Migrationen im Mittelalter: Ein Handbuch 9783050064758, 9783050064741, 9783110554830

We think of immigration as prototypical of our globalizing world, but migratory movement has long characterized human hi

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German Pages 353 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Zur Einführung
Migrationen im Mittelalter. Ein Überblick
Japan
China
Indien
Steppenvölker
Byzanz
Afrika
Mittelmeerraum (Kolonisationen)
Muslimische Welt
Türken im Okzident
Berber und Araber im Maghreb und in Europa
Reconquista
Slawen
Östliches Europa (Kolonisationen)
Ostseeraum
Wikinger und Normannen
Britische Inseln
Völkerwanderung
Juden
Sklaven
Asketen, Missionare und Pilger
Gelehrte und Schüler
Händler und Exilierte
Heiratsmigrationen (westeuropäische Christenheit)
Land-Stadt-Migration
Autor_innen und Nachweise der Erstveröffentlichungen
Siglenverzeichnis
Register
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Migrationen im Mittelalter: Ein Handbuch
 9783050064758, 9783050064741, 9783110554830

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Migrationen im Mittelalter

Migrationen im Mittelalter Ein Handbuch Herausgegeben von Michael Borgolte Redaktion Joseph Lemberg

DE GRUYTER

All Rights Reserved. Authorised translation of material from the English language edition of Ness: Encyclopedia of Global Human Migration published by John Wiley & Sons Limited. Responsibility for the accuracy of the translation rests solely with Akademie Verlag GmbH and is not the responsibility of John Wiley & Sons Limited. No part of this book may be reproduced in any form without the written permission of the original copyright holder, John Wiley & Sons Limited.

ISBN 978-3-05-006474-1 e-ISBN (PDF) 978-3-05-006475-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038000-2 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Akademie Verlag GmbH, Berlin Ein Unternehmen von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Zuerst veröffentlicht in Englisch unter dem Titel “The Encyclopedia of Global Human Migration” Copyright © 2013 Blackwell Publishing Ltd, ein Unternehmen von John Wiley & Sons Limited, Chichester, West Sussex, UK. Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Vorwort 

 9

Michael Borgolte Zur Einführung   11 Michael Borgolte Migrationen im Mittelalter. Ein Überblick 

 21

Klaus Vollmer Japan   35 Angela Schottenhammer China   51 Annette Schmiedchen Indien   67 Felicitas Schmieder Steppenvölker   81 Johannes Pahlitzsch Byzanz   93 Marianne Bechhaus-Gerst Afrika   107 Daniel G. König Mittelmeerraum (Kolonisationen)  Lutz Berger Muslimische Welt  Şevket Küçükhüseyin Türken im Okzident 

 119

 129

 141

Marco Di Branco / Kordula Wolf Berber und Araber im Maghreb und in Europa 

 149

6 

 Inhalt

Matthias Maser Reconquista   161 Matthias Hardt Slawen   171 Christian Lübke Östliches Europa (Kolonisationen)  Oliver Auge Ostseeraum 

 181

 193

Benjamin Scheller Wikinger und Normannen 

 209

Jürgen Sarnowsky Britische Inseln   219 Walter Pohl Völkerwanderung 

 231

Michael Toch Juden   239 Juliane Schiel Sklaven   251 Tillmann Lohse Asketen, Missionare und Pilger  Martin Kintzinger Gelehrte und Schüler 

 279

Daniela Rando Händler und Exilierte 

 291

 267

Karl-Heinz Spieß Heiratsmigrationen (westeuropäische Christenheit)  Regina Schäfer Land-Stadt-Migration 

 311

 305

Inhalt 

Autor_innen und Nachweise der Erstveröffentlichungen  Siglenverzeichnis  Register 

 329

 327

 319

 7

Vorwort Dieses Handbuch bietet die Artikel zu Migrationen im mittelalterlichen Jahrtausend aus „The Encyclopedia of Global Human Migration“ von 2013 in deutschen Übersetzungen. Das große amerikanische Nachschlagewerk soll ein Gesamtpanorama der Migrationen seit den Anfängen der Menschheitsgeschichte bieten, legt aber seinen Hauptakzent auf die Gegenwart. Da es in seinem Aufbau den Titeln der vielen hundert Artikel in streng alphabetischer Reihung folgt, verteilen sich die Beiträge zum Mittelalter über alle Bände und sind nur schwer aufzufinden. Außerdem dominiert bei der in New York betreuten Enzyklopädie das sozialwissenschaftliche, weniger ein historisches Interesse. Der bisher einmalige Versuch, auch die mittelalterliche Migrationen von Japan und China bis zu den ersten transatlantischen und zu innerafrikanischen Siedlungsbewegungen systematisch zu erfassen, droht deshalb im Rahmen der „Encyclopedia“ wirkungslos zu bleiben, zumal kaum ein(e) Wissenschaftler(in) der beteiligten „mediävistischen“ Fächer auf sie zugreifen dürfte. Nachdem ich bei dem amerikanischen Großvorhaben als Associate Editor für das Mittelalter verantwortlich war, habe ich mich deshalb darum bemüht, eine Separatausgabe der von mir betreuten 25 Beiträge zustande zu bringen; um Doppelungen zu vermeiden, sollte diese in deutscher statt in englischer Sprache erscheinen. Die Verantwortlichen von Wiley-Blackwell stimmten dem Vorschlag zu, vor allem aber hat sich der Akademie Verlag in Berlin dafür engagiert, meinen Plan zu realisieren. Dafür danke ich besonders dem früheren Verlagsleiter Prof. Dr. Heiko Hartmann, der bereit war, die Drucklizenz zu erwerben und diesen Band ins Programm des Verlags aufzunehmen. Bis zum Übergang des Akademie Verlags an De Gruyter hat unser Lektor Manfred Karras die Planung des Bandes mit gewohnter Umsicht begleitet, danach wurde das Vorhaben durch Dr. Jacob Klingner weiter betreut. Beiden Herren gilt mein besonderer Dank. Zu danken habe ich schließlich den Autorinnen und Autoren, die sich fast ausnahmslos sofort bereit erklärt haben, ihren Beitrag hier auch in einer (bisweilen leicht redigierten) deutschen Fassung zum Druck zu bringen. Neu ausgearbeitet wurde nur der Artikel über Byzanz durch Prof. Dr. Johannes Pahlitzsch (Universität Mainz). Die englischen Versionen der Beiträge sind im Verzeichnis der Autorinnen und Autoren am Ende des Bandes nachgewiesen. Mein Mitarbeiter Joseph Lemberg M. A. hat, trotz großer Belastungen in der Schlussphase seiner Promotionszeit, die Drucklegung sehr sorgfältig redaktionell betreut. Auch ihm danke ich sehr herzlich. Berlin, zum Jahresbeginn 2014

Michael Borgolte

Michael Borgolte

Zur Einführung „Geographische Mobilität einschließlich der Migration von einer Niederlassung zur anderen gehört zu den wenigen unveränderlichen Kennzeichen der Menschheit. Alle Epochen, Zeitalter und Geschichten hindurch haben menschliche Wesen ihren Standort gewechselt, um zu überleben oder sich als Gattung fortzuentwickeln. Während Mobilität lange ein wichtiger Bestandteil menschlicher Erfahrung war, sind gelehrte Untersuchungen über Ursachen, Faktoren und Umfang der menschlichen Migration ein relativ moderner Zweig der Wissenschaft, der erst im letzten Jahrhundert zu blühen begonnen hat und seit Beginn des neuen Jahrtausends nahezu alle Bereiche der Forschung erfasst (…). Seit Mitte der 1970er Jahre, also seitdem sich die freien Marktwirtschaften rasch verbreiteten, die globalen Gesellschaften näher zusammenrücken ließen und eine neue Ära der Beweglichkeit über die alten Grenzen hinweg begründeten, macht sich der Mangel eines allgemeinen Nachschlagewerkes über Migration drängend bemerkbar.“ Mit diesen Worten begründet der Politikwissenschaftler Immanuel Ness (Brooklyn College, New York) Aufgabe, Anlage und Umfang der von ihm 2013 herausgegebenen „Encyclopedia of Global Human Migration“.1 Das voluminöse Werk bietet in einem ersten Band die Vorgeschichte der Menschheit mit den Migrationen von Hominiden sowie des Homo sapiens im Pleistozän und Holozän und auf weiteren 2700 Seiten in den Bänden 2 bis 5 die Migrationen und Migrationstheorien von A bis Z, von der akadischen Vertreibung aus Kanada nach Louisiana im 18. Jahrhundert bis zum Stichwort „Zionism, colonization, settlement, occupation“. Das New Yorker Unternehmen, an dem mehr als 500 Autor_innen aus der ganzen Welt mitgearbeitet haben, übertrifft also seinem Anspruch nach die etwas ältere deutschniederländische „Enzyklopädie Migration in Europa“, die „vom 17.  Jahrhundert bis zur Gegenwart“ reicht und in 200 Artikeln auf Gruppenwanderungen beschränkt blieb.2 Nur das neue Werk hat auch Migrationen im mittelalterlichen Jahrtausend (ca. 500 bis 1500 n. Chr.) berücksichtigt, deren Darstellungen hier in einer kompakten deutschen Ausgabe präsentiert werden. Die literarische Form der Enzyklopädie – oder eines Handbuches – muss kaum gerechtfertigt werden, denn tatsächlich waren und sind nur wenige Aspekte des menschlichen Daseins universell so weit verbreitet wie eben die Migration. Schon

1 Immanuel Ness (Hrsg.), The Encyclopedia of Global Human Migration. 5 Bde. Malden, MA / Oxford, UK / Chichester, UK 2013; Zitat: Ders., Introduction, in: Bd. 1, cxxvi–cxxxi, hier: cxxviii und cxxvi f. (Übers. M. B.). 2 Klaus J. Bade / Pieter C. Emmer / Leo Lucassen / Jochen Oltmer (Hrsg.), Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Paderborn / München u. a. 2007, 22008; engl. Übers.: Dies. (Hrsg.), The Encyclopedia of European Migration and Minorities. From the Seventeenth Century to the Present. Cambridge 2011.

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 Michael Borgolte

Seneca d. Ä. hat dies aus seinem Exil auf Korsika (41 n. Chr.) in seinem Trostbuch für seine Mutter Helvia mit vorzüglichen Beobachtungen und Analysen dargetan („Eines ist jedenfalls offenkundig, dass nichts an seinem Geburtsort geblieben ist. Ständiger Wechsel ist Menschenart.“)3, und der führende deutsche Experte schrieb dem sozialen Phänomen der Migration ebenso den Rang einer anthropologischen Konstante zu.4 Dementsprechend muss die Migration in ihren mannigfachen Erscheinungsweisen auch nicht mehr neu entdeckt werden, alle Wissenschaften vom Menschen hatten und haben ständig mit ihr zu tun.5 Die unverkennbare Zunahme der Forschungen auf diesem Gebiet lässt sich offenkundig auf die Erfahrung der Globalisierung zurückführen. Vor allem Sozialwissenschaftler und Neu- beziehungsweise Zeithistoriker, also Gegenwartswissenschaftler, sind deshalb am weitesten vorangekommen.6 Neben Monographien und Abhandlungen lässt sich das an den neuen globalhistorischen Darstellungen ablesen.7

3 L. Annaeus Seneca, Ad Helviam matrem de consolatione. Trostschrift an die Mutter Helvia. Lateinisch / Deutsch. Übers. und hrsg. von Franz Loretto. Stuttgart 1980, ergänzte Ausgabe 2001, 44 (Übers. M. B.). 4 Klaus J. Bade, Historische Migrationsforschung, in: Ders., Sozialhistorische Migrationsforschung. Hrsg. von Michael Bommes / Jochen Oltmer. (Studien zur Historischen Migrationsforschung, Bd. 13.) Göttingen 2004, 27–48, hier 27. 5 Ness, Introduction (wie Anm. 1), cxxvi, formuliert sogar: „Migration as a field of inquiry is found in every discipline, from the physical to the social sciences, as a significant element of discourse and investigation.“ 6 Vgl. Dirk Hoerder, Geschichte der deutschen Migration. Vom Mittelalter bis heute. München 2010; Jochen Oltmer, Migration im 19. und 20. Jahrhundert. (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 86.) München 2010, 22013; Heinz Schilling, Die frühneuzeitliche Konfessionsmigration. Calvinisten und sephardische Juden im Vergleich, in: Henning P. Jürgens / Thomas Weller (Hrsg.), Religion und Mobilität. Zum Verhältnis von raumbezogener Mobilität und religiöser Identitätsbildung im frühneuzeitlichen Europa. Göttingen 2010, 113–136; Christiane Harzig / Dirk Hoerder / Donna Gabaccia, What Is Migration History? Cambridge 2009; Jan Lucassen / Leo Lucassen (Hrsg.), Migration, Migration History, History. Old Paradigms and New Perspectives. Bern 1997, 32005; Dirk Hoerder, Cultures in Contact. World Migrations in the Second Millennium. Durham, N. C. 2002; Klaus J. Bade, Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. München 2000. 7 Vgl. Dirk Hoerder, Migrationen und Zugehörigkeiten, in: Emily S. Rosenberg (Hrsg.), 1870–1945. Weltmärkte und Weltkriege. (Geschichte der Welt, hrsg. von Akira Iriye / Jürgen Osterhammel.) München 2012, 433–588; Ders., Migrations, in: Jerry H. Bentley (Hrsg.), The Oxford Handbook of World History. Oxford 2011, 269–287; Jürgen Oltmer, Migration im Kontext von Globalisierung, Kolonialismus und Weltkriegen, in: Hans-Ulrich Thamer (Hrsg.), Globalisierung 1880 bis heute. (WBG Weltgeschichte. Eine globale Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert, Bd. 6.) Darmstadt 2010, 177–221, 479 f.; Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München 2009, 183–252 („Sesshafte und Mobile“); Patrick Manning, Migration in World History. New York 2005; Wang Gungwu (Hrsg.), Global History and Migrations. Boulder 1997. – Bemerkenswert ist, dass ein etwas älterer Überblick über Weltmigrationen erst in der Neuzeit einsetzte: Robin Collin, Prologue, in: Ders., (Hrsg.), The Cambridge Survey of World Migration. Cambridge 1995, 1–9, hier 1.

Zur Einführung 

 13

In der deutschsprachigen Mediävistik wehrte man sich zunächst gegen die Einführung des sozialwissenschaftlichen Begriffs der „Migration“8, und noch eine Sektion auf dem Hallenser Historikertag 2002 unter dem Titel „Migration in der europäischen Geschichte seit dem späten Mittelalter“ blieb ohne greifbare Nachwirkungen9. Inzwischen ist jedoch viel von „Migrationen“ die Rede10, und unverkennbar nehmen einschlägige Spezialstudien über alle Zeiten des Mittelalters zu11. Was indessen weithin fehlt, ist eine Vergewisserung über die theoretischen Grundlagen, die andere Fächer geschaffen haben.12 Anders stellt sich die Lage in der anglo-amerikanischen Wissenschaft dar.13 Hier hatte sich im Bereich der Ur- und Frühgeschichtlichen Archäologie bei der Erforschung diverser Immigrationen Englands die Kritik an der Vorstellung von „Massen-

8 Vgl. Michael Borgolte, Was sich über mediävistische Migrationsforschung sagen lässt, in: Ders. / Matthias M. Tischler (Hrsg.), Transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Jahrtausend. Europa, Ostasien, Afrika. Darmstadt 2012, 9–12 und 15–18, hier 9 f., unter Bezug auf die Ablehnung von Gerhard Jaritz / Albert Müller (Hrsg.), Migration in der Feudalgesellschaft. Frankfurt / New York 1988, durch Ernst Schubert, Fahrendes Volk im Mittelalter. Darmstadt 1995, 31 und 35, und durch Ludwig Schmugge, Mobilität und Freiheit im Mittelalter, in: Johannes Fried (Hrsg.), Die abendländische Freiheit vom 10. bis zum 14. Jahrhundert. Der Wirkungszusammenhang von Idee und Wirklichkeit im europäischen Vergleich. (Vorträge und Forschungen, Bd. 39.) Sigmaringen 1991, 307–324, hier 318–322. 9 Vgl. Borgolte, Was sich über mediävistische Migrationsforschung sagen lässt (wie Anm. 8), 10 mit Anm. 9. 10 Vgl. Michael Borgolte, Das Langobardenreich in Italien aus migrationsgeschichtlicher Perspektive. Eine Pilotstudie, in: Ders. / Tischler (Hrsg.), Transkulturelle Verflechtungen (wie Anm.  8), 80–119, hier 81 mit den Zitaten in Anm. 11, bes.: Harald Kleinschmidt, Migration und Identität. Studien zu den Beziehungen zwischen dem Kontinent und Britannien vom 5. bis zum 8. Jahrhundert. (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, Bd. 60.) Ostfildern 2009; Guido M. Berndt, Konflikt und Anpassung. Studien zu Migration und Ethnogenese der Vandalen. Husum 2007; Verena Postel, Die Ursprünge Europas. Migration und Integration im frühen Mittelalter. Stuttgart 2004; Anette Hettinger, Migration und Integration. Zu den Beziehungen von Vandalen und Romanen im Norden Afrikas, in: Frühmittelalterliche Studien 35, 2001, 121–143; Mathias Beer / Martin Kintzinger / Marita Kraus (Hrsg.), Migration und Integration. Aufnahme und Eingliederung im historischen Wandel. (Stuttgarter Beiträge zur Migrationsforschung, Bd. 3.) Stuttgart 1997. 11 Vgl. Borgolte, Das Langobardenreich in Italien aus migrationsgeschichtlicher Perspektive (wie Anm. 10), 10 mit Anm. 12 (Zitate 105 f.). 12 Vgl. aber Harald Kleinschmidt, Menschen in Bewegung. Inhalte und Ziele historischer Migrationsforschung. Göttingen 2002; Michael Borgolte, Zum Stand der mediävistischen Migrationsforschung (vom Mai 2012), in: Sammelband des Deutschen Historischen Instituts in Moskau, im Druck. 13 Vgl. Michael Borgolte, Eine langobardische „Wanderlawine“ vom Jahr 568? Zur Kritik historiografischer Zeugnisse der Migrationsperiode, in: ZfG 61, 2013, 293–310, hier 296–298; ND in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt. Essays zur Geschichtsschreibung und Beiträge zur Forschung. Hrsg. von Tillmann Lohse / Benjamin Scheller. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 24.) Berlin 2014, 475–492, mit Lit.nachweisen; engl. Übers.: A Migration Avalanche of Lombards in 568? A Critique of Historiographic Evidence of the Migration Period, in: Leidulf Melve / Sigbjørn Sønnesyn (Hrsg.), The Creation of Medieval Northern Europe. Christianisation, Social Transformations, and Historiography. Essays in Honour of Sverre Bagge. Oslo 2012, 119–138, hier 120 f.

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 Michael Borgolte

migrationen“ entzündet, weil die Wirkung fremder Zuwanderer in Bodenfunden nur schwer nachweisbar war.14 Das galt für die Eroberung der Insel durch Angelsachsen, also die Zeit der sogenannten Völkerwanderung, ebenso wie für die normannische Invasion des hohen Mittelalters.15 In einer Vielzahl neuerer Arbeiten, konstatierte unlängst Peter Heather im Hinblick auf die „barbarischen Invasionen“, „wurde die Bedeutung der Migration (…) entscheidend relativiert. So gehen inzwischen viele Historiker davon aus, dass es überhaupt keine massenhafte Migration gab, sondern dass sich immer nur wenige Menschen auf Wanderung begaben“.16 Manche Historiker lehnten die Vorstellung großer Migrantengruppen gar so entschieden ab, „dass sie die Handvoll Quellen, die explizit das Gegenteil belegen (…), für falsch erachten. Griechisch-römische Quellen, so ihre Vermutung, seien mit einem Migrationstopos infiziert (…). Die Auffassung, wonach große Populationen weite Distanzen zurücklegten, wird allmählich durch die Vorstellung kleinteiliger mobiler Gefolgsleute ersetzt, die im Lauf ihrer Wanderschaft immer mehr Gefolgsleute an sich banden.“17 Die Skepsis gegenüber angeblichen Massenwanderungen und ihren Folgen führte sogar so weit, dass schon von einem „retreat from migrationism“ seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Rede war; mindestens in der Physischen Anthropologie spielte noch am Ende der siebziger Jahre das Wanderungskonzept so gut wie keine Rolle mehr.18 Mit dem

14 Vgl. Matthew Innes, Introduction to Early Medieval Western Europe, 300–900. The sword, the plough and the book. London / New York 2007, 315–395; Helena Hamerow, The earliest Anglo-Saxon kingdoms, in: Paul Fouracre (Hrsg.), The New Cambridge Medieval History. Bd. 1: c. 500–c. 700. Cambridge 2005, 263–288; Simon Trafford, Ethnicity, Migration Theory, and the Historiography of the Scandinavian Settlement of England, in: Dawn M. Hadley / Julian D. Richards (Hrsg.), Cultures in Contact. Scandinavian Settlement in England in the Ninth and Tenth Centuries. (Studies in the Early Middle Ages, Bd. 2.) Turnhout 2000, 17–33; Christopher Scull, Migration Theory and Early England: some contexts and dynamics of cultural change, in: Studien zur Sachsenforschung 11, 1998, 177–185; Helena Hamerow, Migration Theory and the Anglo-Saxon „Identity Crisis“, in: John Chapman / Helena Hamerow (Hrsg.), Migrations and Invasions in Archaeological Explanation. (British Archaeological Reports. International Series, Bd. 664.) Oxford 1997, 33–44. – Michael Kulikowski, Rome’s Gothic Wars. From the Third Century to Alaric. Cambridge 2007, bes. 64–67 (dt.: Die Goten vor Rom. Darmstadt 2009). S. a. unten Anm. 16 f. 15 Zur normannischen Invasion und zu ihren Implikationen für das englische Geschichtsbild s. a.: Michael Borgolte, Migrationen als transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Jahrtausend. Ein neuer Pflug für alte Forschungsfelder, in: HZ 289, 2009, 261–285, hier 277–285; ND in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt (wie Anm. 13), 425–444, hier 438–444. 16 Peter Heather, Invasion der Barbaren. Die Entstehung Europas im ersten Jahrtausend nach Christus. Stuttgart 2011, 17 (zuerst engl.: Empires and Barbarians. London 2009). 17 Ebd., 37. – Im selben Sinne referiert die Lage jetzt auch Guy Halsall, Barbarian Migrations and the Roman West, 376–568. Cambridge 2007, 418. 18 William Y. Adams / Dennis P. Van Gerven / Richard S. Levy, The Retreat from Migrationism, in: Annual Review of Anthropology 7, 1978, 483–532, hier 486, 525 f. Zustimmend: Manfred K. H. Eggert, ‚Bantuwanderungen’ in der Südhälfte Afrikas: Historische Sprachwissenschaft, Archäologie, Archäobotanik und Archäogenetik, in: Michael Borgolte / Julia Dücker / Marcel Müllerburg / Paul Predatsch /

Zur Einführung 

 15

„Migrationismus“ und seiner Variante des „Invasionismus“ konkurrieren der „Diffusionismus“, der auf die kulturelle Erneuerung durch Verbreitung von Sachen und Texten setzt, und der „Isolationismus“ mit einem Verständnis von Kultur als endogenem Prozess.19 Immerhin fühlten sich die „Migrationisten“ durch ihre Kritiker dazu herausgefordert, Erkenntnisse und Fragestellungen der neuhistorischen und sozialwissenschaftlichen Migrationsforschung für ihre Zwecke zu verarbeiten.20 Die Migrationsforschung steht also heute vor einer doppelten Herausforderung: Sie muss einen Beitrag zur wissenschaftlichen Bewältigung der Globalisierung und Globalgeschichte leisten und im Zusammenhang damit die Bedeutung kultureller Innovationen und Inventionen durch Zuwanderung ausloten. Damit sind auch die Perspektiven für die Erforschung der Migrationen im mittelalterlichen Jahrtausend umrissen; nachdem schon einige Publikationen und Symposien in jüngster Zeit der neuen Aufgabe gewidmet waren21, soll dieses Handbuch den Prozess der Forschung weiter voranbringen. Der enzyklopädische Zuschnitt der Sammlung dokumentiert weniger die Summe langjähriger Anstrengungen als den Ausgangspunkt neuer Bemühungen, die nur interdisziplinär und interkulturell bewältigt werden können.

Bernd Schneidmüller (Hrsg.), Europa im Geflecht der Welt. Mittelalterliche Migrationen in globalen Bezügen. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 20.) Berlin 2012, 193–216, hier 193–199. 19 Adams / Van Gerven / Levy, The Retreat from Migrationism (wie Anm. 18), 488, 504; Eggert, ‚Bantuwanderungen’ (wie Anm. 18), 194; Kulikowski, Rome’s Gothic Wars (wie Anm. 14), 64–67: “Migration vs. Diffusion Theories”. 20 Dazu vgl. zusammenfassend und kritisch jetzt: Heather, Invasion der Barbaren (wie Anm. 16), bes. 29–38; Halsall, Barbarian Migrations (wie Anm. 17), 417–454; Helena Hamerow, Migration Theory and the Migration Period, in: Blaise Vyner (Hrsg.), Building on the Past. Papers Celebrating 150 Years of the Royal Archaeological Institute. London 1994, 164–177. 21 Borgolte, Migrationen als transkulturelle Verflechtungen (wie Anm.  15); Ders., Mythos Völkerwanderung. Migration oder Expansion bei den „Ursprüngen Europas“, in: Viator. Medieval and Renaissance Studies 41 Multilingual, 2010, 23–47; ND in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt (wie Anm. 13), 445–473; Ders., Das Langobardenreich in Italien aus migrationsgeschichtlicher Perspektive (wie Anm. 10). – Sektion auf dem Berliner Historikertag am 29.9.2010: Borgolte / Tischler (Hrsg.), Transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Jahrtausend (wie Anm. 8), 21–194: „Migration als transkulturelle Verflechtung“, mit Beiträgen von Marianne Bechhaus-Gerst, Angela Schottenhammer, Klaus Vollmer, Michael Borgolte, Kordula Wolf, Benjamin Scheller und Gudrun Krämer; Abschlusstagung des Schwerpunktprogramms 1173 der Deutschen Forschungsgemeinschaft „Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter“ in Berlin vom 25.–28. Mai 2011, Beiträge gedruckt in: Borgolte / Dücker / Müllerburg / Predatsch / Schneidmüller (Hrsg.), Europa im Geflecht der Welt (wie Anm. 18). – Tagung am Deutschen Historischen Institut in Moskau vom 17.–20.4.2012: „Migrationen im mittelalterlichen Jahrtausend. Kulturwissenschaftliche Ansätze“, mit Beiträgen von Dirk Hoerder, Michael Borgolte (wie Anm. 12), Johannes Niehoff-Panagiotidis, Gertrud Pickhan, Tillmann Lohse, Juliane Schiel, Barbara Schlieben, Knut Schulz u. a. (im Druck).

16 

 Michael Borgolte

Jürgen Osterhammel bestimmt Globalgeschichte als „Interaktionsgeschichte innerhalb weltumspannender Systeme“.22 Im Mittelalter war allerdings noch keine wirkliche Universalität der Beziehungen erreicht; vielmehr lassen sich mehrere „Welten“ erkennen, die untereinander keine oder nur sehr selten Verbindungen herstellten.23 Fast ohne Kontakt mit der übrigen Menschheit entfalteten sich die Kulturen in den beiden Amerikas, im Innern Afrikas und in großen Teilen der pazifischen Inselwelt.24 Nur in der Ökumene von Europa, (Nord-)Afrika und Asien lässt sich durch schriftliche Überlieferung ein dichterer Austausch von Menschen ermitteln; deshalb musste sich auch dieser Band geographisch auf die drei Kontinente beschränken. Für alle älteren Perioden der Weltgeschichte, so auch für das mittelalterliche Millennium, hat der amerikanische Historiker Jerry H. Bentley Massenmigrationen neben imperialen Expansionen und Fernhandel als entscheidende Kriterien für globale Verflechtungen identifiziert.25 Dabei geht es in kulturwissenschaftlicher Sicht nicht, wie in der älteren Forschung, um Assimilationen, Akkulturationen oder Integrationen, jedenfalls dann nicht, wenn damit die Dominanz der einen über die andere menschliche Großgruppe und ihre Kultur gemeint sein soll. Vielmehr sollen die kulturellen Wechselwirkungen und Austauschprozesse erkannt werden, bei denen unter Beteiligung beider Seiten neue kulturelle Formationen entstehen. Man spricht von „Hybridisierung“, „cross-cultural interaction“ („transkultureller Verflechtung“), „interconnectivity“ und „entangled histories“. Im Unterschied zum Konzept der „Interkulturalität“ werden also Kulturen nicht essentialistisch und räumlich oder gar ethnisch radiziert verstanden, die man auch gesamthaft vergleichend in Beziehung setzen könnte; mit

22 Jürgen Osterhammel, „Weltgeschichte“. Ein Propädeutikum, in: GWU 56, 2005, 452–479, hier 460; zur Globalgeschichte: Sebastian Conrad, Globalgeschichte. Eine Einführung. München 2013; Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Weltgeschichte. (Basistexte Geschichte, Bd. 4.) Stuttgart 2008; Sebastian Conrad / Andreas Eckert / Ulrike Freitag (Hrsg.), Globalgeschichte. Theorien, Ansätze, Themen. (Reihe „Globalgeschichte“, Bd. 1.) Frankfurt am Main / New York 2007; Jürgen Osterhammel / Niels P. Petersson, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen. München 42007; Barry K. Gills / William R. Thompson (Hrsg.), Globalization and Global History. London / New York 2006. – Für das Mittelalter: Michael Borgolte, Mittelalter in der größeren Welt. Eine europäische Kultur in globalen Bezügen, in: HZ 295, 2012, 35–61; Ders., Mittelalter in der größeren Welt (wie Anm. 13), Teil II. 23 Vgl. Michael Borgolte, Kommunikation – Handel, Kunst und Wissenstausch, in: Johannes Fried / Ernst-Dieter Hehl (Hrsg.), Weltdeutungen und Weltreligionen, 600 bis 1500. (WBG Weltgeschichte. Eine globale Geschichte von den Anfängen bis ins 21.  Jahrhundert, Bd.  3.) Darmstadt 2010, 17–56, 469 f.; ND in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt (wie Anm. 13), 493–532. 24 Vgl. Michael Borgolte, Migrationen im Mittelalter. Ein Überblick, in diesem Band, 19–31, hier bes. 21 f. 25 Jerry H. Bentley, Cross-Cultural Interaction and Periodization in World History, in: American Historical Review 101, 1996, 749–770; Ders., Old World Encounters. Cross-Cultural Contacts and Exchanges in Pre-Modern Times. New York / Oxford 1993; Ders., Globalizing History and Historicizing Globalization, in: Gills / Thompson (Hrsg.), Globalization and Global History (wie Anm. 22), 18–32; Ders. / Herbert F. Ziegler, Traditions and Encounters. A Global Perspective on the Past. Boston u. a. 42008.

Zur Einführung 

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„Transkulturalität“ wird Kultur vielmehr als offenes und sich veränderndes Gebilde verstanden, bei der Migranten eine wichtige Akteursgruppe darstellen.26 Dabei kommt es auf die Anzahl der wandernden Personen nicht unbedingt an; die früher oft spürbare Konzentration auf Massenmigrationen ist nicht nur wegen der schwierigen Beweislage für das Phänomen überwunden, sondern vor allem durch die Einsicht, dass auch kleine Gruppen und Einzelpersonen nachhaltige Wirkungen auf „Kulturen“ und Gesellschaften ausüben können. Strikt unterschieden werden muss die Migration von anderen Formen räumlicher Mobilität, dem Reisen und dem Pendeln oder der Diffusion von Kulturgütern.27 Migration bezeichnet eine dauernde oder auf Dauer beziehungsweise lange Fristen geplante Verlagerung des Lebensmittelpunktes oder Wohnortes, und zwar durch Einzelne ebenso wie durch Gruppen jedweder Größe.28 Migration ist also an die Körperlichkeit des Migranten gebunden, an seine Präsenz im fremden Land oder in anderer Umgebung, durch die ein kultureller Austausch sofort oder in der Zeit seines Daseins oder in der Nachwirkung seines Lebens ausgelöst wird.29 Da menschliche Persönlichkeiten und Gruppen ihre Effekte auf andere nur unvollkommen beherrschen, gehen die Ergebnisse wiederholter Begegnungen über das je Intendierte weit hinaus und können jederzeit überraschende kulturelle Prozesse in Gang setzen. Selbstverständlich können auch

26 Vgl. Borgolte, Migrationen als transkulturelle Verflechtungen (wie Anm. 15), 268 f. bzw. 430 f.; Michael Borgolte / Bernd Schneidmüller (Hrsg.), Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa. Vorträge und Workshops einer internationalen Frühlingsschule. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 16.) Berlin 2010. 27 Vgl. Michael Borgolte / Bernd Schneidmüller, Schlusswort, in: Borgolte / Dücker / Müllerburg / Predatsch / Schneidmüller (Hrsg.), Europa im Geflecht der Welt (wie Anm. 18), 259–266, hier 262 f. – Zur Definition der „Reise“: Folker Reichert, Erfahrung der Welt. Reisen und Kulturbegegnung im späten Mittelalter. Stuttgart / Berlin / Köln 2001, 15; Ders., Fernreisen im Mittelalter, in: Ders. (Hrsg.), Fernreisen im Mittelalter. (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung, Bd. 3/2.) Berlin 1995, 5–9, hier 5. Zu Reisen und Pendeln s. Dirk Hoerder / Jan Lucassen / Leo Lucassen, Terminologien und Konzepte in der Migrationsforschung, in: Bade / Emmer / Lucassen / Oltmer (Hrsg.), Enzyklopädie Migration in Europa (wie Anm. 2), 28–53, hier 36. 28 Vgl. Borgolte, Das Langobardenreich in migrationsgeschichtlicher Perspektive (wie Anm. 10), 81. – Kleinschmidt, Menschen in Bewegung (wie Anm.  12), 13, hat vorgeschlagen, zusätzlich die Überschreitung einer (Staats- oder Verwaltungs-)Grenze zum Kriterium zu machen, doch ist umgekehrt auch – und zu Recht – darauf hingewiesen worden, dass schon translokale oder transregionale Wanderungen im Sinne der Kulturen grenzüberschreitend sein können: Dirk Hoerder, Imago Mundi und Funds of Knowledge – Migranten schaffen Kulturen, in: Borgolte / Dücker / Müllerburg / Predatsch / Schneidmüller (Hrsg.), Europa im Geflecht der Welt (wie Anm. 18), 9–29, hier 11, 21. – Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf Grenzräume, s. Mihailo St. Popović, The Dynamics of Borders. Transportation Networks and Migration in the Historical Region of Macedonia (14th-16th Centuries), in: Borgolte / Dücker / Müllerburg / Predatsch / Schneidmüller (Hrsg.), Europa im Geflecht der Welt (wie Anm. 18), 155–172. 29 Dies und das Folgende wörtlich angelehnt an Borgolte, Das Langobardenreich in migrationsgeschichtlicher Perspektive (wie Anm. 10), 82.

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Reisende oder Pendler, die in ihre Heimat zurückkehren, an der Verbreitung kultureller Errungenschaften beteiligt sein, man denke an Gelehrte auf der Suche nach dem Wissen, Mönche bei der Verbreitung ihres Glaubens, Künstler, Händler und Gesandte bei der Weitergabe ihrer Werke, Waren und Botschaften.30 Durch eine kürzere Verweilfrist in der Fremde sind die Möglichkeiten kultureller Wechselwirkungen und der Beteiligung an den Prozessen der Hybridisierung und transkulturellen Verflechtung bei diesen Typen horizontaler Mobilität jedoch beschränkt. Unklug erscheint auch die Vermischung menschlicher Wanderungen mit der Verbreitung von Werken und Wörtern.31 Der Transport von Büchern oder Artefakten jeder Art führt ja kulturellen Wandel allenfalls in einer Richtung herbei, da die Werke auf ihre Herkunft nicht durch sich selbst zurückwirken können; auch tendieren Einflussgeschichten durch Werkverbreitung einseitig zur Betonung kultureller „Erfolge“, während die Analyse von Migrationen gerade auch die kulturellen Verluste auf den Wanderungen aufdecken kann. Zum Verständnis der Migrationen wird in der neueren Literatur ein Dreiphasenmodell angeboten: „Die erste reicht von der Entstehung von Wanderungsbereitschaft bis zur konkreten Entscheidung zum Verlassen des Ausgangsraumes; die zweite Phase umschließt die – mitunter in Etappen mit mehr oder minder langer Verweildauer gegliederte – Reise zum gewählten Zielort; die dritte Phase ist die der ganz unterschiedlich geprägten und zeitlich dimensionierten Eingliederung in die Aufnahmegesellschaft.“32 Dieses Instrumentarium hat sich vor kurzem schon bei einer Anwendung auf einen mittelalterlichen Fall bewährt.33 Nach der allerdings nicht zeitgenössischen Überlieferung soll „das ganze Volk“ (omnis exercitus; omnis gens) der Langobarden 568 von Pannonien nach Italien eingewandert sein; in der Forschung wollte man demgemäß von einer Invasion wissen, die zwischen 80.000 und 200.000 Menschen umfasst habe. Wenn man indessen die erste von der zweiten Phase klar unterscheidet, den Zeitrahmen sowie die politischen und militärischen Optionen für die Akteure berücksichtigt und in Rechnung stellt, dass so große Wandergruppen kaum ohne vorausgesandte Kundschafter („scouts“) losgezogen sein können34, ergibt sich ein anderes Bild: Unter Führung ihres König Alboin mochte

30 Vgl. Borgolte, Kommunikation (wie Anm. 23); Ders., Experten der Fremde. Gesandte in interkulturellen Beziehungen des frühen und hohen Mittelalters, in: Le relazioni internazionali nell’alto medioevo. (Settimane di Studio della Fondazione Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo, Bd. 58.) Spoleto 2011, 945–992; ND in: Ders., Mittelalter in der größeren Welt (wie Anm. 13), 361–399. 31 Vgl. Borgolte / Schneidmüller, Schlusswort (wie Anm. 27), 265. 32 Hoerder / Lucassen / Lucassen, Terminologien und Konzepte in der Migrationsforschung (wie Anm. 27), 32. 33 Borgolte, Eine langobardische „Wanderlawine“ (wie Anm. 13). 34 Vgl. Heather, Invasion der Barbaren (wie Anm.  16), 45: „Durch Fallstudien zur frühen Neuzeit und Moderne konnte nicht nachgewiesen werden, dass eine gesamte Population von Punkt A nach Punkt B gewandert wäre, die Migration war vielmehr auf bestimmte Subgruppen beschränkt.“ Der

Zur Einführung 

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zwar eine kleine Gruppe im April 568 losgezogen sein; erst nach Ermittlung geeigneten Siedellandes hätten die Pioniere andere Gruppen nach sich gezogen, und weil die Langobarden den vorrückenden Awaren die Gebiete an der Donau überlassen mussten, waren im Laufe von mehreren Jahren so gut wie „alle“ von ihnen nach Italien umgesiedelt. In der Forschung müsste man also von einer „Kettenmigration“ sprechen35; nicht die Führung des ganzen Volkes unter einem König war offenbar (allein) entscheidend, sondern mindestens ebenso wichtig war die genossenschaftliche Willensbildung kleinerer Sippen, Familien oder Gruppen, die sich unter ihren duces auf den Weg über die Alpen machten. In der dritten Phase veränderte sich, wie die Theoretiker erwarten, in Italien nicht nur die Wandergruppe, sondern auch die Aufnahmegesellschaft, „wenn auch im Vergleich zu den Zuwanderergruppen aufgrund von (…) zahlenmäßiger Überlegenheit der einheimischen Bevölkerung in geringerem Maße.“36 Die vergleichsweise große Anpassung auf langobardischer Seite gegenüber den Einheimischen ergab sich offenkundig auch dadurch, dass ihnen der Rückweg in den Nordosten abgeschnitten war, sie sich also ihrem neuen, romanisch (und gotisch) geprägten Umfeld ausgeliefert sahen.37 Wenn man Bentleys globalhistorischem Untersuchungsansatz folgt, ist es auch wichtig, den Stellenwert der Migrationen gegenüber den Reichsbildungen und dem Fernhandel für die Geschichte kultureller Integrationen und Desintegrationen abzuwägen.38 Instruktiv ist in diesem Sinne das Ergebnis eines Vergleichs zwischen dem fränkischen Reich seit dem frühen Mittelalter und den übrigen Völkerwanderungsreichen. Während sich die Franken vom Niederrhein aus nach Gallien (und Germanien) hinein ausgedehnt haben, im strikten Sinne also gar nicht gewandert sind, haben die anderen gentes oder Gruppen wie die Langobarden ihre alte Heimat hinter sich gelassen. Dass die Merowinger und Karolinger ein Reich bilden konnten, das die politische

Entscheidungsprozess könne durch „die Pionierleistung wegbereitender Individuen (Kundschafter)“, also Informationen über das angestrebte Migrationsziel und die Wege dorthin, erleichtert werden (ebd. 44, 46). „Massenhafte Migrationsströme beginnen erst, wenn die Vor- und Nachteile der Route und des potentiellen neuen Zuhauses allgemein bekannt sind. Bis dahin ist die Migration über eng begrenzte Kanäle entsprechend weit verbreitet. Es bedeutet, dass Bevölkerungsgruppen aus einem eng begrenzten Gebiet an einen Zielort wandern, wo sie sich erneut gemeinsam ansiedeln“ (ebd. 46). 35 „Chain migrations“: Halsall, Barbarian Migrations (wie Anm. 17), 418; „multiple Migrationen“: Hoerder / Lucassen / Lucassen, Terminologien und Konzepte in der Migrationsforschung (wie Anm. 27), 37. 36 Hoerder / Lucassen / Lucassen, Terminologien und Konzepte in der Migrationsforschung (wie Anm. 27), 49. 37 Borgolte, Das Langobardenreich in Italien aus migrationsgeschichtlicher Perspektive (wie Anm. 10). 38 Zur kulturwissenschaftlich grundlegenden Dialektik von Integration und Desintegration s.: Michael Borgolte / Julia Dücker / Marcel Müllerburg / Bernd Schneidmüller (Hrsg.), Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter. (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 18.) Berlin 2011.

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Ordnung Europas nachhaltig prägen sollte, während die „Staaten“ der anderen Germanen auf dem Boden des Imperiums untergegangen sind, ist offenbar auf ihren viel geringeren Drang zur kulturellen Selbstbehauptung zurückführen, der sich aus ihrer allmählichen Expansion ergab.39 Die Migrationen des mittelalterlichen Jahrtausends, die in diesem Band abgehandelt und dargestellt werden, bieten natürlich noch kein umfassendes Panorama ihrer Zeit. Aber auch wenn man sie alle erfassen und das Zusammenwachsen der Menschheit wenigstens auf trikontinentaler Basis besser nachvollziehen könnte, ergäbe sich doch keine Tendenz zu einer einheitlichen Weltkultur, sondern das Bild einer unendlichen Vielfalt, die in Einheit niemals aufgehen könnte. Das Studium der Migrationen, zu dem dieses Handbuch ein Beitrag sein kann, lohnt sich aber in jeder Phase schon deshalb, weil Suchen und Finden eines neuen Ortes, um zu bleiben, die ganze Lage der Menschen in ihrer Zeit widerspiegeln. Migrationen sind nämlich ein „totales soziales Phänomen“ im Sinne von Marcel Mauss40; an ihnen lassen sich menschliche Schicksale ebenso ablesen wie die Makrostrukturen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, Religion, Kunst und Kultur (im engeren Sinne) – mit anderen Worten: sie sind ein Schlüssel zur Geschichte selbst.

39 Borgolte, Mythos Völkerwanderung. Migration oder Expansion bei den „Ursprüngen Europas“ (wie Anm. 21). 40 Marcel Mauss, Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Mit einem Vorwort von E. E. Pritchard. Übers. von Eva Moldenhauer. Frankfurt am Main 31984, 17 f., 90, 176 (franz. Original: Essai sur le don. Paris 1950).

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Migrationen im Mittelalter. Ein Überblick 1 Einleitung Als „Mittelalter“ wird eine Periode der europäischen Geschichte zwischen Antike und Neuzeit bezeichnet; es umfasst ungefähr die Zeitspanne von 500 bis 1500 n. Chr. Auch auf andere Regionen der Erde wird der Epochenbegriff übertragen. Neben Reisen, Reichsbildungen und Fernhandel bilden Massenmigrationen im mittelalterlichen Jahrtausend den wichtigsten Faktor globaler Vernetzung (vgl. Bentley 1996: 752–755). In der Forschung fanden sie oft bei der Frühgeschichte der Völker Beachtung; heute wendet man sich mehr dem Einfluss von Migrationen auf den ständigen Wandel der Kulturen zu. An transkulturellen Verflechtungen haben auch migrierende Einzelpersonen und kleinere Menschengruppen mitgewirkt (z. B. Handwerker, Gelehrte, Söldner und Mönche; Juden). Die universal am weitesten verbreitete Migration dürfte die Verlagerung des Lebensmittelpunktes eines oder beider Ehepartner bei der Familiengründung gewesen sein. Eine Heiratsmigration kann sich durchaus mit einer mikrokulturellen Transformation in einer ansonsten homogenen Gesellschaft verbinden. So soll die Braut im brahmanisch-hinduistischen Kastenwesen bis zur Gegenwart ganz in Haus und Sippe des Mannes überwechseln und sich deren Clan- und Familiengott unterstellen. Mehr Zeit mit der Akkulturation mochte sich eine christliche Fürstentochter im mittelalterlichen Europa am fremden Hof lassen, denn solange sie die Sprache ihres Gatten nicht beherrschte, durfte ihr ein Beichtvater aus der Heimat kaum verweigert werden.

2 Der Vorstoß des „modernen Menschen“ an die Grenzen der Erde Die Grundtatsache der globalen menschlichen Migrationen ist die Verbreitung des ‚modernen Menschen‘ (homo sapiens sapiens) über die Erde. Christen und Muslime des Mittelalters waren sich bewusst, dass die besiedelten Regionen nur einen Teil der Welt ausmachten, und bevölkerten in ihrer Phantasie einen unzugänglichen Kontinent manchmal in Wort und Bild mit halbmenschlichen Monstren. Die geheimnisvolle Weltzone verschwand erst um 1300 aus den Karten der Lateiner, als diese, begünstigt durch das Reich der Mongolen, bis nach China vorgestoßen waren. Weder die Europäer noch ihre Zeitgenossen in Asien oder Afrika konnten aber wissen, dass sich tatsächlich im mittelalterlichen Jahrtausend die Erschließung des Globus vollen-

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dete. Nachdem sich Migrationen zuvor auf die Landmassen und küstennahe Inseln konzentriert hatten, erreichten sie im Mittelalter durch hochseetaugliche Schiffe auch die abgelegensten Inseln im Pazifischen Ozean und Nordatlantik. Um 600 griff der Prozess der austronesischen Verbreitung vom westlichen aufs östliche Polynesien über und erfasste um 1280 als letztes großes Gebiet der Erde Neuseeland; die Ankunft des Menschen bezeugen hier nach dem Ergebnis naturwissenschaftlicher Analysen die Knöchelchen der allesfressenden pazifischen Ratte und die Spuren ihrer Zähne an angeknabberten Getreidekörnern (Wilmshurst u. a. 2008). In Südostpolynesien bestand zwischen 1000 und 1450 schon ein florierendes Handelsnetz; nicht einbezogen war die Osterinsel, 2.000 Kilometer von der nächsten Population entfernt. Nach ihrer Besiedlung konnte hier eine Gruppe von vielleicht 15.000 Menschen ohne Kontakt mit der Außenwelt überleben, bis Europäer das Eiland 1722 wieder entdeckten. Fast ein Jahrtausend war „die Osterinsel im Pazifik ebenso isoliert wie die Erde im Weltraum“ (Diamond 42010: 153). Etwa zur gleichen Zeit wie die Osterinsel durch Polynesier wurden Island (um 870) und Grönland (um 980) besiedelt, und zwar durch Kelten und vor allem durch Norweger, also Germanen. Kurz nach der Jahrtausendwende versuchten sich die Europäer auch in Nordamerika niederzulassen, wurden aber von Indianern vertrieben. Auf Grönland waren Erik der Rote und seine Leute allerdings nicht die ersten Siedler überhaupt; amerikanische Ureinwohner, die sogenannten Dorset-Leute, waren schon um 800 v. Chr. auf die größte Insel der Erde vorgestoßen und hatten mehr als ein Jahrtausend lang eine eigene Kultur entwickelt. Als sie sich um 300 n. Chr. nach Kanada zurückzogen, ließen sie Grönland verwaist, und bei ihrer Wiederkehr nach rund vierhundert Jahren beschränkten sie sich auf den Nordwesten. Die Wikinger, ein seefahrendes und auch räuberisches Bauernvolk, kamen also in ein seit langem menschenleeres Gebiet. Ob sie mit den Dorset-Leuten in Kontakt traten, ist offen, aber sie selbst gaben Grönland um 1400 auf, nachdem viele ihrer Generationen mit der norwegischen Heimat und dem übrigen Europa Handel getrieben hatten. Vielleicht waren sie durch Inuit verdrängt worden, die sich seit ca. 1000 verbreiteten und mit ihrer ‚Thule-Kultur‘ bis 1800 überlebten. Historiker betonen gern, dass sich bei der Begegnung der Wikinger aus dem Osten mit den Amerikanern aus dem Westen ein Kreis welthistorischer Migrationsprozesse geschlossen habe, doch wird dabei übersehen, dass die frühen Siedlungen auf Grönland (bzw. Neufundland) und die transkontinentalen Verbindungen noch sehr instabil waren. Ein weltumspannendes Kommunikationsnetz im Sinne der Globalisierung ist während des Mittelalters durch Verbreitung des ‚modernen Menschen‘ nicht entstanden. In ihrer neuen Heimat mussten sich Polynesier wie Europäer mit keiner Vorbevölkerung, sondern bloß mit der Natur auseinandersetzen. Auf Island konnten die Wikinger ihre Landwirtschaft nur so dezentral organisieren, dass sie keine monarchische, sondern eine einzigartige genossenschaftliche Ordnung, eine Gesellschaft ‚ohne Staat‘, benötigten (Byock 1988). Stärker am Überkommenen orientierten sich die Neusiedler der Osterinsel; zwar gab es, ähnlich wie auf Island, eine Reihe von

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Häuptlingsgeschlechtern mit abhängigen Bauern, doch können die berühmten riesigen Tuffsteinfiguren wohl nur durch eine herrschaftliche Sicherung der Transportwege aufgestellt worden sein. Die Anpassung an die Natur ist den Migranten indessen auf lange Sicht in allen Fällen misslungen: Die Grönländer mussten weichen, weil sie sich im nordatlantischen Klima dem erfolgreichen Lebensstil der Inuit versagten, Isländer und Osterinselbewohner zerstörten ihre Wälder und verloren dadurch ihre Freiheit und ihre sicheren Lebensgrundlagen.

3 Migrationen im Verborgenen Die Migrationen der Europäer und Polynesier hat kein zeitgenössischer Chronist festgehalten; archäologische, sprachgeschichtliche und naturwissenschaftliche Untersuchungen (z. B. am menschlichen Erbgut) sowie Rückschlüsse aus mündlicher Überlieferung und späteren Aufzeichnungen müssen bei der Rekonstruktion aushelfen. Das gilt ebenso für andere Teile der mittelalterlichen Welt wie die beiden Amerikas. Die Besiedlung des Doppelkontinents durch Großwildjäger (über die Beringstraße) oder Fischer (entlang der Pazifikküste) war im Mittelalter schon längst erfolgt. Die Sesshaften hatten Kulturen mit mehr oder weniger großen Einzugsbereichen ausgebildet, aber wie die Kommunikation in und zwischen den Populationen erfolgte – ob durch Geschenkaustausch, Handel, Pilgerverkehr oder eben Migrationen – lässt sich im Einzelnen nicht entscheiden. Der ‚Hopewell tradition‘ im Nordosten der USA (bis ca. 500 n. Chr.) wird ein ausgedehntes ‚Austauschsystem‘ zugeschrieben. Bei der ‚Mississippikultur‘ mit ihrem Maisanbau und ihren Städten (ca. 1000–1650) stellt sich die Frage nach Vorbildern aus Mesoamerika; der monumentale Erdhügel von Monk’s Mound bei der großen Ansiedlung Cahokia (Illinois; um 1250 ca. 50.000 Einwohner) könnte die Sonnenpyramide von Teotihuacán imitiert habe, und bei den Hohokam in Arizona (ca. 300–1500) ist neuerdings fraglich geworden, ob ihre auffälligen Platzanlagen für ein rituelles Ballspiel nach mittelamerikanischem Vorbild dienen sollten. Ihre Kultur brach wohl in der Dürreperiode des 12./13. Jahrhunderts ein. Gleiches gilt für die Anasazis im Südwesten der USA, wo der letzte Baum für Bauholz 1117 gefällt wurde; ihr Zentrum im Chaco Canyon gaben sie zwischen 1150 und 1200 oder etwas später auf, um sich stattdessen am Rio Grande und anderswo niederzulassen. In Mesoamerika blühte in der klassischen Zeit die Stadt Teotihuacán bis um 550 mit einer Besiedlung von bis zu 200.000 Einwohnern, von denen Migranten verschiedener Herkunft in eigenen Vierteln lebten. Im Postklassikum wanderten um 900 die Tolteken aus den Steppengebieten Nordmexikos ein, die von Jägern und Sammlern zu sesshaften Bauern, Künstlern und Gelehrten mutierten. Auch die Azteken könnten aus dem Norden ins Hochtal von Mexiko gekommen sein (13. Jahrhundert); unter dem Eindruck von Naturkatastrophen und Hungersnöten verlagerten sie später ihre Siedlungen in die Tieflandgebiete der mexikanischen Golfküste. Die Kultur der Maya, die

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neben dem Hochland von Chiapas vor allem die Halbinsel Yucatán besiedelten, stand über die Karibische See vielleicht unter Einflüssen aus Südamerika. Ihre großen Überlandstraßen mit zehn Metern Breite werden aber eher zeremoniellen Zwecken gedient haben, da, wie auch sonst in Amerika, die großen Zugtiere (Ochsen, Pferde, Kamele) fehlten und Wagen nicht gebräuchlich waren. Der Niedergang der klassischen Mayakultur seit dem späten 8. Jahrhundert wird, abgesehen von internen Kriegen, wiederum auf die Einbrüche mexikanischer Krieger zurückgeführt. Im Reich der Inka im Andenraum (Expansion seit ca. 1200) diente ein imponierendes System von Fernstraßen (mehr als 30.000 Kilometer) bis hinunter nach Santiago de Chile der Distribution landwirtschaftlicher Güter durch menschliche oder tierische (Lamas, Alpakas) Lastenträger, ohne dass sich ein nennenswerter kommerzieller Handel entwickeln konnte. Der Staat organisierte jedoch ein Austauschsystem und siedelte zur Steigerung der Produktion zeitweilig oder dauerhaft Menschengruppen um. Als die Europäer seit dem 15.  Jahrhundert mit Amerika in Kontakt traten, gab es hier rund 1.000 indigene Sprachen. Manche Forscher leiten daraus eine größere Anzahl von ursprünglichen Einwanderungen ab, andere führen die Vielfalt auf eine doch recht isolierte Siedlung der verschiedenen Völker und Gruppen zurück. Jedenfalls scheint die Sprachgeschichte kaum Aufschlüsse über binnenamerikanische Wanderungen im Mittelalter zu geben. Noch weniger als über Amerika lässt sich über Afrika südlich der Sahelzone sagen. Nur die jahrtausendelange Ausbreitung der Bantusprachen von Kamerun bis in den Osten und Süden des Erdteils lässt Rückschlüsse auf bemerkenswerte Migrationen zu. Die letzte Phase, als die Bantu Sambesi und Okavango erreichten, wird vielfach um 1000 n. Chr., also ins Mittelalter, datiert. Jedenfalls errichteten sie hier ein imponierendes Reich, das zwischen 1250 und 1450 seine Blüte erlebte (Great Zimbabwe) und mit Arabern, Indern und Chinesen Handel trieb.

4 Massenmigrationen Ein dichterer Austausch von Menschen lässt sich im mittelalterlichen Jahrtausend, bedingt durch die begleitende schriftliche Überlieferung, in der Ökumene von Europa, (Nord-)Afrika und Asien beobachten; die drei Kontinente bilden ein zusammenhängendes Land, dessen Ränder zudem über recht gut befahrbare Meere verknüpft wurden. Ursache für wiederkehrende Migrationen waren im nördlichen Afrika klimatische Änderungen und die geringe Gesamtbesiedlung. Seit dem frühen bis ins späte Mittelalter lösten sich in der Sahelzone von Westen her bedeutende Reiche ab, die ihre demographischen Probleme mit regelmäßigen Sklavenrazzien im Süden zu lösen suchten. Wo Ackerbau betrieben wurde, zogen auch die Bauern weiter, sobald der ungedüngte Boden erschöpft war. Seit dem 7. Jahrhundert wiesen einheimische Wüstenvölker muslimischen Kaufleuten den Weg durch die Sahara, die dem Staaten-

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gürtel von der Atlantikküste bis zum Tschadsee auf längere Sicht ihre Religion vermittelten und vom Handel Salz gegen Gold und Sklaven profitierten. Schon seit Mitte des 11.  Jahrhunderts sind muslimische Stadtviertel in Ghana und den anderen Staaten bezeugt, und Städte wie Timbuktu waren bis Ende des Mittelalters ein weitausstrahlendes Zentrum islamischer Gelehrsamkeit. Umgekehrt mussten Millionen schwarzer Sklaven, die wegen ihrer gesundheitlichen Widerstandskraft geschätzt waren, ihre Heimat verlassen, um Arabern und Türken zu dienen. Auf südeuropäischen Märkten tauchten afrikanische Sklaven im 14. Jahrhundert auf, und auch Heinrich dem Seefahrer von Portugal (gest. 1460) ging es bei seinen Expeditionen in den Atlantik in erster Linie um Sklaven und Gold. Trotzdem hatte sich Afrika durch die Bekehrungen zum Islam und den Handel an seiner Ostküste eher in die wichtigere waagerechte Achse mittelalterlicher Kommunikationen eingefügt, die von Europa bis China reichte. Zwischen beiden Fixpunkten hat ein veritables Weltsystem zwar erst zwischen 1200 und 1350 bestanden, doch in ihrer Verbindungslinie besetzten die Muslime schon seit der arabischen Reichsbildung im 7./8.  Jahrhundert die Schlüsselposition. Die ‚umma‘, also muslimische Gemeinde, beruhte auf militärischen Eroberungen, die im Islam die Geschichte der Migrationen entscheidend prägten. Einerseits ließ die riesige Ausdehnung von Spanien bis zur Mongolei keine zentrale Durchdringung der Herrschaft allein durch Araber zu, andererseits erleichterte die Zugehörigkeit so vieler Völker den ständigen Austausch von Gouverneuren, Kriegern und Gelehrten über große Entfernungen. So kommt es, dass die erste, in Damaskus verwurzelte Kalifendynastie der Umayyaden für eine syrische Führungsschicht in Andalusien sorgte, während ihre Nachfolger, die Abbasiden, die Verbündete aus Chorasan hatten, den persischen Aghlabiden eine Herrschaft in Nordafrika konzedierten. Für die Kriegszüge selbst warb man erfolgreich unter bereits unterworfenen Völkern um Kontingente, die für ihren Einsatz je nach Lebensstil mit Ackerland oder Weidegründen in neu eroberten Gebieten belohnt werden konnten. Andererseits folgten Großgruppen oder Stämme ihren Führern in fremde Länder; so zogen die bäuerlich lebenden Kutāma-Berber mit den aus Irak stammenden Fatimiden, als diese ihre Herrschaft von Ifrīqiya (Tunesien) nach Ägypten verlagerten (972), und wurden in einem besonderen Viertel in Kairo sowie in Dörfern des Niltales angesiedelt. In Ägypten stützten sich die Fatimiden aber zunehmend auf türkische Kriegssklaven, wie es schon ihre Vorgänger (Tuluniden) und vor allem die Kalifen in Bagdad selbst getan hatten. Solche ‚Mamluken‘ bildeten das Rückgrat muslimischer Heere; in Spanien und auch in Nordafrika handelte es sich oft um Slawen aus Osteuropa. Mitte des 13. Jahrhunderts wurden die Nachfolger der Fatimiden bis Ende des Mittelalters durch eine Militäraristokratie aus zumeist türkischen (später tscherkessischen und mongolischen) Mamluken abgelöst. Diese mussten im ‚Land des Krieges‘, also auf nichtislamischem Boden, als ‚Heiden‘ geboren sein; als Kinder gefangengenommen und verschleppt, wurden sie auf dem Kairiner oder Alexandriner Sklavenmarkt eingekauft, um in Kasernen zum Islam bekehrt und im Kriegshandwerk und Ritterspiel ausgebildet zu werden. Nicht nur der Sultan, sondern auch seine Emire hatten

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Regimenter von später freigelassenen Soldaten, mit denen sie über die arabischen Muslime, Christen und Juden herrschten. Als Kriegerkaste waren die Mamluken von den Einheimischen nahezu abgeschlossen und heirateten wenigstens anfangs wohl nur Frauen aus ihren Herkunftsländern. Von Europa hat man gesagt, dass Massenbewegungen bis zur Gegenwart geradezu die Grundtatsache seiner Geschichte seien, auf der die Vielfalt seiner Sprachen, Traditionen sowie kulturellen und politischen Identitäten beruhten (Geary 2002: 18 f.). So evident der historische Befund zu sein scheint, so wenig ist das Urteil indessen durch empirische und interkontinental-vergleichende Studien gedeckt. Größte Bedeutung wird der sogenannten germanischen Völkerwanderung zugeschrieben. Dabei handelte es sich um langfristige und keineswegs kontinuierliche Bewegungen germanischer Stämme, die – vom Norden und Osten Europas herkommend – vor allem über Rhein und Donau ins römische Imperium vorstießen und zu dessen Auflösung in Italien, Gallien und Spanien beitrugen. Diese ‚gentes‘ waren, trotz eindeutiger Bezeichnungen in den Quellen, tatsächlich keine homogenen Völker, sondern polyethnische Verbände, die ihre Zusammensetzung auf ihren Wanderungen beiderseits des Limes ständig änderten. Angetrieben wurden die an sich sesshaften ‚Barbaren‘ teilweise durch aggressive Nomadenvölker, vor allem aber von der Sehnsucht nach dem besseren Leben, die die römische Stadtkultur und Latifundienwirtschaft bei ihnen geweckt hatte. Im Okzident errichteten seit dem frühen 5.  Jahrhundert die erfolgreichsten germanischen Heerführer und Könige auf römischem Boden die Reiche der Burgunder am Mittelrhein, der Westgoten in Gallien, der Sueben in Nordwestspanien, der Vandalen in Nordafrika sowie später der Ostgoten und der Langobarden in Italien. Burgunder und Westgoten mussten im Laufe der Zeit ihre Herrschaften noch einmal verlagern, die einen an den Genfer See, die anderen auf die Iberische Halbinsel. Im Gegensatz zu den Muslimen ging die Migration bei den Germanen also den Reichsbildungen voraus. Die Kopfzahl der Migranten war allerdings so klein – geschätzt werden nicht mehr als 20.000 Krieger, mit Frauen und Kindern gewiss nur um die 100.000 Menschen –, dass weitere Eroberungen und Beutezüge häufig als demographische Razzien verstanden werden müssen. Um die Gentes zu erhalten, wurde den Immigranten die Einheirat in die überwältigende Mehrheit der Provinzialrömer verboten, vor allem aber nahmen diese Germanen den ‚Arianismus‘, eine vom Katholizismus abweichende Form christlichen Glaubens, an. Letztlich scheiterten die Versuche der Selbstbehauptung, und alle Reiche gingen bis zum 8. Jahrhundert unter. Ihre Spuren in den Kulturen ihrer Siedlungsgebiete sind schwach geblieben. Erfolgreicher als sie waren die Franken, die – obschon ebenfalls zu den Germanen gehörig – vom Niederrhein her nach Gallien vordrangen, ohne jedoch ihre Heimat aufzugeben. Genau genommen waren die Franken keine Migranten, sondern Siedler, die ihre angestammten Gebiete ausdehnten. Sie mussten sich in einem Meer von Fremden nicht ängstlich von diesen abgrenzen, konnten zum Katholizismus übertreten und Traditionen der Antike ans Mittelalter weitergeben. Ähnlich wie die fränkische Besiedlung Galliens vollzog sich die Einwanderung von Germanen auf der großen

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Britischen Insel; Angeln, Sachsen, Jüten und andere Gruppen aus Norddeutschland fanden hier allerdings schon im 5. Jahrhundert kaum noch römisches Leben vor, bei dem sie anknüpfen konnten. Im östlichen Europa verbreiteten sich die Slawen, ohne dass wir über Wanderungen jenseits der Grenzen des Römerreiches Sicheres wüssten; später ließen sich kleinere Gruppen von ihnen auf dem Boden von Byzanz nieder. Seit Ende des 8. Jahrhunderts wurde das lateinische Europa, besonders die Britischen Inseln und das Frankenreich, durch Wikinger aus Norwegen und Dänemark heimgesucht, die nach Erfahrungen in lukrativen Handelsgeschäften zunächst auf Raubzüge gingen, dann aber einwanderten und Städte oder Fürstentümer gründeten. Fränkisch akkulturierte Skandinavier und andere Gruppen setzten 1066 von der Normandie nach England über. Den wohl nicht mehr als 2.000 Rittern folgten nur wenige Bauern, dafür normannische Große, die die weltlichen und kirchlichen Führungspositionen besetzten; trotzdem scheinen letztlich nur rund 250 Immigranten das Land beherrscht zu haben. Als der englische König seit Mitte des 12. Jahrhunderts weitere Teile Frankreichs in Besitz nahm und ausgedehnte Gebiete von Schottland bis zu den Pyrenäen kontrollierte, konnte die Dynastie der Anjou auch nach Wales, Irland und Schottland hinübergreifen und die keltischen Völker nach Migrationen unterschiedlicher Intensität akkulturieren. Im 11. Jahrhundert traten beschäftigungslose normannische Ritter auch in den Solddienst bei langobardischen und griechischen Herren in Unteritalien, um hier bald ebenso ein eigenes Königreich zu gründen (1130). Lateinische und griechische Christen, Muslime und Juden trugen nach verschiedenen Migrationswellen zu Kultursynthesen bei, die über Hybridisierungen weit hinausgingen. Ebenfalls im hohen Mittelalter haben sich die lateinischen Christen durch Siedlungen in neuen Ländern weiter verbreitet. Das multiethnische Unternehmen des ersten Kreuzzuges brachte 1099 für ein knappes Jahrhundert die Herrschaft über Jerusalem ein, die von eigenen Kreuzfahrerstaaten geschützt war. Die Fürstentümer der Lateiner in Syrien und Palästina wurden aber noch nicht vom Mutterstaat gelenkt und ökonomisch ausgebeutet und erlebten auch keine Einwanderung im großen Stil. Erst als beim vierten Kreuzzug 1204 Konstantinopel selbst erobert und das Kaiserreich vorübergehend durch ein halbes Dutzend ‚fränkischer‘ Staaten auf byzantinischem Boden ersetzt wurde, konnten die italienischen Seestädte Venedig, Pisa und Genua aus älteren Handelsniederlassungen Kolonien bilden. Namentlich Venedig errichtete in der Ägäis ein Netz von herrschaftsgestützten Umschlagsplätzen, die weit über die Restauration des Reiches hinaus bis ins 18. Jahrhundert bestanden. Gleichzeitig mit den Kreuzzügen vollzogen sich im Agrarsektor Europas beispiellose Konzentrationen und Expansionen. Allenthalben kam es zu einer Ausweitung des Siedlungsraumes und der landwirtschaftlich genutzten Flächen. Teilweise folgten die Bauern den Rittern, wie etwa in Spanien (‚repoblación‘ nach ‚reconquista‘), teilweise hatten aber auch die Herrscher in europäischen Randzonen von sich aus Siedler in ihre Länder geholt, die über bessere Agrartechniken verfügten und, mit vorteilhaften Freiheits- und Besitzrechten ausgestattet, eine Steigerung der Produktion erwarten

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ließen. Am folgenreichsten wurde die sogenannte deutsche Ostsiedlung, die um 1100 einsetzte und erst an der Wende zum 15. Jahrhundert auslief. Sie betraf die Regionen östlich von Elbe und Saale, des Böhmerwaldes und der Enns und erstreckte sich bis ins Baltikum. Seit Mitte des 12. Jahrhunderts verdrängten deutsche Kauffahrer auch die Skandinavier aus ihrer führenden Rolle in der nördlichen Seefahrt. Die vornehmlich von Lübeck aus agierende Hanse errichtete ihre Kolonien und Emporien von Novgorod im Osten bis London im Westen, und auswandernde Deutsche haben auch die schwedische Stadtentwicklung nachhaltig geprägt; wie in Visby auf der Insel Gotland ließen sie sich in eigenen Vierteln mit Markt und Kirche nieder und führten überall ihre Ratsverfassung ein. Zu den von ihnen miterrichteten Städten gehörte Stockholm (1252). Handeltreibende Wikinger aus Schweden, sogenannte Waräger, waren Mitte des 9.  Jahrhunderts von Slawen herbeigerufen worden, um entlang der nordsüdlichen Wasserstraßen zwischen Ostsee und Schwarzem Meer eine Reihe von Fürstentümern zu gründen. Die Rus mit ihrem Herrschaftszentrum in Kiew hatten sich stets mit türkischen und später auch mongolischen Nomaden aus Asien auseinanderzusetzen. Das erste türkische Reich, das vom Amur im Osten bis zur Wolga reichte, hatte bereits 552 bestanden (bis 745/766). Zur gleichen Zeit setzte sich das nomadische Turkvolk der Chasaren am Kaukasus fest und expandierte bald auf Kosten des türkischen Großreiches nach Norden; die Bevölkerung des Chasarenreiches bestand aber auch aus iranischen, ugrischen, finnischen, slawischen und kaukasischen Stämmen. Die Hauptstadt Itil am Wolgadelta war ein bedeutender Handelsplatz zwischen der Rus und dem Kalifat. Das erste turksprachige Volk, das sich zum Islam bekehrte (921/922), waren Bulgaren, die, möglicherweise getrieben von den Chasaren, um ihr Zentrum am Zusammenfluss von Wolga und Kama siedelten. Wie alle ursprünglich nomadisierenden Verbände waren auch die Wolgabulgaren ethnisch gemischt. Obgleich der König mit seinem Gefolge noch am Beginn des 10. Jahrhunderts in Zelten wohnte, bildeten Städte offenkundig schon die Schwerpunkte des Reiches, allen voran die Kapitale Bolgar selbst (nahe Kazan). Als ein russischer Fürst 965 das Reich der Chasaren zerstörte, zogen neue Völker nach. Die Petschenegen hatten bereits Ende des 9. Jahrhunderts die bulgarotürkischen Onoguren nach Westen verdrängt und zur Ansiedlung im Karpatenbecken veranlasst und konnten jetzt die nordpontischen Steppen mit den Handelsrouten auf den Flussläufen kontrollieren. Nach einer militärischen Niederlage durch die Russen 1036 zogen sie über die Donau weiter und siedelten sich im Kaiserreich oder bei den Ungarn an. In das Vakuum stießen die Kumanen vor, die die Russen ‚Polovzer‘ (Steppenvolk) nannten. Die Namen verschiedener Sprachen, die den Reiternomaden gegeben wurden, deuten wahrscheinlich auf unterschiedliche ethnische und geographische Herkunft hin, und mindestens bis Anfang des 12. Jahrhunderts hat man mit mehreren Wandergruppen zu rechnen, deren Herkunft in der fernen Mongolei vermutet wird. Man unterscheidet vor allem die türkischen Kiptschak von den protomongolischen Kimek. Wie andere halbnomadische Step-

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penhirten vor ihnen hatten die Polovzer Sommer- und Winterquartiere entlang der großen Flüsse, zwischen denen sie mit ihren Herden hin- und herzogen. Das Nomadenvolk der Türken aus Innerasien hatte bei seinen Vorstößen in den Westen teilweise in Persien den Islam angenommen; von ihnen besetzten die Seldschuken im 11.  Jahrhundert auf Kosten des byzantinischen Reiches Kleinasien und zogen ihre Wanderhirten nach. Erfolgreicher als sie wurden hier die Osmanen, die vom 14. Jahrhundert an ihre Herrschaft nach Europa ausdehnten und unter anderen Maßnahmen des Bevölkerungsaustausches die kaiserliche Stadt Konstantinopel in die muslimische Stadt Istanbul verwandelten (1453). Eine große Gefahr für Christentum und Islam hatten die unwiderstehlich erscheinenden Kriegszüge der Mongolen im 13. Jahrhundert dargestellt. Ihnen fielen unter anderem die Reiche der Wolgabulgaren und von Kiew (1237/1240) sowie das Kalifat von Bagdad (1258) zum Opfer. Ihre Herrschaft sicherten die Reiternomaden zunächst nur mit einer dünnen Besatzung; schon Dschingis Khan (gest. 1227) selbst war nach seinen weiträumigen Eroberungen immer wieder in die Mongolei heimgekehrt. Zur stärkeren Ablösung der Mongolen von der Heimat führte erst die Gründung von Teilreichen zwischen Osteuropa und China. Als Dschingis Khans Enkel Khubilai 1264 entschied, das Zentralkhanat im mongolischen Kernland mit dem Herrschersitz in Karakorum aufzugeben, ins ehemalige Goldreich nach Süden zu ziehen und 1267 in der Nähe des heutigen Beijing mit dem Bau einer neuen Hauptstadt (türk.: khan balykh, ‚Herrscherstadt‘) zu beginnen, bedeutete dies für sein Volk einen unerhörten Kulturbruch. Abgesehen von wenigen Daheimgebliebenen standen nicht einmal eine halbe Million Mongolen rund 60 Millionen Chinesen gegenüber. Um sich zu behaupten, mussten die zahlenmäßig unterlegenen Herren weitere Eroberungen machen. Mit ihren Expeditionen nach Japan (1274/1281) knüpften sie an chinesisch-koreanische Migrationen an, die im 6./8. Jahrhundert erst zur japanischen Staatsbildung und Ethnogenese geführt hatten; der Versuch zur Errichtung einer mongolischen Thalassokratie scheiterte indessen, zumal das Reitervolk auch in Java keine Erfolge erzielte. Das von Khubilai gegründete Yuan-Khanat wurde 1370 durch die chinesischen Ming beseitigt, die Reste der Mongolen retteten sich über die Wüste Gobi wieder nach Karakorum.

5 Mythen und Geschichten Hohes Alter und fremde Herkunft zu imaginieren, scheint zu den Grundbedürfnissen menschlicher Populationen zu gehören; deshalb wurde und wird immer wieder von frühen Wanderschaften erzählt, auch wenn es diese nie gegeben hat. Die Franken, die im Unterschied zu den Goten keine ferne Heimat kannten, wollten indessen, wie viele Völker, Stämme und Geschlechter vor und nach ihnen, von den Trojanern abstammen, die die Griechen einst aus Kleinasien vertrieben hatten. Schon im 7. Jahr-

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hundert schrieb einer ihrer Chronisten davon, wie sie einst mit Frauen und Kindern durch viele Gegenden gezogen und einen Teil Asiens verwüstet hätten, bevor sie sich nach Europa wandten und zwischen Rhein, Donau und Meer niederließen. Gleicher Abstammung mit ihnen seien die Makedonen gewesen, die unter König Philipp und seinem Sohn Alexander mächtig wurden. Die Überlieferung verbürge, dass „gleichen Ursprungs auch das Volk der Türken sei, von dem sich ein Teil am Ufer der Donau zwischen Ozean und Thrakien niederließ“ (Chronicarum qui dicuntur Fredegarii Scholastici libri IV cum Continuationibus, ed. Bruno Krusch, in: MGH. SS rer. Merov. 2. Hannover 1888, 1–193, hier lib. II.6; Zitat in Übersetzung gekürzt). Schon im Mittelalter wurde der Trojanermythos bisweilen kritisiert, nach der Eroberung der christlichen Kaiserstadt Konstantinopel durch die Osmanen wandten sich aber die Humanisten entschieden gegen die angebliche Stammverwandtschaft der muslimischen Türken mit christlichen Völkern; dagegen soll Sultan Mehmet II. selbst die Überreste von Troja besucht und erklärt haben, durch ihn hätten die Türken den Fall Trojas an den Griechen gerächt. Die Widerlegung politisch instrumentalisierter Wanderungsgeschichten ist der kritischen Geschichtswissenschaft bis heute aufgegeben. Zwar glaubt niemand mehr, wie ein deutscher Historiker 1808/1810, dass durch die Migrationen der Germanen „die Deutschen (…) in alle Länder Europas deutsches Leben und deutsche Sitte trugen und deutsche Verfassung hierhin und dorthin verpflanzten“ (vgl. Rosen 2002: 111). Aber noch kürzlich hat doch eine Autorin in der Völkerwanderung die „Ursprünge“ für Europa als lateinisch geprägte Christenheit „in Abgrenzung zu Byzanz und Islam“ gefunden; diese Herkunft könne auch Zuversicht für den „gegenwärtigen europäischen Integrationsprozess“ stiften (Postel 2004: 11, 14). Selbst kritischere Wissenschaftler, die transkulturelle Austauschprozesse wandernder und auch sesshafter Gruppen ernster nehmen, sind noch oft fixiert auf die ahistorische Suche nach überzeitlichen Identitätskernen (vgl. Borgolte, Mythos Völkerwanderung 2010; Gillet 2002). Es dauerte bis in die letzten Jahre, dass der Mythos vom Ursprung der jüdischen Diaspora bei der Vertreibung aus Jerusalem durch die Römer 70 n. Chr. allgemein erkannt wurde (Sand 2010). Ob sie freiwillig oder unfreiwillig unterwegs waren, die Migranten konnten stets Wissen erwerben und verbreiten. Dass dies nicht nur für die Gelehrten und Schüler unter ihnen galt (vgl. Grebner / Fried 2008; Gutas 1998), sondern auch für die Handwerker, nimmt die neuere Forschung mehr und mehr zur Kenntnis (vgl. Jacoby 1997). Ein Beispiel ist der Chinese Du Huan; diesen hatte die Armee der Abbasiden mit rund 20.000 Leidensgenossen nach ihrem Sieg über das Heer der Tang-Dynastie am Fluss Talas (Kyrgyzstan / Kazakhstan) im Jahr 751 verschleppt. Du Huan verbrachte zwölf Jahre als Gefangener in verschiedenen muslimischen Ländern und berichtete später über Landsleute, die dort als Weber, Maler, Gold- und Silberschmiede tätig waren. Vermutlich traf er auch chinesische Papiermacher, deren Technik den Arabern wohl schon bekannt gewesen war und ihnen jetzt bei den geringen Materialkosten die Ver-

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waltung ihres Riesenreiches und die Verbreitung ihrer Sprache und Religion erleichterte. Die vielleicht bemerkenswertesten Migranten waren jedoch die Asketen, die ihren normalen Lebensraum vorsätzlich verließen, um bettelnd auf Wanderschaft Gott und Erlösung zu suchen; am Ende ließen sie sich (vorübergehend) als Eremiten oder in klösterlichen Kommunitäten nieder. In Indien hatte der Buddha die nach festen Regeln lebenden Mönchsgemeinschaften eingeführt, aber in christlicher Zeit verbreiteten Händler und Wandermönche selbst die Lebensform u. a. nach China, Korea und Japan weiter. Die Integration des Buddhismus in China, deren Höhepunkt in der Zeit der Sui- und Tangdynastien (589–906 n. Chr.) lag, gehört zu den spannendsten Kapiteln transkultureller Verflechtung im mittelalterlichen Jahrtausend. Schon die Übersetzung der heiligen Schriften vom Sanskrit oder Pali ins Chinesische stellte eine enorme Herausforderung dar, da die indischen Sprachen flektieren, grammatisch analytisch angelegt sind und zu Abstraktionen anregen, während das Chinesische assoziativ ist, Bildausdrücke aneinanderreiht und eher synthetisch verfährt. Vor allem aber ist der chinesischen Mentalität, die von der Verehrung der Ahnen und kosmischen Ordnungsvorstellungen geprägt ist, der Verzicht auf Familie im Mönchtum völlig fremd, ja suspekt (von Brück 2007: 313, 315). Auch im Christentum war die Anachorese, das ‚Sich aus dem gewohnten Lebenskreis Entfernen‘, ein hohes Gut persönlicher Frömmigkeit. Indessen hat hier die Weltabwendung immer wieder zur Weltgewinnung geführt, wie sich exemplarisch an Patrick, dem Apostel der Iren, zeigt (5.  Jahrhundert). In seiner Jugend war Patrick, der aus Britannien stammte, mit tausend anderen Christen von ‚Heiden‘ nach Irland vorübergehend verschleppt worden; dies war geschehen, wie er glaubte, weil sie die Gebote Gottes nicht beachtet und den Priestern keinen Gehorsam geleistet hatten. Der Herr habe sie unter vielen Heiden bis zu den Enden der Erde zerstreut, schrieb Patrick später in seiner ‚Confessio‘. Durch die Gnade Gottes zur Besinnung gebracht, kehrte er jedoch später freiwillig als Bischof nach Irland zurück, um Mission zu betreiben. Über die Tragweite seines Wirkens bei den Iren, die ja niemals zum Römischen Reich gehört und an den großen Migrationen keinen Anteil gehabt hatten, war er sich im Klaren: „Ich habe mich (…) unter vielen Gefahren bis zu den entferntesten Gegenden begeben, jenseits deren niemand lebte und wohin niemals einer gekommen ist, um zu taufen, Kleriker zu weihen und das Volk (zum Heil) zu führen“ (Saint Patrick, Confession et Lettre à Coroticus. Introduction, texte critique, traduction et notes par Richard P. C. Hanson. [Sources Chrétiennes, Bd. 249.] Paris 1978, 124 cap. 51). Durch sein Werk wurden die Iren, jedenfalls nach seiner Darstellung, für die katholische, universale Christenheit gewonnen. Patricks Geschichte ist ein Beleg dafür, dass die Migranten des mittelalterlichen Jahrtausends, wie die Menschengeschlechter vor ihnen, die Ökumene bis an die Grenzen der Erde zu erweitern und die neuen Völker und Länder zu erkunden und zu gestalten suchten.

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1 Einleitung Die Vorstellung, dass die geographische Lage Japans als ‚isoliertes Inselland‘ Geschichte, gesellschaftliche Entwicklungen und Kultur des Landes geprägt habe, gehört bis in die Gegenwart zu den Allgemeinplätzen japanischer Diskurse der Selbstvergewisserung, den sogenannten nihonron (‚Japandiskurse‘). Die Idee von Japan als ‚isoliertem Inselland‘ dient dann häufig als Begründung für eine vermeintlich besonders ausgeprägte ethnische und kulturelle Homogenität, die auch charakteristisch für die historische Entwicklung Japans gewesen und eben bis in die Moderne weitgehend ‚ungestört‘ von Einflüssen nennenswerter Migrationsbewegungen verlaufen sei. In dieser Hinsicht unterscheide sich die Geschichte Japans markant von den historischen Erfahrungen der Gesellschaften etwa auf dem nordostasiatischen Festland und dem eurasischen Kontinent im allgemeinen, für deren Geschichte Migrationsströme und kriegerische Invasionen bestimmend gewesen seien. Die Erzählung vom ‚isolierten Inselland‘, die in Japan populäre Vorstellungen ebenso dominiert wie Vorannahmen insbesondere der Historiographie bis in die frühen 1980er Jahre, verweist dabei oft auf die Periode der Landesabschließung (sakoku) vom 17. bis zum 19. Jahrhundert als gewissermaßen archetypische Erfahrung: Während dieser Zeit, in der Außenkontakte mit den asiatischen Nachbarländern einem strengen Reglement unterlagen und die Beziehungen zu Europa über die im Hafen von Nagasaki angelegte, künstliche Insel Dejima abgewickelt wurden, habe sich dann unter den Bedingungen der Isolation die spezifische, oft als ‚einzigartig‘ apostrophierte japanische Kultur der Frühen Neuzeit entwickelt, die ihrerseits Elemente der mittelalterlichen Kultur aufgenommen habe. In diesem Diskurs werden historische Phasen der Öffnung und interkulturellen Begegnung als Ausnahmen von dieser Regel konstruiert: Das unter anderem durch die produktive Auseinandersetzung mit der christlichen Mission im 16. und 17. Jahrhundert geprägte ‚Christliche Jahrhundert‘ gilt zugleich als die Epoche, in der Japan in ein weitläufiges, maritimes Handelsnetzwerk integriert war, das Ost- und Südostasien umspannte und seinerseits an die globalen Handelswege der iberischen Weltreiche angeschlossen war. Eine geringe Zahl europäischer Händler und Missionare ließ sich zu dieser Zeit in Japan nieder, während umgekehrt sich in vielen Hafenstädten Ost- und Südostasiens japanische Kaufleute ansiedelten. Es ist nun interessant, dass die traditionelle Historiographie Japans diese Periode häufig als ‚Sonderfall‘ der japanischen Geschichte behandelt und die vielfach dokumentierte ‚Offenheit‘ damit dazu dient, (relative) ‚Isolation‘ als den historischen ‚Normalzustand‘ des Insellandes zu konstatieren.

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Diese Perspektive, die die Prämissen der japanischen Geschichtswissenschaft ganz wesentlich mitbestimmte, wurde erst seit den späten 1970er Jahren nach und nach ernsthaft in Frage gestellt. Eine führende Rolle kam dabei dem Mediävisten Amino Yoshihiko (1928–2004) zu, der insbesondere zur Sozialgeschichte Japans vom 11. bis zum 16. Jahrhundert gearbeitet hatte. Auf der Basis von Spezialuntersuchungen legten Amino und andere Historiker seit den 1990er Jahren auch Publikationen vor, die sich an ein breiteres Publikum wendeten und darin den Topos des ‚isolierten Insellandes‘ als eine Rückprojektion im Interesse moderner, nationalstaatlicher Identität beschrieben, denen jedoch die historisch rekonstruierbaren Verhältnisse im vormodernen Japan, namentlich in Altertum und Mittelalter, nicht entsprochen hätten (Amino 2012). Typischerweise gelangten Amino und andere Historiker zu ihren Einsichten, indem sie sich jenen Räumen und gesellschaftlichen Gruppen zuwandten, die bislang allenfalls am Rande ins Blickfeld historischer Forschung geraten waren. Der Begriff der ‚Peripherie‘ (japanisch shuen) gewann hier in mehrfacher Hinsicht erkenntnisleitende Bedeutung, ging es doch darum, die Geschichte Japans in der Vormoderne erstmals von ihren Rändern her differenzierter in den Blick zu nehmen (Amino 1992; Amino 2000; Ôishi u. a. 2001). Hervorzuheben ist dabei auch der interdisziplinäre Ansatz, der vor allem die archäologische und volkskundlich-ethnologische Forschung mit einbezog, um über das Studium schriftlicher Quellen hinaus Aufschluss über Lebensverhältnisse, materielle Kultur und Vorstellungswelten der Vormoderne zu gewinnen (Amino u. a. 1993). Im Kontext des verstärkten Interesses an der Peripherie können drei Aspekte hervorgehoben werden: Die historische Forschung konzentrierte sich traditionell insbesondere auf die west- und zentraljapanischen Gebiete zwischen dem Norden der Insel Kyûshû im Westen und der Kantô-Ebene im Osten, ein Territorium also, in dem sich der Herrschaftsbereich des Höfischen Staates seit dem Altertum entfaltet und in welchem sich seit dem Mittelalter auch die Militärregierung (Shôgunat in Kamakura) etabliert hatte. Amino und andere Historiker legten den Fokus nun auf die Rekonstruktion der geschichtlichen Rolle jener Teile Japans, die, wie etwa das südliche Kyûshû, der Nordosten der Hauptinsel Honshû, die dort nördlich angrenzenden Gebiete sowie die zahllosen Inseln des Archipels, bislang wenig erforscht worden waren. Der Paradigmenwechsel in der japanischen Geschichtswissenschaft reichte jedoch weit über ein bloß territoriales Verständnis von ‚Peripherie‘ hinaus. Denn zugleich vollzog sich eine Kritik an der überwiegend am Geschichtsbild des Historischen Materialismus orientierten Fokussierung der Forschung auf die bäuerliche Agrargesellschaft und deren Herrschafts- und Besitzverhältnisse, die zwar umfangreiche Studien etwa zur Entwicklung des Feudalismus in Japan hervorgebracht hatten, aber damit nur jenen Teil der vormodernen japanischen Geschichte erforschten, der durch die schriftliche Quellenüberlieferung besonders gut erschlossen war. Amino und andere Historiker wiesen nun auf die immense Bedeutung des maritimen Raums für die vormoderne Geschichte des japanischen Archipels hin und unterstrichen die Rolle der Küsten, Hafenstädte und maritimen Transportrouten für die historische Ent-

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wicklung Japans. In größerer Perspektive konnte gezeigt werden, dass die japanische Inselkette auch im globalen Maßstab in der Vormoderne mutmaßlich über eines der dichtesten maritimen Handelsnetze verfügte (Cullen 2003: 83 f.) und die Marginalisierung der Küsten und seegestützten Verbindungswege auch als Folge der rasanten Modernisierung und des seit Ende des 19.  Jahrhunderts einsetzenden Eisenbahnund Straßenbaus gesehen werden kann. Der neue Fokus der Geschichtswissenschaft stellte damit dem traditionellen Blick auf die sesshafte Agrargesellschaft die Perspektive auf Angehörige der nichtagrarischen Gesellschaft gegenüber, die als ambulante Händler, Handwerker, Fischer, Mendikanten oder küsten- und seegestützte Kriegerverbände ein weiträumiges Territorium bevölkerten, das durch Mobilität, Austausch und Grenzüberschreitung gekennzeichnet war. Von hier aus konnte nun auch die Frage von Migrationsbewegungen ins Blickfeld des historischen Interesses geraten. Denn indem Historiker wie etwa Murai Shôsuke (2001) die Frage nach den territorialen Grenzen des mittelalterlichen Japan aufwarfen, das zugleich als stark maritim geprägtes Reich rekonstruiert wurde, traten regionale Kontexte und transregionale Verbindungen des vormodernen Japan in den Vordergrund, die oftmals quer zu den Grenzen und Rändern des modernen Nationalstaats lagen. Dieser Perspektivwechsel hat sich forschungsgeschichtlich als äußerst produktiv erwiesen und eine Fülle von Ergebnissen etwa zum transregionalen und transkulturellen maritimen Austausch zwischen dem Südwesten der japanischen Inselkette, der koreanischen Halbinsel und den Küstengebieten Südostchinas hervorgebracht (Schottenhammer 2005; 2008). So ist an die Stelle der unhinterfragten Vorstellung vom historischen Japan als weitgehend ‚isoliertem Inselland‘ in den vergangenen zwei Jahrzehnten zumindest in der Geschichtsforschung das Bild von einem ‚zum Meer hin geöffneten Archipel‘ getreten. Dieser Perspektivwechsel führte fast zwangsläufig zu einem gesteigerten Interesse an Migrationsphänomenen, sodass inzwischen transregionaler Austausch und Migration sowie Territorien kultureller Hybridität auf der japanischen Inselkette als integraler Bestandteil der Geschichte Japans in Altertum und Mittelalter anerkannt werden. Damit erfolgte nicht nur eine wesentliche Erweiterung des traditionellen Japanbildes, sondern anders als noch in den 1960er und 1970er Jahren weithin üblich, war es nun nicht mehr möglich, die Grenzen des modernen japanischen Nationalstaats einfach auf das Territorium des historischen Japan rückzuprojizieren.

2 Periodisierungsfragen Der häufig verwendete Begriff des ‚mittelalterlichen Jahrtausends‘, das in etwa die Jahrhunderte zwischen 500 und 1500 umfasst, lässt sich mit keinem der in Japan üblichen Periodisierungsschemata in Übereinstimmung bringen. Mit der Einführung von Methoden und Periodisierungsmodellen der europäischen Historiographie im

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späten 19. Jahrhundert wurde versucht, deren Terminologie auch in der japanischen Geschichtswissenschaft anzuwenden und für Entwicklungen in der japanischen Geschichte fruchtbar zu machen. Dabei hatte der Historische Materialismus beachtlichen Einfluss und kann insbesondere in den Nachkriegsjahrzehnten als dominantes Paradigma der japanischen Geschichtswissenschaft bezeichnet werden (Krämer u. a. 2006; Gayle 2006). Ohne in diesem kurzen Überblick auf Details eingehen zu können, sei darauf hingewiesen, dass in der modernen japanischen Geschichtsschreibung das ‚Altertum‘ (kodai) in der Regel auf die Epoche vom 6. bis zum 12.  Jahrhundert datiert wird und auf die Formation des japanischen Staates sowie die mit den Hauptstädten Nara und Heian (Kyôto) assoziierte Blüte der klassischen japanischen Kultur verweist. Die Periode des ‚Mittelalters‘ (chûsei), deren Beginn in der Regel durch den Aufstieg der Krieger und die Etablierung der Militärregierung (Shôgunat) in Kamakura markiert wird, umfasst eine Epoche vom späten 12. bis ins späte 16. Jahrhundert und ist unter anderem durch zunehmende sozioökonomische Dynamik und Dezentralisierung politischer Herrschaft geprägt. Der Terminus ‚mittelalterliches Jahrtausend‘ beinhaltet demnach in einer der in Japan verbreiteten Periodisierungsschemen die Epoche des Altertums und den Großteil des Mittelalters. Zu Datierungsfragen beider Epochen sowie zu alternativen Periodisierungsmodellen, die sich zum Beispiel am Sitz politischer Herrschaft orientieren, existiert in der Japanforschung eine umfangreiche, sehr differenzierte und von unterschiedlichen Erkenntnisinteressen geleitete Diskussion (Piggot 2012; Goble 2012).

3 Immigration und die Genese Japans seit dem 6. Jahrhundert In der Forschung zur japanischen Frühgeschichte und zur Entstehung des historischen Japan ist seit langer Zeit der entscheidende Beitrag der Immigration unbestritten. Die Formierung des japanischen Staates im 7. und 8.  Jahrhundert ist ohne die Rolle von Immigranten, überwiegend von der koreanischen Halbinsel, aber auch aus China, nicht denkbar. Prähistoriker und Archäologen gehen davon aus, dass in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung eine massive Zuwanderung auf die japanische Inselkette einsetzte, überwiegend aus Korea und Südostchina. Während der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung entstanden in Westjapan regionale Königtümer, die um den Zugang zu fortgeschrittenen Technologien und kulturellen Praktiken konkurrierten, die eng mit der chinesischen Zivilisation verknüpft waren. Aus dem in der Yamato-Ebene (in der Nähe der Städte Nara und Kyôto) gelegenen Königtum, das an der Spitze einer Konföderation verbündeter Fürstentümer stand, bildeten sich Strukturen stabiler regionaler Herrschaft heraus, aus denen sich dann der japanische Staat entwickelte. Das Yamato-Königtum kann dabei als Akteur der sogenannten „Interaktionssphäre um das Chinesische Meer“ (Piggot 1997: 17) bezeich-

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net werden, die durch ein enges Netz kultureller und politischer Beziehungen der in Westjapan und auf der koreanischen Halbinsel gelegenen Königtümer (‚Staaten‘) gekennzeichnet ist, die im Wettbewerb um Anerkennung durch den chinesischen Hof und das mit der überlegenen chinesischen Zivilisation verbundene kulturelle Kapital standen. Die Forschung hat daher darauf hingewiesen, dass es sinnvoll ist, den westlichen Teil der japanischen Inselkette und die koreanische Halbinsel als eine gemeinsame, durch Migration und Austausch bestimmte kulturelle Sphäre mit mehreren Machtzentren zu betrachten, die sich sowohl auf der koreanischen Halbinsel als auch auf dem japanischen Archipel formiert hatten. Daher erscheint es auch irreführend und anachronistisch, die historische Entwicklung dieser Großregion zwischen dem 3. und 8. Jahrhundert aus der Perspektive der modernen Nationalstaaten Japan und Südkorea zu diskutieren (Barnes 1993; Farris 1998; Hudson 1999; Imamura 1996), deren Grenzen mit dem Territorium dieser Sphäre eben nicht kongruent sind. Die folgende Zusammenfassung bietet einen Einblick in einige zentrale Ergebnisse der neueren Forschung zur Rolle von Immigration bei der Entstehung Japans: Archäologische Befunde und schriftliche Quellen weisen darauf hin, dass Migration vom chinesischen Festland und der koreanischen Halbinsel für die Formierung des japanischen Staates eine prominente Rolle spielte und Immigranten an der Ausgestaltung seiner Strukturen in der entscheidenden Phase zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert maßgeblichen Anteil hatten. Schon in der frühgeschichtlichen YayoiPeriode (300 v. u. Z. – 300) nehmen einige Forscher wie etwa Hanihara Kazuo (1992) eine Zuwanderung von annähernd zwei Millionen Menschen auf die japanische Inselkette an, die vor allem den Nassfeldreisanbau und Bronze- und Eisenbearbeitung auf dem Archipel etablierten. Die im frühen 8. Jahrhundert kompilierten japanischen Chroniken wie etwa das Nihon shoki (‚Japanische Annalen‘) lassen zwar keine exakten Schätzungen über die langfristige Entwicklung der Immigration zu, geben aber immer wieder Hinweise, dass auch nach dem 4. Jahrhundert zumindest periodisch von größeren Migrationsbewegungen ausgegangen werden muss. So erwähnt ein Eintrag für den 8. Monat des Jahres 540, dass über 7000 Haushalte mit Familien aus mehreren Königtümern der koreanischen Halbinsel in Japan angesiedelt wurden (Holcombe 2001: 192). Solche Hinweise werden auch durch die systematischen Forschungen von Lewin (1962) bestätigt, der für die Zeit vom 4. bis zum 8. Jahrhundert von drei größeren Migrationswellen ausgeht, die Japan von der koreanischen Halbinsel her erreichten. Während sich unter den Immigranten wohl Mitglieder aller Gesellschaftsschichten befunden haben dürften, sind es insbesondere Handwerker und Professionen mit spezifischen Kenntnissen, die neben Angehörigen des koreanischen Adels für die einheimischen Eliten des Yamato-Königtums von besonderem Wert waren. Noch das im Jahre 815 zusammengestellte Shinsen shôjiroku (‚Neu kompiliertes Register der Adelsgeschlechter mit Erbrängen‘), das Namen und Herkunft des japanischen Adels in der Region um die Hauptstadt verzeichnet, nennt für über ein Drittel der dort aufgeführten etwa 1200 Familien eine koreanische beziehungsweise chinesische Abstammung und weist damit einen nicht geringen Teil der japanischen

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Oberschicht als Nachkommen von Immigranten aus (Lewin 1962: 191–192; Ooms 2009: 94–95). Auch wenn sich aus den verfügbaren Quellen keine exakten Angaben über die Gesamtzahl von Immigranten rekonstruieren lassen, verweisen die von Lewin untersuchten Siedlungsgebiete in der Hauptstadtregion sowie in Ostjapan auf einen insgesamt beachtlichen Anteil an der Gesamtbevölkerung (Lewin 1962: 49, 80). Neben spezialisierten Handwerkergruppen ist dabei wie bereits erwähnt ein verhältnismäßig großer Anteil von Immigranten unter der späteren japanischen Adelselite auffällig, der ihre soziale Bedeutung als Träger und Vermittler von Kenntnissen, Fertigkeiten und Techniken kontinentalen Ursprungs hervorhebt. Hier sind unter anderem Architektur, Verwaltungspraktiken, Zeremoniell, Schrift und Religion zu nennen. Neben dem unmittelbaren Nutzen kann ihre Aneignung auch als mit der chinesischen Zivilisation assoziiertes, prestigeträchtiges kulturelles Kapital gelten, das vom japanischen Hof gezielt eingesetzt wurde, um seinen Herrschafts- und Machtanspruch zu konsolidieren. Im Bereich der Technologien und der materiellen Kultur führten die Immigranten von der koreanischen Halbinsel insbesondere verbesserte Techniken der Metallbearbeitung und -produktion, der Bewässerung, der Waffentechnik, der Seidengewinnung und der Weberei ein. Immigranten waren darüber hinaus bis weit ins ‚mittelalterliche Millennium‘ hinein Träger der Schriftgelehrsamkeit und wesentlich an der Ausarbeitung der Verwaltungs- und Gesetzeskodizes im 8.  Jahrhundert beteiligt (Farris 1998: 105). Überdies stammten viele der an der Hochschule in der Hauptstadt beschäftigen Gelehrten aus Immigrantenfamilien; Adlige festländischer Herkunft waren auch hochrangige Teilnehmer der offiziellen Gesandtschaften, die von Japan aus bis ins 9. Jahrhundert an den chinesischen Tang-Hof geschickt wurden. Die neuere Forschung hat insbesondere die Einwanderung des Adels aus dem koreanischen Königtum Paekche am Ende des 7. Jahrhunderts als maßgeblichen Impuls für den frühen japanischen Staat bezeichnet. Neben chinesischer Gelehrsamkeit, Medizin und Militärtechnik werden auch technische Innovationen wie Kompass, Wasseruhr und Wasserwaage mit dieser Immigrantenwelle in Verbindung gebracht (Ooms 2009: 86–104). Die traditionell zumeist auf 538 datierte Einführung des Buddhismus nach Japan, seine Etablierung als staatlich geförderter Kult im 8.  Jahrhundert sowie seine Ausbreitung und Verankerung in allen Schichten der japanischen Gesellschaft während des Mittelalters (LaFleur 1983) ist seit jeher im Kontext von Migration und kulturellem Austausch gesehen worden. Galt der Buddhismus im 6.  Jahrhundert zunächst als Religion der Immigranten, die zugleich Träger technisch-handwerklichen Wissens waren und die ersten Sakralbauten auf japanischem Boden errichteten, wurde er später als Schutzreligion von den staatlichen Instanzen gefördert. Dabei fiel den buddhistischen Institutionen, die im Mittelalter nicht zuletzt als Zentren umfassender Gelehrsamkeit zu gelten haben, periodisch immer wieder neu eine Vermittlerrolle zu: Einerseits wird diese in den insbesondere von den großen Zen-Klöstern seit dem 14.  Jahrhundert in großem Umfang betriebenen Handelsmissionen deutlich, durch

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die Schriften, Kunstgegenstände und viele andere Waren vom Festland nach Japan eingeführt wurden (von Verschuer 2006). Andererseits blieben die buddhistischen Klöster auch offen für Migranten und nahmen beispielsweise chinesische Kleriker der Ch’an (japanisch Zen)- Schule auf, die nach der Eroberung Chinas und Koreas durch die Mongolen nach Japan gelangt waren und sich dort dauerhaft niederließen (Döll 2010). Ein zentrales Ergebnis der jüngsten religionshistorischen Forschung zu Japan ist aber in dem hier behandelten Kontext mindestens ebenso bedeutsam. Denn ein zentraler Leitgedanke der traditionellen Religionsgeschichte lautete, dass neben dem vom Festland eingeführten Buddhismus gewissermaßen seit ‚Urzeiten‘ eine einheimische Religion Japans existiert habe, die seit dem 18. Jahrhundert als Shintô (‚Weg der Götter‘) bekannt wurde. Insbesondere im nativistischen Gedankengut der sogenannten ‚Nationalen Schule‘ (japanisch kokugaku) spielte im 18. und 19. Jahrhundert die Rekonstruktion von Shintô als sozusagen ursprüngliche ‚Nationalreligion‘ Japans eine herausragende Rolle und wurde eng mit der Herrschaft des japanischen Kaiserhauses verknüpft (Antoni 1998). Während die Vorstellung von Shintô als ursprünglicher, ‚archaischer‘ Religion Japans in weiten Kreisen eine ähnliche Popularität genießt wie das Bild von Japan als ‚isoliertem Inselland‘, hat die jüngste Forschung inzwischen materialreiche Studien vorgelegt, die kaum einen Zweifel daran lassen, dass der Einfluss festländischer religiöser Praktiken und Kulte, die mit den Immigranten zu Beginn des mittelalterlichen Millenniums nach Japan gelangten, bei der Formierung der ‚einheimischen‘ Religion sehr hoch veranschlagt werden muss. Hier sei lediglich auf die allgemeinen Einschätzungen von Historikern und Religionshistorikern wie etwa Herman Ooms und Michael Como verwiesen, die betonen, dass viele Elemente, die bisher etwa im Rahmen des antiken kaiserlichen Hofrituals als Kernbestand des japanischen ‚Shintô‘ angesehen wurden, tatsächlich wohl eher eine Aneignung von Riten und Motiven des chinesischen Taoismus darstellen und dass sowohl der religiöse Kult des Kaiserhofes als auch die Verehrung der japanischen ‚Gottheiten‘ (japanisch kami) bis ins 8.  Jahrhundert grundlegend von Kulten, Gottheiten und Überlieferungen festländischen Ursprungs geprägt worden waren (Como 2009: 2; ähnlich auch Ooms 2009: XVI).

4 Migration, Handel und kultureller Austausch zwischen Japan, Ost- und Südostasien Während nach dem 8. Jahrhundert keine umfangreiche Migration nach Japan mehr belegt ist, geht die Forschung für die späteren Jahrhunderte des mittelalterlichen Millenniums von einer fortgesetzten Zuwanderung in zahlenmäßig eher geringem Umfang aus anderen Regionen Ostasien aus. Abgesehen von der meist temporären Zuwanderung von der koreanischen Halbinsel, ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Ansiedlung chinesischer Händler vor allem in westjapanischen Häfen

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und Städten zu erwähnen, die Teil eines umfangreichen, transregionalen Handelsnetzwerkes waren. Wie am Beispiel der Stadt Nagasaki auf Kyûshû gut belegt ist, entstanden an diesen Orten größere Chinesenviertel, die ihrerseits als Anziehungspunkt für weitere Migration fungierten (Murai 2001: 85). Beziehungen nach Südostasien dürften seit dem 14. Jahrhundert bestanden haben; so erreichte eine Gesandtschaft aus Siam die japanische Inselkette Ende des 14.  Jahrhunderts und hielt sich dort nach Auskunft koreanischer Quellen etwa ein Jahr lang auf (Ishii 1996: 153). Jedoch geriet Südostasien erst am Ende des mittelalterlichen Millenniums in das Blickfeld japanischer Kaufleute und Abenteurer, die im 15. und 16. Jahrhundert die maritime Sphäre der japanischen Küsten und des ostchinesischen Meeres verließen und sich zum Teil dauerhaft in Hafenstädten Ost- und Südostasiens ansiedelten. Sowohl die schriftliche Überlieferung als auch archäologische Befunde lassen den Schluss zu, dass die sich um japanische Handelsniederlassungen formierenden ‚Japaner-Viertel‘ nicht nur in den traditionellen Zielgebieten Chinas (Taiwan, Xinzhou, Xiyang [nahe dem heutigen Macao]) entstanden, sondern auch auf den Philippinen (Luzon), im nördlichen Vietnam (nahe dem heutigen Hanoi), im südlichen Thailand, Malaysia (Malacca) und auf Inseln des heutigen Indonesien (Java [Batavia, Banten], Sulawesi, Molukken [‚Gewürzinseln‘]) (Karte in Sasayama u. a. 2000: 72). Solche Außenposten der mittelalterlichen japanischen Gesellschaft, die in unterschiedlichem Maße auch als Orte kulturellen Austausches und kultureller Hybridisierung angesprochen werden können, existierten bis weit nach 1500. Ein bekanntes Beispiel, das das mittelalterliche Erbe der japanischen Präsenz in Südostasien gut illustriert, ist der Fall des japanischen Kriegers Yamada Nagamasa (1590–1630), der im transregionalen Südostasienhandel aktiv war und sich in der siamesischen Königsresidenz Ayutthaya angesiedelt hatte. In Ayutthaya (nördlich des heutigen Bangkok) gab es bereits ein größeres ‚Japaner-Viertel‘ mit zeitweilig bis zu mehreren tausend Bewohnern. Japanische Immigranten wurden von den siamesischen Königen wegen ihrer kriegerischen Fertigkeiten und ihres militärischen Wissens geschätzt und Yamada, der als Oberhaupt der japanischen Kolonie in Siam fungierte, stieg in der Hierarchie des siamesischen Adels zu hohem Rang auf. Im Auftrag von König Songtham führte er 1629 eine siamesische Gesandtschaft nach Japan an und starb im darauffolgenden Jahr während der Kämpfe um die Nachfolge Songthams in Siam (Ishii 1996: 154 f.). Es ist übrigens aufschlussreich, dass im Kontext der Bemühungen, die sogenannte ‚Großostasiatische Wohlstandssphäre‘ unter japanischer Führung in den 1940er Jahren mit einer Tradition historischer Beziehungen Japans nach Südostasien gewissermaßen zu legitimieren, auch die Figur Yamada Nagamasas ‚wiederbelebt‘ und seine ‚Abenteuer‘ beispielsweise in japanischen Schulbüchern der Kriegszeit ausführlich dargestellt wurden (Wray 1973: 81 f.). Mit der zunehmenden Bedeutung portugiesischer, spanischer und holländischer Handelsinteressen in Ost- und Südostasien am Ende des mittelalterlichen Millenniums wurden Bewohner des japanischen Archipels auch Opfer einer spezifischen, weit verbreiteten Form ‚erzwungener Migration‘. In portugiesischen und japanischen

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Quellen aus dem 16. Jahrhundert finden sich zahlreiche Hinweise auf einen florierenden und lukrativen Sklavenhandel, der vor allem die Häfen Südwestjapans betraf, in denen Handelsschiffe aus Europa und Südostasien häufig vor Anker gingen. Insbesondere Händler aus Portugal und Siam hatten an japanischen Sklaven Interesse, die von iberischen Sklavenhändlern in Macao, Goa und anderen Orten in Ost- und Südasien weiterverkauft wurden (Nelson 2004). Dieser transregionale Sklavenhandel, der die japanische Inselkette, aber auch andere Regionen Ostasiens betraf, hatte jedoch eine lange Vorgeschichte, die bis weit ins mittelalterliche Millennium zurückreicht. Vermutlich bereits seit dem 11.  Jahrhundert waren seefahrende Kriegerverbände, die meist im Namen mächtiger religiöser Institutionen operierten, in der japanischen Inlandsee und den westjapanischen Küstengewässern als Freibeuter aktiv gewesen. Kriegerverbände, die ihre Heimatbasis in Nordkyûshû, der Insel Tsushima und anderen Teilen Südwestjapans hatten, begannen etwa um die Mitte des 13.  Jahrhunderts die koreanische Küste anzugreifen, um Speicher mit Reis und die Vorratskammern küstennaher Dörfer zu plündern. Zwar gilt in der Forschung Nahrungsmittelknappheit aufgrund lokaler Missernten als eine Ursache für diese Plünderungen, doch zeigt die weitere Entwicklung, dass unabhängig von der Nahrungsmittelversorgung seit Mitte des 14. Jahrhunderts diese Angriffe systematisch und in viel größerem Maßstab durchgeführt wurden: Japanische Piraten (japanisch wakô) fielen nun mit Verbänden von zum Teil über einhundert Schiffen, die jeweils zwanzig bis vierzig Bewaffnete transportierten, in koreanische Küstengebiete ein und plünderten dabei nicht nur vorgelagerte Inseln und die Küste, sondern richteten ihr Augenmerk mitunter auch auf Orte im Landesinneren, die sie über schiffbare Flussläufe erreichten. Neben der Plünderung von Vorratsspeichern mit Steuerreis, machten die wakô auch Jagd auf die lokale Bevölkerung, die bei der Rückkehr in Japan oder auf den Ryûkyû-Inseln als Sklaven verkauft wurde. Gelegentlich mit den Wikingern des europäischen Mittelalters verglichen, verbesserten diese seefahrenden Kriegerverbände ihre Logistik und transportierten seit Ende des 14. und im 15. Jahrhundert auch Pferde auf ihren Schiffen, sodass sie in den angesteuerten koreanischen Zielgebieten zu intensiver und ausgreifender Kriegsführung in der Lage waren. Koreanische Quellen berichten, dass seit dem 15.  Jahrhundert die Reihen der japanischen wakô zunehmend durch Freibeuter aus Korea ergänzt wurden, die bis zu 20 % der Angreifer ausmachten. Hinsichtlich kultureller Hybridbildungen und Verflechtungen ist die Anekdote interessant, dass „die Einwohner der Insel Cheju im Süden Koreas ‚sich wie Japaner kleideten‘ und Piraten wurden, ganz wie ihr japanisches Gegenstück auf der Insel Tsushima“ (zit. nach Souyri 2002: 128). Um der Piraterie Herr zu werden, bemühten sich koreanische Behörden unter anderem darum, die Führer der Freibeuterverbände zu kooptieren und von den Vorteilen friedlichen Handels zu überzeugen; zu diesem Zweck wurde ihnen bei der Bereitschaft zur Ansiedelung in Korea Landbesitz und Einkommen versprochen. In einigen Fällen besetzten ehemalige Piraten Posten in der Verwaltungshierarchie und dienten in dieser Funktion als Verbindungsleute zwischen koreanischem Hof und dem japanischen Shôgunat (Souyri 2002: 128; Lewis

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2003: 18). Doch mit diesen Maßnahmen erreichte man nur einen Teil der wakô: im 15.  Jahrhundert nahmen vermehrt koreanisch- und chinesischstämmige Piraten an deren Raubzügen teil, die sich nun auf der Jagd nach Beute und Sklaven zunehmend auch auf die Küsten Südchinas konzentrierten. Ähnlich wie in Südostasien gingen expandierender Handel und diplomatischer Austausch zwischen Korea und Japan mit der Etablierung von ‚Japaner-Vierteln‘ in Korea einher. Ende des 15. Jahrhunderts dürften in den koreanischen Hafenstädten über 3.000 Japaner gelebt haben, die sich dort langfristig oder dauerhaft ansiedelten (Lewis 2003: 21).

5 Neue Perspektiven auf den Norden der japanischen Inselkette im mittelalterlichen Millennium Aufgrund der überragenden und durch zahlreiche Quellen sehr gut dokumentierten Bedeutung chinesisch-koreanischer Kultureinflüsse für die Entstehung und Geschichte Japans war auch in der japanischen Historiographie traditionell eine Forschungsperspektive dominant, die sich bei der Frage nach den Austauschbeziehungen Japans geographisch eher nach Westen und Süden, also in Richtung der koreanischen Halbinsel und Südostchinas orientierte. Erst durch jüngste Forschungen, die von dem eingangs beschriebenen Paradigmenwechsel der japanischen Geschichtswissenschaft inspiriert waren und nach intra- und interregionalen Beziehungen der japanischen Inselkette und ihrem Umfeld fragten, wurde deutlich, dass auch der Norden der japanischen Hauptinsel Honshû und die Insel Hokkaidô nicht von den Entwicklungen auf dem nordostasiatischen Festland isoliert gewesen waren und sich auch hier, wenn auch durch Quellen nur spärlich dokumentiert, Migrations- und Verflechtungsprozesse nachweisen lassen. In diesem Zusammenhang sei erneut unterstrichen, dass die Grenzen Japans im mittelalterlichen Jahrtausend nicht mit denen des neuzeitlichen Japan (ca. 1600–1850) oder gar des modernen japanischen Nationalstaats übereinstimmen, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formierte. Gerade für den Norden der Inselkette gilt nämlich, dass sich die politischen und kulturellen Grenzen des japanischen Staates zwischen dem 7. und dem 16. Jahrhundert nur allmählich bis an den Nordrand der Hauptinsel Honshû vorschoben. Die Insel Hokkaidô wurde erst durch eine planmäßige Kolonisierungspolitik im späten 19. Jahrhundert zu einem integralen Bestandteil des japanischen Territoriums. Allerdings existierte seit dem 15.  Jahrhundert ein japanischer Außenposten in Oshima, dem Südwestzipfel Hokkaidôs, und im 17. Jahrhundert etablierte sich dann erstmals die Vorstellung einer klaren politischen Grenze zwischen Japan und der Kultur der Ainu. Der Begriff Ainu bezeichnet die indigene Bevölkerung Hokkaidôs, die starke historische und kulturelle Verbindungen zu Ethnien aufweist, die die weiter nördlich gelegenen Inseln und das maritime Sibirien bewohnten (Howell 1994; 2005; Walker

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2001). Bei einer insgesamt dürftigen Quellenlage geht die Forschung davon aus, dass die Ainu-Kultur auf Hokkaidô im 13. und 14. Jahrhundert entstanden sein dürfte und sich ihre Genese verschiedenen Einflüssen verdankt. Zum einen basierte sie historisch auf der sogenannten Satsumon-Kultur, die in Nordhonshû, Hokkaidô und Sachalin seit dem 7. Jahrhundert existiert hatte und deren Träger vor allem Wildbeuterei und in geringem Umfang auch Landwirtschaft betrieben; zum zweiten ist ein Einfluss der sogenannten Ochotsk-Kultur sehr wahrscheinlich, deren Träger in der Amur-Region Sibiriens beheimatet, auf Robbenjagd spezialisiert und über Sachalin und die Kurilen südwärts nach Hokkaidô eingewandert waren. Einen dritten und für die Formung der Ainu-Kultur sehr bedeutsamen Einfluss übte schließlich der ökonomische Kontakt mit der südlich gelegenen japanischen Kultursphäre aus. Hier konnte die neuere Forschung zeigen, dass der Güteraustausch mit japanischen Siedlern und die Berührung mit der von japanischem Kultureinfluss dominierten Sphäre an der Nordspitze Honshûs wesentlich zur Ausbildung der materiellen Kultur der Ainu-Gesellschaft in den letzten Jahrhunderten des mittelalterlichen Millenniums beitrug. Howell (1994: 74 f.) und Hudson (1999: 214–216) haben in diesem Zusammenhang ganz besonders auf den hohen Prestigewert japanischer Lackwaren, Eisenerzeugnisse und Porzellan in der Ainu-Kultur hingewiesen. Trotz der bereits erwähnten unbefriedigenden Quellenlage, deren Defizite nur zum Teil durch archäologische Befunde und die Überlieferung der materiellen Kultur ausgeglichen werden können, betont die aktuelle Forschung die Bedeutung eines weitläufigen, durch wirtschaftlichen und kulturellen Austausch geprägten Netzwerks zwischen den Bewohnern Nordhonshûs, Hokkaidôs, Sachalins und der Amur-Region. Chinesische Chroniken der Yuan- und Ming-Dynastien geben vereinzelte Hinweise auf Aktivitäten der Ainu, die nach Auffassung der Forschung in den chinesischen Quellen als Guwei erscheinen. Diese hatten das Volk der Jilimi angegriffen, die an der Amur-Mündung und auf Sachalin lebten und sich bereits der Herrschaft durch die Mongolen ergeben hatten. Im Gegensatz dazu schlugen die Ainu auf Sachalin und den Kurilen 1264 und 1308 zwei von der Amur-Region aus geführte Mongolenangriffe zurück (Hudson 1999: 226 f.; Kikuchi u. a. 2008; Sasaki 1994). Eine durch wechselseitigen Austausch und Konfrontation bestimmte Beziehung, die seit dem Ende des mittelalterlichen Millenniums für die Kontakte zwischen Ainu und Japanern charakteristisch war, lässt sich auch für die frühe Geschichte der Begegnung der japanischen Kultur mit ihren nördlichen Nachbarn konstatieren. In den im frühen 8. Jahrhundert kompilierten japanischen Chroniken tauchen die Vorläuferkulturen der späteren Ainu zumeist unter den Termini Emishi oder Ezo auf, die sich gegen die nordwärts ausgreifende Landnahme durch japanische Kolonisten in Honshû zur Wehr setzten. Während die Frage nach der ethnischen Zuordnung dieser Emishi, deren Beziehungen zu älteren Wildbeuterkulturen Ost- und Nordjapans als sehr wahrscheinlich gilt, in einer umfangreichen und teils kontroversen Debatte erörtert wurde, besteht weitgehend Konsens darüber, dass dieser Terminus weniger auf eine ethnisch homogene Gruppe verweist (Hudson 1999: 206–232), sondern im

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Kontext eines aus China entlehnten politischen Konzepts von den japanischen Eliten verwendet wurde, um die kulturelle Distanz der Emishi vom zivilisatorischen Zentrum des Hofes in Kyôto zu markieren. Emishi bezeichnete somit ‚Barbaren‘ als Träger einer deutlich von der japanischen unterschiedenen Kultur, die am Rande des territorial expandierenden japanischen Reiches existierte und deren Angehörige sich der Kolonisation gewaltsam widersetzten. Der militärische Konflikt zwischen japanischen Grenztruppen und berittenen Emishi-Kriegern ist bis ins 10. Jahrhundert in japanischen Quellen gut belegt. In der Mitte des 8. Jahrhunderts verlief die Grenze zwischen beiden Kultursphären in etwa vom heutigen Sendai an der Pazifikküste in nordwestlicher Richtung bis zum JapanMeer. Die in diesem Raum von japanischen Kolonisten errichteten Siedlungen waren zwar befestigt, wurden aber häufig von den als geschickte Reiter und Bogenschützen gefürchteten Emishi angegriffen und niedergebrannt (Friday 1997). Attacken der Emishi resultierten regelmäßig in Strafexpeditionen der japanischen Regierung, die versuchte, diesen Grenzraum zu sichern und zu befrieden. Eine der zahlreichen Ursachen für Konflikte zwischen Emishi und japanischen Siedlern ergab sich vermutlich aus den Handelsbeziehungen. Zumindest sind sowohl für das 9. als auch für das 15. Jahrhundert Beispiele überliefert, bei denen sich militärische Angriffe der Emishi als Folge der als ungerecht bezeichneten japanischen Handelspraktiken interpretieren lassen (Batten 2003: 110; Howell 1994: 76). Im Zusammenhang der Beziehungen zwischen Emishi und Japanern im mittelalterlichen Millennium hat übrigens insbesondere die amerikanische Japanforschung auf Parallelen zur Geschichte der Kolonisierung des amerikanischen Westens und die Interpretationen der sogenannten ‚New Western History‘ hingewiesen. Dabei sei das Nordhonshû und den Süden Hokkaidôs umfassende Territorium als eine Art ‚Mischungsgebiet‘ (‚middle ground‘) zu sehen, das durch kulturelle Hybridbildungen gekennzeichnet sei (Howell 2005: 129; Walker 2001: 8–10). Dieser Einschätzung liegen folgende Befunde der Forschung zugrunde: Nach der Niederschlagung der Emishi-Aufstände formierte sich im nördlichen Honshû im 11. und 12. Jahrhundert ein quasi-autonomes Gebiet, das zwischen dem japanischen Staat im Süden und Hokkaidô, den Kurilen und Sachalin im Norden gelegen war, Territorien, die von Angehörigen einer proto-Ainu-Kultur bewohnt wurden. Zwar galt dieser Raum aus der Perspektive Kyôtos offiziell als japanisches Herrschaftsgebiet und wurde von durch den Hof ernannten, lokalen Magnaten nominell als solches verwaltet. Tatsächlich jedoch bewahrte dieser gleichermaßen durch japanische wie Emishi-Einflüsse geprägte Raum über lange Zeit ein hohes Maß kultureller Hybridität, die wesentlich durch Prozesse der wechselseitigen Migration und Assimilation gebildet wurde. Einige Beispiele dafür sind bereits aus den Chroniken des 8.  Jahrhunderts überliefert: Hier werden assimilierte Emishi erwähnt, die, von der japanischen Grenzverwaltung kooptiert, teilweise sogar als militärische Oberbefehlshaber bei Strafexpeditionen gegen rebellierende Emishi eingesetzt wurden. Assimilierte Emishi heirateten in die lokale japanische Gentry ein und dienten unter der Bezeichnung fushû (wörtlich ‚Gefangene‘) auch in der japanischen Zivilverwal-

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tung (Kaiho 1987; Yiengpruksawan 1998: 31 f.). Andere wanderten in weiter südlich gelegene Landesteile Japans ab. Aber auch in nördliche Richtung verlaufende Migration ist gelegentlich überliefert: Zahlenmäßig kleine Gruppen japanischer Händler und Abenteurer wanderten in die Emishi-Gebiete des südlichen Hokkaidô ein und ließen sich dort nieder. Diese Region lag im Mittelalter jenseits des Machtbereichs des japanischen Staates und ist von Historikern als „kreolische Gesellschaft“ beschrieben worden, „die sich partiell aus japanischen Flüchtlingen zusammensetzte“ (Batten 2003: 109). Während des 12.  Jahrhunderts entwickelte sich die Stadt Hiraizumi zum wichtigsten politischen, ökonomischen und kulturellen Zentrum im Norden Honshûs; zugleich war sie eine Schnittstelle, die die Hochkultur des japanischen Hofes in Kyôto mit der materiellen Kultur der nördlichen Inselwelt und des maritimen Sibirien verband. Die hier im Namen des japanischen Kaisers oder des Shôguns regierenden Clans der Abe, Kiyohara und Nördlichen Fujiwara betonten ihre Herkunft aus der Emishi-Kultur explizit und bezeichneten sich selbst etwa als ‚Oberhaupt der Ostbarbaren‘ (japanisch tôi no shûchô) oder ‚Herr der assimilierten Emishi‘. Als ihr Nachfolger griff der Andô-Clan diese Tradition im 13. und 14. Jahrhundert auf. In solchen Titeln, die in der schriftlichen Kommunikation mit dem Hof in Kyôto und später mit der Administration des Shôgunats verwendet wurden, drückt sich nicht nur der Herrschaftsanspruch dieser Fürsten über den nördlichen Teil Honshûs aus. Diese Selbstbezeichnungen können auch als sichtbarer Ausdruck des Bewusstseins einer hybriden kulturellen Identität verstanden werden, die sich in Jahrhunderten des fortgesetzten Austauschs, der Migration und der Verflechtung im Norden der japanischen Inselkette herausgebildet hatte. Für eine erweiterte Fassung dieses Beitrages s. Klaus Vollmer, ‚Isoliertes Inselland‘ oder ‚Zum Meer geöffneter Archipel‘? Perspektiven auf transkulturelle Verflechtungen und Migration im mittelalterlichen Japan, in: Michael Borgolte / Matthias M. Tischler (Hrsg.), Transkulturelle Verflechtung im mittelalterlichen Jahrtausend. Europa, Ostasien und Afrika. Darmstadt 2012, 54–79.

