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German Pages 258 Year 2014
Karlheinz Cless Menschen am Brunnen
Kultur und soziale Praxis
2014-08-07 14-01-17 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03c6373828675694|(S.
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Karlheinz Cless (Dr. rer. pol., Dr. phil.) ist Kaufmann, Philanthrop und Ethnograph. Er forscht und lehrt an der Goethe-Universität Frankfurt a.M.
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Karlheinz Cless
Menschen am Brunnen Ethnologische Perspektiven zum Umgang mit Wasser
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Die vorliegende Arbeit wurde 2014 vom Fachbereich 8 der Johann Wolfgang Goethe-Universität als Dissertation angenommen. D 30
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Karlheinz Cless Satz: Michael Rauscher, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2902-6 PDF-ISBN 978-3-8394-2902-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt
Vorwort | 7 1. Einleitung | 11 2. Theoretische Perspektiven | 21 3. Fragestellung, Untersuchungsorte und Methoden | 41 4. Persönliche und kulturwissenschaftliche Zugänge | 49 5. Regionale und indigene Perspektiven | 81 5.1 Bongo-Soe, Ghana und seine »Boreholes« | 81 5.2 »Holy waters«, heiliges Wasser in Indien | 123 5.3 China, eine »saving water society« | 167 5.4 Überfluss – »abundance«, westliche Perspektiven | 200 6. Zusammenfassung | 215 7. Schlussbetrachtungen | 227 Literatur | 237 Ausführliches Inhaltsverzeichnis | 245 Personenverzeichnis | 251 Stichwortverzeichnis | 253
Vorwort Von Hans Peter Hahn Wasser ist überall. Man entkommt ihm nicht, ganz gleich, ob es nun zu viel oder zu wenig davon gibt. Es ist unentbehrliche Flüssigkeitszufuhr, aber zugleich auch Träger von Krankheiten oder gefährlichen chemischen Substanzen. In der Form extremer Wetterereignisse ist es eine Bedrohung für den Lebensraum vieler Menschen, und es ist nicht zuletzt eine potentielle Energiequelle. Gerade wegen der Komplexität des Gegenstands »Wasser« erscheint es besonders geeignet für ethnologische Untersuchungen. Das vorliegende Buch stellt sich dieser Herausforderung und stößt damit in eine aktuelle Forschungslücke vor. Die gegenwärtig eher geringe ethnologische Aufmerksamkeit für das Thema »Wasser« überrascht um so mehr, wenn man bedenkt, dass es sich dabei um ein altes Thema handelt, das schon in der Periode der Entstehung des Faches sowohl in den vergleichenden Studien über Mythologien weltweit, als auch in Studien zu materieller Kultur, zum Beispiel im Feld der Hausformen, relevant war. Neben dem Faktum, dass Wasser in allen Kulturen thematisiert wird, und neben der Beobachtung seiner frühen Anerkennung als wissenschaftliches Untersuchungsfeld in der Ethnologie verweist noch ein dritter Aspekt auf die Bedeutung dieses Themas. Dabei geht es um die Möglichkeit einer reflexiven Herangehensweise. Bei der Untersuchung von Wasser ist stets die Chance gegeben, die »andere« Kultur und die scheinbar »fremden« Phänomene als Teil des eigenen Erlebens zu verstehen und sie in unmittelbare Relation zur eigenen Lebenswelt zu setzen. Wasser ist ein hervorragender Stoff zum Denken in räumlichen und kulturellen Verbindungen. Er zirkuliert weltweit und verknüpft Kulturen miteinander. Wasser führt in die Welt der Kosmologien genauso wie in alltägliche, im Bewusstsein kaum präsente Routinen. Es ist insbesondere dieser dritte Aspekt, der die vorliegende Studie zu einer Herausforderung hat werden lassen, und der sie letztlich zu einem Dokument ethnografischer Experimente macht. Hier sind keine in sich abgeschlossenen Ethnografien nach der Art von »Wasser an Ort xy« zu finden. Stattdessen reflektiert das Buch – bei aller Informationsfülle und trotz der genauen Dokumentation von Wissensstand und ethnografischen Beobachtungen – an erster
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Stelle die Betroffenheit des Autors und die von ihm tief empfundene Notwendigkeit, sein eigenes Leben und seine persönlichen Erfahrungen mit Wasser in direkten Bezug zu setzen zu dem, was er in Afrika, Indien oder China beobachten konnte. Wasser bedeutet vieles. Dennoch wäre es falsch, es als »zweideutig« zu bezeichnen. Die vielen Bedeutungen von Wasser als eine andauernde Spannung und als einen in vielen Kulturen spürbaren Widerstreit zwischen Werten und Bewertungen zu verstehen, ist heute sicherlich die größte Herausforderung einer ethnologischen Annäherung an das Thema. Karl-Heinz Cless bemüht sich darum, die vielen Bedeutungen dieser Substanz sorgfältig zusammenzustellen, und, wo möglich, die Übergänge und Widersprüche deutlich zu machen. In der Vorgehensweise wird diese Studie damit aktuellen theoretischen Einsichten zur materiellen Kultur insgesamt gerecht. Wasser ist nicht einfach Indikator für eine Wertordnung oder ein Symbol. Wasser ist mehr als das, weil es auch Ambivalenzen und kulturelle Widersprüche aufzeigt. Auf der Grundlage des hier vorliegenden Buches könnte man sagen: Diese Studie zu Wasser ist ein paradigmatisches Beispiel dafür, wie Untersuchungen zu materieller Kultur die Einbettung von Dingen (hier genauer: einer Substanz) in gesellschaftliche Kontexte beschreiben sollten. Es ist kein Zufall, dass die wichtigste Autorin für die Studie von Cless, Veronica Strang, ihren grundlegenden Beitrag zum Thema unter dem Titel The Meaning of Water veröffentlicht hat. Ihr geht es nicht einfach um die Vielfalt von Bedeutungen in einer großen Zahl von Kulturen, sondern um die sehr viel schwieriger zu bestimmende »Relevanz« von Wasser, die auch als die spezifische Bedeutung verstanden werden kann. Es ist sinnvoll, an dieser Stelle auf ein weiteres Werk von Strang hinzuweisen: Es handelt sich um das schmale Einführungsbüchlein mit dem Titel What Anthropologists do. Wie auch in der Studie von Cless plausibel wird, führt ein direkter Weg von der Beschäftigung mit der Relevanz von Wasser hin zu praktischen Betätigungsfeldern für Ethnologen. Wasser ist nicht nur zum Denken gut, und es zeigt nicht nur Werte und Wertkonflikte in einer Kultur, sondern es ermöglicht auch zahlreiche ganz praktische, ethnologische Positionierungen. Dabei kann es um Wasserrechte gehen, aber, wie ebenfalls in dieser Studie thematisiert, auch um die Frage, wie weltweit ein besseres Bewusstsein für Hygiene zu erlangen wäre, und wie man Kindern den gesundheitlich angemessenen Umgang mit Wasser beibringt. Die Beobachtung und Bewertung von Wasser bildet die anschauliche Grundlage vieler Redeweisen und Metaphern. Unter all den geflügelten Worten, die Wasser als Akteur herausgreifen, sei hier auf eines verwiesen, das die stille Kraft des Wassers besonders hervorhebt: Steter Tropfen höhlt den Stein. Als Karl-Heinz Cless, Judit Smajdli und ich gemeinsam vor etwa fünf Jahren das Projekt begannen, gab es viel Euphorie für das Thema und seine Möglichkeiten. Eine kurz darauf ausgerichtete Konferenz über den Umgang mit Was-
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ser in verschiedenen Kulturen zog internationale Wissenschaftler an und hatte eine große Resonanz, die sich auch in der gemeinsamen Veröffentlichung der Ergebnisse niederschlug. Aber über diese initiale Begeisterung hinausgehend brauchte es die Beständigkeit und Stetigkeit des Autors, um aus den vielen Splittern der Wasser-Beobachtung an ganz verschiedenen Orten weltweit und aus einer rasch anwachsenden Literatursammlung zum Thema eine Dissertation zu schmieden, die den Forschungsstand und die eigenen ethnografischen Beobachtungen synthetisiert. Dem Autor ist dies in hervorragender Weise gelungen, und dem Buch ist deshalb eine breite Leserschaft zu wünschen.
Hans Peter Hahn im Mai 2014
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1. Einleitung 1.1 Z ugang »Anthropology is full of water and water is full of anthropology«, mit diesen Worten eröffnete der Verfasser bei dem Workshop Menschen am Brunnen – People at the Well, der im September 2010 an der Goethe-Universität Frankfurt stattgefunden hat, seinen Vortrag über Arten von Wasser und deren Verwendungen. Veronica Strang (2004) beschreibt in The Meaning of Water die vielfältigen individuellen und sozialen Beziehungen zum Wasser und konstatiert: »to understand […] why people are so passionate in their desire for water it is necessary to go under the surface and explore the complexities of their relations with this most vital resource« (ebd. 2). Darum untersucht sie in ihren Arbeiten historische, psychologische, theologische, biologische, hydrologische, soziale, organisatorische, ökologische und politische Dimensionen von Wasser. In Gardening the World beschreibt Strang (2009), wie Menschen in ein Verhältnis zu der sozialen und materiellen Welt treten, die sie umgibt, und diese wiederum mit ihrer Identität prägen (ebd. 275). Wasser wird in diesem Zusammenhang bezeichnet als »the essence of fluid identity, as a source of power and agency and, above all, as a generative substance« (ebd.). Richard Wilk (2006) untersucht die interpersonellen Verknüpfungen von Wasser in Bottled Water am Beispiel von Heil- und Mineralwasser und bietet einen knappen (kulturhistorischen) Überblick, in dem er auch auf die wirtschaftliche Bedeutung und die Vermarktung von Heil- und Mineralwasser eingeht. Er analysiert den Übergang des Naturprodukts Wasser zur Ware. Die Marketing-Positionierungen von Mineralwassern deuten auf die Vielfalt von Bedeutungen hin, die Wasser zugesprochen werden können. Diese Bedeutungen sind für den potentiellen Konsumenten relevant, der sich mit einer Marketing-Positionierung identifiziert bzw. identifizieren soll. Hierbei spielen Schlüsselbegriffe wie Gesundheit, Geschmack und Ursprünglichkeit eine wesentliche Rolle. Nicht weniger wichtig ist das Vertrauen der (potentiellen) Konsumenten in die unterschiedlichen Produzenten bzw. Lieferanten von Heilund Mineralwasser. Religiöse Vorstellungen sind für Wilk ebenso von Belang
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wie medizinische Überlegungen, Konzepte und Begriffe von Natur und wirtschaftsökologische Fragen und Dimensionen (Sicherheit, Risiko, Reinheit und Technologie zur Bewältigung von Gefahren). Schließlich beschäftigt Wilk der gewissermaßen »absurd« anmutende Sachverhalt, dass für Wasser als prinzipiell frei verfügbarem Gut Geld ausgegeben und umweltschädlicher Produktions-, Verpackungs-, und Transportaufwand betrieben wird, anstatt sich aus der Leitung oder dem Brunnen zu bedienen. Hier wird klar, dass unterschiedlichen Arten von Wasser unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben werden. Ben Orlove und Steven C. Caton (2010) beziehen sich für ihre Betrachtungen über Water Sustainability: Anthropological Approaches and Prospects auf Marcel Mauss (1923/24) und dessen Konzept der »totalen sozialen Tatsache« (»fait social total«), um die Bedeutung von Wasser für die Menschheit zu beschreiben. In ihrer Darstellung verknüpfen sie Makro-Perspektiven (»waterworld«, »watershed«, »waterscape«, »water regimes«) und Mikro-Perspektiven (»knowledge«, »local and indigenous systems«, »values« und »human rights«): »When washing our bodies, we think of personal hygiene, and yet it matters to us whether water is delivered by a spigot into a bath or by a showerhead into a stall, whether the spray is strong or weak, sharp or gentle« (Orlove und Caton 2010: 402). In der Tat entsteht alles Leben aus dem Wasser. Ohne Wasser ist kein menschliches Leben möglich, und die ganze Menschheitsgeschichte lässt sich ethnologisch in der Auseinandersetzung mit und der Nutzung von Wasser beschreiben. So beschäftigt sich schon Adolf Bastian (1869) in der ersten Ausgabe der Zeitschrift für Ethnologie mit den Vorstellungen von Wasser und Feuer, so der Titel seines Beitrags. Hans Peter Hahn spricht in seinem Konferenzbeitrag für den zu Beginn des Kapitels 1 genannten Workshop in Frankfurt über »water as stuff« und sucht in seinem Beitrag nach den Bedeutungen, die diesem besonderen Material zugeschrieben werden. Er fordert dazu auf, den Sinnstrukturen nachzuspüren, die hinter solchen Zuschreibungen stehen. Eine Reihe von ethnologischen Studien liegt vor über Brunnen in Benin (Weisshaupt 2002), Wassernutzung, Zugang und Gender (Achterberg-Boness 2009), Trinkwasserprojekte in Tschad (Bliss 2011) und Wasserkonflikte in Marokko (Graefe 2006). Wasser, Menschheitsentwicklung und menschliche Kultur sind untrennbar miteinander verbunden. Weil Leben ohne Wasser nicht möglich ist, mussten sich Menschen immer am Wasser, an den Möglichkeiten seiner Beschaffung gleichermaßen wie an den Gefahren, die von einem Zuviel oder Zuwenig ausgehen können, orientieren. Menschen mussten lernen, mit Wasser umzugehen und es zu einem Kulturgut zu machen. Sie haben sich das Wasser auf vielfältige Weise angeeignet und es in diesem Prozess auch verändert. In und durch diese Aneignungsprozesse entstanden und entstehen ebenso vielfältige kulturspezifische Bedeutungen, die dem Wasser zugeschrieben werden.
Einleitung
1.2 Z um eigenen V orgehen Die vorliegende Arbeit basiert auf Feldforschungen, die der Verfasser in den Jahren 2009 bis 2011 in Ghana, Indien und China durchgeführt hat. Der Beobachtungsfokus lag während der Feldaufenthalte auf den je lokalspezifischen Verwendungen, Wahrnehmungen und Bedeutungen von Wasser. Der Verfasser besuchte dazu Schulen, Farmen und Märkte in Bongo-Soe im Nordosten Ghanas, Kinder im Dorf Kiran, gelegen im Ganges-Bogen bei Varanasi, sowie Bäuerinnen und Bauern in der Region Zhanbei, die vier Autostunden nordwestlich von Peking, gleichsam auf dem Weg in die Innere Mongolei, liegt. Alle drei Gebiete weisen ein semiarides Klima auf. Das bedeutet, dass es nur zwei bis drei Monate pro Jahr verlässlich regnet. Während der ausgedehnten jährlichen Trockenperiode sind die Menschen auf lokale Wasservorräte angewiesen. Das Wasser wird in der Regel über Brunnen aus dem Grundwasser gezogen und in den örtlichen Haushalten verbraucht. Die große Mehrheit der Bevölkerung lebt vorwiegend von der eigenen Landwirtschaft und vom Handel und Tauschhandel auf lokalen Märkten. Die Beobachtungen konzentrieren sich auf die Mikro-Ebene, die Art und Weise, wie Menschen mit Wasser umgehen, und darauf, wie sie dessen Bedeutung in ihrem täglichen Leben wahrnehmen und über Wasser sprechen. Dabei wird die Makro-Ebene (Klima, Wasser-Management, Bewässerungswirtschaft, Politik etc.) nicht vollständig auszuschließen sein, auch wenn für diese Studie bewusst ein anderer Zugang im Zentrum steht. Diese Aspekte werden in erster Linie von den Vereinten Nationen in den World Water Development Reports (WWDR), auf internationalen Kongressen wie den World Water Weeks, in der politikwissenschaftlichen und ökologischen Fachliteratur sowie von den Massenmedien beleuchtet. Die öffentliche Debatte betont üblicherweise die MakroEbene. Begriffe wie Wasser-Qualität, Wasser-Knappheit, Klimawandel, Umweltschutz etc. bestimmen die öffentliche bzw. massenmediale Diskussion. Die folgende Arbeit indes nimmt eine andere Perspektive ein: Der Blick ist auf die lokale Mikro-Ebene gerichtet. Dafür wurden die Menschen vor Ort in ihrem je spezifischen Alltag aufgesucht und der je lokal- bzw. kulturspezifische Umgang mit Wasser beobachtet. Wie eignen sich die Menschen das Wasser an? Wie nutzen sie es? Welche Bedeutungen hat Wasser in ihrem Leben? Wie erleben sie es? Was denken sie über Wasser? Die technische Seite der Wasserversorgung ist bei den Betrachtungen freilich nicht gänzlich zu vernachlässigen. Die weit überwiegende Mehrheit der beobachteten lokalen Gruppen bezieht ihr Wasser aus Brunnen. Aus diesem Grund beschäftigt sich die Arbeit mit Menschen am Brunnen und deren Auseinandersetzung mit »ihrem« Wasser.
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1.3 Thema und F r agestellung dieser S tudie Im alltäglichen Gebrauch wird uns die Bedeutung von Wasser zumeist erst bewusst, wenn wir auf Probleme oder an Grenzen stoßen, wenn Wasser im eigenen Haushalt nicht mehr frei zugänglich oder aus irgendwelchen Gründen verunreinigt ist. Das gilt auch, wenn es plötzlich zu viel davon gibt, bei Überschwemmungen, Leckagen oder Flutungen. Bei genauerem Hinsehen erweist sich Wasser als sehr komplexer Erkenntnisgegenstand. Die Art, wie Wasser wahrgenommen wird, die Attribute, die ihm zugeschrieben werden, und seine Verwendungsmöglichkeiten sind schon im westlich geprägten Kontext äußerst vielfältig. Wir unterschätzen dessen Komplexität, die noch extremer zutage tritt, wenn man Erkenntnisse über den Umgang mit Wasser in anderen Ländern in seine Überlegungen mit aufnimmt. Es ist bemerkenswert, dass sich selbst aus naturwissenschaftlicher Perspektive nicht eindeutig klären lässt, wie Wasser genau zu definieren ist. Klaus Ruthenberg (2012) macht den Versuch, diese Ambivalenz aufzuklären. Wasser gibt es in so mannigfaltigen Erscheinungsformen (Meissner 2012: 44f) und Kontexten, dass schon deren Beschreibung Bände füllt (Tvedt und Oestigaard 2010). Wasser ist inzwischen medial und politisch omnipräsent und ein brisantes Thema. Im Diskurs überwiegt im Allgemeinen die Sorge um seine universelle Verfügbarkeit (Klima, Grundwasser und Aquifer) sowie die Bedrohung für seine Qualität (Übernutzung, Arzneimittel, Chemie und Verschmutzung). Diese Problematik wird auch regelmäßig in den UN World Water Annual Reports (z.B. 2009) abgehandelt. So konzentriert sich das Interesse in manchen Diskursfeldern auf seine politische Bedeutsamkeit (Dobner 2010). Demgegenüber tritt die ethnologische Fragestellung nach Wahrnehmung, Verwendung und Bedeutung von Wasser in unterschiedlichen kulturellen Kontexten in den Hintergrund und erscheint zweitrangig. Auch wenn die generelle Bedrohung der Verfügbarkeit von Wasser diese Priorisierung verständlich macht, stellt dies ein Versäumnis dar, dem diese Studie entgegen tritt. Wasser, dieser Stoff, den wir erst dann bemerken, wenn es zu viel oder zu wenig davon gibt (Hahn 2012: 23f), der so wenig greif bar ist, weil er durch die Finger rinnt, sich nicht festhalten lässt, mächtig und bedrohlich sein kann, Wasser, über dessen Bezüge bereits Konfuzius reflektiert und die Menschen aufgefordert hat, wie Wasser zu sein (siehe hierzu Abschnitt 4.3.1), löst eine eigene Faszination aus. Diese zeigte sich auch in der Vielfalt der Beiträge während des oben genannten Workshops (Hahn, Cless und Soentgen 2012). Die vorliegende Arbeit ist eine Präzisierung und Fortführung des Beitrags des Verfassers in diesem Sammelband. Besonders anregend für diese Arbeit war darüber hinaus die Lektüre von Richard Wilk (2006) Bottled Water. The pure commodity in the age of branding und von Veronica Strang (2004) The Meaning of Water. Beiden Autoren gelingt es, ihre Leser zu neuem Denken über Wasser
Einleitung
einzuladen und zu zeigen, dass es ein sehr lohnenswerter Forschungsgegenstand für die Ethnologie sein kann. Insbesondere Strang hat in The Meaning of Water (2004), Common Senses: Water, Sensory Experience and the Generation of Meaning (2005) und Gardening the World (2009) die Vielfalt der Wahrnehmungen, Verwendungen und Bedeutungen umfassend dargestellt. Sie beschreibt die sensorischen Erlebnisse mit, das Ein- und Untertauchen in und die Qualitäten von Wasser. Dabei werden Verwendungs- und Nutzungsweisen in Haushalt, Landwirtschaft, Industrie und Freizeit angeführt. Strang leitet daraus mythische und religiöse Bedeutungen ab und bettet sie ein in Mensch-Umwelt-Beziehungen. Schließlich deckt sie auch politische und gesellschaftliche Dimensionen von Versorgung, Macht, Kontrolle, Privatisierung und Eigentum ab. Sie bezieht sich hierbei auf Forschungen im Einzugsgebiet des Stour River im Südwesten von England sowie dem Brisbane River und dem Mitchell River, beide in Queensland, Australien (Strang 2004, 2005 und 2009). Das Interesse des Verfassers dieser Studie geht darüber hinaus und untersucht Wahrnehmungen, Verwendungen und Bedeutungen in semiariden Regionen Ghanas, Indiens und Chinas, die geprägt sind von dörflichen Strukturen mit einfachen, landwirtschaftlichen Lebensformen. Die Verhältnisse sind dort in vielerlei Hinsicht prekär, was sich nicht zuletzt im jeweiligen Umgang mit Wasser zeigt. Die Forschungsergebnisse bilden sehr verschiedene kulturelle und historische Hintergründe ab und eröffnen hierdurch neue ethnologische Perspektiven.
1.4 M e thode und F orschungsausblick So wie alles Leben aus dem Wasser entstanden ist, alles Lebendige zu überwiegenden Teilen aus Wasser besteht und ohne Wasser nicht existieren kann, so ist auch alles persönliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben vielfältig mit Wasser verknüpft und von unterschiedlichen Umgangsweisen mit Wasser geprägt. Diese Arbeit nimmt sich vor, die Vielfalt der Bedeutungskontexte von und Umgangsformen mit Wasser exemplarisch zu beschreiben. Hierfür wurden an verschiedenen Orten (Ghana, Indien und China), in unterschiedlichen Regionen und Kulturen (»multi-sited«) Wahrnehmungs- und Verwendungsweisen von Wasser beobachtet und sich daraus ergebende Bedeutungszuschreibungen erfragt. Die Details hierzu werden in Kapitel 3.2 Untersuchungsorte und Methoden beschrieben. In Kapitel 5 Indigene Perspektiven werden die Forschungsergebnisse detailliert dargestellt. Um die vielfältigen Verflechtungen und die Komplexität der Vernetzungen von Kultur und Wasser zu beschreiben und den mannigfachen Perspektiven gerecht zu werden, verwenden Cless und Hahn (2012: 12) den Begriff der »complex entanglements«. Damit kommen sie den vielfachen Vernetzungen und
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Verknüpfungen nahe und deuten gleichzeitig die Komplexität dieser Verflechtungen an. Dabei klingt Komplexität (lat. cum = mit und plectilis = geflochten, also verflochten, ineinandergreifend) zunächst eher pejorativ und suggeriert, Fakten seien so zahlreich und unzusammenhängend, dass sie nur schwer umfassend verstanden werden können. Komplexität ist in dieser Studie jedoch durchaus auch positiv gemeint. Der Begriff verweist hier auf Vielfalt und Bedeutungsreichtum, den die weiterführende Forschung als lohnende Herausforderung ansehen sollte, eröffnet sich dadurch doch eine neue Sicht auf einen altbekannten Gegenstand. Diese neuen Sichtweisen werden sich unterschiedlich darstellen, abhängig von ihren regionalen, kulturellen und ethnischen Hintergründen. Sie werden ebenso von der Art der Versorgung (Pumpe, Brunnen, Hahn, offenes Gewässer usw.) abhängen, wie von der Art der Verwendung (Waschen, Spülen, Hygiene und Subsistenz), der Wahrnehmungsweise, den Arten von Wasser und den ihnen zugeschriebenen Bedeutungen. Entsprechend vielfältig lassen sich auch die Befunde dieser Arbeit verstehen und darstellen. Nicht alle Verbindungen zwischen den Forschungsergebnissen können im Rahmen einer solchen Arbeit explizit herausgearbeitet werden, sondern Erkenntnisse müssen teilweise nebeneinander stehen bleiben. Hier sind die Leser gefordert, selbst Verknüpfungen herzustellen. Aus ethnologischer Perspektive sind vor allem die unterschiedlichen qualitativen Untersuchungsmethoden relevant, die in dieser Studie zum Einsatz kamen. Hierbei erwiesen sich besonders Narrative, Tiefeninterviews und Gespräche mit Kleingruppen von Erwachsenen und Kindern als aufschlussreich, da letztere beispielsweise in Rollenspielen besonders spontan und offen waren und einen vielsagenden Einblick in den privaten Umgang mit Wasser in ihren Wohnstätten gewährten, der sich in den anschließenden Beobachtungen verifizierte. Die unterschiedlichen Methoden der Informationsbeschaffung und -auswertung werden zusammengeführt und ergeben ein neues Gesamtbild, das in den Kapiteln vorgestellt wird. Weiterführende Arbeiten könnten methodisch daran anschließen und entweder neue kulturelle Kontexte oder in dieser Arbeit nicht abgedeckte Verwendungsweisen untersuchen, wodurch unterschiedliche Arten von Wasser oder Unterschiede der Verfügbarkeit erforscht würden. Die Forschung fand an unterschiedlichen Orten und vor vielfältigen kulturellen Hintergründen statt und wird in dieser Arbeit als eine Art Collage präsentiert. Sie erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern fügt sich eher zu einem mosaikartigen Gesamtbild zusammen. Der Fokus und das Interesse liegen dabei immer auf der Mikro-Ebene, bei individuellen Menschen. Hier geht es darum, innerhalb unterschiedlicher kultureller Kontexte, also nah bei den Menschen, ihren Einstellungen und ihrem Verhalten, komplexe und vielfältige Vernetzungen (»multiple complex entanglements«, siehe Kapitel 2.1) zu erforschen und darzustellen. Weil Kultur angeeignet und von
Einleitung
Umwelt, politischen Systemen und Geschichte geprägt ist, ist zu erwarten, dass in verschiedenen kulturellen Kontexten auch unterschiedliche Wahrnehmungszusammenhänge, Verwendungsweisen und Bedeutungen von Wasser gefunden werden. Gerade das macht die Komplexität aus, von der hier die Rede ist, und es ist das Anliegen dieser Studie, diese verschiedenen Aspekte zusammenzubringen. Die Arbeit grenzt sich entsprechend auch ab von einer politischen oder ökonomischen Beschäftigung mit Wasser. Gleichzeitig stellt eine Kenntnis der in dieser Studie erarbeiteten Bedingtheiten wiederum eine Voraussetzung für die darüber hinausgehenden Planungen und Umsetzungen von Maßnahmen der Erziehungs-, Gesundheits-, Umwelt- und Versorgungspolitik (siehe auch Zusammenfassung in Kapitel 6) dar.
1.5 S truk tur und A ufbau der A rbeit Diese Studie sucht nach der notwendigen Komplexität des Stoffes Wasser, indem sie den kulturellen Hintergründen in Ghana, Indien, China und Europa und der Vielfalt der Verwendungen gerecht werden möchte, die Ergebnisse strukturiert zusammenfasst, kulturwissenschaftlich einordnet und detailliert referiert. Kapitel 2 gibt einen Überblick über die wichtigsten Veröffentlichungen und kulturwissenschaftlichen Beiträge zum Thema. Diese reichen von Ansätzen aus der materiellen Kultur (Strang, Hahn, Wilk) über historisch-politische (Tvedt, Oestigaard) und sozio-ökonomische (Orlove, Caton) bis hin zu politischen Betrachtungen der Allmende (Hardin) und der Hydraulischen Gesellschaften (Wittfogel). Dabei hat sich Strangs Ansatz als besonders fruchtbar herausgestellt, da sie die komplexen Vernetzungen (»complex entanglements«) am ausführlichsten untersucht und beschreibt. Die Ansätze von Hahn (materielle Kultur, Wahrnehmung, Verwendung und Bedeutung) und Strang (Bedeutungen und Verwendungen) dienen als Gerüst, um die nachfolgenden kulturwissenschaftlichen Zugänge zu strukturieren. In Kapitel 3, werden die Fragestellung, die Untersuchungsorte und die Methoden dieser Forschungsarbeit im Einzelnen beschrieben. Aus dem über längere Perioden aufgebauten Vertrauensverhältnis und der Arbeit mit Erwachsenen und, in intensiverem Maße, mit Kindern verschiedener Kulturen, wurden besonders dichte und teilweise intime Beobachtungen, Gespräche und Einsichten über deren Umgang mit Wasser in Küchen, bei Waschgelegenheiten, in Wohn- und Schlafräumen und sanitären Anlagen möglich. Aber auch Einsichten in Familienverhältnisse, Rituale und persönliche Gewohnheiten, die sich aus der Beschäftigung mit Wasser ergeben, konnten in dieser Studie verwertet werden. Dieser reflexive Charakter der Forschung hat auch beim Au-
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tor selbst nicht Halt gemacht. Auch er hat während der Forschung begonnen, seine Welt mit anderen Augen zu sehen. Bereits die Entstehung des Wassers auf der Erde ist nicht eindeutig geklärt (siehe Kapitel 4.1) und hat sowohl in den Naturwissenschaften als auch in der Philosophie zu unterschiedlichen Theorien über Entstehungsprozesse geführt. Auch was die unterschiedlichen Arten von Wasser angeht, haben wir es mit einer großen Vielfalt zu tun, sowohl hinsichtlich des Aggregatzustands als auch der jeweiligen Zusammensetzung. Das wiederum führt zu einer Vielzahl von Wahrnehmungs- und Deutungsmöglichkeiten, die sich ergänzen oder auch widersprechen können. Die Verwendungen von Wasser sind Thema von Kapitel 4.2 Hier wird die Komplexität noch deutlicher, wenn man sich dessen grundlegende Bedeutung sowohl für das unmittelbare Überleben als auch für die Subsistenz, Hygiene und Gesundheit vor Augen führt. Darüber hinaus spielt Wasser besonders in Wohlstandsgesellschaften zunehmend eine Rolle, wenn es um Fragen der Freizeitgestaltung und Erholung geht. Die Bedeutungen von Wasser in Religion, Philosophie und Mythologie (siehe Kapitel 4.3) sind weitere Dimensionen der Komplexität und Verflechtung von Mensch und Kultur mit Wasser. Das gilt in den untersuchten Regionen für die Vergangenheit genauso wie für die Gegenwart. Hier spielt Wasser auch bei der Zuschreibung von Geschlechterrollen, der Konstruktion und Strukturierung von Gesellschaften und in der Kunst eine Rolle. In Kapitel 5 folgen dichte Beschreibungen über den Umgang mit Wasser in Ghana, Indien und China. Sie decken jeweils das ganze Spektrum von Wahrnehmungen, Verwendungen und Bedeutungen ab, die vor dem jeweiligen kulturellen Hintergrund zu beobachten sind. Diese reichen von der Beschaffung über die vielfältigen Notwendigkeiten der Verwendung für die Nahrungszubereitung, in der Landwirtschaft, für den Hausbau, die Reinigung und die Hygiene. Sie erstrecken sich auf religiöse Bedeutungen, Mythen, Rituale und reichen vom Willkommensgruß über rituelle Waschungen und Segnungen bis hin zu Klantotems, Segnungen und Bedeutungen in der Kunst. Um deren Authentizität und Lebendigkeit zu erhalten und der Atmosphäre der ethnografischen Forschungsaufenthalte nahe zu kommen, wird auf Anglizismen nicht verzichtet und nicht durchgängig übersetzt. Es wird in der Wiedergabe von Interviews aus denselben Gründen auch davon abgesehen, Texte grammatikalisch durchzuformulieren. Die Gespräche wurden nicht technisch mitgeschnitten und aufgezeichnet. Deshalb sind Zitate aus dem Gedächtnis aufgeschrieben, und es werden Gesprächsverläufe nachvollzogen, ohne immer präzise den Regeln der indirekten Rede zu folgen. Die Zusammenfassung in Kapitel 6 und die Schlussbetrachtung in Kapitel 7 greifen zurück auf die theoretischen Perspektiven, die kulturwissenschaftlichen Zugänge und die Höhepunkte aus der Feldforschung (indigene Perspek-
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tiven), die in dieser Arbeit eine Rolle spielen, um resümierend die Sichtweise des Verfassers zu verdeutlichen. Dabei wird noch einmal gezeigt und hervorgehoben, wie komplex sich die kulturellen Verknüpfungen und Vernetzungen mit Wasser darstellen und wie wichtig die kulturelle Einbettung von Maßnahmen der Beschaffung, Erziehung, Hygiene und Gesundheitsvorsorge sind, wenn sie nachhaltig und erfolgreich sein sollen. Das Ziel der Arbeit konnte dabei nur zum Teil umgesetzt werden. Die Komplexität des Wassers bleibt eine fortdauernde Herausforderung. Aber es ist gelungen, auf diesem Wege einen Schritt hin zu einem breiteren Bewusstsein von Wasser zu machen. Damit verbindet sich auch die Hoffnung des Verfassers auf eine tiefere Wertschätzung dieser Ressource.
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2. Theoretische Perspektiven 2.1 W asser , materielle K ultur und » global , comple x entanglements « Hans Peter Hahn (2012: 23f) analysiert mit Bezug auf sein Konzept der materiellen Kultur (Hahn 2005) die vielfältigen Beziehungen und Verflechtungen (»global entanglements«) mit und rund um Wasser. Er benennt für das Material Wasser »Wahrnehmung«, »Verwendung« und »Bedeutungen« als wichtige Variablen und stellt fest: »Water is everywhere. It is part of nature, […] but it is also part of culture […]. The ubiquitous character of water is appealing and challenging. It is […] interwoven with everyone’s personal experiences« (Hahn 2012: 23). Er hebt hervor, dass dabei die Wahrnehmung von Wasser dann am intensivsten ist, wenn es zu viel (Fluten, Überschwemmungen) oder zu wenig (Trockenheit, Wüsten) davon gibt. Hahn bezieht sich hier auf Mary Douglas (1966), die in ihrer Monographie Purity and Danger: An Analysis of Concepts of Pollution and Taboo beschreibt, welche Reaktionen bei Menschen ausgelöst werden, wenn beispielsweise durch Umweltverschmutzung »matter out of place« (ebd. 41), »Dinge aus den Fugen« geraten. Auch Wasser kann in dem Moment, in dem zu viel oder zu wenig davon verfügbar ist, auf eine solche Art und Weise unbeherrschbar erscheinen und Ressentiments, Abwehr und Angst auslösen. In diesem Kontext werden auch unsere vielfachen Bezüge zu Wasser deutlich: Die Zusammenhänge zwischen dem globalen Wasser- und dem globalen CO₂-Kreislauf, der Einfluss des Wassers auf das Klima, die Natur, die Landwirtschaft usw., Gletscherschmelzen, schwankende Pegelstände der Nordsee und Niederschläge in der Sahelzone etc. sind zuerst natürliche Phänomene, die indes von Menschen erlebt und erfahren werden (können) und so Einfluss auf Kultur und Politik haben. Natürliche Phänomene können beispielsweise zur Politik der Katastrophenbekämpfung anregen, Kriege auslösen oder aber deren Gefahr durch die Etablierung von Institutionen der Kooperation und des Interessenausgleichs reduzieren. Wasser und dessen Wahrnehmung und Verwendung sind immer kulturell eingebettet. Auf der einen Seite prägt Wasser den Menschen und seine Kultur(en). Auf der anderen Seite prägen, steuern,
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verändern Menschen das Wasser, dessen Qualität und Zusammensetzung, dessen Nutzung und dessen Fluss. Hahn (2012: 30) fasst diesen wechselseitigen Prozess der Beeinflussung prägnant zusammen: »Water transforms the social and physical status of humans, but humans also transform water.« Hierzu schreibt Wolfram Laube: »Water in its different appearances and uses attract a rich repertoire of local beliefs, norms, and knowledge and carries different meanings, promises and threats in different constellations and realms.« (Laube 2012: 157) Wasser ist omnipräsent. Der menschliche Organismus ist permanent damit beschäftigt, Wasser auszutauschen und Wasser in Form von flüssiger und fester Nahrung zu sich zu nehmen. Wir sind damit auch Teil des globalen und regionalen Wasserkreislaufes. Wasser dient der Ernährung, der persönlichen Hygiene und der Herstellung von Nahrung, Gebäuden und Gütern. Daraus entsteht laut Hahn (2012: 23) ein »unlimited potential of meaning«. Diese Bedeutungen können auf der individuellen, sozialen, kulturellen, politischen etc. Ebene entstehen und wechselseitig relevant werden. Bei seinen Überlegungen bezieht sich Hahn (2012) explizit auf Hartmut Böhme (1988, 2007), der in dem Abriss einer Kulturgeschichte des Wassers eine »Unerschöpflichkeit« von möglichen Bedeutungsebenen veranschlagt, die er an dessen »Reichtum« und der »Evidenz seiner Erscheinungen« festmacht (ebd. 13). Auf die Komplexität des Mensch-Wasser-Verhältnisses geht bereits Adolf Bastian (1869) in der ersten Ausgabe der Zeitschrift für Ethnologie ein. Unter dem Titel Die Vorstellungen von Wasser und Feuer arbeitet Bastian vielfältige mythische, religiöse und spirituelle Bedeutungen von Wasser heraus, die ein interessantes Spektrum eröffnen. Zentrale bzw. strukturierende Begriffe seiner Darstellung sind unter anderem: »Angst«, »Bösartigkeit«, »Fluch«, »Verzauberung«, »Reinheit«, »Heilung«, »Segen«, »Orakel«, »Zukunftsdeutung« und »Vorsehung« (ebd.). Ivan Illich (1985) geht in seiner Interpretation der Zeichen- bzw. Symbolhaftigkeit von Wasser nach. Für den Umgang mit Wasser macht er einen Prozess der zunehmenden Rationalisierung und Technisierung aus, an dessen Anfang Wasser als »Symbol« steht. Diese Ebene wird am Beispiel von sakralem Wasser (Taufwasser, Heil- bzw. Weihwasser) dargestellt. Nach Illich verliert Wasser durch die zunehmende Säkularisierung, die über die bloße Wasserreinigung, -auf bereitung und -zuleitung hinausgeht, seine magischen Bedeutungen. Das schließt gedanklich an Max Webers (1979: 123) Konzept der »Entzauberung der Welt« an. In einem ähnlichen, jedoch stärker politischen Zusammenhang steht Garrett Hardin (1968) mit seiner Kritik an der Nutzung von Gemeingütern und der Frage des sozialen Zusammenhalts moderner Gesellschaften. Er konstatiert, dass durch Übernutzung, Kontrolle und Preisbildung Wasser zunehmend kommodifiziert und so vom Allgemeingut zum Wirtschaftsgut transformiert wird; zudem entsteht durch Marktpreisbildung soziale Ungerechtigkeit, die einen unmittelbaren Einfluss auf unsere Vorstellungen von Wasser hat.
Theoretische Perspektiven
Richard Wilk (2006, 2012) zeigt auf, dass auch im Zusammenhang mit industriell abgepacktem Mineralwasser, einer vermeintlich »perfekten« Ware, wieder neue Bedeutungen von Reinheit, Prestige, Luxus und Gesundheit entstehen können. Ein weiteres Beispiel für multiple, komplexe Verknüpfungen, die nicht eindimensional in ihrer Entwicklung gesehen werden dürfen, sind die Überlegungen, die Strang (2004) in ihrer Monographie The Meaning of Water über Wasser als Menschenrecht oder als Ware anstellt. In einer Argumentationskette zeigt sie die historische Entwicklung von freiem Zugang zum Wasser, über eigene Brunnen (»independent wells«), staatliche Wasserversorgung und Privatisierung, bis zu den nunmehr sichtbaren Umweltgefahren auf. Auf einer anderen Linie zeichnet sie Aspekte von sozialer Organisation über religiöse Bedeutungen (naturreligiöse Orakel, christliche Taufe) nach. Sie reichen bis hin zu heutigen Freizeitbeschäftigungen, denen sie eine Aura von Heiligkeit zuspricht und die sie »secular hydrolatry« (Strang 2004: 103) nennt. Für Hahn (2012: 33) sind diese beiden miteinander verbundenen Bedeutungsdimensionen ein weiteres Beispiel der globalen, komplexen Verknüpfungen. Am Beispiel eigener Beobachtungen und Erfahrungen zeichnet er (ebd. 37f) schließlich diese vielschichtigen Vernetzungen und Interdependenzen nach. Während seiner ethnologischen Feldforschungen in Burkina Faso lebte er in einem Dorf, in dessen Nähe ein Staudamm von einer internationalen Entwicklungshilfeorganisation gebaut worden war. Dadurch war ein kleiner Stausee entstanden, der während der ausgedehnten Trockenperiode als Wasserspeicher diente. Hahn selbst nutzte den Stausee zum Schwimmen und Erfrischen, zur Erholung und Entspannung, und die Kinder des Dorfes folgten seinem Beispiel. Unglücklicherweise ertrank eines der Kinder bei diesem neuen Freizeitvergnügen, weil es das Schwimmen nicht gelernt hatte. Die lokale Bevölkerung beschrieb den Verlust als Tat eines Wassergeistes und entwickelte Rituale zu dessen Verehrung. Der Stausee wurde schließlich zu einem Kult-Ort für Fruchtbarkeit im Allgemeinen. Der Vorgang illustriert den erstaunlichen Bedeutungswandel eines anfangs aus ökonomisch-ökologischen Erwägungen geschaffenen Ortes: Die lokal-kulturelle Bedeutung des Stausees wandelte sich von einer reinen Wirtschaftseinrichtung zu einem heiligen, rituellen Ort. Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass Wasser eine große Kapazität hat, Bedeutungen zu entwickeln und soziale und kulturelle Unterschiede zu demonstrieren. Diese entwickeln sich nicht linear vom Symbol zum technischen Gegenstand (Illich) oder vom Gemeingut (»common good«) zur Ware (»commodity«) (Hardin, Swyngedouw, Wilk) oder schließlich vom Früher zum Heute (Tradition vs. Moderne). Bedeutungen und Verwendungen von Wasser unterliegen einer nicht-linearen Dynamik, die auch Bedeutungsverschiebungen beinhalten kann, die anachronistisch scheinen, wie im Falle des Stausees. Es gibt unzählige Arten und Formen von Wasser, genauso wie Wahrnehmun-
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gen, Verwendungen und Bedeutungen. Es sind die Menschen am Brunnen, also dessen Verwender und Nutzer, die diese Interpretationen vornehmen und immer wieder neu schaffen (vgl. Hahn 2012: 39).
2.2 B edeutungen von W asser Strang nähert sich dem Thema Wasser in drei für die Disziplin Ethnologie wichtigen Publikationen: The Meaning of Water (2004), Common Senses: Water, Sensory Experience and the Generation of Meaning (2005) sowie Gardening the World: Agency, Identity and the Ownership of Water (2009). Wie schon die Titel andeuten, werden in ihren Schriften die vielfältigen Verknüpfungen von Individuen und sozialen Gruppen mit Wasser als universellem und fundamentalem Material erläutert und unter unterschiedlichen Aspekten mit vielfältigen Ansatzpunkten beschrieben und analysiert. Strangs Erkenntnisse basieren auf Studien, die sie in einem Flussgebiet in England (Stour Valley River) und bei einer Gruppe Aborigines im Gebiet des Mitchell River im Nordosten Australiens (Australia, Queensland, Far North Queensland) durchgeführt hat. Darüber hinaus hat Strang die politischen Auseinandersetzungen analysiert, die im Brisbane River Basin (Australia, Queensland) über die Ressource Wasser geführt wurden (Strang 2009). In The Meaning of Water rekurriert Strang (2004) zunächst auf die vielfältigen historischen und gegenwärtigen Beziehungen, die Menschen mit Wasser entwickeln, und beschreibt, wie daraus sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Bedeutungen erwachsen. Unter der Überschrift Cultural Landscapes (ebd. 7) beschreibt sie im ersten Teil ihrer Monographie das Forschungsgebiet, seine Geschichte und die vielfältigen Manipulationen des Wassers im Einzugsgebiet. Sie geht weiter und erklärt, wie Menschen und Gesellschaften Beziehungen zur Materie und zu dem Phänomen Wasser entwickeln, zeigt Senses and Sensibilities (ebd. 49) auf und referiert, wie und was Menschen über Wasser denken. In Part III Hydrolatry and Hydrology (ebd. 81) kommt sie dann zum Kern der Entwicklung von Bedeutungen, wobei besonders ihr »hydrolatry«Konzept eine spannende kulturelle Dimension aufzeigt, hebt es doch Wasser selbst in den Status des Göttlichen, des Anzubetenden, des zu Bewundernden. Damit werden auch alle Rituale und Verfahren in der Beschäftigung mit Wasser zur Auseinandersetzung mit einem höheren Gegenstand bzw. Wesen und gleichsam religiös. Das gilt für die Rolle von Wasser sowohl im religiösen Kontext (Heilswirkungen, Weihfunktionen etc.) als auch in der »secular hydrolatry« (ebd. 103). Damit kommt Strang dann zu Fragen nach der Herausbildung von gesellschaftlicher Ordnung bzw. Struktur und Kontrolle sowie zu Fragen nach Besitzverhältnissen, Verantwortung und Management. Diese Fragen sind politischer Natur, denn es geht dabei um gesellschaftliche Macht-
Theoretische Perspektiven
und Besitzverhältnisse sowie gesellschaftliche Diskurse über die Gestaltung des Zukünftigen. In Gardening the World: Agency, Identity and the Ownership of Water beschreibt Strang (2009) das Mitchell River Catchment und das Brisbane River Basin als Gärten, eine Art »waterscapes«. Sie leitet daraus »human-environmental relations« ab und bezieht sich für die kulturelle Konstruktion von Bedeutungen auf Mary Douglas (1973), Arjun Appadurai (1996) und Timothy Ingold (2000). Wie der Titel nahelegt, beschäftigt sich Strang auch in dieser Monographie mit gesellschaftlichen und politischen Fragen rund um Wasser. Sie veranschaulicht und analysiert das lokale Wasserwirtschaftssystem, die Situation der indigenen Bevölkerung, die Landwirtschaftspolitik sowie die lokal angesiedelte Industrie und deren Wasserverbrauch. Dabei fragt sie nach den lokalen Besitz- bzw. Eigentumsverhältnissen, diskutiert das problematische Verhältnis zwischen Privatisierung und Gemeineigentum bzw. Allmende (»commons«) sowie die Kommodifizierung, das Zur-Ware-Werden, des lokalen Wassers. Dabei beleuchtet Strang sowohl indigene Perspektiven der Aborigines in Australien auf Wasser als Material und Phänomen als auch die Betroffenheit der indigenen Bevölkerung in ihren »Homelands« hinsichtlich der Wasserversorgung und der Möglichkeiten, darauf politischen Einfluss auszuüben. Besonders aufschlussreich sind die vielfältigen individuellen Wassernutzungen, auf die Strang (2009) in Gardening the world eingeht (ebd. 218f). Hier spielt Wasser in vielen Bereichen eine zentrale Rolle: im häuslichen Rahmen (Waschen, Duschen, Trinken, Essen, Bewässern etc.), bei der persönlichen Hygiene, zur Geruchsbeseitigung als Voraussetzung für einen sozialen Aufstieg (Illich 1987: 59, Strang 2009: 219), im Sanitärbereich und für die Gesundheit. Zudem hat Wasser einen enormen Erholungswert. Auf diese Bedeutungsebene geht Strang (ebd. 193) unter der Überschrift Recreational Engagements ein und führt zahlreiche wassergebundene Freizeitaktivitäten auf. Sie bringt das komplexe Verhältnis zwischen wassergebundener Tätigkeit, Funktion und Bedeutung des Wassers auf den Punkt: »The event therefore encapsulates the meaning of water as a symbol of social connection and collective identity.« (Ebd. 208) Strang (ebd. 229f) diskutiert im Anschluss daran auch Probleme des Wasser-Recycling: Menschen sind, was diese Frage angeht, generell sehr skeptisch. Die meisten lehnen es ab, Wasser als Trinkwasser zu akzeptieren, das schon einmal durch den Körper eines anderen Menschen geflossen ist. Die Vorstellung, Wasser zu trinken, das vorher bereits konsumiert, verdaut und ausgeschieden wurde, erregt Ekel und steht vorstellungsmäßig nahe am Kannibalismus. Dass alles Wasser irgendwann in der Erdgeschichte schon einmal durch ein anderes Lebewesen geflossen ist, ist eine Vorstellung, die man überregional möglichst ausblendet. Strang bemerkt zu den menschlichen Reinheitsvorstel-
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lungen: »Few kinds of pollution are as emotive and repugnant as anthropogenic substances. Aversion to the ›substance of strangers‹ is shared cross-culturally.« (Ebd. 233, vgl. auch Douglas 2002 [1966], Strang 2005, 2006) Ähnliches gilt, wenn auch vermindert, für Chlor und Fluor sowie andere Stoffe, die dem Trinkwasser zur Verbesserung zugesetzt werden (sollen). Strang bezieht sich dabei auch auf Überlegungen des Kulturanthropologen Marshall Sahlins. Sie sieht eine Analogie zwischen der Ablehnung von Wasserrecycling und »cross cultural taboo areas« (Sahlins 1976: 175), die menschliche Körperflüssigkeiten, Abfallprodukte und totes Material betreffen. Unter dem Titel Common Senses fragt Strang (2005) nach der universellen Logik der Entstehung bzw. Konstruktion von Bedeutungen. Hier dient Wasser nur noch als ein Beispiel, das sich dadurch auszeichnet, dass es universell vorhanden ist und dass es von allen Menschen – individuell und kollektiv – genutzt werden muss. Es ist damit ein ideales »ceteris paribus«-Instrument: Alle Unterschiede der Verwendung von Wasser sowie alle Bedeutungs- und Wahrnehmungsunterschiede müssen sozial bzw. kulturell bedingt sein und können nicht an der Beschaffenheit des Materials selbst liegen. Zunächst diskutiert Strang jedoch die Berechtigung für Kulturvergleiche überhaupt, die Problematik des Kulturrelativismus und die Berechtigung zu Schlussfolgerungen über die Natur des Menschen und des Sozialen. Strang (ebd. 93) rechtfertigt die Analyse sowohl historischer und zeitgenössischer »specificities« als auch »cross cultural regularities« mit Bezug auf Maurice Bloch (1998: 43). Es wird betont, wie wichtig es ist, kulturelle Besonderheiten im Blick zu behalten, wenn man Vergleiche anstellt. Desweiteren ist es wichtig, die physischen, sensorischen und kognitiven Fähigkeiten, die allen Menschen gleichermaßen gegeben sind, zu unterscheiden von spezifischen soziokulturellen und materiellen Kontexten, auf deren Basis unterschiedliche Gruppen unterschiedliche Bedeutungen entwickeln. Gerade wenn es um das Verhältnis von Menschen zu ihrer Umwelt geht, bietet sich Wasser als universelles Medium an, um zu verstehen, wie sich menschliche Erfahrungen und Wahrnehmungen zu Bedeutungen entwickeln. Kulturelle Bedeutungen sind immer sozialspezifisch geprägt. Das gilt besonders für Mensch-Umwelt-Beziehungen (Strang 2005: 94). Strang schreibt dazu: »The thesis proposed is that formal qualities and characteristics of the object are crucial in that they provide a common basis for the construction of meaning […] humans share common sensory and perceptual processes, although their experiences are […] composed of culturally specific beliefs and expectations, learned behaviours and embodied predispositions.« (Ebd. 97)
Entsprechend untersucht sie Arten und Qualitäten von Wasser und mit ihnen verbundene sensorische Erlebnisse sowie Bedeutungen, die Wasser zuge-
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schrieben werden und im Kontext von Stour River und Aboriginal Queensland sichtbar wurden, sowie gemeinsame Strömungen der kulturell spezifischen Interpretationen von Wasser-Zusammenhängen. Wasser ist neben Luft das Wichtigste, was Leben und Existenz braucht. Seine Eigenschaften sind in den jeweiligen Kontexten identisch: Fließen, Gefrieren, Verdampfen, Regnen würden unter übereinstimmenden Bedingungen auch identisch stattfinden. Gleiches gilt für Erscheinungsformen und Aussehen. Gleichzeitig verändert Wasser permanent seine Erscheinungsform: Dampf, Eis, Dunst, Fluss, See, Meer, Regen, Gewitterregen, Tropfen, Rinnsal, Wolke, Tau, Wellen, sogar jeder Wassertropfen, der gefriert, bildet seine eigene individuelle Kristallstruktur. Damit kommt Strang exemplarisch dazu, trotz »common senses (taste, smell, feel, shower, bath)« eine »Antipodean analysis« zwischen Stour Valley und Queensland zu präsentieren. Neben unmittelbar sensorischen Wahrnehmungen spielt Wasser auch eine essentielle Rolle für die Subsistenz. Daraus entwickelt sich »hydrolatry« (Strang 2005) bzw. Wasseranbetung. Diese nimmt in verschiedenen kulturellen Kontexten unterschiedliche Formen an. Christentum, Islam, Judentum, Hinduismus, Buddhismus und Lokal- bzw. Naturreligionen entwickeln je eigene Wasserkonzepte. Laut Strang (2005: 106) ist allen mythisch-religiösen Vorstellungen gemein, dass der Ursprung des Lebens mit Wasser assoziiert wird und dass Wasser das Diesseits symbolisch vom Jenseits trennt (vgl. auch Illich 1987: 30). Dabei sind spirituelle und soziale Bedeutungen stets vermischt. Sie sind genauso Bezugspunkte für eine gemeinsame Identitätsbildung wie Lebensgrundlage und die Möglichkeit einer interkulturellen Abgrenzung. Mit »systemic health and wealth«, »sharing of substance« gehen die Betrachtungen hin zu »sourcing«, »provision« und »privatisation«. Hier geht es um Fragen der Kontrolle, Macht, Verantwortung und um gesellschaftliches Überleben. »These meanings permeate all aspects of human life: the social, the spiritual, the economic, the political and the environmental.« (Strang 2005: 115) Es ist Strang zuzustimmen, dass diese Ebenen in jede Beschäftigung mit Wasser einfließen sollten: persönlich, familiär, kollektiv, literarisch und metaphorisch. Die Bedeutungen mögen kulturell spezifisch und unterschiedlich in ihren Ausprägungen sein, aber: »the broad themes of meanings encoded in water are similar in substance, providing important undercurrents of commonality […]. It seems that meaning is the product not just of human individuals and groups, but also of the common – and diverse – material characteristics of their environment.« (Strang 2005: 115)
Mit dieser Zusammenfassung ist Strang konzeptionell auch wieder ganz nah bei Hahns Konzept der Verflechtungen (»entanglements«) sowie bei Caton und Orlove, die mit Mauss von »totalen sozialen Tatsachen« sprechen (dazu siehe Kapitel 2.4).
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Der Ansatz der folgenden Arbeit basiert auf den oben dargestellten Überlegungen: Ein Ziel der Arbeit ist, die deutlich gewordene Komplexität des Themas hervorzuheben und im Blick zu behalten, ohne den Anspruch zu erheben, dieser theoretisch gänzlich beizukommen. Die Studie wählt den empirischen Weg, exemplarisch in Einzeldarstellungen ein multikulturelles und multiregionales Kaleidoskop von Erfahrungen und Bedeutungen im Umgang mit Wasser anzubieten und dem Leser ein Mosaik über Menschen am Brunnen zu präsentieren.
2.3 »C iviliz ations around water « Tvedt und Oestigaard (2010) eröffnen ihre Überlegungen über das Wasser mit der Feststellung, dass bislang keine Geschichte des Wassers geschrieben wurde. Wenn wir über Natur und Umwelt nachdenken, wird schnell klar, dass jeder Versuch einer allgemeingültigen Antwort, jeder Versuch der Vereinheitlichung problematisch ist, weil Natur aus vielen verschiedenen Elementen besteht, zu denen wir individuell und als Gesellschaft unterschiedliche Beziehungen entwickelt haben. Die Beziehung zwischen Natur und Gesellschaft besteht letztlich aus Einzelbeziehungen bzw. Einzelphänomenen der Natur. Auf Wasser bezogen bedeutet das, dass die Beziehung zwischen Natur und Gesellschaft interpretiert wird als »Wasserwelt«, als hydrologischer Zyklus bzw. Wasserkreislauf, der sich in Landschaften zeigt, in denen Wasser jeweils erscheint, und zu denen Gesellschaften ihre je eigene Beziehung entwickelt haben. Weil Wasser universell ist und in so vielfältigen Zusammenhängen erscheint, kann die Beschäftigung mit Wasser auch neue Perspektiven auf unsere Vorstellung von der Natur und auf ihre verschiedenen Elemente eröffnen; denn »water has played a role in all societies at all times and in the life of all human beings.« (Tvedt und Oestigaard 2010: 2) So schlagen die Autoren vor, ihre »history of water« materiell, politisch und ideologisch begründet zu sehen. In diesen Zusammenhängen werden hydrologische, physikalische und bewässerungszivilisatorische Aspekte als materielle Wasserwelten behandelt. Wasserversorgung und Regulation (inklusive »Basin Management«, »Integrated Water Resources Management« (IWRM) und »World Water UN«) werden in erster Linie politisch gedeutet und religiöse, künstlerische und rituelle Vorstellungen als ideologisch bezeichnet. Dafür problematisieren Tvedt und Oestigaard den Naturbegriff als Ganzes und konstruieren eine Geschichte der Wasservorstellungen bzw. Wasserkonzepte. Alle Lebewesen existieren durch Bewegungen von Wasser. Es ist die bekannteste Flüssigkeit, aber auch eine der ungewöhnlichsten. Wasser expandiert, wenn es erhitzt, aber auch wenn es gefroren wird. Die »reine« Substanz Wasser ist immer gleich. Das natürliche Wasser der Flüsse, Seen und Meere ist identisch
Theoretische Perspektiven
mit dem kulturalisierten Wasser, das durch Leitungen und Kanäle fließt. Das »Wasser an sich« wird durch kulturelle Aneignungsprozesse nicht verändert. Aber die Autoren weisen darauf hin, dass die natürliche und kulturelle Seite des Wassers untrennbar miteinander verwoben sind: »Water is culture, but it is also nature. It is never either or, but always both.« (Ebd. 4) Weil Wasser für alle Menschen von existenzieller Bedeutung ist, lädt der Umgang damit zum kulturellen Vergleich ein. Die Aneignung und Nutzung von Wasser ist eine anthropologische Konstante. Die Aneignungsprozesse und die Bedeutungszuschreibungen sind allerdings historisch und kulturell sehr variabel und facettenreich und lassen sich miteinander vergleichen. Wasser ist chemisch sehr anfällig, weil es eine exzellente Lösekraft für viele Stoffe besitzt. Viele Materialien lassen sich leicht in Wasser lösen und verunreinigen es so. Aber Wasser hat auch eine enorme Selbstreinigungskraft, weil nur das reine H₂O verdunstet und Verschmutzungen zurücklässt. In den Wolken wird reines H₂O transportiert, so dass es, bis auf Verschmutzungen durch den Weg des Regens zur Erdoberfläche, wieder »sauberes« Wasser regnet. Menschen können sich mit dem Wasser treiben lassen und seinem Fluss folgen, oder aber die Strömung steuern, wie das alle Hochkulturen in unterschiedlichen Ausprägungen getan haben. Verschiedene Kulturen, Religionen und Denker haben jeweils andere Zugänge zum Umgang mit Wasser gelehrt und empfohlen. Tvedt und Oestigaard (ebd. 7) widersprechen Bruno Latours »action-network-Theorie« (Latour 2005), nach der Wasser ein »material actant« wäre, das menschliche Akteure (»human actors«) sozial behandelt. Sie wollen die Welt interdependent und ganzheitlich betrachtet wissen. Menschen sind nur Teil des Wasserkreislaufes und nur temporär Träger des jeweils gleichen Wassers, das auch schon vielfach durch andere Lebewesen geflossen ist und wieder recycelt wurde: »the human body is only a temporary station in water’s endless motion from clouds to sea and back« (ebd. 8). Ähnlich gestalten Bedeutungszuschreibungen ganze Wasserlandschaften, filtern Mythen, Glauben und Rituale das Wasser. Und so haben umgekehrt indigenes Wissen (»indigenous knowledge«) und lokale Perspektiven Wasser und die Vorstellungen von Natur beeinflusst. Wasser ist eine konstante Größe, wird aber gleichzeitig völlig unterschiedlich gesehen, interpretiert und erlebt. Die Autoren beschreiben einen Vorgang, bei dem zu beobachten ist, dass je mehr eine Gesellschaft den Zugang zu Wasser kontrolliert und steuert, umso mehr umgekehrt das Wasser an »Macht« über die Gesellschaft gewinnt, da eine Abhängigkeit zutage tritt. An dieser Stelle führen Tvedt und Oestigaard (2010: 11) den Begriff der »Nachhaltigkeit« des Wassers ein, der einen bemerkenswerten Kontrast zu solchen Eingriffen in die Natur darstellt und verdeutlicht, dass Wasser weder vollständig zu regulieren noch vollständig zu erfassen ist. Das wird in Gegensatzpaaren illustriert, an denen vielfältige Aspekte und Verknüpfung rund um das Wasser aufgezeigt werden. So ist Wasser gleichzeitig: besonders und allgemein (»particular and
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universal«), eins und vieles (»one and many«), Natur und Kultur (»nature and culture«) sowie materiell und ideologisch (»physical and ideological«) (ebd. 12). Aus einer naturalistischen Perspektive kann man Wasser als »immer gleichen Stoff« bezeichnen, aus einem sozial- und kulturwissenschaftlichen Blickwinkel betrachtet gibt es indes vielerlei Arten von Wasser, z.B. Bewässerungsund Energiegewinnungswasser, Weih- und Taufwasser usw. Menschen bauen sogar feste Unterkünfte (Iglus) aus gefrorenem Wasser. Die Grenze zwischen natürlichem Wasser und kulturell angeeignetem Wasser ist verschwommen, die Übergänge sind fließend (ebd. 13). So werden Wasserfälle genannt, Stromschnellen, Tau, Tropfen, Oasen, Grundwasser, Dampf, Eis, Schnee: Die Beschäftigung mit unterschiedlichen Arten von Wasser stellt einen jeweils anderen Aspekt der Welterschließung und des Weltzugangs in den Mittelpunkt, der sich zwischen Natur und Kultur abspielt. Schließlich wenden sich Tvedt und Oestigaard (2010: 16-19) religiösen Aspekten von Wasser zu. Schöpfungsmythen, Rituale und religiöse Vorstellungen reichen vom heiligen Wasser des Ganges bis zum heilenden Wasser von Lourdes. Judentum, Christentum und Islam kennen das Konzept des rituell genutzten Weihwassers, Hinduismus und Buddhismus besitzen eine Vorstellung vom kosmischen Wasser. Wasser wird eine Vielzahl von Eigenschaften zugesprochen: Es hat das Potential zur Reinigung und Heilung, es vermag von Sünden reinzuwaschen, es verbindet das Diesseits mit dem Jenseits etc. Zusammenfassend stellen Tvedt und Oestigaard die Vorteile einer Geschichte der Vorstellungen von Wasser fest, die vielfältige Verknüpfungen und Aspekte berücksichtigt: »Approaching the history of the ideas of water from different traditions such as the ideas of water in religion and myths, ideas of water in culture, society and development, and ideas of water in science and philosophy, one may contribute with new knowledge in both natural and social sciences.« (Tvedt und Oestigaard 2010: 25)
Tvedt und Oestigaard bleiben bei ihren Untersuchungen allerdings stehen beim Allgemeinen, Politischen, Soziologischen, Gesellschaftlichen. Ihre Betrachtung geht nicht auf einzelne Menschen und kleine Gruppen sowie deren Wahrnehmungen, Verwendungen und Bedeutungszuschreibungen ein. Hier besteht ein grundsätzlicher Unterschied zu der hier vorliegenden Untersuchung, die versucht, die vielfältigen Verknüpfungen vom einzelnen Menschen her zu verstehen und in die universellen, soziologischen, gesamtpolitischen, religiösen und kulturellen Erkenntnisse einzuordnen. Diese Studie versteht sich als Ergänzung der vorgestellten Arbeiten, gewissermaßen als bottom-up Annäherung an ethnologische Forschungsfragen rund um das Wasser, die beim einzelnen Menschen ansetzt und zu weiterführenden Erkenntnissen und politischen Maßnahmen führen kann, die wiederum auf die davon betroffenen Menschen zurückwirken würden.
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2.4 M auss , O rlove und C aton : W asser als »totale soziale Tatsache « In Analogie zu und mit Bezug auf Marcel Mauss (1923/24) empfehlen Orlove und Caton (2010: 402), Wasser als »totale soziale Tatsache« (»total social fact«) zu betrachten und entsprechend zu untersuchen. Mauss bezeichnet (1923/24) als »fait social total« eine Institution, die für sich genommen als Entität verstanden werden kann, die aber gleichzeitig ein Element einer übergeordneten gesellschaftlichen Ordnung darstellt und wendet sein Konzept zunächst auf soziale Phänomene, menschliches Verhalten und soziale Interaktionen im religiösen, rechtlichen, moralisch-ethischen sowie gesellschaftlichen, politischen und familiären Bereich an. Er lässt den Begriff aber auch für Produktions- und Konsumformen und ästhetische Phänomene zu. Orlove und Caton transferieren nun das Wasser zu einem sozialen Totalphänomen, obwohl es in einem engen Sinne keinen sozialen Tatbestand ausdrückt (2010: 402). Damit erweitern sie ihre Betrachtung bewusst auf die Materialität von Wasser. Im strengen Sinne würde Mauss‹ Begriff eher auf den Umgang mit Wasser, die Behandlung von Wasser und dessen Bedeutungen in spezifischen sozialen Kontexten zutreffen. Weil aber im allgemeinen Diskurs über Wasser dessen Materialität im Vordergrund steht, ist die Betrachtung von Wasser als einer »totalen sozialen Tatsache« geeignet, die Betrachtung, Untersuchung, den Diskurs und die Behandlung um die menschliche und soziale Komponente zu erweitern. Die Autoren beziehen sich dabei ausdrücklich auf die bereits vorgestellten Arbeiten von Strang. Es ist die »essentiality« des Wassers (Strang 2004: 5), die es zu einer »totalen sozialen Tatsache« im Mauss’schen Sinne macht. Konkrete Form nimmt dieser Ansatz am Beispiel des Duschens an. Aus hygienischen Gesichtspunkten macht es für uns einen Unterschied, ob das Wasser aus einem Wasserhahn oder einem Duschkopf kommt, und ob es dabei als warm oder kalt, brackig oder frisch, hart oder weich erlebt wird. Obwohl Wasser eng mit (eigen)körperlicher Hygiene in Verbindung gebracht wird, können wir ein Dusch- oder Wannenbad gleichzeitig als erfrischenden bzw. entspannenden Beitrag zum persönlichen Wohlbefinden erleben. Anders als Orlove und Caton möchte der Verfasser an dieser Stelle eher Hahns Konzept von materieller Kultur folgen und von Unterschieden in der Wahrnehmung von Wasser sprechen (Hahn 2005). Dieses Konzept vermag das Phänomen präziser zu greifen. In der Landwirtschaft und für die in der Landwirtschaft tätigen Menschen hat Wasser darüber hinaus noch völlig andere Bedeutungen. Und auch in diesem Kontext wird Wasser in Deutschland anders erlebt als in Ghana, Indien oder China. Die Komplexität ergibt sich aus der Vielfalt von Verknüpfungspunkten und Vernetzungen, die sich rund um Wasser ergeben und die individuell jeweils verschieden erlebt werden. Dabei spielen die Herkunft, die subjektive Wahrnehmung, die spezifischen Handhabungen und Verwendungszwecke
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ebenso eine Rolle wie deren menschlich vielfältigen Ausprägungen. So ist z.B. jeder Waschvorgang eines einzelnen Menschen verschieden von jedem vorherigen und nachfolgenden dieses und jedes anderen Menschen. Gleichzeitig folgen sie Mustern, die sich aus Gewohnheiten und sozialer Einbettung ergeben. Orlove und Caton (2010: 402) nennen diese Einbettung »connectivity« und beziehen sich auf Ulf Hannerz (1992), wenn sie folgern: »Water’s connectivity is mediated by levels of social organizational complexity.« (Orlove und Caton 2010: 402) So setzt beispielsweise das Wasser aus der Leitung eine komplexe politische, technische und soziale Infrastruktur voraus, die das Wasser von der Quelle bis ins Haus transportiert und nach der Verwendung wieder abtransportiert, das Ganze zuverlässig, sicher und zu vertretbaren Kosten. Diese Verknüpfungen sind ähnlich den »give-and-take«-Beziehungen und Systemen, die Mauss als »totale soziale Tatsachen« beschreibt. Und die dahinter liegenden sozialen und politischen Systeme reichen von der lokalen Wasserversorgung bis hin zu weltweiten »governance structures« von Weltbank und UN Water. Hahn (2012: 33; siehe auch Kapitel 2.1) spricht in diesem Zusammenhang von »global entanglements« und spürt der Materialität phänomenologisch nach. Ähnlich greifen auch Orlove und Caton (2010) diese Materialität und die besonderen physikalischen, chemischen und materiellen Eigenschaften von Wasser auf und beschreiben sie als eine »totale soziale Tatsache«. Die unendliche Zirkulation und Verfügbarkeit des Wassers, seine unterschiedlichen Aggregatzustände und vielfältigen Eigenschaften führen zu spezifischen Notwendigkeiten im Umgang mit Wasser, bei seiner je kulturspezifischen Wahrnehmung und Verwendung. Die sozialen Konstruktionen prägen Verwendungen, Einstellungen und Bedeutungen, die in spezifischen historischen und sozialen Kontexten jeweils unterschiedlich sind und sich auch entsprechend wandeln. »The point, however, is not to determine where social constructions end and materialities begin, but to see how complexly they are intertwined.« (Orlove und Caton 2010: 403) Als Beispiele werden aufgeführt: Der Widerspruch zwischen objektiver und subjektiv empfundener Verschmutzung des Ganges, Wittfogels Theorie der Staatenbildung durch Wasserkontrolle (Wittfogel 1957), die kulturspezifische Nutzung und Ausprägung von Bewässerungssystemen in der Landwirtschaft, die unterschiedliche Nutzung von Wasser im städtischen und ländlichen Raum, in Industrie, Fischerei, Tourismus und Freizeit. Um diese Vielfalt und ihre Verknüpfungen zu beschreiben, übernehmen sie den von Hastrup (2009) geprägten Begriff »waterworlds« (»Wasserwelten«), und beschäftigen sich mit fünf grundsätzlichen Themen (Orlove und Caton 2010: 404-406): (1.) »Wert und Wertschätzung« (Ressourcen und Menschenrechte), (2.) »Equity« (Zugang und Verteilung), (3.) »Governance« (Organisation und Recht), (4.) »Politik« (Diskurs und Konflikt) sowie (5.) »Wissen« (Kenntnisse, lokales und indigenes sowie wissenschaftliches Wissen).
Theoretische Perspektiven
In »Wert und Wertschätzung« wird analysiert, wie Natur und Umwelt auf der einen und Kultur und Gesellschaft auf der anderen Seite ineinandergreifen und eng miteinander verflochten sind. Wasser ist eine wichtige Ressource für die Ökonomie sowie für das Wohlergehen und Überleben von Individuen und Gesellschaften. So ist Wasser ein essentieller Teil des gesellschaftlichen Lebens und wird letztlich zu einem politischen Faktor. Gleichzeitig gibt es auch negative Wirkungen von Wasser (Fluten, Überschwemmungen, Krankheiten usw.), die von gesellschaftlichen Systemen beherrschbar gemacht werden. Das macht Wasser zu einem Material mit spezifischen Eigenschaften, das in unterschiedlichen sozialen Kontexten jeweils spezifisch erlebt, verstanden, be- und verhandelt wird. Es geht dabei um Kategorien wie Überleben, Hygiene, Produktion, Freizeit und Vergnügen, die jeweils auch zu vielfältigen positiven und negativen sensorischen Erlebnissen und Assoziationen führen. Unter »Equity« wird der Aspekt der Gleichheit und Fairness im Zugang zu und in der Verteilung von Wasser behandelt. Es geht um Gerechtigkeit und politische Ökonomie (»political economy«) und die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass alle Menschen – unabhängig von Klasse, Ethnie, Rasse, Alter und Geschlecht – gleichen Zugang zu sicherem Trinkwasser erhalten. Die hierbei auftretenden wirtschaftlichen, regionalen und politischen Streitpunkte sowie der Konflikt zwischen dem Recht auf Zugang und einer Verpflichtung zur Verteilung müssen unter diesem Aspekt politisch und gesellschaftlich ausgehandelt werden. »Governance« analysiert Strukturen des Wasser-Managements; dabei werden Aspekte der Steuerung und Organisation sowie Regeln der Verteilung diskutiert. Es wird anerkannt, wie komplex diese Aufgabe im Falle von Wasser ist, das auf so vielfältige Arten vorkommt und so unterschiedlich genutzt wird, eine Aufgabe, die noch dadurch erschwert wird, dass Wasser so schwierig zu lagern und zu transportieren ist. Die Investitionen und Anstrengungen sind enorm und erstrecken sich von der Gewinnung (Brunnen, »borehole«) und Aufbewahrung (Dämme, Seen und Zisternen) über die Zuleitung (Leitung, Kanister und Tankwagen) und Ableitung (Versickern, Abfall, Abwasser, Kanalisation, Klärung und Ableitung in Flüsse). Bewässerung, Brunnenbohrungen, Hygiene und »sanitation« sind hierbei von besonderer Bedeutung. Mit dem Verweis auf Clifford Geertz (1972) und David Mosse (1997), der über Bewässerungsprojekte in Indien geforscht hat, konstatieren Orlove und Caton (2010: 405), dass die Wasserorganisation als solche ein interessantes Feld zur Beobachtung wirtschaftlicher, sozialer und ethnischer Perspektiven auf Wasser ist. Zusammengefügt werden solche Perspektiven im Konzept des »Integrated Water Resource Management« (IWRM) und in politischen, regionalen, überregionalen und überstaatlichen Organisationen von »River Basin Management« Institutionen an Nil, Mekong, Tarim, Rhein, Donau etc. Wasser führt durch seinen flüssigen Charakter und die Schwierigkeit, seine Grenzen zu definie-
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ren, immer wieder zu Konflikten über Verantwortlichkeiten, Aufteilungen zwischen Akteuren etc. Das gilt sowohl für die Nutzung als auch für die Verwaltung und Kontrolle. Solche Verteilungsaspekte resultieren immer in einer Zusammenführung von Gruppen, Kollektiven, Gesellschaften, Kommunen und Staaten und werfen damit unwillkürlich politische Fragen von Recht, Gerechtigkeit, Menschenrechten, Entscheidungskompetenzen, Partizipation, Prozessen, Kontrolle, Prioritäten und Aushandlung zwischen Individuen und Gruppen auf. Dabei geht es nicht nur um Kontrolle und Verteilung, sondern auch um die Abwehr von Gefahren und deren Management, Steuerung von Überfluss und Mangel bis hin zur Bewertung von Veränderungen im Landschaftsbild durch Dämme, Kanäle, Umleitungen, Landnutzung und Bewässerung. Orlove und Caton (2010: 406) gehen auf die »lokalen und indigenen Perspektiven« ein, indem sie auf konfuzianische und taoistische Arten der Bewässerung in China, die Rolle von afrikanischem Know-how für das Management der Feuchtgebiete im Süden der heutigen USA und die Landwirtschaft im Terrassenbau in den Anden hinweisen. Sie stellen auch fest, dass die Wassernutzung im Haushalt ein anderes, häufig unterschätztes Wissen erfordert als die Wassernutzung in der Landwirtschaft. Es ist oft eine Frage des sozialen Geschlechts (Gender), wer für welchen Wissens- und Handlungsbereich zuständig ist (Orlove und Caton 2010: 406).
»Wasser welten« Laut Orlove und Caton (2010: 406) finden wir »Wasserwelten« an »three specific sites«, »watersheds«, »water regimes« und »waterscapes«. »Watersheds« sind Wassereinzugsgebiete zwischen Wasserscheiden und Flussebenen. Diese können transnational (Rhein, Mekong, Nil, Donau und Jordan), aber auch innerstaatlich oder regional (Yangtse, Gelber Fluss, Wolga, Elbe, Colorado, Lena und Amazonas) zu Interessenskonflikten und Abstimmungsbedarf führen. Aber selbst wenn das Einzugsgebiet und dessen Interessen berücksichtigt sind, gibt es weiter reichende Einflüsse, weil das Grundwasser auch zwischen, durch Wasserscheiden definierten, Einzugsgebieten fließt und sich insbesondere Niederschlag und Klimaeinflüsse nicht territorial eingrenzen lassen. Selbst Umnutzungen zwischen Bewaldung und Landwirtschaft oder Trockenlegungen können Auswirkungen außerhalb der definierten Einzugsgebiete haben. Um hier angelegte Stakeholder-Interessen zu moderieren, werden Einzugsgebiete zu Verwaltungs- oder Koordinierungseinheiten (»River Basin Management« oder »Cooperatives«) zusammengeführt. Dafür werden Prinzipien, Normen und Regeln für die Prozesse der Entscheidungsfindung für und zwischen Akteuren festgelegt, und »water regimes« etabliert. In diesem Zusammenhang werden auch Verantwortlichkeiten zwischen hoheitlichen bzw. öffentlichen und privaten Aufgaben geregelt und Auseinandersetzungen um Privatisie-
Theoretische Perspektiven
rung, Verstaatlichung und Kommunalisierung ausgetragen. Dazu gehören auch Diskussionen über Wasser als Ware (»commodity«) oder Allgemeingut (»common good«), Wasserrechte und Überlegungen zu dessen Widerstandsfähigkeit (»resilience«) und Anfälligkeit (»vulnerability«). »Waterscapes« oder Wasserkulturlandschaften erinnern an Appadurais Konzept der »Ethnoscapes« (Appadurai 1996). »Waterscapes« gehen auf einen Begriff zurück, der zuerst im 19. Jahrhundert zur Beschreibung von Wasserlandschaften in der Kunst verwendet wurde. Swyngedouw (1999) hat den Begriff für seine Forschung aufgegriffen. Strang (2009: 30) hat im Gebiet des Stower River »waterscapes« beschrieben. Orlove (2009) hat das Konzept für die Beschreibung der kulturellen Relevanz von Gletschern verwendet und Hastrup den Begriff zur Systematisierung in ihre Wasserwelten eingeführt. »Waterscapes« beschreiben als Wasserkulturlandschaften die Gesamtheit von Einflüssen von Wasser auf Mensch, Gesellschaft, Kultur und Natur sowie umgekehrt die Einflüsse von Mensch, Kultur und Gesellschaft auf das Wasser, Wasserläufe, Leitungen, Verwendungen, Wahrnehmungen und Bedeutungen. In diesem Sinne beschreiben Wasserkulturlandschaften bzw. »waterscapes« auch wieder die »multiple, complex entanglements« von Hahn und Strang (siehe Kapitel 2.1 und 2.2) sowie die »intertwined relations« von Oestigaard und Tvedt (2010) und die »Wasserwelten« von Hastrup (2009). Orlove und Caton (2010: 408) stellen demgegenüber das Konzept des »Integrated Water Resource Management« (IWRM), ein Konzept zur globalen Integration aller wasserbezogenen Probleme und Interessen, als politisches Instrument in das Zentrum ihrer Untersuchung.
