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German Pages 336 Year 2014
Kay Biesel Wenn Jugendämter scheitern
Gesellschaft der Unterschiede | Band 4
Kay Biesel (Dr. phil.) hat an der Freien Universität Berlin im Fach Soziologie promoviert. Seine Forschungsschwerpunkte sind Risiko-, Qualitäts- und Fehlermanagement in Kinderschutzorganisationen, reflexive Methoden des Fallverstehens und der Fallberatung sowie Methoden Qualitativer Sozialforschung.
Kay Biesel
Wenn Jugendämter scheitern Zum Umgang mit Fehlern im Kinderschutz
Diese Arbeit wurde 2010 unter dem Titel »Soziale Organisationen und ihre Fehler. Diskurse, Konzepte, Forschung« als Dissertation am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin eingereicht.
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Inhalt
Danksagung | 7 Vorwort | 11 1. Einleitung | 13 2. Fehlerdiskussionen | 23
2.1 Konflikte und Krisen | 24 2.2 Ungewissheit und Sicherheit | 33 2.3 Widersprüche | 40 3. Fehlerkonzepte | 49
3.1 Die Sicherheit menschlicher Fehler | 50 3.2 Die Unvermeidlichkeit professioneller Fehler | 65 3.3 Das ungelöste Fehlerumgangsdilemma | 91 4. Organisationale Fehlerkulturen | 101
4.1 Achtsamkeit, Zuverlässigkeit und Fehleroffenheit: zur Notwendigkeit einer reflexiv-kommunikativen Organisationskultur | 102 4.2 Soziale Organisationen als kommunikative Systeme | 109 4.3 Soziale Organisationen als kulturelle Interessen-, Macht- und Statusfelder | 119 4.4 Soziale Organisationen als Lern- und Entwicklungsgemeinschaften | 127 4.5 Soziale Organisationen auf dem Weg zu demokratisch-dialogischen Organisationskulturen? | 132 5. Evaluations- und Fehlerstudie: methodologisches Vorgehen | 135
5.1 Ausgangspunkte der Evaluations- und Fehlerstudie | 135 5.2 Die verwendeten Erhebungs- und Vertiefungsmethoden | 156 5.3 Die Auswertungsmethode | 170 6. Evaluations- und Fehlerforschungsergebnisse: zentrale Thematisierungsfelder | 175
6.1 Der Umgang mit Fehlern im Jugendamt der Stadt Schwerin | 177 6.2 Der Umgang mit Fehlern im Jugendamt der Stadt Dormagen | 241 6.3 Der Umgang mit Fehlern in den Jugendämtern der Städte Schwerin und Dormagen im Vergleich: eine Bilanz | 283
7. Risiko- und Fehlermanagement in der Sozialen Arbeit: Fluch oder Segen? | 293
7.1 Die Risiko- und Fehlermanagementqualität sozialer Organisationen | 293 7.2 Qualitätsstandards für ein Risiko- und Fehlermanagement Sozialer Arbeit | 301 Literatur | 307 Abbildungen und Tabellen | 33 5
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt der Heinrich-Böll-Stiftung und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jugendämter Schwerin und Dormagen. Ohne deren Unterstützung wäre meine Evaluations- und Fehlerforschung im Feld des Kinderschutzes nicht möglich gewesen. Besonders bedanken möchte ich mich aber auch bei all jenen Menschen, die mich während der Erstellung meiner Dissertationsschrift solidarisch unterstützt haben. Zu nennen sind insbesondere: Timo Ackermann, Stefan Heinitz, Felix Brandhorst, Mareike Patschke, Andreas Hampe-Grosser, Dr. Jan Kruse, Prof. Dr. Stefan Bestmann, Prof. Dr. Heiko Kleve, Prof. Dr. Regina Rätz, Prof. Dr. Reinhart Wolff und nicht zuletzt Julie.
Interviewer: »Vor was sollte man den Hut da ziehen?« Klient: »Vor der Courage, vor der ganzen Arbeit. Also, ich könnte das höchstwahrscheinlich nicht, Entscheidungen so zu treffen: Jetzt wird ein Kind weggenommen, oder das Kind wird nicht weggenommen, und vor allen Dingen die Sozialarbeiter haben ja nicht nur ein Kind zu beobachten oder zu beaufsichtigen, sondern die haben garantiert noch ein paar mehr, sie haben ja auch mehrere Schicksale. Denn jedes Schicksal ist ja anders dann. Und dieses eben halt unter einen Hut zu bringen, weiß nicht, […] die haben ja ziemlich viel Verantwortung. […] Aber jeder (.) Sozialarbeiter ist auch nur ein Mensch und keine Maschine. […] In jedem Menschen sind auch Emotionen (2), und jeder Tag ist ja auch nicht gleich, wenn man einen schlechten Tag hat, hat man einen schlechten Tag, (1) und dann die richtige Entscheidung treffen? Keine Ahnung.«
Vorwort
Es kennzeichnet Ansatz und Anspruch der in jeder Hinsicht innovativen Studie, dass sie mit einem Interview-Zitat eines Klienten eines Jugendamtes eingeleitet wird, das als Motto der Arbeit vorangestellt wird. Und damit wissen wir bereits: Klienten kommen in dieser ersten deutschen Studie zur Fehlerproblematik in der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe in den Blick. Sie haben eine Stimme und sie haben etwas Wichtiges zu sagen: Soziale Arbeit hat es mit komplexen Situationen zu tun, denn »jedes Schicksal ist ja anders« und der »Sozialarbeiter ist ja auch nur ein Mensch und keine Maschine«. Hier eine »richtige Entscheidung« zu treffen, zumal, wenn man einen schlechten Tag habe, sei schwer. Da könne man – »vor der Courage« – nur den Hut ziehen. Eine solche nüchterne Einschätzung und anerkennende Haltung gegenüber der modernen Sozialen Arbeit und insbesondere der Kinder- und Jugendhilfe sind heutzutage jedoch nicht die Regel. Im Gegenteil: Das gesamte soziale Hilfesystem und vor allem die für den Kinderschutz zuständigen Jugendämter sind vor dem Hintergrund weltweiter politischer und ökonomischer Umbrüche ins Kreuzfeuer einer scharfen gesellschaftlichen, öffentlichen und politischen Kritik geraten und es werden ihnen immer öfter Fehler, ja Scheitern vorgeworfen. Hier setzt Kay Biesel mit seiner qualitativ angelegten Forschung im Feld an und fragt: Wird die Kinder- und Jugendhilfe in Anbetracht knapper Ressourcen und einer Zunahme von komplizierten und chronifizierten Problemlagen ihrer Klienten in einer ›Sicherheitssackgasse‹ eines präventiven Risikomanagements landen? Wird nur noch einseitig auf ›Gefahrenabwehrkonzepte‹ im Kinderschutz gesetzt? Oder haben Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung im sozialen Hilfesystem, die Etablierung und Förderung eines lernorientierten und reflexiv-kommunikativen Umgangs mit intra- und inter-professionellen wie -organisationalen Fehlern, d.h. eines achtsamen, zuverlässigen und offenen Umgangs mit Fehlern, die im Kinderschutz nicht zu vermeiden sind, eine Chance? Mit dieser Fragestellung betritt der Autor Neuland, ist er einer der ersten, der sich in Deutschland der empirischen Erforschung der Fehlerproblematik in sozialen Organisationen zuwendet. Dabei ist sein Schwerpunktinte-
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resse die Erforschung von Risiken und Fehlern in der Kinderschutzarbeit der Kinder- und Jugendhilfe, ein Interesse, das freilich mit den in jüngster Zeit breit in der Öffentlichkeit erörterten tödlichen Kinderschutzfällen besondere Brisanz gewonnen hat. Hier bleibt der Autor aber nicht stehen. Er nimmt vielmehr die hier deutlich werdenden unterschiedlichen politischen und fachlichen Interessen und Positionen kritisch in den Blick, nicht zuletzt die heftigen Kontroversen über die Entwicklungsrichtung des modernen Kinderschutzsystems. Im Mittelpunkt seines Interesses stehen die konzeptuellen, programmatischen und methodischen Fragen der Organisationsentwicklung sozialer Organisationen, geht es um eine kritische systematische Bilanzierung der neueren organisationswissenschaftlichen Fehlerforschung und um ein eigenständiges, Neuland erschießendes qualitatives Evaluations- und Fehlerforschungsprojekt in zwei städtischen Jugendämtern mit der Eröffnung eines neuen Verständnisses von Risiko- und Fehlermanagement in der Sozialen Arbeit. Es geht also nicht nur um das Kinderschutzsystem und seine Fehler sondern um die Untersuchung der Fehlerproblematik in sozialen Organisationen. Die immer wieder thematisierten Praxis- und Entwicklungsprobleme der modernen Kinderschutzarbeit sind nur das konkrete Feld, an dem und mit dem die Fehlerproblematik sozialer Organisationen exemplifiziert, sozialwissenschaftlich untersucht und theoretisch systematisch erfasst wird. Die reichhaltigen Ergebnisse dieser beeindruckenden Feldstudie machen deutlich, wie es in der Praxis von Jugendämtern zu Fehlern kommt, wie sie sich andeuten und wie sie sich schließlich unter bestimmten organisationskulturellen Bedingungen und spezifischen Arbeitssituationen verdichten. Sie zeigen aber auch, wie man achtsam und reflexiv mit der Fehlerproblematik umgehen kann. Kay Biesel ist insofern nicht nur der erste Fehlerforscher in der deutschen Kinderschutzarbeit, sondern zugleich ein kreativer und kompetenter Qualitätsentwickler. Er leistet mit seiner Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung von Qualitätsstandards in der Kinder- und Jugendhilfe, an dem sich die Fachdebatte um Qualitätsentwicklung und Risiko- und Fehlermanagement in der Sozialen Arbeit in Zukunft mit Gewinn orientieren kann.
Reinhart Wolff
1. Einleitung
»Pädagogischer Umgang ist eine Form des Umgangs im Leben. Trotz aller notwendigen Standards, aller notwendigen Kriterien für gelingende und misslingende Möglichkeiten, für Ressourcen und Gefährdungen, ist Pädagogik, wie das Leben überhaupt, unübersichtlich, unplanbar, zufallsbestimmt.« (HANS THIERSCH 2009: 252)
Die Entwicklungen von Hilfe und Kontrolle in der Kinder- und Jugendhilfe und der damit verbundene Schutz von Kindern in Familien stehen nicht erst seit den in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit zu Recht kritisierten Kinderschutzfällen mit Todesfolge im Fokus des gesellschaftlichen und professionellen Interesses. Die Familie war schon seit spätestens dem 18. Jahrhundert ein Feld ordnungspolitischer und dem Fürsorge- und Repressionsimperativ unterliegender Hilfepraktiken (vgl. Donzelot 1980). Sie war seit über drei Jahrhunderten vor allem immer wieder Thema einer von Staat und Politik mit jeweils sich verschiebenden Interessenlagen getragenen Prävention. Davon ist bis heute die Praxis der Sozialen Arbeit und deren Organisationen1 und Fachkräfte betroffen (vgl. Widersprüche 2001). Während in der Sozialen Arbeit, um an Begriffe von Jaques Donzelot (1980: 11) anzuschließen, auf der einen Seite denjenigen Familien eine »geschützte Freiheit« garantiert wird, die selbst den Anspruch an eine moralisch und pädagogisch wertvolle Erziehung und Bildung ihrer Kinder haben und sich hierfür selbständig Beratung und Unterstützung holen, ist die Profession auf der anderen Seite dazu geneigt, jene Familien in professionelle Prozeduren einer »überwachten Freiheit« (ebd.) zu überführen, die nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, ihre Kinder entsprechend der allgemeinen, ge1
Unter Bezugnahme auf Thomas Klatetzkis (2010c) Überlegungen sind Organisationen Sozialer Arbeit dem Typus sozialer personenbezogener Dienstleistungsorganisationen zuzuordnen. Sie werden in dieser Arbeit der Einfachheit halber aber als soziale Organisationen bezeichnet.
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sellschaftlich gültigen Werte und Normen zu erziehen. Und dann wendet sie in der Kinder- und Jugendhilfe all jene und oftmals von den Klienten2 als sozial beschämend und erniedrigend empfundenen Praktiken an, die in der Sozialen Arbeit unter dem Begriff der ›Kontrolle‹ subsumiert wird. Dabei wird jedoch übersehen, dass diese Formen der Kontrolle dem ›Vormundschaftskomplex‹ geschuldet sind, der aus der Enttraditionalisierung und der damit gleichzeitig einsetzenden Destabilisierung familialer Strukturen entspringt. Man kann mit Donzelot (ebd.: 61ff.) deshalb festhalten, dass der Staat nach und nach zum stabilisierenden ›Ersatzpatriarchen‹ geworden ist und mit ihm die Kinder- und Jugendhilfe zur Normalisierungsgehilfin einer »Regierung durch die Familie«, bei der die pathologischen Strukturen des Kindes im Vordergrund stehen. Immer geht es um gefährdete und gefährliche Kinder, um die präventive Vermeidung von Vernachlässigungen, Misshandlungen und Delinquenzkarrieren. »Es geht darum, in der öffentlichen Erziehung dasselbe Maß an psychischer Befreiung und moralischem Schutz zu erreichen wie in der privaten Erziehung« (ebd.: 35), und dort, wo sie versagt, anhand der Kinder- und Jugendhilfe unterstützend zur Stabilisierung der sich für den Staat als zu wichtig erweisenden Familien einzugreifen. Dieser Eingriff indes ist widersprüchlich und wird nicht von ungefähr von den Familien als Bedrohung erlebt. Die aus dem ›Vormundschaftskomplex‹ unweigerlich auftretenden Machtfragen, die im Feld humaner Hilfepraxis und im fachlichen Umgang mit Kindesmisshandlungen und Kindeswohlgefährdungen eine zentrale Rolle spielen, müssen von den Fachkräften darum immer wieder behutsam ausbalanciert werden. Dabei geht es insbesondere um Zuschreibungs-, Legitimations-, Eingriffs- und Stigmatisierungsmacht, die in der Praxis des fallbezogenen Kinderschutzes nicht in professionelle Herrschaft umschlagen darf. Dafür ist ein hohes Maß an fachlicher Reflexion und Selbstinfragestellung notwendig. Denn im fallbezogenen Kinderschutz, also immer dann, wenn den Jugendämtern oder den freigemeinnützigen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bekannt werden, ist die Verführung groß, dass die Fachkräfte ihre Macht missbrauchen und den grundgesetzlich geschützten und privaten Raum der Familie vorschnell in einen öffentlichen und oftmals fehleranfälligen Raum der Kontrolle verwandeln. Insofern ist es von herausragender Bedeutung, wenn man die Entwicklungen von Hilfe und Kontrolle in der Sozialen Arbeit insbesondere in der Kinder- und Jugendhilfe von einem historischen Standpunkt aus betrachtet. Diese historische Vergewisserung kann hier jedoch nur in Umrissen geleistet werden. Aber man kann sich immer wieder vor Augen führen, dass sich z.B. erst mit den Studentenprotesten und der daraus resultierenden 1968er-Bewegung die Angebote und Formen der Kinder- und Jugendhilfe veränderten, ja gewissermaßen eine von außen ange-
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Mit Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung ist in diesem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint.
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stoßene demokratische Öffnung notwendig wurde. Durch diesen Impuls kam es im gesamten Feld der Sozialen Arbeit zu einer neuen Selbstverständigung darüber, was professionelles Handeln darstellt und wie es in der Praxis gelingen kann, dem selbstauferlegten Selbsthilfeanspruch gerecht zu werden. Plötzlich war von Klassenkampf, von Emanzipation, von antiautoritärer Erziehung und von Chancengleichheit die Rede (vgl. Wendt 2008b). Die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe hatte sich in der Folge an neuen Zielen zu orientieren, wollten die sozialen Fachkräfte gesellschafts- und methodenkritisch zugleich sein. Von diesen Entwicklungen wurde auch die Kinderschutzpraxis maßgeblich beeinflusst, gab es z.B. eine später wichtig gewordene Initiative aus der Freien Universität Berlin heraus, die sich zusammen mit Reinhart Wolff, einem jungen Assistenzprofessor, in den 1970er Jahren darum bemühte, im Kinderschutz helfend statt strafend zu agieren. Ein Resultat dieser Bemühungen war dann die Gründung des Kinderschutz-Zentrums Berlin. Von diesem gingen später im Kontext des Forschungs- und Qualitätsentwicklungsprojekts »Aus Fehlern lernen. Qualitätsmanagement im Kinderschutz«, das vom Nationalen Zentrum Frühe Hilfen europaweit ausgeschrieben und von der Alice Salomon Hochschule Berlin und dem Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung e.V. durchgeführt wurde, noch wichtige Impulse für einen demokratischen Kinderschutz (Biesel/Flick/Wolff 2009, Biesel 2010a, Wolff 2007b) aus. Daneben stand die Novellierung des Jugendwohlfahrtsgesetzes auf der Agenda, wofür die neue Kinderschutzbewegung wichtige Anstöße gab, wenngleich erst nach mühevollen und jahrzehntelangen Diskussionen im Jahr 1990 mit der Verabschiedung und Einführung des Kinder- und Jugendhilfegesetz ein Paradigmenwechsel in der Kinder- und Jugendhilfe eingeleitet wurde. Trotz allem: Auch das Kinder- und Jugendhilfegesetz konnte mit seiner partizipatorischen, lebenswelt- und dienstleistungsorientierten Ausrichtung (vgl. Thiersch 1986, 2003, Olk/Otto 2003) nicht dazu beitragen, das Spannungsverhältnis von professioneller Hilfe und Repression aufzulösen. Im Gegenteil: Durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz wurde die Ambivalenz von Hilfe und kontrollierender staatlicher Intervention in der Kinder- und Jugendhilfe sogar verschärft, kam es zu diffusen konzeptuellen, programmatischen und methodischen Verwirrungen, wurde Kontrolle als eine anspruchsvolle Form professioneller Hilfe von den meisten sozialen Fachkräfte sogar abgewehrt. Mit den in den Medien öffentlich verhandelten schwerwiegenden Kinderschutzfehlern verfestigte sich dieser Abwehrreflex. Anstatt dem gesellschaftlichen Syndrom der Kindesmisshandlungen oder, wie es heute leider begrifflich etwas unschärfer heißt: ›Kindeswohlgefährdung‹ (worin sich metaphorisch der gestiegene Anspruch widerspiegelt, Kinder bereits im Vorfeld schützen zu wollen), kompetent und beherzt fachpolitisch und professionell etwas entgegenzusetzen, verstummten die Fachkräfte. Sie wurden selbst zu ›regierten‹ und fremdbestimmten Akteuren, die im Lichte
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einer neuen Biopolitik (vgl. Foucault 2004a, 2004b) für den Erhalt und für die Förderung des kostbaren Lebens von jungen und besonders verletzlichen Kindern samt ihrer Kooperationspartner aus dem Bildungs- und Gesundheitswesen zunehmend vereinnahmt wurden. Sie wurden auf die Rolle von auf Überwachung spezialisierten ›sozialen Frühwarnern‹ degradiert, von denen erwartet wird, dass sie zwischen den Farben Grün, Gelb und Rot bzw. zwischen dem Leistungs-, Grau- und Gefährdungsbereich unterscheiden und rechtzeitig helfend bzw. im akuten Gefährdungsfall gegen den Willen der Eltern kontrollierend und sanktionierend eingreifen. Dabei läuft die Kinderund Jugendhilfe jedoch Gefahr, in drei Kontexte aufgespalten zu werden, die entweder einen fachlichen Eingriff in die Privatsphäre der Familie ausschließen oder begründen. Und es zeigt sich, dass bei solchen schematisch vorgenommenen Trennungen zwischen Förderung, Hilfe und Schutz bei einer akuten Kindeswohlgefährdung zumeist nicht mehr auf helfende Unterstützung, sondern lediglich auf Eingriff gesetzt wird (vgl. Schone 2008: 59). Mit solchen Eingriffsschwellenkonzepten wird vor allem die professionelle Macht der Fachkräfte gestärkt, und zugleich werden die Eltern mundtot gemacht, die ja oftmals mit Widerstand und Ablehnung auf ihnen aufgezwungene Eingriffe reagieren, wenn sie mit dem Verdacht einer vermuteten Kindeswohlgefährdung konfrontiert werden. Ohne Zweifel: Die praxisrelevanten Konzepte und Metaphern des Kinderschutzes haben sich in Deutschland in den letzten Jahren drastisch verändert. Wir sprechen heute anders über Kinderschutz als vor zwanzig Jahren. Heute gibt es beispielsweise den Gefährdungsmeldungssofortdienst (GSD) oder diverse Gefahrenabwehr-, Schutz- und Kontrollkonzepte, die darauf abzielen, die Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe auf die Rolle von im Notfall eingreifenden Sicherheitsspezialisten zu degradieren. Die Devise lautet: Kindeswohlgefährdungen mit Hilfe von mittlerweile auf andere Berufssysteme übergreifende und sich auf Verfahrensabläufe stützende Überwachungs- und Kontrollnetzwerke systematisch zu beobachten und zu erfassen, um auf diese Weise rechtzeitig Schaden von den Fachkräften und ihren sozialen Organisationen als auch von den besonders jungen und verletzlichen Kindern abwenden zu können. Daraus folgt jedoch eine professionelle Überforderung der am Kinderschutz beteiligten Fachkräfte und Organisationen (beispielsweise aus den Kindertagesstätten, Jugendeinrichtungen und Schulen), deren Hauptaufgabe es bislang nicht war, Kinder vor akuten Gefahren zu schützen. Denn alle diese Verfahren können den schwierigen und oftmals konfliktreichen Dialog mit den Erziehungs- und Sorgeberechtigten nicht ersetzen, wofür in der Kinder- und Jugendhilfe allerdings gut qualifizierte und selbstbewusste Fachkräfte benötigt werden. Zwar gab es in jüngster Zeit nicht zuletzt mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (KICK-Gesetz) im Jahre 2005 und dem dadurch in Kraft getretenen §8a SGB VIII rechtliche Anstöße zur Verbesserung der Kinderschutzpraxis, aber: Die mittlerweile zahlreich – wenn auch meistens nur kurz – ausgebildeten ›insoweit erfahrenen Fachkräfte‹
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und die in den sozialen Organisationen verwendeten Verfahrensregelungen mit den dazu gehörigen Gefährdungseinschätzinstrumenten konnten nicht verhindern, dass der Kinderschutz in Deutschland in eine einem engen Präventionskonzept geschuldete ›Sicherheitssackgasse‹ geraten ist (was sich auch in den Diskussionen zur Einführung eines Bundeskinderschutzgesetz zeigt). Und so kam es, wie es kommen musste: Nicht mehr nur die vermeintlich für ihr Kind gefährlich werdenden Eltern stehen nun im Fokus der gesellschaftlichen Kontrolle, sondern die sozialen Fachkräfte mit ihren sozialen Organisationen selbst. • Erst waren es die misshandelnden und vernachlässigenden Eltern, die von Mitarbeitern der Kinder- und Jugendhilfe und vor allem der dem Fürsorgeimperativ unterliegenden Jugendämter bis in die 1970er Jahre als ›Täter‹ überwacht und kontrolliert und dann auch bestraft wurden. • Ab den 1990er Jahren waren es dann die Mitarbeiter in den sozialen Einrichtungen, denen Misshandlungen vorgeworfen wurden – was sich ja bis heute an der Skandalisierung neuerer (sexueller) Missbrauchsskandale und früherer Schädigungen durch Heimerziehung, den »Schlägen im Namen des Herrn« (Wensierski 2006) zeigt und schließlich u.a. zur Verschärfung der Heimaufsicht mit entsprechenden gesetzlich verankerten Betriebserlaubnisverfahren und Qualitätsdebatten geführt hat. • Heute nun, in Anbetracht weit reichender Veränderungen in einer postmodernen Gesellschaft, für die eine strukturelle Ungewissheit (Bauman 2005a, 2009) prägend ist, stellt sich die soziale Frage vor dem Hintergrund der sogenannten entsorgten und nicht mehr zu gebrauchenden Bevölkerungsschichten – den beruflich unter- bzw. zu gering qualifizierten Menschen – neu (vgl. Bauman 2005b, Castel/Dörre 2009), wachsen die Erziehungs- und Bildungsanforderungen, sehen sich die sozialen Fachkräfte im Zuge der gestiegenen Anforderungen an einen gelingenden Kinderschutz mit neuen Anforderungen und Aufgaben konfrontiert und werden sie selbst zu Objekten gesellschaftlich forcierter Kontrolle und Beobachtung (Ackermann 2010). Die gegenwärtige Situation ist mehr als paradox. Auf der einen Seite kann man deutschlandweit beobachten, dass viele Jugendämter gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern aus dem Gesundheitswesen zwar einerseits in Willkommensbesuche, in Programme der Frühen Hilfen oder in den Ausbau von Kinderschutzspezialdiensten investieren. Auf der anderen Seite werden solche dem Kontroll- und Sicherheitsprimat dienenden konzeptionellen Neujustierungen Sozialer Arbeit nicht mit den vorhandenen sozialen Dienstleistungsangeboten strategisch und konzeptuell kombiniert, spielen sie bei der Planung und Gestaltung einer proaktiven Kinder- und Jugendhilfe kaum eine Rolle. Diese Entwicklung ist mehr als bedauerlich, ist es für einen gelingenden Kinderschutz doch geradezu erforderlich, gewissermaßen die gesellschaftlichen Sozialisationsverhältnisse unter Kontrolle zu bringen (vgl. Bronfenbrenner 1989), bevor man aus der Not heraus, programmatisch und
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konzeptuell nur noch einseitig auf ›Gefahrenabwehrkonzepte‹ setzt, die dem professionellen Selbstschutz dienen (vgl. Biesel 2009a). Man muss kein Hellseher sein, um vorhersagen zu können, dass im Zuge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise und den damit verbundenen leeren Haushaltskassen die ganzheitliche Orientierung der Kinder- und Jugendhilfe insgesamt auf dem Spiel steht, was auch Auswirkungen auf die Erfolgsbedingungen des fallbezogenen Kinderschutzes haben wird. Kein Wunder, dass die sozialen Fachkräfte aufgrund der Zunahme von komplizierten Problemlagen ihrer Klienten, gerade wenn es um die ›Sicherstellung‹ des Schutzes von Kindern geht, nicht mehr ein noch aus wissen. Denn sie sind mittlerweile diejenigen, die zusammen mit ihren von Armut und Desintegration bedrohten Klienten von der Gesellschaft, von der Politik, von ihren Kooperationspartnern und von ihren Organisationen faktisch im Stich gelassen werden. Anders gesagt: Anstatt dass die sozialen Organisationen und insbesondere die Jugendämter mit den dafür erforderlichen Ressourcen dabei unterstützt werden, strategisch in die Lern- und Experimentierfähigkeit ihrer Mitarbeiter zu investieren, also in Weiterbildungs-, Praxisbegleitungs-, Praxisforschungs-, Qualitätsentwicklungs- und Qualitätssicherungsprojekte, und sich dadurch auch für die Etablierung einer reflexiv-kommunikativen und hierarchie- und abteilungsübergreifenden Kultur der Fehleroffenheit (vgl. Weick/Sutcliffe 2003) stark zu machen, werden die sozialen Fachkräfte wie neotayloristische ›Versuchskaninchen‹ behandelt. Sie werden nicht als Wissensarbeiter (vgl. Drucker 2003), sondern als Techniker und administrative Vollzugsbeamte angesehen oder sogar als bloße Maschinen, die man programmieren und denen man nur mit konkreten Verfahrensabläufen vorschreiben müsse, wie und wann sie im konkreten Fall der Fälle vorzugehen haben. Humane Hilfepraxis ist aber etwas anderes als eine technologisch gestützte Verwaltungspraxis zur Abwehr von Handlungsrisiken, in der wir es – wie z.B. in der Luftfahrt oder auch in Teilbereichen der Medizin – in der Hauptsache mit Maschinen-Mensch-Interaktionen zu tun haben und in der es ratsam ist, sich in unvorhersehbaren Situationen auf in Handbüchern niedergeschriebene Standardprozeduren zu verlassen. Verfahrensstandards können den sozialen Fachkräften in der Kinderschutzpraxis zwar Orientierung und Halt bieten – wie beispielsweise der Handlungsrahmen »Meldung -> Gewichtige Anhaltspunkte -> Kind vermutlich gefährdet -> kollegiale Kurzberatung -> weitere Kinder in der Familie -> Hausbesuch zu zweit -> nicht nur das vermutete gefährdete Kind, sondern auch alle anderen Kindern in Augenschein nehmen usf.« (es ist dies vermutlich eine der verbreitetsten und in Dienstanweisungen geregelten Kinderschutzprozeduren oder Routinen in der aktuellen Kinderschutzarbeit). Sie bilden jedoch nicht die ganze Breite einer sozialen Hilfepraxis ab, die auf eine verstehende, Veränderungen ermöglichende Beziehungspraxis hinausläuft, die nicht nur regelgerechtes Verhalten, sondern professionelle Beobachtungs-, Denk- und Schlussfolgerungsfähigkeiten der Fachkräfte voraussetzt.
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Nicht von ungefähr wird es in der Kinder- und Jugendhilfe deshalb immer schwieriger, verlässliche professionelle Beziehungen zu garantieren, kommt es zunehmend zu Mitarbeiterfluktuationen, zu Suchbewegungen jener soziale Fachkräfte, die entweder den gewachsenen Anforderungen im Kinderschutz nicht mehr standhalten können oder darüber enttäuscht sind, dass sie sich bei der Bewältigung der paradoxalen und ambivalenten (Schütze 1992) Praxisstruktur Sozialer Arbeit nicht auf eine professionelle Organisationskultur (Klatetzki 1993, 1998) stützen können, ganz zu schweigen von denjenigen Fachkräften, die bereits verstummt oder an ihrer Arbeit erkrankt sind. Diese Entwicklungen sind bedenklich, zumal wenn deren Ursachen nicht scharf gesehen werden: Kinderschutz misslingt, weil Zeit, Raum, Wissen und Erfahrung nicht ausreichend zur Verfügung stehen und weil es im fallbezogenen Kinderschutz nicht gelingt, Hilfe als Hilfe zur Selbstkontrolle partizipatorisch zu gestalten und den Ansprüchen eines tripolaren Kinderschutzes gerecht zu werden, der die Förderung und den Schutz des Kindeswohls, des Eltern-/Familienwohls und des Gemeinwohls gleichermaßen im Blick behält. Die Frage, die sich momentan stellt, ist, wer in der Kinder- und Jugendhilfe eigentlich aus welchen Gründen wen kontrolliert und warum sich so viele soziale Fachkräfte den organisationalen Anweisungs- und Kontrollprozeduren im Kinderschutz entziehen. Die Etablierung und Förderung eines lernorientierten und reflexivkommunikativen Umgangs mit (inter-)professionellen wie mit (inter-)organisationalen Fehlern, d.h. eines achtsamen, zuverlässigen und offenen Umgangs mit Fehlern, die im Kinderschutz nicht zu vermeiden sind, ist vor dem Hintergrund dieser paradoxalen Entwicklungen vermutlich ein schweres Unterfangen. Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit stellt sich dieser Problematik. Sie untersucht in einem ersten Schritt die in der Sozialen Arbeit – in der Kinder- und Jugendhilfe und im fallbezogenen Kinderschutz – immer relevanter werdenden und dem Sicherheitsprimat unterliegenden öffentlichen ›Fehlerdiskussionen‹ (Kapitel 2), die damit im Zusammenhang stehenden ›Fehlerkonzepte‹ (Kapitel 3) mit ihren nicht unwesentlichen Auswirkungen auf die organisationale Praxis der Kinderschutzeinrichtungen, insbesondere der Jugendämter mit ihren Allgemeinen Sozialen Diensten3, und schließlich den Umgang mit typischen Organisationsfehlern (Kapitel 4). Im zweiten Schritt wird ein der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung dienendes qualitatives Evaluations- und Fehlerforschungsprojekt, welches mit den Jugendämtern Schwerin und Dormagen im Zeitraum von August 2008 bis Juni 2009 durchgeführt wurde, aus methodischer Sicht um-
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Im weiteren Verlauf der Arbeit werden die Begriffe ›Allgemeiner Sozialer Dienst‹ und ›Allgemeiner Sozialpädagogischer Dienst‹ mit ›ASD‹ abgekürzt.
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fassend dargestellt (Kapitel 5). Dabei wird gezeigt, wie schwierig und mühsam es aufgrund der gestiegenen Sicherheitsansprüche an einen gelingenden Kinderschutz und den damit im Zusammenhang stehenden öffentlichen Fehlerdiskussionen und Fehlerkonzepten ist, offen und fair mit (inter-)professionellen wie (inter-)organisationalen Fehlern in Jugendämtern und ihren ASD umzugehen. Jedenfalls weisen die bei dieser qualitativ und dialogisch ausgerichteten Evaluationsstudie gewonnenen zentralen Evaluationsforschungsergebnisse darauf hin (vgl. Kapitel 6), dass Fehler zwar zum Leben und zum Lernen dazu gehören, aber niemand gern von anderen auf seine Fehler hingewiesen und zur Rechenschaft gezogen werden will. Sie strategisch für die Weiterentwicklung der organisationalen Praxis Sozialer Arbeit und des fallbezogenen Kinderschutzes insbesondere in den bürokratisch und hierarchisch organisierten Jugendämtern zu nutzen, bedeutet darum eine besondere Herausforderung. Ganz gleich, ob in Schwerin oder in Dormagen: Die meisten der von mir interviewten Mitarbeiter betonten, wie uneindeutig Fehler in der Sozialen Arbeit – in einer humanen, als komplex, kontingent und riskant anzusehenden Versuchs-Irrtums-Praxis – zu bestimmen sind. In dieser Uneindeutigkeit liegt jedoch die gesellschaftliche Brisanz, die zum diskursiven und medial angeheizten Ereignis wird (vgl. Kapitel 2), wenn Fehler der Profession Sozialer Arbeit zu allgemein beobachtbaren und feststellbaren Eindeutigkeiten werden. Dies ist meistens dann der Fall, wenn Kinder trotz Jugendamtsbeteiligung zu Schaden kommen und die Komplexität professioneller Hilfeleistungen binär und unterkomplex in richtig oder falsch aufgespalten werden, wie es in Schwerin z.B. mit dem Fall Lea-Sophie geschehen ist. Die dortigen Mitarbeiter des ASD wissen nun, was es heißt, sich mit Erscheinungen der reflexiven Moderne (Beck 1986, Beck/Giddens/Lash 1996) auseinandersetzen zu müssen, in der einerseits von den professionellen Fachkräften eine erhöhte professionelle Kompetenz erwartet wird, andererseits aber immer offensichtlicher wird, wie fragil ihr Wissen und ihre Handlungsund Eingriffsmacht ist. Um den eindeutigen Fehlern – wie z.B. dem Tod eines Kindes – in der Praxis nicht hilflos ausgeliefert zu sein, müssen die Fachkräfte und ihre relevanten Leitungskräfte in den sozialen Organisationen gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern lernen, wie man uneindeutige Fehler erkennen und wie man über solche Fehler fair und ohne schnelle Schuldzuweisung kommunizieren kann. Denn wenn über die von anderen beobachteten Fehler nicht offen gesprochen werden kann, bleiben uneindeutige Fehler unerkannt, kommt es zu latenten Gefährdungen, zu riskanten Betriebsblindheiten, kurz: zu Organisationsfehlern (vgl. Kapitel 4). Davon sind vornehmlich die bürokratisch geführten Jugendämter betroffen, in denen häufig kein Wert auf einen dialogischen und kompetenzorientierten Führungs- und Entscheidungsstil gelegt wird und wo die beobachteten Organisationsfehler der sozialen Fachkräfte nicht selten als bedeutungslos hingenommen oder ohne Untersuchung skandalisiert werden.
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Die Arbeit will dazu beitragen, begründete Argumente für einen produktiven Umgang mit professionellen Fehlern zu erarbeiten. Sie ist ein Plädoyer für eine (inter-)professionelle und (inter-)organisationale Kultur der Fehleroffenheit (vgl. Biesel 2009b). Sie will zur Etablierung von dialogisch zu erarbeitenden und experimentell anzuwendenden ›Qualitätsstandards‹ beitragen und damit zu einem für die Soziale Arbeit tragfähigen ›Risiko- und Fehlermanagement‹ (Kapitel 7).
2. Fehlerdiskussionen
»Die öffentliche Meinung bildet für die Gesellschaft ein öffentliches Gedächtnis ohne bestimmten Verpflichtungsgehalt. Sie mag Werte und Normen in sich aufnehmen, aber dann so, dass die konkrete Meinung damit noch nicht determiniert ist. Sie bietet Anknüpfungspunkte für öffentliche wie private Kommunikation und grenzt Kommunikationen aus, die als unverständlich, pathologisch oder einfach als lächerlich erscheinen würden. Vor allem aber gibt sie Schemata vor, die es ermöglichen, zu beobachten, wie Beobachter beobachten.« (NIKLAS LUHMANN 2002: 300)
Wie Gesellschaften mit Konflikten und Krisen umgehen, sie thematisieren und lösen, daran zeigt sich, wie öffentlich über Fehler diskutiert wird. Umso wichtiger wird es, von der Vorderbühne auf die Hinterbühne zu treten, das Theaterstück, die Dramaturgie des Fehlers aufzudecken. Vor allem in der Auseinandersetzung mit einem wirksameren Kinderschutz gilt es deshalb, die Fehler in der öffentlichen Diskussion zu untersuchen, sie aufzudecken und die Selbst- und Fremddarstellungen über das richtige oder das falsche Vorgehen im Umgang mit Kindeswohlgefährdungen kritisch zu hinterfragen. Denn wenn man davon ausgeht, dass alle Theater spielen (vgl. Goffman 2005), also auf einer inszenierten Bühne agieren, ein Publikum haben und jeweils die dabei zugeschriebenen und mitunter selbst auserwählten spezifischen sozialen Rollen einnehmen, müssen wir uns fragen, welchen Darstellungsstörungen wir erliegen, wenn wir über schwerwiegende Fehler im Kinderschutz nur allzu überstürzt urteilen. Welche Konsequenzen haben also die öffentlichen Fehlerdiskussionen im Kinderschutz auf die Praxis. Darum geht es in diesem Einleitungskapitel, welches nun in drei Schritten entfaltet wird.
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2.1 K ONFLIKTE UND K RISEN Der Historiker Reinhart Koselleck (1989: 366ff.) hat in seiner begriffsgeschichtlichen Abhandlung »Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten« darauf aufmerksam gemacht, dass: »[d]er Fortschritt […] der erste genuin geschichtliche Begriff [ist], der die zeitliche Differenz zwischen Erfahrung und Erwartung auf einen einzigen Begriff gebracht hat. Immer ging es darum, Erfahrungen zu bewältigen, die sich nicht mehr aus den bisherigen Erfahrungen ableiten ließen, und demgemäß Erwartungen zu formulieren, die bisher noch nicht gehegt werden konnten. […] Die Kluft zwischen Vergangenheit und Zukunft wird nicht nur größer, sondern die Differenz zwischen Erfahrung und Erwartung muss dauernd neu, und zwar auf immer schnellere Weise überbrückt werden, um leben und handeln zu können.«
Damit skizziert Koselleck eine gesellschaftliche Herausforderung, die eng mit der Aufklärung in Verbindung steht, nämlich dem menschlichen Anspruch, eine als ungewiss verstandene Zukunft optimistisch zu gestalten. Diese Hoffnung auf ein aufgeklärtes Leben, auf eine zu beherrschende Zukunft stellt sich jedoch mittlerweile als fragwürdig heraus. Überall brechen neue und bislang unbekannte zivilisatorische Gefahren und Risiken auf (vgl. Beck 1986, 2007), wird den Menschen immer deutlicher vor Augen geführt, dass vor allem sie selbst es sind, die für sich und andere gefährlich sind. Darauf hat nicht zuletzt auch Jean Starobinski (1990: 59) hingewiesen und betont: »Der geschichtliche Augenblick, in dem das Wort Zivilisation erscheint, bezeichnet die Eröffnung einer Selbstreflexion, die Erscheinung eines Bewußtseins, das zu wissen glaubt, worin seine eigene Tätigkeit besteht, wie sich die kollektive Wirklichkeit entwickelt und wie sie reguliert werden muss.« Dieses Wissen, das vor allem auf vergangenen Erfahrungen beruht und in der heutigen sich so brüchig zeigenden Gesellschaft reflexiv wird, wird jedoch immer mehr entwertet, wendet sich gegen uns und stellt uns vor immer größere, vor allem ethische Dilemmata. Dabei wird ein Problem immer massiver: Je mehr wir Menschen nicht mehr auf die eigenen Erfahrungen aufbauen können, umso mehr müssen wir uns anderer Gestaltungsoptionen bedienen, umdenken lernen und mit den unerwarteten Konsequenzen unserer Entscheidungen und unser Handlungen rechnen, kurz: reflexives Denken und Handeln vorwegnehmen (vgl. Abschnitt 2.2). Umso verständlicher wird, dass die öffentliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung über Fehler bzw. Fehlleistungen heutzutage so heftig und aufgeregt geführt wird, weisen sie doch auf Konflikt- und Krisenzuspitzungen hin, kurz: auf ernsthafte gesellschaftliche Krisen, die es immer schneller und ohne Rückgriff auf bewährtes Erfahrungswissen zu bewältigen gilt. Ulrich Beck sieht hierin die Geburt der Risikogesellschaft, deren
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Zentrum nicht in der Gegenwart sondern in der gefährdeten Zukunft liegt (vgl. Beck 1986: 44). Kein Wunder, dass sich im Umgang mit öffentlich bekannt gewordenen Fehlern die Bewertungsmaßstäbe über das richtige oder das falsche Handeln verschieben; in der Folge wird immer unklarer, wer aus welchen Motiven heraus zum Kläger und wer zum Angeklagten wird. »In diesem Sinne nehmen die Konflikte, die hier ausbrechen, den Charakter von zivilisatorischen Glaubenskämpfen um den richtigen Weg der Moderne an. Diese ähneln in manchem den religiösen Glaubenskämpfen des Mittelalters eher als den Klassenkonflikten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts« (ebd.: 53). Auf einen Punkt gebracht: Je mehr wir wissen und je mehr wir uns zugleich dabei nicht mehr auf unsere Erfahrungen berufen können, also auf die »gegenwärtige Vergangenheit« (Koselleck 1989: 354), umso mehr setzen wir auf die Erfüllung unserer Erwartungen, also auf die »vergegenwärtigte Zukunft« (ebd.: 355), was in der aufgeklärten Moderne immer dann zu unhinterfragten Glaubenskriegen führt, wenn vor dem Hintergrund neuer global wirksam werdender Konflikte und Krisen die Erwartungen an eine sozial gerechtere und offene Gesellschaft (Popper 2003a, 2003b) nicht erfüllt werden; es zu scheinbar unüberwindlichen Spannungen und zu Kontroversen kommt. Wolfgang Welsch (2002) stellt darum zu Recht heraus, dass die (postmoderne) Moderne noch längst nicht von ihrer widersprüchlichen und radikalen Entwicklung her abgeschlossen ist. Sie wird es vermutlich auch nie sein. Es sei denn, man ist darauf aus, Epochen voneinander abzugrenzen, so wie lange Zeit versucht worden ist, die Moderne als Postmoderne (vgl. Bauman 2005a), als zweite Moderne1 (vgl. Beck/Bonß 2001) oder als flüchtige Moderne (vgl. Bauman 2003) umzudeuten. All dies ist nicht mehr als eine semantische Bemühung, um die mannigfaltigen gesellschaftlichen Konflikte und Krisen unserer Zeit begrifflich zu fassen und das Projekt der Moderne als unvollendet oder als vollendet darzustellen2. Und selbst wenn die
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Beck (1996: 27ff., Herv. i. Org.) spricht in diesem Zusammenhang auch von reflexiver Modernisierung: » ›Reflexive Modernisierung‹ soll heißen: Selbsttransformation der Industriegesellschaft (was nicht identisch ist mit der Selbstreflexion dieser Selbsttransformation); also Auf- und Ablösung der ersten durch die zweite Moderne, deren Konturen und Prinzipien es zu entdecken und zu gestalten gilt. […] Reflexive Modernisierung heißt also: eine zunächst unreflektierte, gleichsam mechanisch-eigendynamische Grundlagenveränderung der entfalteten Industriegesellschaft, die sich im Zuge normaler Modernisierung ungeplant und schleichend vollzieht und […] auf dreierlei zielt: eine Radikalisierung der Moderne, welche die Prämissen und Konturen der Industriegesellschaft auflöst und Wege in andere Modernen – oder Gegenmodernen – eröffnet.« Auf den Konflikt zwischen den Anhängern des philosophischen Diskurses der Postmodernde oder Moderne werde ich hier nicht näher eingehen, da dies nicht im Fokus der weiteren Ausführungen steht.
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großen und stabilisierenden Metaerzählungen »wie die Dialektik des Geistes, die Hermeneutik des Sinns, die Emanzipation des vernünftigen oder arbeitenden Subjekts« (Lyotard 1999: 13) sich aufgelöst haben sollten, wird heutzutage deutlich, dass wir in eine Phase eintreten, »in der radikale Pluralität als Grundverfassung der Gesellschaften real und anerkannt wird und in der daher plurale Sinn- und Aktionsmuster vordringlich, ja dominant und obligat werden. Diese Pluralisierung wäre, als bloßer Auflösungsvorgang gedeutet, gründlich verkannt. Sie stellt eine zuinnerst positive Vision dar. Sie ist von wirklicher Demokratie untrennbar« (Welsch 2002: 5).
Diese Vision einer wirklichen Demokratie und der damit einhergehenden immer wieder reflexiv zu überprüfenden, zu dialogisierenden und abzuändernden Vorstellung darüber, was im Lichte einer kritischen und kommunikativ handelnden Öffentlichkeit (Habermas 1995a, 1995b) zu Recht als falsche oder richtige Handlung herausgestellt werden kann, verweist darauf, dass wir »zu einer Idee und einer Praxis der Gerechtigkeit gelangen [müssen; K. B.], die nicht an jene des Konsens gebunden ist« (Lyotard 1999: 190). Denn der technische, soziale, institutionelle und mediale Wandel haben mittlerweile dazu geführt, dass heutzutage über die Ursache und Wirkung von zivilisatorischen Risiken – und interessanterweise nun auch von Kinderschutzrisiken und Kinderschutzfehlern – ganz anders, nämlich global und zugleich synchron berichtet wird. Über eine solche Risikokommunikation wird jedoch der Nachrichtenwert der mutmaßlichen ›Katastrophe‹ immer wieder verstärkt (vgl. Renn et al. 2007: 179), was unabwendbar zu Fehlern in der öffentlichen Diskussion und zu einer um sich greifenden Bedrohungskommunikation in den sozialen Organisationen führt (Hünersdorf 2010). So kommt es, dass der Gefahren- und Fehlerbegriff in der Öffentlichkeit ausschließlich negativ konnotiert sind, weshalb man heutzutage immer mehr darum bemüht ist, die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts und einer damit im Zusammenhang stehenden Schadensgröße als mathematisch-statistisches und zu versicherndes Ereignis, als Risiko hochzurechnen, ohne freilich mit einem solchen Ansatz für eine umfassende Sicherheit in einer nur bedingt kalkulierbaren Gefahrengesellschaft sorgen zu können (Beck 1996, Beck 2007, Bonß 1995, Giddens 1996, Japp 1996, Kaufmann 1973, Luhmann 2005b, Luhmann 2003, Lippert/Prüfert/Wachtler 1997). Konkreter gefasst: Obwohl wir in einer immer sichereren Welt leben, in der die Lebenserwartungen der Menschen und nicht zuletzt der Kinder in den letzten Jahrzehnten deutlich angestiegen sind und der wissenschaftliche und technische Fortschritt uns einen immer höheren Lebensstandard ermöglicht, sind wir paradoxerweise zugleich mit immer mehr Risiken und Gefahren konfrontiert und neigen dazu, diese unsichere Welt mit Hilfe eines kompetenten Sicherheitsmanagements noch sicherer zu machen. Dadurch
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kommt es jedoch zu einer unreflektierten Vorgehensweise, wird immer unklarer, ob solche präventiven Risiko- und Absicherungsstrategien nicht sogar mehr Schaden als Nutzen anrichten. Insofern kann Ortwin Renn (2010: 8) nur zugestimmt werden, der herausstellt, dass »[d]ie Risikowahrnehmungsgesellschaft […] der Gefahr [unterliegt], das Augenmaß für die Verhältnismäßigkeit von Bedrohung, Angst und erforderlichen Gegenmaßnahmen zu verlieren. Das führt zum einen dazu, dass wir allzu leichtfertig Errungenschaften wie Bürger- und Freiheitsrechte einschränken, um minimale Verbesserungen im Schutz […] zu erzielen […]. Zum anderen führt es dazu, dass wir die Prioritäten falsch setzen.«
Vor allem in der öffentlichen Auseinandersetzung über einen wirksameren Kinderschutz wird deshalb immer wieder verkannt, dass die hilfesystembedingten und den sozialen Fachkräften zuzurechnenden Risiken, die sich durch die Potenzierung von kleineren und noch zu transformierenden professionellen Fehlern zu vermeintlichen ›Kinderschutzkatastrophen‹, also zu lebensbedrohlichen Fehlern entwickeln können, auf »hochgradig vernetzte Problemzusammenhänge mit schwer abschätzbaren Breiten- und Langzeitwirkungen [verweisen; K. B.], deren Beschreibung, Bewertung und Bewältigung mit erheblichen Wissens- und Bewertungsproblemen verbunden sind. Diese ergeben sich aus der Kombination der folgenden Merkmale: Entgrenzung in Zeit, Raum und Schadenskategorie; hohes Maß an Komplexität; hohes Maß an Unsicherheit und hohes Maß an Ambiguität« (Renn et al. 2007: 176, Herv. i. Org.).
Diese Einsicht wird in der gegenwärtigen Kinderschutzdebatte ausgeblendet, und es wird so getan, als könne und müsse man absolute Sicherheiten im Kinderschutz garantieren. Dadurch kommt es zu einem überzogenen Sicherheitsversprechen, zu einer rückwärtsgewandten, d.h. zu einer ausschließlich ablehnenden Haltung gegenüber Risiken und Fehlern. Dabei wird ausgeklammert, dass transformative, also noch zu korrigierende professionelle Fehler im Kinderschutz allgegenwärtig sind. Solche nicht unerheblichen Wissens- und Bewertungsprobleme werden durch die Massenmedien allerdings noch verstärkt, die unkontrollierbar moralisch erregte öffentliche Diskussionen3 in Gang setzen, die einer verlässlichen empirischen Grundlage entbehren. Sie führen zu symbolträchtigen sozialen und politischen Reaktionen. Fast zwangsläufig haben diese derartig medial angeheizten Diskussionen darum zu einer neuen Gedächtnispolitik (vgl. Hacking 1996), ja, zu einer ›Massenhysterie‹, zu einer regelrecht ver3
Wie bereits Katharina Rutschky Anfang der 1990er Jahre mit ihrem Buch »Erregte Aufklärung. Kindesmissbrauch. Fakten und Fiktion« herausgearbeitet hat.
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zerrten Aufmerksamkeitsfokussierung beigetragen, welche die bisherige Praxis des Kinderschutzes mit übereilten Problemzuschreibungen und unbedachten Reorganisationsprogrammen konfrontiert. In diesen von außen an die Kinder- und Jugendhilfe herangetragenen Vorhaltungen und Ansprüchen spiegelt sich allerdings vor allem ein soziokulturell geformtes Stress- und Angstsymptom wider (vgl. Showalter 1997), das im modernen medialen Diskurs eine wesentliche Rolle spielt. Kein Wunder, dass Kinderschutzfragen weltweit zu einem medienwirksamen Thema geworden sind; dabei werden über Opferidentifikation und Täterhass, in die sich nun auch Wut gegen die Professionellen mischt, Angstlust und Aggressionen freigesetzt. In den letzten Jahren wurden in den Medien deshalb vor allem die problematischen und tödlich verlaufenen Kinderschutzfälle öffentlich skandalisiert, wurde pauschal angenommen, dass solche Fälle überhandnehmen könnten, wenn nicht endlich politisch eingegriffen würde. In einer Zeit, in der neue, sich zuspitzende und freiheitseinschränkende Risiko- und Sicherheitsdiskurse wichtiger werden, ist mit einer solchen thematischen Fokussierung natürlich eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit und die Vorspiegelung von politischer Handlungsfähigkeit garantiert. Ein grundlegender Strukturwandel im Kinderschutz wird auf diese Weise jedoch blockiert, zumal in der medialen Inszenierung der Kinderschutzproblematik die viel wesentlicheren sozialen Problemlagen überdeckt werden, wie z.B. die Probleme der anhaltenden strukturellen (Massen-)Arbeitslosigkeit, des demografischen Wandels und der damit einhergehenden Unterfinanzierung der sozialen Sicherungssysteme bzw. die mit dem freien und ungebremsten Kapitalverkehr über die Nationalgrenzen hinweg sich auswirkende Krisenanfälligkeit der internationalen Wirtschaftssysteme, eine Problematik, die sozialpolitische Antworten herausfordert.4 Die deregulativen Kräfte des Marktes haben jedoch im Zuge einer neokeynesianischen Wirtschaftspolitik immer öfter freies Spiel und bestimmen darüber, was politisch notwendig erscheint. Politik verliert dabei an Gestaltungsmacht (vgl. Bauman 2000). Diese Beobachtung markiert die nicht zu unterschätzenden generellen gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen, die auch die Kinder- und Jugendhilfe betreffen. Diese stößt nun verstärkt an die Grenzen ihrer ökonomischen, professionellen, organisationalen und ethischen Leistungsfähigkeit, weil sie nicht mehr leisten kann, als ihr sozialstaatlich und sozialpolitisch zugestanden wird (vgl. Münchmeier 2007). Sie ist, wenn man so will, abhängig, von den Entwicklungen des sich verändernden Wohlfahrtsstaates (vgl. Kessl/Otto 2009, Lessenich 2009). Darum stehen nun andere strategi-
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Der Versuch wird zwar unternommen, aber der Wohlstandserhalt zu Lasten der ›unterentwickelten‹ Länder wird immer deutlicher, weil notwendigerweise auf kurz oder lang geklärt werden muss, ob ein Wohlstand für alle auf niedrigem Niveau gewährleistet werden soll, oder wer die nächsten Länder sein sollen, die nach der abgeschlossenen EU-Osterweiterung zukünftig kapitalistisch ›ausgebeutet‹ werden müssen.
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sche Konzepte im Vordergrund: nicht Ursachenbekämpfung, sondern Ursachenverwaltung; nicht Lebensweltorientierung, sondern Wirkungsorientierung; nicht Förderung, sondern Leistung; nicht Unterstützung, sondern pädagogische und auf Sozialkontrolle zielende Beeinflussung; nicht Hilfe, sondern privatisierte Selbsthilfe; nicht Verständnis, sondern Konfrontation; nicht Grenzöffnung, sondern Grenzziehung. Thomas Olk (2009: 24) bringt es auf den Punkt, wenn er resümiert: »Wurden bisher die (Sozialanspruchs-) Rechte der Bürger betont und vor allem in der Sozialhilfe ein nicht konditionales Recht auf materielle Existenzsicherung im Bedarfsfalle institutionalisiert, so gilt nun ›keine Leistung ohne Gegenleistung‹.« Die Entwicklungen in der Praxis deuten solche Umkehrungen an, die unter dem Label des sogenannten aktivierenden Wohlfahrtsstaates (vgl. Galuske 2007, Olk 2009) abgehandelt werden: Soziale Arbeit als Profession wird zunehmend auf reaktive, kontrollierende und sanktionierende Handlungsprinzipien reduziert5, auf eine Herstellung von Sicherheit durch Kontrolle derjenigen, die aus dem Ruder zu laufen drohen: von Menschen, die ihre sozialen Probleme ›nicht mehr‹ selber lösen können, denen ›nicht mehr‹ zu helfen ist, die also ›nicht mehr‹ am ersten, zweiten oder dritten Arbeitsmarkt teilhaben können bzw. die sich mit ihrer Erwerbsarbeit nicht genügend selber finanzieren können, denen ihre Identität abhanden gekommen ist, die in der Gesellschaft ihren Platz suchen, ohne ihn wirklich zu finden, die auf Sinnfragen des Lebens einschneidend zurückgeworfen werden und die ›gefährlich‹ für ihre Kinder und für den Zusammenhalt der Gesellschaft und für die Demokratie werden könnten. Das strategische Profil Sozialer Arbeit ist darum nicht von ungefähr von den folgenden Parametern abhängig: • inwiefern das Soziale als uneindeutiges Bestimmungsmerkmal durch und von der Profession Sozialer Arbeit gesellschaftlich und politisch eingefordert und erhalten werden kann, • wie die ökonomische Gesamtsituation der Gesellschaft sich darstellt, • und wie der gesellschaftliche Stellenwert sich hinsichtlich hilfeorientierter oder sanktionierender Handlungsprinzipien disponiert (vgl. Erath 2006: 65ff.). So erstaunt es auch nicht, dass augenblicklich fast ausnahmslos die Kinderund Jugendhilfe für das sichere Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen wegen ihrer Schutzaufgaben und ihrer Garantenstellung zur Rechenschaft gezogen wird, neben den Erziehungsberechtigten, die jedoch vermehrt aus dem Fokus der kritischen Beobachtung rücken. Es wird jedoch darauf verzichtet, alle gesellschaftlichen Systeme dafür in die Pflicht zu nehmen. Da5
Tilman Lutz (2010) hat in einer empirischen Studie erst kürzlich auf solche Umkehrungen hingewiesen. Die Herausgeber Reinhold Knoop und Thomas Münch stellen sogar in ihrem im Jahr 2007 herausgegebenen Sammelband die Frage: »Zurück zur Armutspolizey? «.
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durch werden gesellschaftliche Erwartungen an einen modernen Kinderschutz gestellt, die kaum erfüllt werden können. Ein gelingender Kinderschutz kann jedoch – darauf weisen erste empirische Untersuchungen hin6 – nicht ohne zusätzliche finanzielle Investitionen, ohne weitere Qualifizierungs-, Qualitäts- und Organisationsentwicklungsbemühungen und ohne Berücksichtigung der Lebens-, Beziehungs-, Wohnund Arbeitsverhältnisse derjenigen Familien realisiert werden, die aufgrund von prekären Armutslagen oftmals in den Fokus der professionellen Kinderschutzaufmerksamkeit geraten. Kinderschutz muss aus diesem Grund in seinen Programmen, Methoden und Vorgehensweisen tripolar ausgerichtet sein. Er muss gleichermaßen auf die Sicherung des Kindes-, Elternwohls/Familienwohls und des Gemeinwohls zielen, worauf nicht zuletzt das Berliner Kinderschutz-Zentrum mit Rückgriff auf den englischen Assessmentrahmen zur Kindeswohlgefährdungseinschätzung hingewiesen hat (vgl. Kinderschutz-Zentrum Berlin 2009: 25). Der Kinderschutz in Deutschland ist in der Gefahr, in eine konzeptionelle und methodische Sackgasse zu geraten. Die Kinder- und Jugendhilfe und die lokalen Kinderschutzsysteme werden immer mehr dazu gedrängt, auf Gefahrenabwehr und auf die Identifizierung von gefährdeten Kindern und Familien zu setzen und zum Teil einer flächendeckenden repressiven und der Kontrolle der Normalität dienenden ›Sicherheitskultur in Deutschland‹ den Weg zu bereiten (vgl. Castel 1983, Foucault 1998, Wolff 2010b), anstatt mit umfassenden Hilfeprogrammen Eltern und Kindern den mühevollen Weg aus ihrer sozialräumlichen ›Habitusgefangenschaft‹ zu ebnen, ihnen also Hoffnung, Zuversicht und Unterstützung auf ein besseres und gerechteres Leben zu geben. Nicht von ungefähr hat Pierre Bourdieu (1997b) darauf verwiesen, dass sich die sozialräumlichen Positionierungen der Menschen aufgrund des Volumens und der Struktur ihrer Kapitalien – ihres ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapitals – auf ihren Habitus, ihren Lebensstil auswirken und auch darauf, unter welchen entwicklungshemmenden Gemeinwesenbedingungen sie in ihrem Stadtteil oder ihrem Bezirk leben (vgl. Bourdieu 1997c). Wer Kindern und deren Familien also wirklich helfen will, muss
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Zu nennen sind beispielsweise: Bruno Hildenbrand et al., deren Studie im DFGSonderforschungsbereich 580 an den Universitäten Halle-Wittenberg und Jena, Projekt C3 zur Transformation der Kinder- und Jugendhilfe 2001 begonnen wurde und die seit 2008 mit ein Schwerpunkt auf dem Thema Kindeswohlgefährdung hat, wobei vier Jugendämter in Nordost-, Südost-, Südwest- und Nordwestdeutschland verglichen werden (siehe http://www.sfb580.uni-jena.de); oder Werner Thole et al., die unter dem Titel »Familiale Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Brüche und Unsicherheiten in der sozialpädagogischen Praxis (UsoPrax)« eine ethnografische Feldstudie in vier Jugendämtern durchführten, die von 2009 bis 2011 von der Aktion Mensch, der Hans-Böckler-Stiftung und der Robert-Bosch-Stiftung gefördert wurde.
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anders ansetzen und den konzeptionellen Versuch wagen, nicht nur Kinder zu schützen, sondern: offensiv Familien zu fördern, Eltern in ihrer Rolle und in ihrer Verantwortung als primäre Kinderschützer zu stärken und nicht nur für eine gemeinsame und der Überwachung und Disziplinierung dienende Kultur des Hinsehens (vgl. Foucault 1998), sondern auch für eine gemeinsame und solidarische Kultur des Aufwachsens sozial- und jugendhilfepolitisch aktiv zu werden.7 Denn der Schutz und die Förderung von Kindern kann nicht nur einer einzelnen professionellen Organisation aufgebürdet werden. Kinder zu schützen, geht uns also alle an. Gerade in Zeiten, in denen Kinder nicht mehr so einfach auf die Welt kommen (vgl. Statistisches Bundesamt 2008); wodurch sie zu einem hohen Gut für Gesellschaft und Staat werden. Zunehmend werden immer weniger Kinder geboren, befinden wir uns inmitten einer schrumpfenden Gesellschaft (vgl. Kaufmann 2005). Die gesamtgesellschaftlichen Erziehungs- und Sozialisationsvoraussetzungen haben sich in den zurückliegenden Jahrzehnten zu stark verändert. Sie haben im Zuge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise an zusätzlicher Konfliktund Krisenschärfe gewonnen. Insbesondere die Mitarbeiter der ASD registrieren nun immer öfter, wie schwierig es für Eltern unter solchen gesellschaftlichen Bedingungen ist, ihre Kinder zu erziehen und in ihrer Entwicklung angemessen zu begleiten. Dies ist nicht erstaunlich, sind wir doch, gesamtgesellschaftlich gesehen, mit wachsender sozialer Ungleichheit bei einer gleichzeitigen ökonomischen Rationalisierung aller Lebensbereiche konfrontiert, mit gesellschaftlichen Teilhabe-, Anerkennungs- und Orientierungsproblemen aufgrund des Ausschlusses einer wachsenden Bevölkerungsgruppe – vor allem der Schlechtqualifizierten – aus der sozial integrierenden Arbeitsgesellschaft 8 (vgl.
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Für die genuin sozialpädagogischen/sozialarbeiterischen Leistungen, für das scheinbar ›Normale‹, ›Selbstverständliche‹ und Infrastrukturpolitische wie die offene Kinder- und Jugendarbeit, die hilfeorientierten Säuglings- und Erziehungsberatungen, die Kinder- und Jugendfreizeiten und die arbeitsweltbezogenen Kinder- und Jugendhilfeleistungen bleibt nur wenig Geld im finanzpolitischen Portemonnaie. »Während bei den Kindertageseinrichtungen in den letzten Jahren ein weiterer moderater Stellenzuwachs zu verzeichnen war – und dies noch vor dem anstehenden U3-Ausbau –, fällt die Bilanz in den anderen Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe ernüchternd aus: Abbau auf allen Ebenen« (KomDat Jugendhilfe 2008: 4). »Der Begriff ›Arbeitslosigkeit‹ bezeichnet offenkundig einen vorübergehenden und anomalen Zustand, deshalb ist auch die Klage darüber praktischerweise vorübergehender Natur und abstellbar. Die gängige Vorstellung von ›Arbeitslosigkeit‹ erhält ihr semantisches Gewicht aus der Selbstwahrnehmung einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder vor allem als produktiv tätige Wesen verstand; […]. Vollbeschäftigung war höchster Daseinszweck. Die Erwerbstätigkeit war in dieser Gesellschaft deshalb auch ein Schlüssel – der Schlüssel – für die (gleichzeiti-
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Bauman 2005b) sowie mit Macht- und Herrschaftskämpfen und sich wandelnden Liebes- und Beziehungsvorstellungen (vgl. Luhmann 1999), die sich in den familialen Lebenswelten zuspitzen. Mit anderen Worten: In der Auseinandersetzung um den professionellen Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, seelischer, körperlicher und sexueller Gewalt, vor Kindesmisshandlung also insgesamt, bündeln sich die Symptome einer gesellschaftlichen und politischen Krisen- und Konfliktzuspitzung, • in der Kinder zu biopolitischen ›Investitionsobjekten‹ von Gesellschaft und Staat werden (vgl. Foucault 2004b, Foucault 2008, aber auch: Olk 2009), • in der Erwachsene – Frauen und Männer – im Sinne des Value-ofchildren-Ansatzes zweifeln (vgl. Hoffmann/Hoffmann 1973), ob es sich für sie positiv oder negativ ›auszahlen‹ wird, überhaupt Kinder zu bekommen, • in der Eltern sich aufgrund der wachsenden Ansprüche, Kinder beim Aufwachsen zu fördern und erzieherisch zu begleiten, schnell überfordert fühlen, • und in der Kinder letztendlich zu ›Sinngebern‹ oder ›Verhinderern‹ der eigenen Lebensvorstellungen – nicht zuletzt über massenmediale Inszenierungen – symbolisch auf- bzw. abgewertet werden. Damit verschärft sich eine Grundproblematik, mit der moderne Gesellschaften überhaupt konfrontiert sind, zumal jedoch hierzulande: in Deutschland gilt die Familie nämlich immer noch als Refugium des Privaten, solange sie die an sie gestellten Erziehungs- und Bildungsaufgaben erfolgreich wahrnimmt. Aber nun wird deutlich, »dass die im Subsidiaritätsprinzip betonte Vorrangstellung der Familie nicht mehr bedingungslos gegeben ist, sondern zunehmend an Anforderungen geknüpft ist, die gelingendes Aufwachsen ermöglichen soll« (Hünersdorf/Toppe o.J.: 4). Wenn man diese gesellschaftlichen und soziokulturellen Zusammenhänge bedenkt, zeigt sich: Kindesmisshandlung liegt nicht einfach vor. Sie hat verschiedene gesellschaftliche Gründe. Kindesmisshandlung, oder wie die Autoren des KinderschutzZentrums Berlin (2009: 28ff.) formulieren: Kindeswohlgefährdung, unterliegt insofern auch immer einer historisch bedingten Konstruktion. Sie ist
ge) Lösung einer Reihe von Problemen. Dazu gehörten die Entwicklung einer gesellschaftlich anerkannten persönlichen Identität, die Sicherung einer sozialen Stellung, das individuelle und kollektive Überleben, die gesellschaftliche Ordnung und Reproduktion des Gesamtsystems« (Bauman 2005b: 19, Herv. i. Org.). Damit ist es nun für die ›unqualifizierten‹ bzw. ›niedrigqualifizierten‹ Menschen vorbei. Die einfache Arbeitskraft genügt nicht mehr den ökonomischen Verwertungsinteressen; hierfür können ebenso Maschinen eingesetzt werden bzw. muss mit struktureller Unterbezahlung gerechnet werden und mit einer Arbeitgebermentalität des ›hire and fire‹.
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Ausdruck dessen, welchen Stellenwert Kinder in einer Gesellschaft haben und welche Ursachen und Formen der Kindesmisshandlung in den öffentlichen und politischen Diskursen als hinnehmbar und welche als unakzeptabel gelten (Munro 2009a: 51ff., Wolff 2007b: 132). Es erstaunt deshalb nicht, dass den Fachkräften der ASD gerade heutzutage einerseits die professionelle Kompetenz zugesprochen wird, Kinder zu schützen, andererseits ihnen genau diese Kompetenz aber immer wieder öffentlich aberkannt wird. Dies ist nun immer dann der Fall, wenn Kinder trotz Jugendamtsbeteiligung zu Schaden gekommen sind, wenn offensichtlich wird, wie fragil das professionelle Wissen und Können der sozialen Fachkräfte ist. Dies hat zum einen mit den überzogenen gesellschaftlichen Erwartungen an die Leistungsfähigkeit und Eingriffsmacht der Fachkräfte der ASD zu tun, zum anderen mit dem Ohnmachtserleben derjenigen, die es nicht wahrhaben wollen, dass die wenigen verheißungsvollen Kinder unserer Gesellschaft eben nicht mit absoluter Sicherheit von den darauf spezialisierten Fachkräften geschützt werden können. Aus diesem Grund ist es zu einer breiten massenmedialen Berichterstattung über ›Kinderschutzkatastrophen‹ und nicht zuletzt über ›überforderte‹, ›gewalttätige‹ und ›skrupellose‹ Eltern gekommen, in der komplexe und gesellschaftsbedingte Fallverläufe mit nicht unerheblicher emotionaler Sogwirkung einerseits als ›hervorragend‹ oder andererseits als ›katastrophal‹ typisiert und gerade die ASD zur ›Zielscheibe‹ solcher Vereinfachungen wurden. Sie dienen dem Zweck: plausible Erklärungen für Außenstehende zu liefern, bei denen es immer Schuldige oder Unschuldige in Gestalt von personifizierten ›Sündenböcken‹ geben muss9. Durch die dramatischen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen, wissenschaftlich-technischen und kulturellen Umbrüche der modernen individualisierten Gesellschaften im globalisierten Kapitalismus kommt es zu einem Risiko- und Sicherheitsdiskurs, der vor allem einem Zweck dient: Klarheit, Ordnung und Transparenz in einer sich als widersprüchlich herausstellenden Weltrisikogesellschaft (Beck 2007) wiederherzustellen, die sich immer mehr mit ihren eigenen Krisen und Konflikten konfrontiert sieht (Bauman 2005a) und für deren Lösung eindeutige Antworten fehlen. Davon ist auch maßgeblich die öffentliche Fehlerdiskussion im Kinderschutz betroffen.
2.2 U NGEWISSHEIT
UND
S ICHERHEIT
Die öffentliche Diskussion über Fehler bzw. Fehlleistungen weist immer auf einen bestimmten Umgang mit gesellschaftlichen Konflikten und Krisen hin, die noch nicht gelöst sind, deren Ausweitung allerdings auch zu einer 9
Beck (1986: 101, Herv. i. Org.) kommentiert nüchtern: »Die Risikogesellschaft enthält insofern gerade mit dem Anwachsen der Gefahren bei gleichzeitiger politischer Tatenlosigkeit eine immanente Tendenz zur ›Sündenbockgesellschaft‹.«
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gefährlichen Katastrophe führen können. Insofern wird es (wie oben bereits ausgeführt) für Staat, Politik und Gesellschaft immer wichtiger, in einer Welt, die sich als zunehmend riskant und gefährdet erweist, kurzfristige Sicherungsstrategien zu entwickeln. Dabei kommt es zu einer entscheidenden Veränderung: »An die Stelle des Schreckgespenstes vom sozialen Abstieg, vor dem der Sozialstaat seine Bürger zu bewahren versprach, findet mit der politischen Formel des ›personal safety state‹, eines neu ausgerichteten ›Sicherheitsstaates‹ « (Bauman 2008: 26), eine Neuerfindung politischer Gestaltungskraft statt. Präventive Sicherheitsversprechen nehmen einen politisch bedeutsamen Raum ein, wird es für den Staat doch immer wichtiger, seine Handlungsmacht im Bereich der inneren Sicherheit und Terrorabwehr gegenüber der Bevölkerung zu beweisen. Nicht ohne Grund hat man nun in der Kinder- und Jugendhilfe Risiken und Gefahren entdeckt, ist die Kinderschutzpraxis selbst zu einem Hochrisikobereich geworden (vgl. Wolff 2007b). So geraten auch die Kinderschutzsysteme und ihre Fachkräfte immer öfter ins Sichtfeld einer scharfen öffentlichen Kritik, werden ihnen riskante Inkompetenz, unterlassene Hilfeleistung, Verletzung der Fürsorgepflicht im Amt etc. angelastet. Nicht überraschend kommt es daher zum Ausbau eines Risikomanagements mit komplexen Verfahrenssteuerungsmodellen, umfangreichen Diagnosetechnologien und sich ausweitenden, elektronisch gestützten Informations- und Dokumentationssystemen. Man kann diese Entwicklungen auch im Lichte neoliberal orientierter und postwohlfahrtsstaatlicher Sicherheitspolitiken betrachten, bei denen es darum geht, die Menschen zur Selbstregierung zu befähigen (Foucault 2004a, 2004b). D.h., die Menschen sollen sich zunehmend um ihre sozialen Probleme und sozialen Risiken selbst kümmern, sich selbst absichern und selbst abschätzen, ob es sich für sie lohnt, sich gegen Arbeits-, Alters- und Gesundheitsrisiken abzusichern. Und diejenigen, die zur Gefahr für die Gesellschaft werden könnten, werden im Antlitz eines angenommenen Feindrechtsstaates (Uwer 2006) kurzerhand zu entmachteten Objekten eines präventiven Sicherheitsmanagements. Die Kinderschutzfachkräfte werden dabei auf die Rolle von überwachenden und kontrollierenden Risikokalkulatoren reduziert, also selbst zu kontrollierenden Objekten gemacht. Es ist dies eine Entwicklung, die im Übrigen in Großbritannien bereits in den 1980er Jahren einsetzte und nun zum Teil unreflektiert auf die deutsche Kinderschutzpraxis übertragen wird (Hansen 2005a: 25). Doch es ist zweifelhaft, ob mit solchen ausgeklügelten und Eltern bestimmte Merkmale zuschreibenden Risikomanagementverfahren neue Sicherheiten im Kinderschutz garantiert werden können bzw. ob diese neuen Verfahren nicht bloß neue professionelle bzw. organisationale Legitimationsformen (Luhmann 1997b) sind, die dem eigenen Selbstschutz dienen (vgl. Biesel 2009a). Momentan kann man weltweit beobachten, dass mit der Einführung von allgemeinen Meldepflichtsystemen eine große Anzahl von Kindesmisshandlungsmeldungen ›produziert‹ werden, ohne dass eine ausreichende Anzahl von Fachkräften und von Hilfeprogrammen zur Verfügung stehen. In Anbe-
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tracht knapper Mittel und relativ schlecht ausgebildeter Kinderschutzfachkräfte werden mit Hilfe von sogenannten ›Screening-‹ und ›Assessmentverfahren‹ bereits im Vorfeld die weniger erheblichen Hilfefälle herausgefiltert, um die ernsthaften Fälle von Kindeswohlgefährdungen mit standardisierten Verfahren genauer zu bestimmen, um sie dann in einem reaktiv aufgestellten Kinderschutzsystem zu behandeln. An diesen (Ab-)Sicherungsstrategien zeigt sich: Je drängender die professionellen Probleme in modernen Gesellschaften werden, umso dringender stellt sich die Frage, wem die Gesellschaft und die Politik trotz der fluiden und unvollkommenen Wissens- und Handlungskompetenzen Vertrauen schenkt (vgl. Giddens 1996, Luhmann 2000) und wie es der Profession Soziale Arbeit gelingt, ihre professionellen Fehler trotz sich zuspitzender gesellschaftlicher Konflikte und Krisen (vgl. Abschnitt 2.1) einzudämmen, um einem wachsenden gesellschaftlichen Misstrauen entgegenzuarbeiten. Von dieser paradoxen Situation ist auch die Kinder- und Jugendhilfe betroffen. In den letzten Jahren kam es deshalb verstärkt zu einer fachlichen, zum Teil aber auch erregten öffentlichen Auseinandersetzung darüber, wie Kinder qualitativ besser, vor allem aber korrekter, von den dafür zuständigen Kinder- und Jugendhilfefachkräften geschützt werden können. Die wenigen Kinder, so lautet die anspruchsvolle Aufforderung, sollen nicht länger durch das Versagen eines Jugendamtes oder durch kommunikative Brüche in der Zusammenarbeit zwischen der Kinder- und Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen in ihrer Entwicklung gefährdet werden. Seltene Einzelfälle begannen immer häufiger, ein gesamtes Berufsfeld zu charakterisieren. »Schwarze Schwäne« (vgl. Taleb 2008) veränderten in radikaler Art und Weise die professionellen und organisationalen Praxisbedingungen des Kinderschutzes. Talebs (2008) Metapher des schwarzen Schwans beruht auf einer Anekdote, nach der die Menschen in Europa bis ins 17. Jahrhundert hinein davon überzeugt waren, dass Schwäne weiß seien. Mit der Entdeckung Australiens wendete sich allerdings das Blatt: Schwäne waren dort plötzlich auch schwarz. Was niemand zuvor erwartet hatte, wurde Realität: Das Unerwartete wurde sichtbar. Solche ›schwarzen Schwäne‹ sind auch die öffentlich skandalisierten ›Kinderschutzkatastrophen‹10: Jessica in Hamburg (2005), Kevin in Bremen
10 Der Begriff Kinderschutzkatastrophe ist natürlich irreführend. Von Katastrophen, von Unglücksfällen mit gravierenden und bisher ungeahnten Auswirkungen, sind ja zumeist viele hunderte bis tausende von Menschen auf einmal betroffen und nicht, wie es im fallbezogenen Kinderschutz ist, ›lediglich‹ ein einzelnes Kind. In dieser Semantik steckt jedoch eine nicht zu unterschätzende moralische Sprengkraft, ist es eben eine emotionale Katastrophe, wenn für den Kinderschutz ausgebildete Menschen den Tod von Kindern bzw. gravierende Kindesmisshandlungen nicht verhindern können. Der Begriff der Katastrophe hat im Übrigen ursprünglich begriffsgeschichtlich bis 1700 eine ganz andere, nämlich positive Bedeutung gehabt. »Katastrophe war von der griechischen Antike bis hin zu Diderots und
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(2006) und Lea-Sophie in Schwerin (2007). Diese, aber auch andere Kinderschutzfälle mit Todesfolge haben die massenmediale, politische und öffentliche Aufmerksamkeit auf die Kinder- und Jugendhilfe und vor allem auf die Jugendämter gelenkt: »Es sind nun die Professionellen in den Blick gekommen, denen Misshandlung und Vernachlässigung im Amt, fachliche Inkompetenz und Fehler vorgeworfen werden« (Wolff 2007b: 133). Die Grundlage dafür sind eben diese ›Schwarzen Schwäne‹: extreme, höchst unwahrscheinliche, positive sowie negative Ereignisse (wie z.B. die Verbreitung des Internets, der Fall der Berliner Mauer 1989, die Terroranschläge vom 09. September 2001, die Tsunamikatastrophe im Dezember 2004, die Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009 oder eben die nun immer wieder herausgestellten wenigen ›Kinderschutzkatastrophen‹), die schwer vorherzusagen sind, aber einen enormen Einfluss auf die Praxis haben. Sie stehen für mehr, als sie tatsächlich darstellen, sie sind gewissermaßen Zeichen außerordentlicher Veränderungen. Ähnlich verhält es sich mit ›Kinderschutzkatastrophen‹, jenen statistischen Ausreißern, die außerhalb der gesellschaftlichen und moralischen Erwartungen liegen, für die man im Nachhinein aber fast immer plausible Erklärungen hat; entsprechende Professionalisierungsanstöße und damit verbundene Absicherungsvorschläge zur Verhinderung solcher ›Katastrophen‹, die durch Gesetzesinitiativen befördert worden sind, haben deshalb nie lange auf sich warten lassen.11 Dabei wurden ›Worst-case-Szenarien‹ zum Regelfall. Wenn man Taleb (2008) jedoch ernst nimmt, kann man sich in unserer heutigen Welt nur auf eines Verlassen: auf die Existenz des Unerwarteten. Laut Taleb (ebd.) leben wir größtenteils in ›Extremistan‹: in einer Welt, in der wir uns auf die vergegenwärtigte Zukunft bzw. auf unsere Erwartungen nicht mehr sicher verlassen können (vgl. Koselleck 1989: 355) und wir von daher mit höchst unwahrscheinlichen, aber nicht vorhersagbaren Ereignissen rechnen müssen. Und »da Schwarze Schwäne sich nicht vorhersagen lassen, müssen wir uns auf ihre Existenz einstellen (statt so naiv zu sein, sie vorhersagen zu wollen)« (Taleb 2008: 5). Dennoch wird gegenwärtig in der professionellen Kinderschutzarbeit alles unternommen, um genau diese radikale Einsicht auszublenden, ja vergessen zu machen. Es wird so getan, als ob wir in ›Mediokristan‹ leben würden, in einer Welt, in der alles berechenbar, kontrollierbar und steuerbar ist, in der die Gaußʼsche Glockenkurve der Normalverteilung gilt, kurzum: in einer Welt, die sicherer, richtiger und regelhafter arrangiert werden könne und in der die Vergangenheit als etwas angesehen werde, womit man zukünftig sicher rechnen kann (vgl. Taleb
dʼAlmberts ›Encyclopédie‹ (1751) fast ausschließlich ein Begriff für die glückliche Wendung eines Dramas« (Briese 2010: 29). 11 Die skandalisierten Kinderschutzfälle haben beispielsweise binnen kürzester Zeit zu Gesetzesanpassungen (vgl. § 8a SGB VIII) und aus statistischer Sicht zur Steigerung von Inobhutnahmen geführt (vgl. exemplarisch: KomDat Jugendhilfe 2007).
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2008). Die Zukunft wird dergestalt aus den Erfahrungen der Vergangenheit heraus konstruiert, obwohl dies nicht mehr möglich ist (vgl. Abschnitt 2.1), so dass im Umkehrschluss nicht mehr der Blick für das Unerwartete offen gehalten werden kann. Das gefährdet auch die Soziale Arbeit als Berufssystem, zumal Soziale Arbeit als Profession und Disziplin (und mit ihr die professionelle Praxis der Kinder- und Jugendhilfe) starken Veränderungen unterworfen ist, die gesamtgesellschaftlich gesehen alle Menschen erfasst und in prekäre Risikolagen entlassen haben, in eine Freiheit der gesellschaftlichen Ungewissheit. So ist es auch nicht erstaunlich, dass wachsende Chaotisierungen und Turbulenzen in verstärkendem Maße auch die Lebenssituation von Familien gefährden, deren individuelle Risiken zunehmend privatisiert und auf die Schultern der einzelnen Familienmitglieder gelegt und deren negative Auswirkungen auf das familiale Erziehungs- und Bildungsmilieu zugleich öffentlich abgehandelt werden. Die ›Schwächeren‹ haben es nun noch viel schwerer als alle anderen, aus dem Kreislauf permanenter Ausgrenzungen herauszukommen. Nicht ohne Grund weist uns Richard Sennet (2004) darauf hin, dass wir in einem »Zeitalter der Ungleichheit« leben und dass wir es mit einer »Kultur des neuen Kapitalismus« (Sennet 20007, vgl. auch: Boltanski/Chiapello 2006) zu tun haben, ja, sogar mit einem demokratiegefährdenden Superkapitalismus (vgl. Reich 2008), in dem flexible Menschen gefordert sind, die ihre lebensweltlichen Bezüge ständig im unerbittlichen Konkurrenzkampf lohnabhängiger Beschäftigung für den Broterwerb aufgeben müssen und damit langfristige und stabile Bindungen gefährden, wenn sie überhaupt noch eine Chance haben wollen, gesellschaftlich teilhaben zu dürfen. Dramatischer sind die Konsequenzen jedoch für diejenigen, die bereits dauerhaft ausgegrenzt sind, denen Bildung, Arbeit und Anerkennung verweigert werden: die modernen Armutsschichten, in Deutschland etwa zehn Millionen Menschen, davon 2,5 Millionen Minderjährige12, die Ausgegrenzten und ›überflüssigen‹ Menschen der von ökonomischer Rationalität erfassten flüchtigen und ungewissen Postmoderne (vgl. Bauman 2008, 2005a, 2003). Wir sind so gesehen mehr denn je mit den »Widersprüche[n] einer im Grundriss der Industriegesellschaft halbierten Moderne« (Beck 1986: 118) konfrontiert, die nun selbst auf sich und auf ihre nichtintendierten Nebenfolgen trifft: auf die nicht mehr abzuwehrenden und gesamtgesellschaftlich zu beobachtenden zivilisatorischen und sozialen Gefahren, die zu vermeintlich kalkulierenden Risiken transformiert werden. Mit Risiken, mit Ungewissheit und Unsicherheit – mit ›uncertainty‹ – muss gerechnet werden, mit struktureller Ambi- und Polyvalenz, die organisationell und professionell gemeistert werden muss (vgl. Bonß 1996: 173, Kleve 1999).
12 Es sei in diesem Zusammenhang auf die aufschlussreichen empirischen Studien von Serge Paugam (2008) hingewiesen, der drei elementare Formen der Armut beschreibt: 1. die integrierte Armut, 2. die marginale Armut und 3. die disqualifizierende Armut.
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Sie erfordert nun insbesondere von den Organisationen Sozialer Arbeit und ihren Mitarbeitern eine fehleroffene und risikoakzeptierende Handlungsstrategie. D.h.: In der Sozialen Arbeit, zumal in der professionellen fallbezogenen Kinderschutzarbeit, muss mit Gefahren und daraus resultierenden Risiken gerechnet werden (vgl. Biesel 2008a, Hansen 2005a, 2005b, 2005c, 2005d, 2005e, Webb 2006). Diese Gefahren und Risiken betreffen einerseits die Klienten Sozialer Arbeit, die im Zuge der Individualisierung immer mehr auf sich selbst zurückgeworfen werden, d.h.: mit ihren oft begrenzten Mitteln und Möglichkeiten, soziokulturellen ›Kapitalien‹ (Bourdieu 1997b) versuchen müssen, am Leben teilzuhaben und dabei immer abhängiger von Organisationen Sozialer Arbeit werden13. Die Organisationen wiederum sind andererseits ebenso mit ihren selbstproduzierten Entscheidungs-, Handlungs- und Kommunikationsrisiken (vgl. Luhmann 2003) konfrontiert und müssen lernen, komplizierte Situationen, ja, das Unerwartete erfolgreich zu managen (Weick/Sutcliffe 2003). Organisationen Sozialer Arbeit müssen insofern offen gegenüber ihrer Umwelt bleiben und dürfen sich nicht vor ihr verschließen, müssen sich kritisch überprüfen lassen und von Routinen absehen, wenn Erwartetes in Unerwartetes umschlägt. Obwohl dies immer komplizierter wird, gerade weil Soziale Arbeit aufgrund der Krise des Wohlfahrtsstaates seit Beginn der 1990er Jahre und der damit verbundenen postwohlfahrtsstaatlichen Transformationsprozesse (vgl. Kessl/Otto 2009) in den Sog fachfremder Steuerungs- und Regelungsverfahren gelangt ist: »Die Rede war von der BWLisierung der Sozialarbeit« (Wendt 2008b: 336) – von der ökonomischmanagerialen Durchdringung sozialarbeiterischer und sozialpädagogischer Hilfeprozesse. Insbesondere die Jugendämter müssen nun ihre knappen Budgetvorgaben rigoros einhalten und sehen sich in ihrer Funktionsweise zugleich auf ein reaktives Muster eingriffs- und sanktionsorientierter Hilfemaßnahmen zurückgeworfen; dabei wird eine Tendenz stärker, sich lediglich auf akute Kinderschutzfälle zu konzentrieren. Denn vor allem in den ASD der Jugendämter sind die sozialen Fachkräfte damit konfrontiert, unter immer komplizierter werdenden organisational-professionellen Rahmenbedingungen helfen zu müssen. Dabei stellt sich ein Phänomen als besonders problematisch dar: Bei einer kaum mehr abzuwehrenden und erforderlich werden-
13 Die Individualisierung von Lebenslagen und die Pluralisierung von Lebensformen haben nämlich auch Schattenseiten, weil die Individuen aus ihren traditionellen lebensweltlichen Bezügen freigesetzt und entbettet werden (siehe hierzu u.a. Giddens 1996: 33ff.) und ein deutlicher Abhängigkeitstrend zu erkennen ist: »Die freigesetzten Individuen werden arbeitsmarktabhängig und damit bildungsabhängig, konsumabhängig, abhängig von sozialrechtlichen Regelungen und Versorgungen, von Verkehrsplanungen, Konsumangeboten, Möglichkeiten und Moden in der medizinischen, psychologischen und pädagogischen Beratung und Betreuung« (Beck 1986: 119).
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den weiteren und vor allem auf wirtschaftliche Effizienz abzielenden Professionalisierung Sozialer Arbeit steigen die öffentlichen und von anderen Professionen und Organisationen geäußerten und gesellschaftlich getragenen Ansprüche. Die sozialen Fachkräfte im Kinderschutz sollen immer mehr leisten und können, erhalten dafür jedoch immer weniger ökonomische Ressourcen und sollen außerdem noch ihren Outcome – ihre Wirkungen – signifikant erhöhen. Es klafft offensichtlich eine Lücke zwischen den Ansprüchen an eine fehlerfreie, d.h. sichere Kinderschutzpraxis und den dafür zur Verfügung stehenden finanziellen, personellen, zeitlichen und organisatorischen Mitteln. Diese Lücke ist bislang nicht annähernd geschlossen worden, und wenn, dann um den Preis reaktiver und meldeorientierter Kinderschutzsysteme – bzw. jener sozialen Frühwarnsysteme (vgl. Bastian/Diepholz/ Lindner 2008) und Kinderschutzhotlines, mit denen seismografisch die Erdbebenwellen Kinder gefährdender Eltern präventiv aufgespürt werden sollen. Schon die kleinsten Vorbeben sollen erkannt und entsprechend ausgewertet werden, ohne dafür gründlich in das Erdinnere blicken zu müssen14. Das Ziel ist: Kinder in ihren Familien zu überwachen; sie vor und mit ihren Eltern vor ihren Eltern zu beschützen (vgl. hierzu auch Merchel 2008a: 17ff.) und damit die ›Eigensinnigkeit‹ (Thiersch 1993) von gefährdeten Eltern und Kindern in Frage zu stellen, was schlussendlich zur Hervorbringung des von Foucault beschriebenen Panoptismus (Foucault 1998: 251ff.) und einer Ausweitung der gesellschaftlichen Kontroll- und Disziplinarmechanismen führt. Überall sind nun die Bildungs- und Erziehungsinstitutionen unabhängig von ihrem eigentlichen Auftrag dazu aufgefordert, einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung nachzugehen bzw. eine Kindeswohlgefährdung an die dafür zuständigen Jugendämter mit ihren ASD zu melden. Überall breiten sich Kontrollpunkte aus, werden diejenigen ›erfasst‹ und dann auch ›bestraft‹, die aus dem ›Raster der Normalität‹ fallen, ungewöhnlich und auffällig sind und sich der präventiven Überwachung entziehen. Nicht Hilfe steht mehr im Vordergrund, sondern eine Erfassung derjenigen, die als gefährdet gelten und deshalb einer speziellen Kontroll- und Disziplinierungsbehandlung bedürfen (vgl. hierzu auch Abschnitt 2.3). Damit steigt die Anzahl problematischer und komplizierter Fälle, die kaum mehr zu beherrschen ist, treffen die sozialen Fachkräfte immer wieder auf strukturelle Grenzen des Machbaren (vgl. DJI 2008, Gissel-Palkovich 2007a), weshalb sie nicht selten ausbrennen, gewissermaßen an ihren Fällen
14 »Es gibt kein Geld für die neuen zusätzlichen Ausgaben der Jugendhilfe; jedenfalls haben die meisten Länder und Kommunen dafür bislang keine zusätzlichen Mittel bereitgestellt. Die derzeitige Konjunktur der Entwicklung von Frühwarnsystemen, Elternbildung, Elternkursen, Elternschulen usw. und die Praxis des Aufbaus von vernetzten Hilfesystemen, sowie die eilige Entwicklung von Diagnosebögen und anderen Erhebungsinstrumenten zur Kindeswohlgefährdung, findet zum Teil ohne finanzielle Absicherung statt« (Widersprüche-Redaktion 2008: 5).
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erkranken. Jedenfalls ist der Druck größer geworden, weil die Jugendämter nunmehr unter einer besonderen öffentlichen Beobachtung stehen, einer partiell ungewollten Ökonomie der Aufmerksamkeit (vgl. Franck 2007) ausgesetzt sind, speziell bei der Wahrnehmung ihrer Kinderschutzaufgaben.
2.3 W IDERSPRÜCHE Roland Merten und Thomas Olk (1992: 88ff.) haben bereits zu Beginn der 1990er Jahre herausgestellt, dass die Profession Sozialer Arbeit im Zuge der reflexiven Modernisierung und der Herausbildung einer Risikogesellschaft (vgl. Beck 1986) sich selbst zum Problem werden könnte, nämlich dann: Wenn sie unter ethischen Gesichtspunkten nicht dazu in der Lage ist, die nichtintendierten und negativen Wirkungen ihrer professionellen Hilfeleistungen reflexiv zu bearbeiten. Und weil diese Herausforderung, die auf ein verbessertes, kooperativ und interprofessionell gestütztes und risikoakzeptierendes Risiko- und Fehlermanagement in der Kinder- und Jugendhilfe (speziell in der Kinderschutzarbeit) verweist, nur ansatzweise gelöst ist, kommt es zu einer fachfremden Überregulierung, zu einem Übergriff auf die professionelle Autonomie Sozialer Arbeit, zu einem gesellschaftlich und politisch forcierten Widerspruch, der sich darin zeigt, dass Soziale Arbeit auf den engen Status einer Verwaltungsprofession durch zunehmende bürokratische Verregelungen und Standardisierungen ihrer Praxisarrangements zurückgeworfen wird – und dies, obwohl gleichzeitig eine achtsamere, zuverlässigere und fehleroffenere professionelle Kinder- und Jugendhilfepraxis von allen Seiten gefordert wird. Durch diese Trends ist eine ganzheitliche Kinder- und Jugendhilfe- und damit demokratische Kinderschutzpraxis (vgl. Wolff 2007b) von ihrer helfenden Grundorientierung her gefährdet, treffen verängstigte Bürger auf verängstigte Helfer, die selbst kaum noch Zeit haben, eine ambivalenztolerante, konfliktfreudige und solidarische Beziehung zu Familien – Kindern und Eltern – zu gestalten. Stattdessen müssen viele soziale Fachkräfte des ASD entgegen ihrer professionellen Habitusformen neuerdings abwägen, ob und wann sie der kommunikativen Fallarbeit und/oder der computergestützten Schreib- und Dokumentationsarbeit den Vorrang geben. Viele Fachkräfte trauen es sich aufgrund anhaltender Überlastungssituationen nicht mehr zu, als Kinderschützer im Kontakt mit den Familien und deren Kindern selbstbewusst und demokratisch aktiv zu werden. Oder anders gesagt: Sie wagen es nicht mehr, den emotionalen Spagat zwischen Versuch und Irrtum, kreatives Experimentieren unter Konstellationen der Ungewissheit zu versuchen. Sie meiden deshalb lieber solche verantwortungsbewussten Stellenangebote bzw. erkranken an ihren Fällen oder werden aufgrund ungenügender gesellschaftlicher, politischer und organisationaler Unterstützungen sogar selbst zu Kindesmisshandlern (Wolff 2007a), indem sie nicht mehr das machen, was sie eigentlich sollen: nämlich
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helfen, sondern Eltern und deren Kinder lediglich mittels missverstandener und bürokratisch enggeführter Case-Management-Praktiken überwachen. Eine Alternative dazu wäre beispielsweise das systemische CaseManagement (vgl. Kleve et al. 2006) oder das von mir vorgeschlagene dialogische Risikomanagement (vgl. Biesel 2008a). Überhaupt kann gezeigt werden, worauf auch Jan Kruse (2005: 52) hinweist, dass sich Soziale Arbeit insgesamt in einem Prozess der Entfernung vom Subjekt hin zu einem Wissenschaftsprogramm der Objektivierung befindet bzw., worauf Kappeler (2005) aufmerksam macht, dass der Sozialstaat zum Präventionsstaat mutiert und damit seine Ziele neu bestimmt: nicht um soziale Gerechtigkeit geht es, sondern sein Ziel ist es, die Gefahren, die vom Individuum ausgehen, einzudämmen und zu kontrollieren. Nicht die Ursache des ›Übels‹ soll mehr bekämpft, sondern das ›Übel‹ selbst soll zur Zielscheibe präventiver ›Sicherheitsfantasien‹ werden; es ist das Anormale, das normalisiert werden muss. Prophylaktische und kontrollierende Absicherungsstrategien nehmen so überhand gegenüber proaktiven Handlungsmustern, die eine Ökologie menschlicher Entwicklung (vgl. Bronfenbrenner 1989) ins Zentrum rücken. Kappeler (2005: 30) nennt dies auch »Verhältnisprävention«, die im Sinne des § 1 SGB VIII ihre Berechtigung finde, aber keine Überzeugungskraft besitze. Stattdessen liege der Fokus auf individueller Verhaltensprävention bzw. auf Normalisierung (vgl. Foucault 2004a, 2004b), da die sozialen Verhältnisse nicht mehr zu ändern wären oder nicht verbindlich nachzuweisen sei, was mit solch einer ›Politik der Verhältnisse‹ wirklich erreicht werden soll. In der Auseinandersetzung um eine praktische Umsetzung des § 1 Abs. 1 SGB VIII zielt die Profession Sozialer Arbeit zwar schon lange darauf ab, nicht nur personenbezogen zu agieren, sondern, wie es im Zuge der sozialraumorientierten Sozialen Arbeit heißt: »Lebensbedingungen so zu gestalten, dass Menschen dort entsprechend ihren Bedürfnissen zufrieden(er) leben können« (Hinte 2007: 34). Ein solche Veränderung von sozialen Räumen – von bestehenden sozialen Ungleichheiten und ›feinen Unterschieden‹ (vgl. Bourdieu 1997a, 1997b), von eingespielten Machtstrukturen und habituell wirksam werdenden menschlichen Abgrenzungs- und Ausschließungsprozessen, von örtlichen Segregationen, von symbolischen Räumen, die selbst erst zu Fällen werden müssen (vgl. Kessl 2006) und dabei in den Fokus präventiver Strategien geraten – ist jedoch komplizierter und mühsamer, als es vielleicht auf den ersten Blick scheint (vgl. Biesel 2007), werden hiermit doch auch Fragen nach produktiven Veränderungen eines auf die Bürger angewiesenen Wohlfahrtsstaates gestellt, der primäre Prävention betreibt und Soziale Arbeit nicht auf die Handlungsfelder sekundären und tertiären Vorbeugehandelns reduziert. Stattdessen – worauf Johann August Schülein (1983: 35f.) aufmerksam macht – »disponiert der Krisendruck den Staat dazu, Problemlagen, die der Prävention zugänglich sind, nach dem Muster sekundärer Prävention zu bearbeiten; also die Vermeidung der Problementstehung in die Verantwortung der Subjekte zu übertragen«, weil
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»primäre, auf institutionelle Änderungen zielende Prävention […] dem Staat unmittelbar kaum Problementlastung« verspricht. »Je kürzer die Zeithorizonte sind, in denen der Staat zu agieren gezwungen ist, um so deutlicher läuft staatliches Handeln auf Festschreibungen des gegebenen Systemzusammenhangs einerseits und Anpassungsanforderungen an die Subjekte anderseits hinaus«. (Ebd.) Was also tun, wenn die proaktive Ausrichtung Sozialer Arbeit zwar darauf aus ist, lebensweltorientierte (Thiersch 1986) und frühzeitige Hilfen für Menschen mit sozialen Problemlagen anzubieten, anderseits aber dafür herhalten muss, gesellschaftliche Not- und Krisenlagen durch ihr Wirksamwerden erst recht zu stabilisieren und dabei Gefahr läuft, in den Sog selbstregulierender und wohlfahrtsstaatlicher Handlungsstrategien zu geraten und dabei selbstdisziplinierend und überwachend agiert (vgl. Kruse 2004: 36ff.)? Christa Schulz und Max Wambach (1983) schlagen in ihrer kritischen Schrift über die Entstehung des gesellschaftssanitären Projekts der Moderne15 und dem damit einhergehenden Aufstieg einer kontrollierenden Sozialpolizei, »die auf eigentümliche Weise den Polizeibegriff des Merkantilstaates erneuert« (ebd.: 84) und sich auch in den Praxisstrukturen Sozialer Arbeit wiederfinden lässt, vor: nicht supervisorisch, sondern subversiv zu verfahren. Denn je mehr Kontrollmechanismen gesetzlich verankert und umgesetzt würden, je mehr Soziale Arbeit dazu aufgefordert werde, in private Schutzräume präventiv einzugreifen, umso mehr würden diese Kontrollen unterlaufen werden; umso eher werde es dazu kommen, dass Soziale Arbeit nicht mehr helfend, sondern kontrollierend und verfolgend erlebt wird – als verlängerte Eingriffsinstanz eines überwachenden Präventionsstaates; und umso unwahrscheinlicher werde es, dass Soziale Arbeit Kontakt zu den von sozialen Problemen und Krisen betroffenen Menschen herstellen könne. Dann komme es zu einer Umstellung: Kurzschlüssige Krisenreaktionen würden die Oberhand gewinnen und ›Brände‹ an der Oberfläche gelöscht werden, aber man werde sich lediglich im Kreislauf einer permanenten Reaktionsbewegung befinden, ohne wirklich zum Brandherd vorzudringen. Die Gefährdung durch die zunehmende gesellschaftliche Problemproduktion ist jedenfalls so groß, dass die Profession Sozialer Arbeit sich zu jener »Müllentsorgungsindustrie« (Bauman 2005b: 42) entwickeln könnte, die Bauman kritisch als jenen »modernen Produktionszweig« beschreibt, »dem die Arbeit niemals ausgehen wird (neben den Sicherheitsdiensten)«
15 Hierbei beziehen sich die Autoren mit ihrem Begriff des ›gesellschaftssanitären Projekts‹ auf Äußerungen des damaligen BKA-Chefs Horst Herold, der das Konzept einer modern-diagnostischen Präventionsarbeit mit dem Ziel favorisierte, Delinquenten im Vorfeld ihrer Straftat zu erkennen und ausfindig zu machen; die Bürger also unter Generalverdacht präventiver Abwehrlogiken zu stellen (vgl. Schulz/Wambach 1983: 78ff.), eine Idee, die im Zuge des Anti-Terror-Kampfes und bei der Vermeidung von problematischen Kinderschutzfällen nun eine neuerliche Renaissance erfahren hat.
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und der mit »unbesungenen Helden der Moderne« aufwartet – mit jenen sozialen Fachkräften, die aufgerieben werden, weil sie das Unmögliche möglich machen sollen: Ordnung herstellen (ebd.). »Tag und Tag erneuern und bearbeiten sie die Grenzlinie zwischen Normalität und Pathologie, Gesundheit und Krankheit, dem Wünschenswerten und dem Abstoßenden, dem Akzeptierten und dem Zurückgewiesenen, dem, was sich schickt, und dem, was sich nicht schickt, der Innen- und Außenseite des menschlichen Universums. […] Diese Leute, die Wächter, sind Eliteeinheiten unter den Kampftruppen, die an der vordersten Front den modernen Krieg gegen die Ambivalenz führen« (ebd.: 42f.).
Wie bereits weiter oben angedeutet wurde, ist in Großbritannien die Kinderschutzarbeit aufgrund einer um sich greifenden Computerisierung mittlerweile auf die elektronische Erfassung von Kindern hin ausgerichtet; Kinder werden mit Hilfe von computerbasierten Eingabemasken entsprechend ihrer Lebens- und Familiensituation einsortiert und als Risikofälle identifiziert, ohne dass noch überhaupt mit deren Eltern sozialarbeiterisch bzw. sozialpädagogisch gearbeitet wird (vgl. Parton 2009, Schütter 2007a, 2007b). Ganz abgesehen davon, wie die davon betroffenen Eltern solche expertokratischen Risikotechnologien erleben16, sie werden als berechtigte und autonome Bürger und als Partner nicht mehr gesehen, den computerbasierten und diagnostischen Verfahren und Instrumenten des Screening- und Risikomanagements wird mittlerweile auch in Deutschland mehr Vertrauen bei der prognostischen Einschätzung von Kindeswohlgefährdungen geschenkt (wobei z.B. der Stuttgarter, Recklinghausener, Düsseldorfer oder Berliner Kinderschutzbogen in Anwendung kommen). Sie beinhalten • formalisierte Kindeswohlgefährdungs-Einschätzungsraster, • festgelegte Handlungs- und Verfahrensabläufe, • komplexe und zeitaufwendige Dokumentations- und Erfassungssysteme sowie • das Versprechen größerer Verfahrenssicherheit und eines verbesserten Schutzes der Fachkräfte im Kinderschutz vor fachlichen und strafrechtlichen Risiken. Diese Art prozeduraler Praxisprogrammierung forciert allerdings einen bislang ungeahnten Deprofessionalisierungsmechanismus, den Eileen Munro (2009b: 112) wie folgt akzentuiert: »Ein Kind mag umgekommen sein, aber die Arbeitsabläufe der Fachkräfte können nachgewiesen und die Fachkräfte dementsprechend nicht für die Tragödie verantwortlich gemacht werden.« Viel grundlegender ist jedoch, dass die nunmehr favorisierten Verfahren und Instrumente des Screening- und Risikomanagements auf der Logik induktiver Statistikverfahren beruhen, auf deren Grundlage allein aber keine 16 Siehe hierzu: Swift/Callahan (2009).
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verlässlichen Aussagen über den konkreten Einzelfall getroffen werden können. Darum sind solche technisch-rationalen Verfahren und Instrumente auch nicht ohne fundierte Berufsqualifikationen anwendbar. Sie lassen sich auf die multiprofessionelle Praxis des Kinderschutzes nicht einfach bruchlos und widerspruchsfrei übertragen (vgl. Littlechild 2005). Im Feld humaner Dienstleistungen – im Gegensatz etwa zur Luftfahrtindustrie – haben wir es mit nichttrivialen Maschinen, d.h. mit lebenden Systemen zu tun (vgl. von Foerster 1993a: 134ff., von Foerster 1993b; Kleve 2008). Risiko- und Fehlermanagement im Kinderschutz geschieht insofern in einem Feld diskontinuierlicher, nicht restlos regelbarer, konfliktreicher, oft unvorhersehbarer, spontaner und auf gleiche Weise nicht wiederholbarer Prozesse, in deren Mittelpunkt ein interpersonales und interkommunikatives Geschehen steht. Eine solche humane Praxis ist nicht vorhersehbar und restlos steuerbar (vgl. Wolff 2007a). In einem solchen komplexen Arbeitsfeld zu handeln, heißt: dass die sozialen Fachkräfte im Kinderschutz, aber auch generell im Bereich der Hilfen zur Erziehung, notwendigerweise immer wieder Fehler machen, und zwar nicht irgendwelche, sondern: professionelle Fehler17. Dessen ungeachtet haben in manchen Jugendämtern mittlerweile diejenigen sozialen Fachkräfte in den ASD das Nachsehen, die sich ihrer kommunikativen und oftmals anspruchsvollen Fallarbeit widmen und aufgrund ungünstiger personeller Ausstattungen und organisationaler Bedingungen ihren Dokumentations- und Rechenschaftsverpflichtungen zeitlich nicht mehr nachkommen können. Sie sind dann im Extremfall diejenigen, die nicht plausibel genug schriftlich nachweisen können, was sie wann, warum, wie getan haben. Obwohl, und das ist das Zynische an dieser Entwicklung, sie lediglich ihrer professionellen und fehleranfälligen Fallarbeit nachgegangen sind. Der am 19. Dezember 2007 abgehaltene sogenannte Kinderschutzgipfel, bei dem die Regierungschefs der Bundesländer mit Bundeskanzlerin Merkel zusammentrafen, ist politischer Ausdruck dieser zu professionellem Selbstschutz animierenden Entwicklung (vgl. Biesel 2009a). Aber auch die Einführung des § 8a SGB VIII18, mit der zum 01. Oktober 2005 der Schutzauftrag der Kinder- und Jugendhilfe deutlich konkretisiert wurde, und die weiteren Diskussionen um ein einheitliches und für alle am Kinderschutz beteiligten Professionen verbindliches Bundeskinderschutzgesetz zeigten: die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe, des professionellen Kinderschutzes, soll
17 »Aufgrund des lediglich probabilistischen Charakters des professionellen Diagnosesystems [sind; K.B.] Fehler unvermeidlich«, so Klatetzki (2005: 275). 18 Mit der Einführung des sogenannten KICK-Gesetzes am 01. Oktober 2005 reagierte der Gesetzgeber u.a. auf die spektakulären Fälle von Kindeswohlgefährdung und die damit verbundene strafrechtliche Verfolgung von Sozialarbeitern (vgl. Mörsberger/Restemeier 1997), um einerseits die Handlungssicherheit im Kinderschutz zu erhöhen und andererseits vor Fremddefinitionen besser geschützt zu sein (vgl. Münder et al. 2006: 165f., Wiesner 2007: 57f.).
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sich verändern, wenn nötig, sogar durch eine eigens dafür gegründete bundesweit agierende Institution. Das im März 2007 gegründete Nationale Zentrum Frühe Hilfen, kurz NZFH (2008a), soll zu diesem Zweck (1.) eine Wissensplattform zu Frühen Hilfen aufbauen, (2.) die Kommunikation zwischen den Bürgern und der Fachöffentlichkeit verbessern und (3.) einen Transfer von Erkenntnissen und Erfahrungen aus der Forschung und Praxis Früher Hilfen der Fachöffentlichkeit zugänglich machen und Anstöße für die Implementierung von Regelsystemen liefern. Dabei stehen hauptsächlich die null- bis dreijährigen Kinder im Fokus. Ihnen, die als besonders verwundbar eingeschätzt werden, gilt die volle Aufmerksamkeit. Auf professionelle Absicherung abzielende und der öffentlichen Legitimation dienende Risikomanagementkonzepte inklusive ihrer Verfahren und Instrumente haben in der aktuellen nationalen und internationalen Auseinandersetzung um eine qualitative Verbesserung der Kinderschutzpraxis deshalb Hochkonjunktur. Dabei stehen zwei Aspekte im Vordergrund: • Frühe Hilfen für junge Familien und Verfahren zur frühzeitigen Wahrnehmung von sogenannten ›Risiko-Familien‹ mit Säuglingen und Kleinkindern, die besonders vulnerabel sind (vgl. NZFH 2008b, Meysen/Schönecker/Kindler 2009) sowie • Verfahren der Qualitätssicherung durch Fehleranalyse, die an Fehlerkontroll- und Registrierungssysteme aus der Luftfahrt und dem Gesundheitswesen anknüpfen (vgl. BMFSFJ 2008). Dennoch können auch mit solchen Bemühungen professionelle Fehler nicht vollständig verhindert werden, weil kommunikative Missverständnisse, emotionale Über- und Unterbewertungen in der Falleinschätzung und unvorherzusehende Fallentwicklungen nicht mit Hilfe einer einmal vorgenommenen anamnestischen und diagnostischen Falldeutung ausgeschlossen werden können. Sie müssen daher eher grundsätzlich achtsam, zuverlässig und fehleroffen in den Blick genommen werden. Denn schließlich ist die fallbezogene Kinder- und Jugendhilfepraxis eine riskante und prozessuale Versuch-und-Irrtums-Praxis, in der uneindeutige und zumeist als solche nicht wahrgenommene professionelle Fehler in folgenschwere Fehler umschlagen können und dann z.B. zum Tod eines Kindes führen können, wenn sie nicht explizit gemacht werden, nicht vergegenwärtigt sind. Man muss darum jedenfalls in der Kinder- und Jugendhilfe folgende Fehler- und Gefahrenebenen19 kritisch beachten: • Gefahren und Fehler im Hilfesystem, • Gefahren und Fehler auf der Ebene der Gesamtorganisation,
19 Diese Ebenendifferenzierung wurde gemeinsam mit meinen Kollegen der Alice Salomon Hochschule Berlin und des Kronberger Kreises für Qualitätsentwicklung e.V. im Zuge des vom NZFH in Auftrag gegebenen Projekts »Aus Fehlern lernen. Qualitätsmanagement im Kinderschutz« im Februar 2009 entwickelt.
