Mensch und »Person« – Probleme einer allgemeinen Rechtsfähigkeit: Eine rechtshistorisch-kritische Untersuchung zu § 1 BGB [1 ed.] 9783428549092, 9783428149094

Rechtsperson, Rechtsfähigkeit und Rechtssubjekt sind Elementarbegriffe unseres modernen Rechtsdenkens. Zugleich sind sie

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German Pages 346 Year 2016

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Mensch und »Person« – Probleme einer allgemeinen Rechtsfähigkeit: Eine rechtshistorisch-kritische Untersuchung zu § 1 BGB [1 ed.]
 9783428549092, 9783428149094

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Schriften zur Rechtsgeschichte Band 174

Mensch und „Person“ – Probleme einer allgemeinen Rechtsfähigkeit Eine rechtshistorisch-kritische Untersuchung zu § 1 BGB

Von

Hellen Hetterich

Duncker & Humblot · Berlin

HELLEN HETTERICH

Mensch und „Person“ – Probleme einer allgemeinen Rechtsfähigkeit

Schriften zur Rechtsgeschichte

Band 174

Mensch und „Person“ – Probleme einer allgemeinen Rechtsfähigkeit Eine rechtshistorisch-kritische Untersuchung zu § 1 BGB

Von

Hellen Hetterich

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen hat diese Arbeit im Jahre 2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-14909-4 (Print) ISBN 978-3-428-54909-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-84909-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Danksagung Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Martin Lipp. Seine Ratschläge und Anregungen sowie die Gewissheit seiner jederzeitigen Unterstützung waren für mich von unschätzbarem Wert. Frau Prof. Dr. Marietta Auer danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens, für Hinweise und Hilfestellungen. Zu wichtigen Wegbegleitern wurden Frau Dr. Gesine Hauer, Herr ­ hristopher Lenz und Frau Ingrid Marx. Für die guten Gespräche und die C schöne Zeit der Zusammenarbeit danke ich ihnen von Herzen. Nicht zuletzt danke ich meinen Eltern, die die Entstehung dieser Arbeit stets mit Geduld, Zuspruch und Unterstützung begleiteten. Limburg a. d. Lahn, im März 2016

Hellen Hetterich

Inhaltsübersicht Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Kapitel 1

Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion – Eine Bestandsaufnahme 

20

A. Grundlagen und heutiges Begriffsverständnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 I. Grundprinzipien des gegenwärtigen Personenbegriffs . . . . . . . . . . . . . . 20 II. Die Qualität des heutigen Personen- und Rechtsfähigkeitsbegriffs . . . 25 B. Problemfelder und aktuelle Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 I. Grenzen und Grenzbereiche der Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 II. Tendenzen in anderen wissenschaftlichen Disziplinen . . . . . . . . . . . . . 61 Kapitel 2

Problemverdichtung und Erklärungsansätze 

66

A. Kritische Beobachtungen zum herrschenden Modell . . . . . . . . . . . . . . . . 66 I. Ausstrahlungswirkung der Anerkennung von Teilrechtsfähigkeit . . . . . 66 II. Allgemeine und gleiche Rechtsfähigkeit des lebenden Menschen . . . . 67 B. Grundsätzliche Ausrichtung des Rechtsfähigkeitsbegriffs zwischen Werteorientierung und Rechtstechnik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 C. Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I. Herkunft des Personenbegriffs des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 II. Spezifizierung auf zwei Fragenkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 D. Ergebnis: Historisch angelegte Aporien in § 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Kapitel 3

Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person und Rechtsfähigkeit 

104

A. Friedrich Carl von Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I. Grundlagen in Savignys Rechts- und Personenbegriff . . . . . . . . . . . . . 105 II. Die Ablehnung eines Rechts an der eigenen Person . . . . . . . . . . . . . . . 112

8 Inhaltsübersicht III. Person, Rechtssubjekt und Rechtsfähigkeit („System“, §§ 60 ff.) . . . . . 116 IV. Entstehung und Untergang der Rechtsverhältnisse. Die Handlungs­ fähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 V. Weitere Schriften Savignys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 VI. Ergebnis: „Allgemeine Rechtsfähigkeit“ bei Savigny . . . . . . . . . . . . . . 150 B. Georg Friedrich Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 I. Grundlagen in Puchtas Rechts- und Personenbegriff . . . . . . . . . . . . . . 151 II. Person, Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 III. Recht an der eigenen Person und Recht der Persönlichkeit . . . . . . . . . 175 IV. Ergebnis: Rechtsfähigkeit als Recht bei Puchta . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Kapitel 4

BGB und 20. Jahrhundert 

226

A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 I. Überblick zum Kodifikationsverlauf (1873–1900) . . . . . . . . . . . . . . . . 226 II. Auswertung der Materialien unmittelbar zu § 3 BGB-E I bzw. § 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 III. Auswertung der Materialien zu verwandten Normkomplexen . . . . . . . 244 IV. Ergebnis: Das Rechtsfähigkeitsbild um 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jahrhundert . . . . . 256 I. Die Lehre Binders als Muster eines Gegenmodells . . . . . . . . . . . . . . . 256 II. Kriterien und Schwerpunktsetzung im Rahmen der Neuausrichtung . . 265 III. Ergebnis: Relativierung und Flexibilisierung von Rechtsfähigkeit . . . . 295 Kapitel 5

Eigene Perspektiven 

297

A. Erkenntnisse aus der historischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 B. Entwicklung der Eckpunkte eines eigenen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 I. Werte- und Ordnungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 II. Inhaltliche Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 III. Fallgruppen und Ertrag des vorgeschlagenen Modells . . . . . . . . . . . . . 310 IV. Terminologie und Auswirkungen auf § 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Quellen- und Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Personen- und Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Kapitel 1

Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion – Eine Bestandsaufnahme 

20

A. Grundlagen und heutiges Begriffsverständnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 I. Grundprinzipien des gegenwärtigen Personenbegriffs . . . . . . . . . . . . . . 20 1. Definitionen und Zusammenhänge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2. Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3. Allgemeine und gleiche Rechtsfähigkeit vs. konkrete Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Die Qualität des heutigen Personen- und Rechtsfähigkeitsbegriffs . . . 25 1. „Mensch“ und „Person“ als natürliche oder juristisch-normative Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 a) Natürlich-biologische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 b) Juristisch-normative Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Der juristische Personen- und Rechtsfähigkeitsbegriff im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Abgrenzung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . 29 b) Materiell-ethische Internalisierung der Rechtsfähigkeit natür­ licher Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 c) Gesetzliche Normierung mit ethischer Vorgabe . . . . . . . . . . . . . . 34 B. Problemfelder und aktuelle Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 I. Grenzen und Grenzbereiche der Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Naturwissenschaftliche Grundlage unter juristisch-normativer Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Todeszeitpunkt und Todeskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Vom klinischen Tod zum Hirntodkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Der gespaltene Todesbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Problemfälle jenseits der gesetzlichen Rechtsfähigkeitsgrenzen . . . 51 a) Der Nasciturus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 aa) Sondervorschriften und deren analoge Anwendung . . . . . . . 51 bb) Formulierung einer allgemeinen Rechtsstellung des Nasciturus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

10 Inhaltsverzeichnis (1) Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (2) Teilrechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Das postmortale Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 II. Tendenzen in anderen wissenschaftlichen Disziplinen . . . . . . . . . . . . . 61 Kapitel 2

Problemverdichtung und Erklärungsansätze 

66

A. Kritische Beobachtungen zum herrschenden Modell . . . . . . . . . . . . . . . . 66 I. Ausstrahlungswirkung der Anerkennung von Teilrechtsfähigkeit . . . . . 66 II. Allgemeine und gleiche Rechtsfähigkeit des lebenden Menschen . . . . 67 B. Grundsätzliche Ausrichtung des Rechtsfähigkeitsbegriffs zwischen Werteorientierung und Rechtstechnik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 C. Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I. Herkunft des Personenbegriffs des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 II. Spezifizierung auf zwei Fragenkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Rechtsfähigkeit, Persönlichkeit, Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . 90 2. Rechtsfähigkeit und Persönlichkeitsrecht im heutigen Bewusstsein . 93 a) Zwei unabhängige Institute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Hinweise auf ein weitergehendes Persönlichkeitsrecht? . . . . . . . 95 3. Rechtsvergleichende Betrachtung (europäische Rechtsordnungen)  . 97 D. Ergebnis: Historisch angelegte Aporien in § 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Kapitel 3

Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person und Rechtsfähigkeit 

104

A. Friedrich Carl von Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I. Grundlagen in Savignys Rechts- und Personenbegriff . . . . . . . . . . . . . 105 1. Das Verhältnis von Sittlichkeit und Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Vertiefte metaphysische Betrachtungen und Gottesbezug . . . . . . . . . 107 II. Die Ablehnung eines Rechts an der eigenen Person . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Savignys Ausführungen im „System“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Bemerkungen von Klenzes zur Ersten Redaktion des § 52 (04. Dezember 1836) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 III. Person, Rechtssubjekt und Rechtsfähigkeit („System“, §§ 60 ff.) . . . . . 116 1. Grundsätze  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Grenzen der natürlichen Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3. Einschränkung der Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a) Drei Fälle verminderter Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

Inhaltsverzeichnis11 b) Dreifache capitis deminutio und Lehre vom status . . . . . . . . . . . 124 c) Anomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 d) Bedeutung des römischen Rechts für Savignys Rechtsfähigkeitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 4. Natürliche und juristische Person  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 IV. Entstehung und Untergang der Rechtsverhältnisse. Die Handlungs­ fähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 V. Weitere Schriften Savignys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Manuskripte zu Pandektenvorlesungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. „Stimmen für und wider neue Gesetzbücher“ (1816)  . . . . . . . . . . . 148 VI. Ergebnis: „Allgemeine Rechtsfähigkeit“ bei Savigny . . . . . . . . . . . . . . 150 B. Georg Friedrich Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 I. Grundlagen in Puchtas Rechts- und Personenbegriff . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Freiheit und Wille als Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Rechtliche Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Ethische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 II. Person, Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Grundbegriffe in Puchtas Personenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Das Personenrecht im System der Rechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Abstraktion als Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Persönlichkeit als kleinster gemeinsamer Nenner . . . . . . . . . . . . 164 b) Bedeutung des Gleichheitsprinzips in Puchtas Personenbegriff  . 166 c) Konsequenzen aus dem abstrakten Charakter der Person . . . . . . 168 aa) Erster Fall: Nichtmenschliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . 168 bb) Zweiter Fall: Rechtsfähigkeit und Willensunfähigkeit . . . . . 170 cc) Dritter Fall: Rechtsfähigkeit als allgemeine Rechtsregel ohne Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 III. Recht an der eigenen Person und Recht der Persönlichkeit . . . . . . . . . 175 1. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Persönlichkeit als Gegenstand von Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 a) Der Gegenstand des Rechts an der eigenen Person . . . . . . . . . . 179 b) Persönlichkeit als Grundelement im Systemaufbau . . . . . . . . . . . 180 3. Qualifikation der Persönlichkeit als Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Entwicklungsgeschichte als Streit um ein „Recht des Besitzes“ . 182 b) Stellungnahme Arndts („Recensionen. Cursus der Institutionen“, 1842) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 c) Stellungnahme Sintenis („Bemerkungen über Rechtssysteme“, 1844) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 d) Stellungnahme Unger („System des österreichischen allgemeinen Privatrechts. Band 1“, 1856) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 e) Stellungnahme Jhering („Rechtsschutz gegen injuriöse Rechtsverletzungen“, 1857) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 f) Zum Recht erhobene Rechtsfähigkeit oder inhaltliches Plus . . . 195

12 Inhaltsverzeichnis 4. Inhaltliche Ausgestaltung über Stufen der Rechtsfähigkeit . . . . . . . 198 a) Römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 aa) Lehre von libertas, civitas und familia . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 bb) Lehre von der capitis deminutio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Recht der Persönlichkeit nach geltendem Recht . . . . . . . . . . . . . 203 aa) Recht der Persönlichkeit überhaupt; Ehrenminderung . . . . . 203 bb) Recht der selbstständigen Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 205 c) Zeitgenössischer Einfluss des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . 208 aa) Auffälligkeiten in der Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 bb) Parallelenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 5. Puchtas Persönlichkeit und moderne Persönlichkeitsrechte . . . . . . . 213 6. Fortexistenz des Erblassers als juristische Person . . . . . . . . . . . . . . 220 IV. Ergebnis: Rechtsfähigkeit als Recht bei Puchta . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Kapitel 4

BGB und 20. Jahrhundert 

226

A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 I. Überblick zum Kodifikationsverlauf (1873–1900) . . . . . . . . . . . . . . . . 226 II. Auswertung der Materialien unmittelbar zu § 3 BGB-E I bzw. § 1 BGB. 227 1. Gesetzesmaterialien und die Redaktoren Gebhard und Planck . . . . 228 a) Qualität menschlicher Rechtsfähigkeit im Gesamtbild . . . . . . . . 228 b) Verhältnis von Rechtsfähigkeit, Person und Persönlichkeit . . . . 230 c) Allgemeinheit, Gleichheit und der Umgang mit Unterschei­dungs­ faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Kritik am Ersten Entwurf (1888–1890) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 a) „Person“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 b) Unzulänglichkeit der Gesetzesfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 c) Rechtsstellung des Nasciturus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 III. Auswertung der Materialien zu verwandten Normkomplexen . . . . . . . 244 1. Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Rechte und Rechtsgüter im Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Rechts- und Handlungsfähigkeit im Internationalen Privatrecht . . . 250 IV. Ergebnis: Das Rechtsfähigkeitsbild um 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jahrhundert . . . . . 256 I. Die Lehre Binders als Muster eines Gegenmodells . . . . . . . . . . . . . . . 256 1. „Das Problem der juristischen Persönlichkeit“ (1907) . . . . . . . . . . . 256 2. Rezension zu Stammler (1911) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 3. „Philosophie des Rechts“ (1925) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 4. Grundstruktur der Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 II. Kriterien und Schwerpunktsetzung im Rahmen der Neuausrichtung . . 265 1. Unmittelbare Bezugnahme auf die Figur der Handlungsfähigkeit . . 265