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Angela Schottenhammer

China

1 Einleitung Es ist keine leichte Aufgabe, eine Zusammenfassung über das Thema Migration im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen China zu schreiben. Denn zum einen besitzen wir oftmals nur verstreute und lückenhafte Quelleninformationen, zum anderen sind wir mit vielen verschiedenen Formen von Migration innerhalb Chinas, aber auch nach und aus China konfrontiert. Erst allmählich beginnen spezifische Fallstudien ein besseres Licht auf das komplexe Thema der Rolle von Migrationen in der chinesischen Geschichte zu werfen. Der vorliegende Beitrag kann daher lediglich einen Überblick über diverse Migrationsbewegungen innerhalb des zu untersuchenden Zeitraums bieten und die Aufmerksamkeit des Lesers auf bestimmte Tendenzen lenken. Um einen besseren Einblick in die verschiedenen Formen von Migration in China zwischen 400 und 1600 zu erhalten, werden weitaus mehr detaillierte Studien nötig sein. Man sollte sich auch stets vor Augen halten, dass bestimmte Migrationsformen zumindest teilweise unmittelbar mit sozialer Mobilität, Clan- und Elitestrukturen sowie dem bürokratischen Beamtenapparat zusammenhingen, der beispielsweise Beamte in Regionen fernab ihrer Heimatprovinzen versetzte. Dies berücksichtigend wollen wir im Folgenden einen Querschnitt durch verschiedene Formen von Migration geben, auf allgemeine Entwicklungen und Tendenzen aufmerksam machen, aber auch einige konkrete Beispiele vorstellen. Es gibt unterschiedliche Formen der Migration. Menschen migrierten alleine oder mit ihrem engsten Familienkreis, andere mit Freunden oder Verwandten. Häufig ging ein Familienmitglied voraus, andere folgten, wenn sich der Vorausgegangene erfolgreich niedergelassen hatte. Außerdem gab es natürlich Massenmigrationen. Die Gründe für Migration waren ebenfalls vielfältig und beinhalteten politische Unruhen, Verfolgung, Krieg, Naturkatastrophen, vom Staat unterstützte Umsiedlung wie verschiedene Formen von ‚kolonialer Ausbeutung‘, Bevölkerungsdruck, bürokratische Gründe wie der Umzug der Arbeitsstelle oder generell die Suche nach besseren Lebensbedingungen. In der Regel diente staatlich organisierte Migration (einschließlich Zwangsmigration) der Landgewinnung in neu besetzten Gebieten, dem Transfer von Soldaten und Menschen in Grenzregionen, der Umsiedlung von Kolonisten aus dicht besiedelten in weniger dicht besiedelte Gebiete oder einer besseren staatlichen Kontrolle bestimmter gesellschaftlicher Gruppen. Dies wurde oft mit dem Ziel verbunden, Han-Chinesen an den Grenzregionen anzusiedeln, die von Ausländern oder ethnischen Minderheiten bewohnt waren. Allerdings scheint allgemein gesprochen ab ca. 1000 n. Chr. die privat motivierte Migration im Vergleich zur staatlich organi-

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sierten an Bedeutung zu gewinnen, wenngleich wir auch in späteren Jahrhunderten immer wieder Fällen staatlich organisierter Zwangsmigration begegnen.

2 Allgemeine Muster und historischer Hintergrund China ist heute ein Vielvölkerstaat und ist dies seit mehr als 2000 Jahren. Gründe hierfür sind nicht nur in den verschiedenen Minderheiten zu suchen, die heute in China leben (55 dieser Minderheiten sind offiziell anerkannt) und ursprünglich nichtchinesische Territorien besetzten, die nach und nach dem Kaiserreich einverleibt wurden. Auch Migrationen nach China, wovon vermutlich die muslimische Migration die wichtigste ist, gilt es hervorzuheben. Migration und politische Expansion haben China zu dem multiethnischen Staatsgebilde geformt, das es heute ist. Migration in China beinhaltete zu einem großen Teil auch die Besetzung von unbesiedeltem Land, die Expansion der Grenzen chinesischer Besiedlung. Ein Großteil solcher Expansionen seit der Qin-Dynastie (221–206 v. Chr.) beinhaltete staatlich geplante und organisierte Umsiedlungen. Eine der ersten solcher Massenbewegungen war vermutlich die Ansiedlung von etwa 50.000 Menschen aus Qin in Sichuan nach der Eroberung des dortigen Staates Shu durch die Qin im Jahr 316 v. Chr. (Wilkinson 2000: 232). Zwischen dem 2. Jahrhundert v. Chr. und dem 1. Jahrhundert n. Chr. sollen allein die Han-Kaiser (Han-Dynastie 206 v. Chr. – 220 n. Chr.) über 1,5 Millionen Menschen in den Norden umgesiedelt haben (Lee 1978: 20, 21, 24). Die meisten dieser Migranten wurden auf staatseigenen Farmen angesiedelt, normalerweise an die Armee angegliedert und mit Essen versorgt; oder sie gründeten Agrarkolonien, zum Beispiel in der Inneren Mongolei oder in Xinjiang (wörtlich: Neue Territorien). Geplante Ansiedlungen wurden ebenfalls in Taiwan oder Tibet durchgeführt, wo diese Vorgänge bis heute beobachtet werden können. Die Regierung versuchte häufig, Migration durch Steuerbefreiungen attraktiv zu machen. Die Han-Regierung stellte den Migranten Unterkunft, Transport, Nahrungsmittel, Kleidung und in einigen Fällen sogar finanzielle Unterstützung für ihre meist nach Norden gehende Reise zur Verfügung. Kriminelle wurden manchmal ebenfalls von der Regierung umgesiedelt. Die Qin siedelten zum Beispiel im Jahr 238 v. Chr. 4.000 Kriminelle aus dem Norden mit ihren Familien in Sichuan an. Seit der Han-Zeit erweiterten die Chinesen ihre Territorien auch systematischer nach Süden, sowohl durch staatlich organisierte, als auch durch private, freiwillige Migration in die neuen Gebiete. Wie Wolfram Eberhard gezeigt hat, war bis ins 19. Jahrhundert in China „Emigration“ in neue, landwirtschaftlich nutzbare Regionen bis zu einem gewissen Grade immer möglich – es gab noch weniger dicht besiedelte Landstriche. Das Beispiel des kleinen Dorfes Yanyuan in der Nähe von Ningbo in Zhejiang zeigt, dass von insgesamt 9.252 Familien 3.258 Aufzeichnung darüber besaßen, zwischen dem 8. und dem 19. Jahrhundert in diese Gemeinschaft gezogen zu sein (Eberhard 1962: 277).

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Private Migration, geplant oder ungeplant, war häufig – anders als staatlich geplante Umsiedlungen – ein nach Süden und nicht nach Norden gerichtetes Phänomen, was auf die günstigeren politischen und geographischen Bedingungen im Süden zurückzuführen ist. Während der hier untersuchten Periode fand in China eine allmähliche Verlagerung des Bevölkerungszentrums von Norden in Richtung Süden und Südosten statt. Während der Song-Dynastie (960–1279) nahm die wirtschaftliche und politische Bedeutung des Südens weiter zu, eine Tendenz, die erst in der frühen Ming-Zeit (1368–1644) durch eine größere von der Regierung geförderte Verlagerung nach Norden teilweise rückgängig gemacht wurde. Diese Verlagerung setzte bereits ein, bevor die Hauptstadt 1421 offiziell von Nanjing im Süden nach Beijing im Norden verlegt wurde. Chinesen migrierten auch in andere Länder. Zwei große Migrationswellen ins Ausland können während des hier behandelten Zeitraums ausgemacht werden – die Migration während des starken Aufschwungs des maritimen Handels im 16. Jahrhundert (Migrationswelle nach 1567) und eine Massenemigration vor allem nach Südostasien in der Mitte des 17. Jahrhunderts nach der Ankunft der Europäer und während der Eroberungskriege der Ming durch die Manjuren (Zhuang 2010). Mit Ausnahme dieser beiden Migrationswellen (große Wellen folgten nach 1700) emigrierten Chinesen in kleineren Gruppen oder als Individuen fortwährend nach Korea, Japan und nach Südostasien, aber auch weiter nach Westen, etwa nach Indien. Gleichzeitig siedelten sich Ausländer (z.  B. Mönche, Händler, Handwerker und Künstler im weitesten Sinne oder andere Spezialisten) aus diesen Ländern in China an. Im 10. und 11. Jahrhundert gab es auch eine Bewegung von Chinesen nach Norden in das benachbarte, nicht-Han-chinesische Regime der Khitan-Liao (907–1125) in der heutigen Manjurei. Wie ein hoher mingzeitlicher Beamter, Xie Zhaozhi (1567–1642), beschreibt, war für Chinesen – anders als in der chinesischen Historiographie meist dargestellt – eine Migration auch in die nördlichen Nachbarregionen nämlich durchaus attraktiv. In den Gesellschaften der Nomadenvölker, so Xie Zhaozhi, sei das Leben einfacher, das Steuersystem simpler, das Rechtsystem nachgiebiger, die Sitten seien simpel und unkultiviert, die Riten von weniger Heuchelei durchsetzt; vor allem aber seien die bürokratischen Erfordernisse im Vergleich zu China unkompliziert und unbeschwerlich, die Leute nicht so profitgierig und generell gebe es viel weniger Bürokratie; ferner würden sich die Beamten nicht dauernd in Cliquen und Seilschaften verwickeln (Xie Zhaozhi, Wu zazu, in Siku jinhui, Abschnitt zi, Fasz. 37. Beijing 1998, 4.80). Migration von Ausländern nach China war Teil einer größeren überregionalen Interaktionsbewegung über kontinentale und maritime Grenzen hinweg. Sie bestand deshalb nicht nur aus der Bewegung von Menschen, sondern gleichzeitig auch aus dem Transfer von Kulturen und Religionen, von Wissen und Technologien und nicht zuletzt von Produkten, die alle einen nachhaltigen Einfluss auf das hatten, was wir heute generalisierend ‚chinesische Kultur‘ nennen.

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3 Migration von der Zeit der Südlichen und Nördlichen Dynastien bis zur Tang-Dynastie Während der Periode der Jin-Dynastie (265–420) und der darauf folgenden Zeit der Südlichen und Nördlichen Dynastien – auch Nanbeichao-Zeit (420–589) genannt – gab es ausgedehnte Bevölkerungsbewegungen. Vor allem nach dem Fall der Westlichen Jin-Dynastie im Jahr 316 häuften sich politische Unruhen, Krieg, Naturkatastrophen und Hungersnöte und die urbane Bevölkerung soll in beträchtlicher Anzahl aufs Land geflohen sein. Es fand eine ausgeprägte Migrationsbewegung nach Süden statt. Zwischen dem 2. und dem 4. Jahrhundert flohen möglicherweise über drei Millionen Menschen wegen politischer, sozialer und umweltbedingter Probleme nach Süden (Lee 1978: 29). Dieser Trend setzte sich in den Tang- (618–906), Wudai- (906– 960) und Song-Dynastien (960–1279) fort. Aber auch noch nicht dicht besiedelte Regionen waren Ziel der Wanderbewegungen. Zum Beispiel waren bis zum 4. Jahrhundert etwa 200.000 Han-Chinesen in die Manjurei, sprich nach Norden, migriert (Ma 1932: 36–38). Invasionen von nördlichen Völkern trieben chinesische Bewohner umgekehrt dazu, in andere Regionen zu ziehen, vor allem nach Süden. Nach der Rebellion der acht Fürsten und der anschließenden durch Hofintrigen, Hungersnöte, Kriege und schließlich die Eroberung der Hauptstadt Luoyang durch die Xiongnu verursachten „Yongjia-Rebellion“ (311) – so genannt nach der Regierungsperiode, in der die Ereignisse stattfanden – ließen sich Menschen aus der Zentralchinesischen Ebene im HexiKorridor im Nordwesten, in Liaoxi im Nordosten und im Yangzifluss-Gebiet im Süden nieder. Auf der einen Seite migrierten Menschen aufgrund von Kriegen und internen politischen Konflikten, ethnischer Gewalt und einer Reihe von Naturkatastrophen, auf der anderen Seite zogen Beamte und einige Gemeine, die dem herrschenden Familienclan Sima der Jin-Dynastie (317–420) treu waren, freiwillig nach Süden, Nordwesten und Nordosten. Um die Bevölkerung solcher Massenmigrationsbewegungen neu anzusiedeln, entwickelte die Östliche Jin-Dynastie ein System der Verwaltung von Migranten, das „Präfektursystem für Chinesen, die außerhalb ihrer Heimat leben“ (Qiao zhoujunxian), das in Teilen Südostchinas etabliert wurde. Es war jedoch das explizite Ziel dieser Politik, dass diese Migranten letztendlich in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren sollten. In der Regel wurden Clangruppen zusammengefasst, um eine so genannte „kompakte Gesellschaft“ zu bilden (vgl. Hu 2010: compact society). Aufgrund von ethnischen Konflikten mit lokalen Bevölkerungsgruppen war dieses System nicht immer erfolgreich. Mit dem Ende der Liu-Song-Dynastie (420– 479) erreichte die nach Süden migrierte Bevölkerung eine Zahl von etwa 900.000, was ungefähr einem Sechstel der lokalen Gesamtbevölkerung entsprach. Im Kontrast zu dieser Migration nach Süden war die Bevölkerungswanderung in den sechzehn nördlichen (Teil-)Staaten zu dieser Zeit komplizierter. Nicht selten wurden Migranten gefangen genommen: die Starken wurden zu Soldaten, während die Alten, Schwachen, Jungen sowie die Frauen gezwungen wurden, sich am Acker-

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bau zu beteiligen, um neu etablierte Regimes mit den notwendigen militärischen und wirtschaftlichen Ressourcen zu versorgen. Einflussreiche Clans und mächtige Familien wurden meistens in der Region angesiedelt, in der sich die Hauptstadt befand, um sie unter strenger Kontrolle zu halten. Menschen flohen oder migrierten in Folge von Aufruhr und Krieg, und im Norden wechselten sich die Regime zu schnell ab, um ihre Herrscher mit einer soliden politisch-militärischen oder sozioökonomischen Basis zu versorgen. Deshalb waren häufige und erzwungene Umsiedlungen die Folge, aber wegen der politischen Umstände verfehlten solche (Zwangs-)Umsiedlungen oft ihren Zweck (Hu 2010). Um 400 hatte die Tuoba-Wei-Dynastie (386–534) Nordchina vereinigt und dort eine gewisse politische Stabilität geschaffen. Obwohl die Dynastie sich später in eine Östliche Wei (534–550) und eine Westliche Wei (532–556) teilte, die anschließend von den Nördlichen Qi (550–577) und den Nördlichen Zhou (557–581) bezwungen wurden, war die Situation deutlich stabiler als zuvor. Während der frühen Nördlichen WeiPeriode sollen mehr als fünf Millionen Menschen umgezogen oder an anderen Orten angesiedelt worden sein, vor allem in den eroberten Gebieten. Der Hof zwang zum Beispiel Migranten, sich in der Umgebung der Hauptstadt anzusiedeln. In Folge davon soll die Gesamtbevölkerung der Pingcheng-Region 1,5 bis 2 Millionen Menschen erreicht haben. Mehr als zwei Millionen Menschen wurden in die nördlichen Grenzregionen umgesiedelt, um diese zu verstärken. Die Migration in die Region um den Gelben Fluss hatte vor allem zum Ziel, die landwirtschaftliche Basis des Regimes zu stärken. Die Regierung der Nördlichen Wei siedelte Migranten, die sich von selbst entschlossen hatten umzuziehen, in neu gegründeten administrativen Einheiten an: In der frühen Jingming-Ära (500–504) wurden 28.000 Familien zum Hof geführt und durch einen kaiserlichen Erlass vier Unterpräfekturen und achtzehn Kreise gegründet (Li 1974: 3150). Kaiser Shizu der Nördlichen Wei (auch bekannt als Wei Taiwudi, 408–452) „nahm das Territorium von Chen und Ru, und jene Menschen aus Huaibei, die seiner Armee beitraten, zählten bis zu 7.000; sie wurden im Süden der Präfekturen Yan und Yu neu angesiedelt.“ Später wurden mehr als 10.000 „umherstreunende Menschen“ (liumin) zum Hause der Tuoba gebracht und ermutigt, sich mit Ackerbau und der Seidenraupenzucht zu beschäftigen (Wei 1974: 1174). Bei diesen liumin handelte es sich im Regelfall um Personen, die von ihrem ursprünglichen Wohnort aufgrund von Kriegen, Naturkatastrophen, zu hohen Steuern (wie es später zur Ming-Zeit geschah) oder aus anderen Gründen vertrieben worden waren, und die innerhalb des Landes folglich auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen umherzogen. Das war ein Phänomen verschiedener Dynastien. Als die Tuoba-Herrscher die Gansu-Region in Nordchina eroberten, wurden, da dortige Volksgruppen die Handelsbeziehungen mit Zentralasien zu dieser Zeit monopolisierten, Teile der früheren Bevölkerung versklavt und innerhalb des Tuoba-Regimes umgesiedelt. Andererseits migrierten Chinesen aus Ostchina sowie ein Zweig des Murong-Clans nach Westen in die Gansu-Region, um an diesem Handel mit Zentralasien zu partizipieren (Eberhard 1949). Wirtschaftliche

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Aspekte spielten insofern auch immer eine Rolle. Diese Beispiele mögen zumindest als Einblick in die Migrationsmuster dieser Zeit besonders im Norden Chinas dienen. Die Migration der Hakka (wörtlich „‚Gastmenschen‘“) kann als weitere Form der Migration nach Süden angeführt werden. Die Hakka waren ursprünglich Migranten aus der Zentralchinesischen Ebene in Nordchina. Vorfahren der Chinesen, die seit dem frühen 14. Jahrhundert im Kerngebiet der Hakka lebten, waren zumeist während der Südlichen Song-Zeit dorthin migriert. Von der Zentralchinesischen Ebene aus erreichten einige den Süden von Jiangxi und den Südwesten von Fujian in Südostchina. Im 13. Jahrhundert veranlassten schließlich die mongolischen Angreifer viele Chinesen, weiter nach Süden zu migrieren, wodurch die Vorfahren der Hakka sich gezwungen sahen, in die hügeligen Regionen im Nordosten von Guangdong zu ziehen. Bis zum 17. und 18. Jahrhundert waren viele von ihnen schließlich nach Guangxi und zu den Küstenregionen Guangdongs aufgebrochen oder in die Region des Oberlaufs des Yangzi-Flusses in Sichuan gezogen. Dies sind Orte, an denen die meisten von ihnen heute noch leben. Sehr wahrscheinlich, so wurde argumentiert, brachten sie nicht ihre eigene Sprache mit, sondern adaptierten die Sprache der Region, in der sie sich niederließen (Leong 1997). Andere Migrationen wurden staatlich unterstützt. Bis zur Tang-Dynastie (618– 906) hatte die chinesische Regierung zum Beispiel nach und nach die Provinz Fujian kolonisiert – das vormalige Gebiet der Yue, die bald darauf zu einer Minderheit wurden (Bielenstein 1959). Die Provinz Fujian wurde also allmählich zur Heimat von Han-Chinesen, von Migranten aus dem chinesischen Kerngebiet und vor allem aus Nordchina und mit dem Aufschwung des maritimen Handels zunehmend auch von Ausländern aus Übersee, zumindest was die Hafenstädte Fujians betraf. Während der Tang-Dynastie zogen gleichzeitig zahlreiche Ausländer aus Zentralund Westasien sowie dem Nahen Osten (zum Beispiel dem Iran) nach China. Die Tang-Hauptstadt Chang’an war eine weltoffene, internationale Stadt mit Migranten aus vielen Ländern der damals bekannten Welt, die über die berühmten „Seidenstraßen“ nach China kamen. Generell erreichten sowohl die Migration von den Randgebieten des chinesischen Kaiserreichs ins Kerngebiet als auch die Migration nach Süden von der Sui- (589–618) über die Tang- bis zur frühen Wudai-Periode ein noch nie dagewesenes Ausmaß (Ge u. a. 1997).

4 Die Bewegungen in den späten Tang-, Wudai- und Song-Perioden Politische Instabilität war stets ein Grund für größere Migrationsbewegungen. Die Rebellion des Tang-Militärgouverneurs An Lushan (gest. 757) hatte bereits zu einer großen Migration geführt. Viele der vom Krieg betroffenen Regionen in den Provinzen Hebei und Henan waren entvölkert und die Menschen migrierten nach Süden

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in die Täler des Huai- und des Yangzi-Flusses. Gebiete wie Gansu und Ningxia in Nordchina wurden aufgrund des Verlusts der zentralen Kontrolle von den Tibetern besetzt (Peterson 1979). Der endgültige Zusammenbruch der Tang-Dynastie im frühen 10. Jahrhundert brachte einen Niedergang der politischen Elite mit sich, die die großstädtische Gesellschaft Nordchinas bis etwa ins 9. Jahrhundert dominiert hatte. „Dem Chaos entfliehen“, das war ein häufiger Grund für einen Umzug aus dem Norden. Die Invasion der Shatuo-Türken in Nordchina im Jahr 923 führte zu einer signifikanten Umsiedlungsbewegung der Eliten in den Provinzen in nördliche Hauptstädte und zu Migrationsbewegungen über große Entfernungen hinweg, auch in den Süden. Im 10. Jahrhundert bestand in Südchina weit über ein Drittel der Beamtenelite aus Immigranten; die meisten von ihnen kamen aus dem Norden. Die Migration der Eliten dieser Zeit wird als „nicht nur endemisch, sondern multi-direktional“ bezeichnet (Tackett 2006: 17, 155). Dennoch gab es, wie wir gesehen haben, auch eine zumindest nicht unbeachtliche Migration in Richtung Norden, vor allem in das Territorium der Khitan-Liao. Die Rebellion von Huang Chao (gest. 884), der das frühere Kernland der Tang in Nordchina plünderte, hatte ebenso wie andere Rebellionen eine Wanderbewegung der Eliten zur Folge, zum Beispiel nach Sichuan oder in die fruchtbare JiangnanRegion im Süden. Bereits im 9. Jahrhundert dienten nicht-Han-chinesische Migranten wie die Khitan, nicht-chinesische Stammesangehörige, Shatuo-Türken, Uighuren oder andere Zentralasiaten unabhängigen Gouverneuren in Hebei in Nordchina. Die sozio-politischen Turbulenzen, die in der Sinologie als „Tang-Song-Transformation“ bezeichnet werden, zwangen die lokalen Eliten dazu, neue Strategien anzuwenden, um den Erhalt ihres sozialen Status zu garantieren. Diese Strategien führten zu neuen Verknüpfungen zwischen dem Militär und dem zivilen Beamtentum aber auch zu Migration, vor allem nach Süden. Zwischen 761 und 1080 wuchs die Bevölkerung im Süden um 328 Prozent im Gegensatz zu nur 26 Prozent im Norden (Hartwell 1982: 369). Diese Verlagerung nach Süden – sowohl der Beamten- und Nichtbeamten-Elite als auch der gemeinen Bevölkerung – begann im 7. Jahrhundert und beschleunigte sich vor allem nach der Mitte des 8. Jahrhunderts. Die Khitan-Invasion in Nordchina im Jahr 946 führte zu einer weiteren Migrationswelle. Während einige nach Süden flohen, traten andere dem neuen Regime bei und zogen in die Hauptstadt der Liao. Wie kürzlich gezeigt wurde, war das Übersiedeln von Angehörigen der chinesischen Elite in den Liao-Staat weitaus beliebter als zuvor angenommen (Standen 2007). Die weiter oben angeführten Beobachtungen Xie Zhaozhis scheinen also durchaus eher der Realität zu entsprechen als die generalisierenden Aussagen in diversen offiziellen chinesischen Quellen, die allein die Attraktivität der chinesischen Kultur für Ausländer hervorheben. Der Zusammenbruch der zentralen Autorität und das Aufkommen einer Reihe kleinerer Staaten eröffnete im 10. Jahrhundert schließlich sowohl den zivilen als auch den militärischen Eliten neue Möglichkeiten. Geographische Mobilität war „für die Oberschichten dieser Periode Teil des Lebens.“ Migration stellte für sie eine Überle-

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bensmethode dar, weite Bereiche der zeitgenössischen sozialen und herrschenden Elite waren davon tangiert (Tackett 2006: 154, 160 f.). Während der Song-Dynastie breiteten sich die Han-Chinesen auch systematisch ins südliche Sichuan aus. Zwischen 1071 und 1075 führten die Song-Herrscher Eroberungskriege im südlichen Sichuan, im westlichen und zentralen Hunan sowie in Guangxi und verschoben ihre Grenzräume schrittweise nach Westen. 1069 wurde ein massives Projekt zur Wiederbesiedlung des Hochlands des Han-Flusses gestartet, wobei Flüchtlinge aus Hedong und Hebei das Brachland bestellen sollten. Diese Bewegung nach Südwesten war teilweise auch dadurch motiviert, dass Sichuan und Guangnan als Quellen von Reichtum angesehen wurden; darüber hinaus gab es politisch-militärische Gründe, wie beispielsweise den Beschluss zur Befriedung der Grenzregion mit den nordwestlich und westlich der Region siedelnden Tanguten – einem in den Ausläufern der Qinghai-Tibet-Hochebene lebenden, den Tibetern nahe verwandten Volksstamm. Obwohl der Plan der Song-Regierung zur „Befriedung“ der Region nicht so erfolgreich war wie erhofft, führten diese Maßnahmen zu Umsiedlungen, Bevölkerungsverlagerungen und natürlich zur Vertreibung der ursprünglichen Bevölkerung. Die Mongoleninvasion im 13.  Jahrhundert bewirkte schließlich eine Migrationsbewegung von Han-Siedlern weiter nach Süden in die heutigen Regionen von Yunnan und Guizhou (von Glahn 1987). Auch Naturkatastrophen wie Überschwemmungen des Gelben Flusses und des Huai-Flusses veranlassten Bauern und gewöhnliche Leute nach Alternativen zu suchen und in südliche Regionen zu migrieren. In Folge solcher Bevölkerungsverlagerungen lebten im Jahr 1102 geschätzte 75 Prozent von Chinas 101 Millionen Einwohnern bereits südlich der Flüsse Huai und Han, noch bevor die Migration nach Süden durch die Invasion der Dschurdschen-Jin (1115–1234) und den Fall der Nördlichen Song 1126 verstärkt wurde (Kuhn 2010: 74). Als die kaiserliche Familie der Song nach Hangzhou in der Provinz Zhejiang im Süden floh, folgte ihnen eine große Anzahl an Elitefamilien aus der Stadtregion – manche sogar bis nach Kanton. Auch Bauern und andere Bevölkerungsteile flohen vor den heranrückenden Jin-Truppen nach Süden. Eine Bewegung nach Süden aus Angst vor Angriffen der Mongolen wird in verschiedenen Quellen erwähnt (Eberhard 1962). Der Fall des Wu-Clans mag aufzeigen, wie innerhalb einer Periode von mehr als 800 Jahren ein Familienclan kontinuierlich weiter nach Süden zog. Man folgte dem „Marsch in Richtung Tropen“, wie H. J. Wiens (1954) das Phänomen nennt. Dies beschreibt eine generelle Richtung der chinesischen Migrationen: von Anhui nach Jiangxi, von Jiangxi nach Südfujian und dann weiter nach Süden in die Provinz Guangdong, vom Nordosten Guangdongs nach Kanton und schließlich in die Provinz Guangxi; oder über Hunan nach Guangxi. Die ersten Schritte dieser Migrationen fanden gewöhnlich zwischen 1100 und 1250 statt, während der Umzug nach Guangxi sich ab etwa 1400 ereignete (Eberhard 1962). Viele ähnliche Beispiele könnten genannt werden.

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Eine attraktive Motivation für die Bevölkerungsbewegung war die Aussicht auf ein besseres Leben in einem wirtschaftlich günstigeren Umfeld. In diesem Kontext veranlasste der starke Aufschwung des maritimen Handels seit dem 10. Jahrhundert ebenfalls viele Menschen, sich südwärts in die südlichen und südöstlichen Küstenregionen Chinas zu orientieren, wo sich große, belebte Häfen und Umschlagplätze entwickelten. Während Migration ursprünglich hauptsächlich ein ländliches Phänomen darstellte, waren dies Bewegungen in blühende Städte wie Hangzhou oder Quanzhou. Vor allem im Süden in Städten wie Quanzhou, dem Zaitun Marco Polos, oder auch in Kanton existierten bereits signifikante ausländische Gemeinschaften. Wir wissen, dass sich bereits im 8. Jahrhundert Händler aus vielen fremden Ländern, zum Beispiel aus den Regionen des heutigen Irak und Iran, auf den Märkten von Kanton oder Quanzhou mit der lokalen Bevölkerung vermischten. Zur Zeit Marco Polos im frühen 14. Jahrhundert war Quanzhou bereits zum Handelszentrum der asiatischen Welt geworden. Die Einführung neuer Technologien und Getreidearten spielte ebenfalls eine Rolle bei den Migrationsmustern. Während der Song-Dynastie ermöglichte die Einführung des Champa-Reises zum Beispiel, Reis im bergigen Hinterland von Fujian zu kultivieren, das zuvor nicht besiedelt war. Dies geschah allmählich auch in anderen Provinzen wie Sichuan, Jiangxi und Yunnan. Allgemein betrachtet erlebte die Jiangnan-Region in Südostchina, das Gebiet südlich des Yangzi-Flusses, während der Song- und Yuan-Periode einen fortlaufenden Aufschwung, sowohl hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung als auch des Bevölkerungswachstums. Die Bewegung nach Süden kann auch an der Migration der Eliten, wie Beamten und Gelehrten, verfolgt werden (Hymes 1986). Lediglich in der Ming-Zeit (1368–1644) fand eine signifikante Abwanderung von Menschen aus Jiangnan statt. Die Menschen in den drei größten Provinzen Jiangnans – Zhejiang, Jiangxi und Süd-Zhili – umfassten um 1393 vermeintlich fast die Hälfte der nationalen Bevölkerung. Diese Zahl mag übertrieben klingen, doch zeugt sie zumindest von der Bedeutung der Region im Hinblick auf die Bevölkerungskonzentration. Bis zur Mitte der Ming-Zeit hatte sich dieser Anteil auf ein Drittel verringert, vermeintlich verursacht u. a. durch Bevölkerungsdruck und Hungersnöte und eine dadurch bedingte Migration in Richtung Westen (Brook 2010: 47).

5 Die Yuan- und Ming-Perioden Die Gründung des mongolischen Reiches markierte zweifellos einen der größten Einfälle von Steppenvölkern in sesshafte Gesellschaften, darunter China, Iran und Russland – eine andere Form von Massenmigration. Während der Yuan-Periode (1279–1367), als China Teil des mongolischen Reiches war, fand ein reger wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Austausch zwischen China und Westasien statt, im

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Zuge dessen zum Beispiel eine riesige Anzahl von Wissenschaftlern, Handwerkern und Händlern freiwillig oder auf Anweisung nach China migrierte, vor allem aus dem Iran. Die ersten mongolischen Kaiser siedelten eine große Anzahl von Zentralasiaten im Osten Chinas an. Dschingis Khan (r. 1206–1227) ließ zum Beispiel 230.000 muslimische Handwerker aus Karakorum umsiedeln. Eine muslimische Gemeinschaft von 186 Haushalten soll damals in Henan in Nordchina existiert haben; 1320 wird sie als eine blühende, sich selbst verwaltende Gemeinschaft beschrieben (Rossabi 1981: 263, 273, 276). Während der Yuan-Periode migrierte auch eine größere Anzahl Spezialisten wie Mediziner, Apotheker und Ärzte nach China, unter anderem nach Nord- und Zentralchina. Der Zufluss von westasiatischen medizinischen Spezialisten scheint in dieser Periode einen Höhepunkt erreicht zu haben (Allsen 2004). Ein anderes Beispiel: Als die Mongolen begannen, die Dschurdschen-Jin anzugreifen, siedelte der Jin-Kaiser Xuanzong (r. 1213–1224) mehr als 400.000 Haushalte nach Süden um (Kuhn 2010: 89). Nach dem Zusammenbruch der Yuan-Dynastie 1368 kehrten die meisten Mongolen aus China in die Mongolei zurück und teilten sich grundsätzlich in zwei Gruppen auf, die Östlichen und die Westlichen Mongolen – sie formten also eine weitere große Migrationswelle, diesmal in Richtung Norden. Während der Ming-Zeit (1368–1644) kam es wiederum zu größeren staatlich veranlassten Migrationsbewegungen. Der erste Kaiser der Ming, Hongwu (r. 1368–1398), siedelte etwa 70.000 Chinesen in Nordwestchina an. Zusätzlich wurden Soldaten an die nördlichen Grenzen versetzt. Während der ersten drei Jahrzehnte der Ming-Dynastie hatten militärische Haushalte mit unterschiedlichen ethnischen Hintergründen aus ganz China vermutlich etwa zwei Millionen mou (1 mou entsprach ungefähr 667 m2) neuen Ackerlands allein in den Provinzen Yunnan und Guizhou in Südwestchina gewonnen. Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts migrierten fast 150.000 Haushalte landloser Bauern nach Norden in das Tal des Huai-Flusses. Steuerbefreiungen und Kredite der Regierung sollten die Umsiedlung attraktiv machen. Im 16. Jahrhundert wurden 621 Soldatenhaushalte aus dem Kreis Gaoling in der Provinz Shaanxi sowie 6.898 Soldatenhaushalte aus dem Kreis Haining in Zhejiang für den Dienst an Garnisonsposten von der Manjurei im Norden bis zur Grenze zwischen Yunnan und Birma im Süden rekrutiert. Im 14. Jahrhundert stationierten die Ming fast 30.000 einheimische Truppen aus Fujian in Yunnan (Lee 1978: 42, Anm. 24). Die Entscheidung des Kaisers Yongle (r. 1403–1425), die Ming-Hauptstadt von Nanjing nach Beijing im Norden zu verlegen, führte zum Umzug von Zehntausenden Haushalten nach Norden. Während des 15.  Jahrhunderts soll die Bevölkerung des Großraums von Beijing von 3 auf 7 Prozent der nationalen Bevölkerung gewachsen sein (Brook 2010: 45). Teil der politischen Ideologie Hongwus bestand in der Idee, ein soziales System auf Basis von konfuzianischen hierarchischen Prinzipien einzuführen, dessen Hauptsäule ein im Grunde auf den Eigenbedarf ausgerichteter Agrarsektor darstellte. Handel sollte nur in kleinem Maßstab stattfinden. „Handel zu Profitzwecken“ und „große Geschäftemacherei“ wurden als schädlich für Staat und Gesellschaft ange-

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sehen und sollten daher möglichst unterbunden werden. Deshalb zwang Hongwu zum Beispiel wohlhabende Grundbesitzer im Yangzi-Delta, ihr Land an gewöhnliche Bauern abzugeben. Einige dieser früheren Grundbesitzer wurden in die Hauptstadt Nanjing umgesiedelt, um sie einer strengeren Kontrolle zu unterziehen; andere wurden in ihre Heimatpräfekturen im Huai-Tal gesandt und wieder andere in die entvölkerte Nordchinesische Ebene. Während der Ming-Zeit fand, wie wir bereits gesehen haben, auch eine allmähliche Migration nach Westen statt, erst nach Jiangxi, dann nach Huguang (Hunan, Hubei und Guangdong) und schließlich nach Sichuan und Yunnan. Bis ins frühe 15.  Jahrhundert hatten sich Massen von „Wirtschaftsflüchtlingen“ aus dem Osten des Reiches (wie der Jiangnan-Region) in Huguang angesiedelt. Wie Timothy Brook erklärt, war ein Zentralbeamter, der 1509 in diese Region gesandt wurde, betroffen von den vielen nicht ortsansässigen Leuten, fast alle davon Migranten aus dem Osten. Die Jiangnan-Region blieb ein dicht besiedeltes Gebiet, aber aufgrund von Überbevölkerung zogen viele Menschen fortwährend in andere Teile des Landes (Brook 2010: 47).

6 Die chinesische Variante der Übersee-Expansion: Massenemigration ins Ausland Als Teil seiner politischen Ideologie verbot der erste Ming-Kaiser, Hongwu, 1371 alle privaten maritimen Handelsaktivitäten, ein Verbot, das bis 1567 andauern sollte. Im Kontrast zu den vorherigen Dynastien Song und Yuan wurden die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen Chinas mit fremden Ländern grundlegend neu organisiert. Hongwu etablierte ein sogenanntes „Verbot des maritimen Handels“ (haijin), wodurch „es keinem Stück Holz erlaubt war, auf dem Meer zu treiben.“ Außenhandel war offiziell nur noch als Teil des offiziellen Tributsystems erlaubt. Diese politische Maßnahme beraubte große Teile der Küstenbevölkerung ihrer vormaligen Erwerbsquelle. Viele Chinesen, deren Lebensunterhalt vom maritimen Handel abhängig war, wurden zum Schmuggeln getrieben. Sie wurden „Piraten“, wie es in den offiziellen chinesischen Quellen heißt, emigrierten oder taten beides. Zuerst die politische Entscheidung, jeglichen privaten maritimen Handel zu verbieten, und anschließend der enorme Aufschwung des maritimen Handels nach der Aufhebung des Verbots im folgenden Jahrhundert – vor allem zwischen ca. 1567 und 1640 und nach den 1680er Jahren – führten zu einer regelrechten Massenemigration von Chinesen in andere Länder, wo sie die bekannten chinesischen Auslandsgemeinschaften und „China towns“ auf- oder ausbauten (die in ihren Anfängen bereits in den Jahrhunderten zuvor bestanden) – vor allem in Südostasien, aber auch in Japan oder auf Taiwan. Familien aus Fujian zogen auf die Ryūkyū-Inseln (heutiges Okinawa), einigen Quellen zufolge wurden sie von Kaiser Hongwu offiziell dorthin gesandt. Dort halfen sie, die

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Handelsbeziehungen in Ost- und vor allem Südostasien und sogar darüber hinaus aufrecht zu erhalten. Kleine Gruppen von Chinesen waren spätestens seit der Südlichen Song-Zeit ins Ausland emigriert, die große Welle der Emigration setzte jedoch nach 1567 ein, nach der letztendlichen Legalisierung des bis dahin inoffiziell florierenden Außenhandels. Diese Massenemigration von Chinesen im 16. und 17. Jahrhundert kann durchaus als die chinesische Variante der Überseeexpansion betrachtet werden, Chinas frühneuzeitliche „Überseehandelsexpansion“. Sie war das Ergebnis sowohl der von der frühen Ming-Regierung eingeführten Politik, als auch der Kommerzialisierung der lokalen Wirtschaft, die seit der Tang-Zeit (und möglicherweise früher) eng mit dem maritimen Handel verknüpft war (Blussé 2008). Viele Handelsnetzwerke wurden in der Folge nur mit der Hilfe von Chinesen, die im Ausland lebten, aufrechterhalten (Huaqiao, wörtlich „Chinesen, die außerhalb von China leben“).

7 Ausländische Migration nach China Im folgenden Abschnitt seien noch ein paar Worte zur Migration von Ausländern nach China gesagt. Westasiaten, Perser und Araber migrierten relativ früh in größerer Zahl sowohl auf dem Land- als auch auf dem Seeweg nach China. Diese Entwicklung muss auch in Relation zu den Entwicklungen im Iran betrachtet werden. Infolge der arabischen Expansion im 7. Jahrhundert sandte der persische König Yazdgard III. (reg. 632–651) 638 eine Mission nach China, welche den chinesischen Hof um Hilfe bei der Abwehr der Araber bat. Der Sohn des Königs, Peroz (gest. nach 677), Anführer der Mission, ließ sich später in der chinesischen Hauptstadt Chang’an nieder und gründete einen persischen Hof im Exil. Seine Restaurationsversuche scheiterten zwar, doch folgten viele Perser ihrem König und blieben später in Chang’an wohnen. Mit dem Beginn des Kalifats der Abbasiden (750–1258) im Jahr 750 erlangten Händler allmählich einen wichtigeren Stellenwert in den bilateralen Beziehungen als Diplomaten. Da die Routen über Land zeitweise durch politische und militärische Konflikte blockiert waren, reisten die Händler über See. Wir besitzen zum Beispiel eindeutige Belege, dass Yangzhou, das sich am Großen Kanal, etwa 15 Kilometer nördlich des Zusammenflusses mit dem Yangzi, befindet, den muslimischen arabischen und persischen Händlern nicht nur bekannt war, sondern ihnen auch als eines der größten Handelszentren dieser Zeit diente. Auch Kanton kann als Beispiel dienen. Die Größe solcher ausländischen Gemeinschaften in China mag durch einige Quellenangaben ersichtlich werden: Die Offizielle Geschichte der Tang-Dynastie spricht beispielsweise von mehreren Tausend arabischen und persischen Händlern, die während lokaler Unruhen in den 750er Jahren getötet worden seien (Ouyang Xiu / Song Qi, Xin Tangshu [Neue Geschichte der Tang-Dynastie]. Beijing 1974, 141.4655 und 144.4702). Im Jahr 758, im 9. Monat, sollen Araber und Perser Kanton sogar geplündert haben (Liu Xu [Hou Jin], Jiu Tangshu. Beijing 1997, 198.5313; Ouyang Xiu / Song Qi, Xin Tangshu

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[Neue Geschichte der Tang-Dynastie]. Beijing 1974, 6.161). Auch arabische Quellen wie das Akhbār al-Sīn wa-l-Hind von 851 geben uns Beschreibungen arabischer Siedlungen in China. Es wird berichtet, dass der chinesische Rebell Huang Chao (gest. 884) bei der Belagerung Kantons 879, etwa 120.000 Ausländer (Muslime, Juden, Christen und Mazdeaner) getötet haben soll, vor allem Araber, Perser, Inder und Menschen aus Südostasien, die sich in China niedergelassen hatten (Levy 1961, 109–121, der chinesische und arabische Quellen vergleicht, die das Massaker entweder beschreiben oder darauf hinweisen). Die Zahl von 120.000 mag übertrieben sein, bezeugt aber zweifelsohne die signifikante Anzahl von Ausländern im tangzeitlichen Kanton. Dieses „Kanton-Massaker“ soll wiederum eine Migrationswelle von arabischen Siedlern nach Indonesien verursacht haben (Wink 1996: 84). Während der folgenden Songund Yuan-Dynastien erreichte die Migration von Arabern und Menschen, die in chinesischen Quellen ab der Yuan-Zeit als „Hui“ oder „Huihui“ (bis heute der Begriff für ethnische Muslime) bezeichnet werden, einen Höhepunkt. Während der SongZeit sollen Araber sogar schwarze Sklaven aus Ostafrika nach China gebracht haben (Wyatt 2010: 66–70). Die zunehmende Anwesenheit von Hui oder Huihui im China der Song- und YuanZeit wird auch durch archäologische Belege wie die „muslimischen“ Grabsteine, die in Quanzhou gefunden wurden, unterstützt (Chen 1984). Die Lokalchronik des Kreises Zhenjiang in der Provinz Jiangsu spricht von etwa 10.000 sogenannter „Gäste“, unter ihnen Huihui, Mongolen, Uighuren, nestorianische Christen, Tanguten, Khitan, Dschurdschen und andere (Yu Xilu, Zhishun Zhenjiang zhi [Lokalchronik des Kreises Zhenjiang]. Nanjing 1999, 88 und 92). Während der Yuan-Dynastie erreichte die muslimische Migration nach China schließlich einen Höhepunkt. Ebenso war eine der berühmtesten Persönlichkeiten der Ming, der Eunuch Zheng He, der im 15. Jahrhundert sieben große Überseeexpeditionen im Namen des Kaisers Yongle durchführte, Muslim. Mit dem Beginn der europäischen Überseeexpansion begannen schließlich auch Europäer, vor allem Händler und Missionare, sich in China niederzulassen. Bereits 1514 erreichten die Portugiesen als erste Europäer China; 1517 segelten ihre ersten Schiffe nach Kanton. Die portugiesische Enklave Macao in Südchina wurde in den 1540er Jahren gegründet (Mote 1999: 722), und bis heute ist der portugiesische Einfluss vor Ort präsent.

8 Die Dynastien Chinas Zhou-Dynastyie (1045 [trad. 1122] v. Chr.–256 v. Chr.) Qin-Dynastie (221–206 v. Chr.) Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) Xin-Dynastie (9–23 n. Chr.) Sanguo-Periode (Drei Reiche) (220–265, 280)

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Shu (221–263) Wu (222–280) Wei (220–265) Westliche Jin-Dynastie (265–316) Östliche Jin-Dynastie (317–420) Nanbeichao-Periode (Südliche und Nördliche Dynastien) (420–589, 386–581) Südliche Dynastien Liu-Song-Dynaste (420–479) Südliche Qi-Dynastie (479–502) Liang-Dynastie (502–557) Chen-Dynastie (557–589) Nördliche Dynastien Nördliche Tuoba-Wei-Dynastie (386–534) Östliche Wei-Dynastie (534–550) Westliche Wei-Dynastie (535–556) Nördliche Qi-Dynastie (550–577) Nördliche Zhou-Dynastie (557–581) Sui-Dynastie (589–618) Tang-Dynastie (618–906) Wudai-Zeit (907–960) oder Zeit der Fünf Dynastien und Zehn Reiche Spätere Liang (907–923) Spätere Tang (923–936) Spätere Jin (936–947) Spätere Han (947–951) Spätere Zhou (951–960) Liao-Dynastie (916–1125) der Khitan (Ch. Qidan) Jin-Dynastie (1115–1234) der Dschurdschen (Ch. Ruzhen) Song-Dynastie (960–1279) Yuan-Dynastie (1271/79–1367) Ming-Dynastie (1368–1644) Qing-Dynastie (1644–1911) Die vorliegende Untersuchung trägt zum MCRI (Major Collaborative Research Initiative) Projekt bei, das vom Social Science and Humanities Research Council (SSHRC), Kanada, gefördert wird.

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Annette Schmiedchen

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1 Einleitung Der Begriff ‚Indien‘ wird hier zur Bezeichnung des vormodernen indischen Kulturraums benutzt. Dieser geographische Raum umfasste hauptsächlich die Territorien der heutigen Indischen Union, Pakistans und Bangladeschs, aber auch Nepal und Sri Lanka. Das indische Mittelalter war in besonderem Maße durch politisch-militärische, ökonomisch und religiös motivierte Migrationsbewegungen gekennzeichnet. Es gibt reichlich Belege für derartige Wanderungsbewegungen nach Indien und innerhalb dieses Kulturraums sowie – wenn auch in meist geringerem Umfang – von Indien in andere Regionen.

2 Politisch-militärische Migrationsbewegungen Die Bedeutung von Fremdeinfällen – der wohl bedeutendsten Form politisch-militärischer Migration im vormodernen Indien – für die Herausbildung der indischen Kultur sollte nicht unterschätzt werden. Indien war ein Gebiet steter Einwanderungsund Eroberungswellen, auch wenn die moderne Geschichtswissenschaft lange dazu geneigt hat, den Blick zu sehr auf das Moment der Fremdherrschaft zu verengen. Die Migrationen und Eroberungszüge der vedischen Āryas, der persischen Achämeniden, Alexanders des Großen, der Yavanas (Indo-Griechen), Śakas (Indo-Skythen) und Pahlavas (Indo-Parther) sowie der aus Zentralasien stammende Kuṣāṇa-Dynastie hatten die alte Geschichte Nordindiens und teilweise Zentral- und Südindiens beeinflusst. Im späten Altertum und im Mittelalter nahmen die Fremdeinfälle einen stark destruktiven Charakter an und waren unter anderem auch für die Zerstörung der buddhistischen Klosterkultur im Nordwesten des Subkontinents verantwortlich. Am Ende des 5. Jahrhunderts eroberten die iranischen Hunnen, die Hūṇas der indischen Quellen, große Teile Nordwest- und Westindiens. Arabische und andere muslimische Kräfte unterwarfen seit dem 8.  Jahrhundert weite Landstriche; islamische Staatlichkeit wurde auch in Indien etabliert. Mit der Einnahme Goas durch die Portugiesen im Jahr 1510 begann schließlich die Periode der frühneuzeitlichen Eroberungen. Die indische Reaktion auf Einwanderung und Fremdherrschaft in vormoderner Zeit reichte von Antipathie und Ablehnung über Indifferenz bis hin zu Aufnahmebereitschaft für fremde Einflüsse. Insbesondere der Brahmanenstand, der aus der Priesterschaft der am Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. nach Nordindien eingewanderten

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vedischen Āryas hervorgegangen war, entwickelte Mechanismen der Abgrenzung und des Ausschlusses. Die sehr distanzierte Haltung gegenüber Fremden wurde mit dem Argument erklärt, dass enger Kontakt oder gar Mischehen mit ihnen rituelle Unreinheit verursachten. (Ein Nebeneffekt dieser Auffassung von Reinheit und Unreinheit war der, dass Brahmanen ihrerseits auch keine Reisen in andere Länder unternehmen sollten.) Die Vorstellungen der Brahmanen führten jedoch nie zu deren völliger Isolation, sondern vielmehr zu einer speziellen Kombination von sozio-religiöser Abgrenzung und wirtschaftlicher Integration, die es bereits den Priestern der nach Nordindien einwandernden vedischen Āryas ermöglicht hatte, große Teile der heimischen Bevölkerung in die untersten Ebenen ihres Sozialmodells, des Systems der vier Stände (varṇa: Brahmanen, Kṣatriyas, Vaiśyas, Śūdras), einzubeziehen (Kulke 1992: 23–25). Die vedischen Āryas hatten kulturell andersartige Stämme mleccha genannt, und ursprünglich waren Sprache und Siedlungsgebiet entscheidende Kriterien für Gleichbzw. Andersartigkeit. Später wurden auch fremde Eroberer als mleccha bezeichnet. Es ist jedoch recht bemerkenswert, dass die dominanten Gruppen der indischen Gesellschaft den Versuch unternahmen, die Existenz von Fremden in ihrem Umfeld mit diversen Ursprungsmythen zu erklären. Diese Vorgehensweise offenbart ihr Bemühen, das Verhältnis zu den Ausländern in gewissem Maße zu rationalisieren und eine Koexistenz beziehungsweise die Integration zu ermöglichen. Die Angehörigen fremder Eliten waren daran interessiert, soziale Anerkennung zu finden, und der Einfluss und das Prestige der Brahmanen wuchsen infolge ihrer Deutungshoheit in diesen Angelegenheiten (Parasher 1991: 1–35). Im Mānavadharmaśāstra, einem brahmanischen Rechtstext, dessen älteste Teile aus den ersten Jahrhunderten n. Chr. stammen, werden auch die Yavanas, Śakas und Pahlavas als mleccha klassifiziert. Sie hätten zwar ursprünglich zu den Kṣatriyas, dem Militäradel, gehört, seien aber allmählich zum niedrigsten Stand, dem der Śūdras abgesunken, da sie die Dienste der brahmanischen Priester nicht in Anspruch nahmen (Manu’s Code of Law. A Critical Edition and Translation of the MānavaDharmaśāstra. Ed. Patrick Olivelle. Oxford 2005, 210). Die Purāṇas, mythologische Texte aus dem späten Altertum und dem frühen Mittelalter, enthalten angeblich alte Prophezeiungen, die belegen, dass das tiefe brahmanische Misstrauen gegen einwandernde Fremde teilweise eine Reaktion auf äußerst instabile politische und ökonomische Verhältnisse im sogenannten ‚dunklen Zeitalter‘ (kaliyuga) war (Virkus 1997: 37 f.). Aber das Brahmanentum wurde zu keiner Zeit durch eine homogene Gruppe repräsentiert. Es gab immer auch brahmanische Gruppierungen, die ihre Kenntnisse sogar Fremden darlegten und sich – wie man in der indischen Astrologie / Astronomie sehen kann – von ausländischem Wissen beeinflussen ließen. Seit dem Altertum sind Formen echter Akkulturation jedoch viel eher in buddhistischem Umfeld und zwischen Kaufleuten beziehungsweise in Adelskreisen nachweisbar. Im späten Altertum wurde das Reich der nordindischen Gupta-Dynastie durch die Einfälle der Hūṇa-Nomaden in eine Krise gestürzt. Die ältesten indischen Hin-

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weise auf die iranischen oder Alchon-Hunnen finden sich in einer Inschrift des Skandagupta von der Mitte des 5.  Jahrhunderts. Darin wird berichtet, dass dieser die Hūṇas geschlagen habe. Im späten 5. Jahrhundert besiegte ein Hūṇa-König den zeitgenössischen Sassaniden-Herrscher und gründete ein Reich. Unter ihrem Anführer Toramāṇa (reg. 490–515) unternahmen die Hūṇas weitere Eroberungszüge nach Indien. Toramāṇa und sein Sohn Mihirakula (reg. 515–535) weiteten ihr Territorium bis in das westindische Mālava aus. Dieses Vordringen führte zu militärischen Auseinandersetzungen mit Lokalfürsten und förderte Abspaltungstendenzen im GuptaReich. Doch die Hūṇas waren nicht in der Lage, sich dauerhaft zu etablieren, und im 6. Jahrhundert wurden sie nach Kaschmir verdrängt (Sagar 1992: 206–229; Biswas 1973: 56–58). In buddhistischen Texten werden die Hūṇas beschuldigt, die Klöster des Nordwestens zerstört zu haben. Numismatische ebenso wie epigraphische Quellen belegen jedoch, dass es auch klare Tendenzen der Assimilation und Indisierung gab. So fiel in die Herrschaftszeit von Toramāṇa die Errichtung buddhistischer Bauten (Melzer 2006: 251), und Mihirakula soll zum Śivaismus konvertiert sein. Bisher sind keine Inschriften verfügbar, die die Hūṇa-Könige selbst ausgestellt hätten. Aber epigraphische Zeugnisse von Vasallenfürsten und von Privatpersonen aus dem Nordwesten und Westen Indiens nehmen Bezug auf die beiden Herrscher. Die Inschriften zeigen, dass die Hūṇas ihre imperialen Titel und das administrative System von den Guptas entlehnt hatten, und durch die Hūṇas in Indien ausgegebene Münzen imitierten ebenfalls Gupta-Vorbilder. Die Königslisten der Purāṇas führen die Hūṇas unter den mleccha-Dynastien auf, die – wie andere Fremdherrscher vor ihnen – als degenerierte Kṣatriyas angesehen wurden. Die Einfälle der Hūṇas hatten die nordindische Gesellschaft erschüttert und zu einer Stärkung traditioneller Wertvorstellungen geführt, stellten aber dennoch eher eine historische Randerscheinung dar. Im Unterschied dazu hinterließen die islamischen Eroberungen des Mittelalters tiefe und dauerhafte Spuren in der indischen Geschichte und Kultur. Mehr oder weniger unmittelbar nach ihrer religiösen und politischen Einigung unter dem Schirm des Islam wandten sich Teile der arabischen Stämme in Richtung Nordwestindien, angezogen von den legendären Reichtümern, die sie dort zu finden hofften (Jain 1990: 72 f.). Im Jahr 711/712 stießen sie bis in die heute zu Pakistan gehörende Region Sindh vor. Aber – wie André Wink festgestellt hat – „[n]o mass migration of Arab tribes followed the invasion“ (Wink 1990: 203). Indische Schriftzeugnisse nennen diese Fremden Tājikas. Der Begriff leitet sich von dem Pahlavi-Wort Tāzīg ab, das einen der arabischen Stämme bezeichnete (Pingree 1981: 172). Die wohl frühesten Sanskrit-Belege für Tājikas finden sich in Inschriften aus dem Jahr 736, die deren Einfälle auf die westindische Halbinsel Kathiawar erwähnen. Im Jahr 739 waren die Tājikas bis in die Region nördlich des heutigen Mumbai vorgerückt (Chattopadhyaya 1998: 32–34). Ihr Eindringen nach Zentralindien konnte jedoch durch die in Maharashtra und Karnataka herrschenden Dynastien der Calukyas und Rāṣṭrakūṭas verhindert werden.

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Es gibt aber nicht nur Hinweise auf die militärische Präsenz der Tājikas in Indien, sondern auch – obgleich viel seltener – auf deren (frühe) Akkulturation. Im Jahr 926 stellte ein Tājika-Fürst namens Madhumati (dies ist eine Sanskritisierung für Mohammed), der unter der Oberherrschaft der Rāṣṭrakūṭa-Könige Teile der Westküste nördlich des heutigen Mumbai regierte, eine auf Sanskrit verfasste Kupfertafelurkunde indischen Stils und Typs aus. Darin wird berichtet, dass der Freund eines brahmanischen Ministers dieses arabischen Fürsten ein Kolleg gegründet hatte, das einer lokalen Göttin geweiht war. Auf Vermittlung des Ministers stiftete Madhumati ein Dorf sowie ein Landstück zugunsten dieser hinduistischen Institution „für den Fortbestand der Religion (dharmacirasthitaye)“ (Rashtrakuta Charters from Chinchani: 1. Grant of the Time of Indra III, Śaka 848. Ed. D. C. Sircar, in: Epigraphia Indica 32, 1957–58, 45–55, bes. 53, Zeilen 30 f.). Im 8. und 9. Jahrhundert verzögerte die nordindische Gurjara-Pratihāra-Dynastie den weiteren Vorstoß muslimischer Truppen, die sie mleccha oder Tājikas in ihren Inschriften nannten (An Inscription of Pratihāra Vatsarāja, Śaka 717. Ed. K. V. Ramesh / S. P. Tewari, in: Epigraphia Indica 41, 1975–76, 49–57, bes. 50–52). Doch im Jahr 1018 wurde diesem Königshaus eine entscheidende Niederlage durch eine neue Welle von islamischen Eroberern aus Afghanistan beigebracht, die unter dem Kommando des Maḥmūd von Ghazni (reg. 998–1030) standen. Die Ghaznaviden, eine von türkischen Sklaven abstammende Herrscherlinie, plünderte, zerstörte und brandschatzte viele Städte im Norden Indiens, unter anderem auch Kanauj, die Gurjara-PratihāraHauptstadt, und „transplanted Perso-Islamic culture to Indian soil“ (Wink 1990, 21). Der Verlauf des späten Mittelalters in Indien wurde in erheblichem Maße durch das im Jahr 1206 gegründete Sultanat von Delhi, durch die Verbreitung islamischer Herrschaft und Religion nicht nur im Norden, sondern auch in der Zentralregion und im Süden sowie durch die Einwanderung einer großen Zahl von Muslimen bestimmt. Lange Zeit scheinen die in Zentralindien während des 12./13. Jahrhunderts herrschenden Yādavas nur die unmittelbar von ihren direkten indischen Nachbarn und traditionellen Konkurrenten ausgehende Gefahr erkannt, die muslimischen Eroberungen hingegen bestenfalls als potentielle, aber sehr ferne Bedrohung wahrgenommen zu haben. Rāmacandra, der letzte König dieser Dynastie, ließ im Jahr 1310 stolz berichten, er habe „die [nordindische] Stadt Benares von den Fremdherrschern (mleccha) befreit“ (Purshottampuri Plates of Ramachandra: Saka 1232. Ed. V. V. Mirashi, in: Epigraphia Indica 25, 1939–40, 199–225, bes. 222, Strophe 18). Nach muslimischen Quellen musste er sich jedoch nur wenige Monate später ʿAlāʾ ad-Dīn Khalajī (reg. 1296–1316), dem Herrscher von Delhi, endgültig geschlagen geben. Die YādavaHauptstadt Devagiri wurde in Daulatabad umbenannt, kam unter die direkte Kontrolle des Delhi-Sultanats und diente als Militärbasis für weitere Vorstöße nach Südindien (Verma 1970: 150–152). ʽAlāʼ ad-Dīn Khalajī wurde aber auch dafür berühmt, dass er den Einfall der Mongolen abwehrte, die im späten 13. Jahrhundert Nordindien erreicht hatten. 1398 plünderte der Mongole (und Muslim) Timur Delhi und förderte

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damit ein Auseinanderfallen des Sultanats. Im Jahr 1526 schließlich gründete Bābur, der ebenfalls von mongolischer Herkunft war, das Moghul-Reich. Um die Mitte des 14.  Jahrhunderts entstand im Süden Indiens gewissermaßen als eine geopolitische Reaktion auf das weitere Vordringen des Islam das Reich von Vijayanagara. Die äußere Bedrohung, die mit der Zerstörung hinduistischer Tempel, der Verfolgung von Brahmanen sowie Massenübertritten zum Islam einherging, prägte den Charakter und die Struktur dieses letzten südindischen hinduistischen Reiches (Stein 1994: 18 f.). In Tamilnadu, Karnataka und Andhra Pradesh florierte der Tempelbau; die Vijayanagara-Könige nahmen Brahmanen aus anderen Gebieten in ihre Dienste und betrauten sie mit diversen Aufgaben in Verwaltung und Militär. In Inschriften wurden die Krieger des Reiches dafür gepriesen, die Muslime zurückgedrängt und den Tempelkult wiederbelebt zu haben. Doch im späten 16. Jahrhundert eroberten die vereinten muslimischen Truppen endgültig das Vijayanagara-Reich (Stein 1994: 119 f.). Auch in Nord- und Zentralindien existierten während der Periode des Sultanats von Delhi kleinere hinduistische Reiche, und einige wenige Regionen, wie z. B. Orissa, waren nur in sehr geringem Umfang von den islamischen Invasionen und Migrationen betroffen. Wie bereits erwähnt, wurde in Sanskrit-Quellen hauptsächlich der Begriff mleccha, die traditionelle Bezeichnung für Fremde, gebraucht, um verschiedene Wellen von Einwanderern zu benennen. Mitunter verwendete man auch andere alte Termini für Muslime, z. B. Yavana (ursprünglich für die Griechen und Indo-Griechen eingeführt, dann auf die aus dem ‚Westen‘ Stammenden schlechthin übertragen). Einerseits deutet die Benutzung von Oberbegriffen darauf hin, dass man die Andersartigkeit der Fremden im Vergleich mit sich selbst und deren potentielle Feindseligkeit gegenüber eigenen ‚Moralregeln‘ (dharma) kennzeichnen wollte. Zum anderen zeigt der Gebrauch verschiedener ethnischer Benennungen, dass die Muslime keineswegs als homogene Gruppe angesehen wurden. Nach dem Ausdruck Tājika war der Begriff Turuṣka sehr verbreitet, der bereits seit dem 7. Jahrhundert belegt ist und ursprünglich die ethnischen Türken vor deren Islamisierung benannt hatte. Das seltenere Wort Pārasīka bezeichnete die persischen Sassaniden, dann die muslimischen Herrscher des Iran und später auch die persischstämmigen Siedler an der Westküste Indiens. Garjaṇa ist von dem Toponym Ghazni abgeleitet und verweist auf die Herrscher von Delhi (Chattopadhyaya 1998: 30). In diesem Kontext ist erwähnenswert, dass Inschriften in ‚islamischen‘ Sprachen in Indien nicht vor dem Ende des 12. Jahrhunderts auftauchen (Salomon 1998: 106 f.). Ihr Erscheinen ist ungefähr zeitgleich mit dem Beginn islamischer Herrschaft auf dem Subkontinent. Angesichts des großen Einflusses muslimischer Migrationsbewegungen sollte jedoch nicht übersehen werden, dass auch Mitglieder indischer Königs- und Adelsgeschlechter lange vor der Ankunft des Islam aus ihren jeweiligen Heimatregionen in andere Gebiete gezogen waren. Vasallen wurden an neue Orte geschickt, diverse Dynastien etablierten Seitenlinien in entfernten Landesteilen, und matrimoniale Allianzen führten dazu, dass sich die weiblichen Angehörigen von Fürstenhäusern in die

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Residenzen ihrer jeweiligen Gatten begeben mussten. Die Herkunft zahlreicher indischer Dynastien ist nicht zuletzt deshalb häufig noch umstritten, weil deren Gründer oft ehemalige Vasallenfürsten waren, die man an Orte fernab ihrer Heimat versetzt hatte. Das Ursprungsland des bedeutenden Königsgeschlechts der Rāṣṭrakūṭas könnte in Maharashtra, in Karnataka oder in Gujarat gelegen haben; für jede dieser Möglichkeiten gibt es Indizien (Gopal 1995: 17–38). Die Calukya- und die RāṣṭrakūṭaDynastie herrschten selbst im Gebiet von Karnataka und Maharashtra, installierten jedoch jeweils eine Seitenlinie in Gujarat und – im Falle der Calukyas – ebenfalls in Andhra Pradesh. Während diese Migrationsbewegungen hauptsächlich durch interne Machterwägungen motiviert waren, wurden einige Bewegungen der indischen politischen Elite im 13. und 14. Jahrhundert auch durch das schnelle, massive Vordringen der Muslime bis in die südlichen Teile Zentralindiens verursacht. So zogen beispielsweise Offiziere aus Andhra Pradesh nach Tamilnadu, das zum Vijayanagara-Reich gehörte, und formierten sich dort zu einer neuen Militäraristokratie, deren Mitglieder man nāyaka, ‚(Armee-)Führer‘, nannte. Sie wurden zum Teil von Brahmanen, Händlern und Bauern begleitet und siedelten sich oft auf Brachland an. Die konkreten Umstände deuten jedoch vielfach darauf hin, dass diese Migrationen nicht nur politisch-militärische, sondern auch ökonomische Gründe hatten und die Neuankömmlinge zuweilen in Konflikt mit den lokalen Eliten gerieten (Stein 1980: 396–398). Die Auswirkungen politisch-militärischer Migrationsbewegungen sind besonders klar in den Randgebieten des südasiatischen Subkontinents zu erkennen, wie die Verhältnisse in Sri Lanka und Nepal zeigen. Im Altertum war die Insel Ceylon durch verschiedene Wellen von Einwanderern aus Nordwest- und aus Nordostindien kolonisiert worden, die die noch heute dominante singhalesisch-buddhistische Kultur entscheidend geprägt haben. Der Gang der mittelalterlichen Geschichte Sri Lankas wurde hingegen ganz wesentlich durch diverse Invasionen südindischer Tamilen bestimmt, die sich von den Singhalesen nicht nur in ethno-linguistischer Hinsicht, sondern auch bezüglich der Religion, der sie anhingen, unterschieden. Zwischen dem 5. und 13. Jahrhundert drangen die Tamilen diverse Male erfolgreich auf die Insel vor (Gombrich 1997: 144). Nach Aussage der vormodernen Chroniken Sri Lankas, die von singhalesischen buddhistischen Mönchen verfasst wurden, usurpierten tamilische Könige den Thron in dieser Zeit mehrmals. Den aus den häufigen Einfällen resultierenden Konflikt interpretierte man als Konfrontation zwischen den (meist) buddhistischen Singhalesen und den hinduistischen Tamilen. Dies wurde einer der stärksten historischen Mythen der Singhalesen, die sich als Bewahrer des Buddhismus ansahen. Die tamilischen Könige der Cola-Dynastie besetzten nicht nur Teile von Sri Lanka, sondern unternahmen im 11. Jahrhundert auch einen oder mehrere Flottenangriffe gegen das Śrīvijaya-Reich auf Sumatra mit dem Ziel, die Kontrolle über den Seehandel im Indischen Ozean zu erlangen (Kulke 2009). Dies war anscheinend das einzige Beispiel für vormoderne indische Expansionsbestrebungen, die auf außerhalb von Südasien gelegene Territorien gerichtet waren.

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Für die hinduistischen Gurkhas, die in Nepal seit dem 12. Jahrhundert ansässig sind, wird vermutet, dass ihre Anwesenheit in der Himalaya-Region auf die Auswanderung einer Königsfamilie aus Rajasthan zurückzuführen sei (Lienhard 1989: 124 f.), infolge der muslimischen Einfälle nach Westindien. Die dauerhafte Etablierung islamischer Herrschaft in Indien im frühen 13. Jahrhundert intensivierte derartige Wanderungsbewegungen der alten politisch-militärischen, wirtschaftlichen und religiösen Eliten, wobei insbesondere die Flucht von Brahmanen, Priestern und Mönchen nicht selten durch extreme Formen der Verfolgung verursacht wurde. Andererseits schickten die muslimischen Eroberer Inder in großer Zahl als Sklaven nach Westen (Wink 1990: 61 f.).

3 Ökonomische Migrationsbewegungen Die offensichtlichste und bekannteste Form von Wirtschaftsmigration, d. h. von ökonomisch motivierten Wanderungsbewegungen, im frühmittelalterlichen Indien war die Migration von Brahmanen. Im Altertum hatte ein enormes Wachstum in Landwirtschaft, Handwerk und Handel einen erheblichen Anstieg in der Bevölkerungszahl Nordindiens, insbesondere in der Gangesebene, bewirkt. Dies führte auch zu einer Zunahme der Zahl der Brahmanen, die – nach eigener Theorie – per Geburt dem obersten Stand der Gesellschaft angehörten und an bestimmte, festgelegte Tätigkeitsprofile gebunden waren, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Brahmanen sollten die vedischen Texte studieren und lehren, für sich und für andere opfern sowie Gaben geben und empfangen, wobei sie selbst das Monopol auf das Lehren der heiligen Texte, auf das Vollziehen von Opfern und Riten für Dritte sowie auf die Annahme von Geschenken beanspruchten (Manu’s Code of Law. Ed. Olivelle [2005], 211 f.). In der Praxis sahen sich aber viele Brahmanen wirtschaftlichen Problemen ausgesetzt und konkurrierten mit buddhistischen Mönchen um die Gunst der Könige und anderer potentieller Stifter. Diese Schwierigkeiten intensivierten sich im späten Altertum, als der Fernhandel rückläufig war, die Stadtkultur niederging und Nordindien von einer Krise der Landwirtschaft infolge der Übernutzung der Böden betroffen war (Sharma 1987: 132–134). In dieser Situation blieben unversorgten Brahmanen im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Sie konnten (1.) in eigentlich verbotene, aber für Notzeiten zugelassene Berufe wechseln oder (2.) in ‚unreine‘ Gebiete, in denen es an brahmanischen Priestern mangelte, auswandern – und sie taten beides. Nach Aussage ihrer heiligen Texte galt den orthodoxen Brahmanen nur der zentrale Teil Nordindiens als rituell ‚rein‘. Im Laufe der Zeit wurden sie jedoch durch die Umstände gezwungen, diese strikte Haltung zu ändern, und ihre massenhafte Auswanderung in andere Regionen Indiens, die man zwar bereits für das Altertum vermuten kann, die jedoch erst seit dem frühen Mittelalter klar belegbar ist, stellt geradezu ein Lehrbeispiel für Migrationen dar. Tausende mittelalterliche Kupfertafelurkunden

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bezeugen Dorf- und Landstiftungen zugunsten von Brahmanen und erwähnen deren ursprüngliche Herkunftsorte. Mitunter deuten auch die Namen der brahmanischen Begünstigten an, dass es sich wohl um Einwanderer aus anderen Gebieten Indiens handelte. Der Informationsgehalt der epigraphischen Zeugnisse lässt es nicht immer zu, direkt auf Migrationen der Stiftungsempfänger oder ihrer Vorfahren zu schließen; für viele der Brahmanen, die Dotationen in Ost-, Zentral- oder Südindien, also nicht im Norden, erhielten, kann dies aber unterstellt werden. Brahmanen scheinen auf Einladung oder aus Eigeninitiative ihre Heimat verlassen und sich an die mittelalterlichen Höfe anderer Regionen begeben zu haben (Witzel 1985: 47 f.; Datta 1989: 69 f.). Sie spielten eine sehr wichtige Rolle für die Legitimation aufstrebender Fürsten, denen sie mythologisch-dynastische Genealogien verfassten. Diese Migrationen waren von brahmanischen ebenso wie von königlichen und fürstlichen Interessen geleitet und sowohl wirtschaftlich als auch politisch-religiös motiviert. Im frühen Mittelalter wanderten Brahmanen nicht nur von Nord nach Süd, sondern auch in die umgekehrte oder eine andere Richtung auf dem Subkontinent, sowohl innerhalb eines Königreiches als auch zwischen verschiedenen Reichen. Die epigraphischen Zeugnisse belegen eine große Mobilität von Brahmanen, doch nur einige von ihnen konnten an den Fürstenhöfen ein Auskommen finden. Viele scheinen sich dort lediglich in Erwartung einer Stiftung aufgehalten zu haben, die ihnen Einkünfte aus Dörfern oder Ländereien sicherte. Mitunter brachten Dotationen die brahmanischen Begünstigten zurück an ihre Heimatorte, aber weitaus öfter mussten die Stiftungsempfänger an Orte umziehen, die Hunderte Kilometer entfernt lagen. Indizien dafür liefern die Informationen über die Fundorte der Kupfertafeln, auf denen die Stiftungsdetails eingraviert und die als Dotationsurkunden übergeben wurden. Die prinzipielle brahmanische Bereitschaft zum Ortswechsel nach einer Stiftung hing unter anderem damit zusammen, dass das traditionelle Brahmanentum nicht nur das höfische Milieu schätzte, sondern auch ein Leben auf dem Land im Vergleich zu dem in der Stadt favorisierte. Zuweilen wohnten die mit Dotationen bedachten und zugezogenen Brahmanen in kleinen Städten oder Gelehrtenzentren, aber häufig siedelten sie sich direkt in den Dörfern an, für die ihnen Steuerrechte zugesprochen worden waren. Auffällig ist, dass Brahmanen nicht selten relativ kleine Landstücke erhielten, deren Größe lediglich dazu ausreichte, den Begünstigten und seine Familie zu ernähren, wenn er selbst – möglicherweise mit einem Bediensteten – den Boden bestellte, aber wohl nicht genügte, um den Ackerbau einem Pächter zu überlassen. Migrationen gingen in solchen Fällen vermutlich mit einem Wechsel des Berufs einher. Nach militärischen Auseinandersetzungen scheinen sich Brahmanen, inbesondere jene, die als Minister, Astrologen, Hofdichter, Schreiber usw. in Königsdiensten standen, oft von den Residenzen der besiegten Könige an die der siegreichen (indischen) Herrscher begeben zu haben. Aus ökonomischen Motiven zogen auch Handwerker und Künstler an andere Höfe, wie aus den Wanderungen regionaler Einflüsse in Architektur und Bildhauerkunst gefolgert werden kann. Eine Inschrift aus Man-

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dasor im westlichen Madhya Pradesh, die aus dem 5. Jahrhundert datiert, berichtet, dass eine ganze Gilde von Seidenwebern mit den dazugehörigen Familienmitgliedern aus Süd-Gujarat in die Stadt Daśapura (heute Mandasor) übersiedelte (Inscriptions of the Early Gupta Kings. Ed. D. R. Bhandarkar. [Corpus Inscriptionum Indicarum, Bd. 3.] Revised Edition. Delhi 1981, 328–330), in eine Gegend also, die etwa 500 km nordöstlich ihrer eigentlichen Heimat lag. Um neuer wirtschaftlicher Perspektiven willen wanderten Brahmanen, Künstler und Händler aber nicht nur innerhalb Indiens, sondern reisten auch nach Südostasien. Neben speziellen Fähigkeiten und Erfahrungen brachten sie dorthin ihre sozialen Vorstellungen und religiösen Traditionen mit und betrieben so auf eine Weise Kulturtransfer, die häufig als ‚Indisierung‘ bezeichnet worden ist. Die ökonomischen Beziehungen mit Westasien wiederum wurden nicht in erster Linie von Indern (oder Singhalesen) aufgebaut, sondern von arabischen Händlern und Kaufleuten, die nach Indien kamen: „[I]n the tenth century the Muslim geographers describe a flourishing Arab mercantile culture on the Gujarat-Konkan coast, and these settlements dated back to the ninth, the eighth and in some cases perhaps even to the seventh century“ (Wink 1990: 68). Mit der stetig steigenden Intensität dieser Austauschaktivitäten wuchs auch die muslimische Händlergemeinde und schloss in zunehmendem Maße Inder ein, die konvertiert waren oder eingeheiratet hatten. Nach Aussage von Masʿūdī war die größte muslimische Ansiedlung im 10. Jahrhundert die von Saymūr oder Chaul, südlich von Mumbai (Wink 1990: 69). Aber „[t]here were, in addition, two other diasporas of trading communities which played an important role in the India trade of early medieval times: those of the Jews and the Parsis“ (Wink 1990: 65).

4 Religiöse Migrationen Wie bereits erwähnt, war das indische Mittelalter durch die brahmanische Kolonisation des gesamten Subkontinents gekennzeichnet, und Landstiftungen an Brahmanen stellten ein pan-indisches Phänomen dar. Während die brahmanischen Aus- und Einwanderer vor allem von ökonomischen Motiven angetrieben wurden, verfolgten die mittelalterlichen indischen Könige mit ihrer Ansiedlungspraxis klare politische Ziele. Nicht selten dürften jedoch auch religiöse Gründe, beispielsweise die Sorge um das Aussterben einer bestimmten vedischen Tradition, ausschlaggebend für brahmanische Migrationsbewegungen gewesen sein (Witzel 1985: 49 f.). Von den Brahmanen wurde erwartet, dass sie in den Dörfern Recht sprachen, religiöse Riten ausführten sowie landwirtschaftliche und andere Spezialkenntnisse verbreiteten. Selbstverständlich transportieren sie auch soziale Ideen in ihre jeweilige neue Heimat. Durch interregionale Migration und den Aufbau von Netzwerken war der Brahmanismus immer wieder in der Lage, seinen religiösen Einfluss zu verstärken.

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In einer zweiten Phase der Migration siedelten sich Brahmanen bevorzugt in Gebieten an, in denen bereits andere Brahmanen wohnten und zeigten so typisches Migrantenverhalten. Sie zogen in schon existierende Siedlungen oder gründeten spezielle Brahmanendörfer. In Hinsicht auf die Stiftungsbedingungen wurden ansässige Brahmanen und neu ankommende gleich behandelt. Es gibt aber auch Hinweise auf eine innerbrahmanische Konkurrenz aus religiösen, wirtschaftlichen und politischen Gründen (Schmiedchen 2007: 366 f.), und es ist wahrscheinlich, dass mittelalterliche indische Könige Brahmanen aus anderen Gebieten mit der Absicht ansiedelten, ein effektives und loyales Gegengewicht zum Einfluss der lokalen Brahmanenschaft und der regionalen Eliten zu schaffen (Witzel 1985: 47 f.). Mythen, die mit der Brahmanisierung bestimmter Territorien verbunden sind, haben die Erinnerung an Einwanderungen bewahrt. Einer Legende aus dem 12. Jahrhundert zufolge traf in Bengalen im 8. Jahrhundert eine erste Gruppe von angeblich fünf Brahmanen aus Kanauj auf Einladung eines ostindischen Königs ein. Aus Inschriften ist jedoch bekannt, dass Brahmanen dort schon lange vor dem 8. Jahrhundert ansässig waren (Datta 1989: 84–86). Mit den muslimischen Invasionen veränderte sich die Situation des Brahmanenstandes einschneidend. Viele seiner Vertreter sahen sich gezwungen, die nun eroberten Gebiete zu verlassen, und die Exilanten brachten viel traditionelles indisches Wissen in andere Regionen. Im 8. Jahrhundert zogen Brahmanen aus Gujarat nach Maharashtra. Insbesondere seit dem 11. Jahrhundert kam es zu einer kontinuierlichen Abwanderung nordindischer Brahmanen, die versuchten, den islamischen Verfolgungen zu entkommen und ihre Traditionen zu bewahren. Sie flohen nach Kaschmir, Nepal, Orissa und Südindien (Witzel 1985: 53–57). Im Verlaufe der späten und besonders grausamen Islamisierung Kaschmirs verließen Brahmanen in großer Zahl das dortige Sultanat im späten 14. und im frühen 15. Jahrhundert (Slaje 2007: 332 f.). Der tolerante Sultan Zayn al-ʿĀbidīn (reg. 1418–70) holte dann wieder Brahmanen ins Land und re-importierte damit die verlorene einheimische Wissenschaftstradition – wahrscheinlich aus Karnataka in Südindien (Slaje 2007: 329–331). Neben brahmanischen Wanderungsbewegungen sind auch Migrationen buddhistischer Mönche (und Nonnen) in frühmittelalterlichen Quellen belegt. Stiftungen für buddhistische Klöster sollten sowohl für bereits ansässige als auch für neu ankommende Mönche sowie für Pilger eingesetzt werden. Es muss allerdings bezweifelt werden, dass sich der Buddhismus im Frühmittelalter noch in Gebieten Indiens verbreitete, die er nicht schon im Altertum stark beeinflusst hatte. So wurden neue Klöster vor allem in Gujarat (im 6. und 7. Jahrhundert) sowie in Bihar und Bengalen (bis ins 10. und 11. Jahrhundert) errichtet. Doch im Mittelalter strahlte die buddhistische monastische Kultur auch verstärkt nach Südostasien und Tibet aus. Indische (und singhalesische) Mönche reisten in diese Regionen oder wanderten dauerhaft dorthin aus. Umgekehrt liegen seit dem 5. Jahrhundert umfassende Reiseberichte von Mönchen aus China vor, wohin der Buddhismus bereits in den ersten Jahrhunderten n. Chr. gelangt war. Die berühmten Pilgermönche Faxian, Xuanzang und Yijing hielten sich mehrere Jahre in Indien auf, um die buddhistischen heiligen Stätten zu

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besuchen und Originaltexte zu sammeln. Mit ihren Reisen begann die Zeit der systematischen Übersetzung buddhistischer Schriften aus indischen Sprachen ins Chinesische. Die chinesischen Pilger unternahmen sehr ausgedehnte Reisen, und einige von ihnen siedelten sich sogar in Indien an (Das Gaoseng-Faxian-Zhuan als religionsgeschichtliche Quelle. Der älteste Bericht eines chinesischen buddhistischen Pilgermönchs über seine Reise nach Indien mit Übersetzung des Textes. Ed. und übers. von Max Deeg. Wiesbaden 2005, 562). Das Interesse an den religiösen Stätten war auch in anderen buddhistischen Gesellschaften sehr ausgeprägt: Singhalesische (und südostasiatische) Könige gründeten in Indien spezielle Klöster für Pilger aus ihren jeweiligen Ländern (Si-yu-ki. Buddhist Records of the Western World. Translated from the Chinese of Hiuen Tsiang [A. D. 629]. Übers. von Samuel Beal. Bd. 2. London 1884, 133–136). Mönche aus Sri Lanka hielten sehr engen Kontakt zu monastischen Gemeinschaften auf dem Gebiet des heutigen Myanmar und Thailands. Zwischen diesen Regionen wurden buddhistische Ordinationstraditionen mehrmals im Mittelalter exportiert und re-importiert, wobei diese Vorgänge nicht nur mit Fernreisen, sondern auch mit dauerhaften Übersiedlungen von Mönchen verbunden waren (Gombrich 1997: 145, 173). Buddhistische Gemeinschaften gehörten zu den ersten religiösen Institutionen, die von den mittelalterlichen Invasionen betroffen waren. Die Zerstörung von Klöstern im Norden und Westen führte zur Flucht zahlreicher Mönche in andere Gegenden Indiens und später auch nach Nepal und Tibet. Eine letzte große Einwanderungswelle nordindischer Buddhisten in die Himalaya-Region ist für das 12./13. Jahrhundert nachweisbar, als sich die Einfälle der Muslime intensivierten und es zu einem Niedergang der Klosterkultur in Indien kam. Nepal wurde in ganz besonderem Maße zu einem Rückzugsgebiet für viele indische Mönche und Künstler, die die Religion und Kunst der Nevars stark beeinflusst haben (Lienhard 1989: 126). Mit der Ankunft des Islam verbreitete sich zum ersten Mal seit der vedischen Zeit ein nicht-indigenes religiöses System in Indien, und erstmals in der indischen Geschichte war dieses Vordringen mit einem starken Konversionsdruck verbunden. Nach arabischen Quellen existierten erste Moscheen in Sindh im 8. und an der indischen Westküste im 10. Jahrhundert (Wink 1990: 69, 203). Dokumentarische Belege für muslimische Stiftungen auf indischem Boden sind jedoch erst ab dem 13.  Jahrhundert vorhanden. Zu den wichtigen Zeugnissen gehört eine bilinguale Inschrift des Jahres 1264 aus Veraval in Gujarat. Darin berichten ein detaillierter Sanskrit-Text und eine kürzere arabische Übersetzung von dem Bau einer Moschee für die sogenannten Musalamānas und von einer Stiftung für deren Unterhalt durch einen arabischen Reeder. Am Ende des arabischsprachigen Teils findet sich ein Gebet, das in dem auf Sanskrit verfassten Textabschnitt fehlt: „Möge Gott diese [Stadt] zu einer Stätte des Islam machen und sie von Unglaube und Götzenbildern reinigen“ (Veraval Inscription of Chaulukya-Vaghela Arjuna, 1264 A. D. Ed. D. C. Sircar, in: Epigraphia Indica 34, 1960–61, 141–150). Eine Inschrift aus Junagadh in Gujarat, die aus dem späten

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13. Jahrhundert datiert, erinnert an den Bau einer Moschee durch einen Kaufmann, der auf seinen Schiffen auch muslimische Pilger nach Mekka sandte (Jain 1990: 76). Obwohl muslimische Eroberungen und Missionierungen das generelle Überleben der brahmanisch-hinduistischen Kultur nie in Frage stellen konnten, waren sie doch eine ernste Bedrohung für deren religiöse Institutionen und Protagonisten. Das Vordringen des Islam scheint auch dazu beigetragen zu haben, dass es ab dem 10. Jahrhundert zu einer Annäherung zwischen dem vedischen Brahmanismus, der ursprünglich Tempel und Bilderkult abgelehnt hatte, und dem auf dem Tempelwesen basierenden Hinduismus kam. Darüber hinaus führte die islamische Bedrohung offenbar zu einer größeren Wertschätzung für die Verschriftlichung heiliger Texte innerhalb des Brahmanismus-Hinduismus: Zum einen war der Erfolg einer ‚Buchreligion‘ sichtbar, und zum anderen erforderten die muslimischen Verfolgungen eine Abkehr von der Tradition, sich ausschließlich auf mündliche Überlieferung durch Priester zu stützen, und man ging dazu über, auch die Möglichkeiten zu nutzen, die Handschriften bieten.

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Felicitas Schmieder

Steppenvölker 1 Einleitung „Migration“ im normalen Verständnis von populären wie wissenschaftlichen Diskursen ist ein Konzept der Sesshaftigkeit: Menschen, die an einem Ort leben, ziehen weg und woanders hin – individuell, in großer Zahl oder als Gruppen, aufgrund sich verschlechternder Lebensbedingungen „zu Hause“ und / oder besseren Aussichten anderswo, reagieren also auf die einfachsten push- und pull-Faktoren. Viele Definitionen fügen hinzu, dass der Umzug dauerhaft intendiert sein oder sich doch zumindest (historisch) als dauerhaft herausstellen muss. Steppenvölker andererseits waren Nomaden, die kein dauerhaftes Heim im sesshaften Sinne besaßen, sondern als Teil ihrer Lebensform in Bewegung waren. Noch in neueren Studien finden wir darüber hinaus die Vorstellung, dass sie keinerlei klaren und selbstbestimmten Lebensraum hatten, sondern ihren Herden folgten, wohin immer es diese Herden zog. Dieses nomadische Verhalten könnte entweder für unsere sesshafte Denkweise als dauernde Migration erscheinen, weil es dauernde Bewegung bedeutet, oder aber als gerade keine Migration, wenn wir der oben zitierten Definition folgen. Neuere Forschungen zum Nomadismus betonen zudem, dass die Muster nomadischer Bewegungen erstens sehr viel regelmäßiger in einem bestimmten Raum verlaufen und sich zweitens in der Regel verändern aufgrund von länger- oder kürzerfristigen Wandlungen der Lebensgrundlage und des Klimas (und sie könnten daher als „dauerhafte Bewegungen“ von einem Ort zum anderen definiert werden). Wenn wir diese Ergebnisse bedenken, dann ist es sehr schwierig, Nomaden in irgendein systematisches Migrationsmuster einzufügen. Und in der Tat: Wenn moderne soziologische Migrationsdefinitionen Nomaden überhaupt bedenken, dann normalerweise irgendwo im Rahmen der von den Wissenschaftlern geschriebenen Migrations„gesetze“. In einigen modernen Modellen ist das „Zirkulieren“ von Nomaden eingeordnet als ein Typ räumlicher Mobilität und unterschieden von „Migration“ (Kröhnert 2007: 2 f.). Trotz alledem mögen wir dennoch in der Lage sein, ‚nomadische Migranten‘ zu finden. Wir wissen von historischen Bewegungen nomadischer Gruppen, die dauerhaft ihr normales Lebensmuster verließen. Sie scheinen in wesentlich weitere als die normalen Distanzen gewandert zu sein und in einem sehr viel schnelleren Tempo. Sie ‚errichteten Reiche‘ oder wurden von der Macht anderer ‚nomadischer Reiche‘ verdrängt, sie wurden in diese eingegliedert oder in andere, mehr oder weniger sesshafte Gebilde (wobei all das noch nicht zwingend als Migration bezeichnet werden muss) – und einige von ihnen gaben schließlich sogar ihr Nomadentum auf und siedelten sich

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an. Damit verhielten sie sich zumindest im Nachhinein betrachtet wie ein gewöhnlicher Migrant, denn so stellte sich ihre Bewegung heraus als eine zu einem anderen Ort (oder überhaupt zu einem Ort) und als dauerhaft. Doch wenn sie beschlossen, an einem Ort zu siedeln, wie und warum hatte diese Migration begonnen – oder, anders gewendet, wann hatte die normale Transhumanz samt ihrer Möglichkeit, sich an Krisen anzupassen, geendet? An welchem Punkt hatte sich das Nomadenleben in eine Bewegung verwandelt, die aus unserem modernen Blickwinkel der Sesshaften Migration genannt werden kann?

2 Nomadische Gemeinschaften und Migration Doch bevor wir uns dieser Art möglicher nomadischer Migration und, spezifischer, mit ihren mittelalterlichen (europäischen) Ausformungen beschäftigen können, müssen wir uns auf einer allgemeineren Ebene anschauen, wie man nomadische Bewegungen zwischen ‚normalem‘ Hirtenleben, ‚imperialer‘ Expansion und Migration beschreiben kann. Danach müssen wir uns dem besonderen und besonders schwierigen Problem der Schriftquellen zuwenden, die es uns ermöglichen, überhaupt über historisches nomadisches Verhalten zu sprechen und die normalerweise nicht von den Nomaden selbst geschrieben worden sind. Erst dann können wir die Frage stellen, was wir über Migration nomadischer Gruppen sagen können, die mittelalterliche sesshafte Bevölkerungen erreichten und sich, statt wieder zu verschwinden, unter ihnen oder nahe bei ihnen niederließen. Nomaden hatten stets dauerhafte Weiden, die regelhaft mit den Jahreszeiten wechselten. Sie waren in Clans zusammengebunden – man findet in der Literatur auch den Begriff des Stammes anstatt des Clans –, die normalerweise agnatisch (d. h. in männlicher Erblinie) konstituiert und militäraristokratisch organisiert waren. Sie lebten in einem ökonomisch-ökologischen System abhängig von der Natur, und sie benötigten zusätzliche Produkte von ihren sesshaften Nachbarn. Wegen der Fragilität ihrer Subsistenz mussten sie oft ihre Weiden verlassen – das führte zu Konflikten zwischen Clans und mit den sesshaften Völkern, die weitere Wanderungen hervorriefen, denn ein Clan konnte zurückgedrängt und vertrieben werden. Wenn dabei größere Gemeinschaften entstanden, blieben diese weiche Gebilde, die sehr rasch Momente der Desintegration erfuhren. Ob man Gruppen, die solche Einheiten verließen oder sich ihnen anschlossen, Migranten nennen darf und sollte, bleibt fraglich. Als ein fragiles Gebilde wurde jede nomadische Gemeinschaft von den Loyalitäten zusammengehalten, die aus Clanstrukturen oder vasallitischen Verhältnissen fließen. Unter charismatischen Anführern konnten sich die Loyalitäten weit über die normalen Maße und Zusammenhänge der mit ihren Herden ziehenden (manchmal auch eher halbnomadisch in Transhumanz wirtschaftenden) Clans ausdehnen: indem sich um einen Kern-Clan andere gruppierten, also relativ lockere Großclan-Loyali-

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täten, Konföderationen von Clans oder Stämmen entstanden. Wie diese Gebilde zu benennen seien, ist oft eine Frage der Sprachkultur der beteiligten historisch-sozialen Wissenschaften: Spricht die englische Literatur von ‚state formation‘, würde man im Deutschen wohl von dem verfestigte, transpersonale Institutionen suggerierenden Begriff des ‚Staates‘ oder der ‚Staatsbildung‘ absehen und eher von Herrschaftsbildung, Reichsbildung oder ähnlichem sprechen. Ein so einmal gebildetes Reich konnte (allerdings selten in sich stabil strukturiert) mehrere Generationen überdauern, wenn und solange meist blutsverwandte Erben des Reichsgründers Erfolge besonders im Bereich von Beute vorzuweisen hatten. Diese Beute sorgte für die erwähnten zusätzlichen Produkte, und sie bestand unter anderem im Abschöpfen des durch die Steppenregionen abgewickelten Handels (je geregelter dieses Abschöpfen erfolgte, als desto sicherer wurden die Handelswege von ihren Benutzern wahrgenommen). In erster Linie aber wurde Beute auf sehr unterschiedliche Weise bei den benachbarten sesshaften Kulturen gemacht. Grundsätzlich konnte nomadisches Beutemachen sich in einem Spektrum zwischen gelegentlichen Überfällen (in der Forschung gerne als Razzien oder engl. raids bezeichnet) und vertraglich geregelten Beziehungen, die nomadische Hilfeleistungen belohnten, abspielen. Dabei dürfte die Stabilität eines Nomadenreiches an der Regelmäßigkeit dieser Beziehungen ablesbar sein, seine Macht daran, ob die Belohnung seitens des sesshaften Nachbarn eher einem Sold für militärische Unterstützung oder Grenzwächterdienste, einem Schutzgeld gegen Überfälle oder aber einer Tributleistung an einen überlegenen und existentiell bedrohlichen Gegner entsprach – wenn nicht sogar die Gebiete des sesshaften Nachbarn herrschaftlich übernommen wurden. Innerhalb dieses Spektrums bewegte sich auch die Wahrnehmung in unseren Quellen: Wenn die sesshaften Reiche an die aufstrebenden nomadischen Großverbände Tribute leisteten, um die eigenen Grenzen zu schützen, wenn also die nomadischen Herrschaftsstrukturen zu einer Organisationsform gewachsen waren, die über gelegentliche Plündereien einzelner Trupps hinausgingen, erschienen diese Reiche / Völkerschaften regelmäßig in den Quellen der angrenzenden Sesshaften. Nomadische Wanderungen bewegten sich also in einem Spektrum zwischen Eroberung und Migration mit fließenden Übergängen: Was als Eroberung begann, konnte in Niederlassung und mehr oder weniger vollständiger Anpassung an die Lebensweise derer enden, die ursprünglich erobert worden waren.

3 Die Eigenheiten unserer Quellen Die Aufgabe zu entscheiden, wann wir von ‚nomadischer Migration‘ sprechen können und wie und zu welchem Zeitpunkt eine einzelne Bewegung begann, Migration zu sein, wird noch komplizierter durch den besonders auffälligen Zuschnitt der Quellen zu historischen Nomaden-Gruppen. Wie bereits deutlich wurde, bemisst sich unsere

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Einschätzung der nomadischen Reiche an deren Verhältnis zu ihren Nachbarn. Die Historiker neigen überhaupt dazu, von einer Reichsbildung erst dann zu sprechen, wenn diese von schreibenden Nachbarn wahrgenommen wurde. Denn das ist symptomatisch für alle Völker und Reiche, von denen wir hier reden: Generell kann man sagen, dass diese nomadischen Kulturen zwar nicht unbedingt schriftlos waren, denn Runeninschriften oder eine relativ frühe Übernahme von Schrift in einem funktional begrenzten Rahmen sind hie und da überliefert. Doch waren sie ohne eine Schriftkultur, die uns eigene Nachrichten über die Entstehungsphasen der im Laufe der Jahrtausende immer wieder stattfindenden Reichsbildungen hinterlassen hätte. Mit ganz wenigen Ausnahmen wissen wir aus dieser Phase (wenn überhaupt) nichts aus der eigenen Sicht der Völker, sondern wir kennen sie nur aus Berichten über sie seitens der angrenzenden, von ihnen berührten sesshaften, schreibenden Kulturen. Ein Wandel in den regelhaften Bewegungen, nicht zuletzt wenn die Bewegung zu einer Migration wurde, die dauerhaft die traditionellen Weiden verließ (nicht nur ausdehnte!), wurde erst in dem Moment registriert, in dem er sesshafte, literate Gesellschaften betraf, die die Auswirkungen wichtig genug fanden, um sie aufzuschreiben. Dies war selten, wenn überhaupt je, der Moment, in dem die Bewegung tatsächlich angefangen hatte. Wenn der sesshafte Schreiber aber zu einem späteren Zeitpunkt darüber reflektierte, was denn die Motive für den Aufbruch gewesen sein mögen, dann nahm er die Begründungen entweder aus dem eigenen kulturellen Erfahrungsschatz des sesshaften Volkes, oder aber – wenn er tatsächlich die migrierenden Nomaden befragte – er hörte wahrscheinlich eine Motiv-Konstruktion, die die Bewegung erklären und sogar legitimieren sollte und die sich möglicherweise schon weit von den ursprünglichen Motiven entfernt hatte (die die Nomaden vermutlich gar nicht mehr kannten, nie systematisch reflektiert hatten, zumal die Migration ja vermutlich nicht als dauerhaft intendiert gewesen war). Wenn also – nur ein Beispiel aus der sogenannten Völkerwanderung des 4. bis 6. Jahrhunderts, das immer noch historisch falsch in den Schulbüchern (und nicht nur da) herumspukt – die spätrömischen Autoren immer wieder berichten, die barbarischen Goten oder Vandalen seien von den Reichtümern und zivilisatorischen Annehmlichkeiten Roms oder der Sonne des Mittelmeerraumes angezogen worden, so schließen sie von sich auf andere oder haben ehemalige ‚Barbaren‘ befragt, die schon längst angekommen waren und denen das alles als ganz logische Motivation ihrer Vorfahren erschien. Was diese Vorfahren über die Gegend gewusst haben, in die sie angeblich zielsicher strebten, was sie sich überhaupt dabei gedacht haben, hat niemand aufgeschrieben, haben schon die Enkel nicht mehr gewusst – und wissen wir dementsprechend auch nicht. Da unsere Quellen regelmäßig nach den Ereignissen berichteten, ist es fast immer extrem schwierig, zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden. Immer wieder treffen wir auf Verzerrungen, die dem Gedächtnis, der Zeit, der kulturellen Differenz und intentionaler Neuinterpretation geschuldet sind, nicht aber auf Fakten, die wir objektiv absichern könnten.

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Erstens begrenzt dies maßgeblich unsere Möglichkeit der Identifikation und Beschreibung spezifisch nomadischer Migration und verweist uns auf recht allgemeine Beobachtungen. Zweitens bedeutet es, dass wir vermutlich mehr über die Vorstellungen der Sesshaften in der neuen Nachbarschaft lernen als über die der wandernden Nomaden, wenn man bedenkt, dass jede Beschreibung des „Anderen“ sehr stark eine Selbstbeschreibung ist, die mehr oder weniger spiegelverkehrt wurde. Dies macht die Beschreibung mittelalterlicher migrierender Nomaden (und jegliche andere Beschreibung historischer nomadischer Migration, die mit einer ähnlichen Quellenlage konfrontiert ist) abhängig von den kulturellen Perspektiven der beschreibenden sesshaften Welt. Es wäre also wohl sehr viel einfacher, über die Ankunft nomadischer Migranten in der sesshaften Gesellschaft zu sprechen als über ihren Aufbruch von ihren heimischen Weiden. Das Verhältnis der aufnehmenden Gesellschaft zu den Nomaden beeinträchtigt das, was wir in unseren Quellen finden können: Hatte die aufnehmende Gesellschaft Platz für Neuankömmlinge, die ihre nomadische Lebensweise beibehielten, oder erzwang sie eine rasche Sesshaftwerdung? Wählten die nomadisch lebenden Ankömmlinge siedlungsleere Gebiete oder solche, die schwach besiedelt und sogar teilweise von Weidewirtschaft geprägt waren – oder kamen sie in dicht besiedelte und hochgradig strukturierte Regionen? Die Problematik soll angesichts der Abhängigkeit unseres Wissens von den Beobachtungen der Sesshaften nur auf die lateineuropäische mittelalterliche Gesellschaft bezogen werden und auf Nomaden, die im Laufe der Zeit hier ankamen. Weiterhin ist es am besten, sich konkreten Beispielen zuzuwenden. Es ist ohnehin aus den angegebenen Gründen schwierig, auch nur eine der fraglichen Migrationen tiefschürfend zu analysieren, und noch weniger zu einem systematischen Zugriff auf Migrationsmuster in mittelalterlichen steppennomadischen Gesellschaften zu kommen. Diese Beispiele sollen, um Einblicke zu gewinnen und gleichzeitig die bislang angesprochenen Probleme klarer zu machen, stark deskriptiv vorgetragen werden. Die wichtigsten Steppenvölker, die während des Mittelalters Lateineuropa erreichten, waren die Hunnen (4./5. Jahrhundert), die Awaren (7./8. Jahrhundert), die Ungarn um 900, die Kumanen zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert und die Mongolen im 13. Jahrhundert. Ob irgendeines dieser Völker im oben ausgeführten Sinne migrierte, bleibt zu diskutieren. Zwei Dinge sind in Erinnerung zu rufen bezüglich der Literalität und der Sesshaftigkeit der aufnehmenden mittelalterlichen lateineuropäischen Gesellschaft, die in ihrer Bedeutung gerade für unsere Fragestellung nicht unterschätzt werden dürfen. Erstens entstanden die längste Zeit des Mittelalters nur sehr wenige Schriftquellen und erst recht keine seriellen Quellen, die uns erlauben würden, Einwanderungen nachzuvollziehen (oder die uns gar statistisches Material an die Hand geben würden). Zahlen von Migranten kann man nur sehr selten in entwickelten spätmittelalterlichen städtischen Umgebungen finden, wo eine relativ hochentwickelte Verwaltung existierte. Für nomadische Migrationen sind Zahlen nicht existent oder aber unmessbar

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fantastisch. Und die nomadischen Bewegungen wurden im Früh- und Hochmittelalter (zwischen dem 5. und 12. Jahrhundert also) erst spät und relativ oberflächlich wahrgenommen. Viele Fragen lassen sich daher nicht beantworten. Zweitens waren die meisten lateineuropäischen mittelalterlichen Gesellschaften wesentlich weniger sesshaft als gemeinhin angenommen. Als im 19. Jahrhundert Forscher wie E. G. Ravenstein begannen, Migration zu untersuchen und ihre Regeln zu beschreiben, waren sie beeindruckt von den riesigen Bewegungen und auch Entwurzelungen von Millionen von Menschen als Resultat der Industriellen Revolution. Damals auch entstand das Bild „der“ weitgehend immobilen vormodernen Gesellschaft. Daher gehen Migrationstheorien meist von verfestigten, weitgehend immobilen Ansiedlungen aus. Die klare Dichotomie zwischen nomadischen und sesshaften Völkern ist von dieser modernen Sichtweise abgeleitet. Doch wir wissen heute, dass in weiten Regionen des mittelalterlichen Latein- und auch Osteuropas die Herren und ihre Gefolgschaften hochmobil waren, riesige Strecken in rascher Bewegung bewältigten und dass sie praktisch überall möglichst oft persönlich sichtbar sein mussten, um militärischen Bedürfnissen gerecht zu werden und um als Herren in einer Präsenzgesellschaft akzeptiert zu bleiben. Sie hatten ‚noch keine‘ dauerhafte Residenz (wie es oft im Blick zurück beschrieben wird) – man könnte also sagen, sie führten noch ein nomadisches Leben, obgleich sie großenteils von sesshaften Bauern regelmäßig versorgt wurden. Die Auswirkungen dieser Tatsache auf die Wahrnehmung von Nomaden und insbesondere nomadischen Bewegungen muss berücksichtigt werden, wenn wir unsere Quellen lesen. Man könnte einwenden, dass die Autoren unserer Quellen nicht solche Adelige, sondern meist Geistliche waren. Doch abgesehen davon, dass diese sehr oft dem adeligen Stand entstammten, war auch der Klerus bemerkenswert beweglich. Nicht umsonst schreiben Mönchsregeln wenigstens den Bewohnern der Klöster explizit und also notwendigerweise stabilitas loci (Ortsfestigkeit) vor – was aber bei näherem Hinsehen vollkommen vereinbar gewesen zu sein scheint mit wiederum einem bemerkenswerten Maß an Mobilität.

4 Beispiele für nomadische Migration ins mittelalterliche Lateineuropa Als halb-nomadisch und als nicht vollständig literalisiert und stattdessen weitgehend oral haben die mittelalterlichen lateineuropäischen Gesellschaften keine abstrakten Konzepte formuliert, wie ein systematisches Konzept von ‚Nomadismus‘ oder eines von ‚Migration‘. Nomaden wurden oft mit ‚Heiden‘ identifiziert, doch geschah das auch anderen Gruppen mit unterschiedlicher Sozialform. Dies hatte zum Beispiel die Auswirkung, dass wir keinen Unterschied festmachen können bei der Beschreibung von Steppenvölkern und Wikingern (die nach allem, was wir wissen, einen bäuerlichen und Fischer-Hintergrund hatten, von dem aus sie ihre Plünderungszüge Rich-

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tung Lateineuropa im 8./9. Jahrhundert starteten und wohin sie auch die längste Zeit hinterher zurückkehrten). Die Bewegungen beider Gruppen werden wahrgenommen als Überfälle, die plötzlich, schnell und schwer vorherzusehen sind, brutal besonders gegen schutzlose Menschen (Frauen, Kinder, Alte) und Häuser sowie gegen Kirchenbauten und -personal (Schmieder 2005). Auch Migration wurde nicht abstrakt definiert, wenngleich wir Quellen haben, die uns eine gewisse Reflexion von Erfahrungswerten suggerieren. So in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts beim Kanoniker Adam von Bremen, der in einem Gebiet lebte, das damals noch ganz nah an der Grenze zwischen Christen und ‚Heiden‘ lag (eine Unterscheidung, die den Zeitgenossen eben doch wesentlich bedeutsamer erschien als die zwischen Sesshaften und Nomaden). Adam zieht dazu den römischen Historiographen Sallust zu Rate (und ist von ihm wohl angeregt, überhaupt zu reflektieren), wenn er die Einwanderung der Sachsen in die Gebiete zwischen Rhein und Elbe Jahrhunderte vor seiner Zeit beschreibt – Gebiete, die von anderen Völkern frei gemacht worden seien: Sie „haben wegen der Dürftigkeit ihres heimischen Bodens und infolge innerer Streitigkeiten oder, wie es heißt, ‚zur Verringerung der Bevölkerungszahl’ [ein direktes Sallustzitat], ihre Wohnsitze verlassen und ganz Europa und Afrika überschwemmt“ (Adam von Bremen, Bischofsgeschichte der Hamburger Kirche, in: Quellen des 9.  und 11.  Jahrhunderts zur Geschichte der Hamburgischen Kirche und des Reiches. Neu übertragen. von Werner Trillmich. [Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 11.] Darmstadt 72000, 137–499, hier 166 f. lib. I.3) – man könnte sagen, hier sind ganz grundlegende push-Faktoren aufgezählt. Das grundsätzliche Fehlen aber abstrakter Konzepte von Nomadismus und auch von Migration dürfte wiederum ebenso die Basis gewesen sein für die mittelalterliche Unfähigkeit, das Verschwinden von Völkern begrifflich zu fassen. In der Historiographie der Karolingerzeit (um 800) werden die Namen der Hunnen und Awaren austauschbar benutzt, wenn die Letzteren beschrieben werden sollen. Als weitere etwa hundert Jahre später die nomadischen Ungarn von den lateineuropäischen Quellen registriert werden, werden sie häufig mit Hunnen und / oder Awaren identifiziert – und dasselbe geschah anderen Völkern, die aus der Steppe in den Osten Europas eingefallen und die wieder aus dem Gesichtskreis der sesshaften Beobachter verschwunden waren. Ein sächsischer Autor wie Widukind von Corvey – aus einem Gebiet, das von den Ungarn direkt berührt wurde – konnte sie ansehen und von den „Awaren, die wir heute Ungarn nennen“ sprechen (Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei. Neu bearb. von Paul Hirsch. [MGH. SS rer. Germ. 60] Hannover 51935, 28 lib. I.17; Übers. F. S.). Anders als ihre Vorgänger ließen sich die Ungarn anschließend nieder und blieben nicht nur an Ort und Stelle, sondern wurden Teil der lateinisch-christlichen Gemeinschaft. Im 13. Jahrhundert finden wir in ihrer Erinnerung eine hochinteressante – und extrem seltene – Selbstreflexion ehemaliger nomadischer Migranten über die eigene Migration, Jahrhunderte nach den Geschehnissen und von einem nun sesshaften (und

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christlichen) Blickwinkel aus. Weil die Quelle rar und vielsagend ist und sehr gute praktische Einblicke gewährt in die Qualität der Quellen, auf die wir hoffen dürfen, sei sie im Folgenden ausführlich zitiert. „In den ‚Taten der christlichen Ungarn’ fand man, dass es ein anderes, größeres Ungarn gibt, von wo aus sieben Anführer mit ihrer Gefolgschaft / ihrem Volk (cum populis suis) ausgewandert waren, um einen Platz zum Wohnen (habitandi… locum) zu finden, weil ihr Land die große Zahl der Einwohner nicht mehr ernähren (sustinere) konnte. Nachdem sie viele Reiche / Regionen (regna) durchwandert und verwüstet hatten, erreichten sie endlich das Land, das heute Ungarn heißt, damals aber Weidegründe der Romanen genannt wurde (…). Hier gelangten sie schließlich zum rechten Glauben durch König Stephan, ihren ersten König, während jene früheren Ungarn, von denen sie abstammten, Ungläubige blieben, und sie sind bis zum heutigen Tage Heiden. Die Dominikanerbrüder, die dies in alten Schriften gefunden hatten, fühlten Mitleid mit diesen Ungarn, die sie als ihre Vorfahren wussten und die immer noch im Irrtum des Unglaubens gefangen waren. Sie sandten vier Brüder aus, sie zu suchen, ob sie sie vielleicht mit Gottes Hilfe finden könnten. Sie wussten aus den Schriften der Alten, dass das Land im Osten lag, doch wo genau, war gänzlich unbekannt (…). Sie fanden in einem heidnischen Land einige Leute, die ihre Sprache sprachen und von denen sie mit Sicherheit erfuhren, wo jene lebten.“ (Heinrich Dörrie, Drei Texte zur Geschichte der Ungarn und Mongolen. Die Missionsreisen des fr. Iulianus O. P. ins Ural-Gebiet [1234/5] und nach Rußland [1237] und der Bericht des Erzbischofs Peter über die Tartaren, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen aus dem Jahre 1956. Philologisch-Historische Klasse. Göttingen 1956, 125–202, hier 151 f., Übers. F. S.). Dies ist ganz klar ein mittelalterlicher Bericht über eine Migration, doch nicht von den migrierenden Nomaden selbst geliefert: Einige Gruppen von Bewohnern eines überbevölkerten Landes verlassen ihre Heimat, um anderswo bessere Lebensbedingungen zu finden. Das Motiv ist ganz üblich und in sich glaubwürdig – es muss aber dennoch nicht echte Tradition sein, weil es auch aus anderen zeitgenössischen Erfahrungen substituiert sein kann und die Schriften, auf die verwiesen wird, ganz sicher keine sind, die auf dem Zug im späten 9. Jahrhundert verfasst wurden, sondern wenn überhaupt dann seit dem 11. Jahrhundert, als Ungarn zur christlichen Schriftkultur gestoßen war. Andererseits sollte das Motiv nicht als stereotyp oder ausschließlich aus sesshafter Sicht angenommen verworfen werden, die der von den Ungarn selbst erreichten Ortsbeständigkeit entspräche. Wir wissen schlicht nicht, weshalb die frühen Ungarn im 9. Jahrhundert ihre Heimatregion verließen, und wir haben keine Möglichkeit, das aus solchen Quellen abzulesen. Spannend ist auch das Motiv, das für die Suche der Dominikanerbrüder angegeben wird: Die Nachfahren der alten Ungarn wollten keinesfalls remigrieren, aber sie wollten – da sie nun an einem viel besseren Ort lebten und ein viel besseres Leben führten, weil sie den rechten Glauben gefunden hatten – etwas zurückgeben und denen, die geblieben waren, die Vorteile lehren, die sie infolge der Auswanderung gewonnen hatten, vor allem ihnen das Christentum bringen. Man findet eine

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‚Ursprungsgeschichte‘, die zeittypische antike und biblische Muster aufnimmt; sie wird ernst genommen und damit zum Auslöser für einen Versuch, mit den Menschen Kontakt aufzunehmen, die Jahrhunderte zuvor zurückgelassen wurden – einen Versuch, der als erfolgreich angesehen wird (und es ist irrelevant, ob er das im strengen Sinne war oder nicht). Im 13. Jahrhundert – als diese Geschichte gefunden wurde – errichteten die Mongolen ein riesiges Steppenreich. Unsere lateineuropäischen Quellen sind nun sehr viel besser als in früheren Jahrhunderten, viel zahlreicher und viel aussagekräftiger. Der westlichste Teil dieses Reiches entstand in Osteuropa, wo große Gruppen von Mongolen meist als Nomaden für Jahrhunderte weiterhin blieben (und einige Einwohner der Region führen sich noch heute zurück auf die große Zeit des Dschingis Khan und seiner Enkel). Ob all diese ‚Mongolen‘ tatsächlich in einem sprachlichen oder ‚ethnischen‘ Sinne Mongolen waren, können wir nicht sicher sagen angesichts der Tatsache, dass die Mongolen nicht nur unterworfene Völker ihrem eigenen riesigen Heer hinzufügten, sondern sie dort vollständig integrierten, sodass es für außenstehende Berichterstatter sehr schwierig war festzustellen, wer nun Mongole war und wer nicht. Die lange Dauer des Mongolengroßreiches und seiner kleineren Nachfolgereiche, das Interesse, die weiterreichende Mobilität der Lateineuropäer und die wesentlich größere Zahl der Quellen erlauben es uns immerhin, eine interessante mögliche Form von ‚forced migration‘, von ‚erzwungener Umsiedlung‘ zu reflektieren. Die nomadischen Mongolen (und andere Völker ihres Reiches), die als Nomaden in der Region nördlich des Schwarzen Meeres lebten, verloren seit dem späten 13. Jahrhundert ihre Fähigkeit, erfolgreiche Überfälle auszuführen, und akzeptierten reguläre Handelsabkommen mit zumeist italienischen Kaufleuten in italienischen Handelskolonien auf der Krim und in der Don-Mündung. Unter anderem erwarben die Italiener hier Sklaven von den nomadischen Gruppen. Wir können diese zentralasiatischen Sklaven aus den Notardokumenten der italienischen Kolonien in die Dokumente Genuas und Venedigs und hin und wieder in die Haushalte reicher italienischer Bürger verfolgen. In Florenz finden wir z. B. die Kinder ‚mongolischer‘ Frauen und italienischer Patrone in Findlingshospizen (und dass wir das anderswo nicht kennen, liegt nicht unbedingt daran, dass man dort keine Sklaven hielt, sondern dass die Buchführung noch nicht so fortgeschritten war). Offensichtlich trug diese erzwungene Migration zumindest ethnisch zu einer Hybridisierung der Bevölkerung in einigen der reicheren italienischen Städte und damit in einer Region bei, die im Spätmittelalter auch Ziel von starker innereuropäischer Migration war.