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• • • •
Gefahren und Fehler auf der Ebene der Leitung, Gefahren und Fehler auf der Ebene der professionellen Teams, Gefahren und Fehler auf der Ebene der Fachkräfte, Gefahren und Fehler auf der Ebene der konkreten Praxissituation,
die wiederum einen großen Einfluss auf das Schadensausmaß von professionellen Fehlern und den dabei eine Rolle spielenden und bewusst eingegangenen Risiken haben (vgl. Luhmann 2003). Es geht also im Kern um eine Schadens- und Risikokalkulation, bei der jedoch nicht alle Schadensfolgen sicher hochgerechnet und vorausgesagt werden können, zumal die sozialen Fachkräfte in ihrer Praxis immer wieder mit Unwägbarkeiten und unvorhersehbaren Hilfekonstellationen konfrontiert werden, weshalb der versicherungsmathematische bzw. betriebswirtschaftliche Ansatz des Risikomanagements (vgl. Schmitz/Wehrheim 2006) in der Sozialen Arbeit nicht umgesetzt werden kann, ganz abgesehen von einer damit einhergehenden Vernachlässigung ethischer Standards. Deshalb müssen entsprechend einem diskursiven Risikomanagementverständnis (vgl. Renn et al. 2007) die gesellschaftlichen, sozialpolitischen, gemeinwesenbezogenen, familialen und individuellen Gefahren und Risiken, denen Kinder, Eltern und soziale Fachkräfte gleichermaßen ausgesetzt sind, vor allem in der Politik, in den Medien und in der Öffentlichkeit dialogisch ausgehandelt werden, muss geklärt werden, wer für die Gefahren und daraus resultierenden Fehler die moralische Verantwortung übernimmt. Eileen Munro (2008: 125; 2009: 125ff.) kritisiert deshalb nicht von ungefähr, dass vor allem in den zahlreichen englischen Untersuchungen über problematische Kinderschutzverläufe (serious case reviews) zu stark auf das fachliche Fehlverhalten einzelner Fachkräfte fokussiert wurde, ohne dabei die professionellen und organisationalen Ressourcen und Beschränkungen mit zu bedenken (vgl. hierzu auch: Merchel 2007a, 2007b, 2008b). In Deutschland haben zwar erst die problematischen und tödlichen Kinderschutzverläufe und deren mediale Skandalisierung überhaupt ein Nachdenken über den professionellen und organisationalen Umgang mit Fehlern ausgelöst, damit hat sich aber auch wissenschaftlich und berufspraktisch eine Wende ergeben. Von sich aus jedenfalls hat sich die Profession Sozialer Arbeit nicht mit ihren eigenen professionellen Fehlern beschäftigt (vgl. Schoneville/Galuske/Karner 2007). Über professionelle Fehler offen und selbstkritisch zu sprechen, ist in professionellen Organisationen nicht flächendeckend etabliert, vielmehr wird befürchtet, eine systematische Fehleranalyse könnte das professionelle Image, den guten Ruf in Frage stellen. Und darum wird vor allem aufgrund von autoritären und rigiden Führungsstrukturen ein kritisches professionelles Fehlerverständnis innerhalb der Organisationen Sozialer Arbeit, ein reflexiver Umgang mit dem eigenen professionell-organisationalen Fehlverhalten eher vermieden. Dadurch werden aber die Implementierung von Qualitätssicherungs- und Qualitätsentwicklungsverfahren erschwert, wenn nicht ganz in Frage gestellt, und notwendi-
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ge fachliche Kontrollverfahren verhindert (vgl. Wolff 1997, Reason 2008b: 38). Auf diese Weise werden die Organisationen Sozialer Arbeit immer wieder zu ihrem eigenen blinden Fleck, geraten noch zu beherrschende und zu korrigierende professionelle Fehler aus dem Sichtfeld. Denn Organisationen, vor allem aber Jugendämter mit ihren ASD, die nicht in der Lage sind, latente Fehler rechtzeitig zu bemerken (Reason 2008b), sogenannte Beinaheunfälle zu lokalisieren und zu analysieren, sind permanent dem Risiko ausgesetzt, wie ein Frosch bei langsam ansteigender Temperatur gekocht zu werden (vgl. Baecker 1994b: 50ff.). In der Kinderschutzpraxis bedeutet dies, aber auch ganz allgemein im gesamten Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, dass es von besonderer Relevanz ist, organisationelle Management- und Leitungsfehler auch als professionelle Fehler in den Blick zu nehmen und diese mit Hilfe eines auf die Profession Sozialer Arbeit zugeschnittenen Risiko- und Fehlermanagements organisational in den Griff zu bekommen. Nur so jedenfalls kann die weitere Professionalisierung der Kinder- und Jugendhilfe und damit eine demokratische Kinderschutzpraxis vorangetrieben und eine absichernde, überwachende und eingriffsorientierte Kinderschutzpraxis vermieden werden. In seinen »Studien zur nächsten Gesellschaft« mahnt Dirk Baecker (2007b) mit Verweis auf die Untersuchungen zu hochzuverlässigen Organisationen (vgl. Weick/Sutcliffe 2003) jedenfalls an, dass innovative Unternehmen es angesichts der Computergesellschaft lernen werden müssen, geistesgegenwärtig zu reagieren; der ›Rechner Mensch‹ also schlussendlich nur mit seiner Wahrnehmungsfähigkeit in der Lage sein wird, Fehler zu entdecken, zu thematisieren und rechtzeitig zu verhindern. Damit geht dann auch die Fähigkeit einher, »sich von denen kontrollieren zu lassen, die man kontrollieren [bzw. denen man helfen; K.B.] will« (Baecker 2007b: 23): den Klienten Sozialer Arbeit – den primären Kinderschützern. Um abzuschließen: Von der Sozialen Arbeit als Profession wird im Zuge der dargestellten Entwicklungen in wachsendem Maße erwartet, fehlerfrei zu handeln, ein dafür geeignetes Entscheidungshandeln mittels umfassender Dokumentationssysteme transparent zu machen und dabei alle möglichen Zukunftsszenarien durchzukalkulieren. Den sozialen Fachkräften wird im beruflichen Alltag jedoch häufig nicht der organisationale Spielraum gelassen, um über ihre Praxis dialogisch reflektieren und ihre Handlungsmethoden entsprechend den sich ändernden Anforderungen weiterentwickeln zu können, um das Phänomen der begrenzten und lokalen Rationalität (Simon 1968) und den daraus resultierenden Fehlern mit einer experimentell-kreativ angelegten Praxis begegnen zu können. Vielmehr ist ein anderes widersprüchliches Phänomen zu beobachten: Fehler sind zwar das Salz in der Suppe des Lernens, aber dieses Salz verursacht fast notwendigerweise Schmerzen in den offenen Wunden der sozialen Fachkräfte, aber auch aller Menschen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als perfekt zu sein. Und da es insbesondere im Kinderschutz nicht mehr erlaubt zu sein scheint, Fehler zu machen, kann eben gerade dies nicht garantiert werden: perfekt zu sein.
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Man muss deshalb kritisch fragen: • Warum geht es in der Sozialen Arbeit, speziell im Kinderschutz zunehmend nicht mehr um die Entwicklung und Sicherung professioneller Qualität, sondern lediglich noch um einen oberflächlicher und technischer Rationalität folgenden technologischen Umgang mit professionellen Entscheidungsrisiken und der damit verbundenen Eindämmung professioneller Fehler? • Welches gesellschaftliche Risiko- und Fehlerverständnis geht mit solchen Entwicklungen einher, in einer Welt, in der uns die nichtintendierten Nebenfolgen der industriellen Moderne immer mehr vor Augen geführt werden und wir zwar immer mehr wissen und können, aber immer weniger die Dinge sicher im Griff haben? • Welche Fehlerkonzepte spielen schließlich im Hintergrund eine Rolle, von denen aus bewertet wird, was im Kinderschutz richtig oder was falsch ist (vgl. Kapitel 3)?
3. Fehlerkonzepte
»In grober und idealtypischer Unterscheidung lassen sich zwei Klassen von (Richtigkeits-)Kriterien unterscheiden, und zwar (1) die Wahrheit einer Aussage und (2) die Geltung einer Norm. Es gibt keinen Fehler ohne die Geltung einer Richtigkeitsnorm bzw. eines Beurteilungskriteriums. Zwischen der Wahrheit und der Erwünschtheit von Aussagen oder Orientierungen besteht, sofern sie unabhängig voneinander definiert sind, nicht nur ein Unterschied. Zwischen diesen beiden Kriterien kann auch ein Spannungsverhältnis oder sogar ein Widerspruch bestehen.« (HELMUT HEID 1999: 129)
Fehler haben einen besonderen Reiz. Sie weisen einerseits die Menschen darauf hin, was sie noch lernen können. Anderseits sind mit Fehlern auch negative Bewertungserfahrungen im Lebenslauf verbunden, die nicht selten auch zu Ausgrenzungen und Stigmatisierungen führten. Wie Menschen also mit Fehlern umgehen, hängt jeweils davon ab, welche Fehlererfahrungen sie selbst gemacht haben und welche Einstellung sie selbst zu ihren Fehlern entwickelt haben. In diesem Kapitel wird nun der Versuch unternommen, einige wesentliche, auch vor allem für die Soziale Arbeit bedeutende Fehlerkonzepte zu thematisieren, die im Kontext einer technischen und organisationswissenschaftlichen Risiko- und Fehlerforschung vor allem in technischen Hochrisikobereichen wie der Atomkraftindustrie oder der Raum- und Luftfahrt entwickelt wurden. Dabei wird gefragt, wie und mit welchen konzeptuellen Ansätzen immer wieder versucht wird, Fehler in sicherheitsrelevanten Hochrisikobereichen zu vermeiden und wie solche Ansätze, die ja für Mensch-Maschinen-Interaktionen entwickelt worden sind, unter Umständen für die humane Hilfepraxis Sozialer Arbeit nutzbar gemacht werden könnten. Denn es ist in einer Praxis, die von Menschen, also von zwischenmenschlichen Beziehungen und Krisenkonstellationen maßgeblich geprägt
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wird, und das sei an dieser Stelle bereits kritisch angemerkt, nur bedingt möglich, solche aus anderen Hochrisikobereichen stammenden und technologisch ausgerichteten Risiko- und Fehlermanagementkonzepte auf die Soziale Arbeit einfach zu übertragen. Zudem ist noch nicht einmal annähernd geklärt, was ein professioneller Fehler in der Sozialen Arbeit ist und auf welcher Grundlage überhaupt bestimmt werden kann, wie und woran man Fehler, die den sozialen Fachkräften im Hilfeprozess ja immer wieder unterlaufen, erkennen und wie man aus diesen Fehlern rechtzeitig, d.h. ohne größeren Schaden, lernen kann. Insofern soll in diesem Kapitel erörtert werden, auf welche Art und Weise des professionellen Handelns ein produktiver Umgang mit noch zu transformierenden professionellen Fehlern, die aufgrund der ambivalenten und risikoreichen Praxisstruktur Sozialer Arbeit allgegenwärtig sind, befördert werden kann.
3.1 D IE S ICHERHEIT
MENSCHLICHER
F EHLER
Die Frage, seit wann sich Menschen mit den Auswirkungen ihrer Fehler bzw. Verfehlungen beschäftigen, wie sie auf sie moralisch reagieren, ob sie eine Handlung oder Entscheidung als gut oder böse, als gerecht oder ungerecht, als hässlich oder schön, als falsch oder richtig bewerten, ist so alt wie die Menschheit selbst. Immer geht es um eine Bewertung dessen, was getan oder hergestellt wurde, muss eingeschätzt werden, ob jemand zu Recht oder Unrecht kritisiert, angeklagt oder verurteilt werden soll. Bereits hieran wird deutlich, dass die Einstellungen darüber, was Fehler sind, divergieren; sie können aus sehr unterschiedlichen Betrachtungs- und Beurteilungswinkeln für die jeweils spezifische Fachdisziplin und Praxis vorgenommen werden. Bis heute ist es darum umstritten, auf welcher Grundlage man sicher unterscheiden kann, ob ein Fehler nur einen Glauben, eine Vermutung, eine Meinung, eine Information, eine Einsicht, eine Erfahrung, ein Wissen oder eine Erkenntnis darstellt; worauf also schlussendlich die Fehlbeurteilung beruht. Trotzdem lässt sich ein historisches Muster bei der Bewertung von Fehlern erkennen. Angefangen von den inquisitorischen Versuchen festzulegen, was richtiger oder falscher Gottesglaube sei (vgl. Lambert 2001), über die Auseinandersetzung darüber, was philosophisch wahr oder unwahr sei (vgl. Enders/Szaif 2006, Skirbekk 1977), bis hin zu unentscheidbaren Erkenntnisund Erziehungsfragen (vgl. exemplarisch: Eberhard 1987, Gabriel 2008, Bueb 2006, Winterhoff 2010) oder dem Anspruch ein tadellos funktionierendes Industrieprodukt auszuliefern (vgl. Masing 1994)1, immer geht es da1
Zwar werden die Begriffe Fehler und Falschheit hier synonym verwendet, sie stellen aber etwas vollkommen Verschiedenes dar: Fehler können von anderen Menschen zwar beobachtet und zurückgemeldet werden. Sie müssen aber jeweils vom vermeintlichen Fehlerverursacher eingesehen und kognitiv als etwas moralisch Verwerfliches angesehen werden. Die Begriffe ›falsch‹ und ›richtig‹ stam-
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rum, einen exklusiven Gegensatz zu schaffen, Grenzen und Normen abzustecken, unangreifbar und perfekt, d.h. in der Konsequenz fehlerfrei zu sein. Offen bleibt dabei jedoch, wer das legitime Recht und die Autorität besitzt, solche Grenzen und Normen des Tolerierbaren festzulegen, wer bestimmen darf, ob aus Fehlern, ohne etwa dabei Sanktionen befürchten zu müssen, gelernt werden darf bzw. kann. Schließlich sind damit auch religiöse, philosophische, ethische, wissenschaftliche und praktische Fragen verbunden: Müssen Fehler einerseits ausgeschlossen werden, ist es für den eigenen Existenz- und Begründungszusammenhang in der Belehrungsgesellschaft des Westens (vgl. Osten 2008), die nicht offen für Fehler ist, geradezu notwendig unfehlbar, zu sein. Anderseits wird mit der normativen Festlegung auf Unfehlbarkeit im Umkehrschluss ein Lernen aus Fehlern bzw. ein produktiver Umgang mit Fehlern strukturell ausgeschlossen. Mit einer solchen Konzeption wird blockiert, Fehler als wertvolle Anlässe des Lernens zu begreifen. Auf diesen Widerspruch soll im Folgenden weiter eingegangen werden. Das Sicherheitsparadox: Fehlervermeidung vs. Fehlerlernen
Solange Fehler, die von Menschen verursacht werden, als etwas moralisch Unerträgliches angesehen werden, solange wird es unmöglich sein, einer neuen Fehlerkultur (vgl. Caspary 2008) den Weg zu bereiten. Sind dabei zugleich auch noch Fragen der Sicherheit in Hochrisikobereichen wie der Atomkraftindustrie, Luftfahrt oder eben auch der Sozialen Arbeit berührt, wird es umso unwahrscheinlicher, dass aus Fehlern gelernt werden kann, tritt das genaue Gegenteil ein: Nicht das Lernen aus Fehlern, sondern das Vermeiden von Fehlern erhält einen sicherheitsrelevanten Stellenwert, wie man es momentan ja auch in den Debatten um einen sicheren Kinderschutz beobachten kann (vgl. Kapitel 2). Mit einer solchen Sicherheitsfokussierung wird jedoch verdrängt, dass Menschen überhaupt immer wieder Fehler machen; dass sie also nicht dazu gebracht werden können, gänzlich fehlerfrei zu sein. Stattdessen müsste an einem gesellschaftlichen Einstellungswandel gearbeitet werden, müssten Fehler als normale und nicht als defizitäre oder gar pathologische Gegebenheiten akzeptiert werden. Denn ohne Fehler gäbe es überhaupt gar keinen Anlass, die daraus notwendig werdenden Veränderungen oder gar neue Erfindungen anzustreben. Kurzum: Wenn Menschen keine Fehler machen dürfen, bleiben sie stehen, gibt es keine gesellschaftliche Weiterentwicklung. Vor diesem widersprüchlichen konzeptuellen Hintergrund, bei dem einerseits das Lernen aus Fehlern und anderseits das Prinzip der Fehlervermeidung paradoxerweise zugleich notwendig werden, überrascht es nicht, dass in der Schule und in der Arbeitswelt das Lernen aus Fehlern und der Umgang mit Fehlern Bedeutung erlangt hat (vgl. Weingardt 2004). Aber nicht, weil Fehler etwa als wertvolle Chancen des Lernens oder als Unter-
men dagegen aus der Logik. Sie sind nicht derart moralisch besetzt wie beispielsweise die Wörter ›gut‹ und ›böse‹.
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nehmensressource betrachtet werden, sondern weil Fehler in sicherheitsrelevanten Hochrisikobereichen als zu gefährlich verhindert bzw. revidiert werden müssen. Vor allem im Zuge der industriellen Revolution, mit der die Erfindung von Großtechniken einherging, von denen dann nicht unerhebliche Gefahren für eine Vielzahl von Menschen und für die Umwelt ausgingen, hat das Bewusstsein für katastrophale Fehler zugenommen, wird versucht, menschlichen Fehlern in komplexen Systemzusammenhängen entgegenzuarbeiten. An Beck (1986) anschließend, kann sogar gesagt werden, dass in der fortgeschrittenen Moderne das Katastrophenbewußtsein offenbar gewachsen ist, so dass sich die heutige Menschheit mittlerweile sogar als auf einem zivilisatorischen Vulkan sitzend erlebt, ist »die Risikogesellschaft eine ›katastrophale‹ Gesellschaft. In ihr droht der Ausnahmezustand zum Normalzustand zu werden« (ebd.: 31, Herv. i. Org.). Durch diese Entwicklung kommt es zu einem paradigmatischen Wendepunkt: Alles und nichts, jede und jeder kann zum alles entscheidenden Sicherheitsrisiko werden und dann auch für eine Fehlerkatastrophe zur Rechenschaft gezogen werden. Dazu hat beigetragen, dass wir, wie Bruno Latour (1995, 2007) hervorhebt, mit der bislang nicht eingestandenen Produktion von ›Hybriden‹ konfrontiert sind. Danach komme es durch die radikale Trennung von Natur und Gesellschaft zur Entstehung von Mischwesen, welche die Verwirklichung der Moderne strukturell verhindern. Darum werde es umso wichtiger, Hybride zu akzeptieren, sie in ein diskursives Parlament der Dinge zu überführen. Um dies zu konkretisieren: Solange nicht akzeptiert werde, dass wir Menschen nicht außerhalb der Natur stehen, die Verfasstheit der Welt also selbst mitbestimmen, solange würden wir nicht in der Lage sein, die Trennung von Natur und Gesellschaft zu überwinden und Hybride, wie z.B. die (Neben-)Folgen der von uns verursachten Modernisierungsprozesse, in den Griff zu bekommen (vgl. Beck 1986, Beck/Giddens/Lash 1996). Bezogen auf einen produktiven Umgang mit menschlichen Fehlern heißt das: Je länger wir menschliche Fehler als etwas ansehen, das außerhalb der menschlichen Existenz steht, umso wahrscheinlicher ist es, dass menschliche Fehler nur als Quasiobjekte des Unvorstellbaren und Unmöglichen skandalisiert und deren Entstehungshintergründe nicht zuverlässig geklärt werden. Charles Perrow (1992) hat in seiner Studie zu den unvermeidbaren Risiken im Bereich der Petrochemie, der Schifffahrt, der Flugsicherung, der Kohleförderung, der atomaren Energieförderung und der Gentechnologie bereits vor Jahren nicht von ungefähr kritisch darauf hingewiesen, dass die unübersehbare Komplexität solcher Großtechniken menschliche Fehler geradezu erzwingt. Perrow (ebd.: 408) schlägt deshalb vor, dass wir vor allem solche Hochrisikosysteme aufgeben müssten, die wir als Menschen aufgrund der Fehleranfälligkeit solcher komplexen, miteinander gekoppelten und kaum zu überblickenden Systeme nicht kontrollieren können: wie z.B. die Nuklearindustrie. Andere Hochrisikosysteme mit einem mittleren Katastrophenpotenzial, wie z.B. der Schiffstransport oder die Gentechnologie,
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sollte man lieber einschränken und den Bereich der Luftfahrt oder des Bergbaus beibehalten, aber unbedingt verbessern. Schließlich seien die Kosten für menschliche Fehler bei solchen Hochrisikosystemen einfach zu hoch, als dass man sie allumfassend gegen alle dadurch verursachten Schäden versichern könnte. Denn es ginge dabei gerade nicht um den Umgang mit singulären menschlichen Fehlern, sondern um die Bewältigung hybrider Fehler in komplexen Systemen, um dynamische Fehlerketten, die von Menschen und Maschinen zugleich verursacht werden, bei denen man nicht mehr eindeutig überblicken und rekonstruieren kann, was die Fehlerursachen und was die Fehlerfolgen waren. Für Dirk Baecker (1999: 30) sind solche dynamischen Fehlerketten auch dem Phänomen organisierter Komplexität zuzuschreiben. D.h. in Kontexten mit gleichzeitig und uneindeutig ablaufenden Prozessen kann mit kausalen Ursache-Wirkungsketten nicht hinlänglich erklärt werden, wie es zum alles entscheidenden und zum die Katastrophe auslösenden Fehler kam. »Es gibt, anders gesagt, in der Akkumulation von Entscheidungseffekten, in Langzeitauswirkungen nicht mehr identifizierbarer Entscheidungen, in überkomplexen und nicht mehr tracierbaren Kausalverhältnissen Bedingungen, die erhebliche Schäden auslösen können, ohne auf Entscheidung zurechenbar zu sein, obwohl klar ist, dass es ohne Entscheidungen nicht zu solchen Schäden hätte kommen können« (Luhmann 2003: 35).
Soziale Arbeit – ein inhumanes Risikogeschäft
Der Reaktorunfall im Kernkraftwerk Three Miles Island bei Harrisburg, die Tschernobyl-Katastrophe von 1986, das U-Bahn-Feuer in King’s Cross im Jahr 1987, aber auch andere Katastrophen wie das ICE-Unglück in Eschede im Jahr 1998 stehen exemplarisch dafür, wie anfällig die vom Menschen erfundene komplexe Hochrisikotechnologie ist. In solchen sicherheitsrelevanten Bereichen sind technologische Risiko- und Fehlermanagementsysteme, wie sich immer wieder zeigt, wesentlich. Bezogen auf die Soziale Arbeit gibt es jedoch einen relevanten Unterschied: Dort werden professionelle menschliche Fehler und nichtmenschliche Fehler, die aus den Schwierigkeiten im Umgang mit komplexen Hochrisikotechnologien resultieren, verursacht. In der Konsequenz sind damit unweigerlich Fragen über die spezifischen Formen des professionellen Handelns in humaner Hilfepraxis verbunden, muss beantwortet werden, was professionelle Fehler sind und mit welchen Qualitätsstandards und mit Hilfe welcher Qualitätskriterien die Fachkräfte Sozialer Arbeit ihre besondere Stellung als Angehörige einer humanen Dienstleistungsprofession insbesondere gegenüber der Öffentlichkeit begründen und legitimieren können. Anders formuliert: Die sozialen Fachkräfte müssen selbst bestimmen, was für sie richtiges professionelles Handeln und im Gegenzug professionelle Fehler sind. Darum kann es keine einfache Fehlerdefinition Sozialer Arbeit geben, zumal die Praxis Sozialer Arbeit durch Mehrdeutigkeit und Ungewissheit
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gekennzeichnet ist (vgl. Helsper 2008: 164) und es vor dem Hintergrund eines von den Medien und der Öffentlichkeit mitgestalteten gesellschaftlichen Wahrnehmungs- und Interpretationsrahmens (vgl. Kapitel 2) höchst umstritten ist, was professionelles Handeln und was in Abgrenzung dazu professionelle Fehler sind (siehe weiterführend: Abschnitt 3.2). In einer Gesellschaft, in der das sozialstaatliche Hilfesystem gerade großen Wandlungen unterworfen ist und das Soziale gewissermaßen neu erfunden wird, wird es immer wichtiger, dass die Profession Soziale Arbeit ein selbständiges und kritisches Fehlerverständnis entwickelt, zumal, wenn zugleich neosoziale Aktivierungslogiken propagiert werden, die auf die Selbstwirksamkeitskräfte der einzelnen Menschen setzen, die schlussendlich allerdings auch der Sicherstellung des Gemeinwohls dienen sollen (vgl. Lessenich 2009). War es früher von entscheidender Bedeutung individuelle Risiken, mit sozialstaatlicher Daseinsvorsorge (d.h. kollektiv) abzusichern, wird es nun wichtiger, sich selbst zu aktivieren und zum eigenen geschickten Risikokalkulator zu werden. Der Vorsorgestaat (Ewald 1993), der darauf aus war, Gefahren in kalkulierbare und entmoralisierte Risiken zu transformieren und von der Solidargemeinschaft absichern zu lassen, tritt nun zurück. Soziale Arbeit wird im Zuge dieser Entwicklung mehr und mehr zur Agentur des Forderns und Förderns, zur Risikokontrollagentur. Das ethische Dilemma, das dabei entsteht und worauf neue Antworten gefunden werden müssen, lässt sich folgendermaßen charakterisieren: • Wie kann in einem sich transformierenden Sozialstaat jenen geholfen werden, die für die Gemeinschaft und den Sozialstaat zur Belastung werden, ohne dass diese Menschen sich von den nur bedingt wirksamen Hilfe- und Unterstützungsformen Sozialer Arbeit stigmatisiert und ausgegrenzt fühlen? • Wie kann die transgenerationale Weitergabe von Hilfebedürftigkeit überwunden werden? • Welchen Beitrag kann hierfür Soziale Arbeit leisten, ohne in die Verstrickungen eines präventiven Sicherheitsstaates zu geraten, der ein Konzept der ›new governance‹ verfolgt? Dieser Transformationsprozess des Sozialen, nämlich »im Bereich der Wohlfahrtspflege und Sozialen Arbeit […] vom Prinzip der ›Hilfe zur Selbsthilfe‹ überzugehen zum Prinzip einer ›Führung zur Selbstführung‹« (Wendt 2008b: 370, Herv. i. Org.), führt zu neuen Praxisproblemen und Widersprüchen. Vor allem werden, worauf bereits oben hingewiesen wurde, technologische und nur schwer auf die Praxis Sozialer Arbeit eins zu eins zu übertragende Sicherheitskontrollkonzepte an die Profession herangetragen, mit der Konsequenz, dass Soziale Arbeit aufgrund solcher einseitig vorgenommenen Adaptationen verstärkt zu einem dem Sicherheitsprimat unterliegenden Risikogeschäft wird (vgl. Kapitel 2). Natürlich kann, wie in anderen Professionen auch, in der fallbezogenen Kinderschutzarbeit, wie überhaupt im Bereich der gesamten Sozialen Ar-
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beit, nicht ausgeschlossen werden, dass eine einzelne soziale Fachkraft in ihrer Berufsausübung einmal ›danebenliegt‹, falsche Schlussfolgerungen zieht, unpassende Beratungsansätze und Methoden anwendet oder Klienten als belastend oder störend empfindet, sich unangemessen verhält oder nur unzulängliche Hilfeformen findet. In professioneller Hinsicht ist bei solchen menschlichen Fehlerleistungen jedoch von Belang, dass dabei immer auch Fragen der Professionalität berührt werden, die strukturell geklärt sein müssen, insbesondere, welche die geltenden Normen und Qualitätsstandards des professionellen Handelns sind. Im Kinderschutz werden deshalb schwere professionelle Fehler zu Recht kritisiert, weil es dabei eben nicht nur um menschliche Verfehlungen, sondern um Fragen der Qualität, um die Art und Weise (inter)-professioneller und (inter-)organisationaler Arbeitsweisen geht. Das ist auch der Rahmen, innerhalb dessen Fragen der individuellen Schuld- und Verantwortungsübernahme beantwortet werden müssen, was jedoch nicht die Regel ist. In der Sozialen Arbeit werden vielmehr die relevanten Sicherheits- und Fehlerebenen (vgl. Kapitel 1) gern ausgeklammert, spielen häufig Sündenbockstrategien eine Rolle: Eher müssen einzelne Führungspersonen oder einzelne Mitarbeiter an der Basis ihren Posten räumen, als dass der fehlerbedingende Gesamtkontext kritisch betrachtet und mit Hilfe gezielter Qualitätsentwicklungs- und Qualitätssicherungsprojekte verändert wird. Zwar wurden in den letzten Jahrzehnten vor allem in der Luftfahrt erhebliche Erfolge bei der Eindämmung von Flugzeugabstürzen durch kluge Fehler- und Risikomanagementsysteme erzielt (vgl. Wiegmann/Shappell 2006: 5). Sie sind aber im Bereich des sozialen Hilfesystems nur von begrenzter Bedeutung. Soziale Arbeit ist nämlich in viel geringerem Maße als die Luft- und Raumfahrt maschinenabhängig. In der Sozialen Arbeit haben es die Fachkräfte nicht nur mit Mensch-Maschinen-Interaktionen, sondern vor allem mit interkommunikativen, emotional besetzten und komplizierten menschlichen Beziehungs- und Zusammenarbeitsarrangements zu tun, die grundsätzlich riskant, latent gefährlich und gesellschaftlich rückgebunden sind. Soziale Arbeit wird deshalb überhaupt erst riskant (vgl. Kapitel 2), weil die sozialen Fachkräfte es eben nicht allein mit Maschinen, technischen Apparaturen oder Computern zu tun haben, die bis zu einem gewissen Grad fehlerfrei zu programmieren und zu steuern sind, sondern mit selbständig denkenden und handelnden Klienten – und mit zahlreichen anderen Berufssystemen. Diese treffen in aller Regel Entscheidungen und Handlungen, die nicht sicher vorhergesehen werden können. Die sozialen Fachkräfte, und darauf bezieht sich ja das Wort Risiko, sind somit immer wieder mit dem Phänomen der doppelten bzw. mehrfachen Kontingenz konfrontiert (vgl. Kleve 1999: 94ff.; Luhmann 2003: 25f.). Daher ist es so wichtig, einen produktiven Umgang mit den immer wieder vorkommenden professionellen Fehlern in der Praxis Sozialer Arbeit zu befördern, denn die meisten Fehler sind multifaktoriell bedingt und können nicht sicher einer einzelnen Fachkraft
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zugerechnet werden. Eine hybride Gestalt ist für soziale Praxisfehler kennzeichnend. Historisch gesehen steht Soziale Arbeit als Profession erst am Anfang, sich mit ihren Fehlern kritisch auseinanderzusetzen, wenngleich Fragen der Professionalität schon seit Beginn ihrer Verberuflichung eine zentrale Rolle gespielt haben (vgl. Wendt 2008a, 2008b). Fragen des Qualitätsmanagements in der Sozialen Arbeit werden aber erst seit ca. 15 Jahren aufgegriffen und kritisch diskutiert (vgl. exemplarisch: Beckmann et al. 2004, Merchel 2010b, Peterander/Speck 2004, Widersprüche 1996, Wolff 2000, 2002). Insbesondere die dabei sich ausbreitende betriebswirtschaftliche Überbetonung und das sich daran anschließende Aufkommen des als professionelle Bedrohung erlebten What-works-Paradigmas (vgl. Otto 2007) haben dazu geführt, dass die Qualitätsentwicklung und -sicherung humaner Hilfepraxis eher auf Ablehnung als auf offene Ohren bei den sozialen Fachkräften und ihren Organisationen gestoßen sind. Es ist kein Wunder, dass erst mit solchen Modellvorhaben wie dem Forschungs- und Qualitätsentwicklungsprojekt »Aus Fehlern lernen. Qualitätsmanagement im Kinderschutz« eine selbstkritische Auseinandersetzung vor allem im Feld des Kinderschutzes in Gang gesetzt werden musste (vgl. Biesel/Flick/Wolff 2009, Biesel 2010a). In den sozialen Organisationen war es nämlich bislang nicht üblich, Fehler kritisch zu thematisieren oder sie als wertvolle Lernchancen strategisch zu nutzen. Bis heute gilt jedenfalls der Reaktorunfall in Three Miles Island als Geburtsstunde der interdisziplinären Fehlerforschung im technischen Sektor kritischer Infrastruktursysteme (vgl. Weingardt 2004: 25f.). Als Konsequenz dieses Unfalls versammelten sich Wissenschaftler aus den Ingenieur- und Sozialwissenschaften sowie der Neurologie und Psychologie in Columbia Falls im US-Bundesstaat Maine, um zu klären: • Was ist überhaupt ein Fehler? • Wie und vor allem durch was werden Fehler verursacht? • Sind menschliche Fehler eher zufälliger oder eher struktureller Natur? • Und wenn sie struktureller Natur sind: Wie kann man solchen strukturellen Fehlern vorbeugen, sie durch technologische Fehler- und Risikomanagementverfahren vermeiden? • Und: Sind menschliche Fehler nicht notwendigerweise auch eine Voraussetzung, um kreativ denken zu können? All diese Fragen sind für den produktiven Umgang mit professionellen Fehlern in der Sozialen Arbeit ebenso relevant, wenngleich technologische Risiko- und Fehlermanagementverfahren in der Sozialen Arbeit nur zum Teil genutzt werden können. Wie in anderen Berufssystemen auch, muss sie in ihrer jeweiligen Organisation jedoch Strukturbedingungen vorfinden, die es ermöglichen zu wissen, was professionelle Fehler sind und wie man aus diesen Fehlern – und noch radikaler z.B. gemeinsam mit den Klienten, im
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Team und in der Gesamtorganisationen – rechtzeitig lernen kann, um dann die Fehlerquellen zu beseitigen und die jeweiligen Hilfeformen produktiv zu verändern (vgl. Abschnitt 3.2). Sicherheit durch Fehlerfreundlichkeit
Wie die neuere Fehlerforschung (vgl. Weick/Sutcliffe 2003) und nicht zuletzt auch Studien aus der Arbeits- und Sozialpsychologie zeigen konnten, laufen die empirischen Forschungsergebnisse im Kern darauf hinaus zu betonen, dass Sicherheit in Organisationen im Wesentlichen durch praktizierte Fehlerfreundlichkeit erreicht werden kann (Wehner 1992). Damit jedoch tun sich die meisten Organisationen – zumal in den Hochrisikobereichen – schwer, da bei schwerwiegenden, ›katastrophalen‹ Fehlern nicht das Lernen aus Fehlern, sondern moralische Verantwortungs- und Schuldzuweisungen im Vordergrund stehen. Aber aus demselben Grund wird auch aus weniger schwerwiegenden Fehlern nicht gezielt gelernt, die in ihrer Konsequenz noch nicht einmal eine ähnlich große öffentliche und gesellschaftliche Tragweite haben. Lieber bleibt man dabei, im menschlichen Fehlverhalten die wichtigste Fehlerursache zu sehen, und behandelt die in den Systemen tätigen Menschen nur mehr als Faktorenbündel, in der Konsequenz »wird der Mensch mehr und mehr zur unzuverlässigeren Maschine degradiert (70 %–90 % der Unfälle werden heute auf menschliches Versagen zurückgeführt); der Mensch muss substituiert, d.h. in Maschinenfunktion überführt werden.« (Wehner 1992: 27, Herv. i. Org.) Das jedenfalls ist immer wieder das Ziel eines personenzentrierten Fehler- und Risikomanagementansatzes. Dabei wird allerdings übersehen, dass menschliche Fehler und die der Profession Sozialer Arbeit zuzurechnenden professionellen Fehler nicht die Ursache, sondern oftmals das Ergebnis eines komplexen Geschehens sind (vgl. Richardson 1985). Denn erst durch die Verkettung unglücklicher Umstände, durch die Anhäufung menschlicher, professioneller, technischer und organisationaler Fehler, kommt es überhaupt zu sich gegenseitig beeinflussenden und nicht mehr zu kontrollierenden Fehlerketten, die dann im Extremfall zur Katastrophe führen können. Den Menschen in technologischen Hochrisikobereichen wie den Fachkräften Sozialer Arbeit muss darum die Fähigkeit zum eigenständigen Denken und Handeln eingeräumt werden. Sie dürfen jedenfalls nicht wie fehleranfällige Maschinen behandelt werden, denen man mit Hilfe von Ablauf- und Verfahrensstandards vorgeben kann, was sie wann, wie und in welcher Situation konkret, ohne jemals davon abzuweichen, auszuführen haben. Sie benötigen stattdessen Zeit und Raum für kritische Reflexion und kollegialen Austausch – für dialogisch-systemische Fehleranalysen. Eine solche praxistheoretische Sicht wird grundsätzlich bereits von den Studien zur Kybernetik gestützt, die Heinz von Foerster (1993a: 134ff., 1993b) vorgelegt hat. Er hat mit Hinweisen auf Strukturen und Dynamiken in lebenden Systemen immer wieder hervorgehoben, dass Menschen nichttriviale Maschinen seien. Menschen seien vor allem keine programmierba-
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ren und steuerbaren ›Maschinen‹ für eine bestimmte Funktionserfüllung. Sie seien zudem historisch abhängig und würden ständig durch sozialisatorisch wirksam werdende Umweltsysteme geprägt; was natürlich auch Auswirkungen auf ihre Einstellung gegenüber Fehlern und ihren Umgang mit Fehlern hat. Baecker (1999) spricht in diesem Zusammenhang von Menschen als schlechtdefinierten Systemen, um darauf aufbauend, sein Plädoyer für eine praktizierte Fehlerfreundlichkeit zu entfalten. »Fehlerfreundlichkeit bedeutet, dass man auf das Ziel der Durchoptimierung der Zustände und Abläufe des Systems, der Einheitlichkeit der Zielsetzung und einer reibungslos transparenten Kommunikation zu verzichten hat. Stattdessen pflege man Redundanzen, damit man, wenn bestimmte Funktionen gestört sind, auf Ersatz zurückgreifen kann« (ebd.: 34).
Solche Redundanzen sind jedoch vor dem Hintergrund eines noch von vielen Organisationen Sozialer Arbeit praktizierten Neotaylorismus – einer fließbandartigen und bis ins kleinste definierten (industriellen) Arbeitsteilung – nicht allgemein akzeptiert. Sie werden als zu kostspielig zurückgewiesen. Nicht Flexibilität ist gefragt, sondern eine auf enge Kostenkalküle hin ausgerichtete Rationalisierung (vgl. auch Seithe 2010). Jedenfalls werden die Herausforderungen eines kritischen Managements im 21. Jahrhundert (vgl. Drucker 2003) noch nicht scharf genug gesehen. Fehleroffenheit statt Fehlerfreundlichkeit
Vor allem in Deutschland und Europa wird nun allerdings in der Fehlermanagementdebatte kurzschlüssig am Null-Fehler-Prinzip festgehalten, was auch für die Soziale Arbeit gilt, wodurch eine umfassende Sicht auf Organisationsfehler jedoch verfehlt wird. Weingardt (2004: 263f.) verwendet deshalb auch ganz bewusst nicht den normativ besetzten Begriff der Fehlerfreundlichkeit, da wir als Menschen es im Verlauf unserer kindlichen, schulischen und organisationalen Sozialisation u.a. gelernt hätten, wie sozial beschämend das Fehlermachen sein kann (vgl. hierzu auch Oser/Spychiger 2005). Wir seien aus diesem Grund tendenziell nicht freundlich gegenüber unseren Fehlern eingestellt, sondern eher ablehnend und vermeidend. Ein aktives Lernen aus hybriden Fehlern wird aber dadurch strukturell erschwert oder sogar unmöglich gemacht, auch weil das Menschenrecht auf Irrtum (Guggenberger 1987) gegenüber einer medial aufgebauschten Kultur der Fehlerfeindlichkeit, wie man sie bei den skandalisierten ›Praxiskatastrophen‹ im Kinderschutz immer wieder beobachten kann, aufgegeben wird. Daraus lässt sich eine wichtige Erkenntnis ableiten: »Fehler allein führen […] nicht zu einer Wissensstruktur, die auf der metakognitiven Ebene Schutzfunktion erhält. Es braucht die Einsicht, dass die Sache falsch definiert, falsch abgebildet, falsch entwickelt oder falsch abgelaufen ist« (Oser/Spychiger 2005: 28). Eine solche Einsicht ermöglicht es zuallererst,
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die »Kraft des Scheiterns« (Scheucher/Steindorfer 2008) aufzubringen und aus Fehlern zu lernen (vgl. Caspary 2008). So gesehen, lernen Menschen nicht sofort aus ihren eigenen Fehlern und aus den Fehlern der anderen – manchmal sogar überhaupt nicht. Schutzwissen, also Wissen, das uns zumindest persönlich dazu in die Lage versetzt, zu wissen, was falsch und richtig ist, wird laut Oser und Spychiger (2005: 28f.) nämlich auf sehr unterschiedlichen Wegen erworben. Entweder Menschen lernen aus Fehlern, indem sie »rasche Korrekturen auf dem Hintergrund des immer schon gewussten Richtigen« (ebd.: 28) vornehmen (Ebene 1: schnelle Adaptionsleistung). Oder sie erläutern, was ihrer Meinung nach falsch ist, ohne sich dabei explizit auf eine Norm zu beziehen (Ebene 2: Kontrast- und Abgrenzungswissen). D.h.: »Man lernt über Kontraste und Abgrenzungen, wie etwas nicht ist, ohne das Richtige in Frage zu stellen« (ebd.). Auf der dritten Ebene indes erinnern sich Menschen an Situationen, bei denen sie etwas falsch gemacht haben, die sie aber dennoch emotional gut verkraftet haben; auf dieser Ebene ist das Fehlermachen gesellschaftlich akzeptiert (Ebene 3: Abgrenzungswissen, Schutzwissen). »Auf einer vierten Intensitätsebene finden sich Erfahrungen, die einmalig und episodisch sind und die einerseits nicht mehr gemacht werden wollen, anderseits ein Teil des Selbst einer Person mit ihrer Vulnerabilität ausmachen. Sie führen zu starkem Schutzwissen« (ebd.: 28f.), also zu der Einsicht, dass man so etwas nie wieder erleben will (Ebene 4: persönliches, episodisches Schutzwissen). Auf der fünften, der letzten Ebene liegen gesellschaftliche und von allen Menschen geteilte Schicksalsschläge oder Dramen, die man als Gesellschaft nie wieder erleben will (Ebene 5: Schutzwissen als normativer Kulturbestandteil). Mit Perrow (1992: 2ff.) muss man jedoch noch einen weiteren Gesichtspunkt berücksichtigen, dass nämlich ein offener Umgang mit Fehlern in Hochrisikobereichen eher die Ausnahme als die Regel ist. Denn in den technologischen Hochrisikobereichen wie der Luft- oder Raumfahrt kann man nicht alle möglichen Fehler im Auge haben, und daher ist auch eine NullFehler-Quote nicht erreichbar. Nein: Organisationen mit ihren miteinander kommunizierenden und interagierenden Mitgliedern, die für Hochrisikosysteme verantwortlich sind, sind nur beschränkt dazu in der Lage, alle möglichen Zukunfts- und Schreckensszenarien durchzukalkulieren. »Alles ist fehleranfällig: Konstruktionen, Verfahren, Bedienungsmannschaften, innerbetriebliche Schulung, Material und Ausrüstung sowie die Umwelt. Fast ständig kommt es zu Pannen, in hochautomatisierten ebenso wie in wenig automatisierten Systemen« (ebd.: 12). Gestützt durch Qualitäts- und Fehlermanagementansätze, die entweder eine Null-Fehler-Strategie verfolgen (vgl. Frehr 1994) oder gerade auf die Lernpotenziale setzen, die sich im reflektierten Umgang mit Fehlern ergeben (vgl. Nonaka/Takeuchi 1997, Peters/Waterman 2004), werden nun schon seit geraumer Zeit in Organisationen – auch mit jeweils unterschiedlichen Unternehmensphilosophien – zahlreiche Lern- und Verlernversuche
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unternommen (vgl. Kühl 2000, Henrich 2009), Fehler rechtzeitig zu erkennen und zu vermeiden (vgl. Argyris 1997, Argyris/Schön 2006, Senge 1996). Und dennoch sind damit nicht alle Probleme gelöst, bleiben offene Fragen, wie z.B.: »Das Scheitern ist das große moderne Tabu. Es gibt jede Menge populäre Sachbücher über den Weg zum Erfolg, aber kaum eines zum Umgang mit dem Scheitern«, so Richard Sennet (2000: 159). Wenngleich man mittlerweile auch erste Hinweise zum ›sinnvollen Scheitern‹ finden kann (OrganisationsEntwicklung 2007). Verbreitet ist eine solche Haltung jedoch nicht. Auch in Deutschland ist es in den modernen Berufssystemen nicht en vogue2, öffentlich seine Fehler zur Schau zu stellen. Zu groß ist das Risiko, öffentlicher Kritik wegen der eigenen Fehlbarkeit gesellschaftlich ausgeliefert zu sein und fürchten zu müssen, den eigenen guten Ruf zu verlieren. Und selbst wenn anerkannt wird, dass menschliche Fehler zum Leben dazugehören, haben Fehler keinen guten Ruf. Sie sind negativ besetzt, dürfen nicht vorkommen und müssen unbedingt vermieden werden. Wer selbst einmal für Fehlentwicklungen die Verantwortung übernehmen musste, weiß, wie zynisch es ist, hören zu müssen, dass man aus Fehlern angeblich klug werde. Denn wie schnell verschwimmen dann Fiktion und Wirklichkeit, werden vorschnelle Schlüsse gezogen und Selbst- und Fremdanschuldigungen erhoben, wird das Lernen aus Fehlern als ein schmerzhafter Prozess erlebt (vgl. Oser/Spychiger 2005). Dieser Widerspruch ist in der Praxis Sozialer Arbeit ebenso relevant, wodurch ein Lernen aus professionellen Fehlern strukturell erschwert wird. Insbesondere nach schwerwiegenden professionellen Fehlern in der fallbezogenen Kinderschutzarbeit werden oftmals nicht die dabei eine Rolle spielenden Praxisund Organisationsbedingungen kritisch untersucht. Die Chancen einer ›heroischen‹ Praxis der Fehlererkennung (vgl. Reason 2008c) werden mit einer solchen ›Fehlerverteufelung‹ allerdings verdeckt. Das ist tragisch, sind wir Menschen doch gerade diejenigen, die einerseits schwerwiegende Fehler verursachen, anderseits solche Fehler im Gegensatz zu technischen und computerbasierten Analysesystemen in ›heldenhaften Momenten‹ (ebd.: 141ff.) unabhängig von bestehenden Regeln und Verfahren rechtzeitig erkennen und beheben können (vgl. Weingardt 2004: 317).
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»Während im Westen der Einzelne zuständig ist für die Verantwortung und damit auch für die ›Bewältigung‹ von Fehlern, relativiert sich dieses Problem in Japan erheblich: Die Fehler eines Menschen können behoben werden durch ein sozial konformes Korrektur-Verhalten gegenüber der Gemeinschaft. Das Gemeinschaftsmitglied ist damit entlastet und der Fehler wird vergessen« (Osten 2008: 129).
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Die Herausforderung: Komplex und lose gekoppelte Hochrisikosysteme
Auch die Organisationen Sozialer Arbeit und mit ihr die organisierte und professionelle Praxis der Kinder- und Jugendhilfe und des Kinderschutzes (vgl. Perrow 1992: 138, Wolff 2007b) muss man zu den Hochrisikosysteme zählen, wie ja auch bereits oben herausgearbeitet wurde (vgl. Kapitel 2). Denn die dort tätigen sozialen Fachkräfte haben eine Garantenstellung, und sie können unter Umständen für das Leben und den Tod eines Kindes verantwortlich gemacht werden. Umso erstaunlicher ist es, dass die Fachkräfte Sozialer Arbeit, die immer mehr mit den gesellschaftlichen Gefahren, insbesondere mit den sozialen Risiken ihrer Klienten konfrontiert werden, und von denen zugleich wirksamere Hilfeinterventionen und die Vermeidung von professionellen Fehlern erwartet wird, nicht eine ähnliche gesellschaftliche Anerkennung und auch Grundvergütung erfahren, wie etwa Ärzte oder Piloten. Professionelle Fehler treten jedoch häufiger und mit einem größeren Schadenspotenzial auf, wenn es in Hochrisikobereichen wie der Sozialen Arbeit nicht gelingt, komplex und lose gekoppelt Strukturen zu etablieren, in denen die Mitarbeiter gemeinsam klären, bestimmen und kontrollieren können, worauf es für sie in ihrem professionellen Handeln ankommt. Denn nur in lose gekoppelten Systemen ist es laut Perrow (1992: 136) möglich, flexibel auf kleine und weniger folgenschwere Fehler reagieren zu können. Bei lose gekoppelten Systemen sind • Verzögerungen des Betriebsablaufes eingeplant, • Standardverfahren veränderbar, • alternative Methoden durchführbar, • zeitliche Spielräume, Puffer und Redundanzen vorhanden und • Substitutionen je nach Bedarf möglich. In Hochrisikosystemen, die dagegen eng gekoppelt sind, muss umso mehr vorausgedacht werden, müssen mögliche Störfälle und Abweichungen schon im Voraus eingeplant werden. Zufälle bzw. unerwartete Ereignisse und kleine Fehler haben in solchen, auf Erfahrungen der Vergangenheit beruhenden, durchstrukturierten und überbürokratisierten Hochrisikosystemen zumeist keinen Platz. Sie bereiten diesen so organisierten Systemen »im Gegensatz zu den lose gekoppelten Systemen« (ebd.: 135) eher Schwierigkeiten bei der Bewältigung solcher nicht vorherzusehenden, ›ungedachten‹ Nichtereignisse. Dörner (2007) hat mit seiner Studie zur Logik des Misslingens darauf hingewiesen, dass in einer komplexen, vernetzten und dynamischen Praxis es die kleinen Fehler sind, die zunächst als solche überhaupt nicht wahrgenommen werden, die sich dann aber häufen und in der Folge nicht mehr korrigiert und überblickt werden können, die schließlich zu folgenschweren Fehlern und gar zu Katastrophen führen. Nur haben die sozialen Fachkräfte in der Praxis Sozialer Arbeit in der Regel nicht die Gelegenheit, in Simul-
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tanwelten ihre Kompetenzen einzuüben und somit in einem geschützten Rahmen zu lernen, mit den von ihnen verursachten möglichen Fehlern produktiv umzugehen. Sie müssen sich ihrer riskanten versuchs- und irrtumsbasierten Praxis in der Realität stellen und die (un-)beabsichtigten Folgen ihrer Entscheidungen und Handlungen reflektieren. Insofern ist es unmöglich – nicht nur professionsintern, sondern auch professionsextern – alle Fehler zu vermeiden, zumal Professionelle selbst, überhaupt Menschen, eine der größten Fehlerquellen sind. Gegenläufige Praxistendenzen
Wenn man davon ausgeht, dass die Praxis Sozialer Arbeit und mit ihr die Kinderschutzpraxis zwar mit den zuvor genannten technologisch orientierten Risikopraxen vergleichbar ist, z.B. was die Verantwortung für das einzelne Menschenleben im Sinne der Garantenstellung im Kinderschutz anbelangt, muss man sich umso mehr die Frage stellen, warum ein eigentlich lose gekoppeltes und komplexes Hilfesystem (vgl. Perrow 1992: 138) immer mehr formalisiert und standardisiert, d.h. zunehmend daran gehindert wird, kleinere und systembedingte professionelle Fehler im dialogischen Austausch mit den dabei relevanten Kooperationspartnern rechtzeitig abschwächen zu können (vgl. beispielhaft bezogen auf die Entwicklungen im ASD: DJI 2008, siehe auch Kapitel 2), und warum stattdessen sich fast reflexartig ein maschinelles und verfahrenstechnisches Praxismuster herausgebildet bzw. weiter verfestigt hat. Denn in einer solchen instrumentellen und prozeduralen Risikopraxis zählen die von den sozialen Fachkräften zu befolgenden und dem Regelwerk der Normenreihe DIN EN ISO 9000 bis 9004 entsprechend zu dokumentierenden Sicherheitsstandards mehr als ein achtsames, zuverlässiges und fehleroffenes professionelles Vorgehen (vgl. Merchel 2010b: 71ff.). Gelingende und innovative Soziale Arbeit ist deshalb nicht von ungefähr davon bedroht, zu einer bloßen Leerformel zu werden. Die skandalisierende Berichterstattung über einige wenige gescheiterte Kinderschutzfälle mit Todesfolge hat dazu ebenso beigetragen wie die programmatische Wendung von der zuverlässigen sozialstaatlichen Daseinsfürsorge und Entwicklungsförderung zu einem fallbezogenen und der Sozialkontrolle dienenden Sicherheitsmanagement, das mit Formeln Früher (präventiver) Hilfekonzepte verkleidet wird (vgl. Kapitel 2). Friedhelm Peters (2009: 231ff.) fasst solche Praxistendenzen wie folgt zusammen: In der Praxis Sozialer Arbeit kommt es vermehrt (1.) zu einer zeitlichen Verdichtung der Arbeitsabläufe, (2.) zu einer Absenkung fachlicher Standards, (3.) zu einer Deckelung von Finanzen, Fallzahlen und Rechtsansprüchen, (4.) zu einem erhöhten Interesse an fachlich ›sauberen‹, ›unangreifbaren‹ und schnell zu begründenden Diagnosen, (5.) zu einem Ausbau von externen und internen an ökonomischen Kriterien orientierten Controllingverfahren, was die sozialarbeiterische und sozialpädagogische Professionalität und den damit verbundenen Grundsatz, partizipatorische
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Hilfen zu gestalten, unterläuft. Zwei zentrale Rückwärtsentwicklungen sind dabei zu beobachten: • Die eigentlich als etabliert erachteten differenzsensiblen und lebensweltorientierten Hilfen (vgl. Thiersch 1986, 2003) treten zu Gunsten von Zwangs- und Normalisierungshilfen (vgl. Foucault 2004a, 2004b) in den Hintergrund, und es kommt im Bereich der Hilfen zur Erziehung zu einer Wiederauferstehung einer blinden und stigmatisierenden Symptombehandlung, die vor allem in der fallbezogenen Kinderschutzarbeit lediglich der Gefahrenabwehr und dem professionellen Selbstschutz dient (vgl. Biesel 2009a). • Die sozialen Organisationen werden immer mehr dazu gedrängt, sparsam zu wirtschaften und zugleich ihre Hilfen wirksamer zu gestalten; wodurch ein regelrechter Widerspruch entsteht: Die Expertise Sozialer Arbeit wird in der Öffentlichkeit immer mehr abgewertet, und zugleich erleben wir den Aufstieg machtvoller und profitorientierter sozialer Organisationen, die geschickt darin sind, ihren Marktwert auf der Bühne der Eitelkeiten mit PR-trächtigen Pseudoreformen des New-PublicManagements oder einer oberflächlichen Sozialraumorientierung stabil zu halten, ohne dass sich dadurch wirklich grundlegend etwas verändert. Genau das Gegenteil tritt ein: Sie werden dadurch nicht zu lernenden, intelligenten und achtsamen professionellen Organisationen (vgl. Senge 1996; Willke 2002; Weick/Sutcliffe 2003), sondern zu blinden und aktionistischen Organisationen (vgl. Kapitel 4). Dadurch wird regelrecht eine doppelte Kolonialisierung vorangetrieben (vgl. Habermas 1995b: 229ff. und 489ff.), was verstärkt zu einer Überklientifizierung der Lebenswelten der Klienten und zu einer Überbürokratisierung der Praxiswelten der sozialen Fachkräfte führt. In der Konsequenz steigt die Fehleranfälligkeit von Hilfen für beide Personengruppen, die auf verlässliche Partnerschaft angewiesen sind, worüber jedoch immer weniger fachlich diskutiert wird. Vielmehr ist es zu einer resignativen Haltung und zu einer Sprachlosigkeit unter den derart gebeutelten sozialen Fachkräften gekommen. Sie stützen sich auf Leugnungs-, Abwehr- und Durchhaltestrategien, die jedoch nicht zu einem produktiven Umgang mit professionellen Fehlern führen, sondern stattdessen ins Gegenteil umschlagen: Soziale Fachkräfte üben ihren Beruf entweder im ›Modus der Gleichgültigkeit‹, im ›Modus des Kampfes‹ oder im ›Modus der Unterwerfung‹ aus. Der positive Fall, nämlich den Beruf Sozialer Arbeit im ›Modus dialogischer Veränderung‹ auszuüben, selbstkritisch und offen gegenüber Fehlern zu sein, wird dadurch verhindert. Denn die sozialen Fachkräfte werden immer mehr dazu gedrängt, ihre professionelle Haltung aufzugeben, bzw. nicht dazu ermuntert, aus Fehlern und von ihren Erfolgen zu lernen. Stattdessen breitet sich ein anderes Virus aus: Angst. Bernd Guggenberger (1987) argumentiert deshalb aus anthropologischer Sicht dafür, dass Menschen in einer Zeit, in der sie durch den Ausbau von
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fehlerfeindlichen Technologien immer mehr zu Sklaven ihrer Selbst werden, also mit ihrem Wissen und ihren Fertigkeiten nicht mehr in einen reibungslosen technischen Produktionsablauf passen, wieder das Recht und der Freiraum auf das Irren in einer kaum mehr zu überblickenden und fehleranfälligen Welt zugestanden werden muss. Denn gerade ihre experimentelle Kreativität, ihr Mut, die Dinge auch einfach einmal auszuprobieren, ohne dabei den Anspruch auf sofortige Vollkommenheit zu haben, hat die Menschen überhaupt erst zu ihrem industriellen Fortschritt gebracht. Insofern kann festgehalten werden: Von Menschen und von Fachkräften Sozialer Arbeit verursachte Fehler treten überall und zu jeder Zeit auf, wenn sie an Problemlösungen arbeiten. »Wir müssen deshalb unsere Einstellung zu unseren Fehlern ändern […]. Da wir von unseren Fehlern lernen müssen, so müssen wir es auch lernen, es anzunehmen, ja, dankbar anzunehmen, wenn andere uns auf unsere Fehler aufmerksam machen. Wenn wir andere auf ihre Fehler aufmerksam machen, so sollten wir uns immer daran erinnern, dass wir selbst ähnliche Fehler gemacht haben wie sie« (Popper 1988: 228, Herv. i. Org.).
Achtsamkeit und gegenseitige Verständigung, die zur kritischen Überprüfung einlädt und sich nicht in rechthaberischen, besserwisserischen und statusbezogenen Diskursen verliert, sind darum zentral, was in der Praxis Sozialer Arbeit noch viel zu wenig bedacht wird. Unterschiedliche Fehlererklärungsmodelle
Menschliche und professionelle Fehler Sozialer Arbeit werden ganz gleich, welchem Modell zur Entstehung von Fehlern man folgt, (1.) als unheilvolle und schreckliche Plage, (2.) als persönliches Verschulden einer einzelnen Fachkraft, (3.) als moralischer und gesetzeswidriger Fehltritt oder (4.) als systemisch, miteinander zusammenhängendes Phänomen (vgl. BMFSFJ 2008: 26; Reason 2008c: 69ff.) angesehen. Aufgrund dieser doch sehr unterschiedlichen Erklärungsmodelle und den damit im Zusammenhang stehenden (inter-)organisationalen sowie (inter-)professionellen Fehlerumgangsstrategien verwundert es kaum, dass es bislang keinen universellen und von allen widerspruchsfrei geteilten Risiko- und Fehlermanagementansatz in der Sozialen Arbeit und im Kinderschutz gibt. Zwar gibt es hierzu bereits erste Vorschläge (BMFSFJ 2008; Fegert/Ziegenhain/Fangerau 2010: 341ff.). Diese Vorschläge sind jedoch zum Teil zu kurz gegriffen und berücksichtigen zu wenig, wie schwer es grundsätzlich in humaner Hilfepraxis ist, dass soziale Fachkräfte und ihre Organisationen mit (inter-)professionellen wie mit (inter-)organisationalen Fehlern, die oftmals latent im Verborgenen liegen, produktiv umgehen (vgl. Kapitel 4). Umso schwieriger wird es jedoch, lebensbedrohliche Fehler in den Organisationen Sozialer Arbeit rechtzeitig zu verhindern.
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Aber was ist überhaupt professionelles Sozialarbeitshandeln, woran kann festgemacht werden, ob eine Entscheidung oder Handlung fehlerhaft ist und nicht den Gütekriterien der Profession Sozialer Arbeit entspricht? Dies soll im nächsten Abschnitt thematisiert werden.
3.2 D IE U NVERMEIDLICHKEIT PROFESSIONELLER F EHLER Bedient man sich der klassischen Fehlerdefinition nach DIN EN ISO 8402, 1995-08, Ziffer 2.10, können Fehler gleichgesetzt werden mit der Nichterfüllung einer festgelegten Forderung; wenn also etwas von der Norm, vom eigentlichen Standard abweicht. Fehler können demnach von jedem erkannt werden, wenn zuvor eindeutig festgelegt ist, was die Norm ist. Diese Fehlerdefinition stammt aus der Ballistik, wo davon ausgegangen wird, dass mit einer präzisen und physikalisch exakt berechneten Schusstechnik das Ziel nicht verfehlt werden kann (vgl. Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion 1999: 1192). Das Wort Fehler selbst wird erst seit dem 15 Jahrhundert in der Bedeutung ›Fehlschuss‹3 verwendet und ändert sich schließlich ab dem 18. Jahrhundert, wo man dann genau vom Gegenteil ausgeht, nämlich: von einem Versehen oder Mangel, vom religiös geprägten Diskurs der menschlichen Fehl- bzw. Unfehlbarkeit (vgl. Dudenredaktion 2001: 209f.)4. Im Sinne des Fehlers als Fehlschuss muss man also nur einmal genau hinsehen und alle Umweltbedingungen exakt berücksichtigen, um richtig zu liegen, d.h.: einen Volltreffer zu erzielen. In der Sozialen Arbeit ist es jedoch nicht ganz so einfach, von allen geteilte professionelle Normen, Haltungen, Verhaltensweisen, Entscheidungsregeln und Handlungsvorschriften festzulegen. Jede soziale Fachkraft ist nämlich von ihrer Persönlichkeit anders und neigt zu 3
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Charles Sanders Peirce (2002) hat im Kontext der philosophischen Strömung des Pragmatismus Überlegungen zum schlussfolgernden Denken und den daraus resultierenden menschlichen Fehlschlüssen angestellt. Aber auch Karl Popper (2005) hat mit seinen Überlegungen zum kritischen Rationalismus und der sich daraus ableitenden Notwendigkeit der Falsifikation von allgemeinen Theorien, Thesen und Hypothesen bereits darauf hingewiesen, dass man aus Einzelfällen keine allgemein gültigen Sätze ableiten, sondern nur umgekehrt, sie durch Einzelphänomene widerlegen könne. Fehler sind demnach wertvolle Hinweisgeber zur Widerlegung bislang als allgemein gültig angenommener Theorien, bzw. es muss in der Wissenschaft wie in der Praxis ständig mit der Aufdeckung von bislang unbekannten Fehlern gerechnet werden. Im Grimmʼschen Wörterbuch (vgl. Deutsches Wörterbuch 1984: 1427) wird ebenso darauf hingewiesen, dass der Fehlerbegriff vom Wortstamm des Schießen hergeleitet ist. Deshalb auch die Redensart: einen Blinden oder einen Bock schießen. Zur selben Zeit, also im 15. Jahrhundert, wird der Fehler aber auch im Glücksspiel verwendet.
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unterschiedlichen Selbstmanagement- und Bewältigungsstrategien. Im Kern muss deshalb immer wieder an den Haltungen der sozialen Fachkräfte gearbeitet werden, muss mit ihnen prozessual geklärt, herausgearbeitet und überprüft werden, was ihre spezifischen professionellen Handlungsnormen sind. Und es müssen darüber hinaus natürlich die dafür erforderlichen Praxis- und Organisationsbedingungen vorhanden sein, damit jene professionellen Normen überhaupt umgesetzt und eingehalten werden können (vgl. Abschnitt 3.3). Denn die meisten professionellen Fehler resultieren aus strukturell bedingten Überlastungssituationen, in denen dann nicht mehr mit Bedacht gemeinsam und im Verbund mit den jeweiligen Kooperationspartnern entschieden und gehandelt werden konnte. Strukturelle Fehleranfälligkeit
Natürlich spielen auch im Berufssystem Sozialer Arbeit Rechtsnormen eine Rolle, nicht zuletzt im SGB VIII. Sie sind aber nicht mehr als ein Rahmen, innerhalb dessen sich die komplexe Praxis jeweils autonom realisiert. Anders gesagt: Soziale Arbeit ist eine personen- und organisationsabhängige Praxis, die sich nicht einfach rechtlich festlegen und bürokratisch vorschreiben lässt. Auf jeweils unterschiedlichen Ebenen – der Ebene der konkreten Praxissituation, der Ebene der sozialen Fachkraft, der Ebene des professionellen Teams, der Ebene der Organisation und der Ebene des Hilfesystems – ereignen sich miteinander zusammenhängende professionelle und organisationale Fehler, die sich zu ›hybriden Fehlern‹ entwickeln können. Geht man nun davon aus, dass Soziale Arbeit auf den Dialog und auf das Arbeitsbündnis zwischen den Fachkräften auf der einen Seite und den Hilfesystemteilnehmern auf der anderen Seite angewiesen ist, so kann man in der Praxis Sozialer Arbeit eigentlich nur mit einem Phänomen sicher rechnen: mit riskanter Ungewissheit (vgl. Kapitel 2). Soziale Fachkräfte sind strukturell hochkomplexen und kontingenten Praxissituationen ausgesetzt, die sich nicht einfach fehlerfrei steuern lassen, zumal sie technologisch nicht zuverlässig kontrolliert werden können. Wie Niklas Luhmann (2003) prägnant in seiner kritischen Soziologie des Risikos herausgearbeitet und Reinhart Wolff (2007b) dann auf die Kinderschutzpraxis übertragen hat, werden in einer solchen Praxis die Lebens-, Beziehungs- und Erziehungsweisen der Klienten zum Risiko der sozialen Fachkräfte und deren Organisationen und umgekehrt die Hilfsangebote der Fachkräfte zum Risiko der Klienten, gibt es immer Entscheider und davon Betroffene. Unter Bezugnahme auf Werner Helspers (2008: 164) Überlegungen ist professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit darum durch vier zentrale Merkmale charakterisiert, die wesentlich für die ›strukturelle Fehleranfälligkeit Sozialer Arbeit‹ und für ihre ›Paradoxien und Ambivalenzen‹ sind: (1) Professionelles Handeln kann nicht technologisch, d.h. vollständig standardisiert umgesetzt und kontrolliert werden, da die sozialen Fachkräfte in der Regel nicht nur mit Routinesituationen konfrontiert sind, sondern
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mit stetig sich wandelnden und einzigartigen Praxiskontexten, die unwiederholbar sind – Kontexteinzigartigkeit. (2) Professionelles Handeln ist auf die Lebenswelt der Klienten hin ausgerichtet. Es zielt auf Verstehen ursächlicher lebensgeschichtlicher und gesellschaftlicher Problemkontexte, ohne dass das Fremde wirklich verstanden werden kann – Verstehensbarrieren. (3) Professionelles Handeln gelingt nur durch die Sicherstellung kommunikativer Interaktionen, die höchst anspruchsvoll sind, kommt es dabei doch immer wieder zu kommunikativen Missverständnissen, die das auf Vertrauen beruhende Arbeitsbündnis zwischen den sozialen Fachkräften und ihren Klienten gefährden können – Kommunikationshindernisse. (4) Professionelles Handeln zielt zudem auf die kognitive und lebenspraktische Selbstveränderung der Klienten ab, was jedoch nicht so leicht ist, da diese nur selbst entscheiden können, ob und wie sie ihr Leben neu gestalten wollen – Autonomieerfordernisse. Diese Praxismerkmale, die wesentlich für die ›strukturelle Fehleranfälligkeit Sozialer Arbeit‹ sind, spielen allerdings auch in den Familien selbst eine Rolle. Denn immer dann, wenn Familien sich nicht autonom gegenüber ihrer Umwelt abgrenzen und »als private ›Gegenwelt‹ zur Gesellschaft selbst konstituieren« (Wolff 2007c: 48) und zugleich offen sein können, kommt es zu innerfamilialen Destabilisierungen, muss von der Sozialen Arbeit aufrechterhalten werden, was familial misslingt: »die Ordnung der Familie« (vgl. Donzelot 1980). Oder anders formuliert: Familien, in denen die Beziehungsverhältnisse auf dem Kopf stehen (vgl. Bauriedl 1984) und »die Geburt der Eltern« (Schülein 2002: 9) misslingt, die Erziehungs- und Bildungsverantwortung von den Erziehungs- und Sorgeberechtigten also aufgrund von partnerschaftlichen und generationalen Konflikten nicht ausreichend genug mit Unterstützung der vorhandenen Unterstützungsnetzwerke und Dienstleistungssysteme übernommen werden kann, müssen die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen und ein Aufwachsen in Sicherheit garantieren. Es kommt insofern einer Provokation gleich, wenn man sich vor Augen führt, dass soziale Fachkräfte im Prinzip erst tätig werden müssen, wenn die von den Klienten ausgehenden Gefahren – menschliche Fehler –, die aber zumeist gesellschaftliche Ursachen haben (vgl. Kapitel 2), zum Risiko für die Fachkräfte werden. D.h.: Die in der Sozialen Arbeit tätigen Fachkräfte in den Jugendämtern mit ihren ASD sind ja überhaupt in letzter Konsequenz erst dann gefordert, wenn in Familien Erziehungs- und Beziehungsschwierigkeiten auftreten, Eltern und Kinder nicht mehr weiter wissen und sich in ihrer pathologischen Problemlösungsdynamik verstrickt haben. Soziale Arbeit stellt insofern immer eine Kompensationsleistung dar, sofern nicht die Förderung und der Erhalt adäquater Gemeinwesenbedingungen für ein gelingendes Aufwachsen von Kindern und deren Familien sozialstaatlich und im Sinne
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des Subsidiaritätsprinzips sichergestellt werden kann (vgl. Bronfenbrenner 1989; Wolff 2007c). Nimmt man diese risikotheoretischen Überlegungen zum Ausgangspunkt, kommt es auf der Seite der sozialen Fachkräfte und deren Organisationen wie auf der Seite der Familien zu einmaligen und stetig sich wandelnden Praxissituationen, die zu kommunikativen Missverständnissen und habituell- und milieubedingten Abstoßungsreaktionen (vgl. Bourdieu 1997) führen können. Erst durch solche sozialen Felddynamiken, bei denen es auch immer um Macht- und Anerkennungsfragen zwischen den an den Hilfen beteiligten Personen und Organisationen geht, spitzen sich die in den Familien und in den Organisationen Sozialer Arbeit relevant werdenden menschlichen, professionellen und organisationalen Fehler zu, kommt es zu erbitterten Positionskämpfen, bei denen aber die Familien aufgrund ihrer geringeren soziokulturellen Kapitalien und des damit verbundenen gesellschaftlichen Status zumeist verlieren. Man muss sich deshalb nicht darüber wundern, dass die Hilfesystemteilnehmer, zumal wenn es um Fragen der Kindeswohlgefährdung geht, sich nicht rechtzeitig Hilfe und Unterstützung suchen, was an sich schon einen der wichtigsten Fehler im Kinderschutz darstellt. Aufgrund ungünstiger Feld- bzw. Hilfebedingungen kommt es in der Folge überhaupt erst zu einer gegenseitig sich bedingenden Fehlerabhängigkeit, zu einem interkommunikativen und durch menschliche Beziehungen geprägten und oftmals widersprüchlich erlebten intersystemischen Fehlerkreislauf, der nicht überwunden werden kann, wenn es darüber keinen kommunikativen Austausch – einen sozialraumüberwindenden Fehlerdialog – gibt.
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Abbildung 1 Grundsätze demokratisch-dialogischer Kinderschutzarbeit
Konkurrierende Fehlerdefinitionen
Will man also auf den zuvor genannten Fehlerebenen den häufig unbeabsichtigten bzw. oftmals nicht wahrgenommenen Nebeneffekten von professionellen Entscheidungen und Handlungen auf den Grund gehen, müssen gemeinsam entwickelte, vereinbarte und prozessual zu überprüfende Qualitätsstandards – professionelle Normen – greifen. Insofern ist es eine Herausforderung, wenn man den Versuch unternimmt, aus professionellen Fehlern zu lernen, von denen man als soziale Fachkraft ja zumeist nur indirekt betroffen ist. Denn man muss zwangsläufig eine Grenze zwischen dem normgerechten und normabweichenden professionellen Vorgehen ziehen, gemeinsam geteilte Handlungsprinzipien und Verfahrensstandards aufstellen, die für alle gleichermaßen bindend sind. Dies betrifft auch die Praxis von Kindeswohlgefährdungseinschätzungen. Denn die Feststellung einer Kindesmisshandlung oder Kindeswohlgefährdung ist ja nicht von ungefähr eine soziale Konstruktion, die auf Grundlage der jeweiligen Relevanzsysteme der
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beteiligten Fachkräfte, Organisationen und Eltern getroffen wird. Dabei kann es in der Folge auch zu heftigen Definitionskämpfen kommen, gerade weil die Fachkräfte sich nicht an allgemein gültigen gesellschaftlichen Normen einfach festhalten können (vgl. Kinderschutz-Zentrum Berlin 2009: 28ff.). So sehr die Fachkräfte sich eine solche verbindliche Definition auch wünschen würden, sie selbst sind diejenigen, die im Kontakt mit den Eltern und Kindern, die Grenzen des Tolerierbaren behutsam ausbalancieren müssen. Reinhart Wolff (2007c: 41) schreibt hierzu: »Kritische Kinderschützer haben inzwischen gelernt: Wer von Kindesmisshandlung oder Vernachlässigung spricht, bringt Werturteile ins Spiel, trifft Unterscheidungen, die normative Regeln aufstellen. Sie sind an Interessen und Bedingungen gebundene Feststellungen. Sie gelten nicht absolut, was in jedem zugespitzten Fall von Kindesmisshandlung immer wieder als Konflikt leidvoll erfahren wird.«
Solche professionellen Grenzziehungen sind demnach nur möglich, wenn die Fachkräfte gemeinsam mit ihren Klienten prozessual zu überprüfende Qualitätsstandards aufstellen und darauf aufbauend auf ein gemeinsames und geteiltes professionelles Fehler- und Qualitätsverständnis zurückgreifen können. Erst eine solche auf einer Praxis dialogischer Qualitätsentwicklung (vgl. Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen 2001) beruhende wertepluralistische und gesellschaftskritische Fehlerund Qualitätsdefinition kann den sozialen Fachkräften Orientierung und Halt bieten und ihnen dabei helfen, professionelle Fehler zu erkennen und miteinander und im Austausch mit den Hilfesystemteilnehmern kritisch zu thematisieren. Aber auch mit Hilfe von Qualitätsstandards kann nicht mit absoluter Sicherheit verhindert werden, dass sich professionelle Fehler in der Praxis ereignen. Soziale Arbeit wird nämlich nicht von ungefähr von ihren eigenen Professionalisierungsbemühungen überrollt, kann sie nicht länger das halten, was von ihr gesellschaftlich erwartet wird. Insbesondere deshalb werden professionelle Fehler in der Öffentlichkeit heutzutage viel kritischer und heftiger thematisiert, werden Fragen nach der Qualität professionellen Handelns zum alles entscheidenden Überlebenskriterium. Soziale Arbeit ist auf diese Weise in einer Professionalisierungsfalle gelandet (vgl. Abschnitt 3.3). Fast unabwendbar kommt es aus diesem Grund zu einer aus Enttäuschungen gespeisten Misstrauenskultur. Es ist geradezu paradox, dass die Dienstleistungssysteme in unserer heutigen Gesellschaft zwar immer besser, deren Kunden aber zugleich immer anspruchsvoller werden (vgl. Hirschman 1988: 46ff.), weshalb es zu einer »totale[n] Mobilmachung im Zeichen der Qualität« (Bröckling 2007: 222) gekommen ist. Von diesem gesellschaftlichen Begehren nach bedingungsloser Qualität der hiesigen Dienstleistungsapparate ist die Profession Sozialer Arbeit ebenso betroffen, zumal wenn es um das Leben der wenigen Kinder unserer Gesellschaft geht. In der Tendenz
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kommt es deshalb zu miteinander konkurrierenden Qualitäts- und Fehlerdefinitionen, werden die Kontexteinzigartigkeit, die Verstehensbarrieren, die Kommunikationshindernisse und die Autonomieerfordernisse, die in der Praxis Sozialer Arbeit relevant werden, nicht von der kritischen Öffentlichkeit umfassend genug gesehen, scheint es insbesondere für die Medien und die enttäuschten Hilfesystemteilnehmer5 eindeutig zu sein, was die Fehler der professionellen Fachkräfte Sozialer Arbeit sind. Und genau dies stellt eine markante Schwierigkeit dar. Denn professionelle Fehler werden nicht nur allein aus der Binnenperspektive der Profession Sozialer Arbeit heraus beobachtet und bestimmt. Vor allem die Medien und die Öffentlichkeit haben einen erheblichen Einfluss darauf, was in der Sozialen Arbeit und insbesondere im Kinderschutz als Fehler angesehen werden kann. Aufgrund der ganzheitlichen Orientierung Sozialer Arbeit, ihres doppelten Generalismus (vgl. Kleve 2006: 17), wird es deshalb umso notwendiger, in der Praxis Güterkriterien professionellen Handelns zu etablieren, die dafür Sorge tragen könnten, dass Soziale Arbeit nicht zu einer allein gelassenen ›Fehlerbüßerin‹ im Hilfesystem wird. Denn professionelle Fehler stellen selbst eine an Beobachtungen und darauf aufbauenden Bewertungen gebundene Interpretation dar. Sie zeigen, was für die am Praxisgeschehen unmittelbar und mittelbar beteiligten Personen und Organisationen die jeweiligen Normen professionellen Handelns und davon abweichend professionelle Fehler sind. Eine solche Fehlerfeststellung ist jedoch nicht frei von Widersprüchen. Sie muss gegenüber der Gesellschaft, der Politik, den Medien, den Bürgern und innerhalb der Profession hinreichend begründet werden. Wie Martin Weingardt (2004: 31ff.) zu Recht beklagt, gibt es aber für unterschiedliche Gegenstandsbereiche jeweils unterschiedliche Fehlerbegriffe, die die Verständigung erschweren. Er führt hierzu aus: »Die Unterschiedlichkeit der Fälle, auf die der Begriff des Fehlers im heutigen Sprachgebrauch angewendet wird, ist von kaum überbietbarer sachlicher Breite. In jedem Gegenstandsbereich oder Wissensgebiet wird Richtiges von Falschem unterschieden, jede Handlungsweise lässt sich kontrastieren mit entsprechenden Fehlhandlungen, jede Überlegung lässt sich abklopfen auf ihre Denkfehler, selbst bei physikalischen Eigenschaften wird von (Material-) Fehlern gesprochen« (ebd.: 31).
Wer professionelle Fehler in der Praxis Sozialer Arbeit demnach bestimmen will, kommt nicht daran vorbei, eine von allen akzeptierte Definition professioneller Fehler aufzustellen. Eine solche für die Soziale Arbeit anschlussfähige Fehlerdefinition hat Martin Weingardt (ebd.: 231ff.) mit seiner transdisziplinären Rahmendefinition und -theorie des Fehlers vorgelegt, auf die noch im Verlauf der weiteren Ausführungen näher eingegangen wird. Mit 5
Es sei nur auf die zahlreichen Onlinekampagnen sogenannter Jugendamtsopfer verwiesen.
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ihr wird es möglich, sich an einem Qualitätsrahmen zu orientieren, der die dynamische Komplexität Sozialer Arbeit berücksichtigt, anstatt einfache exakte Fehlerbestimmungen vornehmen zu wollen. Denn nur so hat man überhaupt die Chance, auf den verschiedenen Gefahren- und Fehlerebenen im Prozess und im Nachhinein klären zu können, warum es zu den jeweiligen (inter-)professionellen wie (inter-)organisationalen Fehlern (vgl. Kapitel 4) gekommen ist, warum Standards nicht eingehalten wurden oder nicht bekannt waren und wie in der Folge die Praxis- und Organisationsbedingungen daraufhin verbessert werden müssten. Nach Reason (2008a: 9) sind Fehler (mistakes) eng verknüpft mit intendierten Absichten, also mit dem, was Menschen gezielt erreichen wollen. Reason (ebd.) definiert Fehler folgendermaßen: »Mistakes may be defined as deficiencies or failures in the judgemental and/or inferential processes involved in the selection of an objective or in the specification of the means to achieve it, irrespective of whether or not the actions directed by this decision-scheme run according to plan.« Er unterscheidet dabei primäre Fehlertypen: slips und lapses (›Ausrutscher‹, ›kleines Versehen‹; moral. = auch: ›Fehltritt‹; lat.: lapsus), bei denen die Handlungen unabsichtlich entgegen der eigentlich angedachten und korrekten Handlung oder dem in der Regel erwartbaren Verhalten durchgeführt werden, und mistakes (›Fehler‹), bei denen Plan und Praxis dem Standard guter Fachpraxis nicht entsprechen, inadäquat oder einseitig aufgrund nicht vorhandener Problemlösungsalternativen konzipiert sind und durchgeführt werden, so dass Gütekriterien der Profession verletzt und beispielsweise die Hilfeziele nicht erreicht werden (ebd.: 13). Diese Fehlertypen hat Reason (ebd.: 53ff.) wiederum mit Bezug zu Rasmussen (1983) auf die Praxisgestaltung (performance), auf das durch das (Nach-)Denken (reflection-in-action) geprägte Handeln und Entscheiden übertragen. So entstehen slips und lapses aufgrund unhinterfragter, routinisierter und angelernter Handlungsweisen (skill-based) und mistakes, weil Fachkräfte an Wissens- und Kompetenzgrenzen stoßen (knowledge-based) und weil sie auf der Grundlage der erlernten und erfahrungsbasierten Regeln und Grundsätze (rule-based) unreflektiert, ›blind‹ handeln und entscheiden und neue Probleme mit bewährten, aber für die Situation nicht mehr angemessenen Lösungsroutinen bearbeiten und beispielsweise einmal getroffene Entscheidungen, die sich ungünstig entwickeln, nicht mehr revidieren (vgl. Heiner 1994: 113). Ähnliche Überlegungen haben Jörg Fegert, Ute Ziegenhain und Heiner Fangerau (2010: 151) in einer zentralen Übersicht aufgegriffen. Auf die Praxis Sozialer Arbeit lassen sich in korrigierter und konkretisierter Form demnach die folgenden individuellen Ursachen für professionelle Fehler übertragen und unterscheiden:
3. F EHLERKONZEPTE | 73
Tabelle 1 Professionelle Fehler und deren individuellen Entstehungsursachen Unsichere Handlungen (unsafe acts) = professionelle Fehler 1. Irrtümer (errors)
2. Fehler (mistakes)
3. Zuwiderhandlungen
= Mit der intendierten
= Der Hilfeplan ist nicht
(violations)
Hilfeintervention wird
geeignet, um das Ziel
= Die intendierte Hilfein-
das gewünschte Ziel
zu erreichen.
tervention ist erwünscht, aber nicht das daraus re-
nicht erreicht.
sultierende negative Ergebnis. Ausrutscher (slips)
Regelbasiert
Routinemäßig
= aufmerksamkeitsba-
a) Eine sinnvolle Me-
= Es wird vom vorgese-
siert
thode wird falsch ange-
henen Verfahren (z.B. Hil-
wandt.
feplan) abgewichen – eine
b) Eine für den Hilfe-
›Abkürzung‹ genommen.
kontext unangebrachte Methode wird verwandt. c) Eine sinnvolle Methode wird nicht angewandt.
Wissensbasiert = meist in unbekannten Praxissituationen Aussetzer (lapses)
Optimierend
= aufmerksamkeitsba-
= Es werden eher persön-
siert
liche und nicht gemeinsam miteinander vereinbarte Hilfeplanziele verfolgt Notwendig oder situationsbedingt = Die gemeinsam besprochenen Regeln und Verfahrensweisen erscheinen in bestimmten Hilfesituationen unangebracht und werden deshalb nicht eingehalten.
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Hauptsächlich entstehen professionelle Fehler demnach, weil soziale Fachkräfte in Praxissituationen, die ja strukturell unbekannt und durch Handlungs- und Entscheidungsdruck geprägt sind, zur Langsamkeit im Denken neigen, was zu Abkürzungen führt und sie dazu verleitet, andere zu berücksichtigende Einsichten und Informationen auszublenden. Sie entstehen, weil soziale Fachkräfte sich das Gefühl der eigenen Kompetenz und Handlungsfähigkeit auch dann noch einreden, wenn sie eigentlich schon lange nicht mehr alles im Griff haben. Sie entstehen, weil sie tendenziell zum ballistischen Entscheiden und Handeln in komplexen und unüberschaubaren Situationen neigen, ja: zu regelrechten ›Fehlerautisten‹ werden, weil sie nicht die (un-)beabsichtigten Fernwirkungen ihres Handelns und Entscheidens rechtzeitig überblicken können (vgl. Dörner 1997), mit dem Phänomen der begrenzten und lokalen Rationalität konfrontiert sind (vgl. Simon 1968) und lieber die für sie in der konkreten Praxissituation zufriedenstellendste Lösung wählen, anstatt die optimale Lösung zu suchen. Fehler zeichnen sie darum geradezu aus (vgl. Weingardt 2004), was noch nicht heißt, dass soziale Fachkräfte Fehler in der Praxis Sozialer Arbeit immer bemerken würden. Wenn man sich als soziale Fachkraft nämlich gar nicht als fehleranfällig versteht, sich stattdessen als kompetent ansieht, bleiben die oftmals unbeabsichtigten professionellen Fehler im Verborgenen, können nicht mit anderen relevanten Kooperationspartnern im Hilfesystem Fehler erkannt und behoben werden. Denn die Fachkräfte sind ja zumeist nicht selbst von ihren professionellen Fehlern betroffen, sondern von den Fehlern ihrer Kooperationspartner. Das Schweizer-Käse-Modell der Fehlerentstehung
James Reason (2008b: 17) geht in seiner Studie »Managing the Risks of Organizational Accidents« von einer ähnlichen konzeptuellen Überlegung aus. Er behauptet nämlich, dass organisationale ›Unfälle‹ und ›Katastrophen‹ nicht nur dem Fehlerverhalten einzelner Menschen zugeschrieben werden können, sondern dass miteinander zusammenhängende Einflussfaktoren dazu führen. Genauer gesagt: Schwerwiegende Katastrophen werden nicht durch singuläre Fehler provoziert, sondern durch zahlreiche kleinere Fehler, die auf unterschiedlichen Ebenen relevant werden und sich sozusagen in komplexen Eskalationsprozessen zu hybriden Fehlern aufschaukeln. Er hebt in diesem Zusammenhang die nachstehenden Ebenen hervor (vgl. ebd.: 16ff.): (1) Organisationale Rahmenbedingungen, also strategische Entscheidungen, die sowohl das Budget und damit die zeitlichen und personellen Ressourcen als auch die konzeptuellen Planungen und das Finanzcontrolling betreffen und darüber bestimmen, wie die Mitarbeiter miteinander kommunizieren, welchem Management- und Sicherheitsverständnis und welcher organisationskulturellen Gesamtphilosophie dabei gefolgt wird. (2) Die durch die organisationalen Faktoren hervorgerufenen lokalen Arbeitsbedingungen, die darüber entscheiden, ob adäquate Mittel und Me-
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thoden (bezogen auf die Soziale Arbeit: Zeit und finanzielle Mittel für kollegiale Fallberatungen, Supervisionen, gezielte Fallanalysen von problematischen/erfolgreichen Fallverläufen, Weiterbildungen, Qualitäts- und Organisationsentwicklungen) zur Verfügung stehen, um (3) die für Menschen typischen slips, lapses und mistakes (sowohl Hilfeprozessfehler als auch professionelle Fehler mit Schadensfolge und Todesfolge) – unsafe acts – frühzeitig erkennen, beheben und aus diesen lernen zu können. Reason (ebd.: 12) folgt dabei einer von ihm selbst entwickelten bildlichen Schematisierung, einem Schweizer-Käse-Modell, mit der Idee, dass ein organisationaler Unfall – im fallbezogenen Kinderschutz ein professioneller Fehler mit Schadensfolge oder Todesfolge – deswegen entsteht, weil zuvor viele Sicherungssysteme versagt haben und viele Sicherheitslücken durch aktive Fehler und durch latente Fehler nicht rechtzeitig geschlossen worden sind. Abbildung 2 Fehlerbedingende Gefahrenebenen
Unsafe acts, also professionelle unsichere Handlungsweisen, Fehler und deren Auswirkungen, können während der Fallarbeit zumeist sofort wahrgenommen werden, wenn ein entsprechendes demokratisches und dialogisches Professionsverständnis in der Praxis etabliert ist – wenngleich auch dadurch nicht lebensbedrohliche Fehler im Kinderschutz hundertprozentig vermieden werden können. Latente (Organisations-)Fehler hingegen sind jene Fehler, die lange unerkannt und unbekannt bleiben, bei denen sich die unbeabsichtigten Nebenwirkungen der organisationalen wie professionellen Planungen, Entscheidungen und Handlungen erst im Nachhinein als problematisch herausstellen (z.B. strategische und konzeptionelle Fehlentscheidungen und -planungen über das zur Verfügung stehende Hilfebudget, über Fort-
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/Weiterbildungs- und Supervisionsmittel und konzeptionelle Ausrichtungen), weil niemand zuvor darauf geachtet hat bzw. beobachtete Fehler der sozialen Fachkräfte als solche nicht von ihren Führungskräften und dem übergeordneten Management wahrgenommen wurden. Latente Fehler müssen deshalb in einem inter- und intraorganisationalen bzw. systemischen Gesamtzusammenhang gesehen werden. Reason (ebd.: 38) weist darauf hin, dass insbesondere ›pathologische‹ und ›bürokratische Organisationskulturen‹ nichts über beobachtete Fehler wissen wollen bzw. keine Anstrengungen unternehmen, um latente Fehler rechtzeitig identifizieren zu können (siehe Tabelle 2). Dadurch stehen oftmals diejenigen Mitarbeiter, die Fehler melden oder ständig Verbesserungsvorschläge anbringen, in ihren Organisationen in der Kritik. Sie werden deshalb auch oft nicht gehört, so dass Fehler, wenn überhaupt, nur individuell und nicht team- bzw. abteilungsübergreifend gelöst werden (vgl. weiterführend Kapitel 4).
den oft gleichge-
Kultur
geschult, Fehler zu erkennen und zu benennen.
gemeinsam übernommen.
ler führen zu orga-
nisationalen Ver-
änderungen.
willkommen.
Kultur
Mitarbeiter werden darin
für Fehler wird
Aufgedeckte Feh-
Neue Ideen sind
Generative
Die Verantwortung
nicht mehr über die von
neuen Problemen.
ihnen entdeckten Fehler
sen bzw. in Zukunft
ist aber froh, wenn sie
werden angehört, man
Aufkommen von
aufgespalten.
für Fehler wird
Übermittler von Fehlern
an den Pranger gestellt.
(whistleblowers) werden
Übermittler von Fehlern
die Organisation verlas-
kal beseitigt.
Die Verantwortung
ignoriert.
für Fehler wird
Die Verantwortung
mit verbundenen
setzt mit dem da-
Neue Ideen wer-
Bürokratische
abgelehnt.
Fehler werden lo-
heimlicht.
Organisation und
der Praxis werden
ahndet oder ver-
Verbesserung der
Kultur
Fehler werden ge-
Neue Ideen zur
Pathologische
tiv gesucht.
Fehler werden ak-
werden.
nicht gefunden
Fehler müssen
wissen.
was über Fehler
Niemand will et-
3. F EHLERKONZEPTE
Tabelle 2 Typische Organisationskulturen
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Aufbauend auf Fritz Schützes (1992, 1996) Überlegungen und Ausführungen zur ›bescheidenen‹ Profession Sozialer Arbeit, in denen er von systematischen Fehlern und Schwierigkeiten des professionellen Handelns in Sozialbürokratien mit Kontroll- und Sanktionskontexten berichtet, gehe ich deshalb davon aus, dass soziale Fachkräfte kaum dazu in der Lage sind, ohne unterstützende Organisationen ihre professionellen Fehler von ihrem Schadensausmaß her abzuschwächen bzw. rechtzeitig auf latente Fehler, die ihre professionelle Wirksamkeit gefährden, hinzuweisen. Diese Erkenntnis verweist jedoch darauf, dass in Organisationen Sozialer Arbeit entsprechende Strukturen und Ressourcen vorhanden sein müssen, damit soziale Fachkräfte hochzuverlässig arbeiten können (vgl. Kapitel 4). Darauf haben nicht zuletzt auch die Forschungsergebnisse zur wirkungsorientierten Kinder- und Jugendhilfe hingewiesen, bei denen zehn empirische Wirkfaktoren als wesentlich herausgestellt wurden. Danach wirkt Kinder- und Jugendhilfe, wenn (vgl. ISA 2009: 55ff.) • die sozialen Fachkräfte in ihrer Organisation Mitbestimmungsrechte haben, • das Teamklima von einer Atmosphäre der Akzeptanz, Anerkennung, des Respekts und von einem produktiven fachlichen Austausch geprägt ist, • Verfahrensabläufe verbindlich und klar geregelt sind, • Wirkungsdialoge befördert werden, • eine Balance zwischen den zu bewältigenden professionellen Aufgaben und den zur Verfügung stehenden Ressourcen geschaffen wird, • nichtmaterielle und der Profession Sozialer Arbeit nahestehende Anreizstrukturen etabliert werden, • die Partizipationsrechte der Kinder und Jugendlichen im pädagogischen Alltag berücksichtigt werden, • Hilfeplangespräche beteiligungsfördernd gestaltet werden, • ein verlässliches, vertrauenswürdiges und zeitintensives Arbeitsbündnis zwischen den Klienten und den Fachkräften aufgebaut werden kann und • fachlich-reflexive Ziel- und Handlungskonzepte in Zusammenarbeit mit den Klienten entwickelt werden, die insbesondere bei Kindern und Jugendlichen die soziale Integration, die Identitätsbildung und Verselbständigung unterstützen. Sind diese Faktoren gegeben, kann Kinder- und Jugendhilfe etwas bewirken, fehlen sie, wird Soziale Arbeit als qualitatives Berufssystem gefährdet bzw. entwickeln sich problematische, systemfremde Professionalisierungen, die einen offenen Umgang mit Fehlern gefährden (vgl. Abschnitt 3.3). Demokratische und dialogische Zusammenarbeit
Um gemeinsam aus Fehlern lernen zu können, bedarf es nämlich einer entsprechenden Haltung der Fehleroffenheit, die von den jeweiligen Organisationen Sozialer Arbeit ebenso gefördert und unterstützt, ja regelrecht als Kultur etabliert werden muss. Denn erst eine demokratische und dialogische
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Zusammenarbeit im Hilfesystem könnte möglicherweise dazu beitragen, dass bislang unverstandene bzw. missverstandene Problem- und Hilfeanlässe und die daraus resultierenden unbeabsichtigten Interventionsfolgen gemeinsam mit den Hilfesystemteilnehmern kontrolliert und unrealistische Hilfeziele überprüft und an den sich verändernden Praxiskontext angepasst werden können. D.h.: Erst ein gemeinsames dialogisches und kritisches Reflektieren in der Praxis und über die Praxis (vgl. Schön 1983) und eine damit verbundene demokratische und dialogische Professionalität der sozialen Fachkräfte und ihrer Praxispartner, ein gemeinsames prozessuales Verstehen und Lernen auf Grundlage der unterschiedlichen, aber genauso bedeutenden Wissensbestände und Lösungsvorschläge der an den Hilfen beteiligten Kooperationspartner, also auch und vor allem in Zusammenarbeit mit den Klienten, kann überhaupt dazu beitragen, dass professionelle Fehler von ihrem Schadensausmaß minimiert werden können. »Das bedeutet im Hinblick auf die Beurteilung von Qualität, dass ein multiperspektivischer Ansatz notwendig ist« (Hünersdorf/Studer 2008: 7), der es ermöglicht, dass trotz unterschiedlicher Interessenlagen, Leitungs- und Fachkräfte sowie die Hilfesystemteilnehmer eine Stimme erhalten, um einen fairen und offenen Fehlerdialog gewährleisten zu können. Kritiker dieser Überlegung könnten einwenden, dass dies eine Potenzierung der Fehleranfälligkeit humaner Hilfepraxis darstellt, da professionelle Fehler nun auch noch mit den menschlichen Fehlern der Hilfesystemteilnehmer vermengt und thematisiert werden sollen. Die Profession Sozialer Arbeit kann aber nur dann aus ihren Fehlern lernen, wenn es ihr gelingt, ihre Klienten zu gleichberechtigten Praxispartnern zu machen6. »Während üblicherweise die Faustregel gilt: je schwieriger die Problemstellung und je geringer die Freiwilligkeit der Teilnahme, desto schwächer sind die Chancen der Partizipation für die Hilfeteilnehmer, so zeigt sich in den Erfahrungen mit ›mehrseitigen Settings‹, dass mit der Kreativität der Beteiligten« (Stork 2009: 95) gegenseitig sich beinflussende professionelle wie menschliche Fehler besser erkannt, gelernt und zukünftig vermieden werden können. Gerade wenn Hilfesystemteilnehmer nämlich unzufrieden sind, sich beschweren, Hilfen abbrechen oder die sozialen Fachkräfte verbal oder sogar körperlich bedrohen, kann man davon ausgehen, dass insbesondere professionelle, aber auch organisationale Fehler (vgl. Kapitel 4) zu diesen Reaktionen geführt haben. Für solche Kritiken haben jedoch nicht alle sozialen Fachkräfte ein offenes Ohr. Denn als zu kompliziert erweisen sich oft die durch Konflikte geprägten Arbeitsbeziehungen, wie aktuelle Studien zur Partizipation in der Kinder- und Jugendhilfe zeigen (Pluto 2007).
6
Liane Pluto (2007) hat in ihren empirischen Arbeiten zur Partizipation in der Kinder- und Jugendhilfe folgende Abwehrmuster gefunden, die bei den sozialen Fachkräften eine Rolle spielen,: (1.) Partizipation hat Grenzen, (2.) Partizipation bedroht die eigene Fachlichkeit, (3.) Beteiligung ist zum Scheitern verurteilt.
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Was heißt aber nun im Konkreten, demokratisch und dialogisch zu arbeiten? Dialog meint die Kunst des gemeinsamen Denkens (Isaacs 2002), ein verändertes Zuhören, ein Respektieren unterschiedlicher Auffassungen, Suspendieren von schnellen Bewertungen, nicht zuletzt die Wahrnehmung des eigenen und gemeinsamen Denkens. »Zur Praktik des Zuhörens gehört das Prinzip der Partizipation, zur Praktik des Respekt das Prinzip der Kohärenz, zur Praktik des Suspendierens das Prinzip der Bewusstheit und zur Praktik des Artikulierens das Prinzip der Entfaltung« (ebd.: 84). Diese vier Praktiken können dazu beitragen, gemeinsam professionelle und menschliche Fehler verstehen und klären zu lernen, ohne in habituell bedingte Rechtfertigungs- oder Verteidigungspositionen – in die Verstrickungen des intersystemischen Fehlerkreislaufes – zu geraten. Sie tragen dazu bei, den »vier Pathologien des Denkens – Abstraktion, Idolatrie, Gewissheit und Gewalt« (ebd.: 73) – etwas entgegenzusetzen und für »die Umrisse einer Menschlichkeit, mit deren Hilfe diese Schwierigkeiten überwunden und die Grundlage zur Entwicklung einer ganz anderen Arbeits- und Lebensweise gelegt werden können« (ebd.), etwas beizutragen. Die Eckpfeiler einer dafür notwendigen demokratischen und dialogorientierten professionellen Vorgehensweise7 lassen sich in Anlehnung an Überlegungen von Harald Wabst (2009: 189) und von Silvia Staub-Bernasconi (2009: 38) wie folgt formulieren: • Die jeweils spezifischen berufsbedingten Sprachwelten werden von den sozialen Fachkräften in eine der soziokulturellen und der gemeinsamen Verständigung dienenden sozialraumüberwindenden Mehrsprachlichkeit überführt. • Nichtwissen und Ungewissheiten werden von den sozialen Fachkräften als Chance begriffen, gemeinsam von- und miteinander zu lernen. • Zwischen den unterschiedlichen und oftmals hochspezialisierten Berufssystemen, wie z.B. der Medizin, dem Recht, der Schule, werden von den sozialen Fachkräften Kooperationsstrukturen geschaffen, die der Herstellung, Sicherung bzw. Rekonstruktion von ›entbetteten‹, ja sogar ›ortlosen‹ Lebens- und Familienzusammenhängen dienen. • Sozialpädagogische und sozialarbeiterische Orte werden auf diese Weise von den sozialen Fachkräften zwischensystemisch und in gemeinsamer Verantwortung aller an den Hilfen beteiligten Institutionen gestaltet, so dass Klienten nicht zwischen den sich als nicht zuständig begreifenden Berufssystemen hin und her geschoben bzw. abgeschoben werden.
7
Es sei an dieser Stelle auch auf die »Anmerkungen zu einer dialogischen Sozialwissenschaft« von Timm Kunstreich (2009) verwiesen sowie auf den von Hans Ullrich Krause und Regina Rätz-Heinisch (2009) herausgegebenen Band »Soziale Arbeit im Dialog gestalten. Theoretische Grundlagen und methodische Zugänge einer dialogischen Sozialen Arbeit«.
3. F EHLERKONZEPTE | 81
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Qualitätsstandards und daraus sich ableitende Fehlervorstellungen werden von den sozialen Fachkräften und ihren Organisationen nicht autonom professionsspezifisch entwickelt, sondern von den an den Hilfen beteiligten Personen und Organisationen mit und neu definiert. Speziell ausgebildete interprofessionelle Übersetzer, wie z.B. dialogische Qualitätsmanager, wissen bislang ungeklärte Zuständigkeiten und Konflikte aufzulösen und tragen damit zu einer gemeinsamen Ethik der Verantwortung, des gegenseitigen Respekts, der gegenseitigen Anerkennung, des Rechts auf Anderssein bei, die in lokalen und globalen Zusammenhängen gelten.
Den sozialen Fachkräften wird im beruflichen Alltag jedoch häufig nicht der organisationale Spielraum gelassen, um in und mit ihren Kooperationspartnern über ihre Praxis dialogisch reflektieren und ihre Programme und Handlungsmethoden entsprechend den sich ändernden Anforderungen weiter entwickeln zu können – zumal Soziale Arbeit aufgrund ihrer ganzheitlichen Ausrichtung und Allzuständigkeit oftmals mit Professionen und Organisationen kooperiert, die eigentlich nur ihre Probleme abgeben wollen, da sie selbst keine Lösungsmöglichkeiten mehr sehen. Soll eine tragfähige Zusammenarbeit über die Systemgrenzen hinweg gelingen, muss in die Qualität der strukturellen Voraussetzungen guter Fachpraxis investiert werden, sind fallspezifische und fallübergreifende Hilfeprozesse ansonsten gefährdet, kommt es stattdessen zu einseitigen und vorurteilsunterstützenden Verantwortungszuschreibungen. Eine demokratische und dialogische Professionalität hat sich in der Sozialen Arbeit jedenfalls noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Vielmehr kommt es zu technologischen und computergestützten Methodenaufrüstungen, geht es zunehmend nicht mehr um ein ganzheitliches Fallverstehen, sondern um eine kritieriengestützte Erfassung riskanter (Kinderschutz)Fälle. Nicht überraschend treten daher die folgenden Fehlerquellen bei der professionellen Beurteilung von Interventionsprozessen und die dadurch verursachten professionellen Fehler häufig auf (vgl. Biesel 2009b: 206f., Groopman 2008, Heiner 1994: 120): Typologie professioneller Fehler
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falsche Analogieschlüsse, die auf Erfahrungen mit ähnlichen Fallgeschichten beruhen, ohne dass soziale Fachkräfte dabei auf den besonderen empirischen Kontext achten, so dass Klienten mit scheinbar analogen Charaktereigenschaften und Problemen schnell in ein und dieselbe Hilfeschublade gesteckt werden (Analogie- oder Attributionsfehler) unzulässige Generalisierungen und Verallgemeinerungen, die auf Grundlage von einmaligen oder seltenen Praxissituationen und/oder Verhaltensweisen von Klienten zumeist voreilig und unreflektiert von den sozialen Fachkräften vorgenommen werden, weil gerade keine ande-
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ren Informationen zur Hand sind (Generalisierungs-, Schnelligkeitsoder Verfügbarkeitsfehler) unzureichende Berücksichtigung sozialer, organisationaler und gesellschaftlicher Lebens-, Wohn- und Familienbedingungen von Klienten, was dazu führt, dass Nebenwirkungen und Spätfolgen bei der Fallentwicklung von sozialen Fachkräften unterschätzt werden (Einseitigkeitsoder Perspektivfehler) vorschnelle Interventionen, die durchgeführt werden, weil soziale Fachkräfte zu früh damit aufhören, nach der bestmöglichen Hilfeform zu suchen, so dass einmal installierte Hilfe zumeist nur ereignisorientiert überprüft und nicht rechtzeitig durch andere, vielleicht passendere Hilfen ersetzt werden (Zufriedenheits- oder Sättigungsfehler) kausale Ursachenerklärungen, bei denen die unterschiedlichen Meinungen und Ansichten der am Hilfeprozess beteiligten Personen vorschnell ausgeklammert werden, wenn sie nicht die Hypothesen der sozialen Fachkraft stützen, so dass nichtintendierte Nebenwirkungen lange unbeachtet bleiben (Eitelkeits- oder Überzeugungsfehler) bio-psycho-soziale Faktoren, die dazu beitragen, ob und wie ein Fall von den sozialen Fachkräften eingeschätzt wird, ob sie sich unsicher, emotional betroffen oder überlastet fühlen, wie und mit welcher Intension sie den Fall in ihrem Team, bei ihren Kollegen vorstellen und wie sie sich im Team und in der Organisation aufgehoben und fachlich und moralisch unterstützt oder übergangen fühlen (Überlastungs-, Mitläufer-, Überzahlfehler)
Auch noch andere professionelle Fehler sind in der neueren Fehler- und Risikomanagementforschung identifiziert worden, wie z.B.: • Hilfezugangsfehler, das sind professionelle Fehler, die den vertrauensvollen Zugang zu den Klienten verbauen und Hilfen schon vom Grundsatz verhindern, die aber in der Regel eng verknüpft sind mit • Anerkennungs- und Partizipationsfehlern, professionellen Fehlern also, die dazu führen, dass sich die Klienten von den sozialen Fachkräften nicht anerkannt, respektiert und wertgeschätzt und sich bei Hilfeprozessen nur vordergründig bis gar nicht beteiligt fühlen, oder • Hilfekapazitäts- oder Hilfeoptionsfehler, die entstehen, weil das Hilfesystem nicht gut aufgestellt ist und eigentlich sich als notwendig und geeignet herausstellende Hilfen nicht zur Hand sind. Mit Reinhart Wolff (2007a) und in Bezug zur Kinderschutzpraxis (vgl. weiterführend: BMFSFJ 2008: 19ff.) können noch die folgenden typischen professionellen Fehler im Hilfesystem beschrieben werden: • mediale Inszenierungs- und Skandalisierungsfehler, die dazu führen, dass soziale Fachkräfte Kindeswohlgefährdungen nicht mehr kompetent und sachlich einschätzen, sondern stattdessen auf den Zug der massen-
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medialen, aber unwissenschaftlichen Skandalisierung aufspringen und mit familienersetzenden und elternabschottenden Maßnahmen reagieren; Mandatierungsfehler, die in ihrer Konsequenz eine programmatische diffuse Kinderschutzpraxis provozieren, in der die sozialen Fachkräfte nicht wissen, was ihr gesellschaftliches und professionsspezifisches Kinderschutzmandat ist; Anamnese- und Diagnosefehler bei der Einschätzung von Kindeswohlgefährdungen, weil oftmals nicht alle Informationen zu Rate gezogen werden oder weil man lieber an einmal aufgestellten Anamnesen und Diagnosen festhält, anstatt diese prozessual und dialogisch immer wieder zu korrigieren; in der Tendenz provoziert solch ein Vorgehen zum Übersehen von Kindesmisshandlungsfällen (insbesondere bei Vernachlässigungs- und sexuellen Missbrauchssymptomatiken) oder zu einem unverhältnismäßigen und dem Fall unangemessenen Hinsehen, die zu ›falschen Positiva‹, d.h. zur vorschnellen Annahme führen, dass es sich bei einem ›gemeldeten‹ Fall um eine tatsächliche Kindesmisshandlung handelt; methodische Prozessfehler während des Hilfeverlaufs, bei dem eine zunehmende Kindfixierung einsetzt und der Kontext aus den Augen verloren wird und ganze Familiensysteme professionell aufgespalten werden; Dokumentations- und Fallübergabefehler, die dazu führen, dass von anderen Fachkräften und Organisationen und vor allem von unbeteiligten Außenstehenden nicht im Nachhinein nachvollzogen werden kann, aus welchen professionellen Gründen heraus gerade jene und keine andere Entscheidung getroffen worden ist; Rechtsfehler, bei denen die Vorschriften des SGB VIII einfach nicht eingehalten werden bzw. zu Ungunsten der Klienten machtvoll ausgelegt werden.