Inhaltsverzeichnis13 a) Hölder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 b) Hanke  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 c) Fabricius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 2. Element des „Könnens“ im weiteren Sinne (Husserl) . . . . . . . . . . . 273 3. Abkehr von einem abstrakten Rechtsfähigkeits- und Personen­ begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 a) Fabricius (nachfolgend Heinze, Gitter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 b) John . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 c) Pawlowski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 4. Differenzierungen zwischen Rechtssubjekt und Rechtsperson . . . . . 284 5. Rechtsfähigkeit aus übergeordnetem Persönlichkeitsrecht (Leuze)   . 285 6. Demontage allgemeiner Rechtsfähigkeit im Nationalsozialismus . . 287 a) Larenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 b) Michaelis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 c) Stellung des NS-Personenbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 III. Ergebnis: Relativierung und Flexibilisierung von Rechtsfähigkeit . . . . 295 Kapitel 5

Eigene Perspektiven 

297

A. Erkenntnisse aus der historischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 B. Entwicklung der Eckpunkte eines eigenen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 I. Werte- und Ordnungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 II. Inhaltliche Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 1. Angeborene Rechte und Rechtsgüter (Wertebereich) . . . . . . . . . . . . 301 a) Lebensgüter als Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 b) Allgemeines Persönlichkeitsrecht als angeborenes Recht . . . . . . 302 2. Subjektive Rechte und Pflichten (Ordnungsbereich) . . . . . . . . . . . . 304 3. „Rechtsfähigkeit“ (Werte- und Ordnungsbereich) . . . . . . . . . . . . . . . 305 a) Eigenschaft oder Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 b) Rechtsgutsfähigkeit (Wertebereich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 c) Rechtserwerbsfähigkeit und Rechtsträgerschaft (Ordnungs­bereich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 III. Fallgruppen und Ertrag des vorgeschlagenen Modells . . . . . . . . . . . . . 310 IV. Terminologie und Auswirkungen auf § 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Quellen- und Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Personen- und Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

Einleitung Die allgemeine Rechtsfähigkeit natürlicher Personen ist ein in der bestehenden deutschen Rechtsordnung fest verankertes Prinzip und ein Kulturgut modernen Rechtsdenkens. Sowohl die Begriffsbestimmung als auch die dogmatische Einordnung von Rechtsfähigkeit und Personenstatus, vor allem in Abgrenzung zur Geschäftsfähigkeit und zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, scheinen geklärt zu sein.1 Gleiches gilt für deren universelle Geltung: Dass die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, allen Menschen in gleicher Weise kraft ihres Menschseins zukommt und jedermann damit Rechtsperson ist, ist nach heutigem Verständnis alternativlos. Zeiten, in denen das Personsein vom Bestand bestimmter genetischer, sozialer, geistiger Bedingungen abhängig gemacht wurde und Menschen rechtlose Objekte sein konnten, wirken wie jenseits jeder aufgeklärten Rechts- und Gesellschaftsordnung.2 Nichtsdestotrotz bleibt es bei Unstimmigkeiten im dogmatischen System des BGB. Erwartungsgemäß weisen insbesondere medizinische Fortschritte in den Grenzbereichen menschlichen Lebens auf noch offene Fragen hin und lassen diese dringender und zugleich komplizierter werden. Dies betrifft konkret die Rechtsstellung des Nasciturus bzw. die Vorstellung von beschränkter Rechtsfähigkeit und Teilrechtsfähigkeit, ferner die Konstruk­ tion eines postmortalen Persönlichkeitsrechts für einen Zeitraum, in dem ein rechtsfähiges Subjekt nicht mehr existiert. Geht es in diesen Fällen mehr um eine Ausweitung der Rechtsfähigkeit, sind daneben auch beschränkende Tendenzen erkennbar. Sie setzen hauptsächlich bei Fragen des Sterbeprozesses an, ob beispielsweise irreversibel Komatöse noch Personen sein können bzw. sollen. Zwar wird eine solche Diskussion überwiegend im Bereich der Bioethik und des philosophischen Utilitarismus geführt, eine zunehmende Thematisierung auch in der Rechtswissenschaft kann je-

1  Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, § 1 Rn. 1 ff.; MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 6, 8 f.; Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, § 1 Rn. 1; Palandt/ Ellenberger, 73. Aufl., Überblick v. § 1 Rn. 3. 2  Der letzte Sklavenprozess in Deutschland fand allerdings noch 1854 statt. Ein von einem Deutschen in Brasilien gekaufter und nach Preußen verbrachter Sklave klagte erfolgreich seine Freiheit ein, vgl. Stammler, S. 265 ff. Unabhängig davon blieb Haussklaverei in den deutschen „Schutzgebieten“ erhalten.

16 Einleitung

doch nicht ausgeschlossen werden.3 Insgesamt gerät die bisherige Konstante „Mensch“ in Verunsicherung. Im Kern laufen sämtliche Problemkonstellationen auf die Überlegung hinaus, ob an der Identität von Mensch und Person festgehalten werden soll oder ob eine Aufspaltung denkbar und zulässig ist. Eine Trennung und eine grundsätzliche Unabhängigkeit beider Begriffe würden u. U. neue Lösungswege für die bestehenden dogmatischen Widersprüche eröffnen. Die eventuellen Konsequenzen einer solchen Aufspaltung, insbesondere die Annahme eines Menschseins auch ohne Personenqualität, könnten allerdings eine Vorstellung berühren, welche seit Kant zumindest theoretisch überwunden und spätestens im 20. Jahrhundert zu einem Tabu wurde.4 Unter diesem Gesichtspunkt ist zweifelhaft, ob eine Lösung der genannten Problemfälle einerseits ohne, andererseits gerade mit Beschreiten neuer dogmatischer Wege möglich ist. Dies gibt Anlass, unser heutiges Verständnis von Person und allgemeiner Rechtsfähigkeit generell zu untersuchen und vor dem Hintergrund dogmengeschichtlicher Entwicklung dessen Umsetzung im System des BGB kritisch zu würdigen. Im Mittelpunkt steht der ethische Personenbegriff des BGB, so wie er um 1900 durch bzw. im Zusammenhang mit der Regelung der Rechtsfähigkeit nach § 1 BGB auftritt. Der Begriff ist in zweifacher Hinsicht weit gefasst. Zum einen werden in ihm ethische und dogmatische Fragen miteinander verbunden. Zum anderen zeichnet er sich durch einen hoch abstrakten Zuschnitt aus. Insbesondere in Abgrenzung zur Handlungsfähigkeit mag eine „allgemeine Rechtsfähigkeit“ die Frage provozieren: Was nützt das bloß Abstrakte? Wie aussagekräftig und für den Einzelnen wirkungsmächtig ist eine prinzipielle, theoretische, allgemeine, potentielle Rechtsposition? Angesichts dieser bereits im Grundsatz angelegten Wesenszüge, oder gar Aporien, stellt sich die Frage nach der Herkunft des ethischen Personenbegriffs, insbesondere ob er auf einer historischen Traditionslinie basiert, die die damalige Konzeption des BGB vorzeichnete und so gesehen alternativlos machte. Wahrscheinlicher ist es, ihn auf uneinheitliche Lehren bzw. Begriffe des 19. Jahrhunderts zurückführen zu müssen. In diesem Fall wäre in die Betrachtung zu § 1 BGB stets die Möglichkeit einzubeziehen, dass die Kodifikation stellenweise auf Missverständnissen beruht oder dogmatische Unstimmigkeiten sogar bewusst ignoriert wurden. Insofern liegt zugleich die Folgeüberlegung nahe, wohin sich der ethische Personenbegriff im 20. Jahrhundert entwickelte und welche Alternativen sich zu ihm anbieten. 3  Höfling, in: FS Schiedermair, S. 363 (364 f.); Damm, AcP 202 (2002), 841 (872, 877). 4  HKK-BGB/Duve, Bd. I, §§ 1–14 Rn. 17, 25; Rüthers, Auslegung, 326 f.

Einleitung17

Zur allgemeinen Rechtsfähigkeit besteht ein breiter rechtshistorischer Forschungsstand5, zuletzt ergänzt durch eine detaillierte Zusammenstellung der real-gesetzlichen Umsetzung des Prinzips im 19. und 20. Jahrhundert von Roth6. Vergleichsweise gering ist hierbei die Berücksichtigung der Kodifikationsphase; der Schwerpunkt wird regelmäßig auf die Behandlung der vorausgehenden Epochen gelegt. Gleiches gilt für die Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.7 Dem umfassenden Themenkreis von „Person und Rechtsperson“ wurde zudem die fünfte Tagung des Arbeitskreises Ideengeschichte der Rechtsphilosophie (2009) gewidmet.8 Gegenstand zahlreicher Untersuchungen ist ferner die Rechtsstellung des Nasciturus.9 Eingehend beschäftigt sich zuletzt Mahr mit dieser Thematik unter rechtsvergleichenden sowie rechtshistorischen Gesichtspunkten.10 Überwiegend wird dabei von dem bestehenden dogmatischen Verständnis von allgemeiner Rechtsfähigkeit, Mensch und Person ausgegangen, ohne dieses grundlegend in Frage zu stellen. In der vorliegenden Arbeit werden daher zum einen die Kodifikationsmaterialien selbst ausführlich analysiert. Zum anderen wird die Untersuchung vorausgehender und nachfolgender Modelle wiederholt auf einen Vergleich mit dem ursprünglichen Rechtsfähigkeits- und Personenbild des BGB (Einflussnahme, Weiterentwicklung, Abkehr) ausgerichtet. Ziel ist es zudem, die 5  Statt

vieler HKK-BGB/Duve, Bd. I, §§ 1–14 m. w. N. Ausgestaltungen der Rechtsfähigkeit im 19. und 20. Jahrhundert. Zur Rechtspersönlichkeit natürlicher Personen in den bedeutenden deutschen Zivilrechtsordnungen, 2008. 7  Insbesondere zur älteren Literatur siehe Irmscher, Der privatrechtliche Schutz der Persönlichkeit in der Praxis des gemeinen und der partikularen Rechte des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Frage der geschichtlichen Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes nach bürgerlichem Recht unter Ausschluss der in Nebengesetzen geregelten Materie, 1953; Leuze, Die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts im 19. Jahrhundert – zugleich ein Beitrag zum Verhältnis allgem. Persönlichkeitsrecht – Rechtsfähigkeit, 1962; Hamprecht, Persönlichkeitsrecht im 19. Jahrhundert, 1965; Klippel, ZNR 1982, 132 ff.; in neuerer Zeit siehe Martin, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner historischen Entwicklung, 2007. 8  Die Tagung fand statt vom 25. bis 27. September 2009. Die Veröffentlichung des gleichnamigen Tagungsbandes (Gröschner/Kirste/Lembcke, Person und Rechtsperson) erfolgte nach Einreichung der vorliegenden Dissertation, in deren Druckfassung die Tagungsbeiträge sodann berücksichtigt wurden. 9  U. a. Hofmann, Das Lebensrecht des Nasciturus. Zivilrechtliche Aspekte der Abtreibung, 1992; Lanz-Zumstein, Die Rechtsstellung des unbefruchteten und befruchteten menschlichen Keimguts. Ein Beitrag zu zivilrechtlichen Fragen im Bereich der Reproduktions- und Gentechnologie, 1900; Wolf, E./Naujoks, Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit des Menschen, 1955; Deynet, Die Rechtsstellung des nasciturus und der noch nicht erzeugten Person im deutschen, französischen, englischen und schottischen bürgerlichen Recht, 1960. 10  Mahr, Der Beginn der Rechtsfähigkeit und die zivilrechtliche Stellung des ungeborenen Lebens. Eine rechtsvergleichende Betrachtung, 2007. 6  Roth,

18 Einleitung

gewonnenen Erkenntnisse über eine rechtshistorische Darstellung hinaus zu nutzen und, ausgehend von den heutigen dogmatischen Problemfällen um Rechtsfähigkeit und Person, jene Dogmatik des BGB selbst auf den Prüfstand zu stellen. Entsprechend gestaltet sich der Gang der Untersuchung. Im ersten Teil der Arbeit werden in einer Art Bestandsaufnahme und Sensibilisierung die Grundlagen des heutigen Begriffsverständnisses zu Mensch, Person, Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit dargestellt sowie in einem zweiten Schritt die angesprochenen Problemfelder abgesteckt (Kapitel 1). Aus diesen Problemfeldern werden kritische Ansatzpunkte zum Personen- und Rechtsfähigkeitsbegriff des BGB insgesamt abgeleitet und auf inhaltliche wie methodische Aporien konzentriert (Kapitel 2). Im Wesentlichen betrifft dies die genannte Verbindung ethischer und dogmatischer Fragen sowie die abstrakte Weite des Begriffszuschnitts. Zu Thesen zusammengefasst ergeben sie die Orientierungspunkte für die nachfolgende historische Untersuchung mit der Frage, wie die Personenmodelle vorangehender Autoren in dieser Hinsicht gestaltet waren. Im Einzelnen werden die Systeme von Savigny (Kapitel 3, A.) und Puchta (Kapitel 3, B.) auf das Verhältnis von Recht und Moral, auf nichtjuristische Einflüsse in deren Personen- und Rechtsfähigkeitsbegriffen sowie auf die von ihnen vorgenommene inhaltliche Ausgestaltung jener Begriffe („Beschränkungen der Rechtsfähigkeit“) untersucht. Die Betrachtung der Kodifikationsmaterialien umfasst sowohl solche zu § 1 BGB direkt als auch solche zu verwandten Normkomplexen (Kapitel 4, A.). Im Anschluss erfolgt eine Analyse nennenswerter Gegenmodelle zur BGB-Dogmatik, die insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Blick auf die Abgrenzung von Rechts- und Handlungsfähigkeit entwickelt wurden (Kapitel 4, B.). Die Arbeit schließt mit einer Schlussbetrachtung, in welcher aus den wesentlichen Erkenntnissen und Anregungen der historischen Untersuchung die Eckpunkte eines eigenen Modells entwickelt werden (Kapitel 5). Die Bearbeitung unterliegt in zweifacher Hinsicht einer inhaltlichen Einschränkung, auf die an dieser Stelle hingewiesen wird. Untersucht wird die Bedeutung des Personenstatus und der Rechtsfähigkeit natürlicher Personen (§ 1 BGB). Juristische Personen und deren Rechtsfähigkeit werden daher weitgehend ausgeklammert bzw. nur insofern in den Blick genommen, wie eine Gegenüberstellung mit natürlichen Personen hilfreich ist und sich Erkenntnisse aus den Unterschieden und Gemeinsamkeiten erwarten lassen. Des Weiteren hat der Begriff der Person je nach Kontext verschiedene Bedeutungen. Einerseits wird er in der Alltagssprache in der Regel unreflektiert verwendet als Mensch im Sinne von jemand. Andererseits existieren in anderen wissenschaftlichen Disziplinen wie Philosophie, Psychologie, Theologie, Biologie und Medizin ebenfalls Personenbegriffe mit spezifischem

Einleitung19

Aussagegehalt. Diese anderweitigen Verwendungsweisen sind vom juristischen Personenbegriff zu trennen und bleiben daher grundsätzlich außer Betracht. Auf sie wird nur vereinzelt Bezug genommen, sofern sie für den juristischen Personenbegriff von Relevanz sind und diesen beeinflussen. Dies ist im Rahmen der historischen Untersuchung der Fall, wenn eine Trennung von Rechtswissenschaft und anderen Disziplinen für die Vergangenheit nicht möglich ist, und betrifft insbesondere die Behandlung der aktuellen Tendenzen, welche sich bislang hauptsächlich auf außerjuristischem Gebiet bewegen.