»Integrated Water Resource Management« (IWRM) IWRM fordert den Ausgleich der Anforderungen zwischen Haushalten, Landwirtschaft, Industrie und Umwelt, mit dem Ziel, menschlichen Bedürfnissen bei gleichzeitiger Berücksichtigung von Nachhaltigkeit und Zukunftsperspektiven am besten nachzukommen: »Sustainable management of water resources requires systemic, integrated decision-making.« (World Water Vision 2000, World Water Forum) Zugang zu konsumierbarem Trinkwasser und sicherer »sanitation« zu haben ist als Menschenrecht anerkannt und wird durch IWRM in seiner gesamten Komplexität in Angriff genommen. Hierbei sind zunächst sämtliche gesellschaftlichen Interessen der beteiligten Parteien zu eruieren, zu verstehen und anzuerkennen. Sodann müssen die gesellschaftlichen und technischen Voraussetzungen berücksichtigt werden, Wasserstress, Begrenztheit der Ressource in Teilen der Welt, die Vulnerabilität und Nachhaltigkeit. Hierzu ist Forschung, Auf klärung und Erziehung der Nutzer und Verbraucher erforderlich. Schließlich sind auch globale Forderungen zu integrieren und auszugleichen, zum Beispiel der UN (»Commission on Sustainable Development«), die Wasser als Men-
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schenrecht anerkennt und die gerechte Verteilung nach Bedarf verlangt, sowie der Weltbank (2003), der es um eine Ökonomisierung des Wassers geht. »IWRM has a vision of the waterworld with many parallels to our own, namely of water as a total social fact. It also includes all the themes (value, equity, governance, politics and knowledge) that we hold to be essential to address the problems of water scarcity and degradation.« (Orlove und Caton 2010: 410)
Damit werden auch ökonomische Effizienz, soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit gefördert. Auch in diesem Zusammenhang tauchen Begriffe auf, die in einer starken thematischen Nähe zu den Forschungsarbeiten von Hahn, Strang, Tvedt und Oestigaard stehen, »connectivity«, »intertwined«, »intersection«, »integration« und deren »multiple, global, complex entanglements«, die für den Fortgang dieser Arbeit eine wichtige Rolle spielen, wenn es um einzelne Beobachtungen und deren netzwerkartige Verflechtungen geht.
2.5 W asser als G emeingut und M enschenrecht Wasser, insbesondere der Zugang zu sicherem Trinkwasser, ist seit 2011 von den UN als Menschenrecht anerkannt (UN World Water Annual 2012). Seither sind die Staaten verpflichtet, allen Menschen sicheres Trinkwasser in erreichbarer Nähe und zu vertretbaren Kosten verfügbar zu machen. Damit soll ein Beitrag geleistet werden zur Erreichung der sogenannten »Millennium Development Goals« (MDG). Zur Rechtfertigung dieser Maßnahme wird auch angeführt, dass sich die erforderlichen Investitionen innerhalb weniger Jahre finanziell auszahlen. In der Folge stellt sich die Frage, ob Wasser ein Gemeingut (»common«) oder eine Ware (»commodity«) ist. Hardin (1968) hat in seinem wegweisenden Essay »Tragedy of the Commons« darauf hingewiesen, dass Gemeingüter immer Gefahr laufen, durch Übernutzung unbrauchbar zu werden. Auf dem Weg dahin ist die schrittweise Kommodifizierung eines Gemeingutes eine entscheidende Ursache. Elinor Ostrom (1990) hat hierzu in umfangreichen Studien nachgewiesen, unter welchen Bedingungen Allmende tatsächlich funktioniert. Ihre Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass es bei fehlender sozialer Nähe der Akteure und Abwesenheit einer wirksamen übergeordneten Autorität häufiger zu Fehlschlägen kommt. Hahn (2012: 34), Hardin (1968), Swyngedouw (2005), Schwan (2009), Kluge und Schramm (2009) und andere Autoren sehen eine Entwicklung hin zum Verständnis von Wasser als Ware, deren Verfügbarkeit und Preis zunehmend nach Marktgesetzen geregelt wird. Beispiele für diese Entwicklungstendenz sind Prozesse zur Privatisierung der Wasserversorgung in vielen Ländern sowie die zunehmende
Theoretische Perspektiven
Übernahme der Kontrolle des Grundwassers durch private Unternehmen, die Getränke herstellen und vermarkten. Dabei ist Trinkwasser als Ware kein neues Phänomen. Als vor 150 Jahren die moderne, industrielle Wasserversorgung in den Großstädten Gestalt anzunehmen begann, geschah dies durch private Investitionen. Das Wasser wurde zu einem extrem hohen Preis vornehmlich urbanen Eliten verfügbar gemacht. Laut Illich (1985: 115) entsprach der Preis für einen Liter Trinkwasser ungefähr dem Tageslohn eines einfachen Arbeiters. Auch das Angebot von Trinkwasser in Flaschen folgt solchen Mechanismen. Kommodifizierungsprozesse stehen jedoch konträr zur Definition von Wasser als Allgemeingut und Menschenrecht. Für die vorliegende Arbeit und das Anliegen, die komplexen Vernetzungen rund um das Wasser anhand von ethnologischen Untersuchungen auf der lokalen Ebene nachzuzeichnen, ist die Problemstellung, ob Wasser ein Gemeingut oder eine Ware ist, eine Frage, die auf makro-strukturelle, oft überlokale Faktoren wie z.B. das politische und wirtschaftliche System eines Landes und generelle Besitz- und Eigentumsverhältnisse fokussiert, zwar nicht unwichtig, sie soll aber nicht weiterverfolgt werden, da sie innerhalb der Fragestellung dieser Arbeit nicht hinreichend und zielführend ist.
2.6 W ittfogels K onzep t der » hydr aulic socie ties « Das oben Gesagte gilt auch für Wittfogels Konzept einer »hydraulic society« oder des »oriental despotism« (Wittfogel 1957). Seine These bezieht sich auf die Herausbildung von Herrschaftsverhältnissen, die sich in einer einzigen Person konzentrieren, und die zu einer abhängigen Administration führen, die das gesamte verfügbare Wasser kontrolliert. Laut Wittfogel entwickelte sich diese Form der Machtausübung zu einer Zeit, als es strukturell und ökonomisch notwendig wurde, das für die Landwirtschaft benötigte Wasser durch eine zentrale politische Instanz zu kontrollieren. Er stellt die These auf, dass die makro-strukturellen Bedingungen einer komplexen Bewässerungslandwirtschaft in bestimmten Regionen zu einer Konzentration der politischen Macht führen (müssen). Als Beispiele für seine Theorie der »hydraulic societies« führt Wittfogel die antiken ökonomisch-politischen Systeme Ägyptens, Mesopotamiens und Chinas an (vgl. auch Cless und Hahn 2012: 15). Weiz (2005) und Mosse (1999) haben darauf aufmerksam gemacht, dass auch das Kulam- und Erie-System SüdIndiens historisch entstanden ist, als die lokalen Maharadschas eine zentrale und absolute Kontroll- bzw. Machtposition inne hatten. Selbst die historischen Hochkulturen der Maya und Khmer waren durch solche wasserbezogenen ökonomisch-politischen Strukturen geprägt. Als die gesellschaftlich verfügba-
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ren Wasserressourcen knapp wurden, waren diese »Wasser-Kulturen« zwangsläufig dem Untergang geweiht. In diesem Sinne sind Wasser und dessen Kontrolle bestimmende Faktoren für alle Menschen. Jede Gesellschaft muss diese Faktoren regulieren bzw. die immer essentielle Frage nach der Bedeutung von Wasser für sich lösen. So beeinflusst diese Frage nahezu alle gesellschaftlichen Sphären: die Politik, die Wirtschaft aber auch religiöse Vorstellungen und Kosmologien. Ähnlich argumentiert Needham (1971) in seiner bekannten Monographie Science and Civilisation in China. Er führt Macht und Einfluss des chinesischen Kaiserreichs auf wissenschaftliche bzw. technologische Innovationen zurück, deren Entwicklung und Einsatz zentralstaatlich kontrolliert wurden. Dabei zeigt der Begriff der »hydraulic society« präzise den Widerspruch, der sich auch in der Kontrolle von Wasser widerspiegelt. Sie dient einerseits den Menschen für Subsistenz und ist hierdurch von überragendem Nutzen. Andererseits können die gesellschaftlichen Mechanismen der »Wasser-Kontrolle« Machtstrukturen generieren, die missbraucht werden. Kontrolle führt dann zu Abhängigkeiten und einer starken Machtausübung. Hierdurch werden wieder alle Gesellschaftsbereiche und jedes individuelle Leben durchdrungen und geprägt. Solomon (2010) führt diese These in einer neueren Studie fort und erweitert sie durch Beispiele aus der jüngeren Geschichte und Gegenwart. Er sieht die Kontrolle von und Machtausübung über Wasser als starken Einfluss und erweitert die Dimension auf die Kontrolle der Meere durch technische und militärische Gerätschäften und Innovationen. Neue nautische Erfindungen stellen stets den Beginn einer Herausbildung solcher Machtkonzentrationen dar. Aber auch Solomon bleibt mit seinen übergreifenden Betrachtungen und Beispielen auf der globalen politischen Ebene und damit fixiert auf eine der vielen Dimensionen, die die globalen komplexen Verknüpfungen und Vernetzungen (»global, complex entanglements«) ausmachen.
2.7 Z usammenfassung Um die vielfältigen, globalen Vernetzungen und Verknüpfungen von Menschen und Gesellschaften mit dem Wasser zu verstehen, erscheinen die Ansätze von Strang (»entanglements«), Hahn (»global entanglements«) sowie Orlove und Caton (»total social fact«) am ehesten geeignet. Sie sind die hier gewählte theoretische Grundlage, um den Umgang von Menschen mit Wasser zu erklären. Die Betrachtungen dieser Autoren, ihre Analysen der Wasser-Aneignungsprozesse sowie der daraus erwachsenden Bedeutungen sind eingebettet in ein umfassendes theoretisches Konzept der Wahrnehmung, Aneignung und Bedeutung von Dingen, welches dem Verfasser nicht nur dabei hilft,
Theoretische Perspektiven
Beobachtungen im empirischen Teil der Arbeit zu strukturieren. Umgekehrt stützen die Ergebnisse auch die Eignung dieser Theorien für die Analyse von ethnografisch erforschten Tatbeständen. Weil Wasser eine so ubiquitäre und unbedingt lebensnotwendige Substanz ist, lässt sich das individuelle und gesellschaftliche Leben der Menschen im Zusammenhang mit und Bezug auf Wasser verstehen. Bei der Betrachtung menschlicher Wasseraneignungsprozesse darf deren Komplexität und Wechselbezüglichkeit nie aus dem Blick geraten: Vereinfacht ausgedrückt ist Wasser als unbedingt überlebenswichtiges Element der Natur immer bedeutsam für den Menschen. Der Mensch kann Wasser nicht ignorieren, er ist gezwungen, sich das natürlich vorkommende Wasser anzueignen. Im Umgang mit Wasser lässt sich die gesamte Komplexität des menschlichen Lebens und seiner sozialen Einbindung verstehen.
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3. Fragestellung, Untersuchungsorte und Methoden
3.1 F r agestellung Viele Studien und Veröffentlichungen, die sich mit dem Thema Wasser auseinandersetzen, tun dies auf einer makro-strukturellen bzw. politischen Ebene. Sie beschäftigen sich mit Fragen der Verfügbarkeit und Bereitstellung von Wasser. Zentrale Begriffe dieses Wasser-Diskurses, der oft in einem entwicklungspolitischen Zusammenhang geführt wird, sind u.a.: Frischwasser, Wassermangel, Wasserqualität und Effizienz der Wasserversorgung. Eine wichtige und überzeugende Feststellung ist dabei immer, dass ca. eine Milliarde Menschen, die überwiegend in Armutsregionen leben, keinen Zugang zu sicher genießbarem Trinkwasser haben (vgl. beispielsweise UN World Water Report 2009). Die Forderung nach genießbarem Wasser, ist inzwischen auch als Menschenrecht anerkannt worden und ein allseits akzeptierter Bezugspunkt. Es bleibt aber die wichtige Frage bestehen, wie dieses Menschenrecht konkret eingelöst werden kann und wie die Versorgung der Menschen mit dieser lebenswichtigen Ressource zu bewerkstelligen ist. Für die Wasserqualität und -versorgung werden hierbei überwiegend westliche Normen und Maßstäbe angelegt bzw. eingefordert. Wegen der prekären Lebensverhältnisse der meisten Betroffenen wird zudem überwiegend die Notwendigkeit einer kostenfreien Wasserversorgung veranschlagt. Das Gesagte gilt auch für die innerhalb des Wasser-Diskurses vorgebrachten Argumente zu Themen wie Hygiene, Einrichtung und Zugang zu sanitären Anlagen und Toiletten, Abfallentsorgung und Defäkation. Lokale Perspektiven werden üblicherweise nicht erfragt und spielen für die Argumentation keine große Rolle oder werden, auch das hat sich in der Forschungsarbeit des Verfassers herausgestellt, nicht in einem genügenden Maße respektiert und gewürdigt. Eurozentrische westliche Standards und Sichtweisen überwiegen und prägen den Diskurs. Wir wollen Verantwortung übernehmen und die fundamentalen Menschenrechte verwirklicht sehen. Wir errechnen den Investitionsbedarf für unsere westlichen Vorschläge zu Lösun-
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gen des Wasser-Problems, ignorieren dabei jedoch bis heute allzu oft vorhandenes lokales Wissen. Die Erfahrungen und Erlebnisse der Lokalbevölkerung mit ihrem Wasser, der lokal- bzw. kulturspezifische Umgang mit Wasser sowie die lokal- bzw. kulturspezifischen Bedeutungen des Wassers werden im WasserDiskurs viel zu selten berücksichtigt. Nur gelegentlich wird das Gespräch mit Individuen gesucht, nur gelegentlich versucht zu verstehen, wie diese Menschen in ihrem Lebensumfeld mit Wasser umgehen, was sie von diesem wissen und erwarten. Wenn wir aber nachhaltige Lösungen für die Versorgung der 9 Milliarden Menschen, die im Jahr 2050 auf der Erde leben werden, finden wollen, so können wir das nur erreichen, indem wir die Menschen vor Ort und ihr vielfältiges lokales Wissen und ihre Erfahrung in die dafür notwendigen Prozesse einbinden. Der Verfasser ist überzeugt davon, dass wir andernfalls zukünftig weiterhin immer höher werdenden Standards folgen und für folgende Generationen, die in absehbarer Zeit versorgt werden müssen, wieder von vorne beginnen müssen. Nur auf der Basis selbstentwickelten indigenen Wissens und mit einem Grundverständnis der lokalen Bedürfnisse können wir erwarten, das Wasser (und andere Ressourcen) betreffende menschliche Grundbedürfnisse auch wirklich zu erfüllen.
3.2 U ntersuchungsorte und V orgehensweisen Wie bereits weiter oben (siehe Kapitel 2) ausgeführt, beschreibt Strang (2004) in The Meaning of Water die vielfältigen sozialen und persönlichen Beziehungen zu Wasser. Orlove und Caton (2010) beziehen sich auf Mauss (1923/24) und sein Konzept der »totalen sozialen Tatsache« und beschreiben Wasser als »total social fact« (Orlove und Caton 2010: 402). Wilk (2006) analysiert in Bottled Water magische Vorstellungen von Wasser und seine kulturellen Bedeutungen mit Bezug auf Flaschen- oder Mineralwasser. Hahn (2012) bezeichnet die mannigfaltigen Verflechtungen von Menschen bzw. Gesellschaften mit Wasser als »multiple entanglements«. Mit diesen praktischen und theoretischen Überlegungen »im Hinterkopf« verbrachte ich in den Jahren zwischen 2009 und 2011 einen Monat (zwei Besuche) in Ghana, mehrere Monate (sechs Besuche) in China, immer wieder einige Wochen in Europa, einen Monat in Indien und Nepal (vier Besuche) sowie einige Wochen in Alaska, Mexiko und Kambodscha und habe für diese Studie Beobachtungen, Gespräche und Gedanken gesammelt, aufgeschrieben, zusammengefasst und dokumentiert.
Fragestellung, Untersuchungsor te und Methoden
3.2.1 Ghana Die Aufenthalte in Ghana konzentrierten sich auf die Region östlich von Bolgatanga, Bongo-Soe, Sirigu, Tamale, im Nordosten des Landes, am Übergang in die Sahel Zone. Die Anreise erfolgte entweder über Accra oder Ouagadougou, die Hauptstadt Burkina Fasos. Der erste Besuch in Ghana erfolgte im Zusammenhang eines Feldbewässerungsprojektes, das von »World Vision Schweiz« in Bongo-Soe initiiert wurde und bis heute gefördert wird. Das Projekt wurde und wird von lokalen Mitarbeitern von »World Vision« organisiert und durchgeführt. Anfangs wurde ein Komitee, bestehend aus Vertretern der Landwirte vor Ort und Vertretern der kommunalen Verwaltung, gebildet. Dieses eruierte die vorherrschenden ökonomischen und geographischen Gegebenheiten (Wasserressourcen, Dämme etc.). Auf der Grundlage dieser Analyse wurde schließlich auf einigen Feldern ein Tröpfchen-Bewässerungssystem (»drip irrigation system«) installiert. Zur Besichtigung des Projekts fand sich eine achtköpfige Reisegruppe zusammen. Diese erkundete die Region mit dem Ziel, geeignete Felder und Farmen für die Ausdehnung der Bewässerungsmaßnahmen zu identifizieren. Das Besuchsprogramm war recht umfangreich und umfasste folgende Punkte: die Besichtigung der Felder, Gespräche mit Landwirten vor Ort, Besuche auf deren Gehöften, Besuche der Kirche und der lokalen Administration sowie einen allgemeinen Erfahrungsaustausch. Besuche der (traditionellen) örtlichen »chiefs« und der offiziellen, staatlichen Kommunalverwaltung rundeten den Aufenthalt ab. Das Projekt und der Besuch wurden durch die lokale Repräsentantin von »World Vision« in der Region um Bolgotanga und Benedicta Peatore organisiert und koordiniert. Die Reisegruppe logierte in einem komfortablen Guest House, das gutes Trinkwasser, eine gute Lebensmittelversorgung sowie verlässliche Transportmöglichkeiten garantierte. Das Guest House diente auch als Ausbildungsstätte. Hier konnten verschiedene Tätigkeiten wie Kochen, Catering, Nähen und die Bedienung von Computern erlernt werden. Hierdurch wurde der Zugang zur lokalen Bevölkerung erleichtert. Weil die Organisation vor Ort auch Schulen, Krankenstationen, Brunnenprojekte und eine Manufaktur zur Sheabutter-Herstellung unterstützt, war es einfach, die notwendigen Kontakte für die Forschungsarbeit herzustellen. Sprachliche Barrieren konnten mithilfe lokaler Dolmetscher überwunden werden. Diese Umstände ermöglichten den Zugang sowohl zu lokalen Autoritäten wie den traditionellen »chiefs« und Schulleitern als auch zu Schülern und Farmern. Die Menschen am Brunnen, in den Schulen und in den Siedlungen haben sich sehr kooperativ gezeigt und fassten schnell Vertrauen. Die Begleitung durch einheimische »bekannte Gesichter«, die Verständigungsmöglichkeit sowie die Beachtung der lokalen Begrüßungsrituale und anderer lokaler Gewohnheiten, vor allem bei der Gesprächsführung, erleich-
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terten die Überwindung von Ressentiments. Die Vorstellung im Sonntagsgottesdienst vereinfachte die Kontaktaufnahme erheblich, so dass Beobachtungen und Gespräche an Brunnen, in Geschäften, auf dem Markt, bei Besuchen der lokalen »chiefs« etc. möglich wurden. Für den zweiten Besuch stellte ich mit Hilfe von Wolfram Laube und Irit Eguavoen, die Forscher am Bonner »Zentrum für Entwicklungsforschung« (ZEF) sind, den Kontakt zu einem erfahrenen lokalen Informanten namens Jacob her. Während des zweiten Feldaufenthaltes konkretisierte ich mit Jacobs Hilfe meine forschungsleitende Fragestellung. Die zweite Feldforschungsphase war herausgelöst aus dem Zusammenhang von »World Vision« und der Entwicklungszusammenarbeit. Während dieses Feldaufenthaltes konnte ich zeitlich ausgedehnte Beobachtungen durchführen und intensive Gespräche führen. Da Jacob schon mehrfach für ethnologische Forschungen zu den Themen Wasser und Landwirtschaft in der Region tätig gewesen war, stellte er sich als hervorragender Experte und Informant heraus, der mir auch zu wertvollen neuen Kontakten verhelfen konnte.
3.2.2 China In China fanden die Beobachtungen und Befragungen in Zhanbei County, nordwestlich von Peking (Richtung Innere Mongolei), Xinjiang (Tarim River, Uigur Autonmous Region), Luojang und Zhou Sou statt. Seit 2003 unterhält und unterstützt die »Cless Foundation« die »Cless Hope School« in Zhanbei County, einer ländlichen Region der Hebei Province. Die Schule wird vom chinesischen Staat betrieben und von der »China Youth Development Foundation« (CYDF) betreut. Die CYDF ist eine chinesische NGO (Nichtregierungsorganisation), die Schulentwicklungsprojekte in ländlichen Regionen betreut, wenn diese von internationalen Geldgebern unterstützt werden. Die CYDF ist eng vernetzt mit der Kommunistischen Partei Chinas (»Communist Party«) und deren Jugendorganisation (»Communist Party Youth League«) sowie den lokalen staatlichen Autoritäten. Da die CYDF mit den lokalen Verhältnissen bestens vertraut ist, ist sie ein verlässlicher und sehr hilfreicher Partner für die Arbeit vor Ort. Zwischen 2002 und 2009, vor dem Beginn meines Forschungsvorhabens zum Thema Wasser, hatte ich die Schule mehrere Male besucht. Aus diesem Grund waren mir die Verhältnisse vor Ort gut bekannt. Zudem hatte ich bereits erste Kontakte mit der lokalen Bevölkerung und mit Vertretern der Lokaladministration geknüpft. Das hat den Zugang zu Schulen, Dörfern, Gehöften, Brunnen, Betrieben in der Umgebung erleichtert. Die Unterbringung erfolgte entweder im Government Guest House oder im Schlafsaal der Schule. Ich wurde stets von einer ausgebildeten Sozialwissenschaftlerin und einem Lehrer der Schule begleitet. Dadurch waren die erforderlichen Sprachkenntnisse und Übersetzungsdienste jederzeit verfügbar,
Fragestellung, Untersuchungsor te und Methoden
und bei Unsicherheiten in der Interpretation von Aussagen konnte nochmals nachgefragt werden. Gleichzeitig wurden durch die Begleitpersonen Skepsis und Misstrauen überwunden, und es entstand durchgehend sehr schnell eine freundliche, offene und kooperative Atmosphäre. Weil keine unmittelbaren monetären Interessen mit dem Besuch verbunden waren, kann davon ausgegangen werden, dass die Erklärungen nicht interessengeleitet waren, und dass selbstredend auch die Beobachtungen so neutral wie möglich dargestellt werden. Die Menschen vor Ort erlaubten es mir, ihre Küchen zu besichtigen, beim Kochen zu helfen, sie gewährten mir Zugang zu ihren Toiletten, Wasch- und Baderäumen etc. Die bereits existierenden Kontakte waren eine unschätzbare Hilfe für die praktische Durchführung der Feldforschung. Aufgrund des sehr strengen Reglements ist es für ausländische Wissenschaftler sehr schwierig, eine Forschungsgenehmigung für China zu erhalten. Darüber hinaus werden kultur- und sozialwissenschaftliche Forschungsvorhaben, die von Ausländern durchgeführt werden (sollen), von der chinesischen Administration besonders misstrauisch beäugt. Durch die Mitarbeit an einem Forschungsprojekt, das von der DFG gefördert in Xinjiang durchgeführt wurde, ist mir bekannt, welche (zum Teil unüberwindbaren) Hürden für aussagefähige Forschungen von den chinesischen Universitäten und Behörden aufgebaut werden. Durch meine vorangegangenen Besuche in der Region hatte ich einen Vertrauensvorschuss bei den Behörden erworben, so dass ich für meine Feldforschungen zum Thema Wasser keinerlei Autorisierung außer der ständigen Begleitung einer Vertreterin der CYDF und eines Lehrers bedurfte.
3.2.3 Indien In Indien konzentrierten sich meine Aufenthalte auf Dörfer im Ganges-Bogen nahe Varanasi. Zum ersten Mal besuchte ich Varanasi am Ganges und das Kiran Village im Jahre 2002. Ziele dieser Reise waren zum einem die Erkundung des Dorfes Kiran (Kiran bedeutet auf Deutsch »Strahlen«) sowie der Region und zum anderen wohltätige Zwecke. Das Dorf wurde durch eine Schweizer Hilfsorganisation gegründet. Im Kiran Village werden 500 Kinder von 150 Betreuern in einer dörflichen Struktur betreut. Neben einer eigenen Schule und einem Hostel gibt es im Kiran Village eine eigene Krankenstation mit einer physiologischen und einer orthopädischen Abteilung. Zudem betreibt das Dorf noch zahlreiche Wirtschafts- und Ausbildungsstätten, z.B. eine Gärtnerei, einen landwirtschaftlichen Betrieb, eine Bäckerei, eine Küche, eine Holzspielzeug-Manufaktur, eine Stoffdruckerei sowie eine Computer-Schule. Das Projekt Kiran Village wird heute von verschiedenen internationalen Hilfsorganisationen unterstützt. Vor dem Beginn meiner Forschungen zum Thema Wasser hatte ich das Dorf regelmäßig besucht. Während dieser Aufenthalte hatte ich im Guest House übernachtet und aktiv und interessiert am Alltags-
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geschehen teilgenommen. Aus diesem Grund kannte ich bereits zu Beginn meiner Feldforschung die lokalen Gegebenheiten, und mir wurde von Seiten der Dorf bewohner großes Vertrauen entgegengebracht. Dadurch wurde meine Feldforschung erleichtert, da ich recht einfach einen vertrauensvollen Zugang zu den Bewohnern von Kiran Village fand. Das wiederum half mir bei der Erkundung der weiteren Umgebung des Dorfes und der umliegenden Nachbardörfer und Ashrams. Ich hatte stets freien Zugang zu allen Unterrichtsklassen, den Hostels, den Betreuern und konnte meine Erkundungen in der Umgebung zu Fuß oder mit dem Fahrrad durchführen. Um weiter entfernte Dörfer oder Varanasi besuchen zu können, wurde mir ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt. In der Regel handelte es sich um ein Moped, dessen freundlicher Fahrer mich üblicherweise auf dem Rücksitz mitnahm. Die Verständigung geschah fast ausschließlich in englischer Sprache.
3.2.4 Andere Orte In Nepal besuchte ich das Kathmandu Valley. Die Reflexionen über Alaska beziehen sich auf die Brooks Lodge Area. Die Beobachtungen und Befragungen in Europa fanden im Rhein-Main-Gebiet, im Berner Oberland und an der südlichen Grenze von Rumänien (Giugiu) statt.
3.3 M e thoden Methodisch wurde eine Vielfalt experimenteller Verfahren mit Kindern in Schulen verwendet. Dabei kamen ganze Unterrichtseinheiten zum Thema Wasser zur Anwendung. Kinder wurden befragt, einzeln, in ganzen Klassen, in kleinen Gruppen, im Stuhlkreis oder frontal. Entweder konnten die Kinder von mir in ihrer Unterrichtssprache, Deutsch oder Englisch, befragt werden, oder es waren ethnologisch oder soziologisch geschulte Informanten bzw. Übersetzer anwesend. Besonders informativ und aufschlussreich waren Rollenspiele und Vorführungen über die Verwendung von Wasser in unterschiedlichen Zusammenhängen. In einem Fall, Zhanbei County, Hebei Province, China, wurde auch eine Voruntersuchung mit Hilfe eines Fragebogens durchgeführt. Der Fragebogen wurde von 40 Kindern (18 Jungen, 22 Mädchen) vorab in Chinesisch ausgefüllt und mir zugesandt. Die Bögen wurden dann ins Deutsche übersetzt und von mir ausgewertet. Insgesamt fanden Gespräche mit über 1.500 Erwachsenen, Lehrern, Eltern und Kindern statt. Beobachtungen an Brunnen, insgesamt an mehr als 100, und in Haushalten waren eine weitere wesentliche Ressource für die Untersuchungen. Ich verbrachte 100 Stunden an öffentlichen Brunnen in Ghana, 50 Stunden an Brunnen in Indien und 30 Stunden an Brunnen in China. Bei
Fragestellung, Untersuchungsor te und Methoden
50 Besuchen in Haushalten und auf Gehöften verbrachte ich 20 Stunden in Ghana, 30 Stunden in Indien, 50 Stunden in China. Die Kontakte konnten hergestellt werden mit Hilfe der CYDF, von »World Vision Ghana«, der KIRAN Society Indien, der Frankfurter Goethe Universität sowie des Bonner ZEF. Alle Beobachtungen wurden auch fotografisch dokumentiert. Die Dokumentation umfasst 4.000 Fotos, die sich im Besitz des Autors befinden. Jedes dieser Elemente versteht sich als Teil eines Mosaiks, welches in der Lektüre der Arbeit zu einem Gesamtbild über die vielfältigen und nicht immer sofort erkenntlichen Aspekte, Erfahrungen und Bedeutungen von und mit Wasser zusammengesetzt werden kann. Dabei bleiben die Betrachtungen immer auf die Mikro-Ebene und ganz nah bei den Menschen. Sie können, so hoffe ich, auf der einen Seite Politikern, Volkswirtschaftlern und Vertretern von NGOs Anregungen geben und dazu dienen, eurozentristische Perspektiven zu überwinden. Und sie können auf der anderen Seite den Menschen am Brunnen bei der Bewältigung ihrer Subsistenz-Herausforderungen helfen.
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4. Persönliche und kulturwissenschaftliche Zugänge
Nach der Aufarbeitung von Forschungsstand und theoretischen Perspektiven (Kapitel 2) habe ich im vorangegangenen Kapitel (Kapitel 3) die zentrale Fragestellung meiner Arbeit, das Forschungsfeld und die Methoden vorgestellt. Bevor ich im Kapitel 5 meine Feldforschungen schildern werde, berichte ich in diesem Kapitel über persönliche und kulturwissenschaftliche Zugänge zum Thema. Am Anfang stand mein Wunsch eine Anthropologie des Wassers zu erstellen, eine umfassende Beschreibung des Wesens von Wasser und seiner Interdependenzen zu menschlichen Kulturen. Doch schon bald erkannte ich die enorme Komplexität des Themas und habe deshalb Abstand genommen von dem Anspruch der allumfassenden Darstellung. Was ich leisten kann, ist die Annäherung an das Thema und die Dokumentation dieses iterativen Vorgehens. So präsentiere ich hier meine Gedanken, die im Laufe des Forschungsprozesses entstanden und die die Basis einer Anthropologie des Wassers bilden können. Das Kapitel ist eine Zusammenfassung von Eindrücken, Überlegungen und Kategorien aus meiner fünfjährigen Beschäftigung mit dem Thema. Übrig geblieben sind Notizen, die hier wie ein Mosaik entfaltet werden sollen. Ich gehe dabei davon aus, dass Wasser, Menschheitsentwicklung und menschliche Kultur in einer engen Relation zueinander stehen. Gerade weil alles Leben aus dem Wasser entstanden ist und ohne Wasser nicht existieren kann, mussten sich Menschen immer am Wasser orientieren und lernen mit Wasser umzugehen. Dabei werden Bedeutungszusammenhänge generiert und verändert. Die Entstehung des Menschen wird im Awash River Basin in Äthiopien lokalisiert. Hier, zwischen dem Viktoriasee und dem Rotem Meer, genauer dem Golf von Aden, wurde Ardi gefunden, ein Vorfahre des Menschen und ca. 4,4 Millionen Jahre alt (Stang 2010: 21). Dieser und auch weitere Funde aus anderen Zeitaltern in dieser Region deute ich so, dass Menschen und Vor-Menschen in dieser Gegend sich über 5 Millionen Jahre lang am Wasser der Region aufgehalten und sich daran orientiert haben. Sie haben gelernt
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mit Wasser umzugehen und sie haben ihr Leben und ihre Kultur durch die Nutzung von Feuer, Stein und Wasser entwickelt. Dabei ist der Nachweis von früher Wassernutzung schwierig, weil Wasser aufgrund seiner Beschaffenheit als flüssiger und veränderlicher Stoff eine Flüchtigkeit besitzt, die sich einer Materialisierung im engeren Sinne gewissermaßen »widersetzt«. Einer der frühesten Beweise für die Fertigkeiten von Menschen mit Wasser umzugehen, wurde in der Kalahari-Wüste gefunden: halbierte Straußeneier, die mit Löchern zum Trinken und mit Gravierungen versehen waren. Diese datieren ca. 60.000 Jahre in die mittlere Steinzeit zurück. Die Kulturanthropologie kann diese und andere Artefakte nutzen, um die je spezifischen Wasseraneignungsprozesse von historischen Lokalkulturen zu beschreiben. Umgekehrt ist der technische und rituelle Umgang mit Wasser auch immer Ausdruck einer bestimmten menschlichen Kultur. Wasser und Kultur sind unmittelbar miteinander verbunden und vernetzt. So sehe ich Wasser-Management im weitesten Sinne als wichtiges Thema in allen historischen und zeitgenössischen Kulturen. Die Notwendigkeit des Zugangs zu Wasser ist so alt wie das menschliche Leben selbst. Zur Einordnung der vielfältigen globalen und komplexen Verknüpfungen (siehe auch Kapitel 2.1, 2.2 und 2.7) von Menschen mit ihrem Wasser greife ich zurück auf Hahns »entanglement« (Hahn 2012: 33-36), Strangs »meaning« (Strang 2004: 245) und Orlove und Catons »total social fact« (Orlove und Caton 2010: 402). Ich folge Hahns Einteilung in Wahrnehmung, Umgang und Bedeutungen (Hahn 2005). Entsprechend dieser Gliederung versuche ich eine tiefer reichende Kategorisierung der Erkenntnisse, Fragestellungen und Beobachtungen zu formulieren. Ich beginne mit der Wahrnehmung von Wasser und behandele die Entstehung, Arten, Materialität, Faszination, Wert und Preis und sonstige Erfahrungen von und mit Wasser. Das Kapitel über Verwendungen des Wassers beschäftigt sich mit Bedarf, Management, Landwirtschaft, Saisonalität, Gebrauch im Haus und Gesundheit, immer in Beziehung zu Wasser. Unter Bedeutungen fasse ich Philosophie, Mythologie, Religion, regionale Beobachtungen, Kunst, »Gender« und Gemeingut zusammen. Im darauf folgenden Kapitel 5 versuche ich, die hier diskutierten Kategorien mit Ergebnissen aus dem Feld zu belegen.
4.1 W ahrnehmung 4.1.1 Entstehung Es gibt zwei erdgeschichtliche Theorien darüber, wie unser heutiges Wasser auf der Erde entstanden bzw. zu uns gekommen ist. Eine Erklärung besagt, es war Teil einer Gaswolke, die vor vier bis fünf Milliarden Jahren begann, sich
Persönliche und kultur wissenschaf tliche Zugänge
zu verfestigen. Die Wolke wurde von der Erdgravitation angezogen, verdichtet und bildete eine feste Schicht um die Erde. Aus den darin enthaltenen Bestandteilen Karbon, Oxygen und Hydrogen entstand letztlich H₂O, welches von der Erde angezogen wurde. Die heute gängige und vorherrschende Theorie geht demgegenüber davon aus, dass Wasser zu großen Teilen durch fremde, wassergefüllte Planeten und Meteorite, durch Zusammenstöße und Einschläge, auf die Erde kam (Otzen 2009: 12f, Tvedt und Oestigaard 2010, Kandel 2010: 39f). So hatte schon Thales von Milet (ca. 624 bis ca. 547 v. Chr.) in gewisser Weise recht, wenn er behauptete, dass Wasser das Basismaterial im Universum und göttlichen Ursprungs sei (Detel 1988: 43/48f, Engler 1996: 27). Auf der Erde ist die H₂O-Menge seit ihrer Entstehung konstant. Sie erscheint in verschiedenen Formen wie Eis, Wasser, Dampf und Gas, ist festgehalten in Gletschern, in der Erde und im Gestein und sammelt sich in den Ozeanen. Ein kleiner Anteil, nur ca. ein Prozent, ist als Oberflächenwasser sichtbar und fließt als Frischwasser, sogenanntes »blaues Wasser«, in Bächen, Flüssen und Seen. Eine ähnlich große Menge ist gebunden in pflanzlichem und tierischem Leben und dessen Prozessen (Wachstum, Sauerstoff bildung etc.) und wird als »grünes Wasser« bezeichnet. Durch die Sonnenenergie verdunstet das Wasser, kondensiert, bildet Wolken und kommt als Niederschlag auf die Erde zurück (Mauser 2007: 31-44/56f). Sowohl das grüne als auch das blaue Wasser sind für das Öko-System der Erde unverzichtbar. Allerdings erfüllt das grüne Wasser seine Funktion dem menschlichen Auge verborgen, während der blaue Wasserfluss auf der Erdoberfläche nicht bloß sichtbar ist, sondern auch aktiv nutzbar (Mauser 2007: 60f). Demnach erscheint das blaue Wasser wichtiger, weil es dem Menschen näher ist und als lebensnotwendige Ressource eine unmittelbare Rolle im täglichen Leben spielt.
4.1.2 Unterschiedliche Arten Offensichtlich sind Regen, Flüsse, Meere, Brunnen und Zisternen jeweils Quellen verschiedener Wassersorten. Auffällig ist auch, dass Wasser niemals nur H₂O ist, sondern immer vermischt mit anderen Stoffen vorkommt (Engler 1996: 23). Wasser ist anders und schmeckt anders, abhängig von Temperatur, Herkunft und Bewegungszustand. Augenscheinlich sind die Unterschiede je nach Aggregatzustand: fest, flüssig oder gasförmig. Aber auch Regenwasser, Leitungswasser, Seewasser und Brackwasser sind und verhalten sich jeweils unterschiedlich. In symbolischer Hinsicht unterscheidet man auch »white«, »grey«, »black«, »blue« und »virtual water«. Sie stellen jeweils hydrologisch, ökologisch und ökonomisch unterschiedliche Arten von Wasser dar (Meissner 2012: 44f, Mauser 2007: 56f und 188f). Darüber hinaus ist z.B. Tau eine besonders bedeutungsvolle und faszinierende Form von Wasser, sowohl hinsichtlich ihres Erlebens als auch ihrer Verwendung in der Alchemie des Mittelalters (Soentgen 2012: 79f).
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Unterscheidungen von Wasser gehen so weit, dass selbst Aufladungen mit Information, Energie, Musik für möglich gehalten und als Kristallisationen fotografisch abgebildet werden (siehe Kapitel 5.4.9). Solche Überlegungen gelten bereits als nachweisbar und nicht mehr nur als esoterisch. Wenn dem tatsächlich so ist, dann ist davon auszugehen, dass Wasser, das durch Leitungen gepumpt, verwirbelt, gepresst und gedrückt wird, auch seine charakteristischen Eigenschaften verändern kann und dass es entsprechend regeneriert, energetisiert und wiederbelebt werden muss, um seine heilenden und gesundheitsfördernden Kräfte wieder zurückzuerhalten und zu entfalten (siehe Kapitel 5.4.8, Mayer-Tasch 2009: 19f).
4.1.3 Widersprüchlichkeiten Die vielfältigen Kategorisierungen sind stets nur partiell und werden nur in bestimmten Bereichen konsistent angewendet. Will ich die Bedeutung von Wasser fassen, muss ich zudem die positiven und negativen Bedeutungszuschreibungen in Betracht ziehen, die mir in kulturspezifischen Mythen und Erzählungen rund um das Wasser begegnen. Es ist interessant zu beobachten, wie widersprüchlich unsere Auffassungen und Wahrnehmungen von Wasser in vielerlei Hinsicht sind. Der Umgang mit Wasser impliziert Widersprüche sowohl auf der Ebene der Kategorisierungen wie auch bei den Praktiken selbst. Hier seien einige davon exemplarisch aufgeführt: 1. Wasser ist höchstens als Dampf oder Destillat wirklich chemisch reines H₂O. Im Normalfall begegnet es uns angereichert mit nützlichen und schädlichen Substanzen (Engler 1996: 32f und 61f). 2. Obwohl es oft nahezu kostenlos aus der Leitung oder aus einer Quelle erhältlich ist, wird für Wasser aus Flaschen und aus Heilquellen bereitwillig Geld ausgegeben. 3. Kognitiv ist die Wichtigkeit des (Hände-)Waschens für die Körperhygiene und die Krankheitsvermeidung nachvollziehbar, dennoch wird es häufig vergessen. 4. Wasser ist global im Überfluss vorhanden und dennoch regional bzw. lokal knapp. Wasser ist ein lebensspendender Segen und kann gleichzeitig sehr gefährlich werden.
4.1.4 Faszination Die Faszination von Wasser besteht für mich in seiner Vielfalt. Es ist nicht klar begrenzt und immer in Bewegung, nicht vollständig greif bar oder definierbar, es ist raumfüllend, weich, hart, kalt oder warm. Wasser ist nie nur H₂O. Es enthält Mineralien, Nähr- und Schwebstoffe, Salze und Heilmittel. Es ist ver-
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schmutzt durch Chemikalien, Abfälle, Arznei-, Pflanzenschutz- und Düngemittel. Unsichtbar verborgen enthält es Viren, Bakterien, Parasiten, Vektoren und Würmer. Im Wasser leben Pflanzen, Fische und andere Tiere, aber laut vieler Kulturkreise auch gute und böse Geister. Im Wasser lauern Gefahren, Wasser verspricht Segen, Hoffnung und Nutzen. Die möglichen Bedeutungszuschreibungen erscheinen mir schier unerschöpflich. Wasser kann Eis, Schnee, Regen, Dampf, Flut, See und Bach sein, und es kann durch Rituale aktiviert oder gebändigt werden. Auch in meiner Vorstellung liegt im Wasser der Ursprung der Welt. Alles Leben ist aus ihm entstanden und geht dorthin auch wieder zurück. Wasser ist sichtbar, hat aber keine Farbe. Es ist durchsichtig, aber es reflektiert Licht und schimmert. Es hat keine Form, aber man kann es spüren. Es riecht nicht, aber wenn ich es mit geschlossenen Augen zur Nase führe, bemerke und fühle ich es doch. Es hat ohne Zusätze keinen ausgeprägten Geschmack, wird beschrieben als erfrischend, belebend oder sprudelnd. Aus der Leitung schmeckt Wasser oftmals chemisch und salzig, aus dem Brunnen klar, aus dem See und der Quelle süß. Wasser ist, wie Feuer und Luft, eines der alchemistischen Elemente ohne Anfang und Ende. Es ist »unbegreiflich«, weil es nicht wirklich greif bar ist. Wasser ist immer im Fluss und verändert sich permanent. Es bezieht seine Faszination für mich aus dieser Flüchtigkeit und Veränderlichkeit, die es formbar und gleichzeitig sehr kraftvoll macht. Der dem griechischen Philosophen Heraklit von Ephesos (ca. 520-460 v. Chr.) zugeschriebene Aphorismus »Alles fließt« (altgriechisch πάντα ῥεῖ) beschreibt nicht nur Eigenschaften des Wassers, sondern ist damit auch Sinnbild für alles Leben und alle Existenz, für den Kosmos und alles, was er fasst, für den Weltlauf, der niemals still steht und immer weiter fließt (Mayer-Tasch 2009: 18, Neidhart 2007: 493). Eine andere Faszination ergibt sich für mich aus der Tatsache, dass alles aus dem Wasser entstanden ist. Diese These vertreten meines Wissens fast alle Schöpfungsmythen und viele europäisch-orientalisch geprägten Religionen. Und so erklärt auch die Naturwissenschaft die Entstehung der Erde und allen Lebens. Bei der Abkühlung der Gaswolke aus Karbon, Sauerstoff und Wasserstoff entstand Wasser als H₂O; und aus dem Wasser entwickelte sich alles Leben auf der Erde, bis schließlich auch der Mensch aus dem Wasser an Land »kroch«. Alle Lebewesen und Pflanzen bestehen überwiegend aus Wasser und können ohne Wasser nicht existieren. Alles Leben ist angewiesen auf einen kontinuierlichen Wasseraustausch. Dieser komplexe Stoffwechselzyklus umfasst u.a. die Aufnahme, Einlagerung und Abgabe von Wasser (Mauser 2007: 37-44). So hat vermutlich in allen Kulturen schon frühzeitig eine Auseinandersetzung mit Wasser begonnen. Wasser fungierte als Symbol und Metapher für Leben und Zusammenleben, es wurde in lebenszyklischen und agrarischen Ritualen etc. verwendet. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele aus allen Religionen der Welt: Sowohl die sogenannten Weltreligionen als auch die meisten
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lokalen Religionen und Kosmologien beschäftigen sich mit Wasser und verwenden es als Ausdruck und Sinnbild für das Leben und seine Abläufe (MayerTasch 2009: 13-19). Aus der eigenen Beobachtung nenne ich beispielhaft die Göttin Ganga als Verkörperung des Ganges in Indien (Kapitel 5.2.1), die Regenmacher in Bongo (Kapitel 5.1.27) und den Regengott Long Wang in China (Kapitel 5.3.12). Der Anthropologe Richard Wilk befasst sich mit dem Umgang mit Wasser in Belize, bei den Maya, aber auch mit dem Thema »bottled water«, d.h. Mineralwässern (Wilk 2006 und 2012). Er beschreibt, dass bereits die Maya die besondere und vielfältige Bedeutung von Wasser erkannten. Sie sammelten reines, heiliges Wasser in Höhlen, bauten Dämme, Kanäle und Wehre für die Bewässerung und übersäten das Land mit Brunnen, Staudämmen und Zisternen. Sie erkannten Wasser in seiner Widersprüchlichkeit, sowohl als Quelle des Lebens und als Gefahr. Für Wilk hat das Wasser noch heute diese Vielfalt von Bedeutungsebenen, strahlt eine besondere Faszination aus und ist voller Magie. Allerdings wird, so Wilk, das reiche kulturelle Gewebe nicht genügend erkannt und der Umgang mit Wasser deshalb oft rein technisch determiniert und, wie beim Beispiel Mineralwasser gezeigt, ist der Bezug zum Wasser oft emotional und irrational besetzt (Wilk 2012: 131/136f und 141f). Auch in diesem Sinn soll die vorliegende Arbeit dazu anregen, über Wasser nachzudenken und vielleicht neue Bezüge zu entdecken oder unseren Umgang mit und das Verständnis von Wasser zu überdenken.
4.1.5 Wert und Preis Wenn die natürliche Ressource Wasser existentiell für menschliches Leben ist und, global gesehen, im Überfluss (oder zumindest in ausreichenden Mengen) verfügbar ist, dann sollte Wasser, genauso wie die Luft zum Atmen, frei für jedermann verfügbar sein. Diese Gedanken führen mich unmittelbar zum immer wieder geforderten Menschenrecht auf Trinkwasser, wie es seit dem 28. Juli 2010 auch von der UN anerkannt wird (Mayerhofer 2009: 185f). Damit verbunden ist der weitergehende Appell, ebenfalls der UN, dass der Staat Trinkwasser umsonst oder zu einem sehr niedrigen, gleichsam symbolischen Preis verfügbar machen müsse. Auf der anderen Seite kann man fragen, ob Wasser, weil es so wichtig ist für das Leben, das Überleben, die Ernährung, Landwirtschaft, Gesundheit und Hygiene, nicht viel teurer sein sollte. Oder ist es schon viel zu teuer und sollte günstiger werden? Mit diesen Fragen befinde ich mich im Kern der Auseinandersetzung über die richtige Bewertung, einen gerechten bzw. angemessenen Preis und die Frage von staatlicher Fürsorgepflicht und Privatisierung. Wer kann die Wasserversorgung der Bevölkerung besser sicherstellen, der Staat oder private Firmen? Welches ist ein angemessener bzw. fairer Preis, und wie wird dieser Preis festgelegt?
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Wirtschaftstheoretisch bildet sich der Preis im Sinne der Grenznutzentheorie durch Angebot und Nachfrage mit den Herstellungskosten als dem natürlichen, langfristigen unteren Preis-Limit (Pindyck 2009: 139f). Das Angebot ist eine Mischung aus natürlich Verfügbarem und kommerziell verfügbar Gemachtem. Solange ein Gut in ausreichender Menge frei und ohne Mühe verfügbar ist, wird es keinen Preis haben. Sobald ein natürliches Gut, ein Produkt oder eine Leistung knapp wird oder die Bereitstellung einen Aufwand erfordert, wird sich ein Preis bilden. Die Nachfrage entsteht aus einer komplexen Mischung von Grundbedürfnissen, Bedürfnissen zur Befriedigung persönlicher Wünsche, Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung, Selbstdarstellung und Außenwirkung. Wenn Wasser im Überfluss vorhanden ist, z.B. in der Nähe von Bächen, die frisches Wasser führen, sauberen Seen oder in Gegenden mit regelmäßigem Regen, entstehen keine Kosten für die Herstellung oder Zuleitung, und es gibt auch keinen Preis, der für die Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Wasser gezahlt wird. Sobald für die Erfassung, den Transport, die Zuleitung und die Auf bereitung Aufwand und Kosten entstehen, müssen diese Gebühren getragen und der Aufwand entlohnt werden. Wasser bekommt einen Preis. Dieser Preis wird extrem hoch sein in einem teuren Luxus-Restaurant, wo Wasser aus Alaska, den Alpen oder den Fidschi-Inseln angeboten wird. Oft wird es durch gesundheitsbewusste Besucher konsumiert als Ersatz für teuren Wein. Es ist auch nachvollziehbar, dass ein Händler in einer Situation von lebensbedrohender Wasserknappheit seine Karawane und seine Waren nur für Wasser hergeben würde, um die nächste Oase lebend erreichen zu können. Warum also sollte Wasser in der Sahelzone kostenlos zur Verfügung gestellt werden, während in den Schweizer Alpen dafür ein hoher Preis bezahlt wird? Hiermit bin ich bei einem weiteren der vielfachen Widersprüche und Mysterien, die sich um Wasser entspinnen. In der Sahelzone geht es in Fragen des Wassers um Humanität und Gemeinschaft, in den Schweizer Bergen um Bequemlichkeit und Sicherheitsbedürfnisse.
4.1.6 Erlebnisse aus der Untersuchung Mit den folgenden Ausführungen nehme ich einige Beispiele aus den Untersuchungen in Kapitel 5 vorweg, möchte sie jedoch hier schon erwähnen, da es sich um weitere Facetten der Wahrnehmung von Wasser handelt. Im Folgenden soll, auf Grundlage eigener Beobachtungen und Erfahrungen, meine persönliche Wahrnehmung von Wasser veranschaulicht werden. Im Berner Oberland berichteten mir Kinder vom Wohlgeschmack ihres Wassers, das aus der Quelle und vom Berg gespeist wird, und vergleichen es mit dem Geschmack in der Stadt oder in anderen Ländern und Regionen, wo es »nicht fein« schmeckt. In China (Zhanbei County) erzählen die Menschen
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von den Geschmacksunterschieden zwischen Wasser aus Brunnen, Ton-, Stein-, Zink-Amphore und Kanister oder Kunststofftonne, und sie beschweren sich darüber, wie chemisch und salzig das Wasser aus der Leitung schmeckt. In Bongo-Soe (Ghana) berichtet ein Farmer, wie viel besser das Leben geworden ist, seit es überall Brunnen in der Nähe gibt. Früher mussten sie während der Trockenperiode oft über zehn Kilometer zum Fluss gehen, fanden dort abgestandenes Wasser voller Guineawürmer (»Dracunculus medinensis«). Jetzt kommt es frisch, sauber und klar aus dem Brunnen, wird ins Haus gebracht, in Steinamphoren gelagert und ist »sicher« und erfrischend beim Trinken (siehe Kapitel 5.1.20). Kinder in einem Frankfurter Vorort berichteten mir, dass sie das Wasser aus der Leitung nicht mögen, weil es chemisch belastet sei und auch so schmecke. Sie trinken deshalb Wasser nur aus Flaschen. Selbst gegenüber Berichten, denen zufolge Leitungswasser gut, sicher und kontrolliert ist, sind sie skeptisch, weil man ja nie wisse, wie gut die Leitungen ins Haus seien. Und schließlich hat man ja auch schon von Arznei-, Pflanzenschutz- und Düngemitteln im Grundwasser gehört. Hier begegnet man dem Phänomen, das auch schon von Douglas (1966, siehe Kapitel 2.1) beschrieben wurde: einer Skepsis gegenüber allem, was von außen ins Haus kommt, und einem allgemeinen Misstrauen gegenüber Autoritäten, dem Staat und seiner Verwaltung. Dort wo Menschen das Wasser selbst fassen, vertrauen sie eher der Qualität von Wasser, obwohl sie nicht wissen können, was darin unsichtbar verborgen ist. Das können zu viele Fluoride, Krankheitskeime oder andere Verschmutzungen wie etwa im Ganges sein. Aus den genannten Beispielen wird deutlich, weshalb die Wahrnehmung von Wasser in vielen Fällen wenig mit der faktischen Qualität des Wassers zu tun hat. So haben auch die Praxis und die Wahrnehmungen oft keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der objektiven Verfügbarkeit.
4.2 V erwendung 4.2.1 Bedarf Wasser ist neben Luft das wichtigste und kritischste Material, das Lebewesen zum Überleben brauchen. Ohne Wasser würden Menschen in wenigen Tagen sterben. Der Wasseranteil im menschlichen Körper wird durch den Stoffwechsel, beim Atmen und Schwitzen sowie bei dem Gang zur Toilette kleiner und muss deshalb regelmäßig ersetzt werden. Wir entwickeln Durst, und unser Körper sagt uns, dass wir Wasser brauchen und trinken müssen (Friedrich u.a. 2009: 170-173). Die Form, in der wir Flüssigkeit zu uns nehmen, kann sehr verschieden sein: klares Wasser, Leitungswasser, Fluss-, See- und Regen-
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wasser, kombiniert mit Tee oder Kaffee, Säfte, Suppen, Obst und Gemüse. So wie unser Körper zu großen Teilen aus Wasser besteht, so enthalten auch alle Nahrungsmittel unterschiedlich hohe Wasseranteile. Sogar Getreide enthält Wasser. Sehr hohe Wasseranteile finden sich in Obst und Gemüse, besonders in Orangen, Tomaten und Gurken. Das bedeutet, dass wir lange Zeit ohne Zuführung von reinem Wasser (über-)leben können. Andererseits wird Wasser zwingend benötigt, um Nahrungsmittel anzubauen oder zu gewinnen. Ein weiterer Grund, in der Nähe von Wasser zu leben, ist der Fisch-, Algen- und Pflanzenreichtum von Flüssen, Seen und Meeren (Gottwald und Boergen 2009: 101, Mauser 2007: 161f).
4.2.2 Wasser-Management Hydrologie und Wasser-Management hängen unmittelbar zusammen mit einem Grundphänomen von Wasser: Es gibt fast immer zu viel oder zu wenig Wasser, und wegen seiner Flüchtigkeit ist es schwer zu kontrollieren. Viele Kulturleistungen haben sich entwickelt aus Maßnahmen und Tätigkeiten zum Sammeln, Lagern von und der Versorgung mit Wasser. Das geschieht einerseits für die einfache und sichere Wasser-Nutzung und andererseits, um einen kontrollierten Abfluss von überflüssigem oder benutztem Wasser zu gewährleisten. Es lässt sich vermuten, dass es Wasser-Management-Systeme schon mit der Sesshaftwerdung und der frühen Landwirtschaft vor ca. 20.000 Jahren gab: So weist Wilk beispielsweise auf die ersten Aquädukte alter Mayastädte in Palenque hin (Wilk 2012: 127). Aus Mesopotamien ist systematisches Wasser-Management schon vor 6.000 Jahren bekannt (Solomon 2010: 24-58). Regeln, Regulierungen, Gesetze und die Administration rund um das Thema Wasser dienten auch der Machtausübung und -absicherung. In Ägypten ist Wasserwirtschaft seit ca. 7.000 Jahren bekannt, und die ältesten Qanats (arabisch ةانق, DMG: Qanāh auch Kanat) Persiens und Armeniens sind ca. 5.000 Jahre alt (Laube 2009: 30f).
4.2.3 Landwirtschaft Mit der Landwirtschaft und der Sesshaftigkeit entstand auch die Notwendigkeit, die Wasserversorgung sicherzustellen, den Wasserfluss und Fluten zu kontrollieren und Feuer zu löschen. Die Menschen in den betroffenen Kulturen entwickelten hierfür ihre spezifischen, den lokalen Verhältnissen angepassten Technologien. Für die Wassersammlung sind das Dämme, Seen und Reservoirs, für die Wasserspeicherung Eri, Kulam (siehe Kapitel 4.2.19 und 4.3.7), Becken, Zisternen und Behälter. Für die Steuerung von Zu- und Abfluss wurden Kanäle, Uferbefestigungen, Tunnel, Leitungen und Qanats entwickelt. Prominente Beispiele für Wasser-Management-Systeme sind das römische
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Wasser-Management- und Kanal-System, die hydraulischen Systeme der Maya, Wassersysteme in Angkor Wat des Khmer Reichs sowie das Wasser-Management der Herrschafts- und Religionssysteme am Nil. Das Colorado River-Management in Kalifornien, das Volta River-System sowie Mekong- und Niger River-Management sind neuere Beispiele für »integrated water resource management« (IWRM) und deren Tauglichkeit, Konflikte und entgegengesetzte Interessen internationaler Wassereinzugsgebiete auszugleichen (Laube 2009: 30-32). Es gibt eine solche Vielfalt von Systemen, dass hier nur eine kleine Auswahl aufgelistet werden kann.
4.2.4 Saisonalität Wasser weckt unsere Aufmerksamkeit oftmals nur, wenn es knapp wird oder wenn es zu viel davon gibt (Hahn 2012: 24). Beides ist gefährlich, lästig und zwingt Menschen zum Handeln. So berichteten mir ältere Bauern in Ghana von üppigen, oft gefährlichen Regenfällen und Wassermassen in Flüssen während der Regenzeiten zwischen Mai und Oktober. Während der Trockenperioden mussten sie dann dem Wasser folgen, das sie oft weit weg führte von ihren Wohnorten und »compounds«. Sie zogen mit ihren Viehherden die Flüsse entlang, oft über zehn Kilometer, bis sie zu einer verbliebenen Wasserstelle oder »dug-out« im Fluss kamen. Heute, mit tieferen Brunnen, ist Wasser leichter verfügbar und Landwirtschaft und Leben sind viel müheloser geworden. Am Ganges-Bogen nahe Varanasi (Indien) gilt Wasser, so erzählen Menschen aus der Gegend, als gottgegeben. Regen fällt zwischen Mai und September, der Monsunzeit, was zu Überschwemmungen führt, der Fluss tritt über die Ufer. In dieser Zeit ziehen die Menschen fort an sichere Orte. Später, wenn der Wasserspiegel wieder sinkt, kommen die Menschen zurück und bewirtschaften die Flussufer, sie leben mit dem Rhythmus des Wassers.
4.2.5 Ver wendung, Hausgebrauch und Nahrungszubereitung Bei Wasserverwendung denken wir üblicherweise zuerst an Trinken. Immerhin würden wir ohne Flüssigkeit innerhalb von nur drei Tagen verdursten. Außerdem werden wir regelmäßig dazu angehalten, mindestens zwei Liter Wasser am Tag zu trinken. Fragte ich in Deutschland nach der möglichen Verwendung von Wasser, wurde immer Trinken, Waschen und Kochen genannt. Interessanterweise habe ich weder in Indien noch in China oder Ghana beobachtet, dass zur Feldarbeit oder in die Schule Wasser als Getränk mitgenommen wird. Auch zu den Mahlzeiten wird kein Wasser gereicht. Diese Beobachtung deckt sich mit eigenen Kindheitserinnerungen. In allen besuchten Ländern wird Wasser jedoch als Willkommensgruß gereicht. In Ghana und Burkina Faso ist es das »eau d’étranger«, das jedem Be-
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sucher als »Welcome« angeboten wird. (siehe Kapitel 5.1.4) In Indien sind ein Glas Wasser und Kekse die Willkommensgabe, wenn ein Besucher empfangen wird, erst danach wird Tee angeboten. In China wird immer ein Glas heißes Wasser zur Begrüßung gereicht. Oft gibt es das heiße Wasser auch als grünen Tee und wird im Trink-, Marmeladen- oder Einweckglas serviert (siehe Fotos Kapitel 5.3.6). Bei uns, in westlichen Gesellschaften, wird oft aus Geselligkeit Kaffee, Tee, Bier oder Wein getrunken. Gesellige Runden in China, Indien oder Ghana kommen meist ohne Getränk aus. Wie ich beobachtete, wird gespielt, meistens Karten, in Indien auch Brettspiele, gehänselt, gelacht, erzählt, Männer in Männerrunden, Frauen in Frauenkreisen. Ich schließe daraus, dass die Nahrung genügend Flüssigkeit zu enthalten scheint, um den normalen Wasserbedarf zu decken. Überall wird mit Wasser gekocht, Gemüse, Nudeln, Reis und Fleisch. Teig, Klöße und Püree werden mit Wasser zubereitet. Gemüse selbst enthält über 90 Prozent, Fleisch über 70 Prozent und Getreide über 60 Prozent Wasser. Zusätzliche Flüssigkeitszufuhr wird offenbar nur notwendig nach extremer körperlicher Belastung und Feuchtigkeitsverlust durch Schwitzen, sofern der Durst nicht mit der nächsten Mahlzeit gelöscht wird. Eine Ausnahme ist das Frühstück, zu dem stets extra Flüssigkeit aufgenommen wird, um den nächtlichen Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Neben dem Wasserbedarf durch das Trinken, habe ich auch überall beobachtet, wie zum Kochen Wasser gebraucht wurde. Bereits bei der Vorbereitung und Reinigung von Gemüse, dem Waschen von Reis, Linsen, Mais und Hirse wird Wasser verwendet, und danach zum Kochen und Garen. In Ghana wird durch Zugabe von Hirsemehl unter ständigem Rühren ein Teig gekocht, der die Sättigungsgrundlage darstellt. Dazu wird Gemüse gekocht und als Suppe gegessen. Seltener gibt es Hühnerfleisch, das auch durch Kochen im Topf am offenen Feuer gegart und der Suppe beigefügt oder als Beilage zum Teigkloß gegessen wird. Im Norden Chinas besteht die Nahrungsgrundlage aus Nudeln und Gemüse. Zur Herstellung der Nudeln wird Weizen-, Gersten- oder Roggenmehl mit Wasser vermischt, der Teig zu Nudeln geformt, alles zusammen im Wok-Topf, der in den Herd eingebaut ist, in Wasserdampf gegart. Dabei wird das Gargut in mehreren Lagen mit Gittern aufgeschichtet und alles gemeinsam mit dem im Boden des Topfes erhitzten Wasser gegart (siehe Kapitel 5.3.9). In Indien werden Reis, Linsen und Gemüse, für Dal, gewaschen und in getrennten Töpfen über dem offenen Feuer auf dem Herd gegart. Das Essen wird auf einem Zinkteller gereicht, mit der rechten Hand zu einem Teig gemischt und gegessen. Die Mahlzeiten werden in diesen Regionen gemeinsam eingenommen, nach dem Essen trennen sich Männer und Frauen oft wieder. Zum Wasserverbrauch für Trinken und Kochen kommt der Bedarf für das Reinigen von Körper, Wäsche, Geschirr und Fußböden. In Indien sah ich, wie
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viele dieser Tätigkeiten direkt an der Wasserstelle verrichtet werden. Kinder werden eingeseift und der ganze Körper gewaschen. Männer waschen den gesamten Körper und die Haare mit Seife oder Haarwaschmittel. Sie sind dabei nur mit einem Lendentuch bekleidet, unter dem auch gewaschen wird. Frauen waschen und reinigen sich hockend unter dem Sari, ebenfalls öffentlich am Brunnen, hierbei meist durch ihre Ehemänner oder andere Frauen vor Blicken geschützt. Auch die Wäsche wird am Brunnen gewaschen und Geschirr und Töpfe in der Öffentlichkeit am Brunnen gereinigt (siehe Kapitel 5.2.6 und 5.2.7). Anders dagegen verhält es sich in Bongo-Soe (Ghana). In mehr als hundert Stunden Beobachtung und Interaktion am »borehole« habe ich keinen einzigen Fall von öffentlicher Körperhygiene gesehen. Das Wasser wird gepumpt, in Kanistern und Schüsseln nach Hause getragen, dort in Steinamphoren aufbewahrt und zum Baden bzw. Duschen geschöpft. Männer, Frauen und Kinder reinigen und schrubben den ganzen Körper mindestens einmal, oft auch zweimal täglich. Auch Wäschewaschen habe ich nur selten außerhalb des »compound« beobachtet. Meist wäscht jeder (Mann, Frau und Kind) seine Kleider selbst. Geschirr, Geräte und selbst Töpfe werden nach einer Vorreinigung mit Sand oder einem Tuch mit reinem Trinkwasser zu Ende gereinigt. Das ist umso bemerkenswerter, als das Wasser vorher oft hunderte von Metern geschleppt oder auf dem Kopf getragen wurde. Aber die Geräte und Töpfe werden, nur wenn sie mit frischem Wasser gründlich gesäubert werden, als hygienisch so rein angesehen, dass man sie wieder für die Zubereitung von Speisen nutzen kann. In China werden, nach meiner Beobachtung, Körper, Wäsche und Geräte meist zuhause, häufig mit Brauchwasser gereinigt. Zum morgendlichen Zähneputzen wird immer frisches Trinkwasser aus der Amphore verwendet. Kochendes Wasser wird für die Reinigung von Geschirr und Küchengeräten verwendet, Badewasser zum Wäschewaschen oder zur Fußbodenreinigung. Alles Wasser wird danach an Haustiere verteilt. Pflanzen dagegen erhalten in aller Regel kein bereits gebrauchtes Wasser (siehe Kapitel 5.3.10).
4.2.6 Wasser und Gesundheit Wasser und Gesundheit sind auf vielfältige Weise miteinander verknüpft. Für mich ist die Tatsache am offensichtlichsten, dass Wasser unseren Körper permanent über die Haut, Lungenatmung und das Nieren- und Blasen-System verlässt und regelmäßig wieder ersetzt werden muss; andernfalls würde unser Kreislauf nicht funktionieren und wir würden innerhalb einer Woche sterben. Umso wichtiger sind die Qualität des Wassers und die Sicherheit für den Konsum. Von Wasser sollte keine Gefahr für die Gesundheit von Menschen aus-
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gehen, z.B. durch Infektionen, die von Viren, Bakterien, Würmern oder Parasiten verursacht werden. Auch die Reinigung des Körpers, des Hauses oder der Wohnung, mit Hilfe von Wasser, trägt dazu bei, Krankheiten vorzubeugen oder zu verhindern. Millionen Menschen sterben jedes Jahr an Krankheiten, die durch Wasser übertragen werden. Durch die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser könnte eine Vielzahl dieser Leben gerettet werden. Während auf dem Weg zu dem Ziel, den Bedürftigsten sicheres Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, Fortschritte gemacht werden (UN World Water Annual 2009), sieht die Arbeit für eine vollständige Deckung des Bedarfs nach einer Sisyphosarbeit aus, da die Bevölkerung schneller wächst, als wir sie mit Wasser und Nahrung durch humanitäre Hilfsaktionen versorgen können. Zumal viele Länder keinen einfachen Zugang zu Grundwasser bzw. zu Quellen für eine saubere Wasserversorgung genießen oder Kläranlagen zur Verfügung haben, die Wasser in nahezu Trinkwasserqualität zurück ins Flusssystem leiten. In Ländern, in denen diese aufwendige Infrastruktur nicht in allen Städten und Dörfern verfügbar ist, verursacht der Kontakt mit verschmutztem Wasser zahlreiche Krankheiten und ist auch – besonders bei Kindern – für viele Todesfälle verantwortlich. Einfache, ohne großen Aufwand zu realisierende Maßnahmen gegen diese Krankheiten und Todesfälle sind das Abkochen von Wasser sowie die Behandlung von Kindern bei Durchfallerkrankungen mit Elektrolyten. Obwohl diese Maßnahmen und ihre Wirksamkeit bekannt sind, werden sie viel zu selten angewendet. Es drängen sich die Fragen auf: Warum werden diese einfachen, nur mit einem geringem Aufwand verbundenen Maßnahmen nicht viel öfter ergriffen? Warum kochen Menschen in betroffenen Regionen das Wasser nicht ab, bevor sie es konsumieren? Warum behandeln sie ihre Babys im Krankheitsfall nicht mit Elektrolyten? Wieso waschen sie ihre Hände nicht? Linda und Scott Whiteford (2005: 3f und 255f) argumentieren, dass Menschen in Wassermangel-Situationen Wasser nicht für die Hygiene benutzen. Während das nachvollziehbar und intuitiv überzeugend klingt, verwundert eine Beobachtung in westlichen Gesellschaften mit reichlicher Verfügbarkeit von Wasser und spricht eine andere Sprache: Ich habe von einer Beobachtung während eines Fußballspiels gehört, wonach 50 Prozent der Männer, nachdem sie die Toilette besucht hatten, sich nicht die Hände wuschen. Oder Kinder an einer Grundschule in Deutschland wurden beim Besuch der Schultoilette beobachtet. Keines der Kinder hat sich die Hände gewaschen, obwohl eine Unterrichtsstunde über Virusinfektionen und Übertragungsgefahren, die Gefahr einer Influenza-Epidemie und die Wichtigkeit und Funktion von Händewaschen der Beobachtung vorangegangen war.
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Wasser abkochen Ich habe Argumente gesammelt, die üblicherweise vorgebracht werden, wenn vorgeschlagen wird, Wasser regelmäßig vor dem Verzehr oder der Verwendung abzukochen. Das erste Gegenargument ist die Verfügbarkeit von Wasser selbst. Danach wird die fehlende Disponibilität von Feuerholz ins Feld geführt und schließlich die Konsequenzen von noch mehr Abholzung, CO₂-Ausstoß und dem Verbrennen natürlicher Ressourcen. Es wird auch argumentiert, dass das Holzsammeln eine schwierige und zeitaufwendige Aufgabe ist, die Energie von anderen Arbeiten abzieht, die der Subsistenz dienen. Andererseits wird Feuer ohnehin zum Kochen benötigt. Feuer zu machen, zu bewahren und zu nutzen ist eine der ersten menschlichen, kulturellen Aktivitäten und allen Gesellschaften bekannt. Das gilt gleichermaßen für das Gehöft in Bongo-Soe, das indische Bauernhaus oder den chinesischen Wok. In China wird historischen und kulturellen Gründen Wasser immer gekocht und heiß oder als Tee getrunken, wie z.B. das Willkommensgetränk, das ebenfalls aus abgekochtem, heißem Wasser oder grünen Tee besteht. Problematisch ist, dass der Zusammenhang zwischen Wasser und Gesundheit nicht offensichtlich ist. Während in den USA und in Europa von Ärzten und Gesundheitsratgebern empfohlen wird, zwei bis drei Liter Wasser pro Tag zu trinken, wird, nach meiner Erfahrung, in Indien, China oder Ghana kein Wasser zu den Mahlzeiten angeboten, und die Menschen nehmen ein Gefäß oder eine Kalebasse und einen kleinen Schluck Wasser, wo es verfügbar und bereit zum Verzehr ist. Auch außer Haus, auf dem Feld, wird kein Wasser mitgeführt oder unterwegs und bei der Arbeit getrunken. Wenn Wasser zum Kochen und Trinken benutzt wird, gibt es keine deutlich ersichtliche Verbindung zwischen Wasser und Gesundheit. Wasser wird nur dann als schmutzig angesehen, wenn es schmutzig aussieht oder riecht. Wenn ich in Ghana von Gesundheit, Hygiene und Wasser sprach, nannte man mir schmutziges Flusswasser sowie Guineawürmer und andere Krankheitserreger, die potentiell tödliche Infektionen verursachen können. Bauern, Marktfrauen und Schulkinder bringen scheinbar sauber aussehendes Wasser nicht mit Gesundheitsrisiken in Verbindung, und niemand kann sich offensichtlich vorstellen, dass Wasser aus dem Hausbrunnen oder dem schuleigenen Wassertank gefährlich werden könnte. In Indien ist es meines Erachtens für die Menschen noch weniger vorstellbar, dass Wasser Gesundheitsrisiken bergen könnte. Da Wasser die Quelle des Lebens ist und alles Leben und alles »Gute« aus dem Wasser kommt, wie könnte es gefährlich sein? Menschen im Ganges-Tal können sich nicht vorstellen, dass Ganges-Wasser gefährlich sein könnte. Sie baden darin, spülen den Mund aus rituellen Gründen damit, und würden dabei niemals an ein Gesundheitsrisiko denken. Man erzählt sich sogar die Geschichte, dass in Flaschen abgefülltes Ganges-Wasser nicht grün oder modrig wird und selbst nach einem
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halben Jahr noch unverdorben ist. Der für die Wasserversorgung im Dorf Kiran zuständige Ingenieur führte den Test selbst durch und befand das Wasser nach sechs Monaten für sauber. Bereits britische Physiker des 19. Jahrhunderts wiesen auf die selbstreinigende Fähigkeit des Ganges-Wassers hin (Hankin 1896). Mein Gesprächspartner Antu vermutet aber, dass das heutzutage nicht länger zutrifft (siehe Kapitel 5.2.5). Das eröffnet viele weitere Forschungsfelder innerhalb kulturgebundener Vorstellungen und Überzeugungen. Wichtig ist es, hier festzuhalten, dass das Kochen von Wasser im Kontext von heiligem Wasser der Intuition gemeinhin entgegen zu laufen scheint (Mayer-Tasch 2009: 13). Das ist in China anders (siehe Kapitel 5.3), hier haben der Taoismus und der Konfuzianismus mehr als 2.000 Jahre Reinheit und die achtsame Nutzung von Ressourcen und das Bewahren von Wasser gelehrt. Das Kochen von Wasser und das Trinken von heißem Wasser sind offensichtlich eine grundlegende kulturelle Gewohnheit im Alltagsleben sowie für Ernährung geworden. Wahrscheinlich haben die Menschen dort sogar den hungerunterdrückenden Effekt des Trinkens von heißem Wasser erkannt und seinen Nutzen im Umgang mit Hungersnot.
Hände waschen mit Wasser und Seife Weil Wasser essentiell für alles Leben ist, ist es auch für alle Lebewesen die Quelle des Lebens. Es ist der natürliche Lebensraum für Viren, Bakterien, Parasiten, Würmer und andere kleine Tiere, von denen viele Krankheiten für die Menschen ausgehen können. Einige Krankheiten werden direkt übertragen, andere durch Überträger. Einige werden von Tier zu Tier oder von Mensch zu Mensch übertragen. Die meisten kommen im Menschen und auch im Tier vor, z.B. Rotaviren, Bakterien der Gattungen Shigella und Salmonella, Escherichiacoli-Bakterien und verschiedene Wurm-Spezies. Übertragbare Krankheiten schließen neben der Diarrhö als der offensichtlichsten auch Influenza-Infektionen, Infektionen der unteren Atemwege und andere Infektionskrankheiten ein. Das Infektionsrisiko wird durch das Waschen der Hände verringert, Infektionsketten können dadurch unterbrochen und Erkrankungen verhindert werden. Schon Händewaschen alleine ist hilfreich, aber das Benutzen von Seife verbessert die Wirkung dieser simplen Maßnahme erheblich, da Seife wegen des erhöhten PH-Wertes fähig ist, Erreger wirksam abzutöten. Ich habe oft den Einwand gehört, dass der Kauf von Seife für arme Haushalte finanziell nicht möglich sei. Allerdings habe ich günstige, selbstgemachte Seife auf dem Markt von Bongo gefunden, und Bäuerinnen konnten erklären, wie sie Seife aus Asche und Pflanzenöl herstellen können. Ein mir einleuchtender Grund für die geringe Nutzung von Wasser und Seife ist die Tatsache, dass weder die infektiösen Viren und Bakterien noch
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die Parasiten für das menschliche Auge sichtbar sind und Waschen deshalb nicht intuitiv als notwendig bzw. sinnvoll erscheint, sondern ein kulturell antrainiertes Verhalten ist. Waschen und »Baden« erscheint als Tätigkeit viel einleuchtender, da der sichtbare Schmutz entfernt wird. In den ariden Zonen im nördlichen Ghana bzw. im gesamten subsaharischen Afrika, wo sandige Böden sichtbaren Schmutz verursachen, der weggewaschen werden muss, scheint das tägliche »Bathing« (Ganzkörperreinigung) eine kulturell tradierte Gewohnheit. So beobachtete ich im Vergleich mit westeuropäischen Standards in Ghana und Indien regelmäßigere Hygienemaßnahmen, inklusive Ganzkörperbädern, obwohl Wasser hier wesentlich rarer ist als in Westeuropa. Die beiden Informanten Jacob und Baba aus Ghana bestätigten mir die Ganzkörper-Rasur sogar als eine seit langem bestehende Gewohnheit in der SubsaharaRegion und auch in der Literatur wird darauf verwiesen (Hahn 1991: 138/164, siehe Kapitel 5.1.8). Ich beobachtete außerdem, dass Schulkinder in Bongo-Soe sich häufiger waschen und vollständiger »baden« als Schulkinder in der Umgebung von Frankfurt. Bauern in Bongo »baden« in der Regel häufiger ihren ganzen Körper als Bauern in Westeuropa. Das Leben auf einem Bauernhof bringt es in vielen Regionen mit sich, dass menschliche und tierische Fäkalien kaum voneinander zu trennen sind, wodurch Kinder zwischen einem und fünf Jahren am stärksten gefährdet sind, da sie in diesem Alter ihr Immunsystem auf bauen, welches während der Stillzeit noch auf natürliche Weise gestärkt wurde. Während der Schulzeit sind sie dann wieder unter einer stärkeren Kontrolle des Bildungs- und Gesundheitssystems. Zu erkennen, warum überhaupt menschliche und tierische Exkremente hinsichtlich Gesundheitsgefährdung verschieden sein sollten, ist z.B. in Indien, wo kulturell bedingt alles Leben dasselbe ist und, religiös bedingt, die Natur ganzheitlich gesehen wird, schwierig. Wir können nicht erwarten, dass zwischen Menschen und Tieren eine strikte Trennung stattfindet und der Sinn der Reinigung nach einem Kontakt mit Tieren unmittelbar einsichtig ist. UNICEF hat rund um die Welt Projekte entwickelt, um Hygiene und Entsorgung zu fördern. Sie reichen von Ägypten über Indien, den Senegal, Bolivien, Kambodscha und Sierra Leone bis nach Bangladesch. Die sogenannten WASH-Programme (»Water for Sanitation and Hygiene«) in diesen Ländern zielen in erster Linie auf Schulen ab, und es wird erwartet, dass sich die Erkenntnisse von dort aus in die Häuser und Familien ausbreiten. Den Berichten zufolge sind die Effekte beträchtlich und ermutigen zur wiederholten und erweiterten Anwendung der WASH-Programme der UNICEF.
Flüssigkeitszufuhr Durchgreifende Gesundheitsprogramme sollten meiner Meinung nach Erziehung und Bewusstseinsbildung für die Vorzüge von Wasserkochen und Maßnahmen für die Flüssigkeitszufuhr bei akuter Diarrhö beinhalten. Die
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wichtigste Ursache für die potentiell letalen Folgen von Diarrhö ist Dehydrierung. Folglich könnten mit Hilfe von angemessener Flüssigkeits- und Elektrolytrückführung die meisten tödlichen Krankheitsverläufe sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen verhindert werden. Jedoch ist die medizinische Versorgung in ländlichen Gebieten armer Länder schwierig. Elektrolyte und Medikamente zur Flüssigkeitsrückführung müssen verfügbar gemacht und die Ausbildung der Mütter verbessert werden. Wo eine ausreichende medizinische Absicherung nicht vorhanden ist und keine geeigneten Medikamente zur Verfügung stehen, kann eine aus sauberem Wasser und bestimmten Mengen Salz und Zucker selbst hergestellte Elektrolytlösung vorübergehend Abhilfe schaffen und lebensrettend sein. In schwereren Fällen, z.B. wenn Erkrankte die Flüssigkeit nicht bei sich behalten können, müssen diese, das gilt besonders für Kinder, in ein medizinisches Zentrum oder in ein Krankenhaus gebracht werden, damit ihnen durch Infusionen geholfen werden kann. Die meisten Todesfälle könnten also mit einfachen Hygienemaßnahmen bzw. im Krankheitsfall mit Mitteln gegen Dehydrierung vermieden werden. Doch dazu bedarf es der Vermittlung dieses Wissens an die Betroffenen.