Solche professionellen Fehler sind in der Praxis kaum zu vermeiden, wenn nicht der dialogische Austausch mit Kollegen, den Klienten und den weiteren Kooperationspartnern gesucht wird. Denn es gelingt den sozialen Fachkräften nicht zuverlässig, (1) in Routinesituationen immer aufmerksam zu sein (skill-based = aufmerksamkeitsbasierte Fehler), (2) von den gängigen, aber sich als falsch herausstellenden methodischen Vorgehensweisen und von den gemeinsamen verabredeten professionellen wie organisationalen Normen abzuweichen bzw. zu erkennen, dass bislang erlernte Methoden nicht mehr praktikabel sind (rule-based = regelbasierte Fehler), und
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(3) auf neue Praxisprobleme immer mit dem neuesten Wissen und Können reagieren zu können (knowledge-based = wissensbasierte Fehler) (vgl. Reason 2008c: 13)8. Die Öffnung: eine transdisziplinäre Fehlerdefinition
Um fehlerkritisch in der Praxis Sozialer Arbeit zu arbeiten, ist es notwendig, grundsätzlich zu bestimmen, was professionelles Handeln ist, und man muss dafür Sorge tragen, solche professionellen und miteinander abgestimmten Gütekriterien in der jeweiligen Organisation, wie überhaupt im gesamten Hilfesystem, unablässig umzusetzen. Denn Menschen neigen dazu, immer wieder in ihre alten Verhaltensroutinen zu verfallen, Dinge für unwichtig zu halten, die ihnen zuvor wichtig gewesen waren. Davon sind die Fachkräfte Sozialer Arbeit natürlich nicht ausgenommen, insbesondere weil sie nicht selten die frustrierende Erfahrung machen mussten, dass die Entwicklung und Sicherung von Qualität eine schier unlösbare Daueraufgabe darstellt. Zu schnell ändern sich nämlich die Aufgaben und Herausforderungen in der Kinder- und Jugendhilfe, muss immer wieder neu entwickelt werden, was die professionelle Qualität Sozialer Arbeit im Wesentlichen ausmacht und auszeichnet. Ein Qualitätsrahmen für ein differenziertes Fehlerverständnis Sozialer Arbeit lässt sich daher wie folgt skizzieren: Professionelle Fehler können nur als sozial kommunikative Konstruktionen verstanden werden, die auf gesellschaftliche Erwartungen, gesetzliche Regelungen, selbsterzeugte, d.h. (inter-)professionelle wie (inter-)organisationale Werte, Normen und Haltungen und die daraus resultierenden Qualitätsstandards verweisen. Sie können für die in der Sozialen Arbeit vorkommenden komplex dynamischen Praxiskontexte nicht als ein für allemal normativ feststehend beschrieben und einzelnen Fachkräften zugerechnet werden. Professionelle Fehler sind multikomplex. Ob eine Entscheidung und die daraus resultierende Handlung als professioneller Fehler beobachtet werden kann, hängt deshalb von den gegebenen Praxiskontexten und von den Praxisalternativen ab, die sich im Nachhinein als ungenutzte Möglichkeiten herausstellen. Auf ein solches gesellschaftskritisches Fehlerverständnis hat bereits Martin Weingardt mit seinen Überlegungen zur Begründung einer ›transdisziplinä8
So stellen Rosmarie Welter-Enderlin und Bruno Hildenbrand (1996: 52ff.) in ihrem Buch zur Systemischen Therapie als Begegnung heraus, dass es in der Ausbildungssituation, wo es als Fachkraft darauf ankommt, sich Wissen und Berufserfahrungen anzueignen, eigentlich keine Routinefälle gibt. Vor diesem Hintergrund wird jeder vermeintliche Routinefall zu einem problematischen und damit fehleranfälligen Fall.
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ren Fehlerdefinition‹ hingewiesen. Weingardt (2004: 231ff.) hebt vier Merkmale hervor, die dafür ausschlaggebend sind, ob professionelle Fehler überhaupt von anderen beobachtet und als solche widerspruchsfrei bestimmt werden können: (1.) ›Subjektivität‹, (2.) ›Alternative‹, (3.) ›Kontext‹, (4.) ›Verantwortlichkeit‹. Damit ist nun Folgendes gemeint: Die Feststellung, ob etwas als professioneller Fehler beobachtet werden kann, geht mit einem auf subjektiven und professionellen Erfahrungen und Wissensbeständen basierenden Wahrnehmungs-, Analyse-, Interpretations- und Bewertungsvorgang einher, der in einem sachbezogenen und damit notwendigerweise subjektiven Urteil endet – (1.) ›Subjektivität‹. Erst wenn eine günstigere und auch umsetzbare (2.) ›Alternative‹ im Gegensatz zur zuvor als professioneller Fehler herausgestellten Handlung und Entscheidung möglich gewesen wäre, kann man allerdings überhaupt von einem professionellen Fehler sprechen. Ebenso spielt dabei auch der (3.) ›Kontext‹ eine Rolle, also das soziokulturelle Umfeld, in dem bestimmt wird, ob in der Praxis etwas als professioneller Fehler im Gegensatz zur möglichen Alternative angesehen wird und ob damit eine Handlung oder Entscheidung schlussendlich als erwünscht oder unerwünscht bewertet wird. Ist eine soziale Fachkraft an der Entstehung von professionellen Fehlern beteiligt, so kann sie dafür nur insoweit allein verantwortlich gemacht werden, wie es ihr zur gegeben Zeit überhaupt in der gegebenen Praxissituation möglich war, diesen professionellen Fehler, der auch von anderen beobachtet wurde, zu vermeiden bzw. sich für eine günstigere und umzusetzende Alternative zu entscheiden – (4.) ›Verantwortlichkeit‹. Um professionelle Fehler bestimmen zu können, muss also gemeinsam fortlaufend untersucht werden (vgl. ebd.: 250): (1) Wer hat auf Grundlage welcher subjektiven und professionellen Erfahrungen und Wissensbestände das Fehlerurteil gefällt? (2) Gibt es darüber hinaus noch andere, möglicherweise sich widersprechende fachliche Beurteilungen? (3) Gab es überhaupt eine zum aktuellen Zeitpunkt günstigere und umsetzbare Alternative? Und welche anderen Varianten werden benannt, die man anstelle des auch von anderen beobachteten professionellen Fehlers hätte umsetzen sollen? (4) Auf welchen gesellschaftlichen, intra- und interorganisationalen, professionellen und rechtlichen Kontext wird das Fehlerurteil bezogen? (5) Wie werden einzelne Kontextbedingungen miteinander in Beziehung gesetzt und miteinander gewichtet? (6) Welche sich widersprechende Interessen könnten zum Fehlerurteil geführt haben, bzw. hätte das Urteil auch anders ausfallen können? (7) Gab es schon einmal zu einem früheren Zeitpunkt einen ähnlichen Sachverhalt, wo ganz andere Bewertungsmaßstäbe angelegt worden sind? (8) Wie komplex und bedeutsam war der Kontext, in dem die Entscheidung getroffen und die Handlung durchgeführt wurde, die nun als professioneller Fehler von anderen beobachtet worden ist?
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(9) Und gab es in solch einer Situation übeerhaupt die realistische Möglichkeit, eine andere Alternative allein umseetzen zu können?
Abbildung 3 Kriterien der Fehlerbestimmun ng
Um professionelle Fehler weiter unterscheiiden zu können, muss aber auch geklärt sein, ob diese Fehler schwerwiegen nde oder geringe Konsequenzen haben und wer gegebenenfalls wie davon betroffen b ist – und: ob diese Fehler noch während des Fall- bzw. Hilfeverllaufes korrigiert werden können oder ob sie so schwerwiegend sind, dass eiin Klient dadurch irreversibel zu Schaden gekommen ist (vgl. hierzu auch Spychiger 2008: 27ff.). So lassen F unterscheiden: sich beispielsweise folgende professionelle Fehler • professionelle Fehler mit Todesfolge, • professionelle Fehler mit Schadensfolge, • noch zu transformierende professionelle Fehler (Hilfeprozessfehler) und • Ausrutscher und Versehen. Bei der Bestimmung darüber, ob eine Entsccheidung oder Handlung als professioneller Fehler herausgestellt werden kann, k kommt es also darauf an, worauf das subjektive Fehlerurteil im mora alischen, sozialen und kognitiven Sinne beruht, welche reversiblen bzw. irreeversiblen materiellen, sozialen, emotionalen und somatischen Konsequenzeen damit verbunden sind und ob das soziokulturelle Umfeld – z.B. die kritiische Öffentlichkeit, die soziale Organisation, die Kooperationspartner – au uf die Existenz von professionel-
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len Fehlern bestrafend, gewährend, vermeidend, verstehend oder lernorientiert eingestellt ist (vgl. Spychiger 2004). Paradoxien und Ambivalenzen
In Anbetracht der hier herausgearbeiteten Voraussetzungen wird deutlich, dass Soziale Arbeit nicht einfach mit einem Risiko- und Fehlermanagement beginnen kann. Die Profession Soziale Arbeit muss in ihren organisationalen Kontexten zuerst einmal versuchen, mit ihrer strukturellen Fehleranfälligkeit und den damit verbundenen Paradoxien und Ambivalenzen produktiv, d.h. lernorientiert umzugehen. Denn aufgrund der Nichtbewältigung und mitunter schwer auszuhaltender und professions- und organisationsabhängiger Paradoxien und Ambivalenzen im Feld der Sozialen Arbeit sind professionelle Fehler insbesondere in Sozialbürokratien (wie z.B. den Jugendämtern mit ihren ASD) nur schwer zu vermeiden. Fritz Schütze (1992, 1996) hat diese Ansicht aus symbolisch-interaktionistischer Theorieperspektive umfassend begründet. Aber auch Heiko Kleve (1999, 2000, 2007) betont in seinen konstruktivistischen und systemtheoretisch angelegten Arbeiten, das Soziale Arbeit in der Postmoderne »eine äußerst ambivalente Profession« sei, »die mit zahlreichen Uneindeutigkeiten, Widersprüchen und Paradoxien aufgeladen ist« (Kleve 2007: 33). Die für die Soziale Arbeit vor allem eine Rolle spielenden Paradoxien (vgl. Schütze 1992: 146ff.) und Ambivalenzen (vgl. Kleve 1999: 237ff.) sind9: • das grundsätzliche »Hilfeparadoxon Sozialer Arbeit« (Wolff 1990: 22) oder die Gefahr, Klienten Sozialer Arbeit von professioneller Hilfe abhängig zu machen, obwohl man als soziale Fachkraft eigentlich Hilfe zur Selbsthilfe leisten will; • die polykontextuellen Verweisungszusammenhänge Sozialer Arbeit, die eine Allparteilichkeit der sozialen Fachkräfte erforderlich werden lässt, obwohl gleichzeitig die parteiliche Vertretung der Klienten im Vordergrund stehen muss; • die andere Seite von Hilfe: die von der Gesellschaft eingeforderte und dem Konzept der Sicherheitsprävention unterliegende Sozialkontrolle (vgl. Kapitel 2); • die professionellen Ordnungs-, Sicherheits- und Machterfordernisse bei sich zuspitzenden Problem- und Konfliktlagen und die dabei dennoch zu
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Peter Erath (2006: 62ff.) hat in seiner Einführung zur Sozialarbeitswissenschaft daneben noch auf andere Dilemmata verwiesen. Diese sind: die Unbestimmbarkeit Sozialer Arbeit, die fehlende Integrationskraft Sozialer Arbeit, das unklare (doppelte Mandat) Sozialer Arbeit, das Technologiedefizit Sozialer Arbeit, der Effizienzverdacht Sozialer Arbeit. Auf eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Paradoxien, Ambivalenzen und Dilemmata Sozialer Arbeit und den dabei zugrunde liegenden theoretischen Basisannahmen wird in dieser Arbeit verzichtet. Es sei aber u.a. auf die früheren Arbeiten von Regine Gildemeister (1983: 64ff.) hingewiesen.
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berücksichtigenden Entwicklungsbedürfnisse, Rechte und Entscheidungsfreiheiten der Klienten; Die Offenheit für unterschiedliche Problemsichten und die Notwendigkeit einer verallgemeinerten und expertenspezialistischen Falltypisierung und Merkmalszuschreibung, die trotz einer differenzierten und forschenden biografischen Fallbeobachtung und multiperspektivischen Kontextbetrachtung immer wieder von den sozialen Fachkräften vorgenommen werden müssen, um die Problemlagen der Klienten bearbeitbar zu machen; negative und entwicklungsverschlossene Prognosen, die aufgrund der Nichtvorhersehbarkeit zukünftiger Fallentwicklungen zur eigenen fachlichen und rechtlichen Absicherung erstellt werden, obwohl gleichzeitig gemeinsam mit den Klienten an gemeinsamen Entwicklungszielen und einem positiven Fallverlauf gearbeitet wird; eine für den Hilfeprozess unabdingbare dialogisch-kommunikative Fallarbeit, die strukturell durch eine vorgeschriebene Ablaufpraxis mit umfangreichen und der eigenen Absicherung dienenden Dokumentationsund Schreibarbeiten unterlaufen wird; die Notwendigkeit, bestimmte Problemlagen der Klienten auch erst einmal in Ruhe zu beobachten, um die etwaigen positiven Fallentwicklungen geduldig abwarten zu können, dabei aber zugleich immer der Verführung des schnellen Intervenierens und Helfens ausgesetzt zu sein, zumal Soziale Arbeit immer mehr auf ein situatives und schnelles Feuerwehrhandeln reduziert wird; die Erkenntnis, dass Lösungen Sozialer Arbeit auch Probleme verursachen können und andererseits ohne Probleme keine Hilfen organisiert werden können: eine mehrseitige Problemnotwendigkeit und Einzelfallabhängigkeit Sozialer Arbeit also notwendig sind, um überhaupt ganzheitlich helfen zu können; der professionelle Wissensvorsprung und Expertenstatus, der einerseits das auf Vertrauen und geteiltem Wissen basierende Arbeitsbündnis zwischen der sozialen Fachkraft und dem Klient zerstören kann, anderseits notwendig ist, um professionell helfen zu können; eine zu beobachtende und der Professionalisierung und Legitimation dienende ›methodentechnologische Aufrüstung‹ der humanen Hilfepraxis aufgrund der gesteigerten gesellschaftlichen Ansprüche an die Profession Sozialer Arbeit, die jedoch partiell einer solidarischer Beziehungsaufnahme und praktizierter Nächstenliebe entgegensteht.
Widerspruchsebenen eines professionellen Risiko- und Fehlermanagements
Schütze hat in seiner Praxisforschung zeigen können, dass es sich bei den hier entfalteten Widerspruchsebenen um Kernprobleme professionellen Handelns handelt und dass
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»die systematischen Fehlerpotentiale […] zusammen mit den unaufhebbaren Kernproblemen professionellen Handelns immer und unvermeidbar gegeben [sind; K. B.]. Nur wenn der Professionelle sich offen mit den unaufhebbaren Kernproblemen seines Arbeitsfeldes als Handlungsparadoxien auseinandersetzt, kann er die Fehlerpotenziale der Profession bewusst und wirksam kontrollieren« (Schütze 1996: 188, Herv., i. Org.).
Eine Auseinandersetzung mit den aus diesen Paradoxien und Ambivalenzen entstehenden professionellen Fehlern wird laut Schütze (ebd.: 253f.) allerdings erschwert, (1) wenn die sozialen Fachkräfte selbst eine problembehaftete und konfliktreiche Kindheits- und Jugendphase erlebt haben, die sie wegen dieser biografischen Erfahrungen »der einen oder anderen Antinomienseite der jeweiligen Paradoxie des professionellen Handelns entweder mit Kadavergehorsam oder umgekehrt mit totaler emotionaler Ablehnung reagieren lässt« (ebd.: 253); (2) wenn die sozialen Fachkräfte mangelhaft ausgebildet sind, sich nicht aktiv weiterbilden und mit sich selbst und ihrer Arbeit reflexiv und theoretisch auseinandersetzen und ihnen deshalb überhaupt nicht bewusst wird, dass sie bestimmten Ambivalenzen und Handlungsparadoxien ausgesetzt sind; (3) wenn die sozialen Fachkräfte in Organisationen eingebunden sind, die eine professionelle Soziale Arbeit vom Grundsatz verhindern. Treten diese von Schütze (ebd.: 253f.) herausgestellten Hemmnisse im Umgang mit der paradoxalen und ambivalenten Struktur Sozialer Arbeit auf, kann mit professionellen Fehlern nicht gemeinsam mit den am Hilfeprozess beteiligten Personen und Organisationen produktiv umgegangen werden. Dabei, und das stellt nun Martin Weingardt (2004: 254) wiederum mit seiner ›These des Fehlerparadoxons‹ heraus (vgl. Abschnitt 3.1), lassen sich folgenschwere professionelle Fehler nur dann vermeiden, wenn Fehleroffenheit durch eine demokratisch-dialogische Professionalität auf allen im Hilfesystem eine Rolle spielenden Fehlerebenen ermöglicht wird. Denn »Sicherheit und Zuverlässigkeit sind keine statistischen, sondern dynamische Nichtereignisse« (Weick/Sutcliffe 2003: 45, Herv. i. Org.). Anders gesagt: »In komplex-dynamischen Strukturen lässt sich der Kardinalfehler, ein nachhaltig verfolgtes Interesse nicht zu erreichen, am ehesten vermeiden, wenn Fehleroffenheit hergestellt wird: Fehlervermeidung in der Zieldimension wird nur durch Fehleroffenheit auf dem Weg zum Ziel möglich« (Weingardt 2004: 262). D.h.: • Soziale Fachkräfte müssen professionelle Fehler als normale Praxisgegebenheiten akzeptieren und gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern, vor allem den Klienten – im Sinne einer demokratischen und dialogischen Professionalität –, thematisieren lernen.
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Soziale Fachkräfte müssen professionelle Fehler produktiv für die Verbesserung der Hilfepraxis nutzen lernen. Soziale Fachkräfte müssen aufgrund der dynamischen und komplexen Praxisstruktur Sozialer Arbeit lernen, die einmal beobachteten professionellen Fehler prozessual zu hinterfragen (vgl. ebd.: 263). Denn »in komplex-dynamischen Prozessen wird eine fixierende Fehlerkennzeichnung selbst zum potenziellen Fehler« (ebd., Herv. i. Org.).
Dreifache professionelle Fehleroffenheit
Um solch eine dreifache professionelle Fehleroffenheit gewährleisten zu können, benötigen soziale Fachkräfte aber nicht zuletzt die Unterstützung ihrer Organisationen. Denn schließlich verursachen nicht nur soziale Fachkräfte Fehler, sondern auch Leitungskräfte und die für die Ressourcenbemessung nicht unwesentlichen Verantwortlichen der unterschiedlichen Fachabteilungen und politischen Entscheidungsgremien. Denn »je komplexer, je aufwendiger und organisationsabhängiger die Problemanalyse und Bearbeitungsaktivitäten bestimmter Bereiche der Sozialarbeit werden, desto schwieriger wird […] die Kontrolle über eine sich immer herrischer gebärdende Organisationsratio, welche die Notwendigkeit des genuin professionellen Denkens im Dienste der Analyse und Bearbeitung der Probleme der Klienten/-innen im Sozialwesen nicht mehr hinreichend berücksichtigt« (Schütze 1996: 223).
Dadurch kommt es dann zu einem begrenzten professionellen Entscheidungs- und Handlungsradius, in dem die sozialen Fachkräfte • mit einem unabänderlichen Zeit- und Kostenrahmen für bestimmte zu finanzierende Hilfemaßnahmen konfrontiert werden, • nicht lebensweltorientierte und individuelle Hilfearrangements entwickeln und anbieten können, • sich mit hierarchischen Leitungsebenen auseinandersetzen müssen, die nicht die Qualität professioneller Sozialer Arbeit fördern, sondern darauf aus sind, ihre Macht zu erhalten und zu entfalten bzw. dem Gott der Bürokratie zu dienen, und • per Aktenlegung hierarchisch von oben kontrolliert werden, ob und wie sie ihrer professionellen Arbeit nachkommen und welchen Problemen sie dabei ausgesetzt sind (vgl. ebd.: 223f.). Dieser begrenzte professionelle Entscheidungs- und Handlungsradius wird noch verstärkt, wenn die sozialen Fachkräfte sich mit solchen Tendenzen nicht selbstkritisch auseinandersetzen und sich stattdessen im ›Modus der Gleichgültigkeit‹ oder ›der Unterwerfung‹ verlieren. So gesehen »verinnerlichen Sozialarbeiterinnen die Herrschaftselemente der Organisationsratio durch totale Anpassung […] oder aber sie lehnen Organisation und Verwal-
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tung im Sozialwesen in Bausch und Bogen ab und befleißigen sich einer entsprechenden verwaltungsfeindlichen Logik« (ebd.: 225). Mit solch einer professionellen bzw. organisationalen Nichtidentifikation wird jedoch verhindert, dass soziale Fachkräfte in und mit ihren Organisationen professionelle und latente Fehler (vgl. Abschnitt 3.3) rechtzeitig erkennen und thematisieren lernen. Nicht selten sind die sozialen Fachkräfte deshalb einem ungelösten Fehlerumgangsdilemma ausgesetzt, welches sich darin zeigt, dass professionelle Fehler im Hilfeprozess nur dann produktiv, und ohne größere Schäden zu verursachen, genutzt werden können, wenn darauf die Organisationen Sozialer Arbeit mit ihren sozialen Fachkräften einer entsprechenden strategischen Ausrichtung, in ihren Programmen und Methoden eingestellt sind und bestimmt haben, was die Qualitäts- und Fehlerindikatoren ihres jeweiligen professionellen Vorgehens sind (vgl. Abschnitt 3.3).
3.3 D AS
UNGELÖSTE
F EHLERUMGANGSDILEMMA
Eileen Munro (2009b) hat in der deutschen Kinderschutzdebatte einen systemischen Ansatz zur Untersuchung von Todesfällen aufgrund von Kindeswohlgefährdung vorgeschlagen. Sie argumentiert, dass soziale Fachkräfte, vor allem aufgrund organisatorischer Ressourcenbeschränkungen wie auch organisationskultureller Faktoren, in ihrem Denken und Handeln stark beeinflusst werden, also wie – mit welcher Philosophie, mit welchen Programmen, mit welchen Methoden und mit welchen ökonomischen Mitteln – sie im konkreten Kinderschutzfall vorgehen und welche professionellen Fehler sie dabei machen dürfen bzw. welche geahndet werden. D.h.: was für soziale Fachkräfte in Organisationen und was für Organisationen im Umgang mit Fehlern Sinn ergibt (vgl. Weick 1995b). Umso überraschender ist, dass schwere gescheiterte Kinderschutzfälle in Deutschland bisher nur ansatzweise empirisch untersucht worden sind. Zwar wurde mittlerweile eine Reihe von amtlichen Untersuchungsberichten erarbeitet (vgl. etwa: Bremische Bürgerschaft 2007, Zeitweiligen Ausschuss zur Aufklärung des Todes von Lea-Sophie und zur Optimierung des Verfahrens bei Kindeswohlgefährdungen 2008) und Recherchen in der Presse (vgl. statt vieler Wüllenweber 2008) sowie in einschlägigen Fachzeitschriften Sozialer Arbeit publiziert (vgl. exemplarisch Hoppensack 2007 und 2008; Salgo 2007). Dennoch gibt es eine Blindstelle, was die systematische Aufarbeitung der komplexen Ursachen solcher schwerwiegenden Fälle anbelangt. Bei der Lektüre der Beiträge fällt auf, dass neben professionellen Fehlern organisationale Rahmenbedingungen, die die Durchsetzung professioneller Arbeits- und Handlungsweisen beeinträchtigen, vielleicht sogar verhindert haben (vgl. Prinz 2008; Merchel 2007a, 2007b, 2008b; Gissel-Palkovich 2007a) systematisch keine Rolle spielen. Aber auch etwas anderes wird deutlich: »Da ist viel von Qualität und Qualitätssicherung die Rede, aber wenig von professionellen [und organisationalen; K. B.] Fehlern« (Schoneville/Galuske/Karner 2007:
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33). Dennoch wird eine wesentliche Forschungslücke deutlich: Soziale Arbeit kann nicht losgelöst von ihren organisationalen Kontexten realisiert werden10 (vgl. Bommes/Scherr 2000: 114ff.). Sie benötigt ein auf ihre Praxiskontexte abgestimmtes Risiko- und Fehlermanagement. Die Ökonomisierung Sozialer Arbeit und ihre Nebenfolgen
Soziale Arbeit als Profession kann zwar auf eine lange Erfolgsgeschichte zurückblicken – auf ein sozialpädagogisches Jahrhundert (vgl. Merten/Olk 1996, Rauschenbach 1999). Dennoch ist noch nicht entschieden, ob Soziale Arbeit auch unter erschwerten ökonomischen Ausgangsvoraussetzungen, ihre bisher erreichte Professionalität in den dafür zuständigen Organisationen zukünftig wird aufrecht erhalten können, oder ob wir gerade Augenzeugen ihrer sukzessiven Deprofessionalisierung werden. Und da Soziale Arbeit sich aufgrund ihrer Ökonomisierung (Kessl 2002) und Privatisierung ihrer Praxiskontexte mittlerweile selbst zum kapitalistischen Produkt einer begehrten, aber aufgrund einer hausgemachten Krise der öffentlichen Haushalte nicht mehr hinlänglich zu bezahlenden Ware entwickelt hat, sind die Fachkräfte der ASD nun in die Fallstricke der ihnen von außen vorgeworfenen professionellen Fehler geraten: Ihnen wird unterstellt, ihre Arbeit sei ineffizient oder diene auf Seiten der freigemeinnützigen und privaten Anbieter lediglich der Profitvermehrung (vgl. Otto 2007). Spätestens seit den 1990er Jahren wird darum ein Qualitätswettbewerb des New Public Managements forciert. Einerseits sollen damit die öffentlichen Verwaltungen und mit ihr die ASD modernisiert werden. Anderseits sollen dadurch die miteinander konkurrierenden Hilfeanbietern zu Spitzenleistungen angetrieben werden. Oder wie es Michael Galuske und Werner Thole (2006b: 12f.) formulieren: »Im Kontext der Krise der öffentlichen Haushalte werden alle Angebote und Maßnahmen der Sozialen Arbeit auf ihren Sinn und ihre Effektivität überprüft. Privatisierung von Leistungen und Angeboten, die Etablierung von Quasimärkten durch neue Finanzierungsmodelle, Ausschreibungspraxen und gesetzliche Forderung von Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung, all dies sind die Eckpfeiler und Rahmenbedingungen eines neuen, marktorientierten Modells sozialer Dienstleistungsproduktion mit vielfältigen Konse10 In einem Aufsatz über das professionelle Handeln in Organisationen Sozialer Arbeit wird explizit darauf verwiesen, dass »bezogen auf den Gegensatz zwischen Profession und Organisation […], nicht nur die Organisation die Akteure prägt bzw. sie einschränkt, sondern umgekehrt die Akteure auch der Organisation ihren Stempel aufdrücken« (Nadai/Sommerfeld 2005: 185). Hieraus folgt: Die sozialen Fachkräften haben es mitunter selbst in der Hand, unter welchen organisationalen Bedingungen sie ihre Praxis realisieren können und dürfen. Sie müssen ebenso als Produzenten ihrer Organisationsumwelten kritisch analysiert werden.
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quenzen –nicht nur, aber auch für die Handlungsformen und Methoden in der Sozialen Arbeit.«
Es ist kein Wunder, dass sich die Publikationen, in denen auf die mit der ›Ökonomisierung Sozialer Arbeit‹ verbundenen Nebenfolgen kritisch eingegangen wird, seit 2000 häufen (vgl. statt vieler Dewe 2009, Knopp/Münch 2007, Peters 2009, Spatscheck et al. 2008). Sogar ein »Schwarzbuch Soziale Arbeit« (Seithe 2010) ist mittlerweile auf dem Markt, in dem breit thematisiert wird, wie durch die Logiken des aktivierenden Sozialstaates die Praxis Sozialer Arbeit sukzessive deprofessionalisiert wird. Hervorgehoben wird in solchen Abhandlungen zumeist, dass die Arbeitsprozesse sich verdichten, fachliche Standards und Hilfen budgetiert, wenn nicht sogar verwehrt und Fachkräfte zunehmend von fachfremden Firmen auf ihre Wirksamkeit hin kontrolliert und überprüft werden. Diese Deprofessionalisierungstendenzen sind, und dies wird nicht selbstkritisch genug hervorgehoben, jedoch Resultat eines der Selbstdisziplinierung dienenden Objektivierungsparadigmas des »New Professionalism« (Kruse 2005), mit dem vorgetäuscht wird, dass man trotz Haushaltskürzungen und Personaleinsparungen eine gleichbleibende Qualität Sozialer Arbeit aufrechterhalten könne, wenn man sich nämlich nicht mehr länger um die Klienten sorge und zu ihnen eine Beziehung eingehe, sondern sie stattdessen ›manage‹. Jan Kruse (2004: 38ff.) entlarvt diese neuen und betriebs- und quasimarktwirtschaftlichen Strategien der Professionalisierung und Modernisierung Sozialer Arbeit deshalb auch als rückwärtsgewandt und konstatiert mit Bezug auf Jean Baudrillard, dass Soziale Arbeit gegenwärtig in ihren eigenen selbstdisziplinierenden Simulationssemantiken und -deutungen hoffnungslos verstrickt sei. Sie täusche sich somit selbst etwas vor, ohne einen Ausweg aus ihrer Krise zu finden, die im Zusammenhang mit der Reformierung des Wohlfahrtsstaates eingetreten ist. Damit werde sie in einen Status der Passivität getrieben, welcher es verunmögliche, auch – und diese Situation werde sich vermutlich nicht mehr verändern – unter prekären ökonomischen Konzessionen weiterhin nach den »Regeln der Kunst«, d.h. reflexiv und im Sinne einer dialogischen und demokratischen Professionsausrichtung, wirksam zu werden (vgl. Abschnitt 3.2; aber auch: Krause/Rätz-Heinisch 2009) – davon abgesehen, und das ist der springende Punkt, dass mit einem solchen Managerialismus die Etablierung von komplex und lose gekoppelten Hochrisikosystemen (Perrow 1992: 136) in der Sozialen Arbeit verhindert wird und in der Folge kleinere professionelle und organisationale Fehler nicht mehr rechtzeitig verhindert werden können. Diese Umkehr von professionellen Tugenden auf manageriale Verfahren (Otto/Ziegler 2006, Ziegler 2006) kann auch damit erklärt werden, dass unter der Dominanz eines neoliberalen Diskurses in den 1980er und 90er Jahren, soziale Fachkräfte nicht mehr länger als altruistische ›Ritter‹ galten, sondern als egoistische ›Schurken‹, die durch eine qualitätsorientierte Wettbewerbsoffensive dazu gebracht werden sollten, sich wie clevere Wohl-
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fahrtsmanager zu verhalten (vgl. Otto 2007: 30). Klatetzki (2005: 279) sieht jedenfalls in solch einer Abkehr von professionellen und Hinwendung zu organisationalen Handlungsmustern eine generelle Tendenz bestätigt, die auf einen effizienteren und nützlicheren Umgang mit wissenschaftlichem Wissen zielt11, bei der »die Verwissenschaftlichung der Gesellschaft […] mit einer Vergesellschaftung der Wissenschaft einhergeht, mit der Folge, dass deren Legitimationskraft für das selbstbestimmte Handeln der Professionellen in Organisationen nachgelassen hat.« Der Bearbeitung von unvorhergesehenen und eigentlich nur professionell und damit demokratisch zu bearbeitenden sozialen Problemen in der Zusammenarbeit mit den Klienten wird demzufolge nicht mehr länger der professionellen Fachkraft überlassen, sondern ausschließlich der Organisation mit ihren routinierten Verfahrensanweisungen und Standardprozeduren, die auf den Ideen eines technisch basierten Risiko- und Fehlermanagements beruhen. Mit einer solchen ›Ökonomisierung Sozialer Arbeit‹ wird jedoch ein auf die Praxiskontexte Sozialer Arbeit abgestimmtes Risiko- und Fehlermanagement verhindert, wird so getan, als ob Soziale Arbeit eine einfach technisch zu steuernde Praxis sei. Mit einem ernstgemeinten Risiko- und Fehlermanagement Sozialer Arbeit hat dies wenig zu tun. Denn Management bedeutet im Kern mehr und nicht weniger Arbeit. Nach Luc Boltanski und Ève Chiapello (2006: 91-146) steht das Management nämlich stellvertretend für eine kapitalistische Praxis der Mobilmachung und Motivation von Führungs- und Fachkräften aus dem Wirtschaftsbereich, die unabhängig von ihrer Bezahlung dazu angehalten werden sollen, innovativ und fehleroffen zu sein. Überträgt man diese Beobachtung auf die Praxiskontexte Sozialer Arbeit, speziell auf die Praxis des ASD, entsprechen die dort anzutreffenden Formen des Qualitäts- oder Case Managements oftmals nicht jenen humanistischen Managementidealen, die laut Boltanski und Chiapello (ebd.) im flexiblen Kapitalismus aber als trojanische Pferde dafür herangezogen werden, damit Angestellte Höchstleistungen erbringen (siehe hierzu beispielhaft Peters/Waterman 2004). Dass auch diese Formen des Managements nicht frei von Widersprüchen sind und den Mitarbeitern das Gefühl einer unternehmerischen Missionserfüllung im Schoße einer vernetzten und miteinander zusammenarbeitenden Ersatzfamilie suggerieren sollen, sei dahingestellt. Ein anderer damit im Zusammenhang stehender Punkt ist jedoch bedeutender: Wenn man die ›Ökonomisierung Sozialer Arbeit‹ mit der Ausbreitung managerialer Hilfepraktiken und einer damit einhergehenden Verhinderung von für die Soziale Arbeit notwendig werdenden Risiko- und
11 Genau auf diese Entwicklung der Delegitimierung des wissenschaftlichen Wissens durch das Ende der großen Erzählungen hat bereits Lyotard (1999) mit seiner philosophischen Abhandlung zum postmodernen Wissen hingewiesen. Aber auch Beck (1986: 256, Herv. i. Org.) konstatiert nüchtern: »Wissenschaft wird immer notwendiger, zugleich aber auch immer weniger hinreichend für die gesellschaftlich verbindliche Funktion von Wahrheit.«
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Fehlermanagementansätzen gleichsetzt, muss man sich darüber im Klaren sein, dass man dann von den Prämissen eines profitorientieren Businessmanagements ausgeht, d.h.: von neoliberalistischen Organisations- und Disziplinierungspraktiken, die darauf abzielen, die hilfeorientierten Handlungsund Entscheidungsbefugnisse der Fachkräfte Sozialer Arbeit einzuschränken. Insofern werden aufgrund einer aus der Überschuldung der öffentlichen Haushalte resultierenden Ökonomisierungspolitik die sozialen Fachkräfte in ein für sie ›unlösbares Fehlerumgangsdilemma‹ getrieben: Sie werden nicht durch humane Managementansätze (vgl. Drucker 2007) für eine »totale Mobilmachung im Zeichen der Qualität« (Bröckling 2007: 222) motiviert, sondern sie sollen stattdessen ihre Arbeit im ›Modus der Gleichgültigkeit‹ oder im ›Modus der Unterwerfung‹ ausüben. In den Organisationen Sozialer Arbeit, speziell in den ASD, werden die Fachkräfte deshalb nicht von ungefähr wie ›Maschinen‹ behandelt und hierarchischen Kontrollen unterzogen. Von ihnen wird im Regelfall nur noch erwartet, dass sie im fallbezogenen Kinderschutz der organisationalen Gefahrenabwehr dienen und ansonsten nicht über Gebühr die ihnen zur Verfügung stehenden Fallbudgets in die Höhe treiben. Sie werden darum auch nur allzu gern auf die Rolle von finanzverwaltenden Fallmanagern reduziert, was mit dem Konzept des Case Managements allerdings nur noch wenig gemeinsam hat (vgl. Biesel 2010b). Gegenwärtig wird durch diese Entwicklung ein vordergründiges Input/Outputverständnis befördert, werden die Abhängigkeiten und kaum zu überblickenden Wirkzusammenhänge der hochgradig komplexen Praxisarrangements für einen gelingenden Hilfeprozess kurzschlüssig auf Gesichtspunkte der Kosteneffizienz reduziert. Ein solches Interesse an abrechenbaren und administrativ neu ›gesteuerten‹ Hilfeprozessen trägt dazu bei, dass die entscheidende Bedeutung von Prozess- und Strukturqualitätsdimensionen unterschätzt wird – zu Gunsten einer engen Orientierung an einer kostengünstigen, die öffentlichen Haushalte nicht noch weiter belastenden Sozialarbeitspraxis. Auch an den Forderungen nach einer evidenzbasierten bzw. wirkungsorientierten Sozialen Arbeit (vgl. Forum Erziehungshilfen 2006, Otto 2007, Sommerfeld/Hüttemann 2007) wird deutlich, dass es dabei im Kern um die schleichende Etablierung managerialer Restriktionen geht (Ziegler 2006), um eine auf ökonomische Wirksamkeit hin gesteuerte Praxis12. Vor dem Hintergrund solcher auf ökonomische Rationalität abzielenden Entwicklungen und der damit einhergehenden Dominanz sozialtechnokratischer Steuerungs- und Managementstrategien wird Soziale Arbeit als Profession in ihrer reflexiven Fachlichkeit mehr denn je eingeschränkt (vgl. Dewe 2009) und läuft Gefahr, in den Sog von fachfremden Regelungsver-
12 Wenngleich die Vertreter des Capability-Ansatzes andere Wirkungsdimensionen zum Ausgangspunkt der bislang halbierten What-works-Debatte machen, um die Leistungen Sozialer Arbeit kritisch empirisch und unabhängig von finanziellen Zieldimensionen untersuchen zu können (vgl. Otto 2007).
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fahren zu gelangen, denen auf kurz oder lang nicht mehr ausreichend standgehalten werden kann. Dies führt zu einer Entfernung von den Klienten Sozialer Arbeit, da die verlässliche Beziehungsaufnahme und -gestaltung nicht mehr als die wichtigste Kategorie des Helfens betrachtet und stattdessen beispielsweise auf das positive, aber oftmals missverstandene Mantra des Managements (vgl. Galuske/Thole 2006a, Galuske 2007, Hansen 2009) und auf die professionelle Macht der Neodiagnostik (vgl. Widersprüche 2003) umgestellt wird13. Diese Deprofessionalisierungsentwicklung indes erstaunt, weil der professionelle Kern Sozialer Arbeit gerade darin besteht, wie durch meine bisherigen Ausführungen deutlich geworden ist, mit Situationen der Unsicherheit und Ungewissheit umzugehen, paradoxale und ambivalente Handlungsanforderungen reflexiv zu bewältigen (vgl. Kleve 1999, Schütze 1992) und blockierte und aussichtslose Lebens- und Familiensituationen gemeinsam mit den Klienten zu chancenreichen Neuanfängen umzugestalten (Hörster/Müller 1996). Bisher entwickelte und auf Inferenz zielende Hilfestrategien geraten jedenfalls ins Abseits (vgl. Klatetzki 2005: 267ff.), was tendenziell dazu führt, dass die »soziale Realität […] nicht mehr vom einzelnen Professionellen [gemeinsam mit den Klienten; K. B.] für einzelne Fälle erzeugt [wird; K. B.], sondern durch anonym gesetzte formale Regeln und Verfahren« (Klatetzki 2005: 280). Verspätete oder verhinderte Professionalisierung Sozialer Arbeit?
Aufgrund ihrer funktionsübergreifenden Allzuständigkeit und ihrer bislang unverarbeiteten Postmodernität (vgl. Kleve 1999, 2000), d.h. ihrer ambivalenten und uneindeutigen Professionsstruktur, ist Soziale Arbeit nunmehr damit konfrontiert, zwar als System der Zweitsicherung des sich umwandelnden Wohlfahrtsstaates (vgl. Bommes/Scherr 2000: 140f.) gefestigt zu sein, aber im Bemühen um ein auf die Praxisstruktur Sozialer Arbeit zugeschnittenes Risiko- und Fehlermanagement nicht ernst genommen zu werden. Darum ist Soziale Arbeit als Profession eben nicht nur »in Form sozialer Dienste und öffentlicher Erziehung zu einem Nutznießer, gewissermaßen zu einem Risikogewinner infolge der unvermeidlichen Nebenwirkungen und Begleiterscheinungen« (Rauschenbach 1992: 56) der reflexiven Modernisierung geworden (vgl. Beck 1986). Denn, wenn man bedenkt, unter welchen gesellschafts-, finanz- und sozialpolitischen Restriktionen Soziale Arbeit gestaltet werden muss, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Soziale Arbeit im Zuge der Etablierung einer Risikogesellschaft (vgl. ebd.) die Stufe
13 So pointieren Timm Kunstreich et al. (2004: 27f.): »Die Renaissance der Diagnostik in der Sozialen Arbeit kann als freiwillige Unterwerfung der Profession unter die gesellschaftlichen Machtverhältnisse gedeutet werden, vor allem als eine Unterwerfung unter den mit den neuen Steuerungsmodellen verbundenen manageriellen Effizienzdiskurs.«
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ihrer unhinterfragten Selbstverständlichkeit erreicht hat. Soziale Arbeit hat »ihren Zug als Nothilfeeinrichtung« (Winkler 1992: 70), als nothilfeorientierte Feuerwehr, jedenfalls durch ihre gesellschaftliche Normalisierung (vgl. ebd., Merten/Olk 1996: 600) nicht ablegen können. Insbesondere die Semiprofessionsdebatte, die ursprünglich aus dem angloamerikanischen Raum stammt (vgl. Etzioni 1969) und in Deutschland zum Teil kontrovers geführt worden ist (vgl. Otto/Utermann 1971), deutet vor dem Hintergrund des Weberʼschen Bürokratiemodells (vgl. Weber 2008) darauf hin, wie problematisch es für die sozialen Fachkräfte ist, ihre professionellen Fehler in ihren Organisationen rechtzeitig und selbstkritisch in den Blick zu nehmen. Wenngleich die Weberʼsche Denkfigur der Sozialbürokratie mittlerweile als überholt gilt, weil sie nicht der Empirie entspricht und auch die Fachkräfte der klassischen Professionen genau wie die Fachkräfte Sozialer Arbeit selbst Organisationsmitglieder waren und gerade ihre Nichteingebundenheit auf eine schlechte beschäftigungspolitische Lage hindeutet (vgl. Merten 1997: 149ff.). Trotzdem befinden sich Organisationen Sozialer Arbeit auch heute noch im Wechselspiel zwischen den professionellen und organisationalen Erfordernissen. Die klassischen professionssoziologischen Debatten, die sich mit Fragen der gesellschaftlichen Anerkennung, Autonomie und Mandatierung beschäftigen, also mit der indikatorisch-merkmalstheoretischen Position der Professionstheorie (vgl. Dewe et al. 1986, Galuske 2009: 123), werden zwar für die Etablierung der Sozialen Arbeit als Profession als unbrauchbar angesehen (vgl. Olk 1986), sie verdeutlichen aber, dass der Sozialen Arbeit der Wechsel vom einfachen Beruf zur gesellschaftlich angesehen Profession bislang nicht überzeugend gelungen ist. Nicht von ungefähr vertritt Silvia Staub-Bernasconi (2009: 24ff.) deshalb die These, dass Soziale Arbeit vermutlich eine »verspätete Profession« sei, die sich (1.) noch in der Entwicklung befinde, (2.) überhaupt keine Profession im klassischen Sinne darstelle, (3.) eine Semi-Profession ist und bleibt oder (4.) lieber keinen Professionalisierungsstatus anstreben sollte, weil damit auch zwangsläufig ihre Deprofessionalisierung, eine unreflektierte Ritualisierung und Standardisierung von Verfahren und Methoden einsetzen würde. Und so kommt sie auch zu der nicht sehr überraschenden Zwischenbilanz: »Aufgrund all dessen kann von einem mehr oder weniger gemeinsamen Grundverständnis von Professionalität keine Rede sein. […] Die Professionalisierung der Sozialen Arbeit ist also bis heute ein unentschiedenes Projekt« (ebd.: 28). Zwar hat Silvia Staub-Bernasconi (1995) schon Mitte der 1990er Jahre vom Ende der Bescheidenheit gesprochen und moniert, dass Soziale Arbeit sich nicht über sich selbst im Klaren sei; es also notwendig wäre, eine Identität Sozialer Arbeit zu etablieren. Dies hat jedoch nicht dazu beigetragen, dass Soziale Arbeit im Zuge ihrer eigenen Professionsentwicklung aufgrund der Nebenfolgen der (reflexiven) Modernisierung (vgl. statt vieler Beck 1986) nicht nur zur Aufsteigerin geworden ist; nein: Sie ist nun selbst mit
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den aus den gesellschaftlichen Veränderungen resultierenden Gefahren und Risiken und von der medial durchfluteten Öffentlichkeit beobachteten professionellen Fehlern konfrontiert (vgl. Kapitel 2). Sie wird sich momentan selbst zum Thema und Problem (vgl. Merten/Olk 1992) und muss in eine weitere Phase ihrer selbstkritischen Professionalisierung eintreten. Sie muss, da sie für den gesellschaftlichen sozialen Frieden, für die Stabilität und den Erhalt der Demokratie als Profession unverzichtbar ist und bleibt, zu einem anderen professionellen Umgang mit sich selbst finden. Sie muss die »(nicht-intendierten) Außenwirkungen professioneller Interventionen einer (professions-)internen Reflexion zugänglich« (Merten/Olk 1992: 96) machen; sich radikal durchdenken und stets und ständig in Frage stellen, ohne dabei an Handlungssicherheit zu verlieren. Nur so wird es vermutlich möglich sein, Entscheidungsrisiken und sowohl professionelle als auch latente (Organisations-)Fehler in das Sichtfeld organisationaler Praxisarrangements zu überführen, und zwar als ›normale‹ Gegebenheiten, als Tatsachen, die nicht mehr zu leugnen sind. Dafür benötigen die professionellen Fachkräfte aber den Rückhalt ihrer Organisationen und die Organisationen den Rückhalt ihrer professionellen Fachkräfte. Wenn soziale Fachkräfte also dazu in die Lage versetzt werden sollen, ihre professionellen Fehler stärker als bisher mit den dabei eine Rolle spielenden Kooperationspartnern zu thematisieren und zu reflektieren, ist solch ein professioneller Umgang mit Entscheidungsrisiken im Hilfeprozess und den damit verbundenen professionellen und latenten Fehlern nur mit einer entsprechenden ›Organisationskultur der Fehleroffenheit‹ (vgl. Biesel 2009b) bzw. ›generativen Organisationskultur‹ (Reason 2008b: 38) möglich. Demgegenüber kann natürlich eingewendet werden, dass professionelle und latente (Organisations-)Fehler nicht allein durch eine fehleroffene Organisationskultur verhindert werden können. Folgt man allerdings der Argumentation Dirk Baeckers (2003), geht es gerade nicht darum, die Bürokratie in Verwaltungen oder Organisationen zu verteufeln, sondern vor allem darum, deren negative Auswirkungen einzudämmen. Denn wenn es eine Einsicht im Umgang mit Fehlern gibt, dann ist es diese: »Der grossartige Traum einer Technisierung der Organisation, die über Bürokratie läuft, das heisst auf Kommunikation nach innen verzichten kann, weil jeder weiß, was richtig ist, ist gescheitert. Oder vorsichtiger gesagt: Er trifft nur auf Organisationsverfahren zu, die an den Computer abgegeben werden können« (Baecker 2003: 29).
Die Praxis Sozialer Arbeit kann allerdings nicht vollständig an Computer abgeben werden. Obwohl wir vermutlich gerade Augenzeugen einer neuen großen Steuerungserzählung (vgl. Lyotard 1999) werden, die der Gesellschaft ›einredet‹, humane Hilfepraxis könne ohne verlässliche Dialoge des Verstehens und der gemeinsamen Klärung gelingen.
3. F EHLERKONZEPTE | 99
Mit anderen Worten: Die weitere Professionsentwicklung Sozialer Arbeit kann nicht von einer dafür notwendig werdenden prozessualen Organisationsentwicklung und darin eingeschlossenen Qualitätsentwicklung und -sicherung entkoppelt werden, die es ermöglicht, dass vor allem im fallbezogenen Kinderschutz achtsam, zuverlässig und fehleroffen (vgl. Kapitel 3) und nicht weiter wie bisher, d.h. in mechanischen Organisationskontexten, gearbeitet wird (vgl. grundlegend Klatetzki 1998). Denn »in der professionellen Organisation verkörpert sich, so gesehen, die beste aller Organisationen, denn sie realisiert zugleich ökonomische Rationalität, wissenschaftlich fundierte Technologie und Demokratie« (Klatetzki 2005: 254).
4. Organisationale Fehlerkulturen
»Insgeheim wurde Organisation mit Technik gleichgesetzt. […] Stattdessen ist die Organisation, auf einen angemessenen paradoxen Nenner gebracht, das Feld, in dem Handlungsblockaden zur Handlungsgenerierung genutzt werden können. Was hier nicht entschieden werden kann, wird nirgendwo entschieden.« (DIRK BAECKER 1999: 9)
Nicht nur soziale Fachkräfte haben Fehler zu verantworten, sondern auch Organisationen. Darum ist es so wichtig, einer (inter-)professionellen wie (inter-)organisationalen Kultur der Fehleroffenheit den Weg zu bereiten und das bislang ungelöste Fehlerumgangsdilemma Sozialer Arbeit zu überwinden (vgl. Abschnitt 3.3). Hierzu ist es notwendig, einen professionellen sowie einen organisationalen Zustand der Achtsamkeit, Zuverlässigkeit und Fehleroffenheit anzustreben, eine Situation, die in der Praxis jedoch nie ganz erreicht werden kann. Ausgehend von drei zentralen organisationswissenschaftlichen Theorieperspektiven wird nun in diesem vierten Kapitel ein Referenzrahmen entworfen, von dem aus verdeutlicht werden kann, weshalb Organisationen immer wieder ihren eigenen (latenten) Fehlern ausgesetzt sind, die gravierende Rückwirkungen auf die Bedingungen des professionellen Handelns der Fachkräfte haben. Es geht also um die Darstellung eines für die Praxis Sozialer Arbeit wesentlichen Wechselverhältnisses: zwischen der organisationalen Strukturierung von professionellen Handlungsmöglichkeiten und -grenzen und umgekehrt (vgl. hierzu bereits Giddens 1984, aber auch: Klatetzki/Tacke 2005).
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4.1 ACHTSAMKEIT , Z UVERLÄSSIGKEIT UND F EHLEROFFENHEIT : ZUR N OTWENDIGKEIT REFLEXIV - KOMMUNIKATIVEN O RGANISATIONSKULTUR
EINER
Mit der Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Funktionssysteme, der Entwicklung von segmentären zu (post-)modernen Gesellschaften (Luhmann 1997a) kommt es zu bislang ungeahnten gesellschaftlichen Kontrollerfordernissen, muss eine Form der kommunikativen Überwachung und Disziplinierung gefunden werden, die Freiheit und zugleich Sicherheit verspricht (vgl. Foucault 1998, 2004a, 2004b). Davon bleiben auch die sozialen Organisationen nicht verschont, die sich im Zuge der Industrialisierung herausbilden und zum zentralen Ort Sozialer Arbeit werden (vgl. Luhmann 2005a, Wendt 2008a, 2008b). In ihnen wird entschieden, ob und wie die Praxis Sozialer Arbeit im Konkreten umgesetzt wird und wie viel professionelle Freiheit den Fachkräften im Umgang mit den von ihnen zu erwartenden professionellen Fehlern (vgl. Abschnitt 3.2) zugestanden wird. Mit der zeitgleich einsetzenden »Geburt der Biopolitik« (vgl. Foucault 2004a, 2004b) kommt es jedoch zu einer Regierungsform, welche die Familie in den Mittelpunkt einer von Staat und Politik getragenen Prävention (vgl. Donzelot 1980) und die Profession in den Fokus der organisationalen Kontrolle rückt. Erfüllt die Familie nicht die an sie gestellten gesellschaftlichen Erwartungen und ist dadurch das Aufwachsen von Kindern gefährdet, wodurch nicht unwesentlich die ›biologische Überlebensfähigkeit‹ unserer Gesellschaft abhängt, müssen die sozialen Fachkräften in den Jugendämtern gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern für kompensatorische Ersatzsicherheiten sorgen. Sie bürgen stellvertretend gemäß ihrer gesetzlich verankerten Garantenstellung dafür, dass Kindern kein Unrecht geschieht, sie nicht von ihren Eltern vernachlässigt oder misshandelt werden. Die damit an die sozialen Fachkräfte und ihre Organisationen herangetragenen und oftmals unrealistischen Sicherheitserwartungen (vgl. Kapitel 2) erfordern nun von den sozialen Organisationen und deren Fachkräften ein achtsames, zuverlässiges und fehleroffenes Vorgehen: ein rechtzeitiges Erkennen, Rückmelden und Abstellen von professionellen und organisationalen Fehlern; ein der Sicherheit von Kindern dienender (inter-)professioneller und (inter-) organisationaler Umgang mit Fehlern (siehe auch Kapitel 3). Damit sind nun spätestens seit den 1990er Jahren unweigerlich Fragen an die ›organisationale Qualität‹ der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, die in der Sozialen Arbeit für die Förderung und den Schutz von Kindern zuständig sind, verbunden. Denn die organisationale Qualität wirkt sich zweifelsohne auf die ›professionelle Qualität‹ der Fachkräfte und auf die ›Qualität ihrer Interaktionen‹ aus (vgl. Speck 2004: 24, Reason 2008b: 16ff.; Abschnitt 3.3). Anders formuliert: Die organisationale, professionelle und
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interaktionale Qualität bedingen einander1, sind eng miteinander verwoben und tragen zur Qualität der in den sozialen Organisationen notwendig werdenden Achtsamkeit, Zuverlässigkeit und Fehleroffenheit bei. Der Begriff der ›Achtsamkeit‹ verweist dabei auf die reflexiv- kommunikativen Beobachtungs-, Analyse- und Veränderungsfähigkeiten der sozialen Organisationen und ihrer Angestellten, die sie benötigen, um latente Fehler zuverlässig erkennen, sie gegebenenfalls als wertvolle Lernanlässe und für organisationale Veränderungen nutzen zu können. Es geht aus organisationswissenschaftlicher Perspektive in diesem Kapitel also darum zu klären, wie es den sozialen Fachkräften in ihren Organisationen mit ihren Kooperationspartnern und insbesondere mit den Hilfesystemteilnehmern gelingen kann, achtsam, zuverlässig und fehleroffen zusammenzuarbeiten und welchen Stellenwert dabei die organisationale Qualität für einen professionellen Umgang mit Fehlern hat. Denn die Frage, die in den bisherigen Ausführungen unbeantwortet geblieben ist, lautet: Wie kommt es dazu, dass latente Organisationsfehler in der Wechselwirkung mit den von den sozialen Fachkräften zu verantwortenden und als unvermeidbar anzusehenden professionellen Fehlern in sich dynamisierende und kaum mehr zu beherrschende, lebensbedrohliche Fehler umschlagen (vgl. hierzu auch: Kapitel 3)? Weick/Sutcliffe (2003) liefern zur Beantwortung dieser grundsätzlichen Frage interessante empirische Antworten, die sich auch auf die Soziale Arbeit und vor allem auf die Praxis des Kinderschutzes übertragen lassen, wenngleich die sogenannten ›High Reliability Organizations‹ (HRO), also notwendigerweise ›hochzuverlässige Organisationen‹ wie Atomkraftwerke, Organisationen des Luftfahrts- und Rettungswesen, die Meister darin sind, mit unerwarteten Praxissituationen achtsam, zuverlässig und fehleroffen, d.h. reflexiv-kommunikativ umzugehen, nicht eins zu eins mit sozialen Organisationen verglichen werden können. Es geht in der Praxis Sozialer Arbeit eben nicht um die Kontrolle und Überwachung von komplex und eng gekoppelten technischen und automatischen Verfahrensabläufen, also um Mensch-Maschinen-Interaktionen, sondern um eine höchst anspruchsvolle, d.h. lose und komplex gekoppelte humane Risikopraxis (vgl. Perrow 1992: 138). Zwar haben solche im Industriebereich angesiedelten hochzuverlässigen Organisationen es gelernt, unter nicht vorherzusehenden Praxisbedingungen ihren Aufgaben zuverlässiger gerecht zu werden, da ihre Fehler katastrophale Folgen für die Natur und für viele Menschen, aber auch für ihre
1
Qualität lässt sich in eine Reihe unterschiedlicher Dimensionen auffächern. Dabei geht es beispielsweise um die organisationale Grundorientierung und die daraus resultierende Programm- und Prozessqualität, die Leitungsqualität, die Personalqualität, die Einrichtungs- und Raumqualität, die Trägerqualität, die Kosten-Nutzen-Qualität und die Förderung von Qualität (Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung) (vgl. Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen 2001, siehe hierzu auch: Kapitel 7).
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Mitarbeiter haben können. Soziale Organisation produzieren aber keine Beinaheunfälle bzw. Unfälle, die von der Güte und Qualität technischer Abläufe und Produkte abhängen. Insofern ist es erstaunlich, dass man mittlerweile im gesamten Feld der Sozialen Arbeit und insbesondere im Kinderschutz auf die ›Wunderwaffe‹ einer verfahrensbasierten Standardisierung von Handlungsabläufen setzt. Überall breiten sich in den Jugendämtern und in anderen für den Kinderschutz verantwortlichen Organisationen computerbasierte Checklisten, Risiko- und Gefährdungseinschätzbögen, Ablaufbeschreibungen und kausale Wenn-dann-Verfahren aus, die im fallbezogenen Kinderschutz in erster Linie der organisationalen Gefahrenabwehr und dem professionellen Selbstschutz (vgl. Biesel 2009a) dienen. Hierdurch werden Kinder quasi als von ihren Eltern zu produzierende ›Industrieprodukte‹ konzeptualisiert, die, sofern sie nicht den in den Bögen verankerten Qualitätsnormen entsprechen, einer ›standardisierten Qualitätskontrolle‹ unterzogen werden müssen. Damit sollen sogenannte Beinaheunfälle oder schlimmer noch: katastrophale ›Erziehungsunfälle‹ rechtzeitig verhindert werden. Aber nicht nur Kinder werden einer solchen für die Soziale Arbeit unpassenden Sicherheitsprozedur unterzogen: Die sozialen Fachkräfte selbst sind nun in die gesellschaftlichen und organisationalen Beobachtungslogiken einer ›standardisierten Verhaltensnormierung‹ gedrängt worden2. Auch sie werden nun immer öfter zu Objekten einer flächendeckenden und dokumentierten Kontrolle und Überwachung, die der Subjektivierungsform des unternehmerischen Selbst (Bröckling 2007) dient. Ulrich Bröckling (ebd.: 239f.) führt hierzu kritisch aus: »Die Ordnung des Sehens und Gesehenwerdens ist ergänzt durch die des Aufschreibens und Lesens. Erst die Mitteilung der Beurteilungen erlaubt es den Beurteilten, ihr Verhalten so zu modifizieren, dass Schwachstellen beseitigt und Stärken gestärkt werden. Anders als in den Institutionen der Disziplinarmacht, wo die Zurichtung des Menschen im Wesentlichen nur in eine Richtung erfolgte, beruht die post-disziplinäre Kontrolle – der Begriff Feedback deutet schon darauf hin – auf einem kybernetischen Modell: Der Einzelne erscheint als informationsverarbeitendes System, das sich selbst flexibel an die Erwartungen seiner Umwelt anpasst, wenn es nur regelmäßig mit differenzierten Rückmeldungen gefüttert wird. Statt sein Verhalten unmittelbar zu reglementieren, was einen enormen Kontrollaufwand nach sich zöge und den ökonomischen Imperativen der Flexibilität, Eigeninitiative und Aufwandsersparnis zuwiderliefe, werden Rückkoppelungsschleifen installiert, die dem Einzelnen Normabweichungen signalisieren, die erforderlichen
2
So schlagen Jörg Fegert, Ute Ziegenhain und Heiner Fangerau (2010: 342) beispielweise vor, auf die sich in der Luft- und Raumfahrt sowie der Medizin etablierten Berichtssysteme, das sogenannte »Critical Incident Reporting« zu setzen.
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Adaptionsleistungen jedoch in seine eigene Verantwortung stellen. […] Man tut, was gemessen, und unterlässt, was vom Bewertungsraster nicht erfasst wird. Die Feedbacks schaffen so erst die Wirklichkeit, die sie zu bewerten vorgeben.«
Diese Form eines »demokratisierten Panopticons« (ebd.: 217ff.), welches in den Jugendämtern zumeist mit einem für die Soziale Arbeit überbürokratisierten Risiko- und Fehlermanagement kombiniert wird, trägt jedoch zu einer Deprofessionalisierung humaner Hilfepraxis bei, zu einer selbstauferlegten und technologischen Disziplinierung Sozialer Arbeit. Sie schränkt die Reflexionsfähigkeiten der Fachkräfte ein und täuscht eine Form der Modernisierung Sozialer Arbeit vor (vgl. Kruse 2005), die sich ihrer genuinen ethischen und professionellen Prinzipien entledigt hat (vgl. Kapitel 3). Wenn soziale Organisationen also mit den aus dem technologischen Hochrisikobereich stammenden hochzuverlässigen Organisationen vergleichbar sind, dann nur in einem Punkt: Sie sind zumeist selbst für unerwartete Praxissituationen bzw. für unerkannte latente Fehler verantwortlich, entstehen diese Fehler doch zumeist aus wohlüberlegten und gewissenhaft geprüften Handlungen und Entscheidungen, die aus einer für den gegebenen Zeitpunkt vorgenommenen falschen Situationsdeutung bzw. aufgrund einer unüberwindbaren begrenzten bzw. lokalen Rationalität (Simon 1968) heraus vorgenommen worden sind. Hochzuverlässige Organisationen haben es darum gelernt, das ›Unerwartete zu managen‹ (Weick/Sutcliffe 2003). Sie sind aufmerksam gegenüber den unbeabsichtigten Folgen und Nebenwirkungen ihrer Entscheidungen und Handlungen, indem sie (vgl. ebd.: 14ff.) (1) sich auf ihre Fehler konzentrieren, also: • Mitarbeiter zur Meldung von beobachteten Fehlern motivieren, • Praxisereignisse analysieren, die beinahe misslungen wären, um aus diesen für die Zukunft zu lernen, • und nicht nachlässig bei der Einhaltung ihrer eigenen Standards werden und nicht in eine routinierte und damit gefährliche organisationale Selbstzufriedenheit abgleiten; (2) eine Abneigung gegen vereinfachte Interpretationen haben, also: • die Welt als unbeständig und komplex akzeptieren, • eine möglichst umfassende Umweltwahrnehmung fördern • und ›Grenzgänger‹, d.h. Skeptiker und Kritiker produktiv in die Organisation einbinden, um kontroverse Standpunkte und Sichtweisen herausarbeiten und bestehen lassen zu können; (3) sensibel gegenüber ihren organisationalen Abläufen sind, also: • ihre latenten Fehler (Reason 2008b) verstärkt mit Hilfe von speziellen Fehlervermeidungsvorrichtungen wie z.B. Supervisionen, Fehlermeldungen, Beratungen und Sicherheitstrainings im Blick haben
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•
und ihre Achtsamkeit auf die Basis richten, d.h. darauf, wo die praktische Arbeit ganz konkret geleistet werden muss und wo es auf die Qualität der Arbeitsbeziehungen ankommt;
(4) nach Flexibilität streben, also: • Fehler als normale Gegebenheiten akzeptieren und sich von diesen nicht aus der Ruhe bringen lassen • und es verstehen, die Organisation durch ihr Improvisationsgeschick im Umgang mit Fehlern arbeitsfähig zu halten; sowie (5) Respekt vor fachlichem Wissen und Können haben, also: • im Bedarfsfall von der Entscheidungshierarchie abweichen • und die Entscheidungsgewalt unabhängig von ihrer organisationalen Stellung und Funktion dann zu jenen Mitarbeitern mit der größten Fachkompetenz wandern lassen. In seinem Beitrag zur Rezeption des Achtsamkeitskonzeptes im Kindeswohldiskurs nimmt Michael Böwer (2008) auf diese Überlegungen und darauf, wie sie in der Kinderschutzdebatte augenblicklich diskutiert werden, kritisch Bezug. Er weist aber zugleich darauf hin, dass durch die Einführung des § 8a SGB VIII »in der Praxis des Ambulanten Sozialen Dienstes selbst vielfältige Erfindungen gemacht worden sind, die helfen könnten, aus Fehlern zu lernen und künftig achtsam nach Warnsignalen Ausschau zu halten, um Risiken zu begegnen und zu begrenzen« (ebd.: 366, Herv. i. Org.), die bislang aber noch nicht erforscht worden sind. Nach Böwer (ebd.: 359) ist die Praxis des ASD durch einen dreifachen Prozesscharakter gekennzeichnet, bei dem es darauf ankommt, wie es dem ASD gelingt: • eine Kultur der Achtsamkeit gegenüber auftretenden Fehlern zu etablieren, • der Komplexität seines Aufgabenprofils gerecht zu werden und • im konkreten Einzelfall eine Kindeswohlgefährdung wahrzunehmen, zu deuten und professionell zu begründen. Dabei komme es im Kontext einer Kindeswohlgefährdungssituation darauf an, ob es durch eine Kultur der Achtsamkeit gelingt, mit Hilfe einer interdisziplinären Gesamtbetrachtung immer wieder prozessual die tatsächliche Eingriffsschwelle herauszuarbeiten, also ob das Kind tatsächlich gefährdet oder nicht gefährdet ist (vgl. ebd.: 364ff.). Joachim Merchel (2007, 2008b) und Reinhart Wolff (2007b) setzen hingegen grundsätzlicher an, indem sie stärker auf organisationelle Aspekte eingehen und darauf, wie durch das Organisationsversagen das individuelle Fehlverhalten einzelner Fachkräfte im Umgang mit Kindeswohlgefährdungssituationen nachhaltig beeinflusst wird und umgekehrt. Wolff (ebd.: 135) spricht in diesem Zusammenhang von der »risikogefährdeten Kinderschutzorganisation«, die sich nicht selbst sieht und kritisch thematisiert und
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sich nicht in die Lage versetzt, mit Hilfe von wissenschaftlich und methodisch fundierten Evaluations-, Hilfe- und Vernetzungsprogrammen, Kinder und Familien zu schützen und ihnen zu helfen. Darum sei die risikogefährdete Kinderschutzorganisation vor allem eine ermittelnde, interventionistische, monologische und auf Sozialkontrolle abzielende Organisation, die nicht auf den Dialog, auf die reflexive Verständigung und auf das experimentelle Lernen mit den Hilfesystemteilnehmern setzt. Joachim Merchel (2008b: 96) sieht vordringlich drei Organisationsbedingungen, die für einen effektiven Kinderschutz hinderlich sind: • mangelhafte oder fehlerhafte Organisationsstrukturen (unklare zum Teil unverständliche Handlungs- und Entscheidungsvorgaben und fehlende Leitungsstrukturen), • mangelnde Verbindlichkeit und mangelnde Beachtung der Prozesshaftigkeit von Strukturen (Unkenntnis darüber, dass Strukturen, nachdem sie etabliert sind, auch immer wieder überprüft werden müssen), • zu geringe Beachtung organisationskultureller, d.h. unhinterfragter und stillschweigend akzeptierter ›Phänomene‹. Dabei hebt Merchel in seiner Kritik »gute Gründe« hervor, warum es in Jugendämtern immer wieder zu einer Vernachlässigung des organisationskulturellen Zusammenhangs kommt (Merchel 2007a: 512): (1) Die Vernachlässigung liegt darin begründet, dass Verwaltungen – in denen das Jugendamt ja als sozialpädagogische Fachbehörde organisiert ist – Wert darauf legen, dass Verfahren korrekt durchgeführt und fristgerecht eingehalten werden. Verwaltungen entsprechen danach dem Bild einer Maschine, in denen von den Mitarbeitern erwartet wird, »daß sie sich wie Teile dieser Maschinerie verhalten« (Morgan 1997: 27), nämlich: vorhersehbar und berechenbar. (2) Die Vernachlässigung resultiert aus dem bürokratischen und aus dem Militär stammenden Organisationsaufbau von Verwaltungen, mit einem organisationalen Einliniensystem und den dazugehörigen Diensträngen und Weisungsbefugnissen, mit einer auf die Spitze der Organisation zulaufenden und unhinterfragten Autoritäts- und Führungsperson (vgl. ebd.: 23-50). Im Verständnis der Organisation als steuerbare Maschine passen nach Merchel (2007a: 16) die Konsequenzen, die aus dem Paradigma der Organisationskultur resultieren würden, nicht in das Bild einer perfekt organisierten und minutiös funktionierenden Verwaltung. Denn der Begriff der ›Organisationskultur‹ verweist auf das genaue Gegenteil: auf ihre Unbeeinflussbarkeit. Die Kultur einer Organisation basiert nämlich auf den unausgesprochenen Annahmen und Wertvorstellungen, die stillschweigend von den Mitarbeitern akzeptiert werden. »Mit anderen Worten: Die gemeinsam erlernten Werte, Überzeugungen und Annahmen, die für selbstverständlich gehalten werden, wenn das Unternehmen weiterhin erfolgreich ist, sind die Essenz
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der Unternehmenskultur« (Schein 2003a: 35). Und genau darin liegt nach Ansicht Merchels (2007) die Gefahr der Vernachlässigung des Organisationskulturellen. Sie führt dazu, das organisational erlernte Verhaltens- und Veränderungsmaßstäbe nicht hinreichend reflektiert werden und für selbstverständlich genommen werden, obwohl sie schon längst überprüft werden müssten. Fasst man diese Überlegungen zusammen, die speziell auf die neuen organisationalen und professionellen Herausforderungen an eine verbesserte Achtsamkeit, Zuverlässigkeit und Fehleroffenheit in den Organisationen Sozialer Arbeit insbesondere im Umgang mit Kindeswohlgefährdungssituationen verweisen, kann man folgende vier Untersuchungsfragen heranziehen, um klären zu können, ob Organisationen Sozialer Arbeit bzw. Jugendämter hochzuverlässig im Umgang mit ihren (latenten) Fehlern sind: (1) Besteht eine ›Kultur der Fehleroffenheit‹, die durch eine Organisationskultur gestützt wird, welche die sozialen Fachkräfte dazu ermutigt, professionelle und organisationale Fehler zu melden, um aus diesen Fehlern lernen und gegebenenfalls Praxisbedingungen verändern zu können? (2) Besteht eine ›Kultur des Vertrauens‹, in der gemeldete Fehler nicht als beschämender Gesichtsverlust erlebt, sondern als gewinnbringende Lernanlässe genutzt werden und es gemeinsam geklärt worden ist, was akzeptierte und was unakzeptierte Verhaltensweisen sind? (3) Besteht eine ›Kultur der Ankerkennung und Wertschätzung‹, in der die Fähigkeiten der Mitarbeiter an der Basis geschätzt, anerkannt und entsprechend für die weitere Organisationsentwicklung genutzt werden? (4) Besteht eine ›Kultur des Lernens‹, die dazu führt, dass die aus den gemeldeten Fehlern notwendig werdenden organisationalen Veränderungen nicht blockiert, sondern zugelassen werden (vgl. Munro 2009a: 128, Reason 2008b: 195ff.)? Da soziale Organisationen durch Strukturen gekennzeichnet sind und sich in einer bestimmten und oftmals öffentlichen, massenmedialen und politisch bestimmten Umwelt bewegen, sind sie mit immer wieder auftauchenden und zu bearbeitenden Schlüssel- und Kernproblemen konfrontiert. Diese Schlüssel- und Kernprobleme, durch die ja überhaupt erst Organisationsfehler entstehen und professionelle Fehler verschärft werden, sind: (1.) Entscheidungsprobleme, (2.) Kommunikationsprobleme, (3.) Führungs- und Leitungsprobleme, (4.) Macht- und Kontrollprobleme, (5.) zwischenmenschliche und durch Konflikte gekennzeichnete Probleme, (6.) Probleme des Organisationswandels und des organisationalen Lernens (vgl. Preisendörfer 2005: 19). Werden diese Schlüssel- und Kernprobleme nicht organisational gelöst, geraten Organisationen Sozialer Arbeit ins Schwanken, kann nicht gewährleistet werden, dass sie vor allem im Kinderschutz, wo es um das Leben und den Tod von Kindern geht, achtsam, zuverlässig und fehleroffen sind.
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Offen bleibt allerdings, warum es den Organisationen Sozialer Arbeit so schwer fällt, mit professionellen und (latenten) Organisationsfehlern produktiv umzugehen. Die zentrale Frage ist: Was hindert sie daran, unvermeidbare professionelle Fehler und (latente) Organisationsfehler rechtzeitig zu erkennen und zu thematisieren? Hierfür will ich nun im weiteren Verlauf meiner Ausführungen einen multiperspektivischen Referenzrahmen entwickeln, den ich aus drei organisationswissenschaftlichen Perspektiven heraus, konkretisiere. Dabei stütze ich mich im Wesentlichen auf die systemische Organisationstheorie, auf sozialräumlich-habituelle und damit verbundene Aspekte einer Organisation des Regiert- und Geführtwerdens und auf die Grundsätze lernfähiger Organisationen. Auf Basis dieser drei unterschiedlichen theoretischen Zugänge erläutere ich, warum insbesondere soziale bzw. professionelle Organisationen in der Praxis Sozialer Arbeit nicht immer achtsam, zuverlässig und fehleroffen sind bzw. sein können, obwohl diese Tugenden für eine verbesserte Kinderschutzpraxis geradezu notwendig sind. Die gewählten Theoriestränge dienen dabei der theoretischen Reflexion der Organisationspraxis unter dem Aspekt des produktiven Umgangs mit professionellen und (latenten) (Organisations-)Fehlern.
4.2 S OZIALE O RGANISATIONEN KOMMUNIKATIVE S YSTEME
ALS
Organisationen sind merkwürdige Gebilde. 3 Sie empirisch umfassend zu verstehen, ist alles andere als leicht. Sie mit Hilfe eines bestimmten theoretischen Zugangs verstehbarer werden zu lassen, ist darum eine lohnende Aufgabe. Im Folgenden werden soziale Organisationen deshalb zunächst als kommunikative Systeme beschrieben. Aus dieser theoretischen Perspektive spielen die Handlungsvollzüge der in den Organisationen angestellten Mitarbeiter eine eher untergeordnete Rolle. Im Mittelpunkt der Ausführungen steht die Art und Weise, wie in sozialen Organisationen als Systemen Fehler kommuniziert werden und darauf aufbauend der Umgang mit Fehlern entschieden wird. Denn gerade die kommunikativen Abbrüche innerhalb und außerhalb von Organisationen, die gemeinsam für die Umsetzung des Kinderschutzes zuständig sind, haben nicht unerhebliche Auswirkungen auf das sichere Aufwachsen von Kindern. In den wenigen, aber problematisch verlaufenen Kinderschutzfällen ist es nämlich in der Vergangenheit im fallbezogenen Kinderschutz zu inter- und intraorganisationalen Missverständnissen gekommen, wurde von den unterschiedlich beteiligten Abteilungen und 3
Morgan (1997: 28, Herv. i. Org.) weist in seinem Buch »Bilder der Organisation« darauf hin, dass Organisationen selten um ihrer selbst willen gegründet werden. »Sie sind vielmehr Instrumente zur Erreichung von Zielen. Das zeigt sich im Ursprung des Begriffs Organisation, von griechisch organon, Werkzeug oder Instrument« (Ebd.).
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Organisationen nicht verstanden, was kommuniziert wurde, kam es zu Selektionsprozessen, durch die in der Folge Kindeswohlgefährdungssituationen kommunikativ unter- bzw. überbewertet wurden. Generell kann man darum konstatieren: Kommunikation ist im Kinderschutz notwendig, sie aber verlässlich innerhalb und zwischen sozialen Organisationen und im Dialog mit den Hilfeteilnehmern zu organisieren, ist eine scheinbar unlösbare Herausforderung. Diese Beobachtung ist paradox, da sie aufzeigt, dass organisationale Strukturen, in denen soziale Fachkräfte miteinander zusammenarbeiten, kommunikativ konstruiert werden. D.h.: »Menschliche Kommunikation schafft Strukturen, die sich dauerhaft verfestigen und die im Gegenzug auf die einzelnen kommunikativen Handlungen zurückwirken können« (Knoblauch 1995: V). In Organisationen wird demnach nicht nur einfach kommuniziert, sondern durch Kommunikation entstehen spezifische organisationale Strukturen des Beobachtens und Verstehens, die wiederum blinde Flecken erzeugen (Wolff 2007b) . Was also wie in sozialen Organisationen miteinander thematisiert und kommuniziert wird und was dabei als Fehler beobachtet wird, wird auch durch die in der Organisation vorherrschende Kommunikationskultur (vgl. weiterführend Knoblauch 1995) bestimmt. Nach Hubert Knoblauch (ebd.: 79ff.), der sich in seinen Ausführungen auf ein ›Drei-Sphären-Modell‹ von Soeffner bezieht, sind die in den sozialen Organisationen unmittelbar und mittelbar ablaufenden kommunikativen Handlungen dabei lediglich Abbild einer gesamtgesellschaftlich wirksam werdenden kommunikativen Kultur. Im Anschluss an die im vorherigen Kapitel (vgl. Kapitel 3) vorgestellte wertepluralistische und gesellschaftskritische Fehlerdefinition, nach der professionelle Fehler nur als sozial-kommunikative Konstruktionen verstanden werden können, die wiederum auf gesellschaftliche Erwartungen, gesetzliche Regelungen, selbsterzeugte, d.h. (inter-)professionelle wie (inter-)organisationale Werte, Normen und Haltungen und die daraus resultierenden Qualitätsstandards verweisen, kann deshalb herausgestellt werden: Das, was als professioneller und organisationaler Fehler im Kinderschutz beobachtet und kommunikativ relevant wird, hängt entscheidend von der sich in den sozialen Organisationen repräsentierenden und gesamtgesellschaftlich rückgebundenen Kommunikationskultur ab. Im Zuge der Debatten um einen wirksameren Kinderschutz (vgl. Kapitel 2) und mit der Herausbildung einer Sicherheitsgesellschaft ist es in den Organisationen Sozialer Arbeit deshalb nicht von ungefähr zu einer kommunikativen Verschiebung von Hilfe auf Bedrohung gekommen (Hünersdorf 2010). Im Hilfesystem geht es nach Bettina Hünersorf (ebd.) nicht mehr länger um eine kommunikative Grenzziehung von Hilfe und Nichthilfe, sondern um einen der Sozialen Arbeit fremden kommunikativen Kode, nämlich: um Sicherheit vs. Bedrohung. Die in den sozialen Organisationen vorherrschende Kommunikationskultur stellt somit auch immer ein Abbild von sich durchsetzenden gesellschaftlichen Diskursen dar; sie symbolisiert, was für die Organisation als System kommunikativ anschluss- bzw. nicht ausschlussfähig ist und darauf
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aufbauend als Fehler beobachtet und kommuniziert wird. Insofern erstaunt es nicht, dass soziale Organisationen wie Jugendämter immer öfter an den Rand ihrer kommunikativen Belastbarkeit geraten, müssen doch insbesondere die Mitarbeiter für sich klären, welche Kindeswohlgefährdungsmeldungen ihrer Kooperationspartner sie als Information für bedrohlich bzw. nicht bedrohlich halten und welche sie an die dafür vorgesehenen organisationalen Entscheidungsorte (Teambesprechung, Vorstandssitzungen, kollegiale Beratungen etc.) kommunikativ weitergeben. Dabei kommt es im Zuge der Computergesellschaft jedoch zu einem weiteren Paradox: Die auf unmittelbare Kommunikation angewiesenen sozialen Organisationen setzen immer mehr auf mittelbare Formen der Kommunikation, auf einen von den Mitarbeitern enthobenen digitalen Nachrichten- und Informationskreislauf, der wiederum neue Formen der kommunikativen Koordination und Kontrolle heraufbeschwört (vgl. Foucault 1998). Und da das Füllhorn der technischen Möglichkeiten noch längst nicht geleert ist, stehen die Fachkräfte in der Praxis Sozialer Arbeit wie im Kinderschutz vor der Herausforderung, sich nicht vom Rundum-sorglos-Paket einer softwaregestützten Schutz- und Hilfeplanung totalisieren zu lassen. Denn es ist natürlich verführerisch, wenn man als soziale Fachkraft des Jugendamtes die Möglichkeit hat, die Realität humaner Hilfepraxis und die damit verbundene Planung von Hilfe − an der ja immer Hilfeteilnehmer, Fachkräfte und soziale Organisationen mit ihren jeweils eigenen und oftmals diametral zueinander stehenden Interessenlagen beteiligt sind − in eine als steuerbar empfundene virtuelle Realität zu transformieren. Die immer manifester werdende Technologisierung Sozialer Arbeit steht dabei nur stellvertretend für einen insgesamt zu beobachtenden gesellschaftlichen Kommunikationsprozess, bei dem die Menschen zunehmend zu Sklaven ihrer eigenen Technologieverhältnisse werden. Denn durch die Nutzung digitaler Kommunikationswege und Dokumentationsverfahren werden zunehmend die unmittelbaren interkommunikativen Orte der Begegnung und des Verstehens eingeschränkt, wird paradoxerweise eine anthropologische Selbstverständlichkeit zur organisierten Notwendigkeit: die Organisation unmittelbarer Kommunikation. Dirk Baecker (2007b: 38f.) führt hierzu aus: »Jetzt haben wir es nicht mehr nur mit der Kommunikation von Abwesenden zu tun, und auch nicht mehr nur mit dem immer mitlaufenden Zwang zum Vergleich, sondern dramatischer noch bekommen wir es mit einer Instanz, dem ›Rechner‹, zu tun, die ihrerseits so an die Kommunikation strukturell gekoppelt ist, wie es bislang nur das Bewusstsein war. […] Das heißt, der Computer kommuniziert mit, ohne dass wir ihm ein ›Denken‹ und ›Wahrnehmen‹ unterstellen können, wie wir es unter den Menschen gewohnt sind […]. Für die Interaktion bedeutet dies, dass sie mehr Sinnzumutungen be-
112 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN wältigen muss als je zuvor und dafür immer strengere Formen der Reduktion (um nicht zu sagen: der Regression) zur Verfügung haben muss.«
Ohne nun vollends in die Tiefen der systemisch inspirierten Organisationstheorie argumentativ einsteigen zu wollen, geht es mir bei der Betrachtung von Organisationen als kommunikative Systeme insbesondere darum, zu pointieren, dass soziale Organisationen sich kommunikativ durch selektiv getroffene Entscheidungen selbst erschaffen und zugleich einschränken und dabei auch immer wieder mit ihren eigenen kommunikativen intraorganisationalen Systemgrenzen konfrontiert werden. Denn mit jeder Entscheidung werden Alternativen ausgeblendet und Spielräume eingeschränkt, kommt es im Extremfall zu einer Verengung organisationaler Aufmerksamkeits- und Gestaltungsmöglichkeiten, kann nur entschieden werden, was unter kontingenten Bedingungen in den einzelnen Abteilungen und darüber hinaus kommunikative Akzeptanz gefunden hat4. »So gesehen, ist es eine sinnvolle Maxime, stets so zu entscheiden, dass die Entscheidung den Entscheidungsspielraum des Systems vergrößert« (Luhmann 2006: 199). Aber, und das ist vermutlich das entscheidende Problem jeder sozialen Organisation: Entscheidungen sind bereits kommunikativ und damit organisationskulturell gerahmt. Sie stellen also selbst eine soziale Konstruktion dar, weshalb bestimmte Erwartungen in bestimmten Organisationsstrukturen (z.B. Abteilungen, Gremien, Ausschüssen etc.) zumeist nicht durchbrochen werden können, da sie stillschweigend akzeptiert werden. Solche grammatikalischen Regeln der organisationalen (Binnen-)Kommunikationen sind nämlich wichtig, damit Mitarbeiter sich zur Organisation oder zu ihrem Team zugehörig fühlen und motiviert sind, ihre Arbeit zu erledigen (Simon 2007: 96ff.) 5 . Sie führen aber auch zur selbstverständlichen Beibehaltung von kommunikativen Praktiken, die den verbindlichen Normen und Gütekriterien der Profession Sozialer Arbeit entgegenstehen können, indem beispielsweise kollegiale Beratungen und Supervisionen lediglich formal abgearbeitet und nicht zur reflexiven Erweiterung von Handlungsperspektiven genutzt werden (vgl. Merchel 2007a, 2007b, 2008b). Eine weitere Problematik, die dabei relevant wird, ist: Über die kommunikativ wirksam werdende und gesellschaftlich gerahmte Kultur einer Organisation (vgl. Knoblauch 1995) kann organisational nicht entschieden werden, sie ist, mit Luhmann (2006: 241) gesprochen, »als Komplex der 4
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Dirk Baecker (1999: 58) führt hierzu aus: »Es gibt keine Kommunikation, die ausschließlich Information ist, so sehr Aufklärung und Wissenschaft diesen Eindruck zu erwecken versucht haben; und es gibt keine Kommunikation, die ausschließlich Mitteilung ist, so sehr die Romantik, wenn auch vielleicht nur im Rahmen einer Ironisierung der Aufklärung, dies behauptet hat. Es kommt immer wieder zu Schwerpunktsetzungen.« So schreibt Edgar Schein (2003a: 55): »Am sichtbarsten manifestiert sich Kultur in einer gemeinsamen Sprache und im gemeinsamen Denken.«
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unentscheidbaren Entscheidungsprämissen zu definieren«. Die grammatischen Regeln der organisationalen Kommunikationen können darum nicht durch formale Regelungen oder Anweisungen verändert werden. Zwar werden die Entscheidungsprämissen einer Organisation durch die ›Entscheidungsprogramme‹, die ›Kommunikationswege‹ und den ›Personaleinsatz‹ bestimmt (vgl. ebd.: 222-278; Simon 2007: 70ff.). Davon ausgenommen bleibt aber die Organisationskultur − die gemeinsamen und für selbstverständlich gehaltenen und unhinterfragten Werte und Normen: Das geheime und rituelle Skript der Organisation (vgl. Schein 2003; Merchel 2007a, 2007b, 2008b). Dieses Skript kann nicht durch ausgearbeitete Entscheidungsprogramme (Konditionalprogramme und Zweckprogramme) mit den dabei eine Rolle spielenden Kommunikationswegen, mit denen festgelegt wird, wo und wie über Sachverhalte entschieden werden soll, wirksam beeinflusst werden. Zudem, und dies wird in der Praxis Sozialer Arbeit zu wenig berücksichtigt, können zwar Konditionalprogramme6 − z.B. Verfahrensregelungen − für die Praxis des fallbezogenen Kinderschutzes beschrieben werden, sie können den Fachkräften aber in Praxissituationen der Ungewissheit keine verlässliche Orientierung bieten. Insofern ist es zwar wichtig, dass soziale Organisationen wissen, was sie wann, warum und wo zu entscheiden haben und dies auch per Satzung verankern. Dennoch können festgelegte Kommunikationswege und Konditionalprogramme nicht verhindern, dass in Organisationen auf unterschiedlichen Hierarchie- und Verantwortungsebenen gleichzeitig ablaufende und zum Teil sich widersprechende und rituell und unreflektiert anmutende Entscheidungen getroffen werden, die alles andere als rational sind. Im Gegenteil: In Organisationen wird oft aneinander vorbei kommuniziert, kann nicht sichergestellt werden, was erforderlich wird: organisierte Komplexität7 (vgl. Baecker 1994a, 1999: 30; Willke 1998: 42). Und komplex ist eine Organisation immer dann, wenn sie aus mehreren Abteilungen oder Dependancen besteht, die mit den jeweils dafür angestellten und spezialisierten Mitarbeitern unterschiedliche Funktionen zu erfüllen haben, die zeitlich nur schwer kommunikativ zu synchronisieren sind. Vor allem deshalb kommt es in sozialen Organisationen zu Entscheidungen, die der Vereinfachung und damit der Reduktion von Komplexität dienen (Luhmann 2000). »Jede Vereinfachung steigert [aber; K.B.] Komplexität« (Baecker 1999: 28), anstatt sie zu reduzieren. Dementsprechend werden in sozialen Organisationen vor dem Hintergrund einer unbekannten Zukunft ständig riskante und damit kontingente Entscheidungen ge-
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Nach Luhmann (2006: 263) haben Konditionalprogramme eine sequentielle Wenn-dann-Logik. In ihnen wird beschrieben, was in einem gegeben Fall x wie zu organisieren und zu entscheiden ist. Komplexität lässt sich hinsichtlich ihrer sachlichen, sozialen und zeitlichen Aspekte differenzieren. In ihrer Summe existiert sie als operative Komplexität, sofern die Organisation es gelernt hat, sich selbst und ihren Zustand zu hinterfragen (vgl. Baecker 1999: 29)
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troffen, die zur Gefahr der Klienten werden können (Luhmann 2003). Sie dienen der Herstellung einer für den aktuellen Moment als sicher anzunehmenden Zukunft (Luhmann 2006) und führen dazu, dass Organisationen überhaupt dazu in der Lage sind, Unsicherheiten zu absorbieren. Dabei kommt es zu notwendigen Selektionsprozessen, muss kommunikativ ausgeschlossen werden, was organisational weiter eingeschlossen werden müsste. Soziale Organisationen können darum auch mit Mülleimern verglichen werden (vgl. Cohen/March/Olsen 1972), in denen von den Mitarbeitern verschiedene Ideen und Lösungsvorstellungen in den Raum geworfen werden, ohne dass zuvor klar ist, aus welchen Gründen heraus überhaupt bestimmte Entscheidungen getroffen werden. Entscheidungen entstehen dann zumeist, weil ein schwieriges Problem zum gegebenen Zeitpunkt übersehen wird, das zu lösende Problem zu einer günstigeren Entscheidungsgelegenheit ›flieht‹ oder es so scheint, dass tatsächlich bestehende Probleme sofort umfassend gelöst werden könnten. Klatetzki (1998: 72) betont deshalb: »Eine gute Organisation in der Jugendhilfe kann mit komplexen, einzigartigen Problemen umgehen. Zu diesem Zweck weist eine gute Organisation unter kulturellen Gesichtspunkten eine differenzierte und vielfältige praktische Ideologie auf, sie hat einen Kommunikationsstil, in dem Dissens mit Sympathie und Kooperation verbunden sind, und sie ist strukturell ein organisches System.«
Davon kann in der Praxis Sozialer Arbeit jedoch nicht generell ausgegangen werden; so werden soziale Organisationen (und insbesondere Jugendämter) stattdessen immer noch wie technisch zu steuernde Maschinen, nämlich als ›Verwaltungsapparate‹ konzipiert, in denen nicht komplex, sondern hierarchisch − von oben nach unten − und nach den Maßgaben der gesellschaftlich bedingten Kommunikationskultur (vgl. Knoblauch 1995) einiger weniger Führungskräfte ›offiziell‹ kommuniziert und über den Umgang mit Fehlern entschieden wird (vgl. hierzu auch Willke 1998: 42). Solche formalen Organisationen sind zumeist durch folgende Faktoren gekennzeichnet, die aber einer achtsamen, fehleroffenen und reflexiven Kommunikationskultur in der Sozialen Arbeit oftmals entgegenstehen (vgl. Preisendörfer 2005: 67): • strukturierte und spezialisierte Arbeitsteilungen mit Anweisungs- und Delegationsprinzipien, • formale, d.h. verschriftlichte Regeln und Entscheidungsabläufe, • festgelegte und an Bedingungen geknüpfte Mitgliedschaftsrechte und -verpflichtungen sowie • festgeschriebene Zuständigkeits- und Konfliktregulierungsprozeduren. Soziale Organisationen mit solchen Merkmalen sind anfällig für (latente) Organisationsfehler, die sich auf die professionellen Handlungsbedingungen auswirken (vgl. Reason 2008b: 38). Sie setzen nämlich auf das von Max
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Weber (2008) umfänglich beschriebene Bürokratiemodell, um Kommunikation zu beschränken und legitimierte Herrschaft abzusichern. Anders gesagt: »Im Idealtyp der Bürokratie hat jede Stelle feste Kompetenzen, d.h. es gibt eine funktionale Arbeitsteilung mit klaren Zuständigkeiten. Vertikal sind die Stellen in einem System der Unter- und Überordnung arrangiert, verbunden mit Weisungsbefugnissen und einer mehr oder weniger großen Befehlsgewalt. Zu bearbeitende Vorgänge werden im Instanzenzug bewältigt und im vorschriftsgemäßen Kommunikationsfluß dürfen Hierarchieebenen nicht einfach übersprungen werden« (Preisendörfer 2005: 100).
In solchen bürokratisch strukturierten Organisationskontexten, in denen Organisationen oft im Verständnis des Taylorismus als arbeitsteilig und sequenziell organisierte Maschinen aufgefasst werden, prallen Fehler als kommunikative Prädikate zumeist an den Pforten der Hierarchie ab. Sie gelangen bisweilen nicht zu jenen Entscheidungsebenen, die für die daraus erwachsenden Veränderungsnotwendigkeiten offiziell zuständig sind. Denn in bürokratischen Organisationen müssen Dienst- und damit Kommunikationswege eingehalten werden, verlässt sich jeder auf den anderen, kommt es zu unabhängig voneinander ablaufenden Entscheidungsprozeduren, zu kommunikativen Brüchen zwischen den Abteilungen. Insofern hat Dirk Baecker (1994: 24) Recht, wenn er schreibt: »Hierarchie ist dann optimal, wenn eine Aufgabe ›blind‹ realisiert werden soll. Aber sie ist schädlich, wenn es darum geht, die Augen aufzumachen. Denn sie liefert zu viele Gründe, nicht hinzusehen oder nicht aufmerksam zu werden.« Derart problematisiert werden Angestellte in solchen Organisationskontexten zwar als Übermittler von Fehlern bei den für sie zuständigen Vorgesetzten angehört, sie sind in aller Regel aber froh, wenn sie in Zukunft nicht mehr Probleme, Schwierigkeiten und Fehler ansprechen. Denn die Verantwortung für Fehler wird in Bürokratien oft aufgespalten und in der Regel einzelnen Fachkräften und Abteilungen zugeschoben. Was also als Fehler in Organisationen kommunikativ eine Rolle spielt, hängt entscheidend davon ab, ob eine Organisation ein solches Datum als wichtige Information anerkennt bzw. ob dieses Datum auch unabhängig von den formal etablierten Verfahrens- und Entscheidungswegen einen Ort des kommunikativen Anschlusses findet. Dabei muss man sich jedoch, wie bereits herausgestellt wurde, von einfachen Kommunikationstheorien, die dem Sender-Empfänger-Modell entsprechen, verabschieden (vgl. Baecker 2007a). Kommunikation ist komplexer. Sie hat ihre eigene ambivalente Dynamik. Denn ob ein Datum als Information in einer Organisation erkannt und verstanden wird, hängt von den Erwartungshorizonten − ›Entscheidungsprämissen‹ − ab, welche die kommunikativen Nachrichten- und Informationskreisläufe wiederum einschränken. »Gezielte Kommunikation ist daher nicht dank Kommunikation, sondern dank Organisation möglich, weil die Organisation ihrerseits nichts anderes ist als die Festlegung des Spiel-
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raums der Kommunikation. Etwas zu organisieren heißt, Festlegungen darüber zu kommunizieren, wie zu kommunizieren ist« (Baecker 1999: 57). In Organisationen kommt es zwar, ob nun am Schreibtisch, in der Mittagspause oder bei Teambesprechungen, zu informellen und formellen kommunikativen Austauschprozessen zwischen Personen, die sich ansonsten in ihrem normalen Alltag vermutlich nie begegnen würden. Aber: Ob und wie über Fehler in sozialen Organisationen kommuniziert und entschieden wird, hängt davon ab, ob sich eine pathologische, bürokratische oder generative Organisationskultur (Reason 2008b: 38) etabliert hat, die wiederum von der Umwelt mit beeinflusst wird. Und genau darauf hebt die systemische Organisationstheorie ab (Simon 2007). Sie erhebt Kommunikationen zum Schlüssel jeglicher in Organisationen getroffener Entscheidungen, die wiederum an zuvor kommunikativ erzeugten Entscheidungen anschließen. Ohne Kommunikation also keine Entscheidungen und damit keine Umgang der sozialen Organisation mit ihren Fehlern. Oder wie es Niklas Luhmann (2006: 59) formuliert: »Soziale Systeme bestehen aus Kommunikationen. Kommunikation ist diejenige autopoietische Operation, die rekursiv auf sich selbst zurückgreift und vorgreift und dadurch soziale Systeme erzeugt. Kommunikation gibt es somit nur als soziales System und nur in sozialen Systemen.« Und genau solch ein soziales System ist die soziale Organisation. Sie kann nicht ohne Kommunikation existieren. Sie ist auf Kommunikation angewiesen. Denn alles, was nicht kommuniziert wird, findet außerhalb der sozialen Organisation statt, hat keine Existenzgrundlage. Es kommt also, und das ist sozusagen der paradoxe Moment dieser systemtheoretischen Argumentationslinie, nicht auf die handelnden Personen in einer Organisation an, sondern auf die von ihnen losgelösten kommunikativen und für die Organisation eindeutig zu identifizierenden und gegenüber der Umwelt abzugrenzenden Nachrichten- und Informationskreisläufe an. Soziale Organisationen bilden darum immer ihren eigenen kommunikativen Kode aus. Sie sind auf eine Innen-außen-Unterscheidung angewiesen, auf Grenzziehungen, die nur kommunikativ erfolgen können. Oder wie es Willke (2007: 23, Herv. i. Org.) formuliert: »Der überlebenssichernde ›Trick‹ der Organisation besteht darin, dass sie − mithilfe ihrer eigenen Routinen (z.B. der Rekrutierung von Personal) − dafür sorgt, dass die Teilnehmer an der Kommunikation austauschbar bleiben, während im Gegensatz dazu die Kommunikationsmuster reproduzierbar und ihre Funktion (mehr oder weniger) konstant erhalten werden können. Auf diese Weise gewährleistet sie die Fortsetzung der Kommunikationsprozesse, die sie als autonome Einheit gegenüber dem Rest der Welt definieren (d.h. abgrenzen und definieren).«
Damit liegen die Probleme solcher sich aus Sicht der organisationalen Systemtheorie ausschließlich durch Kommunikationen strukturierenden Organisationen endgültig auf der Hand: Sie sind einerseits auf Kommunikation an-
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gewiesen, auf kommunikative Anschlüsse, die jeweils so aber auch ganz anders ausfallen können. Anderseits muss immer wieder geklärt werden, was für die Organisation kommunikativ anschlussfähig und was im Gegensatz dazu nicht ausschlussfähig ist. Dabei treten unweigerlich Paradoxien auf, müssen Informationen nämlich wechselseitig selektiert werden (Baecker 2007a), ist es für soziale Organisationen wie den bürokratisch und hierarchisch organisierten Jugendämtern geradezu unmöglich, jeglichen Hinweisen auf Fehler umfassend nachzugehen. Denn dann würden sie sich kommunikativ überfordern und einer Komplexität hingeben, die zu einem kommunikativen Überschuss führen würde, der nicht mehr bewältigt werden kann. Es sei denn, sie setzen strategisch anders an, indem sie Komplexität nicht bürokratisch, sondern kommunikativ handhaben. Denn »Bürokratie bedeutet Vorwegfürsorge für alle denkbaren Fälle und Ausbau der Bürokratie in den Fällen, in denen es zu unvorhergesehenen Fällen kommt. […] Bürokratie legt Kommunikation fest, Kommunikation hält sie offen« (Baecker 1999: 37). Wie allerdings in Organisationen festgelegt wird, was kommunizierbar ist, d.h. welche Nachricht als Fehlerinformation zur Organisation und welche zur Umwelt gehört, hängt von ihrer operationalen Schließung bzw. von ihrer strukturellen Kopplung ab. Übertragen auf soziale Organisationen, wie Jugendämter oder andere freigemeinnützige Organisationen Sozialer Arbeit, heißt das, dass es nicht nur auf das Ausmaß der SystemUmwelt-Differenz im Sinne einer immer weiter voranschreitenden funktionalen Differenzierung zwischen einzelnen und voneinander autopoietisch abgetrennten Funktionssystemen und den dazugehörigen sozialen Systemen ankommt (vgl. Luhmann 1984), sondern auch, und das ist, so gesehen, der entscheidende Moment, auf die Qualität ihrer Binnendifferenzierung. Denn auch innerhalb von Organisationen werden kommunikative Systemgrenzen gezogen, gehören einzelne Mitarbeiter unterschiedlichen Abteilungen an, die jeweils ihren eigenen spezifischen kommunikativen Kode herausbilden und darum durch intra- wie durch interorganisationale Umwelteinflüsse irritiert werden. Ob eine soziale Organisation aus ihren Fehlern lernt oder sich bloß von deren Anwesenheit kurzfristig stören lässt (vgl. Simon 2009, Abschnitt 4.4), hängt demnach davon ab, ob es der Organisation gelingt, einen abteilungs- und hierarchieübergreifenden kommunikativen Kode zu etablieren − eine auf gemeinsam geklärte kommunikative Erwartungen aufbauende Grundorientierung, ›einen kognitiven Orientierungsrahmen‹ − oder wie es Klatetzki nennt: eine praktische Ideologie (vgl. 1998: 63ff.). »Eine praktische Ideologie ist ein relativ kohärentes System, bestehend aus emotional besetzten Vorstellungen, Werte und Normen, das Personen gemeinsam ist, sie zusammenbindet und ihrer Umwelt Sinn zu verleihen« (ebd.: 63). Sie dient der Orientierung und schafft einen kommunikativen Erwartungsrahmen, der es möglich macht, dass Organisationen und ihre Mitglieder wissen, was sie tun. Aber auch sie allein kann soziale Organisationen nicht vor (latenten) Fehlern schützen, wenn diese es nicht lernen, trotz ihrer Autopoiesis offen gegenüber ihrer Umwelt zu sein und sich entsprechend evolutionär
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anzupassen (Weick 1995a). Sie muss darum ihr Organisationsdesign ändern und sich fragen: • »Was wird nicht entschieden, weil die Zeit dafür fehlt?« (Baecker 1999: 356). • Oder anders gefragt: Wie kommt es dazu, dass sich in Organisationen für Entscheidungsprozesse keine Zeit genommen wird, es zu überstürzten und wenig reflektierten aktiven oder zum Aufschieben und zum Vergessen von wichtigen Entscheidungen kommt? • Warum werden Fehler also auf der einen Seite durch die Organisation nicht abgestellt oder auf der anderen Seite überhaupt nicht organisational kommunikativ wahrgenommen? Alles, und darauf hat dieser Abschnitt gezielt hinweisen können, hängt dabei von den kommunikativen Fähigkeiten der sozialen Organisation ab, von dem, was die Mitarbeiter aufmerksam beobachten und kommunizieren. Sie selbst sind es nämlich, die ihre Organisation auf Fehler rechtzeitig hinweisen können, wenn sie sich trauen und es organisational erwartet wird, dass an den dafür etablierten Entscheidungsorten Fehler ihren legitimen kommunikativen Platz haben. Es ist darum erforderlich, die organisationalen Aufmerksamkeits- und Veränderungsmöglichkeiten mit Hilfe der Beobachtungsfähigkeiten der in den Organisationen angestellten Mitarbeiter zu stärken. Dies gelingt jedoch nur, wenn die Organisationsmitglieder, das sagen, was sie denken, und ihre kommunizierten Beobachtungen für notwendige Praxisveränderungen genutzt werden, was jedoch von der vorherrschenden Organisationskultur abhängt. Wird Kommunikation bürokratisch eingeschränkt und den Mitarbeiter suggeriert, sie sollen nur den von ihnen erwarteten Dienst nach Vorschrift absolvieren und sich ansonsten aus der Organisation heraushalten, wird befördert, was organisational unerwünscht ist: unbeobachtete und unkommunizierte kleinere Fehler. Denn »die Organisation ist auf die psychischen Systeme ihrer Mitglieder unverzichtbar angewiesen, da sie selbst nicht über Mittel der sinnlichen Wahrnehmung verfügt. In dieser Hinsicht besteht eine vollkommene Abhängigkeit der Organisation vom Bewusstsein ihrer Mitglieder als relevanter Umwelt. Wenn deren Wahrnehmungen nicht kommuniziert werden, so nimmt die Organisation nicht wahr« (Simon 2007: 39, Herv. i. Org.).
Aber: Die Organisationskultur und die dahinterliegende gesellschaftlich bedingte Kommunikationskultur (vgl. Knoblauch 1995) strukturieren wiederum das Bewusstsein der in den sozialen Organisationen angestellten Fachkräfte. Für einen offenen Umgang mit Fehlern sind demnach alle Mitglieder der unterschiedlichen Abteilungen und Hierarchieebenen einer sozialen Organisation, aber auch deren Kooperationspartner verantwortlich. Nur sie können nämlich die Fehler ihrer Kollegen und der an den Hilfen beteiligten Fachkräfte beobachten und sich gegenseitig dabei helfen, in einem Prozess
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des reflexiven und wechselseitigen Lernens und der organisationalen Veränderung zu gelangen (vgl. Abschnitt 4.4). Unbeantwortet ist bislang jedoch, aus welchen Gründen heraus, Mitarbeiter sich nicht (mehr) mit ihrer Organisation identifizieren oder die von ihnen beobachteten Fehler nicht als Nachricht gehört und für korrigierende Entscheidungen genutzt werden, Mitarbeiter also nicht mehr das umsetzen, wofür sie angestellt sind, oder extremer: gegen die Interessen – den Überlebenserfordernissen – der Organisation agieren, indem sie keine Fehler mehr erkennen und benennen. Hierzu sollen nun in einem weiteren Schritt soziale Organisationen als kulturelle Interessen-, Macht- und Statusfelder problematisiert werden (vgl. Abschnitt 4.3).
4.3 S OZIALE O RGANISATIONEN ALS KULTURELLE I NTERESSEN -, M ACHT - UND S TATUSFELDER In sozialen Organisationen kommt es – wie immer wieder beobachtet wird – zu Interessen-, Macht- und Statuskämpfen. Sie bleiben nicht aus und führen dazu, dass Entscheidungen entweder befördert oder verhindert werden. Aber auch ein produktiver Umgang mit Fehlern ist von solchen Kämpfen betroffen. Soziale Organisationen können insofern als interessengeleitete, ›kapitalträchtige‹ Arenen, die der Aufrechterhaltung von legitimierter Macht und Hierarchie dienen, angesehen werden. Mit Bourdieu (1997b) können sie als soziale Felder beschrieben werden, in denen ein für die Organisationsmitglieder unsichtbares und habituell bedingtes Spiel abläuft − ein Spiel um Macht und Anerkennung8. Ohne nun den Anspruch zu erheben, die ganze Tiefe der Praxistheorie Pierre Bourdieus9 in diesem Abschnitt erörtern zu wollen, ist es jedoch hilfreich, sich soziale Organisationen als konfliktträchtige Felder vorzustellen, in denen die Statussicherung des einzelnen Mitar-
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Dieses Spiel wird jedoch nicht freiwillig gespielt und unterliegt auch keinem unmittelbaren kapitalistischem Interesse: »Ein Interesse haben, heißt, einem bestimmten sozialen Spiel zugestehen, daß das, was in ihm geschieht, einen Sinn hat, und daß das, was bei ihm auf dem Spiel steht, wichtig und erstrebenswert ist. Damit ist auch gesagt, daß der Begriff Interesse, wie ich ihn verstehe, etwas vollkommen anderes ist als das transhistorische, universale Interesse der utilitaristischen Theorie, also die unbewußte Verallgemeinerung jener Form von Interesse, die von der kapitalistischen Wirtschaftsform erzeugt und vorausgesetzt wird« (Bourdieu/Waquant 2006: 148f.). Es sei jedoch an die von Hans Joas und Wolfgang Knöbl (2004: 518ff.) vorgenommene Einführung zu Pierre Bourdieu verwiesen. Sie ordnen sein Werk zwischen dem Strukturalismus und seiner Theorie der Praxis ein. Bourdieu selbst beschreibt seinen Ansatz als genetischen oder konstruktivistischen Strukturalismus (vgl. ebd.: 527).
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beiters oft mehr zählt als ein offener Austausch über Fehler oder gar die Problematisierung von Machtverhältnissen. Soziale Organisationen können insofern auch als habituelle Arenen verdeckter Kämpfe angesehen werden, in denen die sozialen Unterschiede der einzelnen Mitarbeiter einer konstruktiven intra- wie interorganisationalen Zusammenarbeit entgegenstehen können. Zu verschieden sind nämlich die habituellen Geschmäcker und Ansichten der einzelnen Fachkräfte, die mit ihren jeweiligen soziokulturellen Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten, ihren soziokulturellen Kapitalien eigentlich zur Stärkung der organisationalen Kompetenzen beitragen sollen, aber sich oftmals in aufreibenden zwischenmenschlichen Konflikten verstricken. Die von Habermas (1995a, 1995b) herausgestellte Praxis des kommunikativen und damit verständigungsorientierten Handelns kann für Organisationen insofern nicht vorausgesetzt werden. In ihnen geht es nämlich immer um die Wahrung unterschiedlicher Interessen, um die Durchsetzung von Macht- und Geltungsansprüchen. »Die zentrale Erfahrung der zwanglos einigenden, konsensstiftenden Kraft argumentativer Rede, in der verschiedene Teilnehmer ihre zunächst nur subjektiven Auffassungen überwinden und sich dank der Gemeinsamkeit vernünftig motivierter Überzeugungen gleichzeitig der Einheit der objektiven Welt und der Intersubjektivität ihres Lebenszusammenhangs vergewissern« (Habermas 1995b: 28),
ist zwar eine anzustrebende Form einer ›demokratisch-dialogischen Organisationskultur‹ (vgl. Abschnitt 4.5), sie kann aber nicht einfach organisational angeordnet werden. In sozialen Organisationen herrschen nämlich nur selten solche idealen Sprech- und Verständigungssituationen vor, in denen Fragen der Gestaltungs- und Durchsetzungsmacht, also Formen des strategischen Handelns (vgl. Habermas 1995a: 385), keine Rolle mehr spielen würden. Vielmehr kommt es in sozialen Organisationen und auch Jugendämtern darauf an, wer als Sprecher akzeptiert bzw. abgelehnt wird (vgl. Knoblauch 1995: 37ff.). Mit anderen Worten: Es macht einen sozialen Unterschied, ob eine soziale Fachkraft, die in der Hierarchiestruktur der Organisation ja oftmals weiter unten positioniert ist, einen Vorgesetzten auf einen Fehler hinweist oder ob umgekehrt der Vorgesetzte den Angestellten auf seine Fehler aufmerksam macht. Aber auch die Konflikte unter den Kollegen führen nicht selten dazu, dass eine professionelle Zusammenarbeit in der Sozialen Arbeit misslingt und kleinere Fehler unberücksichtigt bleiben. Denn in sozialen Organisationen existieren unterschiedliche soziale Felder mit divergierende Kapitalkonzentrationen, die soziale Ungleichheiten unter den Mitarbeitenden verschärfen. Aufgrund des in den sozialen Organisationen vorkommenden unterschiedlichen Habitus der Angestellten kommt es nicht nur zwischen den sozialen Fachkräften und ihren Klienten, sondern auch innerhalb der
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Belegschaft zu habituell bedingten Anziehungs- und Abstoßungsreaktionen. Soziale Organisationen können insofern auch als Kraftfelder angesehen werden, in denen die Mitglieder entweder versuchen, ihren organisationalen Status, ihre Entscheidungs- und Mitsprachebefugnisse aufrechtzuerhalten, oder um eine für sie einträglichere organisationale Positionierung buhlen. Dabei geht es immer um ein verdecktes Spiel um Macht und Anerkennung. So schlussfolgert Pierre Bourdieu (Bourdieu/Wacquant 2006: 128, Herv. i. Org.): »In der Tat läßt sich das Feld mit einem Spiel vergleichen […]. So gibt es Einsätze bei diesem Spiel, Interessenobjekte, die im wesentlichen das Produkt der Konkurrenz der Spieler untereinander sind […]: Die Spieler sind im Spiel befangen, sie spielen, wie brutal auch immer, nur deshalb gegeneinander, weil sie alle den Glauben (doxa) an das Spiel und den entsprechenden Einsatz, die nicht zu hinterfragende Anerkennung teilen (…), und dieses heimliche Einverständnis ist der Ursprung ihrer Konkurrenz und ihrer Konflikte.«
Wie bereits im vorangegangen Abschnitt (vgl. Abschnitt 4.2) herausgearbeitet wurde, gibt es in formellen Organisationen, in Bürokratien wie Jugendämtern, zwar klar geregelte Konfliktregelungsprozeduren, ist eindeutig festgeschrieben, wer sich wann, bei wem beschweren darf. Mit Bourdieu (1997b) gedacht, finden in sozialen Organisationen aber ähnliche Abgrenzungs- und Ausgrenzungsprozesse statt, wie sie in der Gesellschaft beobachtet werden können. In Organisationen gibt es insofern auch immer Mitglieder, die sich mit ihren ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitalien eine Form symbolischer und von allen akzeptierte und unhinterfragte Macht einverleiben konnten, die es ihnen unabhängig von ihrer formalen Position möglich macht, die für sie als unangenehm erlebten Fehler im Nichts der Organisation verschwinden zu lassen bzw. ihre Interessen unabhängig von der formellen Hierarchie durchzusetzen. Dabei handeln sie jedoch nicht als freie und rational agierende Subjekte, sondern als Akteure in bereits vorstrukturierten sozialen Feldern10. Im Verständnis Bourdieus (1997a, 1997b) wird der Raum der sozialen Positionen nämlich rückübersetzt im Raum der Lebensstile, der im Habitus wiederum seinen sozialisatorischen Niederschlag findet. Er schreibt:
10 Nach Ansicht Bourdieus kennt die Theorie des rationalen Handelns nur Akteure, die keine Geschichte aufweisen. »Sie ignoriert die individuelle und kollektive Geschichte der Akteure, in der sich, in einem komplexen zeitlich-dialektischen Verhältnis zu den objektiven Strukturen, von denen sie produziert werden und die sie tendenziell reproduzieren, die Präferenzstrukturen herausbilden, die in ihnen wirksam sind« (Bourdieu/Waquant 2006: 156, Herv. i. Org.).