Kapitel 1

Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion – Eine Bestandsaufnahme A. Grundlagen und heutiges Begriffsverständnis Ausgangspunkt der Untersuchungen ist das bestehende dogmatische System des BGB und das heute herrschende Begriffsverständnis von Person und Rechtsfähigkeit. Die folgenden Ausführungen skizzieren die Prinzipien, die in ihren Grundzügen weitgehend unbestritten sind, im Detail bzw. in der Art ihrer Umsetzung allerdings Spielraum und damit Anknüpfungspunkte für Probleme bieten. Sie sind sowohl bei der Behandlung aktueller Streitfragen als auch bei einer historischen Untersuchung als Orientierungs- und Vergleichswerte heranzuziehen. Alternative Überlegungen und Modelle sind an ihnen zu messen.

I. Grundprinzipien des gegenwärtigen Personenbegriffs 1. Definitionen und Zusammenhänge Nach heute herrschender Definition sind Personen Wesen, die Rechtsfähigkeit besitzen.1 Rechtsfähigkeit wiederum ist die Fähigkeit, Träger, d. h. Subjekt von Rechten und Pflichten zu sein.2 Die Begriffe der Person, der Rechtsfähigkeit, der Rechtssubjektivität und der Rechtspersönlichkeit werden im juristischen Sprachgebrauch weitgehend synonym verwendet.3 Un1  Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, Vor § 1 Rn. 3; Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, Vor § 1 Rn. 1. 2  MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 6; Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, § 1 Rn. 1; Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, § 1 Rn. 1; Enneccerus/ Nipperdey, S. 477; Köhler, § 20 Rn. 2; Musielak, Rn. 283; Lehmann, AcP 207 (2007), 225 (226); Palandt/Ellenberger, 73. Aufl., Überblick v. § 1 Rn. 1. 3  Vgl. hierzu Creutzfeldt, S. 8 ff. mit einer kritischen und im Ergebnis ablehnenden Bewertung der herrschenden Lehre, die sich mit „gegenseitige[n], nichtssagende[n] Zitate[n]“ (S. 8) und „Zirkelschlüssen ohne jeden Beweiswert“ (S. 8) und ohne argumentative Belegung begnüge. Creutzfeldt selbst unterzieht die herrschende dualistische Lehre und den NC der rechtsfähigen Einheiten/Rechtssubjekte (Rechtssubjek-



A. Grundlagen und heutiges Begriffsverständnis 21

abhängig von Unterschieden in Herkunft, Alter, Geschlecht, körperlichen und geistigen Eigenschaften ist jeder Mensch ab Vollendung seiner Geburt (§ 1 BGB) bis zu seinem Tod rechtsfähig und Rechtsperson.4 Es ergibt sich damit ein Dreiklang von Mensch, natürlicher Person und Rechtsfähigkeit in Form gegenseitiger Wechselwirkung. Dieser wird bereits aus der Gesetzessystematik des ersten Buchs des BGB (Allgemeiner Teil) ersichtlich: Abschnitt 1 trägt den Titel „Personen“ und gliedert sich in Titel 1 über „Natürliche Personen, Verbraucher, Unternehmer“ und Titel 2 über „Juristische Personen“. Im Rahmen der natürlichen Personen spricht § 1 BGB wiederum die „Rechtsfähigkeit des Menschen“ an. § 1 BGB schreibt diesen Zusammenhang nicht fest, sondern setzt die genannten Definitionen voraus5 und beschränkt sich auf eine Festlegung des Beginns der Rechtsfähigkeit mit Vollendung der Geburt.6 2. Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit Für die Vollendung der Geburt im Sinne des § 1 BGB ist nach herrschender Ansicht die Trennung vom Mutterleib maßgeblich. Eine Abnabelung ist nicht erforderlich.7 Da nur der lebend Geborene rechtsfähig ist, muss der Säugling nach erfolgter Geburt Äußerungen von Lebenstätigkeit von sich geben.8 Insofern gibt § 31 PStV Hinweise, wann eine Lebendgeburt vorliegt (Herzschlag, Pulsieren der Nabelschnur, natürliche Lungenatmung), ohne abschließend zu wirken. Anderweitige Lebenszeichen, wie der Nachweis von Hirnströmen oder Muskelbewegungen, sind ebenfalls ausreichend.9 Eine Vermutung für eine Lebendgeburt besteht allerdings nicht.10 te sind entweder natürliche oder juristische Personen) einer kritischen Untersuchung. Im Ergebnis vertritt er eine Trennung und Entkopplung von Person einerseits und Rechtsfähigkeit/Rechtssubjektivität andererseits. 4  Staudinger/Kannowski, BGB 1.  Buch, 2013, § 1 Rn. 1; Palandt/Ellenberger, 73. Aufl., Überblick v. § 1 Rn. 1. 5  Planck, S. 50 f.; MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 1, 6. 6  Im Gegensatz hierzu beginnt der strafrechtliche Schutz der §§ 211 ff., 223 ff. StGB (in Abgrenzung zu § 218 StGB) bereits mit Beginn der Geburt (Eröffnungswehen), siehe RGSt 1, 146; Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. zu §§ 211 ff. Rn. 13. 7  Mot. I, S. 28; MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 15; Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, § 1 Rn. 5; Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, § 1 Rn. 10. 8  Mot. I, S. 28; Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 375 f.; Palandt/Ellenberger, 73. Aufl., § 1 Rn. 2. 9  MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 16; Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, § 1 Rn. 7; Erman/Saenger, BGB I, 13. Aufl., § 1 Rn. 1; Palandt/Ellenberger, 73. Aufl., § 1 Rn. 2. 10  § 54 I PStG, wonach die Eintragung im Geburtenregister die Tatsache einer Lebendgeburt beweist, führt lediglich zu einer Umkehr der Beweislast, siehe Mot. I,

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

Bei Schaffung des § 1 BGB wurde davon Abstand genommen, über die Lebendgeburt hinausgehende Voraussetzungen für den Beginn der Rechtsfähigkeit aufzustellen. Insbesondere muss der lebend geborene Säugling keine weiterreichende Lebensfähigkeit aufweisen, beispielsweise einen vorgeschriebenen Zeitraum nach Vollendung der Geburt selbstständig fortleben.11 Ebenso ist die Forderung nach einem gewissen Maß an menschlicher Form und Gestalt entfallen. Mittels dieser konnten zuvor in Fällen schwerer Missbildung die menschliche Eigenschaft oder zumindest die Rechtsfähigkeit versagt werden, indem ein Neugeborenes ohne entsprechende figura humana als rechtsunfähiges Monstrum kategorisiert wurde.12 Nunmehr gilt nach deutschem Recht jedes Wesen, das vom Menschen gezeugt und geboren wird, als menschlich und als solches mit Vollendung der Geburt ausnahmslos als rechtsfähig.13 Im Unterschied hierzu forderte Art. 30 Código Civil a. F. (span.) noch bis 2011 eine figura humana des Säuglings und ein 24-stündiges Überleben nach der Trennung vom Mutterleib für dessen Rechtsfähigkeit.14 In ähnlicher Weise knüpft Art. 725 Code Civil (frz.) die Fähigkeit, Erbe zu werden, an die Lebensfähigkeit des lebendig Geborenen (naître viable) und stellt hierfür u. a. auf die bonne conformation (gute Bildung) ab.15 Die Rechtsfähigkeit des Menschen endet mit seinem Tod.16 Eine ausdrückliche gesetzliche Festschreibung dessen, vergleichbar § 1 BGB, existiert nicht. Erkennbar ist dies jedoch aus § 1922 I BGB.17 Bei der KodifiS. 28; Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 375; Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, § 1 Rn. 7. 11  Mot. I, S. 28; Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 377 ff.; Palandt/ Ellenberger, 73. Aufl., § 1 Rn. 2. 12  Preuß. ALR I 1 § 17; Bayr. LR I 3 § 2 Nr. 5; Sächs. GB § 33. 13  Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, § 1 Rn. 9; Palandt/Ellenberger, 73. Aufl., § 1 Rn. 2; Mot. I, S. 29 lässt allerdings noch nicht genau erkennen, ob das „Monstrum“ insgesamt als biologische Kategorie neben dem Menschen abgelehnt wird oder ob es lediglich keine die Rechtsfähigkeit bestimmende Rolle mehr spielen soll. 14  Art. 30 CC a. F.: „Hinsichtlich der bürgerlichrechtlichen Folgen wird nur die Leibesfrucht als geboren angesehen, die eine menschliche Gestalt aufweist und vierundzwanzig Stunden vollständig vom Mutterleib getrennt lebt.“; Art. 30 CC n. F.: „Die Rechtsfähigkeit wird zum Zeitpunkt der Lebendgeburt erworben, sobald die vollständige Trennung vom Mutterleib vollzogen ist.“, BOE Nr. 175/2011, in Kraft seit 22. Juli 2011. 15  Ausführlich hierzu Mahr, S.  227 ff. 16  Mot. I, S. 28; MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 18; Staudinger/Marotzke, BGB 5. Buch, 2008, § 1922 Rn. 1; Palandt/Ellenberger, 73. Aufl., § 1 Rn. 3. 17  Der Todesfall als der Augenblick, in dem der Mensch als Träger von Vermögenswerten ausscheidet und diese entsprechend auf andere Personen übergehen, so auch Wolf, M./Neuner, AT, 10. Aufl., § 11 Rn. 8.



A. Grundlagen und heutiges Begriffsverständnis 23

kation des BGB war der Beendigungszeitpunkt unbestritten und galt als medizinisch problemlos handhabbar. Auf nähere Ausführungen zum Todesbegriff bzw. auf seine Erwähnung als Beendigungstatbestand der Rechtsfähigkeit überhaupt wurde daher verzichtet.18 Angesichts des medizinischen Fortschritts und der hierdurch bedingten Varianten des Sterbeprozesses stellt sich jedoch mittlerweile die Frage nach dem richtigen oder zumindest maßgeblichen Todeskriterium. Die verschiedenen Möglichkeiten ergeben sich bereits in rein naturwissenschaftlicher Hinsicht: Stillstand des Atem- und Kreislaufsystems, Herztod, Hirntod oder eine Kombination aus diesen Möglichkeiten.19 Hinzu tritt die Überlegung, die juristische Begriffsbestimmung des Todes – wenn er in seiner Funktion als Ende der Rechtsfähigkeit in den Blick genommen werden soll – ohnehin gesondert vorzunehmen und hierbei mehr normativ-funktional vorzugehen.20 Dies liefe letztlich auf einen rechtlichen Todesbegriff hinaus, der sich u. U. von medizinischen Schwierigkeiten bei der Festlegung des Todeszeitpunktes lösen könnte. Was über die rudimentären Grundannahmen zu Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit hinausgeht, erweist sich damit bereits als problembehaftet und im Einzelnen umstritten. 3. Allgemeine und gleiche Rechtsfähigkeit vs. konkrete Rechte und Pflichten Die Rechtsfähigkeit im Sinne des § 1 BGB wird als allgemeine Rechtsfähigkeit bezeichnet. Regelmäßig ist dies mit dem Hinweis verbunden, sie allein treffe noch keine Aussage über das Innehaben bzw. den Erwerb konkreter Rechte und Pflichten.21 Die Dogmatik der deutschen Rechtsordnung trennt in dieser Hinsicht strikt: einerseits die allgemeine Rechtsfähigkeit als die abstrakte Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten überhaupt (d. h. von grundsätzlich allen Rechten und Pflichten) sein zu können; andererseits 18  Mugdan, Materialien zum BGB Bd. 1, S. 571 (Protokolle zum AT, S. 8331, 2. Lesung) mit dem Antrag auf Streichung der Worte „und endigt mit dem Tode“, weil: „Der Satz ist nicht zu dem Zwecke aufgenommen, irrigen Auffassungen entgegenzutreten, sondern er soll lediglich den Übergang zu den Vorschriften über die Todeserklärung bilden.“ 19  Erman/Saenger, BGB  I, 13.  Aufl., §  1 Rn.  5; Erman/Schlüter, BGB II, 13. Aufl., § 1922 Rn. 2; Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, § 1 Rn. 12; Köhler, § 20 Rn. 4; Palandt/Ellenberger, 73. Aufl., § 1 Rn. 3; nähere Ausführungen unter Kapitel 1, B. I. 2. 20  Erman/Westermann, BGB I, 10. Aufl., § 1 Rn. 5; Medicus, BGB AT, Rn. 1052; Saerbeck, S.  140 f., 149 f. 21  Erman/Saenger, BGB I, 13. Aufl., Vor § 1 Rn. 2; Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, Vor § 1 Rn. 6, § 1 Rn. 1 f.; Westermann, H., Person und Persönlichkeit, S. 12; Lübtow, in: FS Wolf, S. 421 (443 f.).