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5 Zusammenfassung: Wie können wir Grundsatzfragen beantworten? Mangels echter Migrationsquellen besteht dieser Beitrag vor allem aus theoretischen Reflexionen über das, was Historiker sagen können und was nicht, wenn es um mittelalterliche und insbesondere nomadische Migration geht. 1. Wir können die Gründe der Migration und Neuansiedlung nur raten aufgrund der Informationen, die uns die sesshaften Nachbarn erzählen – und dies erst an einem Punkt, an dem die Bewegung (die sich in eine Migration entwickeln sollte) bereits eine erkleckliche Zeit im Gange war – oder wir haben das, woran sich die sesshaften Nachfahren der einstigen Nomaden erinnern. Wir können daher Gründe angeben, weshalb Menschen migrierten, doch ist es sehr schwierig, für jedes einzelne individuelle Volk oder jede einzelne Gruppe den spezifischen Grund anzugeben. Auch moderne Migrationsforschung betont das Faktum, dass man erst nach dem Tod einer Person wirklich entscheiden kann, ob eine Migration dauerhaft war. Der letzte Teil dieser Definition – das Urteil im Nachhinein – ist besonders bedeutsam, wenn man sich mittelalterliche Migration generell ansieht und die Beziehung zwischen (mittelalterlichem) Nomadismus und Migration im Besonderen. Wir haben keine Ahnung, ob irgendeine der nomadischen Einwanderungen oder Einfälle nach Lateineuropa von Anfang an als Migrationen im Sinne dauerhafter Ortswechsel intendiert waren – wir können allerdings, wenn man die Umstände bedenkt, kühn vermuten, dass das für keine einzige der Fall war. Nichtsdestotrotz stellten sich einige als dauerhaft heraus und führten zu Sesshaftigkeit (und Christianisierung). 2. Wie viele Menschen waren unterwegs, und welche Wellen oder Perioden von Wanderungen lassen sich unterscheiden? Wir haben keinerlei Vorstellung von den Zahlen. Und wir können froh sein, wenn wir überhaupt irgendwelche Wellen oder Perioden dingfest machen können. Wir können allerdings – aus der notwendigen Perspektive der Sesshaften – zwischen dem Früh- und Hochmittelalter einer- und dem Spätmittelalter andererseits unterscheiden. In der ersten Periode war das Interesse unserer lateineuropäischen Quellen eher zufällig, seit dem 12./13. Jahrhundert wurde der Blick systematischer, wenngleich noch nicht konzeptualisiert. 3. Welche Richtungen und Wege schlugen sie ein? Beim Zuschnitt dieses Beitrags über die Bewegung eurasischer Steppennomaden nach Westeuropa haben wir uns von vornherein auf eine Richtung beschränkt. Wir wissen nur selten, wo exakt die Nomaden aufbrachen, und können nur hin und wieder etwas Genaueres über ihre Wege selbst innerhalb Lateineuropas sagen. Wir kennen manchmal die Region und manchmal den Ort, an denen die Bewegungen endeten (Bewegungen ganz allgemein, nicht eingeschränkt auf Migrationen), doch sehr oft haben wir nicht einmal diese Information. Der Ort der ‚Schlacht auf den Katalaunischen Feldern‘ im Jahre 451 zwischen Hunnen und einem spätrömischen Heer bleibt ungefunden, der ‚Ring‘ der Awaren, der dem Vernehmen nach im Jahre 795/796 von Karl dem Großen erobert,

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geplündert und zerstört wurde, konnte nie lokalisiert werden (wenn es denn überhaupt ein Ort war und nicht der Name einer großen Weidelandschaft der nach wie vor nomadischen Immigranten irgendwo in Ostmitteleuropa). Wir haben mehrere Berichte über die verschiedenen ungarischen Einfälle des 10.  Jahrhunderts, doch sprechen sie nicht klar über Routen, obgleich der Ort der großen ‚Schlacht auf dem Lechfeld‘ 955 gut bekannt ist wie auch die Gegend, wo sich die Ungarn schließlich niederließen (während der genaue Weg, den sie dorthin nahmen, unklar genug bleibt, um bis heute nationale Legenden zu speisen). Sogar im Falle der Mongolen, die ihre wohlbekannten Schlachtfelder in Schlesien und Ungarn 1241 erreichten, sind uns die genauen Wege dorthin nicht bekannt. 4. Wie gestalteten sich die Beziehungen zwischen Altbewohnern und Neuankömmlingen? Wenn aus Nomaden-Überfällen Migration wurde, dann hing die Aufnahme sehr stark von der Gastgesellschaft ab. Als die Kumanen (oder Petschenegen, wie sie von den Russen genannt wurden) im 13.  Jahrhundert als Flüchtlinge nach Ungarn gelangten, gab der König ihnen steppenähnliche Gebiete, wo sie ihren nomadischen Lebensstil zumindest für die eine oder andere Generation beibehalten zu haben scheinen (wir haben Quellen über jene polemischen hinaus, die Nomadismus und Heidentum noch lange vorwurfsvoll gleichsetzten) – Landstriche wie das Kiskúnság (Klein-Kumanien) mitten in Ungarn legen bis heute Zeugnis von diesen Einwanderern ab. 5. Kam es zu ethnischen und kulturellen Vermischungen (Hybriden) oder zu neuen Segregationen (Diasporas) und zu transkulturellen Neubildungen? Wir könnten die mongolischen Sklaven in Italien und ihre Nachkommen als Hinweise auf so etwas nehmen. Wenn wir davon ausgehen, dass nach den frühmittelalterlichen Nomadeneinfällen nach Lateineuropa – die laut unseren Quellen erschienen und wieder verschwanden – wenigstens einige Leute blieben, dann müssen wir mit unnachvollziehbaren Hybridisierungen rechnen und es mag sogar kurzzeitiges Nebeneinanderher-Existieren gegeben haben, das unsere Quellen nicht verzeichnen. Was die Ungarn und andere nomadische Migranten betrifft, die sich niederließen und Christen wurden, so sind sie gewiss Prototypen neuer transkultureller Formationen. Unglücklicherweise können wir ihre Entwicklung nicht nachvollziehen, wiederum wegen des Quellenmangels (bedenkt man, dass archäologische Quellen hier nahezu vollkommen versagen und genau das auszusagen pflegen, was der Interpret aus ihnen lesen möchte). 6. Welche Rückwirkungen hatten Migrationen auf die Ausgangsgesellschaften und -gebiete? Hierüber können wir aus den bekannten Gründen nichts sagen. 7. Welche Migranten kehrten aus welchen Gründen zurück? Wiederum wissen wir hier nicht viel. Doch wenn wir uns die Awaren anschauen, die nomadische Migranten gewesen zu sein scheinen, die einen neuen Lebensort am Rande Lateineuropas in Besitz genommen zu haben scheinen und die vollkommen aus den Quellen verschwanden nach ihrer Niederlage gegen Karl den Großen (wenn man davon absieht, dass sie in den Ungarn im 10. Jahrhundert wiedergekommen zu sein schienen), dann

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können wir vermuten, dass diejenigen, die nicht im Kampf getötet worden waren, sich in weniger gefährliche Regionen zurückzogen – sie hatten ja ihren nomadischen Lebensstil beibehalten und sollten daher fähig gewesen sein, in nomadischer Weise zu reagieren.

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Johannes Pahlitzsch

Byzanz

1 Einleitung Die Geschichte des byzantinischen Reiches wurde durch seine geographische Lage bestimmt, die sowohl Europa als auch Kleinasien und den Nahen Osten umfasste. Diese Zwischenstellung hatte auch Auswirkungen auf die spezifischen Migrationsbewegungen, die das Reich betrafen. Die Byzantiner selbst verstanden sich dabei immer als rhōmaioi, Römer. Für sie war ihr Reich das römische Reich. Was aber tatsächlich die byzantinische Identität ausmachte, lässt sich in Anbetracht der langen und äußerst wechselvollen Geschichte des Reiches mit extrem schwankenden Grenzverläufen nur schwer bestimmen. Das sich auf antike Vorbilder beziehende klassische Griechisch stellte zumindest ab dem 7.  Jahrhundert das Medium der byzantinischen Hochkultur wie auch der staatlichen und kirchlichen Institutionen dar und fungierte somit als einigendes Band für die verschiedenen ethnischen Gruppierungen. Ein zweiter bestimmender Faktor für die byzantinische Identität war ohne Frage der christliche Glaube. Vor allem die Liturgie der orthodoxen Kirche, die das tägliche Leben prägte, dürfte identitätsstiftend gewirkt haben. Nach der Aufsplitterung in verschiedene Konfessionen im Anschluss an das Konzil von Chalkedon von 451 bildete zwar die chalkedonensische Orthodoxie die ideologische Grundlage des Reiches, zahlreiche religiöse Auseinandersetzungen zeigen jedoch, dass sich auch in diesem Bereich lokale Unterschiede herausbildeten. Vor diesem Hintergrund wird Byzanz häufig als ein multikulturell geprägter Vielvölkerstaat bezeichnet. Dieser Ansicht wurde in letzter Zeit von Anthony Kaldellis (2007: 82–99) widersprochen. Demnach gehe die Identifikation bestimmter ethnischer Gruppen innerhalb des byzantinischen Reiches oftmals auf nationalstaatliche Vorstellungen des 19. Jahrhunderts zurück. Das Ziel dieser älteren Forschung sei es gewesen, das Fortbestehen der eigenen „Urbevölkerung“ durch die Zeit des byzantinischen Reiches hindurch zu postulieren und die Möglichkeit einer Assimilation auszuschließen. Die verschiedenen Völker sollen dabei mal mehr, mal weniger freiwillig von der byzantinischen Staatsmacht in einem Staat zusammengehalten worden sein. „Griechen“ waren allerdings besonders schwer zu finden, sodass gerade für die griechische Forschung diejenigen, die nicht als Slawen, Bulgaren, Armenier etc. zu identifizieren waren und in den Quellen als rhōmaioi / Römer bezeichnet wurden, nun als die eigentlichen „Griechen“ galten. Nach Kaldellis definierten jedoch die Byzantiner in Übereinstimmung mit antiken römischen Vorstellungen ihre Gesellschaft nicht in ethnischer Hinsicht (zur Begrifflichkeit s. auch Laiou 1991; Ahrweiler 1998). Den byzantinischen Autoren zufolge

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bestand die byzantinische Identität neben dem Bekenntnis zur (chalkedonensischen) Orthodoxie in der Beherrschung der griechischen Sprache sowie in einer „römischen“ Akkulturation, also in der Aneignung der klassischen antiken Bildung (paideia) und der Lebensweise der byzantinischen Oberschicht. Stephanos Skylitzes aus dem 12.  Jahrhundert definiert in seinem Aristoteles-Kommentar die autochthones als: „diejenigen, die nicht Migranten (metanastas) oder Kolonisten (apoikous) aus einem anderen Land sind oder die, wenn sie aus einem anderen Land kommen, in diesem Land (hier) lange genug gelebt haben, um Alteingesessene zu sein und in dieser Hinsicht den ursprünglichen Einwohnern (autochthonōn) ähnlich sind“ (Anonymi et Stephani „In artem rhetoricam“ commentaria. Ed. Hugo Rabe. [Commentaria in Aristotelem Graeca, Bd. 21,2.] Berlin 1896, 270). Sicher wurden ethnische Bezeichnungen in der Polemik gegen Individuen und Gruppen verwendet, um diese als Außenseiter zu diffamieren, wogegen man sich wiederum durch die Zurschaustellung der eigenen griechischen Bildung, der paideia, wehren konnte. Byzanz war nach Kaldellis insofern dem eigenen Verständnis nach eben nicht multi-ethnisch im Sinne von multi-kulturell. Die römische Identität wurde über eine einheitliche Kultur definiert, der ethnische Ursprung war dabei irrelevant. Byzanz war somit weniger ein multi-ethnisches Reich als vielmehr der Staat der Römer, in dessen Grenzen immer wieder nur teilweise oder gar nicht assimilierte Minderheiten lebten, deren vollständige Integration aber angestrebt wurde. Im Folgenden sollen nun einige ausgewählte Beispiele für Migrationsbewegungen von größeren nicht-byzantinischen Bevölkerungsgruppen in das byzantinische Reich hinein und innerhalb des Reiches behandelt werden. Dabei ist der Frage nachzugehen, welche Folgen sich für das Reich daraus ergaben, und wie bzw. ob eine Integration in die byzantinische Gesellschaft erfolgte. Der Zeitraum vom 6. bis zum 12.  Jahrhundert wird im Vordergrund stehen, da die germanischen Wanderungsbewegungen in einem eigenen Beitrag behandelt werden und das byzantinische Reich seit 1204, als Konstantinopel im Verlauf des vierten Kreuzzugs von den Kreuzfahrern eingenommen worden war (s. Jacoby 2008), weniger von Migrationen als von ständigen Eroberungen betroffen war.

2 Slawische Immigration Das Eindringen der Slawen in byzantinisches Gebiet im Gefolge der Awaren ab der zweiten Hälfte des 6.  Jahrhunderts führte zu einer völligen Umwälzung der Bevölkerungsverhältnisse auf dem Balkan. Florin Curta zufolge (Curta 2001) stellten die Slawen jedoch keine geschlossene ethnische Gruppe dar, die als solche über die Donau in das Reichsgebiet eingewandert ist. Vielmehr handele es sich um eine Bezeichnung, die verschiedenen Gruppen von außen verliehen wurde. Tatsächlich sei das gegenwärtige Bild der Ethnogenese des slawischen Volkes vor allem von der

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Forschung des 19.  Jahrhunderts geprägt. Die Idee einer großen slawischen Volksgruppe, die aus der Ukraine in die Donauregion gewandert sei, sei abzulehnen. Bei den „Sklavinien“ (sklabēnoi) handelt es sich nach Curta vielmehr um einen Sammelbegriff in den byzantinischen Quellen des 6. Jahrhunderts für verschiedene, nördlich der Donau ansässige Gruppen. Dies bedeutet nicht, dass die Byzantiner die ethnische Gruppe der „Sklavinien“ gänzlich erfunden hätten, vielmehr bilden die byzantinischen Quellen wohl einen sich in diesen Gruppen zu dieser Zeit abspielenden Prozess der Identitätsbildung ab (Curta 2006: 59). Diese slawischen Gruppen unternahmen im Laufe des 6.  Jahrhunderts immer wieder aus ihrem Siedlungsgebiet nördlich der Donau Überfälle ins Reichsgebiet. Zum Ende des 6. Jahrhunderts schlossen sie sich in größeren Verbänden zusammen, etwa bei verschiedenen Belagerungen von Thessaloniki. Während Kaiser Maurikios (582–602) ein weiteres Vordringen zunächst noch verhindern konnte, kontrollierte unter Herakleios (610–641) Byzanz im Grunde nur noch Thessaloniki, Athen und einige andere Küstenregionen, da aufgrund des Krieges mit den Persern die byzantinischen Truppen weitgehend vom Balkan an die östliche Front verlegt wurden. Die Zahl der slawischen Einwanderer lässt sich nicht ermitteln. Was die räumliche Ausdehnung betrifft, so scheint der Schwerpunkt im Westen der Balkanhalbinsel gelegen zu haben (Koder 1984: 143). Curta setzt die Zahl slawischer Einwanderer eher niedrig an und auch die Häufigkeit slawischer Ortsnamen (Vasmer 1941; Koder 1978; Malingoudis 1981) kann seiner Meinung nach nicht als Beleg für eine flächendeckende Landnahme herangezogen werden, da diese zum großen Teil auf ins Griechische aufgenommene slawische Lehnwörter zurückgingen (Curta 2001). Anfang des 7. Jahrhunderts befanden sich einige dieser slawischen Gruppierungen unter der Herrschaft der Awaren. Nach dem Scheitern des Angriffs der Awaren auf Konstantinopel 626 gelang es ihnen aber, sich aus dieser Unterordnung zu lösen. Eine feste politische Organisationsform bildeten die Slawen jedoch nicht aus. Byzanz, das inzwischen Syrien und Ägypten an die muslimischen Araber verloren hatte, konnte sich erst wieder um die Verhältnisse auf dem Balkan kümmern, als die arabische Expansion vorübergehend durch den ersten Bürgerkrieg (fitna) im Kalifat unterbrochen wurde. So unternahm Konstans II. 658 einen Feldzug gegen die „Sklavinien“, in dessen Verlauf er zahlreiche Gefangene machte, die er nach Kleinasien umsiedelte, um die dortige demographische Struktur zu verbessern. Schon 665 liefen allerdings 5.000 dieser slawischen Soldaten zu den Muslimen über (Theophanis Chronographia. Ed. Carl de Boor. Leipzig 1883, ND Hildesheim 1963 / 1980, I, 347 f.). Deren Angehörige dürften in ihrem neuen Siedlungsgebiet geblieben sein. Um wie viele Personen es sich dabei insgesamt handelte, lässt sich nur annäherungsweise abschätzen, wenn man davon ausgeht, dass jeder Soldat von seiner Familie begleitet worden war (Lilie 1976: 238). 681 drangen die Bulgaren unter der Führung von Asparuch in Niedermösien ein und gründeten das erste bulgarische Reich. Dies änderte die Situation auf dem Balkan wiederum, da auch slawische Gruppen unter bulgarischer Herrschaft standen

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(Ziemann 2002). Die von Byzanz verfolgte Eingliederung der slawischen Gruppierungen auf dem Balkan, die ja bisher keine größeren Herrschaftsverbände gebildet hatten, wurde durch die Existenz eines feindlichen staatlichen Gebildes erschwert. Dies erklärt, warum Justinian II. (685–695 und 705–711) den Abschluss eines Friedensvertrags mit dem umayyadischen Kalifen ʿAbd al-Malik dazu nutzte, um 688 einen groß angelegten Feldzug gegen die „Sklavinien“ und die Bulgaren durchzuführen. Eine große Zahl von Gefangenen wurde in Bithynien angesiedelt. Es ist zu vermuten, dass Bithynien unter der langen arabischen Belagerung Konstantinopels von 674–678 schwer gelitten hatte, da die umayyadische Armee in dieser Region Quartier bezogen hatte. Aus den dort angesiedelten Slawen stellte Justinian II. eine Einheit von 30.000 Mann unter einem eigenen Anführer auf, die als laos periousios, „zusätzliche Armee“, bezeichnet wurde. Aber auch diese slawischen Truppen liefen 692 bei der Schlacht von Sebastopolis in großer Zahl zu den Muslimen über (die Angaben zur Zahl der Deserteure schwanken zwischen 7.000 und 20.000) (Theophanis Chronographia, 364 f. und 367). Für das 8. Jahrhundert liegen keine zeitgenössischen Zeugnisse mehr vor, sodass als Hauptquelle für diese Zeit nun die von Konstantin VII. Porphyrogennetos bzw. in seinem Auftrag verfasste Schrift de thematibus aus dem 10. Jahrhundert gilt. Demnach sei Griechenland gänzlich slawisiert (esthlabōthē) und barbarisch geworden, was aber weniger auf die Menge der slawischen Einwanderer als auf die Folgen der Pest von 746 zurückgeführt wird (Costantino Porfirogenito, De thematibus. Ed. Agostino Pertusi. [Studi e testi / Biblioteca Apostolica Vaticana, Bd. 160] Città del Vaticano 1952, 91). Insofern sieht Curta hier seine Zweifel am Ausmaß der slawischen Ansiedlung bestätigt. Der Hinweis in der Vita Willibaldi (Vitae Willibaldi et Wynnebaldi. Ed. Oswald Holder-Egger, in: MGH. SS 15,1. Hannover 1887, 80–117, hier 93), Monemvasia befinde sich im Land der Slawinia, wird oft als Beleg dafür interpretiert, dass das Hinterland in slawischer Hand war. Nach Curta ist diese Aussage aber als verwaltungstechnische Bezeichnung der Byzantiner zu verstehen, die zum Ausdruck bringen sollte, dass sich dieses Gebiet eben außerhalb der byzantinischen Oberhoheit befand. Insofern ließen sich daraus keine Erkenntnisse über die ethnische Zugehörigkeit der unterschiedlichen Gruppen, die auf der Peloponnes lebten und die sich wohl kaum selbst als einheitliches sklavinisches „Volk“ verstanden, gewinnen (Curta 2011: 118 f.). Zu erwähnen wäre noch die für 763 erwähnte Flucht von 208.000 Slawen aus dem bulgarischen Herrschaftsgebiet infolge innerer Unruhen. Diese wurden von Konstantin V. wiederum in Bithynien angesiedelt (Nicephori Archiepiscopi Constantinopolitani Opuscula historica. Ed. Carl De Boor. Leipzig 1880, ND New York 1975, 68 f.; Theophanis Chronographia, 432). Da hier wie auch sonst bei den kaiserlichen Umsiedlungsaktionen dieser Zeit von keinerlei Widerständen oder Problemen bei der Ansiedlung einer so großen Zahl von Fremden berichtet wird, lässt sich daraus schließen, dass diese Gebiete weitgehend verlassen waren (Lilie 1976: 253). Die noch zu erwähnenden Ansiedlungen von Armeniern und Syrern in Thrakien wurden dagegen von den benachbarten Bulgaren als Bedrohung angesehen.

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Ende des 8.  Jahrhunderts intensivierte Byzanz wieder die Bemühungen, Griechenland und die Peloponnes in das Reich einzubinden. 783 führte Staurakios einen erfolgreichen Feldzug bis in die Peloponnes hinein gegen die sklavinischen Stämme durch, die so gezwungen wurden, die byzantinische Oberhoheit anzuerkennen und Tribut zu zahlen. Um 800 wurden verschiedene Städte Thrakiens wiederaufgebaut und das Thema (Provinz) Makedonien eingerichtet, sodass Byzanz allmählich wieder begann, direkte Herrschaft auf dem Balkan auszuüben. Auch auf der Peloponnes wurde ein neues Thema errichtet. Die vollständige Unterwerfung war erst in der zweiten Hälfte des 9.  Jahrhunderts abgeschlossen, und zu dieser Zeit erfolgte wohl auch die Missionierung. Die Slawen leisteten nun Abgaben an den Staat, stellten Soldaten, waren christianisiert und somit auch gräzisiert. Nun waren sie tatsächlich Römer, d. h. Byzantiner, ihre Assimilierung war bis auf regionale Ausnahmen abgeschlossen und die Bezeichnung Slawen bzw. „Sklavinien“ verschwand aus den byzantinischen Quellen. Dies galt allerdings nur für die Gruppierungen, die sich nicht im Geltungsbereich des Kirchenslawischen befanden, hatte doch die Einführung des Kirchenslawischen zur Folge, dass mit Ausnahme des gehobenen Klerus eine Übernahme der griechischen Kultur unterblieb.

3 Armenier Die besondere Situation der Armenier beruhte auf ihrer Zwischenstellung zwischen Byzanz und seinen östlichen Nachbarn, wobei sie stets versuchten, eine gewisse Unabhängigkeit zu bewahren. Dies kommt schon in dem, wenngleich apokryphen, Brief des Kaisers Maurikios an den persischen Großkönig Chosrau II. (591–628) zum Ausdruck, der nach der Aufteilung Armeniens zwischen den beiden Herrschern verfasst worden sein soll: „They are a perverse and disobedient nation, who stand between us and disturb us. I shall gather mine and send them off to Thrace. You gather yours and order them to be sent to the East. If they die, it is our enemies who die. If they kill, they kill our enemies. Then we shall live in peace. For if they live in their own land there will be no repose for us.” (The Armenian History Attributed to Sebeos. Übers. mit Komm. v. Robert W. Thomson. Liverpool 1999, I, 31). Tatsächlich deportierte Maurikios eine größere Zahl von Armeniern nach Thrakien, um die Region in Anbetracht der vermehrten Einfälle über die Donau zu stabilisieren und gleichzeitig die Integration der neu erworbenen armenischen Gebiete in das Reich zu erleichtern. Armenier wurden aber auch in anderen Reichsgegenden angesiedelt, etwa auf Zypern oder in Süditalien. Auch wenn Herakleios (610–641) die nach dem Sturz des Maurikios an die Perser verlorenen Gebiete kurzzeitig zurückgewinnen konnte, änderte sich durch die arabische Expansion die Situation erneut. Bis zum Ende des 7.  Jahrhunderts blieb die Region umstritten, wobei sich ständig wechselnde Allianzen mit unterschiedlichen armenischen Gruppierungen bildeten.

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Im Verlauf dieser Auseinandersetzungen kam es immer wieder zu Aufständen der Armenier gegen die muslimische Herrschaft, die ohne dauerhaften Erfolg blieben, sodass die Aufständischen in Byzanz Zuflucht suchten und sich vermutlich an der byzantinischen Ostgrenze in Kleinasien ansiedelten. So floh 706 eine große Zahl armenischer Adliger mit ihren Anhängern nach Byzanz. Allerdings kehrten sie um 711/712 nach Armenien zurück und unterstellten sich wieder den Muslimen (History of Lewond, the Eminent Vardapet of the Armenians. Übers. v. Zaven Arzoumanian. Wynnewood 1982, 59 und 66). Ein besonders prominenter Überläufer ist Tatzates, der im 8. Jahrhundert unter Konstantin V. (741–775) gegen die Bulgaren kämpfte und schließlich zum Strategen des Themas Boukellarion im nordwestlichen Kleinasien ernannt wurde. Als jedoch der spätere abbasidische Kalif Hārūn ar-Rašīd 782 in Kleinasien einfiel, schlug sich Tatzates auf dessen Seite, sodass Byzanz zur Leistung hoher Tributzahlungen gezwungen wurde. Tatzates wurde dafür zum Gouverneur des arabisch besetzten Armeniens ernannt (Lilie 2001: 1.  4, 320 f.). Worin auch immer die jeweilige politische Motivation der Überläufer bestanden haben mag, so zeigt sich doch an diesen Beispielen, wie problematisch eine dauerhafte Integration der Armenier in das byzantinische Reich war. Im 8.  Jahrhundert schwand der byzantinische Einfluss im westlichen Armenien zusehends. Nur als das Kalifat durch den abbasidischen Umsturz in der Mitte des 8.  Jahrhunderts geschwächt war, konnte Konstantin V. Theodosioupolis (heute Erzurum) für kurze Zeit wieder unter seine Kontrolle bringen. Als die Abbasiden ihre Herrschaft etabliert hatten, ließ Konstantin die Bevölkerung von Theodosioupolis nach Thrakien transferieren, wobei sich viele Armenier aus den umliegenden Distrikten diesem Rückzug anschlossen und sich in byzantinisches Gebiet begaben (Greenwood 2008: 347). Die Fluchtbewegung aus dem von den Muslimen beherrschten Armenien ins byzantinische Reich setzte sich auch in der Folge fort aufgrund zunehmender Unterdrückung und Konfiszierungen ihres Landbesitzes. So sollen 12.000 Armenier unter der Führung verschiedener armenischer Fürsten 788 im Reich aufgenommen worden sein (History of Lewond, 149). Ab der Mitte des 9. Jahrhunderts änderte sich das Kräfteverhältnis zwischen dem Kalifat und Byzanz. Die Byzantiner begannen nun allmählich mit der Rückeroberung der verlorenen Gebiete sowohl auf dem Balkan als auch im Osten. In diesem Kontext intensivierte Byzanz die Kontakte zu kleineren armenischen Herrschaften im Grenzgebiet, indem ihnen Titel und Ämter verliehen wurden. Auf diese Weise gelang es, einige dieser armenischen Fürsten dazu zu bringen, sich der byzantinischen Oberhoheit zu unterstellen. Hier wäre etwa Melias zu nennen, der Anfang des 10.  Jahrhunderts von einem kleinen regionalen Herren zum stratēgos des neu geschaffenen Themas Lykandos im Anti-Taurus aufstieg (Lilie 2013: 2. 4, 405–409). Die Fürsten von Taron sind ein Beispiel für die Einbindung eines Herrscherhauses in das byzantinische Reich über mehrere Generationen hinweg durch die Verleihung von Titeln und Land sowie durch Eheschließungen. Der patrikios Tornikios hinterließ sogar sein Herrschaftsgebiet in seinem Testament Kaiser Romanos I. Lakapenos (920–944) (Constan-

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tinus Porphyrogenitus, De administrando imperii. Ed. Gyula Moravscik. Washington, D.C. 1967, ND 1985, 188–198), wenn auch Taron erst 968/969 endgültig zu Byzanz kam (Lilie 2013: 2.  6, 648–651). Diese beiden Beispiele repräsentieren die unterschiedlichen Formen armenischer Herrschaften innerhalb des Reiches. Neben einer größeren Anzahl kleiner sogenannter „Armenischer Themen“, die sich im Wesentlichen aus einer Festung und dem umliegenden Gebiet zusammensetzten, gab es Themen, die aus bereits existierenden armenischen Fürstentümern entstanden, wie das genannte Taron, Vaspurakan oder Iberia (Krsmanovic 2008: 84–96). Dabei wurden offenbar die bestehenden sozialen und politischen Strukturen beibehalten. Gleichzeitig erweiterte Byzanz aber auch auf militärischem Wege sein Herrschaftsgebiet in Westarmenien. So wurde das muslimisch beherrschte Theodosioupolis 949 erobert, woraufhin dort Armenier und Griechen angesiedelt wurden. Im 11. Jahrhundert beschleunigte sich unter Basileios II. (976–1025) der Prozess der Einverleibung kleinerer und größerer armenischer Fürstentümer. Aber auch von armenischer Seite bestand ein Interesse an der Anbindung an das byzantinische Reich. In der Konkurrenz gegenüber anderen armenischen Großen ließ sich durch die Unterstützung durch Byzanz der eigene Status sowie die materielle Basis fördern. Ebenso spielte das Bedürfnis, vor Angreifern geschützt zu werden, eine Rolle. So tauschte der König von Vaspurakan 1021/1022, als die ersten türkischen Einfälle in Kleinasien einsetzten, sein Herrschaftsgebiet gegen Besitzungen in Kappadokien einschließlich Sebasteias (zur türkischen Expansion s. Korobeinikov 2008). 1064/1065 eroberte Byzanz schließlich das letzte armenische Königreich Vanand bzw. Kars, dessen König sich ebenfalls in Kappadokien niederließ. Diese Translozierungen der armenischen Herrscher hatten eine umfangreiche Migration der von diesen abhängigen Bevölkerung zur Folge. Vor allem aber war es das Vordringen der Türken, das nach der byzantinischen Niederlage gegen die Seldschuken bei Mantzikert 1071 zu Massenemigrationen von Armeniern nach Südkappadokien und Kilikien führte. Dies stellte eine besondere Herausforderung für den byzantinischen Staat dar, repräsentierten die Armenier doch nun in einigen Regionen die Mehrheit der Bevölkerung. Schon im 10. Jahrhundert hatte Leon Diakonos die Region östlich der Linie Sebasteia-Kaisareia-Tarsos als „Land der Armenier“ bezeichnet (Leonis Diaconi Caloënsis Historiae libri decem. Ed. Charles B. Hase. Bonn 1828, 169). Dabei unterschieden sich die im 11. Jahrhundert in das Reich immigrierten königlichen Familien deutlich von der armenischen Aristokratie, die sich im 10. und frühen 11. Jahrhundert Byzanz angeschlossen hatten. Die königlichen Familien waren nicht auf Anerkennung durch den Kaiser aus und strebten keine Eheverbindungen mit vornehmen byzantinischen Familien an, sondern heirateten untereinander. Man verstand sich eben immer noch als von königlicher Abstammung, sodass die Wiederherstellung des kleinarmenischen Königreichs Ende des 11. Jahrhunderts in Kilikien, nachdem Byzanz aufgrund des Vordringens der Seldschuken die Kontrolle über weite Teile Kleinasiens verloren hatte, nur konsequent war. Was die Integration der Armenier betrifft, gibt es schon ab dem 5. Jahrhundert Belege für Armenier, die eine hohe Stellung in der byzantinischen Gesellschaft

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erlangten, vor allem über eine militärische Laufbahn (Garsoïan 1998: 61–64). Sogar verschiedene Kaiser waren armenischer Abstammung wie Philippikos Bardanes, Leon V. oder Johannes I. Tzimiskes. Gleichzeitig wurde die Integration und Assimilation von Armeniern aber von einer heftigen religiösen Polemik zwischen der chalkedonensischen byzantinischen Reichskirche und der miaphysitischen armenischen Kirche begleitet. Immer wieder kam es zu Unterdrückung und Verfolgung von Armeniern, wobei im Gegensatz zur byzantinischen Reichskirche die Haltung der Kaiser oft zwischen politisch begründeter Toleranz und Versuchen, die dogmatische Einheitlichkeit des Reiches zu bewahren, schwankte. Ohne Frage nahmen aber sowohl die Intensität der theologischen Auseinandersetzung als auch die Repressionen im 11. Jahrhundert zu, als die miaphysitische Bevölkerung innerhalb des Reiches stark anstieg. Insofern erschwerten die konfessionellen Gegensätze die Assimilation der Armenier. Hier bestand sicher auch ein grundlegender Unterschied zur letztlich erfolgreichen slawischen Integration, hatten sich diese doch der Reichskirche angeschlossen. Um tatsächlich in die byzantinische Gesellschaft integriert zu werden, war somit die Zugehörigkeit zur Reichskirche Voraussetzung. Armenisch-byzantinische Eheschließungen, denen eine besondere Bedeutung für die Integration in die byzantinische Gesellschaft zukam, waren nur möglich, wenn beide Partner griechisch-orthodox waren. Im 12. Jahrhundert konnte dann mit Michael II. Kourkouas Oxeites sogar ein armenisch-stämmiger Patriarch von Konstantinopel gewählt werden. Garsoïan (1998: 104–109) weist allerdings darauf hin, dass zwischen der assimilierten armenischen Oberschicht und der restlichen armenisch-chalkedonensischen Bevölkerung zu unterscheiden sei. Während die ersteren sich vollständig in die byzantinische Gesellschaft integrierten, behielten die anderen Armenisch als Sprache bei, auch in ihrer ansonsten byzantinischen Liturgie. Ab dem 10. Jahrhundert wurde diese Gruppe dann als Tzatoi / Catʿ oder Caytʿ bezeichnet. Offensichtlich wurden sie sowohl von den Byzantinern als auch von den miaphysitischen Armeniern als nicht zu ihnen zugehörig angesehen. Im Gegensatz zur Oberschicht der chalkedonensischen Armenier scheinen sich die Tzatoi einer vollständigen Assimilation widersetzt zu haben, ähnlich wie einzelne slawische Gruppen auf der Peloponnes. Die Annahme des chalkedonensischen Bekenntnisses allein führte also nicht zur Assimilation.

4 Syrer Die muslimisch-arabische Eroberung Syriens und Ägyptens im 7. Jahrhundert führte zu einer starken Fluchtbewegung in Richtung Kleinasiens nicht nur von Byzantinern, sondern auch von miaphysitischen Syrern und Arabern. Wo diese sich im Einzelnen niederließen, ist allerdings nicht bekannt (Lilie 1976: 232 f., mit Verweisen auf die Hauptquelle: das Kitāb futūḥ al-buldān von al-Balāḏurī; Auzépy 2012). Kaiser Justi-

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nian II. sorgte selbst 688 im Verlauf eines Feldzugs gegen die Muslime für die Umsiedlung eines Teils der Bevölkerung der am Rande des Anti-Taurus gelegenen Stadt Germanikeia nach Thrakien (Theophanis Chronographia, 391). Ob dies nun zum Schutz der christlichen Bevölkerung geschah oder im Rahmen eines 688 geschlossenen Abkommens mit dem Kalifen ʿAbd al-Malik sei dahin gestellt. Ebenso veranlasste Justinian II. im Rahmen dieses Vertrages den Abzug von 12.000 Mardaïten, einer christlichen Gruppierung, deren Herkunft nicht näher bekannt ist, die aber wohl in den 670er Jahren von Konstantin IV. in das Grenzgebiet um das Amanus-Gebirge gebracht worden war und von dort bis in den Libanon vorgedrungen war. Für 708 wird die Umsiedlung eines weiteren Teils der Mardaïten erwähnt. Sie wurden im byzantinischen Armenien, dann auch in Kilikien und im westlichen Balkan angesiedelt und bildeten eigenständige militärische Abteilungen (Lilie 1976: 240 f.; Ditten 1993: 138– 158). Konstantin V. setzte diese Politik Justinians II. fort. 745/746 gelang es ihm, Germanikeia erneut zu erobern. Wiederum wurden Einwohner der Stadt nach Thrakien umgesiedelt, darunter auch Araber und miaphysitische Syrisch-Orthodoxe (Theophanis Chronographia, 422). Thrakien blieb das Ziel weiterer Umsiedlungsaktionen aus dem nordsyrischen Grenzgebiet: Als 750/751 Melitene eingenommen wurde, erhielten die offensichtlich muslimischen Einwohner freien Abzug. Die Bevölkerung der Umgebung, die zum überwiegenden Teil christlich gewesen sein dürfte, wurde dagegen deportiert (Theophanis Chronographia, 429). Und auch Leon IV. soll 788 angeblich 150.000 Personen aus der Region um Germanikeia nach Thrakien gebracht haben. Vielleicht lässt sich diese Umsiedlungspolitik auch so verstehen, dass die Absicherung der byzantinischen Herrschaft in Thrakien sowie die wirtschaftliche Prosperität dieser Region, die unmittelbar an die Hauptstadt Konstantinopel angrenzt, für die Kaiser Priorität gegenüber den östlichen Grenzgebieten hatte. Insgesamt scheint die Integration dieser Gruppen erfolgreich gewesen zu sein, da sich in den Quellen keine weiteren Spuren mehr von ihnen finden. Die byzantinischen Rückeroberungen des 10.  Jahrhunderts in Kilikien und im nördlichen Syrien führten dazu, dass die muslimische Bevölkerung zu großen Teilen aus der Region floh. Gleichzeitig soll aber vor allem Nikephoros II. Phokas (963–969) Zehntausende, in manchen Fällen sogar Hunderttausende Muslime gefangen genommen und deportiert haben. Offenbar verfolgten die Kaiser das Ziel, die Muslime möglichst weitgehend aus den eroberten Gebieten zu vertreiben. Was genau mit den Kriegsgefangenen geschah, ist nicht bekannt. Sicher wurden viele von ihnen in der Landwirtschaft eingesetzt, aber auch der Rückkauf bzw. Austausch von Gefangenen war üblich (Kolia-Dermitzaki 2000). Gleichzeitig betrieben die Kaiser Nikephoros II. Phokas, Johannes I. Tzimiskes (969–976) und Basileios II. eine Politik der Wiederbesiedlung. Einige Muslime kehrten in ihre Heimat zurück, wie etwa nach Tarsos (The Chronography of Gregory Abû ’l-Faraj, the Son of Aaron, the Hebrew Physician Commonly Known as Bar Hebraeus. Übers. v. Ernest A. W. Budge. London 1932, ND 1976, 171). Voraussetzung dafür

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war allerdings die Konversion zum Christentum, auch wenn einzelne Dörfer durchaus muslimisch bleiben konnten. Vor allem aber ging es darum, in den Grenzgebieten, Syrien, Mesopotamien und Kilikien einen demographischen Ausgleich der Bevölkerungsverluste durch die Ansiedlung von Christen zu erreichen. Nach Michael dem Syrer (Chronique de Michel le Syrien, patriarche Jacobite d’Antioche [1166–1199]. Übers. v. Jean B. Chabot. Paris 1905, III, 130) hat daher Nikephoros Phokas syrischorthodoxe Christen aufgefordert, sich in dem entvölkerten Melitene und seiner Umgebung anzusiedeln, wobei er ihnen versprochen habe, ihre Religion zu tolerieren. Michael zufolge hätten ihm einige seiner Ratgeber dazu geraten, die Syrer zu rufen, da diese daran gewohnt seien, zwischen zwei Völkern und zwei Reichen zu leben. Die Parallele zum oben erwähnten Brief des Maurikios an Chosrau II. ist offensichtlich. Dagron (1976: 187 f.) zufolge verfolgte Nikephoros damit die Absicht, eine feste Grenze zu den Muslimen zu etablieren, indem sich diese „go-betweens“ in das byzantinische Reich integrierten und so eine loyale Grenzbevölkerung bildeten. Des Weiteren sollte wohl die syrisch-orthodoxe Bevölkerung Antiochias dazu veranlasst werden, sich ebenfalls in Melitene niederzulassen, um so in dem 969 eroberten Antiochia, dem Zentrum byzantinischer Macht in Nordsyrien, eine möglichst homogene byzantinische Bevölkerung zu schaffen. Die syrischen Immigranten waren keine mittellosen Flüchtlinge, sondern kamen aus vornehmen und wohlhabenden Familien, viele waren Händler. Ein Grund für die Zuwanderung dürfte auch in steuerlichen Vorteilen bestanden haben. Neben syrisch-orthodoxen Christen siedelten sich auch Melkiten an, also arabisch-sprachige Griechisch-Orthodoxe. Von Armeniern ist dagegen kaum die Rede. Diese Ansiedlung bewirkte bis zur türkischen Eroberung Melitenes 1058 einen kulturellen Aufschwung der Syrer. Das Ziel, eine klare Grenze zwischen dem christlichen byzantinischen Reich und dem muslimischen Herrschaftsgebiet zu etablieren, wurde aber verfehlt. Die Syrer sahen sich weiterhin als eine die politischen Grenzen überschreitende Glaubensgemeinschaft und nicht als Byzantiner. Um eine solche Assimilation zu erreichen, wäre sicher eine Überwindung der konfessionellen Spaltung nötig gewesen, stellte doch die (chalkedonensische) Orthodoxie das ideologische Grundprinzip der politischen Einheit des Reiches dar. So hatte Nikephoros Phokas 969 kurz vor seinem Sturz Gespräche über eine Kirchenunion veranstaltet, die jedoch zu keinem Ergebnis führten (Gregorii Barhebraei Chronicon ecclesiasticum. Übers. v. Jean B. Abbeloos u. Thomas J. Lamy. Paris 1872, I, 412–414). Während Nikephoros die syrisch-orthodoxen Teilnehmer an diesen Gesprächen daraufhin verhaften ließ, kann unter seinen Nachfolgern bis zum Ende der Regierungszeit Basileios II. 1025 nicht von kaiserlichen Repressionen gegenüber den Syrer gesprochen werden. Ähnlich wie im Fall der Armenier überwogen für die Kaiser die politischen Vorteile. Auf lokaler Ebene gab es dagegen immer wieder Auseinandersetzungen und Übergriffe. Erst unter Romanos III. Argyros (1028–1034) setzte eine Verfolgung der Syrer mit kaiserlicher Unterstützung ein. Letztendlich erledigte sich das

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Problem der Integration der Syrer wie schon bei den Armeniern durch das Vordringen der Türken und den Verlust Kleinasiens.

5 Petschenegen Durch die Eroberung Bulgariens durch Basileios II. (1018) wurden die Petschenegen zu unmittelbaren Nachbarn von Byzanz. Schon bald erfolgten in den späten 20er und in den 30er Jahren des 11. Jahrhunderts die ersten Raubzüge auf byzantinisches Territorium. Als sich jedoch die Gelegenheit bot, einige dieser Steppenkrieger für die byzantinische Sache zu gewinnen, war der Kaiser sofort bereit, sie unter entgegenkommenden Bedingungen in das Reich aufzunehmen (zwei Petschenegenstämme angeführt von Kegen um 1045). Dabei wurde ihnen die Möglichkeit eingeräumt, sich unter Beibehaltung ihrer traditionellen Lebensweise in den staatlichen Militär- und Zivilapparat einzuordnen. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, einen Teil der Reichsgrenze an der Donau vor auswärtigen Feinden zu schützen (Diaconu 1970: 39–61). Die nördlich der Donau verbliebenen Petschenegen unter der Führung des Tyrach blieben allerdings eine Bedrohung für das Reich. Der 1046/47 erfolgte Überfall hatte dabei offensichtlich nicht das Ziel einer kurzfristigen Plünderung, sondern der Okkupation byzantinischer Territorien. Tatsächlich scheint aus petschenegischer Sicht dieser Angriff einen verzweifelten Versuch einer Migration nach Süden aufgrund der Bedrohung ihrer Siedlungsgebiete durch die Uzen dargestellt zu haben. Dies erklärt vielleicht auch ihre beinahe widerstandslose Anerkennung der byzantinischen Oberhoheit. Im Gegensatz zur ersten Gruppe wurden jedoch die Petschenegen Tyrachs nicht als Verbündete des Reichs sondern als unterworfene Feinde behandelt. Ihre politische Führung wurde inhaftiert, die übrigen Kriegsgefangenen samt Frauen und Kindern in verödeten, für sie ungeeigneten Gebieten (in die Umgebungen der Städte Sredec, Niš und in Nordmazedonien) angesiedelt und dadurch ihrer traditionellen, halbnomadischen Lebensweise beraubt (Spinei 2008: 188–192). Infolge dessen kam es schon bald zu einem Aufstand, in dessen Verlauf es den Petschenegen gelang, große Gebiete des byzantinischen Reichsterritoriums zunächst im Nordosten des Balkans zu besetzten. Ab den 1080er Jahren siedelten sie sich dann dauerhaft südlich des Flusses Haimos an. Im Verbund mit den Kumanen, die ab Ende des 11. Jahrhunderts begonnen hatten, die Donau zu überschreiten, gelang es den Byzantinern schließlich, die Petschenegen in der Schlacht bei Lebunion 1091 entscheidend zu schlagen (Meško 2011). Diesmal entschied sich Alexios I. Komnenos (1081–1118) jedoch gegen einen erneuten Versuch, die Petschenegen in das Reich zu integrieren, und ließ einen Großteil der Gefangenen töten (Spinei 2008: 208 f.). Die wenigen Petschenegen, die dieses Massaker überlebten, wurden als Sklaven verkauft, in die Armee aufgenommen oder im Thema Moglena angesiedelt. Die Tatsache, dass die Zahl der Petschenegen nun sehr stark dezimiert war, dürfte dabei ausschlagge-

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bend für ihre erfolgreiche Integration in das Reich gewesen sein. Nach der Mitte des 12. Jahrhunderts werden sie in den Quellen nicht mehr erwähnt. Zusammenfassend lassen sich verschiedene Gründe für Migrationen in das byzantinische Reich oder Umsiedlungen innerhalb des Reiches feststellen. Fluchtbewegungen vor Angriffen von Persern, Arabern oder anderen „barbarischen“ Gruppen wie etwa den Awaren, Bulgaren oder Türken waren sicher der häufigste Grund für die Immigration größerer Gruppen von Nicht-Byzantinern. Begünstigt wurden solche Migrationen durch die demographische Entwicklung im byzantinischen Reich ab der Mitte des 6.  Jahrhunderts, wobei neben häufigen Kriegen Epidemien einen wichtigen Faktor darstellten. Ihren Höhepunkt hatte die Pest zwar 542 erreicht, aber bis ins 8.  Jahrhundert hinein kam es immer wieder zu erneuten Ausbrüchen. Abgesehen von dem ungeplanten Eindringen fremder Volksgruppen, betrieben aber auch die byzantinischen Kaiser in großem Maße eine bewusste Umsiedlungspolitik, um so den Verlust an Menschen, die Lebensmittel und Waren produzierten, auszugleichen, verödete Regionen wiederzubeleben, sowie um über ein ausreichendes Reservoir an kriegstüchtigen Männern verfügen zu können. Ein weiteres Motiv bestand darin, unruhige Regionen zu stabilisieren, indem entweder loyale Bevölkerungsgruppen angesiedelt oder aber Gruppen, denen man nicht traute, da sie nicht als „Römer“ galten und / oder Häretiker waren, umgesiedelt wurden. Bis auf wenige Ausnahmen waren die umgesiedelten Personen entweder keine Reichsangehörigen oder kamen aus gefährdeten Grenzgebieten. Byzantiner aus den Kerngebieten umzusiedeln, wurde offenbar vermieden. Als Nikephoros I. (802–811) eine größere Zahl von Byzantinern in Thrakien und in den „Sklavinien“ ansiedelte, wurde er dafür scharf kritisiert (Theophanis Chronographia, 482 und 486). Umsiedlungen dieser Art waren wohl ausgesprochen unpopulär und zudem dürfte es die demographische Situation nicht zugelassen haben, aus den byzantinischen Kernlanden Menschen abzuziehen, ohne die Stabilität und Prosperität dieser Regionen zu gefährden. Als wichtigste Kriterien für eine Assimilation der eingewanderten nicht-byzantinischen Gruppen wurden die Aneignung der klassisch-griechischen Bildung sowie das Bekenntnis zur chalkedonensischen Orthodoxie genannt. Inwieweit die im byzantinischen Reich aufgenommen Gruppen darüber hinaus eigene Traditionen, Kleidungsformen und im Besonderen die eigene Sprache bewahrten, lässt sich in den meisten Fällen nur sehr schlecht nachweisen. Zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang, dass auch das byzantinische Rechtssystem durch den Grundsatz der Gleichbehandlung ein Instrument der Integration darstellte. Allerdings wurden auch fremde Rechtstraditionen akzeptiert, solange sie die öffentliche Ordnung nicht beeinträchtigten oder wichtige Personen davon betroffen waren. Diese Toleranz gegenüber fremdem Recht besonders im familiären Bereich führte sicher dazu, dass die Kohärenz von ethnischen Gruppen in vielen Fällen bewahrt und gestärkt wurde (Laiou 1998). Generell ist hier zwischen der privaten Person, die in ihrem familiären oder auch lokalen Umfeld durchaus ihren eigenen Traditionen folgen konnte, und

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der öffentlichen Person zu unterscheiden, die sich nach außen in ihrem Auftreten als Byzantiner zeigte. Byzanz als Staat der Römer mit einer einheitlichen byzantinischen Identität ist eben auch ein Konstrukt der im Umfeld der politischen und kirchlichen Führung entstandenen Quellen.

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 Johannes Pahlitzsch

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Marianne Bechhaus-Gerst

Afrika

1 Einleitung Ein Überblicksartikel, der sich mit Migrationen innerhalb eines Kontinents über einen Zeitraum von tausend Jahren beschäftigt, muss zwangsläufig skizzenhaft bleiben und kann allenfalls Beispiele präsentieren. Gegenwärtig werden rund 2.500 Sprachen von wenigsten ebenso vielen ethnischen, politischen oder gesellschaftlichen Gruppen in Afrika gesprochen. Das Bild verkompliziert sich noch, wenn man bedenkt, dass Sprachen nicht notwendigerweise mit ethnischen, politischen oder kulturellen Einheiten korrespondieren, und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die Situation im hier zu betrachtenden Zeitraum anders war. Ganz das Gegenteil dürfte der Fall gewesen sein. Linguistische, archäologische und historische Forschungen haben gezeigt, dass Sprachen und Kulturen verschwunden sind. Zu jeder Zeit fanden irgendwo auf dem Kontinent Migrationen von Menschen, aber auch von Ideen, Religionen und Gütern statt, und vollständige Rekonstruktionen dieser verschiedenen Ereignisse und komplexen Prozesse werden nie möglich sein. Wichtig ist es, gleich zu Anfang festzuhalten, dass das Konzept einer mittelalterlichen Epoche der Geschichte, das im europäischen Kontext entwickelt wurde, nicht einfach auf den außereuropäischen Kontext übertragbar ist. In Westafrika und in Teilen der ostafrikanischen Küste können Ankunft und Ausbreitung des Islam ab dem 7.  Jahrhundert als Beginn einer neuen Ära angesehen werden. Für den nördlichen Sudan und für Teile Äthiopiens stellte die Bekehrung zum Christentum zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert eine entsprechende Zäsur dar. Für viele Regionen Afrikas aber können solche einschneidenden Veränderungen nicht ausgemacht werden. So muss festgehalten werden, dass eine Bezeichnung wie ‚Afrika im Mittelalter‘ problematisch wäre, aber dass es in diesem Kontext hier durchaus legitim ist, vom ‚mittelalterlichen Jahrtausend‘ zu sprechen, um einen Blick auf die großräumigeren Migrationen zu werfen, die während dieser Epoche auf dem Kontinent stattfanden. Die Quellen, die zur Rekonstruktion afrikanischer Geschichte im mittelalterlichen Jahrtausend herangezogen werden, sind vielfältiger Natur. Traditionell wurde Afrika von europäischen Wissenschaftlern als schriftlos und damit als ahistorisch angesehen. Glücklicherweise hat sich diese eurozentrische Sichtweise überlebt. Zum einen erkannte man die lange Schrifttradition, die es auf dem Kontinent gab. Abgesehen vom Alten Ägypten mit seiner fünftausendjährigen Schriftkultur war Schrift im mittelalterlichen Jahrtausend im nördlichen Sudan und in Äthiopien sowohl für religiöse als auch für säkulare Belange von großer Bedeutung. Schriften der arabischen Geographen und Historiker sowie der islamischen Gelehrten vervollständigen

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das Korpus der schriftlichen Quellen der Epoche. Zum anderen wurde Historizität nicht mehr länger vom Vorhandensein von Schrift abhängig gemacht. Stattdessen wurden orale Quellen zur Rekonstruktion afrikanischer Geschichte einer Neubewertung unterzogen (Vansina 1985). Die historische Sprachwissenschaft hatte ebenfalls einen entscheidenden Anteil an der Rekonstruktion afrikanischer Geschichte im Allgemeinen und der Migrationsbewegungen im Besonderen. Traditionell nahm man die heutige Verteilung afrikanischer Sprachen als das Resultat massiver Wanderungsbewegungen von Menschen und Völkern über Jahrtausende hinweg wahr. Für jede Sprachfamilie und Unterfamilie rekonstruierte man eine hypothetische Urheimat, von der Menschen und Sprachen sich bis in ihre Sprachgebiete ausgebreitet haben sollten. Diese Auffassung wurde in dem Maße modifiziert, in dem man sich bewusst wurde, dass Sprachen sich auch ohne Sprecher ausbreiten können. Trotzdem liefert die historische Sprachwissenschaft wertvolle Einsichten in die Geschichte der Migrationen und Besiedlungen auf dem afrikanischen Kontinent. Neben oralen und schriftlichen Quellen ist es die materielle Kultur, die als Basis für archäologische Rekonstruktionen dient. In jüngster Zeit liefert die DNA-Analyse neue Erkenntnisse zu Wanderungsbewegungen auf dem afrikanischen Kontinent. Bis in die jüngste Zeit hinein lag ein entscheidender Trugschluss der historischen Forschung zu Afrika in der Annahme einer inhärenten Korrelation zwischen Menschen, Sprachen, Kulturen und Objekten. Dies führte zu eher von Ideologie als von Evidenz geleiteten Rekonstruktionen, wie z. B. die Erfindung der Hamiten belegt. Die hamitischen Völker sollten angeblich den Kontinent von Norden nach Süden durchquert und den ‚rückständigen‘ Afrikanern ihre vermeintlich überlegenen Sprachen sowie Viehzucht, ‚Gottkönigtum‘ und Metallverarbeitung gebracht haben. Auch die Migration und Ausbreitung der Bantusprecher wurde mit verschiedenen Kulturmerkmalen in Beziehung gesetzt. Diese Rekonstruktionen und Annahmen wurden inzwischen als Teil des kolonialen Diskurses über Afrika dekonstruiert. Die nachfolgenden Beispiele decken geographisch den gesamten afrikanischen Kontinent südlich des Maghreb ab. Jedes ist anders in seiner Ausgangsituation, kann aber als modellhaft für tausende kleinräumigere Migrationsprozesse während des mittelalterlichen Jahrtausends in Afrika gelten. Das Mittlere Niltal steht für die Anziehungskraft einer Flusslandschaft inmitten einer hyperariden Umwelt. Gleichzeitig steht es für die Kontaktsituation zwischen einer christlichen Bevölkerung und muslimischen Einwanderern. Die Insel Madagaskar war vor dem mittelalterlichen Jahrtausend unbesiedelt, zog dann aber Menschen aus Südostasien, Ostafrika, Arabien und Persien an. In beiden Fällen ist es gerechtfertigt, von der Entstehung hybrider Gesellschaften durch Migration zu sprechen. Ein Beitrag zu Migrationen in Afrika muss sich zwangsläufig mit den Bantusprachen und ihren Sprechern beschäftigen, die überall in Zentral- und Südafrika zu finden sind. Bantusprecher waren sowohl an der Entstehung der mittelalterlichen Stadtstaaten als auch mehrerer Königreiche, wie zum Beispiel Great Zimbabwe, beteiligt. Schließ-

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lich sollen einige westafrikanische Königreiche und ihre Bedeutung für Handel und Migration vorgestellt werden.

2 Das Mittlere Niltal Das Mittlere Niltal zwischen dem ersten und sechsten Katarakt ist unter dem Bezeichnung ‚Nubien‘ bekannt. Die Region war ein Zentrum der Migration aus allen Richtungen und stellte eine historische Kontaktzone par excellence dar. Diese Migrationen wurden durch die fortschreitende Desertifikation der Gebiete westlich und östlich des Nils ausgelöst, aber auch durch politische und religiöse Interessen beeinflusst, die bis nach Byzanz reichten. Das nubische Königreich von Makuria entstand zu Beginn des 6. Jahrhunderts als Nachfolgestaat des Meroitischen Reiches, das die Region über nahezu tausend Jahre dominiert hatte (Adams 1977). Meroe zeichnete sich durch eine heterogene, hybride Gesellschaft aus, und mit dem langsamen Machtverlust der herrschenden Bevölkerungsgruppe übernahm eine neue, nubisch-sprachige Elite die Macht. Die neuen Herrscher entschieden sich für eine neue Hauptstadt, Dongola, Start- und Endpunkt der östlichen und westlichen Karawanenstraßen. In Dongola traf die herrschende Elite auf rezente Einwanderer aus der westlichen Wüste, die eine andere nubische Sprache sprachen und vermutlich noch keine Landwirtschaft praktizierten. Gleichzeitig begannen sich nomadische Beja im äußersten Norden des Königreichs von Makuria niederzulassen. Die Beja hatten schon seit Jahrhunderten die Wüstenregionen zwischen Nil und Rotem Meer dominiert. Die Einführung des Kamels im nördlichen Sudan hatte ihnen eine enorme Mobilität und Macht verschafft. Sie kontrollierten nicht nur die Karawanenwege zwischen Nil und Rotem Meer, sondern auch die Straßen in den Süden und Südwesten in Richtung Äthiopien. Gleichzeitig besaßen sie wertvolle Smaragdminen. Cosmas Indicopleustes berichtet in seiner 547 verfassten ‚Christlichen Topographie‘, dass die Smaragde über Äthiopien bis nach Indien verhandelt wurden (The Christian Topography of Cosmas, an Egyptian Monk. Translated from the Greek, and Edited, with Notes and Introduction by J. W. McCrindle. New York 1897, Book 11, 371). Die Beja-Gruppen, die sich im Niltal niederließen, heirateten in nubische Familien ein. Daneben gab es ägyptische und byzantinische Migranten, die neue symbolische Praktiken und Denkweisen mit sich brachten. Im Fall von Nubien ist es durchaus gerechtfertigt, von einem historischen Mittelalter zu sprechen, da der Beginn dieser Epoche eindeutig durch die Einführung des Christentums markiert ist. Ägyptische Mönche ließen sich im Königreich nieder, und der koptische, monophysitische Glauben wurde zur Staatsreligion. Durch Johannes von Ephesus, einem glühenden Anhänger des monophysitischen Glaubensbekenntnisses, ist eine etwas andere Geschichte der Bekehrung Nubiens überliefert (Fr. Giovanni Vantini, Oriental Sources Concerning Nubia. Heidelberg / Warsaw 1975). Seiner

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Erzählung nach schickte die Kaiserin Theodora von Konstantinopel aus eine Delegation nach Nubien mit dem Auftrag, das Königshaus zu missionieren. Das Unternehmen war erfolgreich, und obwohl die nubische Kirche eng mit der ägyptischen verbunden war – so wurden die nubischen Bischöfe durch den ägyptischen Patriarchen ernannt –, erhielt das nubische Christentum seine spezielle Ausprägung vor allem durch die byzantinisch-griechische Kirche. Entsprechend fand das Griechische viel stärker in der Liturgie Verwendung als das Koptische, und die nubischen Kirchenbauten ähneln denjenigen in Anatolien und Griechenland. Der starke byzantinisch-griechische Einfluss zeugt von einem anhaltenden Austausch von Ideen und Menschen. Ab der Mitte des 7. Jahrhunderts kam es zu komplexen Interaktionen zwischen Nubiern und arabisch-muslimischen Migranten aus dem Norden und Nordosten. Unmittelbar nach der arabischen Eroberung Ägyptens versuchten die muslimischen Herrscher ihre Einflusssphäre auf Makuria auszuweiten. 643 und 652 scheiterten Versuche, Nubien zu erobern, und die Aggressoren aus dem Norden waren gezwungen, ein bilaterales Abkommen abzuschließen, das Makuria vor weiteren militärischen Angriffen, aber auch vor Bekehrungsversuchen schützte. Darüber hinaus wurde den ägyptischen Muslimen in dem Abkommen Handel und jede Form von Niederlassung südlich des zweiten Nilkatarakts strikt verboten. Einerseits machte der Vertrag ein friedvolles Nebeneinander von Ägyptern und Nubiern möglich. Andererseits konnten arabische Migranten nun legal zwischen dem ersten und zweiten Nilkatarakt in Nordnubien Landbesitz erwerben und sich auf Dauer niederlassen. Während die Nubier die Migration aus dem Norden den Nil entlang einzudämmen versuchten, konnten arabisch-muslimische Gruppen weitgehend ungehindert über die Wüstenregionen östlich des Niltals einwandern. Kontakte zwischen der bereits ansässigen Bevölkerung des Niltals und den Neuankömmlingen leiteten den Prozess der Arabisierung des nördlichen Sudan ein. Dieser wurde entscheidend beschleunigt durch Ehen zwischen eingewanderten Männern und einheimischen Frauen, da das matrilineare Verwandtschaftssystem der Nubier die Söhne aus solchen Beziehung sehr bald zu rechtmäßigen Erben von Führungspositionen und Landbesitz machte. Die allmähliche Bekehrung der Bevölkerung zum Islam trug ebenfalls zur Entstehung neuer arabisch-nubischer Identitäten bei. Ein eindrucksvolles Beispiel für diesen Prozess stellen die Banu Kanz dar, die ursprünglich einen Zweig der Rabi’à von der Arabischen Halbinsel bildeten. In der Mitte des 9. Jahrhunderts wanderten sie in größerer Anzahl nach Oberägypten ein, wo sie sich unter den Beja niederließen und einheirateten. Bald übernahmen sie die Kontrolle über Assuan und anschließende Gebiete des Niltals. 1006 half ihr Anführer dem fatimidischen Kalifen, einen politischen Gegner gefangen zu nehmen und wurde dafür mit dem Titel Kanz-ed-Dawla („Kleinod des Staates“) belohnt. Der Titel wurde erblich und die ganze Volksgruppe in der Folge unter dem Namen Banu Kanz bekannt. Zum Ende des 13. Jahrhunderts war diese zu einem nicht zu unterschätzenden Machtfaktor zunächst in Nordnubien, später auch in der Region um die Hauptstadt Dongola geworden. Während die Banu Kanz ihren Glauben behielten und sogar

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den Islam im Land weiter verbreiteten, übernahmen sie die nubische Sprache und Kultur. Der politische Führer der Banu Kanz verband sich durch Heirat mit dem Herrscherhaus in Dongola, und 1323 konnte der Kanz-ed-Dawla als legitimer Erbe seines Onkels mütterlicherseits den Thron übernehmen. Obwohl die Banu Kanz sich schon vierzig Jahre später wieder in ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete um Assuan zurückziehen mussten, nahmen sie die nubische Sprache und Kultur mit und können als ein Beispiel für die Entstehung neuer Identitäten durch Migration gelten (Adams 1977; Bechhaus-Gerst 2011).

3 Bantumigration und -ausbreitung Bantusprachen und ihre Sprecher finden sich in fast allen Regionen südlich der Sahara. Seit dem 19.  Jahrhundert haben sich Wissenschaftler gefragt, wann, wie, warum und woher sich Sprachen und Sprecher über ein so großes Gebiet verbreitet haben. Seit Längerem stimmte man zumindest darin überein, dass die Urheimat der Sprachfamilie zwischen Kamerun und Ostnigeria in Westafrika zu lokalisieren ist. Dementsprechend betrachtete man die heutige Distribution als Resultat massiver Wanderungsbewegungen von Menschen über einen Zeitraum von mehreren tausend Jahren. Diese Sicht auf historische Prozesse war in der traditionellen Annahme einer zwangsläufigen Korrelation zwischen Sprachen, Menschen und materieller Kultur begründet, die, wie man heute weiß, jeder Grundlage entbehrt. Obwohl es immer wieder kleinräumige Migrationen gab, verbreiteten sich die Bantusprachen nicht durch ‚Völkerwanderungen‘ ihrer Sprecher. Auch hier sind komplexe Prozesse von Interaktion, die wiederholte Entwicklung von koine oder linguae francae, Sprachwechsel und die Aufgabe ursprünglicher Sprachen wie auch andere Phänomene als Ursachen für die heutige Verbreitung der Sprachen anzunehmen. Die vielfältigen Prozesse vollzogen sich über einen Zeitraum von mehreren Jahrtausenden, und zu Beginn des mittelalterlichen Jahrtausends waren Bantusprecher in fast allen Regionen, in denen sie auch heute noch leben, angekommen (Vansina 1979; 1980). Spätestens seit dem 8. Jahrhundert sind Bantusprachen an der ostafrikanischen Küste zu finden, wie man aus Bantuwörtern in datierbaren arabischen Quellen schließen kann. Kaufleute und Händler aus der arabischen Welt und Indien erkannten die strategische Bedeutung der ostafrikanischen Küstenregion für die Wirtschaft und ließen sich ebenfalls dort nieder. Ab ca. 900 wanderten verstärkt Shirazi-Araber vom Persischen Golf ein, und es entstanden kleine indische Niederlassungen. Die Araber nannten diese Region al-Zanj, und die Küstenregion geriet allmählich unter Kontrolle muslimischer Händler aus Arabien und Persien. Was man unter „Swahili-Kultur“ versteht, ist tatsächlich ein Hybrid, das aus dem Kontakt zwischen der ursprünglichen Bevölkerung der ostafrikanischen Küste und verschiedenen eingewanderten Gruppen entstand.

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Auf diesem Amalgam gründeten sich bis 1300 zwischen Mogadischu im Norden und Sofala im Süden die sogenannten Swahili-Stadtstaaten. Andere bedeutende Stadtstaaten an der Küste waren Barawa, Mombasa, Gedi, Pate, Malindi, Zanzibar und Kilwa. Ihre Vorläufer waren nicht-muslimische Gesellschaften, die bis zum 11. Jahrhundert dominierten. Mit der fortschreitenden Eingliederung der Städte in die expandierende islamische Welt änderte sich diese Situation, und bis zum 13.  Jahrhundert waren die meisten Städte zumindest nominell zum Islam konvertiert. Die Stadtstaaten wurden allmählich zu Zentren islamischer Kultur, und einige von ihnen übernahmen einen aktiven Part bei der Islamisierung des Landesinneren. Gleichzeitig erhielten sie sich den Status von pluralen Gesellschaften. Über Jahrhunderte hinweg spielte die ostafrikanische Küste eine wichtige Rolle für die Handelsnetzwerke im Indischen Ozean. Die Hauptexportgüter waren Elfenbein, Sandelholz, Ebenholz und Gold. Im 14. und 15. Jahrhundert waren die Swahili-Stadtstaaten auf dem Höhepunkt ihrer sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung angelangt (Horten / Middleton 2000; Spear 2000). Der Niedergang der Stadtstaaten begann mit der Ankunft des portugiesischen Handels, der die gewachsenen Wirtschaftsstrukturen zerstörte und die alten Wirtschaftszentren obsolet machte. Die Portugiesen wollten den afrikanischen Handel monopolisieren und machten sich daran, die ostafrikanische Küste zu erobern. Im späten 17. Jahrhundert eroberte Oman alle portugiesischen Städte entlang der Küste und übernahm für 200 Jahre die Kontrolle über die Region. Bis zum 10. Jahrhundert hatten Bantusprecher auch das südliche Afrika erreicht, wo sie mehrere Königtümer begründeten und Teil eines Handelsnetzwerks wurden, das Südafrika mit Ostafrika und dem Indischen Ozean verband. Das Königreich von Mapungubwe (1075–1220) lag am Zusammenfluss von Shashe und Limpopo südlich von Great Zimbabwe. Zwischen 1220 und 1290/1300 war Mapungubwe ein blühendes Handelszentrum mit ungefähr 5.000 Einwohnern. Der Handel mit Gold und Elfenbein war ein bedeutender Wachstumsfaktor für die Stadt, und der Limpopo verband die Region mit den Häfen von Kilwa und anderer Städte am Indischen Ozean. Mapungubwes schneller Niedergang hatte vermutlich klimatische Gründe; die Region wurde kälter und trockener (Phillipson 1977). Mit dem Niedergang von Mapungubwe begann Great Zimbabwe an Bedeutung zu gewinnen. Zwischen ca. 1100 und 1450 bauten eingewanderte Bantusprecher, die Vorfahren der heutigen Shona, die Steinmonumente von Great Zimbabwe. Auf dem Plateau von Zimbabwe wurde Gold abgebaut und in Sofala an der Küste von Mozambique gegen Eisengeräte und Perlen getauscht. Von dort wurde das Gold nach Kilwa und Mogadischu verschifft, bevor es in den Mittleren Osten und nach Indien exportiert wurde. Um 1490 war Great Zimbabwe nach verheerenden Dürren, Krieg und Zerstörung weitgehend verlassen worden und hatte seine Rolle als Handelszentrum verloren (Huffman 1972).

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4 Madagaskar bis ca. 1500 Die Insel Madagaskar kann als perfektes Beispiel für Migrationen im mittelalterlichen Jahrtausend herangezogen werden, da es dort zuvor vermutlich keine menschliche Besiedlung gab. Über den exakten Zeitpunkt der ersten Kolonisation ist lange diskutiert worden. Inzwischen stimmt man weitgehend darin überein, dass die viertgrößte Insel der Welt während des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung sowohl von Ostasien als auch von Afrika aus besiedelt wurde. Unklarheit herrschte lange darüber, über welche Wege die Einwanderer aus Asien Madagaskar erreichten. Waren sie die Küsten des Indischen Ozeans entlang navigiert oder hatten sie den direkten Weg über das Meer genommen? Für die meisten Wissenschaftler erscheint die Route am nördlichen Rand des Indischen Ozeans entlang, von Indonesien nach Indien, nach Ostafrika über den Persischen Golf und Arabien, als die wahrscheinlichste. Möglich ist aber auch, dass beide Routen gleichzeitig oder zu unterschiedlichen Epochen genutzt wurden. Da die Bevölkerung Madagaskars ziemlich homogen (Hurles u. a. 2005) und bemerkenswert einsprachig ist, nahmen Deschamps (1972) und andere Wissenschaftler an, dass die indonesischen Einwanderer sich zunächst auf dem afrikanischen Festland niederließen und dort einheimische Frauen heirateten, bevor sie den Weg nach Madagaskar nahmen. Bislang sind keine archäologischen Spuren bekannt, die für eine systematische Kolonisation der Insel vor dem 8. Jahrhundert sprechen. Darüber hinaus weist der keramische Befund eher auf einen ostafrikanischen als auf einen asiatischen Kontext hin (Dewar / Wright 1993; Dewar 1995; Wright / Rakotorisoa 2003). Wenn dieses Szenario stimmt, müsste man an der ostafrikanischen Küste Spuren einer einstmaligen ostasiatischen Besiedlung erwarten können. Das ist aber – zumindest bislang – nicht der Fall. Eine Ursache für die fehlende Evidenz könnte in der Ausbreitung von Bantusprechern und / oder -sprachen nach Ostafrika im Verlauf des 1. Jahrtausends zu finden sein. Als Resultat dieses Prozesses entstanden an der Küste hybride Kulturen. Ab dem 7. Jahrhundert dominierten muslimische Händler die Handelsrouten im Indischen Ozean und etablierten bedeutende Umschlagshäfen an den nordwestlichen und -östlichen Küsten Madagaskars. Die Handelsniederlassungen wurden durch ostafrikanische Swahili, aber auch durch Einwanderer aus Arabien, vom Persischen Golf und aus Indien kontrolliert, die alle zur Bevölkerungsvielfalt auf der Insel beitrugen. Auch in der materiellen Kultur der Madagassen zeigte sich diese Heterogenität. Um 1000 stellten die Silamo, eine islamisierte Händlergesellschaft arabischen und indischen Ursprungs, die einflussreichste Bevölkerungsgruppe in den Handelshäfen dar. Nach dem 12. Jahrhundert gewann der Anbau von Reis, Yams, Bananen und Kakao auf der Insel an Bedeutung, und die Fischerei wurde zum Wirtschaftsfaktor. Während des gesamten mittelalterlichen Jahrtausends blieb Madagaskar aber in das Handelsnetzwerk des Indischen Ozeans eingebunden (Beaujard 2007).

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5 Westafrikanische Königreiche Auch in Westafrika kann man für das mittelalterliche Jahrtausend klein- und großräumige Migrationsbewegungen rekonstruieren. Die Fulani oder Fulbe zum Beispiel stammten aus der Region zwischen den Flüssen Senegal und Gambia, wo sie sich ab ca. 1000 als Viehhalter niedergelassen hatten. Als Pastoralisten waren sie abhängig von Weideland und Wasser, und allmählich wanderten Teile der Fulbe ostwärts zunächst in die Zentren der Reiche von Mali und Songhai (Curtin 1975). Im 13. Jahrhundert hatten sie mit ihren Rindern, Schafen und Ziegen die Gebiete der Hausa und im 15. Jahrhundert Borno erreicht. Die ersten Fulbe konvertierten bereits im 11. Jahrhundert im Senegal zum Islam; eine Gruppe muslimischer Fulbe wurde im heutigen Nigeria sesshaft und heiratete in die einheimische Hausa-Bevölkerung ein. Nach 800 entstanden in den westafrikanischen Savannenregionen mehrere mächtige Reiche, deren Wohlstand auf Viehzucht und Ackerbau, mehr noch aber auf dem Fernhandel basierte. Zu diesen Reichen gehörte Ghana, das seine Blütezeit zwischen 800 und 1080 hatte, Mali, das zwischen 1235 und 1400 auf dem Höhepunkt seiner Macht war, und Songhai, das als Nachfolgestaat zwischen 1464 und 1591 die Vorherrschaft in der Region übernahm. Die Kontrolle über die Fernhandelsrouten brachte diese Reiche in Kontakt mit dem Mittelmeer, Ägypten und dem Mittleren Osten und sorgte durch den Export von Sklaven und Gold sowie den Import von Salz, Stoffen und Pferden für enormen Reichtum. Das Reich Ghana wird zum ersten Mal in arabischen Quellen des 8.  Jahrhunderts erwähnt. Es wurde durch Sonike, die eine Untergruppe der Mande darstellen, begründet. Aber wie alle westafrikanischen Königreiche war auch Ghana eine multiethnische Gesellschaft. Im Süden des Landes wurde Gold abgebaut und nach KumbiSalah, der im Norden gelegenen Hauptstadt, transportiert. Dort wurde es an berbersprachige oder arabische Händler verkauft, die es nach Nordafrika transportierten. Anfangs konvertierten reiche Kaufmänner in Ghana, weil sie sich davon Vorteile im Handelsverkehr mit dem muslimischen Norden versprachen, und die ghanaischen König gestatteten den Bau einer Moschee in der Nähe des Palastes. Nordafrikanische Muslime wurden bei Hofe als Schreiber beschäftigt und halfen bei der Kommunikation mit der arabischen Welt. Im Laufe der Zeit wurden Koranschulen und eine beeindruckende Anzahl an Moscheen in Ghanas Hauptstadt gebaut. Muslimische Händler aus Nordafrika kamen in Kontakt mit Händlern aus anderen Regionen und heirateten einheimische Frauen. Meistens konvertierten diese Frauen und ihre Kinder zum Islam (Levtzion 1973; Ajayi / Crowder 1976; Levtzion / Spaulding 2002). Nordafrikanische Berber und Araber bildeten als Händler über einen langen Zeitraum hinweg ein einflussreiches Element in der nordghanaischen Stadt Awdoghast. Das Aufkommen der Almoraviden, einer Dynastie muslimischer Berber, die zwischen dem heutigen Senegal und dem südlichen Marokko siedelte, stellte eine ernsthafte Bedrohung der ghanaischen Kontrolle über den Transsaharahandel dar. 1076 fielen die Almoraviden in Ghana ein und beendeten damit dessen Stellung als wirtschaft-

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liche und militärische Großmacht in der Region. Das Königreich zerfiel in kleinere politische Einheiten, die zum Teil in der almoravidischen Gesellschaft aufgingen. Als Folge dieses Prozesses verlagerte sich das Handelszentrum nach Osten, wo gerade ein neues machtvolles Königreich zu entstehen begann. Im 13. Jahrhundert entstand das Mali-Reich unter dem Malinke-Führer Sundiata und wurde in der ganzen arabischen Welt wegen seines Reichtums und seiner Gelehrten bekannt (Austen 1999). 1324 initiierte einer seiner Nachfolger, der berühmte König von Mali, Mansa Musa, eine Pilgerreise nach Mekka (Imperato 1996). Weil er seinen Reichtum offen zur Schau stellte, konnte Mansa Musa die berühmtesten Gelehrten, Ärzte, Richter und Architekten der arabischen Halbinsel für sich gewinnen. Islamischer Einfluss breitete sich zunächst in den Städten, dann aber auch unter der ländlichen Bevölkerung aus. Hundert Jahre später war das Reich im Verfall begriffen und wurde zum Ziel von Überfällen durch Tuareg. Die Songhai unter Führung von Askiya Mohammed stießen in das Machtvakuum vor. Der Fernhandel wie auch Timbuktus Position als Zentrum der Gelehrsamkeit wurden wiederbelebt. Die Songhai behielten die Kontrolle über die Region bis zur marokkanischen Invasion 1591 (Insoll 1996; Shillington 2005). Der Reichtum aller mittelalterlichen westafrikanischen Königreiche basierte im Wesentlichen auf dem Transsaharahandel (Austen 2010). Während der ganzen Epoche spielten aber Migrationen von Menschen in unterschiedliche Richtungen und aus unterschiedlichen Motiven heraus eine große Rolle. Muslimische Berber und Araber durchquerten die Sahara in beide Richtungen. Dabei ließen sich immer wieder Einzelpersonen oder Gruppen in den Königreichen der Savannen nieder und verbreiteten den Islam südlich der Sahara. Versklavte Afrikaner wurden in großer Zahl nach Norden verhandelt. Sie wurden an Araber oder Türken verkauft, und bereits im 14. Jahrhundert erreichten sie das südliche Europa. Gleichermaßen bedeutend waren Wanderungsbewegungen von Westen nach Osten. Hier waren vor allem Viehzüchter wie die Fulbe zu finden, die auf der Suche nach besseren Weidegebieten immer weiter zogen. Entlang einer West-Ost-Achse entstanden auch die westafrikanischen Königreiche als Resultat komplexer Interaktionen, die von wirtschaftlichen, aber auch ökologischen und religiösen Faktoren abhingen.

6 Afrika in globaler Perspektive Bis vor nicht allzu langer Zeit konstruierte man das mittelalterliche Afrika innerhalb eines eurozentrischen historischen Diskurses als relativ isoliert, mit wenigen Beziehungen zur Außenwelt. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Annahme eines abseits gelegenen, ökonomisch minderwertigen Kontinents überholt, und die Wahrnehmung Afrikas als kulturell rückständig als von kolonialen und neokolonialen Interessen geprägter Diskurs entlarvt worden. Die beschriebenen Beispiele zeigen,

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dass Afrika in das mittelalterliche globale System gut integriert war. Menschen, Ideen und Objekte migrierten sowohl innerhalb des Kontinents als auch von und nach anderen Region der Erde. Ostafrika war fest in das Handelsnetzwerk im Indischen Ozean eingebunden und hatte enge Beziehungen zu Indien und China. Gold, Elfenbein und andere Produkte wurden von Ost- und Südafrika aus unter anderem gegen Stoffe, Schmuck und Gewürze aus Indien und Porzellan aus China getauscht. Mit den Produkten kamen häufig Menschen, die sich in Ostafrika niederließen und in die einheimische Bevölkerung einheirateten. Der Transsaharahandel bewegte Güter und Menschen und war mit den Handelsnetzwerken in Europa, im Mittleren Osten und in Ostafrika verknüpft. Das nubische Königreich von Dongola hatte enge Beziehungen zu Byzanz und Griechenland. Smaragde wurden über Äthiopien nach Indien verhandelt. Christentum und Islam wurden im mittelalterlichen Jahrtausend aus Byzanz und dem Mittleren Osten durch Menschen nach Afrika gebracht, die sich in unterschiedlichen Regionen des Kontinents niederließen und Anteil an der Entstehung hybrider Gesellschaften hatten.

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Daniel G. König

Mittelmeerraum (Kolonisationen) 1 Einleitung Koloniale Phänomene existieren in zahlreichen Varianten, die zwischen dem ‚klassischen Modell‘ griechischer Kolonisation und den Mustern des modernen Kolonialismus anzusiedeln sind. Im ersten Fall entlässt eine Mutterstadt Kolonisatoren, um auf diese Weise einen Außenposten in einer anderen Region ins Leben zu rufen. Im zweiten Fall nutzt ein Nationalstaat seine hochentwickelte militärische und administrative Maschinerie, um ein Land oder eine Region zum ökonomischen und / oder strategischen Vorteil des Mutterlandes zu instrumentalisieren. Eine Standarddefinition des Begriffes ‚Kolonisation‘, die von Historikern aller Epochen von der Antike bis zur Gegenwart anerkannt wird, existiert bisher nicht. Der kleinste gemeinsame Nenner, der Kolonisation als räumliche Expansion eines Sozialsystems definiert, erscheint ebenso vage wie die willkürliche Klassifizierung zahlreicher Formen von Migration oder Expansion als Kolonisation. Im Rahmen des vorliegenden Artikels bezeichnet Kolonisation daher die Ansiedlung einer Gruppe in einem Territorium, das von der ansiedelnden Gruppe bisher nicht als Besitz beansprucht wurde. Zu den zahlreichen Arten, eine Kolonie ins Leben zu rufen, gehören die Gründung neuer Orte ebenso wie die Integration in eine bestehende Sozialstruktur durch Verhandlung oder Eroberung. Im Unterschied zu anderen Besiedlungsprozessen erfordert ein Kolonisationsprozess allerdings ein spezifisches Machtgleichgewicht, das es den Siedlern ermöglicht, autonome oder zumindest semiautonome soziopolitische Strukturen neben bzw. gegenüber der autochthonen Bevölkerung und ihren politischen Repräsentanten aufzubauen. Aus diesem Grunde ist es von hoher Bedeutung, die innere Organisation einer Kolonie zu verstehen. Eine Kolonie zeichnet sich ferner durch eine besondere Beziehung zu einem oder mehreren Ursprungsorten aus, wobei die räumliche Distanz zwischen dem geographischen Ursprungsort der Siedler und der Kolonie von sekundärer Bedeutung zu sein scheint. Wenn die Gruppe der Siedler aus Menschen unterschiedlicher geographischer Herkunft besteht, so müssen fundamentale, über die Pflege diplomatischer Beziehungen hinausgehende strukturelle Verbindungen zu zumindest einer externen Macht bestehen. Solche Verbindungen können sich auf ein ideelles Verhältnis beschränken, beinhalten aber meist einen regelmäßigen Austausch von Arbeitskräften, Waren, Finanzmitteln usw. Die Realisierung dieses Austauschs festigt dabei das Bestehen der Kolonie und stellt sie in den Dienst der externen Macht. Sobald diese Verbindungen gekappt werden, etwa durch eine vollständige Assimilation der Kolonie in das autochthone Umfeld, hört die neue soziopolitische Struktur auf, Kolonie zu sein. Folglich

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ist das sich stetig wandelnde Verhältnis zwischen einer Kolonie und ihrer Umwelt immer in Betracht zu ziehen. Obwohl sich im mittelalterlichen Mediterraneum mehrfach nachweisen lässt, dass Besiedlungsprozesse zum Import und zur Reproduktion soziopolitischer Systeme in neuen Gegenden führten, erscheint der Begriff ‚Kolonisation‘ dennoch in vielen Fällen und aus mehreren Gründen nicht angebracht: Zum einen ist es nicht immer leicht, zwischen ‚Kolonisation‘ und verwandten Phänomenen wie ‚Eroberung‘, ‚Invasion‘, ‚Expansion‘, ‚(Wieder-)Besiedlung‘ usw. zu unterscheiden. Zweitens ist es geschichtswissenschaftliche Praxis, einige Prozesse als ‚Invasionen‘, andere als ‚Eroberungen‘ oder ‚Kolonisierungen‘ zu betrachten, obwohl sich unabhängig vom jeweiligen Etikett in zahlreichen dieser Fälle die physische Mobilität von Gruppen, ihre Schaffung neuer Infrastrukturen in neuen Gegenden sowie ihre Ausübung von Herrschaft im geschaffenen Rahmen und in Interaktion mit einer externen Macht nachweisen lassen. Bis jetzt hat die mediävistische Forschung den Begriff ‚Kolonisation‘ hauptsächlich im Zusammenhang mit spätmittelalterlichen Phänomenen genutzt. Im Rahmen einer Diskussion von Fällen aus der gesamten mittelalterlichen Epoche – also etwa zwischen der Fragmentierung des Römischen Reiches vom späten 4. bis 6. Jahrhundert auf der einen, den Anfängen der europäischen Expansion in die atlantische Sphäre im 15. Jahrhundert auf der anderen Seite – untersucht der vorliegende Artikel, inwieweit der Begriff ‚Kolonisation‘ für die historische Untersuchung des mittelalterlichen Mediterraneums operationalisiert werden kann.

2 Poströmische ‚Kolonisationen‘ im mittelalterlichen Mediterraneum Terminologische Probleme tauchen dabei schon im Zusammenhang mit der so genannten ‚Völkerwanderung‘ des späten 4. bis 6. Jahrhunderts auf, als romanisch-germanische Eliten in großen Teilen des lateinischen Westens die Herrschaft übernahmen und auf diese Weise zur Fragmentierung des Römischen Reiches beitrugen. Indem sie den Begriff ‚Invasion‘ verwendete, vertrat die ältere Historiographie den Standpunkt, dass der lateinische Westen in dieser Periode unter die Herrschaft letztlich nichtrömischer Völker geriet, die nun als herrschende Eliten die bestehenden sozialen Strukturen in Übereinstimmung mit ihrer ‚barbarischen‘ oder ‚germanischen‘ Herkunft modifizierten. Ginge man davon aus, dass in dieser Periode Eroberungen stattfanden, in deren Rahmen Immigranten einem neuen Gebiet ein bisher unbekanntes soziopolitisches System oktroyierten, so ließe sich von ‚Kolonisation‘ sprechen. Die neuere Forschung hat allerdings herausgearbeitet, dass die so genannten Invasoren gar nicht so fremd waren, wie man sie bisher dargestellt hatte: Meist hatten sich die betroffenen Gruppen schon seit Jahrhunderten im römischen Umfeld aufgehalten, was es ihnen

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u. a. ermöglichte, römische Herrschafts- und Verwaltungstraditionen an gewandelte Zeitumstände anzupassen. Als ‚Völker‘ traten diese Gruppen erst infolge äußerst komplexer ethnischer Prozesse hervor, die meist im Austausch mit dem, teilweise sogar im Römischen Reich selbst stattfanden (Pohl 2002). Diese ethnischen Prozesse gingen dabei mit der Assimilation und Integration unterschiedlichster ethnischer und sozialer Gruppen sowie der späteren Konstruktion einer Ursprungs- und Migrationsgeschichte einher (Plassmann 2006). Angesichts ihrer weitgehenden Anpassung an römische Verhältnisse erscheint es damit schwierig, diese Gruppen klar als erobernde und kolonisierende barbarische Eindringlinge zu definieren. Folglich wird der Begriff ‚Kolonisation‘ von der heutigen Forschung kaum auf diese Periode angewendet und nur gelegentlich genutzt, um das Siedlungsverhalten bestimmter Gruppen – etwa der Franken in Nordgallien, der Westgoten auf der Iberischen Halbinsel oder der Vandalen in Sardinien und Sizilien – zu beschreiben. Die angeklungene Frage, ob Eliten als ‚autochthon‘ oder als ‚fremd‘ anzusehen sind, spielt auch im Fall der justinianischen restauratio imperii eine Rolle: Im Rahmen dieser ‚Wiederherstellung‘ des Römischen Reiches forderte der frühbyzantinische Kaiser Justinian Gebiete ein, die er für römisch erachtete. Während seiner Eroberung des vandalischen Nordafrika, des ostgotischen Italien sowie von Teilen des westgotischen Spanien in der Mitte des 6. Jahrhunderts, (re-)etablierte er modifizierte römische Herrschafts- und Verwaltungsstrukturen. Aus Justinians Blickwinkel erschiene es abwegig, von der Schaffung ‚byzantinischer Außenposten‘ im westlichen Mittelmeer zu sprechen. Dennoch lassen sich in Justianians Eroberungspolitik auch Elemente erkennen, die sich in modernen Formen des Kolonialismus wiederfinden lassen: In den eroberten Gebieten etablierte sich eine Verwaltungsmaschinerie, die von entsandten Funktionären und Truppen bis hin zu lokalen, aber gegenüber Konstantinopel rechenschaftspflichtigen Bischöfen reichte und die für die fiskalische Ausbeutung der ‚wiedereroberten‘ Provinzen zuständig war (Haldon 2005). Hauptsächlich Justinians Anspruch auf das römische Erbe macht es schwierig, hier von ‚Fremdherrschaft‘ oder einem Prozess ‚byzantinischer Kolonisation‘ zu sprechen. Die Reorientierung der betreffenden Provinzen auf Konstantinopel hin als Form der einheimischen Selbstverwaltung zu bezeichnen, ist aber auch nicht möglich: Die Westgoten, die unter König Suinthila die byzantinischen Truppen von der Iberischen Halbinsel vertrieben, könnten Letztere durchaus als ‚fremde Eindringlinge‘ betrachtet haben.

3 ‚Kolonisation‘ als Folge der arabisch-islamischen Expansion Zwischen den 630er Jahren und dem frühen 8. Jahrhundert führte die arabisch-islamische Expansion zu gewaltsamen oder im Rahmen von Verträgen ausgehandelten Unterwerfungen zahlreicher mediterraner Gesellschaften. Hauptakteure der Expan-

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sion waren geographisch mobile muslimische und zugehörige Truppen, die oft in den unterworfenen Gebieten siedelten. Mit der Eroberung wurde der Islam als neuer soziopolitischer und rechtlicher Rahmen etabliert, der die interne Autonomie autochthoner religiöser Gruppen weitestgehend respektierte (Planhol 1997). Das frühe muslimische al-Andalus liefert ein Beispiel für eine neugeschaffene islamische Provinz in der westlichen Peripherie der nahöstlichen islamischen Kernlande. Seine frühen Statthalter schickten überschüssige Steuern nach Damaskus. Selbst nach der politischen Loslösung durch die Errichtung eines unabhängigen umayyadischen Emirats blieb al-Andalus dem Nahen Osten auf vielfache Weise verbunden (Peña Martín 2009). Zahlreiche Inseln im Mittelmeer, die im frühen Mittelalter unter muslimische Herrschaft gerieten und von Herrschaftsträgern auf dem Festland regiert wurden, weisen ähnliche Charakteristika auf. Der Begriff ‚Kolonie‘ wurde, mit einigem Zögern, allerdings nur auf ‚sarazenische‘ Razzienbasen in der Septimania angewandt. Im Rahmen der arabisch-islamischen Expansion wurden zahlreiche arabische Militärlager (Arab. Sgl. miṣr / Pl. amṣār) im südlichen Mittelmeerraum gegründet, darunter al-Fusṭāṭ in Ägypten um die Mitte, Kairouan in IfrĪqiya in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts. Ursprünglich den arabischen Eliten vorbehalten, entwickelten sich diese Lager zu wichtigen urbanen Zentren, die bald von verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen bewohnt wurden. Spätere Stadtgründungen wiesen einen anderen Charakter auf: In der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts zum Herrschaftszentrum der Abbasiden erkoren, ersetzte Bagdad das umayyadische Damaskus. Städte wie das syrische as-Salamiyya wurden unter den frühen Abbasiden wiederbesiedelt, um auf diese Weise entvölkerte Regionen zu beleben. Mit der Fragmentierung des abbasidischen Großreiches entstanden mehrere regionale Zentren, in denen sich der Machtaufstieg neuer regionaler Eliten manifestierte, so in der Gründung von Fes unter den Idrisiden im späten 8. oder frühen 9. Jahrhundert, von Madīnat az-zahrāʾ nahe Córdoba im späten 10. Jahrhundert durch die Umayyaden von al-Andalus, von al-Mahdiyya im frühen und Kairo in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts durch die Fatimiden, von Marrakesch durch die Almoraviden etc. In diesen Fällen scheint es allerdings angemessener, vom Aufbau und der Restrukturierung von Herrschaftsräumen zu sprechen als von Kolonisation.

4 ‚Kolonisation‘ und lateinisch-christliche Expansion im Mittelmeerraum Die lateinisch-christliche Expansion in den Mittelmeerraum schuf zahlreiche weitere Kolonisationsvarianten. Den ersten zu untersuchenden Fall stellen die noch heidnischen Normannen dar. Nach etwa zwei Jahrhunderten des Plünderns, u. a. an den Küsten von al-Andalus, begannen sie, das Christentum anzunehmen und sich in unterschiedlichen Teilen des europäischen Kontinents niederzulassen (Flambard-

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Héricher 2003). Nach ihrem Eintritt in die politische Szene Süditaliens übernahmen sie bald die Herrschaft im Mezzogiorno und in Sizilien (Metcalfe 2009). Mehrere Kampagnen gegen das byzantinische Reich führten zu kurzlebigen Eroberungen. Im Rahmen des ersten Kreuzzuges ergriffen zahlreiche normannische Führungsfiguren Besitz von Territorien in der syrischen Levante (Aubé 1999). Im 12. Jahrhundert besetzten sie sogar einige Städte an der nordafrikanischen Küste, die meist mit Hilfe muslimischer Kollaborateure regiert wurden (Metcalfe 2009: 160–180). Anders als Soldaten, die im Auftrag eines Herrn oder für ein hehres Ziel kämpften, traten die Normannen meist als Kriegsunternehmer auf, die mittels Eroberung und Ansiedlung nach autonomer Herrschaft strebten. Außer im Falle Nordafrikas, wo Herrschaft und fiskale Abschöpfung an muslimische Handlungsbevollmächtigte delegiert wurden, oktroyierten sie der unterworfenen Bevölkerung lediglich eine neue Herrschaftselite, gründeten aber keine neuen Orte und trugen nur unwesentlich zur Restrukturierung bestehender Siedlungen bei (Martin / Noyé 1989). Als Folge ihrer Unfähigkeit, sich kulturell durchzusetzen, assimilierten normannische Eliten generell lokale Einflüsse und verbanden, etwa im Falle Siziliens, kulturelle Elemente unterschiedlichen Ursprungs zu einem neuen Ganzen. Folglich ist der Begriff ‚Kolonisation‘ nur bedingt auf ihre unterschiedlichen Eroberungen anwendbar und wird in der Forschung auch kaum verwendet. Im Rahmen der Kreuzzugsforschung hat die Forschung dagegen ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, den Begriff ‚Kolonisation‘ zu nutzen. Allgemein anerkannt ist in diesem Zusammenhang, dass sich infolge des ersten Kreuzzuges Krieger, Kleriker, Händler und ganze Familien aus Westeuropa im Nahen Osten ansiedelten (Mayer 1997). Manche erkennen dabei ‚Kolonisationsmaßnahmen‘ im Sinne aktiv durchgeführter Besiedlungsstrategien und betrachten die Kreuzzugsbewegung deswegen als Präfiguration und Vorläufer des modernen Kolonialismus (Prawer 1972). Andere wiederum haben diese Interpretation entschärft oder gar gänzlich in Frage gestellt, mit der Begründung, es handele sich hierbei um ein Konzept aus dem Zeitalter des Imperialismus, das unter dem Eindruck der gegenwärtigen Beziehungen zwischen der arabischen Welt, Israel und dem Westen erneut Konjunktur erfahren habe (Madden 2005: 214–222). Die Diversität hoch- und spätmittelalterlicher Prozesse, bei denen Expansion und Besiedlung zusammenspielen, macht es in jedem Falle schwierig, von einem einheitlichen Phänomen zu sprechen. Dies wird deutlich, wenn man den Begriff ‚Kolonisation‘ auf die zahlreichen expansionistischen Unternehmungen der Krone von Aragón anwendet. Diese reichen von der Etablierung und Administration von Handelsposten in den Städten Nordafrikas über territoriale Erwerbungen auf mehreren Inseln des westlichen Mittelmeers, auf der Apenninenhalbinsel und in Griechenland bis hin zum Export der als Almogávares bekannten Söldner, die später die so genannte ‚Katalanische Kompanie‘ formen sollten (Bisson 2002: 58–161). Der Versuch, so verschiedene, wie die eben genannten Phänomene unter dem Begriff der ‚Kolonisation‘ zusammenzufassen, scheitert ebenso, wenn man sich der Geschichte einer spezi-

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fischen Region, etwa der spätmittelalterlichen Peloponnes, zuwendet. Die in einer spätmittelalterlichen griechischen, französischen, italienischen und katalanischen Version erhaltene Chronik von Morea macht deutlich, dass diese Region der direkten Intervention wahrscheinlich aller zeitgenössischen mediterranen Mächte von den Aragonesen bis hin zu türkischen Gruppen ausgesetzt war. Damit wurde sie zwar von zahlreichen Gruppen besiedelt und beeinflusst, aber nicht notwendigerweise ‚kolonisiert‘ (Shawcross 2009). Die Geschichte des in Jerusalem gegründeten Johanniterordens, dessen Ansiedlung auf Rhodos zunächst scheiterte und der schließlich die Insel Malta in Besitz nahm, liefert ein weiteres Beispiel für die mit einer Besiedlung und der Oktroyierung eines soziopolitischen Systems verbundene Mobilität von Gruppen (Brogini 2006: 58–92). Auch hier wird deutlich, dass die Nutzung eines übergreifenden Konzeptes den Spezifizitäten des Einzelfalls letztlich nicht gerecht werden kann. Eindeutig von der Kreuzzugsforschung inspiriert wurde das Konzept ‚Kolonisation‘ auch auf die so genannte Reconquista angewandt (Burns 1975). Einige Spezialisten iberischer Geschichte gehen sogar so weit, den ‚kolonialen‘ Charakter der Kreuzzüge zu bestreiten und zu behaupten, dass die früheste Form westlicher Kolonisation auf der Iberischen Halbinsel zu finden sei (Torró Abad 2000). Dies wurde von anderer Seite mit dem Argument angezweifelt, dass die für einen Kolonisationsprozess charakteristischen Ideologien und Infrastrukturen im Mittelalter noch nicht existiert hätten und dass es sich im Falle der Iberischen Halbinsel lediglich um eine Vergrößerung des Eroberungsgebietes, nicht um die Gründung von losgelösten oder gar unabhängigen Kolonien gehandelt habe (Barton 2006: 13–16, 260–262). Unabhängig von dieser definitorischen Debatte sollte dabei hervorgehoben werden, dass die Forschung viel Energie in die Analyse der systematischen Neubesiedlung eroberter Gebiete und der damit verbundenen Schaffung militärischer und kirchlicher Infrastrukturen seitens der iberisch-christlichen Mächte und der Kirche investiert hat (Tischler / Fidora 2011). Diese Neubesiedlung führte sogar zu einer Veränderung der lokalen Vegetation. Ein anderes Forschungsfeld befasst sich mit den Seemächten des Hoch- und Spätmittelalters. Neben der schon behandelten Krone von Aragón betrifft dies die wirtschaftliche und territoriale Expansion der maritimen Republiken Venedig, Pisa und Genua. Wirtschaftliche Außenposten, die schon am Ende des 10. Jahrhunderts belegt sind, durchliefen einen graduellen Prozess der Institutionalisierung und entwickelten Charakteristika, die unter dem Begriff ‚fondaco‘ zusammengefasst werden. Fondacos sind als „westliche Kolonien in islamischen Städten“ definiert worden, als „Kolonien ohne den Apparat und die Ansprüche des Kolonialzeitalters“ (Constable 2009: 357). Gegründet mit dem Ziel, Zugang zu den Märkten und Produkten zahlreicher mediterraner Gesellschaften zu gewinnen, variierte der Charakter dieser Handelsdiasporas je nach Umfeld. So lässt sich etwa für die Handelsniederlassungen Pisas im normannischen Sizilien (Abulafia 1978) oder der italienischen Seerepubliken in den Kreuzfahrerstaaten (Balard 1993) ein anderer Integrationsgrad in das jeweilige christlich dominierte Umfeld feststellen als etwa bei fondacos in der ehemals byzantinisch beherrschten ‚Romania‘ (Balard u. a. 2005) oder etwa im spätmittelalterlichen

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Maghreb. Gerade im Maghreb unterschieden sich diese Enklaven hinsichtlich ihrer ethnischen Zusammensetzung, ihres Rechtsstatus unter konsularer Jurisdiktion und ihrer physischen Position in oder sogar außerhalb der jeweiligen Stadt klar von ihrem muslimischen Umfeld (Valérian 2004). Allerdings beschränkten sich die maritimen Handelsmächte nicht darauf, solche Handelsniederlassungen zu gründen, deren Etablierung und Bestehen große diplomatische Bemühungen im Umgang mit den lokalen Mächten erforderte. Bald begannen sie, von Territorien Besitz zu ergreifen und deren natürliche oder fiskalische Ressourcen zu ihren Gunsten auszuschöpfen. Damit schufen sie Konstellationen, auf die das Konzept des modernen Kolonialismus in großen Teilen anwendbar scheint (Balard 1978; 2009; Masè 2002). Am Ende der Untersuchungsperiode waren Städte wie Venedig sogar mit der Notwendigkeit konfrontiert, die Bevölkerung ihrer ehemaligen Kolonien zu repatriieren (Doumerc 2002). Es ist kaum verwunderlich, dass die maritime Expansion Portugals und Spaniens, deren kolonialer Charakter sich v. a. in den Eroberungen auf dem amerikanischen Kontinent manifestiert, in einen engen Zusammenhang mit Prozessen der Expansion und Herrschaftsbildung im mittelalterlichen Mediterraneum und seinen Peripherien gebracht wurde. Dabei wird generell davon ausgegangen, dass das mittelalterliche Mediterraneum lateinisch-christlichen Mächten als eine Art Übungsfeld diente, die dort geleistete ‚Vorarbeit‘ letztlich die frühneuzeitliche europäische Beherrschung von Regionen außerhalb der mediterranen Sphäre ermöglichte (Feldbauer u. a. 1999; Balard / Ducellier 1995; Baschet 2006).

5 Fazit Im Rahmen des vorliegenden Artikels wurde eine offene Diskussion zur Anwendbarkeit des Konzeptes der ‚Kolonisation‘ mit einer Auswahl an Fallstudien verbunden, in dem Bemühen, die große Bandbreite an ‚Kolonisationsphänomenen‘ herauszuarbeiten, die das mittelalterliche Mediterraneum hervorgebracht hat. Migration, Besiedlung und die anschließende Reproduktion von Sozialstrukturen sind zeitlose Merkmale menschlicher Existenz, die sich in so zahlreichen Phänomenen wie der saisonalen Regularität semi-nomadischer Transhumanz bis hin zu großangelegten Expansions- und Eroberungsprozessen ebenso wie in der Errichtung bisher unbekannter soziopolitischer Strukturen erkennen lassen. Der Begriff ‚Kolonisation‘ scheint dabei nur dann anwendbar, wenn ein besonderes Verhältnis zwischen einer einem neuen Gebiet auferlegten Sozialstruktur und einer externen Macht erkennbar ist, die in irgendeiner Weise einen Ursprungsort darstellt. Eine solch weite Definition lässt sich auf zahlreiche Phänomene im mittelalterlichen Mediterraneum anwenden, wenn man bereit ist, dafür wichtige Varianten in Kauf zu nehmen. Weil in Bezug auf diese Definition kein gelehrter Konsens besteht, steht dabei wohl noch zur Debatte, ob es notwendig ist, die gegebene Definition von ‚Kolonisa-

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tion‘ auf die expansionistischen Aktivitäten lateinisch-christlicher Mächte im hochund spätmittelalterlichen Mediterraneum zu limitieren. Überzeugende Argumente, warum der Begriff ‚Kolonie‘ auf westeuropäische fondacos oder von Kreuzfahrern, Kastiliern oder Portugiesen eroberte Gegenden, nicht aber auf die von Römern, Byzantinern und Arabern unterworfene Gebiete anwendbar sein sollte, fehlen bisher. Dabei sollte anerkannt werden, dass die Begriffe ‚Kolonisation‘, ‚Kolonie‘ und ‚Kolonialismus‘ in engem Zusammenhang mit Interpretamenten stehen, die den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Aufstieg Westeuropas zu erklären suchen. Eine gründliche Untersuchung, die teleologische Prämissen vermeidet und diese Begriffe aus ihrem eurozentristischen Kontext löst, stellt damit ein Forschungsdesiderat dar. Erst auf der Grundlage einer systematischen Untersuchung können die genannten Begriffe zu anwendbaren terminologischen Werkzeugen geschichtswissenschaftlicher Forschung mit einem gewissen Präzisionsanspruch werden. Insgesamt sollte dabei nicht vergessen werden, dass Migrationsprozesse und andere Formen der Mobilität, die nicht unbedingt mit der Aneignung verschiedener Formen von Macht verbunden waren, von diesen Begriffen nicht abgedeckt werden, dennoch aber die Formierung und Entwicklung des mittelalterlichen Mediterraneums maßgeblich beeinflussten.

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Lutz Berger

Muslimische Welt 1 Einleitung Die folgende Darstellung konzentriert sich auf Migrationsbewegungen in der Region zwischen Ägypten und Zentralasien in der Zeit zwischen dem 7. und dem 15. Jahrhundert. Der Westen der islamischen Welt wird nur hier und da gestreift werden und in einem eigenen Beitrag behandelt (s. Art. v. Di Branco / Wolf unten).

2 Migration und politische Systeme im vorderorientalischen Mittelalter Im Jahr 600 n. Chr. lebten arabischsprachige Menschen schon jahrhundertelang auf der nach ihnen benannten Halbinsel und ihren Randgebieten. Immer wieder waren Gruppen von ihnen auch in die Gebiete des Fruchtbaren Halbmondes eingewandert. Dennoch war die präzise Bedeutung des bereits seit assyrischer Zeit geläufigen Begriffs „Araber“ unklar. Zudem muss man davon ausgehen, dass die Bewohner der arabischen Halbinsel sich vor dem 7. Jahrhundert oder womöglich sogar bis zum Aufkommen des Islam selbst nicht als ein Volk ansahen (Retsö 2003). Die meisten heutigen Historiker gehen davon aus, dass es die neue Religion war, die den bis zu diesem Zeitpunkt noch unvollständigen Prozess der Ethnogenese und Migration soweit vorantrieb, dass sich das Gesicht des Vorderen Orients in der Folge dauerhaft veränderte. Die Forschung der letzten vierzig Jahre hat gezeigt, dass das Leben Mohammeds und die Umstände, die zur Entstehung der neuen Religion geführt haben, deutlich schwerer zu rekonstruieren sind, als man bis dahin angenommen hatte (MacGraw Donner 2010). Man kann trotzdem annehmen, dass das Bild, das man aus dem Koran gewinnen kann und das die muslimische Tradition zeichnet, zumindest in groben Zügen zutrifft. Mohammed (ca. 570–632) stammte aus Mekka, einem regionalen religiösen Zentrum im Hedschas, dem Westen der arabischen Halbinsel. Die monotheistische Predigt, die er wohl um das Jahr 610 begann, wurde von den meisten seiner Landsleute nicht gerade begeistert aufgenommen, zumal er den Kult ihrer althergebrachten Götter und ihre Traditionen kritisierte. Damit gefährdete er sowohl die Rolle Mekkas als Kultzentrum in Westarabien als auch die Position der führenden mekkanischen Clans innerhalb des Systems der Stämme. Nachdem wichtige Protektoren gestorben waren, mussten sich der Prophet und seine Anhänger in die nördlich von Mekka gelegene Stadt Medina flüchten. Dort

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machte sich Mohammed als Schiedsrichter zwischen miteinander im Konflikt liegenden lokalen Gemeinschaften nützlich. Die Auswanderer aus Mekka und die verschiedenen medinensischen Gruppen bildeten nunmehr einen neuen, künstlichen Stamm. (In gewisser Weise sind Stämme natürlich immer künstlich, d.  h. keine wirklichen Abstammungsgruppen. Hier geschah die Konstruktion des Stammes aber bewusst und in recht kurzer Zeit. Die sonst einen Stamm konstituierende fiktive Verwandtschaft wurde gar nicht erst behauptet.) Als ein solcher Stamm verteidigten Auswanderer und Medinenser nun gemeinsam ihre kollektiven Interessen. Da es den Zuzüglern aus Mekka in Medina an Ressourcen fehlte, und zumal es der Gewohnheit der altarabischen Gesellschaft entsprach, für ein erlittenes Unrecht Rache zu nehmen, begannen die Exilanten alsbald, gegen ihre mekkanischen Feinde Krieg zu führen. Dabei wurden sie von einem großen Teil ihrer neuen Mitbürger, insbesondere denen, die bereit waren, die neue Religion des Islam anzunehmen, aktiv unterstützt. Nach der islamischen Geschichtsüberlieferung endete dieser Krieg mit der Einnahme Mekkas durch die Muslime im Jahr 630 und der Integration von Mohammeds vormaligen Feinden in die neue Gemeinschaft der Gläubigen. Der politische Erfolg des Propheten und die daraus resultierenden materiellen Vorteile führten Mohammed bislang unentschiedene oder auf der Seite der Mekkaner stehende Stämme zu. Um diesen auf militärischem Erfolg und der Hoffnung auf Beute beruhenden Großverband am Leben zu erhalten, bedurfte es immer weiterer erfolgreicher militärischer Unternehmungen. So erklärt sich, dass die muslimische militärische Expansion mit der Eroberung Mekkas nicht zum Erliegen kam. Der Prophet und seine Nachfolger einten zunächst die Stämme der arabischen Halbinsel. Die Muslime griffen dann auf die Gebiete der Byzantiner im Westen und der Sassaniden im Osten über. In den zwanzig Jahren nach dem Tode des Propheten eroberten die Muslime den Fruchtbaren Halbmond und die umliegenden Gebiete. Am Ende des 7. Jahrhunderts beherrschten sie ein Gebiet, das vom Atlantik bis zu den Steppen Zentralasiens reichte (vgl. dazu und zum Folgenden Robinson 2010). Für diese muslimischen Erfolge gegen die Armeen der beiden mächtigsten Herrschaften in der Region werden unterschiedliche Erklärungen angeführt. Der nahezu dreißigjährige Krieg zwischen Byzantinern und Sassaniden im frühen 7. Jahrhundert hatte beide Reiche geschwächt. Wie sehr sich das auch auf die Kampfkraft ausgewirkt hat, ist jedoch strittig. Die Verfolgung nicht-chalkedonensischer Christen durch die byzantinische Orthodoxie (d. h. insbesondere der sog. Monophysiten, die die gleichzeitig göttliche wie menschliche Natur Christi nicht anerkennen) soll diese zur Unterstützung der Muslime bewogen haben. Auch diese Erklärung ist allerdings in jüngerer Zeit in Zweifel gezogen worden (Whittow 2010: 95). Ein weiterer Faktor zur Erklärung der arabisch-muslimischen Expansion könnte in den Bevölkerungsverlusten im Vorderen Orient im Gefolge der Justinianischen Pest und weiterer Pestwellen in der Zeit bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts liegen. Bevölkerungszahlen für diese Zeit (auch für jede andere Epoche der orientalischen Geschichte vor der Osmanenzeit) sind zwar nur Näherungswerte. Es scheint aber doch sehr wahrscheinlich, dass es in dieser Zeit

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zu einer deutlichen Abnahme der Einwohnerzahl des Fruchtbaren Halbmonds im Vergleich zu den im 4. und 5. Jahrhundert zu verzeichnenden Rekordständen gekommen ist (Haldon 2010). Da diese Bevölkerungsverluste Folgen einer Infektionskrankheit waren, darf man vermuten, dass sie die Bewohner der dünnbesiedelten Wüstenregionen weniger betroffen haben als die Menschen im Fruchtbaren Halbmond. Die Muslime scheinen jedenfalls erst im Zuge ihrer Eroberung Syriens massiv mit der Pest konfrontiert worden zu sein, was zu schweren Verlusten auf ihrer Seite führte und einer der Ausgangspunkte theologischer Debatten über Gottes Vorsehung in der frühislamischen Gemeinde war (van Ess 2001). Neben den im Vergleich zur arabischen Halbinsel größeren Bevölkerungsverlusten im Bereich des Fruchtbaren Halbmondes mag auch klimatischer Wandel ein Ansporn gewesen sein, die Wüstenregionen zu verlassen. In der jüngeren Forschung wird langfristiger Klimawandel zwar generell als wichtiger Faktor zur Erklärung des uns hier interessierenden Phänomens ausgeschlossen, eine mehrere Jahrzehnte dauernde Phase der Trockenheit in den weiter vom Meer entfernten Gegenden der Region in Verbindung mit höheren Regenfällen in den Küstengebieten lässt sich für das frühe 7. Jahrhundert jedoch nachweisen und mag durchaus eine Rolle gespielt haben (MacGraw Donner 2007). Unabhängig von alldem scheint beim gegenwärtigen Forschungsstand die Hauptursache sowohl für die militärischen Erfolge der muslimischen Armeen als auch für die daran anschließenden Wanderbewegungen von der arabischen Halbinsel in die Länder des Fruchtbaren Halbmondes die von Mohammed bewirkte religiöse Revolution gewesen zu sein. Der neue Glaube schweißte die Araber zusammen und rechtfertigte die Expansion ideologisch. Die arabischen Muslime sahen sich als Werkzeuge Gottes, der ihnen Sieg verlieh und sie zur Herrschaft über die Menschheit bestimmt hatte. Die mekkanische Führungsschicht, die nach dem Tode des Propheten die Zügel der Herrschaft weiter in der Hand behielt, erwies sich darüber hinaus als ausgesprochen geschickt in der Organisation großangelegter militärischer Unternehmungen und der Verwaltung der eroberten Gebiete (MacGraw Donner 1981). Die muslimische Eroberung des Vorderen Orients beeinträchtigte nicht die Wirtschaftskraft der Region. Die Menschenverluste auf Grund von Kampfhandlungen scheinen sich im Rahmen gehalten zu haben. Das oberste Segment der Eliten verließ sowohl im byzantinischen Syrien und Ägypten als auch im sassanidischen Irak das Land, sodass die Sieger sich ihr Eigentum an Grund und Boden aneignen konnten. Der größte Teil der Bewohner, der weder die Möglichkeit noch wichtige Motive hatten zu fliehen, verblieb vor Ort. Die Landbevölkerung führte ihr vorheriges Leben weiter. Die Bauern bestellten den Boden und zahlten ihre Steuern an die neuen Herren statt an die alten. Nomadisierende Araber rückten nicht in das Fruchtland ein, sondern begnügten sich für ihre Herden mit Gebieten, die anderweitig nicht nutzbar waren (MacGraw Donner 1981; Morony 1984). Die meisten arrangierten sich mit der neuen Ordnung. Selbst diejenigen Angehörigen der alten Eliten, die nicht ausgewandert waren, hatten keine Probleme damit, den neuen Herrschern als höhere Beamte zu dienen. Dennoch zeigt die christliche

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Literatur der Zeit, dass die Gesellschaften des Fruchtbaren Halbmondes nach der arabischen Eroberung nicht frei von Konflikten zwischen alten und neuen Bewohnern waren (Hoyland 1997). Es ist schwer, zu einer präzisen Schätzung der Zahl der Araber zu kommen, die sich in den eroberten Gebieten ansiedelten, zumal die Zahlen mittelalterlicher Historiker selten präzise sind. In der Forschung wird überwiegend davon ausgegangen, dass die eher niedrigen Zahlen, von denen in den muslimischen Quellen die Rede ist, eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Demgemäß überstieg die Zahl der Kämpfer in den arabischen Armeen nirgends die Marke von 10.000. Zuweilen wurden sie von Frauen und Kindern begleitet (MacGraw Donner 1981: 221–250). Man kann realistischerweise annehmen, dass insgesamt eher weniger als eine Million Menschen von der arabischen Halbinsel in Richtung des Fruchtbaren Halbmondes ausgewandert sind. Die Bevölkerung des Byzantinischen Reiches vor der Eroberung wird auf 17 Millionen geschätzt (Haldon 2010: 39). Im Regelfall siedelten sich die muslimischen Eroberer getrennt von der einheimischen Bevölkerung an. Dies galt allerdings nicht in Syrien, wo sie sich bestehende Städte mit den nach der Flucht der Eliten verbliebenen ursprünglichen Bewohnern teilten. Hier mussten die Einheimischen dulden, dass ein Teil der religiösen Stätten bald von den neuen Herrschern übernommen wurde (die berühmtesten Beispiele sind die zur Moschee umgewandelte Johanneskirche in Damaskus und der Tempelberg in Jerusalem). Im Ganzen scheinen auch in Syrien Herrscher und Eroberte aber gut miteinander ausgekommen zu sein. Die Einwanderung von Halbinselarabern nach Syrien wurde von der nun herrschenden alten mekkanischen Elite aus der Familie der Umayyaden strikt kontrolliert. Diese hatte angeblich bereits vor dem Islam in engem Kontakt mit in Syrien siedelnden arabischen Stämmen gestanden und erlaubte nur solchen Gruppen den Zuzug, die mit ihr verbündet waren (Shaban 1971: 39–44; MacGraw Donner 1981: 245–250). Die syrischen Araber waren in der Zeit der umayyadischen Kalifen (661–750) die zentrale Stütze ihrer Herrschaft und wurden auch andernorts zur Sicherung derselben angesiedelt (das berühmteste Beispiel ist die syrische Garnison von Wāsiṭ im Irak). Anders als in Syrien ließen sich die Muslime in Ägypten und im Irak nicht in bereits bestehenden Städten nieder, sondern in eigens gegründeten Heerlagerstädten (miṣr / Pl. amṣār). In Ägypten war die große Heerlagerstadt al-Fuṣṭāṭ in der Nähe des heutigen Kairo. Da die meisten erzählenden Quellen für die Epoche jedoch nicht über Ägypten, sondern über Irak berichten, wissen wir über die Verhältnisse dort sehr viel mehr als über Ägypten. Im heutigen Irak gründeten die Eroberer in den späten 630er Jahren zwei Städte: Basra im Süden und Kûfa im Zentrum des Landes. Anfangs waren beide Städte im Hinblick auf ihre Bausubstanz eher bescheidene Orte. Die Häuser in Basra sollen schlichte Schilfhütten gewesen sein. Das Zentrum eines miṣr war die Moschee, die für jedwede Form von religiöser und politischer Versammlung genutzt wurde, sowie das Haus des Gouverneurs. Im Prinzip waren alle männlichen muslimischen Bewoh-

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ner dieser Städte Soldaten. Sie wurden in ihrer neuen Heimat gemäß ihrer tribalen Zuordnung zu Gruppen zusammengefasst, was dazu führte, dass der tribale Zusammenhalt in der neuen Situation unter Umständen stärker sein konnte als zuvor, als verschiedene Untergruppen eines Stammes getrennt voneinander von Weideplatz zu Weideplatz zogen. Nur wenige muslimische Araber wohnten nicht in den amṣār, sondern waren an den Grenzen stationiert oder kümmerten sich auf dem Lande um die Einziehung der Steuern und die Sicherung von Ruhe und Ordnung. Anders als in Syrien ließen die umayyadischen Kalifen im Irak zu, dass sich nach der ersten Welle der arabisch-muslimischen Eroberer, die meinten, ein Monopol auf die Ausbeutung der Reichtümer der Provinz zu haben, weitere Gruppen dort niederließen. Auch diese begannen bald, für sich einen Anteil am Kuchen einzufordern. Die aus dieser Situation resultierenden Konflikte spielten eine große Rolle im Bürgerkrieg zwischen dem vierten Kalifen ʿAlī und seinem aus umayyadischem Hause stammenden Nachfolger Muʿāwiya. Religionsgeschichtlich führten sie zur Herausbildung des sich auf ʿAlī berufenden schiitischen Islam (Shaban 1971: 16–78; MacGraw Donner 1981: 221–250; Morony 1984: 214–265). Im Laufe der Zeit wuchsen die amṣār zu nach den Maßstäben der Spätantike sehr großen Städten heran. Die Quellen legen nahe, von jeweils mehreren zehntausend Einwohnern auszugehen. Dieses Wachstum war nicht allein eine Folge der Einwanderung von der arabischen Halbinsel, sondern auch Ergebnis des Umstandes, dass nichtarabische Iraker versuchten, durch Bekehrung zum Islam und Migration in die Heerlagerstädte Teil der neuen Herrscherschicht zu werden. Diese mit Bekehrung verbundene Einwanderung von Einheimischen in die amṣār wurde nicht von allen Muslimen gut geheißen, bedeutete sie doch einen Verlust an Steuerzahlern. Erst im frühen 8.  Jahrhundert wurde das Recht der Nichtaraber, Teil der Gemeinschaft der Muslime zu werden, allgemein anerkannt. Kûfa und Basra verloren langsam ihren Charakter als Militärstädte. Das hatte nicht allein mit der Einwanderung von Konvertiten zu tun, sondern auch mit der sich wandelnden Lebensweise der zweiten und dritten Generation der Muslime, die immer weniger bereit waren, in der Armee zu dienen. Mit dem zweiten Jahrhundert des Islam wurden Kûfa und mehr noch Basra zu multikulturellen Metropolen im frühislamischen Irak, in denen die eingewanderten Araber sich mit Kaufleuten aus aller Herren Länder bis hin nach China mischten (Pellat 1953). Arabische Truppen aus Basra und Kûfa wurden von den Kalifen an strategischen Punkten in Iran stationiert. Bald kam es dabei zu einem, wenn auch nicht notwendigerweise engen, Zusammenleben mit der einheimischen Bevölkerung (Lapidus 1981; Athamina 1986). Dieses führte nicht immer nur zu Konflikten zwischen alten und neuen Bewohnern. Konfliktlinien konnten auch anders verlaufen. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte abbasidische Revolution, die in der Mitte des 8. Jahrhunderts zum Sturz des umayyadischen Kalifats führte. Der Aufstand ging vom ostiranischen Chorasan aus. Hier fühlten sich die Nachkommen arabischer Einwanderer genauso wie große Teile der alteingesessenen Bevölkerung von der iranischen Grundbesitzer-

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schicht, die nach der Eroberung ihre Machtpositionen hatte behalten können, unfair behandelt. Die revolutionären chorassanischen Truppen brachten die neue Kalifendynastie der Abbasiden an die Macht. Sie wurden von den neuen Herren in Irak angesiedelt, wo diese ihre Hauptstadt Bagdad gründeten. In den folgenden Jahrhunderten der vorderorientalischen Geschichte wurde es zur Norm, dass Kalifen und Sultane (formal im Namen der Kalifen herrschende Militärdiktatoren und Fürsten) ihre Macht durch nicht aus dem Lande stammende Truppen, durch Migranten, sichern ließen. Man ging davon aus, dass solche Soldaten den Mächtigen treuer ergeben sein würden als vor Ort Rekrutierte. Es gab zwei Typen von soldatischen Migranten dieser Art: Zunächst solche, die entweder aus einer Gruppe, die ethnisch der herrschenden Dynastie nahe stand oder doch zumindest aus der Region stammte, in der die Dynastie zuerst die Macht erobert hatte. Sie wurden dann in die neuen Zentren der Herrschaft verlegt. Beispiele sind die erwähnten chorassanischen Armeen der frühen Abbasiden oder die Truppen der türkischen Seldschuken aus Zentralasien, die große Teile des Vorderen Orients im 11. und 12. Jahrhundert beherrschten (Bosworth 2007). Der zweite Typ fremdstämmiger Truppen, wie sie seit dem 9.  Jahrhundert die Machtbasis der meisten muslimischen Staaten bildeten, waren Kriegssklaven, sogenannte Mamluken. Der Import dieser Kriegssklaven begann im 9.  Jahrhundert, als die Abbasiden versuchten, sich von den chorassanischen Truppen unabhängig zu machen. Sie beschafften sich junge Sklaven aus Zentralasien. Diese hatten keinerlei Bindung an die Untertanen der Kalifen, deren Sprache sie häufig nicht einmal verstanden. Nur zu bald allerdings bildeten diese Neuankömmlinge jedoch eigene Machtzentren und begannen, ihre Herren, die Kalifen, zu kontrollieren und von der faktischen Herrschaft zu verdrängen. Auch wenn die Mamluken sich auf Dauer als genauso problematisch erwiesen wie lokal rekrutierte Truppen, blieb die Institution der Militärsklaverei in vielen Gegenden des Vorderen Orients in den folgenden Jahrhunderten weitverbreitet. Dies führte dazu, dass die zivile Elite muslimischer Gesellschaften arabisch- (im Osten persisch-)sprachig war, die militärischen Eliten zwischen Ägypten und Indien dagegen meist türkischsprachig und zentralasiatischer oder kaukasischer Herkunft (Crone 1980). Das Mamlukensultanat in Ägypten und Syrien (1250–1517) war der bedeutendste auf eine solche Elite von importierten Sklaven gegründeter Staaten. Die Mamluken wurden in der Regel von privaten Händlern (oft Genuesen) aus Zentralasien und der Kaukasusregion herbeigeschafft. Einmal in Kairo angekommen, wurden sie von führenden Emiren (Generälen) gekauft, unter ihrem Befehl ausgebildet, zum Islam bekehrt und schließlich freigelassen. Nur derartige frühere Sklaven konnten Emire und Sultane werden (bei den Sultanen gab es Ausnahmen von Sultanssöhnen). Die im Lande geborenen Nachkommen der Mamluken erhielten nur Posten in nachgeordneten Armeeeinheiten. So mussten ständig neue Militärsklaven importiert werden, was mit nicht unerheblichen finanziellen Belastungen verbunden war. Dies galt im Besonderen in Zeiten der Pest in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, als die in

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engen Baracken zusammenlebenden Mamluken höhere Sterblichkeitsraten zu verzeichnen hatten als der Rest der Bevölkerung. Die daraus resultierende finanzielle Krise führte zu einem Versuch des Staates, den Handel in Ägypten stärker zu kontrollieren und so die für die Aufrechterhaltung des Systems notwendigen Ressourcen zu generieren. Trotz dieser Probleme wurde das System der Mamlukenarmeen in Ägypten noch über die osmanische Eroberung 1517 hinaus bis ins 19. Jahrhundert beibehalten.