122 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN »Die Habitus sind differenziert wie die Positionen, deren Produkt sie sind; aber auch differenzierend. Sie sind unterschiedlich und unterschieden und sie machen Unterschiede: Sie wenden unterschiedliche Unterscheidungsprinzipien an, oder sie wenden die gewöhnlichen Unterscheidungsprinzipien unterschiedlich an. Die Habitus sind Prinzipien zur Generierung von unterschiedlichen und der Unterscheidung dienenden Praktiken […]; es sind dies aber auch unterschiedliche Klassifikationsschemata, unterschiedliche Klassifizierungsprinzipien, Wahrnehmungs- und Gliederungsprinzipien, Geschmacksrichtungen. Mit ihrer Hilfe werden Unterschiede zwischen gut und schlecht, gut und böse, distinguiert und vulgär usw. gemacht, aber eben nicht die gleichen Unterschiede« (Bourdieu 1998: 21).
Denn jeder Mensch hat andere Bewertungsmaßstäbe, die aus seinem Habitus resultieren. Von Kindheit an eignen wir uns nämlich in der Familie, in der Schule, in der Arbeitswelt etc. bestimmte Denk-, Wahrnehmungs-, Interpretationsmuster an, wissen wir, in welchen sozialen Feldern wir uns wie zu verhalten haben bzw. meiden wir im Extremfall jene sozialen Felder, die nicht unserem Habitus entsprechen. Denn »Menschen werden Bourdieu zufolge in ein ›Feld‹ hineinsozialisiert und lernen dort, sich angemessen zu verhalten; sie begreifen die Spielregeln und verinnerlichen die ›Strategien‹, die für das erfolgreiche Spielen des Spiels unabdingbar sind« (Joas/Knöbl: 2004: 535). Ähnliche, jedoch nicht zweckgerichtete Spiele laufen auch in sozialen Organisationen ab. In ihnen kommt es entweder zur Herausbildung verschworener Habitusgemeinschaften, in der die sozialen Rollen untereinander ausgehandelt und unvermeidbare Konflikte mit neu in die Gemeinschaft kommenden Angestellten vorprogrammiert sind, oder es kommt zu dauerhaften Positionierungskämpfen. In beiden Fällen geht es in sozialen Organisationen jedoch immer um die Wahrung der zuvor hart umkämpften Privilegien und Interessen. Nichts wird dem anderen kampflos überlassen, und wenn der Kampf aussichtslos erscheint, wird so lange abgewartet, bis die Feldbedingungen sich als günstig erweisen. Seinem Habitus kann nämlich niemand entfliehen. Ob wir wollen oder nicht: »Wer den Habitus einer Person kennt, der spürt oder weiß intuitiv, welches Verhalten dieser Person verwehrt ist. Mit anderen Worten: Der Habitus ist ein System von Grenzen« (Bourdieu 1997a: 33). Und an diese Grenzen stoßen alle mit- und gegeneinander arbeitende Mitarbeiter in sozialen Organisationen. Sie sind in ihrem Habitus verfangen und können nur jene professionellen und organisationalen Praktiken als professionelle oder organisationale Fehler wahrnehmen und herausstellen, von denen sie glauben, sie wären falsch bzw. richtig. In der Folge kommt es in sozialen Organisationen zu sich diametral zueinander verhaltenden Organisations- und Situationseinschätzungen; während einige Mitarbeiter beispielsweise denken, das Kindeswohl sei gefährdet, können im selben Moment andere Mitarbeiter denken, dass die Grenzen des Tolerierbaren noch längst nicht erreicht sind. Aber auch Fragen der Qualität sind da-
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von betroffen; was gute oder schlechte Sozialarbeitspraxis ist, liegt insofern auch immer im Auge des Betrachters, da die Einschätzungen darüber selbst stets habituell rückgebunden sind und auch eine Repräsentation der Machtverhältnisse der Organisation darstellen. In sozialen Organisationen existieren dementsprechend auch immer bestimmte Machtfelder, die von Habitusgemeinschaften geprägt werden und die fern ab der formellen Hierarchie Einfluss darauf haben, inwiefern bestimme und notwendig werdende Organisationsveränderungen zugelassen oder blockiert werden. Und da die sozialen Fachkräfte in Jugendämtern, die ja in aller Regel kommunal organisiert sind, oftmals zur Minderheit der in den Gesamtverwaltungen vorrangig angestellten Verwaltungsmitarbeiter gehören und darüber hinaus über einen ganz anderen Habitus verfügen, sind sie zumeist diejenigen, die über die Grenzen des Jugendamtes hinaus nicht am Spiel der Macht teilhaben. Sie stehen, wenn man so will, auf einer weniger einflussreichen sozialräumlichen Position innerhalb ihrer Organisation11, weshalb sie oftmals nicht dazu in der Lage sind, in das Feld der Macht vorzudringen. »Das Feld der Macht […] ist kein Feld wie die anderen: Es ist der Raum der Machtverhältnisse zwischen verschiedenen Kapitalsorten oder, genauer gesagt, zwischen Akteuren, die in ausreichendem Maße mit einer der verschiedenen Kapitalsorten versehen sind, um gegebenenfalls das entsprechende Feld beherrschen zu können, und deren Kämpfe immer dann an Intensität zunehmen, wenn der relative Wert der verschiedenen Kapitalsorten […] ins Wanken gerät« (Bourdieu 1998: 51);
wenn plötzlich aufgrund sich neu ergebender politischer Machtverhältnisse Ressorts und Abteilungen innerhalb der Verwaltung neu zugeschnitten werden sollen und ehemalige Gefolgsleute als unbrauchbar erscheinen. So gesehen, geht es in sozialen Organisationen und auch in den bürokratisch organisierten und hierarchisch aufgebauten Jugendämtern in der Führungsebene insbesondere darum, als Leitungskraft seinen Einfluss geltend zu machen und seine Interessen zu wahren. Dabei ist »eines der Objekte der Kämpfe, in die sämtliche Akteure oder Institutionen verwickelt sind, die über ausreichend spezifisches (vor allem ökonomisches oder kulturelles) Kapital verfügen« (ebd.), die jeweiligen Felder der Macht derart machtvoll zu besetzen, dass »der Erhalt oder die Veränderung des Wechselkurses zwischen den verschiedenen Kapitalsorten« (ebd.) auf der Führungsebene und nicht auf Ebene der Mitarbeiterschaft bestimmt wird – wenngleich auch die sozialen Fachkräfte stetig darum bemüht sind, dass die von ihnen einge11 So hat Reinhard Liebig (2000: 247) folgende Veränderungsmuster herausgearbeitet, denen die Jugendämter und deren Mitarbeiter in Deutschland unterliegen. (1.) Sie werden in größere Organisationseinheiten eingegliedert. (2.) Sie werden dezentralisiert und in die Regionen einer Kommune verlagert. (3.) Teile ihrer Aufgaben werden ausgelagert oder privatisiert.
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brachten kulturellen Kapitalien entsprechend ökonomisch honoriert werden oder entsprechend in den zu vergebenden Positionen ihre organisationale Anerkennung finden. Wie dem auch sei: In sozialen Organisationen geht es immer um die Wahrung der in den jeweiligen Feldern vorherrschenden Einfluss- und Machtbedingungen. Und immer dann, wenn bestimmte Entscheidungsroutinen und Handlungsweisen in sozialen Organisationen als etabliert gelten, unhinterfragt bleiben und von den Mitarbeitern stillschweigend akzeptiert werden, ist dies ein Anzeichen für ein sich in der jeweiligen Organisationskultur repräsentierendes Feld der Macht. Denn, um nochmals mit Bourdieu (1997b) zu argumentieren: Nichts ist stärker als die von einer Habitusgemeinschaft dominierte Organisationskultur. In ihr werden gemeinsame Ansichten und Meinungen verstärkt, finden gegenseitige Bestätigungsrituale statt, die soziokulturell bedingt sind (vgl. Schein 2003a). Wer in einer sozialen Organisation in oder out ist, als fleißig oder faul, fähig oder unfähig eingeschätzt wird, all diese Bewertungen sind Resultat der Organisationskultur und dem dahinterliegenden Feld der Macht bzw. der dagegen opponierenden Mitarbeiter, die jedoch selbst auch bestimmten sich in der Organisation herausbildenden Subkulturen angehören. Denn wie wir wahrnehmen, denken und handeln, ist Resultat der auf uns einwirkenden Feldkräfte und unserer Sozialisation. Edgar Schein (ebd.: 73) schreibt hierzu: »Wir alle wissen das intuitiv und begreifen, dass wir ein Produkt unserer Umgebung sind. Was eine kulturelle Perspektive zu dieser Einsicht beiträgt, ist die Erkenntnis, dass die gegenwärtigen Perspektiven, Einstellungen und Annahmen auch ein Spiegel gegenwärtiger Zugehörigkeiten zu Gruppen und Gemeinschaften sind und dass man sich selbst auch deshalb so sehr an die eigene Kultur klammert, weil niemand in den Gruppen, die er schätzt, als Abweichler gelten will.«
Soziale Organisationen können darum auch als Familien konzeptualisiert werden, in denen es ebenso wie bei den Klienten Sozialer Arbeit um die Strukturierung und Aufrechterhaltung von Sozialordnungen und um die damit einhergehenden Eingriffs- und Abwehrrechte geht (vgl. Donzelot 1980). Dabei kommt es in sozialen Organisationen im Gegensatz zu Familien zu einer per Lohnzahlung gekoppelten Mitgliedschaft, zu einer auf professionellen Kompetenzen beruhenden organisationalen Erwartung, einer auf ökonomischen Kapitalien beruhenden und per Rangordnung festgelegten ›Dienerschaft‹. Wird dieser Dienerschaft nicht entsprochen, werden die sozialen Fachkräfte selbst zu erzieherischen Objekten einer organisationalen Praktik der Überwachung und Kontrolle (vgl. Foucault 1998). Sie sind es dann, die insbesondere in den Jugendämtern, darauf ›abgerichtet‹ werden müssen, das zu tun, was die Bürokratie von ihnen erwartet: eine fehlerfreie Bearbeitung von Kindeswohlgefährdungsfällen. Mit Hilfe eines solchen hierarchisch organisierten Überwachungssystems (vgl. ebd.), wird schon seit
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dem 18. Jahrhundert sichergestellt, was im Zuge der Industrialisierung organisational erforderlich wird: Mitarbeitergehorsam bzw. ein nunmehr für den Geist des neuen Kapitalismus (Boltanski/Chiapello 2006) notwendig werdender subjektivierter kategorischer Imperativ des unternehmerischen Handelns (vgl. Bröckling 2007). Oder wie Michel Foucault (1998: 228f.) es weiterführend erläutert: »Die hierarchisierte, stetige und funktionelle Überwachung gehört gewiß nicht zu den großen technischen ›Erfindungen‹ des 18. Jahrhunderts − vielmehr beruht ihre schleichende Ausweitung auf den neuen Machtmechanismen, die sie enthält. […] In der hierarchisierten Überwachung der Disziplinen ist die Macht keine Sache, die man innehat, kein Eigentum, das man überträgt; sondern eine Maschinerie, die funktioniert. Zwar gibt ihr der pyramidenförmige Aufbau einen ›Chef‹; aber es ist der gesamte Apparat, der ›Macht‹ produziert und die Individuen in seinem beständigen und stetigen Feld verteilt. Das erlaubt es der Disziplinarmacht, absolut indiskret zu sein, da sie immer und überall auf der Lauer ist, da sie keine Zone im Schatten läßt und da sie vor allem diejenigen pausenlos kontrolliert, die zu kontrollieren haben; und zugleich kann sie absolut diskret sein, da sie stetig und zu einem Gutteil verschwiegen funktioniert.«
Vor diesem Hintergrund kann jeder Mitarbeiter zum Kontrolleur seines Kollegen und umgekehrt mutieren, kommt es unabhängig von der organisationalen Hierarchie zu einem nicht aufhören wollenden Kampf um Macht und Anerkennung, zu habituell bedingten Fehlerdebatten, die jeglicher professionellen Grundlage entbehren. In sozialen Organisationen wie in Familien kommt es deshalb zu Geschwisterkämpfen, zu Rivalitäten und Eifersüchteleien. Wenn es insofern eine Faustformel für soziale Organisationen gibt, dann ist es diese: Unabhängig davon, ob Positionen in sozialen Organisationen verbindlich festgeschrieben oder besetzt sind, der soziale Status der einzelnen Mitarbeiter ist in Organisationen immer in Gefahr, kommt es zu nicht aufhören wollenden und aus der Geschichte der Organisation stammenden und sich stetig verschiebenden Feldabgrenzungen. Insofern kann Pierre Bourdieu nur zugestimmt werden, wenn er schreibt: »Das Feld ist ein Ort von Kräfte- und nicht nur Sinnverhältnissen und von Kämpfen um die Veränderung dieser Verhältnisse, und folglich ein Ort des permanenten Wandels. […] Jedes Feld bildet einen potentiell offenen Spiel-Raum mit dynamischen Grenzen, die ein im Feld selbst umkämpftes Interessenobjekt darstellen« (Bourdieu/Waquant 2006: 134f., Herv. i. Org.). Wer befördert oder abgemahnt wird, wem die Ausübung einer bestimmten Position zugetraut oder aberkannt wird, all diese organisationalen Praktiken der Beförderung und Disziplinierung haben Einfluss auf den Umgang mit Fehlern in Organisationen. Und so kommt es, dass diejenigen Mitarbeiter, die sich in ihren Organisationen jahrelang abgemüht, keine Gehaltser-
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höhungen erhalten und von ihren Kollegen und ihren Vorgesetzten keine Wertschätzung und Anerkennung, sondern im Gegenteil Missachtung erfahren haben, Fehler nicht mehr melden. Und diejenigen Mitarbeiter, die in ihren Organisationen sozial aufgestiegen sind, sich nicht mehr für die Probleme und Bedürfnisse ihrer Angestellten interessieren; werden sie doch immer noch als ernstzunehmende Konkurrenten oder als unfähige Mitarbeiter angesehen. Nicht von ungefähr trauen sich deshalb viele Fachkräfte nicht, die von ihnen beobachteten Fehler offensiv anzusprechen, befürchten sie stattdessen von ihrem Team oder ihren Vorgesetzten sozial ausgegrenzt zu werden. In pathologischen wie auch in bürokratischen Organisationskulturen (Reason 2008b: 38) werden Fehler darum nicht gern gesehen; sie bedrohen nämlich das auf vertrauensvollen Beziehungen und gegenseitigen Abhängigkeiten beruhende informelle Machtgefüge der sozialen Organisationen. Und die, die sich dennoch trauen, Missstände anzusprechen, werden entweder in eine Belohnungs- und Sanktionierungspraxis des Forderns und Förderns überführt oder auf jene Stellen umbesetzt, auf denen sie mit ihren Qualifikationen den geringsten Schaden anrichten können (Peter/Hull 1983). Im schlimmsten Fall werden sie dem kapitalistischen Markt der begrenzten Möglichkeiten übergeben, indem sie einfach gekündigt werden. So einfach ist es in Jugendämtern allerdings nicht. In diesen Organisationen können die im öffentlichen Dienst angestellten Mitarbeiter nicht einfach entlassen werden; stattdessen werden sie aber zu Objekten einer Disziplinierungsbürokratie, in der sie zumeist den Kampf um Macht und Anerkennung erfolglos aufgegeben und sich mit ihrer Rolle als organisational Untergebene angefreundet haben (Schütze 1996: 253f.). Sie haben sich insofern mit den organisationalen Machenschaften der von Jaques Donzelot (1980: 11) in einem anderen Zusammenhang herausgestellten »überwachte[n; K.B.] Freiheit« arrangiert und sind nicht mehr länger gewillt, die organisationalen Anforderungen für eine »geschützte Freiheit« zu erfüllen. Denn dies würde bedeuten, dass sie sich trotz der für sie haltlosen Organisationsbedingungen für eine Praxis einsetzten, der sie nicht mehr angehören wollen. Stattdessen sind sie − im Sinne Heinrich Popitz (2009: 233ff.) − in ein soziales Gefüge gelangt, in dem die Macht der sozialen Organisation entpersonalisiert, formalisiert und integriert, d.h. stabil ist und in deren Folge die sozialen Organisationen selbst zu unhinterfragten Herrschaftsapparaten geworden sind. Nichts darf dann mehr kritisiert werden, jegliche und seit Jahren sich als richtig herausstellende Vorgehensweisen sind unangreifbar; sie sind das Zeugnis einer pathologischen Organisationskultur (Reason 2008b: 38), in der jegliche Fehlermeldungen und Vorschläge zur Verbesserung der Praxis an der Herrschaft einer sich selbstlegitimierenden Organisationskultur haltmachen. Einzig ein Ausweg bleibt noch: die komplette Kündigung oder der Weggang der Mitarbeiterschaft. Um die Herausbildung von pathologischen Organisationskulturen im Vorfeld zu verhindern, bleibt indes eine nicht weniger herausfordernde Aufgabe: ein organisationales Lernen zu ermöglichen, das zur habituellen Ver-
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änderung der Mitarbeiter beiträgt. Denn nur dadurch können die sich als hinderlich erweisenden sozialen Feldbedingungen innerhalb sozialer Organisationen verändert werden. Aber: Menschen können nicht zum Lernen und zur habituellen Veränderung verpflichtet werden, wenn Organisationen zwar am Lernen und Verlernen interessiert sind, ihnen es aber nur in den seltensten Fällen gelingt, ihre Organisationskultur zu verändern (vgl. Henrich 2009, vgl. Abschnitt 4.4)
4.4 S OZIALE O RGANISATIONEN ALS L ERN - UND E NTWICKLUNGSGEMEINSCHAFTEN Wie Reinhart Wolff (2004) in einem Vortrag zu den Eckpfeilern einer lernenden Organisation herausgestellt hat, ist Lernen ein selbstorganisierter Prozess. Er kann nicht einfach von außen angeordnet oder gar vorgeschrieben werden. D.h.: Mitarbeiter in sozialen Organisationen entscheiden selbst, ob sie aus ihren und den Fehlern ihrer Kollegen lernen. Das ist eine paradoxe Situation, sind Organisationen doch darauf angewiesen, Praxis festzulegen, und zugleich darauf, dass sich ihre Angestellten im Laufe ihrer Praxis habituell verändern, ihre Routinen hinterfragen und Veränderungen möglich machen, die sich aus neu ergebenden Umwelterfordernissen heraus ergeben. Es sei denn, die Organisation versteht sich als Verwaltung, als eine bürokratische Organisationskultur par excellence. Dann nämlich sind Veränderungen unerwünscht, ist nicht mehr steuerbar, was bislang als beeinflussbar galt: das Verhalten der Mitarbeiter (Reason 2008b: 38). Dadurch wird jedoch ein Lernen aus professionellen und organisationalen Fehlern verhindert, denn nach Chris Argyris (1997: 13) setzt Lernen immer dann ein, »wenn wir einen Fehler entdecken und korrigieren. Ein Fehler ist die Diskrepanz zwischen dem, was wir von einer Aktion erwarten, und dem, was tatsächlich eintrifft, wenn wir diese Aktion umsetzen. Es handelt sich also um Fehlanpassungen zwischen Absichten und Ergebnissen.« In bürokratischen Organisationskulturen stehen die Ergebnisse aber oftmals schon im Vorhinein fest, werden Abweichungen kommunikativ ausgeblendet (Reason 2008b: 38), wird das Unerwartete nicht gehandhabt (vgl. Weick/Sutcliffe 2003). Dies liegt nach Argyris (1997) am gewohnheitsmäßigen Abwehrverhalten der Mitarbeiter. Insbesondere in klassischen Institutionen (Schulen, Universitäten, Behörden wie Jugendämtern) stehen solch starre Umweltanpassungen auf der Tagesordnung, wohingegen in modernen Organisationen (Krankenhäuser, Forschungsinstitute, Wohlfahrtsverbände) bereits eine mittlere Umweltanpassung zu beobachten ist. Lediglich in intelligenten Organisationen kommt es jedoch zu einer organisierten Lern- und Wissensarbeit, die zu einer flexiblen Umweltanpassung und zu einem generativen Lernen aus Fehlern beiträgt (vgl. Helmut Willke 1998: 26). Solche organisationalen Veränderungen sind allerdings alles andere als leicht, weil man damit auch immer das Erfolgsfundament einer Organisation – ihre Organisationskultur
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– einreißt (vgl. Schein 2003a). Die häufigsten Lern und Verlernanlässe sind darum (vgl. ebd.: 117ff.): • Unfälle oder Skandale, • ökonomische Gefahren, politische Gefahren, • technologische Gefahren, juristische Gefahren, • moralische Gefahren, inneres Unbehagen, • Unternehmensfusionen, • eine charismatische Leitung und • Weiterbildungen, Trainings. Erst wenn solche Lern- und Verlernanlässe nicht mehr geleugnet werden können, entstehen entweder Überlebensängste oder Schuldgefühle, die zu einem organisationalen Lernen aus Fehlern führen, aber auch stets mit Lernängsten verbunden sind. Solche in der Mitarbeiterschaft anzutreffenden Lernängste führen jedoch nicht selten zur Abwehr der offensichtlich gewordenen Lern- und Verlernanlässe, weshalb sie von den sozialen Fachkräften oftmals geleugnet werden; oder sie tun lediglich so, als ob sie zu Veränderungen bereit seien. Im Extremfall suchen sie sich einen Sündenbock für ihre Probleme (vgl. ebd.: 122), um ihre Lernangst fremd zu attribuieren. Die Angst des Lernens, die dabei eine Rolle spielt, hat vor allem die nachfolgenden Ursachen (vgl. ebd.: 121): • Die Mitarbeiter haben Angst vor vorübergehender Inkompetenz. • Die Mitarbeiter haben Angst, wegen der Inkompetenz bestraft zu werden. • Die Mitarbeiter haben Angst vor dem Verlust ihrer persönlichen und beruflichen Identität. • Die Mitarbeiter haben Angst vor dem Verlust ihrer Gruppenzugehörigkeit. Dabei sind soziale Organisationen zwingend darauf angewiesen, dass ihre Mitarbeiter sich gemeinsam lernend verändern, sind sie doch diejenigen, die durch ihre kommunikative Reflexivität zu einer achtsamen, zuverlässigen und fehleroffenen Organisationskultur beitragen. Wird organisational nicht von ihnen eingefordert, Neues zu lernen, bzw. werden sie darin nicht ausreichend organisational unterstützt und begleitet, ist in Gefahr, worauf soziale Organisationen nicht mehr länger verzichten können: die ›kollektive Intelligenz‹ (Willke 1998: 5). Nonaka und Takeuchi (1997) verweisen in ihren organisationswissenschaftlichen Studien darauf, wie wichtig es für das Überleben von Organisationen in einer auf Wissen beruhenden Gesellschaft ist, dass ihre Mitarbeiter zu Wissensarbeitern (Drucker 2003) werden. Hierfür müssen Organisationen ihre Angestellten darin unterstützen, sich selbst zu managen; sie müssen sie unablässig weiterbilden, aber auch sie selbst müssen dazu bereit sein, kontinuierlich gemeinsam sowohl mit ihren Kollegen als auch ihren Kooperationspartnern aus ihren Fehlern und Erfolgen zu lernen. Werden die von
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ihnen beobachteten professionellen wie organisationalen Fehler nicht teamund abteilungsübergreifend sowie interorganisational kommuniziert und werden diese Fehlerdaten von den anderen Organisationsmitgliedern und Kooperationspartnern als bedeutungslose Informationen statusbedingt (ab-) erkannt (vgl. Abschnitt 4.3), kann kein organisationales Fehlerwissen aufgebaut und damit eine Organisation nicht achtsam, zuverlässig und fehleroffen sein. Soll in Organisationen aus Fehlern gelernt werden, müssen die Mitarbeiter dazu motiviert und dafür kontinuierlich weitergebildet werden, professionelle und organisationale Fehler anhand gemeinsam miteinander vereinbarter Qualitäts- und Fehlerindikatoren rechtzeitig zu erkennen und als Probleme, Schwierigkeiten bzw. als Fehler zu verbalisieren (implizites Fehlerwissen). Denn nur so können die dadurch explizit werdenden Fehlerinformationen (organisational relevant werdende Fehlerbeobachtungen) innerhalb der Organisation miteinander ausgetauscht, eingeschätzt und von den Angestellten wiederum als explizites Fehlerwissen internalisiert werden. So kommt Bernd Dewe (2009) auch in seinem Plädoyer für die handlungslogische Entfaltung reflexiver Professionalität zu dem Schluss, dass in der Praxis Sozialer Arbeit, in der es »nicht bloß eine Form richtigen Handelns« (ebd.: 103) gibt, die sozialen Fachkräfte es lernen müssen, mit professionellem Nichtwissen reflexiv umzugehen. Eine solche Reflexivität kann allerdings nur durch eine innere habitualisierte Haltung (vgl. Nörenberg 2007) der Fachkräfte und durch eine entsprechende Organisationskultur gewährleistet werden; die kritische Reflexion von vermeintlich als unumstößlich geltenden Schlussfolgerungen im demokratischen Austausch mit den Klienten muss darum organisational gefördert werden. Denn der reflektierte Praktiker, so Dewe (ebd.: 101), »reflektiert situativ seine Berufserfahrungen und die zu bearbeitenden Problemlagen und Unsicherheiten in der Kommunikation mit seinen Adressaten unter Nutzung einer multiplen Wissensbasis.« Und diese multiple Wissensbasis muss durch organisationale Lern- und Verlernprozesse stetig verändert und erneuert werden; eine Organisation, die es vergisst zu lernen, ist anfällig für latente (Organisations-)Fehler, was wiederum negative Einflüsse auf die professionelle Qualität der in den Organisationen tätigen sozialen Fachkräfte haben kann. Der Schlüssel des organisationalen Lernens aus kleineren und weniger folgenreichen Fehlern liegt nach Ansicht von Ikujiro Nonaka und Hirotaka Takeuchi (1997: 68ff.) in der hierarchie- und abteilungsübergreifenden Förderung und Umwandlung von implizitem (Fehler-)Wissen in explizites (Fehler-)Wissen über die Stufen der Sozialisation, Externalisierung, Kombination und Internalisierung. Dadurch komme es zu einem spiralförmigen Lernaneignungs- und Wissensaneignungsprozess. Die Spirale der Wissensschaffung in Organisationen hat allerdings immer einen Ausgangspunkt: die einzelne Fachkraft. Ist sie nicht gewillt, von anderen zu lernen bzw. sich weiterzubilden, also ihr implizites Praxiswissen weiterzugeben bzw. zu teilen oder auch in Aktennotizen, Konzepten etc. zu verschriftlichten, können organisationale Wissensbestände nicht untereinander kommunikativ und
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textbasiert ausgetauscht und erweitert werden, sind gemeinsame (Ver-) Lernprozesse in Organisationen zum Scheitern verurteilt. Die impliziten Wissensbestände beruhen dabei zumeist auf sensorischen Erfahrungen; sie werden sozialisatorisch durch Beobachtung und Nachahmung erworben. Wohingegen die expliziten Wissensbestände auf intellektuellen Erfahrungen beruhen. Sie werden erst öffentlich, wenn sie gemeinsam angewendet und kommuniziert werden (vgl. Willke 1998: 63). Dieser ›Prozess der Externalisierung‹ kann jedoch nur gelingen, wenn die Mitarbeiter in einer Organisation arbeiten, die sich nicht in Einschleifen-Lern-Muster verfangen (Argyris/Schön 2006). Einschleifen-Lern-Prozesse sind zwar für Organisationen effektiv, da die handlungsleitenden Wertvorstellungen der Organisation bestehen bleiben und deshalb keine tiefgreifenden Veränderungen notwendig werden, sie führen aber nicht zu einem rechtzeitigen Lernen aus kleineren und weniger schwerwiegenden Fehlern. Nur durch Doppelschleifen-Lern-Muster – hierarchie- und abteilungsübergreifende Lernprozesse − kann es nämlich zu einem Wertewechsel der handlungsleitenden Theorien wie auch der Strategien und Annahmen kommen, kurz: kann die Organisationskultur verändert werden. Peter M. Senge (1996) ist deshalb der Meinung, dass in Organisationen fünf zentrale Disziplinen umgesetzt werden müssen: (1.) Personal Mastery – persönliches Können stetig ausweiten, (2.) mentale Modelle – Reflektion seiner inneren Bilder über die Welt, (3.) gemeinsame Visionen für die Zukunft erarbeiten, (4.) Teamlernen – Entwicklung neuer Kommunikationsformen, (5.) Systemdenken. Danach sind Organisationen erst dann dazu in der Lage, ihr Lernparadox (Argyris/Schön 2006: 285ff.) zu überwinden, wenn sie ihre Mitarbeiter beim Ausbau ihrer Kompetenzen und Fähigkeiten unterstützen, sie dazu einladen, ihre mentalen Modelle untereinander zu reflektieren und kritisch auf den Prüfstand zu stellen, ihnen tragfähige Visionen bieten, durch die sie in ihrer Arbeit bestärkt werden und Teamlernprozesse unterstützen. Erst dann ist möglich, was die Grundvoraussetzung für ein organisationales Lernen aus Fehlern ist: ›systemisches Denken‹. Wird eine solche Stufe des gemeinsamen Denkens in sozialen Organisationen wie Jugendämtern nicht erreicht, werden von den Fachkräften nur solche Fehler thematisiert, über die nach offizieller Lesart gesprochen werden kann. Dadurch werden jedoch oberflächliche Lösungen provoziert, welche die Lage eher verschlimmern als verbessern. Aus diesem Grund müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein, damit soziale Organisationen, wie Jugendämter, nicht in organisationale Lernblockaden geraten: (1) Soziale Organisationen müssen eine breit verankerte Intention/Mission haben – eine Philosophie des professionellen Helfens, nach der sich alle Mitarbeiter richten können. (2) Soziale Organisationen müssen ihren sozialen Fachkräften so viel professionelle Autonomie wie möglich einräumen, um unkonventionelle Wege des Helfens gehen und neues Wissen erschaffen zu können.
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(3) Soziale Organisationen müssen personelle, programmatische und konzeptionelle Fluktuationen und kommunikative Redundanzen fördern und zulassen, damit selbstverständliche Grundannahmen auf den Prüfstand gestellt und Mitarbeiter aller Abteilungen über die selbe Informationsund Wissensbasis verfügen können (vgl. Nonaka/Takeuchi 1997: 88ff.). Solche Voraussetzungen sind in vielen Jugendämtern allerdings nicht gegeben, da sie aufgrund ihres hierarchischen Aufbaus und ihrer Einbindung in Kommunalverwaltungen eher dazu tendieren, ihre Mitarbeiter nicht in gemeinsame Denk- und Lernprozesse einzubeziehen; sie verzichten stattdessen auf eine angemessen kommunikative und personelle Architektur zur Erweiterung ihrer organisationalen Beobachtungs- und Lernfähigkeit; sie unterliegen der Dominanz hierarchischer Solidarität (vgl. Klatetzki 2010a: 220). Dabei ist es vor dem Hintergrund der sich immer deutlicher abzeichnenden gesellschaftlichen Problemerfordernisse (siehe auch: Kapitel 2) unabweisbar, dass die Jugendämter auf die Installation von, wie es Joachim Merchel (2010a: 55) nennt, systematisierten Beobachtungssystemen setzen müssen. In vielen Jugendämtern wird aber beispielsweise auf ein professionelles Personalmanagement verzichtet, bleiben die von Merchel (ebd.: 54) in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Prüffragen oftmals unbeantwortet. Personalentwicklungs-, Fortbildungs-, Coaching- und Beteiligungskonzepte, die dazu beitragen könnten, dass Mitarbeiter bei der Umsetzung ihrer Arbeit unterstützt und in ihrer Rolle als reflektierte Praktiker bestärkt werden, sind vermutlich Mangelware. Sie sind aber erforderlich, um eine ›dreifache Fehleroffenheit‹ auf der Ebene der Fachkräfte zu fördern und auf den Ebenen der professionellen Teams und der Gesamtorganisation auf die organisationskulturellen, d.h. für selbstverständlich gehaltenen Kommunikations- und Erwartungsmuster einwirken zu können. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass all jene Jugendämter, die auf eine Personalmanagement/Qualitätsmanagement- und Jugendhilfeplanungsabteilung verzichten, Gefahr laufen, dass ihre Mitarbeiter nicht achtsam, zuverlässig und fehleroffen bei der Ausübung ihrer professionellen Tätigkeiten sind. Dabei deuten die strukturellen Probleme des individuellen und organisationalen Lernens an, wie notwendig es für Organisationen ist, alles daran zu setzen, nicht in Einschleifen-Lern-Muster zu verfallen. Denn »gerade die Probleme des organisationalen Lernens machen überdeutlich, daß die Wirkungen von Kommunikationsstrukturen und von Regeln der Kommunikation massiv sind. Jenseits der Absichten und Wünsche der beteiligten Personen sorgen sie dafür, daß gemeinsamer Sinn entstehen kann oder verhindert wird, daß die Vergemeinschaftung von Erfahrungen gelingt oder mißlingt, daß ein Teamgeist sich bilden kann oder unterbunden bleibt. Die Personen sind allerdings auch hier keineswegs auf die Rolle bloßer Opfer oder Vollstrecker verwiesen. Wenn man es kann, kann man die wirksamen kollektiven Metaphern, Sinngebilde und Kommunikationsmuster an die
132 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN Oberfläche bringen und sichtbar machen. Dazu bedarf es einer bewußten Anstrengung und geeigneter Instrumente« (Willke 1998: 53f.).
4.5 S OZIALE O RGANISATIONEN AUF DEMOKRATISCH - DIALOGISCHEN O RGANISATIONSKULTUREN ?
DEM
W EG
ZU
Heutzutage, und das ist der wunde Punkt aller Organisationen, reicht es nicht mehr aus, Mitarbeitern per Arbeitsvertrag, Arbeitsplatzbeschreibung, Lohnzahlung und Karrieresystemen vorzugeben, was sie zu tun und was sie zu lassen haben (vgl. Boltanski/Chiapello 2006). Sie müssen vielmehr als freiwillige und wertvolle Wissensarbeiter angesehen werden (vgl. Drucker 2003), denen zugestanden wird, autonom Verantwortung zu übernehmen, und denen dabei organisational geholfen wird, dieser Verantwortung als Unternehmer ihrer selbst (Bröckling 2007) gerecht zu werden. Nur so können sie sich mit dem, was sie tun, identifizieren (vgl. Peters/Waterman 2004) und sich für den von allen Seiten geforderten wirksameren Kinderschutz einsetzen (vgl. Kapitel 2). Achtsamkeit, Zuverlässigkeit und Fehleroffenheit sind freilich keine Attribute, die einfach wie ein Medikament verordnet werden können. Soll aus professionellen wie organisationalen Fehlern in den sozialen Organisationen wirklich gelernt werden – was an sich schon eine mehrdeutige Angelegenheit ist –, muss man sich vom Traum eindeutig zu regelnder und anzuweisender Verhaltens- und Verfahrensstandards verabschieden. Sie sind für die Praxis Sozialer Arbeit unbrauchbar. Es kommt vielmehr auf eine dreifache professionelle Fehleroffenheit der Mitarbeiter und ihrer Führungskräfte an, die kommunikativ dafür Sorge tragen müssen, dass Fehler ihren organisationalen Platz erhalten. Denn »sobald Standards des richtigen Verhaltens nicht mehr unterstellt werden können, muss über das, was aus Fehlern und ihrer Vermeidung gelernt werden kann, laufend kommuniziert werden« (Baecker 2003: 28). Kommunikation ist insofern der Schlüssel für organisationale Veränderungen. Sie bürokratisch einzuschränken, führt dazu, dass eine soziale Organisation gegenüber ihrer Umwelt blind wird, wenngleich nicht jeder kommunizierte Fehler – und die Frage ist, ob beobachtete Probleme und Schwierigkeiten überhaupt derart bezeichnet werden sollten – zu organisationalen Weiterentwicklungen führen muss (Simon 1997). Es ist nämlich nicht immer angebracht, aufgrund von Fehlentwicklungen sofort sämtliche organisationalen Errungenschaften über Bord zu werfen. Aber: »Fehler zu ermutigen und sie zugleich zu entmutigen, ist das Mindeste, was sich ein System schuldig ist« (Baecker 2003: 28). Ob aber Mitarbeiter – soziale Fachkräfte wie auch Führungskräfte – Fehler erkennen und über sie kommunizieren, sie also als Chance des Lernens ansehen (vgl. Abschnitt 4.4), hängt entscheidend von der Organisationskultur, von den Erfahrungen, die sie im Umgang mit Fehlern in ihren Organisationen gemacht haben, ab.
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Wenn sie sich als selbstwirksame Mitglieder ihrer Organisation verstehen und es organisationskulturell erwartet wird, über Fehler offen und fair zu reden, gibt es eine Chance dialogischer Veränderung, fühlen sie sich aber von ihrer Organisation enttäuscht und für begangene Fehler an den Pranger gestellt, begeben sie sich in einen Modus der Gleichgültigkeit oder der Unterwerfung, wird es kaum mehr möglich sein, das Organisationsdesign kommunikativ zu verändern. Es ist deshalb in den zweigliedrig organisierten Jugendämtern erforderlich, dass die Mitarbeiter systemisch denken und ökologisch kommunizieren lernen (vgl. ebd.: 29, Senge 1996), um professionelle sowie organisationale Fehler rechtzeitig und generativ beobachten und aus diesen Fehlern lernen zu können. Resümierend kann darum festgehalten werden: In der Praxis Sozialer Arbeit geht es nicht um richtige oder falsche, sondern um riskante Entscheidungen, die zur Gefahr für die Klienten ebenso wie für die Fachkräfte und deren Organisationen werden können (vgl. Wolff 2007b, Luhmann 2003). Und da den Angehörigen der Profession Sozialer Arbeit nicht durch Konditionalprogramme vorgeschrieben werden kann, wie sie in riskanten und damit kontingenten und ungewissen Kontexten vorzugehen haben, muss man in ihre Denk-, Beobachtungs-, Schlussfolgerungs- und Lernfähigkeiten investieren und sie zur Bewältigung einer riskanten und damit fehleranfälligen Praxis durch die kommunikative Veränderung organisationskulturell bedingter Entscheidungsprämissen ermutigen. Nicht ihre professionellen Fehler sind das Problem, sondern, wie insgesamt in Organisationen über Fehler kommuniziert und entschieden und wie die Kultur als Organisation dabei dominant wird. Mit Klatetzki (2010a) kann jedenfalls davon ausgegangen werden, dass soziale Organisationen nicht nur durch eine Kultur beschrieben werden können. Vielmehr muss von einem Nebeneinander vier in Organisationskulturen relevant werdender soziokultureller Solidaritäten (hierarchische, egalitäre, individualistische, fatalistische) ausgegangen werden, die sich mehr oder weniger gegenseitig bedingen. Entscheidend ist jedoch, dass in einer Organisationskultur, in der eine ›hierarchische Solidarität‹ dominiert, die Aufdeckung und Thematisierung von Fehlern zur Opferung der vermeintlichen Fehlerverursacher führt (vgl. ebd.: 230). Aus den in diesem Kapitel gewonnen Einsichten lassen sich also vier zentrale Ausgangsbedingungen herausstellen, die erfüllt sein müssen, um demokratisch-dialogische Organisationskulturen in der Sozialen Arbeit 12
12 Mit Bezug auf Pierre Rosanvallon (2010: 119ff.) geht es dabei um eine für soziale Organisationen typische Legitimität durch Unparteilichkeit, die durch ständig zu erneuernde Verfahrens-, Erfolgs- und Kontrollprüfungen sichergestellt werden muss. Soziale Organisationen, die ja »unabhängige Behörden« darstellen, sind nämlich, »wie alle Institutionen von Bürokratisierung bedroht, so dass sie mit der Zeit ihre ursprüngliche Funktion und ihre Aufgabe nicht mehr richtig erfüllen« (ebd.: 120). Ihre Unabhängigkeit können sie demnach nur durch autonome und auf die Profession Sozialer Arbeit bezogene Qualitäts-, Risiko- und Fehlermana-
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und damit das bislang ungelöste Fehlerumgangsdilemma auflösen (vgl. Abschnitt 3.3.) und hochzuverlässigen Organisationen Sozialer Arbeit den Weg zu bereiten: (1) die Förderung offener Kommunikationsformen mit legitimierter und kritisierbarer, d.h. selbstreflexiver und fehleroffener Leitung und Mitarbeiterschaft, mit transparenten, nicht einseitigen Kommunikationsformen – mit aus der Mitte der Organisation sich entfaltenden Organisationsformen, die auch »von innen nach außen« und »von außen nach innen« relevant werden (vgl. Nonaka/Takeuchi 1997) –, wodurch sichergestellt wird, dass die Klienten zu wertvollen Praxispartnern der Organisation werden können; (2) miteinander erarbeitete und auf die jeweiligen bekannten Praxiskontexte abgestimmte Qualitätsstandards, die in den jeweiligen Organisationen Sozialer Arbeit mit dem entsprechenden personellen, zeitlichen, räumlichen und wissensbezogenen Ressourceneinsatz untermauert und langfristig umgesetzt und prozessual überprüft und evaluiert werden; (3) die Etablierung flexibler Entscheidungsregelungen, die dem Grundsatz folgen, die Mitarbeiter als freiwillige und wertvolle »Wissensarbeiter« (vgl. Drucker 2003:191ff.) anzusehen, denen man nichts anweisen muss, sondern mit denen man nur gemeinsam visionäre Veränderungen voranbringen und Krisen und Konflikte lösen kann; (4) die Förderung der Professionalität der sozialen Fachkräfte durch verbindliche und professions- und organisationsübergreifende Fallberatungsrunden, Supervisionsgruppen mit dem Ziel, aus Fehlern sowie dem Erfolg zu lernen, was zusätzlich durch interne und externe Weiterbildungen, Lektüre- und Dialogrunden und gezielte und evaluativ angelegte Qualitätsentwicklungs- und Qualitätssicherungsprojekte angestoßen wird. Nur so wird man erreichen können, dass die sozialen Fachkräfte in den Organisationen Sozialer Arbeit mit ihren professionellen Fehlern produktiv umgehen, sofern sie nicht selbst dazu beitragen, dass sie durch gravierende Organisationsfehler davon abgehalten werden.
gementansätze erhalten, womit sie in demokratischen Gesellschaften wiederum dem Gemeinwohl dienen.
5. Evaluations- und Fehlerstudie: methodologisches Vorgehen
»Verstehen, so wie wir es verstehen, entsteht durch Sprache.« (HEINZ VON FÖRSTER 1993B: 297)
Wie in der Praxis sozialer Organisationen mit professionellen und auch organisationalen Fehlern umgegangen wird, wird nun auf Grundlage eines mit den Jugendämtern Schwerin und Dormagen durchgeführten qualitativen Evaluationsforschungsprojekts methodisch (vgl. Kapitel 5) und unter Verwendung der dabei gewonnenen empirischen Ergebnisse (vgl. Kapitel 6) umfassend erläutert. Ziel ist es dabei, auf Grundlage der bisherigen Ausführungen (vgl. Kapitel 1-4) und unter Bezugnahme der Evaluationsergebnisse (vgl. Kapitel 6) Qualitätsstandards für ein Risiko- und Fehlermanagement Sozialer Arbeit abzuleiten, welches den Anforderungen einer kaum nur technologisch zu beherrschenden Hilfepraxis entspricht (vgl. Kapitel 7).
5.1 AUSGANGSPUNKTE DER E VALUATIONS - UND F EHLERSTUDIE Die Jugendämter – insbesondere die ASD – sind gut beraten, ihre organisationalen Prozesse kritisch in den Blick zu nehmen, weil jede (zumal vorschnell und unbedacht getroffene) Entscheidung dramatische Effekte haben kann, die aber nicht zu überblicken und sicher vorauszusehen sind. Sicher ist nur, dass Risiken auftreten werden, ohne dass die Jugendämter immer in der Lage wären, sich angemessen darauf einzustellen; erst recht nicht die tendenziell bürokratisch ›verregelten‹ und ökonomisch ›beschränkten‹ Jugendämter, die aber per Gesetz (vgl. SGB VIII) dazu aufgefordert sind, gesellschaftliche rückgebundene Risiken erfolgreich zu managen (vgl. Kapitel 2). Die sozialen Organisationen selbst, und das ist das Problematische der zu einseitig geführten Qualitätsdiskussionen, sind jedoch ganz grundsätzlich
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›Großproduzenten von Risiken‹, kurz: von organisationalen Fehlern (vgl. Kapitel 4). Sie müssen jeden Tag aufs Neue Entscheidungen unter Ungewissheitskonstellationen treffen, um so zukünftige Entwicklungsperspektiven für und mit Familien durch den Einsatz von erzieherischen Hilfen oder anderer Unterstützungsformen in die Gegenwart übersetzen, ja überhaupt anstoßen zu können. Dabei kann natürlich auch etwas misslingen, wenn Hilfen nicht so gelingen, wie sie angedacht waren, und Nebenfolgen verursachen, die man zuvor überhaupt nicht im Blick hatte. Dies organisational anzuerkennen und mit einem risikoakzeptierenden Fehlermanagementsystem zu realisieren ist eine der zentralen Aufgaben, mit denen sich insbesondere die Jugendämter zukünftig auseinanderzusetzen haben, wollen sie die professionellen wie organisationalen Fehler (vgl. Kapitel 3 und 4) in den Griff bekommen. Das bedeutet: Die Jugendämter müssen zusammen mit ihren Mitarbeiter verstehen lernen, wie ihre organisationale Praxis figuriert ist. Sie müssen ihre Organisationsroutinen hinterfragen, Abläufe differenziert beleuchten und zwischen routiniertem Handeln und innovativem Experimentieren navigieren. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass die Profession Sozialer Arbeit dazu neigt, nicht ihren eigenen reflexiven Kompetenzen zu vertrauen (bzw. sich einseitig gegenüber Kritik von außen abzuschotten) und sich von anderen Professionen (vor allem von Betriebswirten und Verwaltungsfachleuten, aber auch von Juristen und Medizinern) ›fremd-‹bestimmen zu lassen und Entscheidungsrisiken mit instrumentellen und formalisierten Handlungsroutinen ›abzuwehren‹. So gewinnen verlässlich geglaubte Diagnosen und Stellungnahmen von Ärzten, Psychologen und Richtern speziell in Kinderschutzfällen oft die Oberhand, ohne dass auf die jeweiligen komplexen Handlungskontexte Sozialer Arbeit geachtet wird. Klatetzki (1998: 73) geht darum mit Recht davon aus, »daß neben dem pädagogischen Technologiedefizit1 auch ein Organisationsdefizit in der Jugendhilfe [in der Sozialen Arbeit; K. B.] besteht«. Beide Defizitlagen zusammengenommen führen dazu, dass in Organisationen Sozialer Arbeit folgenschwere professionelle Fehler entstehen; sie werden noch verschärft, wenn den Fachkräften nicht klar ist und eine organisationelle Unterstützung dafür nicht vorhanden ist, warum, wie und mit welchen Methoden fachgerecht zu kommunizieren, zu entscheiden und zu handeln ist. Grundsätzlich muss bedacht werden: Die Praxis Sozialer Arbeit (eingebettet in die vielgestaltigen lebensgeschichtlichen Alltagskontexte, aber auch in die weiteren soziokulturellen, politischen und ökonomischen Umweltbedingungen) ist vielschichtig und komplex. Professionelle Fehler sind
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Die Widersprüche-Redaktion (2006: 10) kommentiert, dass »Luhmanns Rede vom Technologiedefizit« obsolet geworden ist und wir vielmehr die Auflösung einer kritisch reflexiven Strukturierung Sozialer Arbeit zu Gunsten einer technologischen und damit marktkonformen Aufrüstung erleben. Siehe zu diesem Entwicklungstrend auch Kapitel 2.
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darum geradezu vorprogrammiert, denn die professionellen Organisationen stellen nämlich keine Produkte und Güter maschinell her, deren Komplexität in der Regel mit einfacher Reduktion begegnet werden kann. Organisationen Sozialer Arbeit sind demgegenüber ständig mit dem Phänomen der mehrfachen Kontingenz konfrontiert (vgl. Luhmann 2003, 2006). Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Alles, »was wir beobachten, ist davon abhängig, wie wir aus der jeweiligen Komplexität selektieren« (Kleve 2000: 189) und wie diese Selektion von äußeren und inneren Faktoren beeinflusst wird. Das, was gesehen wird, wird dadurch gleichzeitig anderswo übersehen, falsch eingeschätzt oder über- bzw. unterbewertet. Risiken unterliegen Konstruktionsmechanismen, die organisational bestimmt werden (vgl. Kapitel 4). Ausgehend von konstruktivistischen erkenntnistheoretischen Positionen (vgl. Berger/Luckmann 1969, von Ameln 2004, von Glaserfeld 1997, Kleve 2007: 56ff., Watzlawick 1976) kann man nun sagen: Die professionellen Organisationen Sozialer Arbeit müssen sich auf ihre eigenen Relevanzsysteme beziehen, um zu verstehen, wie die Praxis figuriert ist. Gerade die organisatorischen Schwächen und der ausgeprägte Mangel an einer stabilen und selbstbewussten Professionalität Sozialer Arbeit, nicht flexibel genug und mit der notwendigen professionellen Kompetenz dem Kontext entsprechend jeweils experimentell und erfinderisch zu agieren, deuten darauf hin, wie unsicher die Jugendämter im Umgang mit hochkomplexen Praxissituationen sind, die aus risikotheoretischer Sicht den sozialen Fachkräften im beruflichen Alltag permanent Entscheidungen abverlangen. Luhmann (2003: 37) hat dazu in seiner kritischen »Soziologie des Risikos« angemerkt: »Es gibt kein risikofreies Verhalten. […] Man mag kalkulieren, wie man will, und mag in vielen Fällen zu eindeutigen Ergebnissen kommen. Aber das sind nur Entscheidungshilfen. Sie bedeuten nicht, daß man, wenn man überhaupt entscheidet, Risiken vermeiden kann. Und selbstverständlich ist in der modernen Welt auch das Nichtentscheiden eine Entscheidung.«
Aus diesem Grunde muss die Profession Sozialer Arbeit samt ihrer Organisationen zukünftig drei zentrale Herausforderungen meistern: Sie muss (1.) achtsam gegenüber sich selbst und gegenüber ihren Klienten sein. Sie muss (2.) eine zuverlässige Handlungspraxis realisieren. Genauer gesagt: eine Praxis, die trotz der Paradoxien und widersprüchlichen Anforderungen (vgl. Kleve 1999, Schütze 1992, 1996), das halten kann, was sie verspricht, nämlich hilfreich zu sein auch in schwierigen und uneindeutigen Hilfekonstellationen. Und (3.): Sie muss offen gegenüber ihren Fehlern sein, vor allem gegenüber jenen Fehlern, die noch ohne größeren Schaden innerhalb riskanter Hilfeprozesse korrigiert und abgeschwächt werden können; denn nur aus solchen Fehlern ist überhaupt noch produktives Lernen möglich.
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Zusammengefasst: Die sozialen Fachkräfte selbst müssen ihre eigenen Handlungsgrenzen wahrnehmen, die Selbstverständlichkeiten ihrer Aktionen hinterfragen und einschätzen können, unter welchen ökonomischen, organisationalen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen sie überhaupt noch den ethischen und fachlichen Anforderungen, die an die Profession Sozialer Arbeit gestellt werden, gerecht werden können. Insofern stellen vor allem diese neuen professionellen und organisationalen Herausforderungen jene Ausgangspunkte dar, die es als sinnvoll erscheinen lassen, im Rahmen eines kooperativen und evaluativen Forschungsprojektes zu fragen: Ausgangsfragen der Evaluations- und Fehlerstudie:
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Wie ist die Praxis von Jugendämtern – der ASD – disponiert? Wie gestaltet sich die organisational-professionell zu realisierende Praxis gerade in Anbetracht der gestiegenen Anforderungen an den Kinderschutz und der zunehmenden Kontroversen zwischen sozialarbeiterischer/sozialpädagogischer Hilfe und polizeilicher Kontrolle? Und: Wird diese Praxis von den sozialen Fachkräften des ASD, aber auch von anderen in der Stadtverwaltung angestellten Mitarbeitern sowie den daran beteiligten freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe kritisch hinterfragt?
Im Kern des Evaluationsvorhabens geht es deshalb darum, gemeinsam mit sozialen Fachkräften und ihren Klienten herauszuarbeiten, ob und inwiefern Jugendämter als fehleroffene Organisationen und als hochzuverlässige Organisationen beschrieben werden können. Denn bislang wurden die Mitarbeiter nicht danach befragt, was für sie überhaupt ein Fehler ist, wie sie selbst Fehler in ihrer Praxis wahrnehmen, welche Fehlerumgangsstrategien sie sich zunutze machen, wie sie diese methodisch im Organisationsalltag anwenden und wie sie von der ›Organisation Jugendamt‹ bei der Verhinderung von professionellen Fehlern, die für das Leben von zu schützenden Kindern entscheidend sein können, unterstützt werden. Mit diesen Fragestellungen habe ich mit zwei exemplarisch ausgewählten Jugendämtern eine Evaluationsstudie zur Qualitätsentwicklung und -sicherung durchgeführt. Nachfolgend werden der Untersuchungs- und Evaluationsansatz, die Forschungspartner, die Erhebungs- und Auswertungsmethoden sowie die zentralen Ergebnisse der von mir durchgeführten Fremdevaluation vorgestellt. Auf Grundlage der in der Evaluation gewonnenen Erkenntnisse wird im Anschluss ein professionelles und organisationales Anforderungsprofil an ein achtsames, fehleroffenes, zuverlässiges und organisational gestütztes Risiko- und Fehlermanagement entwickelt.
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5.1.1 Die Fragestellung der Evaluations- und Fehlerstudie Aufgrund des Fehlens empirischer Studien, die sich explizit und systematisch der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung im Umgang mit professionellen und organisationalen Fehlern der ASD von Jugendämtern widmen, und einer sozialwissenschaftlichen Fehlerforschungen im Feld der Kinder- und Jugendhilfe (vgl. Böwer 2008: 350, Gissel-Palkovich 2007b: 31, Wolff 2007b: 135) muss ganz neu angesetzt werden. Die Hauptfragestellungen der Evaluationsstudie lauten daher2: Hauptfragestellungen der Evaluations- und Fehlerstudie:
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Wie wird mit professionellen Fehlern in Jugendämtern, speziell ASD, umgegangen (Umgang)? Welche Einstellungen zu professionellen Fehlern liegen der organisationalen Praxis dort zugrunde (Fehlereinstellungen)? Wie lernen die sozialen Fachkräfte der ASD, aber auch andere Jugendamtsangestellte und Organisationsmitglieder des mittleren und oberen Managements, aus Fehlern (Fehlerlernen)? Inwieweit sind Jugendämter organisational überhaupt auf die Möglichkeit von professionellen Fehlern im risikoreichen Praxisfeld des Kinderschutzes eingestellt (können also als fehleroffene Organisationskulturen beschrieben werden)?
Inzwischen liegen zwar erste Untersuchungen zu Fällen gravierender Kindesmisshandlung und Kindesvernachlässigung mit Todesfolge (vgl. Leitner/Troscheit 2008) und eine Expertise zur Verbesserung des Kinderschutzes durch systematische Fehleranalyse vor (vgl. BMFSFJ 2008) und vom 2
Im Vorfeld der in diesem Abschnitt vorgestellten Fragestellung(en) nutzte ich offene Fragen als Wegweiser während des gesamten Evaluationsforschungsprojektes (vgl. Strauss/Corbin 1996: 24). Sie trugen dazu bei, dass ich mich theoretisch sensibilisierte (vgl. ebd. : 25-30). Dabei ist es wichtig, dass man als Forscher eine skeptische Haltung beibehält, um nicht zum Gefangenen seines theoretischen Vorwissens zu werden, mit dem man zwangsläufig ins Forschungsfeld geht. Auch deshalb schlagen Strauss und Corbin (1996) das theoretische Sampling als Forschungsstrategie vor, um für neue Entdeckungen offen bleiben zu können. Diese Samplingvariante ist wegen der knappen zeitlichen und ökonomischen Ressourcen im Rahmen von Evaluationsforschungsprojekten natürlich nicht möglich. Meinefeld (2008: 276, Herv. i. Org.) merkt dazu an: »In Bezug auf die Bewertung der Auswirkungen dieses Vorwissens auf den Forschungsprozess ist zu bedenken, dass dieser nicht erst beginnt, wenn Hypothesen formuliert werden bzw. man ohne Hypothesen ›ins Feld geht‹. Wenn der gesamte Forschungsprozess methodisch reflektiert werden soll, so ist die Fixierung auf die Formulierung von Ex-ante-Hypothesen (befürwortend in der quantitativen, ablehnend in der qualitativen Methodologie) nicht haltbar.«
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NZFH wurde ein umfangreiches Qualitätsmanagement- und Forschungsprojekt in Auftrag gegeben (vgl. Biesel/Flick/Wolff 2009, Biesel 2010a). Aber sowohl soziale Fachkräfte als auch andere organisationsrelevante Mitarbeiter und Entscheidungsträger von Jugendämtern wurden zu ihren Einstellungen über die von ihnen zu verantwortenden professionellen Fehler bislang nicht befragt, und Jugendämter wurden im Hinblick auf ihren organisationalen Fehlerumgang nicht untersucht. Reinhart Wolff (2007b: 135) hat hierzu kritisch ausgeführt: »Obwohl es im Kinderschutz zentral um Kindeswohlgefährdung – also um Risiken und Gefahren in der Entwicklung von Kinder – geht, sind Kinderschutzrisiken und dabei systembedingt auftauchende Fehler bisher nur am Rande ernst genommen und kritisch untersucht worden, mangelt es doch in der Kinderschutzarbeit an reflexiver Selbstbeobachtung und systematischer Praxisforschung, nicht zuletzt an kontinuierlicher Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung.«
Die Beantwortung der evaluativen Forschungsfragen ist anspruchsvoll. Es fehlen nämlich bisher grundsätzlich Indikatoren, mit denen man Jugendämter im Hinblick auf ihren Umgang mit Fehlern untersuchen kann. Zwar schließt meine Forschung in diesem Zusammenhang an neuere organisationswissenschaftliche Studien zu Unternehmen in hochriskanten Praxisfeldern (Reason 2008b, Weick/Sutcliffe 2003) an und nimmt auch den Diskurs zum achtsamen Jugendamt bzw. zur risikogefährdeten Kinderschutzorganisation (vgl. Biesel 2008c, Böwer 2008, Merchel 2007a, 2007b, 2008b, Schone 2008: 50-56, Wolff 2007b) auf. Aber die daraus abzuleitenden Indikatoren können nicht mehr als einen ersten Hinweis geben, um die Existenz von fehleroffenen Organisationskulturen einschätzen zu können. Die folgenden Indikatoren für einen professionell-organisationalen Zustand der Achtsamkeit sind herausgestellt worden (vgl. Weick/Sutcliffe 2003, Abschnitt 4.1.): (1.) Aufmerksamkeitsfokussierung auf Fehler statt auf Erfolge, (2.) Vermeidung grob vereinfachter Interpretationen, (3.) feines Gespür für organisationale Abläufe, (4.) Streben nach organisationaler Flexibilität, (5.) Hochachtung vor fachlichem Wissen und Können fernab organisatorischer Hierarchien. Sind diese Prinzipien erfüllt, sind soziale Organisationen dazu in der Lage, »Fehler zu entdecken und zu berichtigen, ehe sie zu einer Krise eskalieren können. Diese fünf grundlegenden Vorgehensweisen bilden in allen Organisationen die Basis für eine Verbesserung der Qualität, der Zuverlässigkeit und der Produktivität« (Weick/Sutcliffe 2003: 7f.). Erst durch einen solchen anhaltenden Zustand der professionell-organisationalen Achtsamkeit kann es Jugendämtern gelingen, schwerwiegende Fehler, wie sie im Kinderschutz aus moralischer Sicht nicht tragischer sein können, aufzuspü-
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ren3; denn sie bleiben davor bewahrt, »als Organisationen zu ihrem eigenen blinden Fleck« (Wolff 2007b: 136) zu werden; sie sind darum auch nicht mehr ihren latenten Organisationsfehlern ausgeliefert (vgl. Biesel 2008b, 2008c, Munro 2005a, 2005b, Reason 2008b). Eine Evaluation, die die hier entwickelten Forschungsfragen beantworten will, bedeutet eine besondere Herausforderung, denn Jugendämter sind Organisationen eines speziellen Typs4. Sie sind professionelle Fachbehörden, die in kommunalen Gesamtverwaltungen eingeordnet und zweigliedrig, bestehend aus Jugendamtsverwaltung und Jugendhilfeausschuss, aufgebaut sind (vgl. Schmidt 2005). Hinzu kommt, dass sie in ihrem Bestand gefährdet sind, so dass sogar in den letzten Jahren von einem ›Verschwinden‹ oder einem ›Aussterben der Jugendämter‹ gesprochen wurde (vgl. Greese 1997, Thole/Galuske/Struck 2000) – oder eine Integration in übergreifende Fachressorts und eine damit verbundene Schwächung der Jugendhilfeausschüsse und einer eigenständigen kommunalen Kinder- und Jugendhilfepolitik vorgeschlagen wurde. Es ist deshalb nicht leicht, das Jugendamt als eigenständige, praktisch wirksam werdende Organisation zu lokalisieren. Schließlich treffen hier zwei, wenn nicht sogar drei, oftmals diametral zueinander stehende Organisationslogiken aufeinander: (1) die auf Machterhalt und Konsens zielende ›politische Organisationslogik‹, (2) die auf Effizienz, Effektivität und Richtigkeit zielende ›bürokratischverwalterische Organisationslogik‹ und (3) die auf Hilfe zur Selbsthilfe zielende ›professionelle Organisationslogik‹. Freilich wäre es auch möglich gewesen, die Fragen der Evaluationsstudie anhand der Erfüllung bzw. Nichterfüllung politischer, professioneller oder organisationaler Ziele zu beantworten. Die Herausforderung dabei ist allerdings, dass es unklar ist, welcher Organisationslogik man dabei einen höheren Stellenwert beimisst. In Zeiten, in denen die Transformation des sozia-
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Wenngleich auch unter professionell-organisationalen Optimalbedingungen lebensbedrohliche Fehler nicht völlig ausgeschlossen werden können (vgl. aus risikosoziologischer Sicht Luhmann 2003). Selbst die damals zuständige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen weist in der »Machbarkeitsexpertise zur Verbesserung des Kinderschutzes durch systematische Fehleranalyse « (BMFSFJ 2008) auf diese Tatsache hin. Sie schreibt in ihrem Vorwort (ebd.: 5): »Es gibt keine endgültige Sicherheit, aber wir können professionell daran arbeiten, Fehlentscheidungen und Schwachstellen in Organisationsstrukturen auf ein Minimum zu reduzieren.« Aus organisationstheoretischer Sicht ist anzuzweifeln, ob ein Jugendamt überhaupt als selbständige Organisation beschrieben werden kann, das mit seinen Fehler produktiv umgehen kann (vgl. überblicksartig Kieser/Ebers 2006, aber auch Kapitel 4).
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len Wohlfahrtsstaates immer weiter vorangetrieben wird und wir uns in einer Wissens- oder auch Organisationsgesellschaft (vgl. Jäger/Schimank 2005, Stehr 1994), ja Weltrisikogesellschaft (vgl. Beck 2007), befinden, kann nämlich davon ausgegangen werden, dass die Finanzierbarkeit und die Autonomie professioneller Organisationen zur Diskussion steht und sich das Machtverhältnis von Organisation und Profession grundsätzlich neu verschiebt (vgl. Klatetzki/Tacke 2005). D.h.: Professionen, die ihren Status gegenüber ihren Organisationen nicht mit Hilfe exklusiver Wissensbestände und deren Anwendung in nichtroutinisierbaren Handlungsvollzügen aufrecht erhalten können, und dies ist überall zu beobachten, werden entgegen ihrer professionellen Logik organisiert. Sie werden zunehmend von der politischen und bürokratisch-verwalterischen Organisationslogik vereinnahmt, zunehmend ist ihre Professionalität nicht mehr gefragt, sondern ihre organisationale Zweckmäßigkeit. Um systemtheoretisch zu argumentieren: Niklas Luhmann (1998, 2006) hat darauf hingewiesen, dass unabhängig von Zwecken, Werten und Normen sich Organisationen nur so verhalten, als ob sie einer bestimmten zweckrationalen bzw. professionellen Organisationslogik folgen würden. In Wahrheit jedoch, greift man die Argumentation der systemtheoretischen Organisationstheorie (vgl. Simon 2007) weiter auf, sind Organisationen gemäß ihrer Eigenlogik zuvorderst auf ihren autopoietischen, selbstreferentiellen kommunikativen Systemerhalt und nicht auf den Erhalt und das Erreichen irgendwelcher höher stehenden professionellen Leitziele konzentriert (vgl. Luhmann 1998). »Erst wenn das Überleben gesichert ist, stellt sich die Frage nach darüber hinausgehenden, sachlichen Zielen und der Zweckrationalität des Handelns« (Simon 2007: 32). Organisationen sind insofern sich selbst organisierende Systeme (vgl. Abschnitt 3.2.). Sie differenzieren sich auf Grundlage von Entscheidungen aus, die wiederum an Entscheidungen anschließen. Um aber überhaupt Entscheidungen in Organisationen kommunikativ treffen zu können, muss gegenüber den Mitarbeitern oftmals verheimlicht werden, dass nicht nur zweckrationale, sondern vielmehr von ihren persönlichen und professionellen Motiven losgelöste systemrationale Entscheidungsprämissen für das Funktionieren von Organisationen von Bedeutung sind. Sie müssen also gleichermaßen an systemrationale Organisationsprämissen durch eine an Lohnzahlungen gekoppelte, per Arbeitsvertrag geregelte und damit kontrollierte Mitgliedschaft wie an darüber hinaus erforderliche zweckrationale Motivlagen gebunden werden. Aus diesem Grund ist die Organisation als Kultur, oder wie üblicherweise mit meteorologischer Metapher und umgangssprachlich gesprochen wird, ihr ›Klima‹ so wichtig. Vom organisationalen Klima hängt ab, ob Mitarbeiter sich unabhängig von ihrem Anstellungsverhältnis, von ihrem Status als bezahlte Arbeitnehmer, wohlfühlen, sich motiviert ihren Aufgaben widmen und mehr leisten, als eigentlich von ihnen vertraglich erwartet wird, und vor allem: ob und wie sie über die von ihnen erlebten und sogar auch beobachteten organisationalen und professio-
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nellen Missstände, Probleme, Fehler und unerwarteten Ereignisse kommunizieren (vgl. Kapitel 4). Organisationen unterscheiden sich zwar gegenüber losen und informellen Gesprächsformen im Alltag aufgrund ihrer formellen Charakteristika: »durch Zwecke, durch Hierarchien und durch Mitgliedschaften« (Strodtholz/Kühl 2002: 11). Trotzdem ist es unklar, wo eigentlich die Grenzen der ›Organisation Jugendamt‹ liegen, wo sie sich verflüchtigen und wie und durch wen die Organisationskultur oder auch die organisationale Subkultur, die dann wiederum prägend für den kommunikativen Umgang mit Fehlern wird, ausgebildet wird (vgl. Baecker 2003, Schein 2003a). Folgt man Scheins (ebd.) Ausführungen zur Organisationskultur, sollten sich die sozialen Fachkräfte und Leitungskräfte aus dem mittleren und oberen Management der Jugendämter jedenfalls darum bemühen, die professionellorganisationale Praxis anders als bisher zu verstehen: als Kultur (vgl. Klatetzki 1993, 1998, Widersprüche 2005), die sie selbst ermöglichen oder verunmöglichen, indem sie Fehler erkennen, diese unabhängig von ihrer organisationalen Funktion ressort- und hierarchieübergreifend kommunizieren, bzw. es bewerkstelligen, Fehler aufgrund ihrer von fachlicher Professionalität entfernten Organisationslogiken gar nicht zur Sprache zu bringen. Produktiver ist es, wenn die Angestellten der Jugendämter einen Zugang zu den tieferen Kulturebenen der professionellen Organisation ›Jugendamt‹ finden, den unbewussten und für selbstverständlich gehaltenen Werten, Überzeugungen und Annahmen, welche die Organisation in der Vergangenheit aufgrund gemeinsamer Lernprozesse erfolgreich werden ließ (vgl. Schein 2003a: 44). Das Problematische bei allen Bemühungen um eine gelingende professionell organisierte Jugendamtspraxis ist allerdings, dass erst bei offensichtlichen und nicht mehr zu leugnenden Misserfolgen die tiefsitzenden organisationalen Gewissheiten und Eindeutigkeiten in Unsicherheiten umschlagen. Es überrascht nicht, dass es so mühsam und kompliziert ist, nachhaltige Qualitätssicherungs- und Qualitätsentwicklungsverfahren zu implementieren. Es gibt eben zunächst einmal keine richtige oder falsche Organisationskultur. Sondern: Die organisationale Kultur ist immer schon da, von ihr muss ausgegangen werden. Sie ist mächtig und einflussreich, ohne dass sie bewusst ins Werk gesetzt oder wirklich bemerkt wird. Sie liegt im Verborgenen. Der Kulturbegriff5 verweist ja darauf, dass eine Organisation keine Kultur hat, sondern dass sie eine Kultur ist (vgl. Baecker 1999: 110, Klatetzki 1993: 24). In Jugendämtern und in den übergeordneten kommunalen Verwaltungseinheiten wird diese Perspektive allerdings nicht ausreichend genug ernst genommen und beachtet. Und dies obwohl »Entscheidungen, die in Unkenntnis der kulturellen Mechanismen getroffen werden, unerwartete Folgen haben können« (Schein 2003a: 19). Jene unkommunizierten und
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Der Kulturbegriff bezieht sich lediglich auf den Bereich der professionellen Organisation Jugendamt.
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ungehörten organisationalen Überraschungen und unerwarteten Ereignisse, eben jene kleinen und latenten Fehler, die im ungünstigsten Fall die Klienten Sozialer Arbeit betreffen und die auch zum Tode von zu schützenden Kindern führen können, sind es, die Soziale Arbeit und insbesondere den Kinderschutz zu einer riskanten Praxis werden lassen. Jugendämter als Kinderschutzorganisationen stehen spätestens immer dann wieder im Fokus der medialen Berichterstattung, wenn es um die Skandalisierung von solchen ›Praxiskatastrophen‹ im Kinderschutz geht und der staatliche Schutzauftrag trotz oder gerade wegen einer Jugendamtsbeteiligung nicht sichergestellt werden konnte (wie z.B. in Bremen, Hamburg, Cottbus oder Schwerin). Dann wird den Jugendämtern einseitig Unprofessionalität unterstellt, ohne zu bedenken, dass Jugendämter als professionelle Organisationen einer ambivalenten und einflussreichen Problematik ausgesetzt sind: Sie müssen der politischen Organisationslogik, der bürokratisch-verwalterischen und der professionellen Organisationslogik zugleich gerecht werden und bei den Massenmedien durch positive, von ihnen gezielt verbreitete – und nicht durch unkontrollierte negative – Schlagzeilen Aufmerksamkeit erzeugen. Wegen dieser hier umrissenen Anforderungen und Schwierigkeiten an eine professionelle und organisational gestützte Achtsamkeit, Zuverlässigkeit und Fehleroffenheit (vgl. Kapitel 4), die insbesondere aus der Komplexität der professionellen Organisation Jugendamt resultieren – es sei an dieser Stelle nur an die metaphorische Zusammenstellung von Morgan (1997) erinnert, der Organisationen als (1.) Maschinen, (2.) als Organismen, (3.) als Gehirne, (4.) als Kulturen, (5.) als politische Systeme, (6.) als psychische Gefängnisse, (7.) als Flüsse des Wandels und (8.) als Machtinstrumente beschreibt –, habe ich mich für einen dialogisch-partizipativen Evaluationszugang entschieden: für den ›Fourth-Generation-Evaluationsansatz‹ (vgl. Guba/Lincoln 1989, Flick 2006b: 11ff., Langhanky et al. 2004, Stockmann 2000a: 18, 2007a: 45), der über das Messen, Beschreiben und Bewerten hinausgeht. 5.1.2 Der dialogisch-partizipative Evaluations- und Fehlerforschungsansatz Evaluationen sind nichts Ungewöhnliches. Sie begegnen uns jeden Tag. Und sie werden von uns sogar im Alltag gelegentlich selbst durchgeführt. Wenn wir die Qualität eines bestimmten Restaurantgerichtes oder auch die Funktionalität eines von uns gerade erworbenen Elektronikgerätes bewerten. Dann fällt uns sofort auf, wie wir das Essen fanden oder wie leicht oder wie schwer es uns fiel, diverse Einstellungen an unserem Handy vorzunehmen. Wer evaluiert, der überprüft, bewertet und gibt ein Urteil darüber ab, ob etwas als brauchbar erscheint oder lieber vom Markt verschwinden sollte. Wir bilden uns also eine Meinung aufgrund vorhandener Informationen und entscheiden dann aufgrund der so gesammelten Erfahrungen, ob etwas seinen Wert hat oder nicht. »Dieser Bedeutungsinhalt entspricht auch der lateini-
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schen Herkunft des Begriffs, der sich aus dem Wort ›valor‹ (Wert) und der Vorsilbe ›e‹ bzw. ›ex‹ (aus) zusammensetzt. Daraus ergibt sich: ›einen Wert aus etwas ziehen‹, also eine Bewertung vornehmen« (Stockmann 2007a: 25). Im Gegensatz zu solchen im Alltag vorgenommenen Evaluationen 6 lässt sich die Evaluationsforschung abgrenzen, die man »als Dachbegriff für die sozialwissenschaftlich begründeten systematischen Standards, Regeln und Verfahren der externen Bewertung von Gegenständen auf der Basis von empirisch validen Rekonstruktionen des Gegenstands begreifen kann« (Lüders 2006: 50). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Evaluation, wie es bei dieser Studie der Fall war, drei Paradigmen Rechnung trägt (vgl. hierzu Kromrey 2000: 235f.): (1) dem ›Forschungsparadigma‹, indem neben der eigentlichen Erfüllung des Evaluationszwecks en passant sozialwissenschaftliche Anwendungsforschung betrieben wird, (2) dem ›Kontrollparadigma‹, der Überprüfung vorfindbarer Praxisarrangements im Umgang mit professionell-organisationalen Fehlern, und (3) dem ›Entwicklungsparadigma‹, der Förderung von Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung7. Allerdings ist es angesichts sich verändernder Praxis- und Forschungsbedingungen kaum möglich, diesen Paradigmen allen gleichzeitig gerecht zu werden. Auch deswegen basiert die Evaluationsmethodik auf dem ›Konzept der Responsivität‹, der ›vierten Generation‹ der Evaluationsforschung, die über das Messen, Beschreiben und Beurteilen hinausgeht und ›dialogischpartizipativ‹ orientiert ist (vgl. Guba/Lincoln 1989, Flick 2006b: 11f., Langhanky et al. 2004: 69ff., Stockmann 2007a: 43ff., von Kardorff 2006: 66f.). Das methodische Vorgehen der Evaluationsstudie lehnt sich somit an die Besonderheiten und Notwendigkeiten einer qualitativen Evaluations- und Organisationsforschung (vgl. Flick 2006a, Kühl/Strodholz 2002) an, einem Spezialgebiet der anwendungsbezogenen Sozialforschung (vgl. von Kardorff 2005: 239f.; von Kardorff 2006: 69ff., Strodholz/Kühl 2002: 23ff.), die zugleich eine Variante praxisbezogener Forschung (vgl. Hansbauer/Schone 1999, Lüders 2006: 36ff.) darstellt. Evaluationsforschung kann, derart praktiziert, auch experimentellen Charakter erhalten und Lernprozesse innerhalb von Organisationen anregen (vgl. Heiner 1998). Im Ide-
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Evaluationen, die im Alltag durchgeführt werden, »können wie folgt charakterisiert werden: Irgendwer bewertet irgend etwas unter irgend welchen Gesichtspunkten« (Kromrey 2000: 233). Neben dieser Systematisierung benennt Stockmann (2000: 14ff., 2007: 36ff.) vier wesentliche Ziele von Evaluationen: 1. Sie liefern Erkenntnisse. 2. Sie dienen der Überprüfung und Kontrolle. 3. Sie befördern die Entwicklung von Qualität und regen Lernprozesse an. 4. Sie legitimieren bestimmte Programme und Maßnahmen gegenüber relevanten Geldgebern.
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alfall liefert das auf diese Weise qualitativ ausgerichtete und formativ gestaltete Evaluationsprojekt (vgl. von Kardorff 2006: 85) • theoretisch inhaltsreiche und valide Auffassungen von Handlungsmustern und Kommunikationsprozessen in Jugendämtern auf der Basis dichter Beschreibung, • es macht auf unterschiedliche Organisations- und Kontextwirkungen im Umgang mit Fehlern aufmerksam, • es fördert mit Hilfe stellvertretender Deutungen beobachteter Routinen, von Abläufen und Handlungsweisungen die Entwicklung von Fehleroffenheit, Selbstreflexion und Lernprozessen und • es macht auf organisationale Bedingungen aufmerksam, die zuvor lediglich als latente Sinnstrukturen im Verborgenen lagen. Davon ausgehend, dass das, was in Jugendämtern und in den ASD als soziale Wirklichkeit, als Realität erlebt wird, nicht objektiv und eindeutig erhoben, beschrieben und gedeutet werden kann, sondern vielmehr davon abhängt, wie es den Organisationen und deren Mitgliedern gelingt, für sich eine Wirklichkeit entstehen zu lassen, die sie selbst aktiv herstellen und auf die sie außerhalb ihrer Erkenntnis- und Reflexionsmöglichkeiten keinen unmittelbaren Zugriff haben, steht im Vordergrund des Evaluationsprojektes eine konstruktivistisch, interpretative Haltung (vgl. grundlegend von Glasersfeld 1997,Watzlawick 1976)8. Eine einzig als wahr existierende Realität wird darum in Frage gestellt, weshalb die Validität, Reliabilität und Objektivität der Erkenntnisse jeweils nur aus der Perspektive der jeweiligen Beobachter bewertet werden kann. Diese Erkenntnisse wiederum werden über die Auseinandersetzung mit der Welt – über den vorfindbaren und individuell erlebten Evaluationsgegenstand – sozial konstruiert. Eine Überprüfung der subjektiven Wirklichkeit der an der Evaluation beteiligten Evaluanden, des Fremdevaluators und der tatsächlichen objektiv vorfindbaren Realität kann deshalb nicht vorgenommen werden. Es bedarf einer kommunikativen Aushandlung mit den relevanten Beteiligten und Betroffenen (Stakeholdern) darüber, wie die gewonnenen Evaluationsergebnisse gemeinsam interpretiert und eingeordnet werden können. Oder wie es Guba/Lincoln (1989: 44) formulieren: »Responsive focusing calls out for a constructivist methodology, and constructivist methodology fits exactly the inquiry process needs of responsive evaluation.« Der Dialog ist dafür entscheidend und notwendig, weil »praktisch sämtliche Probleme der Menschheit auf die Tatsache zurückzuführen sind, daß
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»Konstruktivismus ist kein einheitliches Programm, sondern entwickelt sich parallel in verschiedenen Disziplinen: Psychologie, Soziologie, Philosophie, Neurobiologie, Psychiatrie und Informatik. Auf qualitative [Evaluations-; K. B.] Forschung hat dies mit der Annahme einen großen Einfluss, dass die Wirklichkeiten, die wir untersuchen, soziale Herstellungsleistungen der Handelnden, von Interaktionen und Institutionen [Organisationen; K. B.] darstellen« (Flick 2007: 101f.).
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das Denken nicht propriozeptiv ist.« (Bohm 1998: 65) – nicht auf Eigenwahrnehmungen gegründet ist, da man sich selbst nicht sehen und denken kann. Insofern beruhen Fehler Sozialer Arbeit und der professionellorganisationelle Umgang mit diesen auf genau denselben sozialen Konstruktionsleistungen. Fehler können nicht einfach durch einen Fremdevaluator bestimmt und ohne dialogische Aushandlung mit den Stakeholdern festgesetzt werden, sondern sie müssen gemeinsam erforscht, entdeckt und bestimmt werden. Hierfür kann das dialogisch von mir theoretisch gerahmte qualitative Evaluationsdesign nutzbringende Anregungen liefern. Denn schlussendlich müssen Mitglieder einer Organisation selbst in ihrer intraund interorganisationalen Praxis sehen, was sie nicht sehen, und ihre Selbstbeobachtungen im Umgang mit Fehlern schärfen. Sie müssen also selbst lernen, über ihre Fehler kritisch zu kommunizieren und sie als solche zu identifizieren. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich zwei Jugendämter dazu bereit erklärt haben, an meiner Evaluationsstudie aktiv teilzunehmen. 5.1.3 Die Samplingstrategie Zu Beginn und während der konzeptuellen Ausarbeitung meines Promotionsvorhabens im Jahr 20079 stand die Frage im Raum, ob sich überhaupt Jugendämter finden lassen würden, die an dieser sozialwissenschaftlichen Evaluationsstudie teilnehmen würden; ob nicht vielmehr mit Ablehnung zu rechnen wäre, wenn ein Fremdevaluator, der damit auch noch sein Dissertationsvorhaben verbindet, ein Fehlerforschungsprojekt mit Jugendämtern in Angriff nehmen will, gerade zu einer Zeit, in der Jugendämter generell mit einem schlechten Ruf zu leben hatten; in der ihnen von der Öffentlichkeit massiv fehlerhaftes Handeln vorgeworfen wurde. Zudem war es schwer, sich dem medialen Diskurs über einen mangelhaft praktizierten professionellen Kinderschutz zu entziehen. Der ›Fall Kevin‹ war noch immer hoch aktuell und erhitzte die Gemüter und man fragte sich: Wie konnte es geschehen, dass ein Kind auf so dramatische Weise trotz Jugendamtsbeteiligung und staatlicher Vormundschaft am 10. Oktober 2006 tot im Kühlschrank entdeckt wurde (vgl. hierzu: Bremische Bürgerschaft 2007, Hoppensack 2007, 2008, Salgo 2007). Schwer zu begreifen war es, dass wegen einer Reihe individueller und kooperativer Fehler der Hilfebedarf des Kindes nicht rechtzeitig erkannt wurde und dass die Kinder- und Jugendhilfe, aber auch andere relevante Unterstützungssysteme – wie das Gesundheitswesen – es nicht gemeinsam schafften, das Kindeswohl rechtzeitig zu sichern. 9
Die ersten Überlegungen zu meinem Dissertationsthema machte ich mir seit dem IV. Quartal 2006. Die eigentliche schriftliche Anfertigung meines wissenschaftlichen Exposés erstreckte sich von Februar bis Mai 2007. Allerdings konnte ich erst ab Mai 2008 – unterstützt durch ein Promotionsstipendium der HeinrichBöll-Stiftung – voll in meine Forschungen einsteigen.
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Deshalb entschied ich mich dazu, qualitativ und zugleich evaluativ forschen zu wollen. Dabei spielten die folgenden Gründe eine Rolle: (1) Ich bin im ersten Schritt von der Annahme ausgegangen, dass ich nur bedingt Jugendämter für meine Fehlerforschung gewinnen kann, wenn diese lediglich auf ihre Rolle als ›passive Datenlieferanten‹ reduziert werden. Denn wer redet schon gern einfach ›offen‹ über seinen Umgang mit Fehlern? (2) Ich wollte – wegen der von mir vermuteten Ablehnung gegenüber dem kritischen Dissertationsthema – dieser Passivierung der Forschungspartner etwas entgegensetzen, indem ich den Forschungspartnern ein Aktivierungsangebot mit einem konkreten Nutzen machte. (3) Dieses Angebot bestand darin, mit meiner Evaluationsforschung die Qualitätssicherung und -entwicklung der teilnehmenden Jugendämter zu unterstützen – und damit dem Entwicklungsparadigma zu folgen. (4) Ich wählte schließlich einen qualitativen Zugang, um das vorhandene implizite Erfahrungswissen der sozialen Fachkräfte in ihrem organisationalen Kontext im Umgang mit Fehlern erstmals in einem explorativen, systematisierenden und zugleich theoretisierenden Sinne erheben zu können. In diesem Zusammenhang verweist Flick (2008a: 257) darauf, dass bei der Erarbeitung eines qualitativen (Evaluations-)Forschungsdesigns prozessuale Entscheidungen getroffen werden und »ein vorab geplantes Design […] durch die Entscheidungen« entweder entsprechend der Planung »umgesetzt« oder »im Prozess konstituiert und modifiziert« wird. Dementsprechend war es für mich ausschlaggebend, Forschungspartner zu gewinnen, die ein Interesse daran hatten, die Fragestellungen der Evaluationsstudie gemeinsam mit mir zu verfolgen. Dafür wollte ich den Feldzugang entweder über die Landesjugendämter oder über einen Direktkontakt zu zwei exemplarisch ausgewählten Jugendämtern herstellen, die in der Vergangenheit vor allem mit problematischen und tödlich verlaufenen Kinderschutzfällen konfrontiert waren. Davon hing maßgeblich das gesamte Evaluationsdesign meiner Forschungen ab10, denn ich hatte zum Ziel • einerseits zwei getrennt voneinander ablaufende qualitative Evaluationsstudien durchzuführen – zwei unabhängige evaluative Fallstudien,
10 Brandt (2007) hebt zwar hervor, dass externe Evaluatoren eine größere Distanz zum Evaluationsgegenstand haben und dadurch die DeGEval-Standards leichter einzuhalten sind, wenn diejenigen, die die Evaluation durchführen, wie in meinem Fall auch, nicht in finanzieller Abhängigkeit gegenüber dem Evaluationsauftraggeber stehen, dafür aber als ›Unabhängige‹ größere Schwierigkeiten haben, sich selbst einen Evaluationsauftrag zu beschaffen und sich im Evaluationsfeld zurechtzufinden.
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andererseits die Erkenntnisse aus den beiden Fällen im Anschluss an die durchgeführte Evaluationsforschung komparativ und zugleich kontrastierend zusammenzuführen.
Ab Mai 2008 – mit Beginn meiner Promotionsförderung durch die HeinrichBöll-Stiftung – begann ich deshalb damit, mir eine adäquate Samplingstrategie zu überlegen; Jugendämter also in die engere Auswahl meiner Forschungsbemühungen zu nehmen und diese für mein Vorhaben zu gewinnen. Entgegen dem oftmals in qualitativen Forschungen weit verbreiteten Ansatz des ›theoretical samplings‹, der sukzessiven Erhebung und Analyse von qualitativen Daten und einem darauf aufbauenden Sampling minimal und maximal variierender Interviewfälle, mit dem eine gegenstandsverankerte und ›gesättigte‹ Theorie erlangt werden sollen (vgl. Strauss/Corbin 1996), habe ich mich für nachstehende ›zweistufige Samplingstrategie‹ im Rahmen meiner qualitativen Evaluationsforschungsstudie entschieden: Ich traf zunächst eine theoretisch begründete Vorabfestlegung meines Samples, indem ich vor allem Jugendämter für mein Evaluationsvorhaben gewinnen wollte, die wegen Fehler im Kinderschutz oder anderer ›Negativschlagzeilen‹ in den letzten Jahren in den Brennpunkt der medialen Aufmerksamkeit geraten waren – ›gezieltes Sampling‹ (vgl. Flick 2007: 165, Kruse 2008: 69, grundlegend Patton 2002: 230-247). Dabei bin ich davon ausgegangen, dass insbesondere in solchen Kommunen ein umfassender Forschungs- und Qualitätsentwicklungsbedarf besteht und man aus diesen ›Extremfällen‹ gescheiterter Kinder- und Jugendhilfebemühungen im Umkehrschluss wertvolle Rückschlüsse für einen gelingenderen professionellorganisationalen Umgang mit Fehlern ziehen könnte. Zu diesem Zweck kontaktierte am 22. Mai 2008 das Jugendamt der Stadt Schwerin per EMail. Das Jugendamt war angesichts eines tödlich verlaufenen Kinderschutzfalles im November 2007 mit nachstehendem öffentlichem Vorwurf konfrontiert gewesen: »Der qualvolle Tod von Lea-Sophie wäre vermeidbar gewesen. Trotz der unbestrittenen Hauptschuld der Eltern am Tod von Lea-Sophie muss festgestellt werden, dass in diesem Fall erhebliche, zum Teil eklatante Mängel in der Bearbeitung durch das Jugendamt vorlagen. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass bei sachgerechter Arbeit des Jugendamtes das tragische Ende des kleinen Mädchens hätte verhindert werden können« (Zeitweiliger Ausschuss zur Aufklärung des Todes von Lea-Sophie und zur Optimierung des Verfahrens bei Kindeswohlgefährdungen 2008: 1).
Von den Verantwortlichen bekam ich auf telefonischem Wege eine positive Rückantwort mit der damit verbundenen Bereitschaft, an meinem Vorhaben mitwirken zu wollen. Man erwartete sich von der Evaluationsstudie
150 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN »[e]inerseits sozusagen tatsächlich ein Verfahren, mit dem konsequent also Fehlerroutinen identifiziert werden können. Einmal aus dem Gedanken heraus, natürlich fachlich gut handeln zu wollen und andererseits auch aus dem Schutzgedanken heraus. Das erhoffen wir uns. Wir erhoffen uns ehrlich auch ein Stück Öffentlichkeitsarbeit in eine andere Richtung. Das erhoffen wir uns, und wir erhoffen uns auch noch einmal deutliche Hinweise in Richtung Organisation, um genau so bestimmte Sachen identifizieren zu können.«
Nachdem ich das Jugendamt der Stadt Schwerin für meine Fehlerforschung gewinnen konnte, änderte ich mein weiteres Auswahlvorgehen. Ich fokussierte nun nicht mehr auf ›Extremfälle‹ des Scheiterns bzw. des öffentlich angeprangerten ›Fehlverhaltens‹, sondern auf eine maximale Variation meines Samples, also darauf, »zwar wenige, aber möglichst unterschiedliche Fälle einzubeziehen, um darüber die Variationsbreite und Unterschiedlichkeit, die im Feld enthalten ist, zu erschließen« (Flick 2007: 165). Ich versuchte also, dem ›Prinzip der maximalen strukturellen Variation‹ (vgl. Kleining 1982) gerecht zu werden, indem ich neben dem ›Extremfall‹ – Jugendamt der Stadt Schwerin – einen ›Positivfall‹ in meine Auswahl einbezog. Daraufhin beschloss ich, das Jugendamt der Stadt Dormagen für meine Evaluationsstudie zu gewinnen. Da ich bei meinen Recherchen immer wieder sowohl auf den bundesweit ersten Qualitätskatalog der Jugendhilfe (vgl. Stadt Dormagen 2001) als auch auf das Dormagener Modell gestoßen war (vgl. Stadt Dormagen 2007, 2008) und einer damit zusammenhängenden positiven öffentlichen Medienpräsenz. Ich nahm deshalb an, dass das Jugendamt der Stadt Dormagen einen Ansatz der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung verfolgt, der mit einem anderen professionell-organisationalen Umgang mit Fehlern einhergeht. Gerade weil dieses Jugendamt nicht mit einem problematischen und tödlich verlaufenen Kinderschutzfall konfrontiert war und dadurch vermutlich auch eine andere Offenheit gegenüber meinem Forschungsinteresse bestand. Damit will ich nicht sagen, dass das Jugendamt der Stadt Schwerin weniger zugewandt war, aber die Mitarbeiter hatten durch den Fall Lea-Sophie zwangsläufig ein anderes, ein angespannteres professionelles Verhältnis zu ihren eigenen wie auch zu den Fehlern ihrer Organisation. Deshalb nahm ich am 01. Juli 2008 telefonisch und per E-Mail mit dem Jugendamt der Stadt Dormagen Kontakt auf, woraufhin eine Zusage zur Kooperation erfolgte. Den Prozess zusammenzufassend, kann formuliert werden: • Das Jugendamt Schwerin musste im November 2007 einen tödlich verlaufenen Kinderschutzfall verantworten, der ein bundesweites Medienecho ausgelöst und sogar vorgezogene Oberbürgermeisterneuwahlen herbeigeführt hatte (vgl. exemplarisch Spiegel Online 2008). Die Stadt selbst war spätestens seit dieser gesamten Konflikterfahrung sehr daran interessiert, den Fall ›Lea-Sophie‹ aufzuarbeiten und qualitätssichernde Instrumente/Verfahren für einen verbesserten Kinderschutz einzufüh-
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ren11. Aus diesem Grund erhoffte man sich von meinem evaluativ angelegten Dissertationsprojekt wichtige Impulse; vor allem eine detaillierte und wissenschaftliche Untersuchung derjenigen Faktoren, die dazu geführt haben, dass das Jugendamt bei der Wahrnehmung seiner Kinderschutzaufgaben scheiterte und dabei organisational sich selbst zum Risiko wurde12. Das Jugendamt Dormagen war in einer gänzlich anderen Situation und konnte mit einem ganz anderen ›Eye-Catcher‹ werben. Es wurde von anderen auch oft als eines der ›besten‹ Jugendämter Deutschlands bezeichnet, das sich selbst Qualitätsstandards dialogisch erarbeitet hat – Dormagener Qualitätskatalog (2001) – und Prävention im Kinderschutz programmatisch und konzeptionell ernst nimmt und vor allem daran arbeitet: Kinderarmut zu bekämpfen, indem es aktiv familiäre Lebensbedingungen verbessert und Hilfen im Vorfeld anbietet (vgl. Stadt Dormagen 2007, 2008). Dormagen war vor allem daran interessiert, sich mit neuen Fragestellungen zum Erhalt und zur Optimierung einer innovativen Praxis auseinanderzusetzen, weshalb mich die Verantwortlichen des Jugendamtes auch mit großem Interesse einluden, Dormagen als Forschungsfeld zu wählen.
Mit den beiden Jugendämtern wurde daraufhin eine Evaluationsvereinbarung abgeschlossen, in der das dialogisch-partizipative Evaluationsdesign in seiner Gesamtheit sowie die damit zusammenhängenden Evaluationsschritte und -ziele geschildert sowie Regelungen zum Datenschutz getroffen wurden, um den geltenden Standards der Deutschen Gesellschaft für Evaluation e.V. (DeGEval) – Nützlichkeit, Durchführbarkeit, Fairness, Genauigkeit – zu entsprechen. In den Datenschutzvereinbarungen einigte ich mich mit den Verantwortlichen der Stadt Dormagen und Schwerin darauf, dass die ›Jugendämter als Organisationen‹ nach außen hin namentlich benannt bleiben. Alle anderen, vor allem personenbezogenen Daten wurden entsprechend anonymisiert. Mit dieser Art von Offenheit im Umgang mit Fehlern wollten wir anderen Jugendämtern und Organisationen Sozialer Arbeit Mut machen, sich nicht für vorhandene Qualitätsdefizite zu ›schämen‹, sondern diese immer wieder
11 Auch wenn im selben Atemzug bereits in den Medien von einer oberflächlichen ›Schweriner Symbolpolitik‹ (vgl. Pergande 2009) berichtet worden ist. 12 Es soll in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass die kinder- und jugendhilfepolitische Ausrichtung der Stadt Dormagen als eine zentrale Vision benannt worden ist. Ein Mitarbeiter aus dem Schweriner Jugendamt sagte während der Evaluationsstudie dazu: »Dormagen von der Richtung her wäre die Vision, die wir also sehr gut annehmen könnten auch in unserer, also von den fachlichen Inhalten und von der Philosophie, die dahinter steht. Das wäre die Richtung, wo wir sagen könnten: Damit können wir sehr gut leben.«
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als Ausgangspunkt für notwendig werdende Veränderungen zu nehmen, als Lernchancen. Bevor mir diese beiden Forschungspartner jedoch eine Zusage erteilten, kontaktierte ich als Erstes ein anderes Jugendamt, das mir als Antwort schrieb: »Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es uns nicht möglich, an Ihrem Forschungsprojekt mitzuwirken/in einen Dialog zu treten« (Auszug aus der originalen E-Mail-Antwort vom 22. Mai 2008). Was auch immer bei dieser Antwort eine Rolle spielen mag, festgehalten soll werden: Gegenüber meiner anfänglichen Annahme, eventuell keine Evaluationspartner im Feld der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe für mein Forschungsprojekt gewinnen zu können, hat sich das genaue Gegenteil herausgestellt. Das Forschungsfeld war für meine dialogisch-partizipative Fehler- und Evaluationsstudie schneller erschlossen, als ich angenommen hatte. 5.1.4 Evaluationsbeteiligte und Evaluationsablauf Zur Durchführung der Evaluationsstudie wurden die folgenden vier wichtigen Mitgliedsgruppen (Evaluanden/Stakeholder) in unterschiedlicher Intensität einbezogen: • die ›sozialen Fachkräfte‹, die speziell in den ASD der Jugendämter Schwerin und Dormagen arbeiten und die in erster Linie ihrer Garantenstellung in der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe nachkommen müssen; • die ›Leitungskräfte‹ der Jugendämter, die letztlich verantwortlich für die Qualität der Dienstleistungen sind und die auch strukturelle und methodische Veränderungen innerhalb der Organisation anregen und befördern können; • die weiteren ›Kooperationspartner‹ (ausgewählte freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe) und • die ›sozialen Hilfeteilnehmer (Klienten /Nutzer)‹, die Hilfen zur Erziehung nach § 27 SGB VIII in Anspruch nehmen bzw. die Kontakt zum ASD des Jugendamtes hatten oder haben. Entweder trugen diese Forschungspartner unmittelbar zur Erhebung der qualitativen Daten und zur anschließenden gemeinsamen Dialogisierung der daraus resultierenden Ergebnisse bei. Oder sie waren nur mittelbar an der Evaluationsforschung beteiligt; durch Kenntnisnahme der Ergebnisse in schriftlicher oder auch mündlicher Form. Das Anliegen der Einbeziehung der zuvor genannten Evaluanden/Stakeholder bestand darin, mit ihrer Hilfe, einen multiperspektivischen Blick13 auf den Evaluationsgegenstand ›Jugendamt‹ erhalten zu können und 13 Insbesondere die sozial konstruierten und erlebten Sichtweisen der sozialen Hilfesystemteilnehmer sollten Aufschlüsse darüber gewähren, ob und inwieweit die Jugendämter der Stadt Schwerin und Dormagen auf Kritik von Klienten einge-
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einen größeren Nutzen durch die Evaluationsstudie zu erzielen. Hierbei ist zwischen direktem, konzeptionellem und Überzeugungsnutzen zu unterscheiden (vgl. Brandt 2007: 190f.). Michael Quinn Patton (1998) hat auch auf den Prozessnutzen von Evaluationen hingewiesen. Er »meint [u.a.; K. B.] die Nutzung der Evaluationslogik und des Evaluationsprozesses, um Leuten im Rahmen von Programmen und Organisationen zu helfen, evaluativ denken zu lernen. […] Lernen[, K. B.] evaluativ zu denken[, K. B.] ist dasselbe[, K. B.] wie lernen zu lernen« (Patton 1998: 57). Um die Beteiligung der Stakeholder/Evaluanden der Jugendämter der Städte Schwerin und Dormagen im Zuge des dialogisch-partizipatorischen und prozessorientierten Evaluationsansatzes abzusichern, nutzte ich ›dialogische Feedback-Schleifen‹. Dabei war ich mir darüber im Klaren, dass »das weitaus meiste von allem, was sich heute unter Menschen Gespräch nennt, […] in einem genauen Sinn[…] als Gerede« (Buber 1992: 282) herausstellt. Deshalb versuchte ich, in den von mir durchgeführten dialogischen Feedbackschleifen einen Raum für Begegnungen zu gestalten, einen Container. »Ein Container ist ein Gefäß, ein Setting, in dem die Intensität menschlicher Aktivität gefahrlos ausgedrückt werden kann« (Isaacs 2002: 204), wenn es gelingt: sozialräumlich habituell wirksam werdende Unterschiede zu überwinden (vgl. Bourdieu 1997a, 1997b); sie in eine produktive Atmosphäre, in die Kunst des gemeinsamen Denkens zu überführen (vgl. Isaacs 2002). Der Akzent liegt hierbei auf dem experimentellen Charakter der von dem Dialog getragenen Evaluationsstudie, macht es doch einen Unterschied, ob man Evaluationserkenntnisse nur zurückmeldet oder ob es gelingt, mit diesen ein Nachdenken über die tiefsitzenden und selbstverständlichen Annahmen der Praxis zu befördern. Oder ob man eben nur einen Scheindialog führt und alle Evaluationsbeteiligten zwar miteinander sprechen, »aber in Wahrheit zu einer fiktiven Instanz, deren Dasein sich darin erschöpft« (Buber 1992: 282), dass jeder vom anderen erhört und überzeugt werden will. Der Dialog kann insofern nicht angeordnet werden, ist nicht disponierbar. Aber er kann durch eine entsprechende Containerarchitektur und durch das Zuhören und Respektieren des anderen, fernab seiner sozialräumlichen Stellung, und durch das Suspendieren, das tätige Innehalten und Sprechen der eigenen erfühlten Sprache befördert werden (vgl. Isaacs 2002). Die dialogischen Feedbackschleifen hatte ich trotz dieser Paradoxien des Dialogs (vgl. Isaacs 2004) in einer dreistufigen Abfolge der beiden getrennt voneinander ablaufenden qualitativen Evaluationsstudien integriert.
hen; wie sie also auch mit solchen Fehlermeldungen umgehen. Im Rahmen der Evaluationsstudie konnten darüber aber nur wenige Erkenntnisse gewonnen werden (vgl. Kapitel 6).
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In einem ersten Schritt (1.) wurde mittels ›freier teilnehmender Beobachtungen‹14 ein erster Zugang zur Organisationskultur des Jugendamtes ermöglicht. Mit Rückgriff auf diese ursprünglich aus der Ethnographie stammende qualitative Methode wurde das Feld behutsam erschlossen und für die Evaluation zugänglich gemacht, um wertvolle Einsichten über das innere Wesen der Jugendämter ungefiltert, d.h. in ihrem unverfälschten bzw. ökologischen Umfeld (vgl. Bronfenbrenner 1976) zu generieren. Diese erste Datenerhebung diente dem ›passiven Einstieg‹ ins Feld. Sie bildet den Reflexionshintergrund für die anschließenden bzw. parallel zu den freien teilnehmenden Beobachtungen erhobenen und ausgewerteten ›Experteninterviews‹. Darauf aufbauend erhielten die Mitarbeiter der beiden Jugendämter (speziell die ASD) in einem zweiten Schritt (2.) einen ›schriftlichen Evaluationsbericht‹, der gemeinsam besprochen, diskutiert und ausgewertet wurde – dialogische Rückmeldung und Aushandlung der Ergebnisse in ›Focus Groups‹. In einem dritten Schritt (3.) wurden den Mitarbeitern in von mir durchgeführten ›Praxisworkshops‹ die qualitativen Daten abschließend zugänglich gemacht. Auch hier wurden die Resultate besprochen, diskutiert und gemeinsam ausgewertet. Die so gewonnenen zentralen Resultate wurden endgültig aufgearbeitet, u.a. in den Gesamtverwaltungen der darin eingegliederten Jugendämter weiter verbreitet und in Form dieser Dissertationsschrift werden sie dann auch einem weiteren Kreis von Interessierten zugänglich gemacht (siehe hierzu die folgende grafische Übersicht über den Ablauf der dialogisch-partizipativen Evaluationsstudie).
14 Methodenkritisch muss man an dieser Stelle anfügen, dass man im Feld nicht frei agieren kann. Mit dem Begriff der freien teilnehmende Beobachtung möchte ich jedoch auf folgende Tatsache hinweisen: Im Rahmen dieser Evaluationsforschungsphase realisierte ich beides: das Beobachten und das (aktiv im und am Feld) Teilnehmen. Denn ich war nicht nur ein teilnehmender Beobachter, sondern auch ein beobachtender Teilnehmer. Meines Erachtens nimmt man am Feld immer teil, egal ob man nun bewusst beobachtet oder als Teilnehmer in den vorfindbaren und zugeschriebenen Rollen des Evaluationsforschungsfeldes tätig wird.
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Abbildung 4 Ablauf der dialogisch-partizipatiiven Evaluationsstudie
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5.2 D IE VERWENDETEN E RHEBUNGS V ERTIEFUNGSMETHODEN
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Zur Erhebung des professionell-organisationalen Umgangs mit Fehlern in den Jugendämtern der Städte Schwerin und Dormagen habe ich, wie bereits erwähnt, drei wesentliche qualitative Erhebungsmethoden verwendet: • die freie teilnehmende Beobachtung15 (vgl. grundlegend: Girtler 2001, Flick 2007: 281ff., Lüders 2008), • leitfadengestützte und theoriegenerierende Experteninterviews (vgl. Bogner/Menz 2005, zur Übersicht: Bogner/Littig/Menz 2005) und • Focus Groups (vgl. Bohnsack 2008, Flick 2007: 259ff.). Quer zu diesen Erhebungsmethoden nutzte ich das nichtreaktive Verfahren der Dokumentenanalyse, um zusätzlich »eine neue und ungefilterte Perspektive auf das Feld« (ebd.: 330) erhalten zu können. Mit Hilfe dieser ›systematischen Perspektiven-Triangulation‹ (vgl. Flick 2008b) und der damit einhergehenden ›Daten- und Between-MethodTriangulation‹ (vgl. Flick 2008c) wollte ich eine Erkenntniserweiterung über den Forschungsgegenstand generieren, um die begrenzte Reichweite einseitiger Evaluationsverfahren zu überwinden und um der Komplexität organisationaler Praktiken gerecht zu werden. Diese Arten der Triangulation wurden von mir in erster Linie allerdings nicht zur Validierung der qualitativen Evaluationsergebnisse genutzt. Eher wollte ich, um im Sinne Kleinings (1982) zu argumentieren, durch den Einsatz der unterschiedlichen Erhebungsmethoden und mit den daraus resultierenden qualitativen Daten eine möglichst breite Variation der Perspektiven in Bezug auf den Evaluationsgegenstand selbst erreichen; eine sich gegenseitig unterstützende ›Facilitation‹ (Flick 2006b: 16). Die von mir genutzten Erhebungsmethoden und ihr Einsatz während der Evaluationsstudie sollen nun näher erörtert werden. 5.2.1 Freie teilnehmende Beobachtungen und tastende ero-epische (Erst-)Gespräche Vom 04. bis 15. August 2008 – Jugendamt Schwerin – und vom 20. bis 25. Oktober 2008 – Jugendamt Dormagen – habe ich mit der Methode der freien teilnehmenden Beobachtung einen ersten Einstieg in das Evaluationsforschungsvorhaben unternommen. Kennzeichen dieser Methode ist es, dass der Forscher in die Interaktion mit den Beforschten geht, dass der einseitige Subjekt-Objekt-Status also bewusst aufgehoben wird, um die organisationale Wirklichkeit des Jugendamtes ganzheitlich erkunden zu können. Hierbei
15 Ich verwende neben dem Terminus »freie teilnehmende Beobachtung« auch die Pluralform.
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agiert der Forscher im Spannungsfeld von Nähe und Distanz und ist immer wieder mit dem Phänomen des »Going Native« (vgl. Flick 2007: 291f.) konfrontiert: dass man zu einem ›Dazugehörigen‹ der Organisation wird und dadurch zeitweilig die kritische Außenperspektive verliert. Die Frage lautet also: Wie ›objektiv‹ können Beobachtungen sein, die notwendigerweise aus einer subjektiven Distanz heraus gewonnen werden müssen? Aber auch ein anderes Problem stellt sich: das der Datenselektion. Was kann, was soll beobachtet werden? Was wird übersehen und überhaupt nicht wahrgenommen? »Deshalb beruhen die Erkenntnisse des Forschers bei teilnehmenden Beobachtungen nur partiell auf der Beobachtung von Handlungen. Zu einem großen Teil basieren sie auf verbalen Äußerungen der Beteiligten über bestimmte Zusammenhänge und Sachverhalte« (ebd.: 295). Die Methode an sich ist schwer standardisierbar, dafür jedoch relativ offen und flexibel anwendbar. Insbesondere dann, wenn der Forscher eine teilnehmende unstrukturierte, eine freie teilnehmende Beobachtung durchführt, sich also auf das komplexe Forschungsfeld ohne systematischen Erhebungsplan einlässt (vgl. Girtler 2001: 62), wie ich es bevorzugt habe. Denn die Chance der freien teilnehmenden Beobachtung liegt darin, mit den Mitarbeitern des Jugendamtes im Feld mitgehen zu können; sie beobachten und mit ihnen sprechen zu können, wenn es in ihren Organisations- und Arbeitsablauf passt und wenn sich unerwartete Ereignisse ergeben, die es aus Forscherperspektive sinnvoll erscheinen lassen, beobachtet zu werden. »Die ›freie‹ Beobachtung bietet also die Möglichkeit, komplexe Situationen und Handlungsprozesse beinahe unbeschränkt zu erfassen, während bei der ›strukturierten‹ Beobachtung die zu beobachtenden Verhaltensweisen eng begrenzt und umschrieben sind« (Girtler 2001: 62). Um den damit, im ›Kontinuum von Beobachtung und Teilnahme‹, einhergehenden Verzerrungen etwas entgegenzustellen, verfolgte ich einen dialogisch-partizipativen Evaluationsansatz, der basierend auf konstruktivistischen erkenntnistheoretischen Konzeptionen das Ziel hatte, die Ergebnisse der Studie in Kooperation und auf gleicher Augenhöhe mit den daran Beteiligten und den davon Betroffenen – Stakeholdern/Evaluanden – dialogisch rückzumelden und zu vertiefen. Dessen ungeachtet musste ich mich dem Feld der Polarität des Beobachtens und Teilnehmens stellen, musste ich gewährleisten, selbstbefremdend zu beobachten, also einen ethnografischen Blick zu bewahren (vgl. Amann/ Hirschauer 1997). Anders gesagt: Ich musste die Selbstverständlichkeiten der von mir beobachteten Personen als ungewöhnliche Sachverhalte ansehen. Vor diesem Hintergrund zog ich mich immer wieder gezielt aus dem Feld zurück, um nicht aus der Innenperspektive der vorfindbaren organisationalen Praxis heraus identifikatorische Beobachtungen und Interpretationen zu protokollieren. Hierfür nutzte ich auch meine abendlichen Phasen der Feldabwesenheit, in denen ich noch einmal über das Erlebte kritisch reflektierte und so in meinem eigenen Gedankengebäude eine distanzierte Nähe zum Evaluationsgegenstand herstellte (vgl. hierzu auch weiterführend Abschnitt 5.5).