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

die tatsächliche Trägerschaft von Rechten und Pflichten im Einzelfall, z. B. die Berechtigung oder Verpflichtung aus einem konkreten Kaufvertrag (§ 433 I, II BGB), der Schadensersatzanspruch eines Unfallopfers (§ 823 I BGB; § 823 II BGB i. V. m. §§ 223, 229 StGB) oder die Rechte des Eigentümers an einer erworbenen Sache (§ 903 S. 1 BGB). Vor diesem Hintergrund ist der Anwendungsradius des Gleichheitssatzes entscheidend. Er soll allein für die Rechtsfähigkeit allgemeiner Art gelten: „Alle Menschen sind in gleicher Weise rechtsfähig.“ Dagegen müssen nicht alle Menschen tatsächlich Träger derselben oder gleich vieler Rechte und Pflichten sein.22 Einschränkende Voraussetzungen bezüglich des Erwerbs bzw. des Eingehens konkreter Rechte und Pflichten werden dementsprechend als unproblematisch angesehen.23 Die allgemeine Rechtsfähigkeit wird erweitert zu besonderen Ausprägungen, die regelmäßig als eigenständige Figuren betrachtet werden. Eine solche Form der „Verdichtung“ und Verselbstständigung tritt in erster Linie unter dem Aspekt der Handlungsfähigkeit auf. Definiert als Fähigkeit, durch eigenes Verhalten Rechtswirkungen hervorzubringen24, wird sie untergliedert in die Delikts- und Geschäftsfähigkeit25 und nach heute herrschender Ansicht scharf von der allgemeinen Rechtsfähigkeit getrennt.26 Einem Geschäftsunfähigen oder einem beschränkt Geschäftsfähigen ist es zwar nicht möglich, durch eigene rechtsgeschäftliche Handlung Rechte und Pflichten zu erwerben bzw. einzugehen. Geschieht dies aber unter Einschaltung eines Stellvertreters, wird der Geschäftsunfähige / beschränkt Geschäftsfähige Träger der Rechte und Pflichten in eigener Person, da er trotz allem allgemein rechtsfähig ist. Gleiches gilt für die Testierfähigkeit gemäß § 2229 BGB, die als Unterfall der Geschäftsfähigkeit für den Bereich der Testamentserrichtung eine zusätzliche, noch speziellere Anforderung aufstellt.27 Die Diffe22  Etwas anderes mag bezüglich eines eventuellen Minimalbestandes an Rechtsgütern (in der Art von § 823 I BGB) gelten. Inwiefern eine Differenzierung zwischen Rechten und Rechtsgütern gerade mit Blick auf Verständnis und Verwendung des Rechtsfähigkeitsbegriffes vorgenommen werden kann, wird Gegenstand näherer Untersuchung sein. 23  Larenz/Wolf, M., AT, 8. Aufl., § 5 Rn. 8; Westermann, H., Person und Persönlichkeit, S. 12; Coing, in: Wolf, Beiträge zur Rechtsforschung, S. 191 (192 f.); Palandt/Ellenberger, 73. Aufl., Überblick v. § 1 Rn. 1. 24  MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 8; Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, § 1 Rn. 2; Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, Vor § 1 Rn. 13; Enneccerus/Nipperdey, S. 477; Bork, Rn. 155. 25  Rüthers/Stadler, § 14 Rn. 2; Brox/Walker, Rn. 704; Köhler, § 20 Rn. 6. 26  MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 8; Brox/Walker, Rn. 704; Larenz/ Wolf, M., AT, 9. Aufl., § 5 Rn. 4; Lehmann, AcP 207 (2007), 225 (226); Palandt/ Ellenberger, 73. Aufl., Überblick v. § 1 Rn. 3. 27  Palandt/Weidlich, 73. Aufl., § 2229 Rn. 1.



A. Grundlagen und heutiges Begriffsverständnis 25

renzierung lässt sich noch detaillierter auf Tatbestandsvoraussetzungen insgesamt übertragen.28 Der persönliche Anwendungsbereich der Verbraucherwiderrufsrechte ist allein für Verbraucher eröffnet; Pflichtteilsberechtigte sind gemäß § 2303 I S. 1, II S. 1 BGB nur Abkömmlinge, Eltern und Ehegatten des Erblassers; für ein Pfandrecht im Sinne der §§ 562 ff. BGB muss man Vermieter, für einen Finderlohnanspruch aus § 971 BGB Finder sein. In all diesen Fällen erwirbt derjenige, der die Voraussetzungen nicht erfüllt, die konkreten Rechte nicht. Auf seine grundsätzliche Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, hat dies keinen Einfluss. Vereinfacht kann diese Dogmatik als zweistufiges System verstanden werden, das die allgemeine Rechtsfähigkeit als abstrakte Grundlage, als „kleinsten gemeinsamen Nenner“, annimmt und den Erwerb und das Innehaben konkreter Rechte und Pflichten auf zweiter Ebene behandelt. Die meisten Darstellungen zeichnen die Trennlinie zwischen beiden Ebenen jedoch nicht in solcher Strenge nach. In den seltensten Fällen werden sämtliche die konkreten Rechtspositionen betreffenden Fragen (angefangen bei der Handlungsfähigkeit bis hin zu den einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen) zusammengefasst und mit ausdrücklichem Hinweis von der Rechtsfähigkeit abgetrennt. Einigkeit besteht allerdings über den Grundgedanken, dass aus einer allgemeinen Rechtsfähigkeit allein keine konkreten Rechte und Pflichten resultieren und insoweit zumindest gedanklich zu differenzieren ist.

II. Die Qualität des heutigen Personen- und Rechtsfähigkeitsbegriffs Die genannten Grundsätze zu Person und Rechtsfähigkeit weisen in die Richtung einer scharf juristischen Begriffsqualität. Person zu sein heißt, Rechtsfähigkeit zu haben, und wirkt damit primär im formellen Sinne. Es bezeichnet die Trägerschaft von Rechten und Pflichten bzw. die grundsätzliche Fähigkeit dazu, bietet dadurch ein Zuordnungskriterium und bestimmt ein Berechtigungs- bzw. Haftungssubjekt. Dies hat wenig mit Pathos zu tun, kennzeichnet vielmehr ein rein juristisches Handwerkszeug, dessen Aussagewert über die formelle Ordnungsfunktion nicht hinauszugehen scheint. Insofern könnte Person als juristischer Begriff und in diesem Sinne als bloßes Pendant zum biologisch konnotierten Begriff des Menschen gewertet werden.29 28  Larenz/Wolf,

M., AT, 8. Aufl., § 5 Rn. 8. Diskussionsbeitrag im Anhang zu Westermann, H., Person und Persönlichkeit, S. 36 (36). 29  Peters,

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

1. „Mensch“ und „Person“ als natürliche oder juristisch-normative Begriffe An erster Stelle steht die Frage, ob sich die Begriffe des Menschen und der Person tatsächlich in eine pauschale Gegenüberstellung von biologisch einerseits und juristisch-normativ andererseits bringen lassen. Ist mit Mensch stets nur das biologische Lebewesen als körperliches Substrat gemeint? Und wird Person ausschließlich oder überwiegend im Kontext der Rechtsfähigkeit verwendet, sodass aus jener Verbindung – genauer: erst aus der Rechtsfähigkeit – der primäre Sinngehalt der Person als Anknüpfungspunkt von Rechtspositionen resultieren würde? Die Begriffsverwendung in den Einzelnormen des BGB kann diesbezüglich erste Hinweise liefern.30 a) Natürlich-biologische Interpretation Der Begriff „Mensch“ findet nur selten Gebrauch im BGB, lediglich in § 1 BGB (Rechtsfähigkeit des Menschen), § 578 II BGB (Räume zum Aufenthalt von Menschen) sowie §§ 833, 836 BGB (Tötung bzw. Körperverletzung eines Menschen). Bereits in § 1 BGB könnte eine deutliche Trennung von biologischer und juristischer Komponente vermutet werden, indem einerseits vom natürlichen Menschen, andererseits von der Rechtsfähigkeit gesprochen wird. Allerdings ist es ebenso möglich, dem dortigen Begriff des Menschen eine rechtstechnische Wertung zu geben. In diesem Fall hätte § 1 BGB zur Aussage, dass mit Vollendung der Geburt der rechtlich relevante, juristische Mensch – der mit dem biologischen Lebewesen übereinstimmen könnte, aber denktheoretisch nicht müsste – in seiner Rechtsfähigkeit entsteht. Tatsächlich ist ein Fall, in dem biologischer Mensch und juristischer Mensch auseinanderfallen würden, nur schwer zu bilden, wenn gleichzeitig die Rechtsfähigkeit mit Geburt beginnen soll. Denn dadurch werden die Anforderungen auch an den juristischen Menschen bereits im Grundsatz gering gehalten. So könnten es beispielsweise keine kognitiven Fähigkeiten oder eine gewisse Lebensdauer 30  Vgl. Creutzfeldt, S. 11 ff. mit einer ähnlichen Untersuchung zur Begriffsverwendung von Person und Persönlichkeit im heutigen juristischen Sprachgebrauch der Literatur (Doppelsinnigkeit von Person und Persönlichkeit; sowohl außerrechtliche als auch spezifisch-rechtliche Begriffe); Zu beachten ist, dass es sich bei der Einteilung in biologische und rechtstechnische Sinnrichtungen um eine Grob-Kategorisierung handelt, die in den seltensten Fällen in Reinform vorliegen wird. Es handelt sich um die beiden grundsätzlichen Fallgruppen, die zunächst einen Überblick über den schwerpunktmäßigen Gebrauch der Ausdrücke ermöglichen sollen. Eine Zuteilung mehrdeutiger Mensch- und Personenbegriffe erfolgt daher nach dem jeweils überwiegenden Sinngehalt.



A. Grundlagen und heutiges Begriffsverständnis 27

sein, an denen sich biologischer und rechtlicher Mensch unterscheiden würden. Auch das frühere Kriterium der menschlichen Bildung im weiteren Sinne wäre nicht passend: Soweit es die Frage betrifft, ob ein Wesen vom Menschen abstammt oder nicht, ist es bereits ein Kriterium des biologischen Menschen; soweit es dagegen eine darüber hinausgehende „Bewertung“ menschlicher Gestalt betreffen würde, wäre es sachlich zweifelhaft und kaum angemessen. Zumindest hinsichtlich des Anfangs von Rechtsfähigkeit handelt es sich daher nur um eine denktheoretische Unterscheidung von biologischem und juristischem Menschen. Allerdings könnte eine eigenständige Kategorie des juristischen Menschen für das Ende von Rechtsfähigkeit relevant werden, da es hierfür einen positivrechtlichen Ausspruch wie § 1 BGB nicht gibt. Durch Definition und Ausgestaltung des „juristischen Menschen“ könnte daher mittelbar Einfluss auf Rechtsfähigkeit und Personeneigenschaft genommen und diese in Umfang und Reichweite reguliert werden, ohne zugleich den Satz von der Rechtsfähigkeit aller Menschen31 in formeller, „offizieller“ Weise verändern zu müssen.32 Diese alternative Stellschraube33 wäre insofern in § 1 BGB zumindest angelegt. Tatsächlich wird der Großteil der Fälle, in denen der Mensch lediglich oder primär in seiner Körperlichkeit oder als Aufzählungsobjekt von Interesse ist, ohne weitere Differenzierungen mit dem Begriff der Person bedient. Die Sorge um die Person des Kindes (§§ 11, 1626 I, 1631, 1633, 1773 I, 1800 BGB), der Aufenthalt einer Person (§ 132 II BGB), Verbrechen bzw. Vergehen gegen eine Person (§ 2333 I Nr. 2 BGB) stehen nicht im Zusammenhang mit der Frage, ob es sich jeweils um Träger von Rechten und Pflichten handelt. Gleiches gilt, wenn von Personen die Rede ist, die zur Pflege (§ 1903 I BGB) oder zum Wohl des Kindes als Bezugspersonen (§§ 1626 III S. 2, 1685 II BGB) erforderlich sind. In all diesen Fällen kann Person als Synonym für Mensch oder menschliches Lebewesen ohne darüber hinausgehende, spezifisch juristische Aussagekraft angesehen werden. Ein natürlicher Gebrauch auch des Personenbegriffs ist dem BGB durchaus nicht fremd. 31  Unter der Prämisse, dass der „Mensch“ in diesem Satz ebenfalls als der juristische Mensch verstanden wird. 32  Saerbeck, S. 26; kritisch Wolf, E./Naujoks, S. 69 ff., 72 ff. sowie Wolf, E., in: FS Lübtow, S. 195 (197) mit einer generell ablehnenden Haltung gegenüber gesetzespositivistischen Bestimmung der Begriffe Mensch, Leben, Geburt und Tod, wenn sie von den naturwissenschaftlichen, tatsächlichen Vorgaben zu sehr abweicht. 33  Vgl. Schmidt-Jortzig, S. 18 im Zusammenhang mit der Frage, wer Grundrechtsträger des Art. 2 II S. 1 GG („Leben“) ist. Den Versuch, „Mensch/jeder Mensch“ zu definieren, bezeichnet er als circulus vitiosus, weil immer nur das herausgestrichen würde, was man zunächst werthaft hineingelesen hätte („Definitionsaporie“).

