopus betrachtete Werke und Werkgruppen Ansätze zur Rekonstruktion charakteristischer kulturhistorischer Zusammenhänge. Für die Recherche nach Rahmendaten einschlägiger Werke in ihrer Gesamtheit stehen bereits geeignete Kataloge und Datenbanken zur Verfügung. Wir beschränken uns hier stattdessen auf eine begrenzte Anzahl paradigmatischer Stoffgebiete, ausgewählt einerseits nach Maßgabe ihrer aktuellen Präsenz auf der Opernbühne, andererseits auch aufgrund eines besonderen historischen Symptomwerts. Wie dabei der Mittelalterbezug der Stoffe historisch einzugrenzen ist, scheint im Hinblick auf den Beginn der Epoche relativ unproblematisch: Solange im allgemeinen Bewusstsein der Zerfall des Römischen Reichs und der Verlust kultureller und zivilisatorischer Errungenschaften das Mittelalter – oder auch positiv: die Durchsetzung des Christentums und die Ursprünge nationaler Identitäten und Gemeinschaften – konstitutiv bruchhaft gegen die ‚klassische‘ Antike abgrenzt, ist auch die künstlerische, literarische und (musik)dramatische Charakteristik der Epoche im Hinblick auf Handlungsmuster, Figurentypen und motivisches Kolorit deutlich vom Bild der Antike zu unterscheiden. So gehören etwa die Stoffkreise um karolingische und ottonische Herrscher, um die Nibelungen oder die Artusritterschaft bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein relativ klar dem imaginären Mittelalter an, obwohl ihre historischen Hintergründe – Reichsgründung, Völkerwanderung, Vordringen der Angelsachsen in Britannien – aus heutiger Sicht einer differenziert zu betrachtenden breiten Übergangsphase zuzurechnen wären; einer Phase, deren historischer Eigenwert erst seit den letzten Jahrzehnten im neu etablierten Begriff der late antiquity zum Ausdruck kommt. Grenzlinien in den Übergangsbereichen zwischen mittelalterlichen und renaissancehaften Stoffen lassen sich dagegen schwieriger und nicht ohne pragmatische Willkür ziehen. Hier haben wir uns entschlossen, auf strikt chronologische Kriterien zu verzichten (die ohnehin national ganz unterschiedlich ausfallen würden), sondern jeweils die zeitgenössischen Zuordnungen zur Typologie der Epochen zu beachten. So bleibt etwa der Faust-Stoff als paradigmatische Ausprägung renaissancehafter Themen ausgeklammert, ebenso die musiktheatralen Produkte der Renaissance-‚Mode‘ in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts (z. B. Max von Schillings Mona Lisa, Franz Schrekers Die Gezeichneten, Erich Wolfgang Korngolds Violanta, Alexander von Zemlinskys Eine florentinische
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Vorwort
Tragödie). Ausgeschlossen werden außerdem Sujets, die nicht auf eine längere Tradition zurückgeführt werden können, sondern erst im zwanzigsten Jahrhundert in lockerer motivisch-atmosphärischer Anknüpfung an Mittelalterliches ausgeformt werden (z. B. Schrekers Der Schatzgräber und Der singende Teufel, Max von Schillings Der Pfeifertag). Gattungsmäßig konzentriert sich das Handbuch auf Oper bzw. Musikdrama; einbezogen werden jedoch auch Operette und Musical. Ballette und Oratorien werden nur im Einzelfall berücksichtigt, soweit sie innerhalb konkreter Rezeptionsgeschichten eine markantere Rolle spielen. Einem fachwissenschaftlichen oder studentischen Publikum dürften sich damit Gegenstandsbereiche neu erschließen, die bisher im toten Winkel eingeschliffener historischer Sichtweisen kaum Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten. Über den engeren akademischen Bereich hinaus soll mit unserem Handbuch aber auch ein weiterer Leserkreis angesprochen werden: Theaterschaffende, Opernfreunde und allgemein literarisch Interessierte, die sich eingehender mit der Geschichte der auf der Bühne präsentierten mittelalterlichen Stoffe beschäftigen wollen, werden den Band nicht nur zum schnellen Nachschlagen in die Hand nehmen. Seiner Anlage nach kann er auch als Lesebuch benutzt werden, dessen Lektüre ungewohnte Perspektiven auf bekannte Werke bietet und spannende Einblicke in historisch fremdgewordene Tiefenschichten der eigenen Kultur erlaubt. Im Hauptteil des Handbuchs werden die Stoffe drei großen Gruppen zugeordnet, und zwar nach dem jeweils prägenden Bezug auf mittelalterliche Historie (1.), mittelalterliche Dichtung (2.) oder auf Dichtungen einzelner nachmittelalterlicher Autoren (3.). Knappe Einleitungen der Herausgeber führen jeweils in die Thematik ein, ein Register der AutorInnen und Werke erschließt den Inhalt des Hauptteils. Um die Lektüre zu erleichtern, wird auf Fußnoten verzichtet; notwendige Literaturangaben werden im Haupttext durch Kurznachweise geliefert, die sich anhand eines Literaturverzeichnisses im Anhang des Bands auflösen lassen. Alle Artikel folgen einem einheitlichen Schema, das die oben beschriebene Zielsetzung des Handbuchs umsetzt. 1. Ein erster Abschnitt („Präsenz des Sujets“) informiert in knapper Form über die in jüngerer Zeit auf der Bühne präsenten musiktheatralen Werke auf der Basis des jeweiligen Sujets. Er liefert die wichtigsten Daten zu Librettisten und Komponisten, zum Entstehungsprozess und zur Uraufführung. Kurze Inhaltsangaben bieten einen Überblick über die konkrete Umsetzung des Stoffs. 2. Anknüpfend an unmittelbar benutzte Vorlagen und indirekt nachwirkende Prätexte wendet sich die Darstellung anschließend unter der Rubrik „Historische Schichten“ früheren musiktheatralen wie dramatischen und litera-
Vorwort
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rischen Gestaltungen des Sujets zu, deren Charakteristik mit Rücksicht auf relevante gesellschaftliche und kulturelle Kontexte herausgearbeitet wird. Über mehrere epochale Schwellen hinweg geht die Darstellung sodann bis auf die ersten textuell manifesten Zeugnisse für das Sujet zurück. Schon strukturell werden auf diese Weise konventionelle Bahnen einer Rezeptionsgeschichte vermieden, die etwa das ‚Fortleben‘ mittelalterlicher Stoffe am Maß eines adäquaten Verständnisses – oder eben des Missverstehens – der Ausgangstexte beurteilt oder eine innere Entwicklungslogik der Stofftradition voraussetzt. Stattdessen können gleichsam ‚archäologische‘ Querschnitte sich überlagernder Rezeptionsschichten freigelegt werden. Auf diese Weise tritt die Einbettung der einzelnen Werke in ihr jeweiliges kulturelles Umfeld umso deutlicher hervor; konturiert werden die Unterschiede in den pragmatischen und sozialen Rahmenbedingungen, in der Konfiguration der Medien, in den Wirkabsichten und Erwartungshorizonten. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei epochalen Verschiebungen in der Perspektivierung und Funktionalisierung ‚des‘ Mittelalters. 3. Dem stoffgeschichtlichen Ansatz des Handbuchs entsprechend liegt der Fokus der historischen Darstellung stets auf dem literarischen Gehalt des jeweils besprochenen musikdramatischen Werks. Die Klangsprache des Komponisten und die besonderen Eigenheiten der Partitur finden in den einzelnen Artikeln nur dort Erwähnung, wo ein entsprechender Vermerk dazu beitragen kann, eine spezifische Form der Aneignung oder Ausdeutung des mittelalterlichen Stoffs sichtbar zu machen. 4. Jedem Artikel ist eine chronologisch aufsteigend geordnete Liste der einschlä gigen musiktheatralen Werke („Werkliste“) angefügt. Die einzelnen Einträge umfassen neben dem Titel und der Gattungsbezeichnung – diese ist in doppelte Anführungszeichen gesetzt, wenn sie sich anhand der verfügbaren Quellen verifizieren ließ –, den Komponisten und Librettisten sowie Datum und Ort der Uraufführung bzw., falls deutlich früher, die Entstehungszeit. Zusätze und Mutmaßungen sind in eckige Klammern gesetzt. Der Dank der Herausgeber gilt zum einen den Autorinnen und Autoren, zum anderen den Lektorinnen und Lektoren des Verlags und ganz besonders dem im Mai 2020 verstorbenen Dr. Jacob Klingner für seine vertrauensvolle und zielführende Betreuung. Zu danken ist zudem Beatrice Adelheid May, Pia Amelung, Larissa Gajewi und Jan Habermehl für ihre Hilfe bei der Einrichtung der Beiträge, des Literaturverzeichnisses und des Registers.
1 Eng an mittelalterliche Historie anschließende Stoffe
1.1 Einleitung Christian Buhr Erwächst in den meisten europäischen Volkssprachen eine eigenständige Tradition literarischer Dichtung nicht vor dem späten elften oder zwölften Jahrhundert, sodass mittelalterliche Werke, die sich als Prätexte für spätere Librettisten und Opernkomponisten eigneten, einem vergleichsweise eng umfassten Zeitraum entstammen, reicht jene Epoche, die gemeinhin als das ‚mittlere Zeitalter‘ (medium aevum) angesehen wird, erheblich darüber hinaus. Bemessen am allgemeinen Forschungskonsens umfasst das Mittelalter sämtliche Zeitläufte vom Untergang Westroms im Jahr 476. n. Chr. bis zum Zeitalter des Buchdrucks und der Reformation. Entsprechend vielfältig ist das Spektrum dessen, was diese rund tausendjährige Epoche an historischen Stoffen anzubieten hat: die Wirren der Völkerwanderung und die Herrschaft der Langobarden in Italien, die großen Dynastien des Mittelalters, daneben Städtegründungen, Kriege, Glaubenskämpfe und politische Umbrüche. Eingang in die Librettistik fanden freilich auch herausragende Persönlichkeiten wie Heinrich der Löwe (→ Staufer und Welfen), Konradin (→ Staufer und Welfen) oder Jeanne d’Arc (→ Johanna von Orléans), streitbare Charaktere wie der → Cid, → Robin Hood oder → Tamerlan und literarisch wirkmächtige Einzelschicksale wie die Liebes- und Lebensgeschichte der Rosamund Clifford, die Ermordung der → Agnes Bernauer oder Aufstieg und Fall des Cola di Rienzo. Bereits ein erster Blick auf diese nur kursorische Aufstellung zeigt deutlich, dass sich die Anlage historischer Mittelalteropern zunächst nicht signifikant von musiktheatralen Werken unterscheidet, die ihre Stoffe aus antiker oder neuzeit licher Geschichte beziehen: Librettisten, Opernkomponisten und Theaterintendanten setzen bei der Auswahl und dem dramatischen Zuschnitt historischer Stoffe vorwiegend auf Protagonisten, die mit einem klangvollen Namen, einem herausragenden Schicksal oder einer charismatischen Persönlichkeit zu attrahieren vermögen – seien es berühmte Krieger, große Herrscher oder tragische Frauengestalten. Aufgrund ihres hohen Faszinationsgrads und der mit ihrem Namen verbundenen Mythen erfreuen sich reale Herrschergestalten wie → Richard Löwenherz ebenso wie literarisch überhöhte und im Hinblick auf ihre Historizität umstrittene Charaktere wie → Macbeth oder Robin Hood einer bis heute ungebrochenen Präsenz auf den Bühnen der Oper und des Musicals, die – getragen von einer außermusikalischen Popularität – selbst dann noch Bestand hat, wenn sich, wie so oft, keine der zahllosen Bearbeitungen dauerhaft im Werkkanon etablieren konnte.
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Eng an mittelalterliche Historie anschließende Stoffe
In enger Nachbarschaft zu diesem Typus dezidiert personenzentrierter Sujets lässt sich eine Vielzahl musikdramatischer Werke mit Mittelalterbezug lokalisieren, deren Inhalte sich aus dem teils historisch gesicherten, teils fabulös ausgeschmückten Wesen und Werden konkreter europäischer Herrscherdynastien speisen. In der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte finden sich in diesem Zusammenhang gerade an norddeutschen Opernhäusern bereits im ausgehenden siebzehnten Jahrhundert zahlreiche musiktheatrale Adaptationen historischer Stoffe, die beispielsweise auf die Zeit der → Karolinger, der → Ottonen oder der Welfen rekurrieren. Ähnliches lässt sich an den frühen Opernhäusern im Norden Italiens beobachten. Vor allem in Venedig etablierte sich recht bald die Praxis, auf Stoffe aus der Geschichte der römisch-deutschen Adelsgeschlechter zurückzugreifen, um „den zahlreichen opernbegeisterten deutschen Fürsten, die sich in Venedig aufhielten, eine genealogische Referenz zu erweisen, indem einer ihrer dynastischen Vorfahren oder gar der Begründer des jeweiligen Herrscherhauses auf die Opernbühne gebracht wurde“ (Jahn 2017, S. 319). Doch auch solche Werke, die zum Zwecke der Identitätsstiftung auf die Vorzeit einer Dynastie oder eines nationalen bzw. territorialen Verbands rekurrieren und daher von Christian Seebald als ‚dynastische Mittelalteropern‘ bezeichnet werden (Seebald 2009, S. 11 u. passim), unterliegen den allgemeinen Erfordernissen des Musiktheaters. Sie verlangen daher nach stringatezza, also nach einem gewissen Mindestmaß an thematischer und personeller Reduktion sowie nach einer grundsätzlichen Wahrung gattungsspezifischer Normen und Konventionen. Indessen bedarf es gerade dort, wo – wie in Francesco Brianis dem Herzog von Marlborough, John Churchill, gewidmetem Isacio tiranno (1710) – ein identifikatorischer Akt ganz bewusst intendiert wird (ebd., S. 41), eines Zuschnitts der Handlung auf einen herausragenden Repräsentanten der dargestellten sozialen Gruppe. Zu beobachten ist folglich auch in diesem Segment eine eindeutige Präferenz zur musiktheatralen Aneignung jener historischen Momente, die auf einzelne Personen des dargestellten Herrschergeschlechts konzentriert werden können: So erkennen die Verfasser von Welfenopern zumeist in Heinrich dem Löwen den namhaftesten Repräsentanten, während Habsburgeropern mit Rudolf I. jenen Ahnherren in den Blick nehmen, der als erster Habsburger zum römisch-deutschen König gewählt wurde. Vergleichsweise heterogen gestalten sich dagegen die zahlreichen Opern, die auf die reiche Geschichte der staufischen Könige und Kaiser rekurrieren. Zwar ist Friedrich I. (Barbarossa) auch hier gleichsam der musiktheatrale ‚Spitzenahn‘, doch interessante Stoffe boten den Librettisten in diesem Zusammenhang vor allem auch Manfred und Konradin – die tragischen Repräsentanten des dynastischen Untergangs. Mit Agnes von Hohenstaufen, deren zuweilen stark verklärtes Schicksal vor allem die Romantiker attrahierte, rückt im Kontext der Stauferopern auch eine historisch bedeutsame Frauengestalt in den Fokus.
Einleitung
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Gegenüber den personenzentrierten Mittelalteropern abzugrenzen sind Werke wie Giacomo Meyerbeers Il crociato in Egitto (1824), Gaetano Donizettis L’assedio di Calais (1836) oder Giuseppe Verdis Les vêpres siciliennes (1855), die schon in ihrem Titel eine Verschiebung von der Person auf das Ereignis anzeigen. Natürlich können auch diese Opern ihre Handlung auf der Bühne nur vermittels ihrer zentralen Akteure entwickeln, zumal auf Liebeshändel und Intrigen auch hier in der Regel nicht verzichtet wird. Doch anstelle des dynastischen Ahnherrn oder des historischen Einzelschicksals steht hier die Darstellung beispielsweise des sechsten Kreuzzugs, der Belagerung von Calais während des Hundertjährigen Kriegs oder des Kampfs um die Vorherrschaft in Sizilien im Vordergrund. Dass dabei der Grad der Konzentration auf das historische Ereignis durchaus variabel ist, lässt sich am Sujet der → Kreuzzüge nachvollziehen: Dieses kann sich mit mehr oder minder historischen Gestalten wie Barbarossa, Richard Löwenherz oder dem Cid verbinden, es kann jedoch auch – wie im Fall von Raymond Murray Schafers The Children’s Crusade (2009) – die Kreuzzüge bewusst als Massenphänomen problematisieren. In unterschiedlichem Maße kann das historische Geschehen schließlich auch als gleichermaßen altertümlicher wie exotischer Hintergrund einer mit prachtvollen Bühnenbildern unterlegten Liebeshandlung funktionalisiert werden, die sich ebenso gut in eine andere Szenerie übertragen ließe. So lässt sich das nachfolgende Urteil über das Libretto zu Giacomo Meyerbeers Erfolgsoper Il crociato in Egitto auf zahlreiche ereigniszentrierte Mittelaltersujets übertragen: Der zwar fiktive Inhalt […] ist demnach keineswegs von der damaligen Realität entfernt, so man die betreffenden Jahreszahlen außer acht lässt. Das Sujet beinhaltete ungeheure Möglichkeiten hinsichtlich der librettistischen und musikalischen Gestaltung. Neben der Integration des Lokalkolorits konnte man die dramatisch wirkungsvolle Konfliktsituation der beiden ethnischen Gruppen, aber auch die in der damaligen Zeit bevorzugt benutzte Romeo-und-Julia-Konstellation (hier ein Liebesverhältnis zwischen einem Europäer und einer Ägypterin) effizient und zugkräftig verwerten. (Schuster 2003, S. 93)
Der Fundus an mittelalterlichen Gegenständen, den sich die Librettisten sukzessive erschlossen, seit sich die Oper in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts für historische Sujets zu öffnen begann, scheint nahezu unerschöpflich zu sein. Doch während sich die Libretti historischer Mittelalteropern noch einigermaßen trennscharf den verschiedenen Sujets subsumieren lassen, stellt sich die Quellenlage als ausgesprochen verworren dar. So verbindet sich das historisch belastbare und zugleich nicht selten farbenfroh ausgeschmückte Sujet um Richard Löwenherz bekanntlich recht bald mit der sagenumwobenen Gestalt des Robin Hood, deren Historizität in erster Linie eine literarische Behauptung darstellt. Fiktives und Faktisches gehen im Kontext dieser Werke also oftmals eine konstitutive Verbindung ein.
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Eng an mittelalterliche Historie anschließende Stoffe
Entsprechend heterogen gestaltet sich von Anbeginn der Umgang mit den Quellen: Nicht selten sind die historischen Zusammenhänge allenfalls vage präsent, während die Ausgestaltung der Opernhandlung entweder einen sehr freien Umgang mit etwaigen historiographischen Zeugnissen oder sogar die vollkommene Loslösung von aller Quellentreue dokumentiert. Als exemplarischer Fall einer solchermaßen dezidiert freien Aneignung des historischen Materials kann Stefano Benedetto Pallavicinis Libretto zum Tassilone Agostino Steffanis (1709) betrachtet werden. In seinem Argomento storico begründet der Verfasser seine Eingriffe folgendermaßen: […] ò creduto tuttavia, che trattandosi di Tragedia dia lecito mi fosse l’alterare tali fatti, tanto più, che secondo il rigore dell’Arte, non doverebbe a questa specia di Poema prestare l’Istoria, che i puri Nomi. (Pallavicino 1709 Bl. A3r f.) [Ich glaubte allerdings, da es sich um eine Tragödie handelt, dass es für mich rechtmäßig sei, solche Fakten zu verändern, und das umso mehr, da diese Art von Dichtung – nach Maßgabe der Kunst – der Historie nicht mehr entnehmen sollte, als die bloßen Namen.]
Dessen ungeachtet, zeichnen sich neben Pallavicinis Libretto viele Opern gerade des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts durch eine große Gelehrsamkeit aus, die sich nicht selten in umfassenden Quellenhinweisen dokumentiert. So rezipierten die Verfasser früher Karolingeropern beispielsweise Einhards Vita Caroli Magni und die Historia Langobardorum des Paulus Diaconus, während etwa Joachim Meiers Singspiel über Heinrich den Löwen (Die siegende Großmuth, 1693) das nur wenige Jahre zuvor im Druck erschienene Chronicon Stederburgense verarbeitet (Seebald 2009, S. 124 f.). Im Zeitalter der Aufklärung finden die vagen Kenntnisse von Namen, Ereignissen sowie vereinzelten chronikalen Zeugnissen Ergänzung durch die zeitgenössische Geschichtsschreibung. Als exemplarisch für diese Entwicklung kann Johann Ulrich Königs Libretto für das Singspiel Heinrich der Vogler (1718) betrachtet werden, in dem sich neben mittelalterlichen Quellen auch die historiographischen Diskurse der Zeit niederschlagen (ebd., S. 265). In ähnlicher Weise lässt sich eine solche Inspiration durch die Geschichtswerke des siebzehnten Jahrhunderts in den Libretti der Löwenherz-Opern Antonio Lottis und Georg Friedrich Händels beobachten. Dieser Tendenz zur Historisierung, die sich über die Jahrhunderte hinweg in je unterschiedlicher Ausprägung und Stärke zeigt, stehen Werke wie André-Ernest-Modeste Grétrys Richard Coeur de Lion (1784) gegenüber, worin historische Fakten (hier: die Gefangennahme König Richards I. von England durch Truppen des österreichischen Herzogs) gezielt mit Elementen mündlich oder schriftlich überlieferter Sagentraditionen angereichert werden (hier: die Sage um den Trouvère Blondel), um den Stoff einerseits in das seinerzeit beliebte Schema
Einleitung
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der Entführungs- und Rettungsoper einzupassen und andererseits dem ästhetischen Gedanken einer Inkorporation drameninhärenter Musik Ausdruck zu verleihen (Betzwieser 2002, S. 187 f.). Von historischen Sujets, deren zentrale Motive mehr oder minder getreu aus Annalen, Chroniken oder Geschichtswerken gewonnen werden, sind jene zu trennen, deren Charakter entscheidend von herausragenden Dramentexten bestimmt wird. Das lässt sich zuvörderst für das unter anderem durch Giuseppe Verdi bearbeitete Falstaff-Sujet geltend machen, das zwar an konkrete Ereignisse der englischen Geschichte anschließt, letztlich aber gänzlich auf den dichterischen Einfällen William Shakespeares beruht. Phänomene der sekundären Rezeption historischer Kontexte lassen sich wiederum im Zusammenhang mit den rund ein Dutzend Opernentwürfen beobachten, deren Existenz ohne Shakespeares Macbeth undenkbar wäre. Im Hinblick auf die musiktheatrale Rezeption der Jeanne d’Arc-Gestalt und des → Wilhelm Tell vermochten indessen die Dramen Friedrich Schillers eine ähnliche Wirkmacht zu entfalten. Darüber hinaus macht sich literarischer Einfluss auf die Bearbeitung historischer Stoffe freilich auch vermittels erzählender und lyrischer Formen geltend. Dass dieser Prozess teils schon sehr früh einsetzt, lässt sich anhand der Sujets um Robin Hood, Wilhelm Tell und Rosamund Clifford aufzeigen, die Gestalten und Ereignisse von mehr oder minder fragwürdiger Historizität auf die Bühne bringen. Die Erzählungen, Lieder und Balladen, die von den Librettisten des siebzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts rezipiert wurden, reichen in diesen Fällen mitunter bis ins späte Mittelalter zurück. In ähnlicher Weise verdanken sich die musiktheatralen Bearbeitungen des Sujets vom spanischen Ritter und Söldnerführer Rodrigo Díaz de Vivar, genannt „El Cid“, jenen frühen volkssprachigen Quellen, die die zeitgenössischen Chroniken in Form epischer Dichtungen und Romanzen zu ergänzen und erweitern bestrebt waren. Dass sich der Übergang zwischen Faktischem und Fiktiven im Kontext historischer Opern nicht nur aufgrund umfassender künstlerischer Freiheiten, sondern auch aufgrund der Quellenlage häufig als fließend darstellt, wirkt sich auch auf das Binnenverhältnis der Mittelaltersujets aus. Die zahlreichen Karolingeropern zeigen dies exemplarisch: Auf der einen Seite sind hier jene Libretti zu verzeichnen, die sich – mehr oder minder getreu – mit historischen Ereignissen, Kriegen und Konflikten auseinandersetzen, dabei jedoch nicht darauf verzichten, genre typische Nebenhandlungen, Affären und Intrigen beizumengen. So setzt sich eine der erfolgreichsten Dramatisierungen des Karolingersujets, Francesco Silvanis von Benedetto Vinaccesi vertontes Libretto L’innocenza giustificata (1699), zwar
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erstaunlich detailliert mit den politischen Folgen der Reichsteilung Ludwigs des Frommen und der Problematik um die Erbansprüche Karls des Kahlen auseinander. Das historische Geschehen wird dabei aber primär als ein Machtkonflikt zwischen Lothar I. und der – in diesem Entwurf bereits verwitweten – Kaisergattin Judith ausgedeutet. Zusätzlich wird der spezifisch karolingische Plot mit einer an Romeo und Julia gemahnenden Liebesgeschichte versehen: Fingesi, che Giuditta prima d’esser Moglie di Ludouico Pio fosse Vedova d’un Rè di Svezia, da cui havesse due Figlie, che si chamassero Gildippe, & Edvige, che questa fosse destinata in Isposa à Ludivico, che chiamerassi Adalgiso, Figlio di Lotario, mà che scopertisi gli attentati di Lotario contro l’honore di Giuditta, & il Regno d Carlo, fosse dalla Madre disciolto il promesso Imeneo, e che Gildippe fosse richiesta in Moglie da Berardo, e che per meritarlasi egli so fosse impegnato nel servir’à Giuditta. (Silvani 1699, S. 9 f.) [Ich habe mir vorgestellt, dass Giuditta, bevor sie die Frau Ludovicos des Frommen wurde, die Witwe eines schwedischen Königs war, von dem sie zwei Töchter hatte, die Gildippe und Edvige genannt wurden, dass letztere Lotarios Sohn Ludovico zur Braut bestimmt war, den ich Adalgiso nannte, aber dass Lothars Angriffe auf Giudittas Ehre und auf das Reich Karls von der Mutter entdeckt wurden, und dass von der Mutter das Eheversprechen aufgehoben worden wäre, und dass Gildippe von Berardo als Ehefrau gefordert worden wäre und dass er wusste, dass er sich in Giudittas Dienst stellen müsste, um sie zu verdienen.]
Solchen Entwürfen stehen im Hinblick auf die musiktheatrale Rezeption der fränkischen Herrscher jene Werke entgegen, die sich dem Gegenstand von den frühneuzeitlichen Ritterepen her nähern. In diesem Zusammenhang wäre vor allem Ludovico Ariosts Orlando furioso (1516) zu nennen, dessen Einfluss sich in zahlreichen Opern des siebzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts niederschlägt. Wie das → Nibelungenlied, das → Kudrun-Epos und die → Artussage tradiert auch dieser Text letztlich Spuren geschichtlichen Wissens – wenn auch in weitgehend enthistorisierender Form. So ist mittelalterliche Geschichte im Segment der ‚Mittelalteroper‘ in Abhängigkeit von ästhetischen Vorlieben, epochalen Trends sowie der Verfügbarkeit und Kombination historischer und literarischer Quellen in einer je spezifischen Weise präsent. Sie reicht von der freien Ausgestaltung historisch verorteter Plots über die bloße Referenz auf Namen, Schauplätze und Ereignisse bis hin zur bewussten Auseinandersetzung mit mittelalterlicher Zeitgeschichte – sei es in affirmativer oder kritischer Absicht.
1.2 Personenzentrierte Stoffe Agnes Bernauer Robert Gervasi I Präsenz des Sujets Offenkundig ist Carl Orffs am 8. Juni 1947 in Stuttgart uraufgeführtes „Bairisches Stück“ Die Bernauerin die einzige musiktheatrale Adaption der Geschichte der Agnes Bernauer, die heute noch auf den Bühnen präsent ist. Während der weltweite Erfolg seiner Carmina Burana ungebrochen ist und auch einige andere Theaterarbeiten Orffs wie etwa Die Kluge oder Der Mond zumindest im deutschsprachigen Raum regelmäßig inszeniert werden, blieb die Rezeption seines „Bairischen Welttheaters“ (zu dem neben der Bernauerin noch Astutuli, das Oster- und das Weihnachtsspiel zählen) auf den süddeutschen Raum begrenzt (vgl. Aufführungsliste des Orff-Zentrums, München). Den Zugang zum Werk und damit eine weiträumige Verbreitung erschwert die Sprache: Orff entwickelte für Die Bernauerin mit Hilfe von Johann Andreas Schmellers 1827–1832 entstandenem Bayerischen Wörterbuch eine archaisierende bairische Kunstsprache, die er auch als musikalisch-klangliches Element einsetzte. Der Komponist hatte einige Zeit mit dem Gedanken gespielt, München „für längere Zeit das alleinige Aufführungsrecht als alljährliches Festspiel zu übertragen“ (Orff 1980, S. 169). Es entspricht also durchaus der Intention Orffs, wenn heute Aufführungen zumeist im Rahmen von Festspielen stattfinden. Im Hof des Straubinger Herzogsschlosses wurde Die Bernauerin anlässlich der BernauerFestspiele zuletzt im Sommer 2013 herausgebracht (musikalische Leitung: Stefan Frank). Im gleichen Jahr inszenierte Marcus Everding das Stück für eine Vorstellungsserie bei den Carl-Orff-Festspielen am „Heiligen Berg“ in Andechs, unweit der Grabstätte Orffs. Das Orchester der Andechser Orff-Akademie des Münchner Rundfunkorchesters dirigierte Christian von Gehren. Darüber hinaus ist Orffs Bernauerin auf einem Tonträger (ORFEO C255912H) sowie in Form eines Mitschnitts der Andechser Inszenierung von Hellmuth Matiasek aus dem Jahr 2009 auf DVD dokumentiert (B.O.A. MV83035). Carl Orff orientiert sich in seinem Libretto weitgehend an der historischen Überlieferung und greift auch formal auf mittelalterliche Vorbilder zurück. Vergleichbar den Theaterstücken eines Hans Sachs fasst ein „Ansager“ nach Art der Bänkelsänger die kommenden Ereignisse zusammen und deutet die Thematik des „Spiel[s] von der Bernauerin“ (Orff 1980, S. 21) und den politischen Hintergrund an: die „Buhlschaft“ (ebd.) zwischen Fürst und Baderstochter und den internen https://doi.org/10.1515/9783110424089-002
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Zwist der Wittelsbacher. Die eigentliche Handlung setzt in der Badestube Kaspar Bernauers ein. Die erste Begegnung zwischen dem Herzog und Agnes gestaltet Orff recht knapp: Albrecht schenkt Agnes einen Ring, sie wechseln nur wenige Worte. Wie Agnes empfindet, lässt sich in diesem Moment nur erahnen. Nach Albrechts Weggang behauptet sie, ihn „nimmer wiedersehn“ (ebd., S. 45) zu wollen. Im Wesentlichen bestimmt der Chor der Badegäste die Szene. Mit einem Beutel Geld kann Albrecht den alten Bernauer auf seine Seite ziehen; der in den historischen Quellen nicht näher charakterisierte Vater erscheint bei Orff als geldgieriger Kuppler, der seiner Tochter rät, den „Goldfasan […] fest[zu]haltn“ (ebd., S. 44). Schnell wird die Verbindung zwischen Albrecht und der Baderstochter zum Stadtgespräch in München. Orff lässt dabei Parteigänger für und gegen die Liaison zu Wort kommen und nutzt die Gespräche der Bürger als Botenberichte für Ereignisse und Stimmungen im Land. Albrechts Vater, Herzog Ernst, will Agnes beseitigen lassen, weil er befürchtet, dass aus dieser Verbindung erbberechtigte Kinder hervorgehen könnten. Albrecht verlässt das Straubinger Schloss, wo das inzwischen verheiratete Paar mittlerweile wohnt, indessen Agnes von Vorahnungen und einer „inneren Unruhe“ (ebd., S. 100) erfasst wird. Plötzlich dringen Soldaten und Richter ein, um Agnes zu einer „Absagung […] an Albrechten“ (ebd., S. 108) zu zwingen. Sie aber wehrt sich gegen das ihr aufgedrängte Schuldbekenntnis, als „Schlafweib und Bulerin, als Kupplerin, hechsische Hexinn“ ein Verbrechen begangen zu haben und fordert selbstbewusst ihr Recht als „ehelich Weib“ und „Duchessa“ (ebd., S. 108) ein. So wird sie von „Richtern und Häschern“ gefangen genommen und in der Donau ertränkt. Albrecht will zu einem Rachefeldzug gegen seinen Vater aufbrechen, doch dessen Kanzler tritt ihm entgegen und überreicht ihm den mit einem Trauerflor umwickelten Herzogsstab: Herzog Ernst (mit dem sich der Sohn in der historischen Wirklichkeit innerhalb eines Jahres versöhnt hat) ist inzwischen verstorben. Albrecht erkennt, dass er das Erbe seines Vaters antreten muss und sinkt auf die Knie. Im Schlussbild der Bernauerin erhellt sich der Himmel und Agnes wird „als Duchessa mit Krone und weitem Mantel“ (ebd., S. 159) sichtbar. Ihr Erscheinen und Erlöschen begreift Orff als „lösend-erlösende Katharsis“ und spricht in diesem Kontext von der „Apotheose der Bernauerin“ (ebd., S. 131).
II Historische Schichten Die drei Realisationen des Agnes-Sujets in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts weisen ganz unterschiedliche Weiblichkeitskonzepte auf. Den Anstoß zu Orffs Komposition gab die Kritik seiner Tochter Godela an der „unglaubwürdigen Sentimentalität“ der Agnes (ebd., S. 9), die sie als Schauspielerin in Fried-
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rich Hebbels Agnes Bernauer verkörpern sollte. In der Tat charakterisiert Hebbel in seinem 1852 uraufgeführten Drama Agnes als schwache und passive Figur, die sich leidend in ihre Opferrolle fügt. Orffs kritische Auseinandersetzung mit Hebbels Text führte ihn zu einer Neuinterpretation. Im Gegensatz zu manchen Vorgängerkompositionen wird Agnes bei Orff weder ausschließlich als Opfer der Staatsraison dargestellt noch als Heldin mystifiziert. Er betont ihre Einfachheit und Natürlichkeit und rückt das Persönliche ihrer Liebe zu Albrecht in den Vordergrund. Agnes wird nicht als Opern-Stereotyp (die Leidende, die Hysterische, die Femme fatale, die Femme fragile usw.) gezeichnet, sondern als eigenständige Persönlichkeit. Orffs Protagonistin ist eine selbstbewusste, emanzipierte Frau, die, auch wenn sie angesichts ihrer Verhaftung Angst empfindet, ihre streitbare, kämpferische Seite in ihrer Verteidigungsrede vor den Richtern und Häschern eindrucksvoll demonstriert. Gleichzeitig stellt Orff dem Paar die Anfeindungen der Gegner und die Verleumdungen im Volk („Badhur’“), das mehrheitlich auf der Seite Herzog Ernsts steht, gegenüber. Die oft unverständlich erscheinende Versöhnung zwischen Vater und Sohn (vgl. Frenzel 2005) umgeht Orff durch den vorzeitigen Tod des Herzogs. Orffs eigener Theaterstil entzieht sich jeder Einordnung in Kategorien wie Oper, Schauspiel oder Melodram. Am ehesten trifft seinen Stil der Begriff „episches Theater für die Musikbühne“ (Kraemer 1980, o.S.). Die Hauptrollen sind für Schauspieler konzipiert, gesprochene Monologe und Dialoge dominieren das Libretto. Das gesprochene Wort wird in lautmalerischer Weise „zum schöpferischen Urgrund, dem Musik und Szene entwachsen“ (Orff 1980, S. 19). Lediglich ein Tenor („welscher Spielmann“) wird in größerem Umfang als Solist eingesetzt. Nur einmal singt Agnes selbst das schlichte Lied „Hab ich Lieb’, so hab ich Not.“ Der Chor fungiert nach dem Vorbild des antiken Dramas als Kommentator des Geschehens: Die Hexen schildern in Form der Teichoskopie „mit infernalischem Triumph“ Agnes’ Tod in der Donau (ebd., S. 109). Musikalisch führt Orff den auf diatonischer Melodik, auf Repetitionsfiguren und Ostinati basierenden, mehr statisch-blockhaften als entwickelnden Stil fort, den er in den Carmina Burana 1937 ausgeformt hatte. Zum groß besetzten Orchester treten zwei Klaviere und eine Vielzahl an Schlaginstrumenten. Den Charakter des „Bairischen Welttheaters“ unterstützen Volksliedzitate, wie etwa aus einem altbairisches Schenkenlied (ebd., S. 47) oder aus dem in Bayern auch heute noch bekannten Volkslied Von der schönen Bernauerin (ebd., S. 14–15) und originale Auszüge aus dem Liederbuch der Clara Hätzlerin von 1471 (ebd., S. 17–18). Glücklos blieben zwei Komponisten, die im zeitlichen Umfeld Orffs das Sujet bearbeiteten. Der 1901 geborene Elsässer Leo Justinus Kauffmann konnte seine 1944 begonnene Agnes Bernauer nicht mehr vollenden. Über den Arbeiten an der
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Oper wurde Kauffmann in Straßburg von einer Fliegerbombe getötet. Im Nachlass haben sich verschiedene Vorarbeiten und wenige Teile einer Partitur erhalten. Die Fragmente und der erhaltene Librettoentwurf erlauben dennoch eine Einschätzung: Der von den Nationalsozialisten zeitweise mit einem Aufführungsverbot belegte Kauffmann entzieht sich der opulenten Ästhetik der NS-Zeit. Der plot und die handelnden Personen sind auf das Wesentliche reduziert; die Handlung wird in neun kurzen, prägnanten „Bildern“ wiedergegeben. Eduard Reinachers Libretto dürfte auf seiner eigenen „Dramatischen Legende“ Agnes Bernauer aus dem Jahr 1926 basieren, die 1927 in Koblenz uraufgeführt worden war (Reinacher 1984, S. XXXIII, S. 126). Im Jahr 1961 bearbeitete Wilhelm Speidel Reinachers Text noch einmal für die Bühne (vgl. Reinacher 1962). Reinacher und Kauffmann zeigen sich in der gemeinsamen Librettofassung mehr am überzeitlichen persönlichen Konflikt und an einer psychologischen Interpretation interessiert als an der historischen Figur. Wie Orff konzentriert sich Reinacher auf die Beziehung zwischen den beiden Liebenden. Mehr noch als bei jenem rücken die historischen Begebenheiten, Albrechts und Agnes’ Aufeinandertreffen und Kennenlernen (sie werden bereits in der ersten Szene als Paar gezeigt), der Streit zwischen Vater und Sohn und der innere Konflikt Herzog Ernsts, in den Hintergrund – gleichwohl sind die historischen Ereignisse in der späteren Bühnenfassung von 1961 weiter ausgearbeitet. Im Libretto zeigt Reinacher Agnes als eine verletzliche, konfliktbeladene Frau. Vorahnungen und Visionen lassen sie bereits am Anfang „schlaftrunken wandeln“ (Kauffmann, Regieanweisung in Mus.mss. 8118, S. 1 und Mus.mss. 8119, S. 2). Sie fühlt sich schuldig am Zwist zwischen Vater und Sohn und versucht erfolglos, den drohenden Krieg zwischen beiden zu verhindern. Im Schlussbild entpuppt sich die „dienende Schwester“, die den todkranken Herzog Ernst pflegt, als Wiedergängerin der toten Agnes (Kauffmann, Mus.mss. 8119, S. 13; Reinacher 1962, S. 60–61). Gleichsam in Umkehrung der Orff’schen Konzeption ist ein Chor nicht vorgesehen; über die solistischen Gesangspartien hinaus sind lediglich Knappen und Diener als stumme Rollen besetzt. Kauffmanns trotz der großen Orchesterbesetzung sparsam instrumentierter, kammermusikalisch transparenter Satz erinnert stilistisch an die Neue Sachlichkeit des frühen Paul Hindemith und korrespondiert mit Reinachers klar strukturiertem Text in reimloser, hin und wieder metrisch gebundener sachlicher Sprache; knappe Dialoge in kurzen Sätzen bestimmen das Tempo. Ein ganz anderes Konzept legten Joseph Messner und sein Librettist Karl Neumayr ihrem Werk zugrunde. Der Engel von Augsburg aus dem Jahr 1936 kam ebenso wenig wie Kauffmanns Werk jemals zur Aufführung. Zwar wurde die vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda genehmigte Oper (Berlin 23.5.1944, ein der Partitur beigelegter Brief) zunächst für die Spielzeit 1944/45 am Stadttheater
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Nürnberg angenommen; nach der Ausrufung des „totalen Krieges“ am 28. Juli 1944 wurde aber im gesamten Deutschen Reich der Theaterbetrieb eingestellt. Im Herbst 1944 brannte das Stadttheater Nürnberg nach mehreren Bombentreffern aus. Nach dem Krieg unternahm Messner offenbar keine Versuche mehr, die Oper an einem Theater unterzubringen. Sicher war auch ihm klar, dass einerseits Orffs 1947 herausgekommene Bernauerin eine zu erfolgreiche Konkurrenz gewesen wäre und andererseits das Werk selbst wegen seines bisweilen deutsch-nationalen und pathetischen Tonfalls nach 1945 nicht mehr zeitgemäß war. Der mit Messner befreundete Gelegenheitsdichter Karl Neumayr schrieb sein Textbuch nicht ausschließlich „nach Motiven von Friedrich Hebbel“, wie der Untertitel der Oper suggeriert, sondern lehnte sich, ohne dies aber explizit zu benennen, auch an der ersten bedeutenden Dramenfassung (1780) von Joseph August von Törring an. Der Titel von Messners Oper weist ins neunzehnte Jahrhundert und damit auf eine bestimmte Typisierung der Figur. Die Bezeichnung der Agnes Bernauer als „Engel“ findet sich bereits in historiographischen Werken des sechzehnten Jahrhunderts („Agnes, vulgo Angelam appellabant […]“; Achilles Pirminius Gasser, zit. nach Lipowsky 1801, S. 75). Von den Librettisten des neunzehnten Jahrhunderts wird dies aufgenommen, um ihre Rolle als Wohltäterin und zugleich die Wirkung ihrer äußeren Erscheinung zu akzentuieren. Von Anfang an zeigt Neumayr Agnes nicht nur als liebenswürdige, schöne Frau, deren „Wuchs und Antlitz“ das Volk bejubelt (Messner o. J., o.S.), sondern hebt vor allem deren „Reinheit“ (ebd., o.S.) und Barmherzigkeit hervor. Ihre Opferbereitschaft reicht bis zur Selbstopferung „für Einigkeit“ und „gegen Zwietracht“ aus „Treue zum deutschen Land“ (ebd., o.S.). Agnes entspricht also ganz dem Klischee der (männlichen) Wunschvorstellung einer Frau im ‚Dritten Reich‘: keusch und züchtig, opferbereit und arbeitsam. Zentrale Begriffe in Messners Werk, wie Ehre, Pflichterfüllung, Opferbereitschaft, Treue zum Vaterland, bedienen die nazistische Ideologie. Die Wahl des „nationalen“ bzw. „völkischen“ Stoffs (Walter 2000, S. 176) dürfte Messners Wunsch nach Anerkennung und Aufführung entsprungen sein. Jedenfalls kommt die Faktur des Texts und der Musik den ästhetischen Idealen des Nationalsozialismus sehr entgegen. Die große abendfüllende Oper, deren drei in fünf Bilder untergliederte Akte jeweils durchkomponiert sind, scheint – im Gegensatz zu Kauffmann oder Orff – die Gestaltungsmöglichkeiten des Musiktheaters umfassend ausloten zu wollen. Der vielfach geforderte Chor wird in groß angelegten Tableaus für Volksszenen, Tänze, Jubelchöre, als Jäger- oder gar als Bettlerchor eingesetzt. Immer wieder transportiert das Volk politische Botschaften: „Neid und Zwietracht sei verbannt, in Einigkeit und Treu steh fest das Land“, oder: „Dem Arbeitsvolk hat er [Albrecht] verschafft sein Recht, das Adelsstolz ihm stets verweigert hat“ (Messner o. J., o.S.). Messners Oper deutet den Stoff zum Zweck der „Entwicklung eines völkischen
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Theaters mit Anziehungskraft auf die Massen und erzieherischer, sprich propagandistischer Wirkung“ um (Schäfer / Böhm 1995, S. 175). Die Musik ist trotz mancher Modernismen in die Tradition der spätromantischen Opern einzuordnen: Sie reicht in einer großen Spannweite von einfachster Volksmelodik (Bernauers Gehilfe Georg kündigt sein Erscheinen in Straubing mit einem Volkslied an) über impressionistische Klangmalereien der sordinierten Solostreicher (Mondlicht) bis hin zu scharfen Dissonanzen (Agnes sticht mit einer Haarnadel in die Bibel, um mit Hilfe der zufällig markierten Textstelle Auskunft über ihr Schicksal zu erlangen). Das groß besetzte Orchester bekommt vielfältig Gelegenheit zur – bisweilen klischeehaften – Illustration. Die Übergänge zwischen rezitativartigen und ariosen Passagen, Monologen, Dialogen, Ensembles und Chorszenen sind fließend. Im Vergleich zu den Versionen von Kauffmann und Orff erscheint Messners Oper dramatisch aufgeladen und pathetisch übersteigert. Der auch als Komponist tätige Wagner-Dirigent Felix Mottl reiht sich mit seiner Agnes Bernauer in eine Fülle von Mittelalter-Opern ein, die in der „deutschtümelnd[en] und chauvinistisch[en]“ Nachfolge Wagners gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts entstanden sind (Fischer 2000, S. 29). Wagner formulierte in seiner Mittheilung an meine Freunde die Ansicht, dass es für „musikdramatische Zwecke besser sei, sich dem Mythos zu und von der Geschichte abzuwenden, denn der historische Stoff verlange die Darstellung einer Fülle von geschichtlichen Vorgängen, die dem Drama nicht gut bekomme“ (ebd., S. 33). Wagners Befürchtung wird von Mottls Agnes Bernauer bestätigt. Nach der Weimarer Uraufführung 1880 wurde das „Bühnenspiel“ dort nur noch zweimal aufgeführt (Theaterzettelportal „Theater und Musik in Weimar 1754–1990“). Mottls Oper ist in eine Kategorie einzuordnen, die Fischer als „pathetische“ oder „Reckenoper“ bezeichnet und die geprägt ist durch den „Rückgriff auf historisch-mittelalterliche […] Stoffe“ sowie eine „pathetisch-tragische Handlung“, die mit dem Tod der Heldin endet (Fischer 2000, S. 35). Mottls Frauenbild ist in der Zeit des Fin de siècle, die allmählich neuen Frauentypen (Femme fatale, Femme fragile) den Vorzug gibt, noch ganz dem Wagnerschen Erlösungstypus verhaftet. Mottl, wie sein Vorbild Wagner sein eigener Librettist, stützt sich auf Hebbels Drama, auf Adolf Böttgers „Dramatisches Gedicht“ von 1845 und auf die zwischen 1837 und 1860 entstandenen Dramenfragmente Otto Ludwigs (Panzer 2007, S. 163). Eine bemerkenswerte Handlungsvariante enthält das Libretto gegenüber anderen Fassungen: Indem Albrecht bei dem Versuch, Agnes zu befreien, zu Tode kommt, wird das Problem der Versöhnung der beiden Herzöge vermieden. Mottl nimmt die Apotheose-Idee Kauffmanns und Orffs vorweg: Agnes erscheint am Ende dem reumütig trauernden Herzog Ernst als Vision „in den Wolken von Licht umgeben mit einem Friedenspalmzweig“ (Mottl, Libretto, S. 48). Das musikdramatische
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Vorbild ist allgegenwärtig: Die aktweise durchkomponierte Struktur sowie die hohe sprachliche Stilebene zeigen den Einfluss Wagners. Eine üppige Instrumentierung, tonmalerische Momente und chromatisch orientierte Melodik weisen ebenso auf dessen Musikdramen wie eine klar erkennbare Leitmotivik (AgnesMotiv, Fest- und Rittermotiv). In der fortwährenden modulatorischen Harmonik, in fließenden Tempowechseln wird Wagners „Kunst des Übergangs“ greifbar. Auf der Suche nach Mittelalter-Stoffen geriet Agnes Bernauer im neunzehnten Jahrhundert auch in das Blickfeld von Dramatikern und Komponisten außerhalb Deutschlands. Die einzige erfolgreiche musiktheatrale Adaption war Giuseppe Lillos im Jahr 1837 am Teatro San Carlo in Neapel uraufgeführtes „Melodramma“ Odda di Bernaver (Lillo / Bidera 1840), das nacheinander auch an anderen wichtigen italienischen Theatern bis hin zur Mailänder Scala nachgespielt wurde. Es lässt sich nicht rekonstruieren, auf welche Weise Lillo und sein Librettist Emmanuele Bidera mit dem Stoff in Berührung gekommen waren. Nicht viel mehr als die Namen der Protagonisten, kaum aber die Handlung als solche erlaubt die Anbindung an den Agnes-Bernauer-Stoff. Bidera zeigt kein Interesse an der historischen Figur und beschränkt sich auf die eindimensionale Handlungsstruktur eines Eifersuchtsdramas. Auf der bis zu Hebbels Drama wirkmächtigsten Fassung des Stoffs, dem „vaterländischen Trauerspiel“ von Joseph August von Törring, basieren die Stücke einiger Wiener Komponisten, die untereinander in Verbindung stehen. Bereits kurz nach seinem Erscheinen 1780 wurde Törrings Stück auf vielen deutschsprachigen Bühnen erfolgreich aufgeführt und unter anderem von der reisenden Schauspieltruppe Emanuel Schikaneders auch in Wien mehrfach gespielt. Es ist also durchaus plausibel, dass ein Rezeptionsstrang des Agnes-Stoffs auf Schikaneders Aufführungen zurückgeht. Carl August Krebs brachte 1834 als Kapellmeister am Stadttheater Hamburg erfolgreich seine „große Oper in vier Akten“ Agnes oder Der Engel von Augsburg zur Uraufführung. Krebs hatte als Kompositionsschüler Ignaz von Seyfrieds in Wien wohl dessen Agnes-Burleske kennengelernt. Seine eigene Bearbeitung des Stoffs löst sich allerdings aus dem Umkreis der Volksstücke und Parodien und knüpft an die Entwicklung der romantischen Oper eines Carl Maria von Weber an. Der erste Akt in August Lewalds Libretto zeigt die Protagonisten in Augsburg: Albrecht hat sich Agnes inkognito genähert. Bernauer ist nun als Waffenschmied im sozialen Rang gestiegen. Dessen Gesellen Ottmar baut der Librettist zum intriganten Gegenspieler aus, eine Idee, die später auch Neumayr und Messner (sicher in Unkenntnis der Oper von Krebs) entwickeln. Agnes weist Ottmar brüsk zurück, dieser schwört Rache. Der Reichskanzler Percival verbündet sich aus
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eigenen machtpolitischen Interessen mit Ottmar gegen Albrecht und rät, Agnes zu entführen. Der edle Herzog Ernst ist zwar entrüstet über Albrechts Handeln, lehnt aber Percivals Plan ab, Agnes für immer einzukerkern. Stattdessen will er Albrecht so lange vom Turnierspiel ausschließen, bis dieser auf die bürgerliche Geliebte verzichtet. Für Lokalkolorit sorgen „Bänkelsänger“, die ein „Tirolerlied“ in Bairischer Mundart singen. Sie entpuppen sich als verkleidete „Verräter“, die Agnes nach einem Kampf mit der Wachmannschaft entführen. Albrecht stürmt die Burg, in der Agnes gefangen gehalten wird, und setzt sie in Brand. Ottmar stürzt Agnes „von den Zinnen herab in den unten vorüberfliessenden Strom, und wird sodann selbst von den einstürzenden brennenden Mauern bedeckt“ (Krebs 1859, S. 9). 1858 wurde in Dresden, wo Krebs seit 1850 als Hofkapellmeister wirkte, eine Neufassung aufgeführt, in der vor allem, dem Publikumsgeschmack geschuldet, der tragische Schluss in einen lieto fine geändert ist (ebd., S. 10): Albrecht dringt auf die Zinnen der Burg; es gelingt ihm, Agnes Ottmar zu entreißen. Herzog Ernst schiebt die Schuld Percival zu, verzeiht Albrecht und akzeptiert Agnes als Schwiegertochter. Während Krebs’ Oper nur stoffgeschichtlich von Törrings Drama beeinflusst scheint, ist die Verbindung zwischen den beiden im Umfeld des Wiener Volkstheaters verorteten Adaptionen von Carl Binder und Ignaz von Seyfried augenscheinlich. Binder war als Bearbeiter von Jacques Offenbachs Operetten und als Komponist von Bühnenmusik zu Theaterstücken Johann Nestroys zu einigem Ansehen gelangt. Geschult an dessen Tannhäuser-Parodie präsentiert er seine stilistisch der frühen Wiener Operette nahestehende Version unter dem Titel Agnes die Bräuerin, oder: Biernigel unter den Wilden. Parodie des Schauspieles: Agnes Bernauerin, mit Gesängen, Tänzen, und Gruppirungen der Wilden in 2 Aufzügen (Binder [Autograph der Partitur]). 1840 wurde das Werk im Theater in der Josefstadt, wo Binder als Kapellmeister wirkte, uraufgeführt. Bei den Rezensenten rief es allerdings nicht mehr als ein „Achselzucken“ hervor (T.S. 1840, S. 638) und das Österreichische Morgenblatt kalauerte gar, an dieser „Bräuerin“ sei „Hopfen und Malz verloren“ (Heinrich 1840, S. 384). Wie die meisten der Wiener Volksstücke im „Gebrauchstheater-Repertoire“ (Hein 1978, S. 41) dürfte die Posse kaum mehr als ein Tageserfolg beim Publikum gewesen sein. Ein ähnliches Schicksal hatte schon Ignaz von Seyfrieds Realisation des Sujets erlitten. Der als produktiver Komponist, als Musiktheoretiker und BeethovenForscher bekannt gewordene Seyfried wirkte zeitlebens in seiner Heimatstadt als Kapellmeister, unter anderem im Theater an der Wien und an Emanuel Schikaneders Freihaus-Theater. Da eine Parodie die Bekanntheit ihrer Vorlage beim Publikum voraussetzt, kann sich Seyfried nur auf Törrings Erfolgsstück bezogen haben.
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Das gedruckte Libretto von Karl Ludwig Gieseke (geb. als Johann Georg Metzler) ist unter dem Titel Agnes Bernauerin. Eine Burleske mit Gesang in drey Akten, travestirt in deutsche Knittelverse erhalten (Seyfried / Gieseke 1797); Seyfrieds Musik allerdings zählt zu den „nicht nachgewiesene[n] Komposition[en]“ des Jahres 1797 (Seyfried 1990, S. 522). Die komisierende Bearbeitung wendet den Ausgang der Tragödie ins Positive: Agnes wird, um in der Donau ertränkt zu werden, auf ein Brett gebunden. Die Mühlsteine aber, die das Brett versenken sollen, hat man vergessen. Die Sprachkomik dieser Wiener Posse entsteht durch die Knittelverse, die Verwendung des schwäbischen (!) Dialekts und die durch Wortverdrehungen entstehenden Missverständnisse. Kurze Arien am Ende der Szenen zielen sentenzenhaft ins Allgemeine. Typisierte komische Figuren des Alt-Wiener Volkstheaters bevölkern Seyfrieds Lustspiel. Kanzler Tuchsenhauser, der mit Einsprengseln seines Juristen-Lateins den Bildungsbürger herauskehrt, steht in der Tradition des Dottore aus der Commedia dell’arte. Das Mittelalter dient sowohl bei Binder als auch bei Seyfried lediglich als komische Kulisse. Das Libretto der ältesten nachweisbaren musiktheatralen Bearbeitung des Stoffs durch Georg Joseph Vogler und Karl Theodor von Traitteur wurde bereits 1781, also kurz nach dem Erscheinen von Törrings Drama gedruckt. Das Singspiel wurde im selben Jahr im Münchener Hoftheater (heute Cuvilliés-Theater) uraufgeführt, weitere Aufführungen sind in Stuttgart für 1781 und 1782 nachweisbar (vgl. Datenbank der Forschungsstelle Geschichte der Südwestdeutschen Hofmusik). Ungeachtet des Titels Albert der Dritte von Bayern ist das „Singspiel in fünf Aufzügen“ dem Bernauer-Stoff zuzuordnen. Es ist kaum anzunehmen, dass dem Mannheimer Gelehrten Traitteur die überaus erfolgreiche Aufführung von Törrings Drama 1781 am dortigen Nationaltheater entgangen sein sollte, auch wenn er in seiner „Vorerinnerung“ zu Albert III. Törring nicht erwähnt, sondern auf ältere, historiographische Quellen (Georg Christian Joannis’ Neuausgabe von Daniel Pareus’ Historia Palatina, Chroniken von Johannes Trithemius sowie Enea Silvio Piccolominis De statu Europae sub Friderico III.) verweist (Vogler / Traitteur 1781, S. 3). Traitteur könnte sich also unmittelbar nach der Aufführung dazu entschlossen haben, ein Libretto zu verfassen, und fand im Mannheimer Hofkapellmeister Vogler seinen musikalischen Partner (zur Mannheimer Zeit Voglers vgl. Gervasi 2014, S. 9–15). Die Bühnenmusik ist verschollen. Dass ausgerechnet in Mannheim Agnes-Stücke Erfolg hatten, ist nicht weiter verwunderlich, war man doch am 1777 gegründeten Theater auf der Suche nach ‚nationalen‘ Stoffen, insbesondere wenn sie wie bei Ignaz Holzbauers Günther von Schwarzburg oder eben auch bei Traitteurs Albert III. mit der Geschichte des Hauses Wittelsbach verbunden waren. Traitteur bedauert in seiner „Vorerinnerung“, „daß man den Urkarakter von unsern alten Vätern, deren kraftvolle Hand-
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lungen die deutsche Geschichte in der Menge erzählet, bishero noch zu sehr vergessen hat“ (Vogler / Traitteur 1781, S. 3). Die Tochter eines „Bürgers aus München“, bei Traitteur heißt sie „Sophie“, ist unwissentlich in einen Konflikt geraten, denn sie kennt anfangs den Rang Alberts noch nicht und „liebt nur den guten, kraftvollen Jüngling“ (ebd., S. 31). Traitteur verstärkt die Spannungen dadurch, dass die fünfzehnjährige (!) Sophie bereits ein Kind von Albert erwartet. Dieser begründet die Legitimität der Verbindung damit, dass „der Himmel selbst“ die beiden „durch die Gesetze der Natur vereiniget“ habe (ebd., S. 49). Wenige Jahre vor der Französischen Revolution lässt Traitteur Albert mit seinem Stand hadern und ihn das Naturrecht dem positiven Recht entgegenstellen. Damit thematisiert der Librettist einen typischen Konflikt der Sturm-undDrang-Zeit, den er mit einem anderen, der problematischen Beziehung zwischen Vater und Sohn, verbindet. Herzog Ernst erweist sich nämlich als Verteidiger des Ancien Régime. Er hat die adlige Mathilde für Albert als Braut ausersehen, doch diese überwindet nach einem schweren inneren Kampf „Rachsucht, Neid, Ungestüm, Zorn, Wuth, Mord“ (ebd., S. 58) und entscheidet sich dafür, auf Albert zu verzichten und bei Herzog Ernst Fürsprache für das Paar einzulegen: „Edle Freundschaft bringet dieses große Opfer“ (ebd., S. 61). Eine dramatische Zuspitzung erfolgt am Ende. Sophie wird vom wehrlosen Opfer, von der „unschuldigen Taube“, zur „Heldinn“, indem sie mit Herzog Ernsts Häschern, die sie gefangen setzen wollen, „wie eine Löwin“ kämpft, „der man ihre Jungen rauben will“, auf den „hohen Zinnen“ den Halt verliert und in die Tiefe stürzt (ebd., S. 81). An ihrer Leiche bereut Herzog Ernst seine Handlungsweise; weil er aber nicht unmittelbar an Agnes’ Tod schuldig geworden ist, können sich Vater und Sohn versöhnen. Joseph August von Törrings Drama, an das sich die Librettisten bis ins neunzehnte Jahrhundert anlehnen, kann als typisches Beispiel eines bürgerlichen Trauerspiels gelten. Im Gegensatz zu Friedrich Schiller, dessen Räuber drei Jahre nach Törrings Agnes in Mannheim uraufgeführt wurden, nutzt er aber sein Stück nicht für Kritik an den herrschenden Machtverhältnissen oder für eine offene Anklage politischer Missstände. Zwar führen auch in seinem Prosadrama ganz im Sinne des Sturm und Drang individuelle Interessen und subjektive Gefühle in die Katastrophe; die Forderung nach der Befreiung von den Zwängen der Ständegesellschaft bleibt aber ein untergeordnetes Thema. Törring sieht in der Unmöglichkeit einer dauerhaften Verbindung der nicht standesgemäßen Partner eine Missachtung des Naturrechts – ein wirksamer Topos im Gefolge der Aufklärung. Bei ihm erhebt Agnes aber keinen Anspruch auf die Herzoginnenwürde und erstrebt lediglich ein bürgerliches Glück als Albrechts Ehefrau. In dem Vicedom von Straubing – der Stellvertreter des Herzogs mit richterlichen Befugnissen wurde dem historischen Heinrich Nothafft von Wernberg nachgebildet – installiert Törring
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die Figur des Intriganten vom Typus eines Wurm, Marinelli oder Franz Moor. Auf diese Weise kann er den Fürsten von seiner Schuld entlasten – die gottgegebene Hierarchie bleibt unangetastet. Der Zorn des Publikums konnte indes leicht auf den intriganten Antagonisten gelenkt werden. Er zog bei den ersten Vorstellungen so viel Unmut auf sich, dass man sich dazu entschloss, ihn gleich mit in die Donau zu stürzen, um die aufgebrachte Menge zu beruhigen (Panzer 2007, S. 137). „Ersame Junckfraw“ (Huber / Firsching 1999, S. 16), „holde Agnes“ (ebd. S. 20), „Hertzogin in Beyern“ (ebd. S. 83), „schöne Nympham“ (ebd. S. 90), „schönes, unschuldiges Mägdchen“ (ebd. S. 100), „Hexe“ (ebd. S. 160), „Zauberin, Giftmischerin und Verführerin“ (ebd. S. 165), „verführerische Buldirne“ (ebd. S. 168), „Engel von Augsburg“ (ebd. S. 187), – von Beginn der historischen Ereignisse an ist die Spannweite der Bezeichnungen in den Quellen für eine der bekanntesten bürgerlichen Frauengestalten des ausgehenden Mittelalters groß. Dabei differierten die Meinungen über die Protagonistin je nach (politischem) Standpunkt des Betrachters. Während dem Hof nahestehende Chronisten, allen voran der Jesuit Johann Adlzreiter, versuchten, Agnes als Verführerin oder gar als Giftmischerin zu diffamieren und die Tat Herzog Ernsts als staatspolitische Notwendigkeit oder als moralischen Kampf gegen die „schimpfliche Befleckung der Dynastie“ (ebd., S. 86) hinzustellen, ergriffen unabhängige Kommentatoren wie der St. Gallener Abt Johannes Trithemius oder der Humanist Hieronymus Ziegler Partei für Agnes. Letzterer bezeichnete die Tat als „unwürdig eines christlichen Fürsten“ (ebd., S. 70) und konstatierte – hier geradezu beklemmend modern –, dass im Fall der Agnes Bernauer das „Recht [als] Vorteil der Mächtigeren“ gelte (ebd., S. 77). Neben dieser Ambivalenz mag der „romanzenhafte Zauber der unkonventionellen großen Liebe“, die „von der Welt verfolgte Schönheit und Unschuld“ und die „Treue bis in den Tod“ (Frenzel 2005, S. 118) Komponisten und Librettisten dazu bewogen haben, sich mit der Figur der Agnes Bernauer ausein anderzusetzen. Darüber hinaus sind die Libretti auch von jeweils zeittypischen (männlichen) Vorstellungen von Weiblichkeit geprägt. Törring betont in einer Vorbemerkung zu seinem Drama den Bezug des Stücks auf historisch bezeugtes Geschehen. Konkret erwähnt er Andreas Felix von Oefeles Rerum Boicarum Scriptores von 1763 sowie „Stiftungsbriefe beeder Herzöge Ernst und Albrecht“ (Törring 1780, S. 5). Gemeint sind offenbar Urkunden von 1435, 1436 und 1447, die mit der gemeinsamen Stiftung einer ewigen Seelenmesse und anderer Gedächtnisdienste vor allem die schnelle Beilegung des Konflikts zwischen Vater und Sohn belegen, nicht aber, wie Törring behauptet, eine eheliche Verbindung zwischen Albrecht und Agnes (ebd.). Dennoch setzt er eine Eheschließung für seine Dramatisierung voraus und lässt folgerichtig die erste Szene bereits kurz nach der „priesterlichen Einsegnung“ des Paares auf Schloss Vohburg einsetzen (ebd., S. 9). Die Badestube bleibt unerwähnt und auch der Bader Bernauer tritt
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nicht auf: Anscheinend wollte Törring Agnes von der etwas anrüchigen Herkunft aus dem Milieu eines mittelalterlichen Badehauses reinwaschen. Dass Törring ungeachtet seines freien Umgangs mit den Quellen Wert auf die historische Authentizität der Grundzüge des Geschehens legt, unterscheidet seine Arbeit von den wenigen literarischen Gestaltungen des Sujets vor ihm (u. a. Hans Sachs und Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau). Es deutet sich darin bereits ein zunehmendes Interesse an der historischen Figur der Agnes Bernauer an, das früh auch schon zu einem ersten Versuch führte, nicht mehr nur Chroniken zu kompilieren, sondern im Rückgriff auf älteste urkundliche Quellen eine umfassende Biographie mit dem Anspruch wissenschaftlicher Objektivität zu erstellen: In der Vorrede seines Buchs Agnes Bernauerinn historisch geschildert von 1801 formuliert Felix Joseph Lipowsky das Bestreben, „nur Wahrheit aufzusuchen, wo ich sie fand, selbe darzustellen, wie ich sie fand, mich von keiner Vorliebe, weder gegen den Herzog Ernst, noch gegen den Herzog Albrecht III. und seine Geliebte hinreißen zu lassen“ (Lipowsky 1801, S. II.f.). Gerade weil diese Biographie sich dennoch nicht streng auf das historisch Dokumentierte beschränkte, sondern es mit unbelegten Details romanhaft anreicherte, wurde sie nicht nur für Friedrich Hebbel zur wichtigsten Quelle, sondern hatte auch große Bedeutung für viele andere literarische Bearbeiter – und Librettisten – des neunzehnten Jahrhunderts. Fast alle primären Dokumente des historischen Geschehens sind schon bei Lipowsky zusammengestellt, so etwa die bereits genannten Stiftungsurkunden der beiden Herzöge oder die Rechtfertigungsschrift Herzog Ernsts vor Kaiser Sigismund, außerdem Stadtkammerrechnungen und Prozessakten aus dem Münchner Hofarchiv (vgl. zu den Quellen Schäfer / Böhm 1995 und Huber / Firsching 1999).
III Werkliste Albert der Dritte von Bayern „Ein Singspiel in fünf Aufzügen“ Musik Text Georg Joseph Vogler Karl Theodor von Traitteur
Uraufführung 1781, München
Agnes Bernauerin „Eine Burleske mit Gesang in drey Akten, travestirt in deutsche Knittelverse“ Musik Text Uraufführung Ignaz Xaver von Seyfried Karl Ludwig Gieseke 1797, Wien Agnes, der Engel von Augsburg „Große Oper in vier Aufzügen“ Musik Text Carl August Krebs August Lewald
Uraufführung 1834, Hamburg
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Odda di Bernaver „Melodramma in due atti“ Musik Giuseppe Lillo
Text Emmanuele Bidera
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Uraufführung Frühjahr 1837, Neapel
Agnes die Bräuerin, oder: Biernigel unter den Wilden „Parodie des Schauspieles: Agnes Bernauerin, mit Gesängen, Tänzen und Gruppirungen der Wilden in 2 Aufzügen“ Musik Text Uraufführung Carl Binder Franz Pokorny [?] 6.8.1840, Wien Agnes Bernauer „Ein Bühnenspiel in drei Aufzügen“ Musik Text Felix Josef von Mottl Felix Josef von Mottl
Uraufführung 28.3.1880, Weimar
Der Engel von Augsburg Oper in drei Akten und fünf Bildern Musik Text Joseph Messner Karl Neumayr
Entstehung 1936
Agnes Bernauer Oper Musik Leo Justinus Kauffmann
Text Eduard Reinacher
Entstehung 1944
Die Bernauerin „Ein bairisches Stück“ Musik Carl Orff
Text Carl Orff
Uraufführung 8.6.1947, Stuttgart
Cid Gerhard Wild I Präsenz des Sujets Ungefähr vierzig Opern handeln von Rodrigo Diaz de Vivar, genannt ‚El Cid‘. Während der Schwerpunkt der Aufführungen im achtzehnten Jahrhundert in Italien und Frankreich lag, verschiebt er sich in der Romantik nach Deutschland und Österreich. Erst im zwanzigsten Jahrhundert erreicht der Stoff das Herkunftsland Spanien, tangiert dann die Niederlande und die USA. Nur sechs der Werke entstanden im zwanzigsten Jahrhundert, die verbleibenden Werke entstammen je zur Hälfte dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Ist der Cid-Stoff bis heute durchgängig präsent, so trifft dies auf keines der Werke als solches zu. Ausgelöst durch Aufführungen in der New Yorker Carnegie Hall im Jahr 1976, erwachte in den späten 1970er Jahren das Interesse an Jules Massenets Oper in den USA, wo der Stoff durch den Historienfilm El Cid (Antony Mann, 1961) präsent war. Aber auch in Europa wurden die in Vergessenheit geratenen Cid-Opern von Massenet und Peter Cornelius erst in den vergangenen Jahrzehnten wiederbelebt, und ob sich diejenigen Louis Théodore Gouvys (1865/2011) und Claude Debussys (1893/1993) etablieren, ist nicht abzusehen. Massenets Le Cid wurde am 30. November 1885 in Paris uraufgeführt. Es war die zehnte Oper des Franzosen, der seit dem Erfolg seiner Manon zu den populärsten Opernkomponisten seiner Zeit zählte. Das Libretto beruht auf dem ersten der beiden 1618 unter dem Titel Las mocedades del Cid veröffentlichten Dramen von Guillén de Castro und auf Corneilles Le Cid (UA 1637). Vor dem historischen Hintergrund der Reconquista steht im Zentrum des Stückes der Konflikt zwischen individuellem Liebesglück („bonheur“) und den in der kastilischen Feudalgesellschaft verabsolutierten Werten Stand, Familie und Ehre („honneur“). Die Liebe zwischen Rodrigo und Chimena wird dadurch gestört, dass jener, um die Ehre seines Vaters wiederherzustellen, Chimenas Vater im Duell tötet. Als sie Gerechtigkeit fordert, kommt die Nachricht eines Maurenangriffs. Rodrigo wird zum Heerführer bestimmt. Als nach der Schlacht die Falschmeldung von Rodrigos Tod die Runde macht, wird sich Chimena ihrer Gefühle bewusst. Am Ende kann sie Rodrigo mit dem Segen des Königs in die Arme schließen. Cornelius’ lyrisches Drama Der Cid wurde am 21. Mai 1865 im Hoftheater Weimar uraufgeführt. Wie für seine komische Oper Der Barbier von Bagdad verfasste der ‚Dichtermusiker‘ das Libretto selbst. Er griff auf die Dramen Guilléns de Castro https://doi.org/10.1515/9783110424089-003
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zurück, kannte aber auch Herders Der Cid und Victor Aymé Hubers Geschichte des Cid Ruy Díaz Campeador von Bivar (Bremen 1829). Cornelius verlegt den Beleidigungskasus und das Duell vor den Beginn der Opernhandlung und übernimmt von Corneille die Gestalt des in Chimene verliebten Gegenspielers Alvar Fanez: Als dieser Rodrigos Schwert überbringt, glaubt Chimene an dessen Tod und gesteht öffentlich ihre Liebe (Cornelius 1891, S. 35). Durch den befreundeten Weimarer Bibliothekar Reinhold Köhler hatte Cornelius rudimentäre Kenntnis nicht nur der Romanzendichtungen, sondern auch des altspanischen Cantar de mío Cid (Koppen 1977, S. 143 f.), der 1799 von Tomás Antonio Sánchez veröffentlicht worden war.
II Historische Schichten Die jüngste Fassung des Stoffs zählt zu den bislang nur drei Versuchen, der CidThematik etwas Komisches abzugewinnen. La fille du Cid wurde am 25. Juni 1995 in Paris uraufgeführt. Zum Libretto des Dramaturgen Frank T’Hézan schuf der Offenbach-Herausgeber Jean-Christophe Keck eine halbstündige Kammeroperette (Keck 1995). Als Parodie auf die heroische Oper konzipiert, wird das Werk gemeinsam mit Jacques Offenbachs Einakter La leçon du chant magnétique aufgeführt (Toulouse 2003, Paris 2004). De Cid, eine burleske Oper in vier Aufzügen des Niederländers Johan Wagenaar, kam am 14. April 1916 in der Stadschouwburg zu Utrecht zur Uraufführung. Das Libretto nennt als Autor C. Servan-Lunwa, ein kollektives Pseudonym für Johan Wagenaar, Cornelia Serrurier und Samuel Adrianus van Lunteren. Es handelt sich um ein Werk an der Schwelle zur Parodie, das, musikalisch am frühen Richard Strauss orientiert, das Pathos eines überlebten Rittertums in ähnlicher Weise persifliert, wie es Wagenaar zehn Jahre früher mit seiner Version von Edmond Rostands Cyrano de Bergerac (1905) unternommen hatte. El Campeador des Dukas-Schülers Arturo Dúo Vital wurde bislang nicht aufgeführt. Dúo Vital vollendete das im Auftrag der Juan-March-Stiftung komponierte Werk kurz vor seinem Tod im Jahr 1964. Seine Auseinandersetzung mit musikologischen Erkenntnissen schlug sich in der Instrumentierung nieder, aber auch in der Adaptation musikalischer Strukturen der Musik vor 1600: Madrigalsatz, A-capella-Polyphonie, Frühe Mehrstimmigkeit (Ferrer Cayón 2014, S. 40 f.). El Campeador entstand nach einem Libretto der auf Opern und Zarzuelas spezialisierten Brüder Guillermo und Rafael Fernández-Shaw Yturralde, die direkt auf den altspanischen Cantar de mío Cid zurückgriffen. Der nationalkonservative Philologe
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Menéndez Pidal propagierte damals eine Lesart des mittelalterlichen Heldenepos als Gründungswerk einer alle sprachlichen und ethnischen Unterschiede nivellierenden Hispanität, die mit den Ideen der Franco-Diktatur konvergierte. Die Nähe zu dem Heldenlied bedeutet bühnentechnisch eine Herausforderung, da die im Epos auftretenden zahlreichen Einzelgestalten wie auch die unterschiedlichen Volksgruppierungen einen kaum zu bewältigenden personellen Aufwand erfordern. Auch die einzige amerikanische Cid-Oper, Henry Washington Lees El Cid Campeador, gelangte bislang nicht zur Aufführung. 1917 entstanden, zählt sie zu einer damals modischen Gruppe US-amerikanischer Musikdramen historischexotischen Gehalts, zu denen u. a. Henry Kimball Hadleys Azora, Montezuma’s Daughter (1917) und Cleopatra’s Night (1920) gehören. Lees eigenes Libretto spiegelt einen für damalige amerikanische Verhältnisse außergewöhnlich akribischen Umgang mit altspanischen Texten. Der Vorrede des Libretto-Drucks (Lee 1917, S. 5–7) zufolge hat er neben dem volkssprachigen Epos einige weitere Quellen herangezogen, darunter vor allem auch eine Quellensynthese des englischen Romantikers Robert Southey (1808). Bedingt durch den Rückgriff auf die älteren Vorlagen benötigt Lee wesentlich mehr singendes Personal: Fünf Tenören, vier Baritonen sowie drei Bässen stehen lediglich ein Alt, ein Sopran und ein Mezzosopran gegenüber, womit die Besetzung die altkastilische Marginalisierung der Frau abbildet. Der Chor ist mit der Darstellung von ägyptischen Sklaven, maurischen und kastilischen Soldaten, Spielleuten, Tänzerinnen und Klerikern nahezu permanent involviert. Entsprechend finden sich in dem turbulenten Stück kaum Ruhepunkte. Die Oper beginnt, womit die meisten europäischen Werke enden, denn der Liebes- und Rachekasus zwischen Rodrigo und Chimena wird lediglich in der ersten Szene als Vorgeschichte eingeführt, um die vom König befohlene Hochzeit des Paars zu motivieren, die den ersten Akt beschließt. Insbesondere die maurische Thematik rückt dafür stärker ins Zentrum, vor allem die Liebesgeschichte zwischen El Cid und Hafiza, der Tochter eines unterlegenen maurischen Fürsten. Lees Dramaturgie wechselt kalkuliert wenige Dialogszenen mit Ensembles und Tanzeinlagen wie dem Tanz einer Maurin und dem Kampf von Mauren und Christen. Originell sind gerade jene Szenen, die Lee aus den Texten Escobars und dem Cantar de mío Cid übernimmt. So verwendet Lee jene Episode der älteren CidÜberlieferung, in der Rodrigo eine List gebraucht, um sich von reichen Juden in Burgos Geld für seinen Feldzug zu leihen: Er hinterlegt ihnen als Pfand eine mit Sand gefüllte Kiste, die bis auf den heutigen Tag im Domkapitel von Burgos ausgestellt ist. Ungewöhnlich ist der Schluss der Oper: Nach einem Liebesdialog mit Hafiza und der Aufdeckung der Intrige gegen die Juden bricht der Cid ziemlich
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unvermittelt in seinem Haus in Valencia zusammen. Auf seinen eigenen letzten Wunsch hin wird sein Leichnam auf ein Pferd gesetzt und in die Schlacht geführt, wo sein Erscheinen wesentlich zum Sieg über die Feinde beiträgt. Manuel Manrique de Lara, Schüler von Ruperto Chapí, dem Begründer der genuin spanischen Oper, präsentierte am 16. Mai 1906 (sowie am 1. Mai 1907 und 4. April 1909) im Teatro Real Szenen des zweiaktigen Rodrigo de Vivar. Dass sich ein spanischer Musiker mit dem Stoff beschäftigte, erklärt sich aus der damaligen Situation der spanischen Oper, die Felipe Pedrell und Ruperto Chapí in den vorangegangenen Jahrzehnten von der Dominanz der italienischen Vorbilder auf zwei konkurrierenden Wegen befreit hatten. Das Ende einer rein italienischsprachigen Opernkultur implizierte die Hinwendung zu nationalspanischen mittelalterlichen Stoffen wie Emilio Arrietas La conquista de Granada (1850) und Tomás Bretóns Guzmán el Bueno (1876). Manrique de Laras Oper spiegelt aber auch das geistige Klima nach dem 1898 gegen die USA verlorenen Krieg, der den Verlust der letzten Überseebesitzungen bedeutete und eine Rückbesinnung auf nationale Traditionen einleitete. Im Zuge dieser Suche nach der Hispanität stellt Rodrigo de Vivar eine eigenwillige Cid-Oper dar, insofern Manrique sich zu den altkastilischen Versionen des Stoffs zurückbegab. Mit den zeitlich weit auseinanderliegenden Varianten des Cid-Stoffs wurde Manrique durch den Mediävisten Menéndez Pidal vertraut, dessen Vorlesungen er seit den 1890er Jahren frequentierte. Er lernte so die spät mittelalterlichen Prosa-Auflösungen ebenso kennen wie die in den Romanzensammlungen niedergelegten Volksballaden, vor allem aber die ältesten Fassungen der altspanischen Heldendichtung: den Cantar de mío Cid aus dem dreizehnten und den Cantar de Rodrigo aus dem vierzehnten Jahrhundert. Selbst altkastilische Sprachformeln zitiert Manrique in dem von ihm verfassten Libretto. Auch hier geht es in erster Linie um Beleidigung, Duelltod und die sich entwickelnde Liebe des Protagonistenpaares; doch vollzieht sich dies vor dem Hintergrund der durch Ramón Menéndez Pidal erschlossenen Stofftradition (Crónica de Castilla, Cantar de Rodrigo, Crónica general de 1344). Außerdem gewinnt das durch die Wiederentdeckung von Spaniens maurischen Wurzeln beförderte Thema des Zusammenwirkens von christlicher, muslimischer und jüdischer Kultur in der Oper wesentliches Gewicht, was indes von zeitgenössischen Kritikern moniert wurde. Später sollte Manrique Forschungsreisen als Volksliedsammler im Nahen Osten und im Maghreb auf der Suche nach den semitischen Wurzeln der spanischen Musik unternehmen. Beachtlich ist die an Wagner orientierte systematische Anwendung der Leit motivtechnik zur Markierung von Personen, Örtlichkeiten und vor allem psychologischen Situationen. Ein Kritiker meinte, diese Oper sei „wagnerianisch vom
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Scheitel bis zur Sohle“ (zit. nach Díaz González 2015, S. 369). Kurz nach der spanischen Erstaufführung des Tristan arbeitete Manrique Teile der bis heute ungedruckten Partitur in die sinfonische Dichtung Leyenda (1910) um. Zur Entstehung von Manriques nie vollständig aufgeführter Oper und auch zur positiven Resonanz darauf trug die in Spanien seit 1900 geführte Diskussion um Wagner anfänglich bei. Die mit dem Ausbruch des Weltkriegs erfolgte Abwendung von Germanophilie und Wagnerismus, die seit 1917 zur offiziellen Haltung Spaniens wurde, war der Grund für den Rückgang des Interesses an Rodrigo de Vivar. Ebenso wie beim Spanier Manrique zeigte sich der Einfluss Richard Wagners anfänglich bei einem französischen Komponisten, der „nach einigen Jahren leidenschaftlicher Pilgerfahrten nach Bayreuth“ allerdings „an der Lösung Wagner zu zweifeln begann“ (Debussy 1982, S. 66). Claude Debussys Rodrigue et Chimène wurde am 14. Mai 1993 anlässlich der Neueröffnung der Opéra de Lyon uraufgeführt. Über das verloren geglaubte Manuskript zirkulierten in der frühen DebussyLiteratur abenteuerliche Erzählungen, die durch Debussys eigene Äußerung, er habe das Manuskript versehentlich verbrannt, gefördert wurden. Tatsächlich wurde das Original von Alfred Cortot erworben und geordnet. Nach dessen Tod in die USA verkauft, transkribierte der Musikologe Richard Langham Smith den in vielerlei Hinsicht lückenhaften handschriftlichen Klavierauszug (Debussy 2003, S. XIX f.), dessen Orchestrierung Ėdison Denisov vervollständigte. Die Genese des Werks erstreckte sich auf diese Weise von 1890 bis 1993 (ebd., S. XII f.). Dass Debussy es überhaupt in Angriff nahm, hängt mit dem heute kaum noch nachvollziehbaren Ansehen des Librettisten Catulle Mendès zusammen, des Begründers der Revue Wagnérienne und Librettisten von Émmanuel Chabriers Mittelalteroper Gwendolyne (UA 1886). Die Aussicht auf guten Verdienst und eine Aufführung an der Pariser Oper bewogen Debussy dazu, die Vertonung des Librettos zu übernehmen, das ihm Mendès regelrecht aufgenötigt hatte (ebd.). Seit der Fertigstellung des zweiten Akts arbeitete er allerdings nur noch schleppend an der Oper (ebd., S. XVIII). Nach dem Erfolg von Maurice Maeterlincks Schauspiel Pelléas et Mélisande (UA 1893) zeichnete sich ab, dass Debussy dessen statischere Dramenform favorisierte, die seiner Absicht der Überwindung des Wagnerismus näherkam. Dieses Ziel stand quer zu den Ideen des Wagnerianers Mendès, der mit seinen Beiträgen zum Musiktheater ein „germanisch-französisches Nationalwerk“ (Decsey 1936, S. 70) anvisierte. Debussys Beziehung zu ihm kühlte sich ab, seit sich der Komponist dem lyrischen Fin de Siècle-Drama zuwandte und sich mit Opernprojekten zu Vorlagen von Maurice Maeterlinck, Edgar Allan Poe und Gabriele D’Annunzio befasste. Zeitungsberichten zufolge arbeiteten gleichzeitig mit Mendès noch Jules Bar bier und Émile de la Rüe an einem Cid-Libretto. Den damit entbrannten Streit um
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die Priorität entschieden indes Gallet und Blau durch den Erfolg von Massenets Oper für sich. Waren Mendès’ Erfolgsaussichten mit dem Stoff danach zweifelhaft, so hatte der rührige Publizist sein altes Libretto dennoch dem erfolgversprechenden Debussy untergeschoben. Rodrigue et Chimène beruht neben Guillén de Castros Cid-Dramen auf Juan de Escobars im neunzehnten Jahrhundert mehrmals neu aufgelegtem Romancero e Historia del muy noble y valoroso c aballero el cid Ruy Diaz de Bivar (1605), der schon Grundlage für die Cid-Resümees in LouisÉlisabeth de la Vergne, comte de Tressans Bibliothèque universelle des romans (1782–1784) war (Smith 1997, S. 202). Ein anonymer Bericht in Le Journal de Musique rühmt Mendès’ auf diesen Quellen fußendes maurisches Lokalkolorit ([anonym:] 1878, S. 3 f.). Langham Smith verweist neben diesen Quellen aber auch auf Richard Wagner als vordringliches Inzitationsmoment. So dürften bei der Gestaltung des Liebesduettes von Rodrigue und Chimène der zweite Akt des Tristan ebenso einschlägig gewesen sein wie die Blumenmädchen im Parsifal für die Szene der Mägde aus Bivars Gesinde (Debussy 2003, S. XVII). Mendès modelliert in seinem Libretto den Beleidigungskasus im Sinne einer feudalrechtlichen Regelverletzung, denn zu Beginn belästigen betrunkene Knechte des Grafen Gormaz Diego de Bivars Mägde. Dessen Einschreiten für seine Schutzbefohlenen mündet in einen Streit, dem ein Geltungskonflikt zwischen Recht und Ehre unterlegt ist: Gormaz behauptet gegen Diegos Beschwerde die alleinige rechtliche Zuständigkeit für seine Knechte; Diego droht mit Gewalt, muss sich aber wegen seiner Altersschwäche auf schändliche Weise zurückziehen. Eine markante Übertreibung stellt im zweiten Akt der Auftritt des entehrten Diego dar, der mit Dreck beschmiert und zerlumpt erscheint, sodass ihn seine Söhne für einen Bettler halten; dem Codex der Großzügigkeit folgend, bieten sie dem Bedürftigen alle denkbaren Reichtümer, bis er sich als ihr Vater zu erkennen gibt. Als er Rache für die Schande anmahnt, die ihm widerfahren ist, erklärt sich unter ihnen nur Rodrigo bereit, gegen Gormaz anzutreten. Dessen Tod von Rodrigos Hand erfolgt in einem nächtlichen Duell, das deutlich auf die Ermordung des Komturs in Wolfgang Amadeus Mozarts Don Giovanni anspielt. Gleiches gilt auch für die Folgeszene, in der Chimène vor dem Palast den sterbenden Vater findet, der sie zur Rache anstachelt. Als Rodrigo sich dem König stellt, kommt es nicht zur Verurteilung, denn der kastilische König kann es sich nicht leisten, auf seinen Warlord zu verzichten: Rodrigo muss gegen die Mauren in den Kampf ziehen. Die Maurenproblematik ist damit zur Schwundstufe nivelliert; sie hat lediglich noch die Funktion eines „Deus ex machina“. Von drei in innerhalb von zwanzig Jahren in Angriff genommenen französischen Cid-Opern stehen diejenigen Debussys und Massenets in Zusammenhang mit dem Jubiläum der Uraufführung von Corneilles Stück (1887), das seit 1872 wieder ver-
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mehrt auf französischen Bühnen gespielt wurde (Macdonald 2014, S. 202). Masse nets Le Cid, der erfolgreichsten Fassung des Stoffs, geht ein Libretto voraus, das bereits Georges Bizet in Auftrag gegeben hatte. Wie schon Bizet wurde Massenet durch jene legendenhafte Szene Guillén de Castros, in der ein lepröser Bettler dem Cid Erfolg verheißt, zum eigentlichen Inzitationsmoment, da sie ihn an seine Lektüre von Flauberts im selben Jahr erschienener Erzählung La légende du Saint Julien l’hospitalier (1885) erinnerte (Massenet 1982, S. 180; Macdonald 2014, S. 203). Verstärkt durch Adolphe d’Ennery hatte das Autorenduo Louis Gallet und Édouard Blau auf Grundlage von Castros erstem Mocedades-Stück ein neues Libretto geschaffen, das mit Bizets Fassung nur einige Verse gemein hat (Macdonald 2014, S. 204). In Massenets Fassung sind die fünf Akte des ursprünglichen Librettos auf eine vieraktige Form konzentriert. Einzelne Szenen wurden auf bestimmte Sänger und Tänzer hin konzipiert, mit denen Massenet bereits früher zusammengearbeitet hatte (Massenet 1982, S. 182). Massenet interessierte sich dafür nicht zuletzt deshalb, weil es seinem Referenzmodell, Giacomo Meyerbeers grand opéra, nahekam. Hierfür sprechen die Ensembleszenen, in denen sich maurisches Kolorit entfaltet. Der musikalischen Spanienmode folgend, nimmt die Ballettmusik zwar klangliche Anregungen von Massenets Spanienaufenthalt auf (ebd.), indes weist die Musik hier noch weniger Hispanismen als die danach komponierte Carmen auf (Macdonald 2014, S. 204). Der Bariton Jean-Baptiste Faure hatte Anfang der 1870er Jahre Georges Bizet zur Komposition der Oper Don Rodrigue angeregt, zu der Louis Gallet und Édouard Blau das Libretto auf Grundlage von Guillén de Castro verfassten (Imbert 1894, S. 194). Bizet soll sich für das Sujet vor allem durch jene Szene im ersten Drama der Mocedades (Castro 1975, S. 104–111) begeistert haben, in der Rodrigo sich einem leprakranken Bettler zuwendet, der sich als der Hl. Lazarus zu erkennen gibt und dem demoralisierten Helden neue Zuversicht einflößt. Während Corneille diese Szene getilgt hatte, wurde sie in dem von Ennery, Gallet und Blau für Massenets Le Cid verfassten Libretto stärker auf das Konzept der Reconquista hin orientiert, indem an Stelle des Bettlers der Maurentöter Santiago tritt. Hugh Macdonald hat die fast siebenhundert Seiten an Skizzen von Don Rodrigue, die sich heute in der Pariser Nationalbibliothek befinden, gesichtet und beschrieben. Demnach hat Bizet lediglich die Gesangsstimmen, nicht aber die Partitur notiert. Überdies fehlen das genrespezifische Ballett und die Ouvertüre. Zeitgenossen berichten, er habe die Gesangspartien begleitet von Klavierimprovisationen im Freundeskreis vorgespielt, wofür als Gewährsmann sein Studienkollege Ernest Guiraud benannt wurde (Bellaigue 1928, S. 1; Macdonald 2014, S. 202). Die Gründe für die Aufgabe des Projekts werden teils mit mangelndem Zuspruch dieser ersten Rezipienten in Verbindung gebracht (McClary 1992, S. 23), teils mit dem Brand der Pariser Oper 1873 und Animositäten zwischen Bizet und
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dem Operndirektor Halanzier (Macdonald 2014, S. 202). Tatsächlich wandte sich Bizet 1873 der Ausführung seiner Carmen zu. In direktem Zusammenhang mit der feierlichen Rückführung der sterblichen Überreste Rodrigos und Chimenas in das Kloster San Pedro de la Cardeña, von wo jene während der Napoleonischen Okkupation verschwunden waren, konzipierte Raffaele Coppola Text und Musik seiner am 23. September 1884 in Cremona uraufgeführten Oper Il Cid (Coppola 1884). Bei Coppola hat das tödliche Duell bereits vor Einsatz der Bühnenhandlung stattgefunden. Rodrigo erscheint so jähzornig, dass ihm auch sein Vater nicht Einhalt gebieten kann. Als der Ritter Sancio im Namen des Königs versucht, Rodrigo zu verhaften, kommt es zum Tumult zwischen den Anhängern beider Parteien, was Rodrigos Verbannung rechtfertigt. Der zweite Akt dient allein der Unterredung zwischen den entzweiten Liebenden. An die Heldenepik erinnert ein antimuslimischer Rassismus, der in den Ensembleszenen am Ende des ersten und dritten Akts zum Ausdruck kommt. Am Ende einer langen Reihe deutscher Fassungen des Stoffs steht die vieraktige Oper Der Cid, die der anhaltische Musikdirektor Willy Boehme 1887 in Dessau nach dem Libretto von A. Mannkopff herausbrachte (Boehme 1886). Boehme, dessen weitere kompositorische Aktivitäten ein blinder Fleck der Musikgeschichtsschreibung sind (Altmann 1936, S. 64), legt den Schwerpunkt auf eine der Bühnenhandlung lange Zeit vorausliegende Fehde der Familien Lainez und Gormaz. Der Konflikt eskaliert zu Beginn der Oper, als Rodrigo Ximenes Vater, Don Gormaz, im Duell tötet. Ximene fordert vom König Strafe für Rodrigo, doch dieser schont seinen siegreichen Feldherrn. Schon zuvor hatte seine Tochter Uraca, die heimlich von ihrem Pagen Alvar verehrt wird, ihre Liebe zu Rodrigo bekannt – ein von Corneille übernommenes Motiv. Dieser jedoch hat sich in Ximene verliebt, was wiederum Uraca nicht verborgen bleibt. Boehme entfaltet die damit entwickelte komplexe Psychologie der Liebes-, Eifersuchts- und Ehrkonflikte in einem wirkungsvollen Quintett, das den zweiten Akt beschließt. Während sich Ximene dann im dritten Akt in einer einzigen nächtlichen Unterredung mit Rodrigo in Liebe einig wird (III.3), bereitet Uraca einen Giftanschlag auf die Nebenbuhlerin vor. Auf dem Hochzeitsfest Rodrigos und Ximenes aber kann sie im letzten Moment ihren Rachetrieb zügeln und leert schicksalsergeben selbst den Becher mit dem tödlichen Gift. Boehmes Cid kommt als Streit zweier Sippen und als doppelte Kette frustrierter Liebesgeschichten nahezu völlig ohne den Kontext des Kriegs gegen die Mauren aus. Wenn das Volk den Sieger über die Maurenkönige feiert, so ist deren Funktion damit erfüllt, zu erklären, warum Rodrigo „Cid“ genannt wird (II.2).
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Peter Cornelius benutzte als Quellen u. a. die Geschichte des Cid Ruy Diaz Campeador von Bivar (1829) von Victor Aimé Huber und den anonymen Cantar de mío Cid (um 1200, deutsch 1850). Auch Cornelius verlegt den Tod des Beleidigers Lozan vor den Anfang der Bühnenhandlung. Chimene fordert gegenüber König Ferdinand Rache. Alvar Fanez ist bereit, für Chimenes Genugtuung im Zweikampf gegen Ruy Diaz anzutreten, doch die beiden werden von Bischof Luyn Calvo zurückgehalten, der den Cid dazu bewegen kann, sein Schwert Chimene auszuhändigen. Diese jedoch verzichtet darauf, ihn zu töten. Als die Nachricht von der Invasion der Mauren eintrifft und das Volk fordert, der Cid solle dem Feind entgegenziehen, gibt Chimene ihm das Schwert zurück. Während der Vorbereitung zum Feldzug keimt Liebe in Chimene und Ruy Diaz auf, die sie sich zunächst nicht eingestehen. Als im dritten Akt der siegreiche Cid erwartet wird, kommt die Nachricht, Alvar Fanez habe ihn zum Kampf gefordert, wofür sich nun Chimene Vorwürfe macht, die sich mittlerweile ihrer Gefühle bewusst ist. Die Ankunft Alvars erfüllt sie mit Schrecken, doch kurz darauf trifft auch Ruy Diaz ein, der Alvar besiegt, aber nicht getötet hat. Der König belehnt Ruy Diaz mit einigen Städten. König und Volk feiern schließlich die Vereinigung von Cid und Chimene, die in einem Schlussmonolog die tragische Alternative des glücklichen Endes als Traumerzählung präsentiert. Im Traum habe sie Ruy Diaz kämpfend sterben sehen – und dann selbst jene Kriegslist ins Werk gesetzt, die etwa in Lees Oper als tatsächliches Geschehen berichtet wird: Der tote Cid wird wieder aufs Pferd gesetzt, und sein Anblick schlägt die Feinde in die Flucht (Cornelius 1891, S. 38). Nach einem Libretto von Otto Prechtler am Deutschen Theater in Pest 1846 uraufgeführt, nähert sich Louis Schindelmeissers heroisch-romantische Oper Der Rächer einem Kriminalfall. Als der junge Rodrigo den Oberbefehl beim Maurenfeldzug erhält, beleidigt Gormaz, der sich zurückgesetzt fühlt, den Grafen Diego von Vivar, indem er (I.6) andeutet, Rodrigo sei nicht Diegos Sohn (Schindelmeisser 1852, S. 8). Auf Rodrigos Kampfforderung meldet sich indes nicht Gormaz, sondern der Edelmann Lara, der darin eine Gelegenheit sieht, seinen Nebenbuhler um Ximenes Gunst loszuwerden. Beim triumphalen Empfang des siegreich aus dem Feldzug zurückkehrenden Rodrigo tritt Ximene vor den König, berichtet vom Mord an ihrem Vater und verlangt Rache an dem unbekannten Mörder. Rodrigo schwört seiner Geliebten, ihn zu töten, und muss später erkennen, dass er selbst Gormaz getötet hat, den er in dem nächtlichen Zweikampf für Lara halten musste. Um seine Ehre zu bewahren, will Rodrigo sich nun selbst richten, doch Ximene entbindet ihn von seinem Schwur.
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Heinrich Neebs nach Carl Gollmicks Libretto komponierte Oper Der Cid, die in Frankfurt 1843 zur Aufführung gelangte, verkompliziert den Nexus von Liebe und Familienrache um Elemente aus den altspanischen Romanzen, auf die Castro für sein zweites Mocedades-Stück zurückgriff. Gegen diese Tradition modifiziert er aber die Rolle des Königsmörders Bellido Dolfo, der nun lediglich ein in Ximene verliebter Vasall König Ferdinands wird. Auch dämonisiert Neeb die Gestalt der Uraka, die aus enttäuschter Liebe zu Rodrigo zur Landesverräterin und daher schließlich in ein Kloster verbannt wird (Neeb 1843, S. 23 f. u. S. 65). Die früheste komische Version des heroischen Stoffs wurde durch den Tod des Komponisten Norbert Burgmüller im Jahr 1836 verhindert, weil dadurch Christian Dietrich Grabbes parodistische „Große Oper in 2–5 Akten“ mit dem Titel Der Cid nicht zur musikalischen Ausführung kam. In der Nachfolge des jungen Ludwig Tieck schuf Grabbe ein Libretto, das mit dem Konzept des ‚Spiels im Spiel‘ aufwartet, in dem nicht nur der Komponist Burgmüller selbst auftritt. Vielmehr wirft Grabbe kritische Schlaglichter auf den zeitgenössischen Theaterbetrieb, wenn die Opernkritiker Ludwig Rellstab und David Bär [?] Schiff das Geschehen kommentieren und der Komponist Meyerbeer gar aus seinem Robert le Diable (1831) zitiert (Grabbe 1874, S. 100–103). Grabbe hatte sich mit der Posse zu Formen der Illusionsbrechung zurückgearbeitet, die Corneille in jungen Jahren erprobt hatte. Mehr noch als andere Werke Grabbes geriet diese Ironisierung der romantischheroischen Oper in Vergessenheit. Luigi Savi brachte 1834 im Teatro Ducale in Parma Il Cid nach dem Text von Jacopo Ferretti heraus. An Stelle der Ehr- und Rachekonstellation betont der Librettist die Begehrenskonstellationen unter Berufung auf Corneille (Savi 1834, S. 4), bei dem die Rivalität zwischen Cimene und der Infantin (hier: Isabella) bereits angelegt ist. Doch an Stelle der Standesklausel und der klassischen Dämpfung, die von Corneilles Urraca stoische Haltung und Triebverzicht fordern, steht Isabellas Eifersucht im Mittelpunkt. Die maurische Bedrohung wie auch Cimenes Zwiespalt dienen als retardierende Momente, während die Infantin bis zuletzt hofft, dass Cimene Rodrigo abweist. Als sie in der letzten Szene ihre verborgene Liebe bekennt, bereitet dies nur noch den Liebesverzicht und einen wirkungsvollen Abgang vor. Das dem Eifersuchtsdrama inhärente Konfliktpotential wird damit konventionell im Sinne jenes Tugendmodells moderiert, das der aus der Mode gekommenen opera seria zugrunde lag. Am Münchner Nationaltheater hatte am 1. Mai 1821 Johann Caspar Aiblingers heroische Oper Rodrigo und Zimene nach einem Libretto von Jakob Ignaz Sendtner Premiere. Bereits in der ersten Szene drängt Don Diego seinen Sohn Rodrigo vor
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versammelter Ritterschaft dazu, Rache an Gormaz zu nehmen. Wieder geht eine ältere Familienfehde voraus. Sobald Gormaz aus einer Schlacht gegen die Mauren als siegreicher Feldherr zurückgekehrt ist, fordert Rodrigo ihn vor dem König heraus und tötet ihn im öffentlichen Zweikampf. Der Tod des gefeierten Kriegshelden Gormaz am Ende des ersten Akts markiert das Sicherheitsvakuum Kastiliens, vor dem die Frage nach Genugtuung der verwaisten Zimene zurücktritt – zumal da ihr innerer Konflikt zwischen Racheverlangen und Liebe sich ohne weiteres durch eine Traumvision erledigt, in der sie von ihrem Vater als „Geist des Friedens“ gesegnet wird (Aiblinger 1821, S. 29). Die Not des Volkes ohne Erlösergestalt wird durch Szenen im Maurenlager forciert, denn die Nachricht von Gormaz’ Tod beflügelt den Kampfgeist der Ungläubigen. So wird Rodrigos Einsatz als Heerführer an Stelle des von seiner Hand Getöteten unvermeidlich. Nach Rodrigos Sieg über die Feinde gibt ihm der König zur Belohnung Zimene zur Frau. Am Beginn des neunzehnten Jahrhunderts steht Giuseppe Farinellis zweiaktige Oper Il Cid delle Spagne nach einem Libretto von Antonio Simeone Sografi. Sie wurde zur Karnevalssaison 1802/03 in Venedig gespielt (Farinelli 1802, S. 1). Äußere Handlungen wie der Maurenkrieg und das Duell ist zugunsten der inneren Konflikte der jungen Protagonisten weitestgehend reduziert. Diego kämpft gegen Gormas, der vom König beim Oberbefehl im Kampf gegen die Mauren übergangen wurde. Da Diego Climene verschweigt, dass Rodrigo ihren Vater getötet hat, muss dieser selbst seine Schuld eingestehen. Minimalistisch hinsichtlich des Personals und der Schauplätze verstärkt Farinelli an seinen Protagonisten die von Corneille übernommene Tendenz eines Abgleichs von Leidenschaften und gesellschaftlichen Ansprüchen, der dem Kontrast von zwei Generationen und deren Handlungsweisen entspricht. Il Cid delle Spagne zeigt insofern die Effekte jenes Regulierungsdrucks, welche die französische „doctrine classique“ auf die opera seria ausübte. Die bislang gründlichste Studie zur frühen Stoffgeschichte nennt für den Zeitraum des achtzehnten Jahrhunderts über ein Dutzend Cid-Opern (López Verdejo 2016, S. 203 f.). Diese gehen über mehrere seit 1640 teils anonym entstandene italienische Übersetzungen auf Corneilles Stück zurück (Lombardi / Garcia 1998, S. 179–192). Der tatsächlich greifbare Bestand von zwischen 1715 und 1783 entstandenen Cid-Opern beruht auf Textbüchern der Librettisten Giovanni Giacomo Alborghetti, Benedetto Pasqualigo, Gioacchino Pizzi und Giovanni Gualberto Bottarelli. Diese wurden nicht nur von mehreren Komponisten eingerichtet, sondern zeichnen sich überdies durch wechselseitige Übernahmen aus (López Verdejo 2016, S. 211). Giovanni Giacomo Alborghettis Libretto etwa liegen die erste genuine Cid-Oper (ebd., S. 225), Jean-Baptiste Stucks Il Gran Cid (Livorno 1715),
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das gleichnamige Werk Francesco Gasparinis (Neapel 1717), Leonardo Leos Il Cid (Rom 1727) sowie zwei weitere Opern (Florenz 1737, Livorno 1741) zugrunde, deren Partituren verloren sind (ebd., S. 207 f.). Benedetto Pasqualigos Cimene wurde von Girolamo Bassani (Venedig 1721) und Ferdinando Guiseppe Bertoni (London 1783) vertont (ebd., S. 211). Giovanni Gualberto Bottarellis Text liegt Antonio Sacchinis Il Cid (London 1773) und Giovanni Paisiellos Il Gran Cid (Florenz 1775) zugrunde. Gioacchino Pizzis Libretto verwendeten Niccolò Piccinni für Il Gran Cid (Neapel 1766), Carlo Francchi in Il gran Cidde Rodrigo (Turin 1768), Antonio Sacchini für Il Cidde (Rom 1769, neue Fassung für Lissabon 1773), Giuseppe Francesco Bianchi für Il Gran Cidde (Florenz 1773) und Antonio Rosetti für Il Gran Cid (Neapel 1780). Auch finden sich Übernahmen aus Alborghettis römischer Fassung (1727) bei Pizzi und Bottarrelli (ebd., S. 221). Letzterer seinerseits hat Einfluss auf Pasqualigos Londoner Fassung (1783) ausgeübt. Abgesehen von den in London und Lissabon aufgeführten Werken waren alle für Opernhäuser in Italien konzipiert. Antonio Sacchini hat neben den zwei italienischen Opern auf Basis Pizzis und Bottarellis den frühesten Cid in französischer Sprache komponiert. Hierfür hatte ihm der Gräzist Guillaume Dubois de Rochefort erfolglos sein Libretto Chimène et Rodrigue angeboten, das 1783 ohne Vertonung zum Druck kam, da sich Sacchini für Nicolas-François Guillards Libretto entschied (Guillard 1783). Guillard hatte schon den Text von Christoph Willibald Glucks Iphigénie en Tauride verfasst, und Sacchini wurde von den Gluckisten in Paris gegen Niccolò Piccinni in Stellung gebracht, der bereits 1766 Il Gran Cid komponiert hatte. Auch in Guillards Text lassen sich neben wörtlichen Corneille-Zitaten Übernahmen aus dem Libretto von Alborghetti, ja sogar von Rochefort aufweisen (López Verdejo 2016, S. 205). Sacchinis Chimène ou Le Cid wurde am 18. November 1783 vor dem französischen Königspaar in Fontainebleau uraufgeführt, die öffentliche Premiere in der Pariser Académie Royale de Musique folgte am 9. Februar 1783. Nach 1800 geriet diese erste französischsprachige Cid-Oper in Vergessenheit. Gegenwärtig zeichnet sich in Frankreich eine Renaissance von Sacchinis Cid ab, der 2017 u. a. in St-Quentinen-Yvelines und Herblay aufgeführt wurde. Am Beginn der Cid-Vertonungen steht Tomaso Albinonis 1701 in Venedig uraufgeführte Oper L’inganno innocente. Das Werk hat mit El Cid zwar die Namen der Protagonisten Rodrigo und Climene gemein, nimmt aber nicht auf den stofftypischen Nexus von Familienehre, Liebe und Reconquista Bezug (Albinoni 1701, S. [6]). Wichtigste Vorlage nicht nur für das achtzehnte Jahrhundert ist also Corneilles 1637 uraufgeführter Cid, der selbst wiederum eine Bearbeitung des ersten Stücks der 1618 erschienenen Las mocedades del Cid des valencianischen Edelmanns
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Guillén de Castro y Belvís darstellt. Die Brücke zu den mittelalterlichen Redaktionen bilden altspanische Romanzen wie Juan de Escobars Romancero e Historia del Cid (1605). Erst in diesen Volksballaden wird die Cid-Gestalt zum Mantel- und Degenhelden. Die Archäologie des Cid-Stoffs führt im Gegensatz zu anderen im Mittelalter wurzelnden literarischen Stofftraditionen zu einer historisch belegten Gestalt: Rodrigo, Sohn des Diego („Diaz“) aus dem kastilischen Dorf Vivar. Rodrigo dürfte bei seinem Tod am 10. Juli 1099 während der Belagerung Valencias durch den Almoraviden-Emir Yūsuf b. Tāšfīn [Yussuf Ibn Tashfin] etwa fünfzig Jahre alt gewesen sein. Rodrigo hatte im Auftrag Alfons VI. von Kastilien, aber auch zu seinem persönlichen Vorteil muslimische Territorien erobert. Fast alle Cid-Opern handeln allerdings von ihm nicht so sehr als Eroberer und gescheiterter Verteidiger Valencias, sondern setzen vielmehr den jugendlichen Vasallen zweier Könige in Szene. Rodrigo stand zunächst in Diensten Sanchos II., der seine Geschwister Elvira, Urraca, García und Alfons bekriegte, da er sich mit der von seinem Vater Ferdinand I. testamentarisch verfügten Teilung des Königreichs in Galicien, León und Kastilien nicht abfinden wollte. Bei der Belagerung der Stadt Zamora, dem Erbe von Königin Urraca, starb 1072 Sancho unter ungeklärten Umständen, woraus das Gerücht seiner Ermordung durch den Ritter Vellido Dolfos entstand, das u. a. auf Sanchos Grabstein dokumentiert ist. Älteren Quellen zufolge habe Rodrigo gegenüber Alfons, dem so Galizien, Leon und Kastilien zufielen, den Treueid unter der Bedingung abgelegt, dieser müsse schwören, nicht für den Tod des früheren Lehensherrn verantwortlich zu sein. Dieser Affront soll der Grund für Rodrigos Verbannung („destierro“) gewesen sein. Rodrigo stand während des „destierro“ im Dienst des Emirs von Zaragoza, dessen Staatsgebiet er bei seinem späteren Eroberungszug wohl aufgrund dieser Verflechtung verschonte. Den Hintergrund der meisten Cid-Libretti bildet dieser historisch nicht greifbare Nukleus des „Eides von Santa Gadea“, der später zur Beleidung eines der Granden, eines Grafen Gormaz, abgeschwächt wird. Die im zehnten Jahrhundert vom ersten Umayyaden-Kalifen ʿAbd ar-Raḥmān [Abd ar-Rahman III.] errichtete Burg Gormaz wurde indes erst 1087 durch Rodrigo erobert, der daraufhin den Titel eines Conde de Gormaz führte. Fehlende Informationen über die Jugend von „Rodericus Campidoctor“ und „Eximina Uxor“ (Menéndez Pidal 1918, S. 11) bedingten Amplifikationen in Form epischer Dichtungen wie des Cantar de Rodrigo und der Romanzen. Rodrigos Familie führte sich auf den mythischen Begründer des kastilischen Rechts, Laín Calvo, zurück, während Rodrigos Frau Ximena in der lateinischen Chronik Historia Roderici (1188) noch als die Nichte Alfons VI. bezeichnet wird. Nach Rodrigos Tod versuchte Ximena mit halbherziger Hilfe durch Alfons, Valencia gegen die Almoraviden zu verteidigen.
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Der älteste volkssprachliche Text, der altkastilische Cantar de mío Cid (auch Poema de mío Cid), dürfte in der zweiten Hälfte zwölften Jahrhunderts von einem unbekannten Spielmann aus der Region zwischen Medinacelí und San Estéban de Gormaz verfasst worden sein. Ein gewisser Pere Abbat (auch: Pedro Abad) fertigte 1207 eine Kopie des Gedichts an, von der lediglich jene spätmittelalterliche Pergamentabschrift erhalten ist, die Eugenio de Llaguno y Amírola 1775 in einem Kloster in Vivar auffand. Neuere Forschungen diskutieren eine Autorschaft des aus Toledo emigrierten muslimischen Rechtsgelehrten Abu Walid al-Kinanī alWaqqašī, der von El Cid zum Kadi im eroberten Valencia ernannt worden war. Al-Waqqašī l-Waqqašī, dem von den Verfassern der Primera Crónica General (13. Jahrhundert) eine Elegie auf das von Rodrigo belagerte Valencia zugschrieben wird, habe demnach die früheste Version des Cantar de mío Cid als Propaganda text im Auftrag Rodrigos angefertigt (Perez 2009, S. 347–383). Im Cantar de mío Cid ist Rodrigo die Verkörperung ritterlicher Tugenden wie Duldsamkeit und Treue und wird in der späteren spanischen Kultur zum Leitbild. Anders beurteilen dies wesentlich ältere maurische Historiker wie ʿAlī Ibn Bassām aš-Šantarīnī [Ibn Bassam as-Shantarini], der bereits um 1110 in seinem Hauptwerk, ( د خىيرة فمحاسن أهل لجزيرةDahira fi mahasin ahl al-ğazira = Vermächtnis aus der Schatzkammer der Leute von der (spanischen) Halbinsel), die von Rodrigo in Valencia verübten Gräuel dokumentierte, die er als Augenzeuge erlebt hatte. Zwar ist der Beiname „El Cid“, den Rodrigo angeblich von den Mauren erhielt, arabischen Ursprungs. Doch der Titel ( السىدas-Sayyid = Fürst, Herr, Löwe) findet sich nicht bei zeitgenössischen arabischsprachigen Chronisten. Dort wird العدرق (al-Udriq = Rodrigo) aufgrund seiner auch nach zeitgenössischer Auffassung als Kriegsverbrechen angeprangerten Handlungen als ( كلب الغلكيهkalb al-Ghalikia = „der Hund aus Galicien“) bezeichnet (Sánchez Albornoz 1980; Hoenerbach 1970; Fletcher 1999; Ohlhoff 1999).
III Werkliste L’inganno innocente [1702 unter dem Titel: Rodrigo in Algieri] „Drama per musica“ Musik Text Tomaso Albinoni [1702 mit Francesco Silvani Arien von Jean-Baptiste Stuck] Il Gran Cid „Drama per musica“ Musik Jean-Baptiste Stuck [verloren]
Text Giovanni Giacomo Alborghetti
Uraufführung Karneval 1701, Venedig
Uraufführung Karneval 1715, Livorno
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Il Gran Cid Drama per musica Musik Francesco Gasparini Cimene „Tragedia da cantarsi“ Musik Girolamo Bassani, Marco Zucchini Il Cid Dramma per musica Musik Leonardo Leo [verloren] Il Cid Dramma per musica Musik Leonardo Leo [verloren], Rezitative: Giuseppe Maria Orlandini [verloren] Il Cid Dramma per musica Musik [verloren]
Text Giovanni Giacomo Alborghetti
Uraufführung Karneval 1717, Neapel
Text Benedetto Pasqualigo
Uraufführung Karneval 1721, Venedig
Text Giovanni Giacomo Alborghetti
Uraufführung 10.2.1727, Rom
Text Giovanni Giacomo Alborghetti
Uraufführung 1737, Florenz
Text Giovanni Giacomo Alborghetti
Uraufführung Karneval 1741, Livorno
Il [Gran] Cid „Dramma per musica in tre atti“ Musik Text Niccolò Piccinni Gioacchino Pizzi
Uraufführung 4.11.1766, Neapel
Il Gran Cidde Rodrigo „Dramma per musica in tre atti“ Musik Text Carlo Franchi Gioacchino Pizzi
Uraufführung 26.12.1768, Turin
Il Cidde „Dramma per musica“ Musik Antonio Sacchini
Uraufführung 2.1.1769, Rom
Text Gioacchino Pizzi
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Il Cid „Dramma per musica in tre atti“ Musik Text Antonio Sacchini Gioacchino Pizzi, Giovanni Gualberto Bottarelli
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Uraufführung 19.1.1773, London
Il Gran Cidde „Dramma per musica in tre atti“ Musik Text Giuseppe Francesco Bianchi Gioacchino Pizzi
Uraufführung 27.1.1773, Florenz
Il Cidde „Dramma per musica“ [Neufassung der Version Rom 1769] Musik Text Antonio Sacchini Gioacchino Pizzi
Uraufführung Karneval 1773, Lissabon
Il Gran Cid „Dramma per musica in tre atti“ Musik Text Giovanno Paisiello Giovanni Gualberto Bottarelli
Uraufführung 3.11.1775, Florenz
Il Gran Cid „Dramma per musica“ Musik Antonio Rosetti
Text Gioacchino Pizzi
Uraufführung 12.1.1780, Neapel
Cimene A serious opera Musik Ferdinando Bertoni
Text Benedetto Pasqualigo
Uraufführung 7.1.1783, London
Chimène ou Le Cid „Tragédie lyrique en trois actes“ Musik Text Antonio Sacchini Nicolas-François Guillard
Uraufführung 18.11.1783, Fontainebleau
Il Cid delle Spagne „Dramma per musica“ Musik Giuseppe Farinelli
Uraufführung 17.2.1802, Venedig
Text Antonio Simeone Sografi
Alfons von Kastilien „Romantisch-komische Oper mit Tanz, in zwei Aufzügen“ Musik Text Friedrich Johann von Drieberg Karl Christian Baur
Entstehung 1820–1830
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Rodrigo und Zimene „Heroische Oper in zwey Aufzügen“ Musik Text Johann Caspar Aiblinger Jakob Ignaz Sendter
Uraufführung 1.5.1821, München
Chimene „Große Oper in drei Akten“ Musik Carl Jakob Wagner
Uraufführung 16.12.1821, Darmstadt
Text Karl Christian Baur
Der Cid „Große Oper in zwei bis fünf Akten“ Musik Text Norbert Burgmüller [nicht Christian Dietrich Grabbe ausgeführt]
Entstehung um 1835 [Erstdruck: 1845]
Il Cid „Melodramma serio in due atti“ Musik Text Luigi Savi Jacopo Ferretti
Uraufführung 8.2.1834, Parma
Der Cid „Große heroische Oper in drei Abteilungen“ Musik Text Heinrich Neeb Carl Gollmick
Uraufführung 23.1.1843, Frankfurt am Main
Der Rächer „Heroisch-romantische Oper in vier Akten“ Musik Text Louis Schindelmeisser Otto Prechtler
Uraufführung 4.4.1846, Pest
Don Rodrigo Diaz de Vivar, der Cid Große heroische Oper in vier Akten Musik Text Emil Mayer Josef Karl Schmidt
Uraufführung 5.4.1848, Linz
Il Cid „Tragedia lirica in tre atti“ Musik Giovanni Pacini
Text Achille de Lauzières
Der Cid „Lyrisches Drama in drei Aufzügen“ Musik Text Peter Cornelius Peter Cornelius
Uraufführung Karneval 1852/1853, Mailand
Uraufführung 21.5.1865, Weimar
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Der Cid „Oper in drei Akten“ Musik Louis Théodore Gouvy
Don Rodrigue Oper in fünf Akten Musik Georges Bizet [Partitur verschollen] Il Cid „Melodramma in tre atti“ Musik Raffaele Coppola
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Text Moritz Hartmann
Uraufführung 3.6.2011, Saarbrücken [Entstehung: 1860–1863]
Text Louis Gallet, Édouard Blau
Uraufführung [partiell] 12.12.1880, Paris [Entstehung: 1872/1873]
Text Raffaele Coppola
Uraufführung 23.9.1884, Cremona
Le Cid „Opéra en quatre actes et dix tableaux“ Musik Text Jules Massenet Adolphe d’Ennery, Louis Gallet, Édouard Blau
Uraufführung 30.11.1885, Paris
Der Cid „Oper in vier Akten“ Musik Willy Boehme
Text A. Mannkopff
Uraufführung 1887, Dessau
Rodrigue et Chimène „Opéra en trois actes“ Musik Claude Debussy
Text Catulle Mendès
Rodrigo de Vivar „Drama lírico“ Musik Manuel Manrique de Lara
Uraufführung 14.5.1993, Lyon [Entstehung: 1890–1893]
Text Manuel Manrique de Lara
Uraufführung [partiell] 16.5.1906, Madrid
De Cid „Burleske Oper in vier Aufzügen“ Musik Text Johan Wagenaar C. Servan-Lunwa [d. i. kollektives Pseudonym für: Johan Wagenaar, Cornelia Serrurier, Samuel Adrianus van Lunteren]
Uraufführung 14.4.1916, Utrecht
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El Cid Campeador „An Opera in Three Acts, Eight Scenes“ Musik Text Henry Washington Lee Henry Washington Lee
Entstehung 1917
El Campeador „Drama lírico en tres actos“ Musik Arturo Dúo Vital
Text Guillermo und Rafael Fernández-Shaw Yturralde
Entstehung 1960–1964
Text Frank T’Hézan
Uraufführung 25.6.1995, Paris
La fille du Cid „Kammeroperette“ Musik Jean-Christophe Keck
Johanna von Orléans Frieder von Ammon I Präsenz des Sujets Während die französische Geschichtsschreibung der Gegenwart den Bezug auf die einstige nationale Symbolfigur Jeanne d’Arc eher zu vermeiden versucht, ist sie auf den internationalen Opernbühnen durchaus präsent, vor allem in zwei musiktheatralen Darstellungen aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts: in Arthur Honeggers ‚dramatischem Oratorium‘ Jeanne d’Arc au bûcher (Jeanne d’Arc auf dem Scheiterhaufen) und in Walter Braunfels’ Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna. Aufsehen erregten zuletzt die Aufführungen der Jeanne d’arc au bûcher in der Inszenierung Romeo Castelluccis durch das Orchester der Oper Lyon unter Kazushi Ono (Büning 2017) und der Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna in der Inszenierung Tatjana Gürbacas durch das Kölner Gürzenich-Orchester unter Lothar Zagrosek (Warmuth 2016). Honeggers ‚dramatisches Oratorium‘ Jeanne d’Arc au bûcher entstand – auf Anregung der Tänzerin und Schauspielerin Ida Rubinstein – 1935, also nur wenige Jahre vor Braunfels’ Oper; der Prolog wurde 1944 hinzugefügt (Rösler 1989). Das Werk wurde zuerst konzertant aufgeführt, und zwar – mit großem Erfolg – 1938 in Basel; die szenische Uraufführung in deutscher Sprache (bei der die Übersetzung Hans Reinharts Verwendung fand) folgte vier Jahre darauf in Zürich. Die französische Erstaufführung fand ein Jahr später im Rahmen der Jeanne d’ArcFestspiele in Orléans vor einem begeisterten Publikum statt. Während der deutschen Besatzung Frankreichs wurde das Oratorium als „Symbol der Hoffnung und des Widerstands“ (Rösler 1989, S. 111) dann häufig inszeniert. Dieser Erfolg ist bis heute nicht abgerissen, wozu auch die Tatsache beigetragen hat, dass im Laufe der Inszenierungsgeschichte immer wieder berühmte Schauspielerinnen die Titelrolle übernommen haben, nach Ida Rubinstein zum Beispiel Fanny Ardant, Maria Becker und Ingrid Bergmann. Gegliedert ist das im Hinblick auf seine Gattungszugehörigkeit zwischen Oper, Oratorium und Schauspiel changierende Stück in einen Prolog, der in ein gespaltenes, verzweifeltes (und auf die Entstehungszeit transparentes) Frankreich führt, und elf Szenen, deren erste (‚Die Stimmen des Himmels‘) Jeanne auf dem Scheiterhaufen zeigt. Daraufhin werden wichtige Stationen ihres Lebens rückblickend dargestellt, teils in Form von Jeannes Erinnerungen, teils in Form eines Berichts des Dominikaners Dominique. Der Prozess gelangt in der vierten Szene (‚Jeanne den Tieren ausgeliefert‘) unter Verwendung von Elementen der Fabel in satirischer Zuspitzung vor einem https://doi.org/10.1515/9783110424089-004
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mit Tierfiguren besetzten Gerichtshof zur Darstellung. Die Schlussszene (‚Jeanne in den Flammen‘) bringt die Verbrennung und Verklärung Jeannes. Walter Braunfels vollendete seine Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna zwar schon 1943; ihre konzertante Uraufführung fand aber erst 2001 in Stockholm statt. Die szenische Uraufführung (bei der Christoph Schlingensief Regie führte, Ulf Schirmer die musikalische Leitung innehatte und Juliane Banse die Titelpartie sang) fand sogar erst 2008 an der Deutschen Oper in Berlin statt; diese Aufführung wurde zu einem großen Erfolg und trug zur Wiederentdeckung des Komponisten bei, der vor allem aufgrund seiner Ausgrenzung im Nationalsozialismus zwischenzeitlich vergessen worden war (Specht 2008). Die oben erwähnte Kölner Inszenierung von 2016 ist – nach weiteren konzertanten Aufführungen etwa 2013 bei den Salzburger Festspielen – erst die zweite szenische Produktion der Oper überhaupt. Sie ist in drei Teile gegliedert, in denen jeweils markante Episoden aus der Biographie Jeanne d’Arcs dargestellt werden: 1. „Die Berufung“: Im Jahr 1429 hört das Hirtenmädchen Johanna die Stimmen der Heiligen Katharina und Margarete, die ihr befehlen, das von den Engländern belagerte Orléans zu befreien und den französischen Thronfolger Karl von Valois zur Krönung in Reims zu führen. Ihr Vater schickt sie zu dem Ritter Baudricourt, der wiederum Karl benachrichtigt. Gilles de Rais kommt zu Baudricourt und holt Johanna nach Chinon, wo sie den zweifelnden Karl in seinem Anspruch auf die Herrschaft bestärkt und ihn dazu bringt, Entsatztruppen unter ihrer Führung nach Orléans zu entsenden. 2. „Der Triumph“: In der Kathedrale zu Reims wird Karl gekrönt und Johanna bejubelt. 3. „Das Leiden“: Nachdem ihr Heerzug nach Paris gescheitert ist, nehmen die Engländer Johanna gefangen; sie widerruft ihre durch die Heiligen geoffenbarte göttliche Bestimmung, um wieder frei zu kommen, wird aber zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt. In einer Traumvision schaut sie ihren eigenen Gang zum Scheiterhaufen; der Erzengel Michael fordert von ihr den Märtyrertod als Fanal zur Rettung Frankreichs. Sie entschließt sich zum Widerruf ihres Widerrufs und schlägt die von Gilles de Rais angebotene Fluchtmöglichkeit aus. Nachdem sie vor dem Tribunal bekräftigt hat, von Gott gesandt zu sein, wird sie abgeführt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Zu den Werken von Braunfels und Honegger kommen zwei Realisierungen des Stoffs von kanonischen Komponisten des neunzehnten Jahrhunderts: Giuseppe Verdis Giovanna d’Arco und Pëtr Il’ič Čajkovskijs [fortan: Tschaikowsky] Orleanskaja dewa (Das Mädchen von Orléans); beide wurden in den vergangenen 50 Jahren regelmäßig aufgeführt, wenn sie auch nicht zum Kernrepertoire gehören. Die Uraufführung von Verdis Giovanna d’Arco fand 1845 mit großem Erfolg in der Mailänder Scala statt, sodass zahlreiche weitere Inszenierungen dieses
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‚lyrischen Dramas in einem Prolog und drei Akten‘ an anderen italienischen und bald darauf auch europäischen Opernhäusern folgten (Gerhard 1997 und 2013; Parker 1992). Um 1860 geriet die Oper in Vergessenheit, bis sie im zwanzigsten Jahrhundert im Zuge eines neuen Interesses am Belcanto wieder Beachtung fand. Seit den 1980er Jahren erscheint Giovanna d’Arco wieder auf den internationalen Opernbühnen (u. a. Parma / Piacenza 1980, Verona / Brescia 1981, Bologna 1989, London 1996, Ludwigshafen 1998, München 2009, Breslau 2011; außerdem konzertant 2004 in Frankfurt a.M., 2012 in Graz und 2013 in Salzburg mit Anna Netrebko in der Titelrolle). Im zweiteiligen Prolog der Oper erzählt der abdankende französische König Carlo in Domrémy zunächst von einem Traum, in dem er den Auftrag erhalten hatte, seine Waffen vor einem Marienbild im Wald niederzulegen; im zweiten Teil findet Giovanna diese Waffen, wodurch sie sich in ihrer Mission bestärkt fühlt, während sie ihr Vater Giacomo verdächtigt, ein Verhältnis mit dem König zu haben. Im ersten Akt, der in und um Reims spielt, gestehen sich Carlo und Giovanna ihre Liebe; im zweiten Akt klagt Giacomo seine Tochter, nachdem sie zur neuen Schutzpatronin Frankreichs ausgerufen wurde, des Frevels an; ein Gewitter scheint ihre Schuld zu beweisen. Im dritten Akt wird Giovanna von ihrem reumütigen Vater aus der englischen Gefangenschaft befreit. Am Ende stirbt sie, jedoch nicht auf dem Scheiterhaufen, sondern – nachdem sie den Franzosen zum Sieg verholfen hat – auf dem Schlachtfeld, von Sternenlicht überglänzt. Pjotr Iljitsch Tschaikowskys ‚Oper in 4 Akten, 6 Bildern‘ Orleanskaja dewa wurde 1879 vollendet und zwei Jahre später im Mariinski-Theater in St. Petersburg mit großem Erfolg uraufgeführt (Taruskin 1992; Parin 1997). Nachdem die Oper zunächst – von einer Inszenierung 1882 in Prag abgesehen – nur in Russland aufgeführt worden war, taucht sie seit den 1950er Jahren (wenn auch nur vereinzelt) auf den Spielplänen der internationalen Opernhäuser auf (u. a. Kassel 1967, München 1989, Straßburg 1997, Erfurt 2009, konzertant in Genf 2017 und zuletzt unter der Regie von Lotte de Beer 2019 im Theater an der Wien). Der erste Akt spielt in Domrémy, wo Thibaudet d’Arc seine Tochter während eines Dorffestes dazu drängt, Raymond zu heiraten, was Jeanne wegen ihrer Mission jedoch verweigert; daraufhin wirft Thibaudet ihr vor, mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Als sie angesichts eines bevorstehenden Angriffes der Engländer sagen kann, deren Heerführer Salisbury sei im Kampf getötet worden, und dies bestätigt wird, wird sie als Seherin anerkannt und gefeiert. Nachdem sie sich von ihrer Heimat verabschiedet hat, sagt ein himmlischer Chor voraus, dass sie Frankreich retten werde. Im zweiten Akt, der in der Burg Chinon spielt, tritt zunächst der verzweifelte Charles VII. auf, der angesichts einer leeren Staatskasse und einer weiteren Niederlage gegen die Engländer kurz davor ist, zu kapitulieren. Dann aber erhält er die Nachricht vom Sieg der von Jeanne geführten französischen
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Truppen, woraufhin sie vor ihn gebracht wird und er ihr sein Heer anvertraut. Der dritte Akt spielt auf dem Schlachtfeld in der Nähe von Reims, wo Jeanne Lionel besiegt, sich jedoch in ihn verliebt, wie auch er sich in sie verliebt. Im nächsten Bild verlassen Jeanne und Charles nach dessen Krönung die Kathedrale in Reims, als ihr Vater sie der Hexerei bezichtigt. Sie selbst macht sich und Lionel schwere Vorwürfe, bevor sie flieht. Der vierte Akt spielt in einem tiefen Wald, wo Jeanne und Lionel sich in die Arme sinken, hin- und hergerissen zwischen Gefühlen der Liebe und Schuld. Ein (nur für sie hörbarer) himmlischer Chor prophezeit Jeanne ihr Martyrium und ihre Erlösung. Daraufhin wird sie von englischen Soldaten gefangen genommen; Lionel stirbt bei dem Versuch, sie zu beschützen. Im letzten Bild wird Jeanne in Rouen zum Scheiterhaufen geführt. Angesichts ihrer Gefasstheit empfindet die Menge, die sie zuvor verhöhnt hatte, Mitleid mit ihr. Am Ende steigen Engel herab und führen sie zu himmlischem Ruhm. Etliche weitere, vor allem europäische Jeanne d’Arc-Opern, von denen es – gerade auch im Vergleich zu anderen mittelalterlichen Stoffen – seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts eine beachtliche Zahl gibt, sind oft bereits nach kurzer Zeit in Vergessenheit geraten. Die Gründe dafür sind durchaus unterschiedlicher Natur: Während in vielen Fällen Musik und Text nicht längerfristig überzeugen konnten, blieb Viktor Ullmanns „Oper in zwei Akten“ Der 30. Mai 1431, deren (sich von Schiller und Shaw bewusst abgrenzendes) Libretto er 1944 als Häftling im Konzentrationslager Theresienstadt geschrieben hatte (Ullmann 1995, S. 143–177), deshalb unvollendet, weil er nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde. Von der Musik haben sich nur zwei Seiten mit Skizzen erhalten (dennoch wurde die Oper in einer Bearbeitung des Komponisten Hélios Azoulay 2017 konzertant im Mémorial de la Shoah in Paris aufgeführt). Wenn es stimmt, dass man anhand all dieser Werke „eine kleine Geschichte der Oper von 1790 bis heute schreiben“ kann (Engelhardt 1992, S. 72), dann wäre dies also in erster Linie eine Geschichte von Unrecht, von Misserfolgen und höchstens kurzfristigem Ruhm, vor allem aber eine Geschichte des Vergessens. Umso auffälliger wirken jedoch die Intensität und Kontinuität, mit der der Stoff trotz der vielen erfolglosen Realisierungen im Musiktheater behandelt wurde: Gerade hieran zeigt sich sein besonderer Status im kulturellen Gedächtnis.
II Historische Schichten erkunft – Der Komponist Walter Braunfels wurde 1933 aufgrund seiner jüdischen H sein Vater war vom Judentum zur protestantischen Konfession übergetreten, er selbst bereits 1918 zum Katholizismus konvertiert – als Direktor der Kölner Musik-
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hochschule abgesetzt. Nachdem ihm bald darauf jegliche öffentliche musikalische Aktivität untersagt worden war, lebte er zurückgezogen mit seiner Familie in einem kleinen Dorf am Bodensee. Obwohl für ihn damals keinerlei Aussicht auf Aufführungen seiner Musik bestand, war dies eine Zeit großer Produktivität. Auslöser für die Wahl des Stoffs war die Veröffentlichung einer deutschen Übersetzung der historischen Akten des Jeanne d’Arc-Prozesses im Jahr 1935. Braunfels hatte sich aber auch schon vorher für diesen Stoff interessiert, der nicht zuletzt deshalb aktuell war, weil Jeanne d’Arc 1920 heiliggesprochen worden war. Er arbeitete an den Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna in den Jahren von 1939 bis 1943 und schrieb dabei auch das Libretto der Oper selbst, wobei er neben den Prozessakten auch (George) Bernard Shaws Drama Saint Joan von 1924 benutzte (Cherciu 2018, S. 17–30), das ebenfalls – und ausdrücklich gegen die damals dominante, sich auf Schillers Jungfrau von Orleans beziehende romantische Stofftradition (Shaw 2016, Vorrede, S. 38) – Bezug auf das Aktenmaterial nimmt. Die in einem Gerichtssaal in Rouen spielende Schlussszene bietet ein großes, in seiner Opulenz auf die (für die Geschichte des Jeanne d’Arc-Stoffes im Musiktheater wichtige) Tradition der französischen grand opéra verweisendes Finale: Johannas Verbrennung auf dem Scheiterhaufen wird in Form einer ‚Fensterschau‘ durch den Marschall von Frankreich sehr effektvoll indirekt zur Darstellung gebracht; das letzte Wort hat das in den Gerichtssaal strömende Volk, das in Form eines Botenberichts das Wunder schildert, das sich bei der Hinrichtung zugetragen hat: Johannas Herz ist nicht verbrannt, und aus der Asche hat sich eine Taube in den Himmel erhoben. Damit wird allen Beteiligten klar, dass man mit Johanna eine Heilige verbrannt hat. Dieser Schluss weist somit durchaus (neo-)romantische Züge auf. Vor allem aber ist er – wie die ganze Oper – als ein religiöses Bekenntnis des Komponisten in schwierigen Zeiten (auf die schon in der ersten Szene ziemlich unverhohlen angespielt wird) zu verstehen (vgl. Lütteken 2014). In musikalischer Hinsicht sind die Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna typisch für Braunfels’ Kompositionsstil seit den 1920er Jahren, der als ‚gemäßigt modernistisch‘ charakterisiert werden kann: Spätromantische Elemente, die man etwa auch in den Opern von Franz Schreker und Richard Strauss finden kann, verbinden sich mit einer metaphysisch grundierten (vgl. Lanz 2014) Phantastik (vgl. Kämpf 2014) zu einer eigenständigen musikalischen Sprache (vgl. auch Cherciu 2018, S. 85–132). Das Libretto zu Honeggers Jeanne d’Arc au bûcher stammt von Paul Claudel, dessen vom japanischen Nō-Theater beeinflusste dramaturgische Vorstellungen bei der Entstehung des Stückes maßgeblich waren (obwohl sie der Musik eine untergeordnete Funktion zuwiesen). Anders als Shaw und Braunfels hatte er kein Interesse an der historischen Dimension des Stoffs; stattdessen ging es ihm vor
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allem um sein symbolisches Potenzial. Dabei spielten auch religiöse (wie Braunfels war Claudel ein überzeugter Katholik) und patriotische Motive eine Rolle. In musikalischer Hinsicht ist das Stück sehr vielschichtig angelegt: Es gibt geschlossene musikalische ‚Nummern‘, melodramatische Passagen (mit rhythmischer Fixierung der Sprechstimme), Sprechgesang (mit Fixierung der Tonhöhe) und gesprochene Dialoge. Die beiden Hauptpartien Jeanne und Dominique sind als Sprechrollen angelegt. Den Vorgaben Claudels entsprechend ist Honegger insgesamt um eine sich nicht in den Vordergrund drängende musikalische Unterstützung der Szenen bemüht: Während er etwa den Prolog in einer stark dissonanten freien Atonalität gestaltet, ist die Schlussszene tonal komponiert. Die generelle Zurückhaltung Honeggers bedeutet jedoch nicht, dass seine Musik farblos wäre. Sie ist im Gegenteil ausgesprochen originell: Bei der Komposition des Tiergerichts in der vierten Szene verwendet Honegger zum Beispiel Elemente des Jazz. In der zehnten Szene singt Jeanne mit gebrochener Stimme das lothringische ‚Trimazo‘-Lied, das vorher von einem Kinderchor gesungen worden war. Die Instrumentation ist überaus vielseitig; sogar ein elektronisches Instrument (Ondes Martenot) kommt zum Einsatz und trägt zu der idiosynkratischen musikalischen Signatur dieser Gestaltung des Jeanne d’Arc-Stoffs bei. Das Libretto seiner Orleanskaja dewa schrieb Tschaikowsky selbst, wobei er – wie vor ihm schon etliche andere Librettisten – auf Schillers Jungfrau von Orleans (in der russischen Übersetzung von Vasilij Andreevič Šukovskij [Schukowski]) zurückgriff, aber auch auf das Drama Jeanne d’Arc von Jules Barbier und das (daran angelehnte) Libretto der Jeanne d’Arc-Oper Auguste Mermets. Des Weiteren nutzte Tschaikowsky die Jeanne d’Arc-Biographie des französischen Historikers Henri Wallon. Zentral ist aber der teils wörtliche Rückgriff auf Schillers Tragödie, weswegen auch gesagt werden konnte, Orleanskaja dewa nehme in ihrer Treue zur literarischen Vorlage „Tendenzen der modernen Literaturoper vorweg“ (Borchmeyer 1998, S. 404; Khorobrykh 2007). Entsprechend steht der Konflikt der Hauptfigur zwischen ihrer göttlichen Berufung und ihrer Liebe zu Lionel im Vordergrund der Handlung; im Vergleich zu Schiller wird dieser Konflikt sogar noch vertieft. Der Schluss allerdings weicht von Schiller ab, denn er zeigt den Tod Jeannes nicht auf dem Schlachtfeld, sondern (den historischen Ereignissen und Barbiers Drama folgend) auf dem Scheiterhaufen. Musikalisch ist die Oper geprägt von Tschaikowskys Bemühen, einen gewichtigen Beitrag zur Tradition der grand opéra zu leisten. Entsprechend monumental ist das Werk angelegt: mit ausgedehnten Chorszenen, teilweise unter Verwendung antiphonaler Strukturen; auch couleur locale gibt es reichlich. Die Rolle der Jeanne d’Arc war ursprünglich als dramatischer Sopran angelegt, wurde später aber für Mezzosopran umgeschrieben. Bei der Uraufführung wurde sie von Mariya
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Kamenskaya gesungen. Signifikant ist, dass Tschaikowsky sich bei der Komposition intensiv mit der Partitur von Verdis Giovanna d’Arco beschäftigte (und sich in mancher Hinsicht daran orientierte), obwohl er sie für „äußerst schlecht“ hielt (zit. nach Gerhard 2013, S. 374). Exemplarisch zeigt sich daran, wie stark die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen musiktheatralen Realisierungen eines Stoffs auch auf der Ebene der Musik sein können. Das Libretto von Verdis Giovanna d’Arco stammt von Temistocle Solera, dem ‚Hauslibrettisten‘ der Scala; für die Wahl des Stoffs dürften patriotische Gründe (die Ähnlichkeiten zwischen dem Frankreich des fünfzehnten Jahrhunderts und dem Italien des Risorgimento liegen auf der Hand) und – eng damit verbunden – wirtschaftliches Kalkül ausschlaggebend gewesen sein. Wie nach ihm dann auch Tschaikowsky lehnte Solera sich an Schillers Jungfrau von Orleans (in der Übersetzung Andrea Maffeis) an (Engelhardt 2002; Ricca 2007); allerdings wich er – anders als Tschaikowsky – erheblich von seiner Vorlage ab, unter anderem indem er die 27 Figuren in Schillers Drama auf fünf reduzierte (Carlo, Giovanna, Giacomo, Delil, Talbot), Lionel durch den König ersetzte und zahlreiche bei Schiller nicht enthaltene Elemente einfügte, so etwa (von der Darstellung des Jeanne d’Arc-Stoffes in Shakespeares First Part of King Henry VI inspirierte) Geisterchöre (vgl. Engelhardt 1992). Das Libretto – auf das Verdi anders als bei seinen späteren Schiller-Opern keinen Einfluss genommen hatte – gilt deshalb als eine missglückte Adaptation des dadurch „bis zur Unkenntlichkeit entstellten“ Dramas (Gerhard 2013, S. 372). Solera selbst hatte jedoch für sich in Anspruch genommen, mit seinem Libretto eine eigenständige Realisierung des Stoffes geschaffen zu haben. In seiner Musik setzt Verdi, der hierin der romantischen Dramenästhetik Victor Hugos verpflichtet ist, auf starke Kontrasteffekte, so schon in der dreiteiligen Ouvertüre, in der ein pastorales Andante auf einen stürmischen Teil folgt und von einem solchen auch wieder abgelöst wird; ein anderes Beispiel ist der Kontrast zwischen den beiden Geisterchören, dem ‚guten‘ und dem ‚bösen‘, die an einer Stelle sogar simultan erklingen. Zudem greift Verdi in einem hohen Maße auf Ideen aus Pariser Erfolgsopern der Zeit (von Rossini über Halévy bis hin zu Meyer beer) zurück. Aus diesem Grund wirkt die Dramaturgie dieser Oper insgesamt „so disparat wie kaum in einem anderen Werk aus Verdis Schaffen“ (Gerhard 2013, S. 373). Die Rolle der Giovanna d’Arco ist für Sopranstimme komponiert; bei der Uraufführung wurde die Partie von Erminia Frezzolini übernommen. Verdis Giovanna d’Arco – der ältesten heute noch präsenten musiktheatralen Realisierung des Jeanne d’Arc-Stoffes – gehen einige italienische, französische, deutsche und englische Opern voraus, wobei diese Werke wie einige spätere aber
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eben vollständig in Vergessenheit geraten sind (Engelhardt 1992, S. 81 f., Anm. 3), auch wenn sie zu ihrer Zeit teilweise mehrfach gespielt wurden; ein Beispiel sind die beiden Giovanna d’Arco-Opern von Nicola Vaccai (Musik) und Gaetano Rossi (Text), uraufgeführt 1827 im Teatro La Fenice in Venedig, sowie Giovanni Pacini (Musik) und Gaetano Barbieri (Text), uraufgeführt drei Jahre später in der Mailänder Scala, die beide dann von Verdis Oper verdrängt wurden (Engelhardt 2002, S. 41 f.). Die allem Anschein nach erste Jeanne d’Arc-Oper überhaupt wurde am 27. Juni 1789 im Teatro Eretenio in Vicenza uraufgeführt. Dieses ‚ernste musikalische Drama‘, dessen Musik von Gaetano Andreozzi stammt, steht also in einer älteren, vor-schillerischen Stofftradition; auf welche Vorlage sich der Librettist Antonio Simeone Sografi bezog, ist jedoch nicht bekannt. Anders als viele der späteren Jeanne d’Arc-Opern wurde diese immerhin noch einmal neu inszeniert, und zwar im Jahr 1797 im Teatro La Fenice in Venedig: „politisch funktionalisiert als Symbol der neuen, der französischen Herrschaft“, die sich gerade Venedigs bemächtigt hatte (ebd., S. 41). Von Anfang an steht die Geschichte des Jeanne d’Arc-Stoffes im Musiktheater somit im Zeichen der wechselnden Zeitläufte Europas. Die historischen Ereignisse um die um 1412 als Tochter eines Bauern im lothringischen Domrémy geborene Jeanne, die nach Erfolgen des von ihr geführten französischen Heeres gegen die Engländer, zumal bei der Entsetzung von Orléans, gefangen genommen wurde, am 30. Mai 1431 als Ketzerin vor der Kathedrale von Rouen auf dem Scheiterhaufen starb, 1456 rehabilitiert, 1909 selig- und 1920 heiliggesprochen wurde, sind unter anderem in Form der Prozessakten (des Inquisitionsprozesses von 1431 und des Rehabilitationsprozesses von 1450–1456) sehr gut dokumentiert, sodass es heute möglich ist, das Geschehen weitgehend zu rekonstruieren. Die Geschichtsschreibung nahm sich Jeanne d’Arcs vielfach und schon frühzeitig an, die historiographische Beschäftigung mit ihr ist bis heute nicht abgerissen (vgl. Krumeich 1989; Ambrogi / Le Tourneau 2017). Das gilt auch für die außerordentlich reiche Tradition literarischer Darstellungen der Ereignisse, die ebenfalls bereits früh einsetzte (Frenzel 2005, S. 471–479). Noch zu Lebzeiten Jeanne d’Arcs schrieb Christine de Pizan ihr Dictié en l’honneur de la Pucelle (1429), es folgte Martin le Franc mit seinem Champion des Dames (1441/42). François Villon, der in dem Jahr geboren wurde, als Jeanne d’Arc auf dem Scheiterhaufen starb, erwähnt das Ereignis in seiner Ballade des dames du temps jadis aus dem Testament von 1461/62. Im barocken Stil behandelt wird der Stoff in Jean Chapelains Epos La Pucelle ou la France délivrée (1656), das deswegen bereits kurz nach seinem Erscheinen zur Zielscheibe der klassizistischen Kritik wurde. Weitere wichtige Namen der sich schnell internationalisierenden literarischen Stofftradition sind Shakespeare, der Jeanne d’Arc in seinem Historiendrama The
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First Part of Henry VI. auftreten lässt, Voltaire, der sie in seinem komischen Epos La Pucelle zur Stallmagd macht, und Shaw, der sie in Saint Joan vermenschlicht und für diese ‚dramatische Chronik in sechs Szenen und einem Epilog‘ 1925 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Schillers „romantische Tragödie“ Die Jungfrau von Orleans von 1801, für die er ausgiebige historische Studien betrieb, um in zentralen Punkten dann aber stark von den historischen Ereignissen abzuweichen, ist ein polemischer Gegenentwurf zu Voltaires satirischer Darstellung (Martin 2005) und wurde – nicht zuletzt aufgrund einiger opernhafter Szenen, die das Drama für die ‚Veroperung‘ prädestinierten – zu einer entscheidenden Quelle für die Tradition des Jeanne d’Arc-Stoffes im Musiktheater.
III Werkliste Giovanna d’Arco o sia La Pulcella D’Orleans „Dramma serio per musica“ Musik Text Gaetano Andreozzi Antonio Simeone Sografi
Uraufführung 27.6.1789, Vicenza
Jeanne d’Arc à Orléans „Drame historique mêlé d’ariettes“ Musik Text Rodolphe Kreutzer Pierre-Jean-Baptiste Choudard
Uraufführung 10.5.1790, Paris
Das Mädchen von Orléans „Romantische Tragödie nach Friedrich Schiller in 3 Akten“ Musik Text Franz Joseph Volkert Johann Kachler
Uraufführung 4.11.1817, Wien
Jeanne d’Arc ou la Délivrance d’Orléans „Drame lyrique“ Musik Text Michele Carafa de Colobrano Emmanuel Théaulon, Armand d’Artois
Uraufführung 10.3.1821, Paris
Giovanna d’Arco „Dramma romantico per musica“ Musik Text Nicola Vaccai Gaetano Rossi
Uraufführung 27.2.1827, Venedig
Giovanna d’Arco „Azione drammatica musicale“ Musik Text Giovanni Pacini Gaetano Barbieri
Uraufführung 14.3.1830, Mailand
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Personenzentrierte Stoffe
Joan of Arc Musik Michael William Balfe Johanna d’Arc „Romantische Oper“ Musik Johann Hoven [d. i. Johann Vesque von Püttlingen]
Text Edward Fitzball
Uraufführung 30.11.1837, London
Text Otto Prechtler
Uraufführung 30.12.1840, Wien
Giovanna d’Arco „Dramma lirico in un prologi e tre atti“ Musik Text Giuseppe Verdi Temistocle Solera
Uraufführung 15.2.1845, Mailand
Die Jungfrau von Orleans „Oper in drei Akten“ Musik August Langert
Text Georg Friedrich Reiss
Uraufführung 25.12.1861, Coburg
Jeanne d’Arc „Grand opera“ Musik Gilbert-Louis Duprez
Text Joseph Méry, Édouard Duprez
Uraufführung 24.10.1865, Paris
Jeanne d’Arc „Opéra en cinq actes“ Musik Louis Metge
Text Louis Metge
Entstehung 1874
Jeanne d’Arc „Opéra en 4 actes et 6 tableaux“ Musik Text Auguste Mermet Auguste Mermet
Uraufführung 5.4.1876, Paris
Orleanskaja dewa [Das Mädchen von Orléans] „Oper in 4 Akten, 6 Bildern“ Musik Text Pjotr Iljitsch Tschaikowsky Pjotr Iljitsch Tschaikowsky
Uraufführung 25.2.1881, St. Petersburg
Jeanne d’Arc „Drame lyrique en trois parties“ Musik Text Charles Lenepveu Paul Allard
Uraufführung 1.6.1886, Rouen
Johanna von Orléans
Die Jungfrau von Orléans Musik Emil Nikolaus von Reznicek
Text Emil Nikolaus von Reznicek
Uraufführung 19.6.1887, Prag
Joan of Arc Musik Raymond Rôze
Text Raymond Rôze
Uraufführung 1.11.1913, London
Giovanna d’Arco „Mistero“ Musik Marco Enrico Bossi
Text Luigi Orsini
Uraufführung 5.12.1914, Turin
S. Giovanna d’Arco „Azione sacro-drammatica in quattro quadri“ Musik Text Gino Favero Antonio Barzon
Uraufführung 1928 [?], Padua
Joan of Arc Musik Eleanor Everest Freer
Uraufführung 3.12.1929, Chicago
Text Eleanor Everest Freer
Jeanne de France „Mystère lyrique en quatre actes et huites tableaux“ Musik Text Jean Nouguès Léon Uhl Jeanne d’Arc au bûcher „Oratorio dramatique“ Musik Arthur Honegger
Text Paul Claudel
Jeanne d’Arc – Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna Oper Musik Text Walter Braunfels Walter Braunfels
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Uraufführung 5.–8. Mai 1929, Orléans
Uraufführung 1. [konzertant] 12.5.1938, Basel 2. [szenisch] 13.6.1942, Zürich
Uraufführung 1. [konzertant] 31.8.2001, Stockholm 2. [szenisch] 27.4.2008, Berlin [Entstehung: 1938–1942]
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Personenzentrierte Stoffe
Der 30. Mai 1431 „Oper in zwei Akten“ Musik Viktor Ullmann [unvollendet]
Jeanne d’Arc „Tragédie lyrique“ Musik Paul Adrien Bastide The Triumph of St. Joan Oper Musik Norman Dello Joio
Text Viktor Ullmann
Uraufführung [konzertant] 12.11.2017, Paris [Entstehung: 1944]
Text Pol d’Estoc [d. i. Paul-MariusIsidore Coste]
Uraufführung 1949, Mulhouse
Text Norman Dello Joio, Joseph Machilis
Uraufführung 1. [Erstfassung] 9.5.1950, Yonkers (NY) 2. [TV-Neufassung unter dem Titel „The Trial at Rouen“] 8.4.1956, NBC 3. [dritte Fassung] 16.4.1959, New York
Triomphe de Jeanne „Drame lyrique en trois actes“ Musik Text Henri Tomasi Henri Tomasi, Philippe Soupault Joan of Arc at Reims „Opera in one act“ Musik Henry Rauscher [d. i. Henry S. Humphreys]
Uraufführung 23.6.1956, Rouen
Text Henry Rauscher
Uraufführung [konzertant] 17.3.1968, Cincinnati
Joan of Arc Oper Musik Ethel Leginska
Text Ethel Leginska
Uraufführung 10.5.1969, Los Angeles
Das Mädchen aus Domrémy Oper Musik Giselher Klebe
Text Giselher und Lore Klebe
Uraufführung 19.6.1976, Stuttgart
Johanna von Orléans
Mistero e processo di Giovanna d’Arco „Melodramma in due atti“ Musik Text Roberto De Simone Roberto De Simone
Uraufführung 26.10.1989, Pisa
Sainte Jeanne d’Arc „Opéra en un acte, sept scènes et un épilogue“ Musik Text Alexandra Cherciu Alexandra Cherciu
Entstehung 2014
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Karolinger Bernhard Jahn I Präsenz des Sujets Auf den ersten Blick scheint der karolingische Stoffkreis für das Musiktheater der Gegenwart kaum von Belang. Gewiss, es gibt das Musical Pippin von Stephen Schwartz, das nach seiner Uraufführung 1972 am Broadway allein in New York an die zweitausend Aufführungen verbuchen konnte, mit anhaltendem Erfolg weltweit gespielt wird und 2013 als Revival neu produziert und auch verfilmt wurde. Die über hundert Opern mit karolingischen Sujets aus dem siebzehnten bis neunzehnten Jahrhundert indes sind weder auf der Bühne noch auf Tonträgern präsent. Die Gesamtaufnahme einer Osloer Produktion von Alessandro Scarlattis Carlo Re d’Alemagna (1716) mit dem Stavanger Symphony Orchestra unter Fabio Biondi aus dem Jahre 2013 (agogique 2013) bildet momentan die einzige Ausnahme. Hinzu kommen einige Arien aus Vincenzo Manfredinis in Sankt Petersburg uraufgeführtem Carlo Magno (1763) in einem Arienalbum von Cecilia Bartoli (Decca 2013). Dieser negative Befund relativiert sich allerdings, wenn man all jene Opern mitberücksichtigt, die stofflich auf Lodovico Ariostos Epos Orlando Furioso zurückgehen. Orlando (→ Roland) ist bei Ariosto ein Paladin Karls des Großen, d. h. alle Orlando-Opern, aber auch alle Opern, die um Nebenfiguren aus Orlando Furioso kreisen wie etwa → Alcina, gehören im weiteren Sinne zum karolingischen Stoffkreis. Diese Zugehörigkeit wird in den einzelnen Werken unterschiedlich stark herausgestellt: In Pietro Metastasios letztem Libretto Ruggiero (1771) ist die Verbindung durch die als handelnde Figur auftretende Gestalt Carlo Magnos überdeutlich. In anderen Werken, in denen der karolingische Kaiser nicht als Figur eingeführt wird, wird immerhin auf ihn als moralische Instanz Bezug genommen. In den meisten Orlando- und Alcina-Opern fehlt eine Bezugnahme indes ganz und kann von den Rezipienten nur bei einer Kenntnis des Prätextes hergestellt werden. Rechnet man den Orlando Furioso-Stoffkomplex und ferner die in diesem Handbuch separat behandelte → Emma und Eginhard-Sage hinzu, ist die Bühnenpräsenz der Karolinger dann allerdings ubiquitär. Sieht man von dem hier nicht zu behandelnden Roland-Stoff ab, lässt sich konstatieren, dass die Hochphase des Interesses an karolingischen Sujets in die Zeit zwischen den 1680er Jahren und der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts fällt. Die Wertschätzung der karolingischen Geschichte als Stoffspender manifestiert sich dabei nicht nur quantitativ – die hohe Zahl an Opern kommt vor allem durch die https://doi.org/10.1515/9783110424089-005
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Mehrfachvertonung der Erfolgslibretti von Francesco Silvani (L’innocenza giustificata) und Apostolo Zeno (Engelberta) zustande –, sondern auch qualitativ durch eine Vielzahl unterschiedlicher Themenkomplexe, die dramatisiert wurden. Im Zentrum steht dabei zum einen die Figur Karls des Großen, der in Adriano Morsellis Libretto Carlo il grande (1688) noch in den Stoffkreis von Ariostos Orlando Furioso eingebettet erscheint, dann aber in den Libretti vor allem deutscher Librettisten wie Christian Heinrich Postel oder Barthold Feind daraus gelöst wird. Dort tritt er als Feldherr vor allem im Kampf gegen die Langobarden oder gegen den Bayern-Herzog Tassilo auf und wird daneben fast immer auch als mehr oder weniger vorbildliches Exemplum galanter Liebe gezeigt. Zum andern sind es in den Libretti von Francesco Silvani und Tomaso Stanzani Ludwig der Fromme und seine Söhne, die einen Konflikt um die Herrschaft austragen, bei Stanzani verbunden mit einer Rebellion der Söhne gegen den Vater. In die Generation der Urenkel Karls des Großen führt Apostolo Zenos „dramma per musica“ Engelberta (1708), das in Italien spielt und Kaiser Ludwig II. (825–875) zeigt, einen Sohn Lothars I. und Enkel Ludwigs des Frommen, der seine Gattin Engelberta aufgrund einer Intrige zu Unrecht verstößt. Fast alle Libretti dieser Phase nutzen die Handlung, die in der Regel nur wenige Bezüge zu den historischen Ereignissen aufweist, um einen Kommentar zur politischen Situation der Gegenwart zu lancieren. Die für das Musiktheater des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts charakteristische Vielfalt der Karolinger-Opern erfährt im neunzehnten Jahrhundert eine merkwürdige, schwer zu erklärende Reduktion. Zwar bleibt die Gestalt Karls des Großen auch auf der Opernbühne des neunzehnten Jahrhunderts präsent, doch wird mit ihr nun ausschließlich das Thema der Sachsenkriege verbunden. In der Figur des Sachsenherzogs Wittekind (Widukind) personalisiert sich ein politisch-militärischer Gegensatz, der meist mit einer verbotenen Liebesbeziehung zwischen sächsischen und karolingischen Figuren (darunter oft auch Karl selbst) kombiniert wird. Die Thematik kann dabei einen politischen Subtext erhalten, wie in Johann Christian Lobes Weimarer Wittekind von 1822, wo der Kampf der Sachsen gegen die Karolinger für die deutschen Befreiungskriege gegen Napoleon steht, sie kann eher religiös akzentuiert sein wie in der Oper Witikind ou la conversion des Saxons (Liège 1880) des Jesuiten Adolf von Doss, sie kann in der Tradition Nestroy’scher Operntravestien parodistische Züge annehmen wie in Ferdinand Manussi von Montesoles „Burleske in einem Akt“ Karl der Große (Wien 1864) oder einfach nur die historische Kulisse für eine melodramatische Liebesgeschichte bilden wie in Eugenio Torrianis Carlo Magno (Mailand 1852). Unter dem bestimmenden Einfluss des nationalistischen Diskurses wird dabei Karl der Große entweder als deutscher oder als französischer Herrscher gedeutet.
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Im Musiktheater des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts spie len karolingische Sujets dann, abgesehen von Stephen Schwartz’ Musical Pippin, keine Rolle mehr.
II Historische Schichten Stephen Schwartz’ Musical Pippin stellt die aktuellste Version der Adaptation eines Karolinger-Sujets für das Musiktheater dar (Schwartz 1988). Zahlreiche Inszenierungen in der ganzen Welt (die deutsche Version hatte am 10. Februar 1974 in Wien Premiere) belegen den umfassenden Erfolg von Schwartz und seinen Co-Autoren Roger O. Hirson und Bob Fosse. Das Autorenteam übernahm aus der karolingischen Geschichte vor allem einige Namen und Verwandtschaftskonfigurationen. So treten Charlemagne (Karl der Große), seine Mutter Berthe (Bertrada), sein Sohn Pippin (wohl Pippin der Bucklige) sowie mit Fastrada eine von Karls Ehefrauen auf, die als Mutter von Louis (Ludwig dem Frommen, dessen Mutter historisch gesehen Hildegard war) eingeführt wird. Die Verschwörung Pippins gegen seinen Vater, die am Ende des ersten Aktes zur Ermordung Charlemagnes durch seinen Sohn führt, dürfte durch den Aufstand Pippins des Buckligen 792 inspiriert worden sein (Riché 1991, S. 170). Dass auf historische Bezüge weiter kein Wert gelegt wird, hängt vorab schon damit zusammen, dass die karolingische Handlung als Spiel im Spiel, als Aufführung einer Schauspieler- bzw. Varietétruppe präsentiert wird. Im Sinne des Epischen Theaters Bertolt Brechts ermöglicht dieses Spiel im Spiel Verfremdungseffekte (z. B. keine einheitlichen historischen Kostüme) und Brechungen der Handlung. Der Leading Player führt als Erzähler und Kommentator durch das Stück und greift auch immer wieder in die Handlung ein, etwa wenn er auf Wunsch Pippins zu Beginn des zweiten Aktes die Ermordung Charlemagnes rückgängig macht. Am Schluss entgleitet dem Spielleiter die Regie zusehends, da Pippin bzw. der Darsteller des Pippin den für ihn vorgesehenen Rollenentwurf nicht mehr aus- bzw. aufführen möchte. Die Figur des Pippin, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, erprobt wie in einem Entwicklungsroman verschiedene Lebenskonzepte und entscheidet sich am Schluss gegen das intrigenreiche und militaristische Leben am Hof und für ein einfaches, von wahrer Liebe geprägtes Leben. Da Pippin das Angebot eines spektakulären Theatertodes in einer Feuerkiste ausschlägt, wird er aller theatralen Mittel, die seine Existenz als Figur ausmachen, beraubt. Kostüme, Beleuchtung und das Orchester unterstützen ihn nicht weiter, die Figur wird, musikalisch gesehen, auf ihre Stimme als Ausdrucksmittel beschränkt. Die durch die Theatertruppe dargestellte militaristische und intrigenreiche Welt der Karolinger lässt sich wohl auch als Kritik an der US-amerikanischen Vietnam-Politik der 1960er Jahre lesen. Die
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Musik von Schwartz enthält kaum Elemente (pseudo-)mittelalterlicher Musik; im Laufe des Entstehungsprozesses hatte Schwartz beispielsweise Anklänge an Carl Orffs Carmina burana weitgehend entfernt und durch eine „jazzier or poppier“ klingende Musik ersetzt (Laird 2014, S. 65 f.). Das Interesse des europäischen Musiktheaters im neunzehnten Jahrhundert an den Karolingern war ganz auf die Sachsenkriege Karls des Großen konzentriert und verkörperte sich in dem Gegensatz zwischen Karl und dem Sachsenführer Widukind. Die verschiedenen Phasen des sich ab 772 über mehr als dreißig Jahre hinziehenden Krieges blieben in den Opern ausgespart (Riché 1991, S. 133–138). Als couleur locale präsentieren die meisten der Opern die Eresburg (heute Obermarsberg im Sauerland) mit der Irminsul als sächsischem Heiligtum, meist in Form eines römischen Tempels inmitten eines Eichenhaines. Dass ein solches Bühnenbild allerdings kein unverwechselbares bühnenbildnerisches Spezifikum für Sachsen war, zeigt Felice Romanis Libretto für Vincenzo Bellinis Norma (1831), in dem ein solches Irminsul-Heiligtum nach Gallien verlegt wird. Der Mailänder Journalist Annibale Cressoni schuf für die Saison 1851/52 an der Mailänder Scala das Libretto Carlo Magno, das von dem heute vergessenen Komponisten Eugenio Torriani vertont wurde und auf der Bühne wohl keinen großen Erfolg erzielte. Cressonis Libretto ist, vor allem was mythologische Details betrifft, relativ ambitioniert. Zahlreiche Fußnoten erläutern den Lesern Einzelheiten aus der germanischen Mythologie wie auch aus der karolingischen Geschichte. Wie in der wenige Jahre früher entstandenen Oper La battaglia di Legnano (1849) von Salvadore Cammarano (Musik: Giuseppe Verdi; → Staufer und Welfen) kombiniert Cressoni ein Schlachtgeschehen mit einer Liebeshandlung. Anders als Cammaranos Libretto lässt sich Carlo Magno allerdings nicht in den Dienst des Risorgimento stellen. Der Gegensatz der verfeindeten Franken und Sachsen bietet keine Übertragungsmöglichkeit auf die politischen Verhältnisse in Italien um 1850. Vielleicht war der Oper deswegen kein Erfolg beschieden, denn zumindest das Libretto ist dramaturgisch geschickt konstruiert. Karl der Große wird von zwei sächsischen Edelfrauen geliebt: von Leonora, der Schwester Vitichindos, wie auch von Ulnara, einer Prophetin und Priesterin im Tempel des Irminsul. Während Carlo von Leonora nichts wissen will, erwidert er die Liebe zu Ulnara, die ihn nach einer Verwundung im feindlichen Gebiet gesund pflegte. Die Oper setzt mit einer Opferszene im Tempel ein, dann werden überraschenderweise Carlo und sein Fürst Ugo di Guisi aufgrund eines Verrats gefangengenommen. Anstatt sie jedoch einfach, wie Leonora vorschlägt, hinzurichten, befragen Vitichindo und die Sachsen das Orakel des Irminsul, das aus dem Munde der Priesterin Ulnara die Aufforderung verkündet, die Gefangenen freizulassen. Im zweiten Akt gerät Carlo abermals in einen Hinterhalt Leonoras und wird abermals von Ulnara befreit. Die Befreiung –
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Carlo ist in einer römischen Tempelruine am Ufer der Weser (sic!) eingesperrt – wird mit einer translatio imperii verbunden. Ulnara enthüllt ihm seine ruhmreiche Zukunft als Kaiser und weist ihn auf ein steinernes Denkmal im Tempel hin, in dem sich die Rüstung und das Schwert Julius Cäsars befinden (Cressoni 1851, S. 22). Im dritten Akt siegen die Franken zwar, aber die erschöpft in eine Höhle geflüchtete Ulnara, die inzwischen zum Christentum konvertiert ist, wird von Leonora vergiftet. So stirbt Ulnara in den Armen ihres Bräutigams Carlo, während Leonora als sächsische Armida (ebd., S. 17) triumphiert. Vitichindo und Carlo sind beide gleichermaßen edle Gestalten, alles Böse bleibt auf Leonora konzentriert. Die Sterbeszene der positiven weiblichen Hauptfigur als Finale ist in den 1850er Jahren quasi ein Muss für die italienische Oper. Schon 1813 war der Gegensatz zwischen Sachsen und Franken auf die italienische Opernbühne gelangt. Antonio Peracchis „dramma serio“ Carlo Magno mit der Musik von Giuseppe Nicolini ist die erfolgreichste Karolinger-Oper des neunzehnten Jahrhunderts. In den folgenden Jahren wurde sie in allen wichtigen Opernhäusern Italiens gegeben (Venedig 1815; Verona 1816; Reggio 1817; Vicenza 1818; Triest 1819; Bergamo 1820; Florenz 1823; Piacenza 1829 [Neufassung unter dem Titel Witikindo]) und gelangte 1818 in einer leicht gekürzten Fassung als Karl der Große auch nach München an das dortige königliche Hoftheater, wo sie mehrere Jahre hindurch gespielt wurde. Peracchi eröffnet wie später Cressoni die Handlung in einem prächtigen, dem Irminsul gewidmeten Tempel mit einer Gebetsszene. Die Sachsen flehen um den Sieg. Auch hier wird die Kriegshandlung mit einer Liebeshandlung verbunden: Vitekindo ist mit der sächsischen Prinzessin Rosmida verlobt, die wiederum von Argiro, einem Statthalter Vitekindos, vergebens umworben wird. In der Schlacht wird die als Amazone mitkämpfende Rosmida gefangen genommen. Carlo verliebt sich in sie; Rosmida als Donna „costante e forte“ (Peracchi 1815, S. 44) gibt dem Werben des sich zunehmend als Tyrann erweisenden Frankenkönigs jedoch nicht nach. Eine Heirat aus politischen Gründen, um ihrem Volk den Frieden zu bringen, lehnt sie trotz aller Bitten der Sachsen ab. Die Franken siegen in der Schlacht, aber Carlo gewährt in der scena ultima dem Rivalen Argiro die Braut unter der Bedingung, dass er sich zum Christentum bekehrt. Dies geschieht, die ehemals verfeindeten Herrscher umarmen sich und dem lieto fine steht nichts mehr im Wege. Peracchi orientiert sich in Sprache und Dramaturgie stark an Pietro Metastasio. Zwar werden die beiden Aktfinales unmetastasianisch, aber den Erfordernissen des neuen italienischen Musiktheaters entsprechend als große Ensembleszenen angelegt, doch die einzelnen Szenen vor den Finales werden meist mit Abgangsarien beendet, die nicht selten sogar Gleichnisarien sind. Auch die Clemenza Carlos in der letzten Szene ist ein typischer Baustein in der Dramaturgie Metastasios, allerdings ent-
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steht die Clemenza der Herrscherfiguren beim Wiener Hofpoeten nicht aus dem Nichts, sondern wird meist durch einen abwägenden Monolog vorbereitet. Die an den italienischen Beispielen des neunzehnten Jahrhunderts gewonnenen Beobachtungen lassen sich auch auf das deutsche Musiktheater übertragen, etwa auf Johann Christian Lobes „große Oper“ Wittekind, die am 5. Januar 1822 am Weimarer Hoftheater Premiere hatte, dort aber mit nur einer weiteren Aufführung keinen Erfolg verbuchen konnte. Lobe, der heute vor allem als Musiktheoretiker bekannt sein dürfte, verfasste Text und Musik. Die kaum ausgeprägte couleur locale verzichtet auf Irminsul und Eresburg und bietet Wodans „heil’gen Eichenhayn“ (Lobe 1821, S. 13), in dem die Druiden das „freye Mayfest“ (ebd., S. 4) feiern möchten. Die Handlung spielt im Jahr 774, als die Sachsen militärische Erfolge gegen die Franken verzeichnen konnten und Hessen verwüsteten. Am Ende der Oper besiegen die Sachsen das fränkische Heer. Die mit dem Kriegsgeschehen verknüpfte Liebeshandlung behandelt einen innersächsischen Konflikt, der wie die allermeisten Liebesintrigen in den Opern des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts vom jeweiligen Librettisten hinzuerfunden worden ist. Wittekind, Herzog der Sachsen, ist mit Alwina, der Tochter Klodions, des obersten Heerführers der Sachsen, verlobt. Aber auch Wittekinds Bruder Albuin ist in Alwina verliebt. Er erpresst die Sachsen, indem er droht, sein Heer im Kampf gegen die Franken abzuziehen, wenn er nicht Alwina zur Gemahlin erhält. Aus Staatsraison verzichten die Liebenden schweren Herzens aufeinander, und Alwina ist bereit, Albuin zu heiraten. In der Schlacht gegen die Franken rettet Wittekind Albuin das Leben (III,4), der gerührte Bruder tritt die Braut nun wieder an Wittekind ab und die Sachsen siegen. Lobes Libretto ist noch ganz durchdrungen vom Freiheitskampf gegen Napoleon. Karl der Große wird als Franzose aufgefasst, gegen den es das „Vaterland“ (ebd., S. 4) zu verteidigen gilt. Der Kampf der Sachsen gestaltet sich unter dieser Perspektive als ein Freiheitskampf gegen französische Eindringlinge, für den alle private Interessen bedingungslos geopfert werden müssen. Eine dezidiert auf Frankreich bezogene, allerdings positive Deutung der Figur Karls des Großen bot schon einige Jahrzehnte vorher der römische Kardinal Pietro Ottoboni in seinem von Giovanni Battista Costanzi vertonten Libretto Carlo Magno. Ottobonis „Festa teatrale“ war als Huldigung der päpstlichen Kurie für die Geburt eines französischen Thronfolgers bestimmt und wurde zunächst 1728 anlässlich der Geburt einer Tochter, dann nochmals 1729, als dem französischen Königshaus ein männlicher Erbe geboren wurde, aufgeführt (Seebald 2009, S. 333–335). In einem umfangreichen Vorwort und mit zahlreichen Verweisen auf Einhards Vita Karoli Magni stellt Ottoboni die umfassende Vorbildhaftigkeit Karls des Großen heraus und bezieht diese dann auf Ludwig XV. Den Gattungskonven-
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tionen einer Festa teatrale folgend kommt die in Rom spielende Handlung ohne komplexe Intrige aus. Adelinda, eine Tochter des besiegten Longobarden-Königs Desiderio möchte sich an Carlo rächen. Der als vorbildlich aufgeklärt gezeichnete Herrscher, der nur seiner Vernunft folgt (Ottoboni 1729, S. 5) und „Grazia, Giustizia e Pace“ (ebd., S. 15) als politische Ziele verfolgt, versucht zunächst, Adelinda durch eine Heirat mit seinem Sohn Lodovico zu besänftigen, womit er seinen Sohn, der eigentlich der sächsischen Prinzessin Ermengarda versprochen ist, in einen Liebeskonflikt stürzt. Entscheidend für die politische Aussage des Librettos ist das Verhältnis Carlos zum Papsttum: In einer überraschenden Wendung in der Schlussszene kritisiert Adelinda den Triumphzug Carlos als heidnisch und verweist auf Papst Leo als den eigentlichen Garanten des Sieges (ebd., S. 57 f.). Daraufhin lässt Carlo den Triumphwagen abbauen, schenkt den besiegten italischen Völkern die Freiheit und gibt Adelinda, die den umbrischen Herzog Ildebrando heiratet, ihre Macht zurück. Ottoboni feiert so nicht nur die Geburt des Dauphins, sondern auch die Aussöhnung des französischen Königshauses mit dem päpstlichen Stuhl. Die Librettistik in den Jahrzehnten um 1700 zeichnete sich durch eine ausgesprochen vielfältige Rezeption karolingischer Sujets aus. Dies betrifft die Wahl von eher randständigen Figuren wie Engelberga, die nur noch in loser Verbindung zu Karl dem Großen und seinen Söhnen stehen; es gilt aber auch für die Gestalt Karls des Großen selbst, die nicht wie im neunzehnten Jahrhundert auf Geschehnisse im Zusammenhang mit den Sachsenkriegen reduziert wird, sondern in verschiedenen historischen Kontextualisierungen auf die Opernbühne gelangt, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen Karl und dem Bayernherzog Tassilo III. Schon 1701 war anlässlich der Krönung Friedrichs I. zum König in Preußen für die Hamburger Oper am Gänsemarkt ein Tassilo-Libretto verfasst worden, das aber nicht zur Aufführung gelangte und wohl auch nicht vertont wurde (Seebald 2009, S. 313–317). Die am 17. Januar 1709 am Düsseldorfer Hof uraufgeführte „tragedia per musica“ Tassilone mit einem Libretto von Stefano Benedetto Pallavicino (Pallavicino 1709) und der Musik von Agostino Steffani (Timms 2003, S. 245–249) rückt den Konflikt zwischen Tassilo und Karl dem Großen ins Zentrum und endet angesichts der lieto fine-Konvention der italienischen Oper um 1700 ungewohnt tragisch mit dem Tod der Titelfigur. In den fränkischen Quellen wird der bayerische Herzog ausgesprochen negativ dargestellt (Riché 1991, S. 130–132), ihm wurden Verrat am König und Verhandlungen mit den Awaren vorgeworfen. In Ingelheim wurde zunächst das Todesurteil gegen ihn gesprochen, das dann aber in eine Klosterhaft umgewandelt wurde. Pallavicino, der in der Vorrede (Pallavicino 1709, Bl. A3r f.) betont, ein Libretto müsse der Geschichte allenfalls Namen entnehmen, ändert die historischen Fakten in zen-
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tralen Punkten ab, behält dabei aber dennoch eine erstaunliche Fülle von historischen Details bei. Tassilone ist mit der langobardischen Königstochter Gismonda verheiratet. In der Vorrede weist Pallavicino darauf hin, dass es sich historisch gesehen um Liutberga, die Tochter des von Karl dem Großen entmachteten Langobardenkönigs Desiderius, handele. Die Oper lässt offen, ob Tassilone gegenüber Karl zum Verräter wurde, und stellt vor allem die langobardische Königstochter als Agentin der Rache dar. Um die gegen Tassilone erhobenen Verratsvorwürfe zu entkräften, schlägt Gismonda einen fingierten Gerichtskampf vor, bei dem Tassilone gegen Sigardo, einen aquitanischen Gesandten, antreten soll, der, in Gismonda verliebt, auch tatsächlich einwilligt, sich von Tassilone besiegen zu lassen. Am Ende des vierten Aktes kommt es zum Zweikampf Tassilones gegen Sigardo, bei dem Sigardo zwar getötet wird, aber auch Tassilone eine schwere Verwundung empfängt, an der er wenig später stirbt. Als dessen eigentlicher Gegenspieler erweist sich im Laufe der Handlung Gheroldo (Gerold II.), der Herzog der Alamannen, der am Ende der Oper die zunächst für den byzantinischen Kaiser als Gattin bestimmte Kaisertochter Rotrude erhält, die zudem das ihr zugefallene bayerische Herzogtum Tassilones mit in die Ehe einbringt. Gheroldo wird zur eigentlichen Hauptfigur, deren Bedeutung musikalisch durch Arien, Huldigungschöre und Ballette herausgestellt wird. Pallavicinos Oper formuliert aber zugleich auch eine zeitpolitische Aussage (Leopold 1997, S. 16): Gheroldo lässt sich als historische Allegorie auf Johann Wilhelm von der Pfalz lesen, den Auftraggeber der Oper, der 1708 die ältere Kurwürde, die 1623 von der Pfalz an Bayern übergegangen war, zurückerhielt. Die Figur des Tassilone wäre als Anspielung auf den bayerischen Kurfürsten Max Emanuel zu deuten, der wegen seines Bündnisses mit Frankreich und seiner Niederlage gegen die kaiserlichen und englischen Truppen ins Exil fliehen musste. Der Italienfeldzug Karls des Großen 773/774 gegen Desiderius, den letzten König der Langobarden, bildet den historischen Hintergrund zweier Hamburger Opern. Karl, zunächst mit den Langobarden verbündet, wurde durch die gegen das Papsttum gerichtete Politik des Desiderius als Beschützer des Papsttums von Papst Hadrian I. zum Eingreifen genötigt (Riché 1991, S. 125 f.). Er ließ daraufhin Pavia, die Hauptstadt der Langobarden belagern. Desiderius musste im Juni 774 kapitulieren, wurde abgesetzt und in ein Kloster verbannt. Barthold Feind greift diese historischen Ereignisse in seinem Libretto Desiderius, König der Longobarden auf und verknüpft auf kunstvolle Weise Historie mit den politischen Erfordernissen der Gegenwart (Schröder 1998, S. 122–127; Jahn 2005, S. 285–389; Seebald 2009, S. 278–297). Die Oper wurde mit der Musik von Reinhard Keiser am 26. Juli 1709 als Huldigung zum Geburtstag Kaiser Josephs I. im Hamburger Theater am Gänsemarkt uraufgeführt (Keiser 2005). Die Stadt Hamburg, nach frühneuzeitlichem Verständ-
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nis eine Gründung Karls des Großen und als freie Reichsstadt dem Kaiser direkt unterstellt, war 1708 von kaiserlichen Truppen besetzt worden, um die jahrzehntelangen politischen Unruhen zu beenden, die zur Entmachtung des Rats und zu politischem Chaos geführt hatten. Karl der Große stellt in Feinds Libretto die politische Ordnung wieder her, die der als Tyrann gezeichnete Desiderius verletzt hatte. Wie in einem barocken Trauerspiel erscheinen dem Tyrannen die allegorische Figur der Providentia und ein „Gespenst“ im Traum, klagen ihn an und verkünden seinen Untergang (III,6). Das Reich des Desiderius ist durch maximale politische und – aufgrund der zahlreichen Liebesintrigen – moralische Unordnung geprägt: Desiderius hat seine Gattin Floriana verstoßen und seine Mätresse Adelgunda zur Königin erhoben. Zweimal kommt es durch Verwechslung im Dunkeln beinahe zur Ermordung des Desiderius durch Adalgisus, seinen Sohn aus der Ehe mit Floriana. Karl hingegen, in die Liebeshandlungen nicht verstrickt, setzt eine Ordnung durch, die sich auf die Funktion des politischen Zeremoniells stützt. Die Oper lässt sich so als eine theatrale Etüde über das Wesen und die Funktion des Zeremoniells lesen. Darauf deuten die zahlreichen zeremoniellen Szenen hin, etwa der die Oper einleitende Empfang des päpstlichen Gesandten oder die Schlussszene, die sich als eine detailliert ausgearbeitete Huldigung der Stadt Pavia an Karl präsentiert. Diese Szenen funktionierenden, und das meint Ordnung stiftenden, Zeremoniells werden kontrastiert mit Szenen, die eklatante Zeremoniellverstöße auf Seiten der Langobarden vorführen, etwa wenn Desiderius den Gesandten Karls demütigt (II,3 und II,10). Feind gibt auf diese Weise den Hamburger Zuschauern auch einen Wink, worauf es bei den anstehenden und sich dann über Jahre hinziehenden Verhandlungen mit dem Leiter der kaiserlichen Kommission, Graf von Schönborn, ankommen würde: auf diplomatisches Geschick. Schon 1692 war die von Feind dramatisierte Episode mit der Belagerung Pavias durch Karl den Großen Gegenstand einer Oper geworden. Christian Heinrich Postels Libretto Der Tapffere Kayser Carolus Magnus, das in der nicht erhaltenen Vertonung von Johann Georg Conradi auf die Bühne der Gänsemarktoper gelangte, blendet im Gegensatz zu Feind das politische und zeitgeschichtliche Potential des Stoffes weitgehend aus und stellt, wie es in der Vorrede des Librettos heißt, „diesen Kayser etwas galant“ vor (Postel 1692, unpaginierte Vorrede). Hermingardis, die Tochter des Königs Desiderius, wird von einem Unbekannten in einer Höhle während eines Sturms geschwängert, wie sie ihrer Amme in einer recht detaillierten Schilderung gesteht (I,7). Erst in der letzten Szene der Oper (III,21), als Desiderius seine Tochter töten möchte, stellt sich heraus, dass Karl der unbekannte Vergewaltiger war. Großmütig nimmt der Kaiser Hermingardis zur Gattin. Schon vorher hatte er um sie geworben (II,8–10), um nach seinem Sieg über Desiderius das Bündnis zwischen Langobarden und Franken zu festigen. Die
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Eheschließung alludiert historisch gesehen möglicherweise eine Ehe Karls mit einer Tochter des Desiderius, die allerdings zu Beginn des Italienfeldzuges wieder gelöst worden war (Riché 1991, S. 125 f.). 1708 gelangte in Mailand zu Ehren Elisabeth Christinas, der Gattin des späteren Kaisers Karl VI., das „dramma per musica“ Engelberta mit der Musik von Andrea Fioré auf eines der erfolgreichen Libretti des Autorenteams Pietro Pariati und Apostolo Zeno (Zeno / Pariati 1708) auf die Bühne (weitere Aufführungen: Venedig 1708/09 mit der Musik von Tomaso Albinoni und Francesco Gasparini; Bologna 1709; Neapel 1709 mit der Musik von Antonio Orefici und Francesco Mancini; Düsseldorf ca. 1709; Florenz 1710; Brescia 1711 mit der Musik von Carlo Francesco Pollaroli; Rom 1711 mit der Musik von Antonio Orefici und Francesco Mancini; Ancona 1712; Pisa 1713; Verona 1714; Genau 1717; Mantua 1728 als Pasticcio; Venedig 1742/1743 mit der Musik von Giuseppe Antonio Paganelli). Engelberta (Engelberga, Angilberta) war die Gattin von Ludwig II., dem erstgeborenen Sohn Lothars I., der von seinem Vater 840 die Herrschaft über das Königreich Italien übertragen bekommen hatte und 850 vom Papst zum Kaiser gekrönt worden war (Riché 1991, S. 216–218). Die historische Engelberta griff des Öfteren in die Regierungsgeschäfte ein und wurde nach dem Tod des Kaisers entmachtet. Ihre Tochter Ermengarde (in der Oper Metilde) wurde mit dem Herzog Boso von Vienne (in der Oper Bonoso, duca di Arles) zunächst gegen den Willen der Mutter verheiratet. Zeno und Pariati übernahmen außer den Namen nichts aus der Historie, sondern verbanden diese mit einer Variante des Motivs der verleumdeten Gattin (Frenzel 2008, S. 233–248), das im Zusammenhang mit dem karolingischen Stoffkreis außerhalb der Oper vor allem mit den Figuren Hildegard und Sybille, beides Gattinnen Karls des Großen, in Verbindung trat (ebd., S. 237 f. und S. 240 f.). Engelberta fällt einer Intrige Ernestos, des kaiserlichen Vikars, zum Opfer, dessen Liebe sie zurückgewiesen hatte. Sie wird von Lodovico wegen vermeintlichen Ehebruchs zum Tode verurteilt. Bonoso, der sie in einem einsamen Wald enthaupten soll, lässt sie jedoch heimlich am Leben. Von Engelberta erhält er einen Brief, aus dem die Schuld Ernestos hervorgeht. In einem Gerichtskampf tritt Bonoso gegen Ernesto an, der jedoch, aufgrund seiner Gewissenbisse wahnsinnig geworden, den Kampf nicht durchführen kann und seine Schuld bekennt. Lieto fine: Die kaiserlichen Gatten versöhnen sich und Bonoso erhält Metilde, die Tochter Engelbertas aus erster Ehe, zur Frau. Pariatis und Zenos fünfaktiges Reformlibretto verzichtet auf komische Figuren und zeichnet sich durch eine auf einer Intrigenhandlung basierende, stringent durchgeführte Dramaturgie aus, die den Komponisten anregende Szenentypen zur musikalischen Umsetzung bietet, so etwa eine Wahnsinnsszene für Ernesto (V,8) oder eine Szenenfolge, die Lodovico vor dem Grabmal der totgeglaubten Gattin zeigt (V,1–3).
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Francesco Silvanis Libretto L’innocenza giustificata, das 1699 mit der Musik von Benedetto Vinaccesi erstmals auf die Bühne gelangte und auch Pariati / Zenos Engelberta beinflusst haben dürfte, stellt mit über zwanzig Fassungen bis 1739 wohl die erfolgreichste Dramatisierung eines Sujets aus der karolingischen Geschichte dar. Weitere Aufführungen fanden statt in Mantua (1700), Crema (1701), Mailand (1711), Palermo (1714), Bergamo (1723, Crema (1723), Prag (1725; Musik: Andrea Stefano Fiorè) und in Florenz (1734; Musik: Giuseppe Maria Orlandini); außerdem unter dem Titel L’innocenza difesa in Ferrara (1712), Verona (1714) und Rom (1720, jeweils mit der Musik von Orlandini, des weiteren in Florenz (1721), Carignano (1722; Musik: Fiorè), Venedig (1722; Musik: Fortunato Chelleri), Wolfenbüttel (1722; Musik: Konrad Friedrich Hurlebusch) und Braunschweig (1731: Musik: Chelleri). Fassungen unter dem Titel Carlo, Re d’Alemagna wurden aufgeführt in Genua (1699), Florenz (1700), Bologna (1713; Musik: Orlandini), Parma (1714; Musik: Orlandini) sowie in Neapel (1716) in einer Bearbeitung des Textes von Giuseppe Papis und mit der Musik von Alessandro Scarlatti. Von 1732 bis 1737 wurde unter dem Titel Judith, Gemahlin Kayser Ludewigs des Frommen; Oder Die Siegende Unschuld ein musikalisches Pasticcio von Georg Friedrich Händel, Fortunato Chelleri und Georg Philipp Telemann auf eine Übersetzung des Librettos von Johann Georg Hamann aufgeführt. Und schließlich kam es auch unter dem Titel Carlo il Calvo in Rom (1738; Musik: Nicola Antonio Porpora) und in Lissabon (1739) auf die Bühne. Silvani griff auf historische Ereignisse aus der Regierungszeit Ludwigs des Frommen zurück: Ludwig hatte in der Ordinatio imperii von 817 eine Dreiteilung des Reiches unter seine Söhne Lothar, Ludwig und Pippin beschlossen, die durch die Geburt Karls (des Kahlen), eines Sohnes aus zweiter Ehe, wieder in Frage gestellt wurde (Riché 1991, S. 179–194). Im Zentrum der Opernhandlung steht Giuditta (Judith), die zweite Gemahlin des Kaisers, die die Interessen ihres noch unmündigen Sohnes Carlo (Karl) gegenüber Lotario (Lothar) vertritt. Anders als in der Historie wird Ludwig zum Zeitpunkt der Handlung schon als verstorben vorgestellt. Silvani weist darauf im argomento eigens hin (Silvani 1699, S. 9). Die schwache Position des Kaisers, der von seinen Söhnen zeitweilig abgesetzt wurde, bleibt auf diese Weise ebenso ausgeklammert wie die nicht auftretenden Brüder Lothars: Pippin und Ludwig der Deutsche. Durch diese Ausklammerung kann der Konflikt auf einen Machtkampf zwischen der verwitweten Kaiserin und ihrem Stiefsohn zugespitzt werden. Silvani übernimmt aus der Historie ferner den Vorwurf, Karl sei nicht der Sohn Ludwigs, sondern von Judith in ehebrecherischer Beziehung mit Berardo (Bernhard), dem Markgrafen von Septimanien, gezeugt worden. Während es sich heute wohl nicht mehr klären lässt, ob die gegenüber Judith erhobenen Vorwürfe historisch berechtigt waren oder von ihren Gegnern
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erfunden wurden, um ihr bzw. ihrem Sohn Karl zu schaden, lässt die Oper, wie der Titel schon andeutet, an der Unschuld Giudittas keinen Zweifel. Das Libretto ist ganz auf dem Gegensatz zwischen dem machiavellistisch agierenden und vor keinem Verbrechen zurückschreckenden Lotario und der machtbewussten, dabei aber die Gesetze achtenden Kaiserwitwe aufgebaut. Der Konflikt wird noch zugespitzt durch eine gegenüber der historischen Konfiguration hinzu erfundene Liebeshandlung. Giuditta hat aus erster Ehe mit dem schwedischen König zwei Töchter, deren eine, Edvige, die Verlobte von Adalgiso, dem Sohn Lotarios, ist, sodass auf diese Weise der Machtkonflikt durch eine Romeo-und-Julia-Konstellation verschärft wird. Gildippe, die zweite Tochter, heiratet am Ende der Oper Berardo. Silvani gelingt es mit einer Dramaturgie der Steigerung, den Konflikt jeweils am Aktende in einer Szene kulminieren zu lassen. Im ersten Akt bezichtigt Lotario Berardo öffentlich des Ehebruchs, worauf es zu einem Handgemenge kommt, das nur durch Adalgisos Eingreifen entschärft werden kann (I,14). Im zweiten Akt gelangt Carlo durch den die simulatio perfekt beherrschenden Höfling Asprando in die Hände Lotarios. Dessen Palast wird daraufhin belagert und Lotario droht, den jungen Knaben Carlo vom Balkon in den Tod zu stürzen (II,15). Im dritten Akt kulminiert die kriminelle Energie Lotarios, als er Carlo mit dem Schwert bedroht, um auf diese Weise von der dabei anwesenden Giuditta ein Schreiben zu erpressen, in dem sie ihren Ehebruch gesteht (III,6). Wieder ist es Adalgiso, der eingreift und Carlo aus den Händen des Tyrannen befreit. Erst nachdem Adalgiso als Ersatz für Carlo sein eigenes Leben anbietet, ist Lotario zur Versöhnung bereit. In einem Gerichtskampf wird Asprando von Berardo besiegt und Giuditta leistet den Reinigungseid (III,10). Nun steht dem lieto fine nichts mehr entgegen, das mit der Doppelhochzeit von Adalgiso und Edvige sowie Berardo und Gildippe besiegelt wird. Ist das ohne komische Figuren auskommende Reformlibretto Silvanis zunächst als Schule des politischen Verhaltens angelegt, bei dem vor allem die Figur des Lotario an zahlreichen Stellen als Negativ-Exemplum vorgeführt wird, als Beispiel für einen Regenten, der seine Affekte nicht zu beherrschen und sich nicht zu verstellen weiß, so wird das genealogisch-dynastische Potential des Stoffes vor allem in den deutschen Fassungen aktiviert. Die Wolfenbütteler Aufführung 1722 zu Ehren der Kaiserin Elisabeth Christine (mit anlassbezogenem Prolog) dürfte auf genalogische Gemeinsamkeiten abgezielt haben: Judith war wie Elisabeth eine Welfin (Seebald 2009, S. 229 f.). In den späteren Bearbeitungen, auf die hier nicht im Detail eingegangen werden kann, wird meist die zweite Tochter Giudittas eliminiert, sodass die Liebesthematik nun ganz auf die Adalgiso-Edvige-Handlung (wobei Edvige in Gildippe umbenannt wird) konzentriert werden kann. Die stumme Rolle des jungen
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Karl wurde in Hamburg in eine singende Partie umgewandelt. In Bologna und Neapel wurden in die Handlung eingeflochtene komische Partien hinzugefügt, und dies unabhängig davon, dass zwischen den Akten zudem komische Intermezzi gespielt wurden. Die Konflikte zwischen Ludwig dem Frommen und seinen Söhnen waren schon 1683 von Tomaso Stanzani zum Thema eines Librettos gemacht worden (ebd., S. 230–323). Die Oper mit dem Titel L’anarchia dell’imperio gelangte in der Saison 1683/84 in Venedig auf die Bühne (weitere Aufführungen: Mailand 1688) und wurde 1726 in einer eng der italienischen Vorlage folgenden deutschen Übersetzung von Christian Ernst oder Johann Wilhelm Simonetti unter dem Titel Ludovicus Pius oder Ludewig der Fromme mit der Musik von Georg Caspar Schürmann in Braunschweig aufgeführt (weitere Aufführungen 1727 und 1734). Anders als Silvani eliminiert Stanzani die Figur des Kaisers nicht, sodass es dem Verlauf der historischen Ereignisse gemäß zu einem direkt ausgetragenen Konflikt zwischen dem Kaiser und seinen Söhnen Lotario und Pipino kommt, der zur zeitweiligen Absetzung des Kaisers führt. Daligi (Judith) ist im Libretto noch nicht mit dem Kaiser verheiratet, sondern nur verlobt und wird am Ende der Oper Claudio, den einzigen gegenüber dem Vater loyal gebliebenen Sohn heiraten. Nur in der deutschen Fassung (Simonetti 1726) gibt sich Claudius als Ludwig (der Deutsche) zu erkennen. Die Figur der Daligi (Judith) wird auf diese Weise historisch gesehen mit Hemma, einer Tochter des Grafen Welf, kombiniert. Neben Daligi tritt auch deren Vater Velso (Welfus, Graf zu Altorff in Schwaben) auf, der zum eigentlichen Retter der Monarchie wird. Er flößt den beiden sich selbst zu Kaisern erhebenden Söhnen Lotario und Pipino während eines Gastmahls einen Trank ein, der sie dem Wahnsinn verfallen lässt. Zuvor hatten die Söhne den Vater mit eben dem Argument abgesetzt, er sei wahnsinnig geworden (Stanzani 1684, S. 9). Velso ist dabei keine durchgängig positiv gezeichnete Figur. Den Vorschlag des als Schäfer verkleideten Kaisers, doch selbst die Krone an sich zu reißen, greift er zunächst auf, leistet dann jedoch Abbitte, als der Kaiser sich zu erkennen gibt. Das Libretto dramatisiert den Topos von der Vergänglichkeit der Macht, der durch eindrucksvolle szenische Effekte visualisiert wird: Am Ende des ersten Aktes, als der Kaiser mit Daligi auf einem prächtigen Wagen in die Residenz einziehen möchte, muss er seine kaiserlichen Insignien ablegen und die Stadttore werden vor ihm verschlossen. Am Ende des dritten Aktes sind Lotario und Pipino von Velso eingekerkert worden und die kurze Phase ihrer Herrschaft erscheint ihnen nun wie ein Traum. Doch kurz darauf erscheint ihr Vater in einem coup de théâtre in einer prächtigen Maschine („machina maestosa“, Stanzani 1684, S. 71), der Kerker verwandelt sich in einen Palast und Ludwig kann seine aufständischen Söhne begnadigen. Die kaiserliche Macht bedarf der theatralen Inszenierung.
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Die Braunschweiger Aufführungen der Oper, die als Huldigung an die Welfendynastie zu verstehen sind – tritt doch mit Welfus deren Spitzenahn auf (Seebald 2009, S. 321 f.) –, präzisieren gegenüber der unspezifisch verbleibenden venezianischen Vorlage den Handlungsort, indem sie die Szenen der Handlung nach Aachen verlegen. Insgesamt ist die politische Dimension in Stanzanis Libretto weniger ausgestaltet als bei Silvani, da die Liebesverwicklungen dominieren. Die breit entfalteten Wahnsinnsszenen des Lothar und Pippin im dritten Akt weisen gegenüber der italienischen Vorlage zum Teil komische Züge auf. Das erste Libretto, das den Namen Karls des Großen im Titel trägt, Adriano Morsellis Carlo il grande, wurde 1688 in der Vertonung von Domenico Gabrielli in Venedig uraufgeführt. Der schon 1682 in Venedig auf die Opernbühne gelangte Carlo re d’Italia von Matteo Noris behandelt die politischen Geschicke Karls III. (des Dicken), eines Urenkels Karls des Großen. In Morsellis Textbuch steht allerdings weniger der Kaiser selbst, der als „Re di Francia“ eingeführt wird, im Mittelpunkt. Vielmehr machen die Liebesabenteuer seiner Paladine Orlando, Rinaldo und Astolfo den Hauptteil der Handlung aus. Morselli folgt, wie er im Vorwort an den Leser (Morselli 1688, Bl. A3v) betont, in hohem Maße Ariostos Epos Orlando furioso, was zu einer selbst für ein Opernlibretto des siebzehnten Jahrhunderts ungewöhnlichen epischen Breite mit permanenten Szenenwechseln führt, kombiniert er doch die Geschichte der Zauberin Alcina mit dem zentralen Plot von Ariostos Epos, der Liebe Angelicas zu Medoro und dem daraus resultierenden Wahnsinn Orlandos. Anders als in den meisten Alcina- oder Orlando FuriosoOpern der Zeit tritt Carlo il grande aber immerhin als Figur auf, sodass die Zeit der Handlung für die Zuschauer der Oper bzw. Leser des Librettos auch ohne Rekurs auf Ariostos Epos deutlich mit der Zeit der Karolinger, und hier genauer mit den Spanienfeldzügen Karls, in Verbindung gebracht werden kann. Karl der Große zeigt sich bei Morselli als vorbildlicher Herrscher, der besonnen zu handeln versteht und im Gegensatz zu seinen Paladinen oder den weiblichen Figuren Angelica und Alcina nicht vom Affekt der Liebe beherrscht wird. Der Maurenkönig Agramante ist in Frankreich eingefallen, seine Truppen stehen vor Paris, und Karl obliegt die Aufgabe, seine hauptsächlich mit Liebesproblemen beschäftigten Paladine zum Kampf zu bewegen, was ihm am Schluss dann auch gelingt: Das heidnische Heer wird besiegt. Die meisten Verfasser von Libretti mit karolingischen Sujets betonen ihren freien Umgang mit den historischen Quellen oder ihre völlige Unabhängigkeit davon. Am deutlichsten formuliert Stefano Benedetto Pallavicino diese Position in der Vorrede zu Tassilone (Pallavicino 1709 Bl. A3r f.). Die italienischen Librettisten des neunzehnten Jahrhunderts griffen für mythologische Details aus der Zeit Karls
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des Großen wie den Irminsul auf das Dizionario d’ogni mitologia e antichità (6 Bde., Mailand 1809 ff.) zurück, das von dem Librettisten Felice Romani mitherausgegeben wurde. Barocke Gelehrsamkeit zeigt sich gelegentlich in den Vorreden zu den Textbüchern des siebzehnten und frühen achtzehnten Jahrhunderts, etwa zu Barthold Feinds Desiderius oder Pietro Ottobonis Carlo Magno, wo sich Dutzende Quellenhinweise finden, allen voran auf Einhards Vita Karoli Magni und auf die Historia Langobardorum des Paulus Diaconus. Feind rezipiert historisches Wissen über die karolingische Zeit außerdem über die rechtshistorischen Werke barocker Universalgelehrter wie Hermann Conring.
III Werkliste Carlo re d’Italia „Drama per musica“ Musik Carlo Pallavicino
Text Matteo Noris
Uraufführung 1682, Venedig
L’anarchia dell’ imperio „Drama per musica“ Musik Giovanni Legrenzi
Text Tomaso Stanzani
Uraufführung Dezember 1683, Venedig
Carlo il grande „Drama per musica“ Musik Domenico Gabrielli
Text Adriano Morselli
Uraufführung 1688, Venedig
Der Tapffere Kayser Carolus Magnus, Und Dessen Erste Gemahlin Hermingardis „Sing-Spiel“ Musik Text Uraufführung Johann Georg Conradi Christian Heinrich Postel 1692, Hamburg L’ innocenza giustificata „Drama per musica“ Musik Benedetto Vinaccesi
Text Francesco Silvani
Uraufführung Dezember 1698, Venedig
Engelberta „Drama per musica“ Musik Andrea Fioré
Text Apostolo Zeno, Pietro Pariati
Uraufführung 1708, Mailand
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Tassilone „Tragedia per musica“ Musik Agostino Steffani
Text Stefano Benedetto Pallavicino
Uraufführung 17.1.1709, Düsseldorf
Desiderius, König der Longobarden „Musicalisches Schauspiel“ Musik Text Reinhard Keiser Barthold Feind
Uraufführung 26.7.1709, Hamburg
Carlo Magno „Festa teatrale“ Musik Giovanni Battista Costanzi
Text Pietro Ottoboni
Uraufführung 1728, Rom
Carlo Magno Dramma per musica Musik Vincenzo Manfredini
Text Lodovico Lazzaroni
Uraufführung 1763, St. Petersburg
Il Ruggiero ovvero l’eroica gratitudine Dramma per musica Musik Text Johann Adolph Hasse Pietro Metastasio Karol Wielki i Witykind Drama historyczne we dwóch aktach Musik Text Joseph Anton Franz Elsner Joseph Anton Franz Elsner [oder Tekla Łubieńska]
Uraufführung 16.10.1771, Mailand
Uraufführung 5.12.1807, Warschau
Wittekind „Große Oper in drey Akten“ Musik Text Johann Christian Lobe Johann Christian Lobe
Uraufführung 5.1.1822, Weimar
Carlo Magno „Dramma serio“ Musik Giuseppe Nicolini
Text Antonio Peracchi
Uraufführung Februar 1813, Piacenza
Carlo Magno Melodramma Musik Eugenio Torriani
Text Annibale Cressoni
Uraufführung 13.3.1852, Mailand
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Wittekind „Große, historisch-romantische Oper in 3 Acten“ Musik Text Franz Xaver Rafael Eugen Spor[c]k
Uraufführung 2.3.1861, Graz
Karl der Große Burleske in einem Akt Musik Julius Schulz
Uraufführung 9.4.1864, Wien
Text Ferdinand Manussi von Montesole
Witikind ou la conversion des Saxons Oper in zwei Akten Musik Text Adolf von Doss Dieudonné Hasselle
Uraufführung 11.8.1880, Liège
Pippin Musical Musik Stephen Schwartz
Uraufführung 23.10.1972, New York
Text Roger O. Hirson
Macbeth Arnold Jacobshagen I Präsenz des Sujets Im Theaterbetrieb der Gegenwart ist von den mindestens siebzehn Opernbearbei tungen von Shakespeares Macbeth allein die Vertonung Giuseppe Verdis im internationalen Repertoire kontinuierlich präsent. Sein Macbeth, ein „Melodramma“ in vier Akten nach einem Libretto von Francesco Maria Piave, wurde am 14. März 1847 in Florenz (Teatro della Pergola) uraufgeführt. Die Oper erfordert insgesamt zwölf solistische Gesangspartien: Macbeth (Bariton), Lady Macbeth (Sopran), Banco (Bass), Macduff (Tenor), Malcolm (Tenor), Kammerdienerin (Mezzosporan), Arzt (Bass), Mörder (Bass), Herold (Bass), drei Erscheinungen (Sopran, Tenor, Bass). Daneben treten König Duncano, sein Sohn Fleanzio sowie die Erscheinungen von acht verstorbenen Königen in stummen Rollen auf. Die Chöre repräsentieren insbesondere die Hexen sowie Gesandte des Königs, schottische Adlige, Flüchtlinge, Mörder, englische Soldaten und Barden. Die Handlung orientiert sich eng an der Vorlage Shakespeares, die allerdings von fünf auf vier Akte gekürzt ist. Die Handlung ist im Schottland des elften Jahrhunderts angesiedelt und spielt vorwiegend auf Macbeths Burg. Zu Beginn des ersten Aktes kehren Macbeth und Banco siegreich aus der Schlacht zurück. Die Hexen weissagen, dass Macbeth Than von Cawdor und König, Banco hingegen der Vater von Königen werde. Lady Macbeth erfährt aus einem Brief ihres Gatten von den zurückliegenden Ereignissen und der bevorstehenden Ankunft des Königs in ihrem Schloss. Als Macbeth eintrifft, überredet ihn seine machthungrige Gemahlin zum Königsmord. Macbeth vollzieht den Plan und Lady Macbeth färbt die Kleider der Wachen mit Blut, um den Verdacht auf sie zu lenken. Als König findet Macbeth im zweiten Akt keine Ruhe, solange Bancos Sohn Fleanzio noch lebt. So beschließt er, beide, Banco und Fleanzio, ermorden zu lassen, doch letzterer kann in der Dunkelheit entkommen. Der König gibt ein Festbankett, auf dem ihm, für die übrigen unsichtbar, der Geist Bancos erscheint. Die Gäste wundern sich über das sonderbare Betragen Macbeths, für das sie keine Erklärung haben. Lady Macbeth versucht, ihn zu beruhigen und der Situation Herr zu werden. Schaudernd entfernen sich die Gäste. Im dritten Akt befragt Macbeth erneut die Hexen. Eindringlich warnen sie ihn vor Macduff. Der König beruhigt sich erst, als er erfährt, dass ihn niemand überwinden könne, den ein Weib geboren hat, und er nur dann in Gefahr gerate, wenn der Wald von Birnam gegen ihn anrücken sollte. Lady Macbeth überredet ihren Gatten, die Familie Macduffs und seine übrigen Feinde zu vernichten. Zu Beginn des vierten Aktes hat sich Macduff an der Grenze Schottlands mit Malcolm https://doi.org/10.1515/9783110424089-006
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und seinen Truppen vereinigt. Malcolm befiehlt seinen Soldaten, sich für den Angriff auf Macbeth mit Ästen aus dem Wald von Birnma zu tarnen. Im Schloss warten die Kammerfrau und ein Arzt auf die inzwischen wahnsinnig gewordene Königin, die als Nachtwandlerin erscheint, ihre Taten gesteht und stirbt. Macbeth zeigt sich unbeeindruckt von der Nachricht des Todes seiner Gemahlin. Macduff stellt den König in der Schlacht. Dieser erfährt nun, dass Macduff nicht geboren, sondern aus dem Mutterleib geschnitten wurde, und erliegt im Zweikampf gegen ihn. Macduff und die Soldaten preisen Malcolm als neuen König. Für die Pariser Aufführung am Théâtre-Lyrique am 21. April 1865 wurde das Textbuch von Charles Louis Etienne Nuitter und Alexandre Beaumont überarbeitet und ins Französische übersetzt. Verdi nahm für die Pariser Fassung zahlreiche musikalische Änderungen und Erweiterungen vor. Hierzu zählen vor allem die vollständig neu komponierten Ballettmusiken, eine neue Arie für Lady Macbeth im zweiten, ein neues Duett für Macbeth und Lady Macbeth im dritten sowie ein neuer Einleitungschor und die Finalszene im vierten Akt (zu den unterschiedlichen Fassungen vgl. Osthoff 1972). In den Augen des Komponisten war die Pariser Premiere allerdings ein „Fiasko“ (Giuseppe Verdi an Léon Escudier, 3.6.1865): 14 Mal wurde die Oper am Théâtre-Lyrique gespielt, dann verschwand sie vom Spielplan. Der Erfolg der populären Verdi-Opern blieb dem Macbeth lange Zeit verwehrt. „In den 1880er Jahren verschwand“ das Stück „aus den Spielplänen der italienischen Opernhäuser und wurde zwischen 1890 und 1931 so gut wie nicht aufgeführt“ (Schweikert 2011, S. 397). In der heutigen Bühnenpraxis hat sich die Pariser Fassung in italienischer Sprache durchgesetzt und wird allgemein gespielt, auch wenn sich in den letzten Jahren einzelne Festivals für die Wiederaufführung der stilistisch homogeneren Originalfassung von 1847 entschieden haben, so 1999 das Edinburgh Festival und im Jahr 2000 die Wiener Festwochen.
II Historische Schichten Die jüngste Bearbeitung des Stoffs ist Salvatore Sciarrinos Macbeth, dessen Untertitel „tre atti senza nome (da Shakespeare)“ lautet. Die Uraufführung fand am 6. Juni 2002 bei den Festspielen in Schwetzingen in der Regie von Achim Freyer statt. Es musizierte das SWR-Orchester Stuttgart unter der Leitung von Johannes Debus. Die Partitur erfordert fünf vokale Hauptpartien, die jeweils zumeist mehrere Rollen übernehmen: Sopran (Lady Macbeth), Contralto/Countertenor (Fleance, Sergente, Sicario, Secondo Spettro, Soldato), Tenor (Banquo, Spettro, Servo), Bariton (Macbeth), Bassbariton (Duncan, Macduff, Cortigiano), sechs weitere kleine Solopartien und einen gemischten Chor. Mit der ‚Namenlosigkeit‘
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der drei Akte wird auf die überindividuelle Reichweite der im Drama verhandelten Konflikte und somit auf die gleichsam mythische Dimension des mittelalterlichen Stoffs hingewiesen. Bereits seit 1976 hatte der Komponist den Plan zu Macbeth gehegt, dann das Werk jedoch zurückgestellt, da er seinerzeit meinte, mit einer zumindest auf den ersten Blick traditionell angelegten Shakespeare-Oper an den Dogmen der Avantgarde zu scheitern (Jacobshagen 2004, S. 233). Seit der Uraufführung ist Sciarrinos Oper an zahlreichen anderen Orten mit Erfolg nachgespielt worden (u. a. bei den Salzburger Festspielen 2011 sowie an der Staatsoper Berlin 2014) und kann insofern als die wichtigste jüngere musikdramatische Bearbeitung des Stoffs gelten. Im Vorwort der Partitur spricht der Komponist von seinem Werk als einer „elaborazione prosciugata“ (Sciarrino 2001, o.S.); er habe die Tragödie Shakespeares also gleichsam „trockengelegt“ – eine denkbar prägnante Charakterisierung, die Sciarrino zugleich mit einem moralischen Anspruch verknüpft, der als Botschaft des ganzen Stückes verstanden werden soll: Oggi il tragico, troppo spesso rimosso, è indispensabile per scuoterci dall’indifferenza. L’orrore si mescola continuamente al quotidiano e, affinché non ne restiamo intossicati, si deve risvegliare la nostra coscienza sociale. [ebd.; Heutzutage ist das Tragische, das zu oft verdrängt wird, unerlässlich, um uns aus unserer Gleichgültigkeit aufzurütteln. Das Entsetzen mischt sich beständig in das Alltägliche, und wir müssen unser soziales Bewusstsein wiedererwecken, um hiervon nicht vergiftet zu werden.]