Folgerungen Zu bedenken gebe ich, dass ich in allen von mir besuchten Orten intuitives Wissen über die Entwicklungsfähigkeiten bezüglich Widerstandskraft und funktionierendem Immunsystem bei Kindern beobachten konnte. Diese Erfahrungen sprechen dafür, dass man Kindern ermöglichen sollte, eine natürliche Widerstandsfähigkeit aufzubauen, indem man den Körper auf natürliche Weise gegen Krankheiten ankämpfen lässt. Es ist ein Anliegen dieser Arbeit, aus einer ethnologischen Perspektive, die kulturell geprägten Auffassungen ernst zu nehmen und nicht auf die Einführung und erneute Anwendung westlicher Wertesysteme, Gewohnheiten und Praktiken zu bestehen. Was sind nun die Folgerungen für humanitäre Hilfe und Entwicklung? Aus meiner ethnologischen Perspektive können z.B. Felder mit menschlichen Fäkalien gedüngt werden. Die Menschen können dann etwa ihre Notdurft im Freien verrichten, wie das andere Lebewesen auch tun. Dann müssen auch Kinder keine schmutzigen Toiletten benutzen, sondern können in nahe gelegene Felder gehen. Die Maßnahmen zur Flüssigkeitsrückführung müssten im Rahmen von Geburtsvorbereitung und der Pflege nach der Geburt den Menschen vermittelt werden. Eine vollständige Aufklärung Aller und die damit einhergehende Vermittlung von Hygienemaßnahmen (Händewaschen, räumliche Trennung von Mensch und Tier), Nutzung von heißem Wasser, Erkennung von nicht sichtbaren Erregern und Maßnahmen zur Flüssigkeitsrückführung könnte meiner Meinung nach helfen, das Sterblichkeitsrisiko von Mutter und Baby während
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der Geburt zu reduzieren, das Risiko von Behinderungen zu begrenzen und schließlich die Familienplanung zu fördern. Alles vorher Gesagte steht natürlich auch in Verbindung mit den Bedürfnissen und den Effekten von Verdichtung und Urbanisierung. Städte benötigen eine ökonomisch effiziente und rational-technische Wasserversorgung aus dem Wasserhahn und ein flächendeckendes Abwassersystem (Gandy 2004: 366/373). Den Menschen auf unserem Planeten, die in gesundheitlicher Hinsicht am gefährdetsten sind, könnte meiner Meinung nach mit schnellen und einfach umsetzbaren Lösungen, die mit den lokalen natürlichen und kulturellen Gegebenheiten kompatibel sind, wirksam geholfen werden.
4.3 B edeutungen 4.3.1 Philosophie Thales von Milet (ca. 624-547 v. Chr.) und Heraklit von Ephesos (ca. 520-460 v. Chr.) benutzten Wasser als Urbild und zur Beschreibung der Weltentstehung. Sie bezeichneten es als Basismaterial des Universums. Wasser war für sie göttlichen Ursprungs. Von dort aus hat sich der Kosmos und die Welt entwickelt (Detel 1988: 48f). Drei andere antike griechische Philosophen, Empedokles (ca. 495-435 v. Chr.), Platon (ca. 428/427-348/347 v. Chr.) und Aristoteles (384-322 v. Chr.), sahen Wasser als eines der vier Elemente (Erde, Feuer, Luft und Wasser) und als generellen Repräsentanten von Flüssigkeiten an (Needham 2010: 82-92). Im Taoismus ist Wasser ein .) lehrt schon über die Faszination von Wasser: »Reflektiert im Wasser und über das Wasser« und »Seid Wasser«. Er bezieht sich dabei auf die vielfältigen Charakteristika, die Wasser seiner Meinung nach zugeschrieben werden können (Knobloch 1994: 248): • • • • • • • • • •
Es schließt alles ein, ist inklusive; es ist selbstlos. Es steht für Liebe und Leben, Tiefe und Verantwortung, Weisheit und Verständnis, Mut und Tapferkeit, Sensitivität, Empfindsamkeit, Reinheit und Sauberkeit, Gerechtigkeit und Gleichheit sowie Entschiedenheit, eine stetige Vorwärtsbewegung.
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In anderen philosophischen Schulen spielt meines Wissens Wasser keine große Rolle und würde als bloßes H₂O betrachtet werden. Jedoch kann man mit neueren naturwissenschaftlichen Theorien diese Sichtweise dahingehend ergänzen, dass die Molekülstruktur des Wassers derartige Besonderheiten aufweist, dass Wasser eben nicht einfach nur H₂O ist, und damit auf die vielfältigen Besonderheiten des Phänomens Wasser hinweisen (Ruthenberg 2012: 65f, Ball 2010: 66f).
4.3.2 Mythologie In den von mir untersuchten Orten gibt es Mythen und Geschichten über Wasser und rund um Wasser. Wenn man den meisten Schöpfungsmythen und nahezu allen Kosmogonien folgt, so ist die Welt mit Hilfe von oder direkt aus dem Wasser entstanden. Bei Empedokles und Aristoteles fand ich Wasser als eines der vier Basiselemente, neben Feuer, Luft und Erde. Thales von Milet verstehe ich so, dass er im Wasser sogar das originäre Basismaterial, das »Urelement«, sah (Detel 1988: 48, Engler 1996: 27). Im Taoismus las ich über Wasser als eines von fünf Elementen, neben Holz, Feuer, Erde und Metall. In der griechischen Theogonie nach Hesiod (ca. 700 v. Chr.) wird von Gaia berichtet, die die Götter aus dem Chaos geschaffen hat (vgl. Barié 1997: 26-27). Im Hinduismus ist Manu der Stammvater aller Menschen und der Verfasser des indischen Gesetzbuches, in dem von Wasser als Nara (Urgeist) oder Narayana geschrieben wird. Von ihm stammt Brahman ab, der Gott der Götter. In den Upanishaden wird beschrieben, wie Brahman, die Indischen Veden (Sanskrit = Weisheit, Erkenntnis; 700200 v. Chr.), und ihr Geist einen Schaum von Wasser schufen, aus dem Sonne, Erde und Luft geschaffen wurden. Adolf Bastian listet über 200 Beispiele von kulturspezifischen Vorstellungen über Wasser und Arten von Wasser (Quellen, Flüsse, Meer und Seen) aus allen Erdteilen auf. Sie beinhalten Konzepte von Geistern, Göttern, Feen, Schöpfern und Zerstörern. Er identifiziert Angst und Furcht, die Entfernung der Quellen, Wassergeräusche, Ideen von Reinheit usw. als Ausgangspunkte und Ursachen für die verschiedenen Vorstellungen von Wasser (Bastian 1869: 365-375). Es gibt laut Bastian vier Faktoren, die diese Bilder herbeiführen: Auf der positiven Seite Nutzen, Segen und Erfrischung sowie Geräusche, Stimmen und Geflüster im Wasser und auf der negativen Seite die Furcht vor dem Wasser und dessen unbekannter Herkunft als auch unheimliche Vorstellungen von Flüchen und Verwünschungen (Bastian 1869: 377). Paul Barié erklärt in einem Aufsatz mit dem Titel Am Anfang war das Wasser die Bedeutung des Wassers in verschiedenen Weltschöpfungsmythen und bezieht sich auf die Genesis, die Mythen der antiken Sumerer und Babylonier, auf Hesiod sowie auf rumänische und indische Mythen. Er teilt diese Narrative
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in zwei Kategorien auf: Auf der einen Seite stehen solche, die von einem biologischen Schöpfungsakt sprechen, auf der anderen Seite solche, die von einer göttlichen Kreation ausgehen (Barié 1997: 19-21). Bei den Omaha war am Anfang der Geist des Gottes Wahonda. Alles war Geist und Seele. Sie sahen sich um bei Sonne, Mond und Sternen und fanden nur die mit Wasser bedeckte Erde bewohnbar. Es gab am Anfang noch kein Land. Alles war mit Wasser bedeckt. Ein Fels oder Vulkan wuchs aus dem Wasser und so entstand die Welt. Daraufhin stiegen die Geister herab und verwandelten sich in Menschen, Tiere und anderes Leben. Bei den Maori in Neuseeland ist Io das Urelement und der Urgott aller Existenz. Io wird im All lokalisiert, lässt es hell und dunkel werden und entdeckte das Wasser. Er befahl dem Wasser von Taikama, Himmel und Erde zu trennen, und so entstand die Welt. Bei den Yokuts in Kalifornien erschuf ein »Taucher« die Welt. Am Anfang gab es nur Wasser. Ein Baum wuchs zum Himmel und gebar eine Ente. Diese tauchte ins Wasser und holte die Erde vom Meeresgrund nach oben. Nordische und germanische Mythen, niedergeschrieben in der Edda, erklären die Schöpfung aus dem Nichts, ginnunga gap (Kluft der Klüfte, gähnende Leere, der mit Kraft erfüllte Raum). Hier wurden zunächst Hell und Dunkel getrennt. Im Kampf zwischen Feuer und Eis entstand Schmelzwasser. Aus einer Milchkuh entrinnt Buri und gebiert zusammen mit Besla die Götter. Bei den Bantu in Boschongo waren am Anfang Dunkelheit, Wasser und Bumba. Bumba litt unter Schmerzen und spie Sonne und Feuer, deren Hitze das Wasser trocknete und die Erde entstehen ließ. Danach spie Bumba den Mond, die Sterne, Tiere und schließlich auch Menschen. Den Maya in Guatemala zufolge (aufgeschrieben im Popol Vuh, dem heiligen Buch aus dem 15 Jh. v. Chr.) waren am Anfang Himmel und Wasser. Auf den polynesischen Gesellschaftsinseln ist Ta’roa die höchste Existenz. Sie entstand aus Muscheln und wurde später zur Erde (Bastian 1869, Barié 1997, Cless 2012: 99f).
4.3.3 Religion Schöpfungsmythen genauso wie Rituale der Reinigung sind oft mit Wasser innerhalb von Religion verbunden. Der Religionshistoriker Mircea Eliade konstatiert: »The waters symbolize the universal sum of virtualities; they are fons et origo, ›spring and origin‹, the reservoir of all the possibilities of existence; they precede every form and support every creation.« (Eliade 1959: 130) Dann führt er einige illustrative Beispiele für seine Beobachtung an: Die Genesis, die gemeinsame Schöpfungsgeschichte von Judentum, Christentum und Islam, erklärt die Schöpfung aus einem Firmament, das mitten in Wasser gelegen ist. Die Babylonier glaubten an eine aus der Vermischung von Salz- und Süßwasser entstandene Welt. Die Pima-Indianer erzählen, dass »Mutter Erde« durch einen Tropfen Wasser befruchtet wurde.
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Eine Vielzahl von Schöpfungsmythen konzipiert die Schöpfung als eine Entstehung aus dem Wasser. Gleichzeitig sind Fluten die Ursache für Verwüstungen und Zerstörung in den abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam), bei den antiken Griechen und den Azteken. Die Maya glaubten, dass die Cenotes (wassergefüllt Kalksteinlöcher) auf der Halbinsel Yukatán Eingangstore zur Unterwelt darstellen. Eliade führt ein Zitat des römischen Philosophens Seneca des Jüngeren (ca. 1.-65 n. Chr.) an, der sagt: »We worship the source of mighty rivers; we erect altars at places where great streams burst suddenly from hidden sources; we adore springs of hot water as divine, and consecrate certain pools because of their dark waters or their immeasurable depth.« (Seneca 1961, zitiert nach Eliade 1959: 130) In Laos wird der Mekong »mother of waters« genannt. Im Hinduismus gilt der Ganges als Ursprung des Lebens und wird als heiligster aller Flüsse verehrt. Während der gesamten Lebenszeit baden, waschen und reinigen sich die Gläubigen spirituell und rituell mit Ganges-Wasser. Nach dem hinduistischen Bestattungsritual werden die Körper der Verstorbenen an den Ufern des Ganges verbrannt. Die Asche wird dann in den Ganges gestreut und so der Körper symbolisch wieder an den Ursprung, den Fluss, zurückgegeben. Die christlichen Konfessionen nutzen Wasser für das Aufnahmeritual in ihre jeweilige Glaubensgemeinschaft, die Taufe. Andere Kulturen benutzen Wasser während ihrer Initiationsriten. Schließlich wird Wasser auch zur Waschung von Toten verwendet, z.B. die islamische Leichenwaschung (ghusl al-mayyit bzw. ġuslu l-maiyit). Andere rituelle Verwendungen sind z.B. die obligatorischen Waschungen vor dem Gebet (Wuḍū bzw. Wudu’) im Islam sowie Taharah und Ghusl al Mikrah im Judentum, Yishui im Konfuzianismus, Weihwasser in der katholischen Kirche und Misogi Shuho im Shintoismus. Da der Islam seinen Ursprung in der arabischen Wüste nahm, überrascht es nicht, dass Wasser eine wichtige Rolle als lebensspendendes Agens spielt (Mayer-Tasch 2009: 12). Im Koran heißt es, Allah gebe Wasser für alle Lebewesen und Pflanzen. Das Paradies und der Garten Eden seien voll von reinem und frischem Wasser (Châtel 2010: 175f). Mit istiqua wird ganz speziell für Wasser gebetet (Kürschner-Pelkmann 2007: 234). Wasser bedeutet Reinheit und wird verwendet zur Läuterung besonders vor Gebeten, Andachten, Gottesdienst und Gotteshausbesuchen (Châtel 2010: 289f). Eine heilige Quelle ist schließlich auch Teil der Wallfahrt und Pilgerreise nach Mekka (Châtel 2010: 277). Im Hinduismus ist Wasser der Ursprung allen Lebens und die einzige Substanz, die niemals verschwinden wird. Wasser bringt die Seelen der Toten zu den Orten des ewigen Lebens. Das Baden, Eintauchen und Waschen in heiligem Wasser kann die Seele von Sünden reinigen. Das gilt besonders für den Ganges, den heiligsten aller Flüsse. Hindus glauben an die heilenden,
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verjüngenden und verschönernden Kräfte von Wasser und an einen Ort in der Mitte der Welt, wo Wassergeister im Überfluss und wie im Paradies leben. Im Buddhismus ist Wasser eines von vier Elementen neben Feuer, Erde und Luft. Wasser ist Symbol für die Flüchtigkeit, den Fluss und den Strom des Lebens. Anders als im Hinduismus gelten Flüsse, Seen und Teiche nicht als ewig und heilig. Wasser wird eher verwendet zum Besprengen und Bespritzen während Ritualen und Festlichkeiten wie z.B. dem Neujahrsfest. Judentum und Christentum sind in den ariden Zonen Palästinas entstanden. In beiden Religionen war die Erde am Anfang vollständig mit Wasser bedeckt. Dann wurde das Wasser getrennt, und es entstanden Land und Meer (Detel 1988: 45f). So sind die Taufe im Jordan, Weihwasser am Eingang der Kirche, die Sintflut als Strafe für Sünden sowie generell Narrative von Lebensspenden und Lebensverlust eng mit den Kirchen des Vorderen Orient verbunden. Schließlich ist auch bei der Mikwe, dem rituellen Bad, das Frauen jüdischen Glaubens nach der Menstruation nehmen sollen, lebendiges, frisches Wasser von Bedeutung. Die vorstehenden Ausführungen beziehen sich auf Lesestoff, Quellen und Ausführungen bei Böhme (2008: 13 und 27-31), Croutier (1992: 13-33), De Chatel (2010: 16f und 21), Mayer-Tasch (2009: 11, 13-15 und 18), Selbmann (1995: 9-30), Oestigaard (2010: 298-322) und Tvedt und Oestigaard (2010: 16f und 21).
4.3.4 Heiligkeit, Regenmacher, Krokodil und Göttlichkeit Wieder möchte ich hier vorgreifen und einige Beispiele nennen, die ich im Kapitel 5 noch ausführlicher behandeln werde. Indem ich von ihnen hier schon berichte, wird deren Zugehörigkeit zum Kapitel »Bedeutung« klar.
Heiligkeit am Ganges Wann immer ich in Indien mit den Menschen über Wasser sprach oder auch kleine Kinder zu Wasser befragte, erhielt ich Antworten wie: »Wasser ist Leben«, »alles Leben kommt aus dem Wasser«, »Wasser ist heilig«. Die Dörfer, in denen die Unterhaltungen für meine Forschungen stattfanden (Kiran, Muradeo, Tikri) liegen im Ganges-Bogen zwischen dem Eingangs-Ghat (Chunay Kashu) und Varanasi. Alle Menschen kennen scheinbar den heiligen Fluss Indiens, der im Himalaya entspringt, der Sage nach aus der Fontanelle von Gott Shiva. Er durchzieht den Norden von Ost nach West und mündet schließlich im Golf von Bengalen. Schon kleine Kinder gehen mit ihren Eltern oder der ganzen Familie regelmäßig zum Fluss, um zu beten und um andere religiöse Rituale und Waschungen durchzuführen. Im Zusammenhang mit religiöser und mythischer Bedeutung von Wasser nenne ich hier exemplarisch die bengalischen Pujas. Das sind Fruchtbarkeitsrituale, die sich über mehrere Tage hinziehen. Sie sind dem Sonnengott Ram
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gewidmet und mit zweitägigem Fasten verbunden. Aber auch sonst findet man jeden Morgen an den Ghats (Treppen zum Flussufer) oder an anderen Stellen des Flussufers Menschen, die mit ihren Morgenritualen beschäftigt sind. Der typische Ablauf, so wie ich es beobachtet habe, ist das Fassen von Wasser mit beiden Händen Richtung Sonne gewendet, um Reinigung und Segen bittend. Mit dem Wasser wird der Mund gespült, Gesicht und Haar befeuchtet. In einem Zinkgefäß wird Wasser gefasst, mit einer Blume verziert, bei Vishnu gesegnet, mit einer Räucherkerze gereinigt und Richtung Sonne gebetet. Darauf folgt das Bad im Fluss. Frauen gehen mit Kleidern ins Wasser, Männer mit Lendentüchern, junge Männer mit Unterhosen. Sie steigen in den Fluss, tauchen dreimal unter, manche schwimmen und kommen dann wieder zum Ufer. Der Schlamm am Flussufer hat eine besondere Konsistenz zwischen feinsandig und schlammig, die ein angenehm schmeichelndes Gefühl auf der Haut hinterlässt. Das Wasser ist weich und erfrischend, und niemand kommt auf die Idee, es könnte verschmutzt oder gefährlich sein. Zu dieser Anmutung tragen die Versuche zur Haltbarkeit von Ganges-Wasser bei, die ich in Kapitel 4.2.6 und 5.2.5 beschrieben habe. Wasser ist heilig und der Ganges ist der heilige Quell des Lebens. Schließlich schützt auch Vishnu, der Gott der Erhaltung, an jeder Quelle, in vielen Tempeln und fast jeder Wasserstelle. Shiva wird durch einen Lingam symbolisiert. Ein konischer Stein sitzt in der Mitte einer Ölkanne ähnlichen Gefäßes, wird verehrt und bei Ritualen mit Wasser übergossen. Es stellt die Schöpfung der Welt aus dem Weiblichen und dem Wasser dar, befruchtet von Shivas Lingam als männlichem, phallischem Element (siehe Kapitel 5.2.5 und 5.2.16).
Regenmachen Der »rainmaking-chief« in Bongo-Soe (Ghana) ist ein junger Mann, Ende dreißig, und in Accra ausgebildet, Haushaltsvorstand. Er erzählt von seinem Vater, der »rainmaking«-Rituale beherrschte, die Familie daher für »Rainmaking« zuständig war, und er selbst als »rainmaking-chief« empfohlen wurde. Jedoch, so wird erklärt, war er selbst erst sieben Jahre alt als der Vater starb und hat deshalb die Rituale nicht gelernt. Die Familie hat dadurch die »rainmaking«Fähigkeit verloren. Aber sie versteht sich auf kreative Webmuster, mit welchen sie Tuche herstellen lässt und verkauft. Der »chief« von Biu hat »rainmaking«-Fähigkeiten. Um die Rituale zu schützen, werden sie nur im »compound« selbst durchgeführt. Die 260 Mitglieder der Familie wohnen alle im gleichen »compound« und dürfen die Familie nicht verlassen, außer durch Heirat ins Mutter-Bruder-»compound«. Damit soll sichergestellt werden, dass die »rainmaking«-Fähigkeiten nicht geschwächt werden.
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Den Tallensi werden ebenfalls Regenmacher-Fähigkeiten zugesprochen, und ihre Rituale sind umfassend in Büchern und Filmen dokumentiert (Kovascics 1995a und 1995b). Die Regenmacher gehen von Dorf zu Dorf. Sie opfern Hühner und bitten um Regen, bis er schließlich kommt. Das ist meiner Meinung nach eine geschickte Art, sich zu ernähren und die Spannung bis zum Beginn der Regenzeit zu nutzen (siehe Kapitel 5.1.27).
Krokodil-Totem Auf der Suche nach der Bedeutung des Krokodils als Totem der »chief family« von Paga stoße ich auf viele Erzählungen, Geschichten, Mythen und künstlerische Darstellungen von Krokodilen. Die Familien-Mythen sind voll von Geschichten über Wassermangel und über die Begegnung mit einem Krokodil, das den Weg zum Wasser weist. Sie erzählen auch, dass jedem Menschen ein Krokodil entspricht, und dass wenn ein Mensch stirbt, auch sein Alter Ego verendet und umgekehrt. Es soll in Paga genauso viele Menschen wie Krokodile geben. Eine andere Geschichte berichtet, dass Krokodile im Herbst, dem Ende der Regenzeit, ihr Ei im Garten eines Hauses im Dorf legen, es dort während der Trockenperiode ausbrüten lassen, und das Kleine abholen, wenn es geschlüpft ist. Was haben nun alle diese Geschichten mit Wasser zu tun? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zum Krokodil zurückkehren und zu seinem Verhalten in Bezug auf Wasser (siehe Kapitel 5.1.14). Salif erzählt mir hierzu (siehe Kapitel 5.1.24): Das Krokodil lebt im Wasser und gräbt sich mit dem Schwanz zuerst immer so weit in den Grund, dass nur die Schnauze sichtbar bleibt. Wenn das Wasser in der Trockenperiode langsam zurückgeht und der Wasserspiegel sinkt, gräbt sich das Krokodil immer tiefer ein. Wenn kein Wasser mehr vorhanden ist, verlässt das Krokodil sein Loch und findet in Entfernungen von mehreren Kilometern ein neues Wasserloch. Einerseits ist dann im verlassenen Loch noch Wasser auffindbar. Andererseits kann man dem Krokodil folgen und findet so neues Wasser. Es ist also sehr sinnvoll, sich das Krokodil als Familien-Totem zu wählen und sich mit dem Krokodil zu verbünden. Dort wo ein Krokodil ist, ist auch Wasser, und wo ein Krokodil ist, gibt es demnach auch eine Überlebenschance.
Göttlichkeit in Long Wang und Luo Shen Auch im säkularisierten heutigen China, in dem über Wasser vorzugsweise in Dimensionen von Sparen, Versorgung und Wiederverwendung gesprochen wird, habe ich Mythen rund um Wasser gefunden. Am Fluss Luo gibt es einen Schrein mit der Darstellung von Luo Shen, dem Gott des Flusses Luo und der Tochter von Fuxi, dem Gott der Landwirtschaft. Bei den Longmen Grotten gibt es ein Denkmal für Dayu, einem König, der große Bedeutung für die Wasserwirtschaft hatte und der deshalb als gottähnlich verehrt wird. Yao, Shun und Dayu sind aufeinander folgende Könige, die sich alle in Fragen der Wasserver-
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sorgung und -kontrolle verdient gemacht haben und denen deshalb ein göttlicher Status eingeräumt wird. Bei den Bauern und Bäuerinnen in Zhanbei County entdeckt man beim Rundgang auf den Feldern Long Wang-Tempel. Es handelt sich dabei um einen kleinen Schrein aus Backstein mit Dach. Der Schrein selbst, dessen Grundfläche ca. einen Quadratmeter beträgt, ist nicht begehbar. Im Schrein bzw. Tempel soll Long Wang sitzen, eine zentrale Figur in der chinesischen Mythologie. Er ist der König der Drachen und Herr über Leben und Tod. Er lebt auf dem Grund des Meeres in einem Palast. Der Legende nach hat er alles Leben auf der Erde geschaffen und erhält es auch. Ohne ihn wäre kein Leben möglich. Long Wang ist verantwortlich für den Regen, und ich finde in beinahe jedem Dorf einen solchen Schrein. Sie sind auch während der Kulturrevolution nicht zerstört worden. Früher wurden sie aus Lehm gebaut. In den letzten Jahren wurden viele von ihnen sukzessive renoviert bzw. mit Backstein restauriert und mit einem Dach versehen (siehe Kapitel 5.3.12).
4.3.5 Kunst Wenn ich Kunst nicht nur als Vermögen verstehe, etwas ästhetisch Anspruchsvolles zu erschaffen, sondern definiere als die Fähigkeit, Emotionen und Gedanken auf eine kreative Weise (Musik, Tanz, Theater, Malerei, Poesie, Literatur usw.) auszudrücken, dann lohnt es sich für das Thema dieser Studie, auch künstlerische Erzeugnisse bzw. Ausdrucksweisen zu betrachten, mit denen Menschen ihre Gefühle, Konflikte und Einstellungen zu Wasser dargestellt haben. Man kann hier an chinesische Malerei und Kalligraphie denken, die als Motive neben Pflanzen, Felsen und Bergen auch oft Wasser als Ausdruckselement verwendet. Auch Feng Shui verlangt nach Wasser, um Balance und Harmonie zu erreichen. Japanische Gärten und Malereien enthalten häufig Visualisierungen von Wasser und lassen uns an die impressionistische Malerei denken. Bemerkenswerterweise finde ich in den frühen Fels- und Höhlenmalereien keine Abbildungen von Wasser. Sie zeigen Menschen, Tiere, Gegenstände, Jagdszenen, auch Boote und Fische, aber keine Flüsse, Seen, Wasserfälle, Quellen oder Regen. Möglicherweise folgten die Menschen dem Wasser und blieben stets in der Nähe von Quellen, Bächen, Flüssen und Seen, sodass trinkbares Wasser, ebenso wie Luft, immer problemlos vorhanden und verfügbar war. Wasser spielte zwar eine zentrale Rolle in Entstehungsmythen und in religiösen Ritualen, aber nicht als Element in einem künstlerisch kreativen Sinne. In der Musik sind bekannte Beispiele für Thematisierungen von Wasser: Georg Friedrich Händels (1685-1759) Wassermusik, Franz Schuberts (1797-1828) Forellenquintett und Claude Debussys (1862-1918) La Mer. Ethnografisch relevante künstlerische Verwendungen von Wasser beziehen sich überwiegend auf
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Mythologie (siehe Kapitel 4.3.2), Religion (siehe Kapitel 4.3.3), RegenmacherRituale (Musik, Gesang und Tanz, siehe Kapitel 4.3.4) und Kunsthandwerk (Boot, Paddel und Schwert). Als Beispiel für eine poetische Verwendung von Wasserbezügen soll hier noch Claude Lévi-Strauss Erwähnung finden. In seiner Monographie Traurige Tropen (Lévi-Strauss 1978) reflektiert er über seine ambivalenten Gefühle hinsichtlich Wasser und Meer (ebd. 334f). Er bezieht sich darin auf Benvenuto Cellini und beschreibt eine Strandwanderung. Das lyrische Ich ist angetan von Ebbe und Flut und sammelt, was vom Meer angeschwemmt wird. Gleichzeitig ist der Mann frustriert, dass die Meere mehr als die Hälfte der Erdoberfläche bedecken, dass Wasser die Landoberfläche einebnet, und dass die westliche Zivilisation die Strände zerstört durch Häuser, Hotels, Städte und Abfall. Eine ganz aktuelle Auseinandersetzung mit Wasser finden wir bei Yoko Ono und ihrer Retrospektive »Half-A-Wind-Show«, die am 15. Februar 2013 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt eröffnet wurde. Hierzu muss als Hintergrund erwähnt werden, dass Yoko Ono mit ihren Kunstwerken einen bewussten und grundlegenden Bruch vollziehen will mit »der Dinghaftigkeit von Werken, ihrer Handelbarkeit und Verkäuflichkeit, ihres materiellen Werts«, wie es Ingrid Pfeiffer (2013: 23) im Ausstellungskatalog ausdrückt. Yoko Ono entwickelte ihren Kunstbegriff im Zeitalter der Dematerialisation des Kunstwerkes und war Teil der Fluxus-Bewegung, deren Ziel die Säuberung der Welt von bourgeoisen, intellektuellen, kommerziellen, formalisierten, mathematisiertenund technisierten Formalismen war und die eine Anti-Kunst der nichtkünstlerischen Wirklichkeit schaffen will. Weil Wasser eine der wichtigsten Konstanten in unserem Leben darstellt, setzt sie sich schon früh (1961) mit Wasser als Element auseinander. »Water is emotion and love. It thinks, feels and heals.« (Yoko Ono, zitiert nach Pfeiffer 2013: 25) Das Element Wasser ist der zentrale Bestandteil ihrer Texte Water Painting, Painting to be Watered, We are all Water, Water Talk und Water Event. Ono beschreibt in ihren Arbeiten das Wasser als kommunikatives und verbindendes Element zwischen allen Individuen. Water Talk (1967) und We are all Water (2006) stehen dabei in einer direkten Verbindung. Water Talk You are water I’m water We’re all water in different containers That’s why it’s so easy to meet someday we’ll evaporate together but even after the water’s gone we’ll probably point out to the containers
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and say, »that’s me there, that one« we’re container minders. (Pfeiffer 2013) Zur Illustration des Textes hat sie Flaschen aufgestellt, die mit Wasser gefüllt sind und beklebt mit einem Aufkleber mit Namen zur Personifizierung. Mit dieser eindrücklichen Arbeit spricht sie Bedeutungen auf allen Ebenen an – die Unendlichkeit, die Universalität, die Individualität –, mit denen beispielhaft thematisiert wird, wie Wasser alles körperliche, soziale, kulturelle und spirituelle Leben durchdringt.
4.3.6 Arbeitsteilung, Rollen und Gender Gesellschaften funktionieren überwiegend auf der Basis von verteilten Verantwortlichkeiten, von Zusammenarbeit, Geben und Nehmen. Das trifft auf allen Ebenen zu, im Staat, in der Kommune, dem Stamm, der Sippe, dem Klan und der Familie, und es gilt auch für die Beschaffung von Wasser. Nach meinen Beobachtungen liegt die Verantwortung für das Wasserholen in Bongo-Soe (Kapitel 5.1.6) bei den Frauen, die diese Aufgabe weitgehend an Kinder und Jugendliche delegieren. Diese gehen alleine oder in kleinen Gruppen zum Brunnen, stellen sich an, pumpen das Wasser in die mitgebrachten Behältnisse und tragen es anschließend nach Hause. Jungen benutzen hierzu Eimer oder Kanister, die sie mit den Händen tragen. Frauen und Mädchen verwenden Schüsseln aus Zink, die sie füllen und mit einer Plastikfolie abdecken, damit das Wasser beim Tragen nicht überschwappt. Gemeinsam heben sie die Schüssel auf den Kopf und bringen das Wasser zum Haus oder Hof. Diese Aufgaben übernehmen Kinder schon im Grundschulalter. Sie gehen früh morgens nach dem Aufstehen zum Brunnen, noch bevor sie sich waschen, das Frühstück kochen und zur Schule gehen. Der Vorgang wiederholt sich am Nachmittag nach der Schule, nach anderen Arbeiten im Haus oder auf dem Feld und vor der Vorbereitung der Abendmahlzeit und dem abendlichen Waschen. Männer sind meinen Beobachtungen nach am Wasserbeschaffungsvorgang nur insoweit beteiligt, als ein alter Mann gelegentlich nach dem Rechten sieht, der Brunnen technisch gewartet oder für Baumaßnahmen Wasser auf einem Esel transportiert werden muss. Im Haus wird das Wasser in Steinamphoren umgefüllt und abgedeckt. So bleibt es kühl und sauber. Schwebstoffe können sich absetzen. In Indien (Kapitel 5.2.12) sind es nach meinen Aufzeichnungen, die Frauen, die zum Brunnen oder zur Quelle gehen. Sie verrichten dort den größten Teil der wasserbezogenen Haushaltsarbeiten, waschen Kleider, Geschirr, sich selbst und die Kinder und bringen nur das für die Verwendung im Haus
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benötigte Wasser dorthin. Frauen stehen oft stundenlang an der öffentlichen Leitung und tragen das Wasser in Messingkannen, auf die Hüfte gesetzt, nach Hause. In China (Kapitel 5.3.11) habe ich vornehmlich Männer beim Wasserholen gesehen. Sie gehen mit der Tragestange über der Schulter und jeweils einem Eimer an jedem Ende zum Dorf brunnen. Dort wird auch das Vieh getränkt. Nur ausnahmsweise, wenn kein Mann im Haushalt ist, wird die Aufgabe auch von Frauen übernommen. Bevor Frauen selbst Wasser holen, wird lieber noch der Großvater geschickt. Kinder und Jugendliche sind damit nicht befasst. In einem Fall begleitete ich den Mann mit Pferd, Wagen und Tank zum einen Kilometer entfernten Brunnen im Feld. Dort wurde das Wasser mit Eimern geschöpft, im Tank nach Hause gebracht und in Plastiktonnen umgefüllt. In allen Fällen ist das Bohren und Ausheben von Brunnen, die Einrichtung von Pumpen, die Verlegung von Leitungen, der Bau von Kanälen und die gesamte Wasserwirtschaft die Verantwortung von Männern. Dazu gehören auch das Fassen von Quellen, der Bau von Kanälen, die Feldbewässerung sowie der Bau von Dämmen und Reservoirs. Strang (2004: 23f) gibt zu bedenken, dass in vielen Gesellschaften Wasser und seine Assoziation mit Fruchtbarkeit und Gebären sowie der Umgang mit Wasser beim Wasserschöpfen und der Nahrungszubereitung weibliche Domänen sind, die durch die zunehmende Technisierung der Wasserversorgung, meist ausgeübt durch Männer, eine Machtverschiebung auslösen. Eguavoen (2012) erklärt in ihrer Studie über die »small income generation« die unterschiedlichen Rollen von Männern und Frauen bei der Versorgung mit und dem Verkauf von Wasser auf den Märkten in Ghana. Eine weitere gemeinschaftsbezogene Beobachtung betrifft den Zugang zum Wasser. Dafür habe ich in allen Untersuchungsregionen Regeln gefunden, die zu befolgen sind und insbesondere die Wartungsverantwortlichkeiten betreffen. Hierzu gehören Reparaturen an Wegen, Brunnen und Pumpen, Kontrolle von Zugang und Preisen. Wenn dabei ein Haushalt seinen Verpflichtungen nicht nachkommen kann, wird in der Realität dennoch niemandem der Zugang zu Wasser verwehrt. Es steht üblicherweise stets jemand bereit, der zum Aushelfen in der Lage ist und es sich leisten kann, im Sinne der Gemeinschaft zu unterstützen und für andere einzustehen. Es werden dafür dann wieder Gegenleistungen auf anderen Gebieten erbracht. Das gilt auch in Fällen von Wasserknappheit, wenn Tanks in die Gemeinden kommen und dort die Wasserversorgung sicherstellen. Selbst in Konfliktfällen zwischen Staaten werden üblicherweise friedliche Lösungen auf dem Verhandlungsweg gefunden.
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4.3.7 Gemeingut und Verteilung Wasser ist zunächst ein Gemeingut aufgrund seiner universellen Verfügbarkeit und seiner unkontrollierbaren Vorkommen. Gleichzeitig gibt es Anzeichen für die sprichwörtliche »tragedy of the commons« (Hardin 1968). Wasser ist an vielen Orten und in vielen Zusammenhängen übernützt, wird knapp, ist verschmutzt und wird zunehmend weniger verwendbar (siehe auch Kapitel 2.5). Wegen seiner Verknappung wird die Bereitstellung aufwendiger. Es bildet sich ein Preis, und es kommt zu Auseinandersetzungen über Kontrolle, Macht und Verfügungsgewalt. Wer die Kontrolle über das Wasser hat, ist auch im Besitz der tatsächlichen regionalen Macht (Wittfogel 1957, siehe dazu auch Kapitel 2.6). Soweit ich es überblicke gilt dies für alle chinesischen Dynastien, die ägyptischen Pharaonen, die Reiche im Zweistromland, den Burgherren an Rhein, Main und Neckar, den Maya-Herrscher sowie den Indischen Mogul. Das dauert auch heute noch an und besitzt Gültigkeit für Volta, Mekong, Jordan und Nil River Commissions und die UN-Institutionen, die über die Einhaltung von Vereinbarungen wachen. Und es betrifft schließlich genauso die Gebiete, in denen ich meine eigenen Erfahrungen, durch meine Feldforschungen, gesammelt habe. Im Nordosten von Ghana nahe der Sahelzone wurden in den 1970er Jahren Dämme, Reservoirs und Brunnen gebaut, die zu einer signifikanten Verbesserung der Lebensbedingungen und einem ebenso signifikanten Bevölkerungswachstum führten. Die Funktionsfähigkeit hängt von der Wartung der Anlagen und von der lokalen Regelüberwachung ab. Gemeindebasierte Aufsicht und Kontrolle verhindert Übernutzung und Missbrauch. Jedoch sind auch immer wieder Eingriffe nötig, wenn versandende Dämme und Reservoirs nicht gereinigt und geleert werden und stattdessen der Staat um Hilfe gebeten wird. Weiz (2005) hat die Eries (Dämme) und Kulams (Wasserreservoirs) in Kerala untersucht. Unter Mogul-Kontrolle gebaut und von Klöstern und Tempeln kontrolliert, haben sie über Jahrhunderte die Bevölkerung mit dem nötigen Wasser versorgt. Durch Bevölkerungswachstum, Migration und staatliche Regulierungen des Kasten-Systems wurden die Anlagen überlastet und sind nicht mehr funktionstüchtig. Staat, Tempel, Klane und Familien übernahmen die Kontrolle und lassen sich für den Zugang zum Wasser bezahlen. Büttner (2002) forschte in einer anderen ariden Zone Indiens und berichtet in Genug Regen aber zu wenig Wasser über den Kollaps tradierter Formen kollektiver Wasserregulierung. Dessen Ursache liegt wiederum in staatlicher Regulierung, Kommerzialisierung der Landwirtschaft, Bevölkerungswachstum, Migration und dem Zerfall traditioneller Gesellschaftsstrukturen. Ein Beispiel für Wasserknappheit trotz Wasserüberfluss kann ich aus meinen eige-
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nen Beobachtungen beitragen, das Beispiel von Warteschlangen an Wasserstellen angesichts von Wasserüberfluss in den Bergen des Himalayas (siehe Kapitel 5.2.17). Karen Bakker (2000) zeigt in ihrer Untersuchung einer Trockenperiode in England, wie Privatisierung zu Verknappung und Versorgungsengpässen führen kann, selbst in einer Umgebung, in der normalerweise genügend Wasser verfügbar ist. Ein Beispiel der Renaturierung lernte ich in Zhanbei County kennen. Dort trocknete ein See aus, der immer genügend Wasser hatte, vermutlich weil das Grundwasser durch landwirtschaftliche Übernutzung so weit sank, dass der See sein Wasser verlor. Durch ein gemeinsames Projekt (SuMaRiO, www. sumario.de/de) von deutschen und chinesischen Stellen, von der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Bundesministerium für Forschung und Entwicklung (BMFE), deutschen und chinesischen Universitäten und des chinesischen Ministry of Science and Technology (MOST) soll am Tarim River, im Nordwesten Chinas, die dortige traditionelle Oasenbewirtschaftung wieder hergestellt werden. Durch nachhaltige Landnutzung soll das natürliche Gleichgewicht erneuert und der Abschluss-See des Gebietes renaturiert werden. Welche Auswirkung könnte nun die Verfügbarkeit von Wasser haben? Offensichtlich können Menschen kein Wasser verwenden, wenn überhaupt keines vorhanden ist. Und plausibel erscheint zumindest auch die These, dass mangelnde Verfügbarkeit Einfluss auf den Konsum und die Hygiene hat (Whiteford 2005). Andererseits lässt sich dieser Zusammenhang nicht zwingend nachweisen. So konnte ich beobachten, dass die Menschen in Ghana mehr Wasser für die persönliche Hygiene verwenden als die Menschen im RheinMain Gebiet. Händewaschen nach der Toilettenbenutzung wird in unserem Kulturkreis oft vergessen, auch Kinder waschen sich die Hände nach der Toilettenbenutzung an Schulen nicht oder ungenügend. In Indien wird Wasser großzügig und ohne Sorge um Qualität verbraucht. Es liegt somit die Vermutung nahe, dass der Wasserkonsum eher von kulturellen Einflüssen und Erziehung als von der Verfügbarkeit abhängt. Auch meine eigene Beobachtung im Feld bestätigt, dass auch für den Verbrauch kein direkter Zusammenhang zu der Entfernung vom Brunnen oder die Versorgung aus der Leitung festzustellen ist. In jedem Fall findet eine häusliche Lagerung in Amphoren, Tonnen und Kanistern statt, aus denen der Konsum bedient wird. Die häusliche Lagerung ist u.a. auch notwendig wegen der qualitativen und quantitativen Unzuverlässigkeit der Versorgung.
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4.4 Ü berleitung In diesem Kapitel habe ich Aussagen über Wasser zusammengetragen und in der Form eines Mosaiks dargestellt. Natürlich müssen diese Aussagen und Beobachtungen Fragmente oder Splitter des großen Themas »Wasser« bleiben, da es den Rahmen eines Buchkapitels sprengen würde, alle verfügbaren Beobachtungen darzustellen. In der Synthese wird jedoch zumindest eines klar: Wasser ist ein »fait social total«, das alle Bereiche der Gesellschaft durchzieht und die verschiedenen Felder, wie Arbeitsteilung, Religion und Politik miteinander verknüpft (Mauss 1923/24). Auch wenn viele Quellen nur einen Teilaspekt thematisieren, ist doch grundsätzlich festzustellen, dass Wasser in seiner Komplexität als Substanz die Fähigkeit hat, verschiedene Bereiche der Gesellschaft miteinander zu verknüpfen. Deshalb ist es auch gerechtfertigt, Gesellschaften insgesamt durch spezifische Umgangsweisen mit Wasser zu kennzeichnen. So schreibt Needham über die chinesische Gesellschaft als eine »hydraulic society« und stellt einen doppelten Bezug her: das Wasser-Management, das die gesamte chinesische Geschichte durchzieht, aber auch den Druck, den dieses System zu allen Zeiten ausgeübt hat (Needham 1971). Weiz (2005, 2012) beschreibt das Leben rund um Kulams und Eries in Süd-Indien, und Nikhil Anand (2012) untersucht den »Wasserdruck«, die Beschaffung und Verwendung von Wasser, in einem Slum in Mumbai. Wasser ist das wohl am weitesten verbreitete und von Menschen verwendete Material. Seine Wahrnehmung, seine Verwendung und seine Bedeutungen sind vielfältig kulturell und sozial bedingt und verknüpft. Das Gleiche gilt für Kontrolle, Macht und Politik. Diese kulturell bedingten Unterschiede werde ich im Weiteren untersuchen und transparent machen, damit, darauf auf bauend, Handlungs-, Verwendungs- und Einstellungsalternativen entwickelt werden können, die wiederum zu einem bewussteren und dennoch der jeweiligen Kultur adäquaten Umgang mit dieser so wertvollen und gefährdeten Ressource führen können. »Wo auch immer der Mensch mit Wasser in Verbindung kommt, gilt es, die Notwendigkeit, die Knappheit, aber auch die Faszination und Schönheit dieses Elementes bewusst zu machen. Denn nur ein Wandel der Einstellung und des Verhaltens der Menschen wird langfristig dazu führen, dass dieses Lebensgut für alle Menschen gleichermaßen erhalten bleibt« (Gottwald und Boergen 2009: 118).
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5. Regionale und indigene Perspektiven 5.1 B ongo -S oe , G hana und seine »B oreholes « 5.1.1 Setting Trampelpfade verbinden die Häuser miteinander, mit der Pumpstation, der Straße, der Schule, dem Markt und dem Feld. Sie führen durch Hirse- und Maisfelder, unter Baobab- und Moringa-Bäumen hindurch und bilden das soziale Netz einer afrikanischen Gesellschaft in der Sahel-Zone im nordöstlichen Teil Ghanas ab. In den letzten 30 Jahren wurden im Bongo Distrikt an der Grenze zu Burkina Faso 10.000 Pumpstationen gebohrt und eingerichtet. Mit ihrer Hilfe und einer Reihe von Dämmen wird die Versorgung der Menschen, überwiegend Grushie bzw. Frafra (wechselnde Selbstzuschreibungen), mit Trinkwasser auch während der sechsmonatigen Trockenperiode sichergestellt. Das Wasser wird aus 30 bis 80 Metern Tiefe aus dem Grundwasser des Bongo-Granits gewonnen. Es ist dorthin 15 bis 20 Jahre unterwegs und wird ausschließlich aus den Niederschlägen der Regenperiode gespeist. Das Wasser ist frisch, sauber und klar und ist ganzjährig verfügbar. Von jeder Pumpstation werden ein Dutzend Haushalte im Umkreis von ein bis zwei Kilometer versorgt. Jeder Haushalt geht mehrmals täglich zum »borehole« und holt sich dort mit Schüsseln, Eimern und Kanistern frisches Wasser. Was machen nun die Menschen mit diesem Wasser? Wie gehen sie damit um? Wie verwenden sie es? Welche Beziehungen haben sich zum Wasser, zum »borehole« und um das »borehole« herum entwickelt? Wie stellt sich diese »borehole-society« der Grushie in Bongo dar? Am Beispiel ihrer Verwendung von Wasser, das alle Lebensbereiche durchzieht, soll diese Gesellschaft dargestellt werden. In der Forschungsarbeit wurden viele Bereiche berührt, die etwas mit Wasser zu tun haben: seine Gewinnung an der Pumpe, Trinken, Nahrung, Landwirtschaft, Handwerk, Kunst, Bau, Mythen um Krokodile, Regenmacher, Familie und der Tagesablauf. Zu diesem Zweck war ich im November 2008 und im November, Dezember 2009 in Bongo und habe meine Zeit an »boreholes«, auf den Feldern, in
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den Häusern, »compounds«, Anwesen, Farmen der Großfamilien, an Schulen und auf Märkten verbracht, habe mit den Menschen gesprochen, sie bei ihren Tätigkeiten beobachtet und alles photographisch dokumentiert.
Brunnen
5.1.2 Annäherung, 17. November 2009 Anflug über Paris – Niamey (Niger) – Ouagadougou. Beim Anflug auf Niamey ist der Niger zu sehen. Niamey ist die Hauptstadt des Landes Niger und hat eine Million Einwohner. In Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, wohne ich in einem Hotel mit Swimmingpool, eigenem Brunnen und Blick auf die »Barrage 3«, einem von mehreren Stauseen. Widersprüche tun sich auf. Ich beginne Wasser aus der Flasche zu trinken. Obwohl Wasser mit Trinkwasserqualität vorhanden ist, werde ich darauf hingewiesen, lieber nicht das Wasser aus der Leitung zu trinken. Abends werde ich noch zu »street food« und Bier eingeladen, zu einem »eau d’étranger«, zu dem jeder Fremde oder Besucher zuhause eingeladen werden muss. Das zweite Getränk ist üblicherweise ein Mehlwasser mit Gewürzen. Vor dem Essen werden die Hände gewaschen mit flüssiger Seife aus einer Flasche und Wasser aus der Kanne. Die Hände werden in eine runde, in der Mitte abgedeckte Schüssel gelegt und gewaschen, bzw. wird das gebrauchte Seifenwasser dort gesammelt. Der Fahrer und die Führerin sind Mossi, haben zwei bzw. ein Kind und sind katholisch. Die Kinder von Michelle (der Führerin) sind Muslime. Sie wohnt mit Schwester und Mutter in einem Haus am Stadtrand, betreibt eine Agentur zur Betreuung von Besuchern aus dem Ausland. Der Vater ist lokaler »chief« und folgt traditionellen Familienstrukturen mit mehreren Frauen. Sie erklären mir auch die grobe sprachliche und ethnische Struktur in Burkina Faso. Die Mossi machen die größte ethnische Gruppe aus. Unter ihnen finden sich Animisten, Moslems und Christen. Sie stellen einen König als Oberhaupt und sind überwiegend Arbeiter und Händler. Die Joula leben
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im Westen des Landes in Bobo-Dioulasso, Dafinao und Karankasso-Sambla, sind größtenteils Moslems und in der Landwirtschaft sowie im Handel beschäftigt. Die Peulh sind ebenfalls überwiegend Moslems und Nomaden. Hinzu kommen die Dagari und Gan, die meistens Animisten und Landwirte sind. Darüber hinaus gibt es noch Dutzende weitere kleinere Ethnien. Die wichtigsten Flüsse sind Mouhoun (Schwarzer Volta), Nakambé (Weißer Volta), Nazinon (Roter Volta), die in Guinea und Mali entspringen und nach Niger, Ghana und in die Côte d’Ivoire weiter fließen. In der Stadt befinden sich noch ausgedehnte Zeltstädte. Im September führten heftige Regenfälle zu Überschwemmungen und Überflutungen, durch die viele Menschen obdachlos wurden. Beim Abendessen im Haus von Michelles Eltern dreht sich das Gespräch um Wasser. Sie verwenden das Leitungswasser zum Kochen, Reinigen, Waschen, Baden, für die Körperpflege und tägliche Körperreinigung. Getrunken wird Wasser aus der Flasche, still oder mit Kohlensäure. Man hat mehr Vertrauen in den Hersteller von Flaschenwasser als in den lokalen, öffentlichrechtlichen Wasserversorger. Man traut ihm bessere Kontrollen zu, weil er zusätzlich noch von der Regierung überwacht wird. Im Haus befindet sich ein Waschraum mit Dusche, der auch als Toilette angeboten wird. Im Hof befindet sich ein weiterer ähnlicher Raum. Es gibt keinen Platz für die Darmentleerung im Haus. In Bazoulé besuche ich die »Caȉman Sacré« und habe eine erste Begegnung mit geheiligten Krokodilen, die dort in einem See zu beobachten sind. Sie werden mit Hühnern am Stock angelockt, und dürfen diese am Ende auch auffressen. Zum Ende der Regenzeit – Ende September, Anfang Oktober – wird ein großes, wochenlanges Festival zu Ehren der Krokodile ausgerichtet, mit Musik, Tänzen, Ritualen und Kunstdarbietungen. Die Bedeutung der Krokodile für das Auffinden von Wasser und als Totem für eine große Zahl von Familien in Bongo (von Paga bis nach Bongo-Soe) wird später noch genauer dargestellt (Kapitel 5.1.14). Eine Vielfalt von Darstellungen von Krokodilen auf Gegenständen, Masken, Dekorationsstücken findet man in einem kleinen traditionellen Museum und im angegliederten Museumsshop. In Laongo befinden sich in einem Granit-Skulpturen-Garten (dort lokal aus dem Granit gehauen) auch Darstellungen von »Rainmaking-Birds«. Auch auf »rainmaking« und »rainmaking-chiefs« werden wir später zurückkommen (Kapitel 5.1.27). Ich bin eingestimmt durch die Lektüre von Solveig Buhl (2002) über die Mossi, Richard Kubas und Carola Lentz‹ (2006) Sammelband zu Westafrika, Franz Kroegers und Barbara Meiers (2003) Buch über Ghana, Peter Cornelius Mayer-Taschs Sammelband Welt ohne Wasser (2009), Klaus-Dieter Alberts, Doris Löhr und Katharina Neumanns (2004) Buch zur Ethnizität in Ghana
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und Westafrika sowie Bill Dermans, Rie Odgaards und Espen Sjaastads (2007) Sammelband über Wasserkonflikte in Afrika. In Burkina Faso sehe ich die ersten Brunnen (offen und geschlossen) und Wasserpumpen, noch ohne ihre soziale Bedeutung zu erkennen. Offene Brunnen liefern Wasser, das zwar getrunken wird, aber gefährlich und verschmutzt ist. Gedeckte Brunnen haben zwar kein oberflächlich verschmutztes Wasser, aber wegen der geringen Tiefe ist es nicht immer zum sicheren Verzehr geeignet. An einem der Brunnen sehe ich einen offensichtlich gut ernährten und trainierten Vater neben seinem fruchtbaren Garten umringt von Kindern mit Fehlernährungsbäuchen. Baba ist 57 Jahre alt, hat drei Kinder und zwei Enkel, seine Frau ist Krankenschwester und sie sind Baptisten. Er bringt mich (am 19. November 2009) von Ouagadougou nach Bongo, erzählt von seiner Familie, seiner Ethnie (Mamprus, Mampuli), dem Geburts- und Wohnort (Nalerigu) in der »Northern Region« und Stammesfehden, die gegenwärtig auch Todesopfer fordern und von Hausverbrennungen begleitet sind. Sein Vater hatte als »chief« noch vier Frauen und 20 Kinder. Die Kinder leben mit der Mutter, die Frauen kochen im dreitägigen Turnus. Die Struktur hängt eng mit der Landwirtschaft, den dafür benötigten Arbeitskräften und Subsistenzvoraussetzungen zusammen. Gleichzeitig sind Frauen und Kinder auch Statussymbole, verleihen Prestige und sichern die Altersversorgung. Baba wohnt am Vea-Dam und erhält sein Wasser aus der Leitung, es kommt »treated«, d.h. behandelt, gereinigt, aus dem Tank, und durch die Leitungen zum Wasserhahn. Weil er den Leitungen misstraut, filtert er das Wasser selbst noch einmal und füllt es in Flaschen zum Konsum. Es schmeckt gut, neutral, wie eben Wasser schmeckt, und es tut uns beiden gut. Er zahlt pauschal zwei Dollar monatlich für die Nutzung. Er ist dazu erzogen worden, seine Hände vor dem Essen mit Seife zu waschen. Seife gibt es lokal hergestellt, »k« oder »duck« genannt, aber auch selbst gemacht, zum Beispiel aus Sheabutter-Öl und Wasser, das Ganze gekocht und abgekühlt. Das benötigte Alkali kann gekauft oder aus Hirse-Asche und Wasser selbst hergestellt werden. Für das Öl können auch verschiedene Früchte verwendet werden. Entsprechend ändern sich auch die Namen, beispielsweise Curugrou oder Soutu. Soutu wird aus Bananenschalen hergestellt. Die Schalen werden getrocknet, verbrannt und aus der Asche die Seife produziert. Soutu beugt vielerlei Krankheiten wie Typhus, Hepatitis, Diarrhö vor, kann aber auch schädlich sein, wenn man sich bei der Herstellung nicht genau an die Instruktionen hält.
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5.1.3 Informanten Über Wasser, mit Benedicta und Clemenz, am 20. November 2009: Benedicta ist die regionale Chefin für alle »World Vision« Projekte, Clemenz ihr technischer Leiter. Zwischen Bolgatanga und Bongo gibt es eine Wasserauf bereitungsanlage, die Wasser aus dem Vea Damm zum »Resource Center«, zu den Büros in Bongo, der Distrikt Hauptstadt und an eine Wasserstation am Markt liefert. Am »Resource Center« gibt es einen unterirdischen Tank, von dem das Wasser in einen »overhead tank« gepumpt wird. Von dort fließt es durch die Leitungen zu den Wasserhähnen und Toilettenspülkästen. Die Spülkästen sind alle ohne Sparvorrichtung, d.h. sie leeren sich bei jeder Nutzung vollständig, ca. zehn Liter pro Blasenentleerung. Mein Vorschlag wäre hier ein Schild mit der Aufschrift »Only use for number two« (für das »große Geschäft«). Im Zimmer ist auch ein Eimer mit Becher zum sparsamen »Baden« und Waschen. Mit der Dusche in der Badewanne bin ich aber noch sparsamer. Wenn ich zunächst meinen Körper nass mache, dann abstelle, einseife und abspüle, verbrauche ich ungefähr einen halben Eimer. Mit Eimer und Becher wird (laut Aussage aller Befragten zur verbrauchten Wassermenge beim »bathing«, der Ganzkörperwäsche) demgegenüber ein ganzer Eimer Wasser verbraucht. Das Wasser aus der Leitung hat Trinkwasserqualität, wird aber nicht zum Trinken empfohlen. Benedicta verwendet Sachets oder Flaschen, Clemenz trinkt aus der Leitung, aus Sachets und aus der Flasche, je nach Verfügbarkeit und Gelegenheit.
5.1.4 Sachets, Flaschen als Willkommensgruß Schon in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou war es üblich, als Willkommensgruß ein Glas Wasser als »eau d’étranger« anzubieten. Dieser Brauch kann heute auch in Form eines Biers oder eines Softdrinks gereicht werden. Das Ritual selbst wird ohne Ausnahme vollzogen. Es gibt keine Begegnung oder Willkommensgeste ohne das Angebot eines Getränks, üblicherweise Wasser. Weil aber Wasser nicht immer in guter Qualität verfügbar ist, wird das »eau d’étranger« bevorzugt in Sachets oder aus Flaschen angeboten. Sachets und Flaschen lassen sich leicht transportieren. Das Abfüllen aus der Leitung ist eher unpraktisch. Besonders einfach und praktisch sind die Sachets. Es handelt sich dabei um 100 Milliliter Polyethylen-Beutel, die an einer Ecke aufgebissen werden und dann ausgesaugt oder, Kopf nach hinten, ausgetrunken werden. Sie werden mit Wasser aus der Dammwasserauf bereitung gefüllt, das noch einmal gefiltert und mit UV-Strahlen behandelt wird. Die Aufschrift besagt auffällig »gefiltert«. Die Sachets sind eine lokale Innovation. Die Plastikschläuche werden gefüllt, verschweißt und für wenig Geld (ca. zehn Euro-
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cent) überall verkauft. Die Innovation der Sachets hat sich vermutlich aus einer früheren Gewohnheit ergeben, bei der Eiswürfel in Plastik eingewickelt als Minisachets von Marktfrauen und Wasserhändlerinnen angeboten wurden. Die Sachets haben Flaschenwasser ersetzt oder erst gar nicht populär gemacht. Sie sind viel billiger, leicht zu transportieren, enthalten gutes Trinkwasser, verursachen aber als Abfall eine Menge von leeren Plastikbeuteln, die überall in der Landschaft als Müll herumliegen. Die Frage nach dem Vertrauen in die Wasserqualität bringt ein Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen zum Vorschein. Mir wird gesagt, weil Staatsbeamte ihr Geld sowieso erhalten, kümmern sie sich nicht, setzen sich weniger ein und sind oft nachlässig. Den privaten Unternehmern wird mehr Einsatz und Sorgfalt zugetraut, weil deren Ein- und Auskommen von der Reputation und von einer guten Leistung abhängt. Es gibt ein »Standards Board«, das die Standards festlegt, die Kriterien für die Wasserqualität und auch deren Einhaltung überwacht. Damit ist gewährleistet, dass die Qualität stimmt und das Wasser sicher genießbar ist. Die Konsumenten gehen nach eigener Aussage davon aus, dass die Hersteller das Produkt anreichern, so dass es wertvoller, qualitativ besser und sicherer ist. Das Wasser aus der Auf bereitungsanlage, in eine Flasche gefüllt, ist sicher. Aber ein Rest an Skepsis bleibt, weil über die Leitungen und die Wasserhähne, wenn sie nicht gut genug gewartet, überprüft und kontrolliert werden, auch Kontaminationen möglich sind.
Sachets und Willkommensgetränk
Bongo-Soe
5.1.5 »Drip irrigation« (Tröpfchenbewässerung) bei den Grushie in Bongo-Soe Das Feld liegt neben dem Soe-Damm, der im Jahr 2001 angelegt wurde. Der Damm wurde von »Axxim«, einer kanadischen Initiative in Zusammenarbeit mit der »Ghana Water Authority«, gebaut, um während der Regenzeit (Mai bis Oktober) Wasser zu sammeln, mit dem während der Trockenzeit (November bis März) Felder für den Gartenbau bewässert werden können. Der Damm hält normalerweise genügend Wasser, um während der gesamten Trockenperiode Wasser vorzuhalten. Er füllt sich dann wieder mit Beginn der Regenzeit. Der Damm wird auch direkt benutzt für das Tränken von Kühen, Rindern, Schafen, den Fischfang, Hausbau und Feldbewässerung. Der Gartenbau während der Trockenzeit produziert Gemüse, Kräuter, Salat, Tomaten und Zwiebeln und ermöglicht so eine zusätzliche Ernte. Das Land wurde nach dem Dammbau neu verteilt. Es wird während der Regenzeit traditionell für den Hirse-, Mais- und Erdnussanbau von den Eigentümern selbst bestellt und im Oktober abgeerntet. Der Gartenbau in der Trockenzeit wird in der Regel von anderen Landwirten auf dem gleichen Gelände durchgeführt. Zunehmend betreiben aber auch die Landeigentümer selbst den Gartenbau. Für diesen erfolgt die Bewässerung durch ein System von Kanälen, Rohren, Schleusen und Hähnen. Die Verwendung von Wasser ist frei und jedem zugänglich. Die Verteilung wird innerhalb der »community« ausgehandelt, vereinbart und die Einhaltung kontrolliert. Die »community« schützt den Damm auch vor illegaler Nutzung durch Menschen, die dort Autos waschen, chemisch (mit DDT) Fischfang betreiben, Wasser für Bautätigkeiten stehlen etc. Die Nutzung ist ansonsten kostenlos. Alle Nutzer sind Grushie und gehören auch zum gleichen erweiterten Klan. Die Bauern sagen von sich »we are all same family«. Die meisten tragen auch ähnliche Gesichtsmarkierungen. Der »Landlord« moderiert Konflikte, der »chief« wird involviert für Familienangelegenheiten und Straftaten.
Feldbewässerung
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Auf dem Gelände wurde von einer NGO ein israelisches »drip irrigation«System eingerichtet. Es handelt sich um Wassertonnen, die aus dem Damm gespeist werden und ihr Wasser über ein Rohrleitungssystem und dünne, perforierte Schläuche gezielt und sparsam an die Pflanzen abgeben. Die Vorteile des Systems liegen in der gezielt dosierten Bewässerung und der besseren und ökonomischeren Verteilung von Düngemitteln. Damit werden Düngemittel und Wasser gespart und gleichzeitig bessere Erträge erzielt. Die bessere Wassernutzung erlaubt mehr Bauern den Gartenbau während der Trockenzeit, weil andernfalls die Kapazität des Damms nicht für die gesamte Trockenzeit ausreichen würde. Auf dem Gelände wurden insgesamt 20 Einheiten, die jeweils »one acre« bewässern, eingerichtet. Jeweils zwei Bauern teilen sich eine Einheit. Entsprechend ist eine »community« von 40 Bauern an dem Projekt beteiligt und muss sich entsprechend organisieren und koordinieren. Es hat sich ein informeller Führer als Sprecher herausgebildet. Er hat sich hervorgetan durch frühe Mitarbeit in der Wasser-Kommission, die an der Dammentwicklung und der Neuverteilung des Landes beteiligt war. Seine Sprachfertigkeiten helfen dabei zusätzlich. Er hat allerdings keine weiteren Privilegien was Landrechte und Nutzung betrifft. Der ganze Prozess wird desweiteren überwacht und unterstützt von Clothilda, der Repräsentantin des »Ghana Ministry of Agriculture«. Zu den Einzelheiten des Projektes liegt ein getrenntes »assessment« von Clemenz, dem Projektleiter der NGO, vor. Ein erstes »assessment« nach der ersten Saison zeigt, dass die Komplexität der Hightech-Einrichtung beherrschbar ist. Die Ernte ergab mehr Erträge und besseres Gemüse. Die Wartung zur Behebung von Verstopfungen der Öffnungen wurde verbessert. Die Schläuche der Anlage wurden während des Regenzeitanbaus entfernt, zuhause gelagert und mit Beginn der Trockenzeit wieder eingerichtet. Bewerbungen für Landzuteilung gehen an den informellen Führer, werden ausgehandelt und dann verbindlich zugesagt. Das geschieht im Namen der »community«. Die Gemeinschaft wacht über die Einhaltung der Vereinbarungen. So funktionieren Allmende und genossenschaftliche Systeme. Die Nutzer nennen als spezifische Vorteile dieses Vorgehens: eine bessere Ernährung, den Verkauf von Gemüse gegen Bargeld, einfacheres »farming«, ein höheres Einkommen. Einer der Beteiligten wies noch besonders auf den folgenden Nutzen hin: »Could afford a second wife, build her a room, she is happy, and I can have more children«. Von den 15 Bauern, die sich um uns versammelt hatten, hatten zwei Drittel zwei oder mehr Frauen. Einer war Witwer. Der »chief« hat drei Frauen, der junge »Landowner« drei und eine Freundin mit zwei Kindern aber ohne Brautgeld. Es handelt sich bei der Tröpfchenbewässerung um einen Hightech-Prozess mit der Möglichkeit, Wasser einzusparen, Düngemittel effizient auszubringen, die Arbeit zu erleichtern und die Ernte qualitativ und quantitativ zu ver-
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bessern. »Drip irrigation« ist aber auch fehleranfällig und bedarf ausgeprägter Fertigkeiten für Wartung und Reparatur. Dafür sind entsprechende Schulungen, Ausbildungen und Überwachungen genauso erforderlich, wie die technische Unterstützung und der Service. Nur auf einer professionellen Basis lassen sich die Anlagen langfristig erfolgreich betreiben. Die Fläche für die Bewässerung wird ausgedehnt, sodass mehr Bauern sich beteiligen können und sich die Wartungs- und Serviceeinrichtungen besser rentieren. Gleichzeitig wurde die Selbstverwaltung ausgebaut und darauf geachtet, dass die Organisation lernt, auf eigenen Beinen zu stehen. So kann das Wasser im Damm am besten genutzt werden. Das Gleiche gilt für eine nahe gelegene Mango-Plantage, die vor Feuer und Tieren geschützt und wirksam bewässert werden muss. Schließlich hat auch eine Gemeinde mit 40 Familien gelernt, Perlhühner zu halten und Eier und Fleisch auf nachhaltige Art herzustellen. Sie unterhalten 500 bis 1.000 Perlhühner. Es handelt sich um eine angenehme und gut gelegene Kommune, mit vielen sichtbaren kultischen Elementen wie Ritualen, Opfern, Zaubern, Beschwörungen, der Vielehe und einer hoher Reproduktionsrate als Erfolgssignale. Die Vorbereitung der Perlhühner zum Kochen erfolgt mit heißem Wasser. Das tote Tier wird eingetaucht, um so die Federn leichter entfernen zu können. Danach werden die Innereien herausgeholt und alles mit Wasser gesäubert. Das Perlhuhn wird dann in heißem Wasser und nach Hinzufügung von Gewürzen und Salz mehrere Stunden gekocht.
Bewässerung: »Navrango irrigation field« Neben dem Fluss werden in der Trockenzeit Brunnen von zwei bis drei Metern Tiefe von Hand gegraben. So wie der Wasserspiegel mit der Trockenzeit sinkt, wird auch der Brunnen weiter ausgehoben. Die Bauern haben Tomaten gepflanzt, die sie am Ende der Regenzeit zuhause als Setzlinge gezogen haben. Sie erhalten das Land vom Bauern, der es während der Regenzeit bewirtschaftet und der auch der Landbesitzer ist. Einige der Bauern sind Landbesitzer, die in der Regen- und Trockensaison Land- und Gartenwirtschaft betreiben. Sie heben auch im ausgetrockneten Flussbett Wannen mit einer Abmessung von ca. fünf mal zehn Meter aus, die sich mit Wasser füllen (»dug-outs«). Dort werden mobile, motorisierte Pumpen eingesetzt, die aus der Wasserwanne, dem »dug-out«, Wasser durch flexible, mobile Plastikrohrleitungen auf die Felder pumpen. Jede Pumpe kostet ca. 600 Cedis (ca. 200 Euro), Rohre und Armaturen kosten weitere 300 bis 400 Cedis. Die Pumpe kann auch für 200 Cedis pro Saison gemietet werden. Untermiete kostet 100 Cedis. Jeder, der eine Pumpe hat, gräbt seine eigene Wanne oder »dug-out«, sodass das Flussbett auf weiten Strecken mit solchen Wannen versehen ist. Die meisten Landbesitzer haben und betreiben auch ein »dug-out« und eine Pumpe. Bauern, die nur in
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der Trockenzeit anbauen, mieten für die Saison. Neueinsteiger beginnen mit einer Untermiete. Der »Landlord« ist nicht gleichzeitig Landeigentümer. Er ist Besitzer eines eigenen Stückes Land und hat die Aufgabe, bei Streitigkeiten, die das Land betreffen, zu moderieren oder zu schlichten. Er hat keine Verfügungsmacht über das Land und kann auch keine neuen Grenzziehungen anordnen oder das Land neu verteilen. Die Bauern sind frei in ihren Entscheidungen, was sie mit dem Land machen und was, wann und wie sie anbauen. Auch das Ernterisiko liegt alleine beim anbauenden Bauern. Die Bauern sind seit Generationen Eigentümer und schulden dem »Landlord« keine Abgaben, Steuern oder ähnliches. Der »chief« ist demgegenüber zuständig für die zivile Gerichtsbarkeit. Er wird angerufen und gehört, wenn es um Familien- oder Nachbarschaftstreitereien, Hochzeiten oder kleinere und größere Vergehen etc. geht. Auf einem der Felder wachsen die Tomaten nicht so richtig. Sie sind zwar gut angewachsen, sterben aber in der letzten Zeit ab und trocknen aus. Es wird ein Schädling an den Wurzeln vermutet. Es sollte aber auch geprüft werden, wie das Feld während der Regenzeit bearbeitet, gedüngt, mit Insektiziden behandelt wurde und ob dies zu einer Übernutzung geführt haben könnte. Neben Tomaten werden auch allerlei andere Gemüsesorten und Tabak für Zigaretten angebaut. Drei der Bauern erzählen offen über »croc stories« (siehe Kapitel 5.1.24) und über ihre Familien. Jeder hat eine Frau, drei bzw. vier Kinder, und hätte gerne eine weitere Frau und mehr Kinder, kann sie sich aber nicht leisten. Dadurch hätten sie mehr Arbeitskraft zur Verfügung für die Feldarbeit, und die Landwirtschaft wäre einfacher zu bewältigen. Sie hätten höhere Erträge, mehr Einkommen und mehr zum Leben. Dass Kinder auch ernährt werden müssen und die Erziehung Geld kostet, ist keine Überlegung, die genannt wird. Der Wunsch nach einer weiteren Frau hat nichts mit sexuellen Vorlieben oder Geselligkeit zu tun. Dafür hat jeder der Männer eine Freundin (einer zwei). Mir wird gesagt, diese verhüten selbst, kosten wenig und es entstehen beiderseits keine Verpflichtungen.
5.1.6 Die Rolle der Frau Mit einer Frau, die auf dem Feld arbeitet und die Furchen mit einer einfachen Hacke legt und den Boden auflockert, entwickelt sich ein Gespräch über ihre spezifische Familiensituation. Auf die Frage, warum sie schon jetzt, so früh in der Saison, ihr Feld bestellt, während die anderen noch warten, erwidert sie: »Because I am weak«. Sie hat keine Hilfe, keine Kinder, die groß genug sind, um zu helfen. Sie ist die zweite von drei Frauen und muss alles alleine machen und für sich selbst sorgen. Auf die Frage, warum sie dann überhaupt
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in dem Haushalt bleibt, antwortet sie: »Wenn ich mich trenne, muss ich die Kinder zurücklassen, weil die zum Haushalt des Mannes gehören.« So sind auch alle Jugendlichen ab ca. 16 Jahren noch markiert, um die Familienzugehörigkeit anzuzeigen. Das werde zwar jetzt nicht mehr gemacht. Allerdings haben fast alle Kinder noch zumindest eine Narbe auf der Wange. Sie entsteht durch eine traditionelle medizinische Methode zur Vorbeugung und Behandlung von »convulsion« (Krämpfen) durch einen traditionellen Medizinmann. Es stellt sich die Frage, bis zu welchem Grad Förderprogramme auch mit Maßnahmen zur Familienplanung und Erziehungsmaßnahmen begleitet werden sollten, um nachhaltige Effekte zu erzielen, die nicht durch gleichzeitiges Bevölkerungswachstum wieder konterkariert werden. Das alleinige Vertrauen darauf, dass mit höherem Wohlstand und Bildung auch die Reproduktionsraten sinken, ist möglicherweise nicht ausreichend. So ist die Bevölkerung im Bongo-Distrikt in den letzten zehn Jahren um 50 Prozent gewachsen. Über die Anzahl von Vielehen sind keine Zahlen bekannt. Wenn der Reproduktionserfolg einer Population als Maßstab genommen wird, so ist Ghana sehr erfolgreich (Verdreifachung innerhalb von 30 Jahren). Das Wasserholen am Brunnen ist Aufgabe der Frauen. Männer bohren den Brunnen, installieren die Technik, reparieren die Pumpen oder transportieren mit Eselskarren Wasser in Tanks für den Hausbau. Frauen gehen zum Brunnen, mit Zinkschüsseln (»basins«), die auf dem Kopf getragen werden, pumpen das Wasser in die Schüssel und tragen die Last auf dem Kopf nach Hause. Meistens wird die Aufgabe an Kinder delegiert, die früh nach dem Aufstehen und nachmittags nach der Schule zum Brunnen gehen und Wasser holen. Mädchen nehmen dafür Schüsseln und Eimer, die sie auf dem Kopf tragen. Jungen nehmen Kanister, die an den Händen hängend getragen werden.
Wassertransport
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5.1.7 Am Brunnen, dem »borehole« oder der Wasser-Pumpstation Den Nachmittag verbringe ich am »borehole«. Es handelt sich um eine Pumpe, die aus 30 bis 50 Metern Tiefe Wasser aus dem Grund pumpt und über ein Rohr austreten lässt. An der Pumpe ist ein Mädchen von ca. zwölf Jahren, das für ihre Mutter (ca. 30 Jahre alt) eine Blechschüssel mit Wasser füllt. Als die Schüssel voll ist, legt sie eine Plastikfolie über die Wasseroberfläche der randvoll gefüllten Schüssel. Sie beginnt, die nächste Schüssel zu füllen. Mit kräftigen Stößen erzeugt sie einen dicken Strahl Wasser, der die Schüssel zügig füllt. Je nach Kraftaufwand und Tiefe des Zuges, ergeben sich zwischen einem halben und einem Liter Wasser pro Zug, so dass zwischen 30 und 50 Züge bzw. Pumpakte notwendig sind, um eine große Standard-Blechschüssel zu füllen. Auch sie wird mit einer Plastikfolie abgedeckt. Ein kleinerer Junge füllt noch einen Kanister und ein jüngeres Mädchen einen Eimer. Dann heben sie gemeinsam die Schüssel auf den Kopf des Mädchens. Die Mutter hebt ihre Schüssel selbst auf den Kopf. Die Jüngeren nehmen ihre Eimer und Kanister, und sie gehen in Reih und Glied in Richtung des nächsten Hofes, einem »compound«, von dem mehrere strohgedeckte Runddächer, einige Mauern, ein Eingang, Löcher in den Wänden, ein Flachdach und ein Satteldach sichtbar sind – alles aus dunkelbrauner Erde. Am »borehole« sind inzwischen mehrere Frauen mit Schüsseln, Kinder mit Kanistern und Eimern angekommen und fahren abwechselnd mit Pumpen, Reden, Lachen und Füllen fort. Da übernehme ich die Pumpe. Das löst Erheiterung und fröhliches Lachen aus, und ich verbringe die nächste Stunde an der Pumpe, gelegentlich unterbrochen von einem Jungen, der selbst pumpen will. Mit den Frauen und Kindern kommen wir inzwischen ins Gespräch und erfahren, dass das Wasser zum Wäsche Waschen, zum Kochen, zum Trinken, zum »Baden« (»bathing«, d.h. eine Ganzkörperreinigung mit Schwamm und Seife) und zum Häuser Bauen verwendet wird. In der Zwischenzeit ist die Menge der Anwesenden auf 20 Personen angewachsen. Es handelt sich um drei Mütter, Kinder und Jugendliche zwischen zwei und 14 Jahren, beiderlei Geschlechts, mit etwas mehr Mädchen. Später gesellt sich ein Großvater dazu, der so wirkt, als wollte er nach dem Rechten sehen. Auch er unterhält sich bereitwillig und freundlich mit uns über Wasser, das Woher und das Wohin. Das »borehole« versorgt zwölf »compounds« mit jeweils 15 bis 30 Familienmitgliedern. Sie sind alle im Umkreis von 100 bis 500 Meter gelegen. Es wird regelmäßig und gründlich zwei Mal am Tag »gebadet«, Frauen »baden« auch drei Mal täglich, jeder vor dem Verlassen des Hauses, Kinder vor dem Besuch der Schule. Es ist üblich, die Hände nach dem Stuhlgang zu waschen. Das Klima bringt es mit sich, dass man viel schwitzt. Die staubige Erde, auf der meist barfuß gegangen wird, bedeutet regelmäßige heftige
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Verschmutzung bei fast allen Tätigkeiten. Händewaschen nach dem Stuhlgang wird anerzogen wegen Krankheiten und Erregern, die durch die Ausscheidungen übertragen werden können. Es wird zumindest mit Wasser gewaschen, oft auch mit Seife, wenn Seife vorhanden ist. Die jungen Frauen wissen nicht, dass man Seife auch selbst herstellen kann, und auch nicht, wie das geht.
Am »borehole«
Wie das Wasser ins »borehole« kommt, weiß keiner und wo das Wasser herkommt auch nicht. »Maybe God«? Darüber hinaus haben weder die Mütter noch der Großvater oder die Schulkinder eine Vorstellung davon, wo das Wasser herkommt und wie es ins »borehole« kommen konnte. Das gleiche Wasser wird für alles verwendet – Trinken, Kochen, Waschen, Füttern, Bauen, Landbewirtschaften. Die Qualität ist gut, zum Trinken geeignet, es gibt keine größeren Probleme mit Krankheiten, selten Diarrhö, mal Malaria, im Winter Husten und Erkältungen. Alle Kinder gehen zur Schule, lernen Englisch als Unterrichtssprache.
5.1.8 Wäschewaschen und Körperhygiene Es fällt auf, wie selten am »borehole« direkt getrunken wird (höchstens mal von Kindern). Auch Wäschewaschen findet kaum und »bathing« sehr selten am »borehole« statt. Es werden höchstens mal Füße dort gewaschen. Dass Wäsche nicht häufiger am »borehole« gewaschen wird, verwundert mich angesichts des großen körperlichen Einsatzes beim Transport des Wassers ins Haus. Wenn vereinzelt am »borehole« gewaschen wird, dann eine größere Menge, für die ganze Familie, in mehreren Becken und von mehreren Personen.
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Ganzkörperrasur: »Shaving« und Hygiene Männer und Frauen rasieren den ganzen Körper und beseitigen die Haare von Kopf bis Fuß, unter den Armen und im Intimbereich. Das ist keine neue Gewohnheit, sondern wird seit langer Zeit praktiziert. Es ist auch praktisch, weil so die Haare nicht so leicht verfilzen und Geruch besser beseitigt werden kann. Die Rasur wurde früher mit scharfen Messern und Wasser, neuerdings mit Rasierklingen und Seife durchgeführt. Männer gehen oft zum Barbier, der die Kopf- und Barthaare für einen Cedi mit elektrischen Rasierern in Form bringt.
Gesundheit und Hygiene: Toiletten Eine Studie für die »Kasena-Nankana District Assembly« aus dem Jahr 2005, die im Auftrag des Distrikts und einer NGO für »basic needs« durchgeführt wurde, ergab, dass Toiletten in einer Liste der noch nicht erfüllten Bedürfnisse (»unmet needs«) an erster Stelle stehen. An zweiter Stelle stand Trinkwasser, gefolgt von dem Zugang zu medizinischer Versorgung, Schulen und Ausbildungsplätzen. Es gibt ein Begehren nach Verdichtung auf diesem Gebiet. Sogar kleine Gemeinden mit nur 100 Einwohnern wünschen sich eine eigene Schule. »boreholes« sollten innerhalb von 500 Metern oder zehn Minuten erreichbar sein, während zurzeit manchmal bis zu fünf Kilometer zum nächsten »borehole« zurückgelegt werden müssen. Schule und medizinische Versorgung sollten innerhalb einer Reichweite von einem Kilometer verfügbar sein. Toiletten werden gebraucht, wenn die Bevölkerungsdichte zunimmt und die Möglichkeiten, den Stuhlgang in der Natur zu verrichten, eingeschränkt sind. Der Bedarf an zusätzlichen öffentlichen Toiletten sowie privaten Toiletten auf dem »compound« ist dringend, weil sich die Menschen nicht an die Benutzung der öffentlichen Toiletten gewöhnt haben. Wo sie existieren, kann ich beobachten, dass sie nicht benutzt wurden. Teilweise lag das daran, dass sie zu weit entfernt waren, dadurch gefährlich in der Dunkelheit, und in der Tat gab es wohl Tötungen und Vergewaltigungen, die damit zusammenhingen. Deshalb gingen die Menschen weiterhin in die Natur und ins Feld für die Verrichtung ihrer natürlichen Bedürfnisse. Besonders nachts werden die Verrichtungen nach wie vor in der Nähe des Hauses durchgeführt. Tagsüber geht man schon mal eher auf die öffentliche Toilette, besonders die Frauen. Männer bevorzugen nach wie vor die Natur. Als Wochenmärkte eingeführt wurden, hat man auch Transportsysteme und Busstationen eingerichtet, damit die Märkte besser erreichbar waren. An den Stationen gab es auch Wasser und Verkaufspunkte, sodass die Notwendigkeit öffentlicher Toiletten offensichtlich wurde. Die Regenperiode bringt immer Choleraausbrüche mit sich, weil diese Krankheit durch Wasser und Kot über Hände und Mund übertragen wird. Deshalb wird auch immer wieder
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öffentlich darauf hingewiesen: »Don’t defecate near drinking water«. Wer Zugang zu Toiletten hat, sollte sie auch benutzen. Wer in die Natur geht, sollte eine Hacke mitnehmen, ein Loch graben, defäkieren und wieder zuschütten. Als effektivste Lösung gilt gegenwärtig die KVIP (»Kumasi Ventilated Improved Pit«), die von den meisten Schulen in der Region bevorzugt wird. Ich selbst habe allerdings während meiner Aufenthalte nur offene Toiletten vorgefunden, deren Gefahr für Ansteckungen bekannt ist. Manchmal sind intuitive, indigene und bewährte Lösungen wie die Hacke im Feld die einfachsten und sichersten.