3 Zwangsmigration Nicht alle Menschen, die als Sklaven in den Vorderen Orient gebracht wurden, hatten das Glück, ihr weiteres Leben als relativ privilegierte Soldaten zu verbringen. Das islamische Recht erlaubte Sklaverei, wenn die versklavte Person in einem Krieg gegen Nichtmuslime gefangen genommen wurde. Nichtmuslime, die als Schutzbefohlene (sog. ḏimmīs) auf islamischem Territorium lebten, durften dagegen nicht versklavt werden. Nach dem Ende der frühislamischen Eroberungen, als Sklaven in großer Zahl zur Verfügung standen, wurden Sklaven von Händlern aus Regionen im Norden wie im Süden der islamischen Welt importiert, insbesondere aus dem subsaharischen Afrika, Osteuropa, dem Kaukasus und Zentralasien. Wir verfügen über keine verlässlichen Daten bezüglich der Anzahl der in die islamische Welt als Sklaven importierten Menschen, können aber davon ausgehen, dass im Laufe des Mittelalters einige hunderttausend Personen verschleppt und auf vorderorientalischen Sklavenmärkten verkauft oder auf dem Weg dorthin gestorben sind. Wie in vielen Sklavenhaltergesellschaften gab es auch in der mittelalterlichen islamischen Welt rassistische Stereotype, die oftmals antike Vorstellungen fortsetzten. In Handbüchern zum Sklavenkauf wurden die potentiellen Käufer über die Eigenschaften bestimmter Menschengruppen ausführlich informiert, insgesamt scheinen rassistische Vorstellungen im mittelalterlichen Orient aber eine geringere Rolle gespielt zu haben als im neuzeitlichen Westen (es gibt bislang keine befriedigende Gesamtdarstellung zur Sklaverei im mittelalterlichen Vorderen Orient; vgl. Müller 1980; Heers 2003; Lewis 1990). Andere Formen erzwungener Migration neben der Verschleppung in die Sklaverei waren im mittelalterlichen Vorderen Orient selten. Juden, unter ihnen der berühmte Maimonides, wurden im 12. Jahrhundert aus dem unter der Herrschaft der Almohaden stehenden islamischen Spanien vertrieben und fanden Zuflucht in Ägypten. Muslimische Gelehrte und andere Angehörige der Elite sahen sich zur gleichen Zeit gezwungen, die Kreuzfahrerherrschaften in der Levante zu verlassen. Religiöse Minderheiten mit Auffassungen, die sich deutlich vom islamischen Mainstream unterschieden wie die Drusen oder die syrischen Alawiten mussten sich in abgelegene Bergregionen zurückziehen, doch waren dies Sonderfälle in der vergleichsweise toleranten Atmosphäre mittelalterlicher islamischer Gesellschaften.

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4 Wirtschaftliche und religiöse Motive Die meisten Migrationsbewegungen spielten sich auf regionaler Ebene ab. Wie in allen vormodernen Gesellschaften lebten die Städte auf Kosten der sie umgebenden ländlichen Regionen. Das galt auch für die Bevölkerung. Städte litten im Regelfall unter höheren Mortalitätsraten als das dünner besiedelte platte Land. Um ihre Bevölkerung stabil zu halten oder gar zu wachsen, waren Städte daher auf einen konstanten Zuzug von Einwohnern angewiesen. Insofern die Städte Zentren politischer Macht waren, in denen die militärischen und zivilen Eliten die Überschüsse der agrarischen Umgebung konsumierten, boten sie Neuankömmlingen, die sich oftmals in eigenen Vierteln mit Menschen ihrer Herkunftsregion ansiedelten, viele Chancen, sich einen Lebensunterhalt zu verdienen. Wichtige Hauptstädte konnten so in kurzer Zeit zu großen Metropolen heranwachsen. Das berühmteste Beispiel in dieser Hinsicht ist die irakische Stadt Samarra. Hierher hatte der Kalif al-Muʿtaṣim im Jahr 836 seine Hauptstadt verlegt, um den steten Reibereien zwischen seinen türkischen Garden und der Bagdader Bevölkerung ein Ende zu setzen. Die Stadt verlor nach der Rückkehr der Kalifen nach Bagdad im Jahr 892 rasch an Bedeutung. Menschen wanderten nicht allein zu den Zentren der politischen Macht. Mutige Händler durchreisten die muslimische Welt von einem Ende bis zum anderen und profitierten dabei von der durch die herrschende Religion begründeten kulturellen Verwandtschaft der Menschen in der Weltgegend zwischen Andalusien im Westen und Zentralasien. Nicht wenige Kaufleute wagten sich auch darüber hinaus. Viele Muslime waren geschickte Seefahrer und dominerten mit friedlichem Handel den Indischen Ozean. Manche handelten über See mit den Ländern Südost- und Ostasiens und ließen sich zum Beispiel in dem sich durch den Einfluss muslimischer Kaufleute ab dem 13.  Jahrhundert langsam islamisierenden Indonesien oder in China nieder. Erst im 16. Jahrhundert wurde die Dominanz der Seefahrer aus dem Vorderen Orient im Handel auf dem Indischen Ozean von den deutlich aggressiver auftretenden Portugiesen gebrochen (Chaudhury 1990; Planhol 2000; Beaujard 2012). Schifffahrt war in den vielfach trockenen Regionen des Vorderen Orients meist nur zur See ein gangbarer Weg des Transports. Im Verkehr über Land benutzte man in islamischer Zeit keine Fahrzeuge, sondern Lasttiere, im Besonderen Kamele, und konnte so auch schwieriges Terrain durchqueren (Bulliet 1975). Muslime ließen sich nicht allein zu Handelszwecken in Gegenden weit weg von ihren Herkunftsorten nieder. Auch die Pilgerfahrt oder die Suche nach religiösem Wissen waren Motive von Migranten. Insbesondere Mekka und Medina, die beiden wichtigsten Heiligtümer des Islam, zogen Menschen von überallher an. Viele Gelehrte blieben nach Vollzug der Pilgerriten an den Heiligen Stätten. Da die Agrarproduktion in der Gegend nicht ausreichte, musste Nahrung von weit her, insbesondere aus Ägypten, herbeigeschafft werden, um die Menschen zu ernähren. Neben Mekka und Medina waren auch andere im Laufe der Zeit wechselnde Orte religiöser Ausbildung große Anziehungspunkte für gelehrte Migranten, die dort hoffen konnten, am

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Unterricht berühmter Lehrer teilnehmen zu können. Ab dem 10. Jahrhundert fand der Unterricht dabei meist in Schulen statt, die von den Reichen und Mächtigen großzügig mit Stiftungen versehen waren, sodass die Gelehrten auch weit ab von ihrer Heimat sich frei von materiellen Sorgen ganz dem Studium hingeben konnten.

5 Migration und kultureller Wandel Die Wanderung muslimischer Araber von der Halbinsel in den weiteren Vorderen Orient bedeutete keinen abrupten Bruch in kultureller Hinsicht. Sie war gleichviel ein wichtiges Element im Prozess des Übergangs von der Antike zum mittelalterlichen Vorderen Orient. Nach zwei oder drei Jahrhunderten war Arabisch zur Hauptsprache der Städter in den Ländern zwischen Irak und Ägypten sowie im islamischen Spanien geworden. Eine weitere arabische Einwanderungswelle im 11.  Jahrhundert machte Arabisch zur Umgangssprache auch in den Städten des Maghreb, wo zuvor Berbersprachen, im heutigen Tunesien auch lokale Varianten des Lateinischen, noch eine wichtige Rolle gespielt hatten. Auch da, wo Arabisch nicht Umgangssprache wurde, wie etwa in Iran, war es die lingua franca der Gebildeten. Während die in frühislamischer Zeit normierte Schriftsprache bis heute überall mehr oder weniger dieselbe blieb, was den Eliten erlaubte, an jedem Ort der islamischen Welt miteinander zu kommunizieren, begannen die gesprochenen Varianten des Arabischen sich bald deutlich voneinander zu unterscheiden (Fischer u. a.1982). Die Präsenz von arabischsprachigen Migranten und das kulturelle Prestige der Sprache der islamischen Gelehrsamkeit führten dazu, dass auch dort, wo andere Sprachen nicht verdrängt wurden, sich diese unter dem Einfluss des Arabischen stark veränderten. Diese ist besonders augenfällig im Falle des Neupersischen, das sich unter dem Einfluss des Arabischen in den ersten Jahrhunderten des Islam herausbildete. Die Entwicklung vom vorislamischen Mittelpersisch zum islamischen Neupersisch ist im Hinblick auf Grammatik und Vokabular mit dem Wandel des Englischen unter französischem Einfluss nach 1066 vergleichbar. Die muslimisch-arabischen Einwanderer bereicherten die Kultur der von ihnen besiedelten Länder nicht allein in Hinblick auf ihre Sprache und Religion. Ein wichtiges Exportgut der Araber war ihre Dichtung, die eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Dichtungstraditionen in anderen Sprachen der islamischen Welt, im Besonderen im Neupersischen, spielte. Darüber hinaus ermöglichte die durch die muslimisch-arabische Expansion herbeigeführte kulturelle Angleichung, dass Menschen und Güter aus bisher getrennten Sphären in engeren Kontakt kamen. So kam es, dass im islamischen Spanien indische medizinische Traditionen gepflegt wurden, während gleichzeitig die spätantike hellenistische Philosophie in Zentralasien eine neue Heimat fand. Im Laufe der Jahrhunderte vermischten sich lokale und arabisch-

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islamische Gebräuche und Vorstellungen zu jeweils unterschiedlichen lokalen Ausprägungen, die bis heute die vorderorientalische Welt einen, aber auch trennen. Das Gleiche galt für die Identitäten der Menschen. Erinnerungen an tatsächliche oder imaginierte arabische Wurzeln wurden unter den Nachkommen der arabischen Einwanderer für Jahrhunderte (zuweilen bis heute) bewahrt, der tribale Kontext von arabischer Identität ging aber, zumindest unter Stadtbewohnern, nach den ersten beiden Jahrhunderten des Islam verloren. Auch Menschen mit arabischen Wurzeln definierten sich nicht mehr über ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stamm, sondern waren stolz auf die Stadt, in der sie wohnten und die dort gepflegten Traditionen islamischer Gelehrsamkeit, die man in großen biographischen Sammelwerken feierte.

6 Migration und Islam Der Koran ruft Muslime dazu auf, ihre Heimstätten zu verlassen, auszuwandern (die hiǧra zu vollziehen), um sich Mohammed und der Gemeinschaft der Gläubigen im Kampf gegen ihre Feinde anzuschließen. Diese Verpflichtung, auszuwandern, hatte ihren Sitz im Leben verloren, nachdem sich die Muslime an ihren neuen Wohnsitzen außerhalb der arabischen Halbinsel häuslich eingerichtet hatten und nunmehr das zivile Leben dem Kampf vorzogen. Man schrieb dem Propheten nun Äußerungen zu, dass die Verpflichtung, auszuwandern (d. h. sich den muslimischen Armeen anzuschließen), mit der Eroberung Mekkas durch die Muslime im Jahr 630 ihr Ende gefunden habe (Crone 1994; vgl. auch Masud 1990). An die Stelle der Auswanderung mit dem Ziel des Kampfes trat für muslimische Gelehrte nun die Pflicht, sich auf der Suche nach religiösem Wissen auf Reisen zu begeben, was durch weitverbreitete entsprechende angebliche Prophetenaussprüche untermauert wurde (Touati 2000, 19–56). Während Migration auf der Suche nach religiösem Wissen oder das Reisen zum Zwecke des Handels vom islamischen Recht positiv bewertet wurde, lehnten die meisten Religionsgelehrten eine dauerhafte Auswanderung von Muslimen in nichtislamischen Gebieten ab. Man hatte Angst, die betreffenden Muslime könnten ihren Glauben verlieren. Nur ein zeitweiliger Aufenthalt sollte zum Zwecke des Handels gestattet sein. Um die sich dabei ergebenden Rechtsfragen zu klären, entwickelten die Gelehrten das Konzept der Territorialität des islamischen Rechts: Solange Muslime sich außerhalb des Herrschaftsgebietes des Islam aufhielten, waren sie an das jeweils in den Ländern der Ungläubigen geltende Recht gebunden. Gleichzeitig befanden sie sich außerhalb des rechtlichen (nicht moralischen) Geltungsbereichs der Scharia, d.  h. für Verstöße gegen die Scharia, die sie außerhalb des Herrschaftsgebiets der Muslime begingen, wurden sie nicht im Diesseits, sondern nur von Gott im Jenseits zur Rechenschaft gezogen (Johansen 1998: 232–262; vgl. auch Masud 1990).

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Viele der hier behandelten Prozesse und Haltungen setzten sich auch in den folgenden Jahrhunderten der vorderorientalischen Geschichte bruchlos fort. Erst im 20. Jahrhundert kommt es mit den neuen Bedingungen von Handel und Verkehr und der Massenauswanderung von Muslimen vor allem nach Europa zu einem wirklichen Wandel, der aber nicht Gegenstand dieser Darstellung sein kann.

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Şevket Küçükhüseyin

Türken im Okzident 1 Einleitung Die ältesten Berichte über die Einwanderung türkischer Völkerschaften nach Südosteuropa reichen in das 6. Jahrhundert zurück. Zwar liegen über die ethnische Zusammensetzung der Awaren und jener Gruppen, deren Namen die Wurzel ogur aufweist, wie Onoguren, Utiguren, Saraguren usw. keine eindeutigen Informationen vor, doch zweifellos befanden sich unter ihnen, wie auch unter den landnehmenden Ungarn, türkische bzw. turksprachige Gruppen. Eindeutig ist dagegen die türkische Herkunft der Bulgaren, Petschenegen, Uzen und Kiptschak / Kumanen, die vom 7. bis 12. Jahrhundert in den Balkanraum einwanderten. Die Migration dieser Gruppen nach Europa erfolgte stets aus den pontischen Steppen in die Ebenen Ost- und Südosteuropas, wo sie sich niederließen bzw. Herrschaften begründeten, im Laufe der Zeit christianisiert wurden und, mit einigen Ausnahmen, schließlich in der Mehrheit der slawischen Ackerbau treibenden Bevölkerung, die ihrerseits im Laufe des 7. Jahrhunderts in den Balkanraum einwanderte, aufgingen (Moravcsik 1983; Sümer 1999; Berend 2001; Curta 2006; Knüppel / Winkler 2007). Eine andere türkische Migration, die aus heutiger Sicht von weit nachhaltigerer Bedeutung für den Balkanraum war, erfolgte aus Kleinasien. Sie steht in ursächlichem Zusammenhang mit der Eroberung des Mittleren und Nahen Ostens durch die Seldschuken und der damit verbundenen Einwanderung türkisch-islamischer Stammesgruppen in Kleinasien seit dem 11. Jahrhundert. Anders als die oben genannten Turkvölker, waren diese tribalen Gruppen in Anatolien Träger einer islamischen Identität, weshalb sie in zeitgenössischen islamischen Quellen zur Unterscheidung von ihren paganen Stammverwandten als Turkmenen bezeichnet wurden. Obwohl die christliche Bevölkerung Kleinasiens bis weit in das 14.  Jahrhundert zahlenmäßig überlegen blieb, gingen die türkischen Zuwanderer sowohl in religiöser als auch sprachlicher Hinsicht nicht in der Mehrheitsgesellschaft auf. Vielmehr setzten sie einen ca. dreihundertjährigen Prozess in Gang, in dessen Verlauf Kleinasien weitgehend turkisiert und islamisiert wurde. Mitte des 13. Jahrhunderts unterlagen die Anatolien beherrschenden Rūm-Seldschuken den Mongolen. In der hierauf folgenden Periode entstand insbesondere in Westanatolien eine Anzahl turkmenischer Fürstentümer, darunter die Osmanen. Sie etablierten sich gegen Ende des 13. Jahrhunderts im äußersten Nordwesten in unmittelbarer Nachbarschaft zu den verbliebenen byzantinischen Territorien, die sie im Verlauf der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts eroberten. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts überquerten die Osmanen die Dardanellen und eroberten bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts den gesamten Balkanraum.

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2 Osmanische Eroberung und türkische Kolonisation Die Etablierung osmanischer Herrschaft und die Besiedlung durch türkisch-islamische Bevölkerung aus Anatolien hat Südosteuropa in vielerlei Hinsicht bis heute nachhaltig geprägt. Zu den offensichtlichsten Hinterlassenschaften der zum Teil über fünfhundertjährigen osmanischen Periode gehört zweifellos die heutige Existenz islamischer Bevölkerung, die in der Mehrheit aus den Nachfahren der seit dem 17.  Jahrhundert zum Islam konvertierten autochthonen Bevölkerung besteht. Die türkisch-islamische Bevölkerung, die über Jahrhunderte insbesondere in Thrakien, Nordbulgarien und Makedonien die Mehrheit stellte, ist im Zuge von Massakern, Vertreibungen und Flucht im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts entweder vollständig verschwunden oder zu einer kleinen Minderheit geschrumpft. Im kollektiven Gedächtnis Europas spielen diese ethnischen Säuberungen und erzwungenen Migrationen beachtenswerterweise bis heute keine Rolle (vgl. McCarthy 1996; Toumarkine 1995). Zwar gibt es eine lange Reihe von Einzeluntersuchungen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten der Migrationsgeschichte des Balkanraums, mit einzelnen Phasen, Gruppen oder Regionen auseinandersetzen. Eine systematische und vergleichende Untersuchung, die sich mit der Geschichte der Region und den verschiedenen Migrationen vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart befasste, ist jedoch weiterhin ein Desiderat. Eine Schwierigkeit ist sicherlich der Mangel an Quellen, die die unmittelbaren vor- und frühosmanischen Verhältnisse und Entwicklungen beleuchten; die Informationen der vorhandenen narrativen Quellen vermitteln kein umfassendes Gesamtbild (vgl. Curta 2006). Ins Gewicht fallen auch die sprachliche Vielfalt des vorhandenen Materials, die jeweilige genremäßige Zugehörigkeit, die zeitliche Zuordnung und die Spezifika dokumentarischer Quellen, etwa der osmanischen Register. Letztere sind zwar die zuverlässigsten Quellen, die ältesten vorhandenen reichen jedoch nicht vor das dritte Jahrzehnt des 15.  Jahrhunderts zurück und sind zudem unvollständig (Kiel 2009; Lowry 1992; Željaskova 1990; İnalcık 1987; Cvetkova 1978). Ein Hindernis besonderer Art ist das im Fall der südosteuropäischen nationalen Geschichtsschreibungstraditionen weiterhin oft prekäre Verhältnis zu nationalistischen Ideologien. Hier spielen ‚völkische‘ Mythen, stereotype Betrachtungsweisen und Kontinuitätsfiktionen des 19. und frühen 20.  Jahrhunderts, der sogenannten Befreiungszeit, weiterhin eine nicht unwesentliche Rolle. In dieser Tradition ist die osmanische Phase bis heute ein Politikum und besonders heikles Feld der jeweiligen nationalen Identitätskonstruktion. Allgemein wird die osmanische Periode als „türkisches Joch“ aufgefasst oder unter dem abwertenden Begriff der „Türkenherrschaft“ zusammengefasst. Bestimmend ist die Vorstellung einer fremden Besatzung und einer Phase des kulturellen Bruchs, die den jeweiligen Nationen nicht nur einen hohen Blutzoll abverlangt habe, sondern zudem schuld sei an ihrer vermeintlichen ökonomischen und kulturellen Rückständigkeit. Die zum Teil unversöhnliche Haltung zu diesem Teil ihrer jeweiligen Vergangenheit und das hieraus resultierende

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Selbstverständnis als Opfer gehören zu den konstitutiven Elementen der Identität der heutigen südosteuropäischen Nationen, deren Territorien einst Teil des Osmanischen Reichs waren. Die vermutlich früheste türkisch-islamische Migration aus Kleinasien in den Balkanraum erfolgte in den 1260er Jahren, als der abgesetzte seldschukische Sultan ʿIzz ad-Dīn II. Kaykavus mit einem zahlreichen turkmenischen Anhang Asyl beim byzantinischen Kaiser Michael VIII. Palaiologos fand. Diese Turkmenen wurden zunächst in der später nach dem kumanisch-bulgarischen Fürsten Dobrotić benannten Dobrudscha angesiedelt. Wenig später wanderten sie mit ‘Izz al-Dīn Kaykavus in die Krim aus, wo der Seldschuke vom damaligen Herrscher der Goldenen Horde eine Pfründe (iqta) erhalten hatte. Nach Kaykavus’ Tod 678/1279–1280 teilte sich seine Gefolgschaft auf. Eine Gruppe zog erneut in die Dobrudscha, vermischte sich mit der ansässigen kumanischen Bevölkerung, wurde rasch christianisiert und benannte sich nach ihrer ehemaligen Führungsfigur Kaykavus, was im Laufe der Zeit zu Gagauz verballhornt wurde (Wittek 1952; Doerfer 1959). Die andere Gruppe kehrte Anfang des 14. Jahrhunderts nach Kleinasien zurück und war an der Gründung des turkmenischen Fürstentum Karası beteiligt, das um 1345 von den Osmanen annektiert wurde. Bemerkenswerterweise waren Vertreter dieses Fürstentums maßgeblich am osmanischen Übergang auf die europäische Seite der Dardanellen und als bedeutende Heerführer im Balkanraum an der osmanischen Expansion beteiligt (İnalcık 1973). Schon um 1346 griffen osmanische Truppen im Dienst Johannes Kantakuzenos' in den byzantinischen Bürgerkrieg bzw. in die Auseinandersetzungen mit den Serben ein. Die Etablierung auf europäischem Boden begann jedoch erst 1352 mit der Sicherung der Festung Tzympe als erstem osmanischen Brückenkopf auf der thrakischen Seite der Dardanellen. Ein Erdbeben im folgenden Jahr begünstigte die Übernahme Gallipolis und den weiteren Vormarsch in Thrakien. Bereits in dieser Anfangsphase gelangte eine Vielzahl turkmenischer Krieger aus den Gebieten der westanatolischen Fürstentümer über die Meerenge. Die Etablierung der Osmanen im Balkanraum wurde durch eine Vielzahl von Faktoren begünstigt und war das Ergebnis vielschichtiger Prozesse. Zu nennen sind die wirtschaftlich desolate Lage des östlichen Balkanraums und seine politisch hochgradige Zersplitterung. Weite Teile des südlichen Thrakiens, der osmanischen Ausgangsbasis, wurden Anfang des 14.  Jahrhunderts von der Katalanischen Kompanie weitgehend verheert. Hinzu kommen die Effekte des byzantinischen Bürgerkriegs in den 1320er und 1340er Jahren. Im Ergebnis wurde Byzanz auf das thrakische Vorland Konstantinopels und das Gebiet um Thessaloniki beschränkt. Zentral- und Südgriechenland bestanden aus einem Konglomerat lateinischer Fürstentümer, Venedig und Genua verfolgten eigene Interessen in der Ägäis. Das auf Kosten Byzanz’ und Bulgariens errichtete Reich Stefan Dušans, das sich neben Serbien auf Teile Bosniens, Albanien, Mazedonien, Thessalien und den Epirus erstreckte, zerfiel nach dessen Tod 1355 in mehrere Fürstentümer. Bulgarien wiederum zerbrach in drei voneinander unabhängige Fürstentümer: die Dobrudscha im Norden, Tarnowo im Süden und Widin im

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Nordwesten. Die hiermit verbundenen kriegerischen Auseinandersetzungen und die Pest, die Ende 1347–1348 den Balkanraum erreichte, führten zweifellos auch zu einem starken Rückgang der Bevölkerung. Von nachhaltiger Wirkung war aber auch die Tatsache, dass der sukzessive Übergang ins osmanische System für die militärische bzw. adlige Oberschicht der unterworfenen Völker keinen tiefgreifenden Bruch darstellte. Ihre Vertreter wurden vielmehr als sogenannte Timarioten, d. h. Inhaber von Steuersoldlehen bzw. Dienstpfründen (Timar), oder Voynuken in die von Steuern befreite bzw. begünstigte Führungsschicht integriert. Ihr Übertritt zum Islam fand erst im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts statt. Zu Beginn griffen die Osmanen als Verbündete der einen oder anderen Seite in die Konflikte zwischen den verschiedenen lokalen Fürsten ein. Es folgte eine Phase der osmanischen Oberherrschaft, unter die z. B. die bulgarischen Fürstentümer bis 1388 gerieten. Gleichzeitig kam es zu militärischen Expeditionen und regelrechten Eroberungen. So wurde Adrianopel / Edirne wohl 1369 eingenommen und zur Ausgangsbasis weiterer Eroberungen im Osten, Norden und Westen. Schließlich folgte die Annexion der unterworfenen Gebiete, die durch Entscheidungsschlachten (Tschirnomen 1371, Amselfeld 1389, Nikopolis 1396) entweder besiegelt oder begünstigt wurde (İnalcık 1954). Die Chronologie der osmanischen Expansion lässt sich jedoch zumindest bis zur Herrschaft Bāyazīds I. (1389–1402) nicht mit aller Genauigkeit und für alle Gebiete rekonstruieren, ebenso ob und inwieweit es sich stets um das Ergebnis zentraler Planungen handelte. So etablierte sich eine Reihe von Heerführern, zumeist aus dem ehemaligen Fürstentum Karası, als ‚osmanische‘ Grenzfürsten (uc-beğ), die die Expansion in die verschiedenen Richtungen mehr oder weniger selbständig vorantrieben und eigene Dynastien gründeten, wie die Evrenos-, Mihal-, Malkoç- oder Turahanoğlu, und Figuren, die keine längere Tradition begründeten. Zu letzteren gehört z. B. Hacı Ilbeği, der aufgrund allzu großer Selbständigkeit hingerichtet wurde (Fodor 2009; Lindner 2009). So geht die Eroberung Westthrakiens, Ostmakedoniens und Südalbaniens weitgehend auf Hacı Evrenos (gest. 830/1417) zurück, der zugleich maßgeblich an den osmanischen Expedition in die Morea und der Eroberung von Korinth (1397) beteiligt war. In ihren jeweiligen Herrschaftsbereichen betätigten sich diese uc-beğs nachhaltig als Förderer und Gründer städtischer Siedlungen und islamischer Infrastruktur (Lowry 2008). Die türkisch-islamische Besiedlung des Balkanraums in der osmanischen Periode erfolgte in mehreren Schüben und nach zwei grundlegenden Mustern: freiwillige Migration und staatlich gelenkte (Zwangs-)Umsiedlung, sürgün genannt. Freiwillige Migration sowohl nomadischer als auch sesshafter türkischer Bevölkerung aus Anatolien gab es von den Anfängen der osmanischen Etablierung in Südosteuropa Mitte des 14. bis vermutlich in die Mitte des 15. Jahrhunderts, sie lässt sich quantitativ jedoch kaum erfassen (İnalcık 1954: 129; Faroqhi 1984: 269). Mitunter wird ein Bevölkerungsdruck in Westanatolien hierfür verantwortlich gemacht (Barkan 1949/50; Cook 1972). Eine weitere Konjunktur ergab sich vermutlich durch die Invasion Anatoliens durch den zentralasiatischen Eroberer Timur (Tamerlan) Ende des 14. Jahrhunderts.

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Staatlich gelenkte Zwangsumsiedlungen (sürgün) fanden dagegen in beide Richtungen statt und erfassten auch die christliche Bevölkerung des Balkans. Diese Besiedlungspolitik folgte verschiedenen Interessen. Anfänglich ging es um die militärische Sicherung der Eroberungen. Hierfür wurden vor allem turkmenische, nomadische Stammesgruppen, sogenannte Yürük (von türk. yürümek, wandern), als eigene militärische Einheiten in beträchtlichem Umfang in den neueroberten Gebieten angesiedelt. Eine weitere Ursache waren sicherheitspolitische Absichten in Anatolien. So wurde die zwangsweise Migration unbotmäßiger Nomadenstämme als probates Mittel der Befriedung Anatoliens, insbesondere der dort neu eroberten Gebiete, angewandt. Sie wurden mitunter als Grenz- und Passwächter (Derbendçi) eingesetzt. Eine wesentliche Rolle für die Besiedlung mit sesshafter Bevölkerung spielte dagegen die Erschließung brachliegender, landwirtschaftlich nutzbarer Flächen. Letzteres geht aus osmanischen Registern des 16.  Jahrhunderts hervor, in denen zahlreiche neue Landgüter und Bauernstellen aufgeführt werden (İnalcık 1995: 610). Bedeutsam ist auch die Tatsache, dass der Großteil der Nahrungsmittelversorgung der 1453 eroberten Hauptstadt Konstantinopel von den südlichen und östlichen Teilen des Balkans getragen wurde (Faroqhi 1984: 155, 227, 232, 241). Ein weiteres Moment bildete die Stärkung sich stetig entwickelnder städtischer Zentren (Kiel 2009), wofür mitunter auch Handwerker, Kaufleute und Personen mit Vermögen ‚requiriert‘ werden konnten (İnalcık 1969/1970: 238). Eine Migration besonderer Art im frühosmanischen Balkan war diejenige heterodoxer Derwische, für die der türkische Historiker Ömer L. Barkan den Begriff ‚derviches colonisateurs‘ geprägt hat (Barkan 1949/50). Eine Vielzahl von ihnen war aktiv an den Eroberungen beteiligt, auch standen sie häufig in enger Beziehung zu den turkmenischen Stammesgruppen, so auch die älteste namentlich bekannte dieser Figuren, Sarı Saltık, der mit den schon genannten Turkmenen ʿIzz ad-Dīn Kaykavus in den Balkanraum gelangte. Sein Grabmal existiert bis heute in der Stadt Babadag in der rumänischen Dobrudscha. Die Derwische betätigten sich als Pioniere türkischislamischer Kolonisation aber auch islamischer Missionierung und genossen dafür die Unterstützung der Herrschenden, etwa durch die großzügige Vergabe von Stiftungsland. Die dort von ihnen errichteten Konvente wurden ihrerseits oft zum Kern neuer Siedlungen.

3 Türkische Siedlungsschwerpunkte Die türkische Kolonisation erstreckte sich in erster Linie auf die Ebenen und Flusstäler. Dies gilt für Thrakien, die Ebenen von Sofia, Saloniki und Thessalien, die Gebiete südlich des Balkangebirges, das östliche Donauplateau, die Dobrudscha, das Gebiet um das heutige Skoplje und Niš. Ebenso für das Tiefland der Maritza und die Vardarund Morava-Becken (de Planhol 1975: 326–333). In diesen Gebieten stellten türkische

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Muslime vermutlich seit dem 15. Jahrhundert einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung, wenn nicht die Mehrheit. In ganz Rumelien, d. h. dem osmanischen Südosteuropa machte die muslimische Bevölkerung, einschließlich Türken und Konvertiten, im 16. Jahrhundert etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung aus (İnalcık 1954). Mit dem sukzessiven Rückzug der Osmanen aus Südosteuropa und in der Phase der Nationenbildung im 19. Jahrhundert ging die Zahl der türkischen und nichttürkischen Muslime aufgrund von Massakern, Vertreibungen und Flucht signifikant zurück, so etwa im 1829 autonomen serbischen Fürstentum oder im 1830 gegründeten Königreich Griechenland. Für das heutige Bulgarien dagegen kann davon ausgegangen werden, dass noch bis in die Zeit vor dem Berliner Kongress 1878 etwa ein Drittel der Bevölkerung muslimisch war (z. B. Popovic 1986; Höpken 1996; Sundhaussen 1996).

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Marco Di Branco / Kordula Wolf

Berber und Araber im Maghreb und in Europa 1 Einleitung Migrationen waren eine häufige Begleiterscheinung muslimischer Invasionen und Expansionen. Sie spielten sich oft nicht nur unmittelbar nach der Eroberung neuer Territorien ab, sondern waren auch eine Konsequenz vieler späterer militärischer Vorstöße oder anderer Umstände. Da über langfristige Verlagerungen des Lebensmittelpunktes von Arabern und Berbern in den Quellen nur selten Details überliefert sind, haben wir für die Zeit des Mittelalters über die Zahl, Herkunft und Verweildauer neuer Siedler im Maghreb und in Teilen Europas kaum verlässliche Informationen oder schätzungsweise Näherungswerte. Hinzu kommt, dass nicht jede Einnahme einer Region zur Etablierung einer neuen Herrschaft führte, die dann zumindest zeitweise die Grundlagen für eine zahlenmäßig signifikante Niederlassung von Zivilisten schaffen konnte. Darüber hinaus ist die Zahl muslimischer Händler und Sklaven, die sich für längere Zeit in den besetzten Territorien aufhielten, gänzlich unbekannt. Deshalb beschränkt sich dieser Beitrag auf Migrationen größerer muslimischer Gruppen, vor allem während der ersten Phasen neuer Herrschaftsbildungen, und geht in groben Zügen auf einige wichtige Voraussetzungen und Konsequenzen dieser Neusiedlungen ein. So weit wie möglich werden die Begriffe ‚Araber‘ und ‚Berber‘ für Muslime unterschiedlicher ethnischer Herkunft verwendet. Wenn sich diese Differenzierung jedoch nicht eindeutig vornehmen lässt, wird die Bezeichnung ‚Muslime‘ gebraucht, wobei dann immer auch eine unbekannte Dunkelziffer an Nicht-Muslimen mitzudenken ist, vor allem wenn von militärischen Verbänden die Rede ist. In allen neueroberten Territorien, die der Herrschaft von Arabern beziehungsweise Berbern unterstellt wurden, fiel die nichtkonvertierte christliche und jüdische Bevölkerung unter muslimischen Schutz (ḏimma). Mit der ǧizya (einer Art religiös-konnotierter Kopfsteuer) musste diese in der Regel eine höhere Steuerlast tragen als (konvertierte) Muslime. Die wichtigsten arabischen, griechischen und lateinischen Quellen des Mittelalters über Muslime im Maghreb und in Teilen Europas sind angeführt in den Arbeiten von Amari (1933), Vasiliev (1935–1968), Lévi-Provençal (1950–1953), Talbi (1966), Laroui (1977) und Abun-Nasr (1987).

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 Marco Di Branco / Kordula Wolf

2 Der Maghreb Die muslimische Eroberung des Maghreb (Region ganz im Westen Nordafrikas, die heute ungefähr die Gebiete Marokkos, Tunesiens und Algeriens umfasst) begann im Jahr 647, als ein arabisches Heer die Kontrolle über die antike römische Provinz Africa erlangte, welche dann von den Arabern entsprechend Ifrīqiya (im heutigen Tunesien) genannt wurde. Doch erst unter dem Kommando des Befehlshabers ʿUqba ibn Nafiʿ gelang es, zwischen 662 und 670 die Region dauerhaft zu besetzen. Im Jahr 670 wurde die Stadt Kairouan gegründet, die bald die größte und wichtigste arabische Metropole im gesamten Maghreb werden sollte. Solche Siedlungen (sing. miṣr), in denen die Eroberer streng getrennt von den Eroberten lebten, waren typisch für die ersten Phasen der islamischen Eroberungen. Während der Umayyaden-Zeit (661–750) blieb der Maghreb unter direkter Kontrolle des Kalifen von Damaskus. Mit dem Beginn der Abbasiden-Ära aber führten zentrifugale Tendenzen zur Herausbildung verschiedener regionaler Herrschaften, die im Prinzip unabhängig waren. Diese Herrschaften lagen in der Hand hochrangiger Familien arabischer Herkunft, welche aus politischen Gründen oder um ihr Glück zu machen in den Westen migriert waren – so die Sufriten von Sidschilmasa (Siǧilmāsa), die Rustamiden des Zentral-Maghreb, die Idrisiden in der Region des heutigen Marokko, die Aghlabiden in Ifrīqiya. Bald wurde klar, dass die Kontrolle der Armee (ǧund), deren Truppen von der arabischen Halbinsel (besonders Südarabien), aus Syrien und Persien stammten, den Schlüssel zur Machtausübung im Maghreb darstellte. Nach der raschen Eroberung der Region waren die Araber jedoch mit einer gewaltsamen Revolte konfrontiert. Diese stand unter der Führung von Kāhina (arab. ‚die Wahrsagerin‘, ‚die Priesterin‘), einer Berberin, die sich zusammen mit anderen christlichen und jüdischen Stämmen den muslimischen Truppen über ein Jahrzehnt lang zu widersetzen vermochte. Ihr Tod im Jahr 701 markiert zugleich das Ende der Revolte und den Beginn einer schnellen Islamisierung der Berber Nordafrikas. Zunächst hatten die Araber den Berbern gegenüber eine von großem Überlegenheitsgefühl geprägte Einstellung. Die Berber wiederum reagierten auf diese Ungleichbehandlung mit einer breiten Unterstützung der Charidschiten-Bewegung, die sich gleichermaßen gegen Sunniten wie Schiiten richtete. Im Maghreb trat diese Bewegung in der ibaditischen Form in Erscheinung, deren Akzent auf den Idealen von Gleichheit und Brüderlichkeit und auf der Idee gleicher Rechte und Pflichten für alle Muslime, unabhängig ihrer jeweiligen Herkunft, lag. Die ibaditischen Missionare arabischer Provenienz kollaborierten mit den Berbern, und von diesem arabischberberischen Milieu ging dann eine Verschmelzung beider ethnischer Gruppen aus – ein Prozess, der während der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts begann und sich in den folgenden Jahrhunderten mit Unterbrechungen und Krisen fortsetzte. Er spiegelt sich auch in einer Überlieferungstradition des 10. Jahrhunderts, derzufolge zwei der wichtigsten Berber-Stämme, die Ṣanhāǧa und die Kutāma, arabischen Ursprungs gewesen seien. Die charidschitische Revolte bedeckte den Maghreb circa ein Jahrhun-

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dert lang mit Blut. Nachdem aber die sozialen Ursachen, welche die Unzufriedenheit der Berber hervorgerufen hatten, beseitigt waren, nahmen die Berber bereitwillig die islamische Orthodoxie an. Zwischen dem Ende des 9. Jahrhunderts und dem Beginn des 10. Jahrhunderts bot der Maghreb den Führern einer Bewegung Zuflucht, die Nordafrika und Ägypten für immer verändern sollte: der fatimidischen Bewegung. Besonders erfolgreich waren ihre Predigten unter den Kutāma-Berbern, weil diese gegenüber der arabisch-sunnitischen Macht, wie sie von den Aghlabiden repräsentiert wurde, feindlich gesinnt waren. In nur kurzer Zeit eroberten die Fatimiden die wichtige Stadt Raqqāda, und im Jahr 909 erhob der imām ʿUbayd Allāh den Anspruch, einzig legitimer Kalif der Muslime zu sein. Nach der Unterdrückung eines Berber-Aufstandes konzentrierte sich der imām vor allem auf die Ziele seiner ‚Sekte‘ und schlug mit Verachtung das Angebot der Abbasiden aus, die Verwaltung in den bereits militärisch eroberten Gebieten anstelle der Aghlabiden zu übernehmen. Al-Mahdiyya wurde 912 als neue Hauptstadt gegründet, und ab 914/915 versuchten die Fatimiden, Ägypten zu erobern. Dieses Vorhaben gelang schließlich im Jahr 969 und führte auch zur Gründung von Kairo, das zum neuen Zentrum der Dynastie wurde. Nach diesem großen Erfolg in Ägypten richteten die Fatimiden ihr Augenmerk auf die Neuorganisation der Armee, die als zu sehr unter dem Einfluss ,westlicher‘ Berber stehend empfunden wurde; zum Ausgleich warb man zahlreiche Kämpfer aus dem ,Osten‘ (Dailamiten und Türken), ,Süden‘ (Nubier) und ,Norden‘ (Byzantiner, ,Lateiner‘ und Slawen) an. Schon sehr bald reagierten die Sunniten auf die fatimidische Politik. Die berberische Ziriden-Dynastie, welche damals in Tunesien und Teilen Algeriens herrschte, befahl innerhalb ihrer Territorien die Hinrichtung aller Schiiten. Als sich einige Zeit später der Ziriden-Herrscher offen gegen die Fatimiden stellte, indem er den abbasidischen Kalifen anerkannte, schlug ein Berater des fatimidischen Hofes vor, die Araber der Stämme Banū Ḥilāl und Banū Sulaim, die sich von der arabischen Halbinsel kommend in Oberägypten angesiedelt hatten, gegen Ifrīqiya zu schicken. Der Überlieferung zufolge schenkte der Fatimiden-Kalif jedem von ihnen ein Kamel und einen dīnār und trug ihnen auf, bei der Überquerung des Nils auszurufen: „Ich übergebe euch den Maghreb!“ Die Stämme Banū Ḥilāl und Banū Sulaim überquerten den Nil, zerstörten und besetzten die Kyrenaika. Schließlich zogen die Banū Ḥilāl ‚gleich Heuschrecken‘, wie Ibn Ḫaldūn schreibt, nach Ifrīqiya und besiegten dort die berberischen Ziriden bei Kairouan. Die Invasion der Banū Ḥilāl, die einen Re-Nomadisierungsprozess auslöste, dessen Auswirkungen noch Jahrhunderte lang spürbar waren, hat Stoff für eine komplexe Epentradition gegeben, die noch nicht in Gänze erforscht ist: Unter seinen Protagonisten finden wir Ḫalīfa al-Zenātī, einen berberischen Helden, der sich gegen die Überfälle der Ḥilāl zur Wehr setzte. In Ägypten war die letzte Phase des fatimidischen Kalifats von internen Auseinandersetzungen und wirtschaftlichen Krisenerscheinungen geprägt. Die fatimidischen Herrscher suchten vor diesem Hintergrund die Unterstützung der seldschukischen Türken, die sich bald darauf in der ägyptischen Hauptstadt durchsetzten und weite

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Gebiete Syriens okkupierten. Vergeblich versuchten die Fatimiden, die Situation wieder unter ihre Kontrolle zu bekommen, während ihre Schwäche die christlichen Kreuzfahrer in die Lage versetzte, Ägypten ohne größere Schwierigkeiten zu erobern. Der fatimidische Kalif bemühte sich deshalb zunächst um eine Protektion seitens des zangidischen Herrschers von Damaskus Nūr al-Dīn (türkischer Herkunft), bevor er dann zusätzlich auch Geheimverhandlungen mit den Kreuzfahrern aufnahm. Das wiederum veranlasste Nūr al-Dīns Oberbefehlshaber, den kurdischen Ṣalāḥ al-Dīn b. Ayyūb (berühmt als ‚Saladin‘), der an der Spitze eines multiethnischen Heeres aus Arabern, Türken, Berbern und Nubiern stand, das fatimidische Kalifat 1171 aufzuheben und Ägypten formal der Kontrolle des abbasidischen Kalifats zu unterstellen. Auf diese Weise kehrte Ägypten wieder zur sunnitischen Tradition zurück. Saladins Sohn stützte sich indessen auf Söldner aus Zentralasien sowie türkische und kaukasische Sklaven (Sing. arab. mamlūk), die bei ihm als Leibgarde in Diensten standen. Der Einfluss der Mamluken wuchs zunehmend und führte Mitte des 13. Jahrhunderts zur Gründung einer neuen Dynastie, die bis Anfang des 15. Jahrhunderts in Ägypten und Syrien erfolgreich herrschen sollte. Unmittelbar nach dem Ende des nasridischen Königsreichs von Granada (1492), des letzten islamischen Stützpunktes auf der Iberischen Halbinsel, hatten sich die christlichen Eroberer mit der Problematik der Moriscos auseinanderzusetzen, das heißt mit Muslimen, die sich dafür entschieden hatten, unter den neuen Herrschern in Spanien zu verbleiben. Bereits zu Beginn des 16.  Jahrhunderts kam es zu mehreren Aufständen der Morisken, die schließlich in einen regelrechten Krieg mündeten (1567–1570, die sogenannte ‚Segunda Guerra de Granada‘), in dessen Verlauf die Morisken sogar ein Hilfegesuch an das Osmanische Reich, damals der Feind der christlichen Welt schlechthin, richteten. In dieser Situation erließ Philipp III. (König von Spanien, 1598–1621) im Jahr 1609 den Befehl, die gesamte muslimische Bevölkerung aus seinem Territorium zu vertreiben. Über 300.000 Muslime migrierten in den Maghreb und in osmanische Gebiete. Infolge der Morisken-Vertreibung geriet Spanien in eine lang anhaltende Agrarkrise, weil die Zahl der Bauern abrupt zurückgegangen war; große Mengen an Gold und Silber aus der Neuen Welt wogen diese jedoch auf.

3 Iberische Halbinsel Nachdem der gesamte Maghreb dem Einfluss des umayyadischen Kalifats unterstellt und das Westgotenreich zusammengebrochen war, geriet im Zeitraum zwischen 711 und 714 fast die gesamte Iberische Halbinsel unter muslimische Kontrolle. Militärische Befehlshaber waren Ṭāriq b. Ziyād, Statthalter in Tanger und Ceuta, und später Mūsā b. Nuṣayr, Gouverneur von Ifrīqiya. Während der erste ein muslimischer Konvertit war und hauptsächlich von berberischen Söldnern unterstützt wurde, gehörte der zweite arabischen Klientelstrukturen an und operierte mit Truppen größtenteils

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arabischer Provenienz. Unter späteren Statthaltern von al-Andalus wurden mehrfache Vorstöße über die Pyrenäen hinaus unternommen, die auch nach der „Schlacht von Poitiers“ (732, bei Tours) anhielten und zu einer circa vierzig Jahre lang andauernden Besetzung Septimaniens führten. Die Tatsache, dass sich die Aufteilung der okkupierten Territorien zwischen Arabern (vor allem im Süden) und Berbern (überwiegend im Norden) besonders konfliktreich gestaltete, lässt darauf schließen, dass ein Großteil der Neusiedler zunächst aus den Reihen der Söldner kam. Die neuen berberischen Siedler scheinen gegenüber den Arabern, die auf ‚einige Zehntausende‘ beziffert werden, zahlreicher gewesen zu sein. Ferner wird davon ausgegangen, dass die militärischen Einheiten der Eroberer-Armeen jeweils aus Kriegern desselben Stammes bestanden. Umstritten ist hingegen, ob auch Familienangehörige im Tross mitzogen oder ob sie baldmöglichst nachfolgten und sich ganze Clans in den neu eroberten Territorien niederließen. Ähnliches gilt auch für später ankommende Kontingente. In al-Andalus hat es zahlreiche Spannungen gegeben: Auseinandersetzungen zwischen arabischen und berberischen Clans, Feindseligkeiten zwischen Stämmen der Jemeniten und Nordaraber (Qaisiten), die vom Zentrum des umayyadischen Kalifats bis in die Provinzen ausstrahlten, sowie Konflikte zwischen alt- und neueingesessenen Muslimen in al-Andalus besonders infolge der Präsenz arabischer Soldaten aus Syrien seit 741. Diese nutzte der aus Damaskus geflohene Umayyade ʿAbd ar-Raḥmān  I. (756–788) aus, um auf der Iberischen Halbinsel ein weitgehend eigenständiges Emirat zu etablieren, dessen Hauptstadt Córdoba wurde. Neben jemenitischen Gruppen unterstützten diese Machtübernahme auch etwa 500 syrische Klienten (ebenfalls Qaisiten), deren Nachfahren wichtige militärische und politische Ämter im Emirat (und später im Kalifat) bekleiden sollten. Berber waren im neuen Herrschaftsapparat zunächst nur in geringem Maße integriert. Da die Zahl der stationierten Garnisonen im Emirat nicht überall zahlenmäßig ausreichte, um die Autorität der neuen Umayyaden-Dynastie in al-Andalus durchzusetzen, und es wiederholt zu Revolten von Seiten verschiedener Berberstämme und Clans kam, waren einige Randgebiete nicht effektiv kontrollierbar und eine weitere Expansion unmöglich. Nach der Einnahme Barcelonas 801 durch König Ludwig den Frommen (781–840, Kaiser ab 813) veränderten sich die territorialen Grenzen von alAndalus drei Jahrhunderte lang nicht mehr wesentlich: zwei Drittel der Iberischen Halbinsel war muslimisch besetzt, während ein Drittel im Norden christlich blieb. Bei der Ausschaltung der rebellierenden Muslime im Norden von al-Andalus hatte sich der Emir auf Konvertiten aus christlichen Adelsfamilien gestützt. Infolge zahlreicher Konflikte zerfiel jedoch das Emirat seit den 870er Jahren in autonome Gebiete. Erst ʿAbd ar-Raḥmān III. (912–961) gelang es, die Umayyaden-Herrschaft wieder zu stärken, und im Jahr 929 proklamierte er sich zum Kalifen. Neben Arabern, Berbern und Konvertiten übernahmen nun auch zunehmend europäische Sklaven (saqāliba) wichtige militärische Ämter. Das Kalifat von Córdoba erreichte um 1000 seine politische Blütezeit und beherrschte zu jener Zeit neben der Iberischen Halbinsel auch den

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westlichen Maghreb, nachdem die Fatimiden von dort im Verlauf des 10.  Jahrhunderts verdrängt worden waren. Bei der Kontrolle des Mittelmeeres durch den Kalifen spielten andalusische Berber eine wichtige Rolle. 1016–1031 löste die Berberdynastie der Hammūdiden die Umayyaden als Zentralgewalt auf der Iberischen Halbinsel ab. Durch den Zerfall des Kalifats von Córdoba entstanden die Taifas (ṭaʾifa), berberische und arabische Kleinkönigreiche und Fürstentümer. Die seit Mitte des 11. Jahrhunderts einsetzende ,Reconquista‘ leitete dann eine neue Phase des Verhältnisses zwischen Christen und Muslimen ein, sodass unter ihrem Druck die Herrscher von Sevilla, Granada und Badajoz die Almoraviden aus dem westlichen Maghreb um Unterstützung baten. Auch wenn die Bevölkerungsmehrheit auf der Iberischen Halbinsel hispanischwestgotischer Herkunft war, scheinen spätestens mit der Etablierung des Emirats von Córdoba nicht nur einheimische christliche Eliten, sondern auch die breite Bevölkerung muslimische Lebensformen adaptiert zu haben. Das gilt sowohl für Konvertiten (muladies = muwalladūn) als auch für die am Christentum festhaltenden ,Mozaraber‘ (mustʿarib). Schätzungen, wonach um 900 noch drei Viertel der Bevölkerung christlich gewesen, während im 10.  Jahrhundert 50 Prozent, im 11.  Jahrhundert dann 80 Prozent der Christen in al-Andalus zum Islam konvertiert sein sollen (Bulliet 1979: 116), sind methodisch angreifbar. Bereits sehr früh lässt sich der ,Arabisierungsprozess‘ anhand von Münzfunden (ab 720 nur noch mit arabischen Inschriften) und verwaltungspolitischer Reformen greifen. Die anhaltende Bedeutung von Stammesstrukturen bei Arabern und Berbern in al-Andalus bis weit in das 11. Jahrhundert hinein spricht allerdings gegen die Behauptung, dass die muslimischen Siedler einfach in der lokalen Bevölkerung ‚aufgingen‘. Trotz Konversionen zum Islam lebte ein beachtlicher Teil der christlichen und jüdischen Bevölkerung als ḏimmī weiterhin unter der Autorität einheimischer Lokalgewalten. Ab der Mitte des 11.  Jahrhunderts waren der Maghreb und das muslimische Spanien mit den Folgen einer breiten Bewegung islamisierter Berber konfrontiert. Aus ihr sind zwei aufeinanderfolgende Dynastien hervorgegangen, die schließlich ein Reich ganz im Westen der islamischen Welt gründeten: die Almoraviden (al-Murābiṭūn: die ‚kämpfenden Mönche‘) und die Almohaden (al-Muwaḥḥidūn: die ‚Unitarier‘). Ihren Anfang nahm diese Bewegung von Berbern, welche den südlichen Abschnitt der Karawanenroute zwischen dem Mittelmeer, den Salzminen von Taġāza (im heutigen Süd-Algerien) und den Goldminen von Ghana kontrollierten. Ausgerichtet an der strengen Regel des Mystikers ʿAbd Allāh b. Yāsīn al-Ǧazūlī, bemühten sich diese Berber, ihren bis dahin oberflächlich und inkonsistent praktizierten islamischen Glauben zu vertiefen, wobei sie ihm angesichts ihrer strikten, kargen Lebensweise eine starke kriegerische Prägung verliehen. Bereits 1053 zeigte sich das große Potential der almoravidischen Bewegung, als sie das wichtige Karawanenzentrum von Siǧilmāsa eroberten. Im Jahr 1061 übernahm Yūsuf b. Tāšufīn die Leitung der Gemeinschaft. Er machte die Bewegung schlagkräftig für den Kampf, wählte Marrakesch zur Hauptstadt und nahm den Titel Amīr al-muslimīn (‚Emir der Muslime‘)

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an. An ihn richtete sich auch eine Gesandtschaft aus Vertretern der andalusischen Führungsschicht, um in Spanien gegen die Expansion christlicher Herrschaften im Norden vorzugehen. Nach dem Sieg über die Christen bei Badajoz besetzten die Almoraviden Granada (1090) und Sevilla (1091). Auch unter den vier Nachfolgern von Yūsuf b. Tāšufīn (gest. 1106) erstreckte sich das Reich weiterhin über zwei Kontinente hinweg. Ihr Rigorismus fand allerdings keinen großen Anklang innerhalb der differenzierten multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft in al-Andalus, was auf lange Sicht zu einer tiefen Krise führte, die weiter verstärkt wurde sowohl durch den militärischen Druck seitens der christlichen Königreiche als auch durch eine neue religiös-politische Bewegung, die vom Maghreb ausging: die Almohaden. Ihr Gründer, Muḥammad b. ʿAbd Allāh Ibn Tūmart, war ein entschiedener Verfechter der göttlichen Einheitsidee (tawḥīd), weshalb seine Anhänger ‚Unitarier‘ (al-Muwaḥḥidūn) genannt wurden. Sich selbst hatte er zum Mahdī (‚Messias‘) ausgerufen und verfolgte das Ziel einer Reformbewegung und Erneuerung der Orthodoxie, die aus seiner Sicht vom Almoraviden-Regime diskreditiert worden war. Um 1123 rief der Mahdī den ‚heiligen Krieg‘ gegen die Almoraviden aus. Nach Ibn Tūmarts Tod (1130) gelang seinem Schüler und Nachfolger ʿAbd al-Muʾmin die Einnahme von Marrakesch (1147). Gegen jeglichen Dissens hart vorgehend, um die Almohaden vor möglichen doktrinären Abweichungen zu bewahren, gelang es ʿAbd al-Muʾmin, weite Gebiete Algeriens, Tunesiens, Tripolitaniens und auch Andalusiens unter seine Kontrolle zu bringen. Als ihm 1163 Abū Yaʿqūb Yūsuf nachfolgte, dehnte sich das almohadische Reich vom Golf von Syrte bis zum Tajo und von Mauretanien bis zur Sahara-Wüste aus. Innerhalb dieses weitläufigen Herrschaftsraumes verfolgten die almohadischen Stämme eine rigorose, den Almoraviden nicht unähnliche Politik: Sie war durch Feindseligkeiten gegenüber ,abweichlerischen‘ andalusischen Gewohnheiten gekennzeichnet, hatte ausgeprägt antijüdische Züge (bis hin zur Vertreibung der blühenden jüdischen Gemeinden im Maghreb, die dann in Sizilien und anderen Regionen der muslimischen Welt Zuflucht suchen mussten) und hegte ein profundes Misstrauen gegen das Christentum. Nach einer Zeit wirtschaftlicher, politischer und kultureller Blüte mündeten die zunehmende Vernachlässigung von Ibn Tūmarts Doktrin und die instabilen tribalistischen Strukturen der almohadischen Bewegung in eine tiefe Krise, die durch einen unkontrollierbaren Zustrom von Zanāta-Berbern in die fruchtbaren Ebenen des Maghreb noch verstärkt wurde. Geschickt nutzten die christlichen Herrscher Spaniens diese Krise aus: Alfons  VIII. von Kastilien (König 1158–1214) besiegte die Almohaden nahe Las Navas de Tolosa (Juli 1212); Córdoba ging 1236 verloren und Sevilla 1248. Das Ende der Almohaden-Herrschaft hatte aber weniger externe Gründe, sondern hing vielmehr mit dem Aufstieg einer neuen BerberDynastie im Maghreb zusammen: den Meriniden. Im Jahr 1275 eroberten sie Tinmal, die Keimzelle der Almohaden, und versetzten damit dem größten Reich, das jemals von autochthonen Populationen Nordafrikas geschaffen wurde, den Todesstoß. Die Meriniden blieben circa zwei Jahrhunderte an der Macht, bis sie abgelöst wurden von den Saadiern, einer großen Dynastie arabischen Ursprungs, die nach der Eroberung

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von Timbuktu im Jahr 1591 alle wichtigen transsaharischen Handelsrouten kontrollierten. Gegenüber der Seeroute zum Golf von Guinea und vor allem derjenigen nach Indien hatten diese Routen damals aber schon weitgehend an Bedeutung eingebüßt; durch die portugiesischen und spanischen Schiffe waren die Karawanen des Maghreb in ihrer Bedeutung ein für alle Mal verdrängt worden.

4 Fraxinetum (La Garde-Freinet) Die muslimische Kolonie von Fraxinetum (Ǧabal al-Qilāl) in der südlichen Provence (Burgund, Frankreich) scheint aus einer ,privaten‘ Initiative der späten 880er Jahre hervorgegangen zu sein und wurde um 972 wieder zerstört. Erste Siedler waren muslimische ‚Piraten‘, die sich hier aus al-Andalus kommend niederließen. Oft mit lokalen Mächten kooperierend und nach den 940er Jahren dem andalusischen UmayyadenKalifen unterstellt, unternahmen die Bewohner von Fraxinetum weiträumige Plünderungszüge. Unter Bezug vor allem auf Ibn Ḥawqal (920–988) ist heute die Auffassung verbreitet, dass Fraxinetum weniger ein Piratenstützpunkt, sondern vielmehr ein Zentrum für Handel und Landwirtschaft war.

5 Italien (Festland und Sizilien) Die Eroberung Siziliens wurde ab 827 unter der Führung des angesehenen Rechtsexperten Asād b. al-Furāt im Auftrag des aghlabidischen Emirs von Kairouan eingeleitet. Seitdem stand die Mittelmeerinsel in stetigem personellen, politischen und kulturellem Austausch mit Ifrīqiya. Hinter der vom Emir getroffenen Entscheidung, Sizilien zu kolonisieren, standen nicht nur ökonomische Interessen (z.  B. Sklavenhandel), sondern auch Versuche, renitente und zunehmend rebellierende lokale Kräfte aus Ifrīqiya in eine andere Richtung zu kanalisieren. Die muslimische Durchdringung Siziliens war weniger ein Ergebnis zentral gelenkter Eroberungen als ein circa drei Generationen andauernder, von Unterbrechungen gekennzeichneter Prozess. Nicht alle Regionen wurden gleichmäßig erfasst, und auch bei der Besiedlung von Stadt und Land gab es signifikante Unterschiede (Metcalfe 2003: 12). Muslimische Siedler kamen sukzessive als Söldner arabischer wie berberischer Abstammung im Zuge militärischer Vorstöße auf die Insel. Genaue Zahlenangaben sind hier nicht möglich. Auch die Frage, in welchem Umfang und in welchen Perioden Familienangehörige und andere Zivilisten nach Sizilien übersiedelten, lässt sich nicht beantworten. Es wird davon ausgegangen, dass bis zur normannischen Eroberung ein großer Teil der Bevölkerung Siziliens muslimisch war, Schätzungen zufolge circa 250.000 (Lomax 1996: 177).

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Trotz der insgesamt zunehmenden ,Arabisierung‘ und nicht genau bezifferbaren Konversionen zum Islam, sind Grad und Dauer des kulturellen, religiösen und sprachlichen Wandels ungewiss. Während der muslimischen Eroberungen flüchtete sicherlich ein Teil der Inselbewohner auf das Festland, aber abgesehen von einzelnen, in den Quellen erwähnten Personen bleibt unklar, ob auch der Großteil der Bevölkerung folgte. Ferner ist es eine offene Frage, ob die Mehrheit der verbliebenen lokalen Bevölkerung zum Islam konvertierte. Gegen Ende des 10.  Jahrhunderts scheint das Arabische in den muslimisch dominierten Territorien der Insel die einheimischen Sprachen – Griechisch, italo-griechische Dialekte und Latein – verdrängt zu haben. Siziliens Gouverneure scheinen überwiegend arabischer Abstammung gewesen zu sein, wobei die Einflussnahme der Aghlabiden und dann der Fatimiden unterschiedlich intensiv war. Ab 947 bis zur normannischen Eroberung regierten Mitglieder des arabischen Clans der Kalbī die Insel. Der stets latent vorhandene Gegensatz zwischen Arabern und Berbern, die sich in Sizilien jeweils in relativ geschlossenen Siedlungsräumen niedergelassen hatten, führte zu großen, bisweilen auch bewaffnet ausgetragenen Konflikten (besonders 886/887 und 898/899). Daneben gab auch der aghlabidisch-fatimidische Herrscherwechsel in Ifrīqiya Anlass zu innermuslimischen Auseinandersetzungen, und selbst nach 130 Jahren muslimischer Herrschaft war der christliche Widerstand an einigen wichtigen Stützpunkten im (Nord-)Osten noch immer nicht gebrochen. Im späten 11.  Jahrhundert endete mit den normannischen Eroberungen die muslimische Dominanz in Sizilien. Seit den 830er Jahren wurde Sizilien zum Ausgangsterritorium für weitere militärische Aktivitäten auf dem italienischen Festland, die in vielen Fällen mit Unterstützung christlicher Territorialherren und durch Truppennachschub aus Ifrīqiya erfolgten. Nur in Bari gelang berberischen (und später wohl arabischen) Militärführern von 847 bis 871 (ab circa 863 als Emirat) eine weitgehend eigenständige muslimische Herrschaftsbildung. Taranto und Amantea waren höchstwahrscheinlich keine Emirate. Während der gesamten Periode muslimischer Herrschaft in Sizilien kam es auf der Apenninenhalbinsel, vor allem in den südlichen Regionen, immer wieder zur Errichtung von militärischen Stützpunkten unterschiedlicher Dauer. Mit der Etablierung der normannischen Herrschaft verschwanden während des 11.  Jahrhunderts auch die letzten muslimischen Niederlassungen auf dem Festland. Ähnlich wie in Sizilien hatte die über zwei Jahrhunderte andauernde muslimische Präsenz zu vielfältigen transkulturellen Verflechtungen auf der Grundlage von Handelskontakten, Gesandtschaften, Bündnissen, Konversionen, Heiratsverbindungen oder Diensten muslimischer Sklaven für Christen geführt; allerdings sind diese auf dem Festland nur selten und punktuell bezeugt. Trotz Zuwanderungen aus dem Maghreb, die besonders durch Hungersnöte ausgelöst worden waren, ging die Zahl der muslimischen Bevölkerung auf Sizilien seit dem späten 11. Jahrhundert bis Anfang des 13. Jahrhunderts durch Flucht nach Nordafrika und Andalusien, Konversionen zum Christentum und infolge gewaltsamer Auseinandersetzungen um ungefähr 90 % zurück (Abulafia 1990: 103 f., 108 f.). Eine

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anhaltende Präsenz von Berbern während der Normannenzeit ist durch Namenlisten bezeugt. Dass jedoch, wie Ibn Ḥawqal schreibt, ein Großteil der sizilischen Bevölkerung aus Berbern (Barqağāna) bestand, lässt sich durch andere Quellen jener Zeit nicht belegen (Metcalfe 2003: 63). Muslime spielten nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch durch ihre militärischen Dienste und am Hof der christlichen Könige von Sizilien weiterhin eine wichtige Rolle. Wegen massiver Unruhen begann jedoch Kaiser Friedrich  II. (1220–1250) ab den 1220er Jahren, die auf Sizilien verbliebenen Muslime in verschiedene Orte Apuliens und Kalabriens, vor allem aber in weitgehend verlassene Gebiete bei Lucera (Nord-Apulien, Capitanata), umzusiedeln. Allein die Zahl der nach Lucera Zwangsmigrierten wird auf etwa 15.000–20.000 geschätzt (Egidi 1911: 624). Ob tatsächlich viele von ihnen zum Christentum konvertierten (so Lomax 1996: 186 f.), ist jedoch fraglich. Die Kolonie in und um Lucera wurde circa 1300 aufgelöst. Obwohl ein Großteil als Sklaven verkauft wurde, blieben einige Muslime und ihre Nachkommen auch nach 1300 weiter in Süditalien. Sizilische Juden benutzten noch bis ins 15. Jahrhundert hinein Arabisch als Alltagssprache.

6 Mittelmeerinseln Einer der erstaunlichsten Aspekte der frühen muslimischen Eroberungen ist, wie rasch die Flotten unter muslimischer Kontrolle zu einer Herausforderung für die Seemacht des byzantinischen Reiches geworden waren. Erstes Ziel des syrischen Gouverneurs Muʿ Gāwiya war Zypern. In seinem Auftrag griff 649 eine Kriegsflotte die Insel an; 650 und 654 war sie erneuten militärischen Bedrängungen ausgesetzt. Bezeugt ist diese Ereignischronologie durch eine wichtige, bei späteren Überfällen jedoch zerstörte griechische Inschrift in Soli (Cameron 1992: 32). Ebenso hätten ihr zufolge die Muslime 170.000 Zyprioten gefangen genommen, während die restliche Bevölkerung gezwungen worden sei, zusätzlich zu den bereits von Byzanz eingeforderten Summen einen jährlichen Tribut zu zahlen. Nach Zypern, das bis zur byzantinischen Rückeroberung (965) eine besondere Stellung zwischen der muslimischen und christlichen Welt besaß, eroberte Muʿāwiyah Rhodos (653) und plünderte Kreta (674), das aber erst 827/828 von den Muslimen eingenommen und 961 von Byzanz zurückerobert werden sollte. Seit dem Beginn des 8. Jahrhunderts waren auch Sardinien und Korsika mehrfach von muslimischen Plünderungen betroffen; vollends erobert wurden die beiden Inseln jedoch nicht.

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Matthias Maser

Reconquista 1 Einleitung Im Jahr 711 drangen muslimische Truppen von Nordafrika aus auf die Iberische Halbinsel vor. Binnen weniger Jahre eroberten sie das westgotische Königreich von Toledo und machten es unter dem Namen al-Andalus zu einer Provinz des islamischen Kalifatstaats. Der christliche Herrschaftsraum wurde durch die Invasion auf kleine Restgebiete im Nordwesten der Iberischen Halbinsel zurückgedrängt, und nur in sehr kleinen Schritten sollte seine gewaltsame Wiederausweitung gelingen. Es dauerte fast acht Jahrhunderte, bis 1492 mit Granada das letzte souveräne muslimische Herrschaftsgebiet auf iberischem Boden wieder in christliche Hände fiel. Westliche historische Narrative beschreiben diese sich über Jahrhunderte hinziehende christliche Expansion oft als einen vermeintlich kontinuierlichen Prozess der territorialen ‚Rückeroberung‘ sowie der spirituellen Läuterung und der (Wieder)-Geburt einer spanischen Nation (Tolan 2002). Diese in höchstem Grade ideologisierte Sichtweise stilisiert die ‚Reconquista‘ zum wichtigsten und wesenhaft prägenden Geschehen des Iberischen Mittelalters (Jaspert 2011); sogar im wissenschaftlichen Sprachgebrauch dient der Begriff der ‚Reconquista‘ regelmäßig zur Bezeichnung einer ganzen Epoche. Diese Gleichsetzung von ‚Reconquista‘ und ‚Mittelalter‘ ist freilich höchst problematisch, erlebte die Iberische Halbinsel doch während dieser Zeit eine Vielzahl von Migrationen, Siedlungsströmen und kulturellen Verflechtungsprozessen, die deutlich komplexer und vielschichtiger verliefen, als dies die parteiische Meistererzählung einer einseitigen und scheinbar nur in eine Richtung verlaufenden ‚christlichen Rückeroberung‘ suggeriert.

2 Al-Andalus: Von der Eroberung bis ins 11. Jahrhundert Zwar wird die Invasion von 711 üblicherweise als ‚arabische‘ oder ‚muslimische Eroberung‘ Spaniens bezeichnet, tatsächlich ist diese ethnisch-religiöse Charakterisierung aber für die Truppen, die das westgotische Königtum im ersten Ansturm zu Fall brachten, unzutreffend. Die Soldaten des ersten Expeditionscorps, das im Juli 711 König Roderich in der Schlacht am Rio Guadalete entscheidend schlug, waren vornehmlich nordafrikanische Berber. Erst im folgenden Jahr setzte eine aus genuin arabisch-stämmigen Kämpfern bestehende Armee über die Straße von Gibraltar und

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eroberte sukzessive die wichtigsten städtischen Zentren im südlichen Andalusien. Die ethnisch heterogenen Eroberungsheere von 711/712 bildeten auch in kultureller Hinsicht keine Einheit. Während die arabischen Truppen aus dem Orient vermutlich bereits weitgehend islamisiert waren, dürften die nordafrikanischen Berber (Manzano Moreno 1990), die ja erst kurz zuvor in Kontakt mit der neuen Religion des Islam gekommen waren, noch kaum mehr als dem Namen nach Muslime gewesen sein. Zudem unterschied sich ihr Lebensstil nicht nur von dem der romanisch-westgotischen Einheimischen, sondern auch von jenem der arabisch-stämmigen Immigranten. Während sich letztere üblicherweise in den städtischen Zentren ansiedelten und hier rasch ‚kommunale‘ Organisations- und Herrschaftsformen entwickelten, bewahrten die Berber eher tribale Strukturen und bevorzugten Siedlungsplätze auf dem Land. Bis ins 11. Jahrhundert blieb dieses Grundmuster einer ethnisch getrennten Siedlungsverteilung im Andalus im Kern bestehen. Daran änderten auch weitere Einwanderungswellen nichts (Fajri al-Wasif 1990), die insbesondere während der umayyadischen Epoche (756–1031) gezielt gefördert wurden. So begann etwa der aufstrebende Hof von Córdoba unter ʿAbd ar-Raḥmān II. (822–852), Händler, Gelehrte und Künstler aus dem Osten anzuziehen, deren stetig wachsende Zahl bald zu einer zunehmenden ‚Orientalisierung‘ des öffentlichen Lebens und der höfischen Hochkultur in al-Analdus führte (Kennedy 2008: 44–46). Auch militärische Erfordernisse bedingten einen kontinuierlichen (wenn auch im Einzelfall oftmals unfreiwilligen) Zustrom von Fremden in das südliche Spanien. Im Laufe des 9. Jahrhunderts stiegen die sogenannten saqāliba (arab. für ‚S[k]laven‘ – der Begriff kennzeichnet im Gegensatz zu dunkelhäutigen Sklaven solche mit heller Hautfarbe und europäischer Herkunft) zur Kerntruppe des umayyadischen Heeres auf. Über 14.000 saqāliba sollen unter ‘Abd ar-Raḥmān III. (912–961) gedient haben. Die meisten dieser ‚S[k]laven‘ kamen als Kriegsgefangene nach al-Andalus, andere aber waren bereits als Kinder an den Cordobeser Hof verkauft worden, wo sie oftmals eine gründliche Erziehung erhielten und später verantwortungsvolle Positionen bekleideten (Meouak 2004). Ebenfalls aus militärischen Erwägungen wurde nochmals Ende des 10. Jahrhunderts eine weitere Zuwanderung, dieses Mal von nordafrikanischen Berbersoldaten, forciert. Insgesamt bleibt das quantitative Ausmaß arabischer und nordafrikanischer Immigration auf die Iberische Halbinsel während der islamischen Epoche jedoch unklar; anthropologische und genetische Untersuchungen scheinen inzwischen ältere Thesen von einer Massenzuwanderung wieder zu relativieren (Casas u. a. 2006; McMillen / Boone 1999). Wie reagierte die einheimische Bevölkerung auf die Invasion von 711? Während die Eroberung für die ehemaligen westgotischen Eliten unmittelbare und oft dramatische Auswirkungen zeitigte, dürften für den Großteil der Bevölkerung die Folgen des Herrschaftswechsels über Generationen hinweg kaum im Alltag spürbar gewesen sein (Maser 2011). Die Eroberer, die sich zahlenmäßig gegenüber der autochthonen Bevölkerung für lange Zeit eindeutig in der Minderheit befanden, behielten auf lokaler Ebene viele administrative Strukturen und Institutionen aus westgotischer

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Zeit bei und beließen den ortsansässigen Gemeinden eine gewisse rechtliche Eigenständigkeit. Zudem verzichteten sie auf jede Form der aktiven Missionierung oder gar Zwangsbekehrung zum Islam. Die einheimische Bevölkerung im Andalus akzeptierte daher die muslimische Herrschaft im Allgemeinen als rechtmäßig. Gleichzeitig jedoch wurde sie durch verschiedene Formen der sozialen und kulturellen Diskriminierung auf untergeordnete soziale Rangstufen am Rande der islamischen Gesellschaft verwiesen. Es lassen sich drei verschiedene Strategien der Reaktion auf diese Ausgrenzung bestimmen: Während ein Teil der Bevölkerung in christlich beherrschtes Gebiet auswanderte (Riché 1992), verblieb die Mehrheit in al-Andalus und durchlief hier verschiedene Formen der Akkulturation und Assimilierung: So konvertierten etwa die sogenannten ‚Muwalladūn‘ zum Islam und übernahmen binnen weniger Generationen fast vollständig Sprache und Lebensweise der neuen Machthaber (zu einem prominenten Beispiel: Lorenzo Jiménez 2010); die sogenannten ‚Mozaraber‘ wiederum glichen sich zwar ebenfalls graduell an die Alltagskultur der arabisch-orientalischen Eliten an, hielten jedoch an ihrem christlichen Glauben fest und nahmen dadurch rechtliche und soziale Beschränkungen auf sich (Hitchcock 2008; Aillet 2010). Die vergleichsweise sehr dünne Überlieferung bietet nur schlaglichtartige Einblicke in die Prozesse der Islamisierung und Arabisierung der autochthonen Einwohner im Andalus. Insgesamt scheint das Arabische erst um die Mitte des 10. Jahrhunderts den romanischen Volksdialekt als vorherrschende Alltagssprache im öffentlichen Raum abgelöst zu haben (Wasserstein 1998; Aillet 2011: 133–241); und etwa zur selben Zeit dürfte auch die Islamisierungsquote im Andalus die Fünfzigprozentmarke übersprungen haben (Glick 2005: 21–24).

3 Die christliche Antwort: ‚Reconquista‘ und ‚Repoblación‘ (8. bis 11. Jahrhundert) Auch wenn nationalistische Mythenbildungen den Auftakt der christlichen ‚Rückeroberung‘ bereits 718/722 in der legendären Schlacht von Covadonga sehen wollen, so war doch erst König Alfons I. von Asturien (739–757) um 750 in der Lage, die Muslime endgültig aus Galicien zu vertreiben. Von hier aus führte Alfons Feldzüge bis an den Ebro und in das obere Duero-Tal. Zu diesem frühen Zeitpunkt aber verfügte die asturische Monarchie noch nicht über die erforderlichen Mittel und Menschen, um die eroberten Gebiete tatsächlich dauerhaft zu sichern. Alfons und seine unmittelbaren Nachfolger wandten daher eine Taktik der verbrannten Erde an, die – wohl als ungeplante Folge – eine strategisch wichtige Pufferzone zwischen dem asturisch-galicischen Reich und dem muslimischen Andalus entstehen ließ. Erst eineinhalb Jahrhunderte später war König Alfons III. (866–910) in der Lage, das politisch-militärische Vakuum in diesem ‚Niemandsland‘ zu füllen und die Duero-Linie dauerhaft zu halten. Auch in Navarra, Aragón und Katalonien setzte die ‚Reconquista‘

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bereits im 8. Jahrhundert ein, wurde hier aber zunächst vor allem von den Franken getragen, die 785 Girona erobert und nachfolgend die sogenannte Spanische Mark als Grenzprovinz des Karolingerreichs errichtet hatten. Fränkischer Einfluss blieb in dieser Region auch noch stark, nachdem lokale Machthaber sich aus der direkten politischen Abhängigkeit von den Karolingern hatten befreien und eigenständige Herrschaftsgebilde hatten aufbauen können. Insgesamt schritt die ‚Reconquista‘ im Iberischen Nordosten relativ langsam voran und erreichte erst in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts das untere Ebro-Tal Bis heute ist in der Forschung umstritten, inwieweit die militärische Expansion bereits in der Frühzeit von einer systematischen christlichen ‚Wiederbesiedlung‘ (der sogenannten ‚Repoblación‘) flankiert wurde. Sowohl Textquellen als auch archäologische Befunde belegen durchaus die Einwanderung von Neusiedlern in die ‚rückeroberten‘ Gebiete. Während dieser Zustrom in Galicien bereits um die Mitte des 8. Jahrhunderts einsetzte, fehlen etwa für Kastilien vor 800 jegliche Anzeichen einer ‚Repoblación‘. In beiden Regionen wurde die Rekolonisierung vornehmlich von lokalen Grundherren angestoßen; eine gezielte Siedlungspolitik des Königtums begegnet hingegen erstmals in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts in der Region um León. Namenkundliche Befunde verweisen auf die Hauptherkunftsgebiete der Zuwanderer: In den westlichen und den zentralen Regionen der nördlichen Iberischen Halbinsel stammten viele Siedler aus Galicien und den kantabrischen Bergen; ebenso finden sich Hinweise auf baskische Zuwanderung. Arabische Ortsnamen wiederum deuten entweder auf die Präsenz von ‚mozarabischen‘ Immigranten aus dem Andalus oder auf eine während der kurzen Phase muslimischer Herrschaft arabisierte autochthone Bevölkerung hin (Mediano 1994; Molénat 2004: 16–19). Im Nordosten der Iberischen Halbinsel hingegen dominierten (z. T. arabisierte) westgotische und fränkische Bevölkerungsgruppen unter den frühen Neusiedlern. Insgesamt freilich spielten hier Migration und ‚Wiederbesiedelung‘ eine weit geringere Rolle für die demographische Entwicklung der Region als etwa in den weiter westlich gelegenen Gebieten des Iberischen Nordens.

4 ‚Internationalisierung‘: Neue Akteure von Außen (11. bis 13. Jahrhundert) Im 11.  Jahrhundert profitierte die christliche Expansion von einer tiefen Krise des muslimischen Andalus. 1031 gipfelten Jahrzehnte des Bürgerkrieges im Zerfall des umayyadischen Kalifats in über vierzig autonome Kleinkönigtümer. Diese sogenannten ‚Taifen‘-Reiche aber waren nicht in der Lage, den vorrückenden christlichen Truppen wirksamen Widerstand zu leisten, sodass diese 1064 Coimbra und 1085 Toledo erobern konnten. Binnen weniger Jahre wurde damit die Grenze des christlichen Herrschaftsgebietes in West- und Zentralspanien von der Ebro-Linie bis an

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den Tajo vorgeschoben. Da sich die meisten der früheren muslimischen Bewohner vor den anrückenden Feinden zurückzogen, sahen sich die christlichen Eroberer mit der drängenden Aufgabe konfrontiert, das evakuierte Gebiet möglichst rasch wiederzubesiedeln. König Alfons VI. von Kastilien-León (1065/1072–1109) rekrutierte zu diesem Zweck mittels großzügiger Privilegienverleihungen Zuwanderer aus dem Norden seines Reichs. Letztlich aber konnte der übergroße Bedarf an Siedlern nicht mehr allein aus den im Reich selbst vorhandenen Ressourcen gedeckt werden. Ab dem ausgehenden 11. bis ins 13. Jahrhundert versuchten daher iberische Monarchen und Feudalherren, in großem Stil Immigranten aus dem Ausland anzuwerben – durchaus mit Erfolg: Während sich etwa die Städte entlang des Jakobsweges (z. B. Estella) insbesondere für Händler und Handwerker als attraktiv erwiesen, eröffneten wiederum die Siedlungen entlang der kastilisch-leonesischen Reconquista-Grenze (z. B. Toledo) solchen Neusiedlern Chancen, die ihren Lebensunterhalt vornehmlich mit militärischen Dienstleistungen verdienten (González Jiménez 1989: 53–58). Eine dritte Gruppe unter den ausländischen Immigranten bildeten schließlich die zahlreichen Kleriker, die bei der Wiedererrichtung kirchlicher Strukturen in den ‚rückeroberten‘, ehemals muslimischen Territorien gebraucht wurden. In Aragón und Katalonien wiederum war das Ebro-Tal Zentrum der Ansiedlung von Ausländern: Hier, wie später auch in Valencia, mussten die Neuankömmlinge sich mit einer zahlenmäßig noch immer starken muslimischen Bevölkerung, den sogenannten ‚Mudéjaren‘ (Laliena Corbera 2002; Catlos 2004), arrangieren. Auch wenn nicht alle fremden Zuwanderer in diesen Regionen tatsächlich aus Frankreich stammten, wurden sie doch pauschal als ‚Francos‘ bezeichnet (Martínez Sopena 2004). Vor allem in navarresischen und kastilischen Städten überstieg die Zahl dieser besonders privilegierten ‚Franco‘Siedler oftmals jene der einheimischen Bewohner, ein Missverhältnis, das zu ständigen Spannungen zwischen den rivalisierenden Gemeinschaften führte. Während die ‚Francos‘ zumeist von der Aussicht auf dauerhaften Besitz in den ‚rückeroberten‘ Gebieten auf die Iberische Halbinsel gelockt worden waren, folgte eine weitere Gruppe christlicher Ausländer, die im Laufe des Hochmittelalters nach Spanien zogen, eher religiösen Motiven. Ab dem ausgehenden 11.  Jahrhundert (zum Beispiel Bobastro 1064) gelangten ‚Kreuzfahrer‘ aus allen Teilen Europas auf die Iberische Halbinsel, um hier den ‚heiligen Krieg‘ gegen die Muslime in al-Andalus zu führen (so zum Beispiel im Zuge der großen internationalen Kreuzzugskampagnen von Lissabon 1147 oder Las Navas de Tolosa 1212). Die meisten von ihnen kehrten aber nach der Erfüllung ihrer Gelübde wieder in ihre Heimatländer zurück, sodass die Kreuzzüge insgesamt nur eine untergeordnete Rolle in der Migrations- und Siedlungsgeschichte der mittelalterlichen Iberischen Halbinsel spielten. Einzelne Ausnahmen freilich lassen sich benennen, wie etwa die anglo-normannische Kreuzfahrergemeinde von Tortosa ab 1149 (Villegas-Aristizabal 2007: 206–217) oder die genuesische Kolonie in Almería zwischen 1147 und 1157. Auch im muslimisch beherrschten Süden der Halbinsel betraten im ausgehenden 11.  Jahrhundert neue Protagonisten von außerhalb die iberische Bühne. Nach dem

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Fall Toledos reagierte 1086 die maghrebinische Berberdynastie der Almoraviden auf Hilferufe aus dem Andalus und schickte Truppen, die den christlichen Vormarsch für mehr als drei Jahrzehnte wirkungsvoll zum Stehen brachten. Die Almoraviden setzten die verbliebenen ‚Taifen‘-Könige ab und gliederten al-Andalus als abhängige Provinz ihrem nordafrikanischen Großreich ein (Kennedy 2008: 154–188). Zugleich verschafften sie einer sehr strengen Auslegung des Islam Geltung, die zwar zum einen geeignet war, den Dschihad gegen die christlichen ‚Ungläubigen‘ zu mobilisieren, die aber im Gegenzug zu einer tiefen Entfremdung zwischen ihnen und den einheimischen andalusischen Muslimen führte. Es dauerte daher nicht lange, bis die almoravidische Herrschaft auf iberischem Boden ihren Rückhalt verlor und zusammenbrach. Bereits 1118 gelang es Alfons I. von Aragón (1104–1134) Saragossa zu erobern; 1125/1126 schließlich führte er einen spektakulären Feldzug bis nach Granada, von wo er angeblich mehr als 10.000 ‚Mozaraber‘ evakuierte, die im Ebroraum angesiedelt wurden (Deimann 2012: 123–154). Als Reaktion auf diesen Vorstoß stellten die Almoraviden nun alle in ihrem Herrschaftsgebiet verbliebenen Christen unter Generalverdacht und deportierten sie in den Maghreb, wo sie schließlich 1159 anti-christlichen Pogromen der rigoristischen Sekte der Almohaden zum Opfer fielen (Molénat 1997). In den 1140er Jahren schwächten lokale Aufstände die almoravidische Herrschaft im Andalus weiter, sodass die ‚Reconquista‘ insbesondere in Portugal und Katalonien bedeutende Fortschritte verzeichnen konnte (1147 Lissabon, 1149 Tortosa). Unter der muslimischen Bevölkerung löste dieser Vormarsch der Christen Massenauswanderungen aus den ‚rückeroberten‘ Gebieten aus. Insbesondere die Bildungs- und Funktionseliten der muslimischen Gesellschaft verließen Spanien in großer Zahl und wanderten nach Nordafrika oder in den Orient ab (Akasoy 2011: 336–340). Unter anderem deshalb intervenierten ab 1147 die maghrebinischen Almohadenkalifen militärisch in al-Andalus, erst 1172 aber sollte es ihnen gelingen, das von Kriegen und inneren Konflikten zerrissene islamische Spanien unter ihrer Herrschaft wieder zu einen (Kennedy 2008: 196–272). In großer Zahl stationierten die Almohaden in Nordafrika ausgehobene berberische und arabische Truppen als Garnisonen im (östlichen) Andalus. Diese Strategie der Rekrutierung ausländischer Soldaten für den iberischen Kriegsschauplatz ermöglichte den Almohaden 1195 bei Alarcos einen letzten großen Schlachtensieg über die Kastilier. Dieser Sieg konnte aber das weitere Vorrücken der christlichen ‚Reconquista‘ nurmehr verzögern, aufhalten konnte er es nicht mehr. Bereits 1212 brach der christliche Triumph im ‚Kreuzzug‘ von Las Navas de Tolosa endgültig die almohadische Militärmacht in al-Andalus; die Eroberungen von Córdoba 1236 beziehungsweise von Sevilla 1248 markierten schließlich die Meilensteine der nun rasch voranschreitenden christlichen Expansion, die bis 1264 den muslimischen Herrschaftsbereich auf der Iberischen Halbinsel bis auf das nasridische Emirat von Granada zurückdrängte.

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5 Die Verteilung der ‚Beute‘ (13. bis 15. Jahrhundert) Nach der Einnahme von Sevilla kontrollierten die christlichen Eroberer die städtischen Zentren Andalusiens. Das agrarisch geprägte Hinterland hingegen war weiterhin vornehmlich von muslimischen Bauern besiedelt. Die Spannungen zwischen diesen und den christlichen Zuwanderern eskalierten 1264 in einem ‚Aufstand‘ der muslimischen ‚Mudéjaren‘, den König Alfons X. von Kastilien-León (1252–1282) brutal niederschlagen ließ. Alfons verfügte die Vertreibung der Rebellen aus verschiedenen strategisch bedeutsamen Städten und Regionen und löste damit erneut eine Massenauswanderung andalusischer Muslime aus der Guadalquivir-Region sowie aus dem Gebiet von Murcia nach Granada oder nach Nordafrika aus. Das nun entvölkerte Land wurde in Parzellen aufgeteilt, und diese an christliche Neusiedler ausgegeben, die vor allem aus Kastilien angeworben wurden (González Jiménez 1989 und 2007). Da es aber letztlich nicht gelang, Siedler in ausreichender Zahl zu gewinnen, fielen große Flächen an Ackerboden brach oder wurden nur noch extensiv als Weideland bewirtschaftet: Auf lange Sicht führte dies vielerorts zur Ausbildung großer feudaler Besitzkomplexe, wie sie typisch für das südliche Spanien werden sollten. Dieser Prozess des Umbaus von Grundbesitz- und Siedlungsstrukturen im ehemaligen Andalus fand erst im 16. Jahrhundert seinen Abschluss (Malpica Cuello 2004). Parallel dazu entwickelten sich viele Städte Nord- und Zentralspaniens, insbesondere im kastilischen Reichsgebiet, während des Spätmittelalters zu Zielen der Zuwanderung von Handwerkern und Kaufleuten aus ganz Europa (Diago Hernando 2002). Die militärische ‚Reconquista‘ endete mit dem Fall von Granada: Erst 1492 gelang es den ‚Katholischen Königen‘ Ferdinand und Isabella von Kastilien-León (1469– 1504/16), das nasridische Emirat zu unterwerfen und so die letzte souveräne muslimische Herrschaft von iberischem Boden zu tilgen. Frühere Versuche, den schon seit langem tributpflichtigen Kleinstaat zu erobern, waren regelmäßig gescheitert. Bis 1340 hatte Granada auf die starke militärische Unterstützung durch die nordafrikanischen Meriniden bauen dürfen, und später waren es innerchristliche Streitigkeiten und Konkurrenzen gewesen, die die Nasridenherrscher von Granada vor einer Eroberung ihres Reichs bewahrt hatten. Als schließlich im Januar 1492 doch christliche Truppen in Granada einmarschierten, wurden den muslimischen Einwohnern Bleiberechte und Königsschutz zugesagt; dennoch entschied sich die Mehrheit – wohl annähernd 200.000 Menschen – zur Emigration nach Nordafrika oder in das Osmanische Reich.

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Matthias Hardt

Slawen

1 Einleitung Migration und Ausdehnung der frühen Slawen in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa im frühen und hohen Mittelalter können nur durch die gemeinsame Analyse von schriftlichen, archäologischen und sprachwissenschaftlichen Quellen analysiert werden, die jedoch auf jeweils eigene Weise kritisch betrachtet und frei von nationalen Vorurteilen interpretiert werden müssen. Im Folgenden sollen zunächst die Berichte antiker und frühmittelalterlicher Autoren über die slawische Ausbreitung in chronologischer Reihenfolge vorgestellt werden. Im Anschluß werden diese mit der Auswertung archäologischer Funde und der linguistischen Forschungen in Beziehung gesetzt und der gegenwärtige Forschungsstand zur Frage slawischer Migrationen zusammengefasst.

2 Slawische Plünderungszüge im mittleren und unteren Donaugebiet sowie auf der Balkanhalbinsel Die frühbyzantinischen Historiographen Prokop von Caesarea und Jordanes nahmen in der Mitte des 6. Jahrhunderts Kenntnis von Sklavenen und iranisch beeinflussten Anten, die vielleicht schon im Zusammenhang des Hunnenreiches um die Mitte des 5. Jahrhunderts eine Rolle spielten, sicher jedoch im zweiten Viertel des 6. Jahrhunderts im Vorfeld des unter Justinian erheblich ausgebauten Limes an der mittleren und unteren Donau lebten und gelegentliche Plünderungszüge in das Römische Imperium unternahmen, jedoch zunächst regelmäßig wieder in ihre Herkunftsgebiete nördlich der Reichsgrenze zurückkehrten. Diese Form der Überfälle unternahmen in den Jahren 518 und 533–545 zunächst Anten, 545 nach dem Tod des römischen Heermeisters Chilbud dann auch sklavenische Gruppen. 548 zogen Sklavenen bis nach Dyracchium und Epirus nova, 549 nach Thrakien und Illyrien und 550 bis 552 nach Dalmatien und Naissus (Niš), angeblich zunächst sogar mit dem Ziel, Thessaloniki zu erobern. Nahe der Stadt Adrianopel besiegten sie dann eine römische Armee und plünderten das Umland der Hauptstadt Konstantinopel, bevor sie sich relativ unbehelligt wieder in ihre Ausgangsgebiete zurück begeben konnten. Bei einem vom letzteren getrennten Unternehmen ließen sich Sklavenen mit gepidischer Hilfe über

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die Donau bringen. Bei allen diesen Raubzügen machten sie neben der üblichen Beute auch vielerorts Gefangene, die sie über die Donau brachten und über Mittelsmänner an die Römer zurück verkauften. Erst die starke Befestigung und der Ausbau des Donau-Limes boten diesen sklavenischen Einfällen in das byzantinische Reich Einhalt. Neben solchen Raubzügen waren viele Sklavenen und Anten aber auch in byzantinischen Diensten am Krieg gegen die Ostgoten in Italien beteiligt, wie zum Beispiel jene 1600 antisch-sklavenischen Reiter, die im Jahr 537 per Schiff nach Italien gebracht wurden, um dort das Heer des Feldherrn Belisar im Kampf um Rom zu unterstützen. Ein Sklavene namens Souarounas diente nach Angaben des Schriftstellers Agathias sogar in der römischen Kaukasus-Armee.

3 Awaren und Slawen und die slawische Ausdehnung in Südost- und Ostmitteleuropa Nach der Einwanderung der reiternomadischen Awaren in das mittlere Donaugebiet und der Errichtung ihres mächtigen Khaganats war die Ausbreitung slawischer Gruppen zunehmend enger mit militärischen Aktionen der Awaren verbunden. Im Jahr 578 verwüsteten zwar angeblich 100.000 Sklavenen Thrakien, plünderten Griechenland und griffen wohl auch zur See Städte im Schwarzmeerraum an, während der Khagan Baian noch mit byzantinischer Unterstützung ihre Herkunftsgebiete nördlich der Donau verwüstete und die dortigen Sklavenen sich in die Wälder der späteren Walachei und Moldawiens flüchteten. Schon 584/585 aber operierten zumindest einige größere Gruppen von Sklavenen gemeinsam mit awarischen Kriegern auf Veranlassung des Khagans und bedrohten dabei Thessaloniki, Korinth und sogar das Umfeld von Konstantinopel. 586 griff erneut eine große slawische Armee auf Befehl des Khagans Thessaloniki an, und 592 verpflichtete letzterer wiederum Slawen, Schiffe zu bauen, damit er zur Belagerung Singidunums die Donau überqueren konnte, und beteiligte sie auch am Angriff auf Sirmium. 593 erhob der Anführer der Awaren Anspruch auf einen Teil jener Beute, die eine byzantinische Expedition unter Priscus gegen Slawen auf dem nördlichen Ufer der Donau erkämpft hatte, mit dem Argument, letztere unterstünden seiner Herrschaft. Im Jahr 603 sandten die Awaren dem langobardischen König Agilulf slawische Krieger zur Unterstützung bei der Eroberung des italischen Cremona, und in den Jahren 610 und 611 verwüsteten Slawen die Halbinsel Istrien im Zusammenhang mit der awarischen Eroberung Friauls. 617 oder 618 bedrängten Awaren und Slawen erneut Thessaloniki, und auch an der fehlgeschlagenen Belagerung Konstantinopels waren Slawen in großer Zahl beteiligt, wie etwa bei einem Flottenangriff auf das Blachernenviertel der oströmischen Hauptstadt und dem von byzantinischen Schiffen gestörten Erstürmungsversuch mit Einbäumen am 4. August des Jahres 626.

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Erst nach dieser Niederlage des awarischen Khagans sind Aufstände überliefert, in denen sich die Slawen von der bedrückenden Oberherrschaft der Awaren zu lösen versuchten. Angeführt von einem wahrscheinlich fränkischen Kaufmann namens Samo, wendeten sich um das Jahr 630 im Ostalpengebiet, im westlichen Böhmen oder im heute oberpfälzisch-oberfränkischen Gebiet slawische Gruppen zunächst gegen die awarische Herrschaft, wenig später aber auch gegen das Frankenreich Dagoberts I. und verteidigten sich so erfolgreich, dass sich auch Sorben unter einem Fürsten Derwan dem Samo-Reich anschlossen. Im Verlauf des 7. Jahrhunderts breiteten sich slawische Gruppen vom mittleren und unteren Donaugebiet in wirklicher Migration mit der Absicht dauerhaften Wohnortwechsels sowohl über die Balkanhalbinsel wie über weite Teile Ostmitteleuropas aus. In der Zeit des Kaisers Herakleios beabsichtigten jene Slawen, die Thessaloniki belagerten, dort nach einem Erfolg mit ihren Familien zu bleiben. In der Folgezeit bildeten sich zahlreiche slawische Siedlungslandschaften auf römischem Reichsgebiet heraus, die von der byzantinischen Administration als „Sklavinien“ bezeichnet und nach Flüssen oder Örtlichkeitsnamen benannt wurden. Um 642 fuhren einige Slawen aus Dalmatien über See in das süditalische langobardische Herzogtum Benevent, nach dem Jahr 663 kamen 5.000 Slawen in das Herzogtum Friaul, gleichzeitig wurden die Karantanen im Ostalpengebiet, darunter auch dem heutigen Kärnten, erstmals erwähnt. Schon 656/657 hatte der Kaiser Konstans II. Krieg gegen einige Sklavinien wohl im Umland von Konstantinopel geführt und danach zahlreiche slawische Gefangene in die Provinz Asia minor bringen lassen. Als 663/664 ein arabischer Angriff auf byzantinisches Gebiet erfolgte, desertierten 5.000 Slawen aus der oströmischen Armee und wurden in der Umgebung von Apameia in Syrien angesiedelt. Im Jahr 677 belagerten Slawen aus der näheren Umgebung der Stadt erneut Thessaloniki, und als im Jahr 681 Bulgaren die Donau überschritten, siedelten sie zahlreiche von ihnen unterworfene slawische Gruppen an den neuen Grenzen des bulgarischen Khanats zum byzantinischen Reich und zu den Awaren an. Solch gezielte reiternomadische Ansiedlungspolitik könnte auch weiteren slawischen Gruppen ihre Siedlungsgebiete zugewiesen haben. Weil verschiedene slawische Gentilnamen geographisch weit voneinander entfernt überliefert sind, wie etwa die Sorben in Mitteldeutschland und die Serben an der mittleren Donau oder die Abodriten sowohl an der Ostsee und nordwestlich von Belgrad, ist vermutet worden, dass diese Gruppen durch die Awaren voneinander getrennt und von diesen an die Ränder des von den Khaganen beherrschten Gebietes dirigiert worden sind oder aber sich eigenständig vor diesen dorthin in Sicherheit gebracht haben könnten. Namenkundler weisen aber auch darauf hin, dass solche Gentil-, Stammes- oder Völkernamen auch unabhängig voneinander entstanden sein könnten. Wie dem auch sei, spätestens um 700 waren auch die im 8.  Jahrhundert von Fürsten angeführten Formationen von Wagriern, Abodriten und Wilzen an der südwestlichen Küste der Ostsee entstanden. In der Zeit Karls des Großen waren diese ebenso östliche Nachbarn des Frankenreiches wie Linonen, Sorben, Böhmen und

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Karantanen sowie kleinere, oft namentlich nicht überlieferte Gruppen im heutigen östlichen und südöstlichen Deutschland sowie in Österreich. Auch die Serben an der mittleren Donau werden sich im Verlauf des 7. Jahrhunderts herausgebildet haben, wenn dies auch erst im 10. Jahrhundert durch den byzantinischen Kaiser Konstantin VII. Porphyrogennetos (912–959) überliefert ist. Die in dessen um die Jahrhundertmitte verfasstem Werk De administrando imperii ebenfalls für das 7. Jahrhundert in der Zeit des Kaisers Herakleios überlieferte Einwanderung der Kroaten nach Dalmatien wird in der Forschung kritisch diskutiert, weil es für die Kroaten keine Quellen gibt, die vor die Mitte des 9. Jahrhunderts datiert werden könnten und auch ihr Charakter als ursprünglich gentile Gruppe unsicher ist.

4 Mährer, Polen und die Kiewer Rus Nach der Zerschlagung des awarischen Khaganats und der Ausplünderung ihrer als „Ring“ bezeichneten Residenz durch Karl den Großen zwischen den Jahren 791 und 796 bildeten sich im Mitteldonaugebiet neue slawische Gruppen heraus, unter denen den Mährern an der unteren March die bedeutendste Herrschaftsbildung gelang. Von ihnen wurde im Jahr 833 ein Verband unter dem Fürsten Pribina aus Nitra in der heutigen Westslowakei vertrieben. Er setzte sich über die Donau ins bayerische Ostland ab, begab sich zwischenzeitlich zu den Bulgaren, nach Slawonien sowie in die Krain und etablierte schließlich um die Moosburg am Westufer des Plattensees ein Tributärfürstentum unter fränkischer Oberhoheit. Das Mährerreich ebenso wie das Fürstentum Pribinas und seiner Nachfolger wurde 907 nach der Schlacht von Preßburg von den einwandernden Ungarn militärisch besiegt und ihrer Herrschaft unterworfen. Erst im 10. Jahrhundert überliefert und wohl in dieser Zeit gebildet wurden die später großen slawischen Völker der Polen und Rus. An den Flüssen Warthe und Netze errichteten die frühen Piasten unter Mieszko I. und Bolesław Chrobry ihre auf Burgen gestützte Herrschaft, die sie bis ins frühe 11. Jahrhundert auf die dort bereits ansässigen slawischen Gruppen der Pommern an der Ostsee, die Wislanen in Kleinpolen und andere bis an die Flüsse Bug und San ausdehnen konnten. Erst im Verlauf dieses Prozesses entstand der Name der Polen, und der Name der Rus war wohl zunächst nur auf jene skandinavisch-warägischen See- und Flussfahrergemeinschaften bezogen, die auf den großen Flüssen Ostmitteleuropas den Wasserweg von der Ostsee zum Schwarzen Meer befuhren und im 10. Jahrhundert in Novgorod und Kiew unter dem Geschlecht der Rjurikiden eine Fürstenherrschaft aufbauten, die auch zahlreiche ostslawische Gruppen umfasste, bei denen regelmäßig Tribute und Geschenke eingefordert wurden.

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5 Die Slawen in Europa: Migration, Assimilation oder Konstruktion? Zwischen dem 6. und dem 10. Jahrhundert wurden also gemäß der Nachrichten zahlreicher Historiographen weite Gebiete Ostmitteleuropas zwischen Ägäischem Meer, Schwarzem Meer, Ostsee und Adria slawisch. Im Osten stießen die Slawen an Reiternomaden in den Steppengebieten sowie an baltische und finnougrische Gruppen im Nordosten. Im Westen reichte slawisches Siedlungsareal bis an den Limes Saxoniae im heutigen Schleswig-Holstein, im Hannoverschen Wendland und in der Altmark lebten Slawen auch westlich der unteren Mittelelbe, und weite Teile Thüringens, Oberfrankens, der Oberpfalz und Nordbayerns ebenso wie Ober- und Niederösterreichs, Kärntens, der Steiermark und Friauls waren von Slawen bewohnt. Während die ältere Forschung wie selbstverständlich davon ausging, dass alle diese ostmitteleuropäischen und osteuropäischen Gebiete durch Auswanderung aus einer so genannten „Urheimat“ erreicht und auf diese Weise „slawisch“ geworden seien, gehen aktuelle Untersuchungen davon aus, dass nicht nur Migration, sondern auch verschiedene Formen von Assimilations- und Akkulturisierungsvorgängen bis hin zur „Konstruktion“ slawischer Gruppen durch auswärtige Institutionen in diesem Prozess eine Rolle gespielt haben. Linguistische Forschungen legen zur Zeit nahe, dass die einfachsten und somit archaischsten slawischen Gewässernamen im nordöstlichen Vorfeld der Karpaten gebildet worden sind. Ältere Arbeiten hatten die slawischen Ursprünge noch weiter östlich, in den Niederungen und Sümpfen des Pripjet verortet. Versuche, zahlreiche vorgeschichtliche archäologische Kulturen auf dem Gebiet des modernen Polen, wie etwa die Przeworsk-Kultur, und in der Ukraine als slawisch zu deklarieren, dürfen als gescheitert angesehen werden, weil die ethnische Zuordnung archäologischer Kulturen inzwischen methodisch als ausgesprochen fragwürdig gilt. Sicher slawisch waren wohl erst die Menschen, die hinter der sogenannten Prag-Korčak-Gruppe standen, die sich im 6.  Jahrhundert aus dem Karpatenvorland und von der mittleren Donau in den böhmischen Kessel ausbreitete und deren Ausläufer auch das obere Elbgebiet und weitere Teile Mitteldeutschlands bis zur Saale erreichten. Sie nutzten die unverzierte Keramik vom so genannten Prager Typ, lebten in ins Erdreich eingetieften traditionellen Bauten, die in der Forschung als Grubenhäuser bezeichnet werden, und verbrannten ihre Toten. Die ersten slawischen Gruppen, die im frühen Mittelalter den nördlichen Teil des östlichen Deutschlands zwischen Elbe und Oder besiedelten, nutzten Keramik der Typen Sukow-Szeligi, Menkendorf und Feldberg, aber es kann nicht mehr als sicher gelten, dass ihre Träger ausschließlich aus heute polnischen Gebieten oder aus dem Mitteldonauraum zuwanderten, wie die archäologische Forschung des 20. Jahrhunderts es noch für sicher hielt. Diejenigen Gruppen allerdings, die solche Keramik bis auf die dänischen Inseln und nach Südschweden brachten, werden wohl mit größerer Wahrscheinlichkeit als Zuwanderer von den südlichen

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Ostseeküsten zu betrachten sein. Ob sie sich jedoch von Beginn an freiwillig dorthin begeben hatten oder zunächst als Gefangene angesiedelt worden waren, ist aber nach wie vor eine offene Frage. Eine Alternative zur Vorstellung von der Ausbreitung der Slawen allein durch Migration stellen die Ideen des rumänisch-amerikanischen Forschers Florin Curta dar. Er versuchte nachzuweisen, dass es die byzantinische Reichsadministration an der mittleren und unteren Donau war, die in ihrem Bemühen, die in ihren Augen zahlreiche barbarische und unzivilisierte Völkerschar auf der nördlichen Seite des Flusses zu kategorisieren, die frühen Slawen „konstruierte“ oder sogar erfand und auf diese Weise, so müsste dann weiter gefolgert werden, aus einer kleinen Gruppe, die sich selbst als des Wortes, *slov, mächtig fühlte bzw. sich untereinander verständigen konnte, eine prestigeträchtige Formation machte, die in Zukunft ständig Zulauf bekommen würde und sich auf diese Weise über weite Teile Ostmitteleuropas ausbreiten sollte, ohne dass damit immer Wanderungen verbunden sein müssten. Möglicherweise war das „slawische“ Siedlungsmodell entlang der Flüsse und in den Niederungen, zunächst in patriarchalisch organisierten Familienverbänden und noch ohne ausgebildete Fürstenherrschaft und Kriegergefolgschaften, attraktiv für all jene Bewohner Ostmitteleuropas, die eine Beteiligung an den Expeditionen der „germanischen“ Heerkönige in das Gebiet des römischen Reiches und dem dort erfolgten Aufbau von Königreichen unter Grundlegung römischer Infrastruktur und romanischem Bevölkerungssubstrat abgelehnt hatten. Die Chronologie eines solchen Slawisch-Werdens Ostmitteleuropas bleibt dabei jedoch über weite Strecken unklar: Während an mittlerer und unterer Donau im 6.  Jahrhundert mit Sklavinien innerhalb und außerhalb des oströmischen Reiches zu rechnen ist, die Balkanhalbinsel im 7. Jahrhundert slawisch wurde und an Elbe und Saale im Verlauf des 8. Jahrhunderts Slawen sicher festzustellen sind, kann der Slawisierungsprozeß für die östlich der Oder und nördlich der mittleren und unteren Donau gelegenen Gebiete zeitlich nicht weiter eingeordnet werden, weil dort vor dem 10.  Jahrhundert keine Quellen vorhanden sind, die sicher für eine ethnische Zuordnung der dort im frühen Mittelalter lebenden Menschen geeignet sind. Lediglich die Völkertafel des sogenannten Bayerischen Geographen, wohl aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, gibt eine Anzahl von gentilen Namen an, deren Mehrzahl slawischer Herkunft ist.

6 Die Germania Slavica Seit dem Beginn des 9.  Jahrhunderts mehren sich überhaupt erst die schriftlichen Nachrichten über die Herausbildung der Ostgrenze des Frankenreiches und die Nachbarschaft der slawischen Gruppen zu Sachsen, Thüringern, Franken und Bayern. Im Jahr 804 ließ Karl der Große die sächsischen Bewohner des Landes nördlich der Elbe in das Frankenreich deportieren und überließ die nordelbische Region den sla-

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wischen Abodriten. Im Zuge des befestigten Ausbaus der Elbegrenze gegen immer wieder registrierte slawische Einfälle kam es zu einer der wenigen gesichert überlieferten Vertreibungen slawischer Bevölkerung, als im Jahr 822 an einem Ort namens Delbende an der unteren Mittelelbe Sachsen im Auftrag der fränkischen Reichsadministration ein Kastell auf dem nordöstlichen Ufer des Flusses errichteten (Annales regni Francorum. Ed. Friedrich Kurze. [MGH SS rer. Germ. 6.] Hannover 1895, ad a. 822.). Auch nach der militärischen Unterwerfung von Abodriten, Wilzen, Hevellern, Lusizern, Sorben, Daleminziern und Milzenern durch das ostfränkische Reich in der zweiten Hälfte des 10.  Jahrhunderts wurden zur Kontrolle des Landes zahlreiche Burgen mit sächsischen Besatzungen versehen, ohne dass jedoch von einer Vertreibung der ansässigen slawischen Gruppen berichtet wird. Nach dem Erfolg des sogenannten Wendenkreuzzuges im Jahr 1147 gegen den aufständischen Nordosten und dem Ende des die Erhebung tragenden Lutizenbundes trafen seit der Mitte des 12. Jahrhunderts immer zahlreicher Zuwanderer aus Franken, dem Mittel- und Niederrheingebiet und den Niederlanden in den bis dahin slawischen Gebieten des späteren Mittel- und Ostdeutschland ein. Sie siedelten sich zunächst inmitten der slawischen Siedlungslandschaften an und errichteten in einem zweiten Schritt gemeinsam mit der autochthonen Bevölkerung zahlreiche neue Dörfer auf bis dahin nicht agrarisch genutztem Land. So erfolgte eine zunehmende Vermischung von westlichen Immigranten und West- und Ostseeslawen, die im ausgehenden Mittelalter zur nahezu völligen Assimilierung letzterer führte. Ausnahmen sind das bis ins frühe 18. Jahrhundert existierende sprachliche Rückzugsgebiet des Dravänopolabischen im Hannoverschen Wendland und in der mecklenburgischen Jabelheide sowie die nieder- und obersorbischen Gebiete in Nieder- und Oberlausitz. Die Kietzsiedlungen in der Nähe zahlreicher Städte in der werdenden Mark Brandenburg waren Überreste der Dienstorganisation slawischer Fürstenburgen, nicht aber Orte der bewussten oder gezielten Marginalisierung der vorgefundenen Bewohner. Die slawische Bevölkerung der in der Forschung des 20. Jahrhunderts als Germania Slavica bezeichneten Regionen Mittelund Ostdeutschlands wurde nicht vertrieben oder dezimiert, sondern sie hat in einem Assimilierungs- und Akkulturisierungsprozess längerer Dauer ihre slawische Identität nach und nach aufgegeben bzw. verloren.

7 Slawische Zwangsmigrationen: Sklavenhandel und Ansiedlung von Kriegsgefangenen Während die Bedeutung von Wanderungen für die Ausbreitung der Slawen noch intensiv diskutiert wird, steht die Zwangsmigration zahlreicher Kleingruppen und Einzelpersonen slawischer Herkunft außer Frage, weil sich der Menschenhandel des frühen und hohen Mittelalters in so hohem Maße aus Personen slawischer Herkunft rekrutierte, dass ihr Gentilname bis heute zum Inbegriff von unfreien Menschen wurde:

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von Sklaven, die man in der arabischen Welt aufgrund ihrer Herkunft als saqāliba bezeichnete. Zwischen Zentralasien und der Iberischen Halbinsel hatten die muslimischen Reiche großes Interesse an unfreien Menschen, die dort in vielfältiger Weise in den Palästen und Armeen, aber auch in Bergwerken, auf Schiffen sowie in Landwirtschaft und Handwerk als Arbeitskräfte verwendet werden konnten. Bereits ganz am Beginn der Beziehungen der slawischen Welt mit dem Westen stand die Aktivität jenes fränkischen Händlers namens Samo, der um das Jahr 630 den slawischen Aufstand gegen die Awaren anführte und nach dessen Erfolg zum König erhoben wurde. Möglicherweise war dieser Samo eine jener Personen, die erstmals den Transfer slawischer Gefangener durch das Frankenreich in den Mittelmeerraum organisierten. Etwa einhundert Jahre später, um 740, traf der Abt Sturm nach hagiographischer Überlieferung seiner Vita auf der Suche nach einem geeigneten Platz für die Errichtung eines Klosters an dem dann namengebenden Fluss Fulda im heutigen Osthessen auf eine Gruppe von Slawen, die in Begleitung eines „Dolmetschers“ wohl auf dem Weg nach Westen war; die Straße führte von Ostmitteleuropa über Erfurt in das Mittelrheingebiet und weiter nach Verdun, einer Stadt, die trotz der häufigen Einschränkungen der Kapitularien und Konzilien durch Sklavenhandel reich geworden war. Denn es waren keine Christen, die verkauft wurden; gleiches gilt für die arabischen Empfänger im Emirat von Córdoba und die oft jüdischen Händler, die diese Transfers organisierten. Kein Grund also für die Könige der Franken, gegen diesen Handel vorzugehen, der, wie die ebenfalls dem 9. bzw. frühesten 10. Jahrhundert zugehörigen Zollordnungen von Raffelstetten und Walenstatt zeigen, große Silbermengen auch in deren Schätze spülte. Charles Verlinden hat die Wege der Sklavenkarawanen und die Schicksale der häufig zu Eunuchen verschnittenen Männer nachgezeichnet, an denen in den arabischen Ländern ein so großes Interesse bestand, weil man aus ihnen ganze Armeen und Palastgarden zusammenstellte. Heinrich Koller hat darauf hingewiesen, dass es junge Mädchen waren, für die auf den Märkten der Mährer, also zum Beispiel in ihrem Hauptort Mikulčice, die höchsten Preise erzielt wurden und für die an den Zollstellen die höchsten Abgaben zu zahlen waren. Nicht nur das spanische Córdoba, sondern über die Vermittlung Venedigs auch der ganze östliche Mittelmeerraum, über das ostmitteleuropäische Flußsystem das Schwarzmeergebiet, das Zweistromland und Mittelasien waren Ziele von Sklavenhändlern und versklavten Menschen aus den slawischen Gebieten. Möglicherweise gab es sogar einen kontinentalen Transithandel aus dem wolgabulgarischen Gebiet am Kaspischen Meer durch Ostmitteleuropa ins muslimische Spanien. Liest man unter diesem Aspekt hochmittelalterliche Historiographie und Heiligenleben, so wird verständlich, was aus den immer wieder erwähnten Hunderten und Tausenden Gefangenen wurde, welche die slawischen Fürsten in den Kriegen gegen die Nachbarn erbeuteten. Kyrill und Methodios, den Aposteln Mährens, gelang es zum Beispiel um das Jahr 867, die Befreiung von neunhundert Sklaven aus der Gewalt der mährischen Fürsten Rastislav und Chozil zu erreichen. Eine ganze Anzahl von eisernen Fesseln wurde von Joachim Henning mit dem Sklavenhandel in Verbindung gebracht, obwohl auch an hölzerne Instrumente zu diesem

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Zweck gedacht werden muss. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Burgwälle und Fürstenburgen an den Verkehrsrouten immer wieder auch als Etappenstationen in diesem Sklavenhandel benutzt worden sind. Viele der Burgstädte Ostmitteleuropas, die im Verlauf der von Mittelasien über Polen und Böhmen nach Frankreich und Spanien führenden Fernstraßen lagen, verdankten ihre stetige Entwicklung auch dem Menschenhandel, der auf ihren Märkten stattfand. Einer der bekanntesten Sklavenmärkte befand sich nach Angaben des jüdisch-arabischen Reisenden Ibrahim ibn Jaqub in Prag unterhalb der Hauptburg der přemyslidischen böhmischen Fürsten. Von dort führte eine Transitroute durch Südböhmen nach Regensburg und weiter nach Venedig, wo die versklavten Menschen per Schiff weiter in den Mittelmeerraum transportiert werden konnten. Auch zahlreiche Orte an der südlichen Küste der Ostsee, wie Groß Strömkendorf an der Wismarer Bucht, Ralswiek auf Rügen oder Truso bei Elbing in Ostpreußen, kamen durch diesen Handel auf, in dem neben den Gefangenen aber auch noch Pelze, Honig und Wachs eine große Rolle spielten. Die arabische Welt bezahlte für die Sklaven vor allem mit Silber, das sich in zahlreichen sogenannten Hacksilberfunden in Ostmitteleuropa erhalten hat. In diesen Horten wurden arabische Münzen, die Dirhem, und Silberschmuck, sowohl komplett als auch vielfach fragmentiert, im Boden verborgen, entweder, um sie irgendwann wieder zu heben, oder aber auch, weil sie als Gaben an die Götter gedacht waren. Das arabische Silber konsolidierte die slawischen Fürstenherrschaften der Piasten, Přemysliden und Rjurikiden; diese wurden damit in die Lage versetzt, fremde Krieger in ihrer Gefolgschaft (družina) zu bezahlen und mit ihrer Hilfe wiederum ihre Herrschaft auszudehnen. In den Kriegen gegen ihre Nachbarn konnten sie weitere Menschen fangen, um sie in die Sklaverei zu verkaufen. Die slawischen Fürsten waren also Nutznießer der durch den Sklavenhandel hervorgerufenen Zwangsmigrationen. Nicht alle durch Zwang zur Migration veranlassten Gruppen wurden in solchen Formen des Menschenhandels verkauft; die slawischen Fürsten organisierten auch die Ansiedlung von Kriegsgefangenen im Rahmen ihrer Dienstorganisation, mit der ihre Residenzen und Burgen mit Lebensmitteln und handwerklichen Produkten und Arbeiten versorgt wurden. Zahlreiche Ortsnamen erinnern an die Ansiedlung von Pommern und anderen Gruppen im piastischen Polen, in Böhmen und in Mähren; gleiches gilt von Polen in Böhmen und in der Kiewer Rus südlich von Kiew. Die Vermutung, dass auch in den Rundlingsdörfern der niederen Geest im Hannoverschen Wendland westlich von Lüchow im 12.  Jahrhundert von den dortigen sächsischen Grafen kriegsgefangene Slawen angesiedelt worden seien, hat sich nicht bestätigt. Mit größerer Wahrscheinlichkeit sind die Rundlinge unter sächsischer Herrschaft von Polaben angelegt worden, deren Wohnplätze in den benachbarten Niederungen von Elbe und Jeetzel aufgrund steigender Wasserstände nicht mehr nutzbar waren. Erst mit der zunehmenden Christianisierung Ostmitteleuropas ließ diese Form von erzwungenen slawischen Wanderungen im Rahmen von Dienstorganisation und Menschenhandel nach. Als Beispiel für den nur langsam wachsenden Widerstand kirchlicher Kreise gegen den Menschenhandel kann Bischof Adalbert von Prag gelten,

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der auch wegen des Prager Sklavenmarktes mit den přemyslidischen Fürsten in Konflikt geriet, sich aber zunächst noch nicht durchsetzen konnte.