Sciarrinos Musiktheater ist gleichermaßen durch manifeste Traditionsbezüge wie durch das systematische Ausloten von Grenzen geprägt. So knüpft der Komponist in Macbeth neben Shakespeare auch an Verdi an, geht aber zugleich in der Figuren- und Stimmkonzeption völlig neue Wege. Auffällig sind dabei Entwicklungen in der vokalen und instrumentalen Behandlung, die auf Fragmentierung, Filigranisierung und Dissoziation bis hin zu den Grenzen der auditiven Wahrnehmung zielen. Ebenso spannungsvoll wird der Gegensatz zwischen der gewaltsamen Drastik des Bühnengeschehens und der Intimität der kammermusikalischen Anlage ausgetragen, welche zumal in den beklemmenden Monologen der Lady Macbeth die Dimensionen des Irrealen, des Wahnsinns und des Traums evoziert. Man hat Sciarrino auch als Barockkomponisten des einundzwanzigsten Jahrhunderts bezeichnet und dabei auf die Fülle der Traditionsbezüge verwiesen, die sein Werk kennzeichnen (Jacobshagen 2004, S. 229–233). Ähnlich wie Verdi wendet sich auch Sciarrino mit seinem Macbeth von der kantablen Vokalität einiger seiner vorangegangenen Werke ab. Kaum noch fügen sich die vereinzelten Motivpartikel von Stimmen und solistischen Instrumenten zu fragiler Linearität aneinander. Pulverisierung könnte man das Verfahren
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nennen, mit dem der ‚Dekomponist‘ den Rudimenten melodischer Kohärenz zu Leibe rückt und dabei in gleicher Weise auch musikhistorische Zitate – neben Verdi auch Wolfgang Amadeus Mozart – an exponierter Stelle sezierend verarbeitet. Dass gerade diese beiden Komponisten hier zitiert werden, hat der Komponist selbst in einem Interview als ‚künstlerischen Vatermord‘ gedeutet und kommentiert: „Jedes neue Werk gibt auch Auskunft darüber, was uns jeden Tag zustößt, wenn wir mit unseren Vätern kämpfen, oder wenn wir sie bestätigen … Ich zum Beispiel töte Mozart und Verdi jeden Tag! […] Wenn du glaubst, deinem Vater zu folgen, dann tust du das in Wirklichkeit nicht. […] Du musst deine eigene Freiheit erobern!“ (Katzameier 2011, S. 91). So erklingen, als Macbeth zum Festmahl der Geist Banquos erscheint, Reminiszenzen an die Komturszene aus Mozarts Don Giovanni, die nur mit kreischenden ff-Tontrauben der Flöten in extrem hoher Lage verscheucht werden können. Einem ähnlichen Prozedere wird etwas später die Arie „Alla vita che t’arride di speranza e gaudio piena“ aus Verdis Un ballo in maschera unterworfen, die Sciarrino wiederum von einem „spettro“ fragmentarisch ansingen lässt und in einem Collageverfahren mit hypernervösen Dialogfetzen der Eheleute Macbeth konfrontiert. Außer Salvatore Sciarrino ist unter den aktuellen Macbeth-Bearbeitungen vor allem diejenige des kanadischen Komponisten Paul McIntyre (2005) zu nennen. Die bislang noch nie vollständig szenisch aufgeführte Oper ist in Anspielung auf die altenglische Tradition als „Masque“ tituliert. 2007 wurden einzelne Szenen an der University of Toronto aufgeführt, Auszüge wurden von der Sopranistin Dolores Tjart (2003) und der Mezzosopranistin Vanessa Lanch (2011) aufgenommen (Parr 2018, S. 57). Die Textgrundlage seines Macbeth hat der Komponist selbst aus Shakespeares Werk komprimiert; wie in vielen seiner früheren Werke orientiert er sich auch hier an historischen Modellen: Er verbindet ein tänzerisches, neoklassizistisch inspiriertes Klangidiom mit seriellen Strukturen und komponiert größere Abschnitte auf der Basis barocker Tanzsätze wie Pavane und Galliarde (Akt 1) oder Sarabande (Akt 3). Das dreiaktige Werk mit einer ungefähren Spieldauer von rund eineinhalb Stunden ist für neun Solostimmen und ein „Chamber Orchestra“ komponiert, das jedoch neben Streichern und Holzbläsern auch Horn, Trompete, Posaune, Harfe, Klavier und Schlagzeug erfordert. Bezeichnenderweise sollen die übernatürlichen Rollen der drei Hexen und der Hecate mit „Cabaret Soprano“, „Cabaret Mezzo“, „Cabaret Alto“ und „Cabaret Spinto“ besetzt werden (ebd., S. 59). In der italienischen Oper des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts war eine ‚Opera senza amore‘ nahezu unvorstellbar. Insofern überrascht es nicht, dass die meisten Opernbearbeitungen des Macbeth-Stoffs im Laufe des zwan-
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zigsten Jahrhunderts erfolgten und in der Tradition der sogenannten Literaturoper – verstanden als einer möglichst unveränderten, gegebenenfalls gekürzten Vertonung eines originalen Schauspieltexts (vgl. Petersen 1999) – zu verorten sind. Einen Sonderfall der auf Macbeth bezogenen Opern bildet Lady Macbeth von Mzensk (1934) von Dmitrij Šostakovič [fortan: Schostakowitsch], deren Handlung bekanntlich nicht auf Shakespeare basiert, aber den Typus der über Leichen gehenden weiblichen Protagonistin in Anlehnung an Shakespeares Lady konzipiert. Allen Opernbearbeitungen des Stoffs ist mehr oder weniger gemeinsam, dass die Rolle der Lady Macbeth derjenigen ihres Gemahls zumindest ebenbürtig ist. Unter dem Aspekt der Genderkonstruktionen hat die herausragende Stellung der Lady Macbeth nicht zuletzt damit zu tun, dass sie als einzige weibliche Figur in einem von Männern bestimmten Gewalt- und Intrigenspiel die Fäden in der Hand hat. Im selben Jahr wie Schostakowitschs Oper kam auch Lawrance Collingwoods Macbeth (1934) auf die Bühne. Das Werk ist vor allem deshalb hervorzuheben, weil Shakespeares Text hier praktisch unverändert und zudem nahezu vollständig in Musik gesetzt wurde. Somit entspricht es unter allen hier behandelten Macbeth-Adaptationen dem Idealbild einer Literaturoper am meisten. Die Vertonung des ansonsten vor allem als Dirigent und Schallplattenproduzent bekannt gewordenen Collingwood zeichnet sich durch ihre konsequent deklamatorische bzw. rezitativische Anlage und den vollständigen Verzicht auf geschlossene Gesangsnummern aus, wodurch zugleich ein Höchstmaß an Textverständlichkeit erreicht wird (Parr 2018, S. 47). Unter den Macbeth-Bearbeitungen für die Opernbühnen des zwanzigsten Jahrhunderts ist diejenige des Schweizers Ernest Bloch nach einem französischen Libretto von Edmond Fleg als die erfolgreichste anzusehen. Die Uraufführung fand am 2. November 1910 an der Pariser Opéra-Comique (Salle Favart) statt. Es sollte 28 Jahre dauern, bis die Oper in Neapel zum zweiten Mal auf die Bühne kam. Später wurde sie dann in Rom (1953), Triest (1957) und an der Mailänder Scala (1959) gespielt. Die jüngsten Aufführungen fanden 2004 an der Oper Frankfurt, 2013 an der Long Beach Opera und 2014 im Harris Theater in Chicago sowie im John C. Borden Auditorium in New York statt. Dass die Oper anfangs scharf kritisiert wurde und erst nach dem Zweiten Weltkrieg größere Verbreitung und Anerkennung fand, dürfte auch zu tun haben, dass Komponist und Librettist Juden waren (Sutcliffe 2004, S. 23). Das Werk ist in einen Prolog und drei Akte gegliedert und folgt der Vorlage Shakespeares abgesehen von zahlreichen Kürzungen sehr eng. Fleg, der Autor des Textbuchs, war ein ebenfalls aus Genf stammender enger Freund des Komponisten, der damals gemeinsam mit Bloch in Paris
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lebte (Missale 2004, S. 27). Es war das Bestreben des Librettisten, sich primär auf die psychologischen Dimensionen des Stoffs zu konzentrieren und zentrale Shakespeare-Passagen möglichst unverändert zu übernehmen, wobei er sich der „Adaptionstechniken des Herausschneidens, Komprimierens und Einfügens von neuem Material“ bediente (Krämer 2000, S. 137–141). Kürzungen entfielen insbesondere auf die Hexenszenen und somit die übernatürlichen Elemente des Shakespeare-Texts (Abels 2004, S. 13). Die wichtigste Erweiterung gegenüber Shakespeare betrifft die Integration des Volkes, das am Ende eines jeden Aktes als Chor repräsentiert wird (Edwards 2004, S. 19). Musikalisch verwendet Bloch viele für seinen Personalstil typische Merkmale, darunter etwa dunkle Klangfarben und eine modal gefärbte Harmonik, scharfe metrische und harmonische Kontraste und rasche Tempowechsel. Die sehr differenzierte Leitmotivtechnik schließt vielfältige Kombinationen, Variationen und Verschmelzungen von Motiven ein (Krämer 2000, S. 149–164). Auf geschlossene Arien wird zugunsten eines deklamatorisch geprägten Gesangsstils verzichtet, der vor allem in der von Alex Cohen gemeinsam mit dem Komponisten eingerichteten englischen Fassung prägnante Shakespeare-Zitate plastisch hervortreten lässt und den Charakter einer Literaturoper besonders akzentuiert (ebd., S. 137–141). Der 1857 am Königlichen Opernhaus Berlin uraufgeführte fünfaktige Macbeth von Wilhelm Taubert (1811–1891) nach einem Libretto von Friedrich Hartwig Eggers (1819–1872) folgt der Vorlage Shakespeares ebenfalls recht eng, wobei zugleich in der Tradition der grand opéra besonders auf die Gestaltung von Massenszenen wie dem Bankett, auf Gelegenheiten für gleich drei Einlagelieder Macduffs, des Harfners und des Pförtners sowie auf den Somnambulismus der Lady Macbeth Wert gelegt wird (Engelhardt 2000, S. 119–122). Die Notwendigkeit der damit einhergehenden Abweichungen von der Vorlage erklärt sich aus dem Umstand, dass die Handlung von Shakespeares Macbeth nicht den typischen dramaturgischen Mustern der italienischen und französischen Musiktheatertraditionen entspricht. Eine besondere Herausforderung bei einer Adaptierung für die Opernbühne ist vor allem darin zu sehen, dass in dem Sujet keine Liebeshandlung vorgesehen ist. Auch wenn die beiden Protagonisten Macbeth und Lady Macbeth ein Paar bilden, spielt ihre Liebe für die Handlung keine Rolle mehr. In Verdis künstlerischer Entwicklung nimmt Macbeth einen zentralen Platz ein und markiert unter seinen frühen, überwiegend auf Stoffen aus dem Mittelalter basierenden Opern einen entscheidenden Wendepunkt: den Übergang von der Gesangsoper des Belcanto zu einem deklamatorischen Gesangsstil unter dem Primat des Dramatischen. Die intensive Korrespondenz mit dem Librettisten Francesco Maria Piave, die den Entstehungsprozess begleitet, gibt hiervon ebenso
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Zeugnis wie die Überarbeitungen, die Verdi selbst knapp zwei Jahrzehnte später für die Pariser Fassung des Werkes vornahm. Der Komponist, der bis dahin noch kein Drama Shakespeares als Opernvorlage verwendet hatte, erblickte in Macbeth eine der größten Schöpfungen der Menschheit: „Questa tragedia è una delle più grandi creazioni umane!“ (Giuseppe Verdis an Francesco Maria Piave, 4.9.1846). Zuvor hatte Verdi bereits vier andere Opern nach mittelalterlichen Stoffen komponiert: Oberto, conte di San Bonifacio (Antonio Piazza / Temistocle Solera, 1839 Mailand), I Lombardi alla prima crociata (Temistocle Solera, 1843 Mailand), I due Foscari (Francesco Maria Piave, 1844 Rom) und Giovanna d’Arco (Temistocle Solera, 1845 Mailand). In späteren Jahren sollte er – abgesehen von den beiden Shakespeare-Bearbeitungen Otello und Falstaff – noch vier weitere MittelalterOpern schreiben: La battaglia di Legnano (Salvadore Cammarano, 1849 Rom), Les vêpres siciliennes (Eugène Scribe und Charles Duveyrier, 1855 Paris), Simon Boccanegra (Francesco Maria Piave, 1857 Venedig) und Aroldo (Francesco Maria Piave, 1857 Rimini). Macbeth zählte im neunzehnten Jahrhundert auch in Italien zu den populärsten Tragödien Shakespeares. Dem von Verdi vertonten Libretto von Francesco Maria Piave liegt die Übersetzung Carlo Rusconis aus dem Jahre 1838 zugrunde. Dem literarischen Anspruch des Macbeth suchte Verdi durch ein Höchstmaß an dramaturgischer Konsistenz unter weitgehender Preisgabe der traditionellen Nummernstruktur zu entsprechen. Unbeschadet der Zurückdrängung der traditionellen virtuosen Gesangsstücke und der Reduzierung auf zwei große Rollen (an die freilich außerordentliche Anforderungen gestellt werden) unter Verzicht auf eine große Tenorpartie ist die Musik von großer formaler Geschlossenheit. Für die Zusammenarbeit zwischen Verdi und seinem Librettisten Piave bedeutete Macbeth die bis dahin stärkste Zerreißprobe. Mit den von Piave vorgelegten Zwischenergebnissen war Verdi so unzufrieden, dass er schließlich seinen Freund Andrea Maffei hinzuzog, der die Schlafwandelszene sowie die Hexenchöre im dritten Akt neu hinzudichtete. Maffei war als Schiller-Übersetzer anerkannt (er sollte wenig später das Libretto zu Verdis nächster Oper I masnadieri nach Schillers Räubern schreiben) und zudem ein ausgewiesener Shakespeare-Experte. Den Namen Piaves ließ Verdi von der Titelseite der Partitur streichen, auf der kein Textdichter genannt wird. Verdi, der die Uraufführung selbst dirigierte, hatte auf sehr langen Probenzeiten bestanden und überwachte genauestens jedes Detail der Inszenierung. Macbeth zählt zu den ganz wenigen italienischen Opern ohne eine Liebeshandlung, ein Umstand, der nach der Uraufführung in der Presse ebenso kritisiert wurde wie die Tatsache, dass Verdi nach seinen vorangegangenen patriotisch inspirierten „Risorgimento“-Opern mit mittelalterlichen Handlungen hier ein Sujet gewählt hatte, das mit seinem Heimatland in keinerlei Verbindung stand.
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Vor Verdi hatte mit Hippolyte André Jean Baptiste Chélard (1789–1861) nur ein einziger Komponist eine abendfüllende Macbeth-Oper komponiert und zur Aufführung gebracht. Chélards Macbeth nach einem Libretto von Claude-Joseph Rougêt de Lisle, dem Verfasser der Marseillaise, wurde am 29. Juni 1827 an der Pariser Opéra (Salle Le Peletier) uraufgeführt. Ein Jahr später gelangte die Oper in deutscher Übersetzung von Caesar Max Heigel als „heroische Oper“ am Münchner Hoftheater mit so großem Erfolg zur Aufführung, dass dem Komponisten Chélard daraufhin der Titel eines Königlich Bayerischen Kapellmeisters verliehen wurde. Sein Macbeth zeichnet sich durch zahlreiche Abweichungen gegenüber der Tragödienvorlage Shakespeares aus. So bilden die Hexen ein auch namentlich individualisiertes Frauenterzett (Elsie, Nona, Gröme), das mit drei harmonisch reizvollen Sätzen bedacht wird (Engelhardt 2000, S. 112). Insbesondere wird eine zusätzliche, für die französische Oper als unverzichtbar angesehene Liebeshandlung eingeführt, welche den schottischen Prinzen Douglas und Moina, die Tochter des Königs Duncan, verbindet. Im Gegenzug wird auf die Figuren des Banquo und des Macduff vollständig verzichtet. Indem Douglas mit der Königstochter verheiratet wird, verliert Macbeth seinen Thronanspruch und seine folgenden Verbrechen werden allein durch Rache motiviert (ebd., S. 110). Die ältesten musikalischen Adaptationen finden sich im Bereich der Schauspielmusik. An der frühen Bühnengeschichte von Shakespeares Macbeth im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert lässt sich ein Prozess fortschreitender Musikalisierung beobachten, der das Werk allmählich zum musical play beziehungsweise zur semi-opera werden ließ. Als Beginn dieser Entwicklung lässt sich die Übernahme von Liedern aus der Tragikomödie The Witch (1613/16) von Thomas Middleton in der Vertonung von Robert Johnson angeben, die in den Hexenszenen des dritten und vierten Aktes von Macbeth Verwendung fanden. Als William Davenant Shakespeares Tragödie in den 1660er Jahren bearbeitete, fügte er am Ende des zweiten Aktes eine weitere Hexenszene hinzu und schuf so zusätzliche Gelegenheiten für musikalische Einlagen. Davenants ShakespeareAdaptation erhielt in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Vertonungen, angefangen mit der 1673 uraufgeführten „Tragedy with songs and dances“ mit der Musik von Matthew Locke sowie rund zwei Jahrzehnte später die musikalische Bearbeitung von John Eccles (1696), deren hoher Musikanteil dem Stück den Charakter einer semi-opera verleiht. Der Tradition dieser Gattung entspricht die Konzentration der Musiknummern auf den Bereich des Übernatürlichen, während die tragische Haupthandlung weiterhin im gesprochenen Dialog dargestellt wird. Diese Tendenz setzte sich zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts mit der Schauspielmusik von William Leveridge fort, die am Londoner Drury Theatre im Jahre 1702 uraufgeführt wurde. Die Bühnenmusik von Leveridge hielt sich bis 1875 im
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Repertoire und erschien mehrfach im Druck. In gewisser Weise nahm sie eine Stellvertreterfunktion für die fehlende englische Nationaloper ein. Auch an den deutschen Bühnen, an denen Shakespeares Macbeth seit dem späten achtzehnten Jahrhundert zum festen Repertoire zählte, entstanden zahlreiche umfangreiche Schauspielmusiken, darunter jene von Carl David Stegmann (Hamburg 1779, Theater am Gänsemarkt), Johann André (1780 Berlin, Döbbelins Theater) und Johann Friedrich Reichardt (1787, München, Hoftheater). William Shakespeares The Tragedy of Macbeth entstand 1605/1606 als letzte der großen Tragödien des Dichters und wurde wahrscheinlich 1606 erstmals aufgeführt (die erste verlässlich dokumentierte Aufführung fand erst 1611 im Londoner Globe Theatre statt). Überliefert ist das Werk nur in der Folio-Ausgabe von 1623 (Schläfer 1978, S. 628). Das Schicksal des Macbeth (mittelirisch: Mac Bethad mac Findlàich, 1005– 1057), der von 1040 bis zu seinem Tod als König von Schottland regierte, ist in The Chronicles of England, Scotland, and Ireland (1577) überliefert, als deren Verfasser Raphael Holinshed, William Harrison, Richard Stanyhurst und John Hooker gelten. Diese mit den historischen Fakten über das schottische Königshaus im elften Jahrhundert nur teilweise übereinstimmenden Chroniken sind nach dem Namen seines Hauptautors auch als Holinshedʼs Chronicles bekannt. Sie bilden den Ausgangspunkt von Shakespeares The Tragedy of Macbeth. Allerdings hat Shakespeare wesentliche Elemente der Handlung (darunter die Anstiftung zum Mord durch die Ehefrau und das Abschieben der Schuld auf die Diener) der ebenfalls bei Holinshed überlieferten Ermordung Duffs durch Donwald entnommen (ebd., S. 628). Daneben orientierte sich Shakespeare auch an der vom schottischen König Jakob VI. (bzw. Jakob I. von England) verfassten Daemonologie in Forme of a Dialogue (1597), die eine ausführliche Darstellung der Hexenprozesse von North Berwick enthält.
III Werkliste Macbeth „Tragédie lyrique“ Musik Hippolyte André Chélard
Text Claude Joseph Rouget de Lisle
Uraufführung 29.6.1827, Paris
Macbeth „Melodramma in quattro atti“ Musik Giuseppe Verdi
Text Francesco Maria Piave
Uraufführung 14.3.1847, Florenz
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Macbeth „Oper in fünf Akten, nach Shakespeare“ Musik Text Wilhelm Taubert Friedrich Hartwig Eggers
Uraufführung 16.11.1857, Berlin
Biorn „Tragic spectacular opera“ Musik Lauro Rossi
Uraufführung 17.1.1877, London
Text [?]
Macbeth „Drame Lyrique en 7 tableaux (Un prologue et trois actes)“ Musik Text Ernest Bloch Edmond Fleg
Uraufführung 30.11.1910, Paris
Macbeth Oper Musik Hugo Daffner
Text Hugo Daffner
Uraufführung 1913 [?]
Macbeth Opera Musik Nicholas Comyn Gatty
Text [?]
Uraufführung 1920, London [?]
Macbeth „Opera in 3 acts“ Musik Lawrance Arthur Collingwood
Text Lawrance Arthur Collingwood [?]
Uraufführung 12.4.1934, London
Macbeth Oper in fünf Akten Musik Alexander Goedicke
Text Alexander Goedicke
Uraufführung 1944
Macbeth Opera in four acts Musik Edward M. Goldmann
Text Edward M. Goldmann
Uraufführung 1961
Macbeth Opera in one act Musik Sidney Halpern
Text Sidney Halpern
Uraufführung 4.4.1965, New York
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Macbeth Oper Musik Herman David Koppel
Text Herman David Koppel
Uraufführung 22.5.1970, Kopenhagen
Macbeth Oper Musik Antonio Bibalo
Text Antonio Bibalo
Uraufführung 29.9.1990, Oslo
Macbeth2 Oper Musik Jan Sandström
Text K.G. Johansson
Uraufführung 2001, Göteborg
Macbeth „Tre atti senza nome“ Musik Salvatore Sciarrino
Text Salvatore Sciarrino
Uraufführung 6.6.2002, Schwetzingen
Macbeth „Masque in Three Acts“ Musik Paul McIntyre
Text Paul McIntyre
Uraufführung [partiell] 2007, Toronto
Macbeth „One-act chamber opera“ Musik Luke Styles
Text Ted Huffman
Uraufführung 25.8.2015, Glyndebourne
Ottonen Christian Seebald I Präsenz des Sujets Noch im siebzehnten Jahrhundert, im Zuge einer intensivierten Rezeption historischer Stoffe, greift das europäische Musiktheater auf Sujets aus, in deren Fokus jene Repräsentanten des ostfränkischen Königtums aus der sächsischen Dynastie der Ottonen oder Liudolfinger stehen, die in späteren Zeiten verschiedentlich mit den ‚Anfängen‘ der deutschen Geschichte in Verbindung gebracht worden sind (Althoff 2000, S. 67 f.). Die Reihe der einschlägigen Opern reicht von den 1670er Jahren bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert, doch haben nur wenige Werke im heutigen Spielbetrieb überdauert (wobei in manchen Fällen musikalische Quellen schlicht nicht überliefert sind). Eher sporadische Wiederaufführungen in jüngster Vergangenheit betreffen allein Stücke aus den Œuvres prominenter Komponisten. Georg Friedrich Händels Ottone, Re di Germania war die zweite Oper dieses Komponisten, die Oskar Hagen 1921 unter den Vorzeichen der ‚Händel-Renaissance‘ des zwanzigsten Jahrhunderts für die Göttinger Händel-Festspiele erneut auf die Bühne brachte. Zuletzt war Ottone in einer konzertanten Produktion des Ensembles Il Pomo d’Oro unter der Leitung von George Petrou beim Festival International d’Opéra Baroque et Romantique de Beaune (7. Juli 2017) und am Theater an der Wien (24. September 2017) zu hören (DECCA 2017). Szenische Versionen brachten 2019 die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, 2014 die English Touring Opera und 2011 die Oper Halle heraus (Erstaufführung nach der Neuedition der Hallischen Händel-Ausgabe; Händel 2008). Ottone wurde zum ersten Mal am 12. Januar 1723 im Londoner King’s Theatre gespielt, „scored a sensational success“ (Dean / Knapp 1987, S. 436) und erlebte in den folgenden zehn Jahren mehrere Wiederaufnahmen. Nicola Francesco Hayms Libretto rekurriert auf Stefano Benedetto Pallavicinos „Dramma per musica“ Teofane, das im September 1719 mit der Musik von Antonio Lotti für den Dresdener Hof aus Anlass der Feierlichkeiten zur Hochzeit des sächsischen Kurprinzen Friedrich August mit Maria Josepha von Österreich produziert worden war. Da sich Händel im Sommer 1719 in Dresden aufhielt, wird er der Premiere oder einer der Folgeaufführungen von Lottis Festoper beigewohnt haben. Er engagierte später jedenfalls drei der Dresdener Sänger, Senesino, Margherita Durastanti und Giuseppe Maria Boschi, für die entsprechenden Partien seines Ottone, während er die Rolle der Teofane Francesca Cuzzoni vorbehielt, die darin ihr Londoner Debüt gab. Hayms Textbuch weist zwar gegenüber seiner Vorlage erhebliche Kürzungen vor allem hinsichtlich der Rezitative auf, die sich wiederum negativ auf die Strinhttps://doi.org/10.1515/9783110424089-007
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genz der Handlung auswirken, doch bleiben die Grundzüge des Plots erhalten (ebd., S. 420–423; McLauchlan 1997, S. 357–364). Hier sind mit der Vermählung Ottos II. mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu und dem Triumph Ottos I. über Adalbert von Italien, den Sohn König Berengars, zwei historisch unverbundene Ereignisse zusammengeführt und mit der Figur Ottos II. Resultate des Herrschaftshandelns seines Vaters Otto I. verquickt: Als Teofane zur Vermählung mit Ottone in Rom eintrifft, begegnet sie nicht ihm, sondern Adelberto, der sich mit Unterstützung seiner Mutter Gismonda der Stadt bemächtigt hat und sich Teofane gegenüber als Ottone ausgibt. Ottone wiederum kann Rom bald zurückerobern und Adelberto gefangen setzen. Dem aber gelingt mit Hilfe von Ottones Cousine Matilda die Flucht. Gemeinsam mit dem vermeintlichen Korsaren Emireno, den Ottone in einem Seegefecht besiegt hatte, entführt er Teofane, indem er sie mit an Bord von Emirenos Boot nimmt. Als Emireno jedoch Kenntnis von Teofanes Identität erlangt, überwältigt er Adelberto, kehrt zu Ottones Hof zurück und übergibt ihm endgültig Teofane, die Emireno als ihren einst exilierten Bruder und byzantinischen Thronfolger Basilio vorstellt. Ottone verzeiht Gismonda und Adelberto und lässt sich von ihnen huldigen. Matilda erwählt daraufhin Adelberto zum Gemahl. Händels weit weniger präsente zweite, erst 1975 wieder gespielte ‚Ottonen-Oper‘ Lotario erschien zuletzt im Mai 2017 am Deutschen Theater Göttingen in der Inszenierung von Carlos Wagner unter der musikalischen Leitung von Laurence Cummings im Rahmen der Internationalen Händel-Festspiele. 2019 wurde dieselbe Produktion am Stadttheater Bern gezeigt. Bereits 2004 hatte es – wiederum auf der Grundlage der Neuedition der Partitur im Kontext der Hallischen Händel-Ausgabe (Händel 2003) – halbszenische bzw. konzertante Aufführungen durch das Kammerorchester Basel unter Paul Goodwin (OC 2004) und durch Il Complesso Barocco unter Alan Curtis gegeben (DHM 2014). Zuvor war 1999 eine Bühnenversion beim London Handel Festival herausgekommen. Uraufgeführt am 2. Dezember 1729 im Londoner King’s Theatre, basiert auch Lotario auf einer Vorlage, die Händel „durch eine Aufführung bekannt“ gewesen sein dürfte (Strohm 1975/1976, S. 115). Als er nämlich im Frühjahr 1729 in Venedig war, hörte er wohl im Teatro San Cassiano auch Giuseppe Maria Orlandinis Vertonung von Antonio Salvis Adelaide, die ursprünglich 1722 mit Musik von Pietro Torri für den Münchener Hof – abermals als Hochzeitsoper – entstanden war. Das Londoner Libretto, das vermutlich von Giacomo Rossi adaptiert wurde, ersetzt freilich den Namen der männlichen Hauptfigur ‚Ottone‘ (so bei Salvi) durch ‚Lotario‘ (den Namen des ersten Mannes der weiblichen Hauptfigur Adelaide) und übernimmt diesen sodann in den Titel, wahrscheinlich weil ‚Ottone‘ schon von Händels früherer Oper belegt war „und ‚Adelaide‘ vielleicht zu deutlich an die venezianische Vorlage erinnert hätte“ (ebd., S. 129).
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Der Handlung liegen die Ereignisse des ersten Italienzuges Ottos I. zugrunde, der durch den frühen Tod König Lothars von Italien im November 950 ausgelöst wurde. Sie brachten Otto nach dem Sieg über Berengar von Ivrea und dessen Sohn Adalbert, die das Königtum für sich beanspruchten, mit der Hand der Königinwitwe Adelheid „zugleich die italienische Königskrone“ ein (Althoff 2000, S. 96). In Grundzügen ergibt sich mit der Konstellation der Frau zwischen zwei Männern und dem damit verknüpften Thema der Usurpation die gleiche Konfiguration wie in Ottone, der mit Lotario ja auch den einen – ebendiese Konfiguration tragenden – seiner beiden historischen Bezugspunkte, den Italienzug Ottos I., gemeinsam hat: Adelaide, die „Erbin Italiens“ („dellʼItalia erede“: Rossi 1729, S. XXIII), wird von Berengario, dem Mörder ihres Gatten und Usurpator seines Reiches, in der Hauptstadt Pavia belagert, da sie sich weigert, sich mit Berengarios Sohn Idelberto zu vermählen. Berengario kann zwar mit seinen Scharen in die Stadt eindringen und Adelaide überwinden, wird aber bald darauf von Lotario, dem „Rè della Germania“ (ebd., S. 9), in einer Schlacht vor den Toren der Stadt besiegt. Lotarios Forderung, Adelaide freizugeben, begegnet Berengarios Gemahlin Matilda mit der Drohung, die Gefangene zu töten. Aus Liebe zu Adelaide begibt sich Idelberto daraufhin freiwillig in Lotarios Gewalt. Nachdem Berengario und Matilda vergeblich versucht hatten, ihre Macht durch eine erzwungene Fürsprache Adelaides bei Lotario zu sichern, gelingt es diesem, Pavia einzunehmen und Adelaide unbeschadet aus Matildas Händen zu retten. Adelaide belohnt Idelbertos tugendhaftes Handeln aus Liebe mit der Begnadigung seiner Eltern und übergibt ihm die vormalige Herrschaft seines Vaters. Denselben Stoff behandelt Gioachino Rossinis opera seria Adelaide di Borgogna, die am 27. Dezember 1817 im Teatro Argentina in Rom uraufgeführt wurde, im Gesamtkontext von Rossinis Œuvre aber nur eine Randposition einnimmt. Der Librettist Giovanni Federico Schmidt beruft sich im Argomento für das von ihm behandelte „fatto importante della Storia Italiana“ auf die Vorgaben der „storica verità“ ([Schmidt] 1818, S. 3) und bezieht sich auf eine ganze Kette von Historiographen, vom wirkmächtigen Zeitzeugen Liudprand von Cremona (ca. 920– 970/972) über den Humanisten Carlo Sigonio (1524–1584) und den ‚Patriarchen‘ der italienischen Mediävistik Ludovico Antonio Muratori (1672–1750) bis hin zu seinem eigenen Zeitgenossen Carlo Denina (1731–1813). Das Geschehen ist nun in Canossa und im Lager Ottones am Gardasee situiert. Auch sind die Handlungsrollen des Adelberto und seiner Mutter, hier Eurice genannt, im Vergleich zu Salvis älterem Libretto in gewisser Weise vertauscht: Während Adelberto – wie sein Vater Berengario – als rücksichtsloser Machtpolitiker agiert, der von der Liebe zu Adelaide getrieben ist, erscheint Eurice als besorgte Mutter und Ehefrau, die die Ausweglosigkeit der Lage, in die sich ihr
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Sohn und ihr Gatte manövriert haben, erkennt und aus Liebe zu Berengario die Freilassung Adelaides betreibt. Den Schluss bildet eine opulente tableauartige Massenszene, wie sie die heroisch-historische Oper an der Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert unter dem Einfluss des französischen Musiktheaters ausgeprägt hat und wie sie in je eigentümlicher musikalisch-dramatischer Faktur speziell auch für Rossinis melodramma serio charakteristisch ist: In einem Triumphzug feiert Ottone den Sieg über Berengario und Adelberto vor der Bevölkerung von Canossa, um sodann die Königsherrschaft Adelaides zu restituieren und sie als seine Braut und Kaiserin zu empfangen. Adelaide di Borgogna wurde neuerdings im April 2019 im Teatro Sociale von Rovigo konzertant und im Juli 2014 beim Belcanto Opera Festival in Bad Wildbad szenisch aufgeführt (Regie: Antonio Petris; musikalische Leitung: Luciano Acocella); davor war das Stück im August 2011 – wie schon konzertant 2006 – in Pesaro beim Rossini Opera Festival gespielt worden (Regie: Pier Luigi PierʼAlli; musikalische Leitung: Dmitri Jurowski). Beide Produktionen sind auf CD bzw. DVD dokumentiert. Frühere konzertante Aufführungen gab es in Edinburgh (2005), Liège (1992), Paris (1988) und London (1978); die erste Bühnenversion seit der Uraufführung erschien 1984 beim Festival della Valle d’Itria.
II Historische Schichten Außerhalb der skizzierten Sujet-Traditionen steht Siegfried Wagners Oper Bruder Lustig, die am 13. Oktober 1905 in Hamburg Premiere hatte. Hier erscheint die Figur des Kaisers „Otto mit dem Bart“ (Wagner [ca. 1905], S. 2) im Kontext einer Handlung, die – in der für Wagners musikdramatisches Œuvre insgesamt typischen Weise – Anleihen bei Sage und Märchen nimmt (Pachl 1979, S. 24 f.). Heinrich von Kempten, am Hof Kaiser Ottos nur als „Bruder Lustig“ bekannt, ist auf der Flucht vor den Häschern des Kaisers. Er hatte Ottos Truchsess aus Rache für die Misshandlung des jungen Herzogs von Schwaben erschlagen und sich freies Geleit erpresst, indem er den Kaiser beim Bart gepackt und ihm das Messer an den Hals gesetzt hatte. In einer kleinen fränkischen Stadt entkommt er seinen Verfolgern mit Hilfe des Mädchens Walburg, das ihn heimlich liebt. Er bleibt dort zwei Jahre, wird Zeuge des Andreasnacht-Zaubers, den die alte Urme mit den Mädchen der Stadt veranstaltet, und betreibt seine Verbindung mit Rüle, die ihm von früher bekannt ist, während Walburg mit dem einst von ihr gesund gepflegten Konrad vermählt wird. Als Konrad Walburg der Hexerei bezichtigt, steht ihr Heinrich bei und trennt sich von Rüle, weil auch sie Walburg verleumdet. Unterdessen hat Kaiser Otto von der Stadt Heinrichs Auslieferung und dazu eine immer noch ausstehende Zehntleistung gefordert. Die Stadtväter planen einen Anschlag auf
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den Kaiser, der aber von Heinrich überraschend vereitelt wird, was wiederum zu seiner Rehabilitierung führt. Am Ende wird die Ehe Walburgs mit Konrad zugunsten ihrer Verbindung mit Heinrich gelöst und „Kaiser Otto schlägt eine Axt in den Eichenstamm, als Zeichen des Friedens, der nie mehr durch Trug befleckt werden soll“ (Pachl 1988, S. 470). Die Konturen der Kaisergeschichte und damit das Grundgerüst der Bühnenhandlung im Sinne der „Problemkette von ‚Konflikt – Verstoßung – Reintegration‘“ (Neudeck 2003, S. 276) sind Konrads von Würzburg Versnovelle Heinrich von Kempten entlehnt (in Karl August Hahns Erstedition von 1838 noch entsprechend der Überschrift des Heidelberger Codex pal. germ. 395 Otte mit dem Barte betitelt), die zwischen 1260 und 1280 entstanden sein und ihrerseits auf eine lateinische Anekdote im Pantheon Gottfrieds von Viterbo rekurrieren dürfte (Neudeck 2003, S. 275–284). Konrads „Haudegengeschichte von manheit unde ritterschaft“ (Heinzle 1994, S. 36), von ritterlicher Tapferkeit und Treue, ist in der Oper freilich um eine ausladende Liebesintrige erweitert, wofür Siegfried Wagner, der das Libretto selbst verfasst hat, unterschiedliches Material aus Sage und Märchen hinzugezogen hat (etwa aus der in den Deutschen Sagen der Brüder Grimm überlieferten Andreasnacht-Sage). Der Titel Bruder Lustig mag zwar auf die gleichnamige Erzählung aus den Grimmschen Kinder- und Hausmärchen anspielen; es sind damit aber sicher keine Überschneidungen hinsichtlich des – grundsätzlich differenten – Plots, sondern vielmehr verwandte Züge der beiden Helden und die dem Stoff hier wie dort eigentümliche Tendenz zum Humoristischen impliziert. Wagners Bruder Lustig reiht sich ein in die Tradition der deutschen Märchenoper in der Nachfolge Engelbert Humperdincks, die sich „als Alternative zu Wagners Musikdrama und zum italienischen Verismo“ versteht (Liebscher 1989, S. 127), im Zeichen der Inszenierung eines ‚volkstümlichen‘ Elements gezielt auf Stoffe der eigenen nationalen Märchensammlungen und Sagencorpora zurückgreift und dabei „sehr oft in einem vagen Sinn mittelalterliches Kolorit trägt“ (Fischer 1986, S. 512). Im Repertoire hat sich Bruder Lustig nicht behaupten können. Bis 1908 sind zwar 20 Aufführungen an sechs Bühnen dokumentiert (Pachl 1979, S. 156), danach aber verschwindet das Stück aus den Spielplänen. Erst 1944 kam es anlässlich des 75. Geburtstages des Komponisten zu einer Wiederaufnahme an der Berliner Staatsoper, nun unter dem Titel Andreasnacht und in einer Inszenierung von Wolfgang Wagner (ebd., S. 143). Zuletzt brachte das Theater Hagen im April 2000 eine Neuproduktion heraus (OC 2000), die aber ohne breitere Wirkung geblieben ist. Siegfried Wagners Opus 4 ist zugleich auch von jenen ‚historischen OttonenOpern‘ in der Reihe der Mittelalteropern neben und nach Richard Wagner abzugrenzen, für die „der Rückblick auf die Genese des ersten Reiches der Deut-
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schen […] angesichts der eigenen nationalen Sehnsüchte und der Schaffung des zweiten Reiches im Mittelpunkt des Interesses“ steht (Schieffer 2001, S. 19) und wo die Darstellung von Geschichte in prononciert nationaler Perspektive mitunter konkrete Anspielungen auf die zeitgenössische Gegenwart bereithält. Dies betrifft insbesondere Aimé von Wouwermansʼ Heinrich der Finkler von 1860 (Musik von Franz Xaver Rafael; Wouwermans 1860) mit seiner Dramatisierung der zuerst in den Pöhlder Annalen aus dem späten zwölften Jahrhundert belegten und im neunzehnten Jahrhundert vornehmlich durch Johann Nepomuk Vogls Ballade populären Anekdote, wonach Heinrich I. bei der Vogeljagd die Königskrone angetragen worden sei (Schneidmüller 2003, S. 34). Bestimmend sind hier die auf die Figur des ersten ‚deutschen‘ Königs projizierte Idee nationaler Einheit, Freiheit und Stärke und ihre Auratisierung im „symbolisch überhöhten Schauplatz“ des Waldes (Borchmeyer 2017a, S. 274), der in trivialisierender Vereinfachung einer repräsentativ etwa bei Carl Maria von Weber und Joseph von Eichendorff ausgeprägten romantischen Tradition als idyllischer Rückzugsraum und Erlösungsort erscheint. National- bzw. imperialgeschichtliche Implikationen offenbart – mit weit weniger Emphase und Hang zum Nationalkitsch, dafür mit deutlich religiösem Unterton – auch Adalbert Ueberlées historisch-romantische Oper König Otto’s Brautfahrt (1881) nach einem szenischen Entwurf von Roderich Fels. Sie präsentiert die Vermählung Ottos II. mit Theophanu im Zusammenhang einer mörderischen Intrige und setzt dabei auf das Motiv der vertauschten Braut. Trotz allen Trugs und Verrats, der mit den genretypischen Verwicklungen und – mit Blick auf Figurenkonzeption und Handlungslogik nicht immer überzeugenden – Wendungen einhergeht, finden am Ende die schicksalhaft füreinander bestimmten Liebenden zusammen. Ein spezifisch ‚mittelalterliches‘ Kolorit sollen wohl vor allem auch die lateinischen Gesänge der Mönche des Klosters „Heiligenhöhe“ (Ueberlée 1881, S. 14) evozieren, in dessen näherer Umgebung die Handlung spielt. Mehr als lokale Bedeutung war dem Stück indes nicht beschieden – wie allen übrigen deutschen Geschichtsopern der Zeit, die die ottonischen Herrscher zum Gegenstand hatten. Das „Bedürfnis einer Nation, sich der eigenen Identität zu vergewissern“ (Dahlhaus 1980, S. 184), wird man in Ansätzen und diesmal aus italienischer Perspektive auch für Rossinis und Schmidts Adelaide di Borgogna als relevant erachten dürfen. Denn auch hier mag die performativ aktualisierte Memoria eines bedeutsamen Ereignisses der mittelalterlichen Geschichte des Königreichs Italien, konkret der Verteidigung der ‚Unabhängigkeit‘ der Königin Adelheid durch Otto den Großen, in der ein oder anderen Weise mit den nationalstaatlichen Bestrebungen
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der post-napoleonischen Ära, mit einem „sich emanzipierenden Nationalismus“ (ebd.), der auf die italienische Einheitsbewegung des Risorgimento vorausweist, resoniert haben (Grempler 1996, S. 132). Die dem Sujet eigene patriotische Note scheint zumindest tendenziell auch den Adelaide-Opern von Luigi Romanelli / Pietro Generali und Carlo Malmusi / Alessandro Gandini inhärent, die als Eröffnungsstücke für die neuen kommunalen Theater von Rovigo (1819) und Modena (1841) geschaffen wurden, – auch wenn sie zugleich mit der Figur Ottos des Großen auf die jeweiligen Habsburger Landesherren, Kaiser Franz I. und Herzog Franz IV. von Österreich-Este, Bezug nehmen mochten. Sie hallt noch nach in der Neuproduktion von Rossinis Adelaide von 2011 in Pesaro, die ganz im Zeichen der Einhundertfünzigjahrfeier der „Unità d’Italia“ stand. Die Ereignisse um die Befreiung Adelheids und den Gewinn der italienischen Königskrone gehörten von jeher zu den „immer wiederkehrenden Konstanten“ historiographischen Erzählens über Otto den Großen und sein Herrschaftshandeln (Neudeck 2003, S. 75), und auch mit Blick auf die Sujetgeschichte des italienischen Musiktheaters hat der Stoff eine lange Tradition. Er lag bereits Pietro Dolfins und Antonio Sartorios Adelaide von 1672 zugrunde und wurde allein in Venedig mit Ottone il Grande (1682), Adelaide (1729) und Ottone (1739) immer wieder aufgegriffen. Neben oder gar vor das Interesse des heimischen Publikums an der eigenen Historie im Sinne einer Vergegenwärtigung kollektiver Identität traten dabei bisweilen panegyrische Strategien der jeweiligen Produzenten gegenüber ihren zum Teil von weit her angereisten hochadeligen Opernbesuchern und Mäzenen, die mitunter auch politische Verbündete der Seerepublik waren. Besonders deutschen Fürsten erwiesen die Venezianer mit der Wahl und Präsentation von Sujets aus dem Themenkreis der Sachsenkaiser verschiedentlich ihre Reverenz. So war Dolfins / Sartorios Adelaide Herzog Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg gewidmet, der zum Librettisten wie zum Komponisten engere, durch Dienstverhältnisse begründete Beziehungen unterhielt (Jahn 1994b, S. 664). Seinem Bruder Ernst August, dann Kurfürst von Hannover, dedizierte Girolamo Frigimelica Roberti seine „Tragedia per musica“ Ottone (1694), welche „Otto III. bei einem Italienaufenthalt im Zentrum einer an Liebesintrigen und tragischen Verwicklungen reichen Handlung zeigt, die allerdings im ‚lieto fine‘ aufgelöst werden“ (Seebald 2009, S. 38), und zudem auf die rezente Verleihung der neunten Kur (1692) an das Hannoveraner Welfenhaus anspielt. Die Zueignung des Librettos zum Dramma per musica Ottone von 1739 wiederum galt dem Wettiner Kurprinzen Friedrich Christian, dem Sohn König Augusts III. von Sachsen-Polen, der auch der Premiere beiwohnte (Selfridge-Field 2007, S. 463).
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Die hier angedeuteten Funktionalisierungstendenzen im Zeichen obrigkeitlicher Herrschaft, Politik und Repräsentation lassen sich erst recht für das barocke Musiktheater nördlich der Alpen und speziell der deutschen Höfe beschreiben, denen gerade auch für die Rezeption von Personen und Ereignissen der ottonischen Epoche eine spezifische Bedeutung zukommt. Von 1716 an etwa produzierte man im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel eine Reihe von ‚dynastischen Mittelalteropern‘ (→ Staufer und Welfen, → Karolinger), welche die weit zurückreichende und schon früh in hochadelige und königsnahe Kontexte eingebettete Herkunft des regierenden Wolfenbütteler Welfenhauses thematisierten, besonders die alte genealogische Verbindung zur sächsischen Königsdynastie der Liudolfinger herausstellten und damit zugleich seine letzthin – durch kluge Heiratspolitik – erfolgreich betriebene Rangerhöhung und neue Nähe zum Habsburger Kaiserhaus als Rückkehr zu alten imperialen Bezügen feierten. Gerade Johann Ulrich Königs Heinrich der Vogler von 1718 und seine 1721 ebenfalls im Braunschweiger Hagenmarkt-Theater uraufgeführte Fortsetzung (Musik jeweils von Georg Caspar Schürmann), die im Rekurs sowohl auf die maßgeblichen historiographischen Quellen der ottonischen Epoche selbst (Widukind von Corvey, Liudprand von Cremona, Fortsetzer Reginos von Prüm, Thietmar von Merseburg) wie auf die einschlägigen Arbeiten der zeitgenössischen Geschichtsschreibung um 1700 (u. a. Gottfried Wilhelm Leibniz, Nikolaus Hieronymus Gundling) Leben und Taten des ersten ottonischen Königs darbieten, stellen dabei trotz aller genretypischen Lizenzen zur Fiktionalisierung „die Historizität des jeweiligen Sujets, die ‚wahrhaffte Geschichte‘, deutlicher heraus und markieren, nicht zuletzt in den ausschweifenden Paratexten und mit der Präsentation detaillierter, genuin historischer Tableaus, eine zeitliche Distanz zwischen der Bühnenhandlung und der Zuschauerrealität“ (Seebald 2009, S. 332). Im engen Anschluss an den aktuellen historisch-juristisch-gelehrten Diskurs, wie ihn die mittel- und norddeutschen Universitäten (mit der Reichshistorie als Grundlagenfach im Kontext des Jus Publicum) und auch die avancierte Hofhistoriographie nach Leibnizschem Muster geprägt haben, etablieren sie einen spezifischen ‚Mittelalter‘-Diskurs, der durchaus ins 19. Jahrhundert vorausweist, was etwa die Konstitution eines charakteristischen Zeitkolorits oder einer ansatzweise greifbaren Aura von Alterität betrifft. So gesehen transzendieren die genannten Bühnenwerke den Status reiner – politisch motivierter – Funktionsopern zugunsten der Darstellung und Erfahrbarkeit präsupponiert authentischer Historizität. Unter den Auspizien einer Entdeckung von eigener Historie hat eine ‚Verschiebung‘ statt von der panegyrischen ‚Genealogieoper‘ zur ‚Geschichtsoper‘, die die Differenz zwischen Einst und Jetzt sichtbar zu machen und jenes Einst in seinen genuinen Bedingungen und ‚Realitäten‘ partiell einzufangen sucht. (ebd.)
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Von derartigen Ansätzen einer ‚Mediävalisierung‘ im Horizont des Zeitalters der Frühaufklärung ist freilich die musikalische Gestaltung – soweit dies die überlieferten Quellen erkennen lassen: vom ersten Teil der von Schürmann vertonten Doppeloper Heinrich der Vogler ist nur gut die Hälfte des gesamten Arienbestandes erhalten, der zweite Teil ist komplett verloren – (noch) nicht tangiert. Bemerkenswerterweise nimmt der zweite Teil der ‚Opernbiographie‘ Heinrich der Vogler mit der Darstellung verschiedener höfischer Divertissements und repräsentativer Aufzüge explizit Bezug auf die exorbitanten Dresdener Feierlichkeiten des Jahres 1719, die am Hofe Augusts des Starken zur Vermählung des Kronprinzen Friedrich August mit der österreichischen Erzherzogin und Kaisernichte Maria Josepha veranstaltet wurden. In diesem Zusammenhang gelangte auch Lottis Hochzeitsoper Teofane zur Aufführung, die ihrerseits das OttonenThema vor dem Hintergrund dynastiepolitischer Bestrebungen ausspielte: Mit dem Teofane-Sujet – d. h. der Verbindung Ottos II. mit der byzantinischen Prinzessin und Kaisernichte –, das mit spezifischer Akzentuierung des für Geschichte und Selbstverständnis Venedigs virulenten Byzanz-Bezuges wiederum schon in der venezianischen Oper behandelt worden war (La moglie nemica, 1694; Foca superbo, 1715, Musik ebenfalls von Lotti!; Amore e sdegno, 1726), artikulierte der sächsische Kurfürst (seit 1697 in Personalunion auch König von Polen) seinen Anspruch auf eine herausragende Position im europäischen Mächtekonzert sowie seine „kühne, wenn auch vage Hoffnung auf die Kaiserwürde“ (Sommer-Mathis 1994, S. 31). Maria Josepha gehörte nämlich trotz ihres expliziten Erbverzichts durch Anerkennung der Pragmatischen Sanktion Karls VI. zum engeren Kreis der potentiellen Wiener dynastischen Nachfolger. Die Vermählung Ottos mit Theophanu wird von daher „als historische Präfiguration der kursächsisch-österreichischen Mariage […] inszeniert, die ihrerseits die imperialen dynastischen Bezüge der frühmittelalterlichen Eheschließung für sich zu reklamieren und zugleich in der Wiederholung zu überhöhen sucht“ (Seebald 2009, S. 215, Anm. 467). Konkurrierende Ambitionen auf die Kaiserkrone hegte der Münchener Hof der Wittelsbacher. Und so wählte man gleichsam als „Antwort“ auf die Dresdener Teofane (Jahn 1997, S. 311) für die Festoper zur Hochzeit des bayerischen Kurprinzen Karl Albrecht (der 1742 tatsächlich als Karl VII. zum Kaiser gewählt wurde und erstmals die lange Reihe der Habsburger Regenten unterbrach) mit Maria Amalia von Österreich, der Schwester Maria Josephas, im Jahr 1722 ebenfalls ein OttonenSujet mit nuptialem Angelpunkt: die Befreiung Adelheids von Italien durch Otto den Großen (Adelaide von Salvi und Torri). Da aber die dynastiegeschichtlichen Voraussetzungen fehlten, wurde die historische Genealogie im Libretto entsprechend angepasst: „Otto wird im Prolog in das Haus Wittelsbach eingereiht und in der Oper als ‚Bavaro Regnante‘ tituliert“ (ebd.).
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Händel kannte beide Hochzeitsopern. Er hatte Teofane wahrscheinlich im September 1719 in Dresden gehört, Adelaide in der von Orlandini vertonten Version während des Karnevals 1729 in Venedig. Er adaptierte Teofane für die Royal Academy of Music sicherlich nicht nur, weil sich ihm damit die Gelegenheit bot, aufgrund der hier vorliegenden spezifischen Konstellation von Rollen- und Stimmfächern die besten Sänger seiner Zeit zusammenzubringen und seinem Londoner Publikum zu präsentieren (obgleich er seine Neuproduktion Ottone erst herausbrachte, als ihm neben Senesino, Durastanti und Boschi, die schon die entsprechenden Partien in Teofane übernommen hatten, endlich auch die gefeierte Primadonna Francesca Cuzzoni als Teofane zur Verfügung stand: Strohm 1975/1976, S. 115). Denn auch in London war das Liudolfinger-Thema 1723 von spezifischer politischer Bedeutung, war mithin Ottone, wo nun alle Referenzen auf die opulente Fürstenhochzeit der Wettiner entfielen, ein „‚aktuelles‘ Sujet“ (ebd., S. 116), konnten sich die welfischen Herrscher auf dem britischen Königsthron aufgrund ihrer alten sächsischen Wurzeln doch in gleicher Weise wie die Wolfenbütteler Vettern und mit ungleich „größerer Berechtigung“ (ebd.; Groß 2007, S. 22) als die Wettiner Kurfürsten von Sachsen als legitime dynastische Erben der Ottonen definieren. (Es ist dann auch nicht verwunderlich, dass Ottone nur wenige Monate nach seiner Premiere und als erste von Händels Londoner Opern überhaupt am Braunschweiger Hagenmarkt-Theater gespielt wurde, um an die bisherigen Liudolfinger-Opern anzuknüpfen, wobei auch Material aus Lottis Teofane eingearbeitet wurde; Seebald 2009, S. 213–217.) „Insofern dürfte die Präsentation Ottos II. auf der Bühne des King’s Theatre von den Angehörigen der Hannoveraner Partei (und auch von ihren Gegnern) als unmißverständliche Huldigung an den aus Deutschland stammenden König Georg I. empfunden worden sein“ (ebd., S. 214, Anm. 464). Zugleich war es möglich, die Figur von Ottones Rivalen Adelberto in allegorischer Lesart auf den Pretender James Edward Stuart zu beziehen, den seine Anhänger mit Unterstützung Frankreichs just 1722 im Zuge des sogenannten Atterbury-Komplotts anstelle Georgs I. auf den britischen Thron hatten bringen wollen (Sasse 1955, S. 633; Strohm 1975/1976, S. 116). Die Möglichkeit einer Lektüre als Schlüssellibretto ist für Händels Lotario, mit dem die erste Spielzeit der sogenannten „Second Academy (1729–1733)“ eröffnet wurde (Dean 1970, S. 31), offenbar nicht im selben Maße gegeben, zumal hier der Name der Hauptfigur während des Kompositionsprozesses von ‚Ottone‘ zu ‚Lotario‘ geändert und damit „die Identifizierung König Georgs II. mit der Titel figur der Oper erschwert“ wurde (Strohm 1975/1976, S. 129). Gleichwohl verdeutlicht allein der Stoff, der in der Tradition der einst Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg, dem Großonkel Georgs II., dedizierten Adelaide von 1672 steht, die genuin Hannoveraner Bezüge und die damit verbundenen politischdynastischen Implikationen.
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Händels Ottone gelangte nicht nur umgehend nach Braunschweig (1723), sondern – als Otto – bald auch nach Hamburg (1726), wo Hayms Libretto von Johann Georg Glauche adaptiert wurde (Rezitative auf Deutsch), während Georg Philipp Telemann die Rezitative und eine Reihe von italienischen Arien neu vertonte – dazu wurde je eine Arie von Fortunato Chelleri und Leonardo Vinci eingelegt (Dean / Knapp 1987, S. 443 f. u. 450). Wie schon im Falle des 1719 aus Braunschweig übernommenen Heinrich der Vogler von 1718 dürfte auch mit Blick auf Otto für das reichsstädtische Hamburger Publikum der ehedem (welfisch-) dynastische Zusammenhang zugunsten des Kaiserthemas in den Hintergrund getreten sein, zumal die Memoria des ottonischen Königshauses „von jeher eng mit dem an Hamburg unmittelbar angrenzenden (nieder)sächsischen Raum verbunden war“ (Seebald 2009, S. 273). Das Kaiserthema mag in ähnlicher Weise für Telemanns Hamburger Oper Adelheid von 1727 relevant gewesen sein, deren Text auf Dolfins Adelaide von 1672 zurückgeht, und zwar vermittelt über Johann Christian Hallmanns 1684 in Breslau erschienene deutsche Übersetzung Die Schaubühne des Glückes, oder Die Unüberwindliche Adelheide (Jahn 1994b, S. 659 f.). Immerhin kam dem Regnum Ottos I. im reichsgeschichtlich-juristischen Diskurs des frühen achtzehnten Jahrhunderts eine besondere Bedeutung zu, galt diese Periode den Zeitgenossen doch „als Markstein der Gesch[ichte] des Hl. Röm. Reichs“, als „eine der hervorragendsten Epochen mittelalterlicher Geschichte“, die „den Kaiser trotz vieler politischer Widrigkeiten als unumstrittenen Herrn in Deutschland und in Italien“ sah (Hammerstein 1972, S. 260). ,Ottonen-Opern‘ sind zuvor, um die Wende vom siebzehnten zum achtzehnten Jahrhundert, insbesondere auch für Spielstätten der sächsisch-wettinischen Lande belegt, etwa für den albertinischen Hof von Sachsen-Weißenfels (Der glückliche Liebes-Fehl Printz Walrams aus Sachßen, Halle 1673; Adelheid, Weißenfels 1710), die kurfürstliche Residenz Dresden (Alerano e Adelaide, 1694) und die Stadt Leipzig (Otto, 1702). Dabei ist zumeist – nur für Adelheid fehlen mangels Quellen genaue Angaben zum Inhalt – die Handlung um Otto I. mit Elementen der seit dem vierzehnten Jahrhundert bezeugten „romanhafte[n] Überlieferung“ (Goez 1980, Sp. 352) von der Herkunft des Markgrafen Aleramus von Montferrat, die mitunter bis auf den sächsischen Dux Widukind zurückgeführt wird, und seiner Liebe zu Ottos Tochter verknüpft. Und auch am Wiener Kaiserhof, dessen musiktheatrale Rezeption mittelalterlicher Sujets um 1700 angesichts der Dominanz antiker Exempla kaum ins Gewicht fällt, wurden zumindest zwei Opern produziert, die sich auf Otto den Großen beziehen: das Dramma per musica Baldracca (1679), das die historischen Intrigen von Ottos Bruder Heinrich gegen den Kaiser und dessen bei Raffaele Maffei gen. Volaterranus (Commentariorum urbanorum libri octo et
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triginta, Rom 1506) geschilderte Liaison mit der schönen Baldracca zusammenfügt (vgl. Dalisa, Venedig 1730), und das „Dramma per musica“ L’Adalberto overo La forza dell’astuzia femminile (1697), dem erneut der Adelaide-Stoff zugrunde liegt, allerdings nun mit dem jugendlichen Kaisersohn Lidolfo als Gegenspieler des verliebten Usurpators Adalberto. Eines der frühesten bekannten Rezeptionszeugnisse ist die 1670 am Münchener Hof aufgeführte Oper Ottone in Italia, die wiederum die Ereignisse von Ottos I. Italienzug zur Verteidigung der Königin Adelheid aufgreift und diese dann mit der Aleramus-Sage kombiniert. Sie verweist nicht nur mit der ehelichen Verbindung eines ‚deutschen‘ Herrschers mit einer italienischen Regentin auf die Widmungsträger des Stückes, den Kurfürsten Ferdinand Maria von Bayern und seine Gemahlin Adelaide Henriette von Savoyen, sondern speziell auch mit der Namensgleichheit der von Otto geretteten Königin mit der bayerischen Kurfürstin, deren savoyische Dynastie im Vorbericht des Librettos zudem genealogisch aus der „Augustissima congiontione“ Ottos mit Adelheid abgeleitet wird (Rossetti 1670, S. 2). Es scheint, als hätten die Auftraggeber der wittelsbachischen Hochzeitsoper Adelaide von 1722 mit der Wahl genau dieses Sujets gerade auch eine hauseigene musiktheatrale Tradition fortführen wollen.
III Werkliste Ottone in Italia „Melo-Dramma per musica“ Musik [?]
Text Marco Rossetti
Uraufführung 1670, München
L’Adelaide „Dramma per musica“ Musik Antonio Sartorio
Text Pietro Dolfin
Uraufführung 19.2.1672, Venedig
Der glückliche Liebes-Fehl Printz Walrams aus Sachßen „Singe-Spiel“ Musik Text David Pohle David Elias Heidenreich
Baldracca „Dramma per musica“ Musik Antonio Draghi
Text Nicolò Minato
Uraufführung 25.8.1673, Halle an der Saale
Uraufführung 22.1.1679, Wien
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Personenzentrierte Stoffe
Ottone il Grande „Dramma per musica“ Musik Paolo Biego
Text Francesco Silvani
Uraufführung 15.12.1682, Venedig
La moglie nemica „Dramma per musica“ Musik Marc’ Antonio Ziani
Text Francesco Silvani
Uraufführung 11.1.1694, Venedig
Ottone „Tragedia per musica“ Musik Carlo Francesco Pollarolo
Text Girolamo Frigimelica Roberti
Uraufführung 14.1.1694, Venedig
Alerano e Adelaide „Drama“ Musik [?]
Text [?]
Uraufführung 5.2.1694, Dresden
L’Adalberto overo La forza dell’astuzia femminile „Dramma per musica“ Musik Text Antonio Draghi, Leopold I. Donato Cupeda
Uraufführung 12.2.1697, Wien
Otto Opera Musik [?]
Text [?]
Uraufführung 1702, Leipzig
Adelheid Oper Musik Georg Philipp Telemann [?]
Text [?]
Uraufführung 1710, Weißenfels
Foca superbo „Dramma per musica“ Musik Antonio Lotti
Text Antonio Maria Lucchini
Uraufführung 26.12.1715, Venedig
Heinrich der Vogler, Hertzog zu Braunschweig, nachmahls Erwehlter Teutscher Käyser „Singe-Spiel“ Musik Text Uraufführung Georg Caspar Schürmann Johann Ulrich König 1718, Braunschweig
Ottonen
Teofane „Dramma per musica“ Musik Antonio Lotti
Text Stefano Benedetto Pallavicino
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Uraufführung 13.9.1719, Dresden
Heinrich der Vogler, Hertzog zu Braunschweig, Erster Römischer Käyser, Zweyter Theil „Singe-Spiel“ Musik Text Uraufführung Georg Caspar Schürmann Johann Ulrich König 1721, Braunschweig Adelaide „Dramma per musica“ Musik Pietro Torri
Text Antonio Salvi
Uraufführung 18.10.1722, München
Ottone, Re di Germania „Opera in tre atti“ Musik Georg Friedrich Händel
Text Nicola Francesco Haym
Uraufführung 12.1.1723, London
Ottone, Re di Germania „Drama per musica“ Musik Georg Friedrich Händel, Antonio Lotti
Text Nicola Francesco Haym, Stefano Benedetto Pallavicino
Uraufführung 1723, Braunschweig
Amore e sdegno „Dramma per musica“ Musik Luigi Tavelli
Text Michel Angiolo Boccardi
Uraufführung 20.2.1726, Venedig
Otto „Sing-Spiel“ Musik Georg Friedrich Händel, Georg Philipp Telemann
Text Nicola Francesco Haym, Johann Georg Glauche
Uraufführung 15.5.1726, Hamburg
Adelheid „Sing-Spiel“ Musik Georg Philipp Telemann
Text [?]
Uraufführung 17.2.1727, Hamburg
Adelaide „Dramma per musica“ Musik Giuseppe Maria Orlandini
Text Antonio Salvi
Uraufführung 8.2.1729, Venedig
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Personenzentrierte Stoffe
Lotario „Opera in tre atti“ Musik Georg Friedrich Händel
Text Giacomo Rossi
Uraufführung 2.12.1729, London
Dalisa „Dramma per musica“ Musik Johann Adolf Hasse
Text Domenico Lalli
Uraufführung 17.5.1730, Venedig
Ottone „Dramma per musica“ Musik Gennaro d’Alessandro
Text Antonio Salvi
Uraufführung 26.12.1739, Venedig
Adelaide di Borgogna „Dramma per musica“ Musik Gioachino Rossini
Text Giovanni Federico Schmidt
Uraufführung 27.12.1817, Rom
Adelaide di Borgogna „Melodramma serio in due atti“ Musik Text Pietro Generali Luigi Romanelli
Uraufführung 24.4.1819, Rovigo
Adelaide di Borgogna al castello di Canossa „Melodramma serio in tre atti“ Musik Text Alessandro Gandini Carlo Malmusi
Uraufführung 2.10.1841, Modena
Heinrich der Finkler „Romantische Oper in einem Aufzug“ Musik Text Franz Xaver Rafael Aimé von Wouwermans
Uraufführung 18.3.1860, Olmütz
Adelheid, Gemahlin Ottos des Großen Oper Musik Text Anna Benfey-Schuppe Schuppe [Bruder der Komponistin]
Uraufführung 1866, Breslau
König Otto’s Brautfahrt „Historisch-romantische Oper in drei Akten“ Musik Text Adalbert Ueberlée Roderich Fels [szenischer Entwurf]
Uraufführung 7.5.1881, Berlin
Ottonen
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Adelheid von Burgund oder Otto des Großen Brautfahrt Große historische Oper in vier Akten Musik Text Georg Wilhelm Rauchenecker Otto Schönebeck
Uraufführung 1886 [?]
Heinrich der Finkler Oper Musik Eduard Köllner
Text [?]
Uraufführung [?]
Bruder Lustig „Oper in drei Akten“ Musik Siegfried Wagner
Text Siegfried Wagner
Uraufführung 13.10.1905, Hamburg
Otto der Große „Oper in drei Akten“ Musik Bernhard Karlipp
Text O. Erich
Uraufführung 20.12.1907, Gleiwitz
Richard Löwenherz Christian Seebald I Präsenz des Sujets Richard I. Plantagenêt, genannt Löwenherz (1157–1199), gehört zu den mythenproduktivsten historischen Herrschergestalten des europäischen Mittelalters. Opern und musikdramatische Formen, deren Sujets sich auf diesen „zu Lebzeiten und über Jahrhunderte nach seinem Tod […] als großer Herrscher“ geltenden englischen Monarchen und Regenten des Angevinischen Reiches (Gillingham 2017, S. 104), sein Leben und seine Taten beziehen, lassen sich seit dem frühen achtzehnten Jahrhundert und dann bald in beachtlicher Zahl im europäischen Musiktheater nachweisen. Keine von ihnen hat sich allerdings bis in die Gegenwart dauerhaft im Bühnenrepertoire halten können. Allein von zwei Werken, die auch in Gesamteinspielungen vorliegen, sind szenische oder halbszenische Aufführungen in jüngster Vergangenheit bekannt: von Georg Friedrich Händels Riccardo primo, Re d’Inghilterra und von André-Ernest-Modeste Grétrys Richard Coeur de Lion. Händels Oper kam nach einer beim London Handel Festival 2012 veranstalteten szenischen Erstaufführung der Neuedition der Hallischen HändelAusgabe (Händel 2005) im Jahr 2014 gar in zwei neuen Produktionen heraus, zum einen am Badischen Staatstheater Karlsruhe in der Inszenierung von Benjamin Lazar, zum anderen am Goethe-Theater Bad Lauchstädt im Rahmen der HändelFestspiele Halle in der Inszenierung von Clara Kalus. Zudem wurde Georg Philipp Telemanns Adaptation von Händels Riccardo primo für die Hamburger Gänsemarkt-Oper (Telemann 2008) 2015 am Stadttheater Gießen und 2018 am Theater Magdeburg aufgeführt. Richard Coeur de Lion hingegen erlebte im Mai 2011 eine Art ‚Revival‘ in einem Konzert des American Classical Orchestra in der New York Society for Ethical Culture (Tommasini 2011, S. C4) und erschien im Januar 2018 schließlich auch in einer Bühnenproduktion an der Opéra de Reims (Inszenierung: Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola). Riccardo primo war am 11. November 1727, im Umfeld der Feierlichkeiten zur Krönung Georgs II., im Londoner King’s Theatre am Haymarket uraufgeführt worden. Händel hatte dafür, wie schon für seine Opern Alessandro und Admeto, die besten Sänger seiner Zeit engagiert: In der Titelpartie war der umjubelte Altkastrat Senesino zu hören, in den weiblichen Hauptrollen die Primadonnen und Rivalinnen Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni, „die beiden berühmtesten Sopranistinnen der Welt“ (Hogwood 2000, S. 152), deren exorbitante Gagen und persönliche Antipathien Händels Opernunternehmen bald darauf freilich in den https://doi.org/10.1515/9783110424089-008
Richard Löwenherz
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finanziellen Ruin trieben. Die von Paolo Antonio Rolli auf der Grundlage des älteren venezianischen Librettos Isacio tiranno (Selfridge-Field 2007, S. 299) in drei Akten entworfene Handlung rekurriert auf historische Ereignisse während des Dritten Kreuzzuges, auf Richards Vermählung mit Berengaria von Navarra, die 1191 nach der Ankunft seiner Flotte auf Zypern stattfand. Die Oper beginnt mit einem musikalisch spektakulär untermalten Seesturm (dies vielleicht eine Reminiszenz an Agostino Steffanis Henrico Leone von 1689; vgl. Strohm 2003; → Staufer und Welfen): Mit Mühe hat sich Riccardos künftige Braut Costanza – der semantisch aufgeladene Name ersetzt hier den historisch korrekten – nach einem Schiffbruch mit ihrem Begleiter Berardo ans zyprische Ufer retten können, nachdem sie bereits in Sichtweite der herannahenden englischen Flotte gewesen war. Sie wähnt Riccardo, der ihr niemals persönlich begegnet ist, samt seinen Schiffen verloren. Als Isacio, der Herrscher von Zypern, am Strand eintrifft, verbergen beide ihre wahre Identität und folgen ihm als vermeintliche Dienstleute Costanzas in seinen Palast. Unterdessen ist auch Riccardo auf Zypern gelandet. Getarnt als sein eigener Gesandter sucht er Isacio auf und dringt auf die Übergabe Costanzas an den englischen König. Isacio aber hat sich selbst in Doride alias Costanza verliebt und ihre tatsächliche Identität ist ihm nun augenblicklich klar. Der betrügerische Plan, seine Tochter Pulcheria als Costanza auszugeben und mit Riccardo zu vermählen, wird indes von Pulcheria und ihrem Verlobten Oronte vereitelt. Isacio widersetzt sich der Freigabe Costanzas mit Gewalt und wird am Ende von den Truppen der Verbündeten Riccardo und Oronte im Kampf besiegt und zur Abdankung gezwungen. Damit steht dem obligatorischen lieto fine, der Verbindung Riccardos mit Costanza und Pulcherias mit Oronte, nichts mehr im Weg. Grétrys Opéra-comique Richard Coeur de Lion, die „in ganz Europa bis weit ins 19. Jh. hinein gespielt wurde und die spätere französische wie auch die deutsche Oper in dieser Zeit wesentlich prägte“ (Jacobshagen 2002, Sp. 1596), gelangte am 21. Oktober 1784 in der Pariser Opéra-Comique (Salle Favart) zur Uraufführung. Gemeinsam mit seinem Librettisten Michel-Jean Sedaine erarbeitete Grétry drei Fassungen des Stücks, die sich insbesondere hinsichtlich der Befreiung König Richards und der Gestaltung des Finales unterschieden und deren letzte am 29. Dezember 1785 herauskam (Charlton 1986, S. 248–250). Die Handlung basiert auf der sogenannten Blondelsage, wonach Richard Löwenherz durch ein als Erkennungszeichen fungierendes Lied aus der Gefangenschaft, in die er auf dem Rückweg vom Kreuzzug geraten war, errettet wurde (Adolf 2006, S. 227 f.; Krohn 1996, S. 146 f.). Für die endgültige, dritte Version (Sedaine 1786) lässt sich das Bühnengeschehen wie folgt zusammenfassen: Auf der Suche nach Richard erreicht sein treuer Gefolgsmann, der Troubadour Blondel, das Haus des Landadeligen
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Personenzentrierte Stoffe
Williams nahe der Festung Linz. In der Verkleidung eines Blinden erlangt er Kunde von der Inhaftierung eines bedeutenden politischen Gefangenen und von der Liebe des Festungskommandanten Florestan zu Williamsʼ Tochter Laurette. In der Hoffnung, es handele sich bei diesem Gefangenen um seinen König, umwandert Blondel am nächsten Morgen die Burg und singt eine Romanze, die Richard einst selbst komponiert hatte. Er erkennt sie wieder, als er kurz auf die Zinnen tritt, und stimmt in Blondels Gesang ein. Dieser wird alsbald von der Festungsbesatzung aufgegriffen, kann sich aber retten, indem er sich als Laurettes Bote ausgibt und Florestan für den Abend zum Stelldichein bei einem Fest in Williams’ Haus lädt. Nach seiner Rückkehr informiert Blondel Richards Geliebte Marguerite d’Artois, die inzwischen mit großem Gefolge bei Williams eingekehrt ist, über Richards Aufenthaltsort und präsentiert seinen Plan zur Befreiung des Königs. Als Florestan eintrifft, sich aber trotz seiner Festnahme standhaft weigert, Richard freizugeben, beschließt man die Erstürmung der Festung, wobei Blondel die Angreifer anführt und Richard aus höchster Not rettet.
II Historische Schichten Auf die Blondelsage greift auch das jüngste Rezeptionszeugnis im Bereich des Musiktheaters zurück, das Musical Blondel von Stephen Oliver und Tim Rice (Müller 1986, S. 327 f.; Schindler 2009, S. 125 f.), mit dem Rice an das einst gemeinsam von ihm und Andrew Lloyd Webber begonnene, aber nicht abgeschlossene Musicalprojekt Come Back Richard Your Country Needs You (1969) anknüpfte. Uraufgeführt 1983 in Bath, kam Blondel in je revidierter Gestalt in London 2006 (Pleasance Theatre) und noch einmal 2017 (Union Theatre) heraus, konnte sich aber bislang nicht dauerhaft im internationalen Spielbetrieb etablieren und zählt daher im Oeuvre von Tim Rice, einem der erfolgreichsten Musical-Librettisten seiner Zeit, eher zu den „financial flops“ (Jubin 2016, S. 507). Die Geschichte von der Befreiung des Königs durch den Sänger ist hier geradezu durchsetzt mit Anachronismen im Sinne von Anspielungen auf die politisch-sozialen Verhältnisse des zeitgenössischen (britischen) Publikums und ironischen Selbstreflexionen der Funktionsweisen des modernen Pop- und Showbusiness, die – oft mit Wortwitz gepaart – auf komische Effekte zielen (bis hin zu dem versteckten, sich nur dem Leser enthüllenden Akrostichon ‚Margaret Thatcher‘). Blondel hat nichts anderes als seinen sängerischen ‚Durchbruch‘ im Sinn und setzt dabei auf die Protektion des Königs, wofür ihn seine antimonarchistisch, ‚republikanisch‘ gesinnte Freundin Fiona heftig kritisiert. Als Prinz John, Richards Bruder und Stellvertreter, Blondels ‚Song‘ auf den König nach dessen Abreise ins Heilige Land durchfallen lässt und stattdessen einen sängerischen Lobpreis auf sich selbst einfordert,
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verlässt Blondel England und macht sich auf die Suche nach König Richard. Ihm folgt Fiona, die zuerst den Freund und dann auch den König aufspürt und schließlich Leopold von Österreich mit ihrem Charme bezirzen kann, Richard aus der Haft zu entlassen. Alle drei kehren nach England zurück, und zwar gerade noch rechtzeitig, um die Krönung des intriganten John zu verhindern. Blondel kann nun doch seinen ‚Song‘ präsentieren und wird endlich zum gefeierten Popstar, nachdem ihn Richard zum führenden Komponisten des Landes erklärt hat. Das von Tim Rice in einer Reihe von Musicals (neben Blondel etwa auch in Joseph, Jesus Christ Superstar, Evita, Chess) entfaltete pop star scenario invariably includes such aspects as the unpredictable behaviour of crowds, the discrepancy between public image and private self and the danger that the latter will be consumed by the former, the cost of personal ambition, as well as the dissatisfaction and potential downfall that often follow early success. (Jubin 2016, S. 518)
Zu den musikalisch attraktivsten Partien von Blondel zählen sicherlich die A-cappella-Gesänge von vier als Erzähler auftretenden Mönchen, die in archaisierendem Gestus die Aura des ‚Mittelalterlichen‘ zugleich anzitieren und parodieren. Die eigentliche Blondelsage ist hier freilich in der Weise abgewandelt, dass das Lied des Sängers für die Befreiung des Königs keine Rolle mehr spielt, und sie ist zudem – wie etwa auch in Richard Thorpes Film Ivanhoe von 1952 (Adolf 2006) – verschränkt mit dem aus Walter Scotts Roman bekannten Motiv der Konspiration des Prinzen John gegen König Richard. Trotz seines bislang allenfalls mäßigen Erfolges wird man Blondel angesichts seiner „playfulness and self-reflexivity“ zu den Vorreitern einer ganzen Reihe von „self-referential shows“ rechnen dürfen, „that flooded Broadway in the early 2000s, such as The Producers (2001), Urinetown (2001), Spamalot (2005), and The Drowsy Chaperone (2006)“ (Jubin 2016, S. 522). Von den älteren Aktualisierungen des Löwenherz-Sujets ist zweifellos Grétrys und Sedaines Richard Coeur de Lion die einflussreichste gewesen. Als ein Hauptvertreter des sich insbesondere an Neuerungen des Sprechtheaters Diderots orientierenden drame lyrique erlebte die Oper bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts – mit Unterbrechungen in den Zeiten der Revolutionen von 1789, 1830 und 1848 – allein an der Pariser Comédie-Italienne und Opéra-Comique über 1000 Aufführungen (Charlton 1986, S. 250 f.) und gelangte bald nach der Uraufführung an viele weitere europäische Bühnen (Erstaufführungen im deutschsprachigen Raum: Darmstadt 1785, Frankfurt 1786, Hamburg 1787, Wien 1788, Berlin 1790, Posen 1805, Prag 1807, Budapest 1811; Betzwieser 1992, S. 332). Von den zahlreichen Adaptationen – darunter auch Adolphe Adams Neuinstrumentierung von 1841 – gibt das abschließende Werkverzeichnis eine exemplarische Auswahl
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(London 1786: Covent Garden und Drury Lane Theatre, Venedig 1789, Amsterdam 1791, Berlin 1806, Wien 1810, Neapel 1814, Turin 1816, Paris 1841). Davon zu trennen sind ein eigener, auf Walter Scotts Roman The Talisman und seine „abenteuerliche[n] Episoden von Richards ruhmreicher Teilnahme am Dritten Kreuzzug“ (Krohn 1996, S. 146) rekurrierender Stoffkreis, dem Giovanni Pacinis Oper Il talismano o sia La terza crociata in Palestina und Adams Richard en Palestine zugehören, sowie Stücke, die sich auf Scotts Ivanhoe (→ Ivanhoe) und den Robin Hood-Mythos (→ Robin Hood) beziehen. Richard Coeur de Lion gehört zusammen mit Aucassin et Nicolette (Grétry / Sedaine 1779; → Aucassin und Nicolette) zu einer Reihe von Mittelalteropern im Kontext der opéra-comique, die mit Le Guy de Chesne (Musik: Jean-Louis Laruette, Text: Jean-Baptiste de Junquières; 1763) und La Fée Urgèle (Musik: Egidio Romualdo Duni, Text: Charles-Simon Favart; 1765) einsetzt. Grétrys Oper korrespondiert mit einer allgemeineren Tendenz zu (nationalen) historischen Stoffen im französischen Theater des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts (Schneider 2001, S. 264 f.), vor allem aber auch mit den intensivierten Bemühungen der Repräsentanten des Zeitalters der Aufklärung um eine eingehende Erforschung der mittelalterlichen französischen Literatur und Musik auf der Basis ihrer Quellen (Haines 2004, S. 89–154). In Sedaines Ausführung umgreift das Sujet „gothic taste, local colour, historical fact, a moral imperative, the spectacle of armed combat, and released royalist sentiments without being directly patriotic“ (Charlton 1986, S. 231). Die für das dramaturgische Konzept der Oper konstitutive Blondelsage, die zuerst in den um 1260 entstandenen anekdotenhaft-chronikalischen Recits d’un Ménestrel de Reims bezeugt ist, kannte Sedaine dabei aus Marie-Jeanne L’Héritier de Villandons La Tour ténébreuse et les jours lumineux (1705), allerdings vermittelt über die Nacherzählung der Bibliothèque universelle des romans von 1776 (Lepage 1985, S. 113–118; Charlton 1986, S. 229 f.). Aus der eigenständige Züge entwickelnden Version der Bibliothèque universelle des romans (L’Héritier 1776, S. 163–212), als deren Verfasser man Antoine René d’Argenson, Marquis de Paulmy vermutet hat, übernahm Sedaine jedenfalls sowohl die zentralen Details des Vorgangs der Entdeckung Richards durch Blondel (mit dem vermeintlich von Richard selbst in Palästina komponierten Lied „Une fièvre brûlante“, das Blondel anstimmt und dessen Refrain Richard ‚zurücksingt‘) wie auch die Figur der Marguerite d’Artois, die in der Oper entscheidend in die Befreiung Richards involviert ist (Charlton 1986, S. 230). Dem Thema der Rettung des Königs durch das Lied des Sängers ist freilich eine spezifische, in dieser Hinsicht dem Orpheus-Sujet analoge ästhetische Selbstreferentialität inhärent, die das Interesse von Librettist und Komponist in besonderer Weise auf diesen Stoff gelenkt und auch die fort roduktive Rezeption, wie sie sich in den zahlreichen musiktheatralen währende p Bearbeitungen bis weit ins neunzehnte Jahrhundert hinein abzeichnet, angeregt
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haben dürfte. In seinen Memoiren hielt Grétry rückblickend fest, es habe speziell im Hinblick auf die „situation principale de la pièce“, als Blondel den König wiederfindet, indem er dessen Lied singt, nie ein Sujet „plus propre à la musique […] que celui de Richard Coeur-de-Lion“ gegeben (Grétry [1797], Bd. 1, S. 367). Auch von daher erklären sich die herausragende dramaturgische Funktion, die Grétrys Vertonung Richards Lied, der Romanze „Une fièvre brûlante“, auf der Grundlage von Sedaines Libretto zuweist, sowie der spezifische Akzent, den der Komponist auf dessen musikalische Gestaltung gelegt hat. Die Melodie des Liedes erscheint in allen drei Akten in Variationen insgesamt neunmal (dazu ebd., S. 372–374), sowohl (speziell im ersten Akt) rein instrumental als auch in der Kombination von Vokalstimmen und Instrumenten, und bezieht so in der Funktion eines Erinnerungsmotivs „die dramatischen Höhepunkte der Oper“ aufeinander (Jacobshagen 2002, Sp. 1596). Der prominente Part, der der Solo-Violine als Begleitinstrument des Sängers vorbehalten ist, trägt dabei mit zur Inszenierung eines charakteristischen Mittelalter-Kolorits bei, galt sie den um die Erforschung der altfranzösischen Dichtung und Musik bemühten Zeitgenossen doch als „standard troubador instrument“ (Charlton 1986, S. 236). In gleicher Weise hat Grétry auch die musikalische Faktur der Romanze selbst zur Profilierung der genretypischen couleur locale zu archaisieren gesucht, indem er den Eindruck eines „vieux style“ intendiert hat (Schneider 2001, S. 287). Als Anregung dazu waren ihm wohl neben den grundsätzlichen Ausführungen Rousseaus zum Formtypus und Konzept der ‚Romanze‘ (in dessen Dictionnaire de musique, Paris 1768, S. 427) die antiquarischen Studien von François Augustin Paradis de Moncrif bekannt, der in seinem Choix de chansons (1755) Nachdichtungen altfranzösischer Liebeslyrik z. T. mit eigenen Melodien versehen hatte, die bald als „ideal representatives of medieval music“ angesehen wurden (Haines 2004, S. 134). Speziell Moncrifs „Las! si j’avois pouvoir d’oublier“ kommt als eines der Modelle für Grétrys „Une fièvre brûlante“ in Frage – darauf deuten manche Parallelen in Rhythmik und Melodieführung hin (Charlton 1986, S. 239; Schneider 2001, S. 287). Abgesehen von diesen Tendenzen einer Mediävalisierung auf der Ebene des Tonsatzes trugen offenbar auch die Bühnendekorationen, soweit dies die erhaltenen Kupferstiche Claude Bornets vom Jahr 1786 erkennen lassen (Charlton 1986, S. 234 f.), mit prononciert gotischen Architekturelementen zur Entfaltung eines genuinen Mittelalter-Kolorits bei, wovon sich indes die anachronistisch anmutenden Kostüme der Figuren im Stil des achtzehnten Jahrhunderts deutlich abhoben. Trotz seiner langanhaltenden Rezeptions- und Wirkungsgeschichte (vor allem auch mit Blick auf den Typus der ‚Rettungsoper‘), die etwa auch Beethovens Fidelio bezeugt, verschwand Richard Coeur de Lion im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts aus dem internationalen Opernrepertoire – wohl aufgrund seines ausgeprägt royalistischen Untertons, mancher letztlich überlebter musikalisch-dramaturgischer Konventionen und
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Stereotypien und vielleicht auch aufgrund der Konkurrenzen seitens des Mittelalterfilms, der sich des Löwenherz-Sujets verschiedentlich annahm (u. a. DeMilles The Crusades von 1935, Thorpes Ivanhoe von 1952). Von den skizzierten Tendenzen einer Historisierung der Musik wie der szenischen Ausstattung, wie sie dann vornehmlich für die französische grand opéra prägend werden wird, kann indes für die erste Phase der Rezeption der Löwenherz-Figur in der Geschichte des Musiktheaters in den 1710er und 1720er Jahren noch nicht die Rede sein. Händels und Rollis Riccardo primo wie sein venezianischer Prätext Isacio tiranno (Text von Francesco Briani, Musik von Antonio Lotti) basieren auch nicht auf der Blondelsage, sondern fokussieren die historischen Ereignisse um die Vermählung Richards I. auf Zypern und mithin den kampferprobten Krieger im Kontext des Dritten Kreuzzuges (als Quelle nennt das venezianische Libretto u. a. Louis Maimbourgs Histoire des croisades pour la délivrance de la Terre Sainte, Paris 1675/1676). Die Wahl genau dieses Themas und Schauplatzes liegt in der politischen Funktionalisierung begründet, die dem Stoff in der Venezianer Vorlage von 1710 eingeschrieben war. Denn gewidmet war das „Dramma per musica“ Isacio tiranno John Churchill, Herzog von Marlborough, dem herausragenden Heerführer der antibourbonischen Koalition während des Spanischen Erbfolgekrieges. Mit der „panegyrische[n] Anspielung, die sich aus der vergleichenden Gegenüberstellung des Heroen Richard Löwenherz und seines heldenhaften Landsmannes und Nachfolgers Marlborough ergibt“, erwies „das Venezianer Patriziat – und das heißt insbesondere die Familie Grimani als Opernunternehmer – dem Sieger von Höchstädt und Ramillies seine Reverenz“ (Seebald 2009, S. 41). Die Lokalisierung der Handlung auf Zypern wiederum ließ die historischen, im Zuge der Türkenkriege des frühen achtzehnten Jahrhunderts nun neuerlich akuten Machtansprüche der Seerepublik Venedig im östlichen Mittelmeerraum in den Blick treten. Als Händel den Stoff für die Londoner Bühne übernahm, konnte er noch nicht ahnen, dass die Uraufführung zeitlich mit der Inthronisation Georgs II. koinzidieren (sie fand auf den Tag genau einen Monat nach der Krönung in Westminster statt) und sich dadurch „die Bedeutsamkeit des Werkes stark erhöhen würde“ (Best 2005, S. VII). Es deutet aber manches darauf hin, dass die Oper von Anfang an als Dedikation an den Prince of Wales vorgesehen war (Strohm 2003, S. 23), der dann nach dem unerwarteten Tod seines Vaters Georg I. den britischen Thron bestieg. Wohl insbesondere aufgrund der veränderten politischen Lage nahmen Händel und Rolli verschiedene Modifikationen an einer ersten Fassung des Riccardo primo vor, die sowohl den Operntext und die Musik und mithin die Aufführungspraxis betrafen wie auch eine Akzentuierung der ideologischen Funktion, insofern verstärkt „patriotische Bezüge zur Ehre der britischen Monarchie“ ein-
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gearbeitet wurden (Best 2005, S. VIII). Man bemühte sich mit Nachdruck darum, den Titelhelden „as a model of magnanimity“ und „paragon of British virtue and honour“ herauszustellen (Dean 2006, S. 67). Als ‚dynastische Mittelalteroper‘ (vgl. Seebald 2009) zielte „Händels einziges Opernsujet aus der englischen Geschichte“ (Strohm 1975/1976, S. 124) damit auf die Parallelisierung des neuen britischen Königs mit seinem glorreichen Amtsvorgänger Richard I., der freilich von seinem Nachfolger im Hinblick auf dessen weltumspannendes Imperium überflügelt wird (vgl. das dem Libretto vorangestellte Widmungssonett Rollis an Georg II.). Dabei spielt die genealogische Perspektive eine entscheidende Rolle, denn Richard Löwenherz war mit dem Welfenhaus, das seit 1714 in England regierte, verschwägert, seine Schwester Mathilde die Gemahlin Herzog Heinrichs des Löwen. Von daher implizierte die Wahl und Ausarbeitung des Sujets vielleicht auch eine Reminiszenz an die erste Hannoveraner Oper Henrico Leone (Musik von Agostino Steffani, Text von Ortensio Mauro), mit der Georgs II. Großvater, Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg, 1689 das neue Schlossopernhaus eröffnet hatte (vgl. Strohm 2003, S. 23–25). Von Seiten der königsfreundlichen Londoner Opernproduzenten waren jedenfalls mit dem Sujet „eine Legitimierung der durch den ‚Act of Settlement‘ (1701) zur englischen Königsherrschaft gelangten Hannoveraner Welfen“ (Seebald 2009, S. 243) und eine Forcierung ihrer „national-englische[n] Integration“ (Strohm 2003, S. 23) intendiert. Zugleich konnte Händel das Londoner Publikum mit einem Thema aus der eigenen nationalen Geschichte beeindrucken und noch dazu auf seine Anfang 1727 erfolgte Naturalisierung als britischer Staatsbürger Bezug nehmen. Riccardo primo, der relativ bald auch und nahezu gleichzeitig – in jeweils eigenständiger Bearbeitung – an die norddeutschen Bühnen Hamburg (Voss 2008, S. VIII) und Braunschweig (wo man mit dem Stoff in ähnlicher Weise konkrete politisch-dynastische Konnotationen verband) gelangte, stellt sich dann freilich in eine Reihe von Händel-Opern, die jenseits der tendenziell ‚klassizistisch‘ orientierten Sujetpolitik der Londoner Royal Academy of Music „auch ‚gotische‘, ‚langobardische‘ oder ‚mittelalterlich‘-dynastische Stoffe auf die Bühne“ brachten und mit Anspielungen auf die Herkunft von Händels Mäzenen, der welfischen Könige von England, gerade auch spezifisch „norddeutsche Kontinuitäten weiterzuführen schienen“ (Seebald 2009, S. 335). Die dezidiert politischen Implikationen von Händels Riccardo primo fanden noch in den jüngsten Neuinszenierungen des Jahres 2014 einen späten Nachhall. Zumindest die Produktion der Händel-Festspiele Halle stand ganz im Zeichen der Dreihundertjahrfeier der englischen Sukzession des Hauses Hannover. Für die historischen Ereignisse auf Zypern im Frühjahr 1191, Richards Eroberung der Insel infolge seiner Unterwerfung ihres Beherrschers Isaak Komnenos und die Vermählung des englischen Königs mit Berengaria von Navarra, die Riccardo primo
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wie schon Isacio tiranno und somit den frühesten Löwenherz-Opern zugrunde liegen, griffen die Librettisten auf die Darstellungen der frühneuzeitlichen Historiographie wie etwa die Histoire des croisades des Jesuiten Louis Maimbourg zurück (Briani 1710, S. 8), die Richards Regentschaft in den Bahnen der mittelalterlichen Chronistik vom zwölften und dreizehnten Jahrhundert an zuvorderst im Zusammenhang seines Engagements für den Dritten Kreuzzug behandelten – „his crusade, which made him famous throughout the world of Latin Christianity“ (Gillingham 2002, S. 3). Mit Grétrys und Sedaines Richard Coeur de Lion und seinen zahlreichen Adaptationen und Nachfolgern rückt hingegen die Blondelsage, die sich bis auf die um 1260 entstandenen Recits d’un Ménestrel de Reims zurückverfolgen lässt, unter den Vorzeichen des genre troubadour (Haines 2004, S. 95) ins Zentrum der musiktheatralen Löwenherz-Rezeption. Die neuzeitliche Popularität der „Geschichte vom Sänger Blondel und seiner aus Freundestreue geborenen Befreiungstat“ (Krohn 1996, S. 148) im Horizont verschiedener ästhetischer Genres und Formen verdankt sich dabei gerade auch den antiquarischen Interessen der französischen Aufklärung und ihren Bemühungen um eine nachhaltige Erschließung der französischen Literatur des Mittelalters, konkret etwa L’Héritier de Villandons Roman La Tour ténébreuse et les jours lumineux (1705), der mittelbar auch Sedaines Libretto beeinflusst hat. Die breite Nachwirkung der Sage dokumentiert noch das jüngste Rezeptionszeugnis im Bereich des Musiktheaters, das Musical Blondel von Tim Rice und Stephen Oliver.
III Werkliste Isacio tiranno „Dramma per musica“ Musik Antonio Lotti
Text Francesco Briani
Riccardo primo, Re d’Inghilterra „Opera in tre atti“ Musik Text Georg Friedrich Händel Paolo Antonio Rolli
Uraufführung 24.11.1710, Venedig
Uraufführung 11.11.1727, London
Der misslungene Brautwechsel oder Richardus I., König von England „Singspiel in drei Akten“ Musik Text Uraufführung Georg Friedrich Händel, Paolo Antonio Rolli, 3.2.1729, Hamburg Georg Philipp Telemann Christoph Gottlieb Wend
Richard Löwenherz
Richardus genannt das Löwen-Herz, König in Engelland „Opera“ Musik Text Georg Friedrich Händel, Paolo Antonio Rolli, [Georg Caspar Schürmann] [Georg Caspar Schürmann] Richard Coeur de Lion „Opéra-comique en trois actes“ Musik Text André-Ernest-Modeste Grétry Michel-Jean Sedaine Richard Coeur de Lion „Comic Opera“ Musik André-Ernest-Modeste Grétry, William Shield
Text Michel-Jean Sedaine, Leonard MacNally
Richard Coeur de Lion „Historical Romance“ (Semi-Opera) Musik Text André-Ernest-Modeste Grétry, Michel-Jean Sedaine, Thomas Linley Sr. John Burgoyne Riccardo Cor di Leone „Commedia per musica“ Musik Ferdinando Robuschi
Text [nach Sedaine]
Richard Leeuwenhart, Koning van Engeland „Zangspel“ Musik Text Bartholomeus Ruloffs Michel-Jean Sedaine, Bartholomeus Ruloffs Richard Löwenherz „Singspiel in drei Aufzügen“ Musik André-Ernest-Modeste Grétry, Joseph Weigl, Bernhard Anselm Weber Richard Löwenherz „Große Oper in drei Aufzügen“ Musik André-Ernest-Modeste Grétry, Ignaz von Seyfried
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Uraufführung Februar 1729, Braunschweig
Uraufführung 21.10.1784, Paris
Uraufführung 16.10.1786, London
Uraufführung 24.10.1786, London
Uraufführung 26.12.1789, Venedig
Uraufführung 11.4.1791, Amsterdam
Text Michel-Jean Sedaine, Karl Alexander Herklots
Uraufführung 3.3.1806, Berlin
Text Michel-Jean Sedaine, Joseph von Seyfried
Uraufführung 28.11.1810, Wien
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Personenzentrierte Stoffe
Blondello ossia Il suddito esemplare „Melo-dramma eroi-comico“ Musik Text Carlo Ceccarini Michel-Jean Sedaine, Andrea Leone Tottola
Uraufführung 1814, Neapel
Ricardo Cuor di Leone „Melo-dramma eroico-comico in due atti“ Musik Text Felice Alessandro Radicati [nach Sedaine / Tottola]
Uraufführung 19.10.1816, Turin
Il talismano o sia La terza crociata in Palestina „Melodramma storico“ Musik Text Giovanni Pacini Gaetano Barbieri
Uraufführung 10.6.1829, Mailand
Richard und Blondel Oper Musik Johann Daniel Elster
Uraufführung 27.12.1835, Meiningen
Text Friedrich Wilhelm Adami
Richard Coeur de Lion „Opéra-comique en trois actes“ Musik Text André-Ernest-Modeste Grétry, Michel-Jean Sedaine Adolphe Adam Richard en Palestine „Opéra en trois actes“ Musik Adolphe Adam
Uraufführung 27.9.1841, Paris
Text Paul Foucher
Uraufführung 7.10.1844, Paris
Text [?]
Uraufführung 1883, Cadbury
König und Spielmann Operette Musik Josef Kerner
Text Hugo Klein
Uraufführung 3.8.1891, Budapest
Robin Hood and King Richard „Operetta in two acts“ Musik J. Lindsay Mackay
Text J. Lindsay Mackay
Uraufführung 1910, London
King Richard I. Operetta Musik Frederick James Wentworth Bennett
Richard Löwenherz
Blondel Musical Musik Stephen Oliver
Text Tim Rice
Uraufführung 8.9.1983, Bath
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Robin Hood Christiane Hansen I Präsenz des Sujets Bearbeitungen des Robin Hood-Stoffs sind in der populären Kultur der Gegenwart allgegenwärtig. Von der anhaltenden Faszinationskraft des legendären mittelalterlichen outlaw zeugen neben den jüngeren Verfilmungen von Kevin Reynolds (1991), Ridley Scott (2010) und Otto Bathurst (2018) auch mehrere Fernsehserien (zuletzt auf BBC One, 2006–2009) sowie die Serie Sherwood (YouTube Premium, 2019). Dem immensen Bekanntheitsgrad der Figur entspricht ihre häufige Verwendung als rhetorische Abbreviatur in politischen Kontexten und ihre Verbreitung in der materiellen Alltagskultur vom Kostüm zum Souvenir. Auch wenn der seit Jahrhunderten stark verselbständigte Stoff weitgehend aus seinem historischen Bezugsrahmen und den nationalen Kontexten herausgelöst wird, ruft er diesen synekdochal auf und wird so auch zum Vehikel populärer Vorstellungen eines hochmittelalterlichen Englands. Die Konturen einer vor allem populärkulturellen Rezeptionsgeschichte bleiben dabei auch in der Gegenwart und im Musiktheater erkennbar. So sind die zeitlichen und oft auch die räumlichen Reichweiten einzelner Bearbeitungen stark begrenzt, eine klare Kanonisierung einzelner Werke bleibt aus. Zudem lässt sich eine mediale Rekonfigurierung und Relokalisierung beobachten: Ernste, heroisierende Bearbeitungen sind seit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts vor allem im Film, später auch im Format der Fernsehserie verbreitet. Die Stoffgeschichte llgemeinere postmoderne Heldenskepsis genauso wie popspiegelt hier eine a heroische Tendenzen. Musiktheatrale Robin Hood-Versionen tendieren verstärkt zur Komisierung, bieten jedoch teils auch spektakuläre intermediale Inszenierungen. Erkennbar ist entsprechend eine generische Kontinuität, die sich in immer wieder neuen Produktionen niederschlägt, welche jedoch ähnliche Publikumserwartungen bedienen. Zu nennen sind hier zuvorderst die Pantomimes, die im viktorianischen England aufkamen und – unter dem Einsatz neuer Bühnentechnologien und Repräsentationsästhetiken – bis heute präsent bleiben. Insgesamt jedoch geht die Kontinuität von Robin Hood-Bearbeitungen im Musiktheater mit einer Kurzlebigkeit der einzelnen Werke einher – kaum ein Stück früherer Epochen findet sich auf den heutigen Spielplänen wieder.
https://doi.org/10.1515/9783110424089-009
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Neben George Alexander Macfarrens Robin Hood, der seit 2011 in Form einer vom Victorian Opera Orchestra unter der musikalischen Leitung Ronald Corps eingespielten Aufnahme vorliegt (Naxos 8.660306-07), bestätigen zwei Ausnahmen diese Regel: Die dreiaktige Oper Robin Hood des Schumann-Schülers Albert Dietrich (op. 34), 1879 in Frankfurt am Main uraufgeführt, wurde 2011 am Theater Erfurt von Jürgen R. Weber neu inszeniert. Dietrichs Oper stellt das Treuemotiv in den Vordergrund: Im Zentrum der Handlung steht Robins Liebe zu Marian, die allerdings mit Jimmy, einem Neffen ihrer Stiefmutter, der Gattin des Sheriffs von Nottingham, verheiratet werden soll; diesem zentralen Handlungsstrang wird die Liebesgeschichte von Little John und Marians Begleiterin Ellen an die Seite gestellt. Robin versucht, die Gelegenheit eines Maifests, bei dem die Stiefmutter Marians Verlobung stattfinden lassen will, zur Entführung seiner Geliebten zu nutzen: Er gibt sich dort als Edelmann aus, der auf dem Weg zum Fest den gefürchteten Räuber Robin Hood überwältigt habe, während Jimmy feige vor diesem geflohen sei. Der Sheriff gewährt ihm daraufhin einen Tanz mit Marian. Auch als Jimmy auftaucht, Robin identifiziert und beschuldigt, ihn im Wald festgesetzt zu haben, kann er sein listiges Spiel zunächst noch aufrechterhalten. Marian selbst jedoch bewirkt unwillkürlich Robins Festnahme, als sie ihn mit seinem Namen anruft und in höchster Angst anfleht, sich zu retten. Das Urteil wird dem inzwischen eingetroffenen König → Richard Löwenherz überlassen. Der lässt sich von Marians unerschütterlicher Liebestreue rühren und stellt Robin auf die Probe, indem er ihm statt der Todesstrafe anbietet, in London Hauptmann seiner Bogenschützen zu werden. Robin schlägt dies aus Treue zu seinen Gefährten aus und besteht damit die Probe: Er wird nicht bestraft und darf als königlicher Jägermeister im Sherwood Forest bleiben. Die von Johannes Pell dirigierte Erfurter Aufführung wollte sich weniger als werkgetreue Rehabilitierung der wenig bekannten Oper verstanden wissen, sondern eher als Dekonstruktion der heroisierenden Räuber-Phantasien, aus deren Kontext sie stammt. Das Bühnenbild wurde dazu durch Leinwandprojektionen und eingeblendete politische und metatheatrale Kommentare ergänzt. Aus einem ganz anderen Zusammenhang stammt die am 9. Juni 1890 am Chicago Opera House uraufgeführte komische Oper Robin Hood von Reginald De Koven und Harry B. Smith. Im September des folgenden Jahres erlebte das Stück seine New Yorker Erstaufführung. Weitere nationale und auch internationale Inszenierungen folgten; erst mit der Produktion von 1944 im Londoner Adelphi Theatre riss die Kette der Wiederaufnahmen vorerst ab. Jedoch sind im einundzwanzigsten Jahrhundert vereinzelte Produktionen nachweisbar, so 2004 an der Ohio Light Opera (dirigiert von J. Lynn Thompson, Regie James Stuart) oder 2016 durch die Victorian Lyric Opera Company (Rockville, Maryland). Zugleich fanden einzelne
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Nummern wie das auf Hochzeiten beliebte „Oh promise me“ – allerdings eine spätere Hinzufügung mit einem Text von Clement Scott – ihren Weg in das Repertoire (Krasner 2008, S. 254; Traubner 1983, S. 341). De Kovens Robin Hood orientiert sich an den Konventionen der komischen Oper. So wird die romantische Liebesgeschichte ins Zentrum gerückt; die Widersacher – der Sheriff of Nottingham und dessen Neffe Guy of Gisborne – werden als komische Figuren dem Spott des Publikums preisgegeben. Robin Hood, der beim Maifest als Bogenschütze brilliert, erbittet vom Sheriff sein Erbe mit Titel, Land und Geld; dieser jedoch versucht mit gefälschten Dokumenten zu erweisen, dass eigentlich Guy of Gisborne der rechtmäßige Erbe ist. Letzteren möchte er mit Maid Marian verheiraten, die ihrerseits jedoch Robin liebt. Nach einigen Verwicklungen gelingt es dem Sheriff, die in den Wald geflohenen Räuber zu überwältigen – erst im letzten Moment kann Robin, verkleidet als Klosterbruder und unterstützt von seinen Räubern, Marian vor der gefürchteten Eheschließung bewahren, während ein Bote das Begnadigungsschreiben des Königs überbringt. De Kovens Partitur verbindet die vor allem auf Arthur Sullivan und William Schwenck Gilbert zurückzuführende Tradition der ‚Savoy-Oper‘ mit Elementen der Wiener Operette – eine Kombination, die manchen zeitgenössischen Kritiker verunsicherte (Krasner 2008, S. 250). Jedoch lässt sich das heute nur noch selten aufgeführte Werk in dieser vermittelnden Rolle zu den Wegbereitern des Broadway-Musicals zählen.
II Historische Schichten Auf den Bühnen des späten zwanzigsten und des einundzwanzigsten Jahrhunderts richten sich Neubearbeitungen des Robin Hood-Stoffs meist primär an Kinder und Jugendliche, teils auch an ein altersgemischtes Publikum. Gemeinsam ist diesen sehr heterogenen Bearbeitungen, dass sie weniger ein historisch akkurates Mittelalter entwerfen als eine mediävalisierte Gegenwelt, die ihre Attraktionskraft aus allgemein gehaltenen archaisierenden Elementen bezieht. Als paradigmatisches Beispiel kann Frank Schwemmers Robin Hood gelten, eine „Abenteueroper in 15 Bildern“, die am 2. November 2008 an der Komischen Oper Berlin uraufgeführt wurde. Ihre Handlung oszilliert zwischen alltäglicher Gegenwart und der von einem Computerspiel heraufbeschworenen phantastisch-mittelalterlichen Welt, deren Protagonist Robin Hood ist. Neben einzelne Opernproduktionen – wie die des finnischen Komponisten und Jazzpianisten Jukka Linkola (uraufgeführt am 14. Januar 2011 an der Finnischen Nationaloper mit Matti Salminen als Sheriff von Nottingham) – treten jedoch vor
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allem spektakuläre Musical-Produktionen: in Frankreich etwa die überaus erfolgreiche Produktion Robin de Bois. Ne Renoncez Jamais (Paris 2013), in England Robin Hood – Prince of Sherwood (London 1993), in Deutschland Robin Hood. Ein Musical (Ludwigshafen 1999). Gegenüber konventionell heroisierenden Darstellungen der Robin Hood-Figur zeichnen sich nur vereinzelt auch offener Sarkasmus und eine stärker sozialkritische Akzentuierung ab. Friar Tuck, eine Produktion von Glenn Paxton und Allan Leicht (UA 1983 Saratoga Springs) wäre hier als Beispiel zu nennen. Mittelbar stellt sich auch die oben erwähnte Neuinszenierung von Dietrichs Oper in diese Tradition. Daneben nimmt Robin Hood vor allem im angelsächsisch geprägten Raum einen festen Platz im Stoff-Fundus der Pantomime ein, die, unter anderem mit der Commedia dell’Arte verwandt, in der heute geläufigen Form bis in die viktorianische Zeit zurückverfolgt werden kann (vgl. Davis 2010; Richards 2015; Sullivan 2011; Taylor 2007). Meist um die Weihnachtszeit aufgeführt und oft unter Einbeziehung bekannter Songs setzt diese Theaterform auf Plots mit hohem Wiedererkennungswert, interaktive Arrangements und visuelle Attraktionen. Auch die heute noch geläufige Assoziation des Robin Hood-Stoffs mit der traditionellen Erzählung von den ‚Babes in the Wood‘ ist schon im neunzehnten Jahrhundert nachweisbar. In diesem Narrativ – seinerseits zurückgehend auf die Balladentradition – will ein geldgieriger Stiefvater die beiden ihm anvertrauten Kinder umbringen lassen. Davor zurückschreckend lässt der damit Beauftragte die Kinder jedoch allein im Wald zurück. In den frühen Versionen sterben die Kinder dort, später werden sie oft direkt in den Himmel geführt. In den genannten Kreuzungen mit dem Robin Hood-Stoff werden die Kinder im Wald von Robin und Marian aufgenommen und gerettet. Während sich gegenwärtig ein Trend zu opulenten multimedialen Inszenierungen abzeichnet (vgl. Taylor 2010), bemühen sich einzelne Produktionen um eine explizite Fortsetzung der traditionellen Panto. Beispielhaft ist hier die von Geoff King (Musik) und Ellie King (Text) mit der Royal Canadian Theatre Company produzierte Pantomime Robin Hood and his Merrie Men (2009/10): Auf der Suche nach Arbeit gelangt Robin Hood in dieser Version des Stoffs nach Sherwood und wird durch Zufall zum Anführer der Räuber erklärt. Nach einigen Verwicklungen – so versuchen „Fraulein Kibbles“ und „Herr Bitz“, das Rezept des Sherwood Forest Cake zu entwenden, und der machthungrige Sheriff will Lady Marian Fitzwalter, die Tochter des Gutsherren, heiraten – besiegt Robin Hood, angefeuert vom Publikum, ein von einem Dämon heraufbeschworenes Monster und erhält mithilfe eines wiedergefundenen Briefs von Richard Löwenherz sein Land und seine Titel zurück. Kennzeichnend für die Pantomime-Tradition sind hier neben cross
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Personenzentrierte Stoffe
dressing (Robin Hood als männlicher Protagonist wird von einer Frau gespielt), den Slapstick-Elementen und der regelmäßigen Hinwendung zum Publikum die zahlreichen anachronistischen Wendungen, die den legendären outlaw mit Figuren wie Jesse James oder Batman kontaminieren, außerdem der Narr Fester, welcher das Geschehen kommentiert, und die metaphysische Rahmenhandlung, in der eine wohlmeinende Fairy Queen und ein boshafter Demon King um die Seele des Protagonisten konkurrieren. Nicht zuletzt fungiert der Stoff als Grundlage vieler Singspiele und Musicals für den Schulgebrauch, die allerdings kaum eigenständiges Profil entwickeln. Dennoch lässt sich festhalten, dass sie im angelsächsischen wie auch im deutschen Sprachraum einen festen Platz in der literarischen und (musik)theatralen Sozialisation einnehmen. Die jüngste Konjunktur des Robin Hood-Stoffs im Musical knüpft musik- und stoffgeschichtlich an weiter zurückliegende Schichten der Rezeption an, wobei vor allem die ‚Savoy-Oper‘ und das frühe Musical sowie die Operette eine bedeutende Rolle spielen. Daneben gerät der Robin Hood-Stoff in das Fahrwasser einer im neunzehnten Jahrhundert verbreiteten Räuber-Romantik, von der noch Dietrichs Robin Hood-Oper zeugt. Deutlich seltener sind stärker sozialkritisch ausgerichtete Versionen – so ein frühes und kaum bekanntes Werk des politisch und pazifistisch engagierten Komponisten Michael Tippett (UA 1934), das sich im Kontext des britischen ‚roten Jahrzehnts‘ (Thorpe 1992, S. 41; Robinson 2002, S. 78) mit der Situation der arbeitslosen Minenarbeiter in Yorkshire auseinandersetzt und diese auch in die Uraufführung miteinbezog (vgl. Bullivant 2013, S. 73 f.; Robinson 2002). Wie in vielen seiner Werke aus den 1930er Jahren greift Tippett auch in diesem Stück auf die Tradition der ballad opera und auf Volkslied-Material zurück (Clarke 1999, S. 3–11). Tippetts Oper bleibt jedoch die Ausnahme gegenüber einer allgemeinen Tendenz zu unterhaltenden Intrigen und komischen Schurken: Paradigmatisch wäre neben De Kovens bereits erwähntem Robin Hood das weniger bekannte Fortsetzungsstück Maid Marian (1902), das ebenfalls aus der Zusammenarbeit zwischen De Koven und Smith hervorging (vgl. Traubner 1983, S. 343; Stock 2008). Nachweisbar sind diverse Aufführungen 1902 in New York, vermutlich auch 1903 in Boston. Die Handlung ergänzt den konventionellen Stoff um eine Reihe von weiteren Intrigen, die teils nach Jerusalem ausgelagert werden; die Rolle des Robin Hood, der an der Seite von Richard Löwenherz gegen die Sarazenen kämpft, ist dabei allerdings zugunsten derjenigen Marians geschwächt. Der dritte Akt führt zurück nach Nottingham, wo der Sheriff endlich die Heirat von Guy und Marian durch-
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setzen will. Dies verhindern die Räuber in letzter Sekunde. Eine dreifache Hochzeit – Robin und Marian, der Sheriff und Dame Durden, Little John und Lady Vivian – beschließt das Stück. Auch in Macfarrens Robin Hood (UA 1860) zeichnet sich jedoch diese Tendenz zur Komisierung bereits deutlich ab: Während Richard Löwenherz als idealer Herrscher in dieser Version nicht auftritt, steht ein treu liebender, großmütiger Volksheld Robin einem tyrannischen Sheriff entgegen, der seine Untertanen erbarmungslos ausnimmt. Robin, der als Räuber verfolgt wird, gibt sich als Freisasse aus, um beim Wettbewerb der Bogenschützen um seine geliebte Marian zu kämpfen. Seine Identität wird entdeckt und er wird gefangengenommen. Der Sompnour jedoch, der Steuern für die Nottingham Abbey eintreibt, gewährt Robin schließlich die Freiheit, unter der Bedingung, dass er in die Dienste des Königs tritt. Stärker als in diesen Versionen äußert sich in den Adaptionen des achtzehnten Jahrhunderts eine Nationalisierung der in den Adelsstand erhobenen Robin Hood-Figur im Rahmen einer nationalkollektiven Repräsentationskultur, welche englisch-aristokratische Tugenden und nationale Kontinuität gegen kontinentaleuropäische Werte und Figuren in Stellung bringt. Dieser kulturelle Kontext zeigt sich zum einen in der wachsenden Popularität der Robin Hood-Balladen (vor allem durch die stoffgeschichtlich bedeutende Balladensammlung von Thomas Evans von 1777), zum anderen in der wachsenden Popularität des Bogen schießens als Sport: Viele der neu gegründeten Gesellschaften nahmen explizit auf die Robin Hood-Legende Bezug (Barczewski 2000, S. 11–44; Troost 2000, S. 254 f.). Die meist harmlose Komik der Stücke tendiert dazu, das sozialkritische Potential der Legende ebenso zu unterdrücken wie die potentiell transgressiven Züge des Räubertums. Die erste nachweisbare musikdramatische Version, Robin Hood and Little John, aufgeführt im September 1730 auf der Bartholomew und Southwark Fair (vgl. Troost 2000, Knight 2003, S. 90), stellt dem aristokratisch konturierten Robin einen komischen Little John an die Seite. Troost vermutet, dass hier ein bereits existierendes Stück zur ballad opera umgerüstet wurde. Deutlicher national geprägt ist das phantastische Merry Sherwood, or, Harlequin Forester (Musik William Reeve, Text John O’Keeffe, 1795/1796; Troost 2000, S. 32; Knight 2003, S. 92 f.), das nach einer wundersamen Wiedererweckung des toten Robin in einen „Triumph of Archery“ einmündet. Ausdrücklich glorifiziert werden hier die vergangenen Triumphe Englands über ein Frankreich, das im Kontrast zu den englischen, maskulin kodierten Tugenden – wie Mut und Loyalität – als degeneriert und effeminiert dargestellt wird. Ähnlich funktioniert Robin Hood. A New Musical Entertainment von Moses Mendez und Charles Burney (als afterpiece 1750 uraufgeführt), in dem Robin als Trickster ein verliebtes Paar wieder
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Personenzentrierte Stoffe
zusammenführen muss. Auch hier repräsentiert Robin englische Tugenden und überwindet mit deren Hilfe den kontinentalen ‚mannered man‘ (vgl. Troost 2000; Knight 2003, S. 91). Die bedeutendste Produktion aus dieser Zeit ist jedoch die Robin Hood-Oper von Leonard McNally und William Shield (1784), die bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts 96-mal in London (sowohl als mainpiece als auch als afterpiece), zusätzlich auch in Dublin, Charleston, Philadelphia, New York and Baltimore aufgeführt wurde (Knight 2003, S. 92). Zu Wiederaufnahmen kam es im März 1813 in London und in den 1820er Jahren in Bath. Einzelne Melodien dieser Version wurden der schottischen und irischen Volksmusik entlehnt. Die Paratexte berufen sich explizit auf die Balladentradition, auch wenn diese deutlich den Robin HoodAuslegungen des achtzehnten Jahrhunderts angepasst wird. Knight beobachtet entsprechend, dass der „gentrified drift away from the bandit“ (ebd.) und die patriotische Einfärbung hier noch deutlicher ausgeprägt ist als in den vorausgehenden Bearbeitungen. Während Robin auf seine Liebhaberrolle hin fokussiert wird, wird seine Braut als amazonische Bogenschützin neu profiliert. Mit der Haupthandlung sind verschiedene weitere Romanzen sowie eine politische Hintergrundhandlung verschränkt. So wird die Gesetzlosigkeit der ‚Merry Men‘ als notwendige Reaktion auf ein korruptes System legitimiert und Robin führt schließlich die Räuber in den Kampf gegen die Franzosen. Robin Hood wird so zum patriotischen Helden und ‚country gentleman‘ stilisiert, auf den Verhandlungen nationaler Identität im achtzehnten Jahrhundert paradigmatisch projiziert werden können (vgl. dazu Troost 2000). Wie Stephen Knight aufzeigt, zeichnen sich die Aufführungen im achtzehnten Jahrhundert durch ihre Nähe zu den Traditionen der May Day Celebrations aus (Knight 2003, S. 90), die sich spätestens im fünfzehnten Jahrhundert in England etabliert hatten und teils bis in das elisabethanische England hineinreichten (vgl. Hutton 1996, Holt 1982, Dobson / Taylor 1976). Der Robin Hood-Stoff spielt hier schon früh eine konstitutive Rolle; auch die nicht nur im Musiktheater wirkmächtige Assoziation mit Maid Marian lässt sich vielleicht vor dem Hintergrund von Figurenkonstellationen der französischen Pastourellendichtung auf die May Games zurückführen (vgl. Dobson / Taylor 1976, S. 42). In diesem Zusammenhang ist vor allem das zwischen 1282 und 1284 für den Hof Karls von Anjou in Neapel entstandene Jeu de Robin et de Marion des Trouvère Adam de la Halle zu nennen, das erste überlieferte weltliche französische Singspiel, das seinerseits im späten neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert mehrfach adaptiert wurde (von Julien Tiersot und Émile Blémont 1896, von Darius Milhaud 1951 sowie von Valentino
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Bucchi 1953). Die Handlung dieses Stücks – in der Tradition der französischen Pastourellendichtung zentriert um die Schäferin Marion und einen zudringlichen Ritter, vor dem ihr Geliebter namens Robin und seine Freunde sie bewahren – steht dem eigentlichen Robin-Hood-Stoff, wie er in populären Balladen erst seit dem späten fünfzehnten Jahrhundert fassbar wird, noch fern. Der früheste (fragmentarisch) erhaltene Text, Robyn Hod and the Shryff off Notyngham, stammt aus den 1470er Jahren und gilt als erster Nachweis des Guy of Gisbourne-Plots und auch der Figur des Friar Tuck (Dobson / Taylor 1976, S. 203 f.). Insofern die stoffliche Überlieferung jedoch in erster Linie auf spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Balladenzyklen beruht, die im Sinne vormoderner Mündlichkeit kontinuierlich umgestaltet und ergänzt wurden, lässt sich kein einzelner kanonischer Prätext isolieren (vgl. allgemein zur Stoffgeschichte Dobson / Taylor 1976; Knight 2003; Holt 1982; Barczewski 2000; Coote 2016; Hahn 2000; Knight 1994; Phillips 2005; Potter 2008). Auch die heute geläufige Figurenkonstellation prägt sich erst sukzessive aus, wobei für das Musiktheater neben Robins Gefährten, den ‚Merry Men‘, vor allem der Barde Allan a Dale und Robins Braut Marian bedeutend werden. Viele Eigenschaften, die das populäre Bild Robin Hoods bis heute prägen, werden ihm jedoch schon in den ältesten erhaltenen Balladen zugeschrieben oder sind zumindest ansatzweise vorhanden. Langfristig lässt sich dabei eine positive Vereindeutigung ausmachen, die auch die musiktheatrale Rezeption prägt: Während Robin Hood in den ältesten Quellen noch als grausamer Wegelagerer auftritt, wird er im Zuge der Rezeptionsgeschichte fortwährend aufgewertet, teils in den Adelsstand erhoben und vielfach patriotisch aufgeladen. Dies funktioniert vor allem über eine Umwertung der Gegner, sodass Robin Hood gegen die normannischen Eroberer profiliert werden kann. Später tritt das Motiv der sozialen Gerechtigkeit hinzu. Aus einer Vielzahl von tradierten Erzählungen destilliert sich so ein in seinen Grundzügen weitgehend konstantes Ausgangsnarrativ, das an übergeordnete Muster des heroischen outlaw, an eine romantisierte Gegenwelt des Räubertums oder an wechselnde Genrekonventionen von der komischen Oper bis zum Musical angeschlossen werden kann. Der mittelalterliche Kontext spielt dabei meist eine untergeordnete Rolle. Auf diese Weise bringt der Robin Hood-Stoff weniger einen fixen Werkkanon hervor als medial und diskursiv miteinander verflochtene Varianten von begrenzter Reichweite und hoher Popularität.
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Personenzentrierte Stoffe
III Werkliste Robin Hood „An Opera“ Musik [?]
Text [?]
Uraufführung 22.8.1730, London
Robin Hood „A New Musical Entertainment“ Musik Text Charles Burney Moses Mendez
Uraufführung 13.12.1750, London
Robin Hood or Sherwood Forest „A comic opera“ Musik Text William Shield Leonard MacNally
Uraufführung 17.4.1784, London
The Noble Peasant „A comic opera“ Musik William Shield
Text Thomas Holcroft
Uraufführung Sommer 1784, London
Marian „A comic opera, in two acts“ Musik William Shield
Text Frances Brooke
Uraufführung 22.5.1788, London
Robin Hood, or Sherwood Forest Musik Text Alexander Reinagle [?] [Revision: W. Shield]
Uraufführung 10.3.1794, Philadelphia
Merry Sherwood, or, Harlequin Forester „Christmas Pantomime“ Musik Text William Reeve John O’Keeffe
Uraufführung Winter 1795, London
Maid Marian, or, The Huntress of Arlingford „A legendary opera in three acts“ Musik Text Henry R. Bishop James Robinson Planché
Uraufführung 3.12.1822, London
Harlequin Robin Hood and Little John, or, Merrie England in the Olden Time „The New Comic Christmas Pantomime“ Musik Text Publikation William Henry Montgomery Thomas Longdon Greenwood 1844
Robin Hood
Robin Hood and Richard Coeur de Lion A Grand Operatic Romantic Burlesque Spectacle Musik Text Alexander Lee Joachim H. Stocqueler, Shirley Brooks, Charles Kenney Robin Hood Grand Christmas Pantomime Musik [?] Robin Hood Pantomime Musik J. H. Tully
Uraufführung 4.5.1846, London
Text [?]
Uraufführung Winter 1851, Manchester
Text Edward Litt Laman Blanchard [?]
Uraufführung 20.12.1858, London
Robin Hood „New and original Grand Christmas Comic Pantomime“ Musik Text Shickle [?] [?]
Uraufführung 27.12.1858, Manchester
Robin Hood „An Opera in Three Acts“ Musik George Alexander Macfarren
Uraufführung 11.10.1860, London
Text John Oxenford
Robin Hood or the Forester’s Fate Musik Text [?] Sir Francis Cowley Burnand
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Uraufführung 26.12.1862, London
The Grand Comic Christmas Pantomime for 1866 and 1867 of Robin Hood and Ye Merrie Men of Sherwood Musik Text Uraufführung Ben Brierley Edwin Waugh 1866, Manchester [?] The Babes in the Wood; or, Harlequin Cock Robin and the Good Little Fairy Birds Musik Text Uraufführung [?] [?] 24.12.1867, Greenwich The Babes in the Wood, or, Harlequin Robin Hood and his Merry Men „Pantomime“ Musik Text Uraufführung Gilbert R. Beetjemann Gilbert Arthur à Beckett 26.12.1867, London
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Personenzentrierte Stoffe
The Convict, or, Hunted to Death; Robin Hood and his Merry Men, or, Harlequin Ivanhoe, the Knight Templar & the Jewess „Pantomime“ Musik Text Uraufführung C.H. Stephenson, [?] 1.2.1868, London C.H. Hazlewood Babes in the Wood; or, Harlequin Robin Hood and the Brave Little Soldiers of Lilliput Pantomime Musik Text Uraufführung [?] [?] 1868, Nottingham Once Upon a Time or a Midsummer Night’s Dream in Merrie Sherwood „A Fairy Extravaganza“ Musik Text Uraufführung [?] F.R. Goodyer 13.4.1868, Nottingham The Merrie Men of Sherwood Forest, Or Forest Days in the Olden Time „A pastoral operetta in three acts“ Musik Text Uraufführung W[illiam] H[enry] Birch W[illiam] H[enry] Birch 1871, Doncaster [konzertant] Robin Hood, or The Maid that was Arch and the Youth that was Archer Pantomime Musik Text Uraufführung [?] [?] 1871, London Babes in the Wood. Little Cock Robin and Bold Robin Hood Christmas Pantomime Musik Text C. Wood John Francis MacArdle
Uraufführung Weihnachten 1872, London
The Annual Comic Christmas Pantomime Entitled The Babes in the Wood and the Bold Robin Hood, or, The Naughty Cock Sparrow who Killed Poor Cock Robin Musik Text Uraufführung Fred W. Allwood Alexander Duncan M’Neill Weihnachten 1876, Edinburgh Robin Hood and his Merry Little Men Pantomime Musik Text Edwin Ellis Edward Litt Laman Blanchard Robin Hood „Oper in drei Akten“ Musik Albert Dietrich
Text Reinhard Mosen
Uraufführung 22.12.1877, London
Uraufführung 6.4.1879, Frankfurt am Main
Robin Hood
Little Robin Hood Burlesque drama Musik Robert Reece
Text Robert Reece
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Uraufführung 15.9.1882, London
The Babes in the Wood, and Bold Robin Hood Grand Comic Pantomime Musik Text [?] Fred Locke, F.W. Pratt
Uraufführung Weihnachten 1886, Liverpool
Robin Hood „Ye Original Operetta, in Five Acts“ Musik Text Allan G. Robinson Charles Mulford Robinson
Uraufführung 25.5.1888, Rochester (NY)
Babes in the Wood Pantomime Musik Walter Slaughter
Text Edward Litt Laman Blanchard, Augustus Harris, Harry Nicholls
Uraufführung Dezember 1888, London
Text Harry B. Smith
Uraufführung 9.6.1890, Chicago
Robin Hood „A Comic Opera in 3 Acts“ Musik Reginald De Koven
The Babes in the Wood, or, Robin Hood and the Merry Men of Sherwood Forest The Twelfth Grand Christmas Pantomime Musik Text Uraufführung Martin Byam, E.B. Wyke [?] Weihnachten 1890, Hastings Babes in the Wood; or, Bold Robin Hood and his Foresters Good Musik Text Uraufführung W.H. Brinkworth Geoffrey Thorn 26.12.1890, London Robin Hood Operette in drei Akten Musik Moritz Fall
Text [?]
Babes in the wood and the bold Robin Hood Musik Text Oscar Barrett Horace Lennard
Uraufführung 1891, Leipzig
Uraufführung 24.12.1892, London
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Personenzentrierte Stoffe
The Babes in the Wood, or, Robin Hood and his Foresters Good Pantomime Musik Text [?] John Wilton Jones
Uraufführung 24.12.1892, Melbourne
Babes in the Wood, or, Bold Robin Hood & his Foresters Good A Christmas Pantomime Musik Text [?] John Wilton Jones
Uraufführung 1896, Manchester
The Babes in the Wood, or, Harlequin, Maid Marian and Bold Robin Hood The Grand Christmas Pantomime Musik Text Uraufführung H.D. Gliddon, George M. Saker Fred Bow[y]er Weihnachten 1899, London Maid Marian „A comic opera in three acts“ Musik Reginald De Koven
Text Harry B. Smith
Uraufführung 27.1.1902, New York
Robin Hood Oper Musik Sigwardt Aspestrand
Text [?]
Uraufführung [?]
Text Henry Hamilton, William Devereux
Uraufführung 17.10.1906, London
The King of Sherwood A Comic Operetta in 2 Acts Musik Thomas J. Hewitt
Text Fred Edmonds
Publikation 1906
Robin Hood and King Richard „Operetta in two acts“ Musik J. Lindsay Mackay
Text J. Lindsay Mackay
Uraufführung 1910, London
Robin Hood and the Pedlar Musik James Brier
Text John Drinkwater
Uraufführung 25.6.1914, Bournville
Robin Hood Musik Herbert Bunning
Robin Hood
Robin Hood Inc. Musik Allan Benedict
Text Frederick H. Martens
The Outlaw King „A Robin Hood Operetta in Three Acts“ Musik Text Iris Decker, Louis Malone Clare Grubb, Iris Decker [d. i. Louis MacNeice?] Robin Hood Folk-Song Opera in 2 Acts Musik Michael Tippett
Text David Ayerst, Ruth Pennyman, Michael Tippett
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Publikation 1928
Publikation 1930
Uraufführung 1934, Boosbeck
Robin Hood. A Tale of Sherwood Forest Musik Text Robert Chignell D.F. Aitken
Uraufführung [Rundfunk] 8.2.1938, BBC
Maid Marian A Romantic Opera in Three Acts Musik Text Colin Macleod Campbell Nancy Morison
Uraufführung [konzertant] Oktober 1938, London
Twang!! Musik Lionel Bart
Text Lionel Bart, Harvey Orkin
Uraufführung 20.12.1965, London
Text [?]
Uraufführung 1972 [?]
Robin Gud Musik Lyutsian Abramovich Prigozhin
Robin Hood and the Turkish Knight „A Musical Play in the Old English Manner“ Musik Text Tim Porter Tim Porter
Uraufführung 1973 [unter dem Titel The Mellstock Robin Hood]
12 Musical Plays for Children Based on Famous Fairy Tales; 11: Robin Hood Musik Text Publikation Henry Tobias, David Ormont Henry Tobias, David Ormont 1976
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Personenzentrierte Stoffe
Friar Tuck Musik Glenn Paxton
Text Allan Leicht
Uraufführung 11.8.1983, Saratoga Springs (NY)
Robin Hood Rock-Musical Musik Iván Madarász
Text György Asperján
Uraufführung 1987, Budapest
Robin Hood Ein Abenteuermusical Musik Ester Leicester
Text Ester Leicester
Publikation 1989 [Libretto im Selbstverlag]
Robin Hood The Musical. A Merry Musical Adventure Musik Text Arne Christiansen Tim Kelly, Ole H. Kittleson
Publikation 1990
Robin Hood – The Panto Musik [?]
Uraufführung 1990
Text Peta Duncombe
Robin Hood – Prince of Sherwood Musical Musik Text Rick Fenn, Peter Howarth Rick Fenn, Peter Howarth
Uraufführung 3.2.1993, London
Robin Hood „A Pantomime Adventure“ Musik [?]
Text Michael Buchanan-Smart
Publikation 1996
Robin Hood Musik Nick Perrin
Text Nick Perrin
Publikation 1999
Robin Hood Musical Musik Michael Summ
Text Georg A. Weth
Uraufführung 28.2.1999, Ludwigshafen
Robin Hood
Robin Hood and Friends Musical Musik Debbie Campbell
Text Debbie Campbell
Publikation 2000
Robin Hood The Musical Musik Karrol Cobb
Text Tony Cobb
Uraufführung 2001, Orem (UT) [?]
Robin Hood – Für Liebe und Gerechtigkeit Musical Musik Text Martin Doepke Hans Holzbrecher
Uraufführung 8.12.2005, Bremen
Robin Hood „Abenteueroper in 15 Bildern“ Musik Text Frank Schwemmer Michael Frowin
Uraufführung 2.11.2008, Berlin
Robin Hood Musical Musik Jürg Rüthi
Text Jürg Bleiker
Uraufführung Januar 2008, Winterthur
Robin Hood Pantomime Musik [?]
Text Richard Gauntlett
Uraufführung 15.12.2009, Norwich
Robin Hood Musik [?]
Text [?]
Uraufführung 2009, Toronto
Robin Hood and his Merry Men Musik Text Geoff King Ellie King
Uraufführung 2009, Langley (BC)
Robin Hood „Opera in two acts“ Musik Jukka Linkola
Text Jukka Virtanen
Uraufführung 14.1.2011, Helsinki
Sherwood Forest Musical Musik Michael Paul
Text Lloyd J. Schwartz
Uraufführung 2011, Los Angeles
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Personenzentrierte Stoffe
Robin Hood Kindermusical für Kinder ab 5 Jahren Musik Text [?] [?] Robin Hood „The Legendary Musical Comedy“ Musik Text Jeremy Hutton, Kieren William Foley, Jeremy Hutton, MacMillan Jesse MacLean, Kieren MacMillan, Kevin MacPherson, Kate Smith Robin des Bois. Ne renoncez jamais Musical Musik Text Lionel Florence, Lionel Florence, Patrice Guirao Patrice Guirao
Uraufführung 2011, Wien
Uraufführung 2012, Toronto
Uraufführung 26.9.2013, Paris
Robin and The Sherwood Hoodies „Musical comedy“ Musik Text Craig Hawes Craig Hawes
Publikation 2014
Robin Hood Musical Musik Oscar Wood
Text Brendan Murray
Uraufführung 1.12.2014, London
Robin Hood „Pantomime“ Musik Robert Hyman
Text Trish Cooke
Uraufführung 5.12.2015, London
Text Olga Nikiforova, Konstantin Arsenev
Uraufführung 12.12.2015, Novosibirsk
Text Doris Hofmann
Uraufführung 28.5.2016, Leuchtenberg
Robin Gud Musical Musik Evgenij Zagot
Robin Hood Kindermusical Musik Sandro Augustin
Robin Hood
Robin Hood and The Babes In The Wood Pantomime Musik Text [?] [?]
Uraufführung 17.12.2016, Manchester
Robin Hood Junior „Abenteuermusical“ Musik Timo Riegelsberger
Uraufführung 21.1.2017, Hamburg
Text Timo Riegelsberger, Jan Radermacher
Robin Hood: Prince of Tease „Burlesque-style musical theatre production“ Musik Text [mit vorhandenem Material] Alan Pronger Robin Hood Musik John Burke
Hood – The Musical Musik Andy Brown, Steve Williamson
Uraufführung 28.4.2017, Vancouver
Text Rachel Teagle
Uraufführung 2.6.2017, Chattahoochee Hills (GA)
Text Andy Brown, Steve Williamson
Publikation 2017
Hood – The Robin Hood Musical Adventure Musik Text Lewis Flinn Douglas Carter Beane
Uraufführung 29.6.2017, Dallas
Robin Hood Musik Dani Howard
Text Zoe Palmer, Rebecca Hurst
Uraufführung 27.2.2019, London
Text Robert Dröse
Uraufführung 27.10.2019, Stockholm
Robin Hood – The Musical Musik Martin Landh und Peter Nygren
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Little Red Robin Hood: A Musical Panto Musik Text Kathryn Petersen Michael Ogborn
Uraufführung 13.11.2019, Malvern (PA)
Staufer und Welfen Bernd Zegowitz I Präsenz des Sujets Die Opern, in deren Mittelpunkt das Geschlecht der Staufer oder das mit ihnen konkurrierende der Welfen steht, bevorzugen die Momente der Geschichte, die auf einzelne Personen konzentriert werden können. Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert war das die Figur Heinrichs des Löwen; das neunzehnte Jahrhundert interessierte sich in erster Linie für die Söhne Friedrichs II., den 1266 bei Benevent gefallenen Manfred und den 1272 in Bologna nach langjähriger Gefangenschaft gestorbenen Enzio, sowie für den 1268 in Neapel enthaupteten Konradin und für Agnes von Staufen, Tochter des Pfalzgrafen bei Rhein, deren Hochzeit mit dem Sohn Heinrichs des Löwen den Konflikt zwischen Staufer und Welfen beizulegen half. In Giuseppe Verdis La battaglia di Legnano tritt Kaiser Friedrich I. Barbarossa nur im Finale des zweiten Aktes auf; Richard Wagners Skizzen und Entwürfe zu Friedrich I. (WWV, Nr. 76) werden in der Forschung unterschiedlich bewertet. Grundsätzlich geht es darum, ob Wagner ein „rezitiertes Schauspiel“ (Wagner o. J., S. 311) schreiben wollte oder ob die überlieferten Textzeugnisse nicht doch eher auf den Plan einer großen Oper schließen lassen. In den letzten Jahren erlebte die Figur des Barbarossa eine gewisse Renaissance auf der Musical-Bühne: 2012 im Musical Barbarossa, gespielt bei den Adelberger Freilichtspielen, und in der „Rockerette“ Barbarossa ausgeKYFFT, die auf den Bühnen des Theaters Gera-Altenburg 2015 (ur)aufgeführt wurde. Die Opernkomponisten des zwanzigsten Jahrhunderts haben mit zwei Ausnahmen das Interesse an den beiden Geschlechtern verloren. Carlo Galantes Corradino und Detlev Glanerts Der Spiegel des großen Kaisers sind die in den 1990er Jahren uraufgeführten vorerst letzten Staufer-Opern. Eine mehr oder weniger kontinuierliche Aufführungsgeschichte können allerdings nur die Oper Spontinis und Verdis vorweisen. Als Vorlage zu Gaspare Spontinis Agnes von Hohenstaufen diente eine Episode aus Friedrich von Raumers Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, die der Dramatiker Ernst Raupach zu einem Libretto ausarbeitete. Von der ersten Fassung wurde nur der erste Akt komponiert und im Jahr 1827 anlässlich der Hochzeit von Marie von Sachsen-Weimar-Eisenach mit Carl von Preußen in Berlin aufgeführt. Die zweite, im Juni 1829 ebenfalls in Berlin uraufgeführte dreiaktige Version besorgte Raupach mit einem unbekannten Mitarbeiter und die dritte erarbeitete er mit Spontini und Karl August von Lichtenstein, dem Regisseur der ersten Aufhttps://doi.org/10.1515/9783110424089-010
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führungen. Die Uraufführung dieser Fassung fand am 6. Dezember 1837 wiederum in Berlin statt. Der erste Akt dieser Version spielt in Mainz im Frühjahr 1194: Kaiser Heinrich VI. ruft zum Krieg gegen Sizilien auf und erneuert die Reichsacht gegen den Sohn Heinrichs des Löwen, den der französische König Philipp August gefangen hält. Vergebens versucht die Pfalzgräfin Irmingard, deren Tochter Agnes die Geliebte des jungen Heinrich ist, dessen Begnadigung zu erreichen. Philipp August, der als Herzog von Burgund inkognito in Mainz weilt, wirbt im Namen des französischen Königs um Agnes. Deren Geliebter ist unterdessen seiner Haft in Frankreich entflohen und erscheint verkleidet als Troubadour in Mainz. Im Gemach von Agnes kommt es nach dreijähriger Trennung zu einem Wiedersehen, das vom Erscheinen der deutschen Fürsten unterbrochen wird, die zu einem Fest zu Ehren des französischen Gesandten laden. Als Heinrich VI. dort die Verlobung des französischen Königs mit Agnes bekannt gibt, der französische Gesandte sich Agnes nähert, tritt Heinrich dazwischen und muss sich zu erkennen geben. Sein Tod scheint beschlossene Sache, auch weil sein Vater, mit den welfischen Truppen bereits am Rhein stehend, dem Kaiser gefährlich nahe kommt. Die Fürsten bestehen allerdings auf ihrem Privileg, über einen der ihren, den Fürsten Heinrich, selbst zu richten. Der zweite Akt beginnt im Gefängnis Heinrichs. Seine von den Fürsten initiierte Flucht scheitert am Eingreifen des verantwortlichen Burggrafen. Heinrich wird von Philipp August aufgegriffen, stimmt aber einem Zweikampf als Konfliktlösung zu. Bevor es zu diesem kommt, flieht Heinrich auf Anraten der Fürsten, die von der Absicht des Kaisers erfahren haben, ihn umzubringen. Als er auf seiner Flucht in eine Klosterkirche gerät, in der Agnes vom Mainzer Erzbischof beruhigt wird, bittet Irmingard diesen, die beiden zu vermählen. Philipp August und die Franzosen kommen zu spät, die Rivalen geraten aneinander und die feindlichen Parteien können letztlich nur vom Erzbischof, der ein großes Kreuz in die Höhe hält, getrennt werden. Im dritten Akt huldigen deutsche und französische Ritter der vermeintlichen Braut auf dem Vorhof des Klosters. Auf einem Festplatz außerhalb von Mainz eröffnet der Kaiser ein Waffenspiel. Agnes und Heinrich sind auf der gemeinsamen Flucht ergriffen worden, Heinrich muss sich dem französischen Gesandten im aufgeschobenen Zweikampf stellen und besiegt diesen. Als Irmingard die bereits stattgefundene Vermählung bekannt gibt, der Kaiser Agnes zu verbannen droht, klagt die Pfalzgräfin diesen der Willkür an: „Nur ein Tyrann kann glauben, / es sei so leicht, ein Kind der Mutter rauben; / Sie lasse stürzen in ein frühes Grab / Das einz’ge Kind, das ihr der Himmel gab!“ (Raupach 1837, S. 74). Die Anhänger des Kaisers und die deutschen Fürsten stehen einander feindlich gegenüber, als sich Heinrich zwischen die Parteien wirft. Im Moment der höchsten Gefahr erscheint
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ein schwarzer Ritter. Es ist Heinrich der Löwe, der den Sohn befreit, die Stellung des Kaisers aber anerkennt und diesem sogar seine Gefolgschaft anbietet: „Den edlen Sohn nur wollt’ ich mir erringen; / mein ist er wieder: nehmt ihn jetzt zurück. – / Ihr zieht nach Welschland hin zu neuem Streit, / Auch unser Arm sei Euch fortan geweiht“ (ebd., S. 79). Die unterschiedlichen Fassungen von Spontinis Agnes von Hohenstaufen wurden in Berlin bis ins Jahr 1840 insgesamt 19 Mal gespielt. Nur in Halle an der Saale kam es 1829 zu einer Aufführung außerhalb der preußischen Hauptstadt. Danach verschwand die Oper von den Spielplänen und wurde erst 1954 beim Maggio Musicale in Florenz als Agnese di Hohenstaufen in italienischer Sprache wieder aufgeführt und auch mitgeschnitten. Seither gab es immer mal wieder szenische und konzertante Aufführungen bevorzugt in Italien, so in den 1970er Jahren unter der Leitung von Riccardo Muti u. a. mit Montserrat Caballé in der Titelrolle (Mungen 1997b, S. 4). 2018 inszenierte Marc Adam das Stück am Theater Erfurt neu – zum ersten Mal in Deutschland seit 1840. Verdis La battaglia di Legnano wurde nach seiner Uraufführung in Rom am 27. Januar 1849 auch in Italien nur vereinzelt gespielt. Meist waren die Aufführungen an bestimmte politische Ereignisse gebunden oder sie wurden im Zuge von Jubiläen angesetzt (vgl. Grempler 2001, S. 372 f.): 1959 und 2018 spielte man die Oper beim Maggio Musicale in Florenz, 1961 an der Mailänder Scala und 1983 in Rom. Noch seltener sind Aufführungen im Ausland: Szenische Produktionen gab es u. a. 1960 in Cardiff, 1976 in New York und 2013 an der Hamburgischen Staatsoper. Die Handlung spielt in Mailand und Como im Jahr 1176. Alle vier Akte tragen Überschriften: Im ersten Akt („Egli vive!“) trifft Rolando seinen totgeglaubten Freund Arrigo und beide verbünden sich mit den Bewohnern der norditalienischen Städte, um Italien aus den Händen Kaiser Federico Barbarossas zu befreien. In Abwesenheit Arrigos hat dessen Geliebte Lida auf Wunsch ihres Vaters Rolando geheiratet und wird dafür nun von Arrigo mit Vorwürfen überschüttet. Ihre Rechtfertigungen ignoriert er. Zu Beginn des zweiten Aktes („Barbarossa!“) beschwören die beiden Freunde die Bürger Comos, die langjährige Feindschaft mit Mailand zu beenden und gemeinsam gegen die Deutschen zu kämpfen. Als der plötzlich auftretende Barbarossa droht, Como einzunehmen, bekräftigen die beiden Freunde ihren Willen zum Kampf. Im dritten Akt („L’infamia!“) schließt sich Arrigo, dem ein Leben ohne Lida sinnlos erscheint, dem Bund der Todesritter an. Sie versucht ihn davon abzubringen, doch ihr Brief wird abgefangen und an Rolando übergeben. Dieser hatte den Freund gebeten, sich im Falle seines Todes um Lida zu kümmern. Er überrascht die beiden im Turm seiner Burg, verriegelt die Tür, um Arrigos Teilnahme am Kampf zu verhindern, woraufhin sich dieser aus dem
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Fenster stürzt. Der vierte Akt („Morire per la Patria!“) spielt zum Zeitpunkt der Schlacht zwischen Deutschen und Italienern. Lida und die Frauen beten für einen Sieg der letzteren, als die Nachricht eintrifft, dass Arrigo Barbarossa im Kampf geschlagen hat, dabei selbst aber schwer verwundet wurde. Sterbend versöhnt er sich mit Rolando, nachdem er zuvor Lidas Unschuld beteuert hat. Salvadore Cammarano schrieb das Libretto auf der Grundlage des 1828 uraufgeführten Schauspiels La Bataille de Toulouse von Joseph Méry, das er durch Aufführungen in Neapel kennen gelernt hatte. Es spielt zur Zeit der napoleonischen Kriege, wobei die „historischen Ereignisse […] lediglich den Hintergrund für den privaten Konflikt bilden“ (ebd., S. 370) und deshalb problemlos durch den Konflikt der Lombardischen Städte gegen Kaiser Friedrich I. Barbarossa ersetzt werden konnten.
II Historische Schichten Die jüngere der beiden Staufer-Opern aus dem zwanzigsten Jahrhundert ist Detlev Glanerts Der Spiegel des großen Kaisers. Sie wurde nach der Uraufführung am Nationaltheater Mannheim in der Regie von Peter Theiler im Jahr 1995 noch zweimal inszeniert: 1997 in Mönchengladbach und 2005 am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen. Die knapp zweistündige Oper war das erste größere Werk Detlev Glanerts für das Musiktheater. Mittlerweile ist er mit Stücken wie Joseph Süß (UA 1999), Caligula (UA 2006) und Solaris (UA 2012) als Opernkomponist etabliert. Auch wenn die von Glanert vertonten Libretti meist auf literarische Vorlagen zurückgehen – im Falle des Spiegels des großen Kaisers ist das die gleichnamige Novelle von Arnold Zweig aus den Jahr 1926 – können die Bühnenadaptationen nicht als Literaturopern im engeren Sinne bezeichnet werden, handelt es sich dabei doch nicht um die Vertonung eines (gekürzten) Schauspieltexts. Aus den 17 Kapiteln der Novelle haben die beiden Librettisten, Glanert selbst und der Regisseur Ulfert Becker, einen Prolog und 14 Szenen gemacht, die auf zwei Akte verteilt sind. Sie folgen dabei nicht dem Aufbau der Novelle von Zweig, die sich sehr stark am aristotelischen Dramenmodell orientiert, sondern entwarfen „ein ziemlich eigenständiges ‚Skelett‘ für die Dramaturgie der Oper“ (zitiert nach Gostomzyk 2009, S. 122), übernahmen allerdings teilweise den Originaltext der Novelle. Die Handlung spielt in Rom und Palermo um Ostern des Jahres 1235. Als der 95-jährige Papst erfährt, dass der von ihm gebannte Kaiser das Osterfest feiern will, verflucht er ihn und alle seine Nachkommen. Zur Ablenkung lässt sich der Kaiser, den diese Nachricht mittlerweile erreicht hat, das neue Geschenk seines arabischen Freundes Elkamil bringen: einen Spiegel, mit dessen Hilfe man in die
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Zukunft sehen kann. Er lässt sich das Geschick seines Hauses zeigen und muss in der Vision des Spiegels die öffentliche Hinrichtung seines Enkels mitansehen. In größter Verzweiflung hört er einzig noch auf seinen Leibarzt Elieser, der ihm vorschlägt, sich von Rabbi Meir die untere Welt von Palermo zeigen zu lassen. Als ihm der Armenarzt das ganze Elend seiner Stadt zeigt, wird der Kaiser von drei „Kriegskrüppeln“ gezwungen, eine vierte und letzte Vision anzusehen: In alptraumhaften Bildern sehen alle die Schlacht von Verdun im Jahr 1916. Der Kaiser beschließt, den Spiegel zu ignorieren und den vergangenen Tag zu vergessen, ahnt aber, dass seine Zeit abgelaufen ist. Die historische Folie der Novelle Zweigs bzw. der Oper Glanerts bildet der Konflikt zwischen Friedrich II. und Gregor IX. Im Jahr 1239 wurde der Kaiser ein zweites Mal vom Papst gebannt, damit ist die Datierung im Libretto, die aus der Novelle übernommen wurde, falsch. Glanert und Becker übernehmen diese Angabe trotzdem und zeigen damit, dass die Historizität der Handlung zweitrangig ist. Überhaupt lässt sich eine „weitgehende Enthistorisierung des Textes in Raum-, Zeit- und Erzählstruktur feststellen, die mit einer Beschränkung des Personals und der Typisierung fast aller Figuren einhergeht“ (ebd., S. 145). Formen der Spiegelung finden sich auf den verschiedensten Ebenen, nicht nur auf derjenigen der Personen: Die Rolle des Papstes und des Kaisers etwa werden von einem einzigen Sänger übernommen. Spiegelbildlich sind die Szenen um eine Mittelachse zwischen der siebten und achten Szene angeordnet und auch auf den verschiedenen „musikalischen Ebenen“ finden sich „eigene Spiegelformen“ (ebd., S. 174): z. B. im Bereich der Instrumentation, der Motivik und der Tonarten. Carlo Galantes zweiaktiger Corradino, konzertant uraufgeführt im Jahr 1991 in Bologna, orientiert sich zwar an den historischen Ereignissen um den jungen Konradin, der mit seinem Freund Friedrich nach Italien zieht, sich in Rom zum Kaiser krönen lässt, in der Schlacht von Tagliacozzo von Karl von Anjou geschlagen und schließlich in Neapel hingerichtet wird, doch interessiert den Librettisten Giuseppe Di Leva weniger das Scheitern Corradinos als vielmehr das Erwachsenwerden zweier Jugendlicher, das in Korrelation zum Italien-Feldzug gesetzt wird. Dafür konfrontiert er die von einem Sopran und einem Mezzosopran gesungenen Protagonisten Corradino und Federico mit verschiedenen, meist von Männerstimmen gesungenen oder gesprochenen Figuren. Der Librettist erklärt dazu, dass er zwar die ‚wahre‘ Geschichte von Corradino erzähle, aber so, „come se vera non fosse, ma fosse, appunto, come ‚fiaba‘, (usando le tecniche di quel tipo di narranzioni, usando qua e là rime volutamente facili, compiendo molti riferimenti e molte allusioni a mondi diversi, non ultimo quello della musica leggera e quello dell’Operetta)“ (zitiert nach Verti 2001, S. 7). Der 1959 in Trient geborene Carlo Galante gehörte lange zu einer Gruppe italienischer Komponisten, die sich
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selbst als „neoromantica“ (ebd., S. 6) bezeichnete. Dabei erinnert der konstruktivspielerische Umgang mit musikalischen Materialien im Corradino ebenso an die neoklassizistischen Werke Igor Stravinskijs wie an Paul Hindemith. 1 Manfred Der in der Schlacht bei Benevent gefallene uneheliche Sohn Friedrichs II. ist Protagonist gleich dreier italienischer Opern, die zwischen 1872 und 1884 zur Uraufführung kamen. Sie tragen alle den Titel Re Manfredi, sind geschrieben von weitestgehend unbekannten Komponisten, deren Librettisten kein größeres Interesse an den historischen Ereignissen um Manfred haben. In den Opern von Achille Montuoro (1836–?), Carlo Sessa (1843–1919) und Andrea Casalini (1825–1859) geht es in erster Linie um Freundesverrat, Liebe und Eifersucht, die Politik ist nur Dekor. Die Gegenspieler Manfredis sind zwar der Papst und der mit ihm verbündete Karl von Anjou, die beide nicht zum Personal der Opern gehören, doch sind die privaten Konflikte interessanter: Bei Casalini (Re Manfredi o. J.) wird Manfredi vom Gatten seiner Schwester verraten, der den Geschwistern ein inzestuöses Verhältnis unterstellt, bei Sessa (Golisciani 1884) intrigiert der Conte di Caserta gegen Manfredi, weil dieser ein Verhältnis mit Casertas Gattin hatte, und bei Montuoro (Montuoro 1872) stellt sich eben jener Conte di Caserta gegen Manfredi, weil dieser ihm seine Tochter Bianca nicht zur Frau gibt. Im Jahr 1866, „inmitten von Krieg und Pestilenz“ (Reinecke 2005, S. 138) komponierte der Leipziger Gewandhauskapellmeister Carl Reinecke (1824–1910) einen fünfaktigen König Manfred auf einen Text seines Freundes Friedrich Roeber (Roeber o. J.). Die Uraufführung fand am 26. Juli 1867 in Wiesbaden statt, es folgten Aufführungen in Leipzig und in St. Petersburg. In seiner Autobiographie schreibt Reinecke: Ohne Zweifel hatte die Handlung in ihrer ersten Fassung neben vielen Vorzügen auch große Mängel, namentlich, weil Manfred nicht genügend als Held, sondern zu einseitig als Lüstling gezeichnet ist. Später ist dieser Mangel auf meinen Wunsch und nach meinen Angaben von Heinrich Laube wesentlich behoben worden. Leider ist der Text dem Erfolge des Werkes auch dadurch hinderlich gewesen, daß ein hoher katholischer Würdenträger als fanatischer Eiferer und ferner ein Nonnenraub auf die Bühne gebracht wurden. Das verschloß mir sofort die Bühnen von Dresden und Wien, die die Partitur schon eingefordert hatten. Zwar wurde auch diesem Übelstande abgeholfen, indem aus dem Kardinal ein päpstlicher Legat, aus der Nonne Ghismonde eine Büßerin wurde, aber es war zu spät. Als die Neubearbeitung erschien, war ‚König Manfred‘ längst keine Novität mehr. Inzwischen faßten Wagners Werke immer mehr Fuß und eroberten sich in kurzer Zeit sämtliche Bühnen. (Reinecke 2005, S. 138 f.)
In den Jahren zwischen 1841 und 1843 arbeitete eben dieser Richard Wagner an einem Operntext, der über das Stadium eines Prosaentwurfs nicht hinauskam.
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Personenzentrierte Stoffe
In den ersten Skizzen aus dem Jahr 1841 trägt die Oper noch den Titel Manfred; im 1843 geschriebenen Entwurf, der 1889 in den Bayreuther Blättern veröffentlicht wird, heißt sie Die Sarazenin (zur Entstehungsgeschichte vgl. Zegowitz 2000, S. 103–111). Die Beschäftigung mit dem Stauferkönig Manfred ist auf Wagners wiedererwachtes Interesse an der deutschen Geschichte zurückzu führen: Zunächst war mir Raumers Geschichte der Hohenstaufen zur Hand; alle großen Gestalten, denen ich da begegnete, lebten leibhaftig vor mir auf, und namentlich fesselte mich der geistvolle Kaiser Friedrich der Zweite, dessen Schicksale meine höchste Teilnahme erweckten und welche darzustellen ich vergeblich die geeignete künstlerische Form suchte; wogegen mir in dem Schicksale seines Sohnes Manfred ein eher zu bewältigendes Widerspiel von dem Wesen nach ziemlich gleicher Bedeutung aufging. (Wagner 1994, S. 221)
Damit nennt Wagner gleichzeitig seine Hauptquelle, nämlich Friedrich Raumers Geschichte der Hohenstaufen, an der er sich bei der Gestaltung des Stoffs auch weitgehend orientierte. Wagner verbindet private und politische Handlung in dialektischer Kontrapunktik. Die politische Handlung entwickelt er mit wenigen Ausnahmen Raumers Darstellung folgend, die private, eine Dreiecksbeziehung zwischen Manfred, Fatime und Nurredin, fügt er dem geschichtlichen Stoff hinzu: Der Sohn Friedrichs II., Manfred, verliebt sich in eine jugendliche Sarazenin, die ihn drängt, das Reich seines Vaters zu restaurieren. Auf dem Höhepunkt seiner politischen Laufbahn wird Fatima, die Sarazenin, von ihrem eifersüchtigen Geliebten Nurredin erstochen und gibt sich in diesem Moment als Schwester Manfreds zu erkennen. Die Dialektik der Handlung besteht darin, dass Manfred, indem er Fatimas Weisungen befolgt, um dadurch ihre Liebe zu gewinnen, seine Herrschaft zwar ausbauen kann, sich aber immer weiter von Fatima entfernt, die sich ihm durch die Heirat mit Nurredin gänzlich entzieht. Der persönlich größten Niederlage, dem Verlust Fatimas, steht der politische Triumph gegenüber, die Krönung in Neapel. Die politische Handlung beginnt damit, dass Fatima an Manfreds Hof kommt, um diesen aus seiner Lethargie zu reißen. Daraus resultiert aber auch die private Handlung: Manfred entdeckt seine Liebe zu Fatima, die unweigerlich zum Konflikt mit Nurredin führen muss. Die heimliche Hauptfigur des Entwurfs ist allerdings Kaiser Friedrich II., der zwar nur in einer träumerischen Vision Manfreds erscheint, dessen von Toleranz geprägte Hofhaltung der Sohn aber nachzuahmen sucht. „Der von Wagner favorisierte Friedrich-Mythos“, den er in seinem fragmentarischen Essay Was ist deutsch? konkretisiert und der konträr zu den Einschätzungen der deutschen Historiker im neunzehnten Jahrhundert steht, „weist voraus auf den Kult des Kaisers im George-Kreis, gipfelnd in der Biographie von Ernst Kantorowicz“ (Borchmeyer 2017b, S. 20).
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„Mit der ‚Sarazenin‘ war ich im Begriffe gewesen […], eine große fünfaktige ‚historische‘ Oper zu verfertigen“, schreibt Wagner in der Mittheilung an meine Freunde (Wagner 1914 Bd. 4, S. 272) und nicht nur stofflich hätte sich das Stück in die Tradition der grand opéra eingereiht: Der Entwurf weist fünf Akte auf, in denen der Akzent weniger auf den Arien als auf den großen Chor- und Ensembleszenen liegt. Die einzelnen Szenen, in sich wiederum gesteigert, sind scharf voneinander abgesetzt und führen zum jeweils großen Aktfinale. Auch die Aktschlüsse steigern sich bis zum letzten Finale. Die Kontrastdramaturgie der grand opéra – nicht nur die einzelnen Szenen setzen sich voneinander ab, auch innerhalb der Szenen lassen sich scharfe Kontraste nachweisen – wäre auch musikalisch realisiert worden (Zegowitz 2000, S. 120 f.). Die Partie der Fatima war zugeschnitten auf die Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient. Als diese das Interesse an der Oper verlor, beschloss Wagner, den Entwurf nicht auszuarbeiten, nutzte ihn aber als ‚Steinbruch‘ für seinen Tannhäuser (→ Dichter und Sänger; ebd. 138–141). 2 Agnes von Hohenstaufen Das Sujet um Agnes von Hohenstaufen, das in den 1830er Jahren noch den Stoff für eine „große historisch-romantische Oper“ geliefert hatte, öffnete sich am Ende des neunzehnten Jahrhunderts für komische Elemente. Der österreichische Komponist Alfred Zamara (1863–1940) nennt seine Welfenbraut, uraufgeführt 1894 am Hamburger Stadttheater, zwar ganz neutral „Oper“, doch ist deren Textdichter Richard Geneé einer der bedeutendsten Operetten-Librettisten seiner Zeit. Und gerade im ersten Akt dieser Version des Agnes-Stoffs überwiegen die komischen Einlagen. Die Gefahr eines Krieges fürchtet niemand: „Nach Mainz hin, zum Kaiser, / Zieht lustig uns’re Schaar. / Wohl gibt’s dort auch Hader, / Doch keine Kriegsgefahr!“ (Tull / Genée o. J., S. 4), eher schon die einer Hochzeit mit einem ungeliebten Mann: „Hochzeit sollten heut’ wir machen, / Ich hielt still, wie’s meine Pflicht; / Wenn jetzt anders steh’n die Sachen, / Bin ich d’rüber traurig nicht (ebd., S. 17)!“ In der Aneinanderreihung komischer, sentimentaler und konfliktreicher Situationen werden zwar die komischen im Verlauf der Oper zurückgedrängt, doch bleibt das zentrale Thema die Liebe, die auch den Loyalitäts-Konflikt zwischen Heinrich dem Löwen und seinem Sohn Heinrich dem Schönen bestimmt. Am Ende unterwerfen sich sowohl Heinrich der Löwe als auch Kaiser Heinrich VI. dem Diktat der Liebe und schließen Frieden miteinander. In der gleichnamigen Oper von Friedrich Ernst zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg (1837–1915), uraufgeführt im Jahr 1879 in Graz, legt der Komponist und Librettist in Personalunion zwar Wert auf Historizität: „Die Handlung spielt um das Jahr 1194 […] und ist historisch“ (Wittgenstein [ca. 1879], S. 2), bezeichnet seine Komposition aber ‚nur‘ als „große romantische Oper“. Die Bezeichnung
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„groß“ bezieht sich auf die Rezitative, das „romantische“ wird realisiert durch Prophezeiungen, Erscheinungen und Träume. Das historische Geschehen bildet allerdings nur notdürftig den Rahmen, auch wenn am Ende die Versöhnung zwischen Staufer und Welfen gefeiert wird. Was diese herbeigeführt hat, ist einzig und allein die Liebe: „Allmächtig ist die Liebe, / Sie führt in uns das Wort. / Hoch über alle Schranken / Führt Liebe fort“, singen Heinrich, Agnes und Irmgard und der Chor ergänzt: „Die feindlichen Parteien / Vereinigt deren Kuß, / Ein bräutliches Umarmen / Ist Deutschlands Friedensschluß“ (ebd., S. 38). Wittgensteins Welfenbraut bietet eine tief im bürgerlichen neunzehnten Jahrhundert verwurzelte Familiengeschichte im Gewand einer Mittelalteroper. Der Kaiser ist dabei nur Randfigur. Im Zentrum stehen innerfamiliäre Konflikte um die sich liebenden Kinder Agnes und Heinrich und deren Beziehungen zu den Eltern. Irmgard ist eine sich für die Tochter aufopfernde Mutter, der Pfalzgraf ein gutmütig-verständiger Vater. Nur Heinrich der Löwe verharrt anfangs in veralteten Ehrbegriffen, bevor auch er von Irmgard von der Rechtmäßigkeit der Ehe zwischen Agnes und Heinrich überzeugt wird: „Wer darf mein Kind umarmen / Und küssen allzumal? / Kein Anderer, beim Himmel, / Als nur sein Eh’gemahl. / Er hat dazu sich selber / Gemacht mit Herz und Mund, / Und gleich soll auch die Kirche / Besiegeln ihren Bund“ (ebd., S. 26). Und selbst der Kaiser akzeptiert schließlich, dass das „Frauenwort“ dem „Fürstenwort“ (ebd., S. 35) verwandt ist, und schließt Frieden zwischen den verfeindeten Häusern. Ebenso wie Wagner griff auch Ernst Raupach, Librettist von Spontinis Agnes von Hohenstaufen, auf die Darstellung Raumers zurück. Raupach war von 1817 bis 1823 Professor für allgemeine Weltgeschichte an der Universität in St. Petersburg, hatte sich anschließend in Berlin niedergelassen und wurde durch die Gunst des preußischen Herrscherhauses zu einem der meistgespielten Dramatiker. Seine über 100 Historiendramen, Tragödien und Komödien dominierten das Repertoire sowohl der Königlichen Schauspiele als auch des Königsstädter Theaters. Mit der Aufführung von Heinrichs Tod begann im Jahr 1830 ein sechzehnteiliger Hohenstaufen-Zyklus, mit dem der Autor ein nationales Theater begründen wollte. Der Beginn der Beschäftigung mit dem Libretto fällt allerdings bereits in das Jahr 1826 und damit deutlich vor die Zeit der Ausarbeitung des dramatischen Großprojektes. Auch wenn dem Berliner Historiker Raumer keine Beteiligung bei der Auswahl des Hohenstaufensujets nachzuweisen ist – Spontini stand mit ihm immerhin in schriftlichem Kontakt – lag die Wahl des äußerst populären Stoffs nahe, auch weil der Komponist diese in Absprache mit der Generalintendanz treffen musste. Zur königlichen Hochzeit im Mai 1827 war dann nur der erste Akt fertig (Raupach 1827), der ganze zweieinhalb Stunden dauerte, aber zumindest die Ankündigung der Vermählung umfasste und Gelegenheit „zu Aufzügen, Turnieren und anderem Schauwerk“ bot (Ernst Raupach an Karl Graf von Brühl, 7.12.1826, zitiert nach
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Rösch 2002, S. 89). Für die zweite Aufführung, diesmal anlässlich der Hochzeit des preußischen Prinzen Wilhelm mit Augusta von Sachsen-Weimar im Jahr 1829, erweiterte Spontini die ursprüngliche Version um einen dritten Akt. Raupach war bereits bei dieser Fassung nicht mehr der alleinige Librettist. Einige Szenen wurden verschoben, andere erweitert, wie etwa die Schlussszene des zweiten Akts, die mit ihrer doppelchörigen Struktur das Kirchenbild zum „spektakulären Höhepunkt des gesamten Stückes werden“ ließ (Mungen 1997a, S. 86). Doch das „lyrische Drama in drei Akten“ war noch nicht die große historische Oper, die Spontini vorschwebte, „zu sehr stand die Liebesintrige im Mittelpunkt der Handlung und ihr Zusammenhang mit dem historischen Hintergrund, der Auseinandersetzung zwischen Hohenstaufen und Welfen, blieb eher zufällig“ (Wildgruber 2001, S. X). Zur großen Versöhnungsgeste zwischen Staufern und Welfen in der Person Heinrichs VI. und Heinrichs des Löwen kommt es in dieser Fassung nämlich noch nicht (zu den verschiedenen Fassungen vgl. Dahlhaus / Miller 2007). Eine Konfrontation zwischen dem Kaiser und den deutschen Fürsten wird abschließend dadurch vermieden, dass sich der Sohn Heinrichs des Löwen, dem dank der Hilfe der Kaiserin die Flucht gelungen war, zu erkennen gibt, der französische König alle Ansprüche auf Agnes aufgibt und der von allen Seiten bedrängte Kaiser gar keine andere Möglichkeit hat, als der Hochzeit zwischen Heinrich und Agnes zuzustimmen. Nur ansatzweise ist musikalisch die Nummernstruktur aufgebrochen, etwa im Kerkerbild und in den Finali (Mungen 1997a, S. 87). Erst im Dezember 1837 erfolgte die Uraufführung der endgültigen dritten Fassung, jetzt als „große historisch-romantische Oper“ (Spontini 2001). Spontini reagierte damit auch auf Werke wie Daniel-François-Esprit Aubers La Muette de Portici (UA 1828) und Gioachino Rossinis Guillaume Tell (UA 1829), die am „Beginn einer neuen Phase in der Geschichte der historischen Oper“ stehen (Döhring / Henze-Döhring 2006, S. 125). Durch die Einführung der Figur Heinrichs des Löwen wird der Konflikt zwischen Staufern und Welfen stärker konturiert und dadurch die Liebeshandlung in die politische integriert. So ließ sich im Finale des 3. Aufzugs die Eheschließung zwischen Agnes und dem jungen Heinrich von Braunschweig – entgegen den historischen Fakten – als festliche Aussöhnung zwischen Welfen und Hohenstaufen darstellen, die durch die Einbeziehung des französischen Königs zugleich auch noch eine Perspektive auf eine gleichsam übernationale europäische Friedensordnung eröffnete. (Wildgruber 2001, S. X.)
Verantwortlich für die dramaturgische Stringenz des Librettos war Karl August von Lichtenstein, Regisseur der Inszenierungen von 1827 und 1829 und daneben tätig als Librettist, Komponist, Intendant und Regisseur. Die szenische Couleur locale verband Spontini von Fassung zu Fassung immer stärker mit einer musikalischen (vgl. besonders die Kirchenszene; Spontini 2001, S. 483–587b), die Struktur der
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Nummernoper scheint kaum mehr durch, das Tableau dominiert. Insgesamt aber ist Spontinis Agnes von Hohenstaufen ein „Werk des Übergangs: einerseits noch letzter Ausläufer der klassizistischen Oper in der Nachfolge von Spontinis eigenem Fernand Cortez […], andererseits bereits Vorbote der neuen nationalromantischen Tendenzen des Genres“ (Döhring / Henze-Döhring 2006, S. 270). Die früheste musiktheatrale Version der Agnes-Episode ist Joachim Meiers Die siegende Großmuth aus dem Jahr 1693, die mit der Versöhnung von Staufern und Welfen endet und dem Autor eine Anstellung am Göttinger Gymnasium verschaffen sollte (Seebald 2009, S. 124–126). 3 Konradin Neben der in den 1860er Jahren entstandenen Konradin-Oper von Heinrich Urban (1837–1901) auf einen Text des Musikwissenschaftlers Ludwig Bußler, deren Aufführung jedoch nicht nachgewiesen werden kann, hat der 1879 in Stuttgart uraufgeführte Konradin von Schwaben des Komponisten Gottfried Linder (1842–1918) eher regionale Bedeutung. Den Text für die Oper ihres Musiklehrers schrieb Herzogin Wera von Württemberg mithilfe Ernst Pasqués, eines geübten Librettisten, der bereits den Text zu Friedrich Marpurgs Agnes von Hohenstaufen (UA 1874) verfasst hatte. Das Libretto zur vieraktigen Oper Linders, die immerhin 1894 nochmals aufgeführt wurde, basiert auf dem in der 1850er Jahren publizierten historischen Roman Louise Pichlers Der letzte Hohenstaufe. Auch Ferdinand Hillers (1811–1858) Konradin, der letzte Hohenstaufe hat eine überschaubare Aufführungsgeschichte. Die fünfaktige Oper wurde 1847 in Dresden uraufgeführt und dort noch ein paar Mal gespielt; Versuche, sie in Berlin zur Aufführung zu bringen, scheiterten. Textdichter war Robert Reinick, zu dessen Dresdner Freundeskreis seit 1845 neben Hiller auch Wagner und Robert Schumann gehörten. Sein Konradin-Libretto hält sich eng an das letzte von Ernst Raupachs Hohenstaufendramen, den König Konradin. In Anlehnung an Aufführungen von Raupachs Stück ist der Konradin sowohl bei Urban als auch bei Hiller eine Hosenrolle, die in der Uraufführung 1847 von Wagners Nichte Johanna gesungen wurde. In Bregenz am Bodensee (Akt I) beklagt der junge Konradin resigniert den Niedergang des Staufischen Geschlechtes. Von Friedrich von Baden, seinem Schlosswart Kunz und dem italienischen Grafen Frangipani animiert, entschließt er sich, nach Italien zu ziehen, den Thron der Väter wieder zu besteigen und die von Karl von Anjou unterdrückten Italiener zu befreien: „Mach’, Wälschland, weit die Pforten auf! / Es zieht daher der Hohenstauf, / Der König fromm und treu und werth, / Für dich schwingt er der Väter Schwert! / Dem Rechte beut er Wehr und Schutz, / Der List und Bosheit beut er Trutz“ (Reinick [1847], S. 13). In Rom (Akt II) gelingt es Konradin auch mithilfe Frangipanis, die streitenden Ghibellinen und
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Guelphen zu versöhnen, um vereint gegen den französischen Usurpator vorzugehen. Konradin verliebt sich während der dortigen Feierlichkeiten in die Tochter Frangipanis. Dank einer List gewinnt Karl von Anjou die entscheidende Schlacht bei Tagliacozzo (Akt III); Konradin, Friedrich und Kunz entkommen nur knapp der Gefangennahme. Auf dem Schloss Frangipanis (Akt IV) beklagt dessen Tochter die Niederlage Konradins, während der Vater den Verrat an ihm in Erwägung zieht. Als Konradin dort erscheint und ihn um Hilfe bittet, lässt er ihn festsetzen und an Karl ausliefern. In Neapel (Akt V) warten Konradin, Friedrich und Kunz auf ihre Verurteilung, aber auch Frangipani kommt in Haft. Den Bitten des Volkes verschließt sich Karl: Er lässt die drei Deutschen hinrichten. Richard Wagner unterstellt Hiller und Reinick, dass sie im Konradin „Tendenzen und Effekte [s]eines ‚Rienzi‘ mit denen [s]eines ‚Tannhäuser‘ auf eine für Dresden besonders glückliche Weise kombiniert zu haben vermeinten“ (Wagner 1994, S. 368). Die Befreiung von allen negativen Charakterzügen rücken Konradin in die Nähe des Wagnerschen Rienzi. Er ist ein völlig ungebrochener Charakter, der in einem missionarischen Akt das Erbe der Väter zurückerobern möchte, um damit dem Volk zu helfen. Und wenn Reinick ihn am Schluss der Oper in der „Mitte der Bühne“ zum Volk gewendet singen lässt: „Nur für das Recht, für deine Freiheit nur / Zog ich das Schwerdt“ (Reinick [1847], S. 63), verbindet er in ihm die Forderung der Vormärz-Liberalen nach einer Verfassung und Volksvertretung mit dem Erbkaisertum. Die Lichtgestalt Konradin ist damit ein Vorbild, dem der Usurpator Karl gegenübergestellt wird: Der bricht sein Wort, verachtet das Volk und erinnert damit wiederum an den preußischen König Friedrich Wilhelm IV., der sein Verfassungsversprechen nicht eingehalten hat und die ihm im April 1849 von der Frankfurter Nationalversammlung, also der Volksvertretung angetragene Kaiserkrone ablehnte. Mit feierlichen Märschen, Festzügen, Balletteinlagen, Trinkliedern, Massenszenen etc. bietet das Libretto szenisch alles auf, was eine große Oper musikalisch umsetzen musste. Reinick arbeitete bis zu seinem Tod an einer vieraktigen Version der Oper. Die im „Sujet begründete[n] auffallende[n] Schwächen und Fehler“ hatte Wagner ihm während der vierten Aufführung in Dresden nachgewiesen (Wagner 1994, S. 369). Die ersten Konradin-Opern entstanden am Beginn des neunzehnten Jahrhunderts. Wenzel Müllers Konradin von Schwaben wurde allerdings nicht vollendet und Conradin Kreutzers (1780–1849) Conradin von Schwaben von der Zensur in Wien zurückgewiesen. Im Jahr 1812 wurde letzterer ein einziges Mal in Stuttgart aufgeführt, nachdem Carl Borromäus Weitzmann das Libretto überarbeitet hatte (Weitzmann 1812) und Kreutzer designierter Hofkapellmeister geworden war. Der Stoff ließ den Komponisten allerdings nicht los. Ob die Veränderung des eigenen Namens von Konrad in Conradin (vgl. den entsprechenden Matrikeleintrag der Universität Freiburg) ein Zeichen der Begeisterung für den Stauferkönig ist, sei
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dahingestellt. Auffällig ist jedoch, dass Kreutzer in den 1840er Jahren, aber noch vor den revolutionären Ereignissen, noch einmal auf den Stoff zurückgriff. Berndt von Guseck (d. i. Karl Gustav von Berneck) schrieb ihm den Text zu einer Oper, die allerdings nie aufgeführt wurde, deren Tendenz aber aus einem Brief Kreutzers an Ernst Pasqué vom 12. März 1848 hervorgeht: Doch was sagen Sie zu Deutschlands Erhebung, Erwachen? Gränzt das nicht an ein Wunder aus tausend und einer Nacht? […] Ich habe im September eine ganze große Oper […] fix und fertig komponiert […]. Die Oper heißt König Konradin, in 4 Akten und recht zeitgemäß, vaterländisch, deutschthümlich bearbeitet. (Handschriften 2000, S. 293)
Hätte Verdi eine historische Oper mit Kaiser Friedrich I. im Zentrum schreiben wollen, hätte sich die Schlacht von Legnano zwar ebenfalls angeboten – kam es vor dieser doch zu dem berühmten Fußfall Barbarossas vor Heinrich dem Löwen, weil der ihm die Gefolgschaft aufgekündigt hatte –, doch ist der Staufer nur eine Randfigur in Verdis Oper und Heinrich der Löwe gehört nicht einmal zu deren Personal. Der Librettist Cammarano legte zwar Wert auf einzelne historische Details, geht aber insgesamt sehr frei mit dem Stoff um. Der Bund der lombardischen Städte und die historischen Ereignisse um die Schlacht von Legnano im Mai 1176 waren ein im neunzehnten Jahrhundert beliebtes Sujet, war dieser Krieg doch ein „Gleichnis auf die als unwürdig empfundene Situation eines von Österreich regierten Italien“ (Pauls 1997, S. 16). In Verdis Oper sind privater und politischer Konflikt untrennbar miteinander verbunden. Die Freundschaft Arrigos und Rolandos ist ein Resultat gemeinsamer Kriegserfahrungen. Nachdem jene im Verlauf der Oper mehrfach auf die Probe gestellt wurde, überzeugt Rolando ein Argument von der Unschuld seines Freundes: „Chi muore per la patria / Alma sì rea no ha!“ (Verdi 1975, S. 222; „Wer für das Vaterland stirbt, / dessen Seele kann nicht wirklich schuldig sein!“). Das Übergewicht der Liebesgeschichte, das mancher Rezensent als Hindernis für die Verbreitung der Oper – da sie vom großartigsten italienischen Thema wegführen würde – sah, ist aber nicht dafür verantwortlich, dass Verdis La battaglia di Legnano kein Repertoirestück geworden ist. Eher liegt das an dem allzu plakativ dargestellten Patriotismus (Grempler 2001, S. 370). Verdis Konzept eines musikalischen Dramas, das die Beziehungen von Menschen in den Mittelpunkt stellt – auf La battaglia di Legnano folgen Opern wie Luisa Miller und Stiffelio –, wird hier noch einmal überlagert von monumentalen Chorensembles, etwa dem unmittelbar nach der Ouvertüre gesungenen patriotischen Chor „Viva Italia“, sowie martialischen Märschen, auch wenn der Musik immer wieder der Wille zum Fortschritt anzuhören ist (ebd., S. 371 f.).
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4 Heinrich der Löwe Zwar steht Edmund Kretschmers 1877 in Leipzig uraufgeführter Heinrich der Löwe in der Tradition der großen Opern Wagners und Meyerbeers, er entspricht aber nicht dem Bild, welches sich das vereinte Deutschland nach 1870/71 von seinem Gegenspieler Friedrich I. machte. Während Historiker wie Wilhelm von Giesebrecht dessen Italienfeldzug rechtfertigten, nämlich des Zusammenhalts des Reichs willen (Borst 1977, S. 272), nimmt Kretschmer Partei für Heinrich und verurteilt die Italienpolitik Friedrichs I. Ebenso positiv dargestellt ist der Welfe in Carl David Stegmanns „allegorische[m] Singspiel […] nach einer Geschichte Heinrich des Löwen“ (Schmieder 1792, Titelblatt), das 1792 in Frankfurt zur Krönung Franz II. zum deutschen Kaiser uraufgeführt wurde. Friedrich war dortselbst im Jahr 1152 zum Kaiser gewählt worden, Heinrich der Löwe hatte ihn dabei maßgeblich unterstützt. Die bedeutendste Oper mit Heinrich dem Löwen als thematischem Zentrum wurde allerdings noch einmal gut 100 Jahre früher uraufgeführt, und zwar am 30. Januar 1689 zur Eröffnung des neuen Opernhauses im Schloss von Hannover. Das Libretto des Henrico Leone schrieb der Hofpoet Ortensio Mauro, die Musik komponierte der Hofkapellmeister Agostino Steffani. Die Wahl des Sujets war kein Zufall. Bereits Gottfried Wilhelm Leibniz hatte von Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg den Auftrag erhalten, eine Geschichte der welfischen Dynastie zu verfassen. In seinem Entwurf widmet er Heinrich dem Löwen (um 1129/30-1195) den größten Abschnitt zu einer Einzelperson, denn gerade der schien „aufgrund [seines] einstmaligen Territorialbesitzes und [seiner] politischen Macht die altehrwürdige und einflußreiche Stellung der Welfenfamilie innerhalb des Reichs zu demonstrieren und damit zugleich den Anspruch der Nachkommen auf Rangerhöhung zu unterstützen“ (Seebald 2009, S. 65). Auf den Konflikt zwischen Friedrich I. Barbarossa und Heinrich dem Löwen spielt Mauro nur indirekt an, im wesentlichen verbindet er in seiner Oper die historischen Ereignisse um die Eroberung der Stadt Bardowick durch Heinrich im Jahr 1189 mit Elementen der spätmittelalterlichen Sagentradition um denselben (ebd., S. 79): Nach seiner Pilgerfahrt ins Heilige Land befindet sich Henrico auf der Rückreise (Akt I). Als sein Schiff in Seenot gerät, näht ihn sein Knecht Lindo in eine Tierhaut ein, um ihn vor dem Ertrinken zu retten. Der im Wasser Treibende wird von einem Greifen aufgenommen und davongetragen. Im herzoglichen Palast in Lüneburg wartet unterdessen Metilda auf die Rückkehr ihres Gemahls. Sie wird von Almaro, dem Herzog von Burgund, bedrängt, hält ihrem Gatten allerdings auch nach siebenjähriger Abwesenheit noch die Treue. Alle Versuche, sie vom Tod des Herzogs zu überzeugen, bleiben erfolglos. Henrico hat sich aus der Tierhaut befreien können und tötet die ihn attackierenden jungen Greifen. Auch den zurückkehrenden Greifen erschlägt er und kommt dabei einem Löwen zu Hilfe, der die aus
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dem Nest gefallenen Greifenjungen fressen will. Der Löwe bedankt sich bei seinem Retter, indem er ihn mit Wildbret versorgt. In Lüneburg (Akt II) erfindet Almaro immer neue Intrigen, um die Herzogin umzustimmen. Henrico ist u nterdessen mitsamt dem Löwen auf einer Wolke zum Kalkberg bei Lüneburg geflogen und dort eingeschlafen. Als der Teufel ihn entführen möchte, warnt ihn der Löwe, der dafür in die Luft geschleudert wird. Henrico entfernt sich mit dem Löwen, der Teufel will Krieg und Aufruhr in die Welt bringen. Gerade rechtzeitig kommt Henrico nach Lüneburg (Akt III), um die Heirat zwischen Almaro und Metilda zu verhindern. Er vergibt beiden, erneuert sogar die Freundschaft mit Almaro und zieht mit ihm nach Bardowick, um die Stadt zu erobern. Der unvermittelt in Gefahr geratene Almaro wird durch das Eingreifen seiner früheren Geliebten Idalba gerettet. Er zeigt sich reuig und bitte sie um ihre Hand. Da sie die Tochter Kaiser Friedrichs I. Barbarossa ist, wird am Hofe Heinrichs des Löwen nicht nur Hochzeit gefeiert, sondern ein Ausgleich zwischen Welfen und Staufern angedeutet. Auch wenn der Konflikt zwischen Friedrich I. Barbarossa und Heinrich dem Löwen die Opernhandlung nur grundiert, wird in den Nebentexten die Unrechtmäßigkeit der Verstoßung Heinrichs explizit angesprochen, z. B. in einer im Jahr der Uraufführung separat publizierten Abhandlung, in der alle deutschen Paratexte des Librettos versammelt sind – Paratexte in italienischer, deutscher und französischer Sprache waren dem Druck des Librettos vorangestellt (zum Folgenden ebd., S. 73–81). Dort findet sich das fünfseitige ‚Exposé‘ eines unbekannten Verfassers, in dem dieser nicht nur zur Verteidigung Heinrichs ansetzt, sondern auch auf die historischen Quellen des Librettos eingeht, etwa die von Heinrich Bünting im Jahr 1620 bearbeitete Braunschweigische und Luneburgische Chronica des Heinrich Meibom d. Ä. Weitaus bedeutender ist allerdings die im italienischen „Argomento“ aufgeführte „favola assai celebri e note“ (zitiert nach ebd., S. 79), die sogenannte Heinrichsage. Auf dieser beruht nämlich die Opernhandlung größtenteils, die damit „die Spuren des ambivalenten Geschichtsbildes“ Heinrichs des Löwen „verwischt zugunsten einer durchweg positiven Zeichnung“, ja „Überhöhung zum makellosen Heros und unbezwingbaren gottgefälligen Krieger“ (ebd., S. 123 f.). Steffanis Henrico Leone wurde 1696 in einer deutschen Übersetzung von Gottlieb Fiedler als Hertzog Henrich der Löwe zuerst in Hamburg und 1697 in Braunschweig gespielt. 1701 kam die Oper als Mechtilde in Stuttgart auf die Bühne. 1716 fügte der Braunschweiger Hofkapellmeister Georg Caspar Schürmann seiner Mischfassung aus deutschen Rezitativen sowie deutschen und italienischen Arien unter dem Titel Henrich der Löwe zusätzlich einige musikalische Nummern aus anderen Opern Steffanis (vgl. Thöming 1997, S. 15) und von ihm selbst komponierte Teile ein. Die einzige Aufnahme entstand im Jahr 1986 unter der Leitung von Lajos Rovatkay mit dem Niedersächsischen Kammerorchester.
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Friedrich Raumers in den Jahren 1823–1825 erschienene sechsbändige Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit weckte das literarische Interesse des neunzehnten Jahrhunderts für das Geschlecht der Staufer und wurde zur Quelle der meisten Staufer-Dichtungen. Wilhelm Waiblinger und Zacharias Werner entwarfen Pläne für mehrteilige Darstellungen des Aufstiegs und Niedergangs des ganzen Geschlechtes, Christian Dietrich Grabbe plante einen Zyklus von acht Stücken, vollendete zwei davon und Ernst Raupach schrieb einen sechzehnteiligen Zyklus. Dabei übernahmen viele der literarischen Darstellungen nicht nur die Charakterzeichnungen der Staufer, sondern selbst „Formulierungen und Szenen“ Raumers (Migge 1977, S. 275). Die Konzentration auf einzelne Herrscherfiguren ist bei Raumer, der seine Publikation dem preußischen König widmete, angelegt, schreibt er zwar keine Geschichte der staufischen Herrscher, wohl aber eine „Personengeschichte der Staatsmänner“ (Borst 1977, S. 271). Neben den historischen Quellen wie dem Chronicon Stederburgense, auf das Joachim Meier zurückgreift, oder die Braunschweigische und Luneburgische Chronica, die Ortensio Mauro heranzieht, beide jeweils in Bearbeitungen Heinrich Meiboms d. Ä. aus dem ersten Viertel des siebzehnten Jahrhunderts, ist die literarische Quelle, auf die zumindest der Librettist von Steffanis Oper ‚direkt‘ zurückgreift, die sogenannte Heinrichsage, die am Ende des siebzehnten Jahrhunderts sowohl in mündlicher Form als auch in einer schriftlichen Fassung (Eine schöne alte Histori von einem Fürsten und Herrn Hertzogen zu Braunschweig und Lüneburgk) des gebürtigen Braunschweigers Heinrich Göding rezipiert wurde. Diese Histori „wurde schließlich, über die verschiedenen bearbeitenden Nachdrucke, zur Grundlage für die Fassung der ‚Heinrichsage‘ in Johann Joseph Görres’ Teutschen Volksbüchern und in den Deutschen Sagen der Brüder Grimm“ (Seebald 2009, S. 80).
III Werkliste Henrico Leone „Dramma da recitarsi“ Musik Agostino Steffani
Text Ortensio Bartolomeo Mauro
Uraufführung 30.1.1689, Hannover
Die siegende Großmuth Singspiel Musik Joachim Meier
Text Joachim Meier
Uraufführung 1693, Göttingen [?]
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Heinrich der Löwe „Ein allegorisches Singspiel in zwei Aufzügen“ Musik Text Carl David Stegmann Heinrich Gottlieb Schmieder
Uraufführung 15.7.1792, Frankfurt am Main
Konradin von Schwaben Musik Wenzel Müller
Text [?]
Entstehung 1808–1812 [unvollendet]
Conradin von Schwaben „Tragische Oper in drei Akten“ Musik Conradin Kreutzer
Text Carl Borromäus Weitzmann
Uraufführung 30.3.1812, Stuttgart
Agnes von Hohenstaufen „Große historisch-romantische Oper in drei Aufzügen“ Musik Text Gaspare Spontini Ernst Raupach
Uraufführung 12.6.1829, Berlin
Konradin von Schwaben „Historisch-romantisches Drama in drei Theilen“ Musik Text Carl Eduard Hering Karoline Leonhardt
Uraufführung 8.10.1834, Zittau
Der letzte Hohenstauffe Musik Carl Eduard Hering
Text Ludewig Peter August Lyser
Entstehung 1843
Die Sarazenin Oper in fünf Akten Musik [nicht vertont]
Text Richard Wagner [Prosaentwurf]
Entstehung 1841–1843
Barbarossa oder die Himmelfahrtsnacht im Kyffhäuser „Romantische Oper in vier Akten“ Musik Text Gottfried Hermann Karl Hoffmann
Uraufführung 8.3.1846, Sondershausen
Konradin, der letzte Hohenstaufe „Oper in fünf Akten“ Musik Text Ferdinand Hiller Robert Reinick
Uraufführung 13.10.1847, Dresden
Staufer und Welfen
König Conradin „Oper in vier Akten“ Musik Conradin Kreutzer
Text Berndt von Guseck [d. i. Karl Gustav von Berneck]
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Entstehung 1840er Jahre
La battaglia di Legnano „Tragedia lirica in quattro atto“ Musik Text Giuseppe Verdi Salvadore Cammarano
Uraufführung 27.1.1849, Rom
König Enzio „Große Oper in vier Akten“ Musik Johann Joseph Abert
Text Albert Friedrich Benno Dulk
Uraufführung 5.4.1862, Stuttgart
König Manfred „Oper in fünf Akten“ Musik Carl Reinecke
Text Friedrich Roeber
Uraufführung 26.7.1867, Wiesbaden
Konradin „Große Oper in drei Akten“ Musik Heinrich Urban
Text Ludwig Bußler
Entstehung 1860er Jahre
Re Manfredi „Dramma in due atti ed un prologo“ Musik Text Andrea Casalini [?]
Uraufführung 1872, Genua
Re Manfredi „Tragedia lirica in tre atti“ Musik Achille Montuoro
Text Leopoldo Marenco
Uraufführung 9.1.1874, Turin
Agnes von Hohenstaufen Musik Friedrich Marpurg
Text Ernst Pasqué
Uraufführung 1874, Freiburg im Breisgau
Heinrich der Löwe „Oper in vier Akten“ Musik Edmund Kretschmer
Text Edmund Kretschmer
Uraufführung 8.12.1877, Leipzig
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Personenzentrierte Stoffe
Konradin von Schwaben (Große) Oper in vier Akten Musik Gottfried Linder
Text Wera Herzogin von Württemberg [Bearbeitung: Ernst Pasqué]
Die Welfenbraut „Große romantische Oper in fünf Akten“ Musik Text Friedrich Ernst zu SaynFriedrich Ernst zu SaynWittgenstein-Berleburg Wittgenstein-Berleburg
Uraufführung 19.1.1879, Stuttgart
Uraufführung 1879, Graz
Re Manfredi „Dramma lirico in quatrro atti“ Musik Carlo Sessa
Text Enrico Golisciani
Uraufführung 1884, Mailand
Die Welfenbraut „Oper in drei Akten“ Musik Alfred Zamara
Text Max Tull, Richard Genée
Uraufführung 1894, Hamburg
Corradino „Opera in due atti“ Musik Carlo Galante
Text Giuseppe Di Leva
Uraufführung [konzertant] 28.10.1991, Bologna
Der Spiegel des großen Kaisers „Oper in zwei Akten“ Musik Text Detlev Glanert Detlev Glanert, Ulfert Becker
Uraufführung 23.11.1995, Mannheim
Barbarossa – Das Musical Musik Hans-Ulrich Pohl
Text Gunnar Kunze
Uraufführung 29.6.2012, Adelberg
Barbarossa ausgeKYFFt „Rockerette“ Musik Olav Kröger
Text Manuel Kressin
Uraufführung 10.5.2015, Altenburg
Tamerlan Bernhard Jahn I Präsenz des Sujets Von den rund achtzig Tamerlan-Opern, die zwischen 1689 und der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in den Theatern Europas gespielt wurden, ist heute nur noch Georg Friedrich Händels Londoner Tamerlano (1724) auf den Opernbühnen präsent (Rätzer 2000, S. 106–112). Jährlich gibt es weltweit zwei bis fünf Neuinszenierungen dieses Werkes. Schon im Zuge der ersten Händelopern-Renaissance gelangte Tamerlano 1924 in Karlsruhe auf die Bühne, doch erst die auch auf CD vorliegende Lyon-Göttinger Koproduktion aus dem Jahre 1985 unter Leitung von John Elliot Gardiner wirkte maßstabbildend und verdeutlichte, dass es sich bei Tamerlano um eines der wichtigsten Werke des Musiktheaters nicht nur innerhalb des Händel’schen Schaffens handelt. Von der großen der Zahl der übrigen Tamerlan-Opern wurde im Sog der ab 2000 einsetzenden Renaissance der Opern Antonio Vivaldis immerhin dessen Pasticcio Bajazete (1735) konzertant aufgeführt, ebenso auch Francesco Gasparinis musikdramatisch einzigartiger Bajazet von 1719. Dass sich unter den Tamerlan-Opern noch etliche musikalische Schätze befinden, die eine konzertante oder szenische Aufführung lohnen, sollte nicht eigens betont werden müssen. Gerade die Opernliteratur in den Jahrzehnten um 1800 bedarf insgesamt noch der Wiederentdeckung, und das schließt die Tamerlan-Vertonungen von Johann Friedrich Reichardt, Peter von Winter oder Johann Simon Mayr mit ein. Alle Tamerlan-Opern konzentrieren sich auf den Konflikt zwischen dem mongolischen Herrscher Tamerlan (Timur, 1336–1405) mit dem osmanischen Sultan Bajasid I. Der Sultan war 1402 in einer Schlacht bei Ankara von Tamerlan vernichtend geschlagen und gefangengenommen worden. Die Bearbeitungen des Stoffes vor 1800 konstruieren dabei meist einen tragischen Konflikt zwischen dem gefangenen osmanischen Sultan, seiner Gattin und/oder seiner Tochter einerseits und dem triumphierenden Tataren-Herrscher andererseits, der mit dem Freitod Bajasids endet. In den Opern nach 1800 setzt die Handlung in der Regel nach dem Tod Bajasids ein, und es geht darum, seinen Sohn, den Thronerben, vor der Ermordung durch Tamerlan zu retten. Jede Bearbeitung des Stoffes muss dabei das Bild der beiden Herrscher neu ausbalancieren, wobei der tatarische Herrscher trotz der ihm fast sprichwörtlich anhaftenden Grausamkeit zunächst gegenüber dem osmanischen Sultan positiver erschien. Erst im Verlauf des achtzehnten Jahrhunderts gewann auch die Figur Bajasids verstärkt positive Züge. Insgesamt behandeln die Tamerlan-Opern den Stoff als ernstes, ja sogar tragisches Sujet, https://doi.org/10.1515/9783110424089-011
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und dies ungeachtet der in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts einsetzenden Opera-Buffa-Mode. An dessen Beginn diente der Stoff dazu, neue tragische Opernformen zu erproben. Die Libretti ab 1800 haben mit der historischen Figur Tamerlans nichts mehr zu tun, da nun eine Stofftradition aus dem chinesischen Raum auf den tatarischen Herrscher übertragen wurde.
II Historische Schichten Die im ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts auf den Opernbühnen Europas dominierende Version des Tamerlan-Stoffes geht letztlich auf Voltaires L’Orphelin de la Chine (Paris 1755) zurück. Seine „Tragédie“, eine der frühesten Adaptationen eines chinesischen Stoffes für das europäische Theater, wurde in den 1780er Jahren von Etienne Morel de la Chédeville nach dem Muster der Opern Christoph Willibald Glucks in ein Libretto für den Komponisten Johann Friedrich Reichardt umgearbeitet (Pröpper 1965, Bd. 1, S. 239–254). Dabei tilgte Morel das für Voltaire so zentrale chinesische Kolorit vollständig und verlegte die Handlung, die er unverändert beibehielt, nach Adrianopel (dem heutigen Edirne). Aus Dschingis Khan wird Tamerlan und aus den Chinesen werden Türken. Warum diese Verlagerung der Handlung von China in die Türkei reizvoll oder gar notwendig war, ist schwer zu erklären. Möglicherweise wollte Morel an die in Italien immer noch erfolgreiche Stofftradition der Tamerlan-Opern anknüpfen. Jeglicher Bezug zum historischen Tamerlan und den damit verbundenen Ereignissen wurde auf diese Weise jedoch gekappt. Wie Reichardt selbst berichtet (Reichardt 1787), zerschlug sich aufgrund von Intrigen der Plan einer Aufführung seiner Oper in Paris, sodass sie erst am 16. Oktober 1800 im Berliner Nationaltheater in einer deutschen Version von Johann O. H. Schaum anlässlich des Geburtstags der preußischen Königin aufgeführt werden konnte. Das französische Libretto wurde schließlich von Peter von Winter vertont: Sein Tamerlan gelangte am 14. September 1802 in Paris auf die Bühne, wurde in deutscher Übersetzung aber auch am Stuttgarter Hoftheater gegeben (1815). Erfolgreich war Morels Libretto aber vor allem in Italien (zur Rezeption französischer Opern in Italien nach 1800 vgl. Jacobshagen 2005, S. 79–130): In der Bearbeitung Luigi Romanellis erschien es mit der Musik Johann Simon Mayrs in der Karnevalssaison 1812/13 an der Mailänder Scala unter dem Titel Tamerlano, 1818 mit der Musik von Giovanni Tadolini in Bologna (dort auch 1824 sowie 1825 in Bergamo mit Tadolinis Musik unter dem Titel Moctar Gran Visir di Adrianopoli), und als Einakter mit der Musik von Antonio Sapienza 1824 in Neapel. Noch 1840 vertonte Pietro Casella den Text (Aufführung nicht belegt).
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Morel rückt in seinem Libretto den Konflikt zwischen staatsbürgerlicher Pflicht und elterlicher Liebe ins Zentrum der Handlung. Moctar, türkischer Großvezir, und seine Gattin Seide, haben den Auftrag, Soliman, den Sohn und Thronfolger des von Tamerlan ermordeten türkischen Sultans Bajazet, zu retten. Da Tamerlan die Hinrichtung des Kindes fordert, ringt sich Moctar dazu durch, „die Stimme der Natur“ (Reichardt 1800, S. 13) zu unterdrücken und seinen eigenen Sohn Ali anstelle Solimans töten zu lassen. Seide, nicht in die Pläne Moctars eingeweiht, kann die Hinrichtung ihres Sohns in letzter Minute verhindern (ebd., S. 18). Tamerlan, der früher in Seide verliebt war, jedoch abgewiesen wurde, begnadigt Ali, fordert aber weiter den Tod des Thronfolgers. Als ein Fluchtversuch Seides mit den beiden Kindern scheitert, wollen sich die beiden Gatten in auswegloser Lage töten, doch Tamerlan erweist sich nun als großmütig, verzeiht und lässt Soliman zum türkischen Herrscher krönen. Während die Berliner Fassung vor allem die Interessen des Staates und Moctar als vorbildlichen Staatsdiener herausstellt („Dies Kind, das ich so herzlich stets geliebt / Hat es dem Staat nicht ehr als uns gehört?“, ebd., S. 24), geht es in den italienischen Fassungen vor allem um die Darstellung innerfamiliärer Beziehungen. So werden die Kinder (stumme Rollen) etwa zur Emotionalitätssteigerung eingesetzt wie in der Szene, als Moctar und seine Gattin voneinander Abschied nehmen: „nell atto che Moct[ar] e Seíd[e] sono per separarsi, i fanciulli distaccandosi da loro vanno spontaneamente ad incontrarsi, si abbracciano, e si baciano“ (Romanelli 1813, S. 10). Das mit Abstand erfolgreichste Tamerlan-Libretto stammt aus der Feder Agostino Piovenes und war für die Karnevalssaison 1710/11 zu einer Aufführung im Teatro San Cassiano zu Venedig mit der Musik von Francesco Gasparini bestimmt. Mit über dreißig Vertonungen bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts (vgl. Sartori 1990–1994), die jeweils auch mit mehr oder weniger starken Bearbeitungen des Textes einhergingen, kann sich Piovenes Erfolg mit dem Apostolo Zenos oder Pietro Metastasios messen. Zusammen mit den Libretti Antonio Salvis steht Piovenes „Tragedia per musica“ im Kontext der italienischen Reformbemühungen um 1700, die sich am Vorbild der klassischen französischen Tragödie orientierten und die Oper der aristotelischen Tragödie anzunähern bestrebt waren (Freeman 1981). So folgt Piovenes Tamerlan-Version eng der französischen Tragödie Tamerlan ou la morte de Bajazet (Paris 1675) von Jacques Pradon. Piovene distanziert sich implizit im Vorwort des Librettodruckes (Venedig 1710) von den Libretti vor 1700, wenn er die historische Überlieferung kritisiert, die behauptet, Bajazet sei in einem eisernen Käfig gefangen gehalten worden und seine Gattin habe nackt an der Tafel Tamerlans bedienen müssen (Piovene 1710, Bl. A3r). Indem er, Pradon folgend, solche und ähnliche Krassheiten meidet, erhöht sich das Decorum
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und eine tragische Behandlung des Stoffes wird auf diese Weise überhaupt erst möglich. Pradon / Piovene konstruieren einen Plot mit einem doppelten tragischen Konflikt: Der Wunsch Tamerlanos, eine Ehe mit der türkischen Prinzessin Asteria einzugehen, löst sowohl in deren enger Beziehung zu ihrem Vater Bajazet als auch in ihrer Liebesbeziehung zu dem griechischen Prinzen Andronico Komplikationen aus. Dadurch werden die Konflikte zwischen ihrem Vater und dem tatarischen Herrscher einerseits, zwischen diesem und Andronico andererseits gesteigert. Die beiden tragischen Konstellationen werden durch eine Intrige geschickt entfaltet, aufgrund derer Asteria glauben muss, Andronico habe Tamerlanos Angebot, anstatt Asteria seine frühere Verlobte Irene zu heiraten, angenommen. Der Konflikt spitzt sich erstmals im zweiten Akt zu, als Asteria vor den Augen des entsetzten Vaters und des überraschten griechischen Prinzen scheinbar auf Tamerlanos Vorschlag eingeht und den Thron besteigt. Erst als sie, einen Dolch vorzeigend, verkündet, dass die erste Tat im Ehebett die Ermordung Tamerlanos gewesen wäre, sind Bajazet und Andronico zufriedengestellt, doch der dramatische Konflikt wird damit unlösbar verschärft. Im dritten Akt entscheidet sich Bajazet, um seine Freiheit zu wahren, für den Suizid und überlässt auch seiner Tochter etwas von dem Gift. Als Asteria gezwungen wird, Tamerlano als Mundschenk bei der Tafel zu dienen, mischt sie das ihr zugeteilte Gift in den Wein für den Tataren, wird aber durch die sich incognito am Hof aufhaltende frühere Verlobte Tamerlanos, Irene, an der Durchführung ihres Plans gehindert. Asteria wird von Tamerlano gezwungen, entweder den Vater oder den Geliebten aus dem vergifteten Kelch trinken zu lassen. Als jene den Kelch selbst leeren möchte, schlägt ihn ihr Andronico aus der Hand. Ein Diener berichtet, dass Bajazet sich mit Gift selbst getötet habe, woraufhin Asteria Tamerlano auffordert, sie nun ebenfalls zu töten. Durch die kathartische Wirkung des fremden Leids ist Tamerlano besänftigt und heiratet Irene, Andronico erhält Asteria. Dies mutet wie ein operntypischer lieto fine an; Piovene jedoch übernimmt im Grunde das Tragödien-Ende Pradons, nur dass bei diesem die ehemalige Verlobte Tamerlanos, Irene (bei Pradon: Araxide), nicht selbst auf der Bühne in Erscheinung tritt. Durch den Auftritt als handelnde Figur bekommt Irene bei Piovene eine wesentlich aktivere Rolle zugewiesen. Piovenes Libretto wurde für eine Aufführung in Reggio Emilia 1719 von Ippolito Zanelli bearbeitet. Zanelli verlegte dabei – und er folgte hierin der französischen Tragödie Pradons (!) – die Sterbeszene Bajazets auf die Bühne (Piovene 1992 [1719], S. 392 f.), sodass die Zuschauer die Agonie des türkischen Herrschers nicht – wie in der französischen Tragödie normalerweise üblich – durch einen Botenbericht erfahren, sondern vor Augen miterleben. Nur der Tod selbst bleibt den Blicken der Zuschauer entzogen: „[Bajazet] va mancando nel ritirarsi dentro la scena, sostenuto sempre da Asteria“ (ebd., S. 393). Die kathartische Wirkung
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von Bajazets Tod auf Tamerlano wird auf diese Weise für die Zuschauer unmittelbar erfahrbar gemacht. Gegenüber den früheren Versionen des Stoffes wertet Piovenes Libretto vor allem die Figur Bajazets auf. Die ihn ganz bestimmende Liebe zu seiner Tochter bringt negative Aspekte wie seinen unbändigen Hass auf Tamerlano und seine Neigung zu Wutausbrüchen mit den positiven Eigenschaften in eine Balance. Die Wahl des Freitods ist sicherlich, wie Reinhard Strohm (1979, S. 103) vorgeschlagen hat, in Verbindung mit stoischen Konzepten zu sehen – von einem Stoiker ist Bajazet wegen der fehlenden Apatheia allerdings weit entfernt. Mit seinem Reform-Libretto entwarf Piovene nicht nur ein Musterbeispiel für eine opera seria-Struktur mit ihrer festen Abfolge von Rezitativen und (Abgangs-) Arien, sondern lieferte, etwa in der Thronbesteigungsszene im zweiten Akt oder in der Tafelszene und der Sterbeszene Bajazets im dritten Akt, umfangreiche Rezitativpassagen, die den Komponisten die Möglichkeit zu eigenständigen musikalischen Lösungen bot. Francesco Gasparinis drei Vertonungen 1710, 1719 und 1723 waren hierbei maßstabbildend, vor allem die Fassung von 1719 (ebd., S. 95–111) mit der Agonie Bajazets, die Gasparini als umfangreichen Accompagnato-Komplex vertont hat (Gasparini 1981 [1719], S. 239). Schon die erste Arie des türkischen Herrschers („forte e lieto andrai“) lotet den Charakter Bajazets in seiner ganzen Komplexität aus, wenn der durchgehend punktierte Rhythmus in den Bässen im Sinne des französischen Stils auf Bajazet als Herrscher, die schnellen Sechzehntel- und Zweiundreißigstel-Figuren in den Violinen auf sein cholerisches Temperament und die mangelnde Affektkontrolle verweisen (ebd., S. 4–7). Georg Friedrich Händel lagen 1724 in London sowohl Piovenes Libretto von 1710 sowie Gasparinis Partitur von 1719 vor, die der Sänger der Partie des Bajazet, der Tenor Francesco Borosini, aus Italien mitgebracht hatte (Dean / Knapp 1987, S. 527–571; Gardner 2009). Händel orientierte sich deutlich an Gasparinis Partitur, doch behandelte er sie nicht gemäß seiner sonst üblichen Borrowing-Praxis, bei der er kleinere Elemente oder auch größere musikalische Komplexe anderer Komponisten in eigene Werke übernahm, sondern im Sinne einer rhetorischen aemulatio, bei der es darum ging, ein vorbildliches Werk nachzuahmen und dabei zu übertreffen. Die Sterbeszene Bajazets (Händel 1996 [1724], S. 179–188) gehört zum eindrucksvollsten, was die barocke Oper zu bieten hat. Sie ist als eine Abfolge stark kontrastierender Accompagnati angelegt, die harmonisch betrachtet den ganzen Quintenzirkel ausloten. Vergleicht man die erste Arie Bajazets bei Händel (ebd., S. 14–17) mit der bei Gasparini, so wird trotz deutlich hörbarer motivischer Anleihen eine andere affektive Akzentsetzung deutlich: Der Schmerz Bajazets um den möglichen Verlust der Tochter steht bei Händel musikalisch im Vordergrund. Während die meisten weiteren Vertonungen des Librettos auf der Fassung von 1719 mit dem Bühnentod Bajazets beruhen (so etwa Josef Myslivečeks Mailän-
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der Oper von 1771), wählten etwa Antonio Vivaldi (Venedig 1735), aber auch Gasparini für seine dritte Vertonung (Venedig 1723) die Erstfassung mit dem Botenbericht. Schon vor Piovene war Pradons „Tragédie“ zu einem italienischen Opernlibretto umgeformt worden. Antonio Salvi, um 1700 einer der wichtigsten Librettisten im Zusammenhang mit der Reform der italienischen Oper (Giuntini 1994), hatte 1706 für den Florentiner Hof bzw. den Komponisten Alessandro Scarlatti einen Text verfasst, der formal streng nach opera seria-Kriterien aufgebaut ist – nahezu alle Arien sind die Szene beschließende Abgangs-Arien – und an manchen Stellen wie etwa der Schlussszene eher als Übersetzung denn als Bearbeitung von Pradons Text bezeichnet werden muss. Die enge Anlehnung an das Sprechtheater hat zur Folge, dass die Oper noch stärker als bei Piovene von Rezitativen dominiert wird, selbst wenn man die im gedruckten Libretto durch Anführungszeichen markierten nicht vertonten Verse abrechnet. Wie im Sprechtheater entwickeln die Figuren umfangreiche Argumentationen, die zum einen ihr Handeln motivieren, zum andern aber auch Diskurse wie den über die Rechtmäßigkeit des Suizids entfalten (Salvi 1706, S. 32, S. 50). Salvi verstärkt die Motivierungsbemühungen Pradons noch, indem er die Verlobte Tamerlanos, die bei ihm Rossane heißt, selbst auf der Bühne auftreten lässt. Er erfindet eine Nebenhandlung um Tamur hinzu, einen General Tamerlanos, der in Rossane verliebt ist: Tamur schildert sie gegenüber seinem Herrscher, der Rossane noch nicht gesehen hat, als hässlich. Als Tamerlano gegen Ende des Dramas Rossane dann erstmals erblickt, ist er von ihrer unerwarteten Schönheit dermaßen verwirrt (ebd., S. 56 f.), dass sein Entschluss, Asteria Andronico als Gattin zu überlassen, plausibel erscheint. Die für die venezianische Oper um 1700 typischen schnellen Affektumschwünge werden durch sorgfältige und kontinuierlich angelegte Motivierungen ersetzt. Bajazets und Asterias Hass auf Tamerlano wird durch erinnernde Präsentation der Vorgeschichte verständlich: Der Tatar tötete Bajazets Gattin und dessen Sohn, und wann immer Tamerlan etwas von den Gefangenen zu erlangen sucht, erinnern sich die beiden an die vergangenen Ereignisse. Bajazet selbst ist deutlicher als bei Piovene als Stoiker angelegt, der mit der Entscheidung für den Freitod auch zur Apatheia findet: „Mi vedi più tranquillo, / Perchè manca il furor col viver mio“ (ebd., S. 66). Pradon folgend, präsentiert Salvi die Agonie Bajazets auf der Bühne, der Tod selbst jedoch wird wie bei Pradon und Piovene in die Kulissen verlegt (ebd., S. 68). Dass Salvis Libretto im Gegensatz zu dem von Piovene kein Erfolg beschieden war, dürfte wohl vor allem an der ausgeprägten Orientierung am Sprechtheater liegen, die der Musik zu wenig Raum für eigene affektive Motivationsleistungen bietet. Da Alessandro Scarlattis Musik verloren ist, lässt sich über die Art der Vertonung keine Aussage machen. Wie
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vollkommen Salvi mit den Traditionen der italienischen Oper vor 1700 brach, wird deutlich, wenn man die älteren Tamerlan-Versionen aus Hamburg und Venedig betrachtet. Das 1690 in der Hamburger Oper am Gänsemarkt uraufgeführte „Sing-Spiel“ Bajazeth und Tamerlan mit der heute verlorenen Musik von Johann Philipp Förtsch stellt eine eigenständige Fassung des Tamerlan-Stoffes dar. Christian Heinrich Postels Libretto geht weder, wie die ältere Forschung (Solveig 1973, S. 61) vermutete, auf Christopher Marlowes Tamburlaine the Great noch auch auf das venezianische Libretto von Giulio Cesare Corradi zurück. Vielmehr ist Postel durchaus Glauben zu schenken, wenn er in der Vorrede zum Libretto betont, er sei historischen Quellen gefolgt, und diese auch benennt. Das historische Kolorit ist in Postels Oper im Vergleich zu allen anderen Tamerlan-Versionen des Musiktheaters am stärksten ausgeprägt. Auffällig vor dem Hintergrund späterer Fassungen ist das ausgesprochen positive Bild Tamerlans, auf das Postel seine Leser schon in der Vorrede hinweist (Postel 1690, Bl. A1v–A2r). Die eigentliche Negativfigur der Oper ist vielmehr der „Türckische Käyser“ Bajazeth – sieben Jahre nach der letzten Belagerung Wiens durch die Türken wenig verwunderlich. Im ersten Akt, der die Belagerung der türkischen Stadt Anguri durch den tatarischen Herrscher beinhaltet, wird Bajazeth, „das Scheusaal dieser Erden“ (ebd., Bl. B3r), zum barocken Negativ-Exemplum eines hochmütigen, der Fortuna verfallenen Herrschers, den das Unglück der Niederlage zu Recht ereilt. Tamerlan erweist sich demgegenüber als gerechter Herrscher. Die demütigende Strafe, Bajazeth in einen Käfig einzusperren, wird von Tamerlan erst angeordnet, als Bajazeth ihm verkündet, dass dies die Tamerlan zugedachte Strafe gewesen wäre, wenn er, Bajazeth, gesiegt hätte (ebd., Bl. C2r). Zu Beginn des zweiten und des dritten Aktes wird Bajazeth gezwungen, unstandesgemäße Handwerksarbeiten als Steinmetz bzw. als Bergarbeiter in einem Bergwerksstollen auszuführen: Für das Hamburger Theater am Gänsemarkt eine dankbare Gelegenheit, szenische Vielfalt zu präsentieren. Auch der Selbstmord Bajazeths – er tötet sich, indem er seinen Schädel an den Stäben seines eisernen Käfigs zerschmettert (ebd., Bl. G1v) –, wird auf der Bühne gezeigt, da die doctrine classique des französischen Dramas auf der Hamburger wie auf der venezianischen Opernbühne vor 1700 keine Geltung beanspruchen konnte. Bajazeths Todesszene ist wohl nicht im Sinne einer Mitleidsszene intendiert, sondern als Negativbeispiel eines verzweifelnden Sünders angelegt und etwa mit dem Tod des Judas in spätmittelalterlichen Passionsspielen vergleichbar: „Ich lieffre dir meine verzweifflende Seele / Eröffne dich Rache[n] der schmäuchenden Höhle!“ (ebd., Bl. G1v) Wie in den Hamburger Libretti üblich, ist die politische Handlung in eine Liebeshandlung eingebettet, die der politischen Allianzbildung dient: Am Ende hei-
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raten Tamerlans Schwester Mandane und sein Sohn Geban Kehir einen Sohn bzw. eine Tochter des verstorbenen türkischen Kaisers. Die verwitwete Gattin Bajazeths erhält von Tamerlan die Erlaubnis, zu ihrem Vater zurückzukehren. Bevor es zum lieto fine kommt, wird die Liebesintrige vor allem durch zahlreiche cross-dressingSzenen geprägt: Fast alle Figuren zeichnen sich in der Kunst der Verstellung aus, nur Tamerlan lehnt diese im politisch-höfischen Kontext so gebräuchliche Kunst ab (ebd., Bl. E1r). Die für das Hamburger Libretto festgestellten Tendenzen gelten in erhöhtem Maße auch für Giulio Cesare Corradis „Drama per musica“ Il gran Tamerlano, die erste Bearbeitung des Tamerlan-Stoffes für das Musiktheater, mit der (verlorengegangenen) Musik von Marc’Antonio Ziani, uraufgeführt 1689 im Teatro Grimano SS Giovanni e Paolo in Venedig. Die venezianische Oper in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts erzielte ihre Wirkung nicht zuletzt aufgrund überraschender Bühnenbilder. Zu Beginn der Oper sehen die Zuschauer Baiazette zusammen mit anderen Sklaven als Gefangene, die in einem ehemaligen Bad auf dem Steinboden schlafen. Baiazette, der als sehr weichlich gezeichnet wird, beweint sein Los. Wie im Hamburger Libretto muss Baiazette nichtstandesgemäße Handwerksarbeiten verrichten, als Gärtner den Boden umgraben (Corradi 1689, S. 24) oder als Hilfsarbeiter am Bau arbeiten (ebd., S. 50). Auch in Venedig wird der Selbstmord Baiazettes im Käfig auf der Bühne präsentiert und auch dieser Tod ist wohl nicht als Mitleidsszene konzipiert, sondern in deutlicher Verspottung des türkischen Herrschers als komische Szene angelegt, in der der muslimische Diener Ali, der den Tod des türkischen Kaisers mitansieht, daraufhin einen Toast aussprechend, ein Glas Wein trinkt und eine Pilgerfahrt nach Mekka gelobt (ebd., S. 74). Anders als in Hamburg wird Tamerlano weniger positiv gezeichnet. Er und sein nur im venezianischen Libretto vorkommender Sohn Emireno sind „lascivi“, die nur an Sex denken. So muss Zelida, die Gattin Baiazettes, Tamerlano und seinen Hofstaat an der Tafel mit nacktem Oberkörper bedienen (ebd., S. 69 f.), „per introdur nel Regno / Nova moda al vestir“ (ebd., S. 70), wie Tamerlano spöttisch erklärt. Zelida und ihre Tocher Roselana entgehen nach permanenten Abwehrversuchen der Vergewaltigung durch Tamerlano und seinen Sohn nur deshalb, weil Ialone, ein General Tamerlanos, eine Palastrevolte anzettelt. Ialone, in die Tochter Baiazettes verliebt, erhielt zuvor, da auch Tamerlano in die Tochter verliebt ist, als Liebes-Ersatz die Mutter Zelida zugewiesen. Da jedoch in die Mutter wiederum Tamerlanos Sohn verliebt ist, geht der General leer aus und beschließt, als Exemplum der Tugend die beiden türkischen Frauen vor den Tataren zu schützen. Im Sinne einer ars amatoria war Ialone (und mit ihm auch die Zuschauer) von den beiden Frauen mit galanten Maximen vertraut gemacht worden – eine Erziehung zur Liebeskunst durch die Oper. Tamerlano und sein Sohn werden am Schluss der
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Oper freigelassen, nachdem sie beide versprochen haben, Zelida und Roselana zu heiraten. Die beiden türkischen Frauen willigen ein unter der Bedingung, den Hochzeitstermin noch ein wenig aufzuschieben. Ein lieto fine steht zwar immer am Ende einer venezianischen Oper des siebzehnten Jahrhunderts, kommt hier aber doch selbst für venezianische Verhältnisse des späten siebzehnten Jahrhunderts etwas überraschend, da Tamerlano die Tochter noch wenige Szenen vorher nach der misslungenen Vergewaltigung den wilden Tieren zum Fraß vorwerfen lassen wollte (ebd., S. 70 f.). Unter den historischen Quellen, die in den Libretto-Vorreden genannt werden, ist die Historia Byzantina des Dukas, eines byzantinischen Historikers (gestorben 1462) die älteste. Sie war wohl für die Librettisten in einer italienischen Ausgabe des siebzehnten Jahrhunderts greifbar. Auf Dukas beruft sich der erfolgreichste Dichter eines Tamerlan-Librettos, Agostino Piovene, um den Selbstmord des türkischen Sultans sowie das Bündnis Tamerlans mit den Griechen zu belegen (Piovene 1992 [1710], S. 344). Piovene betont außerdem, dass es zahlreiche Erfindungen im Zusammenhang mit der Gefangenschaft Bajazids gebe, so etwa, dass Tamerlan den osmanischen Herrscher in einem Eisenkäfig gefangen gehalten habe, den er als Schemel benutzte, um aufs Pferd zu steigen (ebd.). Piovene weist diese Geschichten als „favoloso“ zurück (ebd.), betont aber, dass eine Oper gleichwohl kein Geschichtswerk sei. Christian Heinrich Postel, dessen deutsches Tamerlan-Libretto von 1690 am stärksten historische Quellen verarbeitet, darunter Jean Du Becs Histoire du grand Tamerlanes (Rouen 1595 und öfters), die im siebzehnten Jahrhundert auch in deutscher Übersetzung vorlag (Köthen 1639), stellt fest, „daß die Nachrichten von Tamerlanes so gantz gegen einander lauffen / indem ihn etliche vor den grösten Tyrannen / andere aber vor einen unvergleichlichen und recht gütigen König ausgeben“ (ebd., Bl. A1r), und zeichnet mit DuBec ein eher positives Bild Tamerlans.