5.1.9 Bevölkerungsentwicklung und Wasser in Bongo und der »Upper East Region« »Upper East Region«, Capital Bolgatanga, Distrikte: Bongo, Bolgatanga, Kassena-Nankana West, Kassena-Nankana, Builsa, Talensi Nabdam, Boku West, Gurutin Pani. Bongo District, »villages«: Bongo-Soe, Bongo Beo, Adaboja, Zoko, Namoo Valley, Balunbu, Bongo Central. Die Population von »Upper East Region« lag im Jahr 2000 bei 77.885, 2010 bei ca. 120.000 Personen. Das bedeutet ein Bevölkerungswachstum von mehr als 50 Prozent in weniger als zehn Jahren. Die Gründe hierfür sind eine geringere Kindersterblichkeit, eine wachsende Geburtenrate und eine höhere Lebenserwartung, weil Menschen älter werden und die Sterblichkeitsrate aufgrund besserer Nahrungs-, Wasser- und medizinischer Versorgung sinkt. Eine geringe Migration und bessere schulische Versorgung ergänzen das Bild einer Region, die sich mit Hilfe nationaler Anstrengungen, unterstützt von lokalen und internationalen NGOs und internationaler Hilfe, in den letzten 30 Jahren stark verändert hat. Was dennoch oder deshalb fehlt ist »attitude«, so Benedicta, d.h. »ownership«, »responsibility«, »initiative«, »interest«, vor allem von Seiten der Regierung und der örtlichen Verwaltung.
Lebensqualität und Wasser versorgung: »Life prior to borehole and dam« Wir kehren zurück zu einem der Älteren unter einem Baobab-Baum und sprechen von früher, also der Zeit vor dem Dammbau und der Einrichtung von »boreholes«. Er gehört zum Akanzire-Klan. Sie waren hier nach eigener Aussage »for a thousand years«, solange sie zurückdenken können. Sie wurden später Anaaba und jetzt Abaa Anaaba genannt und wohnen jetzt auf vier »compounds«. Wir sitzen wie beim letzten Mal, pflücken, öffnen und entkernen Erdnüsse. Wir haben Kolanüsse als Geschenk dabei. Insgesamt, so sagt er, sei das Leben besser und die Landwirtschaft einfacher geworden. Der leichte Zugang zu Trinkwasser helfe. Aber manchmal hat man den Eindruck, dass sogar mehr Leute als früher sterben, weil es so viele neue Krank-
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heiten zu geben scheint, von denen sie früher nichts wussten. Ob früher mehr oder weniger gestorben sind, kann er nicht sagen. Aber es gibt wesentlich mehr »compounds« in der Umgebung als früher. Sein Vater hatte eine Frau, jetzt haben er und sein Bruder jeder je drei Frauen. Der Sohn (nächste Generation, Mitte 20, mit Handy und Moped) hat nur eine Frau und fünf Kinder. Er will nicht mehr Frauen, weil das teuer sei, vor allem die Erziehung der Kinder. Vor dem Bau des Damms mussten sie das Wasser von einem »dug-out«, der wannenähnlichen Aushebung, im Fluss holen. Die Frauen waren, oft die ganze Nacht, abwechselnd damit beschäftigt, Wasser zu finden und ins Haus zu bringen. Das Wasser war gut, wurde für alles verwendet. Die Tiere wurden zu einem getrennten, großen »dug-out« als Tränke geführt. Später hatten sie einen Brunnen. Dort wurde Wasser geschöpft, das dann nachsickerte. Danach konnte wieder geschöpft werden. Sie hatten das ganze Jahr über Wasser. Es hat nur lange Zeit gedauert, es zu schöpfen und nach Hause zu bringen. Die Nahrungsmittel waren von gleichbleibender Qualität, aber jetzt ist eine größere Menge verfügbar. Man kann sich insgesamt mehr leisten. Der junge Mann wendet ein, dass es schwer ist, Arbeit zu finden gegen Bezahlung, und man braucht einfach Geld für die vielen Dinge, die man haben will. Er wird auf dem Handy angerufen und spricht, bis wir uns später verabschieden. Die Gesichtsnarben hatten alle Frafra oder Grushie als Erkennungszeichen. Jetzt soll man das nicht mehr tun, weil man bei der Behandlung ja Blut verliert. Aber gegen Krämpfe wird vorbeugend und behandelnd immer noch ein Schnitt auf der linken Wange angebracht und mit traditioneller Medizin und Kräutern geheilt. Wir erhalten zum Abschied Eier, die wir in heißem Wasser kochen und zum Frühstück verzehren.
5.1.10 Markttag Jedes Dorf hat im dreitägigen Rhythmus einen Markttag, an dem alles verkauft wird, was in der Region gewonnen, hergestellt und für das tägliche Leben gebraucht wird. Die Markttage sind aber auch Veranstaltungen, an denen viel sozialer Kontakt und Austausch stattfindet, getrunken, musiziert, gehandelt, gelacht und geredet wird, eben »community« stattfindet. Das ganze Leben spielt sich dann auf der Straße ab: Ziegen und Gewürze Verkaufen, Kolanüsse Tauschen, Nüsse Rösten, Pfeife Rauchen, Hirsebier Genießen, Haare Richten, Färben, Waschen, Bart- und Haareschneiden beim Barbier, Essen, Kochen, Verkaufen und Verzehren.
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Abbildung 16+17+18
5.1.11 Hausbau Der 18-jährige Sohn, verheiratet, keine Kinder, dessen Frau auf dem Markt Getreide verkauft, ist umgeben von einem halben Dutzend kleiner Kinder und baut ein Haus. Anwesend sind noch zwei Frauen mittleren Alters, Tanten, deren Männer gestorben sind, und eine ältere Frau, die Großmutter des jungen Mannes. Die Arbeit wird vom jungen Mann und den Kindern verrichtet. Sie sind dabei, eine Erweiterung des im Hof vorhandenen Gebäudekomplexes zu errichten. Es handelt sich um ein Zimmer mit Küche und einen Stall für die Perlhühner. Das Zimmer mit Küche besteht aus einem größeren und einem kleineren Raum, die durch Türen verbunden werden und durch den Küchenraum zugänglich sein sollen. Der Stall besteht aus einer rechteckigen Einfriedung und einer Rundkonstruktion, abgedeckt und mit ebenerdigen Öffnungen, damit die Perlhühner rein und raus gehen können zum Ruhen, Eier Legen und Brüten. Das Ganze ist Teil einer neuen Hausanlage, die gebaut wird, weil die alte, 50 Meter weiter gelegene, zu eng geworden ist für die wachsende Familie. Zur Vorbereitung wird eine Vertiefung in die Erde gegraben. Die Erde wird aufgelockert und mit einer Hacke in kleine Teile gestochen und gestoßen. Die Erde wird mit Wasser angemischt, das in Kanistern bereitsteht, mit der Hacke vermischt und mit den Füßen zu Matsch getreten. Aus dem Matsch werden handballgroße Klöße geformt, die von den Kindern zu der Stelle gebracht werden, an der der junge Mann gerade baut.
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Er ist gerade an der dritten Lage. Die erste Lage wurde vor fünf Tagen, die zweite vor drei Tagen gelegt. Jede Lage ist ca. 50 Zentimeter hoch, bildet den Grundriss ab und wird an einem Tag aufgebaut. Die Konstruktion muss dann zwei Tage trocknen bevor die nächste Lage aufgebaut werden kann. Auf diese Weise kann innerhalb von zwei Wochen die Wandkonstruktion stehen. Darauf wird mit Balken und Stroh das Dach gelegt. Für das Dach gibt es neuerdings auch Zinkblech, das geneigt aufgelegt wird, länger hält und besser vor Wasser schützt. Flachdächer, die auch zum Begehen gedacht sind und zum Schlafen und Lagern benutzt werden, sind stabile Holz- und StrohKonstruktionen, die mit Lehmerde ausgekleidet und stabilisiert werden. Sie können nach dem Trocknen und Verschmieren Wasser auffangen und Menschen tragen. Die Häuser sind sehr stabil, solide gebaut, leicht erweiterbar und schnell fertig. Sie können flexibel der Familiensituation angepasst werden, haben eine schöne, dunkle, rotbraune Färbung und müssen wegen Wasserschäden alle fünf bis zehn Jahre erneuert bzw. neu errichtet werden, weil sie sonst schnell zerfallen.
Hausbau
Ein »compound« besteht aus einem Zimmer für den Haushaltsvorstand, einem Zimmer für jedes weitere erwachsene Familienmitglied, Ställen für die Hühner und die Perlhühner, Speichern für Korn und Hirse, die von oben begeh- und beschickbar sind. Jede Frau in der Familie hat einen eigenen Bereich, meist mit eigener Küche und Vorratshaltung. Das »compound« hat einen ge-
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meinsamen Waschraum für die zweimal tägliche Ganzkörper-Waschung. Im hier beschriebenen Fall ist der Waschraum noch im anderen Haus und wird bereitwillig vorgeführt. Gebadet wird zweimal am Tag, abhängig von der Tätigkeit auch öfter, hier ohne Seife, weil keine vorhanden ist. Jeder wäscht seine eigene Wäsche, meist zweimal wöchentlich, auch abhängig von Tätigkeit und Verschmutzung. Zum Bauen beispielsweise ziehen die Beteiligten mehrmals die bereits verschmutzten Kleider an, so dass weniger Wäschewaschen notwendig ist. Anders ist das, wenn sie auf den Markt oder in die Schule gehen. Für diese Familie ist keine Landwirtschaft während der Trockenzeit möglich, weil in der Nähe des Hofes kein geeignetes Gelände zur Verfügung steht, generell das Land knapp ist, aber auch weil während der Trockenzeit viele andere Tätigkeiten durchgeführt werden müssen. Hierzu zählen Erweiterungsbauten, Reparaturen, sowie Bearbeitung, Trocknung, Lagerung und Verwertung der Ernte (Körner, Mehl, Stroh und Nüsse). Als Toilette wird die Einrichtung in der nahe gelegenen Schule benutzt. Sonst geht man ins Feld, gräbt sich mit der Hacke ein Loch, defäkiert und deckt das Loch wieder zu. Offene Defäkation gilt als gefährlich, weil menschliche Fäkalien Fliegen stärker anziehen als tierische und durch Fliegen Krankheiten übertragen werden. Warum menschlicher Dung nicht genauso verwendet wird wie tierischer, was mit dem Dung der Schule geschieht, darüber herrscht Unklarheit.
5.1.12 Beerdigung Eine 28-jährige Frau, die an Asthma gestorben ist, wird in Anwesenheit von mehreren hundert Trauergästen bestattet. Die Feierlichkeiten entsprechen dem katholischen Ritual und werden gefolgt von traditioneller Bewirtung mit Essen und Trinken, Tanz, Musik, Empfang und Entgegennahme der Kondolenzbekundungen. Die Besucher kommen auch mit Bussen und auf Lastwagen aus Bolgatanga, wo die Verstorbene als Händlerin gearbeitet hat. Sie wird auf dem Grundstück der Familie in Bongo-Soe begraben. Das Grab ist nach katholischer Tradition rechteckig. Es wird ausgehoben, und nach der Sargbestattung mit feuchtem Lehm und Erde bedeckt und versiegelt. Oft werden zusätzlich noch traditionelle runde Mausoleen gebaut, die wie Krypten begangen werden können und auch abgedeckt und versiegelt werden.
5.1.13 Unter dem Baobab-Baum Wir finden eine Familie unter vier riesigen Baobab-Bäumen auf einer Anhöhe mit Blick auf den Damm und das Stauwasser. Am Haus finden sich Reste von Federn, Spuren einer Opferdarbietung an einer runden Plattform mit Erhöhungen für die Geister- und Ahnenverehrung. Es handelt sich vermutlich um das Haus von Traditionalisten, Anhängern der animistischen und Natur-
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Religionen. Auf der Farm leben zwei Brüder mit ihren Familien. Jeder hat drei Frauen und viele Kinder. Es leben insgesamt ca. 50 Personen auf dem Anwesen. Sie sitzen unter dem ältesten und mächtigsten der Baobab-Bäume, pflücken und pulen Erdnüsse, die sie zehn Kilometer entfernt gekauft und mit dem Eselswagen hergebracht haben. Der ältere Bruder führt das Gespräch. Die junge (dritte) Frau arbeitet. Die zweite Frau ist auf dem Markt. Wir sind schnell von 15 Kindern umringt, von sehr kleinen bis zu einem 14 Jahre alten Mädchen, das englisch spricht, auf die »secondary school« geht und nach eigenem Ermessen eine gute Schülerin ist. Die junge Frau erwartet ihr nächstes Baby. Viele der Kleinen haben Hungerbäuche. Alle haben Narben auf der linken Wange, weil sie von einem Medizinmann der »community« mit einer traditionellen Medizin gegen Krämpfe behandelt wurden, gegen Babystarre, die zu Epilepsie führen kann. Ein zwölfjähriger Junge hat sonnenstrahlenförmig angeordnete Narben rund um den Nabel, die auch von einer traditionellen medizinischen Behandlung herrühren. Eine Kombination von moderner und traditioneller Medizin ist üblich. Die Kinder werden geimpft, die Menschen besuchen zuerst den Arzt für Untersuchungen und Behandlungen, nutzen die von der Schule und dem amtlichen öffentlichen medizinischen Dienst angebotenen Leistungen. Daneben werden auch traditionelle Naturheilverfahren verfolgt, vor allem dann, wenn die moderne Medizin nicht mehr weiterhilft. Ihr traditioneller Medizinmann hat von seinen Ahnen gelernt, geht in die Natur, sammelt medizinische Kräuter und Wurzeln, verarbeitet diese und wendet sie nach traditionellen Verfahren und Rezepturen an. Er ist ein Teil der »community«. Die Menschen wissen von seinen Fertigkeiten und nutzen sie. Aber seine Behandlung ist nicht offiziell oder öffentlich.
5.1.14 Krokodil-Totem Plötzlich kommen Kinder mit einem halben Lamm, das noch blutig ist. Es wurde von einem Krokodil angegriffen, das die Hälfte gefressen hat. Es gibt viele Krokodile am Damm und im See. Sie dürfen nicht getötet und ihr Fleisch nicht gegessen werden. Verstorbene Menschen werden dem lokalen Glauben nach als Krokodile wiedergeboren, und man soll schließlich auch keine Menschen töten und essen. Hier finde ich sie wieder, die Krokodile, die mir schon in Ouagadougou begegnet sind. Sie werden angebetet, als Ahnen verehrt und als heilig angesehen. Es gibt Menschen, die Krokodile töten, und solche, die ihr Fleisch essen. Die Familien hier tun das nicht. Für sie ist das Krokodil ihr Totem. Sie würden auch andere daran hindern, ihre Krokodile zu töten. Aber sie können nicht verhindern, dass Menschen das Fleisch von toten Krokodilen essen. Die Krokodile sind friedlich. Die Kinder sind nicht in Gefahr, weil sie wissen, mit ihnen umzugehen. (Mehr zum Krokodil-Totem in Kapitel 5.1.24).
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5.1.15 Leben im »compound« Wir besuchen einmal mehr den »compound« und den Farmer unter dem Baobab Baum. Alle helfen mit beim Erdnuss Pulen, während wir reden. Inzwischen sind auch vier Männer mittleren Alters (25 bis 35 Jahre) von nahe gelegenen Farmen angekommen. Sie führen durchs Gelände, zum Waschhaus, in dem keine Seife zu finden ist, einem bunten Gemisch von Menschen und Tieren. Zum »compound« gehören ca. 30 Menschen, zwei Esel, 25 Kühe, 50 Schafe und Ziegen, Schweine, Hunderte von Hühnern und Perlhühnern, deren Küken, Truthahn, Hund und Katze. Der »Alte« erzählt weiter. Er prüft dabei Eier mit dem Auge durch eine Höhlung, die er mit Zeigefinger und Daumen bildet. So weiß er von welchem Huhn das Ei gelegt ist, ob es angebrütet oder frisch ist, und er erkennt seine Qualität. Wir erhalten 20 Eier als Geschenk (so ist es Brauch), das wir als Besucher auch nicht ablehnen dürfen. Sie holen das Wasser am Brunnen mit Pumpe auf dem eigenen Gelände oder von einem »borehole«, das ca. 500 Meter entfernt liegt. Das »borehole«Wasser kommt aus einer größeren Tiefe und aus dem Grundwasser, ist von besserer Qualität, aber mühsamer zu beschaffen. Meist wird das Wasser vom eigenen Brunnen geholt. Am Ende der Trockenperiode, wenn der eigene Brunnen austrocknet, wird das weiter entfernt gelegene »borehole« benutzt.
Wäschewaschen
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5.1.16 Abends am »borehole« Ich sitze und beobachte. Kinder kommen. Ich fange an, mich mit ihnen zu unterhalten. Ein 16-jähriger Junge studiert »Science« an der »Secondary school«. Er erzählt mir über Pest, Parasiten auf Pflanzen, die in den Körper eindringen und dort Krankheiten verursachen. Er erwähnt den Guineawurm. Viele der Kinder haben Läuse, die behandelt werden mit weißem Puder. Einige sind erkältet. Durchfälle sind selten. Das Wasser aus der Pumpe? Keine Ahnung woher das kommt! Regen? Keine Ahnung von Verdunstung, Wolkenbildung, Niederschlag. Der Junge ist interessiert, was ich ihm zu erzählen habe, fragt nach, hat aber keine Vorkenntnisse. Ich pumpe eine halbe Stunde, fülle mehrere Behälter unterschiedlicher Art (Schüsseln, Kanister und Eimer). Alle haben Spaß, lachen und wundern sich über mich. Jungs wollen hin und wieder selber pumpen, Frauen bedanken sich. Was mit acht Jugendlichen und Kindern anfing, endet mit 22 Personen, unter anderem auch Eltern. Sie alle erzählen gern über Wasser und ihren Gebrauch. Sie waschen sich alle früh morgens und abends, weil sie schwitzen, wegen des Schmutzes überall, manchmal auch mittags, und die Frauen noch öfter. In der nahen Schultoilette liegen überall Stuhlgangreste herum. Keiner weiß, wie die Abfälle später verwendet werden. Nach der Toilette müssen immer die Hände gewaschen werden (mit Seife), weil der Stuhlgang Krankheiten übertragen kann. An der Schule gibt es auch einen Wassersammel-Tank, der während der Regenzeit das Wasser vom Dach in eine Tonne leitet und dort sammelt.
5.1.17 Beim Beo-»chief« kochen und Bier brauen Beim Beo-»chief« vollziehen wir zuerst einmal die lange, traditionelle Vorstellungsprozedur. Die Besucher sprechen zum »Elder«, der zum »chief«, der antwortet dem »Elder« und der wiederum Jacob, dem Vertreter der Besucher. Der spricht wieder mit dem »Elder«, welcher den »chief« anspricht und dem »Elder« antwortet usw. Dann schließlich darf Jacob mich vorstellen. Und am Ende bin ich dann selbst aufgefordert, mich vorzustellen. Dann reden wir über Traditionen, das Leben im Allgemeinen, das in Bongo, in Europa und in Burkina Faso im Besonderen. Der »chief« spricht gut französisch und englisch, hat lange in Ouagadougou gelebt, bevor er als »chief« zurückkam, um die Nachfolge seines Vaters anzutreten. Er ist »chief« für mehrere Dörfer an der Grenze zu Burkina. Sein Vater hatte zwölf Frauen, sehr viele Kinder, und er muss sich noch immer um diese und ihre Familien kümmern. Er selbst hat nur eine Frau und zwei Kinder. Das Haus ist eine große Anlage, zerfällt aber zusehends. Obwohl wir unangemeldet vorbeigekommen sind, ist er äußerst gastfreund-
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lich, zeigt uns das ganze Haus mit allen Teilen, die Schlaf- und Kochstätten, seine eigenen Schlafräume, die seiner Frau, die runden Räume für die Lagerhaltung. Er lässt mich auf das Dach, um den Ausblick zu genießen, zeigt uns Waschräume, die Grabstellen der Vorfahren, die Ritualplätze für Geister- und Ahnenopfer. Die Frau kocht Fufu, aus Mehl mit Wasser. Er zeigt uns, wie er aus Hirse eine Art Met oder Kwas braut: Ansetzen in Wasser, Gären lassen, Kochen, Maische Absieben, setzen Lassen, Kochen, weiter Gären, Absieben. Es wird aus Kalebassen getrunken und schmeckt wie frischer Wein, Apfelwein oder russischer Kwas.
Kochen
Seine Familie hat die Ziege als Totem. Sie können Ziegenfleisch essen, aber nicht in das Innere vom Fell hineingreifen. Er weiß vom Krokodil als Totem vieler Familien. Es gibt so viele Krokodile im Damm, dass er droht, leck zu schlagen. Andere sagen, der Damm sei nicht in Gefahr, solange er an der Leeseite bewachsen und so gesichert ist. Aber Krokodile sind heute auch eine Gefahr für Menschen, weil diese verlernt haben, mit ihnen umzugehen, weil sie die Krokodile bedrohen und viele Menschen ihnen nachstellen, sie verfolgen, töten und essen. In Koudougou und Sagou in Burkina Faso findet, wie bereits erwähnt, vom 25. bis 29. November ein Krokodil Festival statt (»nuit atypique«, mit internationaler Beteiligung, Musik, Tanz und Performance). Der »chief« erzählt auch vom Regenmacher-»chief«. Dessen Familie wird besucht, um für Wasser und Regen, einen »Stopp« des Regens zu bitten. Er
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erhält dafür Hirse, die er aber auch wieder verteilen muss. Weil er das einmal nicht anständig gemacht hat, wurde ihm die Gefolgschaft versagt. Der Regenmacher-»chief« ist der »chief« von Namoo (dazu später mehr, siehe unten 5.1.27). Das Leben ist nach dem Bau des Damms wesentlich einfacher geworden hinsichtlich Bauvorhaben, Viehzucht, Feldbewässerung und »dry season farming«. Vor allem die Qualität des Wassers hat auch die Lebensqualität verbessert. Es gibt heute viel mehr »boreholes«. Früher war der Brunnen vor seinem Haus die Hauptwasserversorgung. Der ist auch immer wieder mal trocken geworden am Ende der Regenzeit. Und die Menschen mussten dann viele Kilometer für Wasser gehen. Jetzt ist die »borehole«-Dichte wesentlich besser. Einziges Problem ist ein zu hoher Fluorid-Anteil, der bei vielen »boreholes« festgestellt wurde. Das führt zu braunen Zähnen, weichen Knochen und Gliederverkrümmungen. Das Wasser müsste entsprechend behandelt werden, was aber noch nicht überall möglich ist.
5.1.18 Ver wendungen Ich bin zu Besuch im Unterricht einer Klasse von 80 Jugendlichen, gemischtgeschlechtlich, zwischen zwölf und 14 Jahren. Die »Science«-Lehrerin leitet das Gespräch, führt ein und beteiligt sich. Am Anfang steht die Frage, ob am gleichen Vormittag schon Wasser verwendet wurde und woher das Wasser stammt. Jede der Aktivitäten wird gespielt und vor der Klasse vorgeführt. Anschließend folgen Fragen nach dem Woher des Wassers, sowie Erläuterungen und ein Experiment zu Verdunstung, Regen und Niederschlag. Alle Schüler und Schülerinnen bestätigen, dass sie heute schon Kontakt mit Wasser hatten. Die meisten hatten auch schon am »borehole«, ein Drittel am Brunnen, Wasser besorgt. Begeistert und mit viel Freude zeigen sie vor der Klasse, wie sie das Wasser gepumpt, Behälter gefüllt und sie nach Hause getragen haben. Dabei stellt sich heraus, dass Mädchen Schüsseln verwenden und sie auf dem Kopf nach Hause tragen. Jungen verwenden Kanister oder Eimer und tragen diese beidhändig nach Hause. Weil der Unterschied für mich verwunderlich ist, entspinnt sich eine lebhafte Diskussion, warum Jungs keine Schüsseln auf dem Kopf tragen können. Sie würden nur den Inhalt verschütten, die Schüsseln würden vom Kopf fallen, Jungs können einfach nichts auf dem Kopf tragen, sie lernen das einfach nicht (sagen die Mädchen). Die Jungen behaupten dagegen, auf dem Kopf tragen, das machen nur Frauen. Männer machen das einfach nicht, das sei etwas typisch Weibliches. Es stellt sich dabei auch heraus, dass Jungen nichts in der Küche zu suchen haben (in vergangenen Zeiten durften Jungen beim Kochen nicht einmal zuschauen) und deshalb mit Schüsseln und Töpfen nicht umzugehen wissen. Jungen lernen mit Eimern und Kanistern zu hantieren, zum
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Beispiel bei der Landwirtschaft und anderen Aktivitäten im Freien. So wird schon früh eine soziale Rolle eingeübt, Mädchen gehören in, Jungen außer Haus. Überhaupt arbeiten Frauen mehr als Männer. Sie übernehmen alle Aktivitäten der Subsistenz, inklusive dem Gartenbau, Feldbau, der Geflügelzucht und Marktaktivitäten. Es folgt eine Einheit, in der die Mädchen erklären und vor der Klasse vorführen, wie sie verschiedene Gerichte zubereiten. Ein Mädchen führt vor, wie sie Reis wäscht, die Körner in eine Schüssel füllt, Wasser dazu gießt, schwenkt, das Wasser abgießt, diesen Vorgang zweimal wiederholt, dann den Reis mit Wasser in einem Topf auf das Feuer stellt, Gewürze hinzufügt und kocht. Ein anderes Mädchen zeigt, wie Tz (»tuo-zafi«), ein dicker Brei aus gemahlenem Mais oder Hirse, hergestellt wird. Die Körner werden klein und zu Mehl gestoßen, mit etwas Wasser angerührt, das Ganze in einem Topf auf dem Feuer erhitzt und unter Umrühren zu einem Brei verarbeitet. Dabei wird immer wieder Wasser nachgefüllt, Mehl dazu gerührt, erhitzt und so weiter, bis die Menge erreicht ist, die für eine Mahlzeit gebraucht wird. Es gibt zwei Formen, Banku wird aus eingeweichtem Mais, Tz aus trockenem Mehl von Mais oder Hirse hergestellt. Viel Spaß entsteht bei der Vorführung des Körperreinigungsvorgangs. Zunächst schütten die Kinder Wasser über den ganzen Körper. Sie benutzen eine Art Schwamm, ein Netz, das zu einem Knäuel geformt wird. Damit wird der ganze Körper geschrubbt. Früher wurden dafür auch Wurzeln von Bäumen verwendet. Seife kommt zum Einsatz, wenn welche im Haus ist. Die Mädchen waschen zuerst ihre Unterhose und hängen sie zum Trocknen auf. Dann kommt Seife auf den Schwamm und es wird nacheinander der Kopf, das Gesicht, Rücken, Brust, Bauch, Füße und der Intimbereich, vorne und hinten (diese Vorführung erfolgt unter viel Gekicher) gewaschen, anschließend mit Wasser abgespült. Der Vorgang findet zuhause statt. Jungs reinigen sich auch mal am »borehole«. Auch zum Zähneputzen braucht man Wasser. Meistens werden die Zähne mit der Bürste gereinigt (bei ca. zwei Dritteln der Kinder). Einige nehmen Holzstöckchen, kleine Stücke vom Ast eines Baumes (»Nim tree«), die beim Reinigen der Zähne eine Art hölzerne Bürste bilden. Wenn Zahncreme vorhanden ist, wird auch sie verwendet. Ansonsten kommen Salz, Holzkohle und Sand zum Einsatz. Neben Bürste und Stöckchen werden oft auch einfach die Finger benutzt. Zum Händewaschen wird Seife, Asche und Wasser, oder einfach nur Wasser verwendet. Die Mehrheit, ca. zwei Drittel, nimmt keine Seife. Die Hälfte der Kinder bzw. Jugendlichen wäscht sich die Hände auch zwischendurch nach der Defäkation oder vor dem Essen. Auch der Hausbau wird vorgespielt. Beim Thema Feldbewässerung wird der Produktionsfortschritt hervorgehoben aber auch die Möglichkeit der Verschwendung von Frischwasser erwähnt. Die Verwendung von gebrauchtem Wasser wird kontrovers disku-
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tiert. Getrunken wird überwiegend das Wasser aus dem »borehole«, aber auch aus Sachets. Wasser aus der Flasche ist zu teuer. Sie trinken auch direkt vom »borehole«, aus Schalen oder der »calabash« (Kalebasse). Man macht sich keine Sorgen wegen der Hygiene. Das Wasser ist gut. Mit Krankheiten haben sie keine besonderen Probleme. Sie behaupten, immer die Hände zu waschen nach der Defäkation. Meistens ist keine Seife vorhanden, und sie geben auf genauere Nachfrage hin auch zu, dass sie das Händewaschen oft vergessen. Hände werden auch vor und nach dem Kochen, Malen und Schreiben mit Kreide und nach der Feldarbeit gereinigt. Bei der Frage über die Herkunft des Wassers im »borehole« gibt es nur betretenes Schweigen und ahnungsloses Schulterzucken. Von einem Fluss, See oder dem Regen? Und wie kommt der Regen ins »borehole«? Auch dazu haben die Kinder bzw. Jugendlichen keine Vorstellung oder Ideen. Wir machen einen Versuch mit heißem Wasser im Glas, dieses wird abgedeckt mit einer durchsichtigen Plastikfolie. An der Folie bildet sich sofort Kondensat, das nach kurzer Zeit größere Tropfen bildet. Mit Interesse wird verfolgt, wie Wärme (die Sonne) das Wasser erhitzt, verdunstet und in Wolken sammelt, um es als Regen wieder abzugeben. Wie das Wasser aus dem »borehole« sauber wird, erklärt ein Junge. Es fällt auf die Erde, versickert, geht durch mehrere Schichten, bis es ganz weit im Grundwasser sauber gesammelt wird. Der Test zur Wasserreinigung durch ein mit Sand gefülltes Sieb gelingt nur teilweise. Der grobe Schmutz wird aufgefangen, aber das Wasser wird nicht vollständig klar. Dazu müsste der verwendete Sand noch sauberer sein oder ein Filter benutzt werden. Ich besuche eine weitere Klasse mit 75 Kindern zwischen 14 und 16 Jahren im »Science«-Unterricht mit ihrem Lehrer. Sie geben alle an, in der Frühe schon Wasser für das »bathing« benutzt zu haben. In dieser Klasse waren weniger Jugendliche selbst am »borehole« oder Brunnen. Einige hatten noch Wasser von gestern, einige aus der Klasse gehen auch zum Damm um Wasser zu holen und für die direkte Körperreinigung. Die Klasse ist insgesamt kritischer hinsichtlich der Wasserqualität. Einige meinen, das Wasser sei nicht sauber. Es schmecke nach Chlor, enthalte Chemikalien, sei oft kontaminiert, hart und sei oft verfärbt. Einige Schüler aus der Klasse wissen auch von trockenen »boreholes« und Brunnen am Ende der Trockenzeit zu berichten. Dann sinkt das Grundwasser und es gibt »boreholes« und Brunnen, die austrocknen. Wie bei der ersten Gruppe wird Wasser zum Waschen, Kochen und Zähneputzen verwendet. Es gibt kaum Vorstellungen über die Herkunft und die Entstehung von Wasser. Der Verdunstungstest wird mit Interesse verfolgt. In dieser Klasse behauptet ein Schüler, dass Feldbewässerung eine Verschwendung von Wasser darstellt. Daraufhin erweitert sich das Thema auf andere Arten von Verschwendung und den Gewässerschutz. Als Beispiel wird die Autowäsche genannt. Sie sei eine Wasserverschwendung und führe, wenn sie
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am Damm stattfinde, auch noch zu einer Verschmutzung von Frischwasser. Weitere Beispiele für Verschmutzungen sind Waschen und Baden am Damm, wenn das verschmutzte Wasser wieder in den Damm zurückgeleitet wird, die Verschmutzung durch Chemikalien, und insbesondere der Fischfang mit Hilfe von Schädlingsbekämpfungsmitteln. Hierfür wird DDT, ein besonders gefährliches Gift, dessen Verwendung noch nicht verboten ist, in kleinen Mengen ins Wasser geschüttet. Die Fische sterben und können dann von der Wasseroberfläche abgefischt werden. Als weitere Beispiele für Verschwendungen werden zu viel Baden und die Benutzung von Leitungswasser zum Duschen oder zum Bewässern genannt.
Bongo-Soe Junior Highschool Ich führe ein Gruppengespräch mit zehn Jungen und Mädchen im Alter von zehn bis zwölf Jahren, aus der Nähe des Damms und des Bewässerungsprojektes. Alle, mit der Ausnahme eines Mädchens, waren morgens schon am »borehole« oder Brunnen. Alle hatten sich morgens gewaschen (»bathing«), Zähne geputzt, und alle hatten schon Wasser getrunken, ein Mädchen aus dem »storage tank« vom Vortag. Sie verwenden alle einen Schwamm, einige auch Seife. Es findet kein »lazy bathing« statt. Die Zähne putzt die Hälfte mit Bürste, die andere Hälfte mit Stöckchen. Von den Bürstenverwendern nehmen zwei keine Zahncreme, zwei kein Wasser, und ein Mädchen nimmt eine Bürste aus Kenef-Blättern. Viele hatten früh morgens schon gekocht, zum Beispiel Tz mit Okra- oder Erdnuss-Suppe, Kaffee, Reis oder Kusa-kusa. Der Reis wird vor dem Kochen gewaschen. Es handelt sich um Jollof-Reis. Er wird mit Öl in der Pfanne angebraten. Dann werden Kräuter, Gewürze und Zwiebeln hinzugefügt, gegart, Wasser zugefügt und das Ganze gekocht. Kusa-kusa wird aus Sojabohnenmehl hergestellt. Das Mehl wird in Wasser angerührt und zu kleinen Bällen geformt. Beim Kaffee handelt es sich um »Milo Instant 3 in 1«, der ebenfalls mit heißem Wasser angerührt wird. Die Wiederverwendung von gebrauchtem Wasser ist ungewöhnlich. Ideen zur Wiederverwendung werden auch nicht vorgebracht. Vorschläge aus früheren Gruppen (an Tiere Füttern, Küchentöpfe Reinigen, Pflanzen, Bewässerung und Wäschewaschen) erscheinen nachvollziehbar, ihnen wird nicht widersprochen. Wie Wasser in das »borehole« kommt, wissen zwei der Schüler. Die anderen haben diesbezüglich keine Idee. Die Hälfte vermutet, dass es vom Regen kommt und ein Drittel erwähnt die Verdunstung in der Küche. Nach dem sinnlichen Erlebnis von Wasser gefragt, geben die Kinder folgende Auskunft: Wasser ist geschmacklos, nach einer Nennung schmeckt es süß. Andererseits schmeckt das Wasser aus der Leitung, aus dem Brunnen, Fluss, »borehole« oder Sachet jeweils anders. Wasser hat keinen Geruch, oder doch? Es fühlt sich nass an, meist frisch, aber auch heiß oder kalt. Und Wasser macht Geräusche (»tschtsch«, »gloogloo«).
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5.1.19 Wasser und Entwicklung: »Lunch Talk« mit Jacob Jacob ist Grushie aus Biu. Er ist ca. 50 Jahre alt, ehemaliger Lehrer, verheiratet, hat drei Kinder, ist katholisch und meist begleitet von Selina, einer 22-jährigen »Highschool«-Absolventin. Er hat den aktiven Schuldienst quittiert und beschäftigt sich jetzt verstärkt mit administrativen Aufgaben und Forschung rund um Wasser. Er hat zusammen mit Wolfram Laube vom Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) in Bonn an Landverteilungsproblemen und -konflikten gearbeitet und zu Landbewässerungsmaßnahmen und deren Auswirkungen auf Lebensunterhalt und Einkommen geforscht. Für die Verwaltung und die »chiefs« im eigenen Distrikt hat Jacob die Wünsche und Nöte der Menschen erfragt und die Ergebnisse einer »District Development Commission« unterbreitet. Dabei stehen Toiletten, Zugang zu Gesundheitsdiensten und Zugang zu Schulen und Ausbildung an erster Stelle, nachdem der Zugang zu Wasser gewährleistet ist. Er hat auch geholfen beim Messen des Grundwasserspiegels und der Wasserqualität und hat die Wasserauf bewahrung und den Anbau in der Trockenzeit (»farming in dry season«, »landownership«, »distribution of land«, »clearing«, »nursing«, »transplanting«, »fertilizing«, »harvesting« und »marketing«) untersucht. Der Kontakt wurde vom ZEF hergestellt. Jacob spricht die lokale Sprache in Bongo und war mir durch seinen Erfahrungsreichtum und seine Sprachkenntnisse ein wichtiger Übersetzer, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Ein großes langfristiges Problem der Dämme sind die Silt- und Sand-Ablagerungen. Sie entstehen durch Einschwemmung von Sand und Erde und füllen den See langsam auf. Durch diese Einträge versandet und vermoost die Wasserfläche am Damm. Der Damm füllt sich immer mehr auf und fasst immer weniger Wasser. Er kann schließlich wie ein Biotop zuwachsen und seine Funktionalität vollständig verlieren. Im Prinzip muss jeder Damm regelmäßig ausgebaggert oder am Ende der Trockenperiode wieder ausgegraben werden. Das kann maschinell oder manuell geschehen. Der Aushub kann wieder verwendet werden. Da die Dämme vom Staat und von NGOs gebaut wurden, sehen die Menschen es auch als die Aufgabe des Staates und internationaler Organisationen an, die Dämme regelmäßig auszuheben und zu säubern. Hierzu fehle oft das Geld und den Betroffenen die Energie und der Organisationswille. Eine kreative Lösung führte die »Welthungerhilfe« 2007 ein. Wegen der Trockenheit kam es zu Nahrungsmittelknappheit. Internationale Hilfsorganisationen verteilten Lebensmittel. Diese wurden jedoch oft vom Regierungsapparat übernommen und privat weiterverkauft, kamen also nie bei den Hilfsbedürftigen an. Um beiden Problemen, der Lebensmittelnot und der Dammversandung, entgegenzuwirken, verteilten sie Lebensmittel nur gegen Arbeit am Damm. Jeder, der eine Woche am Damm Ablagerungen entfernte, erhielt einen Sack Mais. Auch
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die »Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit« (GTZ) unterstützte das Programm mit 50 Kilogramm Mais für eine Woche Arbeit am Damm. Weil die Dämme im Allgemeinen nicht ausgehoben, vertieft und von Ablagerungen befreit werden, hat jetzt die GTZ ein Programm aufgelegt, in dessen Rahmen diese Arbeiten langfristig gefördert werden. Gleiches gilt auch für andere Gefahren für die Dämme. Die Dammmauer selbst kann lecken und erodieren, wenn sie nicht bewachsen, regelmäßig gepflegt und nachhaltig begrünt wird. Während der Überflutungen im Jahr 2007 haben viele Dämme Schäden erlitten, und werden erst allmählich wieder voll funktionsfähig gemacht. Natürlich ist es am Einfachsten und auch naheliegend, vom Staat Lastwagen, Raupen und Maschinen zu verlangen. Von dort kommt auch im verfügbaren Rahmen Hilfe. Für eine nachhaltige Sicherung muss aber neben staatlichen Kontrollen und Interventionen auch die Eigenverantwortlichkeit der Nutzer und der Kommunen, in denen sich die Dämme befinden, gefordert und gefördert werden. Für alle technischen Details über Wasser in Ghana wird empfohlen, sich an das »International Water Management Institute« (IMI), mit Sitz in Accra, zu wenden, obwohl das Institut auch als wenig »responsive« beschrieben wird. Ein Problem während der Trockenzeit stellen auch die Peulh dar. Sie betreiben Viehzucht und sind Nomaden aus Westafrika, die während der Trockenzeit zu Hunderten mit ihren Herden in das Gebiet eindringen und die Wasservorräte aus den Dämmen auf brauchen. Die Peulh werden aber nicht an ihren Aktivitäten und ihren Zügen gehindert, weil auch sie zum erweiterten Familienkreis oder Klan gehören und die ansässige Bevölkerung eigene nomadische Wurzeln hat. Sie lässt die Peulh deshalb aus Solidarität und Verständnis für ihre Nöte gewähren. Die Verfügbarkeit von Land für den Feld- und Gartenbau ist regional sehr unterschiedlich. Die Prioritäten für den Einsatz von Wasser während der Trockenperiode sind zunächst die Menschen als unmittelbar Bedürftige, dann die Tiere als dauerhafte, reproduzierende Ressource zur Subsistenz und schließlich die Feldbewässerung, soweit diese möglich ist. Tierische im Vergleich zu menschlichen Abfällen werden als bessere Dünger, leichter verfügbar, abbaubar und bearbeitbar angesehen. Tierische Abfälle gelten zudem als gesundheitlich weniger schädlich und fruchtbarer. Die menschlichen Fäkalien aus Schulen werden an Großbauern verkauft und von diesen auf ihre Felder ausgebracht.
5.1.20 Haushalt, Kochen, Küche: Auf Vidas »Family Farm« Vida hilft im Gästehaus und wohnt nur 300 Meter entfernt mit ihrer Familie auf einem Bauernhof. Sie ist ca. 40 Jahre alt, hat fünf Kinder und erwartet gerade das nächste. Die Familie ist katholisch. Vida ist die zweite Frau
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ihres Mannes Joseph. Seine erste Frau ist gestorben. Die Kinder aus der ersten Ehe sind schon erwachsen. Der älteste Sohn mit Familie (seine Frau ist Lehrerin, sie haben ein Kind) wohnt auf dem väterlichen Hof, studiert an der Universität für Entwicklungsstudien und ist gerade für sechs Monate in Deutschland. Es ist Sonntagnachmittag und Joseph, 52, ist gerade damit beschäftigt, eine Trinkstelle für die Perlhühner zu bauen. Dafür mischt er Wasser mit Erde, bildet kleine feuchte Erdklumpen, die er zu kleinen Türmen auf baut. Sie sind in einem Kreis angeordnet. Auf jeden Klumpen kommt ein Ast, an dessen Spitze wieder ein Klumpen befestigt wird. So entsteht eine Art runder, nach oben enger werdender Zaun, der den Perlhühnern den Zugang zu Wasser in einer Kalebassen-Schale ermöglicht, aber die Ziegen am Trinken aus dem Gefäß hindert. Vida ist im Dorf und besucht den Markt, um Besorgungen zu machen. Die Schwiegertochter bereitet das Abendessen zu. Sie schneidet bito, ein Gemüse, das aussieht wie Spinat oder Salat, und kocht es in Wasser. Außerdem bereitet sie Tz zu. Dafür erhitzt sie Wasser. Die Kinder mahlen Hirse. Zuerst wird das Korn in einem Holzgefäß zerstampft, dann in einem eigens dafür bestimmten Raum auf einer Steinfläche mit einem anderen Stein gemahlen. Das Mehl wird in das heiße Wasser eingerührt, immer wieder werden Wasser und Mehl nachgefüllt und umgerührt, bis ein zäher Brei in ausreichender Menge für den ganzen Haushalt entsteht. Inzwischen hat das Gemüse im heißen Wasser gekocht. Tomaten und Maggi werden hinzugefügt und umgerührt. Die Kinder zerkleinern, schneiden und stoßen Chili-Schoten und fügen diese der Suppe hinzu. Joseph hat sich inzwischen im offenen Baderaum gewaschen, ein Dutzend Kinder haben sich um uns versammelt und die Kinder laden mich ein, mit zum »borehole« zu gehen, um frisches Wasser zu holen. Wir gehen unter vier riesigen Baobab-Bäumen hindurch zum 100 Meter entfernten »borehole«. Dort finden wir ein weiteres Dutzend Kinder, die alle das Gleiche tun. Ich gehe an die Pumpe und lasse die Kinder nacheinander ihre Gefäße füllen. Hierbei entdecke ich zum ersten Mal einen Trichter. Es handelt sich um die obere Hälfte einer Wasserflasche, die ohne Deckel umgekehrt auf die Einfüllöffnung eines Kanisters aufgesetzt ist. Hierdurch fließt das Wasser in eine weitere Öffnung und ohne Verlust in den Behälter. Das halte ich für eine Innovation bzw. eine geschickte Idee. Die Kinder trinken einen Schluck Wasser vom Strahl aus dem »borehole«. Einige waschen sich den Schmutz von Füßen, Händen und Gesicht während ich pumpe und sie ihre Gefäße füllen. Wieder zu Hause angekommen reinigen die Kinder zwei Wasserkessel mit dem frischen Trinkwasser und Sand.
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Töpfe Reinigen
Inzwischen sitzen wir auf der Bank, die aus Ton- oder Lehmerde an die Hauswand angebaut ist, nehmen Tz mit der Hand aus der Schüssel, tauchen es in die Suppe und essen. Dann erzählt Joseph von den Zeiten, als es noch keine »boreholes« in der Gegend gab. Er ist am gleichen Ort (»[…] in dem Haus da drüben, wo jetzt mein Bruder wohnt […] wir haben hier neu gebaut«) aufgewachsen. Das »borehole« wurde 1987 gebohrt und eingerichtet, es hat eine Tiefe von 20 Meter. Einige der Leute in der Umgebung haben auch Brunnen. Sie mussten früher immer zum Fluss gehen, um das Vieh trinken zu lassen, um Wasser zu holen zum Trinken und Kochen. Es war sehr weit, manchmal mussten sie zehn Kilometer und mehr gehen bis sie Wasser fanden. Das Wasser war schmutzig und verseucht mit Guineawürmern, sie hatten Hautkrankheiten, Durchfallerkrankungen, Hungerbäuche, Malaria. Viele Menschen waren ständig krank und starben jung. Die Landwirtschaft sowie die Ernährung und das Überleben waren sehr schwierig. Jetzt ist das Wasser sicher, und von guter Qualität, denn es wird regelmäßig kontrolliert. Der Grundwasserspiegel ist hoch genug, so dass sie immer genügend Wasser haben, auch in der Trockenzeit. Als Beteiligung muss die Familie einen kleinen Beitrag für die Erhaltung des »borehole« bezahlen. Jetzt ist alles viel einfacher. Wir haben das »borehole«, ein Motorrad, mit dem wir ins Dorf fahren und Lebensmittel besorgen können, so Joseph, der selbst nur mit »farming« beschäftigt ist. Seine Frau hat ein zusätzliches Einkommen aus der Arbeit im Gästehaus der NGO. Joseph benötigt viele Kinder als Altersversorgung (wahrscheinlich auch als Arbeitskräfte und für Status und Prestige). Aber es ist teuer geworden, sie groß zu ziehen. Am teuersten ist jetzt die Ausbildung der Kinder, zum Beispiel sie in die Schule zu schicken. In der Gemeinde wurde jüngst mit Programmen zur Aufklärung und Familienplanung begonnen. Das erscheint insbesondere vor dem Hintergrund sinnvoll, dass es auch Fälle von HIV gibt.
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Sie werden zukünftig eine »flushing toilet« erhalten, installiert von einer NGO. Sie haben bereits eine Grube gegraben und ausbetoniert. Zu ihr führt eine Leitung von einem extra Anbau am Haus. Dort soll in ein Loch defäkiert und dann mit Wasser aus dem Eimer nachgespült werden. Das Ganze wird im Loch gesammelt bis es voll ist und dann abgeholt von einem Wagen, der es aussaugt. Das Ganze wird auf dem Feld als Dünger ausgebracht. Inzwischen hat die junge Frau, seine Tochter, ihr Baby in eine zur Hälfte gefüllte Plastikbadewanne gesetzt und wäscht es von oben bis unten ab. Sie wäscht die Haare mit einem Shampoo und schäumt den ganzen Körper ein, wäscht alles ab, trocknet und stillt das Baby. Dann kommt auch Vida mit Lebensmitteln vom Markt zurück.
Körperhygiene
5.1.21 Gender-Aspekte und die Rolle(n) der Frauen: St. Anne’s Junior High School Es wurden zehn Mädchen im Alter zwischen zwölf und 16 Jahren ausgewählt, sie sollten aufgeweckt und aufgeschlossen sein. Das Gespräch fand am 24. November 2009 statt. Alle hatten am Morgen bereits Wasser verwendet und auch schon Wasser geholt, ein Drittel der Mädchen von Brunnen, zwei Drittel von »boreholes«, eine aus der Leitung. Alle hatten sich schon gewaschen (»bathed«), einige mit Schwamm und Seife, einige nur mit Schwamm, ande-
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re nur mit Seife, zwei nur mit Wasser. Die meisten hatten sich zuhause gewaschen, eine am Damm, drei am »borehole« und eine mit Wasser, das vom Vortag übrig war. Es ist überraschend, dass zum Waschen und Kochen nicht häufiger Wasser vom Vortag verwendet wird, und dass nicht häufiger am »borehole« eine Schnellwäsche mit Wasser stattfindet, wo das Wasser doch immer ins Haus getragen werden muss. Vielleicht ist der Gang zum »borehole« eine solche Routine geworden, oder auch von sozialen Elementen und Motiven geprägt, dass der reine Arbeitsaspekt und der objektive Arbeitsaufwand eine untergeordnete Rolle spielen. Wir sitzen im Kreis und spielen den Prozess der Körperwäsche nach. Erst wird der ganze Körper von Kopf bis Fuß mit Wasser überschüttet, dann eingeseift und dabei die Unterhose ausgewaschen. Die Unterarm- sowie die Intimbereiche vorn und hinten erfahren eine besondere Behandlung. Auch ich zeige, wie ich mich wasche. Es fällt auf, dass ich Seife nur für Unterarm, Intimbereiche und Füße verwende. Sie nennen das ein »lazy bath« und fragen, warum ich nicht am ganzen Körper Seife verwende. Meine Erklärung, dass ich am Rest des Körpers nicht so schmutzig werde, dass ich Seife zur Reinigung brauche, wird zur Kenntnis genommen, aber eher verwundert. Zähneputzen geschieht mit Bürste und Zahnpasta (Gattungsbegriff: »Pepsodent«), Stöckchen, Finger, Sand und Salz. Es ist auffällig, wie stark die Routinen von morgendlicher und abendlicher Ganzkörperwäsche etabliert sind. Wegen des heißen Klimas, Schweiß, Schmutz und staubiger Erde ist die Routine verständlich. Die Eltern bestehen schon früh auf diese Gewohnheiten. Durch Vorbilder wird der Ablauf eingeübt und dann in der Schule kognitiv gefestigt. Es ist überdies auffällig, wie stark die Mädchen in alle Haushaltsaktivitäten integriert sind, beginnend mit dem Gang zum »borehole« am Morgen, dem Kochen von Tz, der Bereitung von heißem Wasser, dem Feuer machen und Wäschewaschen. Die Mädchen erklären und spielen das Waschen der Schuluniform. Diese wird jeden Mittwoch (in der Schule) und Samstag (zuhause) gewaschen. Meistens wird dafür K-Seife verwendet. Zuerst wird die Uniform eingeweicht, dann die schmutzigsten Stellen an Kragen und Ärmeln eingeseift und gerieben, danach die ganze Uniform gewaschen und gerubbelt. Die so gewaschene Uniform wird zum Auswaschen in eine weitere Schüssel (»basin«) gelegt und am Ende in einer dritten Schüssel (oder »bucket«) noch einmal gespült. Insgesamt werden drei »basins« mit Wasser benötigt. Das erste fürs Einweichen und Waschen mit Seife, das zweite auch mit Seife, das dritte zum Spülen. Danach wird die Wäsche zum Trocknen aufgehängt. Das Wasser wird danach meistens weggeschüttet. Es gibt keine Behälter oder eine Routine für die Verwendung von Brauchwasser. Auch im Sommer wird Regenwasser nicht aufgefangen und als Brauchwasser verwendet. Auf Nachfrage warum dies so ist, erhalte ich die Antwort: »Ja, manchmal geben wir es den Kühen und Ziegen, die mögen es«.
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Auch für die Bewässerung von Pflanzen wird es verwendet, selten zum Reinigen von Töpfen, manchmal zur Reinigung des Fahrrads oder Motorrads. Gebrauchtes Wasser wird beim Hausbau verwendet, zum Füllen des Bauloches (zusammen mit Baobab-Ästen). Es kann auch zum Reinigen des Hauses, des Baderaums und der Küchengeräte verwendet werden. Einzig an den Schulen werden neuerdings an den Dächern Rinnen und darunter Tonnen angebracht, die während der Regenzeit das Wasser auffangen. Allerdings ist unklar, wofür es verwendet wird. Die Kinder trinken aus den Händen, der Kalabasse, aus Bechern, Tassen und Schalen. Keines trinkt direkt von der Pumpe, auch nicht mit Händen aus dem Strahl. Meist wird mit einem Gefäß aus der Blechschüssel oder Tonschale (»gourd«) geschöpft und aus diesem getrunken. Überhaupt scheint wesentlich weniger getrunken zu werden, als wir es gewohnt sind oder es uns empfohlen wird. Sachets werden an einer Ecke mit den Zähnen aufgebissen und dann wie aus der Flasche, Sachet nach oben, ausgetrunken. Es wird nicht gedrückt oder gesaugt. Von den Mädchen trinkt keines aus der Flasche. Die Mädchen können gut erklären, wie das Wasser ins Grundwasser und ins »borehole« kommt. Der Regen fließt ab, bildet Bäche und Flüsse, wird mit Hilfe von Dämmen zu Seen gestaut und versickert. Dabei werden mehrere Lagen oder Schichten in der Erde durchdrungen bis das Wasser sich im Untergrund ansammelt und abfließt. Der Lehrer erklärt, wie das Wasser durch Siebe sickert, in das Rohr unterhalb der Pumpe, von wo es durch das Pumpen nach oben gezogen und aus dem Hahn gepresst wird. Er erklärt den Grundwasserspiegel, dass das Wasser in der Erde in Kiesel, Sand oder Felsen gebunden ist und von dort in die Pumpe sickert, und er erklärt, wie das Wasser durch die verschiedenen Lagen gefiltert und gereinigt wird. Die Mädchen wissen, wie Regen entsteht. Sie sprechen spontan vom Dampf, der beim Kochen entsteht, der sich am Deckel oder an Gefäßen absetzt, von Wolkenbildung, und wie das Wasser als Regen auf die Erde fällt. Wenn es regnet und dann die Sonne scheint, wird das Wasser erwärmt und verdunstet, kondensiert, und wenn es schwer wird, fällt es wieder auf die Erde, und es regnet. Zum Thema Wasserverschmutzung haben sie vom DDT-»fishing«, von Düngemitteln, der Defäkation, Urinieren, Wäschewaschen, Fahrzeugen und Chemikalien gehört. Zum Schutz können einerseits der Wasserverbrauch eingeschränkt und andererseits die Verschmutzungen selbst vermieden werden. An dieser Stelle wird die Frage aufgeworfen, wie es sich mit Wasser in Europa verhält. Daraufhin entspinnt sich ein lebhaftes Frage- und Antwort-Spiel über Regen, Schnee, Eis, Landwirtschaft und Getreide in Europa, warme und kalte Jahreszeiten, das Leben allgemein in Europa, warum man als Ghanaer in Europa stirbt, warum sie nicht nach Europa ziehen dürfen und warum unsere Haare und Haut unterschiedlich sind.
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5.1.22 »Borehole-society«: Menschen am Brunnen An diesem Nachmittag sitze ich wie jeden Tag an einem »borehole«, und da entsteht die Idee, Bongo als eine »borehole-society« zu beschreiben, deren soziale Netze sich um Wasser sowie das Pumpen und die Verwendung von Wasser spinnen. Die »boreholes« als neue Technologie haben eine neue Gesellschaft und neue Zusammenhänge und Verhaltensweisen entstehen lassen, deren Beschreibung auch Aufschlüsse darüber zulässt, wie sich Gesellschaften ganz allgemein als Folge neuer Technologien und deren Aneignung verhalten, verändern und anpassen. Auch darüber, wie diese neuen Technologien behandelt, beeinflusst und deren Verwendung mitgestaltet wird, lässt sich verstehen, wie sich Gesellschaften durch Innovationen verändern. In Pre-»borehole«-Zeiten musste Wasser im Flussbett gesucht und gefunden werden, es wurde danach gegraben und mit der Kalebasse aus dem Loch geschöpft, immer im Kampf mit Insekten und anderen Tieren. Jedes Mal wenn man zurück zum Fluss kam, war das Loch verschwunden. Krankheiten prägten das Leben. Tontöpfe dienten als Behälter für den Transport und die Lagerung, Kalebassen zum Schöpfen. Es war keine ausgeprägte Lagerhaltungskultur von Wasser zu beobachten. Rund um das »borehole« und in dessen Zusammenhang entstehen Einrichtungen wie Dämme, Bewässerungssysteme, Bade-, Hygiene- und Trinkgewohnheiten, Menschen kochen, füllen Wasser in Plastikkanister, »4-Gallon«-Container oder Blechschüsseln, Kinder holen Wasser für den Haushalt, es entwickeln sich Verdichtungsräume mit mehr Arbeit und Nahrung und weniger Krankheitsrisiken durch verseuchtes Wasser. Hier finden sich mehr Märkte und intensiver Hausbau.
5.1.23 Wasser versorgung: NGOs, »World Vision« und die »Hilton Foundation« Osman Mumuni ist Projekt Manager und für die Einrichtung von Brunnenanlagen, Pumpen und Toiletten verantwortlich. Eine Kooperation der beiden genannten NGOs hat in der »Northern Region« und in »Upper East« und »Upper West« insgesamt über 1.500 »boreholes« eingerichtet und versorgt 200.000 Menschen mit Wasser. Die »boreholes« werden in den Bongo-Granit, einen besonders harten Granitstein, getrieben. Die Felsen bilden eine »fractured aquifer«, die durch elektrische Messungen (durch Resistenz-Methoden und elektrische Strömungsmessungen) aufgespürt werden. Die Felsen bilden durch Erosion haarfeine Risse aus, durch die das Wasser langsam ins Grundwasser sickert. Das Wasser sickert teilweise mit einer Geschwindigkeit von nur einem Meter pro Jahr, und zwar vertikal und horizontal, also lateral. Das heißt, der Wasserspiegel und das Grundwasser bewegen sich seitlich geneigt. Das bedeu-
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tet wiederum, dass das Wasser, das heutzutage gefördert wird, teilweise schon tausend und mehr Jahre alt sein kann. Die »borehole«-Rohre haben einen Durchmesser von ca. 25 Zentimeter. Das »pumping water level« ist immer höher als das »dynamic water level«, der eigentliche Grundwasserspiegel. Die Upper East Region und der Bongo-District sind nicht vom Stand des Flusswassers betroffen. Das Grundwasser wird ausschließlich vom Niederschlag gespeist und ist damit abhängig von der Niederschlagsmenge, der Oberflächenverdunstung und vom Verbrauch. So können beispielsweise die Dämme und die Bewässerung aus den Dämmen einen negativen Effekt auf das Grundwasser haben. Es kommt auf die insgesamt versickerte Wassermenge und auf deren Verbrauch durch »boreholes« und Brunnen an. Niederschlagsmenge, Damm- und Oberflächenwasser und Entzug durch Verbrauch bestimmen die langfristige Verfügbarkeit von Grundwasser und beeinflussen die Nachhaltigkeit der Versorgung. Der Grundwasserspiegel ist in den letzten zehn Jahren gesunken, in welchem Ausmaß ist jedoch unklar. Die NGO, für die Osman arbeitet, bohrt und installiert 100 »boreholes« und 1.000 Toiletten pro Jahr und liefert 50 Prozent der Wassermenge in der Northern und der Upper East Region, ist aber im Bongo-District noch nicht aktiv. Die Wasserversorgung ist weitestgehend sichergestellt. Ein Problem bleibt die Qualität. Sie wird kontrolliert von der »Community Water and Sanitation Agency« nach WHO-, entsprechend Ghana-Standards. Die Wasserqualität ist im Allgemeinen gut. In einigen Gegenden sind jedoch die Fluormengen im Grundwasser zu hoch. Das führt zu einer Braunfärbung und zu weißen Flecken auf den Zähnen und, schlimmer noch, zu Osteoporose. Die Fluormengen könnten korrigiert und beseitigt werden. Der Prozess hierfür ist allerdings teuer, schätzungsweise so teuer wie die Einrichtung eines »boreholes«. Es müssten »boreholes« und Brunnen für 70 Prozent der Bevölkerung oder 100.000 Menschen umgerüstet werden. Dammwasser ist Regenwasser und enthält keine Metalle, hat aber ein höheres Risiko für biologische Kontamination als Grundwasser. Diese ist auch schwerer zu beseitigen. Die »treatment plants« reinigen von menschlichen Ausscheidungen und Pestiziden. Das Wasser für die Sachets ist hingegen Leitungswasser, das noch einmal durch einen feineren Filter gereinigt und durch UV-Behandlung von Keimen befreit wird. Es wird durch das staatliche »Food and Drugs Board« kontrolliert. Leitungswasser wird mit Chlor angereichert, mikrobiologisch behandelt und schmeckt oft chemisch, salzig und hart. Fluss- und Regenwasser wird als »soft« und »sweet« beschrieben, als »milky water« und auch als »more filling«. Wasser aus dem »borehole« wird manchmal als hart, »sterile«, »salty« beschrieben und wegen seiner Klarheit als »less tasty« erlebt. Sachets könnten eine Erfindung aus Ghana sein, erinnern sie doch an einen früheren Brauch von Wasserverkäuferinnen auf den Märkten. Diese wickelten Eisstückchen in Folie und verkauften sie als Sachets.
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5.1.24 Krokodil-Totem: »Paga crocodiles« – Wo es Krokodile gibt, gibt es auch Wasser Um den Krokodil-Geschichten nachzugehen, besuchen wir Paga, einen Ort mit tausend Einwohnern und ebenso vielen Krokodilen. Salifu Awewozem (Führer an einem der Teiche) erzählt: Es handelt sich bei den Krokodilen in Paga und Umgebung um friedliche Tiere, im Gegensatz zu den meisten anderen Krokodilen auf der Welt. Sie haben sogar dem Gründer von Paga das Leben gerettet. Man erzählt sich, er war als Jäger unterwegs, hatte Durst und setzte sich nieder zur Rast. Er sah ein Krokodil. Das zeigte ihm den Weg zu einer Wasserstelle. Der Jäger trank und setzte die Jagd fort. Auf dem Weg zurück kam er zu einem Fluss, der so voll war, dass er ihn nicht überqueren konnte. Da kam dasselbe Krokodil wieder und half ihm über den Fluss, indem es ihn auf seinem Rücken über den Fluss brachte. Zuhause erzählte der Jäger die Geschichte und ging zum Zauberer (»sorcerer«), der ihm riet, niemals ein Krokodil zu töten, weil dieses ihm schließlich zweimal das Leben gerettet hatte. Als er später mit seiner Familie in Streit geriet, wanderte er von Kampala (Burkina Faso) nach Paga, um sich dort niederzulassen. »Ayipagayo« (»my eye likes this place«) sprach er und gab damit Paga seinen Namen. Einige Jahre später fand er bei der Jagd in einem Teich Krokodile, die es früher hier nicht gab. Er ging wieder zum Zauberer, der bestätigte, dass die Krokodile ihm aus Kampala gefolgt sind. Er bekräftigte erneut, dass er und niemand aus seiner Familie jemals ein Krokodil töten sollen. So wurden die Krokodile immer mehr, so wie auch die Familie und die Stadt wuchsen. Heute gibt es genauso viele Krokodile wie Bewohner in Paga. Jedes Mal wenn ein Mensch (bzw. ein Mitglied der Familie des Jägers) stirbt, gehen die Menschen davon aus, dass auch ein Krokodil gestorben ist. Es ist das Totem der Familie. Weil die Region aus dem Norden besiedelt wurde, haben viele Familien das Krokodil als Totem, und die meisten Menschen in der Region vermeiden es Krokodilfleisch zu essen. Die Krokodile paaren sich in der Zeit des Übergangs von der Regen- zur Trockenzeit (November). Sie gehen im Januar zu den Häusern im Dorf und legen dort ihre Eier, vergraben sie in der Erde und lassen sie von der Sonne und Wärme ausbrüten. Die jungen Krokodile schlüpfen (»hatch the egg«) im April mit Beginn der Regenzeit. Das Krokodil kommt dann wieder aus dem Teich, holt das frisch geschlüpfte Baby-Krokodil ab und trägt es im Maul oder auf dem Rücken zum Teich. Es gibt über ein Dutzend Teiche mit Krokodilen. Die wichtigsten sind Zenga, Kakungu, Kajelo, Nania, Chania, Saka, Baduno, und alle gehen auf die Familie des Jägers zurück, dem Gründer von Paga.
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Krokodil Kunst
Krokodil-Totem: »Crocodile chief and croc stories« Die Geschichte ist so interessant, dass wir dem »chief« von Paga einen Besuch abstatten, um mehr zu erfahren. Wir treffen die »Elders«, die bereit sind, uns Auskunft zu geben. Der »chief« selbst ist nicht verfügbar. Viele Familien halten die Krokodile für heilig (»sacred«), beschützen sie, töten sie nicht und essen auch kein Krokodilfleisch. Viele nutzen Teile von Krokodilen für spirituelle Heilungen und als Medizin. Die Familien kommen zumeist aus dem Norden, aus Burkina Faso. Wenn eine Frau aus einer Familie mit Krokodil-Totem einheiratet, bringt sie auch das Totem mit und erzieht ihre Kinder entsprechend. So wird die Tradition weiter verbreitet. Wenn jemand ein Krokodil tötet oder verletzt, sollen auch seine Kinder getötet werden, damit er den Schmerz und die Strafe selbst zu spüren bekommt. Es kamen einmal zwei Männer in die Gegend und töteten ein Krokodil. Sie wurden gefangen, dem »chief« vorgeführt und bestraft. Sie wurden gefesselt und auf den Knien in der prallen Sonne öffentlich zur Schau gestellt, damit jeder die Demütigung sehen konnte. Eine andere Geschichte erzählt, dass ein Mann ein Krokodil getötet hatte und als Strafe eines seiner Kinder von einem Krokodil gefressen wurde. Jedes Mal wenn ein Krokodil stirbt, muss das dem »chief« angezeigt werden. Es wird dann begraben, begleitet von einem Ritual der Krieger-Tänzer und Opfern. Vom Zauberer wird öfter einmal das Opfern
Bongo-Soe
eines Huhns oder eines Perlhuhns gefordert. Die geopferten Tiere werden von den Menschen gemeinsam verzehrt und nicht an das Krokodil verfüttert. Immer wenn ein Zauberer verlangt, dass ein Opfer dargebracht wird und ein Ritual stattfinden soll, wird dem entsprochen. Es geschieht nicht häufig. Es kommt aber immer wieder vor und wird während der Nacht mit Tänzen und Gesängen zelebriert. Die Männer sind dann nackt und die Frauen im traditionellen Stil mit Blättern bekleidet. Das Krokodil ist auch Symbol und Totem des »chiefs«. Sein Haus ist überall mit Krokodilabbildungen geschmückt. Es beschützt den Eingang, den Palast. Der Stock des »chiefs« ist ebenfalls mit einem Krokodil verziert. Der Ring (Armreif) eines der »Elders« ist ein Gott oder Geist. Er beschützt ihn und etabliert eine besondere Beziehung zwischen Träger und diesem Geist. Immer wenn ein Kind geboren wird, wird der Zauberer befragt. Der entscheidet über die Zuordnung von Namen, Geist und Gott. Wenn er das Krokodil als Schutzgott vorschlägt, ist das etwas ganz Besonderes. So werden auch Traditionen fortgesetzt und an die Kinder weitergereicht. Krokodile können während der Trockenzeit tatsächlich Leben retten. Solange es Krokodile gibt, gibt es auch Wasser. Das Krokodil gräbt sich immer weiter in das Wasser, wenn das Wasser zurückgeht. Dadurch wird immer da, wo sich ein Krokodil befindet, auch Wasser zu finden sein. Wenn es kein Wasser mehr gibt, dann geht das Krokodil oft bis zu vier Meilen zu einem neuen Wasserloch. Sein Instinkt zeigt ihm, wo es die nächste Wasserstelle findet. Wenn man dem Krokodil dann folgt, findet man auch wieder Wasser. Auf diese Weise wird das Krokodil zu einem wirkmächtigen Totem und tatsächlich zu einem Lebensretter und -bewahrer.
5.1.25 Kunst: Kunsttöpferei in Sirigu (»Sirigu Art Potter y«) In Sirigu hat sich eine spezifische, eigenständige Kunst- und Hausdekorationsform eingebürgert und durchgesetzt. Sie ist arabisch im Stil und kommt aus Abele in Burkina Faso. In den letzten 20 Jahren wurde sie von einer Frau aus dem Dorf, mit der Hilfe der Weltbank und holländischer NGOs sowie der Universität Delft (Architektur), wiederbelebt. Es wurde ein Workshop (Manufaktur, Handwerksbetrieb) eingerichtet, in dem Männer und Frauen im lokalen Stil aus Ton und Wasser Kannen, Töpfe und Schalen formen, bemalen und brennen. In einem nahegelegenen Ausstellungsraum werden die Werke verkauft. Dort werden auch Kurse zum Erlernen der Technik angeboten. In einem angebauten Gästehaus können die Besucher übernachten. Selbst Kofi Anan, der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, war schon zu Besuch und wird mit einer Büste geehrt.
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5.1.26 Produktion/Industrie: Sheabutter-Herstellung (»Shea Butter Manufacturing«) Die Herstellung von Sheabutter ist eine verbreitete Arbeit, die von den Hausfrauen traditionell zuhause durchgeführt wird. Es werden die Shea-Nüsse in der Sonne getrocknet, über dem Feuer geröstet, zerkleinert, gemahlen und das Mehl mit Wasser so lange gerührt, bis nur das Fett, die Butter, als gelbliche Masse übrigbleibt. Dafür wird beim Rühren immer wieder Wasser nachgefüllt und das Wasser, in dem sich die Reste sammeln, abgegossen. Die Butter wird zur Hautbehandlung und -pflege und zum Kochen verwendet oder auf dem Markt verkauft. Inzwischen ist auch in Europa ein Markt entstanden, auf dem Sheabutter für die Hautpflege in kosmetischen Cremes Verwendung findet. Um an diesem Markt zu partizipieren, wird versucht, die Frauen bei der Herstellung und Vermarktung zu unterstützen. Hierzu werden Aufträge eingeholt und Maschinen zum Rösten, Mahlen und Rühren zur Verfügung gestellt. Über 250 Frauen beteiligen sich an dem Projekt und erhalten einen Anteil an den Erträgen. Inzwischen hat es sich bewährt, den Frauen auch die Option der häuslichen Herstellung zu bieten. Der Ablauf folgt genossenschaftlichen Prinzipien. Die Frauen können die Nüsse sammeln oder auf dem Markt und bei der Genossenschaft kaufen. Sie können sie zuhause verarbeiten und bei der Genossenschaft abliefern. Als Alternative stehen ihnen die Maschinen in der Manufaktur zur Verfügung. Sie können auch den gesamten Herstellungsprozess dort durchführen. Durch diese Angebote wird der »community« eine zusätzliche Einnahmequelle angeboten, deren Eigenverantwortlichkeit gestärkt und den Familien die Möglichkeit geboten, Hausarbeit mit Heimarbeit und Familienarbeit zu verbinden oder Frauen außer Haus zu beschäftigen. Es ist der Familie selbst überlassen, zu entscheiden, ob der häusliche Kontext oder die produktive Fertigung besser einzurichten sind. Durch dieses Angebot wird von der NGO eine Infrastruktur zur Verfügung gestellt über deren Nutzung die Familie selbst entscheidet.
5.1.27 Regenmacher: Der »Namoo-chief« in Bongo-Namoo Er ist ein junger Mann von Mitte dreißig, der vor ca. einem Jahr zum »chief« bestellt worden war und dessen Huldigung an den »paramount chief« wir in der vorherigen Woche miterlebt hatten. Dabei musste er eine Kuh schlachten und sie dem »paramount«, den anderen »chiefs« und der Gemeinde spenden. Durch die Annahme der Gabe erkennt der »Paramount« den neuen »chief« an, und dieser darf jetzt auch das »chief«-Tor im neuen Haus des »Paramount« benutzen. Alle anderen dürfen nur durch den öffentlichen Eingang eintreten. Bei unserem Besuch interessieren wir uns auch für seine Fähigkeit des Regenmachens, die ihm und seiner Familie von einigen Bauern in der Um-
Bongo-Soe
gebung zugesprochen wird. Wir beginnen mit dem Begrüßungsritual. Jacob spricht in der lokalen Sprache über die »Elders« zum »chief« und der wieder über die »Elders« zu Jacob. Das ganze folgt einem festgelegten Prozedere, in dem die Besucher vorgestellt werden. Danach stelle auch ich mich noch einmal selbst vor. Ich beginne mit der Überreichung von mitgebrachten Kolanüssen, die der »Elder« in seiner Mütze in Empfang nimmt. Danach beginnen wir mit dem Gespräch. Der Klan des »chiefs« ist aus dem Norden zugewandert und hat sich in Bongo und Namoo vor mehreren hundert Jahren niedergelassen. Der Urahn des Klans (»first father«, »clan oldest«) hat sich aus Nalerigo kommend in Bongo angesiedelt und seinen Söhnen die umliegenden Gebiete zugeteilt. Der Älteste erhielt Namoo, weshalb der »Namoo-chief« noch immer der erste und wichtigste in der Hierarchie unter dem »paramount chief« ist. Der »paramount chief« von Bongo wird selbst vom Ashanti-König hoch geachtet, ist in dessen Hierarchie aufgestiegen und gehört zu dessen Beratern und zu seinem Hofstaat. Alle »chiefs« entstammen ursprünglich demselben Klan. Die »chiefs« werden von den »Elders« ausgesucht unter dem Gesichtspunkt, welcher der Kandidaten (aus dem weiteren Familienkreis) am ehesten die Fähigkeit hat, die »community« zu integrieren und für ihr Wohl zu sorgen. Es gilt also nicht die Seniorität oder das Recht des ältesten Sohnes. Der »Namoo-chief« gehört zu einem engeren Klan von etwa 1.200 Leuten, die in 58 »compounds« in der Gegend um Namoo wohnen. Sein Vater hatte Kenntnisse und Erfahrungen mit »rainmaking«-Ritualen, wurde dahingehend von den Menschen aufgesucht und wusste den Niederschlag zu beeinflussen. Er selbst war jedoch noch sehr jung als sein Vater starb, sodass er nicht in die Kunst des Regenmachens eingeführt und ausgebildet wurde. »The knowledge that existed is lost. Yes, we need rain, but we have lost the capability and I am not aware of others who would have that knowledge.« Er erklärt, dass sie dafür andere Fertigkeiten entwickelt haben, zum Beispiel besondere Muster und Webereien.
»rainmaking-chief«
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5.1.28 »Borehole«-Perspektiven Die Einrichtung von Brunnen mit Pumpen prägt die Gesellschaft in BongoSoe. Die Brunnen verbinden die Menschen und die »compounds«. Visuelles Zeichen dieser Vernetzung sind die Trampelpfade zwischen den Gehöften und den Brunnen. Bereits früh morgens gehen die Kinder zum Brunnen und bringen den Tagesbedarf an Wasser nach Hause. Dort wird Frühstück gekocht und »gebadet« (»bathing«, Ganzkörperwäsche) bevor die Kinder zur Schule gehen. Das Gleiche wiederholt sich am Nachmittag. Das »borehole« ist ein Ort der Kommunikation und der sozialen Interaktion. Erweitert auf Dämme, Bewässerungssysteme, Versorgungssicherheit und deren gemeinsame Verwaltung und Koordination entsteht »community« einer besonderen, kooperativen Art. Dieses Phänomen wird unterstützt durch die Interaktivität in den Schulen, beim Hausbau, im Sonntagsgottesdienst und auf den Märkten. Bei allen Schwierigkeiten und Reibungen in der Umsetzung ist hier eine auffallend aktive, interaktive, interpersonelle, positive soziale »community« zu beobachten.
»Holy waters«, heiliges Wasser in Indien
5.2 »H oly waters «, heiliges W asser in I ndien 5.2.1 Annäherung Meine Annäherung erfolgt über Delhi nach Varanasi, früher Benares, der heiligsten Stadt des Hinduismus, mit den Ghats, die zum Ganges hinunter führen. Ganga ist die Göttin des heiligen Flusses und verkörpert diesen wichtigsten und heiligsten aller Flüsse im Hinduismus. Der Fluss entsteht im Himalayagebirge und entspringt mythologisch aus der Fontanelle von Shiva, einem der drei wichtigsten Götter im Hinduismus. Im Ganges sollte sich jeder Hindu einmal spirituell rein waschen. Die Kremation am Ufer und die Rückgabe der Asche an den Fluss ist die höchste Erfüllung. In dem Fluss schwimmen aber auch nicht verbrannte Körper von Menschen und Kühen, alle Reste von Waschungen und Ritualen sowie alle nicht geklärten Abfälle und Abwässer von 600 Millionen Menschen, die im Einzugsgebiet leben. Durch Delhi fließt die Giftige Göttin Yamuna, so der Titel eines Artikels in der Süddeutschen Zeitung vom 22. März 2010. Yamuna ist ein weiterer heiliger Fluss, der, vom Himalaya kommend und von Monsun und Gletscherwasser gespeist, 1.370 Kilometer durch Indien fließt, um schließlich in den Ganges zu münden. Er ist Lebensquelle und Kloake zugleich. Er dient als Trinkwasserressource für die Multimillionen Metropolen Neu Delhi und Agra, die gleichzeitig für 80 Prozent und neun Prozent der Verschmutzung des Flusses verantwortlich sind. Gleichzeitig wird der Fluss göttlich verehrt und rituell extensiv genutzt und verschmutzt. Hierzu liegen detaillierte Analysen von Lena Zühlke (2013) und Jennifer L. Maier (2009) vor. Ich bin vorbereitet durch frühere Besuche, die Lektüre von Water Reservoirs in South India von Bettina Weiz (2005), in dem sie über Gesellschaftsstruktur und Wassermanagement schreibt, und einen Aufsatz von Tulasi Srinivas (2002) über Reinigung, Hygiene und religiöse Rituale im südlichen Indien. In der Nähe von Varanasi, in einem weiten Bogen oder Halbkreis, den der Ganges schlägt, liegt Kiran Village, ein Dorf für poliobehinderte Kinder und Jugendliche. Kiran bedeutet wörtlich »ray of lights«, »Lichtstrahlen«, wurde vor 20 Jahren gegründet, gibt 100 Menschen Arbeit, 80 Kindern eine Heimat und bietet weiteren 300 Kindern Ausbildung und medizinische Versorgung. Ein »outreach program« erreicht 8.500 Familien in der Umgebung.
5.2.2 Szene, Setting Wasser versorgung von Kiran Village Das Trinkwasser im Kiran Kinderdorf wird an drei Bohrstellen aus ca. 50 bis 70 Metern Tiefe angesaugt und ohne Aufbereitung in drei geschlossenen Wassertürmen zwischengelagert. Vom Hauptwasserturm gelangt das Wasser mittels Leitungen zu den Verbrauchsstellen. Die zwei weiteren Wassertürme dienen den
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Landwirtschaftsbetrieben. Zweimal pro Jahr werden auf Veranlassung des Dorfarztes Proben gezogen und im Labor des Universitätshospitals Varanasi auf die Belastung mit Krankheitskeimen untersucht. Die Grenzwerte wurden bisher noch nie überschritten. Das Grundwasser wird durch Versickerung von Regenwasser und wesentlich auch vom nahe gelegenen Ganges gespeist. Für Kiran und die umliegenden Dörfer ist es ein Glücksfall, dass Wasser immer in guter Qualität zur Verfügung steht und der Untergrund das Wasser genügend zu filtern vermag, sodass keine Aufbereitung, Filtrierung und Chlorierung oder Ozonisierung notwendig sind. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, welchen Einfluss die Nähe zum Ganges und seinem heiligen Wasser auf die Verwendung, das Bewusstsein, Kenntnisse, Wertschätzung, die Wahrnehmung und allgemein die Einstellung zu Wasser hat. Was wissen und denken die Kinder, was die Erzieher und die Eltern? Wie und wofür wird das Wasser verwendet?