Literaturhinweise Paul M. Barford, The Early Slavs. Culture and Society in Early Medieval Eastern Europe. London 2001. Sebastian Brather, Archäologie der westlichen Slawen. Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft im früh- und hochmittelalterlichen Ostmitteleuropa. (RGA, Erg. Bd. 30.) Berlin / New York 2001. Florin Curta, The Making of the Slavs. History and Archaeology of the Lower Danube Region c. 500–700. (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought; 4th Series.) Cambridge 2001. Wolfgang H. Fritze, Frühzeit zwischen Ostsee und Donau: Ausgewählte Beiträge zum geschichtlichen Werden im östlichen Mitteleuropa vom 6. bis zum 13. Jahrhundert. (Berliner Historische Studien, Bd. 6 = Germania Slavica, Bd. 3.) Berlin 1982. Carsten Goehrke, Frühzeit des Ostslaventums. (Erträge der Forschung, Bd. 277.) Darmstadt 1992. Joachim Herrmann (Hrsg.), Die Slawen in Deutschland. Geschichte und Kultur der slawischen Stämme westlich von Oder und Neiße vom 6. bis 12. Jahrhundert. Ein Handbuch, Neubearbeitung. (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR, Bd. 14.) Berlin 1985. Joachim Herrmann (Hrsg.), Welt der Slawen. Geschichte, Gesellschaft, Kultur. Leipzig / Jena / Berlin 1986. Christian Lübke, Das östliche Europa. (Die Deutschen und das europäische Mittelalter, Bd. 2.) Berlin 2004. Walter Pohl, Die ethnische Wende des Frühmittelalters und ihre Auswirkungen auf Ostmitteleuropa. Leipzig 2008. Jürgen Udolph, Studien zu slavischen Gewässernamen und Gewässerbezeichnungen. Ein Beitrag zur Frage nach der Urheimat der Slawen. (Beitr. zur Namenforschung, Beih. NF, Bd. 17.) Heidelberg 1979.

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Östliches Europa (Kolonisationen) 1 Einleitung Die mittelalterliche Kolonisation, die im östlichen Europa ein reiches Erbe hinterlassen hat, wurde in der Forschung lange Zeit kontrovers diskutiert. Dies hing in erster Linie mit dem nationalen Stolz in Bezug auf die kulturellen Fortschritte zusammen, die das soziale Leben und die wirtschaftlichen Bedingungen seit der zweiten Hälfte des 12.  Jahrhunderts tiefgreifend veränderten. Der Hauptgrund für die nationalen Auseinandersetzungen des 19. und 20. Jahrhunderts liegt in der scheinbaren Dominanz der Deutschen in diesen Prozessen, die auf die Zuwanderung von Siedlern aus dem Westen und auf die Anwendung des ‚Deutschen Rechts‘ (ius Teutonicum) zurückgeführt wurden. Dieses historische Phänomen wurde häufig gebraucht – und missbraucht – als Argument der Deutschen in ihrem Bemühen, die politische Oberherrschaft über Länder historisch zu begründen, die seit dem frühen Mittelalter von Slawen besiedelt sowie in der Neuzeit hauptsächlich von Polen bewohnt waren. Die Diskussionen begannen in der Mitte des 19.  Jahrhunderts und ergriffen rasch die Öffentlichkeit (Hackmann / Lübke 2002). Im Großen und Ganzen reklamierten die Deutschen für ihre Vorväter die Rolle von ‚Kulturträgern‘, während es den Slawen (und anderen ethnische Gemeinschaften) oblag, die wohltätigen Wirkungen ihrer Ankunft zu akzeptieren. Aber die Nachbarn der Deutschen, wie die Polen und Tschechen, wiesen diese Anmaßungen zurück und schätzten die angeblichen Verdienste der Deutschen viel geringer ein oder negierten sie sogar gänzlich. Aus ihrer Sicht bildeten autochthone Entwicklungen die Basis für die Binnenkolonisation in den Regionen. Auf dem Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen standen sich die deutsche Ostforschung und der polnische Westgedanke (polska mysl zachodnia) diametral gegenüber, und die slawischen Völker geißelten die deutsche Kolonisation als Element eines aggressiven ‚Drangs nach Osten‘, der schließlich durch Hitlers Angriff auf Osteuropa nachgewiesen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es ausgerechnet die Aufräumarbeiten in den zerstörten Städten, die neue archäologische Funde von Bedeutung hervorbrachten: Protourbane Strukturen und durch sie angestoßene Entwicklungen in ihren Umgebungen hatte es auch schon vor der Ankunft der Deutschen gegeben. Die von der Archäologie zutage geförderten Sachfunde trugen zu einer stärkeren Professionalisierung und Entnationalisierung der historischen Forschung bei, und die nationalen Prämissen wurden schrittweise zurückgedrängt. In diesem Zusammenhang distanzierten sich deutsche Historiker auch von dem zuvor gebrauchten Begriff ‚Ostkolonisation‘, weil er eine Art von kultureller Überlegenheit

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der Kolonisten im Vergleich zu der einheimischen Bevölkerung impliziere. Deshalb gebrauchten sie die Bezeichnungen ‚Ostsiedlung‘ und schließlich ‚Landesausbau‘, wobei letztere sich auf die Begrifflichkeit der mittelalterlichen Quellen in Form der Termini aedificatio terrae und melioratio terrae bezieht. Jedoch meint der Landesaubau nicht einfach die ländliche Kolonisation, sondern er umfasst den ganzen Prozess mit all seinen sozialen und ökonomischen Folgen. Diese Terminologie bleibt aber eine Besonderheit der deutschen Historiker, denn ihre östlichen Nachbarn benutzen sehr wohl den Begriff ‚Kolonisation‘, worunter sie sowohl die Binnenkolonisation verstehen, deren Beginn sie in der Phase vor der Ankunft der Deutschen erkennen, als auch die neue Form von Kolonisation auf der Grundlage des ‚Deutschen Rechts‘. Wenn heute Historiker die mittelalterliche Kolonisation als ein Phänomen interpretieren, das Europa als Ganzes in einem von West nach Ost fortschreitenden Prozess erfasste und die Ausbildung ähnlicher Strukturen anstieß (Zernack 1994), dann ist doch darauf zu achten, dass im Osten verschiedene ethnische Gemeinschaften daran beteiligt waren (Lübke 2007). Die Begegnungen zwischen den einheimischen Bevölkerungen und den Einwanderern verursachten Probleme für die Koexistenz, deren Formen sich von Ort zu Ort und Landschaft zu Landschaft unterschieden. Kleinräumige, regionale Untersuchungen bleiben daher ein Desiderat der historischen Forschung. Als ein Ergebnis dieser spezifischen Situation kann man den neuen Terminus ‚Germania Slavica‘ ansehen, der zusehends an Akzeptanz gewinnt. Er meint jene Regionen, die bis zum Beginn der Kolonisationsphase von Slawen besiedelt waren und die dann im sprachlichen Sinn germanisiert wurden. Germania Slavica setzt also die Mitwirkung sowohl Deutsch als auch Slawisch sprechender Menschen an der Kolonisation voraus.

2 Die Verbreitung der Slawen über Osteuropa und der Beginn der Kolonisation in der deutsch-slawischen Kontaktzone Im größeren Maßstab allerdings hat es im frühmittelalterlichen Osteuropa weder Kolonisation noch planmäßige Ansiedlungsmaßnahmen gegeben, vielmehr die Verbreitung von Siedlungen Schritt für Schritt in einem Naturraum, der von Wäldern und Sümpfen sowie wenigen Gebirgszügen dominiert wurde, zwischen denen sich besiedelte Landschaften befanden. Wenn man die Frage nach dem genauen Verlauf der Ausbreitung der Slawen über Osteuropa einmal beiseite lässt, scheint es ziemlich eindeutig, dass die Bildung von slawischen politischen Einheiten – der Stämme – mit der Inbesitznahme von Land einherging, gefolgt von Phasen der Konsolidierung. Dieser Prozess war fließend und formte unterschiedliche Muster abhängig von den natürlichen Gegebenheiten und den Begegnungen mit anderen Gesellschaften,

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Kulturen und Mächten. Unglücklicherweise stehen der Forschung Nachrichten über die frühen Slawen mit Ausnahme der Notizen einiger arabischer Geographen nur von byzantinischen und fränkischen Autoren in Bezug auf die Ereignisse an den Grenzen zur Verfügung, kaum aber auf das Hinterland, wo jedoch eine große Zahl von bis heute sichtbaren Befestigungen (Burgwällen) eine soziopolitische Segmentierung der Gemeinschaften bezeugt. Diese Anlagen dienten der Verteidigung und – vermutlich – der Speicherung der Ernte, die wohl auch dank der Anwendung kolonisatorischer Maßnahmen innerhalb des Siedlungsgebietes eingebracht werden konnte, ohne dass man Genaueres darüber weiß. In diesem Zusammenhang ist damit zu rechnen, dass Individuen und kleinere Gruppen, wo immer dies möglich war, weiter in unbewohnte Gebiete vordrangen und die Stammesgrenzen ausweiteten – oder den Kontakt zu den anderen verloren. Diese Form der Wanderung scheint charakteristisch gewesen zu sein für die Ostslawen, was den führenden russischen Historiker an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Vasily Ključevskij zu der Feststellung veranlasste, die Geschichte Russlands sei die Geschichte von Kolonisation. Tatsächlich war es eine Form von Sickerwanderung, wodurch die wachsende Kiewer Rus neues Land gewann (Goehrke 2010), nicht in Form planmäßiger Kolonisation, sondern als Ergebnis der Versuche von einander folgenden Generationen, sich Existenzgrundlagen anzueignen. Die Wertschätzung der Waldrodung findet möglicherweise in dem Gegensatz zweier ostslawischer Stämme in der altrussischen Chronik ihren Ausdruck: die zivilisierten Feldbesteller (die Poljanen in der Gegend um Kiew) einerseits, und die barbarischen Bewohner der Wälder (die Derevljanen) andererseits. Zu derselben Zeit, als die Ostslawen bis in den Norden Russlands gelangten, wanderten Slawen auch nach Westen, gelegentlich sogar über die Gebiete geschlossener slawischer Besiedlung hinaus. So erschienen Slawen bereits seit dem 8.  Jahrhundert in Bayern, und seit dem Ende dieses Jahrhunderts wurden sie in das System der Grundherrschaft einbezogen. Das lässt sich am Beispiel einer Urkunde Herzog Tassilos von Bayern für das Kloster Kremsmünster aus dem Jahr 777 verfolgen, in der ein slawischer Župan namens Physso erwähnt wird, der Anführer einer Gruppe von 30 Familien, die sich ein Stück Land ohne Erlaubnis angeeignet hatten und ein anderes Stück besiedelten, das ihnen vom Herzog zugewiesen worden war. Wie in diesem Fall wurden Slawen wohl auch systematisch in das Siedlungsgeschehen am oberen Main einbezogen, wo Karl der Große persönlich den Befehl gab, für sie in ihrer terra Slavorum Kirchen zu bauen. Kolonisierungsmaßnahmen wurden hier im Rahmen der karolingischen Administration durchgeführt, und das offenbar friedliche Zusammenleben der beteiligten Ethnien wird durch deutsch-slawische Mischnamen für die Siedlungen dokumentiert. Ähnliche Bedingungen werden für die Mitte des 10. Jahrhunderts in den Gebieten westlich der Flüsse Elbe und Saale bezeugt, wo slawische Familien in enger Nachbarschaft zu ihren deutschen Nachbarn angesiedelt wurden, zu denen auch „die anderen Familien von Kolonen“ gehörten. In der Zeit der Ottonen wurden aber auch die ethnischen Parameter der Kolonisation umgekehrt, denn die Könige begannen,

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das Land der Elbslawen östlich der genannten Flüsse, das sie zuvor durch Kriege erobert hatten, an ihre Gefolgsleute und an kirchliche Institutionen zu übereignen, und in den Urkunden erscheinen seit dieser Zeit deutsch-slawische Toponyme und „Hufen“ als Ergebnis von Landvermessung. Das Auftauchen dieser beiden Elemente zeigt die Ankunft der Deutschen und die Anwendung ihrer Formen der Landwirtschaft an; die Elbmarken schienen auf dem Weg, integrale Bestandteile der ottonischen Königsherrschaft zu werden und als Etappe für die weitere Kolonisation unter deutscher Verwaltung zu fungieren. Diese wurde zum Teil durch die neu gegründeten kirchlichen Institutionen repräsentiert, die das Christentum unter den Anhängern der traditionellen slawischen Gottheiten verbreiten sollten. Aber im Jahr 983 bereitete der große Slawenaufstand solchen Plänen ein abruptes Ende. Christliche Bischöfe und ottonische Markgrafen waren gezwungen, den paganen Slawen Platz zu machen, so den Lutizen, die an der Spitze der gentilreligiösen Reaktion im Norden des Elbslawenlandes standen, in den Landschaften zwischen den Flüssen Elbe und Oder. Neue Kolonisierungspläne nahmen erst wieder an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert Gestalt an.

3 Ansätze der Kolonisation in Osteuropa unter der Herrschaft der neuen Dynastien Mit Ausnahme Großmährens im 9.  Jahrhundert entstanden die Herrschaftsgebilde unter der Regierung dauerhafter Dynastien im östlichen Europa im 10. Jahrhundert – die Reiche der böhmischen Přemysliden, der ungarischen Árpáden, der altrussischen Rjurikiden, und der polnischen Piasten. Diese Fürstenfamilien brachten nach und nach benachbarte Sippen und Stämme unter ihre Kontrolle und sicherten sich und ihren militärischen Gefolgschaften ökonomisches Wohlergehen durch Kriegsbeute und erzwungene Tribute sowie durch die Teilhabe an Handel und Marktgeschehen. Die Entlohnung der Gefolgschaften erfolgte durch Wertgegenstände, Waffen und Pferde, und die Verfügbarkeit von Lebensmitteln wurde durch die Abgaben der unterworfenen Bevölkerung garantiert. Obwohl der Ernteertrag verhältnismäßig gering ausfiel, reichte er gewöhnlich aus, und es bestand keine Notwendigkeit, die Fläche unter dem Pflug auszuweiten. Nichtsdestotrotz gab es einige Vorformen von Kolonisation, die vielleicht auf dem Modell des Byzantinischen Reiches basierten, wo der Wert des menschlichen Kapitals für den Ausgleich von Bevölkerungsverlusten und für den Landesausbau wohl bekannt war. Für Polen zeigen die archäologischen Funde die erzwungene Umsiedlung von Gemeinschaften in das Hauptland der Piasten (Großpolen) in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts an, als die Basis für ihre Macht gelegt wurde. Gut ein Jahrhundert später (1039) eroberte Fürst Břetislav von Böhmen die Burg Giecz in Großpolen und führte die Besatzung samt der ländlichen Bevölkerung, die dort Schutz gesucht hatte,

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„mit dem Vieh und ihrer sonstigen Habe“ mit sich fort. Der Fürst übergab der Gruppe in Böhmen ein Stück Waldland zur Rodung, wo sie von nun an gemäß ihren eigenen Traditionen lebte. Einige Jahre zuvor (1031) hatte auch Großfürst Jaroslav von Kiew Kriegsgefangene aus Polen fortgeführt, und da sie noch Jahrzehnte später in einigen Burgen nahe Kiew erkennbar waren, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie, ähnlich wie die Polen aus Giecz in Böhmen, ihr eigenes Leben in ihrer Gruppe führten. Ein Sonderfall war die Existenz von Einwanderergruppen in Ungarn, wo König Stephan I. die „Gäste“ (hospites) aus dem Ausland ausdrücklich würdigte. Möglicherweise hatte schon sein Vater Geysa nach dem Abschluss eines Friedensvertrages mit dem bayerischen Herzog Heinrich II. (996) die Einwanderung von Siedlern eben aus Bayern angestoßen. Solche Leute (de Bauuaria missis incolis) waren bereits im Jahr 979 durch den Abt von St. Emmeram in Regensburg in die bayerische Ostmark geschickt worden, die in den Jahrzehnten zuvor als Grenzland gegenüber den Ungarn wüst geworden war. Allerdings war der ungarische König generell kaum an der Kolonisierung von wüstem Land interessiert, sondern vielmehr an der Produktivität seiner königlichen Güter. Deshalb rief er Spezialisten aus anderen Ländern herbei, die über spezifische Kenntnisse in der Landwirtschaft verfügten. Sie lebten dann in Dörfern, deren Namen nach ihren Ethnonymen gebildet wurden wie Németi („Deutsche“), Tóti („Slawen“) usw. (Györffy 1983). Ein charakteristisches Element kennzeichnet die Landkarte der Dynastien im östlichen Mitteleuropa, aber offenbar nicht in der Kiewer Rus: die Existenz eines speziellen Typs von hunderten von Toponymen, die nach den Bezeichnungen menschlicher Tätigkeiten gebildet wurden. Unter Historikern überwiegt die Meinung, dass diese Ortsnamen die Existenz einer flächendeckenden Organisierung der Dienste widerspiegelt, die von den fürstlichen Burgen und Höfen verwaltet wurden, in deren Umgebung die Dörfer lagen. Diese Organisationsform mag eine Antwort auf die große Herausforderung gewesen sein, vor der die Fürsten standen, als die erfolgreiche Periode der Expansion ihrer Macht in der Zeit um die Jahrtausendwende zu Ende ging. Das Fehlen von Kriegsbeute und der Rückgang der Bedeutung der transkontinentalen Handelsrouten erzwangen die stärkere Ausnutzung der heimischen lebendigen Ressourcen – der Bevölkerung auf dem Lande. In diesem Zusammenhang eigneten sich auch die Mitglieder der fürstlichen Gefolgschaften – zugleich eine Keimzelle des entstehenden Adels – Land an und gründeten ihre eigenen Wirtschaftshöfe. Dies war die Ausgangssituation, als adlige Grundbesitzer und kirchliche Institutionen gelegentlich begannen, ihren Besitz auszuweiten und durch die Anwerbung von Bauern zu bevölkern.

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4 Die Gestaltung der Kolonisationsepoche in den Elbmarken Es ist charakteristisch, dass sich die ersten Grundzüge künftiger planmäßiger Kolonisierungsmaßnahmen im Bereich der deutsch-slawischen Kontaktzone formten. Wenn man von den schriftlichen Quellen ausgeht, war der Markgraf Wiprecht von Groitzsch einer ihrer ersten Förderer. Seine Vorfahren stammten aus der elbslawischen Elite und hatten sich an den sächsischen Adel adaptiert. Ihm selbst gelang es, sich Land in den Gebieten zwischen den Flüssen Saale und Elbe anzueignen, wo der Slawenaufstand von 983 keinen Erfolg gehabt hatte. Aber diese Landschaften hatten unter ständigen Kriegsereignissen gelitten, und die Lage in ihnen war durch die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen sächsischen Adelsfamilien zusätzlich kompliziert. Damals, mit den letzten Jahrzehnten des 11.  Jahrhunderts, änderten sich die wirtschaftlichen Bedingungen in Mitteleuropa grundlegend, denn das Wachstum der Städte und die damit verbundene Arbeitsteilung sorgten dafür, dass die Landwirtschaft und insbesondere der Anbau von Getreide profitabel wurden, indem die Stadtbürger Münzgeld für Getreide bezahlten. Wiprechts Aktivitäten passten in dieses Umfeld. Dank der Unterstützung König Heinrichs IV. und des böhmischen Königs Vratislav gelang es ihm im Kampf mit seinen Rivalen, seinen Besitz weiter zu festigen. Durch seine Beziehungen zu den Königen, aber auch zu kirchlichen Herren, erlangte er neue Lehen und Besitzungen, die für Kolonisationsmaßnahmen geeignet waren, nämlich für die Ansiedlung von Kolonisten aus Franken und für die Entwicklung präurbaner Strukturen. Als Buße für seine blutigen Taten gründete er zudem das erste Kloster östlich der Saale in Pegau (1096), das für die Umsetzung seiner wirtschaftlichen Aktivitäten eine wichtige Rolle spielte. Als die profitablen Aussichten der Kolonisation, wie sie Wiprecht angestoßen hatte, insgesamt offenbar wurden, begannen auch andere weltliche Herren und Bischöfe in ähnliche Maßnahmen zu investieren. Die Landgewinnung in den Marschen der Flüsse Weser und Elbe kann als ein weiteres frühes Beispiel der ganzen Entwicklung gelten. Sie begann um 1106 oder 1113 auf Initiative einer landsuchenden Gemeinschaft von Holländern, die sich mit der Anwendung wassertechnischer Maßnahmen zur Trockenlegung von Sumpfgebieten auskannten. Bald riefen die Erzbischöfe von Bremen mehr von diesen Leuten für die weitere ‚Hollerkolonisation‘ herbei. Zu derselben Zeit wurde ein weiteres Element sichtbar: die Verbindung des christlichen Missionsgedankens mit der Idee der Kolonisation. Im Jahr 1108 forderten der Erzbischof von Magdeburg und weitere Große in einem Aufruf die Sachsen, Flamen, Franken und Lothringer auf, Krieg gegen die benachbarten paganen Elbslawen zu führen, und luden diese zugleich dazu ein, das von den Slawen zu erobernde Land in Besitz zu nehmen. Und zur gleichen Zeit führte der polnische Fürst Bolesław III. Krieg gegen die Pomoranen und plante, seine Herrschaft nach Westen hin über die Oder auszudehnen. Zu diesem Zweck förderte er die Mission des Bamberger Bischofs Otto

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im Odermündungsgebiet, wodurch er aber in Konflikt mit dem dänischen König und den deutschen Herren geriet. Schließlich musste Bolesław im Jahr 1135 Länder, die er noch gar nicht erobert hatte, nämlich Pommern und die Insel Rügen, als Lehen von Kaiser Lothar entgegen nehmen. Das Engagement der sächsischen Herren, der Polen und Dänen, der deutschen Könige und auch der geistlichen Würdenträger bezeugt den Druck auf die letzten heidnischen Gebiete im Herzen Europas. Der Aufruf von 1108 enthielt bereits die Idee eines Kreuzzuges gegen die paganen Nachbarn, der schließlich 1147 in Form des sogenannten Wendenkreuzzuges verwirklicht wurde; an diesem nahmen die christlichen Herren aber zuallererst mit dem Ziel teil, ihre Konkurrenten davon abzuhalten, sich das Land anzueignen. Auf andere Weise, nämlich durch einen Erbvertrag mit dem letzten slawischen Fürsten dieser Region, gewann Markgraf Albrecht der Bär das Land an der Havel. Dagegen unterwarf Herzog Heinrich der Löwe die slawischen Abodriten seit 1155 durch ständige Kriege, und die Dänen eroberten 1168 die Insel Rügen. Bald ergriffen die neuen deutschen, dänischen und – weiter im Osten – slawischen Herrscher und ihre Lehensträger geeignete Maßnahmen zur Transformierung und Kolonisierung der eroberten Länder mit Hilfe neu gegründeter Klöster (hauptsächlich des Zisterzienserordens) und zuwandernder Siedler aus dem Westen. Helmold von Bosau, der Augenzeuge dieser Vorgänge, zog das Fazit, dass dank der Gnade Gottes das ganze slawische Land zwischen der Ostsee und der Elbe „zu einem Siedlungsgebiet der Sachsen“ geworden sei. Das war die Folge der Anwerbung von Menschen aus dem Westen, darunter die in der Trockenlegung von Feuchtgebieten erfahrenen Flamen und Holländer, zum Landesausbau weiter im Osten; man schätzt etwa 200.000 Personen, die sich bis zum Ende des 12.  Jahrhunderts auf ungefähr 50.000 Höfen bis zu einer Linie Schwerin-Spandau-Dresden ansiedelten (Kuhn 1973: 173–210). Diese Kampagne bildete die demographische Basis für jene Siedler und ihre Familien, die bereit waren, noch weiter in den Osten Europas zu ziehen und an der dortigen Gründung neuer Dörfer in noch unbesiedelten Gebieten mitzuwirken. Hauptmotiv für ihre Entscheidung war das ihnen zugestandene emphyteutische Recht, das ihnen vererbbare Nutzungsrechte an Land gegen eine festgeschriebene Pacht sicherte. Auf dieser Grundlage genossen sie persönliche Freiheit, waren wirtschaftlich unabhängig und in der Lage, profitorientiert Ackerbau zu betreiben. Unter diesen Bedingungen wuchs im Laufe der Kolonisation eine neue soziale Schicht heran – eine selbstbewusste Bauernschaft. Es gab noch eine weitere neue soziale Gruppe, die sich aus den Anführern der Siedlergemeinschaften und aus jenen Ministerialen bildete, die von den Landesherren mit der Rekrutierung der Neusiedler beauftragt waren – die Lokatoren. Diese Personen bildeten eine Schicht von Unternehmern, die das ökonomische Risiko der Gründung eines neuen Dorfes trugen (Zientara 1981). Sie waren für die Vermessung und Binnenaufteilung verantwortlich und schlossen im Namen der Siedlergemeinschaften die Verträge mit den Landesherren. Ihr Engagement wurde gewöhnlich durch die Verfügungsrechte über Monopole (als Betreiber von Tavernen und Mühlen) und das Amt des Schulzen (scultetus) entlohnt.

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Der Terminus locator zeigt zugleich einen bemerkenswerten semantischen Wandel in der deutschen Sprache an, der die Kolonisation begleitete; er fand seine Entsprechung nämlich in der Bezeichnung für einen neuen Typus von urbanen Siedlungen in Anlehnung an ihren Platz (lateinisch locus, deutsch Stätte), und zwar im Unterschied zu dem alten Typ, der zur Burg gehört hatte (lateinisch urbs) (Ludat 1973). Die rechtlichen Bedingungen der neuen Städte wurden bald in speziellen Gründungsurkunden niedergelegt, zugleich die Grundlage für die Entwicklung eines städtischen Bürgerrechts und der kommunalen Selbstverwaltung. Mit der Zeit entstanden kodifizierte Stadtrechte, von denen das Magdeburger Recht das wichtigste war und nach Osten hin die weiteste Verbreitung fand. Es war mit dem „Sachsenspiegel“ verwandt, einem Kompendium von Gewohnheitsrechten, das nicht nur das Phänomen des Landesausbaus berücksichtigte, sondern auch die Probleme des Zusammenlebens von Deutschen und Slawen. In der Praxis wies dieses ein breites Spektrum von je nach Region unterschiedlichen Möglichkeiten auf – von der gewaltsamen Vertreibung bis zur Adaption und Integration der Slawen in die neuen Verhältnisse. Insgesamt gesehen waren die einheimischen Slawen in einem nach Osten hin steigendem Umfang in den Landesausbau einbezogen. Schon Helmold von Bosau wusste, dass der Abodritenfürst Pribislav den Befehl gegeben hatte, Burgen zu erneuern und ihre Umgebung mit slawischen Siedlern zu bevölkern, und auf der Insel Rügen gab es gar keine Zuwanderung deutscher Bauern. Sogar in einer Landschaft viel weiter im Westen, im Hannoverschen Wendland, lebte eine geschlossene slawische Gemeinschaft in ihren typischen kreisförmigen Dörfern, den Rundlingen. Überhaupt entstanden völlig neue Formen von Dörfern, wie die Reihendörfer mit ihren an einer Straße aneinandergereihten Gehöften; in Wäldern oder gebirgigen Gegenden lagen sie auch entlang von Bächen. Die Neusiedler erhielten Streifen von Land zur Bewirtschaftung, die sich direkt hinter den Gebäuden in Form einer Hufe erstreckten, das heißt im Umfang eines Stück Landes, das an die Arbeitskraft einer Familie angepasst war und bei Anwendung moderner Methoden (Gebrauch des Wendepflugs in Dreifelderwirtschaft) durch einen Pflug bearbeitet werden konnte. Solche Ackerstücke waren häufig von einer Hecke (auch: Hag) umgeben, sodass man die Siedlungen als Hagenhufendörfer bezeichnete, die besonders in Vorpommern, in Ostsachsen, im Erzgebirge, in den Sudeten und Beskiden anzutreffen sind. Die Elbmarken bildeten die erste Etappe, wo die Regeln des Landesausbaus erprobt wurden, und da die Transformation hauptsächlich durch Deutsch sprechende Menschen angestoßen und durchgeführt wurde, fasste man das ganze Phänomen unter dem Begriff „Deutsches Recht“ (ius Theutonicum) zusammen, als es an die östlich benachbarten Regionen weitergegeben wurde. Die von außerhalb gekommenen Siedler wurden als „Gäste“ (hospites) willkommen geheißen und mit Privilegien ausgestattet, die in Urkundenform nicht nur für die ländlichen Siedler und ihre Dörfer, sondern bald auch für die neuartigen Städte bekräftigt wurden.

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5 Die Ausweitung der Kolonisation nach Ostmittelund Osteuropa Die östlichen Nachbarn der Deutschen jenseits der Elbmarken, dabei vor allem die Eliten und kirchlichen Institutionen Polens, Böhmens (und Mährens) und Ungarns, standen in engem Kontakt zueinander und ebenso mit ihren Nachbarn im Westen, und in wachsendem Maße traten in der ganzen Region unternehmerisch tätige Personen auf, die als Fernhändler oder Lokatoren aktiv waren. Seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts verbreitete sich das Bewusstsein, dass man mit dem Ackerbau Geschäfte machen konnte. Die Fürsten und in einigen Fällen weitere Grundherren begannen, die ländliche Besiedlung zu fördern, indem sie die ältere Form der Organisierung der Dienste der ländlichen Bevölkerung modifizierten. Dieser Prozess wird durch neue Ortsnamen wie Lhota / Lgota bezeugt, hinter denen sich die Suspendierung der Dienstpflichten der Bewohner für einige Jahre verbirgt. In anderen Regionen, wie im Königreich Ungarn, förderten die Grundherren die Ansiedlung von „Gästen“. Schließlich wurden die Muster der Kolonisation, die in der deutschslawischen Kontaktzone erprobt worden waren, nach und nach übertragen. Entscheidend für den Erfolg dieses Prozesses waren die Begleitumstände, nämlich ein kontinuierlicher Bevölkerungszuwachs im Westen bei einer gleichzeitigen geringen Bevölkerungsdichte im Osten, die generelle Weiterentwicklung der Städte und ihrer Bürgerschaften, und die Verbesserung der landwirtschaftlichen Anbaumethoden. Da die Anwendung des Deutschen Rechts mit seinen individuellen Privilegierungen nur unter der Vorbedingung praktikabel war, dass die Neusiedler frei waren von jenen Pflichten, die traditionell zugunsten der Fürsten zu verrichten waren, und weil die Fürsten die größten Landbesitzer waren und zudem auch den Besitz unbewohnten Landes generell für sich reklamierten, waren die Dynastien die wichtigsten Initiatoren der Kolonisationsvorgänge im östlichen Mitteleuropa. Das ist der Grund dafür, dass die Siedlungsprozesse häufig zu breit angelegten infrastrukturellen Planungen gehörten, die auch Aspekte der Landesverteidigung einschlossen. Schlesien kann in dieser Hinsicht als eine Art Modellregion betrachtet werden. Es war vor allem Fürst Heinrich I. von Schlesien (1201–1238), der deutsche Bauern und Stadtbürger anwarb und in einem komplexen System von Städten und Dörfern in ihrer Umgebung (Weichbild) ansiedelte. Wenn man die Einbeziehung bisher unbesiedelter Gebiete berücksichtigt, zeigt sich hier, wie generell in den vom Landesausbau betroffenen Regionen, ein Gleichklang von „Verdichtung und Ausweitung“ (Conze 1992). In diesen Prozess bezog Heinrich neben den Unternehmern, die professionell das Siedlungsgeschäft betrieben, auch Klöster und Ritterorden mit ein. Eine besondere Rolle spielte der Deutsche Ritterorden, dessen Tätigkeit ganz auf die Kontrolle einer zu kolonisierenden Region ausgerichtet war. Dieses Bestreben bewog den ungarischen König Andreas II. im Jahr 1225, die Ordensritter wieder aus dem Burzenland zu vertreiben, das er ihnen einige Jahre zuvor noch zur Verfügung

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gestellt hatte. Der Orden konzentrierte sich seitdem auf baltische Gebiete, besonders seit der polnische Fürst Konrad von Masowien Hilfe gegen die baltischen Pruzzen suchte, die sein Land durch häufige Einfälle gefährdeten. Im Jahr 1230 übergab Konrad den Ordensrittern das Kulmer Land, das sich bald zum Kern des neuen Ordensstaates entwickelte, der allgemein als der am besten organisierte und profitabelste Staat jener Zeit angesehen wird. Kolonisationsmaßnahmen mit Hilfe von Siedlern aus dem Westen und die Gründungen von Städten waren entscheidende Faktoren dieser erfolgreichen Entwicklung. In anderen Regionen, wie in Westungarn, überließen die Könige den Magnaten große Territorien für die Kolonisation gemäß dem Deutschen Recht durch Siedler aus Österreich, und südliche Teile Kleinpolens wie auch die benachbarten Teile Rotrutheniens wurden unter König Kasimir III. von Polen (1333–1370) durch Siedler aus Schlesien und Polen kolonisiert. Nach 1370 waren es polnische und ruthenische Kolonisten, die im nördlichen Teil Rotrutheniens Wälder gemäß dem Deutschen Recht rodeten, und in den höheren Regionen der Karpaten wurde die Besiedlung durch Walachen und Ruthenen gemäß dem Recht der Walachen durchgeführt, das auf dem Deutschen Recht beruhte und dieses an ihre teils agrarische, teils hirtengesellschaftliche Lebensweise anglich. In Bezug auf all diese spezifischen Fälle waren die Herrscher anfänglich stets darauf bedacht, die autochthone Bevölkerung in ihren traditionellen Lebensbedingungen mit ihren Dienstverpflichtungen zu bewahren, doch mussten sie diese Absicht nach einigen Jahrzehnten aufgeben. Diese Feststellung ist auch gültig für die neuen Städte, die häufig in unmittelbarer Nähe zu den alten Burgen gegründet wurden (Mühle 2011). So wurde beispielsweise in der Gründungsurkunde für Krakau, die den neuen Stadtbürgern das Magdeburger Recht zusicherte, vertraglich bestimmt, dass es den künftigen Vögten der Stadt nicht erlaubt sein sollte, irgendeinen Polen zum Mitbürger zu machen. Die Kolonisationsstädte waren aber nicht nur rechtlich völlig neu konzipiert, sondern auch in ihrer äußeren Erscheinungsweise durch ihre planmäßige, schachbrettartige Anlage der Straßen und einen großen Marktplatz (der „Ring“, davon abgeleitet polnisch rynok) samt einer auf ihn zulaufenden Breiten (oder Langen) Straße. Es ist auch bemerkenswert, dass parallel zum Deutschen ein semantischer Wechsel in den slawischen Sprachen wirksam wurde, denn die neuen Städte wurden als (polnisch) miasto (tschechisch město, ursprüngliche Bedeutung: „Platz, Stätte“) bezeichnet und damit von den älteren stadtähnlichen Siedlungsagglomerationen bei einer Burg unterschieden, deren Bezeichnung (polnisch) gród (tschechisch hrad) sich von nun an auf die eigentliche Burg verengte. Dieser Bedeutungswandel griff aber nicht in Russland, wo mesto noch immer lediglich einen Platz bezeichnet und gorod die Stadt. Durch die spezifischen Eigenheiten in Stadtstruktur und -terminologie lässt sich somit die Reichweite des Deutschen Rechts bis heute erkennen. In Russland selbst wurde die Kolonisation im Ergebnis der aus den südlichen Steppengebieten erwachsenen Bedrohung beispielsweise durch die Kumanen (auch: Polovcer) intensiviert. Viele Bauern flohen in das „Land hinter den Wäldern“ (zales’e),

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also in die Region um die Städte Suzdal, Vladimir und Rostov, wo sich in der Zukunft Moskau zur neuen Metropole entwickeln sollte. Als die kolonisierenden Bauern die Landwirtschaft dorthin ausdehnten, wurde das Land auch für die grundbesitzenden Bojaren und Händler attraktiv, und schließlich verlegten die Großfürsten ihren Sitz von Kiew in den Nordosten der Rus. Die ganze Entwicklung wurde dann durch den Einfall der Mongolen (1237–41) beschleunigt; seit dem Ende des 13. Jahrhunderts wanderte eine beträchtliche Zahl von Bojarenfamilien aus anderen Gegenden der Rus in die Moskauer Region ein, darunter beispielsweise Rodion, ein Bojar aus Kiew, der seinen ganzen Hof in einer Größenordnung von 1.700 Personen mit brachte. Eine anschauliche Beschreibung der ganzen Entwicklung gibt die Lebensbeschreibung des hl. Sergej von Radonež, der anfänglich ganz alleine als asketischer Eremit in den Wäldern nördlich von Radonež lebte, dem aber bald weitere Mönche folgten, die ihre eigenen Zellen hatten und für ihren Lebensunterhalt arbeiteten. Schließlich kamen immer mehr Mönche dorthin, sodass eine Klostersiedlung mit weiteren Dörfern in der Umgebung entstand. Von überall her kamen auch Bauern, siedelten in der Nähe des Klosters, rodeten die Wälder und kultivierten das Land. Außerdem begannen Sergejs Schüler sich über Zentral- und Nordrussland zu verteilen, wobei sie schwierige, mit Herausforderungen verbundene Plätze bevorzugten und an ihnen zahlreiche weitere Klöster gründeten. Auf diese Weise verbreiteten sie nicht nur Ansehen und Autorität ihres Lehrers, sondern trugen auch ganz erheblich zur Kolonisation Nordrusslands bei, deren Muster sich allerdings in vielerlei Hinsicht grundlegend von der Kolonisation Ostmitteleuropas unterschied. Allerdings gab es einen gemeinsamen Charakterzug, der mit den Anfängen der mittelalterlichen Kolonisation in der Germania Slavica übereinstimmt: die Beteiligung unterschiedlicher ethnischer Gemeinschaften bei der Besiedlung einer Region, und zwar in Nordrussland sowohl von Russen als auch von ostseefinnischen und finno-ugrischen Gruppen, sodass eine Rossia Fennica entstand (Zernack 1994).

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Oliver Auge

Ostseeraum 1 Einleitung Die Ostseeregion war während des gesamten Mittelalters ein Raum ungemein vielfältiger Migrationen und eignet sich deswegen in hervorragender Weise zur Veranschaulichung der allgemeinen mittelalterlichen Migrationsgeschichte. Die Wanderungen lassen sich bis ins 7. Jahrhundert zurückverfolgen, ja sogar bis ins 4./5. Jahrhundert, bezieht man die Wanderung der Angeln, Sachsen und Jüten nach England mit ein. Sie verliefen in der Tendenz zu Anfang von Nord nach Süd beziehungsweise von Ost nach West und nachgehend in entgegengesetzter Richtung. Obwohl grundsätzlich in vielen frühneuzeitlichen Abstammungsmythen das Motiv der Wanderung vorkommt, ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die den Charakter und die Geschichte des Ostseeraums stark prägenden Wanderungen hier auch ihren besonderen historiographischen Niederschlag fanden: So wurden schon seit dem Ende des 13. Jahrhunderts die mittelalterlichen Schweden zu direkten Nachfahren der antiken Goten stilisiert, die auf ihrer von Skandinavien ausgehenden Wanderschaft Rom besiegt und Spanien erobert hätten. Diesen Gotizismus brachte der schwedische Bischof Nils Ragvalsson (ca. 1380–1448) 1434 auf dem Baseler Konzil wortgewaltig zum Ausdruck, um die seiner Meinung nach herausragende Qualität der Schweden gegenüber anderen europäischen Mächten zu unterstreichen. Die heutige Wissenschaft widerspricht dieser Migrations- und der damit verbundenen Herkunftsthese mit guten Grund ebenso wie der des bekannten Humanisten Heinrich Rantzau (1526–1598) in Bezug auf die Kimbern: Er konstruierte in seiner „Wahren Beschreibung des Dithmarscher Krieges“ (1570) und der „Neuen Beschreibung der Kimbrischen Halbinsel“ (1597) eine unmittelbare Abstammung der Holsteiner und Dithmarscher vom antiken Germanenvolk der Kimbern, die er wiederum als Nachfahren von Noahs Enkel Gomer darstellte. Vom Bosporus seien die Kimbern zur Kimbrischen Halbinsel gewandert und weiter nach Italien, wo sie der römische Feldherr Marius nur teilweise vernichtet habe. Ihre Reste seien zur Kimbrischen Halbinsel (=  Schleswig-Holstein) zurückgekehrt. Wie diese beiden Mythen waren auch mittelalterlich-frühneuzeitliche Texte zur Geschichte der Mecklenburger, Pommern und Polen mit fließenden Grenzen zwischen Fiktionalität und Realität stark von Namen und Ereignissen der Migrationsgeschichte geprägt.

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2 Jüten, Friesen, Wikinger (8./9. Jahrhundert) Während der Völkerwanderungszeit hatte offenbar ein Großteil der germanisch-stämmigen Menschen das Gebiet an der südwestlichen Ostseeküste, wo sie bis dahin gesiedelt hatten, verlassen. Am bekanntesten sind sicher die Angeln und Sachsen, die um die Mitte des 5. Jahrhunderts in größerer Zahl vom heutigen Schleswig-Holstein aus nach England ausgewandert waren und dort neue Herrschaftsbereiche bildeten. Man mutmaßt anhand der archäologischen und paläobotanischen Befunde, dass in der Folgezeit weite Teile der einstmals mehr oder minder dicht besiedelten Landschaften verödeten, wenngleich auch längst nicht überall sämtliche Menschen fortzogen. Erst allmählich scheint sich die Region dann wieder mit Menschen gefüllt zu haben. So wanderten auf der sogenannten Kimbrischen Halbinsel aus dem Norden dänische Jüten ein und erreichten offenbar in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts an einigen Stellen die Schlei. Zu einem markanten Dreh- und Angelpunkt dieser Migrationsbewegung entwickelte sich schnell das gut geschützt an der Schlei gelegene präurbane Emporium Haithabu / Hedeby / Sliesthorp, nicht zuletzt weil sich hier, an der Schnittstelle zwischen Nord- und Ostsee, ein Zentrum des damaligen Fernhandels etablierte, das recht schnell neben dänischen, sächsischen und slawischen permanentes, also Dauerbewohnern, auch eine große Zahl von frequentantes, saisonalen Einwohnern, unterschiedlichster regionaler Herkunft kannte. Im 10. Jahrhundert zählte die Siedlung wohl ca. 1.500 Einwohner. Sogar Araber sind als Besucher Haithabus bezeugt. Neben seiner wirtschaftlichen Bedeutung vereinte Haithabu auch zentrale politische, administrative und kirchliche Funktionen in sich. So errichtete der Missionar Ansgar hier um 850 die erste Kirche Skandinaviens. In enger Verbindung zu Haithabu stand die in ihren Anfängen archäologisch bis auf die Mitte des 7. Jahrhunderts zurückdatierte, weitläufige Befestigungsanlage des Danewerks, die die Schleswiger Landenge zwischen der Schlei und der Treeneniederung nach Süden hin abriegelte beziehungsweise die Verkehrsverbindung auf der schmalen Landenge zwischen Nord- und Ostsee wirksam sicherte. Im Umfeld des Zentralorts Haithabu lässt sich dann für das späte 8. Jahrhundert und die Folgejahrhunderte eine rege Zunahme der Siedlungstätigkeit nachweisen, in deren Rahmen die Dänen die Schlei in Richtung Süden überschritten. Von den nach der Völkerwanderungszeit zwischen Elbe und Eider siedelnden sächsischen Teilstämmen der Dithmarscher, Holsten und Stormaren blieben die Dänen damals aber augenscheinlich durch einen siedlungsarmen beziehungsweise siedlungsleeren Streifen getrennt. Von Friesland aus wanderten zudem ab etwa 700 in einer ersten Welle Friesen auf die Kimbrische Halbinsel, genauer: in den Bereich des an der Nordsee gelegenen heutigen Nordfrieslands ein, beginnend mit Eiderstedt und den nordfriesischen Inseln (Amrum, Föhr, Sylt usw.). In entlegener Literatur findet sich im Übrigen auch die Erwähnung einer schwedischen Einwanderungsbewegung in die Schleiregion, die im frühen 10. Jahrhundert stattgefunden haben soll. Soweit man heute weiß, gab es diese Einwanderung allerdings nicht. Ähnliche Vorgänge wie in Haithabu lassen sich bei einem weiteren kommerziellen Zentrum der Zeit beob-

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achten: in Jumne an der Stelle des heutigen Wollin. Auch hierin zog es Menschen verschiedenster Herkunft, selbst aus dem byzantinischen Raum, um dort zu leben, einem Handwerk, vor allem in der Bernsteinverarbeitung, nachzugehen oder Handel zu treiben. Adam von Bremen nennt Jumne gar die zu seiner Zeit größte aller Städte Europas. Im 12. Jahrhundert verlor es nach Überfällen der Dänen schnell an Bedeutung und wurde bald von Stettin als neuem Herrschaftszentrum der pommerschen Fürsten abgelöst. Zur Absicherung ihres Handels mit der reichen Siedlung, die wohl mit dem Vineta der Sage gleichzusetzen ist, ließen sich Wikinger zwischen 940 und 970 in der sogenannten Jomsburg nieder, die wohl ein ähnliches Erscheinungsbild wie Haithabu aufwies und in deren Hafen angeblich 300 Wikingerlangschiffe Platz fanden. Neueren Vermutungen zufolge soll sich die Jomsburg an der Stelle des heutigen Spandowerhagen im Mündungsgebiet der Peene befunden haben. Nicht weit von der Jomsburg entfernt zeugen umfängliche Grabungsbefunde in Menzlin bei Anklam von einem weiteren, dauerhaft besiedelten Handelsplatz der Wikinger, der hier im frühen und mittleren 9. Jahrhundert bestand. Für die Dauerhaftigkeit spricht neben den entdeckten Resten einer hölzernen Brücke vor allem ein Brandgräberfriedhof mit unter anderem acht schiffsförmigen Steinsetzungen und zwölf Steinkreisen, wie es zeitgleichen skandinavischen Sitten entspricht. Die Grabbeigaben, die gefunden wurden, lassen auf Frauengräber schließen. Um 750 entstand zudem am Ufer des Wolchow nahe der Mündung in den Ladogasee an einer ähnlichen Schnittstelle zweier Handelsräume wie im Falle Haithabus der multiethnische Handels- und Handwerksplatz Staraja Ladoga, den die Skandinavier Aldeigjuborg nennen. Die längere Präsenz skandinavischer Fernhandelskaufleute lässt sich auch hier über ein eigenes Gräberfeld sehr gut belegen. Bekanntlich trieben die Wikinger aber nicht nur friedlichen Handel, sondern fuhren auch raubend und plündernd zur See, wozu sie wohl durch Bevölkerungsdruck, Landknappheit, Kampfeslust und Beutehunger veranlasst worden sind. Mit ihren hochseetüchtigen Schiffen machten sie auf ihren Streifzügen natürlich laufend auch den Ostseeraum – unter anderem auf der Suche nach Slawen, die sie als Sklaven verkauften – unsicher, wenngleich ihre Übergriffe in Britannien und im Frankenreich einen unweit größeren Niederschlag in den Quellen fanden.

3 Slawen (6./7.–9. Jahrhundert) Seit der Mitte des 6. Jahrhunderts ließen sich westslawische Gruppen, ursprünglich aus dem Osten über die Oder beziehungsweise aus dem Südosten die Elbe entlang kommend, in mehreren Einwanderungswellen im Gebiet des heutigen (Nord-) Ostdeutschland (= ‚Germania Slavica‘) nieder. So begannen zwischen der Weichselmündung und Rügen die Pomoranen (pomorju =„am Meer“) sowie auf Rügen und im unmittelbaren Bereich vor der Insel die Ranen oder Rügier zu siedeln und wanderten im Verlauf des 7. Jahrhunderts die Lausitzer Stämme und die Vorläufer der späteren

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Wilzen nach Ostdeutschland ein. Aus den Einwanderern bildeten sich mehrere neue Stammesverbände heraus, etwa die Wilzen / Liutizen und Abodriten im Bereich des heutigen Mecklenburg-Vorpommern oder die Wagrier im östlichen Holstein und die Polaben im Lauenburgischen beziehungsweise westlichen Mecklenburg. An Uecker und Müritz siedelten Ukranen und Müritzer. Die Forschung fasst diese slawischen Verbände unter dem Begriff der ‚Wenden‘ bzw. ‚Elbslawen‘ zusammen und setzt deren weitestes Ausgreifen bis nach Ostholstein gemeinhin für die zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts an. Allerdings verweisen neuere archäologische Untersuchungen eher auf das 8. Jahrhundert. Bis zum 9. Jahrhundert rückten die Wagrier und Polaben dann etwa bis zu einer Linie von der Kieler Förde bis an die Elbe bei Lauenburg vor. Sie erschlossen das Land über Burgen, die offenbar als Mittelpunkte von Burgbezirken mit zugehörigen Siedlungen fungierten. Diese bildeten Siedlungskammern meist an Flussläufen, die von großen mehr oder minder unbesiedelten Wald- und Sumpfgebieten umschlossen waren. Zentrale Herrschaftsorte waren im östlichen Holstein Aldinburg oder Starigrad (= Oldenburg), Olsborg / Plune (= Plön), Ratzeburg und Liubice (= Alt Lübeck), wovon zumindest Oldenburg und Alt Lübeck an wichtigen Handelswegen lagen und so nicht von ungefähr enge, auch archäologisch nachweisbare Handelsbeziehungen zu den anderen damaligen Wirtschaftszentren des Ostseeraums unterhielten. Überregionale Bedeutung besaßen auch die slawischen Heiligtümer Rethra im Tollensegebiet und nach dessen Zerstörung 1068 Arkona auf Rügen. Als sich in spätslawischer Zeit (10./11. Jahrhundert) die Herrschaft über die Wagrier in der Hand königsähnlicher Fürsten (Gottschalk, Kruto, Heinrich) konzentrierte, nahmen sie ihren Sitz in Alt Lübeck, wo sich nun ein aufstrebender frühstädtischer Komplex entwickelte, der aus einer Burg, einem Hafen, zwei Vorburgsiedlungen und einer Siedlung christlicher Kaufleute mit eigener Kaufmannskirche bestand. Nach Westen grenzte, gängigen Geschichtsdarstellungen zufolge, der sogenannte Limes Saxoniae seit dem Beginn des 9. Jahrhunderts den Siedlungsbereich der slawischen Wagrier und Polaben von dem der sächsischen Nachbarn ab. Im Unterschied zum Danewerk soll es sich dabei freilich nicht um einen befestigten Wall gehandelt haben, wie der Name zunächst Glauben macht, sondern um einen breiteren, weitgehend unbesiedelten Grenzsaum, dessen Verlauf sich an Wasserläufen und einzelnen Geländepunkten orientierte und in dessen weiterer Umgebung sich auf beiden Grenzseiten Burganlagen konzentrierten; von diesen aus wurde der betreffende Teil des Landes kontrolliert. Die Einrichtung des Limes Saxoniae soll eine Folge der herrschaftlichen Einbeziehung der nordelbischen Sachsen in das Karolingerreich im ersten Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts gewesen sein. Nach neueren, noch weiter zu diskutierenden Thesen existierte dieser Limes Saxoniae allerdings überhaupt nicht, sondern war das Produkt einer Geschichtsfälschung Erzbischof Adalberts und seines Scholasters Adam von Bremen. Das machtpolitische Eindringen der Franken in den Raum nördlich der Elbe wurde jedenfalls 810 durch den Bau des Kastells Esesfeld am Nordufer der Stör unmittelbar beim heutigen Itzehoe und die Stationierung einer fränkischen Besatzung abgesichert. Aus dem gleichen Grund war bereits 804 die sächsische Füh-

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rungsschicht auf Befehl Karls des Großen aus Nordelbien deportiert worden, schenkt man der entsprechenden Nachricht in den fränkischen Reichsannalen Glauben. Nicht aus politischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen wurden ungefähr zeitgleich, 808, die Kaufleute des beim heutigen Wismar gelegenen slawischen Handelsortes Reric nach dessen Zerstörung durch den dänischen König Göttrik  / Godfred nach Haithabu zwangsumgesiedelt, was der Fortentwicklung Haithabus zur damals wichtigsten Handelsmetropole im westlichen Ostseeraum weiteren und nachhaltigen Vorschub leistete. 811 wurde schließlich die Eider als Grenze zwischen dem fränkischen und dem dänischen Herrschaftsbereich vertraglich festgelegt. Doch bildete diese politische Grenze kaum je eine Siedlungsgrenze, da fränkisch-deutsche Siedler bald, spätestens im Zuge des kurzzeitigen ottonischen Ausgriffs bis nach Haithabu / Schleswig, auch nördlich der Eider auf Dauer zu siedeln begannen. Mit der Etablierung der Karolingerherrschaft im Norden setzte von Hamburg aus die erfolgreiche Missionierung der nordelbischen Sachsen und Dänen ein, wohingegen die Missionsbemühungen in Wagrien und Polabien erst zur ottonischen Zeit mit der Gründung des Missionsbistums in Oldenburg zwischen 968 und 973 griffen. Der große Slawenaufstand von 983 brachte allerdings einen herben Rückschlag. Als dann 1018 die heidnischen Liutizen den Abodritenfürsten Mistislaw stürzten, brach das Missionswerk erst einmal ganz in sich zusammen. Ein zweiter Anlauf zwischen 1062 und 1066 scheiterte mit der Ermordung des Fürsten Gottschalk durch eine innerslawische Opposition ebenfalls. Auch die anderen damals in der ‚Germania Slavica‘, d.  h. in Ratzeburg, Alt Lübeck, Leezen, Mecklenburg und so weiter existierenden Kirchen wurden zerstört, und die dort wirkenden Geistlichen wurden vertrieben oder ermordet. Allerdings richtete sich ihre geistliche Tätigkeit offenbar nicht nur an die gentile Slawenbevölkerung, die es zu missionieren galt, sondern auch an bereits dort lebende Christen, die wie die gerade erwähnten Kleriker in die ‚Germania Slavica‘ eingewandert waren und, wie etwa für Alt Lübeck bezeugt, ihren Lebensunterhalt mit Handel erwirtschafteten.

4 Der hochmittelalterliche Landesausbau in der Germania Slavica (12.–14. Jahrhundert) Die Ostsiedlung, früher von der Forschung als deutsche Ostkolonisation bezeichnet, setzte im 12. Jahrhundert ein; damals gewann einerseits das Bevölkerungswachstum im Altsiedelland ein so großes Ausmaß, dass der auch dort stattfindende Landesausbau nicht länger ausreichte, um der überschüssigen Bevölkerung hinreichende Lebensund Nahrungsgrundlagen bereitzustellen; andererseits erschloss der christlichherrschaftliche Ausgriff auf weite Teile des sogenannten gentilen Keils beziehungsweise der an der Ostsee gelegenen ‚Germania Slavica‘ auch neue Siedlungsräume, die bisher von den Slawen besiedelt gewesen und nun oft durch massive Kampfhandlun-

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gen und Vertreibungen mehr oder minder entvölkert waren. Die betreffenden Gebiete an der südlichen Ostseeküste waren freilich nicht durchweg menschenleer: Teilweise lebten noch Slawen in unterschiedlicher Dichte in ihnen und weiter östlich Balten. Nach dem eher erfolglosen Auftakt im sogenannten Wendenkreuzzug (1147) dehnte der Sachsenherzog Heinrich der Löwe seinen Machtbereich nach Osten zu Lasten der Abodriten und Pomoranen nach dem heutigen Mecklenburg und Pommern aus, während sein Lehnsmann, der Holsteiner Graf Adolf II., ab 1142 seine Landesherrschaft über Wagrien durchsetzte, nachdem dieser Bereich 1139 gewaltsam erobert worden war. Adolfs Konkurrent Heinrich von Badwide tat dasselbe in Polabien, das ihm in einem vertraglichen Kompromiss als Herrschaftsbereich zugefallen war. Für sich genommen bildete der frisch gewonnene Grund und Boden allerdings totes Kapital. Erst seine Kultivierung zahlte sich gewinnbringend aus, weswegen sogleich deutsche Siedler ins Land gerufen wurden. Der zeitgenössische Chronist Helmold von Bosau berichtet ausführlich, dass Graf Adolf Boten nach Flandern, Holland, Utrecht, Westfalen und Friesland sandte, um diejenigen als Siedler anzuwerben, die dort zu wenig zum Leben hatten; als Anreiz habe er ihnen fruchtbare Äcker und Weiden im Neusiedelland versprochen. Gleichzeitig ermunterte Adolf aber auch die Holsten und Stormaren, vom gerade eroberten Slawenland Besitz zu ergreifen. Helmold erzählt weiter, dass tatsächlich eine große Menge Menschen dem Aufruf folgte. Die Neusiedler aus Holstein sollen Wohnsitze in dem am besten geschützten Gebiet westlich von Segeberg, an der Trave, an der Schwentine und zwischen Schwale und Plöner See erhalten haben, während Westfalen das Darguner Land besiedeln durften und sich im Gebiet um Eutin Holländer beziehungsweise um Süsel Friesen niederließen. Das eigentliche Plöner Land blieb damals noch unbewohnt. Die jetzt zinspflichtigen Slawen bekamen Oldenburg, Lütjenburg und die anderen Küstengegenden als letzten Rückzugsraum zugewiesen. Die Aufzählung der Siedler zeigt, dass viele von ihnen im heutigen Verständnis nur bedingt als ‚Deutsche‘ bezeichnet werden können. Sie stammten vielmehr aus Regionen, die zwar im historischen Kontext zum Reichsgebiet gehörten, heute aber nicht mehr zu Deutschland zählen. In einer ersten Phase wurden neue Siedlungen direkt im Auftrag der Landesherren auf deren Risiko und Rechnung errichtet. Mit der konkreten Durchführung waren Siedlungsunternehmer, die sogenannten Lokatoren, beauftragt. In einer zweiten Etappe wurde das zu besiedelnde Land zur landesherrlichen Gewinnoptimierung direkt an die Lokatoren zur Weitererschließung übergeben und vertraglich genau festgehalten, was sie dem Landesherrn dafür zu leisten hatten. Bei den Lokatoren handelte es sich meist selbst um Siedler, die für die Erfüllung ihres Auftrags eine privilegierte Stellung im Neusiedelland erhielten, etwa als Schultheißen. Aus ihrem Kreis bildete sich im Kern ein neuer Landesadel heraus. Auch die geistlichen Gemeinschaften der Ordensklöster, die im Zuge der Christianisierung von den Landesherren umfangreichen Landbesitz im Slawenland zur Urbarmachung erhalten hatten, bemühten sich, ihre Ländereien durch planmäßige Besiedlung zu erschließen. Dabei taten sich bekanntlich besonders die Zisterzienser und Prämonstratenser hervor.

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Zudem betrieb ab dem 13. Jahrhundert der Deutsche Orden, der sich an der Ostsee etablierte, den Landesausbau an der südöstlichen Ostseeküste und in den Binnengebieten Preußens. Und auch die slawischen Herrscher Mecklenburgs, Pommerns, Rügens und Polens riefen nach ihrer Christianisierung im Interesse der eigenen Herrschaftsbildung Siedler aus dem Westen in ihre Länder. So wurde etwa Heinrich Borwin von Mecklenburg 1210 mit der Hälfte des Kornzehnten auf Poel, einer vor dem heutigen Wismar gelegenen Insel, belehnt; dadurch sollte er die nötigen Mittel in die Hand bekommen, um deutsche Bauern als Siedler auf die Insel zu locken, welche die dort ansässigen Slawen wegen ihrer nur noch geringen Zahl und Armseligkeit zu bebauen nicht länger in der Lage waren. Tatsächlich war die von den Siedlern mitgebrachte Innovation der genossenschaftlich betriebenen Mehrfelderwirtschaft und ihre fortschrittlichere Technik, etwa in Form des Scharpflugs mit Rädern oder von Wasserund Windmühlen, der Wirtschaftsweise der indigenen Slawen überlegen und sorgte für eine beträchtliche Steigerung der Ernteerträge. Der südliche Ostseeraum wurde so schnell zu einer Getreidekammer des mittelalterlichen Fernhandels, was wiederum den Aufstieg der Hanse beförderte. Das aus Wald und Sumpf zu Äckern und Weiden zu kultivierende Land wurde ausgemessen, in einheitliche Hufen von etwa 25 bis 40 ha aufgeteilt und an die Kolonisten vergeben. Nur so konnte der Zehnt als feste Abgabe auf den jeweiligen Ertrag verlangt und gezahlt werden. Die sogenannte Zehntbarmachung hing aufs Engste mit der Ostsiedlung zusammen, denn weltliche Herren wurden von kirchlicher Seite mit einem Teil des Zehnten belehnt, weil sie deutsche Bauern nach Hufenrecht auf Slawenland angesiedelt hatten. Das brachte den Landesherren deutlich höhere Einnahmen, obwohl den Siedlern als Anreiz für die beschwerliche Urbarmachung des Landes eine anfänglich geringere Zehntleistung zugestanden worden war. Ferner waren sie teilweise vom ‚Burgwerk‘, also von der Verpflichtung, an Bau, Unterhaltung und Bewachung einer Burg mitzuwirken, befreit worden. Die holländischen Siedler lebten zudem nach ihrem eigenen Recht und besaßen das volle Erbrecht. Die Aufteilung des Landes in gleich große Hufen zog neue Siedlungs- beziehungsweise Dorfformen in den erschlossenen Gegenden nach sich, etwa in Form des Waldhufen- oder Hagenhufendorfes; dabei wurden die Häuser mit ihren dahinter liegenden Hufen entlang eines Fließgewässers oder einer Straße aufgereiht gebaut. Die Dörfer und Siedlungen, welche die Neueinwohner auf Rodungsland anlegten, bekamen in der Regel einen neuen, deutschen Namen, der oft auf „-hagen“ oder „-dorf“ endete. Doch auch der Herkunftsort der Siedler oder der Name des verantwortlichen Lokators konnte zum Ortsnamen werden, und manchmal ist eine slawische Flurbezeichnung heute noch an Endungen wie „-ow“, „-vitz“ oder auch „-in“ erkennbar. Die Neusiedler besetzten zunächst hauptsächlich das bisher von Slawen bewohnte Land und drangen erst in einem zweiten Schritt in die noch unerschlossenen Bereiche vor. Teilweise zogen sie in diejenigen Siedlungen, aus denen die Slawen ausgezogen oder vertrieben worden waren. Die verbliebenen Slawen bauten sich zuweilen in der Nähe ihres alten Dorfes ein neues mit gleichem Namen. Zur

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Unterscheidung konnte ein Zusatz wie „Klein-“ oder „Wendisch-“ dem eigentlichen Dorfnamen vorangestellt werden, während das deutsche Dorf z. B. den Zusatz „Groß-“ oder „Kirch-“ erhielt. Eine Dorfgemeinschaft von Deutschen und Slawen war solange unmöglich, wie beide Ethnien verschiedene Wirtschaftsweisen hatten. Letztlich waren die Slawen gezwungen, sich anzupassen. Durch Christianisierung, Übernahme der deutschen Wirtschaftsmethoden sowie Zusammenarbeit und andere soziale Kontakte mit den Einwanderern wurden sie nach und nach assimiliert und beteiligten sich an weiteren Dorfgründungen. Aus dieser gemischten Bevölkerung gingen die sogenannten ‚Neustämme‘ der Mecklenburger, Pommern und Ostpreußen hervor. Bis auf wenige isolierte Räume verschwand so allmählich die slawische Kultur und Sprache. Zum Ausgang des Mittelalters existierten etwa in Randzonen Pommerns oder zwischen Lübeck und Fehmarn letzte slawische Kultur- und Sprachinseln, die dann aber vollkommen untergingen. Eine systematische Diskriminierung der slawischen Bevölkerung ist jedoch auszuschließen. Aufgrund der höheren Abgaben, die aus der Neubesiedlung zu erzielen waren, war die Ersetzung der alteingesessenen slawischen Bevölkerung durch Neusiedler für die Landesherren einfach wesentlich attraktiver. Parallel zur Ostsiedlung erfolgte im Übrigen auch die Binnenkolonisation in den ehemaligen Randbereichen des Imperiums. So wurde in Holstein spätestens jetzt mit der Aufsiedlung der vermeintlichen Ödmarkengrenze am ehemaligen Limes Saxoniae begonnen. Zusätzlich wanderten ab 1100 in einer zweiten Welle Friesen in den heute nordfriesischen Festlandsbereich zwischen Eider und Wiedau (Vidå) ein; gleichzeitig überschritten deutsche Bauern die Eider und ließen sich in dem bisherigen Grenzsaum zu Dänemark nieder. Man geht davon aus, dass dieser Siedlungsvorgang von den dänischen Königen durchaus gefördert wurde. Anscheinend ließen sich die deutschen Neusiedler teilweise in bestehenden dänischen Dörfern nieder, wie es für Schwansen vermutet wird. Umgekehrt zogen damals auch dänische Bauern in das deutsche Siedlungsgebiet südlich der Schlei-Danewerk-Linie. Ebenso finden sich auf Fehmarn, das zeitweilig von Dänemark beherrscht war, Spuren einer dänischen Einwanderung – anders als anscheinend auf Rügen, das sich gleichzeitig im Machtbeziehungsweise Einzugsbereich Dänemarks befand, aber – als ein gewisser Sonderfall – noch länger stark slawisch geprägt blieb.

5 Die Migration niederdeutscher Kaufleute (13./14. Jahrhundert) Hand in Hand mit dieser Migrationswelle und ländlichen Siedlung im Osten bis zu einer Linie im östlichen Ostpreußen und ins Baltikum ging an der südlichen und östlichen Ostseeküste die Gründung und der rasche Ausbau von zahlreichen Kaufmannsniederlassungen einher, die umgehend mit Stadtrecht bewidmet wurden.

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Die dörfliche Kolonisation auf dem Landweg ist ohne die urbane von See aus nicht denkbar und umgekehrt. Denn die land- und waldwirtschaftlichen Produkte des Hinterlandes – Getreide, Holz, Pottasche, Teer – stellten genau die Nahrungsmittel und Rohstoffe dar, mit denen die Kaufleute der Städte dieses Raumes Handel trieben und Gewinne machten. Ihren Ausgang nahm die Urbanisierung des Ostseeraums nach mitteleuropäischem Muster von Lübeck, das als Nachfolgesiedlung des slawischen Liubice / Alt Lübeck 1143/1159 neu gegründet worden war und das sich schnell auf Kosten des bis dahin dominanten Fernhandelsortes Schleswig – selbst Nachfolgesiedlung des 1050 vom norwegischen König Harald Hardrada und 1066 von Slawen zerstörten Haithabu – zum Handelszentrum des Ostseeraums schlechthin entwickelte. Die Vorrangstellung Lübecks kam allein dadurch zum Ausdruck, dass die meisten der neuen Seestädte sein Recht verliehen bekamen. 1201/1211 setzte die Urbanisierungswelle mit der Stadtgründung Rigas ein, wo sich bereits zahlreiche Kaufleute niedergelassen hatten. Wie eine Perlenkette reihten sich an der Ostseeküste dann bald Stadt an Stadt, in der Regel neben slawischen oder baltischen Ansiedlungen angelegt: Ein frühstädtischer Burgort und Hafenplatz ging so dem 1218 zur Stadt erhobenen Rostock voraus, eine Fischersiedlung samt Umschlaghafen dem 1226/1229 mit Stadtrecht versehenen Wismar, ein Fischer- und Fährort Stralsund, das seit 1234 Stadtrecht besaß. Eine Saline und ein Klostermarkt, aber keine eigene Vorgängersiedlung bildeten die Wurzeln des 1250 gegründeten Greifswald, das damit eine gewisse Ausnahme darstellt. Mit der Stadtrechtsverleihung an Königsberg 1255 waren in gut fünfzig Jahren alle bedeutenden späteren Hansestädte im Ostseeraum entstanden, sieht man einmal vom Haupt der Hanse, Lübeck, selbst ab. Es handelte sich um eine Reihe bemerkenswert gleichartiger Seestädte, civitates maritimae; sie waren jeweils an Plätzen entstanden, die von Natur aus für die Anlage eines geschützten Seehafens und gleichzeitig einer Marktstadt mit der charakteristischen Marktkirche geeignet waren und deren Neusiedler aus dem Westen den Schutz der regierenden Fürsten und die schon vorhandene Infrastruktur zum Bau der Stadt in Anspruch nahmen. In ihrem Kern waren es, wie gesagt, neuartige Siedlungskörper neben älteren Siedlungselementen. Gleichwohl waren sie nicht einheitlich geplant und entstanden, auch nicht aus einem Guss. Die Anlage und der Ausbau der Städte erfolgten sicher in enger Kooperation zwischen den fürstlichen Stadtherren, die in ihrem Interesse die Urbanisierung förderten, und den kaufmännischen Führungsgruppen, die sich in den Städten niederließen. Doch lässt sich die genaue Einflussnahme bei den Gründungsvorgängen wegen der unzureichenden Quellenlage genauso wenig klären wie die entscheidende Frage, woher eigentlich das ganze Geld kam, das für die vielen Stadtgründungen benötigt wurde. Der schnell florierende Fernhandel sowie der rasch voranschreitende Landesausbau im Umland veranlassten schließlich rasch weitere Kaufmannsgruppen zur Niederlassung, sodass in kurzer Zeit Neustädte und auch die älteren Siedlungsteile beziehungsweise Vorgängersiedlungen in den Stadtkörper integriert wurden.

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Im 13.  Jahrhundert geriet zunehmend auch der skandinavische Norden in den Blick der niederdeutschen Kaufleute, die sich mehr und mehr zur Kaufmannsgemeinschaft der Hanse zusammenschlossen. So wanderten zahlreiche Kaufmänner, aber auch Handwerker und Bergleute nach Schweden ein, das durch seinen Kupferbergbau einen spürbaren Wirtschaftsaufschwung erlebte und über einen großen landund viehwirtschaftlichen Reichtum verfügte. Viele von ihnen ließen sich in Kalmar und besonders in Stockholm nieder, an dessen Gründung um 1251 sie einen großen Anteil hatten. Das Stockholmer Stadtrecht bestimmte nicht von ungefähr, dass jeweils einer der beiden Bürgermeister und jeweils die Hälfte der Stadträte Schweden sein sollten – aus Furcht vor einer deutschen Majorisierung der Stadtregierung. Ebenso begannen niederdeutsche Kaufleute, mit Norwegen, das im Stockfisch ein wichtiges Exportgut hatte, Handel zu treiben, und exportierten, für Lübeck um 1240 bezeugt, dorthin Getreide, Mehl und Malz. Schließlich verdrängten sie ab 1250 die Engländer mit billigem Roggen, der durch die wachsende agrarische Produktion infolge der Ostsiedlung in steigendem Maß zur Verfügung stand, vom norwegischen Markt und begannen seit etwa 1260 – der Einkaufsvorteile während der Wintermonate wegen –, auch in der kalten Jahreszeit in Bergen zu bleiben. Sie erwarben Höfe in der Stadt und legten so den Grundstein für das spätere Hansekontor. Während sich in Bergen vornehmlich Kaufleute aus Lübeck niederließen und den dortigen Handel dominierten, tätigten in Oslo und Tønsberg Fernhändler aus anderen Ostseestädten, besonders aus Rostock, ihre Geschäfte und nahmen dort ihren festen Wohnsitz. Diese Migration niederdeutscher Kaufleute und Fernhändler nach Skandinavien ist auch für den weiteren Verlauf des Mittelalters und darüber hinaus für die Neuzeit zahlreich belegt und führte zur Herausbildung interbaltischer bzw. -skandinavischer Kaufmannsdynastien, als die Siedlungsbewegung im Rahmen der Ostsiedlung im eigentlichen Sinne längst erloschen war. Diese erlahmte im Zuge der großen Pestwelle (und weil viele der in Frage kommenden Gebiete dann auch besiedelt und erschlossen waren) um die Mitte des 14. Jahrhunderts und lief schließlich allmählich aus. Vom Ende des 13.  Jahrhunderts (1294) und von der Mitte des 14.  Jahrhunderts stammen auch die ersten Belege schwedischstämmiger Siedler in Estland, sodass man zeitgleich zur Migration niederdeutscher Kaufleute und Handwerker nach Skandinavien von einer skandinavischen Einwanderung ins Baltikum ausgehen darf.

6 Adelsmigration (Mitte 13.–15. Jahrhundert) Der Griff verschiedener deutscher Fürstendynastien nach den Kronen Skandinaviens führte dazu, dass Teile ihrer adeligen Gefolgschaft ebenfalls in den Norden einwanderten. So betrieben etwa die holsteinischen Grafen aus dem Haus Schauenburg in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine expansive Politik gegenüber Dänemark, die auf eine Einverleibung Südjütlands / Schleswigs in ihren Machtbereich und zeit-

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weilig gar auf eine vollständige Aufteilung und Beherrschung des größeren Nachbarn hinauslief. Um diese kostspielige Expansionspolitik zu bezahlen, mussten sie umfängliche Herrschafts- und Vogteirechte in den neu erworbenen Gebieten an den holsteinischen Adel als den Hauptleistungsträger ihrer Kriegszüge veräußern oder verpfänden. So gelangten die Adeligen damals vielfach zu Besitz im dänischen und vor allem im südjütischen / schleswigschen Raum und verlagerten ihren Lebensmittelpunkt zum Teil auch ganz dorthin. Bis zum Ausgang des Mittelalters verschmolzen dann der holsteinische und der indigene Schleswiger Adel zu einer Einheit und wurden zur Schleswig-Holsteinischen Ritterschaft; wegen des gemeinsamen Besitzes in beiden Herrschaftsteilen und der damit verbundenen Gesamtverantwortung für Land und Leute begriffen sie die Länder Schleswig und Holstein mehr und mehr als eine territoriale Einheit, wie es etwa im bekannten Privileg von Ripen (1460) zum Ausdruck gebracht wurde: „…dat se bliven ewich tosamende ungedelt.“ Durch Kauf und Verpfändung, aber auch durch Heiraten und Karrieremöglichkeiten waren zuvor schon etliche deutschstämmige Adelige in die schwedische Aristokratie der Folkungerära (1250–1363) integriert worden. Diese Tendenz verstärkte sich kurzzeitig während der Mecklenburger Herrschaft in Schweden unter Albrecht III. (1363/64–1389), doch verließen viele der mecklenburgischen Gefolgsleute, die mit Albrecht ins Land gekommen waren, Schweden wieder, als dessen Königsherrschaft mehr und mehr in die Krise geriet. Manche, wie die Snakenborg, Moltke oder Vitzen, verschmolzen allerdings mit der schwedischen Aristokratie. Auch während der langen Regierungszeit Erichs von Pommern als König der drei skandinavischen Reiche im Rahmen der Kalmarer Union (1397–1439/41) zogen pommersche Adelige in nennenswerter Zahl nach Dänemark und Schweden, und das Gleiche gilt für die kurze Herrschaft Christophs von Bayern (1440–1448). Der Wittelsbacher umgab sich in Kopenhagen offenbar mit einem engeren, alltäglichen Hof, der zu einem nicht geringen Teil aus (Süd-)Deutschen bestand. Diese Vorgehensweise stieß auf die Kritik des indigenen skandinavischen Adels. Er pochte mit Nachdruck auf die Wahrung seiner angestammten Machtstellung und ließ sich dies besonders nach den negativen Erfahrungen der Erichszeit, in der viele pommersche Adelige auf Kosten der indigenen Aristokratie in zentralen Schaltstellen der Macht eingesetzt worden waren, durch Privilegien zusichern; danach durften die wichtigen Burgen und Ämter nur an Einheimische vergeben werden. Christoph soll kurz nach seiner prunkvoll gefeierten Hochzeit sogar von den Skandinaviern aufgefordert worden sein, die vielen angereisten Deutschen wieder nach Hause zu schicken. Im Übrigen achtete er bei wichtigen Missionen stets peinlich genau auf eine paritätische Besetzung. Die wichtigsten Ämter hatten ohnedies Dänen inne. Doch nicht nur deutsche Adelige wanderten nach Skandinavien ein. Durch Wanderungsbewegungen infolge von Eheverbindungen, Mitgiften und Erbschaften hatte sich bereits seit der zweiten Hälfte des 14.  Jahrhunderts ein länderübergreifender, internordischer Adel gebildet; die Forschung hat dafür den Terminus ‚Adelsskandinavismus‘ geprägt. Adelige Familien wie die Axelssöhne oder Trolle verfügten über

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einen enormen internordischen Besitz und wurden zu einem gewichtigen Machtfaktor in ganz Skandinavien. In derselben Gruppe hat man auch starke Befürworter der Kalmarer Union zu suchen, da die grenzübergreifende Verwaltung des Besitzes und die Vermarktung der daraus erwirtschafteten Naturalien wie Vieh und Butter am ehesten innerhalb der Union sichergestellt war.

7 Studenten und Birgittiner (spätes 12.–16. Jahrhundert) Seitdem an Universitäten gelehrtes Wissen vermittelt wurde, zog es aus dem christianisierten Bereich der Ostsee stammende Studenten auch dorthin. Schon Arnold von Lübeck berichtet in seiner Slawenchronik vom Beginn des 13. Jahrhunderts voller Respekt, dass der dänische Adel seine Söhne zur Ausbildung in den weltlichen Wissenschaften und in Theologie nach Paris schicke, wo ihnen dann die angeborene Schnelligkeit im Sprechen auch in der Dialektik und in den beiden Rechten sehr zustatten komme. Studenten aus Dänemark, Norwegen und Schweden lassen sich auch in nennenswerter Zahl als Besucher der 1419 und 1456 gegründeten Universitäten Rostock und Greifswald ausmachen, der ersten Hochschulen im bis dahin universitätsfreien Ostseeraum. Schwerpunktmäßig schrieben sich hier aber von Anfang an junge Männer ein, die aus der engeren Umgebung stammten: In Rostock überwogen Studenten vor allem aus Hamburg und Lübeck sowie aus Mecklenburg, wohingegen in Greifswald Stralsunder, Greifswalder und Stettiner als Universitätsbesucher dominant waren, gefolgt von Studierenden aus den anderen Städten Pommerns, Danzigs und den Niederlanden. Als dann 1477 und 1479 in Uppsala und Kopenhagen eigene Universitäten entstanden, versiegte der Strom skandinavischer Studenten nach Rostock und Greifswald fast ganz, und fortan prägte das regionale Umfeld beide Universitäten noch mehr als vorher. Das vermochte auch der zeitweilige Zuzug ausländischer Universitätsgelehrter wie etwa der des Italieners Petrus von Ravenna von 1498 bis 1503 nach Greifswald nicht aufzuhalten oder zu ändern. Im Zuge seiner Christianisierung wurde der Ostseeraum fest in die Strukturen der mittelalterlichen Kirche eingebunden. Selbstredend hielten sich Kleriker sowie Mönche und Nonnen aus der Ostseeregion deswegen immer wieder für mehr oder minder lange Dauer etwa an der Kurie auf. Gar Jahrzehnte lang dauerte der Aufenthalt der später kanonisierten Birgitta von Schweden (1303–1373) in Rom, die dort die Anerkennung ihres neu gegründeten Ordens und ihrer auf persönlich-göttlicher Inspiration beruhenden Regel erlangen wollte. Während die Initiativen und kulturellen Einflüsse regelmäßig von West nach Ost beziehungsweise von Süd nach Nord gingen, stellt gerade die päpstliche Approbation des Birgittinerordens von 1370 eine beachtliche Ausnahme dar. Vom schwedischen Stammkloster Vadstena ausgehend wurden insgesamt 26 Niederlassungen des Ordens vor allem im Ostseeraum, aber auch in

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England, Italien, Süd- und Westdeutschland sowie den Niederlanden gegründet. Die Häuser unterhielten einen oft engen Kontakt zum Mutterkloster, wie es etwa an der 1412/1413 vom Kloster Mariental bei Reval aus gegründeten Niederlassung Marienwohlde bei Mölln erkennbar ist. Hier legten die aus Vadstena delegierten Mitbrüder stets auf ihren Reisen zu den großen Konzilien oder nach Rom eine Rast ein. Während die Masse der zum Kloster Marienwohle gehörigen Priesterbrüder und Nonnen mit Sicherheit dem Adel des Umlands oder den Kaufmannsfamilien in Lübeck, Hamburg und Lüneburg entstammte, lässt sich mit dem schwedischen Priesterbruder SuenoKuso zumindest ein Angehöriger des Konvents um die Mitte des 15.  Jahrhunderts namentlich festmachen, der den stark regionalen Charakter desselben aufbrach und einen Migrationshintergrund besaß. Allerdings berichtet die vatikanische und schwedische Überlieferung, dass er dringend das Kloster Marienwohlde zu verlassen und nach Schweden zurückzukehren wünschte. Fälle wie seiner werden im Kontext der Ordensgeschichte gewiss noch mehrere Male vorgekommen sein.

Literaturhinweise Oliver Auge, Heinrich Rantzau (1526–1598) und sein Mythos von der Abstammung der Holsteiner und Dithmarscher von den Kimbern, in: Stefan Donecker / Jens E. Olesen (Hrsg.), Abstammungsmythen und Völkergeneaolgien im frühneuzeitlichen Ostseeraum (im Druck). Oliver Auge, Ein Integrationsmodell des Nordens? Das Beispiel der Kalmarer Union, in: Werner Maleczek (Hrsg.), Fragen der politischen Integration im mittelalterlichen Europa. (Vorträge und Forschungen, Bd. 63.), Ostfildern 2005, 509–542. Oliver Auge, Konflikt und Koexistenz. Die Grenze zwischen dem Reich und Dänemark bis zur Schlacht bei Bornhöved (1227) im Spiegel zeitgenössischer Quellen, in: Steen Bo Frandsen / Martin Krieger / Frank Lubowitz (Hrsg.), 1200 Jahre Deutsch-Dänische Grenze. Aspekte einer Nachbarschaft. (zeit + geschichte, Bd. 28.) Neumünster 2013, 71–93. Friedrich Benninghoven, Rigas Entstehung und der frühhansische Kaufmann. (Nord- und osteuropäische Geschichtsstudien, Bd. 3.) Hamburg 1961. Günther Bock, Der „Limes Saxoniae“ – keine karolingische Grenze!, in: Jahrbuch für den Kreis Stormarn 2013, 13–30. Ingrid Bohn, Kleine Geschichte Stockholms. Regensburg 2008. Henry Bruun, Adelsskandinavismen. En skizze, in: Nordisktidskriftförvetenskap, konst och industri 27, 1951, 210–227. Heinrich Dormeier, Neue Ordensniederlassungen im Hanseraum: Lübecker Stiftungen zugunsten des Birgittenklosters Marienwohlde bei Mölln (1413–1534), in: Oliver Auge / Katja Hillebrand (Hrsg.), Klöster, Stifte und Konvente nördlich der Elbe. Zum gegenwärtigen Stand der Klosterforschung in Schleswig-Holstein, Nordschleswig und den Hansestädten Lübeck und Hamburg. (Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins, Bd. 120.) Neumünster 2013, 261–366. Eike Gringmuth-Dallmer, Wendepflug oder Planstadt? Forschungsprobleme der hochmittelalterlichen Ostsiedlung, in: Siedlungsforschung 20, 2002, 239–255. Rolf Hammel-Kiesow, Die Hanse. München 42008. Charles Higounet, Die deutsche Ostsiedlung im Mittelalter. Berlin 1986.

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Benjamin Scheller

Wikinger und Normannen 1 Einleitung Über dreihundert Jahre lang, vom Ende des 8. bis zum Ende des 11.  Jahrhunderts, hatten die Migrationen von Wikingern und Normannen weitreichende Folgen für den Verlauf der Geschichte Europas. Wikinger und Normannen bevölkerten Handelszentren und gründeten Siedlungen und Reiche in einem geographischen Raum, der von Grönland bis nach Russland und Süditalien reichte. Je nach Umständen führte dies zu neuartigen kulturellen Synthesen und transkulturellen Verflechtungen. Allerdings wirft die historische Betrachtung der Migrationen von Wikingern und Normannen zwei grundsätzliche Fragen auf. Die erste lautet: Ist es überhaupt gerechtfertigt, diese Migrationen gemeinsam in einem Artikel zu behandeln? Die Menschen, die wir heute als Wikinger bezeichnen, stammten aus unterschiedlichen Regionen des heutigen Skandinavien. Sie waren lose in verhältnismäßig kleinen Verbänden organisiert, die gemeinsam auf Beutefahrt gingen und sich nach Ende dieser Fahrt auch wieder auflösten. Vor allem die Verteidigungsmaßnahmen, die Herrscher auf den Britischen Inseln und im Frankenreich ergriffen, veranlassten sie dazu, sich zu größeren und stärker organisierten Armeen zusammenzuschließen, die dann in der Lage waren, ganze Reiche zu erobern. Die Zeitgenossen kannten ganz unterschiedliche Bezeichnungen für diese Skandinavier. Im westlichen Europa nannte man sie entweder „Dänen“ oder „Nordmänner“ („Nortmanni“), aber auch schlicht „Heiden“. Die Slawen nannten die Invasoren aus dem heutigen Schweden „Rus“, was sich aus einer finnischen Bezeichnung für die Bewohner Schwedens herleitete. Varianten dieser Bezeichnung kursierten im zeitgenössischen Arabisch und Griechisch. Nur in England bezeichnete man die Männer aus dem Norden als „Wikinger“, gebrauchte also eine Variante des skandinavischen „Vikingr“. Als Normannen dagegen bezeichnen wir die Nachkommen jener Wikinger, die 911 in das fränkische Reich aufgenommen worden waren. Sie hatten dabei das Christentum angenommen und sich schnell akkulturiert. Die Krieger, die sich seit ca. 1000 nach Süditalien aufmachten, um dort ihr Glück zu suchen und jene, die 1066 mit Wilhelm dem Eroberer nach England kamen, waren daher keine seefahrenden Piraten mehr, sondern berittene Panzerreiter nach kontinentaleuropäischem Modell. Die Wikinger des 9. und 10. und die Normannen des 11. und 12. Jahrhunderts unterschieden sich also erheblich voneinander.

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Allerdings hatten die Nachkommen der Wikinger, die sich im Frankenreich niederließen, offenkundig die Fremdbezeichnung der Franken als Selbstbezeichnung übernommen. Außerdem sahen die Normannen in England und Süditalien sich im 11. und 12. Jahrhundert durchaus noch als Nachfahren der Wikinger aus dem Norden. Normannische Ritter im Süditalien des 11.  Jahrhunderts führten skandinavische Namen. Kontinuitäten zwischen Wikingern und Normannen sind also nicht nur eine Konstruktion der modernen Historiker, sondern waren fester Bestandteil normannischer Identität. Die zweite Frage betrifft die Quellenbasis. Zeitgenössische narrative Quellen berichten von den Migrationen von Wikingern und Normannen. Außerdem formulieren die zeitgenössischen Chronisten auch immer wieder Hypothesen über die Ursachen dieser Migrationen – Hypothesen, die die professionellen Historiker unserer Zeit erstaunlich oft übernommen haben. Die Zahl der Migranten lässt sich mithilfe ihrer Berichte jedoch kaum einmal näher bestimmen. In Einzelfällen stehen zwar andere zeitgenössische Schriftquellen zur Verfügung, die es ermöglichen, die Migranten zu quantifizieren. Das berühmteste Beispiel ist hier sicherlich das Domesday Book von 1086, das im Auftrag Wilhelms des Eroberers erstellt wurde und über 13.000 Siedlungen in England verzeichnete. Viele Versuche der Quantifizierung basieren jedoch nicht auf Schriftquellen, sondern auf archäologischem und linguistischem Material. Dies gilt in erster Linie für die Migrationen der Wikinger. Eine Folge dieser Quellenlage waren zahlreiche und oftmals aporetische Diskussionen über die zahlenmäßige Dimension dieser Migrationen, die hier nicht bis ins Einzelne wiedergegeben werden können.

2 Wikingische Migrationen Die Migrationen der Wikinger waren Folge von und standen in Wechselbeziehungen mit anderen Formen von räumlicher Mobilität. Ob und inwieweit aus geographischer Mobilität dauerhafte Migration wurde, hing vor allem von der politischen, wirtschaftlichen und demographischen Situation in den Regionen ab, die Ziele der wikingischen Mobilität waren. Im Falle sehr dünn besiedelter Regionen wie Island oder Grönland, die keine mächtigen politischen Gemeinwesen waren und außer dem Boden, der bebaut werden konnte, über keine bedeutenden wirtschaftlichen Ressourcen verfügten, bedeutete Mobilität praktisch von Anfang an Migration. Die Wikinger kamen, um zu siedeln. Nach England und auf den Kontinent dagegen kamen Skandinavier aus dem heutigen Dänemark, Norwegen und Schweden zunächst als Piraten und erst später als Eroberer und Siedler. Dabei lassen sich drei Phasen unterscheiden, in denen die Mobilität der Wikinger von temporären Fahrten in dauerhafte Migration überging.

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Die erste Phase begann mit dem Überfall der Wikinger auf das Kloster Lindisfarne an der Nordküste Englands im Jahr 793. Seit diesem Jahr sind jährlich Plünderungszüge der Wikinger an die britische Küste belegt. Seit 799 überfielen sie jährlich auch Küsten des Kontinents. Im Jahr 845 plünderten die Wikinger Hamburg. Der Beginn der zweiten Phase lässt sich auf 843 datieren. Seit diesem Jahr unternahmen die Wikinger Raubzüge dann nicht mehr nur in den Sommermonaten, sondern errichteten Winterlager in der Nähe der Regionen, die sie für Plünderungen ausgesucht hatten. Ihre Präsenz in England und auf dem Kontinent wurde dadurch dauerhaft und hatte schwerwiegende Konsequenzen für die Bevölkerung. Die Anführer der Wikinger schlossen ihre Gefolgschaften nun zu größeren Verbänden zusammen und zogen mit diesen nicht mehr über das Meer, sondern über Land bzw. über Flüsse in den Kampf und verwüsteten dabei das Land. Der endgültige Übergang von Mobilität zu Migration erfolgte, als die Anführer dieser Armeen das Land eroberten und unter ihren Gefolgsleuten aufteilten. Diese dritte Phase des Übergangs von Mobilität in Migration begann in England im Jahr 876, als der Nordosten des Landes unter skandinavische Herrschaft geriet und nun auch von Skandinaviern, d. h. Dänen, besiedelt wurde. Auf dem Kontinent entstand mit dem Herzogtum Normandie 911 ein Herrschaftsgebiet von Wikingern, das allerdings in das fränkische Reich integriert blieb. Bereits ein normannischer Chronist des 11. Jahrhunderts, Dudo von St. Quentin, hatte die Ursache für die hohe Mobilität und die Migrationen der Wikinger in Überbevölkerung gesehen, und die historische Forschung ist ihm darin lange Zeit gefolgt. Archäologische Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass allenfalls das westliche Norwegen im 8. und 9. Jahrhundert überbevölkert gewesen sein könnte. Wichtiger als demographische Faktoren waren allem Anschein nach politische. In Skandinavien entstanden an der Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert Königtümer. Und diese Prozesse der politischen Zentralisierung trieben augenscheinlich diejenigen, die sich den neuen Königen nicht unterordnen wollten, aus dem Land und auf das Meer. Die Hinwendung zum Meer wurde zudem durch geographische Faktoren begünstigt. Wegen der stark zerklüfteten Küste waren Seereisen in Skandinavien wesentlich schneller als Reisen über Land. Norwegen zum Beispiel mit seinen Fjorden und Buchten hat eine Küstenlinie von über 20.000 Meilen (ca. 32.000 km) aufzuweisen, sodass eine Orientierung Richtung See sich hier quasi von selbst ergab. Segelschiffe nach kontinentalem Vorbild kannten die Skandinavier möglicherweise bereits seit dem 6. oder 7. Jahrhundert. Doch seit dem 8. Jahrhundert verbanden ihre Schiffe Ruder und Segel und wurden so zu einem effizienten Transportmittel, mit dem sich große Strecken zurücklegen ließen und das gleichzeitig in engen und flachen Gewässern manövrierfähig war. Ebenfalls von geographischen Faktoren beeinflusst waren die Ziele, die die verschiedenen skandinavischen Seefahrer ansteuerten. Wikinger aus Norwegen fuhren zunächst zu Inseln des Nordatlantiks und besetzten und besiedelten Land in Irland, auf den Hebriden, Island und in Grönland. Die

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Hauptziele der Dänen dagegen waren die nahegelegenen Küsten der südlichen Nordsee und des Kanals. Wikinger aus Schweden bereisten bereits im 6. Jahrhundert große Teile der Ostsee und trieben Handel. Im 9. Jahrhundert dehnten sie die Reichweite ihrer Handelsaktivitäten dann von dort über den Wolchow und den Dnjepr bis in das Schwarzmeergebiet aus, was die Entstehung des ersten russischen Gemeinwesens nach sich zog, der Kiewer Rus (nach 839). Die ersten Fahrten norwegischer Wikinger führten über die Färöer zu den Inseln nördlich der britischen Küsten, vor allem zu den Shetlands und Orkneys. Um 800 wurden die Färöer dann besiedelt und die dort lebenden irischen Siedler vertrieben. Mitte des 9. Jahrhunderts siedelten Norweger auch auf den Hebriden und verdrängten die dort lebenden Pikten, von denen es praktisch keine archäologischen Hinterlassenschaften gibt. Seit Beginn des 9. Jahrhunderts ließen sich Wikinger aus Norwegen dann auch in Schottland nieder und breiteten sich von dort bis nach Lancashire und Cumbrien in Nordengland aus. Den archäologischen Befunden nach waren die Siedlungen der Norweger ausgedehnt, aber wenig zahlreich und verdrängten die indigene Bevölkerung nicht. Die Lebensweise der Siedler war bäuerlich. Außerdem betrieben sie Fischfang und Handel. Bis 1266 blieben die Hebriden und das nördliche Schottland unter norwegischer Oberhoheit. Um 840 begannen Wikinger aus Norwegen, in Irland zu siedeln, nachdem sie zuvor die irischen Küsten jahrelang durch Plünderungszüge heimgesucht hatten. Ihre Siedlungen waren auf wenige Orte konzentriert, die sich später zu urbanen Zentren entwickelten. Fünf von ihnen erlangten besondere Bedeutung: Dublin, Cork, Limerick, Waterford und Wexford – die wichtigsten Häfen Irlands im Mittelalter. Die Wikinger aus Norwegen ließen sich in Irland also vor allem nieder, um Handel zu treiben. Zwar blieb Irland (mit Unterbrechungen) bis zur Eroberung durch die Anglonormannen im Jahr 1172 eine skandinavische Kolonie. Die Einwanderer blieben jedoch eine kleine Minderheit, die sich nach ihrer Christianisierung durch Heiraten mit der keltischen Mehrheit verband. Archäologische und spätere Schriftquellen wie das Landnámabók (11. Jahrhundert) und das Íslendingabók (um 1125) stimmen darin überein, dass norwegische Migranten um 870 begannen, Island zu besiedeln und das kultivierbare Land binnen dreier Generationen unter sich aufteilten. Ihre Siedlungen konzentrierten sich auf die Küstenregionen, die breiten Täler im Südwesten der Insel sowie entlang der Fjorde, die von Norden in das Landesinnere reichen, da die übrige Insel von Eis und Lava bedeckt ist. Die Migranten nach Island waren bis auf einige Siedler von den Britischen Inseln Heiden. Ende des 10. Jahrhunderts bekehrten sie christliche Missionare mit Unterstützung des norwegischen Königs zum Christentum. Kulturell, wirtschaftlich und durch persönliche Beziehungen blieben die Migranten aus Norwegen eng mit ihrem Herkunftsland verflochten. Junge Männer aus Island traten immer wieder in den Dienst

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des norwegischen Königs, der somit ständig ein großes Gefolge aus den angesehenen Familien der Insel hatte. Gegen Ende des 10.  Jahrhunderts wanderte ein Teil der Migranten weiter nach Grönland. Schätzungen zufolge betrug ihre Zahl zwischen 200 und 600 Siedler. Auch sie traten um das Jahr 1000 zum Christentum über. Mitte des 14. Jahrhunderts lebten ca. 3.500–5.000 Menschen skandinavischer Herkunft auf Grönland. Doch 150 Jahre später wurde ihre letzte Siedlung aufgegeben. Möglicherweise hatte eine Klimaverschlechterung das Überleben auf der Insel im weit von Skandinavien entfernten Westatlantik zu schwierig gestaltet. Schon seit 1374 hatten die Bischöfe für Grönland nicht mehr auf der Insel, sondern in Norwegen oder Dänemark residiert und sich auf der Insel durch Vikare vertreten lassen. Infolge der Migrationen norwegischer Wikinger entstand im Nordwestatlantik eine regelrechte skandinavische Ökumene. Die Migranten behielten ihre eigene Sprache bei und ließen die Verbindung nach Norwegen nie abreißen. Als Papst Anastasius IV. 1153 die Kirchenprovinz Nidaros (Trondheim) für das Königreich Norwegen errichtete, wurden dieser auch die Bistümer auf Island, Grönland, den Orkney- und Shetlandinseln, den Färöern, Hebriden und Man unterstellt. Die erste Wikingerexpedition nach England ist für das Jahr 793 belegt, als Piraten aus Dänemark das Kloster Lindisfarne plünderten. In den nächsten Jahrzehnten überfielen die Seeräuber aus dem Norden die reichen Klöster Englands immer wieder. Viele von ihnen lagen an der Küste oder an großen Flüssen und waren daher ideale Ziele. Ab der Mitte des 9.  Jahrhunderts begannen Wikinger dann, auf der Insel zu überwintern. Im Jahr 865 schlossen sich mehrere Wikingertrupps zur „Großen Armee“ zusammen, wie sie die Anglo-Saxon Chronicle bezeichnete. Diese eroberte bis 876 weite Teile Ostenglands. Von den vier englischen Königreichen hielt nur Wessex den Angreifern stand. In der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts gelang es den Königen von Wessex, jene Teile Englands zurückzuerobern, die unter skandinavischer Herrschaft standen. Ab 980 jedoch wurde England aufs Neue zum Ziel skandinavischer Plünderungszüge. Ab 991 entrichtete der englische König den Invasoren Tribut. Zwischen 1013 und 1017 gelang es den dänischen Königen Sven Gabelbart und seinem Sohn Knut dem Großen, England zu erobern. Bis zu Knuts Tod 1037 war England dann Teil eines Großreichs im Norden Europas. Zwischen 876 und 880 hatten die Anführer der Großen Armee begonnen, das eroberte Land im Osten Englands an ihre wichtigsten Gefolgsleute zu verteilen, die es wiederum unter ihrem Gefolge aufteilten. Die Frage, wie dicht der Osten Englands im späten 9. und der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts dabei von Migranten aus Skandinavien besiedelt wurde, ist intensiv und kontrovers diskutiert worden. Sprachgeschichtliche Befunde und Toponymik in den Regionen des Danelaw sprechen dafür, dass ihre Zahl erheblich gewesen sein muss. Noch in der Zeit Wilhelms des Eroberers unterschied man das Recht der Dänen vom Recht der Mercier und dem der Westsachsen.

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Sechs Jahre nach dem Angriff auf Lindisfarne unternahmen Wikinger 799 den ersten belegten Plünderungszug in das Frankenreich. Auch hier war ein Kloster das Ziel: St. Philibert in Noirmoutier, nahe der Loire-Mündung. Im Jahr 852 überwinterte erstmals eine wikingische Flotte auf dem Kontinent, 879 und 896 suchten große Wikingerflotten die Küsten Flanderns und den Unterlauf der Seine heim. Anfang des 10. Jahrhunderts gab es bereits erste Siedlungen von Wikingern an der Loire-Mündung. Und im Jahr 911 verlieh der fränkische König Karl „der Einfältige“ dem Anführer einer Gruppe von Norwegern aus England, Rollo, die Stadt Rouen und ihre Umgebung und damit das Kerngebiet des späteren Herzogtums Normandie. Die wikingische Migration nach Nordfrankreich war allem Anschein nach keine Massenmigration von Siedlern, sondern die Migration einer relativ kleinen Gruppe von Kriegern, die sich als neue Herrschaftselite in der Region der Seine-Mündung etablierte und schnell akkulturiert wurde. Bereits 911 hatten die Wikinger das Christentum angenommen. Dabei kam die Mehrzahl der Gefolgsleute Rollos aus Norwegen, eine Minderheit aus Dänemark, einige wohl auch aus Irland oder England.

3 Normannische Migrationen Das Herzogtum Normandie wurde im 11.  Jahrhundert dann zum Ausgangspunkt für die normannische Eroberung Englands und Süditaliens. Da diese beiden Regionen sich strukturell stark unterschieden, konnten diese beiden Migrationsprozesse nicht auf ähnlich gelagerten ‚Pull Faktoren‘ beruhen. Historiker haben daher seit dem Mittelalter immer wieder nach strukturellen Ursachen in der Herkunftsregion der Migranten gesucht, die den normannischen Expansionismus begünstigt haben könnten. Auch hier lieferten bereits die Zeitgenossen einen Erklärungsansatz, der von der modernen Geschichtswissenschaft übernommen wurde. Chronisten wie Odericus Vitalis und Gaufredus Malaterra sahen die Ursachen in einem erhöhten Bevölkerungsdruck innerhalb der normannischen Aristokratie. Ihre Lehen hätten unter zahlreichen Söhnen aufgeteilt werden müssen und seien daher vor allem bei gering begüterten Adligen nicht mehr groß genug gewesen, um ihre Inhaber zu unterhalten. Der Landhunger der Adligen, die keinen oder nicht genug Besitz hatten, soll diese somit außer Landes getrieben haben. Die normannischen Migranten nach Süditalien im 11. und 12. Jahrhundert entstammten in der Tat vor allem der Ritterschaft und damit den niederen Adelsrängen. Das Süditalien des 11.  Jahrhunderts war eine Region mit einer in besonderer Weise fragmentierten politischen Geographie. Gebiete unter byzantinischer Herrschaft, autonome Städte, langobardische Fürstentümer und das muslimische Sizilien konkurrierten miteinander um die Vorherrschaft bzw. versuchten, sich in dieser Konkurrenz wenigstens zu behaupten. Erst den normannischen Adligen, die dorthin auswanderten, gelang es, all diese politischen Gebilde zu einem Reich zu verschmelzen.

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Die ersten normannischen Adligen kamen um das Jahr 1000 nach Süditalien: auf dem Rückweg von einer Pilgerfahrt nach Jerusalem. 1017/1018 kämpfte ein Kontingent von ca. 250 normannischen Rittern an der Seite des langobardischen Adligen Meles von Bari gegen den byzantinischen Katepan von Apulien. Einer der Anführer dieser Ritter, Rainulf Drengot (gest. 1045), wurde 1029/1030 von Herzog Sergius IV. von Neapel mit der Grafschaft Aversa belehnt. Damit war erstmals der Übergang von kriegerischer Mobilität zu dauerhafter Herrschaftsbildung und damit Migration vollzogen. Wenige Jahre später, ca. 1037, kamen die ersten Angehörigen der normannischen Adelsfamilie Hauteville nach Süditalien. Sie gehörten zu einem normannischen Kontingent einer byzantinischen Expedition, die erfolglos versuchte, die Insel Sizilien zu erobern. Zwischen ca. 1040 und 1076 gelang es den Söhnen Tankreds von Hauteville und ihren Nachkommen, sukzessive die langobardischen und byzantinischen Herrschaften des süditalienischen Festlands und zwischen 1060 und 1091 auch die Insel Sizilien zu erobern. Roger II. (1095–1154), ein Enkel Tankreds, vereinigte die verschiedenen normannischen Herrschaften 1127 und erlangte 1130 die Königswürde für sie. An Weihnachten 1130 wurde er im Dom von Palermo zum König von Sizilien gekrönt. Die Zahl der normannischen Adligen, die in den italienischen Süden auswanderten, war allem Anschein nach nicht sehr hoch. Gerade einmal 285 Familien normannischer Migranten lassen sich in Quellen des 11. und 12.  Jahrhunderts fassen. Von diesen stammten nur 174 (61 %) aus der Normandie. Die restlichen Migranten nach Süditalien kamen aus anderen Teilen Frankreichs. Die normannische Herrschaftsbildung auf süditalienischem Boden war ein kumulativer Prozess, der aus adliger Mobilität resultierte, die schrittweise in dauerhafte Migration überging. Die normannische Eroberung Englands im Jahr 1006 dagegen war von vornherein geplant. Hier war adlige Migration die Folge der Herrschaftsbildung, nicht ihre Voraussetzung. Unmittelbar nach der Schlacht von Hastings begann Wilhelm der Eroberer (gest. 1087), den Besitz der angelsächsischen Großen unter seinem normannischen Gefolge zu verteilen. Dabei wurden zunächst jene Adligen enteignet, die bei Hastings gegen ihn gekämpft hatten, 1070 auch die restliche angelsächsische Aristokratie. Auch Abteien und Bischofssitze gelangten in die Hand normannischer und französischer Adliger. Als 1086 das Domesday Book angelegt wurde, hatten sich die Migranten aus Nordfrankreich als neue Herrschaftselite etabliert. Ihre Zahl wird auf 6.000 bis 10.000 gegenüber einer Bevölkerung von 1,5 Millionen Angelsachsen geschätzt. Zwar sind einzelne Heiratsverbindungen zwischen normannischen Adligen und Frauen aus der angelsächsischen Aristokratie belegt. Welches Ausmaß dieses Konnubium nach der normannischen Eroberung annahm, ist jedoch umstritten. In Süditalien scheinen Eheverbindungen zwischen normannischen Migranten und der einheimischen Bevölkerung zahlreicher gewesen zu sein, vor allem mit dem langobardischen Adel. Bereits Rainulf Drengot hatte eine Schwester Herzog Sergius' IV. von Neapel zur Ehefrau erhalten.

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Auf der Insel Sizilien freilich standen die eingewanderten normannischen Adligen einer einheimischen Bevölkerung gegenüber, die in ihrer übergroßen Mehrheit aus Muslimen bestand. Nur im Nordosten der Insel gab es noch griechische Christen. Christen, die nach dem Ritus der römischen Kirche lebten, gab es nicht. Die neuen Herrscher bemühten sich daher von Anfang an, Christen, und zwar vor allem lateinische Christen, zur Migration nach Sizilien zu veranlassen. Die wichtigste Gruppe solcher Migranten waren die sogenannten Lombarden, Einwanderer aus Norditalien, insbesondere dem Piemont, die nach der Ehe Rogers I. mit Adelheid del Vasto aus dem Haus der Markgrafen von Savona in Ligurien ins Land kamen. Einem zeitgenössischen Chronisten zufolge gab es in Sizilien Mitte des 12. Jahrhunderts über 20.000 Familien dieser Migranten aus Norditalien bzw. ihrer Nachkommen. Dies hätte ca. einem Fünftel der Bevölkerung Siziliens entsprochen und ist immer wieder bezweifelt worden. Knapp 150 Jahre später stellten die Siedlungen der Einwanderer aus Norditalien elf Prozent der auf Sizilien besteuerten Haushalte, wie sich aus den erhaltenen Steuerregistern erschließen lässt. Die normannische Herrschaft in England und Süditalien beruhte jedoch nicht nur auf einer Herrschaftselite von Migranten, sondern auch auf dem Import neuer Herrschaftspraktiken, vor allem des Lehnswesens. Gleichzeitig übernahmen die neuen Herren jedoch Institutionen und Praktiken, die sie vorfanden, und entwickelten diese weiter. In England gehörte dazu die landesweite Steuer, die seit Ende des 10. Jahrhunderts ursprünglich für den Tribut an die Dänen erhoben worden war. Außerdem übernahmen die normannischen Herrscher Englands von ihren angelsächsischen Vorgängern die Urkundenpraxis, „writs“ auszustellen, also gesiegelte Mandate, die flexibler zu handhaben waren als feierliche Diplome. Die Herrschaftspraxis der normannischen Könige Siziliens knüpfte an byzantinische und arabische Traditionen an. Neben lateinischen stellten sie griechische Urkunden aus. Als Beschreibstoff verwendete ihre Kanzlei dabei zunächst nach arabischem Vorbild Papier. Die Register der zentralen Finanzbehörde der normannischen Könige Siziliens, des Dīwān, wurden bis weit in das 12.  Jahrhundert auf Arabisch geführt. Die normannischen Migrationen nach England und nach Süditalien bewirkten also beide, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaße, transkulturelle Verflechtungen.

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Jürgen Sarnowsky

Britische Inseln 1 Einleitung Die heutigen politischen und ethnischen Strukturen der Britischen Inseln bildeten sich zu großen Teilen durch Invasionen und Siedlungsbewegungen, die der mittelalterlichen Geschichte, vor allem dem frühen und hohen Mittelalter, zuzuordnen sind. Als im 4.  Jahrhundert die römische Herrschaft über England zerbrach, wurden die westlichen Teile Schottlands von Irland aus erobert und besiedelt, und das gälische Königreich Dalriada wurde begründet. Im Süden fand die Periode der romanobritschen Herrschaft schließlich durch die Invasion und Siedlung der Angeln, Sachsen und anderer Völker aus dem nordwestlichen Europa ihr Ende. Im Kampf gegen die Briten bildeten diese ab etwa 500 verschiedene Königreiche, von denen am Ende Wessex die Vorherrschaft erlangte. Sein Aufstieg stand in enger Beziehung zu den Einfällen der Wikinger, die bereits im 8. Jahrhundert begannen. Während norwegische Eindringlinge Schottland und Irland plünderten und besiedelten, entstanden in England vor allem dänische Siedlungen, insbesondere im Norden und Osten. Schon dreißig Jahre nachdem Wessex die norwegische Herrschaft über York beendet hatte, begannen 980 neue dänische Einfälle, die 1016 zur Errichtung eines anglodänischen Königreichs unter Knut führten. Die von den letzten angelsächsischen Herrschern Eduard dem Bekenner und Harald II. fortgesetzte anglodänische Monarchie brach 1066 in den Schlachten um Eduards Nachfolge zusammen. Die Eroberung durch Wilhelm von der Normandie führte zur Etablierung eines neuen Ritterstandes, der sich vor allem aus der Normandie und Nordfrankreich rekrutierte. Die anglonormannischen Barone dehnten ihren Einfluss bald auf Wales (und das südliche Schottland) aus, und 1169 landeten einige von ihnen in Irland. Ihnen folgten ihre Gefolgsleute und anglonormannische und walisische Siedler. Den normannischen Königen und ihren angevinischen Erben gelang es, diese Art feudaler Expansion zu kontrollieren und so die englische Vorherrschaft auf den Britischen Inseln im späteren Mittelalter zu begründen.

2 Die irische Migration nach Britannien Zwischen dem späten 4. und dem frühen 7. Jahrhundert kam es in Irland zu dramatischen Veränderungen in Politik, Religion und Gesellschaft. Die alten Königreiche, deren Geschichte durch Mythen und Legenden überlagert ist, brachen zusammen,

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und neue politische Strukturen entstanden. Verwandtschaftsnetzwerke und ein Klientelsystem wurden grundlegend für die Gesellschaft, was sich auch im irischen Recht spiegelt. Zur selben Zeit wurde das Christentum eingeführt, sodass Irland stärker in die lateinische Welt integriert wurde. Diese Veränderungen und das Ende der römischen Herrschaft bilden den Hintergrund für die irische Migration nach Britannien, die nicht genau datiert werden kann. Die irische Einwanderung kann sowohl in walisischen Genealogien als auch in Ortsnamen im modernen Wales und Schottland nachgewiesen werden, vor allem in Dyfed und Argyll. Aber die archäologischen Funde und die Schriftquellen bieten kaum Anhaltspunkte für eine chronologische Einordnung. Die einzige Ausnahme sind Steininschriften mit irischen Namen oder parallelen Texten in lateinischer Schrift und Ogam (das aus dem lateinischen Alphabet entwickelt wurde). Die frühesten lassen sich sogar in die Zeit um 400 datieren. Daher könnten die ersten irischen Siedler schon am Ende des 4. Jahrhunderts nach Britannien gekommen sein, aber der größere Teil der Siedlung gehört eher in das 6. Jahrhundert, nach dem Fall des Römischen Reiches im Westen (Halsall 2007). Es ist unmöglich, etwas über Zahlen zu sagen, aber in Argyll gewann die irische Besiedlung besondere Bedeutung. Dort etablierte sich die Dynastie der Dál Riata aus Ulster und wurde um 575/590 unabhängig von der Oberherrschaft der Ulaid-Könige. Nach der Niederlage bei Mag Rath 637 konzentrierten sie sich auf Schottland, zumal zuvor auch ihre Bemühungen um größeren Einfluss im nördlichen Britannien mit dem negativen Ausgang der Schlacht bei Degsastan gegen die Angelsachsen von Bernicia 603 ein Ende gefunden hatten. Dennoch konnte das Königreich seine Stellung behaupten, bis es in den 730er Jahren von den Pikten erobert wurde. Nach einer kurzen Erneuerung verschmolz es schließlich in der Mitte des 9.  Jahrhunderts mit dem Königreich der Pikten.

3 Die angelsächsische Besiedlung Englands Seit den Anfängen der römischen Herrschaft gab es Germanen in den Legionen, die in Britannien seit 43 v. Chr. im Einsatz waren, sowie in den Garnisonen, die den Hadrianswall bewachten. Archäologische und schriftliche Quellen deuten auf sächsische Siedlung schon im 4. Jahrhundert. Diese lag zuerst in den Küstenregionen, die zum Litus Saxonicum wurden, wo sie das römische Britannien gegen Eindringlinge verteidigen sollten (Myers 1986), verbreiteten sich aber später auch im Binnenland. Die Funde enthalten römisch-sächsische Keramik, und es finden sich angelsächsische Brandbegräbnisse dicht neben den durch Mauern geschützten Römerstädten, vor allem im östlichen Britannien, etwa in York, Leicester und Cambridge. Diese sächsischen Militärsiedler könnten später auch durch die romanobritischen Autoritäten zum Kriegsdienst herangezogen worden sein.

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Als im heutigen Norddeutschland und in Friesland der demographische und militärische Druck aus Dänemark wuchs, begann um die Mitte des 5. Jahrhunderts eine neue Phase der Besiedlung. Entgegen älteren Vorstellungen oder auch gegen den Eindruck, den die Schriftquellen vermitteln, gab es keine massenhafte Einwanderung, die die ältere romanobritische Bevölkerung vertrieb oder gar ausrottete. Vielmehr kamen nacheinander kleinere Gruppen aus verschiedenen Stämmen – vor allem der Angeln, Sachsen und Jüten, aber wahrscheinlich auch anderer kontinentaler Ethnien wie Franken und Friesen – nach Britannien, wahrscheinlich in kleinen Booten, auf der Suche nach Beute oder Gelegenheiten zur Niederlassung. Die Neuankömmlinge übernahmen Ländereien in den schon in römischer Zeit weitgehend erschlossenen Regionen und werden gelegentlich sogar die führenden Positionen eingenommen haben, die zuvor in britischer Hand waren (Hayes 1995). Die angelsächsische Besiedlung war im Osten und Süden Englands besonders intensiv, mit kleinen Dörfern, die nahe beieinander lagen, wurde aber nach Westen zunehmend dünner. Dort übernahmen die Siedler recht oft bestehende römische Güter oder ließen sich auf Einzelhöfen nieder; geschlossene Dörfer waren die Ausnahme. Während des Prozesses von Wanderung und Siedlung wuchsen die Gruppen aus verschiedenen Stämmen zusammen, die ebenso wie die Briten auch in die ethnischen und politischen Strukturen integriert wurden, sodass neue, angelsächsische Identitäten entstanden (Ward-Perkins 2000). Am Anfang bildeten sich die Identitäten in sehr kleinen Gemeinschaften, mit eigenen Stilen für Frauenkleidung, Keramik und Verzierungen auf Metallarbeiten. Wie sich aus der Analyse von Gräberfeldern ergibt, hatten diese frühen Gemeinschaften bereits ein differenziertes Bestattungswesen, das sich an Verwandtschaft, Alter und Geschlecht orientierte. So wurden erwachsene Männer mit einem Satz sorgfältig ausgewählter Waffen bestattet, die Alter und Rang spiegelten. Zumindest einige dieser Begräbnisse könnten Haushalte mit einer hierarchischen Ordnung repräsentieren, aber erst das Auftreten von Grabhügeln im späteren 6. Jahrhundert deutet auf eine stärkere Akzentuierung sozialer Stellung und das Aufkommen von Gruppen mit gemeinsamer Abstammung. Es war wahrscheinlich die Konkurrenz zwischen diesen sehr kleinen politischen Einheiten, die zur Ausbildung der frühen angelsächsischen Königreiche führten, wie sie in den Schriftquellen erscheinen: Kent, Essex, Ost- und Mittelanglien im Osten, Deira, Bernicia, Lindsey und Mercia im Norden, Sussex im Süden und schließlich Wessex im Westen. Man hat sich vorgestellt, in diesem Prozess seien mehr und mehr dieser kleineren Gemeinschaften anderen unterstellt worden; schließlich hätten einige der Dynastien regionale Bedeutung erlangt und ihre weniger erfolgreichen Konkurrenten geschluckt (Hamerow 2005). Diese Hypothese wird durch das sogenannte Tribal Hidage gestützt, eine Liste von 34 Völkern oder Herrschaftsgebieten südlich des Humber mit Hufenangaben, wohl aus Mercia oder Northumbrien aus dem späten 7. oder dem 8.  Jahrhundert. Es enthält nicht nur die größeren Königreiche, sondern auch kleinere Einheiten bis zu 300 Hufen wie die Hicca oder Faerpinga. Die

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Herrscher von Elmet und der Insel Wight, mit jeweils 600 Hufen, werden selbst in Bedas „Kirchengeschichte des englischen Volkes“ als Könige bezeichnet. Beda – und in noch stärkerem Maße die spätere Angelsachsenchronik – stellen die Anfänge der angelsächsischen Königreiche aus der Perspektive der späteren Könige dar. Die königlichen Genealogien werden rückwärts bis zu heidnischen Göttern wie Wotan oder Saxnot erweitert (Letzterer verbindet Essex mit den kontinentalen Sachsen) und mit königlichen Vorfahren des 5. oder frühen 6. Jahrhunderts verbunden, die vielleicht historische Wirklichkeiten repräsentieren. Auch wenn z. B. die Anfänge von Wessex eher auf die Jahre um 530 als auf 495 deuten, nach der Angelsachsenchronik das angebliche Jahr der Landung Cerdics und Cynrics, gab es doch schon im 6. Jahrhundert westsächsische Könige. Die politische Macht der Herrscher ergibt sich aus den Gesetzen Aethelberhts von Kent aus dem frühen 7. Jahrhundert, in denen der König als unbestrittener Anführer seines Volkes erscheint, als Herr gleichermaßen über Adlige, Freie, abhängige Bevölkerung und Unfreie. Ihn umgibt ein besonderer Rechtsbereich, in dem Kämpfen und selbst das Tragen von Waffen verboten ist. Die Idee des Königtums könnte sich aus kontinentalen Vorbildern entwickelt haben, entweder aus den Herkunftsregionen oder aufgrund des fränkischen Vorbilds, aber sie war auch mit militärischem Erfolg und Eroberungen verbunden. So zeigen die Grabfunde des 6. Jahrhunderts eine ‚Prestigeökonomie‘, in der die Anführer ihre Anhänger mit Vorräten und Geschenken versorgen, während die Schriftquellen die Frühgeschichte der angelsächsischen Königreiche als Erzählung über Eroberungen präsentieren. Archäologische Funde wie das berühmte Schiffsgrab von Sutton Hoo (ca. 625/635) belegen die ökonomische Stärke der frühen Königreiche. Kent war wahrscheinlich das älteste der angelsächsischen Königreiche und profitierte erheblich vom Handel mit den Franken. Es erreichte den Höhepunkt seines Einflusses unter Aethelberht (gest. 616) und wurde zum Modell für die von Rom ausgehende Christianisierung Englands. Sussex, Ostanglien und Essex hatten ebenfalls frühe Ursprünge. Aelle von Sussex soll der erste allgemeine Anführer der Angelsachsen im Kampf gegen die Briten gewesen sein, aber über seine Nachfolger ist wenig bekannt. Ostanglien schloss die ältesten Teile der angelsächsischen Siedlung ein und konnte bis ins 9. Jahrhundert seine Unabhängigkeit bewahren. Sein bekanntester Herrscher war Raedwald (gest. ca. 624), der der erste ostanglische König war, der die Taufe empfing. Wessex hatte seine älteste Basis im oberen Themsetal. Während des 7. Jahrhunderts gelang Wessex die Ausdehnung seines Einflusses nach Westen, wobei die britische Bevölkerung integriert wurde und sächsische Siedler nach Dorset gelangten. In Northumbrien wurden die beiden frühen Königreiche Bernicia und Deira bis zum Ende des 6. Jahrhunderts vereint. Schon unter König Aethelfrith (gest. 616) erlangte Northumbrien die Oberherrschaft über die britischen Königreiche des Nordens, und im Laufe des 7. Jahrhunderts übte es zeitweilig auch südlich des Humber erheblichen Einfluss aus. Mercia entstand wahrscheinlich als letztes der größeren Königreiche, zuerst belegt im frühen 7.  Jahrhundert. Es gewann bald

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an Bedeutung und wurde im 8. und 9. Jahrhundert eine der führenden Mächte des angelsächsischen England.