III Werkliste Il gran Tamerlano „Drama per Musica“ Musik Marc’Antonio Ziani
Text Giulio Cesare Corradi
Uraufführung 1689, Venedig
Bajazeth und Tamerlan „Sing-Spiel“ Musik Johann Philipp Förtsch
Text Christian Heinrich Postel
Uraufführung 1690, Hamburg
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Il gran Tamerlano „Drama per Musica“ Musik Alessandro Scarlatti
Text Antonio Salvi
Uraufführung 1706, Pratolino
Il Tamerlano „Tragedia per Musica“ Musik Francesco Gasparini
Text Agostino Piovene
Uraufführung 24.1.1711, Venedig
Il Bajazet „Drama per Musica“ Musik Francesco Gasparini [Neuvertonung]
Text Agostino Piovene [Bearbeitung: Ippolito Zanelli]
Uraufführung 29.4.1719, Reggio Emilia
Text Agostino Piovene
Uraufführung 1723, Venedig
Text Nicola Haym [nach den Fass. 1711 und 1719]
Uraufführung 31.10.1724, London
Tamerlano Musik Nicola Antonio Porpora
Text Agostino Piovene
Uraufführung 1730, Turin
Il gran Tamerlano „Dramma per Musica“ Musik Giovanni de Porta
Text Agostino Piovene
Uraufführung 25.1.1730, Florenz
Text Agostino Piovene [nach der Fass. 1711]
Uraufführung 1735, Verona
Text Agostino Piovene
Uraufführung 15.10.1742, Venedig
Bajazette „Tragedia per musica“ Musik Francesco Gasparini [revidierte Fassung] Tamerlano / Tamerlane Drama / an Opera Musik Georg Friedrich Händel
Bajazet Tragedia per Musica Musik [von Antonio Vivaldi arrangiertes Pasticcio] Il Bajazet Dramma per Musica Musik Andrea Bernasconi
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Il gran Tamerlano Dramma Musicale Musik Giovanni Battista Lampugnani Il Tamerlano Dramma per Musica Musik Pietro Alessandro Guglielmi Il Bajazette Musik Ferdinando Giuseppe Bertoni Il gran Tamerlano Dramma per Musica Musik Josef Mysliveček Tamerlano Opera Musik Antonio Sacchini
Bajazette Musik Gaetano Marinelli
Text Agostino Piovene
Uraufführung 20.1.1746, Mailand
Text Agostino Piovene
Uraufführung Himmelfahrt 1765, Venedig
Text Agostino Piovene
Uraufführung 3.5.1765, Parma
Text Agostino Piovene
Uraufführung 1771, Mailand
Text Giovanni Gualberto Bottarelli [nach Agostino Piovene]
Uraufführung 6.5.1773, London
Text Agostino Piovene
Uraufführung Mai 1799, Venedig
Tamerlan „Eine ernsthafte Oper in vier Aufzügen mit Tänzen“ Musik Text Johann Friedrich Reichardt Étienne Morel de Chédeville [deutsche Fassung: Johann Otto Heinrich Schaum] Tamerlan „Opéra en quatre actes“ Musik Peter von Winter
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Text Étienne Morel de Chédeville
Tamerlano „Melodramma serio in due atti“ Musik Text Johann Simon Mayr Luigi Romanelli
Uraufführung 16.10.1800, Berlin
Uraufführung 14.9.1802, Paris
Uraufführung 1813, Mailand
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Bajazet „Dramma per musica“ Musik Pietro Generali
Text Agostino Piovene
Uraufführung 26.12.1813, Turin
Tamerlano Musik Giovanni Tadolini
Text Luigi Romanelli
Uraufführung 1818, Bologna
Tamerlano „Dramma per musica in un atto“ Musik Text Antonio Sapienza Andrea Leone Tottola
Uraufführung 1824, Neapel
Wilhelm Tell Martin Schneider I Präsenz des Sujets Die in unserer Zeit am häufigsten gespielte Oper, die auf dem mittelalterlichen Stoff des Wilhelm Tell basiert, ist Gioachino Rossinis Guillaume Tell. Das letzte Werk, das der italienische Komponist für das Musiktheater schuf, wurde am 3. August 1829 in der Pariser Opéra uraufgeführt. Victor-Joseph Étienne De Jouy und Hippolyte Bis schrieben das Libretto der vieraktigen Oper. In ihr wird ein politisches Drama mit einem Liebesdrama verknüpft. Die Bewohner des Kantons Uri leiden unter der Tyrannei des Reichsvogts Gesler. Dessen Schergen jagen zu Beginn einen widerständigen Hirten, der jedoch von Guillaume Tell mit einer gewagten Bootsfahrt über den stürmischen Vierwaldstättersee gerettet wird. Als Strafe lässt Gesler den alten Melcthal töten und bringt damit dessen Sohn Arnold, der die habsburgische Adlige Mathilde liebt, in einen Gewissenskonflikt. Arnold entscheidet jedoch, sich dem Widerstand gegen Gesler anzuschließen. Zusammen mit Männern der Kantone Uri, Schwyz und Unterwalden schwört er, den bewaffneten Kampf gegen die Unterdrücker aufzunehmen. Zum Anführer des Widerstandes wird Guillaume Tell gekürt. Als dieser sich weigert, sich vor einem auf einer Stange hängenden Hut zu verbeugen, der die Herrschaft Geslers repräsentieren soll, wird er vom Vogt gezwungen, seinem eigenen Sohn einen Apfel vom Kopf zu schießen. Obwohl Tell reüssiert, lässt Gesler ihn festnehmen. Die Oper endet am Vierwaldstättersee, wo Tell seinen Häschern entfliehen kann und Gesler erschießt. Da auch dessen Festung von den Aufständischen zerstört wurde, feiern diese den Beginn einer neuen Epoche der Freiheit. Guillaume Tell wurde bis in die 1930er Jahre an der Pariser Oper über 900 Mal aufgeführt. Außerhalb Frankreichs gelangte das Werk wie im Fall des 1830 an der Londoner Drury Lane erstmals gegebenen Hofer, the Tell of the Tyrol nur stark bearbeitet und mit neuem Titelhelden zur Aufführung (Schreiber 1991, S. 219). Zu wichtigen Etappen der neueren Rezeptionsgeschichte zählen die aus dem Jahr 1973 stammende Einspielung der kompletten französischen Fassung durch das Royal Philharmonia Orchestra London unter Leitung von Lamberto Gardelli sowie die Aufführungen verschiedener Versionen der italienischen Fassung unter Riccardo Muti 1972 in Florenz und 1988 in Mailand. Nur noch selten findet dagegen André-Ernest-Modeste Grétrys Guillaume Tell den Weg auf die heutige Opernbühne. Das dreiaktige Werk nach dem Libretto von Michel-Jean Sedaine wurde erstmals am 9. April 1791 an der Pariser Comédie Itahttps://doi.org/10.1515/9783110424089-012
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lienne aufgeführt. Auslöser des dramatischen Konflikts ist die Blendung des alten Malktal durch Geslers Soldaten, die die geplante Hochzeit zwischen Tells Tochter Marie und dem jungen Malktal überschattet. Letzterer schwört daraufhin zusammen mit Tell, die Tat zu rächen und die Kantone von der Tyrannenherrschaft zu befreien. Der zweite Akt hält sich an die Überlieferung; er schildert die berühmte Apfelschussszene, die auch hier mit der Verhaftung Tells endet. Der Schlussakt spielt dann jedoch vor Geslers Festung: Tell, der sich seiner Gefangenschaft entziehen konnte, führt mit dem jungen Malktal die Erstürmung der Festung durch die Aufständischen an und erschießt Gesler in der Schlacht. Wie bei Rossini endet die Oper mit einem kollektiven Freiheitsjubel. Grétrys Werk wurde nach langer Abwesenheit von der Bühne erst wieder im Juni 2013 anlässlich des 200. Todesjahrs des Komponisten in seiner Geburtsstadt Liège aufgeführt. Am Pult stand Claudio Scimone, Regie führte Stefano Mazzonis di Pralafera.
II Historische Schichten Das am 3. November 1917 an der Wiener Volksoper uraufgeführte Werk Der Tell. Ein deutsches Drama des Komponisten Josef Reiter (1862–1939) ist die jüngste Ausarbeitung des Stoffs. Das Libretto stammte von Max von Millenkovich alias Max Morold (1866–1945). Die Volksoper hatte bei ihrer Gründung 1898 unter Einfluss deutschnationaler Kreise gestanden, änderte jedoch bald ihre künstlerische Ausrichtung. Trotzdem gelangte mit Reiters und Morolds Der Tell das Werk zweier Vertreter des rechten politischen Spektrums auf den Spielplan. In der Saison 1917/18 war Morold Direktor des Burgtheaters und berief seinen Freund Reiter zum Kapellmeister. Morold eckte dort jedoch aufgrund seiner Gesinnung so stark an, dass er den Posten nach nur einem Jahr aufgab. Sowohl Reiter als auch Morold wurden später überzeugte Anhänger des Nationalsozialismus. Im Vorwort des Librettos behauptet Morold, seine „Neugestaltung der Tellsage“ fuße auf dem „Urner Tell-Spiel“ und komme deshalb den Quellen näher als Schiller (Morold / Reiter 1917, S. 3). Tatsächlich entfernt er sich jedoch denkbar weit von der historischen Vorlage. Weder die ungewöhnlichen Rollennamen „Wilhelm von Bürglen, genannt der Tell“ sowie „Der Graf von Seedorf, kaiserlicher Vogt“ (ebd., S. 5) sind im Urner Tellspiel zu finden (Ein hüpsch Spyl 1978) noch die von Morold eingefügten Handlungselemente. Sein Libretto setzt auf die in konservativen Kreisen gängige Gegenüberstellung von falscher Zivilisation und authentischer Volkskultur. Der Vogt erscheint als arroganter und intriganter Adliger, Tell dagegen als edler Naturbursche. Zentrales Handlungselement ist die Absicht des Vogtes, Tells Frau Elsbeth zu verführen, die in Anlehnung an die Jungfrau Maria als entrücktes, „wunderbares Weib“ gezeichnet wird (ebd., S. 30). Dennoch ver-
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zichtet Morold nicht auf die wesentlichen Bausteine der Sage. Der Apfelschuss bildet den dramaturgischen Knotenpunkt der Oper, Tell gelingt die Flucht von jenem Boot, mit dem der Vogt ihn in sein Gefängnis transportieren will. Eine einschneidende Änderung stellt demgegenüber der dritte Akt dar. Er knüpft zwar an den Überlieferungsstrang des Burgensturms durch die Eidgenossen an, führt jedoch ein neues Element in die Handlung ein: Der Vogt versucht, Elsbeth zu vergewaltigen, wird dabei jedoch von Tell ertappt und erschossen. Das Stück endet mit der Erneuerung des Rütli-Schwurs unter dem Beisein Tells. Nur dreieinhalb Jahre zuvor wurde am 28. Mai 1914 Tell, das vieraktige „Drame avec choeurs“ des Komponisten Gustave Doret (1866–1943), im Théâtre du Jorat uraufgeführt. René Morax (1873–1963), der für Tell das Libretto schrieb, hatte das Theater 1908 in dem kleinen Ort Mézières in der französischsprachigen Schweiz gegründet. Es lehnte sich der Idee nach an Richard Wagners Bayreuther Theater an. Das Holzgebäude unterschied sich in seiner Architektur kaum von den Bauernhöfen der Region, im Innern boten die amphitheatralisch angeordneten Plätze über 1000 Zuschauern Platz (Nicollier 1958, S. 43–46). In Morax’ Festspieltheater kamen im Sommer nicht nur Neuinszenierungen kanonischer Opern, sondern auch seine eigenen Werke auf die Bühne. Diese gingen auf historische, mythische und biblische Stoffe zurück und wurden meist von Gustave Doret in Musik gesetzt, aber auch, wie im Fall des 1921 uraufgeführten Le roi David, von Arthur Honegger. Anders als Morold hält sich Morax an die traditionelle Überlieferung der Tell-Sage: die Rettung eines Schutzsuchenden vor den Schergen des Vogts, der verweigerte Gruß vor dem Hut, der Apfelschuss, die Ermordung des Vogtes, die Einnahme der Burg, der Rütli-Schwur. Nach dem Vorbild Schillers erscheint Tell als Einzelgänger, der „hors la loi commune“ lebt (Morax 1914, S. 54) und durch die Verwicklungen der Geschichte dazu gezwungen wird, einen anderen Menschen zu töten. Auch wenn es sich bei dem Vogt um einen Gewaltherrscher handelt, wird Tells Tat mit der Ermordung Abels durch Kain in Verbindung gebracht und so als Ursünde des Brudermordes gedeutet (ebd., S. 124). Dennoch wird Tell, obwohl er sich für unwürdig erklärt, exkulpiert und in die Gemeinschaft der Verschwörer aufgenommen (ebd., S. 137–139). Auch in der Form seines Dramas verstärkt Morax das tragische Element. Er führt einen Chor ein, der wie im attischen Theater als Vermittler zwischen Bühnengeschehen und Zuschauerraum fungiert und dessen Partien von Doret in Musik gesetzt wurden. Darüber hinaus jedoch weist er dem Chor die Aufgabe zu, die in die Dialoge des Dramas immer wieder eingestreuten geschichtlichen Informationen über den ersten Bund zwischen Uri, Schwyz, und Unterwalden affektiv zu verstärken. „Comme un mytérieux [sic] écho“, ruft der Chor: „Ils ont juré mutuelle assistance“ (ebd., S. 35). Zugleich nutzt Morax ihn, um volkstümliche Elemente in Form eines Hirten- oder Mädchenchores in das
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Musikdrama einzufügen (ebd., S. 27, S. 58–59). Auf eigentümliche Weise variiert er die in sämtlichen musikdramatischen Bearbeitungen des Stoffs auftauchende Frage, inwieweit sich die Frauen am bewaffneten Widerstand beteiligen: Wie bei Morold wird Tells Frau in die ikonographische Tradition der Heiligen Jungfrau gerückt (ebd., S. 41), jedoch wehrt sie sich gegen die ihr zugedachte Rolle sowie den damit verbundenen Ausschluss aus der Gemeinschaft der Männer und löst so eine veritable Ehekrise aus (ebd., S. 77). Eine Sonderstellung innerhalb der Tell-Opern nimmt Tell père, Tell fils des Librettisten Sacha Guitry (1885–1957) und des Komponisten Tiarko Richepin (1884– 1973) ein. Die einaktige Operette kam am 17. April 1909 im Pariser Théâtre Mévisto zum ersten Mal auf die Bühne. In einer von Richepin 1919 überarbeiteten Fassung (Gana 2017) wurde sie noch bis in die 1950er Jahre am Brüsseler Théâtre de la Monnaie aufgeführt. Schon das Wortspiel des Titels – übersetzt Tell Vater, Tell Sohn bzw. Wie der Vater, so der Sohn – zeigt an, dass das Stück in der Tradition parodistisch ausgerichteter Operetten steht. Diese waren für das Repertoire der kleinen Pariser Privattheater um 1900 durchaus typisch. Das mit kurzen Gesangseinlagen versehene Libretto gleicht einer doppelten Satire: Der soziale Habitus der Pariser Bourgeoisie der Jahrhundertwende wird ebenso aufs Korn genommen wie derjenige erfolgreicher Opernsänger. Zwar gibt die einleitende Bühnenanweisung vor, dass die Szene in Tells Wohnstube am Vierwaldstättersee spiele, jedoch wird diese von einem eindeutig dem großstädtischen Milieu entstammenden Personal bevölkert: Tell père ist Bassist, sein Sohn Agénor ein berühmter, aber eitler Tenor (Arie Je suis Agénor, le célèbre Ténor). Dieser verliebt sich in seine neue Haushälterin, welche sich jedoch in der zentralen Anagnorisis-Szene (Duett Ah mon dieu, quelle belle surprise) als Elsa Gessler, Tochter des Vogts entpuppt. Obgleich sie Agénors Gefühle erwidert, zweifelt sie, ob sie den Sohn des Mörders ihres Vaters lieben darf. Deshalb verlangt sie von Agénor, einen Apfel vom Kopf seines Vaters zu schießen. Dieser gehorcht, trifft jedoch seinen Vater ins Gesicht, woraufhin sich der Vorhang schnell schließt. Von zentraler Bedeutung ist in Guitrys Libretto nicht nur die Parodie des Pariser Bürgertums, seiner Vater-Sohn-Konflikte und der Liebschaften mit dem weiblichen Dienstpersonal, sondern auch die Parodie der Opern-Tradition. Die herkömmliche Aufteilung der Geschlechter- und Generationenrollen in dem auf den Bühnen der Zeit immer noch präsenten Guillaume Tell Rossinis wird in Tell père, Tell fils auf den Kopf gestellt: Auf Anstiftung der Frau tötet der Sohn den Vater. Parodiert wird auch der für die musikdramatischen Bearbeitungen des Stoffs zwingende Schlussjubel, wenn sich unmittelbar nach dem tödlichen Schuss Agénors auf seinen Vater der Vorhang wieder öffnet und die drei Sänger ein burleskes Terzett in Baskisch, Spanisch und Englisch hören lassen.
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Guillaume Tell des italienischen Komponisten Gioachino Rossini wird in formaler Hinsicht als ein Schwellenwerk im Übergang zur historischen grand opéra bezeichnet (Döhring / Henze-Döhring 2006, S. 136). Das mit großem Aufwand an der Pariser Opéra inszenierte Werk (The original staging manuals 1991, S. 211–229) experimentiert mit musiktheatralen Darstellungstechniken, die sich als wegweisend herausstellen sollten. Dazu zählt neben dem Einsatz von eindrucksvollen Lichteffekten und Lokalkolorit (Henze-Döhring 2002, S. 94) in erster Linie die für die spätere grand opéra typische Tableautechnik, in der Arien und Ensembles in breitflächig angelegte Szenen integriert werden. Innovativ ist dabei vor allem der von Rossini kompositorisch geschickt inszenierte Wechsel zwischen der Totale des Tableaus und der Großaufnahme einer Figur in den Solonummern (Gerhard 1992, S. 87–92). Dennoch macht sich auch in Rossinis erster französischen Originaloper der Einfluss der italienischen Tradition bemerkbar, sodass die Oper in musikalischer Hinsicht als Produkt einer Stilmischung bezeichnet werden kann (Sennefelder 2006, S. 246–261). Die dem Werk eigene Formspannung findet ihr dramaturgisches Äquivalent in der Inkommensurabilität von Liebeshandlung und politischem Konflikt. Widmet Rossini im zweiten Akt und zu Beginn des dritten Aktes dem Liebespaar Arnold und Mathilde große kompositorische Aufmerksamkeit, schwenkt die Handlung mit Arnolds Entscheidung für die Teilnahme am Widerstandskampf um ins Politische. Gegenüber der Schiller’schen Vorlage, in der das Liebespaar noch in der Schlussszene eine zentrale Rolle spielt, lassen Rossini und seine Librettisten Étienne De Jouy (1764–1846) und Hippolyte Bis (1789–1855) diesen Handlungsfaden ins Leere laufen: Dem Wiedersehen Mathildes und Arnolds wird gerade einmal eine einzige Replik gewidmet (De Jouy / Bis 1829, S. 80). Hier kommt die politische Situation der Entstehungszeit ins Spiel, ohne die die Oper nicht zu verstehen ist. Ihre Uraufführung fiel in die Endphase der französischen Restauration unter Karl X., dessen repressive Politik 1830 in die Juli-Revolution mündete. Die Sympathien Rossinis und der Librettisten für die Kritiker des Regimes wurden in der Forschung wiederholt herausgestellt (Gerhard 1992, S. 85–87). Damit standen sie nicht allein; der bereits von den Jakobinern gefeierte Revolutionsheld Tell war am Ende der 1820er Jahre in den Fassungen André-Ernest-Modeste Grétrys, Louis Alexandre Piccinnis und Adolphe Adams auf verschiedenen Pariser Bühnen als Held einer Revolutionsoper, in Melodram und Vaudeville zu sehen. Dieser politische Kontext könnte auch der Grund dafür sein, dass Tell bei Rossini sich von Beginn an stärker im Widerstand engagiert als bei Schiller. Er nimmt am Ende des zweiten Aktes nicht nur am Rütli-Schwur teil, sondern wird auch als einer der Anführer im Kampf gegen Geslers Tyrannei inszeniert (De Jouy / Bis 1829, S. 42–46). Die Bedeutung des Kollektivs spiegelt sich außerdem in der formalen Anlage der Oper. Rossini strich aus dem vorläufigen Libretto zahlreiche Solonummern und stärkte die Rolle des Chores (Gerhard 1992,
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S. 80–84), dessen effektvolle dramaturgische und kompositorische Ausgestaltung nicht zuletzt im Freiheitschor des Schlusses zu Tage tritt (Siegert 2007, S. 69–72). Dennoch muss das revolutionäre Element der Oper differenziert betrachtet werden. Die Schweizer erscheinen im Libretto nicht von sich aus kämpferisch, sondern müssen von Tell zum Widerstand angetrieben werden – dies könnte einer der Gründe gewesen sein, warum die Oper die Zensur passieren konnte. Die zur Stasis tendierende Tableautechnik, die im utopischen Schlussbild ihren Höhepunkt findet, steht, wie bereits ein Jahr zuvor Daniel-François-Esprit Aubers La Muette de Portici bewies, der Akzelerations- und Katastrophentendenz der Finali der grand opéra entgegen (Walton 2007, S. 257–292). Zwar wird die Ermordung Geslers wirkungsvoll inszeniert (De Jouy / Bis 1829, S. 76–77), aber anders als in Grétrys Revolutionsoper gelangt die Erstürmung der habsburgischen Festung nicht zur szenischen Darstellung, sondern wird in einem knappen Botenbericht abgehandelt (ebd., S. 79). Rossini und seine Librettisten zeigen den Kampf des Einzelnen, nicht der Menge, auch in diesem Punkt unterscheiden sie sich von anderen Werken der grand opéra (Newark 2004, S. 180) sowie den Stoffbearbeitungen Grétrys und Pixérécourts. Zurückgenommen erscheint das herrschaftskritische Moment des Werkes zudem durch die Tatsache, dass die Tyrannei auf einen einzelnen bösen Landvogt zurückgeht und nicht auf die Habsburger und ihren König Albrecht zurückgeführt wird (Gier 2002a, S. 237). Fünfzehn Monate vor der Uraufführung von Rossinis Oper war am 3. Mai 1829 am Pariser Théâtre de la Gaieté bereits ein anderer Guillaume Tell zu sehen. Das Libretto des dreiaktigen Melodrams stammte aus der Feder des Theaterleiters und in seiner Zeit berühmten französischen Dramatikers René-Charles Guilbert de Pixérécourt (1773–1844), die Musik komponierte Louis Alexandre Piccinni (1779– 1850). Obwohl das Werk heute, wie die meisten Melodramen Pixérécourts, in Vergessenheit geraten ist, beeinflusste es noch die 1896 in Lausanne uraufgeführte Tell-Oper Édouard Combes und Alphonse Schelers (Scheler / Combe 1899). Die Ästhetik von Piccinnis und Pixérércourts Guillaume Tell entspringt dem Pariser Boulevardtheater der ersten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts (McCormick 1993; Marcoux 1992, S. 17–54) und insbesondere der in diesem Kontext entwickelten Variante des Melodrams. Ebenso wie das Théâtre de la Porte SaintMartin sprach das von Pixérécourt zwischen 1825 und 1835 geleitete Théâtre de la Gaieté nicht nur niedere Klassen an, sondern auch das gebildete Bürgertum. Demokratische Elemente flossen deshalb auch in die Dramaturgie der Stücke ein, nicht selten waren dort wie in Pixérécourts Tell Volksaufstände gegen tyrannische Herrscher zu sehen (Brooks 1995 [1976], S. 46). Die Theater waren gut ausgestattet und verfügten über eine Bühnentechnik, die ihnen einen elaborierten Einsatz multimedialer Darstellungsmittel erlaubte. Besonders das Melodram
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wirkte in dieser Hinsicht auf spätere Genres wie den Film (Bratton u. a. 1994). Wie in der Grand Opéra Rossinis spielen auch im Guillaume Tell Pixérécourts traditionelle Elemente wie Festdarstellungen und Ballette eine Rolle (Pixérécourt 1828, S. 3 f., S. 7 f.), gleiches gilt für das Tableau. Die drei Akte des Werkes sind in sechs Teile gegliedert, die jeweils durch ein neues Bühnenbild voneinander unterschieden sind. Wie in seinen Libretti üblich, hielt der Theaterpraktiker Pixérécourt detailgenau fest, wie sich die Figurengruppen während der Aufführung in den Bühnenbildern zu positionieren haben (vgl. ebd., S. 3, S. 16, sowie Brooks 1995 [1976], S. 46). Anders als bei Rossini, De Jouy und Bis sind diese Tableaux jedoch aufgrund ihres pantomimischen Charakters dynamischer, was besonders beim Apfelschuss und der Erstürmung der Burg deutlich wird (Pixérécourt 1828, S. 39, S. 52). Derartige Szenen waren im Melodram der Pariser Boulevardtheater neben der Ouvertüre, den Tanzeinlagen und der Charakterisierung einzelner für die Vertonung besonders wichtig (vgl. Astbury 2011). Darüber hinaus knüpft Pixérércourt in seinem Libretto explizit an die zeitgenössische Malerei an, wenn er den Dreierschwur Mechtals, Conrads und Tells nach dem Vorbild des Serment des trois suisses Carl von Steubens inszeniert wissen will (Pixérécourt 1828, S. 19). Obwohl auch Pixérécourt die klassischen Szenen des Tell-Stoffs wie den Apfelschuss, den Rütli-Schwur und die Ermordung Gesslers am Seeufer in sein Libretto aufnimmt und sich dabei zum Teil wörtlich an Schiller anlehnt (ebd., S. 7), geht er in seiner Bearbeitung eigene Wege, die noch von keinem Vorgänger beschritten wurden (Gier 2002a, S. 235 f.). Ähnlich wie in der Oper Reiters und Morolds ist Gessler ein Schürzenjäger, der nun aber nicht hinter Tells Frau, sondern der zukünftigen Frau des jungen Mechtal, Gertrude, her ist. Im zweiten Akt betritt er als Greis verkleidet das Haus Tells, um seinen Widersacher auszuspionieren. Der erste Teil des dritten Aktes spielt in dem Burggefängnis, in dem auch Tell einsitzt. Dort wird Mechtal von Gessler durch eine List getötet, Gertrude stirbt bei dem Versuch, Mechtal zu warnen. Das Volk stürmt das Gefängnis – eine typische Szene im französischen Melodram dieser Zeit (Brooks 1995 [1976], S. 50 f.) –, wobei auch die Frauen an den teils brutalen Kampfszenen mitwirken. Überhaupt tritt die revolutionäre Dimension des Stoffes in der Bearbeitung Pixérécourts deutlich zu Tage. Tell ist von Beginn an ein aggressiver Anführer des Aufstandes. Wiederholt wird das Volk, da es der Tyrannei Gesslers tatenlos zusieht, von den Widerstandskämpfern gerügt (Pixérécourt 1828, S. 41). Stärker als bei Rossini wird der Kampf gegen die Unterdrückung als kollektiver Kampf inszeniert. Eigenwillig ist auch die Bearbeitung des Stoffes in der dreiaktigen Oper The Archers, or Mountaineers of Switzerland des Komponisten Benjamin Carr (1768– 1831), die ihre Uraufführung am 18. April 1796 am John Street Theatre in New York erlebte. Der damalige Direktor des Theaters, William Dunlap (1766–1839), trug das
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Libretto bei. Das erfolgreiche Werk wurde wiederholt und fälschlicherweise als erste amerikanische Oper bezeichnet, gliedert sich aber mit seiner Mischung aus unterschiedlichen europäischen Theater- und Musiktheaterformen in die damalige Bühnenkultur der USA ein (Winkle Keller / Koegel 1998, S. 69–73; Dizikes 1993, S. 19–24; Sonneck 1915, S. 98–100). Dunlap und der aus England eingewanderte Carr beschränken sich auf wenige Liedeinlagen, was in Kombination mit der Einführung eines volkstümlichen, derb-komischen Paares an die Opéra Comique und das Vaudeville erinnert. Zugleich setzen sie ihrem Werk einen Prolog voran, der an die Theaterpraxis des siebzehnten Jahrhunderts anknüpft und in dem allegorisch auf die Freiheit verwiesen wird (Dunlap 1796, S. VIIf.). Gemischt ist auch die Sprache des Stücks: Während das niedere Paar Cécile und Conrad in Prosa redet, sind dem hohen Figurenpersonal Blankverse zugewiesen. Neben der Operette von Richepin und Guitry weichen The Archers am meisten von der konventionellen Stoffgestalt ab. Zwar sind die bekannten Szenen wie Gessler-Hut, Apfelschuss und Tyrannenmord beibehalten, über weite Strecken jedoch gleicht die Handlung einem Widerstands- bzw. Kriegsdrama im Stil der über zehn Jahre später entstandenen Hermannsschlacht von Heinrich von Kleist. Die Revolutionen in Amerika und Frankreich haben sichtbar ihre Spuren hinterlassen, was angesichts der intensiven Rezeption der Figur des Wilhelm Tell in den USA nicht überrascht. „Equal rights, equal laws, equal liberty!“ rufen die Bürger der Schweiz in der zweiten Szene des zweiten Aktes nach einer flammenden Rede Tells gegen die Tyrannei (ebd., S. 41). Ebenso wie Pixérécourt und Piccinni und anders als Rossini bzw. Schiller geht es Carr und Dunlap nicht um den Kampf zweier Individuen, Tell gegen Gessler, sondern um den Konflikt zweier Kollektive, Schweiz gegen Habsburg. Dieser Konflikt wird zu einem Aufstand der „slaves“ gegen ihre „masters“ stilisiert (ebd., S. 14). Höhepunkt des Stücks ist folgerichtig nicht die Ermordung Gesslers, sondern die nur indirekt mit dem Tell-Stoff verknüpfte Schlacht von Sempach im dritten Akt. In ihr inszeniert Dunlap einen Zweikampf zwischen Tell und dem habsburgischen Kriegsherrn Leopold, aus dem Tell als Sieger hervorgeht. Besondere Erwähnung verdient die im Kontext der musiktheatralen Stoffbearbeitung ungewöhnlich aktive, beinahe gleichberechtigte Rolle der Frauen, die an Imaginationen weiblicher Revolutionsführerschaft in Frankreich erinnert (vgl. Koschorke 2007). Tells Tochter Rhodolpha, deren Figur Dunlap dem Libretto der englischen Oper Helvetic Liberty (1792) entnommen hat, führt eine Truppe aus jungen Frauen an und greift selbst als Bogenschützin in den Krieg ein. Sieht man von dem als „Opera Pantomime“ bezeichneten Ballett Wilhelm Tell ab, das die wandernde Kindertruppe des österreichischen Prinzipals Felix Berner erstmals 1765 in Basel aufführte, ist der Guillaume Tell des Komponisten AndréErnest-Modeste Grétry und des Librettisten Michel-Jean Sedaine (1719–1797) die
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früheste Bearbeitung des Stoffes für das Musiktheater. Im Zuge der sich ankündigenden Opern von Pixérécourt und Rossini wurde das Werk von Jean-Baptiste Pellisier und Henri-Montan Berton für die Opéra Comique neu arrangiert; diese Fassung wurde am 24. Mai 1828 erstmals aufgeführt. Grétry, der seit Ende der 1760er Jahre der erfolgreichste Komponist komischer Opern war und noch 1789 mit über zwanzig Werken auf den Spielplänen der französischen Hauptstadt vertreten war, sah sich nach der Revolution erhöhter Konkurrenz durch eine schnell wachsende Zahl von Theatern und Produktionen ausgesetzt. Allein an der Opéra Comique wurden in den 1790er Jahren knapp 170 neue Werke gespielt (Legrand 1989, S. 53). Umso größer ist der Erfolg des Guillaume Tell zu bewerten, der nach seiner Uraufführung im Jahr 1792 eine der erfolgreichsten Opern der nachrevolutionären Jahre wurde und bis Ende des Jahrhunderts über achtzig Aufführungen in verschiedenen Pariser Theatern erlebte. Grétry und Sedaine verlassen sich auf beliebte Topoi und Darstellungsformen der Opéra Comique: Gesprochene Dialoge und witzige Szenen wechseln sich mit liedhaften Solo- und Ensemblenummern ab; das Figurenpersonal entstammt dem einfachen Volk und bewegt sich, dem Geschmack der bürgerlichen Mittelklasse folgend, in einem ländlich-familiären Idyll (Gier 2002a, S. 232–234). Auch von Pantomimen machen Grétry und Sedaine Gebrauch; am eindrucksvollsten im Finale des ersten Aktes, das die versuchte Vergewaltigung einer jungen Schweizerin durch einen Soldaten Geslers andeutet (Sedaine [1791], S. 51 f.; Gier 2002a, S. 233). Die Spannung zwischen heiterem Ton und Widerstandskampf prägt die Oper. Schon zu Beginn wird ein Hochzeitsfest von einem Reisenden unterbrochen, der von den Schandtaten Geslers berichtet. Im Lauf der Handlung jedoch werden Elemente der Revolutionsoper sichtbar, etwa im Einsatz der Chöre und der Inszenierung des Burgensturms. Schon mit der Wahl des Stoffes signalisierte Grétry, dessen Haltung zur Revolution ambivalent blieb (vgl. Bartlet 1992), seine Bereitschaft zur Anpassung an die neuen politischen Gegebenheiten: Tell war ein Held der Jakobiner und wurde in Revolutionsfesten als historisches Vorbild inszeniert. In einzelnen Szenen orientierte sich Sedaine zudem an Antoine-Marin Lemierres Tragödie Guillaume Tell (1766), die auf den Bühnen der Revolutionszeit präsent war (Charlton 1986, S. 316 f.). Zwar ist die Vermengung komischer und aufklärerisch-politischer Elemente in der französischen Oper der 1790er Jahre keine Seltenheit (Schreiber 1988, S. 507), jedoch widersetzt sich Grétrys und Sedaines Guillaume Tell der dabei zu beobachtenden Tendenz, die unterhaltenden Merkmale gegenüber dem Erziehungsauftrag des Theaters zurückzudrängen (Schneider / Wiesend 2001, S. 375–388). Eindeutig überwiegt die revolutionäre Tendenz des Stücks (Siegert 2007, S. 64–68) jedoch im dritten Akt, der die Einnahme von Geslers Burg durch das Volk schildert und Pixérécourt als Vorbild gedient haben dürfte. Dass Tell den Tyrannen Gesler während dieser Schlacht erschießt, findet sich so in keinem Strang der historischen Überlieferung
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und auch nicht bei Lemierre. Der Sturm auf die Burg wird abermals pantomimisch zu einem Orchesterstück dargestellt; die letzten Worte des Schlusschores, „Faites tout pour la liberté“ (Sedaine [1791], S. 146 f.), deuten auf das Ende von Rossinis Oper voraus. Damit hatte es jedoch nicht sein Bewenden: Sedaine sah sich ein Jahr nach der Uraufführung gezwungen, den Schluss zu ändern – nun stürmten Sansculotten die Bühne und sangen die Marseillaise (Arnold 2016, S. 115). Ein grundlegendes Problem bei der Rekonstruktion des Stoffes bildet die fragwürdige Historizität der Figur Wilhelm Tell, die zu heftigen Debatten unter Historikern geführt hat (Bergier 2012 [1988], S. 61–86), sowie die Aufteilung der Überlieferung in drei unterschiedliche Erzählstränge: 1. Die Geschichte von Tell und dem Landvogt Gessler; sie enthält Tells Weigerung, den Hut des Landvogts zu grüßen, den darauf folgenden Apfelschuss, Tells Verhaftung und Befreiung sowie die Ermordung des Vogts. 2. Der Rütli-Schwur gegen die Herrschaft der Habsburger unter Führung der drei Eidgenossen Walther Fürst, Werner Stauffacher und Arnold von Melchtal; er repräsentiert den durch die Bundesbriefe von 1291 und 1315 historisch verbürgten Zusammenschluss der Kantone Uri, Schwyz und Unterwalden in Gestalt einer Sage. 3. Die Erstürmung der österreichischen Burgen. Die Kombination, Gewichtung und Variation der einzelnen Erzählstränge fällt nicht nur in den musiktheatralen Bearbeitungen, sondern auch in den Quellen unterschiedlich aus. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die zentrale Quelle der Überlieferung, das um 1470 entstandene Weiße Buch von Sarnen, erst Mitte des neunzehnten Jahrhunderts entdeckt wurde und damit als Vorlage für die meisten der hier besprochenen Opern nicht in Frage kommt. Ob andere wichtige Quellen wie das aus derselben Zeit stammende und 1545 erstmals gedruckte Lied von der Entstehung der Eidgenossenschaft sowie die erste bekannte dramatische Bearbeitung des Stoffes im Urner Tellspiel von 1512 von den Librettisten konsultiert wurden, muss bezweifelt werden. Anzunehmen ist eher, dass ihre Kenntnis des Stoffes direkt oder indirekt auf das Chronicon Helveticum zurückging, das Aegidius Tschudi zwischen 1550 und 1570 verfasste und das 1734 erstmals publiziert wurde. Es ist die bis heute bekannteste Überlieferungsvariante. Tschudi stützte sich auf Quellen, die, wie das Weiße Buch von Sarnen, erst später an die Öffentlichkeit gelangten und die er in eine eigene, wirkmächtige Erzählung verwob. Noch Johannes von Müller lehnte sich in seinen 1786 publizierten Geschichten Schweizerischer Eidgenossenschaft an Tschudi an, Friedrich Schiller griff in seinem Wilhelm Tell von 1804 auf beide zurück.
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III Werkliste Wilhelm Tell „Eine ganz neue Opera Pantomime in drey Aufzügen“ Musik Text Ignaz Span Felix Berner
Uraufführung 1765, Basel
Guillaume Tell „Drame en Trois Actes“ Musik André-Ernest-Modeste Grétry
Uraufführung 9.4.1791, Paris
Text Michel-Jean Sedaine
The Archers, or Mountaineers of Switzerland „Opera in Three Acts“ Musik Text Benjamin Carr William Dunlap
Uraufführung 18.4.1796, New York
Guillaume Tell „Mélodrame en six parties“ Musik Louis Alexandre Piccinni
Text René Charles de Pixérécourt, Benjamin Antier
Uraufführung 3.5.1828, Paris
Text Xavier Boniface, Charles Dupeuty, Ferdinand de Villeneuve
Uraufführung 16.6.1828, Paris
Text Étienne De Jouy, Hippolyte Bis
Uraufführung 3.8.1829, Paris
Guillaume Tell „Drame-vaudeville en 5 actes“ Musik Adolphe Adam
Guillaume Tell „Opéra en quatre actes“ Musik Gioachino Rossini
Guillaume Tell „Drama à grand spectacle en cinq actes et sept tableaux“ Musik Text Édouard Combe Alphonse Scheler
Uraufführung 12.3.1896, Lausanne
Wilhelm Tell Musik Mario van Overeem
Text Honoré Wannyn
Uraufführung 1906, Brüssel
Tell père, Tell fils Musik Tiarko Richepin
Text Sacha Guitry
Uraufführung 17.4.1909, Paris
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Tell „Drame avec choeurs en 4 actes“ Musik Gustave Doret
Text René Morax
Der Tell „Ein deutsches Drama in drei Aufzügen“ Musik Text Josef Reiter Max Morold [d. i. Max von Millenkovich]
Uraufführung 28.5.1914, Mézières
Uraufführung 3.11.1917, Wien
1.3 Ereigniszentrierte Stoffe Kreuzzüge Tina Hartmann I Präsenz des Sujets Unter den Kreuzzügen im engeren Sinne wird eine Reihe strategisch, religiös und wirtschaftlich motivierter Feldzüge gegen die muslimischen Herrscher vornehmlich von Jerusalem in den Jahren 1095/99 bis zum dreizehnten Jahrhundert verstanden. Zu ihnen zählen auch die zeitgenössisch als ‚Reconquista‘ verbrämten Feldzüge gegen die maurischen Emirate in Al Andalus (Walter 2016, S. 37–68). Mit den Kreuzzügen verbunden waren stets Judenpogrome und auch Feldzüge gegen nichtchristliche Völker sowie die Ostkirche wurden unter dem Banner der Kreuzzugsideologie geführt. Letztere sollen als Opernstoffe im Dienste der Übersichtlichkeit jedoch ebenso ausgeklammert bleiben wie Sujets, die sich auf mit den Kreuzzügen verbundene historische Personen wie → Richard Löwenherz und → El Cid konzentrieren, und die Stoffvorlagen Walter Scotts (→ Ivanhoe). Nicht berücksichtigt werden ferner die den konfessionellen Konflikt zwischen dem muslimischen Sultan und der christlichen Sklavin bzw. Ehefrau behandelnden Stoffe wie Voltaires Zaire, die Solimano- und Serail-Opern. Die meisten der heute auf den Spielplänen vertretenen einschlägigen Opern fußen entweder auf Ludovico Ariosts eher lose auf die Kreuzzüge (als Kämpfe der Ritter vom Hofe Karls des Großen mit den „Sarazenen“) bezogenem Orlando furioso mit den Stoffkreisen um Ariodante, → Alcina und Ruggiero oder auf Torquato Tassos näher am Zentrum des Geschehens situierten Epos Gerusalemme liberata mit → Tancredi, Clorinda und → Armida. In ihnen tritt das historische und politische Ereignis des Krieges mit seinen Gräueln zurück gegenüber der erotischen Handlung: „Jerusalem erobern heißt in den Tasso-Opern vor allem, sich selbst zu besiegen, seine Affekte zu beherrschen“ (Jahn 1994, S. 150). Die kriegerischen Handlungen bilden in dieser Dramaturgie den Rahmen, der nicht selten im Sinne einer couleur locale in der Ouvertüre und einem siegreichen Combattimento am Ende abgehandelt wird, wie exemplarisch an Händels Rinaldo zu beobachten ist. Der wahre Krieg ist hier der Krieg zwischen den Geschlechtern, nicht nur im Sinne des biologischen, sondern vor allem des gesellschaftlichen Geschlechts. In diesem Kontext wird der Sieg des asketischen bzw. affektkontrollierenden Christentums über die stereotyp lustergebenen Muslime auch zum Sieg des Männlichen über das mit dem Islam verbundene Weibliche (Colvin https://doi.org/10.1515/9783110424089-013
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1999, S. 55–69). Besonders komplex gestaltet sich diese Dramaturgie, wenn die christlich-männlichen Tugenden von einer Frau verkörpert werden, wie in der nach derzeitigem Stand der Forschung ersten Oper über den religiös motivierten Krieg der Christen gegen Muslime, Cavallis Veremonda, l’amazzone di Aragona (1652), wiederaufgeführt 2016 in Boston und bei den Schwetzinger Festspielen unter Leitung von Gabriel Garrido und in der Regie Amelie Niermeyers. Von den übrigen Kreuzzugsopern ist lediglich Verdis I Lombardi alla prima crociata (1843) auf den Spielplänen präsent. Meyerbeers Il crociato in egitto (1824) erfreut sich seit den konzertanten Aufführungen mit Mitteln der historischen Aufführungspraxis 1972 in London, 1979 in New York sowie 1991 in London und Ludwigsburg in Verbindung mit einer CDEinspielung der Uraufführungsfassung einigen Interesses, hielt jedoch bislang keinen Einzug ins Repertoire. 2007 erfolgte die szenische Wiederaufführung am Teatro La Fenice unter Leitung von Emmanuel Villaume und in der Inszenierung von Pier Luigi Pizzi, die mit dem ‚natürlichen Sopranisten‘ Michael Maniaci erstmals einen männlichen Darsteller in der ursprünglich für Giovanni Battista Velutti geschriebenen Kastratenpartie des Armando präsentieren konnte (Palmira: Patricia Ciofi). Die Produktion ist als CD und DVD dokumentiert. Verstärktes Interesse erhalten die Kreuzzüge ab dem neunzehnten Jahrhundert mit der historischen Oper und im Kontext eines gewandelten, toleranten Islambildes in der Nachfolge Voltaires und Gotthold Ephraim Lessings mit Spohrs Die Kreuzfahrer (1845), für die bislang keine szenische moderne Wiederaufführung nachzuweisen ist. Besondere Virulenz entfaltet das Thema jedoch in der Auseinandersetzung des einundzwanzigsten Jahrhunderts mit dem Dschihad als ‚Heiligem Krieg‘ und Folge der Kreuzzüge in Stücken wie Bernhard Langs Der Alte vom Berge, 2007 bei den Schwetzinger Festspielen in der Inszenierung von Georges Delnon unter Leitung von Rolf Gupka uraufgeführt, und Ludger Vollmers Crusades, 2017 am Theater Freiburg unter Leitung von Daniel Carter in der Regie von Neco Ҫelik uraufgeführt. In diesem Kontext ist auch die doppelte szenische deutsche Erstaufführung (!) von Verdis Jérusalem in der Spielzeit 2016/17 am Theater Bonn in der Inszenierung von Francisco Negrin und in Freiburg in der Inszenierung von Calixto Bieito zu sehen. Die christlichen Kreuzzüge gegen die Mauren – und faktisch auch gegen die Juden – gehören damit zugleich zu den verbreitetsten Stoffen im Musiktheater und bilden doch nahezu eine Leerstelle, betrachtet man sie als ereigniszentrierte, also wenigstens tendenziell historiographische Sujets.
Kreuzzüge
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II Historische Schichten Die Aktualität der Kreuzzüge in Text und Musik betont Ludger Vollmers Crusades nach einem Libretto von Tiina Hartmann. Die Jugendoper verklammert historische Quellen und Figuren aus der Zeit des ersten Kreuzzuges mit der religiösen Gewalt des Dschihad im einundzwanzigsten Jahrhundert und innerislamischer Gewaltkritik, namentlich des Sufismus: In einer westlichen Universitätsstadt geraten zwei gemischtkonfessionelle Liebespaare – die muslimischen Geschwister Safiye und Omar, ihr zum Islam konvertierter Chemie-Professor Gabriel und die agnostische Jüdin Tamar – in den Strudel einer Terrorzelle, die einen Anschlag auf das für Ostern angekündigte Friedensgebet des Papstes mit dem Rabbi vor der Klagemauer und dem Imam der Al Aqsa-Moschee vor der Grabeskirche planen. Die Ereignisse rufen die untoten Chöre der Kreuzfahrer und des Kinderkreuzzugs, den ewigen Kriegsgewinnler in Gestalt des historischen venezianischen Dogen Enrico Dandolo (ca. 1107–1205) sowie den Typus des narzisstisch gestörten religiösen Charismatikers in der Figur des Maciel auf den Plan. Die Terroristen entführen Safiye, erpressen damit von Gabriel die Herausgabe eines von ihm unter Verschluss gehaltenen Sprengstoffes und zwingen Omar, das SelbstmordAttentat auszuführen. Bei der Übergabe in Jerusalem wird Safiye getötet. Gabriel verliert den Verstand und Omar jeden Lebensmut, doch die Kreuzzugskinder können ihn vom Attentat abhalten, während oben die Vertreter der drei Buchreligionen gemeinsam Gottesdienst feiern. Er versenkt den Sprengstoff in der Kanalisation und wird dabei von Maciel erschossen. Die Oper schließt mit der Hoffnung auf eine Versöhnung der Religionen des „Gottes mit den drei Namen“ (Palästinalied) als Grundlage für den Weltfrieden, während Dandolo und Maciel weiter ihren Geschäften nachgehen. Vollmer verbindet arabische und europäische Musiksprachen der in der Oper behandelten Zeitspanne, indem er (neben Zitaten eines Kreuzfahrerliedes, des Palästinaliedes Walthers von der Vogelweide und des jüdischen Neujahrsgesangs) den Figuren europäische und panarabische Tonskalen zuordnet und in den Dialogen und Duetten verwebt. Die Musik entwickelt dadurch eine dem Gefüge der unterschiedlichen Weltanschauungen vergleichbar komplexe Textur, die an die Stelle der europäischen Prävalenz symphonischer Harmonik die außereuropäische bzw. vorklassische Ausrichtung auf die melodische Dimension setzt. Zentral ist dabei die Figur der Tamar, die dank ihrer modernen Tonsprache in der Lage ist, auf die Kommunikationsweisen aller Figuren einzugehen. Verglichen mit seiner literatur- und ideengeschichtlichen Präsenz erfuhr Lessings Drama Nathan der Weise, das unter der Herrschaft Saladins während des bzw. nach dem dritten Kreuzzug spielt, bislang erstaunlich wenig Vertonungen. Zwi-
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schen 2009 und 2012 erstellten die Komponisten Christian Petersen und Christian Beyer eine Bearbeitung und Vertonung als Collage verschiedener Musikstile vom Barock bis zu Richard Wagner. Eine Aufführung ist dafür jedoch ebenso wenig nachzuweisen wie für die 1992–1994 entstandene Bearbeitung und einzige Oper des österreichischen Komponisten Augustin Kubizek. Während der sogenannte Kinderkreuzzug in der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts starken Widerhall fand (Hinz 2014, S. 99–104), kam das Thema erst 2009 auf die Opernbühne: mit Raymond Murray Schafers für die Canadian Children’s Opera Company konzipiertem, unter der Leitung von David Fallis aufgeführtem The Children’s Crusade. In der Inszenierung von Tim Albery folgten die Zuschauer den Darstellern, teils professionellen Schauspielern, teils jugendlichen Laien, auf ihrem Kreuzzug durch eine Industriehalle. Im Zentrum der Dramaturgie steht der heute von Historikern eher als Armutswanderbewegung eingestufte sogenannte Kinderkreuzzug. Von den Visionen eines lothringischen Schäferknaben ausgelöst, sollen sich ab 1212 Tausende von vornehmlich mittellosen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen aufgemacht haben, um im Geiste der Franziskaner das Heilige Land ohne Waffen zu entsühnen – im festen Glauben, dass sich vor ihren Füßen das Meer teilen würde wie ehedem vor Moses. In Murray Schafers Oper werden die Kinder durch die Vision einer bedrängten Muslima, von einem mysteriösen charismatischen ‚Magus‘ und himmlischen Chören nach Jerusalem gerufen. Die Unschuld der Kinder und ihr Idealismus wird kontrastiert mit dem Zynismus und der Ausbeutung durch die Erwachsenen, die ihren Gipfel in der Figur des Reeders findet, der die Kinder auf seine Schiffe lockt und anschließend als Sklaven verkauft. Wobei allerdings unklar bleibt, ob die Kinder vornehmlich von diesseitigem Trug oder auch von himmlischen Heerscharen instrumentalisiert werden. Die Musik verbindet frühe Polyphonie, moderne und ostkirchliche Klangwelten und verklammert die Handlung mit assoziativ himmlischer Musik und Engelschören, die am Ende die ertrunkenen Kinder zum ewigen Leben erwecken (vgl. Hoile 2009). Eine dezidiert pessimistische Sicht hingegen entfaltet Bernhard Langs Der Alte vom Berge nach Texten von William S. Burroughs. Das Musiktheater widmet sich jenem Hassan-i-Sabbah (historisch tatsächlich Raschid al-Din), der als Führer des Geheimbundes der schiitischen Assassinen seinen Anhängern mit Haschisch das im Koran verheißene Paradies bereits auf Erden beschert haben soll, um sie dann als furchtlose Selbstmord-Attentäter gegen seine Gegner zu schicken; spektakulär das gelungene Attentat auf den christlichen König von Jerusalem Konrad von Monferrat, aber auch ein erfolgloses auf den legendären ägyptischen Sultan Saladin. Die Oper für sechs Stimmen, elektrisches Orchester und Mehrkanal-
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zuspielung führt im (in Schwetzingen konzertant realisierten) Prolog die Rituale des Zusammenrottens einer terroristischen Vereinigung in abgehackter (englischer) Sprache und ebenso zerstückter und repetitiver Musik vor. Damit kontrastieren die Heils- und Glücksversprechungen des ohrenfällig im (Haschisch-) Paradiesgarten angesiedelten (szenischen) zweiten Teils, ehe die Protagonisten wiederum mit „Kill, kill, kill“ an die Rampe treten, wobei sich muslimische und christlich-kapitalistische Aufrufe zum Heiligen Krieg als deckungsgleich erweisen (vgl. Reininghaus 2007). Mehr als 150 Jahre trennen Langs Vergegenwärtigung des Kreuzzugsgeschehens von der letzten vorangegangenen Kreuzzugsoper. Anders als der Titel Die Kreuzfahrer vermuten lässt, ist Niels Gades zeitgenössisch sehr erfolgreiches Werk von 1866 auf einen Text von Carl Andersen jedoch keine Oper, sondern ein etwa einstündiges „dramatisches Gedicht“ auf den Armida-Stoff. Die 1846 am Drury Lane Theatre in London uraufgeführte fast gleichnamige Oper The Crusaders, die der Londoner Komponist Julius Benedict, ein gebürtiger Stuttgarter und Schüler Carl Maria von Webers, nach einem Libretto von Alfred Bunn geschrieben hat (in Deutschland in der Übertragung von Gustav Schilling als Die Kreuzfahrer oder der Alte vom Berge ab 1848 präsent), greift hingegen ebenfalls die sagenumwobenen Assassinen auf. Während des dritten Kreuzzuges schwört (auch hier) deren Scheich Hassan dem christlichen König von Jerusalem den Tod, noch ehe die Stadt erobert ist. Die Oper beginnt mit einem Bankett der zechenden Kreuzritter und tanzenden muslimischen Mädchen, unter ihnen Almea, eine Abgesandte Hassans, die sich in den jungen Ritter Bohemund verliebt. Als tatsächlich die Kunde von der Ermordung Konrads von Montferrat eintrifft, fällt das Königslos auf Bohemund. Almea, die davon nichts weiß, gesteht Hassan ihre Liebe zum Feind und bietet an, Bohemund, der ihr gefolgt ist, zur Konversion zu bewegen unter der Bedingung, dass sie dann mit ihm gemeinsam unversehrt Hassans Lager verlassen dürfe. Als die Assassinen erfahren, dass Bohemund zum König bestimmt ist, und ihn töten wollen, verhilft Almea ihm zur Flucht. Im zweiten Akt rettet die als Ritter im christlichen Lager auftretende Almea Bohemund noch zweimal das Leben, indem sie zunächst dem ebenfalls als Kreuzritter getarnten Assassinen Ismaël sich selbst für Bohemunds Leben anbietet und ihm später den Dolch entreißt, als er nachts den schlafenden Bohemund erstechen will. Die herbeieilenden Ritter – mit ihnen auch Bohemunds christliche Verlobte Iseult – treffen Almea mit der Waffe in der Hand an und halten sie für schuldig. Als sie die Liebe zwischen Bohemund und Iseult erkennt, bezichtigt sie sich selbst der Tat und soll hingerichtet werden, doch Ismaël stellt sich freiwillig. Im dritten Aufzug drängt der als Pilger verkleidete Hassan Iseult dazu, ihrem Verlobten zu entsagen, um ihn zu retten
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und seiner angeblichen Liebe zu Almea nicht im Wege zu stehen. Iseult willigt ein und Hassan verspricht, sich den Kreuzfahrern auszuliefern, falls Almea Bohemunds Frau und Königin von Jerusalem wird. Kaum hat Bohemund auf den Rat seiner Ritter hin dem Handel zugestimmt, ergibt Hassan sich ihm. Er hat bereits ein tödliches Gift eingenommen, hofft aber insgeheim, noch nach seinem Tod durch Almeas Einfluss seine Ziele zu erreichen. Als er erfährt, dass sie – die als Kind mutmaßlich christlichen Eltern geraubt wurde – zum Christentum übergetreten ist, stirbt er, die Verräterin verfluchend. Almea belauscht das Abschiedsduett Iseults und Bohemunds und gibt daraufhin Bohemund frei, der Iseult heiratet, während sie selbst ins Kloster geht. Als romantische Oper fokussiert The Crusaders die vergebliche Liebe der sich aufopfernden Almea, in der die Figurentypen der zauberischen Heidin und der reuigen Sünderin amalgamieren. Eine moderne Wiederaufführung des zeitgenössisch u. a. in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung (Anonym 1846) hochgelobten Stückes ist bislang nicht zu ermitteln. Ganz anders als The Crusaders wird Verdis I Lombardi alla prima crociata zwar nicht besonders häufig aufgeführt, gehört aber immer noch zum Repertoire. Temistocle Solera verfasste das Libretto auf der Basis von Tommaso Grossis gleichnamigem, als Modernisierung von Tassos Gerusalemme liberata konzipiertem Epos von 1826. Die beiden Söhne des Folco von Rò in der Lombardei, Pagano und Arvino, hatten sich ehedem wegen der gemeinsamen Liebe zu Viclinda entzweit und Pagano hatte versucht, seinen Bruder Arvino zu töten. Nach jahrelangem Exil kehrt er zurück, erbittet und erhält die Vergebung seines Bruders, trachtet jedoch noch immer danach, ihn zu töten und seine Schwägerin Viclinda – inzwischen Mutter der jugendlichen Giselda – zu erobern. Versehentlich tötet er jedoch Folco. Der zweite Akt spielt im Heiligen Land: Acciano, der muslimische Tyrann von Antiochia, hält Giselda gefangen, die von seinem Sohn Oronte geliebt wird und dessen Gefühle erwidert. Die Schlacht mit den Kreuzfahrern unter Führung Arvinos steht unmittelbar bevor, als Arvino auf einen Eremiten trifft, der ihm prophezeit, er werde nicht nur die Stadt einnehmen, sondern dabei auch seine von den Muslimen geraubte Tochter wiedersehen. Doch dem Zusammentreffen der beiden nach der Einnahme Antiochias geht das Gerücht voraus, Arvino habe Oronte getötet, weshalb Giselda ihren Vater von sich stößt und behauptet, der Kreuzzug geschehe gegen den Willen Gottes. Wütend will Arvino seine Tochter töten, und nur der Eremit kann ihn davon abhalten. Wenig später trifft Giselda auf den noch lebenden Oronte und beide fliehen. Als Arvino davon erfährt, dass Pagano im Lager der Christen gesehen wurde, schwört er Rache. Auf der Flucht stirbt der tödlich verletzte Oronte in Giseldas Armen und wird zuvor noch vom Eremiten getauft. In einer Vision zeigt ihr der in den Himmel aufgenommene Geliebte eine Quelle für die in der Wüste dürstenden Kreuzfahrer, die daraufhin
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erquickt zur Eroberung Jerusalems aufbrechen können. Auf dem Weg dorthin wird der Eremit im Kampf schwer verwundet; sterbend gibt er sich Arvino als sein Bruder Pagano zu erkennen, der zur Sühne seiner Sünden Einsiedler geworden ist. Bevor er sein Leben beschließt, erhält er von Arvino und Giselda Vergebung. Die Stoffwahl verbindet den patriotischen Bezug zu Norditalien mit einem eher im weiteren Sinne religiös aufgefassten Thema, das vor allem in der Haremsszene Verdi erstmals Gelegenheit zu exotischen alla Turca-Klangfarben gab. Wenngleich die christlichen Protagonisten Arvino und Pargano ebenfalls wenig sympathisch gezeichnet sind, macht sich doch die stoffliche Vorlage Tassos insofern bemerkbar, als die einzige muslimische Lichtgestalt Oronte wie seine Mutter mit dem bezeichnenden Namen Sophia von Anfang an zum Christentum konvertieren will. Bei der Umarbeitung der Lombardi für die Pariser Opéra durch Verdi und die Librettisten Alphonse Royer und Gustave Vaëz, 1847 unter dem Titel Jérusalem uraufgeführt, treten die Muslime konsequenterweise noch stärker in den Hintergrund. Statt der verfeindeten Brüder stehen sich der Graf Raymond von Toulouse (Raimund IV. von Toulouse war tatsächlich 1095 als einer der ersten dem Aufruf Papst Urbans gefolgt) und Gaston, der Vicomte von Béarn, gegenüber, dessen Vater von Raymond erschlagen worden war. Um den Zwist der Familien zu beenden, soll Gaston nun die Tochter des Grafen, Hélène, heiraten. Gemeinsam wollen beide anschließend als Kreuzfahrer ins Heilige Land aufbrechen. Roger, der Bruder des Grafen, liebt Hélène ebenfalls und will Gaston töten lassen. Der gedungene Mörder verwechselt ihn jedoch mit dem Grafen, der bei dem Anschlag schwer verletzt wird. Da der Mörder angibt, Gaston habe ihn beauftragt, wird dieser daraufhin vom päpstlichen Legat verbannt. Im Heiligen Land sühnt Roger als Eremit die Schuld des Brudermordes, nicht wissend, dass der Graf seine Wunden überlebt hat. Hélène ist Gaston ins Heilige Land gefolgt, und die beiden finden sich als Gefangene des Emirs von Ramla wieder. Als der Graf mit seinen Truppen den Palast erobert, soll Gaston hingerichtet werden. Der Eremit Roger, der ihm, noch immer unerkannt, als geistlicher Beistand zur Seite gestellt wird, bewaffnet Gaston heimlich, sodass er bei der Eroberung Jerusalems mitkämpfen kann, bei der er sich besonders hervortut. Nach dem Sieg bekennt der verletzte Roger seine Missetat und rehabilitiert damit Gaston. Jérusalem ist damit der seltene Fall einer Verdi-Oper mit einem lieto fine. Die Grausamkeiten bei der Schlacht um Jerusalem, bei der die Pferde der Kreuzfahrer bis zu den Knien im Blut der muslimischen und jüdischen Zivilbevölkerung wateten, deren Opfer zeitgenössische Quellen mit zwischen 30.000 und 70.000 Toten angeben, spart die Oper aus und realisiert die Schlacht wie die Barockoper als instrumentales Zwischenspiel. Obgleich dramaturgisch und musikalisch deutlich stringenter, konnte sich Jérusalem nie gegenüber I Lombardi durchsetzen. Jérusalem zeigt erstmals eindrücklich einen der zentralen historischen Beweg-
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gründe der Kreuzzüge: die Übertragung zentraleuropäischer Aggressionen auf den gemeinsamen Feind im Morgenland. So soll die Fehde zwischen den beiden Geschlechtern aus dem Bürgerkrieg nicht in erster Linie durch die Heirat der Kinder beigelegt werden, sondern durch den Kreuzzug, also durch die Ablenkung der noch immer beträchtlichen Aggression auf die Muslime. Modern an Verdis Oper ist jedoch vor allem, dass sie ganz im Leiden der Figuren zentriert ist; ganz gleich, welcher Konfession diese angehören. Denselben Impetus, doch in ungleich hellerer Farbe, verfolgt Louis Spohrs Oper Die Kreuzfahrer (1845). Der Komponist verfasste das Libretto gemeinsam mit seiner Frau Marianne nach August von Kotzebues gleichnamigem populären Schauspiel von 1802. Die Oper spielt 1097 während des ersten Kreuzzuges im Lager der Kreuzfahrer vor Nicäa und im Kloster der Hospitaliterinnen. Emma von Falkenstein ist in Männerkleidern ihrem verschollenen Verlobten Balduin von Eichenhorst ins Heilige Land gefolgt. Da sie ihn für tot halten muss, tritt sie ins Kloster der Hospitaliterinnen ein und verzichtet gegen den Rat der Pförtnerin auf das Probejahr als Novizin. Indessen wurde ihr Verlobter Balduin von Bischof Adhemar aus türkischer Gefangenschaft freigekauft und verteidigt die von einem Ritter bedrängte Muslima Fatime im Zweikampf für ihren alten Vater, einen reichen türkischen Emir. Die dabei empfangene Wunde will er im Kloster heilen lassen und diese Behandlung soll für Emma unter ihrem Ordensnamen Maria zur Keuschheitsprobe werden. Beide erkennen sich, doch die Oberin Cölestine ergreift die Gelegenheit, sich an Emma zu rächen, deren Vater sie einst für Emmas Mutter verließ, und zwingt das Mädchen zur Erneuerung ihres Gelübdes. Eine Flucht auf Initiative der Pförtnerin scheitert, woraufhin Balduin des Klosters verwiesen wird und Emma zur Strafe lebendig begraben werden soll. Von seinen Bundesgenossen erhält Balduin keine Hilfe, obgleich sich diese sonst – wie er in seiner Arie zu Beginn des dritten Akts beklagt – raubend und plündernd nicht um christliche Werte kümmern. Der Chor singt bereits zu Emmas Hinrichtung, als der Emir mit einem Heer zu Hilfe kommt, das Kloster stürmt und sie rettet. Der schließlich hinzukommende Bischof Adhemar sanktioniert (wie Don Fernando in Fidelio, auf den auch ein musikalisches Zitat aus der dortigen Kerkerszene wiederholt verweist) den Vorgang, da Emma und Balduin von einem Priester verlobt worden waren. Die historischen Ereignisse der Kreuzzüge treten auch in Spohrs Oper in den Hintergrund, deren Dramaturgie Spontinis La Vestale (1807 nach einer Verstragödie von 1767) aufgreift und vor allem die Figur der Emma von Falkenstein fokussiert. Mit ihr als Titelfigur war bereits 1839 eine Bearbeitung des Schauspiels durch Friedrich Genée (Libretto) und August Schäffer (Komposition) als „romantische Oper“ im Königsstädter Theater in Berlin aufgeführt worden. Spohr
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zeigt die Kreuzfahrer als entindividualisierte Masse, der gegenüber einzig Balduin die christlichen Werte lebt. Ihm stehen mit Fatime und dem Emir zwei Muslime als ebenbürtig ideale Gestalten gegenüber und realisieren damit die Aufwertung des Islam im Kontext der Religionskritik, für deren (christliche) Sphäre Spohr das „Höllenmotiv“ aus seiner Faustvertonung überträgt – quasi als Hölle im Diesseits. Im Gegenzug verdeutlicht der dezidiert unkriegerische „Marsch des Emirs“ mittels Inversion der musikalischen Form den friedvollen und höflichen Charakter auch dieses Türken. Dessen Kommentar angesichts von Emmas drohender Einmauerung verstärken die Spohrs von „Gott! welch ein Volk!“ bei Kotzebue zu „O Allah, welch ein rauhes Volk!“ (beides zit. n. Boder 2007, S. 299) und verleihen der im Kontext der Kreuzzüge als barbarisch bekämpften, stückimmanent tatsächlich aber humaneren Religion damit eine übergeordnete Urteilsfähigkeit. Auch Giacomo Meyerbeers Il crociato in Egitto auf ein Libretto von Gaetano Rossi konfrontiert religiösen christlichen Fanatismus mit muslimischer Menschlichkeit. Meyerbeer näherte sich dem Stoff im Kontext zweier im Granada der Reconquista situierter Projekte (L’Almanzore [1820–1821] und L’esule di Granata [1822]). Zunächst sollte die Handlung den Roman von Marie Cottin Mathilde ou Mémoires tirés de l’histoire des croisades (1805) aufgreifen, der die auch in Lessings Nathan der Weise erwähnte Legende einer Liebe zwischen dem Bruder Saladins und der Schwester von Richard Löwenherz erzählt. Il crociato in Egitto gilt trotz des späten Entstehungsdatums als ein Werk, das wie kaum ein zweites im neunzehnten Jahrhundert zwischen dem Melodramma mit seinem im Belcanto zur letzten Hochblüte gekommenen Barockgesang und der neuen Oper steht. Symptomatisch dafür entstand die Titelpartie des Elmireno alias Armando als letzte große Kastratenpartie für den damals 44-jährigen Giovanni Vellutti, dessen Bühnenauftritte in London bei der Aufführungsserie von 1825 hundert Jahre nach Farinellis Triumphen beträchtliche moralische Bedenken hervorriefen. Die fiktive Handlung spielt um 1250 in Damiette in Ägypten während des sechsten Kreuzzuges. Nach einer Niederlage seines Heeres überlebt der Ordensritter Armando verkleidet als ägyptischer Soldat. Unter dem Namen Elmireno dient er Sultan Aladino, dem er das Leben gerettet hat, und ist in heimlicher Ehe dessen Tochter Palmide verbunden, die mit ihm einen Sohn hat. Dem siegreich aus der Schlacht heimkehrenden Elmireno will der Sultan anlässlich des Friedensschlusses mit den Rittern des Rhodiserordens seine Tochter zur Frau geben. Historisch verbirgt sich dahinter der Johanniter- bzw. Hospitaliterorden, der allerdings um 1250 seinen Sitz noch nicht auf Rhodos hatte. Armandos Welt zerbricht: Sowohl vor Palmide – der er seine Verlobung mit der Provenzalin Felicia verschwiegen hat – und dem Sultan wie auch vor seinen christlichen Freunden steht er als Verräter da. In einem Aufgriff der Ruggiero-Bradamante-Handlung (Händels Alcina)
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taucht Felicia in Männerkleidern als angeblicher Bruder Armandos auf, um ihre Rechte gegenüber Palmide geltend zu machen. Doch als sie das Kind erblickt, entsagt sie zugunsten Palmides. Dennoch ist Armando entschlossen, Palmide und die Gunst des Sultans Aladino für Glauben, Herkunft und seine Verpflichtung gegenüber Felicia aufzugeben. Der Sultan versucht Armando zu erstechen, doch Felicia wirft sich dazwischen. Auf Armandos Einkerkerung antworten die Kreuzritter mit einer erneuten Kriegserklärung. Als der Sultan von der Existenz des Kindes erfährt, will er es zunächst töten, lässt sich jedoch von seiner Tochter besänftigen und bietet abermals allen Versöhnung und Frieden an. Diesmal ist es Adriano, der Großmeister des Ritterordens, der sich über das Kind entsetzt und erst zu besänftigen ist, als Palmide ihre Konversion bekräftigt und einwilligt, mit Armando zu fliehen. Auch Armando bekennt sich im Beisein Felicias zu Palmide. Das letzte retardierende Moment schafft der ebenfalls in Palmide verliebte Wesir Osmino, indem er den Sultan abermals aufwiegelt, sich aber zugleich mit den Emiren zu dessen Sturz verbündet. Doch Armando und die Kreuzritter vereiteln das Attentat und Armando rettet dabei dem Sultan abermals das Leben, woraufhin Aladino die christlichen Ritter freilässt und Armando erlaubt, zusammen mit Felicia in seine provenzalische Heimat zurückzukehren. Wie die Helden der barocken Oper versucht Armando, seine Neigung der Pflicht gegenüber dem Glauben und dem der ersten Geliebten gegebenen Wort unterzuordnen, scheitert damit jedoch auf ganzer Linie. Denn die Lösung (oder das potentielle Scheitern) des metastasianischen Konflikts zwischen Liebe und Pflicht liegt gerade nicht mehr in den Affekten der Figuren (wie noch sieben Jahre später bei Norma), sondern in der äußeren Handlung. Wenngleich der persönliche Konflikt noch die Dramaturgie bestimmt, wird er auf ein historisches Geschehen projiziert, und damit öffnet sich das melodramma zur historischen Oper. Die Komposition kontrastiert die Konfrontation zweier Religionen und Kulturen wirkungsvoll mit couleur locale und couleur historique, wie beispielsweise schriller Janitscharenmusik für die Banda des ägyptischen Heeres. Der Konflikt von Armando wird in einer dreistrophigen Romanze, die vor zu großem Vertrauen in Liebesbeweise warnt, musikalisch gefasst: Felicia stimmt das Lied „Giovinetto cavalier“, mit dem Armando um sie geworben hatte, an; Palmide, die es ebenfalls von ihm gehört hat, setzt das Lied im Duett mit ihr fort, und schließlich stimmt dieser selbst zum Terzett mit ein, wobei die Sopranlage der ursprünglichen Kastratenpartie wirkungsvoll mit den beiden Frauenstimmen verschmilzt und darüber hinaus in der Gleichstimmung mit Palmides Sopran gegenüber Felicias Contralto die Lösung vorwegnimmt. Anders als im achtzehnten Jahrhundert steht nun über dem juristischen und dem Glaubensrecht das im Kind verkörperte Recht der Natur. Palmide wird in ihrer großen Arie „D’una madre disperata“ ausdrücklich als eine der wenigen Geliebten
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und Mütter in der Oper des neunzehnten Jahrhunderts vorgestellt und erweist sich als erfolgreichere Norma: Es sind ihre sich über zwei Generationen erstreckenden Blutsbande, die den jähzornigen, aber letztlich gütigen Sultan immer wieder besänftigen. Die beiden muslimischen Hauptfiguren zeigen sich großzügig und milde; sie entsprechen damit dem seit der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in der Oper (zuerst bei Hasse / Migliavacca, dann prominent bei Mozart / Stephanie) und prägnant durch Voltaire und Lessing gewandelten Bild des Orientalen: weg vom weibischen, dabei grausamen Lüstling und hin zum wahren Humanisten. Wie die Oper musikalisch zwischen opera seria und grand opéra steht, verbindet sie textlich classicismo und romanticismo (Schuster 2003, S. 301–320). Il crociato in Egitto begründete den internationalen Ruhm Meyerbeers, verschwand jedoch nach 1860 von den Spielplänen. Als historisches Ereignis abseits von Tasso und Ariost fehlen die Kreuzzüge besonders eindrucksvoll während der ersten großen Blütephase der Oper: von der Mitte des siebzehnten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts. So kommt einer Oper über die spanische Reconquista die Ehre zu, die älteste Kreuzzugsoper zu sein. Sie entstand nicht zufällig im Kontext der venezianischen Oper, also vor der ersten großen Reform des Genres zur buchstäblich ernsthaften opera seria. Giacinto Cicogninis Libretto Il Celio (1646 in Florenz uraufgeführt mit Musik von Bacio Baglioni) bildet in einer Librettobearbeitung von Giulio Strozzi (das Titelblatt nennt das Anagramm Luigi Zorzisto) die Grundlage von Francesco Cavallis Oper Veremonda, l’amazzone di Aragona, die 1652 in Venedig (möglicherweise auch schon im Dezember zuvor in Neapel) uraufgeführt wurde (Heller 2016, S. 33–36). Dazu wurde der schonungslos mit Moralvorstellungen und theologischen Überzeugungen der Zeit abrechnende Text Cicogninis (vermutlich auf der Basis eines bisher noch nicht identifizierten spanischen Theaterstücks) in jene Gegenüberstellung von Liebe und Krieg überführt, die für die Barockmusik seit Monteverdis Madrigali guerrieri et amorosi konsitutiv ist. Im Kontext des Karnevals wird sie mit erotisch-spielerischen Motiven männlicher wie weiblicher (von den Göttern im Prolog allen Frauen empfohlener) Verstellung und weiblichen kriegerischen cross dressings verbunden. Die fiktive Amazone Veremonda ist ihrem die maurische Festung von Calpe belagernden Mann Alfonso (lose angelehnt an den historischen Alfons X., 1221– 1284) ins Feld gefolgt. So kriegsverzagt der der Astrologie frönende König ist, dessen zwischen Verrücktheit und Feigheit schwankende Leidenschaft die Musik seiner ersten Arie offenlegt, so kampfeslustig ist die Königin. Als sie von dem Verhältnis erfährt, das der junge eitle Feldherr Delio mit Zelemina, der maurischen Königin von Calpe unterhält – und für dessen Vollzug er einen Ring als Passier-
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schein besitzt – erpresst sie Delio, gemeinsam mit ihr in die Stadt einzudringen. Delio plant im Gegenzug, auf dem Weg durch den nächtlichen Wald eine alte Rechnung zu begleichen, da der Vater des amtierenden Königs ehedem Delios Mutter vergewaltigt haben soll und freut sich: „Wer hat schon zwei Königinnen, mit denen er machen kann, was er will“ (Cavalli 2016, S. 82)? Veremonda kann den Übergriff nur durch das Versprechen abwenden, die gegenseitige Liebe in den Lust-Gärten Calpes zu genießen. Dort folgt ein mehrfach gestaffeltes Verwirrspiel, bei dem Delio von der als Mann verkleideten Veremonda die Einlösung ihres Versprechens einfordert, dabei von der eifersüchtigen Zelemina und ihrer zurecht misstrauischen Amme belauscht wird, dies bemerkt und vorgibt, den ihn begleitenden ‚jungen Mann‘ eines mit dem Tode zu bestrafenden Verbrechens anzuklagen und dem Urteil Zeleminas auszuliefern. Die Musik schöpft aus den Affektwechseln ihr größtes Potenzial und klärt auf ihre Weise die Verhältnisse: Folgt das Duett Veremonda/Delio im Wald noch dem für die frühe venezianische Oper dominanten rezitativ- und handlungsnahen Gestus, kontrastiert Cavalli in dem Doppelduett im Garten die aufblühende Leidenschaft Veremondas und Delios – die nicht gespielt sein kann, weil die Musik gegenüber der doppeldeutigen Sprache der Galanterie gerade als eindeutige ‚natürliche‘ Sprache fungiert – mit der Traurigkeit darüber, dass sie vergeblich ist, weil Veremonda dem König und Delios Herz Zelemina gehört. Den König reißt schließlich die Eifersucht aus seiner Lethargie; das auf diese Weise bedrängte Paar schließt einen wechselseitigen Schweigepakt und öffnet den heranstürmenden Amazonen und Soldaten die Tore der Stadt, während Zelemina mit ihrem Gefolge zu einem muslimischen Fest in der Moschee versammelt ist. Dort schließt die Oper mit der Unterwerfung der maurischen Herrscherin unter den siegreichen spanischen König. Als Delio ihr seine Hand verspricht, konvertiert sie zum Christentum. Das Ergebnis ist jedoch kein Friedensschluss, sondern die Spanier setzen den flüchtenden Mauren nach, um sie niederzumetzeln. Unter der erotisch-leichten Oberfläche verhandelt Veremonda ein zentrales philosophisches und politisches Thema der Zeit und bindet es an den Islam an. Seit dem späteren Mittelalter wurde in der Querelle des femmes die im Zeitalter des Barock zunehmend virulente Frage nach der Möglichkeit weiblicher Herrschaft diskutiert. Die Amazone Veremonda erscheint nicht nur letztlich als siegreiche, sondern bei aller moralischen Fragwürdigkeit auch als gute Herrscherin, da sie nicht nur männliche Kampfeslust, sondern (im Unterschied zu Delio) auch die Gabe der politischen Intrige besitzt. Sie ist also – wenigstens im Ergebnis der Handlung – nicht nur in der Lage, ihre Affekte im Sinne der Treue zu ihrem König und Ehemann zu kontrollieren, sondern sich nach dem Intermezzo ihres Alleinganges wieder bedingungslos der patriarchalen Macht unterzuordnen. Ihr Amazonentum korrespondiert so gesehen mit dem Ausnahmezustand des Karnevals,
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der die bestehenden Verhältnisse zementiert. Erforderlich wird es durch die schwachen (König) bzw. von ihren Leidenschaften beherrschten (Delio) Männer, die gleichwohl am Ende die Gewinner sind. Das Gegenstück bildet Zelemina als (völlig ahistorische) autonome weibliche muslimische Herrscherin. Sie ist die aufrichtig, aber lustbetont liebende Frau und in ihrer Treue – genau wie ihr ebenfalls muslimischer Diener Rolim – erstaunlicherweise edler, da tugendhafter gezeichnet als die Christen. Mit ihrer Bereitschaft, für Delio alles aufzugeben, erweist sie sich als ideale christliche Ehefrau – und zugleich als ungeeignete Herrscherin (Hartmann 2016, S. 28–32). Die historischen Kreuzzüge wurden praktisch unmittelbar nicht nur in Berichten und Chroniken, sondern auch in epischen und lyrischen Texten der lateinischen wie der volkssprachigen, insbesondere der romanischen Literaturen thematisiert. Dazu gehören schon im zwölften Jahrhundert lateinische, altokzitanische (Marcabru) und mittelhochdeutsche Kreuzlieder. Das wohl berühmteste ist das Palästinalied Walthers von der Vogelweide. Ob der Dichter tatsächlich persönlich an einem Kreuzzug teilgenommen hat, wie das lyrische Ich mit der Anfangsstrophe impliziert, ist allerdings ungeklärt. „Alrêrst lebe ich mir werde, / sît mîn sündic ouge siht. / Daz hêre lant und ouch die erde / der man vil der êren giht. / Mirst geschehen des ich ie bat: / ich bin komen an die stat, / dâ got mennischlîchen trat“ (Müller 1998, S. 87–89). Erstaunlicherweise tritt das für die Kreuzzugsopern seit dem neunzehnten Jahrhundert so zentrale Thema der religiösen Toleranz und das Motiv der edlen Muslime bereits in der einschlägigen deutschsprachigen Dichtung des Mittelalters hervor. Auch wenn der Schluss des Palästinaliedes selbstverständlich annimmt, dass das Heilige Land den Christen zusteht, weshalb Gott ihnen den Sieg zugestehen möge bzw. muss („Wir sîn an der rehten ger: / reht ist daz er uns gewer“), verwendet es doch für den Allmächtigen die Formel des „Gottes mit den drei Namen“ („Got müeze ez ze rehte scheiden / durch die sîne namen drî.“), der sich nicht nur im Sinne der Heiligen Dreifaltigkeit, sondern auch im Sinne der zuvor aufgerufenen „Kristen, juden und […] heiden [Muslime]“ interpretieren lässt. Förmlich als „Toleranzrede“ (ebd., S. 64; Sabel 2003, S. 120) wurde von der Forschung die Rede der vom Islam zum Christentum konvertierten Gyburc in Wolframs von Eschenbach Willehalm verstanden. Historische Grundlage des Romans sind die Kämpfe der Franken gegen die spanischen „Sarazenen“ im achten und neunten Jahrhundert. Der Bezug auf die Kreuzzüge wird bereits in Wolframs Prätexten nahegelegt, doch Wolfram gibt ihm eine entscheidende Wendung. Indem er die „Heiden“ – darunter nicht nur Muslime, sondern alle Nicht-Getauften (Sabel 2003, S. 97–106) – als schön, tapfer und von höfischem Betragen, fähig zur Minne und persönlich integer und damit als den getauften Christen ebenbürtig schildert, wird der christlichen Religion die absolute Deu-
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tungshoheit über die Qualität des Menschen entzogen. Mehr noch: Nach Sabel können auch Ungetaufte der „Geistige[n] Süße“ (ebd., S. 101) im Sinne der Erfahrung des Göttlichen teilhaftig werden. Der Krieg gegen die Nicht-Getauften verliert damit die Berechtigung als „Heiliger Krieg“ und wird wieder zum politischen Mittel. Auch Walther von der Vogelweide betont die weltliche Zuständigkeit für die Kreuzzüge, hält allerdings – beispielsweise im Palästinalied – stärker an deren Erlösungsanspruch fest. Bei Wolfram von Eschenbach sind Grausamkeiten gegen Andersgläubige hingegen nicht länger die Vernichtung mit dem Teufel Verbundener (so die theologische Begründung, vgl. ebd., S. 71 und S. 123–125), sondern ausdrücklich Versündigung an „gotes hantgetât“ (Willehalm 306, 28), dem von Gott Erschaffenen (Sabel 2003, S. 126). So erscheint der ausdrücklich die Taufe verweigernde Rennewart als ‚reiner Tor‘ und muslimischer Parzival und erreicht der Willehalm mit Gyburgs ‚Toleranzrede‘ ein Toleranzideal, das Sabel mit Lessings Nathan vergleicht (ebd., S. 138–142), da es Christen und Muslime nicht nur als Kinder Gottes, sondern ausdrücklich als Blutsverwandte auffasst und die Wahl der einen oder anderen Religion in das persönliche Ermessen stellt. Für die Oper sind Sinnlichkeit und Liebe zentral. Der daraus spezifisch einseitige Blick der Oper auf das mit den Kreuzzügen assoziierte Mittelalter lotet daher weniger historiographische oder theologische Aspekte als das Spannungsfeld von Liebe und Sexualität aus. Noch das Zeitalter des Barock betrachtete Muslime als gefährliche Verkörperungen vornehmlich sexueller Sinnlichkeit, die zum einen aus Sicht christlicher Askese als sündhaft abzulehnen war und überdies mit dem minderwertigen Weiblichen assoziiert wurde. Der Kreuzzug, für den nach offizieller Lesart Frauen und Familie in einem wenigstens temporären Zölibat zurückgelassen werden, steht damit auch symbolisch für die Überwindung der eigenen Leidenschaft. Doch anders als der Roman, der auch mit einer galanten Liebeshandlung auskommt, ist in der Oper nicht nur stoffgeschichtlich das Libretto, sondern vor allem die Komposition für den musikalischen Reichtum auf die direkte Präsenz von Sinnlichkeit angewiesen. Mittelalterliche theologische und historiographische Quellen boten schon daher wenig geeignete Opernstoffe, da sie die Kreuzzüge häufig als männlichen Pilgerzug deuten und damit die (Ehe-) Frauen aus der Darstellung weitgehend ausschließen (Rousseau 2001, S. 31–40). Die Opern in der Traditionslinie des Rolandsliedes über Ariost und Tasso stellten folglich die amourösen Nebenhandlungen in ihr Zentrum. Wie dem Mittelalter die Kreuzzüge zur Selbstvergewisserung christlicher Überlegenheit dienten, dienten sie dem Zeitalter der Aufklärung zur Kritik am Christentum. Lessing, Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Rückert bescheinigen Muslimen nicht nur direkteren Zugang zu Gott, sondern wie viele der hier genannten Opernlibrettisten auch wahre Fähigkeit zu Toleranz und Humanität und bewerten folglich die christ
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lichen Kreuzfahrer als barbarische Aggressoren. Die Oper greift dabei aber nicht nur die theologische und humanistische Kritik auf, sondern positioniert sich auch gegen die forciert männliche Version der Kreuzzüge in vielen historiographischen Quellen (Friedman 2001, S. 121; Evans 2001, S. 45–56). Die auf den ersten Blick mitunter krude anmutenden Opernhandlungen mit ihren auf den Spuren verschollener Geliebter ins Heilige Land gereisten oder verschleppten Frauen unterlaufen nicht nur die Propaganda vom Kreuzzug als männlicher Angelegenheit. Sie treffen sich darin sogar mit der genderorientierten Forschung zu den Kreuzzügen, die der Oper damit sogar – abseits der konkreten Episoden – sogar ein historisch getreueres Bild der Kreuzzüge attestiert. Denn zum Gefolge der Kreuzfahrer gehörten nicht nur Wäscherinnen und Prostituierte, sondern auch viele Ehefrauen und Kinder (Edgington / Lambert 2001).
III Werkliste Veremonda, l’amazzone di Aragona „Drama“ Musik Text Francesco Cavalli Luigi Zorzisto [d. i. Giulio Strozzi]
Uraufführung 1652, Venedig [Neapel?]
Il crociato in Egitto „Melodramma eroico“ Musik Giacomo Meyerbeer
Uraufführung 7.4.1824, Venedig
Text Gaetano Rossi
Emma von Falkenstein „Romantische Oper in drei Akten“ Musik Text August Schäffer Friedrich Genée
Uraufführung 1839, Berlin
I Lombardi alla prima crociata „Dramma lirico in quattro atti“ Musik Giuseppe Verdi
Text Temistocle Solera
Uraufführung 11.2.1843, Mailand
Die Kreuzfahrer „Große Oper in drei Akten“ Musik Louis Spohr
Text Louis und Marianne Spohr
Uraufführung 1.1.1845, Kassel
The Crusaders Musik Julius Benedict
Text Alfred Bunn
Uraufführung 16.2.1846, London
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Ereigniszentrierte Stoffe
Jérusalem „Opéra en quatre actes“ Musik Giuseppe Verdi
Text Alphonse Royer, Gustave Vaëz
Uraufführung 26.10.1847, Paris
Korsfarerne [Die Kreuzfahrer] „Dramatisches Gedicht für Soli, Chor und Orchester“ Musik Text Niels Wilhelm Gade Carl Andersen
Uraufführung [konzertant] 1866, Kopenhagen
Nathan Oper Musik Augustin Kubizek
Entstehung vollendet 1994
Text [?]
Der Alte vom Berge „Musiktheater in zwei Aufzügen für sechs Stimmen, elektrisches Orchester und Mehrkanal zuspielung“ Musik Text Uraufführung Bernhard Lang [?] 17.5.2007, Schwetzingen The Children’s Crusade Musik Raymond Murray Schafer Nathan der Weise Musik Christian W. Petersen, Christian Beyer Crusades Musik Ludger Vollmer
Text Raymond Murray Schafer
Uraufführung 8.6.2009, Toronto
Text [?]
Entstehung vollendet 2012
Text Tiina Hartmann
Uraufführung 14.2.2017, Freiburg
2 Eng an mittelalterliche Dichtung anschließende Stoffe
2.1 Einleitung Michael Waltenberger Als eine Kunstform, die sich gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts unter den Vorzeichen des italienischen Renaissance-Humanismus aus dem Impuls entwickelt, neu an das antike Drama anzuknüpfen, bezieht die Oper ihre Stoffe zunächst vor allem aus der antiken Dichtung, Mythologie und Geschichte. Da mittelalterliche Literatur, soweit sie den frühneuzeitlichen Medienwandel überdauert hat, den ästhetischen Standards der humanistisch Gebildeten in der Regel nicht entspricht, kommt sie als Ressource für Opernlibretti vorerst kaum in Frage. Wenn im siebzehnten Jahrhundert Mittelalterliches auf die Opernbühne gelangt, dann handelt es sich großenteils um Adaptationen von Werken Ludovico Ariostos, Torquato Tassos oder auch von Episoden aus dem Amadis-Roman, also von literarischen Texten des sechzehnten Jahrhunderts, die zwar an Handlungsmuster, Motive und Figurentypen der mediävalen Tradition anknüpfen, sich jedoch in ihren ästhetischen Formen ebenso wie in ihrem Ethos davon absetzen. Im Lauf des achtzehnten Jahrhunderts werden dann auch Sujets der mittelalterlichen Geschichte aufgegriffen, die politisch-legitimatorische und repräsentative Funktionen erfüllen können (Seebald 2009). Vor diesem Hintergrund könnte man versucht sein, ein erstes markantes Einsetzen der musiktheatralen Rezeption mittelalterlicher Dichtung am Titel eines 1691 in London uraufgeführten Werks abzulesen, das überhaupt zu den ersten gehört, mit denen sich auf der britischen Insel vergleichsweise spät eine charakteristische Variante der neuen kontinentalen Kunstform etablieren kann: Nach der Oper Dido and Aeneas (1689), die auf Vergils Epos zurückgeht, und der SemiOper The Prophetess (1690), die fiktionale Intrigen um den Beginn der Herrschaft des römischen Kaisers Diocletian spinnt, komponiert Henry Purcell die Musik zu einer weiteren Semi-Oper, die mit der Figur des titelgebenden King Arthur (→ Artus) nun einen Herrscher auftreten lässt, dessen Name zumindest aus heutiger Sicht eng mit dem ersten prominenten Hervortreten einer eigenständigen volkssprachigen Literatur seit dem ausgehenden zwölften Jahrhundert verknüpft ist. Mit den Artus-Versromanen Chrétiens de Troyes, Hartmanns von Aue und Wolframs von Eschenbach hat sich zu dieser Zeit ein neues, poetisch anspruchsvolles Erzählgenre herausgebildet, das in mancher Hinsicht den Anfangsgründen des modernen Romans zuzurechnen ist (Tether / McFadyen 2017). Zugleich nimmt dabei ein Stoffkreis feste Konturen an, der bis heute zum Kernbestand europäischer Mittelalter-Imaginationen gehört und in breitem medialem Spektrum weiterhin produktiv bleibt (Fulton 2009; zur musikalischen Rezeption Barber 2002): die mythisch grundierte Abenteuerwelt höfisch-ritterlicher Helden wie https://doi.org/10.1515/9783110424089-014
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Erec, Iwein, Gawein, → Parzival und → Lanzelot, die am Hof des Königs Artus und seiner Gattin Ginover der berühmten elitären ‚Tafelrunde‘ angehören. Purcells King Arthur allerdings enttäuscht die Erwartungen, die man aus heutiger Sicht hegen könnte: Plot und Motivik der Semi-Oper haben mit dem hochmittelalterlichen Artusroman wenig gemein. Strukturell fallen eher Parallelen zu Tasso und Edmund Spenser ins Auge; szenisch dominieren konventionelle Versatzstücke der zeitgenössischen Dramatik und Shakespeare-Anleihen; die spezifisch arthurische Stofftradition, die in Britannien am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts besonders von Thomas Malory aufgenommen und fortgesetzt worden ist, kann man im Libretto kaum entdecken. Dessen Verfasser John Dryden betont überdies in seiner Vorrede nicht etwa die Literarizität des Stoffs, sondern bekräftigt im Rekurs auf gelehrtes Wissen seiner Zeit gerade die Authentizität eines historischen Substrats unterhalb des mythisch-märchenhaften, tendenziell allegorischen Bühnengeschehens. Dass Dryden offenbar die geschichtliche Realität von Artus’ Königsherrschaft voraussetzt, mag tatsächlich nur aus heutiger Perspektive abwegig erscheinen: Die ersten schriftlichen Berichte über Artus als Kriegsherrn, der um 500 n. Chr. die keltisch-römischen Stämme im gemeinsamen Kampf gegen die eindringenden Sachsen anführte, finden sich noch vor der höfischen Romanliteratur in lateinischen chronikalen Texten, und bis weit in die Frühe Neuzeit steht seine historische Existenz nicht in Frage. Man muss dabei in Rechnung stellen, dass die Faktizität vergangenen Geschehens sich im mittelalterlichen Verständnis anhand anderer Kriterien als jener der modernen Geschichtswissenschaft bestimmt und dass poetische ‚Erfindung‘ nicht wie bei modernen literarischen Gattungen selbstverständlich vorausgesetzt und zugestanden wird, sondern sich erst allmählich und unscharf vom Wahrheitsanspruch der Historie abhebt. Auch die Romane Chrétiens, Hartmanns und Wolframs sind keine selbstbewussten literarischen Fiktionen im modernen Sinn. Sie entwickeln zwar deutlich eigenständige Formen der erzählerischen Sinnstiftung, erhöhen selbstreferenzielle Bezüge gegenüber extratextueller Referenz und können punktuell sogar den Wahrheitsanspruch spielerisch ironisieren, aber sie schließen ihn nicht durch Negation kategorisch aus, sondern blenden ihn lediglich konsequent ab. Das Erzählen von König Artus und seinen Gefährten bewegt sich also lange im Graubereich zwischen Historizität und Fiktion, und das hängt – besonders in England – auch mit der politischen Bedeutung des Stoffs zusammen: An ihm können nicht nur allgemein Herrschertugenden vorgestellt und ein exemplarisches Sozialmodell entfaltet werden, in dem der absolute, auf Sippe und Körper gründende adlige Machtanspruch mit dem Prinzip einer Leistungshierarchie vermittelt und durch einen gemeinsamen Normhorizont in einen stabilen elitären Verband integriert wird. Darüber hinaus kann mit Artus auch paradigmatisch
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die Identität eines britischen Volkes (und später einer Nation) behauptet, vor inneren Konflikten gewarnt, der Anspruch zivilisatorischer Bewältigung archaischer Gewaltrisiken und das Bewusstsein kultureller Überlegenheit geschichtlich untermauert werden. Eine politische Funktionalisierung solcher Aspekte kann man schon im zwölften Jahrhundert bei Geoffrey von Monmouth (Historia regum Britanniae) erkennen; verhandelt und problematisiert werden sie bis hin zu rezenten Aktualisierungen des Artus-Stoffs (z. B. Antoine Fuquas Kinofilm King Arthur von 2004 oder auch Kazuo Ishiguros Roman The Buried Giant von 2015). Hierin ist auch ein wesentlicher Grund zu sehen für den Erfolg von Purcells und Drydens Artus-Oper, der im Kontext einer populären, an der soziopolitischen Ordnung der Gegenwart interessierten und am Ideal der British Liberty orientierten Mittelalterbewegung über das ganze achtzehnte Jahrhundert hin anhält (Gamerschlag 1991, S. 19 f.). Bis zur Schwelle des neunzehnten Jahrhunderts beziehen Mittelalteropern – unterhalb dramaturgisch effektvoller, fiktionalisierter Ausgestaltung – ihren Geltungsanspruch letztlich aus dem Bezug auf Ereignisgeschichte und historische Persönlichkeiten; oder sie entfalten eine prononcierte Fiktionalität, die durch die Benutzung neuzeitlicher literarischer Vorlagen gedeckt ist. Erst mit dem aufkommenden Interesse der Romantik für die volkssprachige Literatur des Mittelalters beginnt auch eine musiktheatrale Bearbeitung dieser Literatur, die deren genuine poetische Aussagekraft ernstnimmt und auf eine durch sie artikulierte – oder jedenfalls in ihr als Spur enthaltene – tiefere Wahrheit des Wesenskerns eines Volks oder auch des menschlichen Seins überhaupt setzt. Die Librettisten musiktheatraler Werke, deren Sujets in diesem Sinne eng an mittelalterliche Dichtung anschließen, schöpfen dabei nur in wenigen Fällen aus einer kontinuierlichen Stofftradition, deren Linien – wie etwa auch beim (nachmittelalterlichen) FaustStoff – von frühneuzeitlichen Drucken aus zumeist subliterarisch und mit großer Textvarianz durch ‚Volksbuch‘-Ausgaben, ‚Groschenhefte‘ und Kolportage, auch über Dramatisierungen für Wander- und Puppenbühne bis ins neunzehnte Jahrhundert verlaufen. Eine nicht unerhebliche Ausnahme ist die erste grand opéra Giacomo Meyerbeers: Der 1831 in Paris uraufgeführte Robert le Diable basiert auf einem legendarisch-exemplarischen Sujet, das seit dem Hochmittelalter in verschiedenen Versionen ununterbrochen tradiert und von Meyerbeers Librettisten Eugène Scribe und Germain Delavigne sehr frei adaptiert wird (Berlioz 2004; Guyon-Lecoq 2016). Im Gegensatz dazu entstehen die meisten einschlägigen Opern jedoch in der Folge der beginnenden Wiederentdeckung mittelalterlicher Texte und der ersten Versuche, deren ursprüngliche Gestalt historisch adäquat aus den erhaltenen Handschriften zu rekonstruieren: Librettisten benutzen die neuen Editionen
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der romantischen Philologen – und noch mehr die Übersetzungen, popularisierenden Übertragungen und Kompilationen romantischer Literaten wie Karl Simrock. Natürlich hat auch dieser romantische Mediävalismus eine starke politische Dimension; weiterhin werden nationale Einheit und Identität – besonders im deutschen Vormärz und im Umfeld der Reichsgründung 1871 – auch in der Erinnerung an gloriose Gründerfiguren und an legitimierende historische Ereignisse beschworen (Eichner 2012). Daneben aber bemüht man sich, mit der Wiederherstellung alter Texte Dokumente einer ursprünglichen, durch eigenwillige literarische Verformungen entstellten, auf unsicheren Überlieferungswegen verschütteten ‚Volkspoesie‘ zurückzugewinnen und wieder ins allgemeine Bewusstsein zu bringen, um auf diese Weise zur ersehnten nationalen Selbstfindung beizutragen. Solche Bemühungen vollziehen sich in einem charakteristischen Spannungsgefüge, in dem einerseits die Wahrnehmung historischer Alterität und die Herausbildung wissenschaftlich professionalisierter Verfahren zur präzisen Erfassung des kulturell Fremdgewordenen, andererseits das Streben nach einfühlender Vergegenwärtigung und poetisch-ästhetische Versuche, dies zu erreichen, ineinander verschränkt sind. Jacob Grimm hat das in seinem Buch Ueber den altdeutschen Meistergesang (1811) folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Die Vorfahren schauten in dem Brunnen sich selbst und ihr Leben, wir fühlen das nur historisch mit und nach, allein zugleich senken wir in die Tiefe ein“ (Grimm 1811, S. 6 f.). Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts beginnen neben den Philologen und Literaten zunehmend auch Opernkomponisten aus diesem Brunnen zu schöpfen, wie man beispielsweise am mittelalterzentrierten Œuvre Carl Amand Mangolds sehen kann: Für eine Oper über den Minnesänger Tannhäuser (→ Dichter und Sänger) etwa gehen Mangold und sein Librettist Eduard Duller hinter die literarischen Versionen E.T.A. Hoffmanns, Ludwig Tiecks und Heinrich Heines zurück auf die spätmittelalterliche Tannhäuser-Ballade. Eine bemerkenswert produktive Zuspitzung der von Jacob Grimm pointierten Spannungen findet jedoch bei jenem Autor und Komponisten statt, dessen Werke im späten neunzehnten Jahrhundert nicht nur der musiktheatralen Mittelalterrezeption mit nachhaltiger Wirkung eine neue Richtung gewiesen, sondern sich weit über das Musiktheater hinaus den mediävalen Imaginationen der Moderne eingeprägt haben: Wie intensiv und zugleich eigenwillig-kreativ Richard Wagner bei der Stofferschließung für seine Werke vorgeht, zeigt sich im Vergleich seines Tannhäuser mit der sujetgleichen, nur wenig später uraufgeführten Oper Mangolds: Beide arbeiten gleichzeitig und ohne voneinander Kenntnis zu haben an dem Stoff; für beide wird die Tannhäuser-Ballade zum wichtigsten Prätext. Wagner jedoch kombiniert das Sujet darüber hinaus mit der Geschichte vom Sängerkrieg auf der Wartburg, eine Verbindung,
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zu der Wagner durch aktuelle (und heute nicht mehr haltbare) Thesen des Philologen Christian Theodor Ludwig Lucas angeregt worden ist (Mertens 1986, S. 21–26). Wie man an den Beständen der Dresdener Bibliothek Wagners sehen kann, die eine große Anzahl von Textausgaben, literarhistorischen Darstellungen und weiterer philologischer Fachliteratur enthält (Westernhagen 1966), ist ihm ein wissenschaftlich gesicherter Zugang zu den Texten offenbar wichtig. Zugleich sind philologische Rekonstruktion und interpretative Bemühungen um den historischen Sinn eines Texts für Wagner lediglich Vorbedingungen einer Re-Interpretation im Licht philosophischer Großthesen: Nicht die Historizität mittelalterlicher Literatur – und erst recht nicht poetische Eigenqualitäten der Texte interessieren ihn, sondern die Chance, durch sie hindurch auf den Grund einer überhistorischen Wahrheit des Menschen zu stoßen. Wagners Neukonzeption des Musikdramas zielt darauf ab, diese Wahrheit durch ein organisches, ästhetisch überwältigendes Zusammenwirken aller Künste unmittelbar perzipierbar zu machen. Produktionspraktisch bedeutet dies, dass Wagner mit der Vision eines einheitlichen Mythos die textuelle Einheit seiner Vorlagen auflöst, sie rekombinierend amalgamiert und ihre epische Vielfalt und Breite auf wenige prägnante Szenen reduziert. So betreten nun prominente Helden der mittelhochdeutschen Literatur um 1200 – Parzival, → Lohengrin, → Tristan, Siegfried (→ Nibelungen) und Konsorten – auf spektakuläre Weise die Bühne des Musiktheaters, aber bei ihrer Wiederkehr finden sie sich in musikdramatisch gestalteten Welten wieder, die mit der spezifischen narrativen Komplexität ihrer jeweiligen Ausgangstexte nicht mehr viel zu tun haben: Figuren und irdisches Geschehen des Nibelungenlieds werden im Zuge einer umfassenden Einarbeitung Wagners in die nordische Mythologie zu einem Teilsegment innerhalb eines großen weltgeschichtlichen Zusammenhangs, der außerdem wesentlich von einer aus anderen Quellen synthetisierten Göttersphäre geprägt ist. Die skandalöse Ehebruchstriade des Tristan-Stoffs, deren Aporie Gottfried von Straßburg in vieldeutig changierender Erzählbewegung entlang immer neuer, episodisch eskalierender Variationen des Begehrens und Zweifelns, der Lüge und der Intrige auslotet, bevor der Text nach fast 20.000 Versen unvollendet abbricht, macht Wagner zur Grundfigur einer auf drei handlungsarme Stationen konzentrierten, statischen Dramaturgie, in der das Handeln der einzelnen Figuren lediglich Oberflächenphänomen einer wesentlich musikalisch artikulierten, triebhaft wirksamen und zugleich metaphysisch verstandenen Tiefenbewegung darstellt. Und während Wolfram von Eschenbach im ParzivalRoman alles daran setzt, die spannungsvollen Kontraritäten zwischen Artushof und Gralsrittertum, ritterlichem Ethos und geistlicher Moral, Herrschaftshandeln und heilsgeschichtlicher Determination, (ehelicher) erotischer Liebe und asketischer Enthaltsamkeit spannungsvoll auszuerzählen, kondensiert Wagners „Büh-
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nenweihfestspiel“ sie zu einer klaren, in Transzendenz aufgehobenen Antithetik. Markiert im mittelalterlichen Roman die unauflöslich ambivalente Involviertheit des Grals in immanente Konfliktlagen gerade die Unverfügbarkeit göttlicher Wahrheit, so symbolisiert das Gralsmysterium bei Wagner eine durch Liebes- und Weltentsagung erreichbare letzte Erkenntnis – und die Möglichkeit einer darauf gründenden politischen Ordnung. Sowohl mit seinen musikalischen Innovationen und musikdramatischen Konzepten als auch im Hinblick auf seine Revision der romantischen Mittelalterprojektion bereiten Wagners Werke der Moderne den Weg – auch wenn in Wagners Schatten bis in die ersten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein zunächst eher Epigonales produziert wird und wenig eigenständige Weiterentwicklung zu bemerken ist (Fischer 2000 und 2013, S. 204–258). Sie verursachen jedenfalls eine (nicht nur auf Deutschland beschränkte) Hochkonjunktur von Mittelalteropern, die allerdings noch vor dem Zweiten Weltkrieg weitgehend wieder abebbt. Da eine Neubearbeitung der von Wagner bereits besetzten Stoffe kaum Erfolgsaussichten hätte, greifen Librettisten und Komponisten auf eine Vielzahl bisher nicht oder nur vereinzelt genutzter Sujets aus der philologisch immer besser erschlossenen mittelalterlichen Dichtung zurück. Das betrifft nicht nur die heldenepische Seite des Stoffspektrums – die Welle der → Kudrun-Opern vor 1900 wäre dafür ein Beispiel –, sondern auch diejenige der höfisch-ritterlichen Literatur: Weil Wagners Fokus einerseits tendenziell auf eine mythische Wahrheit, andererseits auf den Transzendenzhorizont des Grals gerichtet war, bleibt die um immanente Werte und Probleme kreisende, deutlicher fiktionale arthurische Abenteuerwelt von ihm weitgehend unberührt, wie man nicht nur an seinem Umgang mit Wolframs Parzival, sondern auch an seiner nicht ausgeführten Skizze zu einer Erec-Oper sehen kann (Müller 1985). Diese ‚Lücke‘ nutzen neben und nach Wagner etwa eine ganze Reihe von Artus- und Lanzelot-Opern – bezeichnenderweise vor allem in England und im Bereich der Romania, wo König Artus anders als in Deutschland auch nationalpolitischer Identifikation dienen kann. Auf dieser arthurischen Seite des Stoffspektrums entstehen dabei auch bemerkenswerte, wenngleich oft unvollständig realisierte Gegenkonzepte zum übermächtigen Paradigma des Wagnerschen Musikdramas, insbesondere Isaac Albéniz’ größtenteils unausgeführter Plan zu einer Artus-Trilogie (1893–1906) als Konterpart zum Ring des Nibelungen und Rutland Boughtons Pentalogie (1914–1944), in deren viertem Teil der Gralssucher Galahad zum Exponenten einer kritisch gegen die Gralsmetaphysik des Parsifal gerichteten verinnerlichten Ethik wird, die ohne Ritual und Mysteriensymbolik auskommt.
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Neue Stoffressourcen für das Musiktheater nach Wagner werden aber nicht nur im Bereich der Heldenepik und der Artustradition aufgesucht: Auch andere Gattungen und Register mittelalterlicher Dichtung kommen (neu) in den Blick, etwa die der Novelle und der Legende. Zugleich wendet man sich verstärkt dem großen Fundus der Sagen und Märchen zu, der durch kanonische Sammlungen – in Frankreich schon durch Charles Perrault, in Deutschland besonders durch Ludwig Bechstein, Johann Karl August Musäus und die Brüder Grimm – gut zugänglich war. Das Genre der Märchenoper floriert bereits vor Wagner (z. B. André-Ernest-Modeste Grétrys Raoul Barbe-bleue [UA 1789] oder Carl Maria von Webers Silvana [UA 1812]), wird von Wagner selbst (Die Feen, Der fliegende Holländer), dann von seinem Sohn Siegfried aufgegriffen (z. B. An allem ist Hütchen schuld!, eine szenische Kompilation von Motiven aus etwa vierzig verschiedenen Märchen) und entwickelt sich seit dem späten neunzehnten Jahrhundert zu einer der produktivsten musiktheatralen Formen überhaupt (Herrmann / Froesch 2007; Mayer 2010; Kampe 2012), wie man etwa an der Flut von Aschenputtel-, Dornröschen-, Schneewittchen-, Rotkäppchen-, Drosselbart- oder auch Rübezahl-Opern bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein sehen kann. Um 1900 entstehen in diesem Bereich nachhaltig erfolgreiche (z. B. Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel) und auch musikalisch avancierte, aber gegenwärtig wenig bekannte Werke (z. B. Alexander Zemlinskys Traumgörge oder Franz Schrekers Das Spielwerk und die Prinzessin). Eine dichte Kette von musiktheatralen Versionen zwischen Grétry (Zémire et Azor, 1771) und Philip Glass (La Belle et la Bête, 1994) hat etwa zur europäischen und weltweiten Popularität der Märchengeschichte von der Schönen und dem Biest beigetragen. Bis heute werden Märchenvorlagen immer wieder neu bearbeitet, nicht zuletzt auch in Operetten und Musicals, Kinder- und Schulopern. Die dazu verwendeten Sujets gehen allerdings eher selten tatsächlich auf überlieferte mittelalterliche Prätexte zurück; zumeist wirken hier mittelalterliche Motive nur indirekt nach – abgeschliffen in kaum rekonstruierbarer mündlicher Tradition oder rekombiniert und umgeformt durch schriftliterarische Gestaltung. Letzteres betrifft vor allem Opern nach romantischen ‚Kunstmärchen‘ etwa von Wilhelm Hauff oder Hans Christian Andersen, den motivischen Synkretismus von Emanuel Schikaneders Libretto zur Zauberflöte, aber auch hochkomplexe Modernisierungen des Märchenmaterials wie in Hugo von Hofmannsthals und Richard Strauss’ Frau ohne Schatten. Das weite Feld märchenhafter Opern ist damit nur ganz grob anskizziert: Es lässt sich von der Mittelalteroper nicht trennscharf abgrenzen, bildet aber insofern einen eigenständigen – hier weitgehend ausgeklammerten – Gegenstands- und Themenbereich, als in ihm die epochale historische Distanz irrelevant wird, die ansonsten für den Bezug der Mittelalteroper auf ein in der Vergangenheit situiertes Geschehen oder Dichten konstitutiv ist. Die Handlung der Märchenopern entfaltet sich in einer vage vormodern aus-
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staffierten ‚Unwirklichkeit‘, die einerseits symbolisch aufgeladen, andererseits zur Phantastik gesteigert sein kann. Novelle und Legende, Sage und Märchen boten sich jedenfalls als Alternative zu Wagners totalisierenden Synthesen auch deshalb an, weil der engere, auf wenige Figuren und prägnante Ereignisse begrenzte Skopus der Vorlagen von vornherein keine Konkurrenzstellung zu diesen Synthesen nahelegte. Einige signifikante diskursive Tendenzen des mediävalen Imaginären treten gerade an solchen Opern wie unter dem Brennglas deutlich hervor. So wird etwa besonders klar erkennbar, dass die konstitutiven Differenzen, mit denen moderne Konzepte kultureller, religiöser und nationaler Identität durch die Projektion auf mittelalterliche Szenarien dramatisch auskonturiert werden, bevorzugt an kontrastivem Geschlechtergegensatz geschärft und an paradigmatischen Frauenfiguren ausgetragen werden. Das Schema ist einfach: Eine reine und gute, oft jungfräuliche, passiv-reflexionslose und naturverbundene weibliche Figur verkörpert vollkommene Idealität. Die damit verbundene erotische Attraktivität impliziert eine Gefahr, deren Bewältigung die signifikante Wandlung des männlichen Helden – Einsicht, Reue, Wil ettungslensänderung, Entschlossenheit – und die darauf folgende Kampf-, R oder Erlösungstat voraussetzt. In dieser Wandlung und im heroischen Akt aber gewinnen die konstitutiven Normen der dramatisch entworfenen Ordnung szenische Evidenz. Die (männliche) Heldentat markiert eine Differenz, welche die (in der weiblichen Protagonistin zentrierte) Idealität als Grund und Bedingung der Ordnung erweist – und diese Weiblichkeit zugleich davon als eine Sphäre unterscheidet, die der Ordnung vorausgeht und ihrer bedarf. Recht deutlich kann man das Schema beispielsweise schon an Robert Schumanns Genoveva (und vor ihm unter anderem auch bei Friedrich Hebbel und anderen neuzeitlichen Bearbeitungen des Sujets) erkennen: Die in mediävaler Inszenierung beschworene nationale Identität wird zunächst durch den Kampf des Grafen Siegfried gegen die Mauren bekräftigt. Entscheidend ist dann jedoch gerade nicht die äußere Abgrenzung der Ordnung gegen das kulturell und religiös Andere, sondern deren interne Absicherung: In Siegfrieds Abwesenheit bringt die bösartige, zauberkundige Amme seinen Stellvertreter Golo dazu, Genoveva, die vollkommen tugendhafte Ehefrau Siegfrieds, in die er ohne Hoffnung verliebt ist, zu verführen. Siegfried lässt sich zunächst täuschen und von Genovevas Untreue überzeugen. Die Ordnungsrestitution setzt die Einsicht in sein eigenes mangelndes Vertrauen voraus; sie vollzieht sich in der Rettung seiner Gattin vor dem Tod und bestätigt sich mit der finalen Feier der rechten christlichen Ehe des Grafenpaars: In ihr manifestiert sich die Unterscheidung zwischen legitimer und illegitimer Liebe als ordnungsbegründende Disziplinierung des erotischen Begehrens. Dessen Risiko ist damit aber nicht einfach aufgehoben: Golos noch unschuldige
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Liebe zu Genoveva vor ihrer intriganten Manipulation durch eine Dritte zeigt an, dass erotische Attraktivität als Implikat der weiblichen Verkörperung des Ordnungsideals paradoxerweise nicht selbst schon unter die moralischen und rechtlichen Kategorien dieser Ordnung fällt. Die Eigenart dieser neuzeitlichen Modellierung der Geschlechterdifferenz bestätigt sich im Vergleich mit den vormodernen Prätexten. Obwohl die Geschichte der Genoveva von Brabant im neunzehnten Jahrhundert als deutsche Volksdichtung galt, lässt sie sich nicht auf eine einzige deutschsprachige Quelle zurückführen, sondern formt sich wohl um 1400 durch Agglomeration mehrerer konventioneller Erzählmuster und topischer Motive aus. Die weiblichen Protagonistinnen dieser Texte sind nicht nur deutlich weniger passiv gezeichnet als Schumanns Genoveva: Sie reden und agieren stets ihrem adligen Stand gemäß; die Verbannung in einsame Waldwildnis ist Voraussetzung für die Bewährung handwerklicher und ökonomischer Fähigkeiten zur Selbstversorgung – eine Autarkie, in der die geistliche Lebensform der Eremitage als plausible Alternative aufscheint. Vor allem aber ist hier das Begehren des Verführers (der auch selbst die Intrige verantwortet) von vornherein als Transgression vorgestellt. Es gibt hier keine Ambivalenz erotischer Attraktion ‚vor‘ der Ordnung; weibliche Vorbildhaftigkeit ist immer schon ordnungsintern durch sozialen Stand, moralische und rechtliche Normen definiert. Man könnte unter diesem Aspekt – weibliche Idealität als exemplarische Ordnungsrepräsentation gegenüber auratischer Weiblichkeit als Ordnungsbedingung – beispielsweise auch die reiche Rezeptionsgeschichte der letzten Novelle von Boccaccios Decameron über die Reihe der → Griselda-Opern des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts bis hin zu Jules Massenets Grisélidis (1901) verfolgen: Angetrieben wird die kontinuierliche Reihe der Bearbeitungen des Sujets vom extrem duldsamen Bauernmädchen, das ihrem adligen Gatten trotz der grausamen Prüfungen, die sie durch ihn erleiden muss, die Treue hält und den ehelichen Gehorsam nicht versagt, hauptsächlich vom unbefriedigend motivierten Verhalten des männlichen Protagonisten, während die legendenhaft-exemplarische Idealität der Griselda kaum in Frage steht. Bei Massenet hingegen wird der Ehemann weitgehend dadurch entlastet, dass nicht er, sondern der Teufel die Prüfungen seiner Gattin ins Werk setzt. Die Titelheldin hingegen wird als engelhaftes und zugleich naturnahes Wesen auratisiert. Musikalisch wie szenisch erscheint Natur dabei als eine präordiale Sphäre, deren eigene erotische Energien von teuflischem Verführungszauber zunächst nicht zu unterscheiden sind. Die zentrale Ambivalenz, an der sich die Geltung der Ordnung entscheidet, ist hier in der weiblichen Protagonistin selbst situiert, die ihr natürliches Begehren disziplinieren muss.
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Im Vergleich dazu wird ein wesentlicher Aspekt der Sonderstellung erkennbar, die einer der avanciertesten Mittelalteropern nach Wagner zukommt: Agnes, die weibliche Hauptfigur in Hans Pfitzners und James Gruns → Der arme Heinrich (1895), wird ähnlich wie Griselda durch Naturnähe und engelsgleiche Aura charakterisiert. Ihre enthusiastische Bereitschaft, durch den eigenen Opfertod den kranken Ritter Heinrich zu heilen, wird allerdings konsequent von erotischen Konnotationen freigehalten. Das ist deshalb besonders auffällig, weil der mittelalterliche Prätext Hartmanns von Aue, der das Legendenmuster mit höfischen Motiven versetzt, solche Konnotationen durchaus narrativ akzentuiert. Die suggestive Andeutung eines Begehrens sowohl auf Seiten Heinrichs wie auf derjenigen des Mädchens war wohl auch ein wichtiger Anreiz für die moderne literarische Rezeption: Sie spielt – auf jeweils ganz unterschiedliche Weise – etwa in Gerhart Hauptmanns Dramenbearbeitung oder in Ricarda Huchs novellistischer Version und später dann auch in Tankred Dorsts Die Legende vom armen Heinrich eine wesentliche Rolle. Umso eigentümlicher erscheint Pfitzners Ausblendung dieser durch Theaterkonventionen wie Rezeptionsgeschichte erwartbaren Dimension. Immerhin setzt sich seine Apotheose einer religiös überhöhten deutschnationalen Identität nicht zuletzt durch den Verzicht auf eine szenische Bewältigung der Risiken des erotischen Begehrens deutlich von Wagner ab. Wie bei Pfitzner kann man generell für die musiktheatralen Mittelalterinszenierungen des neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts eine Affirmation traditioneller anthropologischer und gesellschaftlicher Vorstellungen von der Geschlechterdifferenz auch da konstatieren, wo abweichende Ideen in den bearbeiteten Stoffen durchaus angelegt wären. Soziale Eigeninitiative und politische Macht von Frauen bleibt prekär, sofern es sich nicht um Göttinnen oder Walküren handelt. Weibliche Herrschaft kann in Märchenwelten imaginiert werden, aber selbst die musiktheatral erstaunlich prominente Königstochter → Turandot, deren Geschichte auf persische Dichtungen des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts zurückgeht, kann machtvoll nur so lange agieren, wie es ihr gelingt, das der weiblichen Natur gemäße Liebesbegehren zu unterdrücken. Nur auf den ersten Blick konträr zur Figurentypik der duldsamen und gehorsamen, tugendhaften und entsagenden Frauen verhalten sich die Protagonistinnen der → Melusine- und → Undine-Opern des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts. In ihnen wird die Ambivalenz weiblicher Erotik zwischen natürlichem Begehren und dämonischer Macht zum Faszinosum gesteigert und entsprechend effektvoll in Szene gesetzt: Im Zentrum stehen Wesen, deren hybride Körperlichkeit und Assoziation mit dem Element des Wassers sie von vornherein in einem – mythisch oder märchenhaft, eher naturnah oder übernatürlich akzentuierten – Anderen der Ordnung situiert. Unabhängig davon, ob und wie die kon-
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stitutive Asymmetrie des alten narrativen Musters der ‚Mahrtenehe‘ – also der Verbindung zwischen menschlichem Mann und weiblichem, feenhaftem Hybridwesen – am Ende durch Tabubruch, Verwandlung, Tod, endgültige Trennung oder Vereinigung tragisch bestätigt oder glücklich aufgehoben wird: es öffnet zuvor jedenfalls breiten Raum für bühnenwirksame Phantastik ebenso wie für außergewöhnliche musikalische Effekte und Experimente. Das eigentlich „Spektakuläre“ des spätmittelalterlichen Melusinenromans allerdings, nämlich, „dass er einen matriarchalischen Ursprung des Patriarchats phantasiert“ (Kraß 2010, S. 108), ist in den Opern weit hinter die Kulissen zurückgedrängt; die Faszination der Feenfrauen bleibt meist ein außer-ordentliches Phänomen, das die sozialen Konventionen der Geschlechterbeziehungen und die moralischen Normen der Geschlechterhierarchie nicht nachhaltig irritiert. In Jacques Fromental Halévys später Oper La Magicienne (1858) etwa wird die magisch-erotische Macht des Mischwesens Mélusine durch das hinzugefügte Motiv des Teufelspakts negativiert. Indem sie am Schluss nicht nur stirbt, sondern sich zuvor noch reuig vom Teufel lösen kann und zum Christentum bekehrt, ist die in ihrem hybriden Körper angelegte Ambivalenz durchgestrichen. Erst in Aribert Reimanns und Claus H. Hennebergs Melusine von 1971, die das Geschehen gemäß der direkten Vorlage, einem Dramentext von Yvan Goll, insgesamt in die Moderne transponiert, scheint in der Liebesverbindung zwischen Melusine und dem zum Großkapitalisten mutierten Grafen Lusignan stärker die utopische Möglichkeit einer Synthese zwischen naturverbundener und menschlich-zivilisierter Existenz auf. Die Oper spiegelt dabei deutlich den aktuellen politischen Kontext der sich formierenden Umwelt- und Anti-Atom-Bewegung, vermeidet aber eine deutliche kritische Positionierung. Im letzten Akt hat sich jedoch die rationalistisch gewinnorientierte Einstellung des Grafen durch die Erfahrung des Begehrens gewandelt. Doch auch Melusine hat sich verändert: Die Erfahrung des Geliebtwerdens hat sie aus einem kindlich-halbbewussten Zustand erweckt und zur Selbstreflexion befähigt. Das Paar findet zur Liebesnacht im neu errichteten Schloss des Grafen zusammen, das topologisch als Schwellenort z wischen Natursphäre und Zivilisation gesehen werden kann. Hier aber negiert ein tragisches Ende den Schein der Utopie: Die beiden sterben im Schloss, das durch einen Brand zerstört wird. Reimanns Oper weist paradigmatisch allgemeinere Tendenzen musiktheatraler Bearbeitungen mittelalterlicher literarischer Stoffe seit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auf: Die Re-Aktualisierung des historisch Entfernten wird – anders als bei Wagner – nicht als Wiederherstellung einer überhistorisch gültigen mythischen Wahrheit hinter den Texten versucht; vielmehr werden mythische Bedeutsamkeit und religiöse Sinnstiftungen konsequent dekonstruiert,
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um Gegenwartsbezüge gerade in den inneren Brechungen und Widersprüchen der Sujets, durch anachronistische Kontraste und intertextuelle Mehrschichtigkeit aufscheinen zu lassen. Dazu setzen sich Komponisten und Librettisten – wie schon Wagner selbst – häufig intensiv und historisch-philologisch informiert mit den mittelalterlichen Texten und ihrer Rezeptionsgeschichte auseinander (Schindler 2009, S. 348 f.). Zugleich setzt sich auch die Tendenz zur Psychologisierung des mythischen Sinns fort; leitende Referenz ist dabei freilich nicht mehr das romantische Unbewusste oder Arthur Schopenhauers ‚Wille‘, sondern Sigmund Freud und – zum Beispiel in Burkhard Friedrichs Lancelot-Kammeroper – die Archetypenlehre C.G. Jungs. Erstaunlich lebendig bleiben bis heute vor allem auch die mediävalen Musikdramen Wagners selbst, deren künstlerische Qualität sich vielleicht gerade darin erweist, dass sie Wagners programmatische Intentionen letztlich verfehlt haben. Gerade die Anstrengung, durch eigensinnige bricolage aus der Vielheit der Prätexte eine weltumfassende, vor allem durch die kontinuierliche Bewegung einer semantisch aufgeladenen Musik vermittelte Einheit des Mythos zu destillieren, führt notwendigerweise zur Beschwörung letzten Sinns durch Analogiesuggestion und Paradoxie, die zu mystischem Verstehen auffordern. Nach dem Zerfall der in Bayreuth institutionalisierten Geltungssicherung für ein solches Verstehen hat sich jedoch gerade das Widersprüchliche und Unabgestimmte im Wagnerschen Weltentwurf als ungeheuer produktiv erwiesen: Zu wahrhaften „Kunstwerken der Zukunft“ sind Lohengrin¸ Tannhäuser, Der Ring des Nibelungen, Tristan und Parsifal allererst in der Kette immer neu ansetzender Inszenierungen und durch eine weit über Musiktheater und Hochkultur hinaus wirkende, das mediävale Imaginäre der Gegenwart mitprägende Rezeption geworden.
2.2 Biographische Stoffe Dichter und Sänger Andrea Schindler I Präsenz des Sujets Da zum einen Leben und Kunst von Sängern besonders für das Musiktheater attraktive Sujets abgeben können und zum andern das Mittelalter neben der Antike eine der Hauptquellen für Opernstoffe darstellt, ist die große Zahl der Opern über mittelalterliche (Minne-)Sänger kaum verwunderlich – allerdings stammen die meisten der einschlägigen Werke erst aus dem neunzehnten Jahrhundert. Die seit ihrer Uraufführung bis heute bekannteste und am häufigsten gespielte Oper über einen mittelalterlichen Minnesänger ist sicherlich Richard Wagners Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg. Zu Beginn der Oper weilt Heinrich Tannhäuser im Venusberg (der paratex tuell als Hörselberg nahe Eisenach identifiziert wird) und genießt dessen Freuden. Dennoch sehnt er sich nach der Welt: Venus’ göttliche Liebe sei für ihn als Menschen „übergroß“; mehrfach bittet er: „o Königin, Göttin! Laß mich ziehn!“ (Wagner 2001a, I.2, S. 12). Auf ihre Verführungsversuche hin gelobt er, auf ewig nur ihr Lob zu singen; doch halten kann sie ihn nicht: „Zieh hin, Wahnsinniger, zieh hin! / Verräter, sieh, nicht halt’ ich dich!“ (ebd., I.2, S. 15). Sie prophezeit ihm aber, dass er keine Erlösung finden und zu ihr zurückkehren werde; Tannhäuser vertraut hingegen auf göttliche Gnade und die Fürsprache Mariens. Zurück in der (Ober-)Welt trifft der reuige Sünder in der Nähe der Wartburg auf den Landgrafen von Thüringen und die bei ihm versammelten Sänger Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogelweide, Biterolf, Heinrich den Schreiber und Reinmar von Zweter, die ihn durch die Erwähnung Elisabeths, der Nichte des Landgrafen, überreden, mit ihnen auf die Wartburg zu kommen. Elisabeth, die wegen Tannhäusers Abwesenheit sehr bedrückt war, freut sich über seine Rückkehr. Bei einem ersten Treffen offenbart sie sich ihm; Wolfram, der Elisabeth verehrt, belauscht dieses Gespräch und lässt alle Hoffnungen auf Elisabeth fahren. Mit dem Einmarsch der Gäste beginnt der Sängerwettstreit, dessen Thema der Landgraf setzt: „[K]önnt ihr der Liebe Wesen mir ergründen? / Wer es vermag, wer sie am würdigsten / besingt, dem reich’ Elisabeth den Preis: / er fordre ihn, so hoch und kühn er wolle, / ich sorge, daß sie ihn gewähren solle“ (ebd., II.4, S. 32). Wolfram, Walther und Biterolf besingen die reine, anbetende Liebe; Tannhäusers jeweiliger Gegensang preist die erfüllte Liebe, Lust und Genuss. Schließlich kommt es zur Eskalation, als Tannhäuser seinen Aufenthalt https://doi.org/10.1515/9783110424089-015
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im Venusberg offenbart. Die tief getroffene Elisabeth kann verhindern, dass Tannhäuser getötet wird; sie verweist darauf, dass niemand ihm die Möglichkeit des ewigen Heiles rauben dürfe: „Der Mut des Glaubens sei ihm neu gegeben, / daß auch für ihn einst der Erlöser litt!“ (ebd., II.4, S. 40). Man beschließt, dass der nun (wieder) reuige Tannhäuser mit den gerade aufbrechenden Pilgern nach Rom ziehen soll. Während seiner Abwesenheit betet Elisabeth für Tannhäuser; und „im Gebet“ (ebd., III.1, S. 45) findet sie auch Wolfram, als man die Rückkehr der Pilger erwartet. Sie betet um den Tod, um im Himmel für Tannhäuser flehen zu können. Wolfram kann sie nicht halten. Schließlich trifft er auf den abseits der Pilgergruppe allein zurückgekehrten Tannhäuser, der den Weg zum Venusberg sucht. Auf Wolframs eindringliche Frage berichtet Tannhäuser von seiner Reise nach Rom, wo er vom Papst keine Vergebung erhalten habe: „Wie dieser Stab in meiner Hand / nie mehr sich schmückt mit frischem Grün, / kann aus der Hölle heißem Brand / Erlösung nimmer dir erblühn!“ (ebd., III.3, S. 52). Der Venusberg öffnet sich und es entbrennt ein Ringen zwischen Venus und Wolfram um den wahnsinnig erscheinenden Tannhäuser. Wie bei der ersten Begegnung nach Tannhäusers Aufenthalt im Venusberg kann auch diesmal die Nennung von Elisabeths Namen durch Wolfram den Sänger in die Welt zurückbringen: „Heinrich, – ein Wort, es macht dich frei – […]“. – „Noch soll das Heil dir Sünder werden!“ – „Ein Engel bat für dich auf Erden – / bald schwebt er segnend über dir: / Elisabeth!“ (ebd., III.3, S. 55 f.). Wolfram weiß, dass sie inzwischen verstorben und die Erlösung vollbracht ist. An Elisabeths Sarg stirbt Tannhäuser mit den Worten: „Heilige Elisabeth, bitte für mich!“ (ebd., III.3, S. 57). Die jüngeren Pilger kommen an auf der Suche nach Tannhäuser, denn das Stabwunder ist geschehen. Den Stoff um den Sänger Tannhäuser – „diese wunderbare Gestalt der Volksdichtung“ (Wagner 1914 Bd. 4, S. 269) – kannte Richard Wagner aus den zahlreichen Bearbeitungen der Romantik wie etwa Heinrich Heines Gedicht Der Tannhäuser. Eine Legende (1836), Ludwig Tiecks Der getreue Eckart und der Tannhäuser (1799) oder die Ballade in der Sammlung Des Knaben Wunderhorn (Mertens 1986, S. 21 f.; Wapnewski 1986, S. 251–255), die relativ deutlich den überlieferten mittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Texten folgt. Diese Werke wie auch Wagners Oper sind Teil der „Erfolgsgeschichte des Stoffes, die im neunzehnten Jahrhundert einen Höhepunkt erreicht“ (Rüther 2007, S. 245). Die Verbindung dieses Stoffs mit demjenigen des Sängerwettstreits auf der Wartburg ist in dieser Form wohl Wagner zuzuschreiben, auch wenn er dazu Anregungen in den verwendeten Quellen gefunden hat (Mertens 1986, S. 22). Das Sujet des ‚Sängerkriegs‘ bildet die Basis des zweiten Aufzugs und liefert die beteiligten Sängerfiguren; Heinrich von Ofterdingen wird dabei durch Tannhäuser ersetzt, der aber den gleichen Vornamen erhält. Wagner schließt die Arbeit am Text 1843 ab und komponiert
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seine Oper bis April 1845. Die Uraufführung am 19. Oktober des gleichen Jahres in Dresden hatte nur mäßigen Erfolg: „Die Presse reagierte zurückhaltend bis ablehnend […]“ (Wapnewski 1986, S. 248). Wagner nimmt eine Umarbeitung vor (‚Dresdner Fassung‘), die vor allem das Ende betrifft, dramaturgisch pointierter ist und dem Werk „einen konkreteren Schluß“ (ebd.) gibt. Der Erfolg blieb letztlich nicht aus: „[…] fast alle deutschen Opernbühnen spielten den Tannhäuser in den fünfziger Jahren“ (ebd.), und auch im Ausland kam die Oper ins Programm. Für Paris entsteht noch eine weitere, die ‚Pariser Fassung‘ (ebd., S. 248–250; vgl. zu den zahlreichen Umarbeitungen Voss 2003, S. 93–98). Heute gehört der Tannhäuser zwar nicht zu den meistgespielten Opern, doch im Repertoire der Opernhäuser ist er fest etabliert.
II Historische Schichten Minnesänger als Opern-Sujet sind – nicht zuletzt in der Nachfolge von Richard Wagners Tannhäuser – vor allem im neunzehnten und in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts beliebt. Neben fiktiven Gestalten (etwa Guntram von Richard Strauss oder Gunther der Minnesänger von Wilhelm Floderer) werden zum einen literaturgeschichtlich herausragende Sänger wie Walther von der Vogelweide oder Oswald von Wolkenstein gewählt, zum anderen solche, deren Biographien schon im Mittelalter oder in der Frühen Neuzeit und in der Folge dann im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert literarisch überformt wurden. Das gilt beispielsweise für Tannhäuser und Frauenlob oder auch für den Trouvère Blondel (→ Richard Löwenherz). In vielen einschlägigen Werken sind nicht nur nationalistische Tendenzen zu finden, sondern auch ein gewisser Lokalpatriotismus, etwa mit der Verortung Walthers in Südtirol und Würzburg oder mit Frauenlobs intensiver Bindung an Mainz. Der Freiraum, den die in aller Regel mangelnde Überlieferung zum Leben der Sänger öffnet, wird häufig mit gängigen bühnenwirksamen Motiven und Handlungen ausgefüllt (‚Zigeuner‘-Milieu, Erlösung des Mannes durch die Frau etc.). Hingegen bieten die Texte von Oswald von Wolkenstein und im romanischen Bereich etwa die vida Bertrans de Born oder die Balladen von François Villon mit ihren oft abenteuerlichen, durch außerliterarische Zeugnisse teilweise zu ergänzenden biographischen Motiven zahlreiche Anknüpfungspunkte für Textbücher. Häufig werden außerdem die Lieder der Dichter in die Libretti integriert und überlieferte Melodien bei der Komposition genutzt. Die folgenden Abschnitte konzentrieren sich auf musiktheatrale Darstellungen (1) Tannhäusers, (2) Frauenlobs, (3) Walthers und (4) Oswalds.
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1 Tannhäuser Eine moderne Version des Tannhäuser-Mythos schuf Klaus Merz (*1945); sein Libretto Danuser wurde als Freilichtspiel mit Musik von Daniel Fueter (*1949), Christoph Baumann (*1954) und anderen im Juni 1980 im Kurpark Baden (Schweiz) mehrfach aufgeführt. Merz setzt dabei auf das revolutionäre Potential der Tannhäuser-Figur und zeigt deren Domestizierung durch die den etablierten Normen folgende Gesellschaft, kehrt aber das Werteverhältnis um und schafft so eine zeitgenössische Gesellschaftskritik. Der Vertreter Harald Danuser wird inmitten einer den Regeln des Kapitalismus unterworfenen ‚kakophonen‘ Gesellschaft Zeuge eines Unglücks: Eine Blondine fährt in einem Chevrolet in einen See; während ‚die Gesellschaft‘ nur zusieht und kommentiert, springt Danuser ins Wasser, um die Frau zu retten. Unter Wasser gelangt er in den Venusberg – dessen Realitätsgrad allerdings durch die Betitelung „Danusers Traum“ (Merz 1980, S. 8) in der Schwebe bleibt. Anders als in der Stofftradition ist der Venusberg – obwohl darauf immer wieder angespielt wird – kein teuflischer Genussort, sondern eine idyllische Alternativwelt, in der Arbeit, Freizeit, Kunst, Forschung etc. in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Lisa, ein Mädchen aus dieser Gegenwelt, beschreibt das Verhältnis der beiden Welten so: „Au mir schaffe, för z’läbe, ned umgekehrt, vielleicht isch das de gross Underschied zu euch […]“ (ebd., S. 10). Danuser kann dem viel abgewinnen. Schließlich erscheint Venus, „[d]ie zwar in der erwarteten Form auftritt, sich aber rasch aus dem Bild, das man sich von ihr gemacht hat, herausschält, das Klischee stehen lässt und als ‚selbstverständlicher‘, starker Mensch auf Danuser zutritt“ (ebd., S. 12). Im Übrigen sieht der Papst dem Treiben vom Rande aus zu. Danusers Verantwortung für die Gerettete führt dann zu seinem Entschluss, dieses ‚richtige‘ Leben zu verlassen, um sie zurückzubringen. Er bittet Venus, mit ihm zu kommen; sie schlägt ihm den Wunsch ab mit dem Verweis darauf, dass seine Welt noch nicht reif dafür sei. Danuser selbst sei aber ‚infiziert‘ und könne so die Idee vom ‚richtigen‘ Leben in seine Welt tragen. Die am See zurückgebliebene ‚Gesellschaft‘ hatte ebenfalls Teil an diesem ‚Traum‘ und ‚erwacht‘, als Danuser mit der Blondine wieder auftaucht. Die Heldentat Danusers wird sofort von Presse, Politik und Musikindustrie ausgeschlachtet. Man hält Reden auf den Helden, macht ihn zum „121. Ritter der Strasse“ (ebd., S. 21) und singt einen neuen Song auf ihn – „Haralds Song“ –, der auf oberflächliche Weise Danusers ‚Heldentat‘ beschreibt. Der Besungene, der „sich missbraucht und vermarktet“ sieht (ebd., S. 24), antwortet mit einem Gegensang, in dem er die ‚Gesellschaft‘ auffordert, das Leben in die eigene Hand zu nehmen und nicht alles der Arbeit für den Konsum zu unterwerfen. Doch er erreicht die Menschen damit nicht. Die ‚Gesellschaft‘ beschreibt – als „Pilgerchor“ (ebd., S. 28) – die Situation in deutlicher Anlehnung an die „Anfangskakaphonie [!]“ (ebd., S. 31):
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„Sorry, Danuser, […] s’isch s’alte Motiv vom einsame Held“ (ebd., S. 32); er solle mit ihnen weitermachen wie bisher, statt verändern zu wollen. Ein Schiff aus dem Venusberg steigt auf und gibt noch einmal den Blick auf diese positive Gegenwelt frei, doch die ‚normale‘ Welt ist offensichtlich noch nicht reif dafür. Danuser „mischt sich […] unter die anderen“ (ebd., S. 33) und wird so wieder ein Teil der Gesellschaft. Das Stück endet mit einer Wiederholung des von Danuser und dem Chor gesungenen Gegensangs. Das Spiel mit den bekannten Motiven von Tannhäusers Begegnung mit Venus im Hörselberg, aber auch vom Sängerwettstreit wird bei Merz zu einem gesellschaftskritischen Bühnenspektakel genutzt. Dabei wird die lustvolle Beziehung zwischen Tannhäuser und der Liebesgöttin dekonstruiert; Tannhäuser bleibt ein Außenseiter, der sich aber am Ende wieder in die Gesellschaft integrieren lässt. Venus bildet damit mit ihrer ‚Unterwelt‘ den Gegenpol zu Vermarktungsstrategien und politischen Schachzügen und steht für ein genügsameres, friedvolles, gemeinsames und damit erfülltes Leben. Ihre ‚natürliche‘ Lebensweise erscheint als utopisches Ideal, dem Tannhäuser letztlich (noch) nicht folgen kann. Die Bekanntheit und Beliebtheit des Stoffes im neunzehnten Jahrhundert spiegelt sich in der Tatsache wieder, dass er um 1850 nicht nur in zahlreichen epischen und dramatischen Bearbeitungen aufgegriffen wird (Grosse / Rautenberg 1989, S. 266–268), sondern auch in mehreren Opern. So wird 1852, nur wenige Jahre nach Wagner, das „[d]ramatische[…] Gedicht mit Gesang und Tanz“ Der Tannhäuser von Heinrich Ritter von Levitschnigg (1810–1862) mit der Musik von Franz von Suppé (1819–1895) am Theater an der Wien aufgeführt und etwa hundert Mal gespielt. Levitschnigg kombiniert die Tannhäuser-Sage mit einer Eifersuchtsintrige: Der Gaugraf Lichtenried liebt Marie, die Frau seines Freundes Tannhäuser. In der Walpurgisnacht fängt er einen weiblichen Irrwisch und ringt diesem ab, Tannhäuser in den Venusberg zu bringen. Tannhäuser lässt er über einen Mittelsmann von einem „Währwolf“ (Levitschnigg 1852, I.5, S. 6) berichten, was diesen dazu veranlasst, sofort zur Jagd aufzubrechen. Maries Versuche, ihn davon abzuhalten, bleiben erfolglos, obwohl sie düstere Vorahnungen plagen. Lichtenrieds Plan gelingt: Der Irrwisch bringt Tannhäuser vor den Venusberg, dessen Zauber den Ritter in den Bann schlägt, sodass die Warnungen des Wächters Ekard vergeblich sind. Im Berg versucht Tannhäuser zunächst, sich gegen die Vereinnahmung zu wehren, kann gegen Venus aber letztlich nichts ausrichten. Lichtenried berichtet Marie von den Ereignissen; dabei lässt er sich dazu hinreißen, Tannhäuser als „Schwächling“ (ebd., II.2, S. 13) zu bezeichnen und schließlich Marie seine Liebe zu gestehen. Diese durchschaut daraufhin die Intrige, beschimpft ihn als Mörder und bricht selbst auf, um zu einem Einsiedler
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zu gehen, der ihr helfen soll, Lichtenried zu verzeihen. Dieser Einsiedler ist der schon längst verstorbene Wächter Ekard. Er wird vom „Schutzgeist der Liebe“, den „[d]es Himmels Gnade“ (ebd., II.4, S. 15) geschickt hat, wieder erweckt, um Tannhäuser zu retten. Ekard erhält von dem Schutzgeist einen Stab: „Er wird die Unschuld schirmen, / Wenn Zauber sie umgarnt im Venusberg“ (ebd., II.4, S. 16). Ekard erklärt Marie, dass sie in ihrer reinen Liebe die einzige ist, die Tannhäuser retten könne. Inzwischen ist Lichtenried herbeigeeilt, um Marie mit Gewalt zu nehmen, doch der Himmel verhindert dies durch einen Blitz, der Lichtenried bewusstlos werden lässt. Im Venusberg, der von allerlei mythischen Wesen bevölkert ist, laufen unterdessen die Vorbereitungen für Venus’ Hochzeit mit Tannhäuser. „Heftiger Donner und allgemeines Entsetzen“ (ebd., II.7, S. 19) unterbrechen das Treiben, Marie und Ekard erscheinen. Der Anblick seiner Frau lässt den Zauber, in dem Tannhäuser gefangen ist, brechen. Ekard, der das Paar mit dem Stab schützen kann, verhandelt mit Venus, denn Tannhäuser ist freiwillig in den Venusberg gekommen, weshalb sie ein Anrecht auf ihn hat. Schließlich stellt Venus Bedingungen: Ein Bürge müsse für Tannhäuser bis zu dessen Rückkehr im Berg bleiben; das Rosenwunder müsse sich an Ekards Stab ereignen; Tannhäuser müsse „den Kronenreif des Riesen“ bringen, den Zeus in den Ätna geworfen habe; außerdem müsse er „jene wundervolle Perle“ erringen, „[d]ie in Venedig jüngst ein stolzer Jude / Ins Meer versenkt, weil sich kein Käufer fand“ (ebd., II.8, S. 20). Geschehe dies nicht innerhalb eines Jahres, gehöre Tannhäuser auf ewig ihr. Marie bleibt als Bürge im Venusberg und wird von Ekard mit Hilfe des Stabes in Tiefschlaf versetzt, damit Venus ihre Verführungskünste nicht an ihr erprobt. Tannhäuser bricht auf. Kurz vor Verstreichen der Frist ist der bisher erfolglose Tannhäuser in Rom; dort wird er Zeuge, wie zwei Banditen planen, Lichtenried, der ebenfalls seine Heimat verlassen hat, zu ermorden. Tannhäuser kann dies verhindern und verzeiht Lichtenried. In diesem Moment erscheint Ekard und verkündet dem verzweifelten Tannhäuser: „Es ist vollbracht! Bald wird die Stunde schlagen, / Darin dein Kummer stirbt, verweinter Mann“ (ebd., III.6, S. 26). Er versetzt mit Hilfe des Stabes Tannhäuser an den Ätna und nach Venedig, wo er – mit himmlischem Schutz und Ekards Hilfe – die Krone sowie die Perle erringen kann. Himmlische Macht bringt beide zurück zum Venusberg, doch zuvor pflanzt Ekard den Stab auf Golgatha in die Erde – sofort sprießen Rosen aus dem ehemals dürren Holz. Die Gaben werden Venus im Venusberg überreicht, Marie erwacht und Ekard resümiert: „Zum ew’gen Heile führt aus Nacht und Grauen, / Den Sünder selbst ein frommes Gottvertrauen“ (ebd., III.6, S. 29). Der Mythos um Tannhäuser im Venusberg und den treuen Ekard, die reine Liebe einer frommen Frau, eine Intrige aus Eifersucht und zahlreiche mythische Wesen sind die Bausteine, aus denen Levitschnigg seinen Tannhäuser gebildet
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hat. Wie bei Wagner wird der verführte Ritter durch eine Frau gerettet, allerdings bei Levitschnigg durch die liebende Ehefrau, die wegen ihrer Treue himmlischen Beistand für sich und Tannhäuser erhält. Levitschnigg nimmt damit einen populären Stoff des neunzehnten Jahrhunderts auf, verbindet ihn mit der Geschichte einer bedrohten Liebe und versetzt ihn mit bühnenwirksamen Effekten. Das Werk hat sich in den Spielplänen der Theater aber nicht durchsetzen können. Parallel zu Richard Wagners Oper entstand unabhängig davon eine zweite Tannhäuser-Oper, die nur sieben Monate später, am 17. Mai 1846, ihre Uraufführung erlebte (diese ‚Verspätung‘ sei, so Ernst Pasqué [1890, S. IX], einzig auf „lokale[…] Ursachen“ zurückzuführen). Der Komponist Carl Amand Mangold (1813–1890) schuf auf der Basis des Librettos des Schriftstellers und Journalisten Eduard Duller (1809–1853) ein Werk, das sich inhaltlich deutlich mehr als Wagners Oper an der überlieferten Tannhäuser-Ballade orientiert. Tanhäuser [!] bricht von seiner Burg in Thüringen zusammen mit seinem Dienstmann Eckart zur Jagd auf; Eckart verabschiedet sich von seiner Tochter Innigis, die das Fest zur Rückkehr vorbereiten soll. Innigis ist ob ihrer hoffnungslos scheinenden Liebe zu Tanhäuser schwermütig und von Furcht um ihn erfasst. Schließlich eilt sie den Jägern nach. Eckart verliert seinen Herrn aus den Augen, der trotz seiner Warnungen dem Lockgesang „heidnische[r] Götter“ gefolgt ist (Mangold 1890, I.I.2, S. 4). Auch Innigis spürt die Verlockung, doch die Liebe zu Tanhäuser ist stärker; sie will ihm folgen und ihn retten. Der entsetzte Vater kann schließlich durch ihre Standhaftigkeit überzeugt werden: „Mein Glaube gebeut mir die Treu’ bis zum Tod, / Mein Loos ist an seines gebunden“ (ebd., I.I.2, S. 5). Tanhäuser gelangt zum Venusberg und leert trotz aller Hinderungs-Versuche durch Eckart und Innigis, die ebenfalls herbeigeeilt sind, den von Venus gereichten Becher. Der Venusberg schließt sich; Innigis wird von ihrem Vater daran gehindert, Tanhäuser in den Berg zu folgen. Sie soll nun vor dem Eingang Wache halten, während Eckart selbst als „Wächter und Warner“ (ebd., I.I.3, S. 10) um den Berg zieht. Auf einem Volksfest vor den Toren des nahe gelegenen Eisenach entführt „Amor“, der zunächst auf einer Gauklerbühne aufgetreten war, alle Kinder (ebd., I.II.1, S. 11). Die Eltern, die dies zu spät bemerken, ziehen in den Wald, um ihre Kinder zurückzuholen. Im Venusberg buhlt unterdessen Venus um Tanhäuser, der zwar fasziniert, aber auch von Grauen erfüllt ist und sich nach der Welt – konkret dem Wald – sehnt. Der Anblick der von Amor entführten Kinder entsetzt den Sänger so sehr, dass der Bann des Venusberges gebrochen wird; Tanhäuser hofft auf die Vergebung des Himmels. Venus lässt ihn unter einer Bedingung ziehen: Wenn er keine Vergebung erlangen kann, muss er freiwillig für immer zu ihr zurückkehren. Die Kinder sind das Pfand dieser Vereinbarung.
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Als Tanhäuser den Berg verlässt, trifft er auf Innigis und Eckart sowie auf Pilger – die Eltern der entführten Kinder –, die zu dem unterwegs sind, „der Macht hat von den Sünden: / Die Seele zu entbinden“ (ebd., II.III.2, S. 22). Tanhäuser und Innigis schließen sich ihnen an, Eckart zieht weiter seine Runden um den Berg. Der Gang in den Venusberg wiegt als Sünde aber so schwer, dass Urbanus, der Patriarch von Jerusalem, Tanhäuser keine Vergebung schenken kann; seine Erlösung ist genauso unmöglich wie das Wiedererblühen von Urbanus’ Stab, den er Tanhäuser schließlich „vor die Füße [wirft]“ (ebd., III.IV.1, S. 28). Zurück in Thüringen schwelgt Tanhäuser in heimatlichen Gefühlen und besingt den ‚deutschen Wald‘. Wie versprochen, will er in den Venusberg zurückkehren und lehnt Innigis’ Wunsch, ihm zu folgen, ab. Beide hat auf der Pilgerreise eine ‚reine Liebe‘ verbunden. Eckart, der noch immer wacht, gibt schließlich seinen Segen dazu, dass Innigis mit Tanhäuser geht. Nachdem beide im Venusberg verschwunden sind, sprießt der Stab, den Eckart vor dem Berg in die Erde gestoßen hat. Mit Hilfe des Stabes kann er den Berg öffnen; Tanhäuser, Innigis und die Kinder sind gerettet, der Berg stürzt ein. Das Werk endet mit dem Wiedersehen aller Beteiligten und einem kurzen Gottespreis. Diese Bearbeitung des Tannhäuser-Stoffes, die – im Gegensatz zu derjenigen Richard Wagners – auf eine Verbindung mit dem Sängerwettstreit verzichtet, wurde hoch geschätzt. In der zweiten Auflage seines Buches über Tannhäuser und den Ewigen Juden notiert der Bibliothekar und Sagenforscher Johann G. Th. Gräße 1861: „Verständiger ist der Text zu einer von Mangold componirten Oper Tanhäuser von E. Duller als die frömmelnde Verballhornung der großartigen hochpoetischen Rückkehr Tanhäusers zur Frau Venus im deutschen Volksliede durch Wagner in dem Textbuch seiner bekannten Oper“ (Gräße 1861, S. 23; vgl. auch Newald 1935, S. 74). Integriert wird das Motiv des Verschwindens von Kindern, das in der Sage vom Rattenfänger von Hameln wohl seine berühmteste Ausformung gefunden hat (Uther 2004). Wie bei Wagner wird auch bei Duller / Mangold die Erlösung des Mannes durch die Frau thematisiert; während aber bei Wagner die heilige Elisabeth die Erlösung bewirkt, ist es bei Duller / Mangold mit Innigis „eine Allegorie der Treue“ (Newald 1935, S. 73), die den Weg weist. Tanhäuser war die erste Zusammenarbeit von Mangold und Duller, der weitere folgten. Duller, der 1836 nach Darmstadt gezogen war (Neumann 1854, S. 62) und dort Mangold kennenlernte, hatte neben zahlreichen weiteren Texten, in denen Mittelalterliches rezipiert wird (Newald 1935, S. 21), bereits 1838 eine Erzählung zu Tannhäuser veröffentlicht (Duller 1838), auf deren Basis der Operntext entstanden ist. Bis 1850 wurde die Oper in Darmstadt gespielt; weiterer Erfolg war ihr nicht vergönnt. Ernst Pasqué, der bei der Uraufführung den Patriarchen gesungen hatte, brachte sie – in von ihm leicht bearbeiteter Form – noch einmal auf die Bühne, doch die Konkurrenz von Wagners Tannhäuser war wohl zu groß. Erst
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in jüngster Zeit wächst erneut Interesse an Mangold und dieser Oper: Bei den Darmstädter Residenzfestspielen 2006 erlebte die Oper nach über 150 Jahren ihre erste (konzertante) Wiederaufführung; 2014 folgte eine szenische Aufführung am Theater Annaberg-Buchholz. Die historische Basis für die Tannhäuser-Sage bildet der Leich-, Lied- und Sangspruchdichter Tannhäuser, der in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts gelebt und gewirkt hat. Eine historische Verortung ist allerdings mangels außerliterarischer Zeugnisse und aufgrund von nur vagen Anhaltspunkten in den Texten äußerst problematisch: „Rückschlüsse auf Stand und Lebensform des Dichters sind […] nicht möglich“ (Wachinger 1995a, Sp. 600). Auch die Entstehung der Sage um Tannhäuser und den Venusberg ist nicht genau zu bestimmen. Greifbar wird sie erstmals in Texten aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, die im Kern von Tannhäusers Aufenthalt im Venusberg, seinem Abschied, seiner vergeblichen Bitte um Vergebung, seiner Rückkehr und dem verspäteten Stabwunder berichten (Wachinger 1995b, Sp. 614; Rüther 2007, S. 150–160). Ob aus Liedern Tannhäusers diese Verbindung zur Venusberg-Sage resultierte oder umgekehrt die Sage auf Lieder Tannhäusers (oder unter seinem Namen überlieferte Werke) rückwirkte, ist schwer zu beurteilen (Rüther 2007, S. 234–244). In der Literaturgeschichtsschreibung des neunzehnten Jahrhunderts ist das Bild des Sängers Tannhäuser von der Vorstellung eines Verfalls des Hohen Sangs geprägt. Georg Gottfried Gervinus konstatiert, der Tannhäuser ziehe „den Liebesdienst herab“ und übertreibe „verspottend die alten Abenteuerlichkeiten der Frauenbewerbung“ (Gervinus 1853, I, S. 321). Darüber hinaus sei er der erste Exponent einer neuen Richtung, in der „man jetzt auch anfängt, Gelage und Zechereien zum Gegenstande der Dichtung zu machen“ (ebd., I, S. 320). Die Abkehr von der anbetenden Hohen Minne und die Wendung zu Genuss und Lust scheinen damit in Tannhäusers Œuvre angelegt, auch wenn sie dort nicht so ausgeprägt zu finden sind, wie die Rezeption es vermuten ließe. Auch das verbreitete Motiv der kaum zu erringenden Ablöse-Güter, die Venus bei Levitschnigg von Tannhäuser fordert, findet sich in drei Liedern des mittelalterlichen Dichters, in denen der Sänger die zahlreichen unerfüllbaren Forderungen der Dame beklagt (vgl. Tannhäuser 2009, Nr. VIII–X). Durch die wirkmächtige Verbindung des Tannhäuser-Stoffs mit der Sängerkrieg-Tradition, die in dieser Form Richard Wagner geschaffen hat, kommt eine weitere mittelalterliche Quelle hinzu: der Wartburgkrieg (Hallmann 2015). Dieser „Komplex von mehreren Dichtungen des 13. bis 15. Jh.s“ (Wachinger 1999, Sp. 740) besteht im Kern aus Texten eines (fiktiven) Sängerstreits, der teilweise am Thüringer Hof auf der Wartburg verortet ist. Heinrich von Ofterdingen fordert die übrigen Sänger – Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogelweide, den
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tugendhaften Schreiber, Biterolf, Reinmar von Zweter – in einem Streit auf Leben und Tod heraus, um über das Fürstenlob der Sänger festzustellen, welcher Fürst der größte sei. Mit der fiktiven Figur des zauberkundigen Klingsor von Ungarland, der von Heinrich von Ofterdingen nach seiner Niederlage gegen Walther zu Hilfe gerufen wird, ist auch in den mittelalterlichen Texten bereits eine nicht irdische, (schwarz-)magische Macht integriert. Eine historische Basis dieses Wettstreites wird im neunzehnten Jahrhundert durchaus angenommen, auch wenn Gervinus etwa die Todesstrafe für den Verlierer in der höfischen Gesellschaft nicht für denkbar hält (Gervinus 1853, II, S. 30). Joseph von Eichendorff vermutet sogar: „Manches in dem Gedichte mag vielleicht aus diesem [historischen, A.S.] Kampfspiel noch wörtlich übernommen sein“ (Eichendorff 1857, S. 77). 2 Frauenlob Der mittelalterliche Minnesänger Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob, ist heute wohl ebenso unbekannt wie die Opern, die im neunzehnten Jahrhundert über ihn geschrieben wurden. 1892 wurde in Dresden die Oper Frauenlob des Geigers und Komponisten Reinhold Becker (1842–1924) uraufgeführt; das Libretto verfasste der Dichter und Dramaturg Franz Koppel-Ellfeld (1838–1920). Zu Beginn kehrt Frauenlob nach zehn Jahren des Exils inkognito in seine Heimatstadt Mainz zurück; er hatte einst in einem erzwungenen Zweikampf seinen Gegner getötet und wurde zum Tode verurteilt. Es ist Johannisnacht und Frauenlob trifft auf eine Gruppe junger Menschen, die am Feuer feiern. Die Zigeunerin Sizyga wird Zielscheibe des Spottes; Frauenlob setzt sich für sie ein und kann die Situation beruhigen. Doch Sizyga hat das Johannisfeuer verflucht: Das erste Paar, das hindurch springt, soll sterben. Es ist Frauenlob mit Hildegund, die er sich dazu erwählt hat. Sizygas Fluch trifft auf diese Weise ungeplant denjenigen, an dem sie ohnehin Rache üben will, denn Frauenlobs Vater hatte Sizyga einst in der Johannisnacht verführt und dann verlassen: „Der Sohn meines Todfeind’s darf nicht leben!“ (Becker 1894, I.4, S. 28). Servazio, ein Patrizier, der um Hildegund wirbt, wird eifersüchtig auf Frauenlob und heuert Sizyga an, ihm gegen den Sänger zu helfen. Diese weiß, dass Frauenlob Hildegunds Vater im Zweikampf getötet hat und dass Hildegund demjenigen versprochen ist, der ihren Vater an seinem Mörder rächt. Aus Frauenlob und Hildegund wird schnell ein heimliches Paar, doch die Identität des Sängers bleibt nicht lange geheim. Als öffentlich bekannt wird, wer er ist, wendet sich Hildegund von ihrem Geliebten ab. Der Kaiser, der gerade Mainz besucht, soll schließlich über Frauenlobs Schicksal bestimmen, lehnt jedoch zunächst eine Einmischung in die bereits vollzogene Rechtsprechung ab; Hildegund soll als Betroffene die Entscheidung fällen. Sie vergibt Frauenlob und beide werden vom Kaiser zusammengeführt.
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Dem glücklichen Ende stehen jedoch Servazio und Sizyga entgegen: Servazio will Frauenlob einen von der Zigeunerin vergifteten Trank reichen, doch Hildegund trinkt zuerst davon und stirbt; Frauenlob nimmt nun bewusst ebenfalls das Gift zu sich und folgt Hildegund in den Tod. Die Mainzer Bürger geleiten den beliebten Sänger in einem Trauerzug zum Dom. Becker lernte den Stoff durch seinen späteren Librettisten, Koppel-Ellfeld, kennen, der ihm 1890 zur Lektüre des Frauenlob-Romans von Gerhard von Amyntor (1831–1910) riet (Fischer 1932, S. 42). Dem zu dieser Zeit hauptsächlich als Lieder-Komponist bekannten Becker gefiel das Sujet um den Minnesänger; er ging allerdings bei der Arbeit am Libretto recht frei mit seiner Vorlage um. 1891 begann Becker mit der Komposition und bereits am 8. Dezember 1892 wurde Frauenlob mit großem Erfolg an der Dresdner Oper uraufgeführt. Obwohl Becker ein glühender Verehrer Wagners war und sich auch in dessen Umfeld aufhielt – er war beispielsweise mehrfach Gast im Hause Wesendonck (ebd., S. 15) –, ging er sowohl beim Stoff als auch in der Musik eigene Wege. Ein Erlösungsgedanke wie in Wagners Tannhäuser wird in der Verzeihung durch Hildegund angedeutet, letztlich aber nicht wirksam. Mit dem Zigeuner-Milieu wird ein gerade am Ende des neunzehnten Jahrhunderts populärer Motivbereich integriert, der auch musikalisch nutzbar gemacht werden kann (die Uraufführung von Johann Strauß’ Zigeunerbaron etwa war am 24. Oktober 1885), und die Liebesbeziehung einer Frau mit dem Mörder ihres Vaters ist aus den Bearbeitungen des → Cid bekannt (Schindler 2007, S. 333– 336). Die Figur des Frauenlob, der als kaiserlicher Ritter und Minnesänger seinen Herrn und die (deutschen) Frauen im Herzen trägt, bietet außerdem die Möglichkeit zu patriotischem Pathos: „Mein letztes Wort: In deutschen Gau’n: / Dem Kaiser Heil, und Heil den Frau’n!“ (Becker 1894, III.7, S. 187). Der Erfolg der Oper hielt dementsprechend auch nach der Premiere an: Den Dresdner Aufführungen folgten weitere an der Königlichen Hofoper in Berlin, in Mainz, Köln, Aachen und Posen. Der Sprung ins Repertoire blieb dem Werk jedoch versagt. Bereits 1882 publiziert der Lustspielautor Wilhelm Jacoby (1855–1925) nach dem von Willem de Haan vertonten Libretto Die Kaiserstochter (→ Emma und Eginhard) seinen zweiten Operntext Frauenlob. Im Vorwort äußert er den Wunsch: „Möge auch der lichten Gestalt Frauenlobs, einem Lieblingshelden der deutschen Frauen, ein Componist erstehen, der zur dramatisch-musikalischen Belebung und Erhebung des rheinischen Troubadours die rechten Töne findet“ (Jacoby 1882, S. 3). Mit Robert Schwalm (1845–1912) fand sich ein solcher Komponist, der das Libretto mit wenigen Kürzungen und Eingriffen vertonte, sodass das Werk am 6. Dezember 1885 am Leipziger Stadttheater „mit günstigem Erfolge“ (Neue Illustrirte Zeitung 14 [27. Dezember 1885], S. 242) uraufgeführt werden konnte.
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Die Handlung: Der Meistersinger Heinrich Frauenlob ist in seine Heimatstadt Mainz zurückgekehrt. Er hatte sie ein Jahr zuvor verlassen, weil er sich unglücklich in Maria, die Tochter des Bürgermeisters Dietrich von Guldenrade, verliebt hatte. In der Stadt bereitet man ein Fest vor; die Lehrjungen schmücken unter Aufsicht der Meister eine Ehrenpforte. Blasta, die Tochter des böhmischen Fiedlers Dalibor, wird von den Lehrjungen aus dem Laden des Goldschmieds Hans Weiland gezerrt; sie hat sich dort mit Schmuck behängt und wird nun des Diebstahls bezichtigt. Weiland selbst geht dazwischen und schenkt Blasta schließlich eine Kette, was ihm die Dankbarkeit Dalibors einbringt. Der Goldschmied und Maria sind ein heimliches Paar. Hans Weiland will bei ihrem Vater um ihre Hand anhalten; da er allerdings kein Meistersänger ist, wird er abgewiesen. Frauenlob, der von den Mainzer Bürgerinnen und Bürgern jubelnd empfangen wird, trifft auf Maria; beide verbindet – neben Frauenlobs Liebe – ihre frühere Beziehung als Lehrer und Schülerin. Maria bittet Frauenlob um Fürsprache bei ihrem Vater für sie und Hans Weiland. Der Sänger entsagt nun Maria und setzt sich für sie und Hans ein. Dalibor will seine Schuld gegenüber dem Goldschmied abtragen, indem er ihn nachts am Lagerfeuer mit (böhmischer) Musik und Wein singen lehrt. Blasta singt ein Lied, das „der Weltlust Ton“ (Jacoby 1882, II.3, S. 30) in sich trägt und Hans Weiland verzaubert. Etwas abseits davon sitzt Frauenlob an einer Marienstatue und reflektiert seine Situation: „Nicht ist beschieden / dem Frauenlob die Frauenlieb“ (ebd., II.3, S. 28). Er entsagt der weltlichen Liebe und will fortan nur noch für die Gottesmutter Maria singen; gleichzeitig bittet er sie um Beistand, um standhaft zu bleiben. Sein Lied, in dem er die Entsagung ausdrückt, rührt Weiland, kann aber dessen ‚Verzauberung‘ nicht verhindern. Blasta jedoch „fällt’s […] auf die Seele schwer“ (ebd., II.3, S. 30); sie wird verwandelt und folgt schließlich Frauenlob. Bei einem Fest im Hause des Bürgermeisters kommt es zu einer Art Sängerwettstreit zwischen Frauenlob und Hans Weiland. Während Frauenlob ein Lied auf die Gottesmutter Maria singt, das allgemeinen Beifall findet, besingt Weiland – von Dalibor angestachelt – die sinnliche Lust und das „Weib“ (ebd., III.2, S. 38). Frauenlob jedoch gewinnt mit seinem Antwortsang, einem Lob der keuschen Minne zur „edlen Frau“, den Wettstreit (ebd., III.2, S. 39). Weiland ist verzweifelt. Frauenlob bittet den in Mainz weilenden böhmischen König Johann um Fürsprache beim Bürgermeister für Hans und Maria; Guldenrade willigt schließlich in die Verbindung ein. Doch da Weiland Dalibor auf dessen Forderungen hin Schmuck und Geld gibt und der Fiedler Blasta gerne mit dem Goldschmied verheiraten möchte, wendet sich Maria von Weiland ab und Guldenrade nimmt sein Einverständnis zurück. Frauenlob möchte nun Mainz endgültig verlassen; vor der Stadt trifft er auf Dalibor, der Frauenlobs Harfe haben möchte und ihn mit dem Dolch bedroht. Blasta verhindert Gewalt, doch Dalibors Bericht über Frauenlobs Liebe zu Maria
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lässt sie in dessen Mordplan einwilligen – allerdings möchte sie mit Frauenlob gemeinsam sterben. Sie reicht ihm den Todestrunk, von dem beide trinken. Dalibors Triumph über seinen Rivalen wird – unwissentlich – von Frauenlob gemindert, da dieser seine Harfe, die ein weltliches Lied entweiht habe, in den Rhein schleudert. Bevor er stirbt, erlebt er eine Vision vom offenen Himmel mit Engeln, Maria und dem Thron Gottes. Blasta bittet Frauenlob um Fürbitte bei Maria und stirbt ihm nach. Den Schluss bildet das Begräbnis Frauenlobs als „lebendes Bild“ (ebd., S. 55); die Beziehung zwischen Maria und Hans Weiland bleibt offen. Die frei erfundene Handlung wird durch „die Personen des Titelhelden, des Kurfürsten und des Königs“ historisch verortet, wobei Jacoby sich durchaus mit Frauenlob und dessen Werk befasst hat, dieses aber letztlich kaum für sein Libretto berücksichtigt, sondern „nur einzelne eigenartige Worte und Wendungen aus den Liedern des Meistersingers adoptirt“ (ebd., S. 3). Stattdessen wird das Motiv des Sängerstreits integriert, das auch mit Frauenlob verbunden wird; darüber hinaus wird mit dem böhmischen Paar Dalibor und Blasta, die explizit als „Zigeuner“ geschmäht werden (ebd., I.3, S. 11), das entsprechende populäre und theaterwirksam einsetzbare Milieu integriert. Nach einigen erfolgreichen Aufführungen in Leipzig wurde die Oper 1887 auch in Königsberg, wo Schwalm tätig war, am Stadttheater aufgeführt und „mit lebhaftem Beifall aufgenommen“ (Signale für die Musikalische Welt 45 [Mai 1887], S. 551); doch sie hatte „gleichwohl festere Wurzeln nicht zu schlagen vermocht“ (Vogel 1893, S. 537). Die zeitgenössische Kritik lobte die musikalische Gestaltung, kritisierte aber das Libretto deutlich, weshalb Beckers Oper der Vorzug gegeben wurde (Wynecken 1887; Vogel 1893). Eine freie Montage der Geschichten über den mittelalterlichen Sänger Frauenlob und des durch Wagners Tannhäuser auf der Opernbühne etablierten Mythos vom Venusberg, hier ebenfalls verbunden mit dem Motiv des Sängerkriegs, bietet ein Libretto von Ernst Pasqué (1821–1892), das Eduard Lassen (1830–1904) vertont hat. Im Zentrum steht hier die Auseinandersetzung zwischen den Meistersängern Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob, und Barthold, genannt Regenbogen. Beide werben um Hulda, die Tochter des Mainzer Bürgers und Meistersängers Humprecht, und treten im Sangeswettstreit gegeneinander an. Nach dem Sieg Frauenlobs tritt Klingsohr auf den Plan und will mit Regenbogen einen weiteren Sänger der Hölle überantworten. Er gibt sich ihm als eben jener Klingsohr des legendären Thüringer Sängerwettstreites zu erkennen, der vor mehr als hundert Jahren stattgefunden hat, und bietet ihm den Sieg im Wettstreit gegen Frauenlob und die Erringung Huldas an. Regenbogen stimmt zu und ist bereit, dafür mit Klingsohr „in die Hölle [zu] gehen“ (Pasqué 1860, I.2, S. 8). Er reist mit Klingsohr zum Hörselberg, wo er die Harfe Heinrichs von Ofterdingen erhält. Er darf sie allerdings nur zweimal spielen; beim dritten Mal muss er auf ewig in den Hörsel-
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berg, wo er sich freilich – so gaukelt Klingsohr es ihm zumindest vor – in bester Gesellschaft befände: „Der Veldeck, / Gottfried von Straßburg, der Eschinbach / Und Walther! – Ofterdingen!“ (ebd., I.3, S. 12) Der zweite Aufzug spielt am Morgen des Hochzeitstages von Frauenlob und Hulda; Barthold Regenbogen fordert noch einmal zum Wettstreit auf, den beide – Regenbogen im Vertrauen auf die höllischen Mächte, Frauenlob im Vertrauen auf Maria – beginnen. Während Frauenlob den Schöpfer und Maria besingt, preist Regenbogen das Leben und den Augenblick. Die Macht seines Liedes wirkt bei Hulda, die nun zwischen ihrer Verehrung für Frauenlob und der Anziehungskraft Regenbogens hin- und hergerissen ist. Sie betet um einen Ausweg. Erst der zweite Einsatz des magisch wirksamen Instruments kann ihre Standhaftigkeit überwinden; sie flieht mit Regenbogen und Klingsohr triumphiert. Unter Führung Kling sohrs, der auf Regenbogens Fall wartet, folgen der Vater Humprecht und Frauenlob dem flüchtigen Paar. Es kommt zu einer Auseinandersetzung, bei der Hulda zunächst die Verzeihung ihres Vaters erwirkt, sich aber dennoch zu Regenbogen bekennt; dieser wird von Klingsohr dazu gedrängt, ein drittes Mal auf der Leier zu spielen. Frauenlob, dem sich Regenbogen anvertraut, will den Freund retten und verzichtet auf Hulda. Klingsohr muss sich fluchend geschlagen geben. Im Schluss-Ensemble gelobt Frauenlob, von nun an nur der Gottesmutter Maria zu dienen; gleichzeitig preisen Hulda, Barthold und Humprecht Gott dafür, dass er das Paar „zum Heil, zum Glück“ geführt habe (ebd., III.5, S. 36), wodurch die durch teuflische Mächte beförderte irdische Liebe am Ende als göttliche Fügung legitimiert wird. In deutlicher Anlehnung an die von Wagner im Tannhäuser zusammengeführten Sujets des Sängerwettstreits und des Venusbergs verbindet Pasqué diesen Kern mit der Figur des Minnesängers Frauenlob. Der Konflikt zwischen Frauenlob und dem (ebenfalls historischen) Sänger Regenbogen wird über die Werbung um Hulda motiviert und im Sängerwettstreit ausgetragen. Mit der Figur des Klingsohr, die dem Wartburtkrieg entlehnt ist (und dort wiederum eine Rezeption des Clin schor aus dem Parzival Wolframs von Eschenbach darstellt), wird die teuflische Verlockung des Hörselberges personifiziert. Die Oper wurde 1860 in Weimar uraufgeführt, wo Lassen seit 1858 in der Nachfolge von Franz Liszt Hofkapellmeister war. Doch Lassens Opern hatten keinen bleibenden Erfolg; Frauenlob und Die Gefangenen (1868) fanden in Weimar „den Weg auf die Bühne, um jedoch bald wieder von ihr zu verschwinden“ (Bachmann 1903/1904, S. 271). Dies konnte auch der Sänger, Theatermacher und Schriftsteller Ernst Pasqué nicht verhindern; der produktive Librettist schrieb ab 1845 Operntexte, von denen „bis 1882 zweiundzwanzig von den bedeutendsten Musikern (K. Kreutzer, David, Lassen, Hiller, Rietz, Hochstätter, Abert, Schindelmeißer u. A.) componirt und aufgeführt“ (Brümmer 1906) wurden. Nachhaltige Wirkung hatte
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Pasqué allerdings mehr als Sänger, Regisseur und Theaterleiter sowie mit seinen literar- bzw. theaterhistorischen Schriften. Ähnlich wie beim Tannhäuser bietet auch bei Frauenlob eine – wenn auch nicht so ausgeprägte – Sagenbildung Anknüpfungspunkte für die Rezeption. Der mittelalterliche Sänger Heinrich von Meißen, der sich selbst „Frouwenlop“ nannte, lebte und wirkte Ende des dreizehnten bis Anfang des vierzehnten Jahrhunderts. Über seine Lebensumstände ist wenig bekannt, allerdings war er offenbar an zahlreichen Fürstenhöfen der Zeit tätig (Stackmann 1979, Sp. 866 f.). Matthias von Neuenburg berichtet in seiner Chronik, Frauenlob „sei unter außergewöhnlichen Ehren im Kreuzgang des Mainzer Doms beigesetzt worden. Frauen hätten ihn von seinem Quartier […] zur Grabstätte getragen und dort eine große Totenklage erhoben“ (ebd., Sp. 868). Der ursprüngliche Grabstein wurde 1774 zerstört und durch eine nicht exakte Nachbildung ersetzt. Dieses Begräbnis wird auch in den Opern mehrfach als Schlussbild gezeigt. Darüber hinaus war im neunzehnten Jahrhundert auch der Sängerstreit zwischen Frauenlob und dem etwa zeitgleich wirkenden Spruchdichter Regenbogen bekannt: Neben anderen Quellen ist die tatsächliche oder inszenierte Auseinandersetzung beider Dichter „im Text des Frauenlob-Corpus“ greifbar, „von dem ein Teil durch (vielleicht nachträglich hinzugefügte) Beischriften als Streit zwischen beiden deklariert ist“ (Schanze 1989, Sp. 1078). Diese Ausgangslage ließ zum einen eine (vage) Anknüpfung an historische Ereignisse und an die erfolgreichen Werke Richard Wagners zu; zum anderen bot sie aber genügend Freiraum für eigene Gestaltungen, die meist mit populären Themen und bekannten Figuren-Typen gefüllt wurden. Darüber hinaus wurde die Figur des Frauenlob auch für die Darstellung vorgeblich ‚deutscher‘ Tugenden und Vaterlandsliebe genutzt, die ebenso den „vorrangig Erfolg generierende[n] Konzeptionsmodi“ (Disselhoff 2018, S. 221) zugehören. 3 Walther von der Vogelweide Mit der zwischen 1937 und 1948 entstandenen, aber nicht zur Aufführung gelangten Oper Walther von der Vogelweide von Ursel Renate Hirt (1903–1942) und dem als Operettenkomponist bekannten Eduard Künneke (1885–1953) endet vorläufig die Reihe der Walther-Opern. Die Schauspielerin und Bühnenschriftstellerin Hirt arbeitete mehrfach mit Künneke zusammen. Im Zentrum der Oper Walther von der Vogelweide steht die Liebe von Walther und Gyburg, der aufgrund der politischen Umstände auch nach Jahren keine Erfüllung beschieden ist. Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, kurz nach der Ermordung Philipps von Schwaben durch Otto VIII. von Wittelsbach, treffen in der Nähe von Würzburg Friedrich der II. (der sich nicht zu erkennen gibt) und
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Walther von der Vogelweide aufeinander, der mit seinem Famulus Leutold von Seven unterwegs ist. Friedrich will den berühmten Sänger an seinem Hof haben, Walther selbst trauert um Philipp und lehnt die Begleitung durch den Jagdtross ab. Als Walther und Leutold ihr Nachtlager bereiten, hören sie die Stimmen des Kinderkreuzzuges und sehen den Fackelschein der sich zum Teil mühsam dahinschleppenden Kinder. Walther ist empört und fühlt sich ohnmächtig: „Was soll ich singen für die, so das Land beschützen, wenn sie die Macht nicht gegen dieses Unrecht nützen!“ (Hirt 1941, I.1, S. 38) Gyburg erscheint, die sich offenbar vom Zug getrennt hat; Walther und Leutold kümmern sich um die erschöpfte junge Frau. Es ist die Tochter Ottos von Wittelsbach, die dessen Untat büßen soll und gebannt wurde. Die Sänger nehmen sie unter ihren Schutz und verkleiden sie als Knappe. Insbesondere Walther ist von ihr angetan. Die drei treffen auf ihrem Weg auf einen Eremiten, der eine Auseinandersetzung mit seiner ihn provozierenden Nichte Hildegunde hat: Sie weigert sich zu heiraten und will stattdessen als Sängerin durch die Welt ziehen. Dies widerspricht gänzlich dem Weltbild des Onkels: „Wie kann ein Weib sich unterstehen, mit Männern sich zu messen, die für Kron’ und Reich zu singen in die Fremde gehn?“ (ebd., I.2, S. 80) Durch Hildegunde in ihrer Eifersucht herausgefordert kämpft Gyburg um Walther, der ihre Gefühle erwidert; im anschließenden Duett des Paares gestehen sie sich gegenseitig ihre Liebe. Das 3. Bild spielt am Hof Friedrichs II. Walther von der Vogelweide, begleitet von Leutold von Seven und Gyburg, und Heinrich von Morungen singen vor der höfischen Gesellschaft. Friedrich vertröstet Walther mit seinem Wunsch nach einem Lehen auf später; Isabella von Katalonien, die ‚Vertraute‘ des Königs, kennt Walther aus ihrer Heimat und ist (wieder) in Liebe zum Sänger entbrannt. Walther erwidert diese Liebe nicht, doch Gyburg hat in ihrer Eifersucht dunkle Vorahnungen. Die abgewiesene Isabella belauscht ein Gespräch zwischen Walther und Gyburg, erfährt so von deren wahrer Identität und verrät beide an Friedrich. Dieser lässt Gyburg gehen und verbannt Walther (wohlwollend) vom Hof. Vier Jahre später treffen Heinrich von Morungen und Leutold von Seven vor Wien wieder aufeinander. Leutold hat (vergeblich) nach Gyburg gesucht, Walther trauert noch immer um sie. Beide treffen auf Walther, der mit Hildegunde ausschweifend im Kreis der Dorfjugend tanzt und trinkt; dass diese Freude nicht echt ist, wird klar, als Leutold von seiner Suche berichtet: Die letzte Spur von Gyburg fand er bei Würzburg, wo sie als Magd an einem Hof diente, nach der Entdeckung ihrer Identität aber gehen musste, wobei sie sehr krank war. Er hat kaum Hoffnung, dass sie noch lebt. Vorbeiziehende Pilger erinnern den trauernden Walther an die erste Begegnung mit Gyburg. Heinrich weckt Hoffnung, denn eine gewisse Nachricht von Gyburgs Tod gibt es nicht und sie könnte, wenn sie noch lebt, inzwischen unter den geänderten politischen Umständen begnadigt werden. Zu dritt brechen sie auf in die Heimat ‚Deutschland‘.
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Weitere zwölf Jahre später lebt Walther auf seinem nun erhaltenen Lehen bei Würzburg. Leutolt kümmert sich um den alt gewordenen Sänger. Heinrich von Morungen erscheint und berichtet von Friedrichs gescheitertem Kreuzzug, vom Tod des Landgrafen von Thüringen und dem Bann des Papstes über Friedrich. Gyburg nähert sich als Bauernmagd; sie möchte für Walther sterben. Sie bietet (anonym) ihre Dienste an, wendet sich dann aber heimlich ab, doch sie rufen sie zurück. Sie offenbart sich dem im Sterben liegenden Walther, der damit seinen letzten Wunsch erfüllt sieht: „Erlösung bringst du mir“ (ebd., III.5, S. 348). Nach einer Marienanrufung – „Heilige Mutter Gottes, bitte für uns!“ (ebd., III.5, S. 352 f.) – stirbt sie ihm nach. Hirt verortet diese fiktive Geschichte durch den Bezug zur Ermordung Philipps von Schwaben konkret in der Reichsgeschichte, in die der historische Sänger Walther durch seine Parteinahme für Philipp verwoben ist (Walther 1996, L 18,29, S. 36–38). Mit der gelungenen Aufnahme einiger Liedtexte (in neuhochdeutscher Übertragung) von Walther von der Vogelweide, Heinrich von Morungen und auch dem nur hinter der Bühne singenden Neidhart wird eine enge Anbindung an das Mittelalter geschaffen. Der Freiraum, den die Figur Walthers aufgrund mangelnder historischer Informationen über sein Leben birgt, wird für eine Liebesgeschichte genutzt, in der sich Walther einmal mehr als treuer Sänger erweisen kann, der aber auch aufrecht gegen ihm falsch erscheinende Umstände eintritt. Ursel Renate Hirt hatte das Libretto in den 1930er Jahren geschrieben, Künneke arbeitete lange an der Komposition. Mehrere Teilaufführungen im Rahmen von Konzerten scheiterten ebenso wie eine Uraufführung der Oper an den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit, sodass Walther von der Vogelweide nie „das Licht der Bühnenwelt [erblickte]“ (Schneidereit 1978, S. 214). Am 1. Januar 1906 wurde die Oper Walter von der Vogelweide des Komponisten und Organisten Franz Schöpf (1836–1915) auf ein Libretto von Ludwig Kommender (d. i. Loibner; vgl. Birkhan 2005, S. 59) im Gesellenhaus-Theater in Bozen uraufgeführt, wo sie insgesamt „neunmal über die Bretter [ging]“ (Romen 1946, S. 22). Kommender erzählt eine Geschichte über Intrigen am Kaiserhof, denen Walter seine Treue und Redlichkeit erfolgreich entgegensetzt: Auf dem Vogelweiderhof besingen Walter von der Vogelweide und die Landleute die hereinbrechende Nacht, während in der Nähe der Kaiser (nur im Personenverzeichnis als Friedrich II. bezeichnet) durch ein wildes Tier in Gefahr gerät. Graf Hilde von Wilfried will ihn retten, verfehlt aber mit seinem Speer das Tier; der verbannte Hans von Wimpern trifft von einem Felsen aus und verschwindet wieder. Der Kaiser lässt sich, nachdem er aus einer Bewusstlosigkeit erwacht ist, schnell von Wilfrieds Getreuen davon überzeugen, dass dieser sein Retter sei, und beschenkt ihn mit einem edelsteinbesetzten Dolch. Walter jedoch zweifelt sofort an der Wahrheit
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dieser Geschichte, da des Grafen „wirrer Blick“ (Kommender 1906, I.4, S. 11) seinen Verdacht erregt. Beim folgenden „fröhliche[n] Gelag“ (ebd., I.6, S. 14) singt Walter eine „Arie“ auf den Kaiser (ebd., I.6, S. 15), eine Übertragung der WaltherStrophe L 11,30 (Walther 1996, S. 18). Auf der Wartburg erwartet der Kaiser in den „teure[n] Hallen“ die Minnesänger zu einem Fest; allerdings plagen ihn Vorahnungen: „Es gärt Verschwörung und Verrat / Im ganzen Lande ringsumher“ (Kommender 1906, II.7, S. 17). Walter hatte einst für den zu Unrecht verbannten Hans von Wimpern Fürsprache eingelegt, woraufhin der Kaiser diesen suchen ließ, um ihn wieder in Gnaden aufzunehmen. Der Sänger berichtet dem Kaiser nun, dass der Gesuchte ermordet aufgefunden worden sei, und bezichtigt den Grafen von Wilfried des Mordes. Dieser rühme sich fälschlicherweise der Rettungstat, die in Wirklichkeit Hans von Wimpern vollbracht habe: Bei dem niedergestreckten Tier, das den Kaiser bedroht hatte, habe man eine Lanze mit dem Wappen dessen von Wimpern gefunden. Beim anschließenden Sängerwettstreit, bei dem eigentlich die „deutsche[…] Treue“ (ebd., II.10, S. 24) besungen werden soll, schildert Walter zunächst in einem Lied Wilfrieds Taten, ohne seinen Namen zu nennen. Erst danach beschuldigt er den Grafen öffentlich des Mordes. Als Beweis legt er die Mordwaffe vor: den edelsteinbesetzten Dolch, den der Kaiser dem Grafen geschenkt hatte. Daraufhin fällt der Kaiser sein Urteil: „Graf von Wilfried sei in Bann und Acht / Weil seinem Nam’ er Schmach gebracht! / Und jeder, der zu seinen Freunden zählt / Nach Reiches Fug derselben Acht verfällt!“ (ebd., II.11, S. 28). Anschließend ruft er zur Fahrt ins Heilige Land auf, an der sich auch Walter als Sänger beteiligt. Vor den Toren Würzburgs (wohl nach Rückkehr der Pilger) plant der Graf von Wilfried seine Rache. Walter wird vom Volk begrüßt; man erwartet den Kaiser. Ein vorauseilender Herold verkündet die Belehnung Walters, der ein Danklied singt (vgl. Walther 1996, L 28,31, S. 54). Nach Ankunft des Kaisers tritt Graf von Wilfried in Erscheinung und fordert ein Gottesurteil durch Zweikampf. Der Sänger Walter nimmt an und erringt rasch den Sieg: „Gott sprach durch Walters Schwert, / Ein Urteil, wie man keines sah“ (Kommender 1906, III.16, S. 39). Die Oper endet mit einem allgemeinen Dank an Gott und einem Preis des Kaisers und des Lehnsherrn Walter durch das Volk. Die Figur Walters verkörpert bei Kommender / Schöpf die ‚deutsche Treue‘ und dient damit letztlich dazu, die Verwurzelung dieser vorgeblich nationalen Tugend im Mittelalter vorzuführen, wobei jeder Chauvinismus vermieden wird. Durch das der Oper vorangestellte Motto – Worte von Hugo von Trimberg – wird Walter von der Vogelweide zugleich als Denkmal zu Ehren des Minnesängers inszeniert: „Her Walter von der Vogelweide / Swer des vergaez’ der taet mir leide“ (ebd., S. 3). Darüber hinaus zeugt der Beginn der Oper auf dem ‚Vogelweiderhof‘ von Lokalpatriotismus, denn der Vogelweidhof in Lajen im Eisacktal genießt nach
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wie vor den Ruf, die Geburtsstätte des Sängers zu sein (Birkhan 2005). Außerhalb von Bozen, dem Wirkungskreis Schöpfs, war der Oper jedoch kein Erfolg beschieden. Die Präsenz Walthers auf der Opernbühne setzt gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts ein: Bereits 1883 fassen Ludwig Anzengruber (1839–1889) und Richard Heuberger (1850–1914) den Plan zu einer Walther-Oper, die jedoch über das Stadium der ersten Idee nicht hinauskommt (Heuberger 1890). Das erste realisierte musiktheatrale Werk über den mittelalterlichen Sänger ist die Oper Walther von der Vogelweide des Kunst- und Musikkritikers Albert Kauders (1854–1912), in die auch Texte Walthers in freier Übertragung Eingang gefunden haben. Sie wurde 1895 in Prag uraufgeführt und erlebte 1896 an der Oper Wien zwei weitere Aufführungen, hatte aber keinen dauernden Erfolg. Erzählt wird die Geschichte einer unerfüllten Liebe am Ende des zwölften Jahrhunderts. In der ersten Szene befinden sich Walther und der Sänger Reinmar der Alte kurz vor der Burg Mödling, wohin Walther nach längerer Abwesenheit zurückkehrt. Gemeinsam rekapitulieren die beiden Walthers Schicksale nach seinem Weggang aus Mödling: Nach seiner dortigen ‚Lehrzeit‘ bei Reinmar war er zunächst an den Hof nach Wien gezogen, wo er aber nach dem Tod des Fürsten Friedrich unter der Herrschaft Leupolds nicht mehr so gerne gesehen war; daraufhin kehrte er in seine Heimat (Vogelweide nahe dem Eisacktal) zurück, um dort seine Liebste aus früheren Tagen, Hilgunde, wiederzusehen. Die allerdings war inzwischen verwaist und „einem werthen Waffenfreund“ (Kauders 1896, I.1, S. 6) des Vaters anvertraut worden, der sie an einen Walther unbekannten Ort gebracht hatte. Auf der Suche traf er Reinmar und will sich nun mit ihm nach Mödling zum Herzog begeben, nicht wissend, dass seine Geliebte des Herzogs Pflegetochter ist. Hilgunde verfolgt zur gleichen Zeit mit dem Ritter Kuenring ihren entflohenen Falken; Kuenring nutzt die Gunst der Stunde und wirbt (zum wiederholten Male) intensiv um Hilgunde, die jedoch ablehnt. Teil von Kuenrings Werbungsversuch ist ein Lied, das dieser in Wien von einem Sänger hörte; Hilgunde erkennt sofort das Lied als dasjenige, das Walther ihr einst gesungen hatte, und befragt Kuenring nach dem Sänger. Sie begrüßt den von einem Pagen zurückgebrachten Falken – er saß auf Walthers Schulter, „[d]er ihn einst gezähmt“ – als gutes Omen: „O Glück! / Als selige Verheißung deine Heimkehr / Begrüß’ ich, Falke!“ (ebd., I.3, S. 12). Das folgende Wiedersehen ist entsprechend glücklich, und man vereinbart, dass Walther beim Herzog um Hilgundes Hand anhalten werde. Der Herzog ist über die Rückkehr des Sängers erfreut und bietet ihm Lohn für sein sogleich dargebrachtes Lied; Walther bittet um Hilgunde. Kuenring, dem der Herzog Hilgunde bereits zugesagt hatte, erhebt zornig Einspruch; Hilgunde wählt Walther und berichtet dem Herzog von ihrer ‚Jugendliebe‘ im Eisacktal. Kuen-
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ring wirft schließlich Walther den Fehdehandschuh hin, den dieser aufnimmt. Reinmar schreitet ein und berichtet von Leupolds Aufruf zum Kreuzzug. Man vereinbart, dass die beiden Rivalen sich auf dem Kreuzzug bewähren sollen, „und wer durch wack’re Thaten / Den Vorrang sich erringt, dem Sieger reicht, / So Gott die Heimkehr gönnt, die Hand Hilgunde“ (ebd., II.4, S. 30). Walther bittet um ein Jahr Aufschub, um seine wiedergefundene Liebe genießen zu können: Auch ich wollt’ lassen Heim und Liebe, / Daß ewig Heil mein Erbe bliebe! / Doch hab’ ich nie ein trautes Heim gekannt. / Von meiner Liebe war ich lang verbannt. / Der Wonne will zuvor ich genießen / Und dann mein Glück im Kreuzzug büßen. / Ein Jahr nur gönnt mir den Himmel auf Erden, / Dann will ich drüben auch selig werden! (ebd., II.4, S. 30 f.)
Dies bezeichnet Kuenring als Lästerung; Hilgunde stattet Walther daraufhin selbst zum Kreuzzug aus und segnet ihn. Als Hilgunde lange Zeit von Walther nur widersprüchliche Gerüchte vernommen hatte, war sie mit Reinmar als Pilgerin aufgebrochen, um das Schicksal ihres Geliebten zu erkunden. Nachdem sie auch im Heiligen Land keine sichere Nachricht erhalten hat, will sie in ein Kloster in Akkon eintreten und steht zu Beginn des dritten Aktes kurz vor der Weihe. Reinmar will sie von diesem Gelübde abhalten oder sie zumindest vorher mit in die Heimat nehmen; nur der Gedanke, dass Walther möglicherweise noch lebt, lässt sie zögern. Kuenring erscheint und erhebt Anspruch auf Hilgunde: Er habe gesehen, wie Walther an seiner Seite gefallen sei. Daraufhin legt Hilgunde sofort den Eid ab; Kuenrings Liebe wandelt sich in Hass und Rachedurst. Als Walther kurz darauf „[v]erhärmt und siech, doch sonst leibhaftig“ (ebd., III.6, S. 46) ins Kloster gebracht wird, sorgt Kuenring dafür, dass die Äbtissin Hilgunde als Pflegerin an Walthers Krankenbett schickt. Das unerwartete Wiedersehen gibt Walther neue Kräfte; er versucht, Hilgunde zur Flucht zu überreden, doch die hält zunächst an ihrem Gelübde fest. Schließlich kommt es doch zu einer „[s]türmische[n] Umarmung“ (ebd., III.9, S. 54), die sogleich von Kuenring, der Äbtissin, weiteren Nonnen und Reinmar entdeckt wird. Die von der Äbtissin angekündigte Strafe für Hilgunde kann nicht vollstreckt werden, denn sie ist in Walthers Armen gestorben: „Nur einmal noch in seinen Armen, / Dann mag der Tod sich mein erbarmen!“ (ebd., III.9, S. 54). Die Oper endet mit einem von den Nonnen gesungenen „Requiem aeternam dona ei domine!“ (ebd., III.10, S. 55) Die Liebe zwischen Hilgunde und Walther wird vordergründig durch die Eifersucht Kuenrings verhindert; die Liebenden stehen aber zugleich in einem Konfliktfeld zwischen weltlichen und geistlichen Normen: Walther will seine Teilnahme am Kreuzzug um der Liebe willen verzögern; Hilgunde gerät am Ende in Gegenwart Walthers ins Wanken, der nach wie vor an der Liebe zu ihr festhalten will, auch gegen das göttliche Gelübde. Hilgundes Konflikt kann nur durch ihren
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Tod ‚gelöst‘ werden und Reinmar ist überzeugt von ihrer Auffahrt in den Himmel. Walthers Schicksal bleibt offen. Neben der hier zitierten dreiaktigen Fassung existiert auch eine Version mit zwei Opern zu je zwei Akten, die im Wesentlichen mit der dreiaktigen Fassung identisch ist (vgl. Kauders o. J.): Akt I und II des Dreiakters bilden die erste Oper Der Minnesänger, in die ein kurzer Part von Hilgundes Pagen integriert wird, der hier den Namen Saladin erhält, eine (hochstehende) Geisel und Hilgunde treu ergeben ist. Außerdem wird der Schluss des zweiten Aktes leicht umgestellt und geringfügig erweitert, sodass die Oper mit Ensemble und Chor endet statt mit Solisten und Chor. Die zweite Oper, Walther’s Kreuzfahrt, besteht aus dem dritten Akt des Dreiakters, der bei Szenenwechsel von der Klosterkapelle zum Krankenzimmer geteilt wird; die Einfügung Saladins in der ersten Oper motiviert hier die Freilassung Walthers durch Saladin, der inzwischen Herrscher geworden ist. Das Bild des ‚deutschen‘ treuen Minnesängers und Sangspruchdichters hat sich im neunzehnten Jahrhundert etabliert, ebenso wie eine aus dem großen überlieferten Corpus von Walthers Liedern extrahierte (fiktive) Biographie. Von Walther selbst ist mit den Reiserechnungen Wolfgers von Erla nur ein einziges außerliterarisches Lebenszeugnis überliefert (Scholz 2005, S. 11–13). Das Ich seiner Lieder und Sprüche äußert sich aber intensiv etwa zu möglichen Gönnern, zur Reichsgeschichte, zu Kirche und Papst, zur Liebe, zu moralisch-didaktischen Themen, sodass daraus neben biographischen Stationen auch eine ‚innere Haltung‘ Walther konstruiert werden konnte. Walther, der im neunzehnten Jahrhundert – wie bereits im Mittelalter – als bedeutendster Sänger geschätzt wird, wird als „deutscher vaterländischer Mann“ bezeichnet, als „ein frommer und heiliger Mensch“ (Gervinus 1853, I, S. 315), der dennoch (oder deshalb) Kritik an Papst und Kirche übt. Selbst Joseph von Eichendorff, der durchaus sieht, dass die gegenwärtigen Verhältnisse nicht auf das Mittelalter übertragen werden dürfen, rühmt Walther wegen seiner Kunst, vor allem aber wegen seines Frauen- und Herrendienstes, wodurch Walther auch für das neunzehnte (und später zwanzigste Jahrhundert) zum Vorbild stilisiert wird: „Kein Anderer sang so rein, so süß und wahr, wie Walther, von der ewigen Schönheit der Frauen […]“ – „Eben so ernst wahrt er in Lied und That den Herrendienst, indem er mit unwandelbarer Treue in Glück und Noth zu seinen rechtmäßigen Kaisern hält“ (Eichendorff 1857, S. 78 f.). Die Stilisierung Walthers zum „nationale[n] Prophet[en] und vaterländische[n] Sänger des Reiches“ (Scholz 2005, S. 175) und die aus den überlieferten Liedern konstruierte ‚Biographie‘ spiegeln sich in den Libretti der Walther-Opern. Fixpunkte sind dabei (vermeintlich) biographische Stationen wie Südtirol, Wien, Würzburg oder die Teilnahme am Kreuzzug und Walthers (vorgeblich) beispielhafte Haltung gegenüber dem Herrscher und den Frauen. Mit Walther können so
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‚nationale Tugend‘ und eigene kulturelle Vergangenheit auf der Opernbühne dargestellt werden – nicht zuletzt auch durch eingefügte Übertragungen von Liedern Walthers. Der geringe Erfolg, der letztlich allen Walther-Opern beschieden war, wird in der Qualität, aber auch in der großen Fülle an (Mittelalter-)Opern im neunzehnten Jahrhundert zu suchen sein. 4 Oswald von Wolkenstein Weitaus geringeres Interesse hat in der musiktheatralen Rezeption der ‚letzte Minnesänger‘ Oswald von Wolkenstein gefunden. Mit der am 6. März 2004 am Staatstheater Nürnberg uraufgeführten Oper Wolkenstein. Eine Lebensballade (Musik: Wilfried Hiller [*1941], Text: Felix Mitterer [*1948]; vgl. ausführlich Schindler 2009, S. 245–291) wurde ihm gleichwohl ein (spätes) Denkmal gesetzt. Als Auftragswerk der Oper Nürnberg (auf Initiative des Kammersängers Bernd Weikl, der die Titelrolle sang) erhielt die Oper große Aufmerksamkeit. Die Quellenbasis des Librettos bilden in der Hauptsache die Lieder und Lebenszeugnisse Oswalds von Wolkenstein sowie die südtiroler Sagenwelt. Im ersten Bild werden am Kind und jungen Mann Oswald dessen zwei Seiten – der Sänger bzw. Musiker einerseits, der Kämpfer andererseits – exponiert. Weil Oswalds Mutter ihrem Sohn ein rastloses Leben als Preis seiner musikalischen Begabung ersparen will, bittet sie eine Wildfrau, Oswalds Hände durch einen Zauber zum Musizieren ungeeignet zu machen. Diesen Zauber hebt später die Salige (die wie die Wildfrau aus der Anderwelt der Berge stammt) wieder auf. Der Zwist Oswalds mit seinem Bruder Michael von Wolkenstein unter anderem um das Erbe ist Thema des zweiten Bildes, das damit endet, dass Michael Oswald das rechte Auge aussticht. Mit Anna Hausmann tritt im dritten Bild eine Frau in Oswalds Leben: Anna Hausmann ist als Doppelrolle mit der Saligen angelegt, sodass es hier in der ‚realen‘ Welt zu einer „Wiederbegegnung“ – so der Titel des Bildes – kommt (Mitterer 2007, S. 251). Die von Anna gewünschte Eheschließung lehnt Oswald ab. Die folgende Distanzierung Annas von Oswald wird im vierten Bild sichtbar, das Oswald inmitten seiner politischen Tätigkeiten (und Intrigen) am fürstbischöflichen Hof in Brixen zeigt. Das fünfte Bild – das „Konzil zu Konstanz“ (Mitterer 2007, S. 263) „ist im Kern ein skurriles Intermezzo“ (Schindler 2009, S. 247). Zunächst werden Oswald und seine Ehefrau Margarethe von Schwangau in ‚lustvollen‘ Gesprächen gezeigt; im Zeitraffer bekommen sie sieben Kinder. Im Anschluss losen die drei Päpste Johannes, Benedikt und Gregor (jeweils in weiblicher Begleitung) um die Tiara und verurteilen in Einigkeit – gemeinsam mit König Sigmund – Jan Hus als Ketzer. Oswald schließt sich mit einem Spottlied auf Hus an (vgl. Oswald 2015, Kl. 27, S. 93–96). Im sechsten Bild wird der Künstler Oswald im Familienalltag auf Burg
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Hauenstein gezeigt; Frau und Kinder lassen dem Musiker, der sich mit seinen Herren überworfen hat, keinen Raum mehr; er wünscht sich Glück, statt weiterhin ein Sänger zu sein. Die Wildfrau jedoch ruft ihm seine Entscheidung für die Musik ins Gedächtnis. Der starrsinnige Oswald landet im siebten Bild schließlich im Kerker; er weist alle Forderungen an ihn ab, nur gegen eine Bürgschaft kann er freikommen. Ein letztes Mal erscheint ihm Anna, die ihn verraten hat, weil er sie verstoßen hatte, sodass sie ihr Kind nicht behalten konnte. Nach Bezahlung der Bürgschaft, für die Oswald seinen Besitz verpfänden musste, endet der nun verkrüppelte Sänger auf Burg Hauenstein und lässt sein Leben Revue passieren, dargestellt durch das Hinzutreten von Oswald als jungem Mann und als Kind: Er muss einsehen, dass er weder Kämpfer noch Sänger, „[w]eder Nachtigall noch Eisenhand“ (Mitterer 2007, S. 281) gewesen ist. Während das Kind Oswald auf der Harfe spielt, wird der junge Mann von der Saligen gerufen und folgt ihr; der alte Oswald schläft ein. Gezeigt wird so ein Abstieg des Künstlers Oswald, der sein Künstlertum nicht konsequent leben kann und daher letztlich scheitert. Dennoch ist Wolkenstein kein Künstlerdrama im eigentlichen Sinn, auch wenn Gesellschaft und Kunst für Oswald häufig gegeneinanderstehen; sein Scheitern liegt aber letztlich nicht darin begründet, sondern in seiner „Streitsucht, die nichts mit seinem Künstlertum zu tun hat“ (Schindler 2009, S. 289). Mitterer verknüpft dabei die zahlreichen Lebenszeugnisse über Oswald von Wolkenstein mit der Südtiroler Sagenwelt und Oswalds Liedern, von denen etliche in das Libretto Eingang gefunden haben. Die Lieder werden dabei frühneuhochdeutsch dargeboten; Hiller übernimmt auch die überlieferten Melodien und greift nur wenig ein. Das Mittelalter-Bild ist dezidiert nicht romantisiert, sondern von Derbheit und Obszönität geprägt. Nach den Aufführungen in Nürnberg 2004 wurde das Stück im Stadttheater Bozen übernommen (Müller 2011a, S. 297), hat aber ansonsten keinen Platz in den Spielplänen gefunden. Auch die experimentelle Performance wolkenstein. mobilisierun’ des Schlagzeugers Thomas Witzmann (*1958) mit einem Text von Thomas Kling (1957–2005) hat nach der Uraufführung am 18. Mai 1993 an der Musikhochschule Köln den Sprung an die Theater nicht geschafft. Der ungewöhnliche Titel spielt dabei zum einen auf den „weltreisenden Oswald von Wolkenstein“ (Witzmann) an, zum anderen aber auch auf die Performance mit „mobilen Instrumenten“ (Witzmann). In Texten, die sich teilweise an Lieder Oswalds anlehnen bzw. diese übertragen, wird aus der Sicht des alt gewordenen Oswald dessen Leben erzählt mit Fokus auf die brutalen Kampf- und Kriegshandlungen, aber auch auf Oswalds Sammeln von „Sprachmitbringseln“ (Kling 2006, S. 570), das sich auch in seinen Liedern niedergeschlagen hat. Dabei bricht Kling immer wieder durch Anachronismen die
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Situierung in der (fernen) Vergangenheit auf und schafft so eine Verbindung zur Gegenwart, die durch die experimentelle Musik unterstützt wird. Bereits am 2. Juli 1952 wurde in Salzburg das szenische Oratorium Der Wolkensteiner von Cesar Bresgen (1913–1988) uraufgeführt. „Er hat dort Wolkenstein-Texte zu einer tragischen Liebesgeschichte verbunden, die von der Blendung des Wolkensteiners und dem Tod seiner Geliebten namens Melusine handelt“ (Müller 2011a, S. 296). 1962 erschien das Werk überarbeitet unter dem Titel Visiones Amantis (vgl. dazu Müller 1979). Das erste musiktheatrale Zeugnis der Oswald-Rezeption ist Emil Mayers (1822–1868) „heute vergessene Oper“ (Müller 2011a, S. 295) Oswald von Wolkenstein, die 1856 am Linzer Landestheater uraufgeführt wurde. Mit Oswald von Wolkenstein wird nicht, wie etwa mit Frauenlob oder Tannhäuser, eine Sage oder ein bestimmtes Sujet verbunden; Oswald ist vielmehr zum einen durch seinen Status als ‚letzter Minnesänger‘ für die Rezeption interessant und zum anderen vor allem wegen seines großen, oft autobiographisch erscheinenden Œuvres, das – und hierin liegt das Besondere – von einer Vielzahl an außerliterarischen Lebenszeugnissen begleitet wird (vgl. Schwob 1999–2013). Der Umgang mit Oswalds Werk und Biographie geschieht dabei freilich nicht unter wissenschaftlichen, sondern unter künstlerischen Prämissen. So nutzt Mitterer beispielsweise das auch durch Porträts belegte Faktum des geschlossenen rechten Auges, das vermutlich auf eine Erkrankung zurückgeht, um die Auseinandersetzung zwischen Oswald und seinem Bruder Michael dadurch zu steigern, dass dieser Oswald im Streit dieses Auge aussticht. Oswalds Position als reisender und politisch aktiver Adliger und gleichzeitig als vielseitiger Künstler macht ihn für eine Adaption für die Bühne interessant. Das Interesse bleibt dennoch hauptsächlich lokal beschränkt, sodass die Opern über Oswald von Wolkenstein sich nicht in den Spielplänen halten konnten.