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Das Vorgehen der freien teilnehmenden Beobachtungen im Einzelnen: Jugendamt Schwerin
Ich war an zehn Arbeitstagen als ›forschender Praxisbegleiter‹ im Jugendamt Schwerin; fünf davon in ›Team 1‹ des ASD, die anderen fünf in ›Team 2‹. Die freien teilnehmenden Beobachtungen erstreckten sich maßgeblich auf die Kernarbeitszeit zwischen 8.30 Uhr und 16.30 Uhr. Mir stand zu dieser Zeit ein eigener Arbeitsplatz im Büro einer sozialen Fachkraft des Teams 1 und 2 zur Verfügung, an dem ich mich zum Schreiben meiner Feldnotizen je nach Bedarf zurückziehen konnte. Ich nahm einerseits im Feld durch meine Anwesenheit als forschender Praxisbegleiter und Dialogpartner am Geschehen teil. Anderseits konnte ich auch nur passiv beobachten, was in der organisationalen Praxis vor sich ging. Im Feld hatte ich also freie Hand; hier und da konnte ich mit einzelnen Mitarbeitern mitlaufen und war teilweise selbst, in der Funktion meines erlernten Berufes, als Sozialarbeiter tätig. Darüber hinaus nahm ich an diversen Außenterminen teil, um bei Hilfeplanungen anwesend zu sein und um einzelne soziale Hilfeteilnehmer schon in der Phase der teilnehmenden Beobachtungen interviewen zu können. Zudem sprach ich nicht nur mit den sozialen Fachkräften ASD, sondern auch mit anderen Mitarbeitern des gesamten Jugendamtes. So konnte ich während der freien teilnehmenden Beobachtung bereits • acht Experteninterviews mit Mitarbeitern aus dem ASD, • ein Experteninterview mit einer Leitungskraft aus dem Jugendamt sowie • vier Experteninterviews mit sozialen Hilfesystemteilnehmern führen. Ein weiteres Experteninterview mit einer Leitungskraft des Jugendamtes konnte ich bereits im Vorfeld der freien teilnehmenden Beobachtungen erheben. Jugendamt Dormagen
Hier war ich an fünf Arbeitstagen als ›forschender Praxisbegleiter‹ tätig16. Die freien teilnehmenden Beobachtungen fanden gleichfalls in der Kernarbeitszeit zwischen 8.30 Uhr und 16.30 Uhr statt. Ich beobachtete dort genauso Begebenheiten, Situationen und Gespräche, die sich mir im Feld anboten wie in Schwerin (z.B. bei informellen Besprechungen, bei kollegialen Beratungen, Mittagspausen, Hilfeplangesprächen etc.). Auch stand mir ein eigener Arbeitsplatz zur Verfügung, der jedoch im mittleren Management – auf einer anderen Etage des Jugendamtes – angesiedelt war. Einerseits sprach ich mit den sozialen Fachkräften des ASD, andererseits auch mit anderen Mitarbeitern des Jugendamtes und der gesamten Stadtverwaltung. 16 Zusätzlich nahm ich an einem Workshop zur Überarbeitung des Dormagener Qualitätskatalogs der Jugendhilfe am 20. und 21. Januar 2009 und an einer fünftägigen redaktionellen Schreibklausur im April 2009 teil.
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Einzelne Mitarbeiter des ASD, Leitungskräfte des Jugendamtes, der Stadtverwaltung und Kooperationspartner interviewte ich ebenfalls bereits während der teilnehmenden Beobachtung. Des Weiteren sprach ich mit einzelnen sozialen Hilfesystemteilnehmern und befragte diese. So konnte ich, genauso wie in Schwerin, bereits während der Phase der freien teilnehmenden Beobachtungen: • sechs Experteninterviews mit Mitarbeitern des ASD, der Fachabteilung sowie der Stadtverwaltung, • zwei Experteninterviews mit sozialen Hilfesystemteilnehmern, • ein Experteninterview mit einem Kollegen eines freien Trägers der Kinder- und Jugendhilfe sowie • ein Experteninterview in Gruppenform mit Mitarbeitern aus einer Schule und aus dem Fachbereich der Stadtverwaltung führen. Während der freien teilnehmenden Beobachtungen führte ich ein digitales Feldtagebuch, das ich in Anlehnung an Roland Girtler (2001: 133ff.) generiert habe; Protokollnotizen und Tagebuchgedanken17 wurden zusammengeführt und nicht separat voneinander schriftlich angefertigt. Dabei habe ich darauf geachtet, das ›Wie des Handelns‹ der sozialen Fachkräfte im ASD wie auch im gesamten Jugendamt zu beobachten; sie in ihren unterschiedlichen sozialen Situationen wahrzunehmen, ihre Problemlösungsstrategien zu erfassen und der ›Diskrepanz von Gesagtem und Getanem‹ nachzugehen. Die so gewonnenen Feldnotizen dienten als erste Grundlage der Aufbereitung und Auswertung des weiteren Datenmaterials. Nicht alles konnte ich protokollieren und gedanklich festhalten. Insofern sind die Erkenntnisse, die sich ebenso auf im Feld erhaltene Konzeptpapiere, Aktennotizen und Sachstandsmitteilungen – Dokumentenanalyse – und auf nicht digital aufgenommene ero-epische Erstgespräche 18 (vgl. ebd.: 147ff.) stützen, rekonstruktiver Art. Das ero-epische Gespräch »ist ein Gespräch, bei dem es um Erzählungen und Geschichten geht, die sich so ziemlich auf alles einer Kultur oder Gruppe beziehen können. Dabei ist nicht nur der Forscher, der Fragen stellt, sondern auch der Gesprächspartner, also der über dessen Kultur ich etwas erfahren will. Denn auch dieser will vielleicht wissen, was der Forscher so treibt oder wie der Forscher in einer bestimmten Situation handeln würde. Es bringt sich also jeder in das Gespräch ein. Beide sind also Lernende« (ebd.: 147). 17 Die angefertigten Feldnotizen hatten eine Länge von 40 A4-Seiten, Times New Roman, Schriftgröße 12, einzeilig. 18 »Im Eigenschaftswort ›ero-episch‹ stecken die altgriechischen Wörter ›Erotema‹ und ›Epos‹. ›Erotema‹ heißt die ›Frage‹ beziehungsweise ›eromai‹ fragen, befragen und nachforschen. Und ›Epos‹ bedeutet ›Erzählung‹, ›Nachricht‹, ›Kunde‹, aber auch ›Götterspruch‹ beziehungsweise ›eipon‹ ›erzählen‹« (Girtler 2001: 150).
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Es geht also darum, eine Gesprächsatmosphäre entstehen zu lassen, in der sich die Befragten nicht ausgeforscht, sondern als Menschen wertgeschätzt fühlen bzw. in denen, und so habe ich es im Zuge meiner freien teilnehmenden Beobachtungen versucht, ein gegenseitiges Kennenlernen möglich wird, ein offenes Einlassen auf den anderen. Schließlich ist es ja so, dass ich als vermeintlich ›Fremder‹, als Praxisbegleiter und -beobachter, als sogenannter Fehlerforscher, der scheinbar nur die Schwachstellen der professionellorganisationalen Tätigkeiten aufdecken wollte, in die Jugendämter gekommen war. Umso verständlicher war es aus meiner Sicht, zunächst tastend im Feld vorgehen zu müssen, sich gegenüber den ›Beforschten‹ zu öffnen, indem man selbst etwas von sich und seinem Leben preisgibt, um sich Vertrauen und Akzeptanz zu erarbeiten. Eine solche Vorgehensweise ist entscheidend, will man erreichen, dass über den Umgang mit Fehlern gesprochen wird. Das Thema an sich ist nämlich emotional schnell irritierend, geradezu heikel und kann dazu führen, dass man als Fremdevaluator auf eine gutachterliche Position gedrängt und als ›Besserwisser‹ wahrgenommen wird. Dieser Gefahr wollte ich entgegentreten, indem ich die sozialen Fachkräfte nicht sofort interviewt habe. Vielmehr habe ich ihnen Zeit gelassen, mich und das Anliegen meiner Evaluationsforschung, das ja schrittweise zu dem ihrigen werden sollte, annehmen zu können. Denn »für gewöhnlich lassen sich ›freie teilnehmende Beobachtung‹ und Gespräch nicht trennen. Bei manchen Forschungen mag aber das ›ero-epische Gespräch‹ die vielleicht einzige brauchbare Methode sein, um zu guten Ergebnissen zu gelangen. Dies vor allem dann, wenn Bereiche erforscht werden sollen, die der Beobachtung nicht oder nur schwer zugänglich sind« (ebd.: 153),
wie es bei der evaluativen Erforschung zur Einschätzung und dem Vorhandensein von fehleroffenen Organisationskulturen der Fall ist. Durch solche ero-epischen Gespräche gelang es mir schlussendlich, Mitarbeiter dafür zu gewinnen, sich als Experten interviewen zu lassen und mir das Kennenlernen von Klienten zu ermöglichen. 5.2.2 Theoriegenerierende Experteninterviews Parallel zu meinen freien teilnehmenden Beobachtungen und ero-epischen Gesprächen habe ich im August und im Oktober 2008 theoriegenerierende Experteninterviews geführt. Meuser und Nagel (2005) beanstanden zwar, dass Experteninterviews vielfach erprobt und wenig bedacht sind. Dessen ungeachtet habe ich mich aus nachstehenden Beweggründen für diese durchaus umstrittene, aber oftmals verwendete Interviewform (vgl. Bogner/Littig/Menz 2005) entschieden: (1) Durch den Einsatz von Experteninterviews ist es möglich, das Betriebsund Kontextwissen intra- und interorganisatorisch vorfindbarer Zusammenhänge zu erheben (vgl. Meuser/Nagel 2005: 75ff.); verfügen die von
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mir befragten Evaluanden über eine Art ›Sonderwissen‹, über einen organisational-professionellen praktischen Sinn (Pierre Bourdieu), der zwar aufgrund seiner impliziten Habitusstruktur schwer zu erfragen ist, aber durchaus, wie es Bogner und Menz (2005) mit Bezug auf den Einsatz von theoriegenerierenden Experteninterviews ausführen, im Sinne eines ›Deutungswissens‹ vom Forscher als solches im Zuge des Auswertungsprozesses explizit gemacht werden kann. Denn »das Deutungswissen konstituiert im Allgemeinen gerade nicht einen spezifischen Wissensvorsprung des Experten. […] Zwischen Befragten als ›Experte‹ und als ›Privatperson‹ ist nicht nur in der Praxis kaum klar zu trennen, es macht auch aus methodischen Gründen keinen Sinn« (Bogner/Menz 2005: 44f.). (2) Insofern kommt es darauf an, wer aus welchen Gründen als Experte identifiziert wird, geht es eben nicht nur um die Exklusivität des Expertenwissens, sondern auch darum: wie die mutmaßlichen Experten mit diesem Wissen aufgrund ihrer sozialräumlichen Stellung und daraus resultierenden habituellen Besonderheiten (vgl. Bourdieu 1997a, 1997b) im Praxisfeld des ASD agieren. Schließlich wirken in den mannigfachen sozialen Feldern – im Feld der Wirtschaft, im akademischen Feld, im künstlerischen Feld, im Feld der Macht/Politik, im Feld der Justiz, im Feld des Gesundheitswesens und auch im Feld der Kinder- und Jugendhilfe 19 – jeweils eigene Gesetzlichkeiten und Regulations- und Kraftprinzipien, die darüber bestimmen: wer, wann, wie und warum im sozialen Feld Einfluss hat. »Jedes dieser Felder hat seine Herrschenden und seine Beherrschten, seine Kämpfe um Erhalt oder Umsturz, seine Reproduktionsmechanismen usw.« (Bourdieu/Wacquant 2006: 137). Mit anderen Worten: Jeder Mensch kann als Experte gesehen werden; als Experte seiner jeweils erlebten Felderfahrungen, weshalb »nicht die Exklusivität des [beruflichen oder professionellen; K. B.] Wissens« (Bogner/Menz 2005: 45) darüber entscheidet, wer ein Experte ist, »sondern seine Wirkmächtigkeit« (ebd.). (3) Und dies klang ja bereits an: Die sozialen Hilfesystemteilnehmer waren für mich genauso wie die Mitarbeiter der Jugendämter und der gesamten Stadtverwaltungen ›Experten‹, die mir durch ihre Aussagen, wichtige Aufschlüsse über ihre »gemeinsam geteilte[n] Wissensbestände, Relevanzstrukturen, Wirklichkeitskonstruktionen, Interpretationen und Deutungsmuster« (Meuser/Nagel 2005: 80), über ihr Betriebs- und Kontextwissen liefern konnten. Hierfür habe ich, wie es Bogner und Menz (2005: 38f.) anregen, theoriegenerierende und leitfadenorientierte Experteninterviews verwendet; nutzte ich die von mir entwickelten und einem Pretest unterworfenen Leitfäden als
19 Diese Großfelder haben jeweils ihre eigenen Unter- oder Subfelder, die wiederum ihre eigenen fein differenzierten Feldbedingungen haben.
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Anker innerhalb der jeweiligen Interviewsituation. Die Leitfäden diktierten also nicht den Ablauf der Experteninterviews. Vielmehr gaben sie mir die Sicherheit, um auch die nicht in den Leitfäden vorgesehenen Themen und Fragestellungen der von mir befragten Evaluanden zu berücksichtigen. Es ging mir nämlich darum: explorativ und zugleich theoriegenerierende Experteninterviews zu führen (vgl. ebd.: 36ff.), um das implizite Wissen der Experten zu erschließen und analytisch für eine Exploration theoretischer Konzepte rekonstruieren zu können. In den Interviewleitfäden habe ich fünf breit angelegte und zum Erzählen anregende Themenkomplexe berücksichtigt: den (1.) ›subjektiv-professionellen‹, den (2.) ›teambezogenen‹, (3.) ›intra-‹ und (4.) ›interorganisationalen‹ sowie den (5.) ›klientenbezogenen Umgang mit Fehlern‹, die ich nun detailliert vorstellen werde: Ganz am Anfang interessiert mich, was für Sie eigentlich ein ›Fehler‹ ist – ganz allgemein? • Welche Bedeutung haben Fehler für Sie? • Welche Erfahrungen haben Sie beruflich wie privat mit dem Fehlermachen? • Wie stehen Sie zu Ihren Fehlern? Zu wissen, was falsch ist, ist leicht. Zu wissen, was richtig ist, ist schwer. Wie unterscheiden Sie für sich richtige von falschen (Arbeits-) Handlungen? • Oder anders gefragt: Wie nehmen Sie in Ihrer konkreten Praxis Fehler wahr, ja wie bemerken Sie diese? • Was denken Sie, was könnte möglicherweise in Ihrer Praxis misslingen? • Welche Fehler würden Sie sich bei der Ausübung Ihrer Arbeit selbst zuschreiben – Fehler also, die nur Sie zu verantworten haben? • Wer ist von diesen Fehlern wie betroffen? • Welche Wege haben Sie ganz persönlich erfunden, um mit Ihren Fehlern professionell umzugehen? • Wie werden Sie dabei von Ihrer Organisation, Ihrem Team, Ihren Vorgesetzten unterstützt? • Welche Einstellung haben Sie zu Ihren Fehlern? Wie geht es Ihnen damit bei der Arbeit, etwas falsch zu machen? Welche Fehler sind Ihnen schon einmal bei Ihren Kollegen/Vorgesetzten aufgefallen? • Wie sind Sie damit umgegangen, nachdem Sie bemerkt hatten, dass jemand aus Ihrem Team Ihrer Ansicht nach etwas Falsches gemacht hat?
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Was halten Sie von Kollegen/Vorgesetzten, die meinen, Sie würden nie etwas falsch machen? Haben Sie das Gefühl, Sie könnten offen mit anderen in Ihrer Organisation über Ihre Fehler reden? Wenn Sie einen Fehler wahrnehmen bzw. berechtigte Zweifel und Sorgen über bestimmte Handlungspraktiken ihrer Kollegen/Vorgesetzen haben: Wie würden diese darauf reagieren? Haben Sie die Möglichkeit offen Fragen und Kritik zu äußern?
Welchen Stellenwert haben Fehler in Ihrer Organisation? • Wie geht man bei Ihnen organisational mit Fehlern um? • Wie besprechen oder thematisieren Sie diese? • Auf welche Art und Weise, mit welchen Methoden, bemerken Sie in Ihrem Jugendamt, bei Ihrem Träger, dass Angestellte Fehler machen? • Welches Verhältnis haben Sie zu organisationalen Qualitätssicherungsverfahren, die darauf abzielen, Fehler besser zu erkennen und zu beheben? • Nehmen wir einmal an, in Ihrem Jugendamt, bei Ihrem Träger, in Ihrem Team wäre alles so, wie Sie es sich immer gewünscht haben: Was würde dies für den Umgang mit Fehlern bedeuten? Welche Stärken und Schwächen Ihrer Organisation tragen dazu bei, dass Sie, Ihre Kollegen und/oder Vorgesetzten Fehler machen bzw. nicht machen? • Wie würden Sie Ihre Organisation umschreiben? Was macht ihre Besonderheit im Umgang mit Fehlern aus? • Welche Fehler werden Ihrer Meinung nach durch die Organisations-, Kooperations- und Finanzstrukturen des Jugendamtes/des freien Trägers hervorgerufen? • Auf welche Fehler haben Sie als Fachkraft bzw. Ihre Organisation keinen (professionellen) Einfluss? • Was meinen Sie, welche Fehler geschehen in Ihrer Organisation immer wieder, ohne dass sie und Ihre Kollegen daran etwas ändern können? • Was läuft Ihrer Ansicht schon recht gut in Ihrer Organisation, wenn es um einen produktiven Umgang mit Fehlern geht? Welche Fehler sind Ihnen bei Ihren Kooperationspartnern schon einmal aufgefallen? • Konnten Sie sich darüber austauschen, wenn ja, wie und mit welchem Ergebnis?
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Welche Fehler werden Ihnen und Ihrer Organisation von Ihren Kooperationspartnern oder anderen, z.B. den Medien, der Politik, vorgeworfen? Zum Abschluss würde mich noch interessieren, wie und ob Sie bzw. Ihre Organisation auf Kritik Ihrer Klienten eingehen? • Stellen Sie sich vor, ein Klient wirft Ihnen und Ihrer Organisation Fehler vor: Wie und wo könnte sie/er sich darüber beschweren? • Haben Sie speziell eingerichtete Beschwerdeverfahren – wie sehen diese aus? • Können Klienten überhaupt Fehler von Fachkräften wahrnehmen – was meinen Sie? Darüber hinaus habe ich den Klienten, mit denen ich gesprochen habe, folgende Leitfragen gestellt: Wie werden Sie als Person vom Jugendamt/beim freien Träger wahrgenommen? • Wie haben Sie denn das Gefühl, dass Sie immer und zu jeder Zeit ein gern gesehener Gast bei den Sozialarbeitern des Jugendamtes/freien Trägers sind? • Inwieweit fühlen Sie sich ernst genommen? • Wie informiert fühlen Sie sich? • Was meinen Sie, wie achten die Sozialarbeiter auf Ihre Beanstandungen und Beschwerden? • Inwieweit ist dafür Raum und Zeit vorhanden? • Erzählen Sie mir doch mal eine Episode, wo Sie sich mal beschwert haben? Was ist da passiert? Wie lief das dann? Jetzt interessiert mich noch, ob und wie Ihnen von Sozialarbeitern schon einmal falsch geholfen worden ist, wo also Dinge und Ereignisse passiert sind, die Sie als Fehler der Helfer bezeichnen würden? • Erzählen Sie ruhig einmal eine Geschichte, wo Ihrer Meinung nach die Beteiligten des Jugendamtes und des freien Trägers nicht in Ihrem Sinne gearbeitet haben? • Was meinen Sie, wie machen Sozialarbeiter ihre Arbeit? • Machen die das nach bestem Wissen und Gewissen? Was sind Ihre Erfahrungen? • Welche Fehler im Umgang mit Ihnen würden Sie einzelnen Mitarbeitern des Jugendamtes/freien Trägers vorwerfen? • Was gefällt Ihnen besonders am Jugendamt? • Was gefällt Ihnen weniger?
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Bei der Auswahl der Experten zur Erhebung der Interviews gab es in den Jugendämtern der Städte Schwerin und Dormagen eine signifikante Besonderheit. Während ich in Schwerin bei meiner zweiwöchigen freien teilnehmenden Beobachtung die sozialen Fachkräfte vor Ort ansprach, ob sie nicht Interesse hätten, sich von mir interviewen zu lassen bzw. diesbezüglich auch soziale Hilfesystemteilnehmer ansprechen könnten – ›Prinzip der freiwilligen Teilnahme‹, des ›Convenience Samplings‹ (vgl. Flick 2007: 166, grundlegend Patton 2002: 230-247) –, hatte ich in Dormagen bereits im Vorfeld der teilnehmenden Beobachtungen einen Interviewerhebungsplan mit den Verantwortlichen entwickelt – ›partielle gezielte Auswahl‹. Auch hier galt das Prinzip der freiwilligen Teilnahme, des Convenience Sampling, aber es gelang mir, mit Mitarbeitern quer durch die Hierarchieebenen Interviews zu führen – von der Verwaltungsspitze über relevante Kooperationspartner bis zum ASD. Dafür mussten im Vorfeld verbindlich Termine vereinbart werden, da viele Leitungskräfte eben nicht immer die Zeit haben, spontan vor Ort auf eine Interviewanfrage zu reagieren. Das soll natürlich nicht heißen, dass die sozialen Fachkräfte der ASD mehr Zeit zur Verfügung gehabt hätten, aber diese haben sich in Schwerin wie in Dormagen auf meine Anwesenheit vorbereitet, waren gefasst darauf, dass quasi ein ›Mitläufer‹ das Feld mit seiner Anwesenheit zusätzlich belasten wird. Ich will nicht verbergen, dass es für eine bessere Vergleichbarkeit und Kontrastierung der beiden Fälle ›Jugendamt Schwerin‹ und ›Jugendamt Dormagen‹ methodisch gehaltvoller gewesen wäre, wenn ich auch in Schwerin außerhalb des Jugendamtes andere hierarchisch höher stehende Führungskräfte in der Gesamtverwaltung und bei anderen Kooperationspartnern hätte befragen können und dieses Versäumnis im Nachgang getilgt hätte. Aber aus forschungspragmatischen Gründen musste ich mich dagegen entscheiden. Ebenso kann man die Gewinnung der sozialen Hilfesystemteilnehmer für meine Experteninterviews mit Skepsis betrachten, wurden diese doch von den sozialen Fachkräften aus den ASD in Schwerin und Dormagen ausgesucht und angesprochen. Weshalb man aus diesem Grund befürchten kann, dass sie über die Fehler ihrer Sozialarbeiter nicht offen genug gesprochen haben. Dem kann ich allerdings nur teilweise zustimmen, wenngleich es dringend angeraten ist, hierzu gesonderte Studien durchzuführen. Aber mein Fokus lag schwerpunktmäßig auf dem professionell-organisationalen Umgang mit Fehlern in den ASD der beiden an meiner Evaluationsstudie teilnehmenden Jugendämtern. 5.2.3 Focus Groups Um meine aus den freien teilnehmenden Beobachtungen, ero-epischen (Erst-)Gesprächen, Experteninterviews und Dokumentenanalysen gezogenen Schlussfolgerungen gemeinsam mit den Stakeholdern und Evaluanden der Jugendämter der Städte Schwerin und Dormagen zu dialogisieren und
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auszuhandeln, nutze ich Focus Groups. Diese Verfahren wird besonders in der Markt- und Meinungsforschung eingesetzt, es stammt aus dem angelsächsischen Raum und findet in der qualitativen Organisationsforschung erst allmählich Anwendung (Liebig/Nentwig-Gesemann 2002: 141). Ziel dieser Methode ist es u.a.: • weitere Orientierungen im Feld zu erhalten, • Hypothesen auf der Basis der von den Evaluanden geäußerten Informationen fortzuentwickeln und • die sozial konstruierten Sichtweisen der Stakeholder/Evaluanden auf die zuvor gemachten Forschungs- bzw. Evaluationsforschungsergebnisse zu erhalten (vgl. Flick 2007: 259ff.). Der Nutzen dieser gruppenorientierten Erhebungsmethode besteht darin, Erkenntnisse gewinnen zu können, die in Organisationen zumeist nur in kollektiver und latenter Form ihren Ausdruck finden. Denn ASD-Handeln ist beispielsweise auf Teamhandeln angewiesen, wenn es darum geht, kollegial Fälle einzuschätzen, zu supervidieren und erfolgreich zu managen. D.h.: Erst im Kontext sozialer Gruppenzusammensetzungen, so wie sie sich auch innerhalb der organisational-professionellen Praxis finden lassen, wird sichtbar, wie die sozialen Fachkräfte zusammenarbeiten, welche Meinungen sie implizit gemeinsam vertreten, wovon diese geteilten und stillschweigenden Vereinbarungen und Grundannahmen bei einzelnen Mitarbeitern abweichen und wie in diesen Gruppensettings mit Kontroversen umgegangen wird? Bohnsack (2008) verwendet hierfür den Begriff der kollektiven Orientierungsmuster, die erst durch den Forscher stellvertretend für die an der Gruppendiskussion beteiligten Menschen dokumentarisch im Nachhinein interpretiert werden. Mir dagegen war es wichtig, die Stakeholder und Evaluanden an der weiteren Datenauswertung zu beteiligen und mein Evaluationsforschungsprojekt als eine Art indirekter Intervention für die Qualitätssicherung und -entwicklung der Jugendämter der Städte Dormagen und Schwerin zu gebrauchen. Ich wollte die an den Focus Groups beteiligten sozialen Fachkräfte zum Nachdenken über sich und ihre implizite Praxis anregen; sie verstören und ihre kreativen Potenziale durch die Kunst des gemeinsamen Denkens – den Dialog – kollektiv explizit werden lassen (vgl. Isaacs 2002). Ich habe die Methode • am 03. Dezember 2008 in Schwerin mit einer ›Realgruppe‹ bestehend aus 17 sozialen Fachkräften des ASD (Team 1 und 2) und • am 22. Januar 2009 in Dormagen mit einer ›künstlichen‹ Realgruppe20 bestehend aus 15 sozialen Fachkräften des ASD und von freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe angewandt.
20 Ich verwende den Begriff im erweiterten Sinne deshalb, weil die Fachkräfte der öffentlichen und freien Kinder- und Jugendhilfe in ihrer kooperativ zu gestalten-
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Bei den Focus Groups waren auch Leitungskräfte aus anderen Hierarchieebenen der Jugendämter anwesend. Dadurch konnte ich wichtige Aufschlüsse über die rollen- und funktionsbezogenen Kommunikationsgrenzen erhalten. Denn »der zentrale Vorteil von Diskussionen mit Mitgliedern von Realgruppen ist, dass diese nicht nur durch die Ebene vergleichbarer Erfahrungen, sondern darüber hinaus durch eine gemeinsame Handlungspraxis verbunden sind« (Liebig/Nentwig-Gesemann 2002: 146). In den beiden Focus Groups gab ich den Beteiligten gestützt auf einen visuell begleiteten Vortrag zunächst einen ersten groben Überblick über die vorläufigen Zwischenergebnisse der Evaluationsstudie, einen erzählgenerierenden Diskussionsanreiz, um im Anschluss daran einen metaevaluativen Dialog zu eröffnen21. Durch die hohe Teilnehmerzahl der Focus Groups gab es zwar durchaus verzerrende kommunikative Beteiligungseffekte; nicht jeder traute sich, sofort und ausführlich etwas zu sagen. Aber: Dadurch war es überhaupt erst möglich, dass alle am Diskurs teilhaben konnten, ob nun aktiv oder passiv. Insofern bin ich über die in der Methodenliteratur zu findenden als Optimum beschriebenen Gruppengrößen 22 hinausgegangen, wollte ich vielmehr die Praxis des dialogischen Denkens mit der Erhebungsmethode der Focus Groups sinnvoll verbinden und über die fokussierte Gruppendiskussion hinausgehen, um zum offenen Gespräch zu gelangen (vgl. Bohm 1998). Die Focus Groups hatten eine Dauer von ca. zwei Zeitstunden und erstreckten sich von der Phase der diskursiven und von mir angeregten Eröffnung über einen selbstläufigen und vertiefenden Diskurs bis hin zur Nachfragephase; mit dem Ziel, die von mir gewonnenen Ergebnisse den Stakeholdern/Evaluanden zurückzumelden und vertiefend zu dialogisieren. Im Vordergrund stand also nicht unbedingt nur die Generierung von weiterem Datenmaterial, sondern die Rückmeldung und Vertiefung der Ergebnisse mit den Evaluanden/Stakeholdern im Zuge der dialogischen Ausrichtung des gesamten Evaluationsforschungsprojektes. An den Focus Groups waren auch diejenigen beteiligt, die sich zuvor bereit erklärt hatten, sich als Experten interviewen zu lassen. Lediglich die so-
den Praxis real zusammenarbeiten, aber nicht immer in solchen Runden einen dialogischen Austausch führen können. Die an der Focus Group beteiligten sozialen Fachkräfte kannten sich jedoch alle untereinander; auch über die gemeinsame Zusammenarbeit am Dormagener Qualitätskatalog, der noch einen Tag zuvor für eine Neuauflage im Jahr 2009 überarbeitet wurde. Zu dieser Überarbeitung des Qualitätskataloges wurde ich als Evaluationsforscher eingeladen, was mit wiederum die Möglichkeit für zusätzliche freie teilnehmende Beobachtungen bot. 21 Aus methodischen Gründen erhielten die Stakeholder/Evaluanden erst nach den Focus Groups einen ausführlichen Evaluationsbericht (vgl. Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung e.V./Biesel 2008 und 2009). 22 So schlagen Liebig und Nentwig-Gesemann (2002: 147) vor, eine Gruppengröße von zehn Teilnehmern/innen nicht zu überschreiten.
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zialen Hilfesystemteilnehmer wurden hiervon ausgeklammert, die aufgrund der ›Sensibilität des Themas‹ und der zunächst innerhalb des Jugendamtes und der Gesamtverwaltung stattfindenden Auseinandersetzung über den professionell-organisationalen Umgang mit Fehlern auch nicht zu den späteren Praxisworkshops eingeladen wurden. 5.2.4 Praxisworkshops Um das Evaluationsforschungsprojekt abzuschließen und die Ergebnisse vertiefend zu dialogisieren, organisierte ich zusammen mit den Kollegen der Jugendämter Schwerin und Dormagen jeweils eintägige Praxisworkshops. Diese fanden in Schwerin am 08. Mai 2009 und in Dormagen am 04. Juni 2009 statt. In diesen Workshops gab ich noch einmal einen Überblick über die Datenlagen, die damit verbundenen Interpretations- und Auswertungsideen sowie zur aktuellen Kinderschutzdebatte und den damit in Zusammenhang stehenden Anforderungen für die Etablierung von achtsamen und lernenden Kinderschutzorganisationen. Zusätzlich nutzte ich die klassische Methode der SWOT-Analyse (vgl. Reinbacher 2009) zur Diagnose von Stärken (strenghts), Schwächen (weaknesses), Chancen (opportunities) und Gefahren (threats). Die SWOTAnalyse ist ein hilfreiches Untersuchungsinstrument, um herauszufinden, inwieweit eine Organisation ihre Stärken und Potenziale wahrnimmt und nutzt, um Fehlern, Missständen und damit riskanten Praxisbedrohungen entgegenzuwirken. Hierfür wird unter vier Gesichtspunkten – Stärken, Schwächen, Chancen, Bedrohungen – eine Organisationsuntersuchung (mit Teilnehmern aus der eigenen Organisation und mit externer Unterstützung) durchgeführt. Auf der ›externen Analyseebene‹ wird die professionelle Organisationsumwelt untersucht. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Chancen (opportunities) und die Praxisbedrohungen (threats) von außen kommen, also exogener Natur sind. Sie ergeben sich beispielsweise aus Veränderungen innerhalb der Gesamtverwaltung, die das Jugendamt betreffen, aber auch durch geänderte Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit mit anderen Professions- und Berufssystemen oder durch sich wandelnde gesamtgesellschaftliche Lebens-, Sozialisations-, Erziehungs-, Wohn- und Arbeitsbedingungen, nicht zuletzt durch politische Rahmenbedingungen. Die Stärken (strengths) sowie die Schwächen (weaknesses) beziehen sich auf die Organisation selbst – z.B. das Jugendamt und die übergeordnete Gesamtverwaltung. Hier richtet sich der Blick also auf die ›interne Analyseebene‹. Es geht dabei um die Selbstbeobachtung der professionellen Organisation und ihrer Fachkräfte. Denn nur sie selbst und ihre Fachkräfte haben ja ihre Stärken und auch ihre Schwächen im Griff, wenn sie diese erkennen, nutzen und gegebenenfalls verändern können. Bei der Umsetzung der SWOT-Analyse muss allerdings beachtet werden, dass Stärken und Schwächen, Chancen und Gefahren wechselseitig
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voneinander abhängen. »Sie verweisen aufeinander, sind beobachterabhängige Zuschreibungen (zu System oder Umwelt), und sie stellen (vor dem Hintergrund bestimmter Ziele) bewertete Eigenschaften bzw. Muster dar« (ebd.: 76). Folgende Fragen wurden bei der SWOT-Analyse gestellt: Interne Analyse:
Strengths (Stärken, Zufriedenstellendes) • Mit welchen Praxisbedingungen, Arbeits- und Entscheidungsabläufen und Prozessergebnissen bzw. Organisationsveränderungen sind Sie in Ihrer Organisation zufrieden? Was läuft momentan ganz gut? Was sind die Stärken der Stadtverwaltung, des Jugendamtes und des ASD? Weaknesses (Schwächen, Fehler, Störungen, Probleme) • Wo gibt es Ihrer Ansicht nach bisher noch nicht benannte bzw. unhinterfragte organisationale und professionelle Fehler, Störungen, Schwachstellen oder Probleme? Externe Analyse:
Opportunities (Chancen, Gelegenheiten, Potenziale) • Welche Entwicklungen, Mittel und Möglichkeiten unterstützen Sie in Ihrer Arbeit im Kinderschutz? Was gibt Ihnen Auftrieb? Welche neuen Chancen bieten sich Ihnen? Welche Entwicklungen wollen Sie für eine verbesserte Kinderschutzpraxis anstoßen? Wie wollen Sie Ihre professionell-organisationelle Praxis verbessern? Welche Potenziale gibt es, die noch ungenutzt brachliegen? Threats (Praxisbedrohungen und -risiken) • Was bedroht, gefährdet Sie in Ihrer Praxis als Kinderschutzfachkräfte? Wie gehen Sie damit in der Regel um? Was geschieht, wenn nichts geschieht? In Schwerin nahmen an dem Praxisworkshop zwölf Fachkräfte des ASD teil. Die Jugendamtsleitung war an diesem Tag verhindert. Stattdessen nahm der zuständige Dezernent an der Sitzung zeitweilig teil; nicht jedoch bei der SWOT-Analyse, die in zwei Arbeitsgruppen in einem dialogisch-offenen Verfahren durchgeführt, von den Beteiligten mitprotokolliert und außerdem von einem mich unterstützenden Kollegen des Kronberger Kreises für Qualitätsentwicklung e.V. bzw. von mir selbst schriftlich festgehalten wurden – pro Arbeitsgruppe ein externer Evaluationsforschungsbegleiter. In Dormagen hingegen waren zwölf Fachkräfte des ASD, eine zuständige Leitungskraft und eine Fachkraft aus dem mittleren Jugendamtsmanagement am Praxisworkshop beteiligt, aus dem oberen Leitungsbereich jedoch niemand. Diese Führungskräfte wurden über die weiteren Ergebnisse der qualitativ erhobenen Daten und der SWOT-Analyse gesondert informiert. Die SWOT-Analyse selbst wurde in einer großen Dialogrunde mit allen
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Anwesenden durchgeführt und von mir digital protokolliert und durch einen Videobeamer visualisiert. Bei beiden Workshops wurde vor dem Hintergrund der geplanten und jugendamtsbezogenen SWOT-Analyse auf die Anwesenheit von Mitarbeitern der freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe und von Klienten gezielt verzichtet. Eine andere von mir geplante Methode konnte aus zeitlichen Gründen nicht mehr umgesetzt werden: die durch ein Arbeitsblatt gestützte Thematisierung des Umgangs mit Fehlern23, auf dem die nachstehenden Untersuchungsfragen enthalten waren: Meine professionellen Fehler • Was mir ab und an misslingt? Was ich als Fehler in meiner Arbeit ansehe? Die Fehler meiner Kollegen • Was ich als Fehler meiner Kollegen betrachte? Was ich für falsch und fehlerhaft halte? Was ich mich aber noch nie getraut habe, öffentlich anzusprechen? Die Fehler unserer Organisation • Worauf ich als einzelne Fachkraft keinen professionellen Einfluss habe? Was ich für überdenkenswert und fehlerhaft halte? Was ich schon immer einmal meinen Vorgesetzten und den Führungskräften der Stadtverwaltung sagen wollte, bislang aber nur gedacht habe? Unser Umgang mit unseren professionellen und organisationalen Fehlern • Wie wir uns gegenseitig auf Fehler hinweisen? Was uns dabei leicht, aber auch schwer fällt? Was sich dadurch verändert oder aber auch gleich bleibt?
5.3 D IE AUSWERTUNGSMETHODE Qualitative Daten können auf unterschiedlichen Wegen analysiert werden. So lassen sich zahlreiche Systematisierungen, Verfahrensvorschläge und Anwendungsregeln in der qualitativen Methodendiskussion ausfindig machen, die alle das Gleiche wollen: eine vermeintlich unübersichtliche und ausufernde Flut von Textmaterial methodisch handhabbar zu machen, ohne darüber das Prinzip der Offenheit qualitativer Forschungen zu verletzen 23 Die Mitarbeiter aus Schwerin und Dormagen nutzen das Arbeitsblatt nachträglich zur Selbstevaluation.
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(vgl. hierzu auch Kruse 2008: 104). Gleiches gilt, wenn man in recht kurzer Zeit, Ergebnisse in die Praxis zurückmelden will, wie es nun einmal bei Evaluationsforschungen der Fall ist. Kuckartz et al. (2007) haben in ihrem Beitrag zur qualitativen Evaluation an einem Anwendungsbeispiel versucht zu zeigen, dass die Ansprüche der qualitativen Forschung durchaus eingehalten werden können, wenngleich ihr Vorgehen nicht für die Anwendung rekonstruktiver Verfahren genutzt werden kann. Und auch Lüders (2006) und Flick (2006) werfen die Diskussion auf, dass man über Abkürzungsstrategien 24 der Datenerhebung und -analyse nachdenken muss, will man den Zielen und Zwecken von qualitativen Evaluationen gerecht werden. »Die reine Lehre vieler zeitaufwendiger qualitativer Verfahren (z.B. narrative Interviews, Sequenzanalyse, objektive Hermeneutik, theoretisches Kodieren) ist offenkundig in der Drittmittelforschung« und im Rahmen von qualifizierenden Evaluationsforschungsprojekten »nicht [vollständig; K. B.] umzusetzen. Es gibt einen Druck in Richtung Pragmatik« (Kuckartz 2006: 279). Diesem ›Druck‹ hielt ich stand, indem ich zeitlich aufeinander aufbauende Analyseschritte verwendete. • Zuerst übertrug ich meine Feldnotizen aus den freien teilnehmenden Beobachtungen ebenso wie die im Feld erhaltenen Konzeptions-, Arbeitsund Sachstandspapiere, die ich hierfür entweder extra digitalisierte oder die mir bereits in entsprechender Formatierung vorlagen, in das Analyse-Programm MAXQDA 2007. • In einem ersten Durchgang kodierte ich das so aufbereitete Datenmaterial sequentiell und sinneinheitsweise in Anlehnung an Strauss/Corbin (1996) in einer offenen Analyseprozedur (offenes Kodieren), • um im Anschluss daran die vorliegenden Kodes zu Erstkategorien zusammenzuführen (axiales Kodieren). • Dabei folgte ich dem paradigmatischen Modell der Grounded Theory (Strauss/Corbin 1996: 78ff.), um mich dem Phänomen des professionellorganisationalen Umgangs mit Fehlern schrittweise anzunähern. Ich stellte also W-Fragen an das Datenmaterial und versuchte die ursächlichen Bedingungen für den aktuell-spezifischen professionell-organisationalen Umgang mit Fehlern, den Kontext, die intervenierenden Bedingungen, die Handlungs- und interaktionalen Strategien sowie die daraus resultierenden Konsequenzen in meinen qualitativen Daten zu finden.
24 Flick (2006: 22) betont, dass man unter dem Begriff der Abkürzungsstrategien, nicht eine »verkürzte oder fehlerhafte Anwendung von Methoden« sehen darf, sondern, dass es erforderlich ist, zu klären, wie man trotz des pragmatischen Drucks qualitativer Evaluationsforschungsprojekte eine gehaltvolle methodische Adaption leisten kann.
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Ich machte aber zwei zeitlich bewusst eingeplante ›Analyse-Zwischenstopps‹25, um die Zwischenergebnisse in ihrer jeweiligen noch unvollständigen Art mit Hilfe der von mir vorgesehenen dialogischen Feedbackschleifen an die Stakeholder/Evaluanden zurückzumelden und zu vertiefen – bei den Focus Groups und Praxisworkshops. In einem zweiten Schritt kodierte ich die von mir teilweise selbständig und ausnahmslos vollständig transkribierten26 und auf MAXQDA 2007 übertragenen Experteninterviews und Focus Groups wiederum sequenziell und sinneinheitsbezogen; diesmal jedoch bereits mit einem ersten vagen Kategoriensystem. Mit anderen Worten: Ich verfügte durch meine Erstanalysen bereits über eine kategorienorientierte Leseheuristik, blieb aber dennoch offen für neue Erkenntnisse, indem ich meine Überlegungen und Kodierungen im professions- und disziplinübergreifenden Online-Gruppen-Kontext der NetzWerkstatt (vgl. http://www.qualitativeforschung.de/netzwerkstatt/, zuletzt geprüft am 11.03.2009, Moritz 2009) und in anderen mir zugänglichen Forschungskolloquien zur Diskussion stellte und Hinweise zur weiteren Analyse des Datenmaterials sammelte. Zusätzlich verfasste ich in regelmäßigen Abständen metaevaluative Evaluationsforschungsmemos, führte also eigenständig reflexiv verschriftlichte Evaluationsforschungsprozessanalysen durch und versuchte damit vorschnelle Schlussfolgerungen zu vermeiden. Hierfür nahm ich mir eine der wichtigsten dialogischen Grundhaltungen zu Herzen: das ›Suspendieren‹. »Suspendieren heißt, auftauchende Gedanken und Gefühle zur Kenntnis zu nehmen und zu beobachten, ohne zwangsläufig danach handeln zu müssen.« (Isaacs 2002: 123) […] Es ist, um »mit anderen Worten« zu sprechen: »die Kunst, Abstand zu gewinnen und zu einer anderen Perspektive zu finden« (ebd.). Indem man sein eigenes Relevanzsystem und seine eigenen scheinbar überzeugenden Deutungsimpluse durch eine selbstreflexiv-kritische Haltung permanent zurückstellt und den Analyseprozess gezielt verlangsamt (vgl. Kruse 2008: 109f.). So gelang es mir, mich sowohl vor einer zu starken Überidentifizierung mit dem Forschungsfeld aufgrund des dialogisch-partizipativen Vorgehens und meiner berufsbedingten Nähe27 zum organisationalen Professionsfeld als auch vor allzu übereilten Evaluationsforschungsergebnissen zu schützen. Um sonstige Leseroutinen zu vermeiden, analysierte ich zudem jeweils abwechselnd die qualitativen Daten aus den Jugendämtern der Städte
25 Natürlich geht die Analyse dennoch immer weiter. Sie hört nicht einfach so auf, weil man sein Nachdenken und seine forschende Haltung nicht einfach auf Knopfdruck abstellen kann. 26 Die Interviews und Focus Groups wurden entsprechend der Anregungen von Kuckartz et al. (2007: 27) transkribiert. 27 Bin ich doch selbst ausgebildeter Diplom-Sozialarbeiter/Sozialpädagoge.
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Schwerin und Dormagen. Diese weitere Methode des ›kontrollierten Fremdverstehens‹ konnte ich jedoch erst in Gänze vollziehen, als mir durchgängig die erhobenen Experteninterviews und Focus Groups in Transkriptionsform zur Verfügung standen. Nach der theoretisch angelehnten Kodierung der Experteninterviews und Focus Groups setzte ich die Kodes abermals miteinander in Beziehung; generierte das Datenmaterial also im Wechselspiel zwischen offenem, axialem und selektivem Kodieren und der damit einhergehenden Anfertigung von Memos und der sukzessiven Verdichtung, Zusammenführung und ersten Theoretisierung des gesamten mir vorliegenden Datenmaterials. Um es zu verdeutlichen: Die Protokollnotizen, verschriftlichten Tagebuchgedanken, die in Betracht gezogenen Dokumente und Interviewund Focus-Groups-Transkripte wurden allmählich Kodes bzw. Konzepten zugeordnet, die wiederum miteinander in Verbindung gesetzt worden sind, um daraus übergeordnete Kategorien ableiten zu können. Hierfür wurden an die zur Verfügung stehenden Daten immer wieder forschende Fragen gestellt, um Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Das Ausgangsmaterial wurde also sinngemäß ›aufgebrochen‹ und ›durchsiebt‹ und hinsichtlich der leitenden evaluativen Untersuchungsfragen kodebasiert analysiert.
Flick (2007: 402ff.) nennt ein solches, an dem Verfahren des theoretische Kodierens von Strauss/Corbin (1996) orientiertes Vorgehen, das vor allem für vergleichende Studien, mit vorab festgelegten und nicht theoretisch gesampelten Gruppen genutzt werden kann, thematisches Kodieren – wenngleich ich im Gegensatz zu Flicks Vorschlag dieses Vorgehen nicht für Gruppen, sondern für Organisationen genutzt habe, die freilich auch aus sozialen Gruppen bestehen. So habe ich ebenfalls zuerst fallbezogene Analysen bei den Jugendämtern der Städte Schwerin und Dormagen durchgeführt, um dann in einem anschließenden Schritt fallübergreifende Analysen vornehmen zu können. Zusätzlich habe ich gestützt auf die Auswertungsmethode der integrativen, texthermeneutischen Interviewanalyse (vgl. Helfferich/Kruse 2007, Kruse 2008: 112ff.) auf die Aufmerksamkeitsebenen • der Interaktion im teilnehmenden Beobachtungs- und Interviewprozess, • der Semantik und damit verbundener Besonderheiten in der Sprachwahl und der Metaphorik (vgl. hierzu auch Lakoff/Johnson 2003, Schmitt 2003, Kruse/Biesel/Schmieder 2011) und • der Erzählfiguren/Gesamtgestalt der Erzählungen, die in sich geschlossenen und immer wieder auftauchenden Motive und Thematisierungsregeln, innerhalb der teilnehmenden Beobachtungen, Experteninterviews, Focus Groups und Praxisworkshops geachtet. Ziel war es, mit Hilfe dieser semiotischen Aufmerksamkeitsebenen offen in den Auswertungsprozess gehen zu können, selbst, als schon einige Hauptka-
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tegorien – organisationskulturelle Thematisierungsfelder28 – herausgearbeitet worden waren und sich der Blick auf das Datenmaterial zu verengen drohte; kurzum: sensibel für neue Entdeckungen zu bleiben. Aus diesem Prozess der kode- und auf aufmerksamkeitsbasierten Datenaufbereitung ergaben sich dann die sukzessiv entwickelten und miteinander in Beziehung stehenden und im Ergebnisteil der Arbeit vertieft dargestellten organisationskulturellen Thematisierungsfelder. Diese Thematisierungsfelder sind nicht frei von organisationskulturellen Verzerrungen. Denn, und darauf hat Edgar Schein (2003b) in seinem Beitrag zur Prozessberatung hingewiesen, ob man will oder nicht: Die Evaluanden/Stakeholder erzählen das, was sie erzählen wollen, beschönigen das, was sie beschönigen wollen, und dramatisieren das, was sie dramatisieren wollen. »Oder die Befragten betrachten das Interview, die Umfrage oder den Test als Übergriff in ihren Privatbereich und antworten entweder nur so knapp wie möglich oder das, was man ihrer Ansicht nach von ihnen erwartet oder was sie für sicher halten« (ebd.: 32). Nicht von ungefähr habe ich deshalb versucht, ein evaluatives Vertrauensverhältnis aufzubauen. Aber, ob mir dies schlussendlich gelungen ist, wissen nur die Evaluanden/Stakeholder selbst.
28 Kruse (2008: 117ff.) schlägt in seinem mit Cornelia Helfferich (vgl. Helfferich/Kruse 2007) entwickelten Verfahren der integrativen, texthermeneutischen Analysemethode vor, auf die zentralen Motive, auf sich wiederholende Argumentationen, Äußerungen, Figuren und Modelle zu achten ebenso wie auf Thematisierungsregeln, also auf das, was wie ausführlich versprachlicht und nicht versprachlicht wird (Thematisierungsgrenzen). Angelehnt an diese Ausführungen verwende ich den Begriff Thematisierungsfelder, organisationelle und professionelle Themen also, über die freizügig berichtet wird und die in den Grenzbereich der als selbstverständlich angesehenen Nichtthematisierung fallen und um die die zentralen semantisch geäußerten und ersichtlichen Motive immer wieder kreisen.
6. Evaluations- und Fehlerforschungsergebnisse: zentrale Thematisierungsfelder
»Organisationale Untersuchungen sind fast zwangsläufig ein politischer Prozeß […]. Der Versuch, die Ursachen eines Systemausfalls zu finden, ist unweigerlich ein bewußter Test der Loyalität gegenüber der eigenen Untergruppe und eine Gelegenheit, Schuld oder Lob zuzuweisen. Eine solche Untersuchung löst wahrscheinlich vertraute Spiele aus wie etwa Schuldzuweisungen und -vermeidungen, die Ausübung und Vermeidung von Kontrolle sowie den Versuch, Ansehen zu gewinnen und zu verhindern, daß andere Ansehen gewinnen. Im Rahmen solcher Spiele behindern Täuschungsstrategien, präventive Vorwürfe, Obstruktionen, Vernebelung und Vertuschung – einschließlich der Vertuschung gerade dieser Strategien – häufig die Untersuchung der Ursachen von Ereignissen in Organisationen und die Urteile der beteiligten Akteure.« (CHRIS ARGYRIS/ DONALD A. SCHÖN 2006: 63)
Die Auswertung der mir zur Verfügung stehenden Datenbasis hat ein mehrschichtiges und verdichtetes Bild der Jugendämter der Städte Schwerin und Dormagen entstehen lassen. Einschränkend muss dennoch gesehen werden, dass nur ein erster Schritt in Richtung auf eine differenzierte Evaluationsforschung möglich war. Möglicherweise wäre es noch aufschlussreicher gewesen, die gesamte Stadtverwaltung und die politisch Verantwortlichen mit in das Sample aufzunehmen, um die wichtigsten Entscheidungsträger der bei-
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den Städte gemeinsam mit den Fachkräften der Jugendämter bei der Evaluation einzubeziehen. Dies war jedoch als Einzelforscher nicht möglich. Aber sicher wären die Ergebnisse noch konkreter und vielschichtiger ausgefallen, wenn die nur indirekt und/oder als Leitungskräfte nicht am Evaluationsforschungsgeschehen beteiligten Personen zusammen mit den sozialen Fachkräften des ASD sich Gedanken zu ihrem eigenen Umgang mit Fehlern gemacht hätten. Im Rahmen der Untersuchung ist deutlich geworden: Es verlangt eine gehörige Portion Mut von den sozialen Fachkräften und deren Leitungskräften, sich nach einem massiv öffentlich skandalisierten Kinderschutzfall einer qualitativen Evaluationsforschung zu stellen und einen Fremdevaluator hinter die Kulissen eines Jugendamtes schauen zu lassen. Schließlich kommen dabei auch die unbequemen und bislang ungesehenen ›Wahrheiten‹ auf den Tisch, die dann eventuell sogar mehr Widerstände auslösen, als dass sie zur Qualitätsentwicklung und -sicherung beitragen. Dies ist freilich nicht das Ziel dieser Arbeit gewesen. Man muss sich jedoch klar machen: »[E]ntscheidend bei alledem ist, dass diejenigen, die evaluieren, es nicht in der Hand haben, wie ihre Ergebnisse genutzt werden. […] Vor allem können sie es nicht steuern« (Lüders 2006: 43, Herv. i. Org.). Mit der Darlegung meines dialogisch-partizipatorischen Evaluationsansatz habe ich versucht zu verdeutlichen: Alles unterliegt der sozialen Konstruktion, ist begrenzt in dem, was man glaubt, verstanden und erforscht zu haben, und in dem, was im Fremden strukturell unerkannt und unverstanden bleibt. Denn »Fremdverstehen ist […] grundsätzlich eine Deutung von Fremdem. Aber es bleibt stets eine Selbstdeutung, eine Selbstauslegung, da wir eben nur mit unserem Relevanzsystem verstehen können. […] Verstehen ist somit immer nur als eine relative Annäherung aufgrund von Idealisierungen und von praktischen Aushandlungen sowie akzeptierten kommunikativen Basisregeln möglich« (Kruse 2008: 23).
Ich biete demnach eine mögliche Lesart der von mir ausgewerteten Daten an; eine Wirklichkeitsversion unter vielen, die jedoch mit den daran beteiligten Stakeholdern bzw. Evaluanden dialogisiert und ausgehandelt worden ist. Und dennoch ist der Dialog etwas anderes, als die von mir zu Papier gebrachte Sprache des Forschers. In einem radikaleren Sinne hätten die Beteiligten und Betroffenen des Evaluationsforschungsprojektes an diesem nun in Schriftform vorliegenden Ergebnisteil mitschreiben müssen.
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6.1 D ER U MGANG MIT F EHLERN IM J UGENDAMT DER S TADT S CHWERIN Die dialogisch-partizipativen Analyseschritte haben folgende, eng miteinander in Beziehung stehende Thematisierungsfelder des Jugendamtes Schwerin im Umgang mit Fehlern zum Vorschein kommen lassen: (1.) Jugendamt als Exot, (2.) engagiert Verzweifelte, (3.) Fall- und Zeitdruck, (4.) öffentliche Hinrichtungen, Überskandalisierungen und Bauernopfer, (5.) gravierende, dramatische, extreme, tragische und schwerwiegende Fehler, (6.) kollegiale und auf Selbstschutz bedachte Zusammenarbeit. Mit diesen Thematisierungsfeldern im Blick – Themen, die immer wieder von den Evaluanden/Stakeholdern beobachtet und angesprochen wurden – werden nun die zentralen Evaluationsforschungsergebnisse vorgestellt und weiter vertieft. 6.1.1 Thematisierungsfeld: Jugendamt als Exot Als ich im August 2008 für zehn Tage im Jugendamt der Stadt Schwerin als forschender Praxisbegleiter tätig wurde, bot sich mir ein Bild diffuser Offenheit, das allerdings hintergründig von Angst geprägt war. Vor allem ging es dabei um eine Angst davor, was ich als Fremdevaluator eventuell herausfinden, was ich für Fehler sehen würde. Die sozialen Fachkräfte des ASD1 waren deshalb zuerst einmal skeptisch eingestellt, und es entwickelte sich nur schrittweise ein Vertrauen zu mir als Forscher. Sie mussten für sich klären: Ob es überhaupt Sinn ergeben würde, Fehler offen anzusprechen, die mitunter lange Zeit im Jugendamt und von der Verwaltungsspitze nicht gehört worden waren. Nicht von ungefähr wurde das Jugendamt während meiner Evaluationsforschungstätigkeit mehrfach als ›Exot‹ bezeichnet, als ein Amt, das nicht in das Bild der Gesamtverwaltung passe. Exoten sind außergewöhnliche, fremd anmutende Menschen, die von den anderen, den Einheimischen, nicht verstanden werden. Das Wort ›Exotiker‹ kommt aus dem Lateinischen (›exoticus‹) und bedeutet so viel wie ›der Ausländische‹. Das Jugendamt kann insofern als ein Amt verstanden werden, das sich fremd im eigenen Haus fühlt und andere ›befremdet‹ – als etwas ›Fremdes‹ erscheint –, als unverstandene und zum Teil ungeliebte Einrichtung. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass seit dem Fall LeaSophie – im November 2007 – auf der Leitungsebene die Stelleninhaber rotierten und die Amtsbezeichnungen dabei ständig ausgetauscht und geändert wurden – wohlgemerkt ohne Rücksprache mit den davon betroffenen Mitarbeitern. Den Sozialarbeitern wird eine ›Exotenrolle‹ zugeschrieben. Sie werden als ›Quacksalber‹, nur als ›halbe Verwaltungsmenschen‹ angesehen.
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In Schwerin heißt der ›ASD‹ ›Sozialpädagogischer Dienst‹.
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Jedenfalls denken und empfinden sie es so. Eine soziale Fachkraft sagt dazu2: »Die Stärke (1) eines Jugendamtes oder dieses Jugendamtes (.) war es oder ist es, dass, also ihre Stärke ist die Kommunikationsfähigkeit. […] Dieses Kommunizieren, dieses (1) Konflikte, (1) wahrnehmen, (.) Konflikte kommunizieren, Konflikte austragen, (.) das ist ja eigentlich eine riesige Stärke (.) ist halt die Professionalität (.) der Sozialarbeit, also auch Beziehungen, also auch dieses (.) Beziehungen aufnehmen können, also auch (.) zu erkennen, dass, (1) dass es Menschen sind. Wir denken hier nicht von Maschinen, sondern wir reden von Menschen. […] Wenn man das also anerkennen würde, dass das also wichtig ist, (1) nicht nur für ein Jugendamt sondern für eine Gesamtverwaltung, (1), dann wäre das ein unglaubliches Pfund, das das Jugendamt mit einbringen kann. (3) Diese, also wenn man das als Stärke erkennen würde. Weil ich glaube, dass es wiederum die Stärke, die das Jugendamt hat, ist die Schwäche vieler anderer Teile (1) der Verwaltung, dass sie genau diese Erkenntnis nicht haben und es als (.) Sozialarbeitergetue (.) abtun. Und so damit Sozialarbeiter eher in eine Ecke stellen, (1) naja, sie macht alles irgendwie, aber nichts richtig, (.) und das ist sozusagen, es ist also auch nicht hinreichend geklärt, was eigentlich Sozialarbeit ist, (1) und das ist die Stärke. (2) Die Schwäche dieses Jugendamtes ist es, (.) dass es wirklich eine isolierte, dass es wirklich (.) isoliert ist, (.) dass es also so ein, (2) vielleicht auch geschichtlich bedingt durch diese Regionalbüros und so, die waren also alle irgendwie außen vor, und sich nicht als Teil des, der, (.) der, der Stadtverwaltung (.) begreifen. […] Sie betrachten sich auch als Exoten, (2) was schade ist, dass also (.) oder sie. Ich sag mal, wir (1) uns als Exoten verstehen. (2) Das ist, glaube ich, eine Schwäche, weil dadurch (.) vertun wir uns (1) die Chance, uns da wirklich, also in die Gesamtverwaltung einzubringen, [mhm] (3) würde ich sagen, [mhm] (1) um das also eher allgemeiner zu halten.« (I10a:44)
Hier wird ersichtlich, wie es aufgrund von räumlichen Trennungen im Zuge der politischen Neuordnung Sozialer Dienste im Jahr 1997 und des Tätigwerdens der sozialen Fachkräfte in unterschiedlichen Regionalbüros gemeinsam mit Fachkräften des Sozialamtes zu eigenen organisationssubkulturellen Herausbildungen gekommen ist; zu Abstandsidentifikationen und zu Anstellungsentfernungen gegenüber der Stadt als Arbeitgeber – zu wechsel2
Die verschriftlichten Interviews werden entsprechend der von Kuckartz et al. (2007: 27) vorgeschlagenen Transkriptionsregeln dargestellt. D. h. Sie sind wörtlich transkribiert und sprachlich geglättet. Pausen sind mit einer Klammer und der jeweiligen Länge in Sekunden angegeben. Besonders akzentuierte Wörter mit einer Unterstreichung hervorgehoben.
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seitig sich bedingenden Isolationsbewegungen. Die Fachkräfte haben sich auf diese Weise mit und in ihrer Rolle als Exoten arrangiert. Sie sind zufrieden damit, nicht als Verwaltungsfachangestellte betrachtet zu werden. Sie ›sonnen‹ sich sogar in ihrem »Sozialarbeitergetue«, in ihrer Fähigkeit, Konflikte kommunikativ managen und soziale Beziehungen eingehen zu können. Anstatt ihre professionellen Kompetenzen in die Gesamtverwaltung gestalterisch einzubringen und zu erklären: was für sie Soziale Arbeit ist. Viele soziale Fachkräfte haben mir als Forscher gegenüber im August 2008 deshalb auch immer wieder betont, wie qualitativ hochwertig, wie professionell die Arbeit früher in den Regionalbüros gewesen sei, wie nah man an den Menschen gewesen sei, wie frei der professionelle Handlungsradius und wie kurz die Wege gewesen seien, um unkompliziert und unbürokratisch selbständig helfen zu können. Mit dieser Erfahrung der professionellen Handlungsfreiheit ging allerdings offenbar auch eine innere Entfremdung gegenüber den anderen Mitarbeitern der Gesamtverwaltung einher. Man empfand sich nicht mehr zugehörig zur Stadtverwaltung; und erlebte sich vermutlich noch nicht einmal wirklich organisational angeschlossen, was der inneren Empfindung des Exotenseins einen immensen Auftrieb gab, und zwar auf beiden Seiten: bei den sozialen Fachkräften als ›halbe Verwaltungsmenschen‹ und bei den Verwaltungsangestellten, die keinen sicheren kommunikativen Zugang mehr zu den sozialen Fachkräften hatten. Dieser Zustand der gegenseitigen Isolation wiederum verbesserte sich auch nicht nach Auflösung der Regionalbüros im Jahr 2003. Er blieb bestehen und verschärfte sich bei den sozialen Fachkräften durch die Nichtbeachtung professioneller Erfordernisse Sozialer Arbeit, mit jenem Tage, als die sogenannte ›Standardreduzierung als Struktur- und Entscheidungsprinzip‹ politisch durchgesetzt wurde. So ist es auch nicht erstaunlich, dass das Jugendamt seit der politischen Neuordnung und Regionalisierung der sozialen Dienste (NOSD) in der Stadt Schwerin (vgl. Drucksache 078797 1997) und der plötzlichen Beendigung dieser Strukturreform im Jahr 2003 keine fest verankerte konzeptionelle Handlungsgrundlage mehr hatte als: die Standards zu reduzieren und Ressourcen zu optimieren und zu bündeln; weg von der Regionalisierung, hin zur Zentralisierung und der damit verbundenen Hoffnung einer grundlegenden Kostenersparnis. Dadurch wurde die Fachlichkeit der Mitarbeiter der sozialpädagogischen Teams jedoch maßgeblich eingeschränkt. Wesentlich für diese Entwicklung war: • die Begrenzung einer unterstützenden und vernetzenden Sozialraumarbeit, • eine tariflich bedingte Reduzierung der Arbeitszeit ohne Neueinstellungskompensation, • der Versuch einer ständigen öffentlichen Erreichbarkeit, die mit den zur Verfügung stehenden Mitarbeitern allerdings zeitlich nicht abzusichern war, sowie
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der damit verbundene Abbau von Systemen reflexiven Hinterfragens professionell-organisationeller Routinen (z.B. verbindlicher Supervisionen, Weiterbildungen und interorganisational unterstützender Kooperationen).
All dies zusammen genommen führte zum organisationalen Exotenstatus des Jugendamtes in der Gesamtverwaltung und zu einem Übersehen, ja Verleugnen der Probleme des ASD. Denn obwohl bekannt war, dass die Fachstandards nur bis zu einem bestimmten neuralgischen Punkt reduziert werden können, und obwohl die Mitarbeiter auf das Überschreiten dieses Punktes mehrfach hingewiesen haben, wurde dieser neuralgische Punkt überschritten und war auch im August 2008 – zehn Monate nach dem Fall LeaSophie – noch längst nicht entschärft worden. Das Jugendamt wurde nämlich zur Zeit meiner freien teilnehmenden Beobachtungen im August 2008 nicht selbstverständlich als professionelle Organisation der Stadtverwaltung betrachtet, ebenso, wie die Fachkräfte selbst sich nicht als Teil des Ganzen verstanden, weshalb sie sich überwiegend von der Gesamtverwaltung, aber auch von der örtlichen Politik, im Stich gelassen fühlten. Sie konnten es beispielsweise nicht nachvollziehen, dass auf Überlastungsanzeigen von einzelnen Mitarbeitern trotz des Falles Lea-Sophie nur schleppend reagiert wurde und der Kinderschutz zwar im Fokus der Aufmerksamkeit stand, aber dass man sich in der Breite immer noch nicht substantiell und ausreichend über kinder- und jugendhilferelevante Themen austauschte. Jede Fachkraft musste demnach selbst sehen, wie die gesteigerten Anforderungen an eine bessere Kinderschutzarbeit vom eigenen Arbeitsplatz aus allein und nur mit Unterstützung des Teams erfüllt werden konnten. Ein wirkliches Interesse an Themen der Kinder- und Jugendhilfe war auf den Führungsetagen und bei den politisch Verantwortlichen nach Ansicht der sozialen Fachkräfte nicht zu erkennen. Jedenfalls äußerten dies viele Mitarbeiter bzw. berichteten sie, dass sie darüber mit ihren mittelbaren Vorgesetzten noch nicht einmal hatten sprechen können. In diesem Zusammenhang wurde auch oft über den »blinden Aktionismus« der Stadtverwaltung gesprochen, über die »Dominanz des kurzfristigen Denkens« und des »konzeptionslosen Agierens« und die Erkenntnis, dass das Jugendamt selbst vermutlich nur zu einem »Brennglas« einer generellen politischen und verwaltungsinternen Krise der Stadt Schwerin geworden sei. Wenn in letzter Zeit Lösungen beschlossen worden seien, dann nur, um »Schnellschüsse« für die Öffentlichkeit zu produzieren, und nicht, um einen umfassende Neuausrichtung der Kinder- und Jugendhilfepolitik in der Stadt Schwerin in Angriff zu nehmen, so lautete der Tenor der Fachkräfte. Eine Interviewpassage erläutert diese Sichtweise: Interviewer: »Mhm (.) und welchen Stellenwert haben Fehler (.) hier im Jugendamt? (6) Oder wie geht man hiermit um, (1) noch einmal so (.) nicht nur
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in den Teams, sondern, wenn man einmal das Jugendamt als Organisation (3) nimmt?« Interviewperson: »(8) Also insgesamt, ich weiß, es ist schwierig, (2) schwierig einzuschätzen. ((husten)) Ich würde schon sagen, dass, im Grunde wird es ignoriert, auch, also es wird nicht damit gearbeitet, (1) also es wird darauf nicht reagiert, auf (.) Fehler. (1) Ein gutes Wortspiel fand ich ja dieses Strategiepapier, dieses Papier, was Sie da gestern am Wickel hatten. (.) Dass z.B., da die Veränderung vom Jugendamt. (.) Also da ist jetzt, aus dem Amt wird jetzt das oder Regionalisierung wird aufgehoben und es wird jetzt das gemacht. (1) Dann wird das (1) als Erstes also dann wird es nicht so dargestellt: (.) Wir haben das probiert mit der Regionalisierung, und aus den und den Gründen lief das nicht (.) und deswegen machen wir das jetzt anders, (1) sondern (.) es wird dann gesagt: (.) weil es jetzt, (.) wir machen das jetzt nun noch besser, also vorher war es auch gut, (1) wir machen es jetzt aber noch besser und deswegen (.) nennen wir das Amt jetzt anders z.B. (1) also so. (1) Das ist mehr so die typische (.) Herangehensweise. (.) Na ja es sind Verwaltungssachen.« (I11a: 37-38)
Hieran wir deutlich, dass neue konzeptionelle Wege kaum mit den Mitarbeitern reflektiert worden sind. Sie wurden stattdessen einfach bürokratisch durchgesetzt bzw. regelrecht ›militärisch‹ angeordnet. Lediglich bei der Neuorganisation der Sozialen Dienste waren die Mitarbeiter mit in das ›Boot‹ konzeptioneller Weiterentwicklung genommen worden. Hier war ihre Meinung gefragt, und sie konnten sich mit ihrem Wissen und Können einbringen. Aber nach der Rückumstellung von der Regionalisierung zur Zentralisierung wurde eine solche Beteiligung ausgeblendet und nicht mehr zugelassen. Vielmehr wurde ein anderes ›Bild‹ bevorzugt herausgestellt, jenes der perfekt bürokratisch organisierten und fehlerfreien Verwaltung, die weiß, was sie tut, und die es nicht nötig hat, auf die professionellen Wissensbestände der sozialen Fachkräfte des Jugendamtes zurückzugreifen. Ein Lernen aus Fehlern fand mit dieser organisationalen Nichtbeteiligungsstrategie, mit diesem Nichtthematisieren abgebrochener Reformprozesse und handlungsleitender Aktivitätsmuster nicht statt. Und dann zählte mehr, was einzelne Mitarbeiter für die nachträgliche Erklärung und Rechtfertigung von unabgestimmten Entscheidungen zu Papier brachten (vgl. Argyris/Schön 2006), als das, was in der Praxis des ASD tatsächlich vor sich ging. So wird verständlich, dass nur bedingt mit den sozialen Fachkräften des Jugendamtes und des ASD gemeinsam vereinbarte und visionäre kinderund jugendhilfepolitische Zielstellungen verabredet wurden. Oder anders gesagt: Es fand – und dies ist jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Durchführung meiner Untersuchung in den Jahren 2008 und 2009 so gewesen – kein organisierter Austausch mit den Bürgern, der Politik, den Mitarbeitern der weiteren Kooperationspartner darüber statt, was der ASD und das gesamte
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Jugendamt in Schwerin konkret leisten soll und leisten kann. Es fehlte schlichtweg eine gemeinsam geteilte und entwickelte konzeptionelle Grundlage. Die Rolle des Jugendhilfeausschusses ist mir allerdings aufgrund meines Evaluationszugangs, was diesen Punkt anbelangt, unklar geblieben, obwohl mir mehrmals berichtet worden war, dass es in der Gesamtverwaltung scheinbar zu gegenseitigen ›Erpressungen‹ gekommen sei und dass das Jugendamt als professionelle Verwaltungsorganisation sich also mit seiner fachlichen Einschätzung und Bewertung der Gesamtkonzeption der Stadtverwaltung und der Politik – ›Standardreduzierung als Struktur- und Entscheidungsprinzip‹ – hätte unterordnen müssen, auch als seit spätestens Dezember 2006 bekannt war, wie akut die Überlastungen der einzelnen Mitarbeiter gewesen war, die deutlich darauf hingewiesen hatten, dass unter solchen personellen und organisatorischen Bedingungen (Absenkung der Arbeitszeit, Ausweitung der Öffnungszeiten, aufgrund von Krankheit brachliegende Bereiche, unverbindliche Supervisions- und Weiterbildungsangebote, unzureichende Beratungsräume, keine Dienstfahrzeuge etc.) schwerwiegende Fehler in der fallbezogenen Kinderschutzarbeit nicht zu vermeiden wären. Diese Sachstandsmeldungen (vgl. Arbeitssituationsdarstellungen SpD 1 2006, 2007 2008a, 2008b; Arbeitssituationsdarstellungen SpD 2 2006, 2007, 2008a, 2008b) wurden nicht ernst genommen, sondern verschleiert, verschwiegen und nicht ausreichend überprüft. So gesehen wurde die ›Dauerüberlastung‹ von der Verwaltungsspitze und dem Kinder- und Jugendhilfeausschuss allem Anschein nach als ›Nichtproblem‹ verstanden und damit nicht ernst genommen. Eine Fachkraft schildert diese Entwicklung in einem Interviewausschnitt wie folgt: Interviewer: »Haben Sie eine Idee, (3) [also] bezogen jetzt so auf (2) Anbindung Jugendamt Stadtverwaltung, (.) welche Fehler würden Sie da (3) sehen?« Interviewperson: »(2) [D]ass, ähm, (2) bezogen auf das Jugendamt würd ich die Fehler sehen, also einmal, dass das Jugendamt, (.) das ist aber nicht bezogen auf das Jugendamt, sondern auf alle Ämter, nicht, dass die Ämter nicht ein Teil der Stadtverwaltung, (1) als Teil der Stadtverwaltung betrachtet werden, (.) und das Jugendamt im Besonderen (.) mit seinen spezifischen (.) Aufgaben (1) bislang (2) nicht nur zu wenig, sondern keinerlei Beachtung geschenkt wurde. […] Ja und dann glaube ich, dass ein Riesenfehler ist die gesamte Personalpolitik in der Stadtverwaltung. (.) Nicht nur bezogen auf das Amt, (.) aber im Besonderen auch bezogen auf das Amt. Also dass (.) es hier, das halte ich wirklich für einen Fehler, das ist, äh, (2) das Thema Personalentwicklung, (2) äh, wohl (1) benannt ist, dass es ein Thema ist, es wird aber seit (1) Mitte der neunziger Jahre in keinster Weise (.) in Angriff genommen, gelebt. Es gibt (.) ein Rahmenkonzept (1) […], dass also das Papier
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nicht Wert ist. Also (1) Investitionen (.) investieren in das Personal. Damit mein ich nicht Geld, sondern wirklich also auch also tatsächlich in das Personal investieren, (1) äh, ist ein Riesenfehler, dass das in dieser Stadtverwaltung bislang nicht (1) als Schwerpunkt (.) gesehen wurde. Diese Stadt hat kein Leitbild. Diese Stadt hat also keine gemeinsame Philosophie, keine gemeinsame Strategie […], also diese ganzen Dinge, (2) die von (.) aus meiner Sicht, (1) äh, notwendig sind, (1) um so ein Unternehmen ((lacht)) am Laufen zu halten, (1) äh, sind hier (2) kein Bestandteil (2) der Auseinandersetzung […]. Fehler davon (.) ist letztlich auch das Jugendamt, (1) hab ich ja schon mal gesagt, das Jugendamt ist nur Symptomträger (.) dieser st- (1) ich sag jetzt mal wirklich dieser, dieser, ja dieser, ich will nicht sagen kranken Stadtverwaltung, dass wär vielleicht zu viel, aber dieser (.) doch (2) gestörten Stadtverwaltung […]. Mitarbeiter reinzustecken (.) sie in Einzelzimmer zu setzen und sie mit Anrufbeantwortern versorgen, ist für mich (1) Pflaster auf die Wunde (.) Das ist in Ordnung. Das muss auch sein, damit die Mitarbeiter auch spüren: (.) Wir werden hier wahrgenommen, unsere Rahmenbedingungen müssen sich ändern, (1) aber wenn das andere, alles, was ich sagte, (1) nicht im, wenn das nicht im Gesamtpaket gesehen wird, (1) wird das hier noch eine ganze Zeit (.) ein, (.) äh, (2) ja ein (1) krankes Jugendamt sein […].« (I10a:37-38)
Diese auf eine Standardreduzierung hinauslaufende Entwicklung lässt sich auch daran festmachen, dass im Jugendamt der Stadt Schwerin – wenigstens zum Untersuchungszeitpunkt – keine Gesamtphilosophie, kein umfassendes und längerfristig angelegtes Personal- und Weiterbildungskonzept vorhanden war, und wenn, dann nur in Ansätzen und in Abhängigkeit davon, wie die Haushaltssituation sich gestaltete. Damit jedoch wurde verhindert, dass Mitarbeiter sich in der Ausübung ihrer Arbeit leidenschaftlich engagieren und sich innerhalb des Jugendamtes als Gesamtpersönlichkeit weiterentwickeln konnten. Das Jugendamt nahm als Fachbehörde dabei ebenso Schaden, weil es sich selbst nicht weiter entfalten konnte und Fachkräfte ›beherbergte‹, die ihren Beruf nicht als Berufung, sondern als Ballast empfanden und ihre bürokratischen Organisations- und Praxisbedingungen als feindliche und nicht als sie unterstützende Umwelten wahrnahmen. Das Jugendamt war jedoch lediglich der Symptomträger für eine »erkrankte und gestörte Stadtverwaltung«, die noch nicht das Medikament und ein hierarchieübergreifendes und zusammenarbeitendes Ärzte- und Psychologenteam für ihre grundsätzliche Heilung gefunden hatte. Stattdessen wurden lediglich Trostpflaster verteilt, wurden die Wunden der Mitarbeiter unter unerträglichen Lazarettbedingungen geflickt, die bereits seit Jahren chronisch offen, aber nicht mehr zu verschließen waren. Das Symptom war zwar erkannt, aber noch lange nicht gebannt. In der Folge sehen sich die sozialen Fachkräfte aufgrund ihrer exotischen und zur Störung und Krankheit mutierenden Stellung selbst nicht
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mehr als Angehörige und Angestellte der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Schwerin. Sie machen eine strikte Trennung zwischen innen und außen, obwohl sie sich noch im Inneren des Verwaltungsapparates befinden und von den Mechanismen und Entscheidungen, die innerhalb der vorhandenen unpersönlichen Strukturen getroffen werden, abhängig sind. Sie begreifen sich selbst nicht als Gestalter ihrer eigenen Praxisbedingungen. Sie gaben und geben sich stattdessen passiv den Bedingungen ihrer organisationalen Praxis preis, fremdattribuierten ihren Kummer an Verantwortliche, die sie kaum noch namentlich benennen können, und verlieren sich in ihrer Krise, anstatt gegen diese offensiv vorzugehen – abgesehen von den zahlreichen und erfolglos gebliebenen Arbeitsüberlastungsanzeigen in der Vergangenheit (›engagiert Verzweifelte‹). Der selbst auferlegte Exotenstatus offenbart, dass die sozialen Fachkräfte, die anderen Verwaltungsmitarbeiter und die politisch Verantwortlichen der Stadt die Schuld für die organisationelle Misere, für die Einschränkung professioneller Tugenden, kaum bei sich selbst suchen. Der äußere Feind wird jeweils bei dem anderen ausgemacht. Aber dass die sozialen Fachkräfte, die Leitungskräfte und die politischen Entscheidungsträger zusammen dafür verantwortlich sind, dass das Jugendamt fachlich Schiffbruch erleiden musste, indem die Fachkräfte sich selbst in ihrer Rolle als ökologisch angepasste und isolierte Problembewältiger in die bürokratischen und auf lineare Ursache-Wirkungs-Ketten beruhenden Entscheidungslogiken der Gesamtverwaltung haben fallen lassen, wird von ihnen kaum reflektiert. »Die Herrschaft der formalistischen Unpersönlichkeit: sine ira et studio, ohne Haß und Leidenschaft, daher ohne ›Liebe‹ und ›Enthusiasmus‹, unter dem Druck schlichter Pflichtbegriffe; ohne Ansehen der Person« (Weber 2008: 166, Herv. i. Org), hat sie dazu gebracht, in den Fängen der von Max Weber (ebd.: 160ff.) beschriebenen bürokratisch-monokratischen aktenmäßigen Verwaltung ›unterzugehen‹; als Angehörige einer Profession, die sich in der Bewältigung ihrer Aufgaben zu »Präzision, Schnelligkeit, Eindeutigkeit, Aktenkundigkeit, Kontinuierlichkeit, Diskretion, Einheitlichkeit [und; K.B.] straffe(r) Unterordnung« (ebd.: 716) verpflichtet sieht. Um diese Art von organisationalen und bürokratisch bedingten Lernhemmnissen zu überwinden, muss man nach Senge (1996) seinen eigenen professionellen Einflussbereich neu definieren und das Umdenken lernen. Nur so ist neues Sehen, ist die Wahrnehmung von systembedingten Feedbackkreisläufen möglich. »Die Feedbackperspektive besagt, daß alle Beteiligten für die Probleme verantwortlich sind, die von einem System erzeugt werden« (ebd.: 101, Herv. i. Org.). Und genau dieses Systemdenken konnte in Schwerin nicht betrieben werden; vielmehr waren gegenseitige Vorwürfe und Schuldzuweisungen an der Tagesordnung. Ein Mitarbeiterschutz und eine umfassende, über das Jugendamt hinausgehende organisationelle Fehlerreflexion fand dementsprechend nicht statt. Deshalb ist, zumal nach der Erfahrung des Scheiterns im Fall Lea-Sophie, die Krise bisher nicht wirklich als Chance genutzt worden, die Fehler des Jugendamtes, aber auch anderer
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Organisationsbeteiligter der Stadtverwaltung und der politisch Verantwortlichen zu bedenken. Vielmehr fand man sich damit ab, einzelne soziale Fachkräfte ins Abseits zu stellen und sie dann allein zu lassen, auf sie organisational zu verzichten und sich eben nicht schützend hinter diese Mitarbeiter zu stellen und auf ihre Erfahrungen zu hören. Wirkliche lernorientierte Fehlererkennungs- und -vermeidungsverfahren waren daher außerhalb des Jugendamtes und innerhalb der Gesamtverwaltung auch nicht auszumachen. Eine soziale Fachkraft sagt dazu Folgendes: »Im Grunde wird immer nur ängstlich reagiert sozusagen oder aufgepasst sozusagen, (.) dass nichts, also dass nichts offensichtlich (.) falsch läuft. (.) Aber (9) das ist auch eingeschliffen hier. (2) Grundsätzlich müsste ja (.) am besten, würde ich sagen, ja weiß ich, (3) zum Jugendamt oder so (1) Verwaltung, (.) na jetzt bleibe ich mal beim Jugendamt, von null anfängt. Also weiß ich, wenn man so überlegt: (2) das wäre ja mal was ›alle entlassen‹ und sagen: So, wir müssen jetzt hier ein Jugendamt aufbauen, ganz neu. (.) Wir haben hier eine Stadt Schwerin, die so (.) groß ist und so viele Jugendliche, Kinder (.) wohnen da. (.) Was haben wir alles für Aufgaben? Was brauchen wir (3) für Abteilungen? (.) Wie viele Leute brauchen wir dazu, (3) und wer will da mal, wer hat Lust da mitzumachen? Also von, (.) aber das ist ja Illusion (2) [mhm] (2) dann könnte man uns dann auch mit so Fehlern einbauen sozusagen. (4) Jetzt mache ich ja auch in dieser, also wenn von (.) außen irgendwie die qualitätssichernde Untersuchung oder so was, das wird hier, glaube ich, (2) innerhalb des Jugendamtes oder der Verwaltung doch allgemein (.) so als Einmischung erlebt oder (1) Angriff, von dem sie doch mehr oder weniger geschützt wird, und (1) was man vielleicht auch über sich, (.) also ertragen würde, aber schon dafür sorgen würde, (1) dass letztendlich da nichts bei herauskommt, (5) weil es ist schon eher so, also glaube ich, als (1) Angriff, (.) eher so als Angriff empfunden wird.« (I11a: 52)
Dieser Eindruck, dass Qualitätssicherung eher als »Angriff« gesehen wird, liegt vielleicht auch daran, dass es kaum eine Identifikation mit dem Jugendamt bei den anderen und höher stehenden Verwaltungseinheiten und den darin involvierten Leitungskräften gibt, schon gar nicht eine Kenntnis darüber, was insbesondere die Kollegen in den beiden sozialpädagogischen Teams jeden Tag leisten und was es erfordert, um professionell innerhalb einer Organisation helfen zu können. Zwar laufe im Jugendamt offensichtlich nicht etwas falsch, aber: Wenn Untersuchungen belegen würden, dass notwendige Veränderungen auf der Tagesordnung stehen, würde man nicht dankbar, sondern ängstlich reagieren. Im Jugendamt der Stadt Schwerin, aber auch darüber hinaus, gab es – was in diesem Zusammenhang auch deutlich wurde – auch einen Mangel an engagierten Leitungskräften mit Kinder- und Jugendhilfeprofil, Mitarbeiter also, die leidenschaftliche Vorbilder für ihre Kollegen hätten sein können,
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die ihnen Rückhalt in Krisensituationen spenden, ihre Fehlermeldungen ernst nehmen und sie in ihrer fachlichen Weiterentwicklung unterstützen; Führungskräfte mit diesem Profil sind in der Kinder- und Jugendhilfe von entscheidender Bedeutung, damit Innovationen und die Gestaltung von tragenden Wertesystemen und Leitbildern, eben Visionen, möglich werden. Solche Leitungskräfte waren während des Untersuchungszeitraums in Schwerin nicht zu finden, weil sie auch organisationsstrukturell daran gehindert wurden, ein solches Profil selbstbewusst entwickeln zu können. Sie wurden und werden nicht ausreichend darin gefördert und unterstützt, diese Leitungsaufgaben engagiert wahrzunehmen und Fehler offen machen zu dürfen. Eine Interviewperson sagte: »Also ganz klar Fehler, (.) äh, bei meinem Vorgesetzten, (.) also, ich sag es mal so, mein Vorgesetzter hat nicht geführt. (.) Er hat keine Führungsverantwortung übernommen. Mein Vorgesetzter hat (.) Konfliktsituationen, (.) mit denen ich (.) häufig konfrontiert war, ich, (.) bezogen etwa auf Personal. Da habe ich natürlich auch eine Erwartung an einen Vorgesetzten. Das habe ich klar artikuliert und habe also auch (.) Unterstützung erwartet und mein Vorgesetzter hat nicht die Rolle eingenommen im Sinne von Herbeiführung von Entscheidungen. (.) Sondern er hat sich als Moderator verstanden. […] Das ist eindeutig also, das ist eigentlich so das (.) Hauptproblem, also das Nichtführen, was mich also bei dem Vorgesetzten, was auch ein Fehler ist, dass er, (1) /der Vorgesetzte also, auch mit mir, (.) mir nicht reflektiert hat, (.) also mir also auch nicht klar, mir nicht gesagt hat, welche Erwartungen er (.) an mich hat. Also das ist alles unausgesprochen gewesen.« (I10a: 26)
Die Aussage verdeutlicht, dass selbst die Leitungskräfte im Jugendamt keine Führung im Hintergrund haben. Sie sind sich nicht sicher und im Klaren darüber, was ihre Aufgaben sind und was von ihnen organisational erwartet wird; gleiches trifft auch auf die sozialen Fachkräfte im ASD zu, die nicht wissen, was von ihnen konkret verlangt wird, es sei denn: keinen neuerlichen Kinderschutzskandal zu provozieren. Das ›Hauptproblem‹ ist also ein Führungs-, Konzeptions- und Gesamtphilosophieproblem einer Stadt, die nicht weiß, welche Richtung sie in der Kinder- und Jugendhilfe gemeinsam mit ihren sozialen Fachkräften einschlagen will. Diese Problemlage beginnt sich allerdings nach den Geschehnissen des Falles Lea-Sophie allmählich zu ändern, wie ein Mitarbeiter schildert: »Die Stärke ist natürlich jetzt schon gewesen, wenn was passiert, dann können die ganz schön etwas bewirken. Also dann reagieren sie auch, und dann machen sie auch tolle Sachen und (.) stellen tolle Leute ein ((lacht)) und (.) also so, (.) dann kann auch, dann können sie auch etwas.« (I5a: 67)
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Dies geschah aber offenbar vor allem mit dem Interesse, um nach außen hin den Anschein zu wahren und zu signalisieren: Wir haben aus der Tragödie des Falles Lea-Sophie gelernt. Ob dies auch ein Doppel-Schleifen-Lernen darstellt, »ein Lernen, das zu einem Wertewechsel sowohl der handlungsleitenden Theorien als auch der Strategien und Annahmen führt« (Argyris/Schön 1996: 36), ist zu hinterfragen. Denn die Aussagen der sozialen Fachkräfte verdeutlichen, dass organisationskulturell eher alles beim Alten geblieben war, wenn auch alles dafür getan wurde, gegenüber der Öffentlichkeit in Gestalt von ›Schnellschüssen‹ einen anderen Eindruck zu vermitteln: den einer lernfähigen und flexiblen Stadtverwaltung. 6.1.2 Thematisierungsfeld: engagiert Verzweifelte In den Interviews wurde freilich noch ein anderer Aspekt deutlich. Viel wurde von den Fachkräften davon berichtet, unter welchen strukturellen Bedingungen die Fachkräfte im ASD arbeiten müssten und was sich bereits durch die eigene interne Analyse des Falls Lea-Sophie verändert und verbessert hätte (vgl. Zeitweiliger Ausschuss zur Aufklärung des Todes von Lea-Sophie und zur Optimierung des Verfahrens bei Kindeswohlgefährdungen 2008; Verwaltungsinterne Arbeitsgruppe zur Weiterentwicklung des Jugendamtes Schwerin 2008). Die Schweriner Volkszeitung vom 22. Januar 20093 machte in einem Artikel deswegen auch nicht von ungefähr mit der Schlagzeile auf: »Lea-Sophie: Stadt lernt aus Fehlern«. Denn die Stadt hatte unter dem Druck der Ereignisse schließlich doch dazugelernt. So wurden u.a., was zuvor nicht denkbar gewesen wäre, • für eine gelingendere und ruhigere Beratungsatmosphäre Einzelzimmer für jeden Mitarbeiter zur Verfügung gestellt und die Öffnungszeiten eingeschränkt, • dringend und schon lange benötigte Mitarbeiter neu eingestellt, • Leitungskräfte von der unmittelbaren Fallarbeit befreit, • Qualifizierungsmaßnahmen gefördert, • die Möglichkeit zur Supervision sichergestellt und • eine verlässliche telefonische Erreichbarkeit und Mobilität (Anschaffung von Anrufbeantwortern und eines Dienst-PKW) gewährleistet. Aber, was nicht verschwunden war, war die Enttäuschung der sozialen Fachkräfte. Sie war geblieben. Schnell bot sich mir im August 2008 deshalb auch ein Bild ›engagierter Verzweifelter‹, ein Bild von sozialen Fachkräften, die am Limit ihrer zeitlichen, fachlichen und emotionalen Belastbarkeit arbeiteten und die sich ihres eigenen organisationalen Umfeldes nicht sicher waren. Ihnen war die Zuversicht abhanden gekommen, in Schwerin eine öffentliche, und durch die freigemeinnützigen und privaten Träger unterstütz3
Vgl.:http://www.svz.de/lokales/schwerinartikeldetails/article/217/lea-sophiestadt-lernt-aus-fehlern.html, zuletzt geprüft am 25.03.2009).
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te, Kinder- und Jugendhilfe praktizieren zu können, die ihren eigenen professionellen Ansprüchen genügt. Die sozialen Fachkräfte fühlten sich immer noch nicht in und mit ihrer Arbeit genug anerkannt. Sie können somit als ›engagierte Verzweifelte‹, als ›Gefangene ihrer Organisationsstrukturen‹ beschrieben werden. Interessanterweise waren davon die mittleren und hohen Leitungskräfte des Jugendamtes nicht verschont geblieben. Sie waren engagiert und zugleich verzweifelt, weil die Arbeit auch unter Extrembedingungen – mit den bewusst kalkulierten und willentlich gewollten Begrenzungen sozialarbeiterischer bzw. sozialpädagogischer Prozesse – auch weiterhin bewältigt werden musste. Dies führte zu einem ›Jammern im Leid‹, einem sich fortsetzenden Leiden, dass eventuell so gar nicht mehr notwendig gewesen wäre, weil sich die organisationalen Bedingungen – wenn auch nicht umfassend – bereits verbessert hatten. Sie wurden jedoch nicht bemerkt, weil die sozialen Fachkräfte des ASD ebenso wie die anderen Mitarbeiter des Jugendamtes und darüber hinaus in der Stadtverwaltung nicht ausführlich miteinander redeten, sich nicht austauschten und immer noch in ihren vorurteilsbezogenen, abwartenden und Passivität und Frustration erzeugenden Schuld- und Verantwortungszuweisungen gefangen waren. Das Bild des Gefangenen war auch deswegen prägend, weil die sozialen Fachkräfte des Jugendamtes das Gefühl hatten, ›von oben verwaltet‹ zu werden. Sie hatten kaum Mitspracherechte, mussten Entscheidungen ›von oben‹ akzeptieren, ja ›herunterschlucken‹, ohne dass mit ihnen über die Sinnhaftigkeit neuer Organisations- und Handlungsansätze geredet worden war. Sie waren ›trennenden Hierarchien‹ ausgesetzt, mussten sich an ›Dienstwegkommunikation‹ halten, weshalb der Dialog zwischen allen Beteiligten – über die Grenzen des Jugendamtes hinweg – strukturell immer wieder verhindert wurde. Eine soziale Fachkraft sagt dazu: »Ja, eine Schwäche ist die Kommunikation, (.) dass wir hier unten (.) sage ich mal, unten nichts erfahren, (.) dass (.) ich dadurch auch sehe, dass eine Chance vertan wird, (.) uns mit einzubeziehen, (.) die ja nun mit den, ((lacht)) mit den Sachen arbeiten. (1) Das ist eindeutig eine Schwäche finde ich, (.) also, (.) und dass, (.) dass nicht gesehen wird, dass dadurch auch ein Missmut entsteht, ne, dass die das (.) eh, dass die da nicht so weit gucken irgendwie, das verstehe ich immer nicht so richtig.« (I5a: 67)
Was auf der einen Seite von den Mitarbeitern des ASD als Stärke hervorgehoben wird, wird auf der anderen Seite als Schwäche der Stadtverwaltung herausgestellt: die Kommunikation. Es mag grotesk erscheinen, aber die Angestellten des ASD erwarten eine sozialarbeiterische und exotische Vorgehensweise derjenigen Mitarbeiter in der Stadtverwaltung, von denen sie selbst annehmen, sie würden sie als ›Quacksalber‹ ansehen. Konflikte werden in Verwaltungen jedoch nicht sozialarbeiterisch bzw. sozialpädagogisch gelöst, weshalb dadurch zwangsläufig Enttäuschungen erzeugt werden. In
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der Folge kommt es zu resignativen Haltungen und Nichtidentifikationen mit der Stadt als Arbeitgeber, wenn es zusätzlich zur ›Sackgassenkommunikation‹, zu ›kommunikativen Brüchen‹ kommt und die sozialen Fachkräfte zwar beteiligt, aber aus ihrer Sicht nur scheinbeteiligt werden und ungeprüften, abgebrochenen und undurchsichtigen Reform- und Umstrukturierungsprozessen ausgesetzt sind. Sie beklagen sich darum auch, dass sie quasi per ›Mülleimerbeteiligung‹ in die organisationelle Leere gelaufen lassen werden. Und so sagt eine soziale Fachkraft nicht überraschend: »Ich weiß noch, wo ein Kollege (.) gesagt hat, jetzt kommt wieder der Aktionismus, so eher Aufträge ans Team, wo er gesagt hat: ja, genau das ist es, und da müssten wir was tun, und wo wir eher auch schon Feuer und Flamme waren und so mit seiner Erfahrung hier im Amt so, (.) da müssen wir jetzt genau drauf gucken, was, was soll jetzt wirklich passieren, warum tun wir das, und dann landet es am Ende dann eben wieder auch im Mülleimer. Also das sind auch schon unsere Erfahrungen gewesen, als wir ganz viel Zeit investiert haben, (.) wirklich auch geguckt haben, so auf unsere Arbeitsabläufe geguckt haben, (.) und, äh, (1) dass das dann irgendwie so Organisationen, (1) ich weiß noch, wo es Veränderungen gab, () wo es Strukturumstellungen gab, (1) und (.) also dann auch null und nichtig war, (1) und wir es eigentlich auch gelernt haben, mit unseren Zeitreserven wirklich auch gut zu haushalten und genau zu hinterfragen, (1) was passiert hier wie und warum und wie können hier wirklich Ergebnisse entstehen am Ende.« (I2a: 58)
Auf diese Weise wurden Fachkräfte zu ›frustrierten Organisationsbeteiligten‹, die das Gefühl haben, irgendwo da ›oben‹ wird über ihre Köpfe hinweg entschieden, auch dann, wenn Einzelne sich aktiv an Arbeitsgruppen beteiligen durften, im Anschluss daran aber erkennen mussten, dass ihre Ideen und Ergebnisse kaum Berücksichtigung fanden. Die sozialen Fachkräfte wurden zwar insofern an organisationellen Lösungen beteiligt, aber nicht mit letzter Konsequenz. Ihre professionelle Kompetenz wurde in der Gesamtverwaltung der Stadt Schwerin häufig nicht genutzt und entgegen sich an der Basis entwickelnder Arbeitsbedingungen übergangen, oder wie eine soziale Fachkraft beschreibt: »Dass man (.) uns einfach nicht unterstützt in der sensiblen Arbeit, der Sozialarbeit, würde ich sagen, (.) und damit auch falsche Entscheidungen trifft. (.) Einfach vom grünen Tisch her sagt: Nein, das ist, (.) ist so, (.) Doppelzimmerbelegung. (3) Dass man zu wenig, äh, das Ohr an der Masse hat, also zu wenig auf unsere Befindlichkeiten achtet. (2) Also, ich kann mich nicht erinnern, dass mal jemand hospitiert hat bei uns, (.) oder sich einfach mal so am Sprechtag zu uns reingesetzt hat, (1) live miterlebt hat, was hier manchmal abgegangen ist, wenn wir, (.) wenn wir (.) drei Noteinsätze am Tag hat-
190 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN ten: (1) Prüfung Kindeswohl. (.) Dass sie einfach, (.) das finde ich, (.) finde ich nicht optimal, würde ich schon als Fehler bezeichnen.« (I14a: 28)
Vom »grünen Tisch« aus – so wird gesehen – wurden demnach Entscheidungen von oben getroffen, ohne dass die theoretischen Vorstellungen mit den praktischen Gegebenheiten der ASD-Arbeit kooperativ abgeglichen wurden. Es überwog die ›Arroganz der Entscheidungsmacht‹ derjenigen, die in letzter Konsequenz den beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen ihrer Entscheidungen nicht ausgesetzt waren. Sie konnten deshalb auch nicht aus ihren Fehlern lernen, weil sie nicht registrierten, was sie mit ihren Bestimmungen im Jugendamt der Stadt Schwerin verursacht hatten. Die Fehler bekamen also nur jene Fachkräfte zu spüren, die diesen hilflos ausgeliefert waren. Eine Fachkraft schildert es wie folgt: »Ich weiß nur, dass z.B. auf diese (.) Überlastungsanzeigen, oder wie sich das schimpft, (.) nicht angemessen reagiert wird, (.) so habe ich den Eindruck, und (.) das finde ich, ist wieder ein Zeichen von Wertschätzung und das, (.) das finde ich, das kotzt mich einfach an ((lacht)), um das mal so zu sagen. Also (.) wenn da Kollegen schreiben, (.) was weiß ich, aus irgendwelchen Gründen (.) und wirklich auch mal sich ausheulen wollen, und dann kommt ein Brief zurück: Na ja: Wir haben das und das doch erwirkt, und ich (.) gehe davon aus, dass Sie, dass wir jetzt, (.) zufriedenstellend, also dass wir jetzt die Sache abgehakt haben. So nach dem Motto. Dann finde ich das eine Unverschämtheit (.) und dann sind (??), also das ist einfach ein Unding für mich, (.) gerade nach dieser ganzen Sache. Also da hätte man ruhig ein bisschen sensibler auf solche Überlastungsanzeigen reagieren können. (.) [Mhm.] Das erwarte ich eigentlich auch, (1) weil wir ja wirklich eine verantwortungsvolle Arbeit haben. Das hat man in dem Fall wieder noch mehr gesehen, und (.) das kann man nicht mit so einem floskelnden Brief das abwenden. (.) Das geht einfach nicht (.). Aber gut, (.) so ist das nun mal.« (I5a: 43)
Das ›Gefühl des Nichtgesehen- und -gehörtwerdens‹ war bei vielen Mitarbeitern des ASD vorhanden. Kaum jemand hatte irgendwann einmal direkt mit Leitungskräften innerhalb, aber auch außerhalb des Jugendamtes über wegweisende konzeptionelle Fragen gesprochen. Die kommunikative Praxis war eine andere, die der ›Dienstwegkommunikation‹. Und d.h.: Selbst wenn einzelne Mitarbeiter trotz unterschiedlicher hierarchischer Einbindungen sich mit ihren Büros direkt auf demselben Gang befinden, konnte es dazu kommen, dass sie nicht miteinander unmittelbar kommunizierten. Sie führten stattdessen ›Stellvertretergespräche‹ mit Hilfe ihrer Vorgesetzten, entsprechend der ihnen bürokratisch vorgegebenen Entscheidungs- und Beteiligungswege. So konnte es vorkommen, dass ein Problem der Überlastung
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erst den Weg der hierarchisch organisierten Dienstwegkommunikation durchlaufen musste, um ins Nachbarbüro zu gelangen. Mit solch einer kommunikativen Beteiligungsstruktur wurden jedoch ›anonyme Diskurse‹ erzeugt, die es ermöglichten, dass Vorgesetzte Krisenmeldungen als falsche Tatsachenbehauptungen herunterspielten. Dann musste die ablehnende Entscheidung eben nicht mehr direkt an den Betroffenen übermittelt werden, weil sie im ›Schutzmantel der hierarchischen Anonymität‹ an die dafür zuständigen direkten Vorgesetzten delegiert werden konnte; sie wurden dadurch zu instrumentalisierten Übermittlern von schlechten Botschaften. Insofern kann man von linear geführten und starr gehaltenen wie auch nicht zu durchbrechenden Kommunikationsabläufen sprechen, von Kommunikations- und Entscheidungsabläufen, die nur einem Zweck dienten: dem Erhalt der Hierarchie. Man kannte sich außerhalb des Jugendamtes nicht, sah sich nicht und hörte sich nicht, weshalb keine Klarheit darüber herrschte, wer, wann, warum, welche Entscheidungen mit welchen Ergebnissen traf. Diese Art ›sozialer Distanziertheit‹ drückt sich auch in dem Satz »wir hier unten« aus. Was ›unten« geschieht wird ›oben‹ nicht wahrgenommen, und was ›oben‹ geschieht, erzeugt im ›unteren Bereich‹ Unverständnis und Ablehnung. Fast scheint es so, dass die Mitarbeiter des Jugendamtes der Stadt Schwerin, aber vor allem des ASD, zu jenen ›Insassen‹ gehörten, die Goffmann (1973) in seiner Analyse totaler Institutionen beschreibt. Die Metapher des ›Gefangenen‹ unterstreicht, wie ›unselbständig‹, wie ›ohnmächtig‹ sich die sozialen Fachkräfte des ASD immer wieder fühlten – und dass sie es auch tatsächlich waren. Gefangene lagen früher in Ketten, konnten sich nicht bewegen und hatten einen eingeschränkten Aktionsradius, der nicht von ihnen selbst bestimmt werden konnte. Heutzutage sind Gefangene freilich privilegierter. Sie sind nirgendwo mehr angekettet und werden auch nicht mehr geknebelt und mundtot gemacht. Aber kommunikativ sind sie immer noch ›hinter Gittern‹, sozusagen ›unter Verschluss‹, um die Außenwelt vor ihnen zu schützen. Gefangene sind in ihrem Handeln fremdbestimmt und in Abhängigkeitsverhältnisse eingebunden, denen sie kaum entfliehen können. Es sei denn, sie kommen wegen guter Führung, vor dem eigentlichen Entlassungstermin, in Freiheit. Zentral ist jedoch: »Das Personal [die höheren Verwaltungsebenen der Stadt; K. B.] hält die Insassen [die sozialen Fachkräfte des ASD; K. B.] häufig für verbittert, verschlossen und wenig vertrauenswürdig, während die Insassen den Stab oft als herablassend, hochmütig und niederträchtig ansehen. Das Personal hält sich für überlegen und glaubt das Recht auf seiner Seite, während die Insassen sich – zumindest in gewissem Sinn – unterlegen, schwach, tadelnswert und schuldig fühlen« (ebd.: 19).
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Diese Art von verinnerlichter ›Unterlegenheit‹ und ›Schwäche‹ zeigte sich auch im Umgang mit Fehlern. Denn obwohl die sozialen Fachkräfte organisationale Fehlerpotenziale erkannt hatten, wie dies im Rahmen der mehrfachen Überlastungsanzeigen und Arbeitsstandsanalysen vor dem Fall LeaSophie seit 2006 geschah (vgl. Arbeitssituationsdarstellungen SpD 1 2006, 2007 2008a, 2008b; Arbeitssituationsdarstellungen SpD 2 2006, 2007, 2008a, 2008b), hatten diese Fachkräfte kaum eine Chance, selbständig diese organisationsbedingten Fehlerpotenziale zeitnah zu ›entschärfen‹. Ich lasse an dieser Stelle unkommentiert eine Auswahl des mir zur Verfügung stehenden und anonymisierten Materials der Arbeitssituationsschilderungen des ASD (Team 1) sprechen – Gleiches trifft aber auch für Team 2 zu: Darstellung der Arbeitssituation im sozialpädagogischen Dienst 1 (SpD 1) – 05.12.2006 Anlass: • zwei Sozialarbeiter und die Amtsvormündin haben eine Überlastungsanzeige gemacht, • vier Sozialarbeiter haben das Erreichen ihrer Belastungsgrenze signalisiert, • ich habe in meiner Funktion als Sachgebietsleiter alle Reserven und Möglichkeiten innerhalb des Teams ausgeschöpft und erwarte jetzt die Einleitung von Maßnahmen zur Entlastung der Arbeitssituation […] Im Jahre 2001 haben 8 Sozialarbeiter (7,5 Sozialarbeiter; 0,5 Sachgebietsleitung – SGL) in 310 Wochenstunden 274 Fälle bearbeitet. Das entsprach einer Fallbelastung von rund 36 Fällen (HzE, SR, Umgang) pro Sozialarbeiter. Im Jahre 2006 (Stichtag 31.10.2006) haben 6 Sozialarbeiter (5,5 Sozialarbeiter; 0,5 SGL) in 202 Wochenstunden 266 Fälle zu bearbeiten. Das entspricht einer Fallbelastung von rund 48 Fällen pro Sozialarbeiter. […] erhöhte Ablenkbarkeit durch Gespräche und Telefonate […] eingeschränkte Terminplanung, da eine Abstimmung im Zimmer erfolgen muss, um u.a. die Privatsphäre der Klienten und den Datenschutz wahren zu können, zum Teil Verweisung des Kollegen aus dem Zimmer notwendig, weil der Beratungsraum bereits belegt ist und kein anderer Raum zur Verfügung steht,
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keine ruhige Atmosphäre zur Erarbeitung umfassender Stellungnahmen und Berichte […] Da es im Stadthaus keine Möglichkeit gab, die vorhandenen Anrufbeantworter anzuschließen, mussten wir auf diese in der Praxis sich bewährte bürotechnische Ausstattung verzichten. […] Durch den Umzug erhöhten sich die Öffnungszeiten des Sachgebietes von wöchentlich 20 Stunden auf 38 Stunden, was einer ständigen Erreichbarkeit des SpD gleichkommt und eine Steigerung um 90 % darstellt. Beratungen gemäß § 27 SGB VIII vor Einleitung einer Hilfe sind nicht mehr möglich, d.h. schnellere Verfügung von Hilfen, die Kosten verursachen, seit Jahresanfang monatlich 18-25 Überstunden durch die Erledigung unaufschiebbarer Aufgaben, effektive Nutzung der Arbeitszeit durch zu viele Störfaktoren, die ich selbst nicht verändern kann, kaum möglich Folgen: persönlich innerer Druck, psychische Sensibilität ist in einigen Fällen zu hoch, gedankliche Fallverarbeitung zu Hause, Schuldgefühle bei Krankschreibungen (bereits 3 in diesem Jahr), psychosomatische Beschwerden, das Wochenende reicht zum Abschalten von den Fällen und zur Erholung nicht aus, häufig Ängste, dass in der liegen gebliebenen Arbeit etwas passieren könnte – »Hab ich alles Notwendige getan?«, Erledigung von Arbeitsaufgaben zu Hause Aktualisierung der Arbeitssituation im sozialpädagogischen Dienst 1 (SpD 1), Stand: 31.01.2008 (Ergänzung zum Schreiben vom 05.12.2006 und 10.07.2007) Fallzahlentwicklung Seit Juli 2006 haben wir im SpD 1 eine kontinuierliche Fallzahlsteigerung zu verzeichnen. Ende 2006 waren es 258 Fälle und am Stichtag 31.12.2007 waren es bereits 310. Das bedeutet eine Fallzahlerhöhung um 20 % innerhalb der letzten 12 Monate.