4 Norwegische Siedlungen auf den Britischen Inseln Noch während sich das angelsächsische England in seiner Gründungsphase befand, begannen neue Invasionen aus Skandinavien. Die Wikingereinfälle auf den Britischen Inseln setzten 793 mit der Plünderung des Inselklosters Lindisfarne ein. Dies war zugleich der Beginn des Zeitalters der Wikinger in Europa, geprägt durch zahllose Angriffe kleiner Gruppen von Nordmännern, die die Küstengebiete plünderten, aber auch auf der Suche nach Beute die Flüsse hinaufsegelten. Während die Dänen vor allem den Süden und Osten Englands angriffen, segelten die Norweger in die Regionen um den Nordatlantik. Zunächst suchten sie nur nach Reichtümern und militärischem Erfolg, aber als die Angriffe nach 835 immer häufiger wurden, ließen sie sich auch auf den Britischen Inseln nieder. Die Details und die Chronologie der Wikinger-Siedlungen auf den Shetlands, den Orkney-Inseln, den Hebriden und im nördlichen und westlichen Schottland werden in der Forschung immer noch diskutiert (Barrett 2008). Ungeachtet des Fehlens piktischer Ortsnamen nach dem vermutlichen Beginn der Siedlungen auf den nördlichen und westlichen Inseln wurde die dortige Bevölkerung wahrscheinlich weder vertrieben noch getötet. Es gibt zudem keinen archäologischen Nachweis für ein WikingerKönigtum mit einem Zentrum auf den Orkney-Inseln, das schon in den 840er Jahren entstand und so etwas wie eine Schaltstelle der Invasionen in Irland darstellte; das erste sichere historische Datum für ein earldom auf den Orkneys ist vielmehr der Tod von Earl Sigurd in Irland 1014. Obwohl Grabfunde in Norwegen eher auf spätere Plünderungen als auf kulturellen Austausch zurückzuführen sind, könnte es dennoch frühere Kontakte und eine Mobilität von Menschen und Gütern zwischen Norwegen, den nördlichen Inseln und Schottland gegeben haben, wie Bjørn Myhre vorgeschlagen hat (1998). Das schriftliche Zeugnis der Historia Norwegie aus dem 12. und der Orkneyinga Saga aus dem frühen 13. Jahrhundert deutet zumindest auf einen langsamen Prozess kultureller Annäherung, der von einer gemischten zu einer skandinavisch dominierten Kultur führte. Obwohl man die regionalen Differenzen zwischen Schottland, den Shetlands, den Orkney-Inseln und den Hebriden berücksichtigen muss, lassen sich zumindest Grundzüge der norwegischen Siedlung im Norden der Britischen Inseln erkennen. Die ersten Nachrichten über Plünderungen lassen sich mit einer ersten Phase des Handels und kultureller Kontakte verbinden. Norwegische Siedlungen können mit größerer Sicherheit erst nach der Mitte des 9. Jahrhunderts angenommen werden, und zwar auf der Grundlage paralleler Entwicklungen in England (Barrett 2008). Während zunächst eine Koexistenz skandinavischer und indigener (gälischer, piktischer) Kul-

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turen angenommen werden kann, waren einige Regionen später ausschließlich norwegisch geprägt. So enthalten Gräber in Schottland aus der Zeit etwa zwischen 850 und 950 fast nur Beigaben skandinavischen Ursprungs, und spätere Silber-Hordfunde entsprechen denen aus der Welt der Wikinger. Der norwegische Einfluss wird durch namenkundliche Untersuchungen für die nördlichen Inseln und die Äußeren Hebriden des 10. bis 12. Jahrhunderts bestätigt. Die Norweger auf den Hebriden behaupteten bis ins 13. Jahrhundert ihre Eigenständigkeit, mit einem unabhängigen Königtum auf der Insel Man. Die Ereignisse in Irland lassen sich aus den Irischen Annalen rekonstruieren. Der erste Beleg für einen Wikinger-Überfall datiert auf 795, und etliche weitere Attacken folgten bis 813, vor allem auf Kirchen und Klöster (Ó Corráin 2001). Eine neue, intensivere Phase von Angriffen begann 821. 837 kamen zwei Flotten mit jeweils rund 60 Schiffen und 1.500 Mann an die Ostküste, die die Uí Néill-Könige ausplünderten und schließlich besiegten. 840/841 blieben die ersten Kontingente über die Winterperiode in Ulster, und erste Befestigungen (longphorts) wurden errichtet, eine davon in Dublin. Zugleich begannen die ersten Krieger und Abenteurer, sich in den irischen Midlands niederzulassen. Bald darauf versuchten die Anführer (oder ‚Könige‘) der Wikinger durch drei größere militärische Unternehmen zwischen 848 und 853 die Kontrolle über diese Siedler zu erlangen, was schließlich zur Begründung des Wikinger-Königreichs von Dublin führte. Nach einer Phase interner Streitigkeiten nach 873 wurden die Norweger 902 aus Dublin vertrieben, wenn auch wahrscheinlich nicht vollständig (Mytum 2003). Aber die norwegischen Anführer kehrten dann 917 zurück, bauten die Stadt wieder auf und konnten eine stabilere Herrschaft errichten. Die Könige von Dublin blieben bis zum Ende des 10. Jahrhunderts machtvoll, als sie die Oberherrschaft der Könige von Munster akzeptieren mussten. Der letzte WikingerHerrscher von Dublin, Ansculf Torquilsson, wurde erst 1169/1170 durch anglonormannische Truppen vertrieben. Die Siedlung der Wikinger in Irland war begrenzt und weniger stabil als auf den nördlichen Inseln und in Schottland, und anders als im Norden war es auf Städte konzentriert (Larsen / Stummann Hansen 2001). Dublin war nur eine der zwischen 914 und 922 begründeten Handelsstädte, zusammen mit Waterford, Wexford, Cork und Limerick. Ausgrabungen haben den Reichtum Dublins im 10. Jahrhundert nachgewiesen; dorthin wurden Keramik, Glas, Bernstein, Elfenbein und selbst Seide aus dem Osten importiert. Die Wikinger nutzen die städtischen Zentren, um die verschiedenen Gebiete skandinavischer Siedlung im Nordatlantik miteinander zu verbinden. Die Städte wurden durch die Produkte des umgebenden irischen Landes versorgt, das wahrscheinlich direkt von den Städten aus verwaltet wurde. Am Ende wurden die Wikinger Teil der irischen Gesellschaft, auch wenn sie ihre Identität wahren konnten (Mytum 2003).

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5 Die Dänen in England Die Könige der Wikinger aus Dublin griffen zwar zwischen 919 und 948 im skandinavischen Königreich von York ein, wesentlich war in England jedoch der Einfluss dänischer Wikinger. Ihre Angriffe wurden in den 830er, 840er und 850er Jahren immer intensiver. Mit dem „großen Heer“ von 865/866 wurde eine neue Qualität erreicht. Es nahm in Ostanglien Winterquartier und blieb für mehr als dreizehn Jahre, die das politische System Englands veränderten. Anstatt sich auf Beutezüge zu konzentrieren, wandte sich die Armee nach dem Verlassen der Winterquartiere gegen Northumbrien, das durch inneren Streit geschwächt war. Das Königreich wurde schließlich 867 erobert, und ein Marionettenherrscher wurde eingesetzt. Der König von Mercia, Burgred, konnte sein Land durch die Zahlung eines Tributs vor einer Niederlage bewahren, doch griffen die Wikinger 869 Ostanglien an. König Edmund wurde erschlagen und sein Königreich besetzt. Bis 871 waren Verstärkungen eingetroffen, die 873 die Eroberung Mercias ermöglichten. Allein das zuvor schon besiegte Wessex konnte den Widerstand organisieren, unter König Alfred, dem 878 bei Edington ein Sieg gegen die Wikinger gelang. Dieser Rückschlag brachte einige der Wikinger dazu England zu verlassen, andere aber blieben. Seit 876 war Northumbrien stärker unter die Herrschaft der Wikinger genommen worden, und seine Besiedlung hatte begonnen. 877 wurde Mercia dann in zwei Zonen geteilt. In der nördlichen Zone, die das Gebiet der Five Boroughs umfasste – Lincoln, Stamford, Derby, Nottingham und Leicester –, wurde das Land unter die Anhänger eines der dänischen Anführer, Guthrums, verteilt. Um 886 erkannte Alfred die dänische Herrschaft nördlich der Themse und der Watling Street vertraglich an, doch bald begann eine Eroberungspolitik, deren Ziel es war, möglichst viele der von den Wikingern beherrschten Gebiete unter die Herrschaft von Wessex zu bringen. Alfred gelang die Eroberung Londons, und nach langjährigen Angriffen fiel 954 das Wikinger-Königreich von York. Der Vertrag zwischen Alfred und Guthrum hatte bereits den eigenen rechtlichen Stand der skandinavischen Bevölkerung anerkannt, und dies setzte sich in den Gesetzen der Nachfolger Alfreds fort. Obwohl die namenkundliche Analyse der Ortsnamen im Gebiet der Five Boroughs zum Schluss verleiten könnte, dass die Zahl der dänischen Siedler sehr groß war, gibt es keine sichere Grundlage für Schätzungen. Vielmehr scheint die dänische Siedlung immer dort besonders stark gewesen zu sein, wo sich die dänische Herrschaft länger halten konnte (Downham 2008). Einzelhöfe lassen sich nur schwer als skandinavisch identifizieren, und mit Ausnahme von Cumbria und dem Nordwesten Englands übernahmen die Siedler offenbar im 9. Jahrhundert die regionalen Bestattungsbräuche; nur in Ausnahmen sind christliche und „heidnische“ Elemente miteinander kombiniert (Richards 2008). Die Entstehung der Dörfer könnte durch die Neuverteilung von Land nach der dänischen Eroberung beeinflusst oder zumindest beschleunigt worden sein. Die Strukturen der Five Boroughs ähneln eher angelsächsischen Vorbildern. Einige der Städte blühten durch wachsenden

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Handel auf – vor allem Chester, das sich zu einem wichtigen Markt für irisch-norwegische Händler entwickelte. Schließlich führte die Integration der skandinavischen und angelsächsischen Bevölkerung zur Ausbildung einer neuen regionalen Identität, der des Danelaw, wie dies auch die Gesetze Edgars spiegeln (959–975). 980 begannen neue dänische Überfälle auf die englischen Küstengebiete. Obwohl die Verteidigung teilweise erfolgreich war, verhinderten eine Atmosphäre des Misstrauens und sich auflösende Loyalitäten einen entscheidenden Sieg. Vielmehr musste man sich durch wachsende Summen Geldes freikaufen, die die Einführung einer Steuer, des Danegeld, erforderlich machten. 1013 begann der dänische König Sveinn Haraldsson mit der Eroberung Englands. Nach Sveinns Tod 1014 war es sein Sohn Knut, der England 1016 zurückeroberte und es von 1018 bis zu seinem Tod 1035 mit Dänemark (und Norwegen) verband. Während des Konflikts verlor die alte angelsächsische Elite ihren Einfluss, und ein neuer anglodänischer Adel gewann an Macht. Dennoch stellte sich Knut in die Tradition der angelsächsischen Könige, indem er die Gesetze Edgars als gemeinsame Basis anerkannte. Dies führte bis in die Zeit Eduards des Bekenners zur Integration der Dänen in die angelsächsische Gesellschaft.

6 Die normannische Eroberung Englands 1066 schuf der Tod Eduards ohne direkten Erben neue Probleme. Sein Nachfolger Harald Godwinson musste sich gegen Ansprüche aus Norwegen und der Normandie zur Wehr setzen und wurde durch Wilhelm von der Normandie (Wilhelm „den Eroberer“) bei Hastings besiegt. Wilhelm erzwang seine Wahl zum König durch Plünderungen und Verwüstungen der Region zwischen Hastings und London. Er wurde am Weihnachtstag des Jahres 1066 gekrönt, doch bald brachen Aufstände aus: 1067 in Kent und Exter und 1068–1069 im Norden, unterstützt durch Malcolm III. von Schottland. Wilhelm reagierte mit einem längeren Feldzug nach Mercia und Northumbrien. Die letzten Rebellen wurden 1071 in Ely besiegt. Die normannische Herrschaft wurde durch den Bau von Befestigungen und Burgen abgesichert, die zumeist aus einem Erdhügel mit Turm und einem eingefriedeten Hof mit Gräben, Wällen und Holzpalisaden bestanden, aber gelegentlich auch aus Stein errichtet wurden. Bis 1100 wurden in den Städten und auf dem Land 5–6.000 dieser Burgen gebaut. Wilhelm war mit einer Armee gekommen, die sich nicht nur aus der Normandie, sondern aus dem gesamten Nordfrankreich rekrutierte. Nachdem er die Macht errungen hatte, ließen sich viele seiner Gefolgsleute in England nieder. Dies betraf zuerst die Regionen, die am meisten von den militärischen Operationen des Jahres 1066 betroffen waren, sowie die Besitzungen Haralds und seiner Familie, aber die Unterdrückung der Rebellionen dehnte dies nach und nach auf alle anderen Regionen aus. Die Zahl der Einwanderer war sehr klein, wenn man sie mit der der einheimischen Bevölkerung vergleicht: Schätzungen gehen für 1066 von 8–10.000 kontinentalen

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Neusiedlern gegenüber etwa 1.500.000 Einwohnern des angelsächsischen England aus (Fuchs 1987: 136; Roffe 2007: 232). Dennoch waren die Folgen dramatisch. Wie aus einer Analyse des Domesday Book (1086) hervorgeht, wurden nicht nur die führenden Ränge des angelsächsischen Adels, die earls und Magnaten, sondern auch die Mitglieder des Niederadels, die thegns und großen Freien, durch Normannen, Bretonen, Flamen, Franzosen und andere Vasallen Wilhelms ersetzt. Bretonen ließen sich wahrscheinlich vor allem im Südwesten nieder, insbesondere in Devon und Somerset; die Flamen waren in den östlichen Midlands und in Essex konzentriert. Eine kleinere Zahl von Vasallen aus Burgund, Lothringen, dem Poitou, Anjou, Maine und anderen französischen Regionen besetzte weniger bedeutende Landgüter in verschiedenen Teilen des Königreichs. Daneben gab es auch Gruppen (nicht-adliger) ‚Franzosen‘, die sich in den Städten ansiedelten, in Hereford, Shrewsbury und Norwich, und einige der Einwanderer waren auch Bauern (Fuchs 1987). Obwohl es auch einige Konflikte gab, integrierten sich die Nachfahren der Eroberer in die englische Gesellschaft. Schon in den 1220er Jahren sahen sich die Barone, deren Familien durch die normannische Eroberung ins Land gekommen waren, im Widerstand gegen die Politik Heinrichs III. als Engländer.

7 Die anglonormannische Siedlung in Wales und Irland Die Ereignisse von 1066 wurden von den walisischen und schottischen Annalisten kaum beachtet. Vielmehr war es hier das Jahr 1093, das dramatische Wandlungen ankündigte. Im Mai wurde Rhys ap Tewdwr, der König von Deheubarth in Süd-Wales, in der Schlacht getötet, und im November starben Malcolm III. und sein Erbe in der Schlacht, beide Male gegen die Anglonormannen (Davies 2000). Bald nach der normannischen Eroberung Englands verfolgten die neuen Herren eine aggressive Politik gegenüber ihren Nachbarn, Wales und Schottland. Nach und nach dehnten sie ihre Herrschaftsgebiete nach Westen und Norden aus, in den Süden, Norden und das Zentrum von Wales und in den Süden von Schottland. Nach 1169 begannen ähnliche Entwicklungen in Irland, die zur Schaffung des Titels eines Herrn von Irland durch Heinrich II. führten. Bald nach 1066 entstanden die earldoms von Hereford, Shrewsbury und Chester, und die ersten earls errichteten massive Steinburgen in den Grenzregionen und direkt in Wales, sogar in Bangor und Caernarfon. Im Süden weiteten die Barone und kleineren Vasallen ihre Herrschaft nach Gwent, Glamorgan und selbst nach Ceredigion aus (Barrow 2004). Jeder dieser Herren hatte seinen eigenen Haushalt, der aus Verwandten, Vasallen, Hofleuten, Kriegern und Söldnern bestand, die beachtliche private Armeen bildeten, die darauf aus waren, nach Beute zu suchen. Wenn so ein Baron den Anspruch erhob, einen walisischen Bezirk oder ein Gebiet zu besitzen, folgten

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intensive Überfälle und Plünderungen, um die Unterwerfung zu erreichen. Bis 1215 errichteten die anglonormannischen Herren allein in Wales über 300 Burgen (Davies 1987). Diese waren Zentren militärischer Macht und der Verwaltung und bildeten, wie kleinere Gemeinden oder Kirchen, den Ausgangspunkt für eine intensive Besiedlung sowohl durch normannische als auch durch englische Bauern, die die anglonormannische Eroberung absicherte (Chibnall 2000). Bis zum Ende des 12.  Jahrhunderts führte die Siedlung zur Entstehung einer „mittleren Nation“ mit einer eignen Identität, besonders in den walisischen Marken. Auf diese Weise wurde Wales auch einem intensiven anglonormannischen Einfluss in Sprache und Kultur geöffnet (Davies 1987). In Irland begann die anglonormannische Einmischung 1169, als Familien aus dem Süden von Wales, unter Richard FitzGilbert, in die Kämpfe der irischen Hochkönige in Leinster eingriffen. Zunächst reagierte Heinrich II. scharf ablehnend auf die Operation Richards, kam aber 1172 mit päpstlicher Zustimmung selbst mit einer Armee nach Irland. Richard wurde in Leinster eingesetzt und Hugh de Lacy in Meath; beide integrierten sich rasch in die irische Gesellschaft. Wie in Wales wurden Burgen errichtet und Vasallen in kleineren befestigten Anlagen installiert. Diese bildeten wiederum den Kern für eine Besiedlung durch Anglonormannen und auch Waliser, unter denselben Bedingungen, wie sie für sie auch in England galten (Chibnall 2000). Die Gesellschaften von Irland, Wales und Schottland waren im früheren Mittelalter sehr verschieden, wurden aber im späteren Mittelalter in der Folge von Migrationen und Siedlungsbewegungen zunehmend anglisiert, nicht zuletzt durch die Übernahme von Verwaltungsstrukturen aus England (Griffiths 2003). Unabhängig von der endgültigen Eroberung von Wales durch die Engländer 1282 wurde jedoch zur selben Zeit das Streben nach politischer Unabhängigkeit stärker. Schottland verteidigte erfolgreich seine Unabhängigkeit, nach 1295 oft im Bündnis mit Frankreich. Im 15. Jahrhundert suchte England die Vorstellung von Britannien zu nutzen, um die eigenen Ansprüche auf Oberherrschaft zu stützen. Die Invasionen und Siedlungsbewegungen seit dem 5. Jahrhundert hatten zwar verschiedene Identitäten geschaffen, doch konnte die gemeinsame Vergangenheit immer noch für politische Konzepte genutzt werden.

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Walter Pohl

Völkerwanderung 1 Einleitung ‚Völkerwanderung‘ ist ein Begriff, der im 16.  Jahrhundert als Bezeichnung für die Zeit zwischen etwa 375 und 568 geprägt wurde, die Zeit, in der das Römische Imperium schrittweise in die ‚barbarischen‘ Königreiche der Goten, Vandalen, Burgunder, Franken, Langobarden und anderer zerfiel (Pohl 2005). Dieser Begriff ruft immer noch Bilder von wandernden Volksstämmen hervor, Hunnen oder Germanen, die aus den barbarischen Grenzländern in die römischen Gebiete einfallen und die antike Hochkultur Roms zerstören. Die jüngere Forschung hat gezeigt, dass diese veraltete Sicht im besten Fall eine krasse Vereinfachung eines höchst komplexen Prozesses bietet, der (Ein-)Wanderung, Integration und soziale und politische Wandlungsprozesse umfasst. Aber immer noch finden höchst kontroverse Debatten statt, die sich mit Ausmaß und Wirkung dieser ‚barbarischen‘ Wanderungen beschäftigen (Heather 2005, Wark-Perkins 2005, Goffart 2006, Noble 2006, Pohl 2012). Viel mehr als andere Wanderungsbewegungen in der Geschichte ist die Völkerwanderung mit eindrucksstarken Bildern von ambivalenter Natur aufgeladen. Auf der einen Seite spielten die barbarischen ‚Invasoren‘ eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Staaten, Nationen und wichtigen Institutionen des Westens. Etwa kann eine direkte Linie von Herrschaft und politischer Legitimation zwischen dem Frankenkönig Chlodwig (um 500 n. Chr.) und der heutigen französischen Republik gezogen werden. Auf der anderen Seite ist das intellektuelle Instrumentarium der modernen Wissenschaft letztlich ein Erbe des Römischen Reiches und seiner Kultur. Auch heute ist die Geschichtswissenschaft daher in grundlegenden Fragen der Beurteilung geteilter Meinung: Während HistorikerInnen romanischer Länder von ‚Invasionen‘ sprechen, schreiben deutschsprachige WissenschaftlerInnen meist über die ‚Völkerwanderung‘. Das moderne Bild der ‚Barbaren‘ geht auf eine lange Tradition von ethnozentrischen Stereotypen und Vorurteilen zurück (James 2009). Barbaren wurden als unzivilisiert, gewalttätig und heimtückisch gesehen, obwohl Kritiker römischer Dekadenz (etwa Tacitus) oder später christlicher Sündhaftigkeit (wie Salvian von Marseille) sie manchmal auch als unverdorbene, ‚edle Wilde‘ darstellten. (Obwohl ‚Barbar‘ immer abwertend gebraucht worden ist, verwendet die moderne Wissenschaft das Wort in Ermangelung einer rein deskriptiven Begrifflichkeit für Menschen nicht-römischer Herkunft.) In den lebhaften Diskussionen über die Völkerwanderungszeit treten seit jeher zwei Streitpunkte besonders hervor (Demandt 1984): Erstens, ist Rom untergegangen, oder hat es sich nur grundlegend verwandelt? Die Antwort auf diese Frage hängt vor

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allem davon ab, ob man die politische und militärische Entwicklung für entscheidend hält, oder eher langfristige soziale und kulturelle Veränderungen (Pohl 2012). Und zweitens, waren die barbarischen Eindringlinge verantwortlich für diesen Wandel, oder waren es vor allem innere Transformationen, die den Zusammenhalt der spätrömischen Gesellschaft langsam schwächten? Damit hängt die Frage nach dem Charakter dieser Wanderungsbewegungen zusammen: bestanden die wandernden Gruppen hauptsächlich aus mobilen Streitkräften oder waren es ganze Stämme, die wanderten, eben eine Wanderung der Völker? Die jüngere Forschung hat sich von den traditionellen Vorstellungen einer Völkerwanderung entfernt. Es gibt viele Belege dafür, dass das Imperium Romanum die Immigration auf Reichsboden förderte, um so Rekruten für das Militär, Sklaven und Bauern zu gewinnen (Wolfram 1998). Gegen Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. war die Mehrheit der Soldaten in der römischen Armee bereits barbarischer Herkunft, darunter viele in den höchsten Offiziersrängen. Es war der Staatsstreich eines barbarischen Kommandanten in römischen Diensten, Odoaker, der 476 das weströmische Reich beendete (Demandt 2007). Nur wenige Reichsgründungen auf römischem Boden beruhten auf feindlichen Angriffen (wie etwa der Zug der Vandalen vom Rhein nach Nordafrika). Die meisten der Barbaren, die in römischen Gebieten die Macht ergriffen, hatten bereits lange als direkte Nachbarn der Römer und später auf Reichsgebiet gelebt und wussten, wie sie sich in einer römisch geprägten, spätantiken Umwelt zu verhalten hatten.

2 Goten, Vandalen und Hunnen Die einzigen wirklich Fremden, die Rom bedrohten, waren die Hunnen, die sich ab 375 n. Chr. vom Norden des Schwarzen Meeres und von nördlich der Donau her ausbreiteten und so ihre Herrschaft über die Goten und andere Barbaren in diesen Gebieten etablierten (Thompson / Heather 1996). Dies führte zu ausgeprägten Wanderungsbewegungen der Goten in das Reich, wo diese zunächst als willkommene Verstärkung der römischen Armee empfangen wurden, sich aber bald von korrupten Offizieren drangsaliert und ausgebeutet sahen. Die Goten rebellierten und vernichteten eine römische Armee unter Führung des Kaisers Valens bei Adrianopel (378). Von da an bewegten sich gotische Armeen unter ihren eigenen Kommandanten auf römischem Territorium und wechselten zwischen Dienst für die römische Armee, Verhandlungen und offener Rebellion (Wolfram 2009). Auf diese Weise dehnten barbarische Generäle und Könige ihren Einflussbereich innerhalb des römischen Systems Schritt für Schritt aus. Der erste dieser barbarischen Anführer, der die politische Initiative ergriff, war der Westgote Alarich. Er führte seine Armee ab den 390ern durch die Balkanprovinzen und nach Italien. Als ihm eine hohe Position in der römischen Armee verwehrt wurde, führte er seine Goten 410 nach Rom und plünderte die Stadt (Meier / Patzold

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2010). Obgleich sowohl der Schaden als auch die politischen Konsequenzen eher begrenzt blieben, war der symbolische Effekt dieser Aktion enorm. Allerdings sollte es noch einige Jahre dauern, bis sich die Westgoten nach Alarichs Tod im Einvernehmen mit einflussreichen gallischen Kreisen in der Gegend um Toulouse niederlassen konnten (Heather 1994). Von da aus breiteten sich die Westgoten schrittweise weiter nach Spanien aus, wo ihr Königreich bis 711 Bestand hatte. Nach dem Beispiel ihres Bischofs Wulfila nahmen die Goten das arianische Bekenntnis an, womit sie zum Vorbild für die meisten der frühen barbarischen Königreiche wurden (Collins 2004). Die Vandalen, die aus den Ländern beiderseits der Karpaten kamen, überquerten 405/406 gemeinsam mit Alanen und Sueben den Rhein nach Gallien und weiter nach Spanien. Schließlich drangen sie unter ihrem König Geiserich 429 nach Nordafrika vor (Castritius 2007; Merrills 2010). Der bekannte Begriff ‚Vandalismus‘ ist nur indirekt eine Konsequenz ihres zeitweise schlechten Rufs, er wurde erst während der Französischen Revolution von einem ihrer Gegner eingeführt. 533/534, als Justinians General Belisar Nordafrika zurückeroberte, war die vandalische Elite bereits durchgehend romanisiert. Es ist wahrscheinlich, dass der Zug der Vandalen und weitere Wanderungsbewegungen der Zeit von der Expansion der Hunnen ins Karpatenbecken (ungefähr das Gebiet des heutigen Ungarns) ausgelöst worden sind. Unter der Herrschaft Attilas (gest. 453) etablierte sich das kurzlebige Reich der Hunnen als die bestimmende Macht in großen Teilen Mittel- und Ostmitteleuropas und übte auf das ost- wie auf das weströmische Reich starken militärischen Druck aus (Stickler 2007). Allerdings war es nie die Absicht der Hunnen, sich auf Reichsboden anzusiedeln, und so blieben ihre massiven militärischen Expeditionen nach Gallien (wo 451 die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern zu ihrem Rückzug führte) und nach Italien (wo Papst Leo I. behauptete, Attila 452 zum Rückzug bewogen zu haben) Episoden. Nach Attilas Tod zerfiel sein Reich, und wieder einmal zog eine Reihe bis dahin den Hunnen unterstellter Gruppen ins Reich. Von diesen waren die Ostgoten, die einen wichtigen Teil von Attilas Armee gestellt hatten, am erfolgreichsten. Sie etablierten ihr Königreich zuerst in der römischen Provinz Pannonien, um bald darauf unter ihrem König Theoderich (dem Großen) auf die Balkanhalbinsel vorzudringen, wo sie jahrelang im Wechselspiel von Raubzügen und Verhandlungen mit Ostrom umherzogen. Auf Anstiftung des oströmischen Kaisers Zeno fielen sie 489 in Italien ein und eroberten das Königreich Odoakers (der hier seit 476 regierte). Für einige Jahrzehnte schien es, als ob unter Theoderichs Herrschaft eine erfolgreiche Synthese von römischer Administration und Kultur auf der einen Seite und gotischer Herrschaft und militärischen Errungenschaften auf der anderen Seite gelungen war. Aber 535 nahm der oströmische Kaiser Justinian einen gotischen Thronstreit zum Anlass, seine soeben über die Vandalen siegreiche Armee auf das Ostgotenreich loszulassen. Im Lauf des darauf folgenden, fast zwanzigjährigen Gotenkrieges wurden große Teile der Infrastruktur des ehemaligen Kernlandes des Imperiums zerstört, bevor Italien wieder unter direkte römische Herrschaft fiel.

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3 Langobarden, Franken und Angelsachsen Es sollte aber nicht lange dauern, bis ein anderes barbarisches Volk siegreich in Italien erschien: die Langobarden. Diese hatten fast 80 Jahre in den weitgehend zerstörten römischen Provinzen entlang der Donau, Noricum und Pannonien, verbracht, bis ihr König Alboin in siegreichen Feldzügen einen großen Zusammenschluss verschiedener barbarischer Gruppierungen bewirken konnte, die bereit waren, ihm 568 auf dem Zug nach Italien zu folgen. Anders als Theoderich sollte es den Langobarden nie gelingen, die gesamte Halbinsel unter ihre Kontrolle zu bringen – eine Teilung, die bis ins 19. Jahrhundert bestehen sollte. Das Gallien des 5. Jahrhunderts war in mehrere barbarische Einflussbereiche aufgeteilt, von denen jeder auf die Unterstützung von zumindest einem Teil der lokalen Aristokratie und der Bischöfe zählen konnte (Geary 1988). Während der Südwesten von westgotischen Königen regiert wurde, geriet der Südosten unter den Einfluss der Burgunder, die ursprünglich aus dem mittleren Rheingebiet gekommen waren (Kaiser 2004). Im Norden etablierten schrittweise die Franken ihre Macht über die römischen Städte (Nonn 2010). Um 500 konnte sich einer von ihren Königen, Chlodwig, nicht nur unter seinen fränkischen Rivalen durchsetzen, sondern auch gegen Westgoten und Alamannen. Seine Söhne eroberten das Burgunderreich. So entstand ein mächtiges fränkisches Königreich, das 250 Jahre lang von der Dynastie der Merowinger regiert wurde (Wood 1994). Das Merowingerreich war das erfolgreichste der post-imperialen Königreiche des Westens. Einer der Gründe dafür war vermutlich, dass die Franken stets nahe an ihrem Ursprungsgebiet, das auf der anderen Seite des Rheins lag, blieben. Zudem entschieden sie sich für das katholische Bekenntnis und unterhielten überdies gute Beziehungen zur romanischen Bevölkerung. In Gallien, ebenso wie in Italien und Spanien, regierte eine eingewanderte Minderheit, die vermutlich nicht mehr als 100.000 Menschen umfasste, eine autochthone Mehrheit von etlichen Millionen. Nach und nach übernahmen Goten, Franken und Langobarden das Spätlatein ihrer Untertanen, während diese begannen, sich mit dem Ethnonym ihrer Herrscher zu identifizieren. In Britannien entwickelten sich die Dinge etwas anders; leider sind hier die uns erhaltenen Quellen besonders spärlich. Die römischen Truppen verließen die Insel 407, und bald darauf begannen die verbliebenen Briten, Angeln und Sachsen von jenseits der Nordsee zur militärischen Unterstützung anzuwerben. Doch diese begannen bald, die Insel schrittweise zu erobern und die Briten immer weiter in Richtung Westen zurückzudrängen (James 2001). Als die angelsächsische Mission um 600 begann, fanden sich kaum noch Spuren der Briten in den angelsächsischen Königreichen. Ob sie getötet, vertrieben oder assimiliert wurden, ist nach wie vor heftig umstritten. Allerdings wäre die relativ große Bevölkerungsdichte kaum zu erklären, ohne mit zumindest teilweiser Assimilation zu rechnen.

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4 Charakter und Bedeutung der Migrationen Die oft dramatischen Ereignisse während der ‚barbarischen‘ Wanderungen, die römische und griechische Autoren in leuchtenden Farben ausgemalt haben (zeitgenössische Berichte aus der Perspektive der Wandernden existieren nicht), erregten bei der Nachwelt bleibendes Interesse. Die großartigen und tragischen Taten der Goten, Vandalen, Burgunder oder Hunnen wurden zu einer immer wieder gebrauchten Quelle für Bewunderung und Schrecken, für retrospektive Identifikation oder für Stereotypen der Ausgrenzung. Das hat dazu geführt, dass Ausmaß, Einheitlichkeit und Bedeutung der Wanderungen oft übertrieben wurden. Gegen diese veralteten Ansichten müssen einige Punkte hervorgehoben werden. Die militärischen Invasionen, die in unseren Quellen im Vordergrund stehen, waren nur Episoden im Rahmen einer langen Geschichte von ‚barbarischen‘ Wanderungen auf römischen Boden, die weit vor 375 begonnen hatte. Die Gründe für diese Wanderungen lagen vor allem an ‚Pull-Faktoren‘, dem Sog des Imperiums für seine Nachbarn: dem ständigen Bedarf Roms an militärischer und agrarischer Arbeitskraft und dem außergewöhnlichen Reichtum der römischen Kernländer. In der Spätantike bildeten die Barbaren die Peripherie einer römischen Welt im weiteren Sinn, und viele von ihnen waren mit der römischen Lebensweise durchaus vertraut (Fehr / von Rummel 2011). Kleinere und größere Gruppen wanderten, oft entlang generationenalter Routen, in die römischen Provinzen, und diese Wanderungen konnten ganz verschiedene Form annehmen: Versklavung durch römische Händler oder Militärs, barbarische Raubzüge, bäuerliche Niederlassung, vorübergehender oder dauerhafter Militärdienst, Anschluss an bereits etablierte Gruppen oder Wanderungen ohne ein klares Ziel. Kaum eine der größeren wandernden Gruppen war ethnisch homogen. Obwohl viele der Ethnonyme, die zur Bezeichnung der Königreiche der Wanderungszeit benutzt wurden, so oder ähnlich bereits in viel früheren Quellen erwähnt werden, ist leicht nachweisbar, dass nicht einfach geschlossene Völker wanderten, sondern dass sich auf römischem Boden neue Zusammenschlüsse bildeten. Die Führungsschicht der neuen Königreiche war teils sehr unterschiedlicher Herkunft – zum Beispiel wurden die Vandalen von ursprünglich iranischen Alanen begleitet, die Goten von Hunnen, die Langobarden von Sarmaten und von römischen Provinzialen. Die spätrömische Gesellschaft zeigte eine bemerkenswerte Offenheit und Toleranz für Migranten, blieb aber zugleich sehr vorurteilsbehaftet. Zu gewissen Zeiten wurde die Integration der Barbaren von Pogromen unterbrochen, besonders wenn barbarische Soldaten verdächtigt wurden, Verrat geübt zu haben. Trotzdem hat sich die römische Armee im Laufe des 5.  Jahrhunderts fast vollständig „barbarisiert“, und das weströmische Reich verlor schrittweise die Kontrolle über sie. Der radikale politische Übergang von antikem Kaisertum zu barbarischem Königtum in den römischen Kernländern des Westens hat zu keinem Bruch in Demographie, Wirtschaft und Gesellschaft dieser Regionen geführt. Die gesellschaftlichen Strukturen veränderten sich in viel langfristigeren Prozessen (Wickham 2005; Wickham 2009; Brown 2003).

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Als die Wanderungen im 6. Jahrhundert dann allmählich nachließen, stellten die eingewanderten Barbaren in den meisten ehemaligen Provinzen immer noch eine deutliche Minderheit dar. In Britannien sowie in Noricum und Pannonien und anderen Grenzregionen waren die demographischen Veränderungen viel tiefgreifender, in vielen Gebieten verringerte sich die Bevölkerungsdichte dramatisch. Ostmitteleuropa sowie ein Großteil der Balkanprovinzen wurden dann im Lauf des 6. und 7. Jahrhunderts slawisiert (Curta 2001). Dieser Prozess, der in den zeitgenössischen Quellen viel seltener beschrieben wird (sodass sich oft kaum mehr feststellen lässt, in welchem Ausmaß dies auf Wanderungen oder auf Slawisierung der Vorbevölkerung zurückgeht), wirkte in vielerlei Hinsicht nachhaltiger als die ‚Völkerwanderung‘ im Westen. Diese wiederum hat bis in die Gegenwart das kulturelle Gedächtnis Europas ungleich stärker geprägt.

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Michael Toch

Juden

1 Einleitung Die Geschichte des jüdischen Volkes wurde im Mittelalter (ca. 500 – ca. 1500) wie in Altertum und Neuzeit in weitem Maß durch Migration geformt (s. DellaPergola 1997 für einen Gesamtüberblick). Jede Periode kannte unterschiedliche Migrationsmuster und jede bezog sich auf diese existentielle Bedingung in unterschiedlicher Weise, sei es als ‚Diaspora‘ (das griechische Wort, das gemeinhin für freiwillige Zerstreuung dient), sei es als das hebräische ‚Galut‘ (für erzwungenes Exil). Wanderungen begründeten in der hier behandelten Periode die drei maßgeblichen Unterteilungen, die zusammen bis heute das jüdische Volk ausmachen: Aschkenasen mittel- und osteuropäischer Herkunft; Sepharden spanisch-portugiesischer Herkunft, die später das Osmanische Reich vom Balkan über Kleinasien und bis nach Nordafrika bewohnten; und ein orientalisches Judentum, das die Gemeinden sowohl des Mittleren Ostens als auch Nordafrikas umfasst. Zusätzlich gibt es Gruppierungen, deren Ankunft vor dem Mittelalter liegt: Teile des italienischen Judentums, die Jemeniten, die Juden des Kaukasus, und, zahlenmäßig und kulturell dominierend in Spätantike und Mittelalter, die jüdischen Bevölkerungen in Israel / Palästina, Babylonien (Irak) und Ägypten. Die in all diesen Regionen lebenden Juden definierten sich religiös, kulturell und sprachlich als Teile der breiteren Entität eines jüdischen Volkes, das historisch im Mittleren Osten verankert war. Tatsächlich können die meisten von ihnen bis zu den mittelöstlichen jüdischen Bevölkerungen des Altertums zurückverfolgt werden, wenn auch nirgends durch direktes Zeugnis für eigentliche Migrationen, sondern nur durch unsichere Spuren ritueller und literarischer Traditionen, die durch Migranten transferiert wurden und oft ihren Niederschlag im Mythos fanden (s. Fischbane 1993). Die Kultur und die Bevölkerungen der mittelalterlichen Diaspora stammen aus den beiden maßgebenden religiösen Zentren in Israel / Palästina und in Babylonien. Gegen diese ‚mainstream‘-Geschichtsanschauung postuliert eine oft polemische Gegenposition die ‚nicht-jüdische‘ Herkunft sowohl der aschkenasischen wie auch der sephardischen Juden. Sie behauptet eine Abstammung hauptsächlich oder ausschließlich von Konvertiten aus anderen Religionen und Ethnizitäten, am hartnäckigsten von den längst im Nebel der Geschichte verloren gegangenen türkstämmigen Chasaren (für Spanien s. Wexler 1996; für die Chasaren-Theorie zuletzt Sand 2009; für eine ausgewogene Erörterung der letzteren Golden u. a. 2007). Es besteht wenig Wahrscheinlichkeit und kein Zeugnis zur Stützung solcher Vorstellungen. Im Gegenteil, genetische Untersuchungen der letzten Zeit haben die traditionelle Anschauung der aus einer alten Heimat stammenden jüdischen Diaspora bedeutend gestärkt. Einige

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Studien sehen für den väterlichen Genpool von Juden aus Europa, Nordafrika und dem Mittleren Osten eine klare Abstammung von einer gemeinsamen mittelöstlichen Ahnenbevölkerung (Hammer u. a. 2000; Behar u. a. 2010). Eine andere bemerkte die extrem enge Affinität von Juden der Diaspora mit nicht-jüdischen mittelöstlichen Bevölkerungen (Hammer u. a. 1997). Eine weitere Studie fand für das aschkenasische Judentum eine signifikante ‚Urmutter‘, wiederum aus dem Mittleren Osten (Behar u. a. 2006). Bezüglich einer Chasarenabstammung des aschkenasischen Judentums lassen die Untersuchungen von Behar, Azmon und Kollegen keinen signifikanten genetischen Beitrag von mittel- und osteuropäischen bzw. von slawischen Bevölkerungen erkennen. Auch so war (und bleibt) das Judentum eine hauptsächlich kulturelle Kategorie, offen für den Übergang zwischen Mehrheit und Minderheit, durch Proselytismus zum Judentum, durch Konversion zum Christentum, und in der Neuzeit durch Assimilation. Dieser Beitrag wird die wichtigeren Migrationsbewegungen und die dahinterstehenden Motivationen nachzeichnen, den ‚pull‘ hauptsächlich wirtschaftlicher Chancen und den ‚push‘ judenfeindlicher Gefühle und Politik. Die ersteren gehören zu den Wachstumsprozessen der europäischen Wirtschaften, die einen Bedarf an Experten in Handel, Finanzdienstleistungen, Kredit und Handwerksproduktion schufen. Religiös begründete Judenfeindschaft ist seit den ersten Anfängen des Christentums und des Islams zu finden, wenn auch mit jeweils sehr unterschiedlichen Ausformungen und Ergebnissen. Für das Christentum stellten Juden und das Judentum eine religiöse Herausforderung dar, die ihre tatsächliche Präsenz, ihr Gewicht und ihren Einfluss bei weitem übertraf. Wenngleich beide Mehrheitsreligionen die Juden in einer untergeordneten Position hielten, waren doch die Lebensbedingungen unter dem Islam günstiger als unter dem Christentum (Cohen 1994). Im islamischen Bereich gab es keine der Massenvertreibungen und nur wenige Massaker, die hingegen im hoch- und spätmittelalterlichen Europa immer häufiger wurden.

2 Historischer Überblick Die Frühgeschichte der jüdischen Ansiedlung in Europa ist unvereinbar mit den Gründungsmythen, die mittelalterliche Juden über eine Ankunft ihrer Vorfahren verbreiteten – eine Ankunft, die früh genug lag, um sich vom Erbfluch des Gottesmordes zu reinigen. Ebenso wenig lässt sie den von Juden des 19. Jahrhunderts gern gepflegten Gedanken einer Siedlungskontinuität von Antike zum Mittelalter zu, die den Anspruch auf bürgerliche Gleichstellung stützen sollte. Eine solche Kontinuität ist nur um die Mittelmeerküste fassbar: in Byzanz, in Italien von Rom südwärts, an einigen Orten in Südfrankreich, weniger sicher an der spanischen Küste, möglicherweise auch um das Schwarze Meer (s. Toch, 2005; für Quellennachweise und die Forschung dafür und das Folgende die Regionalkapitel in Toch, 2012). Ob verursacht

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durch einen von der Ausbreitung des Christentums vorangetriebenen Identitätsverlust oder durch die Erschütterungen der Völkerwanderungszeit, ein frühmittelalterliches Bevölkerungstief ist unverkennbar. Dagegen wird im 9./10. Jahrhundert überall ein neues Bevölkerungswachstum sichtbar, anfänglich langsam und dann beschleunigt. Diese Wachstumsphase dauerte bis in das ausgehende Hochmittelalter, als bei Juden wie Nichtjuden ein erneuter Bevölkerungsschwund einsetzte, wenn auch aus jeweils unterschiedlichen Gründen. Dazwischen führten die anscheinend spontan einsetzenden Wanderungen einer kleinen Zahl von Familiengruppen aus den Anrainerzonen des Mittelmeers nach Norden zur Entwicklung einer neuen europäischen Diaspora – aus Nordafrika ins muslimische Spanien und weiter in den christlichen Norden der Halbinsel; aus Tunesien und Ägypten ins muslimische Sizilien; vom Süden Frankreichs nordwärts der Rhône-Achse nach Mittel- und Nordfrankreich, möglicherweise auch südwärts nach Nordspanien; von der Balkanküste nach Süditalien; von dort in die Mitte und den Norden der Halbinsel; von Italien und möglicherweise auch von Südfrankreich über die Alpen nach dem Westen Deutschlands und den Nordosten Frankreichs. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass wenigstens ein Teil dieser Bewegungen auf Einladung oder Ermunterung lokaler Herrscher geschah, die Kaufleute und andere städtische Berufstätige anzuziehen suchten. So verlieh im Jahr 1084 der Bischof von Speyer besonders günstige Ansiedlungsbedingungen in seiner Neustadt, „um deren Ehre eintausendfach zu mehren“ (Linder 1997: 400). Um etwa 1100 bestanden jüdische Siedlungskerne in einer Reihe von Regionen: Sepharad, d. h. das muslimische und christliche Spanien; Provincia, der französische Süden mit einer Verlängerung nordwärts an der Rhône-Achse; Aschkenas (anfänglich auch Lothir genannt = Lothringen), umfassend Nordostfrankreich, Deutschland, Böhmen und Ungarn, später dann ausgedehnt in die Niederlande, die Normandie und England, und im Spätmittelalter nach Norditalien und Polen-Litauen; das zentralund norditalienische Judentum; eine südöstliche, nach ihrer Sprache romaniotisch genannte Zone in Byzanz, auf dem Balkan und in Teilen Süditaliens; und ein ungemein schwer fassbarer Siedlungspunkt in und südlich von Kiew. Bedeutsame Teile der Juden Europas lebten Jahrhunderte lang unter muslimischer Herrschaft, bis diese Regionen – Sizilien und die gesamte Iberische Halbinsel – ab dem 11.  Jahrhundert wieder unter christliche Herrschaft gelangten.

3 Byzanz Im byzantinischen Reich gab es eine Kontinuität jüdischen Lebens von der Spätantike bis in das Spätmittelalter, auf- und absteigend in einem Rhythmus, der dem der Gesamtbevölkerung angepasst war. Wenngleich Einzelheiten extrem schwer auszumachen sind, gab es eine geographische Ausbreitung und kleindimensionale Wande-

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rungen von Familien und Einzelnen über den byzantinischen Raum, nach Süditalien und in den muslimischen Mittelosten und nach Nordafrika. Angesichts der geographischen Konfiguration entlang der Küsten des adriatischen, ägäischen und Schwarzen Meeres, in einigen Perioden sogar über das gesamte Mittelmeer, waren diese Migrationen zum Großteil maritim, eingebunden in die Bewegungen von Kaufleuten und Handelsware. Es bestehen keine Informationen über die demographischen Veränderungen während der krisenhaften Zeit des 13. bis 15.  Jahrhunderts, mit Ausnahme der Ankunft ganz am Ausgang der Periode von wesentlichen Zahlen sephardischer Juden, die aus Spanien, Portugal, Sizilien und Süditalien in das sehr viel wohlwollendere Regime des osmanischen Staates flohen.

4 Italien Italien präsentiert ein komplexes Bild. In der Antike war es Heimat eines zahlenmäßig bedeutenden Judentums, besonders in Rom, und auch hier gab es zu Beginn des Mittelalters einen allgemeinen Rückgang menschlicher Siedlung und Bevölkerungszahlen. Nur in einer kleinen Minderheit von Orten, in Rom und einigen Städten im Süden, gab es eine andauernde Präsenz in das Mittelalter hinein. Eine ähnliche Ungleichheit zugunsten des Südens ergibt sich für jene größere Zahl von Ansiedlungen, die erst im Mittelalter entstanden sind. Viele von ihnen lagen in Regionen, die in verschiedenem Ausmaß von Byzanz beherrscht wurden. Kulturell und auch demographisch stand das süditalienische Judentum unter dem Einfluss von Byzanz, wenn es nicht direkt durch Wanderung von diesem abstammte. Ein frühes Beispiel ist eine lateinisch-hebräische Grabinschrift von 521, aus der Stadt Venosa (Provinz Basilicata), für „die Tochter des Isa, des Vaters aus Anchiasmon“ (Colafemmina 1974: 88). Anchiasmon wurde als die moderne Küstenstadt Sarande im südlichen Albanien identifiziert, genau gegenüber dem Golf von Otranto, und ist tatsächlich Standort einer vor kurzem entdeckten antiken Synagoge. In der gleichen Region lebte im 10. Jahrhundert „Menachem der Kleine von der Gemeinde Otranto, Sohn des Mordechai von Corizzi“. Seine Familie stammte wiederum aus der gleichen Region in Albanien (Roth 1966: 257). Nach Otranto wanderte sie anscheinend von Koritsa, heute Korça (wiederum genau gegenüber der adriatischen Meerenge), der einzige Quellenhinweis auf eine dortige jüdische Existenz. Der kulturelle Hintergrund des Mannes war mit Sicherheit byzantinisch, wie die zahlreichen griechischen Ausdrücke in seinen Schriften beweisen. Es ist schwierig, zwischen wirtschaftlich bedingten Einzelwanderungen und den durch Katastrophen und Kriege verursachten zu unterscheiden. Zu den letzteren würde die strenge Judenverfolgung des Jahres 925 in den byzantinischen Territorien zählen. Für individuelle Migrationen zum und vom muslimischen Sizilien liegen zahlreiche Zeugnisse aus der Geniza von Kairo vor, ebenso für mannigfaltige Kontakte mit Spanien, Nordafrika und dem

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Mittleren Osten, hauptsächlich Ägypten. Zur Mitte des 11.  Jahrhunderts sprach die große Mehrheit, wenn nicht die Gesamtheit der sizilianischen Juden Arabisch. Gegen Ende der muslimischen Herrschaft floh ein Teil in muslimische Länder, hauptsächlich nach Ägypten, wo sie eine richtige Emigrantengesellschaft errichteten. Im 13. Jahrhundert gibt es keine Anzeichen für Veränderungen in der räumlichen Verteilung der jüdischen Bevölkerung. Ein Jahrhundert später scheint Rom mit dem Auszug des Papsttums einen Teil seiner jüdischen Bevölkerung verloren zu haben, die dem christlichen Pontifex nach Avignon folgte. Von Rom oder Süditalien wanderten jüdische Geldleiher in viele Orte des mittleren und nördlichen Italiens. Dort werden sie etwas später eine ähnliche Einwanderung von Finanzexperten aus Deutschland treffen. Das war der Anfang einer typisch italienischen Erscheinung, des Mosaiks von romaniotischen, aschkenasischen und dann auch sephardisch-portugiesischen Gemeinden, oft innerhalb des engen Raumes einer Stadt, wie bis heute im Ghetto von Venedig zu sehen ist. Andererseits führten die spätmittelalterlichen Ausweisungen die zahlreichen Juden Siziliens und Süditaliens, beides Regionen unter aragonesischer Herrschaft, ins Exil.

5 Iberien Auf der Iberischen Halbinsel scheint die spärliche jüdische Bevölkerung der Spätantike kaum den Übergang zur nachfolgenden Westgotenzeit überlebt zu haben (Toch 2005; 2012). Dagegen legen die Quellen des späten 10. und frühen 11. Jahrhunderts eine ganz andere Größenordnung nahe, sowohl nach der Zahl der Siedlungsorte wie der der Seelen, in klarer Parallele zu der allgemein aufsteigenden Entwicklung der Bevölkerungskurve in al-Andalus. Dies hat sicherlich mit den besseren Lebensbedingungen unter arabischer Herrschaft und der Einwanderung aus Nordafrika zu tun. Aus beiden gespeist, entstand so das sephardische Judentum, welches keine Ähnlichkeit und Kontinuität mit den wenigen und nur schwer auszumachenden Juden der römischen und westgotischen Periode besaß. Im christlichen Norden waren – im späten 9.  Jahrhundert – Barcelona und Gerona die ersten Siedlungsorte, sicherlich im Zusammenhang mit der karolingischen Kolonisierung in Katalonien. In León-Kastilien waren im 10. Jahrhundert Juden in der Hauptstadt zu finden, im nachfolgenden Jahrhundert in weiteren Orten des Königreiches. In Aragón und Navarra erscheinen sie nicht vor dem 11. bis frühen 12.  Jahrhundert. Sie kamen aus dem Süden der Halbinsel, wo nunmehr ein intolerantes muslimisches Regime zahlreiche Juden zur Flucht in den christlichen Norden trieb. Einer Forschungsmeinung nach gab es auch Einwanderer aus Frankreich. Das Bevölkerungswachstum erreichte anscheinend gegen Ende des 13. und zu Beginn des 14. Jahrhunderts seinen Höhepunkt, und das iberische Judentum wurde zum seelenreichsten Europas.

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Die christliche Wiedereroberung fast aller Teile der Halbinsel eröffnete mannigfache Chancen für das Fortkommen von Juden in städtischen Handels- und Handwerksberufen wie auch in der Verwaltung der christlichen Königreiche. Diese günstige Lage endete mit dem Einsetzen religiös motivierter Verfolgung im Jahre 1391 und einem ungemein starken Konversionsdruck im Laufe des 15.  Jahrhunderts. Zur Zeit der Austreibung von 1492 wird die nunmehr stark verringerte Zahl von Juden auf etwa 100.000 geschätzt, eine größere Zahl blieb als Conversos im Lande. Der Hauptteil der Vertriebenen gelangte ins Osmanische Reich, wo das sephardische Judentum bis zur Vernichtung im 20.  Jahrhundert bestehen sollte (über die Schicksale der Exilierten siehe Carrasco Pérez / Miranda Garcia 2000).

6 Frankreich Im antiken Gallien kann im 4.  Jahrhundert eine vorübergehende Präsenz entlang der römischen Grenze festgestellt werden, etwas später auch in einigen Städten hauptsächlich im Süden. Nur in Arles, Narbonne und möglicherweise auch Marseille dauerte diese Präsenz ununterbrochen bis ins Früh- und Hochmittelalter an. Hier wie auch in anderen Teilen Europas erlebte die nachkarolingische Epoche ein insgesamt bemerkenswertes Wachstum. Die neuen Gemeinden im Norden Galliens wurden zum westlichen Arm des aschkenasischen Judentums, mit Gemeinden in der Île-de-France, Maine-Anjou, Burgund, Champagne, Lothringen und Normandie. Wie anderswo wurden die größten Zahlen und die weiteste Verbreitung im dritten Viertel des 13. Jahrhunderts erreicht (Chazan 1973: 207–220). Dies hat sicherlich auch zu einem gewissen Maß mit Einwanderung zu tun, die jedoch im Genaueren schwer auszumachen ist und nur von der Mittelmeer-Küste im Süden hätte kommen können. Angesichts der sehr kleinen Bevölkerungszahlen in diesen winzigen Gemeinden lässt sich das Bevölkerungswachstum besser als interne Zunahme erklären. Seit dem frühen 13. Jahrhundert erlebte das französische Judentum wiederholte Vertreibungen, am umfangreichsten im Jahr 1306. Anfänglich wichen die Emigranten nach England aus, später dann in Teile Deutschlands und Italiens.

7 England Seit dem späten 11. Jahrhundert überquerten Juden aus der Normandie den Ärmelkanal und ließen sich in England nieder (Hillaby 2003). Während seiner Existenz bis zur Austreibung von 1290 – die kürzeste Zeitdauer und die zahlenmäßig kleinste Gruppe im ganzen Europa – trug das englische Judentum einen ausgesprochen normannisch-französischen Charakter. Möglicherweise gab es in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts eine weitere Einwanderung aus dem Ausland, vielleicht infolge

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der Vertreibung aus der Bretagne und auch von anderen Orten in Frankreich. Bis zur Mitte des 13.  Jahrhunderts wurde die jüdische Existenz zunehmend gefährdet, mit Ausweisungen aus einer Reihe von Orten und einer Gesetzgebung, die die Anwesenheit auf einige wenige Städte beschränkte. Im Jahre 1290 zogen die meisten englischen Juden ins französische Exil, eine gute Zahl davon nach Paris.

8 Deutschland In Deutschland blieb jüdisches Leben lange eine kleindimensionale Angelegenheit, die gänzlich von Einwanderung abhängig war. Im 9.  Jahrhundert konnten die Einwanderer nicht mehr als einige Dutzend Familien ausgemacht haben, im 10. Jahrhundert vielleicht einige hundert (für das folgende s. Toch 1994; 1997; 2012, mit Details, Karten und Literatur). Über die nächsten zwei Jahrhunderte erhöhte sich das Tempo der Ansiedlung und erreichte im frühen 14. Jahrhundert eine Anzahl von Siedlungsorten und ein geographisches Ausmaß, die bis ins 19.  Jahrhundert unübertroffen bleiben sollten. Insgesamt lassen sich von Beginn der jüdischen Ansiedlung und bis 1348 in den Regionen des mittelalterlichen Römisch-Deutschen Reiches etwa tausend Siedlungsorte ausmachen. Nach den Erschütterungen und dem Blutvergießen der Pestjahre des mittleren 14.  Jahrhunderts ließen sich Juden wieder an vielen Orten nieder. Diese Wiederansiedlung bis ins 15. Jahrhundert hinein kann jedoch nicht als wirkliches Wachstum angesehen werden. Regionen wie Österreich, Bayern oder Schlesien wurden insgesamt durch Vertreibungen entleert. Neue Siedlungen waren oft das direkte Ergebnis von Austreibungen aus nahe gelegenen Städten und verteilten einfach eine bereits verminderte Bevölkerung neu über einige kleinere Orte, oft Dörfer. Zum Ende des 15. Jahrhunderts können wieder etwa tausend Orte gezählt werden, in denen Juden in der Zeit nach der Pest, zumeist nur zeitweise, gewohnt hatten. Diese beeindruckende Zahl repräsentiert nicht eine wachsende Bevölkerung, sondern spiegelt eine erzwungene Binnenwanderung wider.

9 Osteuropa Die beträchtliche jüdische Ansiedlung der Römerzeit entlang den Ufern der Donau und des Schwarzen Meeres fand keine Fortsetzung in der frühmittelalterlichen Periode. Die frühesten Zeugnisse für eine erneute Präsenz sprechen von durchziehenden Kaufleuten hauptsächlich aus dem Westen – Deutschland – und seltener aus dem Osten – den „Ländern der Türken“. Diese Händler durchquerten Böhmen, Ungarn und Polen auf dem Weg nach und von Russland, einige jedoch waren auch in den zuletzt genannten Ländern tätig. Eine feste Gemeinde, möglicherweise von chasari-

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scher Herkunft, ließ sich im 10. Jahrhundert in Kiew nieder. In Böhmen, Ungarn und Polen gab es im 11. Jahrhundert jeweils eine einzige Gemeinde. An anderen Orten ist eine weitere Ansiedlung nicht vor dem 12. und 13. Jahrhundert anzusetzen. Osteuropa wurde also später und dünner als alle anderen europäischen Regionen von Juden besiedelt. Ein öfters in der Forschung erwähntes vor-aschkenasisches Stratum – byzantinisch, türkisch-chasarisch oder slawisch – ist kaum in den Quellen auszumachen. Im 14. Jahrhundert wanderten Juden aus dem schon lange besiedelten Böhmen, wie auch aus Schlesien und Pommern, wo sie im 13. Jahrhundert ansässig wurden, in weitere slawische Gebiete. Im 15. und noch mehr im 16. Jahrhundert wuchs diese Bewegung an, nach Menschenzahl und Zahl der Ansiedlungsorte. Die Entstehung des polnischen Judentums war also in der Hauptsache das Ergebnis einer spätmittelalterlichen Wanderungsbewegung von aschkenasischen Juden. Damit wird auch sein kulturelles und sprachliches Profil erklärlich – ein eindeutig aschkenasisches, das aus dem Westen transferiert wurde und seit seinem ersten Auftreten bestand. Diese osteuropäische Bevölkerung, die bei Ausgang des Mittelalters etwa 10.000 Seelen zählte, wurde zum sozialen und kulturellen Hauptknotenpunkt des frühneuzeitlichen aschkenasischen und der wichtigste Teil des modernen Judentums. Jahrhunderte später, nach einer erneuten Westwanderung, unterlief das aschkenasische Judentum die Modernisierung in einer erstaunlich kreativen Symbiosis mit westlicher Kultur und Wissenschaft, um wenig später zum Hauptopfer der modernen Barbarei zu werden.

10 Europäischer Überblick In Mittel- und Osteuropa breitete sich also die jüdische Ansiedlung von Westen nach Osten aus, von den länger bewohnten Regionen des Rheintals in Regionen, die Prozesse der Kommerzialisierung und Monetarisierung durchliefen. Diese Ausdehnung musste auf einer Reihe von nicht unbedingt miteinander verbundenen Migrationsbewegungen beruhen, die mit dem Ziel verbesserter wirtschaftlicher Bedingungen einzelner Familien unternommen wurden und schließlich zur Errichtung neuer Gemeinden führten. Wenn Ursprungsnamen tatsächlich eine Handhabe bieten, liefen solche Wanderungen in der Hauptsache über kürzere Entfernungen, gleichzeitig zeigen sie die Bewegung zwischen kleineren Randorten und den größeren Zentren. Jedoch überschnitten andere Beweg- und Hintergründe dieses Grundmuster. Wirtschaftlich starke Individuen und Familien bewegten sich zuweilen über große Entfernungen, von einem städtischen Zentrum zum anderen, typischerweise indem man einen Sohn oder Schwiegersohn in der anderen Stadt etablierte, durch Eingehen von Partnerschaften, den Erwerb von Häusern und der Aufenthaltserlaubnis. Für noch weitere Wanderbewegungen sind jene Regionen zu beachten, in denen Juden sich als Geldhändler eine Existenz aufbauen konnten. Am besten untersucht

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sind jene deutschen Juden, für die die zeitlich früheste und bis zum Ausgang des Mittelalters auch die wichtigste Zielregion das nordöstliche Italien war. Einwanderer aus dem Norden erscheinen hier zum ersten Mal zur Mitte des 13. Jahrhunderts und in bedeutenderen Zahlen seit den Verfolgungen der Mitte des 14.  Jahrhunderts. Im Umfeld Deutschlands und nahe zu den Hauptverkehrsadern, die zu den jüdischen Zentren in Schwaben, Franken und Österreich führten, wurden die Festlandbesitzungen Venedigs und anliegende Territorien im Laufe des 15. Jahrhunderts von zahlreichen kleinen Kernen aschkenasischer Juden besiedelt. Mittelpunkt und hauptsächliche Gemeinde war Treviso, darum lagerten sich zahlreiche kleine Gruppierungen, allesamt ausschließlich aschkenasisch in ihren kulturellen Ausformungen und Organisationsformen. Deutsche Juden in Italien, unter ihnen bereits solche, die im Lande geboren waren, wanderten weiter nach Süden, wo sie auf italienische und (nach 1492) auf spanische Juden trafen und sich auch zum Teil mit diesen vermengten. Sie bewegten sich noch weiter, und zwar unter Benutzung der venezianischen Kolonien als Stationen zur Niederlassung in den östlichen Teilen des Mittelmeerraumes. Kandia auf Kreta scheint ein höchst anziehender Ort gewesen zu sein. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts wanderten einige deutsche Juden auch in das expandierende Osmanische Reich ein, wo sie innerhalb eines halben Jahrhunderts auf das bedeutend größere Kontingent der sephardischen Juden stoßen sollten. Erzwungene Migration und Exilierung betrafen fast alle jüdischen Gemeinden des mittelalterlichen Europas. Seit dem Spätmittelalter befahlen die Obrigkeiten die Ausweisung aus einer Reihe nordfranzösischer Territorien; aus England (1290); aus dem Königreich Frankreich (1306/1394) und aus der Provence nach ihrer Einverleibung durch Frankreich (1481); aus Spanien, Sizilien und Portugal (1492/1497) und dem Königreich Neapel (1510); wie auch aus zahlreichen Städten und Fürstentümern in Deutschland und Italien im Laufe des 15. und frühen 16. Jahrhunderts. Wenn das Früh- und Hochmittelalter von meist freiwilliger und individueller Bewegung gekennzeichnet war, so sahen das Spätmittelalter und der Beginn der Neuzeit großdimensionale Erschütterung und die Vertreibung der Judenschaften ganzer Länder. Das Ergebnis beider Migrationsmuster war eine gänzlich neue Konfiguration des jüdischen Volkes, des aschkenasischen Judentums in Osteuropa und des sephardischen hauptsächlich im Osmanischen Reich. Von den letzteren formierten sich später einige hochwichtige Nuklei in Städten wie Amsterdam, London, Hamburg, wie auch in der Neuen Welt.

11 Mittlerer Osten und Nordafrika Bei den Mustaʾrab, den Arabisch-sprechenden altetablierten jüdischen Gemeinden des Mittleren Ostens, spielte Migration keine solch hervorragende Rolle. Der Großteil dieser Bevölkerung blieb in seinen Ländern und Regionen ansässig. Dennoch führte

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im neugegründeten islamischen Riesenreich des Frühmittelalters eine interne Migration aus den ländlichen in die städtischen Teile zu einer weitreichenden beruflichen Umschichtung bei den Juden, von einer landwirtschaftlichen Beschäftigungsstruktur zu einer städtischen von Handwerken, Handel und anderen Dienstleistungssparten (Botticini / Eckstein 2012, aber siehe in Kürze die Kritik von Ackerman-Lieberman). Den Folgen nach zu urteilen, muss es sich hier um ein Massenphänomen gehandelt haben. Andere Wanderungen betrafen kleinere Zahlen hauptsächlich von Angehörigen der Mittelschicht. Zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert bewegten sich solche Leute aus dem Irak in die Städte an der Mittelmeerküste, nach Syrien, dem Heiligen Land, Ägypten und weiter westlich in den Maghreb (Ashtor 1972). Dies waren Administratoren, Gelehrte, Lehrer, Kaufleute, Handwerker und Ärzte, eine umfangreiche Bewegung, von der Juden nur einen Teil ausmachten. Unter den letzteren sind – aus der Geniza von Kairo (Goitein 1967–1993) – am besten die nach Tunesien eingewanderten Kaufleute bekannt, die dann im Gefolge der fatimidischen Eroberung nach Ägypten weiterzogen. Von Tunesien und Ägypten aus schufen diese Kaufleute ein Handelsnetzwerk bis zum muslimischen Spanien und Sizilien. Einzelne ließen sich in Aden und sogar in Indien nieder (Ghosh 1992). Über eine andere Route erreichten Kaufleute aus dem Irak Indien und entlang der Seidenstraße Afghanistan und China. Oft entwickelte sich aus Handelsreisen eine Migration, aber die Neuankömmlinge hielten ihre Kontakte mit den Ursprungsländern bei, von wo sie zum Beispiel Bräute aus Ägypten für die jungen Männer in Aden und an der indischen Küste einführten. Die Westbewegung von Juden stellte die in byzantinischer Zeit entwurzelten Gemeinden Nordafrikas wieder her. Vom Maghreb folgten Juden den arabischen Eroberern in Spanien, wo sie die oben behandelten sephardischen Gemeinden konstituierten. Es gab auch eine Bewegung von Juden aus dem christlichen Europa in das Reich des Islam, hauptsächlich aus Byzanz in Richtung des religiösen Magneten, das Heilige Land, und des wirtschaftlichen Magneten Ägypten, und dies bis ins frühe 12. Jahrhundert. Hier handelte es sich um ganz kleine Zahlen und um alle Arten von Menschen: Pilger, die verarmt waren und Unterstützung bei ihren wohlhabenden Religionsgenossen in Ägypten suchten; byzantinische Kaufleute, die auf hoher See von arabischen Piraten gefangen genommen und zur Auslösung nach Ägypten gebracht wurden; Gelehrte und Lehrer auf der Suche nach Patronage und Beschäftigung (siehe Cuffel 1999/2000). Im Gegensatz zum hergebrachten Bild eines die gesamte Alte Welt umspannenden Handelsnetzes ist jedoch heute klar, dass jüdische Kaufleute aus Europa nicht nach Ägypten (oder sonstwo ins Reich des Islam) reisten, und ebenso wenig betraten jüdische Kaufleute der islamischen Welt europäischen Boden (Toch 2000). Für orientalische wie für sephardische und aschkenasische Juden waren das Heilige Land und Jerusalem – Zion – ein Ort besonderer Natur, die alte, von Gott versprochene Heimat des jüdischen Volkes. Anders als alle anderen Arten der Wanderung besaß diejenige ins Land Israel einen tiefreligiösen Wert. Für den Einzelnen war

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die Reise nach Zion ein ‚Aufstieg‘ und das Verlassen des Landes ein ‚Niedergang‘. Für das jüdische Volk war das Verlassen Zions die ‚Galut‘, von Gottes Liebe verlassen zu sein.

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1 Einleitung Kaum ein historisches Phänomen ist so eng mit der Erfahrung von Migration verknüpft wie dasjenige der Sklaverei. In der Literatur häufig als „recht- oder statuslose Fremde“ definiert, migrierten Sklavinnen und Sklaven sowohl räumlich als auch gesellschaftlich zu allen Zeiten und in allen Kulturen. Gerade dort, wo sich mächtige Großreiche mit stark ausdifferenzierten Gesellschaftsordnungen etabliert hatten, wurden diese Menschen häufig über weite Distanzen transportiert (Heuman / Burnard 2011: 35–51). Die Migration von Sklaven konnte dabei eine dauerhafte oder eine temporäre sein, denn Sklaven konnten lebenslang in Dienst genommen oder nach einer gewissen Zeit wieder frei gelassen werden. In jedem Fall aber war ihre Versklavung eine Form von ‚Konfliktmigration‘ („conflict migration“) (Bretell / Hollifield 2008: 115– 117). Sei sie eine Folge von Krieg, Plünderung und Raub oder eine Frage des Status qua Geburt, sei sie ein Ergebnis von Hunger, Armut und Verschuldung oder aber eine Form der Bestrafung, die Migration versklavter Menschen schloss Zwang und Gewalt notwendigerweise mit ein (Patterson 1982: 105–147). Darüber hinaus kann Sklaverei aber auch als eine Form der ‚Arbeitsmigration‘ betrachtet werden, wurden doch häufig Menschen aus einer bevölkerungsreichen Region mit einer hohen Zahl verfügbarer Arbeitskräfte in Regionen transferiert, in denen ein Arbeitskräftemangel bzw. hohe Lohnkosten herrschten (Meissner / Mücke / Weber 2008: 271). Kurz und gut: Die Geschichte der Sklaven lässt sich als Migrationsgeschichte denken und ist aufgrund ihres überregionalen Charakters gut geeignet, einen Beitrag zur globalhistorischen Migrationsforschung zu leisten. Wenn dies im Folgenden im Rahmen eines Überblicksartikels und in der damit gebotenen Kürze für das mittelalterliche Jahrtausend skizziert werden soll, so seien zur besseren Konzeptualisierung des Gegenstands einige theoretisierende Überlegungen der Sklavereiforschung vorausgeschickt. Zur ersten Orientierung erweist sich hier eine Unterscheidung des Kultursoziologen Orlando Patterson als hilfreich: Patterson nämlich unterschied in seiner längst zum Klassiker gewordenen Vergleichsstudie „Slavery and Social Death“ zwischen „extrusischen“ und „intrusischen“ Formen der Sklaverei (Patterson 1982: 39–42). Ihm zufolge lassen sich Gesellschaften unterteilen in solche, die ihre Sklaven primär aus der eigenen, autochthonen Bevölkerung rekrutierten und diese als „fallen insiders“ aus der eigenen Gemeinschaft ausschlossen (= extrusische Form der Sklaverei) und solche, die ihre Sklaven in erster Linie von außen importierten und im Sinne eines „domestic enemy“ als nicht-zugehörig betrachteten (= intrusive Form der Sklaverei). Bezogen auf die Zeit zwischen 500 und 1500 n. Chr.

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war nun die extrusive Form vornehmlich in asiatischen Gesellschaften anzutreffen, während die intrusive Form in den muslimischen und christlichen Gemeinschaften des Vorderen Orients, Nordafrikas und Europas vorherrschte. Als ähnlich nützlich kann für einen groben Überblick auch die Unterscheidung des Sinologen und Anthropologen James L. Watson gelten, der zwischen geschlossenen („closed“) und offenen „(open“) Systemen von Sklaverei differenzierte (Watson 1980: 1–15). Während relativ autarke, meist binnenländisch und agrarisch ausgerichtete Gemeinschaften darum bemüht waren, die Arbeitskraft ihrer Sklavinnen und Sklaven auf Dauer sicherzustellen, indem sie ihren Status innerhalb des gesellschaftlichen Gefüges und über die Generationen hinweg stark von anderen abgrenzten und eine Transgression in andere Schichten eher zu verhindern suchten (= geschlossene Systeme), waren die als offen charakterisierten Gesellschaften wie etwa finanzkräftige Küsten- und Hafenstädte mit einer hohen Abhängigkeit vom Handelsgeschäft und einem strukturellen Arbeitskräftedefizit an einem regelmäßigen Import neuer Sklaven interessiert und erwiesen sich im Hinblick auf die soziale Mobilität der Neuankömmlinge meist als deutlich durchlässiger (Reid 1983: 156). Häufig korrespondierten diese beiden Systeme, das „geschlossene“ und das „offene“, zudem mit zwei verschiedenen, vom Afrika-Spezialisten Jack Goody unterschiedenen Konzeptionen von Besitz (Goody 1971: 32). So war in der Zeit des Mittelalters in den meisten Gesellschaften Asiens und Nordeuropas Landbesitz die primäre Quelle für Wohlstand, während in Afrika, dem Nahen Osten und den an den Meeren gelegenen Küstenregionen der Schüssel zur Macht eher in der Kontrolle von Menschen und Gütern lag. Dementsprechend ist es wohl kein Zufall, dass geschlossene Systeme von Servilität in Asien und Nordeuropa vorherrschend waren, während das offene Modell eher in Afrika oder in den Handelsstädten der Mittelmeerraums, des Schwarzen Meeres und des Indischen Ozeans praktiziert wurde. Ein Spezifikum jedoch, welches die Sklavenmigration während des mittelalterlichen Jahrtausends in ganz besonderer Weise kennzeichnete, war die neue Dynamik, welche die monotheistischen Gemeinschaften in dieses Gefüge brachten. Indem nämlich Muslime, Christen und Juden die Versklavung und den Handel mit den eigenen Glaubensbrüdern und -schwestern zunehmend beschränkten oder ganz verboten, wandelte sich das globale Netz der Sklavenhandelsrouten und Sklavenreservoirs nachhaltig und ließ, wie dies Jeffrey Fynn-Paul unlängst postuliert hat, mit der weltweiten Ausbreitung muslimischer und christlicher Herrschaften neue „Versklavungszonen“ („slaving zones“) und „versklavungsfreie Zonen“ („no-slaving zones“) entstehen (Fynn-Paul 2009: 12–25). Die großen Sklavenreservoirs befanden sich nun zunehmend an den Peripherien oder außerhalb dieser muslimischen und christlichen Großreiche, während innerhalb dieser Herrschaften – zumindest dem normativen Anspruch nach – keine Versklavung der autochthonen Bevölkerung und kein Menschenhandel über die Herrschaftsgrenzen hinweg stattfinden durfte. Diesem Spezifikum der mittelalterlichen Sklavenmigration folgend, wird deshalb im Weiteren in zwei Schritten verfahren, indem zunächst solche Regionen in den

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Blick genommen werden, in welchen Menschen in der Zeit zwischen 500 und 1500 in größerem Umfang und über einen längeren Zeitraum hinweg erbeutet, versklavt und zur Migration gezwungen wurden („slaving zones“), und dann solche Gegenden, in denen Sklaven aus der Fremde importiert und als Arbeitskraft oder Statussymbol in der eigenen Gesellschaft eingesetzt wurden („no-slaving zones“). Im ersten Teil wird dabei der Fokus auf der räumlichen Migration und der quantitativen Dimension des Phänomens liegen, während im zweiten Schritt auch Aspekte der sozialen Migration sowie regionale Unterschiede in der Praktizierung von Sklaverei zur Sprache kommen sollen.

2 Versklavungszonen 2.1 Afrika Der afrikanische Kontinent gilt häufig als das Sklavenreservoir par excellence, diente er doch Sklavenjägern und -händlern aus allen Teilen der Welt, so die weit verbreitete Annahme, als bevorzugter ‚Jagdgrund‘. Wer heute gemeinhin über Sklaverei spricht, denkt meist zunächst an Menschen dunkler Hautfarbe aus Subsaharisch-Afrika. Dabei existierte das Sklavengeschäft in Afrika allerdings schon lange, bevor muslimische Händler die Sahara durchquerten und Europäer den Seeweg nach Westafrika entdeckten. Ab dem zweiten Jahrhundert lassen sich bereits Sklaven nachweisen, welche die westliche Sahara durchquerten und über die Handelsrouten Ostafrikas nach Ägypten und in die Region des Persischen Golfs gelangten (Watson 1980: 16–42; Patterson 1982: 150). Für die Zeit des Mittelalters sind dabei in Afrika vor allem zwei ‚Versklavungszonen‘ von Bedeutung: die Gegend östlich des Tschadsees mit dem Reich Kanem bzw. (ab dem 13. Jahrhundert) Kanem-Bornu auf der einen Seite und die weiter westlich gelegene Region des alten Ghana-Reichs (9.–10.  Jahrhundert) auf der anderen, die nach der Islamisierung unter der Herrschaft von Mali (14. Jahrhundert) bzw. Songhai (15.–16. Jahrhundert) stand. Darüber hinaus ist die Geschichte der afrikanischen Sklavenmigration aufs Engste verknüpft mit der Geschichte des Goldhandels. Erstens nämlich wurden Sklaven häufig zur Arbeit in Goldminen eingesetzt, zweitens waren Sklaven und Gold die einzigen Güter, deren kostenintensiver und risikoreicher Transport über die transsaharischen Fernhandelsstraßen sich wirtschaftlich rentierte, und drittens kamen viele Händler auf der Suche nach dem einen Luxusgut (also Sklaven oder Gold) in die Region und benutzten das andere als Zahlungsmittel. So waren die großen Handelsrouten Ostafrikas vom Sklavenhandel dominiert, da es in der Großlandschaft

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Sudan nur wenig Goldvorkommen gab, während der westafrikanische Fernhandel vom Goldgeschäft lebte und Sklaven eher sekundär als Träger oder Zahlungsmittel mitgeführt wurden (Wright 2007: 19–21). Als die Araber im 8. Jahrhundert erstmals ins subsaharische Afrika vordrangen, waren sie zunächst vom Gold angezogen und engagierten sich erst nach und nach im überregionalen Sklavengeschäft. Dabei nutzten sie die bereits etablierten Fernhandelsrouten und weiteten den bestehenden Sklavenhandel aus (Lovejoy 1983: 15; Wright 2007: 18). So wird geschätzt, dass in vorislamischer Zeit ca. 500–1.000 Sklaven jährlich die Sahara passierten und diese Zahl durch die neue Nachfrage aus den islamisierten Reichen der arabischen Welt bis zur Jahrtausendwende auf ca. 5.000 anstieg (Wright 2007: 39). Im 10. Jahrhundert war das Königreich von Zawila im Fezzan zum neuen Zentrum für den expandierenden Handel mit Sklaven aus SubsaharischAfrika geworden. Händler aus Zawila brachten Menschen aus der Region westlich des Tschadsees entweder nach Ouargla, dem wichtigsten Handelsumschlagsplatz der nördlichen Sahara (im heutigen Algerien gelegen), von wo aus diese weiter nach Algier, Tunis oder Konstantinopel verkauft wurden, oder nach Siǧilmāsa, dem westlichsten Handelsplatz (im heutigen Marokko) und Afrikas größtem Markt für Sklaven aus dem Sudan (Meillassoux 1975; Wright 2007: 25–26, 32). Dabei wird davon ausgegangen, dass etwa doppelt so viele Frauen wie Männer über die Sahara transportiert wurden. Männliche Sklaven wurden zudem bevorzugt als Eunuchen gehandelt –vorausgesetzt, sie überlebten den Eingriff. Über die Zeit wurden Menschen aus Zentralafrika, d. h. hauptsächlich aus der Großlandschaft Sudan, synonym mit Sklaven für die Welt des Islam (Wright 2007: 18). Erst im 15. Jahrhundert, als es portugiesischen Seefahrern ab den 1430er Jahren gelang, die Westküste Afrikas auf dem Seeweg zu erreichen, veränderte sich hier die Gemengelage noch einmal grundlegend. Zwar bestand der regionale Einsatz von Sklaven in der Landwirtschaft und dem Goldabbau subsaharischer Gesellschaften ebenso fort wie der florierende Export von Sklaven über die ostafrikanischen Fernhandelsrouten in die Kernlande des Islam, nach Nordafrika und in den Nahen Osten. Darüber hinaus aber wurden Sklaven aus der Region südlich der Sahara nun auch zu einer begehrten Ware des europäischen Seehandels im südlichen Atlantik und im Indischen Ozean (Lovejoy 1983: 23, 31–32). Zwar waren auch die portugiesischen Seefahrer, ähnlich wie die Araber im 8. Jahrhundert, zunächst eher des Goldes als der Sklaven wegen gekommen (Lovejoy 1983: 35). Doch da afrikanische Händler häufig einen Teil des Goldwerts in Sklaven ausbezahlt haben wollten (Watson 1980: 30) und mit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 und dem darauffolgenden Zusammenbruch der alten Weltordnung im Schwarzmeer- und östlichen Mittelmeerraum die traditionellen ‚Quellen‘ für Sklavenimporte nach Europa versiegten, engagierten sich schnell immer mehr portugiesische und spanische Seeleute und Händler im afrikanischen Sklavengeschäft und brachten Menschen von der Westküste Afrikas nach Portugal, Spanien und Italien und von der Ostküste über den Indischen Ozean in die Region des Roten Meeres, des Persischen Golfs und nach Westin-

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dien. Das Gesamtausmaß des afrikanischen Sklavenhandels hatte sich also ab dem 15. Jahrhundert noch einmal quantitativ wie räumlich substantiell vergrößert. Insgesamt werden die Zahlen der Menschen, die zwischen 650 und 1500 in Subsaharisch-Afrika versklavt worden waren und als Sklaven die Sahara, das Rote Meer und den Indischen Ozean passierten, auf über 6 Millionen geschätzt (Clarence-Smith 2006: 11 f.; Lovejoy 1983: 26, 47, 62, 142, 156).

2.2 Europa Anders als Afrika wird das mittelalterliche Europa üblicherweise nicht mit Sklaverei, sondern mit Leibeigenschaft in Verbindung gebracht. Die Sklaven waren, so die weit verbreitete Annahme, mit der Durchsetzung von Papst und Kirche aus Europa verschwunden. Bei näherer Betrachtung jedoch – und die jüngere Forschung hat darauf wiederholt hingewiesen (u. a. Earle / Lowe 2005; Hanß / Schiel 2014) – waren die Dinge sehr viel komplizierter. Sklavenhandel und Sklavenbesitz bestanden neben anderen Formen der Servilität fort und erlebten im Spätmittelalter sogar einen beträchtlichen Wiederaufschwung. Während des Frühmittelalters gab es mehrere Sklavenreservoirs und Sklavenhandelsrouten quer durch Europa. Sklaven – die meisten von ihnen Opfer von Kriegen, Raubzügen und Plünderungen – wurden von europäischen Fürsten, Adligen und Klerikern am Hof, in der Landwirtschaft und in Klöstern eingesetzt. Während die Germanen allerdings noch untereinander Sklaverei praktizierten, bezogen nach der Zeit der Völkerwanderungen die meisten Sklavenbesitzer ihre Sklaven aus den Peripherien der frühmittelalterlichen Königreiche oder importierten sie von außerhalb. Auf diese Weise hatten sich bald vor allem zwei europäische Versklavungszonen herausgebildet: die keltischen und skandinavischen Gebiete im Norden und die slawischen Gebiete im Osten (Patterson 1982: 152–157; Verlinden 1955–1977). Während also Karl der Große Sachsen zur Versklavungszone seines Reichs machte, nutzten das Westgotenreich und das Westfrankenreich die alten römischen Handelswege und importierten ihre Sklaven, die meist von den Wikingern erbeutet und gefangen genommen worden waren, von den Britischen Inseln und aus Skandinavien. Friesische Händler erwarben Sklaven auf den großen Handelsumschlagsplätzen in Dublin und Bristol, um sie über die Binnenhäfen Westeuropas nach Lyon und Nordspanien, oder aber ins muslimische Südspanien, nach Nordafrika und Ägypten weiter zu verkaufen. In ähnlicher Weise transportierte man zur selben Zeit zudem keltische und skandinavische Sklaven in größerem Umfang für die Besiedlung Islands nach Norden. Ab dem 9. Jahrhundert jedoch wurden die slawischen Fürstentümer, die zu dieser Zeit noch nicht christianisiert waren, zum wichtigsten Sklavenreservoir Europas. Anfänglich ebenfalls von den Wikingern geraubt, gelangten Menschen aus diesen Gebieten zunächst über die Wolga und den Dnjepr nach Birka, dem wichtigsten Han-

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delsplatz im frühmittelalterlichen Skandinavien, und von dort weiter nach Nord- und Westeuropa. Andere sollen über die Alpen nach Venedig transportiert und von dort aus in den östlichen Mittelmeerraum weiter verkauft oder durch das ostfränkische Reich nach Verdun und von dort entlang des Rhône-Tals nach Arles, Marseille und Spanien gehandelt worden sein (dagegen jedoch jetzt Toch 2012). Das Gesamtvolumen des europäischen Sklavenhandels wird dabei für die Zeit um die Jahrtausendwende auf 6.800 bis 7.000 Sklaven jährlich geschätzt (Patterson 1982: 157). Einen wichtigen Einschnitt für die Geschichte der europäischen Sklaverei bedeutete zweifellos der Aufstieg des Islam in der arabischen Welt. Ähnlich wie die griechische und die russische Orthodoxie drohte auch die lateinische Welt eine Zeit lang zur ‚Versklavungszone‘ für die muslimischen Reiche zu werden. Doch je spürbarer die gesteigerte Sklavennachfrage der arabischen Welt in Europa wurde, desto rigoroser begann die Römische Kurie zusammen mit den weltlichen Königen und Fürsten den Sklavenhandel zu bekämpfen und den Verkauf getaufter Menschen an Nichtchristen zu verurteilen (Fynn-Paul 2009: 26–30). Tatsächlich wird davon ausgegangen, dass Lateineuropa spätestens mit der Jahrtausendwende aufhörte, Lieferzone für Sklaven haltende Gesellschaften außerhalb zu sein. Die rechtliche Situation jedenfalls hatte sich grundlegend gewandelt und den Handel und Besitz von Sklaven im normativen Diskurs weitgehend tabuisiert (Fynn-Paul 2009: 31–34). Im Spätmittelalter jedoch traten Diskurs und Praxis immer weiter auseinander. Die religiöse und moralische Verurteilung von Sklaverei hielt an, während die Praktizierung von Sklavenhandel und Sklavenbesitz – insbesondere südlich der Alpen – nicht nur neue Formen fand, sondern auch quantitativ einen neuen Aufschwung erfuhr. Dieses Mal stammten die indigenen Sklaven Europas fast ausschließlich aus den nunmehr christianisierten slawischen Reichen. Die meisten von ihnen waren von ihren lateinischen oder osmanischen Nachbarn im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen gefangen genommen worden oder wurden vonseiten der Lateiner als Christen russisch- oder griechisch-orthodoxen bzw. heterodoxen Bekenntnisses unter dem Vorwand des Schismavorwurfs bzw. des Häresieverdachts versklavt. Dabei waren die osmanischen Händler in der Regel mehr an Knaben und jungen Männern für den Einsatz in der Armee, am Hof, in der Verwaltung oder auf dem Land interessiert (Dávid / Fodor 2007), während die lateinischen Händler Mädchen und junge Frauen bevorzugten und sie beispielsweise über Ragusa und Venedig als Dienstmädchen oder Ammen in die Haushalte wohlhabender Städter Italiens, Siziliens oder Spaniens vermittelten. Zwar ließen sich kräftige junge Männer durchaus auch in größerer Stückzahl für den Landwirtschaftseinsatz auf Mallorca oder andere Gegenden des iberischen Raums verkaufen, doch verdienten Sklavenhändler im gesamten südeuropäischen Raum in der Regel an weiblichen Sklaven deutlich mehr als an männlichen (Cluse 2005; Heers 1981).

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2.3 Asien Ähnlich wie in Afrika setzte auch in Asien und dem Indischen Ozean der überregionale Menschenhandel nicht erst mit den muslimischen Eroberungen ein (Patterson 1982: 150). Lange vor dem Aufstieg des Islam hatte sich ein transozeanischer Sklavenhandel zwischen China und Indien etabliert, der aus beiden Richtungen bedient und nachgefragt wurde. Nichtsesshafte Gesellschaften setzten dabei vor allem Frauen und Kinder für Sklavenarbeit ein, während gefangen genommene Männer eher direkt getötet wurden. Sesshafte Gesellschaften hingegen waren meist insbesondere an jungen männlichen Sklaven für den Einsatz in der Landwirtschaft interessiert, brachten diese aber nicht selten zusammen mit ihren Frauen und Kindern unter und garantierten so den Erhalt von Sklavenarbeit auch über die Generationen hinweg (Heuman / Burnard 2011: 52–63). Später, als der Islam auch auf dem asiatischen Kontinent Verbreitung fand, nutzten arabische Fernhändler – ähnlich wie in Afrika – die bestehenden Handelsnetze, um sie für ihre Zwecke weiter auszubauen (Levi 2002: 278), und brachten damit einen gewaltigen Migrationsfluss von der Steppe und der Wüste in die urbanisierten Zentren Asiens und des Vorderen Orients in Gang, der rund 1000 Jahre anhalten sollte. Im Spätmittelalter dann, als ab dem 14.  Jahrhundert neben den muslimischen Händlern auch südeuropäische Kaufleute auf den Plan traten und einen Großteil ihrer Sklavinnen und Sklaven aus Asien bezogen, wurden die russische Steppe, der südliche Kaukasus und das Gebiet der Goldenen Horde neben Subsaharisch-Afrika zu den wichtigsten Sklavenreservoirs der Welt (Witzenrath 2007). Allerdings war und blieb Sklaverei in Asien auch während des mittelalterlichen Jahrtausends zu einem Gutteil ein indigenes Phänomen. Viele Menschen gerieten als Folge von Armut, Verschuldung oder Verbrechen in Sklaverei und migrierten im Vergleich zu Europa und dem Vorderen Orient in dieser Zeit nur über kleine Distanzen (Reid 1983: 12). Dabei stand ihr Schicksal nicht selten mit dem überregionalen Sklavengeschäft in einem Wirkungszusammenhang. Insgesamt nämlich waren die indigenen Sklaven häufig besser gestellt als die aus der Fremde importierten Menschen – die meisten von ihnen turkmenischer Abstammung. Auch konnten die indigenen Sklaven meist schneller auf Freilassung hoffen. Gerade wenn der Anteil importierter Sklaven wuchs, stiegen für die indigenen die Chancen auf sozialen Aufstieg und wirtschaftliche Besserstellung (Reid 1983: 3). Ging jedoch umgekehrt der Sklavenimport zurück, verschlechterten sich die Lebensbedingungen und Perspektiven für indigene Sklaven häufig deutlich. So kamen im 13. Jahrhundert in Indien, als der Zustrom turkmenischer Mamluken infolge der mongolischen Eroberungen abgerissen war, die meisten Sklaven von vor Ort, und auch die indischen Exportzahlen für Sklaven in Regionen wie Macao, Japan oder Kapstadt gingen drastisch zurück. Als Timur Lenk 1398 Delhi plünderte, wendete sich jedoch das Blatt: Nun wurde Indien ‚Verskla-

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vungszone‘ für die Timuriden-Dynastie und exportierte insbesondere ausgebildete Fachkräfte in großer Zahl als Sklaven nach Zentralasien. Auch im mittelalterlichen Japan – um noch ein weiteres Beispiel zu nennen – stammte ein Großteil der Sklaven traditionell vom Archipel selbst. Die meisten von ihnen waren hier infolge von Armut und Verschuldung oder als Strafe für ein begangenes Delikt in den Sklavenstatus geraten. Darüber hinaus beförderte aber auch die im Japanischen, im Gelben und im Ostchinesischen Meer lebhaft betriebene Piraterie den überseeischen Menschenhandel zwischen Japan, China und Korea und brachte den Japanern im ausgehenden Mittelalter das Renommee des gefürchteten japanischen Piraten, des sogenannten wakō, ein. Zudem wurden indigene japanische Sklaven über die Häfen von Kyûshû, der südlichsten Region Japans, nach ganz Asien und in die Region des Indischen Ozeans exportiert, und mit der Ankunft der Portugiesen im 15. und 16. Jahrhundert gelangten einige von ihnen sogar bis nach Europa (Nelson 2004). Insgesamt waren die Einsatzmöglichkeiten für Sklaven in Asien ausgesprochen vielfältig: Sklaven fanden sich nicht nur unter den Reisbauern, Fischern und Handwerkern sowie unter den Hausbediensteten und Konkubinen, sondern traten auch als Händler, Dolmetscher, Soldaten und Minister auf (Reid 1983: 22). Dabei wurde für Sklavinnen wegen ihrer zusätzlichen Verwendungsmöglichkeit als Sexualpartnerinnen und Mütter potentieller Erben in der Regel ein höherer Preis gezahlt als für Männer. Nur in China kosteten junge Knaben ähnlich viel wie Frauen im gebärfähigen Alter (Campbell 2004: xi). Schätzungen gehen davon aus, dass der Sklavenanteil in Asien und Ozeanien während des mittelalterlichen Jahrtausends bis zu 20–30% der Gesamtbevölkerung ausmachte (Heuman / Burnard 2011: 61), und für die über den Indischen Ozean gehandelten Sklaven wurde für den Zeitraum 800 bis 1800 eine Zahl von ca. drei Millionen angenommen (Patterson 1982: 150).

3 Versklavungsfreie Zonen Nachdem nun in einem ersten Schritt die wichtigsten ‚Versklavungszonen‘ („slaving zones“) des mittelalterlichen Jahrtausends skizziert worden sind, soll das Phänomen der Sklavenmigration in einem zweiten Schritt aus dem Blickwinkel der sogenannten ‚versklavungsfreien Zonen‘ („no-slaving zones“) betrachtet werden. Im Fokus stehen dabei die zwei monotheistischen Großregionen, die von Jeffrey Fynn-Paul als „perfect no-slaving zones“ bezeichnet worden sind, weil sich dort das Verbot der Versklavung von Glaubensgenossen am konsequentesten durchsetzen konnte: die muslimischen Großreiche im Vorderen Orient und das Einflussgebiet der lateinischen Kirche in Westeuropa (Fynn-Paul 2009: 12 f.).

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In beiden Zonen kamen Sklaven nach der Durchsetzung dieser neuen ‚Norm‘ mehr oder weniger ausschließlich von außen. Viele von ihnen legten außergewöhnlich lange Strecken zurück. Dabei wurde die Konversion der Sklaven zum vorherrschenden Glaubensbekenntnis von beiden Gemeinschaften begrüßt und als Mittel der sozialen Integration gefördert. Eine rechtliche bzw. materielle Besserstellung der versklavten Person oder die Aussicht auf eine baldige Freilassung ging mit dem Religionswechsel jedoch weder hier noch dort einher, obgleich die Freilassung von Sklaven sowohl im Islam als auch im Christentum als wohltätiger und frommer Akt erachtet und breit praktiziert wurde. Deutliche Unterschiede zwischen den beiden monotheistischen Großregionen zeigen sich allerdings im Hinblick auf die Möglichkeiten der sozialen Mobilität und den rechtlichen bzw. gesellschaftlichen Status der Sklavinnen und Sklaven.

3.1 Vorderer Orient In den muslimischen Großreichen galt die Existenz von Versklavung und Menschenhandel als sichtbarer Ausdruck einer Welt, die von der Auseinandersetzung zwischen dem „Haus des Islam“ (dār al-Islām) und dem „Haus des Krieges“ (dār al-harb) geprägt war und in welcher Gläubige und Ungläubige, Zivilisierte und Barbaren, Sesshafte und Nichtsesshafte und eben Herren und Sklaven einander gegenüber gestellt waren (Wright 2007: 4). Dementsprechend durften nur diejenigen Männer und Frauen als Sklaven gehandelt werden, die zum Zeitpunkt ihrer Versklavung nicht unter dem Gesetz der Scharia lebten bzw. durch den Sklavenstatus ihrer Mutter von Geburt an als Sklaven galten (Clarence-Smith 2006: 2; Kabadyi / Reichardt 2007: 115–131; Wright 2007: 4). Da die legitime Zeugung von Nachkommen unter Sklaven weitgehend unterbunden wurde, bestand dementsprechend innerhalb der muslimischen Großreiche eine konstant hohe Nachfrage nach neu importierten Menschen von außerhalb. Rund 15% des Sklavenbestands wurden Schätzungen zufolge jährlich frisch eingeführt (Wright 2007: 22 f.). Diese kontinuierliche Sklavenmigration war dabei zudem einem hoch integrativen Gesellschaftssystem geschuldet. Nirgendwo sonst waren die Möglichkeiten der sozialen Mobilität für Sklavinnen und Sklaven so groß und weitreichend wie in den Kernlanden der muslimischen Großreiche. Vom vollkommen entrechteten Außenseiter bis zum Emir und Großwesir konnten sich auf allen gesellschaftlichen Positionen grundsätzlich auch Sklaven wiederfinden, selbst wenn ein Großteil von ihnen zeitlebens am untersten Rand der Gesellschaft lebte. Sklavinnen und Sklaven waren in der Landwirtschaft und in den städtischen Haushalten anzutreffen, am Hof, in Verwaltung und Politik und im Militär. Je mehr sich der Sklavenhandel konsolidierte, desto stärker stützten sich Wirtschaft und Gesellschaft auf diese ‚Ressource‘. So hatten die muslimischen Kalifen beispielsweise sehr viel mehr Macht über die Großgrundbesitzer ihres Reiches als die christlichen

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Könige und Fürsten Europas, da sie ihre Herrschaft auf ein Heer von Militärsklaven und einen von Sklaven getragenen Verwaltungsapparat stützen konnten (Fynn-Paul 2009: 21; Kabadyi / Reichardt 2007: 120–126). Diese Elitesklaven – ein Spezifikum muslimischer Gesellschaften seit der frühen Umayyadenzeit – kamen zunächst aus Zentralasien. Später, unter abbasidischer Herrschaft, waren die meisten von ihnen türkischer oder persischer Abstammung, sodass sie ab dem 13. Jahrhundert fast automatisch mit heller Hautfarbe und türkischer Abstammung assoziiert wurden. Zusammengenommen wurden Menschen heller Hautfarbe in den muslimischen Großreichen in ähnlichem Umfang gehandelt wie solche mit dunkler Hautfarbe, allerdings setzte man sie für unterschiedliche Zwecke ein (Clarence-Smith 2006: 12 f.; Kunt 1983). Rechtlich betrachtet galten Sklaven im Islam einerseits als bewegliches Hab und Gut; andererseits wurden ihnen in der Praxis immer wieder begrenzte Rechte zugestanden (Clarence-Smith 2006: 2). Theologisch gesehen jedoch bestand für Sklavinnen und Sklaven im Islam dieselbe Heilserwartung wie für freie Menschen (Wright 2007: 5).

3.2 Westeuropa Im Einflussgebiet der lateinischen Kirche erfuhr der gesellschaftliche Ort der Sklaven zwischen dem frühen und dem späten Mittelalter einen grundlegenden Wandel. Hatte im Frühmittelalter männlich geprägte Landwirtschaftssklaverei dominiert, so überwog im Spätmittelalter weibliche Haussklaverei. Waren Sklaven vor der Jahrtausendwende bei einem geschätzten Bevölkerungsanteil von 10–20% hauptsächlich für schwere physische Arbeiten eingesetzt worden (Patterson 1982: 156 f.), wurden sie im Verlauf des Spätmittelalters zunehmend als ‚Luxusartikel‘ und Statussymbol angesehen, deren Produktivkraft von sekundärer Bedeutung war, und stellten in der Regel nicht mehr als 1–5% der Einwohnerschaft (Earle / Lowe 2005). In der Frühphase waren es hauptsächlich Großgrundbesitzer wie weltliche und geistliche Fürsten oder Klöster, die Sklaven besaßen, während in späterer Zeit in erster Linie die finanzstarken städtischen Eliten Südeuropas Sklaven erwarben. War aus der Sklavenbevölkerung im frühmittelalterlichen Europa auch eigener Nachwuchs hervorgegangen, so blieben die städtischen Haussklavinnen im Spätmittelalter in der Regel ohne legitime Nachkommen. Sieht man einmal von den arabischen (saraceni) und nordafrikanischen (mauri) Sklaven ab, so fand im frühmittelalterlichen Westeuropa der größte Teil des Sklavenhandels über verhältnismäßig kurze Distanzen statt, während die Sklaven im Spätmittelalter fast ausschließlich aus Regionen außerhalb Europas stammten (Patterson 1982: 156). Die meisten von ihnen kamen nun aus der Schwarzmeerregion und dem östlichen Mittelmeerraum, das heißt genauer aus der russischen Steppe, dem südlichen Kaukasus und dem Gebiet der Goldenen Horde. Erst nach der osmanischen Eroberung Konstantinopels 1453 und der portugiesischen Entdeckung des Seeweges nach Westafrika importierte man zunehmend Menschen aus Subsaha-

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risch-Afrika nach Europa. In Valencia beispielsweise stellten sie im 16. Jahrhundert bereits rund 40% der dortigen Sklaven. Erst jetzt, ausgehend vom iberischen Raum, begannen Europäer den Sklavenstatus mit Menschen dunkler Hautfarbe aus Afrika zu assoziieren und Rassenkonzepte für die Erklärung bzw. Legitimierung von Sklaverei beizuziehen (Kabadyi / Reichardt 2007: 101–114; Whitford 2009). Neben diesem grundlegenden Wandel zwischen dem früh- und dem spätmittelalterlichen Europa gab es aber auch innerhalb der sich seit der Jahrtausendwende ausbildenden versklavungsfreien Zone Westeuropas teils beträchtliche Unterschiede bezüglich der rechtlichen Stellung und dem Einsatz der aus der Fremde importierten Sklavinnen und Sklaven. So wurden Sklaven in Ober- und Mittelitalien vor dem Gesetz als Eigentum und Besitz betrachtet, während sie in Sizilien als Rechtspersonen mit klar definierten Pflichten und begrenzten Rechten galten (Earle / Lowe 2005: 284) – ein Unterschied, der möglicherweise mit den jeweiligen Einsatzgebieten in Zusammenhang steht. In Ober- und Mittelitalien waren Sklaven fast ausschließlich in den städtischen Haushalten, und in geringerer Zahl auch auf Ruderbooten oder in Bergwerken, anzutreffen (Kabadyi / Reichardt 2007: 103). Die meisten dieser Frauen und Männer lebten nur für eine begrenzte Zeit als Sklaven in der Aufnahmegesellschaft. Manche Frauen wurden nach einer gewissen Dienstzeit im noch heiratsfähigen Alter mit einem freien Hausbediensteten vermählt, andere ließ man beim Tod ihres Herrn oder im Alter frei. Einen sozialen Aufstieg jedoch bedeutete die Freilassung nur in Ausnahmefällen. Die meisten von ihnen arbeiteten weiterhin als Angestellte mit einem geringen Lohn in einem städtischen Haushalt, andere lebten auf der Straße und gingen in die Kleinkriminalität. Nur die Heirat mit einem freien Bürger der Stadt konnte im Einzelfall eine dauerhafte Besserstellung bedeuten. In Süditalien, Sizilien und auf der Iberischen Halbinsel stammten Sklaven immer schon nicht nur aus der Schwarzmeerregion und dem östlichen Mittelmeer, sondern auch aus der arabischen Welt und aus Afrika (Earle / Lowe 2005: 213–224), und ländliche Formen von Sklaverei bestanden neben der urbanen Haushaltssklaverei weiter. Nachgefragt waren dementsprechend sowohl Frauen als auch Männer. Anders als in Ober- und Mittelitalien gab es hier in allen wichtigen Handelsstädten große öffentliche Sklavenmärkte. Sklaven wurden weniger als in Italien auf individuelle Nachfrage als Einzelperson, sondern häufiger in größeren Gruppen gehandelt und gekauft. Möglicherweise erklärt dieser Umstand auch, weshalb Fluchtversuche von Sklaven für die Iberische Halbinsel sehr viel öfter überliefert sind als für Oberitalien. Hier konnten die Sklaven sich in ihren Herkunftsgruppen organisieren, ihre eigene Sprache und Identität weiter pflegen, während die meist noch sehr jungen Menschen, die allein nach Italien kamen, isolierter lebten und den Bezug zu ihrer Herkunft meist schnell verloren (Earle / Lowe 2005: 225–246).

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4 Push- und Pullfaktoren für Sklavenmigration Nimmt man nun abschließend die großen Versklavungszonen und die versklavungsfreien Zonen des mittelalterlichen Jahrtausends gemeinsam in den Blick, so lassen sich unabhängig von Raum und Zeit eine Reihe von Faktoren für Sklavenmigration festhalten, die in ‚Push- und Pullfaktoren‘ unterteilt werden können. Die individuelle wirtschaftliche Not, Verschuldung und Hunger zählten dabei zweifellos zu den wichtigsten ‚Push-Faktoren‘, die Menschen zu allen Zeiten und an allen Orten dazu bewegen konnten, sich selbst oder ihre Kinder in die Sklaverei zu verkaufen. Doch auch die Versklavung straffällig gewordener Menschen muss als ‚Push-Faktor‘ gelten, da in diesem Fall eine Gesellschaft die Zwangsemigration eigener Landsleute als Alternative zu Haft oder Hinrichtung vorsah. In Japan etwa ‚ersetzte‘ der Verkauf von Kriminellen in die Sklaverei sogar die Gefängnisse, die es über lange Zeit gar nicht gab (Nelson 2004: 478). Als wichtigste ‚Pull-Faktoren‘ haben vor allem Krieg und Raub zu gelten. Überall wurden Menschen jeder Schicht und jeden Alters im Kontext von Krieg oder im Falle fehlender bzw. schwacher Ordnungsmächte gewaltsam geraubt, gefangen genommen und in die Sklaverei verkauft, um die Nachfrage anderer Gesellschaften nach Sklavenarbeit zu befriedigen. Schließlich ist auch das Sklavendasein qua Geburt als ‚Pull-Faktor‘ zu betrachten, war es hier doch die Aufnahmegesellschaft, die gemäß eigener sozioökonomischer Ordnungsvorstellungen und Normen über den Rechtsstatus der Nachkommen ihrer Sklavinnen und Sklaven entschied.

5 Schlussfolgerungen Zwei grundsätzliche Beobachtungen lassen sich schließlich aus dem kurzen Überblick zu Sklavenmigrationsströmen im mittelalterlichen Jahrtausend ableiten. Erstens erweist sich die transatlantische Sklavereierfahrung der Neuzeit, die unsere Vorstellung von Sklaverei bis heute prägt, im globalgeschichtlichen Vergleich eher als die Ausnahme denn als die Regel. Menschenhandel und die Migration von Sklaven stellten auch während der Zeit des Mittelalters eine grundlegende Form der Interaktion zwischen Gesellschaften in allen Teilen der ‚Alten Welt‘ dar (Reid 1983: 1, 36). Dabei sind, obgleich das Ausmaß und die rechtliche bzw. praktische Ausgestaltung teils gehörig differieren konnten, einige kulturübergreifende Merkmale erkennbar. So galt das Los der Sklaverei für die wenigsten Menschen lebenslänglich. In quasi allen Sklaverei praktizierenden Gesellschaften des mittelalterlichen Jahrtausends wurde die Freilassung von Sklaven als ein wohltätiger, frommer und verdienstvoller Akt erachtet und weithin praktiziert. Das Sklavendasein umfasst deshalb zwar in den meisten Fällen einen längeren, d. h. mehrjährigen Zeitraum, war aber für die Betroffenen üblicherweise eine temporäre Erfahrung. Ebenso stützte sich die Wirtschaft

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mittelalterlicher Gesellschaften in der Regel nicht auf eine sklavistische Produktionsweise. Meist stellte Sklavenarbeit eine Produktivkraft neben anderen dar, und gerade in den ‚versklavungsfreien Zonen‘ diente der Sklavenbesitz häufig mehr der sozialen Distinktion wohlhabender oder einflussreicher Eliten als dem ökonomischen Profit (Heuman / Burnard 2011: 61). Schließlich wurde der Sklavenstatus im mittelalterlichen Jahrtausend nicht mit der Vorstellung einer bestimmten Hautfarbe oder Rassenzugehörigkeit verbunden (Kabadyi / Reichardt 2007: 111). Sklaven aus SubsaharischAfrika bildeten global betrachtet in der damaligen Zeit vielmehr eine – wenn auch gewichtige – Minderheit neben anderen (Heuman / Burnard 2011: 61). Vor diesem Hintergrund sind weder die arabischen, noch die europäischen, weder die afrikanischen noch die asiatischen Praktiken des Mittelalters als sonderlich ‚milde‘ Form von Sklaverei zu begreifen, wie dies in der Literatur bis heute immer wieder zu finden ist. Vielmehr hat die transatlantische Variante umgekehrt als eine extreme Form der Sklavenmigration zu gelten. Das hier erreichte Ausmaß ökonomischer Rationalisierung gepaart mit dem Einsatz von Rassekonzepten als neuem Mittel der Kontrolle über die Sklavenbevölkerung (Lovejoy 1983: 8) ließ die auf dem amerikanischen Kontinent von Europäern geschaffene Form von Sklaverei zum „dynamischste[n], produktivste[n] und ausbeuterischste[n] System von Zwangsarbeit in der Geschichte der Menschheit“ werden (Drescher 2009). Zweitens enttarnt die globalhistorische Betrachtung mittelalterlicher Praktiken von Sklaverei die dichotomische Verwendung des Begriffspaars ‚frei‘ / ‚unfrei‘ als eine neuzeitliche, die den vormodernen Verhältnissen nicht gerecht wird – sei dies in Afrika, in Europa oder in Asien (Heuman / Burnard 2011: 60; Miers / Kopytoff 1977: 17; Reid 1983: 12). Weder gab es in den verschiedenen Kulturen und Sprachen des mittelalterlichen Jahrtausends ein Wort, dass mit dem modernen Freiheitsbegriff korrespondiert hätte, noch finden sich eindeutige Bezeichnungen für Sklavinnen und Sklaven im Unterschied zu anderen ‚unfreien‘ Bevölkerungsgruppen. Dementsprechend komplex gestaltete sich somit auch die Praxis. Eine Sklavin konnte ohne weiteres wirtschaftlich und gesellschaftlich besser gestellt sein als ihr ‚freier‘ Zeitgenosse, und die Übergänge zwischen den verschiedenen Formen von Servilität waren stets fließend. Der im Revolutionszeitalter entstandene moderne Freiheitsbegriff prägt damit auch unser heutiges Verständnis von Sklaverei und verstellt uns nur allzu häufig den Blick auf vormoderne Formen von Servilität (Hanß / Schiel 2014).

Literaturhinweise Debra Blumenthal, Enemies and Familiars: Slavery and Mastery in Fifteenth-Century Valencia. (Conjunctions of Religion and Power in the Medieval Past.) Ithaca 2009. Caroline B. Brettell / James F. Hollifield (Hrsg.), Migration Theory. Talking Across Disciplines. New York ²2008.

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Tillmann Lohse

Asketen, Missionare und Pilger 1 Einleitung Während des mittelalterlichen Millenniums waren jedes Jahr Tausende von Männern und Frauen aus religiösen Gründen in Europa, Asien und Nordafrika unterwegs. Mönche, Nonnen und andere Asketen reisten viele Kilometer zu bestimmten Konventen oder abgeschiedenen Gebieten auf der Suche nach spiritueller Anleitung, theologischer Unterweisung, Einsamkeit und Heimatlosigkeit. Missionare verließen ihre Heimat, um ihre religiösen Überzeugungen in der Fremde zu propagieren. Pilger zogen zu heiligen Stätten, um ihren religiösen Vorschriften zu genügen, sich in Meditationen zu vertiefen, Buße zu tun, Gelübde einzulösen, Heilung, Fruchtbarkeit, Sündennachlass, Reinigung, Ruhm oder andere (zum Teil recht profane Dinge) zu erlangen. Mit Blick auf ihre jeweiligen Ziele können Asketen, Missionare und Pilger demnach zwar sehr wohl unterschieden werden; oft genug erweisen sich die Grenzen zwischen den drei Gruppen aber als fließend. Zudem waren Asketen, Missionare und Pilger keineswegs Migranten per se; einige von ihnen lassen sich zutreffender als ‚Reisende‘ charakterisieren, während andere ihre Heimat überhaupt nicht verließen. Aus diesen Gründen verdient jeder Einzelfall eine gründliche Analyse, während verallgemeinernde Aussagen – auch in Anbetracht der noch in den Kinderschuhen stehenden globalgeschichtlichen Mittelalterforschung – nur mit großer Vorsicht getroffen werden können.

2 Asketen Das Ideal der asketischen Heimatlosigkeit kann bis in die ältesten Schichten der brahmanischen Lehre zurückverfolgt werden. Bereits die „Bṛhadāraṇyaka Upaniṣad“ aus dem 7. oder 6. vorchristlichen Jahrhundert spricht mit tiefem Respekt von den „wandernden Asketen“, die auf der Suche nach Vollendung ihrer irdischen Existenz das „asketische Leben des Umherziehens“ auf sich nehmen (The Early Upaniṣads. Annotated Text and Translation. Hrsg. und übers. v. Patrick Olivelle. [South Asia Research.] New York 1998, 125; dt. Übers. T.  L.). Später wurden solche Personen ohne festen Wohnsitz als saṃnyāsin bezeichnet, einer Ableitung von dem Begriff saṃnyāsa, der wörtlich übersetzt „Entsagung“ bedeutet und die letzte der vier Stufen eines idealen Hindulebens bezeichnet, in welcher zum Zwecke der Meditation und Kontemplation alle weltlichen Verbindungen gekappt werden sollen. Auch wenn im Laufe des Mittel-

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alters die Aufspaltung der verschiedenen Sekten zu einer beachtlichen Ausdifferenzierung dieser asketischen Daseinsform führte, blieben die zentralen Imperative für den richtigen Lebensstil eines saṃnyāsin im Wesentlichen die gleichen (vgl. Olivelle 2010; Ghurye 1964). Das lässt sich unter anderem aus den zahlreichen saṃnyāsaUpaniṣaden ersehen, die vom Beginn unserer Zeitrechnung bis ins 12.  Jahrhundert verfasst wurden und die ihren Lesern fortlaufend einschärften, das rituelle Feuer aufzugeben, alle verwandtschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen abzubrechen, ausschließlich von Almosen zu leben und – darauf kommt es hier vor allem an – heimatlos umherzuziehen (vgl. Saṃnyāsa Upaniṣads. Hindu Scriptures on Ascetism and Renunciation. Übers. v. Patrick Olivelle. New York 1992.). Im Buddhismus wurde das freiwillige Exil von allen weltlichen Händeln zur Basis für das monastische Leben. Die erste Weihe eines buddhistischen Asketen bezeichnet man seit jeher als „Fortgehen [in die Heimatlosigkeit]“ (pravrajyā). Nur einmal im Jahr, während der Regenzeit von Juni / Juli bis September / Oktober, in der das Reisen auf dem indischen Subkontinent praktisch unmöglich war, erlaubte Gautama Buddha den Mönchen (bhikṣus) eine dreimonatige Unterbrechung ihrer immerwährenden Wanderschaft. Ursprünglich wurden die zu diesem Zweck errichteten Rückzugsorte lediglich für eine Monsun-Saison genutzt und anschließend wieder aufgegeben. Aber in mittelalterlicher Zeit waren aus den einst temporären Behausungen bereits permanente Gebäude mit ununterbrochener Bewohnung geworden (āvāsas, ārāmas). Selbst solche Mönche, die den Großteil des Jahres auf Wanderschaft waren, zogen in der Regel nicht mehr so ziellos umher, dass sie erst beim Einsetzen des Sommermonsuns nach einem Unterschlupf suchten. Stattdessen tätigten sie neun Monate im Voraus eine Reservierung für die nächste Regenzeit und kehrten auf diese Weise immer wieder in dieselbe Klosteranlage zurück. Nichtsdestotrotz kennen wir zahlreiche bhikṣus, die im Zuge ihrer Wanderungen auch kulturelle Grenzen überschritten, sei es als Verkünder ihres Glaubens, sei es als Pilger- oder Studienmönche (siehe unten). Wie bei den Hindus oder Buddhisten führte die asketische Sehnsucht nach sozialer Absonderung auch unter Christen mitunter zu einer physischen Entfernung von den üblicherweise bewohnten Gebieten. Seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. zogen sich mehr und mehr Anachoreten in die Wüsten Ägyptens, Syriens und Judäas zurück, um dort ein Leben zu führen, das von aller Zivilisation abgeschnitten war; einige als Eremiten wie der hl. Antonius (gest. 356), andere als Zönobiten wie der hl. Pachomios (gest. 346). Ihr Lebensstil wurde später zum Vorbild auch für solche Asketen, die sich an anderen abgeschiedenen Orten ansiedelten, zum Beispiel in Wäldern, Tälern oder Grotten (vgl. von Campenhausen 1930). Besondere Berühmtheit erlangte der Berg Athos an der Südost-Spitze der Halbinsel Chalkidiki (heute Griechenland). Mit Unterstützung der byzantinischen Kaiser entwickelte sich auf dessen Hängen eine ‚Mönchsrepublik‘, die eine fortwährend anwachsende Zahl von Klöstern und Skiten umfasste. Ihre Einwohner waren keineswegs bloß Griechen, sondern auch Albaner, Armenier, Bulgaren, Georgier, Russen und Serben, die nach und nach mit den Klös-

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tern „Hilandar“, „Iviron“, „Agiou Panteleimonos“ und „Zographou“ ethnisch homogene Kommunitäten bildeten. Eine andere Strategie asketischer Isolation wurde etwa 8.000 Kilometer weiter nordwestlich entwickelt. Seit dem späten 6.  Jahrhundert begaben sich iro-schottische Entsager zur Tilgung ihrer Sünden und zu Ehren des Erlösers in ein selbstgewähltes Exil und verließen nicht nur ihren Clan, sondern auch die Insel ihrer Geburt. Wie ein späterer Historiograph berichtet, suchten diese frommen Männer „mit großer Mühe (…) eine Wüste im Ozean“ (Adomnánʼs Life of Columba. Hrsg. v. Alan O. Anderson / Marjorie O. Anderson. [Oxford medieval texts.] Oxford 1991, 28–30; dt. Übers. T. L.). So schiffte sich der hl. Columban (der Ältere) im Jahre 563 von Irland nach Iona ein, um auf dieser vor der Westküste Schottlands gelegenen Insel ein Kloster zu errichten. Gut drei Generationen später zog sein indirekter Schüler Aidan von Iona weiter auf die Gezeiten-Insel Lindisfarne an der Nordostküste Englands, wo er ebenfalls ein Kloster errichtete. Wie all die anderen, die ihrem Vorbild folgten, suchten Columban und Aidan nach Abgeschiedenheit und Ruhe, aber auch nach fremden und ungläubigen Völkern, denen sie die Frohe Botschaft des Evangeliums überbringen wollten. Im Gegensatz zu den anachoretischen Wüstenmönchen strebten die iro-schottischen Asketen also nicht danach, alle Verbindungen mit ihren Mitmenschen zu kappen; sie lebten vielmehr als missionierende Migrantengruppen inmitten indigener Mehrheitsgesellschaften (vgl. Angenendt 1982). Neben dem eremitischen Rückzug aus der Welt und der Selbst-Entfremdung als freiwilliger Exilant konnte die asketische Heimatlosigkeit im Christentum auch durch fortwährendes Herumziehen als Wanderprediger realisiert werden. Als Vorbild hierfür dienten die zwölf Apostel, die in der Gewissheit gelebt hatten, der Allmächtige werde ihnen alles Überlebensnotwendige schon als Almosen gewähren. Ungeachtet aller gelehrten Polemiken und zahlloser Verbote durch kirchliche Synoden waren vagierende Mönche und Kleriker während des gesamten Mittelalters ein geläufiges Phänomen. Die zu Beginn des 13. Jahrhunderts gegründeten Bettelorden, die im Gegensatz zum älteren Mönchtum keine stabilitas loci mehr von ihren Mitgliedern einforderten, boten den abendländischen Wanderpredigern schließlich doch noch einen institutionellen Platz innerhalb der Amtskirche. Während der Gründungsphase des Franziskanerordens zogen international zusammengesetzte Gruppen von Minderbrüdern kreuz und quer durch Westeuropa, um neue Ordensniederlassungen zu gründen – aber nur für einige Jahrzehnte. Bereits am Ende des 13. Jahrhunderts war der ‚eigene‘ Konvent zum festen Lebensmittelpunkt eines jeden Minderbruders geworden, der jedoch weiterhin damit rechnen musste, „heute hierhin und morgen dorthin geschickt zu werden, sei es in den Nachbarkonvent oder in ein fernes Land“ (Mertens 2000: 39). Kennzeichnend für die Zusammensetzung der einzelnen Kommunitäten war dabei allerdings nicht länger Internationalität, sondern Provinzialität (vgl. Ertl 2006: 10). Von ihrer Anlage her konnten die Lebensstile der einsamen Entsager und der wandernden Prediger kaum unterschiedlicher sein; dennoch sind zahlreiche Beispiele von Asketen bekannt, „die einen Teil ihres Lebens als Zönobiten verbrachten, einen anderen als Eremiten, wieder einen anderen als Pilger oder Wanderprediger,

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und die keineswegs als ‚schlechte‘ oder labile Mönche angesehen, sondern für ihren heiligenmäßigen Lebenswandel sogar besonders verehrt wurden“ (Constable 1988: 258; dt. Übers. T. L.). Der Lebensweg des griechisch-orthodoxen Asketen Sabas von Vatopedi zeigt exemplarisch, wie kompliziert die Migrationsbiographien solch heiliger Männer werden konnten: Um 1307 verließ Sabas sein Heimatkloster auf dem Berg Athos. Nach Aufenthalten in Ephesus, Patmos und auf Zypern besuchte er die Heiligen Stätten in Jerusalem und zog von dort weiter zum Berg Sinai, wo er zwei Jahre verweilte. Anschließend verbrachte der Asket ein Jahrzehnt in verschiedenen Höhlen am Jordan und in der Ägyptischen Wüste, bevor er versuchte, sich nach Konstantinopel einzuschiffen, aufgrund heftiger Stürme aber auf Kreta landete, wo er zwei Jahre lang durch nahezu unbewohnte Gebiete wanderte. Von hier führte ihn sein Weg über Euböa, Athen und Konstantinopel schließlich zurück auf den Berg Athos, wo er nach etwa zwanzig Jahren wieder in sein altes Kloster eintrat (vgl. Nichols 1985: 198 f.).