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

b) Juristisch-normative Interpretation Nichtsdestotrotz überwiegt ein rechtstechnisches Begriffsverständnis. Personen werden speziell in ihrer rechtlich relevanten Eigenschaft als Träger von Rechten und Pflichten angesprochen.34 Dies gilt zwangsläufig für den gesamten Komplex der juristischen Personen, jedoch ebenso für natürliche. An erster Stelle ist wiederum § 1 BGB zu nennen. Selbst wenn von der obigen Überlegung abgesehen wird, den dortigen Begriff des Menschen bereits für sich genommen in rechtstechnisch-normativer Weise zu verstehen, so ist eine solche Interpretation zumindest für die Gesamtaussage des § 1 BGB angebracht. Hinter der Festlegung eines tatsächlichen Zeitpunktes (Vollendung der Geburt) steht letztlich die Frage, ab wann der Mensch als Zuordnungssubjekt von Rechten und Pflichten in Erscheinung tritt. § 1 BGB als Gesamtnorm ist daher primär, wenn nicht sogar ausschließlich, formaljuristisch zu verstehen. Eine rechtstechnische Deutung trifft ebenfalls auf die Gesamtaussage des § 1922 I BGB zu, der die erbrechtlichen Folgen festlegt, wenn der Mensch aufgrund seines Versterbens als Zuordnungssubjekt entfallen ist. In diesem Zusammenhang betrifft der Todesfall allein den juristischen Aspekt der Rechtsnachfolge, was zusätzlich durch dessen Gleichstellung mit der Todeserklärung nach §§ 3 ff. VerschG verdeutlicht wird. Hiervon zu trennen ist die Bestimmung des Todeszeitpunktes an sich, welche nach herrschender Ansicht streng biologisch erfolgt (Tod im Sinne des § 1922 I BGB als natürlicher Tod des Menschen), um dem Grundsatz der Identität von Mensch und Person gerecht zu werden.35 Im Übrigen sind folgende Fälle anzuführen, in denen Personen in ihrer rechtlichen Relevanz als Rechts- und Pflichtenträger angesprochen werden: Verbraucher und Unternehmer als besondere Arten natürlicher und / oder juristischer Personen oder rechtsfähiger Personengesellschaften (§§ 13, 14 BGB); Personen als Adressaten von Stiftungsvermögen (§§ 87 II, 88 S. 1 BGB); Gründe bzw. Irrtümer in einer Person, die im Zusammenhang mit einer spezifisch rechtlichen Stellung stehen (§§ 119 II, 132 II, 372 S. 2, 537 I S. 1, 540 I S. 2, 553 I S. 2, 563 III-V, 587 II S. 1, 686, 1565 II, 1760 II lit. b BGB); die Person des Vertreters als Anknüpfungspunkt für Willensmängel (§ 166 I BGB); Kenntnis von der Person des Schuldners als Zurechnungssubjekt für Pflichten (§ 199 I Nr. 2 BGB); Personen, die nicht Vertragspartei werden (§ 311 III S. 1 BGB); Vereinigung von Forderung und Schuld bzw. Nießbrauch und Eigentum in einer Person (§§ 429 II, 1173 f., 1177 ff., 1196 III, 1256 I S. 1 BGB); Ereignisse, die in einer bestimmten Person eintreten 34  Palandt/Ellenberger,

73. Aufl., Überblick v. § 1 Rn. 1. BGB Bd. 9, 6.  Aufl., § 1922 Rn. 11; Staudinger/Marotzke, BGB 5. Buch, § 1922, Rn. 4. 35  MüKo/Leipold,



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(§§ 425 I, 432 II, 736 I, 2044 II BGB); Nießbrauch am Vermögen einer Person (§ 1085 S. 1 BGB); Vorkaufsrecht bzw. Reallast zugunsten einer bestimmten Person als Träger dieses Rechts (§§ 1103 II, 1111 I BGB); Rechte bzw. Verbindlichkeiten, die in der Person des anderen Ehegatten entstehen (§§ 1440 S. 1, 1441, 1447 Nr. 3, 1463, 1469 Nr. 4, 1499 Nr. 2 BGB); Bestimmung der Person, welche eine Zuwendung bzw. Leistung erhalten soll (§§ 2065 II, 2193 I BGB); Eignung einer Person als Vormund und entsprechendem Träger seiner Rechte und Pflichten (§§ 1779 II, 1887 I, 1889 II S. 1 BGB); Nondum conceptus als zum Zeitpunkt des Erbfalls noch nicht gezeugte natürliche Person (§ 2101 I S. 1 BGB); Personen in ihrer spezifischen Stellung als Erbe (§ 2354 I Nr. 3, II BGB). 2. Der juristische Personen- und Rechtsfähigkeitsbegriff im Einzelnen a) Abgrenzung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Die formal-juristische Qualität von Person und Rechtsfähigkeit zeigt sich neben der überwiegenden Art ihrer Verwendung im BGB auf den ersten Blick auch in der Abgrenzung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Zivilrechts. Trotz noch immer fehlender Normierung im BGB bzw. im Zivilrecht insgesamt36 kann heute von einer in der Sache unbestrittenen Anerkennung eines bürgerlich-rechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts gesprochen werden. Das moderne Persönlichkeitsrecht, das dem heutigen Rechtsanwender vor Augen ist, wurde im Wege richterlicher Rechtsfortbildung37 aus der mittelbaren Drittwirkung der Art. 2 I, 1 I, III GG begründet.38 Auf diese Weise soll, dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag entsprechend, auch im Zivilrecht ein umfassender Menschenwürde- und Persönlichkeitsschutz gewährleistet werden.39 Nach überwiegender Ansicht ist das so hergeleitete zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht identisch mit dem ver36  Zu den fehlgeschlagenen Kodifikationsbestrebungen in jüngerer Zeit siehe Martin, S.  266 ff. 37  BGHZ 13, 334 („Leserbrief“); BGHZ 15, 249 („Cosima-Wagner“); bestätigt durch BVerfG 34, 269 („Soraya-Beschluss“) als zulässige richterliche Rechtsfortbildung. 38  Ursprünglich umstritten, ob es sich hierbei um eine unmittelbare oder mittelbare Drittwirkung handelt, wird heute ganz herrschend von einer mittelbaren ausgegangen, so MüKo/Rixecker, BGB Bd. 1, 6. Aufl., Anh. § 12 Rn. 2; Soergel/Beater, BGB Bd. 12 Schuldrecht 10, 2005, § 823 Anh. IV Rn. 6; Erman/Klass, BGB I, 13. Aufl., Anh. § 12 Rn. 3; Palandt/Sprau, 73. Aufl., § 823 Rn. 84. 39  BGHZ 13, 334; Handbuch des Persönlichkeitsrechts/Götting, § 3 Rn. 6: „Mittel zum Zweck der Erfüllung des verfassungsrechtlichen Schutzauftrages“.

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fassungsrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I i.  V. m. Art. 1 I GG, sondern wird über die mittelbare Drittwirkung lediglich durch jenes beeinflusst.40 Das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht wird heute überwiegend als absolutes subjektives Recht beurteilt.41 Maßgeblich hierfür ist seine Anerkennung in ständiger Rechtsprechung, die von Beginn an über das sonstige Recht im Sinne des § 823 I BGB verlief.42 Jene dogmatische Einordnung war allerdings nicht unbestritten43 und wurde in erster Linie mit dem traditionellen Charakter subjektiver Rechte als Herrschaftsrechte begründet. Die Gegenstimmen beweg(t)en sich dahin, die Parallele mehr zu den Lebensgütern Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit zu ziehen und in diesem Sinne auf die Persönlichkeit als eben ein solches Rechtsgut abzustellen bzw. ein allgemeines Persönlichkeitsrecht allenfalls als Oberbegriff mit Ordnungsfunktion anzunehmen.44 Die Überlegungen zur dogmatischen Einordnung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erweitern sich insofern zu einem umfassenden, einheitlichen Problemkreis zum Tatbestand des § 823 I BGB insgesamt. Hierunter fällt auch die Frage, in welchem Verhältnis Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit zum sonstigen Recht stehen bzw. ob diese selbst als subjektive Rechte oder ausschließlich als Rechtsgüter zu beurteilen sind.45 Im Verhältnis zu spezialgesetzlichen Regelungen, die Teilbereiche der Persönlichkeit im weiteren Sinne betreffen46, wurde das allgemeine Persönlichkeitsrecht ursprünglich subsidiär gesehen.47 Inzwischen gelten die be40  Erman/Klass, BGB I, 13. Aufl., Anh. § 12 Rn. 4; Larenz/Canaris, Schuldrecht II BT 2, S. 493; Neumeyer, S.  51 ff.; Raiser, JZ 1961, 465 (471). 41  Erman/Klass, BGB I, 13. Aufl., Anh. § 12 Rn. 11; Handbuch des Persönlichkeitsrechts/Götting, § 1 Rn. 29; Hubmann, S.  137 f.; Baston-Vogt, S.  89 f.; Enneccerus/Nipperdey, S. 581; Palandt/Sprau, 73. Aufl., § 823 Rn. 84. 42  BGHZ 50, 133 (134) („Mephisto“); BGHZ 30, 7 (11) („Caterina Valente“); in der Literatur folgend u. a. MüKo/Rixecker, BGB Bd. 1, 6. Aufl., Anh. § 12 Rn. 9; Enneccerus/Nipperdey, S. 581 f.; Handbuch des Persönlichkeitsrechts/Götting, § 1 Rn. 2. Auf diese Weise kann bei Persönlichkeitsverletzungen ein finanzieller Ausgleich verlangt werden, nach gefestigter Rspr. entgegen der Schmerzensgeldbegrenzung in § 253 I, II BGB sogar bei lediglich immateriellen Schäden, hierzu BGHZ 26, 349 („Herrenreiter“); BGHZ 35, 363 („Ginseng“); BGHZ 128, 1 (15) („Caroline v. Monaco I“). 43  Zur anfänglichen Kritik am zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht siehe Hubmann, S. 113 ff. (zeitgenössische Darstellung); Baston-Vogt, S.  85 ff. 44  Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 615; Esser, § 107 II S. 403; Jauernig/Teichmann, BGB, § 823 Rn. 66; im Einzelnen sowie zur eigenen Stellungnahme siehe Kapitel 5, B. II. 1. b). 45  MüKo/Wagner, BGB Bd. 5, 6. Aufl., § 823 Rn. 241. 46  § 12 BGB; §§ 823 II BGB i.  V. m. §§ 185 ff., 201 ff. StGB; §§ 22 ff. KUG; §§ 12 ff. UrhG; BDSG. 47  BGHZ 30, 7 (11).



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sonderen Rechte als nicht abschließende spezielle Ausprägungen des Persönlichkeitsschutzes, neben die das allgemeine Persönlichkeitsrecht unabhängig vom Vorliegen der besonderen Voraussetzungen tritt.48 Eine Definition und erst recht eine abschließende Bestimmung des Schutzbereichs gestalten sich als schwierig.49 Die generalklauselartige Weite und Unbestimmtheit50 sind in der Natur der Sache, in der Persönlichkeit, angelegt.51 Im Übrigen sind sie erforderlich, um die Individualität des Menschen vollumfänglich zu erfassen und gemäß dem Schutzauftrag aus Art. 1 I, 2 I GG auf neue Gefährdungen reagieren zu können.52 Als zusammenfassende Beschreibung bietet sich noch am besten die Formel des BGH vom Recht des Einzelnen auf Achtung seiner Menschenwürde und auf Entfaltung seiner individuellen Persönlichkeit53 an. Allgemein wird zwischen einer statischen, mehr abwehrenden Komponente (dem Recht, allein gelassen zu werden; Schutz vor Enthüllungen und Belästigungen) einerseits und einer dynamischen Entfaltungs- und Handlungskomponente im Sinne von Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung andererseits unterschieden.54 Im Übrigen hat sich die Bildung von Sphären55 bzw. Fallgruppen56 etabliert.57 48  MüKo/Rixecker, BGB Bd. 1, 6. Aufl., Anh. § 12 Rn. 8; Soergel/Beater, BGB Bd. 12 Schuldrecht 10, 2005, § 823 Anh. IV Rn. 10; Erman/Klass, BGB I, 13. Aufl., Anh. § 12 Rn. 12; Enneccerus/Nipperdey, S. 583: „Muttergrundrecht“ sowie „Quellrecht“; Hubmann, S. 139, 172 ff.; Palandt/Sprau, 73. Aufl., § 823 Rn. 85. 49  Larenz/Canaris, Schuldrecht II BT 2, S. 517 (§ 80 III 1 a): „Fülle des einschlägigen Fallmaterials als amorphe Masse“. 50  BGHZ 24, 72 (78). 51  Vgl. allein die verschiedenartigen interdisziplinären Definitionen und Begriffsverständnisse zu „Persönlichkeit“. 52  MüKo/Rixecker, BGB Bd. 1, 6. Aufl., Anh. § 12 Rn. 2 f.; Erman/Klass, BGB I, 13. Aufl., Anh. § 12 Rn. 11; Hubmann, S.  136 f.; Enneccerus/Nipperdey, S.  582 f.; Caemmerer, in: FS Hippel, S. 27 (33). 53  BGHZ 24, 72 (76); ähnlich Handbuch des Persönlichkeitsrechts/Götting, § 1 Rn. 3: Schutz des Einzelnen vor Gefährdungen seiner immateriellen Integrität und Selbstbestimmung sowie Zugeständnis eines Bereichs eigener Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität unter Ausschluss anderer entwickeln und wahrnehmen kann. 54  Erman/Klass, BGB I, 13. Aufl., Anh. § 12 Rn. 1; Soergel/Beater, BGB Bd. 12 Schuldrecht 10, § 823 Anh. IV Rn. 36; Palandt/Sprau, 73. Aufl., § 12 Rn. 86. 55  BVerfG NJW 2003, 1109 (1110) mit der Unterscheidung von Individual-, Privat- und Intimsphäre; ebenso Hubmann, S. 157; Brandner, JZ 1983, 689 (690). 56  MüKo/Rixecker, BGB Bd. 1, 6. Aufl., Anh. § 12 Rn. 11, 45 ff.; Erman/Klass, BGB I, 13. Aufl., Anh. § 12 Rn. 26 ff., 94 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II BT 2, S. 517 ff. (§ 80 III); Schlechtriem, DRiZ 1975, 65 (66). 57  Ausführliche Darstellung hierzu bei Neumeyer, S.  57 ff.; Baston-Vogt, S.  203 f. beschreitet einen anderen Weg, indem sie die geschützten Interessen herausarbeitet und systematisiert.