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Die Fallzahlerhöhung insgesamt ist durch den Anstieg der Hilfen im Bereich des Erziehungsbeistandes gemäß § 30 SGB VIII (von 26 auf 37), der sozialpädagogischen Familienhilfe gemäß § 31 SGB VIII (von 68 auf 74) und der Heimerziehung gemäß § 34 SGB VIII (von 46 auf 54) entstanden. Meldungen von Kindeswohlgefährdungen Im 1. Halbjahr des Jahres 2007 hatte das Team 24 Meldungen zu bearbeiten, bis Oktober 2007 waren es insgesamt 46 Meldungen, allein in den letzten beiden Monaten waren es 48 Meldungen, so dass man auf einen Jahreswert von 94 Meldungen kommt. Insgesamt waren 174 Kinder betroffen. In 50 % der Fälle waren die Betroffenen dem SpD 1 bekannt. Von den 94 Meldungen waren 27 Fehlmeldungen, das sind nur 29 %. (siehe Anlage) 2006 waren noch 50 % der Anzeigen Fehlmeldungen. Personelle Ausstattung: - am Stichtag 31.12.2007 bearbeiteten 5,5 Sozialarbeiter 310 Fälle, das entspricht einer Fallbelastung von 56 Fällen pro Sozialarbeiter, im Vergleich zum Dezember 2006 eine Steigerung von 8 Fällen pro Sozialarbeiter, d.h. Überlastung kennzeichnet seit Monaten die Arbeitssituation im Team, die Überlastung des Sachgebietsleiters (SGL) besteht weiterhin, keine weiteren Reserven, 3 weitere Sozialarbeiter haben eine Überlastungsanzeige eingereicht, so dass zur Zeit 4 vorliegen weiterhin ungeklärt: die Absicherung eines langfristigen Weiterbildungskonzeptes positiv: die Stelle des Pflegekinderdienstes (PKD) wurde wieder besetzt positiv: die Vertretung der Amtsvormündin konnte […] sichergestellt werden, die Überlastung wurde abgebaut […] positiv: ab 01.02.2008 findet monatlich Supervision statt (Vertrag mit Supervisor geplant) Sächliche Ausstattung: keine Veränderungen bezüglich der aufgezeigten Probleme (Büroräume, Anrufbeantworter) im Dezember 2006 positiv: Schaffung von zusätzlichen Beratungsräumen auf verschiedenen Etagen
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Organisatorische Bedingungen: die Veränderungen im Bereitschaftsdienst von nur jeweils 1 Sozialarbeiter pro Team zur Entlastung kann nicht aufrechterhalten werden, weil die Abarbeitung der steigenden Gefährdungsmeldungen, die zahlreichen Telefonate und die Abfertigung der Bürger ohne Termin von einem SA pro Team nicht zu schaffen ist, durch die zahlreichen Gefährdungsmeldungen quer durch die Stadt entstanden in den letzten Monaten durch Bus und Bahn lange Wegezeiten, da meistens kein Dienstauto zur Verfügung stand, wurde in dringenden Fällen der Privat-PKW genutzt. Fachliche Probleme: - Umgangsberatung durch die beiden Beratungsstellen funktioniert häufig nicht (Klienten wünschen eine Beratung durchs Amt, Beratungsstelle lehnt den Fall ab, da schon bekannt, Wartelisten, Verweisung der Eltern ans Amt, Eltern kommen in der Beratungsstelle nicht an, zur Vermeidung von gerichtlichen Verfahren muss das Amt in bestimmten Fällen tätig werden), • • •
•
das Üben und die Eingabe von Fällen in PROSOZ ist derzeit nicht ohne Überstunden möglich, Qualitätseinbußen in der Sozialarbeit, Nichteinhaltung von Standards, erhöhte Kosten in der Einzelfallarbeit die SGL sollte keine Einzelfälle bearbeiten, da die fachliche Anleitung der Mitarbeiter und die Umsetzung der Verfahrensstandards im Rahmen des Schutzauftrages des Amtes sonst nicht gewährleistet sind, Sozialarbeiter im Anerkennungsjahr (Berufspraktikanten) sind keine Alternative zur Entlastung der Sozialarbeiter im Team
Die hierarchischen Regelungen verbunden mit zu langsamen Gegenreaktionen des mittleren Managements, also jener Verwaltungseinheiten, die dem Jugendamt übergeordnet sind, führten dazu, dass organisationsbedingte Managementfehler – z.B. unzureichende personelle Ausstattung – zwar erkannt wurden, aber nicht flexible Anpassungen an die jeweils sich verändernden Praxisbedingungen innerhalb des ASD und des gesamten Jugendamts bewirkten. Eine exemplarische Interviewpassage: Interviewer: »Könnte man ja noch mal fragen, auf welche Fehler haben Sie hier keinen Einfluss, (2) [bitte] auf welchen Fehler Sie hier keinen Einfluss haben als Fachkraft (1) bzw. Jugendamt, (.) hier, (1) auf welche Fehler haben Sie denn keinen Einfluss, keinen professionellen? (2) Gibt es da Sachen, die Ihnen einfallen?«
196 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN Interviewperson: »(3) Meiner, äh, Meinung nach haben wir schon (.) Einfluss auf, äh, (.) die Stellenbesetzung, (4) aber es wird nicht, äh, (.) ja umgesetzt. (1) Der Bedarf ist da, der ist angezeigt, (3) aber das Personalamt, also das Hauptamt, reagiert nicht da drauf (.) dann oder zu lange (3), wenn Kollegen sehr lange krank sind, äh, (1) dass dann nicht sofort reagiert wird. (3) Es sind ja nicht nur sechs Wochen. (2) Es sind ja Monate, wo Kollegen gefehlt haben. (.) Der Krankenstand im Jugendamt ist sehr hoch, (2) muss ich fragen, warum (.) das so ist, (1) weil oftmals aus psychosomatischen Krankheiten, weil sie überlastet sind, (1) einfach so, äh, krank dann sind (.) dadurch (5).« (I13a: 69 - 70)
Es wird deutlich: Die Mitarbeiter wurden oft mit ihren Problemen allein gelassen, nicht gehört und nicht ernst genommen, so dass es auch dazu kam, dass die Teams teilweise nur auf sich selbst gestellt waren. Aus diesem Grund waren viele Fachkräfte nur auf sich selbst bedacht, oder es kam zu stress- und Burn-out-Syndrombedingten Krankheiten, deren Zahl signifikant nach oben schnellte, was freilich das letzte Mittel professioneller Ohnmachtsbewältigung ist. Auf Personalentscheidungen, Organisationsverfügungen, auf geänderte Wochenarbeitszeiten, Ausgestaltungen von Dienstanweisungen sowie auf schnelllebige und blinde Aktionen der Stadtverwaltung als Organisation hatten die sozialen Fachkräfte des ASD keinen wirklichen professionellen Einfluss; stets und ständig waren seit dem Fall Lea-Sophie viele organisationale Rahmenbedingungen in Veränderung, so dass sich kein sicherer organisatorischer Rahmen für die sozialen Fachkräfte in strukturell unsicherer Praxis herausbilden konnte. Zudem kam es vor, dass bestimmte Angelegenheiten in den internen bürokratischen Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen herumgereicht und einfach liegen gelassen wurden. Sie wurden einfach nicht ernst genommen und deswegen auch nicht bearbeitet. Insofern konnten die Fachkräfte an ihren belastenden Arbeitsbedingungen in struktureller Hinsicht kaum etwas ändern; sie können insofern als unselbständige Angehörige der Profession Soziale Arbeit angesehen werden, die daran gehindert und nicht organisational unterstützt werden, eine ethisch-fachliche Position zu entwickeln. Die Fachkräfte hatten und haben schlichtweg nicht das Mandat, nicht das Recht, ihre Organisation derart demokratisch zu gestalten, dass sie für ihre Klienten hilfreich sein konnten. Gravierender ist, dass sie sich, aufgrund der Nichtveränderbarkeit ihrer Arbeits- und Organisationsbedingungen, fatalerweise sogar noch selbst zum Problem wurden, indem sie durch unbezahlte Mehrarbeit und hohes Engagement indirekt dazu beitrugen, die Missstände zu kontinuieren. Auch ein fachlicher Austausch zwischen den beiden getrennt voneinander arbeitenden sozialpädagogischen Teams fand zur gegenseitigen Unterstützung und Entlastung formell und strukturiert nicht statt, genauso wie im
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Übrigen das gesamte Jugendamt es nicht schaffte, sich kurzfristig über die bürokratischen Ressortgrenzen hinaus kommunikativ auszutauschen. Jeder ›schmorte‹ gewissermaßen in seinem eigenen ›bürokratischen Saft‹, wollte nicht noch zusätzlich durch teaminterne und -externe Beratungsrunden und Supervision Zeit verlieren. Denn Zeit schien bei fast allen zu fehlen. Festzuhalten bleibt, dass die sozialen Fachkräfte des ASD fachlich engagiert waren, aber an ihren organisationalen Verhältnissen verzweifelten. 6.1.3 Thematisierungsfeld: Fall- und Zeitdruck Ein anderes Thematisierungsfeld der Fachkräfte war der von ihnen herausgestellte Fall- und Zeitdruck. Ihre zum Zeitpunkt der freien teilnehmenden Beobachtungen individuell erlebte Fallbelastung, das Managen von einer hohen Anzahl von Fällen, die in ihrer Qualität und Quantität jeweils unterschiedlich bedrückend waren, führte ihrer Meinung nach nämlich dazu, dass sie nicht mehr mit ihrer Arbeit nachkommen konnten. Sie sahen sich einem ständigen ›Dauerlauf‹ ausgesetzt, kamen kaum mit ihren Dokumentationsaufgaben hinterher und hatten teilweise offene, noch nicht verschriftlichte und versandte Hilfepläne. Diese hatten sich teilweise dann schon wieder selbst erledigt, weil bereits die nächsten Hilfeplangespräche wieder erledigt werden mussten. Aus diesem Grund nahmen die sozialen Fachkräfte des ASD ihre Koordinierungs- und Kontrollfunktion innerhalb der von ihnen verfügten und arrangierten Hilfeprozesse kaum noch wahr. Eventuell ist es dadurch auch u.a. zu einem Anstieg des Krankenstandes und der Hilfen gemäß § 27 SGB VIII gekommen, zu einem Phänomen des Abarbeitens und einer damit einhergehenden oberflächlichen und professionell nicht mehr zu beherrschenden Fallarbeit. Eine soziale Fachkraft schildert dies wie folgt: »Ja, Fehler bemerke ich schon. Also Fehler bemerke ich, ähm, (.) dass die Aktenführung schwierig ist, immer (.) anschließend gleich aufzuarbeiten (1) nicht. Da haben wir (.) sehr viel Nachholbedarf, und Zeit ist da einfach notwendig. (1) Das wäre z.B. ein Fehler (.). Nicht, wenn sie einen Hilfeplan durchgeführt haben, (.) um auch so aus der Erinnerung das noch mal zu notieren, müsste man anschließend diese Zeit haben (1) und dann auch die Akte in Ordnung bringen. (2) Das ist aber nicht so. (1) Es warten schon viele andere Akten, die erst mal bearbeitet werden müssen, oder Anrufe, die erledigt werden (.) müssen, ähm, (.) Dinge, die (2) gemacht werden müssen im Arbeitsablauf, (2) nicht. Das wäre z.B. (.) zu gucken, (.) mache ich wirklich eine Sache erst fertig und beginne die nächste Sache (1). Das ist schwer in der Sozialarbeit, (4) nicht, weil (.) die schriftliche Seite im Jugendamt sehr, sehr hoch ist (3), nicht. Die Sozialarbeit geht da so ein bisschen zurück, (2) das ist auch ein Fehler so, (1) also mit dem Klienten zu arbeiten, (2) nicht, und Fortschritte zu erreichen, (3) oder die Fallzeit muss kleiner sein, damit man das erreicht, (2) dass das so (2) miteinander läuft eben. (.) Aber (1) diese mündli-
198 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN chen Gespräche und dann diese schriftliche Darlegung, (3) nicht, wenn ich im Gespräch bin, (.) fällt es, mach ich mir Stichpunkte, das reicht aber nicht aus, (.) um das abzulegen. (.) Also muss ich es nachher noch mal aufarbeiten, weil ich intensiv im Gespräch bin. (.) Dann, (1) nicht, und wenn sie nur schreiben und mit dem Klienten reden, ähm, das ist keine Arbeitsbeziehung. (.) Sie müssen ihn anschauen, (.) müssen sehen, wie ist die Mimik, die Gestik, ähm, damit sie darauf eingehen können.« (I13a: 12)
Mit anderen Worten: Aufgrund der gefühlten und eventuell auch tatsächlichen Fallbelastung, wenngleich diese immer wieder subjektiven Schwankungen ausgesetzt ist, die dennoch ernst genommen werden müssen, wird ein schematisches Denken provoziert und damit eine kritisch-kollegiale Fallreflexion in Frage gestellt. Dadurch wird eine Hinwendung zu bekannten Lösungsschemata verursacht, ein schnelles Loswerden-Wollen von akuten und krisenhaften Fallkonstellationen, ein Abschieben von Verantwortung an die dafür spezialisierten Kooperationspartner (z.B. Krisendienste und Clearingspezialisten). Mit solchen auf Delegationsverschiebung angelegten Fallweitergaben will man vor allem eines erreichen: Zeit gewinnen, um sich den laufenden, immer noch anstehenden und nicht erledigten Schreibarbeiten widmen zu können. Insofern müssen die sozialen Fachkräfte des ASD für sich immer wieder neu abwägen, ob sie nun der Schreibarbeit oder der kommunikativen Fallarbeit (den Telefon-, Beratungs- und Hilfeplangesprächen) den Vorzug geben wollen bzw. der systematischen Falldokumentation, die ja für sie auch ein Mittel der internen Reflexion sein und Außenstehenden verdeutlichen kann, warum und wie bestimmte Entscheidungen getroffen worden sind. Das Problem ist jedoch, dass mit Hilfe eines guten Zeitmanagements diese beklemmende Dualität nicht einfach aufgelöst werden kann, haben die sozialen Fachkräfte es doch mit einem Arbeitsalltag zu tun, der zwar in gewisser Weise geplant werden kann, bei dem man aber auch immer wieder vom eigenen Plan abweichen muss. Wir haben es hier sozusagen mit einer ›widersinnigen Planbarkeit‹ zu tun. Das Problem der nicht zur Verfügung stehenden Zeit verschärft sich dadurch noch einmal. Auch kommt es immer wieder zu periodischen, jedoch nicht gesetzesmäßigen Spitzenzeiten im Fallaufkommen. Einmal gibt es sehr ruhige Zeiten, in denen Liegengebliebenes aufgearbeitet werden kann. Ein anderes Mal kommt es zu krisenhaften Fallphasen, in denen alles drunter und drüber zu gehen scheint und die Arbeit kaum bewältigt werden kann; die Praxis also schneller ist, als die sozialen Fachkräfte es sich wünschen würden. Auffallend ist jedoch, dass nur Einzelne die zur Verfügung stehenden Hilfsmittel zur Steigerung der Zeitkapazitäten nutzen. Das Computerprogramm ProSoz beispielsweise ist zwar nun flächendeckend eingeführt, aber noch immer haben nicht alle aufgrund zeitlicher Knappheiten eine entsprechende Schulung durchlaufen und das Programm von seinen Potenzialen her
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akzeptiert und als hilfreich angenommen. Schulungen haben insofern zwar stattgefunden und das Programm wird an sich auch akzeptiert, aber die benötigten einheitlichen Dokumentationsvorlagen sind nicht hinterlegt bzw. eingepflegt, so dass ein Fall nicht umfänglich computerbasiert bearbeitet werden kann. Hinzu kommt, dass das Programm selbst immer noch einige Anwendungslücken aufweist und als nicht kompatibel mit den Arbeitsroutinen der sozialen Fachkräfte der sozialpädagogischen Teams erscheint. Vielleicht kommt es auch deshalb dazu, dass einige Mitarbeiter das Programm lediglich zur Einsicht von Datensätzen nutzen, um klären zu können, ob ein Fall als Fall irgendwo schon innerhalb der Verwaltung bekannt ist. Die anderen Möglichkeiten werden kaum oder nur von wenigen genutzt, nämlich mit Hilfe dieses Programms Hilfepläne, Verfügungen, Protokolle und anderweitige Aktennotizen digital niederzuschreiben. So kommt es, dass scheinbar jeder seine Fallakten zeitlich so führt und dokumentiert, wie es für ihn funktional ist. Dies hat nicht zu unterschätzende Vorteile. Aber ein allgemein verbindliches und schlank geführtes Dokumentationssystem, das die wesentlichen Überlegungen und Handlungsschritte bündelt, wäre sicherlich angeraten (Minimalanforderungen), bzw. dies muss bei der Planung der zur Verfügung stehenden Zeit und der Einschätzung, wer wie viele Fälle zu verantworten hat, Berücksichtigung finden. Denn jeder geht mit seiner Zeit anders um, teilt sich diese entsprechend seiner Arbeitsroutinen ein und gleicht Zeitdefizite entweder durch freiwillige Mehrarbeit (Überstunden) aus – oder lässt dies eben bleiben. So fällt immer wieder zwangsläufig eine Seite der Pole ›Schreibarbeit vs. kommunikative Fallarbeit‹ herunter. Und da die bürokratische Dokumentation in der Gesamtverwaltung verpflichtend ist, ist die Gefahr groß, dass den sozialen Hilfesystemteilnehmern nicht mehr genügend professionelle Aufmerksamkeit geschenkt wird und sie nicht mehr ausreichend beraten und begleitet werden; sprich: dass die leistungsberechtigten Bürger, die Eltern und Kinder in und durch die Anforderungen der bürokratisch organisierten Gesamtverwaltung vernachlässigt werden. Helga Nowotny (1995: 15) mahnt deshalb an: »[W]o Zeit vernachlässigt wird, schwindet auch die Verantwortung.« Wer sich nicht die Zeit nehmen kann und darf, wird dazu getrieben, sich gegen die Folgen der digitalisierten Gleichzeitigkeit unserer globalen Weltgesellschaft abzuarbeiten. »Die Gleichzeitigkeit hat alle im Griff« (ebd.: 31). Man kommt an ihr nicht mehr vorbei, ist gezwungen, mit dem zeitlichen Strom der Unmöglichkeit mitzuschwimmen, sich anzupassen und dabei sein eigenes Timing zu finden. »Dem Druck der Gleichzeitigkeit ausgesetzt zu sein, wie dies angesichts des Entwicklungsschubes durch die modernen Telekommunikationstechnologien geschieht, bedeutet des Rechtes auf eigene Entwicklungsgeschwindigkeit verlustig zu gehen« (ebd.: 35). Deshalb nehmen viele soziale Fachkräfte ihre Arbeit auch sinngemäß mit nach Hause, können sie nicht abschalten, wachen sie nachts auf und denken über ihre Fälle nach, reflektieren sie stets und ständig, weil hierfür innerhalb des Jugendamtes keine freie Zeit mehr
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zur Verfügung steht. Dies erzeugt natürlich permanenten Druck. Dazu eine soziale Fachkraft: »Also als Schwäche, das ist aber ein Widerspruch an sich, (.) ist wahrscheinlich die Zeit. Also die, dass wenig Zeit da ist und eine Masse an Fällen. (1) Auf der anderen Seite denke ich, dass immer versucht wird, so von einzelnen Leuten, also dieses, dieses, dieses, dieses Minimum an Zeit, das nicht als Bedingung für bestimmte Fälle zu nehmen, also es wird dann schon so lange diskutiert und sich die Zeit auch genommen, die für den Fall auch notwendig ist. (1) Aber dass man jetzt unendlich Zeit hat, das ist aus meiner Sicht nicht der Fall, und das ist das größte, auch mit so das größte Risiko, (.) dass man irgendwann aus dem Zeitdruck heraus so, (.) ja, zu Entscheidungen kommt, die vielleicht nicht (.) richtig sind.« (I6a: 54)
Und dieser Zeitdruck ist wechselseitig zu sehen, steht in Verbindung mit der zu bewältigenden Fallarbeit. Die hohe Anzahl an komplizierten und krisenhaften Fällen führt dazu, gepaart mit der dafür ungenügend zur Verfügung stehenden Arbeitszeit, dass mit dem Zeitdruck ein erlebter Falldruck einhergeht und sich das bedrückende Gefühl durch den Mangel an Zeit einstellt, nicht gewissenhaft genug seine professionelle Arbeit wahrnehmen zu können und den Praxis- und Organisationsbedingungen hilflos als Helfer ausgeliefert zu sein. Denn überall herrscht ein großer Falldruck, den die sozialen Fachkräfte in unterschiedlicher Art und Weise spüren. Die Anzahl der Fälle ist in den letzten Jahren immer größer geworden. Die Fälle haben sich potenziert und sind dann noch im Zuge der Standardreduzierung, der organisational angeordneten bewussten Einschränkung der professionellen Fachlichkeit, vorangetrieben worden. Dadurch kam und kommt es u.a. zu Informationsverschüttungen, zu Defiziten bei den Fallübergaben, zu schnellen Verfügungen und zu ›Burn-out-Phänomenen‹ bei einzelnen Mitarbeitern. Der gefühlte Druck muss schließlich einen Weg der Kompensation finden und auch einmal raus gelassen werden können. Die unerfüllbaren Organisations- und Professionsansprüche provozieren nämlich immer wieder einen Zwang, wichtige von unwichtigen Fällen unterscheiden zu müssen. Der dadurch entstehende emotionale, soziale, zeitliche, kurzum: professionelle Druck erzeugt ein Gefühl der Überlastung, des ständigen Nacharbeitenmüssens, des Nichthinterherkommens und der Nichtbeherrschbarkeit professioneller Fallarbeit. Ein prägnantes Beispiel: »Ich habe momentan fünfzig Hilfen zur Erziehung (.) und ungefähr 15 (.) Umgangssorgerechtssachen noch an der Backe und noch zehn andere Sachen, die noch so rumschwirren von Namensänderung (.) bis Kindeswohlgefährdung. (.) Das sind so 75 Sachen, (.) die ich ständig ein und (.) auf dem Schreibtisch liegen habe, sagen wir es so. (.) Dann muss man sich vorstellen: Ein Viertel von diesen (.) 50 HZE-Fällen sind Hilfen ab dem 18. Lebensjahr.
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D.h.: Da werden vierteljährlich Hilfen gemacht. (.) Haben Sie schon mal vier im Jahr, Hilfepläne. (.) Also müssen sie damit rechnen, rund 150 Hilfepläne schreiben zu müssen (2) für den Bereich (3) und, (.) wenn Sie dann, (.) ja manchmal sitze ich ja länger als zwei, drei Stunden an so einem Plan, (2) und das ganze Drumherum organisieren, was alles noch dazu gehört, und diese Alltagsgeschäfte, die ja noch dazu kommen. (.) Da, (.) ja, muss man doch Abstriche machen können, (.) dass man nur das Mindeste abprüft. (1) Das ist ja dieser Zwiespalt, also auf der einen Seite weiß man, dass man das in dieser Zeit, die einem hier gegeben ist, es nicht schafft, und dann setzt man sich natürlich daheim noch daran, (1) (.) aber das ist eine Spirale, (.) und das wissen auch alle.« (I8a: 28)
Es ist von daher nicht ungewöhnlich, dass einzelne Fachkräfte durch und an ihrer Arbeit erkrankten und monatelang ausfielen und sich teilweise kaum noch trauten, wieder an ihre Arbeitsstelle zurückzukehren. Die Arbeit blieb ja so oder so weiterhin liegen und wurde nur teilweise von den Vertretungskräften kompensiert. Wer also im Jugendamt aufgrund des Falldrucks und aufgrund der mit dem Fall Lea-Sophie aufkommenden ›skandalisierenden Öffentlichkeit‹ an seiner Arbeit erkrankte, war zu einem späteren Zeitpunkt dazu gezwungen, die liegen gebliebene Fälle aufarbeiten zu müssen. Die Sachlage verschlimmerte sich dadurch: Der Druck stieg weiter, lagerte sich aus und übertrug sich auf die anderen Kollegen. Es verwundert nicht, dass manche Bereiche aufgrund von Langzeiterkrankungen teilweise komplett liegen blieben und nur aufs Notwendigste hin verwaltet wurden. Die Überlastung des einen führte zur Überlastung der anderen, die Krankheit des einen zur Krankheit der anderen und so weiter, ohne dass wirklich adäquat und flexibel darüber nachgedacht wurde, wie man etwa diesen Kreislauf hätte durchbrechen können, ganz abgesehen davon, dass die Nutzer der Hilfen in diesen nichtbearbeiteten Zuständigkeitsbereichen völlig aus dem Fokus geraten waren4. Eine soziale Fachkraft beschreibt dies auf diese Weise: »Das ist ja z.B. jetzt, wo unserer Kollege da so lange krank ist. Dann (.) wurde natürlich, (.) also fällt es schwer, den Überblick [...] und dann werden natürlich Sachen vergessen: dass bei Gericht ein Termin ist oder so, wo man hingehen muss, ne, das (.) fällt dann runter, (.) und das ist natürlich das, was wir schon die ganze Zeit auch schon anzeigen: (.) dass wir dringend einen Ersatz brauchen für die Kollegin, weil wir die Vertretung, (.) die kann nicht zwei Bereiche abdecken. (.) Das geht nicht, (.) also das kann ich auch nachvollziehen (.) und (1) ja, da fallen, hab ich ja schon gesagt, schon Gerichtssachen, die da verdüst wurden, (.) wo wir aber auch eindeutig dem Gericht sa4
Erst nach einem harten »Kampf« mit der Personalabteilung wurden schließlich zwei Sozialarbeiter für Langzeitkranke eingestellt.
202 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN gen: dass muss dann auch so an die Leitung, sag ich jetzt mal, so weitergetragen werden. (.) Da bitten wir auch darum, (.) dass da auch das von außen nach innen dringt, (.) dass da einfach (.) mittlerweile auch echt was (schleift?) und was liegen bleibt. (.) Wir decken nur die akuten Sachen ab, (.) die reinkommen über die, also den Bereich, (.) alle Hilfen, die, (??) die bleiben liegen (.) zurzeit, (1) und dann werden natürlich Fehler gemacht, (.) ist ja klar, (.) weil dann läuft der ganze Bereich nicht. Da (.) gibt es keine Hilfeplangespräche; (.) Verfügungen werden, glaube ich, noch geschrieben. (.) Damit das erst mal laufen kann. Aber, (4) und es belastet ja auch. Also, wir wollen es ja eigentlich nicht, aber wir haben auch gesagt: Wir müssen das da jetzt auch, (.) ja, abgrenzen zum einen und auch den Abteilungsleiter oder auch sonst wem auch zeigen. (.) Wir können es nicht, das geht nicht.« (I5a: 41)
Manche Mitarbeiter schilderten auch, dass man schon »Batman« sein müsste, übermenschliche Fähigkeiten besitzen müsste, um zu wissen, was hinter jeder Wohnungs- und Haustür in der Stadt Schwerin vor sich geht. Batman könne zwar fliegen, aber durch Wände könne er noch lange nicht schauen, also was helfe das Fliegen, so eine Meinungsäußerung. Aber genau das wurde von den sozialen Fachkräften der sozialpädagogischen Teams innerhalb der Stadtverwaltung, von den Medien, der Politik und den Bürgern erwartet: übermenschlich zu agieren, Grenzen zu überschreiten und dabei stets fehlerfrei zu sein, erst recht, wenn es um den Kinderschutz geht. Aufgrund der unzureichenden Möglichkeiten, regelrechten Grenzen des Jugendamtes bei der Gewährleistung des Kinderschutzes kommen die Mitarbeiter in Drucksituationen, die kaum auszuhalten und zu rechtfertigen sind. Sie werden scheinbar für alles, was mit dem Kinderschutz zu tun hat, verantwortlich gemacht und müssen unter erschwerten Organisationsbedingungen versuchen, das Beste daraus zu machen. Dabei ist ein Wesensmerkmal in der Fallarbeit der sozialen Fachkräfte, mit Konstellationen der Ungewissheit konfrontiert zu sein und nie wirklich eindeutig zu wissen, ob die von ihnen getroffenen Entscheidungen die gewünschten Effekte erzielen. Dies wiederum erzeugt weiteren Druck, weil man eigentlich das Bedürfnis hat, Sicherheit herzustellen, jedoch ständig damit konfrontiert wird, dass sich die Fallverläufe anders als gedacht entwickeln und gefährlich werden können und dass dabei die professionelle Verantwortung nicht abgegeben werden kann. Reflexion und kooperative Vernetzung sind und bleiben das einzige Mittel, um dieser Problematik begegnen zu können. Dies kann durch fallübergreifende und fallunspezifische Arbeitsansätze und in Team- und Supervisionszusammenhängen befördert werden, wenn dafür die Zeit, ein entsprechendes Team, finanzielle Ressourcen und ein dialogisch-demokratisches und sozialraumüberwindendes Praxisverständnis vorhanden sind (vgl. Biesel 2007: 165ff., Hinte 1992, Budde/Früchtel 2006, Hinte/Treeß 2007,
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Langhanky et al. 2004). Aber diese Zeit ist eben begrenzt, steht aufgrund der Arbeitsfülle nicht zur Verfügung und muss mühsam im organisationalen Praxisalltag erkämpft werden. Dieser verzweifelte Kampf ist in Schwerin über Jahre hin erfolglos gewesen, und erst mit dem Skandal um den Fall Lea-Sophie hat sich auf tragische Weise eine neue Konstellation ergeben: Ob damit aber der Kampf bereits als ›gewonnen‹ bezeichnet werden kann, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. 6.1.4 Thematisierungsfeld: öffentliche Hinrichtungen, Überskandalisierungen und Bauernopfer Mit dem Fall Lea-Sophie kam es – wie bereits ausgeführt – auch zu öffentlichen und medial begleiteten Überskandalisierungen, zu einseitigen, personenbezogenen Schuldzuweisungen und Anfeindungen; zur kompletten Infragestellung der Professionalität des Jugendamtes der Stadt Schwerin. 5 Nichts war mehr wie zuvor, sämtliche professionell-organisationalen Routinen wurden in Frage gestellt. Sie waren über Nacht obsolet geworden. Es kam zu öffentlichen Hinrichtungen, Bauernopfer wurden gesucht und ausfindig gemacht, ohne dass gemeinsam mit den Mitarbeitern des ASD direkt darüber gesprochen worden wäre. Vieles mussten sie aus der örtlichen Presse erfahren und nicht, wie man es vielleicht vermuten würde, direkt von den dafür zuständigen Leitungskräften. Und niemand hatte überhaupt bislang mit ihnen fachlich und wissenschaftlich geklärt, was ihre persönlichen eklatanten Fehler gewesen waren, die nur sie allein zu verantworten hatten. Aber Anklagen und Schuldzuweisungen von außen wie von innen standen öffentlich im Raum; Vorverurteilungen, die einen nüchternen und sachlichen Umgang mit den gemachten gesamtorganisationalen Fehlern massiv erschwert haben. Dazu eine soziale Fachkraft: »Es ist geopfert worden: der damalige Jahrespraktikant, der nicht weiter beschäftigt wurde. Er hatte einen Jahresvertrag, (1) obwohl er gut war, also okay, der hat (1), es hätte jeden anderen auch treffen können. Jeder hat einen solchen Vorgang einschließlich meiner Person, […] und ich denke das nimmt die Teams mit. Die Amtsleitung ist abgesetzt, also (1) sozusagen abgesetzt worden, ohne dass dieser irgendetwas nachgewiesen wurde, ohne dass überhaupt irgendjemand sagt: Sie haben jetzt Schuld daran, weil wir haben nicht die Organisationshoheit was Personal betrifft und Organisation überhaupt, die liegt woanders. (3) Die Entscheidung dürfen wir einfach nicht treffen, die können wir nicht treffen. […] Die staatsanwaltlichen Ermittlungen laufen, […] das belastet natürlich (1) die Mitarbeiter, um die es geht, und auch die anderen. (1) Es findet kein Abschluss statt. Es findet auch, es nimmt niemand zur Kenntnis, so, das sind die Punkte, also: (1) Bauernopfer, (2) 5
Vgl. beispielhaft: Gröckel 2008, Schäfer 2008.
204 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN […] also Bauernopfer aus Sicht der Mitarbeiter, öffentliche Hinrichtung ohne die also (1) unrechtmäßig, (2) ohne Wiedergutmachung.« (I1a: 68)
Die soziale Fachkraft verwendet in dieser Interviewpassage nicht unwesentliche semantisch-metaphorische Stilmittel. Die Verwendung der Wörter »Bauernopfer« und »öffentliche Hinrichtung« deuten darauf hin, wie sich die sozialen Fachkräfte des ASD im Umgang mit dem Fall Lea-Sophie erlebten: bloßgestellt und stellvertretend für andere, schützenswertere Mitarbeiter der bürokratischen Gesamtverwaltung, »abgesäbelt«, verurteilt zu werden, ohne dass sie sich rechtmäßig verteidigen konnten, ohne dass sie die von ihnen gemeldeten Problemlagen und sich häufenden organisationalen Systemfehler hätten selbst entschärfen können. Und ohne, dass sie dafür bislang eine Entschuldigung von den höher stehenden Leitungskräften und anderen politisch dafür Verantwortlichen erhalten hätten. »Öffentliche Hinrichtung« meint ja auch: die Vollstreckung einer Strafe, die als eine absolute gesetzt ist, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Egal, was noch kommen mag: eine Wiedergutmachung ist unmöglich, kann ausgeschlossen werden. Denn die Schuldigen stehen fest, und dies sind vor allem die Mitarbeiter des ASD. Sie sind es, die professionell versagt haben und schuld daran sind, dass die Stadt mit einem skandalösen Kinderschutzfall öffentlich in Verruf geraten ist. Seit dem Fall Lea-Sophie im November 2007 kam es zwar dazu, dass Leitungskräfte und soziale Fachkräfte ihren Hut nehmen mussten, dies wird aber so verstanden, dass dies lediglich »Bauernopfern« waren, zumal einige von ihnen nur einfach auf neue und speziell für sie geschaffene Stellen umgesetzt wurden. Die Leitung des Jugendamtes war im Untersuchungszeitraum beispielsweise vakant. Es war lange nicht klar, ob die jetzige Führungskraft bleiben oder ob demnächst nicht ein erneuter Personalwechsel stattfinden würde. Andere Leitungskräfte des ASD hatten sich demgegenüber ihrer Verantwortung entzogen; hatten einfach nicht mehr die Kraft und den Elan, unter den vorherrschenden bürokratischen Organisationsbedingungen der »Sündenbock« für ihre Teammitglieder zu sein. Es kam nämlich in einem der beiden sozialpädagogischen Teams zu einer Problemdelegation auf die Teamleitungsebene, die bei den Mitarbeitern als ›Blitzableiter‹ zeitweilig dafür herhalten musste, dass auf Überlastungsanzeigen und Arbeitsstandsanalysen nicht rechtzeitig reagiert worden war. So ist es u.a. auch bei der Regelung der Arbeitsverhältnisse zu einer bloßen Anweisungskultur gekommen. Nicht mehr die Teammitglieder teilten auf dem Wege einer gemeinsamen Abstimmung ihre Arbeiten auf, sondern sie wollten, dass dies ein Vorgesetzter für sie übernahm, eine Person, die dann für weitere Überlastungen konkret verantwortlich gemacht werden konnte. Diesen Zusammenhang erläutert eine soziale Fachkraft folgendermaßen: »Fehler sind gemacht worden, keine Frage. Die Frage ist, ob es (.) bezogen auf die Entscheidung des Einzelnen (.) zu betrachten ist, oder ob das auf be-
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stimmte Abläufe oder wie gesagt Organisation und so ((leise)) diese Dinge, [mhm] ob das im Zusammenhang (?hängt?)), da, da hier aber alles in einen (.) Topf geschmissen wurde und hier Fehler mit Schuld gleichgesetzt wurden, mit Schuldzuweisungen gleichgesetzt wurden, (2) war es, (1) äh, (1) ist es, äh, ist es für mich also schwierig, also kann ich noch nicht sagen, wie ich künftig damit umgehen werde.« (I10a: 10)
Die individuelle Schuldfrage wurde also mit der Fehleranalyse vermengt. Sie wurde zuerst gestellt, ohne dass in Ruhe analysiert werden konnte, warum, wie und weshalb es zu diesem tragischen Fall gescheiterter Kinderschutzarbeit hatte kommen können. Jedenfalls wurde das Jugendamt in der Folge auf fatale Weise abgestempelt. Es ist seither mit dem öffentlichen Stigma der Unprofessionalität, eines eklatanten Mangels in der Praxis des Kinderschutzes belastet, ohne dass die Mitarbeiter des ASD allein daran etwas hätten ändern können. Sie sind gewissermaßen zu öffentlich abgestempelten Volltrotteln geworden, wie der nachfolgende Interviewauszug verdeutlicht: Interviewer: »Wie würden Sie denn die Organisation hier beschreiben, also nicht im Team, sondern insgesamt: [mhm, ja] Also, was macht sozusagen die Organisation aus (3) für Sie? Wie nehmen Sie die hier wahr, wenn Sie hierher kommen auch im Umgang mit Fehlern? Was haben Sie da für einen Blick? Einfach, was Ihnen einfällt dazu.« Interviewperson: »(5) Also mir fällt, vielleicht komplett vorbei, mir fällt, ähm, ein: Jugendamt, (3) und das ist ja, (2) eigentlich haben wir da diesen Stempel drauf, (1) dass wir fehlerhaft arbeiten, sag ich mal so. Also von der Außensicht her, (2) das, das ist ja so die öffentliche Wahrnehmung. Die Familien haben Angst, (.) dass man ihnen die Kinder wegnimmt, wenn wir auftauchen, [mhm] und die Öffentlichkeit, die nichts mit dem Jugendamt zu tun hat und keine Angst zu haben braucht, dass wir ihnen die Kinder wegnehmen: (2) Für die sind wir abgestempelt als die, voll als die Volltrottel, die sowieso keine Ahnung haben, (2) und (5) ((laut lachend und ironisierend)) ja, das macht es an und für sich sozusagen, da gibt es irgendwie so einen Spruch, wie war denn? Ist der Ruf …, ach so, ist der Ruf erst ruiniert, können sie machen, was sie wollen, ist eh egal. (4) Das ist so die Außenwirkung, und sonst zu der Organisation, oh Gott: das weiß ich nicht, keine Ahnung.« (I3a: 63-64)
Hier wird erkennbar, welche Selbstsicht die Mitarbeiter des ASD haben, wie sehr sie damit beschäftigt sind, sich an dieser Abstempelung innerlich abzuarbeiten. Und zugleich bleibt bei ihnen eine Art resignativer Haltung zurück, eine Haltung des Egal-Seins, der Vergleichgültigung, des Nichts-
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daran-ändern-Könnens, weil sowieso niemand bemerken bzw. sich dafür interessieren würde, dass sich etwas zum Positiven geändert hat. Denn »Wahres interessiert die Massenmedien nur unter stark limitierenden Bedingungen, die sich von denen wissenschaftlicher Forschung stark unterscheiden. Nicht in der Wahrheit liegt deshalb das Problem, sondern in der unvermeidlichen, aber auch gewollten und geregelten Selektivität« (Luhmann 2004: 56). Diese selbstbezügliche Selektivität der Auswahl an Nachrichten über den Fall Lea-Sophie führte dazu, dass die unterschiedlichen Berichterstatter der Massenmedien – willentlich oder nicht – am Storyboard einer kommunikativ verzerrten und temporal angelegten Geschichte mitwirkten; einer konflikthaften und emotional beladenen und belastenden Erzählung, die jeden Tag aufs Neue immer und immer wieder neu und noch leidenschaftlicher bewertet werden muss. Dadurch kam es, wie Luhmann (ebd.: 60) es nennt, zu »Doppelreiheneffekten«, die es unmöglich machten, die zuvor erzeugten Überskandalisierungen rückgängig zu machen. Die Geschichte musste ihren skandalösen Drive beibehalten, konnte nicht mehr anders erzählt werden und kumulierte in einer ihren eigenen Nachrichtenwert unterlaufenden und der gewissenhaften Recherche Hohn sprechenden Ekstase. »Die Massenmedien können durch solche Meldungen von Normverstößen und Skandalen mehr als auf andere Weise ein Gefühl der gemeinsamen Betroffenheit und Entrüstung erzeugen« (ebd.: 61f.); auf diese Weise entsteht im Sinne Durkheims (1988) eine zuvor nie dagewesene und sich öffentlich entladende ›mechanische Solidarität‹ (Durkheim 1988). »Und entsprechend wird ein politischer Handlungsdruck erzeugt, der es nicht mehr erlaubt, die Berichte ins Normale zurückzubetten« (Luhmann 2004: 63), wie in Schwerin beispielhaft deutlich geworden ist. Die sozialen Fachkräfte in Schwerin sind durch diesen über ein Jahr lang nicht aufhören wollenden medialen Diskurs mit der Folge einer skandalinszenierenden Geschichtenerzählung in einer global wirksamen Öffentlichkeit (vgl. Habermas 1979, Habermas 1992: 452)6 zweifach bedroht worden: Sie fühlen sich verurteilt und als »Volltrottel« hingestellt. Und gleichzeitig verengte sich der bereits hinreichend verstellte Zugang zu ihren Klienten noch weiter. Dies hatte zur Folge, dass sich ›Hilfezugangsfehler‹ noch zu-
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Habermas (1992: 455) weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass mit einer gesteigerten Komplexität der Massenmedien nicht eine mediale Differenzierung voranschreitet, sondern eine »Zentralisierung der wirksamen Kommunikationswege«. Die Massenmedien sind paradoxerweise »auf der Anbieter- und Nachfragerseite einem wachsenden Selektionsdruck ausgesetzt. Diese Selektionsprozesse werden zur Quelle einer neuen Sorte von Macht« (ebd.) – Medienmacht. Denn die Massenmedien müssen ihr konsumorientiertes Publikum werbewirksam und den kulturindustriellen Geschmäckern folgend bedienen, weshalb ihre Nachrichtenaufbereitungen und Informationsverarbeitungsstrategien »an den von Publizisten wahrgenommenen Rezeptionsbedingungen« (ebd.) orientiert sind.
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sätzlich verschärften; zumal die Familien nun eine gesteigerte Angst vor dem Jugendamt ihrer Stadt hatten. Und diese Angst führte noch mehr dazu, dass sich bei den Familien eine Tendenz verstärkte, sich den Hilfen zu entziehen. Sie erleben es offenbar als eine Bedrohung, wenn sie mit dem Jugendamt zu tun bekommen. Ein Klient sagt dazu: »Lea-Sophie macht mich betroffen (.) auf jeden Fall […], hat mich doch arg betroffen gemacht, (.) warum müssen Kinder so leiden? Sicherlich auch die Ämter machen Fehler. (2) Sind auch bloß Menschen, die da sitzen, (.) und wenn da irgendwo nichts gemeldet wird (2) oder die Leute sich nicht trauen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, oder nicht können oder ihnen das peinlich ist. Es gibt ja tausend Gründe, warum man Hilfe nicht in Anspruch nehmen kann oder nicht will oder so. Da kann das Amt eigentlich dann auch nichts dafür. […] Aber ich kann doch trotzdem nicht die anderen Leute jetzt, die Nachbarn oder so dazu anstiften zu sagen, wenn irgendwo das Kind schreit oder da gar nichts passiert, da müsst ihr sofort hingehen, […] das geht doch auch nicht.« (I4a: 40)
Neben dieser Angst, der sozialen Scham und sozialen Entwertung der sozialen Hilfesystemteilnehmer im Zusammenhang mit der Institution Jugendamt ist aber auch ein anderes Phänomen nach dem Fall Lea-Sophie beim Zugang zu den Familien wesentlich, das der öffentlichen Beleidigung, der öffentlichen Diskriminierung und Panikmache, wie eine soziale Fachkraft es nachfolgend umschreibt: »Die Situation, wenn jetzt natürlich, das werden Sie vielleicht auch erleben in Hausbesuchen, welche Sprüche wir kriegen, oder in Telefonaten: Muss erst wieder Lea-Sophie … Und alle Nachbarn, die uns auf irgendwelche Spuren setzen wollen oder unter Druck setzen wollen, die haben entweder direkt den Nachsatz: Oder muss erst wieder etwas passieren. (2) Das schwingt also enorm mit, enorm. Das sind so Auswirkungen von Öffentlichkeitsarbeit (2) vom Feinsten«. (I1a: 94)
Der Fall Lea-Sophie ist in den beiden Teams des ASD noch nicht zum Abschluss gebracht. Insbesondere die Rolle der regionalen Medien und der Politik gilt unter den sozialen Fachkräften als ungeklärt. Die Kollegen haben nämlich den Eindruck, dass immer dieselben politisch Verantwortlichen über das Jugendamt etwas Negatives sagen oder schreiben, ohne sich auch einmal eine Meinung von den Fachkräften einzuholen oder selbst eine Fehlerkorrektur vorzunehmen, sprich: die eigenen Auffassungen kritisch und die damit erzeugten öffentlichkeitswirksamen Effekte zu hinterfragen. Die in Form ›öffentlicher Drohgebärden und Verunglimpfungen‹ ein organisationskulturelles Erbe hinterlassen haben, das nicht wirklich überwunden ist.
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Denn nun haben nicht nur die Familien noch mehr Angst vor ihrem Jugendamt in der Stadt Schwerin, sondern auch die sozialen Fachkräfte vor der Ausübung ihrer professionellen Kinderschutztätigkeit. Sie haben Angst davor, einen Fehler zu machen. Und zwar nicht irgendeinen Fehler, sondern: einen gravierenden, dramatischen, extremen, tragischen oder schwerwiegenden. 6.1.5 Thematisierungsfeld: gravierende, dramatische, extreme, tragische und schwerwiegende Fehler Fehler werden von den Mitarbeitern des ASD der Stadt Schwerin als »normal« und »unvermeidlich« angesehen. Deshalb sind und waren sie in der Vergangenheit auch darum bemüht, diese in ihrer Praxis zu verhindern. Schließlich sind sich die meisten sozialen Fachkräfte darüber im Klaren, dass es zu Fehlern in ihrer Arbeit kommen kann, benennen konnte diese Fehler jedoch fast niemand. Oder anders gesagt: Die Mitarbeiter wissen zwar, dass Fehler passieren können, vor allem ›Hilfeprozessfehler‹. Aber was konkret in der Praxis der Fall- und Beratungsarbeit misslingen kann, wurde kaum oder nur am Rande thematisiert. Diese ›Thematisierung am Rand‹ ist aber ebenso aufschlussreich und enorm handlungsleitend und erzeugt nicht zuletzt auch Druck. Deutlicher umrissen wurden hingegen die eher eindeutig zu fassenden Fehler, die ›verwaltungstechnischen Fehler‹. Denn bei diesen kann die Differenz von richtig und falsch, von Norm und Abweichung, leichter bestimmt werden, wenn beispielsweise Verwaltungsnormen der Aktenführung, vorherrschende Dokumentationsabläufe und -standards oder auch Termine nicht eingehalten bzw. unterlaufen werden. Fast alle Fachkräfte sagten deshalb auch, dass Fehler normabweichende Handlungen seien bzw. Handlungen und Entscheidungen, die von den gesellschaftlichen, organisationalen und professionellen Erwartungen abweichen. Ein Beispiel:
»Fehler? Fehler würde ich verstehen als Schwachpunkt, als etwas, was nicht richtig ist, mhm, (3) was von der Norm abweicht.« (I3a: 4)
Oder auch: »Das ist auf jeden Fall irgendetwas mit Bewertung, weil, irgendjemand legt die Norm fest und danach orientiert man sich und danach werden auch Fehler oder Nichtfehler festgelegt.« (I5a: 4)
Anders formuliert: Die Normen, die Erwartungen, müssen vorher geklärt sein, will man in der Praxis des ASD überhaupt dazu in der Lage sein, Fehler frühzeitig zu erkennen, um aus diesen Fehlern lernen zu können. Schließlich sind es die latenten, sich einschleichenden, unbemerkten, klei-
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nen Fehler, die riskant werden und sich zu einem unglücklichen Umstand verketten und zu tragischen Fehlern führen können. Es bedarf also organisational geförderter ›Praxisanker‹; gemeinsamer professionell-organisationaler Orientierungen, um einschätzen zu können: was, wie, wann und warum zum Fehler werden kann und dann auch als Fehler gesehen wird. Eine soziale Fachkraft merkt hierzu an: »Also für mich ist (1) ein Fehler, (2) wenn (1) ein bestimmter Vorgang, wenn eine (.) Erwartung, (1) an etwas klar formuliert wurde, (1) und diese Erwartung, (2) aus welchen Gründen auch immer, (1) nicht erfüllt wurde.« (I10a: 2)
Und ein anderer Mitarbeiter schildert dazu: »Tja Fehler. Da ist was falsch, da läuft was schief, (2) und das sage ich mal: Es passiert etwas, was nicht, (2) ähm, (2) den Erwartungen, (4) die eigentlich hätten, (.) also die Erwartungen sind nicht erfüllt.« (I11a: 2)
Und weil genau diese Erwartungen im Jugendamt und in der Gesamtverwaltung der Stadt Schwerin nach dem Fall Lea-Sophie im Untersuchungszeitraum nicht geklärt und besprochen werden konnten, kam es zu kognitiven Suchaktionen bei den sozialen Fachkräften, die mit dem Hinweis darauf verbunden waren, dass man Fehler in der Sozialen Arbeit nur schwer bestimmen könne und es deshalb kompliziert sei, überhaupt fehlerhafte Hilfeprozesse erfassen zu können: »Also, wo man wirklich zwischen richtig und falsch unterscheiden kann, (.) das sind diese, diese Faktensachen oder Gesetzes- (2) sachen, […] wenn jetzt, (3) wenn es konkret im Gesetz steht (1) und das vorgegeben ist, und ich handle nicht danach, oder, oder ich arbeite nicht danach: Dann kann man, glaube ich, von richtig oder falsch sprechen, (1) wenn es aber dieser ganze, diese, der Beratungskontext ist und Kontakte zu der Familie, irgendwelche Sachen. Da gibt es ja, ich finde, da kann man schlecht von (2) richtig oder falsch sprechen, weil das ist ja, da ist ja auch dieser Ermessenspielraum relativ groß. (16) Also, man kann ja, (2) ((sehr leise)) oh Gott, (1) das ist schwer. Also, man kann ja richtig beraten meinetwegen oder falsch beraten, indem man den Leuten falsche Informationen gibt oder fehlerhafte Informationen, [hm] (2) ja (2) genau, (6) jetzt weiß ich nicht weiter«. (I3a: 16)
Oder:
210 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN »Ich habe, das kann ich ja hier mal sagen: (3) Ich habe mir die ganze, also dieses Fehlerding, das beschäftigt mich wirklich schon seit jenem Tag7: (5) Wie, was, was ist überhaupt ein Fehler und Soziale Arbeit und Fehler und so was alles? (3) Und dass ich schon denke, dass das einfach, (2) wirklich wie viele Fehler oder Fehler überhaupt in der Sozialen Arbeit, wie viele Möglichkeiten es gibt. Geht doch gar nicht ohne. (2) Das ist doch ein Prozess. Das gehört einfach dazu. Das ist gar nicht, (.) gar nicht möglich ohne, (2) oder? (3) Ja (4) sonst gibt es keine, (2) keine Weiterentwicklungen, keine (.) Prozesse so (2) ja.« (I3a: 92)
Was wird hieraus ersichtlich? Fehler werden von den sozialen Fachkräften des ASD in der Stadt Schwerin nicht nur als normbezogene und erwartungsbasierte Tatsachen verstanden. Sie werden umfassender kontextualisiert. Es wird darauf verwiesen, dass die Praxis Sozialer Arbeit zeitlich prozessual sich wandelnden Praxisbedingungen ausgesetzt ist. Dass die Wirkung oder der Erfolg von Hilfen, seien sie nun ambulant, teilstationär oder stationär, sich im Hilfeprozess ändern können und von vielen sich gegenseitig beeinflussenden und teilweise konträr zueinander stehenden personalen, organisationalen, zeitlichen und gesellschaftlichen Faktoren abhängen (vgl. hierzu auch Galuske 2009: 51). Und dass man als soziale Fachkraft nicht wirklich weiß, ob man mit seinen Interventionen immer zur richtigen Zeit die richtigen Hilfen auswählt. Der sozialarbeiterische/sozialpädagogische Kontext ist einfach zu komplex. Das Entscheidungshandeln, das Beraten und Begleiten der sozialen Hilfesystemteilnehmer in krisenhaften und konfliktbeladenen Zeiten kann nicht von feststehenden und unveränderbaren Praxiskonstellationen aus betrieben werden. Die Praxiskonstellationen ändern sich ständig, können zeitlich nicht ›eingefroren‹ und wie bei einer mechanischen Uhr teilchenweise und immer stets zuverlässig zusammengesetzt werden. Die Praxis ist bestimmt von Kontingenz, von struktureller Unbestimmtheit. Will man sie beherrschen, muss man Handlungssegmente selektieren und die komplexe Realität reduzieren, folgt man den in der ersten Werkperiode Luhmanns (1984) entwickelten Theorie offener sozialer Systeme. Danach kann man als soziale Fachkraft nicht mit Bestimmtheit zwischen richtigem und falschem Entscheidungshandeln unterscheiden, fehlt es eben an einer eindeutigen professionellen sozialarbeitswissenschaftlichen Orientierung Der Beratungskontext, oder allgemeiner: die Praxis Sozialer Arbeit hat einen relativ großen Ermessensspielraum, denn zahlreiche Faktoren, die sich zudem noch verändern, müssen berücksichtigt werden. Den sozialen Fach-
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Seit jenem Tag, als klar war, dass ich als forschender Praxisbegleiter mit den weiter oben beschriebenen evaluativen Forschungsfragen ins Feld kommen würde.
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kräften aus Schwerin fällt es deshalb auch schwer, für sich zu klären, was sie in ihrer Praxis richtig oder falsch machen. Allein die 16-sekündige Pause und die daran anschließende Bemerkung »oh Gott« in diesem Interviewbeispiel zeigt, wie kompliziert es ist, ein richtiges oder falsches Beraten, Kommunizieren und Intervenieren festlegen zu wollen, hat doch jede Situation ihre je spezifische Struktur und Dynamik und jede soziale Fachkraft ihren je eigenen spezifischen methodisch-professionellen Ansatz; ihr eigenes, wie es Burkhard Müller (2008: 28) nennt, »Hinterkopf-Wissen«. Man kann auch sagen: Die sozialen Fachkräfte aus Schwerin »wenden sich aufgrund von bestimmten selektierten Praxiserfahrungen bestimmten selektierten Theoriekonstrukten zu, mit Hilfe derer sie wiederum aus der Fülle der möglichen Handlungen ganz bestimmte selektieren« (Kleve 2000: 188). Und dabei ist nicht mit Sicherheit auszumachen, ob sie mit ihren jeweils spezifischen Lösungsselektionen Erfolg oder Misserfolg haben werden. Hinzu kommt, wie mir häufig immer wieder berichtet worden ist, dass in der Praxis Sozialer Arbeit mehrere sich gegenseitig beeinflussende Fehlerquellen existieren – mehrere Helfer, Organisationen und Personen, die an den unterschiedlichen Hilfen beteiligt sind. Deshalb gibt es auch unterschiedliche subjektiv habitualisierte Fehleransichten und Fehlerwahrnehmungen (vgl. Bourdieu 1997a, 1997b), fachliche Haltungen und methodische Vorgehensweisen darüber, was sich schlussendlich als richtig oder falsch erweist und als richtig oder falsch bezeichnet werden kann. Denn: »Jeder hat seinen eigenen Stil und macht es anders, also redet mit Leuten anders, findet den Kontakt mit Leuten anders: macht jeder anders. Und das würde ich nicht als Fehler sehen. Da, da ist jeder unterschiedlich ja (.) jeder hat seinen eigenen Stil« (I3a: 38),
so eine soziale Fachkraft. Hier deutet sich ein grundsätzliches Dilemma der sozialarbeiterischen/sozialpädagogischen Praxis an, das sich in der Uneindeutigkeit eindeutig zu bestimmender Fehler widerspiegelt. In der Gegenüberstellung zum verwaltungstechnischen Kontext, in dem klare Handlungsvorgaben und einfache, sich nicht permanent wandelnde Umwelten existieren und darum auch Abweichungen von Festgelegtem als Fehler beanstandet werden können, ist Soziale Arbeit als Profession in divergierende gesellschaftliche Erwartungs- und Anspruchshaltungen eingebunden und selbst von Interessengegensätzen bestimmt. So gesehen, existieren unterschiedliche Vorstellungen darüber, was als fehlerhaft klassifiziert werden kann, nicht nur innerhalb der professionellen Organisation Jugendamt, sondern auch auf der gesellschaftlich-normativen und rechtlichen und politischen Ebene. Hierüber hat man sich in Schwerin jedoch nicht systematisch genug und in verbindlicher Art und Weise ausgetauscht. Jede Fachkraft muss daher selbst sehen, für sich einschätzen und begründen, ob sie nun fehlerhaft gearbeitet hat oder nicht. Eine weitere Interviewpassage soll dies veranschaulichen:
212 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN Interviewperson: »Ja (3) ein Fehler ist das Gegenteil von einer richtigen Entscheidung, die (.) ja, (.) ich sage mal, (1) die man aus dem Wissen, das man hat, (.) für diesen Job (2) begründen kann. (.) Klingt das logisch ((lacht))? Haben Sie das so verstanden?« Interviewer: »Ich versuche, es nachzuvollziehen. (.) Also, man trifft sozusagen eine Entscheidung (.)« Interviewperson: »die unbegründet ist. (.) Das, was man subjektiv als Begründung empfindet ((leise)), sagen wir es so: (.) Es geht ja hier immer um Entscheidungen. Man muss sich ja jeden Tag hier 15, 20 Mal entscheiden. Und genau, man muss es ja immer begründen, (1) aus pädagogischer Sicht, warum das für das Kindeswohl (.) sinnvoll ist, so zu handeln und nicht anders. Und dann sucht man Argumente, die das untermalen, (.) seine Entscheidung (.) (3) und (.) ja, ich denke, ein Fehler ist, (.) wenn man das nicht begründen kann.« (I8a: 4-6)
Dieses Begründungswissen ist professionelles Handlungswissen, ein Wissen, das nicht nur aus der eigenen Subjektivität entspringt, sondern aus der theoretisch und praktisch erfahrbaren Expertise der Profession Sozialer Arbeit erworben werden kann, und zwar: • durch das Studium und berufsbegleitende Weiterbildungen, • durch Berufserfahrungen und • durch Intervisionen und Supervisionen, sprich: durch kollegialen Austausch auf unterschiedlichen Wegen. Doch um die richtige und falsche Anwendung des professionellen Handlungswissens geht es in der Praxis nicht allein. Es zählt auch, ob und wie man dazu in der Lage ist, seine professionellen Entscheidungen und Handlungen – ›Entscheidungshandlungen‹ – sich selbst, seinen Kollegen, der eigenen Organisation und der Gesellschaft gegenüber zu legitimieren. Schließlich muss sich die Profession Sozialer Arbeit im Rahmen der reflexiven Modernisierung (Beck 1986, Beck/Giddens/Lash 1996, Beck/Bonß 2001), oder wie es Giddens (1996) schärfer akzentuiert, der institutionalisierten Reflexivität, ihres professionellen Expertenwissens versichern, sich selbst und in Auseinandersetzung mit der demokratisch-politischen Öffentlichkeit rückversichern, um das aktive Vertrauen der Gesellschaft in die Expertise der Fachleute zu bewahren (vgl. hierzu auch Merten/Olk 1992), gerade wenn etwas misslungen ist und Hilfeprozessfehler im Kontext des fallbezogenen Kinderschutzes zu ›gravierenden Fehlern‹ geführt haben. Dieser ›Zwang zur professionellen Begründung‹ ist, wie eine soziale Fachkraft weiter ausführt, wegen zeitlich nicht mehr zu bewältigender Arbeitsabläufe entstanden und weil es zu problematischen Fallverläufen, die als besonderes relevant angesehen wurden, gekommen war; nicht zuletzt
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entsteht dieser professionelle Begründungszwang, weil das eigene berufliche Handeln gegenüber anderen, sozialräumlich höher stehenden Professionen abgesichert und legitimiert werden muss (vgl. Bourdieu 1997b): »Ich habe sehr viele Fälle, die so auf der Waagschale zum Familiengericht stehen, (.) wo ich dann einfach merke: (.) Okay, hier konntest du im Vorfeld nicht genug Gespräche mit den Einzelnen führen, (.) ne, (.) konntest diese Erziehungsberatung, die wir leisten sollen, in dem Umfang, den man dafür benötigt, nicht leisten, ne, (.) so dass die einfach auch nicht viel motiviert sind, (.) Hilfe anzunehmen, (1) ne, (1) und das ist dann immer so, diese, diese Gratwanderung. (1) Na ja, deswegen versuche ich das eigentlich alles auch richtig rechtlich zu begründen, (.) aber natürlich pädagogisch, ne, und dann kommen die Ausführungen, (.) Frustrationstheorie und Bindungstheorie und alles Mögliche, ne, (.) richtig was und dann doch (.) jeder weiß, dass diese Hilfe eine Relevanz hat.« (I8a: 44)
Im Interviewmaterial wird die Auffassung deutlich, dass Fehler offenbar erst identifiziert werden können, wenn sie • von vorab festgelegten Normen und/oder • von als bekannt vorauszusetzenden professionellen, organisationalen und gesellschaftlichen Erwartungen abweichen und • wenn dafür keine allgemein gültigen bzw. akzeptierten professionellen Begründungen mehr geliefert werden können. Damit ist eine Reihe von Fragen aufgeworfen: Unterliegt das Fehlermachen einer professionellen Begründungs- oder gar Absicherungspflicht? Muss man als soziale Fachkraft eigene professionelle Erwartungen und Normen bekräftigen, die in der organisationalen Praxis des Jugendamtes der Stadt Schwerin oftmals nur als diffuse professionsethische Ansätze vorhanden sind, um die eigenen und die Fehler anderer zu bestimmen? Ohne professionelle Argumentationslogiken kommt man aber offenbar nicht aus; zumindest fühlen sich die sozialen Fachkräfte des ASD der Stadt Schwerin dazu verpflichtet, ihre eigenen professionellen Handlungsnormen und Entscheidungslogiken in schriftlicher und auch mündlicher Form plausibel darzulegen; selbst dann, wenn sie eigentlich keine Zeit dafür haben, ihrem eigenen professionellen Anspruch gerecht zu werden, der darin mündet, sorgfältig eine gründliche, hilfreiche und für alle nachvollziehbare fachliche Fallanamnese durchführen zu wollen8:
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Im Übrigen war es einer der Hauptvorwürfe im Fall Lea-Sophie, eine unzureichende, zeitlich verzögerte und nicht nachvollziehbare Dokumentation vorgenommen zu haben (vgl. Verwaltungsinterne Untersuchungsgruppe zum Tod von Lea-Sophie 2008).
214 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN Interviewer: »Was würden Sie denn als Fehler bezeichnen?« Interviewperson: »Mhm, (4) na ja, schon wenn man sich im, im, im Vorfeld (.) nicht alle möglichen Meinungen einholt, die einem zur Verfügung stehen, (.) oder alle möglichen Aspekte beachtet (2) [mhm] (.) und dann (.) z.B. nur aufgrund vom Zeitdruck eine Entscheidung fällt.« (I8a: 50)
Warum dem »Zeitfaktor, der immer mit einhergeht, so in allem und dass das auch, auch eine große Bedingung ist, um Fehler ausschließen zu können, (2) also sichtbare Fehler oder Fehlentscheidungen« (I6a: 30), in Schwerin nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt wird, habe ich bereits verdeutlicht (Zeit als Problem/Falldruck). Aber noch etwas anderes spielt eine Rolle: Bei all meinen Fragen zu Fehlern in der Praxis des ASD haben die Fachkräfte aus Schwerin fast ausnahmslos über ›verwaltungstechnische Fehler‹ berichten können, nicht jedoch über eigene ›Hilfeprozessfehler‹; also über konzeptionelle und methodische Standards des Beratens oder der Fallarbeit, kurzum: über Standards des gemeinschaftlichen methodisch-programmatischen Handelns. Gleichzeitig, und dies ist bemerkenswert, haben alle von mir interviewten Fachkräfte den fachlichen Anspruch formuliert, Hilfeprozessfehler vermeiden zu wollen, um nicht der Tragik der Unvermeidbarkeit von Hilfeprozessfehlern in der Sozialer Arbeit ausgesetzt zu sein, den gravierenden, dramatischen und tragischen Fehlern. Es herrscht also so etwas wie eine Fehlerethik der eigenen fachlichen Verantwortlichkeit vor, die Gewissheit, Fehler nicht mit Absicht machen und gerade deshalb vermeiden zu wollen. Aus diesem Grund wurde auch oftmals erwähnt, dass eine ›oberflächliche Fallarbeit‹ – wenn man zu schnell und aus der eigenen Kurzsichtigkeit des Denkens heraus Entscheidungen trifft oder sich nicht die Zeit nimmt bzw. hat, die grundsätzlichen Probleme der sozialen Hilfesystemteilnehmer mit diesen gemeinsam herauszufinden – zu ›Einseitigkeits-‹, ›Perspektiv-‹, ›Schnelligkeits-‹ und ›Sättigungsfehlern‹, zu ›Anamnesefehlern‹ führt. Die fehlende Zeit wird deshalb auch als der wichtigste Fehlerverursacher benannt, neben dem Risiko, den eigenen Sozialisations- und Erziehungserfahrungen bei der Falleinschätzung und in der Beziehungsgestaltung mit schwer erreichbaren Familien in Not- und Krisenlagen zu unterliegen und damit die eigene Hilflosigkeit als Helfer zu verstärken: »Also ich denke nicht, dass in einem Helferprozess einer für, (.) für den Nichterfolg oder für das Nichtgreifen einer Hilfe verantwortlich ist. Sondern das ist schon (.) von vielen Faktoren abhängig. (1) In erster Linie finde ich, dass ein Faktor ist, ist, wenn Leute definitiv keine Hilfe annehmen wollen. Man von vornherein schlechten Spielraum hat [hm], (1) also was wollen Sie da, was wollen Sie da bewirken? (.) Da gibt es nicht mehr, also, da gibt es nicht viele Möglichkeiten, wenn jemand nicht will, (3) also, das ist ein Fak-
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tor, warum aus meiner Sicht bestimmte Hilfen auch nicht greifen können.« (I6a: 18)
Die Problematik der Hilfeprozessfehlerunvermeidlichkeit liegt – wie man sieht – darin, dass Hilfeprozessfehler stets existieren und dass sie immer wieder erneut auftreten, dass sie aber, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt werden, nicht mehr im Hilfeprozess korrigiert werden können, zumal, wenn es dabei zumeist um den schmalen Grat zwischen Leben und Tod von professionell zu schützenden Kindern geht. Gelingt die Abwendung von tragischen oder auch dramatischen Fehlern nicht, werden Fehler nämlich nicht mehr als normal, sondern als unzulässig, skandalös und vor allem als generell vermeidbar beschrieben. Diese Art der öffentlichen Wahrnehmung professioneller Fehler kann nun in der Regel rückwirkend nicht mehr aufgehoben bzw. im hintergründigen Kontext interner professioneller Organisationsmechanismen nicht mehr abgeschwächt werden: »Ja, also dieses schlecht Fühlen, hängt ja damit zusammen, welche, was ist daraus entstanden. (1) So wenn ich dann wieder in diesen Arbeitsbereich gucke, (2) ja, dann eine Sache habe ich, die liegt sehr lange zurück, (2) (2) ja, da war das Baby tot, (1) und das ist dann, wo man sich dann fragt: An welcher Stelle hättest Du, (2) und da geht es mir schon schlecht. (1) Also auch mit, mit dem Erleben: so die Leute kommen. Deine Akten werden rausgenommen. Es wird alles durchgeguckt, (1) und dann überlegt man schon: (1) Wo hättest du, was anderes tun müssen?« (I2a: 16)
Und genau vor diesen folgenreichen Fehlern, vor denen man nicht zu einhundert Prozent geschützt ist, haben die sozialen Fachkräfte des ASD Angst, nicht zuletzt, weil sich die Fehlerhaftigkeit der Hilfen erst im Prozess der unterschiedlich beteiligten lebensweltlichen Unterstützungssysteme, der Professionen und Organisationen zeigt, oft erst dann, wenn sich der Erfolg der Hilfen nicht einstellt 9 und »andauernd nachkorrigiert werden muss. Dann stimmt ja irgendetwas nicht in den Hilfeprozessen«, wie es eine soziale Fachkraft treffend schildert10.
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Kleve (1999: 238) vertritt die Auffassung, dass die Leitdifferenz von Norm und Abweichung in der Postmoderne sich in eine andere, die des Helfens und Nichthelfens transformiert hat und »der Erfolg der Hilfen erst dann sichtbar« wird, »wenn aus professioneller Hilfe Nicht-Hilfe wird«. Dies lässt sich am Interviewmaterial markant belegen, wenngleich die sozialen Fachkräfte nach einem absoluten Abweichungsbegriff gegenüber dem, was falsch und was richtig ist, suchen. 10 Bei einer metaphernanalytischen Re-Analyse der mir zur Verfügung stehenden Experteninterviews von den Fach- und Leitungskräften aus den Jugendämtern Schwerin und Dormagen hat sich im Jahr 2010 folgende Kategorisierung erge-
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Aber es wird auch noch etwas anderes im Datenmaterial ersichtlich: dass nämlich Interventionen, die heute helfen, am nächsten Tag bereits wieder obsolet sein können und genau das Gegenteil von dem bewirken, was man als soziale Fachkraft ursprünglich bezwecken wollte, und dadurch eine professionell kaum zu beherrschende Falldynamik ausgelöst wird, wenn man es nicht schafft, ein tragfähiges, mehrseitig-reflexives Arbeitsbündnis mit den sozialen Hilfesystemteilnehmern und den anderen daran beteiligten professionellen Unterstützungssystemen zu arrangieren. Eine soziale Fachkraft beschreibt es folgendermaßen: »Also (4) für mich ist nicht immer klar, ob das, was wir an Arbeitshandlungen oder an Dingen erarbeitet haben, ob es richtig oder falsch ist. (.) Kann es unmöglich, kann also auch nicht, das wird sozusagen (1) der Umgang, die Arbeit mit demjenigen mit der Handlung (.) ergeben (.) und die Reflexion. (1) Das ist, glaube ich, entscheidend, dass man also (.) immer wieder reflektiert: (1) tun wir das Richtige, ist das, was wir sozusagen vereinbart haben, oder ist das, was wir tun, (.) eigentlich noch richtig. (.) Oder (2) ja: (.) Liegen wir nicht richtig? Das, glaube ich, weiß man nicht am Anfang, sondern weiß man mittendrin oder am Ende immer nur dann, wenn man es auch wirklich reflektiert oder wenn gerade oder wenn jemand anderes drauf stößt. Also wenn jemand einen Widerspruch einlegt, (.) zu einer (.) Entscheidung (.). Damit nimmt ja auch sozusagen, dann wird man (.) aufgefordert, noch mal zu reflektieren: was, was tue ich da eigentlich? Was habe ich entschieden? (2) Also, man kann das sicherlich machen, indem Dritte einen drauf stoßen. [Mhm.] Optimaler wäre es sicherlich, wenn man sozusagen etwas, sozusagen es ritualisiert organisiert, institutionalisiert, die Reflexion (.). Dann stößt man auf die Fehler [mhm] und weiß man, ob man richtig ((leise)) oder falsch liegt.« (I10a: 14)
In diesem Interviewausschnitt werden wesentliche Voraussetzungen formuliert, um Fehler, genauer gesagt, ›Hilfeprozessfehler‹ in der Sozialen Arbeit und in der fallbezogenen Kinderschutzpraxis zu vermeiden. Erstens wird die Bedeutung einer reflexiv zu gestaltenden Praxis hervorgehoben, ein prozessuales selbstkritisches ›reflection in and on action‹ (Schön 1983); zweitens die Notwendigkeit, von anderen auf seine unentdeckten und unbemerkten Fehler hingewiesen, zum Reflektieren angeregt zu werden; und drittens die Ambition eines ritualisiert organisierten und institutionalisierten Reflexionsablaufes, einer Reflexion, die nicht zur Routine wird, weil sie selbst zum Gegenstand der permanenten Reflexion wird.
ben: Fehler sind ungeplante Reisen, Fehler sind ungute Bauchgefühle, Fehler sind ungeborene Kinder, Fehler sind destabilisierende Anklagen (vgl. Kruse/Biesel/Schmieder 2011: 107ff.).
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Auf die Frage, wie die sozialen Fachkräfte des ASD ihre Hilfeprozessfehler bemerken, kam deshalb auch immer dieselbe Antwort: im Idealfall durch Selbstreflexion, also jene professionelle Fähigkeit, die benötigt wird, wenn man es mit einer prozessual-dynamischen Praxis zu tun hat; einer Praxis, die als nicht wiederhol- und standardisierbar beschrieben werden kann und wofür professionelle Fachkräfte eingestellt werden. Die reflexive Kompetenz des professionellen Umgangs mit Unsicherheiten der Praxis ist deshalb auch mit dem professionellen Begründungs- oder Handlungswissen der einzelnen sozialen Fachkräfte eng verwoben, das jedoch, sollen Hilfeprozessfehler verhindert werden, immer wieder auch von anderen organisationsinternen und -externen Kollegen und von den sozialen Hilfesystemteilnehmern reflexiv in Frage gestellt werden muss. Dieses Infragestellen durch andere ist aber alles andere als leicht, weil man sich als Fachkraft vor den anderen bloßgestellt oder sozial beschämt fühlt, was damit verbunden ist, dass man sich aus Selbstschutzgründen zunächst im Handeln als kompetent und professionell hinstellt, ja, geradezu sich unbewusst verteidigt. Bei Fallberatungen ist man beispielsweise eher darauf aus, sich Bestätigung für seine bereits erarbeitete Hilfestrategie einzuholen, anstatt auch für neue und ungewöhnliche Wege offen zu sein, um dann, wenn man seine selbstbezüglichen Hilfeprozessfehler eingesehen hat, diese im Nachhinein, im Stillen, korrigieren zu können, wie es eine Fachkraft beschreibt: »Ich überlege schon, wenn man mir eine Rückmeldung gibt, das war jetzt vielleicht nicht ganz so gut oder das war nicht richtig. Ich hätte das in deiner Situation anders gemacht oder wie auch immer. (1) Habe ich schon, dass ich auch für mich gucke, (1) ist das auch wirklich mein Weg oder fang ich jetzt an, mich hier irgendwie zu verbiegen und so in tausend Ecken zu denken. (1) So ein Mensch bin ich nicht, kann ich nicht, will ich nicht und werde ich auch nicht machen, (1) weil, es gibt Sachen, die sind auch berechtigt, und (.) weiß nicht, das kann ich dann auch abschätzen. So kann ich mich verbiegen oder (1) ansonsten eben eher so bin ich jemand, der ganz klar und deutlich sagt: (1) ist nicht. […] Es muss mit mir auch übereinstimmen. [ja] Ansonsten geht das nicht, funktioniert das nicht, kann ich es auch nicht umsetzen.« (I2a: 12)
Hier zeigt sich: Fehlerrückmeldungen durch andere Kollegen müssen mit dem eigenen professionellen Fehlerwissen übereinstimmen. Werden Fehler durch andere angesprochen, die nicht mit den eigenen fachlich-isolierten Vorstellungen übereinstimmen, werden diese Fehler nicht als solche wahrgenommen und verinnerlicht. Genauer gesagt: In Schwerin haben die sozialen Fachkräfte sich bislang nicht darüber gemeinsam verständigt, welche ihrer professionellen und impliziten Wissensbestände für alle explizit handlungsleitend, eben kollektiv orientierend sind (vgl. Nonaka/Takeuchi 1997). Organisational wird ihnen und dem Jugendamt an sich nicht die Zeit gege-
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ben, über interne Prozesse kritisch reflektieren zu können. Es kann dadurch nicht geprüft werden, welche Verfahren sinnvoll sind bzw. abgeschafft oder auch einer Änderung unterzogen werden müssen. Hinzu kommt: Schnelllebige Aktionen der hierarchisch höher stehenden Verwaltungseinheiten dominieren nicht selten die Lernerfahrungen, welche die Mitarbeiter im Jugendamt gemacht haben und wichtig finden. Diese Erfahrungen werden, wie schon dargelegt wurde, oft nicht mitgedacht und einfach hierarchisch übergangen. Demgegenüber ist eine kollektive und bislang unentdeckte und gemeinsam geteilte Orientierung jedoch handlungs- und entscheidungsleitend: eine kollegiale und auf Selbstschutz bedachte Zusammenarbeit. 6.1.6 Thematisierungsfeld: kollegiale und auf Selbstschutz bedachte Zusammenarbeit Auf das Team kommt es an – wie es miteinander kritisch und erfinderisch zusammenarbeitet und wie es sich bei der gemeinsamen fachlichen Weiterentwicklung unterstützt. Zunächst einmal kann man sagen, dass die beiden Teams des ASD nicht miteinander kooperieren, jedenfalls nicht offiziell, und sich natürlich in ihrer Zusammensetzung, in der Art und Weise des Zusammenarbeitens und ihrer Teamfähigkeit unterscheiden. Ich will dennoch versuchen, beide Teams generalisierend zu beschreiben: Was ich während meiner freien teilnehmenden Beobachtungen beobachten konnte und was sich dann auch in den Experteninterviews zeigte, ist, dass die Teams vordergründig darum bemüht sind, kollegial miteinander zu arbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen. Es findet gewissermaßen eine beiläufige und ungezwungene Teamkommunikation statt, die man aber selbst in Gang setzen muss: »Der Umgang hier ist ziemlich (2), man ist ziemlich offen miteinander (2) so, also, und auch also kommt natürlich auf einen selbst drauf an, inwieweit man das natürlich für sich annehmen möchte. (.) Also, man kriegt hier schon Rückmeldungen, die muss man sich aber, (3) ja, die muss man sich schon sozusagen holen. Also, es liegt in der Eigenverantwortlichkeit eines jeden Einzelnen, wie man Sachen einbringt und vorstellt und, ähm, ja, komplexe Sachen bespricht und (2) ja, man kann sich ständig hier jeden Tag Rückmeldungen holen, (.) und das findet auch statt (.) immer, (1) oder man geht von Tür zu Tür und fragt. Ich brauch da auf jeden Fall noch einmal einen Blick drauf. Also, das geht hier (.) vollkommen unproblematisch, (1) das geht, aber man muss, (.) muss von einem selbst kommen.« (I3a: 34)
Ähnlich wird es von einer anderen sozialen Fachkraft geschildert:
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»Ich finde, das Team funktioniert gut. (.) Man kann sich auf den anderen verlassen. Also, das ist auch, (.) selbst wenn ich jetzt wüsste, ich würde von heute auf morgen krank werden und hier (.) würde mir keiner (.) im Nachhinein sagen: oh Gott, was hast Du für ein Chaos. Irgendwie, nein, da halten wir auch zusammen. Also, das finde ich total schön zu sehen.« (I5a: 65)
In den Teams wird das vorhandene Wissen untereinander ausgetauscht und weitergegeben, sofern, und dies ist für den kollegialen Austausch über Fehler entscheidend, der Einzelne dazu bereit ist, sich mit seinem Anliegen zu öffnen; sich selbstaktiv die fachlichen Meinungen der anderen einholt. Es besteht also die Möglichkeit spontaner, informeller Fallerzählungen, des gegenseitigen und unterstützenden Zuhörens. Denn die meisten Fachkräfte achten und respektieren sich, unabhängig von Alter, Geschlecht und der zeitlich-organisationalen Zugehörigkeit. Jeder kann zu jeder Zeit bei jedem ins Büro kommen, Fragen stellen, Fälle reflektieren, vorausgesetzt der Kollege hat gerade keine Beratung oder andere dringende Verpflichtungen. Dies dient vor allem der eigenen Absicherung, Vergewisserung und Selbstklärung darüber, ob man die ›richtigen‹ Entscheidungen getroffen und die ›richtigen‹ Schritte eingeleitet hat. Die Fallberatungen und speziell die ›Krisenteams‹, die sofort einberufen werden, wenn eine ›Kinderschutzmeldung‹ über das sogenannte ›heiße Telefon‹ kommt, verdeutlichen dies. Sofort ist bei allen Beteiligten klar, dass mit der eingegangenen Meldung eine Krise in der betreffenden Familie vorliegt, ohne dass man wirklich weiß, wie diese Krise tatsächlich aussieht. Und auch der Reflex, bei allen Fällen einen kontrollierenden Hausbesuch durchzuführen, zeigt, wie verunsichert die Mitarbeiter, aber vor allem das Jugendamt und die gesamte Stadtverwaltung selbst, im Umgang mit gemeldeten Kinderschutzfällen sind, bei denen oft erst einmal ja gar nicht klar ist, ob diese überhaupt als ›heißer Kinderschutzfall‹ bestimmt werden können. Warum also gleich von ›Krisenteams‹ und ›heißen Telefonen‹ sprechen, wenn man zunächst einmal in Ruhe und mit Bedacht die Informations- und Sachlage prüfen muss, um überhaupt eine Risiko- und Gefährdungseinschätzung vornehmen zu können? Allein der Bedeutungsgehalt der Wörter ›Krise‹ und ›heißes Telefon‹ veranschaulichen, dass die Kinderschutzfachkräfte im ASD von Schwerin sich mit einer gefährlichen Situation und einer ›heißen Konfliktlage‹ konfrontiert sehen. Die professionelle Wahrnehmung eines Kinderschutzfalles wird als etwas Krisenhaftes, als etwas Gefährliches angesehen, als etwas, das von außen, ungewollt, über das Telefon über das Jugendamt hereinbricht. Etwas kommt von außen – passiv – auf die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen zu, wenn die Teams des ASD mit einem neuen Kinderschutzfall konfrontiert werden; so warten sie auf die vermeintlichen Krisen, anstatt ihnen vorzubeugen oder sie annehmend oder gar als Chance der Veränderung begrüßend aktiv zu nutzen.
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Die damit einhergehende ›krisenorientierte Verwendung‹ des Computerprogramms ProSoz, mit dem sofort, und ohne vorher den Dialog mit der Familie zu suchen, geprüft wird, ob die ›gemeldete‹ Familie dem Jugendamt bereits bekannt ist bzw. ob das betreffende Kind oder die betreffenden Kinder eine Kindertageseinrichtung besuchen, entspricht dem gleichen Handlungsmuster, ganz abgesehen davon, dass es wohl auch schon vorgekommen ist, dass eine Kindertageseinrichtung ohne Wissen der Eltern von einzelnen Fachkräften hinsichtlich des Verdachts einer Kindeswohlgefährdung befragt worden ist, wie eine soziale Fachkraft berichtet: »Na ja, und was immer (1) grob unter dem groben Thema (1) Datenschutz, oder so, was heißt Datenschutz? Gar nicht mal, sondern (1) respektvolle Behandlung der (1) Privatsphäre von Menschen. (1) Das wird hier ziemlich schnell übergangen, finde ich, von vielen Kollegen. (2) Dass man sich eben keine Gedanken macht, um dieses (.) mit Informationen, weiß ich, (.) (1) sich Informationen auch beschaffen, ohne vorher denjenigen zu fragen, den Betroffenen zu fragen. (.) Unter der vermeintlichen (.) Begründung, ja, es würde jetzt ja (2) dem Schutz irgendeines Kindes dienen. Man muss da jetzt unbedingt, (2) und das oder teilweise ist ja auch leichtfertig einfach so, (1) ohne die Folgen dabei abzuschätzen.« (I11a: 26)
Um den Kinderschutzaufgaben gerecht zu werden, wird leichtfertig vergessen, dass auch Eltern oder allgemeiner formuliert: Personensorgeberechtigte, ein Recht auf ihre Privatsphäre haben. Den Klienten, die dem Verdacht der Kindeswohlgefährdung unterliegen, wird im ersten Hilfezugang schnell aberkannt, dass sie auch selbst etwas zu den Vorwürfen sagen können. Die vorherrschende Haltung, nichts falsch machen zu wollen, gerade im Hinblick auf eine Kinderschutzfälle skandalisierende Öffentlichkeit – verursacht durch den Fall Lea-Sophie, wo dem Jugendamt eklatante Fehler vorgeworfen worden sind –, ist zusammen mit einem solchen detektivischen, die Lebenswelt desavouierenden und kolonialisierenden und undemokratischen Vorgehen (vgl. Habermas 1995a und 1995b; Thiersch 1986, 2003) deutlich auszumachen. Fast alle Mitarbeitern haben große Angst davor, aufgrund von nicht auszuschließenden und nicht versicherbaren Hilfeprozessfehlern in der Fallarbeit selbst in den skandalgetränkten Anklagesog eines solchen Falles zu geraten. Die Angst davor (aufgrund des hohen individuellen Fallaufkommens und der daraus resultierenden Überlastungssituationen), Informationen als irrelevant einzuschätzen und falsch zu bewerten, ist prägend. Niemand will sich vorwerfen lassen, Sachverhalte unterbewertet zu haben, erst recht, wenn es um den Kinderschutz geht. »Angst: Dieser enervierende Gemütszustand ist mit einem ständigen Gefühl der Furcht und Bedrohung verbunden« (Fensterheim/Baer 1980: 25, Herv. i Org.). Überbewertungen sind aus diesem Grund zum organisationalen Struktur- und Entscheidungsprogramm des
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Jugendamtes geworden, weshalb man auch von einer sich entwickelnden fremdmeldeabhängigen Kinderschutzorganisation sprechen könnte. Und so wünscht sich eine Fachkraft auch: »Dass Qualität auch eine Rolle spielt, (2) um auch Fehler zu erkennen, (2) sich auch mit Gesetzesveränderungen (.) zu befassen (3) und auch Möglichkeiten innerhalb der Gesetze, noch mal alle anderen Fachbereiche mit einzubeziehen. (1) Ich denke, dass ist oft wichtig (2) [mhm], (2) dass haben wir eben sehr viel gemacht, (2) [mhm] aber aufgrund der (.) hohen, äh, (.) Fallmeldungen in der Kindeswohlgefährdung, (.) die sich ja rasant verändert hat, (2) ist diese Zeit nicht mehr vorhanden. Nutzen wir eben diese Zeit zur Fallberatung (.) nicht und (.) sind zwei Tage Fallberatung, (1) wo wir (.) dann auch, wenn neue Meldungen reinkommen, dann wieder, also, so dass jeder immer rausgerissen wird, auch aus dem Prozess, (1) und das kostet auch viel Zeit. [Mhm.] (2) Ich hoffe, wenn es sich dann so verändert, dass neue Kollegen dazukommen und eingestellt werden, (.) dass sich das ein bisschen relativiert und ein bisschen Ruhe reinkommt. (2) Dass dieser (.) Arbeitsprozess nicht laufend gestört wird. [Mhm.] (3) {Dass man} dann überlegen muss, wie organisiert man das, (.) dass wir nicht immer laufend hier so (.) wie aufgescheuchte Hühner umherlaufen, wenn eine Meldung reinkommt. (2) Das sind ja zum größten Teil auch (2) ja (1) Fehlmeldungen dann.« (I13a: 62)
Die Mitarbeiter dürfen und können aufgrund solcher Entwicklungen kaum noch selbst sozialarbeiterisch/sozialpädagogisch im Gemeinwesen aktiv werden – im Vorfeld beraten, unterstützen und Hilfen vermitteln –, sondern sind darauf angewiesen, dass dies anderen Kooperationspartner für sie übernehmen, mit denen sie nicht sicher und verbindlich, sondern nur locker vernetzt sind. Sie selbst können und dürfen dies nicht leisten, sind in anhaltenden Überlastungssituationen »gefangen«, laufen wie »aufgescheuchte Hühner umher« und haben ›schlotternde Knie‹. Denn die meisten sozialen Fachkräfte sind erschrocken und unsicher, wenn ein Kinderschutzfall über das Jugendamt ›kommt‹, weshalb sie darum bemüht sind, so schnell wie möglich Unterstützungen in Form von ambulanten/stationären Erziehungshilfeleistungen zu verfügen, um sich so von anderen externen Fachkräften bezahlte und absichernde Unterstützung zu holen. In der Folge entsteht jedoch ein anderes zu beobachtendes Phänomen: unreflektierter Überaktionismus und ein Hang zur Installation von schnellen Hilfen. Die Angst, selbst für einen skandalösen Kinderschutzfall verantwortlich sein zu können, dass die ›eigenen Hilfeprozessfehler‹, wie ein Bumerang, zurückschlagen und man dann nicht mehr sicher stehen und agieren kann, war innerhalb der Teams jedenfalls deutlich zu beobachten. Das gilt nicht für alle Mitarbeiter, aber interessanterweise vor allen Dingen für das Team, das nicht in den Fall Lea-Sophie involviert war, gerade weil die Kollegen sich nicht teamübergreifend über die Folgen des Falles intensiv auseinan-
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dergesetzt und nicht zugleich wahrgenommen hatten, wie organisationell damit umgegangen worden ist, dass Fachkräfte und sogar Praktikanten beispielsweise zu ›Bauernopfern‹ erklärt wurden, dass es Monate dauerte, bis auf die Überlastungsanzeigen, auch nach diesem so tragisch verlaufenen Fall, reagiert wurde. Die sozialen Fachkräfte haben stattdessen den Eindruck gewonnen, dass das Jugendamt völlig aus dem Gleichgewicht geraten würde, wenn ein ähnlicher Fall noch einmal passieren würde. Wer solche ›Untergangsfantasien‹ und ›Bedrohungsszenarien‹ im Kopf entwickelt, bekommt – nicht überraschend – dann auch ›schlotternde Knie‹, wird instabil, ist unsicher im Gehen und weiß nicht mehr, wie er das eine Bein vor das andere setzen soll. Dadurch droht so etwas wie eine latente Handlungsunfähigkeit, weil Angst auch lähmen, im Extremfall zur ›Flucht‹ oder auch zum ›Kampf‹ führen kann. Und diese Flucht erfolgt nicht selten in Form von psychosomatischen Krankheitszuständen und Stressattacken. Ein Kämpfen für verbesserte Arbeits- und Organisationsbedingungen ist kaum zu erkennen und wird, wenn überhaupt, mittels weiterer schriftlicher Arbeitssituationsdarstellungen nach oben passiv mitgeteilt, so dass schlussendlich die Angst vor dem nächsten problematisch verlaufenden Kinderschutzfall bleibt. Ein längeres Interviewbeispiel dazu: Interviewer: »Und wie geht es Ihnen selbst damit, wenn Sie einen Fehler machen, (1) also in der Arbeit?« Interviewperson: »((holt tief Luft)) (4) Also ich hoffe nicht, dass ich, ((lacht)) bisher also, man weiß natürlich nie, das ist halt, ich könnte es halt höchstens belegen, wenn ich manchmal den Eindruck hatte, dass bestimmte Gespräche mit Klienten vielleicht nicht so positiv verlaufen sind, wie ich es dachte oder gehofft habe. Das ist schon, ja (.) zum Teil ist es, ist es auch eine Hilflosigkeit, (.) also, dass man schon merkt, dass man (.) ja, an bestimmten Punkten keinen Einfluss hat, (.) auf bestimmtes Elternverhalten (.) und (1) ja dann sozusagen, dann immer nur der Gerichtsweg offen bleibt. (.) Da ist halt immer die Frage: Wie lange, wie lange kann man bestimmte Situationen noch aushalten? So, in den bestimmten Familien, ohne dass die Last auf den Kindern liegt (.) oder ja (2) auch sich selbst zu gefährden. Das spielt natürlich auch da mit rein (3).« Interviewer: »Wie sieht diese Selbstgefährdung aus, oder was macht die mit Ihnen (1)?« Interviewperson: »Na ja, ich denke schon, dass sie, dass sie im Hinterkopf immer da ist, also so dieser, (.) dass man drüber nachdenkt, wenn man bestimmte, (.) sag ich mal, Absprachen trifft oder bestimmte Zeiträume festlegt, wo man denkt: In der Zeit muss es passieren, wenn nicht, dann (.) werde
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ich dieses oder jenes unternehmen. Wenn das nicht der Fall ist, also wenn sich da nichts ändert, wenn da, (.) da denk ich schon: Dann ist schon die, also im Hinterkopf dann so, ne, die ah ja vielleicht Angst. Das ist die eigene Angst, weil man bestimmte Situationen dann nicht mehr (1) ja gewähren kann oder nicht mehr ausschließen kann, dann.« (I6a: 25-28)
Fast alle Mitarbeiter beschreiben, dass es einen Unterschied macht, in welchem Kontext man einen Fehler macht, ob man beispielsweise Fußball, Tischtennis oder Volleyball spielt, wo es darauf ankommt, dass der Gegner Fehler macht, oder ob es darum geht, dass man für das Leben oder den Tod eines Kindes allein verantwortlich gemacht wird und sich in der Folge auch moralisch schuldig fühlt. Dieser im Interview anklingende Spannungsbogen zwischen der professionell erzeugten Selbstgefährdung und einer Fremdgefährdung, der man sich ausgeliefert fühlt, ist paradigmatisch dafür, wie emotional belastend die Arbeit im ASD sein kann. Das gilt erst recht, wenn im Hintergrund ein tragischer, öffentlich skandalisierter und bisher noch immer nicht organisational verarbeiteter Kinderschutzfall eine Rolle spielt, wie es in Schwerin der Fall war. Die Mitarbeiter sind dadurch der Problematik der Hilfeprozessfehlerunvermeidlichkeit noch einmal ganz anders ausgesetzt als jene Fachkräfte, denen solch ein Fall kollektiver Schuldzuweisung nicht widerfahren ist. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass die wiederkehrende Unterscheidung zwischen ›dramatischen‹, ›gravierenden‹, ›extremen‹, ›tragischen‹, ›schwerwiegenden‹ und ›kleinen‹ Fehlern immer wieder in meinen Interviews auftaucht: Interviewer: »Und was sind dramatische Fehler für Sie?« Interviewperson: »Na ja, dramatische Fehler sind natürlich schon, wenn auf ((holt tief Luft)) (3) Hinweise nicht reagiert wird. Also wenn jetzt irgendwie, ich hab hier, wenn mich einer anruft und sagt: So, da ist das, und dass eine Meldung kommt und darauf nicht reagiert wird. Dann ist das für mich ein fataler Fehler. Also das geht ja gar nicht, (.) auch wenn man sich noch dreimal ärgert und sagt: Das ist bestimmt wieder so eine Fehlmeldung. Das ist aber, es kann ja doch jedes Mal etwas Ernstes sein. Und muss man sich dann immer wieder auf, aufraffen, (.) das man das nicht immer gleich in so eine Schublade steckt. Das ist wieder irgendwie (.) Nachbarschaftskonflikt oder (.) Großmutterstreit oder was weiß ich. (.) Das man alles immer erst einmal ernst nimmt und (.) und nur die, nur die Fakten erst mal so nimmt, wie sie sind, und nicht gleich bewertet. (.) Da ist man immer schnell. Da bin ich auch schon nicht, ich nicht, manche ((lacht)) sind da schnell dabei. Ja, (.) es kommt aber auch, es ist auch durch die Erfahrung, die man gemacht hat, (.) denke ich, (1) kann man es nachvollziehen. Aber man sollte sich dann immer
224 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN wieder (.) ins Gewissen rufen. Es kann auch immer etwas Ernstes sein« (I5a: 9-10)
Um es weiter zu konkretisieren: Dramatische oder auch fatale Fehler sind solche Fehler, die einem als Fachkraft widerfahren, wenn man trotz einer Kinderschutzmeldung nicht achtsam und sensibel genug agiert. Wenn das nachträgliche Gefühl bleibt, man hätte die Situation anders einschätzen und dadurch das Kindeswohl sichern können. Die Dramatik derartiger Fehler hat also eine Doppeldeutigkeit: Sie sind einerseits gravierend für das Kind, sofern Hilfeprozessfehler nicht erkannt oder Kinderschutzmeldungen aufgrund ihrer erfahrungsgemäßen Unzulänglichkeit als irrelevant bagatellisiert werden, andererseits schicksalhaft für die Fachkraft, die dadurch mit Gefühlen der Schuld und des Versagens belastet wird und der Tragik der Hilfeprozessfehlerunvermeidlichkeit emotional ohnmächtig ausgeliefert ist. Aber auch etwas Weiteres wird an diesem Interviewausschnitt deutlich: dass aufgrund der Vielzahl an Kinderschutzmeldungen, die über das ›heiße Telefon‹ passiv in Empfang genommen werden, die Fachkräfte es in Schwerin schwer haben, überhaupt adäquat einschätzen zu können, ob es sich nun im Zuge der ›öffentlichen Panikmache‹ um eine Fehlmeldung oder ob es sich um eine ernst gemeinte Kinderschutzmeldung handelt. Deshalb haben im Zweifelsfall Überbewertungen und unreflektierte Rechtseingriffe in den privaten und grundrechtlich geschützten Raum der Familien die Oberhand gewonnen und es fällt den sozialen Fachkräften schwer, ihre eigene professionelle Selbstgefährdung und die potenzielle Fremdgefährdung der von ihnen zu schützenden Kinder ambivalenztolerant auszuhalten. Der Fall Lea-Sophie, und so kann man es markant pointieren, hat professionelle Traumata hinterlassen. Und diese Traumata wirken sich bis heute auch auf die Zusammenarbeit in den Teams aus; sie haben sich zu einem kollektiv erinnerten und narrativ gestützten organisationalen Trauma verdichtet (vgl. Kühner 2008): einem Trauma, das je nach persönlichem Identifikationsgrad mit den moralischen Dilemmata, die der Fall Lea-Sophie aufwirft, unterschiedliche ›Wunden‹, Schuld- und Schamgefühle und auch Gefühle der inneren Abwehr hervorgerufen und das die Herausbildung der Stabilisierung dienender kollektiver ›Feindbilder‹ bewirkt hat, wofür, wie es scheint, vor allem die Kommunalpolitiker der Stadt Schwerin verantwortlich gemacht werden. Denn sie waren es nach Ansicht der sozialen Fachkräfte, die über Gebühr die Massenmedien mit unseriösen Nachrichten über den Fall Lea-Sophie ›fütterten› und damit auch die ›Seelen› der Mitarbeiter verletzten (vgl. hierzu die kritische traumatologische und gegen die Verwissenschaftlichung der Seele entwickelte Perspektive bei Hacking 1996). Um nicht noch zusätzlich Ängste vor unkontrollierbaren Hilfeprozessfehlern zu schüren, tauschte man sich nur indirekt über solche Fehler aus. Man geht – auch im zeitlichen Abstand – immer noch vorsichtig miteinander um und meidet lieber den offenen kollegialen Austausch. Auch im Wissen darum, dass die professionelle Fallarbeit unter den gegebenen organisa-
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torischen Bedingungen nicht anders zu bewältigen war, stehen doch alle nach wie vor gleichermaßen unter einem enormen Fall- und Zeitdruck. Die Fehlerrückmeldungen, wenn sie denn überhaupt in Form von öffentlichen Kritiken in Teamrunden geäußert werden, gehen darum oftmals unter. Sie geraten in Vergessenheit und werden nicht gemeinsam produktiv verarbeitet. Das Lernen aus Hilfeprozessfehlern ist deswegen noch nicht möglich. Erschwerend kommt hinzu, dass der Begriff des Fehlers an sich negativ besetzt ist. Man will sich Fehler eben nicht gerne öffentlich eingestehen und möchte nicht auf diese hingewiesen werden. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass das Fehlerlernen aus der eigenen zeitlich versetzten Selbstreflexion und dem Bauchgefühl heraus (vgl. Gigerenzer 2008) den sozialen Fachkräften am leichtesten fällt. Alles andere, die öffentliche fachlich-kritische Auseinandersetzung mit den eigenen und den Fehlern der anderen fällt den Schweriner Fachkräften schwer. Eher wird sie aus Selbstschutzgründen und unter persönlichen Betroffenheitsbekundungen verdrängt und abgewehrt. So kommt es, dass in ›offiziellen‹ Teamberatungsrunden zumeist klar ist, wer, wann, was, zu wem sagen darf und wer nicht. Also finden in der Regel keine nüchtern-analytischen Fallanalysen statt und kommt es deswegen auch nur zögernd zu kollektiven fachlichen Weiterentwicklungen. Wenn kritische Stimmen geäußert werden, versinken diese gern in gegenseitigen Betroffenheits-, Überlastungs- und Mitleidsbekundungen. Eine soziale Fachkraft erzählt dazu ausführlich: »Na ja, es wird viel mit persönlicher Betroffenheit (1) bemerkt und reagiert (4) und (1) was oft zur Folge hat, dass es nicht, (2) also, dass nichts Positives an Veränderungen dabei rauskommt sozusagen. Also, wenn Kollegen hier (1) z.B. überlastet sind, zu meinen, dass sie zu viel gearbeitet (.) haben. (.) Dann läuft, wird es ganz oft über, (.) ja eben, so eine Betroffenheitsäußerung, (1) also (1) gefühlvolle, also (1) auch, (1) was weiß ich, wo man anfängt zu weinen dabei oder so. Das ist dann schon (1) und: (.) Ja, und ich kann nicht mehr, und ich habe so viel, und ohne dass dann (1) tatsächlich so (1) ganz (.) auf der sachlichen Ebene darüber einmal nachgedacht wird. (2) Und so geht es auch hin und her, und das ist eben auch hier. Also da, (.) auch die, (1) also Leitung reagiert dann auch so (1) persönlich betroffen dann auch. (1) Und na ja: (.) Ich kann ja auch nicht anders. (1) Oder (1) ((husten)) ich habe jetzt auch die Schnauze voll und schmeiße alles hin. Und so kommt es wieder zurück: Nein, dann lieber nicht und dann (.) ((schmunzelnd)) sagen wir lieber nichts mehr von unseren Sorgen. Wir wollen doch, dass du bleibst als Leiter. Also das, (2) also das (1) ist eine Schwierigkeit hier. (.) Da ist ganz, (.) so über dieses (2) Persönliche, (1) und ich habe auch den Verdacht z.B., dass viele Krankheiten auch aus dem Grunde (.) existieren. (2) Auch als Form einer (1) ja (.) Fehlerverarbeitung. (2) Also einige können das ja (1), die sind dann krank eben, (3) [mhm] wo man schlecht mit, (.) drauf reagieren kann, sozusagen. Also (2) da kann man jetzt nicht, (1) dann kann man, sozusagen,
226 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN die (.) Fehlerbearbeitung, Fehlerauswertung eben nicht machen, weil, nützt ja nichts, (3) und so (2) ist es an vielen Stellen hier.« (I11a: 42)
Aus diesen Gründen wird auch der ›Zusammenhalt in der Krise‹ schnell brüchig, wenn nämlich die Teammitglieder untereinander konkurrieren und nicht immer Verständnis füreinander haben. So habe ich in den Teams neben den engagierten Verzweifelten, die sich gegenseitig den Rücken freihalten, einen anderen Typus, nämlich den isolierten Einzelkämpfer und zurückhaltend Abwartenden angetroffen. Der Fokus liegt bei einigen Mitarbeitern darauf, sich zu allererst selbst zu schützen, nicht unnötige zusätzliche Arbeiten anzunehmen und bei Fallneuvergaben eher ›abzutauchen‹ und immer wieder darauf hinzuweisen, wie überlastet man ist. Die Fallüberlastungen werden also auch, und dies eher unbewusst, als Selbstschutzkriterium angewandt, um nicht noch mehr Arbeit verantworten zu müssen. Dementsprechend gibt es zwar einerseits sogenannte Teams, anderseits aber eben auch keinen tragfähigen Teamzusammenhang oder keine fachliche Teamsolidarität in den Teams. Dies ist nicht immer und nicht in allen Situationen der Fall, ist aber vor allem häufig, wenn es darum geht, die Arbeit auch in Phasen der Überlastung weiterhin koordinieren und bewältigen zu müssen. Denn man muss sich klarmachen: Es gab in der Vergangenheit eher nicht nur übergangsmäßige Phasen der Überlastung, sondern, wie es von den Mitarbeitern erlebt wurde und auch noch erlebt wird, eine chronische Dauerüberlastung in der kommunalen Kinder- und Jugendhilfe – wenngleich durch den Fall Lea-Sophie das nicht unmittelbar am Fallgeschehen beteiligte Team eher zusammenwuchs, und sich die Aufmerksamkeit für den Einzelnen sogar erhöht hatte; so wurden zusätzliche Fälle auf breite Schultern verteilt, weil alle gleichermaßen überlastet waren. Teamfindungsprozesse und ein damit verbundener offener und kritischer kollegialer Austausch wurden aber offenbar dadurch verhindert, dass die Teamfähigkeit in dieser angespannten Dauerüberlastungssituation auf eine harte Probe gestellt wurde. Es kam zwar zu einem Teamzusammenhalt, aber nicht zu einer intensiven und tieferen fachlichen Auseinandersetzung. Dafür hatte man einfach nicht ausreichend Zeit11. Die Teamsitzungen und Krisenteams verfallen so zu ›inhaltsleeren‹ Ritualen. Sie werden zwar als Reflexionsanreger genutzt, aber abweichende Meinungen und Ansichten werden als Besorgnisfaktoren angesehen und beunruhigen eher, als dass ihre Diskussion andere Potenziale für die weitere Fallentwicklung freisetzen würde. Vieles ist, was den Bereich der Fallreflexion anbelangt, noch ausbaufähig. Zwar wird nach der Methode der kollegialen Fallberatung gearbeitet, diese wiederum wird jedoch nicht stringent ge11 Teamfindungsprozesse waren/sind im ASD ein ständiges Thema, weshalb nach meinen Untersuchungen spezielle Teamtage eingeführt wurden, um einen vertiefenden kollegialen Austausch zu befördern.
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nug angewendet. Auch andere in der systemischen Weiterbildung erlernte Methoden – z.B. das Reflecting Team – finden nicht flächendeckend Anwendung und geraten nur allzu schnell in Vergessenheit. Insgesamt wird deutlich: Man ist im fachlichen Alltag zum Teil ›möglichkeitsverschlossen‹, will seinen geplanten Weg gehen und nicht unnötig von durch die Fallreflexion generierte andere Einschätzungen und Sichtweisen aus dem eigenen Gleis gedrängt oder sogar ›belästigt‹ werden. Irgendwie scheint es eine Scheu vor genauen Untersuchungen zu geben, eine Angst vor Bewertungen der anderen Fachkräfte und durch andere, weshalb die Fallreflexion eigentlich nur dem Zweck dient, sich gegenseitig und untereinander zu bestätigen und abzusichern, sprich: Rückendeckung zu geben. Es ist fast so, als wären die Teams nur zum Teil offen zueinander, und zwar nur bis zu jenem Punkt, bis zu dem Zustimmung bzw. eine kollegiale Rückversicherung in Kindeswohlgefährdungsfällen – positive Kritik – garantiert sind. Natürlich suchen einzelne Kollegen auch nach unbürokratischen Hilfealternativen, oder sie setzen sich im Team und bei ihrer Leitung dafür ein, dass organisatorische Abläufe, die sich als unpraktisch erweisen, abgeschafft werden. Vielen Fachkräften ist jedoch gemeinsam, dass sie keine Veränderungsinitiativen mehr ergreifen bzw. kein Vertrauen mehr in die ›Hierarchie der Obrigkeit‹ haben, einfach nur noch abwarten und kollegial miteinander zusammenarbeiten. Sie warten buchstäblich auf ein Wunder, auf einen Messias, der sie aus der Dunkelheit der Bürokratie ins rettende Licht führt; ihnen ihre Enttäuschungen und Ängste nimmt. Diese Entwicklung zur Lethargie im Denken und Handeln ist jedoch nicht besonders erstaunlich: Die Fachkräfte haben viel zu viel mit sich, der moralischen Bewältigung des Falles Lea-Sophie und ihrer belastenden Praxis zu tun, was sich auch auf den Fehlerdialog mit den weiteren Kooperationspartnern, den ortsansässigen freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe und den sozialen Hilfesystemteilnehmern auswirkt. Neben der geäußerten Kritik, dass die Mitarbeiter der freigemeinnützigen Kinder- und Jugendhilfe oftmals unvorbereitet zu Hilfeplangesprächen erscheinen und ihre Entwicklungsberichte erst kurz vor Fristende auf die Schreibtische der Fachkräfte des Schweriner Jugendamtes gelangen, gab es einen anderen, nicht unwesentlichen Fehlerhinweis: Die Kollegen der freien Träger würden sich nur bedingt an gemeinsam verabredete Hilfeplanstrategien halten, würden häufig nur ihre eigenen Hilfeplanziele entwickeln, setzten andere nicht verabredete Schwerpunkte und verständigten sich darüber zum Teil nur sehr sporadisch mit den zuständigen Fachkräften des ASD. Sie würden dadurch ›Hilfeplanungsfehler‹ provozieren. Eine Fachkraft aus dem Jugendamt in Schwerin sagt dazu: »Ich habe manchmal so das Gefühl, so Ziele des Hilfeplanes, dass die nicht so umgesetzt (.) werden oder so (1) ernst genommen werden, wie sie eben festgeschrieben sind im Hilfeplan. (1) Dass sie oftmals Aufgaben überneh-
228 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN men für die Klienten (1) und nicht sie (.) befähigen, sondern lieber selber machen, (2) und (2) ja, dass die Berichte sehr mager sind, (.) inhaltlich manchmal sehr mager sind. (1) D.h. nicht konkret zu den Zielen (.) erarbeitet worden sind (1) und auch mit den Klienten nicht so besprochen wurden, (2) so, wie es bei uns angedacht ist (2) und bei der Kindeswohlgefährdung, dass die (.) Mitarbeiter der Träger (.) oftmals gar nicht wissen, (.) was der Bogen C12 ist, (1) dass wir (.) dann noch mal sagen müssen, (.) oder den Bogen geben müssen, weil sie ihn noch nie gesehen haben. So dass der Träger selbst seine Mitarbeiter nicht (.) dazu befähigt (2) und dass (1) wir in unserem Budget Haushaltshilfen, dort können die Träger ja (.) dort verpflichten, (.) zu wenig Haushaltshilfen genommen werden, sondern die Träger oftmals selbst, also die pädagogischen Mitarbeiter diese Dinge dann durchführen (4) und (.) dass die Budgets so niedrig gehalten sind, (2) denke ich, nun komm ich eigentlich, so was der Träger (1) so denkt, so niedrig gehalten sind, dass sie sehr viele Familien auch betreuen müssen. (.) Geht es ähnlich, (.) so wie uns, (1) und (1) dass die gar nicht die Möglichkeit haben, dieser intensiven Auseinandersetzung (.) in der Hilfe (4) mehr vorhanden ist. (4) [Mhm.] (1) Und es gibt Träger, also mit denen ich sehr (.) gerne zusammenarbeite, (.) also nicht so rein persönlich, sondern (1) weil ich mit der Arbeit einfach zufrieden bin. Und es gibt auch Träger, die ich nicht bediene.« (I13a: 76)
Hilfeplanziele werden vornehmlich also deshalb nicht konsequent umgesetzt, weil die ökonomischen Voraussetzungen der freien Träger für die Umsetzung der Hilfen nicht ausreichend sind; und weil die Fachkräfte nicht die Zeit haben, mit ihren Klienten intensiv zusammenzuarbeiten. Stattdessen machen sie sich offenbar abhängig von ihren Klienten, anstatt sich den Fallstricken Sozialer Arbeit zu stellen und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten (vgl. Ackermann 2007). Auf diese Weise entstehen unnötige ›Hilfeabhängigkeitsfehler‹, die sich nicht selten langfristig manifestieren. Dazu mag beitragen, dass die Fachkräfte des ASD lediglich dazu in der Lage sind, ihre Hilfen an externe Partner zu vermitteln und zu übergeben; sie gar bloß zu ›verfügen‹. Die von ihnen verfügten Hilfen werden aber nicht ausreichend kreativ ›überwacht‹, begleitet und evaluiert, so dass es vorkommt, dass viele Klienten mit ihrer zuständigen Fachkraft des Jugendamtes über einen Zeitraum von über einem halben Jahr überhaupt nicht sprechen, geschweige denn diese sehen. Es sei denn, es bahnt sich eine Krise an und ein Fall wird zu einem Kinderschutzfall ›erhoben‹. Dann sind die Hilfeentwicklungs- und Hilfeplangespräche intensiver und zeitlich dichter terminiert, wird darauf geach-
12 Bogen C ist der Ersterhebungsbogen im Rahmen der Kindeswohlgefährdungsabschätzungspraxis des Jugendamtes der Stadt Schwerin. Daneben gibt es Bogen A (Melde- und Meldebewertungsbogen Kindeswohlgefährdung) und Bogen B (Prüfbogen Krisenteam bei Meldung einer Kindeswohlgefährdung).