3 Missionare Während des ersten Jahrtausends seiner Geschichte hatte sich die Lehre Gautama Buddhas weit über den Norden Indiens ausgebreitet. Doch auch in mittelalterlicher Zeit kamen buddhistische Missionare noch in fremde Länder, um für ihren Glauben zu werben. Guṇavarman zog im frühen 5.  Jahrhundert über Sri Lanka nach Indonesien. Hyeja setzte 595 n. Chr. von der koreanischen Halbinsel nach Japan über. Śāntarakṣita und Padmasambhava kamen im Laufe des 8. Jahrhunderts aus Nālandā (heute Indien) bzw. Uddiyana (heute Pakistan) nach Tibet. Diese berühmten Glaubensboten sind natürlich nur besonders berühmte Exponenten einer größeren Bewegung. Allein aus dem Jahrhundert zwischen 971 und 1072/73 kennen wir mehr als 80 Mönche aus Indien, Nepal und Sri Lanka, die in die chinesische Hauptstadt zogen, um dem Kaiser buddhistische Schriften und Reliquien zu dedizieren und dafür mit violetten Roben ausgezeichnet zu werden (vgl. Jan 1966: 145–159). Diese ‚Einwanderungswelle‘ aus dem indischen Subkontinent in das Reich der Mitte brach erst in der zweiten Hälfte des 11.  Jahrhunderts ab. Ein wichtiger Grund hierfür war sicher das Vordringen des Islam nach Osten; weitere Ursachen könnten der generelle Niedergang des Buddhismus in Indien, die zunehmende Unabhängigkeit der chinesischen Buddhisten und das Erstarken des Neo-Konfuzianismus in China gewesen sein (vgl. Deeg 2005: 62–64). Während die Verkünder der buddhistischen Lehren oftmals bis zum Ende ihres Lebens in der Fremde blieben, wo sie gemeinsam mit einheimischen Muttersprachlern an bestimmten Übersetzungsprojekten arbeiteten, begnügten sich christliche Missionare mitunter mit flüchtigen Stippvisiten, um heidnische Kultstätten zu zerstören und die lokalen Machthaber oder wen auch immer sie gerade zu fassen bekamen zu taufen. Als der hl. Willibrord (gest. 739) z. B. einmal auf einer nach der friesi-

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schen Gottheit Fosites benannten Insel (heute Helgoland) strandete, benötigte er nur wenige Tage, um drei der Insulaner mit dem Wasser einer dortigen Quelle zu taufen, die von den Heiden verehrt wurde. Andere christliche Missionare hielten es länger in fremden Ländern aus, zum Teil unter sehr belastenden Bedingungen. Der Chronist Johannes von Ephesus berichtet, wie der monophysitische Missionar Julian, der in der Mitte des 5. Jahrhunderts von der byzantinischen Kaiserin Theodora ausgesandt worden war, um die Nubier südlich des ersten Nilkataraktes zu bekehren, es trotz der Hitze schaffte, zwei Jahre vor Ort zu verbringen: indem er nämlich „von der dritten bis zehnten Stunde, (nur) mit einem Schurz bekleidet und sonst nackt, mit dem ganzen Volk des Landes in mit Wasser gefüllte Höhlen eintrat und dasaß, [wobei] sich nichts außerhalb des Wassers befand als seine Nasenlöcher allein“ (Richter 2002: 48). Der hl. Meinhard wiederum, ein Augustiner-Chorherr aus Segeberg bei Lübeck, der in den letzten beiden Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts bei den Semgallen, Lettgallen und Liven missionierte, musste nach einer Attacke von Litauern ins baltische Unterholz fliehen und verbrachte seinen ersten Winter an den Ufern der Düna. Im Gegensatz zu Julian blieb Meinhard aber nicht nur einige Jahre, sondern bis zu seinem Tod im Schutze einer eigens errichteten Festung bei seiner Herde und wurde dafür mit der Ernennung zum ersten Bischof von Uexküll (heute Lettland) belohnt. Neben dem Wunsch, so viele Seelen wie möglich zu retten, gab es noch ein weiteres Motiv, das viele christliche Missionare dazu brachte, ein Leben unter den Heiden zu führen: das Martyrium zu erleiden. Im Jahre 1338 schrieb z.  B. der Bettelmönch Pascal von Vittoria den Brüdern seines früheren Konvents in einem Brief aus Olmaliq (heute Usbekistan), warum er unter allen Umständen bis zu seinem Tode im Osten bleiben werde: „Von den Sarazenen habe ich oft Gift angeboten bekommen; ich bin ins Wasser geworfen worden; ich habe mehr Schläge und andere Verletzungen erhalten als ich erzählen kann (…). Aber (…) ich erwarte, in Gottes Namen noch schlimmere Dinge zu erleiden. (…) Rechnet deshalb nicht damit, mich wiederzusehen, es sei denn in dieser Gegend oder in dem Paradies, in dem unsere Ruhe und Geborgenheit, unser Labsal und Erbe, ja sogar der Herr Jesus Christus sein werden.“ Obwohl Pascal es unter anderem wagte, direkt vor einer Moschee über die „Schwindeleien, Lügen und Irrtümer“ des „falschen Propheten“ Mohammed zu predigen, hatte er bereits vier Jahre unter mongolischer Herrschaft gelebt, als er diese Zeilen schrieb ([Epistola Fr. Paschalis de Victoria], in: Biblioteca bio-bibliografica della terra Santa e dellʼOriente francescano, T. 4. Hrsg. v. Girolamo Golubovich. Quaracchi presso Firenze 1923, Nr. 17, 244–248, hier 247 f.; dt. Übers. T. L.) Andere Missionare mussten nicht so lange warten, um ihren Glauben bezeugen zu können; der hl. Adalbert z. B. erlitt das Martyrium im April 997, nur wenige Tage nachdem er begonnen hatte, den baltischen Pruzzen das Evangelium zu verkünden.

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4 Pilger Für die meisten Pilger war ihre Pilgerschaft eher eine Reise als eine Migration, weil sie von vornherein beabsichtigten, nach Hause zurückzukehren, nachdem sie das Heiltum gesehen und verehrt hatten. Tatsächlich verbrachten sie aufgrund der mittelalterlichen Reisebedingungen oft viele Wochen oder sogar Monate unterwegs, um dann bloß einige Tage am heiligen Ort selbst zu verweilen. Doch das gilt nicht für alle Pilger. Der außergewöhnliche Fall der buddhistischen Pilger- und Studienmönche ist bereits erwähnt worden. Die Verbreitung der Lehre Siddhārtha Gautamas in Asien veranlasste Mönche aus vielen Teilen des Kontinents nach Indien (und später auch nach China) zu reisen, um nach authentischen und vollständigen Regeln für das monastische Leben (vinaya) und anderen autoritativen Texten zu suchen. Manche von ihnen hinterließen detaillierte Reiseberichte, Tagebücher und (Auto-)Biographien, die wertvolle Einsichten in ihr Leben fern der Heimat geben. Zu den berühmtesten zählen: Fa-hsien, ein Chinese, der zwischen 399 und 412 Nepal, Indien und Sri Lanka bereiste (vgl. Deeg 2005); Hye Ch’o, ein Koreaner, der von 724 bis 727 vom Ganges-Delta durch Indien nach China wanderte, wo er wahrscheinlich im Ta-chienfu-Kloster in Chang’an (heute Xi’an) seinen Lebensabend verbrachte (vgl. Hye Ch’o Diary. Memoir of the Pilgrimage to the Five Regions of India. Übers. v. Han-Sung Yang / Yun-Hua Jan / Shotaro Iida / Laurence Preston. Berkeley 1984); und Darmasvāmin, ein Tibeter, der 1226 sein Heimatland verließ, um acht Jahre in Nepal, mehr als zwei Jahre in Nordindien und dann noch einmal vier Jahre in Nepal zu verbringen, bevor er in sein Heimatkloster zurückkehrte (vgl. Biography of Dharmasvamin [Chag lo tsa-ba Chos-rje-dpal], a Tibetan Monk Pilgrim. Übers. v. George Roerich. Patna 1959). Sie alle verwandten große Aufmerksamkeit sowohl auf bildliche und plastische Evokationen des Buddhas als auch auf die vielen stūpas, die an besondere und instruktive Begebenheiten aus dessen Leben erinnern sollten. Darüber hinaus nutzten sie die Gelegenheit, um einzelne sūtras unter der Anleitung von sachkundigen Lehrern zu studieren und Abschriften bestimmter Texte und maṇḍalas, die bislang in ihren Heimatländern unbekannt waren, entweder selbst anzufertigen oder bei Kopisten in Auftrag zu geben. Während die meisten buddhistischen Pilger- und Studienmönche planten, früher oder später nach Hause zurückzukehren, um dort das Wissen um ihre ‚Fundstücke‘ zu verbreiten, fehlte die Absicht, nach Hause zurückzukehren, bei anderen Pilgern von Anfang an oder sie ging unterwegs verloren. Aus diesem Grund sollen etwa im frühen 7. Jahrhundert alle ‚Angestellten‘ des Menouthis-Heiligtums, das sich einst im Nordosten von Alexandria (Ägypten) befand, aus hilfesuchenden Gläubigen rekrutiert worden sein, die „nach [ihrer] Heilung nicht mehr von dieser Stätte scheiden mochten“ (Kötting 1980: 209). Wieder andere Pilger erreichten nie die ursprünglich avisierte Destination, sondern strandeten unterwegs, wie der chinesische Mönch Zhu Shixing, der sich im 3.  Jahrhundert n. Chr. als erster buddhistischer Pilger auf den

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Weg nach Indien machte, seine Reise aber in der zentralasiatischen Stadt Khotan (heute China) abbrach, um den Rest seines Lebens in dem Kloster zu verbringen, in dem er das von ihm gesuchte Manuskript gefunden hatte (vgl. Deeg 2005: 53). Manche Pilger suchten auch nicht nur einen besseren Platz zum Leben, sondern einen besseren Platz zum Sterben. Wie einige andere angelsächsische Herrscher vor und nach ihm dankte etwa Coenrad, König von Mercien, im Jahre 709 freiwillig ab, und zog der Welt entsagend nach Rom, um dort als Mönch zu leben. Spätestens seit dem 8.  Jahrhundert wünschten eine ganze Reihe jüdischer Pilger in Jerusalem zu sterben, nach Möglichkeit auf dem Ölberg, auf dem die Auferstehung der Toten am Ende aller Tage ihren Anfang nehmen soll (vgl. Gitlitz / Davidson 2006: 50). Ähnliche Ansinnen sind auch bei Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften bezeugt. Im 11. Jahrhundert berichtet etwa der choresmische Gelehrte al-Bīrūnī, dass die hinduistischen Anachoreten „nach Vārāṇasī in Indien pilgern, um dort für immer zu bleiben, genauso wie die Bewohner der Ka’ba für immer in Mekka bleiben. Sie wollen dort bis zum Ende ihres Lebens leben, damit ihre postmortale Belohnung größer ausfällt“ (Alberuni’s India. An Account of the Religion, Philosophy, Literature, Geography, Chronology, Astronomy, Customs, Laws and Astrology of India about AD 1030. Übers. v. Edward C. Sachau, 2 Bde. London 1910, Bd. 2, 146; dt. Übers. T. L.). Schließlich war der Antritt einer Pilgerreise mitunter einfach eine gute Begründung, um sich davon zu machen. Zumindest für solche byzantinische Mönche, die unter der laxen Disziplin ihrer Konvente litten, scheint die Pilgerfahrt ins Heilige Land eine elegante Möglichkeit zum Ortswechsel gewesen zu sein. Tatsächlich dürfte für viele monastische Pilger des byzantinischen Reiches der wahre Grund, nach Palästina zu reisen, weniger der Besuch bestimmter Heiltümer gewesen sein, als vielmehr der „Wunsch, eine Weile oder möglichst für immer“ in einer der mehr als 70 Eremitagen und Zönobien in der judäischen Wüste zu leben (von Falkenhausen 2003: 35).

5 Fortbleiben und Heimkehren Die wandernden Asketen, Missionare und Pilger des mittelalterlichen Jahrtausends folgten offenkundig keinem einheitlichen Muster. Sie wurden von ganz verschiedenen Zielsetzungen angetrieben, steuerten ganz verschiedene Destinationen an und fanden ganz verschiedene Plätze in ihren Transit- und Aufnahmegesellschaften. Kennzeichnend für ihre Migrationen war dementsprechend ein enormes Spektrum an gradueller Sesshaftigkeit. Es reichte von denjenigen, die ein für alle Mal umzogen, über diejenigen, die früher oder später weiter zogen, bis zu denjenigen, die ihre Wanderschaft kaum einmal für längere Zeit unterbrachen. Mit diesem Spektrum im Hinterkopf verlangt jeder Einzelfall eine eigene Würdigung, die einerseits die individuelle Absicht, dauerhaft oder nur vorübergehend in der Fremde bleiben zu wollen, berücksichtigen muss, andererseits aber auch die äußeren Umstände nicht vernachlässigen

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darf, die die Möglichkeiten für eine permanente Ansiedlung jeweils bedingten und oft genug arg beschränkten (vgl. Lohse 2013). Die Absicht, in einem fremden Land bleiben zu wollen, konnte sehr stabil sein; sie konnte sich im Laufe der Zeit aber auch wandeln. Letzteres war z. B. der Fall bei Palchŏng, einem koreanischen Studienmönch, der im frühen 6.  Jahrhundert nach China zog. In der einzigen greifbaren Quelle über sein Leben lesen wir: „Nachdem er sich für mehr als dreißig Jahre im Herrschaftsgebiet der Liang-Dynastie aufgehalten hatte, ohne jemals in der Lage zu sein, die Erinnerung an sein Heimatland auszulöschen, beschloss er nach Paekche zurückzukehren” (Best 1991: 149; dt. Übers. T. L.). Der romano-britische Missionar Patrick, der in der Mitte des 5.  Jahrhunderts nach Irland zog, untersagte sich selbst hingegen kategorisch, die Insel jemals wieder zu verlassen. In seiner berühmten confessio schrieb er darüber: „Gott weiß, wie sehr ich mich danach gesehnt habe [mein Land und meine Verwandten zu besuchen], doch hält mich der [Heilige?] Geist hier fest, der mir verkündet: Wenn ich dies täte, zöge er mich dafür zur Verantwortung; und ich fürchte, dass ich das Werk zugrunde richte, das ich begonnen habe – nicht ich [natürlich], sondern Christus der Herr, der mir aufgetragen hat, hierher zu kommen, damit ich mein restliches Leben mit ihnen [den Iren] verbringe“ ([Sancti Patricii Episcopi Confessio], in: Libri Epistolarum Sancti Patricii Episcopi. Clavis Patricii II. Ed. Ludwig Bieler. ND Dublin 1993, 56–91, hier 82; dt. Übers. T. L.). Auch in anderen Fällen beruhte die vorübergehende oder langfristige Wohnsitznahme in einem fremden Land keineswegs auf einer freien Entscheidung des Migranten. Der japanische Asket Ennin, der 840 n. Chr. in der nordchinesischen Hauptstadt Chang’an angekommen war, wollte mit seinen Gefährten nach einem Jahr intensiven Studiums wieder abreisen, erhielt von den chinesischen Bürokraten aber nicht die dafür notwendige Genehmigung. Erst vier Jahre später konnte er in seinem Tagebuch vermerken: „Ich hatte über den Kommissar der Guten Werke mehr als hundert Briefe gesandt, mit der Bitte um die Erlaubnis, in mein Heimatland zurückkehren zu dürfen, und durch mehrere mächtige Personen habe ich Schmiergelder gezahlt, doch wir erhielten die Ausreise-Erlaubnis nicht. Nun, wegen des [durch den Kaiser Wuzong Tang ausgelösten] Ärgers über die Rückkehr der buddhistischen Mönche und Nonnen in den Laienstand dürfen wir plötzlich in unser Heimatland zurückkehren. Da ist beides: Trauer und Freude“ (Ennin’s Diary. The Record of a Pilgrimage to China in Search of the Law. Übers. v. Edwin O. Reischauer. New York 1955: 364; dt. Übers. T. L.). Andere wie der Franziskaner Wilhelm von Rubruck mussten dagegen heimkehren, obwohl sie es vorgezogen hätten zu bleiben. Wilhelm beschritt den ganzen Weg von der Levante nach Karakorum (bei Kharkhorin, Mongolei), um innerhalb des Mongolenreiches zu missionieren, aber Möngke Khan schickte ihn 1255 kurzerhand wieder nach Hause (vgl. The Mission of Friar William of Rubruck. His Journey to the Court of the Great Khan Möngke 1253–1255. Übers. v. Peter Jackson. London 1990).

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6 Effekte Die demographische Wirkung der wandernden Asketen, Missionare und Pilger auf ihre jeweiligen Aufnahmegesellschaften musste aus zwei Gründen stets sehr gering bleiben: Zum einen blieb ihre Zahl während des gesamten Mittelalters ziemlich überschaubar. Ennin, der bereits erwähnte Studienmönch aus Japan, reiste gemeinsam mit seinen zwei Schülern und einem Diener. Der hl. Columban, der hl. Willibrord und viele andere christliche Missionare sollen jeweils mit zwölf Gefährten aufgebrochen sein, doch mögen ihre späteren Hagiographen diese Anzahl auch in Analogie zu den Jüngern Jesu erfunden haben. Solch kleine Migrantenkonvois ergaben in der Summe jedenfalls niemals große Gruppen von Einwanderern. Diese Einschätzung wird nicht zuletzt durch die wenigen Fälle bestätigt, in denen die mittelalterlichen Zeitgenossen die Zu- und Abwanderung frommer Männer statistisch zu erfassen suchten. So schrieb etwa der chinesische Kaiser Renzong Sung 1035 in seinem Vorwort zu einem neu kompilierten Sanskrit-Wörterbuch: „Die Mönche, die aus den fünf Regionen Indiens kamen und Sanskrit-Schriften mitbrachten, waren von Fa-chün bis Fa-ch’eng [d. h. seit 965 n. Chr.] insgesamt 80 Personen. Die Mönche meines Landes, die sich [seit 982 n. Chr.] auf die Suche nach heiligen Schriften aus dem Westen [also Indien] begaben, sind Tz’u-huan, Ch’i-pei und andere, 183 an der Zahl“ (zit. nach Jan 1966: 158; dt. Übers. T. L.). Im Vergleich mit diesen Mengenangaben erscheint die vorsichtige Schätzung von 200–300 japanischen Studienmönchen, die vom 7. bis zum 9. Jahrhundert nach China gesegelt sein könnten, recht plausibel (vgl. Bingenheimer 2001: 13). Zum anderen lebten Asketen, Missionare und Pilger überwiegend zölibatär, produzierten also keine Nachkommen, die eine zweite oder dritte Generation von Immigranten hätten bilden können. Doch gab es natürlich auch Ausnahmen wie Benshō, ein japanischer Studienmönch koreanischer Herkunft, der 702 nach China übersetzte und dort zwei Söhne zeugte, von denen einer später als junger Mann in das Land seines Vaters zurückkehrte (vgl. Bingenheimer 2001: 73 f.). Wenn Asketen, Missionare und Pilger überhaupt einmal in der Lage waren, generationenübergreifende Gruppen mit Migrationshintergrund zu konstituieren, dann geschah dies in der Regel durch Kettenmigrationen und nicht durch Fortpflanzung. Ein besonders eindrucksvoller Beleg für eine solche Kettenmigration ist die berühmte ‚nestorianische Stele‘, die 781 n. Chr. in Chang’an oder im nahegelegenen Zhouzhi errichtet wurde, um an die erste „Verbreitung der Religion des Lichts [d. h. des Christentums] im Reich der Mitte“ zu erinnern. Die Inschriften auf dieser Stele erwähnen nicht nur den 635 in der chinesischen Kapitale angekommenen ‚nestorianischen‘ Missionar A-Lo-pên, sondern verzeichnet darüber hinaus die Namen von 70 weiteren Bischöfen, Chorbischöfen, Priestern, Geistlichen und Mönchen, die A-Lo-pên in den folgenden Jahrzehnten in den Osten gefolgt zu sein scheinen und deren persische, syrische und allgemein christ-

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liche Namen sowohl in syrischen als auch in chinesischen Buchstaben festgehalten sind (vgl. Saeki 1951: 57, 72–77). Trotz ihrer letztlich geringen Anzahl dürfen die kulturellen Effekte, die Asketen, Missionare und Pilger mit ihren Wanderungen ausgelöst haben, nicht unterschätzt werden. Bisweilen veränderten sie sehr wohl das ideelle Arsenal oder die materielle Kultur ganzer Gesellschaften. Manche dieser Auswirkungen gehören seit langem zu den (umstrittenen) Gemeinplätzen der scientific community, z. B. die architektonischen Einflüsse entlang des Jakobswegs in Spanien und Frankreich (vgl. Shaver-Crandell / Gerson 1995). Andere kennen nur Spezialisten, z. B. die ‚archontische Häresie‘, die Eutakios, der erste bekannte armenische Palästina-Pilger, in der Mitte des 4. Jahrhunderts nach Groß- und Klein-Armenien ‚einschleppte‘ (vgl. Stone 1986). Eine umfassende systematische Analyse derartiger Effekte ist bislang nicht unternommen worden, weder für einzelne Regionen, noch für die bekannte Welt des Mittelalters überhaupt. Aus diesem Grund sind wir zwar über einige Glanzlichter kulturenübergreifender Interaktionen wie die Erfindung der Glagolitischen Schrift durch den hl. Konstantin / Kyrill in den Jahren um 860 recht gut informiert, und können doch noch nicht wirklich abschätzen, welchen Beitrag die Migrationen von Asketen, Missionaren und Pilgern insgesamt zur globalen Verflechtung und kulturellen Dynamik des mittelalterlichen Jahrtausends geleistet haben.

Literaturhinweise Arnold Angenendt, Die irische Peregrinatio und ihre Auswirkungen auf dem Kontinent vor dem Jahr 800, in: Heinz Löwe (Hrsg.), Die Iren und Europa im früheren Mittelalter, Bd. 1. (Veröffentlichungen des Europa-Zentrums Tübingen. Kulturwissenschaftliche Reihe.) Stuttgart 1982, 52–79. Jonathan W. Best, Tales of three Paekche monks who traveled afar in search of the law, in: Harvard Journal of Asiatic Studies 51, 1991, 139–197. Marcus Bingenheimer, A Biographical Dictionary of the Japanese Student-Monks of the Seventh and Early Eighth Centuries. Their Travels to China and their Role in the Transmission of Buddhism. (Buddhismus-Studien, Bd. 4.) München 2001. Hans von Campenhausen, Die asketische Heimatlosigkeit im altkirchlichen und frühmittelalterlichen Mönchtum. (Sammlung gemeinverständlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgeschichte, Bd. 149.) Tübingen 1930. Giles Constable, Eremitical forms of monastic life, in: Istituzioni monastiche e istituzioni canonicali in Occidente (1123–1215). (Pubblicazioni della Università Cattolica del Sacro Cuore. Scienze storiche, Bd. 9.) Milano 1980, 239–264; ND in: Ders., Monks, Hermits and Crusaders in Medieval Europe. London 1988, Nr. 5. Max Deeg, Das Gaoseng-Faxian-Zhuan als religionsgeschichtliche Quelle. Der älteste Bericht eines chinesischen buddhistischen Pilgermönchs über seine Reise nach Indien mit Übersetzung des Textes. (Studies in Oriental Religions, Bd. 52.) Wiesbaden 2005. Thomas Ertl, „Ihr irrt viel umher, Ihr jungen Leute.“ Der mittelalterliche Franziskanerorden zwischen europäischer Entgrenzung und regionaler Beschränkung, in: Uwe Israel (Hrsg.), Vita communis

Asketen, Missionare und Pilger 

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Martin Kintzinger

Gelehrte und Schüler 1 Einleitung Im Mittelalter zeigten Gelehrte und Studenten „modes of movement across community lines“, wie es Patrick Manning in seiner Studie über Migration in der Weltgeschichte ausgedrückt hat (Manning 2005: 92). Was sie damit taten, beschreibt Dirk Hoerder (2010: 20) als „alltägliche Mobilität von speziellen Gruppen“. Jürgen Miethke (1985) hat gezeigt, dass in den meisten Fällen die „Wanderung der Scholaren“ länger dauerte als die Bewegung anderer Gruppen wie etwa der Pilger oder der Handwerker. Während diese gewöhnlich nach einigen Wochen oder Monaten zurückkehrten, blieben Gelehrte häufig für Jahre. Die Umstände der Wanderungsbewegung von Gelehrten scheinen insofern singulär gewesen zu sein. Aber ähnlich anderen Gruppen gingen auch die Gelehrten freiwillig auf Wanderschaft, nicht aufgrund von Problemen daheim, und sie hatten die Absicht, für eine gewisse Zeit, bis zu einer möglichen Rückkehr, in der Fremde zu sein und nicht auf Dauer fortzubleiben. Aktuelle Studien handeln von Migration in der Moderne als Teil der Globalgeschichte. Hier wird das Mittelalter als eine Ursprungszeit verstanden oder als Beweis langer historischer Dauer („seit dem Mittelalter…“; Lucassen u. a. 2010: 11, 13). In der allgemeinen Migrationsgeschichte wird das Mittelalter gewöhnlich im Zusammenhang der sogenannten Völkerwanderungszeit behandelt, der frühen Übergangsphase zwischen dem spätrömischen Reich und dem frühen Mittelalter zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert, wie auch im Rahmen der deutschen Ostkolonisation, insbesondere zwischen dem 12. und frühen 14.  Jahrhundert. Tatsächlich hat es im Mittelalter überall und jederzeit Bewegungen von besonderen Gruppen gegeben und eine Wanderung von Gelehrten ist bereits seit dem 11. Jahrhundert nachweisbar. Von da an wurde die Mobilität von Gelehrten ein zunehmend dynamisches Element in der zeitgenössischen Gesellschaft. Aber es blieb zunächst Mobilität, und nur wenn eine solche Mobilität einer besonderen Gruppe als eine Manifestation von Migration definiert wird, können die Gelehrten als Migranten betrachtet werden.

2 Narrative und Realitäten von Unterricht und Wissen Aus moderner Sicht ist das Mittelalter sehr häufig als eine Zeit der Immobilität beschrieben worden. Dies ist nicht nur eine Interpretation von historischer Rea-

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lität, sondern ein Verdikt: Menschen im Mittelalter hatten angeblich keine Chance zur Veränderung, weder hinsichtlich des Ortes noch des sozialen Status oder ihrer persönlichen Lebensumstände. Aber diese Beurteilung ist nicht richtig, auch wenn Beständigkeit (lateinisch stabilitas) ein Ideal im Mittelalter darstellte. Um zu differenzieren, müssen wir unterscheiden zwischen modernen Narrativen über vormoderne Geschichte einerseits und zeitgenössischen Ideen von Selbstbestimmung andererseits. Aufständische Bürger in verschiedenen Teilen des deutschen Reiches im frühen 15.  Jahrhundert beispielsweise kämpften gegen die Vorrechte der Kirche in ihren Städten. Bei dieser Gelegenheit wollten sie ihre rechtlichen Zuständigkeiten ausweiten und nicht einen grundlegenden Streit mit der Kirche austragen oder sich auf revolutionäre Taten einlassen. Obwohl diese Einschätzung sich eindeutig aus den historischen Quellen ergibt, haben Historiker des 19. und frühen 20.  Jahrhunderts dazu geneigt, darin einen Kampf für bürgerliche Freiheit im späten Mittelalter sehen zu wollen. Im Zusammenhang unseres Themas ist alles, was wir feststellen können, ein Bewusstsein von Wandel und die Bereitschaft zu Bewegung und Veränderung in der zeitgenössischen Gesellschaft. Anders als heute haben sich Menschen im Mittelalter eher als Teil einer Gemeinschaft und nicht vorrangig als Individuen verstanden. Noch immer wird in der Forschung darüber diskutiert, ob wir von einer Individualisierung in der mittelalterlichen Gesellschaft vor dem 12. Jahrhundert sprechen können. Erste Nachweise autobiographischer Texte und individueller Portraits stammen aus dem 14. Jahrhundert. Menschen verstanden sich als Mitglieder einer Gruppe von eindeutigem und unterscheidbarem sozialen Status im Rahmen einer Ständeordnung. Diese Ordnung wurde als von Gott zur Organisation innerhalb der geschaffenen Welt gegeben angenommen. Am Ende des 10.  und Beginn des 11.  Jahrhunderts verfasste Adalbero (947–1030), Bischof von Laon von 977 bis zu seinem Tod, eine erste theoretische Beschreibung dieses Modells von sozialer Ordnung innerhalb der göttlichen Schöpfung. Adalbero unterschied zwischen Klerikern, Adeligen und Bauern. Unter dem Titel „Die drei Ordnungen von Menschen“ (lateinisch tria genera hominum) wurde das Modell von Adalbero berühmt und zitiert in Texten und später als bildliche Darstellung in Holzschnitten während des gesamten Mittelalters. Adalbero wollte Stellung nehmen in einem Konflikt zwischen geistlichen Gemeinschaften. Im Unterschied zu dem, was er sagen wollte, wurde sein Modell bis in die Gegenwart als Beweis für soziale Stabilität im Mittelalter genommen. Das Konzept von Adalbero erforderte bestimmte Unterscheidungen. Um nur ein Beispiel zu nehmen: Es gab keine Verbindungen zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen in dem Modell, wohingegen sie in der sozialen Wirklichkeit vielfach von grundlegender Bedeutung waren. Niemand wurde beispielsweise als Kleriker geboren. Laien, Adel wie Stadtbürger gleichermaßen, mussten sich bewusst für eine Konversion (lateinisch conversio) von ihrem durch Geburt erworbenen zum geistlichen Stand entscheiden.

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Vom Laienstand in den geistlichen Stand zu konvertieren, bedeutete zunächst die Notwendigkeit, geweiht zu werden. Die geistliche Weihe begründete den Unterschied zwischen Laien und Klerikern und vermittelte diesen die Versorgung durch kirchliche Pfründen und insbesondere, sobald sie geistlichen Gemeinschaften angehörten, den Zugang zu Positionen und Kompetenzen innerhalb kirchlicher Hierarchien. Aber je mehr sie danach strebten, ihre persönliche Karriere zu befördern, desto eher mussten sie eine fundamentale Bedingung erfüllen: gebildet zu sein. Von Anfang an, seit der karolingischen Kirchenpolitik des 8.  Jahrhunderts, wurde grundlegende Kenntnis des Lateinischen bei Klerikern für notwendig gehalten, schon um liturgische Texte und Gebete korrekt vortragen zu können. Deshalb wurden Schulen an Kathedralkirchen eingerichtet und sogar an Pfarrkirchen. Sie sollten nicht dem öffentlich zugänglichen Unterricht dienen, wie in modernen Publikationen oft angenommen worden ist, sondern ausschließlich der funktionalen Unterweisung von amtierenden und jungen, künftigen Klerikern. Gewöhnlich war der Schulmeister an einer Kathedralschule zuständig für alle kirchlichen Schulen innerhalb der Diözese, die zum Klerus gehörenden Lehrer und die Disziplinen, Inhalte und Methoden des Unterrichts. Kirchlicher Unterricht war in ganz Europa so organisiert, von kleinen Diözesen in der Provinz, beispielsweise in der englischen und deutschen Peripherie im Nordosten, bis zu den größeren und zentralen Regionen. Sogar die wichtigen und eindrucksvollen Kathedralen auf der Île-de-France, wie Reims, Chartres, Laon oder Paris, folgten prinzipiell diesem Unterrichtssystem. Bischöfliche Reformen im späteren Mittelalter, insbesondere im 15. Jahrhundert, verlangten eine strikte Kontrolle der Normen und Standards für die Erziehung des Klerus und etablierten verschiedene Anspruchsniveaus des Wissens für Pfarrpriester und Bischöfe, um kirchliche Schulen gegen die Kritik von Stadtbürgern zu verteidigen. Im deutschen Reich war solche Kritik erheblich stärker als beispielsweise in Frankreich. Es wurde jetzt das höchste Unterrichtsniveau an Kathedralschulen erwartet: Von Kanonikern, als Mitgliedern eines Kathedralkapitels an einer Bischofskirche, wurde erwartet, dass sie zwei oder drei Jahre lang an einer Universität studiert haben sollten, vor allem in Theologie oder dem kanonischen Recht und nicht nur in der unteren Artistenfakultät. Insgesamt war Wissen von zunehmender Wichtigkeit in der mittelalterlichen Gesellschaft und stets verbunden mit Übertragungs- und Veränderungsprozessen. Vor allem Stadtbürger profitierten davon. Waren sie ökonomisch unabhängig genug, um an einer berühmten Kathedralschule oder Universität den Unterricht zu besuchen, so konnten sie Syndici (Rechtsvertreter) oder Physici (Stadtärzte) in einer großen Stadt werden. Sie konnten auch darauf hoffen, einflussreiche Stellungen als gelehrte Räte bei Fürsten, Königen oder Bischöfen zu erlangen und sogar, wenn sie geistlichen Standes wurden, eine erfolgreiche Karriere in der kirchlichen Hierarchie durchlaufen und Bischöfe werden.

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Der hohe soziale Status, der Gelehrten (französisch noblesse du robe) im europäischen Spätmittelalter zugestanden wurde, war geradezu revolutionär. Er erlaubte gelehrten Stadtbürgern sogar, auf ihrem Karriereweg Mitglieder adeliger Familien zu überwinden, die nicht über gelehrte Bildung verfügten. Gelehrte und insbesondere solche, die das römische Recht studiert hatten, wurden mehr und mehr unverzichtbar in der Verwaltung und Politik sowie vor Gericht in den verschiedenen forensischen Verfahren. Im Spätmittelalter wurden die universitären Disziplinen des Rechts (römisches wie kanonisches Recht) üblicherweise als „einträgliche Wissenschaften“ (lateinisch scientiae lucrativae) bezeichnet. Wissen war zu einem erstklassigen Instrument sozialer und persönlicher Mobilität geworden. Dennoch blieben traditionale Qualifikationen wie familiäres Prestige, sozialer Status und ökonomische Ressourcen, persönliche Beziehungen, Empfehlungen und Patronage weiterhin wichtig, vielfach sogar entscheidend. Wissen half wesentlich dabei, neu entstehende Möglichkeiten und Strategien innerhalb der Gesellschaft zu nutzen, es war aber kaum mehr als ein ergänzender Faktor. Das Verlangen nach mehr Veränderung provozierte Widerstand. Kritik an kirchlichen Traditionen führte zu einigen Reformen, war aber zumeist auch mit Zurückweisung verbunden. Kleriker, die für kirchliche Schulen verantwortlich waren, änderten ihr traditionales Curriculum des lateinisch vermittelten Wissens in der Ordnung der sieben freien Künste (lateinisch septem artes liberales) tatsächlich nicht. Andere Curricula oder Lehrmethoden und allgemein andere als kirchliche Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten für den Schulunterricht wurden strikt und grundsätzlich abgelehnt. Aus der Verbindung von traditionaler Schulordnung und neuen, innovativen Ideen über Wissen entstand nicht nur eine neue Agenda von Freiheit, sondern auch ein Wechsel von der üblichen Mobilität zu einer besonderen Form, die als Migration zu verstehen ist.

3 Stabilität und Neugier: Traditionen und Innovationen in der Geschichte der Gelehrten Mönche waren verpflichtet, innerhalb ihrer Gemeinschaft und ihres jeweiligen Klosters zu bleiben. Diese besondere Regel geistlichen Lebens wurde „Unveränderlichkeit des Ortes“ (lateinisch stabilitas loci) genannt. Monastische Reformen während des Mittelalters verlangten nach strengerer Beachtung jener Ortsfestigkeit. Gleichzeitig verlangten sie nach einer besseren Disziplin in der Unterrichtung. Im Zusammenhang monastischen Lebens waren Ortsfestigkeit, Unterricht und Wissen nicht notwendig Gegensätze. Unterrichtet zu werden bedeutete deshalb unvermeidlich, dass eine Person ihr Zuhause verließ, um sich einer kirchlichen Institution anzuschließen oder, zumeist, Mitglied einer geistlichen Gemeinschaft zu werden und dort für den Rest des Lebens

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zu bleiben. Einer alten Tradition entsprechend, konnten im frühen Mittelalter kleine Kinder, gewöhnlich Jungen, von ihren Eltern an ein Kloster gegeben, „geschenkt“ (lateinisch donati, Geschenkte), werden. Sie sollten dort Mönche werden, Unterricht erhalten und diesen Gemeinschaften für den Rest ihres Lebens angehören. Obwohl Ortsfestigkeit ein normatives Element monastischen Lebens war, waren Praktiken der Mobilität auch in der monastischen Kultur bekannt. In ferne Länder zu ziehen um dort zu missionieren, war eines der erwünschten Ideale monastischer Gemeinschaften. Einige von ihnen, vor allem die Zisterzienser seit dem 12. Jahrhundert, gingen in unbekannte Gegenden, gründeten neue Klöster und blieben in der Ferne, um Land zu kultivieren und zu missionieren. Insofern war Mobilität ein grundlegendes und unverzichtbares Element im Leben der Zisterzienser. Aber Predigt und Seelsorge bedurften ebenso des gelehrten Wissens, und deshalb unterhielten die Konvente der Zisterzienser gewöhnlich hoch entwickelte Schulen, um die Mitglieder ihrer Gemeinschaft zu unterrichten. Weil aber die Mobilität der Zisterzienser voraussetzte, dass man an seinem besonderen Platz in der Ferne lebenslang blieb, kann diese Mobilität als Migration verstanden werden. Spätere Narrative zur monastischen Kultur zogen es vor, ein Bild strikter Ortsfestigkeit zu zeichnen, das das Mönchtum als unbeweglich, inflexibel und veraltet darstellt. Aber tatsächlich hatten die Mönche bereits im 9. und 10. Jahrhundert eine weit entwickelte und effiziente Technik geprägt, im Austausch zwischen Klöstern illuminierte Handschriften zu schreiben und zu illustrieren, zu kopieren und Texte als Zeugen traditionellen gelehrten Wissens zu sammeln. Sie enthielten auch Übersetzungen aus der lateinischen und griechischen Antike. Im späten 10. Jahrhundert kamen einflussreiche Konvente in zentralen, westlichen und nördlichen Regionen des früheren Römischen Reiches hinzu. Die Geschichte des Wissens in den nachkarolingischen Reichen war stets bestimmt von Zentren des gelehrten Wissens, meist institutionalisiert an Kathedralen und ihren Schulen. Die Verbindung zwischen Wissen und Mobilität änderte sich dadurch grundlegend. Vergleichbar den Mönchen, lebten Kanoniker als Mitglieder eines Kathedralkapitels nach einer eigens für sie eingerichteten Lebensform (lateinisch vita communis) und an einem institutionalisierten Ort, der Kathedrale. Aber die Normen für eine beständige Ortsfestigkeit und das gemeinsame Leben (lateinisch vita communis) wurden nur von einigen Gemeinschaften beachtet und je länger desto weniger verpflichtend. Reformvorschriften für das Leben der Kanoniker verlangten nach strengerer Beachtung des Gehorsamsgebots, aber zur gleichen Zeit entschieden sich andere Gemeinschaften dafür, noch freier in ihrer Lebensführung zu werden. Kanoniker lebten bald nicht mehr zusammen in gemeinsamen Räumen und Häusern, und die Mitglieder ihrer Gemeinschaft waren frei, die Gemeinschaft für einige Zeit zu verlassen, wenn sie es persönlich so wollten. Als Mitglieder von Kathedralkapiteln müssen die Kanoniker deshalb in Regularkanoniker (mit strengerer Beachtung der Regeln) und Säkularkanoniker (mit freierer Lebensführung) unterschieden werden. Beide hatten Interesse an gelehrtem Wissen, aber während die Regularkanoniker sich darin

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auf Texte und Autoren der kirchlichen Tradition beschränkten, sahen sich Säkularkanoniker frei, unterschiedliche Wissensbestände aufzunehmen, beispielsweise aus der klassischen Antike, also auch wenn sie nicht notwendig aus einer christlichen Tradition kamen. Nicht-christliches, als heidnisch verstandenes Wissen war insofern eine Herausforderung für die kirchlichen Autoritäten, weil es tatsächlich von Klerikern gefördert wurde, deren Mehrheit zu den Säkularkanonikern gehörte. Kanoniker waren frei, ihr Kapitel zu verlassen und dies nicht nur, um auf Pilgerreise zu gehen. Im Spätmittelalter, im 14. und besonders 15. Jahrhundert, war es fast üblich geworden, dass Säkularkleriker zu einer Studienreise in die Ferne aufbrachen, zu berühmten Kathedralschulen andernorts oder an Universitäten gingen. Ihnen wurde förmlich erlaubt, Vertreter (Vikare) zu bestellen und zu bezahlen, die ihre Aufgaben im Kapitel übernahmen, während sie für Jahre auf Studienreise blieben. In der Regel kehrten sie nach längerer Zeit zurück und gliederten sich wieder in das Kapitel ein. Es war stets evident, wohin man gehen würde, wenn man gelehrtes Wissen suchte, wo Experten für bestimmte Wissensbestände zu finden waren und wo man auf dem höchstmöglichen Niveau unterrichtet werden konnte. Noch nicht in Gruppen, sondern zunächst eher vereinzelt, mitunter auch Mönche im Auftrag ihrer Gemeinschaften, meist aber Kanoniker auf der Suche nach gelehrtem Wissen, waren viele auf dem Weg zu den Zentren der Gelehrsamkeit in Europa. Wie neuere Studien gezeigt haben, war es am Anfang die Kritik von Säkularkanonikern und vor allem die innovative scholastische Methode, die auf die Monastik (die monastische Wissenschaft) als dominante Ordnung der Wissensvermittlung und des wissenschaftlichen Interesses seit dem 11. Jahrhundert folgten. Die Scholastik prägte nun die Erzählung von der angeblich veralteten Monastik. Es war vor allem diese scholastische Polemik, die monastisches Wissen als irrational und vermeintlich einfachen Weg schlichten Auswendiglernens von Texten und Begriffen aus der Überlieferung kirchlicher Autoritäten und des Unterrichtens von Schülern in einer starren Disziplin diskreditierte. Auch einige monastische Gelehrte waren bereits emphatisch interessiert an Texten der römischen Antike, beispielsweise denjenigen des Cicero, deren Abhandlungen gesammelt, abgeschrieben und in Klosterbibliotheken verwahrt wurden. Bis dahin, dass sogar Informationen über die Werke des Aristoteles im westlichen Europa breit verfügbar waren, reichte das Interesse der monastischen Gelehrten, davon zu wissen und mehr zu erfahren. Neugier (lateinisch curiositas) fand allerdings ebenso wie ‚heidnisches‘ Wissen den Widerstand der kirchlichen Institutionen und Autoritäten. Sie verfolgten und unterdrückten solche wissenschaftliche Neugier und die Vorstellung, man könne bewährte Traditionen mit neuen Fragen konfrontieren, aber sie waren letztlich nicht in der Lage, diese Tendenzen wirksam zu verhindern. Hier begann, was später zu einem typischen Element des Fortschritts in der Wissensgeschichte werden sollte, im Konflikt zwischen der Neugier einzelner Gelehrter und den kirchlichen Institutionen. Eine häufige Folge solcher Konflikte war eine verstärkte Mobilität der Gelehrten.

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Folgerichtig hofften junge Kleriker, an berühmte neue Schulen gehen zu können, deren Lehrer die innovativen scholastischen Ideen lehrten. Eine neue Schule zu besuchen, bedeutete, sich einem Magister anzuschließen. So war beispielsweise die Kathedralschule von Chartres, eine der glänzendsten Orte des gelehrten Wissens in Europa im 12. und 13. Jahrhundert, nicht eine einzelne Schule, sondern ein Ensemble verschiedener Schulen, allesamt unter der Leitung exzellenter Lehrer. Erneut spielte Neugier eine wichtige Rolle. Nichts anderes als Neugier war es, was junge Kleriker wünschen ließ, für einige Zeit an der Schule eines berühmten Lehrers zu studieren, was kirchliche Vorgesetzte dazu brachte, sie dorthin zu schicken und was sie schließlich über lange Distanzen wandern ließ, um solch einem berühmten Lehrer zu begegnen, wo immer er zu finden war. Seit dem frühen 12.  Jahrhundert waren mehr und mehr Kleriker aus allen Ländern an dem neuen Wissen interessiert und wollten herausragende Lehrer in bestimmten Regionen Westeuropas aufsuchen, meist jene an den Kathedralschulen von Chartres, Reims, Laon oder Paris in der Îlede-France. Seit dem späten 10. und frühen 11.  Jahrhundert verlangte und ermöglichte die Neugier der wissbegierigen Kleriker die Mobilität der Gelehrten in einer geradezu grundstürzenden Weise: Sie widmeten sich freiwillig dem Studium der Wissenschaften. Dieses Phänomen hat es zu allen Zeiten gegeben und gibt es noch heute, und es lässt sich nicht allein rational erklären. Im mittelalterlichen Europa war es eng verbunden mit der Kultur der Kathedralschulen, den Ursprüngen der Scholastik – und den Universitäten. In einer zeitgenössischen Formulierung aus dem 12. Jahrhundert hat die moderne Forschung diesen Umstand als „Leidenschaft für das Wissen“ (lateinisch amor sciendi; Grundmann 1960/1978) erklärt. Bald darauf begann eine kontroverse Diskussion über diesen Begriff, und sie hält bis heute an. Es geht dabei um die Frage, inwieweit auch andere Motivationen verantwortlich gewesen sind für die Mobilität der Gelehrten, wie beispielsweise Überlegungen zu den eigenen, persönlichen Aussichten auf eine spätere Karriere in der Gesellschaft (Classen 1966/1983). Beide Argumente, Leidenschaft und Karriere, werden in der künftigen Forschung weiterhin zu beachten sein.

4 Die Universitäten und die Gelehrten: Wege zum Wissen Die ersten europäischen Universitäten, Bologna und Paris, waren nicht formell gegründet worden, sondern schrittweise seit spätestens dem ausgehenden 11. Jahrhundert entstanden, und dies wegen der Neugier und Mobilität der Scholaren. An den berühmten Kathedralschulen in der Île-de-France konzentrierten sich einige der Gelehrten auf neue scholastische Methoden des Argumentierens: Sie waren nicht länger damit zufrieden, Abweichungen und Widersprüche in den Texten der gelehr-

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ten Tradition zu harmonisieren, wie man es sie früher zu tun gelehrt hatte. Nun entwickelten sie eine neue Methode Fragen zu stellen anstelle bloßer Wiederholung der Traditionen. Peter Abelard (1079–1142) verfasste eine Sic et non betitelte Schrift, die programmatisch war für die neue scholastische Methode. Andere folgten ihm und ließen sich deshalb auf einen gelehrten Streit mit ihren Lehrern und den kirchlichen Autoritäten ein. Sie fanden prominente Widersacher, wie beispielweise Bernhard von Clairvaux (1090–1153), den Gründer des Zisterzienserordens, und sie zogen hoch angesehene Einrichtungen der Gelehrsamkeit in die Diskussion, wie etwa die monastische Schule St. Viktor in Paris, einen der herausragenden Orte der enzyklopädischen Sammlung gelehrten Wissens. Am Ende mussten diese jungen Männer, die gegen die Tradition und Autorität aufbegehrten, die Kathedralschulen verlassen, zu denen sie vorher gehört hatten. Zusammen mit ihren eigenen Schülern organisierten sie sich in eigenständigen, unabhängigen Gemeinschaften in Paris. Viele Jahre später wurden diese Gemeinschaften von kirchlichen wie weltlichen Autoritäten bestätigt. Von diesen als „allgemeine Gemeinschaft“ (lateinisch universitas) bezeichnet, wurden sie zum Ursprung der europäischen Universität. Nun waren sie frei, ihre eigenen Vorstellungen von wissenschaftlicher Forschung und institutioneller Form umzusetzen. Für lange Zeit blieben Kleriker die Repräsentanten der neuen Schulen und Universitäten, obwohl sie ihre früheren kirchlichen Einrichtungen verlassen hatten. Neue kirchliche Institutionen, wie die im 13. Jahrhundert gegründeten Mendikantenorden, insbesondere die Dominikaner, konzentrierten sich auf gelehrtes Wissen, um ihre Arbeit in der Seelsorge und in der Liturgie zu professionalisieren. Sie errichteten studia oder „Studienhäuser“ in allen Verwaltungsprovinzen ihrer Orden und ein studium generale (Haus für allgemeine Studien) nahe der Universität in Paris. Rasch machten sie außerordentliche Fortschritte: Führende Gelehrte der entwickelten scholastischen Wissenschaft wie Albertus Magnus (1200–1280) und Thomas von Aquin (1225–1274) waren Dominikaner. Mitglied im Franziskaner- oder Dominikanerorden zu werden, war attraktiv für junge Männer aus städtischen Familien, nicht zuletzt weil das Studium auf einem gehobenen Anspruchsniveau verpflichtend war. Persönliche Mobilität war dafür unerlässlich. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass eine größere Anzahl von Laien vor dem 15.  Jahrhundert Studenten an den Universitäten waren. Auch Gelehrte, die in die Professionalisierung von Kultur und Verwaltung an westeuropäischen Fürstenhöfen einbezogen waren, blieben zunächst meist Kleriker. Zwischen dem 12. und späten 15.  Jahrhundert erhöhten wichtige Städte wie die Höfe mächtiger Fürsten die Zahl ihrer qualifizierten Beschäftigten, insbesondere von Rechtsgelehrten und Absolventen der Studien in den Artes liberales. Es gab eine wachsende Nachfrage nach qualifizierten Experten, und im Laufe des Spätmittelalters waren sie statt Klerikern mehr und mehr stadtbürgerliche Laien. Kurz nachdem die Kontroversen in den Schulen der Île-de-France begonnen hatten, erreichte die Nachricht von einer neuen Art des Lehrens gelehrten Wissens die

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Kathedralschulen in anderen Ländern. Im 12. Jahrhundert entschieden junge Männer aus ganz Europa, sehr häufig Säkularkanoniker, Unterweisung bei den neuen Lehrern in Frankreich suchen zu wollen. Normalerweise reisten sie mit Erlaubnis ihrer Vorgesetzten und Gemeinschaften, um für einige Jahre an einer Kathedralschule oder einer der neuen, unabhängigen Schulen zu lernen, mitunter auch um universitäre Abschlussgrade zu erreichen. Möglicherweise taten sie dies für ihre spätere Karriere in der kirchlichen Hierarchie, auch wenn es keinesfalls eine Garantie auf eine solche Karriere gab. Schon früher wichtige Bedingungen für eine Karriere blieben weiterhin wirksam, insbesondere familiäre und persönliche Vernetzungen. Deshalb war offensichtlich die Bereitschaft der Scholaren, eine Reise an die neuen Zentren der Gelehrsamkeit anzutreten, vor allem durch ihr persönliches Interesse motiviert. In der aktuellen Forschung wird weiterhin darüber diskutiert, ob solche wandernden Scholaren zurückzukehren beabsichtigten und inwieweit ihre Lebensumstände sich nach einer Rückkehr geändert haben. In Nordeuropa beispielsweise scheinen sich die Unterrichtsdisziplinen dadurch nicht verändert zu haben. Aber zur selben Zeit und am selben Ort entstanden neue architektonische Formen, die dort vorher unbekannt gewesen waren und deren Kenntnis offensichtlich von Gelehrten aus Frankreich mitgebracht worden war. Wie gesagt, kehrten die meisten von ihren Studienreisen zurück. Nur wenige von ihnen sind in historischen Quellen nachzuweisen, und nur eine sehr geringe Zahl von diesen kehrte nicht zurück. Sie begannen eine Karriere als Lehrer an den neuen Schulen und Universitäten (Ehlers 1986/1996). Ob sie von Beginn ihrer Wanderschaft an vorgehabt hatten, im Ausland zu bleiben oder sich wegen der gegebenen Umstände so entschieden haben, ist nicht mehr nachzuweisen. In der deutschsprachigen historischen Forschung ist dieser komplexe Prozess der Mobilität von Scholaren als ‚Bildungsmigration‘ bezeichnet worden. Ob Scholaren sich entschieden, in ihrer Heimatregion zu studieren oder mitunter über weite Strecken zu reisen, um auswärts zu studieren, gelegentlich bei mehrfachem Universitätswechsel, hing von verschiedenen Faktoren ab. In jedem Fall trugen sie bei zu Kommunikationsprozessen und deren Intensivierung zwischen den Regionen schulischer und universitärer Lehre. Deshalb ist die Mobilität der Scholaren als „Migration und Austausch“ (Schwinges 1988/2008) beschrieben worden. Zwischen dem 12. und 15.  Jahrhundert änderte sich die soziale Herkunft von mobilen und migrierenden Scholaren deutlich. Schließlich sahen sich auch Adelige genötigt, nicht nur gelehrte Ratgeber zu beschäftigen, sondern auch selbst gelehrt zu werden. Sie gingen dann an berühmte Universitäten, vorzugsweise in Italien. Entsprechend begannen spätestens ab dem 14.  Jahrhundert Söhne wohlhabender und einflussreicher städtischer Familien ein Studium an angesehenen Universitäten in West- und Südeuropa, um ihr funktionales Wissen und ihren sozialen Status für die Zeit nach ihrer Rückkehr damit zu verbessern. Erstaunlicherweise hielten sich sogar vermehrt arme Laien für einige Zeit an Universitäten auf. Sie nahmen vielfach tatsächlich nicht an den Vorlesungen oder dem universitären Leben teil und erreichten selbstverständlich keine Abschlussgrade. Vielmehr blieben sie in enger Verbindung

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mit anderen aus ihrer Heimatregion und lernten kaum mehr als grundlegende Lateinkenntnisse. Trotzdem half auch ihnen ihre Auslandserfahrung und das dort Gelernte, nach ihrer Rückkehr eine Anstellung, etwa als Schreiber in einer Kanzlei, zu finden (Schwinges 1981/2008). Einfache Versorgungsaussichten für viele und förmliche Karrierechancen für einige waren tatsächlich starke Argumente, um zu einer Studienreise aufzubrechen und am Ende wieder zurückzukehren. Nur für wenige einzelne führten außerordentliche Umstände zu herausragenden Karrieren im Ausland, als Universitätslehrer beispielsweise oder als hoch angesehene und gut bezahlte Bedienstete in Städten oder an Höfen. Diese Möglichkeit bot sich für Säkularkleriker und, soweit die Städte betroffen waren, für Bürgersöhne, wenn sie in der Lage dazu waren, ihren Studienaufenthalt zu finanzieren und die Examina an der Universität abzulegen. Während des Studiums fanden sie Kontakt zu anderen Studenten aus einflussreichen stadtbürgerlichen Familien, die oft mit ihrer Heimatregion in Verbindung standen. Nach Abschluss ihrer Studien konnten sie sich dann um eine Anstellung als Syndicus oder Stadtphysicus in anderen Städten der Region bewerben und wurden durch ihre an der Universität aufgebauten Kontakte dabei unterstützt. Als professionelle, gelehrte Bedienstete genossen sie hohes Ansehen, erhielten ein gutes Einkommen und konnte oft sogar in die Ratsfamilien vor Ort einheiraten. Eine derartige persönliche, professionelle und soziale Karriere belegt den pragmatischen Umgang mit Mobilität. Diejenigen, die diesen Weg erfolgreich bis zum Ziel gehen konnten, können als Migranten verstanden werden. Nicht wegen Problemen oder Konflikten sind sie von daheim fortgegangen, sondern wegen ihres persönlichen Wissensinteresses und ihres eigenen Karrieremanagements. Dennoch führten solche strategischen Überlegungen nicht notwendig zum Erfolg. Es darf nicht unterschätzt werden, dass solche Scholaren zwar mobil genug waren, ihren neuen Platz in einer anderen Stadt zu finden, ihre Anstellung aber sehr häufig doch in der eigenen Region suchten und fanden. Deutsche Scholaren beispielsweise gingen nach Frankreich und Italien zum Studium, kamen dann aber zurück um in ihrer eigene Gesellschaft zu bleiben. Französische und italienische Studenten verließen ihrer Länder nicht im gleichen Umfang zu Studienzwecken.

5 Zusammenfassung Gelehrte und Studenten auf der Suche nach Wissen sind außergewöhnliche Beispiele für individuelle wie kollektive Mobilität und sogar für die Bereitschaft zur Migration. Aber je mehr Details über sie bekannt sind, desto eher wird ersichtlich, dass nur eine sehr geringe Zahl von Scholaren eine möglicherweise erfolgreiche Migration anstrebte und erreichte und für längere Zeit in der Ferne blieb.

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Händler und Exilierte 1 Händler „Der Reisende, der Stapelnde und der Exportierende, so die drei Kaufmannstypen“: Diese Unterscheidung findet sich im Buch Die Schönheit des Handels des Abu al-Fadl Jaʾfaribn aus Damaskus, dem ältesten bisher bekannten Handbuch zur Handelspraxis (Abu al-Fadl Jaʾfaribn ʿAli Al-Dimishqui, The beauties of commerce and of cognizance of good and bad merchandise and of falsifications, in: Robert S. Lopez  / Irwing W. Raymond [Hrsg. und Übers.], Medieval Trade in the Mediterranean World. Illustrative Documents. With a foreword and bibliography by Olivia R. Constable. New York 2001, 24–27, hier 24). Der erste ist der reisende Händler, in den frühmittelalterlichen Quellen eher spärlich belegt; im Gegensatz zu muslimischen Autoren berichten christliche von ihm eher mit abschätzigem Urteil über jegliche gewinnbringende Tätigkeit. In seinem Quellenüberblick vom 8. bis 9. Jahrhundert macht McCormick nur 19 Individuen aus; trotz dieser geringen Anzahl erlauben ihm neue archäologische Quellen und die Zusammenführung von Einzeldaten, ein frühmittelalterliches Netzwerk im Nah- und Fernhandel mit intensiver Bewegung von Händlern und Gütern zu rekonstruieren (McCormick 2007: 242). Die Untersuchung dieser ,Systeme‘ förderte die Konzentration von Kaufleuten in einigen Verdichtungszonen in Italien und dem Frankenland zutage, vor allem entlang der großen Ströme wie dem Rhein und an geographischen Knotenpunkten in Verbindung mit jenseits liegenden Wirtschaftsräumen: Skandinavien und den Britischen Inseln im Nordwesten, den slawischen Völkern mit den bulgarischen und byzantinischen Kaiserreichen im Südosten, dem muslimischen Spanien im Südwesten. Neue ,trading worlds‘ waren im Entstehen (McCormick 2007: 573). Von der Nordsee erreichten Wikinger Irland im Westen und das Kaspische Meer im Osten; die Bulgaren nutzten die Wiederaktivierung der Routen entlang der Donau auf dem Balkan, aber vor allem innerhalb der muslimischen Sphäre erlebten weitverbreitete Wirtschaften neuen Aufschwung. Diese „Explosion“ ergab sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Komponenten: Expansion zur Zeit der orthodoxen Kalifen, Nordverlagerung in der Zeit der Umayyaden, Höhepunkt unter den Abbasiden (750), Verlagerung von Syrien zum Irak und Wiederbelebung Bagdads (762) an der Kreuzung großer Fluss- und Überlandrouten (Heck 2006). Im 8. Jahrhundert hatten sich diese „Handelswelten“ bereits überlappt, Verbindungen zwischen weitentfernten Regionen und Ökonomien ,vorindustriellen‘ Zuschnitts. Das Anwachsen der europäischen Wirtschaft erreichte den Gipfel vom 11. bis 14. Jahrhundert, in der älteren Forschung als ,Handelsrevolution‘ bezeichnet (Lopez 1971). Die Produktionszunahme begünstigte Ausbreitung und Intensivierung des internationalen Austauschs, wenngleich

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mit qualitativen und quantitativen Unterschieden. Ein entscheidender Impuls rührte von den Kreuzzügen her: Mit der Umleitung des 4. Kreuzzuges gegen Konstantinopel gewannen die Westeuropäer Zugang nach Asien hin. Diese Bewegung und das Ende der mongolischen Invasionen erlaubten ihnen, die Grenzen der eigenen Hemisphäre zu überwinden und sogar Beijing zu erreichen. Genuesen und Venezianer schlugen im Westen gegen Ende des 13. Jahrhunderts die Nordroute nach England ein, in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts diejenige bis nach Brügge. Auf diese Weise wurde eine Verbindung zwischen dem Mittelmeerraum und dem Machtbereich der Hanse im Norden geschaffen. Der Zusammenbruch der Samaniden (837–999) in Chorasan / Transoxanien und die Missionierung in Schweden und Norwegen brachten skandinavische Kaufleute dazu, sich entschlossener Zentral- und Westeuropa zuzuwenden. Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts übten Mitglieder der Hanse Fernhandel von der Zuijdersee bis zum Baltikum (Estland und Litauen), im Norden von Visby entlang einer Luftlinie Köln, Erfurt, Krakau, d. h. in einem Einflussgebiet in Nordeuropa bis Nord-Westrussland im Osten, Flandern und England im Westen (Hammel-Kiesow 2008). Im Frühmittelalter war die Unterscheidung zwischen Kaufleuten, Diplomaten und Pilgern fließend: ein Beispiel dafür Samo, ein fränkischer oder slawischer negucians, der sich zu Beginn des 7. Jahrhunderts mit anderen negutiantes bei den Wenden niederließ, um mit ihnen Handel zu treiben. Er nahm an ihrem Aufstand gegen die Awaren teil und stach durch seine utilitas so hervor, dass er sogar ihr König wurde. Samo könnte aber auch ein Abgesandter des Merowingerkönigs Dagobert gewesen sein: Handel mit dem Barbaricum besaß dazu politische Natur, oft mit Waffen verbunden, und die Stützpunkte der Kaufleute in terra sclavorum konnten strategisch als Brückenköpfe für weitergehende politische Beziehungen dienen (Pohl 2002). Spätere Quellen bestätigen die diplomatischen Funktionen dieser HändlerReisenden: Im Jahr 809 nahm der dänische König über Kaufleute Verhandlungen mit Karl dem Großen auf, und 140 Jahre später konnte ein „reicher Kaufmann aus Mainz“ als Gesandter Ottos I. am Hof Konstantins VII. Porphyrogennetos wirken. In den folgenden Jahrhunderten übernahmen Kaufleute diplomatische Aufgaben innerhalb und außerhalb des christlichen Westens und wurden so eigentliche Funktionsträger der Beziehungen zwischen den verschiedenen Kulturen. Wenn die Sunna sie „Gesandte in dieser Welt und Gottes Treuhänder auf der Erde“ nannte, begann später auch die christliche Wirtschaftsethik, den guten Händler als ,Glaubensboten‘ unter den Ungläubigen zu betrachten. Berühmtes Beispiel für diese Auffassung ist Marco Polos Vater Nicolò, der nach seiner Reise durch Asien und dem Aufenthalt bei Khubilai Khan mit seinem Bruder Matteo zum Gesandten des Kahns am Papsthof wurde, mit dem Auftrag, gelehrte Kleriker zur Evangelisierung der Mongolen zu schicken. Andererseits berichtet Marco Polo von einem Zusammentreffen in Perlak (am südlichsten Punkt von Sumatra) mit zahlreichen muslimischen Kaufleuten aus Indien, die dort die lokale Bevölkerung bekehrt hatten (Schmiedchen im Druck).

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Aufnahme oder Ablehnung richteten sich jeweils nach den labilen Beziehungen zu Lokalautoritäten und Bevölkerung. Gleichzeitig konnten auch Kaufleute aggressives Verhalten als Plünderer und Abenteurer zeigen. Nach Henri Pirenne stellte der schon erwähnte Samo ein herausragendes Beispiel dieser roving creatures („vagabundierenden Kreaturen“) dar, „halb Händler halb Pirat, ähnlich wie arabische Kaufleute, die auch heute noch Vermögen zusammenrafften, häufig unter der afrikanischen Negerbevölkerung“. Dieser „harte und erfolgreiche Bandit“ sollte aber nicht als „Vorgänger der späteren Kapitalisten betrachtet werden. Handel war nach seinem Verständnis und seiner Praxis mit Plünderung vermischt, und wenn er den Gewinn liebte, dann nicht auf Weise eines Geschäftsmannes, sondern vielmehr wie ein primitiver Eroberer, bei dem gewaltiger Appetit die Stelle von kühler Rechnung einnahm“ (Pirenne 1914: 498). Diese Beurteilung, von der ideologischen und rassistischen Konnotation abgesehen, besteht noch heute und ließe sich anwenden auf einen bestimmten Typ von Handel in Verbindung mit Kriegsführung und Beutemachen; z. B. verbanden die Genuesen in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts bei ihrer Auseinandersetzung mit Venedig den offiziellen Kampfauftrag der Kommune als Schiffskommandeure mit privaten Leihverträgen ad usum cursi und commendaciones zum negociare in presenti armamento. Die Aufnahme im fremden Land war Gegenstand ständiger Verhandlung und musste immer wieder neu erworben bzw. gesichert werden. Erfolg oder Misserfolg der Handelsunternehmungen hingen ab von Konnivenz, Koexistenz und Konflikt mit den Lokalgegebenheiten in Bezug auf Steuer- und Zollentrichtung, sowie von der Zusammenarbeit mit einheimischen Händlern; andererseits konnten Einzelpersonen oder ganze nationes wegen der Feindschaft Einheimischer vertrieben werden. Verschiedene Arten von Übereinkünften wurden getroffen, um fremden Kaufleuten Rechtspositionen zum Aufenthalt und zur Handelstätigkeit zu gewähren. Im byzantinischen Kaiserreich blieb eine Residenz in Konstantinopel zeitlichen und örtlichen Begrenzungen unterworfen; den Händlern waren gerade drei Monate gestattet, dazu nur im mitatón, einem Bezirk für Fremdlinge, wo auch die eigentlichen Handelsgespräche in Anwesenheit byzantinischer Behörden stattfanden. Ausschließlich Venezianer, möglicherweise auch Amalfitaner, besaßen eine gewisse Ausnahmestellung in einem engbegrenzten Raum mit Kirche, später als autonomes Stadtviertel anerkannt. Bis zum Ende des 11. Jahrhunderts beruhte ihre Geschäftsaktivität auf reisenden Händlern, die eine Art Kreisbewegung vollführten, eine saisonbedingte Reise im Ein- oder Zweijahresrhythmus mit Winteraufenthalt (Jacoby 1997). In den folgenden zweihundert Jahren vergrößerte sich diese Migrationsbewegung, und zwar nach Zunahme des Seehandels: Erhöhung der Frequenz und des Warenumfanges, neue materielle Infrastrukturen und juristische Handelserleichterungen förderten eine ,lineare‘ Migration. Die Privilegien nach 1082 begünstigten die Ansiedlung in Konstantinopel; die venezianische Gemeinde erhielt eine Backstelle, mehr Verkaufsräume am Goldenen Horn, einen offiziellen Bezirk (fondacum) und drei Landungsstege, welche die Errichtung einer ständigen Siedlung im Hafengebiet erleichterten; dazu kam das Recht, an

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verschiedenen Stellen der übrigen Küste Handel zu treiben. Im Jahre 1178 betrug die Anzahl der Venezianer etwa 20.000 Personen, von denen sich allein die Hälfte in Konstantinopel aufhielt. Mit den Kreuzzügen und der Gründung der sogenannten Lateinischen Staaten nahmen Siedlungen und Stadtquartiere im Heiligen Land zu, von manchen Historikern ,Kolonien‘ genannt. In Akkon bestanden verschiedene, voneinander unabhängige Jurisdiktionen, oftmals untereinander zerstritten, so etwa im Sabas-Krieg zwischen Genuesen und Venezianern. Nach dem Zusammenbruch des lateinischen Kaiserreichs von Konstantinopel 1261 zogen die Genuesen dort bei Privilegien mit den Venezianern gleich, sie gewannen sogar Zugang zum Schwarzen Meer und entwickelten einen imponierenden internationalen Handel bis zu den Mongolen; so konnten weitgehend von der Mutterstadt autonome ,Kolonien‘ entstehen – ab 1318 wurde Pera eine Art Klein-Genua mit einem eigenem Podestà. Die Unterscheidung zwischen umherreisenden Kaufleuten und sesshaften Kolonisten fällt schwer, da sie untereinander technisch und juristisch nicht klar abgegrenzt erscheinen. Viele venezianische Emigranten, auch solche mit ständigem Aufenthalt im Oltremare, identifizierten sich weiter mit ihrer Herkunftspfarrei. In einigen Fällen brachte der Wunsch nach einer stabilen und dauerhaften Kooperation Mitglieder derselben Familie dazu, einen ganz besonderen Hafen als Niederlassung zu wählen, während in anderen Fällen Familien locker über den Osten des Mittelmeers verteilt waren. Die Migrationsbewegung umfasste auch die Geistlichkeit. Cerbano Cerbani, ein gebildeter Kleriker, der wiederholt den Orient bereiste, entwarf in seiner Translatio S. Isidori zwischen 1125 und 1133 das lebhafte Bild eines gattus, d. h. einer besonderen Galeerenart, durch die ein presbyter gatti (der Priester des Schiffes), der nauclerus (ein Verwandter dieses Priesters) und einige Nachbarn befördert wurden. So stellte sich das Schiff gleichsam als Projektion des Familien-Pfarreihorizonts dar: An Bord leitete der presbyter de navi seine Herde und erhielt dafür seine Entlohnung (suam sortem). Wenn die Beziehung mit der ursprünglichen Pfarrei gelockert war, sprangen andere Kirchen ein und sorgten für Seelsorge und finanziellen Ausgleich, von daher kamen sie manchmal in Konflikt mit dem Diözesanbischof des Herkunftslandes. Die kirchlichen Bande hielten die Verbindung zur Heimat mit einem gewissen Zugehörigkeitsgefühl aufrecht; damit ließen sich auch Waren, heimische Maße und Gewichte beibehalten und die anfallenden Tagesgeschäfte verrichten. Die Translatio S. Nicolai erwähnt eine Vereinbarung während des ersten Kreuzzuges, die den Venetici für jede Stadt, die von den Francigenae erobert wurde, eine Kirche mit einem Vorplatz garantierte, groß genug für die Anlage eines Marktes: Im Lebenshorizont eines Venezianers außerhalb Venedigs blieben Kirche, Markt und Marktplatz untrennbar miteinander verbunden. Obwohl Emigranten enge Beziehungen mit Verwandten im Heimatland unterhielten, heirateten manche von ihnen im byzantinischen Kaiserreich doch griechische Frauen und erwarben Eigentum außerhalb ihres Quartiers. So entstand eine Klasse von Expatriierten mit eigener Lokalbürokratie, die für die Heranbildung eines subsidiären Netzwerkes sorgte, zunehmend unabhängig vom Ursprungsland. Ein Element

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zur Besserung der Handelsbedingungen bestand in der ,Naturalisierung‘, wenn auch vorerst rein formal. In Venedig konnte ein Resident jeweils nach 10, 15 und 25 Jahren je nach Einwanderungspolitik civis werden, der sich bedeutender ökonomischer Vorteile erfreute. Ausländer entrichteten höhere Abgaben und waren von bestimmten Geschäftsoperationen ausgeschlossen, besonders vom Orienthandel. Deshalb blieb das Ziel die Erwerbung der Bürgerschaft de intus, die Befähigung zum Innenhandel erleichterte, und der Bürgerschaft de extra für den Fernhandel an fremden Märkten, wo Venedig bestimmte Handelsverträge abgeschlossen hatte. Königreiche und Städte verfolgten eine Handelspolitik zugunsten ihrer Bürger: Am Beginn des 15. Jahrhunderts empfahl der Florentiner Piero Tecchini einem Freund zu erklären, dass Transitwaren durch die katalanisch-aragonische Zollstelle seine eigenen seien, da die neue Staatsbürgerschaft ihn von der Besteuerung der Italiener (dret dels italians) ausnehme (Soldani 2009). Aus ähnlichen Gründen trieben viele Toskaner, obwohl in Siena, Florenz und S. Gimignano niedergelassen, Überseehandel unter pisanischer Flagge und genossen so die Vorteile zum Schutz, die fremde Regierungen pisanischen Bürgern gewährten. Vom 13. Jahrhundert an wurden Privilegien nicht länger einer ganzen Gruppe (natio) gewährt, sondern einzelnen Händlern: Diese Tendenz zeigte sich in England, in der Dauphiné und überall, wo Herrscher an direkter Beziehung mit jenen interessiert waren, die Kapitalmassen kontrollierten. Unter muslimischer Herrschaft, speziell in Ägypten, erreichten christliche Kaufleute keine stabile Siedlung bis zum 13.  Jahrhundert, da sie hauptsächlich auf die funduqs beschränkt waren, die als Wohn- und Warenniederlassungen fungierten. Der dārmānak in Kairo am Ende des 11. Jahrhunderts und die speziellen fondachi des 12. Jahrhunderts glichen weitgehend dem byzantinischen mitatón; die Oberleitung lag in den Händen des jeweiligen Herrschers, sah einen deutlich umschriebenen Rahmen für den zeitlichen Aufenthalt der lateinischen Kaufleute vor und institutionalisierte so deren Wohn- und Sozialtrennung. Erst vom Ende des 12. Jahrhunderts an wurde die hauptsächlich aus Kaufleuten und Faktoren bestehende Bevölkerung stabiler durch die Gründung von neuen fondachi, die Anlage von außerhalb liegenden Kirchen und Bädern, die Einrichtung von Verwaltungs-, Fiskal- und Jurisdiktionsautonomie mit Konsuln und Offizialen. Viele Rechtstexte beschränkten die Residenz von nichtmuslimischen Händlern auf vier, sechs, zwölf Monate, und die Bewegungsfreiheit außerhalb der fondachi war einer strikten Kontrolle unterworfen – in der täglichen Praxis ließen sich aber die restriktiven Vorschriften wohl kaum konsequent aufrechterhalten. Die Begrenzung auf den fondaco behinderte entscheidend die demographische und soziale Verankerung. Einige Kaufleute verbrachten dort mehrere Jahre, generell war aber die lateinische Bevölkerung einer beständigen Fluktuation unterworfen – von daher können die fondachi nicht als permanente ,Kolonien‘ wie im Byzanz und im lateinischen Osten angesehen werden (Jacoby 1997). Um die Ostsee herum versuchten Kaufleute, Sicherheit und ökonomische Vorteile gegenüber Mitbewerbern zu erlangen, indem sie sich in Gilde und „Hanse“ organisierten – der Terminus bezeichnete erst spät eine Organisation von Städten und

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Händlern der niederdeutschen Area. Der Zusammenschluss war eher locker und entwickelte eigene Regularien (Aldermann mit seiner Kurie), unter denen die von Novgorod (Schra) Mitte des 13. Jahrhunderts die ersten schriftlich fixierten waren. Später erfolgte eine eher korporative Organisation in Kontoren mit weitreichender Privilegierung, die hervorragenden in London, Novgorod, Bergen und Brügge. Trotz Privilegierungen und vertraglicher Regelungen konnte der Schutz für Kaufleute vor Repressalien nicht immer gewahrt werden. Schon 787/791 verlangte Karl der Große von Papst Hadrian I., venezianische Kaufleute aus Ravenna und der Pentapolis auszuweisen; ebenso ließ Manuel I. Komnenos sie 1171 arretieren und ihr Vermögen in Beschlag nehmen. Andererseits gab 1360 die venezianische Regierung den Befehl zur Ausweisung Nürnberger Kaufleute als Vergeltung für die Konfiszierung einiger Waren in der deutschen Stadt. Vertreibungen konnten auch ganze Bevölkerungsgruppen umfassen: in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurden Italiener (Lombardi) aus finanziellen Gründen im Zusammenhang mit der englischen Thronkandidatur für Sizilien in der Staufernachfolge aus dem Königreich England vertrieben; 1269, vier Jahre nach ähnlichen Maßnahmen in Barcelona, verwies der König von Aragón alle Handelskompanien mit Sitz in Siena, Florenz, Piacenza und Lucca aus dem Königreich Mallorca; um 1300 verhängte Philipp der Schöne Repressionen gegen italienische Kaufleute unter dem Vorwand des Wuchers, ähnlich auch in seiner Auseinandersetzung mit Bonifaz VIII. bei der Unterdrückung des Templerordens. Die ,Handelsrevolution‘ wurde nicht nur in den Abenteuer-Kaufleuten verkörpert, die neue Märkte entdeckten und entwickelten, sie leitete auch neue Wege ein, wie Risiken zu beschränken und Effizienz zu steigern. Ihr Höhepunkt lag in der Geschäftsorganisation, durch die der Firmenchef von einem festen Ort aus seine Geschäfte in den Filialen mithilfe fast täglicher Kommunikation überblicken und leiten konnte. Partnerschaft erlaubte ihm, im großen Stil Kapital zu akkumulieren und Handel zu treiben durch vertrauenswürdige Repräsentanten und Niederlassungen von London über Brügge, Paris, Venedig bis hin zum östlichen Mittelmeer. Die frühe Organisation durch Verwandtschaft konnte dann auch Nicht-Familienmitglieder umfassen, so wie die ursprünglich korporative Partnerschaft zu einer Agglomeration von mehreren Partnerschaften werden konnte – darunter die bekannte des Francesco Datini, die im 15. Jahrhundert nach der älteren Forschung von Raymond de Roover in eine Art holding aufging. Zur Blütezeit der Bardi, Peruzzi und Acciaiuoli wurden Agenten von den korporativen Partnerschaften verpflichtet, die Geschäfte an den Orten zu führen, an denen keine eigenen Zweige bestanden: Sie blieben ständig in der Fremde, konnten leicht von einer Kompanie zur anderen wechseln und für mehr als eine gleichzeitig arbeiten. Der Agent, ein unabhängiger Kaufmann mit Residenz im Ausland und in der Funktion eines gleichsam modernen ,brokers‘, wurde ein richtiger Profi, wie englische Zeugnisse für einen florentinischen Agenten, Paolo Morelli (gest. 1448), über dreißig Jahre hinweg belegen (Goldthwaite 2009). Innerhalb der Firmen herrschte hohe Mobilität: Angestellte reisten von Zweig zu Zweig; junge Leute, nicht nur Söhne und Verwandte der Partner, wurden zwischen ihnen hin und her geschickt, um unter-

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schiedliche Erfahrung zu sammeln, eigene Verantwortung zu übernehmen und so in die ,business community‘ hineinzuwachsen. Giovanni Morelli empfahl: „Schau mit eigenen Augen Land und Leute an, dort, wo Du Handel treiben willst“, und Gregorio Dati urteilte hart: „Der Kaufmann, der nicht Land und Leute genau studiert hat und mit Gewinn nach Hause zurückgekehrt ist, bleibt ein Nichts“ (Goldthwaite 2009: 85). Nach der letzten Untersuchung von Goldthwaite hatte dieses Netzwerk keine institutionelle Struktur (Goldthwaite 2009). Um Handels- und Rechtsstreitigkeiten zwischen Mitgliedern beizulegen und als Kollektiv mit den Lokalregierungen zur Festschreibung von Rechtsstatus und Privilegierung zu verhandeln, organisierten sich die Residenten fern der Heimat in nationes. Die Entscheidung, eine natio zu bilden, konnte durch die ortspolitische Situation vorgegeben sein, aber auch von der Existenz einer Bruderschaft mit einer eigenen Kapelle oder einem charakteristischen Kult herrühren (z. B. dem des Sacro Volto der Luchesen in Brügge), die gegenseitige Hilfe verschaffte und religiöse Aktivität organisierte. Anders als Handelsgemeinschaften im Mittelmeer (etwa wie die der jüdischen Kaufleute, der sogenannten Radhaniten) (McCormick 2007), deckte sich die Nation weder mit einer spezifisch ethnischen Gruppe noch war sie durch religiöse und kulturelle Unterschiede von anderen abgetrennt. Wenn überhaupt, ragten Florentiner (wie die ,Lombardi‘ vorher) als „Gruppe“ durch ihre Finanzkraft hervor, sie erhielten entweder spezielle Privilegien oder konnten auch als usurarii unter dem Vorwand des Wuchers verfolgt werden. Nur eine Minderheit erreichte eine neue Bürgerschaft, vor allem unter den großen Bankleuten, die mit einem Hof verbunden waren; ebenso gering blieb die Anzahl derjenigen, die einheimische Frauen heirateten, in die Lokalpolitik einstiegen und vor Ort verwurzelt waren – vielleicht mit der Ausnahme von Lissabon, wo viele Händler aus Florenz, im Überseehandel engagiert, den Ruf hatten, eher portugiesisch als florentinisch zu sein.

2 Exilierte Im Mittelalter lässt sich der Begriff Exil auf vielfältige Formen von Exklusion anwenden, ,unwiederbringlich‘ oder in Ort und Zeit begrenzt, verbunden mit Strafe und Ausgrenzung: Verlust von Heimat und religiöser Gemeinde durch Bann und Exkommunikation, freiwilliger oder erzwungener Eintritt ins Kloster, als eine Art Absonderung von der Welt oder Ausschluss eines Aussätzigen aus Angst vor Ansteckung (Napran  / Houts 2004). In der Nachfolge klassischer, biblischer und patristischer Tradition wurde Exil oft interpretiert als xeniteίa um Christi Willen, als vorwiegend herumziehende und missionarische Berufung, und auch als peregrinatio, eine mühevolle Reise zur Selbstreinigung, ein Zustand, weit entfernt von Heimat auf der Suche nach einer zukünftigen Stätte, verstanden in einem metaphorischen Sinne als Suche nach dem Jenseits, der ewigen Heimat im Himmel.

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Einer Exilerfahrung waren sowohl Laien als Kleriker ausgesetzt. Texte von Geistlichen erscheinen schon in den frühmittelalterlichen Quellen: nach Boethius auch Alkuin, Theodulf von Orléans und Rather von Verona (gest. 974), der mit rhetorischer Emphase seine armselige Lage in Briefen und Büchern stilisierte. Angeblich tat Papst Gregor VII. 1085 vor seinem Tode in Salerno den Ausspruch: Dilexi iusticiam et odivi iniquitatem, propterea morior in exilio („Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Unrecht gehasst, darum sterbe ich in der Verbannung“); einige seiner Nachfolger mussten Rom wegen eines Schismas (Alexander III.) und aus allgemein- oder stadtpolitischen Gründen verlassen (Eugen III., Innozenz IV., Eugen IV.). Auch die offizielle Verlegung der Kurie nach Avignon (1309–1376/77) wurde in der zeitgenössischen italienischen Polemik als eine Gefangenschaft interpretiert und mit dem Exil der Juden in Babylon nach dem Alten Testament verglichen. Exil aus politischen Gründen involvierte auch Könige und Königinnen, etwa Kaiser Heinrich IV., König Enzo von Sardinien, Johanna I. von Neapel und den späteren König Heinrich IV. von England. Im Osten traf das Exil die Paläologen und andere Herrscher, Laien- und kirchliche Hierarchen in den lateinischen Königreichen nach dem Fall von Akkon 1291, Orthodoxe und Katholiken nach der osmanischen Eroberung von Konstantinopel 1453 – unter ihnen ragt Kardinal Bessarion hervor. Politischer und religiöser Dissens nahm manchmal die Form von wirklichem oder innerem Exil an, wie im Fall von ,Häretikern‘ (Arnold von Brescia) und Gelehrten wie Duns Scotus, Wilhelm von Ockham und Marsilius von Padua, der erste von der Universität Paris nach Oxford 1303, die beiden anderen gemeinsam an den Hof Kaiser Ludwigs des Bayern. Nach dem Scheitern einer Verschwörung in Bologna 1389 wurden einige Professoren ausgewiesen: Giacomo Isolani, Riccardo und Roberto da Saliceto nach Mailand, Antonio da Butrio nach Ferrara, wo er zur Gründung der dortigen Universität beitrug; dasselbe Beispiel während des Großen Schisma 1378 bei Heinrich von Langenstein, der als Anhänger Urbans VI. von der Pariser Universität vertrieben, die theologische Fakultät an der Universität Wien mitzugründen half. Dreißig Jahre später flohen deutschsprachige Studenten und Lehrer aus Prag an die im selben Jahr gegründete Universität Leipzig – nach dem Tode des Jan Hus in Konstanz (1415) wurden nicht-hussitische Mitglieder von der Universität vertrieben. Inneres Exil und Randständigkeit kann auch einigen überzeugten Vertretern der Konzilsbewegung nach dem Scheitern des Konzils in Basel-Lausanne zugestanden werden, wie dem Kardinal Juan de Segovia, der sich in das Priorat Ayton zurückzog – der ,Gegenpapst‘ Felix V. starb als Kardinal in seiner Residenz Ripaille am Genfersee. Paradoxerweise beruhen viele nationale Gründungsmythen des Mittelalters auf Exilnarrativen, so wurden trojanische Ursprünge für ganze Völker (Ostgoten, Franken, Normannen) und Städte (z. B. Rom, Venedig, Padua, Verona) imaginiert (Staub 2012: 208). Beim Exil sind also verschiedene Analyseperspektiven möglich – politische, philosophische, religiöse, literarische und psychoanthropologische, abgesehen vom auf der Hand liegenden juristisch-politischen Zugang: das Exil als zeitlich eingeschränkter oder andauernder Bann, verhängt für allgemeinschädigendes Verhalten

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und politische Taten. Unter dieser vorwiegend technischen Definition war der Ausschluss ein flexibles Mittel gegen Totschläger, Münzfälscher oder politische Gegner, von daher sollte er im Rahmen von Gewalt, Sozialordnung und Machtausübung nicht unbedingt als ,Dysfunktion‘, sondern als Funktion der Politik betrachtet werden (Di Giannatale 2011). Im Italien der Kommunen und Signorien wurde der Exilzustand keine Ausnahmesituation, sondern alltägliche Praxis, oft gleichsam institutionalisiert durch die juristische Festschreibung und in der politischen Theorie des buon governo, in Verbindung mit der Stilisierung zum ,Feind der öffentlichen Ordnung‘; dessen Bild änderte sich im Laufe des 13. Jahrhunderts zum Mitglied einer organisierten Gruppe, die der Guelfi und der Ghibellini, der Magnaten und der Popularen. Exilierung hatte einen tiefen Einfluss auf das politische Leben, die sozialen Bedingungen und wirtschaftlichen Aktivitäten in zweifacher Weise: einmal auf die Heimat der Exilierten, dann den neuen Ort ihrer Aufnahme. Exilanten übersiedelten selten allein; sie hatten häufig schon Kontakte und Zusammenarbeit mit dem aufnehmenden Ort angeknüpft. Diese Kooperation konnte auch militärischer Art sein: Ganze Gruppen von banditi ließen sich in Zufluchtsstädten nieder, z. B. siedelte ein Teil der Ghibellinen aus Parma in das nahe Piacenza über, ebenfalls die Lambertazzi 1274 von Bologna nach Imola, weiter dann nach Florenz und schließlich 1298 nach Padua; ab 1313 fanden Mitglieder der sog. Bianchi-Partei aus der Toskana in Pisa Zuflucht. Exilanten schufen für gewöhnlich Gesellschaften, Bruderschaften oder andere institutionelle Strukturen, die Verbindung untereinander bestärkten oder für die Schlichtung interner Probleme sorgten. Sie schlossen auch oft Ligen, um zur selben Partei Gehörende zu vereinen; die in der Schlacht von Meloria 1284 gefangenen Pisaner, für mehrere Jahre in genuesischen Kerkern gefangen und de facto Exilanten, gründeten eine Universitas carceratorum Pisanorum Janue Detentorum mit Statuten, Personal und sogar eigenem Siegel. Eine ähnliche Einrichtung schufen die Toskaner nach den Proskriptionen von 1302, indem sie eine eigene Kompanie mit 600 banniti und Flüchtlingen gründeten, alliiert mit expatriierten Ghibellinen; 1305 wurde diese Kompanie eine Föderation mit einem Kapitän an der Spitze. Jahrzehnte später ließ sich die aus Lucca und Florenz vertriebene Partei der Bianchi in Pisa nieder und gründete die Universitas exitiorum de Luca, darunter zwei Familien mit dem Privileg zur Stellung von Notaren und Richtern. Manchmal wurden die Führer der Exilanten vor Ort von Verbündeten aufgenommen, mit denen sie schon Geschäftsbeziehungen oder Heiratsverbindungen hatten, Voraussetzungen für eine strukturelle Assimilation (Heers 1997). Exilierte mit Militärerfahrung konnten kleinere, umherziehende Einheiten zum Dienst bei einem Fürsten bilden, auf See das Piratenhandwerk verrichten oder Hilfe und Arbeit auf dem Weg von einer Stadt zu anderer suchen. Auch taten sich neue Räume für Handel und finanzielle Aktivitäten auf: Händler und Finanziers ließen sich in Städten nieder, wo sie Unterstützung und schon Geschäftsverbindungen genossen, nach Frankreich, England und ins übrige Italien. Die von Florenz 1276 vertriebenen Ghibellinen und später die Bianchi, 1302 verbannt, eröffneten Banken in Venedig

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(Goldthwaite 2009), Istrien und im alpinen Raum, indem sie sich unter den Schutz toskanischer Finanziers begaben, die schon dort arbeiteten – schätzungsweise nahmen im 13./14. Jahrhundert mehr als zweihundert Familien aus der Toskana ihren Aufenthalt in Friaul. Andere Geldleiher aus der Toskana wurden in Verona tätig: 1406 konnte Michele Benini, selbst Exilant, schreiben: Quella terra è più che mezza di Fiorentini veri, cioè nati di Fiorentini per padre e per madre. Nach der Rückkehr der Medici aus dem Exil 1434 wurde eine Anzahl mächtiger Handelsfamilien verbannt. Die Frescobaldi gingen nach Vannes, Rennes, Rouen, Brüssel und Castres; die Strozzi, die sogar im Exil ein beeindruckendes Vermögen ansammelten, etablierten eine mächtige Handelsgesellschaft und ein weites Bankennetzwerk um die Hauptniederlassungen in Neapel, Rom und Brügge. So konnten sie auch mit Hilfe von Banken in Florenz ihre Interessen wirkungsvoll verteidigen; die wohlbekannte Korrespondenz der Alessandra Macinghi Strozzi belegt den ständigen Briefkontakt zwischen den Verwandten und die Unterstützung, die damit den exilierten Söhnen gegeben werden konnte; sie gewannen in Neapel das Vertrauen des aragonesischen Herrschers, indem sie ihm Geld zur Verfügung stellten. Die dortige florentinische Gemeinde behandelte sie nicht als Ausgestoßene: Sie konnten regelmäßig die Pfarrkirche der Toskaner besuchen und sogar den Gesandten bei Hof vorgestellt werden. Verbannung durch die verschiedenen Generationen der Medici war also anderer Art als in der vorhergehenden Zeit, nicht das Ergebnis eines Sieges einzelner Parteiungen, sondern eher einer Konkurrenz aristokratischer Familien, mit wechselnden Allianzen und Abkommen. Auch Handwerker erlitten manchmal Vertreibung, wie die Seidenweber (setaioli) von Lucca: Unter den Exilanten der Jahre 1307–1314 waren sie zahlreich vertreten, etwa 3200 Familien mussten nach Venedig umsiedeln. Ihr Exil wurde ein permanentes: Sie profitierten von Privilegien sowie von anderen Vorteilen und erreichten so eine leichtere Integration. Ihr Zusammenhalt speiste sich nicht nur von der massiven Emigration und beständigen Kontakten mit der Heimat, sondern aus ihrer ökonomischen Aktivität. Die Identifikation wurde durch Institutionen stimuliert, die häufige Kontakte innerhalb der Emigranten herstellten: Die Kommunität in der Fremde organisierte sich beruflich in einer festgefügten Seidengilde (arte della seta), in der zweimal die Woche eine Versammlung (curia) Kontroversen schlichtete und die Durchführung von Regularien, den Herstellungsprozess und die Qualität des Produkts beaufsichtigte. Nach dem endgültigen Verzicht auf eine Rückkehr in die Heimat wurde 1360 eine Bruderschaft (schola) gegründet, die später Kapelle und Hospiz errichtete (Clarke 2002). Mit der massiven Vertreibung nach der Niederschlagung der Ciompi-Revolte 1382 fand eine Anzahl von Florentinern, darunter mächtige Familien wie die Alberti, Zuflucht in Venedig und Padua; vor allem diejenigen mit Familien- oder Geschäftsbeziehungen wollten nach dem Chioggiakrieg von den Bemühungen der venezianischen Regierung profitieren, Emigranten mit Kapital zur Investition in Manufakturen und Handel anzuwerben. Obwohl nur oberflächlich assimiliert, erlangten sie schnell die venezianische Bürgerschaft, doch ihr Bezugshorizont blieb eigentlich florenti-

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nisch und zögerlich bei struktureller Assimilation. Geschäftsbeziehung mit lokalen Autoritäten war leicht hergestellt, persönliche Verbindung – Freundschaften und Ehen – auf die Exilantengruppe beschränkt. Ebenso verhielten sich ihre religiösen Praktiken: Viele wählten ihre Beichtväter unter dem sich in Venedig aufhaltenden florentinischen Klerus. Genauso gingen die florentinischen Exilanten nie in einer einzigen Kommunität auf, sondern assoziierten sich nur mit ebenfalls expatriierten Landsleuten ähnlichen Hintergrunds und sozialen Status – ein Fall von eth-class, eine Gruppe gleichen Ursprungs und gleichen Rangs. Belege für eine florentinische Bruderschaft vor 1435 fehlen, also bestanden keine ,Nationalinstitutionen‘ unter Einschluss von Emigranten aller Rangstufen. Auch die rein räumliche Zerstreutheit im Stadtgebiet von Venedig legt eingeschränkte Kontakte untereinander nahe, mit einer eher strikten Trennung zwischen den sozialen Sphären (Clarke 2002). Familie, Besitz und verschiedene Verpflichtungen trugen dazu bei, Verbindungen mit dem Herkunftsland beizubehalten: Kommunikation mit den Verwandten, Geschäftsaktivitäten und, wenn möglich, persönlicher Besuch, zusammen mit spezifischen Normen zur Kontrolle der Exilierten, all das verlangte gelegentliche Kontakte mit der Heimat. Im späten 14. Jahrhundert nahmen einige Exilanten an Anschlägen auf das in Florenz herrschende Regime teil und drückten so ihren Unmut gegen den andauernden Ausschluss von der Stadtgemeinde aus. Trotz der in die Länge gezogenen Residenz in der Fremde, der Integration innerhalb ihres Geschäftssystems und vielleicht des Scheiterns der Versuche, das Florentiner Regime nach 1382 umzustürzen, entstand sogar bei den äußerst widerwilligen Expatriierten eine zunehmende Identifikation mit ihrer neuen Heimat: Die Benini waren allmählich stolz darauf, der venezianischen Gesellschaft anzugehören; sie ließen sogar die Bezeichnung de Florentia in einer Urkunde von 1409 fallen und übernahmen stattdessen die des civis et habitator in Venedig, eine Entscheidung, die auch aus den Testamenten hervorgeht, mit Investitionen im venezianischen Herrschaftsgebiet und, unter bestimmten Bedingungen, sogar zugunsten der Signoria selbst. Ein Sonderfall ist das 18 Jahre währende Exil der Medici um 1500 (1494–1512), denn die Medici waren „keine privaten Bürger“, sondern „Herrscher“ (Tewes 2011: 3). Die Möglichkeit, im Exil zu überleben und Widerstand zu leisten bis hin zur Wiederunterwerfung der Stadt, sogar bis zum Erwerb der Papstwürde für Lorenzos Sohn Giovanni sieben Monate später, hing vom außerordentlichen Bankennetz ab, darunter den beiden ,Tarnbanken‘ in Florenz und Lyon, die wenigstens bis 1499/1500 den exilierten Medici die Überschüsse selbst aus florentinischen ,Staatsinstitutionen‘ (Zecca, Monte Comune usw.) zukommen ließen (Tewes 2011: 1115). Ihre Bankiers standen nicht nur den Medici, sondern auch dem König von Frankreich und dem Herzog von Savoyen zur Verfügung und schufen so die belastbare ökonomische Basis für politische Allianzen; die Verbindung zwischen Politik und Finanzwelt, das Netz der Vertrauenspersonen, Freunde und Alliierten wie des Kardinals Federico Sanseverino oder Philippes de Bresse, des Vertreters des Herzogs von Savoyen am französischen Königshof, verschafften den Medici Aktionsräume am Papsthof, in Urbino,

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Siena, Lucca, Mailand, Mantua und Venedig. Bisher war ihr finanzielles Netzwerk nach der Struktur Patron-Klient hierarchisch und vertikal organisiert; während der Zeit des Exils nahm es eher eine horizontale Struktur an, auf der Basis einer erweiterten Partnerschaft: Exil änderte also die Beziehungen zwischen den exilierten Signori und ihren Mitarbeitern im Innern der Bank- und Finanzkooperation. Die Vielfalt der Antworten auf Exil im Mittelalter verbietet eine Generalisierung zu Zeit, Art und Assimilations- und Selbstwahrnehmungsgrad – schon vom rein politischen Standpunkt konnte der Exilierte ausgeschlossen werden oder am politischen Spiel weiter teilnehmen. Persönliche Kontakte, Eheschließung und Formen der Verbrüderung zwischen Emigranten mit demselben ökonomischen oder politischen Hintergrund verzögerten strukturelle Assimilation. Dieselbe Wirkung ergab sich aus der Konzentration in einem spezifischen Wohngebiet, also der Anwesenheit einer Gruppe von Emigranten, nicht notwendigerweise Exilanten, die groß genug war, um ihren Mitgliedern durch Bindungen und Netzwerke gegenseitige Hilfe zu verschaffen. In der Dialektik Inklusion/Exklusion bewegte sich ihr ,Anderssein‘ zwischen double identity und double difference; Begriffe wie ,going between‘, Hybridität, Kreolisierung oder métissage könnten für weitere differenzierte Analysen von Nutzen sein. Exil schaffte einen Raum für Kreativität innerhalb verschiedener literarischer Genera, bis hin zu den Commendationes florentinae de exilio des Francesco Filelfo, freilich mit Themenund Akzentverschiebung: Das Pathos des Exils und die Diaspora als Leidensgemeinschaft klangen beispielhaft an bei Dante als pena ingiustamente, pena, dico, d'essilio e di povertate; dass Exil aber nicht notwendigerweise in Nostalgie münden musste, zeigten sein Lehrer Brunetto Latini und dessen Zeitgenosse Guittone d'Arezzo.

Literaturhinweise Andreas Bihrer / Sven Limbeck / Paul Gerhard Schmidt (Hrsg.), Exil, Fremdheit und Ausgrenzung in Mittelalter und früher Neuzeit. Würzburg 2000. Allison Brown, L'esilio a Firenze nel corso del Quattrocento, in: Fabio Di Giannatale (Hrsg.), Escludere per governare. L'esilio politico fra Medioevo e Rinascimento. Firenze 2011, 49–62. Allison Brown, Insiders and outsiders: the changing boundaries of exile, in: William J. Connell (Hrsg.), Society and Individual in Renaissance Florence. Berkeley 2002, 337–383. Simonetta Cavaciocchi (Hrsg.), Le migrazioni in Europa, secc. XIII–XVIII: Atti della “Venticinquesima Settimana di Studi”, 3–8 maggio 1993. Firenze 1994. Paula Clarke, The identity of the expatriate: Florentines in Venice in the late fourteenth and early fifteenth centuries, in: William J. Connell (Hrsg.), Society and Individual in Renaissance Florence. Berkeley 2002, 384–408. Fabio Di Giannatale, Introduzione, in: Ders. (Hrsg.), Escludere per governare. L'esilio politico fra Medioevo e Rinascimento. Firenze 2011, 1–16. Richard A. Goldthwaite, The Economy of Renaissance Florence. Baltimore 2009. Rolf Hammel-Kiesow, Die Hanse. München 42008. Gene W. Heck, Charlemagne, Muhammad, and the Arab Roots of Capitalism. Berlin 2006. Jacques Heers, L'esilio, la vita politica, la società nel Medioevo. Napoli 1997.

Händler und Exilierte 

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Karl-Heinz Spieß

Heiratsmigrationen (westeuropäische Christenheit) Könige und Fürsten warben im gesamten Mittelalter für sich selbst oder ihre Söhne um Ehefrauen aus fremden Ländern. Diese internationalen Heiraten führten zur Migration der Ehefrau mitsamt ihren weiblichen und männlichen Begleitern in das Land des Ehemannes. Es handelte sich um eine personell kleine Gruppe von fünf bis zu zwanzig Personen, die aber politisch und kulturell einflussreich sein konnte. Der wichtigste Grund für einen König, eine Ehefrau aus einem anderen Land zu heiraten, bestand in der Überlegung, dass er nur dort eine im Rang gleiche Königstochter finden konnte. Die Heirat mit einer Tochter aus einem einheimischen Adelsgeschlecht hätte zudem diese Adelsfamilie aufgewertet und damit unter Umständen die Machtbalance im eigenen Land gestört. So schließen z. B. die Könige von Dänemark konsequent einheimische Adelsgeschlechter aus und bevorzugen benachbarte Dynastien, wobei die beiden Eheverbindungen mit portugiesischen Prinzessinnen aus dem Rahmen fallen. Für einen Fürsten wiederum bedeutete die Heirat mit einer ausländischen Königstochter einen großen Prestigegewinn. So haben sich die bayerischen Wittelsbacher mit Erfolg um auswärtige Heiratsverbindungen bemüht. Berühmte Beispiele für politisch bzw. kulturell folgenreiche Heiraten aus dem Früh- und Hochmittelalter sind die Ehe des fränkischen Königs Sigiberts  I. mit der westgotischen Königstochter Brunhilde, die Ehen des nachmaligen Königs und Kaisers Ottos I. mit Edgitha von England und Adelheid von Burgund, die Ehe Ottos II. mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu oder die Heirat des deutschen Königs und nachmaligen Kaisers Heinrichs VI. mit Konstanze von Sizilien. Versucht man, die Migrationen von Ehefrauen für das gut dokumentierte Spätmittelalter über ganz Europa hinweg kartographisch für ausgewählte Königsdynastien zu erfassen, so ergibt sich ein dichtes Netz solcher Heiratsverbindungen (Spieß 2006; dort noch weitere Karten). Bei jeder internationalen Heirat traf mit der fremden Frau und ihrem Gefolge eine neue Personengruppe auf ein bestehendes soziales Bezugssystem. Auf der Ebene der königlichen oder fürstlichen Familie wurde dies vom Ehegatten, den Schwiegereltern und eventuell existierenden Kindern aus früheren Ehen des Gemahls gebildet, während das ausländische Gefolge der Fürstin seinen Platz in der neuen Hofgesellschaft finden musste, zugleich aber die Rolle als vertraute Umgebung der Ehefrau weiterspielen sollte. Der auf die Migration folgende Integrationsprozess wurde wesentlich dadurch erschwert, dass sich Braut und Bräutigam in der Regel bei der Hochzeit völlig fremd waren, d. h. sie hatten einander vorher noch nie gesehen, sprachen nicht dieselbe Sprache und entstammten unterschiedlichen Kulturkreisen. Für das Gefolge der Ehefrau war die Fremdheitserfahrung genauso groß oder sogar größer. Während ihre Herrin zwangsläufig in das familiäre Bezugssystem des Ehemannes geriet, neigte

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das mitgebrachte Gefolge dazu, sich um die Fürstin zu scharen und sich dadurch abzukapseln. Bei den internationalen Heiraten wurden demnach andere Nationalitäten nicht – wie sonst üblich – in der Form von nur zeitweilig am Hof befindlichen Ausländern wahrgenommen, sondern die Migranten gelangten in den innersten Kern des Hofes und blieben dort auf Dauer (Spieß 2004: 268 f.). Nur selten wird von den Zeitgenossen darüber reflektiert, wie sich die künftige Ehefrau nach der Emigration am neuen Hof verhalten solle. König Jaime von Aragon schrieb der mit Herzog Friedrich dem Schönen von Österreich verheirateten Tochter Isabella: „Wir bitten und ermahnen Euch, liebste Tochter, (…) dass Ihr Eurem edlen und geschätzten Herrn und Gatten mit besonderer Furcht und Liebe folgt, der Euch nicht allein als Gatte verbunden, sondern Euch auch Eltern und Freunde ersetzen soll, deshalb bemüht Euch, auch den anderen Verwandten wohl zu gefallen, damit Ihr bei allen in gutem Rufe steht“ (zit. nach: Johanna Schrader, Isabella von Aragonien, Gemahlin Friedrichs des Schönen von Österreich. [Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, Bd. 58.] Berlin / Leipzig 1915, 55). Ausführlicher ist das lateinische Memorandum, das Diomedes Carafa, ein alter Vertrauter von Beatrix von Neapel, ihr auf eigenen Wunsch 1476 auf die Reise zu ihrem Gemahl König Mathias Corvinus nach Ungarn mitgab. Schon auf der Brautfahrt solle sie ihrer Schwiegermutter schreiben, dass sie begierig sei, sie zu sehen. Die Schwiegermutter sei wichtig als Vermittlerin zwischen ihr und dem Ehemann, da es Dinge gebe, die sie nicht mit dem König bereden könne, aber mit ihr. Sie sollte sie als wahre Mutter und als Ratgeberin bei dem wichtigsten Ziel ansehen, nämlich die Sympathie ihres Mannes zu gewinnen. Sie müsse das Naturell des Königs kennenlernen und sich deshalb schon auf der Reise mit den ungarischen Begleitern vertraut machen und diese ausforschen. Nach der Ankunft solle sie ihren Mann bitten, dass er ihr Gefolge aussuchen möge. Vorausschauend erklärt Carafa, sie solle keine Aversion gegen die zeigen, die am Hof das Vertrauen und die Sympathie ihres Mannes besitzen. Man könnte nämlich daraus schließen, dass die neuangekommene Ehefrau eifersüchtig auf die Vertrauten ihres Mannes sei. Bis sie selbst Ungarisch spreche, werde es viele Probleme geben, weil sie noch nicht mit den Hofleuten reden könne. Deshalb solle sie schon auf der Reise Ungarisch lernen, doch ginge dies besser nach der Ankunft mit den Hofdamen aus dem Lande. Am Ende steht wieder die Aufforderung, sich dem Naturell des Königs anzupassen und sich mit der Heirat zufrieden zu zeigen. Ihr Ratgeber sieht voraus, dass sie mit der von den Eltern bestimmten Partnerwahl unzufrieden sein könnte und gibt ihr deshalb zu bedenken, dass so – wie sie auch einen anderen König als Gemahl hätte finden können –, auch Mathias eine andere Frau als Königin hätte haben können (Diomede Carafa, Memoriali. Ed. Franca Petrucci Nardelli. [I Volgari d´Italia, Bd. 2.] Rom 1988, 228–238). Eine Möglichkeit, die mit der Migration der Ehefrau einhergehenden Fremdheitserfahrungen zu mildern, bestand darin, sie schon als Kind in das Land ihres zukünftigen Gatten zu senden, wo sie frühzeitig die Sprache und die Gewohnheiten des Gastlandes kennenlernen konnte. Ein bekanntes Beispiel für diese Praxis ist die

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Markgräfin Barbara von Brandenburg, die 1433 im Alter von zehn Jahren an den Hof zu Mantua kam und dort mit ihrem späteren Ehemann Ludovico eine vorzügliche Ausbildung erhielt. Margarethe von Österreich, die Tochter Maximilians I., wurde schon mit drei Jahren nach Frankreich gebracht und dort als künftige Gemahlin des französischen Königs erzogen, bis sie nach einem politischen Konstellationswechsel mit elf Jahren plötzlich wieder nach Hause geschickt wurde. Das kanonische Eherecht sah den freiwilligen Konsens zu der geplanten Heirat zwingend vor, d. h. bis zur Ehemündigkeit der Brautleute blieb der Aufenthalt im Land des künftigen Bräutigams fragil. Dies galt auch für den Fall, dass ein Königs- und Fürstensohn eine künftige Erbtochter in einem anderen Land heiraten sollte. Kurfürst Friedrich von Brandenburg ließ deshalb seinen gleichnamigen siebenjährigen Sohn zur Erziehung nach Polen bringen, wobei die Heirat mit der Erbtochter Hedwig nach fünf Jahren vorgesehen war. Da König Kasimir aber mit 76 Jahren doch noch ein Sohn geboren wurde, zerschlug sich dieser Plan, und der enttäuschte Friedrich kehrte zurück nach Brandenburg (Spieß 2004: 270 f.). Solche Erfahrungen führten wohl dazu, dass in der Regel die Heiratspläne relativ kurzfristig vereinbart und vollzogen wurden. Allerdings fand auf diese Weise die Braut kaum Gelegenheit, die Sprache ihres neuen Heimatlandes zu lernen. In dieser Hinsicht vertraute man offenbar auf den Umgang mit ihren neuen Hofdamen. Dennoch beherrschten einige Ehefrauen erst nach vielen Jahren oder auch gar nicht die fremde Sprache, was man als Bewahrung der eigenen Identität deuten könnte. Katharina von Aragón, die im Alter von fünf Jahren mit dem englischen Königssohn Arthur verlobt wurde, konnte nach zehnjähriger Verlobungszeit kein Englisch, als sie 1501 England betrat und Arthur heiratete. Ihr Mann starb drei Monate danach, während Katharina als Witwe im Land blieb. Vier Jahre später verstand sie immer noch nicht die Landessprache, erst nach der Heirat mit Heinrich VIII. im Jahr 1509 lernte sie die fremde Sprache (Spieß 2004: 276–278). Erasmus von Rotterdam äußerte sich recht pessimistisch zu den kulturellen Differenzen bei den internationalen Fürstenehen: „Dabei will ich noch gar nichts darüber sagen, wie unmenschlich man mit den Mädchen selbst verfährt, die manchmal in weit entfernte Länder wie in die Verbannung zu Menschen geschickt werden, die an Sprache, Aussehen, Charakter und Anlagen gänzlich verschieden sind; sie würden bei ihren Landsleuten glücklicher leben, wenn auch mit weniger Prunk. Obwohl ich sehe, dass diese Gewohnheit sich immer mehr ausbreitet, so dass ich nicht hoffen kann, sie auszurotten, scheint es doch angezeigt zu mahnen, falls vielleicht doch etwas wider Erwarten geschehen sollte“ (Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften. Band 5. Ed. Werner Welzig. Darmstadt 1995, 362 f.). Waren die Eheverträge unterzeichnet, begann die eigentliche Migration, auf der die Braut bis zu dem vereinbarten Übergabeort von einem großen einheimischen Gefolge begleitet wurde. An dem Treffpunkt wurde sie von dem Gefolge ihres künftigen Gemahls empfangen, der ab diesem Zeitpunkt für die Reisekosten aufkommen musste. Die Begleiter der Braut blieben bis zum Ende der Hochzeitsfeierlichkeiten im fremden Land (Spieß 2013: 26–28). Nach der Abreise der Festgäste stand es dem

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Ehemann frei, die Zusammensetzung des Gefolges seiner Gattin zu bestimmen. Meist behielt er einige der fremden Hofdamen, einen Schreiber und zumindest einen Beichtvater, dem sich seine Gemahlin in ihrer Muttersprache verständlich machen konnte. Diese emigrierte Personengruppe wurde aber durch einheimische Hofdamen beziehungsweise männliche Hofleute ergänzt, um die Integration zu erleichtern. Am förderlichsten in dieser Hinsicht waren Heiraten der ausländischen Hofdamen mit einheimischen Adeligen und umgekehrt. Gingen Kinder aus diesen Ehen hervor, kam es bei den Hofleuten wie bei der Königs- oder Fürstenfamilie selbst zu einer ethnischen Vermischung (Spieß 2004: 281–283). Die Reichweite der kulturellen Vermischung dürfte jedoch begrenzt gewesen sein. Von der ausländischen Ehefrau wurde eine Anpassung an die Kultur der neuen Heimat erwartet, was sich symbolisch in einem Kleiderwechsel bei der Hochzeit ausdrückte. Allerdings führte die künftige Ehefrau über ihre Kleider hinaus einen umfangreichen Brautschatz mit sich, der fremdländische Utensilien, wie kostbares Tafelgeschirr, Brauttruhen, Stoffe, Tapisserien, Kleinodien und Bücher an den neuen Hof brachte. Eine frühe Beschreibung einer solchen Brautausstattung liefert Roger von Wendover 1235 für Isabella von England anlässlich ihrer Heirat mit Kaiser Friedrich II.: „Der Aufwand für diese Hochzeit aber war derartig, dass es fast über königlichen Reichtum hinauszugehen schien. Denn zum Schmucke der Kaiserin wurde eine Krone aus reinstem Golde und mit kostbaren Edelsteinen in kunstvoller Arbeit hergestellt, auf der vier englische Könige, Märtyrer und Bekenner, vom König eigens als Schutzheilige seiner Schwester bestimmt, dargestellt waren, die goldenen Ringe und Münzen, die mit wertvollen Steinen geschmackvoll verziert waren, der übrige schimmernde Schmuck, die seidenen und leinenen Kleider und Ähnliches, was Augen und Herzen der Frauen zu berücken und mit Sehnsucht zu erfüllen pflegt, verliehen ihr einen solchen Glanz, dass alles märchenhaft erschien, und in den verschiedenen Festgewändern aus Seide, Wolle und Leinen von unterschiedlicher Farbe und kaiserlicher Pracht erstrahlte sie derartig, dass man kaum entscheiden konnte, in welchem sie das Herz des Kaisers gewinnen werde. Auch das Brautbett war mit seinen bunten seidenen Decken und Kissen und mit seinen Laken aus feinster Leinwand und allem übrigen Zubehör so kostbar, dass es in seiner Weichheit den Ruhenden zu sanftem Schlummer einlud. Alle Gefäße ferner, sowohl die für Wein als auch die für Speisen, waren aus reinstem Silber oder Gold, und sogar sämtliche Kochtöpfe – und dies erschien allen überflüssig – waren aus reinstem Silber“ (Roger von Wendover, Chronik, zit. nach: Klaus J. Heinisch (Hrsg.), Kaiser Friedrich II. Sein Leben in zeitgenössischen Berichten. München 1977, 48 f.) Aus späterer Zeit sind umfangreiche Aussteuerverzeichnisse überliefert, die penibel jeden Gegenstand von der Krone bis zum silbernen Bettwärmer auflisten. Die im Brautschatz mitgeführten Kleinodien und Kunstwerke haben möglicherweise zu einem Kulturtransfer geführt, doch lässt sich dieser nur schwer nachweisen (Spieß 2005: 16 f.).

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Für die aus dem romanischen Kulturraum stammenden Ehefrauen war es wohl schwer zu ertragen, dass in Deutschland die Frauen stark abgeschirmt vom übrigen Hof lebten. Schon beim Hochzeitsbankett hatte die Fürstin mit den Frauen getrennt von ihrem neuangetrauten Gatten und den männlichen Gästen speisen müssen, jetzt musste sie sich daran gewöhnen, dass das Frauenzimmer abends abgeschlossen und auch tagsüber nur zu bestimmten Zeiten für überwachten Besuch geöffnet wurde. Als die 1474 aus Mantua nach Urach verheiratete Barbara Gonzaga sich bitter bei dem Gesandten ihrer Mutter Konrad von Hertenstein über die Separierung im Frauenzimmer beklagte, antwortete dieser unmissverständlich: Auch ain yde person mus sich nach aim lantcz siten richten, das lant richt sich nach dem menschen nicht (Archivio di Stato Mantua, Archivio Gonzaga, Busta 439, fol. 169, vom 4.10.1474). Eine Rückkehr der Ehefrau in die Heimat war nicht vorgesehen, doch hielten Reisende, Familienangehörige oder Flüchtlinge den Kontakt mit dem Herkunftsland aufrecht. Einen Sonderfall stellt die Heirat eines Königs oder Fürsten mit einer Erbtochter dar, denn sie führte zu einer zumindest zeitweisen Migration des Ehemannes in das Land seiner Ehefrau. Beispiele sind die schon erwähnte Heirat Heinrichs VI. mit Konstanze von Sizilien, die Ehe Johanns von Luxemburg mit Elisabeth von Böhmen oder die Verbindung zwischen Maximilian I. und Maria von Burgund. Während für die in die Fremde gelangten Ehefrauen die wichtigste Pflicht in der Zeugung von Nachkommen bestand, kämpften die Ehemänner um Anerkennung im Land ihrer Gattin, immer argwöhnisch wegen ihrer Fremdheit und ihrer fremden Berater beobachtet. Hinzu kam, dass der fremde Ehegatte zur Residenz im neugewonnenen Reich gedrängt wurde, obwohl er sich in der Regel auch noch um seine weit entfernten Stammlande kümmern musste. Aus kulturgeschichtlicher Perspektive waren die Erbtochterheiraten jedoch fruchtbarer als die sonstigen internationalen Heiraten. Während die fremde Ehefrau nicht mehr in ihr Mutterland zurückkehrte, wo sie kulturelle Impulse hätte setzen können, wirkte sich gerade das Pendeln des eingeheirateten Ehemannes und seines Sohnes zwischen den Reichen kulturvermittelnd aus. Ein bekanntes Beispiel für diesen Transfer ist die Heirat Maximilians I. mit der Erbtochter Maria von Burgund (Spieß 2013: 21–25).

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Regina Schäfer

Land-Stadt-Migration 1 Einleitung Land-Stadt-Migration ist der häufigste Migrationstyp überhaupt und eine der Bedingungen für die Urbanisierung. Die Landflucht ist eine aus allen städtischen Gesellschaften gut bekannte Erscheinung. In der Antike, aber auch in China während der Song-Zeit oder in der islamischen Stadt nach 1000 führte der Weg in die Großstädte. Im Westen des Römischen Reiches, der im Folgenden im Zentrum stehen soll, verlor das wirtschaftlich-gesellschaftliche System der Antike mit seiner Trias aus Städten, vici und villae seit dem 5. Jahrhundert an Bedeutung und zerfiel in den Wirren der Völkerwanderung. Nach dem Umbruch stabilisierten sich im 7. Jahrhundert die Verhältnisse, und es lassen sich im 8. Jahrhundert drei Typen der urbanen Zentren fassen: (1) der erneute Aufstieg einer Stadt mit antikem Substrat, wie im Falle der Bischofsitze, (2) eine Relokation in der Nähe des antiken Nukleus, doch unter neuen topographischen Bedingungen sowie (3) die Neugründung von Siedlungen ohne antiken Bezug, die sowohl als Handelsplatz an der Küste wie auch auf dem Land von grundherrschaftlichen Kernen ausgehen, z. B. Douai und Liège. Eine entsprechende Bandbreite von Kontinuitäten und Brüchen in der Stadtentwicklung zeigt auch der byzantinische / sassanidische / arabische Osten. Problematisch ist die Frage des Übergangs von den vici zu den mittelalterlichen Dörfern. Dass es Dorfstrukturen bereits lange vor der rechtlichen Verfasstheit von hochmittelalterlichen Dörfern gegeben hat, hat die Archäologie ebenso zeigen können wie die hohe Fluktuation des Dorfes selbst, das nur in wenigen Regionen ortsstabil blieb und meist semikontraktiv um einen Kern, oft eine Kirche, flottierte. Zudem entstanden spätestens im 8. Jahrhundert Großdörfer oder Mittelpunktsorte, welche zentralörtliche Funktionen übernahmen, ohne dass sie als Städte angesprochen werden können. Viele dieser Zentralorte verlieren nach der Karolingerzeit ihre Bedeutung, die Zentren verlagern sich zur Jahrtausendwende. Im 11. Jahrhundert liegen dann die Anfänge der neuen Städtegenese. Sie führte schließlich in der Zeit der Städtegründungswelle des 12. und 13. Jahrhunderts zur Entstehung der späteren Städtelandschaften, mit den ersten Zentren an der Maas und in Brabant, bevor die Dynamik des Urbanisierungsprozesses auch im Osten einsetzte und zahlreiche bescheidenere Städte entstanden. Insgesamt bleibt der Urbanisierungsgrad in Mitteleuropa jedoch deutlich hinter der urban geprägten Lebenswelt der Antike oder außereuropäischen Ballungszentren zurück. Für Europa bleiben lange das Süd-Nordsowie ein West-Ost-Gefälle kennzeichnend. Das Aufblühen der Städte setzt eine starke Zunahme der Bevölkerung auf dem Land ebenso voraus wie eine Abwanderung großer Teile dieser Bevölkerung. Städte

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in Mitteleuropa blieben nach Schätzungen mit durchschnittlich 1,4 Geburten defizitär, für ihren Fortbestand also auf Zuzug angewiesen. Jede städtische Neugründung zog folglich eine ländliche Abwanderung nach sich und intendierte diese auch von herrschaftlicher Seite. Der ‚Pull-Faktor‘ der Stadt auf das Land verstärkte sich daher mit dem Ausbau des Städtenetzes beständig. Entsprechend scheint die Krise des 14. Jahrhunderts mit Pest, Missernten und Agrarkrise eher eine Verschärfung dieser Entwicklung gebracht zu haben als eine Zäsur.