III Werkliste Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg „Große romantische Oper“ Musik Text Richard Wagner Richard Wagner
Uraufführung 19.10.1845, Dresden
Tanhäuser „Romantische Oper in vier Acten (6 Abtheilungen)“ Musik Text Carl Amand Mangold Eduard Duller
Uraufführung 17.5.1846, Darmstadt
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Der Tannhäuser „Dramatisches Gedicht mit Gesang und Tanz in 3 Akten“ Musik Text Franz von Suppé Heinrich von Levitschnigg
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Uraufführung 27.2.1852, Wien
Tannhäuser oder Die Keilerei auf der Wartburg „Große sittlich-germanische Oper mit Gesang und Musik in 4 Aufzügen“ Musik Text Uraufführung Hermann Wollheim Hermann Wollheim 6.10.1852, Breslau Oswald von Wolkenstein „Große romantische Oper in 4 Akten“ Musik Text Emil Mayer Emil Mayer
Uraufführung 6.3.1856, Linz
Tannhäuser „Zukunftsposse mit vergangener Musik und gegenwärtigen Gruppierungen in drei Aufzügen“ Musik Text Uraufführung Carl Binder Johann Nestroy 31.10.1857, Wien [nach Hermann Wollheim] Frauenlob „Romantische Oper in drei Aufzügen“ Musik Text Eduard Lassen Ernst Pasqué
Uraufführung 1860, Weimar
Frauenlob „Operndichtung in vier Akten“ Musik Text Robert Schwalm Wilhelm Jacoby
Uraufführung 1885, Leipzig
Frauenlob „Oper in drei Akten“ Musik Reinhold Becker
Uraufführung 8.12.1892, Dresden
Text Franz Koppel-Ellfeld
Walther von der Vogelweide „Romantische Oper in drei Acten“ Musik Text Albert Kauders Albert Kauders
Uraufführung 31.3.1895, Prag [Akt I und II auch als Der Minnesänger, Akt III auch als Walther’s Kreuzfahrt]
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Biographische Stoffe
Walther von der Vogelweide Oper Musik Text Heinrich Rietsch [?] Walter von der Vogelweide „Romantische Oper in 3 Akten“ Musik Text Franz Schöpf Ludwig Kommender [d. i. Ludwig Loibner]
Uraufführung [partiell] 1902, Prag [konzertant]
Uraufführung 1.1.1906, Bozen
Herr Walther von der Vogelweide „Vaterländisches Burgenspiel“ Musik Text Heinz Schwier Rudolf Lorenz
Uraufführung 1923, Festung Kufstein
Walther von der Vogelweide Oper Musik Text Eugen von Volborth Adolf Holst
Entstehung vor 1928
Herr Walther von der Vogelweide Oper Musik Text Wilhelm Licht Wilhelm Licht
Uraufführung 8.4.1932, Heilbronn
Walther von der Vogelweide „Oper in drei Aufzügen“ Musik Text Eduard Künneke Ursel Renate Hirt
Entstehung 1937–1948
Walther von der Vogelweide „Musikalisches Festspiel in 7 Bildern“ Musik Text Hans Vleugels Johann Reinwaldt
Uraufführung [konzertant] 25.2.1940, Aachen
Visiones amantis „Ludus tragicus in sechs Bildern für Solostimmen, Sprecher, Gemischten Chor und Orchester“ Musik Text Uraufführung 1. [halbszenisch unter dem Cesar Bresgen Cesar Bresgen [szenische Einrichtung: Ernst Gärtner] Titel Der Wolkensteiner] 2.7.1952, Salzburg 2. [szenisch] 1971, Innsbruck
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Danuser „Ein grandioses Schauspiel mit Musik, Gesang, Tanz, Artistik, Magie usw.“ Musik Text Uraufführung Daniel Fueter, Christoph Klaus Merz 13.6.1980, Baden (Schweiz) Baumann u. a. Tannhäuser – Ein Requiem „Die letzten romantischen Bilder eines Übergangs. Ouverture zum utopischen Kongress und Karneval für 3 Frauen, Sänger, Musiker, Dirigent, Trommler und Publikum“ Musik Text Uraufführung Robert Linke Lothar Trolle 6.7.1991, Dresden wolkenstein. mobilisierun’ Performance Musik Text Thomas Witzmann Thomas Kling
Uraufführung 18.5.1993, Köln
Wolkenstein. Eine Lebensballade Oper Musik Text Wilfried Hiller Felix Mitterer
Uraufführung 6.3.2004, Nürnberg
2.3 Heroische Stoffe Emma und Eginhard Bernd Zegowitz I Präsenz des Sujets Zwei der vier Opern, die dem Stoffkreis um Emma und Eginhard angehören, sind auf den heutigen Bühnen präsent. Georg Philipp Telemanns Die Last-Tragende Liebe oder Emma und Eginhard wurde am 22. November 1728 im Theater am Gänsemarkt uraufgeführt und gilt als „Höhepunkt der Hamburger Barockoper“ (Wolff 1957, S. 321). Der Komponist schrieb das Singspiel mit dem Librettisten Christoph Gottlieb Wend in seiner Zeit als Kapellmeister am ersten kommerziellen Opernunternehmen außerhalb Italiens. Im Zentrum der Handlung steht das illegitime Liebesverhältnis zwischen der fiktiven Tochter Kaisers Karls des Großen, Emma, und dessen „Geheimschreiber“ (Wend 2000 [1728], S. LII) Eginhard (d. i. Einhard). Während des Schreibunterrichts gesteht er ihr seine Liebe, wird zuerst abgewiesen, schließlich erhört und in ihre Kammer gelassen. Als der Rückweg durch den neugefallenen Schnee versperrt scheint, „bringt Emma in ihrem Nacht-Habite und mit einer Blend-Laterne in der Hand den Eginhard über den Schloß-Platz getragen“ (ebd., S. LXIII) und wird dabei von ihrem Vater beobachtet. In dem folgenden Prozess werden die Liebenden zum Tode verurteilt, doch ertönt unmittelbar vor der Hinrichtung eine Stimme aus den Wolken, die dem Kaiser befiehlt, sich beider zu erbarmen. Wiederentdeckt wurde Telemanns Oper wie viele seiner Werke erst im zwanzigsten Jahrhundert. 2015 dirigierte René Jacobs das Stück in einer Inszenierung von Eva Maria Höckmayr an der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Franz Schuberts Fierrabras erlebte seine Uraufführung erst am 9. Februar 1897 am Hoftheater in Karlsruhe. Dirigent war Felix Mottl, der das Stück stark kürzte und mit Balletteinlagen versah. Entstanden war die heroisch-romantische Oper in drei Akten im Jahr 1823 auf ein Libretto von Josef Kupelwieser, doch verhinderte die starke Ausrichtung des Kärntnertortheaters auf die italienische Oper eine Uraufführung zu Schuberts Lebzeiten. Der Librettist stellt die private Episode der geheimen Liebesgeschichte zwischen Emma und Eginhard vor den weltgeschichtlichen Hintergrund von Karls spanischem Kriegszug gegen Mauren, wie er im Rolandslied entworfen wird (Hartwich 1998, S. 153). Der am Hof Karls des Großen gefangene Fierrabras, Sohn des Maurenfürsten Boland, überrascht Emma, als sie den Geliebten unter dem Schutz ihres Schleiers aus ihren Gemächern geleitet. Der ebenfalls in Emma Verliebte lässt Eginhard entkommen und stellt sich dem König, https://doi.org/10.1515/9783110424089-016
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der ihm vorwirft, „[s]eines Hauses Ehre“ (Kupelwieser 1988 [1823], S. 32) verletzt zu haben. Als Gesandter des Königs wird Eginhard mit anderen fränkischen Rittern am Hof Bolands gefangen gesetzt, doch gelingt ihm dank der Hilfe Florindas, der Schwester Fierrabras’, die wiederum den Franken Roland liebt, die Flucht. Einer Bestrafung durch den König, dem Emma inzwischen ihre Liebe zu Eginhard und ihre Schuld an der Verhaftung des Fierrabras gestanden hat, entgeht er letztlich allerdings nur, weil er die gefangenen Gesandten in einer kühnen Befreiungsaktion rettet. Dafür wird er mit Emma ebenso vereint wie Florinda mit Roland. Das Interesse an Fierrabras erwachte erst in den 1980er Jahren wieder. Die wohl wichtigste Inszenierung unter der Regie von Ruth Berghaus dirigierte Claudio Abbado im Jahr 1988 im Theater an der Wien.
II Historische Schichten Die jüngste musiktheatrale Aktualisierung des Sujets ist Willem de Haans (1849– 1930) dreiaktige Oper Die Kaiserstochter, die am 1. Februar 1885 am Darmstädter Hoftheater uraufgeführt wurde. Librettist war der Redakteur des Mainzer Tagblatts Wilhelm Jacoby, späterer Mitautor der Operette Pension Schöller. Die Wahl des Sujets ist zum einen auf den Einfluss Richard Wagners zurückzuführen und zum anderen wohl durch die Nähe des Handlungsortes motiviert. Der letzte Akt der Oper spielt nämlich an einem Schauplatz, der von Karl dem Großen in der Schlussszene näher bestimmt wird: „Selig sei die Statt genannt / Wo mein Kind ich wiederfand!“ (Jacoby 1885, S. 43). Die Abtei Seligenstadt gehörte im neunzehnten Jahrhundert zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt, die Uraufführung fand in Darmstadt statt, der Komponist war dort seit 1881 Hofkapellmeister. Das erklärt aber auch den Unterschied zu den übrigen Opern über Emma und Eginhard: Jacobys Libretto basiert nicht nur auf dem bereits seit dem Ende des zwölften Jahrhunderts bezeugten Grundmuster des Sujets, sondern nimmt außerdem Motive einer mündlichen, erst zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts schriftlich aufgezeichneten Seligenstädter Lokalüberlieferung auf – insbesondere die Verbannung des Liebespaares. Während die ersten beiden Akte in der Kaiserpfalz Ingelheim spielen, ist der dritte in einer „Waldgegend in der Nähe des Mains“ (ebd., S. 2) angesiedelt. Jacoby ergänzt das Personal um die Figur der Adalrun und führt damit das Motiv des Mannes zwischen zwei Frauen ein, da auch Adalrun und nicht nur Emma in Eginhard verliebt ist. Sie initiiert eine Intrige, in deren Folge der Kaiser beobachtet, wie Emma Eginhard aus dem Hof des Frauengemachs drängt. Bei der Gerichtsverhandlung bewirkt Emma, dass sie mit Eginhard in die Verbannung ziehen darf. Nach mehreren Jahren trifft der Kaiser während einer Jagd auf die Liebenden, die mittlerweile in einer Waldhütte
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Heroische Stoffe
leben. Er erkennt beide nicht, empfindet aber große Zuneigung. Als sie sich ihm offenbaren, verzeiht der Kaiser ihnen, während Eginhard den Mord Adalruns an Emma gerade noch verhindern kann. Das Libretto ist ein typisches Beispiel der pathetischen Oper „im Schatten Wagners“ (Fischer 2000, S. 28), die auf historisch-mittelalterliche, mythische oder sagenhafte Stoffe zurückgreift, mit dem Unterschied, dass die Handlung der Kaiserstochter untragisch endet. Einen dramaturgischen Eingriff Jacobys stellt die Hinzufügung der Figur der Adalrun dar, die als Antagonistin des Liebespaares fungiert. Neben der Dreiaktigkeit, der Einteilung in Szenen (statt Nummern) und der Stoffwahl sind die Parallelen zu den Musikdramen Wagners evident. Adalruns Vorbild ist die Figur der Ortrud: Wie diese ist sie Heidin, hängt den alten Göttern an und ist vom Gedanken der Rache besessen. Wie Tannhäuser singt Eginhard in Begleitung einer Harfe von der Liebe, wie jener wird dieser am Ende des zweiten Aktes verbannt. Und wenn Eginhard im ersten Akt von „kühnem Thatendrang“ (Jacoby 1885, S. 11) singen soll, rekurriert er auf mythische Helden wie Tristan, Siegfried und Hagen, allesamt Figuren aus Wagners Werken. Bis in kleinste sprachlich-syntaktische Details, ja einzelne Formulierungen lassen sich Abhängigkeiten nachweisen. Die Trivialisierung Wagnerscher Motive lässt sich am besten am Erlösungsgedanken zeigen. Für Adalrun meint Erlösung aus einem „Dasein voller Pein“ (ebd., S. 7) die glückliche Vereinigung mit Eginhard, und das nicht einmal in einer besseren Welt. Wagners Verständnis von Erlösung – etwa als Selbstaufgabe in der Selbstvernichtung – ist ein gänzlich anderes. Franz Schuberts Fierrabras wiederum ist Teil eines Hauptstrangs der deutschen Oper in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, nämlich dem der „Flucht in eine heroisch-ritterliche Vergangenheit“ (Schreiber 1991, S. 64), zu dem auch Carl Maria von Webers Euryanthe und Robert Schumanns Genoveva gehören, um nur die prominentesten Beispiele zu nennen. Im Bestreben eine spezifisch deutsche Opernform zu begründen, begnügte man sich nicht mehr mit der Bearbeitung oder Übersetzung französischer Libretti, sondern betraute meist unerfahrene Autoren mit den Aufgaben des Textdichtens (vgl. Döhring / Henze-Döhring 2006, S. 142), die das Nationale dichterisch im ‚romantischen‘ Mittelalter suchten. Die Nähe zu den seinerzeit weit verbreiteten Ritterstücken ist nicht nur in Kupelwiesers Libretto sichtbar. Es vermengt zwei Stoffkreise miteinander, die beide durch die Figur Karls des Großen zusammengehalten werden: zum einen das Sujet um den Sarazenenfürsten Fierrabras, das Kupelwieser in der Übertragung einer frühneuzeitlichen Prosaversion kannte, die im Jahr 1809 in Johann Gustav Büschings und Friedrich Heinrich von der Hagens Buch der Liebe erschienen ist, sowie zum anderen die Geschichte um Emma und Eginhard, für die der Librettist auf das gleichnamige Drama Friedrich de la Motte Fouques zurückgriff. Die Ver-
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bindung beider Stoffkreise schafft Konfliktpotential und verleiht der Handlung dramatische Spannung. Überhaupt fallen die Bemühungen aller Librettisten auf, das Konfliktpotential des Sujets dadurch zu erhöhen, dass sie die nicht standes gemäße Liebesbeziehung zwischen Emma und Eginhard zu einem Dreieckskonflikt erweitern. Fierrabras etwa wird zum Rivalen Eginhards aufgebaut, wodurch die Liebesgeschichte, die in Telemanns und Aubers Oper schwankhafte Elemente aufweist, eine tragische Dimension (im Folgenden Hartwich 1998, S. 157 f.) erlangt. Obwohl Fierrabras „der Rache Glut“ (Kupelwieser 1988 [1823], S. 28) spürt, nimmt er in einem Akt von moralischem Heroismus die Schuld Eginhards auf sich und erweist sich dadurch als affektkontrollierter Moslem: „So sehr mein Herz auch bebt / Kämpf’ ich mit Pflicht – und mein Bewußtsein sieget“ (ebd., S. 29). Belohnt wird Fierrabras am Ende der Oper dann nicht mit einer ehelichen Verbindung, sondern mit der Aufnahme in einen Freundschaftsbund der fränkischen Ritter. Da im gesamten Libretto die Freundschaft „besser zum Medium der allgemeinmenschlichen Befreiungsvision als die Liebe“ (Hartwich 1998, S. 171) taugt, wiegt der Verrat an Fierrabras für Eginhard auch mehr als die Schuld, eine Liebesnacht mit Emma verbracht zu haben. In der Pariser Opéra-Comique wurde am 8. Oktober 1823 eine Oper uraufgeführt, die zumindest durch den Titel, einige Handlungszüge und durch die Verwendung eines zentralen Motivs die Zuordnung zum Stoffkreis um Emma und Eginhard erlaubt. Das Libretto zu La Neige ou Le Nouvel Eginhard schrieben Eugène Scribe und Germain Delavigne, die Musik komponierte Daniel François Esprit Auber. Bis ins Jahr 1831 erlebte die vieraktige Oper allein in Paris 145 Aufführungen (Mattern 1986, S. 98). Das Stück spielt allerdings nicht im Mittelalter, sondern im Schwaben der Restaurationszeit: Protagonisten sind der dortige Großherzog, dessen Tochter Louise und der Graf von Linsberg, ein Offizier in den Diensten des Großherzogs, der bereits zu Beginn des Stückes mit Louise – in aller Heimlichkeit – verheiratet ist. Im Zuge komödientypischer Verwicklungen, Intrigen und Missverständnisse kommt es zu der titelgebenden Szene: Gemeinsam mit einer Hofdame befördert Louise ihren Geliebten in einem Schlitten über einen zugefrorenen See, um zu verhindern, dass seine Spuren im Neuschnee ihre nächtliche Zusammenkunft verraten könnten. Zuletzt stimmt der Großherzog, der die Szene beobachtet hat, ohne die Beteiligten zu erkennen, der Hochzeit des Paares offiziell zu. Damit erschöpfen sich dann allerdings auch die Parallelen zur Sage um Emma und Eginhard. Zu einer ‚tieferliegenden‘ Schicht musiktheatraler Adaptationen des Sujets, und zwar zu den „dynastischen Mittelalteropern“ (Seebald 2009, S. 11) der Zeit um 1700, gehört Telemanns Last-Tragende Liebe oder Emma und Eginhard. Die Attrak-
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tivität des Stoffes im achtzehnten Jahrhundert macht zum einen die „exzeptionelle Rolle Karls des Großen in der Reichsgeschichte“ (ebd., S. 276) und im Falle der Oper Telemanns dessen besondere Bedeutung für die Gründung der Stadt Hamburg aus. In den Jahren zwischen 1682 und 1734 werden an der Oper am Gänsemarkt mehr als 40 ‚Mittelalteropern‘ gespielt, die Stoffe aus der Zeit zwischen 800 und 1500 bevorzugen (ebd., S. 57). Zum anderen sind es neben der vorgeblichen Historizität des Stoffes die Liebesgeschichten im Umkreis Karls bzw. seiner Familie, die das Interesse wecken. Bereits das Vorwort zu Wends Libretto ist in der Form eines Briefes der personifizierten Hamburger Oper an ihren „Liebhaber“ (Wend 2000 [1728], S. LIII), den zeitgenössischen Rezipienten gerichtet. Die Oper selbst spielt dann verschiedene Liebeskonzepte durch – auch anhand der Nebenfiguren –, doch geht es in erster Linie um eine Form der unkeuschen Liebe, die das Allianzprinzip verletzt (Jahn 2005, S. 316). Emma und Eginhard setzen dem die Heiratspolitik des Hofes bestimmenden Allianzdenken eine Vorform der romantischen Liebe entgegen, die nur deshalb nicht tragisch endet, weil sich Karl der Große durch die „Stimme aus den Wolcken“ (Wend 2000 [1728], S. LXVII) auf das christliche Wertesystem berufen kann. Das Allianzprinzip wird zwar kritisiert, bleibt jedoch unangetastet: Der zum Christentum konvertierte sächsische Prinz Heswin, anfangs ein Nebenbuhler Eginhards, heiratet die fränkische Prinzessin Hildegard und der kaiserliche Rat Steffen die Kammerjungfer Barbara. Das zentrale Motiv des Sujets, dass Emma ihren Geliebten auf dem Rücken trägt, um die verräterischen Spuren im Schnee zu vermeiden, ist einzig in der Version Wends, die einen hohen Anteil komischer Elemente aufweist, dramatisch realisiert. Wend orientiert sich in seinem Libretto in erster Linie an zwei literarischen Quellen aus dem siebzehnten Jahrhundert (im Folgenden Hirschmann 2000, S. XIV): zum einen den Helden-Briefen Christian Hoffmann von Hoffmannswal daus, die in den 1670er Jahren erstmals publiziert wurden und von der Darstellung der Liebe zwischen Emma und Eginhard eingeleitet werden, und zum andern dem 1637 zuerst gedruckten Versepos Mandragende Maeght, ofte Beschrijvinge van het Houwelick van Emma, Dochter van den Keyser Charlemagne ofte Karel de Groote, met Eginhard des selfs Secretaris von Jacob Cats. Eine deutsche Übersetzung erschien 1712 im Hamburg. Aus beiden Texten entlehnt Wend „Motive, sprachliche Bilder und Pointen“ (ebd., S. XVIII), doch ist sein Libretto eher eine „aktualisierende Neuinterpretation“, die mit der „Integration verschiedener Stilebenen […] ein Abbild der gesellschaftlichen Verfaßtheit“ der Epoche der Frühaufklärung „im Mantel der Historie“ (ebd., S. XVIII) intendiert. Die historischen Quellen, in denen der Emma und Eginhard-Stoff überliefert wird (zur Stoffgeschichte vgl. May 1900, Frenzel 1981 und Tournoy 2003), waren den Librettisten sowohl in kommentierten Ausgaben als auch in Kompilationen
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zugänglich: das Chronicon Laureshamense, eine zwischen 1170 und 1175 verfasste Chronik des Klosters Lorsch, die Annales Fuldenses, ostfränkische Reichsannalen für die Jahre 714–901, sowie Einhards zwischen 814 und 830 entstandene Vita Karoli Magni. Den historischen Kern des Sujets bildet wohl die Liebesbeziehung zwischen Karls Tochter Bertha und Einhards Freund Angilbert, die später auf Einhard und dessen Gemahlin Imma projiziert wurde. Bereits in der Lorscher Chronik sind die Grundzüge des plots mit Imma und Einhard als Protagonisten ausgebildet. Allerdings greift nur einer der hier behandelten Librettisten, nämlich Wend, auf die historischen Quellen zurück, und zwar auf Einhards Vita. Erst mit den Erzählsammlungen der Frühen Neuzeit beginnt eine breitere und kontinuierliche, aber diffuse Rezeption der Geschichte. Ein traditionsbegründender konkreter Prätext, auf den sich die Librettisten der Emma und Eginhard-Opern beziehen, ist dabei nicht auszumachen.
III Werkliste Die Last-Tragende Liebe oder Emma und Eginhard „Singspiel in drei Akten“ Musik Text Georg Philipp Telemann Christoph Gottlieb Wend
Uraufführung 22.11.1728, Hamburg
La Neige ou Le Nouvel Eginhard „Opéra-comique en quatre actes“ Musik Text Daniel-François-Esprit Auber Eugène Scribe, Germain Delavigne
Uraufführung 8.10.1823, Paris
Fierrabras „Heroisch-romantische Oper in drei Akten“ Musik Text Franz Schubert Josef Kupelwieser
Die Kaiserstochter „Oper in drei Akten“ Musik Willem de Haan
Text Wilhelm Jacoby
Uraufführung 9.2.1897, Karlsruhe [Entstehung: 1823]
Uraufführung 1.2.1885, Darmstadt
Kudrun Christian Buhr I Präsenz des Sujets Die fachwissenschaftliche und mediale Auseinandersetzung mit dem → Nibelungenstoff hat lange Zeit das Interesse an der mittelalterlichen Gudrunsage überlagert, die in einem mittelhochdeutschen strophischen Epos schriftlich überliefert ist. Im ersten Teil dieses Kudrun-Epos werden zunächst die Schicksale des irischen Königssohns Hagen erzählt: Er rettet drei Prinzessinnen aus der Höhle eines Greifen, nimmt eine von ihnen, Hilde, zur Ehefrau und zeugt mit ihr eine – gleichfalls Hilde genannte – Tochter. Ein zweiter Teil berichtet von den Brautwerbern Horand und Frute, die Hilde für König Hetel von Hegelingen gewinnen sollen. Da Hagen alle Werber umbringen lässt, verständigen sie sich heimlich mit Hilde und entführen sie mittels einer List. Hagen verfolgt die Entführer; es kommt zu einer Schlacht mit Hetel, aber Hilde kann eine Eskalation verhindern. Die Gegner versöhnen sich, und Hetel kann Hilde heiraten. Der dritte Teil des Epos beginnt damit, dass Siegfried, Hartmut und Herwig jeweils um Hetels Tochter Kudrun werben, aber vom Vater abgewiesen werden. Daraus resultiert eine Reihe kriegerischer Konflikte, in deren Verlauf Hetel getötet und Kudrun an den Hof des normannischen Königssohns Hartmut entführt wird. Dort trotzt sie 13 Jahre lang standhaft allen Drohungen und Demütigungen, bis es ihrem Bruder Ortwin gemeinsam mit König Herwig gelingt, sie mit Kampf und List zu befreien. Wie früher bereits Hilde gelingt es nun Kudrun, der Rachegewalt Einhalt zu gebieten. Sie erreicht einen dauerhaften Frieden durch Ehestiftungen zwischen den verfeindeten Parteien und wird selbst an der Seite Herwigs zur Königin gekrönt. Spätestens seit den 1980er Jahren erfährt dieses Epos besonders im Kontext der Beschäftigung mit hybriden Heldenbildern, ambivalenten Körperkonzepten oder prekären Herrschaftsentwürfen sowie mit Techniken poetischer Montage und intertextueller Verdichtung größere Aufmerksamkeit. Die Beachtung, welche das um problematische Brautwerbung, Entführung und Versöhnung kreisende Sujet im mediävistischen Forschungsdiskurs ebenso wie im akademischen Unterricht neuerlich findet, korreliert allerdings in keiner Weise mit einer gestiegenen Präsenz auf den Bühnen des Musiktheaters. Der auf die Jahre 1972 bis 1977 zu datierende Entwurf des Wiener Komponisten Otto Lachmayer ist der einzige Beleg für eine musikdramatische Bearbeitung des Stoffs in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten (Reischert 2001, S. 410 f.). Haukur Tómassons musikdramatisches Projekt Guđrún’s 4th Song (1996) basiert https://doi.org/10.1515/9783110424089-017
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dagegen ebenso wie die Oper Kjatan und Gudrun von Paul August von Klenau (1918) nicht auf dem mittelhochdeutschen Epos, sondern gehört stoffgeschichtlich zur Rezeption der Nibelungensage auf Basis der Eddischen Dichtung. So erfolgte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kein bedeutender Versuch, den Stoff im Kontext gegenwärtiger Diskurse zu aktualisieren. Nicht zu erkennen sind ferner Bemühungen, die aus dem neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert überlieferten Opern in musealer oder modernisierender Absicht neu zu inszenieren. Einmal abgesehen von der Ouvertüre der 1884 von Felix Draeseke geschaffenen Oper Gudrun, die noch heute gelegentlich konzertant dargeboten wird, endet die Fährte musiktheatraler Kudrun-Rezeption daher letztlich im nationalsozialistischen Deutschland. Hier sind im Zuge der antimodernen und ‚völkisch‘ gesinnten Kulturpolitik der NSDAP Wiederaufführungen der Kudrun-Opern des vorangegangenen Jahrhunderts zu verzeichnen – als Beispiel sei eine Inszenierung der Oper des von den Nationalsozialisten geschätzten Draeseke genannt, die unter musikalischer Leitung von Heinrich Weidinger im Rahmen der 4. Liegnitzer Musiktage am 14. April 1941 im Stadttheater Liegnitz stattfand.
II Historische Schichten Waren es zentrale kulturpolitische Anliegen der Nationalsozialisten, die Bühnen des Schauspiels und der Oper zu nutzen, um den Zuschauern heldische Leitbilder, ‚völkisches‘ Bewusstsein und die Überlegenheit der ‚arischen Rasse‘ zu vermitteln, so kam die Kudrun als vermeintlich ‚nordisches‘, wenigstens aber im Nordseeraum zu lokalisierendes Epos, das überdies eine thematische Nähe zum Nibelungenmythos aufweist, diesen Anliegen sehr entgegen. Nicht nur die Wiederaufnahme älterer Bearbeitungen des Sujets, sondern besonders auch neuere Entwürfe für das Theater zeugen von dieser Affinität. So bietet das ‚Durchhaltedrama‘ Gudruns Tod (1943) des bekennenden Nationalsozialisten und SS-Mitglieds Gerhard Schumann, das seine Premiere nur zwölf Tage nach der Niederlage der 6. Armee in Stalingrad feierte, eine radikale Umdeutung des ursprünglichen Aussagegehalts (Bartels 2009, S. 281 f.; Rühle 2007, S. 962; McConnell 1997, S. 248). Der versöhnliche Ausgang der Gudrunsage weicht einem Appell an die Führertreue und die Opferbereitschaft des deutschen Volks: Mit Blut muß ich den hohen Tag beginnen. Und wo ich segnen möchte, muß ich fluchen. Doch es ist gut, daß mich nun alle kennen. Aus Treue wächst allein der sichre Sieg
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Und wenn ein Volk ums nackte Leben kämpft, Steht auf Verrat nur gnadenlos der Tod. (Schumann 1963, S. 38)
In diese Zeit fällt auch die letzte überregional rezipierte musiktheatrale Adaptation des mittelalterlichen Epos durch Ludwig Roselius. Der Bremer Komponist war bis dahin noch nicht als Bearbeiter vermeintlich ‚deutschnationaler‘ Sujets in Erscheinung getreten, sondern hatte mit seinen ersten beiden Opern Doge und Dogaressa (1928) und Godiva (1933) Dramatisierungen einer Novelle E.T.A. Hoffmanns sowie einer altenglischen Legende auf die Bühne gebracht. Seine Hinwendung zur Gudrunsage lässt sich insofern deuten als der opportunistische Versuch, auf dem Boden der Wagner-Nachfolge mit einem Stück zu reüssieren, das – mehr in inhaltlicher als in musikalischer Hinsicht – dem damaligen Zeitgeist, besonders aber den Vorstellungen der Reichskulturkammer entsprach: Viel ist hier die Rede von ewigem Heimatland und heiligem Boden; die stolze Gudrun erscheint gar als „schöner Nordvogel“ (Roselius 1938, S. 33). Ihr treues und kluges Handeln wiederum verheißt ihrer Sippe, den Hegelingen, einen wunderhaften Wiederaufstieg nach unlängst erlittener militärischer Schmach: In Dir liegt die Treue, in Dir unsre Freiheit, In Dir unsre Kraft und gesegnete Zukunft. Aus lichtvoller Güte erhebst Du ein neues Geschlecht, aufbauend und groß, in ferne gewaltige Zeiten, Gudrun! (ebd. S. 76)
Roselius’ Gudrun bildet damit gewissermaßen den Schlusspunkt einer Tendenz zur nationalromantischen und nicht selten faschistoiden Ausdeutung des mittelalterlichen Epos. In dieser prädominierenden Strategie der Textaneignung können wir nicht nur den zentralen Grund für die allgemeine Beliebtheit der Kudrun im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert erkennen; vor diesem Hintergrund lässt sich auch erklären, warum das Sujet – anders als der durch Wagners Tetralogie am Leben gehaltene Nibelungenstoff – nach der ‚Stunde null‘ als verbrannt gegolten haben mag. Wie bereits nahezu alle Bearbeitungen vor ihm in der generationenumspannenden Vorlage ausschließlich die titelgebende weibliche Hauptfigur beachtet haben, so konzentriert sich auch Roselius in seiner Adaptation auf Gudruns Liebe und Treue. Sein Versuch, die epische Textgrundlage auf der Opernbühne zu rea-
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lisieren, verzichtet auf eine vom Plot bestimmte dramatische Progression. Stattdessen reiht Roselius fünf lose gefügte Bilder aneinander, die in eher lyrischer, gleichsam impressionistischer Manier wechselnde Grundstimmungen zum Ausdruck bringen sollen. Sie zeigen den Raub Gudruns aus der Festung Matelane (erstes Bild), ihre Ankunft im Normannenreich (zweites Bild), die gleichsam kanonische Wäscherinnenszene und Gudruns scheinbares Einwilligen in eine Hochzeit mit ihrem Entführer (drittes Bild), Gudruns Befreiung und den Tod Hartmuts (viertes Bild) sowie zuletzt die Wiedervereinigung mit Herwig (fünftes Bild). Die dem Zuschauer verborgenen Hintergründe werden dabei zumeist von den Akteuren nachgereicht; eine das Narrativ stabilisierende Erzählergestalt existiert nicht. Als „Deutsche Ballade in zwei Akten“ wurde das Werk am 29. April 1939 unter der Regie des Intendanten Willi Hanke im Grazer Stadttheater uraufgeführt; die musikalische Leitung hatte Bernhard Conz. Hans Wlach, der die Grazer Uraufführung der Gudrun für die Zeitschrift für Musik rezensierte, rühmt das Werk als einen „ernste[n] Versuch, zu einer Erneuerung der deutschen Oper“ zu gelangen, der seinen Weg über die Bühnen finden werde (Wlach 1939, S. 654). Allgemein lobte die zeitgenössische Musikkritik den Komponisten für seinen Ansatz, durch einen gewissen ‚Lyrizismus‘ aus dem Schatten Wagners zu treten, ohne die musikalischen Errungenschaften spätromantischer Harmonik und den kulturpolitischen Anspruch einer national gesinnten Stoffwahl aufzugeben. Der Gudrun von Roselius gehen im zwanzigsten Jahrhundert wenigstens zwei Opernentwürfe voraus. Doch weder das Gudrun genannte Bühnenwerk des LisztSchülers Jean Paul Ertel noch die gleichnamige Monumentaloper des deutschschweizerischen Komponisten Peter Fassbaender kam über das Manuskript hinaus (Krueck 1998, S. 113, Anm. 33). Das neunzehnte Jahrhundert beschließen wiederum zwei heute vergessene Werke, die sich der vermeintlich ‚nationalen‘ Suggestivkraft der mittelhochdeutschen Textbasis am meisten zu entziehen versuchen und hierfür eine je eigenständige Lösung anstreben. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang zunächst Viktor Gluth, der 1899 auf Grundlage eines seinerzeit vielgelesenen epischen Gedichts von Rudolf Baumbach am Königlichen Hof- und Nationaltheater in München eine Oper in drei Akten und einem Vorspiel zur Aufführung brachte. Gluth verlässt die ausgetretenen Pfade seiner Vorgänger, indem er anstelle der Entführung Kudruns eine zum Ehebruchsdrama umgeformte Variante der Brautwerbung um Hilde präsentiert: Der Sänger und Recke Horand verliebt sich in Hagens Tochter, die er im Namen des Königs Hetel von Hegelingen umwerben soll. Hilde scheint die Gefühle zu erwidern, doch als die Liebenden mit dem Schiff über das Meer fliehen, wird Horand von einem Speer Hagens tödlich getroffen.
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Das Schiff fängt Feuer, doch Hilde bleibt mit Horands Leichnam zurück und stirbt aus Liebe den Flammentod: Lohe auf, du Flammenfluth! Lohe auf mit grimmer Wuth! Sühne mit der Gluthen Saat Allvernichtend den Verrath! Sühne Horand’s jähen Tod, Und auch Hilden’s endlos’ Noth! (Gluth 1898, S. 63)
Gluths Horand und Hilde erscheint wie eine Collage von → Tristan-Zitaten (Benedict 1902, S. 109), besonders im dritten Akt, in dem zusammengedrängt wird, was Wagner in drei Aufzügen exponiert. Einen anderen Weg beschreitet die am 29. Januar 1896 im Baseler Stadttheater unter musikalischer Leitung von Albin Trenkler uraufgeführte Oper Kudrun des spätromantischen Komponisten Hans Huber. Der dramatische Entwurf dieser Bearbeitung wurde von Stephan Born, einem der Gründungsväter der Schweizer Arbeiterbewegung, beigesteuert. Borns Textbuch übergeht den Ausgangspunkt der Handlung im dritten Teil der Kudrun – die Rivalität der drei Brautwerber Siegfried, Hartmut und Herwig – und lässt die Oper stattdessen mit einem Raubzug der Normannen beginnen, bei dem Kudrun eher zufällig in die Hände der brandschatzenden Eroberer gerät. Hartmut, Sohn des Normannenkönigs Ludwig, verliebt sich unglücklich in Kudrun. Zwar gelingt es ihm, sie allen Rettungsversuchen zum Trotz in sein Reich zu entführen, doch seine Gefühle werden nicht erwidert. Kudrun fristet in der Folge ein geknechtetes Dasein am Normannenhof, bis endlich ein tierischer Götterbote vom bevorstehenden Sieg der Befreier kündet. Der mittelhochdeutschen Vorlage gemäß gebietet Kudrun dem Töten jedoch Einhalt und fordert Versöhnung anstelle von Rache. Die Oper endet mit dem Ausblick auf eine Doppelhochzeit, die alle Konflikte zu lösen scheint: „Nun einigt uns alle der Frieden, / ein Glück ist uns beschieden, / das der Himmel selbst uns geschenkt, / der alles zum Guten gelenkt“ (Born 1895, S. 50). Wie schon der hart anlautende Titel Kudrun suggeriert, sucht die Oper von Born und Huber eine größtmögliche Werktreue; germanophile und deutschnationale Tendenzen sind den Schweizer Bearbeitern fremd. Doch im Verzicht auf eine dramatische Verdichtung und einen klaren konzeptionellen Zuschnitt bleibt die Handlung ohne Farbe – außerhalb Basels fand das Stück daher auch kaum Resonanz (Krueck 1998, S. 110 f.). Weil Huber aber als Komponist zur Wiederwendung einzelner Sätze und Nummern neigte, lebt immerhin die Ouvertüre der Kudrun
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im ersten Satz seines gelegentlich noch gespielten 4. Klavierkonzerts in B-Dur weiter; einzelne musikalische Elemente finden sich ferner verarbeitet in Hubers ‚Romantischer Sinfonie‘ sowie in seinem Männerchorwerk Heldenehren (Refardt 1922, S. 109). Eine ganze Gruppe von Werken, die im Zeitraum von 1865 bis 1884 konzipiert und größtenteils auch zur Aufführung gebracht wurden, steht im Zeichen einer kritischen oder affirmativen Auseinandersetzung mit dem musikdramatischen Schaffen und Wirken Wagners. Dazu zählen eine um 1865 entstandene und lediglich ausschnittsweise konzertant dargebotene Gudrun von Oskar Bolck, eine 1871 in Leipzig uraufgeführte Oper in drei Akten des Musikschriftstellers, WagnerKritikers und Komponisten August Reißmann sowie die beiden wesentlich erfolgreicheren Bearbeitungen von August Klughardt und Felix Draeseke. Klughardts Beschäftigung mit der Gudrunsage geht bekanntlich eine IweinOper voraus, die unter dem Eindruck der seinerzeit omnipräsenten romantischen Mittelalterverklärung entstanden war. Als zweites Werk für das Musiktheater strebte er zunächst eine komische Oper an, doch die Stoffwahl fiel schließlich auf ein Libretto von Karl Niemann (Gerlach 1902, S. 56 f.). Nach zehnmonatiger Arbeit wurde die Partitur der Oper Gudrun im Dezember 1881 fertiggestellt, eine erste Aufführung bereits wenige Wochen später am Hoftheater Neustrelitz realisiert. Der Premiere am 31. Januar 1882 folgten Inszenierungen in Dessau, Berlin, Leipzig und Altenburg. Zuletzt war Klughardts Gudrun am 31. Januar 1897 in Mainz zu sehen (Eisenhardt 2002, S. 13 f.). Niemanns Operntext sucht nicht nur die äußere Handlung des Epos wiederzugeben, sondern bemüht sich auch darum, das Innenleben der Figuren genauer auszuleuchten. Vor allem aber lokalisiert er die Gudrunsage im Zeitalter der Christianisierung. Dem neuen, durch die weibliche Hauptfigur repräsentierten Glauben steht ein wilder und archaischer germanischer Kultus gegenüber, dem das Menschenopfer selbstverständliche Praxis ist. In diesem Szenario, das Wagners → Lohengrin abgelauscht scheint, wandelt sich Gudrun zur christlichen Dulderin, die sich des Rachedursts der Mutter Hartmuts erwehren muss, welche hier als Priesterin der Frühlingsgöttin Ostara auftritt (Benedict 1902, S. 82). Doch Hartmut, der sich Stück für Stück von Gudrun für den christlichen Glauben begeistern lässt, taugt nicht zum willfährigen Werkzeug seiner Mutter. Dass er sich bekehren lässt und dennoch den Tod durch das Schwert des Befreiers Herwig findet, macht ihn zur zentralen tragischen Gestalt dieser Oper (Gerlach 1902, S. 63). Mit dieser Zuspitzung des Geschehens auf den innerfamiliär ausgetragenen ideologischen Konflikt, welcher der Tradition der grand opéra entspricht (Eichner 2008, S. 71), korreliert eine radikale Verknappung des Figurenbestands (Krueck 1998, S. 114) und eine ungewöhnliche sprachliche
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Faktur, welche die formale Anlage zeitgenössischer Versdramatik gezielt mit Elementen des germanischen Stabreims verbindet: Was du von Odin hörtest und von Balder, von Freia, Donner und der ganzen Schaar, ein Hauch ist’s gegen meine hohe Kunde so unbegreiflich dir und wunderbar. Und redet’ ich zu dir, bis Tag und Nacht sich wenden, du könnt’st mit Fragen, ich mit Antwort niemals enden. Denn Alles, was du siehst und je erlebt, ward einst von seiner Wundertat umwebt. (Klughardt 1882, S. 34)
Niemanns dramatischer Entwurf wurde von der Kritik überwiegend positiv aufgenommen. Dagegen wurde Klughardts Ansinnen, das Bauprinzip der Nummernoper mit der Musikästhetik Wagners zu verbinden, nicht allein von den Verfechtern der Neudeutschen Schule bemängelt (Warrack 2001, S. 682). Dass seine Gudrun sich im Jahr 1882 noch immer der Klangsprache des Lohengrin und des Tannhäuser bedient, merken selbst konservative Rezensenten wie Eduard Bernsdorf an (Bernsdorf 1883, S. 897 f.). In unmittelbarer zeitlicher Nähe stellte der Dresdner Komponist Felix Draeseke der christlichen Überhöhung der Gudrunsage durch Klughardt mit seiner ebenfalls dreiaktigen Gudrun einen Entwurf entgegen, der gänzlich als eine auf germanischem Altertum fußende deutsche Nationaloper verstanden werden will. Wenn Draeseke auch auf den germanischen Stabreim verzichtet, so wird bei ihm doch die gesamte christlich-mittelalterliche Welt der Kudrun repaganisiert und in ein heidnisches heroic age verlagert. Das Ausmaß dieser Tendenz zeigt sich beispielhaft am Begräbnis des Königs Hettel: „Ewiger Ruhm ihm leuchtet, / glorreich zieht er gen Walhall. / Odin lächelt ihm huldvoll“ (Draeseke 1884, S. 12). Im Zuge dieser Transposition erfährt die Gestalt der Gudrun einen fundamentalen Wandel. Klughardts passive Dulderin konnte Draeseke, der sich mit Werken wie König Sigurd und Herrat zuvor bereits mehr oder minder erfolglos im Genre der wagnerianischen Reckenoper versucht hatte, nicht gebrauchen. Für seinen Entwurf benötigte er vielmehr eine weibliche Hauptfigur, die sich als eher brüske germanische Fürstentochter mit großem Furor gegen ihre Unterdrücker aufbäumt und so seine Vorstellung von ‚Nibelungentreue‘ zu exemplifizieren vermag (Eichner 2008, S. 72; Streller 1998, S. 90 f.; Benedict 1902, S. 87). Trotz dieser an die Götterdämmerung gemahnenden Konzeption behält Draeseke, der das Libretto zu seiner Gudrun selbst verfasste, die versöhnliche Grundstimmung des mittelhochdeutschen Epos prinzipiell bei. So ist Hartmut weniger als skrupelloser Entführer denn als unglücklich Liebender gezeichnet, der sich
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bei Gudrun durchaus nicht allzu geringe Chancen ausrechnen darf. Doch Draeseke verzichtet zugunsten der moralischen Integrität seiner Protagonistin auf die Ausgestaltung eines tristanesken Ehebruchszenarios. Darum stirbt Hartmut in Draesekes Gudrun am Ende des dritten Akts nicht durch das Schwert des Befreiers Herwig, sondern – nach dem Fortgang der Geliebten – an gebrochenem Herzen („Mein Leben auch warst Du Gudrun! / Du gehst. Nun naht der Tod in Eil!“; Draeseke 1884, S. 46). Als erster musikdramatischer Entwurf des Komponisten schaffte es Gudrun auf die deutsche Opernbühne, wenn auch nicht wie ursprünglich intendiert in Dresden, der eigentlichen Wirkungsstätte Draesekes (Loos 1995, S. 329). Unter wohlgesonnener Aufnahme des Publikums und der Musikkritik wurde das Werk stattdessen am 5. November 1884 in Hannover uraufgeführt; die musikalische Leitung hatte Franz Herner. Es folgten einige Aufführungen in Leipzig im Winter 1884/1885 sowie eine Wiederaufnahme in Hannover im Januar 1886, ehe auch Draesekes Gudrun wieder aus dem Repertoire verschwand (Gutiérrez-Denhoff 1989, S. 83 f.). Hatte sich die leitmotivreiche Ouvertüre des Werks schon früh verselbständigt, so konnte selbst die von der 1931 gegründeten Draeseke-Gesellschaft sowie von Draesekes erstem Biographen Erich Roeder forcierte Vereinnahmung des Komponisten durch die Nationalsozialisten keine dauerhafte Neubelebung der Gudrun wie auch seines weiteren Opernschaffens bewirken. Im Gegenteil: Die ideologische Vereinnahmung verstellt heute den Blick auf Draesekes kompositorische Leistung ebenso wie dessen gegen Richard Strauss gerichteter, erklärtermaßen antimoderner Essay Die Konfusion in der Musik (Krueck 2001, S. 544; Loos 1995, S. 315 f.; Shigihara 1990). Bereits in den 1840er Jahren schuf der Darmstädter Hofmusikdirektor Carl Amand Mangold für das Großherzogliche Hoftheater eine Reihe von Bühnenwerken, in denen er einen von Wagner unabhängigen Zugang zu mittelalterlichen Sujets entwickelte. Dies gilt besonders für Mangolds lange vergessenen Tanhäuser (→ Dichter und Sänger) aus den Jahren 1843–1846, trifft in Grundzügen jedoch auch auf seine nach eigenem Libretto entworfene Gudrun zu, die erst nach dem Revolutionsjahr 1848 begonnen und – nach einer konzertanten Vorpremiere im November 1850 – am 23. März 1851 in Darmstadt uraufgeführt wurde. Als Oper in vier Akten markiert Mangolds Gudrun den Beginn nicht allein der musiktheatralen Rezeption, sondern mutmaßlich auch aller Vorhaben, das damals erst seit kurzer Zeit einer breiteren Öffentlichkeit zugängliche mittelhochdeutsche Epos zu dramatisieren (Benedict 1902, S. 40). Doch wenn der Untertitel seines Werks auch seine Treue gegenüber dem „altdeutschen Heldenlied“ bekundet (Mangold 1850, Titelseite), weist schon dieser
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allererste Bearbeitungsversuch die auch den meisten Nachfolgern inhärente Tendenz auf, der eigenen Darstellungsabsicht folgend zuweilen rücksichtslos in den überlieferten Sagenstoff einzugreifen. Mangold präpariert aus der gut 1700 Strophen umfassenden Vorlage die Erzählung von der Entführung Gudruns, von ihrem schmachvollen und bedrohten Leben am Hofe der Normannen und von ihrer Treue in der Liebe zu ihrem Verlobten Herwig heraus. Dort aber, wo es dem Komponisten und Librettisten mehr aus Gründen der Bühnenwirksamkeit denn aufgrund von Aspekten der Handlungslogik nützlich erscheint, werden auch Figuren und Ereignisse aus den vorangegangenen Werkteilen in den Plot hineingenommen. Auch die meisten Namen und Schauplätze sowie wichtige Charakterzüge der Protagonisten werden stark abgewandelt: Gudrun ist die treuliebende Tochter des Königs der Angelsachsen und verlobt mit Alfred, dem Herzog der Friesen. Geraubt und bedrängt wird Gudrun von einem normannischen König, der hier Raimund heißt und derart evident den Tyrannen klassischer Rettungs- und Schreckens opern gleicht, dass es ein Leichtes ist, sich auf die Seite Gudruns und ihrer Befreier zu schlagen („Sclavin, Du kannst’s wagen, / Mir zu trotzen noch? – / Du wirst am Altare / Heut’ die Meine doch!“; Mangold 1850, S. 27). Weitere Elemente, etwa die Abwendung höchster Not durch eine Geistererscheinung, wurden von Mangold frei hinzugefügt und gehören zu den eher konventionellen Versatzstücken des Musiktheaters. Sein Ende findet das Stück schließlich auf denkbar einfachem Wege: Raimund, der sich seine Niederlage eingestehen muss, beschließt Gudrun zu töten („Zu spät! […] Dich rührt / Nicht meine Liebespein, / Nun wohl! Du sollst / Auch keinem Andern sein“; Mangold 1850, S. 33). Gerade noch rechtzeitig wird Raimund dann aber von Alfred mit dem Schwert durchbohrt und Gudrun so vor dem Tod bewahrt. Zum Abschluss singen die Überlebenden gemeinsam ein sentimentales Lied des Spielmanns Horand: Ueber die Berge, Ueber die Wellen, Unter den Gräbern, Unter den Quellen, Ueber Fluthen und See’n Ueber Abgründ’ hinweg, Ueber Felsen und Höh’n Findet Liebe den Weg. (ebd., S. 34).
Wie die kurze Zusammenfassung zeigt, ist Mangolds Libretto stark auf die Bedürfnisse der klassischen Nummernoper zugeschnitten. Innovationen in Sprache und Form sind kaum zu entdecken, nichts geht entschieden über die Konventionen der grand opéra hinaus (Benedict 1902, S. 43 f.). Überraschend ist diese Konven-
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tionalität zumindest insofern, als Mangold aufgrund seines vehementen Kampfs um eine „bessere Zukunft für die deutsche Oper“, die er auf Basis des großen nationalen „Aufschwung[s] in der Gegenwart“ zu schaffen bemüht war (Mangold 1848, S. 158), einen programmatischeren Ansatz erwarten lässt. Doch die auch von der Fachwelt vielfach als Vorbild für eine deutsche Nationaloper gerühmte Gudrun wird diesem Anspruch, den Mangold unter dem Eindruck des Vormärz in der Neuen Zeitschrift für Musik artikuliert hatte, nur in wenigen musikalischen Parametern gerecht – etwa durch die Verwendung folkloristischer Elemente in den Liedern Horands. Der ‚nationale‘ Charakter seines Werks zeigt sich dagegen hauptsächlich in der Wahl eines ‚altdeutschen‘ Stoffes, den der Komponist in den neuhochdeutschen Umdichtungen von Karl Simrock und San-Marte studieren konnte (Eichner 2012, S. 70–72). Dabei akzentuiert Mangold, der sich 1850 im Dienst des zunächst eher liberal gesinnten Großherzogs Ludwig III. befand, in seinem Libretto zwei schon im Prätext eng verzahnte Themen: die Liebe und die Freiheit. Vor allem im zweiten und dritten Akt wird der Tyrannenherrschaft Raimunds ein Ruf nach Freiheit und Vaterland entgegengesetzt („Der König der Normannen, / Er herrschet als Tyrann, / Drum ist er auch im Lande / Verhaßt bei Jedermann!“; Mangold 1850, S. 24). Dagegen feiert das große Finale des vierten Akts nurmehr den Triumph der Liebe zwischen Alfred und Gudrun, während das emanzipatorische Anliegen des Normannenvolkes in den Hintergrund rückt. Nach dem Scheitern der revolutionären Kämpfe von 1848/1849 liest sich das wie ein Rückzug ins private Glück. Dass zeitgenössische Familienzeitschriften schon bald darauf Klavierbearbeitungen der Lieder des Sängers Horand abdruckten, mag insofern nicht allein der musikalischen Qualität, sondern auch der biedermeierlichen Grundtendenz des Werks geschuldet sein (Eichner 2012, S. 75–79). Dem mittelhochdeutschen Kudrun-Epos hatte besonders die nationalphilologische Germanistik des neunzehnten Jahrhunderts einen dem Nibelungenlied vergleichbaren Stellenwert zugesprochen. Friedrich Heinrich von der Hagen, der die editio princeps besorgte, rühmte die Erzählung als „wunderbare Nebensonne der Nibelungen“ (von der Hagen 1820, S. VII). Albert Schott verglich die Kudrun in Anlehnung an die Interpretation des Nibelungenlieds als ‚deutsche Ilias‘ mit Homers Odyssee und machte hierfür neben dem lieblicheren Wesen der Hauptfiguren und einigen eher spielerisch anmutenden Elementen vor allem die Leichtigkeit und Milde des heldenepisch grundierten Geschehens geltend (Schott 1845, S. VII). Es ist jedoch nicht allein die Einschätzung der Kudrun als ein ‚deutsches Nationalepos‘, die das Interesse der Bearbeiter weckte. Auch die Tatsache, dass der Text neben zahlreichen pittoresken Bildern und bühnenwirksamen Szenen (z. B. die vielfach verarbeitete Wäscherinnenszene aus der XXV. Aventiure) eine weib-
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liche Protagonistin bereithält, die gegenüber der eher negativen Kriemhildgestalt als positive Identifikationsfigur dienen mochte, trug zur Beliebtheit des Sujets auf der Bühne ebenso wie in Kunst und Literatur bei. So führt Siegmund Benedict in seiner Übersicht aus dem Jahr 1902 bereits 19 Übersetzungen, ein Gedicht, neun freie Umdichtungen und 16 dramatische Bearbeitungen auf – darunter viele der hier besprochenen Opernwerke sowie das Künstlerdrama Gudrun von Otto und Mathilde Wesendonck. Hinzu kommen diverse Nacherzählungen und Bearbeitungen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendliteratur (Benedict 1902, S. 119). Eingedenk der Tatsache, dass der unikal im sogenannten Ambraser Heldenbuch überlieferte mittelalterliche Text erst ab 1820 in einer modernen Edition verfügbar war, ist die quantitative Menge an medialen Zeugnissen, die das große künstlerische und kulturpolitische Interesse an der Gudrunsage insbesondere im neunzehnten Jahrhundert belegen, umso erstaunlicher. Es ist indessen deutlich zu erkennen, dass gerade die Wirkung der Adaptationen für das Musiktheater lokal und zeitlich eng begrenzt blieb. Viele Entwürfe wurden entweder niemals realisiert oder kamen kaum über die Premiere hinaus. Länger als 15 Jahre konnte sich keines der besprochenen Werke im Opernrepertoire halten. Nichts geändert hat sich daher bis heute an dem schon 1967 von Werner Hoffmann konstatierten Befund, wonach alle Versuche einer Bearbeitung der Kudrun im Grunde längst vergessen seien (Hoffmann 1967, S. 323). Dieses Missverhältnis zwischen der Produktivität des Sujets einerseits und der kurzen Lebensdauer der einzelnen Produktionen andererseits lässt sich zu einem guten Teil mit ungünstigen Rahmenbedingungen und – gerade bei den Wagner-Epigonen – mit einem unbestreitbaren Mangel an literarischer und kompositorischer Qualität erklären. Und doch drängt sich angesichts dieser Diskrepanz die Frage auf, ob Gründe dafür nicht auch in der Struktur des Prätexts selbst zu suchen sind: ob also die Kudrun angesichts der Stofffülle, des weitgehenden Fehlens tragischer Charaktere und des operettenhaften Ausgangs überhaupt als Sujet der ernsten Oper geeignet ist (ebd., S. 324 f.; Panzer 1903, S. 248; Benedict 1902, S. 118).
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III Werkliste Gudrun „Große Oper in vier Aufzügen“ Musik Carl Amand Mangold
Text Carl Amand Mangold
Uraufführung 1. [konzertant] November 1850, Darmstadt 2. [szenisch] 23.3.1851, Darmstadt
Gudrun „Oper in drei Akten“ Musik August Friedrich Wilhelm Reißmann
Text August Friedrich Wilhelm Reißmann
Uraufführung 7.10.1871, Leipzig
Gudrun Oper in drei Akten Musik Oskar Bolck
Text Oskar Bolck
Uraufführung [partiell] 12.3.1872, Leipzig [konzertant]
Gudrun „Große Oper in drei Akten“ Musik August Friedrich Martin Klughardt
Text Karl Niemann
Uraufführung 31.1.1882, Neustrelitz
Gudrun „Große Oper in drei Akten“ Musik Felix Draeseke
Text Felix Draeseke
Uraufführung 5.11.1884, Hannover
Gudrun „Dramatisches Gedicht in drei Aufzügen“ Musik Text Oskar Pasch O. und G. Vogel
Uraufführung 1888 [?]
Kudrun „Oper in vier Aufzügen“ Musik Hans Huber
Uraufführung 29.1.1896, Basel
Text Stephan Born
Horand und Hilde „Oper in drei Aufzügen und einem Vorspiel“ Musik Text Viktor Gluth Viktor Gluth
Uraufführung 14.11.1899, München
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Heroische Stoffe
Gudrun Oper Musik Peter Fassbaender
Text [?]
Uraufführung um 1907
Gudrun Oper in drei Akten Musik Jean Paul Ertel
Text Henry Horwitz
Uraufführung 1911 [?]
Gudrun „Eine deutsche Ballade in zwei Akten“ Musik Text Ludwig Roselius Ludwig Roselius
Uraufführung 29.4.1939, Graz
Kudrun Oper Musik Otto Lachmayer
Uraufführung ca. 1972–1977
Text Max Julius Wunderlich
Nibelungen Volker Mertens I Präsenz des Sujets Von allen Opern, Operetten und Musicals mit nibelungischem Stoff ist allein Richard Wagners Ring des Nibelungen seit seiner Uraufführung bei den ersten Bayreuther Festspielen (1876) bzw. den nicht-autorisierten Premieren von Das Rheingold und Die Walküre in München 1869 und 1870 dauerhaft auf den Bühnen präsent. Wagners Arbeit am Ring erstreckte sich über etwa dreißig Jahre von den ersten Überlegungen bis zum Abschluss der Götterdämmerung am 21. November 1874. Trotz des großen organisatorischen und künstlerischen Aufwands wird der Ring seither in den großen und in vielen mittleren Häusern gespielt. Seit diese ihre Ring-Produktionen verstärkt auch als Live-Montagen veröffentlichen (z. B. Karlsruhe 1993–1995, Erl 1998–2001, Stuttgart 2002–2003; Frankfurt 2010–2012), ist die Zahl der Aufnahmen unübersichtlich. Ein Meilenstein ist nach wie vor die Aufnahme Georg Soltis mit den Wiener Philharmonikern aus den Jahren 1958– 1965. Die erste Inszenierung einer Nibelungen-Oper, Heinrich Dorns (Musik) und Eduard Gerbers (Text) Die Nibelungen, erlebte am 22. März 1854 in Weimar unter der Leitung von Franz Liszt ihre Uraufführung. Sie war unmittelbar erfolgreich, wurde in Berlin, Königsberg, Breslau, Wien und anderen (deutschen) Städten nachgespielt, verschwand dann aber von den Bühnen und wurde erst 2004 in Zwickau wiederaufgeführt. Die grand opéra Sigurd von Ernest Reyer (Uraufführung Brüssel 7. Januar 1884) wurde bis in die 1930er Jahre in Frankreich häufiger gespielt (252 Mal allein in Paris), in den letzten Jahrzehnten nur in Marseille, Montpellier und Erfurt (2015). Aufnahmen gibt es verschiedene (z. B. Le Chant du Monde LDC 278 917-9). Die 1904 in Wien uraufgeführte Operette Die lustigen Nibelungen von Oscar Straus und Rideamus (d. i. Fritz Oliven) wird erst im Zuge der Neubelebung der Operette seit den 1990er Jahren immer wieder gespielt; aus dieser Zeit stammt auch eine Aufnahme mit dem Kölner Rundfunkorchester unter der Leitung von Siegfried Köhler (Capriccio 10 752). Die Handlung von Wagners Ring des Nibelungen wird überwölbt vom Mythos des Rheingolds, das den Antagonismus von Macht und Liebe verkörpert. Vorgeschichte: Der Lichtalbe Wotan hat einen Frevel an der Weltesche begangen, ihr einen Ast entrissen und daraus den Speer geschaffen, der die Verträge symbolisiert, mit denen er die Welt regiert. https://doi.org/10.1515/9783110424089-018
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Das Rheingold: Alberich, der zwergische Nibelung, gewinnt das Rheingold durch den Fluch auf die Liebe den Rheintöchtern ab und schmiedet den Ring, der ihm unbegrenzte Macht verleiht. Wotan, der um seine Herrschaft, die auf der Verletzung der Natur beruht, fürchten muss, lässt sich die Burg Walhall von den Riesen Fafner und Fasolt erbauen, die dafür erst die Liebesgöttin Freia, dann das Rheingold einfordern. Um sie zu entlohnen, betrügt Wotan zusammen mit dem Feuergott Loge Alberich um den Ring. Alberich belegt ihn bei der erzwungenen Übergabe mit einem todbringenden Fluch, der sich sofort erfüllt, als Wotan ihn widerwillig den beiden Riesen ausliefert: Fafner erschlägt für ihn seinen Bruder Fasolt. Wotans Macht bleibt durch ersteren gefährdet, er sinnt auf eine Lösung: Ein freier Held, der nicht wie er an Verträge gebunden ist, soll den Ring gewinnen und ihm übergeben. Die Walküre: Wotan hat mit einer irdischen Frau die Zwillinge Siegmund und Sieglinde gezeugt, sie sind weitgehend allein aufgewachsen. Sieglinde ist mit Hunding zwangsverheiratet worden, Siegmund zieht als gesetzloser Kämpfer durch die Welt, ihn hat sich Wotan als freien Helden erkoren. Ersterer gelangt in Hundings Haus, gewinnt das Schwert, das Wotan für ihn vorgesehen hat, befreit die Schwester und vereint sich mit ihr in Liebe. Hunding will den Ehebruch rächen, die Göttin Fricka beharrt darauf, dass Wotan ihm und nicht seinem Sohn den Sieg im Kampf verleihe. Siegmund sei kein freier Held, da der Gott ihm das Schwert habe zukommen lassen. Die Walküre Brünnhilde, Tochter Wotans und der Erdgöttin, will den verborgenen Wunsch ihres Vaters verwirklichen und schützt Siegmund, sodass Wotan selbst dessen Schwert zerschmettern muss. Die Walküre verkündet Sieglinde, dass sie den Helden Siegfried im Schoß trage, und rettet sie und die Stücke des Schwertes vor Wotan. Sie selbst stellt sich seinem Gericht; wegen ihres Ungehorsams versenkt er sie in Schlaf, nur der freieste Held kann sie erwecken: Siegfried. Siegfried: Sieglinde ist bei Siegfrieds Geburt gestorben, aufgezogen hat ihn Alberichs Bruder Mime, der auch die Stücke des Schwerts verwahrt; er will sie zu einer Waffe schmieden, mit der Siegfried den in einen Drachen verwandelten Fafner töten und den Ring gewinnen soll. Siegfried schmiedet sich selbst das Schwert und erlegt den Drachen, dann erschlägt er Mime, der geplant hatte, ihn zu ermorden. Er nimmt den Ring und stürmt zum Brünnhildenfelsen, um die Walküre als Braut zu gewinnen. Wotan versucht, ihn aufzuhalten, um durch den Misserfolg sicherzustellen, dass Siegfried tatsächlich der freie Held ist. So erweckt dieser Brünnhilde und verbindet sich mit ihr. Götterdämmerung: Siegfried bricht zu neuen Taten auf, den Ring hat er, ohne von dessen Kraft zu wissen, Brünnhilde geschenkt. Der Held kommt an den Gibichungenhof, wo Alberichs Sohn Hagen den Ring erbeuten will und Siegfried für seine Zwecke manipuliert: Ein Vergessenheitstrank löscht seine Erinnerung an
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Brünnhilde, sodass er um Gunthers Schwester Gutrune wirbt und diesem bei der Eroberung Brünnhildes beisteht. Ein Versuch, das Unheil aufzuhalten, scheitert: Die Walküre Waltraute versucht, Brünnhilde zur Übergabe des Machtrings an die Rheintöchter zu bewegen, was diese, da sie in ihm allein Siegfrieds Liebespfand sieht, ablehnt. In Gunthers Gestalt dringt Siegfried zu Brünnhilde vor, entreißt ihr den Ring, überwältigt sie, nähert sich ihr jedoch nicht sexuell. Als er an den Gibichungenhof zurückkehrt, weckt Hagen die Eifersucht des nun mit Brünnhilde vermählten Gunther und stiftet ihn zusammen mit der über den Liebesverrat zutiefst verletzten Brünnhilde an, Siegfrieds Ermordung zu planen, wofür sie die nur ihr bekannte Verwundbarkeit des Helden preisgibt. Hagen führt den Mord auf einem Jagdausflug aus, nachdem auch der zweite Versuch, den Fluch zu enden, gescheitert ist, weil der Held der Bitte um den Ring seitens der Rheintöchter nicht nachgekommen ist. Brünnhilde, als Siegfrieds Gattin, nimmt den Ring an sich, als sie den Scheiterhaufen besteigt, auf dem die Leiche des Helden verbrannt wird. Aus der Asche sollen die Rheintöchter den Ring erhalten. Brünnhildes Selbstopfer vereint sie mit ihrem Mann und setzt die Liebe als gesellschaftliches Prinzip ins Recht. Walhall verbrennt mit den Göttern, das Rheingold kehrt an seinen natürlichen Platz zurück, Männer und Frauen schauen dem Vorgang ergriffen zu, allein die Musik (ohne den zunächst dafür gedichteten Text) feiert die Liebe Brünnhildes, die das Machtstreben besiegt hat.
II Historische Schichten Der Nibelungenstoff hat in der zweiten Hälfte des zwanzigsten und den ersten Jahren des einundzwanzigsten Jahrhunderts nurmehr die Musicalkomponisten zu Vertonungen angeregt. Das jüngste Musical ist das avancierteste und erfolgreichste: 2007 wurde am Theater Bonn das „Symphonic Rock Musical“ Der Ring uraufgeführt, in Saarbrücken (2008), Hof (Neubearbeitung 2016) und in „Ludwigs Festspielhaus“ in Füssen (seit 2018) nachgespielt; in München soll es 2021 auf die Bühne kommen (Deutsches Theater). Die von Richard Wagner übernommene Handlung ist auf eine Dauer von gut zwei Stunden konzentriert; getragen wird sie von vier Hauptpersonen: Alberich, Siegfried, Wotan und Brunhild – wobei die beiden ersten auch erzählende Passagen übernehmen, die die Szenen auslegen und verknüpfen. Die gesprochenen und gesungenen Texte von Daniel Call sind in (mitunter etwas angestaubter) Alltagssprache gehalten; die Musik von Frank Nimsgern, Sohn des bedeutenden Wagner-Sängers Siegmund Nimsgern, bedient gleichzeitig postmoderne Ansprüche an Heterogenität wie das zeitlose kommerzielle Prinzip ‚Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen‘: contemporary RnB, Rap, Wag-
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nerklänge, auch Schlager. Die in Füssen spektakulären Bühneneffekte trugen entscheidend zum nachhaltigen Erfolg eines Werkes bei, welches das alte Thema von Macht und Liebe zwischen Trivialisierung und Bedeutungszusprache im MusicalGenre für ein entsprechendes Publikum zum Event macht. Im Jahr 1997 fand in Linz die deutschsprachige Erstaufführung von Das Barbecue – Nibelungen Go Texas statt, das bereits 1991 in Seattle als Das Barbecü. A New Musical Comedy im Rahmen einer Produktion von Wagners Tetralogie uraufgeführt wurde (Müller 2011b, S. 137 f.). Wotan ist dort ein texanischer Rancher, der mit der Familie Gibich in Streit gerät. Hagen Gibich hat den jungen, frisch verlobten Cowboy Siegfried so betrunken gemacht, dass er Gutrune Gibich spätabends in einer Bar einen Heiratsantrag macht. Seine Verlobte Brünnhilde wirft ihm daraufhin den Verlobungsring vor die Füße. Bei einem Barbecue soll der Streit dann beigelegt werden (Vill 2010, S. 154). „Die am Pop orientierte Musik“ von Scott Warrender „realisiert mit Keyboards, Gitarren, Violine, Mandoline und Schlagzeug, bringt als Couleur locale Anklänge an die Country-Music ein“ (ebd.). Mit Laß’ das, Hagen! wurde im Jahr 1967 das erste „Nibelungen-Musical“ produziert, das mit dem Nibelungenlied und Wagners Ring spielt. Den Text schrieb Horst Pillau, die Musik komponierte Siegfried Ulbrich. Das vollständige Libretto samt einer „Einordnung des Stückes in die deutsche Rezeptionsgeschichte des ‚Nibelungenliedes‘“ (Schmidt / Müller 1997, S. 315) wurde von Siegrid Schmidt und Ulrich Müller (1997, S. 316–343) veröffentlicht, eine CD ist 2006 beim Deutschlandradio Kultur erschienen. Bereits am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts scheinen die Nibelungen ihre Faszination auf Librettisten und Komponisten von Rang verloren zu haben, die Operette von Straus ist in Abhängigkeit von Wagner (und weniger vom mittelalterlichen Text) her zu betrachten. Die lustigen Nibelungen kombinieren die operettentypische Ehebruchsthematik mit Kapitalismusparodie und Wagnertravestie (Straus o. J.): Hagen holt Siegfried, den Drachentöter und Besitzer des Horts (er ist bei der Rheinischen Bank angelegt) zu König Gunther nach Worms, um ihn mit Kriemhild zu verkuppeln und durch die vorteilhafte Heirat die Staatsfinanzen zu sanieren. Gunther gewinnt Siegfried, ihm im Zweikampf mit Brunhilde zu helfen, was dieser dank der Tarnkappe erfolgreich tut. In der Brautnacht muss er nochmals einspringen, doch als Siegfried Brunhilde niederringt, greift der eifersüchtige Gunther ein. Die Familie kommt hinzu; Kriemhild und Brunhilde verlangen einen Zweikampf zwischen Siegfried und Gunther, bei dem dieser mit Hagens Hilfe Siegfried zu Boden schlagen kann. Doch Brunhilde verlangt immer noch Rache, sodass die Familie die Ermordung Siegfrieds und die Aneignung seiner Millionen plant. Ein Käfigpapagei warnt Siegfried und meldet ihm den Zusammenbruch der Bank. Siegfried entwindet Hagen das Schwert und verzeiht ihm,
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da er aus dem edlen Motiv der Besitzgier gehandelt habe. Brunhilde fühlt sich in ihrer erotischen Attraktivität gekränkt, weil Siegfried die nächtliche Situation nicht ausgenutzt hat; auch das Angebot des Nibelungenschatzes kann sie nicht versöhnen, da sie vom Bankencrash weiß; erst sein Liebesversprechen besänftigt sie. In Zukunft werden sich beide Frauen den Helden teilen, dieser verspricht der Familie die Hälfte der Nibelungenaktien und erzielt damit allgemeine Harmonie. Die weitgehend in der Wiener Operettentradition stehende Musik verwendet Wagner-Zitate nur sparsam; die bald nach der Uraufführung aufkommende Gegnerschaft deutschnationaler Kreise richtete sich weniger gegen die parodistischen Züge als gegen die Verhöhnung des Germanenkults und die Karikaturen militaristischer und ökonomischer Realitäten (vgl. Hellmuth 1987; Klotz 1982). Oscar Straus’ Operette ist im letzten Jahrzehnt häufiger auf deutschen Bühnen und sogar in Philadelphia und New York inszeniert worden. Als Problem erweist sich, dass die von Regisseuren gern bemühten ideologiekritischen Bezüge auf die Entstehungszeit dem Werk bereits eingeschrieben sind und die Satire auf Germanenkult, Treuepathos, Kaiserhaus und Bankenwirtschaft nur noch historisch interessant und damit ebenso wohlfeil geworden sind wie eine Karikatur der Wagnerinszenierungen von vor 100 Jahren. Der Bezug auf die Gegenwart lässt sich am leichtesten über die Bankenkrise herstellen (Krefeld 2012). Der Erfolg der Aufführungen kann aus einer brillant präzisen Choreografie der absurden Abläufe eher resultieren (Kaiserslautern 2008) als aus den historisch gewordenen karikaturistischen Dimensionen der Operette. In Frankreich galt das Nibelungenlied um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts mehr als Inbegriff archaisch-‚germanischer‘ Dichtung, als dass es als mittelalterliches Werk bekannt gewesen wäre; die Prosaübersetzung von Charlotte Moreau de la Meltière (1837) befriedigte den Wunsch nach ‚ursprünglicher‘ Sprach- und Erzählweise zu wenig, das änderte sich erst mit der Übertragung von Émile de Laveleye 1861 (ebenfalls in Prosa), die das Nibelungenlied in die skandinavische Tradition einordnete und Nacherzählungen und Zitate (Erwachenshymnus der Walkyre) aus den einschlägigen Edda-Liedern bot. Das Heldenepos wurde weniger als autonomes Erzählwerk denn als Zeugnis germanischer Götter- und Heldendichtung wahrgenommen. Als solches war es für das Musiktheater interessant, denn die Opéra suchte neue Themen mit neuen couleurs locales und hatte nach den ‚fremden Ländern‘ rund um das Mittelmeer, Südamerika (Jaguarita l’Indienne, Jacques Fromental Halévy 1855) sowie Indien das mittelalterliche Deutschland entdeckt. Michel Carré, der sehr gut Deutsch konnte, schon 1851 mit dem Theaterstück Les Contes d’Hoffmann deutsche Romantik auf die Bühne gebracht hatte und immer auf der Suche nach innovativen Stoffen war, entwarf 1862 ein Szenario zu
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einer Oper, die aus dem Nibelungenlied und den Edda-Liedern kompiliert war. In einem ‚Prolog im Himmel‘ wird die Bestrafung der Walküre Brunehild durch Odin wegen ihrer Parteinahme in einem Kampf zugunsten Sigurds auf die Bühne gebracht. Der Held, dessen Name die eddische Form aufweist, erhält durch den (nur berichteten) Drachenkampf mit Hortgewinn und Unverwundbarkeit eine mythische Aura. Ernest Reyer, der mit dem Ballett Sacountala (1858) der Exotismusmode gehuldigt hatte, war auf der Suche nach neuen Stoffen, doch Carrés Szenario entfernte sich zu weit von den historischen Situationen, die den Erfolg der grand opéra ausgemacht hatten. Das Libretto wurde Camille du Locle anvertraut, der noch am Beginn seiner Librettistenkarriere stand; neben ihm war daran auch Alfred Blau beteiligt. Die mythischen Szenen in Carrés Szenario wurden reduziert und die Handlung nach dem Nibelungenlied durch die Einführung des Hunnenkönigs Attila (gest. 454) historisiert. Ernest Reyers Sigurd (Reyer 1885) geht von der französischen Nibelungenlied-Übersetzung von Émile de Laveleye aus auf die Völsunga saga und verschiedenen Edda-Lieder (die bei Laveleye ausführlich mit Zitaten referiert werden) zurück; außerdem kannten die Librettisten aller Wahrscheinlichkeit nach Richard Wagners 1863 veröffentlichte Ring-Dichtung (vgl. Kühnel 1989). Vorgeschichte: Sigurd hat Hilda (Kurzform von Kriemhild) aus der Geiselhaft befreit und nach Worms zurückbringen lassen, seitdem liebt Hilda ihn. Attila wirbt um sie und sendet ihr einen Armreif, mit dem sie ihn jederzeit rufen kann. In Island hat der Gott Odin die Walküre Brunehild in einem flammengeschützten Schloss in Schlaf versetzt, weil sie sich (zugunsten Sigurds) in einen irdischen Kampf eingemischt hatte, und dem Sterblichen, der sie erweckt, zur Frau bestimmt. Ihr Leben ist dann an das seine gebunden und muss mit seinem Tod verlöschen. Akt I: Gunther hat von Brunehild gehört und begehrt sie zur Frau. Hilda will die Werbung des Hunnenkönigs Attila ablehnen und stattdessen Sigurd durch einen Liebestrank ihrer Amme Uta gewinnen. Gunther und Sigurd schwören Blutsbrüderschaft, letzterer, von Hilda bezaubert, will Gunther bei seiner Brautfahrt unterstützen, um Hildas Hand zu erhalten. Akt II: Der Weg zu Brunehild führt über eine verzauberte Heide, vor der Gunther zurückscheut; Sigurd jedoch bläst dreimal in das Zauberhorn, nimmt die Prüfungen durch die drei Nornen, Walküren und Kobolde auf sich, durchschreitet die Heide und überquert auch den feurigen See. Die Flammen des Schlosses erlöschen; Sigurd, durch Gunthers Helm und Rüstung unkenntlich, erweckt die Walküre, die den Tag hymnisch begrüßt und ihrem Befreier ihren Jungfrauengürtel überreicht. Auf dem gemeinsamen Lager legt Sigurd ein Schwert zwischen beide. Akt III: In Worms übergibt er die schlafende Brunehild an Gunther; als sie erwacht, hält sie diesen für ihren Befreier. runehild die Hände Sigurd erhält Hildas Hand; bei der Doppelhochzeit soll B
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Hildas und Sigurds ineinanderlegen; als sie diejenigen Sigurds berührt, ergreift beide ein Schauder und ein Blitz fährt vom heiteren Himmel. Beide e rkennen, dass sie füreinander bestimmt waren. Uta sieht nahendes Unheil voraus. Akt IV: Es kommt zum Streit Brunehilds mit der eifersüchtigen Hilda, die ihr mit Hilfe des Gürtels den Werbungsbetrug enthüllt. Brunehild hebt mit Zauberkräutern und -sprüchen die Wirkung von Hildas Liebeszauber auf. Sigurd gesteht Brunehild seine Liebe; der eifersüchtige Gunther, der das Liebesgeständnis zusammen mit Hagen belauscht hat, erschlägt ihn, nachdem Hilda Sigurd nicht gewarnt hat, da sie ihn nicht der Rivalin überlassen will; Brunehilds Verzicht kommt zu spät. Sie muss mit ihrem Befreier sterben; beide werden auf einen Scheiterhaufen gelegt. Die Oper endet mit zwei Visionen: Der von Hilda als Rächer Sigurds mit dem Armreif gerufene Attila triumphiert über Gunther und die Burgunden, Odin nimmt Sigurd und Brunehild in Walhall auf. Die wichtigsten Handlungselemente wie Sigurds Freundschaft mit Gunther, die Brautfahrt, der Werbungsbetrug, die Gürtelgabe, der Frauenstreit und die Ermordung stammen ebenso wie einige Einzelmotive (Falkentraum Hildas) aus dem Nibelungenlied. Die Geschichte Brunehilds ist aus dem Altisländischen genommen (Ungehorsam und Strafe, Flammensitz, Liebesbund mit Sigurd, gemeinsamer Scheiterhaufen), auch Details wie das von Odin geschenkte Flammenschwert Sigurds. Aus dem spätmittelalterlichen Hürnen Seyfrid (erwähnt bei Laveleye) kommt das Motiv von der Befreiung Hildas/Kriemhilds durch Sigurd/ Siegfried. Der Librettist und sein Co-Autor Alfred Blau haben die mittelalterlichen Texte für das Handlungsgerüst der Oper genutzt, aber auch als Motiv-Steinbruch. Daneben sind auch andere Elemente eingefügt, um die Handlung der Struktur der grand opéra weiter anzunähern: Ballade des Barden von der Walküre (vgl. Meyerbeer, Robert le Diable 1831), Tableaus wie die Zauberheide mit bösen Geistern und dem Flammenschloss, Hochzeitsfeier, Vision am Schluss. Nach dem Beispiel des Boulevardtheaters wurden außerdem Belauschungsszenen (Hilda, Gunther) eingeführt. Die prominente erotische Männer- und Frauenkonkurrenz gehört hingegen zu den klassischen Themen der Oper. Eine übergeordnete gesellschaftliche oder politische Idee wie in den auf den Konflikt zwischen Religion und Macht zentrierten Werken Meyerbeers ist nicht zu erkennen, deren Zeit war vorbei. Reyers Musik steht in der Tradition von Carl Maria von Weber und Hector Berlioz; sie zeigt klangliche Raffinesse und Bravour, die melodische Erfindung ist eher durchschnittlich. Sigurd ist in erster Linie eine effektvolle Ausstattungs- und Sängeroper, die zur Uraufführungszeit vom Gegenstand her allerdings äußerlich-politisch verstanden wurde: Wegen der von dem Stoff evozierten antideutschen Ressentiments nach dem französisch-preußischen Krieg konnte die Uraufführung 1884 nur in Brüssel stattfinden, erst dann zogen Lyon und – ein knappes Jahr später mit teils
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der gleichen Besetzung wie in Brüssel – die Pariser Oper nach. Ihre Wiederbelebung im Zuge der Renaissance der grand opéra seit den 1980er Jahren blieb von begrenztem Erfolg, da das Fehlen von politischen Bedeutungsschichten zu eher oberflächlichen Visualisierungen führte. Der Inszenierung heute stellen sich ähnliche Probleme wie im Fall der Opern Meyerbeers oder Halévys: Die funktionalen Elemente mit hohem Repräsentationsanspruch (Chöre, Ensembles, virtuose Arien) sind, wenn der Regisseur sie nicht denunzieren will, schwer zu aktualisieren. Die Aufführungen in Montpellier (1993) und Marseille (1995) setzten daher auf Unverbindlichkeit, die deutsche Erstaufführung 2015 in Erfurt (Regisseur: Guy Montavon) verwendete den ‚Flaschenposttopos‘, eine Verbildlichung mit reichlich klischeehaftem Dekor (Kostüme der Protagonisten im Stil der Uraufführung). Die Oper wird als Traum der Hilda am Ende des Zweiten Weltkriegs konzipiert, als die mörderischen Wirkungen des Germanenkults offensichtlich wurden (Vergewaltigung, das zerbombte Worms): eine problematische Aktualisierung, da Reyer diesen Kult gar nicht zelebriert; die Handlung könnte gut in einem anderen exotischen Setting spielen mit fremden religiösen Riten und Göttern, Geistern und übernatürlichen Erscheinungen. Noch vor der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hatten mehrere Komponisten die Möglichkeit einer Oper aus dem Stoffkreis der Nibelungen ausgelotet, so etwa Felix Mendelssohn und Robert Schumann, die sich jedoch bald wieder davon abwandten. 1844 publizierte Friedrich Theodor Vischer einen Vorschlag zu einer Oper, in dem er das Nibelungenlied als Stoff für eine nationale, aber unpolitische, anthropologisch allgemeine Oper empfahl und ein fünfaktiges, stofflich völlig hypertrophes Szenario bot (Vischer 1914). Louise Otto (verheiratete Peters) hat danach ein Libretto verfasst (Otto 1852), das von Niels Wilhelm Gade vertont werden sollte, von dem jedoch nur das Particell zu den ersten Szenen des ersten Akts ausgeführt wurde (Zegowitz 2006, S. 264–267). Seit 1842 beschäftigte sich auch Richard Wagner mit dem Stoff: Er hängte das Titelblatt der Nibelungenzeichnungen von Peter von Cornelius über seinen Schreibtisch. Dieses fokussiert auf den Helden Siegfried (Sachsen- und Dänenkrieg, Bezwingung Brünhilds, Heirat mit Kriemhild, Mordrat, Tod), der zweite Teil tritt zurück (Rache Kriemhilds, Kampf), der Tod nahezu aller wird prominent dargestellt. Wagner war anscheinend von Siegfried fasziniert, sah wohl in ihm wie Friedrich Engels ein Urbild der Freiheitskämpfer, hatte aber auch den allgemeinen Untergang vor Augen. Er suchte in dem Stoff weltgeschichtliche Vorgänge (Die Wibelungen. Weltgeschichte aus der Sage, Wagner 1914, Bd. 2, S. 115–155), bevor er zu einer Dramenkonzeption fand, die soziale und politische Konstanten thematisiert (Der Nibelungenmythus. Als Entwurf zu einem Drama, Wagner
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1914, Bd. 2, S. 156–166, und das ausgeführte Drama Siegfrieds Tod, Wagner 1914, Bd. 2, S. 167–228). Die Ermordung des Helden sah er als politisches Ereignis auf der einen Seite mit dem Kampf um Macht und Besitz verknüpft, auf der anderen Seite mit der Liebe, die auf eine Reinigung und Erneuerung von Herrschaft zielt. Die Vorgänge, die dazu führen, werden in Der junge Siegfried (1851), Die Walküre sowie Der Raub des Rheingoldes (1852), zwei Opern und einem Vorabend, vorangestellt; das Ziel (in Siegfrieds Tod, der später so benannten Götterdämmerung) wird abgewandelt zum Untergang aller Herrschaft und dem Preis der Liebe als persönlichem Antrieb wie als Vergesellschaftungsform. Quellen des Rings sind neben dem mittelhochdeutschen Nibelungenlied die altisländischen Fassungen des Stoffs in den Edda-Liedern, der Snorra-Edda (die beide seit 1818 bzw. 1812 in Übersetzungen vorlagen) und der Völsunga- wie der Niflungasaga, da das Nibelungenlied die Jugendtaten Siegfrieds nur sehr knapp referiert und die Vorgeschichte Brünhilds nicht enthält, auch von ihr seit der Ermordung Siegfrieds nichts mehr berichtet. Die mythische Dimensionierung durch die Verbindungen zur germanischen Götterwelt findet sich nur im Altisländischen (vgl. Jost 1998; Kühnel 1991; Mertens 2003). Wagners Arbeit am Stoff (inspiriert auch von romantischen Nibelungendramen wie Friedrich de la Motte-Fouqués Held des Nordens) ist philologisch gründlich und umfassend, sein Vorgehen der Isolation von stofflichen Baustücken (Mythemen) ist von Jacob Grimms Deutscher Mythologie (Grimm 1844) beeinflusst, und ihre Zusammenfügung unter einer Leitidee ist bricolage im Sinn von Claude Lévi-Strauss (1971). Exkurs zur Inszenierungsgeschichte: Die Werke Wagners stellen eine Besonderheit des Musiktheaters insofern dar, als es eine ungebrochene Aufführungstradition seit der Uraufführung gibt. Die Inszenierungen stehen daher im Dialog nicht allein mit der zeitgenössischen Bühnenkunst und den aktuellen gesellschaftlichen und politischen Diskursen, sondern auch mit vorgängigen Realisierungen. Zudem werden die Regiearbeiten von der kontroversen Diskussion um das Werk und die Person Wagners beeinflusst. Die kritische Beschäftigung mit den Inszenierungen geht oft mit weltanschaulichen Polarisierungen einher, sodass bestimmte Ansätze ebenso vehement verabsolutiert wie abgelehnt werden (so Neubayreuth in der Wochenzeitung Die Zeit). Die Reaktionen von Publikum und Feuilleton gehen oft weit auseinander, weiter als im zeitgenössischen Theater üblich. Einen ersten bildlichen Niederschlag hatte die 1863 als Text veröffentlichte Tetralogie in den Nibelungenbildern von Michael Echter in der Münchner Residenz (1865/66) gefunden. Sie waren Zeugnis des Vorzeitenthusiasmus König Ludwigs II., der auch für die Uraufführung der ersten beiden Musikdramen in der Münchner Oper verantwortlich war. Die Gemälde in ihrer romantisch-heroischen Faktur beeinflussten die Bühnengestalt. Obwohl Wagner die Einzelaufführung des Rheingolds grundsätzlich nicht wollte, wirkte er an den technischen und musikalischen Proben aus der Ferne mit, sodass die Premiere am 22. September 1869 den Charakter einer Musteraufführung annahm. Gemäß den Vorstellungen des Bayernkönigs war ein Bühnenillusionismus verwirklicht (Schwimmwagen für die Rheintöchter, farbige Dämpfe und Wolken, Regen-
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bogenbrücke), der viel Aufmerksamkeit erregte. Die „szenischen Wunder“ wurden allgemein gewürdigt. Darstellung und Musik erfuhren hingegen sowohl negative wie positive Resonanz. Die Uraufführung der Walküre (26. Juni 1870) fand ein vergleichbares Echo, wobei vor allem die ethischen Verstöße (Inzest und Ehebruch, Treulosigkeit Wotans) kritisiert wurden. In Bayreuth wollte Wagner 1876 das Theaterideal verwirklichen, das in München letztlich nicht erreichbar gewesen war: ein Festspiel des ‚Volkes‘ in der Nachfolge der antiken Tragödie. Die Aufführungen sollten in der Gemeinschaft einen politisch-anthropologischen Mythos repräsentieren, dessen Gewand eher zufällig germanisch war und der in seiner rein-menschlichen Gültigkeit durch einen psychologischen Realismus der Personenführung aktualisiert würde. Dafür arbeitete Wagner (wenig systematisch) mit eigens ausgesuchten Sängern an der innigen Verschmelzung von Gesang und Deklamation, was quer zu dem auf Vokalvirtuosität ausgerichteten Opernbetrieb stand. Diesem näherte Wagner sich jedoch durch die der französischen Grand Opéra verpflichteten bühnentechnischen Effekte an. Die Kostüme und Accessoires wurden in einem an archäologischen Zeugnissen fantasievoll ausgerichteten ‚germanischen‘ Stil realisiert. Die Festspiele waren, da sich der ursprünglich vorgesehene freie Eintritt für ‚das Volk‘ nicht verwirklichen ließ, eben das gesellschaftliche Ereignis, das Wagner ausdrücklich nicht wollte. Gewürdigt wurden die Effekte und Dekors sowie der große künstlerische und organisatorische Aufwand, weniger die Handlung und Darstellung und erst recht nicht die ideelle Konzeption und die Musik. Einzig der Siegfried wurde als nationales Werk gewürdigt, in dem sich die Selbstständigkeit der deutschen Kunst manifestiere. Wagner hingegen betrachtete die Festspiele als künstlerischen Fehlschlag, denn es war ihm nur in Ansätzen gelungen, sein Konzept zu realisieren, auch seine intensive Arbeit mit den Sängerdarstellern wurde nicht stilbildend. In Mitteleuropa durchgesetzt wurde der Ring als großes Märchenspektakel durch Angelo Neumanns reisendes Wagnertheater, das die Tetralogie in den Originaldekorationen zur Aufführung brachte. Der Ring begann seinen Siegeszug also weniger als das mythisch-psychologische Drama, das Wagner wollte, sondern als große germanisierende Ausstattungsoper. Cosima Wagners Inszenierung 1896 in Bayreuth setze diese Veräußerlichung des Werkes fort. Die Personenregie favorisierte statt Richard Wagners psychologischer Eindringlichkeit starre Stellungen und monumentale Posen. Die überakzentuierte Gestik orientierte sich mechanisch an der jeweiligen Musik; man sprach von ‚lebenden Bildern‘. Die Dekors waren gegenüber 1876 behutsam modernisiert, die Kostüme des Malers Hans Thoma ‚entgermanisiert‘, die szenischen Effekte besser beherrscht. Eine neue Beleuchtungsregie unterstrich den ritualistischen Charakter der Aufführung. Das Ergebnis war eine germanisierte Heldenoper, die zum Nationalmythos taugte, eine Lesart, die von der Bayreuther Publizistik unterstützt und politisch von den Völkisch-Nationalen aufgegriffen wurde. Um 1900 war der Ring dann in ähnlicher Gestalt weitgehend durchgesetzt, er wurde an 22 deutschsprachigen Bühnen gespielt, zehn Jahre später brachten sogar 67 Bühnen zumindest Teile des Rings. Danach aber wandte sich die Publikumsgunst anderen Werken Wagners und vor allem den Opern Giuseppe Verdis und Giacomo Puccinis zu. Es waren in der Folge die kleineren Theater, die Experimente mit der Raumbühne und einer symbolisch-einfachen Ausstattung wagten, nicht die großen Hoftheater mit ihren sozialen und politischen Bedingtheiten, die schwerfälliger agierten und dem Publikum keinen Ring in der zeitgenössischen Ästhetik und mit dem Anspruch auf Zeitgenossenschaft zumuten sollten und wollten. Eine Ausnahme bildete Wien unter der Direktion von Gustav Mahler, der Alfred Roller für die Bühnenbilder und Kostüme heranzog (1905/07: Rheingold/Walküre). Der Künstler war der Moderne in Gestalt der Wiener Sezession verpflichtet in seinen farbig-ästhetischen Szenerien, in der Abweisung von jeglichem kruden Naturalismus. Avantgardistische Ring-Inszenierungen gab es in Freiburg 1912/13
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(Ausstattung: Ludwig Sievert), in Duisburg 1922–1924 (Saladin Schmitt) und in Frankfurt 1925/26 (Lothar Wallerstein / Ludwig Sievert). Der radikalste der Regisseure war Adolphe Appia, der, nachdem er seine Vorstellungen bereits in der Schrift La mise-en-scène du drame wagnerien (1895) niedergelegt hatte, erst 1924 die Gelegenheit bekam, Bühnenbilder für eine Ring-Inszenierung zu entwerfen. Er hatte inzwischen, angeregt durch die moderne bildende Kunst, zur Abstraktion gefunden und wollte eine symbolische Produktion, die sich von der Musik inspirieren ließ. So schuf er einen entsprechenden Aktionsraum, in dem die Sängerdarsteller statisch und nicht psychologisch geführt wurden (Basel 1924/25, nach der Walküre abgebrochen), womit er einen Skandal bei den Altwagnerianern auslöste. 1933 erreichte die neue Bühnenauffassung (Vereinfachung der Bühnenbilder, Abkehr vom Naturalismus, musikbezogene Regie) selbst das von politisch wie ästhetisch Traditionsbewussten und -verbissenen dominierte Bayreuth. Bis 1931 war die immer wieder leicht modernisierte Produktion von Cosima Wagner aus dem Jahre 1896 gespielt worden, jetzt engagierte Winifred Wagner zwei gemäßigte Modernisierer: Heinz Tietjen für Dirigat und Regie, Emil Preetorius für die Ausstattung. Letzterer wollte die symbolische Ebene auf die Bühne bringen, nicht das bislang dominierende germanische ‚Kostüm‘. Klare, einfache Formen, intensive Farbwirkungen und ausdrucksvolle Lichtregie, der die ‚naturalistischen‘ Szenen wie Rheintiefe, Regenbogen, Frühlingsbild, Waldweben anvertraut waren, kennzeichneten die Dekors. Auf kubistische Abstraktionen, auf alle Überzeichnungen, die an die ‚Asphaltkunst‘ der Zwanzigerjahre hätten erinnern können, verzichtete Preetorius im Sinn einer umfassenden Ästhetik. Die Personenregie setzte ganz individuell agierende Menschen von der Statuarik der Götter ab, was jedoch nicht als die subtile Machtkritik rezipiert wurde, die intendiert war. Diese Modernisierung fand unter ausdrücklicher Zustimmung des neuen Reichskanzlers Adolf Hitler statt, der der Welt ein modernes, kein hinterwäldlerisches Deutschland präsentieren wollte; der propagandistische Effekt war ihm wichtiger als die Zufriedenheit der Traditionalisten. Die Bayreuther Produktion wurde an die Berliner Staatsoper übernommen und wirkte stilprägend, sodass Aufführungen mit Bärenfell und Hörnerhelm in der Zeit des ‚Dritten Reichs‘ die Ausnahme bildeten. Dass modernes Musiktheater gemacht wurde, diente der politisch-propagandistischen Vereinnahmung der Festspiele durch die sich als ‚modern‘ gerierenden Nationalsozialisten und der Etablierung des Führerkults: Hitler wurde gern als der neue Siegfried verstanden, er selbst sah sich eher als der oberste Gott Wotan: Wenn er sich bei den Wagners „Onkel Wolf“ nennen ließ, so rekurrierte er auf Siegmunds Vater „Wolfe“ (Wotan) und er stellte sich unter dem Codewort „Walküre“ nach dem Vorbild „Walvaters“ ein privates Heer für den Fall eines Militärputschs zusammen. Die Verschwörer des 20. Juli funktionierten die Benennung um: Ihre „Operation Walküre“ wählte sich die unbotmäßige Brünnhilde, die den Brand in die Burg Walhall wirft, zum patriotischen Vorbild. Bis 1942 wurde die Bayreuther Produktion immer wieder überarbeitet, technisch wie ästhetisch, sodass Wieland Wagner 1951 unausgesprochen daran anknüpfen konnte, als die Festspiele nach vielen Querelen um die Leitung durch die Wagnerenkel wiedereröffnet wurden. Diese wollten ein Bayreuth jenseits des Nationalsozialismus begründen; ihre Bestrebungen trafen sich mit den Bedürfnissen vieler Wagnerfreunde aus dem In- und Ausland, die ein unpolitisches Künstlertheater ersehnten. Doch wie dieses neue Theater aussehen sollte, daran entzündete sich ein Streit: Während die Modernisten die Reinigung allein von einem kultischen Theater der Abstraktion erwarteten, wollten die Traditionalisten zurück zu Wagners Szene oder wenigstens zu der vor 1933 mit ihrem historisierenden Illusionismus. Wieland Wagners Entscheidung für Ersteres führt im Fall des Rings zu einem Prozess, der 1951 begann und erst 1954/55 einen gewissen Abschluss fand, nachdem naturalistische Momente, die anfangs noch präsent waren, ausgeschieden wurden. Einfachste Bühnenbilder, zumeist aus Licht und Farbe erzeugt, und eine kul-
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tisch statuarische Personenregie machten aus dem Ring ein zeitenthobenes Menschheitsdrama, in dem das diskreditierte ‚Germanische‘ wie alles sonstige Konkrete getilgt war. Dass die Figuren auffällig beziehungslos agierten, korrespondierte mit dem Wunschglauben des Publikums, die ‚Oberen‘ hätten ohne Wissen der ‚Unteren‘ regiert und letztlich seien Erstere allein schuld am Untergang. In dieser Produktion verbrannten die Götter am Ende nicht, allein ein rotes Glühen deutete den Untergang Walhalls an, zum Liebeserlösungsmotiv herrschte tiefes Dunkel. So war jeder Bezug auf die dem deutschen Publikum noch höchst präsenten Bombennächte (und ihren Verursacher) vermieden; dass die Liebe das letzte Wort behalten könnte, bezweifelte die Szene. Ästhetisch korrespondierte die Bühnengestalt mit der als einzig wahre Moderne ausgerufenen Abstraktion, politisch mit dem Wunsch der bundesrepublikanischen Gesellschaft, eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu vermeiden und das überdauernde Gute und Schöne zu feiern: den Ur-Wagner. Ende der 1950er Jahre war Wieland Wagners Stil so anerkannt, dass kaum eine Produktion sich ihm entziehen konnte, so beispielsweise auch nicht die von Herbert von Karajan an der Wiener Staatsoper 1957/1960, der mit dem Bühnenbildner Emil Preetorius an den Ring von 1933 anknüpfte und mit der statuarischen Personenführung wie den Lichteffekten Wieland Wagners Neuerungen aufgriff, die Letzterer bereits wieder hinter sich ließ: Wieland Wagners zweiter Ring von 1965 wandte sich vom kultischen Theater insofern ab, als er die Figuren stärker individualisiert führte. Damit reagierte er auf ein wachsendes Bedürfnis nach menschlicher Nahbarkeit jenseits überpersonaler Ordnungen. Diese wurden negativ dargestellt, erstmals erschien Wotan als doppelzüngiger Machtpolitiker, als ‚Urbild Adolf Hitlers‘. Der Einzug in Walhall am Ende des Rheingolds führte als symbolischer Weg in die Tiefe, nicht nach oben. Der Untergang war zwar das Resultat des politischen Handelns, dieses wurde jedoch durch das monumental archaisierende Bühnenbild als unausweichlich, als überpersönlichen Konstellationen verpflichtet, aufgezeigt. Walhall wurde durch einen Feuersturm ausgelöscht, man sah darin eine Atomkatastrophe, ein Menetekel für die Machtpolitiker der Gegenwart – ohne Bezug auf die Vergangenheit. Brünnhildes Überwindung des perfiden Herrschaftskonzepts durch ihr Selbstopfer blieb folgenlos. Bezeichnend für die 70er Jahre ist die politische Neudeutung des Rings aus dem Geist der Gegenwart wie seiner Entstehungszeit, befördert durch die im Gefolge der AchtundsechzigerBewegung aufbrechende Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Geschichte. Zuerst zeigte in Kassel Ulrich Melchinger (ab 1970) Bilder aus dem zwanzigsten Jahrhundert: Die Gibichungenhalle war ein Nazi-Bau, Alberich kommandierte eine moderne Fabrikzentrale, die Walküren brausten auf Motorrädern herbei und trugen Kalaschnikows. Regisseur und Ausstatter rückten die Personen an die Erfahrungswelt der Zuschauer heran, aber weitergehende Ideologiekritik blieb undeutlich. Sie war prononcierter in Leipzig: Joachim Herz (1973/76) zeigte Alberich als Kapitalisten und Siegfried als faschistische Persönlichkeit. Bauten und Projektionen machten das neunzehnte Jahrhundert lebendig: das Wiener Burgtheater und das Niederwalddenkmal, Kriegergedenkstätten und die ‚Goldelse‘, die geflügelte Victoria von der Berliner Siegessäule. Die Figuren agierten komödiantisch aufgedreht bis hin zum Schmierentheater und vertrieben jede mythische Weihe. Wegen der Isolierung der DDR wurde diese inszenatorische Neuerung jedoch kaum rezipiert. Unvergleichlich folgenreicher war der ‚Jahrhundertring‘ von Patrice Chéreau / Richard Peduzzi (Bayreuth 1976). Er machte die verschiedenen historischen und sozialen Ebenen sichtbar (Adelsherrschaft, Industrialisierung, Imperialismus, Kriege). Der Regisseur war nach eigener Aussage vornehmlich von den Personenkonstellationen und ihrer Psychologie fasziniert und fand einprägsame symbolische Gesten wie die ‚gebrochene‘ Brünnhilde im 2. Aufzug der Götterdämmerung. Besondere Resonanz fand die ambivalente Darstellung des Schlusses: die „Männer und Frauen“ blickten nicht auf den Untergang der Götter, sondern
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schauten, während das Orchester das „Liebeserlösungsthema“ spielte, zweifelnd in den Graben und, als der letzte Ton verklungen war, ins Publikum, fragend, ob die Verklärung von Brünnhildes Liebe eine Antwort auf die Gewaltorgien bieten konnte. Das provozierte das Publikum – zu ergriffenem Schweigen, aber auch zu heftigen Protesten gegen die empfundene Aggression. Die Inszenierung wurde allerdings auch weniger in ihrer darstellerischen und szenischen Prägnanz denn in ihrem politischen Ansatz, der Fortdauer der Probleme des neunzehnten Jahrhunderts bis in unsere Zeit, in den Feuilletons rezipiert. Nach wütender Ablehnung durch die Traditionalisten setzte eine Verklärung ein, die bis heute anhält. In der Folgezeit kam kaum ein Regisseur an den politischen Implikationen des Rings vorbei, aber auch die theatrale Magie und das ‚Körpertheater‘ Chéreaus zeigten tiefe Wirkungen etwa bei Götz Friedrich oder Harry Kupfer: Eine schauspielerhafte Führung der Sänger war verbindlich geworden, das Musiktheater auf Augenhöhe mit dem Sprechtheater. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre reflektieren besonders drei Inszenierungen den Individualismus der Zeit, indem sie vorwiegend auf ein psychologisches Verständnis des Mythos fokussieren: Ruth Berghaus in Frankfurt am Main (1985–1987) versteht die Handlung als Widerspiel zwischen narzisstischen männlichen Allmachtsfantasien und der Rückkehr zur Mutter. Auch Götz Friedrich (Deutsche Oper Berlin, 1984–1986) interessiert vor allem das Psychodrama einer verlorenen Generation: Die Götter haben sich nach einer Atomkatastrophe in einen klaustrophobischen Zeittunnel zurückgezogen, in dem sie die Geschichte, aus der kein Entkommen ist, wieder und wieder nachspielen. Harry Kupfers Bayreuther Ring von 1988 präsentiert anthropologische Grundkonstellationen in intensiver Personenregie, die ‚Straße der Geschichte‘ als Bühne ist mit technizistischen abstrakten Bildern im Sinn einer mechanistischen Moderne aktualisiert. Ähnlich wie Friedrich zeigt Kupfer die ‚Spielregeln des Untergangs‘, der jetzt und hier stattfindet. Nicht einmal die Liebe schenkt Autonomie: Brünnhilde wird auch in ihrer Liebe zu Siegfried von Wotan manipuliert, nach dem Hedonismus der frühen 80er Jahre scheint die Desillusionierung vollkommen. Auch die beiden Kinder, die sich am Schluss der Götterdämmerung mit Taschenlampen auf den Weg machen, suggerieren eher Vergeblichkeit als Hoffnung. Auf den heutigen Bühnen gilt nach der Erschöpfung einsinniger Paradigmen postmoderne Pluralität. Die Bemühungen der Regisseure lassen sich in verschiedene Ansätze gliedern, die auch die Erneuerung der oben genannten umfassen. Der avancierteste ist der posthermeneutische oder postdramatische von Frank Castorf (Bayreuth 2013), bei dem die Aufgabe traditioneller semantischer Bezüge und die Freisetzung theatraler Aktionen und Bilder von der Textvorgabe programmatisch ist, da sie lediglich den kreativen Einfällen des Regisseurs folgen. Die Dekonstruktion traditioneller Seh- und Erlebnisgewohnheiten ist eine mögliche Folge, aber nicht Prinzip dieses Inszenierungsstils. Daneben steht eine Herunterspannung der mythischen Dimension und die Dominanz der Personenbeziehungen in den Aktionen, eine Hinwendung zum Alltäglichen mit dem Appell zur Einfühlung. Kaspar Holtens Kopenhagener Ring (2005) fokussiert etwa auf die individuelle Psychologie Brünnhildes und zeigt die Handlung als persönliche Mythologie dieser Gestalt; sie ist von den Brüchen des zwanzigsten Jahrhunderts geprägt, von den 1920er Jahren über die Nach-68er-Zeit bis zum Ausgang des Jahrhunderts. Kennzeichnend ist die Brechung der großen Mythologie durch die Trivialisierung der Einzelepisoden im Rahmen der Geschichte einer Figur. Politische Aktualisierungen, die lange gefordert wurden, werden nur noch selten unternommen, seien sie eher allgemein wie der Bezug auf die Naturzerstörung im dekorativen ‚Grünen Ring‘ (Seattle, Stephen Wadsworth, 2013) oder krude punktuell-assoziativ wie bei Phyllida Lloyd (London, English National Opera 2004/05). Daneben besteht das Bedürfnis nach Entlastung vom Politischen in der Neubesinnung auf den Mythos und in der Wiederbelebung von Wieland
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Wagners Abstraktionen wie in Vera Nemirovas Inszenierung in Frankfurt (2010/12). Die Produktion von Robert Wilson in Zürich (2000–2002, übernommen in Paris 2005) zielt ebenfalls auf ein fast liturgisches Mysterientheater, und auch die Produktion von Stéphane Braunschweig (Aix-enProvence 2006/09), die weitgehend in einem White Cube stattfindet, lässt sich dieser Tendenz zur abstrahierenden Mythisierung zuordnen. Ebenfalls entziehen sich den Postulaten der Politik oder der menschlichen Einfühlung die ‚Märchen-Ringe‘ wie etwa die Bayreuther Inszenierung von Alfred Kircher in den spektakulär-ästhetischen Bildern von rosalie (‚Designer-Ring‘) oder 2013 diejenige von Robert Lepage für die Metropolitan Opera in New York (zur Inszenierungsgeschichte vgl. Bauer 1982; Bauer 2016; Bermbach 2011, S. 369–417; Eckert 2001; Mertens 2013b; Olivier 2007).
Die Quelle der meisten musiktheatralen Bearbeitungen, das Nibelungenlied, war zwar seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bekannt (1755 Auffinden einer Handschrift, 1782 erster Druck), doch erst durch die Vorlesungen der Brüder Schlegel am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts wurde es in der gelehrten und gebildeten Öffentlichkeit wahrgenommen: 1807 erschien die erste Übersetzung, weitere folgten. Gleichzeitig begannen die ersten dichterischen Aneignungen mit Friedrich de la Motte Fouqué und Ernst Raupach. Vor allem auf dessen Tragödie Der Nibelungen-Hort (1826) beruht – neben anderen Nibelungendramen und dem Nibelungenlied selbst – Eduard Gerbers Libretto für Heinrich Dorns Oper (Dorn 1854): Der Burgundenkönig Günther wirbt um Brunhild, Königin von Isenland, Siegfried (der in seiner Jugend einen Drachen erschlagen und den fluchbeladenen Nibelungenhort gewonnen hat) verspricht ihm Hilfe, wenn er Günthers Schwester Chriemhild ehelichen darf. Er gibt sich in Brunhilds Land als Günthers Vasall aus und vertritt ihn in den Wettkämpfen um ihre Hand, wobei er ihr einen goldenen Reif abnimmt. Im Brautgemach widersetzt sich Brunhild Günther nicht, da sie ihn liebt, seit sie ihn gesehen hat. Bei einem Festturnier verweigert sie Chriemhild wegen ihres geringeren Ranges als Frau eines Vasallen den Vortritt; diese legt durch das Vorzeigen des Rings Siegfrieds Betrug bei der Werbung offen. Brunhild verlangt Rache; sie, Günther und Hagen beschließen Siegfrieds Tod. Er wird auf der Jagd erschlagen. Als Chriemhild die geforderte Sühne verweigert wird, flieht sie zu König Etzel nach Ungarn. Ihre Verwandten besuchen sie dort, Brunhild begleitet ihren geliebten Mann Günther. Es kommt zum Kampf mit den Männern Etzels; Günther und Brunhild werden gefangen und getötet, dann ereilt Hagen das gleiche Schicksal, nachdem er sich geweigert hat, den Nibelungenhort (Chriemhilds Brautgabe) auszuliefern. Chriemhild ersticht sich, um mit dem geliebten Siegfried im Tod vereint zu sein. Dorns Nibelungen gehören zu dem zeitgenössischen Bestreben, durch die Wahl eines Stoffs aus der deutschen (germanischen) Vergangenheit und die Apotheose einer spezifisch ‚deutschen‘ Tugend, der Treue, eine nationale Oper in Abgrenzung von der französischen und italienischen zu begründen, was
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zunächst wenig erfolgreich war, sich dann aber mit Richard Wagners Tannhäuser (1845; → Dichter und Sänger) und → Lohengrin (Abschluss 1848) etablieren konnte (vgl. Buschinger 2007b; Peck Leverett 1990; Rauh 1939, S. 61–95; Eichner 2012, S. 41–80). Die ältesten Zeugnisse der Sigurd-/Nibelungensage sind bildlicher Natur, dargestellt sind die Jugendabenteuer Sigurds (Drachenkampf, Vogelweissagung, Tötung des Zwergen) auf der Isle of Man (um 1000) und in Schweden (1020/40); ob das auf ein Sigurdlied oder die ungeformte Sage zurückgeht, ist umstritten. Texthinweise gibt es seit dem achten/neunten Jahrhundert (Beowulf: Drachentötung durch Wälsung). Die Lieder-Edda (Handschrift um 1270) enthält Heldenlieder höheren Alters, eine Datierung in das neunte/zehnte Jahrhundert im Fall der älteren ist weithin üblich. Referate dieser Lieder enthält die um 1220 abgefasste Snorra-Edda (Kapitel 39 ff.). Die Völsunga saga (von Wagner und Reyer benutzt) ist ein Werk des dreizehnten Jahrhunderts. Um 1200 entstand das mittelhochdeutsche Nibelungenlied, die Hauptquelle aller hier behandelten Werke. Als historischer Ausgangspunkt der Nibelungensage gilt der Untergang des germanischen Volksstammes der Burgunden, die zu Beginn des fünften Jahrhunderts einen Herrschaftsbereich am Rhein innehatten, dessen Zentrum Worms gewesen sein könnte. Als sie von dort unter König Gundaharius (Gunther) in das römische Gallien eindrangen, wurden sie um 436 von den Römern und den mit diesen verbündeten hunnischen Truppen vernichtend geschlagen. Im Alten Atlilied der Lieder-Edda wird eine Verbindung des Burgundenuntergangs mit dem Hunnenkönig Atli, dem historischen Attila, hergestellt, der von einer germanischen Geliebten mit Namen Hildico (Kurzform von Kriemhild) aus Verwandtenrache getötet worden sei. Die historischen Wurzeln der Überlieferung von Siegfried liegen vermutlich in der merowingischen Geschichte des sechsten Jahrhunderts. Die Verbindung von Siegfriedsage und Nibelungengeschichte dürfte im frühen zwölften Jahrhundert stattgefunden haben. Diese historischen Bezüge interessieren die Librettisten der hier behandelten Werke nicht, allenfalls greifen die Librettisten von Reyers Oper ansatzweise auf sie zurück (Rache Attilas an den Burgunden).
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III Werkliste Die Nibelungen [Siegfried og Brünhilde] „Große heroische Oper in 5 Acten“ Musik Text Niels Wilhelm Gade Louise Otto
Entstehung ca. 1845/46 [Fragment]
Die Nibelungen „Große Oper in fünf Akten“ Musik Text Heinrich Dorn Eduard Gerber
Uraufführung 22.3.1854, Weimar
Der Ring des Nibelungen „Ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend“ Musik Text Uraufführung Richard Wagner Richard Wagner 1. [Das Rheingold] 22.9.1869, München 2. [Die Walküre] 26.6.1870, München 3. [Siegfried] 16.8.1876, Bayreuth 4. [Götterdämmerung] 17.8.1876, Bayreuth Sigurd „Opéra en 4 actes et 9 tableaux“ Musik Text Ernest Reyer Camille du Locle, Alfred Blau Die Nibelungen „Operette in 2 Akten“ Musik Josef Piber
Text [?]
Uraufführung 7.1.1884, Brüssel
Entstehung 1890 [?]
Kriemhild „Musikdrama in drei Akten“ Musik Text Heinrich Grimm Heinrich Grimm
Uraufführung 1891, Augsburg
Sigurd „Ein Musikdrama in 3 Aufzügen“ Musik Text Heinrich Grimm Heinrich Grimm
Uraufführung 1894, Metz
Die lustigen Nibelungen „Burleske Operette in drei Akten“ Musik Text Oscar Straus Rideamus [d. i. Fritz Oliven]
Uraufführung 12.11.1904, Wien
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Sigurds Ring Oper Musik Max Joseph Kunkel
Text Max Joseph Kunkel
Uraufführung 15.3.1911, Würzburg
Laß’ das, Hagen! „Ein Nibelungen-Musical“ Musik Text Siegfried Ulbrich Horst Pillau
Uraufführung [Rundfunk] 25.3.1967, RIAS Berlin
Das Barbecü „A New Musical Comedy“ Musik Text Scott Warrender Jim Luigs
Uraufführung 1991, Seattle
Der Ring „Symphonic-Rock-Musical“ Musik Text Frank Nimsgern Daniel Call
Uraufführung 16.12.2007, Bonn
Hagen von Tronje „Ein Nibelungenmusical“ Musik Text Joachim Kottmann Martin Kuchejda, Joachim Kottmann
Uraufführung 26.2.2010, Gummersbach
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Wieland der Schmied Bernd Zegowitz I Präsenz des Sujets Die einflussreichste Wieland-Oper ist eine, die nie geschrieben wurde. Im Jahr 1849 spielte Richard Wagner mehr oder weniger ernsthaft mit dem Gedanken, mit einer französischsprachigen Oper an der Pariser Grand Opéra zu reüssieren. Er schreibt dazu in seiner Autobiographie: Wie ernstlich infolgedessen ich mich bemühte, mir die Ausführung des Vorhabens als möglich zu denken, bewies ich dadurch, daß ich selbst den ausführlichen Plan des Sujets entwarf, welches der französische Dichter mir nur versifizieren sollte, da ich an ein wirklich von diesem zu erfindendes und zu verfassendes Sujet, welches ich eben nur zu komponieren gehabt hätte, nie auch nur im entferntesten denken durfte. Ich wählte hierzu die am Schlusse meiner soeben vollendeten Schrift ‚Das Kunstwerk der Zukunft‘ so emphatisch berührte Sage von Wieland dem Schmied, welche mir durch die Simrocksche Bearbeitung dieses Gegenstandes aus der Wilkyna-Saga nahegetreten war. Ich arbeitete einen vollständigen szenischen Entwurf mit bereits genauer Dialogisierung aus […]. (Wagner 1994, S. 444)
Diesen ersten Entwurf schrieb Wagner im Januar 1850, einen zweiten schloss er in Paris am 11. März desselben Jahres ab. Letztlich entschied er aber, den Wieland selbst auszuführen und auf einem deutschen Theater zur Uraufführung zu bringen: „Meine pariser kunstwühlereien sind aufgegeben, […] Zu meinem Wiland habe ich jetzt nur noch die verse zu machen: sonst ist die ganze dichtung fertig – deutsch! deutsch! – wie flog’ es mir da vom zeuge! – Dieser Wiland soll Euch noch alle auf seine flügel mitnehmen“, schrieb er an Theodor Uhlig am 13. März 1850 (Wagner 1983, S. 249–251). Doch im Juni desselben Jahres steht fest: „Wiland führe ich nicht aus: die fehler dieser dichtung sind mir zu klar, als daß mein ermattetes subjectives gefühl sie mir jetzt noch verhüllen könnte. Wiland ist tot: er wird nicht fliegen“ (ebd., S. 330). Ganz gab er das Projekt allerdings nicht auf, denn er bot seinen Entwurf mehreren befreundeten Komponisten zur Vertonung an: Franz Liszt, Theodor Uhlig, Karl Ritter, August Röckel, Wendelin Weißheimer und sogar Hector Berlioz kamen in Betracht (Zegowitz 2000, S. 218–223). Für die Verbreitung des Wieland war jedoch noch wichtiger, dass Wagner ihn als einzige seiner unvertonten Opern in die Gesammelten Schriften und Dichtungen aufnahm, die in den Jahren zwischen 1871 und 1873 publiziert wurden. Der Text war damit für jeden zugänglich und Wagner selbst lagen bereits 1875 zwei Libretti vor, deren Quelle sein eigener Entwurf war: eines von Oscar Schlemm, das andere von Adolf Stern. https://doi.org/10.1515/9783110424089-019
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Die Handlung nahezu aller Wieland-Opern basiert auf dem Entwurf Wagners: Dessen erster Akt spielt in der Mark Norweg. Wieland und seine Brüder sehen drei Frauen über das Meer nach Westen fliegen. Eine von ihnen sinkt verwundet ins Wasser und wird von Wieland gerettet: Es ist Schwanhilde, die Tochter des Fürsten der Lichtalben. Mit den Schwestern war sie in den Kampf gegen Neiding gezogen, der ihren Großvater getötet hatte. Dabei war sie verwundet worden. Wieland und Schwanhilde gestehen sich ihre Liebe und die Schwanenjungfrau legt ihre Flügel ab, damit sie nie dem Verlangen erliege, mit ihnen davonzufliegen. Außerdem übergibt sie Wieland einen Zauberring, der dem Mann im Kampf den Sieg verleiht, der Frau aber die Liebe des Mannes sichert, der sich ihr naht. Nachdem der Schmied das Haus verlassen hat, überfallen Neidings Anhänger die schlafende Schwanhilde. Neidings Tochter Bathilde raubt den Ring, während Wieland als Gefangener abgeführt werden soll. Der Schmerz über den vermeintlichen Tod Schwanhildes lässt ihn seine Ketten sprengen. Er verjagt die Eindringlinge und setzt ihnen nach. Im zweiten Akt ist Wieland unter falschem Namen unwissentlich an Neidings Hof gelangt. Er hat sich dort in Bathilde verliebt, die jetzt den Ring trägt. Aus Liebe zu ihr verspricht Wieland, das ganze Heer Neidings mit Waffen zu versorgen, wenn dieser ihm seine Tochter zur Frau gebe. Neiding war aufgefordert worden, seiner unrechtmäßigen Herrschaft zu entsagen, andernfalls werde König Rothar den Kampf der Schwanenmädchen fortsetzen. Bathilde klärt ihren Vater daraufhin über die Kraft des Rings und die Identität Wielands auf. Als Gegenleistung verlangt sie die Rückkehr ihres Geliebten, Gram, der nach dem fehlgeschlagenen Angriff auf Wielands Haus verbannt worden war. Als Neiding Wieland bei seinem Namen nennt, erkennt dieser Bathildes Geliebten und tötet ihn. Der Ring an Bathildes Hand wird bei dem Versuch Gram zu schützen beschädigt. Dem Schmied werden daraufhin die Sehnen der Füße durchschnitten. Im dritten Akt überrascht Bathilde den Gelähmten in seiner Schmiede. Er soll die beschädigte Fassung des Rings erneuern. Als sie den Ring jedoch abnimmt, kommt die Erinnerung an Schwanhilde zurück. Bathilde eröffnet Wieland, dass Schwanhilde noch lebt. Er schont ihr Leben, nachdem sie versprochen hat, den neuen Herrscher, Rothar, zu heiraten. Durch die Anwesenheit Schwanhildes motiviert, schmiedet sich Wieland Flügel. Neiding und seine Männer, die nach den Waffen sehen wollen, sterben in der von Wieland angesteckten Schmiede. Der siegreiche Rothar zieht mit seinem Heer ein, während Wieland und Schwanhilde „der Ferne zu“ (Wagner 1914 Bd. 3, S. 206) fliegen. Die einzige Wieland-Oper, die überhaupt eine Aufführungsgeschichte vorzuweisen hat, ist Ján Levoslav Bellas (1843–1936) Kovác Wieland. Dessen Uraufführung ist unmittelbar verbunden mit der Entstehung eines unabhängigen tschecho-
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slowakischen Staates, denn Bella sah in der Vorlage, einem Libretto von Oscar Schlemm, das dieser nach dem Fragment Wagners gearbeitet hatte, Analogien zur politischen Lage in seiner slowakischen Heimat. In den Jahren 1881 bis 1890 entstand auf der Grundlage einer Übersetzung von Vladimír Roy eine dreiaktige Oper, die vom Budapester Opernhaus 1912 zwar angenommen, aber erst am 28. April 1926 am neuen slowakischen Nationaltheater in Preßburg uraufgeführt wurde. Die Oper blieb bis in die 1940er Jahre im Repertoire des Theaters, wurde zweimal neu inszeniert und zum fünfzigjährigen Jubiläum der Uraufführung im slowakischen Fernsehen gezeigt. Eine Aufführung im Ausland erlebte die Oper jedoch nie (Burzawa 1986, S. 235–237). Max Zengers Wieland wurde in einer vieraktigen Fassung am 18. Januar 1880 am Münchner Hoftheater uraufgeführt, 1894 kam eine revidierte dreiaktige Version ebenfalls in München zur Aufführung. Nur eine weitere WielandOper wurde ebenfalls szenisch umgesetzt: Kurt Hösels Wieland der Schmied im Jahr 1913 in Berlin. Die Kompositionen Ödön von Mihalovichs (1842–1929) oder Robert Boßharts (1899–1937) wurden nie aufgeführt, diejenigen von Jakob Gruber (1855–1908) und Wilhelm Heinrich Vielhaber (1903–1995) sind zwar zu ermitteln, Textzeugnisse lassen sich für Grubers Oper jedoch nicht finden. Er war in erster Linie Kirchenmusiker, schrieb daneben mehrere Kompositionen für die Zither und laut der 12. Auflage des Kurzgefaßten Tonkünstlerlexikons auch eine Oper mit dem Titel Wieland der Schmied. Vielhabers gleichnamige Oper, die wohl in den 1940er Jahren entstand, lässt sich über das Findbuch Nachlaß Wilhelm Heinrich Vielhabers in der Landesbibliothek Coburg (Signatur Ms Mus 245) nachweisen.
II Historische Schichten Jüngstes musiktheatrales Zeugnis der Beschäftigung mit dem Wieland-Stoff vor Vielhabers Oper ist Robert Boßharts „Musikdrama in drei Aufzügen“ mit dem Titel Wieland der Schmied, entstanden in den 1920er Jahren. Dass sich ausgerechnet der Schweizer Dichter-Komponist Boßhart nicht auf Wagners Entwurf beruft, ist verwunderlich, gehörte er doch zu den engsten Sympathisanten Bayreuths und publizierte mehrfach in den Bayreuther Blättern. Ein Porträt in der Zeitschrift für Musik geht größtenteils auf Boßharts eigene Aussagen zurück, die er in einem Brief an Wolfgang Golther gemacht hat: „Stellung zu Wagner: er hat das deutsche Kunst-Werk geschaffen“ (zitiert nach Hinrichsen 2005, S. 124). Zum künstlerischen Selbstverständnis heißt es: „[A]lles für das deutsche Volk“ (ebd.), und der Wieland sei eines dieser „Werke f[ür] d[as] deutsche Volk“ (ebd.). Überhaupt könne der Komponist, so Golther in seinem Artikel, als Nachfolger Wagners in der Gegenwart gelten (Golther 1935, S. 589–592).
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Der Librettist Boßhart versieht seinen Text mit einer ausführlichen Einleitung und abschließenden Bemerkungen zur Aufführung. Das Textbuch, das ebenso wie der Klavierauszug gedruckt wurde, nennt als Quellen explizit das „uralte Menschheitsgedicht“ des Wieland, das „mit andern kostbaren Schätzen in der Edda eingeschlossen sei“ und „in seiner ursprünglichen Fassung den Kern“ (Boßhart 1931, S. 5) seines Dramas bilde. Daneben verweist er auf eine „großartige, mythisch umwitterte Erzählung“ mit dem Titel Thidrek von Bern, in der die Wielandsage wieder auftauche, aber „in dieser neuen, weniger herben Fassung viel von ihrer ursprünglichen Kraft eingebüßt“ (ebd.) habe. Gemeint ist wohl die altisländische Version der Thidrekssaga, die Boßhart in der 1924 erstmals erschienenen Übertragung durch Fine Erichsen kennen konnte. In Boßharts Wieland-Version streiten der Schmied und seine drei Brüder um Schwanhilde, deren Schwanenflügel die Brüder entwenden. Dadurch hindern sie sie daran, mit ihren Schwestern zu fliehen. Wieland beansprucht Schwanhilde für sich, erklärt ihr seine Liebe, wird aber von seinem Bruder Egil an Neidung, den König der Niaren, verraten. Wieland tötet den Bruder und wird von Neidung, der ihm die Sehnen der Kniekehlen durchschneiden lässt, gefangen genommen. Vom König gedemütigt, tötet er dessen Söhne und vergewaltigt dessen Ehefrau Bödwild, die ihren Gatten allerdings hasst, weil er wiederum deren Familie getötet und sie zur Ehe gezwungen hat. Sie enthüllt die Unrechtmäßigkeit seiner Herrschaft, warnt Wieland vor den Nachstellungen des Königs und wird schließlich unter den Trümmern der zusammenbrechenden Schmiede Wielands begraben, der gemeinsam mit Schwanhilde „rauschend auf in die Lüfte“ (ebd., S. 67) fährt. Doch ist das nur die äußere Handlung. Boßhart interessiert in erster Linie Wielands „Wandlung vom dämonischen zum göttlichen Menschen“ aufgrund der „Regenerationskraft des Geistes“ (ebd., S. 5). „Erlösung durch geistige Überwindung der empirischen Realität“ (Hinrichsen 2005, S. 125) ist einer der Grundgedanken des Wieland, wobei diese Erlösung auf das Individuum, im Falle Wielands auf den genialen Künstler, beschränkt bleibt: „Es gilt ein Werk / zu wirken für dich, / notbeschwörender / als Tod und Leben: / schaffe, Wieland, / heimgesuchter, / schaffe es, Schmied“ (Boßhart 1931, S. 49). Boßharts einleitende Erläuterungen, die einer Allegorese des Stückes gleichkommen – Schwanhilde ist die Offenbarung des Göttlichen, Neidung der Dämon der Verneinung, „die verbrannte Schmiede ist das abgelegte alte Ich“ (ebd., S. 8) –, verweisen darauf, dass die mythologischen Gestalten seines Stückes „philosophische Prinzipien oder personifizierte Ideologien“ (Hinrichsen 2005, S. 135) repräsentieren. Die Dialoge des Protagonisten mit Bödwild, Schwanhilde und Neidung nehmen denn auch einen umfangreichen Raum innerhalb des Librettos ein. Boßharts idealistische Erlösungsmetaphysik lässt sich auf Richard Wagners späte Regenerationsschriften zurückführen, mit denen er sich kommentierend auch in theoretischen Arbeiten
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immer wieder auseinandergesetzt hat. Auch wenn Boßhart also nicht auf dessen Wieland-Entwurf zurückgereift, ist doch viel Wagner in Boßhart. Auf Wagners Vorlage greifen ganz unmittelbar drei Autoren zurück. Kurt Hösels Musikdrama in drei Aufzügen wurde 1913 in Berlin uraufgeführt und steht wohl in Zusammenhang mit der Publikation des Wieland-Entwurfs in einer luxuriösen Einzelausgabe im Insel-Verlag im Jahr 1911. Während der Komponist Hösel sein eigener Librettist war, schrieben sowohl Oscar Schlemm als auch Adolf Stern ihre Versionen unmittelbar nach der Erstpublikation des Entwurfs in den Gesammelten Werken. Die Akteinteilung Wagners übernehmen alle drei Librettisten ebenso wie die Verwendung des Stabreims. Teils werden Regieanweisungen wörtlich übernommen, teils ganze, von Wagner bereits dialogisierte Passagen. Kürzungen und Umstellungen im Handlungsaufbau dienen der Stringenz der Handlungsführung, Änderungen in der Figurenkonzeption der Verdeutlichung. Dabei betonen sowohl Hösel als auch Schlemm in ihren jeweils ausführlichen einführenden Bemerkungen, dass die „Abänderungen streng auf den von Wagner gefundenen und in seinen Schriften eindringlich betonten dramatischen Gesetzen beruhen“ (Hösel 1913, S. 8) bzw. der Text „nach den Lehren Richard Wagner’s über das musikalische Drama“ (Schlemm 1880, S. 11) ausgearbeitet sei. Dass Wagners Entwurf bzw. Sterns Libretto den Komponisten Ödön von Mihalovich animierte, „einen ungarischen Typus des Wagnerschen Musikdramas zu schaffen“ (Szerzö 1999, S. 407), ist weniger verwunderlich als der Versuch Ján Levoslav Bellas, den Text Schlemms „zur Grundlage einer slowakischen Nationaloper zu machen“ (Burzawa 1986, S. 235). Mihalovich übernimmt von Wagner zwar die Leitmotivtechnik, doch führt die starre Beschränkung darauf – der zweite und dritte Akt werden überwiegend mit den im ersten Akt exponierten 13–14 Leitmotiven bestritten – zu einer „substantiellen Verarmung der Tonsprache“ (Szerzö 1999, S. 428). Die Anlehnung an Wagner ist dann auch ein Argument, mit dem die Wiener Hofoper das Werk ablehnt. In einer internen Beurteilung des Kapellmeisters Wilhelm Gericke heißt es: „Wieland der Schmied […] enthält eine unerquickliche Nachahmung des Nibelungenrings“ (zitiert nach Birkin-Feichtinger 2006, S. 71). Bella stellt seiner Oper ein Zitat aus Wagners Kunstwerk der Zukunft voran: „O einziges, herrliches Volk! Das hast du gedichtet, und du selbst bist dieser Wieland. Schmiede deine Flügel und schwinge dich auf!“ (Wagner 1914 Bd. 3, S. 177). Der gefangene und sich schließlich aus eigenen Kräften befreiende Wieland ist für Bella das Vorbild für die Slowaken, die seit der Revolution von 1848/49 einen eigenen Nationalstaat forderten, d. h. die Donaumonarchie verlassen wollten. Während textlich dieser „nationale Bezug nur mittelbar besteht, ist er musikalisch, jedenfalls partiell, direkt hergestellt“ (Burzawa 1986, S. 236). Bella
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orientiert sich mehr an den musikalischen Traditionen seiner Heimat, u. a. an Volksliedern, und der italienischen Oper des neunzehnten Jahrhunderts, weniger an Wagner. In seiner Geschichte der Münchener Oper listet der Komponist Max Zenger einige im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts dort gespielte Werke auf, die „nicht unberührt von der Wagnerschen Kunst“ seien. Seine eigene WielandOper gehört ebenfalls dazu: „Gerade im ‚Wieland‘ lernten die Münchner ein Werk kennen, das zwar als dramatische Dichtung dem Wagnerschen Wieland-Entwurf nicht nahekommt, aber in Form und Sprache glücklich versucht, den neuen Zielen zu folgen“ (Zenger 1923, S. 507). Dass sie dem Entwurf Wagners nicht nahekomme, ist in diesem Fall nicht wertend gemeint, sondern bedeutet nur, dass sie direkt auf „Simrock’s gleichnamige[s] Heldengedicht“ (Allfeld 1876, Titelblatt) als Quelle zurückgeht. Zenger gehört damit zu den Komponisten, die Wagner selbst nicht unironisch einer „neudeutschen“ Richtung zuordnete, die „mit Vorliebe mittelalterliche Stoffe“ und „auch die Edda und de[n] rauhe[n] Norden im allgemeinen […] als Fundgruben für gute Texte“ (Wagner 1914 Bd. 4, S. 171) auswählten. Das Libretto zu Zengers Oper schrieb der bayerische Jurist Philipp Allfeld, der mütterlicherseits mit dem Komponisten verwandt war. Er folgt „in Form und Sprache“ allerdings nicht Wagners „neuen Zielen“, sondern knüpft eher an die romantischen Opern der 1840er Jahre an, vor allem den → Lohengrin. Das lässt sich bis in kleinste sprachliche Details hinein verfolgen (z. B. Allfeld 1876, S. 19 f.). Allfeld hält sich insgesamt zwar strenger an das Amelungenlied als Wagner, doch bleibt sein Zugriff indifferent. Das zeigt ein Vergleich der verschiedenen Schlüsse. Bei Simrock gibt es am Ende keine Vereinigung: Elfenweiß ist tot und Neiding stirbt, weil er die Vergewaltigung Bathildes durch Wieland nicht verwindet. Wagner idealisiert Wieland dadurch, dass er die Vergewaltigungsszene streicht und einen Erlösungsschluss anfügt. Bei Allfeld kommt es zwar zur Vergewaltigung Bathildes, die daraufhin dem Wahnsinn verfällt, und Neiding stirbt durch einen Pfeil Eigels, doch endet die Oper in einer Art bürgerlichem Familienidyll, wenn die drei wieder vereinten Paare „sich selig die Hände“ reichen und singen: „Glück der Minne kehret wieder, / Eint uns All’ in Seligkeit. / Von Walhalla schau, Allvater! / Dir ist hehrster Dank geweiht!“ (ebd., S. 55). Sowohl im zweiten Prosaentwurf als auch in dessen Abschrift, beide vom März 1850, nennt Wagner seinen Wieland eine „Heldenoper“ (Deathridge 1986, S. 341). In einer Abschrift dieses zweiten Entwurfs von fremder Hand aus den sechziger Jahren änderte er eigenhändig den Titel und schrieb: Wieland der Schmied, als Drama entworfen. Dass er die Gattungsbezeichnung geändert hat, ist nicht konzeptionell zu begründen, sondern mit der Abkehr vom Opernbegriff. Da die
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Abschrift von fremder Hand Vorlage für den Erstdruck des Wieland in den Gesammelten Schriften von 1872 war, wollte Wagner nachträglich ‚korrigierend‘ in seine Biographie als Opernreformator eingreifen. Wieland der Schmied ist aber nicht nur Heldenoper, sondern auch Künstlerdrama. Das griechische Vorbild Wielands ist der Kunstschmied Daidalos, der für sich und seinen Sohn Ikaros Flügel schmiedet, um dem Labyrinth des Minos zu entfliehen. Den Griechen galt er als Begründer des Kunsthandwerks. Am Beginn des Entwurfs lebt Wieland in einer Welt der Freiheit, sowohl gesellschaftlich als auch künstlerisch. Er arbeitet aus eigenem Antrieb, aus Liebe. Wagner betont den Zusammenhang von Kunst und Liebe. So erzählt Wieland seinen Brüdern: „Schmied’ ich aus Liebe nicht für euch? Für eure Frauen schaff’ ich erst recht aus Liebe! Kein König darf mich heißen, was ich nur gerne tue. […] Noch einen Helden gibt es, den ich liebe; für den, seht, schuf ich dieses Schwert: das sollt ihr, teure Brüder, dem König Rothar bringen“ (Wagner 1914 Bd. 3, S. 179). Die Liebe zu einer Frau allerdings vermisst Wieland. In der ersten der Züricher Kunstschriften Die Kunst und die Revolution (1849) unterscheidet Wagner den griechischen Künstler und den modernen Handwerker: „Wo der griechische Künstler, außer durch seinen eigenen Genuß am Kunstwerke durch den Erfolg und die öffentliche Zustimmung belohnt wurde, wird der moderne Künstler gehalten und – bezahlt“ (ebd. S. 24). Wagner bezeichnet die Kunst seiner Zeit als künstlerisches Handwerk, während die Kunst der Griechen noch wahre Kunst war. Er grenzt dann weiterhin den Künstler vom Handwerker ab. Diese Unterscheidung bezeichnet exakt die Stellung Wielands in Freiheit und in Gefangenschaft: „Der Künstler hat, außer an dem Zwecke seines Schaffens schon an diesem Schaffen, an der Behandlung des Stoffes und dessen Formung selbst Genuß; sein Produzieren ist ihm an und für sich erfreuende und befriedigende Tätigkeit, nicht Ar[b]eit“ (ebd.). Die Freude am künstlerischen Schaffen bringt Wagner durch Wielands Schmiedelieder zum Ausdruck, die verdeutlichen, dass dieses Schmieden den künstlerischen Akt chiffriert. Die Situation an Neidings Hof im dritten Akt ist eine gänzlich andere. Wagner stellt hier die Paradoxie des modernen Künstlers dar, der sich der Autonomie der Kunst bewusst ist, die aber zweckentfremdet wird: im Falle Wielands zur Stärkung von Neidings Waffenarsenal. Durch diese Entfremdung entspricht Wieland dem ‚Handwerker‘: Diesem gilt nur der Zweck seiner Bemühung, der Nutzen, den ihm seine Arbeit bringt; die Tätigkeit, die er verwendet, erfreut ihn nicht, sie ist ihm nur Beschwerde, unumgängliche Notwendigkeit, […] seine Arbeit vermag ihn nur aus Zwang zu fesseln; deshalb ist er auch nicht mit dem Geiste dabei gegenwärtig, sondern beständig darüber hinaus bei dem Zwecke, den er so gerade wie möglich erreichen möchte. (ebd., S. 24–25)
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Die Not und die wahre Liebe – Wieland hat erfahren, dass Schwanhilde noch lebt – ermöglichen es ihm am Schluss der Oper, das zu erschaffen, „was noch kein Mensch erdacht“ (ebd., S. 201). Mit den Flügeln, dem Symbol poetischer Phantasie, erhebt sich Wieland in die Lüfte. Das Schmieden verbindet Wieland auch mit Siegfried, doch steht der Prozess des Schmiedens in einem jeweils anderen Zusammenhang. Am Anfang des dritten Aktes muss der gelähmte Wieland Schwerter für Neiding schmieden, mit denen dieser im Kampf gegen Rothar siegen möchte. Zum „Sausen der Schmiedebälge, zum Sprühen der Funken, zum Takte des Hammers“ erklingt ein „rüstiges, feuriges Lied“ (ebd., S. 197). Die Arbeit ist eigentlich die gleiche wie zuvor, doch mit dem Unterschied, dass er auf Geheiß eines Herrschers, ohne freie Entscheidung, in dessen Gefangenschaft Auftragsarbeit abliefern muss. Sein Lied deutet sein Künstlertum offen an, das im Prozess des Schmiedens chiffriert ist. Schmieden und Singen stimmen überein. Als er sich nicht mehr in der Lage sieht zu singen, als die Gedanken an seine Sklavenarbeit wiederkehren, wirft er das Werkzeug weg. Nur die Freiheit bzw. die Liebe oder wenigstens die Aussicht darauf ermöglichen das Kunstwerk. Eine der auffälligsten Eigenschaften der Ring-Dichtung (→ Nibelungen) ist der Stabreim, dessen Verwendung Wagner am Ende des zweiten Teiles von Oper und Drama theoretisch rechtfertigt. Soweit es dem Prosaentwurf zu entnehmen ist, sah Wagner auch für den Wieland die Verwendung des Stabreimverses zur sprachlichen Ausgestaltung vor. Beispiele bieten die bereits dialogisierten Passagen des Textes zur Genüge. Durch manche Bezüge weist der Wieland aber auch auf den Lohengrin zurück. Wie in dieser Oper klingt auch im Entwurf die Sage von Zeus und Semele an, wenn Schwanhilde von ihrer Mutter erzählt, der sich „der Fürst der Lichtalben“ (ebd. S. 182) in Gestalt eines Schwans genähert hat. Er entführte sie und lebte mit ihr, in Liebe vereint, drei Jahre lang, bis sie fragte, wer er sei. Diese verbotene Frage führte dazu, dass er „als Schwan durch die Fluten“ davonschwamm, – „in weiter Ferne sah die jammernde Mutter, wie er auf seinen Flügeln sich in das Luftmeer erhob“ (ebd., S. 182). Die Konstellation zwischen Lohengrin und Elsa klingt hier noch einmal an. Deutlicher noch sind die Parallelen zum zweiten Paar dieser romantischen Oper. Bathilde und Gram entsprechen bis ins Detail den Gegenspielern Lohengrins, Ortrud und Telramund. Weder der erste noch der zweite Prosaentwurf des Wieland geben Hinweise auf die musikalische Gestaltung. Im zweiten Entwurf unterteilt Wagner die drei Akte in Szenen. Die ersten beiden Akte bestehen aus vier Szenen, der dritte ist in fünf Szenen unterteilt. Da klassizistische Kunstprinzipien für Wagner auf seinem Weg zum Musikdrama immer mehr Bedeutung gewannen, ist auch die dreiaktige Form im Wieland Ausdruck einer inhaltlich begründeten Symmetrie.
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Der Hauptgrund für Wagners Scheitern ist wohl darin zu sehen, dass ihm die Verbindung der das Geschehen beherrschenden Themenkreise nicht gelungen ist: „Göttermythos, Heldenoper, Kunst und Revolution passten noch nicht zusammen“ (Zegowitz 2000, S. 246). Mit Ausnahme von Boßharts Wieland beziehen sich alle hier behandelten Libretti direkt (Wagner, Allfeld) oder indirekt (Schlemm, Stern, Hösel) auf die Version des Stoffes, die Karl Simrock als Einzelpublikation bereits 1835 unter dem Titel Wieland der Schmied veröffentlichte und später, in den Jahren 1843–1849, an den Anfang seines Amelungenliedes stellte. Diese Sagen- bzw. Mythenkompilation ist der Versuch, „die gesammte deutsche Heldensage, soweit sie in den Nibelungen und der Gudrun nicht erhalten ist, in einem einzigen großen Gedichte“ darzustellen. Die „alte Ausführung“, so Simrock im Nachwort weiter, sei „verloren oder nur in späten zum Theil sehr rohen Ueberarbeitungen erhalten“ (Simrock 1849, S. 399). Die epische Handlung dramatisch konzentriert zu haben, ist nicht unbedingt das „wesentliche Verdienst“ (Schlösser 1895, S. 50) Wagners, sondern Aufgabe jedes Librettisten. Was er von Simrock übernommen hat (zu den Veränderungen vgl. Schlösser 1895 sowie Bub 1998), ist das Verfahren der Sagenund Mythenverknüpfung, die Integration von Götter- und Heldengschichte – die Wagner im Wieland allerdings noch nicht gelingt – sowie die Technik des ‚mythischen Referats‘ der handlungstragenden Personen (Mertens 1986, S. 34). Ein Beispiel dafür wäre die Erzählung Schwanhildes im ersten Akt, die Wagner im Prosaentwurf zusammenfasst: „König Isang im Nordland war der Vater ihrer Mutter; der Fürst der Lichtalben entbrannte in Liebe zu dieser: als Schwan nahte er sich ihr und entführte sie weit über das Meer […]. In Liebe vereint, wohnten sie dort drei Jahre, bis die Mutter in törichtem Eifer zu wissen begehrte, wer ihr Gatte sei, wonach zu fragen er ihr verboten hatte“ (Wagner 1914 Bd. 3, S. 182). Simrock wiederum griff auf eine Vielzahl älterer Quellen zurück. Für die WielandEpisode waren das vor allem die Thidrekssaga und die sogenannte Lieder-Edda. Um 1270 aufgezeichnet, geht letztere auf ältere mündliche Traditionen zurück, die im Laufe der Zeit vielfache Um- bzw. Neugestaltungen erfahren haben. Für Simrocks Epos ebenso wie für Boßharts Libretto bedeutsam ist das WölundLied. Dessen erster Teil handelt von drei Schwanenmädchen, die einige Jahre mit Wölund [d. i. Wieland] und seinen zwei Brüdern zusammenlebten, bevor sie wieder in den Kampf zogen. Der trauernde Schmied wird im zweiten Teil des Liedes von König Nidud gefangen gesetzt, ihm werden auf den Rat von dessen goldgieriger Gemahlin hin die Sehnen der Kniekehlen durchgeschnitten. Er rächt sich dadurch, dass er Niduds Söhne tötet, dessen Tochter Bödwild vergewaltigt und mit Hilfe von Flügeln davonfliegt.
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Ebenfalls aus der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts stammt die größte Sagenkompilation des nordischen Altertums, die Thidrekssaga, die auf der Basis niederdeutscher, wohl mündlicher Quellen entstanden ist (Mertens 1989, S. 38). In die Geschichte Dietrichs von Bern sind sowohl der Nibelungenkomplex als auch die Erzählungen von Wieland dem Schmied eingebunden. Gemeinsam ist den Versionen in der Liedersammlung und der Saga die Gefangennahme Wielands durch den König, die Verstümmelung sowie Wielands Rache durch die Ermordung der Söhne, die Schändung der Tochter und seine Flucht. In der Thidrekssaga fehlt die Episode mit den Schwanenmädchen, dafür wird die Jugendgeschichte Velents [d. i. Wieland] erzählt, also die Lehrzeit bei dem Zwerg Mime. Auch die Episode am Hof König Nidungs wird deutlich ausgeweitet: Wieland ist dort zuerst Mundschenk, tritt dann in einen Wettstreit mit dem Schmied Ämilias und tötet diesen. Der gemeinsame Sohn von Nidungs Tochter und Wieland, Wittich, wird im weiteren Verlauf das Sage als Gefolgsmann von Dietrich von Bern in Erscheinung treten. Für die Geschichte der Oper sind sowohl das neuzeitliche Amelungenlied als auch die Lieder-Edda und die Thidrekssaga von großer Bedeutung, allerdings nicht in erster Linie für die Geschichte der Wieland-Opern, die mit Ausnahme des Wagnerschen Entwurfs kaum rezipiert, geschweige denn aufgeführt wurden, aber schon eher im Hinblick auf Wagners Ring des Nibelungen. In der Lieder-Edda bzw. der Übersetzung von Ludwig Ettmüller fand er u. a. den Stabreim und das Metrum, in der Thidrekssaga die Darstellung der Jugendgeschichte Siegfrieds und in Simrock ein Vorbild für sein Konzept der Mythensynthese.
III Werkliste Wieland der Schmied „als Drama entworfen“ Musik [nicht vertont]
Text Richard Wagner
Entstehung 1850
Wieland der Schmied Musik Ödön von Mihalovich
Text Adolf Stern
Entstehung 1876–1879
Wieland der Schmiedt Musik [?]
Text Oscar Schlemm
Publikation 1880
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Wieland der Schmied „Romantische Oper in vier Aufzügen“ Musik Text Max Zenger Philipp Allfeld
Uraufführung 18.1.1880, München
Wieland der Schmied Musik Jakob Gruber
Text [?]
Uraufführung [?]
Kovác Wieland Oper in drei Akten Musik Ján Levoslav Bella
Text Vladimír Roy
Uraufführung 28.4.1926, Preßburg [Entstehung: 1881–1890]
Wieland der Schmied „Musikdrama in drei Aufzügen“ Musik Text Kurt Hösel Kurt Hösel
Uraufführung 11.1.1913, Berlin
Wieland der Schmied „Musikdrama in drei Aufzügen“ Musik Text Robert Boßhart Robert Boßhart
Entstehung 1920er Jahre
Wieland der Schmied Musik Wilhelm Heinrich Vielhaber
Entstehung 1940er Jahre [?]
Text [?]
2.4 Höfische Stoffe Artus Martin-M. Langner I Präsenz des Sujets Zwischen dem ausgehenden siebzehnten Jahrhundert und der Gegenwart sind Sujets um die Figur des Königs Artus in vielen musiktheatralen Werken unterschiedlicher Gattungen – (Semi-)Oper, Opera buffa, Operette, Ballett, Rundfunkoper, Musical – aufgegriffen worden, daneben auch in anderen musikalischen Formen wie symphonischen Dichtungen, Chorwerken und Kantaten. Zu nennen sind außerdem die zahlreichen einschlägigen Theater- und Filmmusiken, beispielsweise diejenige von Hans Zimmer zu Antoine Fuquas King Arthur (2004). Notgedrungen kann im Folgenden nur auf wenige ausgewählte Werke näher eingegangen werden. Am Anfang steht die Semi-Oper King Arthur, or The British Worthy von Henry Purcell (Libretto von John Dryden): Sie wurde am 14. Mai 1691 im Londoner Queen’s Theatre uraufgeführt und blieb dort acht Jahre lang auf dem Spielplan. Der erste Akt exponiert den kriegerischen Konflikt zwischen Briten und Sachsen, in dem der britische König Arthur die Herrschaft in England gegen seinen Rivalen Oswald behaupten will. Neben der militärischen Gegnerschaft kommen sich die beiden Fürsten auch durch ihre Liebe zur blinden Emmeline, der Tochter eines hohen Adligen an der Seite von Arthur, ins Gehege. Herzog Oswald opfert mit seinen Soldaten heidnischen Göttern, um den Sieg gegen Arthur zu erreichen. Der Akt schließt mit der Andeutung einer kriegerischen Auseinandersetzung. Im zweiten Akt werden Magier und Luftgeister eingeführt, die auf beiden Seiten versuchen, den Sieg für ihren Herrscher zu erreichen, und sich dabei gegenseitig bekämpfen. In der Zwischenzeit erscheint Emmeline mit ihrer Zofe Matilda auf der Suche nach Arthur. Ihre quälende Sorge wird vorübergehend durch eine Schäfer-Idylle verdrängt. Dann jedoch fallen Emmeline und Matilda in die Hände des Sachsenkönigs Oswald. Dritter Akt: In Merlins Auftrag führt der Luftgeist Philidel König Arthur zu Emmeline. Er kann jedoch nur kurze Zeit bleiben, weil er die feindlichen Truppen verfolgen muss. Um Emmeline seine Macht zu demonstrieren, verwandelt Osmond, der Magier Oswalds, die Szene in eine Eislandschaft. Die Arie des dabei von Osmond beschworenen Cold Genius ist die bekannteste musikalische Partie der Semi-Oper und findet als eigenständiger Song auch außerhalb von Aufführungen des Werks Verwendung (z. B. in Ariane Mnouchkines Molièrehttps://doi.org/10.1515/9783110424089-020
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Film 1978). Im vierten Akt sind die Liebenden immer noch nicht außer Gefahr; wiederholt versucht Osmond durch Verwirrspiele und Täuschungen Emmeline und Arthur zu trennen. Schließlich kommt es im fünften Akt zum Entscheidungskampf zwischen Oswald und Arthur, den letzterer gewinnt. Jedoch begnadigt der legendäre Held seinen Feind und vereint Sachsen und Briten zu einem gemeinsamen Volk. Ein Versöhnungsfest schließt die Handlung ab. Den Erfolg von Purcells Semi-Oper bezeugen mehrfache Wiederaufnahmen bis weit ins achtzehnte Jahrhundert hinein (Harris 1995). Spätere Bearbeitungen sind durch einige playbooks bezeugt, die den Wandel des Zeitgeschmacks im achtzehnten Jahrhundert erkennen lassen (ebd.): Während die Bearbeitungen um 1730 noch weitgehend der Anlage des Werkes von Purcell folgen, werden nach 1750 Text wie Musik stärker modifiziert und ergänzt. Besonders deutlich wird das an der 1770 in London uraufgeführten Adaptation des King Arthur durch Thomas Augustine Arne (1710–1778), einen seinerzeit führenden Komponisten. Seit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ist sie wieder verstärkt auf der Opernbühne präsent. Maßgeblichen Einfluss auf die wieder häufigeren Inszenierungen in den letzten Jahren (z. B. 2010 Znojmo, 2014 Coburg und Wien, 2015 Solothurn, 2016 München und Berlin, 2019 Würzburg und Dessau) hatte wohl die Aufführung unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt während der Salzburger Festspiele 2004. Corinne und Gilles Benizio adaptieren den King Arthur 2009 für die Opéra National de Montpellier Languedoc-Roussillon: Sie stellen die Musik ins Zentrum, reichern sie aber spielerisch mit Zitaten an (z. B. aus Benatzkys Operette Im weißen Rößl) und ändern massiv Personal und Handlung der Vorlage ab. So werden die unterschiedlichen Chöre auf einen einzigen reduziert, der sowohl die britischen wie die sächsischen Soldaten und zudem die Hofgesellschaft darzustellen hat. Die beiden Luftgeister erhalten zusätzliche Funktionen; die weibliche Hauptfigur der blinden Emmeline wird hingegen ganz gestrichen; dafür treten zusätzlich unter anderem Bühnenarbeiter, ein vom Schlitten gefallener Weihnachtsmann, Bergwanderer, Pinguine und Eisbären sowie Mönche auf, die nicht nur kirch liche Rituale vollziehen, sondern auch den heidnischen Göttern Thor und Freya huldigen und von weltlichen Genüssen und Lüsten singen. Der Dirigent wird zum Mitspieler, der Regisseur tritt als Bühnenarbeiter und Sänger auf, und die Orchestermusiker greifen durch Redebeiträge ins Geschehen ein. Insgesamt wird die Semi-Oper hier umfunktioniert zur musiktheatralen Performance. Ganz andere Wege geht die an Formidealen des Barock orientierte Inszenierung des King Arthur, die ihre Premiere am 20. April 2018 an der Opéra des Nations in Genf hatte. Regisseur Marcial di Forzo Bo kommt ohne parodistisch-satirische Zeichnung der Figuren und ohne aktualisierende Anspielungen aus; er setzt stattdessen auf visuelle Pracht, indem er Bilder von großer Intensität entstehen lässt,
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in denen vor allem die prunkvollen Kostüme ihre Wirkung entfalten können. Die musikalische Gestaltung durch das Ensemble Capella Mediterranea unter der Leitung von Leonardo García Alarcón ist dadurch geprägt, dass – ganz im Sinne barocker Opernpraxis – den Tonsätzen des King Arthur Stücke aus anderen Kompositionen Purcells hinzugefügt sind. So kommt es, dass die gesprochenen Partien der Hauptfiguren zuweilen musikalisch untermalt werden, was die Wirkung des Textes erhöht, ohne an Verständlichkeit zu verlieren (Wagner 2018, 46). Den Ausführenden liegt daran, den subtilen Humor aus der Textvorlage von John Dryden für den heutigen Zuschauer wahrnehmbar zu machen.
II Historische Schichten Eine der wichtigsten postmodernen Aktualisierungen des Artus-Stoffs auf der Theaterbühne ist Tankred Dorsts enzyklopädischer Weltentwurf Merlin oder Das wüste Land von 1981, in dem nahezu alle Helden der Tafelrunde auftreten (→ Merlin). Dorst benutzte dafür mehrere epische Vorlagen aus dem Mittelalter und der Neuzeit: Der zweite Teil des Werktitels verweist auf T. S. Eliots The Waste Land von 1921/22, und durch Auftritte der Figur Mark Twains wird eine intertextuelle Verbindung zu Twains Roman A Connecticut Yankee in King Arthur’s Court sowie dessen Musical- und Film-Adaptationen geschaffen (s. u.). Die Welt von Camelot erscheint bei Dorst als kulturell fernstehende Epoche; aus dieser Distanz aber ergibt sich ein besonderer Anreiz für den Zuschauer, Parallelen zwischen Entwicklungen in der dargestellten fremden Welt und der eigenen wahrzunehmen. Dabei steht im Vordergrund der Aspekt der gescheiterten Utopie: König Artus gelingt es nicht, durch ein ausgewogenes Miteinander an der Tafelrunde Mechanismen zu schaffen, um Konflikte zu entschärfen oder gar abzuwenden. Eine von Manfred Trojahn geplante Oper auf ein Libretto nach Dorsts Text, die 1994 an der Berliner Staatsoper aufgeführt werden sollte, ist vom Komponisten nicht abgeschlossen worden (Trojahn 2006, S. 403 f., vgl. auch S. 456–459). 1998 teilte Trojahn in einem Interview mit, dass er den Plan zu dieser Oper aufgegeben hat (ebd., S. 474). Im Sommer des Jahres 2005 hatte auf dem Festival „Les Nuits de Fourvière“ in Lyon eine gekürzte (aber immer noch mehr als sechsstündige) Bearbeitung des Merlin durch den argentinischen Regisseur Jorge Lavelli Premiere. Die in zwei Akte gegliederte Handlung stellt hier – ähnlich wie in den amerikanischen Musical- und Filmversionen – vor allem die durch den Ehebruch Ginevras und Lancelots aufbrechenden Konflikte sowie die sozialen Spannungen aufgrund igeninteressen einzelner Ritter in den Vordergrund. 77 musikalische Beider E
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träge des polnischen Komponisten Zygmunt Krauze (*1938), die insgesamt etwa 80 Minuten Spieldauer einnehmen, begleiten das szenische Geschehen. Krauzes musikalische Sprache ist nicht historisierend oder ethnisch angelegt, sondern dezidiert zeitgenössisch und korrespondiert auf diese Weise mit dem Bühnenbild, das eher an eine Industriebrache erinnert als an eine Zauberwelt. Während die Musik im ersten Akt in erster Linie der Charakterisierung der Figuren dient und einzelne Szenen atmosphärisch untermalt, verschiebt sich ihre Funktion im zweiten Akt dahingehend, dass sie nun eher die wechselnden Handlungsorte und Situationen motivisch verbindet. Motivrekurrenzen etablieren insgesamt ein Beziehungsgeflecht, das der Inszenierung auf musikalischer Ebene Geschlossenheit verleiht. Dabei kann die Musik auch auf Kommendes vorausdeuten, etwa wenn in ruhigen Szenen markante Quart- oder Sextsprünge auf ein latentes Konfliktpotenzial hinweisen. Kennzeichnend ist insgesamt ein häufiger Wechsel der Perspektive: An manchen Stellen kommentiert die Musik eher die äußere Welt – etwa durch die erfassung Integration von Naturgeräuschen –, während sie an anderen die innere V der Figuren wahrnehmbar macht. So wird etwa die innere Zerrissenheit Merlins durch eine scharfe, rhythmisch akzentuierte Motivik der Celli und Trommeln artikuliert, und Lancelots Verzauberung wird nach der ersten Begegnung mit Ginevra in langgezogenen, indifferenten Glissandi der Streicher hörbar. Das 1960 am Broadway uraufgeführte Musical Camelot von Frederick Loewe und Alan Jay Lerner, das sieben Jahre später auch verfilmt wurde, basiert auf T.H. Whites Roman The Once and Future King und darüber vermittelt in wesentlichen Zügen auf Thomas Malorys Adaptation des französischen Prosa-Lancelot-Zyklus. Lerners Libretto konzentriert sich auf die destruktive Kraft der unerlaubten, unerfüllten Liebe zwischen Lancelot und der Königin Guenevere. Als Arthur, ihr Gatte, diese Liebe bemerkt, gerät er in einen inneren Konflikt zwischen seinen Gefühlen und den idealen zivilisatorischen Ansprüchen, die er als Herrscher propagiert. Der Konflikt spitzt sich dilemmatisch zu, als es Arthurs unehelichem Sohn Mordred, der durch Intrigen die Herrschaft an sich reißen will, gelingt, die Liebe zwischen Lancelot und Guenevere vor der Hofgesellschaft aufzudecken. Die beiden werden als Verräter angeklagt, doch Lancelot gelingt die Flucht. Die Königin wird zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt, doch Lancelot kann sie retten. Arthur muss nun Krieg gegen Lancelot führen, und Mordred nutzt die Lage, um eine eigene militärische Strategie zu verfolgen. Vor der entscheidenden Schlacht kommt es zu einer Begegnung mit Lancelot und Guenevere. Arthur verzeiht den beiden, die ohnehin ihrer Liebe entsagen. Im Lager läuft dem König der junge Tom of Warwick zu, der in die – nicht mehr bestehende – Tafelrunde aufgenommen werden will. Sein Idealismus erinnert Arthur an die Werte, für die er selbst eingetreten war. Er schlägt Tom zwar symbolisch zum Ritter, befiehlt
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ihm aber, zurück zu seinen Eltern zu gehen und so die Erinnerung an die Abenteuer und Ideale der Tafelrunde zu bewahren. Im Gegensatz zum Prosa-LancelotZyklus, wo der katastrophale Untergang des Artusreichs noch kaum durch einen Hoffnungsschimmer relativiert wird, endet das Musical, in der Tendenz Malory und White folgend, auf diese Weise mit einem optimistischen Ausblick. Die politischen Deutungsmöglichkeiten der im Musical präsentierten Herrschafts- und Gesellschaftsordnung machten es zum paradigmatischen Symbol der KennedyAdministration, aber sein Erfolg setzte sich auch über den Umbruch der späteren 1960er Jahre hinaus fort. Politische Implikationen – allerdings unter völlig anderen Vorzeichen – hat auch die am 12. September 1959 erstmals ausgestrahlte Radio-Oper Przyroda Króla Artura (Die Abenteuer des Königs Artus) der polnischen Komponistin Grażyna Bacewicz (1909–1969). Das handlungsbetonte, komödiantische Werk ist auf die medialen Bedingungen des Rundfunks zugeschnitten. So begleitet etwa ein Barde das Geschehen und beschreibt den Hörern, was sie nicht sehen können. Das Libretto erstellte der damalige Chefredakteur des dritten Programms des polnischen Radios, der Dichter und Sänger Edward Fiszer, auf der Grundlage einer Episode aus den Artus-Erzählungen der dänisch-norwegischen Autorin Sigrid Undset (Erstdruck 1915 unter dem Titel Fortællinger om Kong Artur og ridderne av det runde bord, vgl. dort Buch V, Kap. 1 bis 3; polnische Übersetzung: Warszawa 1956). Während ein Großteil von Undsets Erzählungen offenbar auf Malorys Le Morte Darthur basiert, gehen die von Fiszer ausgewählten Abschnitte auf ein mehrfach genutztes Sujetmuster der britischen Artusliteratur zurück, das sich zwar nicht in Le Morte Darthur findet, aber ähnlich etwa in einem anderen, möglicherweise ebenfalls von Malory verfassten Text des fünfzehnten Jahrhunderts (The Weddynge of Syr Gawen and Dame Ragnell) und zuvor – in einer anderen Variante – bei Geoffrey Chaucer (The Wife of Bath’s Tale). In Fiszers Bearbeitung dieses Sujets auf der Grundlage von Sigrid Undsets Version nimmt die Geschichte ihren Ausgang mit dem Hilfsersuchen einer Jungfrau am Artushof: Ihr Bericht von einem Riesen, der das Land verwüstet, motiviert König Artus selbst zum Kampf. Der Riese besiegt ihn allerdings und lässt ihn nur unter der Bedingung vorerst am Leben, er solle binnen dreier Tage die Rätselfrage lösen, was es sei, nach dem sich alle Frauen sehnen. Zurück am Hof zieht Artus Frauen aller Stände zu Rate und erhält viele mögliche Antworten: Liebe, Edelsteine, das Glück der Kinder, einen Ehemann, Gesundheit. Sie erweisen sich alle als falsch. Doch eine alte Hexe, die Schwester des Riesen, stellt dem König die Lösung in Aussicht, wenn er ihr dafür aus dem Kreis seiner Ritter einen Ehemann gebe. Gawein erklärt sich zu dem Handel bereit, und so kann die Rätselfrage nun richtig beantwortet werden: Jede Frau will Entscheidungen nach ihrem eigenen
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Willen treffen können. In der Hochzeitsnacht entdeckt Gawein, dass seine Braut unter einem magischen Bann lebt: Tagsüber muss sie die Gestalt einer alten hässlichen Frau annehmen; nachts aber erhält sie Jugend und Schönheit zurück. Gawein akzeptiert dies klaglos und kann dadurch eine glückliche Ehe führen. Die implizite Lehre – ein Mann sollte sich den Entscheidungen der Frau fügen – kann man zu der Forderung nach einem Recht der Frauen weiterdenken, eigenverantwortlich zu handeln. Vor dem Hintergrund des polnischen Katholizismus hatte dies durchaus einige Brisanz. Aber auch in anderer Hinsicht hatte Bacewiczs Radio-Oper teil an tiefgreifenden kulturellen Veränderungen und künstlerischen Entwicklungen ihrer Zeit, die nicht zuletzt durch die Aufhebung der Informationssperre 1956 ausgelöst wurden. Polnische Schriftsteller wandten sich in dieser Zeit gegen Uniformität und plädierten für literarische Vielfalt. Im Zuge behutsamer Abkehr von vorgegebenen Leitlinien kam es zu einer Öffnung gegenüber der zeitgenössischen westeuropäischen Literatur und zu entsprechend reger Übersetzungstätigkeit – ein Wandel, der etwa auch die Rezeption von Sigrid Undsets Artus-Erzählungen erst ermöglichte. Noch im selben Jahr 1956 wurde außerdem der „Warschauer Herbst“ gegründet, das einzige internationale Festival für zeitgenössische Musik im Ostblock, in dessen Rahmen auch die Erstausstrahlung von Bacewiczs Oper stattfand. Dabei konnte die radiophone mediale Form einerseits als Demokratisierung einer elitären Institution gelten, und andererseits als ein Experiment im Kontext aktueller internationaler Bestrebungen, Hörspiel und Radiokunst neu zu konstituieren. Bereits vor Camelot von Lerner / Loewe war die anglo-amerikanische Rezeption des Artusstoffs stark durch eine Musicalbearbeitung geprägt, die nach ihrer Premiere am 3. November 1927 im New Yorker Vanderbilt Theatre immer wieder neu aufgeführt wurde. Vorlage war hier nicht T.H. White, sondern Mark Twains Roman A Connecticut Yankee in King Arthur’s Court (1889), der die Artuswelt durch das Handlungsschema der Zeitreise mit der Gegenwart verknüpft. Für das gleichnamige Musical von Richard Rodgers verfasste Herbert Fields das Buch nach Twains Roman; Lorenz Hart steuerte die Songtexte bei. 1943 wurde eine von Rodgers und Hart selbst revidierte Fassung uraufgeführt, in der unter anderem die Rahmenhandlung den aktuellen Zeitumständen angepasst ist. Die komischparodistischen und satirischen Elemente von Twains Roman sowie der Reiz anachronistischer Kontrasteffekte haben neben dem Musical von Rodgers / Hart zu einer Reihe mehr oder weniger freier filmischer Adaptationen geführt, darunter 1949 auch zu einem Film-Musical von Jimmy van Heusen.
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Musiktheatrale Darstellungen von König Artus und seiner Tafelrunde im späten neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhundert sind großteils stark durch den Einfluss Richard Wagners geprägt, der selbst den Plan einer Oper nach Hartmanns von Aue Artusroman Erec entwickelt, aber nicht ausgeführt hat (Müller 1985). Von Wagner inspiriert sind beispielsweise einschlägige Opernwerke der Komponisten Ernest Chausson und Isaac Albéniz. Chausson arbeitete von 1885 bis 1894 zunächst am Libretto, dann an der Musik zu einem „drame lyrique“ mit dem Titel Le roi Arthus. Die lange Bearbeitungszeit resultierte offenbar nicht zuletzt aus Chaussons mühsamen Versuchen, das übermächtige Vorbild Wagners produktiv zu überwinden. Obwohl die Oper 1894 fertiggestellt war, ergab sich keine Aufführungsmöglichkeit; erst 1903 konnte sie posthum in Brüssel uraufgeführt werden. Chausson gestaltet das Ehebruchsdreieck zwischen Artus, Ginover und Lancelot deutlich auf der Folie von Wagners Tristan, rückt aber darüber hinaus das Zerbrechen der ritterlichen Utopie, die an menschlichen Schwächen scheitert, in den Vordergrund (Höpfel 1996, S. 657). Am Ende jedoch, nach der selbstzerstörerischen Schlacht, in der das Artusrittertum untergeht, eröffnet das mythische Motiv der Verheißung einer zukünftigen Wiederkehr des Königs den Ausblick auf eine einstige Verwirklichung des Ideals. Aufführungen in neuerer Zeit gab es beispielsweise bei den Bregenzer Festspielen (1996), in Brüssel (2003), Straßburg (2014) und Paris (2015). Isaac Albéniz arbeitete zwischen 1897 und 1906 in London an einer Operntrilogie zu König Artus, die aus den drei Teilen Merlin, Lancelot und Guenevere bestehen sollte; das (englischsprachige) Libretto verfasste Francis Burdett Money-Coutts angelehnt an Malorys Le Morte Darthur. Abgeschlossen wurde nur der erste Teil der Trilogie, Merlin; er konnte erst 1998 zum ersten Mal ungekürzt und im englischen Original, aber konzertant aufgeführt werden; erst 2003 fand in Madrid die szenische Uraufführung statt. Neben dem mittelalterlichen Prätext von Malory – und vor Mark Twain und T.H. White – war im neunzehnten Jahrhundert eine in der arthurischen Sphäre situierte märchenhafte Erzählung von Walter Scott wichtige Vorlage für mehrere Opernlibretti: The Bridal of Triermain, 1813 geschrieben, berichtet von dem Ritter Roland de Vaux, der Artus’ uneheliche Tochter Gyneth aus einem von Merlin auferlegten magischen Bann erlösen will. Eine erste, 1831 fertiggestellte Opernversion von John Lodge Ellerton (1801–1873) ist vermutlich nie aufgeführt worden. Es folgten unter anderem Werke von Thomas Simpson Cooke (King Arthur and the Knights of the Round Table, uraufgeführt 1834 in London), Alan Parker Close (The Bridal of Triermain, 1862 veröffentlicht, vermutlich unaufgeführt) und Amadeu Vives i Roig (Artús, uraufgeführt in Barcelona 1897).
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Als Henry Purcell 1659 geboren wurde, war die Zeit unruhig. Der Lordprotektor Oliver Cromwell, der die puritanische Bewegung mit Macht durchsetzen wollte und etwa öffentliche Theateraufführungen ebenso wie geistliche Musik weitgehend verboten hatte, war gerade ein Jahr tot. Er hinterließ politische und gesellschaftliche Unruhe im Land, und seinem Sohn gelang es nicht, die politische Situation wieder zu stabilisieren. 1660 wurde die englische Monarchie unter Charles II. († 1685) aus dem Hause Stuart wiederhergestellt. Trotzdem mussten die Könige noch lange mit dem politischen Erbe Cromwells und der puritanischen Mentalität ringen. Unter dem Nachfolger von Charles II., seinem katholischen Bruder James II., kam es 1688 zu einem Staatsstreich, bei dem der protestantische Prinz Wilhelm III. von Oranien († 1702) und seine Frau Mary, Tochter von James, sich unter Zustimmung eines Teils des Hochadels als englische Könige feierlich einsetzen ließen. Damit war die politische Situation ebenso diffizil wie die gesellschaftliche. Die großen Spannungen in der englischen Gesellschaft hatten zur Folge, dass auch kulturelle Vorlieben und Abneigungen stets politisch konnotiert waren; sie markierten eine bestimmte politische Position und hatten unmittelbar gesellschaftliche Auswirkungen (Leopold 2006, S. 239). Mehrere Werke des Dichters John Dryden, der dem Haus der Stuarts verbunden war, enthalten deutliche Anspielungen auf die politische Situation der Zeit (Winn 1987, S. 438–440). So kann man etwa annehmen, dass sich die dreiaktige Allegorie Albion and Albanius auf die beiden Brüder Charles II. und James II. bezieht. Jedenfalls verleiht sie nationalen Interessen und dem Wunsch nach Einheit Ausdruck. Eine ähnliche Tendenz lässt sich auch am Libretto zu King Arthur erkennen; dies sollte allerdings nicht überbewertet werden, denn zugleich enthält das Werk viele ironische Anspielungen, die durchaus geeignet sind, ein affirmatives Verständnis zu relativieren. Ob dies so weit geht, dass King Arthur sogar als „Antikriegsoper“ verstanden werden kann (Krooij 1997), sei dahingestellt. Drydens Arbeit am Libretto geht auf die erste Hälfte der 1680er Jahre zurück und war wohl bereits 1684 vorerst abgeschlossen; im Zuge der Zusammenarbeit mit Purcell erstellte Dryden dann 1690 eine revidierte Fassung (Winn 1987, S. 448). Das Handlungsgerüst basiert in erster Linie nicht auf der literarischen Artus-Tradition, sondern auf frühneuzeitlichem gelehrtem Wissen über Artus, das großteils letztlich auf Geoffreys von Monmouth Historia regum Britanniae zurückgeht (s. u.); es entspricht dem, was das zeitgenössische Publikum aus historiographischen Werken und Kompilationen der Zeit über Artus’ Herrschaft und Kriege erfahren konnte. In seiner Vorrede benennt Dryden selbst als Quellen für die dargestellten Gebräuche der heidnischen Sachsen Beda Venerabilis (Historia Ecclesiastica Gentis Anglorum) und den Gelehrten Samuel Bochart (1599–1677); tatsächlich aber stammt fast alles Einschlägige dazu aus Aylett Sammes’ Britannia Antiqua Illustrata (1676; Pinnock 1995, S. 247). Die einzige wesentliche Abweichung von
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diesem gelehrten Kenntnisstand ist die weibliche Hauptfigur Emmeline. Wie fast alle anderen motivischen Details und untergeordneten Strukturmerkmale, die das Handlungsgerüst füllen, ist sie allerdings keine originelle Erfindung Drydens, sondern aus dem konventionellen Fundus der zeitgenössischen Epik und Dramatik entwickelt. Dafür lassen sich kaum eindeutige Vorlagen benennen, aber umso mehr Parallelen und Anklänge an nicht-arthurische Texte, unter anderem etwa an Torquato Tassos Gerusalemme Liberata und Werke von Edmund Spenser. Harris (1995) hat außerdem darauf hingewiesen, dass Dryden mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf eine Bearbeitung von William Shakespeares The Tempest aus dem Jahr 1670 zurückgegriffen hat, an der er selbst beteiligt war. Purcells Musik ist aufgrund einer schwierigen Überlieferungssituation nicht in einer ‚Originalversion‘ fassbar: Es existiert weder eine autorisierte Handschrift noch ein zeitgenössischer Druck (Burden 2010b, S. 520; Pinnock 2012, S. 191), sodass keine verlässlichen Angaben etwa über die Instrumentierung möglich sind. Außerdem sind Teile der Musik von Purcell anscheinend in anderen Kontexten wiederverwertet worden (Holman 1995, S. 207; Adams 1995, S. 296). Artus ist als historische Person nicht fassbar. Nach frühen, teils obskuren Erwähnungen eines in Britannien agierenden Heerführers Arthur oder Artorius nimmt er in wenigen chronikalen Texten (Historia Brittonum um 830 n. Chr.; Annales Cambriae um 930; William von Malmesbury, Gesta regum anglorum, 1125) deutlichere Konturen an; erst in Geoffreys von Monmouth Historia regum Britanniae (1136–1139) wird von ihm als handelnder und herrschender Figur von der Krönung bis zur tödlichen Verwundung in der Schlacht gegen Mordred und seiner Überführung zur Insel Avalon ausführlicher erzählt. Geoffreys Text, dessen historische Glaubwürdigkeit schon von Zeitgenossen bezweifelt wurde, war darauf angelegt, die Normannenherrscher zu legitimieren. König Arthur wird in dieser Hinsicht als Identifikationsfigur inszeniert und verkörpert dabei den neuen, höfischen Typus des Herrschers. Mit der europäischen Verbreitung der Historia auch durch Bearbeitungen und Übersetzungen kann dieser König (für den sich in französischer und deutscher Sprache die Namensform Artus etabliert) zur zentralen Figur der sich durchsetzenden höfischen Erzählliteratur werden. Nach Waces Roman de Brut stehen in Frankreich die Versromane Chrétiens de Troyes, in Deutschland deren Adaptationen durch Hartmann von Aue (Erec und Iwein) und Wolfram von Eschenbach (Parzival) am Beginn einer fiktionalen arthurischen Erzähltradition. Die mittelhochdeutschen Artusromane haben allerdings nur sehr wenig musiktheatrale Rezeption erfahren. Neben den Sonderfällen von Wagners Parsifal (→ Parzival) und seinem unausgeführten Erec-Entwurf ist allenfalls noch die Iwein-Oper von August Klughardt nach einem Libretto von Carl Niemann zu
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nennen: Sie wurde am 28. März 1879 auf dem Hoftheater in Neustrelitz, später auch in Dessau aufgeführt (Zabel 2002, S. 115), verschwand aber bald wieder von den Spielplänen. Die Mehrzahl der Opern, Operetten und Musicals mit arthurischen Sujets basiert – ebenso wie die Rezeption des Stoffs in der modernen Literatur, in Filmen und anderen Medien der Populärkultur – auf einer anderen Überlieferungstradition: Sie nimmt mit der Bildung eines enzyklopädisch angelegten französischen Prosa-Zyklus (Prosa-Lancelot und dessen Erweiterungen) ihren Anfang und wirkt hauptsächlich über die komprimierende englische Bearbeitung des Stoffs durch Thomas Malory (Le Morte Darthur, Erstdruck 1485) zunächst im anglo-amerikanischen Raum, dann auch international weiter.
III Werkliste King Arthur, or The British Worthy Semi-opera in five acts Musik Text Henry Purcell John Dryden
Uraufführung 14.5.1691, London
King Arthur, or The British Worthy „Masque in three acts“ Musik Text Thomas Augustine Arne David Garrick
Uraufführung 13.12.1770, London
Treiermain Opera Musik John Lodge Ellerton
Entstehung 1831
Text John Lodge Ellerton
King Arthur and the Knights of the Round Table Entertainment Musik Text Thomas Simpson Cooke Isaac Pocock
Uraufführung 26.12.1834, London
The Bridal of Triermain Opera in three acts Musik Alan Parker Close
Text John Joscelyn Coghill
Entstehung 1862
La morte d’Arthur Opera Musik Frederick Corder
Text Frederick Corder
Uraufführung 1879, Brighton
Artus
Iwein „Große Oper in drei Akten“ Musik August Klughardt
Text Karl Niemann
Uraufführung 28.3.1879, Neustrelitz
König Arthur Oper Musik Heinrich Kafka
Text Heinrich Kafka
Entstehung um 1880
König Arthur „Oper in einem Vorspiel und drei Akten“ Musik Text Max Vogrich Max Vogrich
Uraufführung 26.11.1893, Leipzig
King Arthur „Opera in three acts“ Musik Colin McAlpin
Text Colin McAlpin
Uraufführung 1896, Leicester
King Arthur Opera in three acts Musik Joseph Parry
Text Elfed [d. i. Howard Elvet Lewis]
Entstehung 1896–1899
Artús „Òpera en tres actes i un epíleg“ Musik Text Amadeu Vives i Roig Sebastià Trullol i Plana
Uraufführung 19.5.1897, Barcelona
Le roi Arthus „Drame lyrique“ Musik Marcel Samuel-Rousseau
Text Fernand Beissier
Uraufführung 1903, Paris
Le roi Arthus „Drame lyrique“ Musik Ernest Chausson
Text Ernest Chausson
Uraufführung 30.11.1903, Brüssel
King Arthur, or The Round Table Operntrilogie Musik Text Isaac Albéniz Francis Burdett Money-Coutts
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Entstehung 1893–1906 [fertiggestellt nur der erste Teil der Trilogie: Merlin]
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King Arthur Opernpentalogie Musik Rutland Boughton
A Connecticut Yankee Musical Musik Richard Rodgers
Text Rutland Boughton, Reginald Buckley
Uraufführung 1. [The Round Table] 14.8.1916, Glastonbury 2. [The Birth of Arthur] 16.8.1920, Glastonbury 3. [The Lily Maid] 10.9.1934, Gloucester
Text Herbert Fields, Lorenz Hart
Uraufführung 3.11.1927, New York
Przyroda Króla Artura [Die Abenteuer des Königs Artus] Radio-Oper Musik Text Grażyna Bacewicz Edward Fiszer
Uraufführung [Rundfunk] 12.9.1959, Radio Warschau
Camelot Musical Musik Frederick Loewe
Text Alan Jay Lerner
Uraufführung 2.12.1960, New York
Text Tankred Dorst, Ursula Ehler [Bearbeitung: Jorge Lavelli]
Uraufführung 14.6.2005, Lyon
Text Tankred Dorst, Ursula Ehler
Uraufführung [Prolog] 15.9.2006, Düsseldorf [konzertant]
Merlin Spectacle Musik Zygmunt Krauze
Merlin Oper [unvollendet] Musik Manfred Trojahn
Aucassin und Nicolette Christian Buhr I Präsenz des Sujets Die Geschichte der Liebe von Aucassin und Nicolette zählt zu den mittelalterlichen Sujets, die im Musiktheater des achtzehnten bis zwanzigsten Jahrhunderts am häufigsten bearbeitet wurden: Rund 25 Kompositionen wurden seit der Wiederentdeckung der ältesten Version des Stoffs – ein unikal überlieferter altfranzösischer Text – durch den französischen Aufklärer und Philologen Jean-Baptiste de La Curne de Sainte-Palaye entworfen und mehrheitlich auch zur Aufführung gebracht. Gemessen an den bloßen Werkzahlen hat das Sujet somit eine größere Aufmerksamkeit erfahren als etwa der motivisch verwandte Tristan- oder der Lanzelotstoff. Doch sind neben einer Reihe von bloßen Entwürfen und misslungenen Vorhaben selbst jene Entwürfe inzwischen weitestgehend vergessen, die aus der Feder von Komponisten wie André-Ernest-Modeste Grétry oder August Enna stammen, deren Popularität unter Zeitgenossen ebenso außer Frage steht wie ihre musikgeschichtliche Bedeutung. Jedenfalls scheinen zu der außerordentlichen Produktivität des bald achthundert Jahre alten Materials neben inhaltlichen Reizen auch besondere formale Eigenschaften beigetragen zu haben, liegt hier doch ein prosimetrischer, also aus (eher erzählenden, von Handlung und Dialog geprägten) Prosapartien und (eher lyrisch-beschreibenden und reflexiven) Verspartien zusammengesetzter Text vor, der mit seinem an die Entführung aus dem Serail gemahnenden orientalischen Setting für die Opernbühne prädestiniert zu sein scheint. Doch nur einer Bearbeitung wurde in jüngerer Zeit ein besonderes Interesse entgegengebracht: Die von Günter Bialas nach einem Text von Tankred Dorst vertonte Geschichte von Aucassin und Nicolette feierte als „Oper in 13 Bildern“ am 12. Dezember 1969 an der Bayerischen Staatsoper im Münchener Cuvilliés-Theater ihre Weltpremiere. Dorst hatte den mittelalterlichen Stoff bereits im Jahr 1953 für das Marionettentheater ausgestaltet und später unter dem Titel Die Mohrin für das Schauspiel adaptiert (Uraufführung am 25. Juni 1964 in Frankfurt am Main). Dieser Text wurde für die spätere Opernfassung überarbeitet, wobei in erster Linie einige lyrische Partien hinzugefügt wurden, die bewusst im Stil der Nummernoper gehalten sind. Wie schon in der Mohrin akzentuiert und aktualisiert Dorst in Aucassin und Nicolette das subversive und ironische Potenzial seiner Vorlage (Kloiber 2002, S. 51). Die altfranzösische Erzählung wird somit als ein scherzhaftes Märchen aufgefasst, in dem die erhoffte Liebeserfüllung nur durch einen gewaltsamen „Komödienschluss“ (Jacobi 1964, S. 2) erzwungen werden kann. https://doi.org/10.1515/9783110424089-021
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Der Prinz aus der Provence ist in dieser „heiteren Fabel voller Unwahrscheinlichkeiten“ (Voss 1986, S. 336) ein monomanischer Münzsammler, Nicolette eine Verführerin, die von ihrem Ziehvater zu diesem Zweck bestens abgerichtet ist und doch anfänglich erfolglos bleibt. Allen inneren und äußeren Widerständen zum Trotz entwickelt sich eine innige Liebe zwischen Aucassin und Nicolette. Nach der Flucht aus dem heimischen Beaucaire gelangen beide in die absurdanarchische Sphäre von Torelore. Als Aucassin nach dem Tod des Vaters in seine Heimat zurückkehren will, um eine gesellschaftliche Ordnung nach dem Vorbild dieses anderweltlichen Königreichs zu etablieren, wird Nicolette von Aucassin schlechterdings vergessen. Das Mädchen wird nun der Vorlage entsprechend von Sarazenen entführt, vermag diesen jedoch zu entkommen und begegnet am Ende sogar noch einmal ihrem Geliebten. Das Interesse an dem Gemeinschaftswerk von Bialas und Dorst ist auch nach der Uraufführung immer wieder neu entflammt, wenngleich die Rezeption im Vergleich mit anderen Werken des Dramatikers eher gering ausfällt. Aufführungen gab es unter anderem am Stadttheater Kiel (1970) und am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen (1980) sowie zuletzt unter der musikalischen Leitung von Steffen Leißner am Landestheater Detmold (Premiere am 24. Mai 1997).
II Historische Schichten Die jüngere Rezeptionsgeschichte bestimmen Werke, welche das bereits für die altfranzösische Erzählung charakteristische Changieren zwischen ernster Darstellungsabsicht und selbstreferenziellem literarischem Spiel zu erfassen und für eigene musikästhetische Zielsetzungen anzueignen bestrebt sind. Neben dem Vaudeville Alcassino e Nicoletta des italienischen Komponisten Bruno Cerchio (uraufgeführt am 8. Oktober 1992 in der Azienda Teatrale Alessandrina) und der kurzlebigen Produktion Les Nouveaux racontars dʼAgassin et Virelette aus der Feder von Gérard Massias und Pierre Rousseau (uraufgeführt am 13. August 1971 im Théâtre de Châteauvallon) wird diese Tendenz durch Die Geschichte von Aucassin und Nicolette von Dorst und Bialas repräsentiert. Der ironische Impetus, mit dem sich die beiden dem Stoff nähern, ist allerdings nicht explizit gegen die literarische Vorlage und auch nur indirekt gegen die romantische Mittelalter begeisterung gerichtet. Schon Dorsts erster Entwurf Die Mohrin war vielmehr eine an Bertolt Brecht geschulte Invektive gegen das Illusionstheater im Allgemeinen (Makosz 1998, S. 103 f.). Im Zuge dieser Akzentuierung greift Dorst etwa einige absurde Aspekte des altfranzösischen Originals auf, die von den allermeisten Bearbeitungen übergangen wurden. Das betrifft insbesondere die Episode um Torelore, die schon im mittelalterlichen Text auf karnevaleske Umkehrungen
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hin angelegt war. Anderes ist jedoch frei hinzuerfunden. So präsentieren und kommentieren drei Spielleute namens Anton I, II und III das grell überzeichnete Geschehen mit großem Unernst. Für zusätzliche Brechungen und Verfremdungen sorgen Figuren wie das Starlet Heidi, mit dem Aucassin seine eigene Liebesgeschichte nachzuspielen versucht: „Ich bitte dich, setz dich noch einmal auf den Stein da, wie damals, als ich dich verloren hatte. Wo ging ich eigentlich hin? Das ist eine sehr wichtige Szene. Wie du sie spielst: darauf kommt es an“ (Dorst 1986, S. 333 f ). Der parodistischen Absicht dienen ferner allerhand musikalische Zitate aus den vergangenen zweihundert Jahren der Operngeschichte. Dorsts komödiantische Einfälle wie die Erektion des Köhlers Ignaz oder der Chor lateinisch singender Delphine geraten jedoch zuweilen zur reinen Clownerie und lassen den sublimen Charme der Vorlage vermissen (Krohn 2004, S. 208–210). Nicht allein aufgrund erkennbarer autobiographischer Hintergründe stellt sich das Verhältnis zur Vorlage in Paul Le Flems impressionistischem Einakter Aucassin et Nicolette anders dar (Bernard-Krauß 1993, S. 33–36). Unter dem Eindruck von Claude Debussys Pelléas et Mélisande begann der bretonische Komponist im Jahr 1908 mit der Arbeit an dem nur knapp 42 Minuten langen Bühnenwerk. Le Flem verfasste das Libretto gemeinsam mit dem französischen Musikologen Pierre Aubry, der ihn mit dem altfranzösischen Text vertraut gemacht hatte (ebd., S. 33 f.). Die Handlung der Vorlage um Liebe, erzwungene Trennung, gefährliche Abenteuer und Wiedervereinigung des provenzalischen Fürstensohns Aucassin und der vermeintlichen heidnischen Sklavin Nicolette, die sich am Ende als Königstochter erweist, wird weitestgehend bewahrt. Wichtige Handlungsumstände wie Raub, Krieg und Flucht werden jedoch allein durch den Bericht einer allgegenwärtigen Erzählergestalt präsent gehalten, welche die Geschehnisse nicht retrospektiv schildert, sondern gleichsam aus dem eigenen (Mit-)Erleben beschreibt und kommentiert. Im Zentrum steht so die Liebesbeziehung zweier junger Menschen, die durch den Willen der Eltern (Aucassins Vater Garin von Beaucaire) und widrige Umstände getrennt werden (der Überfall eines Sarazenenheers). Wie sein musikalisches Vorbild Debussy zeigt sich der bretonische Komponist bemüht, ein Klangbild zu entwerfen, das in jedem einzelnen Augenblick die innere und äußere Stimmung vermittelt. Dafür benötigt Le Flem nicht nur einen feingliedrig durchkomponierten musikalischen Satz, sondern auch ein stark komprimiertes Libretto, das weitläufige Handlungselemente zugunsten extensiv ausgedeuteter Kernszenen in den Hintergrund drängt. Auf der Bühne dargeboten werden in diesem lyrischen Drama mit einem Prolog und drei Bildern daher nur Aucassins Liebesgeständnis und Nicolettes Fluchtgedanke (erstes Bild), das glückliche Wiederfinden der Liebenden in pas-
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toraler Szenerie (zweites Bild) und schließlich Nicolettes Auftritt in der Rolle eines Troubadours (drittes Bild). Dass es sich dabei um eine traurig-schöne Liebeserzählung aus alter Zeit handle, macht bereits der einleitende Dialog zwischen dem Chor und dem Erzähler deutlich: „Écoutez, écoutez une très belle histoire, quʼun vieux conteur jadis conta“ (Le Flem 2011, S. 15). Alle anderen inhaltlichen Informationen werden mit Ausnahme der bei Le Flem getilgten Torelore-Episode in größtmöglicher Nähe zur Vorlage einer narrativen Instanz anvertraut, deren Bericht einerseits teichoskopisch verfährt, andererseits den Eindruck erweckt, als ob minutiöse Regieanweisungen auf der Bühne rezitiert würden: „Elle entend la voix qui lʼappelle, elle est émue, elle court; cʼest Aucassin! Doucement il la reçoit, baise ses yeux et son visage“ (ebd., S. 19). In Ergänzung zur Erzählerfigur wurden die beiden ersten konzertanten Darbietungen von Aucassin et Nicolette – eine mit großem Beifall bedachte private Erstaufführung am 19. Mai 1909 und eine durchaus positiv rezensierte öffentliche Premiere am 11. Februar 1910 in der Pariser Salle Érard – im Stile des seinerzeit beliebten chinesischen Schattentheaters inszeniert (Bernard-Krauß 1993, S. 39). Erst die Wiederaufnahme des Stücks in den Jahren 1923/24 brachte Le Flems Werk auch szenisch zur Entfaltung. Zu dieser Zeit war in Frankreich die Nachfrage nach konventionellen Mittelaltersujets allerdings ebenso erloschen wie das Interesse an der Musik der Spätromantik und des Impressionismus. Einem breiten Publikum ist Aucassin et Nicolette seit der im März 2011 vom Orchestre des Pays de Savoie unter der Leitung von Nicolas Chalvin eingespielten Referenzaufnahme zugänglich (timpani 1C1188). Die musikalischen Erben Richard Wagners wussten mit der altfranzösischen Erzählung von Aucassin und Nicolette, die sich in ihrer heiter-optimistischen Grundstimmung weder zur ‚Reckenoper‘ noch zum tristanesken Erlösungswerk eignet, nur wenig anzufangen (Fischer 2000, S. 34–36). Am 2. Februar 1896 wurde dennoch an der Königlichen Oper in Kopenhagen mit Aucassin og Nicolette eine Bearbeitung zur Aufführung gebracht, die in musikalischer und inhaltlicher Hinsicht gleichermaßen dem Vorbild des späten Wagner verpflichtet ist. In dieser lyrisch-romantischen Oper in vier Aufzügen, die nach einem Libretto des Dichters Sophus Michaëlis von dem dänischen Komponisten August Enna entworfen wurde, verbindet sich der Furor der Götterdämmerung mit der Klangsprache und dem Liebesschmerz von Tristan und Isolde. Zu diesem Zweck wird die ursprünglich klar konturierte Handlung um allerlei tragische Verwicklungen ergänzt, bis schließlich die Protagonistin Nicolette so sehr in Verzweiflung gerät, dass sie Aucassins Palast in Brand setzen und selbst in den Flammen sterben will. Zum Ende des vierten Akts haben sich jedoch alle Irrungen und Wirrungen aufgelöst und selbst der Graf von Beaucaire gibt nun
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sein Einverständnis zur Liebe der Kinder. Die jubilierenden Schlussverse bringen die versöhnliche Grundstimmung dieses Werks deutlich zum Ausdruck: „Keine Macht der Welt kann trennen junger Herzen heil’gen Bund“ (Enna / Michaëlis 1896, S. 152–160). Ennas Tristan ohne Tragik wurde von Holger Dahl ins Deutsche übertragen und Anfang des Jahres 1897 mit mäßigem Erfolg je einmal in Hamburg und in Prag dargeboten (Loewenberg 1978, Sp. 1190). Ungefähr zu derselben Zeit wie August Enna arbeitete auf der anderen Seite des Atlantiks der amerikanische Komponist John Knowles Paine an einer eigenen Bearbeitung des Sujets. Unter dem Titel Azara wird die Geschichte von Aucassin und Nicolette mit abgewandelten Figurennamen präsentiert, ohne dass der narrative Kern fundamental verändert wurde. Der provenzalische Prinz, der hier den Namen Gontran trägt, liebt die einst aus dem maurischen Spanien verschleppte Kalifentochter Azara. Das widerspricht jedoch den Interessen des Königs Rainulf, der für Gontran bereits feudalpolitisch günstigere Heiratspläne hegt. Ungewöhnlich ist allerdings, dass in dieser Oper auch der König die Geliebte des Prinzen begehrt. Zugleich erscheint die militärische Bedrohungslage verändert. Krieg droht nun nicht mehr aufgrund eines Konflikts lokaler Rivalen, sondern von dem muslimischen Hauptmann Melek, der in dem Auftrag, die verlorene Tochter des Kalifen wiederzugewinnen, die Mittelmeerküste mit seinem Heer heimsucht und seinerseits hofft, Azara als Lohn für diese Heldentat zu erhalten. Die psychoanalytische Ausdeutung des Vater-Sohn-Konflikts als ödipales Drama („My son a rival! Do I hear aright?“; Paine 1903, S. 11) geht somit in signifikanter Weise mit einer Akzentuierung des Glaubenskampfs einher. Im Fokus steht indessen die titelgebende Frauengestalt, die sich hier mit dem Begehren gleich dreier Verehrer konfrontiert sieht. Paines nach fünfzehnjähriger Arbeit 1898 als „Grand Opera“ in drei Akten fertiggestelltes Hauptwerk ist im Kontext der mit dem Wirken Antonín Dvořáks verbundenen Bestrebungen zu sehen, eine autochthone amerikanische Operntradition zu etablieren, wenngleich Paine in seiner Klangsprache und in der Wahl des Sujets eindeutig dem europäischen Erbe verpflichtet bleibt. So hätte Azara als die erste amerikanische Oper in die Musikgeschichte eingehen können, wenn eine Premiere des Stücks nach dem raschen Niedergang der American Opera Company nicht durch die Ablehnung angloamerikanischer Werke seitens der Metropolitan Opera in New York verhindert worden wäre (Schmidt 1980, S. 638; KreutzigerHerr 2000, S. 350 f.). Obgleich es nicht nur in Amerika, sondern auch in Deutschland intensive Bestrebungen gegeben hat, die Oper auf die Bühne zu bringen, wurde Azara als komplettes Werk der musikalischen Öffentlichkeit schließlich nur konzertant zu Gehör gebracht: in einer einzigen Gesamtaufführung posthum am 9. April 1907 in der Bostoner Symphony Hall.
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Die romantische Oper vor Richard Wagner repräsentiert das Libretto des deutschjüdischen Arztes und Schriftstellers Johann Ferdinand Koreff (1783–1851). Koreff orientierte sich hierfür nicht nur am Textbuch der ersten musiktheatralen Adaptation des Stoffs durch André Grétry und Michel-Jean Sedaine, sondern benutzte daneben auch die 1808 erschienene erste wissenschaftliche Edition des altfranzösischen Texts durch Martin Méon. Wie Paine interessiert Koreff an der Liebesgeschichte von Aucassin und Nicolette besonders deren ‚orientalische‘ Färbung. So ist es hier ein muslimischer Häscher namens Hassan, der die gerade erst mit Aucassin vereinte Nicolette an sich reißt und als Beute nach Karthago entführt. Dort entpuppt sie sich im dritten Akt schemagemäß als Tochter des Sultans. Der Glaubenskonflikt bildet indessen nur die Oberfläche für allerlei Elemente romantischer Folklore – vom orientalischen Basar bis zum Bajaderentanz versklavter Zirkassierinnen. Ohne Vorbild ist auch das Reuemotiv des provenzalischen Grafen, der den Verlust des eigenen Sohnes als göttliche Strafe für übermäßige erzieherische Strenge interpretiert und daher eine Pilgerreise ins Heilige Land auf sich nehmen will („Dort auf meine Knie zu fallen, / weil so hilflos ich verfuhr“; Koreff 1822, S. 44). Diese für die Epoche der Romantik so charakteristische Hinwendung zum Christentum ist der Erzählung des dreizehnten Jahrhunderts freilich fremd. Für Aucassins blasphemische Äußerung, lieber mit der Heidin Nicolette in die Hölle kommen zu wollen als mit den Lahmen, den Kranken und den alten Priestern im Himmel weilen zu müssen (Aucassin et Nicolette 1973, VI, Z. 26–43, S. 58), ist daher im Libretto des – 1816 zum Christentum konvertierten – Koreff kein Platz. Per Zeitungsannonce fand der Schriftsteller in Georg Abraham Schneider einen Komponisten, der seine Skizze zu vertonen bereit war. Dessen feierlichernste Musik, die stilistisch an Haydn und Mozart orientiert bleibt, wird dem zuweilen durchaus selbstironisch angelegten Libretto jedoch kaum gerecht. Dennoch bot die mit einer aufwändigen Kulisse versehene romantische Oper in vier Akten offenbar genügend Reize, um wenigstens bei der Premiere am 26. Februar 1822 im Königlichen Schauspielhaus Berlin auf positive Resonanz zu stoßen. Über ihre Uraufführung hinaus war der Oper allerdings kein anhaltender Erfolg beschieden (Schröder 1991, S. 226; Krohn 2004, S. 203 f.). Der erste Opernkomponist, der sich des Stoffs annahm, war André-Ernest-Modeste Grétry. Damit reicht der Ausgangspunkt der musiktheatralen Beschäftigung mit der altfranzösischen Erzählung von Aucassin und Nicolette in die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zurück. Dass der belgisch-französische Komponist ein ausgesprochen großes Interesse für ‚gotische‘ Sujets hegte und dabei auch eine – heute anachronistisch anmutende – Vorstellung von Alter Musik zu vermitteln versuchte, ist nicht zuletzt aufgrund seiner noch immer sehr beliebten Oper Richard Coeur de Lion (1784) bestens dokumentiert (→ Richard Löwenherz).
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Schon fünf Jahre zuvor versuchte er, einen mittelalterlichen Text für das Musiktheater zu adaptieren. Der Aufklärer und Philologe Jean-Baptiste de La Curne de Sainte-Palaye, dessen 1752 erstmals veröffentlichte Übersetzung von Aucassin und Nicolette auf große Resonanz gestoßen war, soll Sedaine und Grétry persönlich dazu animiert haben, aus dem Stoff eine opéra comique zu formen (Gossman 1968, S. 329; Charlton 1986, S. 190). Die Intentionen des Übersetzers lassen sich seiner Vorrede entnehmen: La Curne de Sainte-Palaye formuliert hier einerseits ein gleichsam proto-romantisches Anliegen, wonach Aucassin et Nicolette von allen einschlägigen Texten am besten geeignet sei, dem Mittelalter als einer Zeit guter Sitten, reiner Liebe und aufrichtiger Treue Geltung zu verschaffen (La Curne de Sainte-Palaye 1752, S. 11 f.). Andererseits erscheint ihm der Text aus dem dreizehnten Jahrhundert in seiner Nähe zur dramatischen Form selbst schon mit gutem Grund wie ein weltliches Spiel, dessen Existenz eine gewisse Kontinuität zwischen mittelalterlicher Bühnenpraxis und dem zeitgenössischen Pariser Musiktheater suggeriert (ebd., S. 10). Dem Plan einer musiktheatralen Adaptation kam die stetig wachsende Vorliebe des Opernpublikums für sogenannte Rettungs- oder Schreckensopern entgegen, die – in Anlehnung an die englische gothic novel – zumeist die Befreiung eines bedrängten, oft weiblichen Individuums aus dem Verließ eines ruchlosen Despoten darstellten. Auch Aucassin et Nicolette erfüllt dieses Schema, wenngleich der bedrängten Frauengestalt in diesem Fall die Flucht auch ohne das Zutun der männlichen Hauptfigur gelingt (Charlton 1992, S. 181 f.). Eng den aufklärerischen Intentionen der Übersetzung La Curnes de Sainte-Palaye folgend, formten Sedaine und Grétry den Entwurf für eine komische Oper in vier Akten und einem Vorspiel. Der ernsten Darstellungsabsicht fielen dabei alle dem Publikum des achtzehnten Jahrhunderts unverständlichen literarischen Referenzen ebenso zum Opfer wie die Torelore-Episode, die Sainte-Palaye noch – wenngleich mit einigem Widerwillen – als obskures Relikt einer archaischen Erzähllust beibehalten hatte (La Curne de Sainte-Palaye 1752, S. 11 f.). Gänzlich getilgt ist auch die orientalische Sphäre des Originals. Nicolette stellt sich nach diversen Verwicklungen als Tochter des Grafen von Valence, also des Erzfeinds von Beaucaire heraus, der Einfall eines fremden Heeres oder heidnischer Seeräuber bleibt aus. So konzentriert sich das Libretto ganz auf die Darstellung einer unerschütterlichen Liebe unter widrigen Umständen. Als vieraktige Oper wurde Aucassin et Nicolette ou Les Mœurs du bon vieux Temps zunächst am 30. Dezember 1779 in Versailles und dann noch einmal am 3. Januar 1780 vor städtischem Publikum in der Pariser Comédie-Italienne uraufgeführt. Dass das Stück im ersten Anlauf ein Misserfolg war, ja dass die Zuschauer das Anliegen der Urheber wohl missverstanden und an den falschen Stellen Ironiesignale vermuteten, teilt Grétry in seinen Lebenserinnerungen mit (Grétry
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1978, S. 113). Dass außerdem schon im April desselben Jahres unter dem Titel Marcassin et Tourlourette eine Parodie von Grétrys Oper dargeboten wurde, könnte als Indiz dafür gesehen werden, dass Aucassin et Nicolette den Konventionen der zeitgenössischen musikdramatischen Ästhetik – besonders im Hinblick auf das Verhältnis von Vers und Prosa, Dialog und Gesang – nicht ganz entsprach: Gegen die Konventionen der opéra comique und gegen die prosimetrische Struktur der Vorlage hatte Sedaine nicht nur liedhafte Passagen und Arien, sondern den gesamten Text in Verse gesetzt. Zeitgenössische Betrachter wie Friedrich Melchior Grimm haben daher das Fehlen einer sinnfälligen Markierung unterschiedlicher Formbestandteile beanstandet und für den geringen Erfolg der Oper verantwortlich gemacht (Grimm 1880, S. 364). Zur Wiederaufnahme der Oper am 7. Januar 1782 wurde zwar die durchgehende Versifizierung nicht aufgegeben, dafür jedoch in die Szenenfolge eingegriffen und durch die Streichung nahezu des gesamten dritten Akts eine Dynamisierung der Handlung herbeigeführt. In dieser Version mit drei Akten und einem Vorspiel war Grétrys Aucassin et Nicolette ein beachtlicher Erfolg beschieden: An der ComédieItalienne blieb das Stück auch nach dem Tod des Komponisten noch bis 1816 im Programm (Wild / Charlton 2005, S. 149), obgleich auch Nicolas-Marie Dalayrac, Grétrys hausinterner Konkurrent, schon im Jahr 1798 unter dem Titel Primerose eine eigene Adaptation des Sujets zu platzieren vermochte (ebd., S. 373). Außerhalb Frankreichs sind erfolgreiche Aufführungen von Aucassin et Nicolette – teils in deutscher Übersetzung – bis zur Jahrhundertwende unter anderem in Kassel, Genf, Hamburg, Berlin, Köln und Bern belegt (Loewenberg 1978, Sp. 378). Eine deutsche Bearbeitung von Sedaines Libretto bildete auch die Grundlage für ein Singspiel von Johann Nepomuk von Poißl, in dem er charakteristische Formen der opéra comique adaptierte. Poißls Aucassin und Nicolette wurde vermutlich am 28. Mai 1813 am Königlichen Hoftheater in München uraufgeführt, hatte aber keinen großen Erfolg (Pickard 2012, S. 135). Der einzige mittelalterliche Prätext für alle musiktheatralen Aktualisierungen des Sujets findet sich in einer Sammelhandschrift aus der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, die unter der Sigle fr. 2168 in der Pariser Nationalbibliothek aufbewahrt wird. Die neuzeitliche Rezeption dieser Liebesgeschichte beruhte anfänglich allein auf La Curne de Sainte-Palayes 1752 erstmals erschienener Übersetzung. Schon 1784 fand der Stoff außerdem durch eine Aufnahme in die auch außerhalb Frankreichs geschätzte Bibliothèque universelle des romans weite Verbreitung. Speziell in Deutschland und Dänemark muss über die popularisierenden Übersetzungen hinaus auch mit einer sekundären Rezeption von Aucassin et Nicolette anhand des Opernlibrettos von Michel-Jean Sedaine gerechnet werden.