Im Ganges-Bogen Die Landschaft ist geprägt von dem Bogen, den der Ganges dort schlägt. Innerhalb des Bogens ist das Bild geprägt durch die Sedimente, Sand, Lehm, Ton und fruchtbare Erde, die im Laufe von Millionen von Jahren dort angeschwemmt wurden. Die Straße liegt etwas erhöht gegenüber den Feldern, die während der Regenzeit unter Wasser liegen und dem Paddy Reisanbau dienen. Jetzt liegen die Felder trocken, sind mit Weizen und anderem Getreide bewachsen und teilweise im Gartenbau bewirtschaftet. Man sieht Chili, Kohl, Tomaten, Bohnen, Erbsen, Kartoffeln, Zwiebeln, Blumenkohl, Karotten und auch verschiedene Senfsorten und Linsenfrüchte auf den Feldern. Außerdem gibt es Mangos, Guaven, Papayas, Bananen, Trauben und Orangen. Die Felder sind von Bewässerungskanälen begrenzt und durch Erhöhungen voneinander abgetrennt. Die Wasserkanäle dienen während der Regenzeit dem schnelleren Ablauf und in der Zwischenzeit der Bewässerung. Während der heißen Sommermonate liegen sie trocken. Straßen, Wege und Erhöhungen dienen der Begehbarkeit und der Abgrenzung zwischen den Grundstücken. Entlang der Straßen haben sich im Abstand von wenigen Kilometern Straßendörfer entwickelt, in denen die komplette Infrastruktur für die dörfliche Gemeinschaft vorzufinden ist. Entlang der Straßen befinden sich alle denkbaren, zur Straße hin offenen Geschäfte und Handwerke, Fahrradverkauf und -reparatur, Stahlbehältnisse jeder Art, Stricke und Seile, Chai Shops mit Süßigkeiten, Reifen, Fleisch, Hühner, Kiosks, Kleiderstoffe. Und dazwischen immer wieder landwirtschaftliche Betriebe, zehn bis 15 weibliche Büffel, fünf bis acht Jungtiere, runde Wassertröge zum Tränken der Tiere, aufgestapelte Kuhfladenbriketts, im 100-Meter-Abstand Handpumpen vor den Häusern und hin und wieder eine Schule, ein Gebäude der Verwaltung oder einer politischen Partei. Meine Besuche im Ganges-Bogen fanden in den Jahren 2002 und 2009 bis 2012 jeweils im Januar und Februar, während der milden und trockenen Jahreszeit statt.
»Holy waters«, heiliges Wasser in Indien
Brunnen
5.2.3 Informanten Schwester Sangeeta und das Kiran Village Schwester Sangeeta hat Kiran gegründet. Sie hat vor 20 Jahren in Varanasi/ Benares mit der Betreuung von poliokranken Kindern begonnen und später außerhalb in Mirzapur (Uttar Pradesh) mit der Hilfe von europäischen Gebern ein ganzes Dorf aufgebaut. Im Dorf gibt es heute einen Kindergarten mit drei Stufen und 42 Kindern (davon zwölf mit leichten Behinderungen), eine Grundschule mit fünf Klassen und 69 Schülern (davon 33 mit Behinderungen, die integrativen Unterricht erlauben) und eine weiterführende Schule mit 37 Schülern (davon 18 mit Behinderungen, die integrativen Unterricht bekommen). Darüber hinaus gibt es Gruppen für Kinder, die besonderer Betreuung bedürfen, 46 mit CP (»cerebrale paralyse«) und MR (»mental retardation«) Schäden und 37 mit Hörbehinderungen. Zusätzlich wird »vocational training« (praktische Berufsausbildung) angeboten. Die Ausbildungsberufe werden in der hauseigenen Bäckerei, Gärtnerei, Landwirtschaft, Schneiderei, Physiotherapie, Prothesenfertigung, Kinderspielmanufaktur, Seidendruckerei und Werksätten für Kunsthandwerk und Malerei unterrichtet. Neu im Aufbau begriffen ist eine Abteilung für die Ausbildung zur Behandlung behinderter Jugendlicher. 80 Kinder und Jugendliche sind in dorfeigenen Hostels (drei Boys Hostels und vier Girls Hostels) untergebracht. Dort kümmern sich die Älteren unter Aufsicht um sich selbst (inklusive Kochen, Waschen, Reinigen, Gartenpflege
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etc.). Das Dorf ist weitgehend selbstversorgt mit Milch von über 20 Kühen und Kälbern, Feld- und Gartenbau auf zwei Hektar Land, Bäckerei und Küche sowie Wasser aus drei Bohrungen. Schwierigkeiten gibt es in der Zusammenarbeit mit den Behörden. Genehmigungen dauern lange. Regulierungen ändern sich während der Umsetzung von Projekten. Für die Bearbeitung wird Geld verlangt. Anträge auf Unterstützung haben keine Chance ohne Beziehungen und Geldzahlungen (Korruption). Die Monsunperioden brachten in den vergangenen fünf Jahren unregelmäßige und ungenügend ergiebige Niederschläge. Der Grundwasserspiegel sinkt, und von der Regierung wird Wasser örtlich nur zwischen 7 und 9 Uhr und zwischen 17 und 20 Uhr zur Verfügung gestellt. Die Wasserversorgung im Kiran Village ist sichergestellt: die Brunnen sind tief genug und waren immer ergiebig. Aber es gibt erhebliche Zweifel, ob die Regierungen und der Staat genügend Vorsorge treffen und hinsichtlich Nachhaltigkeit ausreichende Kenntnisse besitzen. Andererseits führt der Ganges der Jahreszeit entsprechend durchschnittlich viel Wasser. Der Weizen steht auch gut, und die »dug-out holes« in den Fluss- und Kanalbetten neben den Straßen sind gefüllt mit Wasser. Auch die Handpumpen entlang des Weges funktionieren, werden benutzt und liefern Wasser.
Shivender Shivender ist ein 16-jähriger Junge, der mich zu einem Besuch ins Boys Hostel abholt. Dort wohnt er mit elf weiteren Jungs. Er ist vier Jahre in Kiran. Die Familie ist aus Nepal immigriert, seine Eltern vor zehn Jahren, er vor vier. Er wohnt im Hostel, geht aber zur Schule in Madhobur. Wir fangen an, über Wasser zu reden. Shivender erklärt: »Wasser, Pani, ist wichtig zum Leben. Man kann nicht ohne Wasser leben. Wasser ist überhaupt das Leben und es kommt alles vom Wasser, und es ist wichtig für alles in der Natur, alle Lebewesen. Und Gott hat es gegeben, für uns alle. Gott hat es auf die Erde gebracht. Und ohne Wasser können wir gar nichts«. Es ist überraschend, mit welcher Selbstverständlichkeit und Begeisterung über Wasser gesprochen wird, nicht nur von Shivender. Das wiederholt sich überall und immer wieder. Selbst ein sechsjähriger wird etwas später auf die Frage nach Wasser spontan antworten: »Wasser ist Leben«. Wasser ist wichtig zum Leben. Es gibt kein Leben ohne Wasser. Wir können nicht leben, ohne zu trinken. Shivender trinkt das Wasser aus der Leitung, vom Brunnen, aus dem Kanister, egal. Er schwimmt, badet (Körperreinigung), wäscht Kleider, wäscht den Mund, putzt die Zähne. Er mag Wasser sehr gern. Es wird aus der Erde hochgepumpt. Er erklärt mir, wie ein Brunnen gebaut wird. Er hat das schon oft gesehen. Er zeigt mir auch den Brunnen im Dorf, erklärt, wie er tief ausgehoben wird, 50, 100 Meter. Dann wird der Schacht ausgemauert, ein Metallrohr wird eingeführt und in dieses die Pumpe eingesetzt. Mit Hilfe von elektrischem Strom wird die Pumpe betrieben, die das Wasser nach oben pumpt und durch eine Leitung hoch in das Wasserreservoir drückt,
»Holy waters«, heiliges Wasser in Indien
wo es im Wasserturm gesammelt wird. Durch den Druck, der aus dem Höhenunterschied resultiert, wird das Wasser in alle Häuser zu den Wasserhähnen und Toilettenspülungen gebracht. Wie es in die Erde kommt? Gott gibt uns das Wasser und er bringt es auch dort hin. Es ist H₂O. Es kommt von den Bergen, durch die Flüsse in das Grundwasser. Shivender »badet« morgens und abends, wobei durch Nachfrage und Vorspielen klar wird, dass mit »bathing« eine gründliche Wäsche von Kopf, Haar, Gesicht, Körper, Arme, Hände, Füße, Beine gemeint ist. Dazu wird Seife verwendet, diese abgespült und danach mit einem Handtuch abgetrocknet. Baden in unserer Definition von einem Ganzkörperbad kommt nicht vor. Es gibt Duschen, Schwimmbecken, Seen, Flüsse. Die Zähne putzt er morgens. Die Hände wäscht er vor dem Essen, nach dem Essen (es wird mit den Händen, ohne Besteck, gegessen) und nach dem Besuch der Toilette. Heute ist Ramnomi, der Feiertag zum Ende der neuntägigen Feiern zu Gottes Geburtstag. An dieser Stelle kommt mir die Idee von den Wassergesellschaften. Indien als »holy water society«, spirituell, gottnah und religiös. Ghana als »borehole-society«, sozial, gesellschaftlich, interaktiv, fröhlich, West-Europa als »tapwater society«, technisch.
Promilla und das Wasser in Varanasi Promilla ist »administrative assistant« der Direktion, schon seit vielen Jahren in Kiran, lebt wegen Poliobehinderungen im Rollstuhl, ist Mitte 30, wohnt im Dorf und an Wochenenden mit ihrer Familie in der Stadt. Die Stadt Varanasi hat die Verantwortung, alle ihre Einwohner mit frischem Trinkwasser zu versorgen. Alle Haushalte haben Leitungswasser. Es steht morgens von 6 bis 9 Uhr und nachmittags von 16 bis 20 Uhr zur Verfügung. In dieser Zeit wird von den Bewohnern auch ein Vorrat geschaffen, der in Eimern und Kanistern für den Rest des Tages vorgehalten wird. Auf diese Weise steht allen Bewohnern immer Trinkwasser zur Verfügung. Das Wasser wird aus dem Grundwasser mit 100 Meter tiefen Bohrungen und Pumpen aus dem Wasserspiegel gezogen, in Reservoirs gelagert und über Wassertürme in die Haushalte geliefert. Neuerdings gibt es auch eine Anlage, die Wasser aus dem Ganges entnimmt, reinigt, behandelt und in die Haushalte liefert. Weil die Gesamtkapazität nicht für den ganzen Tag ausreicht, wird in einer Art Schichtbetrieb Stadtteil für Stadtteil versorgt. Manchmal fällt das Wasser auch für längere Zeit aus, z.B. wenn ein Rohr platzt oder eine Pumpe ausfällt. Wegen der allgemeinen Unzuverlässigkeit haben viele private Haushalte zusätzlich Handpumpen oder hauseigene Elektropumpen, um von der öffentlichen Versorgung unabhängig zu sein. Das gilt besonders für Haushalte, die es sich leisten können und solche, die auf regelmäßige Versorgung angewiesen sind. So findet man eine bunte Mischung von Leitung und Wasserhahn, Handpumpe, Brunnen und »jet machines« (Elektropumpen).
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Um einen Brunnen zu bohren, braucht man eine Bewilligung. In einigen Stadtteilen versorgt die Stadt selbst die Bewohner mit Pumpen, Brunnen und »jet machines«. Ähnlich wie Elektrizität, Straßen, Kliniken, Schulen und Nahrung für Bedürftige gibt es eine konstitutionell festgelegte Verpflichtung des Staates, Vorkehrungen für die Wasserversorgung zu treffen. Auch die Hindu Religion schreibt vor, dass jeder, der durstig ist, etwas zu trinken bekommt. Es ist eine moralische Verpflichtung aller Hindus, Wasser in einem »pitcher«, einem Tongefäß, verfügbar zu halten, um jederzeit einem Durstigen Wasser anbieten zu können. So findet man diese »pitcher« während der Trockenperiode überall. Die Hindu Religion schreibt vor: »to get God’s blessing, you have to give water free to the thirsty person«. Diese Verpflichtung bezieht sich auch auf die Gastfreundschaft. »Treat guest as a God«. Entsprechend wird dem Gast immer ein Glas Wasser und eine Süßigkeit (meist Kekse) gereicht. Danach erst wird Tee oder Kaffee angeboten und schließlich Obst. Wasser, Blumen, Obst und Süßigkeiten sind Opfergaben an die Götter und entsprechend auch Geschenke und Angebote an den Gast.
Ranjeet Er ist als »accountant« ausgebildet, ging in die Universität, hat abgebrochen, weil der Vater starb und er sich die Ausbildung nicht mehr leisten konnte. Er ist Mitte 30, hat als Physiotherapeut begonnen, wurde später Projekt Manager in der »Parent Child Counselling Unit«, dem »outreach program« (Beratung auf dem Land), dem CBR (»community based rehabilitation«) und ist jetzt verantwortlich für diese Projekte. Er wohnt in Varanasi mit seiner Frau, die an der Universität Musik studiert. Ranjeet stammt aus Bihar, wo es im letzten Jahr wegen heftiger Regenfälle schwere Überschwemmungen gab. Darüber hinaus hat Nepal die Schleusen und Dämme geöffnet, weil das Land selbst nicht mehr mit dem Wasserüberfluss zurechtkam. Er erklärt mir auch die Jahreszeiten. Die Regensaison ist zweieinhalb Monate im September und Oktober. Sie wird auch als Monsunperiode bezeichnet, weil sie meist damit zusammenfällt. Wenn es während der Monsun Periode viel und ergiebig regnet, ist das gut für die Natur und die Landwirtschaft im folgenden Jahr. In den letzten fünf Jahren waren die Niederschläge zu gering und unregelmäßig, was zum Ende des Sommers, der trockenen Periode und der heißen Zeit des Jahres zu Problemen mit der Ernte und der Wasserversorgung führt. Im letzten Jahr waren die Niederschläge wieder ergiebiger, weshalb momentan auch der Weizen gut steht und man eine sehr gute Mango Ernte erwartet. Das Wetter folgt ungefähr folgendem Muster: Es ist von November bis Februar kalt, ca. 20 Grad Celsius, und es gibt keine Niederschläge; im März/April steigen die Temperaturen und es ist trocken; im Mai/Juni ist es über 40 Grad Celsius heiß und trocken; im Juli/August ist die Temperatur zwischen 45 und 50
»Holy waters«, heiliges Wasser in Indien
Grad Celsius und es ist trocken; ab Mitte September gibt es zwei bis zweieinhalb Monate Regenzeit, Monsune, mit dauerhaft gewitterähnlichem Sturzregen. (Promilla behauptet, die Regenzeit beginne schon im Juni und dauert bis Oktober.)
Antu und die »Ganga holy waters« Antu ist der »general services manager«, Techniker, Mitte 40, und hat das Dorf mit aufgebaut. Er kommt aus Kerala und hat einen christlichen Familienhintergrund. Der Grundwasserspiegel im Ganges-Bogen liegt bei ca. 30 Meter und ist seit 20 Jahren mehr oder weniger unverändert. Er schwankt drei bis fünf Meter mit den Jahreszeiten und dem Wasserspiegel des Ganges. Die Brunnen sind 90 bis 100 Meter tief gebohrt. Es gibt drei Bohrungen und drei Wassertürme. Glücklicherweise (»we are blessed«) ist das Wasser von guter Qualität, und das Grundwasser wird immer wieder erneuert. Das Village und Varanasi liegen in einem Ganges-Bogen. Der Fluss macht eine Schleife, kommt vom Westen, macht eine Schleife wieder zurück nach Osten Richtung Kolkata und Meer. Wegen dieser Richtungsänderungen wurde Varanasi zum heiligen Ort und zur wichtigsten Pilgerstätte. Die ganze Region hat in den vergangenen 20 Jahren schätzungsweise eine Verfünffachung der Bevölkerung und eine Verzehnfachung des Wasserbedarfs erfahren. Dennoch ist die Wasserversorgung gesichert und der Grundwasserspiegel stabil. Es hat in den vergangenen fünf Jahren wenig geregnet. Die Monsunperiode brachte wenig oder unregelmäßigen Regen. Das Grundwasser wird vom Fluss ersetzt. Der führt, von der Jahreszeit abhängig, Wassermengen, die das Wasser auf Uferhöhe bis zu 20 Meter steigen lassen. In der Monsunzeit und bei starkem Regen kann sich der Wasserspiegel innerhalb weniger Tage so dramatisch verändern. Der Ganges tritt dann über die Ufer und es muss Wasser über Kanäle abgeführt werden. Handpumpen werden 30 bis 50 Meter tief gebohrt, abhängig von der Entfernung zum Fluss. In Flussnähe ist der Wasserspiegel niedriger als weiter vom Fluss entfernt. Jahreszeitlich können Handpumpen und Brunnen auch periodisch austrocknen. Im Jahresverlauf ist es von November bis Februar trocken und kühl. Danach steigen die Temperaturen, erreichen im März schon 40 Grad Celsius, im Juli/August bis zu 45/47 Grad Celsius. Im September/Oktober während der Monsunzeit gibt es zwei Wochen heftige, permanente Regenfälle, die auch für Abkühlung sorgen, während der man, wegen der Wassermengen, kaum das Haus verlassen kann und der Boden entweder mit Wasser bedeckt oder reiner Schlamm ist. Das beste System für den privaten Gebrauch sind »submersible pumps«. Es handelt sich dabei um Pumpen, die in einem Rohr bis unterhalb des Wasserspiegels eingeführt und von dort, elektrisch angetrieben, das Wasser in oberirdische Leitungen pumpen. Sie werden auch »jet machines« genannt und bringen innerhalb von Sekunden das Wasser nach oben. Sie können auf
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unterschiedlichen Höhen eingerichtet werden und werden bei Bedarf und für Wartung und Reparatur nach oben geholt. In Varanasi gibt es eine tiefe und leistungsfähige Bohrung, die den größten Teil der Stadt zuverlässig versorgt (Einschränkungen siehe oben). Die Bohrung ist 200 Meter tief. Die Bevölkerung hat sich in 20 Jahren verdreifacht. Deshalb kommt es zu regionalen und zeitlichen Einschränkungen. Das Wasser wird, wegen möglicher Leckagen oder Verunreinigungen der Leitungen, gefiltert und mit Chlor behandelt.
5.2.4 Wasser ist Leben Wir treffen eine ganze Gruppe älterer Jugendlicher, die mit Shivender im gleichen Hostel wohnen (zwischen 14 und 18, meist polio-behindert und geistig äußerst lebendig) beim Kricketspielen im Hof. Wir bilden einen Stuhlkreis und fangen an zu erzählen. Wieder kommt spontan: »Wasser ist Leben«, »wir sind aus Wasser gemacht«, »können nicht ohne Wasser leben«. Mit Wasser wird gewaschen, gebadet, gekocht. Es wird getrunken, im Garten zum Wässern der Pflanzen verwendet, in der Landwirtschaft zum Tränken der Tiere. »Wasser ist wichtig für alle Lebewesen, alle Körper, alles in der Natur, nicht nur die Menschen«. Wasser ist Leben, für alle, holistisch, unteilbar. Deshalb auch »every soul needs water«. Weil die Gruppe so inspirierend über Wasser erzählt, sprechen wir weiter über Arten und Sorten von Wasser, seinen Geschmack, seine Farbe, seinen Geruch, wie es sich anfühlt und wie es klingt. Es gibt Wasser frisch, rein, aus dem Tank, destilliert, bearbeitet, chemisch behandelt, aus der Erde, aus dem Fluss. Es gibt keine Definition von Wasser, keine umfassende Beschreibung, »like God«, »Wasser ist Gott und kommt von Gott«. Deshalb kann man es auch nicht rational fassen. Am nächsten Tag komme ich zurück zu meinen 16- bis 18-jährigen »Philosophen«, die, ganz indisch, vieles aus einer gottnahen Spiritualität erklären. Wir setzen das Gespräch vom Vortag fort. Der Geschmack von Wasser wird als »amazing« beschrieben. Wenn wir durstig sind, können wir den Durst löschen. Das ist uns von den Göttern zusammen mit dem Wasser gegeben worden. Also, Wasser schmeckt unterschiedlich, je nachdem ob es warm, kalt, frisch, aus der Leitung, aus dem Fluss oder vom Regen kommt. In Varanasi (zentrale Wasserversorgung aus dem Fluss, auf bereitet, gefiltert und behandelt) schmeckt es auch anders als hier im Dorf (Grundwasser direkt aus dem Brunnen). Wir kommen auf die Farbe des Wassers zu sprechen. Zunächst stellen sie fest: »Wasser hat keine Farbe«, »vielleicht etwas weißlich«. Was sieht man? Ja, man kann durchschauen, es ist wie ein Linse oder eine Wand, wo man Vorderund Rückseite gleichzeitig sieht. Es sieht morgens, nachmittags und abends
»Holy waters«, heiliges Wasser in Indien
auch jeweils anders aus, und im Meer anders als im See oder im Fluss und einem Bach. Und ja, es schmeckt auch anders je nach Tageszeit, Jahreszeit und je nachdem, wo es herkommt, Quelle, Brunnen, Fluss, See, Meer oder Bach. Und wie fühlt es sich an? Weich, frisch, kühl. Kann man es hören? Die meisten antworten mit »gluck-gluck« und »zzzzschsch«. Die Jugendlichen erzählen weiter: Der Mensch besteht zu 70 bis 75 Prozent aus Wasser, auf der Welt ist 70 bis 75 Prozent Wasser. Die Erde ist aus dem Wasser herausgezogen, emporgezogen, und Lebewesen sind aus dem Wasser gezogen worden. Wie das Wasser in der Erde und im Grundwasser ersetzt wird und wie sich der Grundwasserspiegel verändert, wissen sie nicht. Sie haben dazu auch keine Vorstellung oder Erklärung. Ein Bezug zum Ganges-Wasser wird nicht hergestellt. Aber der Ganges ist heilig, die Mutter von allem, hat heiliges Wasser zur Reinigung von Körper, Geist und Seele. Ganga-Wasser ist heilig und reinigend, auch wenn es schmutzig aussieht. Es gibt sogar Erklärungen nach denen Ganga, die Mutter, mit den ganzen Belastungen schon fertig wird, weil er/sie ja Mutter, heilig und göttlich ist. Und man kann ihm/ ihr dann auch getrost alles anvertrauen und ihm/ihr alles überlassen. Schmutziges Wasser enthält Würmer und Viren und kann Krankheiten verursachen, Kopfschmerzen, Fieber, Bauchweh, Durchfall, Grippe. Sie nehmen Seife und Waschpulver für die Wäsche und Seife für »bathing«. Sie kommen alle aus unterschiedlichen Dörfern in der Umgebung. Die Dörfer haben einige Hundert Einwohner; zwei bis fünf Familien, die miteinander verwandt sind, leben zusammen, jeweils 30 bis 50 Personen, und haben gemeinsam eine Wasserpumpe, mit der sich alle versorgen. Ein anderer Jugendlicher schätzt bei ihm zuhause im Dorf die Relation auf ca. zehn Personen pro Pumpe.
Girls Hostel Wir treffen uns am Nachmittag im Girls Hostel. Es kommen dort 26 Mädchen zusammen, die in fünf Häusern von je fünf bis sechs Jugendlichen zusammen wohnen und sich unter Aufsicht selbst versorgen. Promilla, »administrative assistant« der Direktion, führt das Gespräch und übersetzt. Alle Mädchen haben heute schon Wasser verwendet, für »bathing«, »drinking«, »washing« und »cooking«. Und wieder hören wir spontan »water is life – life is water«, »water makes life«, »no life without water« Sie führen vor, wie sie trinken, sich waschen und Dal kochen. »Bathing« bedeutet immer Waschen von Kopf bis Fuß, mit Seife, einschließlich der Haare (jedoch nicht täglich komplett mit Shampoo). Zähneputzen geschieht mit Bürste und Zahncreme, der Hausputz mit Bürste, Lappen, Pulver, und Lappen mit Eimer zum Nachwischen und Trocknen. Dal wird hergestellt aus Linsen. Sie werden aus einem großen Behälter mit dem Becher gefasst und in einer Schüssel gewaschen. Die gewaschenen Linsen kommen in einen Topf. Dann wird so viel Wasser zugefügt, dass diese bedeckt sind. Zum Würzen werden je
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nach Geschmack Salz und andere Gewürze hinzugefügt, das Ganze zum Kochen gebracht und 20 Minuten gekocht. Dal ist der Haupt-Protein-Lieferant in der vorherrschend vegetarischen Ernährung. Es wird als Gemüse zusammen mit Reis oder Fladenbrot oder als Gemüsesuppe, mit Wasser verdünnt und mit anderen Gemüsen angereichert und verzehrt. Zum Nachtisch gibt es oft mit Zucker gesüßten Joghurt in kleinen Metallschälchen. Zwischen dem Wassergespräch und dem Abendessen lernen wir noch gemeinsam ein deutsches Lied (Hänschen Klein, die ersten vier Zeilen), und die Mädchen singen selbst noch etwas vor. Zum gemeinsamen Abendessen sitzen wir dann im Rechteck auf dem Boden. Das Essen wird aus großen Metalleimern gereicht und von einem großen, runden Tablett gegessen. Reis, Dal und Suppe werden von Hand gemischt und mit der rechten Hand gegessen. Zum Nachtisch gibt es Joghurt und anschließend noch Singen und ein aufgewecktes, interessiertes Frage-und-Antwort-Spiel mit dem Besucher aus Deutschland.
Boys Hostel Boys treffen wir auf die Gruppe der Kleinen (zwölf Kinder zwischen 5 und zwölf Jahren). Mona Bahadur, die Leiterin, erwartet ein Baby und ist verheiratet mit Om, der zum Wachpersonal gehört. Sie schauen sich gerade das abendliche Kinderprogramm im Fernsehen an. Wir unterbrechen, erklären, worüber wir uns unterhalten möchten. Auf die Frage weshalb wir uns wohl über Wasser unterhalten wollen, antwortet ein sechsjähriger spontan: »Wasser ist Leben«. Im weiteren Gespräch werden als Bemerkungen zu Verwendungsweisen von Wasser wieder Trinken, Waschen, Baden, Kochen, aber auch Geschirrspülen, Fußboden Reinigen, Wäschewaschen, Pflanzengießen, Tierefüttern, den Mundausspülen, Zähneputzen genannt. Die Kinder machen durchgängig einen Unterschied zwischen »Mundwaschen«, d.h. Ausspülen, und Zähneputzen. Zähneputzen geht mit Bürste und Paste, meist morgens. Mundwäsche oder Ausspülen erfolgt nach dem Essen, »Baden« mit Seife oder Shampoo, Händewaschen nur mit Wasser. Die Kleinen zeigen gleich am Steinwaschbecken im Freien, wie sie die Zähne putzen. schließlich holen sie einen Eimer und eine Kanne und gießen damit die Blumen.
Klasse 5, Primar y School Klassenlehrerin Susmara; Gespräch mit acht von 16 Kindern, die Hälfte sehr aufgeweckt, gesprächig und interessiert. Die Lehrerin übersetzt für mich. Warum wir uns wohl über Wasser unterhalten wollen? »Water is Life!« Und alle haben heute schon Wasser verwendet, zum Trinken, Baden, Zähneputzen und Kochen. Die Hälfte erhält das Wasser aus der Leitung, wobei nur der Haushalt eines Kindes an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen ist und ihre Familie, in einer stadtnahen Wohnung lebend, ihr Wasser aus dem öffentlichen Versorgungssystem erhält.
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Alle anderen erhalten ihr Wasser aus Leitungen mit Hahn, die indirekt von einer Pumpe gespeist werden. Bei vier Kindern befindet sich die Pumpe im Hof und versorgt mehrere Häuser und Familien. Bei drei Kindern ist die Pumpe im Haus und versorgt eine Großfamilie mit mehreren verbundenen, aber unabhängigen Haushaltseinheiten. Zwei haben auch Wasserbehälter auf dem Dach, die von einer elektrischen Pumpe gefüllt werden und aus denen das ganze Haus mit Wasser aus dem Hahn und der Leitung gespeist werden. Fünf Kinder müssen das Wasser von der Pumpe holen. Weil diese sich auf dem Grundstück befindet, holen entweder Eltern, Kinder oder Geschwister Wasser in Plastikeimern ins Haus, zur Auf bewahrung in der Küche oder dem Raum, der auch zum Waschen und Baden verwendet wird. Toiletten sind meist außer Haus und werden von vielen Familien genutzt. Alle Kinder können ihre Kleider selbst waschen und glätten, inklusive Einweichen, mit Seife oder Pulver einreiben, schlagen oder klopfen, Ärmel und Kragen speziell behandeln, auswaschen, noch einmal spülen, trockenwringen und aufhängen. Alle wissen wie man Hemden bügelt oder glatt zieht, die Hälfte macht es sogar meistens selbst. Ein Mädchen kocht auch selbst für sich und ihren Vater, mit dem sie alleine lebt. Sie hat früh vor dem Schulbesuch schon Pfannkuchenbrot und Gemüse gekocht und wird später das Abendbrot (mit Dal) zubereiten. Die Lehrerin selbst lebt 15 Kilometer von Varanasi in einer 40.000-Einwohner-Stadt, bewohnt ein Zimmer mit integrierter Küche und bekommt das Wasser als Teil der Nebenkosten vom Hauseigentümer zur Verfügung gestellt. Sie zahlt 40 Euro Miete und hat sechs Euro Nebenkosten für Elektrizität, Wasser etc. Im Haus wohnen insgesamt 40 Personen, und sie erhält das Wasser aus der Leitung. Ihre beiden älteren Kinder sind aus dem Haus und zur Ausbildung, die Jüngste lebt noch bei ihr.
Village Girls In einer der Klassen lernen 17 junge Frauen zwischen 16 und 18 Jahren lesen, schreiben, rechnen und nähen. Sie kommen aus dörflichem Umfeld, erhielten keine Schulausbildung und wurden nur zu Hausarbeiten herangezogen. Sie erhalten in Kiran, in einem geschützten Umfeld, als Tagesschülerinnen eine Schulausbildung, die ihnen später ein unabhängiges Leben ermöglichen soll. Die Lehrerin fasst zusammen und erklärt. Alle Mädchen trinken, waschen, kochen und »baden« mit Wasser, das sie vom Brunnen holen. Sie arbeiten intensiv im Haushalt mit, holen das Wasser selbst mit Plastikeimern, meist für die ganze Familie, waschen sich, putzen die Zähne, kochen und kommen dann mit dem Bus zur Schule. Sie waschen ihre Kleider selbst. Das Wasser kommt in jedem Fall aus einer Handpumpe, die eine Familiengemeinschaft von 40 bis 50 Personen versorgt. Wie das Wasser in die Erde kommt, wissen sie nicht, und wie es vom Himmel kommt auch nicht. Aber Gott ist Wasser. Wasser ist Leben. Wasser, Leben und Gott bilden alle eine Einheit.
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Leben im »dormitor y« Bei den letzten Besuchen lebe ich im »dormitory« von Kiran Village. Zum Empfang und als Willkommensgruß erhalte ich einen Kanister mit Wasser und Stahlbechern zusammen mit einem Korb Bananen und Äpfeln. In den Toiletten und Waschräumen steht das Wasser im Überfluss zur Verfügung, weil aus einer tiefen Brunnenbohrung (80 Meter) sehr gutes Trinkwasser, Grundwasser aus dem Ganges-Bogen, gewonnen wird. Entsprechend ist auch Trinken (aus der Leitung), Duschen und Toilette (linke Hand reinigt mit Wasser aus dem Becher und dem Eimer, aus dem Eimer wird nachgespült) kein Problem. Beim Wäschewaschen entsteht Abwasser, das ich nach chinesischer Manier wiederverwende zum Toilette Spülen, was aber, wie ich erfahre, in Indien eine untypische Verhaltensweise darstellt. Zum Abendessen gibt es mit Wasser gekochte Nudeln und Wasser zum Trinken. Zum Frühstück erhalte ich Brot aus der villageeigenen Bäckerei, Marmelade, einen Apfel und ein hartgekochtes Ei. Geschirr spült jeder selbst am Wasserhahn ab und stellt es zum Trocknen in den dafür vorgesehenen Abtropfständer. Zum Mittagessen gibt es Reis, Kartoffeln mit Sauce, Tofu mit Sauce, Dal, Sojasauce (auf einem aus Blättern geformtem Teller) und einen Lehmbecher mit frischem Wasser. Alle Gerichte sind mit Wasser hergestellt. Das Essen besteht aus geschätzten 85 Prozent Wasser, und für die Herstellung wird noch einmal die doppelte Menge zum Kochen benötigt. Physiologisch ist das zusätzliche Getränk wahrscheinlich entbehrlich und wird auch nicht von allen zu sich genommen. Weil aber das Essen mit der rechten Hand gemischt, geformt und zum Mund geführt wird, benötige ich zum anschließenden Händewaschen und Mund Ausspülen noch einmal eine Menge frisches Wasser, das aus einem Schlauch dauernd fließt. Der herbeigekommene Hund frisst die Essensreste vom Bioteller, alles geduldet, natürlich, von geselligem Geplauder begleitet. Weil nicht alles vom Blätterteller gegessen wird, müssen das Stahlgeschirr und die Teller nach dem Essen abgewaschen werden. Dafür wird mehr Wasser benötigt als zum Kochen, Essen und Trinken. Zum Abendbrot gibt es z.B. Gemüse und Zwiebeln in Öl gebraten, Eier mit Gewürzen in Öl, dazu Fladenbrot und frische Gurken und Tomaten, wieder Lebensmittel, die zum größten Teil aus Wasser bestehen. Deshalb reicht dazu ein Glas Wasser zum Trinken. Das ganze Essen verbraucht wieder mehr Abwasch- als Ernährungs- und Vorbereitungs-Wasser.
5.2.5 »Holy water«: Hinduismus – der Ganges und das Wasser In der Vorstellung der Einheimischen hat Gott die Welt aufgeteilt in 70 Prozent Wasser und 30 Prozent Land, aber nur zwölf Prozent des Wassers ist Trinkwasser. Rama, der Gott, wird gleichgesetzt mit Wasser, mit Leben und
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mit Ganga, der Mutter. Wasser ist Leben. Ohne Wasser gibt es kein Leben. Vor jedem Tempelbesuch muss man sich reinigen (»purification«) durch »bathing«. Auch das Meer ist Gott. Shiva, Brahma, Vishnu und Rama sind alle aus dem Wasser geboren. Wasser ist ein Geschenk Gottes und als solches heilig. Alles Wasser und jedes Wasser ist heilig. Mit Promilla bin ich mir einig, dass Wasserverwendung für »bathing« und Körpererfrischung akzeptabel ist, aber Wasserspülung in der Toilette mit »holy water« ein Sakrileg.
Der Chunar Leashu Tempel Der Tempel am Hochufer des Ganges, von dem man über das Ghat zum Wasser hinuntersteigt, ist dem Gott Shivjee gewidmet. Dieser wird im Himalaya verortet. Dort fließt der Ganges aus der Fontanelle des Shivjee. Das Wahrzeichen von Shivjee ist der dreizackige Speer, ähnlich den westlichen Flussgöttern. Der Tempel ist das erste Tor am Fluss auf dem Weg nach Kashi. Kashi, Varanasi und Benares sind alles gleich bedeutende Namen für die Heilige Stadt am Ganges. Varna ist einer der drei Flüsse, die hier nacheinander zusammenfließen. Kashi ist das letzte der drei Heiligtümer und das Ausgangstor. In der Mitte der Stadt befindet sich als wichtigstes Heiligtum der goldene Tempel. Neben dem Tempel liegt ein Ashram, in dem zwei Dutzend Sadhus leben, jene skurril aussehenden Mönche, die am Ufer meditieren, im ganzen Land missionieren, als Gurus durch das Land ziehen und ein weitgehend anspruchsloses Leben führen. Sie führen auch die Puja-Zeremonie zur Heiligung und Reinigung mit Ganges-Wasser durch. Sie sind aufgeschlossen, erzählen gern von ihren Übungen, Überzeugungen, ihrem Leben und darüber, worauf es für hinduistische Gläubige ankommt, und nehmen dafür auch eine Spende für sich oder den Tempel an.
Morgenrituale Ganges
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Die Ganges-Schleife Sie bleibt ein Mysterium, solange ich mit Menschen hier spreche. Ja, Ganga macht in Varanasi eine Schleife und ändert die Himmelsrichtung. Deshalb ist Kashi auch zum heiligen Ort geworden. Und: von Chunay Kashu, dem Eingangstor, dem Tempel bei Kiran Village, macht Ganga einen Bogen, bevor sie in Varanasi ankommt. Aber ein halbes Dutzend Versuche mit Lehrern, Menschen, die hier wohnen, Schülern, den Flusslauf zu zeichnen bleiben erfolglos. Wir finden den gesamten Flusslauf von den Ursprüngen bis zu den Mündungen in Kolkata und Dakha, aber weder in einem Stadtplan noch in Google Earth den Verlauf vom ersten Ghat durch die Stadt bis zum letzten Ghat bei Kashi. Wir können rekonstruieren, dass der Fluss am Anfang in West-Ost-Richtung fließt, dann einen Bogen nach Norden macht, bevor er wieder nach Osten weiterfließt. Ob er eine ganze S-Schleife macht und an einer Stelle auch wieder nach Westen fließt, wie ich vermutet hatte, bleibt ungeklärt. Jedenfalls erinnere ich mich daran, dass in Kiran die Sonne aufgeht in Flussrichtung (d.h. er fließt nach Osten) und dass man von den Haupt-Ghats die Sonne Aufgehen sieht (d.h. dort fließt er nach Norden).
Morgenspaziergang zum Ganges (Ganga, der Mutter allen Lebens) Ich nehme den Weg entlang des Weizenfeldes, des fußballfeldgroßen Wasserreservoirs zum Kuhstall. Große, schwarze indische Rinder, ein helles Tier mit Höcker und ein dutzend Jungtiere, werden gerade mit Wasser abgespritzt, der Boden gereinigt und anschließend die Tröge zum Tränken gefüllt. Die Landwirtschaft und der Gartenbau haben zusätzlich zum offenen Reservoir auch noch einen Brunnen und einen eigenen, separaten Wasserturm. Ganga ist nur einen Kilometer entfernt. Man erreicht sie über ein neu gebautes Ghat, das in Stufen ca. 30 Meter zum Flussufer hinunter führt. Der Weg über die Stufen zum breiten Fluss ist im Morgenlicht und bei Sonnenaufgang bereits ein eindrucksvolles spirituelles Erlebnis. Am Ufer ist ein Paar, das mit Ganges-Wasser, glühender Kohle, Räucherstäbchen und Blüten ein Ritual durchführt. Einige Männer kommen, waschen sich im Fluss, tauchen im grünen Wasser mehrmals unter (jeweils dreimal und in unterschiedliche Richtungen), spülen den Mund aus (dreimal), beten zur Sonne. Einer der Männer hat auch eine Lilienblüte dabei, die er einem Reinigungszeremoniell unterzieht. Am Ende befinden sich einige Blüten, Blätter und Stengel in einer metallenen Vase, die er nach dem Aufstieg über die Treppen am höher gelegenen Tempel weiht und spendet. Am Eingang zum Tempel werden Blumengebinde verschiedener Art (Ketten, Sträuße und Tabletts) für die Spende und Weihe im Tempel verkauft. Das Gesteck, das ich spende, wird nach meinem Besuch zusammen mit dem Geld gleich wieder abgeräumt und zum Wiederverkauf zurückgebracht. Vom Blu-
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menverkäufer wird auch in einer Kelle Wasser angeboten, das vor dem Tempelbesuch der rituellen Reinigung von Gesicht, Mund und Haupt dient. Der Tempel hat einen kreuzgangähnlichen Umlauf und in der Mitte einen blumengeschmückten Kegel. Er wird dauerhaft bewässert und das Wasser durch eine einen Stierkopf symbolisierende Figur abgeleitet. Vishnu, Glöckchen und Götterbilder runden das bunte Bild ab. Neben dem Tempel liegt ein Ashram/Kloster, in dem zwei Dutzend der bekannten, vollbärtigen, vollhaarigen, oberkörpernackten, bunt bemalten Mönche leben. Einer von ihnen macht Übungen mit einem mannshohen Steinschwengel. Ein anderer schrubbt mit Sand, Seife und Kratzer den verrußten Boden eines Kochtopfes.
Das Ganges-Wasser »Ganga water does not get spoiled«, erklärt mir Antu. So sagt der Hindu-Glaube und der Volksmund. Weil Ganga die Mutter von allem und Gott ist, wird sie auch mit allem fertig und man kann alles auf oder in sie hinein werfen. Deshalb haben die Menschen auch keine Scheu, im Ganges-Wasser zu baden, unterzutauchen und den Mund rituell zu spülen. Es wird auch behauptet, man könne Ganga Wasser in Flaschen gefüllt lange Zeit lagern, und es würde nicht einmal einen Belag bilden. Antu hat den Versuch selbst gemacht und gefunden, dass die Qualität nach sechs Monaten in einer geschlossenen Flasche nahezu unverändert war. Eine Erklärung für das Phänomen hat er nicht. Das Wasser kommt von einem Gletscher. Ob dabei radiologisch oder mineralisch etwas mit dem Wasser passiert, weiß er nicht, genauso wenig, ob es Untersuchungen zu der Zusammensetzung gibt. Und um einen strengen wissenschaftlichen Direktvergleich zwischen Ganga-Wasser und normalem Flusswasser hat er sich auch nicht bemüht. Es wäre aber interessant, weil ja dann auch das Grundwasser für Kiran Village entsprechend geschützt wäre und er sich um die Qualität niemals Sorgen machen müsste. Es werden Protozoen und Pilze für das Phänomen verantwortlich gemacht. An anderer Stelle werden Bakterien und Mikroben genannt. Allerdings lese ich auch, dass durch die Verschmutzung alle reinigenden Lebewesen verschwunden sind und die selbstreinigende natürliche Flora zerstört sei. Aber auf jeden Fall sind alle Menschen hier, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, überzeugt, dass in Ganga eine besondere spirituelle Kraft liegt. Man schert sich diesbezüglich auch nicht um wissenschaftliche Beweise. Das Bad im Ganges soll Heilwirkungen haben durch spirituelle Reinigung, so wie wir das auch von anderen heiligen Stätten kennen. Wasser aus dem öffentlichen Netz kostet 150 Rs/Monat (drei Euro), eine Handpumpe mit Installation 45.000 (1.000 Euro), und eine »jet machine« 150.000 (3.000 Euro). Wirtschaftlich zahlen sich eigene Pumpen nicht aus. Sie garantieren aber die Versorgung, sind zuverlässiger als die öffentliche Was-
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serversorgung und sind ein Statussymbol. Die Art, wie alle Befragten über Brunnentiefe, eigene Brunnen, Pumpen etc. sprechen, lässt mich vermuten, dass Pumpen, vor allem »jet machines«, also elektrische Pumpen, einen hohen Prestigewert darstellen. Sie sind ein sichtbarer Beweis für Erfolg, ähnlich wie Satellitenfernseher, Mopeds, Vespas, Motorräder und Autos.
Ashrams Der Tempel, zu dem ich unterwegs bin liegt am Hochufer des Ganges, der jetzt einen zehn Meter niedrigeren Wasserstand hat als zur Monsunzeit und während der Trockenperiode noch weiter absinkt. Ich überquere einen Wasserkanal, der fast ausgetrocknet ist und kaum Wasser führt. Dennoch sind die Felder links und rechts gut befeuchtet und ertragreich. Der Ashram wird von einem vedischen Astrologen aus Varanasi unterhalten. Als ich ankomme, ist gerade eine Gruppe Lehrer zu Besuch, und es wird ein Lichterfest gefeiert. Und natürlich werde ich zu einem Glas Wasser eingeladen, dann zu Tee und zu einem vegetarischen, in heißem Öl frittierten Gemüsebratling. Der Ashram hat sich auf vedische Rituale, astrologische Diagnosen und ayurvedische Ernährungsempfehlungen spezialisiert. Am Hochufer unterhält ein Sadhu seine Einsiedelei, an den Bäumen sind Vishnu Gebetsstellen in roten Farben. Man hat einen wunderbaren Blick auf den Ganges, der Fluss ist hier fünf Kilometer breit, und in der Mitte sind Sandbänke, die auch abgebaut oder bebaut werden. Am Flussufer sind Fischnetze zum Trocknen aufgehängt, ein Boot liegt am Strand, und zwei Jugendliche treiben über 20 Wasserbüffel in den Fluss zum Trinken und Baden. Die Büffel scheinen die Abkühlung mehr zu genießen, als das Wasser zum Trinken. Noch einmal eine Viertelstunde weiter am Ganges-Hochufer gelegen befindet sich ein weiterer Ashram, in dem Hunderten von Besuchern aus der ganzen Umgebung von zwei Gurus ihr Schicksal vorausgesagt wird. Es finden eine Menge unterschiedlicher Rituale zur Erlösung von schlechten Träumen, Gefahren, Ängsten und Nöten statt, alle mit Wasser unterstützt. Bei einem der selteneren Rituale sitzen die Sadhu auf männlichen Leichen und stellen so den Kontakt zu den Ahnen und zum Jenseits her. Im Ashram finden auch Verbrennungen mit Sandelholz statt. Die Asche wird anschließend in den Fluss gestreut und damit der materielle Körper der Erde und dem Wasser des Ganges, aus dem er ja entstanden sein soll, wieder zurückgegeben. Man fühlt sich dabei an Max Weber erinnert: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Hinduismus und Buddhismus (1991 [1920]). Dort kommt Weber auf eine ungeheure Zahl von Kasten, Göttern und Riten, die in Indien zu einer unübersichtlichen Vielfalt von religiösen Vorstellungen und Ideen führen, aus einer Vielfalt von Kulturen (indogermanisch, arisch, islamisch, christlich, jüdisch, buddhistisch, hinduistisch, natürlich, vedisch und jainisch) vermischt, creolisiert und infiltriert. Alle diese Religionen und Rituale haben irgendeinen
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Bezug zu Wasser, und nicht nur der Wassergott, sondern alle anderen gleichermaßen, werden mit Hilfe von Wasser geehrt, milde gestimmt und angebetet. Und alle Anbetenden bereiten sich mit Wasser und Reinigungsritualen auf die Interaktion mit den Gottheiten vor. Schließlich werden neben dem Wassergott auch alle anderen Götter um Wasser und ihre Segnungen gebeten.
Morgenrituale Am Morgen werde ich Zeuge der Waschungen am Ghat. Die meisten Besucher sind Männer, dazwischen nur drei Frauen. Ich sehe Wasser in Krügen für Ganesh und Shiva unter dem Baum, für das Gebet im Tempel und für zuhause. Das Wasser im Stahlkrug sieht sauber und durchsichtig aus. Mir kommt der Gedanke, das Ganges-Wasser könnte ja wirklich sauber, rein, göttlich und die Waschungen gut und sicher sein, entgegen allen westlichen Messungen und entgegen dem Augenschein. Eine Familie am Weg bereitet im Freien Fladenbrot, Milch und Kartoffeln mit Gemüse für die Kinder, die in ihren Uniformen fertig sind für die Schule. Sie wickeln das Gemüse in den Fladen, nehmen einen Schluck Wasser und machen sich auf den Weg. Der Masala Tee zum Frühstück besteht aus Wasser, Teeblätterextrakt, Ingwer und anderen Gewürzen, Milch und Zucker. Man isst Kartoffeln, Bohnen, Zwiebeln und Gewürze, in Öl gebraten, mit Fladenbrot zur Sättigung sowie Äpfel, Bananen, alles überwiegend wasserhaltig. Ich gehe über die Felder am Ganges-Hochufer Richtung zweier Ashrams gangesabwärts, genieße den weiten Blick über den breiten Fluss. Zuvor an der Kiran-Center-Mauer sehe ich einen Wasserhahn für die Nachbarn, an dem Kinder sich ihre Kleider waschen und Wasser holen für zuhause. Aus dem Überfluss entspringt ein Bach, in dem Frösche schwimmen, sich Algen bilden und die Abwässer der Familie versickern. Auf den Feldern entdecke ich Aushebungen von früheren Baumaßnahmen oder Lehmgewinnung für die Ziegelfertigung. In den Aushebungen (ca. 50 mal 50 Meter) steht noch Wasser aus der Regenzeit. In einer der Wasseransammlungen sind zwölf Kinder, Jungen und Mädchen, zwischen sechs und zwölf Jahren. Sie wühlen im Wasser und im Schlamm. Sie schleudern mit ihren Händen das Wasser zwischen den Beinen hinter sich über einen kleinen Damm aus Schlamm und Gras. Sie buddeln im Schlamm nach kleinen Fischen, die sie in Plastiktüten sammeln. Der Mann im Alter von Mitte 30 treibt die Kinder zur Arbeit an, schreit, trifft sie mit leichten Schlägen, zwei junge Männer beobachten die Szene vom Rand aus. Sie bauen Dämme, reinigen den Tümpel von Gras, Algen und Wasserpflanzen. Ihre Tätigkeit lässt vermuten, dass die Fische als Nahrung gesammelt werden. Sie könnten aber auch zur weiteren Zucht eingesammelt und so vor dem Zugriff von Fischreihern gesichert werden, die überall herumfliegen und -laufen. Ob der Tümpel für den
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Anbau von Reis oder Getreide vorbereitet wird oder für die Ernte von Lehm für Ziegel, ist nicht zu klären. Der nächste Ashram auf meinem Weg, der über Trampelpfade am Rand von tiefer liegenden Anbauflächen, meistens Gemüsefeldern, führt, ist voll von Frauen und Kindern. Sie kochen, essen, trinken, spielen wie bei einem Klassenausflug. Die Frauen sind aus dem Dorf. Sie kommen hierher mit ihren Nahrungsmitteln, die hier gesegnet, vorbereitet und verbraucht werden. Gekocht wird auf Lehmkochstellen (ca. 30 Zentimeter hoch) mit Kohle, auf metallenen Kochplatten und in Woktöpfen. Die Frauen tragen ihre Lebensmittel im Korb auf dem Kopf. Kohle, Herde und Kochgeschirr wird vom Ashram gestellt. In der Zisterne des Ashram schwimmen zahllose Fische aus dem Ganges, die zum Essen gedacht sind. Überall waschen Menschen am Brunnen Geschirr, Wäsche und sich selbst. Und auch hier sind überall kleinere Mengen Wasser in den Kanälen und für die Gärten. Jeweils zwei bis fünf Häuser haben zusammen einen Brunnen, viele auch ihren eigenen, aber meistens liegen sie offen hin zum Weg und sind halb öffentlich. Einmal sehe ich auch eine Kabine, in der Frauen sich waschen können. Zwei Männer halten die Türen.
Muradeo Grundschule Viele Kinder sind zu Hause oder im Feld, obwohl eigentlich Montag und ein Unterrichtstag ist. In der Grundschule treffe ich 150 von 280 registrierten Kindern an. Es sind auffällig mehr Mädchen als Jungen in der Schule. Die Lehrerin erklärt, dass die Kinder nicht gern zur Schule kommen, und wenn die Eltern nicht darauf bestehen, ist die Abwesenheitsrate sehr hoch. Außerdem kostet die Schule Geld, zwar nur einen kleinen Betrag, aber wo kein »cash income« vorhanden ist, könne man auch keine Schule bezahlen. Lehrmittel sind hier jedoch frei für Kinder, die sie sich nicht leisten können. Sie bekommen auch ein warmes, gutes Mittagessen. Es gibt sechs Klassen und sechs Lehrer. Im Augenblick meines Besuchs sind vier da. Nur in einer Klasse findet Unterricht statt, d.h. nur in einer Klasse ist eine Lehrerin anwesend, weil die Lehrerin, die mir alles erklärt und mich herumführt, auch noch die nationale Wahl vorbereiten muss. Die Kinder genießen meine Übungen zu »head and shoulders, knees and toes«, Yoga stretches und Zeichnungen. Zur Mittagspause gehen alle zur Pumpe und trinken Wasser, bevor sie sich für eine warme Mahlzeit, Kartoffeln, Dal und Gemüse anstellen. Alles wird sehr schmackhaft zubereitet, vermutlich mit genügend Flüssigkeit, um separates Trinken überflüssig zu machen. Die Einladung lehne ich ab, weil ich »zuhause« erwartet werde und morgen wiederkomme. Auf dem Nachhauseweg begegnen mir wieder Kinder. Ich passiere einen Tempel mit Gesang, die Ziegelsteinfertigung, und beobachte den Transport von Ziegen, Kühen und Wasserbüffeln. Ich sehe Brunnen und Pumpen, und
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überall scheint es genügend Wasser zu geben. Der Ganges ist nur zwei Kilometer entfernt, der Boden fruchtbar. Varanasi, einer der wichtigsten Touristenziele und ein bedeutender Pilgerort, ist nur 30 Kilometer entfernt. Es gibt genug zu Essen und vielfache Möglichkeiten des Zuverdienstes, und dennoch herrscht bei den Menschen auf dem Land eine große Armut. Zum Mittagessen gibt es Dal, Kartoffeln, Gemüse und Reis, alles was man an Proteinen, Kohlenhydraten und Fruchtzucker braucht für eine gute vegetarische Ernährung, und dazu viel frisches Wasser aus dem eigenen Wassersystem.
Pradhan Mishra Der neu gewählte Dorfvorsteher/Chef/Bürgermeister Dhananjay Mishra ist Anfang 60, »retired« von der Elektrizitätsgesellschaft, wo er als Techniker gearbeitet hat und löst die Familie Sanji nach 22 Jahren in der Dorfführung ab. Über seine genaue Aufgabe, seine Verantwortlichkeit etwa für Kanäle, Bewässerung, Schule, Gesundheit, kann er mir wegen beidseitiger Sprachprobleme nichts sagen. Das Gleiche gilt für Dorf- und Familienstruktur. Aber das Wasser und die Süßigkeiten des Willkommensgrußes muss ich annehmen. Danach mache ich mich auf den Weg. Ich bin heute mit dem Fahrrad unterwegs. Man kommt so schneller von einem Ort zum anderen. Aber die Eindrücke und Interaktionen sind dadurch viel flüchtiger und oberflächlicher. Durch die Felder über den Kanal und durch drei Bauernhöfe komme ich wieder zum Ashram. Heute sind Männer mit Familien da, zum Beten, Reden, Essen und Trinken. Mein Gewährsmann ist wieder nicht da, und die Anwesenden können mir auch nichts über die Gegend und zu meinen Fragen sagen. So genieße ich den Blick vom Tempel über die Ganga, sehe Fischerboote entlang gleiten, beobachte die Fische in der Zisterne, die Frauen und Männer, die in Gruppen den gleichen Ausblick genießen.
5.2.6 Waschen und Baden am Brunnen Ich mache mich auf zu einer Wanderung nach Muradeo und in die Umgebung von Kiran. Auf dem Rundgang beobachte ich Menschen an Brunnen. So entdecke ich an einer Handpumpe ein ca. siebenjähriges Mädchen, das gerade ihr Frühstücksgeschirr, ein rundes Tablett und einen Wasserbecher aus Stahl, abwäscht. Die Pumpe ist ca. 50 Meter vom Haus entfernt, das Mädchen trägt ein hübsches buntes Kleid. An einem anderen Brunnen kauert ein kleiner Junge, vielleicht vier Jahre alt, nackt, und wäscht seine Unterhose mit Seife. Dabei schrubbt er die Hose mit Seife auf dem Stein neben der Pumpe. An einem weiteren Brunnen am Weg kauert eine Mutter und »badet« ihren kleinen dreijährigen Sohn. Er wird gerade von Kopf bis Fuß einschließlich der Haare eingeseift und danach abgespült.
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Körperpflege, am Brunnen
An einer anderen Pumpe kauert ein Vater, selbst nass und eingeseift, auf der Brunnenabdeckung und »badet« seinen ca. Fünfjährigen. An einem Brunnen baden nacheinander vier erwachsene Männer, alle von Kopf bis Fuß nass, mit Seife auch die Haare eingeseift, lachen, freuen sich und lassen sich auch bereitwillig photographieren. Der Intimbereich bleibt von einem eingeschlagenen Tuch bedeckt und wird hinter einem vorgehaltenen Handtuch gereinigt. In einem einzigen Fall sehen wir noch ein ca. achtjähriges Mädchen beim Haare waschen. Ansonsten waschen und »baden« sich nur Männer und Knaben öffentlich bzw. werden »gebadet«. Die meisten Brunnen sind offene Wasserstellen, in denen das Wasser aus 20 Metern Tiefe mit Eimern, die über Rollen bewegt werden, gefasst wird. Es gibt viele solche Wasserstellen, ca. zehn Haushalte pro Bohrung, sodass jeder Haushalt innerhalb von 50 Metern Wasser findet. Vermutlich erleichtert diese Nähe und Privatheit im vertrauten Umfeld die früher beobachtete Nutzung der Brunnenoberfläche für Kleider-, Körper- und Geschirrwäsche. Abends sind die Haushalte damit beschäftigt, die Kühe zu versorgen, Essen zuzubereiten und Kinder zu »baden«. Wäschewaschen findet häufiger am Morgen und Körperreinigung nach der Versorgung von Vieh und Landwirtschaft am späteren Abend statt. Ein mit Wasserkresse überzogenes Wasserloch wird zur Gartenbewässerung durch eine mit Benzin betriebene Pumpe angezapft und das Wasser
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durch Schläuche 50 Meter weiter auf ein Feld geleitet. Die Kühe erhalten gerade Futter und werden gemolken. Ein Mädchen hilft dem Kalb, das Euter zu finden. Einige Kuhherden werden von älteren Männern nach Hause gebracht, Ziegenherden von Frauen. Technik (Traktorfahren, Benzinpumpen und Bewässerung) ist Männersache. Frauen bringen Getreide vom Feld nach Hause. Überall wird Tee angeboten. Auf dem Weg sehe ich ein burgähnliches Gebäude, das, wie mir gesagt wird, früher einem reichen Gutsherren gehört hat, und jetzt von seinen Bediensteten bewohnt und bewirtschaftet wird. Ein weiter weg im Feld gelegener Tempel harrt der Entdeckung. Vater und Sohn reinigen den Hof vom morgendlichen Kuhfladen. Kuhfladenbriketts werden aus Wasserbüffelkot und Wasser zu Halbmonden geformt und zum Trocknen gestapelt. Der Sohn spült den Betonboden. Der Vater wäscht sich an der Pumpe, die nach seiner Aussage ein 120 Meter tiefes Bohrloch hat. Die Tochter hilft beim Pumpen und füllt Eimer mit Wasser. Sie winken mich herbei zum Small Talk und bieten Wasser an, das ich auch gerne annehme und trinke. Der Sohn spricht englisch, weil er in Varanasi auf das College geht. An den Wasserstellen unterwegs, wird insbesondere an den Pumpen, überall Wäsche gewaschen, Körper werden gewaschen und Kochgeschirr gereinigt. An einem Brunnen wäscht ein junger Mann sein Motorrad.
5.2.7 Wäschewaschen Viele Männer, aber vor allem Knaben, machen ihre kleine Kleiderwäsche selber, d.h. sie waschen Slips, T-Shirt, eine kurze Hose, das Tuch zum Einfalten des Intimbereichs selbst. Größere Mengen Wäsche werden immer von Frauen gewaschen, direkt am Brunnen oder in dessen Nähe. Die Wäsche wird nass gemacht, auf dem Stein eingeseift, geschrubbt, in einem Gefäß gespült, trocken gewrungen und aufgehängt. Die Frauen lassen sich dabei beobachten und photographieren, haben keine Scheu hinsichtlich ihrer Wäsche und Tätigkeit, verhüllen aber ihr Gesicht mit dem Kopftuch. Das geschieht immer gegenüber und im Beisein von Höhergestellten und Fremden (die automatisch als Höhergestellte gelten). Auffällig beim Beobachten des Waschvorgangs ist auch, wie oft man sogar in sehr einfachen, ärmlich anmutenden ländlichen Gegenden mit Fingerringen geschmückte Hände, Armreifen sowie bemalte Finger- und Zehennägel zu sehen bekommt. Bekannt und erwartet, aber immer wieder bemerkenswert, sind auch die leuchtenden Farben, die Reinheit und Frische der Saris, mit denen die Frauen bekleidet sind. Selbst bei der Feldarbeit oder inmitten von Büffeln auf dem Hof oder beim »Teigen« von Kuhfladen ist das zu beobachten.
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Menschen am Brunnen
Wäschewaschen und Töpfe reinigen
5.2.8 Herstellung von Kuhfladen-Briketts Auffällig oft findet man entlang des Weges runde, anderthalb Meter hohe Stapel von dunkelbraunen, brikettgroßen rundlich flachen Formen. Es handelt sich um Briketts aus Kuhdung, die zum Kochen und in der kalten Jahreszeit zum Heizen verwendet werden. Dafür wird der Kuh- oder Büffeldung gesammelt, mit Wasser zu einem Brei oder Teig geformt und dann in der Form eines kleinen »American Football eggs« zum Trocknen beiseitegelegt. Wenn die Eier angetrocknet sind, werden sie flach gedrückt und, Schmalseite nach oben, zum Trocknen aufgestellt. Sind sie so weit getrocknet, dass die Stücke stabil sind, werden sie zum völligen Austrocknen in runde Stapel bienenkorbförmig aufgebaut. Aus dem Material werden auch runde Schalen geformt. Sie werden hierzu auf den Boden eines runden Tonkrugs aufgebracht und getrocknet. Diese Schalen sind geeignet zur Aufbewahrung von trockenem Getreide oder Briketts. Ebenfalls aus dem Material werden Brenn- und Heizstellen für die Küche hergestellt, sodass kleine Töpfe gefasst und von unten beheizt werden können. Kuhfladen, Briketts
5.2.9 Chai, Tee, Kochen Der besonders würzige, an Karamell erinnernde Geschmack indischen Tees entsteht durch seine Zubereitung. Zunächst wird die Milch mit Zucker gesüßt und im Topf bis zum Kochen erhitzt. Dann werden Kardamom, Salbeiblätter oder andere Gewürze nach Geschmack und persönlicher Vorliebe zugesetzt
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Kochen und Geräte reinigen
und gekocht. Dazu kommen der klein gemahlene schwarze Tee und Wasser. Wenn er genügend gezogen hat, wird er direkt heiß serviert, weil sonst die Milch eine Haut bildet. Ähnlich wird Kaffee bereitet, der dadurch ebenso einen leicht karamellartigen Geschmack erhält.
Kochen und Garküchen Entlang der Straße gibt es in regelmäßigen Abständen auch Garküchen. Die Küche insgesamt, privat und öffentlich, ist vegetarisch und vielfältig, und es kommt eine Vielzahl von Gemüsen, Gewürzen und Kräutern zum Einsatz. Die Basis für jede Mahlzeit sind Fladenpfannkuchen aus Weizenmehl. Dazu wird Weizenmehl mit Wasser zu einem Teig geknetet und gelagert. Vor der Zubereitung werden kleine Kugeln aus dem Teig geformt, zu Fladen ausgerollt und in einer Pfanne mit Öl ausgebraten oder in einer Wok-ähnlichen Pfanne mit Fett gebraten. Als besondere Spielart wird der Pfannkuchen über das offene Feuer gehalten und so aufgebläht. Zu jedem Essen gibt es eine Gemüsesuppe, die auch als Soße mit Reis gegessen werden kann. Die Zubereitung ist einfach: Was immer an Gemüse verfügbar ist, wird in Wasser gekocht, gerührt, gewürzt und serviert. Oft gibt es auch Tofu als Beilage in der Suppe oder zum Gemüse. Die Gemüsebeilage hat oft eine Basis aus Kartoffeln oder Kohl. Beides wird erst gekocht, die Kartoffeln geschält und mit Gemüse und Kräutern verfeinert. Joghurt (»kurd«) wird zum Frühstück pur und bei Hauptmahlzeiten gesüßt angeboten. Die hier genannte Bandbreite wird in den Garküchen auch angeboten. Zusätzlich werden Süßigkeiten aus Milch und Zucker bereitet, die nach Aussehen und Form an Süßigkeiten aus dem Mittleren Osten erinnern.
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5.2.10 Sanitäre Anlagen, Defäkation und Hygiene In den Dörfern gibt es keine sanitären Anlagen, außer auf Ämtern und Behörden oder in der Nähe von Schulen. Man geht früh und abends, möglichst, wenn es dunkel ist, in ein Feld. Der Vorgang dient auch der Düngung, so wie bei anderen Lebewesen, z.B. Kühen. Dort wo die Regierung Handpumpen einrichtet, werden in der Nähe auch Toiletten gebaut. Es handelt sich um einen Backsteinbau mit offenem Eingang und Abfluss in den Boden. Diese Latrinen werden jedoch nach meiner Beobachtung nicht benutzt, nicht in Ordnung gehalten und höchstens als Abstellraum verwendet. Das gilt auch für Badekabinen, die für Frauen gebaut werden, weiß gestrichen sind, in einem der Dörfer neu errichtet und sogar mit Plakaten beworben, aber völlig überflüssig und unbenutzt sind, weil sich die Frauen lieber zuhause oder am Brunnen unter dem Sari waschen. Für die Körperreinigung nach der Defäkation ist die linke Hand und Wasser zuständig. Nach jedem Gang zur Toilette oder Äquivalent werden die Hände gewaschen. Gegessen wird nur mit der rechten Hand und gegrüßt ohne Handschlag. An Krankheiten, die durch mangelnde Hygiene oder menschliche Ausscheidungen entstehen, werden Hepatitis, Durchfall, Kopfschmerzen, Fieber und Grippe genannt. Auch Polio wird durch menschlichen Stuhl übertragen, in dem die Kinder am Straßenrand spielen. Während der Regenzeit gibt es viele Durchfallerkrankungen und gelegentlich Typhusepidemien. Durchfallerkrankungen werden auch befördert durch Tier-Mensch-Übertragungen als Ergebnis des engen Zusammenlebens mit den Tieren auf den Gehöften.
»Health and hygiene«, »disabilities« Die bereits oben erwähnte hohe Rate von Behinderungen hängt auch mit den sanitären und hygienischen Verhältnissen zusammen. Die Kindermortalität ist entsprechend hoch. Impf-Kampagnen erreichen nicht in jedem Fall alle Dörfer, sodass es nach wie vor, wenn auch seltener als früher, zu Poliofällen kommt, obwohl die Krankheit durch Impfung beherrschbar ist und als weitgehend ausgerottet gilt. Zusätzliche Probleme und Komplikationen entstehen, weil zu spät zum Arzt gegangen wird u.a. auch, weil das Gesundheitssystem keine kostenlose Behandlung anbietet und die Ärmeren sich den Arztbesuch nicht leisten können oder wollen. Durch mangelnde Vorsorge, Untersuchungen und Hygiene während der Schwangerschaft und der üblichen Hausgeburt kommt es häufig zu CP (»Cerebrale Paralyse«) und MR (»mental retardation«).
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5.2.11 Hausbau und anderes Handwerk Für den Hausbau wird viel Wasser verbraucht. Sowohl für die Herstellung von Backsteinen als auch für das Anmischen von Lehm und Erde wird Wasser benötigt. Nach wie vor werden Häuser aus Lehm gebaut. Dafür wird einfach Erde mit Wasser angemischt und in Klumpen aufeinander geschichtet, bis die gewünschte Höhe erreicht ist. In Churawanpor konnte ich auch eine Kombinationsbauweise beobachten. Das Fundament wird ausgehoben, mit Lehmmasse gefüllt und dort die industriell gefertigten Backsteine eingefügt. Zusätzlich wird der aus Erde und Wasser angemischte Zement zur Ausfugung verwendet. Auf dem Weg zur Ziegelei kommt man an Feldern vorbei, in denen aus der Erde Lehmziegel geformt werden, zum Trocknen aufgeschichtet und so bereit zum Brennen im nahegelegenen Brennofen sind. Die Männer in der Ziegelei sind nicht eben gesprächig und eher misstrauisch hinsichtlich meiner Fragen zu Produktion, Heizmittel und Wasser. Einer von ihnen scheint der Betreiber zu sein. Er verschwindet in einem nahe gelegenen Haus. Über das System und die Nutzung von Feldflächen, den Wasserbedarf, die Wasserquelle muss ich bei anderen Leuten nachfragen. Die Ziegelsteinfertigung ist eine willkommene und geschätzte Einkommensquelle. Die Menschen im Dorf verdienen sich dort etwas zur Landwirtschaft hinzu. Die Bauern nutzen ihre Traktoren für den Transport der Steine. »Construction«
Handel mit Wasser Milch wird in Stahlkannen gesammelt und in die Stadt transportiert. Die Stahlkannen werden auch zum Transport von Wasser verwendet. Hierbei wird Wasser in die Kannen gefüllt, mit Kräutern angesetzt und auf Märkten zum Kauf angeboten. In einem der Dörfer war ein junger Mann unterwegs mit dem Fahrrad und einem Wagen mit riesigem Plastiktank und hat Wasser für die Baumbewässerung angeboten.
5.2.12 Leben am Brunnen in den Dörfern des Ganges-Bogen Friti ist 20, lebt in Muradeo, einer 500-Einwohner-Haufensiedlung, die zu einem Teil von Viehwirtschaft, zu einem anderen Teil von Feldwirtschaft und Gartenbau und zu einem weiteren Teil von einer nahe gelegenen Ziegelei lebt. Zum Haushalt gehören die Eltern, die Großmutter, zwei Brüder und vier
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Schwestern. Die Familie besitzt sechs Kühe, zwei Büffel, sowie drei Ziegen und bewirtschaftet eigenes Land. Sie zählen zu den reichen Familien im Dorf. Im Dorf sind auch noch weitere Häuser und kleine Anwesen, bewohnt von Brüdern, Onkeln und Tanten bewohnt. Zur weiteren Verwandtschaft gehören geschätzte 50 Personen. Das Dorf wird durch einen offenen Kanal mit Wasser versorgt. Dieser wird von der Regierung unterhalten. Die Bauern schließen ihre Schläuche nach Bedarf an und leiten das Wasser auf ihre Felder und in ihre Gärten. Im Dorf gibt es im Abstand von 50 Metern Brunnen oder Handpumpen. Zum Teil sind sie gemeinschaftlich (öffentlich), zum Teil privat. Ich entdecke eine offene Wasserstelle von ca. 50 mal 30 Metern Abmessung, die verdreckt ist und eher zur Abfallbeseitigung verwendet wird. Es gibt hier keine anderen Geschäfte, Unternehmungen oder öffentliche Einrichtungen. Die Kinder gehen bis zu fünf Kilometer in umliegende Schulen. Ein Gemüsehändler geht mit seinem offenen Karren durchs Dorf und verkauft frisches Gemüse. Einige der Bauern besitzen Traktoren, mit denen sie Ziegel für die Ziegelei fahren oder Lehm von ihren Feldern oder anderen Abbaustellen. Die Geräte sind neu und werden vermutlich von einem öffentlich subventionierten Arbeits- und Einkommensbeschaffungsprogramm zur Verfügung gestellt. Friti hat früh schon an der eigenen Handpumpe 20 Stahleimer voll Wasser gepumpt, den Großteil für die Fütterung der Tiere. Den Rest hat sie ins Haus gebracht, zum Kochen und »Baden« für die ganze Familie. Auf dem Hof gibt es neben einer Handpumpe auch noch einen offenen Brunnen, dessen Wasser für die Gärten und als Brauchwasser Verwendung findet. Im offenen Brunnen befindet sich eine elektrische Pumpe, mit deren Hilfe Wasser in Schläuchen in einen Tank im Haus geleitet werden kann. Friti ist seit vier Jahren verheiratet. Die Ehe wurde arrangiert mit einem Mann aus dem Nachbardorf. Er ist bei der Armee und kommt zu Besuch. Die Ehe wurde erst nach einer Wartezeit wirklich vollzogen, inzwischen wird hormonell verhütet. Kinder sind noch nicht geplant. In zwei bis drei Jahren ist der Umzug zur Familie des Mannes vorgesehen. Die Ehe musste zwischen zwei Mitgliedern der Iado Kaste (Viehhalter) arrangiert werden. Im Dorf wohnt auch Brianka Sahani, 19, mit Eltern, drei Schwestern und zwei Brüdern. Zu ihrer größeren Familie gehören 21 Dorf bewohner, die aber in eigenen Haushalten leben. Ihre Familie gehört einer anderen, auch niederen, Kaste an und betreibt Feld- und Gartenbau auf gemieteten Feldern. Eine Heirat zwischen Mitgliedern ihrer Familie und der von Friti ist nach beider Aussagen völlig undenkbar und würde zu Unruhen und Kämpfen im Dorf führen. Die Vereinbarung mit dem Grundeigentümer ist so geregelt, dass sie die Hälfte der Erträge an den »Landlord« abführen müssen, die andere Hälfte selbst nutzen und verwerten können. Sie betreiben Reis- und Gemüse-Paddies
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(Felder) während der Regenzeit, in der Trockenzeit bewässern sie Felder und Gärten für den Weizen, die Linsen (Dal) und alle Arten von Gemüse. Sie bauen Gemüse auch auf Feldern direkt am Ganga Ufer an. Das ist drei bis vier Kilometer entfernt. Zum Wasserholen (ein Eimer) war sie bei der gemeinsamen Handpumpe im Dorf, zum Waschen und Baden früh morgens am Kanal.
Brunnen und »sanitation«
Leben nach der öffentlichen Wasserregulierung Während der Regenzeit gab es früher regelmäßig lebensbedrohliche Überschwemmungen in der Ganges-Schleife. Zum Schutz der betroffenen Dörfer wurde vor ungefähr fünf Jahren eine größere Zone mit einem Damm geschützt. In diesem Zusammenhang waren auch Flurbereinigungen und Umsiedlungen notwendig. Wir besuchen ein Dorf gleich hinter dem Damm. Es hat nur ca. 100 Bewohner in acht Gehöften und sieht sehr ärmlich aus. Kinder waschen sich gerade am Brunnen. Eine junge Frau putzt Geschirr. Eine andere wäscht die Wäsche auf einer nahegelegenen Betonplatte. Sie hängt die Wäsche auf die Baumstümpfe eines gestutzten Baumes und die Türen eines daneben liegenden Ziegelbaus. Es handelt sich um eine geplante öffentliche Toilette, die aber von der Dorf bevölkerung nicht benutzt wird. Das gesamte Ensemble sieht sehr nach einer öffentlichen Fehlplanung aus, Handpumpe, getrennte Frauenwaschräume, Toiletten, getrennte Wäschewaschplatte, alles wohl sorgfältig geplant und realisiert, aber von der Bevölkerung so nicht ge-
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nutzt und angenommen, weil die Menschen andere Verhaltensweisen gelernt haben. Neben einem der Gehöfte befindet sich eine weitere Handpumpe, die offensichtlich von den Bewohnern selbst eingerichtet und unterhalten wird. Dort wäscht sich gerade eine Frau am Brunnen und schützt sich vor Blicken mit ihrem Sari, unter dem sie sogar die Haare wäscht. In einem anderen Gehöft (mehrere Kühe, Ziegen, Garten, Feld und eigene Handpumpe hinter dem Haus) treffen wir die ganze Großfamilie an, Großeltern, Töchter, Schwiegertöchter, Schulkinder und Kleinkinder, und auch die Frau des verstorbenen Bruders des Haushaltsvorstands. Letzterer ist um die siebzig und bereit, von seiner Kindheit zu erzählen, als er mit seinen Eltern hierher kam. Wasser hatten sie immer genug. Dafür sind sie die drei bis vier Kilometer zum Ganges gegangen, zum Waschen, zum Trinken, zum Wasser holen und zum Vieh tränken. Oft gab es während der Regenzeit gefährliche Überschwemmungen, während der sie die Gegend auch verlassen mussten und Menschen und Tiere starben. Häufig gab es nicht genug zu essen. Es kam zu Hungersnöten mit wochenlanger Nahrungsmittelknappheit. Nachdenklich meint er, es sei schon alles besser geworden, aber sie hätten noch immer nicht genügend Arbeit und Einkommen, insbesondere für die Kinder, die zur Schule gehen und eine Ausbildung machen sollen. Verantwortlich für die Entwicklung dieses und einer Reihe weiterer Dörfer ist ein für fünf Jahre gewählter Dorfvorsteher als eine Art Bürgermeister. In diese Funktion wird typischerweise ein Mann aus einem der Dörfer gewählt, der die Aufgabe zusätzlich zu seinem Beruf oder dem Betrieb einer anderen selbständigen Tätigkeit erfüllt. In diesem Fall lebt er in einem nahegelegenen Dorf in einem größeren, repräsentativen Haus.
Leben mit zusätzlichem »cash income« Rudanti ist ein Dorf, in dem es früher einmal einen »Landlord« als Teil des Feudalsystems gegeben hat. Es gibt noch ein verfallendes Herrenhaus, eine anspruchsvolle Dorfarchitektur mit Arkaden und Dekorationen an den Häusern und einen Dorfplatz mit einem alten Brunnen. Das Wasserreservoir ist verdreckt und grün. Es gibt überall neu angelegte Brunnen mit Handpumpen. Neben den Brunnen sind neue Häuschen mit Reklameschildern, die erklären, dass die Häuschen als Waschhäuser für die Frauen vorgesehen sind. In den Häuschen sind Waschschüsseln aus Stein. Die Häuschen werden aber nicht benutzt. Die Frauen waschen sich lieber am Brunnen oder holen sich das Wasser ins Haus, zumal das Dorf mit Brunnen gut ausgestattet ist. Wir treffen eine Familie aus dem CBR-Programm (»community based rehabilitation«) von Kiran, das sich um behinderte Kinder in Dörfern kümmert. In diesem Fall ist der Jugendliche leicht CP behindert und kann zuhause versorgt werden. Staatlicherseits gibt es keine Betreuung, sodass NGOs diese Auf-
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gabe übernehmen. Sie bewohnen das Haus eines Verwandten, der es gerade nicht braucht, und ein daneben gelegenes altes Lehmhaus. Respektsperson ist die Großmutter, deren Tochter, Enkelsohn, Enkeltochter und Schwiegerenkeltochter mit Kleinkindern im Haushalt leben. Der anwesende Enkelsohn ist ca. 30, hat gerade geheiratet und ist der Ernährer der Großfamilie. Er arbeitet bei einer Baufirma und kann sich und seiner Familie zwei Motorräder leisten, die demonstrativ den Eingangs- und Wohnbereich dominieren. Wir erhalten wie üblich Wasser und Kekse. Die alte Frau erzählt von früher, als alles viel mühsamer war. Wir besuchen das Lehmhaus, das konstruktiv und dekorativ anspruchsvoll ist und mit selbst gefertigten, getrockneten Lehmbatzen immer wieder ausgebessert werden muss. Aber insgesamt hält das 70 Jahre alte Haus den Regenfällen gut stand. In fünf Zimmern und einer Küche wohnen drei Familien. Am Brunnen gegenüber versuche ich mich zur Belustigung der Zuschauer mit Wasserschöpfen. Es handelt sich um einen offenen Brunnen, bei dem über eine Rolle ein Seil mit angehängtem Stahleimer in den Brunnen gelassen wird. Am Brunnenboden schlägt der Eimer auf und fällt um oder muss durch Bewegung am Seil zum Umfallen gebracht werden. Durch heben und senken wird er dann gefüllt, sinkt dadurch und kann gefüllt nach oben gezogen werden. Mein Eimer ist gefüllt, aber nicht bis zum Rand.
Churawanpor Wir biegen von der Hauptstraße ab und erreichen nach 500 Metern den Ort Churawanpor. Es handelt sich um ein Dorf mit 500 Einwohnern, die Lehmoder Ziegelhäuser dicht gedrängt, zwischen den Häusern schmale Gassen, die nur zu Fuß oder mit dem Zweirad befahrbar sind. Der Ort liegt auf dem Hochufer des Ganges mit einem weiten Blick über das 30 Meter tiefer gelegene Flussbett. Die Häuser sind aus Lehm oder Ziegel, die Menschen in Kasten einund unterteilt nach Kuhlandwirten und Getreidelandwirten. In jedem Haus leben zehn bis 15 Personen, die Frauen haben vier bis fünf Kinder. Nach Hindu Tradition gilt Einehe bei striktem Verbot von Promiskuität. Junge Frauen werden oft schon mit 15 Jahren arrangiert verheiratet, aber meist erst mit 20 erstmalig schwanger. Enthaltsamkeit ist die vorherrschende Art der Empfängnisverhütung. Der indische Staat hat aber auch mit »family planning«-Programmen begonnen, sodass Frauen nach vier bis fünf Schwangerschaften beginnen, sich vor weiteren Schwangerschaften vorzusehen. Die Mortalität ist hoch. Entbunden wird üblicherweise zuhause. Die Disability Rate ist sehr hoch mit fünf Prozent Behinderungen bei Kindern und zwei Prozent in der Gesamtbevölkerung. Im Dorf gibt es 107 schulpflichtige Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren, davon 13 behinderte Kinder. Die Schule ist schön gelegen, gut gepflegt mit aufgeschlossenen Lehrern. Von den 107 Schulpflichtigen sind am Tag unseres Besuches 74 anwesend. Andere sehen wir im
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Dorf beim Waschen, Spielen und beim Hausbau. Der Rest ist mit Arbeiten im Haus beschäftigt. Die sanitären Anlagen neben der Schule sind abgeschlossen und werden nicht benutzt. Das Gleiche gilt für die Handwaschanlagen. Die Defäkation findet im nahe gelegenen Feld statt.