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

Neben der Konkretisierung des Schutzbereichs58 finden diese Gruppen insbesondere bei der Frage der Widerrechtlichkeit von Persönlichkeitsverletzungen Anwendung, indem sie Maßstäbe für die Interessenabwägung bereitstellen59, die bei einer Qualifikation als sonstiges Recht erforderlich wird.60 Bereits ein Überblick über die gängigen Fallgruppen und die mittlerweile umfangreiche Kasuistik zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts lassen dessen Anwendungs-, gewissermaßen Einzugsbereich erkennen: Schutz vor Ehrverletzung (Beschreibung einer Fernsehansagerin als „ausgemolkene Ziege“61), vor Verfälschung des Persönlichkeitsbildes (erfundene Interviews62, inkorrekte Zitierung63), vor einem Eindringen in den persönlichen Bereich und Verbreitung privater Angelegenheiten (Öffnen fremder Post64, heimliches Beobachten oder Fotografieren im privaten Bereich65, Belauschen66 oder Abhören67 von Telefongesprächen, Mitteilung des Gesundheitszustandes68) sowie vor unbefugter Kommerzialisierung (Verwendung von Bildern, Wappen, Namen zu Werbezwecken69); das Recht der persönlichen Entscheidungs- und Entfaltungsfreiheit, der Selbstbestimmung und der Selbstdarstellung70 (heimliches Einholen psychiatrischer oder graphologischer Gutachten71, sexuelle Selbstbestimmung). Im Vergleich hierzu wirkt die Rechtsfähigkeit des § 1 BGB, die den Menschen „lediglich“ als Rechtssubjekt für den Rechtsverkehr existent macht, technisch und nüchtern. In diesem Sinne scheinen ideelle, materielle Aspekte, die einen MenMartin, S.  253 ff. S. 160 zur doppelten Funktion der Interessenabwägung. 60  Das „sonstige Recht“ in § 823 I BGB wird als Rahmenrecht gesehen, bei dem wegen des offenen Tatbestands die Rechtswidrigkeit nicht bereits durch die Rechtsgutsverletzung indiziert wird, sondern über eine umfassende Interessenabwägung nachgewiesen werden muss; hierzu Erman/Klass, BGB I, 13. Aufl., Anh. § 12 Rn. 11; Soergel/Beater, BGB Bd. 12 Schuldrecht 10, § 823 Anh. IV Rn. 12; Fikentscher/Heinemann, Rn. 1584; Palandt/Sprau, 73. Aufl., § 12 Rn. 95. 61  BGHZ 39, 124. 62  BGHZ 128, 1. 63  BGH NJW 1998, 1391. 64  BGH WM 1990, 1167. 65  BGH NJW 2004, 762. 66  BGH NJW 2003, 1727. 67  BGHZ 73, 120. 68  BGHZ 24, 72; BGH NJW 1996, 984. 69  BGHZ 26, 349; BGHZ 30, 7; BGHZ 35, 363; BGH NJW 2000, 2195. 70  Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist auch insofern nur als „Aktivitätsschutz“, d. h. als Verteidigung vor Fremdbestimmung, zu verstehen. Ansprüche auf Förderung der freien Entfaltung sind ihm unmittelbar nicht zu entnehmen, hierzu MüKo/Rixecker, BGB Bd. 1, 6. Aufl., Anh. § 12 Rn. 133 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II BT 2, S. 513 (§ 80 II 6). 71  BAGE 41, 54. 58  Vgl.

59  Hubmann,



A. Grundlagen und heutiges Begriffsverständnis 33

schen in seiner Persönlichkeit betreffen und mit seinem individuellen und sozialen Achtungsanspruch sowie seiner Menschenwürde zusammenhängen, heute weitgehend durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht abgedeckt zu werden. Daneben verbleibt dem Institut der Rechtsfähigkeit primär die Aufgabe einer juristischen Ordnungskategorie. b) Materiell-ethische Internalisierung der Rechtsfähigkeit natürlicher Personen Ein solchermaßen reduzierter Aussagegehalt von Rechtsfähigkeit und Person würde das heutige Verständnis jedoch ebenfalls nur unzureichend widerspiegeln. Bei der abstrakten Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, schwingt bei natürlichen Personen eine Bedeutung mit, die über die normative Dimension bloßer Kategorisierung von Rechtssubjekten hinausgeht. Einen Menschen als Rechtssubjekt einzustufen und ihn nicht nur als Rechtsobjekt zu behandeln, ist zugleich eine Frage der Anerkennung seines Wert- und Achtungsanspruchs.72 Die Rechtsfähigkeit natürlicher Personen stellt damit einen Ausfluss der Menschenwürde im Sinne der Art. 1 I, 79 III GG dar.73 Auf diese Weise erhält sie eine zusätzliche ethische Ausrichtung.74 Ein erster Hinweis auf das Gewicht des Menschenwürdeaspekts lässt sich gerade solchen dogmatischen Konstruktionen entnehmen, die bewusst als Alternative zu § 1 BGB bzw. dem dort zugrunde liegenden Rechtsfähigkeitsbegriff konzipiert wurden. Diese betreffen regelmäßig eine Zusammenlegung von Rechts- und Handlungsfähigkeit. Infolgedessen ist deren neue Definition von Rechtsfähigkeit keine allgemeine, sondern eine gestufte und durch die Voraussetzungen der Handlungsfähigkeit bedingte. Im Grunde handelt es sich hierbei um eine Einschränkung des § 1 BGB, indem die Rechtsfähigkeit des Menschen nicht mehr ausnahmslos mit Geburt beginnt, sondern nur besteht, wenn und soweit auch Handlungsfähigkeit gegeben ist.75 Unabhängig von der dogmatischen Ausgestaltung im Einzelnen – auch wenn eine allge72  Wolf, M./Neuner, AT, 10. Aufl., § 11 Rn. 3: „Rechtsfähigkeit als ein die Identität und Würde der Person prägendes Attribut“. 73  Erman/Saenger, BGB  I, 13.  Aufl., Vor §  1 Rn.  1; Enneccerus/Nipperdey, S.  478 f.; Larenz/Wolf, M., AT, 8. Aufl., § 5 Rn. 5; Westermann, H., Person und Persönlichkeit, S. 9, 11; Coing, in: Wolf, Beiträge zur Rechtsforschung, S. 191 (205); Lübtow, in: FS Wolf, S. 421 (423, 452): „ethischer Personenbegriff“; Eichler, S. 92; Lehmann, AcP 207 (2007), 225 (229). 74  Creutzfeldt, S. 40  f. bestätigt dies als herrschende Sichtweise, sieht es aber selbst kritisch. 75  Überlegungen dieser Art wurden bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgegriffen und als Gegenmodelle zu § 1 BGB weiterentwickelt, im Einzelnen siehe Kapitel 4, B.

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

meine und gleiche Rechtsfähigkeit nominell überhaupt nicht mehr vertreten wird – ist bei allen alternativen Modellen der Gedanke erkennbar, mit der Rechtssubjektivität76 und einer diesbezüglich grundsätzlichen rechtlichen Gleichheit ein Gebot der Menschenwürde zu erfüllen.77 Eine andere Frage ist, ob dieser Gedanke im Rahmen der Alternativmodelle in vergleichbarer, noch hinreichender Weise umgesetzt wird. Umgekehrt ist zu überlegen, inwieweit sich die Alternativmodelle im Ergebnis überhaupt vom traditionellen Rechtsfähigkeitsverständnis unterscheiden. Insgesamt bleibt festzuhalten: Rechtsfähigkeit trägt nach heutigem Verständnis ein Element der Menschenwürde in sich. Darüber hinaus scheint der Gedanke, die Menschenwürde in Form von Rechtsfähigkeit (als Rechtssubjektivität) umzusetzen, sämtlichen dogmatischen Modifikationen gegenüber resistent zu sein; wenn auch nicht formal-nominell, so doch inhaltlich. Zumindest in dieser Hinsicht geht der herrschende Rechtsfähigkeitsbegriff des § 1 BGB über eine formal-juristische Bedeutung hinaus und enthält einen materiell-ethischen Aussagewert. c) Gesetzliche Normierung mit ethischer Vorgabe Gleichwohl darf dieser Umstand, die Teilhabe am Menschenwürdegedanken, nicht zu einer entgegengesetzten pathosträchtigen Überhöhung des Personen- und Rechtsfähigkeitsbegriffs und einer Vernachlässigung seines rechtlichen Charakters führen. Die juristische Fundierung von Person und Rechtsfähigkeit ist in jedem Fall ausreichend zu berücksichtigen und zu gewährleisten. Erst dadurch ergibt sich die Umsetzung des Menschenwürdegedankens (Art. 79 I, III, 1 III GG) in tatsächlich umfassender und wirkungsvoller Weise. Um das herrschende Verständnis in dieser Hinsicht abzurunden, ist die Begründung von Rechtsfähigkeit und Personenstatus unter der Fragestellung zu betrachten: Woraus resultiert Rechtsfähigkeit letztendlich, und wodurch ist bzw. wird der Mensch zu einer rechtlich relevanten Person? Von sich aus oder maßgeblich / alleinverbindlich durch die Bestimmungen der jeweiligen Rechtsordnung?78 Zugespitzt formuliert: Positivistische79 oder vorrechtliche Rechtsfähigkeit? 76  Dies zumindest dem Inhalt nach; je nach den jeweils vorgenommenen Modifikationen werden Rechtssubjektivität und Rechtsfähigkeit allerdings oft dem Namen nach verneint. 77  MüKo/Gitter, BGB Bd. 1, 3. Aufl., § 1 Rn. 7; Pawlowski, BGB AT, Rn. 109 f., 139 ff. 78  Vgl. Knapp, in: FS Winkler, S. 447 (448 f.). 79  Zur Präzisierung und Beschränkung des in dieser Arbeit verwendeten Begriffs „Positivismus“: Der Begriff des Positivismus ist vielschichtig. Eine Erklärung von



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Grundsätzlich sind zwei Konstruktionsmodelle denkbar.80 Zum einen können Rechtsfähigkeit und Person, ungeachtet ihres ethischen Beiklangs, streng als Rechtsbegriffe betont und als Produkte der Rechtsordnung eingestuft werden, die dem Menschen nach mehr oder weniger beliebigen Kriterien zuerkannt sind. Demnach wäre der Mensch nur deshalb rechtsfähig, weil und soweit die Rechtsordnung ihn als rechtsfähig qualifizieren würde; die Verleihung der Rechtsfähigkeit durch Gesetz wäre der allein entscheidende, konstitutive Akt. Die heute bei natürlichen Personen gezogene Verbindung zur Menschenwürde hätte allerdings für den Gesetzgeber die Konsequenz, durch sie bzw. konkret verfassungsrechtlich durch Art. 1 I, 79 III GG gebunden zu sein. Letztlich wäre er auf diese Weise verpflichtet, alle Menschen in gleicher Weise als rechtsfähige und natürliche Personen anzuerkennen.81 Alternativ kann die Fähigkeit des Menschen, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, als jeder Rechtsordnung vorgegeben betrachtet werden. Letztlich würde dem eine stärkere Betonung des Menschenwürdeelements zugrunde liegen. Damit bestünde die Rechtsfähigkeit des Einzelnen unabhängig jeglicher Anerkennung durch Gesetz. Die Formulierungen, der Mensch sei „um seiner selbst willen“ Person und die Rechtsfähigkeit knüpfe „am Menschsein“ an, würden damit wörtlich genommen. Der konstruktive Unterschied beider Modelle liegt darin, was als das angeborene, kraft Menschenwürde zustehende Recht bzw. als die angeborene Eigenschaft des Einzelnen betrachtet wird. Im Fall einer vorrechtlich begründeten Rechtsfähigkeit besteht dies in der Rechtsfähigkeit selbst, andernfalls lediglich im Anspruch gegen die Rechtsordnung auf Anerkennung. Beispielhaft zeigen sich beide Sichtweisen am heute unstreitigen Prinzip der Unverzicht-, Unbeschränk- und Un-

Positivismus in der schlichten Gegenüberstellung zum Naturrecht ist weitgehend überholt bzw. nicht ausreichend, vgl. Auer, in: FS Canaris, S. 931–962 (v. a. 935 ff.). Wenn in dieser Arbeit von Positivismus in Bezug auf Rechtsfähigkeit, Personenstatus etc. gesprochen wird, verstehe ich darunter (lediglich) die Tatsache, dass diese durch positives Recht gesetzt, angeordnet und ausgestaltet werden. Eine tiefergehende Aussage über das Verhältnis von Recht und Moral/Ethik (Trennungs-, Verbindungsthese) soll hiermit nicht getroffen werden. Dabei greife ich auf die von Wie­ acker getroffene begriffliche Differenzierung zwischen wissenschaftlichem Rechtspositivismus (19. Jahrhundert) und Gesetzespositivismus (ab Inkrafttreten des BGB) zurück, ohne zugleich seine Auffassung über einen tatsächlichen Ideologienwechsel in der Sache selbst zu teilen; vgl. Wieacker, S.  431 ff., 458 ff. 80  Eine Stellungnahme in dem Sinne, die hierzu vertretenen Ansichten und ihre jeweiligen Argumente auszuwerten, erfolgt in dieser Arbeit nicht. Zu dieser Diskussion siehe u. a. Wolf, E./Naujoks, S. 52, 59 ff., 74 ff.; Deynet, S.  19 ff.; Saerbeck, S.  31 ff. 81  MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 13; Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 76; Bork, Rn. 154.