2 Quellen Die frühstädtischen Handelsplätze waren von Siedlungen, Fluchtburgen und Konsumentenzentren umgeben, wie archäologische Befunde belegen. Dass sie aus ihnen auch ihren personellen Nachschub rekrutierten und es eine starke Binnenwanderung gab, ist zu vermuten. Doch hat diese kleinräumige Binnenwanderung im Frühund Hochmittelalter kaum Überlieferungschancen, weder in Schriftquellen noch in archäologischen Zeugnissen. Ist man für das Früh- und Hochmittelalter vor allem auf die archäologischen Befunde und mit Einschränkungen auf die Flur- und Ortsnamenforschung angewiesen, erweitert sich die Quellenlage für den spätmittelalterlichen Exodus: Herangezogen werden vor allem Quellen städtischer Provenienz, insbesondere Neubürgerverzeichnisse, Aufgebotslisten und Steuerverzeichnisse, sowie Quellen landesherrschaftlicher Provenienz, von Leibsbedelisten und Nichtabzugsverpflichtungen bis hin zu Gravamina der Bauern. Die ältere Wüstungsforschung und die archäologischen Dorfgrabungen werden jedoch in der Geschichtswissenschaft noch wenig rezipiert. Die wichtigste Quellengattung, die Neubürgerverzeichnisse, bergen allerdings die Tücke, dass sie zwangsläufig allein die Übersiedler erfassen, die sich bewusst in der Stadt niederließen und das Bürgerrecht erkauften; außerdem sind Neubürgerverzeichnisse nur von bedeutenderen Städten angefertigt worden. Die meisten ländlichen Zuwanderer gehörten eher den unteren sozialen Schichten an und erlangten nur in Teilen das Bürgerrecht. Daher sind sie in den Listen der Neubürger kaum vertreten. Eine bei allen methodischen Schwierigkeiten interessante Quelle für die Wanderungen bilden die Herkunftsnamen, die im 15. Jahrhundert allmählich zu Nachnamen wurden. Gerichtsaufzeichnungen in dem reichen Dorf Ingelheim am Rhein bezeugen, dass ein großer Teil der Einwohner im späten 15.  Jahrhundert aus den umliegenden Orten stammte, wobei der Rhein keine Grenze darstellte (Das Oberingelheimer Haderbuch 1476–1485. Ed. Werner Marzi. Alzey 2011). Herkunftsnamen wie Englender oder Swede lassen aber in Einzelfällen eine ausgesprochene Fernwanderung vermuten. Große Strecken legten ebenfalls die in manchen Dörfern in Deutschland und Ungarn bezeugten Adeligen zurück sowie Händler, Spezialisten oder Dorfhandwerker. Erstaunlich ist, dass die familiären Kontakte teils über mehr

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als 100 km gehalten wurden, wie für einzelne Familien in West- und Mitteleuropa gezeigt werden konnte.

3 Stadt-Land-Korrelationen Im Frühmittelalter ist gerade in den naturräumlich problematischen Mittelgebirgslandschaften zum Teil eine Funktionsteilung in der Landschaft zwischen städtischprotoindustrieller Fabrikation im Wald, religiösem Zentrum und Siedlung in der Flussniederung zu beobachten. Im Spätmittelalter ist bei geplanten Migrationen eine Stufung in Dorf – Markt – Stadt – (Groß-)Stadt nachgewiesen worden. An den wichtigen Wirtschaftsachsen, z. B. dem Rhein, lagen die urbanen Zentren nur rund 30 km voneinander entfernt, sodass Umsiedlungswillige oft nicht weiter als 20 km vom nächsten städtischen Zentrum entfernt wohnten, dieses also gut in einer Tagesreise erreichen konnten. Die Städte teilten sich das Land auf. Das unmittelbar für die Versorgung wie die Produktion wichtige wirtschaftliche Umland einer Stadt entsprach dabei weitgehend dem engeren Migrationsraum und war Neubürgerreservoir. Zuwanderung jenseits eines Radius von 15 bis 25 km erfolgte weitgehend aus Städten, wobei mit der Entfernung der Spezialisierungsgrad des Zuwanderers stieg. Es ist folglich von einer primären Land-Stadt-Wanderung vor allem in kleinere und mittlere Städte und einer sekundären Stadt-Stadt-Migration, von der insbesondere die Großstädte profitierten, auszugehen. Die Zuwanderung ist im Ganzen gesehen relativ stetig und regelmäßig, wobei die Bevölkerung in den meisten großen Städten im Reich kontinuierlich anstieg, ihr Maximum aber erst im 16. Jahrhundert erreichte. Die Wanderung erfolgte entlang der Straßen bzw. der Wasserstraßen.

4 Pull- und Push-Faktoren Die bevölkerungsgeschichtlichen Arbeiten betonen zwangsläufig die Perspektive der Stadt und bergen damit die Gefahr, die ‚Pull-Faktoren‘ für die Landflucht überzubetonen. Der Sog sowohl neu gegründeter als auch bestehender Orte, die eine Stadtrechtsverleihung erhielten, war beachtlich. Gründe für die Attraktivität der Stadt lagen in der besseren Rechtsstellung der Bürger („Stadtluft macht frei“), die sich insbesondere beim Erbrecht niederschlug und folglich primär auch einen wirtschaftlichen Anreiz darstellte. Dies galt allerdings nicht für die russischen Städte, sodass die Land-StadtWanderung entsprechend keinen Niederschlag in den Quellen fand. Da vermutlich aber nur der kleinere Teil der Zuwanderer das Bürgerrecht unmittelbar mit der Übersiedlung erwarb, war wohl weniger das Besitzrecht als allgemein die Hoffnung auf die Besserung der wirtschaftlichen Lage entscheidend für die Wanderungsbewegung, insbesondere nach der Entvölkerung der Städte durch die Pest. Hinzu kam zu allen

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Zeiten der Fluchtburgcharakter der Stadt. Unter den ‚Push-Faktoren‘ sind vor allem die schlechten Besitzrechte (Freistift statt Erbrecht) und die wirtschaftliche und rechtliche Bedrückung durch die im Spätmittelalter verstärkte Leibherrschaft diskutiert worden. Insbesondere der mit der hochmittelalterlichen Bevölkerungszunahme entstandene Überschuss an unterbeschäftigten jungen Menschen wanderte ab. Diese gehörten entweder zur Gruppe der mobilen servi cottidiani oder sie verfügten als Kinder von Hufenbauern in Realteilungsgebieten nur noch über ein Stück Land, das sie nicht zu ernähren vermochte, oder gingen in Anerbengebieten als nachgeborene Kinder leer aus. Gerade diese Gruppen wanderten seit der Mitte des 14. Jahrhunderts verstärkt in die Städte ein, während noch im 13. Jahrhundert die Zuwanderer weniger aus den ‚bäuerlichen‘ Gruppen stammten. Ob die Blütephase der Städtegenese im 12. und 13. Jahrhundert dabei zum Zerfall der Villikationsverfassung führte oder in Wechselwirkung durch ihn erst ermöglicht wurde, ist ungeklärt.

5 Gegenmaßnahmen Der Zug der Stadt wirkte aber auf alle ländlichen Gruppen, die mit der Dichotomie bäuerlich  / nicht-bäuerlich nur unzureichend beschrieben werden, sondern viele Mischformen zeigten. Die im Früh- und Hochmittelalter geltende Schollengebundenheit der unfreien Landbevölkerung erschwerte die Mobilität, konnte die Migration aber ebenso wenig verhindern wie die spätmittelalterliche Leibeigenschaft. Die scharfen Reaktionen der Herren besonders im 14. und 15.  Jahrhundert zeigen die Bedrohlichkeit dieser Entwicklung für ihre Einnahmen, sind aber auch bedingt durch die verstärkte herrschaftliche Erfassung der bäuerlichen Bevölkerung, deren Freiheitsrechte im ausgehenden Mittelalter immer stärker eingeschränkt wurden. Die Bandbreite der Maßnahmen gegen die Landflucht reicht von Abkommen der Landesherren untereinander und mit den Städten über beeidete Nichtabzugsverpflichtungen, zu welchen sich einzelne Hintersassen oder die dörfliche Obrigkeit unter Stellung von Bürgen verpflichten mussten, bis hin zu Prozessen und Fehden. Aber auch Stadtrechtsprivilegierungen für Kleinststädte konnten zum Teil als Gegenmaßnahmen gegen die Landflucht der Hintersassen eingesetzt werden. Ebenso scheinen die Landesherren Stadtrechtsverleihungen aktiv zur Schwächung der benachbarten Landesherren genutzt, gezielt die dörfliche Oberschicht des Konkurrenten umworben und – zumindest für Ungarn lässt es sich belegen – auch gewaltsam abgezogen zu haben. Die für Landflüchtige besonders attraktiven Städte waren zwar auf Zuwanderung angewiesen, versuchten diese aber zu steuern, um die Konflikte mit den benachbarten Landesherren zu vermindern und ungewünschte Masseneinwanderung durch Aufnahmebeschränkungen zu kanalisieren. Die Städte regulierten die Zuwanderung durch Vertreibung der fremden Armen und Verschärfung der Bedingungen für die

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Einbürgerung, von der Erhöhung des Bürgergeldes bis zu ergänzenden Forderungen, zum Beispiel einer mehrjährigen Gesellenzeit oder einer Lehrzeit in der Stadt.

6 Auswirkungen auf das Land Der Sog der Städte verstärkte auf dem Land den Wüstungsprozess. Dass die meisten Ortswüstungen nur partielle Wüstungen waren und die Fülle der beobachteten Wüstungen weit weniger als lange gedacht auf einem Bevölkerungseinbruch beruhte und eher eine Ballung der Einwohner in größeren Ortschaften oder den Umzug in die Städte zeigt, ist inzwischen Konsens der Forschung. Nur vereinzelt wurde dennoch bisher der Zusammenhang zwischen spätmittelalterlichen Neugründungen oder -privilegierungen von Städten und dem Wüstfallen umliegender Dörfer nachgewiesen. Es gibt vereinzelte Hinweise, dass Landesherren zur personellen Ausstattung einer neuen Stadt die Einwohner der umliegenden Dörfer heranzogen und damit deren Wüstwerden zumindest in Kauf nahmen. Bewusste Umsiedlungen, also die Aufgabe eines Dorfes durch den Landesherrn, um die Bevölkerung für die Stadt zu erhalten, sind bisher nicht sicher nachgewiesen worden; eher erlangte eine bestehende Siedlung Stadtrechte, blieb aber oft auf einer Minderstufe stehen. Auch die um 1440 vor den Türken flüchtenden Serben wurden teils in Dörfern, teils in Städten angesiedelt. Die Bedeutung des Instituts der Pfahlbürger für die Landflucht wäre noch zu untersuchen. Pfahlbürger erwarben zwar das Bürgerrecht, nahmen ihren Wohnsitz aber nicht in der Stadt, sondern blieben meist auf dem Lande wohnen. Auch sie mussten aber zumindest einmal im Jahr sechs Wochen in der Stadt selbst leben.

7 Stadt-Land-Migration Eine Stadt-Land-Migration findet dagegen im Mittelalter wohl in weit geringerem Maße statt, auch wenn Herkunftsnamenszusätze wie „de London“ auch diese bezeugen. Die Wüstung bedeutender Städte durch gewaltsame Zerstörung wie im Falle Haithabus nach 1066 oder die Vertreibung der Bevölkerung Mailands nach dessen Niederlage gegen den Kaiser 1162 führten nicht zu einer dauerhaften Umsiedlung auf das Land. Die städtische Bevölkerung Haithabus bildete vermutlich den Kern der neuen Stadt Schleswig, Mailand wurde wieder errichtet, Tripolis reloziert. Entsprechendes gilt für die Vertreibung einzelner Gruppen aus der Stadt in den spätmittelalterlichen Bürgerkämpfen. Die aus Mainz vertriebenen Patrizier ließen sich in den umliegenden Städten nieder, nicht auf Landgütern, und planten ihren Rückzug in die Städte. Der aus der Antike bekannte Rückzug der städtischen Oberschicht auf das Land ist im Mittelalter selten und nur als Flucht vor der Pest aus den italienischen Städten überliefert. Der Übergang der städtischen Oberschicht zum Landadel ist eher

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ein Phänomen der frühen Neuzeit. Allerdings kommt es im ausgehenden Mittelalter zu einer Ausweitung des ländlichen Gewerbes, und einzelne städtische Gruppen wie die Weber Augsburgs erhalten die Erlaubnis, sich als extranei cives außerhalb der Stadt niederzulassen und nur einen jährlichen Minimalaufenthalt in der Stadt abzuleisten.

8 Mobilität und Migration Der individuell geplanten und gesteuerten Übersiedlung des Einzelnen stand die Bevölkerungsbewegung in der Region gegenüber. Bereits die Bürgeraufnahmen korrelieren mit den Agrarzyklen. Kam es zu Missernten, führte die wirtschaftliche Not der bäuerlichen Bevölkerung zu Massenwanderungen. Der Chronist Diebold Schilling beschrieb für die Jahre 1480/1481 eine solche Bewegung infolge einer Kombination aus Umweltkatastrophen mit Wirbelstürmen und Überschwemmungen und den Zerstörungen der Burgunderkriege. Dies brachte eine Getreideteuerung, welche auch die ländliche Unterschicht traf, die auf den Zukauf oft angewiesen war. Das alles führte im Sommer 1481 dazu, das als vil armer fromder luten gen Bern kament, dass die stat allenthalben vol was, desglich in andern der von Bern landen und gebieten, das desglich nie mer gehort worden ist. Dennoch hat man ein gros erbermde mit inen und veriagt man nieman (Die Berner Chronik des Diebold Schilling 1468–1484. Ed. Gustav Tobler. Bd. 2. Bern 1901, 250). Der Zuzug erfolgte aus den deutschsprachigen und den französischsprachigen Gebieten in das Umfeld Berns, nicht gezielt als Zuwanderung in die Stadt. Entgegen der Behauptung Diebold Schillings wurden die stadtfremden Bettler im November ausgewiesen, bevor sich die Situation in der Stadt im Winter weiter verschärfte. Wohin diese Bettler nach der Vertreibung gingen oder ob sie vor den Toren der Stadt verhungerten, ist nicht überliefert. Die obrigkeitlichen Maßnahmen verminderten aber die Bevölkerung in der Stadt, obwohl die Teuerung auch im folgenden Jahr anhielt. Die Grenze zwischen allgemeiner, alltäglicher Mobilität und Migration ist im Falle der Land-Stadt-Migration besonders schwer zu ziehen. Hinwanderung, zirkuläre Wanderung, multiple Wanderung und Rückwanderung finden sich nebeneinander in der gleichen sozialen Gruppe. Die Land-Stadt-Migranten waren Männer und Frauen, die saisonal, mehrjährig, für das Arbeitsleben oder auf Lebenszeit umsiedelten. Hinzu kommt das Problem einer life-cycle-Mobilität, einer temporären Übersiedlung von dörflichen Einwohnern in die Stadt, welche das Bürgerrecht nicht primär anstrebten. Bereits die dicht bevölkerten, hochdifferenzierten frühmittelalterlichen Mittelpunktgemeinden am Rhein in einem prekären Ökosystem waren zudem ohne temporäre Zuwanderung von Arbeitskräften aus den Nachbardörfern und Funktionsverlagerung auf andere Gemeinden, z. B. die Brennholzbeschaffung in einer Mittelgebirgsgemeinde, nicht lebensfähig. Tagelöhner waren dabei offenbar in hohem Maße auch

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Kinder und Jugendliche; ähnliches gilt für die Schwabenzüge zur Weinlese ins Elsass im Spätmittelalter und in der Neuzeit. Diese Wanderungen von Saisonarbeitern, die in mancher Hinsicht der Transhumanz vergleichbar scheinen, erfolgten allerdings weniger in eine Stadt als in eine kleinstädtisch geprägte Landschaft. Kleinräumigere Wanderungen lassen sich dagegen in den Quellen fast nicht greifen.

9 Die Perspektive des Einzelnen – die Integration in die aufnehmende Gesellschaft Mit dem Ortswechsel war nicht immer die Migration intendiert, doch wurde die bewusste Umsiedlung durch temporären Ortswechsel oft angebahnt. A. Kubinyi konnte anhand der Steuerverzeichnisse für Ungarn zeigen, dass der Marktbesuch zum Teil der Knüpfung von Familienverbindungen diente und die anschließende Migration vorbereitete. Für den Einzelnen konnte das Verlassen seines Hofes aber durchaus auch alle Merkmale der Flucht tragen: bei Nacht und Nebel und unter Zurücklassung von Hab und Gut wie der Familie und im Gefängnis endend, aus welchem der Migrationswillige von Bürgen befreit wurde, wie Urfehden bezeugen. Es verließen Einzelne, insbesondere Männer unter Zurücklassung der Familie, ihren Heimatort, ebenso siedelten ganze Familien gemeinsam um oder wurden auch in alle Winde verstreut, wie C. Billot für Frankreich zeigt. Der Umzug der Braut zu ihrem Mann und der Nachzug der Ehefrau mit Familie wurde im Spätmittelalter nicht mehr behindert, es sei denn, sie war Erbin des Hofes. Die sozialen Gefahren der Arbeitsmigration für die Zurückgebliebenen lassen sich schlaglichtartig greifen, wenn z. B. in Ingelheim im 15. Jahrhundert die Ehefrau Geld bei den Nachbarn leihen musste. Allerdings zeigt die gleiche Quelle auch die selbständige Rolle von Ehefrauen bei Abwesenheit ihrer Männer. Wenn auch die Hoffnung auf wirtschaftliche Besserung wichtigstes Movens für die Migrationsentscheidung war, war der Erfolg sehr unterschiedlich. Die Massenwanderungen endeten in der Regel wohl in der Verarmung. Die durch familiäre Bindungen vorbereitete Wanderung glückte hingegen zumindest dann, wenn sie nicht gegen den Willen des Herrn erfolgte. Die Sprachgrenze wirkte nach den Forschungen der Schwinges-Schule als Barriere zumindest für die qualifizierten Zuwanderer; die ärmeren Schichten ließen sich hierdurch nicht abhalten, wie auch Diebold Schilling betont. Eine Besonderheit zeigt zudem Ungarn mit seinen privilegierten deutschen Städten, in welche die ungarischen, slawischen und rumänischen Bauern aus den umliegenden Dörfern zogen. Die Einwanderer konzentrierten sich in Gassen, so z. B. der kumanischen Gasse in Szeged, und erhielten teils einen eigenen Kaplan oder Pfarrer. Der Zuzug war dabei teilweise so groß, dass die Zuwanderer die ursprüngliche Einwohnerschaft an Zahl überflügelten. So dominierten in der im 13.  Jahrhundert noch wallonischen Stadt Székesfehérvár im 15.  Jahrhundert die ungarischen Einwohner. Doch bleiben diese

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Phänomene Ausnahmen in Europa und sind nicht den Quartierbildungen in arabischen Städten vergleichbar. Die bäuerliche Bevölkerung war – entgegen aller Klischees, wenn auch mit regionalen wie zeitlichen Unterschieden – hoch mobil, wobei im spätmittelalterlichen England nach C. Dyer im Schnitt nur ein Drittel der Abziehenden in die Stadt ging, die meisten in andere Dörfer. Diese Wanderung, die teils auch eine Dorf-Dorf-Wanderung war, hat eine Uniformierung der Landschaft über die Herrschaftsgrenzen hinaus gefördert.

Literaturhinweise Claudine Billot, Le migrant en France â la fin du Moyen Age: problêmes de méthode, in: Neithard Bulst / Jean-Philippe Genet (Hrsg.), Medieval Lives and the Historian. Studies in Medieval Prosopography. Proceedings of the First International Interdisciplinary Conference on Medieval Prosopography, University of Bielefeld 3–5 December 1982. Kalamazoo 1986, 235–242. Christopher Dyer, Were late medieval English villages ‘self-contained’?, in: Chistropher Dyer (Hrsg.), The self-contained village? The social history of rural communities, 1250–1900. (Explorations in Local and Regional History, Bd. 2.) Hatfield 2007, 1–27. Mark Elvin, The Pattern of the Chinese Past. Stanford 1973. Peter Feldbauer / Michael Mitterauer / Wolfgang Schwentker (Hrsg.), Die vormoderne Stadt. Asien und Europa im Vergleich. (Querschnitte, Bd. 10.) Wien 2002. András Kubinyi, Horizontale Mobilität im spätmittelalterlichen Königreich Ungarn, in: Gerhard Jaritz / Albert Müller (Hrsg.), Migration in der Feudalgesellschaft. (Ludwig-Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft. Studien zur Historischen Sozialwissenschaft, Bd. 8.) Frankfurt / New York 1988, 113–139. Johannes Mötsch, Sponheimische Nichtabzugsverpflichtungen. Landflucht in der Grafschaft Sponheim und ihre Bekämpfung 1324–1435, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 9, 1983, 99–157. Michael Müller-Wille, Frühstädtische Zentren der Wikingerzeit und ihr Hinterland. Die Beispiele Ribe, Hedeby und Reric. (Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. Abhandlungen der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse, 2002/3.) Stuttgart 2002. Rainer Christoph Schwinges (Hrsg.), Neubürger im späten Mittelalter. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des alten Reiches (1250–1550) (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 30.) Berlin 2002. Karl-Heinz Spieß, Zur Landflucht im Mittelalter, in: Hans Patze (Hrsg.), Die Grundherrschaft im späten Mittelalter, Teil 1: Allgemeines und nördliches Deutschland. (Vorträge und Forschungen, Bd. 27.) Sigmaringen 1983, 157–204. Laurent Verslype, Rural-urban Dynamics and central places in the Scheldt and the Meuse Region between the 5th and the 9th centuries, in: Birgitta Hardh / Lars Larsson (Hrsg.), Central Places in the Migration and Merovingian Periods. Papers from the 52nd Sachsensymposium Lund, August 2001. (Uppakrastudier, Bd. 6 = Acta archaeological Ludensia series in 8, No. 39) Stockholm 2001, 257–272.

Autor_innen und Nachweise der Erstveröffentlichungen 

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Autor_innen und Nachweise der Erstveröffentlichungen Oliver Auge, Studium der Geschichte und Lateinischen Philologie in Tübingen, Dr. phil. ebenda 2001, Dr. phil. habil. in Greifswald 2008, seit 2009 Professor und Inhaber der Professur für Regionalgeschichte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Kommissionen und Beiräte. Arbeiten zur mittelalterlichen Reichs- und Landesgeschichte, Stadt-, Kirchen- und Universitätsgeschichte, Adels- und Dynastiegeschichte. Jüngste Monographie: Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter. Der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit. (Mittelalter-Forschungen, Bd. 28.) Ostfildern 2009. Der Artikel in englischer Sprache: Baltic sea colonizations, medieval era, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. II, 658–666. Marianne Bechhaus-Gerst ist Professorin für Afrikanistik an der Universität zu Köln; Arbeitsschwerpunkte: Geschichte der afrikanisch-deutschen Begegnung und der Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland, Konstruktionen von Afrika in der Alltagskultur, postcolonial und critical whiteness studies. Sie ist Kuratorin verschiedener Ausstellungen, Herausgeberin der Reihe „Afrika und Europa. Koloniale und Postkoloniale Begegnungen / Africa and Europe. Colonial and Postcolonial Encounters” und verschiedener Sammelbände. Zahlreiche Veröffentlichungen zu den Forschungsschwerpunkten, z.B.: „Treu bis in den Tod. Von Deutsch-Ostafrika nach Sachsenhausen – Eine Lebensgeschichte“, Berlin 2007; Köln und der deutsche Kolonialismus. Eine Spurensuche. Köln 2013. Der Artikel in englischer Sprache: Africa, medieval era migrations: an overview, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. II, 453–460. Lutz Berger studierte Islamwissenschaft, Turkologie und Zentralasienkunde sowie Geschichte an der Universität Göttingen. Promotion 1997 mit einer Arbeit zur älteren islamischen Mystik. Danach bis 2007 Wissenschaftlicher Assistent (u.a.) an der Universität Tübingen. Habilitation 2006 mit einer mentalitätsgeschichtlichen Arbeit über Damaskus zwischen dem 16. und dem 18. Jh. Seit 2007 Professur für Islamwissenschaft und Turkologie an der Universität Kiel. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Sozial-, Kultur- und Religionsgeschichte des Vorderen Orients und zur zeitgenössischen Türkei. Der Artikel in englischer Sprache: Muslim world, medieval era migrations, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. IV, 2253–2261. Michael Borgolte, Promotion 1975 zum Dr. phil. in Münster, Habilitation 1981 in Freiburg, Heisenbergstipendiat, seit 1991 Ord. Professor für Geschichte des Mittelal-

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 Autor_innen und Nachweise der Erstveröffentlichungen

ters an der Humboldt-Universität zu Berlin, 1998 ebd. Gründung und Aufbau eines „Instituts für vergleichende Geschichte Europas im Mittelalter“, 2005–2011 Sprecher des DFG-Schwerpunktprogramms „Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter“, 2005 Ord. Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2006 Ord. Mitglied der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica, 2008/2009 Fellow am Max-Weber-Kolleg in Erfurt, 2012 Advanced Grant des European Research Council, 2013 Ord. Mitglied der Academia Europea. Arbeitsschwerpunkte: Vergleichende europäische und globale Geschichte des Mittelalters; interkulturell-vergleichende Erforschung des vormodernen Stiftungswesens. Letzte wichtige Veröffentlichungen: Europa entdeckt seine Vielfalt, 1050–1250. Stuttgart 2002; Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes, 300 bis 1400 n. Chr. München 2006; Stiftung und Memoria. Berlin 2012; Mittelalter in der größeren Welt. Essays und Forschungen zur europäischen und globalen Geschichte. Berlin 2014. Der Artikel in englischer Sprache: Medieval era migration: an overview, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. IV, 2117–2125. Marco Di Branco, Dr. phil., Byzantinist und Islamwissenschaftler, seit 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Rom im Bereich der historischen Mittelmeerforschung, derzeit zusammen mit Kordula Wolf Forschungsprojekt über die Wahrnehmung und Bewältigung kultureller und religiöser Differenz im vornormannischen Unteritalien. Unter den jüngsten Publikationen: Marco Di Branco / Kordula Wolf (Hrsg.), „Guerra santa‟ e conquiste islamiche nel Mediterraneo (VII–XI secolo). Roma 2014. Der mit Kordula Wolf verfasste Artikel in englischer Sprache: Berbers and Arabs in the Maghreb and Europe, medieval era, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. II, 695–702. Matthias Hardt studierte Geschichte, Germanistik und Vor- und Frühgeschichte an der Philipps-Universität Marburg / Lahn. 1993–1997 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin, Promotion 1999 in Marburg. Seit 2000 Fachkoordinator für mittelalterliche Geschichte und Archäologie am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig, seit 2013 Honorarprofessor für frühe Geschichte und Archäologie Mitteleuropas an der Universität Leipzig. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte des frühen und hohen Mittelalters und zur Frühzeit Ostmitteleuropas. Der Artikel in englischer Sprache: Slavs, medieval migration, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. V, 2769–2776. Martin Kintzinger, Prof. Dr. phil., Promotion 1987 TU Braunschweig, Habilitation 1997 FU Berlin, Professur für Wissenschafts- und Universitätsgeschichte LMU München 1999-2002, Professur für Hoch- und Spätmittelalter / Westeuropäische

Autor_innen und Nachweise der Erstveröffentlichungen 

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Geschichte WWU Münster seit 2002, Präsident der internationalen Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte seit 2009. Forschungsschwerpunkte: Wissensgeschichte, Schul- und Universitätsgeschichte, Geschichte Frankreichs, Internationale Beziehungen, Diplomatiegeschichte, Völkerrecht im Mittelalter. Der Artikel in englischer Sprache: Scholars in search of knowledge, medieval era, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. V, 2693–2701. Daniel G. König, studierte Geschichte, Politik- und Islamwissenschaften in Salamanca und Bonn, Promotion 2006 in Bonn zu Bekehrungsmotiven im Christianisierungsprozess des 4. bis 8. Jahrhunderts, Mitarbeiter im DFG-SPP 1173 „Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter“ 2005–2011, Referent für Spätantike und Frühmittelalter am DHI Paris 2008–2011, dabei Koordinator der Forschungsgruppe „FranceMed“ zu kulturellen Austauschprozessen im mittelalterlichen Mediterraneum 2008–2010, seit 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Goethe-Universität Frankfurt. Zahlreiche Veröffentlichungen zur arabisch-islamischen Dokumentation Westeuropas im Rahmen des beendeten Habilitationsprojektes „The Emergence of Latin-Christian Europe: Arabic-Islamic Perspectives (c. 700–1500)“. Der Artikel in englischer Sprache: Mediterranean medieval era colonizations, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. IV, 2148–2155. Şevket Küçükhüseyin, Dr. phil., studierte Politische Wissenschaften, Islamwissenschaft und Vergleichende Religionswissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. 2009 Promotion im Fach Islamwissenschaft an der Universität Bonn. Schwerpunkte seiner Forschung sind Heilige und hagiographische Texte im islamischen Kontext, persisch- und türkischsprachige Historiographie. Seit April 2013 Postdoc am Department für Islamisch-Religiöse Studien an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg. Der Artikel in englischer Sprache: Turks in the Occident, medieval era, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. V, 3015–3020. Tillmann Lohse, Studium in Potsdam und an der Humboldt-Universität zu Berlin, 2002 Erstes Staatsexamen für das Amt des Lehrers, 2009 Promotion zum Dr. phil. mit der Dissertation „Die Dauer der Stiftung. Eine diachronisch vergleichende Geschichte des weltlichen Kollegiatstifts St. Simon und Judas in Goslar“ (gedruckt Berlin 2011), seit 2002 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, zunächst am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte I, ab 2012 im Rahmen des ERC-Projekts „Foundations in Medieval Societies. Crosscultural Comparisons“. Der Artikel in englischer Sprache: Ascetics, missionaries, and pilgrims, medieval era, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. II, 565–572.

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 Autor_innen und Nachweise der Erstveröffentlichungen

Christian Lübke, Prof. Dr. phil., Direktor des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) in Leipzig seit 2007, war nach dem Studium von Osteuropäischer Geschichte und Slavistik sowie Promotion 1981 in Gießen wissenschaftlicher Mitarbeiter in Gießen und Berlin (FU, Habilitation 1996), seit 1997 Professor für die Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Greifswald und gleichzeitig externer Projektleiter des Arbeitsgebietes „Germania Slavica“ am GWZO. Seine Forschungsarbeiten gelten der Geschichte Ostmittel- und Osteuropas hauptsächlich im Mittelalter (Die Deutschen und das europäische Mittelalter - Das östliche Europa, Berlin 2004) mit Schwerpunkten in der deutsch-slawischen Kontaktzone, der Geschichte Polens und der Kiewer Rus. Der Artikel in englischer Sprache: Eastern Europe: medieval era colonizations and reclamation of land, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. III, 1290– 1298. Matthias Maser studierte Mittelalterliche Geschichte, Islamwissenschaft und Neuere Geschichte an den Universitäten Bamberg, Alexandria (Ägypten) und Tübingen und promovierte 2003 in Erlangen mit „Die Historia Arabum des Rodrigo Jiménez de Rada. Arabische Traditionen und die Identität der Hispania im 13. Jahrhundert” (Berlin 2006). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Geschichte der Iberischen Halbinsel als interkultureller Begegnungsraum. Er ist Akademischer Oberrat am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg. Der Artikel in englischer Sprache: Reconquista, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. IV, 2503–2508. Johannes Pahlitzsch studierte Mittelalterliche Geschichte, Arabistik und Byzantinistik an der Freien Universität Berlin. Promotion 1998 in Berlin, Habilitation 2008 ebendort. Seit 2009 Professor für Byzantinistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Fellowships am Institute of Advanced Study in Princeton, am Institute for Advanced Studies der Hebrew University sowie an der Dumbarton Oaks Research Library, Washington, DC. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte der griechischorthodoxen Christen unter islamischer Herrschaft und zu den Beziehungen von Byzanz zur islamischen Welt. Mitherausgeber von Christian-Muslim Relations. A Bibliographical History. Der Artikel in diesem Band ist ein Originalbeitrag ohne englische Vorlage. Walter Pohl, Prof. Dr., Habilitation für Geschichte des Mittelalters an der Universität Wien (1989), ab 1990 Wiss. Mitarbeiter an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 1993–98 Gastprofessuren an der Universität Leiden, der Central European University, Budapest, der University of California, Los Angeles und der Udmurtischen Universität in Ischevsk, Russland, seit 1998 Direktor des Instituts für Mittelalterforschung der ÖAW, seit 2006 außerdem Professor für Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Wien, 2010 ERC-Advanced Grant:

Autor_innen und Nachweise der Erstveröffentlichungen 

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„Social cohesion, identity and religion in Europe, 400–1200“. Arbeitet über Ethnizität, Migrationen und Identitätsbildung, über die Umwandlung der römischen Welt und die nachrömischen Regna, über die Steppenvölker sowie über Historiographie und kulturelle Erinnerung im Frühmittelalter. Der Artikel in englischer Sprache: Barbarian migrations (Völkerwanderung), in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. II, 676–680. Daniela Rando, Dr. phil. 1981 in Padua, 1993/1994 Humboldtstipendiatin MünchenBerlin, seit 2004 Ord. Professorin für Geschichte des Mittelalters an der Universität Pavia, 1998/1999 Gastdozentin an der Humboldt-Universität zu Berlin, 2007–2008 Fellowship im Rahmen der Exzellenzinitiative der Ludwig-Maximilians-Universität München, seit 2004 beim internationalen Graduiertenkolleg: Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20. Jahrhundert (Frankfurt am Main, Innsbruck, Trento, Bologna und Pavia). Mitglied der Dt. Kommission für die Bearbeitung der Regesta Imperii bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. Arbeitsschwerpunkte: Geschichte Venedigs im Früh- und Hochmittelalter; „Memoria“ und Selbstzeugnisse im 15. Jahrhundert; Vergleichende Historiographie und Kulturgeschichte (19.–20. Jahrhundert); Von Konstanz zum Konzil von Pavia. Letzte wichtige Veröffentlichungen: Johannes Hinderbach (1418–1486). Eine „Selbst“-Biographie. Berlin 2008; La biografia nella medievistica contemporanea e l'apporto della „storia della cultura“, in Rivista storica italiana, CXXIII (2011), S. 272–290; Venezia medievale nella modernità. Storici e critici della cultura fra Otto e Novecento. Roma 2014. Der Artikel in englischer Sprache: Traders and exiles, medieval era, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. V, 2947–2956. Jürgen Sarnowsky wurde 1985 an der Freien Universität Berlin promoviert und habilitierte sich dort 1992. Er ist seit 1996 Professor für mittelalterliche Geschichte am Historischen Seminar der Universität Hamburg. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen u.a. die geistlichen Ritterorden, die Hanse, den Ostseeraum, das östliche Mittelmeer, die Bildungsgeschichte, England und die frühen Entdeckungsreisen. Der Artikel in englischer Sprache: British Isles, medieval colonization, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. II, 771–779. Regina Schäfer, Dr. phil., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Johannes-Gutenberg Universität Mainz, Arbeitsbereich Mittlere und Neuere Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte. Unter den jüngsten Publikationen: Werner Marzi / Regina Schäfer (Hrsg.): Alltag, Herrschaft, Gesellschaft und Gericht im Spiegel der spätmittelalterlichen Ingelheimer Haderbücher. Ein Begleitband zum Editionsprojekt „Ingelheimer Haderbücher“. Alzey 2012. Der Artikel in englischer Sprache: Rural-urban migrations, medieval era, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. V, 2660–2665.

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 Autor_innen und Nachweise der Erstveröffentlichungen

Benjamin Scheller, Prof. Dr. phil., studierte mittelalterliche und neuere Geschichte sowie Soziologie in Frankfurt am Main und Berlin, Promotion 2002 und Habilitation 2009 an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2007/2008 Feodor Lynen-Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung an der Universität Pisa, 2010 Gastprofessor an der Universität Wien. Seit 2011 Professor für Geschichte des Spätmittelalters (und der frühen Neuzeit) an der Universität Duisburg-Essen. Unter den jüngsten Publikationen: Die Stadt der Neuchristen. Konvertierte Juden und ihre Nachkommen im spätmittelalterlichen Trani zwischen Inklusion und Exklusion (Europa im Mittelalter, Bd. 23), Berlin 2013; Migrationen und kulturelle Hybridisierungen im normannischen und staufischen Königreich Sizilien (12.–13. Jahrhundert), in: Michael Borgolte / Matthias Tischler (Hrsg.), Transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Jahrtausend. Europa, Ostasien und Afrika. Darmstadt 2012, 167–186. Der Artikel in englischer Sprache: Vikings and Normans, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. V, 3128–3134. Juliane Schiel, Dr. phil., Oberassistentin am Historischen Seminar der Universität Zürich, studierte Geschichte und Französisch in Heidelberg, Oxford und Berlin und wurde 2010 an der Humboldt-Universität über eine diachron vergleichende Untersuchung zum „Mongolensturm und Fall Konstantinopels“ promoviert. Seit 2011 arbeitet sie an einem Buchprojekt zur Haussklaverei im spätmittelalterlichen Venedig. 2012 war sie „Visiting Researcher“ am Dipartimento di Studi Umanistici der Universität Ca'Foscari in Venedig. Unter den jüngsten Publikationen: Stefan Hanß / Juliane Schiel (Hrsg.), Mediterranean Slavery Revisited / Neue Perspektiven auf mediterrane Sklaverei, Zürich 2014. Der Artikel in englischer Sprache: Slave trade, medieval era, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. V, 2761–2769. Annette Schmiedchen, PD Dr. phil. habil., Indologin, promovierte an der HumboldtUniversität zu Berlin und habilitierte sich an der Martin-Luther-Universität, Halle / Wittenberg. Arbeitet derzeit im ERC-Projekt „FoundMed – Foundations in Medieval Societies“ an der Humboldt-Universität mit. Forschungen zur alten und mittelalterlichen Geschichte, Religion, Epigraphik Indiens. Unter den jüngsten Publikationen: Herrschergenealogie und religiöses Patronat: Die Inschriftenkultur unter den Rāṣṭrakūṭas, Śilāhāras und Yādavas (8. bis 13. Jahrhundert), Leiden 2014. Der Artikel in englischer Sprache: India, medieval era migrations, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. III, 1717–1726. Felicitas Schmieder studierte Geschichte und Latein in Frankfurt am Main, ebd. Staatsexamen 1986, Promotion 1991 (Europa und die Fremden. Die Mongolen im Urteil des Abendlandes vom 13. bis in das 15. Jahrhundert; ersch. Sigmaringen 1994), Habilitation 2000 (Frankfurt am Main im Mittelalter. Eine kirchliche Stadtgeschichte), seit 1995 Recurrent visiting professor am Department for Medieval Studies der Central

Autor_innen und Nachweise der Erstveröffentlichungen 

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European University, Budapest, seit Dezember 2004 Professorin für Geschichte und Gegenwart Alteuropas an der Fernuniversität Hagen; seit 2011 Mitglied im executive board von CARMEN: The Worldwide Medieval Network http://www.carmen-medieval. net/. Ausgewählte neuere Publikationen: Anspruch auf christliche Weltherrschaft. Die Velletri / Borgia-Karte (15. Jh.) (2012); ,Den Alten den Glauben zu entziehen, wage ich nicht ...‘ Spätmittelalterliche Welterkenntnis zwischen Tradition und Augenschein (2012); Faith, Blood, and the Reliability of Conversion: The Directorium ad passagium faciendum (1332) (2012); Von der „Christianitas“ nach „Europa“ – Europa (2011); „Civibus de Frankinfort ... concedimus libertatem ut numquam aliquem vestrum cogamus“: Machte mittelalterliche Stadtluft die Menschen frei? (2010); Nomaden zwischen Asien, Europa und dem Mittleren Osten (2010). Der Artikel in englischer Sprache: Steppe, people of (Hungarians, Huns, Avars, Mongols), in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. V, 2878–2886. Angela Schottenhammer, Sinologin und Historikerin, Professorin am FB Geschichte der Universität Salzburg (seit 10/2013) und Research Director am Indian Ocean World Centre, History Department, McGill University, Kanada (seit 04/2009). Habilitation 2000 an der LMU München, vormals Professuren an der Universität Gent (Belgien), dem El Colegio de México (Colmex), und Heisenbergstipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte Chinas und Ostasiens, insbesondere seiner globalgeschichtlichen Einbindung sowie den vielfältigen Austauschbeziehungen, Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte Chinas sowie Inschriften. Herausgeberin der wissenschaftlichen Zeitschrift Crossroads – Studies on the History of Exchange Relations in the East Asian World, einer Buchreihe zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Chinas und Ostasiens sowie Mitherausgeber verschiedener internationaler Fachzeitschriften. Der Artikel in englischer Sprache: China, medieval era migrations, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. II, 995–1004. Karl-Heinz Spieß, Promotion 1977 in Mainz, Habilitation 1992 in Mainz, seit 1994 Professor für Allgemeine Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften in Greifswald. Mitglied des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte und korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Arbeitsschwerpunkte sind das mittelalterliche Lehnswesen, die historische Familienforschung, die Reichsfürsten und ihre Höfe sowie die Universitätsgeschichte. Der Artikel in englischer Sprache: Spouses and migration, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. V, 2864 f. Michael Toch studierte Geschichte, Philosophie und Soziologie in Jerusalem und Erlangen, Promotion 1978 in Erlangen, 1998 Professor für mittelalterliche Geschichte an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Gastprofessor in Heidelberg, Trier,

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 Autor_innen und Nachweise der Erstveröffentlichungen

Cambridge, Wien, Budapest, München, Yale, Philadelphia, Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte der Juden sowie der deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Arbeitet zur Zeit an einer Wirtschaftsgeschichte der europäischen Juden des Mittelalters, deren erster Band zuletzt erschien: Michael Toch, The Economic History of European Jews. Late Antiquity and Early Middle Ages. Leiden 2013. Der Artikel in englischer Sprache: Jewish migrations, medieval era, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. IV, 1952–1959. Klaus Vollmer, Studium der Japanologie, Neueren Deutschen Literatur, Religionswissenschaft, Sinologie und Geschichte in Hamburg, Promotion 1993, Habilitation (Japanologie) 1997. Research Fellow an der Ôsaka City University (1993–94), Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 1998 Lehrstuhl für Japanologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Arbeitsschwerpunkte und zahlreiche Veröffentlichungen zur Kultur- und Sozialgeschichte Japans. Arbeitet zur Zeit an einer Geschichte des modernen Japan und einer Darstellung der Verflechtungsgeschichte Japans im ostasiatischen Kontext in der Vormoderne. Der Artikel in englischer Sprache: Japan, medieval era migrations, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. IV, 1930–1938. Kordula Wolf, Dr. phil., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Historischen Institut in Rom im Bereich des frühen und hohen Mittelalters (seit 2009). Derzeit zusammen mit Marco Di Branco Forschungsprojekt über die Wahrnehmung und Bewältigung kultureller und religiöser Differenz im vornormannischen Unteritalien. Unter den jüngsten Publikationen: Marco Di Branco / Kordula Wolf (Hrsg.), „Guerra santa‟ e conquiste islamiche nel Mediterraneo (VII–XI secolo), Roma 2014. Der mit Marco di Branco verfasste Artikel in englischer Sprache: Berbers and Arabs in the Maghreb and Europe, medieval era, in: The Encyclopedia of Global Human Migration, Vol. II, 695–702.

Siglenverzeichnis 

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Siglenverzeichnis BSOAS Bulletin of the School of Oriental and African Studies Ébalk Études balkaniques GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht HZ Historische Zeitschrift MGH Monumenta Germaniae Historica SS Scriptores (in Folio) SS rer. Merov. Scriptores rerum Merovingicarum SS rer. Germ. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim edit RESEE Revue des Etudes Sud–Est Européennes RFS Revue de la Faculté des Sciences RGA Erg. Bd. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband StudIsl Studia Islamica WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft

Register A Abbasiden 25, 30, 62, 98, 122, 134, 150 f., 260, 291 abbasidische Revolution 133 Abe, Clan der 47 ʿAbd Allāh b. Yāsīn al-Ǧazūlī 154 ʿAbd al-Malik 96, 101 ʿAbd al-Muʾmin 155 ʿAbd ar-Raḥmān I. 153 ʿAbd ar-Raḥmān II. 162 ʿAbd ar-Raḥmān III. 153 Abodriten 173, 177, 187 f., 196–198 Abū Yaʿqūb Yūsuf 155 Acciaiuoli 296 Achämeniden 67 Ackerbau 24, 54 f., 114, 141, 186–189 Ackerland 25, 60, 198 Adalbero von Laon 280 Adalbert, Ebf. von Hamburg-Bremen 196 Adalbert, Hl., Bf. von Prag 179, 271 Adam von Bremen 87, 195 f. Adel 39 f., 71 f., 98, 185, 196, 202–205, 214–216, 227, 280, 287, 300, 305–309, 312 Adelgot, Ebf. von Magdeburg 186 Adelheid del Vasto 216 Adelheid von Burgund 305 Adelsskandinavismus 203 f. Aden 248 Adolf II., Gf. von Holstein 198 Adria 175 Adrianopel 144, 171, 232 Aelle von Sussex 222 Aethelberht von Kent 222 Aethelfrith, Kg. von Bernicia 222 Afghanistan 70 Afrika 16, 21, 25, 87, 107–116, 252 f., 257, 261, 293 – Nord- 24–26, 114, 121, 123, 150 f., 161, 166 f., 232 f., 239–243, 247 f., 252, 254 f., 260, 267 – Ost- 63, 107 f., 111–113, 116, 253 f. – Subsaharisch- 24, 135, 253–255, 257, 260 f., 263 – Süd- 112, 116 – West- 107, 109, 111, 114 f., 253 f., 260

Afrikaner 25, 107–116, 253 f., 260 Ägäis 27, 143, 175 Agathias, oström. Historiograph 172 Aghlabiden 25, 150 f., 156 f. Agilulf, Langobardenkönig 172 Agrargesellschaft 36 f., 58, 190 Agrarkrise 312 Agrartechnik 27 Ägypten 25, 95, 100, 107, 110, 114, 122, 131 f., 134–137, 151 f., 239, 241, 243, 248, 253, 255, 268, 295 Ägypter 109 f. Ägyptische Wüste 270 Aidan von Iona 269 Ainu 44–46 Akkon 294, 298 Akkulturation 16, 21, 27, 68, 70, 94, 163, 175, 177, 209, 214 ʿAlāʾ ad-Dīn Khalajī, Herrscher von Delhi 70 Alamannen 234 al-Andalus 122, 153, 155 f., 161 f., 164–166, 243 Alanen 233, 235 Alarich, Westgote 232 Alawiten 135 Albaner 268 Albanien 143 f., 242 Alberti, florentin. Familie 300 Albertus Magnus 286 al-Bīrūnī, choresm. Gelehrter 273 Alboin, Langobardenkönig 18, 234 Albrecht der Bär 187 Albrecht III. von Mecklenburg 203 Aldinburg. Siehe Oldenburg Alessandra Macinghi Strozzi 300 Alexander der Große 30, 67 Alexander III., Papst 298 Alexandria 25, 272 Alexios I. Komnenos 103 Alfons I. von Aragón 166 Alfons I. von Asturien 163 Alfons III. von Asturien 163 Alfons VI. von Kastilien-León 165 Alfons VIII. von Kastilien 155 Alfons X. von Kastilien-León 167

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 Register

Alfred, Kg. der Westsachsen 225 al-Fuṣṭāṭ 122, 132 Algerien 150 f., 155, 254 Algier 254 Alkuin 298 al-Mahdiyya 122 Al-Mahdiyya 151 Almería 165 Almogávares 123 Almohaden 135, 154 f., 166 Almoraviden 114 f., 122, 154 f., 166 al-Muwaḥḥidūn 155 al-Muʿtaṣim 136 A-Lo-pên, nestorian. Missionar 275 Alpen 173, 241, 256, 300 Alt Lübeck 196 f. Siehe auch Lübeck Altmark 175 Amalfitaner 293 Amanus-Gebirge 101 Amerika 16, 22–24, 125, 263 Amerikaner 22 Amino Yoshihiko 36 Amrum 194 Amsterdam 247 Amur 28, 45 Anachoreten 268 f., 273 Anasazis 23 Anastasius IV., Papst 213 Anatolien. Siehe Kleinasien Anchiasmon 242 Andalusien 25, 136, 155, 157, 162, 167 Anden 24 Andhra Pradesh 71 f. Andô, Clan der 47 Andreas II., Kg. von Ungarn 189 Angeln 27, 193 f., 219–221, 234 Angelsachsen 14, 215, 234 Angelsachsenchronik 213, 222 Anglonormannen 212, 219, 227 f. Anhui 58 Anjou 27, 227 Anklam 195 An Lushan 56 Ansculf Torquilsson 224 Ansgar, Ebf. von Hamburg-Bremen 194 Ansiedlungspolitik 43, 75, 104, 173, 179, 187, 189, 198 f., 216, 232, 241. Siehe auch Umsiedlungspolitik Anten 171 f. Antiochia 102

Anti-Taurus 98, 101 Antonio da Butrio 298 Antonius, Hl. 268 Apameia 173 Apotheker 60 Apulien 158 Araber – als Kolonisten 126 – als Sklaven 260 f. – als Sklavenhalter 25, 178 f. – als Sklavenhändler 257 – Ethnogenese der 129, 131 – im Fruchtbaren Halbmond 131 f. – im Maghreb und in Euopa 149–158 – im Ostseeraum 194 – in Afrika 24, 107, 293 – in al-Andalus 161 f., 166 – in China 62 f. – in der Sahara 115 – in Ghana 114 – in Indien 69, 75 – in Kleinasien 100 – in Madagaskar 108, 113 – in Mali 115 – in Nubien 110 – in Ostafrika 111 – in Sizilien 216 – in Thrakien 101 – und Byzantinisches Reich 95, 97, 104, 173 – und Kulturtransfer 137 f. Arabisch 134, 137, 157 f., 163 arabische Halbinsel 108, 110 f., 113, 115, 129–131, 133, 150 f., 318 Arabisierung 154, 157, 163 Aragón 163, 165, 243 Aragón, Krone von 123 f. Arbeitsmigration 251, 316 f. Architekten 115 Argyll 220 Arianer 233 ‚Arianismus‘ 26 Aristoteles 284 Arizona 23 Arkona 196 Arles 244, 256 Arme 314 Ärmelkanal 244 Armenien 97–99, 101, 276 Armenier 93, 96–100, 102, 268 Armenisch 100

Register  Armenische Themen 99 Arnold von Brescia 298 Arnold von Lübeck 204 Árpáden 184 Arthur Tudor 307 Āryas 67 f. Ärzte 60, 115, 248. Siehe auch Physici Asād b. al-Furāt 156 Aschkenas 241 Aschkenasen 239 f., 243 f., 246–248 Asia minor 173 Asien 16, 21 f., 28–30, 35, 252, 257 f., 263 – Klein- 29, 92, 95, 98–100, 103, 110, 141–145, 239 – Ost- 35, 41–43, 113 – Süd- 43, 72 – Südost- 35, 41–44, 53, 61–63, 75 f., 108 – West- 56, 59, 75. Siehe auch arabische Halbinsel, Mittlerer Osten – Zentral- 54–56, 67, 129 f., 134–137, 152, 178, 258, 260 Asiaten – Ost- 113 – Südost- 77 – West- 60, 62 – Zentral- 57, 60, 89, 134, 144 Asketen 31, 191, 267–270, 273, 275 f. Askiya Mohammed 115 Asparuch, bulgar. Khan 95 as-Salamiyya 122 Assimilation 16, 46, 69, 93, 97, 100, 102, 104, 123, 163, 175, 177, 234, 240, 299–302 Assuan 110 f. Athen 95, 270 Äthiopien 107, 109 Athos 268, 270 Atlantik 22, 25, 130, 211, 213, 223 f., 254 Attila, Hunnenkönig 233 Augsburg 316 Austauschsystem 23 f., 38 f., 41–45 Autochthones 94. Siehe auch Einheimische Aversa 215 Avignon 243, 298 Awaren 19, 85, 87, 90 f., 94 f., 104, 141, 172 f., 178, 292 Awaren-Khaganat 172–174 Awdoghast 114 Ayton 298 Ayutthaya 42 Azteken 23

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B Babadag 145 Bābur, Begründer des Moghul-Reiches 71 Babylonien 239 Badajoz 154 f. Bade, Klaus J. 12 Bagdad 25, 28 f., 122, 134, 136, 291 Baian, awar. Khagan 172 f. Balkan 95, 98, 101, 103, 141, 143, 145, 171, 173, 176, 232 f., 236, 239, 241, 291 Balten 175, 198 Baltikum 28, 190, 200, 271, 292 Bangkok 42 Bangladesch 67 Bangor 227 Bann 297–299, 307 Bantu 24, 108, 111–113 Banū Ḥilāl 151 Banu Kanz 110 f. Banū Sulaim 151 Barawa 112 Barbara Gonzaga 309 Barbara von Brandenburg, Markgf.in von Mantua 307 Barbaren 104, 176, 231–236 Barcelona 153, 243, 296 Bardi 296 Bari 157 Basel 298 Basileios II. 99, 101–103 Basilius Bessarion 298 Basken 164 Basra 132 f. Bauern 23 f., 27, 58, 60 f., 72, 86, 131, 145, 152, 167, 185, 187–191, 199 f., 212, 227 f., 232, 235, 258, 280, 312, 314, 316–318 Bāyazīd I. 144 Bayerischer Geograph 176 Bayern 175 f., 183, 185, 245 Beamte 51, 54, 57, 59, 61, 121, 131 Beatrix von Neapel 306 Beda Venerabilis 222 Behar, Doron M. 240 Beijing 29, 53, 60, 292 Beja 109 f. Belgrad 173 Belisar, oström. Feldherr 172, 233 Benares 70

332 

 Register

Benevent 173 Bengalen 76 Benini, florentin. Familie 301 Benshō, japan. gelehrter Mönch 275 Bentley, Jerry H. 16, 19 Berber 114 f., 137, 149–158, 152, 161 f., 166 Bergen 202, 296 Bergleute 202 Beringstraße 23 Bern 316 Bernhard von Clairvaux 286 Bernicia 221 f. Bernstein 224 Beskiden 188 Bettelorden 269, 286 Bettler 316 Beute 83, 130 Bevölkerungsdruck 51, 59, 88, 144, 189, 195, 211, 214, 314 Bianchi-Partei 299 Bihar 76 Bildung 94, 104 Bildungsmigration 136, 138, 287 Billot, Claudine 317 Birgitta von Schweden 204 Birgittiner 204 f. Birka 255 Birma 60 Bischöfe 31, 121, 184, 186 f., 275, 294. Siehe auch Kleriker Bithynien 96 Bobastro 165 Boethius 298 Böhmen 173, 175, 179, 184 f., 189, 241, 245 f. Böhmerwald 28 Bojaren 191 Bolesław Chrobry 174 Bolesław III. von Polen 186 f. Bolgar 28 Bologna 285, 298 f. Bonifaz VIII., Papst 296 Borno 114 Bosnien 143 Bosporus 193 Boukellarion 98 Brabant 311 Brahmanen 67 f., 71–76, 267 Brandenburg 307 Bremen, Erzbischöfe von 186 Břetislav von Böhmen 184

Bretonen 227 Bristol 255 Britannien 31, 195 Briten 219, 222, 234 Britische Inseln 26 f., 209, 212, 219–228, 234, 236, 255, 291 Brook, Timothy 61 Brügge 292, 296 f., 300 Brunetto Latini 302 Brunhilde, Gemahlin Sigiberts I. 305 Brüssel 300 Buddha 31 Buddhismus 31, 40, 72, 76 Buddhisten 73, 76 f., 268, 270, 272 Bug 174 Bulgaren 28, 93, 95 f., 104, 141, 173 f., 268, 291 Bulgarien 95, 103, 142–144, 146, 291 Bulgarotürken 28 Bürger 188 f., 280–282, 288, 301 Bürgerrecht 188, 295, 297, 300, 312 f., 316 Burgred, Kg. von Mercia 225 Burgund 156, 227, 244 Burgunder 26, 231, 234 f. Burzenland 189 Byzantiner 93–106, 109, 126, 130 f., 151, 176, 183, 214–216, 273 byzantinische Reichskirche 100 Byzantinisches Reich 27–30, 93–106, 121, 123, 132, 141, 143, 158, 172 f., 176, 184, 195, 240–242, 291, 293 f.

C Caernarfon 227 Cahokia 23 Calukya-Dynastie 69, 72 Cambridge 220 Castres 300 Catʿ bzw. Caytʿ 100 Cerbano Cerbani 294 Cerdic, Kg. der Gewisse 222 Ceredigion 227 Ceylon 72 Chaco Canyon 23 Chalkedon, Konzil von 93 Chalkidiki 268 Champagne 244 Champa-Reis 59 Chang’an 56, 62, 272, 274 f. Charidschiten 150

Register  Chartres 281, 285 Chasaren 28, 239 f., 245 f. Chaul 75 Cheju 43 Chester 226 f. Chiapas 24 Chilbud, röm. Heermeister 171 China 21, 25, 29, 30, 37–42, 44, 46, 51–64, 76, 116, 133, 136, 248, 257 f., 270, 272, 274 f., 270, 311 China towns 42, 61 Chinesen 24, 29–31, 39–42, 44, 51–64, 77, 272 Chinesisch 31, 77 Chinesisches Meer 38 f., 42, 258 Chioggiakrieg 300 Ch’i-pei, gelehrter Mönch 275 Chlodwig, Frankenkönig 231, 234 Chorasan 25, 133, 292 Chosrau II., Perserkönig 97, 102 Chozil, mähr. Fürst 178 Christen 21, 26 f., 30, 63, 87 f. , 91, 101, 108, 130, 145, 150, 152, 155, 216, 252, 268–271 Christenheit 31 Christentum – und bzyantinische Identität 93 Christianisierung 88, 90, 97, 107, 109, 122, 141, 143, 179, 184, 197–200, 204, 212, 220, 222, 255, 256 Christoph von Bayern 203 Chronik von Morea 124 Cicero 284 Ciompi-Revolte 300 Clan 47, 51, 54 f., 82, 129, 153, 269 Coenrad, Kg. von Mercien 273 Coimbra 164 Cola-Dynastie 72 Columban der Ältere, Hl. 269, 275 Como, Michael 41 Córdoba 153, 155, 162, 166, 178 Córdoba, Emirat von 178 Cork 212, 224 Cosmas Indicopleustes 109 Cremona 172 cross-cultural interaction 16. Siehe auch Verflechtung Cumbria 212, 225 Curta, Florin 94–96, 176 Cynric, Kg. der Gewisse 222

 333

D Dagobert I., merowing. Kg. 173, 292 Dagron, Gilbert 102 Dailamiten 151 Daleminzier 177 Dalmatien 171, 173 f. Dalriada 219 Dál Riata, Dynastie 220 Damaskus 25, 122, 132, 153 Danelaw 213, 226 Dänemark 27, 200, 202–204, 210, 213 f., 226, 305 Dänen 187, 194 f., 197, 200, 203 f., 209, 211–213, 216, 219, 223, 225–226, 292 Danewerk 194, 196 dänische Inseln 175 Dante Alighieri 302 Danzig 204 Dardanellen 141 Darguner Land 198 Darmasvāmin, tibet. buddhist. Mönch 272 Daśapura 75 Daulatabad 70 Dauphiné 295 Degsastan 220 Deira 221 f. Dejima 35 Delbende 177 Delhi 70, 257 Derbendçi 145 Derby 225 Derevljanen 183 Derwan, sorb. Fürst 173 Derwische bzw. derviches colonisateurs 145 Deschamps, Hubert 113 Deutsch 182 Deutsche 28, 30, 181–190, 198, 200–203, 243, 247, 288 Deutscher Orden 189 f., 199 ‚Deutsches Recht‘ 181 f., 188–190 Deutschland 27, 173 f., 177, 195 f., 205, 221, 241, 243 f., 245, 309, 312. Siehe auch fränkisches Reich, ostfränkisches Reich, römisch-deutsches Reich Devagiri 70 Devon 227 Diaspora 239, 241, 302 Diebold Schilling 316 f.

334 

 Register

Diffusionismus 15 ḏimma 149 ḏimmīs 135, 154 Diomedes Carafa 306 Diplomaten. Siehe Gesandte Dithmarscher 194 Dīwān 216 DNA-Analyse 108, 239 f. Dnjepr 212, 255 Dobrudscha 143, 145 Domesday Book 210, 215, 227 Dominikaner 88, 286 Don 89 donati 283 Donau 19, 26, 28, 30, 94 f., 97, 103, 145, 171–174, 176, 232, 234, 245, 291 Donau-Limes 172 Dongola 109–111 Dorf 311 Dorf-Dorf-Migration 318. Siehe auch Land-Stadt-Migration Dorfformen 188, 199 Dorset 222 Dorset-Leute 22 Douai 311 ‚Drang nach Osten‘ 181 Dreifelderwirtschaft 188 Dresden 187 Drusen 135 Dschihad 166 Dschingis Khan 29, 60, 89 Dschurdschen 63 Dschurdschen-Jin 58, 60 Dublin 212, 224, 255 Dudo von St. Quentin 211 Duero 163 Du Huan 30 Düna 271 Duns Scotus 298 Dürre 23, 112 Dyer, Christopher 318 Dyfed 220 Dyracchium 171

E Eberhard, Wolfram 52 Ebro 163–166 Edgar von England 226 Edgitha von England 305

Edington 225 Edirne. Siehe Adrianopel Edmund, Kg. von Ostanglien 225 Eduard der Bekenner 219, 226 Eider 194, 197, 200 Eiderstedt 194 Einheimische 19, 26, 39, 94, 110, 113 f., 116, 132 f., 162 f., 165, 177, 182, 190, 199 f., 203, 212, 215 f., 223 f., 234, 257, 269, 293, 297, 299, 308, 317 Einwanderungspolitik 295. Siehe auch Ansiedlungspolitik Elbe 28, 87, 175–177, 183 f., 186, 194 Elbmarken 184, 186–188 Elfenbein 224 Elisabeth, Kg.in von Böhmen 309 Eliten 25, 39 f., 51, 57–59, 68, 72 f., 94, 100, 121 f., 131 f., 134 f., 137, 144, 154, 162, 166, 189, 214, 216, 233, 235, 263 Elmet 222 Elsass 317 Emishi 45–47 emphyteutisches Recht 187 Emporium 28, 194. Siehe auch Handel England 27, 193 f., 205, 209–216, 219, 221, 225 f., 228, 241, 244, 247, 269, 281, 292, 295 f., 299, 307, 318 Engländer 202, 228, 244, 245 Englisch 307 Ennin, japan. Asket 274 f. Enns 28 entangled histories 16 Enzo von Sardinien 298 Ephesus 270 Epidemien 104 Epirus 143 Epirus nova 171 Erasmus von Rotterdam 307 Eremiten 268 f., 273 Erfurt 178, 292 Erich VII., Kg. von Dänemark, Norwegen und Schweden 203 Erik der Rote 22 Eroberung 25, 67, 69 f., 76–78, 83, 91, 94, 100 f., 110, 119 f., 209–215 Erzgebirge 188 Erzurum 98 Esesfeld 196 Essex 221 f., 227 Estella 165

Register  Estland 202, 292 eth-class 301 Ethnogenese 29, 94, 129 Ethnonyme. Siehe Namen Euböa 270 Eugen III., Papst 298 Eugen IV. Papst 298 Europa – Mittel- 233, 246, 292 – Nord- 213, 252, 287, 292 – Ost- 27, 29, 86 f., 89–91, 93, 135, 171, 181–191, 245–247, 255 – Ostmittel- 91, 171–176, 178 f., 185, 233, 236 – Süd- 115, 260, 287 – Südost- 141 f., 144, 146, 171 f. – West- 90, 123, 126, 255 f., 258, 260 f., 269, 284 f., 287, 292 Europäer – als Sklaven 153, 162 – als Sklavenhalter 255 f., 263 – auf dem Atlantik 120, 254 – auf dem Indischen Ozean 254 – auf der Osterinsel 22 – in Amerika 22, 24 – in China 53, 63 – in Japan 35 – in Westafrika 253 Eutakios, armen. Palästina-Pilger 276 Eutin 198 Evrenosoğlu 144 Exil 239, 243–245, 247, 268 f., 297–302 Expansion 16, 20, 52, 62, 72, 95, 119–125, 130, 143 f., 149, 155, 161, 164, 166, 185, 203, 214, 219, 291. Siehe auch Reichsbildung Exter 226

F Fa-ch’eng, gelehrter Mönch 275 Fa-chün, gelehrter Mönch 275 Faerpinga 221 Fa-hsien, chines. buddhist. Mönch 272 Faktoren 295 Familie 51, 57, 61, 95, 99, 104, 123, 132, 153, 156, 173, 176, 183, 187, 191, 215, 242, 246, 294, 301, 305, 309, 312 f., 317 Färöer Inseln 212 f. Fatimiden 25, 110, 122, 151 f., 154, 157, 248 Faxian, Pilgermönch 76 Federico Sanseverino 301

 335

Fehmarn 200 Felix V., Gegenpapst 298 Ferdinand II. der Katholische, Kg. von Aragon 167 Fernhandel 16, 19, 21, 73, 114 f., 185, 194, 199, 201, 253 f., 291 f., 295, 297. Siehe auch Handel Fernhändler 189, 195, 202, 257 Ferrara 298 Fes 122 Feudalismus 36 Fezzan 254 Finnen 28 Finno-Ugren 175, 191 Fischer 23, 37, 86, 212, 258 Five Boroughs 225 Flamen 186 f., 227 Flandern 198, 214, 292 Florentiner 296 f., 300 f. Florenz 89, 295 f., 299–301 Flottieren 311 Flucht 317 Föhr 194 fondacum 124–126, 293, 295 Francesco Datini 296 Francesco Filelfo 302 Franken 19 f., 26 f., 29 f., 121, 164, 174, 176 f., 183, 186, 196 f., 210, 221 f., 231, 234, 247, 292, 298 Frankenland 291 fränkisches Reich 19, 173, 176–178, 195, 209–211, 214, 234, 255 Frankreich 27, 156, 165, 179, 215, 219, 228, 240 f., 243–245, 247, 276, 281, 287 f., 299 f., 307 Franziskaner 269, 286 Franzosen 215, 227, 244, 288 Fraxinetum 156 frequentantes (saisonale Einwohner) 194 Frescobaldi, florentin. Familie 300 Friaul 172 f., 175, 300 Friedrich II., röm.-dt. Ks. 158, 308 Friedrich I. von Brandenburg 307 Friedrich II. von Brandenburg 307 Friesen 194, 198, 200, 221, 255 Friesland 194, 198, 221 Fruchtbarer Halbmond 129–132 Fujian 56, 58–61 Fujiwara, Clan der 47 Fulani 114 f.

336 

 Register

Fulbe. Siehe Fulani Fulda 178 Fynn-Paul, Jeffrey 252, 258

G Gagauz 143 Galicien 163 f. Gallien 19, 26, 121, 233 f., 244 Gallipoli 143 Galut 239, 249 Gambia 114 Ganges 272 Gansu 55, 57 Garjaṇa 71 Garsoïan, Nina G. 100 Gaufredus Malaterra 214 Gautama Buddha 268, 270, 272 Gedi 112 Gefangene 30, 46 f., 95 f., 101, 103, 158, 162, 172 f., 176–180, 185, 262 Geiserich, Vandalenkönig 233 Gelber Fluss 55, 58 Gelbes Meer 258 Geldhändler 243, 246–247, 300 Gelehrte 18, 21, 23, 25, 30, 40, 59 f., 74, 115, 135–138, 162, 248, 279–288, 298 Gene. Siehe DNA-Analyse Genealogie 74, 220, 222 Generation 22, 91, 133, 138, 252, 275 Genfersee 298 Gentilnamen. Siehe Namen Genua 27, 89, 124, 143, 165, 299 Genuesen 134, 292–294 Georgier 268 Gepiden 171 Germanen 22, 26, 30, 176, 193 f., 220, 231, 255 Germania Slavica 176 f., 182, 191, 195, 197–200 Germanien 19 Germanikeia 101 Gerona 243 Gesandte 18, 40, 42, 44, 62, 157, 292 Geschenkaustausch 23 Getreide 22, 59, 186, 199, 201 f., 316 Ghana 25, 114, 154, 253 Ghaznaviden 70 Ghetto 243 Ghibellinen 299 Giacomo Isolani 298 Giecz, Burg 184

Giovanni Morelli 297 Girona 164 ǧizya 149 Glamorgan 227 Glas 224 Globalgeschichte 12, 15 f., 115 f., 251, 262 f., 267, 279 Globalisierung 12, 15, 22 Goa 43, 67 Gold 253 f. Goldene Horde, Gebiet der 257, 260 Goldschmiede 30 Goldthwaite, Richard A. 297 Golf von Guinea 156 Gomer 193 Goody, Jack 252 Goten 29, 84, 193, 231–235 Gotizismus 193. Siehe auch Mythos Gotland 28 Göttrik, dän. Kg. 197 Gräber 63, 145, 195, 221–224, 242 Granada 152, 154 f., 161, 166 f. Great Zimbabwe 24, 108, 112 Gregorio Dati 297 Gregor VII., Papst 298 Greifswald 201, 204 Griechen 27, 29 f., 71, 93, 99, 216, 268 Griechenland 96 f., 110, 123, 143, 146, 172 Griechisch 110, 157 Grönland 22, 209–211, 213 Grönländer 23 Großes Schisma 298 Grundherrschaft 183, 311 Guadalquivir 167 Guangdong 56, 58, 61 Guangnan 58 Guangxi 56, 58 Guelfen 299 Guittone d‘Arezzo 302 Guizhou 58, 60 Gujarat 72, 75–77 Guṇavarman 270 Gupta, Reich der 69 Gurjara-Pratihāra-Dynastie 70 Gurkhas 73 Guthrum, Kg. der dän. Wikinger 225 Gwent 227

H

Hacı Evrenos 144

Register  Hacı Ilbeği 144 Hadrian I., Papst 296 Hadrianswall 220 Haimos 103 Haithabu 194 f., 197, 201, 315 Hakka (‚Gastmenschen‘) 56 Halbnomaden 86, 103 Ḫalīfa al-Zenātī 151 Hamburg 204 f., 211, 247 Hamiten 108 Hammūdiden 154 Handel. Siehe auch Fernhandel – Afrika 25, 110, 112–116 – Amerika 23 – Bananen 113 – Bantu 24 – Britische Inseln 222–224, 226 – Chasaren 28 – China 53, 55 f., 59–62 – Ebenholz 112 – Eisengeräte 112 – Elfenbein 112, 116 – Flüsse 28 – Fraxinetum 156 – Genuesen / Mongolen 294 – Gewürze 116 – Gold 25, 112, 114, 116, 154 – Hanse 28 – Honig 179 – Inka 24 – italienische Seestädte 27 – Japan 35, 37, 40, 42, 44, 46 – Juden 244 – Kakao 113 – Kiewer Rus 185 – Mittelmeer 123, 124 – Mongolen 89 – Muslime 136, 138 – Normanen 209 – Osteuropa 184 – Ostseeraum 179, 195 f., 201 f. – Pelze 179 – Perlen 112 – Pferde 114 – Porzellan 45, 116 – Reis 113 – Salz 25, 114, 154 – Sandelholz 112 – Schmuck 116 – Seide 224

 337

– Silber 179 – Sizilien 157 – Sklaven. Siehe Sklaven – Smaragde 109 – Steppenvölker 83 – Stoffe 114, 116 – Südostpolynesien 22 – Transsahara- 114–116, 156 – Wachs 179 – Wikinger 22, 27 f., 209, 212 – Yams 113 Handelsrouten 28, 35, 83, 113 f., 156, 185, 196, 252–255, 291 f. Siehe auch Karawanenstraßen, Transport Händler 291–297 – Afrika 111, 113 f. – al-Andalus 162 – als Exilierte 299 f. – als Reisende 18 – Alt Lübeck 196 – Byzantiner 248 – China 53, 60, 62 f. – Frankenreich 173 – Indien 72, 78, – Indien/China 31 – Indischer Ozean 136 – Irak 133 – irisch-norwegische 226 – italienische 89, 296 – Japan 35, 37 – Juden 240–242, 245, 248, 297 – Kiewer Rus 191 – Land-Stadt-Migration 312 – Maghreb 149 – Naher Osten 123 – niederdeutsche 28, 200–202, 296 – Nürnberger 296 – Osmanisches Reich 145 – Ostseeraum 197 – Sahara 24 – Sklaven- 134 f., 178, 253 f., 257 – Sklaven als 258 – Spanien 165, 167 – syrische 102 Handwerker 21, 30, 37, 39 f., 53, 60, 74 f., 145, 165, 167, 195, 202, 240, 244, 248, 258, 279, 300, 312 Han-Fluss 58 Hangzhou 58 Hanihara Kazuo 39

338 

 Register

Han-Kaiser 52 Hannoversches Wendland 175, 177, 188 Hanse 28, 199, 201 f., 292, 295–296 Harald Hardrada, norweg. Kg. 201 Harald II., angelsächs. Kg. 219, 226 Häresie 256 Häretiker 104, 298 Hārūn ar-Rašīd 98 Hastings 226 Hastings, Schlacht von 215 Hausa 114 Hauteville, Adelsgeschlecht 215 Havel 187 Heather, Peter 14 Hebei, chines. Prov. 56, 58 Hebriden 211–213, 223 Hedong 58 ‚Heiden‘ 25, 86–88, 91, 186 f., 209, 225, 271 Heiliges Land 239, 248, 273, 294 Heimatlosigkeit 267–269 Heinrich Borwin von Mecklenburg 199 Heinrich der Löwe 187, 198 Heinrich der Seefahrer 25 Heinrich Rantzau 193 Heinrich von Badwide, Gf. von Ratzeburg 198 Heinrich von Langenstein 298 Heinrich I. von Schlesien 189 Heinrich II. von England 227 f. Heinrich II., Hzg. von Bayern 185 Heinrich III. von England 227 Heinrich IV., röm.-dt. Ks. 186, 298 Heinrich IV. von England 298 Heinrichs VI., röm.-dt. Ks. 305, 309 Heinrich VIII. Tudor 307 Heirat. Siehe auch Heiratsmigration – Afrika 109–111, 113 f., 116 – Byzanz 98–100 – Exilierte 299 – Händler 294, 297 – Indien 75 – Japan 46 – Juden 246 – Normannen 215 – Ostseeraum 203 – Sizilien 157 – Stadtbürger 288 – Wikinger 212 Heiratsmigration 21, 26, 71 f., 248, 305–309, 317 Helgoland 271

Helmold von Bosau 187 f., 198 Henan, chines. Prov. 56, 60 Henning, Joachim 178 Herakleios, byzant. Ks. 95, 97, 173 f. Hereford 227 Hessen 178 Heveller 177 Hexi-Korridor 54 Hicca 221 hiǧra 138 Himalaya 73 Hiraizumi 47 Historia Norwegie 223 Hitler, Adolf 181 Hoerder, Dirk 279 Hohokam 23 Hokkaidô 44–47 Holland 198. Siehe auch Niederlande Holländer 42, 186 f., 198 f. Holstein 196, 203 Holsteiner 193 Holsten 194, 198 Holz 201 Homogenität 35, 45, 71, 102, 113, 235, 269 homo sapiens sapiens 21 Hongwu, Ming-Kaiser 60 f. Honshû 36, 44–47 Hopewell tradition 23 hospites (Gäste) 185, 188 f. Howell, David L. 45 Huai-Fluss 57 f., 60 Huai-Tal 61 Huang Chao 57, 63 Hubei 61 Hudson, Mark J. 45 Hugh de Lacy 228 Huguang 61 Humanisten 30 Humber 222 Hunan 58, 61 Hūṇas. Siehe Hunnen, iranische Hunger 23, 59, 157, 251, 262 Hunnen 85, 87, 90, 171, 231–233, 235 Hunnen, iranische 67–69 Hussiten 298 Hybridisierung 16, 18, 27, 37, 42 f., 46 f., 89, 91, 111, 113, 116, 302 Hye Ch’o, korean. buddhist. Mönch 272 Hyeja 270

Register 

I Ibaditen 150 Iberia, byzant. Thema 99 Ibn Ḫaldūn 151 Ibn Ḥawqal 156, 158 Ibrahim ibn Jaqub 179 Identität 26, 36, 47, 93–95, 105, 110 f., 138, 141–143, 177, 210, 221, 224, 226, 228, 241, 261, 307 Idrisiden 122, 150 Ifrīqiya 25, 122, 150 f., 156 f. Île-de-France 244, 281, 285 f. Illyrien 171 Imperialismus 123 Inder 24, 63, 67–77, 111, 113 Indianer 22 Indien 21, 31, 53, 67–78, 109, 113, 116, 134, 156, 248, 254 f., 257 f., 268, 270, 272 f., 275, 292 Indischer Ozean 72, 112 f., 116, 136, 252, 254–255, 257 f. Indo-Griechen 67, 71 Indonesien 42, 63, 113, 136, 270 Indonesier 113 Indo-Parther 67 Indo-Skythen 67 Ingelheim am Rhein 312, 317 Inka 24 Innozenz IV., Papst 298 Integration 16, 94, 99–104, 188, 203, 221, 226–228, 231, 235, 259, 301, 305, 308, 317 interconnectivity 16. Siehe auch Verflechtung Interkulturalität 16. Siehe auch Verflechtung Inuit 22 Invasionismus 15 Iona 269 Irak 25, 59, 131–134, 137, 248, 291 Iraker 133 Iran 56, 59 f., 62, 71, 133, 137 Iraner 28, 56, 171, 235 Iren 31, 212, 219 f. Irland 27, 31, 211, 214, 219, 223 f., 227 f., 269, 274, 291 Iro-Schotten 269 Isabella I. von Kastilien (die Katholische) 167 Isabella von Aragón 306 Isabella von England 308 Islam

 339

– und Europa 30 – und Migration 138 f. islamisches Recht 138 Islamisierung 25, 28 f., 71, 76 f., 107, 110–112, 114 f., 130, 136, 141, 144, 150, 154, 157, 162 f., 253 Island 22, 210–213, 255 Isländer 23 Íslendingabók 212 Isle of Man 213, 224 Isolationismus 15 Istanbul 29 Istrien 172, 300 Italien 18 f., 26 f., 91, 97, 121, 123, 156–158, 172 f., 193, 205, 209 f., 214–216, 232–234, 239–244, 247, 254, 256, 261, 287 f., 299 Italiener 89, 204, 288. Siehe auch Florentiner, Genuesen, Pisaner, Venezianer Itil 28 ʿIzz ad-Dīn II. Kaykavus 143, 145

J Jabelheide 177 Jäger 23, 45 Jäger und Sammler 23 Jakob I. von Aragón 296, 306 Jakobsweg 165 Jan Hus 298 Japan 29, 31, 35–47, 53, 61, 257 f., 270, 275 Japaner 35–47, 275 ‚Japaner-Viertel‘ 42, 44 Japanisches Meer 258 Jaroslav von Kiew 185 Java 29, 42 Jeetzel 179 Jemeniten 153, 239 Jerusalem 27, 30, 124, 132, 215, 248, 270, 273 Jiangnan 57, 59, 61 Jiangsu 63 Jiangxi 56, 58 f., 61 Jin-Dynastie 54 Johanna I. von Neapel 298 Johannes I. Tzimiskes 100 f. Johannes VI. Kantakuzenos 143 Johannes von Ephesus 109 f., 271 Johanniterorden 124 Johann von Luxemburg 309 Jomsburg 195 Jordan 270

340 

 Register

Jordanes, Historiograph 171 Juan de Segovia 298 Judäa 268 Juden 21, 26 f., 30, 63, 75, 135, 149 f., 155, 158, 239–249, 252, 273 Judenfeindschaft 240 Juden, orientalische 239, 248 Julian, miaphysit. Missionar 271 Jumne 195 Junagadh 77 Justinian I. 121, 171, 233 Justinian II. 96, 100 f. Jüten 27, 193 f., 221 Jütland 202 f.

K Kāhina, Berberführerin 150 Kairo 25, 122, 132, 134, 151, 242, 248, 295 Kairouan 122, 150 f., 156 Kaisareia 99 Kalabrien 158 Kaldellis, Anthony 93 Kalifat 28 f., 62, 98, 133, 151–153, 161, 164 Kalmar 202 Kalmarer Union 203 f. Kama 28 Kamakura 36, 38 Kamerun 24, 111 Kanada 22 Kanauj 70, 76 Kandia 247 Kanem bzw. Kanem-Bornu 253 Kantô 36 Kanton 58 f., 62 f. Kanz-ed-Dawla 110 f. Kappadokien 99 Kapstadt 257 Karakorum 29, 60, 274 Karantanen 173 f. Karası 143 f. Karawanenstraßen 109, 154, 156. Siehe auch Transport, Handelsrouten Karibik 24 Karl der Große 90 f., 173 f., 176, 183, 197, 255, 292, 296 Karl III., der Einfältige 214 Karnataka 69, 71 f., 76 Kärnten 173, 175

Karolinger 19 f., 87, 164, 183, 196 f., 243, 281, 311 Karpaten 28, 175, 190, 233 Karriere 203, 281 f., 285, 287 f. Kars 99 Karten 21 Kaschmir 69, 76 Kasimir III. von Polen 190 Kaspisches Meer 178, 291 Kastilien 164 Kastilier 126 Katalanische Kompanie 123, 143 Katalonien 163, 165 f., 243 Katharina von Aragón 307 Kathedralschule 281, 283–287 Kathiawar 69 Kaufleute. Siehe Händler Kaukasier 28, 152 Kaukasus 28, 134 f., 172, 239, 257, 260 Kegen, Anführer der Petschenegen 103 Kelten 22, 27, 212, 255 Kent 221 f., 226 Keramik 175, 220 f., 224 Kettenmigration 19, 51, 57, 153, 275 Khanat 29 Khitan 57, 63 Khitan-Liao 53, 57 Khotan 273 Khubilai Khan 29, 292 Kieler Förde 196 Kiew 28 f., 174, 241, 246 Kiewer Rus 28, 174, 179, 183, 185, 191, 212 Kilikien 99, 101 f. Kilwa 112 Kimbern 193 Kimbrische Halbinsel 193 f. Kimek 28 Kiptschak. Siehe Kumanen Kirche 27 Kirchenslawisch 97 Kiskúnság 91 Kiyohara, Clan der 47 Kleinasien. Siehe Asien Kleriker 123, 165, 197, 204, 269, 275, 280, 285 f., 292, 294, 298, 301. Siehe auch Bischöfe, Mönche Klima 24, 112, 131, 213 Ključevskij, Vasily 183 Kloster 31, 76 f., 189, 191, 198, 255, 260, 268–270, 297

Register  Klosterschule 283 Knut der Große 213, 219, 226 Koller, Heinrich 178 Köln 292 Kolonialismus 119, 121, 123, 125 f. Kolonie 27 f., 52, 158, 165, 212, 247, 294 f. Kolonisation 46, 51, 72, 75, 113, 119–126, 142, 145, 156, 164, 181–191, 197, 201 Kompass 40 Konfliktmigration 251. Siehe auch Zwangsmigration Königsberg 201 Konrad von Masowien 190 Konstans II., byzantinischer Kaiser 173 Konstantin IV. 101 Konstantin V. 96, 98, 101 Konstantin VII. Porphyrogennetos 96, 174, 292 Konstantin / Kyrill, Hl. 276 Konstantinopel 27, 29 f., 94–96, 101, 121, 143, 145, 171 f., 254, 260, 270, 292–294, 298 Konstanz 298 Konstanze von Sizilien 305, 309 Konversion 25, 69, 71, 75, 77, 91, 102, 107, 109–110, 112, 114, 122, 133 f., 142, 144, 154, 157 f., 163, 209, 212–214, 240, 244, 259, 280 Konvertiten 133, 146, 152–154, 239 Konziliarismus 298 Kopenhagen 203 f. Kopten 109 Koran 129, 138 Koranschule 114 Korça 242 Korea 31, 37–40, 43 f., 53, 258, 270 Koreaner 38–41, 44 Korinth 144, 172 Koritsa 242 Korsika 158 Krain 174 Krakau 190, 292 Kreditwesen 240 Kremsmünster, Kloster 183 Kreta 158, 247, 270 Kreuzfahrer 27, 94, 126, 152, 165 Kreuzfahrerstaaten 124, 135 Kreuzzug 27, 123 f., 165, 292, 294 – erster 123, 294 – gegen die Wenden 177, 187, 198 – vierter 94, 292

 341

Krieg 24–26, 29, 51, 54 f., 104, 112, 242, 251, 255, 262 Krieger 37. Siehe auch Soldaten, Söldner Krim 89 Kriminelle 52 Kroaten 174 Kubinyi, András 317 Kûfa 132 f. Kulmer Land 190 kulturelle Effekte 276 ‚Kulturträger‘ 181 Kulturtransfer 40, 53, 75, 216, 308 f.. Siehe auch kulturelle Effekte, Technologietransfer, Verflechtung Kumanen 28 f., 85, 91, 103, 141, 143, 190 Künstler 18, 53, 74 f., 162 Kurie, Römische 204 Kurilen 45 f. Kuṣāṇa-Dynastie 67 Kutāma-Berber 25, 150 f. Kyôto 38, 46 f. Kyrenaika 151 Kyrill, Heiliger 178 Kyûshû 36, 42 f., 258

L

Lackwaren 45 Ladogasee 195 Laien 280 f., 286 f., 298 Lambertazzi 299 Lancashire 212 Landesausbau 182, 184, 186–189, 197, 199, 201 Landflucht. Siehe Land-Stadt-Migration Landnámabók 212 Land-Stadt-Migration 136, 248, 311–318 Landwirtschaft 22, 24, 27, 45, 73, 101, 109, 156, 184–186, 189, 248, 255 f., 259 f. Langobarden 18 f., 26 f., 172 f., 214 f., 231, 234 f. Laon 281, 285 Las Navas de Tolosa 155, 165 f. Latein 137, 157 Lauenburg 196 Lausanne 298 Lausitz 177 Lebunion 103 Lechfeld 91 Leezen 197 Lehen 144, 186 f., 214 Lehnswesen 216 Leibeigenschaft 255, 314

342 

 Register

Leicester 220, 225 Leinster 228 Leipzig 298 Leo I., Papst 233 León 164 Leon Diakonos 99 Leon IV. 101 León-Kastilien 243 Leon V. 100 Lettgallen 271 Lettland 271 Levante 123, 135, 274 Lewin, Bruno 39 f. Liao 57 Liaoxi 54 Libanon 101 Liège 311 life-cycle-Mobilität 316 Ligurien 216 Limerick 212, 224 Limes Saxoniae 175, 196, 200 Limpopo 112 Lincoln 225 Lindisfarne, Kloster 211, 213 f., 223, 269 Lindsey 221 Linonen 173 Lissabon 165 f., 297 Litauen 292 Litauer 271 Liubice. Siehe Alt Lübeck liumin (‚umherstreunende Menschen‘) 55 Liu-Song-Dynastie 54 Liutizen 196 f. Liven 271 Loire 214 Lokatoren 187–189, 198 f. Lombarden 216 London 28, 225 f., 247, 296 Lothar, röm-dt. Ks. 187 Lothir 241 Lothringen 227, 244 Lothringer 186 Lübeck 28, 200–202, 204 f.. Siehe auch Alt Lübeck Lucca 296, 299 f., 302 Lucera 158 Luchesen 297 Ludovico III. Gonzaga 307 Ludwig der Bayer 298 Ludwig der Fromme 153

Lüneburg 205 Luoyang 54 Lusizer 177 Lutizen 177, 184 Lütjenburg 198 Luzon 42 Lykandos 98 Lyon 255, 301

M

Maas 311 Macao 43, 63, 257 Madagaskar 108, 113 Madhumati, Tājika-Fürst 70 Madhya Pradesh 75 Madīnat az-zahrāʾ 122 Magdeburger Recht 188, 190 Maghreb 108, 125, 137, 149–158, 166, 248 Mag Rath 220 Maharashtra 69, 72, 76 Maḥmūd von Ghazni 70 Mähren 179, 184, 189 Mährer 174, 178 Mailand 298, 302, 315 Maimonides 135 Maine 227 Maine-Anjou 244 Mainz 292, 315 Mais 23 Makedonen 30 Makedonien 97, 142, 144 Makuria 109, 110 Mālava 69 Malaysia 42 Malcolm III. von Schottland 226 f. Maler 30 Mali 114 f., 253 Malindi 112 Malkoçoğlu 144 Mallorca 256, 296 Malta 124 Malz 202 Mamluken 25 f., 134, 152, 257 Mandasor 74 f. Mande 114 Manjurei 53 f., 60 Manjuren 53 Manning, Patrick 279 Mansa Musa, König von Mali 115 Mantua 302, 307, 309

Register  Mantzikert 99 Manuel I. Komnenos 296 Mapungubwe, Königreich von 112 Marco Polo 59, 292 Mardaïten 101 Margarethe von Österreich, Tochter Maximilians I. 307 Maria von Burgund 309 Mariental bei Reval, Kloster 205 Marienwohlde bei Mölln, Kloster 205 Maritza 145 Marius, röm. Feldherr 193 Marokko 114, 150, 254 Marrakesch 122, 154, 155 Marseille 244, 256 Marsilius von Padua 298 Martyrium 271 Massenmigration 13–17, 21, 24–29, 51, 53 f., 59, 69, 99, 139, 162, 166 f., 214, 221, 248, 314, 316 Masʿūdī, arab. Gelehrter 75 Mathias Corvinus 306 Matteo Polo 292 Maurikios 95, 97, 102 Mauss, Marcel 20 Maximilian I., röm.-dt. Ks. 309 Maya 23 f. Mazdeaner 63 Mazedonien 103, 143 McCormick, Michael 291 Meath 228 Mecklenburg 196–199, 204 Mecklenburger 193, 200, 203 Medici 300–302 Medina 129 f., 136 Medizin 40 Mehl 202 Mehmet II., Sultan 30 Mehrfelderwirtschaft 199 Mehrheitsgesellschaft 141 Meinhard, Hl. 271 Mekka 78, 115, 129 f., 136, 138, 273 Meles von Bari 215 Melias 98 Melitene 101 f. Melkiten 102 Meloria 299 Mendikanten 37 Mendikantenorden. Siehe Bettelorden Menouthis 272

 343

Menzlin 195 Mercia 221 f., 225 f. Mercier 213 Meriniden 155, 167 Meroe 109 Meroitisches Reich 109 Merowinger 19 f., 234, 292 Mesoamerika 23 Mesopotamien 102 Metallbearbeitung, Metallverarbeitung 39 f., 45, 108 Methodios, Hl. 178 Mexiko 23 f. Mezzogiorno 123 Miaphysiten 100 f., 109, 130, 271 Michael der Syrer 102 Michael II. Kourkouas Oxeites 100 Michael VIII. Palaiologos 143 Michele Benini 300 Midlands 227 Midlands, irische 224 Mieszko I. 174 Miethke, Jürgen 279 Migrationismus 15 Migrationsdefinitionen 11, 21, 81 Migrationsforschung 13–15 Mihaloğlu 144 Mihirakula, Sohn des Anführers der iranischen Hunnen Toramāṇa 69 Mikulčice 178 Militärtechnik 40 Milzener 177 Minderheiten 52, 94, 142 Ming-Dynastie 29, 53, 59–61 Ministeriale 187 miṣr, Pl. amṣār 122, 132 f., 150 Missernten 312, 316 Mission 31, 35, 78, 97, 110, 145, 163, 186 f., 197, 234, 269–271, 274, 283, 292, 297 Missionare 35, 63, 150, 194, 212, 267, 270 f., 273–276 Mississippi 23 Mistislaw, Abodritenfürst 197 mitatón 293, 295 Mittelanglien 221 Mittelmeer 114, 119–126, 158, 178 f., 240 f., 244, 247 f., 252, 254, 256, 260 f., 292, 296 f. Mittelpersisch 137 Mittelrhein 26

344 

 Register

Mittlerer Osten 114, 116, 141, 239 f., 242 f., 247–249 mleccha 68–71 Mogadischu 112 Moglena 103 Mohammed 129, 138, 271 Moldawien 172 Moltke, Adelsgeschlecht 203 Molukken 42 Mombasa 112 Monastik 284 Mönche 18, 21, 53, 73, 76 f., 109, 191, 204 f., 267–270, 273, 275, 282–284. Siehe auch Kleriker Monemvasia 96 Möngke Khan 274 Mongolei 25, 28 f., 52, 60 Mongolen 21, 25, 28 f., 41, 45, 56, 58, 60, 63, 70 f., 85, 89, 91, 141, 191, 257, 271, 292 mongolisches Reiches 59, 89, 274 Monk’s Mound 23 Monophysiten. Siehe Miaphysiten Morava-Becken 145 Morea 144 Morisken 152 Moschee 77, 114 Moskau 191 Mozambique 112 Mozaraber 154, 163 f., 166 Mudéjaren 165, 167 Muḥammad b. ʿAbd Allāh Ibn Tūmart 155 Mumbai 69 f. Munster 224 Münzfälscher 299 Murai Shôsuke 37 Murcia 167 Müritz 196 Müritzer 196 Mūsā b. Nuṣayr 152 Muslime 129–139 – Afrika 107 f., 110, 113 f. – als Kolonisten 121 f., 145 f. – Balkan 143 – Byzanz 96, 98, 101 f. – China 52, 60, 63 – Fraxinetum 156 – Ghana 25 – Indien 69–73, 75, 77 f. – Land-Stadt-Migration 311 – Maghreb 149

– Sizilien 156, 158, 214, 216 – Sklavenhändler 253 – Spanien 152 f., 161, 165–167 – Transsaharahandel 24 – und christliche Händler 295 – und Juden 240, 243 – und Mamluken 26 – und Monstren 21 – und Sklaven 252 – und Stammverwandtschaft mit Christen 30 – Unteritalien 27 Mustaʾrab 247 Muwalladūn 154, 163 Muʿāwiya I., Kalif der Umayyaden 133 Muʿāwiya, syr. Gouverneur 158 Myanmar 77 Myhre, Bjørn 223 Mythos 30, 68, 72, 76, 88 f., 142, 150 f., 163, 193, 239 f., 298

N Nagasaki 35, 42 Naher Osten 141, 254 – Sklaven 252 Naissus. Siehe Niš Nālandā 270 Namen – Orts- 95, 164, 173, 175, 179, 184 f., 189, 199 f., 213, 220, 223, 225, 312 – Personen- 39, 158, 164, 183, 210, 312, 315 – Volks-/Gentil- 87, 141, 173, 175 f., 185, 234 f. Nanbeichao-Zeit 54 Nanjing 53, 60 f. Nara 38 Narbonne 244 Nasriden 152, 166 f. Nassfeldreisanbau 39 nationes 293, 295, 297 Naturkatastrophen 23, 51, 54 f., 58 Navarra 163, 243 Neapel 247, 300 Nepal 67, 72 f., 76 f., 270, 272 Ness, Immanuel 11 Nestorianer 63 Netze 174 Neue Welt 152, 247 Neufundland 22 Neugier 284 f. Neupersisch 137

Register 

 345

Neuseeland 22 Neusiedler 22, 153, 164 f., 167, 187–189, 198–201, 227 ‚Neustämme‘ 200 Nevars 77 ‚New Western History‘ 46 Nichtsesshafte. Siehe Nomaden Nicolò Polo 292 Nidaros (Trondheim), Kirchenprovinz 213 Niederlande 177, 204 f., 241. Siehe auch Holland Niedermösien 95 Nigeria 111, 114 nihonron (‚Japandiskurse‘) 35 Nikephoros 102 Nikephoros I. 104 Nikephoros II. Phokas 101 Nikephoros Phokas 102 Nil 25, 109, 151 Niltal 108–111 Ningxia 57 Niš 103, 171 Noah 193 Nomaden 26, 28 f., 81–92, 125, 131, 144 f., 151, 172 f., 175, 257 Nonnen 76, 204 f., 267 Nordchinesische Ebene 61 Nordsee 194, 212, 291 Noricum 234, 236 Normandie 27, 211, 214 f., 219, 226, 241, 244 Normannen 14, 27, 122 f., 156 f., 209–212, 214–216, 226–228, 244, 298 Northumbrien 221 f., 225 f. Norwegen 22, 27, 202, 210–214, 223, 226, 292 Norweger 22, 212, 223 f. Norwich 227 Nottingham 225 Novgorod 28, 174, 296 Nubien 109–111 Nubier 151 f., 271 Nūr al-Dīn 152 Nürnberg 296

Odoaker, Kg. von Italien 232 f. Ogam 220 Okavango 24 Oldenburg 197 f. Olmaliq 271 Oman 112 Onoguren 28, 141 Ooms, Herman 41 Orient 166 Orissa 71, 76 Orkneyinga Saga 223 Orkneys 212 f., 223 Orthodoxie – chalkedonensische 102, 104, 130 – islamische 151, 155 Ortsnamen. Siehe Namen Oshima 44 Oslo 202 Osmanen 29 f., 135, 141–145, 254, 256 Osmanisches Reich 152, 167, 239, 242, 244, 247 Ostanglien 221 f., 225 Osterhammel, Jürgen 16 Osterinsel 22 f. Österreich 174 f., 190, 245, 247 Ostforschung 181 ostfränkisches Reich 177, 256 Ostgoten 26, 121, 172, 233, 298 ‚Ostkolonisation‘ 181, 279. Siehe auch Kolonisation Ostpreußen 179, 200 Ostsee 28, 173–176, 179, 212 – Händler 295 Ostseefinnen 191 Ostseeraum 193–205 ‚Ostsiedlung‘ 182, 199 f., 202 Otto, Bf. von Bamberg 186 Otto I., röm.-dt. Ks. 292, 305 Otto II., röm.-dt. Ks. 305 Ottonen 183 f., 197 Ouargla 254 Oxford 298

O

P

Oberfranken 173, 175 Oberpfalz 173, 175 Ochotsk 45 Oder 175 f., 184, 186 Odericus Vitalis 214

Pachomios, Hl. 268 Padmasambhava 270 Padua 298–300 Paekche, korean. Kg.reich 40, 274 Pahlavas 68

346 

 Register

Pahlavi 69 Pakistan 67, 69, 270 Palästina 27 Palchŏng, koean. gelehrter Mönch 274 Palermo 215 Pali 31 Pannonien 18, 233 f., 236 Paolo Morelli 296 Papiermacher 30 Pārasīka 71 Paris 204, 245, 281, 285 f., 296, 298 Parma 299 Parsen 75 Pascal von Vittoria 271 Pate 112 Patmos 270 Patrick, Hl. 31, 274 Patrizier 315 Patterson, Orlando 251 Pazifik 16, 22 f., 46 Peene 195 Pegau, Kloster 186 Peloponnes 96 f., 100, 124 Pendeln 17 f., 309. Siehe auch Reisen, Zirkulieren Pentapolis 296 Pera 294 Periodisierung 21, 37 f., 107 Peripherie 36, 122 Perlak 292 permanentes (Dauerbewohner) 194 Peroz, Sohn des Perserkönigs Yazdgard III. 62 Perser 25, 62 f., 70 f., 95, 97, 104, 260, 275 Persien 29, 108, 111, 150 Persisch 134 Persischer Golf 111, 113, 253 Peruzzi 296 Pest 96, 104, 130 f., 134 f., 144, 202, 245, 312 f., 315 Peter Abelard 286 Petrus von Ravenna 204 Petschenegen 28, 91, 103 f., 141 Philipp der Schöne 296 Philippe de Bresse 301 Philipp II. von Makedonien 30 Philipp III., Kg. von Spanien 152 Philippikos Bardanes 100 Philippinen 42 Physici 288. Siehe auch Ärzte Physso, slaw. Župan 183

Piacenza 296, 299 Piasten 174, 179, 184 Piemont 216 Piero Tecchini 295 Pikten 212, 220, 223 Pilger 23, 76–78, 115, 136, 215, 248, 267–269, 272 f., 275 f., 279, 284, 292 Pingcheng-Region 55 Piraten 43, 61, 156, 209 f., 213, 248, 258, 293, 299 Pirenne, Henri 293 Pisa 27, 124, 295, 299 Pisaner 295, 299 Plattensees 174 Plön 196 Plöner See 198 Plune. Siehe Plön Poel 199 Poitou 227 Polaben 179, 196 Polabien 197 f. Polen 174 f., 179, 181, 184–187, 189 f., 193, 199, 245 f., 307 Polen-Litauen 241 Poljanen 183 polnischer Westgedanke 181 Polovzer. Siehe Kumanen Polynesien 22 Polynesier 22 f. Pommern 174, 179, 187, 193, 195, 198–200, 204, 246 Pomoranen 186, 195, 198 Pontus 28 Portugal 43, 125, 166, 242, 247, 254 Portugiesen 42 f., 63, 67, 112, 126, 136, 156, 254, 258, 260, 305 Pottasche 201 Prag 179, 298 Prag-Korčak-Gruppe 175 Prämonstratenser 198 Präsenzgesellschaft 86 Přemysliden 179, 180, 184 Preßburg, Schlacht von 174 Preußen 199 Pribina, Mährenfürst 174 Pribinas, Fürstentum 174 Pribislav, Abodritenfürst 188 Priester 73 Pripjet 175 Priscus, oström. Feldherr 172

Register  Prokop von Caesarea 171 Proselytismus 240 Provence 156, 241, 247 Pruzzen 190, 271 Przeworsk-Kultur 175 Pyrenäen 27, 153

Q Qaisiten 153 Qin-Dynastie 52 Qinghai-Tibet-Hochebene 58 Quanzhou 59, 63 Quellen 14 – Afrika 107 f., 111, 114 – Britische Inseln 220 – Byzanz 95 f. – China 51, 57 – Exilierte 298 – Händler 291 f. – Indien 70 f., 73 f., 77 – Japan 36, 39 f., 43–46 – Juden 239 f., 242, 246 – Land-Stadt-Migration 312 – Maghreb 149, 158 – muslimische Welt 132 f. – Osteuropa 182 – Ostseeraum 195, 202 – Pilger 272 – Reconquista 164 – Slawen 171, 174, 176 – Steppenvölker 83–86 – Türken 141, 142 – Völkerwanderung 234, 235 – Wikinger und Normanen 210

R Rabi’à 110 Radonež 191 Raedwald, ostangl. Kg. 222 Ragusa 256 Rainulf Drengot 215 Rajasthan 73 Rāmacandra, Kg. der Yādava-Dynastie 70 Ranen 195 Raqqāda 151 Rassismus 135, 261, 263, 293 Rastislav, mähr. Fürst 178 Rāṣṭrakūṭa-Dynastie 69 f., 72 Rather von Verona 298

 347

Ratzeburg 196, 197 Raub 27, 43, 103, 172, 194, 211, 233, 235, 251, 255, 262 Ravenna 296 Ravenstein, Ernst Georg 86 Rebellion der acht Fürsten 54 Reconquista 124, 154, 161–167, 244 Regensburg 179 Regularkanoniker 283 f. Reich des Islam 248 Reichsbildung 19, 21, 24–29, 81, 83 f., 214, 233 f. Reich von Vijayanagara 71 Reims 281, 285 Reiseberichte 76 Reisen 17 f., 77, 267, 272, 284, 287, 291, 293 f., 297, 306 f., 309. Siehe auch Pendeln, Zirkulieren Rennes 300 Renzong Sung 275 Repoblación 163 f. Reric 197 Rethra 196 Rhein 19, 26, 30, 87, 177 f., 232–234, 246, 291, 312 f., 316 Rhodos 124, 158 rhōmaioi (Römer) 93 Rhône 241, 256 Rhys ap Tewdwr, Kg. der Deheubarth 227 Riccardo da Saliceto 298 Richard FitzGilbert 228 Richter 115 Riga 201 Rio Grande 23 Ripen, Privileg von 203 Ritter 25, 27, 203, 214 f., 219 Ritterorden 189 Rjurikiden 174, 179, 184 Roberto da Saliceto 298 Roderich, Kg. der Westgoten 161 Rodion, Bojar aus Kiew 191 Roger I., Großgf. von Sizilien 216 Roger II., Kg. von Sizilien 215 Roger von Wendover 308 Roggen 202 Rollo, Wikinger 214 Rom 84, 193, 204 f., 231 f., 240, 242 f., 273, 298, 300 Romanen 88, 162, 176, 309 Romanos I. Lakapenos 98

348 

 Register

Romanos III. Argyros 102 Römer 26, 90, 93, 97, 104 f., 126, 172, 219 f., 232, 235 römisch-deutsches Reich 198, 200, 245, 256, 280 f. römisches Recht 282 Römisches Reich 26 f., 31, 120 f., 171, 173, 176, 220, 231 f., 283, 311 Roover, Raymond de 296 Rossia Fennica 191 Rostock 201 f., 204 Rostov 191 Rotes Meer 109, 254 f. Rotruthenien 190 Rouen 214, 300 Rügen 179, 187 f., 195, 199, 200 Rumänen 317 Rumelien 146 Rūm-Seldschuken 141 Russen 28, 91, 184, 191, 268 Russland 59, 183, 190 f., 209, 245, 292, 313 Rustamiden 150 Ruthenen 190 Ryūkyū-Inseln 43, 61

S

Saadiern 155 Saale 28, 175 f., 183, 186 Sabas von Vatopedi 270 Sachalin 45 f. Sachsen 27, 87, 176 f., 186–188, 193 f., 196 f., 219–222, 234, 255 Sachsenspiegel 188 Sahara 24, 111, 114 f., 253–255 Sahelzone 24 Śakas 67 f. Säkularkanoniker 283 f., 287 Ṣalāḥ al-Dīn b. Ayyūb 152 Salerno 298 Sallust 87 Saloniki 145 Salvian von Marseille 231 Samaniden 292 Samarra 136 Sambesi 24 saṃnyāsin 267 f. Samo, fränk. Händler 173, 178, 292 f. San 174 Ṣanhāǧa 150 Sanskrit 31

Śāntarakṣita 270 Santiago de Chile 24 Saragossa 166 Saraguren 141 Sarande 242 Sardinien 121, 158 Sarı Saltık 145 Sarmaten 235 Sassaniden 69, 71, 130 f. Savona, Markgrafen von 216 Saymūr 75 Scharia 138, 259 Scharpflug 199 Schauenburg 202 Schiiten 133, 150 f. Schisma 256 Schlei 194 Schlesien 91, 189 f., 245 f. Schleswig 197, 201–203, 315 Schleswig-Holstein 175, 193, 194 Scholaren 279, 285, 287 f. Scholastik 284–286 Schottland 27, 212, 219 f., 223 f., 227 f., 269 Schreiber 288 Schriftlichkeit 107 – und Sesshaftigkeit 84 f. Schultheiß 198 Schwaben 247 Schwabenzüge 317 Schwale 198 Schwansen 200 Schwarzes Meer 28, 89, 172, 174 f., 178, 212, 232, 240, 245, 252, 254, 260 f., 294 Schweden 28, 175, 193, 202–205, 209 f., 212, 292 Schwentine 198 Schwerin 187 Schwinges, Rainer Christoph 317 Sebasteia 99 Sebastopolis, Schlacht von 96 Seefahrer 22, 124, 136, 209, 211, 254. Siehe auch Transport Segeberg (bei Lübeck) 198, 271 Seidengewinnung 40 Seidenstraßen 56, 248 Seidenweber 300 Seine 214 Seldschuken 29, 99, 134, 141, 143, 151 Semgallen 271 Sendai 46

Register  Seneca d. Ä. 12 Senegal 114 Sepharad 241 Sepharden 239, 242–244, 247 f. Septimanien 153 Serben 143, 173 f., 268, 315 Serbien 143, 146 Sergej von Radonež, Hl. 191 Sergius IV., Hzg. von Neapel 215 Sesshafte, Sesshaftigkeit 23, 26, 59, 81 f., 84–86, 90, 144 f., 257, 273, 294 Sevilla 154 f., 166 f. S. Gimignano 295 Shaanxi 60 Shashe 112 Shatuo-Türken 57 Shetlands 212 f., 223 Shintô 41 Shizu, Kaiser der Nördlichen Wei 55 Shôgunat 36, 38, 47 Shona 112 Shrewsbury 227 Shu 52 Siam 42 f. Sibirien 44, 47 Sichuan 52, 56–59, 61 Siena 295 f., 302 Sigibert I., fränk. Kg. 305 Siǧilmāsa 150, 154, 254 Silberschmiede 30 Sinai 270 Sindh 69, 77 Singhalesen 72, 75–77 Singidunum 172 Sirmium 172 Śivaismus 69 Sizilianer 243 Sizilien 121, 123 f., 156–158, 214–216, 241 f., 247 f., 256, 261, 296 Skandinavien 193 f., 202, 209 f., 213, 223, 255, 291 Skandinavier 27 f., 195, 202, 209–211, 213, 292 Sklaven 24 f., 43 f., 55, 63, 73, 89, 91, 103, 114 f., 134 f., 149, 152, 156–158, 162, 177–180, 195, 232, 235, 251–263 Sklavenen 171 f. Sklavinien 95–97, 104, 173, 176 Slawen 25, 27 f., 93–97, 100, 141, 151, 171–190, 194–201, 209, 236, 240, 255, 292, 317 Slawenaufstand 184, 186, 197

 349

Slawinia 96 Slawisch 182 Slawonien 174 Slowakei 174 Snakenborg, Adelsgeschlecht 203 Sofala 112 Sofia 145 Soldaten 26, 37, 51, 54, 60, 72, 95, 97, 121–123, 132–135, 145, 151, 153, 161 f., 166, 220, 232, 235, 258, 260 Söldner 21, 27, 123, 152 f., 156, 165 Somerset 227 Song-Dynastie 53 f., 56, 58 f., 61, 63, 311 Songhai 114 f., 253 Songtham, Kg. von Ayutthaya in Siam 42 Sonike 114 Sorben 173, 177 Souarounas, sklaven. Soldat 172 Spandau 187 Spandowerhagen 195 Spanien 25–27, 121, 124 f., 135, 137, 152–156, 166, 178 f., 193, 233 f., 241–244, 247 f., 254–256, 261, 267, 291 Spanier 42, 156, 254 Spanische Mark 164 Speyer 241 Sprache 24, 26, 28, 56, 68, 94, 100, 104, 107–109, 213, 305, 307 f. Sredec 103 Sri Lanka 67, 72, 77, 270, 272 Śrīvijaya-Reich 72 stabilitas loci 86, 269, 282–283 Stadt 25–29, 56, 59, 112, 122, 133, 136, 138, 167, 186, 188, 190, 201, 288, 311 Stadt-Land-Migration 315 f. Siehe auch Land-Stadt-Migration Stadt-Stadt-Migration 313. Siehe auch Land-Stadt-Migration Stamford 225 Staraja Ladoga 195 Starigrad. Siehe Oldenburg Staurakios, byzantin. Ks. 97 Stefan Dušan 143 Steiermark 175 St. Emmeram, Kloster 185 Stephan I. von Ungarn 88, 185 Stephanos Skylitzes 94 Steppenvölker 28, 59, 81–92, 103, 175 Steppe, russische 257, 260 Stettin 195, 204

350 

 Register

Stockfisch 202 Stockholm 28, 202 Stör 196 Stormaren 194, 198 St. Philibert in Noirmoutier, Kloster 214 Stralsund 201, 204 Straßen. Siehe Karawanenstraßen, Handelsrouten, Transport Strozzi, florentin. Familie 300 Studenten 30, 204 f., 279, 286, 298 Studienhäuser 286 Studienmönche 268, 272, 275 studium generale 286 Sturm, Abt des Klosters Fulda 178 St. Viktor (Paris) 286 Sudan 107, 109 f., 254 Sudeten 188 Sueben 26, 233 Sueno-Kuso, schwed. Birgittiner 205 Sufriten 150 Sui-Dynastie 31, 56 Suinthila, Westgotenkönig 121 Sulawesi 42 Sultanat von Delhi 70 f. Sultane 134 Sumatra 72 Sundiata, Malinke-Führer 115 Sunna 292 Sunniten 150–152 sürgün 144 f. Süsel 198 Sussex 221 f. Sutton Hoo 222 Suzdal 191 Sveinn Haraldsson, dän. Kg. 226 Sven Gabelbart, dän. Kg. 213 Swahili 112 f. Sylt 194 Syndici 281, 288 Syrer 25, 96, 100–103, 275 Syrien 27, 95, 100–102, 131–134, 150, 152 f., 173, 248, 268, 291 Szeged 317 Székesfehérvár 317

T

Taġāza 154 Tagelöhner 316 Taifen-Reiche 154, 164

Taiwan 42, 52, 61 Tājika 69–71 Tajo 165 Talas 30 Tamilen 72 Tamilnadu 71 f. Tang-Dynastie 30, 40, 54, 56 f., 62 Tanguten 58, 63 Tankred von Hauteville 215 Taoismus 41 Ṭāriq b. Ziyād 152 Tarnowo 143 Taron 98 f. Tarsos 99, 101 Tassilo von Bayern, Hzg. 183 Tatzates 98 Technologietransfer 40, 53, 59, 199 Teer 201 Teotihuacán 23 Thailand 42, 77 Thalassokratie 29 Theoderich der Große, Kg. der Ostgoten 233 f. Theodora, byzant. Ks. 271 Theodora I., oström. Ks.gattin 110 Theodosioupolis 98 f. Theodulf von Orléans 298 Theophanu, Gemahlin Ottos II. 305 Thessalien 143, 145 Thessaloniki 95, 143, 171–173 Thomas von Aquin 286 Thrakien 30, 96–98, 101, 104, 142–145, 171 f. Thule 22 Thüringen 175 Thüringer 176 Tibet 52, 76 f., 270 Timar 144 Timarioten 144 Timbuktu 25, 115, 156 Timuriden-Dynastie 258 Timur Lenk 70 f., 144, 257 Tinmal 155 Totschläger 299 Toledo 164, 166 Tolteken 23 Tønsberg 202 Toramāṇa, Anführer der iran. Hunnen 69 Tornikios 98 Tortosa 165 f. Toskana 299 f. Toskaner 295, 299 f.

Register  Transhumanz 82, 125, 317 Transkulturalität 17. Siehe auch Verflechtung Transport – mit Alpakas 24 – mit Kamelen 24, 109, 136. Siehe auch Karawanenstraßen – mit Lamas 24 – mit Ochsen 24 – mit Pferden 24 – mit Schiffen 22, 24, 28, 36, 136, 172, 179, 211 – mit Wagen 24 – über Flüsse 28, 174, 313 – über Land 62 – über See 62 – über Straßen 24, 179, 253, 313. Siehe auch Handelsrouten, Karawanenstraßen Trave 198 Treene 194 Treviso 247 Tribal Hidage 221 Tripolis 315 Tripolitanien 155 Trojaner 29 f., 298 Tschadsee 25 Tschechen 181 Tscherkessen 25 Tsushima 43 Tuareg 115 Tuluniden 25 Tunesien 150 f., 155, 241, 248 Tunis 254 Tuoba-Wei-Dynastie 55 Turahanoğlu 144 Türken 25, 28–30, 99, 103 f., 115, 124, 134, 141–146, 151 f., 260, 315 Türkisch 134 Turkmenen 141, 145, 257 Turuṣka 71 Tyrach, Anführer der Petschenegen 103 Tzatoi 100 Tz’u-huan, gelehrter Mönch 275 Tzympe 143

U ʿUbayd Allāh 151 uc-beğ 144 Uddiyana 270 Uecker 196 Uexküll 271

 351

Ugrier 28 Uighuren 57, 63 Uí Néill, Dynastie 224 Ukraine 95, 175 Ukranen 196 Ulster 224 Umayyaden 25, 122, 132 f., 150, 152 f., 156, 162, 164, 260, 291 umbi-Salah 114 umma 25 Umschlagsplatz 27 Umsiedlungspolitik 51–53, 60, 75 f., 96–98, 100–102, 104, 144 f., 158, 166, 176, 184 f., 197 f., 315. Siehe auch Ansiedlungspolitik, Zwangsmigration Ungarn 28, 85, 87 f., 91, 141, 174, 184 f., 189 f., 233, 241, 245–246, 306, 312, 314, 317 Universität 281 f., 284–288, 298 Uppsala 204 ʿUqba ibn Nafiʿ 150 Urach 309 Urban VI. 298 Urbino 301 Usbekistan 271 Utiguren 141 Utrecht 198 Uzen 103, 141

V Vadstena 204 f. Valencia 165, 261 Valens, oström. Ks. 232 Vanand 99 Vandalen 26, 84, 121, 231–233, 235 Vannes 300 Vārāṇasī 273 Vardar-Becken 145 Vaspurakan 99 Venedig 27, 89, 124 f., 143, 178 f., 243, 247, 256, 293, 295 f., 298–302 Venezianer 292–294, 296 Venosa 242 Veraval 77 Verdun 178 Verflechtung – globale 16, 276 – transkulturelle 16–18, 21, 43 f., 47, 91, 157, 161, 209, 216, 276, 308. Siehe auch Kulturtransfer

352 

 Register

Verfolgung 51, 71, 73, 76, 78, 100, 102, 142, 146, 242, 244, 247 Verkehr. Siehe Transport Verlinden, Charles 178 Verona 298, 300 Vertreibung 22, 30, 55, 58, 82, 101, 121, 135, 142, 146, 152, 155, 163, 167, 177, 188 f., 197, 212, 223, f., 240, 243–245, 247, 296, 298, 300, 314 f. Viehzüchter 115 Vietnam 42 Vijayanagara, Reich von 71 f. Vineta 195 Visby 28, 292 vita communis 283. Siehe auch Zönobiten Vitzen, Adelsgeschlecht 203 Vladimir 191 Völkerwanderung 111, 120, 194, 231–236, 241, 279 Vorderer Orient 131, 135, 259 Vorpommern 188 Voynuken 144 Vratislav, böhm. Kg. 186

W Wagrien 197 f. Wagrier 96, 173 wakō 258 Walachei 172 Walachen 190 Waldrodung 183, 185, 191 Wales 27, 219 f., 227 f. Waliser 219, 228 Wandermönche 31 Wanderprediger 269 Waräger 28, 174 Warthe 174 Wāsiṭ 132 Wasser 114 Wassermühle 199 Wasserstraßen. Siehe Transport Wasseruhr 40 Wasserwaage 40 Waterford 212, 224 Watling Street 225 Watson, James L. 252 Weber 30, 316 Weichsel 195 Weideland 25, 82, 84 f., 114 f., 133, 167, 198

Weltsystem 25 Wenden 196, 292 Wendepflug 188 Weser 186 Wessex 213, 219, 221 f., 225 Westfalen 198 Westgoten 26, 121, 152, 154, 161 f., 233 f., 243, 255 Westsachsen 213 Wexford 212, 224 Widin 143 Widukind von Corvey 87 Wiedau 200 Wien 298 Wight, Insel 222 Wikinger 22, 27 f., 43, 86, 194 f, 209–214, 219, 223–225, 255, 291 Wilhelm der Eroberer 209 f., 213, 215, 219, 226 f. Wilhelm von Ockham 298 Wilhelm von Rubruck 274 Willibrord, Hl. 270, 275 Wilzen 173, 177, 196 Windmühle 199 Wink, André 69 Wiprecht von Groitzsch, Markgf. 186 Wirtschaftsmigration 61, 73–75 Wislanen 174 Wismar 197, 199, 201 Wismarer Bucht 179 Wissenstransfer 30, 53 Wittelsbacher 203, 305 Wolchow 195, 212 Wolga 28, 255 Wolgabulgaren 28 f., 178 Wollin 195 Wudai-Dynastie 54, 56 Wulfila, got. Bf. 233 Wuzong Tang 274

X Xie Zhaozhi 53, 57 Xinjiang 52 Xinzhou 42 Xiyang 42 Xuanzang, Pilgermönch 76 Xuanzong, chines. Ks. 60

Register 

Y Yādava-Dynastie 70 Yamada Nagamasa 42 Yamato 38 Yangzhou 62 Yangzi-Fluss 54, 56 f., 59, 61 f. Yanyuan 52 Yavanas 67 f., 71 Yazdgard III., Perserkönig 62 Yijing, Pilgermönch 76 Yongjia-Rebellion 54 Yongle, Ming-Kaiser 60, 63 York 219 f., 225 Yuan-Dynastie 29, 59–61, 63 Yucatán 24 Yue 56 Yunnan 54–61 Yürük 145 Yūsuf b. Tāšufīn 154 f.

Z Zahl der Migranten 17 – Araber 132 – Asketen, Missionare, Pilger 275 – Britische Inseln 220, 226 f. – Byzanz 95 f., 98, 101 – China 52, 54 f., 59 f., 63 – England 27 – Exilierte 300 – Germanen 26 – Händler 294 – Heiratsmigration 305 – Japan 39 f. – Juden 245 – Korea 44 – Langobarden 18 – Luccera 158 – Maghreb 149, 152 – Mongolen 29 – Normannen 215 f. – Osterinsel 22 – Osteuropa 187 – Sklaven 256, 258, 260 – Slawen 173 – Spanien 166 f. – Steppenvölker 85, 90 – Völkerwanderung 234 – Wikinger/Normannen 210

 353

Zanāta-Berbern 155 Zangiden 152 Zanzibar 112 Zawila, Köngreich von 254 Zayn al-ʿĀbidīn 76 Zeno, oström. Ks. 233 Zentralchinesische Ebene 54, 56 Zhejiang 52, 59 f. Zhejiang, chines. Provinz 52, 58–60 Zheng He 63 Zhili 59 Zhouzhi 275 Zhu Shixing, chines. buddhist. Mönch 272 Ziriden 151 Zirkulieren 81, 293, 316. Siehe auch Reisen, Pendeln Zisterzienser 187, 198, 283, 286 Zönobiten 268 f., 273. Siehe auch vita communis Zuijdersee 292 Zwangsmigration 42 f., 51 f., 55, 89, 135, 144 f., 158, 177–180, 184 f., 197, 247, 251, 262. Siehe auch Umsiedlungspolitik Zweistromland 178 Zypern 97, 158, 270 Zyprioten 158