Im Feld
5.2.13 Willkommensgruß – Varanasi privat Ich bin eingeladen bei Ranjeet zuhause. Mit der Vespa fahren wir in die Stadt. Wir besichtigen einen Tempel und sind überall mit Wasserritualen konfrontiert. An jedem Schrein, Heiligenbild oder Altar wird Wasser gereicht, mit dem die Haare, der Mund und die Brust berührt werden. Auch die Universität, eine Gründung aus der Kolonialzeit und die flächenmäßig ausgedehnteste Universität der Welt, hat einen riesigen Tempel in ihrem Zentrum. Wieder benetzen wir uns vor jedem Altar mit Wasser. Beim anschließenden Tee in der Privatwohnung wird wie immer zunächst Wasser und eine Süßigkeit angeboten, in diesem Fall Pudding mit Früchten. Anschließend trinken wir Kaffee und musizieren abwechselnd mit dem alten handbetriebenen Harmonium.
5.2.14 Wahrnehmungen – Varanasi Hostel Ich treffe mich mit drei jungen Männern zwischen 16 und 18 Jahren in ihrem Hostel in der Mitte der Stadt Varanasi. Es ist 100 Meter von der Brücke entfernt, an der Kashi anfängt und 300 Meter vom Haupt-Ghat entfernt. Im Haus ist eine »jet machine« installiert, die das Wasser aus ca. 150 Fuß Tiefe holt. Die Bohrung ist ca. 280 Fuß tief. Das Wasser wird im Tank auf dem Dach gelagert und gibt wohlschmeckendes Trinkwasser, das immer fließt und besser schmeckt als das chlorierte Wasser aus der öffentlichen Wasserversorgung. Zur Sicherheit wird es noch über einen Kohlefilter gefiltert, was aber den Geschmack kaum beeinträchtigt. Wir wollen uns über Wasser unterhalten. Sie erzählen von Gangotri, dem Ursprung des Ganges im Himalaya. Shiva ist der Gott, aus dem Ganga entspringt.
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Aber es gibt noch viele andere Götter, die an der Entstehung der Welt und dem Wasser beteiligt sind. Seine Frau heißt Parvati. Das Grundwasser ist nicht von Ganga, weil es unter der Erde ist, Ganga aber an der Oberfläche weilt. Also kann es gar nicht von Ganga sein. Aber als Wasser ist es sowieso heilig, egal, wo es herkommt, weil Wasser eben heilig ist. Der Tempel am Ganges-Oberlauf heißt Shultan Keshwar. Der Geschmack von Wasser ist unterschiedlich in Varanasi »public«, dem Hostel Brunnen und ihren Heimatorten. Wasser kann man auch fühlen. Es fühlt sich anders an, wenn man durstig ist und den Durst stillt. Auch heiß-kalt, »bubbles«-»splash« fühlt sich unterschiedlich an. Schließlich ist Wasser auch im Sommer anders als im Winter. Wasser kann man auch hören. Es hat einen Klang, macht sich unterschiedlich bemerkbar, als Wasserfall oder als Quelle in den Bergen, wenn der Wassertank voll ist und überläuft. Leichter Regen klingt anders als Platschregen, der Wasserhahn anders als die Dusche, Wasser im Eimer aus Plastik anders als in einem aus Stahl. Die Toilettenspülung hat auch ihren eigenen Klang. Wasser hat auch verschiedene Farben. Es ist transparent, aber auch weiß, grün, blau, silbern, glänzend, und es hat verschiedene Geschwindigkeiten. Es überträgt Krankheiten. Also ist Wasser vielleicht doch lebendig, etwas Menschliches oder gar Göttliches? Zumindest ist Wasser etwas Lebendiges. Also einmal mehr: »Wasser ist Leben!«
5.2.15 Rituale (»Pujas«) Im Kiran Village angekommen, mache ich die Tour, besuche Promilla, Zeenu, Sybille, Sanjjet, Anju, Moreno, trinke Tee am Kiosk, Wasser in einem Stahlbecher wird mir vor mein »dorm« gestellt, ich erhalte Äpfel, Bananen und den Willkommensgruß. Ich komme am Kulam vorbei, an der Horticultur, dem Gerstenfeld, der Viehzucht mit vielen neugeborenen Wasserbüffeln, laufe über das Feld zum Ghat, zum Ashram und zum Tempel am Ganges. Ungewöhnlich muten die große Menschenmenge an und ein hunduistisches Fruchtbarkeitsritual von Menschen aus Bihar. Ich erblicke Hunderte von Menschen, überwiegend Frauen jeden Alters, Kinder beiderlei Geschlechts, aber auch vereinzelte Männer, junge und ältere. Dem Feld vor dem Tempel ist voll von TukTuks, Mopeds, Fahrrädern, Autos; die Menschen sind aus einem Umkreis von ca. 40 Kilometern gekommen, vorwiegend aus Varanasi. Die meisten sitzen in Gruppen um Körbe voller Obst, Bananen, Kokosnüsse und Äpfel. Im Schlick am Wasserrand stecken Zuckerrohr Stauden. Öllampen sind erleuchtet, Kinder brennen Knallkörper und Leuchtsterne ab. Einzelne Frauen stehen hüfthoch im Wasser und halten Opferschalen oder -krüge, gefüllt mit Wasser und mit Kerzen erleuchtet. Männer schwimmen im Ganges oder vollziehen am Wasserrand ihre Reinigungsrituale. Frauen singen vedische Lieder. Die Blicke
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sind nach Westen gerichtet, zur untergehenden Sonne. Jungs und Mädchen zwischen acht und zwölf Jahren kommen und fragen nach meiner Herkunft und meinem Namen. Ältere Männer erklären mir das Ritual. Das Ritual ist an den Sonnengott Ram gerichtet. Dem Abend vorangegangen sind 36 Stunden ohne Essen und Trinken. Gebetet wird für Schwangerschaft und Kinder, aber auch allgemein für eine gesegnete Familie und Sippe. Und weil die Sonne die Lebensenergie darstellt, betet man auch allgemein für Wohlstand und Wohlergehen auf der Welt. Mit dem Sonnenuntergang wird das Obst mit Ganges-Wasser gesegnet, weitere Öllampen und Kerzen entzündet, weitere vedische Gesänge angestimmt und Feuerwerkskörper abgebrannt. Mit Eintritt der Dunkelheit lösen sich die Gruppen auf. Die Männer tragen die Körbe voll Obst auf dem Kopf die Treppen hinauf. Die meisten Familien gehen noch in den Tempel, opfern Blüten, spenden Geld, beten zu Vishnu, läuten die Glocken für die Aufmerksamkeit der Götter, verbeugen sich tief vor dem Stiersymbol, besprühen sich mit Wasser, werden vom »Priester« auf der Stirn bemalt und fahren nach Hause. »Und nicht vergessen: morgen früh um 5 geht es weiter, kommt ihr auch wieder, mit Sonnenaufgang beginnt das Fastenbrechen.«
Rituale
Um 4.30 Uhr stehe ich auf. Aus der Ferne höre ich schon Gesänge und Fahrzeuggeräusche. Um 5 Uhr stehe ich oben am Ghat und sehe unten am Fluss das Bild vom Vorabend, noch in der Dunkelheit, einige Feuerwerkskörper und Leuchtraketen sorgen für Unterhaltung und Belebung. Sonst herrscht angespanntes, konzentriertes Warten, wieder mit Kerzen und Öllampen, die vereinzelt auch in das Wasser gesetzt werden und flussabwärts Richtung Varanasi schwimmen. Viele der Frauen stehen heute früh hüfthoch im Wasser, ihre Schalen in Andachtshaltung in Brusthöhe vor sich, in Richtung Osten schauend, der Son-
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ne, Ram, entgegen. Mit Einsetzen der Dämmerung beginnen die Männer mit rituellen Waschungen und schwimmen im Fluss. Kinder stellen ihre neugierigen Fragen. Um 6.30 Uhr erscheint endlich die Sonne aus dem Morgendunst. Die Gesänge werden lauter, zusätzliche Lichter leuchten, alle Menschen stehen jetzt, die Blicke zur Sonne gerichtet. Die Kinder sind bei ihren Familien. Einige Frauen tauchen unter, das Obst wird geweiht und dann wieder von den Männern die Stufen Richtung Tempel und Kloster nach oben getragen. Die Sadhus beobachten von der Terrasse des Klosters das Treiben, im Tempel herrscht reges Treiben. Publikum bedeutet Geld und Umsatz. Priester nach unserem Verständnis, als Amt, Autorität oder Beruf, gibt es im Hinduismus nicht. Was wie ein Priester aussieht und fungiert, ist ein Beschäftigter des Tempels mit provisioniertem Einkommen. Alle Rituale implizieren Wasser, Wasser als Hilfsmittel, Reinigungsmittel, Medium und als Gegenstand der Anbetung. Dabei vermischen sich Waschungen mit Besprühungen und Anbetung.
Transport
5.2.16 Schwimmen im Ganges Jeden Morgen kommen Männer, Frauen und Kinder zum Ghat für ihre Morgenwaschungen, an Wochenenden und Feiertagen noch zahlreicher. Sie waschen sich von Kopf bis Fuß, tauchen unter oder Schwimmen, schöpfen Wasser in einen Krug, beten zur Sonne, sobald sie aufgeht, entzünden Öl oder Kerzen, weihen Blumenkränze, die anschließend am Schrein unter dem Baum oder im Tempel dem Gott Shiva geweiht werden. Die Waschungen haben eine sakrale Bedeutung der Anbetung und Reinigung (»purification«), aber auch den profanen Zweck der Morgenhygiene, des Zähneputzens, des Waschens (mit Seife oder Shampoo), der Säuberung (»cleaning«) und auch der Erfrischung beim Schwimmen.
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Ich mache eines Morgens meine eigene Erfahrung und entscheide mich zu einem Bad im Ganga. Es kostet mich einige Überwindung, weil gemeinhin bekannt ist, wie verseucht der Fluss ist. Er gilt als der schmutzigste Fluss der Welt, führt die Abfälle von 2.000 Kilometer Oberlauf, die Abwässer von Yamuna und Delhi, unzähligen Städten und Dörfern am Weg; Hundertausende erledigen darin ihre Verrichtungen. Dennoch gehen täglich Millionen von Menschen zum Fluss für ihre morgendlichen Waschungen. Sie sind überzeugt, dass das Ganga Wasser heilig und deshalb rein ist. Und in den Stahlbehältnissen, in denen das Wasser geschöpft wird, sieht es auch sauber aus. Schließlich sagen mir die Leute, dass sie selbst auch im Ganga schwimmen oder sich waschen. Das ermutigt mich. Heute, 18. November 2010, an einem frischen Morgen, meditiere ich mit Blick auf den Fluss und erwarte den Sonnenaufgang. Dann zieht es mich zum Fluss. Es sind nicht viele andere Männer da, vielleicht ein Dutzend, am Ufer verteilt. Ich ziehe mich aus bis auf die Unterhose und steige die Treppe hinunter ins Wasser. Das Wasser ist frisch, aber nicht kalt. Bereits auf der ersten Stufe spüre ich weichen, schlammigen Untergrund. Auf der nächsten Stufe sind meine Füße komplett im Schlamm. Es ist ein weicher, angenehmer Schlamm und ein Gefühl wie in einer Schlammkur. Er fühlt sich leicht an und überhaupt nicht klebrig. Ich genieße das Gefühl und gehe knietief ins Wasser und wadentief in den Schlamm, wasche meine Beine, Hände, Arme, übergieße mich mit Wasser, reibe es in Haare, Gesicht und den ganzen Körper. Noch immer genieße ich das angenehme Gefühl an Füßen und Beinen. Ich tauche dreimal den Kopf unter, bete zur aufgehenden Sonne, tauche noch dreimal, in Gebetshaltung zur Sonne. Dann stürze ich mich in den Strom, schwimme Richtung Flussmitte, schaue zum Ufer und merke, dass der Fluss auch eine Strömung hat. Ich schwimme flussaufwärts und zurück zur Treppe, komme kurz vorher zum Stehen und genieße wieder dieses neue Gefühl von Weichheit, mit dem der Schlamm meine Füße und Beine umschmeichelt. Und ich muss wieder meine Hände zur Sonne erheben, auch um das Gefühl an den Füßen und Beinen noch eine Weile zu erhalten. Ich verlasse den Fluss, lasse mich trocknen, und bin mir sicher, dass der Schlamm alles aus dem Wasser aufnimmt, was ins Wasser eingebracht wurde, es verarbeitet, zersetzt, in Natürlichkeit umwandelt und ich letztlich in reinem Flusswasser gebadet habe. Und auch sechs Stunden später, während ich das aufschreibe, spüre ich noch immer die Wohltat des Wassers auf meiner Haut und das Gefühl an meinen Waden, und habe kein Bedürfnis, etwas abzuwaschen. Jetzt bin auch ich überzeugt, dass Ganga-Wasser heilig ist, rein und gut, unabhängig davon, was mir naturwissenschaftliche Untersuchungen des Wassers beweisen würden.
»Holy waters«, heiliges Wasser in Indien
5.2.17 Wasser-Schlangen Eine Flugstunde nördlich von Varanasi ist man in Kathmandu, der Haupstadt von Nepal, am Fuß des Himalaya. Das halbe Jahr über regnet es dort regelmäßig. Das Kathmandu Tal ist sehr fruchtbar und erlaubt zwei Ernten pro Jahr, eine Weizen-, Senf- oder Linsenernte und eine Reis-Paddy-Ernte. Der Bagmati River fließt, aus dem Himalaya kommend, durch Kathmandu, wird als heiliger Fluss verehrt, an dessen Ufer am Pasupati Tempel Kremationen stattfinden und Sadhu Opferrituale durchführen. Er mündet 500 Kilometer südlich in der Nähe von Varanasi in den Ganges. 2,3 Prozent der gesamten weltweiten Frischwasser Menge ist hier gelagert, in Gletschern, Seen, Flüssen, Grund- und Oberflächenwasser gegenüber 0,03 Prozent der Landmasse und 0,5 Prozent der Weltbevölkerung; d.h. dass sie genau genommen ca. fünfmal so viel Wasser haben wie ihr »fair share«, flächenmäßig sogar hundertmal, es also an Wasser eigentlich nicht mangelt. Das Kathmandu Tal war früher ein See von der Größe des Bodensees. Und überall finde ich Wasser-Schlangen, also Schlangen von Frauen, die mit Kanistern, Flaschen, Stahl- und Messing-Kannen anstehen, um an Leitungen Wasser zu fassen. Hier scheint es wieder einmal genügend Wasser zu geben, aber nicht zum Trinken. Am Hauptplatz in Patan, dem Durbar Square vor dem Königspalast, gibt es eine große, historische Wasserstelle. Man geht 30 Stufen hinunter zu drei Wasserspendern, schön dekoriert aus dem 17. Jahrhundert, davor herrscht ein buntes und munteres Treiben. Bei näherem Hinsehen sehe ich Dutzende von Frauen, Mädchen und Kindern und ca. 100 Behälter unterschiedlicher Art. Sie sind in drei Reihen aufgestellt vor den Wasserspeiern. Die Behälter sind Kannen, Kanister, Eimer, Flaschen und Vasen, in unterschiedlichen Größen, Farben und Materialien: von Plastik über Stahl, Messing, Zinn und PET, in gelb, rot, blau und glänzend, findet sich alles, womit man Wasser schöpfen und tragen kann. Die Kinder spielen, die Mütter warten, die Mädchen lachen und unterhalten sich. Sind sie an der Reihe, füllen die Frauen die Gefäße, jede zwischen zwei und vier Stück. Aus dem Rinnsal am Speier dauert es drei Minuten, bis eine Literflasche voll ist, 15 Minuten braucht ein fünf-Liter-Kanister, und eine 20-Liter-Kanne braucht eine ganze Stunde. Bis alle fertig sind, vergehen entsprechend viele Stunden. Mehrere Stunden am Tag verbringen die Frauen und Mädchen mit Warten und Wasserholen. Und Patan ist kein Einzelfall. Überall im Kathmandu Tal finde ich Frauen und Mädchen, die um Wasser anstehen. Das häufigste Gefäß ist eine Messingkanne, die ca. 20 Liter Wasser fasst, ca. 50 Zentimeter hoch ist und 30 Zentimeter im Durchmesser hat, oben ist sie offen. Sie wird unter dem Arm auf der Hüfte getragen, auf längeren Wegen auch in einem Korb auf dem Rücken. Jede Frau erhält eine solche Kanne
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zur Hochzeit von ihren Verwandten geschenkt. In jedem Haushalt findet sich deshalb eine solche Kanne aus Messing. Weitere Kannen sind aus Stahl oder Zink, kleinere Gefäße ebenfalls aus Messing oder Zink, alle blank geputzt und strahlend. In jüngerer Zeit kommen als Haushaltsausstattung (aber nicht als Aussteuer) Kanister und Eimer aus Plastik hinzu.
Wasser-Schlangen
In Baktapur, der dritten Königsstadt, sind die Wasserstellen vielfältiger und über mehrere Plätze verteilt. Auch hier ist es so, dass man überall, wo eine Wasserstelle Wasser führt, auch eine Schlange von Frauen mit ihren Behältern sieht. An fast allen Wasserstellen befindet sich auch ein Schrein für den Schutzgott Vishnu mit dem Symbol der Kobra oder Shiva, dem »God of Destruction«, mit dem Symbol des Dreizack. Der Ganges entspringt schließlich der Legende nach seinem Kopf. Von den vielen Göttern in der Hindu-Religion sind auch einige speziell für das Wasser zuständig, unter anderem der Red Matchendrana und der Red Patan, beides Wassergötter, die gesondert verehrt werden. Am 1. April beginnen in Patan die Vorbereitungen für das erste Frühlingsfest mit Umzügen in der Erwartung des ersten Regens. Hierfür wird ein langer »charriot« (überdimensionierter Umzugswagen) aus Holz mit großen Rädern bunt mit Blumen geschmückt und von den jungen Männern durch die Stadt gezogen. Überall wo sie anhalten, beginnen die Menschen im Stadtteil mit den Feierlichkeiten. Und überall wo sie mit den Feierlichkeiten beginnen, soll dann auch Regen fallen,
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garantiert und zuverlässig. Immer wenn der Umzugswagen gezogen wird, fällt ebenfalls Regen. In der Tat gab es am 30. März und 1. April Abendgewitter. Immer wenn Regen gebraucht wird, bitten die Menschen Shiva darum: »Harahava Mahadar (entspricht Shiva) Pani, deu, deu«. Umgekehrt verehren und beten sie zu Indra, dem König des Himmels und Gott des Donners und der Gewitter, wenn es genug Regen gab und die Gewitter aufhören sollen. Auf dem Weg zum Chanju Narayan Tempel (Narayan entspricht Vishnu) kommen wir an einem Dutzend Wasserstellen vorbei, wo überall das gleiche Bild zu sehen ist: Frauen und Schlangen von Gefäßen vor den Wasserstellen. Suuoyambu Stupa und Boudhana Stupa, wie alle Tempel, haben ihre eigenen Wasserquellen für das Wasser, das für religiöse Rituale benötigt wird. Auf dem Weg von Baktapur nach Chanju Narayan sehen wir auch den ersten Wassertank Lastwagen. Es ist Nachmittag, gegen 4 Uhr, der Wagen kommt im Auftrag der öffentlichen Wasserversorgung der Stadt Kathmandu und liefert regelmäßig um diese Zeit Frischwasser für die Menschen. Auch hier ist eine Schlange, damit jeder zu seinem Wasser kommt, die Gefäße ähnlich wie an den Wasserstellen, aber eher von der größeren Sorte, weil das Wasser schnell und mit viel Druck aus einem Feuerwehrschlauch fließt und entsprechend die Kannen zügig gefüllt sind. Die Stadt Kathmandu hat eine öffentliche Wasserversorgung, ein Leitungssystem, das aus Reservoirs in Wassertürme und überirdische Tanks pumpt und von dort die Wasserstellen und Wasserhähne, öffentliche und private, bedient. Das Wasser kommt aus dem Sundanijal Fluss und Reservoir. Ein Reservoir am Melanji Fluss ist politisch blockiert und macht keinen Fortschritt. Zusätzlich gibt es Quellen in den Bergen, die gefasst und vor allem in Dörfern für die Wasserversorgung zur Verfügung stehen. Die Versorgung ist überall mengenmäßig und zeitlich begrenzt. Shikara Narayan, Papna Sanbava, Parping Eremitage sind Orte und Heiligtümer in den Bergen um Kathmandu. Dort sehe ich zum ersten Mal das schockierende Bild eines Wasserhahns mit Vorhängeschloss. Es wird zweimal am Tag entfernt von einem Vertreter der örtlichen Gemeinschaft, der für die Verteilung von Wasser in der Gemeinde zuständig ist. Weil das Wasser vom Berg aus dem nächsten Tal kommt, ist der Tank nicht immer ausreichend mit Wasser gefüllt und kann nicht den gesamten Bedarf decken. Wer es sich leisten kann, einige private Haushalte, der Tempel, hat seine eigene Pumpe oder Tank. Wenn die öffentliche Versorgung noch schwieriger wird, geht man zum Tempel. Dort gibt es meistens ein Kulam (gefasstes Wasserhaltebecken, 50 mal 30 Meter, gemauert) oder eine Quelle oder Pumpe. Überall ist natürlich auch die Cobra als Symbol für Vishnu abgebildet, eine weitere Dimension der Schlange, die an jedem Schrein mit dargestellt ist, und Vishnu, die Welt und ihre Kreaturen schützt.
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Wasserholen
»Pani« (Wasser) erhalten sie für die Feldbewässerung über einen Kanal, der vom Melanchi River Damm gespeist wird. Trinkwasser und Wasser für Haushalt, Körperpflege und Kochen erwerben sie aus einer Quelle in den Bergen. Die Quelle ist einen Kilometer entfernt und versorgt von dort aus das gesamte Dorf. Es fließt in Leitungen ins Dorf, füllt dort »overhead tanks« und wird über Wasserhähne entnommen. Es kommen ca. drei bis fünf Häuser auf eine Leitung mit Hahn. Die Frauen gehen zum Wasserholen. Sie nehmen dafür die traditionellen Kannen (ca. 70 Zentimeter hoch, 50 Zentimeter Durchmesser) aus Messing (»brass«) oder Stahl, Zinn oder Zink, die, wie bereits erwähnt, das traditionelle Hochzeitsgeschenk für die Frau sind und in jedem Haushalt (auch in modernen städtischen Familien) zu finden sind. Sie werden, außer zum Wasserholen und -auf bewahren, auch als »storage« für Getreide, Mehl usw. verwendet. Vom Wasserholen tragen die Frauen die Kannen unter dem Arm, auf der Hüfte aufgesetzt, nach Hause. Für lange Strecken werden auch Körbe verwendet, die auf dem Rücken getragen werden. Die Wäsche wird an der Leitung gewaschen. Ca. zwei- bis dreimal die Woche gehen die Menschen zur Leitung für eine Ganzkörper Reinigung (»bathing«). Die Männer ziehen sich dazu aus bis auf die (großzügig um die Hüften gefalteten) Unterhosen. Frauen verstecken sich unter ihren Petticoats und reinigen sich mit Seife und Shampoo. Zum Zähneputzen werden Zahnbürste und Zahnpasta, aber auch Sticks, Zweige von Ästen und Holzkohle verwendet. Getrunken wird aus Zink Wasserbechern, gekocht wird überwiegend Dal, Pat und Gemüse (Curry). Das Geschirr wird mit Leistungswasser zuhause, die Töpfe an der Wasserstelle mit Asche gereinigt. Auch die Tiere werden mit Leitungswasser getränkt. Die Toilette ist außerhalb des Hauses. Über eine Leitung werden die Exkremente weggespült in ein Becken, in dem auch die tierischen Exkremente gesammelt werden. Von dort werden sie als Dünger auf die Felder ausgebracht oder manuell zu Biogas verarbeitet.
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»Informal settlements« In Kathmandu leben mehr als eine Million Menschen (von insgesamt drei Millionen) in Slums entlang des Bahmati Flusses. Sie sind zum Teil von den Maoisten aus politischen Gründen dorthin gebracht worden. Zu einem weiteren Teil handelt es sich um Landflucht, Migration in die Städte, weil auf dem Land die Subsistenz schwierig geworden ist, nicht für alle neuen Familien Land verfügbar ist und die Lebensverhältnisse und Chancen vor allem für niedere Kasten in den Städten einfacher erscheinen. Die »settlements« werden gerade von Architektur Studenten im Auftrag der staatlichen Siedlungsverwaltung erfasst. In den »settlements« gibt es kleine Schulen, Familienberatungsbüros und Wasser. Die Wasserversorgung erfolgt hauptsächlich über Brunnen, die aus 30 Metern Tiefe frisches Grundwasser mechanisch an die Oberfläche pumpen. Das Grundwasser wird vom Bahmati Fluss immer wieder erneuert. Die größten Probleme in dieser Region sind Arbeitsnot und »Sanitation«. Die Defäkation findet gewohnheitsgemäß vor Tagesanbruch und nach Einbruch der Dunkelheit im oder am Fluss statt. Zusätzlich wurden, vermutlich mit besten Intentionen, selbstgezimmerte Toilettenhäuschen mit Sickerlöchern errichtet, die im Abstand von fünf bis 30 Metern am Fluss entlang zu verheerenden hygienischen Verhältnissen führen.
Pokhara Lake Am Fuße des Anapurna Massivs, und als Einstieg zu den bekannten Trekking Touren, liegt Pokhara an einem See, der aufgestaut, befestigt, geologisch dem früheren See im Kathmandu Tal ähnlich, die Versorgung im Tal sicherstellt. Als Wasserquelle genauso wie zur Abwasser- und Abfallbeseitigung genutzt, hat er wegen der üppigen Sommer-/Monsun-Regenfälle bis jetzt seine Klärfunktion noch nicht eingebüßt. Dennoch wird das Wasser an den Berghängen knapp. Die Quellen, die gefasst und über Leitungen und Kanäle das Wasser zu den Wasserstellen bringen, sind nicht funktionstüchtig, obwohl die gesamte Region von Wasser förmlich überläuft. So wurden im letzten Herbst die Dämme der Reservoirs geöffnet, was zu Überschwemmungen im indischen Bihar führte. Zur Friedens-Pagoda, der wichtigsten Touristenattraktion, von den UN und dem Staat errichtet und einem danebenliegenden Kloster verwaltet, sind sechs Frauen mit ihren Kindern aufgestiegen, weil es in ihrem eigenen »settlement«, 20 Minuten bergab gelegen, kein Wasser gibt. Sie tragen die Kanister und weitere Wassergefäße in Körben auf dem Rücken zur Pagode, wo aus einem Schlauch ein Rinnsal von Wasser aus dem übernächsten Tal fließt. Der Tank ist leer und wird nicht gefüllt.
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5.2.18 Kerala Backwaters Ein See voller Fischerboote, soweit das Auge reicht. Fischer werfen ihre Netze aus. Die Boote sind so schmal, dass nur ein Fischer und seine Netze Platz haben. Sie tragen indische Kleider, Tücher um den Kopf geschlungen, weite Pumphosen, entblößte Oberkörper. Ich fahre vorbei auf dem Dach des Hausbootes, beobachte die aufgehende Sonne, praktiziere meine Yoga-Übungen und erwidere die fröhlichen, begeisternden Begrüßungsrufe der Fischer. Wir befinden uns in den Kerala Backwaters in Südindien, einem Fluss-, Seen- und Kanalsystem, das sich über 200 Kilometer entlang und hinter der Küste der Arabischen See erstreckt. Die Backwaters sind vor Tausenden von Jahren durch Überschwemmungen entstanden, die während der Monsun-Monate riesige Wassermengen und Abrasionsmassen von den inländischen Bergen Richtung Meer schwemmen, dabei den Abfluss zum Meer verhindern und hinter einem Küstenstreifen Süßwasser ansammeln. Nur an wenigen Stellen mischt sich salziges Meerwasser mit binnenländischem Süßwasser. Seit tausenden von Jahren siedeln hier Menschen, die sowohl Fischerei als auch Landwirtschaft betreiben, wobei hier heutzutage überwiegend Reis und Gemüse angebaut werden. Die Flüsse, Kanäle und Seen sind Transportwege, Trinkwasserquellen, dienen der Ernährung, der Entsorgung, der Bewässerung. Die Kinder werden in den schmalen Langbooten über den Kanal zur Schule gebracht. Die Menschen leben in Hütten und Häusern auf dem Damm, der den Kanal von den Reisfeldern trennt. Sie waschen ihre Wäsche, ihre Körper und das Gemüse im Kanal, nutzen das Kanalwasser für den Abfall und ihre sonstigen menschlich-natürlichen Bedürfnisse. Die Menschen sind Angehörige der niedrigen Kasten. Sie haben schon immer am Rande des Existenzminimums sowie am Rande der Gesellschaft gelebt und gegen Lohn auf den Reisfeldern und für die Landbesitzer gearbeitet. Sie dürfen nur untereinander heiraten. Diese gesellschaftlichen Gesetze gelten nach wie vor, und das trotz jahrzehntelanger Entwicklung von Schulund Ausbildungssystemen, trotz des Aktivismus der Kommunistischen Partei, die mit Fahnen und Büros allgegenwärtig ist und auch politisch einflussreich in kommunalen und regionalen Parlamenten und Verwaltungen aktiv ist. Es wird sogar noch gepflegt von jungen Menschen, die, nach erfolgreicher Grundschulausbildung, zur weiterführenden Ausbildung an Gymnasien und Hochschulen (umsonst für Talentierte und Bedürftige) erfolgreich Karriere in den Städten verfolgen. 80 Prozent der Eheschließungen sind arrangiert, und die Familie hat diesbezüglich immer ein gewichtiges Wort mitzureden. Hier sind die gesellschaftlichen Zwänge stärker als die seit Jahrzehnten verfassungsmäßig abgeschaffte Kastentrennung. Ethnisch handelt es sich bei der indigenen Bevölkerung um »Dravidian«, Draviden, die sich in Südindien noch vor der indogermanischen Bevölkerung
»Holy waters«, heiliges Wasser in Indien
niedergelassen hatten, teilweise auch von der Bedrängung aus dem Norden in die südlichen Gebiete zurückgezogen haben. Wir finden sie heute in Karumadi Village, Madurai, in Tamil Nadu und dem gesamten Süden Indiens. Die Sprachfamilie ist Tamil. Diese gilt als völlig eigenständig, und unterscheidet sich stark von den indogermanischen, arabischen und hindi-beeinflussten Sprachen. Kulturell ist Dravidian vielfältig überlagert von arabischen Einflüssen, die 3.000 Jahre zurückreichen, indogermanisch/arischen (2.000 Jahre), persischen (1.500 Jahre) und portugiesische (500 Jahre). Aus der gleichen Zeit gibt es Kriege zwischen Bangalore und Tamil Nadu, Madurai und Kerala um die Regierung und die Rechte im nahrungsreichen und fruchtbaren Süden. Die letzten Überlagerungen gehen auf britische (200 Jahre), europäische (100 Jahre), globale (50 Jahre) Einflüsse zurück. Was ethnisch originär bleibt, sind die Sprache und Verwandtschaftsbeziehungen. Sogar Kunst, Theater und Musik sind Entwicklungen der letzten 300 Jahre. Eine touristische Attraktion sind die chinesischen Fischernetze in Cochin, die von chinesischen Seefahrern (im 15. Jahrhundert) dort eingeführt wurden. 20 Meter breite und ebenso hohe Netze werden mit Kranen ins Wasser versenkt und mit dem Fang wieder nach oben gezogen.
Fischen
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5.2.19 Kulam-Erie-System Eine besondere Form von Wasserkontrolle und -bewirtschaftung wurde seit dem 15. Jahrhundert in Tamil Nadu entwickelt. Um die Fluten während der Monsunperiode (Juni/Juli und November/Dezember) zu kontrollieren und Wasser für die heißen, trockenen Monate dazwischen verfügbar zu halten, wurde von den damaligen Herrschern (Maharadschas) ein Damm-, Stauseeund Kanalsystem entwickelt und über die Jahrhunderte weitergebaut, in dem über ganze Täler und über Hunderte von Kilometern immer wieder Wasser aufgestaut und weitergeleitet wurde, bis es schließlich ins Meer oder einen Fluss mündet oder eine Stadt erreicht. Diese »Eries« sind künstliche Seen, die sich durch die Anlage von niederen Dämmen und Deichen ergeben. Sie sind flach und haben Größen von bis zu mehreren Kilometern. Anlage und Kontrolle lag in den Händen der Maharadschas. Das überfließende Wasser wird immer wieder aufgestaut und bildet einen neuen See. Auf diese Weise entsteht ein System von manchmal Dutzenden von Eries, die landabwärts Richtung Küste miteinander verbunden sind. Von den Eries gibt es Ableitungen durch Kanäle zu »Kulams«. Dabei handelt es sich um 50 bis 100 Quadratmeter große, bis zu drei Meter tiefe, gemauerte Wasserbecken. Sie befinden sich meistens im Zentrum von Städten, neben oder als Teil von Tempelanlagen gelegen und sind für die Wasserversorgung und die Abfallentsorgung nützlich. Städte haben sich üblicherweise um Kulams herum entwickelt, wegen der einfachen Verfügbarkeit von Wasser. Häufig sind Kulams auch Teile von Tempelanlagen und für deren Wasserversorgung notwendig. Historisch waren Eries und Kulams von Maharadschas oder Tempeln eingerichtet und deren Nutzung kontrolliert. Sehr genau war festgelegt, welcher Kaste welche Nutzungsrechte zugestanden wurden. Einerseits mussten die menschlichen Bedürfnisse befriedigt werden, andererseits wollten die höheren Kasten verhindern, mit niedrigen Kasten und den sogenannten »Unberührbaren«, der untersten Kaste der indischen Bevölkerung, in Kontakt zu kommen. Noch heute wird aus diesem Grund am Teestand/Kiosk der typische indische Chai (Tee, Milch, Zucker, karamellisiert) in wegwerf baren Tonschalen gereicht. Entsprechend bildete sich um jedes Kulam ein stratifiziertes System von Ansiedlungen. Durch die formale Abschaffung von Kasten und unreguliertem und freiem Zu- und Wegzug, ergab sich eine Vermischung, der sich die oberen Kasten wieder entzogen haben durch Wegzug oder das Bohren hauseigener Brunnen. Als Ergebnis dieser Auflösung örtlicher historischer Strukturen, des Verlusts von Interessen und Kontrolle, wurden viele Kulams vernachlässigt. Sie verrotteten und verkamen zu Abfallgruben. Als Konsequenz mussten andere, neuere Formen der Wasserversorgung, z.B. direkte Leitungen in Häuser und Wohnungen oder kommunale Brunnen, eingerichtet werden. Erst in
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neuerer Zeit besinnt man sich wieder des Wertes der Kulams und versucht sie wieder instandzusetzen. Hier machen sich insbesondere Tempel für rituelle Zwecke und Kommunen aus touristischen Gründen nützlich.
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5.2.20 »Holy water«-Perspektiven »Water is life«, »life comes from water«: Dass Wasser Leben ist, ist ein durchgängiges Thema bei der Beschäftigung mit Wasser in Indien, insbesondere in der Region um Varanasi, am Ganges, dem heiligen Fluss. Was die Kinder dort spontan auf die Frage nach Wasser äußern, durchzieht alle Wahrnehmungsund Verwendungsweisen von Wasser, die mir in Indien begegnet sind und ebenso die Bedeutungszuschreibungen. Wasser wird bereits früh morgens für rituelle Waschungen und Reinigungsriten am Fluss verwendet. Es wird als rein erlebt, auch dort, wo es nach wissenschaftlichen Maßstäben verschmutzt und gefährlich ist. Der alltägliche Gebrauch spielt sich auffallend häufig in der Öffentlichkeit ab. Das gilt für Wäschewaschen, die Reinigung von Küchengeräten und die Körperhygiene, und zwar sowohl am gemeinsamen Brunnen im Dorf als auch am privaten Brunnen vor dem Haus. Bereits Kinder haben hier die Aufgabe, ihre Wäsche selbst zu reinigen. Die Atmosphäre ist von Respekt
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und Ernsthaftigkeit geprägt. Das gilt sowohl für die alltäglichen Verrichtungen am Brunnen, als auch für den Tempel, den Ashram oder das Ritual am Fluss. Bei den vielen Wanderungen in die Dörfer, am Fluss, zu den Ashrams am Ganges, den Ghats in Varanasi, beim Schwimmen im Fluss ist auch beim Autor und Beobachter ein neues Bewusstsein und eine von Respekt geprägte Achtsamkeit für Wasser entstanden.
China, eine »saving water society«
5.3 C hina , eine » saving water socie t y« 5.3.1 Annäherungen Auf dem Flug nach Beijing lese ich Ivan Illich H₂O und die Wasser des Vergessens (1987), ein aufschlussreiches, tiefgründiges Essay über Wasser als Stoff, dem vielfältige Bedeutungen, Mysterien, Heiligkeiten innewohnen. Es ist als »stuff«, Material, Stoff, verwoben mit Vorstellungen von Weltschöpfung, religiösen Vorstellungen von Reinheit (versus Sauberkeit). Darüber stellt Illich einen Bezug her, zu Geruch, Aura, Duft, Gestank, Ausdünstung und deren soziale Bedeutung, Gerüche von Städten, Wohngebieten und deren zunehmende Ab- und Ausgrenzung. Ausdünstungen, Gerüche und Luft wurden lange auch als Überträger von Krankheiten und böse Ohmen gesehen. Hier kommt die Waschung von Toten ins Spiel. Illich erarbeitet das Thema auch historisch. Der Wasserverbrauch pro Kopf und Tag war im alten Rom höher als unser heutiger. Wasser war Luxus und Statussymbol und diente der Zurschaustellung von Wohlstand und Macht. In Europa und Amerika wurde Wasser während der letzten 200 Jahre zunehmend zum Industrieprodukt, entkeimt, gereinigt, chloriert und verwendet zum Wegspülen von Abfall und Exkrementen. Wasser verlor damit weitgehend seine Aura, Magie, Heiligkeit und Faszination. Trinkwasser wird entsprechend nur noch aus Flaschen getrunken und Wasser aus Leitungen oder Behältern nur noch als Brauchwasser verwendet. Ein Liter Trinkwasser kostete vor 200 Jahren in London und Paris so viel wie der Tageslohn eines Arbeiters. Auf dem Flug sah ich auch noch den Film »Oceans« von Jaques Perrin (2010), ein faszinierendes Meisterwerk der Filmkunst, das gleichermaßen die Gewalt und die Macht der Natur, wie auch die Vielfältigkeit des Lebens in den Ozeanen und allgemeine Lebens- und Überlebensprinzipien verdeutlicht. Die Ozeanen ist so mächtig, groß und unerforscht wie das Weltall, größer als die Erdoberfläche und vielfältiger als die Atmosphäre der Erde. Die noch zu großen Teilen unerforschte Vielfalt von Flora und Fauna der Meere wurde auch kürzlich in einer Untersuchung der UNESCO bestätigt.
Lanzhou Lanzhou ist die größte Stadt am Gelben Fluß (Huan He), dem zweitgrößten in China und drittlängsten der Welt. Dort wird in der Nähe (drei Stunden in die Berge auf 2.600 Metern Höhe) eine neue Schule eingerichtet. Dort liegt auch der größte Wassermühlen-Park mit Wasserrädern von 17 Metern Höhe (bzw. Durchmesser), ein beeindruckendes Beispiel für die vielfältigen Errungenschaften und die Erfindung immer wieder neuer Technologien zur Nutzung und Bändigung von Wasser für die Gesellschaft. Lanzhou liegt auch an der Seidenstraße, über deren Eröffnung schon vor 3.000 Jahren ein reger Ost-WestAustausch von Kulturgütern und Technologie stattfand. Obgleich also diese
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Stadt schon vor über 3.000 Jahren gegründet wurde, vor 2.000 Jahren wichtigste Stadt des Qin Königreiches war und seit 2.500 Jahren ein wichtiger Ort des Kulturaustausches ist, besteht sie heute überwiegend aus einer funktionellen Ansammlung von Gebäuden am Huan He mit drei Millionen Einwohnern und ohne ein spezifisches Gesicht. Ein Highlight ist das historische Museum, das Töpferei aus 10.000 Jahren Geschichte und Kultur der Provinz Gansu und Kunst aus der Zeit der Eröffnung der Seidenstraße zeigt. Die Gefäße sind für das Wasserthema in zweierlei Hinsicht interessant. Die Töpfe stellen die ersten geformten Gegenstände zur Auf bewahrung und zum Schöpfen von Wasser dar. (Vorher wurden ausgehöhlte Steine verwendet). Andererseits zeigen 5.000 Jahre alte Dekorationen Wasserläufe und welleninspirierte Formen. Der andere Höhepunkt ist der »Waterwheel Park«, in dem 500 Jahre alte Wassermühlen ausgestellt und in ihrer Funktion gezeigt werden. Die Mühlräder sind 17 Meter hoch, werden angetrieben und schöpfen Wasser aus einem schmalen Seitenkanal des Flusses, gießen das Wasser, oben angekommen, in einen Kanallauf, der das Wasser auf eine 50 Meter entfernte Mühle bringt. Dort wird von einer untenliegenden Mahlscheibe Mais gemahlen. Als weitere Attraktion werden Floßfahrten auf dem wegen hohem Wasserstand ziemlich reißenden Strom angeboten. Die Flöße werden getragen von luftgefüllten Schafshäuten und werden abgedeckt und zusammengehalten von Bambusstangen, auf denen die Fahrer und Mitfahrer sitzen. Gelenkt wird vom vorne sitzenden Floßführer mit dem Stechpaddel. Die Schafshäute können auch zum Wassertransport verwendet werden.
Wassertechnik Im »Museum for Science and Technology« in Beijing gibt es eine Sonderausstellung über »The Glory of China« mit einer ganzen Abteilung, die sich in historischer Hinsicht mit Wassertechnologie befasst. Angefangen von Wasserrädern verschiedener Art, über Wasserleitungen für den Bergbau, pedal-getriebenen Wasserleitern, Vorrichtungen für die Bohrung von Brunnen (bis 100 Meter Tiefe), Seidenwebstühlen und Brücken, bis hin zu einem wasserbetriebenen Glockenund Uhrenturm, wird alles gezeigt. In einer »Ocean Technology« Abteilung wird ein Ausblick in die Zukunft der Meeresnutzung gegeben und gezeigt, welche Technologien zur Energiegewinnung aus Gezeitenkraftwerken, Wind- und Wellennutzung denkbar sind. Auch die Gewinnung und der Abbau von Mangan auf dem Meeresboden wird erklärt. Schließlich wird »Combustible Ice« vorgestellt. Es handelt sich dabei um eine gasangereicherte Eisformation am Meeresboden, die hundertmal so viel Energie enthält wie Erdgas. China präsentiert sich hier als eine Technologie und »natural resource management«-Society. Am Ausgang werden Kokosnüsse verkauft. Deren Inhalt stellt eine wohlschmeckende, hygienische und natürliche Art der »Trinkwasser-Versorgung« dar.
China, eine »saving water society«
Wassertechnik
Yunguo Village in der Lintao Province Yunguo Village in der Lintao Province ist mein erster Stopp. Der Besuch beim Bürgermeister und die Beobachtung des Lebens eines Gemüsebauern drehen sich alle um Regen, Wasser und die Ernte. Es gibt in der gebirgigen Region häufige und üppige Regenfälle, die kontrolliert werden müssen, um Überschwemmungen und Geländeabtragungen zu verhindern. So sind im ganzen Gebirge Terrassen angelegt, die über Kanäle be- und entwässert werden. In jedem Dorf gibt es gefasste Quellen oder Brunnen und Pumpen. Im Hof des Gemüsebauern wird der Brunnen mit einer elektrischen Pumpe bedient, die das Wasser durch einen Schlauch in Schüsseln und Eimer oder auf die Gemüsebeete ausbringt. Zum Wasserkochen dient ein Parabolspiegel, der die Sonne bündelt und so auf einen Wasserkocher konzentriert, dass das Wasser im Topf schnell zum Kochen kommt. Das abgekochte Wasser wird zur Bereitung von grünem Tee verwendet, der jedem Besucher als Willkommensgruß angeboten wird.
Abbildung 80+81+82: Wassertechnik
Wasser Kochen
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5.3.2 Voruntersuchung In Vorbereitung der Ethnografie in der Region Zhanbei County, im Nordosten Chinas und fünf Autostunden nordwestlich von Beijing, wurde eine schriftliche Vorbefragung bei 40 Kindern der Kan Han Ze-Grundschule in Daxiwan durchgeführt. Es handelt sich um je 20 Jungen und Mädchen zwischen zehn und zwölf Jahren, aus kleinen Dörfern in der Umgebung, die während der Woche in der Schule wohnen und am Wochenende nach Hause gehen. Alle Elternhäuser haben einen landwirtschaftlichen Hintergrund, viele Eltern sind zum Arbeiten in einer größeren Stadt (Arbeitsmigration), und die Kinder werden von Großeltern versorgt. Zhanbei County liegt auf einer Hochebene in Richtung Innere Mongolei, auf ca. 1.500 Metern Höhe, mit gemäßigtem Klima: warme mitteleuropäische Sommer und kalte, kontinentale (aber nicht sibirische) Winter. Historisch genügend mit Regen versorgt, wird überwiegend Feldbau von Getreide (Weizen, Gerste und Hafer), Mais, Kartoffeln und Gemüse (Tomaten, Gurken, Rettich und Karotten) betrieben. Viehzucht spielt eine untergeordnete Rolle. Esel dienen der Fortbewegung und dem Transport, Schweine, Kühe, Hasen und Hühner der Selbstversorgung. Zhanbei County hat etwa 160.000 Einwohner und ist in den letzten 20 Jahren um ca. 50 Prozent gewachsen. Der Einzugsbereich der Schule und des Dorfes Daxiwan hat ca. 10.000 Einwohner. In den letzten fünf Jahren gab es regelmäßig weniger Regen, und die Trockenheit führte zu kümmerlichen Ernten. Ein größerer See von drei bis vier Kilometer Länge, ein Kilometer Breite und zwei bis drei Meter Tiefe ist inzwischen fast ausgetrocknet. Ob die Austrocknung des Sees vor fünf bis sechs Jahren die Ursache für die geringeren Regenfälle sein kann oder umgekehrt die Folge von klimabedingt geringeren Regenfällen ist, konnte nicht geklärt werden. Der zunächst schlüssigen Erklärung der Austrocknung durch geringere Niederschläge widerspricht die Tatsache, dass der See bereits vor dem Einsetzen der Trockenperioden auszutrocknen begann. Ob dann die Austrocknung an einer Veränderung der Auffangschicht im See-Untergrund oder an weiter entfernter Grundwasserübernutzung liegt, konnte auch nicht festgestellt werden. Für eine Übernutzung des Grundwassers spricht zumindest die Tatsache, dass viele Brunnen nur salziges Wasser abgeben und man von einer Übersalzung des Grundwassers ausgehen kann. Relevant für die vorliegende Untersuchung sind die vielfältigen Erklärungsversuche des Phänomens, die mit einer Mystifizierung des Sees einhergehen, dessen Befindlichkeit und die Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse der Menschen. Meine Voruntersuchung bezog sich auf Wissen über Wasser und dessen Herkunft im Allgemeinen, in der Schule und im Elternhaus ebenso wie auf
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die Verwendung von Wasser im täglichen Leben. Insgesamt zeigen die Kinder gute technische Kenntnisse über den Wasserkreislauf und über die Grundlagen der Wasserversorgung, und sie sind sehr bedacht darauf, Wasser zu sparen und wiederzuverwenden. Die Haushaltsgröße der Familie liegt zwischen drei und sechs Personen aus drei Generationen. Die Dörfer haben zwischen 40 und 1.000 Einwohner. Die Wasserversorgung besteht aus einer Mischung aus Brunnen, Pumpen, Bohrlöchern und Wasserleitungen mit häuslichen Wasserhähnen. Toiletten sind üblicherweise offene, meist unbefestigte, teilweise gemauerte Löcher in der Erde, größtenteils auf dem Gelände, teilweise außerhalb oder als öffentliche Gemeinschaftstoiletten angelegt. Wasser wird generell zum Trinken, Hände-, Gesicht- und Wäschewaschen, zum Zähneputzen, zum Kochen, für die Tiere und für die Gartenbewässerung verwendet. Auffällig gegenüber anderen Beobachtungen aus früheren Studien sind Berichte über • den vorsichtigen, sparsamen Umgang mit Wasser, • die häufigen Erwähnungen von Wiederverwendung und die Verwendung von Brauchwasser, • eine klar definierte Verteilung der Rollen und Aufgaben im Haushalt sowie • die häufige Erwähnung von Männern, Vätern und Großvätern als Verantwortliche für das Wasserholen mit Tragestange und Eimern oder Wasserkarren. Es gibt aus der Vorbefragung keinerlei Hinweise auf irgendwelche tiefere Bedeutungen, die dem Wasser zugeschrieben werden, weder religiöser, noch mythischer, gesellschaftlicher, philosophischer oder anderer Art. Alle Antworten sind technisch, funktionell und materiell orientiert. Der Fokus der vorzunehmenden weiterführenden Untersuchung wird auf der Beobachtung von Verhaltensweisen, Handlungen und Bedeutungszuschreibungen im Umgang mit Wasser liegen. Es gilt auch, eventuelle vorhandene religiöse oder spirituelle Handlungen aufzudecken und kulturellen Bedeutungen nachzuspüren. Dabei sollen historische Kenntnisse erfragt, sowie die tatsächliche Versorgung und faktische Verwendungen und Gewohnheiten im Gebrauch beobachtet werden. Die Untersuchung wird in 15 Familien in zehn Dörfern in der Region durchgeführt. Bei der Gelegenheit möchte ich auch der Frage weiter nachgehen, ob für die bereits beschriebene »no waste«, »saving« oder »control« Mentalität ein kultureller Hintergrund oder eine gesellschaftliche Erklärung gefunden werden kann.
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Wasserversorgung
5.3.3 Informanten Lizzy Li Lizzy ist 20, Studentin an der Beijing University und folgt einem Studiengang für Sozialwissenschaften und Sozialarbeit, der auch ethnische Dimensionen der chinesischen Gesellschaft abdeckt. Sie arbeitet als Praktikantin bei der »China Youth Development Foundation« (CYDF). Lizzy begleitet mich und hilft mir als Übersetzerin und Interpretin bei den Besuchen und Gesprächen in Zhanbei County. Sie ist in Mayu, in der Shandong Provinz zwischen Beijing und Shanghai gelegen, aufgewachsen und kommt aus einer Familie von Bauern, wo sie mit ihrem sieben Jahre jüngeren Bruder, ihren Eltern und Großeltern väterlicherseits aufgezogen wurde. Die Mutter stammt aus dem gleichen Dorf und ist, wie in China üblich, mit der Heirat zum Vater gezogen, der als Erstgeborener den Anspruch auf den Besitz hatte. Die Eltern waren seit ihrer Kindheit befreundet, Schulfreunde bis in die Highschool und haben dann geheiratet. Üblicherweise werden Eheschließungen auf dem Land noch immer vermittelt, d.h.eine Verbindung vorgeschlagen und von den Partnern nach dem Kennenlernen akzeptiert. Die Farm dient der eigenen Ernährung. Das Einkommen aus dem Verkauf von Produkten ist ungefähr 700 RMB pro Jahr (60 Euro). In der Fabrik erhalten sie 1.000 RMB monatlich. Beide Eltern arbeiten deshalb auch in der Fabrik, um den Kindern die Ausbildung zu ermöglichen. Die Großeltern übernehmen die Hauptarbeit der Landwirtschaft. Sie holen das Wasser vom Fluss, der aus den Bergen kommt und frisches, gutes Trinkwasser führt. Das Wasser hat einen angenehmen, süßen Geschmack. Im Gegensatz dazu schmeckt das Wasser in Beijing salzig und chemisch. Der Fluss ist fünf Minuten von zuhause entfernt. Das Wasser wird in Plastikeimern geholt und im Hof in einen größeren Tonbehälter gefüllt. Dort lagert es für zwei bis drei Stunden bevor es verbraucht wird. Wasser wird zwei bis drei Mal am Tag frisch geholt.
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Die Toilette ist ein Loch im Boden im Hof. Die Frauen stehen zwei Stunden früher auf als der Rest der Familie, holen die Exkremente aus dem Loch, bringen sie im Eimer auf die Deponie im Dorf, reinigen das Loch mit Wasser, waschen sich selbst Hände, Gesicht, putzen die Zähne, ziehen sich um und bereiten das Frühstück vor. Zum Frühstück gibt es Nudeln, Fleisch- oder Gemüsetaschen, Haferbrei oder Reis, dazu abgekochtes Wasser. Aus dem eigenen Anbau gibt es Gemüse, Früchte, Getreide und Hühner. Andere Tiere halten sie nicht. In Beijing lebt Lizzy im »dorm« ihres Colleges. Sie benutzt das Leitungswasser zum Duschen, Waschen, Zähneputzen und zum Toilettespülen (mit zwei Knöpfen für sparsamen Verbrauch). Zum Trinken und für das Essen benutzt sie nur abgefülltes Wasser aus der Flasche. Das Leitungswasser verwendet sie ansonsten nur als Brauchwasser, zum Putzen und zum Wäschewaschen. Li erzählt vom Fluss, ihrer Heimat, zeigt mir das Bild ihres jüngeren Bruders, erzählt sehnsüchtig von der gemütlichen Atmosphäre im Dorf, verwendet Worte wie warm, rein und süß. Im Gegensatz dazu bezeichnet sie Beijing, ihr College und das »dorm«, in dem sie wohnt, als »polluted«, gefährlich, schmutzig und stressig. Ein bisschen Heimweh hat sie schon, weil sie auch nur einmal im Jahr nach Hause kommt. Sie duscht bevorzugt abends (morgens steht sie immer zu spät auf), auch um den Schmutz, den Stress und die »pollution«, die Stadt und ihre Aufdringlichkeit und Ungemütlichkeit wegzuwaschen. Sie findet dann zu einem angenehmen Schlaf und ist sauber für die Nacht. Zähneputzen dient auch der Erfrischung im Mund, der Entfernung von Speiseresten und entfernt einen schlechten Geschmack. Der Fluss zuhause kommt aus einer Quelle. Wenn sie sehr süßes Wasser haben wollen, gehen sie auch direkt dorthin. Das Wasser kommt aus den Bergen und deren Felsen. Die älteren Leute gehen noch zum Tempel, die Jungen nicht mehr. Es ist üblich, Erde mitzunehmen, wenn man von einem zum anderen Ort zieht und dort ins Wasser zu gießen und zu trinken. Damit wird man am neuen Ort heimisch. Sie kennt sonst keine anderen religiösen Vorstellungen, Rituale oder Mythen rund um das Wasser. Einige volkstümliche Sprüche fallen ihr noch ein: »different soil and water create different people«, »beautiful women live in beautiful place«, »steep mountains make rough people«.
5.3.4 Die »don’t waste, save, control water«-Society Ich führe ein Gespräch mit einer 24-jährigen schwangeren Bauersfrau und einer 29-jährigen Mutter einer dreijährigen Tochter, die als Nachbarinnen im Dorf leben. Das Wasser wird aus einem eineinhalb Kilomter entfernten Reservoir mit Tanks angeliefert und in der hauseigenen, sechs Meter tief gelegenen Zisterne gelagert. Sie bezahlen zehn RMB (ein Euro) pro Tankfüllung. Vor dem Verzehr als Trinkwasser muss es abgekocht werden. Zum Wäschewaschen
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wird gebrauchtes Wasser verwendet. Für die Körperreinigung (einmal in zehn Tagen, inklusive Haare Waschen) genügt eine mittelgroße Schüssel von 50 Zentimeter Durchmesser; »müssen sparen, wollen nichts verschwenden«. Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Sparen, nicht Verschwenden (»don’t waste«), kein Tun von unnützen Dingen und Reduzieren von Ausgaben. Durch Nachforschung wird erkennbar, dass auch im städtischen Bereich oft ein Kübel in der Dusche Wasser auffängt, mit dem dann Wäsche gewaschen oder die Toilette gespült werden kann. Eine Ausnahme von der Wiederverwendung bilden Blumen. Sie werden nicht mit gebrauchtem Wasser gegossen, weil sie frisches, lebendiges, unverseuchtes Wasser brauchen. Einen besonderen spirituellen Hintergrund hat das nicht. Man wurde eher schon als Kind zu »don’t waste« angehalten. Das Thema wurde dann in letzter Zeit auch durch die Politik und die Medien aufgegriffen und für die Öffentlichkeit, unter Gesichtspunkten der Umwelt und Ressourcenschonung, breit publiziert. Die weitere Nachfrage ergibt, dass »don’t waste« und »saving resources« weit verbreitet ist und einen hohen moralischen Anspruch ausdrückt, nach Aussagen der Menschen ethisch zwar unterhalb von »nicht Töten«, aber auf gleicher Ebene wie »nicht Stehlen«. Diese Einstellung zur Ressourcenschonung drückt sich z.B. auch in einer starken Sparmentalität aus. Diese geht zurück auf Zeiten von Laotse und Konfuzius. Basierend auf der Annahme, dass Menschen von immer neuen, größeren Wünschen, Ansprüchen und Bedürfnissen angetrieben werden, wird ein Risiko der Übernutzung von Ressourcen gesehen, die wichtig sind für den Erhalt und die Vitalität der gesamten Gesellschaft. Konfuzius lehrt dann seinen Emperor (Kaiser Chunqin, Zhanguo Dynasty, 300 bis 400 v. Chr.), dass er, wie auch alle anderen Menschen und Mitglieder der Gesellschaft, kein einziges Reiskorn und keinen einzigen Tropfen Wasser mehr verbrauchen soll als nötig, und dass alles, was übrig bleibt, zurück geht an die Gemeinschaft. »Kein Überfluss, kein unnötiger Konsum, kein Abfall, keine Verschwendung« wird auch gesehen als der Kerngedanke aller anderen Moralvorstellungen. Wünsche und Konsum im Rahmen wirklicher Bedürfnisse führen auch zur Vermeidung anderer moralischer Konflikte und vermeiden Diebstahl, Mord und Totschlag, Ehebruch und andere soziale und interpersonale Auseinandersetzungen. In China hat die »don’t waste« Ideologie eine historisch-kulturelle Dimension, die sich im Zuge der Industrialisierung, Technisierung, Säkularisierung, Materialisierung und Hygienisierung weiterentwickelt hat.
5.3.5 Wasser-Management und der Gelbe Fluss Der Gelbe Fluss, Huan He, Mother River, »China’s sorrow« ist der zweitlängste in China und der sechstlängste der Welt. Er kommt aus Qinghai im Westen, wird auch aus dem tibetischen Hochland gespeist, durchquert den gesamten Norden und ist dessen Haupt-Wasserader. Er ist benannt nach seiner Färbung,
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die von den mitgeführten Löß-Sedimenten herrührt. Die Lößböden, die teilweise bis zu 100 Meter dick liegen, sind der Grund für die Fruchtbarkeit und den Reichtum der gesamten Region, aber auch verantwortlich für die sich dauernd verändernde Flussführung und die Überschwemmungsanfälligkeit der Gegend. Der weiche, fruchtbare Boden wird (1.) schnell abgetragen, füllt das Flussbett und führt im unteren Flusslauf wegen der geringen Fallhöhe regelmäßig zu Überschwemmungen. Das macht Eindeichungen und Uferbefestigungen notwendig, die wiederum (2.) zu weiterer Sedimentanhäufung, Erhöhung des Flusslaufes und erhöhter Überschwemmungsgefahr führt. Der (3.) Grund für Überschwemmungen ist durch Eis aufgestautes Wasser in mongolischen Nebenflüssen, das während der Frühjahrschmelze plötzlich abfließt. So hat es am Huang He in den letzten 3.000 Jahren 1.600 registrierte Überschwemmungen gegeben. Die schlimmsten dieser Überschwemmungen, in den Jahren 1887 und 1931, haben jeweils zwischen ein und drei Millionen Menschenleben gefordert. Während des chinesisch-japanischen Krieges wurden 1938 von chinesischen Truppen Deiche (»levees«) gebrochen, um die japanischen Truppen aufzuhalten. Hierbei kamen bis zu eine Million eigener Truppen und eine unbekannte Anzahl japanischer Truppen ums Leben. Entsprechend wird der Huang He auch »China’s sorrow« und »Scourge of the Son of Han« genannt. Andererseits ist der Fluss auch die Wiege der chinesischen Zivilisation und stellt somit einen der schon vielfach gefundenen Widersprüche in dem Verständnis von Wasser dar. So hat sich, begünstigt durch die Fruchtbarkeit und die Wasserverfügbarkeit, seit 10.000 Jahren eine neolithische Kultur am Unterlauf des Flusses in der südöstlichen Region der Gansu Provinz entwickelt und als Hochkultur in die nordwestlichen Regionen der Provinz ausgebreitet. Sie kann am Beispiel der Töpferei seit 6.000 v. Chr. verfolgt werden. Seit 2.000 Jahren, im Gefolge der Eröffnung der Seidenstraße, werden die zivilisatorischen Leistungen immer vielfältiger. Hier sind Seiden-, Porzellan- und Papierherstellung zu nennen. Sie alle benötigen für ihre Umsetzung Wasser. Heute ist der Huang He reguliert durch ein Dutzend Staudämme, die auch für die Energie- und Wasserversorgung der jeweiligen Region notwendig sind. Seine Bewirtschaftung steht prototypisch für die gesamte chinesische Kultur-, Zivilisations- und Gesellschaftsgeschichte. Wasser-Management war immer eine wichtige Aufgabe der jeweiligen Dynastien, Staaten und Machstrukturen. Die Art und Qualität des Wassermanagements war entscheidend für Erfolg oder Misserfolg der Administration, die Stabilität des politischen Systems und der jeweiligen Dynastie. Needham (1971) erzählt die gesamte Kulturgeschichte Chinas entlang der Geschichte von Wassermanagement und -technologie (Kanäle, Dämme, Wehre, Stauseen, Brücken, Terrassen, Tunnel, Brunnen, Wasserräder, Mühlen, mechanische Kraftübertragung, Räder, Zahnräder und Pedale).
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Die damit einhergehenden Machtstrukturen werden überzeugend von Wittfogel (1957) als »hydraulic societies« oder »oriental despotism« beschrieben.
»Grand Canal« und Macht Eines der imposantesten Projekte in der Geschichte der chinesischen Wasserwirtschaft ist der »Grand Canal«, der, von Luoyang, einer früheren Kaiserstadt, ausgehend, den Luo River mit dem Yangtse River im Süden und mit dem Yellow River und Beijing im Norden verbindet. Vor 2.500 Jahren begonnen schuf er eine der wichtigsten Infrastrukturen für die Entwicklung des fruchtbaren und bevölkerungsreichen Ostens des Landes. Bei den Longmen Grotten (buddhistische, in den Fels gehauenen Grotten) ist ein Dayu-Brunnen. Dayu, ein König in der Geschichte, wird als gottähnlich verehrt für seine Leistungen bei der Kontrolle von Wasser und dem Schutz vor Überflutungen. Zusammen mit den Hochwasserbefestigungen, dem Überflussbecken und dem Versorgungsund Energiekanal bieten sie ein Beispiel für 2.000 Jahre Investition in Wasserinfrastruktur, Wassermanagement und -regulierung, begleitet von religiösen Symbolen und Ritualen, die die Bedeutung von Wasser widerspiegeln.
5.3.6 Mythologie und Religion »Pangu (männlich) seperated heaven and earth. Nuwa (weiblich) patched the broken sky and created sun, light, moon, star. Long Wang makes it rain. Yao, Shun and Dayu are successive kings and all responsible for water, providing, managing, controlling. Fuxi is responsible for agriculture, Shennong Shi for medicine and herbs«.
Taoismus, Konfuzianismus und »the meaning of water« Im Gespräch mit Suki und ihrem Kollegen am »Natural History Museum« in Beijing diskutieren wir über die gentechnisch fundierte Theorie über den Ursprung der Menschen in Afrika und die fossil begründete Theorie der parallelen Entstehung von Menschen in China, wo zehn Millionen Jahre alte Funde auf den aufrechten Gang und vier Millionen Jahre alte Funde auf den Umgang mit Werkzeugen hindeuten, bevor wir auf Wasser zu sprechen kommen. Wasser spielt im Taoismus eine große Rolle. Aus der Zeit der Han Dynastie (vor 2.000 Jahren) gibt es bereits Aufzeichnungen, die sich ausschließlich mit den vielfältigen Bedeutungen von Wasser beschäftigen. Konfuzius fordert einzuhalten und sich einen Moment mit Wasser zu beschäftigen. Wasser sei wie ein Spiegel, in dem der Mensch seine eigenen Tugenden reflektieren könne. 1. Wasser ist allumfassend und selbstlos. 2. Wasser ist Leben, und ohne Wasser gibt es kein Leben. Es steht so für die allumfassende Liebe.
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3. Die tiefgründige Verantwortung, im Grunde des Herzens, wird dargestellt im Grundwasser. 4. Weisheit: Wasser kann flach und ruhig sein, aber auch tief und unergründlich. 5. Mut und Tapferkeit: Wasser lässt sich 1.000 Meter tief fallen ohne zu zögern. 6. Sensibilität, Feinfühligkeit: Wasser kommt durch die engsten Stellen, sogar durch kleine Felsritzen. 7. Wasser schließt alles ein und nichts aus. Es ist auch dort, wo es schmutzig ist, wo keiner sonst hinkommt. Es kommt überall hin und fließt überall durch. 8. Wasser verwandelt in Tugend, wäscht Schmutziges rein, bewegt gute Taten. 9. Gerechtigkeit: Die Oberfläche ist immer eben, glatt. 10. Gesetz und Rechtssystem: Ein Gefäß voller Wasser hat immer eine ebene aber gespannte Oberfläche, kann nicht wie Sand angehäuft oder glattgestrichen werden. 11. Entschiedenheit und Vorwärtsorientierung: Egal wo es herkommt, ob zickzack oder gerade, aus welcher Richtung auch immer, es bewegt sich immer vorwärts und weiter (übersetzt nach John Knobloch 1994: 248, siehe auch Kapitel 4.3.1). Wasser ist eines der Elemente (wie Feuer und Luft), das keinen Anfang und kein Ende hat. Es ist immer in Bewegung, nicht fassbar, unendlich, vielfältig und bezieht daraus seine Anziehungskraft und Magie.
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5.3.7 Wasserkunst Beim Morgenspaziergang im Park des Sommerpalastes beobachte ich einen Kalligraphiekünstler, der mit einem faustgroßen Pinsel mit Wasser Namen, Gedichte und Weisheiten auf den Boden malt. Bemerkenswert ist die Wasserkunst, weil die Kunstwerke aus Wasser natürlich innerhalb weniger Minuten wegtrocknen, als Kunstwerke entsprechend kurzlebig sind, damit aber auch wieder Platz und Anregung schaffen für immer neue Kunstwerke: Sie stehen für Vergänglichkeit und Kreativität. Eine interessante Innovation ist auch sein Pinsel, der von einem eineinhalb Meter langen Rohr gehalten und von zwei Plastikwasserflaschen an beiden Enden des Rohrs gespeist wird. Auf dem Platz vor dem Gua Lin-Tempel in Luoyang begegnet mir die Wasserkalligraphie wieder. Jugendliche üben die Schriftzeichen auf dem Boden mit Pinseln und Wasser aus Dosen. Einer der Jungen kalligraphiert, malt, schreibt einen Willkommensgruß auf den Boden. Ich antworte mit »danke sehr« in Druckbuchstaben, er übersetzt in das chinesische Zeichen, und ich male es ab. Zwei Dutzend Zuschauer freuen sich über das Ritual und die Zeichen von Verständigung und Kommunikation. Wasserzeichen sind auch schon die ersten Dekorationen auf Töpfen und Behältern aus Ton, die vor 6.000 bis 8.000 Jahren entlang des Yangtse und des Yellow River gefunden wurden. Wellenförmige Muster sind Darstellungen von Wasser, noch bevor Flussläufe und Fische abgebildet wurden.
Wasserkunst
5.3.8 Brunnen und Hygiene Shi Ba Tai Hier besuchen wir die Familie Zhang Xue Feng. Die Mutter sorgt alleine für ihre Kinder. Der Vater ist zum Arbeiten in der Stadt. Wasserholen ist eigentlich die Aufgabe des Mannes. Weil keiner im Haus ist, muss sie das selbst
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erledigen. Sie holt das Wasser mit Eimern und der Tragestange vom 200 Meter entfernten Dorf brunnen. Wir machen das heute zusammen. Sie zeigt, wie sie die Eimer mit Haken befestigt, sich unter die Stange beugt und sie über die Schulter hochhebt. Mit den leeren Eimern auf dem Hinweg ist das noch einfach. Dort angekommen, muss zuerst der oberflächliche Schmutz vom offenen Brunnen entfernt werden. Dann wird geschöpft. Hierzu wird der Eimer mit dem Seil ins Wasser gelassen, geschwenkt, zum Kippen gebracht, gefüllt, herausgehoben und abgestellt. Der 20-Liter-Eimer ist schon ziemlich schwer herauszuheben, die beiden Eimer dann an der Tragestange nach Hause zu tragen ziemlich anstrengend. Wir müssen auf der Strecke zweimal absetzen und uns abwechseln. Die Körperreinigung erfolgt aus der Waschschüssel. Den Jungen stellt sie dazu in die halb gefüllte Schüssel und wäscht ihn von oben bis unten mit einem Waschhandschuh ab. Dazu benutzt sie Seife, zum Haarewaschen auch Shampoo. Einmal die Woche wäscht sie die Wäsche aus einer Schüssel mit Hilfe eines Waschbretts und Waschpulver. Einmal alle zwei Wochen wäscht sie ihren ganzen Körper gründlich. Die Zähne putzen sie morgens früh, täglich, immer vor dem Frühstück. Im Wok kocht sie gerade Maiskolben mit Wasser. Das Wasser wird wiederverwendet zum Geschirrspülen und für die Reinigung von Böden. Pflanzen erhalten auch hier immer frisches Wasser, niemals gebrauchtes. Sie sind lebendig und brauchen deshalb lebendiges Wasser.
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5.3.9 Kochen: der Wok In jedem Haushalt gibt es einen Wok. Es handelt sich dabei um einen Stahltopf von ca. einem Meter Durchmesser, rund und konisch unten zusammenlaufend, ca. 50 Zentimeter tief, mit einem Deckel. Die ganze Vorrichtung ist in einen Steinquader eingebaut, darunter eine eingebaute Feuerstelle mit beigefügtem Blasebalg. Das Ganze ist ein eingebauter Herd, der in jedem Haus den zentralen Raum dominiert, zusammen mit einer ebenfalls erhöhten Schlaf-, Sitz- und Arbeitsstelle, die ebenfalls von der Heißluft, die beim Kochen entsteht, erwärmt wird und vor allem im Winter eine angenehme Schlaftemperatur bewirkt. Im Wok wird alles gemacht, was Hitze braucht. Es wird gekocht, Wasser erhitzt, später das Geschirr abgewaschen und warmes Wasser zum Wäschewaschen vorbereitet. Aber im Wok wird niemals Wäsche gewaschen. Zwischen Essen und Trinken, Hygiene und Reinigung, Pflanzenbewässerung und Fütterung werden jeweils klare Grenzen gezogen. Oft sind auch die Räume getrennt. Es gibt einen Hauswirtschaftsraum, in dem alle Mahlzeiten vorbereitet werden, das Wasser auf bewahrt wird, die Schüsseln und Töpfe stehen, Gemüse gewaschen, geschnitten, Nudeln und Teig vorbereitet werden. In einem anderen Raum steht der Herd. Dieser Raum dient auch als Wohn-, Schlaf-, und Esszimmer.
Kochen
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5.3.10 Reinigung und Hygiene, Zähne putzen Die Menschen in der Region, wie überall in China, putzen jeden Morgen die Zähne mit Zahnbürste und Zahnpasta. Der Zahnputzbecher mit Zahnbürste und Zahnpasta steht auch in jedem Haushalt prominent in der Nähe einer Waschschüssel, nicht weit vom Eingang. Das Zähneputzen erfolgt immer vor dem Frühstück. Dann ist man erfrischt, hat den schlechten Geschmack aus dem Mund und ist bereit für das Frühstück und den Tag. Mein Einwand, ich würde meine Zähne nach dem Frühstück putzen, weil ich dann die Speisereste gleich mit entferne, wird überall mit ungläubigem Staunen quittiert. Sie können nicht verstehen, wie man mit schlechtem Geschmack und nicht gereinigtem Mund frühstücken kann, oder auch den guten Geschmack vom Frühstück gleich wieder wegspült.
Hang Qing Ba Wang Juans (weiblich) Familie wohnt hier seit Generationen. Der Haushalt besteht aus sechs Personen, zwei Großeltern, den Eltern, einem 23-jährigen Sohn und der zehnjährigen Tochter. Sie haben nun seit einigen Jahren Trockenheit und zu wenig Regen. Es ist gut, dass jetzt auf dem Berg der Tempel gebaut wird. Da gibt es vielleicht auch wieder Regen. Der Tempel war verfallen, wird jetzt wieder aufgebaut von einem Mann aus dem Dorf, der irgendwo außerhalb ein Vermögen gemacht hat. Früher mussten sie das Wasser vom Brunnen holen. Jetzt haben sie eine öffentliche Versorgung mit Wasserleitung und Wasserhahn. Drei Stunden jeden Tag gibt es Wasser. Es wird aus der Leitung durch einen Schlauch in das nach oben offene, mit einem Deckel abgedeckte Steingutfass geleitet und dort auf bewahrt, gelagert für den späteren Verbrauch. Das Wasser kostet nichts. Es wird eine kleine Abgabe von 30 RMB/ Monat für die Elektrizität der Pumpe abgeführt. Sie verbrauchen jetzt viel mehr Wasser als früher, als man sehr sparsam damit umging. Wir erhalten als Willkommensgetränk heißes Wasser im Marmeladenglas angeboten. Die Wäsche wird einmal wöchentlich gewaschen, im Durchschnitt zwölf Wäschestücke, mit drei Schüsseln Wasser und Waschpulver. Die Ganzkörperwäsche findet einmal im Monat, im Winter nur einmal in zwei Monaten statt. In der Küche werden gerade selbst gesammelte Pilze in einer Schüssel mit Wasser eingeweicht. Das Wasser wird später zum Geschirr- und Bodenreinigen wiederverwendet.
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Wäsche Waschen
Xiao Miao Wan Die Liu Yang (weiblich) Familie ist eine sechsköpfige Familie, Großeltern väterlicherseits, Eltern, eine 20-jährige Tochter im College und eine achtjährige Tochter in der Schule. Sie haben eine Kuh, einen Traktor, eine Pumpe im Garten, aber die funktioniert nicht mehr. Es wurde ein tiefer Brunnen gebohrt, der, mit Pumpe ausgestattet, drei Dörfer mit Wasser versorgt. Die Familien haben alle seit Generationen hier gelebt. Alle sind auch miteinander verwandt. Die Großmutter bereitet gerade auf dem Boden Brot vor. Wir bekommen grünen Tee im Marmeladenglas angeboten. Das Wasser kommt aus der Leitung, und alle zwei Wochen wird Wäsche gewaschen. Zähneputzen findet jeden Morgen vor dem Frühstück statt. Sie haben vor einigen Jahren einen kleinen Tempel gebaut, um für Regen zu beten.
5.3.11 Wasser Holen und Gender Wasserversorgung ist Männersache. Das gilt für das Graben von Brunnen, die Einrichtung von Pumpen und das Verlegen von Leitungen. Es schließt die Einrichtung, Nutzung und Instandhaltung ein. Die Brunnen haben mehrere Funktionen. Sie werden genutzt zum Schöpfen von Trinkwasser, dienen aber auch als Viehtränke. Hierfür wird ein runder Brunnen gegraben, mit Steinen befestigt und ein Rand gemauert oder mit Steinen gelegt. Für die Tiere gibt es eine getrennt angelegte Wasserrinne, die sich an den Brunnenrand anschließt. So kann für die Tiere Wasser direkt vom Brunnen in die Tränke geschöpft und gegossen werden. Bemerkenswert finde ich, dass das Schöpfen von Wasser und der Transport eine ausschließliche Männerangelegenheit ist. Männer gehen zum Brunnen, schöpfen das Wasser in Eimer und bringen diese an einer Tragestange über der Schulter nach Hause. Dort wird es in Keramik- oder Plastikbehälter (Tonnen)
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umgefüllt, gelagert und genutzt. Auch der Transport im Zink-Tank auf dem Zweiräder-Karren oder Eselsgespann wird von Männern durchgeführt. Wenn der Haushaltsvorstand nicht zuhause ist, wird die Aufgabe an den Großvater oder Onkel weitergegeben. Als nächste in der Hierarchie springen die Frauen ein, wenn keine Männer im Haus sind. Erst danach sind auch Kinder, erst Jungen, dann Mädchen, nach Alter an der Reihe. Viehhüten ist eine Tätigkeit, die wechselweise von Frauen und Männern durchgeführt wird. Das Wasserschöpfen an der Tränke wird dann wieder bevorzugt von Männern mit dem Eimer durchgeführt.
Wasserholen ist Männersache
5.3.12 Regenmachen In Shi Ba Tai werde ich zum ersten Mal auf einen Tempel und seine aktive Funktion als Betstelle für Regen aufmerksam gemacht. Es handelt sich um einen kleinen zwei Meter hohen Schrein aus Backstein mit Dach, im Feld gelegen. Er ist nach Süden geöffnet. Im Schrein steht eine Figur, an der ich nur Augen und so etwas wie Hörner entdecke, im Schrein sind Überreste von Blumen, eine Flasche und Kräuter, die von der Decke hängen. Die Öffnung ist ca. einen Quadratmeter groß, also nicht begehbar. Ich frage mich, was für eine Figur das nun wohl sein mag, in einem doch so säkularisierten China. Im Schrein, als Tempel bezeichnet, sitzt Long Wang. Es handelt sich um eine Figur aus der chinesischen Mythologie, der Drachengott für das Wasser. Er ist verantwortlich für den Regen. Wir finden nun auf dem Weg überall in den Dörfern einen solchen Schrein. Die gab es seit Menschengedenken, sie sind auch während der Kulturrevolution nicht zerstört worden, wurden früher aus Lehm gebaut und in den letzten Jahren sukzessive renoviert, mit Backstein neu aufgebaut und mit einem Dach versehen. Weil alle Häuser, staatlich gefördert, renoviert und neu aufgebaut wurden, haben sich die Menschen gedacht, sie müssten auch Long Wang ein neues Haus bauen, vermutet ein Befragter.
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In den Schreinen gibt es verschiedene Gestaltungen von Long Wang. Meist ist es eine sitzende Figur, die an Bilder von Konfuzius oder Laotse oder dem Kaiser erinnern, mit dunklen Augen, Bart und langen Haaren, immer auch etwas an ein Tier erinnernd, aber nirgends einen Drachen darstellend. Oft findet man auch bildliche Darstellungen, und manchmal ist der Schrein leer. Die älteren Menschen gehen dort hin und bitten um Regen. Eine Frau erzählt, dass sie das schon immer gemacht hat. Früher hat das auch immer funktioniert, aber jetzt klappt es nicht mehr, sie weiß nicht, warum. An einem Schrein befinden sich Reste von Krachern. Ja, hier haben Dorf bewohner vor einigen Tagen gefeiert, nachdem es zuvor geregnet hatte. Es waren einige Menschen aus dem Dorf zusammengekommen, haben Long Wang gedankt, die Kracher abgebrannt, aber sonst keine weiteren Rituale durchgeführt, auch nicht gesungen, getrunken oder getanzt. Die jungen Menschen gehen dort nicht hin, weil sie nicht an die Wirkung glauben, und viele Ältere gehen nicht mehr hin, weil es ja sowieso nicht mehr hilft. Eine Großmutter war zuletzt vor drei Monaten dort im Feld.
Long Wang Tempel
Kai Di Fang Das Dorf liegt an einem kleinen See, ca. 300 Meter im Quadrat, gespeist von einer Quelle auf halber Höhe einer Anhöhe von 50 Metern. Es gibt dort auch eine christliche Kirche mit Kreuz auf dem Dach, in der jeden Sonntag Gottesdienste abgehalten werden. Manchmal sind dort über 50 Menschen zum Beten anwesend. Von der Kirche aus sieht man entfernt auch einen Hügel mit einem neu gebauten buddhistischen Tempel, und ich erfahre, dass es nochmal fünf Kilometer weiter in einem Dorf eine Moschee gibt. Die Quelle ist gefasst und leitet Wasser durch Rohre in die beiden Dörfer am Fuß der Anhöhe.