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An der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert standen endlich auch italieni sche und englische Übersetzungen zur Verfügung, wodurch ein neuerlicher Rezeptionsschub ausgelöst wurde. Dank der von Martin Méon besorgten und 1808 veröffentlichten wissenschaftlichen editio princeps war es ferner schon den unmittelbaren Nachfolgern Grétrys möglich, einen besseren Eindruck vom altfranzösischen Text und seiner hybriden medialen Anlage zu gewinnen: Neben dem Haupttext der Erzählung in Vers und Prosa finden sich in der Handschrift paratextuelle Angaben zur Aufführungsweise sowie – sorgfältig in Quadratnotation eingetragen – Melodien für die Verspartien, die zusammen mit der metrischen Struktur der Verse dem Muster des gesanglichen Vortrags von Heldenepen nahekommen. Diese hybride Faktur wird vom Text selbst im vorletzten Vers durch eine Selbstetikettierung als cantefable (in etwa: ‚Singgeschichte‘) unterstrichen (Aucassin et Nicolette 1973, XLI, V. 24, S. 162). Neben weiteren strukturellen Eigenschaften – etwa dem hohen Anteil an Dialogen und Monologen – könnte auch der pikardische Dialekt des anonymen Verfassers ein Indiz für eine ursprünglich intendierte dramatische Aufführung des Textes liefern: Er weist in die für die Geschichte des Theaters so bedeutsame Region um die nordfranzösische Stadt Arras, wo schon im ausgehenden dreizehnten Jahrhundert Inszenierungen belegt sind, die im Rahmen von höfischen oder städtischen Festen Musik, Erzählung und Gesang zusammenbrachten. Es scheint also durchaus denkbar, in Aucassin et Nicolette selbst bereits das textuelle Substrat einer musikalisch-dramatischen Darbietung zu sehen, die in zuweilen parodistisch anmutender Weise Formen und Motive zeitgenössischer literarischer Traditionen vermengt und verarbeitet. In der Forschung wurden solche Hypothesen seit dem späten neunzehnten Jahrhundert diskutiert; von manchen wird Aucassin et Nicolette deshalb auch der frühen europäischen Bühnengeschichte zugerechnet (vgl. Dominguez 2010; Peschel 2011, S. 379 f.). Neben Adaptationen in modernen musiktheatralen Formen hat es dementsprechend seit der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts auch Versuche gegeben, eine ursprüngliche Aufführungsform mehr oder minder historisch getreu zu rekonstruieren – sei es für das Laienspiel oder durch Ensembles für Alte Musik. Darüber hinaus ist auf eine größere Zahl von hörspielartigen Dramatisierungen und Rundfunkopern sowie auf Sonderformen am Rande des musiktheatralen Gattungsspektrums zu verweisen. Dazu zählen besonders die 1952 in Florenz uraufgeführte „cantafavola per una voce, orchestra da camera e marionette“ des Avantgardekomponisten Mario Castelnuovo-Tedesco, die 2019 im Rahmen des Festival Pergolesi Spontini zu sehen war, oder auch der 1974/75 vom Bayerischen Rundfunk produzierte Silhouettenfilm der Scherenschnittkünstlerin Lotte Reiniger.
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III Werkliste Aucassin et Nicolette ou Les Mœurs du bon vieux Temps „Comédie en quatre actes, en vers, melée dʼariettes“ Musik Text André-Ernest-Modeste Grétry Michel-Jean Sedaine
Uraufführung 30.12.1779, Versailles
Marcassin et Tourlourette „Parodie dʼAucassin et Nicolette, en trois actes, en vers, et en vaudevilles“ Musik Text Uraufführung [?] [?] April 1780, Versailles Primerose „Opéra en 3 actes“ Musik Nicolas-Marie Dalayrac
Aucassin und Nicolette „Ein Singspiel in drei Aufzügen“ Musik Johann Nepomuk von Poißl
Text Edmond Guillaume François de Favières, Charles-Gilbert Terray de Morel de Vindé
Uraufführung 7.3.1798, Paris
Text Franz Karl Hiemer
Uraufführung [28.5.1813], München
Aucassin und Nicolette oder Die Liebe aus der guten alten Zeit „Romantische Oper in vier Akten“ Musik Text Georg Abraham Schneider Johann David Ferdinand Koreff
Uraufführung 26.2.1822, Berlin
Aucassin og Nicolette „Lyrisk Opera“ Musik August Enna
Text Sophus Michaëlis
Uraufführung 2.2.1896, Kopenhagen
Azara „Grand Opera in three acts“ Musik John Knowles Paine
Text John Knowles Paine
Uraufführung [konzertant] 9.4.1907, Boston [Entstehung: 1883–1898]
Aukassin und Nikolette „Romantisches Liederspiel in sechs Bildern“ Musik Text Max Marschalk Max Marschalk
Uraufführung 27.10.1907, Stuttgart
Aucassin und Nicolette
Aucassin et Nicolette „Comédie-lyrique en 4 actes“ Musik Alexandre Georges
Text [?]
Aucassin et Nicolette „Chantefable en un prologue et trois parties avec soli et chœurs“ Musik Text Paul Le Flem Paul Le Flem, Pierre Aubry
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Entstehung um 1909
Uraufführung 1. [privat] 19.5.1909, Paris 2. [konzertant] 11.2.1910, Paris 3. [szenisch] 16.6.1923, Saint-Cloud
Alcassino e Nicoletta Opera Musik Renzo Rossellini
Text [?]
Entstehung 1928–1930
ʼTis of Aucassin and Nicolette „A medieval romance“ Musik Robert Chignell
Text Eugen Mason
Uraufführung [Rundfunk] 25.5.1933, London
Aucassin et Nicolette Radio-Oper in drei Akten Musik Gaston Brenta
Text Arthur Bovy
Uraufführung [Rundfunk] 7.11.1934, Brüssel
Alcassino e Nicoletta „Favola lirica provenzale in tre atti“ Musik Text Mario Barbieri Antonio Lega
Uraufführung 1. [Rundfunk] 13.11.1937, Turin 2. [szenisch] 16.4.1938, Neapel
Aucassin et Nicolette „Cantafavola del 12. secolo in 4 episodi per una voce, orchestra da camera e marionette“ Musik Text Uraufführung Mario Castelnuovo-Tedesco Mario Castelnuovo-Tedesco 1952, Florenz [Entstehung: 1938] Aucassin and Nicolette Opera Musik William Laurence Bergsma
Text William Laurence Bergsma
Uraufführung 1939
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Aucassin et Nicolette „Chantefable du XIIe siècle pour récitant, 5 soprani, 4 alti, 3 ténors, 3 basses, quatuor vocal mixte de solistes et orchestre“ Musik Text Entstehung Henri Stierlin-Vallon Henri Stierlin-Vallon [?] 1945 Aucassin et Nicolette Musik Maurice Thiriet
Text Jean de Beer
Uraufführung [Rundfunk] 1947
Aucassin and Nicolette „A lyric drama“ Musik Clifton Parker
Text Herbert und Eleanor Farjeon
Publikation 1952
Aucassin und Nicolette. Ein altes, neues Spiel Laienspiel Musik Text Martin Lutschewitz Walther Teich
Publikation 1955
Die Geschichte von Aucassin und Nicolette „Oper in 13 Bildern“ Musik Text Günter Bialas Tankred Dorst
Uraufführung 12.12.1969, München
Les Nouveaux racontars dʼAgassin et Virelette „Action musicale“ Musik Text Gérard Massias Pierre Rousseau
Uraufführung 13.8.1971, Ollioules
Aucassin a Nicoletta Singspiel Musik Jan Klusák
Text Hanuš Jelínek
Uraufführung 12.2.1987, Prag
Alcassino e Nicoletta „Vaudeville“ Musik Bruno Cerchio
Text Piero Ferrero
Uraufführung 8.10.1992, Alessandria
Lancelot Michael Waltenberger I Präsenz des Sujets Der ‚erste Ritter‘ in → Artus’ Tafelrunde, engster Gefährte des Königs und zugleich Liebhaber der Königin, gehört zum Stammpersonal der arthurischen Stofftradition. Er ist deshalb im kulturellen Gedächtnis nach wie vor präsent, steht allerdings nur sporadisch auch als Protagonist im Zentrum literarischer, dramatischer oder filmischer Werke (etwa 1995 dargestellt von Richard Gere in Jerry Zuckers Film First Knight). Nachdem er seit der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts bis zur Mitte des zwanzigsten in einer Reihe von Opern als Hauptfigur aufgetreten war, erscheint sein Name immerhin im Titel einer 1969 in Ost-Berlin unter der Regie von Ruth Berghaus uraufgeführten und erst jüngst (Weimar 2019) mit großem Erfolg wiederbelebten Oper von Paul Dessau und Heiner Müller (Dessau 1969). Das Libretto – eine Bearbeitung der politischen Märchenkomödie Der Drache (1943) von Jewgeni Schwarz – hat jedoch mit dem Artusstoff so gut wie nichts zu tun: Im märchenhaften Drachentöter-Sujet, das zur satirisch-parodistischen Allegorie des allzeitlichen Kampfs gegen Ausbeutung und Untertanengeist ausgebaut wird, fungiert der Protagonist mit dem (hier nur schwach allusiv eingesetzten) Namen Lanzelot als Inkarnation politisch revolutionären Heldentums. Der ‚eigentliche‘, arthurische Lancelot blieb nach 1945 den Opernbühnen weitgehend fern. Lanceloot en Sanderien des niederländischen Dirigenten und Komponisten Renaat Veremans gelangte nach einer wenig erfolgreichen Uraufführung 1968 nicht ins Repertoire, und auch kein anderes einschlägiges Werk konnte sich über die Premiere hinaus im Spielplan halten. Einzelne Aufführungen von Lancelot-Opern fanden außerhalb des regulären Betriebs statt, etwa im Rahmen von Festspielen (Hamilton, Williams / Rosenau, Friedrich) oder auch als Abschlussarbeit im Rahmen (hoch)schulischer Ausbildung (Fišer, Gebauer). Unter dem Aspekt der produktiven Rezeption mittelalterlicher Literatur bemerkenswert ist die mit einem Kompositionspreis ausgezeichnete Kammeroper Lancelots Spiegel von Burkhard Friedrich (*1962), die im November 2003 während des „Steirischen Herbsts“ zur Aufführung kam (Friedrich 2003a; CD-Aufnahme: KUG 26). Lancelots Spiegel ist nicht Resultat einer lediglich mittelbaren, am historischen Text selbst kaum interessierten Verwertung mittelalterlicher matière, sondern Produkt einer jahrelangen intensiven Auseinandersetzung mit der mittelhochdeutschen Version des voluminösen französischen Lancelot-Prosaromans aus dem dreizehnten Jahrhundert. Die Kammeroper steht damit exemplarisch für die von Schindler beobachtete Tendenz der neueren musikdramatischen Mittelhttps://doi.org/10.1515/9783110424089-022
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alterrezeption, sich die historischen Textvorlagen auf dem aktuellen philologischen Forschungsstand zu erschließen (Schindler 2009, S. 348 f.): Friedrich las die Romantrilogie in den seit 1995 sukzessive erscheinenden Bänden der mit Kommentar und Übersetzung versehenen Ausgabe von Hans-Hugo Steinhoff (Prosalancelot 1995–2004) und verarbeitete gleichzeitig das Gelesene kompositorisch. Als das Opernprojekt bereits Material für eine mehrstündige Aufführung gezeitigt hatte, geriet es mit dem Erscheinen der letzten Bände, in denen Charakterisierung und Wertung des Protagonisten sich gravierend verändern, in eine konzeptionelle Krise: Statt weiterhin zu versuchen, der ungeheuren Komplexität des extensiv auserzählten arthurischen Roman-Universums gerecht zu werden, beschränkte Friedrich sich auf die Handlung des ersten Teils der Trilogie (den sogenannten Lancelot propre) und destillierte daraus unter Verwendung einiger Textpartikel der Steinhoff-Edition eine zyklische Stationenfolge aus fünf kurzen Szenen mit minimalem Personal und einer Spielzeit von einer knappen Stunde. In einer als „Prolog“ bezeichneten Eingangssequenz entführt die Fee Nini enne den kleinen Lancelot aus der Obhut seiner Mutter, die in höchster Trauer über König Ban, ihren eben verstorbenen Mann, nicht auf das Kind achtet (alle Angaben nach dem unpaginierten Booklet der CD Friedrich 2003b). Ninienne verschwindet mit ihm in ihr magisches Reich unter dem Wasserspiegel eines Sees. Die erste Szene entfaltet das Identitätsproblem des Helden: Lancelot ahnt, dass die Fee nicht seine Mutter ist, will sie verlassen und lässt sich auch durch eine Liebeserklärung Niniennes nicht umstimmen. Er flieht vor ihr und gelangt dabei zu einer Burg (2. Szene), die er als Erfolg erster ritterlicher Bewährung in seinen Besitz bringen kann. Auf dem Burghof blickt er in ein leeres Grab und erfährt, dass es für ihn selbst bestimmt ist. Durch eine Inschrift kennt er nun zwar seinen Namen und seine Abstammung; weil die Frage nach seiner Identität für ihn damit aber nicht befriedigend beantwortet ist, setzt er seine Flucht fort. Sie endet vorläufig in einem Zelt, in dem er auf Ginover trifft (3. Szene): Die Königin begehrt ihn und will ihn an den Artushof binden. Die Liebesbeziehung setzt eine Reflexion in Gang, durch die Lancelot der Selbsterkenntnis zwar etwas näher kommt; aber ähnlich wie er bei Ninienne zum Ersatz-Objekt ihres mütterlichen Liebesbegehrens wird, das sich nicht auf ein eigenes Kind richten kann, macht Ginover ihn nun zum Objekt eines erotischen Begehrens, das durch den eigenen Ehemann, König Artus, nicht erfüllt wird. Auf der Flucht vor dieser erneuten Vereinnahmung wird Lancelot wahnsinnig; er erreicht den See seiner Kindheit, kehrt aber nicht zu Ninienne zurück. Eines Nachts legt er Schild und Rüstung ab, springt aus dem Fenster ins Freie und taucht in den See ein. Ohne ihm noch einmal zu begegnen, erkennt Ninienne, dass er zwar „außer Sinnen, aber glücklich“ ist (Friedrich 2003b). Mit Lancelots Wahnsinn – im mittelalterlichen Prätext Symptom eines prekären Selbstverlusts – scheint am Ende der Kammeroper Lancelots Spiegel das uto-
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pische Moment eines reflexionslosen Glückszustands auf, in dem das (männliche) Ich sich durch Selbstaufgabe den sozialen Festlegungen und Rollenzuschreibungen (durch weibliches Begehren) wirksam entziehen kann. Friedrich deutet den mittelalterlichen Romanhelden psychologisch; aber anders als beispielsweise Gerhart Hauptmann und Hans Pfitzner bei ihrer Bearbeitung des → Armen Heinrich von Hartmann von Aue geht es hier nicht darum, die befremdlichen Brüche und Widersprüche der mittelalterlichen Geschichte durch eine dem modernen Publikum stimmig erscheinende Subjektivität, Individualität und Entwicklung der Figur zu kitten. Im Gegenteil: Die für ihre Zeit durchaus modern anmutende, ambivalente Charakterzeichnung des mittelalterlichen Romanhelden wird von Friedrich zwar in moderne Psychologie übersetzt, zugleich aber im Rekurs auf die Archetypen-Lehre C.G. Jungs auch re-mythifiziert. Lancelot wird dabei zum exemplarisch-universalen ‚Jedermann‘, an dessen Stationenweg entlang die Konstitution des menschlichen – oder besser gesagt: des männlichen – Subjekts entfaltet wird. Musikdramatisch werden dabei Prägungen der Persönlichkeit durch das kollektive Unbewusste – insbesondere durch den ‚Mutter-Archetypus‘ – vorgestellt, der sich nach Jung unter anderem in der Figur der Stiefmutter sowie in den Motiven des Grabs und des tiefen Wassers konkretisieren kann. An der expressiv-dispersen musikalischen Faktur der Kammeroper wird diese Reihe von Einprägungen als zunehmende instrumentale Anreicherung und Verdichtung der mit Lancelot assoziierten Klangformen sinnlich mitvollziehbar. Auch musikalisch liegt es deshalb nahe, Lancelots glücklichen Wahnsinn am Ziel seiner Fluchtbewegung nicht lediglich negativ als radikalen Selbstentzug zu verstehen, sondern als Erfüllung.
II Historische Schichten Seine größte Chance, auf der Opernbühne zu reüssieren, hatte Lancelot im Frankreich der 1950er Jahre: Der Schriftsteller, Sänger und Jazzmusiker Boris Vian (1920–1959) war eingeladen worden, für das „Festival dramatique de Normandie“ ein großes Artus-Spektakel zu schreiben (Arnaud 1998, S. 14–16). Das dramatische Werk mit dem Titel Le Chevalier de Neige ou Les Aventures de Lancelot (Vian 1998a) präsentiert in einer Folge von dreißig Tableaus eine extensiv entwickelte Handlung, an der über dreißig Schauspieler sowie Hunderte von Musikern, Tänzern und Statisten beteiligt sind. Nachdem der Chevalier de Neige im August 1953 in höchst aufwendiger Inszenierung siebenmal mit großem Erfolg aufgeführt worden war, kam die Idee einer Opernversion für das Grand Théâtre de Nancy auf. Vian arbeitete daraufhin seinen Text in ein sehr viel knapperes dreiaktiges Libretto um (Vian 1998b); vertont wurde es von dem Milhaud-Schüler Georges Delerue (1925–1992),
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der bereits Bühnenmusik für das Spektakel in Caen geliefert hatte. Die Premiere am 31. Januar 1957 wurde mit Ovationen und enthusiastischen Kritiken gefeiert (Arnaud 1998, S. 27–28). Nachdem der damalige Direktor der Oper von Nancy, Marcel Lamy, 1959 die Leitung der Pariser Opéra Comique übernommen hatte, wollte er das erfolgreiche Werk auch dort auf die Bühne bringen. Dazu sollte die immerhin noch vierstündige Fassung von Nancy nochmals gekürzt werden. Die neue Version war innerhalb von neun Monaten fertiggestellt; die Proben dafür liefen bereits, als die Produktion wegen finanzieller Probleme abgesagt werden musste (ebd., S. 28–30). Vian starb noch im selben Jahr und geriet für längere Zeit in Vergessenheit. Delerue hingegen blieb bis zu seinem Tod 1992 produktiv und erlangte vor allem als Filmkomponist Berühmtheit; seine Lancelot-Oper konnte davon bisher aber nicht profitieren. Der erste Akt des Chevalier de Neige (Fassung von Nancy) beginnt mit der Ankunft des jungen, schneeweiß gekleideten Lancelot am Hof des Königs Artus. Dabei geraten er und Königin Guenièvre sofort in den Bann gegenseitiger Anziehung. Seine ersten Kämpfe bestreitet Lancelot im Dienst der Königin, erwirbt sich damit aber auch großes Ansehen am Artushof. Bei einem heimlichen Rendezvous gesteht er Guenièvre seine Liebe. Bald darauf wird er von Artus’ Schwester, der Magierin Morgane, entführt. Sie hält ihn in ihrem Zauberschloss gefangen, versucht vergeblich, ihn zu verführen, und überwältigt ihn schließlich mit magischen Mitteln. Währenddessen kehrt Guenièvre in sehnsüchtiger Erwartung des abwesenden Geliebten immer wieder an den Ort der ersten Liebesbegegnung zurück. An einem Herbstnachmittag schließlich erblickt sie ihn: Er hat Morgane entkommen können, wirkt aber erschöpft; sein Gewand ist zerrissen. Die Wiedervereinigung der Liebenden löst keinen Glückstaumel aus, sondern vollzieht sich in verhalten-melancholischer Zärtlichkeit. Zu Beginn des zweiten Akts beklagen Morganes Sohn Mordret und Agravain, der Bruder von Artus’ Neffen Gauvain, missmutig den Niedergang des Hofs und den Schaden, den er durch die ehebrecherische Liebe der Königin erfährt. Mordred beschuldigt Guenièvre vor Artus, doch der will ihm erst glauben, wenn er das Vergehen mit eigenen Augen sieht. Nach einem Turnier entdeckt Gauvain zufällig, dass Lancelot dort anscheinend im Dienst der jungen Passerose, Tochter des Herrn von Escalot, gekämpft hat. Damit ist in den Augen des Königs der ungeheure Verdacht gegen Lancelot und die Königin widerlegt; Guenièvre hingegen wird von Eifersucht und Wut auf die vermeintliche Nebenbuhlerin erfasst und ancelot ausrichten, sie wolle ihn nicht mehr sehen. Doch Lancelot hat lässt L dem Liebesverlangen Passeroses gar nicht nachgegeben; sie stirbt an unerfülltem Begehren. Als der Trauerzug mit ihrem Leichnam vor Artus’ Schloss vorbeizieht, klagen die begleitenden Mönche Passeroses hartherzigen Liebhaber an. Guenièvre erkennt den wahren Sachverhalt und will Lancelot zu sich zurück-
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holen. Morganes Eingreifen bewirkt nun die entscheidende Wende: In einem magischen Spiegel zeigt sie Artus die Szene des ersten Rendezvous zwischen Lancelot und der Königin. Der König sieht sich nun vor der höfischen Öffentlichkeit gezwungen, die Verletzung seiner Ehre zu ahnden, obwohl er in seinem Innern für beide immer noch Liebe und Mitleid empfindet. Es kommt zur Gerichtsverhandlung gegen die Königin. Sie bekennt öffentlich ihre Liebe zu Lancelot und erklärt zugleich, sie habe Artus nicht verraten, denn sie liebe ihn wie einen Vater oder Bruder, während ihr Liebe als „passion“ (II 9; Vian 1998b, S. 240) lediglich in der Beziehung zu Lancelot möglich sei. Als Artus sie zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt, wird ein Angriff Lancelots und seiner Leute gemeldet; im allgemeinen Durcheinander ermöglicht Gauvain der Königin die Flucht. Nach dem Kampf kommt es am Artushof zu einer letzten Begegnung zwischen dem König und Lancelot. Die beiden begegnen sich respektvoll, aber der Konflikt lässt sich nicht mehr beilegen. Gauvain, dessen Brüder im Kampf getötet wurden, drängt zum Krieg. So steht am Anfang des dritten Akts Lancelots Abschied vom Artushof und ein letzter Blickwechsel zwischen ihm und Guenièvre. Während Artus’ Kriegszug gegen Lancelot usurpiert Mordret, den der König für die Zeit seiner Abwesenheit als Stellvertreter eingesetzt hat, den Thron und will auch die Königin in seine Macht bringen. Guenièvre zieht sich in ein Kloster zurück, wo sie Christus bitter wegen ihres harten Schicksals anklagt. Der verborgene Gott, der für das Leid in der Welt verantwortlich ist, soll sein Gesicht zeigen: „Ah beau sire Jésus, montrez votre visage! Montrez l’indifference où vous nous tenez tous!“ (III 3; ebd., S. 249). Nachdem Artus mit seinen Truppen von den Kämpfen gegen Lancelot zurückgekehrt ist, beginnt der katastrophal selbstzerstörerische Krieg gegen Mordret, auf der Bühne hauptsächlich dargestellt als danse macabre geisterhafter Gestalten. Am Ende ist das Artusrittertum untergegangen; zuletzt ersticht Artus Mordret, wird dabei aber selbst tödlich verletzt. Während der König im Bühnenvordergrund stirbt, kann das Publikum in einer visionären Projektion beobachten, wie er in voller Rüstung ein goldenes Schiff besteigt, das über das Meer in die Ferne gleitet – eine entwirklichte Reminiszenz an das alte Motiv der Reise des todwunden Königs in das mythische Avalon, das die Hoffnung auf seine Wiederkehr impliziert. Eine letzte Szene zeigt Lancelot und Lionel, die sich aus dem ritterlichen Leben als Eremiten in gebirgige Einsamkeit zurückgezogen haben. Im Morgengrauen tritt, begleitet von einer Gauklertruppe (III 7: „baladins“; ebd., S. 254), der Zauberer Merlin auf, um Lancelot den Tod anzukündigen. Lancelot stirbt in Gedanken bei der Tafelrunde und bei Guenièvre. Auf den Bergeshöhen erscheinen Ritter, in der Mitte Artus und Guenièvre. Merlin bittet Christus darum, dass Lancelot in den Himmel aufgenommen werde. Wie zuvor schon die Vision von Artus’ Reise nach Avalon ist auch diese ‚Ritterdämmerung‘ keine strahlende arthurische Apotheose. Dass die Aussicht auf
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Wiederkehr bzw. Erlösung trügerisch sein könnte, ist schon durch die zentrale Präsenz der ambivalenten Figur → Merlins indiziert, dem in der Stofftradition eine dämonische oder teuflische Abkunft zugesprochen wird. Bis hin zu Tankred Dorst (Merlin oder Das wüste Land; Dorst 1985) kommt ihm mit seinen magischen und mantischen Fähigkeiten außerdem häufig die Rolle eines im Hintergrund von König Artus’ Regentschaft wirkenden spin doctor zu – und zugleich kann er dabei auch mehr oder weniger deutlich als Einspiegelung der auktorialen Instanz in die Erzählwelt erscheinen. Das ist auch bei Vian der Fall: Schon vor der ersten Szene der Oper wenden sich Merlin und die Gaukler in einer Art Bühnen-„Pro logue“ (Vian 1998b, S. 195–196) direkt an das Publikum und beginnen ‚auktorial‘ von der Liebe Lancelots und Guenièvres zu erzählen. Danach tritt Merlin bis zu seiner finalen Wiederkehr, die den Bogen des Geschehens schließt, kaum in Erscheinung. Umso markanter ist eine Solo-Szene ungefähr in der Mitte der Oper (II 5; ebd., S. 232–233), die im Handlungsgang den nicht szenisch dargestellten Tod Passeroses aus enttäuschter Liebe substituiert: Merlin beschwört in düsterapokalyptischen Bildern die ‚Zeit der Magie‘ („C’est le temps de la magie“; ebd., S. 232): Unter einem roten Himmel voller Ruß, unter einer schwarzen Sonne und bedroht vom Teufel ist Liebe die einzige Gegenkraft – aber sie ist zu schwach: Das Leben muss dem Sterben weichen. Merlin sieht dabei das Schicksal der Menschen in der Hand Christi, verbindet damit aber keine Hoffnung auf Erlösung. Er artikuliert auf diese Weise eine resignative Grundeinstellung der Oper insgesamt: Weder der arthurische Mythos noch der christliche Glaube können die Fatalität des Geschehens aufheben. Hinter dem Ende des Artusreichs durch kriegerische Selbstzerstörung wirkt insofern das Trauma der Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs nach. Auch für die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts kann man zwar vereinzelte Versuche – durchaus auch namhafter Komponisten – verzeichnen, Lancelot zur Hauptfigur einer Oper zu machen; aber entweder verschwanden die Werke nach der Premiere schnell wieder vom Spielplan (Courvoisier, Geiger-Kullmann, Donati) oder sie kamen gar nicht erst zur Aufführung: Isaac Albéniz (1860–1909) plante als zweites Stück seiner musikdramatischen Artus-Trilogie eine LancelotOper, die jedoch unvollendet blieb. Der bedeutende US-amerikanische Komponist Roger Sessions (1896–1985) stellte noch auf der High School als Vierzehnjähriger eine Oper Lancelot and Elaine fertig, die jedoch nie veröffentlicht wurde; und Gian Francesco Malipiero (1882–1973) zog 1916 seinen Lancelotto del lago, kurz nachdem er die Arbeit daran abgeschlossen hatte, aus dem Verkehr und hielt die Oper so wirksam unter Verschluss, dass sie völlig in Vergessenheit geriet, bevor die Partitur 1976 im Keller seines Hauses wieder aufgefunden wurde. Einer kurzen Notiz Malipieros auf der Titelseite kann man entnehmen, er habe das Werk nicht
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aus künstlerischen Gründen zurückgezogen, sondern weil er im Nachhinein entdeckt habe, was für ein gemeiner Übeltäter der Textautor (Alessandro De Stefani) sei (Waterhouse 1999, S. 112 und S. 115, Anm. 16): Gemeint ist damit offenbar das ehebrecherische Liebesverhältnis, das der Librettist ausgerechnet einer LancelotOper mit der ersten Ehefrau des Komponisten eingegangen war (ebd., S. 26). Die Lancelot-Opern des neunzehnten Jahrhunderts konzentrieren sich in der Mehrzahl auf eine ganz bestimmte Episode aus dem weiten Handlungskreis um Lancelot, nämlich auf die krisenhafte Komplikation seiner heimlichen Beziehung zu Ginover durch die Liebe der Jungfrau von Escalot, die von ihm abgewiesen wird und aus Kummer stirbt (vgl. entsprechend den Handlungsstrang um Passerose bei Boris Vian). Die Konjunktur dieser Episode als Opernstoff ist ein Epiphänomen ihrer breiten zeitgenössischen Popularität und der reichen literarischen wie bildkünstlerischen Rezeption ihrer Bearbeitung durch Alfred Lord Tennyson (1809–1892). Tennyson, einer der wichtigsten Autoren des viktorianischen Mediävalismus, hatte das Sujet gleich zweimal nach unterschiedlichen Quellen bearbeitet: zunächst in der bereits 1833 (und revidiert 1842) veröffentlichten Ballade The Lady of Shalott nach einer italienischen Novellenversion des dreizehnten Jahrhunderts (Tennyson 1929a), später dann als Teilkapitel „Elaine“ des (seit 1859 in verschiedenen Fassungen publizierten) arthurischen Zyklus The Idylls of the King nach der frühneuzeitlichen englischen Bearbeitung des Lancelot-Prosaromans durch Thomas Malory (Tennyson 1929b, S. 549–585). In dieser Version verstärkt Tennyson gegenüber den Prätexten deutlich die durch den Tod des Mädchens hervorgerufenen Zweifel Lancelots an seiner Liebe zu Ginover und an seiner eigenen ritterlichen Existenz: Am Ende sitzt er allein am Ufer eines Flusses und erkennt reuevoll, dass die einfache und vorbehaltlose Liebe des Mädchens der wechselhaften und oberflächlichen Leidenschaft der Königin überlegen war (ebd., S. 584–585). Auf Tennysons ‚Idylle‘ basieren unter anderem die Libretti der LancelotOpern von Charles Parry (entstanden 1884–1886), Ödön von Mihalovich (entstanden 1885–1887), Reinhold Ludwig Herman (UA 1891), Herman Bemberg (UA 1892), Victorin de Joncières (UA 1900), Roger Sessions (entstanden 1910), Walter Courvoisier (entstanden 1910–1912) und Antonio Lora (entstanden zwischen 1933 und 1947). In vielen Fällen hat allerdings weniger Tennysons differenzierte romantische Psychologisierung von Elaines Liebestod, von Guineveres Eifersucht und Lancelots Desillusionierung die Librettisten inspiriert, sondern eher das dramaturgisch hochwirksame Plot-Gerüst. So reichern etwa Édouard Blau und Louis Gallet in ihrem Text für den überzeugten Wagnerianer Joncières (1839–1903) das Geschehen mit Figuren und Handlungselementen aus anderen Prätexten an und rücken zugleich die Polarität zwischen den beiden Frauenfiguren behutsam der
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antithetischen Grundkonstellation des Tannhäuser (→ Dichter und Sänger) näher (Joncières 1899). Während dabei am Ende Lancelots Zweifel zu tragisch aussichtsloser Verlusterfahrung gesteigert sind, werden sie beispielsweise in der letzten Szene von Bembergs (1859–1931) „Opéra-Légende“ sogar zur Absage an Genièvre vereindeutigt: Lancelot erkennt schließlich in Elaine eine „créature celéste“ und verkündet – vom Des-Dur-Schlussakkord des Orchesters bekräftigt –, dass er im Himmel auf ewig mit ihr vereint sein wolle (Ferrier / Bemberg 1892, S. 277–278). Musikalische, szenische und strukturelle Annäherungen an Richard Wagner sind selbstverständlich schon vor Joncières zu finden, etwa bei Theodor Hentschel, Charles Parry (vgl. Dibble 2002) und Ödön von Mihalovich. Bemerkenswert eklektisch mutet in dieser Hinsicht Hermans „Heroische Oper“ Lanzelot an, wo der Liebeskasus von Tennysons ‚Idyll‘ mit einer durch den Krieg der Artusritter gegen die Sachsen motivierten Verräter-Intrige kombiniert wird: Schon zu Beginn verabredet sich der Artus stets unterlegene Sachsenkönig Childerich mit Artus’ Neffen Medraud zum Mordanschlag auf Lanzelot, den gefährlichsten Krieger des Feindes. Medraud sieht gute Chancen für das Gelingen des Anschlags, denn – anders als bei Siegfried – habe „[k]ein Drachenborn“ Lanzelot „gefestet die Haut zu Horn“ (Herman 1891, S. 6). Tatsächlich wird Lanzelot im letzten Akt während eines Überfalls der Sachsen auf Artus’ Burg Carleon von Childerich hinterrücks mit einem Speer durchbohrt und stirbt in Gunivars Armen. Nachdem im Lauf der Handlung die Liebe zwischen Lanzelot und Gunivar einerseits in die Nähe der absoluten Tristan-Liebe gerückt (vgl. bes. das Liebesduett in III 2; ebd., S. 39 f.: „Trinke mein Leben, / Laß deines mich trinken!“), andererseits aber nach dem Muster des Tannhäuser im Kontrast zur reinen und selbstlosen Liebe Elaines als sündhafte abgewertet worden ist, sind am Ende alle Ambivalenzen im Horizont des ewigen Heils und des unvergänglichen Heldentums aufgehoben: Lanzelot bekennt sich in seinen letzten Worten „[d]em König treu, treu meinem Gott“ (ebd., S. 48); Gunivar bereut ihre Schuld an Elaines ebenso wie an Lanzelots Tod und geht zur Buße ins Kloster. Die älteste nachweislich aufgeführte Lancelot-Oper (UA 1878) stammt von dem Bremer Kapellmeister Theodor Hentschel (1830–1892). Das Libretto des Literaten und Regisseurs Franz Bittong ist noch ohne Bezug zu Tennysons ‚Idylle‘. Ähnlich wie Wagner will auch Bittong im Rückgriff auf aktuelles philologisches Wissen hinter die verfügbaren literarischen Verarbeitungen gelangen, um sich dem bretonischen mythischen Grund des Stoffs anzunähern. Das ist an der Oberfläche des Texts nicht nur durch die bretonische Form einiger Figurennamen (Genhyvar, Geraint, Llywarch-Hen; Bittong 1878, S. 3), die Bezeichnung der Fee Viviane als „Korrigan“ (ebd.) und den altbretonischen Schlachtruf „Déomp“ der Artusritter
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indiziert (III 3; ebd., S. 42), sondern auch durch einmontierte einschlägige Textzitate, die in Fußnoten nachgewiesen werden (ebd., S. 44 f. und 53). Dies geht wie auch Artus’ Titulierung als König von Cambria (lat. für Wales; ebd., S. 27) vermutlich auf die Schriften San-Martes und auf dessen (bald widerlegte) These vom walisischen Ursprung der arthurischen Erzähltradition zurück (San-Marte 1842, S. 1–95, und zum Lancelot-Stoff ders. 1847, S. 93–105). Die Handlung ist dementsprechend von mythischen Motiven geprägt: Sie beginnt am See von Barandon im Wald Breceliande, wo Viviane mit ihren Elfen wohnt. Bittong macht sie gegen die literarische Tradition zu Lancelots Mutter – und Merlin zu dessen Vater. In Lancelots Einleitungsarie klingt Siegfrieds Wald seligkeit nach, versetzt mit einer Prise Tristan („Höchste Lust, – / Unnennbar Weh“; Bittong 1878, S. 5). Damit wird einerseits die naturmystische „Gottesnäh’“ (ebd.) des Ortes exponiert und andererseits die schicksalhafte Liebe Lancelots zu Genhyvar. Artus mit seinen Gefährten tritt auf; er überredet Lancelot, der eigentlich zum Graal aufbrechen wollte, am nächsten Tag zuvor noch an seiner Hochzeit auf der Burg Karadigan teilzunehmen. Obwohl Viviane ihren Sohn davor warnt und seinen Tod voraussieht, nimmt Lancelot die Einladung an. Den Abschluss des ersten Aufzugs bildet eine Begegnung Lancelots mit Genhyvar, die ihn zwar liebt, aber gegen ihre eigene Neigung abweist, weil ihr Vater sie bereits einem anderen versprochen hat. Dass es sich dabei um Artus handelt, erfährt Lancelot erst ochzeitsfests (zweiter Aufzug): Die Entdeckung bringt ihn an den während des H Rand des Wahnsinns; und als Artus ihn auffordert, seine Schwester Morgane zur Frau zu nehmen, lehnt er das in aller Öffentlichkeit brüsk ab. Trotz des Eklats verzeiht Artus Lancelot zu Beginn des dritten Aufzugs: Er darf unbehelligt fortziehen und könnte, wenn sein Herz „in fernem Land […] Genesung“ gefunden hat (ebd., S. 40), Morgane doch noch heiraten. Einige Zeit später will der König vor versammelter Tafelrunde eine Tugendprobe mit einem Trinkhorn durchführen: Merlin hat es so verzaubert, dass kein Mann daraus trinken kann, dessen Frau auch nur in Gedanken untreu war. Als Modred, der über Genhyvars heimliche Liebe zu Lancelot Bescheid weiß, seinen Onkel Artus fürsorglich an der Probe hindern will, kommt es zum Streit zwischen den beiden. Ein Zweikampf soll entscheiden. Artus reicht dem Gegner dazu sein eigenes Schwert, das eigentlich Excalibur heißen müsste, von Bittong aber auf den Namen „Kurwenal“ (ebd., S. 47) umgetauft wird: Erneut wird damit die Tristan-Konstellation als Folie des Konflikts aufgerufen. Modred, der sich nur widerstrebend auf den Kampf e ingelassen hat, tötet den König mit dessen eigener Waffe. Zu spät kehrt nun Lancelot zurück, der inzwischen beim Graal war und von dort zu Artus’ Rettung ausgesandt worden ist. Er fordert seinerseits Modred für Mitternacht am See von Barandon zum Zweikampf. Damit kehrt das Geschehen zu Beginn des vierten und letzten Aufzugs dorthin ancelot und zurück, wo es begonnen hatte. Im nächtlichen Kampf fügen sich L
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Modred gegenseitig tödliche Wunden zu. Nachdem Genhyvar mit den Artusrittern herbeigeeilt ist, bekennt sie dem sterbenden Lanzelot öffentlich und vor Gott ihre Liebe. Von dieser glücklichen Wendung überrascht, erinnert sich Lanzelot an einen magisch heilkräftigen Ring seiner Mutter, der ihn ins Leben zurückbringen könnte – verzichtet dann aber bewusst auf die Rettung, um nicht feige und ehrlos zu erscheinen. Unter Sturm, Donner und Blitzen erscheint die Fee Viviane und verkündet, dass ihr Sohn vor Gott Gnade gefunden habe: Er darf „[u]nsterblich, doch den Sterblichen entrückt“ in die Graalsburg Montsalvat „in Indiens milder Sonnen“ einziehen (ebd., S. 58). Genhyvar stirbt. Nach einer Verwandlung zeigt die letzte Szene „eine feenhafte, tropische Landschaft“ (Bittong / Hentschel, S. 309) mit der Burg Montsalvat, auf der Lanzelot von Parcival, Artus und anderen Graalsrittern empfangen wird. Die Liebe zwischen Lancelot und Genhyvar, die durch gravierende Manipulationen des überlieferten Plots ohnehin schon vom Ehebruchsskandal auf moral- und rechtskonforme Entsagung reduziert ist, wird außerdem noch in einen doppelten Ordnungsrahmen aus naturmythischer Schicksalsmacht (Viviane) und christlicher Religion eingebunden. Dabei erweist sich am Ende zwar die Überlegenheit des christlichen Gottes über die naturmagischen Kräfte der „Karrigan“, aber die christliche Transzendenzvorstellung wird im Gegenzug selbst durch das diesseitige, wenn auch exotisch-unzugängliche Zwischenreich des Graalskönigtums mythisiert. Ähnlich wie bei Hentschel und Bittong wird auch im frühesten überlieferten Lancelot-Operntext der Ehebruch aus der Liebesintrige entfernt und der Protagonist zum Helden tugendhafter Selbstdisziplin und Entsagung stilisiert. Der Schriftsteller und Übersetzer Adolf Böttger (1815–1870) hatte im Rahmen seiner Historien der Liebe (1860) eine „Dichtung für Musik“ Lanzelot vom See veröffentlicht, versehen mit der Anmerkung, „Capellmeister E. Büchner“ – nämlich Adolf Emil Büchner (1826–1908), der zwischen 1865 und 1880 die Meininger Hofkapelle leitete – habe bereits Musik dazu geschrieben (Böttger 1860, S. 112). Tatsächlich ist schon für 1856 die Aufführung der Ouvertüre nachweisbar (Neue Berliner Musikzeitung 19 [7. Mai 1856], S. 149). Belege für eine Premiere des ganzen Werks fehlen jedoch; Hugo Riemanns Opern-Handbuch vermerkt 1887, die Oper sei noch „unaufgeführt“ (Riemann 1887, S. 271). Böttgers „Dichtung“ destilliert aus der Geschichte Lanzelots ein Konzentrat aus drei Akten: Im ersten wird die Ankunft des jungen Lanzelot am Artushof, der Beginn seiner Liebe zu Ginevra und der Aufbruch zu ersten ritterlichen Taten gezeigt. Der zweite Akt entwickelt den Liebeskonflikt, wobei dem Dreieck Artus – Ginevra – Lanzelot einerseits noch Morgane (hier eine Gesandte der Viviane) hinzugefügt ist, die Lancelot liebt, andererseits der Paladin Gallehalt und die Hofdame Madelon als ‚zweites Paar‘, das konventionelle Helferfunktionen erfüllt
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und dessen erotisch und komisch gefärbte Liebesbeziehung die ‚reine‘ und ernste Liebe des ‚ersten Paars‘ kontrastiv akzentuiert. Im dritten Akt erwartet Ginevra, an einen Pfahl gebunden, bereits der Feuertod wegen der falschen Anschuldigung des Ehebruchs, als Lanzelot noch rechtzeitig eintrifft und die Reinheit seiner Liebe zu ihr beteuert. Artus lässt sich nicht überzeugen; es kommt zum Zweikampf zwischen den beiden, der für Lanzelot tödlich endet. Sterbend führt er Artus und Ginevra wieder zusammen. Der Schlusschor feiert seinen Edelmut: „Tugend heißt sich selbst bezwingen, / Höchster Muth liegt nur im Ringen, / Im Entsagen liegt die Kraft!“ (Böttger 1860, S. 166). Anders als fast alle späteren Opern basiert Böttgers Text weder auf indirekter Rezeption des Stoffs über (früh)neuzeitliche Literarisierungen (Malory, Tennyson) noch bereits auf dessen philologischer Aufbereitung wie bei Bittong. Er knüpft vielmehr an einen direkt vom mittelalterlichen Prosa-Roman ausgehenden ‚subliterarischen‘ Traditionsstrang an: Vorlage des dramatischen Destillats ist eine „Rittergeschichte“ von Gustav Jördens (1822), der vor allem in Unterhaltungsblättern, Zeitschriften und Almanachen publiziert hat. Böttger nutzt nur wenige ausgewählte Kapitel, vereinfacht die Handlung stark und beseitigt dabei die in der Vorlage durchaus noch vorhandene Ambivalenz einer erotischen Ehebruchsliebe. Jördens’ Erzählung wiederum geht hauptsächlich wohl auf eine Regeste des mittelalterlichen Romans zurück, die bereits 1779 im dritten Band der von Heinrich August Ottokar Reichard herausgegebenen Bibliothek der Romane erschienen ist. Der äußerst voluminöse Lancelot-Prosaroman wird hier auf gut 40 Oktavseiten in seinen allerwichtigsten Zügen zusammengefasst, versetzt mit einzelnen Zitatpassagen, in denen offenbar eine Version des mittelalterlichen französischen Romantextes wörtlich übersetzt wird. Noch vor dem mittelalterlichen Prosaroman wird der Lancelot-Stoff durch einen Versroman Chrétiens de Troyes schriftliterarisch manifest: Der um 1170 entstandene Chevalier de la charrette exponiert bereits das dilemmatische Liebesdreieck zwischen dem Königspaar und dem besten Ritter der Tafelrunde. Nur wenige Jahrzehnte später entsteht dann der französische Lancelot en prose, der nicht nur die Geschicke des Helden zu einer vollständigen Biographie erweitert, sondern diese auch noch in eine Gesamtchronik des Artusreichs einbettet und durch die Integration des Gralsstoffs vor einen heilsgeschichtlichen Horizont rückt. Der prekäre Kern der höfisch idealen, aber ehebrecherischen Liebe wird dabei zum einen handlungs rtusrittertums verknüpft, logisch mit der katastrophalen Selbstzerstörung des A zum andern moralisch abgewertet – ihre Ambivalenz bleibt gleichwohl durch die hochgradig komplexe Erzählweise des Romans erhalten. Anders wäre der breite und andauernde Erfolg dieses monumentalen Erzählwerks kaum zu erklären: Die ursprüngliche Trilogie (Lancelot propre – Queste del Saint Graal – Mort le Roi Artu)
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wird schon bald durch vorgeschaltete Teile (Estoire del Saint Graal – Estoire de Merlin) zum Lancelot-Gral-Zyklus erweitert. Dutzende von Manuskripten, dann auch eine Reihe von Drucken überliefern den Roman kontinuierlich vom dreizehnten bis zum beginnenden sechzehnten Jahrhundert; vielfältige Varianten entstehen durch Bearbeitungen, Kompilationen und durch Kontamination mit anderen höfisch-ritterlichen Stoffen. Schon im Mittelalter weitet sich die Rezeption durch Ausläufer in mehrere europäische Literaturen aus. Während sich allerdings im Bereich der deutschen Literatur – abgesehen von der isoliert bleibenden Sujetvariante bei Ulrich von Zatzikhoven (Lanzelet, entstanden nach 1194) und vereinzelten Projekten zur Übersetzung des Prosaromans – kein selbstständiger Traditionszusammenhang ausbildet (Steinhoff 2003), führt die kontinuierliche angelsächsische Rezeption, vermittelt insbesondere über die im späten fünfzehnten Jahrhundert gedruckte Bearbeitung von Thomas Malory (Morte Darthur; Cooper 2003) den Stoff bis in die Moderne und in die populäre Kultur der Gegenwart (Dover 2003).
III Werkliste Lanzelot vom See „Dichtung für Musik“ Musik Adolf Emil Büchner
Text Adolf Böttger
Lancelot du Lac „Drame musical en trois actes et cinq tableaux“ Musik Text Augusta Mary Anne Holmès Augusta Mary Anne Holmès
Uraufführung 1856 [nur Ouvertüre]
Entstehung um 1870/75 [unveröffentlichtes Manuskript]
Lancelot „Oper in vier Aufzügen“ Musik Theodor Hentschel
Text Franz Bittong
Uraufführung 30.10.1878, Bremen
Guenever Oper Musik Charles Hubert Hastings Parry
Text Una Taylor
Entstehung 1884–1886
Eliane „Dichtung in drei Akten nach Tennyson’s Königs-Idyllen“ Musik Text Ödön Péter József von Mihalovich Hans Herrig
Uraufführung 16.2.1908, Budapest [Entstehung: 1885–1887]
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Guinevere, or Love Laughs at Law Komische Oper Musik Harry Thomas Pringuer
Text Stanley Stevens
Entstehung 1889
Lanzelot „Heroische Oper in drei Aufzügen“ Musik Reinhold Ludwig Herman
Text Ernst Wolfram
Uraufführung 25.10.1891, Braunschweig
Elaine „Opéra-Légende en 4 actes et 6 tableaux“ Musik Text Herman Bemberg Paul Raoul Michel Marie Ferrier Lancelot du Lac „Drame lyrique en quatre actes et six tableaux“ Musik Text Victorin de Joncières [d. i. FélixÉdouard Blau, Louis Gallet Ludger Rossignol] Launcelot Oper in 3 Akten Musik Isaac Manuel Francisco Albéniz
Uraufführung 5.7.1892, London
Uraufführung 7.2.1900, Paris
Text Francis Burdett MoneyCoutts
Entstehung 1902–1903 [Fragment]
Text Roger Huntington Sessions
Entstehung 1910
Text Walter Bergh [d. i. Berta Thiersch]
Uraufführung 3.11.1917, München [Entstehung: 1910–1912]
Lancelotto del lago Oper in einem Prolog und 3 Akten Musik Gian Francesco Malipiero
Text Alessandro De Stefani
Entstehung 1914–1915
Launcelot and Elaine Oper in 3 Akten Musik Antonio Lora
Text Josephine Fetter Royle
Entstehung ca. 1933–1947
Lancelot and Elaine Oper Musik Roger Huntington Sessions Lanzelot und Elaine „Musikdrama in vier Aufzügen“ Musik Walter Courvoisier
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Ritter Lancelot vom See Oper in drei Akten (5 Bildern) Musik Rosy Auguste Geiger-Kullmann Lancillotto del Lago „Tre atti e sei quadri“ Musik Pino Donati Le Chevalier de Neige „Opéra en trois actes“ Musik Georges Delerue
Text Rosy Auguste Geiger-Kullmann
Uraufführung [partiell] 1936, Frankfurt am Main
Text Arturo Rossato
Uraufführung Oktober 1938, Bergamo
Text Boris Vian
Uraufführung 31.1.1957, Nancy
Lancelot „Oper in einem Akt und fünf Szenen“ Musik Text Luboš Fišer Luboš Fišer, Eva Bezděková
Uraufführung 19.5.1961, Prag
Lanceloot en Sanderien Oper Musik Renaat Veremans
Text Joris Diels
Uraufführung 13.9.1968, Antwerpen
Lanzelot „Oper in 15 Bildern“ Musik Paul Dessau
Text Heiner Müller
Uraufführung 19.12.1969, Ost-Berlin
Lancelot Opera in Two Acts Musik Iain Ellis Hamilton
Text Iain Ellis Hamilton
Uraufführung 24.8.1985, Tilting Yard at Arundel Castle
Guinevere Opera Musik Julius Penson Williams
Text Anita H. Rosenau
Uraufführung 1989, Aspen Music Festival
Lancelots Spiegel „Kammeroper“ Musik Burkhard Friedrich
Text Burkhard Friedrich
Uraufführung 19.11.2003, Graz
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Sir Lanzelot vom See „Dramatische Oper in 4 Akten“ Musik Katharina Jing An Gebauer
Text [?]
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Uraufführung [partiell] 8.7.2004, Zürich
Lohengrin Elke Ukena-Best I Präsenz des Sujets Die älteste und die jüngste musiktheatrale Umsetzung des Sujets – Richard Wagners Lohengrin und Salvatore Sciarrinos Lohengrin – sind im Repertoire gegenwärtiger Spielpläne vertreten. Durch Wagners Lohengrin ist der mittelalterliche Lohengrinstoff in das neuzeitliche Musiktheater gelangt. Erzähltypus, Handlungsgerüst, Personal, zentrale wie periphere Motive und mittelalterlichhistorische Realien entnahm Wagner in direkter oder sekundärer Rezeption verschiedenen Quellentexten des Mittelalters, die er im Konzept einer neuen, in sich geschlossenen, dramaturgisch stringenten Opernhandlung zusammenführte. Das Sujet lernte er während seines Paris-Aufenthalts 1842 kennen, wo ihm Samuel Lehrs die 1838 von C.T.L. Lucas verfasste Nacherzählung des mittelalterlichen Lohengrin-Romans zugänglich machte. Den im Faktischen alles Wesentliche enthaltenden Prosaentwurf schloss er am 3. August 1845 in Marienbad ab. Nach Fertigstellung der dramatischen Dichtung und der mehrfach unterbrochenen Komposition fand am 28. August 1850 unter der Leitung von Franz Liszt die Uraufführung am Hoftheater in Weimar statt. Wagner, der sich wegen seiner Beteiligung an der gescheiterten Dresdner Mairevolution seit 1849 im Schweizer Exil befand, konnte sein Werk erstmals 1861 in Wien auf der Bühne erleben. Die dreiaktige Handlung spielt während der Regierungszeit des ostfränkischen Königs Heinrich I. (des „Voglers“) in der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts in und bei Antwerpen am Ufer der Schelde im Herzogtum Brabant. König Heinrich ist mit dem sächsischen Heerbann gekommen, um Krieger für den Feldzug gegen die Ungarn aufzubieten und sein Richteramt auszuüben. Graf Friedrich von Telramund klagt Elsa von Brabant des Mordes an ihrem Bruder Gottfried, dem Thronerben, sowie „[g]eheimer Buhlschaft“ an (Wagner 2001, I 1, S. 10) und beansprucht selbst die Herrschaft. Da Elsa zu dem Vorwurf schweigt, beruft der König ein Gottesgericht ein. Als ihren Streiter benennt Elsa einen ihr nach inständigem Bittgebet in einer Traumvision erschienenen gottgesandten Ritter, dem sie Landesherrschaft und Heirat bietet. Das Wunder geschieht, der Ritter landet in einem Nachen, den ein Schwan mit goldener Kette zieht, am Ufer der Schelde. Vor dem Kampf stimmt Elsa seiner Bedingung zu, ihn niemals nach Herkunft, Namen und Abstammung zu fragen. Sein Sieg über Telramund erweist Elsas Unschuld; der König erhebt ihn zum „Schützer von Brabant“ (II 3, S. 42). Telramund behält das Leben, doch legt der König ihn „in Bann und Acht“ (ebd.). Telramunds Ehefrau Ortrud, zauberkundige Tochter des heidnischen Friesenfürsten Radbod, die ihren https://doi.org/10.1515/9783110424089-023
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Gatten zu der Anklage angestiftet hatte, verfolgt nun eine alles weitere Geschehen steuernde Rachestrategie. Während sie bei Elsa scheinheilig im Zwiegespräch und provozierend während des Kirchgangs vor dem Münster Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Fremden schürt, beschuldigt Telramund ihn öffentlich des Zaubers und verlangt die Preisgabe seiner Identität. Der Versuch, Elsa für Ortruds Zauberritual des ‚Fleischraubes‘ zu gewinnen, wonach das Entreißen eines kleinen Stückes Fleisch aus dem Körper des Betroffenen das Verschwiegene aufdeckt und ihn in dauerhafter Treue fesselt, löst bei Elsa abwehrendes Entsetzen aus. Zur Katastrophe kommt es in der Hochzeitsnacht im Brautgemach. Gerade hat Elsa die verbotene Frage gestellt, als Telramund eindringt, um den ‚Fleischraub‘ zu begehen. Der Ritter erschlägt den Angreifer und lässt seine Leiche am nächsten Morgen vor den König bringen. In Anwesenheit Elsas entdeckt er sein Geheimnis: Er ist Mitglied jenes Ritterordens, der auf der Burg Monsalvat den heiligen Gral hütet, und wurde von dort als „Streiter für der Tugend Recht“ ausgesandt (III 3, S. 82). Seine „heil’ge Kraft“ bleibt ihm erhalten (ebd.), solange seine Herkunft verborgen bleibt. Wird sie bekannt, verlangt das Gralsgebot die sofortige Rückkehr. „Nam’ und Art“ preisgebend, verkündet er: „[M]ein Vater Parzival trägt seine Krone, – / sein Ritter ich – bin Lohengrin genannt“ (ebd., S. 81 f.). Elsas Flehen kann ihn nicht zurückhalten, vom Gral nähert sich bereits der Schwan mit dem Nachen. Plötzlich tritt Ortrud vor, bekennt, mit ihrer Zauberkunst Elsas Bruder Gottfried in den Schwan verwandelt zu haben, und bejubelt Lohengrins Weggang als Rachewerk ihrer Götter. Lohengrin „sinkt […] zu einem stummen Gebet feierlich auf die Kniee“ (ebd., S. 88). Da erscheint eine himmlische Taube und wirkt das göttliche Wunder der Rückverwandlung des Schwans in den rechtmäßigen Thronerben von Brabant. In dem nun von der Taube gezogenen Nachen verlässt Lohengrin das Land. Ortrud bricht mit einem Schrei zusammen, Elsa stirbt in Gottfrieds Armen. Als eines der meistgespielten Werke Wagners gehört Lohengrin zum Standardrepertoire in- und ausländischer Opernhäuser und seit 1894 zu den Aufführungen der Bayreuther Wagner-Festspiele. Eine wechselvolle Inszenierungsgeschichte führt in die Gegenwart des modernen Regietheaters, dessen heterogene Konzeptionen nicht selten auf Kosten der Liebeshandlung den politisch-historischen Teilaspekt des Stücks ins Zentrum aktualisierender Interpretationen stellen. Die Kammeroper Lohengrin des sizilianischen Avantgarde-Komponisten Salvatore Sciarrino, der selbst auch das Libretto verfasste, wurde am 15. Januar 1983 unter seiner musikalischen Leitung an der Piccola Scala in Mailand uraufgeführt. Eine bearbeitete, seither gültige Fassung erlebte, wiederum von Sciarrino dirigiert, am 15. September 1984 in Catanzaro, Spiazzo del Sole, ihre Uraufführung. Eine weitere (inhaltlich nicht veränderte) Fassung mit dem Titel Lohengrin II. Disegno
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per un giardino sonoro (Entwürfe für einen Klanggarten) entstand als Auftragswerk für das Ravello Festival; sie wurde 2004 im Garten der Villa Rufolo unter der Klangregie des Komponisten aufgeführt. Als einaktiges Monodrama wird Sciarrinos „azione invisibile per solista, strumenti et voci“ (unsichtbare Handlung für Solistin, Instrumente und Stimmen) in vier Szenen mit Prolog und Epilog von der Figur der Elsa getragen. Situative Grundlage des Stücks ist die im Lohengrinstoff zentrale Szene der unglücklich verlaufenden Hochzeitsnacht, in der sich die Wendung zum tragischen Ende der Liebe zwischen Elsa und Lohengrin vollzieht. Sciarrino gestaltet die „azione invisibile“ als Monolog einer bruchstückhaften Rekapitulation des für Elsa traumatischen Geschehens. Die Erinnerungsmotive bezieht er aus einer die Lohengrin-Version Wagners parodierenden Lohengrin-Erzählung von Jules Laforgue (Lohengrin, fils de Parsifal, 1886), die das Geschehen in eine aus Elementen der römischen und griechischen Mythologie konstruierte Frühzeit des antiken Vestakultes verlegt: Elsa, eine der Unkeuschheit beschuldigte Vestalin, wird vor dem Tribunal der Hohenpriester durch die Heiratszusage des auf einem Schwan über das Meer gekommenen Ritters Lohengrin vor der Strafe der Blendung und Verstoßung gerettet. Die Hochzeitsnacht scheitert nicht an der Durchbrechung des Frageverbotes (Lohengrin hatte sich mit Namen und Abstammung vorgestellt), sondern an Lohengrins Verweigerung des von Elsa nachdrücklich begehrten körperlichen Vollzugs der Ehe, die er mit Abscheu vor ihren mageren Hüften begründet. Lohengrin verlässt Elsa, indem er mit seinem zum Schwan mutierenden Kopfkissen abschiedslos durch das Fenster davonfliegt. In chronologischer Umkehrung richtet Sciarrinos Elsa ihre rememorativen Gedanken zuerst auf die in der gartenumsäumten Hochzeitsvilla verbrachte, mit Lohengrins Flucht endende Hochzeitsnacht, dann auf das am Ufer des Meeres gehaltene Tribunal und Lohengrins Ankunft (Spini 2005, S. 7). Der Epilog enthüllt, dass Elsa Insassin einer Heilanstalt ist. Die deutsche Erstaufführung fand 1993 im Forum der Bundeskunsthalle in Bonn statt, diejenige in Österreich 2005 bei den Tiroler Festspielen in Erl (Landesmusikschule Kufstein). In jüngerer Zeit wurde das erfolgreiche Stück z. B. 2013 in Weimar (Weimarer E-Werk) und 2014 in Berlin (Staatsoper im Schillertheater) gespielt, jeweils inszeniert und dirigiert vom Komponisten. 2017 stand es als Koproduktion auf den Spielplänen der Salzburger Osterfestspiele (Große Aula der Universität Salzburg) und der Semperoper Dresden (Semper Zwei). Dieselbe Produktion gastierte auch am 10. Mai 2018 im Rahmen des Internationalen Musikfests in der Hamburger Elbphilharmonie – wie bereits in Salzburg und Dresden getragen von Sarah Maria Sun in der Rolle der Elsa. Unter der Leitung von Yannis Pouspourikas war Sciarrinos Lohengrin im Dezember 2018 in Biel und Solothurn zu sehen.
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II Historische Schichten Salvatore Sciarrino (geb. 1947 in Palermo) ist einer der produktivsten und meistgespielten Komponisten der zeitgenössischen Avantgarde. Seine musiktheatralen Werke haben sich im Repertoire großer und kleinerer Bühnen fest etabliert. Im breiten Spektrum des modernen experimentellen Musiktheaters lassen sie sich dem „auf das frühe 20. Jahrhundert zurückgehende[n] musiktheatrale[n] psychologische[n] Kammerspiel“ zuordnen, das bei Bewahrung weniger narrativer Grundelemente „das Innenleben der Personen in den Vordergrund rückt“ (Utz 2016, S. 413), wie es mit Arnold Schönbergs melodramatischen Werken Erwartung (UA 1924) und Pierrot lunaire (UA 1912) begründet wurde. Charakteristisch für Sciarrinos Libretti ist die stark gestraffte, oft fragmentierte Handlung ohne linearen Verlauf mit kleinem, psychologisch scharf konturierten Figurenensemble in existentiellen Extremsituationen. Zugespitzt findet sich dieses Konzept im Lohengrin, dem wahnhaften Erinnerungsmonolog der verlassenen Elsa. Alle Rollenprofile der zu Wort kommenden Personen und Instanzen werden von Elsas Gesangs- und Sprechstimme performiert. Sie gibt das Hochzeitsnacht-Gespräch mit Lohengrin wieder, Passagen der Anklage und des Richtspruchs, die bedrohlich wiederholten und variierten „Elsa!“-Rufe des Hohenpriesters und der Menschenmenge beim Tribunal, kurze narrative Einschübe im Berichtstil sowie den in die Tribunalszene eingelassenen, proleptisch auf die Heilanstalt weisenden Redewechsel mit einer Person, die Elsa Medizin verabreicht. Sciarrinos Textquelle, die Erzählung Lohengrin, fils de Parsifal des französischen Symbolisten Jules Laforgue (1860–1887), wurde zuerst 1886 in der literarischen Zeitschrift La Vogue publiziert, ein Jahr später als Teil von Laforgues Moralités légendaires. In den Erzählungen des posthum erschienenen Bandes werden prominente Stoffe und Vorlagen aus Bibel, Legende, Mythologie und Literatur durch parodistische Verfremdung ihrer Handlungsträger entheroisiert, zugleich aber auch in der geistig-literarischen Sphäre des Fin de Siècle reinterpretiert – besonders unter Einfluss der von Eduard von Hartmann entwickelten, psychoanalytische Vorstellungen antizipierenden Philosophie des Unbewußten (1869; Ley 1981, S. 195 f.). Schon der Titel annonciert den intertextuellen Rekurs auf Richard Wagners Werk, dem Laforgue seine stofflich und motivlich umgeformte, das Sujet durch Ironie, Anachronismen, Profanisierung des Erhabenen, Sprachwitz und Frivolitäten banalisierende Version zur Seite stellt. Sciarrino extrahiert aus dem Prätext nahezu wortgenau Sätze und Gesprächsteile, die er oft unverbunden, auch bruchstückhaft aufeinander folgen lässt, wodurch Elsas assoziativ-sprunghaftes Denken zum Ausdruck kommt. Im Gegensatz zu Laforgue aber behandelt Sciarrino, wenn er die Seelenqual seiner verstörten Protagonistin auf
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die Bühne bringt, das Sujet grundlegend ernsthaft. Elemente der Parodie, die als grotesk-komische Motive für Laforgues Lohengrin konstituierend sind (wie Elsas magere Hüften als Zurückweisungsgrund, die Verwandlung des Kopfkissens in den Schwan, Lohengrins Schmähung der Hochzeitsvilla als stinkendes Massengrab oder Elsas Verlangen nach einem Spiegel vor dem drohenden Vollzug der Blendung), werden von Sciarrino konsequent entkomisiert, da er sie als Realisationskomponenten von Elsas alptraumhaften Imaginationen einsetzt. Durch die Umkehrung der Ereignisfolge in Elsas Erinnerung ist das Warten auf ihren traumvisionär schon gegenwärtigen Nothelfer Thema der Schlussszene. Hier erscheint ihr der Geliebte als Ephebe, der in stolzem Habitus den glanzvollen Schwan reitet. Sein Anblick versetzt sie in höchste Euphorie, und so scheint in der wunderbaren Lichtgestalt die erste Ankunft Lohengrins als Retter mit der ersehnten Wiederkehr nach seiner Flucht zu verschmelzen. Der Epilog im Krankenzimmer lässt Elsa – offenbar sediert durch das verabreichte Medikament – als Nachhall der Hochzeit mit Lohengrin die vielstimmigen Glocken hören und die weiße Wäsche wahrnehmen, die in ihr nun keine angstvollen Reminiszenzen an Lohengrins weißes Schwanen-Kopfkissen, sondern Freude hervorruft. Wenngleich im Sujet selbst enthalten, bleibt die mittelalterliche Herkunft des Lohengrinstoffs in Sciarrinos enthistorisierter und zeitenthobener „azione invisibile“ ausgeblendet. Lohengrin ist als Person nicht mehr präsent; in Elsas traumatisch verwirrter Vorstellungwelt wurde der einstige, bei Laforgue noch mit Harnisch auftretende Gralsritter zu einem narzisshaft ephebischen, liebesunwilligen Jüngling numinoser Herkunft transformiert. Bei den beiden im gegenwärtigen Musiktheater nicht mehr populären, ursprünglich aber erfolgreichen Aktualisierungen des Lohengrinsujets handelt es sich um etwa zeitgleich entstandene komische Operetten, mit denen sehr unterschiedliche Zeugnisse der zeitaktuell-parodistischen Reaktion auf Wagners musikdramatische Werke vorliegen. Edmond Audran (1842–1901), ein zu seiner Zeit geschätzter, überaus produktiver Operettenkomponist, steht in der Nachfolge von Jacques Offenbach (1819–1880). Sein Monsieur Lohengrin wurde am 30. November 1896 in dem von Offenbach 1855 eröffneten Théatre des Bouffes-Parisiens uraufgeführt. Nachdem Wagners Lohengrin erstmals 1891 an der Pariser Opéra – begleitet von schweren Protesten der revanchistischen Gegner – gespielt worden war, hatte das Werk mit vielen Folgeaufführungen im Pariser Musikleben so große Prominenz erlangt, dass Audrans parodierende Aneignung ein kundiges Publikum erwarten konnte. Fabrice Carré, Autor des dreiaktigen Librettos, behält die Hauptmotive des Handlungsschemas bei (Bedrängnis einer jungen Frau – Nothilfe durch den anonymen Retter – Scheitern der Liebesbeziehung an seinem Inkognito) und erfin-
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det dazu eine neue, dem Operettengenre gemäß trivial-komische Handlung mit Komödienpersonal. Ein inhaltlich und dramaturgisch originelles Rezeptionsverfahren hält Wagners Prätext als Vergleichsfolie gegenwärtig und bringt ihn mit parodistisch gewendeten Versatzstücken und Anspielungen parallel oder kontrastiv in das Geschehen ein. Das Stück spielt in der Gegenwart des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts in einem auf die Erwartungen des Operettenpublikums zugeschnittenen Milieu der Verquickung von Bürgertum und Halbwelt. Handlungsort ist Asnières an der Seine, unweit von Paris. Cécile Blandin, eine ebenso hübsche wie leichtlebige junge Dame, die mit ihrer Mutter ein gastfreies Haus führt, strebt trotz geringer stimmlicher Begabung eine Karriere an der Opéra an, die ihr der geschäftstüchtige Gesangslehrer Billemotte in Aussicht stellt. Er studiert mit ihr die Partie der Elsa aus Wagners Lohengrin ein und erklärt seiner unbedarften Schülerin die dramatischen Umstände des ersten Aktes auf komisch-simplifizierende Weise. Als die in Geldnot geratenen verschwenderischen Damen Blandin von ihren Gläubigern bedrängt werden, erbietet sich Céciles Verehrer Boussard, ein biederer Polizist, die Zahlung zu leisten, wenn sie ihn heiratet. Cécile aber, die keinen Langweiler als Ehemann will, ersehnt in ihrer prekären Lage einen Retter wie Lohengrin. Dieser tritt tatsächlich in ihr Leben, als ein Unbekannter (Rollenname: „Le Monsieur“) in einem Boot am Seineufer landet und ihre Schulden unter der Bedingung begleicht, dass sie ihn niemals nach Namen und Herkunft fragen dürfe, was Cécile sofort verspricht. In dieser Szene, die das vergnügliche intertextuelle Spiel mit der Vorlage auf die Handlungsebene transponiert, sind die Rückbezüge besonders ausgeprägt. So etwa wird die Ankunft des Retters als „Miracle“ wahrgenommen (Audran 1896, S. 43), der Abschied von seinem Boot („Attendez-moi là petit bateau“; ebd.) persifliert Lohengrins Dank an seinen „liebe[n] Schwan“ (I 3), und seine pathetische Ankündigung, die zu Unrecht verfolgte Unschuld zu verteidigen – „Je viens défendre l’innocence / Que l’on tracasse injustement“ (ebd.) – hat die Aussage Lohengrins, „Zum Kampf für eine Magd zu stehn, / Der schwere Klage angetan“ (I 3), zum Vorbild (Gier 2014, S. 122 f.; Dammann 2018, S. 163–176). Cécile wird die Geliebte des Monsieurs, der sie zweimal wöchentlich besucht und von ihr das gerne angenommene Pseudonym „Lohengrin“ erhält. Gemeinsam mit Billemotte lässt Cécile, sich schwärmerisch mit Elsa identifizierend, ihre wunderbare Rettung so phantasievoll-überspannt Revue passieren, dass sich jede Geschehensphase, bestätigt durch den Refrain „Comm’ dans Lohengrin!“ (Audran 1896, S. 57–58), aus der Opernhandlung ableiten lässt. So profan wie der Grund von Céciles Zwangslage ist indes die verheimlichte Identität des Monsieur Lohengrin, die er nach insistierenden Fragen seiner durch die Verdächtigungen Boussards neugierig gewordenen Geliebten offenbart. Er ist ein verheirateter
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Kaufmann namens Rothschild, ohne jedoch der reichen Bankiersfamilie anzugehören. Da sein Name aber seine Geschäftspartner zur Ausstellung maßlos überzogener Rechnungen veranlasst, tritt er generell inkognito auf. Wenn Cécile nun ihre Verschwiegenheit beteuern muss, wird das Fragetabu zum Redetabu. Mit der Doppelung des Motivs der verheimlichten Identität installiert Carré eine Nebenhandlung, die in Interaktion mit der Haupthandlung die genretypischen Verwicklungen, Missverständnisse und Turbulenzen, zuletzt aber das operettenübliche ‚glückliche‘ Ende generiert. Rothschilds vernachlässigte Ehefrau, ebenfalls inkognito unterwegs, sucht im Hause Blandin den Sekretär ihres Mannes, den Japaner Ki-O, um mit ihm die ihr angetragene Affäre einzugehen. Beim Zusammentreffen mit Boussard ergibt sich ein Missverständnis, aufgrund dessen der Polizist ins Haus eindringt und den Monsieur als vermeintlichen Ki-O verhaften will. Dieser hält an seiner Pseudo-Identität fest („Je suis Lohengrin!“; ebd., S. 93–94), doch gibt Cécile, um den Geliebten zu retten, seinen wahren Namen preis („Cet homme que vous voulez prendre / Il s’appelle Rothschild, mon bon!“; ebd., S. 95). Mit schweren Vorwürfen wegen des Vertrauensbruchs erklärt der Monsieur ihr Verhältnis für beendet und stürmt im allgemeinen Aufruhr davon. Desillusioniert stimmt Cécile der Zweckheirat mit Boussard zu, der sie mit der Finanzierung von Gesangsunterricht und Opernkarriere ködert. Der Monsieur und seine Ehefrau versöhnen sich und starten einen Neubeginn ihrer ehelichen Gemeinsamkeit. So werden die im Geschehen ohne jegliche Problematisierung der Amoralität unterlaufenen bürgerlichen Moralprinzipien am Schluss in formal geordneten Verhältnissen erneut etabliert. Nach dem Vorbild Offenbachs ist die komische Handlung auch Medium zeitund gesellschaftskritischer Tendenzen. Audran und Carré thematisieren die Herrschaft des Geldes, die sich als Motivationsfaktor durch den Ereignisgang zieht. Die lebensbestimmende Macht des Materiellen wird virulent im konfliktauslösenden Geldmangel der Damen Blandin, in der vom Liebhaber wie vom zukünftigen Ehemann erkauften Zuneigung der Protagonistin, in der Geldgier des Gesangslehrers, in der Spitze gegen die im neunzehnten Jahrhundert den europäischen Finanzmarkt dominierende Rothschild-Dynastie und in der Kreditfreudigkeit der ehemaligen Gläubiger nach ihrer Auszahlung. Amüsant gestaltet sich daneben der Seitenhieb auf die künstlerische und kulturelle Institution der Opéra, für den Audran und sein Librettist sich besonders mit den karikierenden Szenen der Gesangslektionen (auch mit musikalischen Anleihen an Wagners Oper) breiten Raum geschaffen haben. Eine im Kontext des Wiener Unterhaltungstheaters entstandene Operette ist Die Prinzessin von Dragant von Franz von Suppé (1819–1895), deren Uraufführung am 23. Juli 1870 im Stadttheater Graz stattfand. Ihr schloss sich die Wiener Erst-
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aufführung am 30. November 1870 im Carltheater an. Erst später wurde der Name der Hauptfigur in den Titel aufgenommen (Lohengelb oder Die Prinzessin von Dragant; auch: Die Jungfrau von Dragant). Textgrundlage des Operettenlibrettos ist die Lohengrin-Parodie von Johann Nestroy, die als Reaktion auf die Premiere von Wagners Lohengrin an der Wiener Hofoper am 19. August 1858 neben anderen Parodien dieser Oper entstand (Schneider 1996, S. 101–114). Nestroys einaktiges Stück im Stil seiner für das Wiener Volkstheater charakteristischen ‚Possen mit Gesang‘ wurde bereits am 31. März 1859 im Carltheater uraufgeführt. Es behält die Handlung, den dramatischen Ablauf, das Personal und die szenischen Arrangements insgesamt bei, während komplexe Komisierungsstrategien das Werk ins parodistische Genre transferieren. Das adlige Personal wird durch – teils charakterisierende – Simplifizierung oder Verballhornung von Figuren- und Rollennamen erniedrigt. So werden König Heinrich (der Vogler) und sein Heerrufer zu „Hanns de[m] Gerechte[n], Mark- und Gaugraf von Vogelfingen“ und seinem „Hinundherrufer“, Friedrich von Telramund und Ortrud zu „Ritter Mordigall von Wetterschlund“ und der Hexe „Gertrude“, Gottfried, Elsas Bruder, zu „Pafnuzi“ (Nestroy 2001, S. 6). Die Charaktere der Wagneroper sind zu scha blonenhaften, eindimensional gezeichneten Figuren im Denkhorizont des hier skurril überzeichneten Bürgerlich-Alltäglichen degeneriert. Damit verbunden ist die Parodie im Sprachlichen. Durch die Wiedergabe im Wiener Idiom wird die Stilhöhe der poetischen Sprache Wagners rigoros herabgebrochen. Die auf das Vordergründige beschränkte Darstellungsweise reduziert und verflacht die Handlungsinhalte; die Eliminierung von Ernst und Tragik nimmt dem hohen Gegenstand die Tiefendimension des Existentiellen. Der handlungsbestimmende Konflikt wird entschärft und banalisiert, sodass Gericht, Kampf und Tod nur noch lächerliche Angelegenheiten sind. Profaniert werden Heiliges und Erhabenes ebenso wie die Liebe zwischen Elsa und Lohengrin. Als Karikatur des Wagner-Helden erscheint Lohengrin, der sich in einem Wagen ziehen lässt, vor den ein Schaf gespannt ist, und solchermaßen vom Schwanen- zum Schafsritter herabgesetzt wird. Vor dem Kampf gegen Mordigall fragt er Elsa, ob sie hinsichtlich seiner Person („Geburtsort, Alter, Stand, Hantierung, Heimatsschein“, ebd., S. 12) ihre Neugier werde zähmen können, denn „Wie um so was Deinem Mund a Frag entschlüpft thut seyn, / Dann muß ich fort, und ’s kann ein And’rer Dich beglücken“ (ebd.). Das sofortige Versprechen bricht Elsa in der Hochzeitsnacht und kommentiert die verbotene Frage „schnippisch“: „Als Braut man allerhand verspricht, / Als Frau hernach, da halt’t man’s nicht“ (ebd., S. 25). Später resümiert Lohengrin bedauernd, doch nicht erschüttert: „Mit d’Weiber – s’bleibt halt wahr – / Is’s alleweil a G’frett“ (ebd., S. 28). Dass Lohengrin mit Elsa im Brautgemach die Ehe nicht vollzieht, wird auf kuriose Weise praktisch begründet. Ohne die Hilfe eines „Klampf’rers“ (Klempners; ebd., S. 24) ist der Ritter unfähig, seinen
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Harnisch abzulegen, sodass körperlicher Kontakt unmöglich ist. Die ‚Gralserzählung‘, mit der die Sakralität des Grals als „Schatz“ auf einem „Zauberschloß“, gestärkt von einem „Zaubergeyer“, entwürdigt wird (ebd., S. 31), ist „purer Hohn“ (Stieg 1996, S. 142). Mit Franz von Suppé, einem der erfolgreichsten Repräsentanten der unter dem Einfluss Offenbachs nach Pariser Vorbild ab der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts entstandenen Wiener Operette, hat sich ein parodieerfahrener Vertreter der leichten Muse Wagners Lohengrin angenommen. Seine Librettisten Costa und Grandjean halten sich überwiegend wörtlich an Nestroys Vorlage. Änderungen und vor allem Ergänzungen, auch die Erweiterung des Personals, sind der Umformung in ein Operettenlibretto geschuldet. Mehr Text erfordern die essentiellen Musiknummern und die Ausdehnung des Geschehens auf die obligatorischen drei Akte. Costa und Grandjean treiben die komischen Inkongruenzen noch weiter ins Burleske. Aus Lohengrin wird dabei „Lohengelb, spindeldünneinfahrender Ritter“. Kürzere Auftritte werden zugunsten des derben Unterhaltungseffekts breiter ausgespielt, etwa die Trinkfreudigkeit und Lüsternheit des Gaugrafen, der, bezecht nach dem Hochzeitsbankett, Elsa gegenüber schäkernd handgreiflich wird. Oder der spektakulär inszenierte Tod Mordigalls: „Lohengelb, bloß im Tricot, jedoch mit Harnisch und eingedrehten Locken, zieht Mordigall nach sich bei den Haaren und schneidet ihm den Kopf ab“ (Suppé 1971, S. 27). Den von der Operettendramaturgie vorgegebenen finalen Glückszustand führen die Librettisten mit einer grotesken Schlussapotheose herbei: Nach Gertrudes auftrumpfendem Bekenntnis, sie habe Pafnuzi in das Schaf verzaubert, betritt als ‚Deus ex machina‘ die Gestalt des allmächtigen Grall, eine aberwitzige Personifikation der dem Heiligen Gral innewohnenden wundertätigen Kraft, die Szene, „um der G’schicht’ ein End’ z’ machen“ (ebd., S. 31). Gerne verwandelt er das Schaf zurück in Pafnuzi, der wegen seiner Dummheit weder zum Schwanen noch zum Schaf taugte. Die „Glückausspenderei“ (ebd., S. 32) vollendet er bei den Hauptakteuren: Gertrudes finstere Seele wird „von heut’ gebessert“, der geköpfte Mordigall darf mit einem neuen Haupt, frei von bösen Gedanken, nochmals leben, und Lohengelb bleibt „ohne Harnisch“ Elsa als Ehemann erhalten, auf dass sie im nächsten Jahr „um diese Zeit ein ganz klein Ritterl wiegen“ werde (ebd.). Unter Gesang, Trompetenschmettern und allgemeinem Tanz fällt der Vorhang. Mit ihrem obskuren, als „alte Ritterzeit“ (ebd., S. 4) trivialisierten Mittelalterbild beabsichtigen die Librettisten keine kritische Distanzierung von Gesellschaftsstrukturen, Glaubensüberzeugungen oder Frömmigkeitspraktiken der historischen Ära und ihrer literarischen Zeugnisse. Als wesentliches Element der Lohengrin-Parodie zielt ihre sekundäre Mittelalterrezeption auf die von Wagner im Dienste seiner dramatischen Romantisierung entworfene Vorstellung vom
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Mittelalter und – übergreifend – auf die epochenprägende, allgegenwärtige Ritterromantik. Für die Bühne ist Suppés Operette, die ihre ursprüngliche Brisanz und Wirkung einer respektlos parodierenden Retextualisierung der großen romantischen Oper des Zeitgenossen Wagner verloren hat, derzeit kaum mehr attraktiv. 1984 fand noch eine erheblich bearbeitete und zeitbezogen aktualisierte Aufführung an der Wiener Kammeroper statt. Eine wesentlich textgetreuere Bearbeitung für das Radio wurde unter dem Dirigat Jan Stulens im März 1988 vom Westdeutschen Rundfunk in Köln produziert. Richard Wagners Lohengrin, die letzte seiner romantischen Opern, steht in der Tradition der idealisierenden Wiederbelebung des Mittelalters in der Romantik. Das den Einbruch des Wunderbaren in die reale Lebenswelt zentral thematisierende Sujet gehört jenen mittelalterlichen Stoffen zu, die damals als ‚Volkssagen‘, in denen sich die ‚Volksseele‘ eröffnet, verstanden wurden. Auf die ferne Epoche projiziert Wagner jedoch auch die gesellschaftspolitische Situation seiner Gegenwart, wie er sie erlebt und reflektiert. In die Figur Lohengrins gehen ferner biographische Aspekte seiner Künstlerexistenz ein, die er später – in Form einer nachträglichen Selbstinterpretation außerhalb des Werkes – auf einer überindividuellen Sinnebene objektiviert. Wagners Dramatisierung kombiniert die Liebesgeschichte zwischen Elsa und dem Gralsritter Lohengrin mit der Handlung um den historischen ostfränkischen König Heinrich I. Die Figur Heinrichs als gerechten Volkskönigs an der Spitze eines funktionierenden Reichsverbandes, hier in Gestalt des sächsischen und des brabantischen Heerbanns, wird mit Zügen des mittelalterlichen Ideals eines rex iustus et pacificus gezeichnet. Das oberste Herrschaftsprinzip, die Wahrung von Recht und Frieden, erklärt den unvermeidbaren Krieg als bellum iustum zum Instrument der Wiederherstellung des Friedens. Heinrichs Rechtswahrung zeigt sich in der rechtshistorisch detaillierten Darstellung des Gottesgerichts, dessen Rituale Wagner den Deutschen Rechtsalterthümern von Jacob Grimm (1828) und der Flandrischen Staats- und Rechtsgeschichte von Leopold August Warnkönig (1835) entnahm (Mertens 2014, S. 68–70). Offenbar war es ihm sehr um den Eindruck von Authentizität zu tun, zumal der fremde Streiter seine Legitimation für die Machtübernahme in Brabant allein aus dem Gottesurteil bezieht. Als rex pacificus wird Heinrich mit seinem Vorhaben profiliert, sich nach dem im Kampf gegen die Ungarn erstrittenen vorübergehenden Frieden nunmehr mit „Kampfesscharen“ aus dem gesamten „deutsche[n] Reich“ (Wagner 2001, I 1, S. 8) den Angreifern entgegenzustellen und mit Gottes Hilfe dauerhaften Frieden zu erwirken. Der tragische Schluss des Lohengrin tangiert die König Heinrich-Handlung nicht substantiell: Wohl scheidet der „Schützer von Brabant“ (ebd., II 3, S. 42) als Anführer des brabantischen Heeres aus, doch ist mit der Rückkehr Gottfrieds das Verbrechen aufgeklärt und in der Wiederherstellung der regulären Genea-
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logie aufgehoben. Dass der König den Krieg siegreich beenden und den Frieden für die Zukunft sichern wird, verkündet der scheidende Gralsritter als göttliche Weissagung („Nach Deutschland sollen – noch in fernsten Tagen – / des Ostens Horden siegreich nimmer ziehn“; ebd., III 3, S. 86). Am Bild des Herrschers, der durch Zusammenführung der deutschen Stämme das Regnum Teutonicum begründet haben soll, spiegelt Wagner die desolate Situation seiner Zeit. Um 1845 symbolisierte Heinrich I. „in Rede und Person jene zentralen Werte, welche die demokratischen Bewegungen des Vormärz zu realisieren suchten: Friede und Gerechtigkeit im Innern, nationale Einheit und Stärke nach außen“. Durch ihn konturierte sich die „Hoffnung einer politischen Opposition, deren Ziele gegen die Restauration der vornapoleonischen Ordnung und auf die Modernisierung der eigenen Gesellschaft gerichtet waren“ (Bermbach 2003, S. 126). Den Handlungsschwerpunkt setzt Wagner jedoch auf die Liebesbeziehung. Die Liebe, die noch vor ihrer Erfüllung an der diesseitigen Realität zerbrechen muss, kann sich nur in der Weltentrücktheit des Brautgemachs äußern, aus dem die unheilvolle Gegenwart für kurze Zeit ausgeschlossen ist. Auf dem Brautbett versichern sich die von Gott zusammengeführten Liebenden ihres Glücks in „Wonnen, die nur Gott verleiht“ (Wagner 2001, III 2, S. 59). Die Präexistenz ihrer Liebe, in der sich die Bestimmung füreinander erweist („Die nie sich sahn, wir hatten uns geahnt“), erkennt Lohengrin als „unsrer Liebe Wesen“ (ebd.). Ab dem Moment, wo er zu ihrem Streiter bestimmt war, wurde Lohengrin von der Liebe zu Elsa ergriffen und geleitet. Elsa wiederum hatte in ihrem Retter, dessen Gestalt ihr in der gottgegebenen Traumvision erschienen war, zugleich ihren künftigen Geliebten erblickt und ihm noch vor seinem Auftreten die Krone des Landes und sich selbst als Gemahlin versprochen. Dass Elsa in der Situation innigster Gemeinsamkeit den Tabubruch begeht und ihr kurzes Glück zerstört, begründet der Text damit, dass sich für sie in Lohengrins Anrede mit ihrem Namen („Elsa, mein Weib!“; ebd., S. 58) der höchste Ausdruck seiner Liebe offenbart, den sie in derselben Weise erwidern möchte. Nicht von Neugier oder Misstrauen ist die Erkundung seiner Identität geleitet, sondern von dem dringenden Wunsch, dem Geliebten ebenbürtig und gleichwertig zu sein. Als Lohengrin ihr die Antwort versagt und ihr ebenso die Bitte abschlägt, als Vertrauensbeweis sein – vielleicht unheilvolles – Geheimnis zu eröffnen, wird das Wissen-Wollen so übermächtig, dass Elsa in höchster Erregung die drei Verbotsbegriffe ausspricht: „Den Namen sag mir an!“ – „Woher die Fahrt?“ – „Wie deine Art?“ (ebd., S. 64). Mit Telramunds Überfall ist zugleich sinnbildlich die feindliche Außenwelt in das Brautgemach eigedrungen, das unwiderrufliche Ende des Liebesbundes im Diesseits signalisierend. Als Gegenspielerin und Trägerin des Unheilsgeschehens, dessen erstes Todesopfer ungeplant ihr Ehemann wird, verkörpert die Figur der Ortrud die letzte Repräsentantin des entmachteten
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Heidentums, das sie gewaltsam mit den Mitteln der Magie und Intrige restituieren will. Dass ihrem dämonischen Kalkül das Scheitern von Anbeginn eingeschrieben ist, vermag sich ihrer heidnischen Blindheit, die die Ohnmacht ihrer Götter vor der Allmacht des christlichen Gottes negiert, nicht zu eröffnen. Daher bleibt der durch sie konstituierte Konflikt virulent bis zum finalen Wunder der Wiederkehr Gottfrieds, das ihre Existenz auslöscht. In seiner künstlerischen Bilanz, der ausführlichen Mittheilung an meine Freunde (1851), erklärt Wagner mit eindeutigem Selbstbezug den Lohengrin zur „Tragödie des absoluten Künstlers“, in der die Gralswelt „die hermetische Kunstwelt und die ‚Einsamkeit‘ des Künstlers“ abbildet, „in die er sich aus der trivialen modernen Lebenswirklichkeit zurückgezogen hat“ (Borchmeyer 2013, S. 186). Von dort aber sehnt er sich nach dem „Weib, das an ihn glaubte; das nicht früge, wer er sei und woher er komme, sondern ihn liebte, wie er sei, und weil er so sei, wie er ihm erschiene.“ Nichts anderes wollte Lohengrin (der Künstler) sein als warmempfindender und warmempfundener Mensch, also überhaupt Mensch, nicht Gott, d. h. absoluter Künstler. […] Aber an ihm haftet unabstreifbar der verrätherische Heiligenschein der erhöhten Natur; er kann nicht anders als wunderbar erscheinen; das Staunen der Gemeinheit, das Geifern des Neides wirft seine Schatten bis in das Herz des liebenden Weibes. (Wagner 1914 Bd. 4, S. 296)
Aufschluss bietet dieses wohl auch von seiner aktuellen Exilsituation geprägte Deutungsmuster des an der Feindschaft der banalen Welt scheiternden einsamen Künstlers über Wagners generelle Auffassung von der problematischen Künstlerexistenz seiner Gegenwart als Rekurs auf die romantische Künstlerästhetik, die hier ihre Spätblüte erlebt. Aus dem Werk selbst allerdings ist diese Sinngebung der Lohengrinfigur ohne Kenntnis der Wagner’schen Mittheilung kaum stimmig zu deduzieren. Das Lohengrinsujet gehört dem Stoffkreis der mittelalterlichen Schwanrittersage an, für die wiederum der auch im Märchen verbreitete Erzähltypus von der ‚gestörten Mahrtenehe‘ konstituierend ist: Die Liebesbindung zwischen einem Menschen und einem Wesen übernatürlicher Herkunft scheitert schicksalhaft an einer vom menschlichen Partner nicht eingehaltenen Tabubedingung. Die Schwanrittertradition bietet die narrativen Grundbausteine: Der Mann in glänzender Rittergestalt aus einem fernen Transzendenzbereich gelangt als Nothelfer im schwanengezogenen Nachen zu einer schwer bedrohten Landesherrin. Dem siegreichen Gerichtskampf gegen den mächtigen Gegner folgt die Hochzeit, verknüpft mit dem Verbot der Herkunftserfragung. Nach Jahren erfüllter Ehe und der Geburt von Nachkommen bricht die Frau das Fragetabu und nötigt ihren Gatten damit, das Land und die Familie für immer zu verlassen.
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Die Verbindung der Schwanritter- mit der Gralsage stellt erstmals Wolfram von Eschenbach in seinem etwa zwischen 1200 und 1210 entstandenen höfischen Versroman → Parzival her (der späteren Hauptvorlage für Wagners Parsifal). In den Schlusspartien des Romans wird Loherangrin, der Sohn des Gralskönigs Parzival, von der Gralsburg Munsalvæsche zur Fürstin von Brabant gesandt, um mit ihr, die gegen alle Anfeindungen nur einen ihr von Gott bestimmten Mann heiraten will, die Ehe einzugehen. Nach glücklicher Lebensspanne erzwingt der Tabubruch die Rückkehr Loherangrins ins Gralsreich. Diese bei Wolfram nur knapp erzählte Geschichte wird zum narrativen Fundament eines eigenständigen, aus vielerlei literarischen und chronikalischen Stoffquellen schöpfenden Lohengrin-Romans eines unbekannten Autors wohl aus den achtziger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts. Indem er, basierend auf den Berichten der Sächsischen Weltchronik, das fiktive Geschehen in der realhistorischen Regierungszeit König Heinrichs I. situiert, erhält sein Werk eine (pseudo)historische Ausrichtung im Kontext der göttlich gelenkten Heilsgeschichte. Die Schwanritter-Handlung umschließt die Darstellung der Heidenkämpfe Heinrichs gegen die Ungarn, in denen Lohengrin sich als gottbegnadeter Kämpfer bewährt. Für Wagner bietet dieser Text neben den Grundlinien der Handlung und dem Figurenensemble den ergiebigsten Fundus an Motiven, Handlungselementen und stofflichen Details. Daneben nutzte er allerdings noch zahlreiche weitere Quellen (vgl. Ukena-Best 2014; Mertens 1989 und 2014; Buschinger 2007a), so etwa – vermittelt über die Sammlungen der Brüder Grimm und Johann Wilhelm Wolfs Niederländische Sagen – die Schwanritter-Erzählung nach Konrad von Würzburg (um 1250) und die Sage von den Schwanenkindern. Sie enthält das Motiv der Verwandlung von Kindern mit goldenen oder silbernen Halsketten in Schwäne und die Gestalt der bösen Schwiegermutter, deren Verfolgung sie ausgesetzt sind. Zusammen mit der Herzogin von Kleve aus dem mittelhochdeutschen LohengrinRoman geht sie in das Personenprofil Ortruds ein. Auch das im Lohengrin-Teil des Versromans Der jüngere Titurel aus der 2. Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts überlieferte Motiv des ‚Fleischraubs‘ kannte Wagner aus den Sagensammlungen sowie aus Teilübersetzungen und Nacherzählungen von Johann Joseph Görres und San-Marte (d. i. Albert Schulz). Das Motiv des gestörten Kirchgangs ist durch den Streit der Königinnen Brünhild und Kriemhild vor dem Münster zu Worms im Nibelungenlied (um 1200) angeregt, das Wagner in drei Ausgaben und einer neuhochdeutschen Übertragung besaß. Nach Wagners Verständnis war die Geschichte von Lohengrin ein „uralt menschliches Gedicht“ (Wagner 1914 Bd. 4, S. 289), ein „eigentliches Gedicht des Volkes“ (ebd., S. 288), das er bereits im griechischen Mythos von Zeus und Semele vorgebildet sah. Demnach konnten die den Stoff mittelalterlich-christlich adaptierenden Versdichtungen dem Erzählgegenstand nicht wirklich gerecht werden.
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Speziell hinsichtlich seiner Hauptquelle, des mittelhochdeutschen LohengrinRomans, erklärt er es in einem Brief an Albert Wagner zu seinem Verdienst, die alte Sage „durch eigene Erfindung u. Nachgestaltung […] wieder zu ihrem reichen, hochpoetischen Werthe gebracht zu haben“ (Wagner 1980, S. 446). Wagners Intention war es also nicht, sich und seinem Publikum über den Lohengrinstoff einen Zugang zum Mittelalter, wie es sich in seinen literarischen Zeugnissen spiegelt, zu verschaffen. Doch hat seine theatrale Darstellung mittelalterlicher Zeremonielle und Rituale sowie eine Kostüm- und Bühnenausstattung, zu der ihm seine Quellen das in ausführliche und präzise Bühnenanweisungen umgesetzte Material lieferten, ein populäres, nachhaltig weiterwirkendes Mittelalterbild modelliert.
III Werkliste Lohengrin „Romantische Oper in drei Aufzügen“ Musik Text Richard Wagner Richard Wagner
Uraufführung 28.8.1850, Weimar
Die Prinzessin von Dragant [später: Lohengelb oder Die Prinzessin von Dragant] „Komische Operette in 3 Akten“ Musik Text Uraufführung Franz von Suppé Carl Costa, Moritz Anton Grand30.7.1874, Graz jean [nach Johann Nestroy] Monsieur Lohengrin „Opérette en trois actes“ Musik Text Edmond Audran Fabrice Carré Lohengrin „Azione invisibile per solista, strumenti et voci“ Musik Text Salvatore Sciarrino Salvatore Sciarrino
Uraufführung 30.11.1896, Paris
Uraufführung 1. [Erstfassung] 15.1.1983, Mailand 2. [Zweitfassung] 15.9.1984, Catanzaro 3. [Lohengrin II] 21.8.2004, Ravello
Merlin Norbert Abels I Präsenz des Sujets Merlin bleibt, weil er rätselhaft bleibt. Erratendem Deuten, spekulierendem Denken gelingt hier keine dauerhafte Lösung. Dies muss scheitern an der Synchronisation von Mysterium und Faktum. Auch heute noch, bald neunhundert Jahre nach Geoffreys von Monmouth weitverbreiteter, lustvoll rezipierter und bald zwei Millennien umschließender Inselchronik Historia Regum Britanniae sowie der etwas später, um 1150 entstandenen Vita Merlini mehren sich die Fragen proportional zu den Antworten. In Dichtung, Musik und Malerei galt Merlin über Jahrhunderte hinweg ein stupendes Interesse. Heute treten zahlreiche Spielfilme, Fernsehserien und Musical-Produktionen hinzu. Dieses Interesse lässt sich kaum auf jene gründungsmythisch orientierte Perspektive beschränken, wonach in Merlin – wie die chronikalen Quellen des Mittelalters glauben machen wollen – der (Zieh-)Vater, Ratgeber und Beschützer seines Schützlings → Artus zu erkennen sei, der dessen Herrschaft prophetisch vorausgesehen und befördert sowie die legendäre Tafelrunde mitbegründet habe. Angesichts der scheinbar unlöslichen Zugehörigkeit des Sehers und Zauberers zur Sphäre des Sagenkönigs ist es kaum verwunderlich, dass die musiktheatrale Präsenz der Merlin-Gestalt vor allem dort zu lokalisieren ist, wo von König Artus erzählt wird. Nahezu gleichmäßig verteilen sich über die Jahrhunderte hinweg daher auch seine Auftritte in originären Artus-Opern unterschiedlichster Couleur: Rutland Boughtons Pentalogie (1909–1945) greift die Gestalt Merlins ebenso selbstverständlich auf wie Ernest Chaussons Le roi Arthus (UA 1903), Hervés Les chevaliers de la Table Ronde (UA 1866) oder Henry Purcells King Arthur, or The British Worthy (UA 1691). In letzterem avanciert Merlin sogar zu einer entscheidenden dramatischen Figur; ihm ist – wie üblich für die Protagonisten solcher semi-operas – eine Sprechrolle zugewiesen. Im Musiktheater geht die Omnipräsenz der Merlin-Gestalt allerdings mit erheblichen konzeptionellen Herausforderungen einher: Wo Merlin aus seiner Rolle als zentraler Helfer-Figur der arthurischen Sphäre herausgehoben werden soll, da gilt es, so etwas wie ein eigenständiges Sujet, das sich mit Merlin assoziieren ließe, überhaupt erst zu entwickeln. Dies kann geschehen, indem andere Aspekte des durchaus polyvalenten Katalogs der ihm zugemessenen Wesensmerkmale abgerufen und profiliert werden: wilder Mann, Drachentöter, Prophet, Antichrist, Barde und Harfenspieler, Druide, Zauberer, Wahnsinniger, Kenner der Gralsgeschichte und endlich Opfer und Liebhaber der Fee Viviane. https://doi.org/10.1515/9783110424089-024
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Die angesprochene Stoffproblematik findet in der gegenwärtigen musiktheatralen Präsenz der Merlin-Gestalt ihren unmittelbaren Widerhall: Während Purcells fünfaktige semi-opera, die dem entmythologisierten, an der Macht zweifelnden Sagenkönig in seinem Kampf gegen die Sachsen den Lehrer und Zauberer Merlin zur Seite stellt, bis heute auf den Spielplänen vertreten ist, haben es die historischen Merlin-Opern ungleich schwerer. Zu schwerfällig und voluminös muss die Handlung geraten, wenn der gesamte Kosmos um König Artus, wenn Liebe und Intrige, Krieg und Rittertum, Genealogie und Gralssuche anhand der hintergründigen Gestalt Merlins entfaltet werden sollen. Entsprechend hat sich auch der jüngste Ableger dieses Typus als Fehlweg erwiesen: Lediglich ein Prolog für Solisten, Chor und großes Orchester, der am 15. September 2006 unter der Leitung von John Fiore von den Düsseldorfer Symphonikern uraufgeführt wurde, zeugt von Manfred Trojahns Bestrebungen, Tankred Dorsts rund fünfzehnstündiges Monumentaldrama Merlin oder Das wüste Land für das Musiktheater zu adaptieren (Dorst 1985). Realisiert und am 23. Oktober 2004 unter der Regie von David Mouchtar-Samorai im Hessischen Staatstheater Wiesbaden uraufgeführt wurde dagegen Dorsts „szenisches Palimpsest“ Purcells Traum von König Artus, worin Artus und Merlin gemeinsam mit anderen halbmythischen Figuren aus Purcells King Arthur – und zu Purcells Musik – nicht mehr gegen die Sachsen, sondern gegen ein Heer aus Investoren und Immobilienhaien kämpfen, das auf dem Grundstück eines alten Opernhauses ein Einkaufszentrum errichten will (Dorst 2004). Neben derartigen Ansätzen zur Modernisierung und Aktualisierung der MerlinGestalt, zu denen auch die von der Deutschen Oper in Berlin in Auftrag gegebene und von Michael Korth und Wilfried Maria Danner realisierte Jugendoper Merlin in Soho (UA 17.11.2001, Berlin) zu zählen ist, waren zuletzt auch drei nahezu vergessene Werke auf der Opernbühne zu sehen. Sicherlich nicht allein dem großen Namen geschuldet, erfährt dabei vor allem Christoph Willibald Glucks L’Ile de Merlin, ou Le Monde renversé (Merlins Insel oder Die verkehrte Welt) regelmäßige Pflege. In diesem Einakter werden Pierrot und Scapin durch Schiffbruch auf die phantasmagorische Insel Merlins, auf der alle Dinge in ihrer Umkehrung erscheinen, verschlagen. Sie treffen da auf zwei liebreizende Nymphen namens Argentine und Diamantine. Eine Liebesgeschichte bahnt sich an. Merkwürdig freilich, dass die jungen Frauen, zwei Nichten Merlins, ihnen erklären, dass auf diesem Eiland allen treulosen Männern das Gefängnis bevorstehe. Flugs leisten die Gestrandeten einen unverbrüchlichen Treueschwur. Die ‚Verkehrtheiten‘ dieses gleichsam umgestülpten insularen Kosmos mehren sich von nun an: Ein Philosoph, ein Advokat, ein Prokurator treten auf den Plan. Alle verkünden das Gegenteil von dem, was in der verderbten normalen Festlandwelt der Lüge und
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des Scheins als normal gilt. Einfache Schlichtheit etwa löse hier inmitten des Ozeans die größte Wonne aus. Zerbin und Hanif erscheinen, und ein Duell mit Pierrot und Scapin scheint trotz des Merlin’schen Gewaltverbotes unausweichlich. Pierrot und Scapin verlieren den Kampf. Genau das bewerkstelligt in dieser nicht zum Absurden oder Bösen, sondern zur Utopie ‚verkehrten‘ Welt ihre Erlösung. Die Verlierer avancieren zu Gewinnern genauso wie nach den Evangelien die Letzten die Ersten sein werden und den Armen das Reich Gottes geöffnet wird. Merlin, hier gleichsam dessen irdischer Sachwalter, erscheint und rehabilitiert die beiden malträtierten Männer vermittels seines Zauberstabs. Deren Hochzeit mit seinen Nichten wird, ein kurioses Lieto Fine, in strahlendem D-Dur apotheotisch angekündigt. Die letzte, auf den Grundton endende, zum Tanz einladende und von der utopischen Inselgesellschaft angestimmte Gesangsfloskel verkündet: „Vive l’Amour!“ (Gluck 1758, S. 52). Glucks Ile de Merlin war zuletzt unter anderem im Rahmen des Amsterdamer Holland Festivals (1980), der Nürnberger Gluck-Festspiele (2005) und des amerikanischen Spoleto Festivals (2007) zu sehen. Die gegenwärtig jüngste Inszenierung entstammt einer Zusammenarbeit der Opernklasse der Dresdner Hochschule für Musik und der Straßburger Académie Superieure de Musique. Unter der Regie von Christine vom Scheidt wurde diese deutsch-französische CoProduktion anlässlich des 300. Geburtstags des Komponisten am 27. September 2014 im Labortheater Dresden sowie am 3. November 2014 im Conservatoire de Strasbourg dargebracht. Wenigstens drei Restaurationsversuche wurden in den vergangenen 20 Jahren dem Merlin von Isaac Albéniz zuteil. Einer konzertanten Darbietung der von José de Eusebio rekonstruierten kritischen Fassung vom 20. Juni 1998 (Auditorio Nacional, Madrid) folgten zwei szenische Aufführungen der Fassung Eusebios, die erste in einer Inszenierung von John Dew am Teatro Real in Madrid (Premiere: 28.5.2003), die zweite in deutscher Übersetzung unter der Regie von Roland Schwab am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen (Premiere: 8.10.2011). Eine in der englischen Originalsprache gesungene Aufnahme unter der musikalischen Leitung von José de Eusebio mit Plácido Domingo als King Arthur und Carlos Álvarez als Merlin ist beim Label Decca erschienen (467 096-2). Die Eröffnungsszene dieses Dreiakters spielt kurz vor der Morgendämmerung an der östlichen Seite der Londoner St. Paul’s Cathedral, an deren Stelle bereits zu Beginn des siebten Jahrhunderts erstmals ein Gotteshaus errichtet worden war das die Verbreitung der Religion auf der Insel befördern sollte. Es ist der frühe Morgen des Weihnachtstages. Die Mönche stimmen einen von Albéniz berückend anverwandelten ambrosianischen Hymnus an: „Veni, Redemptor gentium, / ostende partum Virginis […]“ (Albéniz 2000, S. 50). Die Bitte um Erlö-
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sung durch der Jungfrau Kind spielt hier zugleich auf Merlin an, der laut Geoffrey of Monmouth von einem Incubus mit einer Nonne gezeugt und als vaterloses Kind bezeichnet worden ist. Von einem Tutti-Fortissimo begleitet, tritt Merlin auch sogleich auf den Plan: Er weiß, dass der junge Arthur der Sohn König Uther Pendragons ist, und erwartet, dass er noch an diesem Tag zum neuen Herrscher gekrönt werden wird. Zunächst jedoch stellt sich ihm seine sarazenische Sklavin Nivian entgegen und fordert die versprochene Freilassung; ihre Gesangslinie voller Halbtonschritte verweist auf ihre arabische Herkunft. Als nach dem Ende der Messe die adlige Gesellschaft aus der Kirche strömt, lenkt der Erzbischof ihre Aufmerksamkeit auf einen neben der Kirchenmauer stehenden Marmorblock – jenen Stein, über den Thomas Malory berichtet, dass er die Inschrift getragen habe: „Whoso pulleth oute this swerd of this stone and anvyld is rightwys kynge borne of all Englond“ [Wer das Schwert aus diesem Stein und Amboß zieht, ist der rechtmäßige König Englands] (Malory 2013, S. 7). Nachdem Gawain und Mordred sich vergeblich bemüht haben, gelingt es Arthur absichtslos und ohne um seine Zukunft zu wissen, das mythische Schwert Excalibur dem Block zu entreißen. Arthurs Halbschwester Morgan le Fay, ihr Sohn Mordred, König Lot von Orkney und sein Sohn Gawain, Arthurs Ritter Sir Ector de Maris sowie Morgans Hauptmann Sir Pellinore werden Zeugen dieses Vorgangs. Das von Gewalt, Intrige und Täuschung bestimmte Spiel um die Macht nimmt hier seinen Anfang: Noch bevor Arthur die Regentschaft antritt und den Segen des Erzbischofs empfängt, planen Morgan und Mordred seine Vernichtung. Zu Beginn des zweiten Akts befindet sich Arthur im Gebet versunken im Thronsaal von Schloss Tintagil. Durch Merlins Rat allein hat er den Kampf gegen Morgan, Mordred und deren Truppen gewonnen. Er glaubt, das Reich nun endlich befrieden zu können. Ein fataler Irrtum! Morgan täuscht den König mit einer Bitte um Gnade. Arthur schlägt Merlins dringenden Rat, diese zu verweigern, gutgläubig in den Wind. Damit freilich besiegelt er seinen Untergang. Morgan versichert ihrem Sohn Mordred, dass sich ihre Machtansprüche nach Arthurs Hochzeit mit Guenevere erfüllen werden. Albéniz verleiht ihr eine zutiefst dämonische Kontur. Tiefe, abwärtsgleitende Streicherfiguren, stockende Rhythmik, das Timbre der Bassklarinette umrahmen die nun folgende Begegnung mit Nivian. Diese fleht Morgan um Unterstützung an, um endlich dem Bann des Magiers Merlin zu entkommen. Die verschlagene Morgan, der Magie und der Giftmischerei kundig und der Hölle hörig, verlangt von dem Mädchen den Diebstahl von Merlins Zauberstab. Mit einem jähen, von den Pauken heraufbeschworenen harten D-Dur Orchesterschlag wird der verhängnisvolle Bund zwischen den beiden Frauen besiegelt. Der Schlussakt führt zu einer Höhle im Wald. Albéniz zieht in dem anhebenden Allegretto tranquillo einschließlich des tremolierenden Waldwebens alle Register einer klingenden Naturlandschaft. Der Chor preist in einer ein-
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fachen pastoralen Melodie den Mai. Der anschließende Dialog zwischen Merlin und Arthur vertreibt diese Stimmung. Arthur plant nun, Guenevere zu heiraten. Merlin, das Verhängnis antizipierend, will dies verhindern. Er scheitert. Um das fatale Geschehen noch zu wenden, will er den König durch eine magisch bewirkte Alterung Gueneveres von seinem Vorhaben abbringen. Zum letzten Mal soll ihm Nivian dabei helfen. Ihr Auftritt mit einer Gruppe sarazenischer Tänzerinnen ist als eine Phantasmagorie der heraufbeschworenen Geister inszeniert, die an Mendelssohns Elfenmusik erinnert. Die verführerisch tanzende Nivian, nun wie Morgan der schwarzen Magie verfallen, entlockt Merlin den Zauberstab. Sie lockt Merlin in das Innere der Höhle, die durch die Macht des Stabes zusammenbricht und den Magier für immer einschließt. Nivian feiert unter Trompetenklang in den höchsten Tönen ihre Freiheit. Unter brachialer Blechbegleitung, lange auf einer einzigen Note verharrend, triumphiert zuletzt jedoch Morgan. Die hier unvermittelt abbrechende Handlung sollte, so ist zu vermuten, im zweiten Teil der Trilogie zu Ende gebracht werden. Über hundert Jahre nach ihrer Premiere an der Wiener Hofoper wurde schließlich auch Carl Goldmarks vergessene Zauberoper Merlin wiederentdeckt. Die erste Aufführung stand im Kontext der Reihe „Unbekannte Opern“ des Trierer Stadttheater und fand am 8. Juni 1997 unter der musikalischen Leitung von Istvan Dénes statt. Dem schlossen sich bislang eine Kurzfassung als Kinder- und Familienoper (Köln 2003/04 und Bremen 2008) sowie eine konzertante Aufführung des Merlin an. Letztere feierte am 19. April 2009 im Rahmen des Ebracher Musiksommers Premiere, das Dirigat übernahm Gerd Schaller. Eine durch den Bayerischen Rundfunk besorgte Aufzeichnung dieser Aufführung liegt in der Edition Hänssler Profil auf CD vor (PH09044). Die Handlung beginnt in Karleon. Der Magier Merlin verhilft mit Erfolg seinem von Rittern der Tafelrunde umgebenen Schützling Artus zum Sieg über die sächsische Okkupationsarmee. Dem aus der Geisterwelt auftretenden, ihn – wie Caliban den Zauberer Prospero – hassenden Dämon befiehlt er, seine Geisterarmee gegen die Feinde in Bewegung zu setzen. Der Dämon gehorcht, sinnt gleichwohl auf Rache. Er beschwört die Fee Morgana und erfährt beglückt von ihr das baldige Ende der Zaubermacht Merlins. Herbeigeführt wird dessen Kräfteschwund durch die verführerische Wirkkraft einer Frau. Zugleich entfaltet sich eine politische Offensive gegen Artus, angeführt von Mordred, hier der Neffe des Königs. Die an Kundry erinnernde, selbst zauberkundige Viviane, eingeführt als wildes Weib mit Pfeil und Bogen und als „Fräulein von der Quelle“ bezeichnet, blendet Merlin durch ihre Schönheit. Ambivalent, zwischen erotischem Begehren und asketischer Aversion schwankend, führt diese verhängnisvolle Mischung zugleich zu seinem militärischen Sieg und zum persönlichen Niedergang.
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Im zweiten Aufzug kommt es zum Verrat und zum Putschversuch Mordreds, den Merlin, seiner visionären Macht nunmehr beraubt, nicht mehr vorauszuerkennen vermag. Viviane, der er nun verfallen ist, warnt er vor der Macht seines die Welt in einen öden Ort verwandelnden Zauberschleiers. Der Putsch der Widersacher misslingt; Merlin erkennt seinen Machtverlust, will sich von Viviane lösen. Sie wirft ihm, skandiert von heftigen Donnerschlägen, den Schleier aufs Haupt. Merlins Blumengarten depraviert zur kargen Felsenwüste. Er selbst ist mit glühenden Ketten angeschmiedet an einen Felsen. Der Dämon beschließt mit triumphalem Gelächter den Akt. Letzter Aufzug: Viviana bereut nun das von ihr angerichtete Unheil. Die Fee Morgana prophezeit, dass Merlin nur die uneingeschränkte, den Tod noch an Macht übertreffende Liebe erretten kann. Merlin geht, um Artur und seine Herrschaft zu sichern, einen faustischen Pakt mit der Hölle ein. Der König gewinnt die Schlacht, Merlin scheint verloren. Als der Dämon nach seiner Seele greift, ersticht sich Viviane, bereit dazu, den Geliebten in das Höllenreich zu begleiten. Ob diesem Daseinsverzicht vollzieht sich der Erlösungsvorgang. Merlin sinkt sterbend nieder. Vivianes letzte Worte „Bei Dir! Bei Dir!“ (Lipiner 1886, S. 50) lösen einen vom Chor angestimmten Choral aus, der das Paar nicht nach unten, sondern nach oben begleitet.
II Historische Schichten Wurden der Gestalt Merlins in den vergangenen Jahrzehnten vor allem im Bereich der Kinder- und Jugendoper sowie im Musical eigenständige Bühnenwerke gewidmet, war der Zauberer und Königsmacher in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts verstärkt in Produktionen für den Hörfunk zu finden. Hierzu zählt neben Gian Francesco Malipieros avantgardistischem Einakter Merlino maestro d’organi (1927), der am 1. August 1934 vom Radio di Roma produziert und erst knapp vierzig Jahre später in Palermo szenisch aufgeführt wurde, besonders Benjamin Brittens The Sword in the Stone. Britten, der bereits 1937 für die British Broadcasting Corporation (BBC) eine Gelegenheitsarbeit zu Douglas Geoffrey Bridsons von ihm nur wenig geschätzten Radiodrama King Arthur geschrieben hatte („a pale pastiche of Malory“; Britten 2011, S. 486), nahm im Alter von 25 Jahren einen erneuten BBC-Auftrag an, in dem es diesmal um begleitende Musik für eine von der dänischen Radiopublizistin Marianne Helweg bearbeitete sechsteilige Adaptation von Terence Hanbury Whites The Sword in the Stone ging. Britten, der Whites Roman als „one of his favourite books“ bezeichnete (Carpenter 1992, S. 129), vollendete seine Arbeit noch kurz vor seiner Auswanderung nach Amerika im Mai 1939. Die Rundfunkausstrahlung erfolgte vom 11. bis zum 16. Juli desselben Jahres.
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Getreu seiner literarischen Vorlage portraitiert der von Helweg bearbeitete Text den noch jungen Artus, der unter seinem Spitznamen Wart (Warze) als Waisenkind aufwächst, ehe er eines Tages im Zuge einer Falkenjagd auf den Druiden Merlin trifft. Dieser bewegt sich rückwärts, von der Zukunft in die Vergangenheit also, durch die Zeit und kennt folglich die Bestimmung seines künftigen Schützlings schon im Voraus. Mit seiner Musik für gemischten Chor und Kammerorchester (Flöte, Klarinette, Fagott, Trompete, Posaune, Harfe, Schlagwerk), die heute gelegentlich in einem Arrangement als Orchestersuite aufgeführt wird, spürt Britten dem skurril-satirischen Stil der literarischen Vorgabe kompositorisch nach und parodiert dabei verschiedene Epochenstile. Vor allem Richard Wagners spätromantische Tonsprache im Ring des Nibelungen findet sich darin persifliert, so etwa das Schwertmotiv, das Waldvögelchen-Thema und Segmente aus dem Rheingoldvorspiel. Letztere werden für „Merlyn’s Tune“ verwendet, in dem das Fagott etwas ächzend und gar nicht schwingend die Rheinwellen karikiert. Über den aus Katalonien stammenden Tonsetzer Isaac Albéniz ist ein gleich dreifach abwertendes Urteil zum Topos geworden: als rückwärtsgewandter Bewahrer spanischer Volksmusik, als nachrangiger Künstler der impressionistischen Strömung sowie als einer der so zahlreichen Epigonen Richard Wagners. Lange wurde sein Werk obstinat unter dem recht insipiden Dachbegriff ‚Eklektizismus‘ marginalisiert. Erst in den zwei Dezennien nach der Jahrtausendwende wurde dieses Pauschalurteil zunehmend revidiert und der Blick frei auf die ganz unverwechselbaren Elemente eines eigenständigen Personalstils. Nahezu vergessen sind heute jedoch Albéniz’ Bühnenwerke; darunter auch sein Merlin – die einzige aus- und aufgeführte Oper einer großangelegten Trilogie, die außerdem noch Launcelot und Guenevere umfassen sollte. Da Bestrebungen gescheitert waren, seine Komposition in Madrid sowie in Brüssel auf die Bühne zu bringen, wurde das Werk, dessen Partitur mit „Barcelona 25 de Abril de 1902“ signiert ist (zit. nach Clark 1999, S. 183), zu Albéniz’ Lebzeiten nie szenisch realisiert. Lediglich das Vorspiel zum ersten Akt wurde zunächst am 14. November 1898 in Barcelona – hier unter der Leitung von Vincent d’Indy, dem Lehrer des Komponisten – und schließlich noch einmal in Nancy sowie in Brüssel aufgeführt. Ferner ist eine konzertante Privataufführung im Wohnhaus des Ehepaars Tassel in Brüssel überliefert, aus deren Anlass das Libretto aus dem Englischen ins Französische übersetzt wurde (Clark 1999, S. 223). Erst rund vier Jahrzehnte nach dem Tod des Komponisten, am 18. Dezember 1950, wurde Merlin im Cine-Teatro Tívoli, Barcelona, in keineswegs originaler Version uraufgeführt. Dem Dirigenten und Musikwissenschaftler José de Eusebio ist die gelungene Rekonstruktion und mühsame Neueinrichtung der Partitur zu verdanken. De Eusebios Gesamturteil bildet eine gewichtige Gegenstimme zum depravierenden Urteil
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der zeitgenössischen Musikkritik: „Hätte man die Oper Merlin zu Lebzeiten ihres Komponisten aufgeführt, wäre sie das fehlende Bindeglied, die Verbindungsbrücke zwischen Spanien und der übrigen europäischen Kultur im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert gewesen“ (Eusebio 2004, S. 19). Damit befindet er sich wiederum im Einklang etwa mit Olivier Messiaen und Ernest Newman. Letzterer pries die „magische Schönheit“ des Werkes und formulierte emphatisch: „The best opera on our sacrosanct British legend has been written by a Spaniard“ (zit. nach Barber 2002, S. 60). Zweifellos verdankt sich Albéniz’ Plan zu einer Sage, Glaube, Magie, Mythos und Geschichte miteinander verzahnenden, mehrteiligen musikepischen Großform maßgeblich der als non plus ultra wahrgenommenen, nachgerade übermächtigen Tetralogie Wagners. Es fällt nicht schwer, Anverwandlungen in den stofflichen, leitmotivischen, klangtechnischen oder harmonischen Valeurs ausfindig zu machen. Es gibt derer übermäßig viele. Sie sollten aber den Blick auf die dem Werk eignenden musikalischen Elemente nicht im Wege stehen. Dessen chromatisierende harmonische Gestaltung, seine fortgeschrittene Modulationstechnik, seine gesteigerte rhythmische Diversität, auch seine fließende metrische Alternierungstechnik tragen durchaus eigenes Gepräge. Das Prélude, als Andantino notiert, beginnt klanglich vor christlich-dämonischem Hintergrund. Einem tiefdunkel eingefärbten H, angestimmt von Kontrafagott, F-Horn, dumpfem Paukenklang sowie Kontrabass, wird bereits nach fünf Takten eine Halboktave hinzugefügt. Programmatisch weist dieser tritonale Sprung auf Merlin, des Teufels Sohn hin. Der solcherart vorab gesetzte diabolus in musica wird sodann in einen schwankenden Modulationsverlauf verwoben, ostinat grundiert vom Ausgangston. Erst ein jäh einbrechender Streicherakkord verändert die düstere Farbe. Eine anschwellende, wie Wolkenschichten sich mischende impressionistische, vom ganzen Orchester getragene Passage mündet am Schluss wieder ein in die nächtliche Stimmung der ersten Takte, nunmehr mit noch stärkerer Paukenakzentuierung. Der sich öffnende Vorhang gibt den Blick frei auf eine sakrale Szenerie. Die hiermit vorgegebene Klangaura wird das Werk bis zu seinem Ende als Memento immer wieder evozieren. Das frei nach Malorys Le Morte Darthur gehaltene Libretto kann als der eigentlich wunde Punkt des Werkes angesehen werden. Es stammt von Francis Burdett Money-Coutts, 5th Baron Latymer, einem vermögenden englischen Bankier, der auch für die Texte der meisten anderen Bühnenwerke des Komponisten verantwortlich zeichnete und zugleich als Financier dieser Werke fungierte. Es ist offenkundig, dass Albéniz – der englischen Sprache nicht vollends mächtig – die Schwächen des Librettos übersah. Phrasen mit nicht selten manierierten, prätentiösen Zügen, missglückte Alliterationen und Satzkonstruktionen, die der Vertonung metrische Schwierigkeiten bereiten, trugen dazu bei, die Oper der
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Vergessenheit anheimfallen zu lassen. Diese Probleme sind allen Restaurationsbemühungen zum Trotz auch der heutigen Kritik nicht entgangen. Entsprechend pointiert urteilt Andrew Clements daher in seiner Rezension für den Guardian: Money-Coutts’s text would take pride of place in any collection of the world’s worst opera librettos: it is couched in an achingly archaic Olde Englishe and relentlessly rhymed. It must be hard to sing lines like ‚When flow’rets of the marigold and daisy are enfolden, and wingless glowmoth stars of love englimmer all the glades’ with anything approaching a straight face. (Clements 2003)
„Was habe ich von Goldmark in Erinnerung?“ (Bie 1988, S. 534) – in Oskar Bies ein Jahr vor dem Ersten Weltkrieg veröffentlichtem Hauptwerk Die Oper galt der Komponist Carl Goldmark vor dem Horizont der Wandelbarkeit alles Bestehenden bereits als liebenswert anachronistischer Repräsentant längst vergangener Zeiten. Ein diametral entgegengesetztes Urteil sprach Karl Kraus aus, der dem aus ärmlichsten Verhältnissen, aus der deutsch-jüdischen Minderheit Ungarns stammenden Tonsetzer attestierte, seit Wagners Tod der größte lebende Musikdramatiker zu sein. Ein Dramatiker jedenfalls, der um die bühnenaffine Beschaffenheit seiner Tonsprache wusste und deshalb auch als Regisseur seiner eigenen Opern firmierte. In seiner Autobiographie findet sich ein bedenkenswertes, von Franz Liszt übernommenes Diktum, das sich aus heutiger Sicht ausnimmt wie das Selbstvernichtungsurteil eines in der Tat zu Unrecht von den Spielplänen suspendierten Künstlers: „Es gibt keine ausgegrabenen Opern; was nicht in seiner Zeit gelebt, lebt auch später nicht“ (Goldmark 1922, S. 80). Es lebten in Goldmarks Zeit seine Musikdramen aber sehr wohl, darunter neben der umjubelten Königin von Saba auch der zwischenzeitlich nahezu vollständig aus dem Gedächtnis gewichene Merlin, für den einst Johannes Brahms Wiens gefürchteten Kritiker Eduard Hanslick zu erwärmen versuchte. Die am 19. November 1886 in Wien uraufgeführte „Romantische Oper in drei Akten“ verfügt – anders als manch anderes Werk zum Merlin-Stoff – über ein wirklich reflektiertes und poetisch durchweg geglücktes Textbuch. Es stammt von Siegfried Lipiner, dem langjährigen Studiengenossen und Freund Gustav Mahlers, dessen Erstlingswerk Der entfesselte Prometheus bei Nietzsche und Wagner eine intensive Resonanz erfuhr. Lipiner war nicht nur ein veritabler wissensreicher homme de lettres, sondern ebenso ein Meister des gesprochenen Wortes; ein Sprachvirtuose, über den Mahler urteilte: „Wie ein Knabe möchte man zu seinen Füßen sitzen und lernen“ (Walter 1947, S. 221). An den Anfang seines Merlin setzt Goldmark gleichsam programmatisch die klangliche Doppeldeutigkeit von übermäßiger Quarte und verminderter Quinte. Das für Merlin auch in anderen Kompositionen obligatorisch verwendete tritonale Teufelsintervall, die dem Titelhelden damit vorab auferlegte Genealogie
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einer providentiellen Mixtur diesseits von Gut und Böse gibt, wird – wie auch anders – mit den Instrumenten der Offenbarung, den Posaunen, ausgeführt. Die nicht minder finstere Bassklarinette nimmt diese Eröffnung im siebten Takt mit einer davon ausgehenden Melodie auf. Die Tonsprache des Merlin zielt konsequent auf die Charakterisierung der höchst unterschiedlichen Figuren. Goldmarks motivische Technik vermeidet dabei die in Wagners Musikdramen zutage tretende psychologisierende Amalgamierungstechnik, die immerfort neue Assoziationsräume eröffnet. Es fungieren in seiner Oper die Ton- und Klangchiffren der dramatis personae als pure und nicht der Verwandlung bedürftige Erinnerungsbilder. Expressive Farben, wie etwa in dem von scharfen Dissonanzen durchwirkten Portrait des Dämons, werden mit Zurückhaltung verwendet, sodass Hanslicks wenig wohlwollende, aber dennoch nicht ganz fehlgehende Formel von dem Goldmark’schen „anhaltende[n] Vergnügen an schneidenden Mißklängen“ (Hanslick 1875, S. 2) etwas zu relativieren ist. Das Zerrissene, Schwankende, das Bemühen Merlins und Vivianes um eine konsistente Identitätsbehauptung verlangt nach komplexeren Klangfarbenmischungen – nach einer solchen Charakterisierung, wie sie Goldmark in enharmonischen, sublim modulatorischen Formen zum Ausdruck gelangen lässt. In Vivianes vom Frauenchor introduzierter Ges-Dur-Arie zeigt sich dieser individualisierende Zug feiner Seelenzeichnung in vollendeter Ausführung; dabei, wohl immer noch am Primat der einzelnen Gesangsstimme orientiert, nie als nebengeordnetes Element einer überbordenden Orchesterdynamik. Das Gleiche gilt für die zahlreichen martialischen und zugleich geisterhaften Chortableaus, für ingeniöse Passagen wie die simultan-kontrapunktische Gestaltung in den vom großen mehrstimmigen Chor begleiteten Solistenensembles, etwa dem fugenhaft aufgebauten Sextett als Finale des ersten Aktes. Die Handlung führt in die Zeit der Kriege gegen die auf die Insel eingefallenen Sachsen, die König Artus, der sagenumwobene dux bellorum, allen militärischen und politischen Widernissen siegreich trotzend, in zwölf Schlachten geschlagen haben soll. Es ist zugleich die Zeit des Übergangs der paganen in die christliche Kultur – und der König soll bei seinen Feldzügen nach manchen Berichten bereits das Kreuz auf seinen Feldzügen mit sich geführt haben. Anders als in vielen anderen Adaptationen spielt die christologisch orientierte Legende um den Heiligen Gral, erst im zwölften Jahrhundert in vielgestaltiger Form der frühmittelalterlichen Artus-Sage zugeschlagen, in Lipiners Dichtung indessen keine Rolle. Dennoch ist festzuhalten, dass die im sechsten Jahrhundert situierte Handlung der Oper sich rund um Pfingsten, zur Zeit jenes Hochfestes also zuträgt, an dem die vom Nazarener angekündigte Ankunft des Heiligen Geistes gefeiert wird. Demgegenüber gehört zu dem am Meer gelegenen Zaubergarten, dem Sitz des Druiden Merlin, ein keltischer Heidentempel. Artus nennt ihn des Sehers
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„Stätte seliger Einsamkeit“ (Lipiner 1886, S. 24). Zur selben Zeit, das sollte erinnert werden, weihte Bonifatius IV. den Pantheon-Tempel in Rom um zu einem christlichen Gotteshaus. Eine Epochenschwelle, eine Periode des Übergangs mithin bildet den geschichtlichen Rahmen der Geschehnisse. Im zwischen Paarund Wechselreim alternierenden Libretto werden diese kriegerischen und auch religionsgeschichtlichen Hintergründe bedeutsam; sie verbinden sich, durchaus souverän enggeführt, mit der aus Treue und Verrat, schwarzer und weißer Magie, Liebeslust und Liebeszweifel herrührenden Handlung. In Merlins chimärischer Herkunft als Sohn des Höllenfürsten und zugleich einer „Heil’ge[n] Mutter“ (ebd., S. 9) finden dergleichen Antithesen ihren komprimiertesten Ausdruck. Lipiner hat darüber hinaus ein schon bei Geoffrey in seiner Historia Regum Britanniae gebrauchtes Motiv übernommen und sogar aufgewertet: Die Nachbarschaft von Musik und Sehertum, Gesang und Magie, Klangzauber und Dämonie. Bei dem walisischen Magister heißt es ja gleich zu Beginn der Vita Merlini: „Lasst uns den verheissenen Gesang anheben und rührt jetzt die Saiten!“ (Geoffrey 1964, S. 42). In Goldmarks Oper wird dieser Aspekt bedeutsam: Der aus dem infernalischen Dunkel agierende Dämon, von Goldmark als finsterer Bass angelegt, weiß, dass er mit der Desavouierung der Musik Merlins zugleich dessen Untergang bewerkstelligt: „Die heil’ge Harfe wird verklingen, / Dein Seherlicht versinkt in Nacht“ (Lipiner 1886, S. 10). Gegen Ende des Mittelaktes geht dieser Plan auf: Als Merlin noch einmal „mächtig in die Harfe“ greift – „O töne laut, wie du noch nie getönt“ –, kommt es zur Katastrophe des Verstummens, wirkungsvoll gesteigert durch das Schweigen des gesamten Orchesterapparats: „kein Ton erklingt; tiefe Stille; er fährt erschrocken zurück und greift noch einmal; kein Ton“ (ebd., S. 21). Dass sich die Abgrenzung eines eigenständigen Merlin-Sujets von der Geschichte des Königs Artus durchaus diffizil gestaltet, wurde bereits angesprochen. Henry Giffard jedoch, Schauspieler und Direktor des Londoner Goodman’s Fields Theaters, machte sich genau diesen Umstand zunutze, um nach dem Abebben der Begeisterung für Purcells 1691 uraufgeführte Artus-Oper neues – und wohl in erster Linie royales – Publikum zu attrahieren, ohne dabei etwas Eigenständiges erschaffen zu müssen (Burden 2010a, S. 127). Das ohne Hinweis auf den ursprünglichen Librettisten, somit also nur mit Purcells Namen beworbene und am 17. Dezember 1735 erstmals aufgeführte Bühnenstück Merlin, the British Enchanter ist mithin kaum etwas anderes als eine mit zusätzlichen Textpassagen sowie mit einem Prolog und einem Epilog aus der Feder Giffards versehene Zweitverwertung des Originals. Auf diese Weise mag Giffard zwar den Impuls zu einer ganzen Serie von Werken gegeben haben, die sich zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts hin im
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Bereich des Sprechtheaters und der Pantomime mit der Gestalt Merlins befassen (ebd., S. 128). Die beiden ersten ‚echten‘ musiktheatralen Merlin-Bearbeitungen dürften indessen zu Beginn desselben Jahrhunderts für das Pariser Jahrmarkttheater geschaffen worden sein. So ist bereits für den 25. September 1715 unter dem Titel Les eaux de Merlin die Aufführung einer opéra comique des Komponisten und Kontrabassisten Jean-Claude Gillier belegt, in der Merlin als Figur allerdings nur in der Vorgeschichte in Erscheinung tritt. Auch die zweite Merlin-Oper von Gillier ist mit der Einschränkung verbunden, dass Merlin, der seinen Verstrickungen in die Genealogie des Britischen Königshauses enthoben wurde und hier nur mehr als gegenweltlicher, meist hintergründig wirkender Zauberer erscheint, überhaupt erst in der vorletzten von insgesamt 15 Szenen die Bühne betritt. Die Handlung selbst wird von den typischen Figuren des Pariser Stegreiftheaters getragen. Le monde renversé, die von Gillier geschaffene Vertonung eines Librettos von Alain-René Lesage und Jacques-Philippe d’Orneval, wurde als einaktige opéra comique am 2. April 1718 am Théâtre de la Foire Saint-Laurent uraufgeführt. Dieses in Paris vielfach dargebotene, heute indessen fast vergessene Werk bildete die Grundlage zunächst für Die verkehrte Welt von Georg Philipp Telemann, die nach einer von Johann Philipp Praetorius besorgten Übersetzung der französischen Vorlage komponiert wurde. Telemanns dreiaktige „Opéra comique“ feierte am 10. Februar 1728 an der Oper am Gänsemarkt in Hamburg Premiere und wurde noch im selben Jahr gedruckt. Schon ein rascher Blick ins Personenverzeichnis der Hamburger Textausgabe offenbart die inhaltliche Ausrichtung: Merlin wird dort schlicht als „ein Zauberer, und Beherrscher der verkehrten Welt“ ausgewiesen (Telemann / Praetorius 1728, S. 6). Gegen Ende des Stücks erscheint er in der Luft auf einem von zwei Greifen gezogenen Wagen und verleiht noch kurz vor seiner wohlgemuten Arie „Kommt, ihr Leute! / Die ihr meinen Zepter küßt“ (ebd., S. 63) dem in arge Verwirrungen geratenen Personal „einen Trieb zu allem Guten“ (ebd., S. 62), denn es könnte sich sonst leicht durch Bosheit und Betrug das Ganze in eine vergiftete „verkehrte Welt“ (ebd., S. 65) wandeln, eine Welt, in welcher der Betrug zur „Mode“ geworden ist. Genau dieses Motiv steht auch in Christoph Willibald Glucks L’Ile de Merlin, ou Le monde renversé im Zentrum, das gewiss als die bedeutsamste und wirkmächtigste Adaptation des Pariser Jahrmarktstücks gelten kann. Die Entstehung dieses Werks fällt in die Zeit seiner Rückkehr nach Wien, wo sich der Komponist 1752 endgültig nieder- und dabei auch in musikalischer Hinsicht Italien hinter sich gelassen hatte. In dieser zwischen den italienischen und den französischen Opern Glucks anzusiedelnden Phase also gab es mit dem am 3. Oktober 1758 im
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Schlosstheater Schönbrunn uraufgeführten, von stupender Situationskomik geprägten Merlin-Einakter ein kurzes humoriges Wiener Zwischenspiel, dessen Ouvertüre kurioserweise mehr als zwanzig Jahre später am gewittrigen Beginn der tragischen Iphigénie en Tauride platziert werden sollte. Glucks Opéra-comique aus zwölf lose miteinander verbundenen kurzen Szenen besteht freilich keineswegs nur aus klamaukigen Situationen. Sie erweist sich zugleich als bissige Persiflage, als gewitzt scharfe und zugleich die Lachmuskulatur aktivierende Demaskierung des Scheincharakters der sozialen Wirklichkeit einer vermeintlich vernunftgesteuerten Epoche. Gluck hatte die sogenannte leichte Muse des Vaudeville ausgiebig studiert und ingeniös zu stilisieren vermocht. Das in die französische Musiktheaterwelt des Aufklärungszeitalters übernommene Schema dieser Gattung, die ziemlich simple Architektur eines spaßigen Bühnenspiels mit Liedern, die zu allseits bekannten Weisen anzustimmen waren, fand sich unversehens in die ungleich reflektiertere opéra comique versetzt, die den Melodien höhere stilistische Weihen verlieh. Glucks gekonnte Adaptation der leichten Vaudevillewelt, deren heitere Gegenstände er ganz unpathetisch und ohne schwergewichtigen Humanitätston in witzige Deklamationsfiguren umzuwandeln vermochte, zeigte den Meister der seria erstmals in einem ganz anderen Licht. Der im 2/4-Takt notierte Anfang von Pierrots Air Nr. 7 aus L’Ile de Merlin etwa beweist, so Anna Amalie Abert, wie gut es ihm gelang, eben jenen unverwechselbaren Vaudeville-Ton zu treffen. Begleitet wurde dieser „fast simple und dabei doch spritzige rondoähnliche Gesang meist Note gegen Note von einem aus je 2 Oboen, Hörnern, Violinen und Bass bestehenden Orchester“ (Abert 1994, S. 350). Commedia dell’arte und Mythologie begegnen sich in dieser bald vom Burgtheater ins Repertoire übernommenen Oper so humorvoll wie rund eineinhalb Jahrhunderte später in Hugo von Hofmannsthals und Richard Strauss’ gleichfalls auf einer Insel spielenden Ariadne auf Naxos. Im Bild vom ambivalenten Zauberer Merlin hat sich die menschliche Phantasie eine „archetypische Gestalt“ geschaffen (Tolstoy 1987, S. 10), „die sich erstaunlich unverändert durch all die Jahrhunderte hindurch erhalten hat“ (ebd., S. 11). Wo ein solches Phantasma Einzug hält etwa in die Welt von Pierrot und Harlekin, wie es im Rezeptionsstrang jener Opern der Fall ist, die Merlin zum Herrscher über ein gegenweltliches Inselreich erheben, löst sich das Libretto nahezu vollständig aus der literarischen Tradition; der Mythos entsteigt der Stoffgeschichte. Vergleichsweise exakt lassen sich dagegen die Ursprünge jener historischen Vorstellung zurückverfolgen (vgl. Goodrich / Thompson 2004), wonach ein prophetisch begabter Zauberer namens Merlin einen entscheidenden Anteil daran gehabt haben soll, dass König Artus in Britannien sein legendäres Reich errichten, die
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Tafelrunde etablieren und den Einfluss der auf die Insel drängenden Sachsen zumindest temporär zurückdrängen konnte: Die Verbindung einer mutmaßlich schon älteren keltischen Sage um den Druiden Myrddin mit der Begründung des Artusreichs wird erstmals in der um 1135 verfassten Historia Regum Britanniae Geoffreys of Monmouth gezogen und in seiner daran anknüpfenden Vita Merlini (um 1150) weiter ausgestaltet. In die volksprachige Dichtung des Mittelalters fand die Artus-Sage – und mit ihr auch die Merlins – ihren Weg allerdings erst infolge der Übertragung der lateinischen Historia durch den Roman de Brut des normannischen Dichters Wace (um 1155). Ist Merlin bei Chrétien de Troyes kaum mehr als ein klangvoller Name, so sind es vor allem die hochmittelalterliche Estoire dou Graal Roberts de Boron (um 1200) und die hierauf in der einzigen überlieferten Handschrift folgenden Verse zur Lebensgeschichte des Zauberers, welche in erster Linie die Charakteristik der Figur in der späteren volkssprachigen Artusepik beeinflussen. Das neuzeitliche Merlin-Bild geht vor allem auf die Gestaltungen der Figur in den französischen Prosaromanen über Artus, Lancelot und den Gral zurück, häufig vermittelt durch Thomas Malorys Le Morte Darthur (1485). Rund 800 Jahre nach der Niederschrift der Historia Regum Britanniae entwarf schließlich der englische Schriftsteller T.H. White im Rahmen einer fünfteiligen Reihe, die Ausdruck seiner jahrzehntelangen, nachgerade obsessiven Auseinandersetzung mit dem mittelalterlichen Stoff war, noch einmal eine großangelegte neue, zuweilen ironisch gebrochene Version der Artussage. Deren erster Teil, die 1938 unter dem Titel The Sword in the Stone erschienene Erzählung von Jugend und Aufstieg des Königs, war Ausgangspunkt nicht nur für die von Helweg mit der Musik Brittens produzierte gleichnamige Radio-Oper, sondern auch Vorlage für diverse Filme und Musicals.
III Werkliste King Arthur, or The British Worthy „Semi-Opera“ Musik Text Henry Purcell John Dryden
Les eaux de Merlin „Piéce d’un acte, précédée d’un prologue“ Musik Text Jean-Claude Gillier Alain-René Lesage
Uraufführung 1691, London 17.12.1735, London [Bearbeitung Henry Giffard]
Uraufführung 25.7.1715, Paris
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Le monde renversé „Piéce d’un acte“ Musik Jean-Claude Gillier
Text Alain-René Lesage, JacquesPhilippe d’Orneval
Die verkehrte Welt „Opéra-comique in drei Akten“ Musik Text Georg Philipp Telemann Johann Philipp Praetorius [nach Alain-René Lesage]
Uraufführung 2.4.1718, Paris
Uraufführung 10.2.1728, Hamburg
Merlin, or The devil of Stonehenge Pantomime Musik Text John Ernest Galliard Lewis Theobald [?]
Uraufführung 12.12.1734, London
The royal chase, or Merlin’s cave Pantomime Musik Text John Ernest Galliard [?]
Uraufführung 23.1.1736, London
L’Ile de Merlin, ou Le monde renversé „Opéra-comique in einem Akt“ Musik Text Christoph Willibald Gluck Louis Anseaume [nach Alain-René Lesage] Merlin in love, or Youth against magic „A pantomime opera in five acts“ Musik Text Aaron Hill [?]
Uraufführung 3.10.1758, Wien
Entstehung 1737 [Druck: 1760]
La tomba di Merlino „Commedia per musica“ Musik Gennaro Astarita
Text Giovanni Bertati
Uraufführung Herbst 1772, Turin
La tomba di Merlino „Dramma giocoso per musica“ Musik Giuseppe Gazzaniga
Text Giovanni Bertati
Uraufführung Herbst 1772, Venedig
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La grotta del mago Merlino „Farsetta per musica a cinque voci“ Musik Text Antonio Amicone [?]
Uraufführung 7.1.1786, Rom
Urgande et Merlin „Comédie en trois actes“ Musik Nicolas-Marie Dalayrac
Uraufführung 14.10.1793, Paris
Text Jacques-Marie Boutet de Monvel
Merlino de Patone Melodramma semiserio in tre atti, parole di varii autori Musik Text Guiglielmo Calderoni [?]
Uraufführung Herbst 1875, Roverto
Merlin „Operndichtung in 3 Akten“ Musik Karl Goldmark
Text Siegfried Lipiner
Uraufführung 19.11.1886, Wien
Merlin „Große Oper in drei Akten“ Musik Philipp Rüfer
Text Ludwig August Hoffmann
Uraufführung 28.2.1887, Berlin
La grotta di Merlino Oper Musik Ugo Burnazzi
Text Ugo Burnazzi
Uraufführung April 1889, Ravenna
Aliénor „Opéra en quatre actes et un epilogue“ Musik Text Jenő Hubay Antal Váradi [nach Edmond Haraucourt] Merlin Opéra en trois actes Musik Emile Chevé
Text Lionel Bonnemère
Uraufführung 5.12.1891, Budapest
Uraufführung 11.2.1894, Brüssel
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Merlin „Drame en trois actes“ Musik Isaac Albéniz
Text Francis Burdett Money-Coutts
Merlin and Vivian „A lyric drama for chorus, soli and orchestra“ Musik Text Henry Kimball Hadley Ethel Watts Mumford Myrdhin „Légende dramatique en 4 actes et 6 tableaux“ Musik Text Louis-Albert BourgaultSimone Arnaud [d. i. Marie Ducoudray Lucile Anaïs Cognasse de Lage] Merlin „Oper in drei Aufzügen“ Musik Felix Draeseke Myrdhin Oper Musik Paul-Émile Ladmirault
Uraufführung 1. [spanische Textfassung] 18.12.1950, Barcelona 2. [englische Textfassung, konzertant] 20.6.1998, Madrid 3. [englische Textfassung, szenisch] 28.5.2003 Madrid [Entstehung: 1897–1902]
Uraufführung 1907, New York
Uraufführung 28.3.1912, Nantes
Text Felix Draeseke
Uraufführung 18.4.1913, Gotha
Text Albert Fleury, Louise Ladmirault
Entstehung 1902–1921
Merlin „Musikalische Legende in zwei Akten“ Musik Text Fritz Gersbach Arnold Masarey Merlino mastro d’organi „Dramma musicale in due parti“ Musik Text Gian Francesco Malipiero Gian Francesco Malipiero
Uraufführung 1932, Basel
Uraufführung 1. [konzertant] 1.8.1934, Radio di Roma 2. [szenisch] 28.3.1972, Palermo
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Merlins Geburt „Dramatische Dichtung in drei Bildern“ Musik Text Jan Stuten Ruth Waldstetter
Uraufführung 17.2.1935, Basel
Merlin „The Magical Musical“ Musik Elmer Bernstein
Uraufführung 13.2.1983, New York
Text Don Black
Knecht Warze „Ein Musical aus fernen Tagen“ Musik Text Martin Keeser Martin Keeser Merlin „Oper in acht Bildern“ Musik Franz Xaver Frenzel [d. i. Friedemann Katt] Merlin in Soho „Jugendoper“ Musik Wilfried Maria Danner Merlin Spectacle Musik Zygmunt Krauze
Merlin Oper Musik Manfred Trojahn
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Uraufführung 1988, Freising
Text Constantin Oeffinger
Uraufführung 8.5.1993, St. Pölten
Text Michael Korth
Uraufführung 17.11.2001, Berlin
Text Tankred Dorst, Ursula Ehler; Bearbeitung von Jorge Lavalli
Uraufführung 14.6.2005, Lyon
Text Tankred Dorst, Ursula Ehler
Uraufführung [Prolog] 15.9.2006, Düsseldorf [konzertant]
Parzival Volker Mertens I Präsenz des Sujets Von den Opern mit dem Gralssuchersujet ist vor allem das erstentstandene Werk heute auf der Bühne präsent: Richard Wagners „Bühnenweihfestspiel“ Parsifal, dessen Premiere am 26. Juli 1882 bei den zweiten Bayreuther Festspielen stattfand. Wagners Beschäftigung mit dem Stoff geht auf seine Pariser Zeit 1841–42 zurück, als er den mittelalterlichen → Lohengrin und damit den Gralsmythos kennen lernte. Nach einer ersten Lektüre von Wolframs Parzival 1845 las Wagner ihn 1859 ein weiteres Mal und fühlte sich dabei abgestoßen von der „wesenlose[n] Phantasterei“ (Wagner 1983b, S. 91) des Romans. Andere Projekte, in denen die Sinnenliebe im Zentrum steht, wie die Überarbeitung des Tannhäuser (→ Dichter und Sänger) für die Pariser Oper, vor allem aber → Tristan und Isolde, standen jetzt im Vordergrund, der Parzival bildete eine Alternative: Nach Abschluss des Tristan, 1865, schrieb Wagner dann den Entwurf zu einer ParzivalOper nieder, denn sein Mäzen, der Bayernkönig Ludwig II., hatte dies ausdrücklich gewünscht. Doch der Parzival-Plan blieb wieder liegen, zuerst sollten die Meistersinger abgeschlossen und dann das Ring-Projekt (→ Nibelungen) weitergeführt werden. Vergessen war der Stoff jedoch nicht, Wagner entwickelte ihn durch die Inkorporation buddhistischer Ideen weiter. Noch während der Arbeit an der Götterdämmerung in den frühen 1870er Jahren las Wagner indische und buddhistische Literatur im Hinblick auf den geplanten Parsifal. Nach den ersten Bayreuther Festspielen 1876 schrieb er zwischen Januar und Mai 1877 das endgültige Szenario und dann die Dichtung nieder, begann dann im September mit der Komposition, die er im Januar 1882 abschloss. Am 29. August 1882 ging die Serie von 16 Aufführungen bei den Festspielen triumphal zu Ende. Dass Parsifal Wagners letztes Opus bleiben sollte, war von ihm, wenn nicht geplant, so jedoch vorhergesehen. Er hatte kein neues Werk mehr vorgehabt, als er am 13. Februar 1883 starb. Vorgeschichte: Engel übergaben einst Titurel den Gral (die Abendmahlsschale, in der das Blut des Gekreuzigten aufgefangen worden war) sowie den Speer, mit dem der Hauptmann Jesu Seite geöffnet hatte. Titurel erbaute für diese Heiltümer eine Burg, auf der er eine Ritterschaft zur Verteidigung des Glaubens sammelte; sie leben asketisch und kampfbereit, nur Berufene können die Gralsburg finden. Klingsor strebte zum Gral; da er unfähig war, sein sexuelles Begehren abzutöten, entmannte er sich, doch er wurde wegen der Erzwingung der Keuschheit als unwürdig zurückgewiesen. Er will daraufhin die Gralsritter zum Bruch https://doi.org/10.1515/9783110424089-025
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ihres Keuschheitsgelübdes verleiten. Titurels Sohn und Nachfolger Amfortas bekämpfte Klingsor mit dem heiligen Speer, ließ sich jedoch durch Kundry verführen. Dabei konnte Klingsor diese Reliquie an sich bringen und den Gralsherren damit in der Seite verwunden. Heilung verspricht ihm der Gral durch einen reinen Toren, der „durch Mitleid wissend“ (Wagner 1914, Bd. 10, S. 333) geworden ist. – Kundry hat in vielen Existenzen gelebt, seit sie Jesus auf seinem Leidensweg zum Kreuz verlachte. Sie will ihre Schuld büßen, indem sie im Gralsbereich Amfortas heilende Essenzen bringt. In Klingsors Reich jedoch ist sie die zwanghafte Verführerin, die von ihrem Fluch erst dann frei werden kann, wenn ein Mann ihr widersteht. Erster Aufzug: Amfortas will nahe der Gralsburg in einem See ein heilendes Bad nehmen. Kundry jagt heran und bringt Balsam für den König, wird von den Knappen aggressiv behandelt, doch von Gurnemanz in Schutz genommen. Er berichtet die Vorgeschichte des Grals; als er die Verheißung vom reinen Toren zitiert, fällt ein wilder Schwan zu Boden, den ein Jüngling mit einem Bogenschuss erlegt hat. Es ist Parsifal, der völlig unwissend ist, weder Herkunft noch Namen kennt. Gurnemanz hält ihn deshalb für den verheißenen Toren und will ihn zum Gral geleiten. Beide erreichen den heiligen Saal, dort findet die tägliche Mahlfeier statt, Gralsritter und -knappen ziehen ein, Amfortas wird hereingetragen, er enthüllt den Gral: eine antike Kristallschale, in der das Blut des Heilands rot leuchtet. Der Gralsherr segnet die Ritter, dann Brot und Wein, die sie geistlich und körperlich stärken. Als Amfortas laut klagend seine Hand auf seine Wunde legt, greift Parsifal an sein Herz, steht jedoch erstarrt da. Das nimmt Gurnemanz zum Beweis, dass er wegen des fehlenden Mitleids nicht der prophezeite Tor sein kann; er stößt ihn zur Türe hinaus, während eine Stimme aus der Höhe den Verheißungsspruch singt. Zweiter Aufzug: Klingsor sieht von seinem Turm Parsifal herankommen und beschwört die schlafende Kundry, zwingt sie, den jungen Helden zu verführen. Parsifal kämpft gegen Klingsors Ritter, worauf die schönen Blumenmädchen herbeieilen und diese beklagen; als er in den erblühten Zaubergarten steigt, wetteifern sie um seine Zuwendung. Diese ersten Verführungsversuche bleiben wirkungslos, da vernimmt er Kundrys Stimme, die ihn bei seinem vergessenen Namen ruft. Sie tritt in zauberischer Schönheit auf und beginnt ihren Verführungsritus: Sie zieht ihn zuerst durch die Erzählung seiner Lebensgeschichte an sich, will den vom Tod der Mutter tief Getroffenen trösten, schließlich bietet sie ihm die sinnliche Liebe in einem langen Kuss und weckt so Parsifals Begehren. Er erschrickt vor dieser Erfahrung und erkennt die Leiden des Gralsherren als Qualen des sündigen Liebesverlangens, dann, dass das Heiligtum durch die Sünde des Amfortas entweiht wurde und dass er selbst durch seine Untätigkeit Schuld auf sich geladen hat. Parsifal weist Kundry zurück, jetzt aber will sie sein Mitleid für sich selbst durch
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ihre schreckliche Lebensgeschichte erregen: Wenn er der Erlöser des Grals sein wolle, dann müsse er auch sie erlösen – durch die Liebesvereinigung. Parsifal aber weiß nun, dass Entsagung und nicht Erfüllung des Begehrens Heil verleiht. Kundry versucht den Helden ein drittes Mal mit dem Angebot der Macht: Der volle Liebesgenuss werde ihm die göttliche Kraft verleihen, die ganze Welt und auch sie zu erlösen. Parsifal stößt sie weg, daraufhin verwünscht sie ihn, er solle nie den Weg zu Amfortas finden, um ihn zu heilen. Klingsor erscheint und schleudert den heiligen Speer auf Parsifal, der durch seine Entsagung unverwundbar geworden ist. Er ergreift die Waffe, die über ihm schweben bleibt, schlägt das Zeichen des Kreuzes, woraufhin das Wunderschloss zusammenstürzt und der Zaubergarten verdorrt. Parsifal will Kundry auf die rechte Weise erlösen. Dritter Aufzug: Gurnemanz, zum Greis gealtert, lebt als Einsiedler. Er findet Kundry, die starr und reglos im Gestrüpp liegt. Als er sie wieder ins Leben zurückruft, ist sie eine Gewandelte und will nur noch dienen. Ein Ritter in schwarzer Rüstung mit gesenktem Speer nähert sich, Gurnemanz heißt den Unbekannten willkommen. Als dieser seinen Helm abnimmt, sieht Gurnemanz, dass er der Tor ist, den er einst im Zorn aus der Gralsburg wies. Er erkennt auch den heiligen Speer. Gurnemanz berichtet, dass Amfortas sich aus Sehnsucht nach dem Tode geweigert habe, den Gral zu enthüllen. Die Bruderschaft sei zerfallen, nachdem sie nicht mehr vom Heiligtum gespeist wurde, und Titurel gestorben, da er den Gral nicht mehr erblicken durfte. Parsifal wird von Reue überwältigt, an einer Quelle nimmt Gurnemanz ihm den Harnisch ab, Kundry wäscht ihm die Füße. Der Alte besprengt ihm das Haupt und salbt ihn zum Gralskönig. Als erste Amtshandlung tauft dieser Kundry und macht sie damit der Erlösung teilhaftig. Wald und Wiese beginnen zu leuchten, das ist „Charfreitagszauber“ (Wagner 1914, Bd. 10, S. 371): Auch die Natur ist durch den Kreuzestod Jesu erlöst. Im heiligen Saal bedrängen die Gralsritter Amfortas heftig, das Heilsgefäß zu enthüllen, doch dieser fordert die Brüder auf, ihm die Schwerter in sein Herz zu stoßen. Unbemerkt ist Parsifal in Begleitung von Gurnemanz und Kundry erschienen, er berührt mit dem heiligen Speer die Wunde des Amfortas und heilt ihn damit. Der Schrein wird geöffnet, der Gral erglüht hell wie im ersten Aufzug. In Zukunft soll er nicht mehr verhüllt sein, denn das alte Ritual ist an sein Ende gekommen. Eine weiße Taube als Zeichen der himmlischen Gnade schwebt herab und verweilt über Parsifal, Amfortas und Gurnemanz huldigen ihm. Kundry sinkt erlöst und entseelt zu Boden. Während Parsifal mit dem Gral die Ritter segnet, vereinen sich Stimmen aus der Höhe mit denen der Brüder und Knappen: „Erlösung dem Erlöser“ (Wagner 1914, Bd. 10, S. 375). Der Heiland im Gral ist aus den sündigen Händen des Amfortas erlöst, eine bessere Zukunft kann beginnen.
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Dass Wagners Parsifal immer noch zu kreativer Auseinandersetzung herausfordert, zeigt sich nicht nur im Blick auf die Inszenierungsgeschichte des Werks selbst, sondern wird etwa auch durch die popkulturelle Adaption Mondparsifal alpha 1–8. Erzmutterz der Abwehrz bestätigt, die aus der Zusammenarbeit von Bernhard Lang (Buch und Musik) und Jonathan Meese (Idee, Ausstattung und Regie) hervorgegangen ist und am 4. Juni 2017 im Theater an der Wien sowie, fortgeführt unter dem Titel Mondparsifal beta 9–23, im Oktober desselben Jahres im Haus der Berliner Festspiele Premiere hatte. Einem breiteren internationalen Publikum ist der Gralssucherstoff musiktheatral durch seine parodistische Version in dem Musical Spamalot bekannt (nach dem Film Monty Python and the Holy Grail von 1975; erste Voraufführung Chicago 21. Dezember 2004). Die Ritter- und Herrschaftstravestie am Hof König Arthurs gipfelt darin, dass Arthur selbst den Gral unter dem Sitz eines Zuschauers findet. Die witzige Vermischung von Bühnenrealität und Aufführungssituation zeigt emblematisch den völligen Bedeutungsverlust des mythischen Objekts. Am 14. Januar 2011 wurde das Musiktheaterwerk Der durch das Tal geht von Pierre Oser auf ein Libretto von Tankred Dorst in Hanoi uraufgeführt – als Auftragsarbeit des Goethe Instituts in Vietnam. In 19 Szenen wird die Jugend Parzivals in Dialogen (auf Vietnamesisch), Musiknummern (auf Deutsch) und Tänzen auf die Bühne gebracht. Dorst hat damit sein Parzival-Projekt von 1986, das seinerseits auf sein Erfolgsstück → Merlin (1981) zurückgeht, zu einem Libretto weiterentwickelt. Es beginnt mit dem Krieg, der Herzeloide nach dem Tod ihres Mannes Gahmuret zum Rückzug in den Wald geführt hat, wo Parzival aufwächst. Merlin als stets die Gestalt wandelnder Mentor begleitet ihn. Parzival ist ein Mensch von natürlicher Amoralität und Grausamkeit: Er tötet den roten Vogel (eine Erscheinungsform Merlins), trifft auf einen Ritter, den er für einen Engel hält, und hat nach einer Begegnung mit dem „Turm der Väter“ den Impuls, ein Krieger zu werden, wie seine Vorfahren es waren. Er verlässt seine Mutter, deren Lehren, den Kampf zu vermeiden, er anzunehmen scheint, deren Sterben er jedoch gar nicht wahrnimmt, und folgt zwei „Generälen“ an den Hof Gawains, der dem Jungen seine Freundschaft schenkt. Auf dem Weg fragt er jeden, wie er zu Gott käme, und trifft auf Galahad, der alle Menschen liebt, von Parzival jedoch geschlagen wird. Seine Gottsuche bleibt vergeblich, er trifft auf Blanchefleur, die ihn liebt, die er jedoch nach einer Nacht verlässt. Merlin fordert ihn auf, sich zu ändern, von den Aggressionen und der Suche abzulassen. Im „Wüsten Land“ will Gawain Parzival die Schönheit der Welt nahebringen, doch letzterer will nur eines: General werden. Deshalb tötet er Ither, eignet sich in einem Akt roher Grausamkeit dessen Rüstung an und verlässt den Hof Gawains. Zweieinhalb Jahre zieht er auf Gottsuche durch das Land, bis er wieder Merlin begegnet, der in Gestalt Trevrizents
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sich selbst martert. Nun empfindet Parzival dessen Schmerzen als seine eigenen, er ist mitleidensfähig geworden, erkennt, dass der Himmel leer ist und kann sich Blanchefleur zuwenden. – Der Gral kommt nicht vor, die monomanische Suche des Helden gilt Gott, er kann sie schließlich aufgeben und den Menschen erkennen. Dorst interessiert die Entwicklung Parzivals vom „natürlichen“ Monster zum der Liebe Fähigen, nicht durch eine transzendentale Erleuchtung, sondern durch Freundschaft und Liebe. Die Gliederung in Stationen führt zu eindrucksvollen, oft symbolisch aufgeladenen Bildern, zwischen denen seelische Prozesse stattfinden.
II Historische Schichten Der Mondparsifal gehört zur zeitgenössischen Tendenz der ‚Dekonstruktion‘ von Wagners Bühnenweihfestspiel, wie es gegenwärtige Inszenierungen unternehmen. Die Transformation (pseudo-)religiöser Rituale in triviale Populärmythen zeigt eher den Verlust einer verbindlichen ethisch-religiösen Sprache und Ikonographie als die Ablehnung entsprechender Inhalte. Wagners Parsifal liefert das Personal und ein zugrundeliegendes Handlungsgerüst, die Aktion ist in eine SciFi-Zukunft verlegt, die Figuren sind aus denen Wagners und Gestalten aus Film und Groschenheften synthetisiert. Die Musik ‚dekonstruiert‘ die des Parsifal in Form eines komplex aufbereiteten Zitatenmix aus dieser (und anderen) Opern Wagners, von Minimal Music (Motivrepetitionen), Jazz und Elektronik überformt. „Parsifal – Spaßifal“ hat Meese programmatisch formuliert und eine elitäre Zuschauerschaft wie die Kritik damit gewonnen. Dorsts und Osers „Musiktheater“ ist eine Auftragsproduktion: Das Goethe Institut sicherte sich die Mitarbeit eines erfolgreichen deutschen Dramatikers bei einem Stoff, der gleichzeitig als typisch deutsch wie als allgemeinmenschlich angesehen wurde: zu Recht, denn das vietnamesische Publikum folgte gerade den Szenen von Vertreibung, Vaterlosigkeit, Gewaltfixierung mit besonderer Teilnahme, weil diese zu den eigenen jüngsten Erfahrungen gehören. Die Musik schrieb Pierre Oser, der bereits in Hanoi gearbeitet hatte und mit den dortigen Bedingungen vertraut war. In der Verbindung der Medien von Tanz, Schauspiel und Gesang konnte er an einheimische Traditionen anknüpfen. Die Komposition versteht sich als Teil des Dramas, intensiviert die Geschichte durch anspruchsvolle, aber fassliche Musik. Rutland Boughton hat zwischen 1914 und 1944 einen fünfteiligen Artus-Zyklus geschaffen, dessen vierte Oper, Galahad (1943/44), die spirituelle Suche des Gralshelden Galahad (in der Tradition von Thomas Malory) ins Zentrum stellt (Libretto:
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Reginald Buckley und der Komponist). Das ‚religiöse Drama‚ Galahad‛ reagiert darauf, dass sich die herrschende Klasse Wagners Parsifal aneignet und dabei seine Botschaft verkennt. Sollte Wagners Held Religiosität jenseits der leeren Riten der etablierten Kirchen repräsentieren (Steinacker 2014, S. 215), so wurde die Oper bald zu einem erbaulichen Lieblingswerk eben der Kreise, die der Autor kritisieren wollte. Boughton hat das sehr genau erkannt: Sein Held Galahad lehnt die Suche nach der magischen Schale als egozentrisches Abenteuer ab und sieht den Sinn seiner Sendung in der Realisierung ethischer Prinzipien ohne Rituale wie den Gralskult (Le Lan 2009, S. 117). Boughton wollte seinen Zyklus bei Festspielen in Glastonbury aufführen, die letzten beiden Opern blieben jedoch aus finanziellen Gründen und wegen der mit dem Kulturbetrieb wenig kompatiblen Botschaft ungespielt. Weitere Opern, die sich nach Wagner des Gralssucherstoffs annahmen, blieben erfolglos: Das Gralsspiel (Große Oper in drei Akten) von August Reißmann wurde seit der Uraufführung (Düsseldorf, 19. Januar 1885) nicht mehr nachgespielt, die geistliche Oper Percival des Jesuiten Adolf von Doß war seit ihrer Premiere im Collège St. Gervais in Lüttich (1883; Pfülf 1887, S. 268) lediglich im Jahr 1909 noch einige Male in einer von Domkapellmeister Philipp Jakob Lenz neu arrangierten Fassung in Trier aufgeführt worden (Bereths 1974, S. 229). Dass Wolframs Parzival seit den Übersetzungen von San-Marte (1836) und Karl Simrock (1842) breiter rezipiert wurde, hat nicht zu einer Bühnenrezeption geführt, wohl weil die Handlung nicht linear erzählt und wenig überschaubar ist. Wagners Beschäftigung mit der Gralsthematik geht auf die Schrift Über den Krieg von Wartburg zurück (Lucas 1838): Er lernte den Lohengrin-Stoff kennen und griff diesen im Sommer 1845 wieder auf – neben seinen neuen Mittelalter-Lektüren: der mythengeschichtlichen Einleitung von Johann Joseph Görres zur LohengrinAusgabe von Ferdinand Gloekle und des Parzival Wolframs von Eschenbach in der Nachdichtung durch Karl Simrock. Ergänzend zog er die Übertragung von SanMarte und zahlreiche weitere Gralstexte heran. In Görres’ Sinn schloss er dabei an die Suche der Romantiker nach Urmythen an. Entsprechend suchte er in der Handlung von Wolframs Roman einen (schwer erkennbaren) ursprünglichen Kern und meinte zuerst, als er den Lohengrin konzipierte, ihn als spirituelle und politische Botschaft verstehen zu können: Der Gral ist ein elitäres, semi-transzendentes Objekt, dessen Adepten für Frieden und Gerechtigkeit und somit eine bessere Herrschaft eintreten, gleichzeitig isoliert er die Gralsgefolgschaft vom Leben – und von der Liebe. In seinem Groß-Essay Die Wibelungen. Weltgeschichte aus der Sage (1848) versteht Wagner den Gral politisch als Symbol des Urkönigtums und verbindet mit ihm die Hoffnung auf eine Wiederkehr des goldenen Zeitalters. Diesen Aspekt verfolgte er in seinen weiteren Adaptionen zunächst nicht weiter, wohl aber den Gedanken der besonderen, elitären Bestimmung des Gralshelden
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sowie die Idee, dass sich im Gral ein Christentum artikuliere, das über die Kirche, wie sie vom römischen Papst repräsentiert wird, hinausginge. Diese Vorstellung verband er mit der von Arthur Schopenhauer (Die Welt als Wille und Vorstellung, 2. Auflage 1854) übernommenen Konzeption, dass Christentum und Buddhismus aus einer gemeinsamen Wurzel stammten, ersteres jedoch durch das Judentum bis zur Unkenntlichkeit überformt sei, was eine Verbindung zur von Wagner geteilten zeitgenössischen Kritik am traditionellen Christentum (Ludwig Feuerbach) bot. Als Kerngedanken des Buddhismus sahen Schopenhauer wie Wagner die Verneinung des Willens an, die sich in der Entsagung (vor allem der sexuellen) manifestiere. Parzival wird für Wagner daher zum weltflüchtigen Asketen, den er 1854 (nach seiner Schopenhauer-Lektüre) dem liebessehnsüchtigen Tristan gegenüberstellte. Dieser Bezug auf den Buddhismus war zur fraglichen Zeit sehr ungewöhnlich, nicht zuletzt, da es (außer bei Schopenhauer) keine deutschsprachigen Darstellungen der Lehre gab. Wagner griff daher zu Eugène Burnoufs internationalem Standardwerk Introduction à l’histoire du Buddhisme indien (1844). Ihm entnahm er eine Legende, die er 1856 zur Grundlage der Dramenskizze Die Sieger machte, die ihrerseits ideelle Konzepte für den Parsifal beisteuerte (Panagl 2002, S. 258 f.). Es geht dort um die sexuelle Entsagung als Voraussetzung eines leidensfreien Lebens. Dass Wagner 1857 eine durch einen schönen Karfreitagsmorgen angeregte Parzival-Skizze verfasst haben will, zählt zu den vom Autor gepflegten Inspirationsmythen: Hier sollte das (erst später entwickelte) buddhis tisch-christliche Konzept eines „Unschuldstag[s] der Natur“ (Wagner 1983b, S. 123), das bei Wolfram kein Gegenstück besitzt, und damit die Verquickung von (ur)christlicher und indischer Inspiration als zentral ausgewiesen werden. 1858 schrieb Wagner einen textlich-musikalischen „Parzival-Refrain“ zu seiner geplanten Konfrontation mit Tristan nieder: „Wo find’ ich dich, du heil’ger Gral, dich sucht voll Sehnsucht mein Herze“ (Wagner o. J., S. 60). Mit „Sehnsucht“ wird ein Schlüsselwort des Tristan aufgerufen, nur, dass dort das „Sehnen“ der Erfüllung der Geschlechterliebe gilt. Aus dem bisherigen Umgang lässt sich Wagners gewandelte Auffassung von Wolframs Roman erkennen: Ihn faszinierten nicht dessen politische Implikationen, sondern die mythischen und spirituellen Dimensionen, die um die (bei Wolfram kaum vorhandene) asketische erweitert werden. Parzival ist für Wagner der zugunsten der Gralssuche dem Leben wie der Liebe Entsagende und somit das Gegenbild zu Tristan. Im Gral sieht er (gemäß der Konzeption in Roberts de Boron Joseph) die Abendmahlsschale Jesu, in der unter dem Kreuz das Blut des Erlösers aufgefangen wurde. Dass der religiöse Aspekt eine musikalisch dominierende Rolle spielen sollte, erhellt daraus, dass Wagner sich gleichzeitig bei dem Benediktinerpater Petrus Hamp ausführlich über das katholische Hochamt mit seinen Gesängen informieren ließ, was in die Melodik der Partitur eingegangen ist (Mertens 2016a, S. 46).
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Im Entwurf von 1865 war die sexuelle Askese als Voraussetzung der Erkenntnis des Leidens der Welt (hier symptomatisch im Leiden des Anfortas) zentrales Thema geworden durch die Erfindung der Kundry als Verführerin, der der Held in der entsprechenden großen Szene des 2. Aufzugs widerstehen muss. Das Szenario von 1865 zeigt Reflexe des Auftrags durch König Ludwig II., der von Wagner als „Parzival“ angesprochen wurde, was sich auf seine Jugend und seine Funktion als „Erlöser“ in Bezug auf den Dichterkomponisten beziehen dürfte. Die Handlung ist im Wesentlichen so konzipiert wie in der fertigen Oper: Das Gerüst des zweimaligen Besuchs beim Gral mit dem Versagen beim ersten, der Heilung des Leidenskönigs beim zweiten, ist ebenso von Wolfram übernommen wie die Gegenüberstellung der Gralsburg mit der von Klingsor beherrschten Wunderburg. Wagners eigene Erfindung ist die komplexe Gestalt der Kundry als Widerpart des Helden: Er widersteht ihrer Verführung in einer Szene, deren Grundzüge aus der französischen Queste del Saint Graal, einem Teil des → Lancelot-Gral-Zyklus stammen: Perceval widersteht dort der Versuchung durch den Teufel in Gestalt einer schönen Jungfrau, weil er das Kreuz auf seinem Schwertgriff erblickt und sich bekreuzigt (Queste 1980, S. 110). Er wird zum Wissenden und kann so Anfortas erlösen, allerdings nicht durch die von Wagner abgelehnte Frage, sondern mit der heiligen Lanze, die er Klingsor abgewonnen hat (ein antikes Motiv, hier hat sie noch eine unklare Vorgeschichte). Die Bedeutung der sexuellen Askese als Vorbedingung der Erkenntnis ist buddhistisch geprägt. Kundry ist in Neudeutung der indischen Palingenesie als Wiedergeborene konzipiert, die immer wieder dem Zwang zur Verführung gehorchen muss. Wagner hat sie aus verschiedenen Gestalten Wolframs (der sinnlichen Orgeluse, der Gralsbotin Cundrie und anderen; Mertens 2016b, S. 32) sowie aus der biblischen Maria Magdalena und der allegorischen Gestalt der voluptas komponiert. Parzivals Auftritt mit dem Schwanenmord verbindet die Vogeljagd des jungen Parzival bei Wolfram mit einem Motiv aus dem indischen Ramayana (Mertens 2016a, S. 35); vom „Charfreitagszauber“ als indisch-christlicher Seinsharmonie war bereits die Rede. Das Leiden des Anfortas entspringt (wie Wagner es schon früh im Zusammenhang mit dem sich sehnenden Tristan verstanden hat; Mertens 2008, S. 105) der Diskrepanz zwischen dessen eigener Sündhaftigkeit und seinem heiligen Amt, des Grals zu walten, sodass er immer von neuem mit seinem frevelhaften Sehnen konfrontiert wird. Die Gralsprozession wird (in Abweichung von Wolfram) ohne höfische Frauen absolviert, die Enthüllung des weihevollen Gefäßes ist von Lichterscheinungen und Gesängen aus der Höhe begleitet, somit zu einer paraliturgischen Zeremonie ausgestaltet. In einigen Besonderheiten ist eine Beziehung auf Ludwig II. zu erkennen: In der einleitenden Charakterisierung des Grals ist die Verbindung zum Lohengrin herausgestellt, die Ritter werden zum Schutz Unschuldiger mit göttlicher Kraft ausgestattet in die Welt gesandt und erringen
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stets den Sieg. Das dürfte an den königlichen Auftraggeber adressiert gewesen sein, der diese Oper besonders schätzte. Der Schluss verbildlicht (abweichend von der Endfassung) den Gedanken der Herrschaftskontinuität: Anfortas hebt den Gral aus dem Schrein, Titurel erhebt sich segnend aus dem Sarge. Es ist der dynastischen Sensibilität des Königs geschuldet, wenn die alte Herrschaft nicht abgelöst wird (wie später in der Oper), sondern bewahrt und durch den Helden erneuert erscheint. Der Prosaentwurf von 1877 (und nach ihm die Dichtung) weist schon durch seine Position nach Abschluss der Götterdämmerung und der Uraufführung des gesamten Rings auf die Präsenz der politisch-gesellschaftlichen Dimension, die Wagner früh in dem Stoff gefunden, aber nur verdeckt artikuliert hatte. Der Schluss der Tetralogie ist offen, nach dem Untergang der Götter gibt es keine konkrete Perspektive auf eine neue Ordnung, die Musik spricht mit dem sogenannten Liebeserlösungsthema von einer Gesellschaft, in der die Liebe das soziale Prinzip sein könnte. Hier setzt der Parsifal an: Die Mitleidsethik, die der Held lernt und praktiziert, soll beispielhaft sein, Grundlage einer neuen Form der Vergesellschaftung werden. Die alte Gralsherrschaft ist zu Ende: „Nicht soll er mehr verschlossen sein“ (Wagner 1914, Bd. 10, S. 375), heißt es vom Gral; allen zugänglich wird die in ihm symbolisierte Erlösung durch das Mitleiden, die Jesus gewirkt und Parsifal erneuert hat. (Ungelöst bleibt die Rolle der Frau in der Gesellschaft der Zukunft: Anders als in den Siegern wird sie nicht Teil derselben; Wagner kommt darauf in seinem unvollendeten letzten Essay Über das Weibliche im Menschlichen zurück.) Die Kunst hat, so formuliert es Wagner (Religion und Kunst 1881), die Stelle der durch ihre Dienstbarkeit gegenüber den Herrschenden (und die Vermischung mit dem Jüdischen) delegitimierten Religion eingenommen, sie vermittelt in der Gegenwart die ethischen Grundlagen. Das ist der Anspruch des Bühnenweihfestspiels, der jedoch vom Publikum zumeist nicht angenommen und durch folgenlose Erbaulichkeit ersetzt wurde. Exkurs zur Inszenierungsgeschichte: Parsifal stellt eine Besonderheit auf dem Musiktheater dar, weil das Werk dreißig Jahre lang nur im Festspielhaus Bayreuth gespielt werden durfte, für das es in seiner theatralen und klanglichen Erscheinungsform (verdecktes Orchester) geschaffen worden war. Die Uraufführung galt für lange Zeit als vorbildlich und wurde in fast allen Produktionen bis zum Ersten Weltkrieg aufgegriffen oder wirkte zumindest in ihnen weiter. Wagner hatte für die Produktion von 1882 intensiv mit den Sängern Deklamation und Darstellung geprobt, er zielte einerseits auf eine psychologisch glaubhafte Aktion zwischen den Personen, andererseits auf die feierliche Zelebration von Kulthandlungen (vgl. Mertens 2019). Der Zugriff auf christliche Riten und ihre in der Malerei verbreitete Ikonographie im Fall von Abendmahl, Fußwaschung und Taufe oder dem Herabschweben der Taube im (elektrischen) weißen Lichtstrahl wirkte auf die einen erbaulich, auf die anderen wegen der Annexion von kirchlich praktizierten Ritualen durch die Bühne empörend. Doch die Verzauberungsbereitschaft überwog die Ablehnung bald bei weitem. Wagner hatte in
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den Dekorationen des Gralstempels (mit Anklängen an den Dom von Siena) auf mittelalterliche christliche Architektur zurückgegriffen; zwar gab es in der herkömmlichen Oper bereits Kirchenszenen, sie waren sogar ein beliebtes Versatzstück der Grand Opéra, doch in der Bayreuther Aufführung beherrschten sie Gestalt und Wirkung des Werks in ungewohntem Maße. Damit hat Wagner dem Missverständnis den Boden bereitet, das christliche Gewand, in das er seine diesseitige Ur-Religion (wie er sie verstand) des Mitleidens kleidete, sei die Substanz. Sein blonder Held Parsifal wurde als Jesus-Analogie wahrgenommen und in der Folgezeit als „arischer Christus“ rezipiert (Bermbach 2011, S. 276). Was letztlich als politisches Theater gedacht war, erschien als Wiederbelebung der antiken Dramatik in der Gestalt des mittelalterlichen Mysterienspiels. Aufgabe aller intellektuellen Distanz und Reflexion im Zustand emotionaler Entrücktheit war lange die verbreitete und eingeforderte Haltung. So konnte aus dem Theaterbesuch eine zelebrierte Ersatzreligion werden, deren rechtsnationaler Inhalt nichts mehr mit der ursprünglichen ethisch-politischen Botschaft zu tun hatte. Nach Wagners Tod waren die Festspiele von 1883 und 1884 zunächst Wiederholungen der Uraufführung mit den dafür von Wagner ausgebildeten Sängern, Dirigenten und Probenleitern. Zunehmend begann Cosima Wagner mit dem ‚Feststellen‘ der von ihr erlebten ursprünglichen Erscheinungsform und behielt sie bei, auch als im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts die Kritik an diesem Theaterdenkmal lauter wurde. Sie betraf nicht allein die mumifizierte Bühnengestalt, sondern mindestens ebenso das ‚Wallfahrtswesen‘, das sich in Bayreuth entwickelt hatte mit Devotionalien (Gralsglocken, elektrisch beleuchteter Gralskelch), mit dem Bekenntnis zu Werk und Autor und dem sich daraus ergebenden Erlebnis (pseudo-)christlicher Kulthandlungen, die für eine national-völkische Wagnergemeinde ‚germanisch‘ umgedeutet wurden als Erscheinungsformen einer spezifisch deutschen Religion. „Urarische Mysterien“, so wurde propagiert, seien hier zu erfahren (Bauer 2016, Bd. 1, S. 384). Das Ende der Schutzfrist am 31. Dezember 1913 (und nicht die moralische Aufrüstung für den Krieg) führte zu über 40 Produktionen allein in Deutschland, nicht wenige im Zeichen einer Befreiung vom Bayreuther Joch und einer Ermutigung zum szenischen Experiment. Diese Wendung von realistischen zu symbolischen Bildern gab jedoch allen Szenen des Werks eine allgemein kultische Erscheinung, entsprach also der verbreiteten Rezeption als religiösem Ritual. 1934 hatte Adolf Hitlers Parsifal Premiere in Bayreuth; der „Führer und Reichskanzler“ hatte die Neuproduktion angeordnet, nachdem das lebende Denkmal der immer wieder überarbeiteten Uraufführungsinszenierung als museal und von der Theatergeschichte endgültig überholt angesehen worden war. Die Produktion (Heinz Tietjen, Regie; Alfred Roller, Ausstattung), die zu massiven Protesten der Alt-Wagnerianer und selbst von Mitgliedern der Wagnerfamilie führte, sollte die Modernität des nationalsozialistischen Regimes repräsentieren. Hitler, der sich immer als Künstler verstand, wollte sich hier als Erneuerer Bayreuths zeigen. Ob mit dem Parsifal die besondere Botschaft von einer blutgeweihten kämpfenden Ritterschaft propagiert werden sollte, ist umstritten (Zelinsky 2000); die Mitleidsethik jedenfalls widersprach der offiziellen Ideologie diametral. Führende Parteimitglieder lehnten den Parsifal daher ab (Bauer 2016, Bd. 1, S. 568) und suchten statt der Ethik eine allgemein heroische Dimension von Gral und Gralsheld. 1951 wirkte Wieland Wagners Inszenierung zur (wegen der Nähe Bayreuths zu Hitler umstrittenen) Wiedereröffnung der Festspiele wie ein Paukenschlag. Sie brach anscheinend mit der vorangegangenen Bild- und Regiewelt durch Abstraktion und Statuarik, brachte ein modernes Mysterienspiel im Nirgendwo und machte es eben deshalb im Hier und Heute möglich. Da der Neuanfang als ‚Stunde Null‘ inszeniert und rezipiert wurde, war das nationalsozialistisch kontaminierte Werk Wagners wieder als rein-menschliches unpolitisches Theater aktuell. Eine ethische, gar religiös instrumentierte Botschaft war der Produktion nicht zu entnehmen; welche
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inhaltliche Bedeutung das Gezeigte haben sollte, blieb offen. Dem arbeitete man im Festspielhaus entgegen: Im begleitenden Programmheft des Jahres 1953, dessen Beiträge ausschließlich dem religiösen Gehalt gelten, Wieland Wagners Inszenierung also an die Altbayreuther Tradition der Aufführung als christliches Mysterium und damit als Gottesdienst auf dem Theater zurückbinden sollen, wird dem Publikum eine anscheinend unbedenkliche Kontinuität suggeriert (Bermbach 2020). Man hat Wieland Wagner zu Recht vorgehalten, sich nicht mit dem problematischen Erbe Bayreuths auseinandergesetzt zu haben, aber er bediente damit die Befindlichkeit seines Publikums, denn sowohl die in- wie die ausländischen Besucher wollten einen ‚reinen‘ Wagner ohne braune Flecken und das boten die leeren Lichträume der Inszenierung, die symbolischen, nur angedeuteten Kulissen, in denen die Figuren wie Plastiken von Rodin und Barlach arrangiert wurden, so konnte ein Anschluss sowohl an die zeitgenössische Kunstszene mit der Abstraktion wie an die Moderne vor dem Zweiten Weltkrieg behauptet werden. Auf der heutigen Bühne hat sich Parsifal vom erbaulichen Festspiel zum Repertoirestück gewandelt und ist in unterschiedlicher Gestalt zu erleben, spiegelt so die zeitgenössischen Entwicklungen der Theaterszene. Avantgardistisch ist die Loslösung vom Text und die Entwicklung einer eigenen semantischen Ebene jenseits desselben im ‚posthermeneutischen‘ Theater. Unter den prominenten Produktionen nähert sich die Stefan Herheims am meisten dieser Position an (Bayreuth 2008): Die Handlung des Parsifal spielt über weite Strecken keine Rolle, stattdessen treten (erfundene) rezeptionsgeschichtliche Visualisierungen in den Vordergrund, die allerdings immer wieder vom Werk angestoßen scheinen. Der Regisseur bietet eine Deutschlandrevue vom wilhelminischen Kaiserreich über die (unvermeidliche) Hitlerzeit bis in die Anfangsjahre der Bundesrepublik, aber nicht im Sinn einer ‚Aufarbeitung‘ oder kritischen Analyse des Umgangs mit dem Parsifal. Vielmehr handelt es sich um assoziatives visuelles Theater aus zeittypischen Bildern, die mit wenigen Ausnahmen nichts mit dem Parsifal selbst zu tun haben. Die kontingente Bilderfülle, die überaus virtuos vorgeführt ist, bedeutet eine Abkehr vom kultisch-mystischen Ritualtheater. Gemeinsam ist den meisten anderen Inszenierungen eine Tendenz zur Aktualisierung, um aufzuzeigen, dass es sich bei den dargestellten Problemen um heute noch relevante handelt, da die als Voraussetzung der Erkenntnis gezeigte sexuelle Askese in unserer Zeit als obsolet, ja, als lächerlich gilt und die christlich-religiöse Aura bestenfalls als peinlich, wohl gar als widerwärtig empfunden wird. Der Umgang mit diesen Schwierigkeiten reicht von der Transponierung ins Dekorativ-Unverbindliche über eine mehr oder weniger kritische Distanzierung bis zu dem Versuch, eine existentielle Botschaft zu retten. Letzteres gilt vor allem für zwei Inszenierungen: Von privaten Assoziationen geprägt ist die Regie von Christoph Schlingensief (Bayreuth 2004); der Bezug zu dem großen Thema des Werks, der Erlösung (oder: Regeneration?) bleibt gewahrt, wenn der Regisseur die christlichen Mythen zu Gunsten einer vorwiegend afrikanischen Ikonographie („Vom Gral zum Kral“) verwirft. Existenziell noch eindringlicher ist die Regiearbeit von Calixto Bieito in seinem „postapokalyptischen Emotionstheater“ (Mertens 2013a, S. 351) in Stuttgart im Jahr 2010. Er liest das Werk gegen den Strich, gegen die verbrauchten Weihtümeleien und gewinnt damit die Radikalität des Erlösungsbedürfnisses, zweifelt die scheinbare Aufhebung der Widersprüche in der Musik an, ohne einen Ausweg zu zeigen, und gibt die Suche nach Erlösung als Aufgabe an das Publikum weiter.
Der Ursprung des Grals liegt im Dunkeln, denn heilige Gefäße existieren in vielen archaischen Gesellschaften, östlichen wie westlichen. Man kennt Fruchtbar-
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keitskulte, in denen eine Trank und Speise spendende Schale eine Rolle spielt in Griechenland, Ägypten und Persien. Die These vom keltischen Ursprung rekurriert hingegen auf einen Becher als Instrument der Herrschaftsübertragung, verbunden mit einer Frage (vgl. die irische Erzählung Baile in Scáil: ‚Die Verzückung des Phantoms‘). Beide Perspektiven sind in den Gralsromanen kombiniert. Das Wort „Gral“ wird im Mittelalter von lateinisch gradalis/gradale abgeleitet (Erstbeleg 1010); es bezeichnet eine kostbare flache Schüssel, in der erlesene Speisen stufenförmig angeordnet werden, also ein Repräsentationsobjekt, das der herrscherlichen Sphäre zugeordnet ist. Archäologische Funde lassen sich nicht mit hinreichender Sicherheit auf ein Objekt „Gral“ beziehen; bildliche Darstellungen in Handschriften sind literarisch abgeleitet; die Anlehnung an liturgisches Gerät ([weiter] Speisekelch „pyxis“ oder [enger] Meßkelch „calix“) ist evident; selten kommt Tafelgeschirr wie eine weite Schale oder Schüssel vor. Wagner entschied sich bei der Uraufführung für einen von innen elektrisch rot beleuchteten engen Kelch (obwohl im Libretto, auch in der Regieanweisung von „Schale“ die Rede ist) und gegen Paul von Joukowskys Entwurf eines dem (weiten) Speisekelch ähnlichen Objekts, so näherte er das Gralsritual der Messliturgie noch weiter an. Die älteste Erzählung vom Gral (Li Contes del Graal ou Le roman de Perceval) stammt von Chrétien de Troyes (1185/90), sie wird frei adaptiert von Wolfram von Eschenbach in seinem Parzival (1205/10). Schon vorher hatte Robert de Boron eine entschiedene Verchristlichung des Grals unternommen: Er identifiziert ihn in seinem Joseph (oder: Estoire dou Graal, um 1200) mit der Abendmahlsschale Jesu, in der Joseph von Arimathia das Blut des Gekreuzigten aufgefangen habe. Ersteres geht ein in den Jüngeren Titurel Albrechts (1260/70); vermittelt durch San-Marte lernte Wagner diese Konzeption kennen, die er an die Stelle des geheimnisvollen Steins bei Wolfram setzte. Der Bezug auf die Eucharistie stammt aus dem altfranzösischen Lancelot-Gral-Zyklus (1230er Jahre), wo das Altarsakrament aus dem Gralskelch gefeiert wird (bei Wolfram sorgt der Gral lediglich für üppige höfische Speisen). Die Frage, die der Held stellen muss, um den kranken Gralsherren zu heilen („Oheim was fehlt dir?“), empfand Wagner als „ganz abgeschmackt und völlig bedeutungslos“ (Wagner 1983b, S. 93), weil sie ein leeres Ritual sei (was mit der generellen Einschätzung in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts übereinstimmt). Die genealogische Einbindung, dass die Erwählung neben der persönlichen Qualifikation auf aristokratisches Erbrecht gegründet ist, lehnte Wagner aus seiner antifeudalistischen Haltung heraus ab. Die Wunderburg stammt ebenfalls aus dem Roman Wolframs, sie wird dort allerdings nicht von Parzival, sondern vom zweiten Helden Gawan befreit. Mitleid ist bei Wolfram zwar eine wichtige Qualifikation des Helden, doch wurde sie im neunzehnten Jahrhundert wenig als solche anerkannt. Bei Wagner spielt das (dem Parzival fremde, allerdings im Lancelot-Gral-Zyklus vertretene) Konzept der sexuellen Askese des Helden (als
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vom monomanen Trieb befreiende Haltung) aus der buddhistischen Philosophie hinein. Die Konzeption und die Bühnengestalt von Wagners Parsifal haben auf das Verständnis von Wolframs Roman in der Sakralisierung des Grals wie auch der Verabsolutierung der Mitleidsethik zurückgewirkt.
III Werkliste Parsifal „Ein Bühnenweihfestspiel“ Musik Richard Wagner
Text Richard Wagner
Uraufführung 26.7.1882, Bayreuth
Percival „Opéra dialogué en 4 actes et en vers“ Musik Text Adolphe de Doss [Adolf von Doß] L. Bailly
Uraufführung Herbst 1883, Lüttich
Galahad Oper Musik Rutland Boughton
Text Reginald Buckley, Rutland Boughton
Entstehung um 1943/44
Text Eric Idle
Uraufführung 21.12.2004, Chicago [Voraufführung]
Spamalot „A Musical Comedy“ Musik John Du Prez
Der durch das Tal geht „Musiktheater für Sänger, Tänzer, Schauspieler & Großes Orchester“ Musik Text Uraufführung Pierre Oser Tankred Dorst [unter 14.1.2011, Hanoi Mitarbeit von Ursula Ehler] ParZeFool. Der Thumbe Thor „Musiktheater nach Richard Wagners Parsifal für Stimmen, Chor und Orchester. Eine Überschreibung“ Musik Text Uraufführung Bernhard Lang Bernhard Lang 1. [Mondparsifal alpha 1–8] 4.6.2017, Wien 2. [Mondparsifal beta 9–23] 15.10.2017, Berlin
Tristan Christian Buhr, Florian Kragl I Präsenz des Sujets Sowohl Bekanntheit als auch Bühnenpräsenz sind über die knapp ein Dutzend Werke, die die Geschichte von Tristan und Isolde musikdramatisch erzählen, sehr ungleich verteilt. Während die meisten dieser Werke keine nennenswerte Breitenwirkung entfalten konnten, gehört Richard Wagners Musikdrama Tristan und Isolde, das am 10. Juni 1865 im Königlichen Hof- und Nationaltheater München unter der Leitung von Hans von Bülow uraufgeführt wurde, seit vielen Jahrzehnten und besonders im deutschsprachigen Raum zu den berühmtesten und meistgespielten Opern (dazu grundlegend u. a. Heldt 1994; Chafe 2005; Maschka 2013; Gut 2014; die entsprechenden Abschnitte in Langer u. a. 2018). Die von Wagner gewählte Bezeichnung „Handlung in drei Aufzügen“ – wobei „Handlung“ wohl als deutsche Übersetzung des griechischen dráma verstanden werden soll – ist insofern irreführend, als im Tristan kaum je Handlung dargestellt ist, sondern meistens die Figuren über vergangenes Geschehen oder Zukünftiges nachdenken. Nur indirekt erschließbar ist die Vorgeschichte: Kornwall ist Irland zinspflichtig, es entsteht ein Krieg. Tristan – dem Neffen Markes, des Königs von Kornwall – gelingt es, den irischen Heerführer Morold zu besiegen; das abgeschlagene Haupt schickt er nach Irland. Tristan selbst ist schwer verwundet und begibt sich, verkleidet als Spielmann Tantris, seinerseits nach Irland, um von der irischen Königstochter Isolde – Morolds Verlobter! – geheilt zu werden. Isolde nimmt sich seiner an, entdeckt aber, dass ein Metallsplitter in Morolds Haupt zu einer Scharte im Schwert des Tantris passt, und entlarvt so den Mörder ihres Verlobten. Im Zorn will sie Tantris-Tristan töten, doch als sie ihm in die Augen sieht, verliebt sie sich in ihn und lässt ihn ziehen. Zurück in Kornwall betreibt Tristan den Plan, Marke mit Isolde zu vermählen, um dauerhaften Frieden zu sichern. Erster Aufzug: Isolde befindet sich in Begleitung ihrer Zofe Brangäne und Tristan in Begleitung seines Gefährten Kurwenal auf dem Schiff von Irland nach Kornwall; die Landung steht unmittelbar bevor. Isolde leidet unter der Demütigung, an Marke verheiratet zu werden, zumal sie Tristan liebt. Ihrer von Brangäne übermittelten Forderung nach einer Aussprache kommt Tristan erst nach langem Zögern nach. Von ihrer Mutter mit verschiedenen Zaubertränken ausgestattet, plant Isolde, gemeinsam mit dem unwissenden Tristan den Todestrank einzunehmen. Brangäne ist entsprechend instruiert, vertauscht aber den Todes- gegen den Liebestrank. Isolde und Tristan erkennen ihre Liebe, als das Schiff im Begriff ist, in den Hafen einzulaufen. https://doi.org/10.1515/9783110424089-026
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Zweiter Aufzug: Im Garten vor Isoldes Gemach in der königlichen Burg zu Kornwall – Isolde ist inzwischen Markes Frau – treffen sich Isolde und Tristan heimlich in der Nacht und ergehen sich in ekstatischen Bekundungen ihrer Liebe. Warnungen Brangänes fruchten nicht, sodass endlich Marke, mit seinem Hof von einer nächtlichen Jagd zurückkehrend und geführt von Tristans missgünstigem Freund Melot, die Liebenden entdeckt. Tristan provoziert Melot, attackiert ihn aber nur zum Schein und lässt sich von ihm niederstrecken. Dritter Aufzug: Im Garten vor Tristans Burg Kareol (Bretagne) reflektiert Tristan, dem Kurwenal zur Seite steht, im Fieberdelirium sein Leben und seine Liebe zu Isolde. Endlich landet Isoldes Schiff, doch anstatt sich ihren Heilkünsten anzuvertrauen, reißt Tristan seine Verbände vom Leib und stirbt in Isoldes Armen. Nun landet das Schiff Markes mit dem König und seinem Gefolge. Kurwenal greift Melot an und tötet ihn, wird aber selbst tödlich verletzt. Die Situation ist tragisch: Marke, der inzwischen durch Brangäne vom Trank und seinen Folgen unterrichtet ist, wäre gekommen, um Isolde für Tristan freizugeben. Isolde sinkt mit einer ekstatischen Vision über Tristans Leiche zusammen. Wagners Tristan gilt bis heute als eine Art Nonplusultra der Liebesoper: Die affektive Wirkung und die emotionale Ansteckungskraft der in Text und Musik angezielten hochromantischen Amalgamierung von éros und thánatos (Urmoneit 2005) scheinen seit 150 Jahren ungebrochen. Entsprechend lang ist die Liste von Einspielungen und Aufnahmen; der Tristan wird vor allem im deutschsprachigen Raum kontinuierlich gespielt und neu inszeniert, und dies trotz der erklecklichen Schwierigkeiten, die das Werk in dramaturgischer Hinsicht bietet. Im weitgehenden Verzicht auf gezeigte Handlung ist das Geschehen wesentlich statisch. Zugleich scheint das dominante Identifikationsangebot des Tristan querständigen Regieexperimenten, wie sie für andere Opern Wagners in den vergangenen Jahren durchaus dominant waren, einen sanften Riegel vorzuschieben, sodass Inszenierungen des Tristan sich nicht selten – wenn auch nicht ausnahmslos – am Rande des Ritualhaften oder Konzertanten bewegen. Oft gemäldehaft-symbolschwanger irritieren sie den hinfließenden Strom der Liebesapotheose häufig nur punktuell (Maschka 2013, S. 116–125). Von der reichen musiktheatralen Rezeption des Sujets nach Wagner, die knapp 60 Jahre nach der Uraufführung des Tristan einsetzt, sind gegenwärtig nur jene Zeugnisse präsent, die entweder eine Nische am Rande des Gattungsspektrums zu besetzen vermochten oder aufgrund der allgemeinen Wertschätzung ihres Urhebers einer gewissen musealen Pflege sich erfreuen. So handelt es sich bei der letzten szenischen Darbietung im Oktober 1963 ebenso wie bei der jüngsten Aufnahme von Rutland Boughtons Oper Queen of Cornwall (1924), die 2010 unter der Leitung Ronald Corps vom New London Orchestra eingespielt wurde (Dutton
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2CDLX 7256), um ein Resultat der Bemühungen des Rutland Boughton Music Trust um die Bewahrung des musikalischen Erbes des Komponisten. Textgrundlage für Boughtons Oper ist Thomas Hardys einaktiges Theaterstück The Famous Tragedy of the Queen of Cornwall at Tintagel in Lyonnesse, das der Komponist zunächst im Erstdruck aus dem Jahr 1923 kennengelernt hatte und kurze Zeit später auch auf einer Londoner Bühne betrachten konnte. Ähnlich wie Wagner ist auch Hardy nicht von dem Wunsch getrieben, die Handlung der mittelalterlichen Liebeserzählung in vollem Umfang zu reproduzieren. Sein Drama, für das er sich Thomas Malorys Morte Darthur zur Quelle gewählt hat, kreist jedoch nicht um die vermeintlichen Kernszenen des Sujets, also um die Einnahme des Tranks, die heimliche Vereinigung und schließlich die Trennung der Liebenden, sondern nimmt die trianguläre Konstellation um Sir Tristram und seine beiden gleichnamigen Geliebten in den Blick: Iseult the Fair, die heimlich aus Tintagel in Richtung der Bretagne aufgebrochen war, um Tristram zu retten, erhält von ihrer Rivalin, Iseult the Whitehanded, die Nachricht vom Tod des Helden. Da sie nun aber nicht wagt, das Schiff zu verlassen und bretonischen Boden zu betreten, wird der für die gesamte Tristan-Tradition verbindliche Tod der beiden Hauptfiguren auf unerwartete Weise suspendiert. Zurück in Cornwall, sieht sich Iseult den Nachstellungen Sir Andrets und dem Argwohn ihres trunksüchtigen Ehemanns, des Königs Mark, ausgesetzt. Mit einem Verweis auf die Nachricht vom Tod des Helden kann sie dem gewiss nicht unberechtigten Vorwurf entgegentreten, dass ihre heimliche Reise auf ein versuchtes Stelldichein mit Tristram schließen lasse. Während Mark sich nun triumphierend zu einem Saufgelage begibt, keimt in Iseult die Hoffnung, dass ihre Nebenbuhlerin womöglich doch gelogen haben, Tristram also noch immer am Leben sein könnte. Tatsächlich erscheint bald darauf ein fremder Spielmann an der Küste, in dem sie ihren Geliebten erkennt. Wieder einmal lockt nun die Aussicht auf ein spontanes Liebesglück, wodurch der ewige Kreislauf von Entdeckung, Flucht und Wiederkehr neuerlich in Gang gesetzt wäre. Dann aber erreicht ein zweites Schiff Tintagel, an Bord Iseult the Whitehanded, die dem frisch genesenen und seiner Ehe ob der dreisten Lüge über seinen Tod endgültig überdrüssigen Helden nachgereist war, um diesen für sich zurückzugewinnen. Während König Mark bereits Rachepläne schmiedet, findet sich Tristram nun inmitten einer fatalen Dreieckskonstellation wieder, worin er sich zwischen Liebe und Ehe, Leidenschaft und Vernunft entscheiden muss. In der nun folgenden Serie zermürbender Aussprachen scheint kurzfristig der Gedanke an ein dauerhaftes Zusammenleben Tristans mit beiden Frauen im Raum zu stehen – gewissermaßen als Option wechselseitig akzeptierter Polygamie. Vor die Wahl gestellt, votiert Tristram endlich zugunsten der ‚wahren‘ Iseult. In diesem Moment tritt König Mark aus dem Schatten hervor und tötet seinen Erzfeind heim-
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tückisch mit dem Dolch. Iseult the Fair übt eigenhändig Vergeltung, tötet ihren Ehemann und stürzt sich verzweifelt die Steilküste Cornwalls hinab. Während die bretonische Königin gemeinsam mit Brangwain (!) in ihr Reich zurückkehrt, lässt Andret den König feierlich begraben. Tristrams Leichnam aber wirft er über die Brüstung und sorgt so für die posthume Vereinigung der Liebenden in den Wogen des Meeres, woraufhin ihre Seelen unter den Klagegesängen des Chores himmelwärts emporsteigen. Nicht allein auf Tonträgern gegenwärtig ist Joel Cohens Tristan and Iseult (Erato ECD 75528). Das von der Boston Camerata erstmals am 19. Februar 1988 in der New Yorker Merkin Concert Hall aufgeführte kompilatorische Arrangement lyrisch-musikalischen ebenso wie narrativen Materials aus dem zwölften, dreizehnten und frühen vierzehnten Jahrhundert entgeht dem Vergleich mit Wagners Tristan durch sein minimalistisches Konzept. Die gleichermaßen dramatisch dargebrachte wie erzählerisch begleitete Handlung orientiert sich an den mittelalterlichen Tristan-Romanen, bemüht sich also um eine mehr oder minder ‚authentische‘, mosaikartig zusammengefügte Rekonstruktion der hochmittelalterlichen Liebesgeschichte Tristans und Isoldes vom Moroldkampf und der verhängnisvollen Überfahrt nach Cornwall über die Nachstellungen des Königs bis hin zu Verbannung, Wahnsinn und zum Tod des Helden (McLellan 1989). Dem Nachsterben der Geliebten folgt ein Epilog nach dem Wortlaut des altfranzösischen Versromans eines Autors namens Thomas. Unter der künstlerischen Leitung von Anne Azéma wird Cohens Tristan and Iseult seit 2017 von der Boston Camerata regelmäßig in einer leicht veränderten, noch stärker auf die Bedürfnisse des Musiktheaters abgestimmten Fassung gespielt.