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

entziehbarkeit82 der Rechtsfähigkeit und des Personenstatus. Kann der Mensch auf sein Personsein deshalb nicht verzichten, weil dies seine Wesenseigenschaft kraft Menschenwürde ist? Kann ein Gesetz die Rechtsfähigkeit deshalb nicht beschränken oder entziehen, weil diese bereits vorgesetzlich besteht, das Gesetz also schlicht keinen Einfluss auf sie hat? Oder steht die Rechtsfähigkeit als rein rechtstechnische Schöpfung hinsichtlich ihrer Ausgestaltung grundsätzlich in der Macht einer Rechtsordnung, die jedoch derartige Modifikationen nicht vornehmen darf, um sich keinen Verstoß gegen die Menschenwürde zuschulden kommen zu lassen? Auf der einen Seite handelt es sich um eine Frage des Könnens, auf der anderen Seite um eine Frage des Dürfens der Rechtsordnung. Eine positivrechtliche Verankerung von Rechtsfähigkeit wird zunächst immer dort herausgestrichen, wo von einer dem Menschen verliehenen, zu- bzw. anerkannten83 oder erhaltenen84 Rechtsfähigkeit die Rede ist. Im Unterschied zur vorrechtlichen Lesart soll der Mensch die Rechtsfähigkeit nicht von sich aus haben. Eine weitere Formulierung dieser Art findet sich bei Husserl in dem Ausdruck: „das von Rechts wegen als Rechtsperson qualifizierte Rechtssubjekt“85. Später spricht Knapp von der Rechtsfähigkeit als einer vom Recht selbst geschaffenen Eigenschaft des Subjekts86, und Lehmann bezeichnet sie als Fiktion, weil sie nicht in der Realität existiere, sondern Werk des menschlichen Geistes sei87. Der Fiktionsgedanke kommt zugleich bei jener Ansicht zum Tragen, nach der es sich auch bei natürlichen Personen nur um eine juristische Person im Sinne einer Rechtsschöpfung handeln soll.88 In all diesen Fällen, in denen im Grunde sehr deutlich die positivrechtliche Setzung der Rechtsfähigkeit zum Ausdruck kommt, ist jedoch entscheidend: Es wird stets die Verbindung zur

82  MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 13; Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, § 1 Rn. 1; Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, Vor § 1 Rn. 5, § 1 Rn. 2; Enneccerus/Nipperdey, S. 479. 83  Statt vieler Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, Vor § 1 Rn. 15. 84  Saerbeck, S. 25. 85  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (133). Auch hier ist zu beachten, dass Husserl zwischen Rechtsperson und Rechtsfähigkeit unterscheidet. 86  Knapp, in: FS Winkler, S. 447 (458). 87  Lehmann, AcP 207 (2007), 225 (235). 88  Kelsen, S. 63: „Indes kann es doch offenbar für eine Rechts-Erkenntnis nur juristische Personen, d. h. Rechts-Personen geben. Und die sogenannte ‚physische‘ Person muß in demselben Sinne und in demselben Maße juristische Person sein, wie die bisher allein sogenannte ‚juristische‘ Person selbst, wenn sie überhaupt als Rechts-Subjekt Objekt der Rechtserkenntnis sein soll.“; Jellinek, S. 28: „Es gibt daher keine natürliche, sondern nur juristische Persönlichkeit.“ Persönlichkeit ist hier im Sinne von Person zu verstehen; Brecher, in: FS Hueck, S. 233 (238).



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sittlich-ethischen89, heute in Art. 1 I, 79 III GG verankerten90 Pflicht des Gesetzgebers, jeden Menschen als rechtsfähig und als Person anzuerkennen, gezogen und betont.91 Vergleichbar eindeutige Hinweise auf einen naturrechtlichen Ansatz beschränken sich weitgehend auf Aussagen bei Ernst Wolf92 und Lübtow93. Sie sehen in der Rechtsfähigkeit eine dem Menschen von Natur aus eigene, ihm angeborene Eigenschaft. Nach Wolf kann es sich bei der Rechtsfähigkeit schon deshalb um keinen Akt staatlicher Verleihung handeln, da sie von der Staatsangehörigkeit des jeweiligen Trägers unabhängig sei.94 Ein Staat könne rechtliche Bestimmungen mit konstitutiver Wirkung ausschließlich für seine Staatsangehörigen treffen; Rechtsfähigkeit im Sinne des § 1 BGB komme aber gerade allen Menschen zu.95 Diesbezüglich rekurriert er auf den Wortlaut und im Übrigen auf die Kodifikationsmaterialien zu § 1 BGB, die weder auf eine staatliche Verleihung im Allgemeinen noch auf eine Bindung an die Staatsangehörigkeit im Konkreten hindeuten würden.96 Nach Lübtow steht dem Menschen Rechtsfähigkeit oder Rechtspersönlichkeit ohne Weiteres zu, weil er Subjekt der Rechtsordnung sei. Bei der Rechtsfähigkeit handele es sich um keinen Gnadenakt des Staates, sondern sie folge zwingend aus der Idee der Persönlichkeitsachtung.97 Diese Formulierung könnte auch in der Weise verstanden werden, dass das die Rechtsfähigkeit auslösende Element, nämlich die Stellung des Menschen als Subjekt gerade in der Rechtsordnung, letztlich doch im normativen Bereich liege. Damit wäre die Rechtsfähigkeit auch nach Lübtow ein Akt des Staates, lediglich kein „Gnaden“-Akt nach freiem Belieben, sondern in Erfüllung einer zwingenden Vorgabe. Die Ansicht Lübtows zu einer nicht

89  Siehe hierzu die zentrale Aussage in Mot. I, S. 25: „Die Rechtsordnung erfüllt, indem sie die Rechtsfähigkeit des Menschen ohne Rücksicht auf seine Individualität und ohne Rücksicht auf seinen Willen anerkennt, ein Gebot der Vernunft und der Ethik. […] diese von dem Rechtsbewußtsein der Gegenwart geforderte und als selbstverständlich betrachtete Anerkennung.“; ebenso Jellinek, S. 28. 90  MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 13; Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 76. 91  Ferner Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, Vor § 1 Rn. 15; Enneccerus/Nipperdey, S. 478; Bork, Rn 154; Lipp, V., Freiheit und Fürsorge, S. 44; Deynet, S.  18 ff.; Saerbeck, S. 25; Knapp, in: FS Winkler, S. 447 (458); Lehmann, AcP 207 (2007), 225 (235). 92  Wolf, E./Naujoks, S. 61, 66 ff. 93  Lübtow, in: FS Wolf, S. 421 (421 ff., 446). 94  Wolf, E./Naujoks, S. 61. 95  Wolf, E./Naujoks, S. 60. 96  Wolf, E./Naujoks, S. 61. 97  Lübtow, in: FS Wolf, S. 421 (432).

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

staatlich festgelegten Rechtsfähigkeit wird jedoch an anderen Stellen98 deutlicher. In der obigen Formulierung allein ist daher kein Widerspruch zu sehen.99 Ursprünglich betonten auch Larenz / Wolf das Vorliegen von Rechtsfähigkeit beim Menschen unabhängig davon, ob sie im Gesetz vorgesehen sei oder nicht.100 In der nachfolgenden Auflage wurde diese Aussage zwar beibehalten, gleichzeitig aber durch den Satz ergänzt, dass die Menschenwürde es gebiete, allen Menschen spätestens mit der Geburt die Rechtsfähigkeit zuzuerkennen.101 Auf diese Weise werden die naturrechtlichen Grundlagen102 auch bei Larenz / Wolf zu mehr naturrechtlichen Vorgaben relativiert.103 Die Fortführung in Wolf / Neuner verzichtet gänzlich auf ein Bekenntnis zur Vorgegebenheit der Rechtsfähigkeit. Insofern wird lediglich ausgeführt, die Rechtsfähigkeit gehöre dann zu den apriorischen Grundlagen und beruhe nicht auf einem Akt staatlicher Verleihung, wenn man im Prinzip des gegenseitigen Achtens das wesentliche Element eines jeden Rechtsverhältnisses sehe.104 Da sich hinter diesem Prinzip wiederum nichts anderes als der Menschenwürdekern in der Rechtsfähigkeit verbirgt, bezieht sich die angenommene Apriorität letztlich nur auf diesen. Überwiegend werden allein durch die Art der gewählten Formulierungen noch keine solchen Positionen vorgezeichnet, die zweifelsfrei einem gesetzespositivistischen oder naturrechtlichen Ansatz in jeweiliger Reinform zugeordnet werden können. Vielmehr ist in den meisten Fällen von einer allenfalls unbewussten Differenzierung zwischen dem Können, Dürfen und Sollen der Rechtsordnung im dargestellten Sinne auszugehen. Beispielsweise findet sich bei Heinrichs105, Ellenberger106, Saenger107 und Leipold108 die Aussage, die Rechtsfähigkeit des Menschen sei dem Gesetz(geber) „vorgegeben“; nach Ellenberger wird sie darüber hinaus nicht durch den Gesetzge98  Lübtow, in: FS Wolf, S. 421 (424 f., 446). Rechtsfähigkeit sei, als natürliche Eigenschaft des Menschen, dem positiven Recht vorgegeben und von dessen Anerkennung unabhängig. 99  So auch die Interpretation zur Ansicht Lübtows bei Creutzfeldt, S. 64. 100  Larenz/Wolf, M., AT, 8. Aufl., § 5 Rn. 5. Zudem distanzieren sie sich ausdrücklich von derjenigen Sichtweise, die Rechtsfähigkeit und Personenqualität des Menschen von einer positivrechtlichen Setzung abhängig sein zu lassen (Rn. 5 Fn. 6). 101  Larenz/Wolf, M., AT, 9. Aufl., § 5 Rn. 3; noch nicht vorhanden in Larenz/Wolf, M., AT, 8. Aufl., § 5 Rn. 5 Fn. 2. 102  Larenz/Wolf, M., AT, 9. Aufl., § 5 Rn. 5. 103  Der auch weiterhin betonte Unterschied zur herrschenden Lehre (Larenz/Wolf, M., AT, 9. Aufl., § 5 Rn. 5 Fn. 4) ist damit nur noch schwerer zu erklären. 104  Wolf, M./Neuner, AT, 10. Aufl., § 11 Rn. 4. 105  Palandt/Heinrichs, 68. Aufl., Überblick v. § 1 Rn. 1. 106  Palandt/Ellenberger, 73. Aufl., Überblick v. § 1 Rn. 1. 107  Erman/Saenger, BGB I, 13. Aufl., Vor § 1 Rn. 1. 108  Leipold, § 30 Rn. 3.



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ber „verliehen“109. Dies spricht für einen grundsätzlich vorrechtlichen Ansatz und lässt für Ellenberger sogar Zweifel aufkommen, ob er die Rechtsfähigkeit überhaupt als Institut des positiven Rechts sieht. In allen drei Fällen schließt sich jedoch der Hinweis an, die Rechtsfähigkeit juristischer Personen beruhe dagegen ausschließlich auf der Zuerkennung durch Rechtsordnung, ohne dieser insofern Bindungen aufzuerlegen.110 In dieser Gegenüberstellung111 liest sich die Formulierung von der „vorgegebenen“ Rechtsfähigkeit natürlicher Personen im Grunde nur noch als verkürzter Ausdruck dafür, dass der Gesetzgeber zur Anerkennung verpflichtet und ihm die Rechtsfähigkeit dadurch vorgegeben, im Sinne von aufgegeben sei. Vergleichbares findet sich bereits bei Enneccerus / Nipperdey. Einerseits definieren sie die Rechtsfähigkeit, die sie mit Persönlichkeit gleichsetzten, nicht als subjektives Recht, sondern als „rechtliche [keine natürliche, Anm.  d. Verf.] Eigenschaft“112; andererseits sei jeder Mensch „kraft seiner angeborenen Würde berufen […], Person im Rechtssinne und damit rechtsfähig zu sein“113. Letzteres könnte wiederum nur die Kurzversion dafür sein, dass der Mensch ohne weitere Voraussetzungen dazu berufen ist, von der Rechtsordnung als Person anerkannt zu werden. Insgesamt spricht dies mehr für eine grundsätzlich positivrechtliche Qualifikation auch bei Enneccerus / Nipperdey. Nach Fahse bestimmt die Trägerschaft von Rechten und Pflichten „formal die (Rechts-) ‚Person‘“114. Damit wird eindeutig die rechtstechnische Seite von Rechtsfähigkeit und Personsein in den Blick genommen. Zugleich wird die Personenhaftigkeit des Menschen als „dem positiven Recht vorgegeben“115 betont; Rechtsfähigkeit könne nicht vom Staat verliehen oder entzogen werden116. Obwohl diesbezüglich sogar auf Wolf / Naujoks verwiesen wird117, ist letztlich auch hier zu hinterfragen, ob dieses Nicht-Können im strengen Sinne und in bewusster Differenzierung zu einem bloßen Nicht-Dürfen verwendet wird. Westermann erklärt, die Rechtsordnung erkenne mit der Rechtsfähigkeit des Menschen nur etwas an, was schon vor- oder außerrechtlich gegeben sei, nämlich den Menschen in seiner Würde.118 Bezieht er dieses vorrechtlich Bestehende allein auf die Menschenwürde, so wäre damit ein positivrechtli109  Palandt/Ellenberger,

73. Aufl., Überblick v. § 1 Rn. 1. BGB I, 13. Aufl., Vor § 1 Rn. 1; Leipold, § 30 Rn. 3; Palandt/ Ellenberger, 73. Aufl., Überblick v. § 1 Rn. 1. 111  So auch bei Soergel/Hadding, BGB Bd. 1, 2000, Vor § 21 Rn. 7. 112  Enneccerus/Nipperdey, S. 477. 113  Enneccerus/Nipperdey, S. 478. 114  Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, Vor § 1 Rn. 3. 115  Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, § 1 Rn. 1. 116  Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, § 1 Rn. 2. 117  Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, § 1 Fn. 5, 8. 118  Westermann, H., Person und Persönlichkeit, S. 9. 110  Erman/Saenger,

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

cher Charakter der Rechtsfähigkeit noch nicht ausgeschlossen.119 Zugleich aber stellt er sich gegen Jellineks Personenbegriff einer generell juristischen Fiktion und rügt an diesem die ausschließliche Kennzeichnung als Schöpfung des Gesetzes.120 Flume qualifiziert das Personsein des Menschen als Selbstbestimmung121 und beschreibt diese wiederum „nach dem Grundgesetz als ein der Rechtsordnung vorgegebener und in ihr zu verwirklichender Wert“122. Des Weiteren heißt es zur Privatautonomie (als Teil des allgemeinen Prinzips der Selbstbestimmung des Menschen123), sie werde in den einzelnen Rechtsordnungen in verschiedenem Umfang verwirklicht.124 Zwar setzt Flume die (rechtliche) Selbstbestimmung des Menschen nicht ausdrücklich mit dessen Rechtsfähigkeit gleich; genau genommen wird sogar mehr die Verbindung zur Geschäftsfähigkeit gezogen („[…] die Geschäftsfähigkeit als tatsächliche Fähigkeit der Selbstbestimmung […]“125). Insgesamt wird jedoch eine Grundtendenz erkennbar, zwischen einem vorstaat­ lichem Prinzip und dessen Umsetzung / Ausgestaltung durch die jeweilige Rechtsordnung zu unterscheiden. Ein entsprechender Einfluss auch auf Flumes Begriff der Rechtsfähigkeit ist zu vermuten.126 Das heute herrschende Verständnis erweist sich damit auch in dieser Hinsicht als konsequent. Rechtsfähigkeit und Person werden als Rechtsbegriffe bestätigt, als positivrechtliche und insofern geschaffene Denkfiguren in schwerpunktmäßig rechtstechnischer Verwendung. Die ethische Fundierung des § 1 BGB ist konkreter zu fassen als ethische Vorgabe für die auf Rechts­ ebene noch zu erfolgende Festschreibung von Rechtsfähigkeit.127 119  Vgl. Westermann, H., Person und Persönlichkeit, S. 51 f., dessen Ausführungen über Richter und Gesetzgeber bindende Wertvorstellungen ebenfalls in diese Interpretationsrichtung gehen. 120  Westermann, H., Person und Persönlichkeit, S. 9 Fn. 9. 121  Flume, AT 2, § 10 S. 17; ebenso § 10 S. 19: „Achtung des einzelnen als Person und damit die grundsätzliche Respektierung der Selbstbestimmung des einzelnen im Rechtsleben“. 122  Flume, AT 2, § 1 S. 1. 123  Flume, AT 2, § 1 S. 1. Privatautonomie bedeutet das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen. 124  Flume, AT 2, § 1 S. 1. 125  Flume, AT 2, § 13 S. 183; ebenso § 13 S. 182: „Wenn der institutionelle Sinn des Rechtsgeschäfts darin besteht, daß der Einzelne die Rechtsverhältnisse in Selbstbestimmung gestaltet, so ist es selbstverständlich, daß die Fähigkeit zur Selbstbestimmung Voraussetzung der rechtlichen Geltung des rechtsgeschäftlichen Handelns ist.“ 126  Anderweitige Ausführungen Flumes zur Qualität menschlicher Rechtsfähigkeit bestehen nicht. Flume, AT 1/2, § 1 S. 1 ff. betrifft an sich nur die Theorien zum Wesen der juristischen Person, sodass weitergehende Rückschlüsse auf die Rechtsfähigkeit natürlicher Personen nicht hieraus entnommen werden können. 127  So auch Kirste, Evang. Theol. 60 (2000), 25 (25 f., 39 f.); Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke, S. 345 (346, 367).