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tet, dass nichts ›anbrennt‹ und alle professionellen Fachkräfte gleichermaßen dafür Sorge tragen, eine Absicherungsgemeinschaft zu bilden. Aber auch ganz andere Fehler sind benannt worden: Hilfekapazitäts- und Hilfevertretungsfehler. Hilfekapazitätsfehler entstehen, wenn nicht genügend Einzelfall- oder Familienhelfer verfügbar sind und diese Helfer entweder an die Grenzen ihrer Stundenkapazitäten angelangt sind oder die freien Träger aufgrund einer defensiv geführten Einstellungspolitik nur unflexibel auf spontane und sich häufende Fallanfragen des Jugendamtes reagieren können. Hinzu kommt, dass die Einzel- und Familienhelfer es sich manchmal nicht zutrauen, bestimmte – hinter den Rücken der Klienten – mit dem Jugendamt verabredete Hilfestrategien im Nachhinein vor diesen offensiv zu vertreten, und oft befürchtet wird, mit einer solchen Haltung und Praxis der Offenheit und Transparenz den Zugang zu den sozialen Hilfesystemteilnehmern zu verlieren. Dies wirft allerdings im Umkehrschluss die Frage auf, warum Entscheidungsprozesse derart undurchsichtig gestaltet werden, dass die Klienten sich zwangsläufig hintergangen fühlen müssen, wodurch eben erst jene Hilfevertretungsfehler entstehen, die dazu führen, dass getrennt voneinander und in einer Atmosphäre des Misstrauens im Hilfeprozess gearbeitet wird, was eine erfolgreiche Praxis natürlich gefährdet. Über solche Zusammenarbeitsfehler tauschen sich die Fachkräfte jedoch nicht konsequent genug aus, weil das Jugendamt als machtvolle und geldgebende Institution wahrgenommen wird und weil sie als freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe vom Jugendamt als Leistungsträger – und einer insofern als machtvoll erlebten Entscheidungsbastion – genauso wie die Nutzer Sozialer Arbeit abhängig sind. Ein Interviewausschnitt aus einem Gespräch mit einem Klienten macht diesen Zusammenhang deutlich: Interviewer: »Also mich interessiert vor allen Dingen, wie Sie, (.) wie Sie sich als Person vom Jugendamt hier, (2) ja, wahrgenommen fühlen, ne, also?« Interviewperson: »Ja, wahrgenommen natürlich. (4) Ich bin ja auch auf das Jugendamt angewiesen, sagen wir mal so. Bei uns geht es ja u.a. wegen meines Sohns, (3) ne, und die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt (.) funktioniert eigentlich ganz gut (2) wenn ich jetzt Problemchen habe oder hatte […].« Interviewer: »(2) Was heißt angewiesen? [Wie?] Sie haben gesagt, Sie sind auf das Jugendamt ja auch irgendwie angewiesen.« Interviewperson: »Ja natürlich, wenn ich z.B. bestimmte Auflagen nicht erfülle, (.) die das Jugendamt z.B. mir gegeben hat (2) wegen dem Kleinen.« (I9a: 1-4)
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Der Umgang mit der Macht des Jugendamtes zeigt sich auch in der Äußerung von Kritik durch Klienten und freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Sie wird nur vereinzelt geäußert und überhaupt nur von solchen Klienten, die dazu in der Lage sind, sich verbal und schriftlich ›gewählt‹ und klar zu äußern. Es liegt nämlich in der Hand der Fachkräfte des Jugendamtes, ob eine kritische Rückmeldung als Fehler anerkannt oder eben frühzeitig abgewiesen wird13. Bei den freien Trägern ist es nicht anders: Sie rüsten sich strategisch auf, kommen, wenn ihnen etwas missfällt, mit ihren Geschäftsführern, um selbst machtvoll gegen Vorwürfe des Jugendamtes vorgehen oder auch eigene Kritiken anbringen zu können. Eine partnerschaftliche Kooperation, wie sie im § 4 SGB VIII rechtlich geregelt ist, wird durch ein solches konkurrierendes und absicherndes Vorgehen jedoch ad absurdum geführt bzw. wird auf diese Weise unmöglich oder verpufft in den Niederungen strategischer Durchsetzungskämpfe. Ein Lernen aus Fehlern, ein Anstoß zur Weiterentwicklung ist dadurch gefährdet und wird strukturell in Frage gestellt, nicht zuletzt, weil das Jugendamt selbst auch von keiner übergeordneten Fachbehörde kontrolliert wird. So kommt es, dass sich zwar im Jugendamt der Stadt Schwerin Klienten beschweren können, diese aber hierfür erstens Mut und zweitens die Zuversicht haben müssen, dass sie mit ihrem Anliegen auch richtig gehört und verstanden werden. Schließlich gelingt es nicht allen Fachkräften, sprachsensibel und damit Milieusprache übersetzend zu agieren, wie es Matthias Müller (2008) in seiner Theorie der polyglotten Kommunikation ausführt. Vielmehr finden sie es anmaßend, wenn ein Klient sie auf ihre Fehler hinweist – eine hilfeabhängige Person, die ihnen aufgrund ihrer Lebenslage nichts zu sagen hat. Denn sie, die zumindest kulturelles Kapital besitzenden professionellen Experten (vgl. Bourdieu 1997a, 1997b), sind es, denen eine symbolische objektiv relational wirksame Macht zuteil wird, sie bestimmen darüber, wie die Bedingungen des sozialen Feldes der Hilfekooperation aussehen, wie es um den ›Wechselkurs der Macht‹ im sozialen Feld bestellt ist (vgl. Bourdieu 1998: 15-23) und ob ein Klient überhaupt eine Chance hat, am ›Spiel des Helfens‹ beteiligt zu werden. Eine Fachkraft beschreibt diesen Zusammenhang wie folgt: »Meine Wahrnehmung ist, dass es (1) Kollegen (.) gibt, die (.) mit dieser, der Kritik von Klienten, (2) das umkehren und sehr konstruktiv umgehen können. (1) Das glaube, nicht glaube ich, das weiß ich. (.) Also, das habe ich in Gesprächssituationen erlebt, dass (1) die durchaus für sich reflektiert (.) und (.) dass auch dem Klienten zurückspiegeln können. Ich weiß aber auch, dass
13 Ich gehe hierbei nicht auf jene Kritiken von Klienten ein, die sich um strittige Sorgerechts- und Umgangsstreitigkeiten ranken und deren Anliegen zumeist mit gerichtlichen Sorge- und Umgangsrechtsentscheidungen zusammenhängen, aber im Jugendamt immer wieder einer weiteren emotionalen Klärung bedürfen.
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es Kollegen gibt, (1) die das völlig (1) negieren. (2) Also, so diesen Allmachtsanspruch, sich auf eine, ich sag mal so, auf eine andere Stufe stellen. Also (.) sich schon abheben und (.) sehr deutlich zu erkennen geben, dass sie keine Fehler machen und also auch (2) schon gar nicht dem Klienten gegenüber eingestehen, dass vielleicht ein Fehler gemacht wurde. Vielleicht arbeitet er das für sich, in einer Supervision noch auf. Das mag sein. Das kann ich nicht, (.) jetzt nicht nachvollziehen. Aber in der, in der Situation mit dem Klienten (2) gibt es schon Kollegen, auch die sozusagen (1) das zurückgeben, das dem Klienten also nicht zugestehen. (1) [Mhm.] Also, es für sich auch, glaube ich, nicht annehmen und nicht erkennen, (.) dass sie da möglicherweise, also dass sie auch, (1) dass sie Fehler machen. Dass sie einen Fehler gemacht haben. [Mhm.] Ich glaube, da gibt es beide. [Mhm.] Da bin ich mir ganz sicher.« (I10a: 56)
Gängige und allseits bekannte und auch benannte professionelle Reflexionsund Fehlererkennungsmethoden wie kollegiale Fallberatungen, Weiterbildungen, Supervisionen und spontane Nebenbeireflexionen (vgl. Erath 2006: 225ff.) mit anderen, erfahreneren Kollegen, mit den freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe und mit den sozialen Hilfesystemteilnehmern werden deshalb auch nur flüchtig bzw. kaum genutzt. Oder sie werden nur derart eingesetzt, dass sie nicht noch zusätzlich zur eigenen inneren Verunsicherung beitragen. Die sozialen Fachkräfte bewegen sich lieber in gegenseitig sich unterstützenden Pfaden, meiden den produktiven Fehlerdialog und sind defensiv in ihrem Denken und Handeln; ja, sie sind fast schon risikoavers eingestellt. Diese Entwicklung einer defensiv-eingeschüchterten Haltung hängt teilweise auch damit zusammen, dass mit dem Fall Lea-Sophie Unruhe und Unsicherheit über das Jugendamt hereingebrochen sind, die zum Rotieren von Führungskräften und zur bürokratischen Produktion unverbindlicher Dienstanweisungen geführt haben. 6.1.7 Die organisationale Fehlerkultur des Schweriner Jugendamtes: eine Zwischenbilanz Die Forschungsergebnisse aus dem Untersuchungszeitraum August 2008 lassen sich wie folgt bündeln: • Das Jugendamt wurde durch die politisch gewollte Standardreduzierung in den zurückliegenden Jahren in seiner Fachlichkeit maßgeblich eingeschränkt. • Eine kinder- und jugendhilfepolitische und konzeptionell abgesicherte programmatische und visionäre Handlungsorientierung des Jugendamtes ist – zumindest im Zeitraum der Untersuchung – nicht entwickelt. Ein Lernen aus Fehlern ist aus diesem Grunde noch nicht möglich, auch weil es an einer gemeinsam geteilten kommunikativen und normorientierten Erwartungsbasis fehlt.
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Es ist konzeptionell diffus geblieben, was die Mitarbeiter des ASD leisten sollen, warum und mit welchen Zielen sie als Angestellte des Jugendamtes helfen oder nicht helfen sollen, was ihre und die Wertorientierungen der anderen Träger der Kinder- und Jugendhilfe sind. Das Jugendamt ist stattdessen samt seinen Mitarbeitern durch eine zunehmend aufgeregte und skandalisierende Öffentlichkeit im Kontext des Falles Lea-Sophie stark verunsichert. Vor allem bei der ›Absicherung des Kinderschutzes‹ ist eine große Angst vor Fehlern bei der Ausübung der konkreten Fallarbeit zu beobachten, weshalb ein unreflektierter Überaktionismus und ein Hang zur Installation von schnellen Hilfen zu beobachten sind. Dies resultiert auch daraus, dass in der Stadtverwaltung, von der Politik und den Medien ein Bild geprägt worden ist, in dem Fehler als etwas Negatives herausgestellt und mit dem Stigma eines unprofessionellen Makels besetzt worden sind. Zudem haben die Mitarbeiter kaum noch Zeit zur intensiven Reflexion ihrer Fälle. Sie fühlen sich in der Mehrzahl chronisch überlastet und sind wegen des wachsenden Fallaufkommens erheblich unter Druck. Dadurch wird eine kollegiale auf Selbstschutz bedachte Praxis provoziert – auch deshalb, weil die Sorgen der sozialen Fachkräfte des ASD von den organisationalen Entscheidungsträgern kaum ernst genommen und interne sowie externe und fachübergreifende Kooperationsarrangements nicht befördert werden. Überdies sind notwendige organisationale Anpassungen in der Vergangenheit nicht rechtzeitig genug vorgenommen und so lange durch hierarchische Regelungen und verlangsamte Entscheidungsprozeduren verschleppt worden, bis die Probleme sich potenzierten und kaum noch mit Sorgfalt zu bewältigen waren. Das Jugendamt und die Risikopraxis des ASD sind dadurch strukturell gefährdet, dass die Gesamtverwaltung der Stadt insgesamt zu unflexibel und zu bürokratisch auf die sich stets veränderten Arbeits- und Organisationsbedingungen reagiert und die Mitarbeiter des Jugendamtes sich selbst nicht als Angehörige der Gesamtorganisation und die Gesamtorganisation die sozialen Fachkräfte des Jugendamtes wiederum nicht als Teil des organisationalen Ganzen sehen. Es kommt also nicht zu einem Dialog über die Bürokratie- und Hierarchiegrenzen hinweg, sondern zu einem immer mehr selbstbezüglichen und selbstverengten Problembewusstsein und zu widersprüchlichen organisationalen ›Lösungen‹, die zu blindem Aktionismus auf der einen Seite und zu Frustrationen und resignativen Haltungen auf der anderen Seite führen. Dadurch wird jedoch nicht erreicht, dass mit Fehlern auf der intraorganisationalen Ebene dialogisch umgegangen und aus diesen gemeinschaftlich gelernt werden kann, ganz abgesehen davon, dass dabei die Klienten völlig aus dem Blick geraten sind – sie zu Verwaltungsobjekten einer
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kaum zu bewältigenden und nicht hinreichend fachlich reflektierten Fallarbeit geworden sind. Wenngleich in meinen Daten auch zu erkennen ist, dass es nach dem Fall Lea-Sophie zu ersten Ansätzen einer Trendwende gekommen ist, zu einem organisationalen Turn, der bei einzelnen Fachkräften sogar die Hoffnung geweckt hat, dass das Jugendamt nun wieder zu einer sozialpädagogischen Fachbehörde werden könnte, zu einer bei Politik und Verwaltung akzeptierten und dementsprechend geförderten professionellen Organisation. Bei diesem Turn wiederum wird aber bisher nicht die ganze Breite an Erfahrungen und Ansichten der sozialen Fachkräfte adäquat berücksichtigt.
Es bleibt insofern offen, ob das Jugendamt selbst überhaupt eine Organisation darstellt oder, wie bereits angeklungen, nur mehr eine fremdmeldeabhängige und bürokratisch verwaltete Kinderschutzorganisation ist, die sich nicht eigenständig weiterentwickeln kann und darf, weil die Spitze der Stadtverwaltung bestimmt, was als veränderungsbedürftig – oder eben nicht – gilt, und weil die sozialen Fachkräfte ebenso diese Kultur hierarchischer Anordnung bzw. autoritären Lernens akzeptiert haben (vgl. Willke 2002: 27f.). Die Entwicklung des Jugendamtes hin zu einer fehleroffenen Organisationskultur – und eine Kultur existiert ja bereits in anderer Art und Weise – darf jedenfalls nicht an den Grenzen dieses Amtes aufhören, sondern muss in der gesamten Stadtverwaltung ausgeprägt sein. Sonst ist ein organisationales Lernen aus Fehler über die unterschiedlichen organisationalen und abgespaltenen Subkulturen hinaus nur bedingt erfolgreich (vgl. Schein 2003a), sind doch zumeist diejenigen von Fehlern betroffen, die diese selbst nicht verursacht haben. 6.1.8 Dialogische Feedbacks: das Jugendamt Schwerin zwischen politisch-medialer Viktimisierung und fachlicher Weiterentwicklung In der im Dezember 2008 durchgeführten Focus Group bestätigte sich das Bild des Jugendamtes Schwerin im Umgang mit Fehlern. Die sozialen Fachkräfte des ASD erkannten sich in der Darstellung der Evaluationsergebnisse in der Mehrheit wieder und sagten z.B.: »Es tut einfach gut. Das ist das, was auf den Punkt gebracht wurde. So empfinde ich das. (.) So komme ich hier täglich zur Arbeit. (.) So erlebe ich dieses Amt. So empfinde ich diese Strukturen, (1) und es sind sicherlich in der Zeit, seitdem Sie bei uns waren, so ein paar Veränderungen eingetreten. (.) Das ist ja auch gut so, dass es ein paar Veränderungen gegeben hat und auch
234 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN geben wird. (1) Aber das ist jetzt nicht irgendetwas, was mich wirklich total vom Hocker haut. (3) Das ist mein Alltag.« (FCa: 3)
Veränderungen haben dementsprechend zwar stattgefunden, aber der organisationale Praxisalltag ist der gleiche geblieben. Die Strukturen, der stützende organisationelle Rahmen der Arbeit, wird immer noch ähnlich wie im August 2008 erlebt. Noch immer dauert es zeitlich zu lange, bis notwendige und unaufschiebbare Entscheidungen getroffen werden. Noch immer dominiert eine Kultur des hierarchischen Lernens (vgl. ebd.), so »dass der Zeitfaktor, dass es lange dauert, natürlich nicht weg ist und man innerhalb von ein paar Monaten jetzt nicht spürbar irgendwelche Veränderungen hat. (.) Sicherlich gibt es so ein paar Rahmenbedingungen, die verändert wurden, aber das Kernproblem (1) ist noch lange nicht angegangen« (FCa: 4).
Und dieses Kernproblem besteht darin, dass der Exotenstatus der sozialen Fachkräfte des Jugendamtes, der Mitarbeiter des ASD, noch nicht überwunden ist. Sie fühlen sich immer noch allein und unverstanden, wollen ihre professionelle Praxis verbessern, können hierfür jedoch nicht auf ein organisationales und verantwortungsbewusstes Unterstützungssystem zurückgreifen. Sie sind es vor allem, von denen eine Veränderung im Denken und Handeln erwartet wird. Aber die anderen höher liegenden und über die notwendige Entscheidungsgewalt verfügenden Verwaltungsangestellten wollen sich diesem Veränderungsdruck offenbar nicht stellen. So überrascht es auch nicht, dass die sozialen Fachkräfte zwar von ihren Fortschritten in der Focus Group berichten konnten, aber nicht von einer grundlegenden Veränderung ihres organisationalen Rahmens. Zusammenfassend ergaben die in der Focus Group geäußerten Meinungen das folgende Bild: • Die Mitarbeiter erkannten sich in den Evaluationsergebnissen in der Mehrheit wieder. • Sie dachten gemeinschaftlich darüber nach, wie es so weit kommen konnte, dass das Jugendamt der Stadt Schwerin derartig konzeptionell ›Schiffbruch‹ erlitten hatte. • Ihnen war zugleich wichtig, mir gegenüber zu betonen, dass viele inhaltsleere Beratungen und das Verfügen von schnellen Hilfen aus der bislang immer noch vorhandenen personellen Not heraus resultierten; sie also aus purer Verzweiflung einem aus der Lethargie der Bürokratie stammenden Handlungszwang ausgesetzt waren, den sie nicht allein stoppen konnten. • Zudem schilderten sie, dass es immer noch an verlässlichen Führungskräften mangelt, welche sie aber als Unterstützer für die weitere Ausgestaltung einer verbesserten Jugendamtspraxis benötigen würden.
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Festzuhalten bleibt: Im Jugendamt wurden seit August 2008 einige fachliche Weiterentwicklungen angestoßen; sie konnten aber nicht dazu beitragen, die mediale und politische Viktimisierung der Mitarbeiter des Jugendamtes zu kompensieren oder gar zu verarbeiten oder zu überwinden. Auch im Mai 2009, also acht Monate nach meinen umfänglichen Forschungsaktivitäten und der im Dezember 2008 durchgeführten Focus Group, zeigte sich im Rahmen der SWOT-Analyse ein ähnliches Bild. Folgende strenghts (Stärken, Zufriedenstellendes), weaknesses (Schwächen, Fehler, Störungen, Probleme), opportunities (Chancen, Gelegenheiten, Potenziale) und threats (Praxisbedrohungen und -risiken) wurden dabei von den Mitarbeitern benannt und ad hoc protokolliert:
Strenghts (Stärken, Zufriedenstellendes)
Organisationale Veränderungen • das vorhandene Bewusstsein innerhalb der Gesamtverwaltung für die fachlichen Aufgaben des Jugendamtes/des ASD • ein Ernstgenommenwerden bei der Bewältigung der Fallarbeit • die Einzelzimmer, dadurch ruhigere Arbeitsmöglichkeiten • der freie Internetzugang • die zur Verfügung gestellten zwei Dienstwagen • die Neueinstellungen/Personalneubesetzungen • die veränderten Öffnungszeiten am Montag und Dienstag • die Anrufbeantworter für einzelne Personen • der Zugriff von je zwei Personen im Team auf Inter-Meso (Einwohnermelderegister) • klassische sozialpädagogische Methoden wieder anwenden zu können –> Zeit für kollegiale Fallberatungen (immer wöchentlich montags und mittwochs) mit klarer Aufgabenverteilung und unterschiedlichen Methodenanwendungen (z.B. Familienbrett, Familienskizze/Reflecting Team) • alle vier Wochen immer freitags Supervision bzw. auch Möglichkeit der Einzelsupervision • der Wechsel der Supervisoren für neue fachliche Anregungen • das flexible Gleitzeitmodell • die stattgefundene Qualifizierung/Fortbildung im systemischen Arbeiten • die gute Kooperation zwischen den verschiedenen Arbeitsbereichen • der Dezernent als fachliche Stütze, der Interesse zeigt, hinter den Mitarbeitern steht und auch an Geburtstagsgrüße denkt • die Einbeziehung anderer Träger
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Professionelle Handlungsfreiheit • Sonderstellung des ASD in der Gesamtverwaltung: freies Agieren im Team möglich/keine Leitung im Nacken /eigenverantwortliches Arbeiten möglich -> eine professionelle Handlungsfreiheit • die einzelfallbezogene Entscheidungs- und professionelle Verfügungsgewalt über die Notwendigkeit und Geeignetheit von Hilfen (ohne Druck der wirtschaftlichen Hilfe) Klares und verbindliches Verfahren nach § 8a SGB VIII • die Dienstanweisung für das Verfahren nach § 8a SGB VIII als Grundgerüst -> dadurch das Vorhandensein eines klaren organisationalen Verfahrensablaufs -> dies trägt zur eigenen Beruhigung und zur Sicherheit im Umgang mit Kinderschutzmeldungen bei -> deshalb ist auch die ›Zeit der Hühnerhaufen‹ vorbei Bereitschaftsdienst zur Schaffung professioneller Pufferzonen • die Einführung des Bereitschaftsdienstes (drei Kollegen sind eine Woche lang für sämtliche Anfragen zuständig) -> dadurch auch Offenlegung der Fälle aller Mitarbeiter untereinander -> neue professionelle Blickwinkel und kritische Anmerkungen der Kollegen können so anders als bisher genutzt werden -> und die Mitarbeiter ohne Bereitschaftsdienst haben die Möglichkeit, in Ruhe zu arbeiten -> gründliche Falldokumentationen werden so ermöglicht Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme, zur gegenseitigen Achtsamkeit und Unterstützung in den Teams • die Bereitschaft der Mitarbeiter, professionelle Verantwortung zu übernehmen • dass in den Teams motivierte Mitarbeiter arbeiten • dass man sich kritisch auseinandersetzt • Zusammenhalt im Team • gegenseitige teamübergreifende Unterstützung • ein gemeinsames Sorgen -> die Arbeit bleibt nicht liegen, wenn jemand ausfällt, krank wird oder im Urlaub ist -> Krankheitslücken werden sofort geschlossen • gegenseitige Achtsamkeit vorhanden • keine professionelle Hektik, Nervosität, Panik • Lockerheit und Freundlichkeit und ein guter Ton in den Teams Sonstige Stärken • die Praktikanten, die ihren Blick von außen einbringen • dass die Fachkräfte für die Bürger ansprechbar sind, schnell beraten können und sie gut anzutreffen sind
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Weaknesses (Schwächen, Fehler, Störungen, Probleme)
Die Zwischen- und Unterstützungsebene • der Weitblick der Leitung fehlt • die nicht vorhandene Zwischenebene -> die fehlende Leitungsund Unterstützungsstruktur • das Verantwortungsbewusstsein der Leitung, die Zuständigkeit • dass die Arbeit der übergeordneten Ebene, der Leitungs- oder Zwischenebene von den Teams des ASD mitgemacht werden muss • die Unklarheit über die Neubesetzung der Abteilungsleitung und Jugendamtsleitung • das führungslose Team und die volle Fallbelastung der stellv. Leitung des ASDII seit Februar 2009 Die Zusammenarbeit und der Austausch zwischen den Teams des ASD • die nicht organisierte formelle Zusammenarbeit, der unzureichende Austausch zwischen den ASD-Teams (nur in Krisen wird formell zusammengearbeitet) • die unterschiedlichen Arbeitsabläufe, der unterschiedliche Umgang mit Meldungen in den beiden ASD-Teams Organisationale Probleme • Mitarbeiter mit verkürzten Arbeitszeiten, die zeitlich genauso an kollegialen Fallberatungen, Supervisionen, Weiterbildungen teilnehmen -> dadurch fehlende Zeit für die direkte Fallarbeit • der Haustarifvertrag und die dadurch provozierte Häufung von Überstunden und Urlaubstagen, die dann auch abgebummelt bzw. genutzt werden müssen -> dadurch viele zeitliche Lücken durch fehlende Mitarbeiter • die Personaleinstellungen, die immer noch nicht zur Abdeckelung der Fallzahlen reichen -> Fallbelastung immer noch spürbar • die hohen Krankenstände und Personalausfälle • der innere Rückzug einzelner, vor allem älterer Mitarbeiter • die ungeklärten Verfahrensabstimmungen nach § 8a SGB VIII mit den internen (Gesundheitsamt, Unterhaltsbehörde) und externen Kooperationspartnern (Kindertagesstätten, Schulen, freie Träger etc.) -> die ungeklärte Frage, was eine Kinderschutzmeldung ist und wie sie überbracht werden soll • die Schulsozialarbeit und das Jobcenter (ARGE), die bei Meldungen nicht als Melder benannt werden wollen und ihre Verantwortung derart abgegeben • das Straßensystem • die zukünftig fehlenden Einzelzimmer
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die teilweise fehlende PC, obwohl bekannt ist, dass neue Mitarbeiter eingestellt wurden der problematische Zugang zu einzelnen Daten und Programmen -> generell die Softwareprobleme (z.B. das nicht funktionierende Genogrammprogramm) die fehlenden Stellenbeschreibungen die fehlenden Strukturen, Anker, Handmappen und Handbücher zu einzelnen Hilfevorgängen dass es keinen Jahresplan, kein Leitbild gibt, keine Konzeption, die gemeinsam erarbeitet wird dass die Kompetenzen der Fachkräfte oftmals ungenutzt bleiben dass die Fachkräfte nur sporadisch organisationell beteiligt werden die Gewichtung auf die Sicherung des Kindeswohls innerhalb der städtischen Öffentlichkeitsarbeit die Kommunikationsstörung zwischen den Verwaltunsebenen, die höher sind die generellen Fehler im System dass die Verantwortungen immer abgegeben werden die Verwaltung, die sich selbst verwaltet dass das Politische immer wieder in die Arbeit der ASD-Teams schwappt und die Basis oft in Frage gestellt wird (politische Ansichten vs. fachliche Ansichten)
Opportunities (Chancen, Gelegenheiten, Potenziale)
Ausbau der Netzwerkarbeit und des gemeinsamen internen und externen fachlichen Austauschs • Etablierung einer funktionierenden Netzwerkarbeit aus dem Jugendamt, aus den ASD-Teams heraus zwischen den Kindertagesstätten, den Schulen etc. • Ausbau der früheren Gemeinwesenarbeit und der Stadtteilkonferenzen • fachlicher Austausch zwischen den freien Trägern, der ARGE und den Teams des ASD • gegenseitige Absprachen zum neuen Verfahren nach § 8a SGB VIII mit den relevanten Kooperationspartnern in der Kinderschutzarbeit • Wiederbelebung der Arbeitsgemeinschaft ›Hilfen zur Erziehung‹ (›AG HZE‹) • es ist z.B. nicht klar, was in Schwerin los ist, was alles für Ressourcen vom ASD genutzt werden können in der Hilfeplanung • es fehlen Streetworker, sozialräumliche Projekte, stationäre Einrichtungen und präventive Angebote
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Austausch zwischen den Teams und innerhalb der Fachabteilungen des Jugendamtes
gezielte Überprüfung/Evaluation eingeleiteter Veränderungsprozesse • eine sinnvolle Kontrolle/Evaluation der eingeleiteten Veränderungsprozesse, um herauszufinden, was funktional ist und was zusätzliche Schwierigkeiten bereitet (Frage der internen Qualitätssicherung) • z.B. Überprüfung der pauschalisierten Kontingente, denn die freien Träger haben nur begrenzte Zeit, um direkt mit den Familien zu arbeiten • z.B. warum es zunehmend zum Problem wird, freie Träger und geeignete und methodisch gut ausgebildete Helfer zu finden, und was man dagegen machen kann Stärkung eines positiveren und realistischeren Öffentlichkeitsbildes • die Entwicklung und Stärkung eines positiveren und verständlicheren Öffentlichkeitsbildes des Jugendamtes • denn es wird öffentlich gesagt, das Jugendamt hätte versagt, und die Erwartungen an das Jugendamt, an die Teams des ASD sind sehr hoch (»Feuerwehr«) • zudem fehlt es an Wissen über die Aufgaben des Jugendamtes/der ASD-Teams und deren Grenzen Anbindung des Projekts Soziale Frühwarnsysteme • die Anbindung des Projekts Frühe Hilfen an das Jugendamt und an die Teams des ASD Threats (Praxisbedrohungen und -risiken)
Arbeit an der Kapazitätsgrenze • die Arbeit am Maximum, an der Kapazitätsgrenze • die Belastungen steigen weiterhin • Anstieg der Fallzahlen • Anstieg von Meldungen • Multiproblemlagen • psychische Erkrankung der Eltern, Jugendlichen • gesellschaftliche Probleme, Arbeitslosigkeit • Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher • Drogenproblematik • das System, der Bereitschaftsdienst, das neue Verfahren nach § 8a SGB VIII funktioniert nur, wenn alle da sind und niemand krank wird oder in den Urlaub geht
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es sind keine personellen und zeitlichen Puffer vorhanden das System ist am Rande es gibt immer noch Krankheitsausfall bei Kollegen es fehlt ein Ausgleich für die Qualitätssteigerungen und zeitlichen Bindungen in der Fallarbeit (Dokumentation, Fallberatungen, Supervisionen etc.) das Risiko steigt -> Soziale Arbeit nicht mehr oder nur kaum möglich
Drohende Erfahrungslücke • dass die älteren und erfahreneren Kollegen gehen und die jüngeren Kollegen alleine da stehen und eine große Erfahrungslücke entsteht Andere Bedrohungen • der fehlende fachliche Austausch mit den freien Trägern • die mangelnde Öffentlichkeitsarbeit • die Standardreduzierung Durch die SWOT-Analyse verdichteten sich die zuvor beschriebenen Thematisierungsfelder. Nach meinen ersten Forschungsaktivitäten im August 2008 bestätigte sich, dass im Jugendamt der Stadt Schwerin sich schon vieles zum Positiven verändert hatte. Nicht ohne Grund konnten die Mitarbeiter zahlreiche Stärken benennen. Es wurden aber auch kritische Aussagen getroffen – über Schwachstellen, Probleme, Praxisbedrohungen und nicht genutzte Potenziale. Auf der Basis dieser Aussagen leitete ich zum Abschluss meiner evaluativen Tätigkeiten einige Schlussfolgerungen und Empfehlungen ab, die ich den sozialen Fachkräften und ihren Leitungskräften im Mai 2009 zur Verfügung stellte. Sie beinhalten folgende Aussagen: • Es scheint dringend geboten zu sein, darüber nachzudenken, wie es die Fachkräfte der ASD-Teams zeitlich ermöglichen könnten, gemeinsam mit den anderen Abteilungen des Jugendamtes und den freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe an der Verschriftlichung einer gemeinsamen Kinderschutzkonzeption zu arbeiten. • Zumindest sollten die Mitarbeiter des Jugendamtes politisch darin unterstützt werden, eine Konzeption für das Jugendamt entwickeln zu dürfen. Denn durch solch einen Prozess kann gemeinsam fachlich geklärt werden, welche Vorstellungen und Erwartungen die Mitarbeiter selbst an beste Fachpraxis haben, welche Qualitätsstandards sie sich setzen wollen und wie sie diese Standards (bei entsprechendem Ressourceneinsatz) umsetzen. • Die Förderung einer internen und externen kommunikativen Öffnung ist ebenso angeraten. Es sollten ›Inseln der Verständigung‹ geschaffen werden, die es ermöglichen, die kommunikativen Brüche in der hierarchisch
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aufgebauten Verwaltung abzumildern und zugleich eine transparente und dialogische Informations- und Verstehenskultur zu entwickeln. Gleiches gilt im Übrigen für den Austausch mit den freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe in Schwerin. Es bedarf einer gezielten Netzwerkarbeit und gemeinsamer Schulungen, damit alle am Kinderschutz Beteiligten verstehen lernen, auf welcher gemeinsamen fachlichen Grundlage sie Kindeswohlgefährdungen erkennen und behandeln und gegebenenfalls weiter vermitteln (melden), nicht zuletzt, um die Quote von Fehlmeldungen zu verringern. Es sollte geprüft werden, wie es gelingen könnte, Fachkräfte nach dem Ausstieg aus ihrer langjährigen Berufspraxis als Erfahrungsträger auch weiterhin organisational einbinden zu können (für Fallberatungen oder Intervisionen).
Damit war mein Evaluationsforschungsprojekt in Schwerin, das sich zeitlich von August 2008 bis Mai 2009 erstreckte, abgeschlossen. Es veranschaulicht: Ob und wie es einer professionellen Organisation und insbesondere einem Jugendamt nach einem schwerwiegenden Kinderschutzfall gelingt, sowohl aus professionellen als auch aus organisationalen Fehlern zu lernen, hängt davon ab, wie es den politisch Verantwortlichen, den Jugendhilfeausschussmitgliedern, den Leitungskräften aus dem oberen und mittleren Management und den sozialen Fachkräften gemeinsam gelingt, Fehler als Lernchancen für organisationale Veränderungen anzusehen. Verdichten sie sich stattdessen zu einer Fehlerkaskade, zu einem aus einer Betriebsblindheit heraus sich verstärkenden intersystemischen Fehlerkreislauf, kann nicht mehr garantiert werden, was für Verwaltungen, in denen Jugendämter organisiert sind, zwingend notwendig ist: eine über die Organisation des Jugendamtes hinausreichende Kultur der Fehleroffenheit (Biesel 2009b). Im nächsten Abschnitt wird nun kontrastierend der Umgang mit Fehlern des Jugendamtes der Stadt Dormagen vorgestellt (vgl. Abschnitt 6. 2).
6.2 D ER U MGANG MIT F EHLERN S TADT D ORMAGEN
IM
J UGENDAMT
DER
Im Gegensatz zum Jugendamt Schwerin haben die dialogisch-partizipativen Analyseschritte im Jugendamt Dormagen im Umgang mit Fehlern die folgenden, eng miteinander in Beziehung stehenden Thematisierungsfelder zum Vorschein kommen lassen: (1.) eine programmatische Haltung des Willkommenseins, (2.) alle sind im selben Boot einer lebendigen und motivierenden, aber sich verdichtenden Praxis, (3.) begrenzte Teamoffenheit, (4.) dynamische Fehlerkontexte und ihre nichtintendierten Folgen. Um diese Thematisierungsfelder – Themen also, die immer wieder von den Evaluanden/Stakeholdern geäußert wurden oder von mir beobachtet werden konnten – herum werde ich nun in einem zweiten Schritt die bislang noch nicht erör-
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terten zentralen Evaluationsforschungsergebnisse des Jugendamtes Dormagen vorstellen und weiter vertiefen. 6.2.1 Thematisierungsfeld: Programmatische Haltung des Willkommenseins Wer nach Dormagen kommt und sehen will, wie dort Kinder- und Jugendhilfe praktiziert wird, ist herzlich willkommen. Und genau dafür steht auch das Motto dieser Stadt, welche ihre neugeborenen Einwohner mit dem Slogan »Willkommen im Leben« begrüßt. Dieser vermeintliche ›Reklamesatz‹, der mehr bedeutet, als kommerzielle Werbung überhaupt verheißen kann, charakterisiert jene angestrebte und fachlich gewollte Haltung der Führungsund Fachkräfte des Fachbereichs für Schule, Kinder, Familien und Senioren der Stadt Dormagen – insbesondere des hier im Detail beobachteten ASD –, aber auch anderer an der Erziehung und Sozialisation beteiligter professioneller Organisationen (Familienberatungsstellen, das Gesundheitswesen etc.). Eine soziale Fachkraft beschreibt das Klima in der Stadtverwaltung wie folgt: »(1) [Z]ur gesamten Organisation kann ich, da glaube ich, eher wenig zu sagen. Ich weiß, dass, ähm, (1) unser Bürgermeister sehr darauf gelegen, äh, sehr, dem sehr daran gelegen ist, dass wir hier sehr klienten-, kunden-, menschenfreundlich sind. (1) Ich glaube, (.) dass Dormagen eine Stadtverwaltung ist, wenn ich das mit anderen vergleiche, (.) also selber habe ich immer nur Kontakt zur Stadt xy gehabt und einer anderen Kommune noch, (1) aber wenn ich im Kontakt mit anderen Ämtern bin, fällt mir immer sehr stark auf, (.) also habe ich oft überlegt, das wird in Dormagen nicht so sein, ne, also das du in der Zentrale schon so empfangen wirst ja, (.) das würde in Dormagen nicht passieren, (1) also ich denke, dass unser Bürgermeister da schon sehr viel Wert darauf legt, dass das für die Menschen (.) ein Ort ist, wo sie angenommen werden, wo es ihnen gut geht, (.) ne, (.) und dass es eigentlich auch fast durchweg positiv läuft, (.) glaube ich schon, also es hängt immer von Einzelnen ab, das ist klar, aber ich denke, das Klima bei der Stadt ist gut (.) in jedem Fall.« (I3b: 56)
Diese Haltung des Willkommenseins drückt sich also auch in der Gewissheit aus, dass Familien mit ihren Kindern in dieser Stadt gern gesehen sind und als Menschen mit offenen Armen empfangen werden. In der Stadtverwaltung wird dafür von den seit vielen Jahren engagierten und sich mit ihren Aufgaben identifizierenden Leitungskräften von ihren Mitarbeitern eine entsprechende Grundhaltung der Wertschätzung und Hilfsbereitschaft eingefordert; sie wird darüber hinaus mit Hilfe von gezielten Qualitätsentwicklungsprojekten befördert. Denn die Führungskräfte wollen, dass die Klienten sich in der Stadtverwaltung wohlfühlen und nicht das Gefühl haben, unwill-
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kommen zu sein. Alles soll möglichst so gestaltet sein, dass die Bürger nicht durch die für Verwaltungen typischen Mechanismen der Bürokratie zu entpersonifizierten Objekten ihrer Hilfeanliegen werden – zu kolonialisierten Hilfeersuchenden (vgl. Habermas 1995a, 1995b). Ihnen wird darum mit Hilfe einer aktiven Öffentlichkeits- und Pressearbeit ein Ort versprochen, der untypisch für Verwaltungen ist: ein Ort des Willkommenseins. Dafür sollen die sozialen Fachkräfte des ASD 14 hinreichend ausgebildet sein. In ihrer Praxis sollen sie genügend Zeit für den Dialog mit ihren Klienten haben, wenngleich die Mitarbeiter zur Zeit meiner freien teilnehmenden Beobachtungen im Oktober 2008 nicht selten über ein erhöhtes Fallaufkommen und einen hohen Dokumentationsaufwand geklagt haben; sie thematisierten damit implizit die professionellen und organisationalen Grenzen der Haltung des Willkommenseins, die sie wiederum aufgrund der lebendigen und motivierenden Arbeitsatmosphäre nicht offensiv genug gegenüber ihren Leitungskräften als solche kommunikativ markierten (alle sind im selben Boot einer lebendigen und motivierenden, aber sich verdichtenden Praxis). Und dennoch: Die Führungskräfte haben im Blick, dass eine solche Haltung des Willkommenseins von den sozialen Fachkräften des Jugendamtes der Stadt Dormagen nur ermöglicht werden kann, wenn diese dafür Zeit zur internen Beratung und Reflexion haben – sich selbst aber auch kollegial über die von ihnen begangenen professionellen Erfolge und Fehler kritisch austauschen können. So sagt eine Interviewperson auch: »Mhm, (6) also einmal (6) geht es, äh, natürlich darum, (.) dass eine Angelegenheit Erfolg hat, (4) und, ähm, (2) zweitens, dass man das auch vernünftig auch nachhält und reflektiert, (2) und drittens, (1) dass die Art und Weise, wie man, ähm, die Arbeit, äh, (.) einleitet, mit der richtigen Grundhaltung (1) verbunden ist, und, äh, (2) da muss man immer wieder dran arbeiten. (.) Das ist auch nicht einfach. (.) Das braucht auch Zeit, (2) und hier zu diesem Thema, (3) über das wir ja auch sprechen wollen, äh, offene Hilfen heißt das, eine Grundhaltung immer von Wertschätzung und Hilfsbereitschaft an den Tag zu legen, und, äh, (3) wenn man da zu wenig Zeit zu hat, schafft man das nicht. Also man muss schon (.) immer die Chance haben, (.) sich selbst da auch auf den Prüfstand zu stellen und (.) sich selbst das zu überlegen, ist man jetzt hier (1) noch mit dieser Haltung unterwegs oder nicht [hm] und, ähm, (4) da hat man (1) schon mal schnell, (2) ärgert man sich, bekommt, äh, (2) auf irgendwas die Wut oder (.) kann was nicht ertragen, (1) und dann fängt das schon an, und wenn man dann das nicht vernünftig reflektieren kann, auch zeitlich für sich, und sich noch einmal in die andere Rolle begeben kann, (.) in eine andere Sichtweise.« (I1b: 10)
14 In Dormagen heißt der ›ASD‹ ›Sozialpädagogischer Dienst‹.
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Bei einer solchen Reflexion geht es also vor allem darum, als Fachkraft die Möglichkeit zu haben, sich selbst in seiner Grundhaltung und in seinem Handeln zu überprüfen. Denn im Jugendamt der Stadt Dormagen wird es von den Leitungskräften als Fehler angesehen, wenn die Mitarbeiter des ASD nicht wertschätzend und hilfsbereit mit ihren Klienten umgehen. Sie gehen nämlich davon aus, dass nur mit einer solchen Haltung es möglich ist, offene Hilfen zu gestalten, Hilfen also, die nicht nur im Kanon der §§ 27ff. SGB VIII beschrieben sind, sondern die darüber hinausgehen – die gemeinsam mit den Hilfesystemteilnehmern für den jeweiligen Problemkontext erfunden werden müssen. Dafür wird den Mitarbeitern innerhalb der Stadtverwaltung der Rücken gestärkt. Sie werden im Gegensatz zu den Fachkräften des Jugendamtes Schwerin nicht als Exoten innerhalb der Stadtverwaltung angesehen, sondern als integrale Bestandteile einer Verwaltung, die von den Fachkräften selbst als menschlich beschrieben wird. So fühlen sich die Mitarbeiter des ASD nicht von ungefähr von ihren Vorgesetzten in der Mehrheit wertgeschätzt und anerkannt; sie leisten sogar mehr, als ihnen organisational ermöglicht wird (alle sind im selben Boot einer lebendigen und motivierenden, aber sich verdichtenden Praxis). Im Jugendamt der Stadt Dormagen versucht man, konstruktiv miteinander umzugehen. Man ist auf der Führungsebene darum bemüht, fehlerverschwiegen nach außen und fehleroffen nach innen zu sein. Nicht die Schuldklärung steht bei professionellen Fehlern im Vordergrund, sondern ein konstruktiver Fehlerdialog mit den Mitarbeitern des ASD. Dafür wird eine hierarchiesprengende Dialogkultur gepflegt, ein Austausch fernab jeglicher Dienstwegkommunikation. Im Fokus steht der Mensch mit seinen Anliegen und Bedürfnissen; obwohl nicht immer auf jegliche Kritiken der Mitarbeiter des ASD von den Leitungskräften zeitnah und im Sinne ihrer Anliegen eingegangen wird. So fühlen sich die meisten sozialen Fachkräfte zwar in ihrer Stadtverwaltung als Angehörige der Profession Sozialer Arbeit willkommen, sie kritisieren aber trotzdem, dass ihnen nicht immer genügend Gehör auf der Leitungsebene für die aus ihrer Sicht sich verschlechternden Praxisbedingungen geschenkt wird. Trotzdem: Im Jugendamt der Stadt Dormagen ziehen die Fach- und Leitungskräfte an einem konzeptionellen Strang. Nicht die Hierarchiegrenzen und bürokratischen Hürden innerhalb der Stadtverwaltung sind deshalb das Problem, sondern im Gegenteil: die ambivalenten Nebenfolgen einer bewusst flach gehaltenen Hierarchie – eines Führens auf Augenhöhe –, mit der jedoch die für das Jugendamt typische lebendige und motivierende Hilfepraxis garantiert und eine programmatische Haltung des Willkommenseins abgesichert werden kann. So sagt eine soziale Fachkraft auch: »Ich glaube, die, (.) die Stärke ist, dass die Hierarchie relativ flach ist. Es gibt nur eine Führungskraft, die gleichzeitig aber auch (2)Teammitglied ist und real auch selbst arbeitet. (2) Das ist (.) größenmäßig, denke ich, so an der Grenze, bis zu dem Bereich geht es, wenn mehr darin tätig werden, müsste
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man andere Hierarchien aufbauen, aber das geht, das ist eine, (1) eine Stärke. (1) Eine Schwäche ist dann […], dass aus diesem (2) tendenziell kollegialen System heraus (1) auch ein (1) Umsetzen (.) der einen oder andere von, (.) bleiben wir mal hierarchisch, von oben (1) geforderten (.) Aktion (.) nicht mal eben erfolgt, (.) dass man diskutiert, (.) dass man, (3) wie die alten 68er, […] (2) dann immer noch erst einmal die Sinnhaftigkeit diskutiert.« (I4b: 30)
Mit einem solchen kollegialen System des Führens und Geführtwerdens kommt es unweigerlich zu Komplikationen, wird schwierig, was für Bürokratien selbstverständlich ist: eine von allen anerkannte Hierarchie. Und da eine Bürokratie mit den entsprechenden Hierarchieebenen im Jugendamt der Stadt Dormagen zwar vorhanden ist, aber dennoch auf den Dialog untereinander, auf die Herstellung eines gemeinsamen kommunikativen Sinns geachtet wird, sind Aushandlungsprozesse an der Tagesordnung; die Führungs- und Leitungskräfte des Fachbereichs für Schule, Kinder, Familien und Senioren sind deshalb nicht von ungefähr den Ambivalenzen einer ›flachen Hierarchie‹ (Kühl 1998) ausgesetzt – einer eng miteinander verbundenen, aber sich auch in zwischenmenschlichen Konflikten miteinander verstrickenden ›Professionsfamilie‹ (begrenzte Teamoffenheit mit Teamverstrickungen). Denn durch die Philosophie eines Führens auf Augenhöhe fehlt den Mitarbeitern nicht selten eine für sie maßgebende Richtschnur – ein bürokratisches Vorsetzen von nicht zu hinterfragenden Arbeitsanweisungen. Sie sehnen sich insofern nach einem sicheren organisationalen Rahmen, der ihnen professionelle Freiheit garantiert und ihnen zugleich in Situationen professioneller Unsicherheit ihre Verantwortung abnimmt. Sie wollen, was ihnen schon in ihrer Hilfepraxis fehlt: Eindeutigkeit. Oder anders gesagt: Sie erwarten eine situationsabhängige laterale Führung im Zusammenspiel von Macht, Vertrauen und Verständigung (Kühl/Schnelle 2009). Und das bedeutet: (1) dort auf ›hierarchische Macht‹ zu setzen, wo sich Praxisstrukturen festgefahren und entgegen der gemeinsam vereinbarten Handlungsprinzipien etabliert haben; (2) dort auf ›Verständigung‹ zu setzen, wo Machtpositionen zu unüberwindlichen Differenzen und zwischenmenschlichen Konflikten – zu unausgesprochenen Vorurteilen – geführt haben; und (3) dort auf ›Vertrauen‹ zu setzen, wo Verständigungen aufgrund sich zuspitzender Praxisbedingungen zunächst unmöglich erscheinen bzw. eine auf blindes Vertrauen basierende Zusammenarbeit notwendig wird. Aber diese Aspekte eines Konzepts lateraler Führung, und das ist die Herausforderung, können von den Leitungskräften in Organisationen nur bedingt umgesetzt werden (vgl. Kapitel 3). Denn selten ist in Organisationen immer alles eindeutig geregelt, verschiebt sich oftmals je nach Praxiskontext, wer wann organisationell das Sagen hat. Hinzu kommt, dass nicht immer alle Mitarbeiter über alle Organisationsprozesse gleich gut informiert sind und
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von daher ihre Verhaltensweisen auch nicht vorhersagbar sind. Darum gilt: »In einer Organisation kann ›wirkliche‹ Verständigung nicht erzwungen werden. Machtspiele können nicht gesetzlich verboten werden. Vertrauen zwischen Personen nicht hierarisch verlangt werden« (ebd. : 55). Dessen ungeachtet wünschen sich einige Fachkräfte des Jugendamtes Dormagen aber eine deutlicher erkennbare Hierarchie; die Abstellung eines haltlosen Kommunikationsüberschusses, der daraus resultiert, dass fortwährend über die Sinnhaftigkeit einzelner Veränderungen und Maßnahmen miteinander diskutiert wird. Aber genau dafür steht das Jugendamt der Stadt Dormagen offiziell: für die gemeinsame Entwicklung von Qualität im Dialog. Schließlich zeigt sich die Haltung des Willkommenseins auch in jenem programmatischen und vom Bürgermeister der Stadt getragenen Fundament, das sich die sozialen Fachkräfte der öffentlichen wie freigemeinnützigen Kinder- und Jugendhilfe in Dormagen selbst erschaffen haben – dem Dormagener Qualitätskatalog, jene programmatisch-konzeptionelle Handlungsorientierung, die über Jahre hinweg mit großem Engagement erarbeitet wurde und ursprünglich nicht zum Ziel hatte, ein Netzwerk früher Hilfen Wirklichkeit werden zu lassen, um so strukturell gegen Kinderarmut und gegen die Chronifizierung sozialer Problemlagen von Kindern und Familien innerhalb der Stadt vorgehen zu können. Freilich ist, was diese Vision angeht, nämlich dem Anspruch des § 1 SGB VIII in der Realität gerecht werden zu können, noch viel zu tun, aber: Die beteiligten Fachkräfte glauben daran, dass ihre danach ausgerichtete Soziale Arbeit eine tiefere Bedeutung hat. Ihrer Meinung nach lohnt es sich, diesen konzeptionellen Weg des Willkommenseins weiter zu beschreiten. Vermutlich wird deshalb auch innerhalb des Fachbereichs kein Dienst nach Vorschrift gemacht, sondern trifft man auf motivierte und engagierte Kollegen, die allerdings ebenso wie andere in anderen Jugendämtern mit den Fallstricken und emotionalen Belastungen der tagtäglich zu bewältigenden Fallarbeit konfrontiert sind. Aber: Man hat sich, angefangen von der Etablierung der ersten Ansätze einer als dialogisch verstandenen Qualitätsentwicklung im Jahr 1997 über die Ausarbeitung und Ausformulierung des Dormagener Qualitätskatalogs in den Jahren 1998, 1999 und 2000 bis hin zur darauf folgenden und von der bundesdeutschen Fachwelt mit hoher Aufmerksamkeit bedachten Veröffentlichung des Qualitätskatalogs im Jahr 2001 (vgl. Stadt Dormagen 2001), selbst ein programmatisches Fundament geschaffen, welches die gemeinsame fachliche Arbeit immer noch zu tragen scheint. Eine Fachkraft sagt hierzu: »(4) [I]m Umgang mit Fehlern [mhm, mhm] in der Arbeit, (5) was uns da ausmacht, das ist eine schwere Frage. Ich weiß es gar nicht genau, also ich denke in erster Linie, dass wir versuchen, (.) uns inhaltlich fortzubilden und das sehr stark und das (.) nicht nur, indem wir irgendwo hinrennen, (.) sondern dass wir selber versuchen, irgendwas zu schaffen, (.) dass wir uns selber Qualitätsstandards setzen, (.) die gute Fachpraxis beschreiben, die wir mit
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Sicherheit nicht immer machen, (.) aber diese zumindest beschreibt wie, (.) wie wir sie auch empfinden und denken würden, (.) und dass wir uns daran auch orientieren, (1) dass das häufig im Bewusstsein manchmal nicht so ganz vorhanden ist, ne, aber dass man sich dann immer wieder dran erinnern kann.« (I3b: 68)
Oder: »Ich denke, wir haben ja über den Prozess Qualitätskatalog versucht, (1) äh, (2) da weiter zu kommen und mit den Fehlern (.) oder dem Machen von Fehlern ein Stück weit entgegenzuwirken, uns einfach bewusster zu machen, was wir hier tun und warum wir das tun, (2) ähm.« (I10b: 18)
An diesen Interviewpassagen wird deutlich, für was der Dormagener Qualitätskatalog steht: für eine aktive Auseinandersetzung mit den Grenzen und Möglichkeiten professioneller Sozialer Arbeit und den dabei auftretenden professionellen Fehlern. In ihm wurde gebündelt, was sonst in Vergessenheit geraten wäre: das Praxiswissen der Mitarbeiter des Jugendamtes und seiner Kooperationspartner. So war es schon auffällig, dass während meiner freien teilnehmenden Beobachtungen im Oktober 2008 in den Büros der sozialen Fachkräfte die Exemplare des Qualitätskatalogs ausfindig zu machen und unterschiedliche Gebrauchsspuren erkennbar waren. Denn im Rahmen meiner Evaluationsforschung stellte sich heraus, dass der Qualitätskatalog von vielen sozialen Fachkräfte zur Reflexion ihrer Praxis genutzt wurde. Es gab aber auch Mitarbeiter, die darauf verzichteten. Nicht überraschend sind im Laufe der Jahre deshalb einzelne Kapitel des Qualitätskatalogs kollektiv in Vergessenheit geraten, wurden die mühevoll erarbeiteten Qualitätsstandards nicht organisational dazu genutzt, um auf deren Grundlage im Team des ASD professionelle Fehler verbindlich zu thematisieren (begrenzte Teamoffenheit) und auf diese Weise zur Qualitätssicherung der Hilfeprozesse beizutragen. Sicherlich: Die intensive Arbeit am Qualitätskatalog über einen Zeitraum von über zwei Jahren führte dazu, dass die sozialen Fachkräfte der öffentlichen wie freien Kinder- und Jugendhilfe sich dialogisch darüber verständigten, und dies dann auch noch sukzessive verschriftlichten, wie sie eine kooperative Praxis gemeinsam ermöglichen wollen, die auch das Prädikat ›Qualität‹ verdient hat. Sie setzten sich so gesehen selbst Qualitätsstandards, indem sie die Probleme und Schwierigkeiten des jeweiligen Arbeitsfeldes über die Grenzen des Jugendamtes hinweg miteinander thematisierten und im Anschluss die dabei erforderlich werdenden Qualitätsstandards für beste Fachpraxis bestimmten (vgl. ebd.). Sie vergaßen aber, die Qualitätsstandards kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu überprüfen; was dann schließlich aber ab dem Jahr 2008 offensiv nachgeholt wurde. Der Dormagener Qualitätskatalog selbst steht dabei für eine professionelle Soziale Arbeit im Vorfeld der Hilfe. D.h.: Die Fachkräfte sind sich da-
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rüber im Klaren, dass sie selbst für eine nicht zu unterschätzende Hilfezugangsproblematik verantwortlich sind. Die sozialen Fachkräfte, aber eben auch die ganze Stadt (Verwaltung, Politik etc.), wissen, dass ›professionelle Hilfe‹, zumal wenn sie im Zusammenhang mit der zum Teil in der Bevölkerung als angstvoll und beschämend erlebten ›Behörde Jugendamt‹ gebracht wird, eher als Bedrohung, denn als Hilfe verstanden wird. Gerade deshalb kommt es ja eher zur Nichtannahme von Hilfen, zu krisenhaften Verschärfungen von sozialen Problemlagen innerhalb von Familien, die staatliche Hilfen vom Jugendamt lieber ›abwehren‹, anstatt frühzeitig und mit professioneller Unterstützung aus ihren Lebenskrisen zu finden. Kurzum: In Dormagen stehen Familien mit ihren Sorgen, Nöten und Problemen im Vordergrund, und zwar in jenen Verwaltungseinheiten, in denen es um menschliche Belange geht, um Fragen nach einem Kitaplatz, um Auskünfte über Sport-, Freizeit- und Unterstützungsangebote im Wohnumfeld und auch: wenn es darum geht, Hilfen zur Erziehung in problematischen und krisenhaften Situationen für Familien zu gewähren. Ich will hierfür ein Beispiel aus dem Dormagener Qualitätskatalog anführen: »Nach § 1 KJHG haben alle Bürgerinnen und Bürger (insbesondere Eltern und Kinder) ein Recht auf Beratung und Hilfe. Zusammen mit den freien Trägern der Jugendhilfe, mit Selbsthilfegruppen und freien Initiativen bietet das Amt für Kinder, Familien und Senioren eine große Vielfalt unterschiedlicher, auf die komplexen persönlichen Situationen von jungen Menschen, Familien und Senioren abgestimmte Hilfen in Form von Beratung, Förderung, Unterstützung und Begleitung an. Hilfe ist aber nicht selbstverständlich. Hilfe muss zuallererst verständlich, plausibel gemacht werden. Darum ist Arbeit im Vorfeld der Hilfe, ist die Öffnung der Zugänge, eine notwendige Aufgabe der Jugendhilfe« (ebd.: 15).
Auch deshalb wird Prävention in dieser Stadt auf der politischen Ebene ernst genommen. Die Kinder- und Jugendhilfe hat in Dormagen hat eine starke politische Lobby. Es wird nicht darüber geredet, dass man in der Kinder- und Jugendhilfe ganz anders ansetzen muss, sondern es wird ganz konkret etwas dafür getan, und zwar seit Herbst 2005. Denn zu diesem Zeitpunkt wurde das »Dormagener Modell« ins Leben gerufen (vgl. Sandvoss 2008). Jenes Netzwerk für Familien, welches darauf aus ist, Hilfen im Vorfeld anzubieten. Angefangen vom Ausbau der Elternbildungsangebote bis hin zu Babybegrüßungsbesuchen, bei denen nützliche Ratschläge und Informationen (z.B. das Elternbegleitbuch) von den dafür zuständigen Fachkräften des ASD an die Familien weitergegeben werden, und einer Betreuungsplatzgarantie für Kinder vom vierten Monat bis zum 14. Lebensjahr sowie einer kostengünstigen warmen Mahlzeit für Familien, die sich solch eine geregelte Verpflegung für ihre Kinder in öffentlichen Institutionen wie der Kita oder Schule sonst nicht leisten könnten.
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Dormagen will sich eben nicht darauf reduzieren lassen, nur einem ›reaktiven‹ und einzelfallbezogenen Kinderschutz nachzukommen. Kinderschutz wird als tripolare Aufgabe verstanden und fokussiert gleichsam auf die Förderung und den Erhalt des Gemeinwohls, des Kindeswohls und des Elternwohls. Bei alldem steht eines nämlich an oberster Stelle: Hilfen im Vorfeld zu ermöglichen; wenn es also noch nicht ›zu spät‹ ist und Kinder sich aufgrund genau dieser als selbstverständlich betrachteten Idee der präventiven und an den Übergängen zwischen Elternhaus und anderen Sozialisationsfeldern (z.B. der Kindertageseinrichtung oder der Schule) so entwickeln können, wie es ihnen unter günstigen Lebens- und Umweltbedingungen möglich wäre (vgl. Bronfenbrenner 1989; Wolff 2007c). Kurz: Es kann betont werden: Während meines Aufenthaltes im Oktober 2008 in Dormagen wurde mir deutlich, dass das von den sozialen Fachkräften der Stadt Dormagen und den daran beteiligten freien Trägern erarbeitete programmatische Fundament die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe dieser Stadt trägt. Die Praxis der Mitarbeiter des Fachbereichs, speziell des ASD, schwebt also nicht irgendwo in einem luftleeren Raum, sondern ist fest verbunden mit jenen fachlichen Vorstellungen, wie sie im Dormagener Qualitätskatalog als Programm- und Prozessqualität formuliert worden und auch sukzessiv in der Praxis umgesetzt worden sind. Den Fachkräften ging und geht es darum, und sie werden darin auch unabhängig von sich verändernden kommunalpolitischen Mehrheitsverhältnissen kinder- und jugendhilfepolitisch unterstützt, eine Atmosphäre zu schaffen, welche es möglich macht, dass sich die Einwohnern der Stadt als Willkommene begreifen können, als Gäste, die sich in ihrer Stadt wohlfühlen sollen; auch dann, wenn sie sich in Situationen der Schwäche, der Ratlosigkeit und des Konflikts befinden und damit den Haushalt der Stadt möglicherweise finanziell belasten (z.B. durch kostenintensive stationäre, aber wachsende ambulante Hilfen zur Erziehung). Bis es jedoch zu einer solchen organisationalen Einsicht kam, mussten die Verantwortlichen des Jugendamtes der Stadt Dormagen viel Lehrgeld zahlen. In der Vergangenheit kam es nämlich aufgrund einer stadtteilorientierten Ausrichtung der Jugendamtspraxis zur Herausbildung von drei unabhängig voneinander in ihren jeweiligen Regionen agierenden lokalen ›Jugendämtern‹ in der Form von ›Stadtteilbüros‹. Und in jedem dieser zwar zur Stadt gehörenden und doch von der Gesamtverwaltung losgelösten ›Jugendämter‹ kam es zu unterschiedlichen Hilfestrategien: »Zu einem Zeitpunkt, als wir drei Stadtteilbüros mit drei unterschiedlichen (1) Leitungskräften hatten (.) und damit in drei Regionen der Stadt unterschiedliche Jugendämter entstanden waren, (2) wenn man dann das mal so sagt, die Mitarbeiter konnten sich damals auch, hm, (1) freiwillig (.) zuordnen, wer möchte wo, wie arbeiten, (.) und dann hatten wir drei Stadtteilbüros einmal dieses, äh, (.) psychologisch tiefenpsychologisch angehauchte, die hinter (2) jedem auftauchendem Menschen ein (.) psychologisches Problem
250 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN vermuteten (.). Dann ein ganz Pragmatisches, einfach Helfendes, aber nicht überbordend Helfendes (.) und ein (1) sehr (.) zuständigkeitsprüfend Orientiertes. (.) Das war (.) bis zwei, drei, glaube ich, von 1996 bis 2003. (.) Eine Entwicklung, die deutlich erkennbar auseinanderging. (.) Seitdem das wieder alles an einem Platz ist, in einem Haus unter einer Leitung, (.) hm, (.) ist das absolut positiv im Vergleich zu vorher.« (I4b: 30)
Dabei agierten die Mitarbeiter in den Stadtteilbüros entweder nach den Prinzipien eines Helfer-, Zuständigkeitsüberprüfungs- oder Ablehnungssyndroms. Und je nachdem, auf welche Fachkräfte und auf welche organisationale Subkultur die Bürger der Stadt trafen, erhielten sie entweder Hilfe oder sie wurden an die für sie zuständigen Stellen verwiesen bzw. erhielten überhaupt keine Unterstützung. Und man kann sagen: Erst mit der Etablierung eines Fachbereiches für Kinder, Familien und Senioren im Jahr 2000 und der parallelen Arbeit am Dormagener Qualitätskatalog kam es zu einer politisch gewollten Trendwende, zu einer von der Mehrheit der Fachkräfte geteilten Haltung des Willkommenseins und dem Bemühen, sich an die eigenen fachlich gesetzten Qualitätsstandards zu halten. Zumindest wurde mit der Umstellung von einer regionalisierten auf eine zentralisierte Arbeitsweise eines erreicht: die Mitarbeiter haben sich mit ihrer Arbeit im Jugendamt positiv identifiziert, sind stolz auf das, was sie tagtäglich tun, und nicht darüber verbittert, dass sie sich aus den von ihnen lieb gewonnen Regionen verabschieden mussten. Mit Stefan Kühl (1998) kann man darum behaupten: Die Leitungs- und Führungskräfte haben aus dem Prozess der Zusammenlegung vormals getrennt voneinander agierender ›Regionalämter‹ nicht zur konzeptionellen Desorientierung der Mitarbeiter des Fachbereiches beigetragen, sie haben stattdessen das Identitätsdilemma gemeistert, mit denen viele hochspezialisierte und sich ausdifferenzierende postbürokratische Unternehmen, aber auch regionalisierte Jugendämter immer wieder belastet werden: einer sich diametral voneinander wegentwickelnden Hilfepraxis, bei der die Gesamtidentität – die programmatisch-konzeptuelle Grundlage – der sozialpädagogischen Fachbehörde Jugendamt als tragende Einheit oftmals verloren geht. Das echte Interesse an den Sorgen und Nöten der Einwohner von Dormagen steht insofern spätestens seit der Erarbeitung des Dormagener Qualitätskatalogs in der Führungsebene der Gesamtverwaltung und im Jugendamt im Vordergrund. Hierfür setzt man auf einen ›ganzheitlichen Kinder- und Jugendhilfeansatz‹15. Darüber gibt es im Team und auf Ebene der Führungskräfte einen gemeinsamen Konsens, wenngleich die damit verbundenen Ziele auf der Ebene der Fallarbeit durchaus unterschiedlich sind. So gesehen, ist jeder willkommen, mit seinen Problemen wie mit seinen Ideen. Denn auch die Mitarbeiter des Fachbereichs haben die Freiheit, sich fachlich 15 Ganzheitlich bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Mitarbeiter für alles und jeden innerhalb des Aufgabenspektrums des ASD zuständig sind.
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selbst entfalten und entwickeln zu dürfen. Sie werden z.B. nicht durch trennende Hierarchien oder bürokratische Anweisungsroutinen daran gehindert, sich für eine gelingendere Praxis einzusetzen, auch sie sind innerhalb der Stadtverwaltung willkommen und werden für ihre Arbeit wertgeschätzt. Sie werden, so wurde es von einigen formuliert, eben laufen gelassen, selbst dann, wenn sich die politischen Karusselle wieder weiter drehen und andere Parteien die Stadt regieren. 6.2.2 Thematisierungsfeld: Alle sind im selben Boot einer lebendigen und motivierenden, aber sich verdichtenden Praxis Ein afrikanisches Sprichwort besagt: »Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.« Solch ein Dorf, d.h. einen verlässlichen sozialen Hilfekontext, der durch eine maßgeblich von der Stadt selbst beförderte intraund interorganisationalen Vernetzung geschaffen wurde, kann man in Dormagen finden. Man strebt beispielsweise im Kinderschutz danach, eine gemeinsame Sprache mit allen daran beteiligten professionellen Organisationen und Erziehungs- und Sozialisationsinstanzen zu fördern, um diese in ein allumfassendes Unterstützungsnetzwerk für Familien integrieren zu können. Hierfür hat man im Jahr 2005 eigens die Stelle eines Präventionsbeauftragten geschaffen, der seit diesem Zeitpunkt als interner und externer Netzwerkmanager fungiert und versucht, alle Bevölkerungsgruppen und Institutionen der Stadt Dormagen von der Idee und Etablierung einer kinder- und familienfreundlichen Kommune zu überzeugen. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Stadt selbst darauf aus ist, ein Katalysator für gelingendere Hilfeprozesse zu sein und dafür erhebliche finanzielle und konzeptionelle Anstrengungen in Kauf nimmt. Ja, man kann sagen: Das dialogische Prinzip der im Fachbereich praktizierten Qualitätsentwicklung hat dazu geführt, die Zuständigkeitsgrenzen und Interessenkonflikte innerhalb der Stadtverwaltung, aber auch im Austausch mit externen Fachkräften und Organisationen zu entschärfen. Der ›Dialog als Struktur- und Entscheidungsprinzip‹ hat ermöglicht, dass die institutionelle Binnendifferenzierung durchbrochen worden ist und man miteinander, gemeinsam auf eine andere Stufe der Verständigung gekommen ist. Natürlich bezieht sich dies vor allem auf die Erarbeitung und Etablierung des Dormagener Qualitätskatalogs; dieser steht für eine Initialzündung, welche sich aus einer Kooperationskrise zwischen der öffentlichen und freien Kinder- und Jugendhilfe selbst entwickelte. Ohne diese Krise wäre die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Dormagen vermutlich konzeptionell nicht so geändert worden, wie sie nun offensiv mit dem ›Dormagener Modell‹ im Rahmen des Netzwerks Frühe Förderung (NeFF) des Landesjugendamtes Rheinland bundesweit vertreten wird (vgl. hierzu: Jugendhilfe Report 2008). Nicht von ungefähr wird die Fachabteilung innerhalb der Verwaltung als kompetent und als wichtiges Aushängeschild der Stadt angesehen. Natür-
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lich ist nicht alles Gold, was glänzt. Aber: Durch die aktive Öffentlichkeitsund Pressearbeit ist es gelungen, das Jugendamt der Stadt Dormagen zu einem Markenzeichen werden zu lassen. Eine Fachkraft beschreibt es so: »Ich glaube, dass die org…, ah [ja] ja, ich denke, es gibt auf dieser auf dieser Ebene, (1) auf dieser, auf dieser Strukturebene da oben, (.) ähm, (.) da wird das da, da gibt es programmatisch eine ganze Menge, [hm] ne. Das wird ja auch immer größer da oben. Ich finde, wir haben da so einen richtigen Thinktank da oben mittlerweile, ne, (1) ähm, da arbeiten mittlerweile, äh, mit dem, (.) es sind jetzt mittlerweile sechs, sieben Leute zu Gange, (1) da wird was richtig ausgebaut, (1) da profitieren wir zum Teil von. (.) Hier unten findet dieser Ausbau weniger statt. (.) Hier unten sind wir uns selbst überlassen. Da oben (.) wird mit diesem Ausbau sicher auch Verbesserung erzielt. (.) Ob das jetzt das Nonplusultra ist, diese präventiven Geschichten bis zum Babypaket – das lässt sich jedenfalls gut darstellen und verkaufen. (.) Ähm. Da passiert eine ganze Menge. (.) Ähm. (1) Hier unten wird von uns erwartet, (1) dass wir diese Dinge an der Basis, äh, umsetzen, (.) dass wir das beachten […].«
Insofern verfügt das Jugendamt über eine sukzessiv ausgebaute ›Thinktankebene‹, mit der es den Fachkräften an der Basis einerseits ermöglicht wird, auf Kooperations- und Präventionsstrukturen zugreifen zu können, die es sonst in ihren Stadtteilen nicht geben würde. In Dormagen wurde insofern auf der Ebene der Jugendhilfeplanung in das strategische Management investiert oder, wie es Joachim Merchel (2010a: 51) beschreibt: in »eine ›organisationsinterne Denkfabrik‹, von der wichtige Reflexionsimpulse für das Jugendamt ausgehen und deren Aufgabe es ist, ›produktive Irritationen‹ in routinehafte Abläufe und bisher entwickelte Wahrnehmungsmuster zu bringen.« Anderseits fühlen sich manche Mitarbeiter an der Basis des ASD auch allein gelassen; jedenfalls wurde in den letzten Jahren nicht der ASD personell ausgebaut, sondern man investierte in »präventive Geschichten«, also in jene Themen, die sich in der Außendarstellung und gegenüber der Politik strategisch besser »verkaufen« ließen. So erstaunt es nicht, dass im Jugendamt der Stadt Dormagen sich die Fachkräfte des ASD auf der einen Seite mit der programmatischen Haltung des Willkommenseins identifizieren, ja ihre Arbeit ihnen sogar Spaß bereitet, sie auf der anderen Seite sich selbst als jene Mitarbeiter beschreiben, die ›unten‹ nicht hinlänglich beachtet werden. So sagte eine Fachkraft auch kritisch: »Wenn man die Kollegen, also wenn sie die Kollegen, ähm, nur so, ähm, in der Gemeinschaft und mit auf irgendwelchen Tagungen, was weiß ich, natürlich, dann wird das nicht gesagt. Aber: Wenn sie mit einzelnen Kollegen sprechen, die stehen, die gehen teilweise manchmal auf dem Zahnfleisch, (.) weil es ist, ich (.) also, ich empfinde das mit den Jahren so, dass die Fälle
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nicht einfacher werden, dass die Familien auch immer Multiproblemfamilien teilweise sind. (.) Familien gehen oft am Rand, selbst die sogenannten Mittelschichtsfamilien gehen am Rand, (.) und dass die Kollegen einfach, ähm, viel mehr Zeit und viel mehr Ruhe bräuchten, auch den Einzelfall noch sehen zu können, und die verwalten teilweise nur. […] Und da sehe ich schon eine Überlastung, ja. (2) [Hm.] Ich glaube, dass die zu viel Arbeit haben, weil einfach zu viel mittlerweile da ist, ähm, an Aufgaben, die sie haben, auch viele verwaltungstechnische Aufgaben, weil das auch immer mehr geworden ist (.) und da eigentlich wenig Entlastung kommt, (1) und wir sind ein Teil der Entlastung, aber wir können natürlich auch nur bedingt entlasten.« (I7b: 62)
An diesem Zitat lassen sich einige organisationskulturelle Phänomene des Jugendamtes der Stadt Dormagen markant herausstellen: Da sich die Mitarbeiter von ihrem Arbeitgeber und anderen Verwaltungsangestellten anerkannt und wertgeschätzt fühlen, sie regelrecht stolz auf ihre Arbeit und ihre öffentlichen Erfolge sind, thematisieren sie ihre eigene Überlastungen nur am Rande. Sie wollen nicht, dass das Bild ihres Jugendamtes in der Öffentlichkeit einen Makel bekommt. Obwohl sie sich auch selbst eingestehen, dass sich ihre Arbeitsprozesse in den letzten Jahren enorm verdichtet haben, verzweifeln sie nicht daran. Sie gehen trotz auftretender Praxishindernisse und sich verdichtender Praxisprozesse motiviert und lebendig an ihre Arbeit. Sie sehen sich zwar als diejenigen an, die organisational in der Hierarchie ›unten‹ stehen. Sie wissen aber auch um ihre Bedeutung innerhalb der Gesamtverwaltung, ja sie fühlen sich für ihre Praxis und für den Ruf des Jugendamtes mitverantwortlich. Oder anders gesagt: Die Tristesse einer oftmals als bürokratisch und als starr erlebten Verwaltung scheint es in Dormagen nicht zu geben. Die meisten sozialen Fachkräfte sind locker und fröhlich und haben fast immer ein Lachen auf den Lippen, weil ihnen ihre Arbeit in einer von ihnen als lebendig empfundenen Organisation Spaß macht und sie nicht auf sich allein gestellt sind. Sie können vielmehr auf ein dicht gesponnenes Hilfenetz zurückgreifen und müssen nicht als ›bedrohliche Spinne im Netz‹ agieren. Sie sind Teil einer im Vorfeld agierenden Kinderschutzorganisation, die sich nicht nur auf Fremdmeldungen verlässt. Stattdessen wird den Menschen in Dormagen vielmehr eine solidarische Hand der Hilfsbereitschaft angeboten und den Mitarbeitern wiederum: organisationale Bestätigungen, verlässliche Weiterbildungen und Supervisionen. Denn die in der Stadtverwaltung und im Jugendamt vorherrschende Devise lautet: Gemeinsam sind wir stark, und diese Auffassung macht nicht halt an den Grenzen der Stadtverwaltung, sondern hat sich übertragen auf andere, sich ernst genommen fühlende Kooperationspartner. Die Mitarbeiter des Fachbereichs und des ASD fühlen sich von ihren Führungskräften und der (Fach-)Öffentlichkeit anerkannt und wertgeschätzt. Sie haben ein hohes Maß an Selbständigkeit. Sie fühlen sich ›frei‹ und haben die Erlaubnis, Dinge weiter vorantreiben zu dürfen, ohne unnötig kon-
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trolliert und durch Dienstanweisungen beschränkt zu werden. Denn die Dienstanweisungen wurden weitestgehend offiziell abgeschafft und durch gemeinsam zu verabredende Leistungs- und Zielvereinbarungen ersetzt. Auch deshalb wird vermutlich viel Wert auf die Meinung der Fachabteilung gelegt, gibt es doch fast keine »Entscheidungen von oben«, die nicht die Sichtweisen der Mitarbeiter berücksichtigen. Gegründete Arbeitsgruppen werden von den Leitungs- und Führungspersonen ernst genommen, obwohl die konkrete Umsetzung in die Praxis nicht immer stattfindet und auch von einigen abgewehrt wird. Vor allem die älteren Kollegen des ASD sind nicht immer für alles so offen, wie mir deutlich gemacht wurde. Und dennoch passiert viel, ohne dass es im Sande verläuft. Man ist innerhalb der Stadtverwaltung darum bemüht, beispielsweise die Ergebnisse von Arbeitsgruppen in stattfindende Planungen einzubeziehen. Man beschreibt sich aus diesem Grunde auch als eine aus Fehlern lernende Verwaltung. Zumindest im Team des ASD wurde durch die Arbeit am Qualitätskatalog eine offenere Einstellung der Mitarbeitern zu Fehlern angeregt: »Ja, ich würde glauben, dass wir als Team, (1) dass wir viel (.) in den Dialog gehen, dass wir viel reflektieren, dass wir aus guter Fachpraxis, (1) ähm, (1) wie aus Fehlern (2) lernen und uns in Bewegung setzen, (.) miteinander. (3) Ich glaube, dass wir hier eine gute Lobby haben, um das zu können, (2) haben wir wirklich, (1) also das ist ja auch wichtig, dass man überhaupt die Zeit hat und den Raum, sich zusammenzusetzen, das haben andere Jugendämter noch nicht mal, (3) ähm, (.) dass das, (2) das durch unsere Projekte wie den Qualitätskatalog, also es ist auch etwas Besonderes, (.) dadurch, dass wir mit dem Reinhart Wolff zusammengearbeitet haben, (.) den kennen sie ja auch, nicht [hm] glaube ich, dass wir alle noch einmal wieder richtig Spaß an der Arbeit gekriegt haben, noch einmal, (.) also hier so ein langjähriger Kollege hat gesagt: ach, ich habe wieder richtig so einen studentischen Eifer entwickelt, dass macht richtig Spaß mal (.) auch woanders hinzugucken, was andere tun und was man davon in die Praxis, (1) wir haben hier gute Bedingungen, glaube ich.« (I2b: 46)
Insofern trifft man im gesamten Fachbereich auf ›lebendige‹ und ›frische‹ Kollegen, denen es sichtlich Spaß macht, zur Arbeit zu kommen. Sie sind motiviert, wollen fachlich vorankommen und sich weiterentwickeln. Sie identifizieren sich mit der Stadt und der kinder- und jugendhilfepolitischen Ausrichtung und tragen selbst zum Teil des Erfolgs bei. Dadurch werden auch immer wieder neue Energien und Ressourcen freigesetzt, auch deshalb, weil die sozialen Fachkräfte des ASD durch eine aktive Netzwerk- und Öffentlichkeitspolitik, durch die ›Haltung des Willkommenseins‹, in und mit ihrer Arbeit nicht allein gelassen werden. Es ist kein Wunder, dass Hilfen zur Erziehung fast immer genehmigt werden, wenn diese fachlich hinreichend begründet sind. Es existieren keine »Daumenschrauben von oben«.
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Die sozialen Fachkräfte des ASD können ihre Schwächen zeigen, werden dafür nicht »abgestraft« und bekommen Unterstützung in Form von Weiterbildungen und im Rahmen des stattfindenden kollegialen Austauschs. Es besteht kein bürokratischer Perfektionsanspruch. Eine Fachkraft beschreibt es so: »Also ich glaube, das in der Verwaltung, (.) allgemein, (.) wir sind so ein ganz altertümlicher hierarchischer Betrieb, (2) allgemein würde ich sagen, Fehler sollen eher nicht sein, (.) Fehler passieren aber überall, (.) überall in allen (.) Ämtern in allen Bereichen, (1) und ich habe das Gefühl, (2) ist jetzt mein individuelles Gefühl, dass wird irgendwie (1) versucht, besser zu machen und (.) zu verschweigen, (.) zu mindestens den Bürgern gegenüber. (3) Ich, wenn ich das jetzt herunterbreche auf unseren Bereich, glaube ich, dass hier Fehler (1) eine große Bedeutung haben, (3) dass wir versuchen, (1) Fehler zu nutzen, (2) um (1) in den Dialog zu treten und andere Handlungsmöglichkeiten, das ist wirklich so, dass wir (.) andere Handlungsmöglichkeiten erschließen wollen für uns […].« (I2b: 24)
Das Jugendamt in Dormagen ist insofern zwar in einem »altertümlichen und hierarchischen Betrieb« organisiert, in dem Fehler eigentlich nicht zum Bild einer perfekt organisierten Bürokratie passen. Im Jugendamt hat sich jedoch davon abweichend ein anderes organisationales Praxismuster etabliert: eine von den Führungskräften erhoffte organisationale Fehleroffenheit, die aber immer wieder im Team des ASD an ihre strukturellen Grenzen stößt (begrenzte Teamoffenheit). Man könnte auch sagen, dass die Mitarbeiter gewissermaßen in ihren Abwehrroutinen verfangen sind (vgl. Argyris 1997), dass sie nicht anders können, als sich schon allein aus Selbstschutz- und Kompetenzerhaltungsgründen gegen ein kollektives Lernen aus Fehlern aufzulehnen; sie sind nämlich so sehr von ihren Entscheidungs- und Handlungsroutinen und dem Erfolg der aktiven Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ihres Jugendamtes beeinflusst, dass sie gar nicht mehr anders können, als ihre Fehler gegenüber ihren Kollegen wie auch ihren Leitungskräften herunterzuspielen. Zumindest wollen sie eines vermeiden: vom Stigma des Fehlers im Kontext einer motivierenden und lebendigen, aber zunehmend sich verdichtenden Praxis nach unten gezogen zu werden. Dementsprechend besitzt Dormagen, wie es auf der Website der Stadt heißt, zwar »ein bundesweit einmaliges Netzwerk für Familien« (siehe http.//www.dormagen.de/leben.html, zuletzt geprüft am 09.12.2008). Aber genau diese nach außen getragene Einmaligkeit könnte zum Fallstrick für die sozialen Fachkräfte des ASD werden. Das Jugendamt Dormagen ist nämlich mittlerweile in aller Munde und wird bei diversen Fachveranstaltungen regelrecht als »das beste« in Deutschland »verkauft«. Sicherlich, und dies ist beachtenswert, kenne ich kein anderes Jugendamt, welches wirklich versucht, offensiv die Lebensbedingungen von Kindern und deren Familien
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durch Hilfen im Vorfeld zu erhalten bzw. zu befördern, aber: Die »überzogene« positive öffentliche Darstellung des Jugendamtes wurde von den Mitarbeitern des ASD auch als problematisch charakterisiert. Warum? Die hohe öffentliche Aufmerksamkeit erzeugte offenbar einen nicht unerheblichen Erwartungsdruck. Durch die mediale positive Überpräsenz des Dormagener Jugendamtes wurden nämlich auch ungewollt fachliche Übererwartungen geschürt, die nicht immer erfüllt werden können; besonders wenn man bedenkt, dass trotz aller präventiven Arbeit immer ein problematischer Kinderschutzfall in die Schlagzeilen geraten könnte. So schwärmen die Kollegen auf der einen Seite zwar von der Unterstützung durch den Bürgermeister, von der tollen hierachieübergreifenden Teamarbeit und dem jetzt erreichten fachlichen Ruf, wie eine soziale Fachkraft auch schildert: »Eine Stärke die die Stadtverwaltung, auf jeden Fall hat, ist, äh, (.) angefangen vom Bürgermeister und durch die Hierarchieebenen Fachbereichsleiter, Produktverantwortliche, (.) dass da ganz klar, äh, so eine positive Wertigkeit da ist, die Jugendhilfe zu stützen, (.) also ich denke mal in Dormagen (.) ist Jugendhilfe einfach so ein positives Thema. Man ist da positiv mit in den Schlagzeilen und nicht nur mit den Kosten oder so, (.) und, ähm, (1) äh, es wird viel möglich gemacht, ne, also gerade bei Kindeswohlgefährdungen auch unorthodoxe Wege und so, das ist schon top. Also ich denke mal, (.) da (2) möchte ich auch immer lieber hier arbeiten als (.) in vielen anderen (.) Bereichen. […] Also im Moment sind wir ja so ein bißchen in so einem komischen Status, das beste Jugendamt Deutschlands oder so was. Das wird dann manchmal erzählt.« (I5b: 32)
Sie wissen aber auch, dass, selbst wenn alle Fachkräfte gleichermaßen im selben Boot – intra- wie interorganisational – sitzen und versucht wird, nicht gegeneinander zu kämpfen, sondern intensiv und konzentriert an der gemeinsamen Sache zu arbeiten – an einem ganzheitlichen und früh helfenden Kinder- und Jugendhilfeansatz –, schwerwiegende Kinderschutzfälle nicht verhindert werden können. Die sozialen Fachkräfte des ASD sind jedenfalls mitnichten der Meinung, dass Dormagen eines der besten Jugendämter Deutschlands sei. Schließlich, so meinen sie, läuft auch bei ihnen nicht immer alles reibungslos, sind auch bei ihnen die Arbeitsprozesse extrem verdichtet und Fallbelastungen ebenso spürbar. Natürlich fühlen sich die meisten nicht überlastet, aber der öffentliche Druck ist schon immens und wird als solcher auch kritisch thematisiert. Dies zeigt sich auch darin, dass die Mitarbeiter eher Angst davor haben, was passieren würde, wenn auch bei ihnen in Dormagen ein misslungener Kinderschutzfall in der Presse »ausgeschlachtet« würde. Das positive Image sorgt momentan jedenfalls dafür, dass selbstkritische Botschaften kaum gehört werden und die Mitarbeiter immer wieder davor zurückschrecken, Missstände kritisch anzusprechen und sorgfältig aufzude-
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cken. »Denn Jammern ist in einer Phase des Erfolges eventuell nicht wirklich en vogue«, so eine Fachkraft. Schließlich gibt es durchaus Kollegen im ASD, die sich punktuell überlastet fühlen und nicht mit allem zufrieden sind. Der Babybegrüßungsdienst wird beispielsweise zusätzlich zu den anderen Arbeiten der Bezirkssozialarbeiter geleistet. Hierfür wurden jedoch nicht extra freie Personalstellen bzw. zeitliche Puffer geschaffen. Das verwundert, haben sich die Arbeitsprozesse in der Vergangenheit doch extrem verdichtet; erst recht, nachdem der § 8a SGB VIII im Jahr 2005 eingeführt worden ist. Einige soziale Fachkräfte bestätigten mir jedenfalls, dass sie ihren gesetzlichen Dokumentationserfordernissen kaum noch gerecht werden können; die vorhandene Arbeitszeit und die Masse an Arbeit scheinen nicht mehr zusammenzupassen. Unvorhergesehenes hat dadurch kaum noch Platz, auch wenn Kinderschutzmeldungen auf kurz oder lang in den Vordergrund rücken. Aber: Andere Aufgaben, wie z.B. Protokolle und Aktennotizen, bleiben dadurch natürlich liegen und können nicht immer zeitnah geschrieben werden. Belastungen und auch Überbelastungen sind im ASD von daher ebenso präsent, wie die weiter oben beschriebene lebendige und motivierende Handlungspraxis. So wurde ich auch darauf hingewiesen, dass es schon seit Jahren keine angepassten Arbeitsplatzbeschreibungen mehr gibt und Mehrarbeit damit begründet wird, dass die sozialen Fachkräfte des ASD ja nicht mehr mit Sozialhilfefällen belastet sind. Dies ist sicherlich richtig, doch wie mir berichtet worden ist, hat sich dieser zeitliche Vorteil schon längst durch die Anforderungen des § 8a SGB VIII und andere zu bewältigende Aufgaben aufgelöst. Insofern sollte man, was die zeitlichen Kapazitäten der sozialen Fachkräfte anbelangt, mit Achtsamkeit die weiteren Fallentwicklungen und Arbeitszeitverdichtungen betrachten. Denn insbesondere was die kollegiale Fallreflexion anbelangt, sind hier noch längst nicht alle methodischen und kreativen Mittel ausgeschöpft, was freilich wiederum mit einer weiteren kollegialen Teamzeitbindung einhergehen würde. Zusammengefasst: Es könnte durchaus sein, dass die Mitarbeiter des gesamten Fachbereichs und der Stadtverwaltung von ihrem eigenen und von außen ja immer wieder mit Respekt betrachteten Erfolg geblendet werden könnten und es zu einem fachlichen Stillstand kommen könnte. Denn wenn man immer wieder hört, wie innovativ und wie einmalig das Dormagener Modell der Präventionsarbeit oder auch wie fortschrittlich der Dormagener Qualitätskatalog sei, glaubt man bald selbst, dass man schon längst alle fachlichen Ziele erreicht hätte. Aber man sollte auf der Hut sein und sich durchaus fragen, was trotz der geleisteten Arbeit auch weiterhin konzeptionell und fachlich vorangebracht werden muss. Auch sollte man mit Skepsis den fachlichen Lobpreisungen der anderen begegnen, die vermutlich nur darauf warten, dass die Ausrichtung hin auf die Umsetzung des § 1 SGB VIII auch nicht so gelingt, wie man es sich in Dormagen vorgestellt hat. Was jedoch nicht passieren sollte, ist, dass in einer Phase des öffentlichen Erfolges und der damit verbundenen medialen Aufmerksamkeit nicht mehr auf die
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Kritiken der Mitarbeiter gehört wird, oder dass diese erst gar nicht innerhalb der Stadtverwaltung geäußert werden. Fehler werden insofern aus organisationeller Sicht als unvermeidlich angesehen. Und es wurde auch beschrieben, dass es der größte Fehler wäre, auffallende Diskrepanzen und Fehlentwicklungen nicht an die dafür Verantwortlichen zu melden, aber weiter vordergründig auf der Welle des Erfolgs zu reiten; dies wäre ein fataler Selbstrausch, in den man schnell geraten könnte, wenn man sich nicht dann und wann wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Es bleibt also noch viel zu tun, damit die Fachabteilung bzw. das Jugendamt Dormagen wirklich zu einer fehleroffenen Organisationskultur wird. Darüber sind sich die meisten sozialen Fachkräfte in Dormagen allerdings auch im Klaren: »Da ist eine, eine ganz gefährliche Situation, weil wir eigentlich offensichtlich keine Fehler machen. (1) Äh, da ist es viel spannender, immer wieder darauf hinzuweisen, dass man (1) hier genau die gleichen Fehler machen kann, hier das, (1) genau das Gleiche passieren kann wie in jeder anderen Organisation, wie in jedem anderen (.) Jugendamt, und auch hier kann man (1) in Kühlschränken, in Kühltruhen, in Blumentöpfen wie auch immer Kinderleichen finden. (2) Das kann einfach so sein, (2) dass wir, (.) dass wir versuchen, (1) das Risiko zu minimieren, […] aber wir können es nicht ausschließen. (.) Gleichzeitig wird aber an uns herangetragen, ja ihr verhindert das ja, (2) und da ist, denke ich, so prophylaktisch auch darauf hinzuweisen, dass man (.) immer wieder, egal wie toll man gelobt wird, sagt, (.) auch hier [hm, (.) hm] ist so eine quasi, so eine Horrorvision, ne, (.) wenn hier demnächst mal tote verbuddelte Säuglinge (.) in irgendeinem Garten auftauchen, (2) hätte man doch wissen müssen, (1) und da hilft es dann ganz wenig, dass man seit Jahren sagt, kann man nicht wissen. (1) Man kann nur in dem Einzelfall hingucken, (.) und im Einzelfall oder auch generell präventiv was machen […]. Aber ich denke, das wird eine der schwierigsten Sachen sein, wenn (.) so etwas real passiert.« (I4b: 34)
Der Gedanke, dass es zu einem »Kinderschutzskandal« kommen könnte, wird dementsprechend auch als »Horrorvision« thematisiert. Es gibt insofern im Jugendamt eine Angst davor, dass mit einem solchen Ereignis die komplette fachliche Ausrichtung der letzten Jahre gefährdet werden könnte. Dies zeigt sich auch darin, dass trotz aller Anstrengungen das Jugendamt der Stadt Dormagen immer noch mit Zugangsproblemen zu kämpfen hat; also noch längst nicht alle Ziele des Qualitätskatalogs erreicht worden sind. Der Weg ist geebnet, aber die Frage bleibt offen, ob und wie es gelingen kann, die im Team nur bedingt vorherrschende Kultur der Fehleroffenheit zu befördern und nicht in einen Kinderschutzskandal zu geraten und schwerwiegende Kinderschutzfehler zu vermeiden und kompetent zu managen.
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6.2.3 Thematisierungsfeld: Begrenzte Teamoffenheit ASD-Arbeit ist und bleibt Teamarbeit, auch wenn sie oft von den Fachkräften ganz allein bewältigt werden muss. Ich komme nun auf das Team des ASD zu sprechen, welches über Jahre gewachsen ist und sich aufeinander verlassen kann. Man kennt sich und weiß um die Stärken und Schwächen des Einzelnen. Eventuell ist man aber von der Teamzusammensetzung her auch schon zu lange miteinander in Aktion und meidet deshalb den fachlichen Widerspruch. Es kommt nämlich kaum zur Thematisierung fachlicher Differenzen untereinander. Grundsätzlich scheint es innerhalb des Teams schwierig zu sein, Kritik offen untereinander zu äußern. Es sind für jeden Rückzugsmöglichkeiten vorhanden, die auch genutzt werden. Wer seine Arbeitsweisen nicht offenlegen will, muss es auch nicht. Für die kollegialen Beratungen gibt es aber festgeschriebene Spielregeln. Grundsätzlich ist die fallverantwortliche Fachkraft verpflichtet, kollegiale Beratungen im Einzelfall durchzuführen. Darüber hinaus gibt es freiwillige Teilnahmemöglichkeiten. Diese Beratungen sind wiederum nicht immer systematisch strukturiert und durchdacht. Es ist nicht klar, wer welche Rolle dabei einnimmt, wer wann zu Wort kommen darf, wer moderiert und auf die Zeit achtet und den gesamten Beratungsprozess kontrolliert. Es fiel während der freien teilnehmenden Beobachtungen im Oktober 2008 auf, dass vor allem die ›lauten‹ und ›forschen‹ Kollegen die Überhand mit ihren Deutungen gewannen und andere fast gar nicht zu Wort kommen ließen. Auch wurde nicht darauf geachtet, die ›stillen‹ und ›zurückhaltenden‹ Fachkräfte entsprechend mit ihren Ideen einzubeziehen. Man war im Team relativ schnell mit den vorgetragenen Ideen und Lösungen zufrieden, so dass man auf eine kreativ-experimentell angelegte Fallreflexion eher verzichtete (obwohl die sozialen Fachkräfte unterschiedliche methodische Ansätze der Fallberatung kennen), anstatt für Alternativen offen zu sein. Die Falleinbringer selbst geraten dabei zumeist oft in ›Rechtfertigungsnöte‹, fühlen sich offenbar irgendwie verpflichtet, erklären zu müssen, warum sie wie gedacht hatten. Es scheint ein Makel zu sein, nicht die ›richtigen‹ Ideen im Team vorgestellt zu haben. Dies ist paradox, will man doch eigentlich nicht seine Lösungsvorstellungen verteidigen müssen, sondern Alternativen aufgezeigt bekommen. Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter sich nicht ausreichend auf ihre Fälle im Vorfeld vorbereiten und die Fälle dadurch oftmals nur mit unzureichender Sach- und Informationskenntnis gemeinsam und erfahrungsbasiert »aus dem Bauch« 16 heraus eingeschätzt werden. So kommt eine Fachkraft auch nicht überraschend zu der Feststellung:
16 Zur Bedeutung von Bauchgefühlen siehe Gigerenzer 2008.
260 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN »Es gibt natürlich Mitarbeiter, die sind sehr offen (.) da, ähm, (1) die beraten, wir haben z.B. mal, äh, gesagt, (.) wenn ein Fall intensiv bearbeitet wird von uns, sollten wir, (.) weil in der Regel nur einer zuständig ist, (.) wir sollten zum eigenen Schutz, aber auch als Kontrolle, (.) Kontrolle nicht negativ gemeint, sondern positiv gemeint, (.) diesen Fall (1) jedes Vierteljahr beraten mit mehreren Kollegen, (.) einfach zu gucken, wo stehst du mit den Leuten, bist du auf dem richtigen Weg, (.) dass man nochmal wie so eine Art kollegiale Beratung oder kollegiale Supervision (.) gemeinsam hinguckt, weil sonst trägt einer das alleine und verrennt sich vielleicht, (1) und, ähm, das wird nicht von allen gleichermaßen wahrgenommen. […] Es gibt Leute, die muss man fast nötigen […], die sagen dann: nein, (1) also, weil die sich auch nicht wohlfühlen in dem Beratungsteam oder die, die das Gefühl haben, (1) ähm, (1) da werde ich kritisiert, (1) da wird meine gute Arbeit, ähm, (.) zerrissen, (2) und warum das so ist, das ist jetzt, da, da könnte ich jetzt jahrelang (1) philosophieren oder vielleicht auch spekulieren, da, das hat was mit dem Team zu tun, (.) mit den unterschiedlichen Positionen, die wir hier im Team hatten, mit einer Akzeptanz (1) auch teilweise, mit einer, (4) ja unterschwellig, das ist, wird nicht offengelegt, ne, wenn da (.) fehlende fachliche Wertschätzung unter den Kollegen ist, (1) subtil läuft das dann ab und dann, (1) also das ist nicht optimal hier, so um das zusammenzufassen.« (I2b: 16)
Im Team gibt es demnach unterschiedlich besetzte Positionen; subtile Bündnisse und ein spezifisches Klima der nur teilweise offenen Zusammenarbeit, was in den jeweiligen kollegialen Fallberatungsrunden nicht zum gemeinsamen Lernen aus Hilfeprozessfehlern beiträgt. Auf der einen Seite will man zwar durch solche Fallberatungsrunden einen kollegialen Schutzund Kontrollraum etablieren, der zu einer gesteigerten professionellen Fallreflexion führt – zur Sichtbarwerdung falsch gewählter Hilfewege. Auf der anderen Seite haben einige Kollegen eine Scheu davor, ihre Fälle vorzustellen, sich mit ihrer Arbeit vor ihren Teammitgliedern bloßzustellen; ihnen fehlt nämlich ein auf Vertrauen, Anerkennung und Wertschätzung beruhender Teamzusammenhalt. Wie aus psychoanalytischer Sicht bereits Bauriedl (1984) unter einer anderen Fragestellung herausgestellt hat, sind die Kollegen stattdessen damit beschäftigt – ähnlich wie in Familien – normerhaltende bzw. den Status quo aufrechterhaltende Bündnisse und Koalitionen zu schmieden. Und d.h.: »Wer innerhalb der Norm lebt, ist in die Gemeinschaft aufgenommen. Er hat als Gegenleistung für die Anerkennung der Norm eine gewisse Garantie, nicht ausgestoßen oder ausgeliefert zu werden. So sind Normen eigentlich Verbindungen, Stricken gleich, die die Menschen aneinander binden, mit denen sie sich aber auch gegenseitig erwürgen können« (ebd.: 36).
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In der Folge kommt es zu gegenseitigen Manipulationen, zu einer Praxis der Zusammenarbeit, in der das Ich nicht mehr das Du wahrnimmt (vgl. Buber 1992) und die derart aufgebauten und auch habituell bedingten Abwehrgrenzen (vgl. Bourdieu 1997b) eine Kontakt- und Beziehungsaufnahme zwischen jenen Kollegen verhindern, die in dem jeweils anderen aus einer oftmals unbewussten Motivlage heraus einen für ihr eigenes Überleben notwendig werdenden Feind bzw. Gegner sehen: »Die Unterdrückung des anderen zum Zweck der Entfaltung der eigenen Lebensbedürfnisse, und die Unterdrückung des anderen zur Aufrechterhaltung der eigenen Lebensberechtigung. Beide Prinzipien sind eng miteinander verbunden, sie vertreten aber doch unterschiedliche Ziele, um die gekämpft wird. Im ersten Fall wird mehr oder weniger offen um die Triebbefriedigung gekämpft. In einer parasitären oder verschmolzenen Beziehung herrscht das Prinzip Ich oder Du: es scheint so, als ob immer nur einer von beiden befriedigt werden kann, jeweils auf Kosten des anderen. Regelmäßig ist dieser Kampf mit dem zweiten Prinzip durchsetzt, das besagt, daß die Beziehung durch Normierung der Bedürfnisse reguliert wird. […] Der Urheber der jeweiligen Norm ist der Gute, während der andere als Böser mit Ausstoßung bedroht wird. So ergänzen sich ständig zwei Formen der Bedrohung und der Angst: die Bedrohung mit Ausschluss aus der Triebbefriedigung und die Bedrohung mit Ausschluss aus der sozialen Gemeinschaft« (Bauriedl 1984: 108f., Herv. i. Org.).