II Historische Schichten Die Dominanz der Oper Richard Wagners hat sich auf die weitere musiktheatrale Beschäftigung mit der Geschichte von Tristan und Isolde über Generationen hinweg hemmend ausgewirkt, sodass Versuche einer Verjüngung und Aktualisierung des Sujets sich fast ausschließlich auf dem Feld der Regiearbeit vollziehen (Müller 2002, S. 238). Grundlegend ändert sich das erst im letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts: Rund die Hälfte der musiktheatralen Bearbeitungen des Sujets entstammen der Zeit zwischen 1978 und 1995. Diese Phase der Revitalisierung ist auf wenigstens drei verschiedene Entwicklungen zurückzuführen, die sich im Einzelfall jedoch überlagern können: 1. das gestiegene Interesse an Alter Musik und historischer Aufführungspraxis, welches mit Zeugnissen mittelalterlicher Musik wie den Tristanliedern der Trouvères und Troubadours oder mit
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den lyrischen Partien des altfranzösischen Prosa-Tristan bedient werden kann; 2. die Erweiterung des Gattungsspektrums um neue musiktheatrale Ausdrucksformen, wie sie die fernöstliche Theaterkultur, das Chordrama oder das Oratorium bieten; 3. die Abkehr vom bis dahin prädominanten Muster Wagner’scher Stoffausdeutung und die Erschließung bisher randständiger älterer oder neuerer literarischer Quellen. Für das Beschreiten neuer Wege kann die bislang letzte Tristan-Adaptation, ein Einakter des italienischen Avantgarde-Komponisten Francesco Pennisi, geradezu beispielhaft herangezogen werden. Erstmals am 2. Juli 1995 im Rahmen der Biennale in Venedig aufgeführt und im Folgejahr noch einmal in Bologna dargeboten, basiert Pennisis Tristan auf Ezra Pounds posthum veröffentlichten Skizzen für Dramen im Stile des japanischen Nō-Theaters aus dem Jahr 1916. Wie seine literarische Vorlage folgt das in italienischer Sprache gehaltene Libretto dem Strukturschema des in einer Traumwelt angesiedelten mugen nō (Seminara 2014, S. 87–89): Ein Reisender (z. B. ein Mönch) trifft an einem besonderen Ort ein, begegnet einem Geisterwesen und erhält von diesem Auskunft über die mit diesem Ort verbundene, meist tragische Geschichte. Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen französischen Bildhauer, der auf der Suche nach einem für seine ungewöhnlich frühe Blüte bekannten Quittenbaum eine alte Burg an der Steilküste Cornwalls erreicht. Die Burgherrin empfängt den ungebetenen Gast nur widerwillig, weist ihm jedoch den Weg zu dem gesuchten Frühjahrsblüher und verschwindet spurlos. Als der Fremde die Burg wieder betritt, erscheint ihm an ihrer Stelle der Schemen Yseults, die ihn jedoch nicht wahrnimmt, sondern ein zweites geisterhaftes Wesen empfängt: ihren Geliebten Tristan. Vor den Augen des Fremden entfalten die Liebenden nun rückblickend ihre Liebes- und Lebensgeschichte, besonders aber erinnern sie sich jener glücklichen Zeit im Wald von Marrois, ehe der Zaubertrank seine Kraft verlor (Pound folgt hier der Tradition einer auf drei Jahre begrenzten Wirkungszeit). Yseult verrät dem Bildhauer zuletzt noch den Namen der Burg – „Tintagoel“ (Pound 1987, S. 38) –, dann entschwinden Tristan und sie wieder ins Nichts. Die musiktheatrale Verschränkung der mittelalterlichen Liebesgeschichte mit dem japanischen Nō ermöglicht eine Gestaltung des Sujets aus der Retrospektive. Vor allem Yseult, die ungeachtet des Titels als die eigentliche Hauptfigur des Werks anzusehen ist, hadert dabei mit ihrem Schicksal und klagt nicht wenig über ihre unglückliche Liebe, die selbst im Tod keine Erfüllung findet. Tristan hingegen schwankt nicht nur in seinen Empfindungen, sondern auch in seiner Identität. Sein Schatten scheint mit dem Bildhauer, der ihm seine Stimme leihen muss, zu verschwimmen – eine Ambivalenz, die Pennisis musiktheatrale Adaptation durch das Ineinanderfließen der Gesangspartien realisiert (Seminara 2014,
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S. 87–89). Dort beginnend, wo Wagners Oper lustvoll im Liebestod versinkt, ersetzen Pound und Pennisi somit die spätromantische Verklärung durch den Zweifel, der an den verstorbenen Seelen nagt. Wohl nicht von ungefähr erinnert das an die Liebenden des zweiten Höllenkreises aus Dantes Göttlicher Komödie. Die Tendenz zur Rückbesinnung auf die mittelalterlichen Quellen des Sujets, die in je verschiedener Ausprägung grundsätzlich auch bei seinen Bearbeitungen durch Gillian Whitehead und Armin Schibler zu beobachten ist, erfährt in Joel Cohens Tristan and Iseult ihre wohl radikalste Ausprägung. Cohens kompilatorisches Arrangement zielt darauf, jene lyrisch-dramatischen Elemente zu reaktivieren, die schon den Erzählungen des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts inhärent sind: die Lais aus dem altfranzösischen Tristan en prose etwa oder das Reiselied In gotes namen varn wir, das im Tristan Gottfrieds von Straßburg vor der Überfahrt nach Cornwall angestimmt wird. Angereichert werden diese Versatzstücke um heterogenes Material aus der altfranzösischen, mittellateinischen und mittelhochdeutschen (Liebes-)Dichtung, das – wie das Lied Reis glorios des Giraut de Bornelh – zumeist dazu dient, einer bestimmten Stimmung oder Szenerie Ausdruck zu verleihen. Ähnlich wie Joseph Bédiers im Jahr 1900 veröffentlichter Roman de Tristan et Iseult strebt Cohen auf inhaltlicher Ebene nach der Rekonstruktion einer epischen Totalität, welche die am Ideal höfischen Erzählens ausgerichteten Fassungen von Gottfried und Thomas aus stoffgeschichtlichen, biographischen oder konzeptionellen Gründen nie erreicht haben. Dargeboten wird auf diese Weise ein Amalgam des mittelhochdeutschen und des altfranzösischen Tristanromans unter Einbezug der episodischen Folie Tristan. Cohens erste Version gibt einen leidenschaftlich anachronistischen Eindruck davon, wie ein hochmittelalterliches Tristan-Singspiel idealiter ausgesehen haben könnte (vgl. Rockwell 1988). Erst durch die Intensivierung der Bühnenregie und den verstärkten Einbezug von Lichttechnik in der zweiten Fassung, die seit 2017 von der Boston Camerata präsentiert wird, ist ein Übergang von der historisch informierten Darstellung zur inszenatorischen Ausdeutung des Sujets zu beobachten. Weiter noch als bei Cohen geht die stoffgeschichtliche Spurensuche in Tim Porters Trystan and Essylt. Schon der Titel dieser 1980 in Großbritannien uraufgeführten Kammeroper kündet von dem Versuch, die mittelalterliche Liebesgeschichte gleichsam rückwirkend in der keltischen Sagenwelt zu beheimaten (Müller 1981, S. 192 f.). Trystan erscheint hier als piktischer Krieger, der die Tochter von König Mark, seinem Onkel, vor einem keltischen Frühjahrsritus zu bewahren versucht, indem er Morholt, der gemeinsam mit seiner Schwester Essylt von einem elfenhaften Inselvolk zur Abholung des Menschenopfers entsandt worden ist, im Kampf tötet. Daraufhin bleibt der Wechsel der Jahreszeiten aus, ewiger Winter
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droht. Indessen sucht Trystan, dem im Kampf eine tödliche Wunde beigebracht worden ist, auf den westlichen Inseln inkognito nach Rettung. Essylt heilt unwissentlich ihren ärgsten Feind, erkennt dann aber in Trystan den Mörder ihres Bruders und ruft ihren Vater, den Inselkönig, um Beistand. Dieser begnadigt jedoch den Helden und plant die Verheiratung seiner Tochter mit König Mark, um eine friedliche Verbindung beider Welten zu erreichen. Der Frühling kehrt wieder, doch der Ehe zwischen dem jungen Mädchen und dem alten Mann ist kein Glück beschieden. Vermag Essylt unter Verweis auf ein Keuschheitsgelübde den Vollzug der Ehe zunächst noch aufzuschieben, sieht sie sich schließlich gezwungen, mit Trystan, für den sie insgeheim längst Gefühle hegt, in ein unzugängliches Waldstück zu enteilen. Nach einiger Zeit werden die Liebenden von Mark gefunden und begnadigt. Der Inselkönig fällt ein scheinbar gerechtes Urteil, das Essylt jedem der beiden Männer jeweils für eine Hälfte des Jahres zuspricht. Weil sie aber bis zuletzt auf der Absolutheit ihrer Liebe beharren, finden Trystan und Essylt schließlich ein tragisches Ende. Mit der Konzentration auf die Heilung des Helden und die Flucht der Liebenden profiliert Porter zwei Elemente aus dem mittelalterlichen Erzählbestand, die in anderen musiktheatralen Versionen des Sujets zumeist nur retrospektiv Erwähnung finden. Angesichts der großen Bedeutung dieser Elemente für den keltophilen Zweig der Tristan-Forschung, der in der Meerfahrt ins Ungewisse (kelt. imram) und in der Flucht vor der Gesellschaft (kelt. aithed) seit jeher dezidiert keltische Narrative wiederzuerkennen meint, ist dies jedoch kaum überraschend. Umrahmt von einem ‚heidnischen‘ Jahreszeitenmythos, trägt Porters Zuschnitt der folkloristischen Programmatik in besonderem Maße Rechnung (Müller 1981, S. 200). Anklang fand Porters Trystan and Essylt vor allem beim englischen Publikum; zwei Produktionen der von Porter begründeten Green Branch Theatre Group aus den Jahren 1980 und 1984 kommen hier zusammen auf rund 15 Aufführungen. Außerhalb Englands war das Werk bislang nur im Rahmen eines kurzen Gastspiels in Salzburg sowie in Hallein zu sehen (im August 1980). Der Vielfalt an Tristanbearbeitungen, die seit den 1970er Jahren auf den Bühnen des Musiktheaters zu beobachten ist, stehen im Zeitraum von 1900 bis 1960 nur vereinzelte Rezeptionszeugnisse gegenüber, die es in der Regel kaum über den Entwurf hinausgebracht haben. In dieser Phase wurden allerdings auch zwei Werke geschaffen, die sich dem Musiktheater vom Oratorium her annähern: Charles Tournemires nie zur Aufführung gelangte Légende de Tristan (Entstehung: 1925/26), die einen von Bédier inspirierten französischen Gegenentwurf zu Wagners Musikdrama darstellen sollte (Schlee 1986, S. 266), und Le vin herbé von Frank Martin. Als eine Art ‚weltliches Oratorium‘ konzipiert, wurde Le vin herbé zunächst auch am 26. März 1942 in der Tonhalle Zürich konzertant zur Urauf-
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führung gebracht. Seit 1948 existiert für Martins Oratorio profane, dem inhaltlich ebenfalls die philologische Rekonstruktion eines ‚Ur-Tristan‘ durch Bédier zugrunde liegt, neben der konzertanten Aufführungspraxis jedoch auch eine bis in die jüngste Gegenwart wirksame Tradition der szenischen Realisierung, durch welche das Werk sich gleichsam ‚ex post‘ dem Musiktheater angenähert hat. Unter jenen Bearbeitungen des Tristan-Sujets, die der Oper im engeren Sinne zugeordnet werden können, vermochte nach Wagners Tristan einzig Rutland Boughtons Queen of Cornwall eine größere Wirkung zu entfalten. Die Premiere dieser zweiaktigen Oper fand am 21. August 1924 im Rahmen des Glastonbury Festivals statt, jener Institution also, die Boughton und sein Librettist Reginald Buckley sich als eine Art ‚British Bayreuth‘ geschaffen hatten (Birkhan 2016a, S. 163) und die Boughton zuvor bereits zur Aufführung seiner Feen-Oper The Immortal Hour sowie der ersten beiden Teile seines → Artus-Zyklus dienlich gewesen war. Räumliche und finanzielle Nöte, die das sozialutopisch geprägte und der Arbeiterbewegung verbundene Festival von Anbeginn kennzeichneten, erlaubten jedoch trotz glanzvoller Kostüme nur eine eher spärliche Inszenierung, bei der der Komponist, in Personalunion als Dirigent und Pianist agierend, das Orchester mithilfe des Klaviers vertreten musste (Pettit 2013, S. 7; zu den Aufführungsbedingungen in Glastonbury allgemein Saremba 1994, S. 233, und Birkhan 2016a, S. 162–164). Erst ab 1925 folgten einige Darbietungen mit Orchesterarrangement sowie eine von Albert Coates dirigierte Rundfunkproduktion, die 1935 von der British Broadcasting Corporation (BBC) ausgestrahlt wurde (Simpson 2008, S. 8; Roberts 1965, S. 103 f.). Als Komponist war Boughton vor allem in seiner Frühphase stark von der Klangsprache Wagners geprägt (Hurd 1980, S. 92). Seine Queen of Cornwall gibt die Einflüsse des deutschen Musikdramas noch immer deutlich zu erkennen, Wagners Opernästhetik wird jedoch verschmolzen mit der englischen Tradition des Chordramas, die Boughton bereits in früheren Werken aufgegriffen hatte und die er eng mit Glastonbury als ‚nationalem‘ Festspielort zu verbinden gedachte (Roberts 1965, S. 101 f., und Birkhan 2016a). Mit dem Entwurf zu seiner Famous Tragedy of the Queen of Cornwall kam Thomas Hardy diesem Ansinnen insofern entgegen, als er das reine Bühnengeschehen seines Einakters nach dem Vorbild der griechischen Tragödie mit einem Chor umrahmte; konkret handelt es sich um „shades of dead old cornish men and women“ (Hardy / Boughton 2010, S. 12), die das tragische Schicksal der Liebenden mit Rückblicken, Kommentaren und Klagen begleiten. Ferner konnte Boughton seiner Vorlage mit dem Lied Let’s meet again to-night, my Fair, das von dem als Harfner getarnten Sir Tristram gesungen wird, und mit Iseults einsamem Klagegesang Could he but live for me zwei dezidiert lyrische Partien
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entnehmen, sodass insgesamt zwischen dem Dramentext und dem Libretto nur geringfügige inhaltliche Unterschiede zu erkennen sind. Größere Eingriffe nahm der Komponist vor allem dort vor, wo diese dazu dienten, den unmittelbaren Fortgang der zuweilen recht harschen Dialoge zwischen Sir Tristram und den beiden rivalisierenden Königinnen mithilfe von Liedern und Ariosi zu durchbrechen. Zu diesem Zweck fanden sechs ursprünglich sujetfremde Gedichte des Schriftstellers Eingang in das Opernlibretto – darunter auch das dreistrophige Lied When I set out for Lyonnesse, das Hardy mehr als fünfzig Jahre zuvor verfasst hatte. Im Zuge der musiktheatralen Durchformung ist ferner auch die Rahmung der Handlung durch den ‚Erzähler‘ Merlin entfallen, dessen Rolle schon in Hardys Drama entbehrlich scheint (Pettit 2013, S. 7). Ähnlich wie in Wagners Tristan entstehen auch bei Boughton durch den Einbezug dieser Gedichte lyrische Inseln. Doch die Wahl fällt in diesem Fall nicht auf ‚objektive‘ Gattungen wie das Wächterlied, sondern auf Elemente der Naturpoesie und der Liebesdichtung, die mehrheitlich dazu beitragen, dem Liebesempfinden des ehebrecherischen Paares Ausdruck zu verleihen, und die so ein eher idyllisches Gegenbild zur düsteren Grundstimmung der Handlung schaffen (Birkhan 2016b, S. 286; Rooke 2010, S. 6). Ursprünglich wohl primär der musikdramatischen Anlage geschuldet, haben Boughtons Eingriffe gravierende Folgen hinsichtlich der Perspektivierung der Handlung und der Lenkung der Sympathien: Zielte Hardys Dramentext darauf, die tragische Konstellation vom Zeitpunkt des unweigerlichen Scheiterns an kritisch zu durchleuchten, so scheint Boughton in seiner Queen of Cornwall zuletzt doch eher die radikale, normsprengende Leidenschaft der Liebenden zu verteidigen (Roberts 1965, S. 100). Während Boughtons Biograph Michael Hurd diesen Impuls in den auffälligen Parallelen zu dessen Privatleben begründet sieht (Hurd 1962, S. 85; ähnlich Rooke 2010, S. 6), scheint es doch zielführender, die implizite Parteinahme für den Ehebruch ebenso wie das Gedankenspiel einer dauerhaften ménage à trois als Ausdruck eines spezifisch sozialistischen Diskurses zu lesen, der gegen die Ehemoral des Viktorianischen Zeitalters gerichtet ist (Flynn 2016 und Morgan 1988, S. ix–xvii). Richard Wagners Tristan ist die mit Abstand erfolgreichste Adaptation des Stoffs; alle späteren musiktheatralen Realisierungen des Sujets arbeiten sich mehr oder weniger intensiv an Wagner ab. Hinsichtlich des Umgangs mit dem Stoff und des konzeptionellen Mittelalterbezugs ist das Werk dennoch ein Sonderling auf dem Feld der Tristan-Opern. Da wenige Komponisten des neunzehnten Jahrhunderts biographisch so präzise erschlossen sind wie Wagner, lässt sich die Entstehungsgeschichte seines Tristan detailliert rekonstruieren (dazu sowie zu den literarischen Vorlagen und Anregungen Golther 1905/1906; Wapnewski 1986, S. 307–314;
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Heldt 1994, S. 9–45 und 71–74; Chafe 2005, S. 16–84; Maschka 2013, S. 25–32; Dokumente bei Wagner 1983a und bes. Wagner 2008). Wagner hatte zuerst den Text (1857), dann die Musik (1858/1859) in einer wechselvollen Periode seines Lebens relativ rasch entwickelt und dafür seine Arbeit am Siegfried unterbrochen; seine Aufzeichnungen dokumentieren eine enge Verflechtung insbesondere der Anfänge des Projekts mit seiner eigenen Lebens- und Liebessituation (Mathilde Wesendonck), was dem Biographismus seit jeher Tür und Tor geöffnet hat. Stofflich war Wagner maßgeblich beeinflusst vom Tristan Gottfrieds von Straßburg, den er mehrfach in seiner Bibliothek hatte: in Form der Ausgaben Friedrich Heinrich von der Hagens (1823; darin auch die Fortsetzungen des Gottfried’schen Fragments durch Ulrich von Türheim und Heinrich von Freiberg) und Hans Ferdinand Massmanns (1843; darin auch die Fortsetzung Ulrichs von Türheim sowie weitere, auch englische und französische Texte des Stoffkreises) sowie in der Übersetzung des Heinrich Kurtz (1844; auch hier wird Gottfrieds Torso, wie es in der Titelei heißt, „beschlossen“, also die Geschichte bis ans stoffliche Ende geführt). Dazu treten einige Tristan-Gedichte des früheren neunzehnten Jahrhunderts: das Lied oder Gedicht Tristan Augusts von Platen (zuerst im Morgenblatt für gebildete Stände, 12.9.1825) und das Gedicht König Mark und Isolde von Julius Mosen (Gedichte, 21843). Auch Robert Schumanns nie verwirklichter Plan einer Tristan-Oper (dazu Müller 2002, bes. S. 239 f.) sowie der (heute verlorene) Entwurf eines Tristan-Dramas durch Karl Ritter, einen Freund Wagners, werden eine Rolle gespielt haben. Weitere Anregungen zur ‚Stimmung‘ des Tristan gaben Novalis’ Hymnen an die Nacht sowie insbesondere Arthur Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung, ein Buch, das Wagner nachhaltig prägen sollte. Die zuletzt genannten Anregungen aus dem zeitgenössischen Schrifttum dürften vor allem Pate gestanden haben für die Liebeskonzeption, etwa die Verquickung von Liebe und Tod, die auch das Programm des Platen-Gedichts ist. Die szenische und emotionale Verdichtung des Stoffs hingegen und auch die stofflichen Adaptationen gehen auf Wagners Konto. Er greift aus den mittelalterlichen Tristan-Dichtungen drei auch dort prominente Szenen heraus – die Liebestrankszene bei der Überfahrt, das Stelldichein im Garten und die Entdeckung sowie den Liebestod –, handhabt die stofflichen Vorgaben aber sehr frei. Vor allem der zweite Aufzug hat – abgesehen von verschiedenen Baumgartenszenen – bei Gottfried sehr wenig Rückhalt und dürfte zusätzliche stoffliche Anregungen aus dem Bereich des mittelalterlichen Wächterlieds empfangen haben; aber auch weitere, oft für den Gang der Handlung wesentliche Details sind modifiziert: So ist beispielsweise Morold bei Gottfried der Onkel Isoldes, bei Wagner ihr Verlobter; es gibt im mittelalterlichen Erzählen von Tristan nur den Liebestrank, während Isolde bzw. Brangäne im Tristan zwischen Liebes- und Todestrank wählen, etc.
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Diese Freiheit gilt auch für sämtliche poetischen Belange, die sich Wagners Libretto gegen seine mittelalterliche(n) Vorlage(n) herausnimmt (Groos 1988a). Die Oper verfolgt – abgesehen vielleicht von der archaisierenden Sprache des Librettos – durchaus nicht das Ziel, einen mittelalterlichen Stoff als solchen zu revitalisieren oder Gottfrieds Roman ins Musikdrama des neunzehnten Jahrhunderts zu ‚übersetzen‘, sondern sie meint im Tristanstoff emblematisch und gleichsam mystisch (Bartnæs 2001) die Liebe schlechthin zu fassen. Nicht nur verliert sich die charakteristische episodische Struktur der mittelalterlichen Tristan-Romane, indem Handlung auf das dramaturgisch Nötigste reduziert wird; auch im Bereich der musikalischen Komposition sind strukturierende Techniken auffällig sparsam eingesetzt, um den Eindruck eines ausgedehnten dreigeteilten Augenblicks der Liebe – Liebesentstehung, Liebeserfüllung, Liebestod – nicht zu gefährden (vgl. zur Leitmotivik Steinbeck 1984; zum Verhältnis von Libretto und Musik Groos 1988b). Wagner setzt sich damit von Gottfrieds Roman ab (Mertens 1986, S. 40–46): Er übernimmt gezielt jene Handlungsmomente, die sich seiner Konzeption (LiebeTod-Affinität, die latente Exkulpierung der Liebenden etc.) einpassen lassen, und akzentuiert, steigert und transformiert sie entsprechend (Vergleiche bei Heldt 1994, S. 35–45; Chafe 2005, S. 49–84). Während bei Gottfried die Liebe von Tristan und Isolde spannungsvoll in eine höfische Sozietät eingebunden bleibt, bricht sie sich bei Wagner fast ungehemmt Bahn, was psychologischen und psychoanalytischen Deutungsansätzen nachhaltig Vorschub leistet (z. B. Urban 1991; Hofmann 1997). Die äußerlichen Hürden, die Isoldes und Tristans Liebe zu nehmen hat, sind in der Oper weder ernsthafte Gefährdung noch axiologisches Kontrastmodell, sondern fungieren als handlungslogischer Motor einer einsinnigen Liebestod-Teleologie. Wagners Tristan galt nach mehreren gescheiterten Versuchen einer Urauf führung als unspielbar; wichtigster Grund waren die enormen Anforderungen an die beiden Titelpartien. Als aber die Premiere in München – auch diese unter erheblichen Schwierigkeiten – gelang, war das Werk ein sofortiger Erfolg (zur Aufführungsgeschichte Heldt 1994, S. 69–288 und S. 316–318; Maschka 2013, S. 97–125). Dabei wird die Tatsache, dass Ludwig II. Wagner 1865 nach München berufen und ihn dann energisch gefördert hat, keine geringe Rolle gespielt haben sowohl für die geglückte Uraufführung als auch für die weitere Geschichte von Wagners musikdramatischem Wirken. Der Tristan hatte nicht nur über den Bereich des Musiktheaters hinaus wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung neuer musikalischer Ausdrucksformen – paradigmatisch kann dafür der ‚Tristan-Akkord‘ einstehen, ein enigmatischer Spannungsakkord, der funktionsharmonisch deutungsoffen ist. Auch die Rezeption des Tristanstoffs wird bis heute durch Wagners Bearbeitung domi-
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niert; selbst die philologischen Bemühungen um die mittelalterlichen Romane (besonders jenen Gottfrieds) scheinen mitunter von Wagners Oper überschattet. Darüber hinaus hat die im Tristan entfaltete Liebeskonzeption und besonders die Idee des Liebestods breite Wirkung in der westlichen Kultur entfaltet (vgl. u. a. Bronfen 2004). Eine Tristan-Oper vor Wagner scheint es nicht zu geben. Zwar war mit Joseph Weilens Tristan schon im Jahr 1859 am Wiener Burgtheater eine Bearbeitung der Vorlage Gottfrieds von Straßburg von Anton Emil Titl, dem Kapellmeister des Burgtheaters, mit Orchesterbegleitung versehen worden; die Komposition, die für die Wiener Inszenierung von Weilens am 18. März 1859 in Breslau noch als reines Theaterstück uraufgeführter „Romantische[r] Tragödie in fünf Aufzügen“ (Weilen 1858, Titelseite) geschaffen wurde, beschränkte sich jedoch auf eine Ouvertüre und diverse Intermezzi (Wasserthal 1859, S. 429). Allerdings hat das Motiv des Liebestranks (oder allgemeiner dasjenige des Liebeszaubers), welches die Motivationsstruktur der Tristanfabel regiert, nicht zuletzt von den mittelalterlichen Tristandichtungen aus weite Verbreitung gefunden. Es ist früh auch in Berührung mit musiktheatralen Entwürfen gekommen: Teils liegt dabei lediglich eine motivgeschichtliche Nähe zum Tristan-Stoff vor (z. B. in Purcells Fairy Queen nach Shakespeares Midsummer Night’s Dream); teils werden aber auch Verbindungen in den musikdramatischen Werken explizit hergestellt. Nur wenige Jahrzehnte vor Wagner ist dies der Fall in Daniel François Esprit Aubers Oper Le philtre (Libretto von Eugène Scribe; uraufgeführt am Pariser Théâtre de l’Académie Royale de Musique am 15. Juni 1831), in der die Heldin Térézine zu Beginn des ersten Akts den Landarbeitern die Geschichte von Tristan und Isolde vorliest. Auch die Dreieckskonstellation ist in der burlesken Handlung nachgebildet, dies aber so freihändig (die schöne Térézine zwischen zwei ungleichen Verehrern: dem Bauernknecht Guillaume und dem Offizier Joli-Cœur), dass angesichts der Ubiquität dieser Figurenkonstellation nicht eigentlich von einer Tristan-Rezeption gesprochen werden kann. Das heute vergessene Werk ist dem Opernbetrieb indirekt erhalten geblieben: Schon nach wenigen Monaten haben Gaetano Donizetti und sein Librettist Felice Romani eine italienische Version (die Heldin heißt nun Adina, die Helden Nemorino und Belcore) mit neukomponierter Musik vorgelegt; L’elisir d’amore (1832) zählt bis heute zu den meistgespielten Opern überhaupt, noch vor Wagners Tristan. Dass Wagner 1840 Donizettis Oper für Klavier solo arrangierte und er damit – noch ehe er sich intensiv mit dem Tristanstoff im Allgemeinen und mit Gottfrieds Roman im Speziellen beschäftigte – in Berührung mit einer gleichsam buffonesken Tristanparodie gekommen war, ist ein heiteres Moment in der Vor- und Früh-
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geschichte der Tristan-Opern. Der unernste Umgang mit dem Stoff begleitet auch noch die Premiere des Wagner’schen Tristan, weil die mehrfache Verzögerung dieser Premiere die kuriose Situation zeitigte, dass eine Parodie auf Wagners Oper noch vor dieser selbst „[z]um allerersten und schon oft verschobenen Male“ (Fränkel 1865, S. 168) zur Aufführung kam: Triftanderl [sic! er ist „Floßknecht“] und Süßholde von Ferdinand Fränkel (mit Musik von Rauchenecker; uraufgeführt im Münchener Isar-Vorstadt-Theater am 29. Mai 1865) – „Dramatische Verslein mit Worten ohne Melodie, gegenwärtige Parodie von einer Zukunfts-Oper in 3 Aufzügen“ (Fränkel 1865, S. 168). Weder der Text noch die Musik zu dieser Parodie ist überliefert; indirekte Zeugnisse wie der bis heute erhaltene Theaterzettel deuten aber darauf hin, dass es sich um eine operettenhafte musiktheatrale Persiflage gehandelt haben wird (vgl. Schneider 1996, S. 195–198; Maxstadt 2002, S. 44; Kröplin 2016, S. 352). Bestätigung findet dieser Eindruck unter anderem durch die Lebenserinnerungen des Komponisten Heinrich Dorn, der dem „gränzenlose[n] Unsinn“, den diese auf die Dreiecksgeschichte reduzierte und ins Bierbrauermilieu transponierte Tristanparodie auf die Bühne brachte, „herrliche Momente“ in der Musik Raucheneckers gegenüberstellt (Dorn 1870, S. 26). Die mittelalterlichen Quellen, auf denen die musikdramatischen Realisierungen des Tristanstoffs fußen, sind heterogener als in vielen anderen Fällen der Mit telalterrezeption im Musiktheater. Ihren Grund hat diese Vielfalt in der mittelalterlichen Ausbreitung des Tristanstoffs und seinen unterschiedlichen epischen Versionen selbst. Ursprünglich wohl aus der keltischen Sagenwelt herstammend, entstehen von ca. 1150 an in relativ rascher Folge verschiedene mittelalterliche Tristantexte sehr unterschiedlichen Umfangs, deren gegenseitige Verwandtschaft nur selten präzise zu bestimmen ist. Im altfranzösischen Bereich sind zu nennen zunächst der Tristanroman eines Béroul (2. Hälfte des zwölften Jahrhunderts) sowie jener des Thomas (‚von Britannien‘; wohl 1170er Jahre). Beide sind nur fragmentarisch erhalten und bieten zwei sehr verschiedene Versionen der Tristangeschichte: hier die gleichsam ‚rohe‘, auf das Stoffliche des Handlungsgangs konzentrierte Dichtung des Béroul, dort der höfisch-feinsinnige Entwurf des Thomas; die Forschung unterscheidet die damit markierten Pole traditionell als ‚version commune‘ und ‚version courtoise‘. Mit Béroul hängt zusammen der deutsche Tristrant Eilharts von Oberge (vermutlich spätes zwölftes Jahrhundert), der vollständig, wenn auch meistenteils in sehr späten Handschriften, überliefert ist. Gottfried von Straßburg wiederum überträgt um 1210/15 den Roman des Thomas. Auch Gottfrieds Tristan ist Fragment – anders aber als die Romane Bérouls und des Thomas nicht aus überlieferungsgeschichtlichen Gründen, sondern weil der Text offenbar von Gottfried nicht zu Ende gebracht werden konnte. In den Handschriften folgen seinem Tristan in der Regel die Fortsetzun-
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gen Ulrichs von Türheim (ca. 1240) oder Heinrichs von Freiberg (ca. 1285/90), die wesentlich nach Eilhart gearbeitet scheinen. Gemeinsam mit Gottfrieds Roman stellen sie das primäre Quellenmaterial für Wagners Oper dar; auch Cohen greift unter anderem auf Gottfried zurück. Zu der Vielfalt des Tristanstoffs gehört es auch, dass früh einige kleinere Erzählungen entstehen, die partikular an der Tristangeschichte partizipieren, darunter der Lai Chevrefoil (‚Geißblatt‘) der Marie de France (ca. 1160), La Folie Tristan (ca. 1190) und Tristan als Mönch (dreizehntes Jahrhundert). Auch sie sind nicht ohne Einfluss auf die musikdramatischen Werke geblieben (vgl. oben zu Cohen). Auffällig an den genannten Gestaltungen ist, dass sie zwar grosso modo dieselbe Geschichte bieten, aber nicht nur im poetischen Stil, sondern auch in Episodenbestand und Episodenreihung teils erheblich differieren. Bédier hat es daher, getragen vom Rekonstruktionsoptimismus des ‚langen‘ neunzehnten Jahrhunderts, unternommen, einen philologisch-stimmigen ‚Ur-Tristan‘ (die sog. ‚Estoire‘) des mittleren zwölften Jahrhunderts zu entwickeln; eine umfassende Mischversion, die im frühen zwanzigsten Jahrhundert eine erhebliche Wirkkraft entfaltet hat (Roman de Tristan et Iseut, 1900; vgl. oben zu Cohen, Tournemire und Martin). Die mittelalterliche Rezeption ist anders, nämlich selektiv verfahren: Im deutschsprachigen Raum dominiert der reich überlieferte Tristan Gottfrieds (einschließlich der Fortsetzungen); im mittelalterlichen Frankreich wird im dreizehnten Jahrhundert der Tristan en prose fassbar (vgl. oben zu Cohen), der dann als Vulgat-Version der Tristanfabel sich bis in die Frühe Neuzeit hinein behauptet (z. B. Thomas Malory: Le Morte Darthur, 1485) und – teils über den Umweg weiterer Bearbeitungen – die musikdramatischen Unternehmungen nach Wagner maßgeblich angeregt haben dürfte (bes. Hardy / Boughton).
III Werkliste Triftanderl und Süßholde „Dramatische Verslein mit Worten ohne Melodie, gegenwärtige Parodie von einer ZukunftsOper in 3 Aufzügen“ Musik Text Uraufführung H. Rauchenecker [?] Ferdinand Fränkel 29.5.1865, München Tristan und Isolde „Handlung in drei Aufzügen“ Musik Richard Wagner
Text Richard Wagner
Uraufführung 10.6.1865, München
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The Queen of Cornwall „A music-drama based on the play by Thomas Hardy“ Musik Text Rutland Boughton Thomas Hardy, Rutland Boughton
Uraufführung 21.8.1924, Glastonbury
La Légende de Tristan „3 actes et 8 tableaux“ Musik Charles Tournemire
Text Albert Pauphilet
Entstehung 1925/1926
Isolt of the White Hands Opera in 4 acts Musik Fritz Bennicke Hart
Text Fritz Bennicke Hart
Entstehung 1933
Le vin herbé „Oratorio profane“ Musik Frank Martin
Text Frank Martin
Uraufführung 1. [konzertant] 26.3.1942, Zürich 2. [szenisch] 15.8.1948, Salzburg
Tristan et Yseut Version nouvelle dʼaprès la légende des trouvères Musik Text Sylvain Arlanc Paul Gautier
Publikation 1943 [Klavierauszug]
Queen of Cornwall Musik John Joseph Becker
Entstehung 1956 [Fragment]
Text Thomas Hardy
Tristan and Iseult „A chamber opera in thirteen scenes for singers, mimes, puppets and instrumental ensemble“ Musik Text Uraufführung Gillian Whitehead Malcolm Crowthers, Michael Hill 4.4.1978, Auckland Eine wundersame Liebesgeschichte – Tristan-Variationen „Oper in fünf Szenen für Sopran, Tenor, Bariton und Tonband“ Musik Text Bent Lorentzen Bent Lorentzen, Michael Leinert
Uraufführung 2.12.1979, München
La Folie de Tristan „Mystère musical“ Musik Armin Schibler
Uraufführung 15.9.1980, Montreux
Text Armin Schibler
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Trystan and Essylt „Opera“ Musik Tim Porter
Text Tim Porter
Tristan and Iseult „A Medieval Romance in Poetry and Music“ Musik Text Joel Cohen Joel Cohen
Uraufführung 1.8.1980, Bourton-onthe-Water
Uraufführung 1. [Erstfassung] 19.2.1988, New York 2. [Zweitfassung] 21.4.2018, Cambridge
Tristan „Studio per un’azione musicale sul ‚Play modelled on the Noh‛ di Ezra Pound“ Musik Text Uraufführung Francesco Pennisi Francesco Pennisi 2.7.1995, Venedig
2.5 Legendarische Stoffe Der arme Heinrich Andrea Schindler I Präsenz des Sujets Der Stoff um die Gestalt des ‚armen Heinrich‘ ist im Repertoire des heutigen Musiktheaters nicht präsent. Zwar erlebte die jüngste Adaptation des Stoffes durch Ernst August Klötzke, Tankred Dorst und Ursula Ehler am 15. Dezember 2001 am Stadttheater Wiesbaden ihre Uraufführung. Anders als das dem Libretto zugrunde liegende Schauspiel (UA 1997 Münchner Kammerspiele), das u. a. 2010 am Comedia Theater Köln unter der Regie von Julia Waldorf zu sehen war, wurde Die Legende vom armen Heinrich im deutschsprachigen Raum seither nicht mehr auf der Bühne dargeboten. Auf Basis einer Übersetzung von Vladimír Tomeš wurde das Werk unter dem Titel Legenda o nebohém Jindřichovi im Jahr 2019 jedoch noch einmal vom Tschechischen Rundfunk in Form eines Radiospiels dargeboten. Heute nur noch wenig bekannt ist Hans Pfitzners nach einem Libretto von James Grun geschaffene Oper Der arme Heinrich, die am 2. Februar 1895 am Stadttheater Mainz unter eigenem Dirigat und der Regie des damaligen Theaterdirektors Rainer Simons uraufgeführt wurde. Stand die Oper noch in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts häufiger auf den Spielplänen, so schwand das Interesse daran nach dem zweiten Weltkrieg zunehmend. Der jüngste Versuch einer Wiederbelebung des Werks wurde im Dezember 1999 am Theater Dortmund unter der Regie von John Dew und der musikalischen Leitung von Alexander Rumpf unternommen. Aus dieser Produktion ging auch die letzte Einspielung der Oper durch das Philharmonische Orchester Dortmund hervor (Capriccio, C60087).
II Historische Schichten Die Legende vom armen Heinrich von Ernst August Klötzke ist eine ‚Literaturoper‘ (vgl. zu diesem problematischen Begriff u. a. Gier 1998, S. 199–210); der Komponist hat das gleichnamige Theaterstück von Tankred Dorst und Ursula Ehler mit nur wenigen Kürzungen vertont (Gier 2015b, S. 184–188). Nach der ersten Begegnung mit dem Stück, vermittelt durch Norbert Abels, einer ergänzenden Lektüre des Armen Heinrich Hartmanns von Aue und Gesprächen mit dem Ehepaar Dorst/ Ehler (Gier 2015a, S. 192, 202) wurde der Opern-Erstling Klötzkes nach zweijähriger Entstehungszeit am 15. Dezember 2001 unter der musikalischen Leitung von https://doi.org/10.1515/9783110424089-027
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Enrico Delamboye und der Regie von Iris Gerath-Prein am Staatstheater Wiesbaden uraufgeführt. Im Œuvre Dorsts ist Die Legende vom armen Heinrich etwa neben Merlin oder Das wüste Land und Die Geschichte von Aucassin und Nicolette (→ Aucassin und Nicolette) ein weiteres Werk, in dem er auf einen mittelalterlichen Stoff zurückgreift und sich diesen für seine Gegenwart in einer ‚realistisch-phantastischen‘ Art anverwandelt (Krohn 2003, S. 61; Gier 2015a, S. 190). Die Legende vom armen Heinrich erzählt von dem fränkischen Mädchen Elsa, das den fast völlig bandagierten Ritter Heinrich verborgen in einem Turm sieht. Der dem antiken Drama nachgebildete Chor berichtet vom notwendigen Selbstopfer eines reinen Mädchens, damit Heinrich geheilt werden könne. Nachdem Elsa sich dazu entschlossen hat, bricht sie mit Heinrich zusammen auf; ihre Eltern, die zunächst keinerlei Verständnis für ihre Tochter hatten und sie auch gewaltsam von Heinrich fernhalten wollten, bewundern sie nun, als sie Elsa – von Heinrich prächtig ausgestattet – vor der Abreise sehen. Der lange Weg Heinrichs und Elsas nach Salerno, wo das Opfer gebracht werden soll, bildet das Zentrum des Stückes. Durch Begegnungen und Gespräche verändert sich vor allem Elsa, sie verwandelt sich „von einem unmündigen Kind in eine reife Frau“ (Wille 1997). Auch Heinrich kann seine Selbstbezogenheit ablegen und schließlich im letzten Augenblick das Opfer verhindern. Das Heilungswunder geschieht, als beide sich in den Armen liegen, denn „[e]s geht in diesem Stück schlicht und ergreifend um die Liebe“ (Klötzke in Gier 2015a, S. 198). Der lange Weg von Franken über die Alpen bis nach Italien „verräumlicht“ (Gier 2015b, S. 179) die Entwicklung Elsas (und Heinrichs) und wird am Ende in den sich lösenden Bandagen Heinrichs sichtbar, denn die „Flecken und Verfärbungen“ sind „ein Abbild der Welt […], durch die Heinrich und Elsa gegangen sind“ (Dorst / Ehler 2001, S. 108). Heinrichs Krankheit ist dabei „vielleicht nur eine Metapher […] dafür, dass er das Leben, das er führt, und die Gesellschaft, in der er sich bewegt, herzlich satt hat“ (Gier 2015b, S. 179). So kann gerade Elsa, die aus einem gänzlich anderen Milieu stammt und diesem entfliehen will, Heinrich helfen. Elsas Entwicklung spiegelt sich auch in ihrer Sprache wider: Während sie zunächst nur fränkischen Dialekt spricht, wird sie im Laufe des Stückes immer souveräner im Gebrauch der Standardsprache. Der spezielle Ausdruck Dorsts, die besondere „Architektur der Sprache“ (Klötzke in Gier 2015a, S. 192), ist die Basis für Klötzkes (post-)serielle Komposition, sodass die Musik die „im Text des Schauspiels angelegte[n] Kontraste [schärft]“ (Gier 2015b, S. 187; vgl. dazu Klötzke 2003) und auf diese Weise auch die einzelnen Figuren herausgearbeitet und die Figurenentwicklungen verdeutlicht werden. Der Weg zur Uraufführung von Hans Pfitzners Oper Der arme Heinrich war steinig: Bereits während Pfitzners Zeit am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am
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Main entstand die Idee, den mittelalterlichen Stoff in eine Oper umzuformen. Nach eigener Aussage verdankt Pfitzner diese Stoffwahl seinen Freunden Paul Cossmann und James Grun (Pfitzner 1947, S. 79); man unterhielt sich über diese Erzählung, die im neunzehnten Jahrhundert zu den bekannten mittelalterlichen Stoffen gehörte. Die Autoren von Literaturgeschichten schätzen den als ‚einheimisch‘ und ‚vaterländisch‘ geltenden Text Hartmanns von Aue (Schindler / Dechant 2015, S. 209–217) ebenso wie die Literaten. Bereits 1817 fasst Ludwig Uhland den (letztlich nicht durchgeführten) Plan, ein Drama aus dem Stoff zu formen; 1839 erscheint die Ballade Der arme Heinrich Adalbert von Chamissos; Henry Wadsworth Longfellow schreibt 1851 The Golden Legend, die Grundlage für die gleichnamige Kantate Arthur Sullivans wurde (Libretto: Joseph Bennett; UA 1886). Grun, der in London aufwuchs, könnte auch diese englischsprachige Tradition gekannt haben (vgl. zum literarischen Umfeld Panagl 2015, S. 25 f.; für weitere Beispiele Grosse / Rautenberg 1989; Krohn 2005). Nur wenige Jahre nach Pfitzners Oper erscheint Ricarda Huchs Der arme Heinrich (1899), und Gerhart Hauptmanns Drama Der arme Heinrich – Eine deutsche Sage wird 1902 am Wiener Burgtheater uraufgeführt. Das allgemeine Interesse am mittelalterlichen ‚kulturellen Erbe‘ und im Besonderen an solchen literarischen Werken, die wie der Arme Heinrich genuin ‚deutsch‘ zu sein schienen, da sie nicht auf einer französischen Vorlage beruhten, und die im Sujet angelegte, im neunzehnten Jahrhundert spätestens durch Richard Wagner auch auf der Opernbühne präsente Erlösungsthematik sind sicherlich Hauptgründe für die Popularität des Stoffes. Pfitzners Oper, seine erste, entstand in den Jahren 1891–1893; am Libretto von Grun wirkte er selbst mit. Das Werk auf eine Bühne zu bringen, gestaltete sich zunächst jedoch schwierig; erst nachdem Pfitzner eine unbezahlte Stelle als Kapellmeister am Mainzer Stadttheater angenommen hatte, konnte er dort 1895 seine Oper zur Aufführung bringen (Vogel 1989, S. 41). Im Fokus des ersten Akts steht der Bericht Dietrichs, der in Salerno war, um dort zu erfahren, wie dem Ritter Heinrich, seinem schwer erkrankten Herrn, geholfen werden könne. Nach seiner Ankunft erzählt er am Krankenbett des Ritters, was er erfahren hat, während Dietrichs Frau Hilde und beider Tochter Agnes ebenfalls zuhören: Nur das freiwillig geopferte Blut einer reinen Jungfrau kann Heinrich erlösen. Diese hoffnungslos scheinende Botschaft lässt den Ritter zusammenbrechen. Im zweiten Akt kann Agnes, die zum Opfer entschlossen ist, ihre Eltern von dessen Richtigkeit überzeugen, sodass im dritten Akt alle Beteiligten in Salerno sind, um Heinrich durch den Opfertod der Agnes zu retten. Als Agnes schließlich, nachdem der Arzt ihren freien Willen geprüft hat, hinter verschlossenen Türen getötet werden soll, geschieht endgültig der Wandel in Heinrich und er kann die Tat noch verhindern. Das Wunder geschieht: Heinrich ist geheilt. Im Schlusstableau werden Gott, Agnes und Heinrich gepriesen.
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Im Zentrum der Oper steht die Wandlung Heinrichs, dem am Ende die Vorstellung, an Agnes’ Tod schuldig zu sein, mehr Schmerz bereitet als seine Krankheit, sodass er ausruft: „Nicht mehr will ich gerettet sein!“ (Pfitzner / Grun, S. 56). Agnes ist sich ihrer Rolle als Erlöserin spätestens nach der Salerno-Erzählung sicher und bleibt im weiteren Verlauf eine statische Figur; ihre „Gesinnung und Opferbereitschaft“ bewirken „die ethische Umkehr des Titelhelden und seine physische Gesundung“ (Panagl 2015, S. 25), da er so schließlich lernt, sich selbst nicht an die erste Stelle zu setzen, sondern den Opfertod des Mädchens abzulehnen und damit seine Krankheit, sein Leiden, in Demut anzunehmen. Agnes wird so neben Heinrich zur „eigentliche[n] Hauptfigur“, die die Erlösung des Protagonisten möglich macht. Entsprechend bleibt Agnes auch ab dem Augenblick, in dem sich im dritten Akt die Tür hinter ihr schließt, stumm, denn ihre Tat ist das Erlösungswerk, das „W u n d e r d e r H e i l u n g “ , das auch in Pfitzners Sicht den „Höhepunkt des Dramas“ bildet (Pfitzner 1915, S. 175). Damit steht Der arme Heinrich in der „Tradition des schon vorwagnerischen Erlösungsgedankens“ (Panagl 2015, S. 25). Die Nähe gerade zu Wagners Opern, vor allem zum Fliegenden Holländer und zum Tannhäuser, liegt bereits im Plot begründet: Ein Mann wird durch eine Frau erlöst. Das Libretto enthält folgerichtig auch deutliche Anspielungen auf diese Opern (Schindler 2006/2007, S. 335–337; Panagl 2015, S. 35–37), am deutlichsten vielleicht in der Salerno-Erzählung, die sich freilich im Detail doch von der Rom-Erzählung Tannhäusers unterscheidet. Daneben spielt die Lehre des von Pfitzner verehrten Arthur Schopenhauer eine große Rolle: Der „Schopenhauer’sche Grundgedanken einer Weltüberwindung durch Selbst-Erlösung aus eigener Kraft und Einsicht“ (Rößner 2015, S. 55) wird in dem an sich und der Welt leidenden Heinrich und seiner Wandlung deutlich (vgl. dazu ausführlich Rößner 2015). Konsequent fehlt auch hier – wie in allen Opern Pfitzners (Ausnahme: Das Herz) –, „was das Hauptagens fast aller Opern vor ihnen […] ist: eine erotische Beziehung zwischen den Protagonisten“ (Vogel 1989, S. 52), obwohl der Stoff eine Verbindung von Heinrich und Agnes ermöglichen würde. Sowohl Klötzke / Dorst / Ehler als auch Pfitzner / Grun schöpfen für ihre Werke aus der Verserzählung Der arme Heinrich Hartmanns von Aue, die um 1190 entstanden ist. Nach der Wiederentdeckung des Werkes legte Christoph Heinrich Myller 1784 die erste Ausgabe vor, der 1810 eine Übersetzung von Johann Büsching folgte; 1815 erschien eine wissenschaftliche Edition der Brüder Grimm, die eine Nacherzählung enthält, die weite Verbreitung fand (Schindler / Dechant 2015, S. 212 f.). Für Hartmanns von Aue Erzählung von dem aussätzigen Heinrich von Ouwe, der nur durch das freiwillige Opfer eines unschuldigen Mädchens geheilt werden kann, dieses Opfer aber in letzter Sekunde ablehnt und gerade dadurch
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die Heilung erlangt, sind drei Aspekte besonders bemerkenswert: 1. Hartmann bietet keine eindeutige Erklärung für eine Schuld Heinrichs an seiner Krankheit, die als Strafe oder Versuchung Gottes erscheint und erst auf dem Rückweg aus Salerno geheilt wird. 2. Die Rolle des – namenlosen – Mädchens ist auch bei Hartmann zentral (vgl. dazu Bennewitz 2015); die Gründe für ihre Entscheidung zum Selbstopfer liegen zum einen im religiösen Bereich, zum anderen argumentiert sie aber auch damit, dass sie ihren Eltern mit Heinrichs Rettung einen guten Herrn erhalten kann. 3. Die Überlieferung bietet zwei divergierende Schluss-Szenarien: Während in einer von nur drei Handschriften, die den Text vollständig überliefern, mit der Eheschließung und dem Ausblick auf ein langes, glückliches Leben ein ‚Märchenschluss‘ geboten wird, steht in den beiden anderen am Ende die Moniage Heinrichs (und evtl. des Mädchens). Die Rezeption des Stoffes auf der Opernbühne zeigt, wie sich der Umgang mit diesen problematischen Aspekten und Leerstellen gewandelt hat: Die Frage nach einer Schuld Heinrichs wird in beiden Opern wie bei Hartmann von Aue kaum explizit gemacht, die Heilung des Kranken wird auch auf dessen inneren Wandel zurückgeführt; während bei Pfitzner / Grun der religiöse Gedanke der Opferung und des damit verbundenen Gewinns des ewigen Seelenheils noch präsent ist, wird dies bei Dorst / Ehler / Klötzke schließlich durch die Liebesthematik abgelöst. Das führt auch zu unterschiedlichen Schluss-Szenarien: Bei Pfitzner / Grun bleibt im Gottespreis des Schlusstableaus das weitere Schicksal Heinrichs und Agnes’ offen, bei Dorst / Ehler / Klötzke liegt sich das Paar in den Armen. Auf diese Weise wird der Stoff von den Künstlern für die jeweilige Gegenwart (neu) erzählt.
III Werkliste Der arme Heinrich „Ein Musikdrama in drei Akten“ Musik Text Hans Pfitzner James Grun Die Legende vom armen Heinrich „Kammeroper“ Musik Text Ernst August Klötzke Tankred Dorst unter Mitarbeit von Ursula Ehler
Uraufführung 2.2.1895, Mainz
Uraufführung 15.12.2001, Wiesbaden
St. Franziskus von Assisi Jürgen Maehder I Präsenz des Sujets Angesichts der überragenden Bedeutung der historischen Gestalt des Heiligen Franziskus von Assisi für die Geschichte des Ordenswesens wie der katholischen Kirche insgesamt muss die Tatsache überraschen, dass erst im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts Bühnenwerke entstanden, in denen der Heilige oder seine Gefährtin Santa Chiara als Protagonisten fungieren. Freilich beruhte die Dramaturgie der europäischen Oper seit ihrer Entstehung um 1600 auf der Gegenwart eines interpersonellen Konflikts zwischen mehreren Standespersonen als Handlungsträgern; ein solcher Kontrast, der in der Oper vom frühen Seicento bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts notwendigerweise mit Liebesintrigen verbunden war, fehlt im Falle des Franziskus-Stoffes naturgemäß vollständig. Auch wenn es theoretisch möglich gewesen wäre, innerhalb der römischen Musikkultur des Seicento eine geistliche Oper über San Francesco nach dem Vorbild des Sant’Alessio von Stefano Landi zu verfassen, so dürften die theologischen Implikationen des „poverello d’Assisi“ den Heiligen wohl zum ungeeignetsten Objekt für eine Kardinalsoper gemacht haben, da seine ganze Lehre der mit einer Opernaufführung zwangsläufig verbundenen Prachtentfaltung zutiefst widersprach. Erst im zwanzigsten Jahrhundert wird der Heilige Franziskus zum Protagonisten des Musiktheaters; präsent ist er dort gegenwärtig vor allem durch Olivier Messiaens Oper Saint François d’Assise: Nach der Uraufführung, die am 28. November 1983 im Pariser Théâtre National de l’Opéra, Palais Garnier, unter dem Dirigat von Seiji Ozawa stattfand, hat sie sich seit den 1990er Jahren ihren Platz im weltweiten Opernrepertoire erobert (Taruskin 2003) und wird allgemein als eines der bedeutendsten Musiktheaterwerke des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts angesehen, das nicht nur an großen Opernhäusern in Amsterdam, Berlin, München und San Francisco gespielt wird, sondern auch an mittleren wie Leipzig und Darmstadt. Wegen der außerordentlichen Schwierigkeiten der Partitur dürfte dies am Ende der Pariser Aufführungsserie von 1983 kaum ein Zuschauer geahnt haben. Zu den Rezeptionsproblemen der Uraufführung trug auch Messiaens Insistieren auf einer naturalistischen Inszenierung mit umbrischem Lokalkolorit wesentlich bei; besondere Bestürzung löste die Absicht des Komponisten aus, die Farben der Engelsflügel im Gemälde der Verkündigung des Fra Angelico (Firenze, Museo di San Marco) auch für die Kostüme aller Folgeinszenierungen verbindlich vorzuschreiben. Schon 1988 freilich dirigierte Kent Nagano, Ozawas musikahttps://doi.org/10.1515/9783110424089-028
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lischer Assistent bei der Uraufführung des Werkes, eine Neuinszenierung an der Opéra de Lyon und erbrachte damit den Beweis, dass Messiaens Oper innerhalb eines normalen Opernbetriebs aufführbar war. Den internationalen Durchbruch erzielte Messiaens Partitur jedoch dank einer Neuproduktion bei den Salzburger Festspielen 1992, die wegen des außerordentlichen Erfolges im Jahre 1998 unter der Leitung von Kent Nagano wiederaufgenommen wurde. Dank seines betont antirealistischen Regiekonzepts gelang es dem Regisseur Peter Sellars in seiner Inszenierung für die Salzburger Felsenreitschule, die rituellen Elemente von Messiaens Musikdramaturgie in den Vordergrund zu rücken. Während 1983 der Hiatus zwischen der im Zeitlupentempo ablaufenden musikalischen Dramaturgie und dem ungebremsten Bühnenrealismus die Grundaussage des Werkes zu verniedlichen drohte, konnte erst die Salzburger Inszenierung durch ein produktives Missachten der Regieanweisungen des Komponisten dem Mysteriencharakter des Werkes und dem ästhetischen Anspruch seines Werks gerecht werden. Die Oper besteht aus einer auf drei Akte aufgeteilten Folge von acht „Bildern“, die allesamt in der Nähe von Assisi situiert sind. Im ersten dieser Bilder (I.1: „La croix“) erklärt Saint François seinem Mitbruder Léon, dass man die tiefsten Demütigungen willig ertragen müsse; in der Nachfolge Christi liege die „joie parfaite“ (Messiaen 2004, S. 19). Das zweite Bild (I.2: „Les laudes“) zeigt das Innere einer kleinen Klosterkirche. Während die Gesänge der Mitbrüder erklingen, preist Saint François die Schöpfung und bittet Gott, ihm einen Leprakranken zu senden. Daraufhin begegnet er im Hospital San Salvatore bei Assisi (I.3: „Le baiser au lépreux“) einem Aussätzigen, den er nach einigem Zögern küsst; durch ein Wunder wird der Kranke geheilt. In II.4 („L’Ange voyageur“) klopft ein Engel an die Pforte des Klosters am Berg La Verna. Er stellt Bruder Élie theologische Fragen, die dieser als Zeitverschwendung ablehnt. Beim zweiten Versuch findet der Engel in Bruder Bernard einen verständigeren Gesprächspartner. Das nächste Bild (II.5: „L’Ange musicien“) zeigt Saint François, wie er der Musik des Engels lauscht, deren überirdische Schönheit ihn das Bewusstsein verlieren lässt. Schauplatz von II.6 („La prêche aux oiseaux“) ist die Einsiedelei der „Carceri“ bei Assisi: Saint François predigt den Vögeln – und dazu stellen sich nicht nur die Vögel Umbriens ein, sondern Vögel aus aller Welt. Noch einmal am Berg La Verna ist das vorletzte Bild situiert (III.7: „Les stigmates“). Nach inbrünstigem Gebet empfängt Saint François hier die Wundmale Christi. Im letzten Bild schließlich (III.8: „La mort et la nouvelle vie“) nimmt er in der Kirche Santa Maria degli Angeli in Assisi Abschied von seinen Mitbrüdern und stirbt im Stande der Heiligkeit. Die Entstehungsgeschichte der Oper ist dank der Fortschritte der biographischen wie musikwissenschaftlichen Messiaen-Forschung in den letzten beiden Jahrzehnten gut dokumentiert (Hill / Simeone 2005; Dingle 2006). Dank der Forschungen von Stefan Keym und Aloyse Michaely zu den Textquellen der Oper, zu
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Messiaens Skizzenbüchern und zur musikalischen Struktur der monumentalen Partitur sind auch wesentliche Koordinaten des Kompositionsprozesses inzwischen bekannt (Keym 2002, Michaely 2006). Erst in den letzten Jahrzehnten wurde auch der theologische Hintergrund von Messiaens Operndichtung – Ernest Hello, Dom Columba Marmion, Hans-Urs von Balthasar – einer genaueren Betrachtung unterzogen (Keym 2002; Bruhn 2008a, 2008b und 2008c; Shenton 2010). Der ursprünglich von Rolf Liebermann, dem Intendanten der Pariser Oper, ausgehende Auftrag zur Komposition einer Oper wurde dem Komponisten im Rahmen eines Abendessens im Élysée-Palast am 28. September 1971 vom französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou persönlich erteilt. Obwohl die Entscheidung für den Franziskus-Stoff schon bald darauf gefallen zu sein scheint, fand die Vertragsunterzeichnung mit der Opéra erst am 25. April 1976 statt. Bis zu dem Moment, als Rolf Liebermann nach einem Treffen mit Messiaen am 15. November 1977 die Presse über Messiaens Opernprojekt informierte, hatte Messiaen niemandem das Sujet seiner Oper mitgeteilt; auch seine Frau, die Pianistin Yvonne Loriod, erfuhr erst bei dieser Gelegenheit den Grund für ausgedehnte gemeinsame Reisen, die der ornithologischen Materialsammlung dienten. Die Wahl des Franziskus-Stoffes begründete der tief gläubige Komponist selbst mit seinem ornithologischen Interesse, das ihm die Wahl eines Heiligen mit einem besonderen Bezug zur Vogelwelt nahezulegen schien. Um die in der Vogelpredigt des Heiligen Franziskus erwähnten Inseln und Vögel aller Weltgegenden auch musikalisch versinnlichen zu können, hatte der Komponist 1975 eine Reise in die französischen Territorien im Pazifik unternommen, wobei er sich in Neukaledonien – und dort besonders auf der Île des Pins – längere Zeit aufhielt, um Vogelrufe in musikalische Notation zu übertragen. Auf dem Rückweg nach Frankreich machte er auch in Französisch-Polynesien Station, um die dortige Vogelwelt kennenzulernen.
II Historische Schichten Wie für alle seine früheren Werke verfasste Messiaen auch die Textgrundlage seiner ersten Oper selbst; der in schlichter, kunstloser Prosa gehaltene Gesangstext besteht aus einer Collage aus den franziskanischen Quellen des Mittelalters sowie aus Bibeltexten, zu denen sich gelegentliche Zitate aus den Schriften des Heiligen Thomas von Aquin gesellen (Bossut 1993; Dingle 2007; Bruhn 2008a und 2008b; Benitez 2010). In einem Interview mit dem Autor dieses Artikels am Abend der Generalprobe (26. November 1983) wies der Komponist darauf hin, dass er bewusst alle Handlungselemente ausgeschieden habe, die den Zuschauer von der allmählichen Transformation des Menschen Franziskus in einen Heiligen hätten
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ablenken können. Obwohl Messiaen sich auch bei der Auswahl der handelnden Personen primär auf die Fioretti und die populäre Franziskus-Überlieferung des Trecento stützte, wurde nicht nur die Gestalt der Santa Chiara entfernt, sondern auch alle legendenhaften Begebenheiten, die die Handlungsführung von ihrer Konzentration auf die spirituellen Elemente hätten ablenken können. Aufgrund von Messiaens lebenslanger Fixierung auf die französischsprachige literarische Kultur wurde die besondere Rolle der umbrischen Originaltexte San Francescos für die italienische Literaturgeschichte vom Komponisten noch nicht einmal wahrgenommen; dagegen unternahm er mehrere Reisen nach Italien, um nicht nur die Landschaft Umbriens genauer kennenzulernen, die den Schauplatz seiner zukünftigen Oper bildete, sondern auch, um die reiche Ikonographie des Heiligen in der italienischen Malerei des Trecento und Quattrocento zu studieren (Dingle 2007; Hill / Simeone 2005, S. 284, 287 u. ö.). Die opernhistorisch besondere Situation, dass ein Komponist im zarten Alter von 74 Jahren die Uraufführung seiner ersten Oper vorbereitet, wirkte sich auf die musikalische Dramaturgie von Saint François d’Assise in mehrfacher Hinsicht aus und dürfte teilweise dafür verantwortlich sein, dass Messiaen musikdramaturgische Lösungen fernab von jeder Operntradition zu finden vermochte. Da der Komponist zum Zeitpunkt der Uraufführung noch über keinerlei praktische Bühnenerfahrung verfügte, bereitete ihm nicht nur die Koordination von musikalischer Textdeklamation und Bühnenhandlung Probleme, sondern es fiel ihm auch sehr schwer, die Grenzen der szenischen Phantasie eines Komponisten – und damit die notwendigen Entscheidungsspielräume für zukünftige Opernregisseure – anzuerkennen. Aus diesem Grunde enthält die Partitur von Saint François d’Assise nicht nur zahlreiche utopische Bühnen- und Regieanweisungen, sondern es bedurfte auch der ganzen Überredungskunst des zur Zeit der Uraufführung amtierenden Pariser Intendanten Massimo Bogianckino, um Messiaen von der Idee abzubringen, seine Oper selbst zu inszenieren. Die angesichts der langsam fortschreitenden Handlung extreme Spieldauer von rund 240 Minuten Musik, die Hypertrophie von Chor- und Orchesterbesetzung, die exorbitanten musikalischen Schwierigkeiten der Partitur sowie die utopischen Anforderungen an die Physis des Sängers der Hauptrolle dürften nicht zuletzt der mangelnden theaterpraktischen Erfahrung des Komponisten geschuldet sein. Während die detaillierte Skizzierung der Tonhöhenstruktur des Werkes etwa zweieinhalb Jahre erforderte, zog sich die Herstellung der monumentalen Orchesterpartitur (2500 Seiten in acht Bänden von etwa 20 kg Gewicht!) über mehr als fünf Jahre hin und brachte den Komponisten an den Rand eines gesundheitlichen Zusammenbruchs (Hill / Simeone 2005, S. 342). Die von Messiaen vorgeschriebene Chor- und Orchesterbesetzung sprengte alle bisherigen Dimensionen und machte Saint François d’Assise zu der am größten besetzten Opernpartitur der
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Musikgeschichte. Noch während der Generalprobe zur Uraufführung beklagte sich der Komponist, dass man ihm anstelle der ursprünglich vorgeschriebenen 500 Chorsänger nur 150 bewilligt habe. Da ein Orchester von etwa 130 Spielern in kaum einem Orchestergraben der Welt Platz findet, griff man bei der Pariser Uraufführung zu der Notlösung, über den 70 Streichern im Orchestergraben auf einem Podest die Holzbläser, Hörner und Schlagzeuger anzuordnen, während das schwere Blech und die drei Ondes Martenot (monophone elektronische Tasteninstrumente) in die Proszeniumslogen verbannt wurden. Die Partitur von Saint François d’Assise bildet ein Kompendium von Messiaens kompositionstechnischen Errungenschaften aller Schaffensperioden und stellt gleichsam die Summe seines Lebenswerkes dar (Hill 1996; Benitez 2001; Keym 2002 und 2008; Michaely 2006). Die bei der Uraufführung zahlreich anwesenden prominenten Komponisten der Avantgarde, unter denen sich viele ehemalige Schüler von Messiaen befanden, reagierten ebenso konsterniert wie die internationale Musikkritik auf eine Tonsprache, die – ganz entgegen den Normen der seriellen und postseriellen Avantgarde dieser Zeit – zwischen seriellen Passagen, den „modes à transpositions limitées“, Passagen im Stile der Clusterkomposition der 1960er Jahre sowie strahlenden Durakkorden ein einigendes Band herzustellen vermochte. Erst aus der historischen Distanz wurde erkennbar, dass die Musik der Oper einer geheimen Grundstruktur gehorcht, die – wie der Komponist selbst (Messiaen 1994–2002) sowie die jüngere Forschung überzeugend darlegten – auf seiner persönlichen Disposition zur akustischen Farbwahrnehmung beruht. Diese „audition colorée“ erlaubte es ihm, durch die Integration von tonalen, modalen und seriellen Elementen sowie der auch für sein Œuvre neuartigen Einbeziehung von Clustertechniken und kontrollierter Aleatorik eine allumfassende und zugleich kohärente Tonsprache aufzubauen (Michaely 1987 und 2006; Keym 2002). Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war in der französischen Schweiz das Radiodrama Saint François d’Assise entstanden, eine „évocation radiophonique“ des französischen Schauspielers und Autors William Aguet mit Musik von Arthur Honegger. Eine Aufnahme des Werkes mit Aguet in der Rolle des Erzählers und mit einer Einspielung der Musik Honeggers durch das Orchestre de la Suisse Romande unter Ernest Ansermet (1949) hat sich in den Archiven von Radio Suisse Romande erhalten. Obwohl es als ausgeschlossen gelten kann, dass Messiaen diese Fassung des Franziskus-Stoffes gekannt hat, überrascht Aguets Version durch eine Auswahl der Handlungselemente, die mannigfaltige Parallelen zur Dramaturgie von Messiaens Oper aufweist. Die Einbeziehung eines Erzählers gemahnt an die Theatertradition Paul Claudels, dessen Zusammenarbeit mit Darius Milhaud und Arthur Honegger wesentliche Werke der französischen Oper wie der Schauspielmusik des zwanzigsten Jahrhunderts hervorbrachte. In seiner Musik für das neue
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Medium des Radiodramas lehnte Honegger sich offensichtlich an seine früheren Bühnenmusiken für die Dramen Paul Claudels an (Lécroart 2015). Da die beiden Bühnenwerke, die der französische Organist und Komponist Charles Tournemire (1870–1939) über das Leben des Heiligen Franziskus verfasste, bisher unaufgeführt und unpubliziert blieben, liegt die historische Bedeutung dieser Werke wahrscheinlich vor allem in ihrem Vorbildcharakter für Messiaens Fransziskus-Oper. Wie Stefan Keym ausführt, legen Gemeinsamkeiten des dramaturgischen Aufbaus einen Einfluss von Tournemires Oper Il Poverello di Assisi (1937–1939) auf die Handlungsführung von Messiaens Saint François d’Assise nahe (Keym 2002, S. 368–372; Keym 2013). Einen noch deutlicheren Einfluss dürfte das Oratorium Les fioretti de Saint François d’Assise (1912) von Gabriel Pierné ausgeübt haben, dem Vorgänger Tournemires als Organist der Pariser Kirche Sainte Clotilde, denn die Szeneneinteilung des Oratoriums weist enge Parallelen zu Messiaens Operndichtung auf. Die folgende, Keyms grundlegender Dissertation entnommene Tabelle veranschaulicht Differenzen wie Gemeinsamkeiten (Keym 2002, S. 369): Gabriel Pierné: Les fioretti de Saint François d’Assise (1912)
Charles Tournemire: Il Poverello di Assisi (1937–1939)
Olivier Messiaen, Saint François d’Assise (1975–1983)
Prologue, Nr. 1: La jeunesse de François
1. Episode: Jeux (Évocation de l’art antique) (1. Bild: Franziskus und seine Freunde; Auftritt der Armut)
1. Akt, 1. Bild: La croix
Prologue, Nr. 2: François et la pauvreté
2. Episode: Le chevalier (2. Bild: Berufung; öffentliche Lossagung vom Vater
1. Akt, 2. Bild: Les laudes
3: Episode: La vocation de Claire (3./4. Bild: Klaras Berufung; Konflikt mit ihrem Vater)
2. Akt, 4. Bild: L’Ange voyageur
4. Episode: Les stigmates (5./6. Bild: »Sonnengesang«; Stigmatisierung)
2. Akt, 6. Bild: La prêche aux oiseaux
5. Episode: La mort (7. Bild)
3. Akt, 8. Bild: La mort et la nouvelle vie
1. Teil, Nr. 1: Le lépreux 1. Teil, Nr. 2: Sœur Claire 1. Teil, Nr. 3: Les oiseaux
2. Teil, Nr. 4: Les stigmates 2. Teil, Nr. 5: Le cantique du soleil 2. Teil, Nr. 6: Ma mort
1. Akt, 3. Bild: Le baiser au lépreux
2. Akt, 5. Bild: L’Ange musicien
3. Akt, 7. Bild: Les stigmates
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Sieht man von einem oratorienartigen „poema místico“ des uruguayischen Komponisten Luis Sambucetti ab, das 1910 in szenischer Aufführung am Teatro Solís in Montevideo Premiere hatte (Ayestarán 1956, S. 20–22), so entstanden die ersten musikalischen Bühnenwerke über die historische Gestalt des Heiligen Franziskus erst nach dem Ersten Weltkrieg. Als geistesgeschichtlicher Hintergrund für das Erwachen eines regen Interesses am Franziskus-Stoff sind einerseits die dekadente Rezeption der Heiligenlegenden im Theater Gabriele D’Annunzios (D’Annunzio / Debussy, Le Martyre de Saint-Sébastien, Paris 1911; vgl. Beghelli 2005), andererseits die spezifisch französische Hinwendung zu sakralen Stoffen im Rahmen des „renouveau catholique“ (Paul Claudel, Georges Bernanos) anzusehen (Schneider 2005; Caron / Duchesneau 2008). Wie aus der Korrespondenz D’Annunzios mit Don Lorenzo Perosi hervorgeht, plante der Dichter eine Oper über die Gestalt San Francescos, die jedoch über das Planungsstadium nicht hinausgelangte (Uras 2008, S. 78). In denselben Kontext eines D’Annunzio-affinen Musiktheaters gehört auch das „Mistero“ San Francesco d’Assisi von Gian Francesco Malipiero auf einen eigenen Librettotext, das in merkwürdiger Weise die dramaturgischen Neuerungen von Malipieros dramatischem Frühwerk mit dem Rückgriff auf Formen des mittelalterlichen Stationendramas verknüpft (Waterhouse 1999, S. 146–148). Wegen seiner Beschränkung auf vier statische Bilder aus dem Leben des Heiligen sowie der außerordentlichen Verknappung der handlungsorientierten Passagen antizipierte Malipieros Partitur wesentliche Tendenzen des neoklassizistischen Musiktheaters der späten 1920er Jahre, wie sie etwa an Igor Stravinskijs Opern-Oratorium Oedipus Rex (1928) deutlicher hervortreten. Die Aufführungsgeschichte von Malipieros San Francesco d’Assisi blieb nach der konzertanten Uraufführung in der Carnegie Hall (New York 1922) äußerst beschränkt; die szenische Uraufführung fand erst 1949 im Rahmen der „Sagra Musicale Umbra“ in Perugia statt. San Francesco, als Sohn eines Tuchhändlers unter dem Namen Giovanni di Pietro di Bernardone um 1181/82 in Assisi geboren, lebte zunächst weltzugewandt, löste sich jedoch unter dem Eindruck mehrerer Bekehrungserlebnisse noch in jugendlichem Alter schrittweise aus gesellschaftlichen und familiären Bindungen, zog bettelnd und predigend von Ort zu Ort und kümmerte sich um Arme und Kranke. Um sein charismatisches Vorbild konsequenter Christusnachfolge bildete sich bald eine Gemeinschaft Gleichgesinnter, die sehr schnell anwuchs, sich institutionell festigte und noch im dreizehnten Jahrhundert über das gesamte Gebiet des christlichen Europa ausbreitete. Francesco selbst starb, nachdem er sich aus der Führung des durch ihn begründeten Ordens zurückgezogen hatte, am 3. Oktober 1226 in Assisi und wurde bereits im Jahr 1228 heiliggesprochen. Während die Wirkung San Francescos sich weltweit eher im Rahmen der Theologie und Kir-
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chengeschichte entfaltete (Feld 1994; Le Goff 1999), stellen die Dichtungen des Heiligen, vor allem der Cantico del frate Sole, neben ihrer theologischen Bedeutung auch eines der frühesten Zeugnisse einer Dichtung in „Volgare“, d. h. nicht in der Bildungssprache Latein, sondern in dem umbrisch-toskanischen Dialekt dar, aus dem sich in den folgenden Jahrzehnten die italienische Literatursprache entwickeln sollte (Branca 1965). Gemessen an der außerordentlich intensiven Wirkungsgeschichte der Dichtungen San Francescos und der folgenden „letteratura francescana“ (Tommaso da Celano, Legenda prima [1229]; San Bonaventura da Bagnoregio, Legenda maior [1260–1263]; Anonymus, Sacrum commercium sancti Francisci cum domina paupertate [1227]; Anonymus, I Fioretti di San Francesco) innerhalb der italienischen Literatur bildete die musikalische Rezeption seiner Texte gerade auch im Bereich des italienischen Sprachraums ein durchaus sekundäres Phänomen.
III Werkliste San Francesco d’Assisi „Poema místico en 1 acto y 3 cuadros“ Musik Text Luis Sambucetti Benjamín Fernández y Medina San Francesco d’Assisi „Mistero“ Musik Gian Francesco Malipiero
Text Gian Francesco Malipiero
Il Poverello di Assisi „5 épisodes lyriques en 7 tableaux“ Musik Text Charles Tournemire Charles Tournemire, Joseph Péladan
Uraufführung 22.7.1910, Montevideo
Uraufführung 1. [konzertant] 1922, New York 2. [szenisch] 1949, Perugia
Entstehung 1937–1939
Saint François d’Assise „Évocation radiophonique“ Musik Arthur Honegger
Text William Aguet
Uraufführung [Rundfunk] 1949
Francis A one-act opera Musik Elizabeth Margaret Beath
Text David Cox
Uraufführung 17.10.1974, Brisbane
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Legendarische Stoffe
Come Santo Francesco Multimedia-Oper Musik Dieter Schönbach [mit Kompositionen von Alessandro Scarlatti]
Text Dieter Schönbach
Saint François d’Assise „Opéra en 3 actes et 8 tableaux“ Musik Text Olivier Messiaen Olivier Messiaen
Uraufführung 14.9.1979, Münster
Uraufführung 28.11.1983, Paris
Franziskus Kirchenoper Musik Heinz Kratochwil
Text Herbert Vogg
Uraufführung [konzertant] 31.3.1998, Wien [Entstehung: 1987]
Saint Francis Opera in 3 acts Musik Francis Grier
Text Sue Mayo
Uraufführung 20.5.1993, Dorchester
Genoveva Pia Selmayr I Präsenz des Sujets Vor allem zwei Opern, die den Genoveva-Stoff bearbeiten, sind auf den heutigen Bühnen präsent: Jacques Offenbachs Geneviève de Brabant und Robert Schumanns Genoveva. Erstere wurde in einer zweiaktigen Fassung als „Opéra-bouffon“ am 19. November 1859 im Pariser Théâtre des Bouffes-Parisiens, Salle Choiseul, uraufgeführt. Das Libretto von Adolphe Jaime und Etienne Victor Tréfeu de Tréval erregte so großen Widerspruch bei Publikum und Kritikern, dass ab etwa der siebten Vorstellung eine dramaturgisch gestraffte Version (zugleich Druckfassung von 1860) Verwendung fand, in der außerdem Passagen entschärft wurden, die das Tugendbild der Protagonistin in Zweifel ziehen (Patocka 2002, S. 126). In der Wintersaison 1867/68, am 26. Dezember 1867, feierte dann eine Neufassung im Théâtre des Menus-Plaisirs in Paris Premiere. Das buffoneske Stück wurde darin um einen dritten Akt erweitert und erhielt einen gemäßigteren comique-Stil; am Text arbeitete neben Tréfeu nun auch Hector Jonathan Crémieux mit (ebd., S. 127). Sieben Jahre später wurde auch diese Neufassung noch einmal dramaturgisch bearbeitet und dabei einem Genrewandel unterzogen: Die „Opéra-bouffon“ wurde zu einer sogenannten Opera féerie, in der nunmehr magische Elemente in den Vordergrund rücken. Die Uraufführung fand am 25. Februar 1875 im Pariser Théâtre de la Gaîté statt (Heinzelmann 1991, S. 507). Im Mittelpunkt der ersten Druckfassung von 1860 steht Sifroid, „[l]e plus beau, le plus grand des seigneurs“ (Jaime / Tréfeu 1860, S. 5), der, geplagt von Migräne, keinen Nachwuchs mit seiner Frau Geneviève zeugen und daher die Herrschaft nicht sichern kann. Ein Liebestrank nimmt ihm zwar die Schmerzen, zum Beischlaf kommt es jedoch aufgrund einer Intrige seines Untergebenen Golo nicht. Sifroid ist enttäuscht und wird kurz darauf von Karl Martell zum Krieg gegen die Sarazenen rekrutiert. Vor seiner Abreise übergibt er die Regentschaft an Golo und verstößt seine Frau, da diese ihren ehelichen Pflichten nicht nachgekommen sei. Geneviève flüchtet in einen Wald und findet in einer Höhle Unterschlupf, wo sie recht herrschaftlich lebt. Als Golos Verführungsversuche bei der Verstoßenen scheitern, beauftragt er den vorgeblich taubstummen Almanzor, sie zu töten. Dieser offenbart sich aber als Genevièves früherer Geliebter Reynold de Flandre. Er führt sie zurück an den Hof, wo Golos Intrige in Gegenwart des zurückgekehrten Sifroid aufgedeckt und Genevièves Herrschaftsrecht bestätigt wird. Während der dramaturgisch eigentlich notwendige Abschluss der Liebeshandlung, die Vereinigung Genevièves mit Reynold, in der Druckfassung mit https://doi.org/10.1515/9783110424089-029
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keinem Wort expliziert wird, war die ursprünglich gespielte Version eindeutiger: Die Protagonistin bietet hier selbst dem Geliebten ausdrücklich ihre Hand an – ein eigenmächtiger Akt gegen die patriarchale Ordnung, der geschickt dadurch legitimiert wird, dass die „Normverletzung (Ehebruch nach dem Buchstaben, da die Norm keine Scheidung vorsieht)“ zugleich als gerechte Strafe für ihren Gatten Sifroid erscheint (Patocka 2002, S. 148) und ihre politische wie erotische Ermächtigung durch Sympathiebekundungen des Volks unterstützt wird. In der veränderten Handlung der Neufassung von 1867 wird als neue Hauptfigur der junge Bäcker Drogan eingeführt, der Geneviève in vielen unterschiedlichen Situationen beschützt und vor dem ungerechten Tod im Wald bewahrt. Die erotischen Anspielungen zwischen Reynold und Geneviéve werden durch zwei Couplets verstärkt, von denen sich eines bereits im ursprünglichen Libretto findet, nicht aber in der Druckfassung von 1860. Die Umarbeitung der Neufassung von 1875 ist um acht Musiknummern und zwei Balletteinlagen erweitert (Heinzelmann 1991, S. 508). In den Vordergrund drängen hier nun vor allem das „visuelle Spektakel“ und der „inszenatorische Kraftakt“ (Patocka, S. 129). Während einzelne Elemente dieser Oper – vor allem das ‚Fleischpastetenrondo‘ (Rondo du pâté) aus dem 1. Akt – sich bis heute großer Beliebtheit erfreuen und daher vergleichsweise häufig isoliert dargeboten werden, sind szenische Aufführungen des kompletten Werks gegenwärtig rar gesät: 2016 dirigierte Claude Schnitzler das Stück in einer Inszenierung von Carlos Wagner an der Oper in Montpellier; im Jahr 2018 wurde es im Rahmen des Festival des Châteaux de Bruniquel unter der musikalischen Leitung von Jean-Christophe Keck aufgeführt. Eine stark verknappende Aneignung für die Kleinstbühne wurde darüber hinaus in den Jahren 2015 und 2017 von der Züricher Oper im Knopfloch präsentiert. Offenbachs Geneviève de Brabant erscheint hier nurmehr als Einakter „mit Pause, für wenig Sänger, Besen, Akkordeon und Kontrabass“ (Oper im Knopfloch 2015). Am 25. Juni 1850 hatte Robert Schumanns einzige Oper Genoveva am Stadttheater in Leipzig Premiere. Für das Libretto verantwortlich waren der Komponist selbst und sein Freund Robert Reinick; als Vorlage wählten sie zuerst das Trauerspiel Leben und Tod der heiligen Genoveva von Ludwig Tieck (1799), orientierten sich aber letztlich vor allem an Friedrich Hebbels Tragödie Genoveva von 1843 (vgl. Oliver 1978, S. 68–81; Ewert 2003, S. 107–153). Das Werk war mit großer Spannung erwartet worden, fiel aber beim Publikum durch. Kritik wurde sowohl an der Partitur als auch am Libretto und insbesondere an den sogenannten „populären Melodien“ geübt (Ewert 2003, S. 14; Oliver 1978, S. 101–114; Abert 1909/10, S. 277). Das Sujet setzt mit dem Aufruf des Bischofs Hidulfus ein, gegen den spanischen Mauren-Fürsten Abdorrhaman in den Krieg zu ziehen. Siegfried folgt Karl Martell und lässt sein Land und seine geliebte Ehefrau Genoveva in der Obhut
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Golos. Vor Schmerz über den Abschied wird sie ohnmächtig, was Golo nutzt, um die Wehrlose zu küssen. Als sie später davon erfährt, weist sie ihn brüsk zurück („Zurück, ehrloser – Bastard!“ Schumann / Reinick 1850, S. 19). Der Verschmähte sinnt daraufhin auf Rache und setzt eine Intrige ins Werk, bei der ihm Siegfrieds ehemalige Amme, die zauberkundige Margaretha, Hilfe leistet. Im Verlauf dieser Intrige wird der Haushofmeister Drago scheinbar beim Ehebruch mit Genoveva ertappt und schuldlos getötet. Der im Kampf verwundete Herrscher erfährt durch Golo von der angeblichen Untreue seiner Frau und findet die Anschuldigungen durch einen Blick in Margarethas Zauberspiegel bestätigt. Wütend zertrümmert Siegfried den Spiegel, aus dem Dragos Geist entsteigt und Margaretha den Flammentod prophezeit, falls sie ihre Lüge nicht offenbaren sollte. Siegfried wird daraufhin die Wahrheit enthüllt. Gerade noch rechtzeitig kann er die Hinrichtung Genovevas im Wald verhindern und klagt sich selbst für ihr Unglück an: „Ich bin die Schuld an Deinem Elend, / Ich bin’s, der Dich in Noth gebracht! / Wie kann ich Dich versöhnen!“ (ebd., S. 47). In Liebe wiedervereint wird das Paar im Triumphzug zu seinem Schloss geleitet. Das unterschätze Werk, das lange als „schwachbrüstig, dramaturgisch zerfahren“ galt (Goertz 2007), erfuhr zwar immer wieder vereinzelte Inszenierungsversuche (zur Aufführungshistorie siehe Nauhaus 2010); größeren Erfolg hatte allerdings erst in der Spielzeit 2007/2008 eine von der Presse gefeierte Inszenierung am Opernhaus Zürich unter der Regie von Martin Kušej und unter der musikalischen Leitung von Nikolaus Harnoncourt. Die Premiere der bislang aktuellsten Aufführung fand am 29. April 2017 im Nationaltheater Mannheim unter der musikalischen Leitung von Alexander Soddy statt.
II Historische Schichten Detlev Müller-Siemens’ Oper Genoveva oder die weiße Hirschkuh. Ein hannöversches Drama in vier Bildern und einem Zwischenspiel lässt sich motivisch dem Stoffkreis der Genoveva-Sage zuordnen; sie stellt dessen jüngste musiktheatrale Adaptation dar. Uraufgeführt wurde das Werk 1978 als TV-Inszenierung von Karl Wesseler für das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF), die Bühnenpremiere folgte 1980 am Opernhaus Hannover unter der Regie von Imo Moskowicz (vgl. Meyer 1988, S. 41). Das Libretto basiert auf einem angeblich 1907 verfassten Dramentext, den Berndt W. Wessling 1975 als Werk seiner Großtante Julie Schrader (1881–1939) zum ersten Mal veröffentlicht hat (Schrader 1975; zum Zweifel an ihrer Autorschaft vgl. Stadler 1988). Das Genoveva-Sujet ist hier in die Zeit Kaiser Wilhelms II. versetzt. Die latente Komik der Oper ergibt sich vor allem aus der getreuen Umsetzung der Vorlage
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Legendarische Stoffe
Schraders durch den Komponisten: Müller-Siemens verlässt sich ganz darauf, „daß die unvermeidliche Komik sich aus der zugrundeliegenden Katastrophe ergeben müsse“ (Meyer 1988, S. 42). Die Magd Genoveva – hier durchwegs verniedlichend ‚Vevchen‛ genannt – muss Hannover verlassen, da ihre Dienstherrin Adolphine Plückerjahn die Beziehung zu ihrem Neffen Adelkurt nicht gutheißt. Vevchen verlobt sich heimlich mit Adelkurt und fährt nach Berlin. Dort rettet der Engel Hesekiel sie vor einem Sittenverbrecher durch die Verwandlung in eine weiße Hirschkuh. In dieser Gestalt wird sie beinahe von Kaiser Wilhelm II. bei der Jagd erlegt; aber wieder greift der Engel rechtzeitig ein, sodass sie zurückverwandelt werden kann. Adelkurt hat inzwischen seine Tante getötet. Er wird herbeigezaubert, vom Kaiser begnadigt und mit Vevchen vereint. Der Kaiser bestätigt die Ehe und lässt sich von dem Paar sieben Knaben für sein Heer versprechen. Die Motive der weißen Hirschkuh und der Hilfe durch einen Engel sind Bestandteil der Genoveva-Sage und gehen auf die ältere deutsche ‚Volksbuch‘-Tradition zurück. Schon der Prätext stellt nicht Liebe und Treue ins Zentrum, sondern die gegenüber der Stofftradition parodistisch zu verstehende naive Gutgläubigkeit der Protagonistin. Müller-Siemens akzentuiert in seiner Vertonung eben diese gutgläubige Naivität und verstärkt die ironische Darstellung einer doppelbödigen Moral (ebd.). Eine besondere Stellung in Bezug auf Bearbeitung und Uraufführung nimmt Erik Saties Oper Geneviève de Brabant ein. Das vermutlich für Schattentheater vorgesehene Libretto in drei Akten verfasste der Komponist zwischen 1899 und 1900 gemeinsam mit Patrice Contamine de Latour, der dabei das Pseudonym Lord Cheminot benutzte. Die beiden ließen sich wahrscheinlich von den volkstümlichen Bilderbögen inspirieren, die sich im ausgehenden 19. Jahrhundert großer Beliebtheit in Frankreich erfreuten (Volta 1998, S. 6). Der Text rückt die zu Unrecht verfolgte Geneviève in den Mittelpunkt und fokussiert auf ihr Exil im Wald. Ein Erzähler beschreibt ihre Notsituation zu Beginn des zweiten Aktes folgendermaßen: „Privée de pain et d’eau / par le méchant Golo, / par la faute de ce traître / elle risque de disparaître. / Geneviève pleurniche / car elle n’a que cette biche / pour lui tenir compagnie / et partager sa mélancolie“ (Satie / Lord Cheminot 1998, S. 18). Die Oper wurde nicht zu Lebzeiten Saties uraufgeführt, da der Komponist sie für verschollen hielt (Wehmeyer 1974, S. 290 f.). Erst nach seinem Tod wurden Noten für Klavier mit den Gesangspartien des Librettos hinter seinem Klavier gefunden (Volta 1998, S. 7). Auf dieser Grundlage, also ohne den gesamten Text des weiterhin verschollenen Librettos, wurde das Werk von Saties Schüler Roger Désormière orchestriert und kam am 17. Mai 1926 im Théâtre des Champs-Élysées im Rahmen einer Gedenkveranstaltung für den Verstorbenen zur Aufführung
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(Potter 2016, S. 141 f.). Saties Schülerin Ornella Volta entdeckte Jahrzehnte später das vollständige Libretto, sodass das Gesamtwerk am 13. April 1983 am Teatro La Fenice in Venedig seine Premiere feiern konnte. Obwohl die späte Uraufführung ein gewisses öffentliches Interesse weckte, fand Saties Geneviève de Brabant bis heute nur wenig Beachtung. Das Libretto nimmt in Inhalt und Stil die Genoveva-Bearbeitung von Schumann auf, parodiert sie aber in einem solchen Maß, dass man sogar von einer Anti-Oper sprechen kann. Zum Eindruck einer Parodie trägt außerdem die für die damalige Zeit ungewöhnliche musikalische Form bei, die für Verwirrung beim konservativen Publikum gesorgt haben mag: Satie stellt „mystische Formeln und Operettenhaftes einander gegenüber, Gregorianik wechselt mit French Cancan“ (Volta 1998, S. 7). Angelehnt an Hebbels Genoveva und damit auch in der Tradition Robert Schumanns stehend ist die vieraktige Oper Genoveva von Carl Natanael Berg, die am 25. Oktober 1947 an der Kungliga Operan in Stockholm uraufgeführt wurde. Berg zeichnet nicht nur verantwortlich für die Musik, sondern auch für das Libretto (Schindler 2009, S. 45). Er übernimmt die dem Realismus zuzuordnenden Tendenzen Hebbels und rationalisiert die Heiligenlegende (Voss 1994, S. 676). Wie Hebbel stellt er die Intrige Golos in den Mittelpunkt des Sujets und legt den Fokus auf den Charakter des eifersüchtigen und zurückgewiesenen Intriganten. Jacques Offenbachs Geneviève de Brabant entstand in einer Hochphase der Operetten-Produktion. Der mittelalterliche Stoff konnte in der Form der „Opéra-bouffon“ im Kontrast zur übermächtigen Mittelalterinszenierung Wagners gestaltet werden; die komische Oper bot sich ihr gegenüber als Aus- bzw. Umweg an (Fischer 1986, S. 512). Offenbachs Geneviève bleibt zwar im Mittelalter situiert, ist aber durch zahlreiche Anspielungen und komische Anachronismen eng an die Zeitverhältnisse des zweiten französischen Kaiserreichs (1852–1870) gebunden und enthält dabei auch Bezüge auf die deutsche Situation nach 1848 (Groepper 1990, S. 9). Der Komponist wollte an den Erfolg seiner am antiken Mythos orientierten Operette Orphée en enfers (1858) anknüpfen und wählte auch deshalb den seinerzeit sehr populären Stoff der Genovevalegende. Dabei ging es Offenbach und seinen Librettisten vor allem darum, den beliebten Stoff zu dekonstruieren und die zum Zeitpunkt der Uraufführung immer noch wirksame moralisierende Interpretation aufzubrechen (Patocka 2002, S. 134). Geneviève ist bereits in der Stofftradition Opfer willkürlichen Patriarchentums; vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Legende präsentiert das Libretto jedoch zeitgenössische Sozialkritik. Wie in der Legende steht die zu Unrecht verfolgte Ehefrau im Mittelpunkt, die sich aufgrund ihrer Tugendhaftigkeit und der damit verbundenen Passivität den Entscheidungen anderer fügt. Sehr viel stärker
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erscheint jedoch ihre Ehe mit Sifroy im Licht gesellschaftlicher Zwänge. Genevièves Unglück nimmt nicht erst mit Golos Intrige ihren Lauf, sondern liegt schon im Ursprung der arrangierten Ehe begründet. In allen Fassungen der Operette gehen aus dieser Ehe keine Nachkommen hervor, und die dadurch bedrohte Herrschaftssicherung wird zum Movens der Handlung: „Vom Vater erzwungen steht die Vernunftehe in der Tradition interessenorientierter Heiratsbräuche der bürgerlichen wie aristokratischen Schichten der Zeit“ (ebd.). Zu einem beliebten Schlager wurde in Paris das Couplet der erst in der Neufassung von 1867 hinzugefügten Gendarmen Pitou und Grabuge: Die Szene mit den beiden marionettenhaften Polizeigestalten fungiert dabei nicht nur als komödiantisches Beiwerk; sie dient auch der Offenlegung von „Blutrunst und Kadavergehorsam“ der Revolution (Heinzelmann 1991, S. 510). Robert Schumanns Genoveva ist Teil eines Hauptstrangs der Geschichte der deutschen Oper des 19. Jahrhunderts, die das Mittelalter zum Ort „eines in die Vergangenheit projizierten, auch national geprägten Utopias“ macht (Meyer 2007, S. 77). Zu diesem Hauptstrang zählen neben Wagners Musikdramen auch Heinrich Marschners Hans Heiling und insbesondere Der Templer und die Jüdin (nach Walter Scotts → Ivanhoe). Schumanns Genoveva ist besonders eng mit Wagners → Lohengrin verknüpft: Die beiden Werke entstehen zur selben Zeit und werden im selben Jahr 1850 uraufgeführt; Franz Liszt dirigiert nicht nur die LohengrinPremiere, sondern 1855 auch eine Weimarer Aufführung von Schumanns Oper. Mittelalterliche Sujets schienen beiden Komponisten als Stoffe geeignet, um in Verbindung mit Musik „dramatischer Wahrhaftigkeit“ Ausdruck verleihen zu können (Ewert 2003, S. 22). Schumann interessierte sich vor diesem Hintergrund wie Wagner für den Artus-Stoffkreis, kam davon nach einer Lektüre von Wagners Lohengrin-Text jedoch wieder ab (ebd., S. 16). Seine Genoveva ist als „affirmative Bestätigung eines wohlbewahrten Menschenbildes“ konzipiert (ebd., S. 27): Das hier entworfene christliche Mittelalterbild präsentiert eine harmonische Ordnung, die ganz in Gottes Hand liegt und gegen Gefährdungen etwa durch andersgläubige Mauren oder angeblich ehebrecherische Frauen konsequent verteidigt werden muss. Wer sich wie Abdorrhaman oder Golo nicht in den vorgegebenen Rahmen fügt, hat keinen Platz in der dargestellten Gotteswelt (Voss 1994, S. 676). Szenisch wird dieser Rahmen von der Figur des Bischofs Hidulfus verkörpert, dessen Kriegsaufruf zu Beginn der Oper die Handlung auslöst und der erst wieder am Ende auftritt, um die Ehe von Genoveva und Siegfried – und damit die Wiederherstellung der Ordnung – zu bestätigen. Das Sujet der Genoveva-Legende wurde Schumann über die Oper Golo und Genoveva von Louis Huth bekannt, die auf Ludwig Tiecks Drama Leben und Tod
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der heiligen Genoveva basiert. Sie wurde 1838 in Neustrelitz uraufgeführt und stark umgearbeitet als Bellarosa 1846 in Potsdam wiederaufgeführt (Stieger 1975, Bd. 2, S. 514). Auch Schumann und Reinick hielten sich in ihrem Libretto nicht an die Volksbuchversion des Stoffs, sondern folgten den dramatischen Bearbeitungen von Tieck und Hebbel, an denen sie vor allem das „Nebeneinander von avantgardistischer dramatischer Behandlung und populärem Stoff“ gereizt haben dürfte (Ewert 2003, S. 131). Der Einfluss von Tiecks Drama auf das Libretto zeigt sich formal an einer eher epischen Struktur und inhaltlich an der Nähe zur Heiligenlegende und der Betonung einer harmonischen göttlichen Weltordnung (Voss 1994, S. 676). Auch der bei Tieck entfaltete historische Hintergrund wird mit der Figur des Bischofs Hidulfus und dem Thema der Maurenkämpfe übernommen (Oliver 1987, S. 80). Die Benutzung von Hebbels Genoveva zeigt sich vor allem im Inneren des Stücks am psychologischen Realismus und der Übernahme der Zauberbilder. In Schumanns Oper wird wie bei Hebbel Golo zur Hauptfigur stilisiert; seine Handlungsmotivation rückt in den Mittelpunkt. Die Figur der Genoveva hingegen wird in beiden Werken idealtypisch passiv und unantastbar gezeichnet. Zur älteren musiktheatralen Rezeption des Stoffs zählen (neben einigen Oratorien) unter anderem das „drama per musica“ La Geneviefa von Giacomo Fabbrini auf ein Libretto von Girolamo Gigli (1685) sowie die französische Oper von Alday und Le Roy de Bacre, die 1792 in Paris uraufgeführt wurde. Auch in Aldays Geneviève wird der Verbrecher Golo in den Vordergrund gestellt; vor allem seine monströsen und moralisch verwerflichen Züge werden betont. Die Geschichte der Genoveva von Brabant ist im Gegensatz zu derjenigen der gleichnamigen Schutzpatronin von Paris „keine christliche Legende im ‚klassischen‘ Sinne mit einer kanonisierten Heiligen, sondern mit der sogenannten brabantischen Genovevalegende liegt ein rein fiktionaler Stoff vor, der aus einer Kombination verschiedener literarischer Motiv- und Stofftraditionen entstand“ (Staritz 2005, S. 143). Die Genoveva-Geschichte kann also nicht auf historische Zeugnisse zurückgeführt werden. Sie geht im Kern auf alte, vielfach verbreitete Erzählmotive und Sujetmuster im Themenkreis der unschuldig verleumdeten Frau zurück; besonders nah verwandt ist die Crescentia-Legende sowie die um 1400 verfasste Erzählung Die Königin von Frankreich eines Autors namens Schondoch, die wiederum an eine seit dem 12. Jahrhundert beliebte Geschichte von Sibilia, der Tochter des Langobardenkönigs, aus der sagenhaften Erzähltradition um Karl des Großen anknüpft. Ihre spezifische Ausprägung erhielt die Geschichte der Genoveva von Brabant wohl um 1400 durch die Übertragung dieser Sujetmuster auf bekannte historische Personen im Umkreis des Klosters Maria-Laach (Vanja 1987, Sp. 1004 f.). Seit dem
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16. Jahrhundert verbreitete sie sich in unterschiedlichen Fassungen vor allem in Mittel-, Süd- und Osteuropa. Populär wurde sie insbesondere in einer 1634 zuerst gedruckten, bis ins 19. Jahrhundert immer wieder neu aufgelegten romanhaften Ausgestaltung durch den französischen Jesuiten René de Cériziers (ebd., Sp. 1005). In Deutschland gelangte die Genovevalegende vor allem durch die Bearbeitung im 1687 zuerst erschienenen History-Buch des Martin von Cochem zu großer Bekanntheit. Cochem vereinfachte den Stoff und reduzierte die überwuchernden Wundermotive (Oliver 1987, S. 56). Dieser Text wiederum diente diversen Volksbüchern und auch den Autoren des 18. und 19. Jahrhunderts (Maler Müller, Ludwig Tieck, Ernst Raupach, Friedrich Hebbel etc.; vgl. Vanja 1987, Sp. 1006) als Vorlage; mittelbar reicht sein Einfluss bis zu den hier vorgestellten Libretti.
III Werkliste La Geneviefa „Dramma per musica“ Musik Giuseppe Fabbrini
Text Girolamo Gigli
Uraufführung 1.2.1685, Siena
Geneviève de Brabant „Opéra en 2 actes, et la suite en un acte“ Musik Text François Alday Alexandre-Joseph Le Roy de Bacre
Uraufführung 8.4.1792, Paris
Golo und Genoveva „Romantische Oper in drei Akten“ Musik Text Louis Huth Karl August Görner
Uraufführung 1838, Neustrelitz
Bellarosa „Romantische Oper in vier Akten“ Musik Text Louis Huth Karl August Görner [?]
Uraufführung November 1846, Potsdam
Genoveva „Oper in vier Akten“ Musik Robert Schumann
Text Robert Schumann, Robert Reinick
Uraufführung 25.6.1850, Leipzig
Genoveffa del Brabante „Melodramma in tre atti“ Musik Carlo Pedrotti
Text Gaetano Rossi
Uraufführung 20.3.1854, Mailand
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Geneviève de Brabant „Opéra-bouffe en trois actes, neuf tableaux“ Musik Text Jacques Offenbach Adolphe Jaime, Etienne Victor Tréfeu [2. und 3. Fassung: Hector Jonathan Crémieux, Etienne Victor Tréfeu]
Golo „Romantische Oper in einem Vorspiel und drei Aufzügen“ Musik Text Bernhard Scholz Bernhard Scholz Geneviève de Brabant „Pièce en vers et en prose en 3 actes“ Musik Text Erik Satie Erik Satie, Lord Cheminot [d. i. Patrice Contamine de Latour]
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Uraufführung 1. [Erstfassung] 19.11.1859, Paris 2. [Zweitfassung] 26.12.1867, Paris 3. [Dritte Fassung] 25.2.1875, Paris
Uraufführung 4.4.1875, Nürnberg
Uraufführung 1. [konzertant] 17.5.1926, Paris 2. [szenisch] 13.4.1983, Venedig
Genoveva „Oper in vier Akten“ Musik Alexander Ecklebe
Text Alexander Ecklebe
Uraufführung 1. [Rundfunk] 9.2.1936, Reichssender Berlin 2. [szenisch] 22.4.1937, Hagen
Genoveva Oper Musik Kurt Driesch
Text [?]
Entstehung um 1940
Genoveva Oper in vier Akten Musik Carl Natanael Berg
Text Carl Natanael Berg
Uraufführung 25.10.1947, Stockholm
Genoveva oder die weiße Hirschkuh „Ein hannöversches Drama in vier Bildern und einem Zwischenspiel“ Musik Text Uraufführung Detlev Müller-Siemens Julie Schrader 1. [Rundfunk] 3.12.1978, ZDF 2. [szenisch] 3.2.1980, Hannover
2.6 Märchen- und sagenhafte Stoffe Melusine Daniela Fuhrmann I Präsenz des Sujets Die Melusinegeschichte als eine mit dem Adelsgeschlecht der Lusignan aus Poitou verbundene Variante des Mahrtenehesujets scheint heutzutage nicht sehr populär. Im Gegensatz zu anderen Realisationen dieses Sujets wie beispielsweise der Erzählung von Rusalka, bekannt durch Antonin Dvořáks gleichnamige Oper (UA Prag 1901), oder vom Schwanenritter, musikalisch umgesetzt durch Richard Wagners → Lohengrin (UA Weimar 1850), die auch auf heutigen Bühnen noch häufig inszeniert werden, findet man die Melusine dort eher selten. Aribert Reimanns Melusine immerhin wurde seit ihrer Uraufführung 1971 in Schwetzingen vor allem an deutschen Häusern öfter gespielt, zuletzt 2016 unter der musikalischen Leitung von Errico Fresis und der Regie Frank Hilbrichs in einer Produktion des Studiengangs Gesang/Musiktheater der Berliner Universität der Künste (UdK). Basierend auf einem Libretto von Claus H. Henneberg nach einem Schauspiel Yvan Golls präsentiert Reimann eine moderne Adaption des MelusineStoffs, die das Handlungsgeschehen vom Mittelalter in die Gegenwart versetzt. Melusine wird als eigentümliches, der Natur besonders verbundenes Mädchen dargestellt, das mit Oleander, dem ehemaligen Geliebten der Mutter, verheiratet wurde, sich aber lieber im Park rund um die eigene Villa aufhält, als den ehelichen Pflichten nachzukommen. Der Park, die Natur, das ist ihr Reich, in dem sie sich wohlfühlt. So ist sie erschrocken, als sie eines Tages durch einen Landvermesser erfährt, dass alles verkauft wurde, damit ein Graf von Lusignan hier sein Schloss errichten könne. Melusine nimmt diesen Wandel nicht hin und wendet sich an „die Muhme, Pythia“ (Reimann 1976, S. 13), ein feenhaftes Wesen, das in einer Trauerweide lebt. Mit magischen Kräften verleiht diese – in Umkehrung des → Undinemotivs – Melusine einen Fischschwanz, der ihr alle Männer gewogen machen wird. Doch wenn sie sich in einen verlieben würde, dann wäre alles dem Untergang in Flammen geweiht. Es kommt, wie es kommen muss, und Melusine verliebt sich ausgerechnet in den Grafen von Lusignan. Das bleibt auch Pythia nicht verborgen, die daraufhin Verderben ankündigt. Melusine könne die verwunschene Naturwelt des Parks retten, wenn sie den, den sie liebt, in den Tod stürze. Doch Melusine entscheidet sich dagegen. Das Schloss geht in einem von Pythia gelegten Feuer auf, in dem diese selbst, der Graf und das Mädchen sterben; übrig bleibt nur Oleander, der die verkohlten Leichen erschüttert betrachtet. https://doi.org/10.1515/9783110424089-030
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Unter der Leitung von Lawrence Foster wurde in Montpellier Jacques Fromental Halévys letzte Oper La Magicienne am 11. Juli 2011 im Rahmen des Festivals de Radio-France et Montpellier konzertant dargeboten. Die fünfaktige grand opéra hat seit ihrer Premiere am 17. März 1858 im Théâtre de l’Académie Impériale de Musique in Paris an Erfolg eingebüßt. Zeichnete sie sich in der ersten Spielzeit noch durch mehr als vierzig Aufführungen aus (Kaufman 1999, S. 670), betitelte die Tagespresse Le Monde gute 150 Jahre später die Wahl des Stückes, welches das Festival eröffnete, als „rareté de l’opéra français du XIXe siècle“ (Machart 2011). Nach einem Libretto von Henri de Saint Georges geht es in der Oper um einen Mann zwischen zwei Frauen, Blanche und Mélusine. Letztere wird in die Nähe zum Dämonischen gerückt, wobei das Stück Mélusines Andersartigkeit nicht durch sichtbar tierische Anteile veranschaulicht, sondern ausdrücklich auf den für eine Melusine charakteristischen Fisch- bzw. Drachenschwanz verzichtet. Der Librettist erklärt die Streichung des typisch melusinischen Gestaltwandels und des damit einhergehenden Tabus, indem er darauf hinweist, dass dieser auf der Bühne nicht dargestellt werden könne; die Abenteuer der Melusine würden daher in einer gekürzten Version vorgestellt (Leich-Galland 1993). Diese Abenteuer bestehen vor allem in dämonisch eingefärbten Liebeshändeln: René, der Bräutigam von Blanche, wird von Mélusine getäuscht, die aufgrund eines Pakts mit dem Teufel, verkörpert durch die Figur des Stello, Zauberkräfte besitzt: Deshalb vermag sie René von Blanches Untreue zu überzeugen und diesen für sich zu gewinnen. Stello jedoch liebt Mélusine und setzt alles daran, sie zurück zu sich in die teuflische Sphäre zu ziehen. Er entdeckt René Mélusines falsches Handeln, der sie infolgedessen verstößt. Mélusine zeigt sich aufrichtig reuig, doch Stello fordert sie als Folge des Paktes für sich. Nur inständige Gebete von René, Blanche und deren Vater befreien Mélusine aus Stellos Macht. Sie bekennt sich zum Christentum und kann erlöst in Blanches Armen sterben.
II Historische Schichten Die jüngste Aktualisierung des Melusine-Stoffs ist Aribert Reimanns Oper in vier Akten, die er im Auftrag des Süddeutschen Rundfunks für die Schwetzinger Festspiele schrieb (Konold 2002, S. 601). Als Gastspiel der Deutschen Oper Berlin wurde das Stück unter dem Dirigat von Reinhard Peters und der Regie Gustav Rudolf Sellners am 29. April 1971 in Schwetzingen uraufgeführt. Reimann wählte als Grundlage seines zweiten musiktheatralen Werks Yvan Golls stark autobiographisch gefärbtes Drama Melusine (Fresis 2016), das Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden ist. Das Libretto, das Claus H. Henneberg gemeinsam mit dem Komponisten ausgearbeitet hat, kürzt den Dramentext ein wenig, behält
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das Anliegen, auf die Bühne zu bringen, was mit den Menschen, der Gesellschaft, den zwischenmenschlichen Beziehungen, ja der Welt passiert, wenn der „l’esprit moderne / der neuzeitliche Geist“ (Goll 2001, S. 89; Reimann 1976, S. 27) Einzug hält, jedoch bei. Wolfgang Rathert wählt als Überschrift seiner Ausführungen zu „Aribert Reimann und sein[em] Werk“ (Rathert 2008, S. 5) den Titel eines Gedichts von Paul Celan, das gemeinsam mit vier weiteren Gedichten des Lyrikers durch Reimann vertont wurde (Komposition 1950/1960; UA Berlin 1962). Als „Auge der Zeit“ (ebd.) liefere Reimann in seiner Melusine wie auch in den ihr folgenden Opern (z. B. Lear [München 1976] oder Medea [Wien / Frankfurt 2010]) einen kritischen Kommentar zur modernen Welt. Dazu bediene er sich einer bereits existierenden literarischen Vorlage, lasse sich von dieser inspirieren und ergänze die Sprachkunst durch Musik (ebd.), um dem Seelenleben der Figuren eine zusätzliche Ausdrucksdimension zu verleihen: „Das ist ja überhaupt der Sinn von Oper. Dass ich mehr erfahre über die Menschen da auf der Bühne, als wenn sie ‚nur‘ zu mir sprechen wie im Schauspiel“ (Lemke-Matwey 2011). Mit der Melusine arbeitet Reimann die „Widersprüchlichkeit menschlicher Lebensformen unter sozialpsychologischen und weltanschaulichen Gesichtspunkten“ aus (Burde 1998, S. 54), indem er die Verstrickungen eines jungen Menschen, der von zwei widerstreitenden Welten und Bezugssystemen beeinflusst ist, musikalisch auf die Bühne bringt. Melusine – die als hoher Koloratursopran mit großen Sprüngen in der Stimmführung die Zerrissenheit auch musikalisch spiegelt – ist ein verträumtes junges Mädchen, das sich mit Vorliebe im Park neben der Villa aufhält, in der sie mit Ehemann und Mutter lebt. Die Mutter, Madame Lapérouse, hat sie mit dem Immobilienmakler Oleander, der lange Zeit ihr eigener Geliebter war, verheiratet. Doch trotz der Ehe hat sich Melusine ihre Jungfräulichkeit bewahrt, die sie mit einem ganz besonderen Zauber umgibt. Noch nicht korrumpiert von der kalkulierenden Welt, versteht sie es, sich im Park, dem Reich der Natur, und abseits der Spießbürgerlichkeit zu bewegen sowie mit Gestalten zu kommunizieren, deren Zugehörigkeit zu dieser Wirklichkeit nicht klar zu entscheiden ist. Gerade in der bei den Trauerweiden lebenden Pythia, welche die Alltagswelt für eine Wahrsagerin, Melusine aber für eine Waldfee hält, findet sie eine Verbündete, als sie erfährt, dass der Park verkauft werden soll, damit ein Graf von Lusignan sein Schloss dort errichten könne. In den Namen der Protagonisten finden sich Anklänge an den mittelalterlich ausgeformten Melusine-Stoff; auch die Position von Reimanns Melusine auf der Schwelle zwischen Naturreich und menschlicher Kultur greift Elemente des Sujets auf. Der Fortgang der Handlung erinnert aber stärker an die Undine Friedrich de la Motte Fouqués (1811) denn an das Schicksal der Melusine, wie es die mittelalterlichen Autoren zeichnen. Es ist nicht der sich wiederholende und mit
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einem ausdrücklichen Tabu versehene Gestaltwandel der Figur, der die Handlung bestimmt, sondern ein durch zauberhafte Kräfte erworbener Fischschwanz. Während Fouqués Undine den ihren allerdings loszuwerden wünscht, um sich dem Menschen, den sie wider alle ungeschriebenen Gesetze liebt, hingeben zu können, erhält Reimanns Melusine das tierische Element erst von Pythia, gerade um sie für die Männerwelt unwiderstehlich zu machen, wobei sie mit allen Männern spielen, aber sich in keinen verlieben dürfe. „Wenn Du liebst, verlierst Du Dein Geheimnis“ (Reimann 1976, S. 20), lässt Pythia sie wissen und modifiziert damit das Tabu-Motiv des Melusine-Stoffs, in dem gerade die Mischwesennatur das Geheimnis ist, das innerhalb der Liebesbeziehung verborgen werden soll. Die durch den Fischschwanz gesteigerte Anziehungskraft reicht aus, um diejenigen zu betören und vorübergehend von der Arbeit abzuhalten, die an der Vernichtung des Parks und am Bau des Schlosses beteiligt sind. Doch wird das Gebäude im Winter fertiggestellt, als der Park und somit die Sphäre, die sich der Übermacht der Spießbürger widersetzen wollte, unter Eis liegt. Bei der Einweihungsfeier, auf die Melusine ihren Mann Oleander begleitet, begegnet sie dem Grafen und verliebt sich trotz des ausgesprochenen Verbots in ihn. Damit verrät sie in Pythias Augen das Naturreich und muss ebenso wie alle anderen Bedrohungen des Parks vernichtet werden. Hennebergs Libretto ergänzt eine Ankündigung des Untergangs in Flammen am Ende des dritten Aktes, als Pythia die Liebe Melusines für den Grafen erkennt: „Bei ihm endet meine Macht. […] Wir sammeln die Scheite und legen das Feuer“ (ebd., S. 32). Melusines einzige Rettung wäre es, den Grafen zu töten. Ähnlich wie Madame Lapérouse in der Welt außerhalb des Parks die Gefühle der Tochter zu kontrollieren sucht, ist Melusine auch in dem ihr scheinbar besser entsprechenden Naturreich nicht frei in ihrem Handeln. Als sie sich den Forderungen an sie widersetzt, kommen sowohl der Graf als auch Melusine in Pythias „Scheiterhaufen“ (ebd., S. 38) um. Im Gegensatz zu den Aktualisierungen im neunzehnten Jahrhundert wählt Reimann in seiner Bearbeitung des Stoffs ein anderes Bild, um die standhafte Liebe zwischen Melusine und dem Grafen auszudrücken. Während die älteren Adaptionen diese problematische Liebe transzendieren oder die Protagonistin kurz vor dem Tod als von ihrem Verlangen erlöst inszenieren, sind in der modernen Version Reimanns zwei Leichen sowie die Erschütterung Oleanders, des betrogenen Ehemanns, als letztes Bild auf der Bühne zu sehen. Die Hochphase der musiktheatralen Realisierungen erlebte die Melusine im neunzehnten Jahrhundert, vor allem im Zuge der Etablierung der romantischen Oper (vgl. zur problematischen Gattungsbezeichnung Henze-Döhring 2006b, S. 98; Dahlhaus 1984). Verschiedene Komponisten und Librettisten griffen dabei auf je unterschiedliche Elemente des Stoffkomplexes um die Figur der Melusine
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zurück. Mal ist es die Liebesbeziehung zwischen Mischwesen und Mensch (etwa bei Conradin Kreutzer, Karl Grammann und Theodor Müller-Reuter), mal sind es die der Melusine nachgesagten magischen Fähigkeiten (z. B. bei Jacques Fromental Halévy und Louis Schindelmeisser) und mal ist es ihre genealogische Anbindung an das Haus Lusignan (bei Michele Carafa und Ramón Carnicer), welche die jeweilige Ausgestaltung besonders akzentuiert. Bis auf die Bühnen der Gegenwart schaffte es jedoch kaum eine dieser Realisationen – selbst diejenigen nicht, die aus der Feder berühmter Komponisten (Halévy) oder Librettisten (Grillparzer) stammten. Zum Spätwerk Halévys, der vor allem für seine grand opéra La Juive (Paris 1835) bekannt ist, zählt La Magicienne, eine der weniger bekannten Großen Opern des Komponisten, der aber immerhin in der Saison ihrer Uraufführung 1858 in Paris einiger Erfolg beschieden war (Jordan 1994, S. 186). Henri de Saint-Georges stellt die Mischwesennatur der Melusine ins Zentrum seines Librettos, inszeniert sie aber weniger als Schwellenfigur zwischen feenhafter Geister- und Menschenwelt, sondern eher zwischen Christlichem und Teuflischem. Er verstärkt dafür die dämonischen Züge der Schlangenfrau, weshalb sie vom Komponisten wohl auch dem Stimmfach eines Mezzosoprans zugeordnet wird. Mit der Fokussierung des Religiösen hat La Magicienne Teil an einer in den 1850er Jahren spürbar werdenden allgemeinen Tendenz im Musiktheater Frankreichs, in der sich die zunehmende Bedeutung der Kirche im Zweiten Kaiserreich spiegelt (Leich-Galland 1997, S. 3178). Bereits im ersten Akt wird das historische Setting der Kreuzzüge des zwölften Jahrhunderts und somit der Kampf der Christen gegen die ‚Heiden‘ aufgerufen. Blanche wartet auf den ihr versprochenen René, der nach seinem Aufenthalt als Kreuzfahrer im Osten wieder nach Poitou zurückkehren soll, um sich mit ihr zu vermählen. Bis hierher erscheint das Werk Halévys als historische Oper, doch lässt der weitere Handlungsverlauf erkennen, dass die mittelalterliche Geschichte in den Hintergrund rückt, um Platz für andere, phantastisch-wunderbare Elemente zu machen (Leich-Galland 1993, S. 3174): René gerät auf der Rückreise in einen Wald, in dem Mélusine lebt, die als Hexe das weitere Geschehen bestimmen wird. In Akt zwei bis vier dominieren dann auch die übernatürlichen Mächte und plausibilisieren die Zugehörigkeit des Stücks zu den sogenannten opéras-féeries, denen Giacomo Meyerbeers Stück Robert le Diable (Paris 1831) in seiner Betonung des Phantastischen den Weg geebnet hatte (Döhring 2006, S. 239). Ebenso sorgen die für die französische Oper des neunzehnten Jahrhunderts typischen Balletteinlagen für magische Eindrücke, indem eine Vielzahl geisterhafter Gestalten die Bühne bevölkert (Sasportes 2015, S. 259–261). Übernatürlich ist darüber hinaus ein Pakt mit dem Teufel, der an den Faust-Stoff gemahnt. Dieser wurde gerade in Frankreich um die Mitte des neun-
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zehnten Jahrhunderts mehrfach musikdramatisch adaptiert, so z. B. in La damnation de Faust (Paris 1848) von Hector Berlioz oder Faust (Paris 1859) von Charles Gounod. In La Magicienne verpflichtet sich Mélusine dem teuflischen Stello, der in Gestalt eines Schwarzmagiers erscheint. Stello verleiht Mélusine übernatürliche Kräfte, mit denen sie die Beziehung zwischen René und seiner Verlobten Blanche zu zerstören trachtet. Mit Hilfe ihrer Magie überzeugt sie René von der Untreue Blanches, die mit ihrem Pagen Aloïs eine Beziehung eingegangen sein soll. René verstößt Blanche und scheint frei für Mélusine. Doch Stello, der daran interessiert ist, dass Mélusine ihm und seinem dämonisch-teuflischen Reich verbunden bleibt, enthüllt René die diabolische Seite Mélusines. Von Schuldgefühlen geplagt bittet René Blanche um Verzeihung. Mit dem Gefühl der Reue zeigt der fünfte Akt eine erneute Wendung ins Religiöse. Denn auch Mélusine beherrschen Schuldgefühle gegenüber Blanche, sie ist jedoch noch nicht aus der Gewalt Stellos entlassen. Erst andauerndes inniges Beten und der Einsatz von Blanches Rosenkranz erlösen Mélusine aus den höllischen Banden, lassen sie zur Christin werden und in den Armen Blanches – gerettet sozusagen – sterben. Im Gegensatz zu Reimanns Melusine, in der am Ende die scheinbar wahre Liebe den Flammen zum Opfer fällt, vom Grafen und Melusine nur deren Leichen als „zwei große, schwere Bündel“ zurückbleiben, vor denen Oleander als Hinterbliebener erschüttert steht (Reimann 1976, S. 39), ist es in Halévys La Magicienne Stello, der zusammenbricht und mitsamt seinem Reich in Flammen aufgeht: ein der Gattung der grand opéra zweifellos gemäßes Finale. Der Sieg des Guten über das Böse, durchaus in einem religiösen Sinne, ist demnach unzweifelhaft (Jordan 1994, S. 185). Franz Grillparzers Libretto Melusina (1823) hätte ursprünglich Ludwig van Beethoven als Grundlage für eine Oper dienen sollen, die er jedoch auch nach längeren Verhandlungen mit dem Librettisten nie vorlegte (Steinkämper 2007, S. 305–307; Waidelich 2001, S. 182 f.). Conradin Kreutzer erwarb die Rechte am Libretto, und am 27. Februar 1833 wurde seine Melusina, romantische Oper in drei Akten, unter der Regie des Komponisten in Berlin uraufgeführt (Waidelich 2001, S. 185). Grillparzers Libretto weist die dichtesten Bezüge zu den mittelalterlichen Melusinegeschichten auf, aber auch hier wird das Sujet mit Elementen des Undine-Stoffs kombiniert. Der Protagonist Raimund befindet sich zwischen zwei Welten: Zum einen gehört er zum Gefolge des Grafen von Forst und soll dessen Schwester Bertha, die eine deutliche Ähnlichkeit mit Fouqués Berthalda aufweist, ehelichen. Zum anderen treibt ihn eine unbändige Sehnsucht in das Reich der Träume, dessen Königin die Fee Melusina ist, die bei Kreutzer ebenso wie Bertha mit einem Mezzosopran besetzt ist.
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Im ersten Akt trennt sich Raimund während einer Jagd von der übrigen Gesellschaft, da ihn die Erscheinung eines weißen Hirsches anlockt. Nur der Diener Troll ist bei ihm, als Raimund sich zum wiederholten Male an einem verlassenen Brunnen einfindet. Troll warnt ihn, dass der Ort „gebannt“ sei und Feen dort lebten, „[h]old ihr Antlitz, ihre Leiber / Halb ein Fisch und halb wie Weiber“ (Grillparzer 1833, S. 10). Das schreckt Raimund nicht: Er fällt sogar in tiefen Schlaf. Im Traum erscheinen ihm drei Feen, und zu einer von ihnen, Melusina, fühlt er sich hingezogen. Sie verspricht ihm ein Leben mit ihr, wenn er seiner Welt abschwöre und sich in ihr Reich des Gleichmuts begebe. Als Zeichen ihrer Verbindung erhält Raimund einen Ring, mit dessen Hilfe er Kontakt zu Melusina aufnehmen könne. Von der Jagdgesellschaft aus dem Traum gerissen, erkennt Raimund die Vision als wahrhaftig, als er den Ring bei sich findet. Er ruft Melusina und wird mit seinem Diener durch einen Spiegel in ihr Reich gezogen. Nun ist er im Reich der Träume, in dem er jedoch aufgrund ausbleibender „Thätigkeit“ zunehmend unzufrieden wird (ebd., S. 30). Melusina sichert ihm daraufhin einen Tag in der Woche zu, den er für sich haben dürfe, zumal sie sich ohnehin zurückziehen müsse. Die einzige Bedingung: Er dürfe ihr an diesem Tag nicht nachforschen. Figuren eines Ritters, eines Posaunenengels und eines Pilgers, die sich in einem Spiegel zeigen, rufen Erinnerungen an sein altes Leben hervor und bewirken, dass Raimund sich ebenso sehr wie zuvor nach dem Traumbild nun zurück nach der Welt sehnt, aus der er kommt. Zuletzt erscheinen ihm der Graf und Bertha, die durch den Spiegel ins Reich der Träume eintreten und Raimund zur Rückkehr überreden. Raimund kann sich ihnen nicht widersetzen und folgt schließlich gar der Aufforderung des Grafen, Melusina am verbotenen Tag aufzusuchen. Er entdeckt sie als Ungeheuer – „[g]räßlich, entsetzlich / Schuppenbedeckt, / Abscheulich!“ – und verflucht sie (ebd., S. 47). Im dritten Akt ist Raimund wieder Teil der ‚realen‘ Welt, in der er jedoch ebenfalls schnell wieder unglücklich wird. Die Gemeinschaft der Ritter und das Versprechen von Berthas Hand können ihn kurzzeitig für das Reich der Menschen zurückgewinnen, bis er versonnen an seinem Ring dreht und Melusina erscheint. Bertha veranlasst Raimund dazu, sich des Rings als „Pfand des Unheils“ (ebd., S. 64) zu entledigen. Doch als Raimund den Ring löst, verkündet ihm eine geisterhafte Gestalt: „Verloren auf ewig!“ (ebd., S. 65). Raimund verfolgt die Gestalt bis zu dem Feenbrunnen, der in sich zusammenstürzt, sodass ein Grabmal sichtbar wird. In Feuerschrift erscheint darauf sein Name; ein anderer Geist erhebt sich aus dem Boden und fordert Raimund auf, zu ihm zu kommen. Völlig verzweifelt wegen der scheinbar endgültig verlorenen Liebe, ist Raimund bereit, in den Tod zu gehen, und stürzt sich hinunter ins Grab. Bald darauf steigen von dort Wolken auf, in denen zuerst Melusina erscheint, gefolgt von Raimund, der den Treuebruch durch seinen Tod wieder gut gemacht hat: „Ewig Dein nun!“ (ebd., S. 69).
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Mit seinem Libretto knüpft Grillparzer an zwei Operntraditionen an: Elemente wie der Ring, der als wunderbarer Mittler zwischen der Feen- und der Menschenwelt fungiert, oder auch die Feuerschrift auf Raimunds Grab sind deutliche Anleihen bei der Wiener Zauberoper (Heinel 1994) bzw. den Zauberspielen (Horst 1987, S. 183 sowie S. 187). Auch die Figur des Dieners Troll, die das Geschehen hin und wieder ironisch kommentiert, verortet Grillparzers Melusina im Kontext des Wiener Volkstheaters um 1800, finden sich in ihr doch Ähnlichkeiten mit dem Hanswurst oder Kasper (ebd., S. 189; Rommel 1946). Was das Libretto allerdings vom Wiener Volksstück unterscheidet, ist der – von der Figur des Troll abgesehen – völlige Verzicht auf komische Elemente (Horst 1987, S. 189). Durch das Epitheton „romantisch“, das Grillparzer von Carl Maria von Weber übernimmt, der seine Oper Der Freischütz (Berlin 1821) erstmalig mit diesem Attribut versah, ist vielmehr ein anderer Kontext aufgerufen. Nicht allein das Attribut ist ein Zitat Webers, auch der Jägerchor zu Beginn der Oper findet im Freischütz sein Vorbild (ebd., S. 185 und S. 189). Die Jäger markieren wie später der Ritterchor als gemeinschaftlicher Verbund von tatkräftigen Männern gleich zu Beginn eine der beiden Welten, zwischen denen Raimund steht und nach denen er sich wechselweise sehnt. Dem gegenüber steht Melusinas Feenreich als die Welt der Träume, die sich durch „Ruh und Gleichmuth“ auszeichnet, worauf Melusina Raimund im ersten Aufzug hinweist: „Hängst Du am Wesenhaften und am Wahren? Traum umgibt uns, die wir Träume sind. Kein Wechsel, nicht, was Euch reizt, Veränderung“ (Grillparzer 1833, S. 13). Ein andauerndes „fremdes Streben“ (ebd., S. 7), das wiederholt durch Erscheinungen – im weißen Hirschen, in Melusinas traumbildhaftem Auftreten oder in den Spiegelbildern – verstärkt wird, sowie die Zerrissenheit zwischen zwei Welten, sind Thema des Werks. Abschließend gelingt es Raimund allerdings, „das Thor zu sprengen“ (ebd.) und der tätigkeitsverhafteten ‚realen‘ Welt im Liebestod den Rücken zu kehren. Die beiden konkurrierenden Welten wurden unterschiedlich gedeutet. Vor der Folie des Biedermeier lässt sich die Menschenwelt mit ihren Jäger- und Rittergemeinschaften, die alle auf Tätigkeit zielen und Raimund erneut zum „Mann“ machen wollen („Zeig Dich als Ritter, zeig Dich als Mann!“, ebd., S. 61), als die zweckrationale Arbeitswelt begreifen, der in Melusinas Feenreich der häusliche Bereich gegenübersteht, in dem der Mensch zur Ruhe kommt (Steinkämper 2007, S. 314). Die Welt der Träume wird darüber hinaus mit dem „Paradies der romantischen Kunstreligion“ (Mertens 2001, S. 225) gleichgesetzt, für das der Künstler, will er es erreichen, alle irdischen Konventionen der Menschenwelt hinter sich lassen muss. Kreutzers Oper war nicht sonderlich erfolgreich. Ihre wichtigste Nachwirkung ist wohl die Konzert-Ouvertüre zum Märchen von der schönen Melusine, zu deren Komposition sich Felix Mendelssohn Bartholdy aus Kritik an Kreutzers Musik ver-
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anlasst sah, denn diese „mißfiel [ihm] ganz apart“ (Mendelssohn 1899, S. 25; vgl. Diehr 2008, S. 71–81; Mintz 1982). Ähnlich wie bei Halévys La Magicienne ist es auch in Michele Carafas Adele di Lusignano, einer opera semiseria in zwei Akten, eher die Auswahl der Protagonisten als die Handlung, die eine Anbindung an den Stoffkreis der Melusine rechtfertigt. Mit der Spezifikation semiseria ordnet sich Carafas Werk einer relativ kleinen Gruppe von Opern zu, die zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts diese Bezeichnung tragen (Jacobshagen 2005, S. 12 f.). Sie positionieren sich als genus mixtum zwischen opera seria und opera buffa, wobei schon unter den Zeitgenossen die gattungstypologische Zuordnung problematisch war (Henze-Döhring 2006a, S. 41; zur ausführlichen Gattungsdiskussion vgl. Jacobshagen 2005). In Carafas Adele die Lusignano dominiert die Ernsthaftigkeit. Felice Romani, der Librettist der am 27. September 1817 in Mailand uraufgeführten Oper, platziert die Handlung im historischen Umfeld der Kreuzzüge des zwölften Jahrhunderts. Übernatürliche Elemente, die in den späteren Jahren gerade die Attraktivität des Stoffes auszumachen scheinen, finden sich in diesem Intrigendrama keine. Raimondo, der Graf von Poitiers, steht zwischen zwei Frauen, seiner Ehefrau Adele und der Baronin Alice, die beide listenreich um ihn kämpfen. Um den Geliebten für sich zu gewinnen, verkauft Alice ihre Konkurrentin nach Ägypten. Während Raimondo sich gemeinsam mit seinem Sohn Enrico auf Alices Schloss aufhält und sich diese bereits als zukünftige Ehefrau und Mutter sieht, kehrt Adele unerwartet zurück. Doch gibt sie sich nicht sofort zu erkennen und treibt ein Spiel mit Verkleidungen, bis es ihr schließlich gelingt, Alices Betrügereien aufzudecken und ihren Mann für sich zurückzugewinnen. Romanis Libretto wurde im Zuge einer allgemeinen Tendenz des frühen neunzehnten Jahrhunderts, italienische Opern in Spanien zu adaptieren (vgl. Cortès 2008–2010), kurze Zeit später von Ramón Carnicer erneut vertont; die Uraufführung fand 1819 in Barcelona statt. Allerdings strafft Carnicer Carafas Handlungsgeschehen und gestaltet es dramatischer, indem er Figuren schneller einführt sowie den Chor als Dialogpartner auftreten lässt (ebd., S. 266–268). Die inhaltliche Disparität der verschiedenen musiktheatralen Aktualisierungen des Melusine-Stoffs zeigt, dass es keinen die Rezeption maßgeblich steuernden Prätext gegeben hat. Mitunter dürften die Librettisten sich gegenseitig inspiriert und sich ansonsten an einem immer aspektreicher werdenden Motivkomplex um die Figur der Melusine bedient und dabei ihre eigenen Schwerpunkte gesetzt haben. Kern dieses Motivkomplexes bildet das Thema der (gestörten) Mahrtenehe (vgl. dazu Schulz 2004), das seit dem Mittelalter wiederholt in schriftlichen Zeugnissen verhandelt wird (vgl. zur Stoffgeschichte Kellner 2001; Mertens
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2004; Steinkämper 2007). Die lateinische Tradition inszeniert die Verbindung eines feenhaften Wesens aus der Anderwelt mit einem Menschen im Kontext der christlichen Dämonologie und adressiert dabei hauptsächlich Themenfelder von Sünde, Schuld und Sühne. Für die musiktheatralen Adaptionen ist hier besonders eine Erzählung aus den Otia imperialia (1209/1214) des Gervasius von Tilbury von Bedeutung. Diese berichtet vom Burgherrn Raimundus, der eine Verbindung mit einer Frau eingeht, die ihn davor warnt, dass er sein Glück verlieren werde, wenn er sie jemals nackt erblicke. Als Raimundus diese Warnung missachtet, verwandelt sich seine Frau in eine Schlange und verschwindet. Die für die Melusinengeschichten wesentlichen Elemente – die Verbindung mit einem Mischwesen, der explizite Hinweis auf ein Tabu und das Verletzen desselben – sind hier bereits vorhanden. Im späteren Mittelalter findet dieses Handlungsschema Eingang in volkssprachige Romane. Jeans d’Arras Mélusine (1392/1393), Couldrettes Le roman de Mélusine ou Histoire de Lusignan (um 1400) sowie Thürings von Ringoltingen Melusine (1456), die maßgeblich auf Couldrette fußt, greifen das Motiv der Mahrtenehe auf, ergänzen es aber um wesentliche Elemente: Die feenhafte weibliche Gestalt erhält den Namen Melusine und wird als Gattin Raimunds zur Ahnherrin des Hauses Lusignan stilisiert. Der Fokus verschiebt sich vom Dämonischen des begehrten Feenwesens hin zum Genealogischen, indem zum Sujet der gestörten Mahrtenehe eine Vielzahl von aventiurehaften Erzählungen um die Nachkommen des Paares hinzutritt, die allerdings in den musiktheatralen Adaptionen nicht aufgegriffen werden. Außerdem profilieren die Romane Couldrettes und Thürings ein weiteres genealogisches Element, das modifiziert später auch im Musiktheater zu finden sein wird: Die Geschichte der Eltern Melusines motiviert ihre Natur als Mischwesen, denn der Schlangen- bzw. Drachenschwanz, der immer samstags zum Vorschein kommt, ist Folge eines mütterlichen Fluchs, da Melusine den Vater getötet hat. Von diesem Fluch kann sie nur die Liebe eines Mannes erlösen. Während der Reformationszeit, im Zuge der frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen, erfährt die Melusinefigur eine „Re-Dämonisierung“ (Steinkämper 2007, S. 124), die auch in Hans Sachs‘ dramatischer Aufbereitung des Stoffs (Die Melusina, 1561) gerade bei der Verhandlung der Tabubrüche anklingt (ebd., S. 190). Größeres Interesse erfährt die Melusinenthematik erst wieder in der Romantik, wie sich auch an der Vielzahl der Kompositionen für das Musiktheater zeigt. Ludwig Tiecks Melusina (1800), vermutlich nach einer Version von Thürings Melusine im Buch der Liebe (1587), greift die Erlösungsbedürftigkeit des feenhaften Wesens erneut auf; seine Erzählung ist im Zusammenhang mit der Rezeption im Musiktheater auch insofern bedeutsam, als er erstmals Liedpassagen in den Erzähltext einschaltet (Mertens 2004, S. 217). Zu dieser Zeit beginnt sich das Mahrtenehe-Sujet der Melusine mit dem der Undine, wie es Friedrich de la Motte Fouqué in seiner gleichnamigen Erzählung von 1811 wegweisend aus-
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formuliert hat, zu vermischen. Während bei Melusine die Beziehung zum Menschen an ein konkretes Tabu geknüpft ist, das nicht verletzt werden darf, ist es bei Undine allein die beschworene Loyalität und Treue dem Partner gegenüber, die zur Voraussetzung einer Verbindung wird (zur Differenzierung zwischen „melusinischer“ und „undinischer“ Marthenehe vgl. ebd., S. 202). Im Zuge dieser Vermischung von Sujets wandelt sich auch die Gestalt der Melusine von einer Frau mit Schlangen- oder Drachenschwanz, deren Nähe zum Teuflischen sich in ihrem animalischen Teilkörper zeigt, hin zum nixenhaften Wasserwesen (vgl. Steinkämper 2007, S. 12; zur Literaturgeschichte der Meerjungfrauen vgl. Kraß 2010) – einem Figurentypus, der seine Attraktivität in Literatur, Film und Fernsehen insbesondere bei einem jüngeren Publikum bis heute nicht eingebüßt hat. Man denke beispielsweise an Arielle, die Meerjungfrau, eine der Disney Prinzessinnen, die von der Produktionsfirma gleich mehrfach zur Protagonistin ihrer Kinderfilme gemacht wurde (1989, 1992–1994, 2000, 2008), oder an die australische Fernsehserie „H2O – Plötzlich Meerjungfrau“ (2006–2010).
III Werkliste La Fée Mélusine Comédie in drei Akten Musik Jean-Joseph Mouret
Text Louis Fuzelier
Uraufführung 31.12.1719, Paris
Die schöne Melusine Oper in drei Akten Musik Vincenc Tomáš Václav Tuček
Text [?]
Uraufführung 6.5.1809, Wien
Adele di Lusignano „Melodramma semiserio“ Musik Michele Carafa de Colobrano
Text Felice Romani
Uraufführung 27.9.1817, Mailand
Adele di Lusignano „Melodramma semiserio in due atti“ Musik Text Ramón Carnicer i Batlle Felice Romani
Uraufführung 15.5.1819, Barcelona
Melusina „Romantische Oper in drei Akten“ Musik Text Conradin Kreutzer Franz Grillparzer
Uraufführung 27.2.1833, Berlin
Melusine
Melusina Oper in einem Akt Musik Juan Sariols y Porta
Text [?]
Uraufführung 1848, Barcelona
Melusine „Romantische Oper in drei Akten“ Musik Text Simon Sechter Franz Grillparzer
Entstehung 1851
La Magicienne „Opéra en cinq actes“ Musik Jacques Fromental Halévy
Uraufführung 17.3.1858, Paris
Text Henri de Saint-Georges
Melusine „Große romantische Oper in vier Akten (mit Ballett)“ Musik Text Louis Schindelmeisser Ernst Pasqué [frei nach Halévy / de Saint-Georges]
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Uraufführung 29.12.1869, Darmstadt
Melusine „Romantische Oper in drei Aufzügen“ Musik Text Karl Grammann Karl Grammann
Uraufführung 25.9.1875, Wiesbaden
Die schöne Melusine [Die Braut von Lusignan] „Romantische Oper in drei Acten und einem Vorspiel“ Musik Text Theodor Hentschel Elard Hoffschlaeger
Uraufführung 17.11.1875, Bremen
Melusina Oper in drei Akten Musik Karl Mayrberger
Text Ernst Marbach
Uraufführung 20.1.1876, Pressburg
Die schöne Melusine „Operette in vier Akten“ Musik Gustav Lenhardt
Text Ernst Pasqué, C. Brandt
Uraufführung 31.12.1876, Berlin
Die schöne Melusine „Operette in vier Akten“ Musik L. Storch
Text G. Braun
Uraufführung 20.3.1877, Glogau
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Melusine „Märchendrama in drei Akten“ Musik Max Seifriz
Text Feodor Wehl
Uraufführung 21.12.1878, Stuttgart
Melusine [auch: Raimondin] „Oper in drei Aufzügen und einem Vorspiel“ Musik Text Karl von Perfall Herman Theodor von Schmid
Uraufführung 27.3.1881, München
Melusine „Ballett in zwei Akten und drei Abtheilungen“ Musik Text Franz Doppler [?]
Uraufführung 4.10.1882 Wien
Melusina Operette Musik Ivar Christian Hallström
Uraufführung 1882, Stockholm
Text [?]
Ondolina „Romantische Oper in drei Aufzügen“ Musik Text Theodor Müller-Reuter L. Erbach
Uraufführung 1883, Straßburg
Mélusine „Drame lyrique“ Musik Emile Xavier Wambach
Text Franz Gittens
Uraufführung 1894, Antwerpen
Melusina Oper in vier Akten Musik Nikolaj Sergeevič Trubeckoj
Text [?]
Uraufführung 22.1.1895, Moskau
Mélusine Legende in einem Akt Musik Estéban Martí
Text [?]
Uraufführung [?]
Text Henri Aucher, Louis Blanpain de Saint Mars
Uraufführung 4.3.1913, Nantes
Mélusine Oper in einem Akt Musik Louis Maingueneau
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Melusina „Eine deutsche Märchenoper in drei Akten“ Musik Text Hermann Henrich Hermann Henrich
Uraufführung 24.3.1935, Karlsruhe
Meluzina Oper in fünf Akten Musik Jan Evangelista Zelinka
Text František Kožík
Uraufführung 1950, Pilsen
Mélusine au rocher Oper in einem Akt Musik Jacques Bondon
Text Armand Lanoux
Uraufführung [Rundfunk] 1968, Radio Luxemburg
Mélusine Melodrama in einem Akt Musik Luc Balmer
Text Luc Balmer
Uraufführung [Rundfunk] 1969, Radio Berne
Melusine „Oper in vier Akten“ Musik Aribert Reimann
Text Claus H. Henneberg
Uraufführung 29.4.1971, Schwetzingen
Turandot Kii-Ming Lo I Präsenz des Sujets Obwohl das aus dem persischen Kulturkreis stammende Märchen von der grausamen Prinzessin Turandot seit der „Fiaba teatrale tragicomica“ Turandot des Grafen Carlo Gozzi (Venezia 1762) zum kulturellen Horizont Europas zählte und obwohl sich spätestens seit Friedrich Schillers Bearbeitung (Weimar 1802) der ersten deutschen Übersetzung von Friedrich August Clemens Werthes (Gozzi 1777) eine Aufführungstradition auf dem deutschen Theater etabliert hatte, haben sich von den zahlreichen Opern über das Turandot-Sujet, die im Laufe des neunzehnten und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden sind, lediglich die Werke Ferruccio Busonis und Giacomo Puccinis im Repertoire erhalten. Als einzige Turandot-Oper zählt Puccinis Partitur heute zum Kernrepertoire der internationalen Opernbühnen. Ferruccio Busonis Kurzoper Turandot wurde zusammen mit seinem Arlecchino am 11. Mai 1917 im Stadttheater Zürich unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt. Wie bei allen seinen Bühnenwerken schrieb Busoni auch im Falle von Turandot sein Libretto selbst. Busonis Wertschätzung von Carlo Gozzis „Fiaba teatrale tragicomica“ Turandot veranlasste den Komponisten, im Jahre 1905 eine Turandot-Suite zu komponieren, die später als Schauspielmusik für Max Reinhardts Neuinszenierung von Gozzis Turandot in der deutschen Übersetzung von Karl Vollmoeller verwendet wurde (1911). Da Busoni aber mit den Aufführungen seiner Schauspielmusik im Rahmen der Möglichkeiten einer Produktion des Sprechtheaters unzufrieden war, entschied er sich, aus der bereits existierenden Musik eine Oper zu komponieren (Lo 1996 und 2004). Diese Idee wurde erst 1916/17 in die Tat umgesetzt, als Busoni entscheiden musste, welche Kurzoper seinen Arlecchino zu einem vollständigen Opernabend komplettieren sollte. Busoni wandelte Gozzis fünfaktige „Fiaba teatrale“ in eine zweiaktige Oper um, wobei er besonderen Wert auf die Integration der Maskenfiguren des italienischen Stegreiftheaters legte, und erfand neue Rätsel für die Peripetie der Handlung (Lo 1996, S. 233–287): Prinz Kalaf trifft in Peking (Akt I) seinen ehemaligen Diener Barak wieder. Dieser erzählt ihm von der dramatischen Situation in der Stadt: Prinzessin Turandot lässt alle Prinzen köpfen, die als Freier um sie geworben haben und ihre Rätsel nicht lösen konnten. Die Königinmutter des letzten Opfers, des kürzlich enthaupteten Prinzen von Samarkand, tritt weinend auf und wirft fluchend das Bild der Prinzessin zu Boden. Bei dessen Betrachtung verliebt Kalaf https://doi.org/10.1515/9783110424089-031
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sich augenblicklich in die Prinzessin (Bildnisarie) und beschließt, um sie zu werben. Nachdem er alle drei von Turandot gestellten Rätsel – der menschliche Verstand, die Sitte und die Kunst – lösen konnte, beschließt Prinzessin Turandot, sich zu töten. Kalaf bietet ihr ein Gegenrätsel an: Bis zum Morgengrauen soll sie seinen Namen ausfindig machen. Nachdem Turandots Vertraute Adelma ihr den Namen des fremden Prinzen verraten hat (Akt II), gibt Turandot die Lösung des Gegenrätsels zwar kund, als Kalaf den Thronsaal verlassen will, hält Turandot ihn jedoch zurück und gesteht ihm ihre Liebe. Für die folgende Schlussszene dichtete Busoni ein weiteres Rätsel für das Finale der Oper und fügte sofort die Lösung hinzu: die Liebe. Seit ihrer Uraufführung fand Busonis Turandot bei den Opernhäusern immer wieder sporadisches Interesse, zumeist bei Theatern im deutschsprachigen Raum, während italienische Opernhäuser erst nach dem Zweiten Weltkrieg Busonis Oper häufiger aufführten. Da Turandot mit einer anderen Oper kombiniert werden muss, um einen vollen Opernabend zu ergeben, bot sich seit der gemeinsamen Uraufführung vor allem Busonis Arlecchino an; andere Kombinationen wurden in den letzten Jahren erprobt, zum Beispiel mit Stravinskijs Perséphone (Venedig 1994). Diese vor allem wegen der Inszenierung von Achim Freyer denkwürdige Aufführung am Teatro La Fenice (Dirigent: Michael Boder) markierte ein erneutes Interesse an Busonis Musiktheater auch in Italien; wie die ausgezeichneten Einspielungen der letzten Jahrzehnte (u. a. durch Kent Nagano mit der Opéra de Lyon) belegen, stößt Busonis Musiktheater gerade wegen der Internationalität des Komponisten auf wachsendes Interesse bei Publikum und Kritik (Sablich 1982). Die Partitur von Giacomo Puccinis Turandot lag beim Tod des Komponisten am 29. November 1924 in unvollendetem Zustand vor; es fehlte die zweite Hälfte des dritten Aktes, die die endgültige Versöhnung von Turandot und Calaf in einem ausgedehnten Duett sowie die Schlussszene des Paares vor Kaiser und Volk hätte enthalten sollen. Erst nachdem Franco Alfano auf der Basis des bereits 1925 publizierten Librettos sowie der von Puccini hinterlassenen fragmentarischen Skizzen, aber mit einem beachtlichen Anteil an eigener Musik die Partitur vollendet hatte, konnte Puccinis letzte Oper uraufgeführt werden (Maehder 1984). Die Uraufführung fand am 25. April 1926 im Teatro alla Scala in Mailand unter der Leitung von Arturo Toscanini statt; dieser dirigierte jedoch aus Abneigung gegen Alfanos Finale bei der Uraufführung nur bis zum Tode Liùs — derjenigen Passage, an der die von Puccini vollendete Partitur abbrach — und gab spätere Dirigate an seine Kapellmeister ab (ebd.). Nach einer schwierigen Stoffsuche hatte sich Puccini im März 1920 nach der Lektüre von Andrea Maffeis Rückübersetzung der Schiller’schen Turandot-Bearbeitung ins Italienische (Schiller / Maffei 1863) für den Vorschlag seiner designierten Librettisten Giuseppe Adami und Renato Simoni entschieden,
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den Turandot-Stoff zur Grundlage seiner nächsten Oper zu machen. Obwohl eigentlich Schillers Turandot die Vorlage für Puccinis Librettisten bildete, tauchte der Name Gozzi immer wieder auf, wenn der Komponist den literarischen Stoff seiner gleichnamigen Oper erwähnte. Die Gestaltung des Librettos weicht jedoch in vielerlei Hinsicht sowohl von Schillers Bearbeitung als auch von Gozzis Original ab und spiegelt Puccinis Suche nach einer neuartigen, in wesentlichen Zügen antirealistischen Operndramaturgie (Maehder 1994): Ein fremder Prinz erlebt vor der Mauer der Verbotenen Stadt in Peking die Ankündigung eines Todesurteils (Akt 1); er wird verurteilt und bald darauf hingerichtet. Im Tumult der Volksmenge findet Prinz Calaf seinen Vater Timur wieder, der von einer Sklavin begleitet wird; die Sklavin Liù verliebte sich vor vielen Jahren heimlich in den Prinzen und begleitete Timur in das Exil nach Peking. Die Prinzessin Turandot erscheint stumm vor der Menge, um den Befehl zum Vollzug der Hinrichtung zu geben; Prinz Calaf ist auf den ersten Blick in sie verliebt und beschließt, um sie zu werben. Vergeblich bemühen sich zuerst Timur und Liù, dann auch die drei chinesischen Minister Ping, Pong und Pang, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Durch drei Schläge auf den großen Gong kündigt Calaf an, dass er der nächste Freier sein werde, der die Rätsel der Prinzessin lösen will. Ping, Pong und Pang beklagen den Zustand Chinas, das durch die Unbeugsamkeit der Prinzessin Turandot immer weiter in Grausamkeit versinkt (Akt 2). Sie sehnen sich nach der Abgeschiedenheit einer Gelehrtenexistenz auf dem Lande. Die Versammlung des Hofstaats zur nächsten Rätselprobe unterbricht jäh ihre Träume. Vor Kaiser und Volk stellt Turandot Calaf die drei Rätsel: „la speranza“ (die Hoffnung), „il sangue“ (das Blut) und „Turandot“, die von Calaf gelöst werden. Darauf bittet Turandot ihren Vater, den chinesischen Kaiser Altoum, sie nicht mit dem fremden Prinzen zu vermählen. Während Altoum auf der Einhaltung der Regeln der Rätselprobe besteht, bietet Calaf ihr ein Gegenrätsel an: Wenn sie bis zur Morgendämmerung seinen Namen erraten könne, werde er auf seinen Anspruch verzichten und freiwillig in den Tod gehen. Während der Nacht versucht Turandot mit allen Mittel, den Namen des Prinzen ausfindig zu machen (Akt 3). Die drei Minister erpressen Timur und Liù in Anwesenheit des Prinzen; die herbeigerufene Prinzessin Turandot droht den beiden mit Folter. Um Timur von der Folter zu verschonen, erklärt Liù, dass sie allein den Namen des Prinzen kenne; im Angesicht des Volkes und der Prinzessin begeht sie Selbstmord. Alle Anwesenden sind von Liùs Tod erschüttert, unter Wehklagen verlässt ihr Leichenzug die Bühne, sodass Prinz Calaf und Turandot allein auf der Bühne zurückbleiben. In einem ausgedehnten Duett finden die beiden zueinander; Calafs Kuss vermag die Kälte der Prinzessin zu besiegen. Turandot gesteht ihm ihre Liebe, doch bittet sie ihn, im Bewusstsein seines Sieges die Stadt zu verlassen. Daraufhin verrät er freiwillig seinen Namen. Vor Kaiser und dem versammelten Volk gibt Turandot den Namen des Prinzen bekannt: „amor“ (Liebe).
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Während in den ersten Jahrzehnten nach ihrer Uraufführung Puccinis Turandot nicht die Popularität seiner früheren Opern erlangte, hat sich sein letztes Bühnenwerk inzwischen als eine der am meisten aufgeführten Opern im internationalen Repertoire etabliert. Seit der Entdeckung der von Toscanini unterdrückten Originalfassung von Franco Alfanos Turandot-Ergänzung durch Jürgen Maehder (Maehder 1984) entstand eine noch andauernde Diskussion über die Philologie unvollendeter Opern im zwanzigsten Jahrhundert, die durch die Komposition eines neuen Finales durch Luciano Berio (Amsterdam / Salzburg 2002) neue Nahrung erhielt (Maehder 2003; Lo / Maehder 2004; Parker 2006). Ein neuer Aspekt der Rezeptionsgeschichte von Puccinis Oper ergab sich in den letzten Jahrzehnten, in denen Turandot gleichsam in den Rang einer chinesischen ‚Nationaloper‘ aufstieg: Seit den 1980er Jahren wurde sie regelmäßig in Taiwan (Republik China) aufgeführt; im September 1998 erklang die Oper als Freilichtspektakel unter dem Markennamen „Opera on Original Location“ als „Turandot at the forbidden City“ in Beijing (Lo / Maehder 2004); im März 2008 wurde überdies das neu errichtete Opernhaus in Beijing (National Center of Performing Arts) mit Puccinis Turandot eröffnet.
II Historische Schichten Wie Quellenforschungen ergaben, hatte Puccini ursprünglich wie beinahe alle seine Vorgänger einen großen ersten Akt bis zur Rätselszene geplant, der erst in einer zweiten Schaffensphase durch den Einschub der Ministerszene und der großen Arie der Protagonistin in zwei Akte aufgeteilt wurde (vgl. Lo 1996 und 1998). Die musikalischen Konsequenzen dieser Änderung sind am tonalen Gesamtplan der Partitur noch deutlich abzulesen (vgl. Ashbrook / Powers 1991, Powers 1998). Während Turandot bei ihrem ersten kurzen Auftritt im ersten Akt stumm bleibt, werden Calafs Spannung und Begeisterung musikalisch von einem Trauermarsch überlagert. Er erfährt das grausame Gesetz direkt durch die Ankündigung des Mandarins, bevor die Wiedersehensszene zwischen ihm und seinem Vater stattfindet. Die Erwartung des Prinzen, Turandot zu sehen, die Faszination durch ihre Schönheit und sein Entschluss, sie für sich zu gewinnen, bilden einen wesentlichen Teil des restlichen ersten Aktes. An die Stelle einer traditionellen Bildnis-Arie trat in Puccinis Partitur hingegen eine dramaturgisch komplexe und musikalisch vielschichtige Folge von kurzen Dialogen der Protagonisten, unterbrochen von einem Trauermarsch, von ausgedehnten Chorpassagen, u. a. dem berühmten ‚Mond-Chor’ sowie dem Schrei des persischen Prinzen bei seiner Hinrichtung; ein großes, erst nachträglich konzipiertes Chorfinale schließt den ersten Akt ab. Die drei Maskenfiguren der Commedia dell’arte, die in der Bühnen-
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realität die chinesischen Minister Ping, Pang und Pong verkörpern, erscheinen kaum individualisiert; sie treten zumeist gemeinsam auf und führen den Willen Turandots aus, obwohl sie die Grausamkeit der Prinzessin stark kritisieren. Als Protagonistin erhält Turandot eine Auftrittsarie, die entgegen der Operntradition nicht bei ihrem ersten Auftritt im ersten Akt gesungen wird, sondern erst in der zweiten Szene des zweiten Aktes, also in der Mitte der ganzen Oper. Nach Turandots Auftrittsarie, die ebenfalls erst in einer späteren Phase des Entstehungsprozesses eingeschoben wurde (vgl. Lo 1996 und 1998) beginnt das erste Rätsel mit den Worten „Straniero, ascolta“ (Puccini 1958, S. 265); auf dem darin verwendeten Motivmaterial baut die ganze Rätselszene auf. Das dritte Rätsel enthält als Lösung den Namen der Prinzessin selbst, was auf das Gegenrätsel des Prinzen vorausweist. Ob die dramaturgische Idee, dass Turandot in der Schlussszene den Namen des Prinzen als „Amor“ bekanntgibt, von Busonis Turandot beeinflusst wurde, ist bisher nicht abschließend geklärt. Die radikalen Abweichungen von der literarischen Vorlage und der Librettotradition des neunzehnten Jahrhunderts verleihen Puccinis Turandot eine besondere Individualität, führten aber auch zu einer im Vergleich zu seinen voraufgegangenen Opern langsameren Akzeptanz beim Publikum. Seit der Uraufführung zählt Turandot zu denjenigen Oper Puccinis, in denen der Wille des Komponisten zu einer Annäherung an die Musik der zeitgenössischen Avantgarde deutlich aufscheint (vgl. Girardi 1982 und 2000). Busoni übernahm die drei Maskenfiguren der Commedia dell’arte aus Gozzis Vorlage, wobei er die Individualität der Charaktere des Stegreiftheaters zu bewahren wusste. Während Pantalone immer wieder auf seine Vaterstadt Venedig verweist und Tartaglia stottert, erscheint Truffaldino in die Gestalt eines Eunuchen verwandelt; er allein erhielt zwei Solonummern. Im Vergleich zu den anderen Turandot-Opern erscheint Busonis Oper als das einzige Werk über das TurandotSujet, das den improvisatorischen, dem Volkstheater verhafteten Charakter der Commedia dell’arte wenigstens teilweise bewahrte. Busoni ersann ebenfalls neue Rätsel für die zentrale Szene seiner Oper: „den menschlichen Verstand“, „die Sitte“ und „die Kunst“. Busonis kompositorische Gestaltung der Rätselszene erscheint sowohl in Bezug auf die Gestaltung der Singstimmen als auch hinsichtlich der Instrumentierung als Steigerungsanlage. Während die ersten beiden Rätsel in rezitativischem Tonfall gehalten sind, bevorzugte Busoni für die Vertonung des dritten Rätsels eine chromatisch geführte Gesangslinie. Die durch Pausen unterbrochene, kurzatmige Melodie unterstreicht die Dramatik der Szene ebenso wie die von Rätsel zu Rätsel zunehmend stärkere Instrumentation. Das Gegenrätsel des Prinzen am Schluss des ersten Aktes wurde als Kanon vertont und endet im dreifachen Piano auf dem Wort „wer“. Busonis Freude am Erfinden
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neuer Rätsel gipfelt im Finale der Oper. Nachdem Turandot ihre Liebe zu Kalaf gestanden hat, bildet eine Zeremonie vor Kaiser und Volk das Finale des zweiten Aktes; Kalaf, Turandot und der Chor geben einander ein Rätsel auf und lösen es gemeinsam sofort auf: „die Liebe“. Dieses Finalrätsel übernimmt musikalisch das Kanonthema des Gegenrätsels aus dem ersten Akt und wirft zusammen mit den drei Rätseln Turandots ein Licht auf die ernsthafte Seite von Busonis TurandotBearbeitung (Lo 1996, S. 270–271). Theobald Rehbaum (1835–1918) dichtete das Textbuch seiner Oper Turandot „frei nach Gozzi“ (Rehbaum o. J.). Das Stück wurde am 11. April 1888 am Königlichen Opernhaus in Berlin uraufgeführt. Rehbaum schrieb nicht nur Turandots Rätsel neu, sondern machte aus Gozzis Tragikomödie eine „komische Oper“ (ebd.): Turandot ist die Tochter eines Fürsten von Kaschmir und Kalaf ein Prinz von Assam, der in dem Hofgärtner Barak seinen alten Bekannten erkennt. Turandot verliebt sich sogleich in Kalaf und freut sich auf die Heirat, die jedoch erst stattfinden kann, nachdem dieser ihre drei Rätsel gelöst hat („der Schatten“, „das Herz“ und „ein Freier“). Unerwartet zögert Kalaf jedoch und verlangt von Turandot, ein von ihm gestelltes Rätsel zu lösen, denn „ein kluges Weib nur steht mir an“ (ebd.): Turandot solle seinen Namen und seine Abstammung erraten. Um die richtige Lösung zu erfahren, verkleidet sie sich als Dienerin, wird aber von Barak erkannt, der ihr, nachdem diese sein Verlangen nach „drei süßen Küßchen“ (ebd.) erfüllt hat, eine falsche Lösung verrät. Trotz der falschen Antwort bittet Kalaf um Turandots Hand, die er auch erhält (Lo 1996, S. 214–227). Am 13. Januar 1867 fand im Mailänder Teatro alla Scala die Uraufführung der Oper Turanda von Antonio Bazzini (1817–1897) statt, der einzigen italienischen Turandot-Vertonung im ganzen neunzehnten Jahrhundert. Das Libretto stammte von dem prominenten Literaten Antonio Gazzoletti (1813–1866). Während Bazzini als Instrumentalkomponist hochangesehen war, besaß er keinerlei Erfahrung mit der Komposition für die Bühne. Das vernichtende Urteil des Mailänder Verlegers Giulio Ricordi über die Eignung von Bazzinis Partitur für das Theater dürfte weitere Aufführungen verhindert haben. Aus dem Vorwort des Librettos ist zu schließen, dass Gazzolettis Vorlage wohl die 1863 erschienene Rückübersetzung der Schillerschen Version ins Italienische durch Andrea Maffei war; auch die Lösungen der von Turanda aufgegebenen Rätsel – „das Jahr“, „der Pflug“ und „das Auge“ – stimmen mit Schillers Rätseln überein. Freilich verlegte Gazzoletti den Handlungsort nach Persien und änderte die Namen der Protagonisten (ebd., S. 200–209).
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Im „K.K. Hoftheater nächst dem Kärtnerthore“ wurde am 3. Oktober 1838 eine Oper von J. Hoven uraufgeführt: Turandot, Prinzessin von Schiras. J. Hoven war das Pseudonym von Johann Vesque von Püttlingen (1803–1883), der als kaiserlicher Rat in Wien wirkte; für ihn schrieb Julius von Zerboni di Sposetti (1805–1884) das Textbuch. Von den bei Gozzi anzutreffenden Protagonisten wurde einzig der Name von Turandots Vater in „König Orosman“ umbenannt; „Pathetu, Seneschall am Hofe Orosmans“ verkörpert alle Masken der Commedia dell’arte zusammen. Die Verlegung des Handlungsortes nach Schiras wirkte sich auf den Inhalt des Textbuchs nicht aus (ebd., S. 164–200). Zur Namensfeier der Großherzogin von Baden wurde am 26. Dezember 1816 ein Singspiel unter dem Titel Turandot am Hoftheater in Karlsruhe uraufgeführt. Die Musik stammte vom Badischen Hofkapellmeister Franz Danzi (1763–1826), während der Autor des Textbuchs unbekannt ist. Obwohl die Angaben des anonymen Librettisten Gozzis „Fiaba teatrale“ als Vorlage für das zweiaktige Singspiel nennen, muss nach genauer Untersuchung des überlieferten Aufführungsmaterials angenommen werden, dass einige Handlungsdetails eher auf Schillers Bearbeitung als Vorlage hindeuten (ebd., S. 135–159). Danzis Turandot war jedoch nicht die erste Oper mit diesem Stoff. Bereits 1809 fand die Uraufführung einer Turandot-Oper von Johann Ernst Gottfried Blumröder in München statt, von der nur noch ein handschriftliches Textbuch von Heinrich Gottlieb Schmiedter (Bayerische Staatsbibliothek, Slg. Her 1995) vorhanden ist; dem Befund der Handschrift nach dürfte es sich um eine Rohfassung des Librettos handelte. Blumröders Singspiel Turandot fand keine freundliche Aufnahme bei der Kritik und verschwand nach ein paar Aufführungen von der Bühne (ebd., S. 133–134). Eine Verlegung des Schauplatzes von China an einen anderen Ort war bereits von Schiller selbst gelegentlich für Aufführungen außerhalb Weimars befürwortet worden; bekanntlich präzisierte sich erst im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts der theatralische wie musikalische Exotismus, sodass die realistische Darstellung einer persischen oder chinesischen Bühnenwelt erst gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts denkbar gewesen wäre (vgl. Maehder 1985 und 2007). Besonders die Tatsache, dass der Schauplatz einiger Turandot-Opern überhaupt nicht in China lag, spiegelt den unbekümmerten Umgang mit dem szenischen Exotismus in der Operngeschichte des neunzehnten Jahrhunderts. In bewusstem Widerspruch zu dem modischen Ostasien-Kolorit der Musik des Fin de siècle verwendete Busoni in seiner Oper Melodien aus verschiedenen Ländern; seine ironische Ablehnung reensleeves eines exotistischen Lokalkolorits kulminiert im Zitat der Melodie von G
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(Lo 1996, S. 257–266). Allein Puccini bemühte sich um die Evokation eines märchenhaften China durch die Verwendung zahlreicher chinesischer Melodien, die er aus verschiedenen Quellen – von wissenschaftlichen Beschreibungen der chinesischen Musik (Aalst 1888) bis zur Spieldose eines ehemaligen italienischen Botschafters in Beijing – bezog (Lo 1996, S. 318–336). Darüber hinaus integrierte er Stilelemente der europäischen Moderne in seine Musiksprache; sie verleihen dem Werk eine eigenständige Klangwelt, die als Vollendung von Puccinis Spätstil angesehen werden kann (vgl. Maehder 1998). Die Vorlage für Friedrich Schillers Bearbeitung von Gozzis Turandot (Schiller 1995) befindet sich im ersten Band der fünfbändigen, in den Jahren 1777–1779 in Bern gedruckten ersten deutschen Übersetzung von Gozzis „Fiaba teatrale“ (vgl. Unfer-Lukoschik 1993). Wegen der Notwendigkeit einer Neufassung der Dialekt-Passagen ging Schillers Bearbeitung, die 1802 am Weimarer Hoftheater unter der Direktion Johann Wolfgang von Goethes uraufgeführt wurde, weit über den Rahmen einer einfachen Übersetzung hinaus. Anders als bei Gozzi ließ Schiller Turandot bei ihrem Auftritt ihre Absicht ankündigen, als Anwältin des weiblichen Geschlechts dessen Würde wiederherzustellen, die durch die Männer erniedrigt sei. Dadurch wird Turandot eine jener tragischen Heldinnen Schillers, die auf Leben und Tod einem Ideal verpflichtet sind. Andererseits verinnerlichte Schiller den dramatischen Konflikt, indem er den Widerstreit von Stolz und Liebe zum Hauptgegenstand machte, und verlieh Turandot eine tragische Dimension (Lo 1996, S. 50–52). Im Weimarer Theateralltag wetteiferten Goethe und Schiller miteinander, für jede Aufführung von Schillers Turandot-Bearbeitung neue Rätsel zu dichten. Gerade die Vertonung der Rätselszene bildete ein wesentliches dramaturgisches Problem der späteren Turandot-Opern. Dies liegt möglicherweise daran, dass der Handlungsablauf an dieser Stelle stillsteht und erst nach Lösung des dritten Rätsels weiterläuft. Nicht zufällig wurde die Rätsel- und Gegenrätselszene häufig als Finale eines Aktes komponiert, der typischerweise in der Mitte der Oper steht. Neben Puccini bietet Rehbaums Turandot eine andere Ausnahme, indem diese Szene in der Mitte des zweiten Aktes der dreiaktigen Oper – also in der Mitte der Oper – steht, jedoch nicht als Finale eines Aktes. In Puccinis Turandot beendet die Rätsel- und Gegenrätselszene zwar den zweiten Akt, für eine dreiaktige Oper erscheint die Szene jedoch relativ spät. Die Rätsel- und Gegenrätselszene bildete also keineswegs notwendigerweise den Höhepunkt der Turandot-Opern, sondern erwiesen sich vielmehr häufig als Hemmnis bei der Vertonung des Stoffs. Carlo Gozzi verwendete den persischen Märchenstoff als Grundlage für seine fünfaktige „Fiaba teatrale tragicomica“ Turandot (Gozzi 1772), die von der venezianischen Theatertruppe Francesco Sacchis uraufgeführt wurde. Gozzis spezifische
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Theaterästhetik, die das persisch-chinesische Lokalkolorit mit den italienischen Masken der Commedia dell’arte verknüpfte, sodass im Dialog italienische Hochsprache und venezianischer Dialekt nebeneinanderstehen (Beniscelli 1986; Momo 1992), kann nur aus Gozzis Gegenposition zu der realistischen Komödie Carlo Goldonis verstanden werden (Feldmann 1971; Bosisio 1979; Winter 2007). Gozzi erfand die drei Rätsel „Sonne“, „Jahr“ und „Adriatischer Löwe“; das dritte Rätsel verweist auf die Parteinahme des venezianischen Patriziers für seine Heimatstadt. Nicht zuletzt dank der Parteinahme E.T.A. Hoffmanns für die Komödien Gozzis als Opernstoff (Hoffmann 1813) erweckte das Turandot-Sujet im neunzehnten und im ersten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts das Interesse der Komponisten (vgl. Feldmann 1971; Corda 2013), das jedoch weitgehend auf den deutschsprachigen Raum beschränkt blieb (vgl. Lo 1996). Die entscheidende Quelle für die Rezeption des Turandot-Sujets im europäischen Sprechtheater bildet die von dem Orientalisten François Pétis de la Croix in den Jahren 1710 bis 1712 unter dem Titel Les Mille et un Jours veröffentlichte Sammlung orientalischer Geschichten, die – im Schatten des Erfolgs von Tausendundeiner Nacht – durch zahlreiche Neuauflagen, durch erweiterte Fassungen und Übersetzungen (auch ins Türkische und Persische) bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Europa und darüber hinaus weite Verbreitung fand. Anders als das Vorwort werbewirksam glauben macht, gehen die 18 Geschichten der Sammlung wohl nicht auf eine persische Handschrift zurück, die Pétis de la Croix von einem Derwisch aus Isfahan erhalten haben will, sondern großenteils auf ein in der Pariser Bibliothek handschriftlich überliefertes türkisches Erzählwerk. Dies gilt jedenfalls auch für die sechste Geschichte der Mille et un Jours, mit der Sujet und Name Turandots in die europäische Literaturgeschichte eingeführt werden. Es handelt sich dabei um einen charakteristischen Untertypus des in vielen Erzähltraditionen international verbreiteten, in Zeugnissen des Vorderen Orients am frühesten belegten Handlungsschemas der Freierprobe einer Prinzessin mittels einer Rätselfolge (vgl. Goldberg 2004). Der Ursprung dieses Märchenmotivs wird allgemein auf das Werk Haft paikar (Sieben Schönheiten; 1198/99) des persischen Dichters Niẓāmī (um 1140–1209) sowie auf eine Märchensammlung des Persers Mohammad Aufi (1175–1230) zurückgeführt (Nizami / Bürgel 1997; vgl. Meier 1941; Frenzel 2008).
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III Werkliste Turandot oder die Räthsel „Oper in zwei Akten“ Musik Johann Ernst Gottfried Blumröder Turandot „Singspiel in zwei Aufzügen“ Musik Franz Danzi
Text Heinrich Gottlieb Schmiedter
Uraufführung 11.10.1809, München
Text [?]
Uraufführung 26.12.1816, Karlsruhe
Turandot „Tragikomische Oper in zwei Akten“ Musik Text Carl Gottlieb Reißiger [?] Turandot „Große Oper in zwei Akten“ Musik J. Hoven [d. i. Johann Vesque von Püttlingen]
Text Julius von Zerboni di Sposetti
Uraufführung 22.1.1835, Dresden
Uraufführung 3.10.1838, Wien
Turandot „Romantisk Syngespiel i 2 akter“ Musik Text Herman Severin Løvenskiold H.H. Nyegaard
Uraufführung 2.12.1854, Kopenhagen
Turanda „Azione fantastica in quattro parti“ Musik Text Antonio Bazzini Antonio Gazzoletti
Uraufführung 13.1.1867, Mailand
Turandot „Komische Oper in drei Akten“ Musik Text Theobald Rehbaum Theobald Rehbaum
Uraufführung 11.4.1888, Berlin
Turandot „Operette in drei Akten“ Musik Hugo Neumeister
Uraufführung 31.1.1908, Basel
Text Karl Neiner
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Turandot „Eine chinesische Fabel nach Gozzi in zwei Akten“ Musik Text Ferruccio Busoni Ferruccio Busoni
Uraufführung 11.5.1917, Zürich
Turandot „Dramma lirico in tre atti e cinque quadri“ Musik Text Giacomo Puccini Giuseppe Adami, Renato Simoni
Uraufführung 25.4.1926, Mailand
Turandot, Prinzessin von China Musikalisches Drama in drei Akten Musik Text Havergal Brian Havergal Brian [nach Friedrich Schiller] Die drei Rätsel „Oper in zwei Akten für Kinder und Erwachsene“ Musik Text Detlev Glanert Carlo Pasquini
Entstehung 1950/51
Uraufführung 12.10.2003, Halle
Undine Jörg Krämer I Präsenz des Sujets Bei der Geschichte von der Nixe Undine handelt es sich nicht um einen mittelalterlichen Erzählstoff, sondern um ein Stück romantische Mittelalterfiktion, die aus mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Elementen zusammengesetzt ist. Das romantische Kunstmärchen Undine von Friedrich de la Motte-Fouqué, im Druck erschienen 1811, traf den Nerv seiner Zeit und entfaltete unmittelbar große Wirkung, die auch zu einer intensiven Rezeption im Musiktheater und Ballett des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts führte. Heute sind jedoch nur noch zwei der zahlreichen musiktheatralen Ausformungen des Märchens gelegentlich auf den Bühnen präsent: Albert Lortzings romantische Zauberoper Undine (u. a. 2015 an der Wiener Staatsoper als Kinderfassung, 2013 am Landestheater Mecklenburg Neustrelitz, 2009 am Münchner Gärtnerplatztheater) und das Ballett Undine von Hans Werner Henze (Bolschoi-Theater Moskau 2016, AaltoTheater Essen 2010/11, Volkstheater Rostock 2009, The Royal Ballett London 2008/09 und 2005, Opéra National du Rhin Strasbourg 2006, La Scala Milano 2000, Niedersächsisches Staatstheater Hannover 1994, Semper-Oper Dresden ab 1989, Deutsche Oper Berlin 1987). Lortzings vieraktige Zauberoper Undine, komponiert auf ein eigenes Libretto des Komponisten nach Fouqués Märchen, wurde am 21. April 1845 in Magdeburg uraufgeführt, nachdem sich die eigentlich geplante Uraufführung in Hamburg verzögert hatte. Das originale Manuskript der Uraufführungsfassung ging verloren; Lortzing überarbeitete sein Werk später mehrfach (so schon für eine Leipziger Aufführung im März 1846). Die wirkungsgeschichtlich wichtigste, erheblich veränderte Fassung kam erstmals am 20. Oktober 1847 in Wien auf die Bühne (Lortzing 1925), wo Lortzing seit 1846 als Kapellmeister tätig war. Doch auch danach arbeitete Lortzing weiter an dem Werk und änderte z. B. das zweite Finale beträchtlich (erstmals aufgeführt 1987 in Nürnberg, Städtische Bühnen). In der Theaterpraxis des neunzehnten Jahrhunderts gelangte das Werk häufig in Mischformen aus den verschiedenen Fassungen, z. T. auch mit fremden Musikeinschüben auf die Bühne. Zu Beginn der Oper erzählt der (von Lortzing neu eingefügte) Knappe Veit die Vorgeschichte: Ritter Hugo von Ringstetten hat in einem Turnier von Bertalda, der Tochter des Herzogs, den ersten Preis überreicht bekommen und soll nun für sie einen Zauberwald erforschen. Widriges Wetter und eine Überschwemmung zwingen Hugo jedoch, längere Zeit in einem Fischerdorf Zuflucht zu suchen. Dort https://doi.org/10.1515/9783110424089-032
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verliebt er sich in die schöne Undine, die Pflegetochter der Fischersleute, die ihm Unterkunft gewährten, und will sie heiraten. Im ersten Akt traut dann Pater Heilmann das Paar und staunt dabei über Undines kindisches Benehmen. Zur Trauung kommt auch Kühleborn, der Fürst der Wassergeister, als Weinhändler verkleidet hinzu und erfährt von Veit, dass diese Verbindung wohl nur ein Abenteuer seines Herrn sei und nicht von Dauer sein werde. Kühleborn erregt dieses Gespräch, weil er einst das Kind der Fischer, Bertalda, entführt und dem Herzogspaar anvertraut, seine eigene Tochter Undine aber dem Fischerpaar überlassen hatte. Mit dem Kindstausch wollte er prüfen, ob die Menschen mit ihrer Seele moralisch besser sind als die seelenlosen Elementarwesen in den Fluten. Er beschließt, über die Ehe seiner Tochter zu wachen. Im zweiten Akt gesteht Undine Hugo, dass sie kein Mensch, sondern eine Wassernixe ohne Seele ist; trotzdem gelobt ihr der Ritter ewige Treue. Als Bertalda von Hugos Heirat erfährt, schlägt ihre Liebe in Hass um. Sie gibt ein Fest, auf dem auch Kühleborn, als Graf verkleidet, anwesend ist, und erklärt, dass sie die Brautwerbung des Königs von Neapel angenommen habe. Als sie Undine wegen ihrer niederen Herkunft schmäht, offenbart Kühleborn, dass Bertalda in Wahrheit das Kind der armen Fischer ist. Während Bertalda zusammenbricht, verkündet Kühleborn den auf ihn losstürzenden Höflingen, dass er der Wasserfürst ist, und versinkt vor ihren Augen in den Wellen des im Saal stehenden Wasserbassins. Im dritten Akt verführt Bertalda, die von der mitleidigen Undine auf die Burg ihres Gatten gebracht wurde, Hugo. Obwohl Undine ihn vor Kühleborns Rache und dem Zorn der Wassergeister warnt, verstößt Hugo seine Gemahlin. Kühleborn holt seine Tochter ins Wasserreich zurück. Der vierte Akt beginnt mit bösen Angstträumen Hugos, der Undine nicht vergessen kann. Am Tag der Hochzeit mit Bertalda öffnen Hugos Diener gegen ein ausdrückliches Verbot den abgedeckten Brunnen der Burg, um der ungeliebten neuen Herrin einen Streich zu spielen. Langsam entsteigt Undine daraus und geht weinend in die Burg, wo im Prunksaal lärmend die Hochzeit gefeiert wird. Um Mitternacht erlöschen die Lichter. Während Hugo sich Undine zu Füßen wirft, dringen Wassermassen ein und zerstören die Burg. Der Palast Kühleborns erscheint: Vor ihm knien Undine und Hugo, dem der Wasserfürst verzeiht, der aber nun ewig im Reich der Geister bleiben muss. Das Werk wurde rasch populär und stellte alle anderen Undine-Vertonungen in den Schatten. Bis nach 1945 erschien es in Deutschland regelmäßig auf den Opernspielplänen und wurde auch im Ausland viel gespielt (Schläder 1989a, S. 571); erst in den letzten Jahrzehnten ist es an den Rand des Repertoires gerückt. Hans Werner Henzes Undine-Ballett wurde in einer Choreographie von Frederick Ashton am 27. Oktober 1958 am Royal Opera House Covent Garden, London, urauf-
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geführt (mit Margot Fonteyn in der Hauptrolle). Ashton und Henze, der über die Entstehung des Werkes ein ausführliches Tagebuch veröffentlichte (Henze 1959), verlegten die Handlung von der Donau ans Mittelmeer und änderten daher auch die Namen aller Figuren (außer Undine). Undine ist nun eine Nymphe; der Ritter Palemon beobachtet zufällig ihren „Schattentanz“, verliebt sich dabei sofort in sie und verfolgt sie. Tirrenio, der Beherrscher des Mittelmeers, will mit Hilfe von Tritonen und Nymphen eine Verbindung von Mensch und Elementarwesen verhindern, doch Palemon bleibt unerschrocken auf Undines Spur und lässt sich von einem Eremiten mit ihr trauen. Im zweiten Akt gelangen Undine und Palemon auf ein Segelschiff und nehmen die stolze Beatrice, Hugos frühere Verlobte, an Bord. Auf hoher See zeigt sich Undines übernatürliches Wesen und Beatrice gelingt es, das Paar zu entfremden. Undine kehrt enttäuscht und voller Schmerz zurück in ihr Element; Tirrenio lässt einen Sturm los. Der dritte Akt bringt die Feierlichkeiten am Vorabend der Hochzeit von Palemon und Beatrice; ein Fremder erscheint mit einer Schar neapolitanischer Masken, deren Tanz immer unheimlicher wird. Die Gäste fliehen, Palemon bleibt allein zurück. Undine erscheint voller Tränen und bringt ihn in ihrer Umarmung um. Das Werk hatte bei der Uraufführung großen Erfolg und konnte sich im modernen Ballettrepertoire etablieren (Brainard 1986).
II Historische Schichten Die Fülle von Undine-Bühnenfassungen verbietet es, hier alle Versionen zu ehandeln. Vor den neueren Fassungen des französischen Komponisten Danielb Lesur (1982) und von Wolfgang Fortner (Schuloper 1969) stellt Henzes Ballett die wichtigste moderne Adaptation des Stoffs dar. Henze erhielt 1956 einen Kompositionsauftrag der Royal Opera Covent Garden London für ein abendfüllendes Ballett und suchte für dieses traditionsbewusste Haus den Undine-Stoff als „Brücke zum 19. Jahrhundert“ (Henze 1959, S. 20) aus. Doch setzte er dabei durchaus neue Akzente gegenüber der romantisch geprägten Wirkungsgeschichte des Stoffs: So bleibt bei Henze unklar, ob Undine überhaupt existiert oder ob sich Palemon nur in ein Traumbild verliebt: Wenn Palemon in Undine verliebt ist, ist er gleichsam in die Kunst verliebt, und die Vereinigung mit einem Traumbild oder Kunstwerk (diese nur im Wahnsinn oder im Tod erreichbare höchste Verbindung), das begehrte Vergessen wird Palemon nicht gewährt, die ersehnte Umwandlung stellt sich nicht ein, immer wieder stößt ihn seine menschliche Unzulänglichkeit zurück unter die Menschen. Bis zum letzten Herzschlag dem oft nur ungenauen, fast unkenntlichen Bild verfallen, wird ihm ein Tod zuteil, […] dessen erlösende Schönheit er sich nur durch seinen Schmerz, nicht durch Glauben, verdient hat. (ebd., S. 21)
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Die Wahl der Ballettform anstelle einer weiteren Opernfassung des Stoffs hängt mit dieser neuen Grundkonzeption zusammen, denn dem unwirklichen Wesen der Hauptfigur kommt der Verzicht auf Sprache und Gesang sehr zugute – auch wenn Henze sein Handlungsballett selbst auch als „eine Oper ohne Sänger“ bezeichnete (Rothkamm 2011, S. 273). Ebenfalls stark verändert und neu akzentuiert ist die Schlusslösung: Palemon bleibt bis ans Ende der treu und unbedingt Liebende – alle negativen Entwicklungen werden von der bösen Beatrice oder von außen ausgelöst, selbst die Hochzeit mit Beatrice wird nicht von Palemon angestrebt. Dennoch muss er am Ende sterben, weil die Elementarwesen „die unheilvolle Verbindung zwischen Mensch und Geisterwesen“ (Henze 1959, S. 21) grundsätzlich ablehnen. Peter Petersen hat die Konstellation der unmöglichen Liebe zwischen dem Menschen Palemon und dem Elementarwesen Undine auf die schwierige, letztlich gescheiterte Liebesbeziehung zwischen dem Homosexuellen Henze und Ingeborg Bachmann bezogen, worauf dann Bachmann mit ihrem Text Undine geht (entstanden ab 1956/1957, also genau in der Entstehungszeit des Balletts, gedruckt 1961) reagiert hätte (vgl. Petersen 2014; grundsätzlich gegen eine biographische Lektüre des Bachmann-Texts: Matt 1991, S. 245–255). Bei der Komposition hielt sich Henze genau an die vorgegebenen Minutagen des Choreographen Ashton (Rothkamm 2011, S. 269–289). Musikalisch stiftete Henze die Kohärenz des Werkes u. a. durch Leitmotiv-Techniken: Undine ist durch einen dreitönigen, aus der Sprachmelodie abgeleiteten „Undinenruf“ aus steigender Klein- und fallender Großterz gekennzeichnet, der das gesamte Stück durchzieht (Henze 1959, S. 28; Petersen 2014, S. 25–33); hinzu kommen sechs „Undine-Akkorde“, die als eine Art Leitharmonik verwendet werden und das ebenso undurchschaubare wie verlockende Wesen der Figur ausdrücken sollen. Akkorde, in denen gleichzeitig die Dur- und die Moll-Terz erklingen, charakterisieren generell die Welt der Elementarwesen; auch der „Undinenruf“ lässt sich nicht einfach in die (menschliche) Tonalität einordnen. Andere Leitmotive kennzeichnen Palemon (erstmals in I.9) oder den Zorn des Tirrenio (erstmals in II.4, T. 29). Henze suchte für das Ballett insgesamt nach einer vergleichsweise konservativen, moderat modernen Tonsprache (sicherlich auch im Hinblick auf den Auftraggeber, dem die Musik trotzdem zu modern erschien), setzte aber auch an Wendepunkten des Stücks modernere Mittel wie z. B. eine Zwölftonreihe ein, um die Musik „gelegentlich zu spannen, zu brechen (wie zum Beispiel im Finale des zweiten Akts)“ (Henze 1959, S. 27; dazu detailliert Petersen 2014, S. 34–39). In den dritten Akt integrierte Henze in die metatheatrale Szene beim Aufzug der neapolitanischen Masken anlässlich des Hochzeitsfestes einen kleinen Variationenzyklus für Klavier und Orchester über ein Thema von Domenico Scarlatti (Henze 1959, S. 67 f.); später publizierte er diesen auch separat als Klavierkonzert Jeux des Tritons (1960). Sprechende Zitate bekannter romantischer Musik wie Franz
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Schuberts Forellenquintett oder Pëtr Il’ič Čajkovskijs [fortan: Tschaikowsky] sechster Symphonie, aber auch von Volksliedern vervollständigen das Bild eines im Grunde schon postmodernen Kompositionsansatzes, der in der deutschen Diskussion um 1960 mit ihren strengen Avantgarde-Begriffen freilich meist als Rückschritt angesehen wurde. Vor Henze setzten sich drei bedeutende Komponisten mit dem Stoff auseinander, scheiterten aber (aus unterschiedlichen Gründen) mit ihren Opern. Nur fragmentarisch erhalten sind daher die Undine-Opern von Karl Amadeus Hartmann, Sergej Sergeevič Prokof’ev [fortan: Prokofiev] und Tschaikowsky. Von Hartmanns Oper nach dem Theaterstück Ondine (1938, UA und Erstdruck 1939) von Jean Giraudoux sind nur einzelne Skizzen erhalten, entstanden vor 1950. Prokofiev vertonte in den Jahren 1904–1907 während seiner Studienzeit am Konservatorium St. Petersburg ein Libretto der Dichterin A. M. Kilštedt nach Fouqué. Das Werk blieb unaufgeführt und wurde nie veröffentlicht; erhalten sind heute nur noch Klavier-Manuskripte des zweiten und dritten Aktes. Tschaikowsky wiederum schrieb die dreiaktige Undina, seine zweite vollständige Oper, von Januar bis Juli 1869 auf ein Libretto von Vladimir Alexandrovič Sollogub (bereits 1844 nach der russischen Fouqué-Übersetzung von Vasilij Andreevič Šukovskij [Schukowski] für Alexej Fëdorovič L’vov [fortan: Lwow] entstanden, siehe unten). Die für 1870 geplante Aufführung in St. Petersburg wurde jedoch zunächst verschoben und kam letztlich nie zustande. Lediglich eine konzertante Teilaufführung fand 1870 in Moskau statt – die dort aufgeführten drei Ausschnitte des Werks sind erhalten geblieben (Introduktion, Arie der Undine und Finale des ersten Aktes). Den Rest der vollständigen Partitur zerstörte Tschaikowsky jedoch um 1875, nachdem er Teile der Musik in andere Werke wie die Schauspielmusik zu Schneeflöckchen op. 12 (1873), die zweite Symphonie op. 17 (1872) oder das Ballett Schwanensee op. 20 (1875) übernommen hatte. 1878 und 1886 sind Überlegungen Tschaikowsky zu einer neuen Undine-Oper bzw. Ballettversion dokumentiert. Das erhaltene Libretto der Oper zeigt einige Abänderungen gegenüber Fouqués Ursprungstext. Huldbrand begeht keinen Treuebruch, sondern ist im ganzen Stück hin- und hergerissen zwischen den beiden Frauen. Auch der Schluss des Werkes ist verändert: Huldbrand und Undina singen ein Liebesduett, danach bricht der Ritter tot zusammen und Undina verwandelt sich nach einem großen Klagegesang in eine Fontäne. Zudem werden einige Effekte auf der Bühne eingefügt: Der Ritter kämpft sich am Ende des ersten Akts im Sturm durch einen Wasserfall (mit Undina auf den Schultern); am Ende des zweiten Akts stürzt sich Undina in die Donau und Huldbrand will ihr folgen. Das Libretto von Sollogub, der einige Jahre in der russischen Gesandtschaft in Wien tätig gewesen und dort vermutlich auf Fouqués Undine gestoßen war, war
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bereits 1848 von Alexei Fjodorowitsch Lwow vertont worden. Lwows Oper wurde im September 1848 in St. Petersburg uraufgeführt; die deutsche Erstaufführung fand unter dem Titel Undina, die Tochter der Wellen am 30. Oktober 1852 an der Wiener Hofoper statt, wobei der Text von Otto Prechtler, Franz Grillparzers Nachfolger als Direktor des Wiener Hofkammerarchivs, bearbeitet wurde. Seit einem Aufsatz von Hans Pfitzner im Kontext seiner Neubearbeitung von E.T.A. Hoffmanns Undine-Oper (Pfitzner 1906) ist es zum Topos geworden, Lortzings Undine als biedermeierliche Trivialisierung und naive Sentimentalisierung des romantischen Märchenstoffs einzustufen. Bei Pfitzners Herabsetzung von Lortzings Werk stand der Impuls im Vordergrund, die längst vergessene Oper Hoffmanns gegenüber der populären Version Lortzings zu rehabilitieren. Zur Popularität Lortzings um 1900 vermerkte etwa der Musikforscher und Gründer des Berliner Lessing-Museums Georg Richard Kruse: „Lortzings Opern erreichten im letzten Jahre die Ziffer von 638 Aufführungen an deutschen Bühnen – das ist die höchste nächst Wagner. ‚Undine‘ zählt schon mehr Vorstellungen als die ‚Zauberflöte‘ […]“ (Kruse 1901, S. 30). Bei der unkritischen Weiterschreibung von Pfitzners Einschätzung durch die Forschung (z. B. noch Schläder 1979, S. 377; Ferlan 1987, S. 169–177; Brandstetter 1989, S. 84; Krieger 2007, S. 62) wird freilich übersehen, worum es Lortzing in seiner ab 1843 entstandenen Undine gegangen war, nämlich um den Versuch, sein erfolgreiches Modell der komischen Dialog-Oper (der sogenannten Spieloper) in Richtung der ‚großen‘ Zauberoper (mit weiterhin gesprochenen Dialogen) weiterzuentwickeln. Pfitzner wirft Lortzing den Verlust des Unheimlichen und echt Romantischen vor: „Bei Lortzing haben alle Gestalten etwas Bürgerliches; Nixen, Ritter, Dämonen liegen ihm schlecht“ (Pfitzner 1906, S. 65). Sicher hat in Lortzings Undine die Welt der übernatürlichen Elementarwesen ihre Bedrohlichkeit weitgehend eingebüßt. Im Zentrum steht nun nicht mehr die Sehnsucht des Naturwesens Undine nach einer Seele (wie bei Fouqué und Hoffmann), sondern Kühleborns Frage, ob die Menschen moralisch besser seien als die seelenlosen Wassergeister, was die ganze Opernhandlung zu einem Experiment macht. Damit wird aus dem romantischen Märchen eine dramatisch wirkungsvolle Dreiecksgeschichte mit dem Nixenvater als neugierigem Strippenzieher und insofern legte der Opernpragmatiker Lortzing sein Stück klar auf die Erwartungshaltung des zeitgenössischen Publikums um 1845 an. Heinrich Heine hatte schon 1836 über Fouqués Text erklärt: „Unsere Zeit aber stößt alle solche Luft- und Wassergebilde von sich, selbst die schönsten, sie verlangt wirkliche Gestalten des Lebens, und am allerwenigsten verlangt sie Nixen, die in adlige Ritter verliebt sind“ (Heine [1836], S. 225 f.). Zum dramaturgischen Konzept des Dichterkomponisten Lortzing gehört der Auftritt komischer Figurentypen in der romantisch-tragischen Geschichte; das
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märchenhafte Geschehen im Mittelpunkt wird dadurch immer wieder geerdet und partiell ironisiert. Doch erschöpft sich ihre Funktion nicht in reiner Komik und Unterhaltung wie etwa im älteren Wiener Singspiel des Ignaz Ritter von Seyfried (siehe unten). Petra Fischer hat darauf aufmerksam gemacht, dass gerade die beiden neu eingefügten komischen Figuren Veit und Hans auch eine politische Dimension in Richtung des Liberalismus vor 1848 verkörpern: „Politischer Liberalismus und Elementargeist stehen also auf einer Seite gegen aristokratische Arroganz und Naturfeindlichkeit“ (Fischer 1997, S. 244 f.). Der Knappe Veit kann durch seine Bühnenpräsenz ohnehin fast als heimliche männliche Hauptfigur der Oper angesehen werden, denn Veits Handlungsanteile sind höher als die des Ritters Hugo; Veits Lied „Vater, Mutter, Schwestern, Brüder hab ich auf der Welt nicht mehr“ (Text von Philipp Jakob Düringer) wurde bei den Zeitgenossen zum Schlager und zum populärsten Teil des Werks. Das Lied steht allerdings an falscher Stelle – es gehörte eigentlich in die Exposition des ersten Aktes; doch als Lortzing den Liedtext (den einzigen Fremdtext im Libretto) verspätet von Düringer erhielt, war der erste Akt schon komponiert und bereits im Klavierauszug gestochen; so schob es Lortzing in den dritten Akt ein. Schließlich ersetzte Lortzing auch am Ende den hochromantischen Liebestod bei Fouqué und Hoffmann durch einen begrenzten lieto fine: Hugo wird nicht von Undine getötet, sondern von Kühleborn begnadigt, kann aber nun nie mehr zurück zu den Menschen. Diese Änderung freilich geschah erst auf Drängen des Hamburger Bühnenbildners Joseph Mühldorfer gegen die ursprüngliche Konzeption Lortzings; dieser kommentierte die Abänderung in einem Brief an Philipp Reger: „Er hat aus theatralischem Gesichtspunkte betrachtet – recht, wenn gleich gegen die poetische Gerechtigkeit arg verstoßen wird“ (Lortzing 1995, S. 217). Die Rollenfächer der ernsten Hauptpartien sind gegenüber der Version Hoffmanns zurechtgerückt: Die Liebe von Sopran (Undine) und Tenor (Hugo) wird durch den Bariton (Kühleborn) verhindert. Eine weit größere Rolle als bei Hoffmann spielt auch der Chor. Insgesamt lassen sich zwei kompositorische Ebenen klar unterscheiden: Für die Zauberhandlung nutzt Lortzing große, z. T. hochdramatische musikalische Formen (durchkomponierte Szenen, vielstimmige Ensembles, Rezitativ und Arie nach aktuellem italienischen Vorbild), für die komischen Figuren dagegen den traditionellen Spielopernton (populäre Liedformen). Auf der ‚hohen‘ Ebene arbeitet Lortzing zudem mit wiederkehrenden Erinnerungsmotiven (wie Louis Spohr in Faust und Richard Wagner in → Lohengrin). Ignaz Ritter von Seyfried, Hauskomponist und -dirigent des Theaters an der Wien von 1801 bis 1827, führte dort 1817 eine eigene Undine-Oper auf. Die verlorengeglaubte Partitur tauchte 2003 in einer tschechischen Bibliothek wieder auf (Wasmuth 2003, S. 103–122). Das Libretto passt Fouqués Märchen der Wiener
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Bühnentradition an. Das zentrale Beseelungsmotiv Fouqués spielt keine Rolle mehr; dafür werden nun zahlreiche komische Elemente eingefügt, etwa eine Reihe von Nebenfiguren wie der lustige Knappe Robert und ein zweites, naivbuffoneskes Liebespaar (der Schlossaufseher Dietrich und das Milchmädchen Rosa) – Reminiszenzen an die Traditionen der opera buffa und des Wiener Singspiels. An die Stelle der romantisch-dämonischen Züge bei Fouqué treten typische Spielelemente des komischen Wiener Unterhaltungstheaters: So wird Robert plötzlich stumm oder von einer Schlange verfolgt (vgl. Schikaneders / Mozarts Zauberflöte), mit Wasser übergossen oder von Geisterhand geohrfeigt. Unwetterszenen, Maschinenzauber, Tanzeinlagen (u. a. ein Fackeltanz des Kinderballetts) sowie Schaueffekte (Tableaus, Pantomimen) werden ausführlich verwendet – das Theater an der Wien galt bis zur Eröffnung der Hofoper 1869 als das modernste und am besten ausgestattete Theater Wiens, was auch die Dramaturgie der dafür geschriebenen Werke beeinflusste (Wasmuth 2003, S. 119 f.). Der Schluss des Stücks wird gegenüber Fouqué vollkommen umkonstruiert: Am Ende des dritten Aktes wird dem Ritter (der hier Eduard heißt) von Kühleborn ein großer Traum geschickt, in dem er diesem zeigt, was er bei der ins Wasserreich zurückgekehrten Undine angerichtet hat. (In Fouqués Märchen schickt dagegen Undine dem Ritter einen Traum, um ihn zu warnen.) Eduard entsagt daraufhin der geplanten Hochzeit mit Bertalda sowie der Welt und versinkt mit Kühleborn in das Wasserreich. Dort vereinigt er sich im glänzenden Schlussbild mit Undine; Nymphen und Genien besingen im Schlusschor die ewige Liebe. Bemerkenswert ist die häufige Nutzung von Melodram-Techniken (also die Abwechslung von gesprochenen Texten und kurzen musikalischen Zwischensätzen), wie sie im späten achtzehnten Jahrhundert beliebt waren, nun z. T. ausgeweitet durch die Integration von Chören (z. B. Geisterchor in III.2). Die Gesangsnummern sind überwiegend als strophische Lieder in der Singspiel-Tradition (Typologie bei Schläder 1979, S. 190–196) angelegt. Das Stück konnte in Wien nicht aus dem Schatten des erheblich populäreren, älteren Donauweibchen (1798) Karl Friedrich Henslers und Ferdinand Kauers (dazu ebd., S. 99–227; sowie Wasmuth 2003, S. 80–89) heraustreten und hielt sich nicht auf der Bühne. Es zeigt, wie rasch sich das Wiener Unterhaltungstheater neue Texte aneignen konnte; es zeigt aber auch, dass das ‚Romantische‘ hier hauptsächlich als pittoresker Reiz begriffen wurde. Die früheste Umsetzung des Märchens auf der Opernbühne freilich fand nicht in Wien statt, sondern in Berlin. E.T.A. Hoffmann stieß als Kapellmeister in Bamberg (wo er u. a. das Donauweibchen aufgeführt hatte) im Februar 1812 auf den UndineText und nahm über seinen Freund Julius Eduard Hitzig, den Verleger Fouqués, Kontakt zum Autor auf, um diesen um die Mitwirkung bei einer Opernfassung des
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Märchens zu bitten. Auf der Basis eines Szenars von Hoffmann arbeitete Fouqué tatsächlich ein Libretto aus, das er im November 1812 an Hoffmann schickte. Akt I: Ritter Huldbrand hat es zu einem Fischerpaar verschlagen, als er für die herzogliche Pflegetochter Berthalda nach seinem Turniersieg auch noch den Zauberwald erforschen soll. Er erfährt von den Fischern, dass vor vielen Jahren ihre einzige Tochter im See ertrank, aber am selben Tag ein prächtig gekleidetes Mädchen plötzlich vor ihrer Haustür stand. Undine, die von den Fischern an Kindes statt angenommen wurde, erscheint nach einem Dialog mit Kühleborn. Der Ritter verliebt sich in Undine, die seine Gefühle erwidert, aber gestehen muss, dass sie ein Wassergeist ist und nur durch die Liebe eines Menschen eine Seele bekommen kann. Sollte ihr Gatte untreu werden, müsste sie ins Wasserreich zurück und der Treulose sterben. Obwohl Kühleborn, der einst die Kinder vertauscht hat, Undine warnt, nimmt diese Huldbrands Werbung an. Akt II: Huldbrand hat Undine in die Stadt mitgenommen, wo sie das Findelkind Berthalda im herzoglichen Schloss kennenlernt. Undine verspricht Berthalda, die früher mit Huldbrand befreundet war, ihre Eltern zu suchen. Sie erfährt durch Kühleborn, dass Berthalda die Tochter der Fischersleute ist, und verrät dies an einem Geburtstagsfest im Schloss. Alle sind entsetzt. Berthalda beschuldigt Undine der Hexerei, die Gäste laufen weg. Huldbrand bietet Berthalda, die vom Herzog verstoßen wird, Hilfe an und jagt seine Gemahlin, die er der Zauberei bezichtigt, fort. Kühleborn und seine Geister schwören Rache. Undine muss ins Wasserreich zurückkehren und beschwört Huldbrand, nie den im Schlosshof stehenden, zugemauerten Brunnen zu öffnen. Akt III: Huldbrand will um Berthalda freien, obwohl ihn Pfarrer Heilmann und Kühleborn vor dem drohenden Strafgericht warnen. Der Ritter gibt vor seiner Burg ein Fest, zu dem auch die Fischersleute geladen sind. Trotz aller Mahnungen heiratet er Berthalda und lässt auf deren Wunsch den Schlossbrunnen öffnen. Wassergeister, unter ihnen Undine, steigen aus den Fluten. Zu spät bereut Huldbrand; Undine kommt auf ihn zu und küsst ihn tot. Hoffmann vertonte den Text hauptsächlich zwischen Juli 1813 und August 1814. Am 3. August 1816 kam das Werk im Königlichen Schauspielhaus in Berlin zum Geburtstag des Königs Friedrich Wilhelm III. auf die Bühne (mit Bühnenbildern von Karl Friedrich Schinkel; dazu Dahlhaus / Miller 2007, S. 420–425). Nach 14 Aufführungen des gut aufgenommenen Werks (vgl. die ausführliche, positive Kritik von Carl Maria von Weber 1817) brannte am 29. Juli 1817 nach einer UndineVorstellung das Schauspielhaus ab, wobei die Ausstattung und das gesamte Aufführungsmaterial vernichtet wurden. Damit war die Aufführungsgeschichte des Werks in Berlin beendet. Nur sporadisch gelangte das Werk seither noch auf die Bühne, meist ohne Erfolg: 1820/21 in Prag, 1895 in Wien, 1922 in Aachen und Augsburg, 1926 in Bamberg, 1933 in Leipzig, 1970 in Wuppertal, 1982 in Rom, 1990 in
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Koblenz, 1995 in Bamberg, 1997 auf Schloss Rheinsberg, 2004 im Teatr Wielki Poznań. 1906 bearbeitete Hans Pfitzner das Werk im Klavierauszug neu, konnte ihm aber auch zu keinem Bühnenerfolg verhelfen. Fouqués Libretto-Version führt vor allem in der Figurenzeichnung zu einer Vereinfachung und Simplifizierung des Erzähltexts (dazu Ferlan 1987, S. 133–142). Die Figuren verlieren an Ambivalenz und Komplexität; dies betrifft hauptsächlich die Entwicklung von Undine, aber auch die Figur der Berthalda, die nun ganz auf die Rolle der bösen Gegenspielerin fixiert wird. Gegen den Wunsch des Berliner Intendanten Karl Moritz Graf von Brühl nach einer längeren Exposition und einer Integration lustiger und komischer Elemente sperrte sich Fouqué (Hoffmann 1988, S. 694). Für Hoffmann war bei der Vertonung des Librettos eines der wichtigsten Anliegen, die Einheit des Tons und der Atmosphäre des Werks musikalisch zu wahren. Hoffmann reflektierte dieses Problem parallel auch musikästhetisch, z. B. in Der Dichter und der Komponist, entstanden im Herbst 1813 während der Arbeit an der Oper und später in den ersten Band der Serapions-Brüder integriert. Dies stellt vielleicht die wesentliche Besonderheit dieser Partitur dar, die darin trotz unverkennbarer klassizistischer Anleihen doch in vielen Punkten von zeitgenössischen Opernmodellen abweicht. Hoffmann versuchte, diese Einheit über die Durchkomposition größerer Szenenkomplexe, über Erinnerungsmotive, aber auch über die Zuordnung von charakteristischer Instrumentation, Harmonik oder Melodik zu bestimmten Figuren (bes. Kühleborn und Undine, aber auch Nebenfiguren wie Pater Heilmann) zu gewährleisten. Diese Suche nach musikalischer Kohärenz steht aber in einem Spannungsverhältnis zur Konzeption als DialogOper, bei welcher der gesprochene Text den romantisch-tragischen Tonfall der Musik immer wieder unterbricht und die durch die Musik erzeugte Atmosphäre des Übernatürlichen und Jenseitigen stört oder ganz zerstört. Ungewöhnlich ist auch die Stimmenverteilung: Ritter Huldbrand als passiv reagierender, schwankender Anti-Held ist nicht als Primo Tenore, sondern als Bariton angelegt – und hat keine einzige Bravour-Arie, sondern tritt nur in Ensembles auf. Die eigentlich beherrschende Figur ist Kühleborn (Basso serioso), „die erste große Dämonenrolle der romantischen Oper“ (Brandstetter 1989, S. 83) in Deutschland, auch wenn er dramaturgisch nicht als Lenker des Spiels angelegt ist. Die weiblichen Hauptpartien Undine und Berthalda, zwei Soprane lyrischen Typs, verkörpern zwar dramaturgisch ausgeprägte Gegenwelten, nicht jedoch musikalisch: In der Musik lässt sich kaum ein Gegensatz zwischen beiden Frauen ausmachen (vgl. z. B. ihr Duettino zu Beginn des zweiten Akts). Hoffmann bemühte sich aber insgesamt, die drei Sphären des Werks, die Welt der einfachen Fischer, die höfische Welt und die Geisterwelt, musikalisch klar zu differenzieren (zur Undine-Musik Dahlhaus / Miller 2007, S. 261–279).
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Undine ist zwar eine genuine Schöpfung der deutschen Romantik, doch fließen darin Elemente zusammen, die stoffgeschichtlich bis in die Antike zurückreichen und auch in außereuropäischen Mythologien belegt sind. Insbesondere das Motiv der verführerischen Wasserfrauen (z. B. die Sirenen in der Odyssee, Rusalka in der slawischen Mythologie; vgl. allg. Kraß 2010) und die Vorstellung der „Mahrtenehe“ (in der Antike z. B. im Mythos von Amor und Psyche) spielen dafür eine große Rolle (vgl. Grunewald 2003; Wei 2009). Die berühmteste mittelalterliche Erzählung dieses Typs ist die Melusinensage (vgl. Lecouteux 1999; Mertens 1992); weitere Beispiele aus der Literatur des Mittelalters sind die Figur der Laudine im Yvain / Iwein von Chrétien de Troyes bzw. Hartmann von Aue sowie die Figur der Meliur in Partonopier und Meliur Konrads von Würzburg. Als Fouqué 1811 sein Kunstmärchen Undine schuf, knüpfte er an die populäre → Melusine-Tradition an, die von Ludwig Tieck im Jahr 1800 romantisch erneuert worden war. Fouqués Text unterscheidet sich von dieser jedoch dadurch, dass der Mann um die Übernatürlichkeit der Wasserfrau weiß und dass entsprechend nicht die Entdeckung des Geheimnisses, sondern sein Treuebruch zur Katastrophe und zum Tod führt. Eine zentrale Vorlage Fouqués bildete die frühneuzeitliche Naturlehre des Paracelsus von Hohenheim (Liber de nymphis, silphis, pygmaeis et salamandris et de caeteris spiritibus, Basel 1590 [zuerst gekürzt 1566]). Nach Paracelsus handelt es sich bei den Undinen um Elementarwesen, die der mythologischen Gattung der Nymphen angehört und das Element Wasser verkörpern; sie können in Waldseen oder Wasserfällen entdeckt werden und meistens treten Undinen wie Nymphen als dienende Begleiterinnen von Göttern in Erscheinung. Zu den weiteren Vorlagen Fouqués gehörten zeitgenössische romantische Texte wie Clemens von Brentanos romantischer Kunstmythos der „Lore Lay“ im zweiten Band des Romans Godwi oder das steinerne Bild der Mutter (1801), Achim von Arnims Gedicht Ritter Stauffenberg und die Meerfeye in Des Knaben Wunderhorn (1806) sowie dessen Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores (1810) nach der Stauffenberg-Sage aus dem vierzehnten Jahrhundert, außerdem möglicherweise auch Kauers populäres Donauweibchen (zu Fouqués Quellen vgl. Ferlan 1987, S. 15–50; Wasmuth 2003, S. 61–77; Grunewald 2003). Elemente aus diesen Texten synthetisierte Fouqué in seinem Märchen und richtete sie an dem romantischen Grundgedanken aus, dass der Übergang der unbewussten Natur in das bewusste menschliche Leben einen Sündenfall darstellt und dass der Preis für die Unsterblichkeit der Seele die Erfahrung von Leid ist. Fouqués Text entfaltete nicht nur auf der Bühne eine breite Rezeptionsgeschichte, sondern auch in der Literatur (vgl. Max 1991; Kraß 2010, S. 321–344), in der Malerei (z. B. bei Johann Heinrich Füßli oder Gustav Klimt) und in der Instrumentalmusik (z. B. bei Carl Reinecke, Claude Debussy oder Maurice Ravel). Die Undine-Opern und -Ballette bilden dabei im Musiktheater – bei aller Fülle ihrer
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Wirkungsgeschichte – nur einen Strang in einem größeren Feld von Werken mit verwandter Thematik: Erwähnt seien die Stoffkreise Donauweibchen (Kauer), Lorelei (Ignaz Lachner, Max Bruch, Alfredo Catalani), Melusine (Conradin Kreutzer, Aribert Reimann), Rusalka (Aleksandr Sergeevič Dargomyžskij [Dargomyschski], Antonín Dvořák) oder die Willis (Adolphe Adam, Giacomo Puccini). Zu den Hybridformen aus all diesen Stofftraditionen zählen letztlich unter anderem auch Wagners Rheintöchter im Ring des Nibelungen (→ Nibelungen).
III Werkliste Undine „Zauber Oper in drei Aufzügen“ Musik Text E.T.A. Hoffmann Friedrich de la Motte-Fouqué
Uraufführung 3.8.1816, Berlin
Undine, die Braut aus dem Wasserreiche „Zauberspiel in drei Akten mit Gesängen und Tänzen“ Musik Text Ignaz von Seyfried Joseph Alois Gleich
Uraufführung 16.8.1817, Wien
Undine Ballett Musik Adalbert Gyrowetz
Choreographie Louis Henry
Uraufführung 6.3.1825, Wien
Undinens Gruß „Festspiel in einem Aufzug“ Musik Adolph Bernhard Marx
Text [nach Fouqués Märchen]
Uraufführung 11.6.1829, Berlin
Undine „Romantische Zauberoper in vier Aufzügen“ Musik Text Christian Friedrich Girschner Friedrich de la Motte-Fouqué
Ondine ou la Nymphe des eaux Feerie Musik Louis Alexandre Piccinni
Text René-Charles Guilbert de Pixérécourt, Thomas-Marie-Franҫois Sauvage
Uraufführung 1. [konzertant] 19.5.1830, Berlin 2. [szenisch] 20.3.1837, Danzig
Uraufführung 1830, Paris
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Undine, die Wassernymphe Feen-Ballett in drei Akten Musik Heinrich Schmidt
Text Choreographie Paolo Taglioni
Undine „Romantisches Abenteuerdrama“ Musik Text Johann Peter Emilius Carl Borgaard Hartmann Ondine ou la Naiade „Grand Ballet en six tableaux“ Musik Cesare Pugni
Text Choreographie Jules Perrot
Undine „Romantische Zauberoper in vier Aufzügen“ Musik Text Albert Lortzing Albert Lortzing Undina Oper in drei Akten Musik Alexei Fjodorowitsch Lwow
Ondine, la reine de l’Onde Oper Musik Franҫoise Péan de la RocheJagu Ondine Opéra comique in drei Akten Musik Théodore Semet
The river sprite Comic Opera in one act Musik Frank (Francis) Mori
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Uraufführung 24.10.1836, Berlin
Uraufführung 18.9.1842, Kopenhagen
Uraufführung 22.6.1843, London
Uraufführung 21.4.1845, Magdeburg
Text Vladimir Alexandrovič Sollogub
Uraufführung September 1848, St. Petersburg
Text Michel Carré, Jules Barbier
Uraufführung Januar 1862, Paris
Text Joseph Philippe Lockroy, Eugène Mestépès
Uraufführung 13.1.1863, Paris
Text George Linley
Uraufführung 9.2.1865, London
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Märchen- und sagenhafte Stoffe
Undine, die Wassernixe „Romantische Sage in 4 Aufzügen mit Gesang“ [Marionettentheater] Musik Text Franz von Pocci [nicht erhalten] Undina Oper in drei Akten Musik Peter Tschaikowsky [nur fragmentarisch erhalten]
1865, München
Text [nach Vladimir Alexandrovič Graf Sollogub]
Uraufführung [partiell] 16.3.1870, Moskau [konzertant]
La légende de l’Ondine – Elfenliebe „Drame lyrique du IXe siècle en 3 actes et 6 tableaux“ Musik Text Georges Rosenlecker Charles Velmont La légende de l’Ondine „Drame lyrique en 3 actes et 5 tableaux“ Musik Text Georges Rosenlecker Jean de Villeurs [nach Charles Velmont] Ondina Melodramma fantastico in drei Aufzügen Musik Text Angelo Bottagisio [nach Ugo Capetti] Undina Oper in vier Akten Musik Sergej Prokofiev [nur fragmentarisch erhalten]
Uraufführung
Franz von Pocci
Publikation 1882 [Klavierauszug]
Uraufführung 28.4.1886, Lüttich
Uraufführung 11.3.1893, Mailand
Text A.M. Kilštedt
Entstehung 1904–1907
Undine Opera in 1 act Musik Harriet Ware Krumbhaar
Text Edwin Markham
Uraufführung 1915, Philadelphia
Ondina Poema lirica in zwei Aufzügen Musik Gianni Buccéri
Text Giuseppe Zuppone-Strani
Uraufführung 28.3.1917, Neapel
Undine
Ondine Drame lyrique en 5 actes et 7 tableaux Musik Text Maurice Desrez Jean Bonnerot Undine Musik Karl Amadeus Hartmann [Fragment] Undine [Ondine] „Ballett in drei Aufzügen“ Musik Hans Werner Henze
Ondine, fille de la forêt „Oper“ Musik Pierre Sancan
Uraufführung 9.3.1939, Paris
Text Karl Amadeus Hartmann
Entstehung vor 1950
Text Text und Choreographie Frederick Ashton
Uraufführung 27.10.1958, London
Text José Bruyr [nach Fouqué]
Uraufführung 18.3.1966, Bordeaux
Undine „Oper in einem Aufzug“ [Schuloper] Musik Text Wolfgang Fortner Anneliese Schäfer
Ondine Oper in drei Aufzügen Musik Daniel-Lesur [d. i. Daniel-Jean-Yves Lesur]
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Text Daniel-Lesur
Uraufführung 1969, Oberhambach [Odenwaldschule]
Uraufführung 26.4.1982, Paris
2.7 Novelleske Stoffe Griselda Albert Gier I Präsenz des Sujets Die Geschichte von Griselda, die Boccaccio in der letzten Novelle seines Decamerone (X 10) erzählt, wird vom Beginn des achtzehnten Jahrhunderts bis in die Zeit der Romantik vor allem in der italienischen Oper häufiger behandelt: 1701 entstand Apostolo Zenos Libretto Griselda für Antonio Pollarolo, das bis zur Jahrhundertmitte – mehr oder weniger stark bearbeitet (Bizzarini, S. 12–106) – mehr als ein Dutzend weitere Male vertont wurde. Antonio Vivaldis Griselda (1735) wurde im Zuge der Vivaldi-Renaissance seit 1982 in Europa, den USA und Australien gelegentlich aufgeführt, es liegen auch mehrere Aufnahmen vor (u. a. Arkadia AK 122.3; Naïve OP30419; Naxos 8.660211-13). Alessandro Scarlattis Griselda (1721) erlebte Aufführungen bereits 1960 (Catania, Hannover) und 1970 (Neapel, mit Mirella Freni; Opera D’oro 1308). Die Inszenierung der Festwochen der Alten Musik (Innsbruck) 2000 unter René Jacobs wurde ins Repertoire der Staatsoper Unter den Linden (Berlin) übernommen, parallel dazu entstand eine Studio-Aufnahme (HMC 801805.07); seitdem scheint die Oper allerdings nur noch einmal (Bielefeld 2008) inszeniert worden zu sein. Von den weiteren Vertonungen des Zeno-Librettos ist offenbar keine in neuerer Zeit aufgeführt worden; das deutet darauf hin, dass bei den Wiederentdeckungen das Interesse mehr den bekannten Komponisten Scarlatti und Vivaldi als dem Griselda-Stoff galt. In der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts entstanden dann weitere, komische (Antonio Palomba für Nicola Logroscino, 1752) oder empfindsam-rührende (Angelo Anelli für N. Piccinni, 1793, und F. Paër, 1798) Libretto-Adaptationen der Novelle. Die Vertonungen haben in neuerer Zeit ebenso wenig Beachtung gefunden wie Federico Riccis Griselda auf ein Buch des vor allem als Dichter Verdis bekannten Francesco Maria Piave (1846/47) oder die Opern von Mario Oronzo Scarano (1878) und Clemens von und zu Franckenstein (1898). Die einzige Ausnahme bildet die letzte nachweisbare Griselda-Oper, Grisélidis von Jules Massenet (1901), die nie ganz in Vergessenheit geriet und seit 1982 gelegentlich aufgeführt wurde, auch 1992 beim Festival Massenet in Saint-Etienne, wovon es einen Mitschnitt gibt (KochSchwann 3-1270-2); auch in diesem Fall galt das Interesse offenbar weniger der Oper oder dem Sujet als dem Komponisten.
https://doi.org/10.1515/9783110424089-033
Griselda
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Boccaccio erzählt, dass Gualtieri, der Markgraf von Saluzzo, das einfache Bauernmädchen Griselda zur Frau nahm und sie später grausamen und anscheinend sinnlosen Gehorsamsproben unterwarf; u. a. nahm er ihr die gemeinsamen Kinder weg, angeblich, um sie töten zu lassen (in Wirklichkeit schickte er sie zu einem Verwandten nach Bologna, der sie aufzog). Alle Librettisten behalten diesen Kern der Geschichte bei, sind aber bemüht, die tyrannische Willkür des Markgrafen abzumildern: Während Boccaccios Gualtieri nur vorgibt, seine Untertanen nähmen nicht hin, dass die Kinder einer niederen Magd über sie herrschen sollten (Boccaccio 1965, X 10, §§ 27, 35), wollen Gualtieris Untertanen in Zenos Libretto hingegen Griselda wirklich nicht als Königin (aus dem Markgrafen ist hier ein König von Sizilien geworden). Den Prüfungen setzt er sie hier nur aus, damit ihr Mut und ihre Standhaftigkeit alle von ihrem inneren Adel überzeugen. In Anellis Buch ist es die adelsstolze Schwester des Marchese, die ihrer Schwägerin die bäuerliche Herkunft nicht verzeihen kann; Griseldas demütige Ergebenheit angesichts aller Kränkungen und Zumutungen soll sie beschämen (was auch gelingt). Francesco Maria Piave verknüpft die Geschichte mit der → Artustradition: Persival, der hier an die Stelle Gualtieris tritt, versteigt sich zu der Behauptung, wenn es nach Tugend und Verdienst ginge, müsste Griselda Königin sein und Ginevra vor ihr auf den Knien liegen (Piave 1846, I 4); daraufhin verlangt die gekränkte Königin, dass er seine Frau auf die Probe stellt. Bemerkenswerterweise hat diese Version der Geschichte kein glückliches Ende: Als Griselda erkennt, dass Persival (gezwungenermaßen, aber mit Begeisterung) ein grausames Spiel mit ihr getrieben hat, verlässt sie ihn. Am weitesten entfernen sich Armand Silvestre und Eugène Morand, die Autoren des „Conte lyrique“ Grisélidis für Massenet, von der Novelle Boccaccios: Bevor der (namenlose) Marquis als Kreuzritter nach Palästina zieht, wettet er mit dem Teufel, selbst diesem werde es nicht gelingen, Grisélidis zu Untreue oder Ungehorsam zu verführen; die Prüfungen, die sie zu bestehen hat (einschließlich der Entführung ihres kleinen Sohnes), sind also das Werk des bösen Feindes, der natürlich zuletzt (dank der Hilfe der heiligen Agnes) besiegt wird.