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5.3.13 Wasser versorgung und Übernutzung Zahnverfärbungen Viele Menschen in der Region haben auffällig gelb verfärbte Schneidezähne, die bei jedem freundlichen Lachen augenfällig werden. Die Verfärbungen kommen von Metallen und Mineralien im Wasser und deuten auf einen hohen Fluorgehalt des Wassers hin. Neben den Zahnverfärbungen führt das auch zu Brüchigkeit von Knochen, Osteoporose und Rückenverformungen. Eine Entfluoridisierung ist technisch möglich, kostet aber einige Tausend RMB für jede Einrichtung. Sie rentiert sich nur für zentrale örtliche Brunnen. Ein Lehrer, der selbst stark gelb verfärbte Zähne hat, gibt vor, die Regierung und die Gemeindeverwaltungen wüssten wohl von dem Phänomen, würden aber nichts dagegen tun. Für die Verfärbungen konnte ich kein Muster finden. Sowohl in Familien mit eigenen Brunnen als auch in Haushalten, die mit Pumpen aus tiefen Bohrungen und Leitungen öffentlich versorgt werden, finden wir die Symptome der Überfluoridierung. Selbst Quellwasser nahe an der Oberfläche kann zu den Verfärbungen führen. Das Phänomen scheint von der Tiefe des Grundwassers unabhängig zu sein. Die einzige Lösung wäre damit eine zentrale Wasserversorgung mit Wasserauf bereitung und Entfluoridisierung und Zuleitungen in jedes Haus. Zusätzlich müssten auch noch alle hauseigenen Brunnen für die Trinkwassernutzung verboten werden. Das Wasser müsste kostenlos in gutem Geschmack verfügbar gemacht werden, weil sonst die Menschen ihren guten alten Gewohnheiten vom Wasser aus dem eigenen oder des Nachbars Brunnen mit natürlichem, süßem Geschmack treu bleiben.
5.3.14 Landwirtschaft und Leben im Dorf Da Heng Cheng Hier besuchen wir die Familien von Guo Pan Feng (männlich), Zao Jin Ziu (weiblich) und Hao Can Yang (männlich). Um sie zu finden, müssen wir im Dorfzentrum nach dem Weg fragen. Dabei kommen wir mit den älteren Menschen, die dort herumsitzen, ins Gespräch.
Die alternde Gesellschaft Das Phänomen der Überalterung wird auf diesem Platz besonders sichtbar. Ein Dutzend Frauen und Männer zwischen 60 und 80 sitzen beisammen. Sie sind für die Versorgung der Familien und für die Landwirtschaft verantwortlich. Die wenigen Kinder sind in der Schule, die Eltern zum Arbeiten in Zhanbei City, Zhanziako oder Beijing. Aber sie sagen, das Leben ist gut, sie sind fröhlich. Die Zeiten sind viel besser als während ihrer Jugend. Ja, es gibt die Trockenheit, aber sie sind ja durch Brunnen mit Wasser und durch Händ-
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ler und ein Geschäft mit Lebensmitteln versorgt. Früher war es hier wirklich schlimm, nichts zu essen, nichts zu trinken und nicht einmal Kleidung, oft nur eine Hose für alle Kinder. Es gibt viel weniger Polizei und alles ist viel freier geworden. Die Menschen können nach Arbeit suchen gehen und für sich selbst sorgen. Es gibt mehr Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten. Die Regierung sorgt dafür, dass es überall Fernsehen, Telefon und Schulen gibt. Ja, das Leben ist viel einfacher geworden.
Mit dem Eselskarren zum Brunnen Zao Jin Ziu lebt bei Großeltern und Onkel. Sie versorgt den Gemüsegarten und die Blumen im Hof. Sie ist eine gute Schülerin und hat ein Stipendium für die Mittelschule erhalten. Die ältere Schwester ist verheiratet, die Eltern arbeiten in Zhan Jia Kou. Das Wasser holen sie vom Brunnen, einen halben Kilometer entfernt. Ich biete mich an, zu helfen. Zunächst beladen wir einen Eselskarren mit einer Metalltonne, die liegend transportiert wird und oben eine quadratische, trichterförmige Füllöffnung hat. Den Wagen schieben wir von Hand vor uns her über das Feld zum Brunnen. Dort schöpfen wir über 30 Gummieimer voll Wasser aus dem Brunnen. Dieser hat immer Wasser, aber der Wasserspiegel ist gesunken, seit es im Nachbardorf eine tiefe Bohrung für die Versorgung von drei Dörfern gibt. Als der Tank voll ist, spannt der Onkel den Esel vor den Karren und wir gehen gemeinsam wieder nach Hause. Dort wird der Tank durch einen Schlauch entleert und in Eimern in die Steinkrugfässer im Haus gebracht.
Tempel für die Toten Guo Pan Fen ist allein mit seiner Mutter. Der Vater ist gestorben. Seine ältere Schwester ist 24 und arbeitet in der Stadt. Sie haben selber einen Brunnen und eine elektrische Pumpe, mit der sie direkt den Garten bewässern. Die Landwirtschaft dient der Eigenversorgung, es bleibt nichts zum Verkaufen. Die Frau macht uns aufmerksam auf den Tempel, und wir gehen zusammen dorthin. Es gibt hier zwei Schreine, der eine für Long Wang, aber in der Nähe ist noch ein Schrein für die Verehrung der Toten. Wenn jemand stirbt, wird dort für den Toten gebetet, dem Himmel die Ankunft seiner Seele angekündigt und ihm eine gute Reise gewünscht. Dann wird der Leichnam verbrannt und die Asche irgendwo auf dem Feld vergraben. Grabsteine und Gräber gibt es selten und nur für Menschen, die wichtig sind oder es sich leisten können.
Salziges Wasser Hao Chao Yang hat eine Wasserleitung, die aus dem Hahn den Haushalt mit Wasser aus der öffentlichen Versorgung speist. Für die Leitung und den Hahn haben sie 300 RMB und für den Brunnen einen Anteil von 500 RMB bezahlt. Auf regelmäßiger Basis zahlen sie 60 RMB/Jahr für das Wasser. Aber sie verwenden es nur
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als Brauchwasser, weil es salzig schmeckt. In der Tat hat das Wasser einen salzigen Geschmack. Die Gemeinde und die Regierung hat das Wasser untersucht. Es hat Trinkwasserqualität, ist zum Verzehr geeignet. Aber die Familie glaubt dem nicht, mag auch den Geschmack nicht und holt das Wasser von der Nachbarin. Dort ist ein Brunnen mit Pumpe. Von dort haben sie schon seit Generationen das Wasser geholt. Das ist gut, besseres Trinkwasser und es schmeckt süß und frisch. Wir gehen mit zur Nachbarin, pumpen Wasser in Eimer, bringen es nachhause und sehen dabei, dass trotz allem in beiden Familien die Älteren gelbe Schneidezähne haben. Dass Wasser salzig schmeckt, hören wir in der Gegend häufig. Es deutet zusammen mit der Beobachtung von Zahnverfärbungen auf eine mögliche Übernutzung des Grundwassers und das Einströmen von salzigem Wasser ins Grundwasser hin. Das könnte auch ein Grund für die Austrocknung des Sees sein.
Wasserschlösser
Daxiwan In Daxiwan gibt es seit elf Jahren eine öffentliche Wasserversorgung. Sie besteht aus einer gefassten Quelle und einem Brunnen. Beide Wasserquellen werden zusammengeführt und liefern abwechselnd Wasser in die Haushalte. Die Schule hat ihre eigene Pumpe mit Schaltung im Brunnenhaus. Die Haushalte erhalten alle zwei Tage Wasser aus der Leitung, leiten es dann in die Steingutfässer und schöpfen daraus für den regelmäßigen täglichen Bedarf. Wenn das Wasser aus der Quelle kommt, schmeckt es gut. Wenn es aus dem Brunnen kommt, schmeckt es salzig. In einem Haushalt gibt es neben dem Gartenbau auch einen Minibus, der zur Vermietung für den Transport von Handelsgütern zur Verfügung steht. Im Haushalt eines Lehrers sehen wir eine Waschmaschine, die aber zum Lagern von Hausrat verwendet wird. Die Leitung geht nicht. Das Wasser holen sie sich vom Nachbarn.
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In einem anderen Haus gibt es eine Pumpe im Garten. Dort sind wir auch zum Essen eingeladen. Wir pumpen das Wasser in Eimer, gießen die Tomaten mit Frischwasser, aber auch in eine Schüssel zum Händewaschen. Dort sehe ich wie runde Nudeln, Dampf brot und Fladen hergestellt werden. Ich lerne, den Wok zu befeuern und sehe, wie darauf auf zwei Ebenen gegart, gekocht und gedämpft wird.
Yan Jia Po und die Milch- und Kuhfabrik Auf dem Weg dorthin fahren wir an Seen vorbei, die halb leer sind und an Kanälen für die Feldbewässerung. In einem Haus sehe ich eine Badewanne. Die Großmutter versucht mir zu erklären, wie sie diese zum Baden benutzt. Es ist jedoch offensichtlich, dass sie nur zum Lagern verwendet wird. Auch die Wäsche wird in Schüsseln gereinigt und das Baby in der Schüssel gewaschen. Sie haben einen eigenen Brunnen mit Pumpe. Zhang Xiao Chen wohnt bei seinen Großeltern. Die Eltern arbeiten in Beijing. Die Leitungswasser Versorgung funktioniert nicht. Die Familie holt deshalb das Wasser vom öffentlichen Brunnen. Dort hat ein Nachbar für seine eigene Versorgung eine Pumpe eingebaut, die das Wasser direkt in sein Haus pumpt. Das hat er auf eigene Initiative getan. Eine Genehmigung hat er sich dafür nicht besorgt. Mir fällt ein größeres neues Gebäude auf, das mit einem blauen (»good luck«) Dach auffällig gedeckt ist, und ich frage, ob das eine Schule ist. Es handelt sich um eine Molkerei für die Abfüllung von Milch. Auf dem Weg dorthin kommen wir auch noch an einer Kuhfabrik vorbei. Dort werden 300 Kühe auf engem Raum gehalten und in Stationen von jeweils 24 Kühen vollautomatisch zweimal am Tag abgepumpt/gemolken. Es handelt sich um neueste westliche Technologie, um den Kühen Freilauf zu erlauben und dennoch effizient melken zu können. Die Umsetzung ist einer industriellen Fertigung sehr ähnlich. Als wir näher kommen, werden wir aggressiv und lautstark weggeschickt. Es gab wohl kürzlich mal wieder einen Fall von Verunreinigungen in der Milch und staatliche Untersuchungen. Offensichtlich hatte man Angst vor einem westlichen Reporter. Die wasserwirtschaftliche Relevanz der Anlage ergibt sich aus der Tatsache, dass für die Versorgung von 300 Kühen so viel Wasser verbraucht wird wie für ein Dorf von 1.500 Menschen. Auch solche industriellen Einrichtungen führen zu Übernutzung, Absenkung des Grundwasserspiegels und Versalzung. In der Region wird auch der größte Windpark im Norden Chinas und Richtung Mongolei für die Elektrizitätsversorgung gebaut. Zusätzlich wird Silicat abgebaut und verarbeitet für den Einsatz in der kosmetischen Industrie.
China, eine »saving water society«
»Charity« und »Community Voluntar y Work« In Yu Shu You haben Studenten der Hydrologie in ihrer Freizeit einen Brunnen und eine Pumpe gebaut, mit einem Pumpenhaus umgeben und mit einem Wasser Storage Tank ausgestattet. Sie dient der Versorgung des gesamten südlichen Teils des Dorfes.
Allmende In Zhi JI Gou besuchen wir Hueng Xue Mia. Sie wohnt mit ihren Großeltern und ihrer Mutter. Der Vater ist in Beijing als Arbeiter auf dem Bau. Sie haben einen eigenen Brunnen. Die nahe gelegene neue öffentliche Anlage funktioniert nicht, obwohl man schon dafür bezahlt hat. Aber das eigene Wasser ist gut. Und das da drüben, beim traditionellen Brunnen, in der Nähe des Long Wang Tempels, auch. Das Wasser ist sauber und kann sogar ohne Abkochen aus dem Eimer getrunken werden. Es hat immer gutes Wasser von dort gegeben (aber sie haben auch gelbe Zähne). Wir gehen zum Brunnen, zum Tempel, sprechen auch mit den Männern dort, die mit kleinen Gummieimern an Stangen stehen oder sitzen. Da kommen aus der Ferne Geräusche, eine Herde von 25 Kühen wird durch das Feld zurück zum Brunnen geführt. Die Männer füllen die Tröge mit frisch geschöpftem Wasser. Es kommen noch weitere Frauen. Sie beobachten die Kühe und treiben sie dann einzeln nach Hause. Die Kühe sind individuelles Eigentum, zwei bis drei pro Haushalt. Sie werden gegen Bezahlung von Viehhütern im gemeinschaftlichen Feld geweidet. Die Kälber werden zum Verkauf gezüchtet. Die Muttertiere werden nicht gemolken, und die Milch wird von den Kälbern gebraucht.
Gartenbewässerung
Xi Sui Quam, alles nochmal auf einen Blick Bei Dong Qing treffen wir nochmal alles auf einen Blick. Das Mädchen lebt mit ihren Großeltern auf dem Hof, die Eltern arbeiten in Beijing. Sie haben ihren eigenen Brunnen mit Pumpe. Sie verkaufen auch Wasser an Nachbarn,
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die keine Brunnen haben. Drei Höfe im Dorf haben eigene Brunnen, die anderen gehen zum öffentlichen Brunnen und holen dort ihr Wasser. Das Wasser ist von guter Qualität. Sie trinken es meistens abgekocht und als Tee. Man kann es aber auch direkt aus dem Eimer verwenden. Sie putzen sich morgens vor dem Frühstück die Zähne, waschen Gesicht und Hände in der Schüssel im Garten. Das Wasser wird zum Wäschewaschen noch einmal verwendet. Das Mädchen schrubbt die Hose des Großvaters in einer Schüssel mit dem Waschbrett. Das Wasser im Wok kocht innerhalb von zehn Minuten. Wir kochen zusammen Nudeln und bereiten einen frischen Rübensalat mit Kräutern. Das alles geht schnell und schmeckt gut. Wir waschen das Geschirr im Wok. Dabei darf keine Seife oder Spülmittel verwendet werden. Sie nimmt einen Minibesen und reibt mit einem Lappen nach. Das Gemüse und die Pflanzen dürfen auch nur frisches, unverbrauchtes und unverdorbenes Waser erhalten. Sie verbrauchen zwei Eimer Wasser jeden Tag. Der vom Haus aus sichtbare Long Wang Tempel sei dort schon immer gewesen, aus Lehm gebaut, und wurde vor zwei Jahren mit Ziegelsteinen und Dachziegeln neu errichtet. Die Großmutter geht dort hin und bittet um Regen, aber es funktioniert nicht mehr. Als sie noch jung war hat das immer funktioniert. Sie ging hin, bat um Regen, und der kam dann auch. Aber jetzt gelingt das nicht mehr.
Die Alten erzählen Die Eheleute Liang Chengjie (männlich) und Zhao Ling (weiblich) sind 70 und leben jetzt in Beijing. Sie waren früher höhere Staatsbeamte, haben keine Kenntnis darüber, was Laotse oder Konfuzius über Wasser gelehrt haben, wissen aber, dass der vorsichtige und sparsame Umgang mit Ressourcen tief verwurzelt ist in der chinesischen Kultur. Sie erinnern sich an die Long Wang Tempel in den Dörfern. Sie wurden immer von den Menschen besucht, die dort um Regen und gute Ernte baten. In ihrem Dorf gibt es einen großen Tempel. Die Dorf bewohner gehen dorthin, um für Regen und eine gute Ernte zu beten. Das Wachstum käme ja aus der Erde, und deshalb bäten sie auch um gute Erde und gute Ernte. Während der Feste wird die Statue im Dorf herumgetragen. Bei den Regenritualen tragen die Männer nackte Oberköper, damit der Regen direkt auf die Haut fallen kann. Diese Rituale haben auch die Kulturrevolution überlebt. Die Dorf bewohner haben so stark geglaubt, dass die Roten Garden sich nicht getraut haben, den Tempel zu beschädigen. Der Tempel wurde verteidigt und ist heute sogar noch belebter als früher. Zhao Ling ist im Jahr des Drachens geboren, also ein Drachen. Drachen werden mit Wasser gleichgesetzt, sie stellen Wasser dar. Drachen sind gutartige Tiere. Sie sind Wasserspender. In den Darstellungen von Drachen schauen diese immer zum Wasser hin, in den Parks, den Tempeln, den Palästen. Was-
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ser bringt Zhao Ling Glück. Sie hat immer da gelebt, wo es auch Wasser gab, z.B. auch dort, wo sie während der Kulturrevolution hingeschickt wurden. Und auch die Kommune, in der sie jetzt wohnen, heißt »Ocean Paradise«, und die, in der sie vorher gewohnt haben, hieß »Sea Island«. Beide sparen Wasser auf unterschiedliche Art. Er verschwendet es durch häufiges Duschen, aber spart es durch die Bottiche in der Dusche, einen sparsamen Umgang beim Kochen und Geschirrspülen. Sie spart Wasser eher beim Duschen und Waschen. Mit Metaphern von Wasser wird immer etwas Positives ausgedrückt. So ist z.B. auch die Freundschaft zwischen Männern wie Wasser (klar, gut, rein, transparent), die höchste Form der Philanthropie ist auch wie Wasser, und Menschen sollten eben auch wie Wasser sein, entsprechend den an einer früheren Stelle dargestellten Reflexionen des Konfuzius. So ist auch die chinesische Kultur, obgleich säkularisiert, materialistisch und rational, durchwoben von Mysterien, Geschichte, Religion und Aberglaube soweit es das nicht fassbare Phänomen Wasser betrifft.
5.3.15 Entstehen und Vergehen in Xinjiang Es ist feucht und finster in diesem unterirdischen Gang. Am Boden fließt in einem kleinen Kanal, einer Rinne, das Wasser. Die Wände und die Decke sind aus Sandstein geschlagen und zum Teil mit Backsteinen befestigt. Nach 50 bis 100 Meter öffnet sich der Gang zu einem kleinen Platz und einer Einstiegsluke, durch die auch Licht in den Tunnel fällt. Der Tunnel ist eineinhalb bis zwei Meter breit und zwei bis drei Meter hoch. Es handelt sich um den Tunnel eines Qanats in Turpan, einer Oasenstadt im heutigen Xinjiang, im Osten von China, nahe der kasachischen Grenze. Turpan liegt an der Seidenstraße, ist seit 5.000 Jahren Handelsstation zwischen Ost und West. Das Qanat ist eines von vielen unterirdischen Wasserkanälen, das Frischwasser aus den Bergen in die Oase leitet und Teil eines Wasserversorgungssystems ist, das Hunderte von Kilometern unterirdisch verläuft. Quanate sind ursprünglich eine persische Erfindung und kamen vermutlich über die Seidenstraße nach Turpan. Sie bringen das Wasser unterirdisch aus den Bergen, was (1.) die oberflächliche Verschmutzung verhindert. Das System hat (2.) auch den Vorteil, dass Wasser während der heißen, trockenen Sommermonate auf dem Weg nicht verdunstet und nahezu ursprünglich in der Oasenstadt ankommt. Die Ein- und Ausstiegsluken dienen der Reinigung und Instandhaltung des Kanals, aber auch der Entnahme von Wasser und Reinigung von Kleidung und Körper. Strenge Regeln bestimmen über die Nutzung und über Wasserentnahmemengen. Unterhalten als »common good«, unterlagen diese Regeln der Kontrolle eines Regionalfürsten oder sind Teil der Reglementierung durch ein städtisches Königtum. Solche Verwaltungseinheiten umfassten 100 bis 1.000 Familien bzw. 1.000 bis 10.000 Menschen.
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Turpan ist nur eine von vielen Oasenstädten. Andere bekannte Oasenstädte sind Korla, Aksu und Kashgar. Sie alle liegen an der Seidenstraße, die am Rande der Taklamakan-Wüste und zwischen der Wüste und den Bergketten von Pamir, Tian Shan, Altai, Kunlun entlang durch das Tarim-Becken führt. Das Tarim-Becken ist mit 530.000 Quadratkilometer das größte in China, die Taklamakan-Wüste mit 327.000 Quadratkilometer die zweitgrößte Wüste weltweit. Sie wurden aus dem Meer gehoben durch tektonische Verschiebungen in der späten Sinian Periode und sind reich an Bodenschätzen.
Qanat, Oasen Bewässerung
Der Tarim River wird gespeist vom Aksu River (aus den Tian Shan Mountains), dem Yarkand und dem Hotan River (beide aus den Kunlun Mountains), er führt Gletscher-, Schmelz- und Regenwasser und bildet fruchtbare Flusslandschaften durch die aus den Bergen mitgeführten Ablagerungen, die Kalk- und Lößböden erzeugen. So sind auch hier frühe Agrarkulturen aus den vorherrschenden und noch heute existierenden Nomadenkulturen entstanden. Der Fluss endet nach 2.000 Kilometer in der Wüste durch Nutzung, Verdunstung und Versickerung im Aquifer unter der Wüste. Durch Übernutzung als Folge von Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, Stadtgründungen und Ansiedlungsprogrammen endet der Tarim River heute bereits im Daxihaizi Reservoir und wird im Unterlauf immer wasserärmer. Hier setzt auch ein deutsch-chinesisches Gemeinschaftsprojekt, gefördert von der »Deutschen Forschungsgemeinschaft« (DFG) und dem »Bundesmi-
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nisterium für Bildung und Forschung« (BMBFE) und von einem Dutzend Universitäten multidisziplinär durchgeführt, zur Renaturierung an, in dessen Zusammenhang ich 2010/2011 in die Region kam und mit deren kulturellen Herausforderungen konfrontiert wurde. Xinjiang wurde als Uygur Autonomous Region der VR China 1949 gegründet. Uiguren, ein kasachisches Volk, muslimisch und mit eigener Sprache, stellen die Mehrheit der Bevölkerung und sind eine von 78 anerkannten ethnischen Minderheiten in China. Daneben gibt es 46 weitere ethnische Nationalitäten in Xinjiang, zu denen neben Uiguren und Han auch Kasachen, Hui, Mongolen, Kirgisen, Xibe, Tadschiken, Usbeken, Mandschu, Russen, Daur und Tataren gehören. Früheste Besiedlungen sind für die späte Steinzeit vor über 10.000 Jahren nachgewiesen. In der Folge ergab sich eine vielfältige Vermischung und Befruchtung durch indische, griechische, römische, islamische, persische, türkische, mongolische und chinesische kulturelle Einflüsse. Diese lassen sich in der Musik, in Epen, Trachten, Essen, Sprachen, im Kunsthandwerk, in Töpferei, Kleidung, Sport und Religionsausübungen nachweisen (Ding Xiaolun 2008). Die Uiguren als bevölkerungsreichste Ethnie leben seit 2.000 Jahren in der Region. Sie haben ihre eigene Sprache und Schrift und sind verwandt mit Turkstämmen aus der Altai-Sprachfamilie. Seit 1.000 n. Chr. sind sie überwiegend islamisch und haben über die Jahrhunderte ihre eigenen Epen, Trachten, Musik, Riten und Esskulturen entwickelt (Details dazu ebd. 152-155).
Händewaschen vor den Mahlzeiten, Xinjiang
Die Kasachen, noch heute nomadisch, mit eigener Turksprache und Folklore, sind seit der Han-Dynastie (200 v. Chr. Bis 200 n. Chr.) nachgewiesen. Auf diese Zeit gehen auch erste Kontakte der zentralchinesischen Regierung mit der Region zurück. Auf diese Kontakte gründet die VR China auch ihren Anspruch auf die Region. Die Mongolen und Usbeken kamen mit Dschingis Khan und den Mongolen (14. Jahrhundert), die Kirgisen sind ein Turkstamm aus dem Altai, die Hui kamen mit den Han während der Tang- und Song-Dynastie. Die Tadschiken
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kamen aus Iran, und ihre Sprache gehört zur indogermanischen Sprachfamilie. Sie kamen über Pamir im Süden. Aus dem Norden kamen die Daur, eine mongolische Volksgruppe, die während der Qing-Dynastie zur Grenzkontrolle angesiedelt wurden. Gleiches gilt für die Xibe. Tataren, Mandschu und Russen kamen im 19. und 20. Jahrhundert Die inzwischen größte Bevölkerungsgruppe sind die Han-Chinesen, die nach 1949 in der Region angesiedelt wurden, militärisch zur Grenzbefestigung, agrarisch zur Entwicklung der Region und technologisch zur Industrialisierung und Schöpfung der Ressourcen. Aus diesem Zuzug und der technischen Entwicklung und Industrialisierung erwuchsen auch die heutigen kulturellen Auseinandersetzungen und bürgerkriegsähnlichen Kämpfe, überwiegend zwischen Uiguren, die frühere Rechte in Anspruch nehmen, und Han, die das neue China etablieren sollen. Die Relevanz für die Thematik dieser Studie ergibt sich aus dieser Entwicklung. Chinesische »Military Farms«, ein militärisch organisierter Agrarindustriebetrieb mit einer halben Million Beschäftigten, nimmt für sich Priorität in der Wasserversorgung in Anspruch und nutzt das Tarim River-Wasser. Mit Hilfe von Wehren, Kanälen, Ableitungen für Landwirtschaft, Industrie und städtischer Wasserversorgung wird überall, besonders im Oberlauf, Wasser abgeleitet, was zu Wasserknappheit im Unterlauf führt. Die Einleitung von verschmutztem Brauchwasser führt zu Überdüngung im Unterlauf, Versalzung von Böden und einem immer früheren Versickern des Flusses. Dadurch wird der Tarim immer kürzer. Zur Regulierung und Moderation wurde die »Tarim River Authority« in Korla eingerichtet, eine Einrichtung auf Initiative der Weltbank, die aber auch wieder von Han-Chinesen majorisiert wird. Sie hat immerhin Wasser aus einem anderen Flusssystem in den Unterlauf umgeleitet. Die Übernutzung aber bleibt und führt zu Problemen für die einzigartigen Poplar-Wälder (Pappelwälder) entlang des Flusses. Eine besonders widersprüchliche Situation ist entlang des Desert Highway zu beobachten. Dort wird eine asphaltierte Wüstenstraße »ökologisch« von Sandverwehungen frei gehalten durch einen Grüngürtel von 500 Kilomete Länge, eine sechsstrangige Buschallee, die aus dem Aquifer künstlich bewässert wird. Hierfür werden entlang der Straße an 50 Stationen jeweils 200 Hektorliter Wasser pro Tag zur Bewässerung der Buschalleen aus dem Grundwasser gepumpt. Zwischen den Bergen und der Wüste (intensiv genutzt für die Erdöl- und Erdgasgewinnung) versalzt der Boden und ist für die Landwirtschaft nicht mehr zu gebrauchen.
5.3.16 »Water villages« Suzhou ist ein »Water Village« im Yangtse River Delta, in der Nähe von Shanghai in China. Basierend auf der Verfügbarkeit von Wasser und den fruchtbaren Lößböden im Flussdelta des Yangste Flusses haben sich dort schon mit Be-
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ginn des Neolithikums Menschen niedergelassen und sind sesshaft geworden. Bereits für die Zeit um 5.000 v. Chr. werden aus der Gegend um Shanghai Spuren von Reisanbau nachgewiesen. Aus der gleichen Zeit gibt es auch erste Nachweise von Seide in der Region. Gefunden wurden diese auf der SanshanInsel. Um 3.000 v. Chr. entwickelte sich die Liangzhu-Kultur. 514 v. Chr. gründet König Helu aus Wu die Stadt und 514 n. Chr. wird sie von einer späteren, der Sui-Dynastie, in Suzhou umbenannt. Die Stadt prosperierte und erreichte im siebten Jahrhundert noch größere Bedeutung durch die Vollendung des »Grand Canal« und damit den Anschluss zu den wichtigsten Verkehrsknotenpunkten und Handelsplätzen im Osten Chinas. Der kulturelle Aufstieg ging kontinuierlich weiter bis in das 13. Jahrhundert und schlug sich in Dichtung, Musik, Religion, Städtebau und Malerei nieder. Technik, Handwerk, Textil, Manufaktur, Brücken, Kanäle, Pagoden und Paläste wurden Kennzeichen und Wahrzeichen der Stadt und prägen noch heute ihren Charakter. Wu-Pagoden, Wu-Kunsthandwerk, Wu-Malerei und -Kalligraphie zählen zu den wichtigsten Kulturschätzen Chinas und sind als UNESCO Weltkulturerbe registriert. Gleiches gilt für die nahegelegene Stadt Hangzhou. Zusammen werden sie auch »Himmel auf Erden« genannt. Sie spielen eine wichtige Rolle in Marco Polos Berichten über seine vermeintlichen Reisen und Aufenthalte in China und werden von ihm als »Venedig des Ostens« gerühmt. Suzhou war immer eine blühende Stadt und bekannt für die Tee-, Reis-, Fisch- und Seidenindustrie. Das gilt bis heute, wobei jetzt noch der Tourismus hinzukommt und Parks, Gärten, Museen und Forschungseinrichtungen an frühere Glanzzeiten erinnern. Heutige Bewohner streiten sich, ob der Begriff »Water Village« oder – wegen der prächtigen Parks und Gärten – eher »Garden Village« treffender ist. Touristisch werden beide Aspekte ausgelobt, und es werden eine ganze Reihe von derartigen Ansiedlungen und Städten als touristische Attraktionen gepflegt. Sogar neue Wohnanlagen entlang von Kanälen werden als »Water Village« angepriesen. Was bleibt, ist die Faszination von Wasser, Seen und Kanälen, die die gesamte Landschaft und Dorfatmosphäre durchzieht, und die Reflexion von Wasser in Malerei, Kalligraphie und Seidenweberei. Gärten sind durchwirkt von Wasser, Bäumen, Sträuchern und Blüten. Gebäude spiegeln sich im Wasser. Fische, zumeist Goldfische, schwimmen in den Gewässern und bilden Wellen, die sich an Felsen und Steinen brechen. Wasser, Stein und Baum bzw. Pflanze gelten überall in Asien als göttliche Einheit, sind die Kernelemente von Gartengestaltung und -kunst, spielen die Hauptrolle im Feng Shui und gelten als Grundpfeiler von Harmonie und Einheit zwischen Mensch, Natur und Weltall. Felsen, Bäume und Wasser an einer weißen Wand symbolisieren diese Reinheit.
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»Water Village«
Im Gegensatz zu Europa, wo Wasserabbildungen erst in der Romantik populär wurden, gibt es in asiatischer Kalligraphie, Landschaftsmalerei und Töpferei (Keramikbemalung von Töpfen, Gefäßen) bereits seit 3.000 Jahren Abbildungen von Wasser. Oft sind es nur Auslassungen, d.h. unbearbeitete Flächen, Wellen, Tiere oder Gegenstände, weil Wasser selbst schwer darstellbar ist und sich einer wirklichkeitsgetreuen Abbildung entzieht. In Suzhou gibt es Malereien mit Wasser seit dem 14. Jahrhundert Aus der Region des Yangste Deltas, 120 Kilometer südlich von Shanghai, gibt es Ausgrabungen der Hemudu-Kultur, die 10.000 Jahre zurückdatieren (seit 7.000 v. Chr., Blütezeit 5.200 bis 4.500 v. Chr.). Die Menschen betrieben Nassreisanbau, Gewinnung und Verarbeitung von Lachs und die Seidenraupenzucht. Daneben wurden Wasserbüffel, Schweine und Hunde gezüchtet. Wohnhäuser aus Holz wurden geplant angelegt und auf Pfählen am Wasser errichtet. Auch rechteckige, mit Holz ausgelegte Brunnen waren bekannt, und es wurden Ruder und Reste von Lehmschüsseln entdeckt. Aus der gleichen Region stammt die Shanohan-Kultur als älteste neolithische Kultur bzw. Fundstätte in China (ca. 11.400 v. Chr. bis ca. 8.600 v. Chr.). Durch den großen Kanal verbunden mit Suzhou ist Hangzhou, am Westsee gelegen und auch heute noch zentral für die Seidenindustrie. Hangzhou gilt als die Wiege der chinesischen Zivilisation (die Liangzhu-Kultur, 3.400-2.000 v. Chr.). Hangzhou hatte den größten Hafen der Welt und war nach Bagdad die zweitgrößte Stadt der Welt. Der Westsee hat große Symbolkraft für Wasser in China.
China, eine »saving water society«
Die Seidenherstellung wird in der Region schon seit 5.000 Jahren betrieben. Hierbei werden Raupen auf Maulbeerbäumen gezüchtet. Es handelt sich dabei um eine Baumart, die viel Wasser benötigt. Das Gleiche gilt für die Gewinnung der Seide durch das Lösen vom Kokon. Schließlich werden auch zur Entfernung des Seidenleims große Mengen von Wasser gebraucht. Ähnliches gilt für die andere Konstante der Hanghzhou-Kultur, den Drachenbrunnentee oder Grüntee. Auch Teeanbau gibt es seit 5.000 Jahren in China, und sowohl für die Gewinnung der Blätter am Strauch als auch die Zubereitung als Getränk wird Wasser gebraucht.
Teezeremonie und -verkostung
5.3.17 »Heißes« und »kaltes« Wasser in der Feldbewässerung Chinas Pekings Yuppies (»young urban professionals«) haben eine neue Liebe für Natur und Gemüseanbau entdeckt. Wer es sich leisten kann, alte Familienverbindungen auf dem Land hat und Menschen findet, die sich darum kümmern, geht am Wochenende auf das Land ca. eine Stunde außerhalb der Stadt zum »veggie farming«, Gartenwirtschaft am Fuße der Berge, die Richtung Nordwesten die Stadt begrenzen und von der Großen Mauer durchzogen sind, die zur Abwehr gegen die Mongolen errichtet wurden.
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Die Elemente, die diese Aktivität mit Prestige aufladen und attraktiv machen sind überwiegend Vorstellungen des »Zurück zur Natur« (bzw. »Raus aus der Stadt«), die Zurschaustellung, dass es Verbindungen gibt zum alten Landadel, eine Demonstration von Familiensinn und Wohlstand (Autos, ein fünf Tage City Job). Darüber hinaus werden »organic farming«, gute, ungedüngte, sichere, ungespritzte Salate sowie unbehandeltes Obst und Gemüse geschätzt. Schließlich entsteht durch die Selbstversorgung ein Gefühl von Unabhängigkeit und Selbstkontrolle.
Gartenbau
In diesem Zusammenhang lernt man dann auch neue »naturwissenschaftliche« Phänomene kennen, hier den Unterschied zwischen »heißem« und »kaltem« Wasser. Heißes und kaltes Wasser stehen hier für Regenwasser und Brunnenwasser. Einer der Yuppies berichtet, sie hätten immer gedacht, Regen sei der beste Freund der Bauern. Wenn es regnet, müsse der Bauer nicht gießen, weil der Regen das für ihn besorge. Das stellte sich als falsch heraus, zumindest im Gemüseanbau. Es hat letzte Woche dreimal heftig geregnet. Sie freuten sich und dachten, wenigstens für eine Woche der Sorgen um die Bewässerung enthoben zu sein, weil das Gemüse genügend Wasser erhalten hatte. Sie können nur einmal die Woche auf das Land und die Gemüsefelder hinaus, können also nicht täglich wässern. Das gilt jedoch als Voraussetzung für gutes Wachstum von grünem Salat. Letzte Woche besorgte das also die Natur, der Regen eben. Als sie aber am Feld ankamen mussten sie zu ihrer Überraschung feststellen, dass der Salat keineswegs besser »im Kraut« stand als nach trockenen Wochen. In der Tat waren viele Salatköpfe sogar in schlechterem Zustand. Ein Bauer aus der Gegend erklärt, das seien alles Missverständnisse. In Wirklichkeit fehle dem Salat »kaltes« Wasser. Nach jedem Regen brauche der Salat eine zusätzliche Bewässerung durch Brunnen-, Quell- oder Leitungswas-
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ser. Er erklärt weiter, Regenwasser sei »heißes« Wasser und Grundwasser »kaltes« Wasser. Gemüsebauern wüssten sehr wohl, dass Salate und Gemüse nach jedem Regen noch eine bestimmte Menge Brunnenwasser brauchen. Es hilft, das heiße Regenwasser abzukühlen, sodass das Gemüse wirklich gut wachsen könne. Im Chinesischen ist die Sonne männlich und der Regen »heiß«. Die Erde ist weiblich und Grundwasser »kalt«. Niemand auf dem Land konnte dafür eine wissenschaftliche Erklärung geben, aber die alte Bauernregel wird als Weisheit von Generation zu Generation weitergegeben. Die Regel hängt sicherlich auch zusammen mit Yin und Yang, dem alten chinesischen dualen, komplementären Denksystem, das wir auch in der Ernährung (heiße und kalte Gerichte, Gewürze, Getränke) und in der Medizin (heiße und kalte Körper und Konstitutionen bei Menschen) wiederfinden.
5.3.18 »Saving water«-Perspektiven Von den Lehren des Konfuzius geprägt, wird in China seit Jahrhunderten Sparsamkeit gelehrt. Das bewirkt ein auffälliges Maß an Wiederverwendung gebrauchten Wassers. Nach der Reiswäsche wird das Wasser zum Kochen, danach für den Abwasch, die Fußbodenreinigung und die Viehfütterung verwendet. Nur Pflanzen erhalten immer frisches Wasser. Das Vertrauen in das Wasser aus dem eigenen Brunnen ist größer als in das aus der kommunalen Versorgung. Ebenso auffällig sind die mannigfachen Arten von Übernutzung. Funktionalität wird betont und praktiziert. Unter dieser Oberfläche entdeckt man jedoch auch religiöse Bedeutungen, wie am Beispiel der Long WangSchreine ersichtlich geworden ist. Bewunderung und Hochachtung für das Material Wasser kommt auch in den »Water villages« und beim Gartenbau der Yuppies in Beijing zum Vorschein. Auffällig und beispielhaft ist das konsequente Abkochen von Wasser vor dem Verzehr.
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5.4 Ü berfluss – » abundance «, westliche P erspek tiven Mitten in Zentraleuropa, im Rhein-Main Gebiet, zwischen Taunus, Spessart, Odenwald und Vogelsberg, gibt es Wasser im Überfluss. Es regnet in genügenden Mengen. Das Grundwasser fließt. Es gibt selten Überschwemmungen. Die Wasserversorgung ist so gut ausgebaut, dass überall direkt aus dem Wasserhahn Wasser von guter Qualität geliefert wird. Die meisten Menschen denken überhaupt nicht über Wasser nach, benutzen es, aus dem Hahn für die persönliche Hygiene, abgekocht für Kaffee, Tee und zur Zubereitung von Speisen. Das meiste Wasser wird verbraucht zum Spülen von Toiletten, Duschen, Baden, Abwaschen und Reinigen. Das heißt, bestes Trinkwasser wird überwiegend ge- und verbraucht zur Entsorgung von Abfall und Schmutz. Entsprechend und als Folge wird Leitungswasser eher funktional in Abwasser-, Spülwasser-, Wasserwerk- und Wasserpreis-Dimensionen gedacht. Wasser gewinnt seine Magie zurück durch den Besuch von Thermen, den Konsum von Mineral- und Heilwässern, durch esoterische Beschäftigung, Betrachtung und Renaturierung.
5.4.1 Leitungswasser und Wasser versorgung Wenn man Menschen in Mitteleuropa fragt, was sie denken, wenn sie morgens den Wasserhahn aufdrehen, so ist die Antwort fast immer: »nichts«, oder ein Achselzucken für »weiß nicht« und dann »vielleicht, dass es kalt ist, oder erfrischend«. Das meiste Wasser wird für die körperliche Hygiene, Duschen, Waschen, Baden und Toilettenspülung verwendet. Ironischerweise verwenden wir das meiste Wasser für das Wegspülen von Urin. Dabei hat das Wasser überall in Europa Trinkwasserqualität gemäß europäischer Standards und Regulierung. Wenn Trinkwasser in so großen Mengen und in solcher Qualität verfügbar ist, wird es nicht mehr als solches verwendet und wertgeschätzt. Stattdessen weichen die Menschen für das Trinken auf Mineralwasser aus und verwenden Trinkwasser lieber für die Autowäsche, die Toilettenspülung, die Gartenbewässerung, zum Feuerlöschen, für die Straßenreinigung und sogar als Wasserwerfer. Die Wasserversorgung ist stark reguliert, wird überwiegend von städtischen Wasserwerken durchgeführt. Das Gleiche gilt für die Abwasserentsorgung, Klärung und Ableitung. Bemühungen für Outsourcing, Privatisierung und Effizienzsteigerung wird ebenso widersprochen wie Preiserhöhungen. Wasser ist ein Menschenrecht, öffentliches Gut und soll unbegrenzt und kostenfrei zur Verfügung stehen.
Über fluss – »abundance«, westliche Perspektiven
5.4.2 Mineralwasser Bad Vilbel ist die »Stadt der Quellen« und grenzt an den nördlichen Stadtrand von Frankfurt a.M., liegt an der Südspitze der Wetterau zwischen Taunus und Vogelsberg. Die Gegend ist seit der Jungsteinzeit besiedelt, und es finden sich Spuren von Kelten, Germanen und Römern in der Region. Aus der Römerzeit wurden Thermen-Grundrisse und Mosaike gefunden. Ein Mosaik wird auf das zweites Jahrhundert n. Chr. datiert und zeigt den Meeresgott Oceanus. Die Gebäude sind noch älter. Vermutlich waren bereits zu jener Zeit Quellen und Brunnen der Region wegen ihrer Heil- und Gesundheitswirkungen bekannt und wurden als Thermal- und Heilquellen betrieben (Brunnenmuseum Bad Vilbel). Die früheste Erwähnung der Salzquellen stammt aus dem neuntes Jahrhundert. Im 16. Jahrhundert wurden Bad Vilbeler Mineralwässer als Heilwässer empfohlen. Als Mineralbrunnen wurden die Quellen mit der Industrialisierung in der Region zu Beginn des 19. Jahrhunderts entdeckt und betrieben. So wies zum Beispiel die Familie Hinkel, Eigentümer eines Hofguts mit Braurechten und auch heute noch Eigentümer der Firma Hassia, den Mineralreichtum des Wassers in ihrem Brunnen nach und begann 1848, ihr Wasser in Tonkrüge zu füllen und in Frankfurt für sechs Kreuzer/Liter zu verkaufen – bei einem Tageslohn von 18 Kreuzern ein teures Vergnügen. Nach und nach entdeckten auch andere Hof besitzer dieses Geschäftsmodell, sodass schließlich Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu 38 Quellen, kommerziell betrieben, Mineralwässer schöpften, abfüllten und verkauften. Das Wasser in Bad Vilbel kommt aus 200 Metern Tiefe, war bis dahin bis zu 2.000 Jahren in der Tiefe des Gesteins von Taunus, Vogelsberg und Vulkaneifel unterwegs. Auf diesem Weg wäscht das Wasser Mineralien aus dem Gestein, reichert sich mit Hydrogenkarbonat an und bildet beim Kontakt mit dem Vulkangestein Kohlensäure. Der entstehende Druck bringt das Wasser an die Oberfläche. Sowohl die Gewinnung als auch die Zusammensetzung des Wassers ist vielfältig. Es kommt als Quelle zur Oberfläche, sprudelt als Artesischer Brunnen oder wird aus 140 Metern Tiefe gebohrt und gepumpt. Jede Quelle und jeder Brunnen hat seine eigene Zusammensetzung. Die Region ist geologisch begünstigt durch Vulkanaktivitäten als Folge von Plattenverschiebungen, die 30 Millionen Jahre zurückreichen. Die Gesundheitswirkungen werden der Bio-Verfügbarkeit der Mineralien zugeschrieben. Die industrielle Fertigung garantiert Reinheit und gleichbleibende Qualität. Die Marketing-Positionierungen schenken dem gekauften Wasser Bedeutungen, und der Kauf im Supermarkt erlaubt den eigenhändigen (wasserleitungsunabhängigen) Transport ins eigene Heim. Auf diesen letzten Aspekt sind wir in der Arbeit schon gestoßen: Mary Douglas (1966) hatte darauf hingewiesen, dass Menschen unwillkürlich allem misstrauen, was von außen anonym ins eigene Heim eindringt. Hinzu kommt ein wachsender
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Zweifel an staatlichen Institutionen als Dienstleister und Machtfaktor (worauf Strang 2004, 2009 zu Recht hinweist). Schließlich zeigt Richard Wilk (2006), wie Werbung, Namensgebung und Gestaltung Mineralwässer mit Bedeutungen anreichern. Die Summe dieser Effekte führt dazu, dass immer mehr Menschen ihren täglichen Wasserbedarf von einem halben Liter durch den Konsum von zweieinhalb Liter Mineralwasser in Flaschen decken. So führt und verkauft Hassia als größter deutscher Mineralwasseranbieter jährlich 780 Millionen Liter Wasser in Flaschen, und der Pro-Kopf-Verbrauch ist von 13 Litern im Jahr 1970 auf 135 Liter im Jahr 2010 angestiegen. In einer Schulklasse in einem Frankfurter Vorort trinken 20 Kinder Wasser ausschließlich aus abgepackten und gekauften Flaschen, weil ihr Leitungswasser zu Hause angeblich »schlecht schmeckt«, chemisch und pharmazeutisch kontaminiert ist, und dessen Konsum gefährlich ist. Hierzu tragen auch negative Berichterstattung über Arzneimittel im Abwasser, Pestizide und Nitrate im Grundwasser und Sorgen über Verunreinigungen und mangelnde Verfügbarkeit bei.
5.4.3 »Chemisches Wasser« in Rhein-Main Arnould Schule Walldorf Die Wilhelm Arnould Schule in Walldorf (Hessen) ist eine Grundschule mit zwölf Klassen auf drei Jahrgangsstufen, 300 Schülern und 25 Lehrern. Die Schulleitung und die Lehrerin einer vierten Klasse waren bereit zu zwei Gruppengesprächen in einer vierten Klasse am 10. und 11. November 2009. (Klassengespräch im Stuhlkreis am 10. November, 2009, 22 Kinder, Lehrerin Frau Becker). Am ersten Vormittag wurde das Thema eingeführt. Schon bei der Frage, warum ich mich für Wasser interessieren könnte, erhielt ich Antworten wie »weil Wasser immer knapper wird«, »weil wir zu viel Wasser verschwenden«, »weil Wasser verschmutzt und mit Chemikalien verseucht ist« oder »weil wir mehr Wasser sparen müssen«. Allen Kindern ist klar, dass es in Deutschland viel Wasser gibt. Aber gleich bringen Mädchen, deren Eltern aus Äthiopien, Anatolien, Griechenland und China stammen, Beispiele aus ihren Herkunftsländern, in denen Wasser auch knapp sein kann. Auf die Frage, wo das Wasser herkommt, wissen die meisten etwas über den Wasserkreislauf, der offensichtlich in der Schule gelehrt wurde. Wolken, Regen, Flüsse, Seen, Verdunstung, Wolken, Regen sind Erklärungen, die spontan und präzise vorgebracht werden. Neben dem Wasserhahn werden auch der Brunnen im Garten, die Regentonne, Quellen und Bäche als Wasserquellen genannt. Aber nur Wasser aus der Leitung sei zum Trinken geeignet. Wasser wird schmutzig durch chemische Verschmutzung, Erde, Sand, Wüste. Es wird verwendet zum Zähneputzen, Waschen, Trinken, Essen, Duschen und zum Toilette Spülen.
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Sie wissen, dass sie die Hände nach der Toilette waschen sollen, geben aber zu, es auch oft zu vergessen. Ja, sie waschen die Hände mit Seife (und vollziehen die Gestik des Pumpens einer Flüssigseife), oft aber auch nur mit Wasser. Als Krankheiten, die mit Wasser in Verbindung gebracht werden, nennen die Kinder Krebs, Durchfall, Magenschmerzen und Grippe. Nach der Stunde, in der zum Schluss aus aktuellem Anlass (Schweinegrippe) darauf aufmerksam gemacht wird, wie wichtig gerade jetzt das Händewaschen mit Seife ist, gehen einige Kinder auf die Toilette, vergessen aber, sich danach die Hände zu waschen (sie benutzen weder Wasser noch Seife) und lächeln verlegen, nachdem sie darauf aufmerksam gemacht werden. In einem Klassengespräch im Stuhlkreis am 11. November 2009 mit 15 Schülern und Schülerinnen werden Trinkgewohnheiten, regionale Unterschiede und die Gegensätze »sauber« und »schmutzig« vertieft. Die Kinder wissen, dass sie das Wasser aus der Leitung trinken können. Alle trinken jedoch das Wasser aus der Flasche und greifen nur im Notfall und bei großem Durst auch auf das Wasser aus der Leitung zurück. Als Gründe nennen sie überwiegend den Geschmack. Viele mögen sprudelndes Wasser lieber als stilles, aber auch die Kinder, die stilles Wasser trinken, bevorzugen das Wasser aus der Flasche. Alle können die bevorzugte Marke im Haushalt nennen. Keiner weiß über die Möglichkeit, sprudelndes Wasser aus Leitungswasser herzustellen. In einem Haushalt wird gefiltert, aber dennoch aus der Flasche getrunken. Alle finden den Geschmack des Leitungswassers »eklig«. Es schmeckt chemisch, chlorig, metallisch, nach Leitung, Chemie und Chlor. Hinsichtlich regionaler Unterschiede weiß das Kind von äthiopischen Eltern von Wassermangel, Armut, Not und gesundheitlichen Problemen als Ergebnis von Wassermangel zu berichten. Das Mädchen anatolischer Abstammung weiß, dass dort im Sommer das Wasser oft knapp wird und auch nicht die gleiche Qualität wie das Wasser in Deutschland hat. Auch aus Griechenland wird von Sommerperioden mit Wasserversorgungsproblemen berichtet. Ein Mädchen in der Klasse hat eine Mutter aus China. Sie berichtet von dort über Probleme mit der Beschaffung von Wasser. Es wird von einem Brunnen geholt, abgekocht, ist aber doch immer mal verschmutzt und gefährlich. Das Wasser im Gundbach, dem lokalen Gewässer, kann man nicht trinken oder für irgendetwas gebrauchen. Das gleiche gilt für den Fischteich. Aber die Hunde können davon trinken. Und auch andere Tiere. Warum Menschen das Wasser nicht vertragen, Tiere aber wohl, ist nicht so recht zu erklären. Wir verschmutzen Wasser durch Chemie, Autoöle, Düngemittel, Insektenbekämpfung, menschliche Abfälle, Industrie. Wie es aber ins Wasser kommt, ist nicht klar. Mir wird gesagt, dass daran irgendwie Industrie, Chemie und Zivilisation schuld sind. Wichtig ist es, Wasser zu sparen, nicht so viel Wasser zum Duschen und Baden zu verbrauchen, weniger zu waschen, weniger die Toilette zu spülen.
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Man spricht von Zisternen für Regenwasser, die im Sommer zum Bewässern des Gartens genutzt werden, von Brunnen im Garten für die Gartenbewässerung (»trinken tun wir das nicht«, »ob es trinkbar ist, weiß ich nicht«). Die Schulleitung und eine Lehrerin bestätigen, dass das Erziehungsziel in Grundschulen eher auf Umweltverschmutzung und Ressourcenschonung als auf Hygiene und Gesundheit ausgerichtet ist.
5.4.4 »Feines Wasser« auf der Alm Busalp Schule am 20. Januar 2010 Zur zweiten Stunde um 8.20 Uhr verabredet, gehe ich um 8.00 Uhr aus dem Haus, mache mich auf den Weg durch den tiefen Schnee. Ich treffe Franziska, die mich fragt »gesch ind schual«? Es stellt sich heraus, dass ihre Tochter Flavia schon zuhause über meinen Besuch gesprochen hat. Der Sohn der Familie Roth, den wir auf dem Weg zu seiner Schule treffen, weiß auch schon von seinen Schwestern Bescheid. Die Busalp Schule ist die Grundschule der Bergschaft Busalp im Berner Oberland. Zusammen mit sechs anderen Bergschaften bildet Busalp die Gemeinde Grindelwald. Jede Bergschaft hat ihre eigene Grundschule. Busalp hat ca. 500 Bewohner, 300 Kühe, sieben Sennschaften. Die Höfe im Tal sind Privateigentum, die Almflächen oberhalb 1.600 Metern werden gemeinsam bearbeitet. Jeder Talbewohner hat ein Bergrecht (Kuhrecht), das nach der Fläche im Tal anteilig berechnet wird. Die Verträge gehen 500 Jahre zurück, wurden vom Kloster Interlaken garantiert und die Rechte in Gravuren auf Stäben festgehalten. Mit den Kuhrechten sind auch Arbeitspflichten verbunden, z.B. das Einrichten der Umzäunungen im Frühjahr vor dem Almauftrieb Ende Juni. Die Busalp Schule ist eine Grundschule mit zwei Klassen à 30 Schülern. In jeder Klasse werden drei Jahrgangsstufen gemeinsam unterrichtet. Die Jahrgänge eins bis drei von einer Lehrerin, die Jahrgänge vier bis sechs von Herrn Gottier. Ich hatte mich bei Herrn Gottier angemeldet und mit ihm abgesprochen, mit den Kindern seiner Klasse, zehn- bis zwölf-jährigen Jungen und Mädchen, über Wasser zu sprechen. Wir stellen uns alle vor, nennen unseren Namen, unser Alter und unsere Hobbys. Die Unterrichtssprache ist hochdeutsch. Die Schule und der Schulraum sind hell, freundlich, farbenfroh dekoriert und technisch üppig mit Computern ausgestattet. Die Kinder sind munter, aufgeschlossen und interessiert. Weshalb ich mich für Wasser interessieren könnte? Weil es lebenswichtig ist. Ob sie heute schon Wasser verwendet haben? Ja, zum Zähneputzen, Waschen und Trinken. Alle Kinder haben ihre Zähne geputzt und eine Katzenwäsche hinter sich. Einige haben vom Wasser getrunken, andere haben noch nichts getrunken, andere wieder Tee, Milch oder Orangensaft. Wasser trinken sie alle aus der Leitung. Es schmeckt »fein«. Es kommt aus Brunnen vom Berg
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da oben. Einige haben eigene Brunnen. Alle anderen Haushalte erhalten es vom Steintor. Dort ist ein unterirdisches Reservoir, von dem alle Haushalte versorgt werden. Die Kinder sind überzeugt bis begeistert von der Güte ihres Wassers. Sie würden kein anderes Wasser trinken wollen. Schon in Beatenberg (auf einer anderen Seite des Tals, in ähnlicher Lage) schmeckt das Wasser anders, und auch in Thun oder Solothurn (im Tal) schmeckt es nicht so »fein«, sondern schmutzig und chemisch. In Italien und der Türkei kann man Wasser aus der Leitung gar nicht trinken. Und aus Flaschen (Valser) schmeckt es auch nicht so gut. Die Kinder wissen sehr gut über den Wasserkreislauf Bescheid, Regen, Schnee, Verdunstung, Bäche, Seen, Flüsse, Quellen, Brunnen, Leitungen und die Versorgung vom Steintor, waren aber noch nicht zu einem Besuch dort. Sie erzählen auch viel über Kochen, Waschen, Kühe, Autowäsche, Reinigung und Körperhygiene. Händewaschen spielen sie vor. Dabei wird ersichtlich, dass die Hälfte Seife am Stück verwendet und die andere Hälfte Seife aus dem Spender. Die Schultoilette ist neuerdings mit einem Spender ausgestattet. Die Verwendungsmenge und -frequenz kann bei einem nächsten Besuch ermittelt werden. Ganzkörperreinigung findet ca. zweimal die Woche statt. Die meisten duschen, einige baden oder waschen sich am Becken. Die Rhythmen sind verschieden, Samstag-Mittwoch, Sonntag-Dienstag, nach dem Sport etc., und der Vorgang wird auch begeistert vorgespielt. Wasserverschmutzung, Verunreinigung, Reinheit, Wiederverwendung sind keine großen Themen. Wasserverwendung für Duschen und Toilettenspülung sind selbstverständlich, weil Wasser ja im Überfluss vorhanden ist. Man kann das Wasser sowieso nicht woanders hinbringen. Deshalb hilft sparen hier auch nicht. Sie wollen wissen, warum mich das alles interessiert und freuen sich, wenn ich im März wieder komme und darüber berichte, was ich anderswo gelernt und erfahren habe.
5.4.5 Mikroben und Wasser Rumänien In der Zeit von 5. bis 9. November 2009 besuche ich Kinderheime in Giugiu, Rumänien. Der Ort liegt ca. 100 Kilometer südlich von Bukarest, an der Grenze zu Bulgarien. Giurgiu liegt an der Donau und wird von einem Wasserwerk versorgt, welches das Wasser aus einer Bohrung in Flussnähe zieht, filtert, behandelt, desinfiziert und chlorifiziert, an die Abnehmer, das heißt auch alle öffentlichen Organisationen, private Haushalte und damit auch an Heime und Schulen, liefert. Rumänien ist Mitglied der Europäischen Union und seine Wasserwirtschaft folgt den Regeln und Anforderungen der WHO und anderer UN-Organisationen.
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Kinderheim Nostramus Das Gespräch fand mit drei Kindern im Alter von zehn bis zwölf Jahren statt. Die Fragen bezogen sich auf die Verwendung und auf die Herkunft von Wasser. Sie trinken alle Wasser aus der Leitung, putzen die Zähne, waschen sich jeden Morgen Hände und Gesicht, einmal die Woche auch den ganzen Körper. Sie waschen sich die Hände mit Wasser und Seife vor dem Essen, nach dem Gang zur Toilette und wenn sie sonst schmutzig werden. Sie haben gelernt (in der Schule und von ihren Heimleiterinnen), dass »Mikroben« von den Händen in den Mund gelangen, und dann Krankheiten verursachen können. Als Krankheiten werden Durchfall, Erkältungen und »alle möglichen« anderen genannt. Das Wasser kommt aus der Leitung. Wie es dort hinkommt ist unklar (Achseln werden gezuckt, man schaut sich gegenseitig an, auch ich werde fragend angesehen). Vielleicht vom Fluss? Vom Regen? Und woher kommt der Regen? »Vielleicht von Gott«? Wasser aus der Flasche schmeckt besser. Aus der Leitung schmeckt es bitter. Dass sie zum Waschen, Duschen, Toilettenspülen und Trinken das gleiche Wasser verwenden, war ihnen noch nicht bewusst.
Kinderheim Slesina Hier fand das Gespräch mit einem Jungen und einem Mädchen statt, die beide als besonders aufgeweckt und als gute Schüler beschrieben und ausgewählt wurden. Auch sie waschen sich regelmäßig morgens und abends, putzen die Zähne mit Bürste und Zahnpasta, und waschen sich die Hände mit Seife, auch nach der Toilette, weil an den Händen »Mikroben« sind, die zu Krankheiten führen, z.B. Husten, Erkältungen und Durchfall. Eines der Kinder kann sich vorstellen, dass das Wasser aus dem Fluss oder einem Brunnen in die Leitungen kommt, alle denken, dass der Regen von Gott gemacht wird und von dort in die Flüsse gelangt. Sie kennen Brunnen und Wasserpumpen in Gärten und in der Nähe von Häusern. Aber meistens funktionieren diese nicht mehr oder man braucht sie nicht, weil das Wasser ja aus der Leitung kommt. Sie trinken das Wasser aus der Leitung, sowohl zuhause (im Heim) als auch in der Schule. Wasser wird außer zum Trinken und Reinigen auch noch zum Wäsche Waschen, Kochen und für den Garten gebraucht. Dass auch beim Toilette Spülen Wasser verwendet wird, wundert sie bzw. war ihnen nicht bewusst.
Mädchen-Apartment Hier wohnen vier junge Frauen im Alter zwischen 16 und 20 Jahren, besuchen die Schule, machen Ausbildungen zur Krankenschwester, zur Physiotherapeutin und zur Bürokraft. Sie arbeiten an einem Tag pro Woche, gehen an drei Tagen in die Schule und haben noch Nebenjobs. Sie leben dort gemeinsam mit einer Betreuerin. Sie müssen alles sauber halten und Ordnung halten. Die Betreuerin passt auf sie auf. Alle drei sind im Heimsystem aufgewachsen. Sie
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erzählen nach einer Einführung über ihre persönliche Geschichte, aus welchen Gründen sie aus ihren Familien heraus in die Heime kamen, und haben zugestimmt, ihre persönliche Geschichte auch für uns aufzuschreiben. Die Mädchen waschen sich regelmäßig morgens und abends, putzen die Zähne, duschen hin und wieder, besonders, wenn sie geschwitzt haben oder ausgehen wollen. Sie waschen sich nach der Toilette immer die Hände mit Seife, wegen der Mikroben und der Ansteckungsgefahr. Sie haben keine Vorstellung davon, wie das Wasser in die Leitung kommt, wo es herkommt (vielleicht Fluss, vielleicht Regen). Auch sie denken, dass der Regen von Gott gemacht ist. Sie verwenden Wasser zum Trinken, Kochen, Waschen und Abwaschen. Im Badezimmer ist Seife, die auch benutzt wird (zusätzlich zu Shampoo), und in der Küche gibt es Waschmittel und Seife. Das Leitungswasser schmeckt nicht so gut wie aus der Flasche, eher »chemisch«. Eine Waschmaschine steht zur Verfügung. Dass dafür auch Wasser verwendet wird, darüber haben sie noch nicht nachgedacht. Das gleiche gilt für das Toilettespülen.
Jungen-Apartment Hier wohnen vier junge Männer, die Ausbildungen zum Mechaniker, zum Transportfachmann, zum Chemiker und zum Büroangestellten machen. Auch sie sind bereit, ihre persönlichen Lebensgeschichten für uns aufzuschreiben. Sie sind dazu erzogen worden, ihre Hände nach der Toilette und vor dem Essen zu waschen, wegen der Mikroben, von denen man sich Krankheiten holen kann. Sie tun das auch, jedoch auf Nachfrage (und mit einem grinsenden Seitenblick), nicht immer. Seife ist im Bad und in der Küche. Sie versorgen den Haushalt selbständig und führen auch Reparaturen durch. Für Mahlzeiten sorgt ein Catering Service der »Child Protection Agency«. Sie trinken Wasser aus der Leitung, aber lieber aus der Flasche. Das Leitungswasser schmeckt »chemisch«. Wie das Wasser in die Leitung kommt, wissen sie nicht, vermutlich aus dem Fluss, vom Regen und vom Himmel. Über Wasserverwendung für Duschen, Toilette, Wäschewaschen wird nicht nachgedacht.
5.4.6 Thermalbäder In der Römerzeit gegründet, sind Thermen und Thermalbäder in Hessen seit 2.000 Jahren bekannt. Sie waren immer wichtige Hygieneeinrichtungen, soziale Ereignisse und bedeutend für die Gesundheit und Erholung der Bevölkerung. Früh erkannten die Menschen die heilenden und wohltuenden Wirkungen heißer, salz- und mineralhaltiger Bäder. Sogar Radon, eigentlich gefährlich wegen seiner Radioaktivität, wirkt hier wohldosiert heilend und kräftigend. Über die direkten medizinischen Wirkungen hinaus werden heute ganze Erlebniswelten für die Regeneration von Körper, Geist und Seele angeboten.
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Schieferdampf bad, Saunaaufguss mit ätherischen Ölen, Klangwelten, Sight und Sound, Toskana-Atmosphäre, Video- und Klanginstallation, Sprudeln, Wärme, Wasser, Sole. Die Besucher sitzen in körperwarmem Wasser von 34 Grad Celsius, entspannen beim Betrachten von klanggestützen Videovorführungen von Wasserwelten, Tauchen im Korallenriff, bei Wasserfällen, ihnen wird Wellen- und Meeresrauschen suggeriert, Strand und Wasser. Auf diese Weise werden Wassererlebnisse lebendig, und dort, wo Wasser im Überfluss verfügbar ist, werden neue Beziehungen zu diesem Element geschaffen. Auch in diesem Sinn wird Wasser mit Leben gleichgesetzt.
5.4.7 Watsu- und Wasser-Shiatsu Watsu- oder Wasser-Shiatsu ist eine neue, in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte Behandlungsmethode gegen Verspannungen, Stress, eine schonende Massage zur Streckung von Muskeln, Bändern, Sehnen und zur Behandlung von Rücken- und Gelenkproblemen. Watsu nimmt die Verkrampfungen aus Hüften und Lendenwirbeln, unterstützt die schulmedizinische bzw. pharmazeutische Behandlung von Bandscheiben- und Beckenbeschwerden. Der wichtigste Bestandteil, der einem Schlüsselerlebnis gleichkommen soll, ist jedoch ein Gefühl der Geborgenheit, das dem eines Fötus im Mutterleib, beim Schwimmen im Fruchtwasser, entspricht. Mit geschlossenen Augen gleitet, fließt, taumelt, schwimmt, fliegt, schwebt man im Zustand der Schwerelosigkeit durch das Wasser. Der Kunde erlebt in einem der säkularsten, rationalisiertesten, kommerziellsten Plätze der Welt das Gefühl von Wasser als allem Lebensursprung, das Gleiten im Fruchtwasser. Die Therapeutin, mit der ich spreche, ist auch Yogalehrerin und erzählt von ihrem persönlichen Verhältnis zu Wasser. Als selbstständige Unternehmerin im Vertrieb von Brillen und optischen Geräten kam sie an eine Grenze ihrer Leistungs- und Leidensfähigkeit, war konfrontiert mit einem Foto bei der Anwendung und war emotional zu Tränen gerührt. Sie hat daraufhin die Behandlungsmethode erlernt und dabei selbst ein neues Gefühl für und eine neue Beziehung zum Wasser entwickelt. Sie erlebt heute das Wasser feinfühliger und differenzierter. Nicht nur die Temperatur, auch Chemikalien, Salz-, Mineral- und Heilstoffe kann sie erfühlen und spürt die Schwere und Dichte von Wasser. So ist zum Beispiel salzhaltiges Wasser schwerer und dickflüssiger als Quellwasser.
Quellwasser Die Therapeutin geht regelmäßig zu einer Quelle im Odenwald und fasst dort das gesamte Wasser für den persönlichen Konsum. Weil das Wasser durch die Behandlung im Wasserwerk und die Zuteilung durch die Leitung ins Haus seine ursprüngliche Lebendigkeit verliert, wird dieses Wasser von ihr
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nur zum Gebrauch für Hygiene, Bewässerung und Reinigung verwendet. Mit den Worten Viktor Schaubergers (2006) kann man sagen, im Haus wird nur »wiederbelebtes« oder »noch lebendiges« Quellwasser verwendet. Zum Fassen von Quellwasser fährt sie mit ihrem Mann, einer Schubkarre und einem Stahlbehälter zur Quelle, fasst Wasser und bringt es zurück ins Haus, wo es gelagert und frisch gehalten wird.
5.4.8 Wiederbelebtes, renaturiertes Wasser Schauberger (1885-1958) hat als Förster die Natur und damit auch Wasser beobachtet. Er ist schon als Kind fasziniert von seinem Spiegelbild im Wasser und von unbewegt im reißenden Wasser stehenden Forellen. Aber auch Steine und Holzstämme und deren Bewegung im Wasser verursachen Bewunderung und eine Überzeugung von der Lebendigkeit bewegten Wassers (2006: 19f). Er sieht den Wald als Hauptproduzenten von Wasser (ebd. 58f) und die Bewegung des Wassers als bestimmend für dessen Qualität (ebd. 74f, 99f). Er geht aus von der These, dass Wasser nur dann seine natürliche Kraft und Lebendigkeit erhalten kann, wenn es sich natürlich dynamisch bewegen kann. Jede Begradigung eines Bach- oder Flusslaufs sowie die Durchleitung durch Rohre verändere den Charakter und mache Wasser »[…] seelenlos, also charakterlos und damit auch bösartig« (ebd. 84). Von dieser These ausgehend, kritisiert Schauberger Flussregulierungen, fordert Energiegewinnung aus dem Wasser und seine Renaturierung (ebd. 125f und 137f). Diese Forderung stellt er besonders hinsichtlich Trinkwasser, Grundwasser, Heilwasser und deren gesundheitlichen Aspekten (ebd. 166f). Er fordert daraus eine Renaturierung: Wasser soll durch Umleitungen wieder lebendig gemacht werden.
5.4.9 Masaru Emoto: Die Botschaft des Wassers Der Japaner Masaru Emoto, ein »Hado«-Lehrer, also geprägt von fernöstlichen spirituellen Bewegungen in der Verfolgung von »Chi«, der allumfassenden Energie und Balance von Ying und Yang, feinstofflichen Energien und homöopathischen Methoden, hat, inspiriert von Lee Lorenzen, begonnen, Wasser zu behandeln und seine Kristalle im Gefrierzustand zu photographieren. Daraus sind Tausende phantastischer Wasserkristallaufnahmen entstanden, von denen einige Hundert veröffentlicht sind. Das Wasser wird destilliert, einem Impuls ausgesetzt, tiefgefroren und der sich bildende Kristall photographiert. Das Verfahren nutzt eine der faszinierenden Eigenschaften von Wasser, nämlich die Kristallbildung im gefrorenen Zustand. Dabei bildet jeder Wassertropfen eine sechseckige, individuell ausgeprägte Kristallstruktur mit dem Ergebnis, dass jede Schneeflocke eine ganz eigene, einzigartige Form ausbildet. Emoto verwendet Wasser verschiedener
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regionaler Herkunft und Belastung, gibt optische und akustische Impulse und interpretiert seine Ergebnisse als Resultat dieser Impulse. Die Herkunft des Wassers reicht von Japan über die USA, von Europa nach Australien, von Quellen über Seen, Gletschern zu Flüssen, er verwendet Leitungswasser und Regen. Die Impulse reichen musikalisch von Mozart über Heavy Metal zu »Hado«-Musik, akustisch von positiven zu negativen verbalen Impulsen, optisch von Namensaufklebern zu positiven und negativen Aussagen und Namen. Die Kristalle sind jeweils verschieden und die Ergebnisse suggerieren, dass Wasser hört, sieht, lebendig ist und eine Seele hat, also spürt, was in seiner Umgebung vor sich geht und entsprechend reagiert. Wissenschaftlich reproduzierbar sind die Ergebnisse nicht. Das trifft aber auch für viele Bereiche der Homöopathie zu, deren Ergebnisse und Erfolge dennoch mehr und mehr anerkannt werden. Und immer mehr Menschen in unserer westlichen, wissenschaftlich rational aufgeklärten Welt sind von deren Wirkungen überzeugt, folgen spirituellen und esoterischen Bewegungen, die sich zu neuen Religionen entwickeln. Wenn Menschen ganz generell nach solchen Dimensionen im Leben und in der Welt suchen, dann bietet sich Wasser hierfür geradezu an, weil es natürlich lebendig ist, weil es schon immer mythische, religiöse und spirituelle Phantasien angeregt hat und sich als Projektionsfläche sehr gut eignet.
5.4.10 Wasserkreisläufe (»water cycles«) Alaska im August 2011 gibt mir ein gutes Beispiel dafür, die globalen Kreisläufe von Wasser und die komplexen Vernetzungen von Mensch und Natur zu reflektieren. Ich sitze auf einem Baumstamm mit Wurzel am Ufer des Nakneh Lake, im »Katmai National Park and Reserve«. Die Morgendämmerung geht in einen Sonnenaufgang über und verwandelt die Landschaft mit ihrem hellen nordischen Licht. Der Blick geht auf ein Fjord, das sich durch eine Endmoräne öffnet. Die Öffnung wurde aufgebrochen und frei gemacht durch Gletscherwasser aus der Katmai Gebirgskette. Es handelt sich dabei um einige der Tausende von Vulkanen am »Ring of Fire«, der die Aleuten-Inseln, Japan mit Mount Fuji, Indonesien, Neuseeland, Atacama (Chile) und mit St. Helen (Kalifornien) verbindet. Der Platz, an dem ich sitze, ist ein ehemaliger Friedhof der Athabascan Tribe People, die hier Jahrhunderte lang lebten, bevor Eroberer, Abenteurer, Park Ranger und Reisende Anfang der 1900er Jahre sich das Land angeeignet haben. Eine Athabascan-»Elder« erinnert sich und erzählt, wie seine Leute hierher kamen, um nach Karibu, Damwild, Bären und Lachs zu »schauen« (»look«). Bei »to look« handelt sich um den Indian/»Native«-Begriff für Jagen. Sie findet es bedauerlich, dass das Gebiet des Friedhofs jetzt von den Leuten der Lodge, dem Park und den Rangern in Beschlag genommen wird. Es ver-
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hindert, dass ihre Angehörigen mit ihren Ahnen in Verbindung treten können. Sie verlieren damit einen wichtigen Teil ihrer Kultur, ihrer Persönlichkeit und ihres Selbstverständnisses. Die Ufer des Naknek Lake sind seit 10.000 Jahren bewohnt, besiedelt, und werden inzwischen für Sommercamps genutzt. Die ältesten Ausgrabungen sind von 8.000 v. Chr., gefunden in Erdlöchern, Vertiefungen, Aushebungen für Lagerplätze. Mit dem Ende der letzten Eiszeit, vor 20.000 bis 10.000 Jahren, als die Gletscher sich zurückzogen und den Untergrund vom Eis frei machten und wieder Vegetation und Seen entstanden, kamen auch Karibus in die Umgebung, gefolgt von Menschen auf der Jagd. Sie fanden hier Frischwasser, Lachs und Bären, ließen sich den Sommer über am Seeufer nieder und fingen Fische, trockneten sie und sammelten Beeren. Für die Bärenjagd entwickelten sie ausgefeilte Rituale in der Vorbereitung, sie beteten die Bären an (»wir nehmen Dich nur, weil wir Dich brauchen«). Der getötete Bär lebt nach der Überzeugung der »Natives« in einem anderen Bären weiter. Die Jagd wurde »looking« genannt und hatte mit dem bloßen Akt des Tötens nichts zu tun. Aus Respekt und Achtung vor dem Leben aller Kreaturen und der Überzeugung, selbst Bestandteil dieser Natur zu sein, wurden Reinigungsrituale, Waschungen und spirituelle Vorbereitungen getroffen. All das macht den Ort zu einem zentralen Punkt, an dem verschiedene Wasserkreisläufe oder Zyklen um das Wasser, »water cycles« oder »cycles around water«, zusammenkommen. Der »Ring of Fire« entstand durch die Verschiebung der Euro/Asiatischen Kontinentalplatte, die sich unter die Amerikanisch/Australische Platte schob und vulkanische Aktivitäten, atmosphärische Störungen, sowie Eis- und Wärmeperioden auslöste. Der »Eis-Wasser-Dampf-Kreislauf« beschreibt Zustandsformen, die Wasser einnehmen kann. Es kommt hier als Eis, Schnee oder Gletscher vor, wenn die Temperatur unter null Grad Celsius fällt. Die Gletscher entstehen durch Kompression von Schnee und können sich bis zu einigen Kilometern auftürmen. Sie fließen und sind Kilometer dick. Sie schmelzen mit steigenden Temperaturen und werden flüssig und zu Flüssen, Seen und Meer. Schließlich verdampft das Wasser, bildet Wolken und kommt als Regen und Schnee zur Erde zurück, mit besonderer Begünstigung von Alaska mit seinen großzügigen Niederschlagsmengen. Der »Lachs-Kreislauf« folgt diesem Wasserkreislauf. Lachs wird geboren in Seen und Flüssen im Oberlauf, in frischem, kühlem Wasser, wächst ein Jahr lang und bewegt sich dann flussabwärts ins Meer, hier der Atlantische Ozean. Dort lebt der Lachs vier bis sechs Jahre im Salzwasser, bildet Eier aus und macht sich dann auf den Weg zurück zu seiner Geburtsstätte, wandert flussaufwärts, springt über Wasserfälle, schwimmt durch Seen bis er schließlich an seiner Geburtsstätte ankommt und dort seine Eier im Schotter ablegt. Männ-
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liche Tiere schwimmen darüber und legen ihren Samen ab. Die Migration geschieht getrennt nach Arten, »runs«, Schüben, zwischen Mai und September. Nach dem Eierlegen und Besamen sterben die Tiere und werden Futter für Bären. Der »Bären-Kreislauf« folgt dem Lachs-Kreislauf. Wenn Bären aus dem Winterschlaf aufwachen, finden sie zunächst für zwei bis drei Monate Beeren und kleine Tiere. Sobald der Lachs kommt, folgen sie dem Lachs in die Flüsse und Seen und an Wasserfälle, die dieser springend überwindet. In dieser Zeit fressen Bären ununterbrochen und bilden ihre Fettreserven für den Winterschlaf. Sobald sie im reproduktionsfähigen Alter sind, werden die Bärinnen im Frühjahr besamt, begattet, »befruchtet«. Dabei handelt es sich um eine verzögerte Einnistung des befruchteten Eis. Das Ei wird im Frühjahr befruchtet, wartet aber bis in den Herbst mit der Einnistung in der Gebärmutter. Diese geschieht erst und nur dann, wenn das Muttertier genügend Fett angesammelt (angefressen) hat, um den Winterschlaf und die Geburt zu überstehen. Die Bären graben sich dann ein Loch für den Winterschlaf, während dessen zwei bis vier Babys zur Welt kommen, die jeweils nur ein Kilogramm wiegen. Sie wachsen im Schutz der Mutter, die dabei Winterschlaf hält, heran zu Jungtieren, bis im Frühjahr die Mutter aufwacht. Erst dann beginnt das Tier wieder zu essen, zu urinieren und zu defäkieren. Die Jungtiere bleiben drei bis vier Jahre bei der Mutter, von der sie Jagen (Lachs) und Sammeln (Beeren) lernen. Die »Native Indian Inhabitation« ist ein Zyklus der Besiedelung und halbnomadischer Jahreszyklus. Die früheste Besiedlung lässt sich für 8.000 B.C. nachweisen, also vor 10.000 Jahren mit dem Ende der letzten Eiszeit. Es handelt sich um eine einfache Gerätekultur mit Steinwerkzeugen zum Schleifen, Graben und Bearbeiten von Gegenständen, zum Jagen und zur Vorbereitung und zur Lagerung von Lebensmitteln. Sie zogen dorthin und wieder weg mit den Jahreszeiten, dem Klima und als Folge vulkanischer Aktivitäten. Sie sind so den Karibus, dem Lachs und den Bären und deren Zyklen gefolgt. Spätere Kulturen der Alentiiq hinterließen Spuren von Keramikgefäßen, Zeichen von religiösen Ritualen, Zeichnungen und Feuerstellen. Die letzte indigene Kultur der Athabascan, hat hier gelebt und gewohnt bis zum Einzug westlicher Zivilisation in den letzten 150 Jahren. So war das heutige BärenNaturschutz-Reservat zunächst ein Sommerlager von Nomaden, später eine ganzjährige Ansiedlung mit Aushöhlungen, Luftzirkulation und Häusern mit Bedachung. In der Form von Iglus waren diese aus Holzstämmen gebaut, mit Gras und Moos bedeckt in der Art von Bieberbauten. Die Luftzirkulation diente zur Entlüftung der Feuerstelle. Während der vergangenen 100 Jahre und bis heute wird der Ort wieder halbjährig (als Sommercamp) genutzt von Wissenschaftlern, Archäologen, Biologen, Geologen, Park-Rangern, NGOs, Touristen und den Camp Konzessionären. Als Folge der letzten Vulkanexplosion 1906 beim Neoerupta mit dem
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Kollaps von Mount Katmai waren hunderte von Kilometern in der Umgebung mit bis zu 50 Metern dicker Vulkanasche bedeckt. Es entstand das »10.000 Smokes Valley«, in der Art mit dem »Yellow Stone Park« vergleichbar. Dieses Ereignis zog Vulkanforscher an. Später, als wieder Lachs und Bären zurückkamen, folgten die National-Park-Rangers und naturschützende NGOs. Ein Konzessionär baute die Lodge Infrastruktur für zwei Dutzend Besucher, ebenso viele Ranger und andere »volonteers«, Wasserflugzeuge, Kanus und Kajaks. Damit kehrten auch die »Natives« zurück und beanspruchten ihre Erbrechte (»heritage rights«). Und sie alle, inklusive der Bären, kommen und gehen mit den Lachsen, die im Juni ankommen und im September verschwinden, weil sie sterben.