So erstaunt es auch nicht, dass die kollegialen Beratungen von den meisten Mitarbeitern als unproduktiv beschrieben worden sind. Um es schärfer zu formulieren: Sie sind häufig inhaltsleer und werden ritualisiert – ohne kritisches Nachdenken – schematisch und formalisiert abgearbeitet und ermöglichen nicht das, was sie eigentlich vom Ansatz her leisten sollten, nämlich: einen Anstoß zur produktiven Weiterentwicklung zu geben. Eine exemplarische Interviewpassage: Interviewer: »(1) [U]nd wie ist so die kollegiale Fallberatung?« Interviewperson: »[S]chwierig, (1) oft schwierig, (1) ähm, ich habe mal vor drei Jahren irgendwie kritisiert, dass es keine kollegiale Beratung, sondern eine kollegiale Belehrung ist, das mag aber mit Sicherheit auch von meinem Empfinden damals, äh, mit meinem Empfinden zusammengehangen haben, dass ich (.) halt wenig Fachlichkeit mitgebracht habe, ne, also im Gegensatz zu den alten Hasen, die alle da sind, habe ich bestimmt erst einmal Ideen gehabt, wo die sich an den Kopf gepackt haben, oder ich habe meistens überhaupt keine Ideen dazu, (2) und dann kam mir das oft übergriffig vor, also dass ist keine Beratung mehr, ne. Daran muss ich mich selber auch immer er-
262 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN innern: Es ist eine Beratung. Es ist nicht, dass ich (.) für irgendwen eine Entscheidung treffen muss oder irgendwen überzeugen muss. (.) Es ist eine Beratung von demjenigen, der ein, der mit einer Familie zusammenarbeitet und eine Frage dazu hat, (2) und von daher (.) ist das auch häufig, aber ich denke, das ist auch immer so, (4) dass das bei uns häufig, äh, (.) auch ein Punkt ist, wo (.) Konflikte entstehen, (2) also gerade weil das ja ein ganz sensibler Bereich ist auch, ne, so. (.) Das ist ja eigentlich der Prüfstand der Arbeit vor den anderen. (1) [Hm.] Also: Wie arbeite ich mit der Familie, und das ist die Richtung, wo ich hin will, (.) und das stelle ich dann in dem Team vor, (1) und dann (1) muss ich mal gucken, was das Team dazu sagt, ne, und da finde ich, muss man sehr drauf achten, äh, (1) ja, dass das eine Beratung ist und keine Belehrung.« (I3b: 60)
Ich will das Thematisierungsfeld der begrenzten Teamoffenheit anhand der Interviewpassage noch konkreter fassen. Kritik wird, wie schon verdeutlicht wurde, in den kollegialen Beratungsrunden nicht offen genug geäußert. Hierfür ist scheinbar kein ausreichendes Vertrauen im Team vorhanden bzw. fühlen sich die unerfahreneren Kollegen gegenüber den »alten Hasen« mit ihren Fallideen und -vorstellungen bloßgestellt. Sie fühlen sich nicht selten in eine Prüfungssituation zurückversetzt, in der sie für ihre Unerfahrenheit öffentlich büßen mussten. Zumindest empfinden einige Kollegen es so, die aber bereits selbst für sich die Einsicht gewonnen haben, dass kollegiale Beratungen eigentlich nicht in kollegiale Belehrungen umschlagen dürfen. So äußert eine Fachkraft auch, dass es zwar nicht immer zu solchen Belehrungs- oder auch Prüfungssituationen komme, aber: »es da Menschen gibt, die im Rahmen, (.) die an diesem Tisch sitzen dann, (2) nicht mehr offen über sich selbst, über ihre Arbeit, über die Familie reden, sondern einen Formalismus abziehen, (1) und andere, die, (2) die offen bei geschlossener Tür ungeschützt alles auf den Tisch werfen können und miteinander mit drei, vier, fünf Mann (1) sich dann zu einem, (1) zu einer Problemlösung (1) mit auf den Weg machen, kann das, ist das sehr unterschiedlich.« (I4b: 26)
Und so kommt es, dass sich einige offen einbringen und die formal organisierten kollegialen Beratungsrunden als Chance des gemeinsamen Lernens ansehen und andere wiederum sich nicht mehr trauen, ihre Kritik über die Fallbearbeitungspraxis ihrer Kollegen öffentlich anzubringen; so gibt es im Team die ›zurückgezogenen Einzelkämpfer‹, die ›integrierenden Teamplayer‹ sowie auch die ›Cliquenbilder‹, die nur bei jenen im Team Rat suchen, denen sie vertrauen können und von denen sie sich fachlich anerkannt und wertgeschätzt fühlen. Dafür haben sich nämlich sogenannte inoffizielle Neigungsgruppen etabliert. Dort werden Fälle besprochen und ein Maß an persönlicher Wertschätzung gefunden, welches es möglich macht, dass das
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Gespräch nicht auf die persönliche Betroffenenebene rutscht. Dies war und ist bei der Diskussion um Fehler auch die größte Sorge der sozialen Fachkräfte gewesen: dass die Beratungen von der fachlichen Sach- auf die persönliche Betroffenenebene wechseln und sich dadurch Kollegen verletzt, missverstanden und inkompetent fühlen könnten und kollegiale Beratungen zu »kollegialen Belehrungen« oder umgekehrt zu »formalisierten Abnickaktionen« werden; wenn beispielsweise Fragen und Themen in den Vordergrund rücken, die gar nicht beantwortet werden sollten, oder den eingebrachten Vorschlägen einfach nur »blind« gefolgt wird. Nimmt man die Konzeptualisierung der Beratung als Prüfstand der Arbeit vor den anderen, als weiteren Marker zur Erklärung des Phänomens der begrenzten Teamoffenheit, dann ist erklärbar, warum es in den formalen Fallberatungsrunden immer um die Durchsetzung oder Beibehaltung fachlicher Positionen – professioneller Normen – und um eine dadurch provozierte Angriffs- und Verteidigungspraxis geht – um einen gegenseitigen Kampf um Haltungen und Überzeugungen. Denn was für Familien gilt, gilt auch für professionelle Teams: Die Macht der einen wird zur Ohnmacht der anderen oder anders formuliert: Immer dann, wenn kollegiale Beratungen in Belehrungen oder formalisierte Abnickaktionen umschlagen, ist gefährdet, was für eine Kultur der Fehleroffenheit die Voraussetzung ist: ein auf Anerkennung und Vertrauen beruhender Teamzusammenhalt, der hilft, die Feind-FreundSpaltungen über die habituellen Grenzen hinweg aufzuheben. So überrascht es auch nicht, dass man es im Team oftmals nicht schafft, die Beratungsprozesse auf eine produktive Ergebnisebene zu überführen. Dies zeigt sich auch darin, dass sich die sozialen Fachkräfte des ASD oftmals zu Angelegenheiten beraten, die letztlich schon längst geklärt sind. Auch ist bemerkenswert, dass sich die Fachkräfte aus dem ASD nur untereinander austauschen und beraten und dass keine interprofessionellen Fallberatungen zwischen den Mitarbeitern der öffentlichen und freigemeinnützigen Jugendhilfe organisiert und durchgeführt werden. Die kollegiale Beratung scheint insofern die Achillesferse des ASD im Umgang mit Hilfeprozessfehlern in Dormagen zu sein. Der Kampf, welcher zur Durchsetzung der eigenen fachlichen Ansichten mit argumentativen Waffen geführt wird, führt zu einer angstvoll befürchteten und phasenweise auch real erlebten emotional belastenden Auseinandersetzung, durch die ein offener kollegialer Austausch immer wieder gefährdet wird. Auf dem Schlachtfeld der Haltungskämpfe kommt es in der Hitze des Gefechts insofern auch zu unbeabsichtigten gegenseitigen Entwertungen, zu Erschöpfungs- und Resignationszuständen, wodurch einige sich dazu genötigt sehen, sich aus der kollegialen Beratungssituation zurückzuziehen. Eine Interviewpassage zur Veranschaulichung: Interviewer: »(.) Na ja, du hast ja gesagt, dass, (.) dass du schon bei manchen Kollegen denkst, so würdest du es nicht so machen, [hm] und hältst es für falsch. (.) Kann man das dann thematisieren?«
264 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN Interviewperson: »Oft versuche ich das zu sagen, (.) aber häufig scheue ich mich auch, (.) weil ich weiß, dass da sehr schnell auch ins Emotionale reinkippt. (.) Ich (.) unterhalte mich sehr gern sachlich darüber, sehr gerne, (.) ne, also (.) würde das auch immer anmerken, (.) wovor ich mich halt immer scheue, ist, wenn das emotional wird, also damit kann ich dann auch nicht gut umgehen, (.) ne, (.) also, wenn dann irgendwelche Vorwürfe von, weiß ich nicht, was kommen. (.) Teambildung gibt es hier, ne, wird vorgeworfen, du doch mit dem und ihr habt mich ausgeguckt, um jetzt, (.) kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, (.) denke ich für mich, mache ich überhaupt nicht so, (1) kann falsch sein, (.) weiß ich nicht, ((Interviewer lachend)) denke ich, mache ich, aber nicht falsch, (.) und, ähm, (1) dann wird es für mich schwierig, das sind aber eigentlich wenige Kollegen, mit denen man das nicht kann, [hm] also mit den ich es nicht kann, [hm] sagen wir es mal so.« Interviewer: »(1) Hm, (2) du sagst, die würden emotional reagieren. [Hm.] Wie würde es dann aussehen, (.) diese Emotionalität?« Interviewperson: »Betroffenheit, [hm] (.) Betroffenheit, (.) dagegen ankämpfen, (.) sich stark wehren (.) und das sehr stark auf die persönliche Ebene bringen […] bis hin zu, ähm, ja Infragestellung der Fachlichkeit, (.) ne, aufgrund von Alter ganz oft, (.) aufgrund von Alter und Berufserfahrung, (.) dass es in die Richtung geht, [hm] (.) und da, das mache ich nicht, also das, (1) wenn ich dann (.) Kritik habe, und es sind dann speziell so ein paar Kollegen nicht, ein paar also, es sind eigentlich nur ganz wenige […], die das machen würden, (1) und wenn ich eine inhaltliche Kritik habe, ähm, (1) die mich und meinen Fall nicht wirklich betrifft, dann behalte ich die auch für mich, weil ich weiß, wie es anders laufen kann […]. Ich ziehe mich dann eher zurück, (.) als dass ich da offensiv jedes Mal gegenpower [hm] […], weil ich mich einfach auch vor diesen, ähm, emotionalen Auseinandersetzungen dann scheue, und das will ich auch nicht.« (I3b: 51-54)
Oder ein anderer von einer anderen Fachkraft vorgebrachter und nicht unwesentlicher Aspekt: »Wenn man jetzt hier mal durch das Team guckt, es sicher, äh, acht bis zehn verschiedene Auffassungen gibt, wie man beraten, (.) berät in einer Familie […], es fängt damit an, dass es darüber sehr verschiedene Vorstellungen gibt.« (I5b: 8)
Eine andere Teamproblematik resultiert, wie bereits weiter oben ausgeführt wurde, aus der bewusst flach gehaltenen Hierarchie, aus einem nicht wirk-
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lich durchdachten, sondern eher ›halben‹ Führen auf Augenhöhe. Dadurch fehlt dem Team nämlich so etwas wie ein normgebendes und von allen akzeptiertes Familienoberhaupt im Konfliktfall; so lange alles untereinander funktioniert, sollen sich die Leitungskräfte des Jugendamtes Dormagen am besten aus allem heraushalten, aber wehe dem, dem etwas misslingt, der muss erleben – so jedenfalls die Befürchtung –, dass dann Entscheidungen getroffen werden, die zu ihrem Ungunsten sind. Dann nämlich kommt die Führungsriege als Prell- oder Sündenbock ins Spiel; sie soll verbessern, was sich aus Sicht der Kollegen verschlechtert hat, und verhindern, was als zukünftiges Unheil droht, soll entweder anweisend oder abweisend sein. Einzelne Fachkräfte haben darum auch die Erwartung, dass sie deutlicher geführt werden und ihnen der Weg gewiesen bzw. verhindert wird, dass sich nicht einzelne Teammitglieder als verdeckte Leitungskräfte innerhalb des Kollegiums positionieren: »Ich denke schon, dass, äh, bei der, (.) ja, dass ich manchmal erwarten würde, dass, äh, dass deutlicher und, äh, konsistenter, äh, geleitet wird, (.) äh, wenn das nicht geschieht, führt das dazu, dass das Team diese Leitungsfunktion übernimmt und dass wiederum führt dazu, dass, äh, Teammitglieder sich untereinander reiben, (.) ja weil einzelne das nicht gut finden, das andere in quasi Leitungsfunktion kommen oder sich die herausnehmen […], wenn es auf der Leitungsebene so ein Vakuum gibt, ne, und das ist hier schon so, weil die Leitung auch viel beschäftigt ist und auch viel jetzt in Sachen Außenwirkung hier unterwegs ist, ja oder, oder in Sachen unseres Programmes, die machen sehr viel Fortbildungen von anderen, ja, (.) und da müssen wir schon sagen, äh […], das, ähm, jetzt bestimmte Dinge sehr stark an einzelne Kollegen delegiert sind, was eigentlich Leitungsaufgaben sind, und das führt zu Spannungen im Gesamtteam oder hat in der Vergangenheit zu erheblichen Spannungen geführt […]. Das wird sicher auch weiterhin ein Thema sein.« (I5b: 22)
Ein Leiten aus dem Vakuum heraus provoziert demnach auch jene Teamkonflikte, die sich paradigmatisch auf Ebene der kollegialen Fallberatungsrunden präsentieren. Denn innerhalb des Teams steigen in der Hierarchie der Organisation eigentlich dafür nicht vorgesehene Kollegen zu verdeckten Leitungskräften auf, die als solche nicht von allen Teammitgliedern akzeptiert werden. Sie wünschen sich, dass nur jene organisationale Entscheidungen treffen dürfen, die dazu auch von der Organisation per Stellenbeschreibung formell vorgesehen sind. Die offizielle Leitungsebene wiederum befindet sich dabei in einem Interessenkonflikt: Sie will sich auf mitdenkende und autonom agierende Mitarbeiter verlassen können, um das mit der programmatischen Haltung des Willkommenseins verbundene Präventionsprogramm des Netzwerks Früher Hilfe offensiv bekannt machen und für eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Verständnis im Kinder-
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schutz bei den jeweiligen Kooperationspartnern aus der Kinder- und Jugendhilfe und dem Bildungs- und Gesundheitswesen werben zu können, gleichzeitig kann sie jedoch nicht ihre erforderlich werdenden internen Führungsaufgaben verlässlich wahrnehmen. Und was das Team anbelangt, fühlen sich entweder jene Fachkräfte mit Leitungsaufgaben konfrontiert, die eine solche Aufgabendelegation für nicht angemessen halten, oder jene Fachkräfte zu etwas Höherem berufen, die schon immer einmal ihren Führungsanspruch nach außen tragen wollten. Beide Entwicklungen führen dazu, dass es im Team zu Missverständnissen und Frustrationen kommt, obwohl eigentlich alle gern ihre Arbeit machen und mit dem identifiziert sind, was sie tagtäglich tun (alle sind im selben Boot einer lebendigen und motivierenden, aber sich verdichtenden Praxis). Aufgrund untereinander ungeklärter Annahmen und Erwartungen kommt es zu Unterstellungen und Vorverurteilungen, die zumeist jeglicher empirischer Grundlage entbehren, und dann ist bedroht, was organisational innerhalb des Fachbereichs für Schule, Kinder, Familien und Senioren und bei den Leitungskräften ganz oben auf der Agenda steht: das Prinzip der Fehleroffenheit. Chris Argyris (1997: 53) beschreibt in diesem Zusammenhang, wie aufgrund solcher nichtkorrigierter Gruppenprozesse Eigendynamiken entstehen können, die ein Lernen aus Fehlern in Organisationen und auf Ebene von Teams verhindern. Durch bestimmte Erfahrungen, die in der Vergangenheit als peinlich oder bedrohlich erlebt wurden bzw. potenziell aus Sicht der Teammitglieder möglich sind, wird vertuscht, was eigentlich zur Diskussion steht: die im Verborgenen latent sich zuspitzenden Team- und Leitungskonflikte. In der Konsequenz werden die jeweils anderen für die Ungereimtheiten und Unzufriedenheiten der anderen verantwortlich gemacht, wird vermieden, was zum Teil schmerzhaft ist: der kollegiale Fehlerdialog. Gleichwohl, und das ist geradezu kafkaesk, bescheinigen sich die Teammitglieder untereinander eine gute Arbeitsweise. Doch sie wissen teilweise nicht, wie die jeweiligen Kollegen Familien beraten und sich gemeinsam mit diesen auf die mühevolle Reise einer flexiblen und passgenauen Hilfeplanung begeben. Es gibt hierfür zwar eine klare fachliche Orientierung in Form des Dormagener Qualitätskatalogs, aber ob tatsächlich jene dort beschriebenen Standards annähernd eingehalten werden, steht auf einem anderen Blatt. Auffällig ist jedenfalls, dass die kollegialen Beratungen und die Supervisionen nicht als etwas Verbindliches in der Stadtverwaltung und innerhalb des Fachbereichs angesehen werden. Sie können zwar von den sozialen Fachkräften als Reflexionsanreger genutzt werden, müssen es aber nicht. Hierin liegt, wie ich finde, möglicherweise eine nicht zu unterschätzende Gefahr, weil sich nicht alle Mitarbeiter an den Reflexionsrunden beteiligen müssen. Denn diejenigen sozialen Fachkräfte, die sowieso darauf aus sind, ihre Fälle kollegial zu reflektieren und supervidieren zu lassen, betrifft diese organisational gewollte Unverbindlichkeit nämlich nicht. Sondern: Gerade die Kollegen, die sowieso schon nicht ans Team des ASD angebunden sind, werden noch unbewusst darin bestärkt, sich immer weiter
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zurückzuziehen und mit ihren Fällen allein zu sein und zu bleiben. Wie soll unter solchen Bedingungen der willentlichen ›Nichtanordnung‹ kollegialer Selbst- und Fremdkontrolle eine zuverlässige und fehleroffene Fallarbeit garantiert werden? Jedenfalls ist mir aufgefallen, dass es Kollegen im ASD gibt, die die Möglichkeit haben, fernab von bestehenden und sehr gut funktionierenden Teamstrukturen ihre eigene ›fachliche Suppe‹ kochen zu können. Dies ist jenes Phänomen, welches ich u.a. mit der Hauptkategorie ›begrenzte Teamoffenheit‹ pointieren will. Dem Anschein nach hat man sich damit abgefunden, die persönlichen und habituellen Grenzen zwischen einzelnen Teammitgliedern nicht zu thematisieren. Was man damit jedoch provoziert, ist, dass sich einzelne Mitarbeiter aus dem Team zurückziehen und auf ihre eigene Selbstbezogenheit zurückgeworfen werden. D.h.: Im ASD von Dormagen gibt es Kollegen, die, obwohl sie paradoxerweise zum Team gehören, nicht in diesem integriert sind und auch nicht integriert werden wollen. Um diesen Abschnitt abzuschließen, sei noch folgende Anmerkung gemacht: Zwar ist generell im Team des ASD keine latente Angst vor Fehlern in der Fallarbeit wahrzunehmen, aber offen und ehrlich scheint fast niemand im Team über seine konkrete Fallarbeit und deren innewohnende Hilfeprozessfehler zu sprechen. Der Qualitätskatalog wurde beispielsweise seit seiner Anfertigung nicht inhaltlich überprüft und evaluiert. Die sozialen Fachkräfte des ASD, aber auch der freigemeinnützigen Kinder- und Jugendhilfe fragen sich kaum, ob man die ausformulierten Qualitätsstandards auch tatsächlich in die Praxis umgesetzt hat. Eine Überprüfung hat jedenfalls nicht vollumfänglich stattgefunden, wäre jedoch dringend angebracht. Es reicht eben nicht aus, den Katalog lediglich zu überarbeiten. Dies ist zwar auch ein sehr lobenswertes Ziel. Damit wird die Verbesserung der Praxis allerdings nicht genügend weit vorangetrieben. Sie muss sich an ihren Qualitätsstandards messen lassen. 6.2.4 Thematisierungsfeld: Dynamische Fehlerkontexte und ihre nichtintendierten Folgen Für die Fachkräfte des Jugendamtes Dormagen gehören Fehler zu ihrem Praxisalltag. Damit verbinden sie in der Mehrheit auch den fachlichen Anspruch, aus ihren Fehlern selbständig zu lernen. Für sie haben Fehler in der Sozialen Arbeit viele Ursachen; sie sind vor allem dadurch bedingt, dass es in der Praxis des ASD um Hilfeprozesse geht, von denen man in der aktuellen Hilfesituation nicht weiß, wie sie zukünftig ausgehen werden. Viel problematischer ist für sie, dass Fehler in unserer Gesellschaft negativ besetzt sind und es in der Öffentlichkeit nicht geduldet wird, wenn es zu schwerwiegenden Fehlern kommt und Kinder trotz professioneller Hilfestellungen sterben. Dann nämlich wird nicht mehr akzeptiert, was man aber in der Pra-
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xis Soziale Arbeit nicht ausschließen kann: nichtindentierte Interventionsund Hilfefolgen. So kommt eine Fachkraft auch zu dem Schluss: »In der Jugendhilfe beobachte ich halt, (1) dass die Gesellschaft, die Öffentlichkeit, (1) die verschiedenen Institutionen und natürlich (1) in Folge dessen auch, äh, die Führungsstruktur auf Fehler (.) immer unerbittlicher reagiert und, äh, verkennt, (.) dass die (1) Entscheidungen, die da zu treffen sind, sich auf einem schmalen Grat abspielen, (2) also wer z.B. eine Gefährdungsabschätzung nach § 8a KJHG machen muss, (.) der geht einen ganz schmalen Grat, weil, weil eine unnötige (.) Inobhutnahme eines Kindes ist auch Gewalt, (.) auch Gewalt gegen das Kind und Gewalt gegen die Familie, (1) und wenn man, äh, es fälschlicherweise nicht in Obhut nehmen kann, kann das auch Gewalt sein , weil man Gewalt gegen das Kind unter Umständen zulässt, und, äh, (.) der Grat ist immer sehr (.) schmal, und das sind schwierige Entscheidungen, für die man Verantwortung übernehmen muss, (.) und da […] dran rumzukritisieren, (1) ohne vernünftig zu reflektieren: das ist keine vernünftige Fehlerkultur.« (I1b: 4)
Aufgrund der »unerbittlichen Reaktionen« auf die in der Sozialen Arbeit und der Kinder- und Jugendhilfe öffentlich bekannt gewordenen Kinderschutzfälle mit Todesfolge wird nach Ansicht der Führungskraft eine unvernünftige Fehlerkultur forciert. Sie trägt dazu bei, dass nicht mehr die Kontextbedingungen Sozialer Arbeit kritisch in den Blick genommen werden und öffentlich verdrängt wird, dass die Mitarbeiter in den ASDs jeden Tag aufs Neue »Entscheidungen […] auf einem schmalen Grat« treffen müssen. Und wer auf einem solchen schmalen Grat entlang balancieren muss, hat keinen großen Handlungsspielraum und muss davor auf der Hut sein, gemeinsam mit seinen Klienten abzustürzen. Ein solches Balancieren kann allerdings nicht für alle Ewigkeit gewährleistet werden, denn als zu dynamisch erweisen sich jene Hilfekontexte, in denen kleinere Fehler sich zu schwerwiegenden hochschaukeln können. Und wer zudem nicht offen für seine und für die Fehler anderer ist, ist nicht dazu in der Lage, aus den nichtintendierten Hilfefolgen seiner Entscheidungen rechtzeitig Rückschlüsse zu ziehen. In einem Team, das es nicht schafft, die formell organisierten kollegialen Fallberatungen als Orte kollegialen Lernens zu etablieren, ist es darum umso wichtiger, eine offenere Haltung gegenüber Hilfeprozessfehlern einzunehmen. Denn die Mitarbeiter des Jugendamtes Dormagen wissen nur allzu gut, dass sie jeden Tag lebenswichtige Entscheidungen zu treffen haben, wie nachfolgende Aussage treffend pointiert: »Ich denke immer, unserer Arbeit ist auch ganz oft, also das ist jeden Tag, was Neues und ganz viele Unsicherheiten und […], werden jeden Tag wieder herausgefordert, Entscheidungen zu treffen, (.) die oft, ähm, (.) für andere Menschen, insbesondere für Familien, (.) äh, lebenswichtig oder, (.) oder
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ausschlaggebend sind für weitere Entwicklungen. Und ich finde, ähm, (.) da ist das legitim, dass man sich berät und dass man immer wieder auch andere befragt und, äh, (.) ja, nachfragt. (.) Also ich finde immer: fragen […], als dass man alleine, (.) äh, irgendwas entscheidet und eventuell (.) nicht alles bedacht hat, weil das (.) kann ja jedes, jede Situation aus verschiedenen Perspektiven beleuchten und bedenken, bevor man (.) z.B. eine Hilfe einleitet oder eine Entscheidung trifft.« (I2b: 4)
Insofern sind sich viele Kollegen des Dormagener Jugendamtes bewusst, dass sie nicht irgendwelche Entscheidungen treffen, sondern lebenswichtige, die ausschlaggebend für die weitere Entwicklung von Kindern und Eltern bzw. Familien sind. Jeden Tag sind sie angehalten, über die Entwicklungsperspektiven ihrer Klienten nachzudenken und gemeinsam mit ihnen Lebensperspektiven unter Nutzung der vorhandenen Hilfeangebote anzustoßen, die aber auch scheitern können. Umso wichtiger ist ein breiter kollegialer Austausch, der es möglich macht, die eigenen blinden Flecken sichtbar werden zu lassen. Denn Fehler im Hilfeprozess gehören zur Praxisnormalität; sie können nicht immer vermieden werden. Wie sie sich allerdings auswirken und ob sie eher nutzen, als schaden, darauf wiederum haben die sozialen Fachkräften des ASD nur bedingt Einfluss. Sie sind es nämlich, die in Familien Entwicklungen entweder ermöglichen oder verbauen. Das Problem ist jedoch, dass ihnen oftmals jene Einblicke fehlen, die Kindergartenerzieher oder auch Lehrer im Rahmen ihrer Tätigkeiten oftmals umfassender erhalten. So sagt eine Fachkraft des Jugendamtes Dormagen auch: »Wir (.) bekommen das im Gespräch mit den Eltern, im Gespräch mit dem Kind, so das sind drei-, viermal. Wir gucken auch mal zu Hause rein, und dann entscheiden wir hier irgendwas, (1) und das ist sehr hochgegriffen. (.) Also wir haben nicht wirklich Einblick, denke ich, manchmal in diese ganzen Situationen. Das können andere viel, viel besser beurteilen, (1) ähm, oder anders beurteilen als wir, (.) und das macht es manchmal schwierig, finde ich, dass man sich nicht so, dass man sich nicht eine Familie viermal anguckt und dann sagt, ich weiß jetzt, was das Richtige und das Falsche ist, und da (.) gab es bestimmt manchmal Fehleinschätzungen von mir. […] Da finde ich, muss man halt immer aufpassen, dass man das alles überblicken kann, und da muss man dann sehr, sehr vorsichtig umgehen, weil das ist eine hohe Verantwortung, die man hat […], weil es sind doch sehr sensible Bereiche, wo man vorsichtig sein muss.« (I3b: 36)
Und diese Vorsicht muss immer gegeben sein. Schließlich sind alle Entscheidungen der sozialen Fachkräfte sensibel, haben sie doch unweigerlich Einfluss auf das Leben der Klienten, insbesondere der Kinder. Aber da es innerhalb des Teams des ASD auch zu zwar nicht ständigen, aber doch immer wieder sich herausbildenden Haltungskämpfen untereinander kommt
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und Fehler nur im Rahmen der sogenannten inoffiziellen Neigungsgruppen als offene Beratungsanfragen thematisiert werden können, werden nicht immer alle Ansichten der Kollegen innerhalb des Fallreflexionsprozesses mit einbezogen, kann nicht antizipiert werden, was in der Fallarbeit dazu gehört: nichtindentierte Hilfe- und Interventionsfolgen. Dabei wissen die Fachkräfte des Jugendamtes und der Kooperationspartner nur allzu gut, wie aus den Experteninterviews herausgearbeitet werden konnte, welchen Fehlern bzw. nichtindentierten Hilfefolgen sie innerhalb ihrer Praxis immer wieder aufsitzen: • ›Anamnese- und Diagnosefehler‹, die aus einer zu geringen Kenntnis über die Verhältnisse innerhalb der Familie resultieren und zur Auswahl falscher bzw. ungeeigneter Hilfen führen; • ›Hilfekontrollfehler‹, die dazu führen, dass Konflikte zwischen den Fachkräften und den Klienten bei Kindeswohlgefährdungsfällen einseitig aufgelöst und Kontakt- und Hilfeabbruch auf Seiten der Hilfesystemteilnehmer einfach aus Bequemlichkeitsgründen toleriert werden; • ›Nähe-Distanzfehler‹, die daraus resultieren, dass Fachkräfte die professionellen Beziehungen zur ihren Klienten mit privaten Beziehungen verwechseln; • ›Hilfe-Passungsfehler‹, bei denen die vorhandenen Hilfeangebote nicht entsprechend auf die Bedarfe und Anforderungen der Hilfeteilnehmer zugeschnitten sind; • ›Perspektiv-, Einseitigkeits- oder Überzeugungsfehler‹, die immer dann zum Tragen kommen, wenn auf offene kollegiale Beratungen und Supervisionen verzichtet und die eigenen blinden Flecke nicht gesehen werden; • ›Selbsthilfefehler‹, bei denen die Fachkräfte Entscheidungen und Aufgaben einseitig für die Hilfeteilnehmer übernehmen und ihnen damit die Verantwortung für die Gestaltung ihres eigenen Lebens abnehmen; • ›Gesetzes- und Vorschriftenfehler‹, bei denen bestehende Gesetze einfach übergangen oder aus Unkenntnis nicht berücksichtigt werden; sowie • ›Wissens- und Erkundigungsfehler‹, die durch falsche Informationen von anderen oder aufgrund von unseriösen Informationsquellen provoziert werden. Und all diese Fehler wiederum resultieren aus den ›Haltungsfehlern‹, aus den unterschiedlichen fachlichen Vorstellungen und Einstellungen der Fachkräfte, die es nicht schaffen, sich offen und fair mit den nichtindentierten Folgen ihrer Hilfepraxis auseinanderzusetzen. Zum einen liegt das an der fehlerfeindlichen Erziehung einiger Mitarbeiter des ASD, zum anderen an der emotionale Negativbesetzung des Fehlerbegriffs. Denn sobald die Fachkräfte sagen würden, mir ist bei dir ein Fehler aufgefallen, kommt es nämlich zu den bereits beschriebenen emotionalen Abwehrreaktionen; gibt es plötzlich sich wie auf einer Anklagebank vorkommende Teammitglieder,
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die zwar wissen, dass Fehler zu ihrem Praxisalltag gehören, sich diese Fehler aber nicht von anderen vorhalten lassen wollen. Denn die Fehleranklagen der anderen führen zu einem derartigen innerlichen Stress, dass man aus der eigenen Verunsicherung heraus gar nicht mehr anders kann, als sich dagegen zu wehren. Fehler müssen, wie die Kollegen mir auch immer wieder berichtet haben, darum zunächst einmal eingesehen werden, bevor man darüber in Ruhe ins Gespräch kommen kann. Ein Interviewauszug soll das verdeutlichen: »Gerade Sozialarbeiter wollen ja in erster Linie alles richtig machen (.) und helfen und solche Geschichten (.) und, und mit Sicherheit auch gemocht werden und beliebt sein. Das spielt dann, nehme ich mal an, auch eine große Rolle, (.) muss man halt erkennen, denke ich, dass das so ist, dass Sozialarbeit auch immer ganz viel mit einem selber zu tun hat […]. Und wenn ich dann was falsch mache, (.) ja, (1) das kommt halt darauf an, was es ist, aber ob das in Streit ausartet …, oder in Fällen, in denen ich einfach nicht weiterkomme, weil eventuell irgendwas nicht gut gelaufen ist, (1) dann macht mich das in erster Linie erstmal nachdenklich […]. Also auch, wenn man das zurückgemeldet bekommt. Das nehme ich schon immer ernst, egal von wem das kommt. (1) Ich habe immer stark die Tendenz, mich erst einmal sehr dagegen zu wehren ((leicht lachend)) und zu sagen: Es war ja nicht so […], aber letztendlich denke ich schon immer sehr darüber nach (.) und bin dann, glaube ich, auch in der Lage, (.) ja, Fehler einzugestehen, […] wenn ich sie einsehe ((lachend)).« (I3b: 40)
Und gerade weil man ja als soziale Fachkraft Menschen helfen und dafür geliebt sein will, fällt es umso schwerer zu akzeptieren, dass man mit seinen Hilfebemühungen bei Familien eben auch Schaden anrichten kann. Fehler müssen deshalb rechtzeitig eingesehen werden, da sie ansonsten zu unerwünschten Hilfeentwicklungen führen. Zum Erkennen von Hilfeprozessfehlern sind nach Ansicht der Fachkräfte Berufserfahrung, das eigene Bauchgefühl, der Austausch mit Kollegen und das Feedback von Kooperationspartnern aus dem Sozialraum und den Familien von entscheidender Bedeutung: Interviewer: »(1) [J]a man könnte ja auch sagen, zu wissen, was falsch ist, ist vielleicht noch leicht zu sagen, (.) und zu wissen, was richtig, noch viel komplizierter. (.) Mich interessiert, wie Sie richtige von falschen Arbeitshandlungen (.) in Ihrer Praxis unterscheiden.« Interviewperson: »Hm, (.) ja, (4) einmal durch das Feedback, was man von der Familie bekommt, das ist ein ziemlich guter Parameter, finde ich. […] Botschaften, die ich von der Familie kriege oder Feedback oder sehe, wie die
272 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN sich verhalten oder was sich da ändert, (2) also, äh, (.) ja, wenn, wenn da permanente Nichtveränderungen hat oder man kommt nicht rein oder, ((lachend)) äh, man wird angefrontet oder es wird zugemacht oder so, dann weiß ich eigentlich, ähm, (.) da läuft was schief. […] man kriegt Feedback aus, also wir arbeiten ja viel mit Schulen mit SPFH17 und anderen zusammen, äh, und Kindertageseinrichtungen und da ist ja mit dem, äh, mit denen im ständigen Austausch, und du kriegst einfach Feedback, äh, dass es besser läuft mit einer Familie, ja, dass jetzt, äh, die Kinder, äh, Dinge dabei haben, die sie brauchen, oder Rückmeldungen über die Familie geben, dass die sich anders verstehen mit den älteren und so, (.) und dann, äh, ja, dann ist ein, (.) eigentlich, dann daran kann man merken, dass man richtig unterwegs ist oder auch, was Gott sei Dank ja auch oft vorkommt, dass die Klienten das auch selber sagen, sie sagen so, äh: Das hat mir geholfen, und jetzt geht es uns besser.« (I5b: 13-14)
Fehler innerhalb der Hilfeprozesse können demnach nicht allein festgestellt werden; man benötigt hierfür Dritte – andere – externe Beobachter. Denn mit einem Hauptvorwurf sind alle Jugendämter und ihre Mitarbeiter in Deutschland konfrontiert: Sie machen entweder zu wenig oder zu viel. Und da in Dormagen die interorganisationale Zusammenarbeit lediglich fallübergreifend auf Ebene des Netzwerks Frühe Hilfen organisiert wird, ist es jeder Fachkraft selbst überlassen, wie sie mit ihren fallbezogenen Kooperationspartnern zusammenarbeitet und wie sie gegebenenfalls über die dabei eine Rolle spielenden Hilfeprozessfehler ins Gespräch kommt. Denn auch eine andere Schwierigkeit wurde im Umgang mit Fehlern von den Mitarbeitern thematisiert, die Schwierigkeit, sich im konkreten Hilfegeschehen mit den Kollegen der freigemeinnützigen Träger, den Schulen und Kindertageseinrichtungen über jene Dinge auszutauschen, die bei der Umsetzung der gemeinsamen Hilfestrategie misslingen. Auch hier treten nämlich unweigerlich unterschiedliche Fehlervorstellungen und Hilfestrategien aufeinander, hat jeder aus seiner Sicht heraus gute Gründe, warum jene oder gerade andere Hilfen zum Zuge kommen sollten. Zwar gebe es »in der Zusammenarbeit, wenn man bei den erzieherischen Hilfen bleibt, (1) hier über Jahre eingeübte vertraglich auch ausgehandelte (.) relativ klare Strukturen« und auch die aus der Erstellung des Dormagener Qualitätskatalogs resultierenden positiven Zusammenarbeitserfahrungen, »so dass man das (.) mit Abstand betrachtet, als, als großes Team wahrnehmen kann« (I4b: 32), aber: die praktischen Probleme sind dadurch nicht abgebaut worden. Auch hier treffen verschiedene Fachkräfte mit unterschiedlichen fachlichen Haltungen aufeinander, die aus ihrer Sicht jeweils nur das Beste für ihre Klienten wollen. In der Folge kommt es zur Umsetzung nicht miteinander vereinbarter Hilfeziele, bei der aus Sicht der 17 Die Abkürzung SPFH steht für Sozialpädagogische Familienhilfe.
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Jugendamtsmitarbeiter die vereinbarten Aufträge und Handlungsschritte nicht eingehalten werden; wenngleich die Zusammenarbeit insgesamt als positiv hervorgehoben worden ist. Im Jugendamt gibt es nämlich kein Hoheitsdenken, sondern eine von allen getragene Vernetzungsphilosophie, die angefangen von der Erarbeitung des Dormagener Qualitätskatalog und der Umsetzung des Präventionsprogramms bis zu einer Basierung einer über die Grenzen des Jugendamtes hinweg funktionierenden Zusammenarbeit beigetragen hat. Lediglich auf Seiten der freigemeinnützigen Träger sei es in der Vergangenheit vereinzelt zu Verschanzungen gekommen, und nicht alle seien von den Chancen dialogischer Qualitätsentwicklung überzeugt; und dies, obwohl viele Träger unglaubliche Kapazitäten hätten und es aus Sicht der Jugendamtsmitarbeiter von Vorteil wäre, auch auf der Ebene der Fallarbeit stärker zu kooperieren. 6.2.5 Die organisationale Fehlerkultur des Dormagener Jugendamtes: eine Zwischenbilanz Die Forschungsergebnisse aus dem Untersuchungszeitraum Oktober 2008 lassen sich wie folgt bündeln: • Aus der Krise der Zusammenarbeit heraus haben die sozialen Fachkräfte der öffentlichen wie freigemeinnützigen Kinder- und Jugendhilfe sich selbst ein programmatisches Fundament geschaffen: den Dormagener Qualitätskatalog. • Dieser trägt nachhaltig die Praxis des Jugendamtes sowie des ASD und bietet den Mitarbeitern professionelle Orientierung und professionellen Halt. • Dies ist auch deswegen der Fall, weil im Jugendamt und in der gesamten Stadtverwaltung die Kinder- und Jugendhilfe ernst genommen und politisch sowie finanziell unterstützt wird. • Die Fachkräfte des ASD agieren deshalb in einem Organisations- und Kooperationszusammenhang, der sinnstiftend, anregend, lebendig und motivierend ist; verfolgen doch alle gleichermaßen ein Ziel: Kinderarmut zu bekämpfen und förderliche ökologische Lebensbedingungen für Kinder und deren Familien zu ermöglichen. • Menschen mit sozialen Problemen und Nöten sind von daher in der Stadt Dormagen willkommen. Sie treffen auf eine ganzheitliche Kinderund Jugendhilfepraxis, die maßgeblich von der Stadt selbst vorangetrieben wird. • Nicht Reaktion, sondern Aktion bestimmt das Handeln der Verantwortlichen der Stadt, die den § 1 SGB VIII in der Praxis Wirklichkeit werden lassen wollen. • Dies zeigt sich paradigmatisch am ›Dormagener Modell‹, an der Vision, präventive Hilfen im Vorfeld anzubieten. • Kinderschutz wird in Dormagen aus diesem Grund als tripolare Angelegenheit verstanden – als gemeinschaftliche und solidarische Aktion, die
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auf das Kindes-, Eltern- und Gemeinwohl gleichermaßen ausgerichtet ist. Aber, und dies ist die Kehrseite der Medaille: Es scheint im Team des ASD selbst eine begrenzte Teamoffenheit zu geben, die es nicht möglich macht, offen und ehrlich über Fehler zu reden – obwohl dies organisational erwünscht ist. Dies kann auch daran liegen, dass das Jugendamt und die gesamte Stadtverwaltung von einer ›überzogenen‹ öffentlichen Darstellung geblendet werden, die darauf fokussiert ist, in Dormagen das beste aller Jugendämter Deutschlands zu vermuten. Auch deshalb gibt es die Gefahr, in einen öffentlich skandalisierenden Kinderschutzfall zu geraten – an der eigenen fehlerhaften Fachpraxis zu scheitern –, wodurch die bisherigen fachlichen und präventiven Bemühungen gefährdet und in Frage gestellt werden könnten.
6.2.6 Dialogische Feedbacks: das Jugendamt Dormagen zwischen Qualitätsentwicklung und dem fachlichen Anspruch, Qualität nachhaltig sichern zu wollen Bei der Durchführung der Focus Group im Januar 2009 konnten sich die meisten Fachkräfte mit den vorgetragenen Ergebnissen identifizieren. Insbesondere das Themenfeld der begrenzten Teamoffenheit löste bei vielen Reflexionsprozesse aus, die u.a. wie folgt verbalisiert wurden: »Ich will mal bei den kollegialen Beratungen, bei dem Team anfangen. Ich hatte so ein bißchen gedacht, ja, das hat auch so ein bißchen was wie so eine Familie, (.) ja, also da ist so ein Paar (1) und, äh, (.) das hat alles geklärt, (.) ne, und bestimmte Dinge werden nicht mehr angesprochen und sonst irgendwas und man tickt irgendwie zusammen und wenn dann ein Kind dazukommt, (.) wird alles neu aufgemischt, und wenn dann vielleicht wieder Pause ist, wird wieder alles neu, also die Dinge verändern sich, (.) und so war, war das ja auch, also dieses Team hat schon […], die alten Kollegen, die neuen Kollegen, also es hat eine gewisse Geschichte miteinander, und es hat sich in den letzten (.) Jahren auch sehr verjüngt, und dann ist zumindest auch wieder eine andere Streitkultur entstanden (.) innerhalb des Teams. Ja, es wäre auch gut in die kollegialen Beratungen, (.) da konnte ich das sehr schnell nachvollziehen, sich doch vielleicht auch andere Leute hereinzuholen, also (.) nicht in der Familie zu bleiben, (2) sondern, äh, (.) wirklich zu sagen, (.) das würde das wahrscheinlich lebendiger machen, (.) man würde es wahrscheinlich auch wertschätzender vorbereiten, also all so Dinge, ja weil man ja mit, (.) die nicht alltäglich da sitzen, (.) die einen nicht kennen, (.) das ist immer so in der Regel: Man tut den Leuten (.) immer das Schlechteste (.) oder das Böseste an, die man am nächsten kennt im Grunde. (1) Da passieren die
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größten Verletzungen (.) in der Familie oder da, wo man sich näher kennt oder befreundet ist, (.) und vielleicht ist es (.) schon sowieso ein Standard zu sagen: (.) Wir bauen unsere kollegiale Beratung erst einmal so auf, dass wir uns immer (.) ein oder zwei Leute von außen holen.« (FCb: 8)
Im Grunde genommen drehte es sich während der gesamten Focus Group nur um ein Thema: die Praxis der kollegialen Beratungen und wie man diese zum Positiven verändern kann. Dabei gab es einerseits die Idee, die kollegialen Beratungen nach außen hin zu öffnen, also andere Kooperationspartner als Fallberater mit einzubeziehen. Anderseits wollte man zukünftige kollegiale Beratungsrunden von kollegialen Entscheidungsrunden konzeptionell trennen. Denn auch außenstehenden Kollegen ist aufgefallen, dass es in manchen Beratungsrunden explosiv zugeht und es zu unproduktiven Lagerbildungen bzw. atmosphärischen Störungen kommt, was nach Ansicht der Fachkräfte des Jugendamtes aber an dem Zeitkorridor der kollegialen Beratungen und an den Rollenzuschreibungen innerhalb des Teams liegt. Sie betonten deshalb auch, dass sie nur begrenzt Zeit haben, um sich einmal in der Woche zu beraten. Ihre wichtigste Form des Austausches fände eben in den inoffiziellen Neigungsgruppen statt. Als Problem wurde deshalb auch herausgehoben, dass es im Team des ASD wie in einer Familie zugehe, »jeder hat seine Rolle und, äh, (.) also ich inbegriffen oder, (1) ne, das ist, äh, (.) das nimmt manchmal krankhafte Züge an. Das ist keine, keine wirkliche Disziplin. Das sind immer die gleichen, die zu spät kommen, und man muss wieder von vorne anfangen. Das sind immer die gleichen, die, ähm, (.) sich angegriffen fühlen, und die gleichen, die auch angreifen, und, äh, (.) das ist alles so vorprogrammiert, wie wenn ich, äh, (.) hier, wie wenn ich mit meiner Familie zusammentreffe. (.) Ich weiß schon, was dann passiert, (.) wer da welche Rolle spielt und wer (.) was macht. (.) Also, das hat ja was, äh, das hat ja was sehr Nettes, Familiäres, ne, also, (1) und das hat was, wo ich denke, da, da sind wir so (1) festgefahren in unseren Rolle (.) und Rollenzuschreibungen (.) und das ist gefährlich.« (FCb: 65)
Und dieses familiale Rollenkorsett ist so starr, dass auch während der Focus Group und trotz meiner Anwesenheit die Rollenzuschreibungen zum Vorschein kamen und man heftig darüber diskutierte, wer, wann, wie und warum arbeite. Dabei wurde mir allerdings eines sehr deutlich: Das Team hatte noch nicht viel Erfahrung damit, die bislang unausgesprochenen Annahmen miteinander dialogisch zu klären, um derart auf eine neue Stufe der Verständigung zu gelangen. Man schwor sich zwar darauf ein, dass es wichtig wäre, zukünftig in den kollegialen Beratungen miteinander wertschätzend und respektvoll umzugehen, aber selbst in der Focus Group tat sich innerhalb kürzester Zeit ein Wespennest auf, das kaum aufzuhalten war, da durch
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meine evaluative Störung auch die unbequemen Wahrheiten auf den Tisch kamen. Zusammenfassend lässt sich darum aus den Erfahrungen der freien teilnehmenden Beobachtung und der Focus Group sagen: Das Jugendamt der Stadt Dormagen hat in einem langjährigen und intensiven Prozess erhebliche Investitionen getätigt, um die Qualität des Jugendamtes in Kooperation mit den freigemeinnützigen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe dialogisch zu entwickeln. Hieraus entsprang u.a. auch die Idee, das Dormagener Modell, die präventive Arbeit im Vorfeld konkret umzusetzen, von der auch die fallzuständigen Mitarbeiter aufgrund des damit verbundenen Positivimages des Jugendamtes maßgeblich profitierten. Die Fachkräfte selbst haben sich aber auch stark mit ihrer Arbeit und ihrem Arbeitgeber identifiziert. Sie haben sich lediglich innerhalb ihrer Teamstrukturen und Rollenzuschreibungen emotional verfangen und sind dabei, eine Umkehrung vorzunehmen. Der im Juni 2009 zum Abschluss des Evaluationsforschungsprojektes durchgeführte ›Praxisworkshop‹ bestätigte jedoch die im Zuge der freien teilnehmenden Beobachtungen und der dabei geführten Experteninterviews im Oktober 2008 gewonnenen Ergebnisse. Noch immer drehte sich innerhalb des Jugendamtes alles um dieselben Themen, konnten mit Hilfe einer ›Stärken-Schwächen-Analyse‹ (SWOT-Analyse) ähnliche Stärken, Schwierigkeiten, Chancen und Bedrohungen herausgearbeitet werden: Strenghts (Stärken, Zufriedenstellendes)
Organisationale Förderung und Einbindung professionellkreativer Selbständigkeit • Die flache Hierarchie: Wir können im Großen und Ganzen unsere Arbeit selber gestalten – unsere Hilfen, die wir einrichten, die Experimente, die wir machen. • Es wird viel Vertrauen entgegengebracht. Es wird wenig kontrolliert. Wir werden selten zum Gespräch auf der oberen Ebene gebeten. • Jeder kann so arbeiten, wie er möchte, wie es ihm passt. • Uns wird zugetraut, dass wir unsere Arbeit gut machen. • Es wird viel in Eigenverantwortung gemacht. • Es wird sich bemüht, dass wir unbürokratisch arbeiten dürfen. • Wir können aktiv gestalten, Programme entwickeln. • An Verwaltungsstrukturänderungen sind wir aktiv beteiligt. • Wir haben Mitsprache in der Personalauswahl. • Wir haben gute Arbeitszeiten und gute Arbeitsbedingungen. • Wir haben ein angenehmes Klima in der Stadtverwaltung. • Es gibt gute Unterstützung beim Thema Weiterbildung, man kann sich weiterbilden. • Unsere Überschaubarkeit ist ein Vorteil, wir sind keine Riesenorganisation.
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Man muss nicht alles über den Dienstweg machen, man kann auch anders kommunizieren, ohne dass jemand das Gefühl hat, übergangen worden zu sein. Unser zentrales Zusammensitzen ist im Gegenteil zur Dezentralisierung ein Vorteil, wir ›schmoren‹ nicht in Grüppchen. Das ist bereichernd. Geht nicht, gibt es nicht: Irgendwie finden wir für unsere Bürger die Unterstützungen, die erforderlich und notwendig sind. Wir machen verrückte Sachen. Da sind wir sehr kreativ. Da werden unmögliche Hilfen möglich gemacht. Wenn ich etwas brauche, kann ich das durchsetzen. Sehr individuelle Hilfen sind möglich.
Selbstbewusste, wertgeschätzte, angesehene und engagierte Fachkräfte • Wir haben einen guten Stand. • Wir haben ein Image. • Wir sind selbstbewusster geworden in den letzten Jahren. Das ist eine positive Entwicklung. • Wir sind super darin, Familien zu unterstützen und zu stärken. • Wertschätzung gegenüber den Familien hat sich als Haltung im Team durchgesetzt. • Wir arbeiten nach dem ganzheitlichen Ansatz. • Wir sind auf einem guten Weg, eine ganz gute Zusammenarbeit mit Schulen und Kindergärten und dem Gesundheitswesen umzusetzen, auch innerhalb der Verwaltung, wir nehmen mehr Leute mit. • Das Ansehen ist weggegangen – vom Exotenstatus und von freischaffenden Künstlern. • Die anderen in der Verwaltung sehen jetzt, dass wir viel machen und was bewegen. • Der ASD ist effektiver und erfolgreicher geworden, das ist mein Glaube daran. • Wir genießen eine große Wertschätzung. • Die Mitarbeiter sind sehr engagiert. • Sie machen Sachen möglich, die über die normalen Arbeitszeiten hinausgehen, ob abends oder am Wochenende. • Unsere Klienten sind da bestens aufgehoben (bei fast allen). Gemeinsames und gegenseitig sich motivierendes Handeln • Wir haben einen guten Fachbereichsleiter. • Die Leiterin des sozialpädagogischen Dienstes kümmert sich einfach. Sie ist da. Sie achtet darauf, dass alles organisiert ist: Das ist eine gute Leitung.
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Es gibt eine große Sicherheit. Die Verwaltung, das Team gibt eine große Sicherheit. Man hat keine Angst vor Fehlern oder dem Scheitern. Man fühlt sich nicht allein gelassen. Man bekommt Unterstützung. Im Team gibt es immer jemanden, der Zeit hat, der mit überlegt. Egal, wie viel Stress jemand hat, es ist immer jemand zum fachlichen Austausch da. Es sind viele Fähigkeiten und Neigungen vorhanden, die sich ergänzen. Es ist ein Team, das ist nicht selbstverständlich in der Verwaltung. Man kann zusammen lachen und streiten. Es ist wie eine gute Familie. Das Team nimmt sehr offen neue Mitglieder auf. Das ist nicht selbstverständlich. Die neuen Mitarbeiter fühlen sich immer gut aufgehoben. Das Team ist sehr kreativ, wenn etwas entwickelt werden soll. Es ist überwiegend diszipliniert bei solchen Sachen. Generell sind der Wille und die Bereitschaft da, sich weiterzuentwickeln oder sich auf etwas Neues einzulassen. Es gibt eine hohe Motivation. Alle haben Lust auf die Arbeit in unserem Team. Weiterentwicklung wird nicht als Angriff gesehen; der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
Weaknesses (Schwächen, Fehler, Störungen, Probleme)
Selbstfixiertes, vorurteilsbezogenes und ›familiales‹ Kooperationshandeln/überzogene Selbsteinschätzung bei gleichzeitig verbreitetem Halbwissen • Das wir ganzheitlich arbeiten, ist auch eine Belastung. • Es gibt Wissenslücken. Wenn man ganzheitlich arbeiten will, muss man auch viel wissen. Es ist eine Schwäche, dies auch irgendwie zu organisieren. • Das Team geht schlecht nach außen – zu anderen Fachleuten. Es ist wenig kooperativ, diese zu stützen, mit denen zusammenzuarbeiten. • Wir gehen teilweise zu überheblich an Sachen heran. Wir tun so, als ob wir wissen, wie es geht. Wir disqualifizieren andere Berufsgruppen. Lehrer sind für uns pauschal unfähig. Da sind wir Helden drin. Wir fühlen uns von anderen Berufsgruppen und von anderen Fachkräften in der Verwaltung persönlich angegriffen, wenn diese Kritik äußern. • Wir haben eine ziemlich hohe Erwartungshaltung.
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Neid, Missgunst und Wut gegenüber den anderen Professionen bestimmen unser Handeln. Wir pflegen gerne unsere Vorurteile bei solchen Sachen. Es gibt so bestimmte Berufsgruppen und namentlich bestimmte Personen, wo wir gar nichts mehr so wirklich ernst nehmen: Schublade auf, Kollege rein, Schublade zu. Da braucht man dann gar nicht mehr das Gutachten zu lesen. Das ist Arroganz, und das bei unserem bestehenden Halbwissen. Wir haben viel Halbwissen und wenig Tiefenwissen. Das Team ist zu sehr auf sich selbst fixiert. Es arbeitet nicht multiperspektivisch. Das Team arbeitet nicht mit den Helfern im Sozialraum zusammen. Das ist eine Schwäche nach außen hin. Unsere organisierte Reflexion, unsere dialogische Auseinandersetzung mit anderen Produktbereichen innerhalb der Verwaltung ist schwach. Die Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen und Produkten ist manchmal nicht gut, die Arbeitsteilung ist nicht gut.
Unterentwickelte Wissensaneignungs- und Wissensaustauschkultur • Im Team gibt es keine Kultur, Wissen anzueignen und richtig weiterzugeben. • Es gibt keine Kultur, am Wochenende weiterzulernen, etwas zu lesen, auf Weiterbildungen zu gehen. • Es gibt keine ›community of practice‹. • Es werden keine Inputs gegeben. Es wird nicht hospitiert. • Bestimmte Programme, die wir selber umsetzen wollen und umsetzten, sind im Team unbekannt. • Es fehlt einfach wieder die Zeit. Darüber hinaus gibt es Ideen, aber es geht einfach unter, weil man tausend andere Sachen macht. • Es wird nicht genug differenziert: Wir nutzen nicht die Interessen und Stärken der einzelnen Teammitglieder, um uns arbeitsteilig kundig zu machen. Familiales Team • Es gibt eine mangelnde Disziplin. Es kommen immer wieder welche zu spät. Es wird sich nicht an Verabredungen und Verfügungen gehalten. Wir entwickeln was gemeinsam, und schon ist das ein halbes Jahr später anders. Wir haben das nicht immer alle wirklich verinnerlicht. Wir vergessen das manchmal einfach. Wir nehmen das manchmal nicht ernst, was wir von unseren Leitungskräften gesagt bekommen. Wir spüren bei der Nichtumsetzung aber auch nicht wirklich die Konsequenzen.
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Die Erwartungen des Teams gegenüber der Leitungsebene und der Leitungsebene gegenüber dem Team sind manchmal unklar. Die Leitungskräfte sind in vielen Doppelfunktionen. Damit ist viel Bürokratieaufwand verbunden, weshalb auch die Zusammenarbeit mit dem Team ab und zu darunter leidet. Wir gehen nicht konstruktiv mit Kritik um. Es geht zu wie in einer Familie. Es gibt keine feste Rollenzuschreibung. Das verselbständigt sich. Es gibt Gruppierungen und Koalitionen: Wir achten zu wenig aufeinander im Team.
Andere Schwächen: • Der nicht steuerbare Alltag, man muss deshalb Prioritäten setzen. • Die Raumausstattung ist unbefriedigend und auch nicht klientenfreundlich. Opportunities (Chancen, Potenziale)
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die Kooperationspartner in den Stadtteilen. eine breitere Öffentlichkeitsarbeit nach innen in der Verwaltung und in Bezug auf die Politik (Stadtrat) eine zentral-dezentralisierte Arbeitsweise, eine kombinierte FallFeld-Arbeit die Nutzung der ungenutzten Fähigkeiten und Fertigkeiten der Teammitglieder, z.B. Organisierung interner Teamfortbildungen eine größere Achtsamkeit gegenüber uns selbst, mehr gegenseitige Wertschätzung die nicht genutzten Potenziale der Familien
Threats (Praxisbedrohungen und -risiken)
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die hohe Erwartungshaltung von anderen gegenüber unseren Möglichkeiten die schwierigen, komplexen Fälle, gegenüber denen man sich immer wieder jeden Tag neu positioniert, die grenzwertigen Fälle der mangelnde Austausch untereinander und mit den anderen an der Praxis beteiligten Kooperationspartnern die mangelnde Zeit und die dadurch entstehende Überlastung -> Gefahr des Einzelkämpfertums, des Fallmanagens, des Fälleverwaltens unpraktikable Vordrucke
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Der hohe Aufwand für die Vorbereitung professioneller Beratungen, die Bürokratisierung in der Hilfeplanung, ungeprüfte bürokratische Arbeitsabläufe; wir wissen oft nicht, wie wir da hingekommen sind und warum wir bestimmte Sachen immer noch so machen. unklare und unverstandene Vorgehensweisen und Programm- und Prozessqualitäten (PPQs) wenn man nicht mehr kreativ in der Kinderschutzarbeit vorgehen und handeln kann, wenn man nach festgeschriebenen Regeln vorgehen muss und unflexibel ist die geringe Beteiligung der Familien im Kinderschutz
Die SWOT-Analyse hat, wie dargestellt werden konnte, ein vielschichtiges Bild ergeben. Neben den Stärken der Stadtverwaltung, des Produktbereiches und des Teams wurden auch wieder viele Schwächen aufgedeckt. Diese Schwächen bezogen sich vornehmlich auf das Team – wie es miteinander zusammenarbeitet, sich gegenseitig unterstützt und fachlich weiterentwickelt –, aber auch auf die Zusammenarbeit zwischen dem Team und seinen fallbezogenen Kooperationspartnern in den jeweiligen Stadtbezirken und innerhalb der Stadtverwaltung. Einige Schlussfolgerungen und Anregungen konnte ich aus dem Material ableiten, die ich den Führungskräften des Jugendamtes Dormagen im Juni 2009 zum Abschluss meiner evaluativen Tätigkeiten zur Verfügung stellte. Sie beinhalten folgende Aussagen: • Wie bereits im Januar 2009 bei der ersten Vertiefung der Evaluationsergebnisse ersichtlich wurde, hat sich das Team bislang noch nicht aus seinen verfestigten Rollen- und Zusammenarbeitsstrukturen befreien können. Im Verborgenen liegende Themen- und Konfliktbereiche werden aus diesem Grunde noch immer nicht offen genug angesprochen, sondern eher verharmlost oder von einigen sogar als irrelevant abgewehrt bzw. tabuisiert. • Vor allem, was die Notwendigkeit einer supervisorischen Praxis- und Fallbegleitung anbelangt, haben die Teammitglieder unterschiedliche fachliche Vorstellungen. Das führt dazu, dass auf Praxis-, Team- und Fallsupervisionen lieber gänzlich verzichtet wird, anstatt gemeinsam zu klären, wie man einen verbindlichen und kollegialen Rahmen der fachlichen Reflexion und Selbstthematisierung in gemeinsamer Teamverantwortung etablieren könnte. • Dies mag eventuell daran liegen, dass das Team zum Teil zu ›familial‹ von den meisten verstanden und nicht eindeutig und verbindlich genug angeleitet wird. Dabei wird aus dem Team mehr oder weniger ein ›Geschwisterhaufen‹ mit verdeckten Beziehungsnähen und Beziehungskonflikten, Allianzen und Ausgrenzungen. • Teilweise sind deshalb auch die gegenseitigen Erwartungshaltungen zwischen den Produktverantwortlichen und dem Team ungeklärt, kommt es vielmehr zu diffusen Rollen- und Kompetenzzuschreibungen, zum
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Unterlaufen von gemeinsam besprochenen Verbindlichkeiten, was natürlich zu sich verstärkenden Frustrationen führt. Es sollte deshalb kritisch darüber nachgedacht werden, wie man das Teamverständnis jenseits einer Idee einer ›Professionsfamilie ohne Eltern‹ verändern und wie man die Leitungskräfte als ›familienentfernte‹ und dennoch von allen akzeptierte ›Familienoberhaupte‹ stärken und coachen könnte und wie man das Team dazu motivieren könnte, eine gemeinsame selbstkritisch-professionelle Haltung fernab familialer und freundschaftlicher Zusammenarbeitsvorstellungen weiterzuentwickeln, ohne dabei die vorhandenen und als wertvoll anzusehenden Teamstärken der Flexibilität, des Vertrauens und der gegenseitigen Motivation zu verlieren. Auch das Vorhandensein einer teilweisen – vor allen in Situation eigenen Stress- und Belastungsempfindens – vorurteilsbezogenen und nicht wertschätzenden Einstellung gegenüber den Kooperationspartnern wurde von den Fachkräften selbstkritisch herausgestellt; ein selbstbezogenes Handeln, das auf dem überzogenen und zugleich identitätsfördernden Selbstbewusstsein bei gleichzeitigem Halbwissen und immer wieder zu hinterfragender Fachkompetenz basiert. Insofern wäre es einerseits wichtig, ein internes Personalentwicklungsund Weiterbildungskonzept zu entwickeln, welches es möglich macht, die unterschiedlichen impliziten professionellen Wissensbestände der Fachkräfte in Form von selbst vorbereiteten Inputveranstaltungen für alle Teammitglieder explizit werden zu lassen und so organisational geförderte Fachspezialisierungen einzelner Teammitglieder besser nutzen zu können. Anderseits wäre es wegweisend, wenn es gelingen könnte, die zentralisierte Arbeitsweise des Teams mit dezentralen Formen des kollegialen Austauschs bereichern zu können – z.B. durch die Etablierung von kollegialen Fallberatungen in den Stadtbezirken der jeweils zuständigen Sozialarbeiter mit ihren Kooperationspartnern, auch mit den davon betroffenen Familien.
Damit gingen meine Evaluationsforschungsaktivitäten, die sich über den Zeitraum von Oktober 2008 bis Juni 2009 erstreckten, zu Ende. Dabei stellte sich heraus, dass das Jugendamt der Stadt Dormagen in einer flexiblen und unbürokratischen Gesamtverwaltung eingebunden ist, in der die sozialen Fachkräfte nicht als irgendwelche Exoten oder freischaffende Künstler angesehen werden, sondern als kompetente und hoch angesehene Mitarbeiter, und alle Voraussetzungen, nicht zuletzt wegen der bereits vorhandenen und dialogisch erarbeiteten Qualitätsstandards, vorhanden sind, um die Qualität in einer Organisationskultur der Fehleroffenheit kollegial und interorganisational zu sichern, wofür es wiederum aber Qualitätsstandards eines für die Soziale Arbeit und ihre Organisationen angemessenen Risiko- und Fehlermanagements bedarf (vgl. Kapitel 7).
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6.3 D ER U MGANG MIT F EHLERN IN DEN J UGENDÄMTERN DER S TÄDTE S CHWERIN UND D ORMAGEN IM V ERGLEICH : EINE B ILANZ Vergleiche in empirischen Organisationsuntersuchungen sind eine Chance, Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Bildung von organisationalen Mustern herauszuarbeiten. Zu fragen ist deshalb, an welchen Konstanten und Mustern man die vorangehend erörterten Fehlerumgangsweisen der Jugendämter der Städte Schwerin und Dormagen festmachen will. Dazu bietet sich konzeptuell das von Henry Mintzberg (1992) entwickelte Strukturmodell zur Beschreibung und Analyse von Organisationen an. Danach kann man in sozialen Organisation wie Jugendämtern sechs strukturelle Ebenen beobachten, die entsprechend ihrer Entwicklungsgeschichte und dem erreichten Formalisierungs-, Standardisierungs- und Spezialisierungsgrad unterschiedlich ausgebaut und entwickelt sein können (vgl. ebd.: 26ff.): • die ›Ideologie‹ (Kultur der Organisation) – ein Satz aus unhinterfragten Glaubenssätzen –, die tragend für die kognitive Konstruktion von handlungsleitenden Sinnmustern und Verstehensrahmen, dem organisationalen Selbstverständnis und der Umweltwahrnehmung der Organisationsmitglieder in ihren jeweiligen Abteilungen sind (vgl. auch: Klatetzki 1993, 1998; Schein 2003a; Merchel 2007a, 2007b, 2008b); • ›Unterstützungsstäbe‹, die den wertschöpfende und personenbezogene Dienstleistungen verrichtenden Mitarbeitern des betrieblichen Kerns zuarbeiten (z.B. in Form einer Öffentlichkeitsarbeits-, Schreibarbeits- und Rechtsabteilung); • eine ›Technostruktur‹, z.B. bestehend aus einer Jugendhilfe-,Qualitätsmanagement- und Personalmanagementabteilung zur Analyse und Weiterentwicklung der Organisations- und Hilfeprozesse in der Jugendhilfeund Kinderschutzarbeit bzw. auf der Ebene der kommunalen Gesamtverwaltung, z.B. der Personal- und Finanzabteilung; • ein ›betrieblicher Kern‹, »das Herzstück einer jeden Organisation« (Mintzberg 1992: 30), bestehend aus den sozialen Fachkräften des ASD und der anderen Abteilungen des Jugendamtes; • eine ›mittlere Linie‹ (das mittlere Management), bestehend aus den Leitungskräften der verschiedenen Abteilungen des Jugendamtes, bis hin zu den einzelnen Dezernaten auf der Ebene der Kommunalverwaltung; und • eine strategische Spitze, repräsentiert und symbolisiert in der Jugendamtsleitung bzw. weiterführend in der kommunalen Exekutive (eines Bürgermeisters). Das Jugendamt der Stadt Schwerin
Wie mit der qualitativen Evaluations- und Fehlerforschung in Schwerin empirisch belegt und gezeigt werden konnte, sind es hier vor allem die bürokratischen und dem Machterhalt dienenden Top-down-Kommunikationen, die es erschwerten, dass organisationale Entscheidungen, die in unteren
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Verwaltungsbereichen (wie z.B. dem Jugendamt mit seinem Sozialpädagogischen Dienst) wirksam wurden, nicht als eindeutige Fehler diagnostiziert, sondern eher verschwiegen wurden bzw. unbeachtet blieben. Sie resultierten – wie von Mintzberg (ebd.: 223ff.) beschrieben – aus den Nebenfolgen einer ›Maschinenbürokratie‹. Anweisungen, Richtlinien und Vorgaben bestimmten den Praxisalltag der Jugendamtsangestellten, die dazu dienen sollten, einen weiteren skandalträchtigen Kinderschutzfall zu vermeiden. Oder anders akzentuiert: Mit Hilfe von festgelegten Hierarchien und Entscheidungsabläufen sollte die humane und sich als riskant erweisende Praxis des Jugendamtes an die Ordnung der kommunalen Verwaltungsmaschinerie angepasst werden. Die sozialen Fachkräften aus dem Jugendamt der Stadt Schwerin wurden aus diesem Grund mit ihren professionellen Ansichten lange Zeit einfach nicht von dem sich als auswechselbar erweisenden mittleren Management und der strategischen Spitze der Kommunalverwaltung ernst genommen. Entscheidungs- und Managementfehler, auf die sie beispielsweise über zwei Jahre lang hingewiesen hatten, wurden von den politisch Verantwortlichen, der Verwaltungsspitze und dem stetig wechselnden mittleren Management innerhalb und außerhalb des Jugendamtes ignoriert, so dass die sozialen Fachkräfte entgegen ihrem professionellen Anspruch eine oberflächliche Fallarbeit praktizieren mussten und zunehmend zu rechenschaftsund dokumentationspflichtigen Verwaltungsprofessionellen wurden. Die dadurch neu entstandene Ambivalenz, sich für die kommunikative Fallarbeit oder für die vorgeschriebene Schreibarbeit aufgrund zu hoher und kaum zu bewältigender Fallzahlen entscheiden zu müssen, hatte die Fachkräfte zusätzlich verunsichert. Paradoxerweise wurden daher sogar diejenigen sozialen Fachkräfte dafür ›belohnt‹, die sich ausgiebig den bürokratisch vorgegebenen Standardprozeduren widmeten und die der organisationalen Gefahrenabwehr dienenden Schreib- und Dokumentationsarbeiten wichtiger nahmen als die sozialpädagogische Fallarbeit und die Hilfeleistung. So ging es im Jugendamt der Stadt Schwerin auch nicht so sehr um das Ausbalancieren einer komplexen Praxis der Hilfe zur Selbstverantwortung und -kontrolle der Familien, sondern um das Aushalten widersprüchlicher Professionalisierungstrends, die darin mündeten, dass zwar von den sozialen Fachkräften an der Basis eine aufmerksamere, fehleroffene und zuverlässige Arbeitsweise allerorten verlangt wurde. Jedoch wurden vom mittleren Management und der strategischen Spitze der Stadt Schwerin nicht genügend zeitliche und finanzielle Ressourcen für den Ausbau eines Unterstützungsstabs und einer für die Praxis Sozialer Arbeit immer notwendiger werdenden Technostruktur in Form einer mitdenkenden und Analyse betreibenden Jugendhilfeplanungs-, Qualitätsmanagement- und Personalmanagementabteilung zur Verfügung gestellt. Stattdessen orientierten sich die Mitarbeiter auf eine ›kollegiale‹, aber im Kern dem Selbstschutz dienende Zusammenarbeit: Sie retteten sich in einen selbst heraufbeschworenen ›Exotenstatus‹, aus dem sie sich nur schrittweise lösen konnten, als der Fall Lea-Sophie in die Schlagzeilen geriet. Überhaupt wurde erst seit November 2007 auf der Ebe-
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ne des mittleren Managements und der strategischen Spitze innerhalb der Kommunalverwaltung darüber nachgedacht, wie die Ausgangsbedingungen im Jugendamt und insbesondere die professionelle Fallarbeit im ASD verbessert werden könnten. Da jedoch insbesondere die Schwächen in der organisationalen Kommunikationsstruktur, die zu Brüchen im Austausch zwischen der Leitung und der Fachbasis führten, nicht überwunden wurden bzw. überhaupt noch nicht auf ihre positiven wie negativen Wirkungen hin kritisch und hierarchieübergreifend untersucht und evaluiert worden waren, kam es immer zu Phasen eines blinden Aktionismus, der die Mitarbeiterschaft zusätzlich irritierte, was zu einer belastenden Mitarbeiterfluktuation auf Ebene des betrieblichen Kerns und des mittleren Managements führte. Um es noch einmal pointiert zusammenzufassen: Der betriebliche Kern – im Jugendamt der Stadt Schwerin: die sozialen Fachkräfte – war im Zeitraum von 1997 bis 2007 eine nach oben und horizontal gegenüber den anderen Abteilungen isolierte Verwaltungseinheit, deren Fachkräfte sich in der Mehrheit mit ihrem Arbeitgeber und ihrer Einrichtung nicht identifizierten und keine Stimme hatten; nicht überraschend wurden ihre Anliegen darum von der mittleren Linie und der strategischen Spitze innerhalb und außerhalb des Jugendamtes auch nicht ernst genommen und nicht anerkannt. Mit der plötzlichen Beendigung der 1997 begonnenen Strukturreform »Neuorganisation Sozialer Dienste« im Jahr 2003 und einer sich daran anschließenden Standardreduzierung als Struktur- und Entscheidungsprinzip, wodurch die Sozialraumarbeit der Jugendamtsfachkräfte begrenzt, ihre Arbeitszeit per Haustarifvertrag ohne Neueinstellungskompensation reduziert und ihre Fortbildungs- sowie Supervisionsmöglichkeiten eingeschränkt wurden, kam es schließlich zu einer professionellen Burn-out-Situation und in deren Folge zu einer aus sozialarbeiterischer und sozialpädagogischer Sicht unzureichenden Fallarbeit. Mit dem gescheiterten Kinderschutzfall Lea-Sophie im November 2007 wendete sich allerdings das Blatt: neue Mitarbeiter wurden eingestellt, Leitungskräfte von ihrer unmittelbaren Fallarbeit entlastet, Einzelbüros und Anrufbeantworter zur Verfügung gestellt und eine Qualifizierungsmaßnahme auf den Weg gebracht. Diese Anordnungen änderten aber nichts an dem Gefühl der sozialen Fachkräfte, lediglich Objekte eines blinden Aktionismus, eines konzeptionslosen Agierens der strategischen Spitze und des mittleren Managements der Kommunalverwaltung zu sein. Sie – und ihre unmittelbaren Vorgesetzten – waren die Leidtragenden eines durch den Fall LeaSophie ausgelösten, reaktiven Krisenbewältigungsprozesses, der auf der Ebene der strategischen Spitze, des mittleren Managements und des betrieblichen Kerns nur noch auf ›Bauernopfer‹ hinauslief und dem Jugendamt insgesamt das öffentlichen Stigma der Unprofessionalität einbrachte. So kam es, dass auch fast ein Jahr nach den Geschehnissen rund um den Fall LeaSophie – im August 2008 – die sozialen Fachkräfte am Limit ihrer zeitlichen, fachlichen und emotionalen Belastbarkeit arbeiteten und auch im Mai 2009 sich keine Trendwende abzeichnete und immer noch eine vom bis da-
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hin mehrmals wechselnden mittleren Management getragene Kinder- und Jugendhilfephilosophie fehlte. So kam es in Schwerin zuerst einmal nicht zu einem Lernen aus Hilfeprozessfehlern, sondern das bürokratische ›Verwalten‹ und ›Aussitzen‹ eines professionell-organisationellen Traumas (durch den gescheiterten Kinderschutzfall Lea-Sophie) blieb die Hauptlinie. Denn ein Dialog über die Hierarchiegrenzen hinweg war noch nicht möglich. Das Jugendamt der Stadt Schwerin kann insofern als fehlerverschlossene, in sich gefangene Organisationskultur beschrieben werden; als reaktive Kinderschutzorganisation, als ›blind dot‹ einer sich nicht im Wesentlichen verändernden professionell-organisationellen Hochrisikopraxis, in der es immer wieder auch um Leben und Tod von sozialen Hilfesystemteilnehmern geht und in der unvorhersehbar bereits die nächste ›Praxiskatastrophe‹ lauert. Diese Grundbedingungen müssen aber realistisch in den Blick genommen werden, was freilich auch anderen hochriskanten Organisationen nicht immer gelingt, wie z.B. Atomkraftwerken, Flugzeugträgern, Airlines oder Einrichtungen der Feuerwehr, wo eigentlich nichts misslingen darf, wo sich aber tagtäglich schwerwiegende Fehler mit weitreichenden Konsequenzen ereignen können.
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Tabelle 3 Die Fehlerkultur des Jugendamtes Schwerin Jugendamt Schwerin (Maschinenbürokratie) Vorrangiger
Standardisierung der Arbeitsprozesse
Koordinierungsmechanismus Wichtigster Organisationsteil
Technostruktur dominiert von der Personal- und Finanzabteilung
Wesentliche Gestaltungsparameter
Hierarchische Autorität: Verhaltensformalisierung, vertikale und horizontale Aufgabenspezialisierung, große Betriebseinheiten
Fehlerideologie
Fehlerfeindlich: Organisationen funktionieren wie Maschinen, sie werden durch prozedurale Anweisungen gesteuert, Fehler dürfen nicht auftreten und müssen möglichst schnell behoben bzw. auch vertuscht werden
Kontrollmodus
Abhängigkeit der Mitarbeiterschaft
Problemlösungsmodus
Probleme können auch ohne professionelles Fachwissen „gelöst“ werden: Mangelnder Respekt vor fachlichem Wissen und Können
Umweltmodus
Situatives Netzwerkmanagement: isolierte Gestaltung der kommunalen Kinder- und Jugendhilfe
(Mögliche) Folgen
Missachtung miteinander zusammenhängender systemischer Abläufe, Entwicklung grob vereinfachter Interpretationen und bürokratischer Lösungen
Vergleich in Anlehnung an Henry Mintzberg (1992: 223 und 255)
288 | W ENN J UGENDÄMTER SCHEITERN Das Jugendamt der Stadt Dormagen
In Dormagen trifft man auf ein anderes Jugendamt, in dem die sozialen Fachkräfte sich von den anderen und übergeordneten Verwaltungsabteilungen – dem mittleren Management – wertgeschätzt und anerkannt fühlen. Alle sitzen dort in einem gemeinsamen Boot und wollen fernab von Hierarchiestrukturen ihre Bürger bei der Erziehung und Bildung ihrer Kinder unterstützen. Ja, man kann sogar sagen: In der Gesamtverwaltung der Stadt Dormagen hat sich eine Handlungsstrategie oder Organisationsphilosophie herausgebildet, bei der der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe ein großer Stellenwert zukommt. Hier hört man den sozialen Fachkräften zu. Ihre Anliegen und ihren fachlichen Ansichten werden auf der Ebene der strategischen Spitze und des mittleren Managements innerhalb und außerhalb des Jugendamtes ernst genommen, weshalb sich die meisten auch mit ihrem Arbeitgeber, der Stadt, identifizieren können. Dies liegt auch daran, dass es der Stadt gelungen ist, mit Hilfe eines Unterstützungsstabs und einer auf die Praxisbedingungen des Kinderschutzes und der Kinder- und Jugendhilfe angepassten Technostruktur eine ganzheitliche und proaktiv orientierte Kinder- und Jugendhilfekonzeption innerhalb der letzten zehn Jahre auf den Weg zu bringen. Das Jugendamt ist eingebunden in eine gemeinsam von allen – der Verwaltungsspitze, dem mittleren Management und der Fachbasis – getragene Hilfestrategie, die betont, den Familien der Stadt mit Hilfsbereitschaft, Wertschätzung und Anerkennung zu begegnen. Im Gegensatz zu Schwerin, wo das Jugendamt – wenigstens bis etwa Anfang 2010 – eine reaktive und bürokratisch verwaltete Kinderschutzorganisation war, ist das Jugendamt in Dormagen eine qualitativ entwickelte und bereits im Vorfeld agierende Kinderschutzorganisation – eine ›Profibürokratie‹, wie Mintzberg (ebd.: 255ff.) klassifizieren würde. Dies wird auch an den Themen, über die die Mitarbeiter des ASD, die Leitungskräfte und die Kooperationspartner freizügig im Rahmen der qualitativen Evaluations- und Fehlerforschung im Zeitraum von Oktober 2008 bis Juni 2009 gesprochen haben, erkennbar. In Dormagen wird Wert auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Jugendamtsangestellten gelegt. Sie stellen den betrieblichen Kern dar, können und dürfen ihre Praxis autonom gestalten und werden nicht durch bürokratische Vorgaben und fachfremde Standardisierungsbemühungen an der Verrichtung ihrer professionellen Tätigkeit gehindert. Ihnen wird stattdessen ein organisationales Umfeld zur Verfügung gestellt, in dem sie von fachlich qualifizierten und mit ihrer Arbeit identifizierten Leitungs- und Koordinationskräften dazu angehalten werden, ihre Qualität langfristig zu entwickeln und zu sichern. Stabile und orientierende Leitungskräfte mit Kinder- und Jugendhilfeprofil halten den Mitarbeitern des betrieblichen Kerns auf der Ebene des mittleren Managements und der strategischen Spitze schon über Jahre den Rücken frei. Sie sorgen dafür, dass das Jugendamt selbst zum Katalysator für die Förderung einer kooperativen, dialogischen Praxis (durch ein strategisches Netzwerkmanagement) geworden ist. Sie unterstützen die gemeinsame Vision eines ganzheitlichen Kinder- und Jugend-
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hilfeansatzes und stiften lebendige, motivierende und sachgerechte Arbeitsbedingungen und ausgearbeitete programmatische Orientierungen. Dennoch gibt es auch in Dormagen Schwächen im Umgang mit den eigenen Fehlern, ist es im Team des ASD zu ›familial‹ zu nennenden Übertragungen und unbewussten Beziehungsdynamiken und -konflikten gekommen. Diese familiale Teamstruktur führt dazu, dass nicht offensiv und genau genug (auch vom mittleren Management, das zwischen der parentalen und der infantilen Ebene hin und her zu driften scheint) über die Weiterentwicklungsbedarfe und Fortbildungsnotwendigkeiten einzelner Mitarbeiter gesprochen wird, ja, dass Supervisionen und kollegiale Intervisionen sogar als irrelevant abgewertet und Fallüberlastungen nicht tiefgründig genug thematisiert werden.
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Tabelle 4 Die Fehlerkultur des Jugendamtes Dormagen Jugendamt Dormagen (Profibürokratie) Vorrangiger
Standardisierung der Qualifikation
Koordinierungsmechanismus Wichtigster Organisationsteil
Betrieblicher Kern in Gestalt des ASD, der Fachkoordination und der Leitung des Jugendamtes
Wesentliche Gestaltungsparameter
Professionelle Autorität: Ausbildung und Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes, horizontale Aufgabenspezialisierung, vertikale und horizontale Dezentralisation
Fehlerideologie
Teilweise Fehleroffenheit: Organisationen erzeugen Probleme, die möglichst mit dem vorhandenen Wissen und Können der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelöst werden sollen, Fehler dürfen auftreten und sollen als Lernanreger für die Veränderung unpraktikabler Organisationsvorgaben dienen, sie dürfen aber keinen größeren Schaden anrichten
Kontrollmodus
Autonomie der Mitarbeiterschaft
Problemlösungsmodus
Probleme können nur unter Einbeziehung professionellen Fachwissen gelöst werden: Respekt vor fachlichem Wissen und Können
Umweltmodus
Strategisches Netzwerksmanagement: gemeinsame Gestaltung der kommunalen Kinder- und Jugendhilfe
(Mögliche) Folgen
Vermeidung grob vereinfachender Interpretationen, feineres Gespür für miteinander zusammenhängende systemische Abläufe, flexible Lösungen
Vergleich in Anlehnung an Henry Mintzberg (1992: 223 und 255)
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Fazit
Es erstaunt insofern, dass, obwohl in den Jugendämtern der Städte Schwerin und Dormagen unterschiedliche Organisationsideologien dominieren, ähnliche und als unzureichend anzusehende Formen kollegialer Kontrolle zu beobachten sind: fehlertabuisierende Teamkontexte, die dazu führen, dass Fälle nicht gemeinsam konsistent reflexiv beraten und verstanden werden können. Dies liegt zum einen daran, dass im Jugendamt der Stadt Schwerin die Mitarbeiter durch den Fall Lea-Sophie in der Ausübung ihrer Arbeit tief verunsichert sind und es erleben mussten, wie einzelne Kollegen aufgrund des medialen Drucks und der erheblichen Arbeitsbelastung außerordentlich gestresst waren oder sogar erkrankt sind. Zum anderen sind die im Jugendamt der Stadt Schwerin aneinander vorbei arbeitenden sozialpädagogischen Teams von ihrer Zusammensetzung her heftig durcheinandergewirbelt worden, kam es immer wieder zu krankheitsbedingten Ausfällen, zu Fallüberlastungen und neuen Teamkonstellationen, konnte in beiden Teams noch keine kollegiale Kultur der gegenseitigen Unterstützung und des Vertrauens aufgebaut werden. In Dormagen besteht das Team dagegen aus alteingesessenen und über Jahrzehnte hinweg zusammenarbeitenden Kollegen, die ihre Stärken und Schwächen kennen und oftmals lieber am Status quo festhalten wollen, als ihre kollegialen Beratungs- und Kontrollformen zu verändern. Jedenfalls zeigt sich, dass ein zuverlässiger und achtsamer Umgang mit Fehlern in Jugendämtern über Jahre hinweg auf Ebene der strategischen Spitze, der mittleren Linie, der Technostruktur und des betrieblichen Kerns und unter Rückgriff auf dabei zu beachtende Qualitätsstandards gefördert und ausgebaut werden muss (vgl. Kapitel 7). Öffentliche Verurteilungen und das Finden von Bauernopfern tragen jedenfalls ebenso wenig zur Unterstützung von Prozessen der Qualitätsentwicklung und -sicherung bei wie eine über Jahre hinweg ausgeblendete begrenzte Teamoffenheit. Risiken und Fehler müssen auf allen Ebenen einer sozialen Organisation systemisch in den Blick genommen werden; sie dürfen auch nicht an den Grenzen des Jugendamtes, welches ja immer in einer viel umfassendere Kommunalverwaltung eingebunden ist, haltmachen.
7. Risiko- und Fehlermanagement in der Sozialen Arbeit: Fluch oder Segen?
»Der Begriff Qualität hat einen Doppelsinn. Qualität bedeutet sowohl Beschaffenheit wie gute Beschaffenheit. Die erste Bedeutung ist rein deskriptiv: etwas oder jemand hat irgendwelche Eigenschaften; die zweite Bedeutung ist wertend: die Eigenschaften, die etwas oder jemand besitzt, verleihen ihm eine besondere Wertigkeit. […] Die erste Bedeutung impliziert, dass Qualität sich auf alles beziehen kann; die zweite Bedeutung ist der Grund dafür, dass sich alle darauf beziehen.« (ULRICH BRÖCKLING 2007: 215)
7.1 D IE R ISIKO - UND F EHLERMANAGEMENTQUALITÄT SOZIALER O RGANISATIONEN Soziale Arbeit kommt nicht mehr länger an der Qualitätsentwicklung und sicherung ihrer Praxis vorbei; sie ist selbst zum Gegenstand der öffentlichen Kritik im Zuge der Etablierung einer qualitätsbewussten Dienstleistungsgesellschaft geworden (vgl. Hirschman 1988: 46ff.). Angestoßen durch rechtliche Veränderungen und eine damit einhergehende Forderung nach mehr Wirksamkeit und Betriebswirtschaftlichkeit sozialarbeiterischer bzw. sozialpädagogischer Hilfeangebote und -formen, haben sich die Qualitätserwartungen in den letzten Jahren insbesondere in der fallbezogenen Kinderschutzpraxis erhöht. Nicht mehr allein die Qualität professioneller Handlungsvollzüge ist nun gefragt, sondern die Risiko- und Fehlermanagementqualität sozialer Organisationen. Von den sozialen Fachkräften in den sozialen Organisationen wird deshalb erwartet, dass sie ihre professionellen Fehler in den Blick nehmen und möglichst abstellen und auf diese Weise in der Regel zu einer fehlerlosen Qualitäts- und Zielerreichung der von ihnen or-
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ganisierten Hilfen beitragen1. Solche Standards werfen in der Praxis Sozialer Arbeit allerdings eine Reihe grundsätzlicher Probleme auf: Sie suggerieren eine technologische Beherrschbarkeit Sozialer Arbeit, die unter den gegebenen Kontextbedingungen ihrer Praxis aber nicht zu erreichen ist. So kommt es, dass mit jedem in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen problematischen oder gar tödlich verlaufenen Kinderschutzfall weitere öffentliche Skandalisierungen an der Tagesordnung sind. Damit steigen wiederum auch die oftmals unrealistischen Sicherheitsanforderungen, die an die in der Sozialen Arbeit tätigen Fachkräfte gestellt werden (vgl. Luhmann 2003, Kapitel 2 und 3). Insbesondere die Mitarbeiter der Jugendämter sind in den letzten Jahren im Zuge dieser Entwicklung zu ›Regierten‹ einer offiziell propagierten Fehlervermeidungspolitik geworden (Biesel 2010c). War es in der Vergangenheit Aufgabe der Gesundheitsämter, Kinder frühzeitig zu untersuchen und gegebenfalls den Eltern bei der Pflege, Erziehung und Bildung ihrer Kinder (ärztlichen) Rat und Unterstützung zu geben, sind es nun die ASD der Jugendämter, die neben ihren genuinen Kinderund Jugendhilfeaufgaben für eine früh ansetzende Biopolitik (Foucault 2004a, 2004b) vereinnahmt werden, vor allem, weil es zu einer breiten Erörterung von tödlichen Kindeswohlgefährdungsfällen gekommen war, in denen zwar Jugendämter beteiligt gewesen waren, es aber den am Fall beteiligten sozialen Fachkräften gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern nicht gelungen war, den Tod der sich im Nachhinein als besonders schutzbedürftig herausstellenden Kinder abzuwenden. Mit einer solchen Fokussierung auf die Schattenseiten der Praxis Sozialer Arbeit wird allerdings ignoriert, was in der Mehrheit der Kinderschutzfälle gelingt: die professionelle Förderung und Entwicklung von Kindern und die Unterstützung ihrer Eltern. Dieser Erfolg fußt allerdings nicht vornehmlich auf den immer häufiger eingesetzten computer- und verfahrensbasierten Risiko- und Fehlermanagementansätzen. Im Gegenteil: Soziale Arbeit gelingt immer dann, wenn es zu einer gemeinsamen dialogischen Erwartungsklärung der an den Hilfen beteiligten Kooperationspartner kommt und wenn den Klienten zugestanden wird, dass sie sich selbst (gewissermaßen als ihre eigenen ›Qualitätsmanager‹) in die sie selbst betreffenden Hilfeprozesse einbringen können. Und Soziale Arbeit gelingt, wenn Mitarbeiter trotz ungünstiger Organisationsund Praxisbedingungen es gelernt haben, für ihre Kooperationspartner und für die Hilfeteilnehmer hilfreich zu sein, indem sie gegebenenfalls von den sich als ungünstig erweisenden bürokratischen Vorschriften situativ abweichen. James Reason (2008c: 141ff.) würde solche Fachkräfte als ›Helden‹
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Joachim Merchel (2010b) weist in seinem einführenden Band zum Qualitätsmanagement in der Sozialen Arbeit auf die unterschiedlichen kommunikativen Bedeutungsgehalte des Qualitätsbegriffs hin. Danach »ist Qualität kein empirischer Begriff, sondern immer ein normatives Konstrukt: wegen der Verkoppelung von Beschaffenheit und Bewertung und wegen des Inhalts der dabei angelegten Kriterien« (ebd.: 37). Gleiches trifft für den Fehlerbegriff in der Sozialen Arbeit zu.
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herausstellen, weil es diesen Menschen in brenzligen und sich zuspitzenden Praxissituationen gelingt – auf Grundlage ihrer Berufserfahrungen und mit experimenteller Offenheit –, Schaden von Kindern und ihren Eltern durch unkonventionelle Hilfeansätze abzuwenden. Sie wissen nämlich, dass sie Kinder in der Regel am besten schützen können, • wenn sie eine einfühlsame und transparente Beziehung zu ihren Klienten aufbauen – trotz zum Teil komplizierter Zwangskonstellationen (in denen sie in Wahrnehmung ihres ›Wächteramtes‹ Kinder also zunächst einmal in unfreiwilligen Hilfeprozessen auch gegen die Ansichten der Eltern schützen müssen), • wenn sie Kinder und zugleich auch die Eltern, ja die ganze Familie schützen, fördern und begleiten, d.h. eine breite (tripolare) Perspektive zur Kinderschutzaufgabe einnehmen (und nicht nur eine ereignisorientierte Abwendung von Kindeswohlgefährdungen als ihre Aufgabe ansehen), • wenn sie darüber hinaus in Teams und in verbindlichen Supervisionsgruppen eingebunden sind, die ihnen moralischen und fachlichen Halt geben und, • nicht zuletzt, wenn es im Gemeinwesen Unterstützungsangebote gibt, die generell das Leben von Kindern verbessern (vgl. Dartington Research Group 1995: 45). In der Hauptsache sind sie aber bei der Gestaltung ihrer Hilfen deshalb erfolgreich, weil sie jenen Erfolgsprinzipien Sozialer Arbeit als Fachkräfte vertrauen, die auch als Erwartungen im Rahmen der qualitativen Evaluationsstudie (vgl. Kapitel 5 und 6) der von mir interviewten Klienten als zentral herausgestellt worden sind. Danach wünschen sich die Hilfeteilnehmer soziale Fachkräfte, die in herzlicher, verständnis- und respektvoller Zuwendung in der Lage sind, »richtig zuzuhören«. Sie wollen, dass die Fachkräfte im Jugendamt sie ernst nehmen; sie wollen sich bei ihnen aufgehoben fühlen. Dieser Anspruch spiegelt sich auch darin, dass die Klienten eine Zusammenarbeit in ihrem Sinne von ihren fallzuständigen Fachkräften einfordern – einen gemeinsamen ›Kampf‹ gegen andere problemerzeugende und sie nicht respektierende Institutionen (wie z.B. die Schule, das Jobcenter oder die Wohnungsbaugesellschaft)2. Und sollte es einmal wirklich erforderlich sein, dass sie erzieherische Hilfen benötigen, dann erwarten sie passgenaue Hilfen, bei denen sie von freundlichen und toleranten Sozialarbeitern solidarisch unterstützt werden.
2
Matthias Müller (2008: 303) erörtert in seiner systemtheoretischen Konzeption über die Vielsprachigkeit sozialarbeiterischer/sozialpädagogischer Praxiskontexte, dass die Kommunikation Sozialer Arbeit die Macht der Klienten auf den funktionalen sprachlichen Märkten stärkt. Er bezeichnet dies als akteurbezogene funktionale Hilfe.
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Darauf verweisen auch die Studien über »Lernen vom Erfolg« (vgl. Rosenfeld/Rosenberg/Elek 2009)3 : Sie veranschaulichen, dass Soziale Arbeit immer dann erfolgreich ist, • wenn die Fachkräfte gegenüber ihren Klienten offen und transparent sind (professionelle Offenheit und Transparenz), • wenn die Fachkräfte bereit sind und dabei unterstützt werden, unbürokratisch und experimentell Hilfe zu leisten (unkonventionelle Hilfen), • wenn die Fachkräfte gegenüber ihren Klienten offen zugeben, dass sie nicht alles wissen (Offenlegung professionellen Nichtwissens), • wenn die Fachkräfte ihren Klienten Glauben schenken (Sinnhaftigkeitsgebot), • wenn die Fachkräfte gemeinsam mit ihren Klienten Entscheidungen treffen (gemeinsame Entscheidungsfindungen) und • wenn es ihnen in ihren Organisationen ermöglicht wird, zu reflektieren, zu studieren und zu lernen (arbeitsplatzbezogenes Lernen). Ein für die Organisationen Sozialer Arbeit tragfähiges Risiko- und Fehlermanagement kann über solche Erkenntnisse nicht hinweggehen. Denn nur, wenn es in der Sozialen Arbeit im Bündnis mit den Klienten und den weiteren Kooperationspartnern gelingt, offen und fair zusammenzuarbeiten und Fehler als Chance des gemeinsamen Lernens anzusehen, wird möglich, was mit den komplizierten Diagnostik- und Assessmentinstrumenten und den dabei eine Rolle spielenden Ablaufverfahren im fallbezogenen Kinderschutz immer wieder verfehlt wird: die Reflexion des intersystemischen Fehlerkreislaufes, der durch interkommunikative und menschliche Beziehungen geprägt ist und oftmals widersprüchlich erlebt wird. Zwar haben in der Praxis Sozialer Arbeit auch sozialtechnologische Verfahren ihren Stellenwert, da sie der Strukturierung unübersichtlicher Praxiskontexte dienen, sie dürfen aber nicht gegen kommunikative, interpretative und kritisch-reflexive Verfahren ausgespielt werden. »Professionelles Handeln erfordert demnach eine multiparadigmatische und methodenintegrative Perspektive« (Preis 2009: 165). Da sich diese Sichtweise aufgrund der ökonomischen Zuspitzung des Fehlerdilemmas Sozialer Arbeit (vgl. Abschnitt 3.3) im flexiblen Kapitalismus (vgl. Sennet 2000; Boltanski/Chiapello 2006) als nicht mehr tragfähig erweist, worauf nicht zuletzt auch das Schwarzbuch Soziale Arbeit (Seithe 2010) hingewiesen hat, kam es in den letzten Jahren zu einer KinderschutzFehler-Politik, bei der Fehler nicht als Lernchancen, sondern als Sicherheitsrisiken betrachtet wurden (vgl. Kapitel 2). Nicht bedacht wurde bei diesen zumeist symbolpolitisch angelegten, von oben bzw. von außen angestoßenen Fehlereindämmungsbemühungen, dass eine interorganisationale Verständigung darüber notwendig ist, was Kindesmisshandlung bzw. Kindeswohlgefährdung ist und anhand welcher Kriterien man sie erfassen und mul-
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Es sei auch auf die Ergebnisse der Studie zur wirkungsorientierten Kinder- und Jugendhilfe hingewiesen (vgl. Isa Planung und Entwicklungs GmbH 2009: 55ff.)
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tiperspektivisch verstehen kann, nicht zuletzt, weil die am Kinderschutz beteiligten Professionen ihre je eigenen Kindeswohlbewertungsmaßstäbe haben, die wiederum Einfluss auf die Organisationskultur und das bevorzugte Fehler- und Risikomanagement haben. Jedenfalls treffen in der Praxis des Kinderschutzes unterschiedliche Organisationskulturen aufeinander. Sie manifestieren sich auf der Ebene der inkorporierten professionellen Wissens- und Deutungsbestände der in den Organisationskulturen angestellten Mitarbeiter, die die zentralen ›Fehlerkulturträger‹ sind. Ihre grundlegenden, aber in der Regel unausgesprochenen Annahmen sind die Quelle der geltenden organisationalen Normen und Werte. Auf deren Basis wird über den Umgang mit sowohl (inter-)organisationalen als auch individuellen professionellen Fehlern entschieden (vgl. Schein 2003a: 31). Werden ihre grundlegenden unausgesprochenen Annahmen nicht innerhalb der Kollegenschaft und im Austausch mit der Leitungsebene verbalisiert, kann es zur Herausbildung von pathologischen oder bürokratischen Organisationskulturen (Reason 2008b: 38) kommen; sie zu einer generativen Organisationskultur zu verändern, ist die Aufgabe eines produktiven Qualitätsmanagements (Merchel 2010b). Indikatorengestützte Qualitätsstandards für eine gelingende Kinderschutzarbeit zu entwickeln, ist darum eine unabdingbare Aufgabe. Sie einfach den in den Jugendämtern angestellten Fachkräften bürokratisch vorzuschreiben, ist allerdings kontraproduktiv. Solche Anweisungen verkürzen den kommunikativen Prozess, der Organisationskulturen im Wesentlichen bestimmt, wofür das von Schein (2003a: 31) vorgeschlagene und adaptierte Schaubild ein anschauliches, möglicherweise jedoch bereits ein zu mechanistisches Bild ist:
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Abbildung 5 Bestandteile von Organisationskulturen
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Gegenwärtig folgen die im Kinderschutz sich etablierenden Verfahrensregelungen mit den dazugehörigen standardisierten und oftmals computergestützten Kindeswohlgefährdungs-Einschätzverfahren und Dokumentationskonzepte jedoch eher der Logik des Verdachts als einer für die Kinder- und Jugendhilfe wesentlichen Logik der Anerkennung (vgl. Hildenbrand 2010). Die im achten Kinder- und Jugendbericht (BMJFFG 1990) und im Kinderund Jugendhilfegesetz verankerten Prinzipien einer lebensweltorientierten (Thiersch 1986, 2003) und ganzheitlichen Kinder- und Jugendhilfe (Wolff 2010b) werden stattdessen zu Gunsten einer präventiven Sicherheitsorientierung vernachlässigt. Darauf weisen auch die Ergebnisse der in dieser Arbeit weiter oben vorgestellten qualitativen Evaluations- und Fehlerstudie hin. Durch eine in der Bevölkerung und bei den Kooperationspartnern des Jugendamtes sich ausbreitende ›Kultur des Hinsehens‹ und einer der Sicherheitskontrolle dienenden Erfassungsideologie geraten die Jugendämter immer öfter in ein reaktives Muster einer blinden reaktiven Bearbeitung von Kindeswohlgefährdungsmeldungen und daraus resultierenden Kinderschutzfällen. Damit allerdings werden die Jugendämter zu risikogefährdeten Kinderschutzorganisationen (vgl. Wolff 2007b), kommt es zur Herausbildung bzw. Verfestigung von pathologischen oder bürokratischen Organisationskulturen (vgl. Reason 2008b: 38). D.h.: Diejenigen Jugendämter, die nur auf Fremdmeldungen von außen setzen und ihre Hilfeprogramme nicht strategisch für den Brückenbau in die familialen Systeme und in die Berufssysteme nutzen (vgl. Wolff 2010b), wie es in Schwerin der Fall ist, verfestigen ihr Negativimage als Kontroll- und Eingriffsbehörde. In der Folge kommt es zu einer doppelten Verängstigung auf Seiten der in den Jugendämtern angestellten Fachkräfte wie auf Seiten der hilfesuchenden Klienten mit den damit einhergehenden Hilfezugangsfehlern. In Anlehnung an Peter Senge et al. (2008) ist es für ein tragfähiges Risiko- und Fehlermanagement Sozialer Arbeit darum erforderlich, dass die am Kinderschutz beteiligten professionellen Berufssysteme mit ihren jeweiligen Organisationen Sorge dafür tragen, • systemisch, d.h. in intra- und interprofessionellen und -organisationalen Wechselbeziehungen zu denken, • über ihre professionellen Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten und • dergestalt an der Realisierung einer gemeinsam abgestimmten und visionären Kinderschutzpraxis zu arbeiten. Denn Fehler treten auf der Ebene des Hilfesystems genauso wie auf den Ebenen der Gesamtorganisation, der Leitung, der professionellen Teams, der Fachkräfte und der konkreten Praxissituation auf. Sie können unter ungünstigen Umständen, wenn sie sich potenzieren und wenn nicht über sie gesprochen und aus ihnen gemeinsam gelernt wird, zur Gefahr für Klienten werden. Erst wenn es in den sozialen Organisationen zum Standard gehört, dass Fehler nicht nur von den Fachkräften zu verantworten sind, sondern jedes Organisationsmitglied – angefangen von der Verwaltung bis hin zur
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höchsten Leitungsebene – sich für Fehler der anderen und der gesamten Organisation mitverantwortlich fühlt, können Fehler in der Sozialen Arbeit von ihrem Schadensausmaß abgeschwächt werden. Deshalb kommen soziale Organisationen nicht daran vorbei, für sich selbst klären und herausarbeiten zu müssen, welchem (inter-)professionellen und (inter-)organisationalen Kinderschutz-, Qualitäts-, Risiko- und Fehlerverständnis sie in ihrer Praxis folgen und welche Qualitätsstandards und Fehlerkriterien sie gemeinsam entwickeln und in Zusammenarbeit mit ihren Kooperationspartnern einhalten wollen. Jugendämter benötigen zur Umsetzung von organisationalen Risiko- und Fehlermanagementansätzen allerdings adäquat ausgestattete Jugendhilfeplanungs-, Qualitätsmanagement- und Personalmanagementabteilungen und eine Mitarbeiterschaft an der Basis der ASD, die personell, zeitlich, finanziell und räumlich dazu in der Lage ist, professionelle Fallarbeit zu leisten. Erst dann wird überhaupt ein produktives Lernen aus Fehlern und die indikatorengestützte Erarbeitung und prozessuale Überprüfung von Qualitätsstandards möglich sein (vgl. hierzu auch Merchel 2010b: 58ff.). Risikomanagement darf nämlich nicht mit »der Fehlerverringerung durch Fehlervorbeugung« mit Hilfen von dafür ausgebildeten »›Risk-Managers‹« (Fegert/Ziegenhain/Fangerau 2010: 125) verwechselt werden. Risikomanagement gehört zwar zum Qualitätsmanagement einer jeden Organisation, dessen integraler Bestandteil wiederum das Managen von organisationalen und professionellen Fehlern ist. Aber: Auch mit einem solchen umfassenden Risiko- und Fehlermanagementansatz können Fehler nicht ausgeschlossen und Risiken im fallbezogenen Kinderschutz vermieden werden. In der Kinderschutzpraxis geht es eben nicht um die Berechnung und Voraussage der Eintrittswahrscheinlichkeit von schwerwiegenden Kinderschutzfehlern, wie es die aus der Betriebswirtschaftslehre stammenden Risikomanagementkonzepte (Schmitz/Wehrheim 2006) suggerieren, sondern um die Etablierung eines diskursiven Risiko- und Fehlerverständnisses (Renn et al. 2007). Und da Kindeswohlgefährdungen bzw. Kindesmisshandlungen selbst umstrittene Konstruktionen darstellen, als Begriffe nicht eindeutig zu definieren sind, sind hitzige Fehlerdebatten im fallbezogenen Kinderschutz zwischen den am Fallgeschehen beteiligten Professionen und Klienten geradezu vorprogrammiert. Auch deshalb kann aus professionellen Fehlern und organisationalen Fehlern nur im Dialog (vgl. Isaacs 2002) – in einem tragfähigen, mehrseitigreflexiven Arbeitsbündnis – gelernt werden. Hierfür müssen aber Standards des Risiko- und Fehlermanagements greifen, die wiederum nicht bürokratisch angeordnet, sondern nur miteinander – im kommunikativen Austausch – umgesetzt werden können. Daran muss sich die Risiko- und Fehlermanagementqualität sozialer Organisationen messen lassen. Denn eine Tatsache ist, wie die qualitative Evaluations- und Fehlerstudie zeigen konnte, empirisch gut belegt: Risiko- und Fehlermanagement in der Sozialen Arbeit kann nur gelingen, wenn ausreichend professionelle und organisationale Spielräume – regelrechte Redundanzen – zur Reflexion der Praxis, zum Lernen
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aus gemeinsamen Fehlern und Erfolgen und zur Transformation von unvermeidlichen Hilfeprozessfehlern vorhanden sind und die Fachkräfte, die Führungskräfte, die Kooperationspartner und die politisch Verantwortlichen eine kritisch-produktive Einstellung zu den von ihnen selbst zu verantwortenden und mitzuverantwortenden Fehlern entwickeln; sie müssen verstehen, dass sie nur dann aus ihren Fehlern lernen können, wenn diese Fehler auch von anderen beobachtet und rechtzeitig rückgemeldet werden. Fraglich bleibt dabei allerdings, ob sämtliche in der Praxis zu beobachtenden und auftretenden Probleme und Schwierigkeiten als Fehler bezeichnet werden sollten oder ob man nicht doch, aufgrund des oftmals negativ besetzten Begriffs des Fehlers, darauf verzichten und stattdessen lieber von Fehlern als ungenutzten Lernchancen sprechen sollte.
7.2 Q UALITÄTSSTANDARDS FÜR EIN R ISIKO - UND F EHLERMANAGEMENT S OZIALER ARBEIT Qualität spielt in der Sozialen Arbeit auf vielen Ebenen eine Rolle. Gern wird dabei auf die von Donabedian vorgeschlagene Aufteilung von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität zurückgegriffen (vgl. Merchel 2010b: 42). Der Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung e.V. (2001) konzeptualisiert Qualität hingegen auf acht Ebenen: Qualität der Grundorientierungen und Leitideen, Programm- und Prozessqualität, Leitungsqualität, Personalqualität, Einrichtungs- und Raumqualität, Kosten-Nutzen-Qualität, Förderung und Sicherung von Qualität (Qualitätsmanagement). Und in einem vom Institut für Soziale Arbeit e.V. (ISA 2010) entwickelten Entwurf für die Beschreibung eines Qualitätsrahmens Kinderschutz werden zehn Qualitätsdimensionen aufgegriffen, die berücksichtigt werden müssen, um in der fallbezogenen Kinderschutzarbeit Risiken und Fehler zu managen. Diese betreffen das Qualitätsmanagement, die Personalentwicklung, die präventiven Angebote Früher Hilfen und die Funktionsweise sozialer Frühwarnsysteme, die reflexive Bearbeitung von Fällen, die Einschätzung der Entwicklung von Kindern, die qualifizierte Beratung und Klärung durch insoweit erfahrene Fachkräfte, die Kooperation und die Öffentlichkeitsarbeit4. All diese Konzepte von Qualitätsebenen und -dimensionen stellen allerdings nur einen Rahmen für außerordentlich komplexe organisationale Strukturen und Prozesse dar. Sie sind hilfreich zur ersten Beschreibung und Systematisierung 4
Im Bremer Konzept zur Qualitätssicherung und zum Risikomanagement (Amt für Soziale Dienste der Freien und Hansestadt Bremen in Kooperation mit dem Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung e.V. 2010) in der Kinderschutzarbeit werden differenziert die Ebenen der Kinderschutzorganisation, der Fachkräfte und der Teams, des Hilfesystems, der Fallarbeit, der Zusammenarbeit mit Familien und der Kinderschutzkrisen zur Analyse folgenschwerer Fehler und von Kinderschutzbeschwerden berücksichtigt.
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der Praxis Sozialer Arbeit. Organisationale Fehlerkulturen sind allerdings noch vielschichtiger, komplexer (vgl. Kapitel 4). Darauf haben Karl E. Weick und Kathleen M. Sutcliffe (2003) mit ihren Studien zu hochzuverlässigen Organisationen eindrucksvoll hingewiesen. Eine Aufmerksamkeitsfokussierung auf Fehler, eine Zurückhaltung gegenüber grob vereinfachenden Interpretationen, ein feines Gespür für betriebliche Abläufe, ein Streben nach Flexibilität und eine Hochachtung vor fachlichem Wissen und Können unabhängig von der organisationalen Stellenposition kann nämlich nicht, wie auch in den Evaluationsergebnissen deutlich wurde (vgl. Kapitel 6), durch die bloße Setzung von Qualitätsstandards für ein Risiko- und Fehlermanagement Sozialer Arbeit erreicht werden. Risiko- und Fehlermanagement in sozialen Organisationen sind vielmehr eine organisationale Daueraufgabe. Denn erst wenn das Top-Management (die Führungs- und Leitungsebenen des oberen und mittleren Managements) mit seinen Überzeugungen, Wertvorstellungen und Handlungen durch eine glaubwürdige, konsequente und deutliche Kommunikation für eine organisationale Achtsamkeit im Umgang mit Fehlern wirbt und die Mitarbeiter für ihren lernorientierten Umgang mit Fehlern materiell und ideell anerkannt und wertgeschätzt werden (vgl. Weick/Sutcliffe 2003: 141), ist möglich, was in vielen Standardkonzepten lediglich als bloßer Anspruch besteht: eine dreifache professionelle Fehleroffenheit der sozialen Fachkräfte. Die folgenden Qualitätsstandards für ein Risiko- und Fehlermanagement Sozialer Arbeit stellen deshalb lediglich einen Orientierungsrahmen innerhalb einer umfassenden Philosophie eines organisationalen Total-Qualitäty-Managements (vgl. hierzu auch Merchel 2010b: 114ff.) dar; sie haben exemplarischen Charakter und nehmen die in der weiter oben vorgestellten Evaluationsstudie gewonnenen Erkenntnisse auf. Erste Anforderung: Bürokratismus überwindende Achtsamkeit
Da die bürokratisch organisierten Jugendämter für die Herausbildung (latenter) Organisationsfehler anfällig sind, die sich darum zu professionellen Fehlern im Hilfeprozess zuspitzen können, müssen alle Führungs- und Fachkräfte wie auch die politischen Entscheidungsträger, die für die Organisations- und Praxisbedingungen der sozialpädagogischen Fachbehörde Jugendamt mitverantwortlich sind, zu einer Bürokratismus überwindenden kommunikativen Achtsamkeit beitragen. Risiko- und Fehlermanagement darf jedenfalls nicht an Hierarchie- und Kommunikationsgrenzen sozialer Organisationen haltmachen. Kleinere Fehler dürfen deshalb nicht erst dann thematisiert werden, wenn sie sich zu schwerwiegenden Fehlern entwickelt haben. Risiko- und Fehlermanagement muss demnach proaktiv ausgerichtet und durch eindeutige Verantwortungs- und dialogische Kommunikationsstrukturen gestützt werden; dabei muss die Aufrechterhaltung professioneller Praxisbedingungen oberste Priorität haben. Hierfür muss in die Beobachtungs- und Analysefähigkeit der sozialen Organisationen strategisch investiert werden, müssen Jugendhilfeplanung, Qualitäts- und Personalmana-
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gement zum integralen Bestandteil eines jeden Jugendamtes gehören. Ferner müssen praktikable Dokumentations-, Controlling- und Analysemethoden bekannt und von den dafür verantwortlichen Mitarbeitern verbindlich angewendet werden. Aber es müssen auch Orte der gemeinsamen kommunikativen Verständigung geschaffen werden, Foren, in denen nicht nur allgemein strategisch, sondern im unmittelbaren Kontakt von Angesicht zu Angesicht miteinander über gemeinsam vereinbarte Strategien und deren Sinnhaftigkeit und Zielerreichung kommuniziert wird. Zweite Anforderung: fach- und organisationsübergreifendes konzeptuelles Denken und Handeln
Um die Mitarbeiter von Jugendämtern aus ihrem oftmals in der Praxis zu beobachtenden ›Exoten- oder Sonderstatus‹ zu befreien, muss in den Kommunalverwaltungen, aber auch in großen sozialen Organisationen, fach- und organisationsübergreifend gedacht und gehandelt werden. Hierfür müssen fachübergreifende Arbeitsplatzrotationen und Hospitationen gefördert und organisationsübergreifende Denkabteilungen (wie z.B. Jugendhilfeplanung und Qualitätsmanagement) ausgebaut werden, um auf gemeinsam explizierte Werte und Normen in Form von allgemein akzeptierten und für alle bekannten Kindeswohl-, Eltern-/Familienwohl und Gemeinwohlkonzepten und den daraus resultierenden Handlungsstrategien im fallbezogenen Kinderschutz und in der Sozialen Arbeit zurückgreifen zu können und die Arbeitsweisen anderer Abteilungen erfahrbar werden zu lassen. Ziel eines solchen fach- und organisationsübergreifenden Denkens ist es auch, grundlegende unausgesprochene Annahmen in Frage zu stellen und damit zur Dialogisierung oftmals unbegründeter Vorurteile und zum Abbau gegenseitiger Fehlerzuschreibungen beizutragen. Dritte Anforderung: professionelles Middle-up-down-Management
Um die Reflexivität der sozialen Fachkräfte und die Qualität ihres professionellen Handelns zu erhöhen, müssen Qualitätsmanagementmaßnahmen und Organisationsveränderungen durch Middle-up-down-Managementstrategien gestützt werden; nur so können nämlich Lernblockaden in sozialen Organisationen aufgelöst und Veränderungen für alle gewinnbringend vorangebracht werden, kann man aus kleineren Fehlern lernen. Aus diesem Grund dürfen die Interessen einzelner Statusgruppen nicht einseitig gegen andere durchgesetzt werden, sondern flexible Entscheidungsstrukturen müssen aufrechterhalten werden und es muss eine Balance zwischen organisationaler Zentralisierung und Dezentralisierung gefunden werden. Vierte Anforderung: teaminterne und teamexterne Fehleroffenheit
Zwischenmenschliche Konflikte innerhalb und auch außerhalb professioneller Teams müssen in sozialen Organisation zwischen den sozialen Fachkräf-
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ten, aber auch zwischen den sozialen Fachkräften und Leitungskräften offen angesprochen und, wenn nötig, durch externe Hilfe aufgelöst werden. Es muss in den Teams und zwischen den unterschiedlichen Abteilungen zum Standard gehören, sich gegenseitig auf beobachtete Probleme, Schwierigkeiten und Fehler unabhängig vom Alter, der Organisationszugehörigkeit und der professionellen Qualifikation hinweisen zu dürfen, ohne dafür von den davon betroffenen Personen angeklagt oder gar diskriminiert zu werden. Zusätzlich müssen fach- und organisationsübergreifende Lern- und Denkgemeinschaften etabliert werden, muss organisational durch Training-on-theJob und gezielte Inhouse-Qualifizierungsreihen gefördert werden, was nach dem Studium oftmals im Sande verläuft: das gemeinsame Denken und Studieren, Verlernen und Lernen. Denn nur auf diese Weise ist ein fach- und organisationsübergreifendes Lernen aus Fehlern und eine teaminterne und externe Fehleroffenheit möglich. Fünfte Anforderung: demokratische und bürgernahe Orte der Partizipation und gegenseitiger Anerkennung
Will eine soziale Organisation aber wirklich dazu in der Lage sein, aus ihren Fehlern rechtzeitig zu lernen, kommt sie nicht umhin, sowohl ihre Kooperationspartner als auch ihre Klienten als gleichwertige Organisationsmitglieder bzw. als Partner im Arbeitsprozess zu integrieren. In einer sozialen Organisation wie dem Jugendamt müssen darum demokratische und bürgernahe Orte der Partizipation und der gegenseitigen Anerkennung geschaffen werden, muss es zum Standard gehören, die Fachkräfte anderer professioneller Organisationen und die Hilfeteilnehmer als beteiligte ›Qualitätsmanager‹ in den Verlauf der Hilfeprozesse, nach problematischen sowie erfolgreichen Hilfeverläufen in Qualitätsentwicklungs- und Qualitätssicherungsprojekte und auch in interorganisationale Fallberatungen einzubeziehen. Denn »um in einer immer komplexer werdenden Welt auf Dauer für Spitzenleistungen zu sorgen, muß man in der Lage sein, unerwartete Bedrohungen, die eskalieren und außer Kontrolle geraten könnten, erfolgreich zu bewältigen« (Weick/Sutcliffe 2003: 7). Ohne eine dialogische Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern im Hilfesystem sowie mit den Klienten werden solche Spitzenleistungen nicht zu realisieren sein. Was die grundlegende Ressourcenausstattung der Jugendämter anbelangt, ist gegenwärtig allerdings davon auszugehen, dass die momentan praktizierten Risiko- und Fehlermanagementansätze Sozialer Arbeit eher zur Vertuschung der miserablen Praxis- und Organisationsbedingungen beitragen und nicht zur Förderung reflexiv-kommunikativer und fehleroffener Organisationskulturen; eher ist mit einem weiteren Ausbau von fremdmeldeorientierten Meldesystemen zu rechnen, mit denen besonders gefährdete Kinder erfasst werden sollen. Solche verkürzten Risiko- und Fehlermanagementpraktiken Sozialer Arbeit sind allerdings Ausdruck eines Ausbaus technologischer Melde-, Erfas-
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sungs-, Überprüfungs- und Kontrollverfahren. Sie unterlaufen die ethischen Prinzipien Sozialer Arbeit und dienen weder den Kindern noch deren Eltern, sondern lediglich der rechtlichen Absicherung der sozialen Organisation. Sollen Kinder und Eltern aber von den Jugendämtern jene Hilfen bekommen, die sie wirklich benötigen, müssen sie zu fehleroffenen Organisationen werden. Dann können professionelle Fehler kritisch als sozialkommunikative Konstruktionen verstanden werden, die auf gesellschaftliche Erwartungen, gesetzliche Regelungen, selbsterzeugte, d.h. (inter-)professionelle wie (inter-)organisationale Werte, Normen und Haltungen und die daraus resultierenden Qualitätsstandards verweisen. Sie können für die in der Sozialen Arbeit typischen komplex-dynamischen Praxiskontexte nicht als ein für allemal normativ feststehend beschrieben und nicht nur einzelnen Fachkräften zugerechnet werden. Professionelle Fehler sind multikomplex. Ob eine Entscheidung und daraus resultierende Handlungen als professionelle Fehler beobachtet werden können, hängt deshalb von den jeweils gegebenen Praxiskontexten und von den Praxisalternativen ab, die sich im Nachhinein als ungenutzte Möglichkeiten herausstellen. Insofern wird deutlich: Der Fehlerbegriff ist genauso wie der Qualitätsbegriff ein höchst ambivalenter, machtvoller und zugleich stigmatisierender Diskursbegriff; er schadet oftmals mehr, als er nützt, weil er häufig einseitig anklagt, was mehrseitigen Beeinflussungen unterliegt und was strukturell uneindeutig ist: nämlich professionell Hilfe zur Selbsthilfe zur leisten.
Literatur
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Abbildungen und Tabellen
Abbildung 1: Grundsätze demokratisch-dialogischer Kinderschutzarbeit | 69 Abbildung 2: Fehlerbedingende Gefahrenebenen | 75 Abbildung 3: Kriterien der Fehlerbestimmung | 86 Abbildung 4: Ablauf der dialogisch-partizipativen Evaluationsstudie | 155 Abbildung 5: Bestandteile von Organisationskulturen | 298 Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4:
Professionelle Fehler und deren individuellen Entstehungsursachen | 73 Typische Organisationskulturen | 77 Die Fehlerkultur des Jugendamtes Schwerin | 287 Die Fehlerkultur des Jugendamtes Dormagen | 290