II Historische Schichten Mit dem Frauenbild des Fin de siècle war Griseldas Charakterisierung bei Boccaccio nicht in Einklang zu bringen: Das bodenständige Bauernmädchen verkörpert weder den Typus der Femme fatale (Hilmes 1990; Nagel 2009) noch den der Femme fragile (Thomalla 1972), dem sie Silvestre und Morand in ihrem Libretto für Massenet (nach einem eigenen Sprechdrama) angenähert haben. Erotik erscheint dabei durchaus zeittypisch religiös überhöht: Grisélidis, die wie
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Novelleske Stoffe
Mélisande (Debussys Oper wurde mehrere Monate nach Grisélidis uraufgeführt) in und mit der Natur lebt, erscheint dem Marquis als „Engel“, wenn er ihr zum ersten Mal im Wald begegnet (Prologue 3). Er ist sich sicher, dass Gott sie ihm zugeführt hat; sie erklärt sich sofort einverstanden, ihn zum Mann zu nehmen („Disposez de votre servante“; Silvestre / Morand 1923, Prol. 3, S. 11). „Geheimnisvolle Stimmen vom Himmel“ („Voix mystérieuses sous le ciel“; ebd.) singen Alleluja und die Zweige der Bäume neigen sich, wenn Grisélidis vorbeigeht – ohne Zweifel der mystischste coup de foudre der Operngeschichte. Über weite Strecken ist das Buch eine Ansammlung epochentypischer Klischees und beweist einmal mehr, dass Massenets literarischer Geschmack nicht der sicherste war. Um Grisélidis zur Untreue zu verführen, bedient sich der Teufel des dichtenden Schäfers Alain, den sie geliebt hatte, ehe der Marquis in ihr Leben trat. Der Böse ruft zunächst Geister herbei, die ihm helfen, eine Art Klingsor’schen Zaubergarten voller Rosenbüsche entstehen zu lassen (II 6); andere Geister führen die vormals Liebenden, beide in einer Art Trancezustand, dorthin. Grisélidis ist fest entschlossen, ihrem Mann treu zu bleiben, aber ihr Begehren droht sie zu überwältigen: „Alain la tient défaillante, tandis qu’autour d’eux les rosiers rapprochant leurs rameaux les ont enlacés et unis, et que sur leurs têtes les branches des orangers s’éclairent du vol ardent des luciols.“ [Alain hält die beinahe Ohnmächtige, während die sie umgebenden Rosenbüsche ihre Zweige ausgestreckt, die beiden umschlungen und vereint haben und während über ihren Köpfen die Äste der Orangenbäume vom Flug der Glühwürmchen erhellt werden.] (ebd., II 7, S. 44) – es ist natürlich Zufall, scheint aber dennoch bezeichnend, dass wenige Monate später Paul Linckes Operette Lysistrata mit dem populären „Glühwürmchen-Idyll“ in Berlin Premiere hatte. Der „Episodencharakter“ des Buches „begünstigte eine Gestaltung, die zwischen Atmosphärischem, Komischem, Dramatischem und Gefühlvollem changiert“ (Schmidl 2012, S. 91). Amüsanter als die jungen Leute ist der Teufel: Weil er zahllosen Ehemännern Hörner aufgesetzt hat, hat Gott ihn zur Strafe mit einer herrschsüchtigen, koketten und obendrein eifersüchtigen Frau verheiratet (II 4) – der böse Feind als Pantoffelheld ist ein Topos in der Oper der Jahrhundertwende (Gier 2017b, S. 86–87). Grisélidis repräsentiert den Typus der Legendenoper, die sich als Spielart der Märchenoper um 1900 einer gewissen Beliebtheit erfreute – mit Le Jongleur de Notre-Dame nach Anatole France lieferte Massenet 1902 ein weiteres Beispiel (Schmidl 2012, S. 93–94). Franckensteins Griseldis (1898) trägt die verwandte Gattungsbezeichnung „Mysterium“. Francesco Maria Piave schrieb den „melodramma serio“ Griselda (nach dem Drama Griseldis von Friedrich Halm, UA 1835) für den vor allem im komischen
Griselda
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Genre erfolgreichen Federico Ricci. Sein Protagonist Persival, der Graf von Wales, ist ein Außenseiter in der frivolen Welt der Artusritter, wo Tristano (nicht der ebenfalls anwesende Lancelotto) Königin Ginevra den Hof macht (I 2). Persival ist ein großer Krieger, aber er meidet den Hof, da er bei den adligen Damen nur „Schönheit ohne Tugend“ („Senza virtù beltà“; Piave 1846, I 3, S. 6) gefunden hat. Da seine Gefolgsleute ihn drängten, dem Land einen Erben zu geben, heiratete er die Köhlerstochter Griselda. Wenn sich die anderen Ritter über diese Ehe lustig machen, erklärt er, seine Frau habe „mehr Tugend als alle anderen Frauen hier“ („Più virtude che in quante qui sono“; ebd., I 3, S. 7) – was die anwesende Königin einschließt. Ginevra verlangt daraufhin den Beweis: Griselda soll den gemeinsamen Sohn opfern, um Persival zu retten, sie soll verstoßen und in die Hütte ihres Vaters zurückgeschickt werden; wenn sie in ihrer Liebe zu ihm dennoch standhaft bleibt, wird die Königin ihr zu Füßen fallen (I 4). Persival akzeptiert, denn er will den „Triumph“ („trionfo“, ebd., I 7, S. 10) seiner Frau, was bedeutet, dass ihm Griseldas Gefühle weniger wichtig sind als die Beschämung der Königin und des Hofes. Die romantische Griselda nimmt seine Entscheidung, den kleinen Sohn dem König auszuliefern (der ihn, davon ist sie überzeugt, töten lassen wird), nicht klaglos hin wie ihr Vorbild bei Boccaccio; sie wirft ihrem Mann vor, er „beleidige die Natur und Gott“ („Natura offendi e Dio“; ebd., I 8, S. 11), wenn er sich Arturos Befehl beuge. Aber da Persival ihr erklärt, wenn er nicht gehorche, sei sein eigenes Leben bedroht, gibt sie sofort nach. Auch als er sie verstoßen will, da der König ihm befohlen habe, seine Schwester Morgana zu heiraten, beklagt sie sich (II 3); aber dann fordert sie seine protestierenden Gefolgsleute, die ihm den Bruch des Eheversprechens vorwerfen, zum Gehorsam auf. Sie wird gehen, aber sie wird ihn immer lieben („Ma scolpita nel mio petto / La tua imagine vivrà“; ebd., II 3, S. 17). Bei ihrer Rückkehr zur Köhlerhütte macht ihr blinder Vater Cedrico ihr zunächst Vorwürfe, weil sie die Eltern verlassen hat: Auf dem Totenbett rief ihre Mutter vergebens nach der Tochter (III 2). Dennoch verzeiht er ihr; es folgt eine rührende Versöhnungsszene. – Wenig später taucht Persival auf und erklärt Griselda, er sei als Rebell geächtet und werde von den Häschern des Königs verfolgt; sie drängt ihn zur Flucht (III 5). Wenn das Königspaar mit Gefolge erscheint (III 7), weigert sie sich zu verraten, wohin ihr Mann geflohen ist. Arturo droht, sie und Cedrico müssten sterben, wenn sie weiter schweige. Griselda bittet nur um Gnade für ihren Vater; sie selbst ist bereit, ihr Leben für Persival hinzugeben (III 9). Als Vater und Tochter getrennt werden sollen, nehmen sie weinend und klagend Abschied voneinander. Piave hat eine Reihe hochemotionaler Szenen erfunden, die in der Novelle Boccaccios keine Entsprechung haben. Gerührt wird der Zuschauer allerdings einzig durch die Leiden Griseldas (und Cedricos); Persival, dem, nachdem er den
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Novelleske Stoffe
König durch seine unbedachten Worte erzürnt hat, wohl wirklich kaum etwas anderes übrig bleibt, als sich auf das grausame Spiel einzulassen, wirkt dabei so kalt, dass man wenig Sympathie für ihn und erst recht kein Mitleid mit ihm empfindet. Insofern ist nachvollziehbar, dass Griselda im letzten Akt (IV 3), wenn die Königin ihr Versprechen einlöst und vor ihr niederkniet, nicht bereit ist, ihrem Mann zu verzeihen: Persival, d’immenso affetto… Come un nume t’ho adorato… Tu, crudel, mi fosti ingrato… Va … ora un nulla sei per me. [Persival, mit unendlicher Liebe … habe ich dich wie einen Gott angebetet … Du, Grausamer, warst gefühllos zu mir … Geh, jetzt bist Du ein Nichts für mich.] (ebd., IV 3, S. 28)
Sie lässt ihm den gemeinsamen Sohn und bittet Persival, ihn besser zu behandeln als sie, dann macht sie sich mit Cedrico zur Köhlerhütte auf. Kein anderes Libretto hat die exemplarische Dimension des Stoffes so vollständig getilgt wie Piaves Buch. Die Geschichte Griseldas ist hier zum Drama einer liebenden und bitter enttäuschten Frau geworden, vergleichbar Vincenzo Bellinis Norma oder Gaetano Donizettis Lucia di Lammermoor. Angelo Anelli nennt Griselda, o sia La virtù al Cimento (1793) „Dramma eroicomico“. In seinem letzten, Boccaccio folgenden Teil enthält auch dieses Buch rührende Szenen; der erste scheint eher von Goldonis „Dramma giocoso“ La buona figliola (1760) für Niccolò Piccinni angeregt, der auch Anellis Griselda vertonen sollte: Der Librettist sagt nicht, wann seine Geschichte spielt, aber die Figuren sind (wie in La buona figliola) eindeutig als Zeitgenossen der Zuschauer erkennbar. Der Marchese Gualtieri hat vor etwa fünfzehn Jahren eine Bäuerin (Griselda) geheiratet, was ihm seine hochmütige Schwester, die Duchessa di Monferrato, nie verziehen hat (so wie bei Goldoni die Marchesa Lucinda die Verbindung ihres Bruders, des Marchese della Conchiglia, mit der angeblichen Gärtnerin Cecchina zu hintertreiben sucht). Die Kammerzofe Lisetta hofft, Gualtieris Frau zu werden, sollte er sich von Griselda trennen (so wie die Bäuerin Sandrina Cecchina beim Marchese ausstechen will); Lisettas Bruder Lesbino ist in Griselda verliebt (so wie der Bauer Mengotto in Cecchina). Um seine Schwester zu beschämen, ist Gualtieri auf den Einfall gekommen, Griselda, die er zärtlich liebt, schlecht zu behandeln; wenn sie alles erträgt, ohne aufzubegehren (woran er nicht zweifelt), wird die Herzogin nicht länger leugnen können, dass sie die ideale Ehefrau ist. Nur deshalb ist Gualtieri besonders freundlich zu Lisetta, die sich schon am Ziel ihrer Wünsche sieht. Im Haus Gualtieris lebt auch Griseldas Vater, der Schäfer
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Giannucole, der sie dazu zu überreden sucht, ihren Mann zu verlassen, „wenn dir deine Haut lieb ist“ („Se t’è cara la pelle“; Anelli 1800, I 3, S. 24) – es scheint also, dass der Marchese sie schlägt oder sein Schwiegervater das zumindest befürchtet. Es ist aber Gualtieri, der seiner Frau, die bei ihm bleiben will, den Laufpass gibt, wenn der Conte di Panago (der Name findet sich bei Boccaccio 1965, X 10, § 54) mit Doristella, die er für seine Tochter ausgibt, zu Besuch kommt – natürlich ist sie in Wirklichkeit Griseldas und Gualtieris Tochter, die der Vater in Bologna hat erziehen lassen. Lisetta, Lesbino, die Herzogin und Giannucole sind Träger der komischen Handlung, die der ‚heroischen‘ um Griselda gegenübersteht. Komisch sind auch Musiknummern, die (im Stil der Buffa) die Ehe und das Verhältnis der Geschlechter thematisieren. Gleich zu Beginn bittet der Marchese Lisetta, ihn durch ein Lied zu unterhalten; sie singt: Son le mogli oneste e buone, Se il Marito è scaltro, e dotto: Ma, se trovano il merlotto, Glie lo danno da capir. Hanno un arte maledetta; Fan di quel, ch’io non vò dir. [Die Frauen sind ehrbar und gut, wenn der Ehemann gewitzt und erfahren ist, aber wenn sie an einen Gimpel geraten, geben sie ihm das zu verstehen. Sie sind verflucht geschickt und tun, was ich nicht sagen will.] (Anelli 1800, I 1, S. 6/8)
Wenn Gualtieri ankündigt, Griselda einer letzten Prüfung unterziehen zu wollen, warnt ihn sein Freund Graf Panago (I 1): Gualtieri hat recht, man muss Frauen an kurzer Leine führen, damit sie nicht außer Rand und Band geraten; wenn man dabei aber übertreibt, kann das leicht ins Auge gehen. In der Finalszene des ersten Akts nehmen Griselda und ihr Vater Abschied von dem, was bisher ihr Zuhause war. Gualtieri lässt ihr die Kleider bringen, die sie trug, als sie zu ihm kam, und verlangt, dass sie sich vor aller Augen umkleide, erlaubt ihr dann aber doch, es unbeobachtet zu tun (im Decamerone jagt er sie im bloßen Hemd davon). Wenn seine Hochzeit (mit Doristella) beschlossene Sache scheint, ruft er sie zurück, um ihrer Nachfolgerin aufzuwarten; sie gehorcht (wie bei Boccaccio) ohne zu murren (II 5). Für die Neuvermählten das Brautbett zu machen, fällt ihr sichtlich schwer (II 10), aber sie überwindet sich. Jetzt endlich ist die Herzogin, die sie heimlich beobachtet hat, beeindruckt (II 11) und fordert ihren Bruder auf, sie nicht weiter zu quälen (II 13). Wie im Decamerone bittet Griselda Gualtieri, Doristella, die ihrer Jugend wegen weniger widerstandsfähig sei als sie selbst, besser zu behandeln (II Scena ultima); der Marchese klärt endlich alles auf, seine Schwester leistet Griselda Abbitte und bietet sich ihr als Schwägerin an.
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Novelleske Stoffe
Anelli übernimmt einerseits mehr aus der Vorlage Boccaccios als die meisten anderen Librettisten, andererseits gelingt es ihm durch den Rekurs auf die Figurenkonstellation der Buona figliola, die Griselda-Geschichte soweit wie möglich dem Modell der Buffa anzunähern. In äußerstem Gegensatz zu Piave gesteht er seiner Protagonistin nur sehr gemäßigte Empfindungen zu – was immerhin erstaunt, da sie davon ausgehen muss, Gualtieri hätte die gemeinsame Tochter ermorden lassen. Auch nach der Rückkehr in Giannucoles Schäferhütte scheint sie nicht verzweifelt, eher melancholisch, und das Behagen ihres Vaters, dem es im Schloss des Marchese viel zu steif zuging, verleiht der Szene einen komischen Anstrich (II 3). Die nur ironisch zu verstehenden Schlussverse „Ed apprenda ogni altra moglie / Da Griselda il suo dover“ [und jede andere Frau soll von Griselda lernen, was ihre Pflicht ist] (ebd., II Scena ultima, S. 126) zeigen, dass Dichter und Publikum Boccaccios Novelle als rettungslos anachronistisch betrachteten. Wir sahen schon, dass Apostolo Zenos Libretto die erste und bei weitem erfolgreichste Bearbeitung des Stoffes war. Zum Personal Boccaccios hat Zeno zwei weitere Hauptfiguren ergänzt (beide konnte er in Carlo Maria Maggis „Tragedia“ La Griselda di Saluzzo [ca. 1650] finden; Bizzarini 2008, S. 22): den Intriganten Otone, der Adel und Volk von Palermo, wo die Geschichte spielt, gegen die niedrig geborene Griselda aufgehetzt hat, weil er in sie verliebt ist und hofft, er werde sie für sich gewinnen können, wenn Gualtiero sie verstößt; und Roberto, den jüngeren Bruder Corrados, des Fürsten von Apulien, dem Gualtiero seine angeblich getötete Tochter Costanza anvertraut hat. Die beiden jungen Leute haben sich ineinander verliebt und Corrado hat ihre Neigung begünstigt; als er mit ihnen nach Palermo reist, wo Costanza den König (Gualtiero) heiraten soll, sind sie begreiflicherweise verzweifelt. Um aus Boccaccios Novelle ein dramma per musica zu machen, ist die Einführung zusätzlicher Figuren unerlässlich: Im Decamerone spielt sich die Handlung wesentlich zwischen Griselda und Gualtieri ab, ihre Tochter, die dritte Hauptfigur, hat nur eine Nebenrolle. In der opera seria gibt es gewöhnlich fünf Hauptrollen und ein oder zwei kleinere Partien. Die Nebenhandlungen um Ottone und das Paar Costanza – Roberto müssen aber auch mindestens zwei Akte füllen, weil Zenos Gualtiero Griselda weit weniger quält als im Decamerone. Die Handlung setzt damit ein, dass der König dem Drängen seiner Untertanen, sich mit einer ebenbürtigen Frau zu verbinden, nachgibt und Griselda verstößt (I 2). Ein Aparte im Dialog der beiden macht deutlich, dass er seine Frau immer noch liebt: „Meritar men d’un Regno / Non dovea tanta fede, e tanto amore“ [Soviel Treue und soviel Liebe (wie sie ihm gab) verdiente nicht weniger als ein Königreich] (Zeno 1744, I 2, S. 11). Als die Ankunft der neuen Königin gemeldet wird, eilt er sofort zum Hafen.
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Danach wird Griselda von Otone bedrängt, aber sie weist ihn ab (I 5). Wenn Corrado mit Costanza und Roberto an Land geht, wird sofort deutlich, dass die beiden einander lieben und Gualtieros Werbung als Unglück betrachten (I 7–11). Ehe Griselda den Palast verlässt, will sie ihren kleinen Sohn Everardo (der hier noch bei den Eltern lebt) noch einmal sehen (I 12–14); Gualtiero überrascht sie und schwärmt ihr recht taktlos von seiner künftigen Frau vor (I 13). Der Anfang des zweiten Akts (II 1–4) gehört wieder Roberto und Costanza, die jetzt ihre Liebe verleugnet. Griselda hat die Stadt verlassen, Otone versucht sie zu erpressen: Angeblich hat Gualtiero befohlen, Everardo zu ermorden; Otone würde ihn leben lassen, wenn Griselda die seine wird, aber sie will lieber ihr Kind opfern (II 6/7). Daraufhin will er sie entführen, aber der Plan misslingt, weil die königliche Jagdgesellschaft dazwischenkommt (II 8–16). Zu Beginn des dritten Akts verhört Gualtiero Otone, der ihm seine Liebe zu Griselda gesteht (III 1). Der König beteuert seiner Frau, wie sehr er sich auf die Hochzeit freut (III 2), aber dabei leidet er nicht weniger als sie (III 3). Ein Missverständnis zwischen Costanza und Roberto wird ausgeräumt, sie umarmen einander und werden von Gualtiero überrascht, der zu ihrem Erstaunen nichts dagegen hat (III 4–10). In der letzten Szene gibt Gualtiero vor, Griselda mit Otone verheiraten zu wollen, aber sie will lieber sterben. Da sie standhaft bleibt, klärt er endlich alles auf und wirft seinen Untertanen vor, sie verkannt zu haben; sie schämen sich gebührend und werden ihrer Königin künftig die Achtung entgegenbringen, die sie verdient. Nur die erste und die letzte Szene des Librettos haben also eine Entsprechung bei Boccaccio. Außerdem behandelt Gualtiero Griselda einmal pro Akt unfreundlich (I 13, II 12, III 2), damit nicht in Vergessenheit gerät, worum es eigentlich geht. Den größeren Teil des Buches füllt Zeno mit den beiden Strängen einer seriatypischen, hinzuerfundenen Intrigenhandlung. Zenos Libretto wurde, wie gesagt, mehr als ein Dutzend Mal vertont. Wie allgemein üblich, wurde der Text dabei jeweils den lokalen Gegebenheiten angepasst. Austausch, Streichung oder Hinzufügung von Arien, um der Sängerbesetzung Rechnung zu tragen, Striche in den Rezitativen, Änderung von Namen oder Schauplätzen (Orlandinis Virtù al cimento und Goldonis Buch für Vivaldi verlegen die Handlung jeweils nach Thessalien; Bizzarini 2008, S. 39 und 92) sind dabei selbstverständlich. Manchmal werden auch tiefer greifende Änderungen vorgenommen: Girolamo Gigli, der das Libretto für Albinoni einrichtete, hat lange komische Szenen für den Diener Elpino (in anderen Fassungen heißt er Ismeno) und Costanzas Amme Pernella ergänzt (ebd., S. 30–33), die in manchen späteren Bearbeitungen Spuren hinterlassen haben. Der von Scarlatti vertonte Text bekommt eine arkadisch-pastorale Färbung (ebd., S. 79), die dem Original fehlt. Vivaldis Dichter verändert den Charakter seiner Heldin: Goldonis Griselda
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ist weniger resigniert und eher geneigt aufzubegehren als diejenige Zenos (ebd., S. 99; Tortoreto, S. 113–124). Obwohl die hier besprochenen Libretti den Handlungskern der Novelle Boccaccios – die Gehorsamsproben, denen der Ehemann seine Gattin unterzieht – unverändert lassen, sehen sich die Autoren ausnahmslos genötigt, Gualtieri von der Verantwortung für sein willkürlich und grausam scheinendes Handeln zu entlasten. Da dies zu verschiedenen Zeiten auf je unterschiedliche Weise geschieht, bietet jedes Libretto eine eigenständige Lesart der Stofftradition. Boccaccios Griselda-Novelle irritiert nicht erst heute: Die Protagonistin ist nicht nur die Ehefrau, die sich bis zur Selbstaufgabe dem Willen ihres Mannes unterwirft, sondern auch die Mutter, die ihre schutzbedürftigen Kinder widerstandslos der Grausamkeit dieses Mannes preisgibt. Allerdings wird häufig übersehen, was Gualtieri mit seinem Verhalten bezweckt (zum folgenden Gier 1994, S. 57–66; Gier 2015c, S. 285–288): Der Markgraf hatte sich lange geweigert zu heiraten, bis seine Gefolgsleute ihn dringend aufforderten, dem Land einen Erben zu geben, und sich erbötig machten, ihm eine Frau aus guter Familie zu suchen, mit der er sicher glücklich würde (Boccaccio 1965, X 10, § 5). In einer etwas längeren Rede (§§ 6–8) weist Gualtieri die Auffassung zurück, die vornehme Herkunft der Frau garantiere einen guten Charakter; dafür tritt er im Folgenden den Beweis ex negativo an, indem er zeigt, dass Griselda, ein einfaches Bauernmädchen, die perfekteste Ehefrau von allen ist. Gualtieri falsifiziert den moralischen Satz ‚Abstammung einer Frau lässt Rückschlüsse auf ihren Charakter zu‘ mittels eines Exemplums (Stierle 1973, S. 355–357), das er nicht erzählt, sondern für seine Gefolgsleute inszeniert. Daraus resultieren die Probleme, die das Unbehagen späterer Leser erklären: Die Figuren in einer exemplarischen Erzählung sind nicht an sich, sondern nur als Demonstrationsobjekte interessant. Dass Gualtieris Experiment Griselda ein Dutzend Jahre ihres Lebens stiehlt, da es ihr die Möglichkeit nimmt, ihre Kinder heranwachsen zu sehen, wäre im Exemplum bedeutungslos, bei einer stärker individualisierten Novellenfigur ist es schwer erträglich. Im Übrigen kennen die Regeln, die im Exemplum propagiert werden, keine Ausnahmen, während Boccaccio in seinen Novellen immer wieder Normkonflikte thematisiert (Gier 2002b, Sp. 120– 121): Wenn ein Mann seiner Frau ankündigt, die gemeinsamen Kinder ermorden zu wollen, muss sie sich zwischen ihrer Gehorsamspflicht und der Mutterliebe entscheiden; Griselda wählt zwar nicht ohne inneren Kampf, aber doch erstaunlich schnell den Gehorsam. Und schließlich werden in Erzählungen Verbote im Allgemeinen erlassen, um übertreten zu werden, erst dadurch kommt die Handlung in Gang (vgl. z. B. das Märchen vom Blaubart). Dadurch, dass Griselda nicht aufbegehrt, läuft die
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Novelle ins Leere: Die Reihe der Prüfungen ist prinzipiell unabschließbar. Wenn Gualtieri sie ‚verstößt‘ und im bloßen Hemd aus dem Haus jagt, weil der Papst ihm angeblich die Dispens erteilt hat, eine vornehmere (und jüngere) Frau heiraten zu dürfen, und wenn er sie dann zurückruft, um ihrer angeblichen Nachfolgerin (in Wirklichkeit ist es die gemeinsame Tochter) aufzuwarten, ist zweifellos ein Höhepunkt erreicht; aber dass Gualtieri sein Experiment daraufhin abbricht, ist keinesfalls zwingend geboten. Diese prekäre Spannung zwischen prätendierter Exempelfunktion und irritierender Unabschließbarkeit hat offenbar dazu beigetragen, dass gerade diese letzte Decamerone-Novelle, in der gängige Motive der vormodernen Kleinepik ohne nachweisbaren Prätext neu konfiguriert werden, eine schnelle, europaweite und teilweise bis ins frühe zwanzigsten Jahrhundert anhaltende Rezeption als eigenständige Geschichte außerhalb des Zyklus erfährt (Petzoldt 1990). Nachhaltig einflussreich war besonders Petrarcas lateinische Bearbeitung von 1373, die das Vorbildhafte des ehelichen Gehorsams und Vertrauens der Frau gegenüber ihrem Gatten betont. Die verschiedenen Bearbeitungen und Fassungen – seit Hans Sachs auch Dramatisierungen – des Sujets setzen jeweils unterschiedliche Akzente zwischen exemplarischer Funktionalisierung (etwa für Ehelehre oder Predigt) und kasuistischer oder novellistischer Ambivalenz.
III Werkliste Griselda „Drama per musica“ Musik Antonio Pollarolo
Text Apostolo Zeno
Uraufführung 4.1.1701, Venedig
Griselda “Drama per musica“ Musik Tomaso Albinoni
Text Apostolo Zeno
Uraufführung 1703, Florenz
La Griselda „Drama per musica“ Musik Tomaso Albinoni, Domenico Sarro
Text Apostolo Zeno
Uraufführung 1706, Neapel
La Griselda Musik Fortunato Chelleri
Text Apostolo Zeno
Uraufführung 1707, Piacenza
448
Novelleske Stoffe
La virtù in trionfo o sia la Griselda Drama per musica Musik Luca Antonio Predieri
Text Apostolo Zeno
Uraufführung 25.10.1711, Bologna
Griselda Musik Giovanni Maria Capelli
Text Apostolo Zeno
Uraufführung 1710, Rovigo
La Virtù al cimento „Dramma per musica“ Musik Giuseppe Maria Orlandini
Text Apostolo Zeno
Uraufführung 1. [Erstfassung] 1717, Mantua 2. [Zweitfassung] 1720, Venedig
Griselda Drama Musik Antonio Bononcini
Text Apostolo Zeno
Uraufführung 26.12.1718, Mailand
Griselda Dramma per musica Musik Alessandro Scarlatti
Text Apostolo Zeno
Uraufführung 1721, Rom
Text Apostolo Zeno [Revision: Paolo A. Rolli]
Uraufführung 22.2.1722, London
Griselda „Drama per musica“ Musik Pietro Torri
Text Apostolo Zeno
Uraufführung 12.10.1723, München
Griselda Musik Nicola Antonio Porpora
Text Apostolo Zeno
Uraufführung 1724
Griselda „Dramma per musica“ Musik Francesco Conti
Text Apostolo Zeno
Uraufführung 1725, Wien
Griselda „Drama“ Musik Giovanni Bononcini
Griselda
Griselda Dramma per musica Musik Václav Matyáš Gurecký
449
Text Apostolo Zeno
Uraufführung 31.10.1730, Cremsir [Kroměříž]
Text Apostolo Zeno [Revision: Carlo Goldoni]
Uraufführung 18.5.1735, Venedig
Griselda Drama per musica Musik Gaetano Latilla
Text Apostolo Zeno
Uraufführung 11.11.1751, Venedig [?]
La Griselda Commedia per musica Musik Nicola Bonifacio Logroscino
Text Antonio Palomba
Uraufführung 1752, Neapel
La Griselda Dramma eroicomico per musica Musik Niccolò Piccinni
Text Angelo Anelli
Uraufführung 8.10.1793, Venedig
Griselda Opera seria Musik Pietro Carlo Guglielmi
Text Gaetano Sertor
Uraufführung 1795, Florenz
Griselda, ossia La virtù al cimento „Dramma eroicomico“ Musik Ferdinando Paër
Text Angelo Anelli
Uraufführung Januar 1798, Parma
Griselda „Melodramma serio“ Musik Federico Ricci
Text Francesco Maria Piave
Uraufführung 13.3.1847, Venedig
Percival und Griseldis „Große Oper in drei Akten“ Musik Carl Schnabel
Text Carlo [d. i. Carl Heinrich Herzel]
Entstehung um 1850
Griselda „Drama per musica“ Musik Antonio Vivaldi
450
Novelleske Stoffe
Griselda o la marchesa di Saluzzo Opera semiseria Musik Mario Oronzo Scarano
Text Enrico Golisciani
Uraufführung 6.1.1878, Neapel
Griselda „Dramma lirico in tre atti“ Musik Giulio Cottrau
Text Enrico Golisciani
Uraufführung 25.9.1878, Turin
Text Oskar F. Mayer
Uraufführung 2.2.1898, Troppau
Text Armand Silvestre, Eugène Morand
Uraufführung 20.11.1901, Paris
Griseldis „Mysterium“ Musik Clemens Freiherr von und zu Franckenstein Grisélidis „Conte Lyrique“ Musik Jules Massenet
3 Eng an Werke neuzeitlicher Autoren anschließende Stoffe
3.1 Einleitung Bernd Zegowitz Am Anfang der Operngeschichte knüpften die Komponisten respektive Librettisten selten unmittelbar an mittelalterliche Stofftraditionen an. Sie schrieben zum einen mythologische Opern, deren Stoffe sie nicht nur den Epen Ovids und Vergils entnahmen, sondern auch neuzeitlichen Werken wie dem erst 1623 publizierten Adone von Giambattista Marino. Zum anderen schrieben sie Opern mit religiösen Sujets; traditionsbegründend war hier Emilio de’ Cavalieris Rappresentatione di anima et di corpo. Und einen dritten Traditionsstrang bildeten literarische Opern, welche auf Ritterepen des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts wie Luigi Pulcis Il Morgante maggiore, Matteo Maria Boiardos Orlando innamorato sowie besonders auf Ludovico Ariosts Orlando furioso und Torquato Tassos Gerusalemme liberata zurückgingen (Leopold 2006, S. 73–139). Zwei kanonische Werke auf der Schwelle vom Mittelalter zur (italienischen) Renaissance, Dantes (1265–1321) Divina commedia und der Decamerone Boccaccios (1313–1375), sind nur sehr eingeschränkt und spät für die Opernbühne bearbeitet worden. Eine frühe Ausnahme ist Giulio Rospigliosis 1639 uraufgeführte Oper Chi soffre speri, die als erste Boccaccio-Oper und gleichzeitig erste opera buffa firmiert und auf der neunten Novelle des fünften Tages basiert. Der Librettist übernimmt zwar die Haupthandlung der Falkennovelle, erweitert sie allerdings um zahlreiche Nebenhandlungen sowie Figuren aus dem Arsenal der Commedia dell’arte. Bei seinen anderen Werken griff aber auch Rospigliosi bevorzugt auf die Ritterepik zurück. Einzig die Geschichte um → Griselda, die letzte Novelle des Decamerone, erfreute sich besonders im achtzehnten Jahrhundert und in der Romantik großer Popularität, an ihr „lassen sich aber auch exemplarisch die Schwierigkeiten einer Dramatisierung der Novellen des Decameron aufzeigen“ (Gier 2015c, S. 285). Dantes Divina Commedia wird im Musiktheater erst seit der Romantik kontinuierlich rezipiert, und auch dann sind es eher die zahlreichen erläuternd-belehrenden Kommentare, die als Stoffquelle dienen. Der Protagonist von Giacomo Puccinis Gianni Schicchi wird im Inferno gerade mal mit vier Versen bedacht. Unter den 64 Dante-Opern seit 1796 (Roglieri 2001, S. 281–290) ragt die Gruppe der Opern um das unglückliche Liebespaar Paolo und Francesca (→ Francesca da Rimini) heraus. Auch diese Geschichte wird erst von den Kommentatoren seit Boccaccio breiter ausgeführt. In der jüngsten Operngeschichte scheint sich das Interesse dagegen eher auf den Dichter Dante zu richten: In Johannes Kalitzkes 2005 in https://doi.org/10.1515/9783110424089-034
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Eng an Werke neuzeitlicher Autoren anschließende Stoffe
Bremen uraufgeführtem und auf dem Divina Commedia-Projekt von Peter Weiss basierendem Inferno stehen Dantes Exil und seine Liebe zu Beatrice im Vordergrund (Gier 2011a, S. 52) und auch in Lucia Ronchettis Inferno, das 2021 an der Oper Frankfurt uraufgeführt werden soll, ist Dante der Protagonist, der „sich in der Beschreibung des eigenen Läuterungsprozesses neu“ erfindet und gleichzeitig „ein facettenreiches Bild Italiens an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit zeichnet“ ([anonym] 2019, S. 30). Besonders die italienischen Opern des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts greifen auf Stoffkreise aus den besagten Ritterepen zurück. Dabei handelt es sich im Falle Ludovico Ariosts (1474–1533) bevorzugt um vier Episoden aus dem Orlando furioso, und zwar die um Ariodante, Olimpia, Orlando (→ Roland) und → Alcina. Nachgewiesen sind ca. 50 Opern über Orlando, Angelica und Medoro, acht über Olimpia, 22 über Ariodante und Ginevra und 26 über Alcina, Ruggiero und Bradamante (Carter 1992, S. 192). Die Beliebtheit der letzten beiden Episoden hängt u. a. damit zusammen, dass sie zum einen in den ersten beiden Canti des Epos stehen, also an prominenter Stelle, und zum anderen ohne größere Unterbrechungen erzählt werden (Gier 2011b, S. 318). Hauptthemen der Libretti sind – ebenfalls in Anlehnung an Ariost – Reflexionen über das Wesen der Liebe und das Verhältnis der Geschlechter, wobei die Librettisten häufig gravierende Änderungen vornehmen, um das Geschehen szenisch darstellbar zu machen, neue Handlungselemente hinzufügen, getrennte Handlungsstränge verbinden (ebd., S. 332). In der Vorrede zu Ginevra, Principessa di Scozia erläutert der Librettist Antonio Salvi seine Änderungen: Io mi son preso licenza di purgare il costume di Dalinda, per farla un Personaggio più riguardevole, e perchè nel nostro secolo non sarebbe comparso in Scena senza biasimo. Ho caricato alquanto il Carattere scellerato di Polinesso Duca d’Albania, facendolo operare per intereße, er per ambizione, non già per amore, perchè nella di lui morte senta meno di orrore l’Audienza, e perchè maggiormente spicchi la Virtù degli altri Personaggi. Ho finto Ginevra Figlia unica del Re di Scozia, benchè l’ Ariosto la faccia Sorella di Zerbino, perchè tutte le passioni abbiano più forza negli Attori, come la tenerezza nel Padre, l’ambizione in Polineßo, l’amore in Ariodante. Nè ho voluto servirmi per lo scioglimento del Drama del Personaggio di Rinaldo, perchè nel rimanente dell’azione non v’avea luogo. (Salvi 1708, o.S.) [Ich habe mir die Freiheit genommen, das Verhalten Dalindas zu reinigen, um aus ihr einen würdigeren Charakter zu machen; auch, weil sie in unserem Jahrhundert nicht ohne Gegenbeschuldigungen auf der Bühne erscheinen konnte. Ich habe die Schlechtigkeit Polinessos, des Herzogs von Albany, noch vergrößert: Da er aus Ehrgeiz und Eigennutz handelt und nicht aus Liebe, wird das Publikum seinen Tod weniger schrecklich finden, und die Tugend der anderen ragt dadurch auch stärker hervor. Ich habe aus Ginevra das einzige Kind des Königs von Schottland gemacht, obwohl sie bei Ariost Zerbinos Schwester ist, so daß alle Leidenschaften durch die Darsteller verkörpert werden: die Zärtlichkeit durch den Vater,
Einleitung
455
der Ehrgeiz durch Polinesso, die Liebe durch Ariodante. Und ich habe mich dagegen entschieden, für die Lösung des Konflikts die Figur des Rinaldo einzusetzen, denn er hätte bis zum Ende der Handlung nichts weiter zu tun gehabt.] (zitiert nach Schweikert 2000, S. 93)
Ariosts Orlando furioso wie auch die anderen oben aufgeführten Epen stehen in der Tradition der altfranzösischen „Chanson de geste“. Die um 1100 entstandene Chanson de Roland etwa schildert den heroischen Kampf des christlichen Heeres unter der Führung Karls des Großen gegen die spanischen Mauren, in dessen Folge Roland den Heldentod stirbt. Den Renaissanceautoren allerdings dient der politische und religiöse Konflikt zwischen Christen und Heiden nur mehr als loses Handlungsgerüst. Der mittelalterlichen Verherrlichung des Protagonisten stellt Ariost einen liebestollen Roland gegenüber, der statt gegen die Heiden um die Liebe einer Frau kämpft, darüber seinen Verstand verliert und erst wieder zur Vernunft kommt, als es seinem Paladin Astolfo gelingt, diesen vom Mond zurückzuholen. Ariost erläutert eingangs programmatisch: Dirò d’Orlando in un medesmo tratto Cosa non detta in prosa mai né in rima Che per amor venne in furore e matto, D’uom che sì saggio era stimato prima. (Ariosto 1976, S. 1) [Ich will zugleich von Roland Dinge sagen, / die nimmer Reim und Prosa noch gelehrt: / Wie er zum Narren ward durch Liebesplagen, / da man ihn sonst für so gescheit erklärt.] (Ariosto 1980, S. 3)
Ariost verortet die Handlung historisch zwar in der Zeit Karls des Großen, fiktionalisiert sie aber dadurch, dass er das Figurenarsenal um Zauberinnen und Zauberer, Feen und Fabelwesen erweitert. Der konkrete Mittelalterbezug seines Epos ist damit zugunsten einer für den Autor charakteristischen ‚Mittelalterlichkeit‘ aufgehoben. Opern, die auf Orlando furioso basieren, findet man in ganz Europa bevorzugt im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert, seltener im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert. Die letzten namhaften Ariost-Vertonungen dürften Étienne Méhuls Ariodant (UA 1799) sowie Johann Simon Mayrs Ginevra di Scozia (UA 1810) sein. Torquato Tassos (1544–1595) Kreuzzugsepos La Gerusalemme liberata erzählt die Geschichte des Kampfes der Christen (unter der Führung von Gottfried von Bouillon) gegen die Heiden stringenter als Ariost und mit deutlich gegenreformatorischem Impetus, doch scheint der Prätext Ariosts immer wieder durch: Seine Alcina ist das Vorbild der sarazenischen Zauberin Armida, seine Bradamante das der Clorinda und die Liebeshandlung zwischen Tancredi und Clorinda kann als tragisches Gegenstück zur Geschichte um Ruggiero und Bradamante gelesen werden, wobei Tasso nicht nur in der Tradition der Rolandsepik steht, sondern
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Eng an Werke neuzeitlicher Autoren anschließende Stoffe
etwa auch der des Abenteuerromans hellenistischer Prägung. Die bevorzugten Stoffkreise der Librettisten sind die um → Tancredi und um → Armida und Rinaldo, die bekannteste und beliebteste Episode aus dem Epos überhaupt. Und auch wenn Armida im Laufe der Operngeschichte ihrer ‚Vorgängerin‘ den Rang ablief, so „änderte dies wenig an der generellen Faszination, die die Zauberwelten auf die Librettisten wie die Komponisten ausübten“ (Leopold 2006, S. 125 f.). Wie die Sujets aus Ariosts Orlando furioso überdauerten diejenigen aus Tassos Gerusalemme liberata die Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert nur selten – Antonín Dvořáks 1904 uraufgeführte Armida ist ein Solitär, der es nicht ins Repertoire der Theater geschafft hat. Was im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert für die Librettisten die Epen von Ariost und Tasso waren, das werden im neunzehnten Jahrhundert die historischen Romane. Gerade die Entstehung etwa der französischen grand opéra steht in enger Verbindung mit dem Aufkommen des historischen Romans, der mit den Werken Walter Scotts zur europäischen Modegattung wird. Historisches Erzählen ist keine Erfindung des neunzehnten Jahrhunderts. Romane, in denen ein fiktives Geschehen mit historischen Fakten verbunden wurde, gab es nicht nur in Deutschland bereits im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert. Dazu gehören die heroischen Romane der Barockzeit und die Ritterromane des achtzehnten Jahrhunderts, dazu gehören aber auch im Bereich des Theaters die historischen Dramen von Daniel Casper von Lohenstein, Johann Elias Schlegel oder Johann Wolfgang von Goethe und die lyrischen Dichtungen der Autoren des Göttinger Hains. Die Hinwendung zu historischen Stoffen – bevorzugt aus der jeweiligen nationalen Geschichte – ist aber kein deutsches, sondern ein europäisches und ebenso ein amerikanisches Phänomen: James Fenimore Cooper schrieb seine im achtzehnten Jahrhundert angesiedelten LederstrumpfRomane, Alfred de Vigny mit Cinq Mars die Geschichte einer Verschwörung zur Zeit Richelieus (die gleichnamige Oper von Charles Gounod basiert auf diesem Roman), Victor Hugo seinen im ausgehenden fünfzehnten Jahrhundert spielenden Notre Dame de Paris, der ebenfalls zur Vorlage mehrerer Opern wurde, um nur wenige Beispiele zu nennen. Die Stoffe sind dabei ganz unterschiedlichen historischen Epochen entnommen: dem Mittelalter, der Zeit der Reformation, Gegenreformation und Renaissance sowie dem achtzehnten Jahrhundert. Typisch für den historischen Roman sind aber nicht die Stoffe oder bestimmte Stilelemente, typisch ist die Art des Umgangs mit Geschichte, nämlich dass diese „nicht mehr, wie früher, bloß als Hintergrund und Kulisse dient, als Schauplatz für die Darstellung bedeutender Persönlichkeiten, sondern im Zentrum der Erzählung steht“ (Potthast 2007, S. 37). Sie erscheint „als komplexer Wirklichkeits zusammenhang, als Geflecht verschiedener, einzelner Motivationen von Men-
Einleitung
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schen unterschiedlichster sozialer Herkunft“ (ebd.). Darin liegt die Innovation Scotts. Zum Gattungsmuster gehören (zum Folgenden ebd., S. 32 f.; Beutin 1998): ein fiktiver ‚mittlerer Held‘, der die Verbindung herstellt zwischen unterschiedlichen sozialen Ständen sowie zwischen fiktiver Handlung und historischen Fakten; eine relative historische Faktentreue; eine Liebesgeschichte, die untrennbar mit dem politischen Geschehen verknüpft ist; ein Nebeneinander von häuslich-alltäglichen Handlungen und großen Haupt- und Staatsaktionen; eine genaue Präsentation historischer Requisiten, Kostüme und Räume; eine Bevorzugung starker Kontraste; eine Betonung von Effekten, hervorgerufen durch visuell-bildhafte Darstellungsverfahren. Das Mittelalter war, wie oben bereits erwähnt, nur eine der bevorzugten Epochen der historischen Romane. Nach seinen Waverley-Romanen, die den Typus begründeten, schrieb Scott weitere (Mittelalter-)Romane, die mehrfach vertont wurden: The Lord of the Isles (Kompositionen von: George Herbert Bonaparte Rodwell, Pietro Candio, Giulio Litta), Quentin Durward (Henri Laurent, François-Auguste Gevaert, Alick MacLean), The Betrothed (Giovanni Pacini, Giovanni Battista Rabitti-Sangiorgio, Nicola Fornasini), The Talisman (Giovanni Pacini, Adolphe Adam, Michael William Balfe), The Fair Maid of Perth (Carlo Zanobi, Georges Bizet, Domenico Lucilla), Tales of a Grandfather (Gioachino Rossini) (vgl. Mitchell 1996). In der Nachfolge Scotts – dessen → Ivanhoe ausgenommen – sind die meisten historischen Mittelalterromane im Spätmittelalter angesiedelt. Stellvertretend seien drei für das Musiktheater relevante Texte aus Deutschland, Frankreich und England angeführt: Joseph Victor von Scheffels 1855 publizierter Ekkehard ist im Hochmittelalter angesiedelt und war eines der erfolgreichsten deutschen Bücher des neunzehnten Jahrhunderts. Zwischen 1875 und 1939 wurden Ekkehard-Opern von Moritz Jaffé, Johann Joseph Abert, Florence Maud Ewart, Ernst Dycke, Josef Wizina und Edmund Reim komponiert (Reischert 2001, S. 329 f.). Victor Hugos 1831 erschienener, im letzten Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts spielender Roman Notre-Dame de Paris diente verschiedenen Opern (mit Titeln wie: Esmeralda, Ludwig XI., Quasimodo) als Vorlage. Edward Bulwer-Lyttons Rienzi. The Last of the Roman Tribunes wurde 1835 in London publiziert und lag bereits 1837 in zwei deutschen Übersetzungen vor. Richard Wagners Rienzi, der Letzte der Tribunen basiert ebenso auf dem im vierzehnten Jahrhundert angesiedelten Roman wie ein Libretto-Fragment von Friedrich Engels. Bulwer-Lyttons Rienzi ist das Produkt eines genauen Studiums der Quellen, das im Nebentext des Romans auch immer wieder thematisiert wird. Auch wenn der Autor frei erfundene Passagen einflicht, ist er doch auf größtmögliche Authentizität bedacht und versucht trotz aller Sympathie für seinen Protagonisten auch
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Eng an Werke neuzeitlicher Autoren anschließende Stoffe
den Gegenspielern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen (Borchmeyer 2002, S. 90). Wagners Oper wiederum ist dessen ganz eigener Beitrag zur Gattung der grand opéra, ohne dem Idealtypus zu entsprechen, aber in deutlicher Anlehnung an die Opern Giacomo Meyerbeers und Jacques Fromental Halévys. Die bevorzugten Szenentypen der großen Oper sind im Rienzi-Sujet angelegt und werden von Wagner genutzt (Kreuzer 2012, S. 300): Huldigungszeremonien (Akt I), Hoffeste (Akt II), Militär- und Schlachtmusiken (Akt III), Verschwörungsszenarien (Akt IV) sowie Feuersbrünste und einstürzende Gebäude (Akt V). Die Rolle des zu Entscheidungen unfähigen Helden fällt nicht Rienzi zu, sondern seinem adligen Gegenüber Adriano, den Wagner aus zwei Figuren des Romans zu einer zusammenzog. Eine für die grand opéra typische Dialektik von privater und politischer Handlung ist im Rienzi nicht auszumachen, weil Wagner eine private Parallelhandlung entwirft, welche die politische nur begleitet, nicht aber bedingt. In der Person des Rienzi selbst fallen öffentliches und privates Streben zusammen – seine Liebe ist gleichzeitig sein politisches Ideal. Scharf zugespitzte Kontraste prägen auch das Libretto und die Musik. Wie viele der historischen Romane ist auch Bulwers Rienzi in einer Wendebzw. Umbruchszeit angesiedelt, dem vierzehnten Jahrhundert, in dem Rom in Anarchie und Chaos versank. Der aus einfachen Verhältnissen stammende historische Cola di Rienzo gelangte durch einen unblutigen Putsch im Jahr 1347 an die Herrschaft, musste ins Exil, war Gefangener am päpstlichen Hof in Avignon, dann päpstlicher Senator, bevor er 1354 auf der Flucht aus dem brennenden Kapitol ermordet wurde. Seine literarische Wiederentdeckung fiel nicht zufällig in die Zeit der Französischen Revolution – noch bei Bulwer trägt der Protagonist Züge Napoleons. Ebenso typisch ist es für historische Romane, dass ein und derselbe Stoff „antithetische politische Konzeptionen, revolutionäre und restaurative, feudalistisch-machtstaatliche und liberaldemokratische Positionen unterstützt“ (Potthast 2007, S. 48 f.). So geriet die Figur des Rienzo in der Literatur den einen „zum gefeierten Revolutionär und Volksrepräsentanten“, den anderen zum „demagogischen Aufrührer, aus dessen Sturz allen Unruhestiftern eine Warnung aufgehen sollte“ (Reinhardt 2005, S. 143). Das kann an der Rolle des Volkes exemplifiziert werden: Während es bei Bulwer als wankelmütige und letztlich an Rienzos Fall schuldige Masse gezeichnet wird, führen sowohl Wagner als auch (noch stärker) Engels den Aufruhr der Massen auf die Intrigen der Mächtigen zurück (Borchmeyer 2002, S. 90 f.). Rienzo selbst wird in beiden Opernlibretti von allen negativen Eigenschaften befreit und zum politischen Idealisten verklärt. Einen Sonderfall stellen Libretti dar, die auf Dramen basieren, deren Sujet zwar im Mittelalter angesiedelt, aber ein gänzlich fiktives ist. Heinrich von Kleists 1810 uraufgeführtes „großes historisches Ritterschauspiel“ Das Käthchen von
Einleitung
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Heilbronn etwa lässt sich historisch nur schwer einordnen, verfügt zwar über reichlich mittelalterliches Kolorit, ist aber seltsam anachronistisch (Lü 2009, S. 73). Das Interesse des Musiktheaters an diesem Stück beschränkt sich mit einer Ausnahme, einer oratorischen Oper Waldemar Blochs (UA 1958), auf die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. In den Jahren zwischen 1845 und 1896 wurden mindestens fünf Käthchen-Opern uraufgeführt (von Johann Vesque von Püttlingen 1845, Friedrich Lux 1846, Wassily Kühner 1860, Moritz Jaffé 1866 und Carl Reinthaler 1881; Siegfried Morbachs in den 1890er Jahren entstandene Oper wurde nicht aufgeführt), die alle auf der Vorlage Kleists basieren, aber mehr oder weniger starke Bearbeitungen darstellen (Heinle 1994), in denen lediglich „Stoff und Handlungsgerüst“ der Vorlage „aufgegriffen werden“ (Köhler 2009, S. 457). Ins Repertoire der Musiktheater hat es keine dieser Opern geschafft. Im zwanzigsten Jahrhundert geraten die historischen Romane mit wenigen Ausnahmen (z. B. Franz Schmidts Notre Dame) ebenso aus dem Blick der Komponisten wie die Dramen Kleists, die im neunzehnten Jahrhundert bevorzugt vertont wurden. Dagegen werden diejenigen seiner Stücke, die nicht im Mittelalter angesiedelt sind, vom modernen Musiktheater ‚entdeckt‘: Hans Werner Henze schrieb einen Prinzen von Homburg auf ein Libretto von Ingeborg Bachmann, Othmar Schoeck eine Penthesilea.
3.2 Dante, Ariost, Tasso Alcina und Ruggiero Bernhard Jahn I Präsenz des Sujets Die Geschichte der Dramatisierungen des Alcina-Stoffes stellt sich wie ein Kaleidoskop der Formenvielfalt des Musiktheaters im siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts dar. Dabei sind alle Subgattungen vertreten, die sich im Laufe der Operngeschichte ausgeprägt haben. Orientiert sich die erste Vertonung von Francesca Caccini (1625) am Vorbild von Claudio Monteverdis Orfeo, so setzt sich nach der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts das venezianische Opernmodell mit seiner für den Handlungsaufbau zentralen doppelten Dreieckkonstellation durch. Nach 1700 ist Alcina im Dramma per musica ebenso zu finden wie in der Festa teatrale oder in Frankreich in der Tragédie lyrique. Ab der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wechselt Alcina ins komische Genre des Dramma giocoso oder des deutschen Singspiels. Das Sujet der ihre Liebhaber in Pflanzen und Tiere verwandelnden Zauberin geht wie so viele Opernstoffe des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts auf eine vor allem in den Canti VI und VII erzählte Episode aus Ludovico Ariostos Epos Orlando Furioso zurück (endgültige Fassung: Ferrara 1532). Während Ariosto die Handlung in seinem Epos trotz einer Vielzahl phantastischer Elemente historisch in der Zeit Karls des Großen verankert und außerdem durch ein dichtes Netz genealogischer Bezüge eine von der Handlungszeit bis zur Gegenwart reichende Chronologie spannt, vermeiden die Alcina-Opern jegliche Historisierung und fassen den Stoff mythologisch. Dadurch wird der Mittelalterbezug in diesen Werken gänzlich nthistorisierung dürfte getilgt und durch eine außerzeitliche Welt ersetzt. Diese E wohl in erster Linie dafür verantwortlich gewesen sein, dass Librettisten wie Komponisten ab etwa 1800, als die historischen Sujets auf den Opernbühnen zu dominieren begannen bzw. die nordische Mythologie für die Oper interessant wurde, jegliches Interesse an Alcina verlieren. Erst im einundzwanzigsten Jahrhundert beginnt sich ein neues Interesse des Musiktheaters an Alcina abzuzeichnen, wie das Performance-Projekt L’isola di Alcina (2000) für Stimme, Horn und elektronische Musik von Nevio Spadoni (Text) und Luigi Ceccarelli (Musik) belegt. Der heutige Opernbesucher wird beim Stichwort ‚Alcina‘ zuerst an Georg Friedrich Händels 1735 in London uraufgeführte Oper denken, die in den letzten Jahren die Bühnen weltweit wie keine zweite Oper des Komponisten dominierte. Der Inhalt https://doi.org/10.1515/9783110424089-035
Alcina und Ruggiero
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der Oper in Händels Fassung ist folgender: Die als Krieger verkleidete Bradamante gelangt im ersten Akt zusammen mit Melisso bei der Suche nach ihrem Verlobten Ruggiero auf die Insel der Zauberin Alcina. Dort entdeckt sie den Ungetreuen als Geliebten der Zauberin. Alcinas Schwester Morgana verliebt sich in Bradamante, was wiederum Oronte, Morganas Geliebten, in Eifersucht versetzt. Im zweiten Akt gelingt es Melisso mithilfe eines Zauberringes, Ruggiero von der Macht Alcinas zu befreien. Alles wird zur Flucht vorbereitet. Die Geister der Hölle sind Alcina nicht länger zu Diensten. Im dritten Akt zerschlägt Ruggiero nach längerem Zögern Alcinas Zauberurne, sodass die Zauberin und ihr Reich versinken und die in Tiere verwandelten Menschen ihre ursprüngliche Gestalt zurückerhalten. Während Händels Alcina bei der ersten Händel-Renaissance in den 1920er Jahren noch eine untergeordnete Rolle spielte (Rätzer 2000, S. 167–180), begann sich ihr Siegeszug Ende der 1950er Jahre langsam abzuzeichnen, vor allem auch, weil die australische Sopranistin Joan Sutherland die Titelpartie von 1957 bis 1983 in ihrem Repertoire hatte (DG 477 8017). Seither ist die Oper aus den Spielplänen der Theater nicht mehr wegzudenken. Allein im Jahr 2017 beispielsweise gab es Neuinszenierungen in Basel, Moskau, Münster, Santa Fé, Salzburg und Washington (Rätzer 2018, S. 418 f.). Im Vergleich zu Händels Alcina waren die zahlreichen weiteren Opern dieses Sujets auf den Bühnen in jüngster Zeit kaum zu sehen. Immerhin vermag Francesca Caccinis La liberazione di Ruggiero dalla isola d’Alcina insbesondere seit den 1990er Jahren auf den Festivals für Alte Musik eine deutliche Präsenz zu behaupten (Fischer 2015, S. 157–162). In den vergangenen Jahren gab es konzertante sowie szenische Aufführungen in Wuppertal, Hamburg, Marseille, Boston und New York, zudem liegen inzwischen zwei CD-Einspielungen aus den Jahren 2016 (GCD 923902) und 2018 vor (DHM 88985338762).
II Historische Schichten Rinaldo und Alcina, Ludwig von Baczkos zunächst unabhängig von einer Aufführung als Separatdruck 1794 publizierte einzige original deutsche Version des Alcina-Stoffes für die Opernbühne und später von Maria Theresia Paradis (Prag 1797; dazu Ulrich 1966), Friedrich August Leopold Löwe (Braunschweig 1797) und möglicherweise auch von Johann Anton André (1799) vertont (Bauman 1985, S. 287–291), stellt den Abschluss einer langen Reihe von Alcina-Opern dar. Gegenüber den früheren Werken weist diese Bearbeitung eine Reihe signifikanter Transformationen auf, die den Stoff in die deutsche Singspieltradition eingliedern. Anders als der Titel nahelegt, ist dabei nicht die Kombination von Torquato Tassos Gerusalemme Liberata mit Ariosts Epos entscheidend, sondern die Umgestaltung der Alcina-Episode nach dem Modell von Emanuel Schikaneders Zauber-
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Dante, Ariost, Tasso
flöte. Alcina wird zu einer ‚Königin der Nacht‘, deren Inselreich durch eine Bergkette vom Reich Astramonds getrennt ist (Baczko 1794, S. 14), eines Zauberers und Erziehers, der der Figur Sarastros entspricht. Rinaldo und Bradamanta, das hohe Liebespaar, müssen sich einer Treueprobe unterziehen. Mit Scudero wird Rinaldo eine komische Figur zugeordnet, die als Spaßmacher strukturell der PapagenoGestalt entspricht. Wie in der Zauberflöte wird das Publikum im ersten Aufzug des Singspiels zunächst aus der Perspektive Alcinas mit dem Reich Astramonds vertraut gemacht, was zu einer negativen Bewertung Astramonds führt, die sich im Verlauf des zweiten Aufzugs dann umkehrt. Alcina verführt wie in den früheren Versionen des Stoffs Rinaldo (der Ariosts Ruggiero entspricht), sodass dieser seine Verlobte Bradamanta vergisst bzw. nichts mehr von ihr wissen will. Erst ein von Astramond durch den Luftgeist Ariel gesandter magischer Ring vermag den Zauberbann Alcinas aufzuheben, und Rinaldo kann seine der Zauberflöte nachempfundene Prüfung, der rein sinnlichen Liebe zu widerstehen, zumindest mit Zauberhilfe bestehen. Entspricht diese Handlungsdisposition in etwa jener in den traditionellen Alcina-Opern, so wird für Bradamanta eine gegenüber der Stofftradition neue Handlungs-Variante entworfen: dem Zauberflöten-Modell gemäß eine Prüfung, bei der sie von einem Einsiedler, der mit katholischen Attributen („Bildnisse der Heiligen“, ebd., S. 58) ausgestattet ist, dazu gezwungen wird, der Welt und damit vor allem auch Rinaldo zu entsagen und in ein Kloster einzutreten (ebd., S. 56–61). Nur das Dazwischentreten Astramonds, der den Einsiedler als hässlichen Dämon Alcinas entlarvt, kann Bradamanta retten. Rinaldos Diener Scudero war im ersten Aufzug beim Blindekuhspiel mit Malfatta eine hässliche alte Frau als Gattin zugeteilt worden. Damit weist die komische Handlung auf das Ende der Haupthandlung, denn durch die Kräfte des magischen Rings erkennt nun auch Rinaldo in Alcina ein hässliches altes Weib. Am Ende, nach dem Untergang von Alcinas Reich, etabliert sich eine paternale Ordnung, die in Rinaldos Apostrophen an Astramond ihren Ausdruck findet: „Vater! Freund! Erzieher! – Retter!“ (ebd., S. 68). Die in allen Bearbeitungen des Alcina-Stoffes zentrale Frage nach der Bedeutung der Sinnlichkeit für den Menschen wird bei Baczko allerdings nicht einfach im Sinne einer Negierung des Sinnlichen beantwortet. Eher geht es, wie die Eremiten-Episode zeigt, um einen Mittelweg zwischen radikaler Sinnenfeindlichkeit (Eremit) und radikaler Sinnlichkeit (Alcina). Neben der Zauberflöte macht sich die ab den 1770ern in Deutschland einsetzende Shakespeare-Begeisterung in Baczkos Libretto geltend. Hier ist vor allem an The Tempest zu denken, dem nicht nur der Luftgeist Ariel entnommen wird, sondern weitere gute und böse Geisterchöre sowie Alcinas böser Geist Angekok, der in Caliban sein Vorbild haben dürfte.
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Formal erweist sich Baczko, der vor Rinaldo und Alcina schon mit zwei Singspiellibretti hervorgetreten war, als geschickter Librettist, wenn er sein gattungsgemäß mit Prosa-Dialogen ausgestattetes Drama auf große Ensemble-Szenen am Ende jedes Aufzugs hin konzipiert, wobei er buffa- und singspieltypisch komische und ernste Figuren mit den entsprechenden Affekten kombiniert. Baczkos eigenem dramentheoretischen Programm gemäß ermöglicht die Verlegung des Singspiels in eine reine Feenwelt das „vorzüglich[ste]“ Sujet für eine Oper, weil auf diese Weise die Wirkung nicht durch den Kontrast zwischen der Alltagswelt (der Prosadialoge) und der idealischen Welt (des Gesangs) gestört werde (ebd., S. X). Baczkos Alcina-Libretto stellt eine Sonderentwicklung des deutschsprachigen Raumes dar. Die dominante Bearbeitungstendenz im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts fasst den Stoff in der Form der opera buffa. Giovanni Bertatis L’Isola di Alcina wurde in der Vertonung durch Giuseppe Gazzaniga zur erfolgreichsten Alcina-Oper des achtzehnten Jahrhunderts. Nach seiner Uraufführung 1772 in Venedig wurde Gazzanigas „Dramma giocoso“ auf den Theaterbühnen in ganz Europa gespielt (Sartori Bd. 3, S. 498–501). Noch Giuseppe Maria Foppas Libretto La fata Alcina steht in dieser Buffa-Tradition und bildet in der Vertonung durch Pietro Carlo Guglielmi (Rom 1799) und Giovanni Tadolini (Venedig 1815) den vorläufigen Abschluss der Stofftradition. Bertati, der 1791 Nachfolger Lorenzo da Pontes im Amt des kaiserlichen Hofpoeten in Wien wurde und heute allenfalls noch durch sein Libretto für Gazzanigas Don Giovanni bekannt ist, kann als einer der fähigsten Librettisten des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts gelten. Seinen Witz stellt er auch in L’Isola di Alcina unter Beweis, wobei die Komik bei Bertati in erster Linie durch die Verwendung von Nationalstereotypen entsteht – ein im Musiktheater dieser Zeit beliebtes Verfahren (Kuhl 2015, S. 102–205): Fünf Reisende (ein Engländer, Spanier, Italiener, Franzose und ein deutscher Baron) gelangen aufgrund eines Schiffbruchs auf die Insel der Alcina. Ihren nationalen Eigenschaften gemäß verlieben sie sich auf je landestypische Weise in die Fee und ersetzen so die Funktion des Liebhabers Ruggiero, der nur in der Erinnerung Alcinas vorkommt. Bertati legt sein „Dramma giocoso“ als Metatheater an: Die Figuren haben ihren „Ariosto“ gelesen (Bertati 1772, S. 9) und wissen um Alcinas Eigenschaften, wundern sich allerdings, dass sie nach über tausend Jahren noch lebt: Ed Alcina v’è ancora? Sarà in pittura, o in scheletro: Oppure come fanno gli speziali Di qualche bestia, o di qualche bambino Conservata nel spirito di vino? (ebd., S. 9) [Und Alcina gibt es noch?
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Vielleicht auf einem Gemälde oder als Skelett? Oder auf jene Weise, wie es die Apotheker machen, wenn sie manchmal Tiere oder Missgeburten in Weingeist konservieren?]
Zwar kann die Fee in ihrem Garten einen Brunnen anbieten, dessen Wasser Vergessen und bei übermäßigem Genuss sogar Wahnsinn hervorzurufen vermag, doch ihre Gefährlichkeit als Zauberin hat Alcina vollkommen eingebüßt. Dass sie am Ende der Oper (ebd., S. 53) auf einem von Drachen gezogenen Wagen entschwindet und die Liebenden verflucht, wirkt im Sinne des Metatheaters wie ein Zitat der älteren Seria-Tradition. Ihren Liebhabern hilft sie selbst wieder aus der Not, so etwa am Ende des ersten Akts, als der Franzose zu viel vom Brunnenwasser getrunken hat und wahnsinnig wird. Die Heilung vollzieht sich über die Musik, wobei es nach scheiternden Versuchen des Engländers mit dem Vortrag einer opera-seria-Arie und einer Hofdame mit einem französischen Chanson erst Alcina mit einer Canzonetta im venezianischen Dialekt gelingt, den Franzosen zu heilen. Das für die Barockoper tragende, aber implizit bleibende Konzept von der Musik als dem eigentlichen Zaubermittel Alcinas wird in den späten BuffaVersionen des Stoffes im Sinne eines Metatheaters explizit gemacht, dabei aber ironisch gebrochen. Gleichfalls metatheatral angelegt ist auch die Konzeption Alcinas als einer reflexiven Figur, die um die Problematik ihres Liebeskonzeptes weiß: Ihre der galanten Liebe verpflichtete beständige Unbeständigkeit wird dabei aber nicht mehr – wie etwa bei Händel – dadurch aufgehoben, dass sie sich unsterblich verliebt, sondern läuft gewissermaßen ins Leere, weil ihr am Schluss, nachdem alle die Insel wieder verlassen haben, die Liebesobjekte ausgehen. Georg Friedrich Händels am 16. April 1735 im Covent Garden Theatre uraufgeführte Adaptation des Sujets steht von der Anlage des Librettos her betrachtet in der Tradition der venezianischen Oper. Der unbekannte Librettist folgte dabei eng dem Libretto einer 1728 in Rom mit der Musik von Riccardo Broschi uraufgeführten Alcina-Oper (Döring 1973, S. 258–261; Dean 1995; Jahn 2009). Basal für das sich seit der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts herausbildende Handlungsmodell der venezianischen Oper ist eine doppelte Dreieckskonstellation von Liebespaaren, was im Vergleich zu Ariost, aber auch den frühen Alcina-Dramatisierungen von Saracinelli oder Testi eine Reihe von Änderungen notwendig machte. Ruggiero als Liebender steht bei Broschi wie bei Händel zwischen Alcina und Bradamante, die nun auch selbst auf der Insel, zunächst als Mann verkleidet, in Erscheinung tritt. Als zweite, neu hinzugefügte Dreieckskonstellation finden wir Alcinas Schwester Morgana, die von Alcinas General Oronte geliebt wird, sich zu Beginn der Handlung aber in Ricciardo (die als Krieger verkleidete Bradamante)
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verliebt. Die durch Melissa (bei Händel Melisso) vorgenommene Entzauberung Ruggieros und der Insel mit Rückverwandlung von Alcinas ehemaligen Liebhabern erfolgt dann wieder in größerer Nähe zu Ariosts Epos. Der unbekannte Londoner Bearbeiter des römischen Librettos kürzt den Text vor allem in den Rezitativen um etwa ein Drittel, behält die doppelte Dreieckskonstellation und die daraus resultierenden Handlungssequenzen aber bei. Insgesamt lässt sich in beiden Textbüchern gegenüber Ariost eine positivere Zeichnung der Zauberin ausmachen. Ihre Dekuvrierung als hässliche alte Frau unterbleibt, und an die Zauberin, die Menschen in Pflanzen und Tiere verwandelt, gemahnt zunächst nur die Statue der Circe in ihrem Garten (Händel 1735, S. 27). Die Hässlichkeit Alcinas kommt allenfalls chiffriert zum Ausdruck, in der Hässlichkeit der wüsten Insel, nachdem Alcinas Zauberreich zerstört worden ist. Durch die in Händels Libretto neu eingefügte Figur des Knaben Oberto, der seinen von Alcina in einen Löwen verwandelten Vater Astolfo sucht, wird die Figur der Zauberin im Londoner Libretto sogar etwas negativer gezeichnet als in der römischen Vorlage, zumal Alcina den Knaben dann mit einem Speer auf den Löwen hetzt (ebd., S. 47). Händel kehrt diese negative Zeichnung der Zauberin im Libretto in seiner Vertonung mit musikalischen Mitteln vollständig um. Dies wird evident, wenn man Alcina vor der Folie des in den Jahrzehnten um 1700 dominierenden Typus der Zauberinnen-Oper betrachtet (Jahn 1998, S. 411–416). Alcina wird vor dem Hintergrund der dort entwickelten Typologie von Händel konsequent als klagende Liebende gezeichnet (vor allem in ihrer Arie „Ah, mio cor“), während Bradamante, der als verlassener Prinzessin diese Rolle vorab zukäme, sich als Furiosa präsentiert, was den Gattungskonventionen gemäß der Rolle einer Zauberin entspräche und dies ungeachtet der Tatsache, dass Ariost seine Bradamante als Kriegerin zeichnet. Die Umkehrung in der musikalischen Zeichnung wird ergänzt durch eine Aufwertung der Zauberinsel mit musikalischen Mitteln (siehe Ruggieros Abschiedsarie „Verdi prati“; vgl. ebd., S. 408–411) und einem quasi doppelten Finale: Die aus Alcinas Verzauberung zurückverwandelten Liebhaber singen zunächst anstatt eines Freudenchores ein Lamento. Indem Händel musikalisch vollkommen andere Akzente setzt und ein deutliches Gegeneinander von Text und Musik inszeniert (Jahn 2016), destruiert er die Textaussage und wendet Ariosts Negativ-Exempel einer rein sinnlichen Liebe ins Positive: Er entwirft in der Figur Alcinas das Ideal einer großen tragischen Liebenden. Da in Ariosts Epos eine Fülle von Handlungssträngen miteinander verbunden werden, um die epische Großform zu verwirklichen, liegt es für das Musiktheater nahe, einzelne Episoden wie die der Zauberin Alcina aus dem Epos zu isolieren und in eine geschlossene dramatische Form zu bringen. Dennoch finden sich auch zahlreiche Kombinationen der Alcina-Episode vor allem mit der Haupthandlung des Orlando furioso. Meist werden dabei wie in Grazio Bracciolis sehr erfolg-
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reichem Libretto Orlando furioso (z. B. Venedig 1711) die Geschichte von Angelicas Liebe zu Medoro und der daraus resultierende Wahnsinn ihres ersten Geliebten Orlando mit der Zauberin Alcina und ihren Liebespraktiken kontrastiert. Die Figur der Alcina changiert in diesen Kombinationen zwischen einer sehr negativ gezeichneten bösen Zauberin, die als Konkurrentin Angelicas auftritt, und einer guten Fee, die dem Liebespaar beim Lösen amouröser Probleme beisteht. Pietro Pariatis Festa theatrale Angelica vincitrice di Alcina, am 14. September 1716 in Wien uraufgeführt, deutet das tragende Figurenkonzept schon im Titel an: Alcina, in Medoro verliebt, tritt durchgehend als hinterhältige, böse Zauberin in Erscheinung, die dem Liebespaar Seeungeheuer, Waldmenschen und Piraten auf den Leib hetzt. Die in Ariosts Epos bestehende amouröse Dreieckskonstellation, die Angelica zwischen Medoro und Orlando stellt, wird bei Pariati abgeschwächt, da Orlando bei ihm nicht leibhaftig auftritt, sondern als Atlantes, der die Gestalt Orlandos annimmt, um Alcina zu täuschen, der aber nicht in Angelica verliebt ist. Pariatis Angelica hat Orlando niemals geliebt (Pariati 1716, S. 43), sodass sie mit ihrer beständigen Treue gegenüber Medoro einen maximalen Kontrast zur amourösen Unbeständigkeit Alcinas bildet. Das im Vergleich zu anderen Alcina-Opern unterkomplexe Liebeskonzept steht jedoch nicht im Zentrum von Pariatis „Festa teatrale“. Vielmehr nutzen der Librettist und Ferdinando Galli Bibièna, kaiserlicher „Ingegniere Teatrale, ed Architetto“ (ebd., S. 9), die Szenerie von Ariosts Epos, um aus Anlass der Geburt des (wenig später wieder verstorbenen) Thronfolgers im Garten der (neuen) Favorita ein prächtiges Maschinentheater zu entwickeln, von dessen szenischer Wirkmächtigkeit die dem Libretto beigefügten Kupferstiche noch immer ein beredtes Zeugnis ablegen. Vor allem der Beginn des zweiten Akts mit zwei Inseln, die durch einen Kanal getrennt sind, der von Seeungeheuern bevölkert wird, dürfte in seiner Wirkung kaum zu übertreffen gewesen sein. Im Zusammenhang mit dem Festanlass wird die negative Konnotation der Alcina-Gestalt noch weiter verstärkt, ist sie es doch, die durch ihre Zaubereien einen heiligen Lorbeerbaum verbirgt, der am Schluss gerettet und in einer Licenza gedeutet wird: Bei dem jüngsten Zweig des Lorbeerbaumes handele es sich um den neugeborenen Prinzen Leopold (ebd., S. 50). Dass die Kombination der Handlung um Orlando und Angelica mit der AlcinaHandlung nicht zwangsläufig zu einem negativen Bild Alcinas führen muss, zeigt Nunziato Portas Orlando Paladino in der Vertonung Joseph Haydns (uraufgeführt am 6. Dezember 1782 in Schloss Esterháza). In der Bearbeitung eines älteren Librettos von Carlo Francesco Badini wird Alcina zur beschützenden Fee des Liebespaares Angelica-Medoro, die ihre Zauberkräfte ausschließlich dazu einsetzt,
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die Mitmenschen vor den Folgen von Orlandos Wahnsinn zu bewahren. Im dritten Akt heilt sie den Paladin, indem sie ihn in die Unterwelt führt, wo er mit Hilfe von Lethewasser seine Liebesprobleme vergessen kann (→ Roland). In der französischen Oper tritt Alcina relativ spät in Erscheinung. Sieht man von einigen frühen Beispielen des Tanztheaters wie dem Ballet du Palais d’Alcine aus Les plaisirs de l’isle enchantée (Text: Molière, Musik: Jean-Baptiste Lully) von 1664 ab, dann stellt Antoine Danchets Alcine mit der Musik von André Campra, die am 15. Januar 1705 in Paris uraufgeführt wurde (Barthélemy 1995, S. 188–197), das erste Beispiel für eine französische tragédie lyrique mit Alcina als Hauptfigur dar. Danchets Libretto ist eine eigenwillige Bearbeitung des Stoffes, da Ruggiero und Bradamante bei ihm fehlen. Vielmehr ist es der Paladin Astolphe, in den Alcine sich verliebt. Danchets Handlungskonstruktion basiert wie in den italieni schen Libretti der Zeit auf einer doppelten Dreieckskonstellation: Der von Alcina geliebte Astolphe ist mit Mélanie liiert, in die wiederum der Zauberer Athlant verliebt ist. Da Astolphe und Mélanie allen Anfechtungen widerstehen, verbünden sich Alcine und Athlant, um den Untergang des Liebespaares herbeizuführen. Die gute Fee Mélisse schützt das Paar jedoch, sodass Alcine am Ende mit der Ankündigung, sich zu töten, entschwindet – ein für eine französische tragédie en musique bemerkenswert glückliches Ende. Alcine wird als hedonistische Liebende gezeichnet, die ihre Liebhaber permanent wechselt und zu Beginn der Handlung Athlant gegen Astolphe austauscht. Dessen Vertrauter Crisalde bringt dieses Liebesprinzip auf den Punkt: „Le plus doux plaisir en aimant / Est le plaisir de l’inconstance“ (Danchet 1705, S. 18). Den Gattungskonventionen gemäß enthält jeder der fünf Akte ein aus Gesangsnummern und rein instrumentalen Tänzen bestehendes Divertissement, das in das Handlungsfüge des Akts eingepasst wird. Das Divertissement in I,4, das Alcines Hofstaat vor Astolphe aufführt, thematisiert die Freuden der Liebe. Kontrastierend dazu wartet das Divertissement in IV,5 mit der obligatorischen Unterweltbeschwörung auf. Danchets „Tragédie“ lebt nicht zuletzt von ihren szenischen Effekten. So steigt die von der Fee Mélisse aus einem Schiffbruch gerettete Mélanie venusgleich auf einer Muschel aus dem Meer (ebd., S. 13). Die Klagen der in Bäume verwandelten ehemaligen Liebhaber Alcines werden rein instrumental zum Ausdruck gebracht (ebd., S. 12). Mit der Aufführung von Ferdinando Saracinellis La liberazione di Ruggiero dalla isola d’Alcina mit der Musik von Francesca Caccini am 3. Februar 1625 in der Villa Poggio Imperiale in Florenz beginnt eine knapp zweihundert Jahre fortdauernde Tradition von Werken des Musiktheaters, die die Zauberin Alcina in den Mittelpunkt rücken (Döring 1973, S. 39–52). Den Aufführungsanlass für das
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von Maria Magdalena von Österreich, der Witwe von Cosimo II. Medici, initiierte Werk bildete der Besuch des polnischen Kronprinzen Wladyslaw IV. am Hof der Medici. Maria Magdalena suchte den Prinzen aus politischen Gründen für die Hochzeit mit einer ihrer Töchter zu gewinnen (Fischer 2015, S. 109 f.). Auch wenn sich die Heiratspläne zerschlugen, die Musik scheint ihre Wirkung auf Wladyslaw nicht verfehlt zu haben, denn es gibt eine sangbare Version der liberazione in polnischer Sprache, die möglicherweise 1628 in Warschau aufgeführt worden ist (La Salvia 2015, S. 39–41). Im gedruckten Libretto von 1625 wird das Werk als „Balletto Rapp[resenta]to in Musica“ bezeichnet (Saracinelli 1625, Titelblatt). Der Titel legt damit den Akzent auf das die Handlung abschließende etwa zwanzigminütige Pferdeballett, dem die Alcina-Handlung und ein casusbezogener Prolog, der dem polnischen Gast huldigt, vorausgehen. Da aber auch die Alcina-Handlung zahlreiche Tänze von Alcinas Hofstaat enthält, kann die Gattungsbezeichnung auf das gesamte Werk bezogen werden. Die Handlung ist als homo in bivio-Konstellation angelegt: Ruggiero, auf Alcinas Insel von den Reizen der Zauberin betört, wird von der Zauberin Melissa aufgesucht, die ihm zunächst als sein früherer Erzieher Atlante erscheint, um ihn vom Trug Alcinas zu befreien und an seine Pflichten zu erinnern. Ruggiero steht so wie Herkules am Scheideweg, wo er zwischen Wollust und Tugend zu wählen hat. Ruggieros Verlobte Bradamante kommt bei Saracinelli, der darin Ariost folgt, nicht als handelnde Figur vor. Während Melissa (Atlante) sowohl in der Rolle eines Vaters wie als Mutter und damit letztlich gender-neutral als Erzieher*in des jungen Helden in Erscheinung tritt (Fischer 2015, S. 14), wird Alcina im Text durchgängig negativ gezeichnet (La Salvia 2015, S. 49). Schon der Prolog steuert die Publikumswahrnehmung in dieser Hinsicht, da sie dort als „empia Alcina“ [ruchlose Alcina] (Saracinelli 1625, S. 8) charakterisiert wird. Zu Recht weist Adrian La Salvia darauf hin, dass damit die Ariostsche Alcina eine erhebliche Komplexitätsreduktion erfährt (La Salvia 2015, S. 49). Bei Saracinelli steht Alcina für die als unhöfisch zu erachtende mangelnde Affektkontrolle. Melissa vertreibt sie mit den Worten: Fuggi, fuggiti omai empia Sirena, Fuggi e teco ne mena Odio, Sdegno e Furore Compagni inseparabili del core. (Saracinelli 1625, S. 31) [Fliehe, fliehe nunmehr, ruchlose Sirene, fliehe, und mit dir Hass, Zorn und Wut, jene unzertrennlichen Gefährten deines Herzens.]
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Alcina wiederum beklagt jene „miseri mortali“ [„elenden Sterblichen“], die ihre Affekte nicht zu kontrollieren verstehen: „chi nei proprii petti / Non sà frenare i troppo audaci affetti“ [„die in ihren eigenen Herzen die allzu verwegenen Leidenschaften nicht zu zügeln wissen“] (ebd., S. 32). Der Abschluss mit einem Pferdeballett ist im Zusammenhang mit dem Programm der Affektkontrolle, wie Christine Fischer gezeigt hat, absolut stimmig, da der höfische Tanz und gerade das Pferdeballett die Zügelung der Leidenschaften aufs Beste veranschaulichen (Fischer 2015, S. 116). Die befreiten Damen und Cavalieri, die vorher von Alcina in Pflanzen verzaubert und damit zur Unbeweglichkeit verdammt worden waren, weil sie ihre Affekte nicht zu kontrollieren imstande waren (vgl. dazu die feministische Interpretation von Cusick 2009, S. 216–221), nehmen nun am Schlussballett teil. Die Zuschauer wechseln für das Ballett den Raum und vollziehen damit ebenfalls die Verwandlung von der Stasis zur Bewegung nach (Fischer 2015, S. 115 f.). Die durch die im Libretto vorgegebene bivio-Situation und durch die Entzauberung von Alcinas Insel klar strukturierte Wertehierarchie wird nun allerdings schon in der ersten umfangreicheren Dramatisierung des Alcina-Stoffes von der Musik massiv unterlaufen. Wie eingehende musikwissenschaftliche Analysen zeigen konnten (vor allem Cusick 2009; Fischer 2015), ist die Macht der Alcina – der „empia Sirena“ – die Macht der Musik. Alcinas Insel ist vor allem eine Insel der Musik, auf der Sirenen und Hirten in ihren Canzonetti die Liebe preisen. Doch gerade auch über den von Francesca Caccini virtuos gehandhabten ‚stile recitativo‘ entsteht ein Kontrast zwischen Melissa, die „einen einfach gehaltenen, sprachzentrierten Deklamationsstil“ zugeordnet bekommt (Fischer 2015, S. 113), und Alcina, die einen hochaffektiven Stil verwendet, um ihre Leidenschaften zum Ausdruck zu bringen. Die von der Ratio (Melissa) abgewerteten Leidenschaften werden von der Musik positiv als neue, an Monteverdis Orfeo orientierte Kunst aufgewertet, ja geradezu gefeiert. Aus dieser Antithese zwischen Text und Musik kann das abschließende Ballett keine Synthese formen. Francesca Caccinis Vertonung entbirgt so jenes besondere Potential, das der Alcina-Stoff für das MusikTheater bereithält und dazu einlädt, das in der frühneuzeitlichen Kultur elementare Spannungsverhältnis zwischen Ratio und Gefühl in ein Spannungsverhältnis der Künste zu transformieren. Allerdings kann die Umwertung der Zauberin auch auf rein textlicher Ebene vollzogen werden, sodass das Spannungsverhältnis zwischen Musik und Dichtung ausbleibt. Fulvio Testis „Tragedia“ L’isola d’Alcina, die 1626 für eine Hochzeit in Modena verfasst wurde und die, da sich die Hochzeit zerschlug (Döring 1973, S. 57), erst 1648 in Bologna mit der Musik von Francesco Sacrati auf die Bühne gelangte, ist ein frühes Beispiel für diese Möglichkeit. Testi dürfte die Florentiner Alcina-Produktion gekannt haben, denn seine Version lehnt sich eng an die
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Saracinellis an. Umso signifikanter sind die Unterschiede: Testi rückt Alcina als Liebende ins Zentrum (ebd., S. 61). Die Oper setzt nach einem Prolog mit einer Szene ein, in der Alcina gegenüber ihrer Vertrauten Lidia ihre Liebe zu Ruggiero, aber auch ihre Befürchtungen zum Ausdruck bringt, der Geliebte könne sie verlassen. In einem großen Klagemonolog (IV,4), der gegenüber der ersten Druckfassung (Modena 1636) für Bologna noch erheblich erweitert wurde, werden die unterschiedlichen Gefühlsregungen Alcinas, mit denen sie auf die Nachricht von Ruggieros Flucht reagiert, nuanciert dargestellt. Die negativen Seiten Alcinas, ihre nur auf Zaubermitteln beruhende Schönheit (Testi 1648, S. 39) sowie die Verwandlung ihrer ehemaligen Liebhaber in Pflanzen (III,1 mit der Klage Astolfos), werden zwar thematisiert, treten aber hinter der Liebesproblematik deutlich zurück, sodass schon im Text Ruggieros Flucht von der Zauberin Melissa zwar vernunftgemäß motiviert wird, emotional aber nur schwer nachvollzogen werden kann. Den Ausgangstext für alle Alcina-Opern bilden die Canti VI und VII aus Ariosts Epos Orlando Furioso (Ferrara 1532), das als Spender für Opernsujets eine einzigartige Rolle zumindest für die Opernproduktion des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts innehat. Alcina, Herrscherin über eine zauberhafte Insel, verkörpert bei Ariost das Prinzip der sinnlichen Lust und verwandelt ihre Liebhaber wie eine zweite Circe in Pflanzen. Ruggiero, eine der ritterlichen Hauptfiguren des Epos und eigentlich in Bradamante verliebt, wird von der Zauberin verführt und kann nur mit Hilfe eines Gegenzaubers, den die gute Zauberin Melissa auf die Insel bringt, aus den Liebesbanden Alcinas befreit werden. Ein magischer Ring zeigt die enttäuschte Wirklichkeit, Alcina als hässliche alte Frau. Die verzauberten Liebhaber Alcinas, darunter der Paladin Astolfo, werden von Melisa und Ruggiero befreit.
III Werkliste La liberazione di Ruggiero dalla isola d’Alcina „Balletto Rapp[resenta]to in Musica“ Musik Text Francesca Caccini Ferdinando Saracinelli
Uraufführung 3.2.1625, Florenz
L’isola d’Alcina „Tragedia“ Musik Francesco Sacrati
Uraufführung 1648, Bologna
Text Fulvio Testi
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Alcine „Tragédie“ Musik André Campra
Text Antoine Danchet
Uraufführung 15.1.1705, Paris
Angelica vincitrice di Alcina „Festa teatrale“ Musik Johann Joseph Fux
Text Pietro Pariati
Uraufführung 14.9.1716, Wien
L’isola d’Alcina „Drama“ Musik Riccardo Broschi
Text Antonio Fanzaglia [?]
Uraufführung Karneval 1728, Rom
Alcina „Opera in tre atti“ Musik Georg Friedrich Händel
Text unbekannt
Uraufführung 16.4.1735, London
L’Isola di Alcina „Dramma giocoso per musica“ Musik Giuseppe Gazzaniga
Text Giovanni Bertati
Uraufführung Karneval 1772, Venedig
L’Isola di Alcina „Dramma giocoso per musica“ Musik Giacomo Rust
Text Giovanni Bertati
Uraufführung 1772, Bologna
Alcina e Ruggero „Dramma per musica“ Musik Felice Alessandri
Text Vittorio Amedeo Cigna-Santi
Uraufführung Karneval 1775, Turin
Orlando Paladino „Dramma eroicomico“ Musik Joseph Haydn
Text Nunziato Porta
Uraufführung 6.12.1782, Schloss Esterhâza
Text Giovanni Bertati [Übersetzung: Karl Alexander Herklots]
Uraufführung 16.2.1794, Berlin
Die Insel der Alcina „Singspiel in zwei Aufzügen“ Musik Antonio Bianchi
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Die Insel der Verführung Operette Musik Friedrich August Leopold Löwe
Text Ludwig von Baczko
Uraufführung 1.6.1797, Braunschweig
Rinaldo und Alcina „Eine Komische Oper in drei Aufzügen“ Musik Text Maria Theresia Paradis Ludwig von Baczko
Uraufführung 30.6.1797, Prag
La fata Alcina „Dramma giocoso“ Musik Pietro Carlo Guglielmi
Uraufführung Karneval 1799, Rom
Text Giuseppe Maria Foppa
Rinaldo und Alcina oder Die Insel der Verführung Oper in drei Aufzügen Musik Text Johann Anton André Ludwig von Baczko
Uraufführung 4.9.1799, Dresden [?]
La fata Alcina Dramma giocoso Musik Giovanni Tadolini
Uraufführung 1815, Venedig
Text Giuseppe Maria Foppa
L’isola di Alcina „Teatro musicale e performances“ Musik Text Luigi Ceccarelli Nevio Spadoni
Uraufführung 8.6.2000, Venedig
Armida und Rinaldo Albert Gier I Präsenz des Sujets Die Geschichte der Liebe der Zauberin Armida zum Kreuzritter Rinaldo ist die bekannteste und beliebteste Episode aus Torquato Tassos Epos La Gerusalemme Liberata (vollendet 1575, erster autorisierter Druck 1594; vgl. Stein 2012; Chiappara 2013). Das Musiktheater hat sich den Stoff früh angeeignet: Bereits 1623 komponierte Ottavio Vernizzi ein Intermedium Rinaldo liberato da gl’incanti d’Armida zu einer „Favola pastorale“; die Musik ist ebenso verloren wie die zur vielleicht ersten abendfüllenden Armida des Dichter-Komponisten Benedetto Ferrari (UA Venedig 1639). Während des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts war der Armida-Stoff auf italienischen Bühnen ständig präsent, es gibt aber auch Vertonungen aus Frankreich, Deutschland oder England (wo allerdings meist italienische Komponisten tätig waren). Das achtzehnte Jahrhundert hat deutlich mehr einschlägige Opern hervorgebracht als das siebzehnte, mit einem Höhepunkt in den letzten Jahrzehnten: Zwischen 1701 und 1750 setzen sich um die dreißig Komponisten mit dem Sujet auseinander, von 1751 bis 1770 etwa zehn und in den drei Jahrzehnten von 1771 bis 1800 mehr als dreißig. Für die Jahre von 1801 bis zur Pariser Juli-Revolution 1830, die den Paradigmenwechsel vom klassizistischen zum romantischen (oder: vom aristokratischen zum bürgerlichen) Geschmack markiert, sind dann nur noch etwa zehn Werke nachweisbar – insofern mag Rossinis Armida 1817 schon etwas von einem Anachronismus gehabt haben (Gier 1995, S. 644). Die Handlung auf Armidas Liebesinsel spielt sich wesentlich zwischen dem Protagonistenpaar ab (Tasso, Canti IV/V, XIV–XVII, XIX/XX); hinzu kommen die beiden Kreuzritter, die Rinaldo zuletzt aus der Abhängigkeit von der Zauberin befreien. Mit so wenigen Figuren, schrieb Niccolò Jommellis Librettist Francesco Saverio de Rogatis, ließe sich höchstens ein „picciolo Componimento“, ein kleines Gedicht, verfassen (de Rogatis 1770, S. 3; vgl. Gier 1995, S. 651 f.). Abhilfe lässt sich entweder dadurch schaffen, dass die Vor- und/oder Nachgeschichte Armidas und Rinaldos in Tassos Epos einbezogen wird – der Versuch Armidas, im Kreuzfahrerlager Unruhe zu stiften (Tasso, Canti IV/V); der Wald bei Jerusalem, dessen Holz die Christen für Belagerungsmaschinen benötigen und auf dem ein Zauber liegt, den nur Rinaldo zu brechen vermag (ebd., Canti XVII/XVIII); die Eroberung https://doi.org/10.1515/9783110424089-036
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Jerusalems (ebd., Canto XX) – oder durch Einfügung zusätzlicher Figuren (aus der Gerusalemme liberata oder anderswoher). Der Theaterdirektor Aaron Hill, der für Georg Friedrich Händel das Buch zu Rinaldo entwarf (Hills Skizze brachte Giacomo Rossi dann in italienische Verse; Gier 2009a, S. 197–198), erfand mit Almirena eine Verlobte für Rinaldo und einen Liebhaber für Armida hinzu (sein Name, Argante, ist in Tassos Epos der eines tscherkessischen Generals im Dienst des Königs von Ägypten, der aber nicht in näherer Beziehung zu Armida steht); dadurch unterscheidet sich das Buch von allen früheren (und späteren) Versionen (Pietschmann 2009, S. 54). Rinaldo ist Almirena treu und hegt keinerlei Zuneigung für die Zauberin; er lässt sich nur in ihren Garten locken, weil er seine Braut befreien will, die Armida entführt hat (II. Akt). Diese dagegen verliebt sich spontan in den Christen und nimmt Almirenas Gestalt an, um ihn so für sich zu gewinnen. Während das misslingt, lässt sich Argante täuschen, der für die Reize der schönen Christin durchaus empfänglich ist: Er wirbt um die falsche Almirena, die sich daraufhin in Armida zurückverwandelt und dem Treulosen eine zünftige Szene macht. Um Rinaldo zu befreien, bedarf es nicht wie sonst des Diamantschilds, da der Kreuzritter genau weiß, was von seiner Kontrahentin zu halten ist; aber Goffredo und Eustazio benötigen Zauberruten, die sie von einem gleichfalls hinzuerfundenen Magier erhalten, um Armidas Macht zu brechen. Am Ende stehen der Sieg der Kreuzritter und die Einnahme Jerusalems; Rinaldo wird endlich mit Almirena vereint; Armida und Argante, die sich versöhnt haben, sind bereit, sich taufen zu lassen. Bei der Wiederaufnahme der Oper 1731 tauschte Händel mit Rücksicht auf die Sänger drei Viertel aller Arien aus und änderte auch den Schluss: Statt sich zum Christentum zu bekehren, fliehen Armida und Argante in einem Drachenwagen, am Ende stehen Rinaldos Krönung und seine Heirat mit Almirena (Pietschmann 2009, S. 60 f.). In der Bilanz von Inszenierungen der 45 Opern Händels 1705–2006 steht Rinaldo auf einem respektablen neunten Platz (Rätzer 2009, S. 430), und es war die sechste Händel-Oper, die im zwanzigsten Jahrhundert wieder aufgeführt wurde (1923 in Prag; Rätzer 2009, S. 426). In letzter Zeit scheint die Beliebtheit des Rinaldo noch zuzunehmen, im Jahr 2014 z. B. wurde die Oper bei den HändelFestspielen in Karlsruhe, beim Glyndebourne Festival und in neun Städten in Deutschland (4), England (2), Österreich, Polen und Estland (je 1) gespielt (Rätzer 2015, S. 543–544). 1777 wurde Christoph Willibald Glucks Armide uraufgeführt; er hatte dazu das Libretto Philippe Quinaults für Jean-Baptiste Lully nahezu unverändert übernommen; nur vier, allerdings entscheidende Verse wurden (von François-Louis Gand Le Bland Du Roullet) ergänzt: Bei Quinault (III. Akt) ruft Armide gegen ihre
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aufkeimende Liebe zu Rinaldo die allegorische Figur des Hasses zu Hilfe, aber das Treiben seiner Dämonen erschreckt sie so, dass sie Einhalt gebietet, d. h. sie reagiert auf die Einflüsse der gegensätzlichen Affekte Haine und Amour. In Glucks Version ruft sie gegen La Haine aus freier Entscheidung L’Amour herbei, übernimmt also eine aktive Rolle. Glucks Armide kennt im zwanzigsten Jahrhundert eine kontinuierliche Aufführungsgeschichte; aus den letzten Jahren lassen sich Aufführungen u. a. bei den Salzburger Festspielen (2009), in Berlin (Komische Oper, 2009), Amsterdam (2013), Lübeck (2014), Wien (Staatsoper, 2016) und Mainz (2017) nachweisen. Giovanni Schmidt verweist in der Vorrede seines Armida-Librettos für Gioachino Rossini (Rossini 1997, S. 43–44) ähnlich wie de Rogatis darauf, dass Rinaldos Aufenthalt auf der Zauberinsel und seine Rückkehr zum Kreuzfahrerheer als Stoff für ein musikalisches Drama zu wenig hergeben. In seinem ersten Akt zeigt er, wie Armida ins Kreuzfahrerlager kommt und Hilfe gegen Idraote erbittet, der den Thron von Damaskus, auf den sie Anspruch hat, usurpiert hätte (in Wirklichkeit ist Idraote verkleidet an ihrer Seite). Sie verlangt von vornherein nur zehn Ritter zu ihrer Unterstützung, Goffredo stimmt widerwillig zu. Armida hat Rinaldo gerettet, als er gegen eine Übermacht kämpfte, und ihm ihre Liebe gestanden; er aber hat sie verlassen, um seinen Pflichten zu genügen. Wenn Rinaldo zum Führer der avventurieri, der ‚fahrenden Ritter‘, die kein Lehen (oder allenfalls ein unbedeutendes) haben und sich durch Waffentaten eine Position schaffen müssen, gewählt wird, beschimpft ihn Gernando, der glaubt, selbst Anspruch auf diese Position zu haben. Schmidt leistet sich hier eine politische Anspielung, die zwei Jahre nach der Rückkehr des Bourbonenkönigs Ferdinand nach Neapel ziemlich kühn erscheint: Er lässt Gernando Rinaldo „Signor, che nella serva Italia à nato“, einen Herrn, der im versklavten Italien geboren ist, nennen (ebd., I 9, S. 48); es kommt zum Kampf und Rinaldo erschlägt seinen Kontrahenten. Schmidt scheint der einzige Librettist zu sein, der diese Episode (nach Gerusalemme liberata V) aufgegriffen hat. Goffredo ist entschlossen, Rinaldo zu bestrafen (Tasso-Leser wussten, dass er letztlich aus dem Kreuzfahrer-Heer ausgeschlossen wird). Im zweiten Akt kommen Armida und Rinaldo sehr verliebt auf ihrer Insel an, die noch öd und leer ist, sich aber durch das Wirken der Dämonen, die den Akt eröffnen, in ein Paradies verwandelt. Rinaldo hat die Ritter, die Armida folgten und von Idraotes Leuten gefangengenommen wurden, befreit, aber das trägt sie ihm nicht nach: Auf Idraotes heimtückischen Plan, so erklärt sie, habe sie sich ohnehin nur eingelassen, weil er ihr eine Möglichkeit bot, den geliebten Rinaldo wiederzusehen. Der dritte Akt zeigt die Ankunft der Kreuzritter, die Rinaldo mittels des Diamantschilds von seiner Verblendung heilen; in der letzten Konfrontation mit Armida bleibt er fest, auch wenn sie ihn anfleht, sie wenigstens als Schildknappen oder
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menschlichen Schutzschild mitzunehmen (ebd., III 9, S. 55); ähnlich schon bei Quinault (Quinault / Lully 2006–2014, V 4, S. 15: als Gefangene), und in de Rogatis’ Buch für Jommelli (1770, II 10, S. 36 f.: als Dienerin oder Sklavin). Der Schluss schließt unmittelbar an Quinault an (Gier 1995, S. 659): Die allegorischen Figuren Vendetta (Rache) und Amore treten auf, Armida entscheidet sich für die Rache und lässt die Dämonen das Inselparadies zerstören. Rossinis Armida erlebte 1952 eine „sensationelle Wiederauferstehung“ beim Maggio Musicale Florenz mit der jungen Maria Callas in der Titelrolle (HenzeDöhring 1994, S. 408). Eine kontinuierliche Aufführungstradition gibt es seit den 1980er Jahren (ebd., S. 408 f.) Beim Rossini-Festival in Pesaro war die Oper 1993 und 2014 zu hören, beim Festival in Bad Wildbad im Jahr 2000, und 2010 gab es eine Inszenierung an der Metropolitan Opera.
II Historische Schichten Die Werkbeschreibung des Verlags bezeichnet Azio Corghis Rinaldo & C. (UA 1997) als „Suite per orchestra dal Rinaldo di Georg Friedrich Händel“ (Corghi 2016), listet aber andererseits fast alle Rollen aus Händels Rinaldo von 1711 auf, zum Teil mit veränderten Stimmlagen: Die beiden Countertenöre Goffredo und Eustazio werden zu Tenor und Bass, für Rinaldo (Sopran) ist ausdrücklich ein „sopranista“ gefordert; der Bass Argante wird zum Bariton (allerdings wurde im frühen achtzehnten Jahrhundert zwischen diesen beiden Stimmlagen bekanntlich noch nicht unterschieden); ein Vokaloktett (2 Soprani, 2 Contralti, 2 Tenöre, 2 Bässe) kommt hinzu. Als Aufführungsdauer für das „Bühnenwerk“ sind zwei Stunden angegeben. Das letzte eigenständige Werk nach Tassos Armida-Geschichte, dessen Aufführung gesichert ist, dürfte somit Antonín Dvořáks Armida (UA 1904) sein. Rossinis Armida mag 1817 bereits ein Anachronismus gewesen sein, Dvořáks fast hundert Jahre später entstandene Oper (Vysloužilová 1987; Gier 1995, S. 600) war mit Sicherheit einer, um so mehr, als der Stoff im slawischen Musiktheater bis dahin keine Rolle gespielt hatte. Die Oper hat sich bis heute nicht dauerhaft im Repertoire etablieren können (Vysloužilová 1987, S. 409). Nur in Prag und anderen tschechischen Städten wurde sie gelegentlich gespielt (zuletzt in Ostrava [Ostrau] 2012); daneben ist lediglich eine Produktion in Bremen 1961 (mit der jungen Montserrat Caballé in der Titelrolle) zu verzeichnen. Der erste Akt der Oper spielt in den Gärten des Königspalasts in Damaskus. Hydraot, Armidas Vater, will seine Tochter ins Kreuzfahrer-Lager schicken, um dort Unruhe zu stiften, aber sie weigert sich, denn sie kann an nichts anderes denken als an einen Unbekannten, den sie einmal bei einer Jagd gesehen hat.
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Erst als Ismen, der magisch begabte syrische Herrscher, ihr in einer Zaubervision das Kreuzfahrer-Lager zeigt und sie dort den Unbekannten erkennt, stimmt sie der Kriegslist zu. Im zweiten Akt trifft sie im Lager der Christen tatsächlich auf den Unbekannten – natürlich ist es Rinald. Ismen ermöglicht die Flucht des verliebten Paares. Als sie sich in einem Zaubergarten mitten in der Wüste aufhalten (Akt III) versucht Ismen Armida für sich zu gewinnen, wird aber von ihr abgewiesen. Um sich zu rächen, verrät er den beiden Kreuzrittern, die Rinald zurückholen sollen, wo der Schild des Erzengels Michael versteckt ist, der Armidas Zauber zu brechen vermag; Rinald kehrt zurück zum christlichen Heer, das er erfolgreich gegen Damaskus führt (Akt IV). Den Schluss entlehnen Dvořák und sein Librettist der Geschichte Clorindas und Tancredis in Tassos Epos (Canto XII): Im Kampf trifft Rinald auf einen Ritter, der mit geschlossenem Visier unkenntlich ist; er verwundet ihn tödlich, erst danach erkennt er Armida. Sterbend bekennt sie sich zum Christentum und Rinald tauft sie, wie Tassos Tancredi Clorinda tauft. Damit wird der Gegensatz der Religionen überbrückt, die Vereinigung des Paares aber ist (wie häufig im neunzehnten Jahrhundert, z. B. bei Richard Wagner oder Giuseppe Verdi) erst in einem Jenseits möglich. Jaroslav Vrchlický hatte sein Libretto ursprünglich für Karel Kovařovic geschrieben, der die Vertonung nicht zu Ende brachte; danach lehnten Karel Bendl und Zdenék Fibich es ab, bevor Dvořák sich für den Stoff erwärmen konnte (Vysloužilová 1987, S. 106). Das Buch ist in der Tat problematisch, da es „erhebliche Schwächen nicht nur im dramatischen Aufbau und im logischen Gefüge der Handlung, sondern stellenweise auch in der dichterischen Darstellung und Verstechnik“ aufweist (ebd., S. 107). Vor allem die Umgestaltung des Schlusses überzeugt nicht: Nach den Maßstäben der vorletzten Jahrhundertwende wäre Armida eine Femme fatale; wenn die Zauberin, die doch zweifellos ihre Dämonen für sich kämpfen lassen könnte, zuletzt gerüstet in die Schlacht zieht und wie Tassos Clorinda vom Geliebten erschlagen wird, mutiert sie zur Heldenjungfrau. Dieser letztlich auf Camilla in Vergils Aeneis zurückgehende Typus wurde vor Tassos Clorinda prominent von Bradamante (und Marfisa) in Ariosts Orlando furioso (→ Roland) verkörpert und hat durchaus nichts ‚Fatales‘ an sich. Dem entspricht zwar, dass Vrchlickýs Armida Rinald zu keiner Zeit etwas Böses will und an der Intrige gegen das Kreuzfahrerheer, deren Drahtzieher Ismen ist, nur unter Zwang teilnimmt; um so weniger versteht man allerdings, warum sie zuletzt sterben will (oder den Tod in Kauf nimmt), statt zu konvertieren und mit Rinald zu leben – es sei denn, der Librettist habe um den Preis der Wahrscheinlichkeit „eine romantische Auffassung von Liebe“ (ebd.), die in der unvollkommenen irdischen Welt nur ein unerfüllbarer Traum sein kann, propagieren wollen.
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Bei Tasso wird Armidas Denken und Handeln von der Ambivalenz ihrer Gefühle für Rinaldo bestimmt: Erst hasst sie ihn, weil er ihren Plan, das Kreuzfahrerheer zu schwächen, zunichte gemacht hat, indem er die gefangenen Ritter befreite; wenn sie ihn mit eigenen Augen sieht, verliebt sie sich auf der Stelle in ihn; wenn er sie verlässt, um ins christliche Lager zurückzukehren, rast sie wie Dido oder Medea; nach dem Sieg der Kreuzritter gelingt es Rinaldo, sie zu versöhnen. Diese Ambivalenz, und die Tatsache, dass Armidas Liebe an ihrem Hass auf die Christen insgesamt nichts ändert, machen die Komplexität der Figur aus. Nicht nur Dvořáks Armida, die Rinald vom Anfang bis zum Ende liebt, ist demgegenüber deutlich uninteressanter, sondern auch die Titelheldin von Rossinis Armida (UA 1817), die ihren Rinaldo schon vor Beginn der Opernhandlung geliebt hat (wie auch er sie – allerdings hat er ihr das nicht gesagt). Im Vorwort begründet Rossinis Librettist Schmidt die Abweichung von Tasso etwas naiv damit, dass sonst unwahrscheinlicherweise in einer kurzen (Rezitativ-)Szene eine Leidenschaft aufflammen müsste, die stark genug wäre, um ein großes Duett zu motivieren (Rossini 1997, S. 44). So gibt es in Rossinis Armida nur einen einzigen emotionalen Wendepunkt: Nachdem alle ihre Versuche, die Trennung von Rinaldo zu vermeiden, gescheitert sind, schlägt ihre Liebe in Hass um. Die Hypostasierung ihrer Affekte lässt den eigentlich moderneren tragico fine (Gier 1995, S. 657; Buschmeier 2009) als Zitat der Barocktradition erscheinen. Das Libretto zu Joseph Haydns Armida (Haydn 1965) war bereits zuvor von Antonio Tozzi (als Rinaldo) vertont worden, der Verfasser ist unbekannt (UA Venedig 1775); nur der Schluss wurde für Esterháza verändert (McClymonds 1986; Gier 2009b, S. 21). Hier scheinen Armidas weibliche Reize Zauber genug, um Rinaldo in ihren Bann zu schlagen; er ist sogar gewillt, auf der Seite der Sarazenen gegen die Kreuzfahrer zu kämpfen, denn Idreno, der König von Damaskus, hat dem Sieger über die Christen Armidas Hand in Aussicht gestellt. Als Ubaldo ihm den Diamantschild zeigt, scheint er zwar gewillt, zu seinen Glaubensbrüdern zurückzukehren, aber die Zauberin hat keine Mühe, ihn umzustimmen (I. Akt). Die Vorhaltungen, die Ubaldo ihm daraufhin macht, veranlassen Rinaldo immerhin dazu, Damaskus zu verlassen, aber als sie ihm etwas später erneut entgegentritt, ist er nahe daran, zu ihr zurückzukehren (II. Akt). Im dritten Akt gelingt es ihm zwar, einen Myrtenbaum in Armidas Zauberwald zu spalten und den Wald dadurch verschwinden zu lassen, aber seine Reaktion auf ihre Vorwürfe zeigt deutlich, dass er sie immer noch liebt (Gier 1995, S. 654–655): „Cangia, crudele, i voti, / frena quel labbro almeno, / se mi vedessi il seno, / io ti farei pietà.“ (Haydn 1965, S. 309 f.; „Ändere, Grausame, deinen Ton, / zügle wenigstens deine Zunge; / könntest du mir ins Herz sehen, / hättest du Mitleid mit mir“).
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Man hat von einer „empfindsam motivierten Demontage des klassischen Hel denbilds“ gesprochen (Waritschlager 2005, S. 28), was wohl bedeutet, dass Rinaldo zwar weiß, was richtig ist, aber einfach nicht die Kraft hat, dem Pfad der Tugend konsequent zu folgen; man könnte auch sagen, dass er ein Schwächling ist, der sich immer den Standpunkt dessen zu eigen macht, mit dem er gerade spricht. Haydns Armida war „im Verlauf des 19. und der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts […] praktisch so gut wie verschollen“ (Feder 1987, S. 766). Die erste Neuinszenierung erlebte die Oper 1968 in Bern (ebd.); seitdem gab es gelegentlich weitere Inszenierungen, z. B. in prominenter Besetzung 2007 bei den Salzburger Festspielen. Francesco Saverio de Rogatis hat in seinem Libretto für Niccolò Jommellis 1770 uraufgeführte Armida abbandonata wie andere vor und nach ihm verschiedene Handlungsstränge aus Tassos Epos verbunden (Gier 1995, S. 651–653): Nicht nur Rinaldo, auch der Kreuzritter Rambaldo – der zu jenen zehn gehörte, die als von Armida erbetene Hilfstruppe ausgelost wurden (Tasso, Canto V, 75) – hält sich im Zauberschloss auf; obwohl Armida ihn ignoriert, erregt die Art, wie er sie anschmachtet, Rinaldos Eifersucht. De Rogatis hat ihr Reich von einer fernen Insel ganz in die Nähe des Kreuzfahrerlagers verlegt; deshalb können auch Erminia, die Clorindas Rüstung angelegt hat, und Tancredi, der die falsche Clorinda verfolgt, ins Schloss gelangen: Tancredi, der Armida provoziert und nur knapp seiner Hinrichtung entgeht, mahnt Rinaldo erfolglos an seine Ritterpflichten (I. Akt), erst Dano und Ubaldo gelingt es mittels des Diamantschilds, ihn zur Trennung von Armida und zur Rückkehr ins christliche Lager zu bewegen (II. Akt). Obwohl er immer wieder schwankt, widersteht er im verzauberten Wald erfolgreich ihren Verführungskünsten und fällt ihren Myrtenbaum, womit der Zauber gebrochen ist (III. Akt). Aufgeführt wurde Jommellis Armida abbandonata im Jahr 1994 beim Festival de Beaune, bei dieser Gelegenheit entstand eine Gesamtaufnahme (Fnac 592326). Die Wankelmütigkeit des Protagonisten zeigt sich auch in dieser Oper. Zunächst redet Tancredi Rinaldo ins Gewissen: Er wirft ihm vor, nicht als Krieger, sondern als Stutzer, parfümiert, sorgfältig frisiert und gepudert, daherzukommen – vor dem Hintergrund der These, dass die Kastraten (Jommellis Rinaldo ist ein Sopran) die Protagonisten in ihrer Rolle als Liebhaber darstellen, von denen „weibliche Verhaltensweisen“ gefordert seien (Leopold 2009, S. 162–163), müsste das wohl heißen, dass er zur falschen Zeit zu viel Wert auf sein Äußeres legt. Der Ritter gelobt Besserung, aber vor einem fingierten Suizidversuch Armidas – bei Haydn muss sie diese Waffe erst im zweiten Akt einsetzen – kapituliert er. Dano und Ubaldo führen mittels des Diamantschildes wieder einen Sinneswandel herbei; bei der erneuten Konfrontation mit der Zauberin wankt Rinaldo zwar, aber
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er fällt nicht. Das Finale des zweiten Akts bei de Rogatis entspricht dem letzten Finale in Quinaults und Schmidts Libretti: Armida ruft die Furien herbei, damit sie ihren Palast dem Erdboden gleich machen, und verfolgt den „Verräter“ (de Rogatis 1770, S. 41) Rinaldo im Drachenwagen. Es scheint also bereits absehbar, dass sie endgültig verloren hat und eine Versöhnung mit Rinaldo (wie bei Tasso) ausgeschlossen ist. In der Tat scheint sie ihm, wenn er ihr im verzauberten Wald erneut begegnet, völlig gleichgültig zu sein. In Händels Rinaldo von 1711 empfindet der Protagonist in keinem Augenblick Zuneigung für Armida, er ist seiner Braut Almirena ebenso treu wie sie ihm. Die christliche Seite erweist sich somit in doppelter Hinsicht als überlegen: Einerseits gelingt den Kreuzrittern zuletzt die militärische Eroberung von Jerusalem, andererseits ist das christliche Paar einander genug, während nicht nur Armida sofort für Rinaldo entbrennt, sondern auch Argante sich nur allzu gern einen Seitensprung mit Almirena gönnen würde. Die Zauberin hat sich vor allem ihrer Gefangenen Almirena gegenüber sehr hässlich verhalten; gemäß dem Prinzip der älteren, vor allem venezianischen, Oper, dass selbst dem schwärzesten Bösewicht zuletzt vergeben werden muss, wird den Besiegten allerdings Freiheit und Herrschaft zurückgegeben, da sie bereit sind, sich taufen zu lassen. Auch wenn Armida keine Gefahr für Rinaldo ist, scheint es doch, dass er seine Ritterpflichten (zunächst) nicht ernst genug nimmt: In der ersten Szene möchte er nicht erst die Eroberung von Jerusalem abwarten, die nur noch Formsache zu sein scheint, sondern gleich Hochzeit machen, und muss von Goffredo und auch von Almirena selbst (Arie „Combatti da forte“, Hill / Rossi 1711, I 1) zur Ordnung gerufen werden. Wenn im zweiten Akt eine „Donna“ (ebd., II 3) verspricht, ihn in einem Boot zu seiner von Armida entführten Braut zu bringen, und zwei „Sirenen“ (ebd.) in einer Aria a due das Lustprinzip beschwören (die Liebenden sollen ihren „maggio / Di’ bei verdi anni“, den Mai der schönen, jungen Jahre, genießen und sich nicht von „un falso raggio / D’onor“, einem falschen Strahl von Ehre, daran hindern lassen; ebd.), verliert er sofort das Interesse am Heiligen Krieg, ignoriert die Vorhaltungen Goffredos und Eustazios und tappt in Armidas Falle. Am Ende, wenn er sich in der Entscheidungsschlacht auszeichnet, scheint er dann gereift (oder domestiziert). Auch in Quinaults Libretto für Lullys 1686 uraufgeführte Armide ist offensichtlich, dass Renaud Armides Liebe nicht erwidert (Gier 1995, S. 648); auf ihrer Paradiesinsel fühlt er sich exakt so lange wohl, wie er unter dem Einfluss ihres Zaubers steht. Sobald der Diamantschild den Bann gelöst hat, wird er wieder zu dem, der er vorher war, und strebt nach Ruhm (gloire), nicht nach Liebe – obwohl er durchaus Mitleid mit der unglücklichen Armide empfindet und zögert, die Ohnmächtige zu verlassen.
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Renaud eignet eine „heureuse indifférence“ (Lully / Quinault 2006–2014, II 1, S. 8), die es ihm ermöglicht hat, den Reizen Armides (und offenbar auch aller anderen Frauen) zu widerstehen. Während er nach gloire einzig im Sinne militärischen Ruhms strebt, besteht gloire für Armide darin, Begehren zu wecken, ohne selbst zu begehren. Dass Renaud als einziger der Kreuzritter angesichts ihrer Schönheit kalt geblieben ist, ärgert sie und weckt zugleich ihr Interesse, das macht sie angreifbar. Die Kränkung, die er ihr durch die Befreiung der Gefangenen zufügt, verstärkt lediglich ihren bereits vorhandenen Wunsch nach Rache. Da es ihr nicht gelingt, den Schlafenden zu töten, benutzt sie ihre Zauberkräfte, um ihn in sich verliebt zu machen; während es aber zu jedem Zauber einen Gegenzauber gibt, hat sie die Kontrolle über ihr eigenes Herz verloren (ebd., III 1, S. 10: „Faut-il que malgré moy tu regnes dans mon cœur?“): Sie kann ihn nur noch lieben oder hassen, gleichgültig kann er ihr nicht sein. Da sie die Personifikation der Haine, die sie zu Hilfe gerufen hat, ihr Zerstörungswerk nicht vollenden lässt (ebd., III 3/4, S. 10–11: „non il n’est pas possible / De m’oster mon amour sans m’arracher le cœur“), bleibt sie ihrer Liebe, und damit dem Schmerz des Verlassenwerdens, hilflos ausgeliefert. Hier und insgesamt in Quinaults Libretto spielen Aspekte der Liebestheorie und Affektenlehre – durchaus auf der Höhe der zeitgenössischen Diskurse – eine wichtige Rolle. Lullys Armide wurde seit dem Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gelegentlich gespielt (Schneider 1989, S. 612): 2008 gab es z. B. Aufführungen in Paris (Théâtre des Champs-Élysées) in der Regie von Robert Carsen, dirigiert von William Christie. Die nordamerikanische Erstaufführung fand 2005 in Toronto statt. Das Buch zur frühesten belegten Aufführung einer vollgültigen Armida-Oper (Venedig 1639), deren Musik leider verloren ist, stammt von dem Komponisten Benedetto Ferrari (Ferrari 2013, S. 83–120). Er folgt darin Tassos Version der Geschichte verhältnismäßig getreu; deshalb stimmt sein Libretto (bis auf den Schluss) weitgehend mit Quinaults Buch für Lully überein: Zu Beginn berichtet ein Hirte, Rinaldo habe (allein im Kampf gegen 50 Sarazenen) die Kreuzritter befreit, die Armida aus dem Lager der Christen weggelockt und dann gefangengesetzt habe. Die Zauberin, das erfahren wir in der folgenden Szene, agiert im Auftrag Plutos; der antike Gott der Unterwelt vertritt hier die die Dämonen der christlichen Hölle, die bei Tasso (Gerusalemme liberata, Canto IV) um jeden Preis verhindern wollen, dass Jerusalem von den Christen erobert wird. Armida hat Rinaldo in ihren Garten (auf einer der Isole Fortunate, der Kanarischen Inseln, gelegen) entführt, um ihn zu töten, aber sie verliebt sich in ihn; schuld daran ist Amor, der im Auftrag des Göttervaters Jupiter agiert. Das Paar lebt glücklich miteinander, bis zwei (hier namenlose) Ritter in Goffredos (Gottfrieds von Bouillon) Auftrag kommen, um Rinaldo an seine Pflichten als Kreuzfahrer zu erinnern; er
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erkennt sofort seinen Fehler und verlässt Armida, obwohl er sie ebenso (oder vielleicht doch nicht ganz so) liebt wie sie ihn. Zu Beginn des dritten Akts verkündet Jupiter seinen göttlichen Ratschluss: Die Christen sollen Jerusalem erobern – und Armida soll Rinaldo zum Mann bekommen. Nach dem Sieg der Kreuzritter will sie ihrem Leben ein Ende machen, wird aber von Rinaldo daran gehindert. Seine Liebesschwüre treffen zunächst auf taube Ohren, aber als er sich bereiterklärt, sie zu heiraten, sofern sie zum christlichen Glauben übertritt, gibt sie nach. Das entspricht dem bei Tasso implizierten Schluss: Als Rinaldo in der Gerusalemme liberata Armida am Suizid hindert und zur Konversion auffordert, antwortet sie (mit deutlichem Anklang an Marias Reaktion auf die Verkündigung des Erzengels Gabriel, Lk 1,38): „‚Ecco l’ancilla tua, d’essa a tuo senno / dispon’, gli disse, ‚e le fia legge il cenno‘“ (Tasso 2006, S. 492, XX, 136, 7–8) – „Sieh, spricht sie, deine Magd; mit ihr verfüge / Wie dir’s gefällt, dein Wink ist ihr Genüge“ (Gries o. J., S. 429). Allerdings wird im folgenden weder Armidas Taufe noch die Hochzeit des Paares geschildert, bei Ferrari dagegen (Ferrari 2013, S. 120) weist die Personifikation der Republik Venedig dem endlich vereinten Paar seinen Thron zu. Soweit sich Ferraris Buch ohne Kenntnis seiner Musik beurteilen lässt, ging es hier vor allem darum, im Anschluss an Tassos Epos eine abwechslungsreiche Geschichte mit wechselnden Schauplätzen und dramatischen, rührenden und auch komischen Elementen zu erzählen; die varietas wurde durch die hinzuerfundenen Szenen der olympischen Götter und zwei komische Auftritte der eitlen Nymphe Tamburla, die sich (offenbar zu Unrecht) für die schönste aller Frauen hält, und eines in sie verliebten Fauns (Ferrari 2013, II 2, S. 100–103; III 2, S. 111– 114) noch gesteigert. Armida ist eine fiktive Figur, die Torquato Tasso nach dem Vorbild der → Alcina Ariosts in sein Epos eingeführt hat: So wie Alcina Ruggiero (und vor ihm andere Ritter) in ihrem Inselparadies festhält und ihn verleitet, seine Ritterpflichten zu vernachlässigen, entführt Armida Rinaldo auf ihre Zauberinsel. Daneben hat Armida auch Züge von Ariosts Angelica: Im Orlando Furioso stiftet die wunderschöne Tochter des Königs von Catai Unruhe unter den Paladinen Karls des Großen, um die christliche Streitmacht im Kampf gegen die Mauren zu schwächen; Armida verfolgt das gleiche Ziel, wenn sie im Kreuzfahrerlager um Hilfe bei der Durchsetzung ihres Anspruchs auf den Thron von Damaskus bittet (Tasso, Canto IV, 40–43, S. 81)
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III Werkliste Rinaldo liberato da gl’incanti d’Armida 4. Intermedium zu Amorosa innocenza Musik Text Ottavio Vernizzi [nicht erhalten] Silvestro Branchi
Uraufführung 1623, Bologna
Armida infuriata „Intermedio secondo“ Musik [?]
Text Oratio Persio
Uraufführung 1629, Neapel
Rinaldo prigioniero „Favola boschereccia“ Musik [?]
Text Francesco Miedelchini
Uraufführung 1629, Orvieto
L’Armida Musik Benedetto Ferrari [nicht erhalten]
Text Benedetto Ferrari
Uraufführung 1639, Venedig
Armida abbandonata Attione Musik Marco Scacchi
Text Virgilio Puccitelli
Uraufführung 1641, Warschau
L’Amore trionfante dello sdegno [Armida] Drama recitato in musica Musik Text Marco Marazzoli Ascanio Pio di Savoia
Uraufführung 1641, Ferrara
L’Armida nemica, amante e sposa „Drama musicale“ Musik [?]
Publikation 1669
Text Francesco Maria Santinelli
Armida impazzita per amore di Rinaldo Musik Text Giovanni Battista Toschi Angela D’Orsi
Uraufführung 1677, Modena
Armide „Tragédie en musique“ Musik Jean-Baptiste Lully
Uraufführung 15.2.1686, Paris
Text Philippe Quinault
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Dante, Ariost, Tasso
La Gerusalemme liberata „Drama“ Musik Carlo Pallavicino
Text Giulio Cesare Corradi
Uraufführung 1687, Venedig
L’Armida Drama per musica Musik Antonio Chiochiolo [nicht erhalten]
Text [?]
Uraufführung Rovigo, 1694
L’Armida Drama per musica Musik Teofilo Orgiani
Text Girolamo Colatelli
Uraufführung 1695, Mantua
Armida Singe-Spiel Musik [?]
Text [?]
Uraufführung 1695, Hamburg
Rinaldo and Armida Dramatic opera Musik John Eccles
Text John Dennis
Uraufführung 1698, London
Text Hilaire Bernard de Requeleyne de Longepierre
Uraufführung 1704, Fontainebleau
Text Francesco Silvani
Uraufführung 1707, Venedig
Armida abbandonata „Drama per musica“ Musik Giovanni Maria Ruggeri
Text Francesco Silvani
Uraufführung 1707, Venedig
Rinaldo „Opera seria in tre atti“ Musik Georg Friedrich Händel
Text Giacomo Rossi
Uraufführung 24.2.1711, London
Suite d’Armide ou Jérusalem délivré Musik Philippe II. de Bourbon Armida al campo „Drama per musica“ Musik Giuseppe Boniventi
Armida und Rinaldo
Armida in Damasco „Drama per musica“ Musik Jacomo Rampini
Text Grazio Braccioli
Uraufführung 1711, Venedig
Rinaldo richiamato al campo Dramma per musica Musik Bernardo d’Aprile
Text [?]
Uraufführung 1714, Innsbruck
Armida abbandonata Drama per musica Musik Giuseppe Maria Buini
Text Francesco Silvani
Uraufführung 1716, Bologna
Armida al campo „Drama per musica“ Musik Domenico Sarro
Text Francesco Silvani
Uraufführung 1718, Neapel
Armida al campo d’Egittto „Drama per musica“ Musik Antonio Vivaldi
Text Giovanni Palazzi
Uraufführung Karneval 1718, Venedig
Armida abbandonata „Dramma per musica“ Musik Michele Falco
Text Francesco Silvani
Uraufführung 1719, Neapel
Armida delusa „Drama per muisca“ Musik Giuseppe Maria Buini
Text Giuseppe Maria Buini
Uraufführung 1720, Venedig
485
Renaud ou La Suite d’Armide „Tragédie lyrique en 5 actes et un prologue“ Musik Text Henry Desmarets Simon-Joseph Pellegrin
Uraufführung 5.3.1722, Paris
Das eroberte Jerusalem, oder Armida und Rinaldo „Singe-Spiele“ Musik Text Georg Caspar Schürmann Johann Samuel Müller
Uraufführung 1722, Braunschweig
486
Dante, Ariost, Tasso
Armida abbandonata Drama per musica Musik Antonio Bioni
Text [?]
Uraufführung 1725, Prag
Il Trionfo d’Armida „Drama per musica“ Musik Tomaso Albinoni
Text Girolamo Colatelli
Uraufführung 1726, Venedig
Armida al campo Drama per musica Musik Annantio Ruggiero Vona
Text Francesco Silvani
Uraufführung 1728, Prag
L’abbandono di Armida „Trattenimento Scenico da cantarsi“ Musik Antonio Pollarolo
Text Giovanni Boldini
Uraufführung 1729, Venedig
L’Armida placata „Azione teatrale per musica con due balli“ Musik Text Georg Christoph Wagenseil [?]
Uraufführung 1735, Wien
Armida abbandonata Drama per musica Musik [?]
Text [?]
Uraufführung 1736, Graz
Armida abbandonata Drama per musica Musik [?]
Text Francesco Silvani
Uraufführung 1740, Bergamo
Armida al campo Musik [mehrere Komponisten]
Text Francesco Silvani
Uraufführung 1746, Venedig
Armida Dramma per musica Musik Ferdinando Guiseppe Bertoni
Text Bartolomeo Vitturi
Uraufführung 1747, Venedig
Armida und Rinaldo
487
Armida abbandonata Drama per musica Musik Natale Aresta [Rezitative]
Text [?]
Uraufführung 1747, Cesena
Armida abbandonata Dramma per musica Musik [mehrere Komponisten]
Text [?]
Uraufführung 1749, Senigallia
Text Giovanni Ambrogio Migliavacca
Uraufführung 1750, Madrid
Armida Dramma per musica Musik Karl Heinrich Graun
Text Leopoldo de Villatti
Uraufführung 1751, Berlin
Armida abbandonata Dramma per musica Musik [mehrere Komponisten]
Text [?]
Uraufführung 1751, Forli
Armida maga abbandonata Dramma per musica Musik [?]
Text [?]
Uraufführung 1758, Bergamo
Armida abbandonata Tragedia per musica Musik Giuseppe Sarti
Text [?]
Uraufführung 1759, Kopenhagen
Text Philippe Quinault [Über setzung: G.A. Migliavacca]
Uraufführung 1760, Wien
Text Marco Coltellini
Uraufführung 1766, Wien
Armida placata Componimento drammatico Musik Giovanni Battista Mele
Armida Azione teatrale per musica Musik Tommaso Traetta
Armida Dramma per musica in due atti Musik Giuseppe Scarlatti
488
Dante, Ariost, Tasso
Armida Dramma per musica Musik Vincenzo Manfredini
Text Jacopo Durandi
Uraufführung 1770, Bologna
Armida „Dramma per musica“ Musik Pasquale Anfossi
Text Jacopo Durandi
Uraufführung 1770, Turin
Armida abbandonata „Dramma per musica“ Musik Nicolò Jommelli
Text Francesco Saverio de Rogatis
Uraufführung 1770, Neapel
Armida Dramma per musica Musik Antonio Salieri
Text Marco Coltellini
Uraufführung 1771, Wien
L’Armida Musik [?]
Text Giovanni De Gamerra
Uraufführung 1771, Modena
Armida „Dramma per musica“ Musik Antonio Sacchini
Text Jacopo Durandi
Uraufführung 1771, Mailand
Armida Dramma per musica Musik Johann Gottlieb Naumann
Text Giovanni Bertati
Uraufführung 1773, Padua
Armida Dramma per musica Musik Giuseppe Gazzaniga
Text Giovanni Bertati [?]
Uraufführung 1773, Rom
Text Giovanni Gualberto Bottarelli [Übersetzung]
Uraufführung 1774, London
Armida A serious opera Musik [mehrere Komponisten]
Armida und Rinaldo
489
Armida Dramma per musica Musik Luigi Gatti
Text Giovanni De Gamerra
Uraufführung 1775, Mantua
Rinaldo Dramma per musica Musik Antonio Tozzi
Text Giovanni Bertati [?]
Uraufführung 1775, Venedig
Armida Dramma per musica Musik Michele Mortellari
Text [?]
Uraufführung 1776, Modena
Armida Dramma per musica Musik Gennaro Astarita
Text Giovanni Ambrogio Migliavacca
Uraufführung 1777, Venedig
Armide „Drame héroïque in fünf Akten“ Musik Christoph Willibald Gluck
Text Philippe Quinault
Uraufführung 23.9.1777, Paris
L’Armida imaginaria Dramma giocoso per musica Musik Domenico Cimarosa
Text Giuseppe Palomba
Uraufführung 1777, Neapel
Text Philippe Quinault
Uraufführung 1777, Paris
L’Armida abbandonata Dramma per musica Musik [mehrere Komponisten]
Text [?]
Uraufführung 1779, Palermo
Armida „Dramma per musica“ Musik Josef Mysliveček
Text Giovanni Ambrogio Migliavacca
Uraufführung 1779, Mailand
Armide Musik Bernard Germain Lacépède [nicht erhalten]
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Dante, Ariost, Tasso
Rinald Singspiel Musik Christoph Rheineck
Text Christoph Städele
Uraufführung 1779, Wolfegg
Armida abbandonata Dramma per musica Musik Luigi Cherubini
Text Jacopo Durandi
Uraufführung 1782, Florenz
Text [nach Marco Coltellini]
Uraufführung 1782, Wien
Armida „Dramma eroico“ Musik Joseph Haydn
Text Nunziato Porta [?]
Uraufführung 26.2.1784, Esterháza
Renaud Musik Antonio Sacchini
Text Jean-Joseph Lebœuf
Uraufführung 1783, Paris
Armida abbandonata Dramma per musica Musik Michele Mortellari
Text [?]
Uraufführung 1785, Florenz
Armida abbandonata „Opera seria“ Musik Alessio Prati
Text Gaetano Sertor
Uraufführung 1785, München
Armide „Ein Singspiel in drey Aufzügen“ Musik Johann Rudolph Zumsteeg
Text Johann Christian Bock
Uraufführung 1785, Stuttgart
Armida e Rinaldo Drama per musica Musik Giuseppe Sarti
Text Marco Coltellini
Uraufführung 15.1.1786, St. Petersburg
Armida Dramma per musica Musik Vincenzo Righini [und Antonio Tozzi]
Armida und Rinaldo
Armida „Dramma per musica“ Musik Niccolò Antonio Zingarelli
Text Jacopo Durandi
Uraufführung 1786, Rom
Rinaldo Dramma per musica Musik Pietro Skokoff
Text [?]
Uraufführung 1788, Neapel
Rinaldo [auch: Armida] Dramma per musica Musik Pietro Alessandro Guglielmi
Text Giuseppe Maria Foppa
Uraufführung 1789, Venedig
Armida Dramma per musica Musik Felice Alessandri
Text Giuseppe Maria Foppa
Uraufführung 1794, Padua
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Rinaldo und Alcina oder Die Insel der Verführung Musik Text Johann Anton André Ludwig von Baczko
Entstehung 1799
Armida e Rinaldo Musik Giuseppe Cajani
Text [?]
Uraufführung 1799, Lissabon
Rinaldo e Armida Dramma serio per musica Musik Giuseppe Mosca
Text Francesca Gonella
Uraufführung 1800, Florenz
Renaud Musik Johann Christian Friedrich Haeffner
Text Nils Birger Sparrschöld
Uraufführung 1801, Stockholm
Armida e Rinaldo „Dramma per musica“ Musik Gaetano Andreozzi
Text Francesco Gonella
Uraufführung 1802, Neapel
Armida Musik Giuseppe Francesco Bianchi
Text Lorenzo Da Ponte
Uraufführung 1802, London
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Dante, Ariost, Tasso
La selva incantata Musik Vincenzo Righini
Text Antonio de Filistri da Caramondani
Gerusalemme liberata, o sia Armida al campo de’ Franchi Dramma con musica Musik Text Vincenzo Righini Antonio de Filistri da Caramondani La Jérusalem délivrée Musik Text Louis-Luc Loiseau de Persuis Pierre-Marie-François-Louis Baour-Lormian Armida „Dramma per musica“ Musik Text Gioachino Rossini Giovanni Federico Schmidt Das befreite Jerusalem „Lyrisches Drama in zwei Aufzügen“ Musik Traugott Maximilian Eberwein
Uraufführung 1803, Berlin
Uraufführung 1803, Berlin
Uraufführung 1812, Paris
Uraufführung 11.11.1817, Neapel
Text Karl August Ludwig Freiherr von Lichtenstein
Uraufführung 1825, Rudolstadt
Armida, die Zauberin im Orient Musik Franz Joseph Gläser
Text Carl Meisl
Uraufführung 1825, Wien
Armida e Rinaldo Musik Antonio Belisario
Text Bisaccia
Uraufführung 1828, Rovigo
Korsfarerne [Die Kreuzfahrer] „Dramatisches Gedicht für Soli, Chor und Orchester“ Musik Text Niels Wilhelm Gade Armida Musik Karel Kovařovic
Carl Andersen
Uraufführung [konzertant] 1866, Kopenhagen
Text Jaroslav Vrchlický [d. i. Emil Frida]
Entstehung 1888–1895 [Fragment]
Armida und Rinaldo
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Armida Oper in vier Aufzügen Musik Antonín Dvořák
Text Uraufführung Jaroslav Vrchlický [d. i. Emil Frida] 25.3.1904, Prag
Krzyżowcy [Die Kreuzritter] Musik Piotr Rytel
Text Piotr Rytel
Entstehung 1941
Rinaldos kai Armida Musik Manos Hadjidakis
Text Alexis Solomos
Entstehung 1962 [Fragment]
Rinaldo & C. barroccopera nach Händels Rinaldo Musik Azio Corghi
Text Azio Corghi
Uraufführung 1997, Catania
Francesca da Rimini Albert Gier I Präsenz des Sujets Francesca da Rimini-Opern (Roglieri 2001, S. 74–108) entstehen seit der Zeit der Romantik vor allem in Italien. Der auf Dantes Divina Commedia zurückgehende Stoff ist während des gesamten neunzehnten und noch im frühen zwanzigsten Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg außerordentlich beliebt; mit Ausnahme von Saverio Mercadante (1831), Ambroise Thomas (1882), Sergej Vasil’evič Rachmaninov [fortan: Rachmaninow] (1906) und Riccardo Zandonai (1914) hat sich allerdings kein bedeutenderer Komponist seiner angenommen. Stattdessen findet man Namen, die die großen Musikenzyklopädien nicht kennen; sogar einen Amateur wie den Bankier Henry Morin-Pons (1831–1905) aus Lyon, der seine Mußestunden der Lokalgeschichte und Numismatik widmete und trotzdem noch Zeit fand, zwei Opern zu komponieren (Cazenove 1992). Damit mag es zusammenhängen, dass sich für ein Dutzend der annähernd 50 Werke eine Aufführung nicht nachweisen lässt. Das Interesse für den Stoff wurde durch das Libretto von Felice Romani geweckt, das Feliciano Strepponi 1823 vertonte. Romani hatte es bereits 1819 für Giacomo Meyerbeer geschrieben (Roccatagliati 1996, S. 65), aber wegen gewisser „Extravagancen“ (zitiert nach ebd., S. 96) des Librettisten – so Meyerbeers Bruder in einem Brief von 1821 – wurde es von der Zensur verboten; bis 1857 wurde es mindestens zwölf weitere Male vertont. Romani übergeht den Betrug bei der Hochzeit, die Handlung der beiden Akte spielt in Rimini, wo Francesca mit Lanciotto, wie er hier heißt, unglücklich ist. Das Finale des ersten Akts setzt Francescas berühmte Erzählung vom Beginn ihrer Liebe (Alighieri 1988, Inferno Canto V, V. 121–136) in Szene: Sie und Paolo lesen gemeinsam im → Lancelot-Roman, als ‚Kuppler‘ („Galeotto“) bringt sie das Buch dazu, sich ihre Gefühle zu gestehen (anders als bei Dante gibt es im Libretto keinen Kuss). Lanciotto überrascht die beiden, lässt sie in den Kerker werfen und will sie zum Suizid zwingen, was Francescas Vater Guido, der sich gerade in Rimini aufhält, verhindert; seine Tochter will ins Kloster gehen, gewährt Paolo aber ein letztes Rendezvous. Lanciotto überrascht sie erneut, die Liebenden kommen zu Tode. Keine der Vertonungen von Romanis Libretto hat sich im Repertoire halten können. Nur Mercadantes Oper, die zu Lebzeiten des Komponisten nicht gespielt wurde, erlebte 2016 beim Festival della Valle d’Itria ihre verspätete, mit viel Beifall aufgenommene Uraufführung (Richter 2016). https://doi.org/10.1515/9783110424089-037
Francesca da Rimini
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Einige Opern betten die Liebes- und Ehebruchsgeschichte in die Darstellung der Begegnung des Jenseitswanderers Dante mit den Schatten der Liebenden ein: So Jules Barbier und Michel Carré in ihrem Buch für Ambroise Thomas (Dellaborra 2003, S. 69–72). Die Geschichte beginnt mit der Lektüreszene: Francesca ist frei, Lanciotto hat noch nicht um sie geworben, sie kann Paolo ohne schlechtes Gewissen lieben. Wenn Paolos Bruder die Heirat zur Bedingung für einen Friedensschluss macht, gibt sie nach (nachdem ihr gesagt wurde, Paolo wäre tot), erklärt ihrem Ehemann aber sehr deutlich, dass sie ihn nie lieben wird. Am Ende steht die Liebesekstase Francescas und Paolos, der Mord wird nicht gezeigt – dass Dante das Paar in der Hölle trifft, macht hinreichend deutlich, was geschehen ist. Thomas’ 1882 uraufgeführte Françoise de Rimini wurde im Jahr 2011 am OpéraThéâtre de Metz Métropole aus Anlass des zweihundertsten Geburtstags des Komponisten in Szene gesetzt. In dem Libretto, das Modest Il’ič Čajkovskij [fortan: Tschaikowsky] für Rachmaninow schrieb (ebd., S. 72–74; Gier 2011a, S. 43 f.), besteht der Prolog ganz aus nahezu wörtlichen Dante-Zitaten. Nicht nur die Begegnung mit dem Liebespaar, auch die Leiden der Wollüstigen, die von einem ewigen Sturm herumgewirbelt werden, sind eindrücklich dargestellt. Prolog und Epilog rahmen zwei Szenen: In der ersten bettelt der stolze, grausame Lanciotto vergeblich um Francescas Liebe; die zweite zeigt die Liebenden bei der Lektüre des Lancelot-Romans. Paolo bedrängt Francesca, die ihn auf die Wonnen des Paradieses verweist, die sie nach ihrem Tod erwarten und die sie durch Ehebruch verspielen würden. Zuletzt siegt aber auch bei ihr das Begehren: „Mit dir ist mir die Hölle lieber als das Paradies“ (Neef 1997, S. 51)! Die Oper Rachmaninows wurde mehrfach eingespielt (u. a. CHAN10442; DG 453455-2) und immer wieder aufgeführt, szenisch zuletzt 2018 in Novosibirsk und Kiel, 2019 in Liberec sowie konzertant 2017 in St. Petersburg, 2018 in Glasgow und 2019 in Amsterdam und Mannheim. Die einzige Oper, die noch häufiger auf den Spielplänen steht, ist Riccardo Zandonais Francesca da Rimini. In neuerer Zeit gab es Aufführungen z. B. am Teatro alla Scala und an der Opéra national du Rhin in Straßburg (2018), der Metropolitan Opera (zuletzt 2013), an der Pariser (2011) und der römischen Oper (2003). Tito Ricordis Libretto ist ein Extrakt aus Gabriele D’Annunzios gleichnamiger Tragödie, gerade dadurch aber kommt er Dante und den Dante-Kommentaren näher als jeder andere Librettist: Im ersten Akt lernt Francesca Paolo als ihren künftigen Gatten kennen. Die Belagerung der Burg der Malatesta durch die Ghibellinen gibt im zweiten Akt Gelegenheit, das Verhältnis der drei Hauptfiguren zu exponieren: Francesca erwidert Gianciottos (D’Annunzio behält Dantes Namensform bei) Liebe nicht. Paolo begehrt sie, aber sie verzeiht ihm den Betrug bei der Hochzeit
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Dante, Ariost, Tasso
erst, als er sein Leben aufs Spiel setzt und scheinbar tödlich getroffen wird. Die Romanlektüre im dritten Akt endet mit einem Kuss. Im vierten Akt erregt Malatestino, ein von D’Annunzio hinzuerfundener zweiter Bruder Gianciottos, dessen Eifersucht; im fünften überrascht der Ehemann die Liebenden, Francesca läuft ihm in die Klinge, dann tötet er auch Paolo.
II Historische Schichten Uraufführungen von Opern, die Dantes Ehebruchsgeschichte behandeln, sind zwischen 1920 und 1989 nicht nachweisbar. Auf Luis Martínez de Merlos und Alfredo Aracils 1989 uraufgeführte Francesca, o El Infierno de los Enamorados folgt mit Francesca da Rimini 2015 ein Stück Musiktheater (Text: Anna-Sophie Mahler, Musik: Stefan Wirth), das die Episode aus der Divina Commedia mit den (gesprochenen) Selbstzeugnissen von Insassinnen des Münchner Frauengefängnisses konfrontiert (Schwarze 2015). Dieses jüngste Werk verzichtet darauf, die Geschichte nachzuerzählen. Es gibt nur eine Sängerin, die aber nicht Francesca verkörpert; wenn der Ehemann das Liebespaar ermordet, hat sie eine Arie „basierend auf den Originaltexten“; es gibt nur dieses eine „große Aufbäumen von Francesca“ (ebd.). Die Autorin Anna-Sophie Mahler ging von der Frage aus: „Gibt es auch bei dir einen Moment, in dem du einen einzigen Augenblick genießt und dabei die fatalen Konsequenzen vergisst?“ (ebd.). Die Rolle der modernen Francesca da Rimini übernehmen Gefängnisinsassinnen, ihre Aussagen werden von drei Schauspielerinnen vorgelesen. Die Sängerin „setzt […] die vorgelesenen Zitate der Insassen mit kurzen Zwischenrufen in den historischen Kontext“ (ebd.). Die Musik (für zwei Klaviere) orientiert sich an Franz Liszts Symphonie zu Dantes Divina Commedia (ebd.); kritikwürdig schien der „etwas karge Einsatz von Gesang“ (ebd.). Luis Martínez de Merlo korrigiert im Libretto Francesca o El Infierno de los Enamorados für Alfredo Aracil [Francesca oder die Hölle der Liebenden, 1989] Dantes Verdikt über das Liebespaar (Gier 1998, S. 226 f.; Gier 2011a, S. 44–47). Vergil, der Führer des fiktionalisierten Dante, verkörpert die Vernunft, die zum sinnlichen Begehren im Gegensatz steht. Er charakterisiert die Wollüstigen als „los reos / Que sometieron en vida / La razón a su deseo / De gozo“ [die Schuldigen, die im Leben die Vernunft ihrem Verlangen nach Lust unterwarfen] (Aracil 1989, I 2, S. 23) und zitiert damit die Erzählerrede in der Divina Commedia (Alighieri 1988, Inferno Canto V, V. 38 f.). Als Inkarnation des Begehrens wird eine neue Figur eingeführt: La Sombra, der ‚Schatten‘. Wie die großen Liebenden aus Geschichte und Sage wird sie unablässig vom Wind der Leidenschaft umhergetrieben. Allerdings
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scheint sie nicht nur das Begehren an sich, sondern auch konkret das Begehren Francescas zu verkörpern, deren Worte sie mehrfach wörtlich wiederholt (und umgekehrt); ebenso ist Vergil als das Prinzip der Vernunft, zugleich aber als die Vernunft Dantes zu verstehen. Dem verzagenden Dante kündigt Vergil zu Beginn an, er werde am Ende ihrer Wanderung „die Frau, die er liebte“ wiedersehen (Aracil 1989, I 2, S. 23). Das kann sich nur auf die vergeistigte Liebe zu Beatrice beziehen, die den Jenseitswanderer durch das Paradies führen wird. Wenn dann aber in der im Epilog als Traum bezeichneten Szene Dante statt Paolo mit Francesca den Lancelot-Roman liest – unmittelbar vor dem Kuss friert das Bild ein (ebd., II 2, S. 31 f.) –, wird Vergils Aussage zweideutig: Sie könnte sich auch auf eine Frau beziehen, die der Dichter sinnlich begehrt hat und die Francesca glich. Anders als der Dichter der Divina Commedia ist der Dante der Oper nicht bereit, den göttlichen Richterspruch, der Francesca auf ewig in die Hölle versetzt, hinzunehmen: ¿Qué Dios cruel su pasión con saña tal condena Si la hermosura, sombra de la suya en un rostro Puso, y puso el deseo en nuestros corazones? ¿Que ordena ‚no bebáis‘ y nos hace sedientos? [Was für ein grausamer Gott verdammt ihre [Francescas] Leidenschaft mit solcher Wut, wenn er die Schönheit als Abglanz seiner eigenen in ihr Gesicht pflanzte, und das Begehren in unsere Herzen? Der uns befiehlt „Trinkt nicht“ und uns durstig macht?] (ebd., Epílogo, S. 36)
Die Autoren benutzen Gedanken Dantes, um Dante zu widersprechen: Nicht die himmlische Liebe (Beatrice), sondern einzig die irdische verspricht dem Menschen ein wenig Glück. Gabriele D’Annunzios ausufernde, 1902 publizierte Tragödie Francesca da Rimini (D’Annunzio 1995, S. 225–352) begräbt die Geschichte des Liebespaars beinahe unter einer Fülle von Abschweifungen, die Zeitkolorit herstellen sollen. Der Verleger Tito Ricordi hat aus diesem Wust durchaus geschickt ein Libretto für Zandonai extrahiert, ohne an D’Annunzios Versen etwas zu ändern. Dabei kam ihm zugute, dass z. B. Chöre schon in der Tragödie vorgesehen sind (Roth 1999; Dellaborra 2003, S. 75–79; Gier 2011a, S. 40–43). Die erste Szene, in der im Palast der Polenta in Ravenna ein Spielmann auftritt und von Francescas Frauen begrüßt wird, umfasst bei D’Annunzio etwa 340 Verse, im Libretto bleiben davon etwa 90 übrig. Ricordi streicht die erotische Szene, in der die Frauen den Spielmann, der sich als ‚Hund‘ auf alle Viere niedergelassen hat, schlagen und necken. Und wenn er ihnen etwas vorsingen soll, schlagen sie in der Tragödie eine lange Reihe zeitgenössischer Lieder und Cantari vor; im Libretto hingegen entscheidet man
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Dante, Ariost, Tasso
sich gleich für die Geschichte von → Tristan und Isolde, deren erste Strophe der Spielmann dann vorträgt. In der dritten Szene zeigt sich Francescas (hinzuerfundener) Bruder Ostasio, der mit dem Notar Ser Toldo den Betrug, Paolo als angeblichen Ehemann Francescas auftreten zu lassen, vorbereitet, dennoch nicht recht überzeugt von der Verbindung mit den Malatesta; in etwa 300 Versen werden die militärischen Kräfteverhältnisse, Erfolge und Niederlagen der Vergangenheit erörtert – Ricordi hat diese Passage ersatzlos gestrichen. Zu Beginn des dritten Akts erkundigt sich Francesca nach einem Sperber, der sich verflogen hat; der Verlust des Beizvogels steht symbolisch für den Verlust oder die Unerreichbarkeit ihrer Liebe. Das Libretto widmet ihm sieben Verse; sie sind extrahiert aus mehr als vierzig, in denen D’Annunzio Details über die Falknerei im Mittelalter ausbreitet. Auch den ca. 100 Versen der Lektüre-Szene entsprechen ca. 250 in der Vorlage. Der Text des Librettos ist wesentlich prägnanter. Hier hat Ricordi den einzigen Zusatz eingefügt: Paolo ist aus Florenz zurückgekehrt, wo er das Amt des capitano del popolo innehatte (der historische Paolo Malatesta versah es 1282; vgl. Alighieri 1988, Bd. IV, S. 115); er schildert Francesca, wie ihm in der fremden Stadt ständig ihr Bild vor Augen stand, mit einer überdeutlichen Reminiszenz an Wagners Tristan und Isolde: „Nemica ebbi la luce, / Amica ebbi la notte […]“ [Feindlich war mir das Tageslicht, freundlich war mir die Nacht] (Ricordi 1914, S. 49). Für den Tod des Liebespaars ist der dritte Bruder Malatestino verantwortlich, der bei der Belagerung der Burg (II. Akt) ein Auge verloren hat. Er scheint von Grund auf grausam und böse: Bevor er Gianciotto darauf hinweist, dass Paolo gelegentlich die Nacht in Francescas Zimmer verbringt, hat er dem Ghibellinen Montagna, der im Verlies der Burg gefangen ist, den Kopf abgeschlagen und die blutige Trophäe Gianciotto gebracht. Es wird nicht ganz klar, ob der junge Bursche Francesca begehrt oder ob er sie abgrundtief hasst. Malatestino scheint die Verkörperung des Renaissancemenschen zu sein, wie ihn Friedrich Nietzsche (dem D’Annunzio viel verdankt) sieht – eine Art Cesare Borgia en herbe, der in der Zeit Dantes natürlich ein Anachronismus ist. Wie in allen anderen Werken D’Annunzios dominieren auch in seiner Francesca da Rimini-Tragödie die Stereotypen der Décadence; Tito Ricordis Kürzungen haben hier manches abgemildert, ohne den Charakter der Vorlage grundsätzlich zu verändern. Der Prolog von Modest Tschaikowskys russischem Libretto Frantscheska da Rimini für Rachmaninow (1906) schließt eng an Dante an, indem er nicht nur das Liebespaar, sondern auch die Qualen der Wollüstigen zeigt. Paolo und Francesca vermögen offenbar nur mit einer Stimme (homorhythmisch simultan) zu sprechen; auf Dantes Frage, wer sie sind, antworten sie mit Francescas berühmter Sentenz
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„Nessun maggior dolore / Che ricordarsi del tempo felice / Nella miseria“ [Kein andrer Schmerz ist größer / Als zu gedenken an des Glückes Zeiten / Im Elend; Übers. H. Gmelin, Alighieri 1988, Inferno Canto V, V. 121–123]. Nach den beiden Szenen, die ihre Geschichte vergegenwärtigen, entschwinden sie mit dem letzten Vers von Francescas Rede: „Quel giorno più non vi leggemmo avante“ [An jenem Tage lasen wir nicht weiter, Übers. H. Gmelin, ebd., Inferno Canto V, V. 138]. Zuletzt wiederholen die Leidenden die Sentenz über die schmerzliche Erinnerung, die damit zu einer Art Fazit der Geschichte wird. Obwohl die Liebe Ursache ewiger Verdammnis ist, nennt Dantes Francesca die Zeit mit Paolo im Rückblick glücklich. Das mag der Grund sein, warum Tschaikowsky die Liebenden im vollen Bewusstsein der Konsequenzen ihre Entscheidung für die sexuelle Erfüllung – und damit für die Hölle und gegen die unsinnlichen Wonnen des Paradieses – treffen lässt, während es in den meisten anderen Fassungen scheint, als würden sie von ihrem Begehren überwältigt. Paolo und Francesca erscheinen damit (ähnlich wie bei de Merlo und Ghislanzoni) als autonome Persönlichkeiten, die sich dem göttlichen Gesetz nicht unterwerfen; dass sie in Prolog und Epilog kaum zu Wort kommen, mag bedeuten, dass sich dieses Gesetz trotz allem als stärker erwiesen hat. Der vielbeschäftigte Antonio Ghislanzoni (Gerhard 2002), von dem Verdi seinen Entwurf des Aida-Librettos in Verse setzen ließ, schrieb 1878 ein Francesca da Rimini-Buch für den vor allem im komischen Genre erfolgreichen Antonio Cagnoni, dessen tragische Opern „nicht auf der Höhe der Zeit“ sind (Dellaborra 2000, Sp. 1576). Neben der Divina Commedia benutzte der Librettist Boccaccios Dante-Kommentar als Nebenquelle, was die Abweichungen von der Standard-Version der Geschichte z. T. erklärt (Dellaborra 2003, S. 64–65). Auch Ghislanzoni verzichtet auf den Betrug bei der Hochzeit, bei ihm geht Lanciotto mit Francesca zum Altar – natürlich handelt es sich wie in allen anderen Libretti um eine politisch motivierte Heirat. Vorher hat Francesca ihrem Beichtvater Frate Bonaventura gestanden, dass sie einen geheimnisvollen jungen Mann nicht vergessen kann, der sie vor einem Jahr, als sie allein im Park war, von der Straße aus beobachtete, ihr seine Liebe erklärte und auf Nimmerwiedersehen davongaloppierte (es war Paolo). Als Lanciottos Bruder bei der Hochzeit erscheint, wird Francesca ohnmächtig; der Söldner Alberigo errät, wie die beiden zueinander stehen, und wird zu einer Art Iago avant la lettre. Fünf Jahre lang kommandiert Paolo die Truppen der Malatesta und ist von Rimini abwesend. Seine geplante Hochzeit mit der Tochter Anastagis, die die Feindschaft der beiden Familien beenden soll, brächte ihn zurück ins Stammschloss, aber Alberigo verrät dem Brautvater, Paolo liebe eine andere Frau. Daraufhin zieht Anastagi seine Zustimmung zu der Heirat zurück. Ein erklärender Brief Anastagis weckt Lanciottos Verdacht, den Alberigo
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Dante, Ariost, Tasso
weiter schürt. Der Ehemann stellt Frau und Bruder zur Rede; Paolo will Rimini wieder verlassen. Lanciotto erklärt, er müsste abends nach Perugia reisen. Bei einem nächtlichen Rendezvous beschwört Francesca Paolo zu fliehen; er versucht, sie zur gemeinsamen Flucht zu überreden. Der zurückgekehrte Lanciotto überrascht die beiden, Francesca wirft sich zwischen die Brüder, die einander mit gezogenen Schwertern gegenüberstehen; Lanciotto trifft sie tödlich, dann erschlägt er (hinter der Bühne) Paolo. Ghislanzonis Libretto steht in der Tradition des romantischen melodramma – auch formal: Der Librettist hat eine Vorliebe für Settenari mit piano- und sdrucciolo-Ausgang in regelmäßigem Wechsel, wie man sie z. B. in den Libretti der Opern Gaetano Donizettis häufig findet; so etwa, wenn der Intrigant Alberigo Lanciotto auf die Vertrautheit zwischen Francesco und Paolo aufmerksam macht, die im Garten in ihre gemeinsame Lektüre vertieft sind: Gli sdegni tacciono… La larva dell’ucciso Fratel da lei dileguasi… Erra un gentil sorriso Sul volto ove riflettersi Pareva il cor turbato… [Der Zorn schweigt … Der Geist des erschlagenen Bruders weicht von ihr … Ein freundliches Lächeln spielt auf ihrem Gesicht, wo sich vormals ein gequältes Herz zu spiegeln schien…] (Ghislanzoni 1888, III 2, S. 24)
Indem Ghislanzoni den Betrug bei der Hochzeit durch eine flüchtige, aber schicksalhafte Begegnung Paolos mit Francesca vor der Heirat mit Gianciotto ersetzt, bringt er die romantische Kategorie der Fatalität ins Spiel. Auch der Ritterroman von Lancelot und Ginevra gelangt durch einen vielleicht schicksalhaften Zufall in Francescas Hände: Sie kommt hinzu, als der Spielmann Silvio Pagen und Fräulein des Hofes aus dem Buch vorliest. Ihre Reaktion ist bezeichnend: „non credo / Esistere quaggiù felici amori…“ [Ich glaube nicht, dass es auf Erden glückliche Liebe gibt] (ebd., II 2, S. 14). Daraufhin schenkt ihr Silvio das Buch (der Librettist dürfte keine Vorstellung davon gehabt haben, was im dreizehnten Jahrhundert eine solche Handschrift kostete): Es soll ihre Traurigkeit verscheuchen. Wenn Alberigo und Lanciotto das Paar vom Fenster aus beobachten, lesen die beiden offenbar diesen Roman. Paolo, der die Geliebte im letzten Akt zur gemeinsamen Flucht überreden will, erinnert sie an den heißen Kuss, den sie in einer „heiligen Stunde“ tauschten (ebd., IV 3, S. 33) – das kann eigentlich nur bei der Lektüre im Garten gewesen sein. Ghislanzoni verzichtet aber wohl als einziger Librettist darauf, die Szene zu zeigen. Ähnlich wie D’Annunzios Malatestino wird bei Ghislanzoni der Söldner Alberigo zur Nemesis der Liebenden. Als Francesca am Hochzeitstag bei der Ankunft
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Paolos ohnmächtig wird, durchschaut er als einziger die Zusammenhänge: „Un tal segreto / Mi gioverà…“ [Ein solches Geheimnis kann mir nützlich sein] (ebd., I 5, S. 12). Wenn er Lanciotto auf die verdächtige Vertrautheit zwischen den beiden aufmerksam macht, gerät der freilich in Zorn und droht, ihn köpfen zu lassen, was ihn nicht daran hindert, Alberigo wenig später als Spion auf die Fährte des Paares zu setzen. Alberigo steht in der Tradition der Schurken im romantischen Melodram. Obwohl Hauptmann, sieht er sich als Zukurzgekommenen, als armen Söldner, der an den vom Glück Begünstigten Rache nehmen will. Dabei spielt auch patriotische Empörung eine Rolle, von der schwer zu sagen ist, ob sie aufrichtig ist: Alberigo wirft den Mächtigen vor, die Sache Italiens verraten zu haben: Italia … Italia gridano Questi bastardi ignavi, Oggi aborriti despoti, Doman frementi schiavi, E vendono l’impero, Fan patti allo straniero, Pur rimescendo ai brindisi Italia e libertà!… [Italien, Italien schreien diese faulen Bastarde, die heute verabscheute Despoten, morgen zitternde Sklaven sind; sie verkaufen die Herrschaft, paktieren mit dem Ausland und mengen doch in ihre Trinksprüche Italien und die Freiheit!] (ebd., II 4, S. 16)
Sterbend resümiert Francesca Dantes Urteil über das ehebrecherische Paar: Se è ver che un Dio terribile Chi molto amò punisca… Del cielo assunta ai gaudii Francesca esser non può. [Wenn es wahr ist, dass ein schrecklicher Gott den bestraft, der viel geliebt hat, kann Francesca nicht zu den himmlischen Freuden erhoben werden.] (ebd., IV 4, S. 36)
Das Verdikt wird allerdings zunächst von Francesca selbst relativiert und dann von Frate Bonaventura schlichtweg negiert: Pur che all’amato Paolo L’eternità mi unisca, Nel pianto e nelle tenebre Il paradiso avrò. Fr. Bon. Non disperare, o misera… Fu grande il tuo peccato, Ma in cielo è perdonato
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Chi molto in terra amò. [Aber wenn die Ewigkeit mich mit dem geliebten Paolo vereinigt, werde ich unter Klagen in der Finsternis das Paradies finden. – Frate Bonaventura. Verzweifle nicht, du Unglückliche … Deine Sünde war groß, aber dem, der auf Erden viel geliebt hat, wird im Himmel vergeben.] (ebd., IV 4, S. 36)
Der Mönch setzt Francescas Position, die ähnlich wie später bei Tschaikowsky die Höllenstrafe relativiert, eine Religion der Liebe entgegen, die der offiziellen kirchlichen Lehrmeinung im neunzehnten wie im vierzehnten Jahrhundert allerdings kaum entsprach. Ghislanzonis Libretto nimmt in vielfacher Hinsicht Bezug auf die romantische Tradition und erweist sich dadurch als rückwärtsgewandt (was möglicherweise den Intentionen des Komponisten entsprach). Das mit Abstand erfolgreichste Libretto über unseren Stoff stammt von Felice Romani (1823; Romani 2017). Es steht im Kontext der Dante-Renaissance zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, die maßgeblich durch den Freiheitskämpfer und Revolutionär Giuseppe Mazzini (1805–1872) befördert wurde (Cascio 2016, S. 143–148): In seiner Schrift Dell’amor patrio di Dante (1826, veröffentlicht 1837) verstand Mazzini Dante als italienischen Patrioten und – einigermaßen anachronistisch – als Rebellen, der für die Freiheit kämpfte. Vor Romanis Libretto waren drei Tragödien über den Francesca da Rimini-Stoff entstanden, von Silvio Pellico (1815), Eduardo Fabbri (1820) und Bernardo Bellini (1820) (ebd., S. 149–162); Romani orientierte sich an Pellicos Drama, das dem Tragödienmodell Vittorio Alfieris folgt (ebd., S. 156 und 162). Romanis Libretti – so auch Francesca da Rimini – „sprechen von Romantik, aber mit den Formen des Klassizismus“ (ebd., S. 164; vgl. auch Dellaborra 2003, S. 60; Roccatagliati 1996, S. 5 f.). In seinen kritischen Schriften hat der ewige Klassizist Romani die Romantiker mit polemischer Schärfe bekämpft (Roccatagliati 1996, S. 41–57), in seinen Libretti allerdings war er (mit Rücksicht auf den Publikumsgeschmack und die Wünsche der Komponisten) genötigt, Vorlagen romantischer Autoren (wie Walter Scott, Victor Hugo, Lord Byron) oder auch Shakespeares zu adaptieren (Russo 2005, Sp. 329). Der erste Eindruck, den sein Buch von Lanciotto vermittelt, ist keineswegs negativ: Nachdem er eine Schlacht gegen einen ungenannten Feind gewonnen hat, zieht er der Vernichtung des Gegners einen ehrenvollen Frieden vor. Seine Ehe mit Francesca allerdings ist nicht glücklich. Wir sehen sie zunächst schlafend, sie träumt, beobachtet von ihren Frauen, von Paolo und muss erwachend feststellen, dass es nur ein Traum war. Wenn ihr Vater, der in Rimini zu Besuch ist, sich nach dem Grund für ihre Melancholie erkundigt, erklärt sie, sie habe nicht heiraten, sondern in ein Kloster gehen wollen; da man sie zur Ehe gezwungen
Francesca da Rimini
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habe, müsse sie unglücklich sein. Lanciotto allerdings hegt von Beginn an den Verdacht, Grund des Kummers könne die Liebe zu einem anderen Mann sein. Die unverhoffte Begegnung mit dem nach Rimini zurückgekehrten Paolo lässt sie wie bei Ghislanzoni ohnmächtig werden. Wie schon gesagt, endet der Akt mit der Lektüre des Lancelot-Romans und der Entdeckung durch Lanciotto. Der zweite Akt zeigt das düstere Bild des Kerkers, wo Lanciotto den Ehebrechern die Wahl zwischen Schwert und Giftbecher lässt – natürlich wählt Paolo die Waffe, Francesca das Gift. Das romantische Drama bietet manche Parallelen zu dieser Szene, man vergleiche etwa den Schluss von Victor Hugos Hernani (1830), wo Ruy Gomez den Protagonisten zum Suizid zwingt und ihm ebenfalls die Wahl zwischen Schwert und Gift lässt – mit ihm wird auch die ihm gerade angetraute Doña Sol sterben (Hugo 1979, S. 430 f.). Nachdem Francescas Vater die Liebenden zunächst gerettet hat, werden sie bei dem letzten Rendezvous, das Francesca Paolo gewährt, wieder von Lanciotto überrascht; seine Frau läuft ihm in die Klinge, Paolo tötet sich selbst, da er Francesca tödlich verwundet sieht. Romani rekurriert nicht explizit auf die Fatalität; dennoch kann man die den Romantikern so teure Kategorie als die Wurzel des Übels sehen, das den Liebenden widerfährt. Romanis Libretto von 1823 wird für spätere Vertonungen z. T. einschneidend bearbeitet. Der Text, den Giuseppe Staffa 1831 vertonte, ist nicht nur drastisch gekürzt, es sind auch mehrere Nummern durch neue Texte ersetzt; der anonyme Bearbeiter verändert darüber hinaus auch den Schluss (Romani 1831, II 6, S. 23 f.): Der Mord geschieht hinter der Bühne. In der letzten Szene tritt Lanciotto mit dem blutigen Schwert in der Hand auf, dem Wahnsinn nahe. Er erschrickt vor seiner eigenen Tat, die er mit dem Ehebruch des Paares rechtfertigt, aber dennoch bitter bereut, und ruft die Strafe des Himmels auf sich herab, ehe er versucht, sich selbst zu töten, was von den Umstehenden verhindert wird. Die Geschichte vom Ehebruch der Francesca da Rimini mit ihrem Schwager Paolo und der Ermordung des Paares durch den Ehemann Gianciotto ist die bekannteste Episode aus Dante Alighieris Divina Commedia, die um 1320 vollendet wurde (Alighieri 1988, Inferno Canto V, V. 73–142). Wie gewöhnlich schildert Dante die Begegnung mit dem ehebrecherischen Paar in der Hölle und setzt ihre Geschichte als bekannt voraus; erst die Kommentatoren seit Boccaccio ergänzen, dass Francesca bei ihrer Hochzeit in dem Glauben gelassen wurde, nicht der hässliche, hüftlahme Gianciotto, sondern der attraktive Paolo, der nach Ravenna gereist war, um die Eheschließung seines Bruders per procura zu vollziehen, wäre ihr Gatte.
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Dante, Ariost, Tasso
Dantes Sympathie für die beiden Ehebrecher ist unübersehbar; nachdem er Francescas Erzählung gehört hat, wird er aus Mitleid ohnmächtig: „E caddi come corpo morto cade“ [Und ich fiel nieder wie ein toter Körper, Übers. H. Gmelin; Alighieri 1988, Inferno V, V. 142]. Dennoch versetzt der Autor Dante, der das göttliche Gesetz nicht in Frage stellt, die beiden in die Hölle, wo sie ihre Todsünde in alle Ewigkeit büßen müssen. Dass sie zusammen sind, während andere große Liebende offenbar jeder für sich büßen – Vergil nennt Tristan, Isolde scheint abwesend; Helena und Paris werden erwähnt, aber nicht in einem Atemzug (Alighieri 1988, Inferno Canto V, V. 64–67) –, könnte als besondere Gnade Gottes, aber auch als Verschärfung der Strafe aufgefasst werden, da beide unter den Qualen des jeweils anderen möglicherweise mehr leiden als unter den eigenen. Die Librettisten ergreifen ausnahmslos mehr oder weniger explizit Partei für die Liebenden gegen den Ehemann; wenn sie in die Hölle versetzt werden wie in Modest Tschaikowskys Libretto für Rachmaninow, ist das die Folge einer bewussten Entscheidung gegen das Paradies, wo man, so Paolo, die Wollust nicht kennt (Neef 1997, S. 49), d. h. die Liebenden erweisen sich als größer denn ihr Schicksal.
III Werkliste Francesca da Rimini „Melodramma“ Musik Feliciano Strepponi
Text Felice Romani
Uraufführung 23.7.1823, Vicenza
Francesca da Rimini „Dramma per musica“ Musik Luigi Carlini
Text Felice Romani
Uraufführung 19.8.1825, Neapel
Francesca da Rimini „Dramma per musica“ Musik Pietro Generali
Text Paolo Pola
Uraufführung 26.12.1828, Venedig
Francesca da Rimini „Melodramma per musica in due atti“ Musik Text Massimiliano Quilici Felice Romani
Uraufführung 2.2.1829, Lucca
Francesca da Rimini
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Francesca da Rimini „Dramma per musica in due atti“ Musik Saverio Mercadante
Text Felice Romani
Uraufführung 30.7.2016, Martina Franca [Entstehung: 1831]
Francesca da Rimini „Dramma per musica“ Musik Giuseppe Staffa
Text Felice Romani
Uraufführung 3.12.1831, Neapel
Francesca da Rimini Dramma per musica Musik Ruggero Manna
Text Felice Romani
Entstehung 1832
Francesca da Rimini Dramma per musica Musik Giuseppe Fournier
Text Felice Romani
Uraufführung 20.7.1832, Livorno
Francesca da Rimini Musik Adelaide Orsola Appignani
Text Felice Romani
Entstehung 1835
Francesca da Rimini „Dramma tragico“ Musik Giuseppe Tamburini
Text Felice Romani
Uraufführung 26.12.1835, Rimini
Francesca da Rimini Dramma per musica Musik Francesco Morlacchi
Text Felice Romani
Entstehung 1836 [Fragment]
Francesca da Rimini Melodramma Musik Emmanuele Borgatta
Text Felice Romani
Uraufführung 28.1.1837, Genua
Francesca da Rimini Dramma per musica Musik Antonio Maglioni
Text [?]
Uraufführung 1840, Genua [?]
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Dante, Ariost, Tasso
Francesca da Rimini Dramma per musica [in tre atti] Musik Eugen Nordal [d. i. Johann Arnold-Gruber]
Text Paolo Pola
Uraufführung 17.2.1840, Linz
Text Felice Romani
Uraufführung 1841, Mailand
Francesca da Rimini „Tragedia lirica in tre atti“ Musik Francesco Canetti
Text Felice Romani
Uraufführung 18.2.1843, Vicenza
Francesca da Rimini Dramma per musica Musik Antonio Brancaccio
Text [?]
Uraufführung ca. 1843
Francesca da Rimini Dramma per musica Musik Salvatore Pappalardo
Text [?]
Uraufführung 1844 oder 1847
Francesca da Rimini Musik Enrico Rolland
Text Filippo Meucci [?]
Entstehung 1844
Francesca da Rimini Musik Vincenzo Sassaroli
Text Felice Romani
Uraufführung 1846, Catania
Françoise de Rimini Musik Casimir Gide
Text [?]
Uraufführung 1850 [?]
Francesca da Rimini Dramma per musica Musik Pio Bellini, Giuseppe Devasini [Akt I], Giovanni Battista Meiners [Akt II]
Francesca da Rimini „Melodramma tragico in un atto solo“ Musik Text Pietro Ruggieri Artaserse Folli
Uraufführung 1855, Parma [?]
Francesca da Rimini
Francesca da Rimini „Azione melodrammatica in un atto“ Musik Text Pietro Pinelli Dante Alighieri [so der Librettodruck]
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Uraufführung 1856, Bologna
Francesca da Rimini Meldodramma in tre atti Musik Giovanni Franchini
Text Felice Romani
Uraufführung 1.1.1857, Lissabon
Francesca da Rimini Musik Andrea Zescevich
Text [?]
Uraufführung 1860 [?]
Francesca da Rimini Operetta in un atto Musik Marius Boullard
Text [?]
Uraufführung 3.4.1866, Paris [?]
Francesca da Rimini Musik Francesco Petillo
Text [?]
Uraufführung ca. 1870
Francesca da Rimini Musik Giuseppe Marcarini
Text Matteo Benvenuti
Uraufführung 26.2.1870, Piacenza
Francesca da Rimini Musik Francesco de la Riva y Mallo
Text [?]
Uraufführung 1870er Jahre [?]
Text [?]
Uraufführung 1875, Wien
Text Hermann Goetz, Joseph Viktor Widmann
Uraufführung 23.9.1877, Mannheim
Francesca da Rimini Operette für Liedertafeln Musik Konradin [d. i. Karl Ferdinand Kohn] Francesca von Rimini „Oper in drei Akten“ Musik Hermann Goetz [fertig gestellt von Ernst Frank]
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Dante, Ariost, Tasso
Francesca da Rimini Dramma lirico Musik Vincenzo Moscuzza
Text [?]
Uraufführung 1877, Malta
Francesca da Rimini „Tragedia lirica in quatro atti“ Musik Antonio Cagnoni
Text Antonio Ghislanzoni
Uraufführung 19.2.1878, Turin
Text Pons Moreno
Uraufführung 24.5.1879, Lyon
Francesca da Rimini Musik Gaetano Impallomeni
Text [?]
Uraufführung 1880er Jahre [?]
Françoise de Rimini „Opéra en quarte actes“ Musik Ambroise Thomas
Text Jules Barbier, Michel Carré
Uraufführung 14.4.1882, Paris
Text Josef Paleček, Evgeniĭ Petrovich Ponomarev
Uraufführung 9.12.1902, St. Petersburg
Les Malatesta „Opéra en quatre actes“ Musik Pons Moreno [d. i. Henry MorinPons]
Frančeska da Rimini Musik Eduard F. Nápravník
Frantscheska da Rimini Oper in zwei Bildern mit Prolog und Epilog Musik Text Sergei Wasiljewitsch Modest Iljitsch Tschaikowsky Rachmaninow
Uraufführung 24.1.1906, Moskau
Paolo e Francesca „Dramma lirico in un atto“ Musik Luigi Mancinelli
Text Arturo Colautti
Uraufführung 1.11.1907, Bologna
Paolo és Francesca Oper in drei Akten Musik Emil Ábrányi
Text Emil Ábrányi [Vater]
Uraufführung 13.1.1912 [?], Budapest
Francesca da Rimini
Francesca da Rimini „Drame lyrique en trois actes“ Musik Franco Leoni
Text Francis Marion Crawford [Übersetzung: Marcel Schwob]
Uraufführung 6.1.1914 [?], Paris
Francesca da Rimini „Tragedia in quattro atti“ Musik Riccardo Zandonai
Text Tito Ricordi
Uraufführung 19.2.1914, Turin
Paolo e Francesca Musik Conrado del Campo [y Zabaleta]
Text [?]
Uraufführung 1911 [?]
Les Amants de Rimini Musik Max d’Ollone
Text Max d’Ollone
Uraufführung 2.3.1916, Paris
Paolo and Francesca Musik Claude M. Haydon
Text Claude M. Haydon
Uraufführung 1920, Melbourne
Francesca da Rimini Musik Robert Hernried
Text [?]
Uraufführung ca. 1920
Paolo and Francesca Opera in three acts Musik Dorothy James
Text [?]
Uraufführung 1933 [?]
Francesca, o El Infierno de los Enamorados Musik Text Alfredo Aracil Luis Martínez de Merlo
Uraufführung 28.3.1989, Madrid
Francesca da Rimini Musik Stefan Wirth
Text Anna-Sophie Mahler
Uraufführung 2015, München
Paolo and Francesca Musik Edward Maryon
Text [?]
Uraufführung [?]
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Roland Florian Mehltretter I Präsenz des Sujets Roland, Paladin Karls des Großen, ist der Held zahlreicher mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Erzähltexte. In die Oper gelangt er meist über den wirkmächtigsten unter diesen, den Versroman Orlando furioso (Der rasende Roland, 1516/1532) von Ludovico Ariosto, der als erster und einziger dem Helden wahnhaften Furor zuschreibt; zwischen diesem Text und den wichtigsten Opernfassungen besteht mithin nicht so sehr Mythosgleichheit als vielmehr ein spezifisches Verweisverhältnis, das je nach Bildungskontext mehr oder weniger kommunikationsrelevant ist. Ariosts Roman verwebt allerdings das Geschehen um Roland in einen dicht gewirkten Teppich von Handlungssträngen, der auch manch anderen späteren Opernstoff enthält (zu erwähnen sind die Opern über Rinaldos Aventüre in Schottland, von Giacomo Antonio Pertis und Antonio Salvis Ginevra, Principessa di Scozia, 1708, über Händels und Salvis Ariodante, 1735, bis zu Johann Simon Mayrs Ginevra di Scozia nach Salvi und Gaetano Rossi, 1801; oder Opern über Episoden wie Giocondo e il suo re von Carlo Jachino, Text von Giovacchino Forzano nach dem 28. Canto des Orlando furioso, 1924; vgl. außerdem → Alcina und Ruggiero). Allen daraus hervorgegangenen Opern gemeinsam ist daher das Problem, aus der Vielzahl der bei Ariost verschlungen auftretenden Handlungsstränge eine bühnentaugliche, tendenziell einheitliche Handlung, um Roland isolieren zu müssen (Eouzan 2009, § 11). Auf der heutigen Opernbühne am präsentesten ist die Oper Orlando von Georg Friedrich Händel, uraufgeführt am 27. Januar 1733 im King’s Theatre am Londoner Haymarket; das anonyme Libretto fußt auf einem älteren Textbuch von Carlo Sigismondo Capece (Orlando ovvero La gelosa pazzia, mit der Musik von Domenico Scarlatti 1711 in Rom uraufgeführt). Daneben werden heute auch gelegentlich die Orlando-Opern von Antonio Vivaldi und Joseph Haydn sowie die entfernter mit dem Stoff verwandte Oper Esclarmonde von Jules Massenet gespielt. Zu Beginn von Händels Orlando wird zunächst kurz der Zwiespalt des Titelhelden zwischen dem Streben nach Kriegsruhm und eitlem Liebesbegehren aufgerufen, um dann im ersten Akt hauptsächlich die erotischen Verwicklungen zu entfalten: Der bretonische Ritter Orlando liebt die Königin von Catai, Angelica, die ihm zu Dank verpflichtet ist, weil er sie aus Lebensgefahr gerettet hat. Angelica hat sich jedoch – ebenso wie die Schäferin Dorinda – in den schönen, aber an Rang und https://doi.org/10.1515/9783110424089-038
Roland
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Ruhm geringen Jüngling Medoro verliebt und will mit ihm gemeinsam in ihre Heimat fliehen. Im zweiten Akt wollen die Liebenden aufbrechen, und Medoro schnitzt ihre umschlungenen Namen in die Rinde eines Baums. Als Orlando, von Dorinda bereits auf die Liebe zwischen Medoro und Angelica vorbereitet, die Inschriften findet, verfolgt er wütend das fliehende Paar. Als er auf Angelica trifft, wird sie ihm, in eine Wolke gehüllt, von vier Genien entzogen. Orlandos Wut steigert sich nun zu Wahnvorstellungen: Er glaubt, die Geliebte in die Unterwelt hinein zu verfolgen. Im dritten Akt kehrt Angelica zum Hain der Schäferin Dorinda zurück, denn dies ist ihr Treffpunkt mit Medoro, falls Widrigkeiten sie trennen. In der Tat hält sich Medoro dort versteckt, wird aber von dem immer noch wahnsinnigen, alles zerstörenden Orlando unter den Trümmern von Dorindas Behausung begraben; Angelica wird von Orlando unerkannt in eine Grotte geworfen. Doch der Zauberer Zoroastro, der das Geschehen von Anfang an aufmerksam überwacht hat, greift nun ein. Er rettet Angelica, wie er zuvor bereits Medoro beschützt hat, und heilt Orlando mithilfe eines Göttertranks von seinem Wahnsinn. Dann löst er den Konflikt, indem er Angelica mit Medoro zusammenführt und Orlando bittet, ihnen zu verzeihen. Orlando verkündet daraufhin, er habe die Liebe und sich selbst besiegt. Der anfängliche Zwiespalt Orlandos ist damit zugunsten seiner Bestimmung als Kriegsheld entschieden. Einflussreiche Produktionen von Händels Oper waren in jüngerer Zeit die Inszenierungen von David Alden (Dirigent: Ivor Bolton) in München und JensDaniel Herzog (Dirigent: William Christie) in Zürich, beide 2006 und beide szenisch in die Welt des zwanzigsten Jahrhunderts versetzt. Alden problematisiert die Unterordnung der Liebe unter die Pflicht, während Herzog stärker den Wahnsinn als Verweigerung gegenüber gesellschaftlichen Erwartungen fokussiert. In der Produktion des Théâtre de la Monnaie in Brüssel unter der Regie von Pierre Audi und dem Dirigat von René Jacobs 2012 greift der Wahnsinn über die Titelfigur hinaus auch auf andere Aspekte der dargestellten Welt über. Von den anderen beiden heute präsenten Orlando-Opern ist diejenige von Grazio Braccioli (Text) und Antonio Vivaldi (Musik) die ältere: Ihr Orlando furioso wurde am 10. November 1727 am Teatro Sant’Angelo in Venedig uraufgeführt; der Text war schon 1713 in einer musikalischen Fassung von Giovanni Alberto Ristori im gleichen Theater zu Gehör gekommen und ein Jahr später mit Ergänzungen Vivaldis wiederaufgenommen worden. Die Orlando-Handlung wird hier mit Elementen der Liebesgeschichte zwischen Ruggiero, Bradamante, Astolfo und Alcina – ebenfalls aus Ariosts Roman – kombiniert, sodass durch die Zusammenfügung der Episoden neue Handlungssequenzen entstehen, die im Roman nicht vorkommen. Anstelle der pastoralen Welt wird die Insel der Zauberin Alcina zu einem von aller Erfahrung abgetrennten Schauplatz. Hier nimmt das Geschehen
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Dante, Ariost, Tasso
der Oper seinen Ausgang, als Angelica und Medoro, auf der Flucht vor Orlando voneinander getrennt, auf die Insel gelangen. Angelica findet ihren Geliebten, der schwer verletzt in einem Boot ans Ufer getrieben wird. Alcina kann Medoro heilen, doch nun erscheint auch Orlando und bedroht seinen Rivalen. Um die Situation zu entschärfen, gibt Alcina Medoro als Bruder Angelicas aus. Angelica beteuert Orlando gegenüber ihre Liebestreue und befremdet damit Medoro. Alcina wiederum begehrt Ruggiero, erweckt durch Zauber seine Liebe und weist dafür Astolfos Annäherungen ab. Dieser verbündet sich mit Ruggieros Verlobter Bradamante, die mithilfe eines magischen Rings Ruggiero aus dem Liebesbann erlösen kann. Angelica will Orlando endgültig loswerden und setzt ihn mit magischer Unterstützung Alcinas in einer Höhle gefangen. Mit Alcinas Segen feiern Angelica und Medoro Hochzeit. Orlando, der sich befreien konnte und das Fest beobachtet hat, verfällt dem Wahnsinn. Astolfo, Ruggiero und Bradamante, die ihn für tot halten, wollen ihn an Alcina rächen. Im Tempel der Hekate, wo eine Statue Merlins mit seiner Asche aufbewahrt wird, auf der Alcinas magische Kräfte gründen, ist die Racheintrige gegen Alcina in vollem Gang, als plötzlich – wirr redend und tanzend – der wahnsinnige Orlando auftaucht. Dadurch ergeben sich weitere Verwicklungen, die schließlich darin gipfeln, dass Orlando im Wahn die Statue Merlins für Angelica hält, aus ihrer Verankerung reißt und auf diese Weise unbeabsichtigt die Zaubermacht Alcinas bricht. Ihr Reich versinkt. Astolfo holt vom himmlischen ewigen Feuer eine Fackel, deren Anblick Orlando gesund macht. Er vergibt Angelica und überlässt sie Medoro. Eine Besonderheit des Textes liegt in der Darstellung Medoros als nicht besonders mutig, ganz im Gegensatz zu Ariosts Vorlage. Angelica wird stärker als bei Ariost als Intrigantin vorgestellt; sie versucht sogar, Orlando durch eine List in den Tod zu locken (Braccioli 1727, II.6, S. 32 f.). Das Stück ist insgesamt ungeordneter, handlungs- und figurenreicher als das spätere von Händel und insofern näher an Opernmodellen des siebzehnten Jahrhunderts sowie an Ariosts Roman. Obwohl es weniger als Händels Textvorwurf von Philippe Quinaults Roland geprägt ist, dreht sich seine Handlung gleichwohl um ähnliche Werte und Konflikte, kulminierend in der Feier von Orlandos magnanimitas. Die Inszenierung von David Bösch (musikalische Leitung: Andrea Marcon) in Frankfurt am Main 2010 interessierte sich besonders für die ‚Außenseiter‘ Orlando und Alcina, deren Komplexität auch durch den Sonderraum der Zauberinsel besonders sichtbar wurde. Stärker an historischer Aufführungspraxis orientiert war die Produktion in Venedig (Teatro La Fenice) unter der musikalischen Leitung von Diego Fasolis und der Regie von Fabio Ceresa 2017. 2018 kam das Werk unter Ettore Prandi (Dirigat) und Andreas Franz (Regie) an der Kammeroper Hamburg heraus.
Roland
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Joseph Haydn vertonte für eine Aufführung am 6. Dezember 1782 in Schloss Esterháza einen Orlando Paladino auf ein Libretto von Nunziato Porta, welches wiederum auf ein älteres Textbuch von Carlo Francesco Badini zurückgeht: Medoro und Angelica sind zu Beginn der Oper auf ihrer Reise in Angelicas Reich und werden von Rodomonte und Orlando verfolgt. Medoro wird nunmehr vollends als Feigling gezeichnet, der sogar erwägt, Angelica aus Furcht zu verlassen. Diese beschwört vermittels eines Zauberbuchs die Magierin Alcina, um sie als Helferin zu gewinnen. Orlando erfährt – wie in fast allen Versionen des Stoffs – durch Inschriften in Baumrinden, dass Medoro und Angelica ein Paar sind, und wird wahnsinnig. Er will die Liebenden töten, wird aber von Alcina in einen Fels verwandelt. Alcina belebt ihn später wieder und lässt ihn in die Unterwelt hinabsteigen. Dort benetzt ihn Charon, der Unterweltsfährmann, mit Tropfen des Letheflusses, und Orlando kann Angelica vergessen. Am Ende steht ein buffatypisches Ensemble-Finale. Rezente Inszenierungen waren diejenige von Amir Hosseinpour und Nigel Lowery unter der musikalischen Leitung von René Jacobs 2009 an der Staatsoper Berlin und diejenige von Jetske Mijnssen unter dem Dirigat von Gianluca Capuano 2016 in Winterthur und Zürich, welche beide den komischen Aspekt besonders herausstrichen; Axel Ranischs Münchener Inszenierung von 2018 (Dirigent: Ivor Bolton) versetzt das Stück in ein Kino. Eher ein Anlagerungsphänomen bezüglich der Roland-Tradition ist das von Alfred Blau und Louis de Gramont verfasste Libretto für Jules Massenets Oper Esclarmonde (Uraufführung am 15. Mai 1889 in der Pariser Opéra-Comique). Die beiden Autoren bedienen sich stofflich eines anonymen altfranzösischen Versromans des zwölften Jahrhunderts, Partonopeus de Blois, dessen Titelhelden sie durch den Ritter Roland de Blois ersetzen. Dies ist hauptsächlich eine Namensähnlichkeit (der Roland der Tradition hat andere Lehen als Blois: so die bretonische Mark, Blay-sur-Gironde oder auch Angers), jedoch wird für den modernen Rezipienten dadurch eine Analogie hergestellt, dass auch dieser Roland gegen die Sarazenen kämpfen muss. Die mit Zauberkräften begabte Esclarmonde wohnt dem Ritter Roland jede Nacht unter der Bedingung bei, dass er nie ihren Schleier lüfte. Es kommt jedoch zu einer doppelten Katastrophe, durch die Esclarmonde ihre Zauberkraft und beide ihr Liebesglück verlieren. Erst nach gefährlicher Prüfung werden sie am Ende vereint. Die Oper verbindet eine mit Wagner konkurrierende Ausformung einer spezifisch ‚mittelalterlichen‘ mythischen – und zugleich tiefenpsychologisch symbolträchtigen – Welt mit einer Betonung des Wunderbaren im Sinne des bretonischen Sagenkreises um König Artus. Dadurch und mit der differenzierten, reich ausgestalteten Musik, nicht zuletzt der für die – Sensationserfolge feiernde – junge amerikanische Koloratursopranistin Sibyl Sanderson geschriebenen Titelrolle, gelingt es Massenet, anlässlich der
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Dante, Ariost, Tasso
Pariser Weltausstellung 1889 ein gewichtiges ‚nationales‘ Werk vorzustellen: Es erhebt den Anspruch, auf der Höhe des Wagnerschen Musikdramas zu sein und setzt dem germanisch ‚mittelalterlichen‘ Mythos einen spezifisch französischen entgegen; die Motivquelle, der höfische Roman Partonopeus de Blois, unterfüttert diesen Anspruch mit literarhistorischer Tiefe. Dass dieses facettenreiche Werk heute selten aufgeführt wird, liegt vor allem an der hohen Tessitura der anspruchsvollen Titelpartie. Der Produktion des Anhaltinischen Theaters Dessau 2013 unter der Regie von Roman Hovenbitzer und der musikalischen Leitung von Daniel Carlberg kommt das Verdienst zu, das Geheimnisvolle und Staunenerregende dieses Werks mit nur geringen Brechungen erfahrbar gemacht zu haben.
II Historische Schichten Die rezenteste musiktheatralische Ausarbeitung des Roland-Stoffs ist das Ballett mit Gesang La follia di Orlando von Goffredo Petrassi, uraufgeführt am Teatro alla Scala zu Mailand am 12. April 1947. Der Text ist vom Komponisten aus ausgewählten Oktaven des Versromans von Ariost zusammengestellt. Insofern ist dieses Bühnenwerk in doppelter Weise eine Abkehr von der ‚Veroperung‘ Ariosts: Es präsentiert den Originaltext und es bedient sich des narrativen Modus, wenngleich die Ballettbilder theatralisch-mimetisch bleiben. Die Verwendung der Renaissancedichtung bezeugt zugleich, dass das Interesse an Roland hier nichts Mediävalisierendes hat. Darin berührt sich das Werk mit der Geschichte des Stoffs in der Oper bis 1800, und darin liegt seine Differenz zu den Adaptationen des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Die romantischen und modernen Roland-Opern lassen sich in drei Gruppen einteilen: zum einen solche, die an Ariost anschließen wie Der rasende Roland mit Musik von Franz Joseph Gläser und Text von Franz Xaver Told (uraufgeführt am 5. April 1823 im Theater in der Josefstadt, Wien) und die „romantische Oper“ Orlando mit Musik von Julius Schneider und Text von Friedrich Wilhelm Adami (am 1. Januar 1848 in Schwerin uraufgeführt); zum andern parodistische Werke (eine Aufführung ist allerdings nur für Agostino Loffredos und Paolo Giaramiccas Travestie Orlando furioso, Venedig 1831, belegt) und zum dritten Opern, die im Gegensatz insbesondere zu denen des achtzehnten Jahrhunderts ihren Stoff außerhalb des italienischen Überlieferungsstrangs um Ariost suchen. Hier sind vor allem zwei französische Opern zu nennen: die „légende lyrique“ L’enfance de Roland von Emile Mathieu (Text und Musik) nach den Balladen Klein Roland und Roland Schildträger von Ludwig Uhland (im Januar 1895 am Brüsseler Théâtre de la Monnaie uraufgeführt) und das „poème lyrique“ La chanson de Roland von
Roland
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Henri Martelli (Text und Musik), dessen erste Version von 1923 nicht aufgeführt wurde, dessen zweite jedoch am 13. April 1967 in Paris Premiere hatte. Alle diese Entwürfe versuchen sich gegen die quantitativ (und aus Sicht der heutigen Theaterpraxis auch qualitativ) starke Roland-Musikdramatik des achtzehnten Jahrhunderts durchzusetzen. Diese lässt sich einteilen in eine Linie, welche die Vorgaben der Seicento-Opern über Orlando schrittweise an die Poetik der opera seria anpasst, und eine Gegenlinie, die dies komisch und teils ironisch kontrapunktiert und dadurch heroisch-komische Mischlösungen findet, welche in gewisser Weise zu den frühen Orlando-Opern des siebzehnten Jahrhunderts (und zu Ariost) zurück führen. Zu den letztgenannten gehört Haydns Orlando Paladino von 1782 nach Nunziato Porta und Carlo Francesco Badini (s. o.), der ebenso wie das hierfür teils umgearbeitete ursprüngliche Libretto von Badini, Le pazzie di Orlando (mit Musik von Pietro Alessandro Guglielmi 1771 am Londoner Haymarket uraufgeführt) die Komik des Wahnsinns mit der Komik buffonesker Nebenfiguren kombiniert. Die Gattungsbezeichnung des Orlando Paladino lautet „dramma eroicomico“, was auf eine seit Alessandro Tassonis heroisch-komischem Epos La secchia rapita (Der geraubte Eimer, 1622) gängige Mischästhetik verweist; von Tassonis Werk war wenige Jahre vor Haydns Orlando, 1772, in Wien eine Opernversion als „dramma eroicomico“ mit Musik von Antonio Salieri produziert worden. Die Gattungsbezeichnung stellt durch diesen Traditionsbezug das komische Potential des Ritterromans in den Mittelpunkt, welches ja nicht nur bei Tassoni, sondern schon bei Ariost (und vor ihm bei Luigi Pulci) vorhanden war. Dies geschieht hier jedoch weder durch eine subtile Ironisierung wie bei Ariost noch durch die Kombination von niedrigem Gegenstand und hoher Gattung wie bei Tassoni, sondern durch eine Annäherung an die (musikalische) Komödie des achtzehnten Jahrhunderts, und zwar auf zweierlei Weise: Zum einen wird ein komisches Dienerpaar in die Handlung eingeführt (Eurilla und Pasquale), zum anderen wird der sarazenische Held Rodomonte dem Komödientypus des miles gloriosus angenähert. Die Mischung von Ernst und Komik sowie die teils parodistische Bezugnahme auf Spielarten der opera seria, der Reformoper und der opera buffa verleihen dem Werk eine metatheatralische Dimension (Clark 2014). Ähnlich gelagert ist das „Dramma semigiocoso“ I furori di Orlando von Domenico Friggieri, das 1777 mit der Musik von Joseph Touchemoulin am Regensburger Hoftheater herauskam. Auf der anderen Seite steht im achtzehnten Jahrhundert eine Linie, die sich von der komisch-ernsten Gattungsmischung, wie sie insbesondere für die venezia-
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Dante, Ariost, Tasso
nische Oper des siebzehnten Jahrhunderts konstitutiv war, nach und nach ablöst und den Roland-Stoff unter Marginalisierung seiner komischen Aspekte dem größeren Decorum und der Einheitspoetik der opera seria annähert – darin auch von der französischen tragédie lyrique beeinflusst, welche sich in Form von Lullys Roland und diverser Nachfolgewerke ebenfalls des Roland-Stoffs annimmt. Diese Bewegung lässt sich anhand der Bearbeitung von L’Orlando ovvero La gelosa pazzia von Carlo Sigismondo Capece (uraufgeführt 1711 in Rom mit nicht mehr erhaltener Musik von Domenico Scarlatti) durch den anonymen Librettisten von Händels Orlando verfolgen: Die Bearbeitung reduziert die Komik und glättet die Handlungsstruktur. Letzteres wird insbesondere dadurch erreicht, dass Händels anonymer Librettist die Figur des Zoroastro neu einführt. Händels 1733 uraufgeführter Orlando konzentriert sich – wie die meisten Bearbeitungen – auf das von Ariost in den Roland-Stoff eingeführte Motiv von Rolands Wahnsinn, ausgelöst durch die Nachricht, dass die heidnische Prinzessin Angelica (Sopran), die alle christlichen Ritter in sich verliebt gemacht hat, sich letztlich mit keinem der großen Helden, sondern mit dem Jüngling Medoro (Alt) vermählt hat. Die Erkenntnis, dass Amor blind macht für Rangordnung und Angemessenheit, paart sich mit der Erfahrung der Flüchtigkeit des erotischen Imaginären. Soweit decken sich Ariosts Dichtung und das anonyme Libretto von Händels Oper. Das Libretto nimmt jedoch wichtige Umakzentuierungen vor, die teils von der französischen Oper von Lully und Quinault aus dem Jahrhundert zuvor beeinflusst scheinen (hierzu siehe unten). Die pastorale Welt, in die sich Ariosts Angelica mit Medoro flüchtet, wird in Händels Oper durch eine neu eingeführte Figur direkt an der Handlung beteiligt und auch poetologisch relevant. Die Schäferin Dorinda (Sopran) verkörpert das liebeslyrisch-pastorale Register des Textbuchs und vervollständigt zugleich die für die opera seria typische erotische Drei- bzw. Viereckskonstellation, die Anlass zu klagendem Gesang gibt. Denn Dorinda liebt Medoro, welcher aber Angelica angehört. Orlando (Alt) liebt ebenfalls Angelica; seine Reaktion ist jedoch nicht elegische Klage, die (wie im Falle Dorindas) dann in Einsicht und weisen Verzicht münden würde, sondern Wahnsinn. Dieser Wahn wird nun nicht wie in Ariosts Erzähltext narrativ vermittelt, sondern muss auf der Bühne des Musiktheaters textuelle und musikalische Performanz werden. Im Gegensatz zum Orlando des Romans monologisiert daher derjenige der Oper, phantasiert von einer imaginären Unterweltsfahrt im Sinne eines Orpheus (oder Dante), wie sie auch schon in der venezianischen Oper des siebzehnten Jahrhunderts als Typus einer Wahnsinnsszene ausgeprägt war (vgl. etwa Faustini / Cavalli: L’Egisto, 1643, III.5; hierzu allgemein Leopold 1991). Die Musik setzt dies in kompositorischer Ungeordnetheit um, etwa durch Reihung disparater Formelemente, gewagte Intervallsprünge und die Verwendung des 5/8-
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Taktes (Händel 1969, II.11, S. 105 f.). Dieser Roland sinkt mithin nicht auf die Ebene eines schweigend wütenden, nackten und behaarten Tieres herab wie derjenige Ariosts (Orlando furioso XXIII.133), sondern wahrt noch im Wahn die Würde der Sprachlichkeit – und das Decorum der Bühnenkostümierung (Gier 2011b, S. 325). Seine Entfernung von der Ratio wird durch seine Rede und deren musikalische Gestaltung sowie durch eine gewisse komische Ambivalenz in der Interaktion mit Dorinda vermittelt. Ein innovativer Kunstgriff der Opernfassung liegt in der Einführung der Figur des Zoroastro, einer ungewöhnlich gewichtigen Bassrolle, die zu den Sopranen und Alti der beiden Liebespaare in starkem Kontrast steht. Zoroastro ist ein Magier und Sternenkundiger, welcher die Funktion eines Mentors für Orlando übernimmt (darin vielleicht Ariosts Atlante analog, dem Erzieher des Helden Ruggiero). Zoroastro bündelt einerseits die losen Enden, die durch die Herauslösung des OrlandoStrangs aus dem Gesamtgefüge des Epos entstehen, denn er übernimmt unter anderem die Funktion der Rückführung Rolands zur Normalität, welche dort in der langen Geschichte von Astolfos Mondfahrt aufgehoben ist: Zoroastro heilt den Wahn Orlandos durch einen göttlichen Trank und ermöglicht so das gute Ende der Oper. Andererseits transponiert er in seinen Ermahnungen und Reflexionen den Wahnsinn des Helden in das Wertegefüge des achtzehnten Jahrhunderts. Nicht mehr eine (auch die Figur des Dichter-Ichs betreffende) skeptische Anthropologie oder eine ironische Inszenierung der Orientierungslosigkeit in einer mehrdeutig gewordenen Welt wie bei Ariost tragen das Motiv; vielmehr muss es eingepasst werden in den gattungstypischen Grundkonflikt von heroischer Pflicht und erotischer Neigung, der im Sinne einer Mäßigung der Affekte zu lösen ist. Dass freilich Orlando (im Gegensatz etwa zur Schäferin Dorinda) daran letztlich scheitert und nur durch einen Deus ex machina (Zoroastro) gerettet werden kann, ambiguisiert diese Rationalisierung und lässt den vernunftskeptischen Untergrund der literarischen Vorlage hindurchschimmern. Die Annäherung an die Poetik der opera seria betrifft auch Werke, die dem zentralen Sujetmuster ferner stehen – wie etwa die Serenata L’Angelica von Metastasio (mit der Musik von Porpora 1720 in Neapel uraufgeführt; weitere Vertonungen des Metastasio-Librettos von G.F. Milano, Neapel 1740; I. Fiorillo, Messe 1744; P. Scalabrini, Hamburg 1746; G.B. Mele, Madrid 1747; F. Brusa, Venedig 1756; G. Zonca, München 1758; J. de Sousa Carvalho, Lissabon 1778; G. Moneta, Florenz 1780), die Oper Orlando finto pazzo von Braccioli und Vivaldi (Venedig 1714) oder der Orlando generoso von Ortensio Mauro, 1691 mit der Musik von Agostino Steffani in Hannover uraufgeführt. Vor allem aber kann man sie im Zentrum der Sujettradition an den zahlreichen Opern von Ristori (Venedig 1713) bis Vivaldi (Venedig 1727) nach dem Libretto Orlando furioso von Grazio Braccioli beobachten. Zwar gemahnt die
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Komplexität der Handlung und der Figurenkonstellation noch an die Ästhetik des siebzehnten Jahrhunderts (und an den Gattungskontakt dieser Opernform mit dem Roman), aber die Stilisierung Orlandos zum großmütigen Helden liegt auf der Linie der in jenen Jahren sich formierenden ernsten Oper. Wie bei Händel wird auch in Vivaldis Vertonung von 1727 der Wahn Orlandos in der gesungenen Personenrede selbst realisiert (Steinebrunner 1988, S. 73): Er hält sich zunächst für Orest und verfällt dann in unsinnige, teils französischsprachige Rede, in der er den Anfang von Ariosts Roman, „Le Donne i Cavaglier l’arme, e gl’amori“ zitiert (Braccioli 1727, III.5, S. 59); sein Wahn stellt ihn gewissermaßen außerhalb der dargestellten Welt in eine dem Zuschauer als fiktionsironisch erscheinende Position. Geordnete Arien vermag er nicht mehr zu singen, aber seine Musik zitiert die in der Musik des Barock häufig variierte tänzerische Bassformel der Follia (ital. ‚Wahnsinn‘, ‚Narrheit‘; vgl. Wiele 2006, S. 247 f.). Darüber hinaus erscheint er (anders als in der Händel-Oper, aber wie im Roman) „[i]gnudo“ (‚nackt‘) auf der Szene (Braccioli 1727, III.4, S. 47) und verbreitet physische Zerstörung. Die opera seria betont die Dignität Orlandos auch im Angesicht seines Wahnsinns und schneidet die Handlung auf einen Wertekonflikt zu. Darin konvergiert sie mit den Ausformungen des Stoffs in der französischen tragédie lyrique. Der wichtigste Text dieser Tradition ist das Libretto Roland von Philippe Quinault für die 1685 in Versailles uraufgeführte Oper von Jean-Baptiste Lully: Bereits der Prolog, der die französische Herkunft Rolands betont, spitzt den Wertekonflikt der Handlung auf die Opposition amour – gloire zu. Rolands Abgleiten in den Wahnsinn wird dadurch zum Sekundärphänomen einer heroischen Identitätsfindung: Der Held muss die Inaktivität des Liebeslebens hinter sich lassen und seinen Ruhm durch große Taten mehren; dies wird im Prolog allerdings mit einer Feier des Friedens und einer Abwertung des Krieges verbunden, welche zunächst im Gegensatz zu dieser Wertsetzung zu stehen scheinen. Hintergrund war möglicherweise der schwelende Vorwurf, Ludwig XIV. habe sich nicht am Kampf der europäischen Staaten gegen die Osmanen beteiligt, deren Truppen 1683 bis vor Wien vorgedrungen waren. Im Jahr der Uraufführung 1685 sollte der König der Welt durch die Aufhebung des Edikts von Nantes zeigen, dass er auch ohne Kriegserklärung folgen- und verlustreich für die Sache seines Glaubens zu streiten vermochte. In der Handlung selbst tritt zu dem hauptsächlichen Konflikt zwischen Liebe und Ruhm auf Seiten Rolands noch ein sekundärer auf Seiten Angéliques hinzu: Sie, die Prinzessin von Cathay, ist verliebt in den jungen Médor, der obskurer Herkunft ist. Auch sie sieht insofern ihre gloire gefährdet, entscheidet sich jedoch im Verlauf des Geschehens dafür, Médor zu ehelichen und zum Herrscher ihres Landes zu machen, mithin zu nobilitieren. Angéliques Decorum wird im Übrigen im Libretto durch die (bei Ariost nicht angelegte) Beigabe einer Hofdame erhöht.
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Der Wahnsinn Rolands wird in dieser Oper sehr reduziert dargestellt: als „grand désordre“ und durch Rolands Illusion, mit einer Furie der Unterwelt zu sprechen (Lully / Quinault 1685, IV.7, S. 57 f.). Am Ende wird Roland von der Magierin Logistille geheilt, und zwar nicht nur vom Wahnsinn selbst, sondern insbesondere vom Verfallensein an die Liebe, die seinem Heroismus im Wege steht. Roland erkennt seine Verirrung und ergreift die Waffen, um für den Frieden zu kämpfen, wie in der letzten Szene in Brückenschlag zum Prolog betont wird. Die Oper war bis weit ins achtzehnte Jahrhundert sehr erfolgreich, wird jedoch heute (wie auch andere Opern Lullys) kaum noch gespielt. Dies mag nicht nur an ihren (durch kritische Inszenierungen ja durchaus hinterfragbaren) Wertsetzungen liegen, sondern auch allgemein an den Schwierigkeiten, die Lullys an der französischen Verssprache ausgerichteter Musikstil und Elemente der Aufführungspraxis wie der barocke Bühnentanz für die heutige Oper und den Verständnishorizont ihres Publikums darstellen. In Lullys und Quinaults Oper gerät Ariosts vernunftskeptische Erzählung in die Maschinerie der „Inszenierungen des Sonnenkönigs“ (Burke 2005) und der Werte des offiziellen Frankreich; damit einher geht eine Rationalisierung des Stoffs. Diese haftet ihm auch jenseits von Ludwigs Zeitalter in der französischen Tradition weiter an. Eine Bearbeitung des Quinaultschen Librettos vertonte 1770 Ignaz von Beecke. 1778 wurde eine Bearbeitung des Librettos durch Jean-François Marmontel mit der Musik von Niccolò Piccinni in Paris uraufgeführt. In der italienischen Oper des siebzehnten Jahrhunderts spielen Stoffe aus den Ritterromanen nur eine untergeordnete Rolle. Historische, pseudohistorische und mythologische Sujets sind weit verbreiteter. Gleichwohl hat insbesondere die Oper jener Zeit eine strukturelle Affinität zur Mehrsträngigkeit und zum Figurenreichtum des Romans (Mehltretter 1994, S. 149). Die älteste Kunde berichtet von einer Aufführung einer Oper des Titels La pazzia d’Orlando des adligen Dichters Prospero Bonarelli della Rovere 1631 in Ancona; die Musik ist ebenso wie die Namen des oder der Komponisten verloren. Giulio Rospigliosi (Papst Clemens IX.) wählte für den Karneval 1642 eine ansonsten wenig beachtete Episode des Orlando furioso für sein Libretto Il palazzo incantato, das auf die Musik von Luigi Rossi mit enormer szenischer Pracht und hochbezahlten Kastratensängern (auch in den Frauenrollen) im Palazzo Barberini aufgeführt wurde: Der XII. Gesang von Ariosts Versroman führt mehrere Handlungsstränge um verschiedene Helden im Palast des Zauberers Atlante zusammen. Der Moment der punktuellen Konzentration innerhalb von Ariosts narrativer Dispersion wird im Theater zum Begegnungsort von dramatischer Einheit und romanesker Vielheit. Recht zahlreich sind die Opern, welche die Geschichte von Medoro und Angelica zu Ende erzählen, ohne dass Orlando noch eine Rolle spielen würde
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(sie sind daher im Opernverzeichnis unter III. nicht aufgeführt, für Näheres vgl. Döring 1973): Lo sposalizio di Medoro e Angelica (Musik: Jacopo Peri und Marco da Gagliano, Text: Andrea Salvadori, Uraufführung: 25. September 1619, Palazzo Pitti, Florenz), Il Medoro (Musik: Francesco Lucio, Text: Aurelio Aureli, Uraufführung: 1658 im Teatro Grimani S. Giovanni e Paolo, Venedig) und andere. Die älteste Überlieferung zu Roland ist die Erwähnung eines ‚Rotlandus‘ in der Vita Karoli Magni des Einhard aus dem neunten Jahrhundert. Hier wird nur erzählt, dass Roland, der Präfekt der bretonischen Mark, im Kampf gegen die Vascones (Basken) gefallen sei. Die mündliche Überlieferung machte, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Kreuzzüge im Heiligen Land gegen Ende des elften Jahrhunderts, aus den Basken Sarazenen und aus Roland einen Märtyrer im Kampf gegen die Heiden (Mauren) in Spanien. Kristallisationspunkte dieser mündlichen Überlieferung sind das altfranzösische Rolandslied (La Chanson de Roland, spätes elftes Jahrhundert), das vom Verrat des Ganelon von Mainz und dem daraus resultierenden Heldentod Rolands und der von ihm befehligten Nachhut des fränkischen Heeres bei Überschreitung der Pyrenäen erzählt, sowie die Historia Caroli Magni et Rotholandi im Codex Calixtinus (zwölftes Jahrhundert). In die Oper geht Roland allerdings so gut wie nie als im Heeresverband gefallener Hauptmann ein, sondern als fahrender Ritter, der aus Liebe wahnsinnig wird. Die Transformation Rolands in diesen neuen Typus (der in der Überlieferung in eine Art Vorgeschichte des Heldentods eingeordnet wird), erfolgt in mehreren Schritten, vor allem in Italien: In dem anonymen franko-venezianischen Epos Entrée d’Espagne (Liber Introitus Yspanie, um 1320/1340) verlässt Orlando nach einem Streit mit Karl dem Großen Heer und Hof, um als fahrender Ritter (nach Art der Ritter der Tafelrunde) hinaus zu ziehen und Abenteuer zu suchen. Er geht ins Heilige Land und begegnet dort dem Wunderbaren und den – zunächst abgewehrten – Versuchungen der Erotik. Matteo Maria Boiardo ist schließlich der erste, der Roland als verliebten Ritter darstellt (Orlando innamorato, 1483/1494); hier kommt auch Angelica ins Spiel, die in den meisten Roland-Opern auftreten wird. Schließlich setzt Ludovico Ariosto den unvollendet gebliebenen Roman Boiardos mit seinem Orlando furioso (1516/1532) fort und überbietet den ‚verliebten‘ durch einen ‚rasenden‘, aus Liebe wahnsinnigen Roland. Ariost inszeniert anhand von Rolands Rasen eine skeptische Weltsicht angesichts der Unübersichtlichkeit und Widersprüchlichkeit der Welt. Die für die Frühe Neuzeit konstitutive Erfahrung der Pluralität möglicher Weltbeschreibungen wird zugleich durch eine Pluralität der Handlungen, der Interpretationsmöglichkeiten und der Diskurse greifbar gemacht. Hieraus erhellt unmittelbar, wie weit der Weg von dieser narrativen Ausformung des Roland-Stoffs zu seinen Opernadaptionen ist, sei es zu den im aristotelischen Sinne eine Einheit der Handlung und einen fokussierten
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Konflikt verfolgenden tragédies lyriques und opere serie, sei es zu romantischen Konstruktionen von Mittelalterbildern.