5.4.11 »Abundance« Perspektiven In unseren westlichen Gesellschaften sind wir gewohnt, dass Wasser beim Aufdrehen des Hahns immer in guter Qualität und Menge zum Vorschein kommt. Das gilt für Küche, Bad und Toilette. Entsprechend gedankenlos gehen wir oft mit dem Material um. Unser Umgang mit Wasser könnte als Symbol unserer kommerzialisierten, technisierten und zivilisierten Gesellschaft dienen. Widersprüche scheinen auf, wenn das Leitungswasser trotz seiner geprüften Trinkwasserqualität in erster Linie für Reinigungs- und Hygienezwecke benutzt wird, zum Trinken aber zur Mineralwasserflasche gegriffen wird. Das Vertrauen in die eigene private Versorgung ist offenbar größer als das in die öffentliche Wasserversorgung. Die verbreitete Sorge um die Wasserqualität als Folge von chemischer, pharmazeutischer und industrieller Verschmutzung verstärkt diesen Effekt. Dennoch scheint auch hier unter der Oberfläche eine tiefe Hochachtung für das Material durch und äußert sich im Genuss von Heilwasser, in Heilbädern, Solen, Thermalbädern sowie in Freizeitaktivitäten in und am Wasser. Hierzu können darüber hinaus auch die Beschäftigung mit Wasser in der Kunst, die Hochachtung für Quellwasser und Methoden zur Renaturierung gezählt werden. Kristalle und andere Verfahren zur Aufladung von Wasser mit Informationen, Bedeutungen, Musik und Stimmungen werden mit Überzeugung über deren Wirksamkeit angewandt und mit photographischen Mitteln dokumentiert. In einer kürzlich im Rhein-Main-Gebiet durchgeführten Unterrichtsstunde mit zehnjährigen Jungen und Mädchen konnte ich im Vergleich zu früheren Besuchen ein überraschendes Interesse am Thema, viel Wissen über die Natur und ihre Kreisläufe und eine große Begeisterung über Spiele mit Wasser am Bach beobachten.
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6. Zusammenfassung
Wasser ist Leben – der Leitgedanke dieser Arbeit wurde inzwischen immer wieder zum Thema: Im Rahmen eines Seminars an der Goethe-Universität im Sommersemester 2013, einer Ausstellung im Rathaus von Walldorf und von Vorträgen an Schulen und im Gemeindezentrum vor interessiertem lokalem Publikum. Mit der Devise Wasser ist Leben lassen sich auch die vielfachen und komplexen Verknüpfungen von Menschen mit Wasser beschreiben, die Gegenstand dieser Arbeit sind. Bei einem Besuch im Kiran Village, Madhopur, Varanasi, Indien, im Jahr 2009 wurde der Autor zum ersten Mal mit dieser Vorstellung konfrontiert (siehe Kapitel 5.2). Die vier- bis achtjährigen Jungen im Boys Hostel waren gefragt worden, was sie über Wasser wissen. Ihre spontanen Antworten lauteten: »Water is life«, »all life is from water«, »water is holy«. Wie bereits in der Einleitung festgestellt, ist alles Leben auf der Erde aus dem Wasser heraus entstanden, und ohne Wasser gibt es in der Tat kein Leben. Der Mensch und alle anderen Lebewesen bestehen zu mehr als 50 Prozent aus Wasser. Daraus ergeben sich alle Überlegungen zur Ressource Wasser, und darauf verweisen auch alle Autoren, die sich mit Wasser beschäftigen.
6.1 Theorie Bereits bei der Diskussion der theoretischen Perspektiven (Kapitel 2) zeigen sich die vielfältigen Ansatzpunkte, über Wasser nachzudenken und die Beziehungen der Menschen zu Wasser systematisch zu erfassen. Im Anschluss an Hans Peter Hahns Beschreibungen der »global entanglements« von Wasser (2012: 33) werden in dieser Arbeit die vielfältigen Verknüpfungen mit Bezug auf Hahns Konzept der materiellen Kultur (Hahn 2005) analysiert. Die verschiedenen Aspekte des Wassers als »material good« werden hier beschrieben und gedeutet: die absolut unerlässliche Auseinandersetzung der Menschen mit dieser lebenswichtigen Ressource sowie die je kulturspezifischen Wahrnehmungen, Verwendungen und Bedeutungen des Wassers
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(Kapitel 2.1). Die letzten drei Aspekte habe ich zum theoretischen Ausgangspunkt dieser Arbeit gemacht. In diesen Dimensionen lassen sich letztlich alle menschlichen Beziehungen zu Wasser einordnen und beschreiben. Dabei entstehen viele der Wahrnehmungen aus und durch Verwendungsweisen, die mehr oder weniger bewusst Teil der alltäglichen Umgangsweisen in den jeweiligen Gemeinschaften sind. Auch Bedeutungen bzw. Bedeutungszuschreibungen ergeben sich häufig aus Beziehungen, die bei der Verwendung entstehen. Die Erfrischung beim Löschen des Durstes etwa wird als wiederbelebend erlebt und kann erweitert werden zu lebensspendenden Bedeutungszuschreibungen. Jeder, der schon einmal unter Durst gelitten hat, weiß, dass die durstlöschende Erfrischung, die das Trinken bereitet, als wiederbelebend, womöglich sogar als lebensrettend, erlebt wird. Diese Erfahrung lässt es einleuchtend erscheinen, dass Menschen Wasser Bedeutungen wie Lebensspender bzw. Lebensretter etc. zuschreiben. Ein Willkommensgruß in der Form eines Glases mit Wasser oder Tee wird nach einer langen, durstig machenden Reise ebenfalls als regenerierend erlebt. Wasser schafft auf diese Weise soziale Beziehungen, initiiert menschliche Interaktionen, erzeugt Zuneigung, Dankbarkeit und Vertrauen. Wasserverwendung zum Baden, Duschen und zur persönlichen Hygiene wird auch in westlich geprägten Kontexten als erfrischend und belebend wahrgenommen und legt Konnotationen zu Leben, Lebensentstehung und Lebenserhaltung nahe. Wegen dieser zentralen Stellung der Verwendungen ist der Umgang mit Wasser auch zum Kernthema der Arbeit geworden. Dabei dürfen andere Perspektiven nicht vernachlässigt werden. So konzentriert sich beispielsweise Joseph Needham (1971) bei der Beschreibung der Zivilisationen Chinas auf die Rolle und Bedeutung des Wassers und des Wassermanagements. Wasser und Wasserregulierung sind für die Subsistenz in China von existenzieller Bedeutung. Das gilt sowohl für die Kontrolle von zu viel Wasser wie für die ausreichende Versorgung trotz wenig Wasser. Wer also über die Wasserversorgung und Wasserregulierung verfügen kann, hat auch die Macht, die Gesellschaft und die Menschen zu steuern. Wer über diese Macht verfügt, steuert gleichzeitig die Richtung und die Gebiete, auf denen Innovationen gefördert und entwickelt werden. Diese These vertritt auch Steven Solomon (2010) in seiner Monographie The Epic Struggle for Wealth, Power and Civilization und belegt seine Ansicht mit vielfältigen historischen und zeitgenössischen Beispielen, die den Zusammenhang zwischen Wasserkontrolle und politischer Macht illustrieren. Solche Zusammenhänge auf der politischen Makro-Ebene haben direkten Einfluss auf die Lebensverhältnisse der Menschen, deren Lebensgrundlagen und Subsistenz. Dadurch beeinflussen sie auch die Wahrnehmungs- und Verwendungsweisen von Wasser und Bedeutungen, die ihm zugeschrieben werden. Wenn Veronika Strang (2004: 103f) von »hydrolatry« spricht (Kapitel 2.2), drückt diese Vorstellung von Wasseranbetung eine ähnlich komplexe Verknüp-
Zusammenfassung
fung von Menschen mit Wasser aus; dies jedoch aus einer vollkommen anderen, religiösen und menschlich individuellen Perspektive. Durch Verwendungen in der Freizeit, Beobachtungen von Macht und Kontrolle, die Rollen von Mann und Frau bei der Versorgung und politischen Auseinandersetzungen über Zugang und Preis erhält Wasser eine solch zentrale Rolle im Leben der Menschen, dass es mancherorts einer gottgleichen Anbetung der Ressource nahekommt. Strangs Ausgangspunkte sind entsprechend eher die Bedeutungen in und um Wasser, die zur Beschreibung der vielfältigen Verknüpfungen führen. Ähnlich geht Richard Wilk (2012) vor, wenn er seine Betrachtungen auf »water magic«, oder »bottled water« (2006) bezieht (Kapitel 4.1.5). Die vielfältigen Bedeutungszuschreibungen werden zum Ausgangspunkt für seine Analyse der Entstehung einer magischen Vorstellung von Wasser. Solche Zusammenhänge ergeben sich einerseits aus Zuschreibungen durch Menschen. Als Beispiele hierfür werden die Quellen von Lourdes und Evian sowie Heilwässer, Heilquellen und Weihwasser in Kirchen herangezogen. Sie, die Magie des Wassers, wird aber auch durch industrielles Marketing erzeugt, wie die Beispiele von Fuji-Wasser, Gletscherwasser oder Leitungswasser in Flaschen etc. zeigen. Diese Bedeutungszuschreibungen führen zu je unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Verwendungsweisen wie zum Beispiel zur Nutzung von in Flaschen verpacktem Wasser anstelle von Leitungswasser. Das wiederum hat ökologische (Plastikflaschen, Transport, Herstellung, Wasserverbrauch und virtuelles Wasser), wirtschaftliche (Kommodifizierung, Preisbildung und Konsumausgaben) und politische (Kontrolle, Gesetze, Versorgung und Privatisierung) Konsequenzen. Auf diese Weise stellt Wilk die globalen, komplexen Zusammenhänge mit Bezug auf magische Bedeutungszuschreibungen her. Dabei fokussiert er seinen analytischen Blick auf in Flaschen abgefülltes Wasser, welches metaphorisch gesprochen kontrolliert, eingegrenzt und genauestens definiert ist. Ben Orlove und Steven C. Caton (2010) sowie Kirsten Hastrup (2009) verwenden den Begriff der »Wasserwelten« oder »waterscapes« in Anlehnung an Arjun Appadurai (1996) für ihre Beschreibung der globalen Zusammenhänge rund um das Wasser. Der Ausgangspunkt sind globale, politische, gesellschaftliche Betrachtungen und das von Marcel Mauss (1923/24) entwickelte Konzept der »totalen sozialen Tatsache« (»fait social total«). Sie leiten von dort individuelle Betroffenheiten ab. Der Einfluss auf die Wasser-Verwendungen und das Verhalten der einzelnen Menschen ergibt sich entsprechend aus der lebensweltlichen Einbettung in diese Wasserwelten (Kapitel 2.4). Die Auseinandersetzung mit diesen theoretischen Perspektiven führt zum Schluss, dass eine vergleichende Analyse verschiedener kulturspezifischer Wasseraneignungsprozesse in je kulturspezifischen Settings (Ghana, Indien, China und westliche Gesellschaften als Bezugspunkt und Referenzrahmen) am besten geeignet erscheint, die vielfältigen Vernetzungen mit ihren individuellen, politischen und sozialen Aspekten zu beschreiben.
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6.2 M e thode Für die vorliegende Arbeit wurden im Sinne einer vergleichenden Ethnografie in kulturell sehr unterschiedlichen Settings teilnehmende Beobachtungen durchgeführt. Daneben wurden für die Datenerhebung noch eine Vielzahl an Beobachtungs-, Befragungs-, Spiel- und Unterrichtstechniken genutzt (siehe Kapitel 3). Um kulturspezifische Besonderheiten im Umgang mit Wasser herauszuarbeiten, wurde in ländlichen Gebieten Ghanas, Indiens und Chinas geforscht. Das ermöglichte einen direkten, persönlichen Zugang zu den Menschen und einen Blick auf deren Umgang mit Wasser. Weil der Autor selbst im westlichen Zusammenhang aufwuchs und heute noch lebt, werden natürlicherweise alle Beobachtungen auch immer vor diesem Erfahrungshintergrund reflektiert. Das gilt umso mehr als der eigene Erfahrungshintergrund geprägt ist von einer Wasserversorgung, die Wasser immer in ausreichender Menge, guter Qualität und zu erschwinglichem Preis verfügbar macht. Bevor der Autor begann, sich mit Wasser aus einem ethnologischen Blickwinkel auseinanderzusetzen, hat er selbst bei der Verwendung kaum über Herkunft und Umgang etc. nachgedacht. Dieses Phänomen ist weit verbreitet, wie Gespräche mit Kindern in Schulen und eine Befragung von Studenten an der Frankfurter Goethe-Universität ergaben. Wie unterschiedlich der Umgang mit Wasser ausgeprägt ist, und wie stark sich die Verfügbarkeit und Beschaffungsmöglichkeiten auf die Wahrnehmung des und den Umgang mit Wasser in verschiedenen Zusammenhängen auswirkt, war Gegenstand der Untersuchung, die sich über vier Jahre, davon neun Monate im Feld, erstreckte, sich auf über 1.500 unterschiedliche Kontakte zu Menschen bezieht und an zehn verschiedenen Orten stattfand.
6.3 K ulturwissenschaftliche Z ugänge Bereits zu Beginn der Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Wasser zeigte sich, wie vielfältig, widersprüchlich und bedeutungsvoll das Phänomen Wasser ist, wenn man es aus einer kultur- und sozialwissenschaftlichen Perspektive betrachtet.
6.3.1 Philosophie, Mythen, Religion So hat Adolf Bastian, der Begründer der deutschen Ethnologie, bereits in der ersten Ausgabe der Zeitschrift für Ethnologie (1869) in einem Essay über Feuer und Wasser anhand von Hunderten von ethnografischen Beispielen aufgezeigt, wie mannigfaltig die Wasser-Mythen und religiösen Bedeutungen des Wassers sind, die sich überall auf der Welt herausgebildet haben. In jedem Ge-
Zusammenfassung
wässer steckt ein Geist, in fast jeder Religion gibt es eine Verbindung zwischen der Weltentstehung (z.B. Genesis) und Wasser. Wasser ist in der vorchristlichen Philosophie und den frühen Naturwissenschaften immer eines der Basiselemente. Die Mythen, Erzählungen und Kosmologien erstrecken sich auf Vorstellungen von Angst, Bösem, Reinheit, Heilung und Segen, Grenzüberschreitungen, gesellschaftlicher Kontrolle und Orakeln, die im Wasser verortet werden (Hahn 201: 27). In den Untersuchungsgebieten finden wir Rituale zum Regenmachen, Wasser- und Regengötter und Klan-Totems, die sich auf Wasser beziehen. Sogar in der Kunst finden wir Auseinandersetzungen mit und Darstellungen von Wasser. Wasser spielt eine ausschlaggebende Rolle bei der Herausbildung von Gesellschaften, dem Zusammenhalt von Gemeinschaften und der Zuweisung von Geschlechterrollen. In jeder Gesellschaft bilden sich klar definierte Verantwortlichkeiten für die tägliche Besorgung von Wasser, die grundsätzliche Verfügbarkeit von Wasser und die technischen Voraussetzungen für die Versorgung mit Wasser heraus. Paul Barié (1997) zeigt, wie in den meisten Weltschöpfungsmythen und Weltreligionen die Erde aus dem Wasser entstanden ist. Im Hinduismus und den vedischen Mythen entspringt der heilige Fluss Ganges aus der Fontanelle von Shiva, und der Ganges ist der Ursprung allen Lebens. Diese Geschichte reicht so weit in die heutige Zeit, dass in der Vorstellung der Menschen Wasser immer rein, sauber, heilig und heilend ist. Deshalb wird in Indien auch bedenkenlos im Fluss gebadet, der Mund rein gespült und die Seele gereinigt.
6.3.2 Arten von Wasser Ähnlich vielfältig ist die Beschreibung der Arten von Wasser. Wasser ist eben nie nur H₂O (Cless 2012: 111). Es ist immer angereichert mit Mineralien, Nährstoffen, Salzen, und oft ist es verunreinigt durch die Einbringung von Abfall, Chemikalien, Arzneistoffen, Pestiziden, Düngemitteln usw. Es kann Krankheitserreger wie Mikroben, Viren, Bakterien, Würmer und Parasiten enthalten. Aber auch Pflanzen, Fische und andere Tiere leben im Wasser und dienen wiederum der Subsistenz. Schließlich werden Wasser auch Eigenschaften zugewiesen, die es mit magischen Attributen versehen: Wasser birgt Gefahren, in ihm können sich gute und böse Geister verbergen, Segen und Fluch, Nutzen und Schaden. Die Vielfalt von Wasser ist schier unendlich. Das trifft auch auf die Formen zu, in denen Wasser in der Natur vorkommt. Wir kennen Eis, Schnee, Regen, Dampf, Flüsse, Seen, Bäche und Meere. So verwundert es auch nicht, wenn die Menschen im Alltag Unterscheidungen treffen zwischen Leitungswasser, Quellwasser, Mineralwasser, Heilwasser, Tau etc.
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Naturwissenschaftlich ist keineswegs klar und eindeutig, was Wasser tatsächlich ist. Zum Beispiel bildet jeder Wassertropfen beim Gefrieren einen individuellen und einmaligen Eiskristall aus. Ruthenberg stellt (2012, 65f) die verschiedenen älteren und neueren naturphilosophischen Erklärungen für das Phänomen Wasser und seine komplexen Strukturen vor. Auch in der neueren ökologischen Auseinandersetzung mit Wasser werden vielfältige Unterscheidungen getroffen. Neben »blauem«, »grünem« und »grauem« Wasser und deren ökologischen Fußabdrücken wird auf einer anderen Ebene von »virtuellem« Wasser gesprochen (Meissner 2012: 44f) und damit dem mit dem Konsum in einer globalisierten Welt verbundenen Wasserverbrauch Rechnung getragen (Kapitel 1.3).
Widersprüche, Faszination, Zwischenfazit Das Gesagte macht deutlich, wie vielfältig und widersprüchlich, differenziert und divergent das Phänomen Wasser sich den Menschen darstellt und wie verschieden und feinsinnig ausgeprägt sich entsprechend die menschlichen Zuschreibungen und Bedeutungen herausbilden. So ist es auch nicht verwunderlich, dass bereits Konfuzius sich in seinen Lehren auf das Wasser bezieht und seine Schüler und alle Menschen auffordert, wie Wasser zu sein und sich im Wasser zu reflektieren (siehe Kapitel 4.3.1 und 5.3.5). Denn Wasser ist so, wie er sich auch die Menschen vorstellt: selbstlos, inklusiv, lebensspendend, tief, weise, mutig, rein, sauber, sensitiv, empfindsam, gerecht, gleich, entschieden und vorwärtsstrebend. Wasser bezieht einen wesentlichen Teil seiner Faszination auch aus dieser Unbegrenzbarkeit und Unfassbarkeit in einem engeren Sinne.
6.3.3 Leben und Überleben/Verfügung und Versorgung Ein anderer Ursprung für die Faszination und Intensität der Auseinandersetzung mit Wasser ist seine lebensspendende, lebenserhaltende und überlebenswichtige Funktion, die wiederum einhergeht, ein weiterer Widerspruch, mit einer dauernden Gefahr, den lebensbedrohlichen Erscheinungsformen und Wirkungen des Wassers. Wasser ist unentbehrlich in der Landwirtschaft, für die Feldbewässerung, das Pflanzenwachstum, die Fütterung der Tiere. Es dient der Flüssigkeitszufuhr von Mensch und Tier, wird verwendet zur Zubereitung von Speisen und Getränken, für die Hygiene und im Handwerk. Es ist essentiell für die Herstellung von Gütern, die Versorgung mit Energie, den Transport. Es dient der Lebenssicherung und Subsistenz. Gleichzeitig können heftige Regenfälle zu verheerenden Überschwemmungen und Fluten führen. Im Wasser leben die Erreger zahlreicher potentiell tödlicher Infektionskrankheiten. Aus diesen Gründen wird die Kontrolle von Wasser thematisiert.
Zusammenfassung
Hierfür gibt es die unterschiedlichsten Modelle. Familien- und Klanmitglieder sorgen gemeinsam für die Versorgung und Sicherheit der Gemeinschaft. Daraus erwachsen schnell kulturspezifische Rollenverteilungen und geschlechterrollengerechte Zuweisungen von Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Eliten erkennen aber auch die Möglichkeiten für Machtausübung, Einkommen und Kontrolle und ge- und missbrauchen die Herausbildung von »hydraulic societies« (Wittfogel 1957 und Kapitel 2.6). Hierbei steht der Wasserdruck auch symbolisch für Druck, Macht und Kontrolle innerhalb einer Gesellschaft. Needham (1971) beschreibt diese Funktion eher positiv und am Beispiel von China als Element zur Herausbildung von weit fortgeschrittenen und technisch innovativen Zivilisationen. Gleichzeitig entsteht durch die systematische Nutzung schließlich eine Übernutzung wie bei allen Allgemeingütern. Hierauf hat besonders Garrett Hardin (1968) in Tragedy of the Commons aufmerksam gemacht (Kapitel 4.3.7). In der Tat stellt sich für jedes Allgemeingut immer wieder die Frage, bis zu welchem Grad dessen Kontrolle und Nutzung durch das freie Spiel der gesellschaftlichen Kräfte geregelt werden kann und wann staatliche Kontrolle und Eingriffe notwendig werden. Man könnte hier von einer »commons«-versus»commodity«-Problematik sprechen. Das trifft auch auf die Wasserversorgung zu. Es gab historische Epochen, in denen die Versorgung mit Trinkwasser überwiegend eine private Angelegenheit war, in denen Wasser von Privatleuten oder Unternehmen organisiert und gegen Entgelt verfügbar gemacht wurde. Das gilt insbesondere für die Wasserversorgung in Metropolen wie Paris und London von der frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert In der folgenden Zeit wurde diese Aufgabe sukzessive von Kommunen und staatlichen Einrichtungen übernommen. Aber noch immer hält die Diskussion über diese Regelung an und ist gegenwärtig im Jahr 2013 wieder ganz aktuell in der Auseinandersetzung über Privatisierung und Kommunalisierung der Wasserversorgung. In diesen Zusammenhang fällt auch die Frage nach dem Menschenrecht auf Wasser. Unzweifelhaft anerkannt ist das Recht jedes Menschen auf Zugang zu konsumierbarem Trinkwasser. Strittig ist nach wie vor, wie weit dieses Recht reicht. Muss der Staat den Zugang sicherstellen oder nur für einen »affordable supply« sorgen? Und was ist der Preis, der »affordable« genannt werden kann?
6.3.4 Gesundheit Wie bereits erwähnt (Kapitel 4.2.6), kann Wasser große Gefahren für Leben und Gesundheit bergen. Über eine Million Menschen, überwiegend Kinder zwischen ein und fünf Jahren, sterben jährlich an durch Wasser verursachte Krankheiten. 80 Prozent von diesen sterben an Durchfallerkrankungen und
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deren Folgen, Dehydration. Bakterielle Infektionen wie Typhus und Cholera sind die häufigsten von verunreinigtem bzw. nicht behandeltem Trinkwasser verursachten Erkrankungen. Die meisten dieser Erkrankungen wurden in westlichen, industrialisierten Ländern durch die öffentliche Wasserauf bereitung und -versorgung beherrschbar oder ganz eliminiert. Was liegt also näher, als nach dem gleichen Prinzip und mit ähnlicher Technologie auch den Rest der Welt mit sauberem Trinkwasser, Toiletten, WC- und Kläranlagen auszustatten? Das gilt umso mehr, als UN Water hierfür mit einer schnellen Amortisierung der Kosten durch eine Reduzierung der Gesundheitsausgaben, geringere Ausfallzeiten, bessere Ausbildungs- und Erwerbsmöglichkeiten und eine Verminderung von Armut rechnet. In der Tat sind alle Regierungen und internationalen Hilfsorganisationen aufgefordert, hier ihren Beitrag zu leisten. Gleichzeitig wächst jedoch die Weltbevölkerung in einer Geschwindigkeit, die es schwierig macht, den Ausbau der Infrastruktur ebenso schnell voran zu treiben. Deshalb sind ebenfalls individuelle Anstrengungen einzufordern und indigene Einsichten und Erfahrungen bei der Bekämpfung von durch Wasser verursachten Krankheiten zu berücksichtigen. Der Verfasser glaubt, mit seiner Feldforschung dazu beigetragen zu haben, ein Bewusstsein der Situation in Ghana, Indien und China zu schaffen und mögliche Maßnahmen aufzuzeigen, die die Situation verbessern könnten. Hierfür können Hände Waschen mit Wasser und Seife, fünf-minütiges Abkochen von Wasser, Trennung von Haushalt und Tierzucht, Defäkation mit anschließendem Vergraben, Rehydration durch eine Zucker-Salzlösung bei Durchfallerkrankungen, ausgewogene Ernährung (Protein-/Kohlenhydrate-/Fruchtzucker-Verhältnis) und der rechtzeitige Besuch eines Arztes beitragen und ca. 80 Prozent der Todesfälle verhindern.
6.4 I ndigene P erspek tiven und H ighlights aus der F eldforschung Um zu diesen Einsichten zu gelangen, war es notwendig, den Umgang mit Wasser in verschiedenen Regionen und in unterschiedlichen Zusammenhängen zu beobachten. Dies geschah offen, ohne spezifische Zielrichtung und vorgegebene Intentionen. Es ging darum, vorurteilsfrei und interessiert lokal- bzw. kulturspezifische Verwendungen von Wasser zu beobachten und zu beschreiben. Die Einzelheiten können und sollen hier nicht noch einmal aufgelistet werden. Die Zusammenfassung soll aber einige regionale Besonderheiten hervorheben. Hierzu wird noch einmal zurückgegriffen auf die kategorisierende Beschreibung von
Zusammenfassung
• • • •
Ghana als »borehole-society«, Indien als »holy water-society«, China als »re-use-/saving-society« und dem Westen als Überfluss-/»abundance-society«.
Die Intention ist hierbei nicht zu pauschalen Zuweisungen und vorgefertigten Zuschreibungen zu kommen, sondern eher kulturelle Verschiedenheiten hervorzuheben und Tendenzen auszumachen, die mit der Wasserverwendung in einem Zusammenhang stehen können. Die täglichen Gewohnheiten von Wasserbesorgung, Essen, Trinken, Kochen und Hygiene sind auf einer oberflächlichen Ebene bemerkenswert einheitlich. Bei einer tieferen Betrachtung zeigen sich jedoch starke, kulturell und infrastrukturell bedingte Unterschiede.
6.4.1 Ghanas »borehole-society« In Bongo-Soe ist es seit jeher Verantwortung der Frauen, nach Wasser zu suchen, zum Wasser zu gehen und das Wasser in den »compound« zu bringen. In den letzten 30 Jahren wurden mit der Hilfe des Staates und internationaler NGOs über 10.000 Brunnen gebohrt und mit Pumpen ausgestattet. Damit ist gewährleistet, dass über 90 Prozent der Bevölkerung im Umkreis von 500 Metern vom »compound« Trinkwasser aus Felsbohrungen zur Verfügung steht. Aktuell ist die Versorgung ganzjährig gesichert, auch wenn am Ende der Trockenperiode der Grundwasserspiegel sinkt und ein Teil der Brunnen austrocknet. Durch die neue sichere Versorgungssituation bietet es sich an, die Aufgabe des Wasserholens an die Kinder zu delegieren. Diese erledigen die Aufgabe schon früh morgens vor der Schule und nachmittags vor der Dämmerung (Mädchen mit Zinkschüsseln, Jungs mit Plastikkanistern) unter Aufsicht einiger Frauen. Hierdurch hat sich der Brunnen zu einem unterhaltsamen, sozialen Treffpunkt und Gesprächsort entwickelt. Weitere Auffälligkeiten sind die Häufigkeit und Gründlichkeit von Ganzkörperwaschungen (»bathing«), die immer im »compound« stattfinden. Gleiches gilt für die Reinigung von Geschirr und Töpfen, wobei sogar der Ruß von Kochtöpfen nach Vorreinigung unter Verwendung von Trinkwasser entfernt wird, bevor wieder gekocht werden darf. Über die geschilderten Hygienegewohnheiten hinaus konnte der Verfasser noch die lokale Wassernutzung im Hausbau, in der Garten- und Landwirtschaft, in der Tierhaltung sowie im Handwerk beobachten. Landrechte und Zugang zu Wasser werden in Ghana nach wie vor durch »Landlords« und mit Unterstützung von Erdgeistern nach althergekommenen Klanregeln – an der staatlichen Administration vorbei – geregelt. Eine Besonderheit in der Region ist die Häufigkeit von Krokodilen als Familien-Totem, die sich aus der Tatsache erklären lassen, dass man dort, wo es Krokodile gibt, auch immer Wasser findet (siehe Kapitel 5.1.14). Beacht-
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lich ist auch die Souveränität, mit der ein junger »chief« erklärt, wie in seiner Familie die Fähigkeit des Regenmachens verloren ging und stattdessen das Textilgewerbe der Subsistenz dient.
6.4.2 Indiens »holy water-society« Aus der Hindu-Religion geboren, dem Sanskrit entnommen, durch die vedischen Mythen überliefert, gilt Wasser als heilig, der Ganges aus Shiva entsprungen und die Welt aus Wasser entstanden. Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, mit welcher Inbrunst und Sorglosigkeit die Menschen ins industriell verseuchte Ganges-Wasser steigen, sich hygienisch und rituell reinigen, mit Wasser den Mund spülen und dabei nicht krank werden. Wissenschaftlich versucht man das Phänomen durch die Existenz von reinigenden Amöben und Bakterien im Ganges-Wasser zu erklären. Kritiker vermuten jedoch, dass diese durch die Verschmutzung längst abgestorben sind. Dennoch stehen viele zentrale hinduistische Rituale immer noch in engster Verbindung mit dem heiligen Fluss, so z.B. das rituelle Bad im Ganges oder das Bestattungsritual, bei dem die Asche der Toten dem heiligen Fluss des Lebens zurückgegeben wird. Auch in anderen Zusammenhängen spielen sich das Leben, die Hygiene und die »sanitation« am Fluss, am Meer oder am öffentlichen Brunnen im Dorf ab. Kinder, Kleider, Töpfe, Geschirr und der eigene Körper werden öffentlich (Frauen unter dem Sari) gereinigt, ähnlich wie auch die religiösen Rituale öffentlich am Wasser stattfinden.
6.4.3 Chinas »water saving-society« Konfuzius lehrte seinen Schülern und seinen Herrschern und Königen den sparsamen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Weil in der chinesischen Mythologie das ganze Weltall eine Einheit darstellt und es den Menschen aufgetragen ist, die Ressourcen zum eigenen Wohlergehen wertzuschätzen, muss gleichzeitig darauf geachtet werden, dass jeder nur das Allernötigste für sich selbst nutzt und alles Übrige an die Gemeinschaft oder die Natur zurückgegeben wird. Ähnliches Verhalten findet sich in allen Haushalten, besonders ausgeprägt auf dem Land. Dort wird das Wasser nach dem Waschen von Reis oder Gemüse im Wok weiterverwendet zum Dünsten und Garen des Essens und danach zum Abwaschen des Geschirrs, zum Reinigen des Bodens und zum Tränken der Tiere. Lediglich für Pflanzen wird immer frisches Wasser verwendet. Die Sparsamkeit bei der Verwendung erstreckt sich auch auf die Frequenz der Körperhygiene (mit Ausnahme des täglichen Zähneputzens).
Zusammenfassung
Eine weitere Besonderheit im Umgang mit Wasser in dieser Region ist die Verantwortung für dessen Besorgung. Es ist Aufgabe der Männer, zum Brunnen zu gehen, Wasser zu schöpfen und ins Haus zu bringen. Sie tun das typischerweise mit zwei Eimern, die an einer Stange über die Schulter getragen werden, oder mit Hilfe des Eselskarrens und einem Kanister. Die Gesellschaft ist weiterhin geprägt von Wasserkontrolle, Kanal- und Flussregulierung und Wasserbeförderungstechnologie. Dennoch ist auffällig, wie stark bei der Landbevölkerung der Glaube an Long Wang, den Drachengott für das Wasser, und dessen Fähigkeiten, Regen zu machen, lebendig geblieben ist. Schließlich wird peinlich genau auf das Abkochen von Wasser, das Anbieten von heißem Wasser oder Tee als Willkommensgruß und das Händewaschen vor dem Essen geachtet.
6.4.4 Wasser im Überfluss – Westliche Perspektiven Als Referenz dienten einige Beispiele aus unserem westlichen, von Wasserüberfluss geprägten Umfeld. Hier zu nennen sind Befragungen von Schülern und Studenten im Rhein-Main-Gebiet, die Trinkwasser überwiegend aus gekauften Flaschen verwenden, obwohl das Leitungswasser zu den am besten kontrollierten Lebensmitteln gehört und für geringes Geld ins Haus zum Wasserhahn geliefert wird. Offensichtlich ist das Vertrauen in Konsumgüterkonzerne, die ansonsten für ihre Praktiken heftig kritisiert werden, größer als in die kommunale Wasserversorgung, für die wiederum gegen Privatisierungsgefahren gekämpft wird. Andererseits ist denkbar, dass die überwiegende (60 Prozent) Verwendung von Trinkwasser für die persönliche Hygiene und die Toilette zu einer verminderten Wertschätzung oder einer Assoziation mit verunreinigtem Wasser führt. Stattdessen breiten sich, eventuell wiederum verursacht durch den WasserÜberfluss, luxuriöse und esoterische Verwendungen und Bedeutungen von Wasser wie Watsu (Wasser-Shiatsu), Heilbäder, Kuren, Thermalbäder, Energetisierung, Verwirbelung und Renaturierung immer weiter aus.
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7. Schlussbetrachtungen 7.1 B ie te t sich W asser an als K onstante für einen K ulturvergleich ? Eine naheliegende Frage ist die nach der Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Gleichzeitig entsteht die Forderung nach ihrer systematischen analytischen Gegenüberstellung. Was bedeuten die beobachteten Unterschiede hinsichtlich Gender Rollen, Hygiene, Öffentlichkeit, Verwendung/Wiederverwendung, religiösen Bedeutungszuschreibungen und Ritualen? Bietet sich Wasser an als Konstante für Kulturvergleiche? An dieser Stelle kann natürlich nicht der vollständige Diskurs über Ziele und Nutzen von Kulturvergleichen aufgerollt werden (Hahn 2013: 171f). Vergleiche sind sicher hilfreich zur Darstellung und Vertiefung von Beobachtungen (Kapitel 7.3). Das Anliegen der vorliegenden Untersuchungen ist der Wunsch nach besonderer Tiefe und die Herausarbeitung von Unterschieden Andererseits liegt in einem Vergleich die Gefahr von Fremdzuschreibungen, kategorisierenden Vereinfachungen und einem Rückfall in evolutionistische und neo-evolutionistische Tendenzen und Betrachtungsweisen. Um dieser Gefahr zu entgehen habe ich darauf geachtet, die Fallstudien isoliert nebeneinander zu stellen und sie durch ihre Eigenart auf den Leser wirken zu lassen. Wasser ist vordergründig immer H₂O, als solches eine Konstante, die den Schluss nahelegt, dass Wahrnehmungen, Verwendungen und Bedeutungen hinsichtlich des Materials (H₂O) kulturell bedingt und determiniert sein müssen. Jeder beobachtete Unterschied hinsichtlich eines Umgangs mit Wasser ist demnach kulturell zu interpretieren. In der Tat sind sowohl die Wasserquellen (Fluss, See, Brunnen, Pumpe, Leitung etc.) als auch die verwendeten Gefäße (Topf, Wok, Schüssel, Glas, Krug, Amphore etc.), aber auch Transport, Wäschewaschen, Hygiene und Regenrituale jeweils Ausdruck und Erscheinungsform einer bestimmten Kultur, weshalb sie in diesen Dimensionen und Kategorien dargestellt werden kann. Darüber hinaus führt auch die Verfügbarkeit (Menge, Fluss, Leitung, Kanal, Damm usw.) und die Form (Eis, Schnee, flüssig, salzig usw.) von Wasser zur Herausbildung kultureller Eigenheiten hinsichtlich Subsistenz, Lagerung,
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Gewinnung, Umgang, Bedeutungszuschreibungen, Geschichten, Symbolen, Ritualen etc. Umgekehrt hat die kulturelle Setzung von Gesellschaften einen dominierenden Einfluss auf die Wahrnehmung, den Umgang, Aneignung und Bedeutungszuschreibungen von Wasser und verwendete Technologien. So sind aus einer westlichen Tradition die Kommodifizierung von Wasser, aus einer chinesischen die Technik und Ressourcenschonung als Orientierung, aus einer hinduistischen Tradition Ritual- und Bewunderungsphänomene und auf einem afrikanischen Hintergrund soziale Dimensionen, Interaktionen und Interpretationen durchaus nachvollziehbar. Dabei müssen jedoch vereinfachende Zuschreibungen vermieden werden, die Komplexität kultureller Phänomene berücksichtigt und die Interdependenzen mitgedacht werden. Sowohl Kulturen als auch Wasser sind viel zu komplex, um sie in einfachen analytischen Kategorien fassen zu können, und sie sind so vielfältig vernetzt, dass immer nur Teilaspekte oder das Mosaik als Ganzes gesehen werden kann. So ist Wasser als Material und Konstante durchaus geeignet, aber auch viel zu vielschichtig um es vereinfachend darzustellen und zu verstehen. Letztlich hat die Fokussierung auf den Umgang mit Wasser zum Beispiel geholfen, die sozialen Interaktionen im Dorf, zwischen den »compounds« und Brunnen in Bongo-Soe zu verstehen und zu interpretieren. »Wasser ist Leben«, eine Aussage mit der ich im Ganges-Bogen bei Varanasi zum ersten Mal konfrontiert wurde, ist wiederum zum Leitmotto für Aktivitäten und zum Ziel meiner Initiativen zur verbesserten Wertschätzung von Wasser als Ressource geworden. Wiederverwendung und Ressourcenschonung in Zhanbei County werden verständlich vor einem konfuzianisch geprägten Denken, Philosophie und Kultur und geben Anregungen für die Veränderung des Verhaltens in unserem westlichen Kontext.
7.2 I st W asser ein M aterial im S inne der materiellen K ultur ? Die Studie hat Wasser als Material, Ding oder Gegenstand untersucht und beschrieben. Hierbei hat sich die theoretische Einordnung auf Hahn (2011) und Strang (2004) bezogen, die Gliederung nach Wahrnehmung, Verwendung und Bedeutung. Alle beobachteten Phänomene ließen sich hinsichtlich dieser Kategorien einordnen. Entsprechend wurden unter anderem die persönlichen und kulturwissenschaftlichen Zugänge zu Wasser in Kapitel 4 strukturiert. Erkenntnisse über Entstehung, Arten, Faszination, Widersprüche, Wert und Preis lassen sich gut unter »Wahrnehmung« zusammenfassen. Unter Verwendungen fassen wir den Bedarf, die Versorgung, Landwirtschaft, Haushalt, Saisonalität und
Schlussbetrachtungen
Gesundheit zusammen. Schließlich zeigen sich die vielfältigen Bedeutungen in Philosophie, Religion, Mythen, Kunst, Gemeinschaft, Verwandtschaft und Gender. Auch die Fallstudien selbst (Kapitel 5) untersuchen jeweils Wahrnehmungen, Verwendungen und Bedeutungen. Dabei liegt dem Anliegen der Studie folgend ein besonderer Fokus auf dem Umgang mit Wasser und dessen Verwendungen. Hier wird deutlich, dass sich Wasser durchaus als Studienobjekt der materiellen Kultur eignet. Es zeigt auch, dass Ansätze der materiellen Kultur geeignet sind, globale und komplexe Phänomene zu verstehen und einzuordnen. In diesem Sinn ist die Studie auch ein Beitrag zur Entwicklung der materiellen Kultur als Forschungsfeld. Einerseits hat die »materielle Kultur« als Konzept also dazu beigetragen, Wasser und den Umgang mit Wasser zu verstehen. Andererseits sind Wasser und seine Verwendung komplex, fließend und wenig greif bar. Deshalb kann es kein Ding, Material oder Gegenstand im engeren Sinn sein. Dennoch hat schon Konfuzius die Eignung von Wasser als Reflexionsmedium erkannt und forderte: »Seid wie Wasser« und »reflektiert im Wasser«. Hier werden auch die Möglichkeiten und Grenzen von Wasser als Konstante und die materielle Kultur als Zugang zum Umgang mit Wasser sichtbar.
7.3 I st W asser ein » fait social total« im S inne von M arcel M auss ? Hier komme ich noch einmal zurück auf Orlove und Caton (Kapitel 2.4). Sie stellen Wasser als »total social fact« dar und begründen das mit seiner allumfassenden Soziabilität. Mauss (1923/24) wendet sein Konzept zunächst auf soziale Phänomene (menschliches Verhalten und soziale Interaktionen im religiösen, rechtlichen, gesellschaftlichen, politischen und familiären Bereich) an, lässt den Begriff aber auch für Konsum- und Produktionsformen zu. In diesem engen Sinn wäre Wasser selbst kein sozialer Tatbestand. Eher wären der Umgang mit Wasser, seine Verwendungen und Bedeutungen soziale Tatbestände. Wegen seiner Essentialität (Strang), Konnektivität (Hannerz) und universellen Vernetzung (Hahn, Cless) ist jedoch die Erweiterung des »fait social total« um die Materialität von Wasser gerechtfertigt. Die Analyse erlaubt so auch Wasserwelten (Hastrup), Ressourcen, Menschenrechte, Politik, Zugang und Verteilung mit lokalem Wissen zu verknüpfen. Wasser wird damit aus einer anderen Perspektive zum »Medium«, um Kulturen zu verstehen und deren Wahrnehmung, Umgang und Bedeutungszuschreibungen zu analysieren. Weil wir zu 70 Prozent aus Wasser bestehen, wird Wasser auch aus diesem Blickwinkel zur sozialen Tatsache. Wasser ist Leben. Ohne Wasser gibt es kein
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Leben. Leben kommt aus dem Wasser und macht damit Wasser zu einem fundamentalen, allumfassenden sozialen Tatbestand. So sehe ich Wasser als Konstante für Kulturvergleiche, als Material im Sinne des Konzepts der materiellen Kultur, und als »fait social total« für die Ethnologie qualifiziert.
7.4 I st die S tudie eine » multi - sited « E thnogr afie ? Mit der Darstellung der Eignung und Grenzen von Wasser als ein zu analysierender Gegenstand kommen wir auch zur Betrachtung der Methode. Bei den Studien in Bongo-Soe, Ganges/Varanasi und Zhanbei könnte es sich um einen Ansatz der »multi-sited ethnography« (Marcus 1995) handeln. George Marcus erkannte, dass in Zeiten zunehmender globaler Verflechtungen Kultur nicht mehr an einen Ort gebunden ist, sondern in globalen Räumen stattfindet (ethnoscapes, Appadurai 1996) und damit Symbole und Geschichten durch Raum und Zeit zirkulieren und verschieden interpretiert werden. Er fordert deshalb, Menschen, Objekten, Metaphern, Lebensgeschichten, Plots oder Konflikten auf dem Weg ihrer Verbreitung zu folgen und sie zu verknüpfen. Im strengen Sinn wäre die vorliegende Arbeit nur multi-sited, wenn wir Wasser oder genauer den Umgang mit Wasser als Objekt definieren könnten. Nun ist Wasser, wie eben diskutiert, kein Ding, Material oder Objekt im engeren Sinn. Allerdings haben wir auch seine Materialität anerkannt, und es sind gerade die globalen Kreisläufe, die es omnipräsent, fließend und überall beobachtbar machen. Seine Nutzung, Aneignung und den Umgang mit Wasser zu beobachten und zu erschließen, ist demnach von besonderem Wert für den Aufschluss von kulturellen Zusammenhängen und deren Einbettung. Meine methodische Arbeitsweise lässt sich als iterativ beschreiben, wobei ich die untersuchten Orte rotierend besucht habe. Dabei habe ich Themen und Beobachtungen an einem Ort aufgegriffen. Sie sind dann am nächsten Ort zu Fragestellungen geworden und haben dort zu neuen Erkenntnissen und genaueren Beobachtungen geführt. Aspekte wie Hygiene, Gender, »in-house«/ öffentlich, Wiederverwendung, religiöse Bedeutungen, Darstellungen in der Kunst fielen an den verschiedenen Orten unterschiedlich ins Gewicht und konnten entsprechend bei einem wiederholten Besuch vertieft werden. Damit erschlossen sich immer weitere Dimensionen und immer neue Aspekte des untersuchten Gegenstandes. Dem steht die ethnografische Forschung nach dem Prinzip der teilnehmenden Beobachtung, also einem längeren Aufenthalten im Feld, dem Erlernen der Sprache und das tiefe Eintauchen in die lokalen Kulturen entgegen. Diese ethnologische Methode führt zu Tiefe, Verständnis, Interpretation, Qua-
Schlussbetrachtungen
lität und hat sich als solche bewährt. Sie kommt aber auch an ihre Grenzen von Neutralität, Distanz und Empathie. Diesem Dilemma entzieht sich die von mir gewählte Methode der Feldforschung. Durch die Kürze der Aufenthalte konnte ich Neutralität wahren und die Distanz der Beobachtung sicherstellen. Durch wiederholte Besuche entstand das Vertrauen der Wiedererkennung, Wiedersehensfreude, Erinnerung und »was ich noch sagen wollte«-Effekte sowie »was mir noch eingefallen ist«-Reaktionen auf beiden Seiten. Am deutlichsten wurde das bei der Beobachtung und Erforschung von religiösen Ritualen, persönlichen Hygienevorstellungen und intimen Momente, aber auch Gewohnheiten und – in unserem Zusammenhang – der Verwendung von Wasser. Die beobachtete Skepsis gegenüber Leitungswasser und das Vertrauen in den nachbarlichen Brunnen, Wissen über den Wasserkreislauf, Wiederverwendung, Rituale, Einstellungen und Gender Rollen haben sich sehr oft erst auf den zweiten Blick erschlossen. Dadurch wurde ich zu weiteren Nachforschungen angeregt. Die »boreholes« als sozialer Ort, des Wok als Zentrum der Familie und des Haushalts, öffentliche und private Reinigungs- und Hygienegewohnheiten, »verlorene« »rainmaking«-Fähigkeiten sowie die Long WangTempel sind herausragende Beispiele dafür, dass mein wiederholter Besuch zu neuen Ergebnissen für meine Forschungen führte. Allerdings muss auch zugegeben werden, dass diese Vorgehensweise sich als aufwendig und anspruchsvoll herausgestellt hat, weil sie einer gründlichen und detaillierten Vorbereitung bedarf und von einem kostenintensiven und körperlich anstrengenden Reiseaufwand begleitet ist. Schließlich verlockt auch dieses Vorgehen zu einer immer weiter rotierenden Vertiefung und stetigen Rückkehr zu den Forschungsfeldern, sodass es auch hier zu dem Gefühl von »never ending research and discovery« kommen kann. Ein Forschungsprojekt ist auf diesem Weg schwer zu einem Ende zu bringen.
7.5 B eitr ag und G renzen der S tudie Zunächst konnte gezeigt werden, wie groß die Unterschiede der Wahrnehmung, Verwendung und Bedeutung von Wasser sich in verschiedenen Kontexten darstellen. Wenn ein Inder nach Bongo-Soe käme und sich am Brunnen waschen würde, wenn ein Grushie nach Zhanbei käme und sich mehrmals am Tag waschen wollte oder seine Frau mit der Zinkschüssel zum Brunnen ginge, wenn ein Hindu in Zhanbei seine Morgenrituale durchführen möchte, wenn ich in Bongo-Soe eine Toilette suche, der Besucher aus China immer abgekochtes Wasser benötigt usw. Solche provozierenden hypothetischen Fragen und Vorstellungen zeigen die Bedeutung der beobachteten Unterschiede. Jeweils typische Merkmale für Wasserverwendung, -wahrnehmung und -bedeutung in den unterschiedlichen Regionen sind die Bedeutung des Dorfplat-
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zes als sozialer Mittelpunkt einer Community, von »boreholes« und Brunnen; die Rolle von Frauen, Männern und Kindern bei der Besorgung von Wasser, aber auch umweltabhängige Veränderungen der »rainmaking«-Rituale, »Wasser ist Leben«-Vorstellungen oder das Krokodiltotem. Hygiene-Vorstellungen und -Gewohnheiten sowie ihre sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen, ebenso wie der Umgang und die Verwendung in Küche und Haushalt (Kochen, Abkochen, Verwendung/Wiederverwendung, Gerichte, Getränke etc.) sind weitere Beispiele für die beobachteten Unterschiede. Doch wie vermutlich jede Forschung hat auch die vorliegende Arbeit ihre Grenzen und Defizite. Sie finden sich beispielsweise unter dem Aspekt der Tiefe und Genauigkeit. Denn meine Feldnotizen sind keine erschöpfenden Untersuchungen. Zeitliche Investition und sprachliche Limitierungen führen zur Abhängigkeit von Informanten. Wasser als Material, seine Erscheinungsformen, Verwendungen und Bedeutungen sind so vielfältig und fließend, dass sie niemals erschöpfend behandelt werden können. Die Fallstudien sind in ihrer Auswahl zufällig und stoßen aufgrund der Dauer der Feldaufenthalte an die Grenzen ethnografischer Möglichkeiten und Kompetenzen. Die Arbeit stellt damit auch keine klassische Ethnografie im vollumfänglichen Sinn (Sprache, Dauer, Zeit, Impression und Interpretation) dar, regt aber durch seine breite Ausrichtung und Vielfältigkeit zu weiteren Forschungen an.
7.6 W elche weiterführenden und vertiefenden Themen eröffnen sich durch die S tudie ? Wasser als Gegenstand ethnografischer Studien bietet Zugang zu zahlreichen gesellschaftlich wichtigen Themenfeldern. Da ist zunächst der Wunsch nach einer weiteren Vertiefung der gefundenen Ergebnisse. Als Schwerpunkte bieten sich beispielsweise die Selbstreinigungsvorstellungen des Ganges-Wassers, das Krokodiltotem in Bongo-Soe, die Geschichte von Long Wang und die Gewohnheiten der Wiederverwendung in Zhanbei an. Darüber hinaus sind begleitende Studien zur Installation und Aneignung von Brunnen, Toiletten an Schulen und Märkten sowie die Versorgung durch Wasserleitungssysteme als Alternative zu Brunnen vorstellbar. Auch weitere Untersuchungen zum Händewaschen, Abkochen von Wasser und zur Nutzung von Toiletten wären hilfreich. Schließlich kann das Spektrum solcher Studien auch regional erweitert werden. Hier sind Studien in weiteren ariden und semiariden Regionen Afrikas, Australiens und Asiens ebenso denkbar wie Vergleiche zu Regionen mit Wasserüberfluss, Fluss-Deltas, Staudämmen und Kanälen. Vulnerabilität und Resilienz von Populationen, Kulturen, Gesellschaften als Folge des Klimawandels sind wichtige weiterführende Themen mit einer hohen globalen und gesellschaftlichen Relevanz. Hierbei kann sich die Forschung so-
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wohl auf Regionen und Situationen mit einer Übermenge an Wasser beziehen als auch auf die Problematik des Wassermangels. Auch unser eigenes Verhalten, unsere Einstellungen, das Vertrauen in oder Misstrauen gegenüber Wasserversorgung und -qualität in Relation zu industriell abgefüllten und als Waren gelieferten Mineral- und Heilwässern sind eine tiefere Untersuchung wert. Darüber hinaus sind diese Bereiche nicht auf die Ethnologie beschränkt. Sie bieten sich vielmehr auch als inter-, trans- und multidisziplinäre Forschungen an.
7.7 K ann die F eldstudie ein B eitr ag zur »A nthropology of W ater « sein ? Unter der Anthropology of Water verstehe ich eine umfassende Beschreibung des Wesens von Wasser und seiner Interdependenzen zur menschlichen Kultur. Methodisch nähere ich mich dieser Beschreibung mit Hilfe einer besonderen Art von multi-sited ethnography, mit der ich zur Weiterentwicklung der Disziplin beitrage. Das iterative und rotierende Vorgehen ist hierbei von besonderer Bedeutung. Auch nutze ich die ethnologische Methode der dichten Beschreibung und biete die Möglichkeit des Kulturvergleichs, trage zur Entwicklung des Konzepts der materiellen Kultur bei und zur Kulturökologie. Mit diesen Methoden und mit meinen Fallbeispielen komme ich dem Wesen des Wassers und dem kulturell bedingten Umgang der Menschen mit Wasser näher und damit auch einer Anthropology of Water.
7.8 R efle xion über die eigene K ultur Die vorliegenden Untersuchungen können anregen über die Nutzung von Wasser in unserer eigenen von Überfluss geprägten westlichen Gesellschaft nachzudenken. Ich wünsche mir, dass daraus ein bewussterer Umgang mit dieser lebenswichtigen Ressource, wie auch mit anderen natürlichen Ressourcen entstünde. Das Ergebnis meiner Arbeit soll also eine Aufwertung und höhere Wertschätzung natürlicher Ressourcen im Allgemeinen und von Wasser im Besonderen sein.
7.9 K ulturelle E inbe ttung , globale V erflechtung und W ertschätzung Was bleibt nun am Ende der Reise durch verschiedene Kulturen, vielfältige Verwendungen, komplexe Verknüpfungen und mannigfache Widersprüche rund um das Thema Wasser?
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Ich habe die soziale und kulturelle Einbettung von Wasser in den verschiedenen Gesellschaften beobachtet, sie dokumentiert und kategorisiert. Diese reicht von Lebensgrundlage, Subsistenz, Hygiene, Genuss und Totembezug in Bongo-Soe über Lebenswelten in Indien am Ganges und anderen Flüssen bis zu Verwendungs-, Ressourcen- und Nutzungskonzepten in China. Aber auch in der unmittelbaren Umgebung, in den eigenen täglichen Gewohnheiten finden wir widersprüchliche Verhaltensweisen als Ausdruck von Ökonomisierung, Kommerzialisierung, Misstrauen gegenüber dem Staat sowie Konsumorientierung, wenn es um die Nutzung und Verwendung von Trinkwasser geht. Strang spricht von »hydrolatry«, was einer Anbetung der Ressource nahekommt, weil Wasser im Leben der Menschen eine derart zentrale Rolle spielt. Wir finden diese Dimension bei Bastian und seiner Aufzählung von WasserMythen und religiösen Bedeutungen oder bei Wilks Begriff der »Magie«. Im Alltag veranschaulicht sich diese transzendente Bedeutungswelt in »rainmaking«-Ritualen und der Funktion der »rainmaking-chiefs«, in der Vorstellung vom heiligen Wasser des Ganges oder der Anbetung von Long Wang in den chinesischen Dörfern. Sie findet sich auch in unserer westlichen Bewunderung über und den Glauben an Heilwässer, Heilquellen und lebendiges Wasser. Auch die Idee von »Wasser ist Leben« und der Vorstellung, Wasser sei »besprechbar« (Emoto) oder »belebbar« (Schauberger) findet sich hier wieder. Im weiteren Sinn beschreiben Orlove und Caton dies mit ihrem Bezug auf Marcel Mauss’ »total social fact« (Kapitel 2.4). Wir finden Bezüge darauf im Alltag und in den sozialen Vernetzungen am Brunnen in Bongo-Soe, an den öffentlichen und privaten Brunnen im »compound«, in den Dörfern am Ganges-Bogen oder an den Dorf brunnen in Zhanbei. »Waterscapes« und »Wasserwelten« reichen ins gesamte Alltagsleben: vom Trinken über Kochen, Hausbau, Feldbewässerung, Tierhaltung bis hin zur Wasserbesorgung. Menschen haben das von der UN anerkannte Recht auf freien Zugang zu Wasser. Sie verwenden die Ressource für die vielen notwendigen und nützlichen Tätigkeiten, die das Leben und Überleben sichern, Subsistenz und Reproduktion ermöglichen und Freiräume für die persönliche Entfaltung schaffen. Alles ist eingebettet in lokal- bzw. kulturspezifische Bedeutungszuschreibungen, die das Leben absichern und mit Inhalt füllen. Innerhalb dieser kulturellen Räume hat sich eine persönliche Verantwortung für die Versorgungssicherheit, die Umwelt und Nachhaltigkeit entwickelt. Das Resultat ist dann ein der Wasserversorgung angepasstes Verhalten bei Reinheitspraktiken, die eigenständige Herstellung sicheren Trinkwassers, ein höherer Gesundheitsgrad und eine stärkere Resilienz. Diese Arbeit versteht sich als Plädoyer zu einer weiteren Beschäftigung mit einer globalen »Anthropologie des Wassers«. Das hier präsentierte Mosaik theoretischer und kulturwissenschaftlicher Perspektiven, ergänzt um die Vorlage
Schlussbetrachtungen
spezifischer und kontrastierender Fallstudien ist eine Grundlage für die Entwicklung weiterer Untersuchungen in anderen Regionen und die Vertiefung einzelner thematischer Felder. Die soziale und kulturelle Einbettung von Wasser in den verschiedenen Gesellschaften ist die ethnografische Grundlage dieser Studie und zugleich die Basis für transkulturelle Verbindungen bis hin zu einer globalen Vernetzung. Eine solche »Anthropologie des Wassers« kann einen Beitrag leisten, das Menschenrecht auf Wasser zu propagieren und Verständnis für seine Umsetzung zu fördern. Auf diese Weise macht sie auch darauf aufmerksam, dass sie nötigen Ressourcen für eine Verbesserung der Wasserversorgung bereitgestellt werden sollten; nicht zuletzt ist die eine Unterstützung für eine verbesserte Lebenssituation und Überlebensfähigkeit/Resilienz von Menschen auf allen Kontinenten zu verstehen. So ist auch zu erwarten, dass durch leicht umzusetzende Möglichkeiten der Säuberung von Wasser, intuitive »sanitation« und eigenverantwortliche lokale Wasserversorgung die Sterblichkeitsrate durch verunreinigtes Wasser und »water born deceases« gesenkt werden kann. All das kann nur mit Respekt gegenüber der jeweiligen Kultur geschehen, ein Respekt der größer wird, je mehr wir über Gesellschaften und ihre Wahrnehmungsweisen von Wasser wissen. Denn es reicht nicht aus, die Verfügbarkeit von Wasser als alleinigen Faktor von Wasserverwendungen in verschiedenen kulturellen Kontexten zu postulieren. Wie die ethnologischen Perspektiven aus dieser Arbeit gezeigt haben, ist Wasser auch immer Teil einer Lebenswelt, die von Mythen, historischen und globalen Prozessen sowie materiellen Sinnstrukturen geprägt ist. Die vorliegende Arbeit fokussiert in erster Linie auf den Umgang mit Wasser und den Alltag in den besuchten Orten, also die Mikro-Ebene, dort wo die kulturellen Kontexte am deutlichsten spürbar werden und die Unmittelbarkeit der ethnografischen/ethnologischen Forschung sichtbar wird. Das geschieht in der Hoffnung, dass zukünftig kulturelle und lokale Betrachtungsweisen von Wasser in ökonomische und politische Entscheidungen miteinbezogen werden und dass auch in Gesellschaften, in denen Wasser unerschöpflich vorhanden zu sein scheint, eine größere Wertschätzung der Ressource entsteht. So kann auch in der eigenen Lebenswelt ein Beitrag zur Entkommerzialisierung und Entökonomisierung und damit zur Aufwertung der Ressource Wasser geleistet werden. Die Arbeit stellt damit gleichzeitig einen Zusammenhang zum Umgang mit knappen natürlichen Ressourcen her, sowie zu unserem Bewusstsein über und Respekt vor der Umwelt und Nachhaltigkeit. Ich hoffe, ich habe auch den Leser hinsichtlich des Wertes von Wasser jenseits ökonomischer Überlebens- und Subsistenzvorstellungen sensibilisiert, und die Verflechtungen von Wahrnehmung, Praktiken und Glaubensvorstellungen hinreichend deutlich herausgestellt. Die Studie lässt Raum für eigene Vorstellungen und Interpretationen. Dem Ideenreichtum für eine Weiterent-
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wicklung der Forschung und eine Erweiterung der Perspektive auf den allgemeinen Umgang mit natürlichen Ressourcen sind keine Grenzen gesetzt. Wasser als Kulturphänomen ist nach wie vor eine Herausforderung. Durch meine Arbeit sollen auch interdisziplinäre Untersuchungen angeregt werden, z.B. aus Disziplinen der Psychologie, Pädagogik, Didaktik, Kultur- und Sozialwissenschaften. Durch eine fächerübergreifende Perspektive können sich neue Schwerpunkte erschließen, die entweder an die Untersuchungsergebnisse dieser Arbeit anknüpfen oder aber sich auf neue regionale Gebiete und Themenfelder beziehen. Es stellt eine besondere Herausforderung dar, die Komplexität von Wasser herauszuarbeiten und zu verstehen. Die Erwartung war und ist, hierdurch zu einem breiteren Bewusstsein von Wasser beizutragen, das zu einer neuen und wertschätzenden Sichtweise auf diese Ressource führt.
S chlusswort Wasser ist eines der Elemente ohne Anfang und Ende. Es gibt eine unendliche Vielfalt von Wahrnehmungen, Verwendungen und Bedeutungen. Wie Kultur steht auch Wasser niemals still, und wie Wasser bewegen und entwickeln sich Kulturen immer weiter und verändern sich permanent. In diesem Sinn stehen Wasser und Kultur in einem unmittelbaren Zusammenhang. Vom Wasser habe ich gelernt, dass nichts gleich bleibt, heute schon alles anders ist als gestern und auch morgen wieder alles neu und anders sein wird. Panda Rhei – Alles ist im Fluss.
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243
Ausführliches Inhaltsverzeichnis
Vorwort | 7 1. Einleitung | 11 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
Zugang | 11 Zum eigenen Vorgehen | 13 Thema und Fragestellung dieser Studie | 14 Methode und Forschungsausblick | 15 Struktur und Auf bau der Arbeit | 17
2. Theoretische Perspektiven | 21 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7
Wasser, materielle Kultur und »global, complex entanglements« | 21 Bedeutungen von Wasser | 24 »Civilizations around water« | 28 Mauss, Orlove und Caton: Wasser als »totale soziale Tatsache« | 31 Wasser als Gemeingut und Menschenrecht | 36 Wittfogels Konzept der »hydraulic societies« | 37 Zusammenfassung | 38
3. Fragestellung, Untersuchungsorte und Methoden | 41 3.1 Fragestellung | 41 3.2 Untersuchungsorte und Vorgehensweisen | 42 3.2.1 Ghana | 43 3.2.2 China | 44 3.2.3 Indien | 45 3.2.4 Andere Orte | 46 3.3 Methoden | 46
4. Persönliche und kulturwissenschaftliche Zugänge | 49 4.1 Wahrnehmung | 50 4.1.1 Entstehung | 50 4.1.2 Unterschiedliche Arten | 51
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Menschen am Brunnen
4.1.3 Widersprüchlichkeiten | 52 4.1.4 Faszination | 52 4.1.5 Wert und Preis | 54 4.1.6 Erlebnisse aus der Untersuchung | 55 4.2 Verwendung | 56 4.2.1 Bedarf | 56 4.2.2 Wasser-Management | 57 4.2.3 Landwirtschaft | 57 4.2.4 Saisonalität | 58 4.2.5 Verwendung, Hausgebrauch und Nahrungszubereitung | 58 4.2.6 Wasser und Gesundheit | 60 4.3 Bedeutungen | 66 4.3.1 Philosophie | 66 4.3.2 Mythologie | 67 4.3.3 Religion | 68 4.3.4 Heiligkeit, Regenmacher, Krokodil und Göttlichkeit | 70 4.3.5 Kunst | 73 4.3.6 Arbeitsteilung, Rollen und Gender | 75 4.3.7 Gemeingut und Verteilung | 77 4.4 Überleitung | 79
5. Regionale und indigene Perspektiven | 81 5.1 Bongo-Soe, Ghana und seine »Boreholes« | 81 5.1.1 Setting | 81 5.1.2 Annäherung, 17. November 2009 | 82 5.1.3 Informanten | 85 5.1.4 Sachets, Flaschen als Willkommensgruß | 85 5.1.5 »Drip irrigation« (Tröpfchenbewässerung) bei den Grushie in Bongo-Soe | 87 5.1.6 Die Rolle der Frau | 90 5.1.7 Am Brunnen, dem »borehole« oder der Wasser-Pumpstation | 92 5.1.8 Wäschewaschen und Körperhygiene | 93 5.1.9 Bevölkerungsentwicklung und Wasser in Bongo und der »Upper East Region« | 95 5.1.10 Markttag | 96 5.1.11 Hausbau | 97 5.1.12 Beerdigung | 99 5.1.13 Unter dem Baobab-Baum | 99 5.1.14 Krokodil-Totem | 100 5.1.15 Leben im »compound« | 101 5.1.16 Abends am »borehole« | 102 5.1.17 Beim Beo-»chief« kochen und Bier brauen | 102
Ausführliches Inhaltsverzeichnis
5.1.18 Verwendungen | 104 5.1.19 Wasser und Entwicklung: »Lunch Talk« mit Jacob | 108 5.1.20 Haushalt, Kochen, Küche: Auf Vidas »Family Farm« | 109 5.1.21 Gender-Aspekte und die Rolle(n) der Frauen: St. Anne’s Junior High School | 112 5.1.22 »Borehole-society«: Menschen am Brunnen | 115 5.1.23 Wasserversorgung: NGOs, »World Vision« und die »Hilton Foundation« | 115 5.1.24 Krokodil-Totem: »Paga crocodiles« – Wo es Krokodile gibt, gibt es auch Wasser | 117 5.1.25 Kunst: Kunsttöpferei in Sirigu (»Sirigu Art Pottery«) | 119 5.1.26 Produktion/Industrie: Sheabutter-Herstellung (»Shea Butter Manufacturing«) | 120 5.1.27 Regenmacher: Der »Namoo-chief« in Bongo-Namoo | 120 5.1.28 »Borehole«-Perspektiven | 122 5.2 »Holy waters«, heiliges Wasser in Indien | 123 5.2.1 Annäherung | 123 5.2.2 Szene, Setting | 123 5.2.3 Informanten | 125 5.2.4 Wasser ist Leben | 130 5.2.5 »Holy water«: Hinduismus – der Ganges und das Wasser | 134 5.2.6 Waschen und Baden am Brunnen | 141 5.2.7 Wäschewaschen | 143 5.2.8 Herstellung von Kuhfladen-Briketts | 144 5.2.9 Chai, Tee, Kochen | 144 5.2.10 Sanitäre Anlagen, Defäkation und Hygiene | 146 5.2.11 Hausbau und anderes Handwerk | 147 5.2.12 Leben am Brunnen in den Dörfern des Ganges-Bogen | 147 5.2.13 Willkommensgruß – Varanasi privat | 152 5.2.14 Wahrnehmungen – Varanasi Hostel | 152 5.2.15 Rituale (»Pujas«) | 153 5.2.16 Schwimmen im Ganges | 155 5.2.17 Wasser-Schlangen | 157 5.2.18 Kerala Backwaters | 162 5.2.19 Kulam-Erie-System | 164 5.2.20 »Holy water«-Perspektiven | 165 5.3 China, eine »saving water society« | 167 5.3.1 Annäherungen | 167 5.3.2 Voruntersuchung | 170 5.3.3 Informanten | 172 5.3.4 Die »don’t waste, save, control water«-Society | 173 5.3.5 Wasser-Management und der Gelbe Fluss | 174
247
248
Menschen am Brunnen
5.3.6 Mythologie und Religion | 176 5.3.7 Wasserkunst | 178 5.3.8 Brunnen und Hygiene | 178 5.3.9 Kochen: der Wok | 180 5.3.10 Reinigung und Hygiene, Zähne putzen | 181 5.3.11 Wasser Holen und Gender | 182 5.3.12 Regenmachen | 183 5.3.13 Wasserversorgung und Übernutzung | 185 5.3.14 Landwirtschaft und Leben im Dorf | 185 5.3.15 Entstehen und Vergehen in Xinjiang | 191 5.3.16 »Water villages« | 194 5.3.17 »Heißes« und »kaltes« Wasser in der Feldbewässerung Chinas | 197 5.3.18 »Saving water«-Perspektiven | 199 5.4 Überfluss – »abundance«, westliche Perspektiven | 200 5.4.1 Leitungswasser und Wasserversorgung | 200 5.4.2 Mineralwasser | 201 5.4.3 »Chemisches Wasser« in Rhein-Main | 202 5.4.4 »Feines Wasser« auf der Alm | 204 5.4.5 Mikroben und Wasser | 205 5.4.6 Thermalbäder | 207 5.4.7 Watsu- und Wasser-Shiatsu | 208 5.4.8 Wiederbelebtes, renaturiertes Wasser | 209 5.4.9 Masaru Emoto: Die Botschaft des Wassers | 209 5.4.10 Wasserkreisläufe (»water cycles«) | 210 5.4.11 »Abundance« Perspektiven | 213
6. Zusammenfassung | 215 6.1 Theorie | 215 6.2 Methode | 218 6.3 Kulturwissenschaftliche Zugänge | 218 6.3.1 Philosophie, Mythen, Religion | 218 6.3.2 Arten von Wasser | 219 6.3.3 Leben und Überleben/Verfügung und Versorgung | 220 6.3.4 Gesundheit | 221 6.4 Indigene Perspektiven und Highlights aus der Feldforschung | 222 6.4.1 Ghanas »borehole-society« | 223 6.4.2 Indiens »holy water-society« | 224 6.4.3 Chinas »water saving-society« | 224 6.4.4 Wasser im Überfluss – Westliche Perspektiven | 225
Ausführliches Inhaltsverzeichnis
7. Schlussbetrachtungen | 227 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6
Bietet sich Wasser an als Konstante für einen Kulturvergleich? | 227 Ist Wasser ein Material im Sinne der materiellen Kultur? | 228 Ist Wasser ein »fait social total« im Sinne von Marcel Mauss? | 229 Ist die Studie eine »multi-sited« Ethnografie? | 230 Beitrag und Grenzen der Studie | 231 Welche weiterführenden und vertiefenden Themen eröffnen sich durch die Studie? | 232 7.7 Kann die Feldstudie ein Beitrag zur »Anthropology of Water« sein? | 233 7.8 Reflexion über die eigene Kultur | 233 7.9 Kulturelle Einbettung, globale Verflechtung und Wertschätzung | 233 Schlusswort | 236
Literatur | 237 Ausführliches Inhaltsverzeichnis | 245 Personenverzeichnis | 251 Stichwortverzeichnis | 253
249
Personenverzeichnis
Appadurai, Arjun 25, 35, 217, 230 Barié, Paul 67, 219 Bastian, Adolf 12, 22, 67, 218, 234 Böhme, Hartmut 22, 70 Caton, Steven C. 12, 27, 31-35, 38, 42, 50, 217, 229, 234 Douglas, Mary 21, 25, 56, 201 Eguavoen, Irit 44, 76 Eliade, Mircea 68-69 Emoto, Masaru 209, 234 Geertz, Clifford 33 Hahn, Hans Peter 7, 12, 15, 17, 21-23, 27, 31-32, 35-36, 38, 42, 50, 215, 228-229 Hannerz, Ulf 32, 229 Hardin, Garett 17, 22-23, 36, 221 Heraklit von Ephesos 53, 66 Konfuzius 14, 174, 176, 184, 190-191, 199, 220, 224, 229 Laotse 174, 184, 190 Latour, Bruno 29 Laube, Wolfram 22, 44, 108 Needham, Joseph 38, 79, 175, 216, 221 Oestigaard, Terje 17, 28-29, 30, 35-36, 70 Orlove, Ben 17, 27, 31-35, 38, 42, 50, 217, 229, 234 Ruthenberg, Klaus 14, 220 Schauberger, Viktor 209, 234 Solomon, Steven 38, 216
Strang, Veronica 8, 11, 14-15, 17, 23-27, 31, 35-36, 38, 42, 50, 76, 202, 216217, 228-229, 234 Thales von Milet 51, 66-67 Tvedt, Terje 17, 28-30, 35-36, 70 Weber, Max 22, 138 Weiz, Bettina 37, 77, 79, 123 Wilk, Richard 11-12, 14, 17, 23, 42, 54, 57, 202, 217, 234 Wittfogel, Karl August 17, 32, 37, 176
Stichwortverzeichnis
Abundance (Überfluss) 34, 52, 54-55, 77-78, 200, 205, 208, 223, 225, 232-233 Alaska 42, 46, 55, 210-211 Allmende (Gemeingut) 17, 22-23, 25, 35-37, 50, 77, 88, 189, 221 Aneignung 12, 29, 38-39, 50, 115, 217, 228, 230, 232 Anthropologie des Wassers (anthropology of water) 49, 233-235 Bedeutungszuschreibung 15, 29-30, 52-53, 165, 171, 216-217, 227-229, 234 Bolgatanga 43, 85, 95, 99 Bongo-Soe 13, 43, 56, 60, 62, 64, 71, 75, 83, 95, 99, 107, 122, 223, 228, 230-232, 234 Borehole 33, 60, 81, 92-95, 101, 104107, 110-116, 122, 127, 223, 231-232 Borehole Society 81, 115, 127, 223 Cholera 94, 222 CO₂ 21, 62 Complex Entanglements 15-17, 35-36, 38 Compounds 58, 60, 71, 82, 92, 9496, 98, 101, 121-122, 223, 228, 234 Delhi 123, 156 Dravidian 162-163 Entstehungsmythen 73 Erie (Damm) 37, 77, 79, 164-165 Essentialität 229
Ethnografie 7, 170, 218, 232 Fallstudien 227, 229, 232, 235 Feldbewässerung 43, 76, 87, 104-106, 109, 160, 188, 220, 234 Frafra 81, 96 Fruchtbarkeit 23, 70, 76, 153, 175 Ganges(-Bogen) 13, 30, 32, 45, 54, 56, 58, 62-63, 69, 70-71, 123-124, 126127, 129, 131, 134-141, 149-154, 157158, 165-166, 219, 224, 228, 230, 232, 234 Gefahren 12, 23, 34, 53, 61, 109, 138, 219, 221, 225 Gemeinschaft 55, 69, 76, 78, 88, 124, 133, 148, 159, 171, 174, 192, 216, 219, 221, 224, 229 Gender 12, 34, 50, 227, 229-231 Gesundheit 8, 11, 17-19, 23, 25, 50, 52, 54-55, 60, 62, 64, 66, 94, 108109, 141, 146, 201, 203-204, 207, 209, 221-222, 229, 232, 234 Grushie 13, 74, 83, 147, 187, 191, 195 Handel 13, 74, 83, 147, 187, 191, 195 Hausbau 18, 87, 91, 98, 105, 114-115, 122, 147, 152, 223, 234 Heilquellen 52, 201, 217, 234 Heilwasser 200-201, 209, 213, 217, 219, 233-234 Hilfsorganisation 45, 108, 222 Holy Water Society 127, 223 Hydraulic Society 37-38, 79
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Menschen am Brunnen
Hydrolatry 23-24, 27, 216, 234 Hygiene 8, 12, 16, 18, 19, 22, 25, 31, 33, 41, 52, 54, 60-62, 64-65, 78, 106, 112, 115, 123, 146, 155, 165, 180, 200, 204-205, 207, 209, 213, 216, 220, 223-225, 227, 230-232, 234 Infrastruktur 32, 61, 120, 124, 176, 213, 222-223 Integrated Water Resources Management (IWRM) 28, 33, 35, 36, 58 Kochen 43, 45, 58-59, 61-64, 75, 8384, 89, 92-93, 96, 103-104, 106107, 111, 113-115, 120, 125 Kolkata 129, 136 Kommerzialisierung 77, 234, 235 Kommodifizierung 25, 36-37, 217, 228 Konflikt 8, 12, 32-34, 58, 73, 76, 84, 108, 174, 230 Konnektivität 229 Kosmologie 7, 38, 54, 219 Kulam (Wasserspeicher) 23, 37, 57, 77, 79, 153, 159, 164-165 Kulturvergleich 26, 227, 230, 233 Landwirtschaft 13, 15, 18, 21, 25, 31-32, 34-35, 37, 44-45, 50, 54, 57-58, 72, 77-78, 81, 83-84, 90, 95, 99, 105, 111, 114, 124-125, 128, 130, 136, 142, 147, 162, 170, 172, 185-186, 194, 220, 223, 228 Lanzhou 167 London/Paris 167, 221 Long Wang 54, 72-73, 176, 183-184, 186, 189, 190, 199, 225, 231-232, 234 Macht 15, 24, 27, 29, 37-38, 57, 76-77, 79, 167, 176, 202, 216-217, 221 Makro(-Perspektive, -Ebene) 12-13, 37, 41, 216 Materielle Kultur 17, 229 Medizin 12, 65, 91, 94-96, 100, 118, 123, 199, 207-208 Menschenrechte 23, 32, 34-37, 41, 54, 200, 221, 229, 235
Mikroebene, -perspektive 12-13, 16, 47, 116, 137, 235 Mosaik 16, 28, 47, 49, 79, 201, 228, 234 Multi-Sited 15, 230, 233 Mythen 7, 15, 18, 22, 27, 29-30, 50, 5253, 67-70, 72-74, 81, 123 Nachhaltigkeit 29, 35-36, 116, 126, 234235 Nepal 42, 46, 126, 128, 157 NGO 44, 47, 88, 94-95, 108, 111-112, 115116, 119-120, 150, 212-213, 223 Oberland (Bern) 46, 55, 204 Ökonomisierung 36, 234-235 Philosophie 18, 50, 219, 228-229 Privatisierung 15, 23, 25, 36, 54, 78, 200, 217, 221, 225 Rainmaking 71, 83, 121, 231-232, 234 Rainmaking-chief 71, 83, 121, 234 Regenrituale 190, 227 Religion 18, 27, 29-30, 50, 53-54, 58, 68-70, 74, 79, 100, 128, 137-138, 158, 191, 193, 195, 210, 219, 224, 229 Reproduktion 89, 91, 212, 234 Ressourcen(-schonung) 32, 38, 42-43, 62-63, 74, 90, 194, 204, 224, 228229, 233, 234-236 Rhein-Main-Gebiet 46, 213, 225 Ritual 17-18, 23-24, 27, 29-30, 43, 53, 68-74, 83, 85, 89, 99, 103, 118-119, 121, 123, 130, 135-136, 138-139, 152155, 157, 159, 166, 173, 176, 178, 184, 190, 211-212, 219, 224, 227-228, 231-232, 234 Schöpfungsmythen 30, 53, 67-69, 219 Sirigu 43, 119 Subsistenz 16, 18, 27, 38, 47, 62, 84, 105, 109, 161, 216, 219-220, 224, 234-235 Tamale 43 Taoismus 63, 66-67, 167
Stichwor tverzeichnis
Totale soziale Tatsache (total social fact) 31-32, 36, 38, 42, 50, 229, 234 (Krokodil-)Totem 18, 72, 83, 100, 103, 117-119, 219, 223, 232, 234 Trinken 25, 50, 56, 58-59, 62-63, 8182, 85, 92-93, 99, 106, 110-111, 114, 126, 128, 131-134, 138, 140, 141, 150, 152, 154, 157, 171, 173, 180, 186, 190, 200, 202-207, 213, 216, 223, 234 Typhus 84, 146, 222 UNICEF 64 Varanasi 13, 45-46, 58, 70, 123-125, 127-130, 133, 135-136, 138, 141, 143, 152-154, 157, 165-166, 215, 228, 230 Verflechtung 15-16, 18, 21, 27, 36, 42, 230, 235 Verfügbarkeit 14, 16, 32, 36, 41, 56, 61-62, 77, 78, 85, 109, 116, 164, 175, 194, 201-202, 218-219, 227, 235 Vernetzung 15-17, 19, 23, 31, 37-38, 122, 210, 217, 229, 234-235 Verwandtschaft 148, 163, 229 Vulnerabilität 35, 232 Ware 11, 23, 25, 35-37, 55, 233 Wäschewaschen 60, 93, 99, 101, 107, 113-114, 132, 134, 142, 144, 165, 171, 173, 180, 190, 207, 227 Wasser Ableitung 33, 164, 194, 200 Arten 11-12, 16, 18, 23, 26, 30, 3234, 50-51, 67, 106, 130, 149, 199, 212, 219, 228 Auf bereitung 22, 55, 85-86, 123124, 185, 222 Auf bewahrung 33, 108, 133, 144, 168 Entstehung 18, 50-51, 69, 73, 106, 153, 216-217, 219, 228 Faszination 14, 50, 52-54, 66, 79, 167, 195, 220, 228 Gewinnung 30, 33, 81, 201, 209, 228
Kontrolle 15, 22, 24, 27, 32, 34, 3738, 72, 76-77, 79, 83, 109, 164, 176, 191, 216- 217, 219, 220-221, 225 Zuleitung 22, 33, 55, 185 Zuschreibungen 29, 30, 52-53, 165, 171, 216-217, 220, 227-229, 234 Wasserkreislauf 22, 28-29, 171, 202, 205, 211, 231 Wasserquellen 147, 159, 161-162, 187, 202 Wasserwelten 28, 32, 34-35, 208, 217, 229, 234 Water regimes 12, 34 Waterscape 12, 25, 34-35, 217, 234 Watershed 12, 34 Wiederverwendung 72, 107, 171, 174, 199, 205, 227-228, 230-232 Xinjiang 44-45, 191, 193 Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) 44, 47, 108 Zhanbei(-City/-County) 185, 228, 230232, 234
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