III Werkliste La pazzia d’Orlando „Opera recitativa in musica“ Musik [verloren]
Text Prospero Bonarelli della Rovere
Uraufführung 1631, Ancona
Text Giulio Rospigliosi [d. i. Papst Clemens IX]
Uraufführung 22.2.1642, Rom
Roland „Tragédie mise en musique“ Musik Jean-Baptiste Lully
Text Philippe Quinault
Uraufführung 8.1.1685, Château de Versailles
Orlando generoso „Drama“ Musik Agostino Steffani
Text Ortensio Bartolomeo Mauro
Uraufführung 1691, Hannover
Il palazzo incantato „Azione in musica“ Musik Luigi Rossi
L’Orlando ovvero La gelosa pazzia „Dramma“ Musik Text Domenico Scarlatti [verloren] Carlo Sigismondo Capece
Uraufführung 1711, Rom
Orlando furioso „Dramma per musica“ Musik Giovanni Alberto Ristori
Text Grazio Braccioli
Uraufführung 9.11.1713, Venedig [Wiederaufnahme 1714 mit zusätzlicher Musik von Vivaldi]
Orlando finto pazzo „Dramma per musica“ Musik Antonio Vivaldi
Text Grazio Braccioli
Uraufführung November 1714, Venedig
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L’Angelica „Serenata“ Musik Nicola Antonio Porpora
Text Pietro Metastasio
Uraufführung 4.9.1720, Neapel
Text Grazio Braccioli
Uraufführung Februar 1722 [?], Braunschweig
Text Grazio Braccioli
Uraufführung 1724, Kukus und Prag
Orlando furioso „Dramma per musica“ Musik Orazio Pollarolo
Text Grazio Braccioli
Uraufführung 1725, Mantua
Orlando furioso „Drama per musica“ Musik Antonio Vivaldi
Text Grazio Braccioli
Uraufführung 10.11.1727, Venedig
Text Nicola Haym [?] nach Carlo Sigismondo Capece
Uraufführung 27.1.1733, London
Text [gekürzte Version von Quinaults Libretto (1685)]
Uraufführung 1770 [?]
Text Carlo Francesco Badini
Uraufführung 23.2.1771, London
Orlando furioso „Drama per musica“ Musik Georg Caspar Schürmann [Pasticcio aus Werken von Vivaldi, Ristori, Lotti, Händel] Orlando furioso „Drama per musica“ Musik Antonio Bioni [evtl. mit Arien von Vivaldi]
Orlando „Dramma“ Musik Georg Friedrich Händel
Roland „Tragédie mise en musique“ Musik Ignaz von Beecke
Le pazzie di Orlando „Dramma giocoso“ Musik Pietro Alessandro Guglielmi
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I furori di Orlando „Dramma semigiocoso“ Musik Joseph Touchemoulin
Text Domenico Friggieri
Uraufführung 1777, Regensburg
Text Jean-François Marmontel [nach Quinault]
Uraufführung 27.1.1778, Paris
Orlando paladino „Dramma eroicomico“ Musik Joseph Haydn
Text Nunziato Porta [nach Badini]
Uraufführung 6.12.1782, Schloss Esterháza
Der rasende Roland Melodram Musik Franz Joseph Gläser
Text Franz Xaver Told
Uraufführung 5.4.1823, Wien
Orlando furioso „Travestimento“ Musik Agostino Loffredo
Text Paolo Giaramicca
Uraufführung 1831, Venedig
Roland Tragédie lyrique Musik Niccolò Piccinni
Orlando „Romantische Oper in drei Akten“ Musik Text [Johann] Julius Schneider Friedrich Wilhelm Adami Esclarmonde „Opéra romanesque en quatre actes“ Musik Text Jules Massenet Alfred Blau, Louis Ferdinand de Gramont L’enfance de Roland „Légende lyrique“ Musik Émile Mathieu
Text Émile Mathieu
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Uraufführung 1.1.1848, Schwerin
Uraufführung 15.5.1889, Paris
Uraufführung Januar 1895, Brüssel
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La chanson de Roland „Poème lyrique“ Musik Henri Martelli
Text Henri Martelli
La follia di Orlando „Ballo in 3 quadri con recitativi per baritono“ Musik Text Goffredo Petrassi Ludovico Ariosto
Uraufführung [rev. Fassung] 13.4.1967, Paris [Entstehung: 1923]
Uraufführung 12.4.1947, Mailand
Tankred Florian Mehltretter I Präsenz des Sujets Der Name Tankred (Tancrède, Tancredi) hat seinen historischen Hintergrund in den kriegerischen Aktivitäten normannischer Adelsfamilien im Mittelmeerraum des elften Jahrhunderts. In der Oper bezieht er sich auf zwei Figuren und Handlungskomplexe, die nur lose miteinander verbunden sind; beide finden ihre ersten Kristallisationspunkte in nicht-musikalischen Verstexten, von denen aus sie dann ins Musiktheater gelangen: Da ist zum einen Tankred von Hauteville (ca. 1070–1112), Teilnehmer am Ersten Kreuzzug und später Fürst von Galiläa, den Torquato Tasso in seinem Epos Das befreite Jerusalem (La Gerusalemme liberata, erster vollständiger Druck 1581) als Tancredi fiktional überformte; zum anderen der im Grunde gänzlich fiktionale Held von Voltaires Tragödie Tancrède (1760), der jedoch durch die pseudohistorische Kontextualisierung des Stücks in die Nähe der Familie Hauteville, wenngleich zwei Generationen früher, gerückt ist. Dementsprechend gibt es zwei ‚Familien‘ von Tankred-Opern. Nicht in diese Motivgruppe gehören die Opern um die norditalienische Amazone Tancreda, die aus dem gleichnamigen „Poema“ in Blankversen von Silvio Pellico in die Oper gewandert ist. Pellico besingt eine weibliche Kämpferin dieses Namens im Norditalien des zehnten Jahrhunderts. Vom Vater, der einst seine Heimat an die spanischen Sarazenen verraten hat und sich nun reuevoll gegen die Araber wendet, der christlichen Sache und Gott geweiht, muss sie auf die Liebe ihres Lebens verzichten (Theodor Döhler schrieb 1846 eine musikdramatische Fassung hiervon auf der Basis von Pellicos Text; Achille Peri komponierte auf ein Libretto von Francesco Guidi 1851 eine Tancreda, und Decio Monti auf ein Buch von Filippo Barattani 1855 La vergine di Saluzzo). Eine zufällige Namensähnlichkeit verbindet auch den Alternativtitel einer Opéra comique von Victorien Sardou und Karl Daclin mit Musik von Auguste Vaucorbeil mit dem Namen Tankred: Das keineswegs im Mittelalter, sondern in der Gegenwart des neunzehnten Jahrhunderts spielende Stück La bataille d’amour (Paris 1863) wurde auch unter dem Namen der männlichen Hauptfigur, des Grafen Tancrède, gegeben. Auf den Bühnen am präsentesten ist heute ein Vertreter der Voltaireschen Stoff variante: Rossinis zweiaktige opera seria Tancredi auf ein Libretto von Gaetano Rossi wurde in einer ersten Fassung mit heiterem Ende am 6. Februar 1813 in Venedig uraufgeführt, Ende März desselben Jahres dann in Ferrara in einer Fassung https://doi.org/10.1515/9783110424089-039
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mit einem tragischen Ende, für die Luigi Lechi das Libretto bearbeitet hatte, später im gleichen Jahr nochmals in Mailand in einer Mischfassung aus beiden Versionen. Hier soll zunächst die Handlung mit tragischem Schluss skizziert werden, da diese dem literarischen Vorwurf aus der Feder Voltaires am nächsten steht. Die sizilianische Stadt Syrakus des Jahres 1005 hat die arabische Besatzung abgeschüttelt, doch die Araber beherrschen noch andere Städte der Insel. Um die Freiheit der Stadt angesichts des herannahenden Heers des Sarazenenfürsten Solamir zu sichern, versöhnen sich die beiden bis dahin verfeindeten Familien des Argirio (Tenor) und des Orbazzano (Bass). Argirio will diesem zum Zeichen der Versöhnung seine Tochter Amenaìde (Sopran) zur Frau geben. Er weiß jedoch nicht, dass diese den (aus einem ehemals in der Stadt mächtigen, nun aber verbannten Geschlecht stammenden) Ritter Tancredi (Alt, Hosenrolle) liebt und sich mit ihm verlobt hat. Amenaìde hat kurz zuvor Tancredi – in einem aus Sicherheitsgründen den Adressaten nicht namentlich erwähnenden Brief – aufgefordert, in die Stadt zu kommen und Ruhm und zugleich ihre Hand zu erwerben. Da die Verbündeten gerade in diesem Moment bekräftigen, dass es keine Gnade für verbannte potentielle Verräter wie Tancredi geben könne, kann Amenaìde ihre Verlobung mit diesem nun nicht erwähnen; sie bittet lediglich um Aufschub der Vermählung mit Orbazzano bis zum nächsten Tag. Tancredi geht unerkannt an Land (seine Arie in dieser Szene „Tu che accendi […]. Di tanti palpiti […]“ ist bis heute aufgrund ihrer Kombination von virtuoser Ornamentik, lyrischer Eleganz und ansteckender rhythmischer Energie ein Anthologiestück). Er begegnet Amenaìde, die ihn vor der erneuerten Gefahr warnen will, aber in ihm dadurch nur den Verdacht erweckt, sie liebe ihn nicht mehr. Tancredi meldet sich inkognito zum Heer von Syrakus gegen die heranrückenden Sarazenen. In diesem Moment berichtet Orbazzano, seine Schergen hätten den unadressierten (aber für Tancredi bestimmten) Brief Amenaìdes abgefangen. Man glaubt nun, das Schreiben gelte dem Sarazenenfürsten Solamir, dem sie Hand und Herrschaft anbiete. Alle sind aus ihren je unterschiedlichen Blickwinkeln bestürzt und artikulieren dies in einem für die ernste Oper innovativen Ensemblefinale mit Chor. Amenaìde kann sich nicht von dem Vorwurf des Hochverrats befreien, da sie, um Tancredi nicht zu gefährden, die Wahrheit nicht zugeben kann. Am Anfang des zweiten Akts hat der Senat Amenaìdes Todesurteil schon vorbereitet; auch ihr Vater Argirio sagt sich schweren Herzens von ihr los. Amenaìde hat Orbazzano nicht nur als Bräutigam, sondern auch als möglichen Verteidiger in einem als Zweikampf auszuführenden Gottesurteil abgelehnt; nun will dieser für die Seite der Anklage kämpfen. Tancredi bietet sich, ohne seine Identität preiszugeben, als Kämpfer für Amenaìde an. Wenig später dringt der Ruf des Chores in Amenaìdes Gefangenschaft: Tancredi hat Orbazzano erschlagen. Amenaìde wird
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freigelassen und begegnet Tancredi. Es gelingt ihr jedoch nicht, sich bei dem Enttäuschten Gehör zu verschaffen und die Sache mit dem Brief aufzuklären. Er eilt in den Kampf gegen die Sarazenen, sie folgt ihm auf das Schlachtfeld und versucht, das Missverständnis zu klären. In diesem Moment kommt ein sarazenischer Bote hinzu: Solamir bietet Frieden im Tausch gegen die Hand Amenaìdes. Dies scheint Tancredis Verdacht zu bestätigen; er stürzt sich in die Schlacht, um dort den Tod zu finden, da er sie untreu glaubt. Siegreich, aber tödlich verletzt, kehrt er zurück und erfährt, dass der Brief für ihn gedacht war. Er reicht ihr sterbend die Hand. Die Oper endet mit einem Accompagnato-Rezitativ und einer kurzen Cavatine. Der Text wird – wie in der klassizistischen Tragödie gelegentlich in Momenten schweren Leids üblich (Tasso, Vittorio Alfieri) – stockend und fragmentarisch vorgetragen; allein das Orchester sichert der Cavatine – mit einem gleichwohl ebenfalls stockenden Motiv – den strukturellen Zusammenhalt. Dieser in der ernsten Oper des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts eher seltene, dem Voltaireschen Original nahe stehende tragische Schluss mit seiner ersterbenden Musik wird in den anderen beiden Fassungen durch ein glückliches Ende ersetzt: Tancredi hat von Solamir im Moment seines Sieges erfahren, dass Amenaìde unschuldig ist. Er kehrt nur leicht verletzt zurück und die beiden finden zueinander in einem rauschenden Finale mit Chor. Einflussreiche Inszenierungen waren 1999 in Pesaro (Festival) und 2012 in Berlin (Deutsche Oper) die deutsch-italienische Koproduktion unter der Regie von Pier Luigi Pizzi und dem Dirigat von Alberto Zedda; außerdem die Inszenierung von Stephen Lawless, dirigiert von René Jacobs im Theater an der Wien 2009 sowie die Produktion von Emilio Sagi unter der Leitung von Ottavio Dantone in Lausanne 2015. Kontrovers war vor allem die Inszenierung von Jean-Philippe Delavault 2012 in Versailles, dirigiert von Jean-Claude Malgoire, die den ernsten Charakter der Oper zugunsten einer komisch-parodistischen Darbietung kassierte. Die ‚Familie‘ der Tankred-Opern nach Tasso wird heute vor allem von zwei Werken vertreten: Claudio Monteverdis Combattimento di Tancredi e Clorinda und André Campras Tancrède. Monteverdis kurzes Werk für drei Sänger und Instrumentalensemble wurde 1624 in Venedig uraufgeführt. Es beruht auf einem Abschnitt von Tassos Gerusalemme liberata, in dem von einem tragischen nächtlichen Zweikampf vor den Mauern des im Ersten Kreuzzug (1095–1099) belagerten Jerusalem berichtet wird: Der christliche Ritter Tancredi greift einen sarazenischen Kämpfer an, dessen Identität nicht an seinem Schild erkennbar ist, und verfolgt ihn unbarmherzig – und zwar, weil er gesehen hat, wie dieser den einzigen Belagerungsturm der Christen verbrannt hat. Tancredi weiß jedoch nicht, dass sich unter der Rüstung des Gegners die von ihm geliebte sarazenische Amazone Clorinda verbirgt. In blinder
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Wut gehen die beiden aufeinander los, und Tancredi verwundet den immer noch unerkannten Gegner schwer. Dieser bittet ihn im Angesicht des Todes um die Taufe. Erst als Tancredi zu diesem Zweck den Helm der Amazone öffnet, erkennt er in ihr die geliebte Clorinda, die in diesem Augenblick als neu bekehrte Christin ihren Frieden findet und stirbt. Das Werk selbst enthält keine weiteren Angaben zur Vorgeschichte; diese war jedoch den Rezipienten des frühen siebzehnten Jahrhunderts ohnehin aus Tassos Dichtung bekannt. Neuere Inszenierungen reichen von einer Rekonstruktion der historischen Aufführungssituation (Ensemble Alraune, Regie Andrea Giannelli, Choreographie Anne Juds, Bagno a Ripoli 2014) über eine freiere Adaptation unter der Regie von Pierre Audi und der musikalischen Leitung von Christophe Rousset (De Nederlandse Opera, Amsterdam 2007) bis hin zu einer Darstellung des Kampfes der Liebenden als handgreifliche Auseinandersetzung zwischen einem Ehepaar in häuslichem Ambiente in der Inszenierung von David Alden und der musikalischen Gestaltung von Harry Bicket (English National Opera, Coliseum, London 1993). Der andere wichtige Vertreter dieses Überlieferungsstrangs, die „tragédie en musique“ Tancrède mit der Musik von André Campra auf ein Libretto von Antoine Danchet, wurde am 7. November 1702 an der Académie Royale de Musique in Paris uraufgeführt. Danchet folgt Tasso, verkompliziert jedoch die dort nur angelegte erotische Dreieckssituation: Nicht nur wird der Clorinde (Mezzosopran) liebende Tancrède (Bass) wie bei Tasso von der heidnischen Prinzessin Herminie (Sopran) geliebt, sondern diese bemüht sich auch aktiv um ihn. Auf der anderen Seite wird Clorinde, die deutlicher als bei Tasso Tancrèdes Liebe erwidert, selbst wiederum von Argant (Bass) umworben, welcher bei Tasso nicht als Liebender in Erscheinung tritt. Dadurch bahnt sich der für die tragédie lyrique typische Liebeskonflikt an, intensiviert durch den bei Clorinde und Tancrède jeweils individuell aufscheinenden Konflikt zwischen Liebe und ritterlicher gloire bzw. Pflicht. Die Katastrophe erwächst nicht aus der erotischen Konkurrenzsituation, sondern (wie im Epos) aus dem Kampf Tancrèdes gegen die verkleidete Amazone – einer Situation, die in diesem Falle aber mit der Entscheidung Clorindes für die gloire und mithin aus dem inneren Wertekonflikt der Protagonisten begründet wird. In der ersten Fassung von 1702 ist es Argant, der Tancrède nach seinem Sieg über den unerkannten Ritter dessen Identität enthüllt; die zweite Fassung von 1707 kehrt insofern zu Tasso zurück, als die Wiedererkennung zwischen Tancrède und der sterbenden Clorinde selbst erfolgt. Tancrède ist am Ende des Stücks dem Selbstmord nahe, wird jedoch von christlichen Kämpfern hiervon abgehalten. Ungewöhnlich an Campras Musik ist die Bevorzugung tiefer Stimmfächer bei den Hauptrollen.
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Die Produktion von Vincent Tavernier unter der musikalischen Leitung von Olivier Schneebeli (Centre de musique baroque de Versailles und Théâtre Grand, Avignon, 2014) stellte unter Heranziehung historischer Aufführungspraxis die tragische Noblesse des Werkes beeindruckend vor Augen.
II Historische Schichten Das jüngste musikdramatische Werk, das den Namen Tankred im Titel führt, Hans Werner Henzes Tancredi von 1964, ein Ballett in zwei Bildern auf ein Sujet von Peter Csobádi, spielt zwar in einer mediterranen Welt, in der auch Araber vorkommen, ist aber inhaltlich mit den hier behandelten Stoffen nicht verwandt und zeichnet auch kein Mittelalterbild; vielmehr wird ein inneres Geschehen der Zerrissenheit der Titelfigur zwischen den Frauengestalten Laura und Cantilena in eine Tanzhandlung umgesetzt. Wollen wir, wie einleitend angekündigt, die Opern um Pellicos Kriegerin Tancreda unberücksichtigt lassen, so ist unter den Tankred-Opern Rossinis Partitur von 1813 die jüngste – abgesehen wiederum von einer 1817 uraufgeführten Parodie auf eben jene Oper Rossinis (von Wenzel Müller und Adolf Bäuerle). Das halbe Jahrhundert zwischen Voltaires Tragödie und Rossinis Oper sieht zahlreiche musiktheatrale Adaptationen des Voltaire’schen Sujets, die heute nicht mehr gespielt werden, aber in Bezug auf Rossinis Werk von Interesse sind: In den meisten davon wird Voltaires tragisches Ende gegen ein heiteres ausgetauscht; insofern erscheint im historischen Kontext die von Luigi Lechi vorgeschlagene Ferrareser Lösung von 1813 als innovativ und gewagt (D’Orazio 2012, S. 9). Schon bei der Wiederaufnahme im gleichen Jahr in Mailand wurde sie wieder aufgegeben. Campras und Danchets Tancrède von 1702 ist hingegen das jüngste Werk, das Tasso folgt. Es ist zugleich ein später Höhepunkt der recht breiten Tasso-Rezeption in der Barockoper, insbesondere in Frankreich (Armide von Jean-Baptiste Lully), aber auch in der italienischen Oper (Georg Friedrich Händels Rinaldo). Dass die opera seria und die tragédie lyrique des achtzehnten Jahrhunderts allerdings nicht stärker an Tassos Tankred interessiert waren, liegt an der Natur des tragischen Mechanismus, den Tasso seinem Stoff mitgegeben hat: Er eignet sich kaum für harmonisierende Auflösungen durch Großmut oder Milde oder für die Intervention eines Deus ex machina. Aus dem venezianischen Repertoire des siebzehnten Jahrhunderts muss noch das am 4. Januar 1687 im Teatro Grimani SS. Giovanni e Paolo in Venedig uraufgeführte „Dramma per musica“ La Gerusalemme liberata (Text von Giulio Cesare
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Corradi, Musik von Carlo Pallavicino) erwähnt werden, das – wie der Titel schon andeutet – Tankred nur als einen von mehreren Helden von Tassos Epos vorstellt; diese Oper gehört also gleichzeitig auch zu den → Armida-und-Rinaldo-Opern. Besonders präsent auf den Bühnen des späten zwanzigsten und des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts ist das älteste Werk über den Tankred-Stoff, das streng genommen gar keine Oper ist: Monteverdi veröffentlichte seine recht kurze Vertonung der Stanzen 52–68 aus dem zwölften Gesang von Tassos Gerusalemme liberata in seinem achten Madrigalbuch Madrigali guerrieri et amorosi von 1638. Im Titel des Druckes werden neben den Madrigalen „alcuni opuscoli in genere rappresentativo“ angekündigt, also dramatisch-darstellende Werke, die zwischen die „senza gesto“ (ohne dramatische Darstellung) zu singenden Madrigale eingestreut seien (Monteverdi / Tasso 2000, S. III); das Combattimento ist eines dieser Werke. Trotz des erzählenden Charakters von Tassos Text – der Ausschnitt besteht fast ausschließlich aus Narration mit sehr wenig Figurenrede – gab es bereits im Karneval 1624 im Palazzo Mocenigo zu Venedig eine Aufführung, die wohl szenischen Charakter hatte. Monteverdis Version kann insofern als die erste opernartige Fassung des Stoffs gelten. Das kleine Werk ist ein Laboratorium musikalischer Mimesis, von der rhythmischen Nachahmung des Pferdegalopps und des menschlichen Schritts bis zur klanglichen Nachformung aufeinander prallender Rüstungen und zur Umsetzung erregter Gemütszustände (stile concitato). Die nicht-musiktheatralen Ursprünge der Tankred-Stoffe sind wie diese selbst wieder in zwei Gruppen einzuteilen. Zunächst zu Voltaires Tragödie Tancrède von 1760: Die Handlung stimmt in wesentlichen Zügen mit derjenigen von Rossinis Oper überein. Im Unterschied zu Voltaire stellt Rossini allerdings in langen Zwiegesprächen ein andauerndes gegenseitiges Missverstehen des Protagonistenpaares aus. Voltaires Fiktion bedient sich historischer Materialien, die er im Sinne moralphilosophischer und politischer Aussagen zuschneidet. Er stellt sich vor, dass nicht erst (wie es den historischen Tatsachen entspräche) Mitte des elften Jahrhunderts in einer Situation der Uneinigkeit unter den arabischen Herrschern Siziliens normannische Eroberer unter Führung der Familie de Hauteville vom italienischen Festland aus die Insel einnehmen, sondern dass bereits 1005 einzelne Städte und Regionen aus Freiheitsdrang das arabische Joch abschütteln. Damit steht das Freiheitsthema am Anfang des Texts. Die damit zusammenhängende Vordatierung der Vertreibung der Araber zwingt Voltaire, neben einheimischen sizilianischen Protagonisten auch ‚Franzosen‘ vor deren historisch überlieferter Ankunft in Sizilien auftreten zu lassen, und hier bedient er sich des für mehrere Generationen von Hautevilles verbürgten Namens Tancrède. Der Name kann freilich schon aus chronologischen Gründen
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weder mit dem bei Tasso und in historischen Quellen zum Ersten Kreuzzug behandelten Tancrède de Hauteville, Fürst von Galiläa (ca. 1070–1112), verbunden werden noch mit dessen Großonkel gleichen Namens, dem Bruder von Robert Guiscard. Chronologisch käme allenfalls der Ahnherr der normannisch-sizilianischen Hauteville, Tancrède de Hauteville, Seigneur du Cotentin (ca. 980–1041), in Frage, aber dieser war selbst nie in Sizilien. Es handelt sich mithin um einen fiktionalen Tankred, der jedoch an die Überlieferung angelagert wird. Er wird überdies nicht konkret dem Stamm der Normannen, sondern implizit eher dem der Franken zugeordnet, wenn er (in Voltaire 2009, V.4, S. 220) als Nachfahre Rolands bezeichnet wird; für die Epoche Voltaires ist er freilich in jedem Fall ‚Franzose‘. Voltaires Drama beginnt damit, dass der alternde Argile die neu gewonnene Freiheit der Republik Syrakus durch internen Parteienzwist der Familien der Stadt gefährdet sieht. Um den Zwist beizulegen, verspricht er seine Tochter Aménaïde dem Haupt der gegnerischen Dynastie, Orbassan. Zugleich wird Tancrède, weil er dem als tyrannisch stilisierten Kaiser von Byzanz gedient haben soll, verbannt; darin zeigt sich ein Machtkalkül des Senats (und auch Argiles), das selbst tyrannisch ist (Voltaire 2009, I.1, S. 143–144). Außerdem wird dadurch eine Opposition aufgemacht zwischen dem ‚Franzosen‘ Tancrède, der hier als potentieller Verräter erscheint, sich letztlich aber als untadeliger Held erweisen wird, und dem korrupten ‚italienischen‘ Senat von Syrakus. Ein bemerkenswerter Unterschied zu Rossinis Oper ist, dass Tancrède nicht hauptsächlich um Liebe, Macht oder Ruhm kämpfen will, sondern mit der Bemerkung „les Citoyens sont frères“ (ebd., III.1, S. 178) seiner von den Muslimen bedrohten Heimat zu Hilfe eilt. Als er fälschlich annimmt, Aménaïde habe sich dem muslimischen Herrscher Solamir versprochen, beklagt er, dass damit gerade dasjenige Geschlecht, welches von den Muslimen unterdrückt wird, diese willkommen heißt und damit die den Frauen dienenden Ritter verrät (ebd., IV.2, S. 204) – eine ‚kulturkämpferische‘ Pointe. Bei Voltaire wird insgesamt – nicht zuletzt ermöglicht durch die größere Textmenge eines gesprochenen Dramas – feiner differenziert als in den Opernfassungen; so weist auch Aménaïde ihrerseits Tancrède zurück, da sie ihm nicht vergeben kann, an ihrer Liebe gezweifelt zu haben. Aménaïde enthüllt am Ende alles ihrem Vater, der wegen der ungerechten Behandlung Tancrèdes durch den Senat und angesichts von dessen Opferwillen für den Staat die menschliche Gerechtigkeit anzweifelt. Aménaïde will in der Schlacht für Tancrède, den sie nun hasst, aus Pflichtgefühl sterben. Ihr Vater, der einsehen muss, dass er keine Autorität mehr über sie beanspruchen kann und dass die Sitten seines Landes, die eine Teilnahme einer Frau am Kampf untersagen würden, ebenfalls ihre Glaubwürdigkeit verloren haben, kann sie nicht aufhalten. Aménaïde hört nur noch auf ihr Herz, nicht mehr auf das offizielle Nor-
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mensystem: „Je n’écoute plus rien que la loi de mon coeur. […] L’injustice à la fin produit l’indépendance“ (ebd., IV.6, S. 212). Als sie nach der finalen Katastrophe wenigstens vor den Augen der Welt rehabilitiert werden soll, resigniert sie: „Eh – que fait l’Univers à ma douleur profonde? / Que me fait ma patrie et le reste du monde? / Tancrède meurt“ (ebd., V.5, S. 224). Aménaïde verflucht ihre „tyrans“, nämlich den Staat und den Senat, aber auch ihren Vater. Sie sinkt leblos zu Boden (ebd., V.6, S. 230). Hier spitzt Voltaire ein klassisches Tragödienformat (im Sinne etwa der Antigone-Tradition) dezidiert aufklärerisch zu. Eine ähnliche Idee, über einen nicht präzise in der Hauteville-Genealogie zu verortenden süditalienisch-normannischen Tankred (in diesem Fall einen Fürsten von Salerno) eine Tragödie zu schreiben, hatte 1614 Ridolfo Campeggi mit Il Tancredi. Die Nachrichten von einer Aufführung in Bologna 1615 mit Musik von Girolamo Giacobbi sind nicht im Sinne einer Opernaufführung zu verstehen, sondern deuten eher auf eine Schauspielmusik hin. Was die andere Tankred-Tradition betrifft, so wurde die Handlung des XII. Gesangs von Tassos Kreuzzugsepos La Gerusalemme liberata oben schon anhand von Monteverdis Vertonung skizziert. Im Original ist diese Episode allerdings Teil eines komplexeren Handlungsstrangs, der eine „Tragödie im Epos“ (Regn 2014) realisiert, welche zugleich Anleihen bei der Tradition des Abenteuerromans hellenistischer Prägung macht: Der christliche Ritter Tancredi hat sich in der Vorgeschichte der Episode in die sarazenische Amazone Clorinda verliebt. Clorinda ist in Wahrheit die Tochter des christlichen Königs von Äthiopien. Da sie aber (weil ihre Mutter während der Schwangerschaft immer vor dem Bild eines weißen Heiligen betete) ihren farbigen Eltern als weißes Kind geboren wurde, gab ihre Mutter sie weg, um nicht in den Verdacht der Untreue zu geraten (vgl. Heliodors Roman Aithiopiká). Das Kind wurde von einem Diener muslimisch aufgezogen, aber es ist geweissagt, dass es einst zum Christentum konvertieren werde. Clorindas Weg wird auf diese Weise martyrologisch geformt und ist gewissermaßen die heilsgeschichtliche Seite der tragischen Liebesgeschichte. Tancredi hingegen wird bei Tasso als tragischer Held im aristotelischen Sinne gezeichnet, der von der Schwäche der Liebesmelancholie befallen ist und aufgrund einer kleinen Fehleinschätzung (hamartía) das ihm Liebste auf Erden tötet. Über den historischen Tankred berichten Radulfs von Caen Gesta Tancredi und die anonymen Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanum. Tassos wichtigste Quelle, die nach 1184 abgeschlossene Kreuzzugschronik des Wilhelm von Tyrus, bekannt auch unter dem Titel Historia rerum in partibus transmarinis gestarum, nennt Tancredus unter den besten Kämpfern und Anführern des Ersten Kreuzzugs
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und berichtet von einem Streit mit Balduin von Boulogne (Willelmus Tyrensis 2013, III.24, S. 226–228), seinen Taten vor Antiochia (ebd., VI.4, S. 237–238), seiner Einnahme Bethlehems (ebd., VII.24, S. 375–377) und seiner Teilnahme an den Kampfhandlungen um Jerusalem, insbesondere seinem Angriff auf einen Eckturm, der seither als „turri[s] […] Tancredi“ bezeichnet wird (ebd., VIII.12, S. 402) – aber nicht von der folgenreichen Begegnung mit Clorinda. Diese ist von Tasso vielmehr als fein abgewogener ‚tragischer‘ Gegenentwurf zur Liebesgeschichte zwischen dem Sarazenen Ruggiero und der christlichen Amazone Bradamante in Ludovico Ariostos Orlando furioso (1516/1532; → Roland) erdacht worden – ein Gegenentwurf, der zugleich eine Episode aus demjenigen Versroman überbietet, den Ariost seinerseits zu Ende führen und überflügeln wollte: die Erzählung vom nächtlichen Kampf zwischen Orlando und dem Tartarenkönig Agricane am Ende des ersten Buchs von Matteo Maria Boiardos Orlando innamorato (1483/1494). Auch Agricane lässt sich, wie Tassos Clorinda, im Angesicht des Todes zum Christentum bekehren. Tassos tragisches und zugleich christliches Sujet entspringt mithin weniger der Historie als vielmehr dem Dialog der Dichtungen miteinander.
III Werkliste Il combattimento di Tancredi e Clorinda Musik Text Claudio Monteverdi Torquato Tasso
Uraufführung Karneval 1624, Venedig
La Gerusalemme liberata „Drama per musica“ Musik Carlo Pallavicino
Text Giulio Cesare Corradi
Uraufführung 4.1.1687, Venedig
Tancrède „Tragédie en musique“ Musik André Campra
Text Antoine Danchet
Uraufführung 7.11.1702, Paris
Tancredi „Dramma per musica“ Musik Ferdinando Guiseppe Bertoni
Text Silvio Saverio Balbis
Uraufführung 26.12.1766, Turin
Il Tancredi „Ballo eroico tragico pantomimo“ Musik Luigi de Baillou
Text [?]
Uraufführung 1770, Stuttgart
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Tancredi „Dramma per musica“ Musik Ignaz Holzbauer
Text Silvio Saverio Balbis
Uraufführung Januar 1783, München
Tancrède Musik David August von Apell [verloren]
Text [?]
Uraufführung 1790, Kassel [?]
Tancredi „Tragedia per musica in tre atti“ Musik Francesco Gardi
Text Alessandro Pepoli
Uraufführung 1795, Venedig
Tancredi „Melodramma serio in due atti“ Musik Stefano Pavesi
Text Luigi Romanelli
Uraufführung 18.1.1812, Mailand
Tancredi „Melo-Dramma eroico“ Musik Gioachino Rossini
Text Gaetano Rossi, Luigi Lechi
Uraufführung 6.2.1813, Venedig
Tankredi „Eine komische Parodie in zwey Akten“ Musik Text Wenzel Müller [nach Rossini] Adolf Bäuerle [Parodie nach Rossi / Lechi]
Uraufführung 25.4.1817, Wien
3.3 Walter Scott Ivanhoe Barbara Eichner I Präsenz des Sujets Ivanhoe-Opern sind ein Phänomen des neunzehnten Jahrhunderts: Sie entstanden nach der Veröffentlichung des Romans von Sir Walter Scott im Jahr 1820, beginnen mit Gioachino Rossinis Opern-Pasticcio Ivanhoé (1826) und enden mit Arthur Sullivans Ivanhoe von 1891 (Tambling 2014). Die Opernbühne folgte dem Erfolgsrezept des Sprechtheaters: Bereits kurz nach Publikation des Romans erschienen auf den Londoner Bühnen mehrere Sprechdramen mit Bühnenmusik. Noch vor Rossinis Ivanhoé kombiniert das Libretto Ilda d’Avenel von Gaetano Rossi, das von Francesco Morlacchi (1824) und Giuseppe Nicolini (1828) vertont wurde, die aktuelle Schottland-Mode mit einzelnen Handlungsmotiven aus Scotts Ivanhoe-Roman. Insgesamt führt Jeff S. Dailey 49 Bühnenwerke für das neunzehnte Jahrhundert an, von der großen italienischen Oper über ein jiddisches Sprechdrama bis zur englischen Burleske (vgl. Dailey 2008, S. 169–181). Die Beliebtheit des Stoffs schwand parallel zu Scotts rückläufiger Bedeutung für die (Populär-)Kultur nach 1914 (Watson 2012, S. 152), und auch der erfolgreiche Hollywood-Film von 1952 ist in dieser Hinsicht ein Nachzügler. Darüber hinaus konnte sich keine der im neunzehnten Jahrhundert erfolgreichen Ivanhoe-Opern dauerhaft im Repertoire halten. Die einzige Oper nach einer Romanvorlage Scotts, die seit ihrer Uraufführung im Jahr 1835 – zum Teil stark bearbeitet – kontinuierlich gespielt wurde, war Gaetano Donizettis Lucia di Lammermoor. Doch zumindest vier der zahlreichen Musiktheater-Bearbeitungen von Scotts erstem Mittelalterroman (für einen Überblick mit Synopsen vgl. Mitchell 1977 und 1996) gelten aus musikhistorischer Sicht als relevant und sind durch wissenschaftliche Neuausgaben und Einspielungen dokumentiert, mit gelegentlichen – oft konzertanten – Live-Aufführungen. Arthur Sullivans Ivanhoe (1891) fiel nach anfänglicher Begeisterung aus dem Opernrepertoire und wurde zunächst durch zwei Amateuraufnahmen – ein häufiges Phänomen der Sullivan-Rezeption – von 1974 bzw. 1989 wieder ins allgemeine Bewusstsein gerufen. Seit 2010 liegt eine vollständige, professionelle Einspielung des BBC National Orchestra of Wales unter David Lloyd-Jones (CHAN 10578) vor, die eine kritische Evaluierung des Werks erlaubt. Die Partitur von Otto Nicolais Il Templario (1840) galt als verschollen; wichtige Quellen wurden erst 2006 wiederentdeckt und eine voll https://doi.org/10.1515/9783110424089-040
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ständige Fassung wurde von Michael Wittmann rekonstruiert (Nicolai 2008), was zunächst zu einer Einstudierung am Theater Chemnitz 2008 (cpo 777 434–2) und 2016 zu zwei konzertanten Aufführungen bei den Salzburger Festspielen führte. Heinrich Marschners Der Templer und die Jüdin (1829) wurde an weniger prominenter Stelle wiederbelebt (konzertant Bielefeld 1981, szenisch Wexford Festival 1989) und profitierte nicht im gleichen Maße wie Der Vampyr oder Hans Heiling von der bescheidenen Marschner-Renaissance der letzten Jahrzehnte. Eine stark gekürzte Fassung, aufgeführt 1951 vom Großen Orchester der Wiener RAVAG unter Kurt Tenner, liegt seit 2015 als CD (Myto) vor. Gioachino Rossinis Ivanhoé- Pasticcio (1826) rückte 1992 mit einer konzertanten Aufführung in Siena wieder ins allgemeine Bewusstsein; szenisch wurde die Oper 2001 beim Festival della Valle d’Itria in Martina Franca gegeben und durch einen 2014 veröffentlichten Live-Mitschnitt (Dynamic CDS 397/1–2) dokumentiert. Die Gründe, warum selbst zu ihrer Zeit erfolgreiche Ivanhoe-Opern im zwanzigsten oder einundzwanzigsten Jahrhundert erst wiederentdeckt werden mussten, sind individuell unterschiedlich: Sullivans Ivanhoe wurde paradoxerweise Opfer seiner herausgehobenen Stellung als englische Nationaloper; Nicolais Il Templario fiel als italienischsprachiges Werk eines deutschen Komponisten durch das Raster nationaler Rezeptionsmodi; Marschners Der Templer und die Jüdin wurde, wie sein Oeuvre insgesamt, von Richard Wagners Werken gründlich überschattet; Rossinis Ivanhoé ist ein Pasticcio, keine Originalkomposition und kann daher keine kanonische Stellung beanspruchen. Insgesamt ist es auffällig, dass keiner der ‚großen‘ Opernkomponisten des späteren neunzehnten Jahrhunderts, wie Wagner oder Giuseppe Verdi, sich an einer Scott-Oper versucht hat (Tambling 2014, S. 285). Trotz der offensichtlichen Eignung des Ivanhoe-Stoffs für die Dramaturgie der französischen Grand Opéra – Liebespaar(e) im historischen Konflikt zwischen verfeindeten Volksgruppen, eine unentschlossene Heldengestalt, die Figur der „schönen Jüdin“, malerische Szenerien und Aufzüge – fällt es auf, dass der Roman bis auf Rossinis Pasticcio (Libretto von Émile Deschamps und Gustave de Wailly) und eine offenbar nie aufgeführte Oper Rébecca von Armand Castegnier (das Libretto wurde 1882 in London veröffentlicht, der Klavierauszug 1884) nicht für die französische Bühne bearbeitet wurde. Allerdings stellte Ivanhoe – im Gegensatz etwa zu einem präexistenten Drama – durch die Vielzahl der Erzählstränge, Schauplätze und handelnden Personen die Librettisten vor große Herausforderungen, weshalb jede Adaptation nicht nur unterschiedliche Akzente in der Auswahl der Szenen und Entwicklung der Charaktere setzt, sondern auch sehr unterschiedliche Bilder des Mittelalters evoziert. Die jeweilige Auswahl wurde dabei einerseits von operndramaturgischen Überlegungen geleitet, spiegelt aber andererseits auch die populäre Rezeption
Ivanhoe
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der Romane in illustrierten Ausgaben wider, die einen festen Kernbestand an Szenen bebilderten. Ein Vergleich der wichtigsten Handlungsstränge der Versionen von Sullivan, Nicolai und Marschner verdeutlicht Gemeinsamkeiten wie Unterschiede: Die Ivanhoe-Oper von Arthur Sullivan und Julius Sturgis folgt am getreulichsten der Romanhandlung, was durch zahlreiche Szenenwechsel – jeder der drei Akte enthält drei Szenen – ermöglicht wird. Die erste Szene spielt in Rotherwood, dem Stammsitz des Sachsen Cedric, wohin sich der Normanne Maurice de Bracy, der Tempelritter Brian de Bois Gilbert, die Jüdin Rebecca, ihr Vater Isaac sowie ein unbekannter Pilger vor einem Sturm geflüchtet haben. Nach einem Streit zwischen den Normannen und dem Pilger planen de Bracy und Bois Gilbert die Entführung von Cedrics Tochter Rowena und der schönen Rebecca. In einem Vorgemach hofft Rowena von dem Pilger, der niemand anders als der von ihr geliebte Ziehbruder Ivanhoe ist, etwas über das Schicksal desselben zu erfahren. Beim Turnier in Ashby am folgenden Tag bejubeln die Zuschauer den geheimnisvollen schwarzen Ritter, nur Friar Tuck verspottet ihn und nennt ihn „Sir Sluggard“. In der Verkleidung des „Disinherited Knight“ besiegt Ivanhoe Bois Gilbert und erhält von Rowena die Siegeskrone. In einem dramatischen Ensemble wird seine Identität enthüllt. Der zweite Akt beginnt im Wald von Copmanhurst. Friar Tuck liefert sich mit dem schwarzen Ritter ein Wortgefecht, das in eine scherzhafte Rauferei übergeht. Locksley, der Anführer der Outlaws, meldet, dass Cedric und seine Begleiter auf dem Rückweg von Ashby gefangen genommen und zur Normannenburg Torquilstone gebracht wurden. Dort begrüßt de Bracy Rowena und Cedric und enthüllt, dass sich auch Ivanhoe in seiner Gewalt befindet; er verspricht, ihn zu verschonen, wenn Rowena seine Frau wird. In einem Turmgemach von Torquilstone kommt es zur großen Auseinandersetzung zwischen Bois Gilbert und Rebecca, in deren Verlauf sie androht, aus dem Fenster zu springen. Ein Trompetensignal kündigt die Belagerung der Normannenburg an. Der dritte Akt beginnt in einem anderen Gemach in Torquilstone, in dem der verwundete Ivanhoe gefangen gehalten und von Rebecca gepflegt wird. Als die Burg von der wahnsinnigen Ulrica angesteckt wird, reißt Bois Gilbert Rebecca mit sich fort. Der schwarze Ritter befreit Ivanhoe und gibt sich als König Richard zu erkennen. Im Wald von Copmanhurst ermöglicht Richard die Versöhnung zwischen Ivanhoe und seinem Vater Cedric, der nun endlich der Verbindung mit Rowena zustimmt. Isaac eilt herbei und fleht um Hilfe für seine Tochter, die von den Templern als Hexe zum Tode verurteilt wurde. Die Schlussszene umfasst das Gottesgericht in der Templerkommende Templestowe. Gerade noch rechtzeitig trifft Ivanhoe ein und fordert Bois Gilbert zum Kampf heraus, der, von seinen
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widersprüchlichen Gefühlen überwältigt, tot umfällt. König Richard verbannt unter dem allgemeinen Jubel aller Anwesenden die Templer aus England. Das italienische Libretto von Girolamo Maria Marini zu Otto Nicolais Oper Il Templario greift viel stärker in die Romanhandlung ein. Im ersten Akt krönt beim Turnier von Ashby Rovena einen unbekannten Ritter zum Sieger, den Cedrico anschließend auf sein Schloss einlädt. Nach der Siegerehrung beklagt der Verlierer Briano di Bois Guilbert sein Schicksal und plant, die Jüdin Rebecca, in die er verliebt ist, auf dem Heimweg nach York zu entführen. Im zweiten Bild haben sich Rebecca und Isacco zu Rovena geflüchtet. Briano verlangt von Cedrico die Herausgabe Rebeccas, die seine Sklavin sei. Der unbekannte Ritter erscheint und gibt sich als Cedricos verstoßener Sohn Vilfredo (Ivanhoe) zu erkennen; im Tumult entführt Briano Rebecca. Im zweiten Akt sinnt Rebecca einem Turmgemach der Templerkommende über ihre Liebe zu Vilfredo nach, bis der aufdringliche Briano sie unterbricht. Sie droht, sich vom Turm zu stürzen, was durch die Ankunft des Ordensgroßmeisters verhindert wird. Im zweiten Bild findet im Waffensaal die Gerichtsverhandlung statt. Rebecca wird wegen Hexerei verurteilt, aber gleichzeitig die Abhaltung eines Gottesgerichts beschlossen. Das dritte Bild zeigt die Versöhnung Cedricos mit seinem Sohn Vilfredo und die Billigung der Heirat mit Rovena. Der dritte Akt ist – wie bei Sullivan – dem Gottesgericht gewidmet. Vilfredo erscheint in letzter Minute und besiegt Briano. Rebecca gesteht dem Retter ihre Liebe, wird von ihm aber zurückgewiesen und sinkt ohnmächtig in die Arme ihres Vaters. Der Komponist Heinrich Marschner und sein Librettist Wilhelm August Wohlbrück greifen für ihre dreiaktige Oper Der Templer und die Jüdin ebenfalls stärker als Sullivan und Sturgis in die Romanvorlage ein, behalten aber Romancharaktere und komische Episoden bei, die bei Nicolai völlig fehlen. Im ersten Akt treffen sich die normannischen Ritter Maurice de Bracy und Brian de Bois Guilbert in einer wildromantischen Gegend. Dieser liebt Isaacs Tochter Rebecca und entführt sie, ihren Vater und den von ihr gepflegten Ivanhoe, jener nimmt Rowena und Cedric gefangen, als sie die Verfolgung von Guilbert aufnehmen wollen. In der Hütte des Einsiedlers Tuck von Copmanhurst beschließen der schwarze Ritter, Locksly [!], Tuck und weitere Geächtete, Cedric und Rowena aus de Bracys Gewalt zu befreien. Auf seinem Schloss hält dieser um Rowenas Hand an und lässt sie nach ihrer Weigerung zusammen mit Cedric einsperren. Gleichzeitig ist Rebecca in einem Turmgemach gefangen und muss die Annäherungsversuche Guilberts abwehren. Nachdem dieser zum Kampf gegen die anrückenden Befreier gerufen wurde, erscheint Ivanhoe. Rebecca muss erkennen, dass er eine andere liebt und sie wegen ihres Glaubens nie werde lieben können. Der schwarze Ritter rettet
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Ivanhoe aus dem brennenden Schlossturm, Guilbert verschleppt Rebecca, Cedric und Rowena aber sind frei. Im zweiten Akt verlangt der Großmeister der Templer von Guilbert, sich von seinem Begehren für die Jüdin Rebecca freizumachen, andernfalls werde er aus dem Orden verstoßen. Er aber bekräftigt seine Absicht, sie für sich zu gewinnen. Auf dem Turnierplatz fordert Rebecca, die der Zauberei beschuldigt wird, ein Gottesgericht. Als Guilbert zum Streiter für die Templer bestellt wird, versucht Isaac, Hilfe zu holen. Der dritte Akt beginnt mit der Versöhnung Ivanhoes mit seinem Vater und seiner Verlobung mit Rowena. Isaac erscheint und bittet ihn um Hilfe für Rebecca. Im Kerkergemach in Tempelstowe versucht Guilbert ein letztes Mal vergeblich, Rebecca zur Flucht zu überreden. Die Schlussszene zeigt wieder das Gottesgericht auf dem Turnierplatz: Ivanhoe besiegt Guilbert, wird von Rowena umarmt, während Rebecca ihm entsagt. Das Volk jubelt König → Richard Löwenherz zu.
II Historische Schichten Die „romantic opera“ Ivanhoe von Sullivan und Sturgis stellt den Endpunkt der Musiktheaterrezeption des Romans dar und fällt mit der Nachblüte der Ritteroper in der Generation nach Wagner zusammen. In dieser Oper tritt der nationale Aspekt der Mittelalterrezeption deutlich hervor, was schon durch ihre Entstehungs-, Aufführungs- und Publikationsgeschichte bedingt ist. Ivanhoe wurde explizit zur Eröffnung des Royal English Opera House geschrieben, das der Impresario und langjährige Geschäftspartner Sullivans, Rupert D’Oyly Carte, in London errichtete, um englischsprachiger Oper auf Dauer eine Heimstatt gegeben. Nach einem Rückzieher von W.S. Gilbert, dem Librettisten der komischen „SavoyOpern“, skizzierte der Schriftsteller Julian Sturgis das Textbuch im Juli 1889; Sullivan setzte es zwischen Mai und Dezember 1890 in Musik (Eden 2007, S. 1–2). Die Oper erlebte nach der Uraufführung am 31. Januar 1891 insgesamt 155 Aufführungen in nur sechs Monaten und wurde von Publikum und Kritikern größtenteils enthusiastisch begrüßt. Aus Mangel an Nachfolgewerken schlug allerdings auch dieser Versuch, eine nationale Opernbühne zu etablieren, langfristig fehl, und das Royal English Opera House stellte bereits 1892 den Betrieb ein. 1893 folgte eine leicht gekürzte Ivanhoe-Aufführung in Berlin, und 1895 nahm die Tourneetheatertruppe von Carl Rosa die Oper in ihr Repertoire auf. Um die Jahrhundertwende brach diese Aufführungstradition allerdings vollständig ab bis zur Wiederentdeckung der viktorianischen Musikkultur in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Ivanhoe war Sullivans einziges Musiktheaterwerk mit dem Anspruch, ein ‚ernstes‘ Kunstwerk zu sein, und ist daher durchkomponiert und großzügiger
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dimensioniert als seine komischen Opern. Zusätzlich erlaubte die Bühnentechnik des Royal English Opera House aufwändige Bühnenbilder, die eigens für Ivanhoe geschaffen wurden, und schnelle Szenenwechsel. Dies schlägt sich im ungewöhnlichen Aufbau von drei Akten zu je drei in sich abgeschlossenen Szenen nieder. Meinhard Saremba (2007, S. 76) vergleicht die relativ lose Abfolge der Szenen mit der Technik eines Videoclips und Richard Wagners Parsifal (→ Parzival), doch die Vorbilder sind wohl eher in den beliebten „lebenden Bildern“ zu suchen, die auch von Scotts Romanen und ihren Illustrationen inspiriert wurden. Sullivans „Bilderbogen“ (Stollberg 2011, S. 467) ähnelt auch anderen nationalen Festopern des neunzehnten Jahrhunderts wie Bedřich Smetanas Libuše; und schließlich ordnet sich die Oper in eine spezifisch britische Operntradition zwischen Henry Purcells Semi-Opera → King Arthur (mit gesprochenen Dialogen) und Benjamin Brittens Gloriana ein, in der die Errichtung eines „patriotischen Monuments“ wichtiger ist als die Entfaltung eines dramatischen Spannungsbogens (Eden 2012, S. 260). Benedict Taylor postuliert ebenfalls einen engen Zusammenhang zwischen der Tableau-artigen Szenenfolge (Taylor 2012, S. 296: „pageant-like“) und der Funktion als Nationaloper: Ivanhoe erlaubt es dem Zuhörer, eine imaginierte Reise durch das „historische“ England mit seinen heroischen, humoristischen und romantischen Aspekten zu unternehmen (ebd., S. 307). Sullivan entschied sich offenbar bewusst für einen ‚einheimischen‘ Kompositionsstil, der eher in den englischen Spielopern der Jahrhundertmitte (Michael William Balfe, Julius Benedict, William Vincent Wallace) wurzelt als in der zeitgleichen deutschen, italienischen oder französischen Oper, um den Grundstein für eine populäre englische Gattung zu legen. Die statische Dramaturgie aus in sich geschlossenen Szenen wurde zusammen mit der eher konservativen harmonischen Sprache im zwanzigsten Jahrhundert als altmodisch und rückwärtsgewandt kritisiert. Sullivans Partitur markiert explizit Rezitative, setzt einzelne ‚Nummern‘ durch klare Kadenzen ab, vermeidet bewusst den chromatisch aufgeladenen Mittelstimmensatz in der Nachfolge Wagners und verzichtet auf (leit)motivische Entwicklung. Die Verpflichtung auf ein nationales Ideal ist musikalisch am stärksten spürbar in den Waldszenen des zweiten und dritten Akts, in denen die enge Verbindung König Richard Coeur-de-Lions mit „Locksley“ (d. i. → Robin Hood, aber von Scott und Sturgis nach seinem vermeintlichen Herkunftsort benannt) und seinen Banditen beschworen wird. Scott hatte die Figur des Robin Hood als Schlüsselfigur für den (angel)sächsischen Widerstand gegen normannische Unterdrückung konzipiert (vgl. Barczewski 2000, S. 129), eine Lesart, die im späteren neunzehnten Jahrhundert unter dem Eindruck der Rassentheorie populär blieb. Entsprechend individualisiert der Outlaw in der Oper das ansonsten nur im Chor auftretende einheimische Volk. In den Waldszenen setzen Sturgis und Sullivan diegetische Lieder ein, um König und Outlaws aus der eigentlichen Handlung
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herauszuheben und ihre volkstümliche Seite zu betonen. König Richard besingt in zwei Balladen die Freuden des einfachen Lebens im Wald („I ask no wealth nor courtier’s praise“ bzw. „Oh, would I be an outlaw bold“), deren Beliebtheit beim Publikum noch übertroffen wurde durch das Trinklied des Friar Tuck im zweiten Akt „The wind blows cold across the moor“ mit seinem fröhlichen, vom Chor wiederholten Refrain „Ho, jolly Jenkin“. Auch wenn hier keine eigentlichen Volksliedmelodien verwendet werden und Sturgis’ Texte auch von den in Scotts Roman eingestreuten Liedern abweichen, ist doch Sullivans Bemühen, einen spezifisch ‚englischen‘ Ton zu treffen – nicht unähnlich dem in seinen komischen Opern –, nicht zu überhören. Überhaupt formieren sich innerhalb der durchkomponierten szenischen Komplexe immer wieder geschlossene Formen wie Arien und Duette. Dies kommt besonders dem Liebespaar Ivanhoe und Rowena zugute, deren im Roman etwas unterkühlte Beziehung in der zweiten Szene des ersten Akts und nach der Aussöhnung mit Ivanhoes Vater Cedric mit Duetten vertieft wird. Außerdem erhalten Ivanhoe (3. Akt, 1. Szene: „Happy with winged feet“) und Rowena (1. Akt, 2. Szene: „O moon, art thou clad“) jeweils eine Solo-Arie, in der sie ihren Gefühlen Ausdruck verleihen können. Rowenas im Roman eher blasser Charakter tritt so plastischer hervor, während die Anziehung zwischen Ivanhoe und Rebecca nur in Rebeccas pastoraler Arie „Ah, would that thou and I might lead our sheep“ (3. Akt, 1. Szene) ihren Ausdruck findet; als nationale Projektionsfigur konnte Ivanhoe nur als Rebeccas ritterlicher Beschützer, nicht aber als ihr potenzieller Liebhaber auftreten. Während sich Rebeccas Auseinandersetzungen mit Bois-Guilbert und das Gottesgericht in Tempelstowe in allen anderen Ivanhoe-Opern finden, ist die Figur der Ulrica, der sächsischen Rächerin, einmalig in Sullivans Version. Ihr düsterer Schlachtgesang „Whet the keen axes“ (2. Akt, 3. Szene) kontrastiert scharf mit dem nach einem kurzen Dialog folgenden Gebet Rebeccas („Lord of our chosen race“); der ‚exotische‘ Einschlag beider Arien – altertümlich heidnisch bzw. orientalisch – setzt beide Frauengestalten musikalisch von den anderen Charakteren ab. Das Orchester eröffnet Ulricas Szene mit offenen Unisono-Oktaven im Orchester und einem Quartmotiv, das auch Ulricas melodisches Material bestimmt. Die Begleitung durch eine in sich kreisende Figur der tiefen Streicher evoziert das Schleifen der Streitäxte, zu dem Ulrica die Töchter Hengists und Jungfrauen Walhallas aufruft. Rebeccas Solo ist dagegen in einem an Mendelssohns Oratorien angelehnten – und von englischen Hörern als ‚einheimisch‘ wahrgenommenen – Idiom gehalten, doch die Anrufung „Guard me, Jehova“, die jeden formalen Teil beschließt und am Ende der Szene wiederkehrt, weicht aus der vorherrschenden Tonart As-Dur bzw. as-Moll nach Heses-Dur (klingend A-Dur) aus und verwendet ‚orientalische‘, chromatisch angereicherte Melismen. Dieser Effekt wird in der Wiederholung des ersten Abschnitts durch ein obligates Englischhorn verstärkt.
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Derartige musikalische Verdichtung zu festgefügten Formen gibt Sullivans Musik einen bewusst anti-wagnerianischen Zug. Ohnehin stand der Komponist Wagners Musikdramen mit Ausnahme der Meistersinger äußerst kritisch gegenüber; seine Vermischung der alten ballad opera mit musikdramatischen Zügen wurde allerdings bereits von einigen zeitgenössischen Musikkritikern – allen voran George Bernard Shaw – als problematisch angesehen (Shaw 1981, S. 258). Scotts Romane und Dichtungen mit ihren ‚romantischen‘ schottischen oder mittelalterlichen Schauplätzen erfreuten sich besonders in den italienischen Theatern großer Beliebtheit, nicht zuletzt wegen ihres Potenzials für malerische Bühnenbilder (Ambrose 1981). Ihnen allen gemeinsam ist der Fokus auf die Jüdin Rebecca als Hauptperson, was sich nicht nur in den Opern, sondern auch in Balletten niederschlägt: Emanuele Viottis Ballett Rebecca (1841) modifiziert die Romanhandlung stark durch Kürzungen und neu erfundene Szenen und zentriert sie so ganz auf die Protagonistin (Sowell 2014). Bereits im ersten Akt gesteht Rebecca Ivanhoe in einer getanzten Pantomime ihre Liebe. Nachdem sie im letzten Akt im Überschwang der Gefühle ihren Retter umarmt und dadurch die Eifersucht Rovenas auf sich gezogen hat, stirbt sie an gebrochenem Herzen. Das tragische Ende findet sich ebenfalls in Bartolomeo Pisanis Rebecca (1865) nach einem Libretto von Francesco Maria Piave. Diese Oper wurde zwar nur einmal am Teatro alla Scala in Mailand aufgeführt, ist aber für die Rezeption des Ivanhoe-Stoffs besonders interessant durch einen der Romanhandlung vorgeschobenen ersten Akt in Palästina. Isacco und seine Tochter Rebecca bereiten sich auf die Reise nach England vor, da die junge Frau kürzlich von einem Tempelritter belästigt wurde, bis Guilfredo (Ivanhoe) zu ihrer Verteidigung kam. Sie heilt seine schweren Wunden und verliebt sich in ihn, er aber denkt stets an die entfernte Rovena. Dieser Akt bildet durch den exotischen Schauplatz und die Chöre (jüdische Hirten und Bauern, Kameltreiber) einen starken Kontrast zum ‚europäischen‘ Mittelalter der folgenden Akte mit seinen Wäldern und Burgen. Von den italienischen Ivanhoe-Opern weist Otto Nicolais Il Templario (1840) die straffste Dramaturgie auf. Ulrich Konrad bescheinigt dem an die Opern Bellinis und Donizettis angelehnten Templario zu Recht „eine gewisse Sterilität der Personen und des Szenariums“ (Konrad 1991, S. 418), doch im Gegensatz zu den formal weit weniger gefestigten englischen oder deutschen Libretti seiner Zeit besticht Nicolais Oper durch ihren konzisen Aufbau und die effektvollen Steigerungen durch die Abfolge von Soloszenen, Duetten und Ensembles. Dazu trägt auch die Verkleinerung der Besetzungsliste bei. Die Konzentration auf die Protagonisten Vilfredo, Rovena, Briano di Bois-Guilbert und Rebecca (mit Nebenrollen für Cedrico, Luca di Beamanour und Isacco) wird ermöglicht durch die völlige
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Eliminierung des im engeren Sinne politischen Rahmens. Die Rivalität zwischen Prinz John und Richard Löwenherz spielt keine Rolle, ebenso wenig treten die fröhlichen Outlaws um Robin of Locksley (Robin Hood) im englischen Wald auf. Der Theaterzettel nennt zwar als Ort und Jahr „Inghilterra, nell’anno 1194“ (zitiert nach Kruse 1911, S. 280), doch obwohl das Personenverzeichnis Chöre der Sachsen, Normannen und Templer aufführt, wird der Konflikt zwischen der einheimischen sächsischen Bevölkerung, den normannischen Invasoren und den ausländischen Tempelrittern, der für Scotts Roman – und für das populäre Verständnis des mittelalterlichen England im viktorianischen Zeitalter – so zentral war, reduziert auf das generische Gegeneinander feindlicher Volksgruppen, wie es für die romantische Oper typisch ist. Entsprechend entfällt hier die nationalistische Stoßrichtung, die für Sullivans Ivanhoe konstitutiv und – mit gewissen Einschränkungen – auch in Heinrich Marschners Oper spürbar ist. Handlungselemente wie das Turnier in Ashby, dessen Siegesfeier die erste Hälfte des ersten Akts einnimmt, und das auf den zweiten und dritten Akt verteilte Gottesgericht signalisierten für die zeitgenössischen Hörer deutlich genug den Zeitrahmen der Handlung, wenn auch kaum ein spezifisch englisches Mittelalter. Aus Cedrics rustikalem, sächsischem Langhaus Rotherwood wurde ein „castello“ (Burg); Aethelstans sächsisches „Coningsburgh Castle“ (das historische Conisbrough) kommt nicht vor, und statt der normannischen Zwingburg Torquilstone und der Templer-Niederlassung Tempelstowe gibt es nur eine Komturei, in der Rebecca gefangen gehalten wird und wo auch das Gottesgericht stattfindet. All diese Szenen konnten aus dem generischen Mittelalter-Fundus der Theater bedient werden, und wie für die musikalische Sprache spielte (mit einer Ausnahme, vgl. unten) für die szenische Darstellung das Konzept der ‚coleur locale‘ keine Rolle. Die Oper traf auf jeden Fall den Nerv der Zeit, denn nach der äußerst erfolgreichen Uraufführung in Turin am 11. Februar 1840 wurde sie auf praktisch allen größeren italienischen Bühnen, aber auch in Madrid, St. Petersburg, Wien und anderen europäischen Zentren gespielt und hielt sich bis zu 25 Jahre im Repertoire. Eine deutsche Bearbeitung als Der Tempelritter für das Wiener Kärntnertortheater von 1845 konnte nicht an den Erfolg der italienischen Fassung anknüpfen, nicht zuletzt wegen der Konkurrenz mit Marschners noch im Repertoire präsenter Oper Der Templer und die Jüdin. Immerhin wurde Nicolais Werk aber vom Berliner Propagandaministerium noch 1940 für wichtig genug erachtet, um in Die Sarazenin umgearbeitet zu werden (Konrad 1991, S. 421). Der in Berlin ausgebildete und 1834–1836 als Organist an der preußischen Botschaft in Rom tätige Otto Nicolai stand zwar der italienischen Oper und dem dortigen Opernwesen zunächst ambivalent gegenüber (vgl. Greenwald 2005), doch nach einer kurzzeitigen Kapellmeistertätigkeit in Wien versuchte er, sich im italienischen Musiktheaterbetrieb zu etablieren. Il Templario entstand als Auftrags-
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werk für das Turiner Teatro Regio für die Karnevalsaison 1839/40; Nicolai wählte Scotts Roman selbst als Vorlage, nachdem er bereits mit der vorangegangen Oper Rosmonda d’Inghilterra (um Henry II. und seine Mätresse Rosamund Clifford) einen Stoff aus der englischen Geschichte des zwölften Jahrhunderts bearbeitet irolamo Maria Marini, hatte. Das Libretto schrieb der römische Schriftsteller G doch der „Plan des Gedichts“, d. h. der Aufbau, stammte von Nicolai selbst (Kruse 1911, S. 275). Da am Teatro Regio herausragende Sänger tätig waren (z. B. der Tenor Lorenzo Salvi und der Bariton Cesare Badiali), mussten die Hauptrollen entsprechend austariert werden: Die erste Szene des ersten Akts dominiert zunächst die Siegesfeier für Vilfredo nach dem Turnier von Ashby, hier noch inkognito als Streiter für Recht und Tugend, dann die „Scena e Cavatina“ für den unterlegenen Widersacher Briano di Bois-Guilbert, die das emotionale Spektrum von Wut über die Niederlage bis zu zärtlichen Liebesschwüren für die abwesende Rebecca auslotet. Der Verschwörerchor seiner Mannen kontrastiert in der nächsten Szene mit dem Chor von Rovenas sächsischen Jungfrauen in Cedricos Burg. Wie in den früheren Ivanhoe-Opern von Rossini und Pacini wird Rebecca aus Rovenas Obhut entführt, als Briano überraschend in Cedricos Schloss eindringt und seine „Sklavin“ zurückfordert. Sie befindet sich daher als einzige in der Gewalt der Tempelritter, wodurch die gesamte Romanhandlung um die Eroberung von Burg Torquilstone entfällt. Diese Raffung stellt offenbar eine Eigenheit der italienischen Adaptionstradition dar (vgl. unten) und ermöglicht die bereits erwähnte weitgehende Eliminierung der politischen Rahmenhandlung. Einen musikalischen Höhepunkt bildet die erste Szene des zweiten Akts mit Rebecca und Briano in einem Turmgemach der Templer. In einem ausführlichen Rezitativ und einer Arie mit prominenter Rolle der Solo-Flöte erinnert sich Rebecca wehmütig daran, wie sie den verwundeten Kreuzritter in Palästina pflegte. Ihre Liebe zu Ivanhoe ist nicht wie im Roman durch die komplizierten Vorgänge nach Ivanhoes Verwundung in Ashby motiviert, sondern wie 25 Jahre später bei Pisani durch eine Vorgeschichte in Palästina, die im Unterschied zu Pisani allerdings nicht szenisch ausgestaltet wird. Die Auseinandersetzung zwischen Rebecca und Briano entwickelt sich in der typischen mehrteiligen Duettform der Belcanto-Oper mit kontrastierenden Abschnitten, die in Rebeccas Drohung, sich vom Turm zu stürzen, und der Fanfare, die die Ankunft des Templer-Großmeisters ankündigt, kulminiert. Während Nicolai nicht versucht, musikalisch ein ‚mittelalterliches‘ Kolorit zu evozieren, spielt er mit verschiedenen Schattierungen des Exotismus: Der Siegeschor der Templer in der zweiten Szene des zweiten Akts nimmt den Topos der ‚türkischen‘ oder Janitscharenmusik auf, der sich zwar eigentlich auf den unterlegenen Halbmond („mussulmanna luna“) bezieht, aber gleichzeitig die Templer selbst – im Gegensatz zu den musikalisch neutralen Angelsachsen – als Außenseiter markiert. Rebeccas Gebet vor dem Gottesgericht im dritten Akt
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ist aber im Gegensatz zur parallelen Szene bei Sullivan nicht orientalisch-exotisierend, sondern vielmehr als protestantisch anmutender Choralsatz gefasst. Rebecca ist somit ‚exotisch‘ im Kontext der übrigen Hauptfiguren, die – ob Sachse oder Normanne – im zeitgemäßen italienischen Stil singen, erscheint aber ‚heimisch‘ vom Standpunkt des Komponisten aus, der am Königlichen Institut für Kirchenmusik ausgebildet wurde und in der Berliner Sing-Akademie, einem der Hauptorte der frühen Bachpflege, aktiv war. Außerhalb Italiens hatte Nicolais Ivanhoe-Vertonung einen schweren Stand wegen des internationalen Erfolgs von Heinrich Marschners Der Templer und die Jüdin. Nach der Uraufführung in Leipzig am 22. Dezember 1829 wurde Marschners Oper an den meisten deutschsprachigen Theatern aufgeführt, außerdem etwa in Kopenhagen, Prag, Riga, St. Petersburg, Rotterdam, London und New York. Sie hielt sich bis in die zweite Jahrhunderthälfte im Repertoire, z. B. mit 42 Vorstellungen an der Hofoper Berlin zwischen 1831 und 1883 (Palmer 1978, S. 97–100). Noch 1912 bearbeitete Hans Pfitzner Marschners Oper neu im Rahmen seines Projekts zur Wiederbelebung der deutschen romantischen Oper vor Wagner. Marschners Wahl des Ivanhoe-Stoffs wurde möglicherweise inspiriert durch das romantische Schauspiel Der Löwe von Kurdistan von Joseph von Auffenberg, das seinerseits auf Scotts Roman The Talisman. A Tale of the Crusades (1825) zurückgeht und 1828 von Marschner rezensiert wurde, wobei der Komponist grundsätzliche Gedanken zur Dramatisierung von Romanen entwickelte (Schläder 1989b, S. 679). Das Libretto schrieb Marschners Schwager Wilhelm August Wohlbrück auf der Basis des Schauspiels Das Gericht der Templer (1823) von Johann Reinhold von Lenz (ein ausführlicher Vergleich von Schauspiel und Operntext bei Palmer 1978, S. 102 ff.). Die für die frühromantische deutsche Oper typischen Dialoge machten es möglich, viele der Romancharaktere unterzubringen (Adelstane von Coningsburgh und Isaac von York sind lediglich Sprechrollen); nur Gurth, Ulrica sowie Prinz John und damit der Handlungsstrang um die englische Thronfolge fehlen ganz, mit der Folge, dass König Richards Verkleidung als „schwarzer Ritter“ und der Konflikt zwischen Cedric und Ivanhoe nicht motiviert sind. Trotz des reichhaltigen Personals liegt der Schwerpunkt der Oper auf den Titelcharakteren des Templers und der Jüdin; jeder der drei Akte erreicht seinen emotionalen Höhepunkt in einer Auseinandersetzung der beiden Hauptfiguren. Der Charakter Guilberts wird zusätzlich im zweiten Akt durch eine lange mehrteilige Soloszene und Arie vertieft, die zwischen die Massenszenen des ersten Bilds im Wald der Geächteten und Rebeccas Gerichtsverhandlung in Templestowe eingeschoben ist. Nach dem eröffnenden Rezitativ in düsterem e-Moll („Mich zu verschmähen, Stolze, Undankbare, Heissgeliebte“) erzählt Guilbert in sarkastischem Balladenton („War ein Ritter je im Leben“), wie er von Adelheid von
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Montemar (im Roman Adelaide de Montemar) betrogen wurde und dann (Allegro furioso in der ‚Rachetonart‘ fis-Moll) die Geliebte und ihren Mann umbrachte. Nach einem überleitenden Rezitativ beklagt er („Meines Lebens Blüthezeit“) den Verzicht auf Liebe und Familie, um zuletzt in einem abschließenden „Allegro brillante“ in E-Dur („Das that’st du mit heil’gem Feuer“) die Illusion eines zukünftigen Glücks mit Rebecca zu beschwören. Die musikalische Vielgliedrigkeit und Kontrastschärfe des Monologs (es ist unklar, ob Rebecca in dieser Szene als anwesend gedacht ist) entspricht der emotionalen Komplexität Guilberts, der nicht als einfacher Bösewicht, sondern als gequälter, traumatisierter Antiheld angelegt ist. Durch seine lange Soloszene erreicht er ein Identifikationspotenzial, das weit über die distanzierte Darstellung im Roman hinausgeht. Guilbert steht dadurch in einer Reihe mit Marschners dämonischen Baritonrollen Ruthven (Der Vampyr) und Hans Heiling, die großen Einfluss auf die romantische Oper ausübten (nicht zuletzt auf Wagners Holländer und Wotan), unterscheidet sich aber andererseits von ihnen, da seine Ambivalenz nicht einem Konflikt zwischen menschlicher und nicht-menschlicher Natur entspringt, sondern in seiner Psychologie angelegt ist (vgl. Meyer 2000). Rebecca hat zwar keine derart ausführliche Soloszene, aber Wohlbrück und Marschner entwickelten aus einem kurzen Einwurf im Romandialog eine veritable Rachearie während ihres Duetts mit Guilbert im ersten Akt, der ihrem Charakter eine schärfere Kontur gibt. Mit diesem leidenschaftlichen Ausbruch kontrastiert ihre innige Gebetsarie vor dem Gottesgericht; die beredte Begleitung durch obligate Bläser und die chromatisch niedersinkenden viertaktigen Melodielinien von „Herr, aus tiefen Jammersnöthen“ erinnern schon an die Musik Elsas in Wagners → Lohengrin. Im Gegensatz zu diesem ausführlichen Psychogramm der Zentralgestalten bleiben die übrigen Rollen eher blass. Besonders im ersten Akt ist die Handlung stark gedrängt und gerafft; außerdem macht jeder Akt von mehreren Verwandlungen Gebrauch, sodass sich „der Eindruck einer kaleidoskopartigen Bilderfolge“ einstellt (Schläder 1989b, S. 679). Marschner versuchte in einer späteren Fassung, den musikalischen Fluss durch die Umwandlung der gesprochenen Dialoge in Rezitative zu verbessern, aber die komische Szene des Friar Tuck und besonders die sentenzhaften Lieder Wambas („’s wird besser gehn!“ und „Es ist doch gar köstlich, ein König zu sein“) wirken zusätzlich stark retardierend (zur Kontrastierung von „Komik und Schrecken“ vgl. Fahrholz 2017). Tuck (vgl. besonders sein Lied „Der Barfüßler Mönch“) steht in der Tradition des trink-, sanges- und rauflustigen Mönches, der im neunzehnten Jahrhundert als typisch ‚mittelalterlich‘ empfunden wurde (Joseph Victor von Scheffels Erfolgsroman Ekkehard weist eine ähnliche Figur auf). Der Refrain „ora pro nobis“ sollte wohl vor allem dem Mittelalterkolorit dienen, bereitete aber wegen des liturgischen Zitats Zensurprobleme und wurde bei Aufführungen an katholischen Hofopern durch „Ergo bibamus“
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oder sogar „Im grünen Walde“ ersetzt (Palmer 1978, S. 116). Richard Wagner vermied in seinen ‚romantischen‘, ebenfalls im Mittelalter angesiedelten Opern Tannhäuser (→ Dichter und Sänger) und Lohengrin zwar konsequent sowohl gesprochene Dialoge wie auch komische Intermezzi; der Einfluss von Marschners Templer und Jüdin zeigt sich jedoch nicht zuletzt in der Gottesgerichtsszene im ersten Akt des Lohengrin – einer Lösung des dramatischen Knotens, die die Zeitgenossen des neunzehnten Jahrhunderts wegen ihrer archaischen Einfachheit besonders faszinierte (Mertens 2014, S. 61). Die erste Ivanhoe-Oper, vom Arrangeur Antonio Pacini aus der Musik von mindestens fünf Opern Gioachino Rossinis für das Pariser Théâtre de l’Odéon zusammengestellt, verändert die Romanhandlung am radikalsten. Die politische Rahmenhandlung um Prinz John und Richard Löwenherz und somit auch die Locksley-Episoden entfallen komplett; als Hintergrund erfinden die Librettisten Émile Deschamps und Gustave de Wailly eine Invasion des französischen Königs Philippe. Außerdem werden die Eröffnungsszene in Rotherwood und die Entführung der Hauptheldin durch Bois-Gilbert im ersten Akt zusammengezogen; das Turnier in Ashby liegt bereits in der Vergangenheit und erst bei der Verteidigung seines Heims wird der als Pilger verkleidete Ivanhoe verwundet. Die radikalste Veränderung betrifft aber die Figuren Rebecca und Isaac, die als Léila und Ismael (dieser als Schatzmeister des französischen Königs) in Muslime verwandelt werden; Mitchell vermutet, dass die Darstellung antijüdischer Ressentiments auf der Pariser Bühne nicht opportun gewesen wäre (Mitchell 1977, S. 146). Wie in den späteren italienischen Opern erhalten sie eine Vorgeschichte in Palästina, wo Léila den verwundeten Kreuzritter Ivanhoe pflegte und sich in ihn verliebte. Im Gegensatz zum Roman – und den späteren Ivanhoe-Opern – erwartet die Heldin allerdings ein Happy End: Vor dem Gottesgericht im dritten Akt gesteht Ismael Cedric, dass Léila in Wirklichkeit Édith, die Tochter von Cedrics altem Freund Olric ist, der im Heiligen Land gefallen war und seine Tochter Ismael anvertraut hatte. So steht einer Heirat von Ivanhoe und Léila/Édith nichts im Wege, da sie angelsächsischer Abstammung ist und die Figur der Rowena ebenfalls aus der Handlung eliminiert wurde. Damit erfüllten de Wailly und Deschamps die Wünsche vieler Leser(innen) des Romans, die sich für Rebecca ein glückliches Ende statt edler Entsagung gewünscht hatten. Dieser überraschende Identitätswechsel erinnert an den Schluss von Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise, aber ein direkter Einfluss ist unwahrscheinlich. Rossinis Ivanhoé beeinflusste aber möglicherweise seinerseits Jacques Fromental Halévys Oper La Juive (1835), in der sich die Jüdin Rachel in dem Moment als die verlorene Tochter des Kardinals Brogny entpuppt, als er sie und ihren jüdischen Ziehvater Éléazar hinrichten lässt. Pacinis Pasticcio war nach der Pariser Premiere am 15. September 1829 nicht
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nur in Frankreich erfolgreich, sondern wurde auch als The Maid of Judah, or, The Knight Templars 1829 in London, Dublin, New York und Philadelphia aufgeführt. Auch für die erste italienische Ivanhoe-Oper von Giovanni Pacini, die am 19. März 1832 am Teatro la Fenice in Venedig ihre Premiere hatte, diente das Libretto von de Wailly und Deschamps als Vorbild. Pacinis Librettist Gaetano Rossi stärkt noch die Beziehung zwischen Wilfredo/Ivanhoe und der hier wieder Rebecca genannten „Ungläubigen“ („donzella infidel“ – ihre Religion hält das Libretto kunstvoll in der Schwebe), da die beiden bereits im ersten Akt in Rotherwood ein ausführliches Duett singen, in dem sie die tragische Unmöglichkeit ihrer Liebe beklagen. Durch die Besetzung der Rolle Wilfredos als Hosenrolle – in der Uraufführung sang die berühmte Primadonna Giuditta Grisi die Titelpartie – erhält dieses Duett einen zusätzlichen Reiz. Auch bei Pacini stellt sich Rebecca nach dem Gottesgericht als verlorene Tochter des Sachsenfürsten Olderico heraus. Rossi führte als weitere Figur Editta ein, die Tochter Cedrics und somit Schwester Wilfredos, die einige Handlungselemente der Romanfigur der Rowena übernimmt, aber als treue Schwester dem Glück des Paares Ivanhoe-Rebecca nicht im Weg steht. Die frühesten Ivanhoe-Opern passen also die Handlung des Romans am radikalsten der traditionellen Operndramaturgie an, indem sie die Beziehungen der Hauptpersonen Rebecca, Ivanhoe und Bois-Gilbert in ein operntypisches Dreiecksverhältnis zwischen Sopran, Tenor und Bariton umwandeln. Durch die gleichzeitige Eliminierung der konkreten historischen Umstände sowie des Turniers in Ashby fällt die Aufgabe, das mittelalterliche Milieu zu evozieren, vor allem den Bühnen- und Kostümbildnern zu. Aber auch in den Opern, die der Romanhandlung präziser folgen, wie Sullivans Ivanhoe, entfallen durch den Medienwechsel vom Roman zum Musiktheater gerade die kleinen historischen Details, die Scott so akribisch recherchierte, um seinem Ivanhoe – bei aller dichterischen Freiheit und ungeachtet zahlreicher Anachronismen – ein authentisches mittelalterliches ‚Flair‘ zu verleihen. Die eigentliche Romanhandlung ist frei erfunden, auch wenn ihr ein fiktiver Widmungsbrief von Mr. Lawrence Templeton an Rev. Dr. Dryasdust vorangestellt ist, in dem als ihre Quelle ein Manuskript im Besitz von Sir Arthur Wardour, der Hauptfigur von Scotts Roman The Antiquary, angegeben wird (Abramczyk 1903, S. 13–14). Scott nennt aber sowohl in der Erstausgabe wie in den Gesammelten Werken von 1830 zahlreiche existierende mittelalterliche und frühneuzeitliche Quellen sowie mediävistische und philologische Studien, die die Ausgestaltung des Romans beeinflussten. Trotz seines starken antiquarischen Interesses bestand der Romanautor allerdings darauf, dass seine Gestalten überzeitliches Interesse für sich beanspruchen und allgemein-menschliche Wesenszüge verkörpern:
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The passions, the sources from which these must spring in all their modifications are the same in all ranks and conditions, all countries and ages; and it follows, as a matter of course, that the opinions, habits of thinking, and actions, however influenced by the peculiar state of society must still upon the whole bear a strong resemblance to each other. (Zitiert nach Abramczyk 1903, S. 19)
Stärker als viele andere Mittelalter-Opern des neunzehnten Jahrhunderts entspringen also die Ivanhoe-Vertonungen der romantischen Mittelalterbegeisterung, gehen aber bereits auf eine äußerst wirkmächtige Adaptation zurück, die den Gestalten des fiktiven Englands der Vergangenheit die Motivierungen, Einstellungen und Vorurteile des frühen neunzehnten Jahrhunderts unterlegte.
III Werkliste Ivanhoé „Opéra in trois actes“ Musik Gioachino Rossini [zusammengestellt aus unterschiedlichen Opern Rossinis von Antonio Pacini]
Text Émile Deschamps, Gustave de Wailly
Uraufführung 15.9.1826, Paris
Der Templer und die Jüdin „Große romantische Oper in drei Akten“ Musik Text Heinrich Marschner Wilhelm August Wohlbrück
Uraufführung 22.12.1829, Leipzig
Ivanhoe „Melodramma in due atti“ Musik Giovanni Pacini
Text Gaetano Rossi
Uraufführung 19.3.1832, Venedig
Il Templario „Melodramma in tre atti“ Musik Otto Nicolai
Text Girolamo Maria Marini
Uraufführung 11.2.1840, Turin
Ivanoé Musik Thomas Sari
Text [?]
Uraufführung 1863, Ajaccio
Rebecca Musik Bartolomeo Pisani
Text Francesco Maria Piave
Uraufführung 5.11.1865, Mailand
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Rébecca Musik Armand Castegnier
Text Armand Castegnier
Uraufführung 1882 [?]
Ivanhoe Musik Attilio Ciardi
Text Cesare Bordiga
Uraufführung 8.9.1888, Prato
Ivanhoe „A Romantic Opera in Three Acts“ Musik Arthur Sullivan
Text Julian Sturgis
Uraufführung 31.1.1891, London
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Register der AutorInnen und Werke Abert, Johann Joseph 214, 457 – König Enzio 145 Ábrányi, Emil – Paolo és Francesca 508 Adam, Adolphe 434, 457 – Guillaume Tell 163, 169 – Richard Coeur de Lion 101, 108 – Richard en Palestine 108 Adam de la Halle – Jeu de Robin et de Marion 116 f. Adami, Friedrich Wilhelm – Orlando 514, 523 – Richard und Blondel 108 Adami, Giuseppe – Turandot 413 f., 422 Adlzreiter von Tettenweis, Johann 19 Aguet, William – Saint François d’Assise 384 f., 387 Aiblinger, Johann Caspar – Rodrigo und Zimene 31 f., 38 Aitken, D.F. – Robin Hood. A Tale of Sherwood Forest 123 Albéniz, Isaac Manuel Francisco – Guenevere 194, 281, 334 – King Arthur, or The Round Table 194, 281, 285, 304 – Launcelot 194, 281, 304, 311, 334 – Merlin 194, 281, 285, 330–332, 334–336, 344 Albinoni, Tomaso – Engelberta 63 – Griselda 445, 447 – La Griselda 447 – L’inganno innocente [auch: Rodrigo in Algieri] 33, 35 – Il Trionfo d’Armida 486 Alborghetti, Giovanni Giacomo – Il Cid 32 f., 36 – Il Gran Cid 32 f., 35 f. Albrecht – Der Jüngere Titurel 326, 357 Alday, François – Geneviève de Brabant 395 f. Alerano e Adelaide [Oper] 92, 94 https://doi.org/10.1515/9783110424089-042
Alessandri, Felice – Alcina e Ruggero 471 – Armida 491 Alfano, Franco 413, 415 Alfieri, Vittorio 502, 527 Allard, Paul – Jeanne d’Arc 50 Allfeld, Philipp – Wieland der Schmied 269, 272, 274 Allwood, Fred W. – The Annual Comic Christmas Pantomime Entitled The Babes in the Wood and the Bold Robin Hood 120 Das Alte Atlilied 261 Altfranzösischer Prosatristan [siehe Tristan en prose] Amadis [Roman] 189 Amicone, Antonio – La grotta del mago Merlino 343 Amyntor, Gerhard von [d. i. Dagobert von Gerhardt] 211 Andersen, Carl – Korsfarerne [auch: Die Kreuzfahrer] 175, 186 Andersen, Hans Christian 195 André, Johann Anton – Macbeth 79 – Rinaldo und Alcina oder Die Insel der Verführung 461, 472, 491 Andreozzi, Gaetano – Armida e Rinaldo 491 – Giovanna d’Arco o sia La Pulcella D’Orleans 48 f. Anelli, Angelo – Griselda, o sia La virtu al Cimento 438 f., 442–444, 449 Anfossi, Pasquale – Armida 488 Annales Cambriae 283 Annales Fuldenses 233 Anseaume, Louis – L’Ile de Merlin, ou Le monde renversé 342 Antier, Benjamin – Guillaume Tell 169 Anzengruber, Ludwig 219
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Register der AutorInnen und Werke
Apell, Johann David August von – Tancrède 534 Appignani, Adelaide Orsola – Francesca da Rimini 505 d’Aprile, Bernardo – Rinaldo richiamato al campo 485 Aracil, Alfredo – Francesca, o El Infierno de los Enamorados 496 f., 509 Aresta, Natale – Armida abbandonata 487 d’Argenson, Antoine René 102 Ariosto [Ariost], Ludovico – Orlando furioso 8, 54 f., 67, 171, 181, 184, 189, 453–456, 460–466, 468, 470, 477, 482, 510–512, 514–520, 533 Arlanc, Sylvain – Tristan et Yseut 373 Armida [Singe-Spiel] 484 Armida abbandonata [1736] 486 Armida abbandonata [1749] 487 Armida abbandonata [1751] 487 L’Armida abbandonata [1779] 489 Armida maga abbandonata 487 Arnaud, Simone [d. i. Marie Lucile Anaïs Cognasse de Lage] – Myrdhin 344 Arne, Thomas Augustine – King Arthur, or The British Worthy 276, 284 Arnim, Achim von – Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores 433 – Ritter Stauffenberg und die Meerfeye 433 Arrieta, Emilio – La conquista de Granada 25 Arsenev, Konstantin – Robin Gud 126 d’Artois, Armand – Jeanne d’Arc ou la Délivrance d’Orléans 49 Ashton, Frederick William Mallandaine – Undine [auch: Ondine] 424–426, 437 Asperján, György – Robin Hood 124 Aspestrand, Sigwardt – Robin Hood 122 Astarita, Gennaro – Armida 489
– La tomba di Merlino 342 Atlakviða [siehe Das Alte Atlilied] Auber, Daniel-François-Esprit – La Muette de Portici 137, 164 – La Neige ou Le Nouvel Eginhard 231, 233 – Le Philtre 370 Aubry, Pierre – Aucassin et Nicolette 289, 297 Aucassin et Nicolette [Erzählung] 287–295 Aucher, Henri – Mélusine 410 Audran, Edmond – Monsieur Lohengrin 318–320, 327 Auffenberg, Joseph von – Der Löwe von Kurdistan 545 Augustin, Sandro – Robin Hood 126 Aureli, Aurelio – Il Medoro 520 Ayerst, David – Robin Hood 123 Azoulay, Hélios 44 Babes in the Wood; or, Harlequin Robin Hood and the Brave Little Soldiers of Lilliput 120 The Babes in the Wood; or, Harlequin Cock Robin and the Good Little Fairy Birds 119 Bacewicz, Grażyna – Przyroda Króla Artura [Die Abenteuer des Königs Artus] 279 f., 286 Bachmann, Ingeborg – Der Prinz von Homburg 459 – Undine geht 426 Baczko, Ludwig von – Rinaldo und Alcina 461–463, 472 Badini, Carlo Francesco – Le pazzie di Orlando 466, 513, 515, 522 f. Bäuerle, Adolf – Tankredi 529, 534 Baglioni, Bacio 181 Baillou, Luigi di – Il Tancredi 533 Balbis, Silvio Saverio – Tancredi 533 f. Balfe, Michael William 540
Register der AutorInnen und Werke
– Joan of Arc 50 – The Talisman 457 Balmer, Luc – Mélusine 411 Baour-Lormian, Pierre-Marie-François-Louis – La Jérusalem délivrée 492 Barbier, Jules 26 – Françoise de Rimini 495, 508 – Jeanne d’Arc 46 – Ondine, la reine de l’Onde 435 Barbieri, Gaetano – Giovanna d’Arco 48 f. – Il talismano o sia La terza crociata in Palestina 108 Barbieri, Mario – Alcassino e Nicoletta 297 Barattani, Filippo – La vergine di Saluzzo 525 Barrett, Oscar – Babes in the wood and the bold Robin Hood 121 Bart, Lionel – Twang!! 123 Barzon, Antonio – S. Giovanna d’Arco 51 Bassani, Girolamo – Cimene 33, 36 Bastide, Paul Adrien – Jeanne d’Arc 52 Bathurst, Otto 110 Baumann, Christoph – Danuser 204, 227 Baumbach, Rudolf 237 Baur, Karl Christian – Alfons von Kastilien 37 – Chimene 38 Bazzini, Antonio – Turanda 417, 421 Beane, Douglas Carter – Hood. The Robin Hood Musical Adventure 127 Beath, Elizabeth Margaret – Francis 387 Beaumont, Alexandre 72 Bechstein, Ludwig 195 Becker, John Joseph – Queen of Cornwall 373
597
Becker, Reinhold – Frauenlob 210 f., 213, 225 Becker, Ulfert – Der Spiegel des großen Kaisers 131 f., 146 Beckett, Gilbert Arthur à – The Babes in the Wood, or, Harlequin Robin Hood and his Merry Men 119 Beda Venerabilis – Historia Ecclesiastica Gentis Anglorum 282 Bédier, Joseph – Roman de Tristan et Iseult 364–366, 372 Beecke, Ignaz von – Roland 519, 522 Beer, Jean de – Aucassin et Nicolette 298 Beethoven, Ludwig van 403 – Fidelio 103 Beetjemann, Gilbert R. – The Babes in the Wood, or, Harlequin Robin Hood and his Merry Men 119 Beissier, Fernand – Le roi Arthus 285 Belisario, Antonio – Armida e Rinaldo 492 Bella, Ján Levoslav – Kovác Wieland 265 f., 268 f., 274 Bellini, Bernardo 502 Bellini, Pio – Francesca da Rimini 506 Bellini, Vincenzo 542 – Norma 57, 442 Bemberg, Herman – Elaine 305 f., 311 Benatzky, Ralph – Im weißen Rößl 276 Bendl, Karel 477 Benedict, Allan – Robin Hood Inc. 123 Benedict, Julius 540 – The Crusaders 175 f., 185 Benfey-Schuppe, Anna – Adelheid, Gemahlin Ottos des Großen 96 Bennett, Frederick James Wentworth – King Richard I. 108 Bennett, Joseph 377
598
Register der AutorInnen und Werke
Benvenuti, Matteo – Francesca da Rimini 507 Beowulf 261 Berg, Carl Natanael – Genoveva 393, 397 Bergh, Walter [d. i. Berta Thiersch] – Lanzelot und Elaine 311 Bergsma, William Laurence – Aucassin and Nicolette 297 Berio, Luciano 415 Berlioz, Hector 253, 264 – La damnation de Faust 402 f. Bernanos, Georges 386 Bernasconi, Andrea – Il Bajazet 156 Berner, Felix – Wilhelm Tell 166, 169 Bernstein, Elmer – Merlin 345 Béroul – Tristan 371 Bertati, Giovanni – Armida 488 – L’Isola di Alcina 463 f., 471 – Rinaldo 489 – La tomba di Merlino 342 Berton, Henri-Montan 167 Bertoni, Ferdinando Giuseppe – Armida 486 – Il Bajazette 157 – Cimene 33, 37 – Tancredi 533 Bertran de Born 203 Beyer, Christian – Nathan der Weise 173 f., 186 Bezděková, Eva – Lancelot 312 Bialas, Günter – Die Geschichte von Aucassin und Nicolette 287 f., 298 Bianchi, Antonio – Die Insel der Alcina 471 Bianchi, Giuseppe Francesco – Armida 491 – Il Gran Cidde 33, 37 Bibalo, Antonio – Macbeth 81
Bidera, Emmanuele – Odda di Bernaver 15, 21 Biego, Paolo – Ottone il Grande 94 Binder, Carl – Agnes die Bräuerin, oder: Biernigel unter den Wilden 16 f., 21 – Tannhäuser 225 Bioni, Antonio – Armida abbandonata 486 – Orlando furioso 522 Birch, William Henry – The Merrie Men of Sherwood Forest, Or Forest Days in the Olden Time 120 Bis, Hippolyte – Guillaume Tell 159, 163 f., 169 Bisaccia [Librettist] – Armida e Rinaldo 492 Bishop, Henry R. – Maid Marian, or, The Huntress of Arlingford 118 Bittong, Franz – Lancelot 306–310 Bizet, Georges – Carmen 28 f. – Don Rodrigue 28 f., 39 – La jolie fille de Perth 457 Black, Don – Merlin 345 Blanchard, Edward Litt Laman – Babes in the Wood 121 – Robin Hood [?] 119 – Robin Hood and his Merry Little Men 120 Blanpain de Saint Mars, Louis – Mélusine 410 Blau, Alfred – Esclarmonde 513 f., 523 – Sigurd 252–254, 262 Blau, Édouard – Don Rodrigue 26–28, 39 – Lancelot du Lac 305 f., 311 Bleiker, Jürg – Robin Hood 125 Blémont, Émile – Le Jeu de Robin et Marion 116 Bloch, Ernest – Macbeth 75 f., 80
Register der AutorInnen und Werke
Bloch, Waldemar – Das Käthchen von Heilbronn 459 Blondel 6, 99–104, 106, 108 f., 203 Blumröder, Johann Ernst Gottfried – Turandot oder die Räthsel 418, 421 Boccaccio, Giovanni 499, 503 – Decamerone IX, 197, 438–450, 453 Boccardi, Michel Angiolo – Amore e sdegno 95 Bochart, Samuel 282 Bock, Johann Christian – Armide 490 Boehme, Willy – Der Cid 29, 39 Böttger, Adolf – Agnes Bernauer 14 – Lanzelot vom See 308–310 Boiardo, Matteo Maria – Orlando innamorato 453, 520, 533 Bolck, Oskar – Gudrun 239, 245 Boldini, Giovanni – L’abbandono di Armida 486 Bonarelli della Rovere, Prospero – La pazzia d’Orlando 519, 521 Bonaventura – Legenda maior 387 Bondon, Jacques – Mélusine au rocher 411 Boniface, Xavier – Guillaume Tell 169 Boniventi, Giuseppe – Armida al campo 484 Bonnemère, Lionel – Merlin 343 Bonnerot, Jean – Ondine 437 Bononcini, Antonio Maria – Griselda 448 Bordiga, Cesare – Ivanhoe 550 Borgaard, Carl – Undine 435 Borgatta, Emmanuele – Francesca da Rimini 505 Born, Stephan – Gudrun 238 f., 245
599
Bornet, Claude 103 Boßhart, Robert – Wieland der Schmied 266–268, 272, 274 Bossi, Marco Enrico – Giovanna d’Arco 51 Bottagisio, Angelo – Ondina 436 Bottarelli, Giovanni Gualberto – Armida 488 – Il Cid [auch: Il Gran Cid] 32 f., 37 – Tamerlano 157 Boughton, Rutland – The Birth of Arthur 286 – Galahad 194, 350 f., 358 – The Immortal Hour 366 – King Arthur 194, 286, 328, 350 f. – The Lily Maid 286 – Queen of Cornwall 360–362, 366 f., 372 f. – The Round Table 286 Boullard, Marius – Francesca da Rimini 507 Bourgault-Ducoudray, Louis-Albert – Myrdhin 344 Boutet de Monvel, Jacques-Marie – Urgande et Merlin 343 Bovy, Arthur – Aucassin et Nicolette 297 Bowyer, Fred – The Babes in the Wood, or, Harlequin, Maid Marian and Bold Robin Hood 122 Braccioli, Grazio – Armida in Damasco 485 – Orlando finto pazzo 517, 521 – Orlando furioso 465 f., 511 f., 517 f., 521 f. Brahms, Johannes 336 Brancaccio, Antonio – Francesca da Rimini 506 Branchi, Silvestro – Rinaldo liberato da gl’incanti d’Armida 483 Brandt, C. – Die schöne Melusine 409 Braun, G. – Die schöne Melusine 409 Braunfels, Walter – Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna 41 f., 44–46, 51
600
Register der AutorInnen und Werke
Brecht, Bertolt 56, 288 Brenta, Gaston – Aucassin et Nicolette 297 Brentano, Clemens von – Godwi oder das steinerne Bild der Mutter 433 Bresgen, Cesar – Visiones amantis [auch: Der Wolkensteiner] 224, 226 Bretón, Tomás – Guzmán el Bueno 25 Brian, Havergal – Turandot, Prinzessin von China 422 Briani, Francesco – Isacio tiranno 106 Bridson, Douglas Geoffrey – King Arthur 333 Brier, James – Robin Hood and the Pedlar 122 Brierley, Ben – The Grand Comic Christmas Pantomime for 1866 and 1867 of Robin Hood and Ye Merrie Men of Sherwood 119 Brinkworth, W.H. – Babes in the Wood; or, Bold Robin Hood and his Foresters Good 121 Britten, Benjamin – Gloriana 540 – The Sword in the Stone 333 f., 341 Brooke, Frances – Marian 118 Brooks, Shirley – Robin Hood and Richard Coeur de Lion 119 Broschi, Riccardo – L’isola d’Alcina 464 f., 471 Brown, Andy – Hood. The Musical 127 Bruch, Max 434 Bruyr, José – Ondine, fille de la forêt 437 Buccéri, Gianni – Ondina 436 Bucchi, Valentino – Li gieus de Robin et de Marion 116 f. Buchanan-Smart, Michael – Robin Hood 124
Buckley, Reginald 366 – Galahad 350 f., 358 – King Arthur 286 Büchner, Adolf Emil – Lanzelot vom See 308 f., 310 Büsching, Johann 378 – Buch der Liebe 230 f. Buini, Giuseppe Maria – Armida abbandonata 485 – Armida delusa 485 Bulwer-Lytton, Edward – Rienzi. The Last of the Roman Tribunes 457 f. Bunn, Alfred – The Crusaders 175 f., 185 Bunning, Herbert – Robin Hood 122 Burgmüller, Norbert – Der Cid 31, 38 Burgoyne, John – Richard coeur de Lion 107 Burke, John – Robin Hood 127 Burnand, Francis Cowley – Robin Hood or the Forester’s Fate 119 Burnazzi, Ugo – La grotta di Merlino 343 Burney, Charles – Robin Hood 115 f., 118 Burnouf, Eugène – Introduction à l’histoire du Buddhisme indien 352 Burroughs, William S. 174 f. Busoni, Ferruccio – Arlecchino 412 f. – Turandot 412 f., 416–418, 422 Bußler, Ludwig – Konradin 138, 145 Byam, Martin – The Babes in the Wood, or, Robin Hood and the Merry Men of Sherwood Forest 121 Byron, George Gordon 502 Caccini, Francesca – La liberazione di Ruggiero dalla isola d’Alcina 460 f., 467–470
Register der AutorInnen und Werke
Cagnoni, Antonio – Francesca da Rimini 499–502, 508 Cajani, Giuseppe – Armida e Rinaldo 491 Čajkovskij [Tschaikowsky], Modest Il’ič – Frantscheska da Rimini 495, 498 f., 502, 504, 508 Čajkovskij [Tschaikowsky], Pëtr Ilʹič – Orleanskaja dewa [auch: Das Mädchen von Orléans] 42–44, 46 f., 50 – Schneeflöckchen 427 – Schwanensee 427 – Undina 427, 436 Calderoni, Guiglielmo – Merlino de Patone 343 Call, Daniel – Der Ring 249, 263 Cammarano, Salvadore – La battaglia di Legnano 57, 77, 130 f., 140, 145 Campbell, Colin Macleod – Maid Marian 123 Campbell, Debbie – Robin Hood and Friends 125 Campeggi, Ridolfo – Il Tancredi 532 Campo [y Zabaleta], Conrado del – Paolo e Francesca 509 Campra, André – Alcine 467, 471 – Tancrède 527–529, 533 Candio, Pietro 457 Canetti, Francesco – Francesca da Rimini 506 Cantar de mío Cid 23–25, 30, 34 f. Cantar de Rodrigo 25, 34 Capece, Carlo Sigismondo – L’Orlando ovvero La gelosa pazzia 510, 516, 521 f. Capelli, Giovanni Maria – Griselda 448 Capetti, Ugo 436 Carafa de Colobrano, Michele – Adele di Lusignano 402, 406, 408 – Jeanne d’Arc ou la Délivrance d’Orléans 49 Carlini, Luigi – Francesca da Rimini 504
601
Carlo [d. i. Carl Heinrich Herzel] – Percival und Griseldis 449 Carnicer i Batlle, Ramón – Adele di Lusignano 406, 408 Carr, Benjamin – The Archers, or Mountaineers of Switzerland 165 f., 169 Carré, Fabrice – Monsieur Lohengrin 318–320, 327 Carré, Michel 251 f. – Les Contes d’Hoffmann 251 – Françoise de Rimini 495, 508 – Ondine, la reine de l’Onde 435 Casalini, Andrea – Re Manfredi 133, 145 Casella, Pietro – Tamerlano 148 Castegnier, Armand – Rébecca 536, 550 Castelnuovo-Tedesco, Mario – Aucassin et Nicolette 295, 297 Castro y Belvís, Guillén de – Las mocedades del Cid 22 f., 27 f., 31, 33 f. Cats, Jacob – Mandragende Maeght 232 Catalani, Alfredo – Loreley 434 Cavalieri, Emilio de’ – Rappresentatione di anima et di corpo 453 Cavalli, Francesco – L’Egisto 516 – Veremonda, l’amazzone di Aragona 172, 181–183, 185 Ceccarelli, Luigi – L’isola di Alcina 460, 472 Ceccarini, Carlo – Blondello ossia Il suddito esemplare 108 Celan, Paul 400 Cerchio, Bruno – Alcassino e Nicoletta 288, 298 Cériziers, René de 396 Chabrier, Émmanuel – Gwendolyne 26 Chamisso, Adalbert von – Der arme Heinrich 377
602
Register der AutorInnen und Werke
La Chanson de Roland 184, 228, 455, 520 Chapelain, Jean – La Pucelle ou la France délivrée 48 Chapí, Ruperto 25 Chaucer, Geoffrey – The Wife of Bath’s Tale 279 Chausson, Ernest – Le roi Arthus 281, 285, 328 Chélard, Hippolyte André – Macbeth 78 f. Chelleri, Fortunato 92 – La Griselda 447 – L’innocenza difesa 64 – Judith, Gemahlin Kayser Ludewigs des Frommen; Oder Die Siegende Unschuld 64 Cherciu, Alexandra – Sainte Jeanne d’Arc 53 Cherubini, Luigi – Armida abbandonata 490 Chevé, Emile – Merlin 343 Chignell, Robert – Robin Hood. A Tale of Sherwood Forest 123 – ʼTis of Aucassin and Nicolette 297 Chiochiolo, Antonio – L’Armida 484 Choudard, Pierre-Jean-Baptiste – Jeanne d’Arc à Orléans 49 Chrétien de Troyes 189 f., 283, 341 – Lancelot ou le Chevalier de la charrette 309 – Perceval ou le conte du Graal 357 – Yvain ou le Chevalier au lion 433 Christiansen, Arne – Robin Hood 124 Christine de Pizan – Dictié en l’honneur de la Pucelle 48 Chronicon Laureshamense 232 f. Chronicon Stederburgense 6, 143 Ciardi, Attilio – Ivanhoe 550 Cicognini, Giacinto Andrea – Il Celio 181 Cigna-Santi, Vittorio Amedeo – Alcina e Ruggero 471
Cimarosa, Domenico – L’Armida imaginaria 489 Claudel, Paul 384–386 – Jeanne d’Arc au bûcher 45 f., 51 Close, Alan Parker – The Bridal of Triermain 281, 284 Cobb, Karrol – Robin Hood 125 Cobb, Tony – Robin Hood 125 Cochem, Martin von – History-Buch 396 Coghill, John Joscelyn – The Bridal of Triermain 284 Cohen, Joel – Tristan and Iseult 362, 364, 372, 374 Colatelli, Girolamo – L’Armida 484 – Il Trionfo d’Armida 486 Colautti, Arturo – Paolo e Francesca 508 Collingwood, Lawrance Arthur – Macbeth 75, 80 Coltellini, Marco – Armida 487 f., 490 – Armida e Rinaldo 490 Combe, Édouard – Guillaume Tell 164, 169 Conradi, Johann Georg – Der Tapffere Kayser Carolus Magnus, Und Dessen Erste Gemahlin Hermingardis 62 f., 68 Conring, Hermann 68 Conti, Francesco – Griselda 448 Cooke, Thomas Simpson – King Arthur and the Knights of the Round Table 281, 284 Cooke, Trish – Robin Hood 126 Cooper, James Fenimore – Lederstrumpf 456 Coppola, Raffaele – Il Cid 29, 39 Corder, Frederick – La morte d’Arthur 284
Register der AutorInnen und Werke
Corghi, Azio – Rinaldo & C. 476, 493 Corneille, Pierre – Le Cid 22 f., 27–29, 31–33 Cornelius, Peter – Der Barbier von Bagdad 22 – Der Cid 22 f., 30, 38 Corradi, Giulio Cesare – La Gerusalemme liberate 484, 529 f., 533 – Il gran Tamerlano 153–155 Costa, Carl – [Lohengelb oder] Die Prinzessin von Dragant 322 f., 327 Costanzi, Giovanni Battista – Carlo Magno 59 f., 69 Cottin, Marie – Mathilde ou Mémoires tirés de l’histoire des croisades 179 Cottrau, Giulio – Griselda 450 Couldrette – Le roman de Mélusine ou Histoire de Lusignan 407 Courvoisier, Walter – Lanzelot und Elaine 304 f., 311 Cox, David – Francis 387 Crawford, Francis Marion – Francesca da Rimini 509 Crémieux, Hector Jonathan – Geneviève de Brabant 389 f., 397 Cressoni, Annibale – Carlo Magno 57 f., 69 Crónica de Castilla 25 Crónica general de 1344 25 Crowthers, Malcolm – Tristan and Iseult 373 Csobádi, Peter – Tancredi 529 Cupeda, Donato – L’Adalberto overo La forza dell’astuzia femminile 94 Daclin, Karl – La bataille d’amour 525 Daffner, Hugo – Macbeth 80
603
Dalayrac, Nicolas-Marie – Primerose 294, 296 – Urgande et Merlin 343 Danchet, Antoine – Alcine 467, 471 – Tancrède 528 f., 533 Daniel-Lesur [d. i. Daniel-Jean-Yves Lesur] – Ondine 425, 437 Danner, Wilfried Maria – Merlin in Soho 329, 345 D’Annunzio, Gabriele 26 – Francesca da Rimini 495–498, 500 – Le Martyre de Saint-Sébastien 386 Dante Alighieri – Divina Commedia [Die Göttliche Komödie] 364, 453 f., 494–504, 507, 516 Danzi, Franz – Turandot 418, 421 Da Ponte, Lorenzo – Armida 491 Dargomyžskij [Dargomyschski], Aleksandr Sergeevič 434 Davenant, William 78 Debussy, Claude 433 – Le Martyre de Saint-Sébastien 386 – Pelléas et Mélisande 289, 440 – Rodrigue et Chimène 22, 26 f., 39 De Gamerra, Giovanni – Armida [Musik: Gatti] 489 – L’Armida [Musik: unbekannt] 488 De Jouy, Victor-Joseph Étienne – Guillaume Tell 159, 163–165, 169 De Koven, Reginald – Maid Marian 114 f., 122 – Robin Hood 111 f., 114, 121 Delavigne, Germain – La Neige ou Le Nouvel Eginhard 231, 233 – Robert le Diable 191 Delerue, Georges – Le Chevalier de Neige 301–304, 312 Dello Joio, Norman – The Triumph of St. Joan 52 DeMille, Cecil Blount – The Crusades 104 Denina, Carlo Giovanni Maria 84 Denisov [Denissow], Ėdison Vasil’evič – Rodrigue et Chimène 26
604
Register der AutorInnen und Werke
Dennis, John – Rinaldo and Armida 484 Deschamps, Émile – Ivanhoé 536, 547–549 De Simone, Roberto – Mistero e processo di Giovanna d’Arco 53 Desmarets, Henry – Renaud ou La Suite d’Armide 485 Désormière, Roger 392 Desrez, Maurice – Ondine 437 Dessau, Paul – Lanzelot 299, 312 De Stefani, Alessandro – Lancelotto del lago 305, 311 Devasini, Giuseppe – Francesca da Rimini 506 Devereux, William – Robin Hood 122 Diels, Joris – Lanceloot en Sanderien 312 Dietrich, Albert – Robin Hood 111, 120 Di Leva, Giuseppe – Corradino 132, 146 Döhler, Theodor 525 Doepke, Martin – Robin Hood. Für Liebe und Gerechtigkeit 125 Dolfin, Pietro – L’Adelaide 88, 92 f. Donati, Pino – Lancillotto del Lago 304, 312 Donizetti, Gaetano 500, 542 – L’assedio di Calais 5 – L’elisir d’amore 370 – Lucia di Lammermoor 442, 535 Doppler, Franz – Melusine 410 Doret, Gustave – Tell 161 f., 170 Dorn, Heinrich 371 – Die Nibelungen 247, 260–262 D’Orsi, Angela – Armida impazzita per amore di Rinaldo 483 Dorst, Tankred – Der durch das Tal geht 349 f., 358
– Die Geschichte von Aucassin und Nicolette 287–289, 298, 376 – Die Legende vom armen Heinrich X, 198, 375 f., 378 f. – Merlin 286, 329, 345 – Merlin oder Das wüste Land 277, 304, 329, 349, 376 – Die Mohrin 286 – Purcells Traum von König Artus 329 Doss, Adolf von – Percival 358 – Witikind ou la conversion des Saxons 55, 70 Draeseke, Felix – Gudrun 235, 239–241, 245 – Merlin 344 Draghi, Antonio – L’Adalberto overo La forza dell’astuzia femminile 94 – Baldracca 93 Drieberg, Friedrich Johann von – Alfons von Kastilien 37 Driesch, Kurt – Genoveva 397 Drinkwater, John – Robin Hood and the Pedlar 122 Dröse, Robert – Robin Hood – The Musical 127 The Drowsy Chaperone [Musical] 101 Dryden, John – Albion and Albanius 282 – King Arthur, or The British Worthy 190 f., 275–277, 282–284, 341 Du Bec, Jean – Histoire du grand Tamerlanes 155 Düringer, Philipp Jakob 429 Dukas – Historia Byzantina 155 Dukas, Paul 23 Dulk, Albert Friedrich Benno – König Enzio 145 Duller, Eduard – Tanhäuser 192, 207–209, 224 Duncombe, Peta – Robin Hood. The Panto 124 Duni, Egidio Romualdo – La Fée Urgèle 102
Register der AutorInnen und Werke
Dunlap, William – The Archers, or Mountaineers of Switzerland 165 f., 169 Dúo Vital, Arturo – El Campeador 23 f., 40 Dupeuty, Charles – Guillaume Tell 169 Du Prez, John – Spamalot 358 Duprez, Édouard – Jeanne d’Arc 50 Duprez, Gilbert-Louis – Jeanne d’Arc 50 Durandi, Jacopo – Armida 488, 491 – Armida abbandonata 490 Du Roullet, François-Louis Gand Le Bland 474 f. Dvořák, Antonín 291 – Armida 456, 476–478, 492 – Rusalka 398, 434 Dycke, Ernst – Ekkehard 457 Eberwein, Traugott Maximilian – Das befreite Jerusalem 492 Eccles, John – Macbeth 78 – Rinaldo and Armida 484 Echter, Michael 255 Ecklebe, Alexander – Genoveva 397 Eco, Umberto IX Edda [siehe Lieder-Edda] Edmonds, Fred – The King of Sherwood 122 Eggers, Friedrich Hartwig – Macbeth 76, 80 Ehler, Ursula – Der durch das Tal geht 358 – Die Legende vom armen Heinrich 375 f., 378 f. – Merlin 286, 345 Eichendorff, Joseph von 87, 210, 221 Eilhart von Oberge – Tristrant 371 f. Einhard 228, 233 – Vita Karoli Magni 6, 59, 68, 233, 520
605
Elfed [d. i. Howard Elvet Lewis] – King Arthur 285 Ellerton, John Lodge – Treiermain 281, 284 Eliot, T.S. – The Waste Land 277 Ellis, Edwin – Robin Hood and his Merry Little Men 120 Elsner, Joseph Anton Franz – Karol Wielki i Witykind 69 Elster, Johann Daniel – Richard und Blondel 108 Engels, Friedrich 254, 457 f. Enna, August – Aucassin og Nicolette 287, 290 f., 296 d’Ennery, Adolphe – Le Cid 28, 39 Entrée d’Espagne [Epos] 520 Erbach, L. – Ondolina 410 Erich, O. – Otto der Große 97 Ernst, Christian – Ludovicus Pius oder Ludewig der Fromme 66 Ertel, Jean Paul – Gudrun 237, 246 Escobar, Juan de – Romancero e Historia del muy noble y valoroso caballero el cid Ruy Diaz de Bivar 24, 27, 34 Eusebio, José de 330, 334 f. Evans, Thomas 115 Ewart, Florence Maud – Ekkehard 457 Fabbri, Eduardo – Francesca da Rimino 502 Fabbrini, Giuseppe – La Geneviefa 395 f. Falco, Michele – Armida abbandonata 485 Fall, Moritz – Robin Hood 121 Fanzaglia, Antonio – L’isola d’Alcina [?] 471
606
Register der AutorInnen und Werke
Farinelli, Giuseppe – Il Cid delle Spagne 32, 37 Farjeon, Eleanor – Aucassin and Nicolette 298 Farjeon, Herbert – Aucassin and Nicolette 298 Fassbaender, Peter – Gudrun 237, 246 Faustini, Giovanni – L’Egisto 516 Favart, Charles-Simon – La Fée Urgèle 102 Favero, Gino – S. Giovanna d’Arco 51 Favières, Edmond Guillaume François de – Primerose 296 Feind, Barthold 55 – Desiderius, König der Longobarden 61 f., 68 f. Fels, Roderich – König Otto’s Brautfahrt 87, 96 Fenn, Rick – Robin Hood. Prince of Sherwood 124 Fernández y Medina, Benjamín – San Francesco d’Assisi 387 Fernández-Shaw Yturralde, Guillermo – El Campeador 23 f., 40 Fernández-Shaw Yturralde, Rafael – El Campeador 23 f., 40 Ferrari, Benedetto – L’Armida 473, 481–483 Ferrero, Piero – Alcassino e Nicoletta 298 Ferretti, Jacopo – Il Cid 31, 38 Ferrier, Paul Raoul Michel Marie – Elaine 306, 311 Feuerbach, Ludwig 352 Fibich, Zdenék 477 Fields, Herbert – A Connecticut Yankee 280, 286 I Fioretti di San Francesco [Legendensammlung] 383, 387 Filistri da Caramondani, Antonio de – Gerusalemme liberata, o sia Armida al campo de’ Franchi 492 – La selva incantata 492
Fišer, Luboš – Lancelot 299, 312 Fiszer, Edward – Przyroda Króla Artura [Die Abenteuer des Königs Artus] 279 f., 286 Fitzball, Edward – Joan of Arc 50 Fioré, Andrea Stefano – Engelberta 63 f., 68 Flaubert, Gustave – La légende du Saint Julien l’hospitalier 28 Fleg, Edmond – Macbeth 75 f., 80 Fleury, Albert – Myrdhin 344 Flinn, Lewis – Hood. The Robin Hood Musical Adventure 127 Floderer, Wilhelm – Gunther der Minnesänger 203 Florence, Lionel – Robin des Bois. Ne renoncez jamais 126 Förtsch, Johann Philipp – Bajazeth und Tamerlan 153–155 Foley, William – Robin Hood 126 Folie Tristan [Erzählung] 364, 372 Folli, Artaserse – Francesca da Rimini 506 Foppa, Giuseppe Maria – Armida 491 – La fata Alcina 463, 472 – Rinaldo [auch: Armida] 491 Fornasini, Nicola 457 Fortner, Wolfgang – Undine 425, 437 Forzano, Giovacchino – Giocondo e il suo re 510 Fosse, Bob – Pippin 56 Foucher, Paul – Richard en Palestine 108 Fouqué, Friedrich de la Motte – Eginhard und Emma 230 – Held des Nordens 255, 260 – Undine 400 f., 403, 407 f., 423, 427–434, 437
Register der AutorInnen und Werke
Fournier, Giuseppe – Francesca da Rimini 505 Fra Angelico – Verkündigung 380 Fränkel, Ferdinand – Triftanderl und Süßholde 371 f. France, Anatole 440 Francesco d’Assisi [siehe St. Franziskus von Assisi] Franchi, Carlo – Il Gran Cidde Rodrigo 36 Franchini, Giovanni – Francesca da Rimini 507 Franckenstein, Clemens Freiherr von und zu – Griseldis 438, 440, 450 Frank, Ernst – Francesca von Rimini 507 St. Franziskus von Assisi 380–388 – Cantico del frate Sole 386 f. Frauenlob [d. i. Heinrich von Meißen] 203, 210–215, 224 f. Freer, Eleanor Everest – Joan of Arc 51 Frenzel, Franz Xaver [d. i. Friedemann Katt] – Merlin 345 Freud, Sigmund 200 Friedrich, Burkhard – Lancelots Spiegel 200, 299–301, 312 Friggieri, Domenico – I furori di Orlando 515, 523 Frowin, Michael – Robin Hood 125 Füßli, Johann Heinrich 433 Fueter, Daniel – Danuser 204 f., 227 Fuqua, Antoine – King Arthur 191, 275 Fux, Johann Joseph – Angelica vincitrice di Alcina 471 Fuzelier, Louis – La Fée Mélusine 408 Gabrielli, Domenico – Carlo il grande 67 f. Gade, Niels Wilhelm – Korsfarerne [auch: Die Kreuzfahrer] 175, 186, 492
607
– Siegfried og Brünhilde [auch: Die Nibelungen] 254, 262 Gevaert, François-Auguste – Quentin Durward 457 Gärtner, Ernst 226 Gagliano, Marco da – Lo sposalizio di Medoro e Angelica 520 Galante, Carlo – Corradino 128, 132 f., 146 Galfridus Monemutensis [siehe Geoffrey von Monmouth] Gallet, Louis – Le Cid 26–28, 39 – Don Rodrigue 28 f., 39 – Lancelot du Lac 305 f., 311 Galli Bibièna, Ferdinando 466 Galliard, John Ernest – Merlin, or The devil of Stonehenge 342 – The royal chase, or Merlin’s cave 342 Gandini, Alessandro – Adelaide di Borgogna al castello di Canossa 88, 96 Gardi, Francesco – Tancredi 534 Garrick, David – King Arthur, or The British Worthy 284 Gasparini, Francesco – Engelberta 63 – Il Bajazet [auch: Bajazette] 147, 150–152, 156 – Il Gran Cid 32 f., 36 – Il Tamerlano 149 f., 156 Gatti, Luigi – Armida 489 Gatty, Nicholas Comyn – Macbeth 80 Gauntlett, Richard – Robin Hood 125 Gautier, Paul – Tristan et Yseut 373 Gazzaniga, Giuseppe – Armida 488 – L’Isola di Alcina 463 f., 471 – La tomba di Merlino 342 Gazzoletti, Antonio – Turanda 417, 421 Gebauer, Katharina Jing An – Sir Lanzelot vom See 299, 313
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Register der AutorInnen und Werke
Geiger-Kullmann, Rosy Auguste – Ritter Lancelot vom See 304, 312 Generali, Pietro – Adelaide di Borgogna 88, 96 – Bajazet 158 – Francesca da Rimini 504 Geoffrey von Monmouth – Historia Regum Britanniae 191, 282 f., 328, 338, 341 – Vita Merlini 328, 331, 338, 341 Georges, Alexandre – Aucassin et Nicolette 297 Genée, Friedrich – Emma von Falkenstein 178, 185 Genée, Richard – Die Welfenbraut 135, 146 Gerber, Eduard – Die Nibelungen 247, 260–262 Gersbach, Fritz – Merlin 344 Gervasius von Tilbury – Otia imperialia 407 Gervinus, Georg Gottfried 209 f., 221 Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanum 532 Ghislanzoni, Antonio – Aida 499 – Francesca da Rimini 499–503, 508 Giacobbi, Girolamo – Il Tancredi 532 Giaramicca, Paolo – Orlando furioso 514, 523 Gide, Casimir – Françoise de Rimini 506 Gieseke, Karl Ludwig – Agnes Bernauerin 17, 20 Giffard, Henry – Merlin, the British Enchanter 338 f., 341 Gigli, Girolamo – La Geneviefa 395 f. – Griselda 445 Gilbert, William Schwenck 112, 539 Gillier, Jean-Claude – Les eaux de Merlin 339, 341 – Le monde renversé 339, 342 Giraudoux, Jean – Ondine 427
Giraut de Bornelh – Reis glorios 364 Girschner, Christian Friedrich – Undine 434 Gittens, Franz – Mélusine 410 Gläser, Franz Joseph – Armida, die Zauberin im Orient 492 – Der rasende Roland 514, 523 Glanert, Detlev – Caligula 131 – Die drei Rätsel 422 – Joseph Süß 131 – Solaris 131 – Der Spiegel des großen Kaisers 128, 131 f., 146 Glass, Philip – La Belle et la Bête 195 Glauche, Johann Georg – Otto 92, 95 Gleich, Joseph Alois – Undine, die Braut aus dem Wasserreiche 434 Gliddon, H.D. – The Babes in the Wood, or, Harlequin, Maid Marian and Bold Robin Hood 122 Gloekle, Ferdinand 351 Gluck, Christoph Willibald 148 – Armide 474 f., 489 – L’Ile de Merlin, ou Le monde renversé 329 f., 339 f., 342 – Iphigénie en Tauride 33 Gluth, Viktor – Horand und Hilde 237 f., 245 Goedicke, Alexander – Macbeth 80 Göding, Heinrich – Eine schöne alte Histori von einem Fürsten und Herrn Hertzogen zu Braunschweig und Lüneburgk 143 Görner, Karl August – Bellarosa [?] 396 – Golo und Genoveva 396 Görres, Johann Joseph 326, 351 – Die Teutschen Volksbücher 143 Goethe, Johann Wolfgang 184 f., 419, 456
Register der AutorInnen und Werke
Goetz, Hermann – Francesca von Rimini 507 Goldmann, Edward M. – Macbeth 80 Goldmark, Karl – Die Königin von Saba 336 – Merlin 332 f., 336–338, 343 Goldoni, Carlo 420 – La buona figliola 442 – Griselda 445 f., 449 Golisciani, Enrico Ettore – Griselda [Musik: Cottrau] 450 – Griselda o la marchesa di Saluzzo [Musik: Scarano] 450 – Re Manfredi 133, 146 Goll, Yvan – Melusine 199, 398–402 Gollmick, Carl – Der Cid 31, 38 Gonella, Francesca – Armida e Rinaldo 491 – Rinaldo e Armida 491 Goodyer, F.R. – Once Upon a Time or a Midsummer Night’s Dream in Merrie Sherwood 120 Gottfried von Straßburg – Tristan 193, 214, 364, 368–372 Gottfried von Viterbo – Pantheon 86 Gounod, Charles – Cinq Mars 456 – Faust 403 Gouvy, Louis Théodore – Der Cid 22, 39 Gozzi, Carlo – Turandot 412, 414, 416–420, 422 Grabbe, Christian Dietrich 143 – Der Cid 31, 38 Grammann, Karl – Melusine 402, 409 Gramont, Louis Ferdinand de – Esclarmonde 513 f., 523 Grandjean, Moritz Anton – Die Prinzessin von Dragant 322 f., 327 Graun, Karl Heinrich – Armida 487
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Greenwood, Thomas Longdon – Harlequin Robin Hood and Little John, or, Merrie England in the Olden Time 118 Grétry, André-Ernest-Modeste – Aucassin et Nicolette ou Les Mœurs du bon vieux Tems 287, 292–296 – Guillaume Tell 159 f., 163 f., 166–169 – Raoul Barbe-bleue 195 – Richard Coeur de Lion 6 f., 98–104, 106–108 – Richard Löwenherz 107 – Zémire et Azor 195 Grier, Francis – Saint Francis 388 Grillparzer, Franz 428 – Melusina 402–405, 408 f. Grimm, Jacob 378 – Kinder- und Hausmärchen 86, 195 – Deutsche Mythologie 255 – Deutsche Rechtsalterthümer 323 – Deutsche Sagen 86, 143, 195, 326 – Ueber den altdeutschen Meistergesang 192 Grimm, Heinrich – Kriemhild 262 – Sigurd 262 Grimm, Wilhelm 378 – Deutsche Sagen 86, 143, 195, 326 – Kinder- und Hausmärchen 86, 195 Grossi, Tommaso – I Lombardi alla prima crociata 176 Grubb, Clare – The Outlaw King 123 Gruber, Jakob – Wieland der Schmied 266, 274 Grun, James – Der arme Heinrich 198, 375–379 Guglielmi, Pietro Alessandro – Le pazzie di Orlando 515, 522 – Rinaldo [auch: Armida] 491 – Il Tamerlano 157 Guglielmi, Pietro Carlo – La fata Alcina 463, 472 – Griselda 449 Guidi, Francesco – Tancreda 525 Guillard, Nicolas-François – Chimène ou Le Cid 33, 37 – Iphigénie en Tauride 33
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Register der AutorInnen und Werke
Guirao, Patrice – Robin des Bois. Ne renoncez jamais 126 Guitry, Sacha – Tell père, Tell fils 162, 166, 169 Gundling, Nikolaus Hieronymus 89 Gurecký, Václav Matyáš – Griselda 449 Guseck, Berndt von [d. i. Karl Gustav von Berneck] – König Conradin 140, 145 Gyrowetz, Adalbert – Undine 434 Haan, Willem de – Die Kaiserstochter 211–213, 229 f., 233 Hadjidakis, Manos – Rinaldos kai Armida 493 Hadley, Henry Kimball – Azora, Montezuma’s Daughter 24 – Cleopatra’s Night 24 – Merlin and Vivian 344 Haeffner, Johann Christian Friedrich – Renaud 491 Hagen, Friedrich Heinrich von der 243, 368 – Buch der Liebe 230 Hahn, Karl August 86 Halévy, Jacques Fromental 47, 254, 458 – Jaguarita l’Indienne 251 – La Juive 547 – La Magicienne 199, 399, 402 f., 406, 409 Hallmann, Johann Christian – Die Schaubühne des Gluckes, oder Die Unüberwindliche Adelheide 92 Hallström, Ivar Christian – Melusina 410 Halm, Friedrich – Griseldis 440 Halpern, Sidney – Macbeth 80 Hamann, Johann Georg – Judith, Gemahlin Kayser Ludewigs des Frommen; Oder Die Siegende Unschuld 64 Hamilton, Henry – Robin Hood 122 Hamilton, Iain Ellis – Lancelot 299, 312
Händel, Georg Friedrich 522 – Admeto 98 – Alcina 179 f., 460 f., 464–466, 471 – Alessandro 98 – Ariodante 510 – Judith, Gemahlin Kayser Ludewigs des Frommen; Oder Die Siegende Unschuld 64 – Lotario 83 f., 91, 96 – Der misslungene Brautwechsel oder Richardus I., König von England 105 f. – Orlando 510–512, 516–518, 522 – Otto [Text: Haym / Glauche] 92, 95 – Ottone, Re di Germania [Text: Haym] 82 f., 91 f., 95 – Riccardo primo, Re d’Inghilterra 6, 98 f., 104–106 – Richardus genannt das Löwen-Herz, König in Engelland 105, 107 – Rinaldo 171, 474, 476, 480, 484, 493, 529 – Tamerlano / Tamerlane 147, 151, 156 Haraucourt, Edmond – Aliénor 343 Hardy, Thomas – The Famous Tragedy of the Queen of Cornwall at Tintagel in Lyonnesse 361 f., 366 f., 372 f. – When I set out for Lyonesse 367 Harris, Augustus – Babes in the Wood 121 Harrison, William – The Chronicles of England, Scotland, and Ireland 79 Hart, Fritz Bennicke – Isolt of the White Hands 373 Hart, Lorenz – A Connecticut Yankee 280, 286 Hartmann, Eduard von – Philosophie des Unbewußten 317 Hartmann, Johann Peter Emilius – Undine 435 Hartmann, Karl Amadeus – Undine 427, 437 Hartmann, Moritz – Der Cid 39 Hartmann, Tiina – Crusades 173, 186
Register der AutorInnen und Werke
Hartmann von Aue – Der arme Heinrich X, 198, 301, 375, 377–379 – Erec 189 f., 281, 283 – Iwein 189 f., 283, 433 Hasse, Johann Adolf 181 – Dalisa 96 – Il Ruggiero ovvero l’eroica gratitudine 69 Hasselle, Dieudonné – Witikind ou la conversion des Saxons 70 Hauff, Wilhelm 195 Hauptmann, Gerhart – Der arme Heinrich 198, 301, 377 Hawes, Craig – Robin and The Sherwood Hoodies 126 Haydn, Joseph 292 – Armida 478 f., 490 – Orlando Paladino 466 f., 471, 510, 513, 515, 523 Haydon, Claude M. – Paolo and Francesca 509 Haym, Nicola Francesco – Orlando 522 – Otto [Musik: Händel / Telemann] 92, 95 – Ottone, Re di Germania [Musik: Händel] 82 f., 95 – Tamerlano / Tamerlane 156 Hazlewood, C.H. – The Convict, or, Hunted to Death; Robin Hood and his Merry Men, or, Harlequin Ivanhoe, the Knight Templar & the Jewess 120 Hebbel, Friedrich – Agnes Bernauer 10 f., 13–15, 20 – Genoveva 196, 390, 393, 395 f. Heidenreich, David Elias – Der glückliche Liebes-Fehl Printz Walrams aus Sachßen 93 Heine, Heinrich 428 – Der Tannhäuser. Eine Legende 192, 202 Heinrich von Freiberg – Tristan 368, 372 Heliodor – Aithiopiká 532 Helvetic Liberty 166 Helweg, Marianne – The Sword in the Stone 333 f., 341
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Henneberg, Claus H. – Melusine 199, 398–401, 411 Henrich, Hermann – Melusina 411 Henry, Louis – Undine 434 Hensler, Karl Friedrich – Das Donauweibchen 430 Hentschel, Theodor – Lancelot 306–308, 310 – Die schöne Melusine [auch: Die Braut von Lusignan] 409 Henze, Hans Werner – Jeux des Tritons 426 – Prinzen von Homburg 459 – Tancredi 529 – Undine [auch: Ondine] 423–427, 437 Herder, Johann Gottfried – Der Cid 23 Hering, Carl Eduard – Konradin von Schwaben 144 – Der letzte Hohenstauffe 144 Herklots, Karl Alexander – Die Insel der Alcina 471 – Richard Löwenherz 107 Herman, Reinhold Ludwig – Lanzelot 305 f., 311 Hermann, Gottfried – Barbarossa oder die Himmelfahrtsnacht im Kyffhäuser 144 Hernried, Robert – Francesca da Rimini 509 Herrig, Hans – Eliane 310 Hervé [d. i. Louis Auguste Florimond Ronger] – Les chevaliers de la Table Ronde 328 Heuberger, Richard 219 Heusen, Jimmy van 280 Hewitt, Thomas J. – The King of Sherwood 122 Hiemer, Franz Karl – Aucassin und Nicolette 296 Hill, Aaron – Merlin in love, or Youth against magic 342 – Rinaldo 474, 480 Hill, Michael – Tristan and Iseult 373
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Register der AutorInnen und Werke
Hiller, Ferdinand – Konradin, der letzte Hohenstaufe 138 f., 144, 214 Hiller, Wilfried – Wolkenstein. Eine Lebensballade 222 f., 227 Hindemith, Paul 12, 133 Hirson, Roger O. – Pippin 56, 70 Historia Brittonum 283 Historia Caroli Magni et Rotholandi 520 Historia Roderici 34 Hirt, Ursel Renate – Walther von der Vogelweide 215–217, 226 Hösel, Kurt – Wieland der Schmied 266, 268, 272, 274 Hoffmann, E.T.A. – Der Dichter und der Komponist 420, 432 – Die Serapions-Brüder 192, 236, 432 – Undine 428–434 Hoffmann, Karl – Barbarossa oder die Himmelfahrtsnacht im Kyffhäuser 144 Hoffmann, Ludwig August – Merlin 343 Hoffmann von Hoffmannswaldau, Christian – Helden-Briefe 20, 232 Hoffschlaeger, Elard – Die schöne Melusine [auch: Die Braut von Lusignan] 409 Hofmann, Doris – Robin Hood 126 Hofmannsthal, Hugo von – Ariadne auf Naxos 340 – Die Frau ohne Schatten 195 Holcroft, Thomas – The Noble Peasant 118 Holinshed, Raphael – The Chronicles of England, Scotland, and Ireland 79 Holmès, Augusta Mary Anne – Lancelot du Lac 310 Holst, Adolf – Walther von der Vogelweide 226 Holzbauer, Ignaz – Günther von Schwarzburg 17 – Tancredi 534
Holzbrecher, Hans – Robin Hood. Für Liebe und Gerechtigkeit 125 Homer – Odyssee 243 Honegger, Arthur – Jeanne d’Arc au bûcher 41 f., 45 f., 51 – Le roi David 161 – Saint François d’Assise 384 f., 387 Hooker, John – The Chronicles of England, Scotland, and Ireland 79 Horwitz, Henry – Gudrun 246 Hoven, Johann [d. i. Johann Vesque von Püttlingen] – Johanna d’Arc 50 – Turandot 418, 421 Howard, Dani – Robin Hood 127 Howarth, Peter – Robin Hood. Prince of Sherwood 124 Hubay, Jenő – Aliénor 343 Huber, Hans – Kudrun 238 f., 245 Huber, Victor Aymé – Geschichte des Cid Ruy Díaz Campeador von Bivar 23, 30 Huch, Ricarda – Der arme Heinrich 198, 377 Huffman, Ted – Macbeth 81 Hugo, Victor 47, 502 – Hernani 503 – Notre Dame de Paris 456 f. Hugo von Trimberg 218 Humperdinck, Engelbert 86 – Hänsel und Gretel 195 Hurlebusch, Konrad Friedrich – L’innocenza difesa 64 Hurst, Rebecca – Robin Hood 127 Huth, Louis – Bellarosa 395 f. – Golo und Genoveva 394–396 Hutton, Jeremy – Robin Hood 126
Register der AutorInnen und Werke
Hyman, Robert – Robin Hood 126 Ibn-Bassām aš-Šantarīnī [Ibn Bassam asShantarini], ʿAlī – Dahira fi mahasin ahl al-ğazira 35 Idle, Eric – Spamalot 101, 349, 358 Impallomeni, Gaetano – Francesca da Rimini 508 Ishiguro, Kazuo – The Buried Giant 191 Jachino, Carlo – Giocondo e il suo re 510 Jacoby, Wilhelm – Frauenlob 211–213, 225 – Die Kaiserstochter 211, 229 f., 233 – Pension Schöller 229 Jaffé, Moritz – Ekkehard 457 – Das Käthchen von Heilbronn 459 Jaime, Adolphe – Geneviève de Brabant 389 f., 397 Jakob I., König von England – Daemonologie in Forme of a Dialogue 79 James, Dorothy – Paolo and Francesca 509 Jean d’Arras – Mélusine 407 Jelínek, Hanuš – Aucassin a Nicoletta 298 Jördens, Gustav – Lanzelot vom See 309 Johansson, K.G. – Macbeth2 81 Jommelli, Niccolò – Armida abbandonata 473, 476, 479 f., 488 Joncières, Victorin de [d. i. Félix-Ludger Rossignol] – Lancelot du Lac 305 f., 311 Jones, John Wilton – Babes in the Wood, or, Bold Robin Hood & his Foresters Good 122 – The Babes in the Wood, or, Robin Hood and his Foresters Good 122
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Jung, C.G. 200, 301 Junquières, Jean-Baptiste René de – Le Guy de Chesne 102 Kachler, Johann – Das Mädchen von Orléans 49 Kafka, Heinrich – König Arthur 285 Kalitzke, Johannes – Inferno 453 f. Karlipp, Bernhard – Otto der Große 97 Kauders, Albert – Walther von der Vogelweide 219–221, 225 Kauer, Ferdinand – Das Donauweibchen 430, 433 f. Kauffmann, Leo Justinus – Agnes Bernauer 11–14, 21 Keck, Jean-Christophe 390 – La fille du Cid 23, 40 Keeser, Martin – Knecht Warze 345 Keiser, Reinhard – Desiderius, König der Longobarden 61 f., 69 Kelly, Tim – Robin Hood 124 Kenney, Charles – Robin Hood and Richard Coeur de Lion 119 Kerner, Josef – König und Spielmann 108 Kilštedt, A.M. – Undina 427, 436 King, Ellie – Robin Hood and his Merry Men 113 f., 125 King, Geoff – Robin Hood and his Merry Men 113 f., 125 Kittleson, Ole H. – Robin Hood 124 Klebe, Giselher – Das Mädchen aus Domrémy 52 Klebe, Lore – Das Mädchen aus Domrémy 52 Klein, Hugo – König und Spielmann 108
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Register der AutorInnen und Werke
Kleist, Heinrich von – Die Hermannsschlacht 166 – Das Käthchen von Heilbronn 458 f. – Penthesilea 459 – Prinz Friedrich von Homburg 459 Klenau, Paul August von – Kjatan und Gudrun 234 f. Klimt, Gustav 433 Kling, Thomas – wolkenstein. mobilisierun’ 223 f., 227 Klötzke, Ernst August – Die Legende vom armen Heinrich X, 375 f., 378 f. Klughardt, August Friedrich Martin – Gudrun 239 f., 245 – Iwein 283–285 Klusák, Jan – Aucassin a Nicoletta 298 Köllner, Eduard – Heinrich der Finkler 97 König, Johann Ulrich – Heinrich der Vogler, Hertzog zu Braunschweig, nachmahls Erwehlter Teutscher Käyser 6, 89 f., 92, 94 – Heinrich der Vogler, Hertzog zu Braunschweig, Erster Römischer Käyser, Zweyter Theil 89 f., 95 Kommender, Ludwig [d. i. Ludwig Loibner] – Walter von der Vogelweide 217–219, 226 Konrad von Würzburg – Heinrich von Kempten 86 – Partonopier und Meliur 433 – Der Schwanritter 326 Konradin [d. i. Karl Ferdinand Kohn] – Francesca da Rimini 507 Koppel, Herman David – Macbeth 81 Koppel-Ellfeld, Franz – Frauenlob 210 f., 225 Koreff, Johann David Ferdinand – Aucassin und Nicolette oder Die Liebe aus der guten alten Zeit 292, 296 Korngold, Erich Wolfgang – Violanta XI Korth, Michael – Merlin in Soho 329 f., 345
Kottmann, Joachim – Hagen von Tronje 263 Kotzebue, August von – Die Kreuzfahrer 178 f. Kovařovic, Karel – Armida 477, 492 Kožík, František – Meluzina 411 Kratochwil, Heinz – Franziskus 388 Kraus, Karl 336 Krauze, Zygmunt – Merlin 277 f., 286, 345 Krebs, Karl August – Agnes, der Engel von Augsburg 15 f., 20 Kressin, Manuel – Barbarossa ausgeKYFFt 146 Kretschmer, Edmund – Heinrich der Löwe 141, 145 Kreutzer, Conradin 214 – Conradin von Schwaben 139 f., 144 – König Conradin 140, 145 – Melusina 402–406, 408, 434 Kreutzer, Rodolphe – Jeanne d’Arc à Orléans 49 Kröger, Olav – Barbarossa ausgeKYFFt 146 Kubizek, Augustin – Nathan 174, 186 Kuchejda, Martin – Hagen von Tronje 263 Kudrun [Epos] X, 8, 194, 234–244 Kühner, Wassily [auch: Kühner, Wilhelm] – Das Käthchen von Heilbronn 459 Künneke, Eduard – Walther von der Vogelweide 215–217, 226 Kunkel, Max Joseph – Sigurds Ring 263 Kunze, Gunnar – Barbarossa. Das Musical 146 Kupelwieser, Josef – Fierrabras 228–231, 233 Kurtz, Heinrich 368
Register der AutorInnen und Werke
Lacépède, Bernard Germain – Armide 489 Lachmayer, Otto – Kudrun 234, 246 Lachner, Ignaz – Loreley 434 Ladmirault, Louise – Myrdhin 344 Ladmirault, Paul-Émile – Myrdhin 344 Laforgue, Jules – Lohengrin, fils de Parsifal 316–318 – Moralités légendaires 317 Lalli, Domenico – Dalisa 93, 96 Lampugnani, Giovanni Battista – Il gran Tamerlano 157 Lancelot-Gral-Zyklus [auch: LancelotProsaroman, Lancelot en prose] 278 f., 284, 309 f., 353, 357 f. Landh, Martin – Robin Hood. The Musical 127 Landi, Stefano – Sant’Alessio 380 Lang, Bernhard – Der Alte vom Berge 186 – Mondparsifal alpha 1–8. Erzmutterz der Abwehrz 349, 358 – Mondparsifal beta 9–23 349, 358 – ParZeFool. Der Thumbe Thor 358 Langert, August – Die Jungfrau von Orleans 50 Lanoux, Armand – Mélusine au rocher 411 Laruette, Jean-Louis – Le Guy de Chesne 102 Lassen, Eduard – Frauenlob 213 f., 225 – Die Gefangenen 214 Latilla, Gaetano – Griselda 449 Laurent, Henri – Quentin Durward 457 Lauzières, Achille de – Il Cid 38 Laveleye, Émile Louis Victor de 251–253
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Lavelli, Jorge – Merlin 277 f., 286 Lazzaroni, Lodovico – Carlo Magno 69 Lebœuf, Jean-Joseph – Renaud 490 Lechi, Luigi – Tancredi 525 f., 529, 534 Lee, Alexander – Robin Hood and Richard Coeur de Lion 119 Lee, Henry Washington – El Cid Campeador 24 f., 30, 40 Le Flem, Paul – Aucassin et Nicolette 289 f., 297 Lega, Antonio – Alcassino e Nicoletta 297 Leginska, Ethel – Joan of Arc 52 Legrenzi, Giovanni – L’anarchia dell’ imperio 68 Lehrs, Samuel 314 Leibniz, Gottfried Wilhelm 89, 141 Leicester, Ester – Robin Hood 124 Leicht, Allan – Friar Tuck 113, 124 Leinert, Michael – Eine wundersame Liebesgeschichte. Tristan-Variationen 373 Lemierre, Antoine-Marin – Guillaume Tell 167 f. Lenepveu, Charles – Jeanne d’Arc 50 Lenhardt, Gustav – Die schöne Melusine 409 Lennard, Horace – Babes in the wood and the bold Robin Hood 121 Lenz, Johann Reinhold von – Das Gericht der Templer 545 Lenz, Philipp Jakob 351 Leo, Leonardo – Il Cid 36 Leonhardt, Karoline – Konradin von Schwaben 144 Leoni, Franco – Francesca da Rimini 509
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Register der AutorInnen und Werke
Leopold I. [römisch-deutscher Kaiser] – L’Adalberto overo La forza dell’astuzia femminile Lerner, Alan Jay – Camelot 278 f., 280, 286 Le Roy de Bacre, Alexandre-Joseph – Geneviève de Brabant 395 f. Lesage, Alain-René – Les eaux de Merlin 341 – Le monde renversé 339, 342 Lessing, Gotthold Ephraim 181, 184 f., 428 – Nathan der Weise 173 f., 179, 547 Leveridge, William 78 f. Lewald, August – Agnes, der Engel von Augsburg 20 L’Héritier de Villandon, Marie-Jeanne – La Tour ténébreuse et les jours lumineux 102, 106 Licht, Wilhelm – Herr Walther von der Vogelweide 226 Lichtenstein, Karl August Ludwig Freiherr von 128 f., 137 – Das befreite Jerusalem 492 Lieder-Edda 251 f., 255, 261, 267, 269, 272 f. Das Lied vom Hürnen Seyfrid 253 Lied von der Entstehung der Eidgenossenschaft 168 Lillo, Giuseppe – Odda di Bernaver 15, 21 Lincke, Paul – Lysistrata 440 Linder, Gottfried – Konradin von Schwaben 138, 146 Linke, Robert – Tannhäuser. Ein Requiem 227 Linkola, Jukka – Robin Hood 112 f., 125 Linley, George – The river sprite 435 Linley, Thomas [senior] – Richard coeur de Lion 107 Lipiner, Siegfried – Der entfesselte Prometheus 336 – Merlin 333, 336–338, 343 Lipowsky, Felix Joseph – Agnes Bernauerinn historisch geschildert 13, 20
Liszt, Franz 214, 237, 247, 264, 314, 336, 394 – Symphonie zu Dantes Divina Commedia 496 Litta, Giulio – Edita di lorno 457 Liudprand von Cremona 84, 89 Lloyd Webber, Andrew – Come Back Richard Your Country Needs You 100 Lobe, Johann Christian – Wittekind 59, 69 Locle, Camille du 252 – Sigurd 262 Locke, Fred – The Babes in the Wood, and Bold Robin Hood 121 Locke, Matthew 78 Lockroy, Joseph Philippe – Ondine 435 Loewe, Frederick – Camelot 278, 280, 286 Löwe, Friedrich August Leopold – Die Insel der Verführung 461, 472 Loffredo, Agostino – Orlando furioso 514, 523 Logroscino, Nicola Bonifacio 438 – La Griselda 449 Lohenstein, Daniel Casper von 456 Longepierre, Hilaire Bernard de Requeleyne de – Suite d’Armide ou Jérusalem délivré 484 Longfellow, Henry Wadsworth – The Golden Legend 377 Lora, Antonio – Launcelot and Elaine 305, 311 Lord Byron [siehe Byron, George Gordon] Lord Cheminot [d. i. Patrice Contamine de Latour] – Geneviève de Brabant 392, 397 Lorentzen, Bent – Eine wundersame Liebesgeschichte. Tristan-Variationen 373 Lorenz, Rudolf – Herr Walther von der Vogelweide 226 Lortzing, Albert – Undine 423 f., 428 f., 435
Register der AutorInnen und Werke
Lotti, Antonio 6, 522 – Foca superbo 90, 94 – Isacio tiranno 104, 106 – Ottone, Re di Germania 95 – Teofane 82, 90 f., 95 Løvenskiold, Herman Severin – Turandot 421 Łubieńska, Tekla Teresa – Karol Wielki i Witykind 69 Lucas, Christian Theodor Ludwig 193, 314, 351 Lucchini, Antonio Maria – Foca superbo 90, 94 Lucilla, Domenico – La bella fanciulla di Perth 457 Lucio, Francesco – Il Medoro 520 Ludwig, Otto – Agnes Bernauer 14 Luigs, Jim – Das Barbecü 250, 263 Lully, Jean-Baptiste 467, 474 –476, 516 – Armide 480 f., 483, 529 – Roland 516, 518 f., 521 Lutschewitz, Martin – Aucassin und Nicolette 298 Lux, Friedrich – Käthchen von Heilbronn 459 L’vov [Lwow], Alexej Fëdorovič – Undina 427 f., 435 Lyser, Ludewig Peter August – Der letzte Hohenstauffe 144 Lytton, Edward Bulwer [siehe Bulwer-Lytton, Edward] MacArdle, John Francis – Babes in the Wood. Little Cock Robin and Bold Robin Hood 120 Macfarren, George Alexander – Robin Hood 111, 115, 119 Machilis, Joseph – The Triumph of St. Joan 52 Mackay, J. Lindsay – Robin Hood and King Richard 108, 122 MacLean, Alick 457 MacLean, Jesse – Robin Hood 126
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MacMillan, Kieren – Robin Hood 126 MacNally, Leonard – Richard Coeur de Lion 107 – Robin Hood or Sherwood Forest 118 MacPherson, Kevin – Robin Hood 126 Madaràsz, Ivàn – Robin Hood 124 Maeterlinck, Maurice – Pelléas et Mélisande 26 Maffei, Andrea 47, 77, 413 f., 417 – I masnadieri 77 Maffei, Raffaele [gen. Volaterranus] – Commentariorum urbanorum libri octo et triginta 92 f. Maggi, Carlo Maria – La Griselda di Saluzzo 444 Maglioni, Antonio – Francesca da Rimini 505 Mahler, Anna-Sophie – Francesca da Rimini 496, 509 Mahler, Gustav 256, 336 Maimbourg, Louis – Histoire des croisades pour la délivrance de la Terre Sainte 104–106 Maingueneau, Louis – Mélusine 410 Maler Müller [d. i. Johannes Friedrich Müller] 396 Malipiero, Gian Francesco – Lancelotto del lago 304 f., 311 – Merlino mastro d’organi 344 – San Francesco d’Assisi 386 f. Malmusi, Carlo – Adelaide di Borgogna al castello di Canossa 88, 96 Malone, Louis [d. i. Louis MacNeice?] – The Outlaw King 123 Malory, Thomas 333 – Le Morte Darthur 190, 278 f., 281, 284, 305, 309 f., 331, 335 f., 341, 350 f., 361, 372 – The Weddynge of Syr Gawen and Dame Ragnell 279 Mancinelli, Luigi – Paolo e Francesca 508
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Register der AutorInnen und Werke
Mancini, Francesco 63 Manfredini, Vincenzo – Armida 488 – Carlo Magno 54, 69 Mangold, Carl Amand – Gudrun 241–243, 245 – Tanhäuser 192, 207–209, 241 Mann, Antony – El Cid 22 Manna, Ruggero – Francesca da Rimini 505 Mannkopff, A. – Der Cid 29, 39 Manrique de Lara, Manuel – Leyenda 26 – Rodrigo de Vivar 25 f., 39 Manussi von Montesole, Ferdinand – Karl der Große 55, 70 Marazzoli, Marco – L’Amore trionfante dello sdegno [auch: Armida] 483 Marbach, Ernst – Melusina 409 Marcarini, Giuseppe – Francesca da Rimini 507 Marcassin et Tourlourette [Opernparodie] 294, 296 Marenco, Leopoldo – Re Manfredi 145 Marie de France – Chevrefoil 372 Marini, Girolamo Maria – Il Templario 538, 543–545, 549 Marino, Giambattista – Adone 453 Marlowe, Christopher – Tamburlaine the Great 153 Marinelli, Gaetano – Bajazette 157 Markham, Edwin – Undine 436 Marmontel, Jean-François – Roland 519, 523 Marpurg, Friedrich – Agnes von Hohenstaufen 138, 145 Marschalk, Max – Aukassin und Nikolette 296
Marschner, Heinrich – Hans Heiling 394, 536 – Der Templer und die Jüdin 394, 536–539, 543, 545–547, 549 – Der Vampyr 536, 546 Martelli, Henri – La chanson de Roland 514 f., 524 Martens, Frederick H. – Robin Hood Inc. 123 Martí, Estéban – Mélusine 410 Martin, Frank – Le vin herbé 365 f., 372 f. Martin le Franc – Champion des Dames 48 Martínez de Merlo, Luis [siehe Merlo, Luis Martinez de] Marx, Adolph Bernhard – Undinens Gruß 434 Maryon, Edward – Paolo and Francesca 509 Masarey, Arnold – Merlin 344 Mason, Eugen – ʼTis of Aucassin and Nicolette 297 Massenet, Jules – Le Cid 22, 26–28, 39 – Esclarmonde IX, 510, 513 f., 523 – Grisélidis 197, 438–440, 450 – Le Jongleur de Notre-Dame 440 – Manon 22 Massias, Gérard – Les Nouveaux racontars dʼAgassin et Virelette 288, 298 Massmann, Hans Ferdinand 368 Matthias von Neuenburg 215 Mathieu, Émile – L’enfance de Roland 514 f., 523 Mauro, Ortensio Bartolomeo – Henrico Leone 105, 141–143 – Orlando generoso 517, 521 Mayer, Emil – Don Rodrigo Diaz de Vivar, der Cid 38 – Oswald von Wolkenstein 224 f. Mayer, Oskar F. – Griseldis 450
Register der AutorInnen und Werke
Mayo, Sue – Saint Francis 388 Mayr, Johann Simon [auch: Giovanni Simone Mayr] – Ginevra di Scozia 455, 510 – Tamerlano 147 f., 157 Mayrberger, Karl – Melusina 409 Mazzini, Giuseppe – Dell’amor patrio di Dante 502 McAlpin, Colin – King Arthur 285 McIntyre, Paul – Macbeth 74, 81 Medina, Benjamín Fernández y [siehe Fernández y Medina, Benjamín] Meese, Jonathan – Mondparsifal alpha 1–8. Erzmutterz der Abwehrz 349 f. – Mondparsifal beta 9–23 349 f. Méhul, Étienne – Ariodant 455 Meibom, Heinrich d. Ä. [Bearbeiter] – Braunschweigische und Luneburgische Chronica 142 f. – Chronicon Stederburgense 6, 143 Meier, Joachim – Die siegende Großmuth 6, 138, 143 Meiners, Giovanni Battista – Francesca da Rimini 506 Meisl, Carl – Armida, die Zauberin im Orient 492 Mele, Giovanni Battista 517 – Armida placata 487 Mendelssohn Bartholdy, Felix – Märchen von der schönen Melusine 405 f. Mendès, Catulle – Rodrigue et Chimène 26 f., 39 Mendez, Moses – Robin Hood 115 f., 118 Méon, Martin 292, 295 Mercadante, Saverio – Francesca da Rimini 494, 505 Merlo, Luis Martínez de – Francesca, o El Infierno de los Enamorados 496 f., 499, 509
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Mermet, Auguste – Jeanne d’Arc 46, 50 Méry, Joseph – La Bataille de Toulouse 131 – Jeanne d’Arc 50 Merz, Klaus – Danuser 204 f., 227 Messiaen, Olivier 335 – Saint François d’Assise 380–385, 388 Messner, Joseph – Der Engel von Augsburg 12–14, 21 Mestépès, Eugène – Ondine 435 Metastasio, Pietro 149 – L’Angelica 517, 522 – Il Ruggiero ovvero l’eroica gratitudine 54, 58 f., 69 Metge, Louis – Jeanne d’Arc 50 Meucci, Filippo – Francesca da Rimini 506 Meyerbeer, Giacomo 28, 47, 141, 191, 458, 494 – L’Almanzore 179 – Il crociato in Egitto 5, 172, 179–181, 185 – L’esule di Granata 179 – Robert le Diable 31, 191, 253 f., 402 f. Michaëlis, Sophus – Aucassin og Nicolette 290 f., 296 Middleton, Thomas – The Witch 78 Miedelchini, Francesco – Rinaldo prigioniero 483 Migliavacca, Giovanni Ambrogio – Armida 487, 489 – Armida placata 487 Mihalovich, Ödön Péter József von – Eliane 306, 310 – Wieland der Schmied 264, 268, 272 f. Milhaud, Darius 301 f., 384 – Le jeu de Robin et Marion 116 f. Minato, Nicolò – Baldracca 92 f. Mitterer, Felix – Wolkenstein. Eine Lebensballade 222–224, 227
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Register der AutorInnen und Werke
M’Neill, Alexander Duncan – The Annual Comic Christmas Pantomime Entitled The Babes in the Wood and the Bold Robin Hood 120 Mnouchkine, Ariane 275 f. Mohammad Aufi 420 Molière [d. i. Jean-Baptiste Poquelin] – Les plaisirs de l’isle enchantée 467 Moncrif, François Augustin Paradis de – Choix de chansons 103 Money-Coutts, Francis Burdett 335 f. – King Arthur, or The Round Table 285 – Lancelot 281, 311 – Merlin 281, 344 Monteverdi, Claudio – Il combattimento di Tancredi e Clorinda 533 – Madrigali guerrieri et amorosi 530 – Orfeo 460, 469 Montgomery, William Henry – Harlequin Robin Hood and Little John, or, Merrie England in the Olden Time 118 Monti, Decio – La vergine di Saluzzo 525 Montuoro, Achille – Re Manfredi 133, 145 Morand, Eugène – Grisélidis 439 f., 450 Morax, René – Tell 161 f., 170 Morbach, Siegfried – Käthchen von Heilbronn 459 Moreau de la Meltière, Charlotte 251 Morel de Chédeville, Étienne – Tamerlan 157 Morel de Vindé, Charles-Gilbert Terray – Primerose 294, 296 Mori, Frank [auch: Francis Mori] – The river sprite 435 Morison, Nancy – Maid Marian 123 Morlacchi, Francesco – Francesca da Rimini 505 – Ilda d’Avenel 535 Morold, Max [d. i. Max von Millenkovich] – Der Tell 160–162, 170 Morselli, Adriano – Carlo il grande 55, 67 f.
Mortellari, Michele – Armida 489 – Armida abbandonata 490 Mosca, Giuseppe – Rinaldo e Armida 491 Moscuzza, Vincenzo – Francesca da Rimini 508 Mosen, Julius – König Mark und Isolde 368 Mosen, Reinhard – Robin Hood 120 Mottl, Felix Josef von 228 – Agnes Bernauer 14 f., 21 Mouret, Jean-Joseph – La Fée Mélusine 408 Mozart, Wolfgang Amadeus 292 – Don Giovanni 27, 74 – Entführung aus dem Serail 181, 287 – Die Zauberflöte 430 Müller, Heiner – Lanzelot 299, 312 Müller, Johann Samuel – Das eroberte Jerusalem, oder Armida und Rinaldo 485 Müller, Johannes von – Geschichten Schweizerischer Eidgenossenschaft 168 Müller, Wenzel – Konradin von Schwaben 144 – Tankredi 529, 534 Müller-Reuter, Theodor – Ondolina 401 f., 410 Müller-Siemens, Detlev – Genoveva oder die weiße Hirschkuh 391 f., 397 Mumford, Ethel Watts – Merlin and Vivian 344 Muratori, Ludovico Antonio 84 Murray, Brendan – Robin Hood 126 Musäus, Johann Karl August 195 Myller, Christoph Heinrich 378 Mysliveček, Josef – Armida 489 – Il gran Tamerlano 157
Register der AutorInnen und Werke
Nápravník, Eduard F. – Frančeska da Rimini 508 Naumann, Johann Gottlieb – Armida 488 Neeb, Heinrich – Der Cid 31, 38 Neiner, Karl – Turandot 421 Nestroy, Johann 327 – Lohengrin 321 f. – Tannhäuser 16, 225 Neumayr, Karl – Der Engel von Augsburg 12–14, 21 Neumeister, Hugo – Turandot 421 Nibelungenlied 8, 193, 243, 250–255, 260 f., 326 Nicholls, Harry – Babes in the Wood 121 Nicolai, Otto – Rosmonda d’Inghilterra 544 f. – Il Templario 535–538, 542–545, 549 Nicolini, Giuseppe – Carlo Magno 58 f., 69 – Ilda d’Avenel 535 Niemann, Karl – Gudrun 239 f., 245 – Iwein 283–285 Nietzsche, Friedrich 336, 498 Niflungasaga 255 Nikiforova, Olga – Robin Gud 126 Nimsgern, Frank – Der Ring 249 f., 263 Niẓāmī Ganǧawī, Ilyās Ibn-Yūsuf – Haft paikar 420 Nordal, Eugen [d. i. Johann Arnold-Gruber] – Francesca da Rimini 506 Noris, Matteo – Carlo re d’Italia 67 f. Nouguès, Jean – Jeanne de France 51 Novalis [d. i. Georg Philipp Friedrich von Hardenberg] – Hymnen an die Nacht 368 Nuitter, Charles Louis Etienne 72
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Nyegaard, H.H. – Turandot 421 Nygren, Peter – Robin Hood. The Musical 127 Oefele, Andreas Felix von – Rerum Boicarum Scriptores 19 f. Oeffinger, Constantin – Merlin 345 Offenbach, Jacques 16, 23, 318, 320, 322 – Geneviève de Brabant 389 f., 393 f., 397 – La leçon du chant magnétique 23 – Orphée en enfers 393 Ogborn, Michael – Little Red Robin Hood: A Musical Panto 127 O’Keeffe, John – Merry Sherwood, or, Harlequin Forester 115, 118 Oliver, Stephen – Blondel 100 f., 106, 109 Ollone, Max d’ – Les Amants de Rimini 509 Orefici, Antonio 63 Orff, Carl – Astutuli 9 – Die Bernauerin 9–15, 21 – Carmina Burana 11, 56 f. – Die Kluge 9 – Der Mond 9 – Osterspiel 9 – Weihnachtsspiel 9 Orff, Godela 10 f. Orgiani, Teofilo – L’Armida 484 Orkin, Harvey – Twang!! 123 Orlandini, Giuseppe Maria 64 – Adelaide 83, 91, 95 – Il Cid 36 – La Virtù al cimento 445, 448 Ormont, David – Robin Hood 123 d’Orneval, Jacques-Philippe – Le monde renversé 339, 342 Orsini, Luigi – Giovanna d’Arco 51
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Register der AutorInnen und Werke
Oser, Pierre – Der durch das Tal geht 349 f., 358 Oswald von Wolkenstein 203, 222–224 Otto [Oper, Leipzig 1702] 94 Otto, Louise – Die Nibelungen [Siegfried og Brünhilde] 254, 262 Ottoboni, Pietro – Carlo Magno 59 f., 69 Overeem, Mario van – Wilhelm Tell 169 Ovid 453 Oxenford, John – Robin Hood 119 Pacini, Antonio – Ivanhoé 544, 547–549 Pacini, Giovanni 457 – Giovanna d’Arco 48 f. – Il Cid 38 – Ivanhoe 549 – Il talismano o sia La terza crociata in Palestina 102, 108 Paër, Ferdinando – Griselda, ossia La virtù al cimento 438, 449 Paganelli, Giuseppe Antonio – Engelberta 63 Paine, John Knowles – Azara 291 f., 296 Paisiello, Giovanno – Il Gran Cid 33, 37 Palazzi, Giovanni – Armida al campo d’Egittto 485 Paleček, Josef – Frančeska da Rimini 508 Pallavicino, Carlo – Carlo re d’Italia 68 – La Gerusalemme liberata 484, 529 f., 533 Pallavicino, Stefano Benedetto – Ottone, Re di Germania 95 – Tassilone 6, 60 f., 67 f., 69 – Teofane 82, 95 Palmer, Zoe – Robin Hood 127 Palomba, Antonio – La Griselda 438, 449
Palomba, Giuseppe – L’Armida imaginaria 489 Papis, Giuseppe 64 Pappalardo, Salvatore – Francesca da Rimini 506 Paracelsus von Hohenheim – Liber de nymphis, silphis, pygmaeis et salamandris et de caeteris spiritibus 433 Paradis, Maria Theresia – Rinaldo und Alcina 461, 472 Pareus, Daniel – Historia Palatina 17 Pariati, Pietro – Angelica vincitrice di Alcina 466, 471 – Engelberta 63 f., 68 Parker, Clifton – Aucassin and Nicolette 298 Parry, Charles Hubert Hastings – Guenever 305 f., 310 Parry, Joseph – King Arthur 285 Partonopeus de Blois [Versroman] 513 f. Pasch, Oskar – Gudrun 245 Pasqualigo, Benedetto – Cimene 32 f., 36 f. Pasquini, Carlo – Die drei Rätsel 422 Pasqué, Ernst 207 f., 214 f. – Agnes von Hohenstaufen 138, 140, 145 – Frauenlob 213–215, 225 – Konradin von Schwaben 146 – Melusine 409 – Die schöne Melusine 409 Paul, Michael – Sherwood Forest 125 Paulus Diaconus – Historia Langobardorum 6, 68 Pauphilet, Albert – La Légende de Tristan 373 Pavesi, Stefano – Tancredi 534 Paxton, Glenn – Friar Tuck 113, 124 Péan de la Roche-Jagu, Franҫoise – Ondine, la reine de l’Onde 435
Register der AutorInnen und Werke
Pedrell, Felipe 25 Pedrotti, Carlo – Genoveffa del Brabante 396 Péladan, Joseph – Il Poverello di Assisi 385, 387 Pellegrin, Simon-Joseph – Renaud ou La Suite d’Armide 485 Pellico, Silvio 502 – Tancreda 525, 529 Pellisier, Jean-Baptiste 166 f. Pennisi, Francesco – Tristan 363 f., 374 Pennyman, Ruth – Robin Hood 123 Pepoli, Alessandro – Tancredi 534 Peracchi, Antonio – Carlo Magno 58 f., 69 Perfall, Karl von – Melusine [auch: Raimondin] 410 Peri, Achille – Tancreda 525 Peri, Jacopo – Lo sposalizio di Medoro e Angelica 519 f. Perrault, Charles 195 Perrin, Nick – Robin Hood 124 Perrot, Jules – Ondine ou la Naiade 435 Persio, Oratio – Armida infuriata 483 Persuis, Louis-Luc Loiseau de – La Jérusalem délivrée 492 Perti, Giacomo Antonio – Ginevra, Principessa di Scozia 510 Petersen, Christian W. – Nathan der Weise 173 f., 186 Petersen, Kathryn – Little Red Robin Hood. A Musical Panto 127 Petillo, Francesco – Francesca da Rimini 507 Pétis de la Croix, François – Les Mille et un Jours 420 Petrarca, Francesco – Griselda 447 Petrassi, Goffredo – La follia di Orlando 514, 524
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Pfitzner, Hans 198, 428, 432, 545 – Der arme Heinrich 301, 376–379 – Das Herz 378 Philippe II. de Bourbon, duc d’Orléans – Suite d’Armide ou Jérusalem délivré 484 Piave, Francesco Maria – Griselda 438–442, 444, 449 – Macbeth 71 f., 76 f., 79 – Rebecca 542, 549 Piber, Josef – Die Nibelungen 262 Piccinni, Louis Alexandre – Guillaume Tell 163–166, 169 – Ondine ou la Nymphe des eaux 434 Piccinni, Niccolò – La buona figliola 442 – La Griselda 438, 449 – Il [Gran] Cid 33, 36 – Roland 519, 523 Piccolomini, Enea Silvio – De statu Europae sub Friderico III. 17 Pichler, Louise – Der letzte Hohenstaufe 138 Pidal, Menéndez 23–25, 34 Pierné, Gabriel – Les fioretti de Saint François d’Assise 385 Pillau, Horst – Laß’ das, Hagen! 250, 263 Pinelli, Pietro – Francesca da Rimini 507 Pio di Savoia, Ascanio – L’Amore trionfante dello sdegno [auch: Armida] 483 Piovene, Agostino – Il Bajazet [auch: Bajazette, Il Tamerlano, Il gran Tamerlano] 149–152, 155–158 Pisani, Bartolomeo – Rebecca 542, 544, 549 Pixérécourt, René-Charles Guilbert de – Guillaume Tell 164–169 – Ondine ou la Nymphe des eaux 434 Pizzi, Gioacchino – Il Cid [auch: Il Gran Cid, Il Cidde, Il Gran Cidde Rodrigo] 32 f., 36 f. Planché, James Robinson – Maid Marian, or, The Huntress of Arlingford 118
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Register der AutorInnen und Werke
Platen, August von – Tristan 368 Pocci, Franz von – Undine, die Wassernixe 436 Pocock, Isaac – King Arthur and the Knights of the Round Table 281, 284 Poe, Edgar Allan 26 Pöhlder Annalen 87 Pohl, Hans-Ulrich – Barbarossa. Das Musical 146 Pohle, David – Der glückliche Liebes-Fehl Printz Walrams aus Sachßen 92 f. Poißl, Johann Nepomuk – Aucassin und Nicolette 294, 296 Pokorny, Franz – Agnes die Bräuerin, oder: Biernigel unter den Wilden [?] 16, 21 Pola, Paolo – Francesca da Rimini 504, 506 Pol d’Estoc [d. i. Paul-Marius-Isidore Coste] – Jeanne d’Arc 52 Pollaroli, Carlo Francesco 63 Pollarolo, Antonio – L’abbandono di Armida 486 – Griselda 438, 447 Pollarolo, Carlo Francesco – Ottone 94 Pollarolo, Orazio – Orlando furioso 522 Ponomarev, Evgeniĭ Petrovich – Frančeska da Rimini 508 Pons Moreno [d. i. Henry Morin-Pons] – Les Malatesta 508 Porpora, Nicola Antonio – L’Angelica 517, 522 – Carlo il Calvo 64 – Griselda 448 – Tamerlano 156 Porta, Giovanni de – Il gran Tamerlano 156 Porta, Nunziato – Armida [?] 490 – Orlando Paladino 513, 515, 523, 466 f., 471
Porter, Tim – Robin Hood and the Turkish Knight 123 – Trystan and Essylt 364 f., 374 Postel, Christian Heinrich 55 – Bajazeth und Tamerlan 153–155 – Der Tapffere Kayser Carolus Magnus, Und Dessen Erste Gemahlin Hermingardis 62 f., 68 Pound, Ezra – Plays modelled on the Noh 363 f., 374 Pradon, Jacques – Tamerlan ou la morte de Bajazet 149–152 Praetorius, Johann Philipp – Die verkehrte Welt 339, 342 Prati, Alessio – Armida abbandonata 490 Pratt, F.W. – The Babes in the Wood, and Bold Robin Hood 121 Prechtler, Otto – Johanna d’Arc 50 – Der Rächer 30, 38 – Undina 427 f. Predieri, Luca Antonio – La virtù in trionfo o sia la Griselda 448 Prigozhin, Lyutsian Abramovich – Robin Gud 123 Pringuer, Harry Thomas – Guinevere, or Love Laughs at Law 311 The Producers [Musical] 101 Prokof’ev [Prokofiev], Sergej Sergeevič – Undina 427, 436 Pronger, Alan – Robin Hood: Prince of Tease 127 Prosa-Lancelot [siehe Lancelot-Gral-Zyklus] Puccini, Giacomo 434 – Gianni Schicchi 453 f. – Turandot 412–416, 419, 422 Puccitelli, Virgilio – Armida abbandonata 483 Pugni, Cesare – Ondine ou la Naiade 435 Pulci, Luigi 515 – Il Morgante maggiore 453 Purcell, Henry 282, 338 – Dido and Aeneas 189 – Fairy Queen 370
Register der AutorInnen und Werke
– King Arthur, or The British Worthy 189–191, 275–277, 282–284, 328 f., 338, 341, 540 – The Prophetess 189 Püttlingen, Johann Vesque von [siehe Hoven, Johann] Quilici, Massimiliano – Francesca da Rimini 504 Quinault, Philippe – Armida [auch: Armide] 474–476, 480 f., 483, 487, 489 – Roland 512, 516, 518 f., 521 f. Rabitti-Sangiorgio, Giovanni Battista 457 Rachmaninov [Rachmaninow], Sergej Vasil’evič – Frantscheska da Rimini 494 f., 498 f., 504, 508 Radermacher, Jan – Robin Hood Junior 127 Radicati, Felice Alessandro – Ricardo Cuor di Leone 108 Radulf von Caen – Gesta Tancredi 532 f. Rafael, Franz Xaver – Heinrich der Finkler 87, 96 – Wittekind 70 Ramayana [Epos] 353 Rampini, Jacomo – Armida in Damasco 485 Rauchenecker, Georg Wilhelm – Adelheid von Burgund oder Otto des Großen Brautfahrt 97 Rauchenecker, H. – Triftanderl und Süßholde [?] 371 f. Raumer, Friedrich von – Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit 128 f., 134, 136, 143 Raupach, Ernst 136, 260, 396 – Agnes von Hohenstaufen 128–130, 136–138, 143 f. – Heinrichs Tod 136 – König Konradin 138, 140 – Der Nibelungen-Hort 260 Rauscher, Henry [d. i. Henry S. Humphreys] – Joan of Arc at Reims 52 Ravel, Maurice 433
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Recits d’un Ménestrel de Reims 102, 106 Reece, Robert – Little Robin Hood 121 Reeve, William – Merry Sherwood, or, Harlequin Forester 115, 118 Reger, Philipp 429 Regino von Prüm 89 Rehbaum, Theobald – Turandot 417, 421 Reichard, Heinrich August Ottokar – Lanzelot vom See 309 Reichardt, Johann Friedrich 79 – Tamerlan 147–149, 157 Reim, Edmund – Ekkehard 457 Reimann, Aribert – Medea 400 – Melusine 398–401, 403, 411, 434 – Lear 400 Reinacher, Eduard – Agnes Bernauer 12, 21 Reinagle, Alexander – Robin Hood, or Sherwood Forest 118 Reinecke, Carl 433 – König Manfred 133, 145 Reinhart, Hans 41 Reinick, Robert – Genoveva 390 f., 395 f. – Konradin, der letzte Hohenstaufe 138 f., 144 Reiniger, Lotte 295 Reinthaler, Carl – Das Käthchen von Heilbronn 459 Reinwaldt, Johann – Walther von der Vogelweide 226 Reiss, Georg Friedrich – Die Jungfrau von Orleans 50 Reißiger, Carl Gottlieb – Turandot 421 Reißmann, August – Das Gralsspiel 351 – Gudrun 239, 245 Reiter, Josef – Der Tell 160 Reyer, Ernest – Sacountala 252 – Sigurd 247, 252–254, 261 f.
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Register der AutorInnen und Werke
Reynolds, Kevin 110 Reznicek, Emil Nikolaus von – Die Jungfrau von Orléans 51 Rheineck, Christoph – Rinald 490 Ricci, Federico – Griselda 440 f., 449 Rice, Tim – Blondel 100 f., 109 – Chess 101 – Come Back Richard Your Country Needs You 100 – Evita 101 – Jesus Christ Superstar 101 – Joseph 101 Richepin, Tiarko – Tell père, Tell fils 162, 166, 169 Ricordi, Tito – Francesca da Rimini 495–498, 509 Rideamus [d. i. Fritz Oliven] – Die lustigen Nibelungen 247, 250 f., 262 Riegelsberger, Timo – Robin Hood Junior 127 Rietsch, Heinrich – Walther von der Vogelweide 226 Righini, Vincenzo – Armida 490 – Gerusalemme liberata, o sia Armida al campo de’ Franchi 492 – La selva incantata 492 Ristori, Giovanni Alberto – Orlando furioso 511 f., 517 f., 521 f. Ritter, Karl 264, 368 Riva y Mallo, Francesco de la – Francesca da Rimini Robert de Boron – Estoire dou Graal [auch: Joseph] 352, 357, 341 Roberti, Girolamo Frigimelica – Ottone 88 f., 94 Robin Hood [Grand Christmas Pantomime] 119 Robin Hood [Kindermusical] 126 Robin Hood [An Opera] 118 Robin Hood and The Babes In The Wood [Pantomime] 127 Robin Hood, or The Maid that was Arch and the Youth that was Archer [Pantomime] 120
Robyn Hod and the Shryff off Notyngham [Fragment] 117 Robinson, Allan G. – Robin Hood 121 Robinson, Charles Mulford – Robin Hood 121 Robuschi, Ferdinando – Riccardo Cor di Leone 107 Rodgers, Richard – A Connecticut Yankee 280, 286 Rodwell, George Herbert Bonaparte – The Lord of the Isles 457 Roeber, Friedrich – König Manfred 133, 145 Röckel, August 264 Rogati[s], Francesco Saverio de – Armida abbandonata 473, 475 f., 479 f., 488 Rolandslied [siehe La Chanson de Roland] Rolland, Enrico – Francesca da Rimini 506 Rolli, Paolo Antonio 448 – Der misslungene Brautwechsel oder Richardus I., König von England 106 – Riccardo primo, Re d’Inghilterra 98 f., 104–106 – Richardus genannt das Löwen-Herz, König in Engelland 107 Romanelli, Luigi – Adelaide di Borgogna 88, 96 – Tamerlano 148 f., 157 f. – Tancredi 534 Romani, Felice 68 – Adele di Lusignano 406, 408 – L’elisir d’amore 370 – Francesca da Rimini 494, 502 f., 504–507 – Norma 57 Ronchetti, Lucia – Inferno 453 f. Roselius, Ludwig – Doge und Dogaressa 236 – Godiva 236 – Gudrun 236 f., 246 Rosenau, Anita H. 299 – Guinevere 312 Rosenlecker, Georges – La légende de l’Ondine. Elfenliebe 436
Register der AutorInnen und Werke
Rosetti, Antonio – Il Gran Cid 33, 37 Rospigliosi, Giulio [d. i. Papst Clemens IX] – Chi soffre speri 453 – Il palazzo incantato 519–521 Rossellini, Renzo – Alcassino e Nicoletta 297 Rossetti, Marco – Ottone in Italia 93 Rossi, Gaetano 510 – Il crociato in Egitto 5, 179, 181, 185 – Genoveffa del Brabante 396 – Giovanna d’Arco 48 f. – Ilda d’Avenel 535 – Ivanhoe 548 f. – Tancredi 525 f., 534 Rossi, Giacomo 83 – Lotario 96 – Rinaldo 474, 484 Rossi, Lauro – Biorn 80 Rossi, Luigi – Il palazzo incantato 519–521 Rossini, Gioachino 47, 457 – Adelaide di Borgogna 84 f., 87 f., 96 – Armida 473, 475 f., 478, 492 – Guillaume Tell 137, 159 f., 162–169 – Hofer, the Tell of the Tyrol 159 – Ivanhoé 535 f., 544, 547–549 – Tancredi 525, 529–531, 534 Rostand, Edmond – Cyrano de Bergerac 23 Rouget de Lisle, Claude Joseph – Macbeth 78 f. Rousseau, Jean-Jacques – Dictionnaire de musique 103 Rousseau, Pierre – Les Nouveaux racontars dʼAgassin et Virelette 288 f., 298 Roy, Vladimír – Kovác Wieland 265 f., 274 Royer, Alphonse – Jérusalem 172, 177 f., 186 Royle, Josephine Fetter – Launcelot and Elaine 311 Rôze, Raymond – Joan of Arc 51
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Rückert, Friedrich 184 f. Rüe, Émile de la 26 f. Rüfer, Philipp – Merlin 343 Rüthi, Jürg – Robin Hood 125 Ruggeri, Giovanni Maria – Armida abbandonata 484 Ruggieri, Pietro – Francesca da Rimini 506 Ruloffs, Bartholomeus – Richard Leeuwenhart, Koning van Engeland 107 Rusconi, Carlo 77 Rust, Giacomo – L’Isola di Alcina 471 Rytel, Piotr – Krzyżowcy [Die Kreuzritter] 493 Sacchini, Antonio – Armida 488 – Chimène ou Le Cid [Text: Guillard] 33, 37 – Il Cid [Text: Pizzi / Bottarelli] 33, 37 – Il Cidde [Text: Pizzi] 33, 36 f. – Renaud 490 – Tamerlano 157 Sachs, Hans 9 f., 20, 447 – Die Melusina 407 Sacrati, Francesco – L’isola d’Alcina 469 f. Sacrum commercium sancti Francisci cum domina paupertate 387 Sächsische Weltchronik 326 Saint-Georges, Henri de – La Magicienne 199, 399, 402 f., 406, 409 Saint-Palaye, Jean-Baptiste de La Curne de 287, 293 f. Saker, George M. – The Babes in the Wood, or, Harlequin, Maid Marian and Bold Robin Hood 122 Salieri, Antonio 515 – Armida 488 Salvadori, Andrea – Lo sposalizio di Medoro e Angelica 519 f. Salvi, Antonio – Adelaide 83–85, 90, 95 – Ariodante 510
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Register der AutorInnen und Werke
– Ginevra, Principessa di Scozia 454, 510 – Il gran Tamerlano 149, 152 f., 156 – Ottone 96 Sambucetti, Luis – San Francesco d’Assisi 386 f. Sammes, Aylett – Britannia Antiqua Illustrata 282 f. Samuel-Rousseau, Marcel – Le roi Arthus 285 Sancan, Pierre – Ondine, fille de la forêt 437 Sánchez, Tomás Antonio 23 Sandström, Jan – Macbeth2 81 San-Marte [d. i. Albert Schulz] 243, 307, 326, 351, 357 Santinelli, Francesco Maria – L’Armida nemica, amante e sposa 483 Sapienza, Antonio – Tamerlano 148, 158 Saracinelli, Ferdinando – La liberazione di Ruggiero dalla isola d’Alcina 461, 464, 467–470 Sardou, Victorien – La bataille d’amour 525 Sari, Thomas – Ivanoé 549 Sariols y Porta, Juan – Melusina 409 Sarro, Domenico – Armida al campo 485 – La Griselda 447 Sarti, Giuseppe – Armida abbandonata 487 – Armida e Rinaldo 490 Sartorio, Antonio – L’Adelaide 88, 93 Sassaroli, Vincenzo – Francesca da Rimini 506 Satie, Erik 392 f. – Geneviève de Brabant 392 f., 397 Sauvage, Thomas-Marie-Franҫois – Ondine ou la Nymphe des eaux 434 Savi, Luigi – Il Cid 31, 38 Sayn-Wittgenstein-Berleburg, Friedrich Ernst zu – Die Welfenbraut 135 f., 146
Scacchi, Marco – Armida abbandonata 483 Scarano, Mario Oronzo – Griselda o la marchesa di Saluzzo 438, 450 Scarlatti, Alessandro 388, 426 f. – Carlo Re d’Alemagna 54, 64 – Il gran Tamerlano 152 f., 156 – Griselda 438, 445 f., 448 Scarlatti, Domenico 426 – L’Orlando ovvero La gelosa pazzia 510, 516, 521 Scarlatti, Giuseppe – Armida 487 Schäfer, Anneliese – Undine 437 Schäffer, August – Emma von Falkenstein 178 f., 185 Schafer, Raymond Murray – The Children’s Crusade 5, 174, 186 Schaum, Johann Otto Heinrich – Tamerlan 148, 157 Scheffel, Joseph Victor von – Ekkehard 457, 546 Scheler, Alphonse – Guillaume Tell 164, 169 Schibler, Armin – La Folie de Tristan 364, 373 Schikaneder, Emanuel 15 f. – Die Zauberflöte 195 f., 430, 461 f. Schiller, Friedrich 7, 49, 77, 316, 422 – Die Jungfrau von Orleans 44–47, 49 – Die Räuber 18, 77 – Turandot 412–414, 417–419 – Wilhelm Tell 160 f., 163–166, 168 Schilling, Gustav – Die Kreuzfahrer oder der Alte vom Berge 175 Schillings, Max von – Mona Lisa XI f. – Der Pfeifertag XII Schindelmeisser, Louis – Melusine 402, 409 – Der Rächer 30, 38 Schlegel, August Wilhelm 260 Schlegel, Friedrich 260 Schlegel, Johann Elias 456 Schlemm, Oscar – Wieland der Schmiedt 264–266, 268, 272 f.
Register der AutorInnen und Werke
Schmid, Herman Theodor von – Melusine [auch: Raimondin] 410 Schmidt, Franz – Notre Dame 459 Schmidt, Giovanni Federico – Adelaide di Borgogna 84 f., 87 f., 96 – Armida 473, 475 f., 478, 492 Schmidt, Heinrich – Undine, die Wassernymphe 435 Schmidt, Josef Karl – Don Rodrigo Diaz de Vivar, der Cid 38 Schmieder, Heinrich Gottlieb – Heinrich der Löwe 141, 144 Schmiedter, Heinrich Gottlieb – Turandot oder die Räthsel 418, 421 Schnabel, Carl – Percival und Griseldis 449 Schneider, Georg Abraham – Aucassin und Nicolette oder Die Liebe aus der guten alten Zeit 292, 296 Schneider, Johann Julius – Orlando 514, 523 Schoeck, Othmar – Penthesilea 459 Schönbach, Dieter – Come Santo Francesco 388 Schönberg, Arnold – Erwartung 317 – Pierrot lunaire 317 Schönebeck, Otto – Adelheid von Burgund oder Otto des Großen Brautfahrt 97 Schöpf, Franz – Walter von der Vogelweide 217–219, 226 Scholz, Bernhard – Golo 397 Schondoch – Die Königin von Frankreich 395 Schopenhauer, Arthur 200, 378 – Die Welt als Wille und Vorstellung 351 f., 368 Schostakowitsch, Dmitri Dmitrijewitsch [siehe Šostakovič, Dmitrij Dmitrievič] Schott, Albert 243 f. Schrader, Julie – Genoveva oder die weiße Hirschkuh [?] 391 f., 397
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Schreker, Franz 45 – Die Gezeichneten XI f. – Der Schatzgräber XII – Der singende Teufel XII – Das Spielwerk und die Prinzessin 195 Schubert, Franz – Fierrabras 228–231, 233 – Forellenquintett 426 f. Schürmann, Georg Caspar – Das eroberte Jerusalem, oder Armida und Rinaldo 485 – Henrich der Löwe 142 – Heinrich der Vogler, Hertzog zu Braunschweig, nachmahls Erwehlter Teutscher Käyser 6, 89 f., 94 f. – Heinrich der Vogler, Hertzog zu Braunschweig, Erster Römischer Käyser, Zweyter Theil 89 f., 95 – Ludovicus Pius oder Ludewig der Fromme 66 – Orlando furioso 522 – Richardus genannt das Löwen-Herz, König in Engelland 107 Schukowski, Wassili Andrejewitsch [siehe Šukovskij, Vasilij Andreevič] Schulz, Julius – Karl der Große 55, 70 Schumann, Gerhard – Gudruns Tod 235 f. Schumann, Robert 138, 254, 368 – Genoveva 196, 230, 389–391, 393–396 Schuppe [Librettist] – Adelheid, Gemahlin Ottos des Großen 96 Schwalm, Robert – Frauenlob 211–213, 225 Schwartz, Lloyd J. – Sherwood Forest 125 Schwartz, Stephen – Pippin 54, 56 f., 70 Schwarz, Jewgeni – Der Drache 299 Schwemmer, Frank – Robin Hood 112, 125 Schwier, Heinz – Herr Walther von der Vogelweide 226 Schwob, Marcel – Francesca da Rimini 509
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Register der AutorInnen und Werke
Sciarrino, Salvatore – Lohengrin 314–318, 327 – Macbeth 72–74, 81 Scott, Ridley – Robin Hood 110 Scott, Walter 456, 502, 535 – The Antiquary 548 – The Betrothed 457 – The Bridal of Triermain 281 – The Fair Maid of Perth 457 – Ivanhoe 101, 171, 394, 535 – The Lord of the Isles 457 – Quentin Durward 457 – Tales of a Grandfather 457 – The Talisman. A Tale of the Crusades 102, 457, 545 – Waverley 457 Scribe, Eugène 77 – La Neige ou Le Nouvel Eginhard 231, 233 – Le philtre 370 – Robert le Diable 191 Sechter, Simon – Melusine 409 Sedaine, Michel-Jean – Aucassin et Nicolette ou Les Mœurs du bon vieux Temps 292–294, 296 – Blondello ossia Il suddito esemplare 108 – Guillaume Tell 159 f., 166–169 – Richard Coeur de Lion 6, 98–103, 106–108 – Riccardo Cor di Leone 107 – Ricardo Cuor di Leone 108 – Richard Leeuwenhart, Koning van Engeland 107 – Richard Löwenherz 107 Seifriz, Max – Melusine 410 Semet, Théodore – Ondine 435 Sendter, Jakob Ignaz – Rodrigo und Zimene 31 f., 38 Sertor, Gaetano – Armida abbandonata 490 – Griselda 449 Servan-Lunwa, C. [kollektives Pseudonym für Johan Wagenaar, Cornelia Serrurier und Samuel Adrianus van Lunteren] – De Cid 23, 39
Sessa, Carlo – Re Manfredi 133, 146 Sessions, Roger Huntington – Lancelot and Elaine 304 f., 311 Seyfried, Ignaz [Xaver] von – Agnes Bernauerin 15–17, 20 – Richard Löwenherz 107 – Undine, die Braut aus dem Wasserreiche 429 f., 434 Seyfried, Joseph von – Richard Löwenherz 107 Shakespeare, William 190, 502 – The First Part of King Henry VI 47–49 – Midsummer Night’s Dream 370 – The Tempest 283, 462 – The Tragedy of Macbeth 7, 71–80 Shaw, George Bernard 542 – Saint Joan 45 f., 48 f. Shickle – Robin Hood [?] 119 Shield, William – Marian 118 – The Noble Peasant 118 – Richard Coeur de Lion 107 – Robin Hood or Sherwood Forest 116, 118 Sigonio, Carlo 84 Silvani, Francesco – Armida al campo 484–486 – Armida abbandonata 484–486 – L’inganno innocente [auch: Rodrigo in Algieri] 35 – L’innocenza giustificata 7 f., 54 f., 64–68 – La moglie nemica 90, 94 – Ottone il Grande 88, 94 Silvestre, Armand – Grisélidis 197, 438–440, 450 Simonetti, Johann Wilhelm – Ludovicus Pius oder Ludewig der Fromme 66 f. Simrock, Karl 192, 243, 351 – Amelungenlied 269, 272 f. – Wieland der Schmied 264, 272 f. Simoni, Renato – Turandot 412–416, 419, 422 Skokoff, Pietro – Rinaldo 491 Slaughter, Walter
Register der AutorInnen und Werke
– Babes in the Wood 121 Smetana, Bedřich – Libuše 540 Smith, Harry B. – Maid Marian 114 f., 122 – Robin Hood 111 f., 121 Smith, Kate – Robin Hood 126 Smith, Richard Langham – Rodrigue et Chimène 26 f., 39 Snorra-Edda 255, 261 Sografi, Antonio Simeone – Il Cid delle Spagne 32, 37 – Giovanna d’Arco o sia La Pulcella D’Orleans 48 f. Solera, Temistocle – Giovanna d’Arco 47, 50 – I Lombardi alla prima crociata 77, 172, 176–178, 185 Sollogub, Vladimir Alexandrovič – Undina 427 f., 435 f. Solomos, Alexis – Rinaldos kai Armida 439 Šostakovič [Schostakowitsch], Dmitrij Dmitrievič – Lady Macbeth von Mzensk 75 Soupault, Philippe – Triomphe de Jeanne 52 Spadoni, Nevio – L’isola di Alcina 460, 472 Span, Ignaz – Wilhelm Tell 166 f., 169 Sparrschöld, Nils Birger – Renaud 491 Speidel, Wilhelm 12 Spenser, Edmund 190, 283 Spohr, Louis – Faust 429 – Die Kreuzfahrer 172, 178 f., 185 Spohr, Marianne – Die Kreuzfahrer 172, 178 f., 185 Spontini, Gaspare – Agnes von Hohenstaufen 128 f., 136 f., 143 f. – Fernand Cortez 138 – La Vestale 178 f. Spor[c]k, Eugen – Wittekind 70
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Städele, Christoph – Rinald 490 Staffa, Giuseppe – Francesca da Rimini 503, 505 Stanyhurst, Richard – The Chronicles of England, Scotland, and Ireland 79 Stanzani, Tomaso 55 – L’anarchia dell’ imperio 66, 68 Steffani, Agostino – Henrico Leone 99, 105, 141–143 – Orlando generoso 517, 521 – Tassilone 6, 60 f., 67–69 Stegmann, Carl David 79 – Heinrich der Löwe 141, 144 Stephanie, Gottlieb d.J. – Die Entführung aus dem Serail 181 Stephenson, C.H. – The Convict, or, Hunted to Death; Robin Hood and his Merry Men, or, Harlequin Ivanhoe, the Knight Templar & the Jewess 120 Stern, Adolf – Wieland der Schmied 264, 268, 272 f. Steuben, Carl von – Serment des trois suisses 165 Stevens, Stanley – Guinevere, or Love Laughs at Law 311 Stierlin-Vallon, Henri – Aucassin et Nicolette 298 Stocqueler, Joachim H. – Robin Hood and Richard Coeur de Lion 119 Storch, L. – Die schöne Melusine 409 Straus, Oscar – Die lustigen Nibelungen 247, 250 f., 262 Strauß, Johann – Zigeunerbaron 211 Strauss, Richard 23, 45, 241 – Ariadne auf Naxos 340 – Guntram 203 – Die Frau ohne Schatten 195 Stravinskij [Strawinsky], Igor' Fëdorovič 133 – Oedipus Rex 386 – Perséphone 413
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Register der AutorInnen und Werke
Strepponi, Feliciano – Francesca da Rimini 494, 504 Strozzi, Giulio [auch: Luigi Zorzisto] – Veremonda, l’amazzone di Aragona 181–183, 185 Stuck, Jean-Baptiste – Il Gran Cid 32 f., 35 Sturgis, Julian – Ivanhoe 537–541, 550 Stuten, Jan – Merlins Geburt 345 Styles, Luke – Macbeth 81 Šukovskij [Schukowski], Vasilij Andreevič 46, 427 Sullivan, Arthur 112 – The Golden Legend 377 – Ivanhoe 535–545, 548, 550 Summ, Michael – Robin Hood 124 Suppé, Franz von – Die Jungfrau von Dragant [auch: Lohengelb oder Die Prinzessin von Dragant] 320–323, 327 – Der Tannhäuser 205–207, 225 Tadolini, Giovanni – La fata Alcina 463, 472 – Tamerlano [auch: Moctar Gran Visir di Adrianopoli] 148, 158 Taglioni, Paolo – Undine, die Wassernymphe 435 Tamburini, Giuseppe – Francesca da Rimini 505 Der Tannhäuser 192, 202 f., 209, 215, 224 Tannhäuser-Ballade 192 f., 202 f., 207–209 Tasso, Torquato 189 f., 527 – Il combattimento di Tancredi e Clorinda 527 f., 533 – La Gerusalemme Liberata X, 171, 176 f., 184, 283, 453, 455 f., 461, 473–482, 525, 527–533 Tassoni, Alessandro – La secchia rapita 515 Taubert, Karl Gottfried Wilhelm – Macbeth 76, 80 Tausendundeine Nacht 420
Tavelli, Luigi – Amore e sdegno 95 Taylor, Una – Guenever 310 Teagle, Rachel – Robin Hood 127 Teich, Walther – Aucassin und Nicolette 298 Telemann, Georg Philipp – Adelheid [1710, Weißenfels] 94 – Adelheid [1727, Hamburg] 92, 95 – Judith, Gemahlin Kayser Ludewigs des Frommen; Oder Die Siegende Unschuld 64 – Die Last-Tragende Liebe oder Emma und Eginhard 228, 231–233 – Der misslungene Brautwechsel oder Richardus I., König von England 98, 106 – Otto 92, 95 – Die verkehrte Welt 339, 342 Tennyson, Alfred Lord – Idylls of the King 305 f., 309 f. – The Lady of Shalott 305 Testi, Fulvio – L’isola d’Alcina 464, 469 f. Théaulon, Emmanuel – Jeanne d’Arc ou la Délivrance d’Orléans 49 Theobald, Lewis – Merlin, or The devil of Stonehenge [?] 342 T’Hézan, Frank – La fille du Cid 23, 40 Thidrekssaga 267, 272 f. Thietmar von Merseburg 89 Thiriet, Maurice – Aucassin et Nicolette 298 Thomas, Ambroise – Françoise de Rimini 494 f., 508 Thomas d’Angleterre [Thomas von Britannien] – Tristan 362, 364, 371 Thomas von Aquin 382 Thorpe, Richard – Ivanhoe 101, 104 Thorn, Geoffrey – Babes in the Wood; or, Bold Robin Hood and his Foresters Good 121 Thüring von Ringoltingen – Melusine 407
Register der AutorInnen und Werke
Tieck, Ludwig 31 – Der getreue Eckart und der Tannhäuser 192, 202 – Leben und Tod der heiligen Genoveva 390, 394–396 – Melusina 407, 433 Tiersot, Julien 116 f. Tippett, Michael – Robin Hood 114 f., 123 Titl, Anton Emil 370 Tobias, Henry – Robin Hood 123 Törring, Joseph August von – Agnes Bernauerinn 13, 15–20 Told, Franz Xaver – Der rasende Roland 514, 523 Tomasi, Henri – Triomphe de Jeanne 52 Tomeš, Vladimír – Legenda o nebohém Jindřichovi 375 Tommaso da Celano – Legenda prima 387 Tómasson, Haukur – Guđrún’s 4th Song 234 f. Torri, Pietro – Adelaide 83, 90, 95 – Griselda 448 Torriani, Eugenio – Carlo Magno 55, 57 f., 69 Toschi, Giovanni Battista – Armida impazzita per amore di Rinaldo 483 Tottola, Andrea Leone – Blondello ossia Il suddito esemplare 108 – Tamerlano 158 Touchemoulin, Joseph – I furori di Orlando 515, 523 Tournemire, Charles – Il Poverello di Assisi 385, 387 – Légende de Tristan 365, 373 Tozzi, Antonio – Armida 490 – Rinaldo 478 f., 489 Traetta, Tommaso – Armida 487 Traitteur, Karl Theodor von – Albert der Dritte von Bayern 17 f., 20
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Tréfeu, Etienne Victor – Geneviève de Brabant 389 f., 397 Tressan, Louis-Élisabeth de la Vergne de – Bibliothèque universelle des romans 27 Tristan als Mönch [Erzählung] 372 Tristan en prose 362–364, 372 Trithemius, Johannes 17, 19 Trojahn, Manfred – Merlin 277, 286, 329, 345 Trolle, Lothar – Tannhäuser. Ein Requiem 227 Trubeckoj [Trubetzkoy], Nikolaj Sergeevič – Melusina 410 Trullol i Plana, Sebastià – Artús 285 Tschaikowsky, Modest Iljitsch [siehe Čajkovskij, Modest Il’ič] Tschaikowsky, Peter [siehe Čajkovskij, Pëtr Ilʹič] Tschudi, Aegidius – Chronicon Helveticum 168 Tuček, Vincenc Tomáš Václav – Die schöne Melusine 408 Tull, Max – Die Welfenbraut 135, 146 Tully, J.H. – Robin Hood 119 Twain, Mark – A Connecticut Yankee in King Arthur’s Court 277, 280 f. Ueberlée, Adalbert – König Otto’s Brautfahrt 87, 96 Uhl, Léon – Jeanne de France 51 Uhland, Ludwig 377 – Klein Roland 514 – Roland Schildträger 514 Uhlig, Theodor 264 Ulbrich, Siegfried – Laß’ das, Hagen! 250, 263 Ullmann, Viktor – Der 30. Mai 1431 44, 52 Ulrich von Türheim – Tristan 368, 371 f. Ulrich von Zatzikhoven – Lanzelet 310
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Register der AutorInnen und Werke
Undset, Sigrid – Fortællinger om Kong Artur og ridderne av det runde bord 279 f. Urban, Heinrich – Konradin 138, 145 Urinetown [Musical] 101 Urner Tellspiel 160 f., 168 Vaccai, Nicola – Giovanna d’Arco 48 f. Vaëz, Gustave – Jérusalem 177 f., 186 Váradi, Antal – Aliénor 343 Vaucorbeil, Auguste – La bataille d’amour 525 Velmont, Charles – La légende de l’Ondine 436 Verdi, Giuseppe 256, 477, 536 – Aida 499 – Aroldo 77 – Un ballo in maschera 74 – La battaglia di Legnano 57, 77, 128, 130 f., 140, 145 – I due Foscari 77 – Falstaff 7, 77 – Giovanna d’Arco 42 f., 47 f., 50, 77 – Jérusalem 172, 177 f., 186 – I Lombardi alla prima crociata 77, 172, 176 f., 185 – Luisa Miller 140 – Macbeth 7, 71–74, 76–79 – I masnadieri 77 – Oberto, conte di San Bonifacio 77 – Otello 77 – Simon Boccanegra 77 – Stiffelio 140 – Les vêpres siciliennes 5, 77 Veremans, Renaat – Lanceloot en Sanderien 299, 312 Vergil 496 f. – Aeneis 189, 453, 477 Vernizzi, Ottavio – Rinaldo liberato da gl’incanti d’Armida 473, 483 Vian, Boris – Le Chevalier de Neige 301–305, 312
Vielhaber, Wilhelm Heinrich – Wieland der Schmied 266, 274 Vigny, Alfred de – Cinq Mars 456 Villatti, Leopoldo de – Armida 487 Villeneuve, Ferdinand de – Guillaume Tell 169 Villeurs, Jean de – La légende de l’Ondine 436 Villon, François 203 – Ballade des dames du temps jadis 48 Vinaccesi, Benedetto – L’ innocenza giustificata 7 f., 64, 68 Viotti, Emanuele – Rebecca 542 Virtanen, Jukka – Robin Hood 125 Vischer, Friedrich Theodor – Vorschlag zu einer Oper 254 Vitturi, Bartolomeo – Armida 486 Vivaldi, Antonio – Armida al campo d’Egitto 485 – Bajazet 147, 151 f., 156 – Griselda 438, 445 f., 449 – Orlando finto pazzo 517 f., 521 – Orlando furioso 510–512, 517, 521 f. Vives i Roig, Amadeu – Artús 281, 285 Vleugels, Hans – Walther von der Vogelweide 226 Völsunga saga 252, 255, 261 Völundarkviða [siehe Wölund-Lied] Vogel, G. – Gudrun 245 Vogel, O. – Gudrun 245 Vogg, Herbert – Franziskus 388 Vogl, Johann Nepomuk 87 Vogler, Georg Joseph – Albert der Dritte von Bayern 17 f., 20 Vogrich, Max – König Arthur 285 Volborth, Eugen von – Walther von der Vogelweide 226
Register der AutorInnen und Werke
Volkert, Franz Joseph – Das Mädchen von Orléans 49 Vollmer, Ludger – Crusades 172 f., 186 Vollmoeller, Karl 412 Volta, Ornella 393 Voltaire [d. i. François Marie Arouet] 172, 181 – L’Orphelin de la Chine 148 – La Pucelle 49 – Tancrède 525–527, 529–532 – Zaire 171 Vona, Annantio Ruggiero – Armida al campo 486 Vrchlický, Jaroslav [d. i. Emil Frida] – Armida 477, 492 Wace – Roman de Brut 283, 341 Wagenaar, Johan – De Cid 23, 39 Wagenseil, Georg Christoph – L’Armida placata 486 Wagner, Carl Jakob – Chimene 38 Wagner, Richard IX f., 14 f., 25–27, 86, 138, 141, 161, 174, 192–196, 198–200, 215, 229 f., 236 f., 239–241, 244, 264, 267–269, 281, 290, 306, 336 f., 377 f., 393 f., 477, 513 f., 536, 540–542 – Erec 194, 281, 283 – Die Feen 195 – Der fliegende Holländer 195, 378, 546 – Friedrich I. 128 – Gesammelte Schriften und Dichtungen 264, 269 f. – Götterdämmerung 240, 247–249, 255, 258 f., 262, 290, 346, 354 – Die Kunst und die Revolution 270 – Lohengrin 193, 200, 239 f., 260 f., 269, 271, 314–316, 318–327, 346, 351, 353, 394, 398, 429, 546 f. – Die Meistersinger von Nürnberg 346, 542 – Mittheilung an meine Freunde 14, 135, 325 – Der Nibelungenmythus. Als Entwurf zu einem Drama 254 f. – Oper und Drama 271
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– Parsifal 193 f., 200, 283, 326, 346–358, 540 – Religion und Kunst 354 – Rienzi, der Letzte der Tribunen 139, 457 f. – Das Rheingold 247 f., 255 f., 262, 334 – Der Ring des Nibelungen 193 f., 200, 230, 236, 247–252, 254–262, 271, 273, 334 f., 346, 354, 434, 546 – Die Sarazenin 133–136, 144 – Die Sieger 352 – Siegfried 248, 256, 262, 368 – Siegfrieds Tod 254 f. – Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg 135, 139, 192 f., 200–203, 205, 207–209, 211, 213 f., 224, 230, 240, 260 f., 305 f., 346, 378, 547 – Tristan und Isolde 193, 200, 230, 238, 281, 290, 306, 346, 352, 359–364, 366–372, 498 – Über das Weibliche im Menschlichen 354 – Die Walküre 247 f., 255–257, 262 – Was ist deutsch? 134 – Die Wibelungen. Weltgeschichte aus der Sage 254 f., 351 f. – Wieland der Schmied 264–273 Wagner, Siegfried – An allem ist Hütchen schuld! 195 – Bruder Lustig 85–87, 97 Waiblinger, Wilhelm 143 Wailly, Gustave de – Ivanhoé 536, 547–549 Waldstetter, Ruth – Merlins Geburt 345 – Wallace, William Vincen 540 Wallon, Henri 46 Walther von der Vogelweide X, 201, 203, 209, 215–222, 225 f. – Palästinalied 173, 183 f. Wambach, Emile Xavier – Mélusine 410 Wannyn, Honoré – Wilhelm Tell 169 Ware Krumbhaar, Harriet – Undine 436 Warnkönig, Leopold August – Flandrische Staats- und Rechtsgeschichte 323
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Register der AutorInnen und Werke
Warrender, Scott – Das Barbecü 250, 263 Wartburgkrieg 209 f. Waugh, Edwin – The Grand Comic Christmas Pantomime for 1866 and 1867 of Robin Hood and Ye Merrie Men of Sherwood 119 Weber, Bernhard Anselm – Richard Löwenherz 107 Weber, Carl Maria von 15, 87, 175, 253, 431 – Euryanthe 230 – Der Freischütz 405 – Silvana 195 Wehl, Feodor – Melusine 410 Weigl, Joseph – Richard Löwenherz 107 Weilen, Joseph – Tristan 370 Weiss, Peter – Divina Commedia 453 f. Das Weiße Buch von Sarnen 168 Weißheimer, Wendelin 264 Weitzmann, Carl Borromäus – Conradin von Schwaben 139 f., 144 Wend, Christoph Gottlieb – Die Last-Tragende Liebe oder Emma und Eginhard 228, 231–233 – Der misslungene Brautwechsel oder Richardus I., König von England 106 Wera, Herzogin von Württemberg – Konradin von Schwaben 138, 146 Werner, Zacharias 143 Werthes, Friedrich August Clemens – Turandot 412 Wesendonck, Mathilde 211, 368 – Gudrun 244 Wesendonck, Otto 211 – Gudrun 244 Wessling, Berndt W. 391 Weth, Georg A. – Robin Hood 124 White, T.H. – The Once and Future King 278–281, 341 – The Sword in the Stone 333 f., 341 Whitehead, Gillian – Tristan and Iseult 364, 373
Widmann, Joseph Viktor – Francesca von Rimini 507 Widukind von Corvey 89 Wilhelm von Tyrus – Historia rerum in partibus transmarinis gestarum 532 f. William von Malmesbury – Gesta regum anglorum 283 Williams, Julius Penson – Guinevere 299, 312 Williamson, Steve – Hood. The Musical 127 Winter, Peter von – Tamerlan 147 f., 157 Wirth, Stefan – Francesca da Rimini 496, 509 Witzmann, Thomas – wolkenstein. mobilisierun’ 223 f., 227 Wizina, Josef – Ekkehard 457 Wölund-Lied 272 Wohlbrück, Wilhelm August – Der Templer und die Jüdin 538 f., 545–547, 549 Wolf, Johann Wilhelm – Niederländische Sagen 326 Wolfram, Ernst – Lanzelot 311 Wolfram von Eschenbach 201 f., 209 f. – Parzival 189 f., 193 f., 214, 283, 326, 346, 351–353, 357 f. – Willehalm 183 f. Wollheim, Hermann – Tannhäuser oder Die Keilerei auf der Wartburg 225 Wood, C. – Babes in the Wood. Little Cock Robin and Bold Robin Hood 120 Wood, Oscar – Robin Hood 126 Wouwermans, Aimé von – Heinrich der Finkler 87, 96 Wunderlich, Max Julius – Kudrun 246 Wyke, E.B. – The Babes in the Wood, or, Robin Hood and the Merry Men of Sherwood Forest 121
Register der AutorInnen und Werke
Zagot, Evgenij – Robin Gud 126 Zamara, Alfred – Die Welfenbraut 135, 146 Zandonai, Riccardo – Francesca da Rimini 494– 498, 509 Zanelli, Ippolito – Il Bajazet 150 f., 156 Zanobi, Carlo – La Bella Fanciulla di Perth 457 Zelinka, Jan Evangelista – Meluzina 411 Zemlinsky, Alexander von – Eine florentinische Tragödie XI f. – Traumgörge 195 Zenger, Max – Geschichte der Münchener Oper 269 – Wieland der Schmied 266, 269, 274 Zeno, Apostolo 149 – Engelberta 55, 63 f., 68 – Griselda 438 f., 444–449 – La Virtù al cimento 445, 448 – La virtù in trionfo o sia la Griselda 448
Zerboni di Sposetti, Julius von – Turandot 418, 421 Zescevich, Andrea – Francesca da Rimini 507 Ziani, Marc’Antonio – Il gran Tamerlano 154 f. – La moglie nemica 94 Ziegler, Hieronymus 19 Zimmer, Hans – King Arthur 275 Zingarelli, Niccolò Antonio – Armida 491 Zorzisto, Luigi [siehe Strozzi, Giulio] Zucchini, Marco – Cimene 36 Zucker, Jerry – First Knight 299 Zumsteeg, Johann Rudolph – Armide 490 Zuppone-Strani, Giuseppe – Ondina 436 Zweig, Arnold – Der Spiegel des großen Kaisers 131 f.
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Verzeichnis der BeiträgerInnen Abels, Norbert, Prof. Dr. (Folkwang Universität der Künste Essen) Ammon, Frieder von, Prof. Dr. (Universität Leipzig) Buhr, Christian, Dr. (Universität Würzburg) Eichner, Barbara, Reader in Music (Oxford Brookes University) Fuhrmann, Daniela, Dr. (Universität Zürich) Gervasi, Robert, Dr. (Bretten) Gier, Albert, Prof. Dr. (Heidelberg) Hansen, Christiane, Dr. (Universität Koblenz-Landau) Hartmann, Tina, Prof. Dr. (Universität Bayreuth) Jacobshagen, Arnold, Prof. Dr. (Hochschule für Musik und Tanz Köln) Jahn, Bernhard, Prof. Dr. (Universität Hamburg) Krämer, Jörg, Prof. Dr. (Universität Erlangen-Nürnberg) Kragl, Florian, Prof. Dr. (Universität Erlangen-Nürnberg) Langner, Martin-M., Prof. Dr. (Pädagogische Universität Kraków) Lo, Kii-Ming, Prof. Dr. (National Taiwan Normal University, Taipei) Maehder, Jürgen, Prof. Dr. ( Freie Universität Berlin / Università della Svizzera Italiana, Lugano) Mehltretter, Florian, Prof. Dr. (Ludwig-Maximilians-Universität München) Mertens, Volker, Prof. Dr. (Freie Universität Berlin) Schindler, Andrea, PD Dr. (Universität des Saarlands) Schneider, Martin, Dr. (Universität Hamburg) Seebald, Christian, PD Dr. (Universität Siegen) Selmayr, Pia, Dr. (Universität Zürich) Ukena-Best, Elke, Prof. Dr. (Universität Heidelberg) Waltenberger, Michael, Prof. Dr. (Ludwig-Maximilians-Universität München) Wild, Gerhard, Prof. Dr. (Universität Frankfurt) Zegowitz, Bernd, Prof. Dr. (Universität Frankfurt)
https://doi.org/10.1515/9783110424089-043