A. Grundlagen und heutiges Begriffsverständnis 41

Die Unterscheidung zwischen einer mehr vorrechtlichen und einer mehr positivrechtlichen Begründung der Rechtsfähigkeit ist allerdings in praktischer Hinsicht von verschwindend geringem Wert. Zumindest in den heutigen Ausformungen beider Strömungen werden die Unterschiede weitgehend nivelliert. Dies zum einen deshalb, weil auch eine Rechtsfähigkeit a priori im Detail einer Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedarf, etwa im Hinblick auf einen konkreten Anfangs- und Beendigungszeitpunkt128. Zum anderen wird auch bei grundsätzlich positivrechtlicher Begründung der Rechtsfähigkeit stets die Bindungswirkung der Menschenwürde betont. Im Ergebnis sind damit nach beiden Sichtweisen das „Ob“ menschlicher Rechtsfähigkeit zwingend und das „Wie“ in Grenzen gesetzlich gestaltbar.129 Bevor daher die Frage nach praktisch-dogmatischen Konsequenzen aus dem skizzierten Begründungszusammenhang aufzuwerfen ist, bleibt zunächst die Überlegung, in welchen historischen Kontext § 1 BGB eingebettet ist. Die Entwicklung der allgemeinen Rechtsfähigkeit verlief nicht stringent, speist sich vielmehr aus unterschiedlichen Ideen zu Status, Persönlichkeit, Menschenwürde, Natur- und Vernunftrecht. Eine mehr rechtstechnische oder mehr rechtsethisch-metaphysische Verankerung kann daher als Systematisierungshilfe herangezogen werden. Unter diesem Aspekt ist insbesondere zu fragen, welche Sichtweise der Kodifikation (§ 1 BGB) zugrunde gelegt wurde und woraus sich diese wiederum ableitete. Hieran anknüpfend können sodann Weichen für den künftigen Umgang mit der „Person“ bestimmt werden. Mit einer säkular-rechtlichen Konstruktion des Personenbegriffs, die sich primär funktional ausrichtet, ist jeder im Kern ontologische, theologische und metaphysische Ansatz aufgegeben. Ohne einen einheitlich gedachten Begriff der Person – d. h. ohne dessen strenge Ausrichtung an Prinzipien mit zwingendem Charakter – sind wiederum Differenzierungen hinsichtlich des Rechtsfähigkeitsbegriffs möglich. Dieser könnte sich stärker am Rechts- und Interessenschutz orientieren. Im Ausgangspunkt ist damit ein heutiges Begriffsverständnis anzunehmen, das in seiner Einteilung von Mensch, Person, Rechtsfähigkeit und Persönlichkeit nicht trennscharf verläuft und sich durch eine Verschmelzung rechtstechnischer und ethisch-sittlicher Aspekte auszeichnet.130 Die biologische Komponente des Menschen und die juristische Komponente des Rechtssubjekts werden im Begriff der Person miteinander verknüpft.131 Rechtsfähigkeit und Person werden grundsätzlich als technische Rechtsbe128  Stellvertretend Larenz/Wolf, M., AT, 9. Aufl., § 5 Rn. 6: „[…] unterliegt auch der Beginn der Rechtsfähigkeit der näheren Bestimmung durch das positive Recht.“ 129  Im Wesentlichen sind hierauf auch die obigen Einordnungsschwierigkeiten mancher Aussagen und Formulierungen zurückzuführen. 130  Schikorski, S. 27; dies kritisierend Creutzfeldt, S. 8. 131  Eichler, S. 34.

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

griffe und als juristische Konstruktionen angesehen und in diesem Sinne überwiegend verwendet. Um es mit Kelsen auszudrücken, handelt es sich um eine vom biologisch-psychologischen Menschen verschiedene Einheit der Rechtsperson.132 Zutreffender ist es daher, nicht von einer Identität von Mensch und Person im eigentlichen Sinne zu sprechen, sondern nur von einer Gleichheit im Umfang. Durch die Teilhabe am Menschenwürdegedanken erfolgt für natürliche Personen eine zugleich materiell-ethische Internalisierung.133 In diesem Sinne soll fortan von einem emphatischen, ethischen Personenbegriff134 gesprochen werden.

B. Problemfelder und aktuelle Entwicklungen Im Vordergrund der aktuell diskutierten Schwierigkeiten und kritischen Ansätze zu § 1 BGB, allgemeine Rechtsfähigkeit und natürliche Person, stehen zweifelsohne die modernen Problemfelder um Geburt und Tod. Dies rührt zum einen von der praktischen Relevanz und dem schon medizinischen Facettenreichtum dieser Themen her. Zum anderen werden sensible, u. U. polarisierende Grundsätze und ethische Aspekte durch kaum etwas anderes so berührt wie durch die Frage, wie eine Gesellschaft mit ungeborenem Leben, Sterbenden und Toten umgeht. Es handelt sich hierbei um die „Gretchenfrage“ einer jeden Rechtsordnung schlechthin. In diesem Zusammenhang lassen sich Entwicklungen auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen, namentlich der Bioethik und der Philosophie, mit zwangsläufiger Ausstrahlungswirkung auf § 1 BGB ausmachen.

I. Grenzen und Grenzbereiche der Rechtsfähigkeit 1. Naturwissenschaftliche Grundlage unter juristisch-normativer Wertung Hinsichtlich der Grenzen der Rechtsfähigkeit sind zwei Fragenkreise zu unterscheiden. In einem ersten Schritt geht es um die Bestimmung des An132  Kelsen,

S. 63. Larenz/Wolf, M., AT, 9. Aufl., § 5 Rn. 2–4 mit zwei Begründungssträngen in der einleitenden Darstellung von Begriff und Grundlagen der Rechtsfähigkeit: zum einen Gedanken zu Menschenwürde, Persönlichkeit, Gleichheit; zum anderen „technische“ Notwendigkeit für die Umsetzung des Rechtsstaates, der für die Anknüpfung von Rechten und Pflichten Zuordnungssubjekte voraussetzt; Gruber, in: Beck, Jenseits von Mensch und Maschine, S. 133 (135 f.) spricht von Rechtsbeteiligung und Rechtsschutz/ Würde/Persönlichkeitsanerkennung als den zwei Elementen von Rechtsfähigkeit. 134  Hattenhauer, C., in: Klein/Menke, Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 39 (65). 133  Vgl.



B. Problemfelder und aktuelle Entwicklungen43

fangs- und Endzeitpunktes der Rechtsfähigkeit an sich, genau genommen um die Bestimmung des Kriteriums, mit welchem der Eintritt des gewählten Zeitpunktes festzustellen ist.135 Im Anschluss hieran tritt die Überlegung, was jenseits dieser Rechtsfähigkeitsgrenzen zu gelten hat. Die Probleme in diesen ausgelagerten Bereichen betreffen im Wesentlichen die Rechtsstellung des Nasciturus einerseits und das postmortale Persönlichkeitsrecht andererseits.136 Bei natürlichen Personen besteht hinsichtlich der Grenzpunkte ihrer Rechtsfähigkeit bzw. hinsichtlich der diesbezüglichen Feststellungskriterien insofern wenig Diskussion, als eine naturwissenschaftliche Betrachtungsweise maßgeblich ist und entsprechende Vorgaben macht. Sie orientiert sich an der biologisch-physischen Existenz des Menschen, um auf diese Weise die Deckungsgleichheit von Mensch, Person und Rechtsfähigkeit sowie die Unabhängigkeit des Personenstatus von sozialen, religiösen und politischen Bewertungen zu gewährleisten. Im Wesentlichen erfolgt dies unter Beachtung zweier Prämissen. Zum einen müssen Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit spätestens in der (Vollendung der) Geburt und frühestens im Tod des Menschen liegen137, so umgesetzt in §§ 1, 1922 BGB. Zum anderen werden beide Umstände (Geburt, Tod) selbst wiederum nach naturwissenschaftlichmedizinischen Maßstäben bestimmt.138 Vor allem ein bürgerlicher Tod (mors civilis), der Rechtsfähigkeit und Personenstatus trotz physischer Fortexistenz des Menschen und damit unter vollständiger Abkopplung von biologischen Kriterien für beendet erklären würde139, ist nach dieser Vorstellung ausgeschlossen. Der einzige juristische Todesbegriff kann nur noch derjenige sein, der an den naturwissenschaftlich bestimmbaren Tod des Menschen anknüpft.140 Die Todeserklärung nach § 9 VschG steht dem nicht entgegen, da sie lediglich eine Todesvermutung begründet und von vorläufiger, nicht konstitutiver Wirkung ist.141 Zu beachten ist gleichwohl das Folgende. Die Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Rechtsfähigkeitsgrenzen entstehen überwiegend bereits auf naturwissenschaftlichem Gebiet.142 Weniger problematisch ist die Be135  Vgl. zu dieser Unterscheidung Höfling, JZ 1995, 26 (30); Beckmann, ZRP 1996, 219 (220). 136  Die Verbindung beider Fragenkreise zeigt sich insbesondere am Nasciturus. Als eine Lösung seines komplizierten Rechtsstatus wird regelmäßig die Vorverlagerung des Rechtsfähigkeitsbeginns thematisiert. 137  Siehe unter Kapitel 1, A. I. 2.; Larenz/Wolf, M., AT, 9. Aufl., § 5 Rn. 5 zum Rechtsfähigkeitsbeginn. 138  Klinge, S. 138; Rixen, S.  296 ff. 139  Roth, S.  147 ff. 140  Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, § 1 Rn. 12. 141  Klinge, S.  87 f.

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

stimmung des Anfangszeitpunktes, da mit der Vollendung der Geburt in § 1 BGB eine relativ präzise Angabe gemacht wird, die auch medizinisch weitgehend einstimmig mit der vollständigen Trennung vom Mutterleib definiert werden kann. Ob die Vollendung der Geburt zugleich die „richtige“ Wahl war oder ob würde- und rechtsfähiges menschliches Leben bereits vorher existiert, ist mehr eine Frage der Nasciturus-Problematik an sich. Demgegenüber bleibt der Tod im Sinne der § 1922 BGB wenig konkretisiert und infolgedessen in weiterem Maße medizinisch interpretationsfähig. Zugleich handelt es sich bei Mensch und Person, wenn sie im Kontext von Rechtsfähigkeit verwendet werden, um Rechtsbegriffe. Eine ausschließlich empirisch-biologische Definition der Begriffe selbst sowie ihrer Grenzen wird daher nicht für erforderlich bzw. wünschenswert erachtet, wohl auch nicht möglich sein.143 Regelmäßig wird vertreten, die Bestimmung von „Geburt“ und insbesondere von „Tod“ müsse, wenn sie in ihrer Funktion als Eckpunkte der Rechtsfähigkeit angesprochen werden, eine Mischung aus grundsätzlicher Orientierung an naturwissenschaftlichen Vorgaben und normativer Wertung sein.144 Über das Wertungselement sollen Gesichtspunkte des Normzwecks, der Praktikabilität und der Rechtssicherheit Berücksichtigung finden.145 Hierbei scheint es erneut um eine grundsätzliche Methodenfrage zu gehen. Anstelle einer an festen Prämissen ausgelegten Interpretation, die mehr oder weniger absolut und u. U. einseitig erfolgen kann, kommt eine funktionale Sichtweise zum Einsatz. Wird eine solche im Folgenden nur hinsichtlich der Anfangs- und Todeszeitpunktbestimmung in den Blick genommen, kann sie darüber hinaus für das Verständnis von Person und Rechtsfähigkeit generell als alternativer Ansatz vorgemerkt werden. 142

142  Wolf, M./Neuner, AT, 10. Aufl., § 11 Rn. 9. Zentrales Problem bei der Bestimmung des Rechtsfähigkeitsendes sei nicht die Maßgeblichkeit des Todes an sich, sondern der Zeitpunkt, zu dem der Tod eintrete. 143  Vgl. Engelhardt, Ehe und Familie 1958, 266 (269). Die Bestimmung des Menschenbegriffs sei keine Aufgabe der Rechtswissenschaft; der Begriff sei dem Recht vorgegeben. Aber gleichzeitig verberge sich hinter jeder scheinbar wissenschaftlichen Antwort auf die Frage nach dem Menschen eine irgendwie geartete Weltanschauung. 144  Roller, S.  57 f.; Rixen, S. 296. 145  Roller, S. 58.



B. Problemfelder und aktuelle Entwicklungen45

2. Todeszeitpunkt und Todeskriterium a) Vom klinischen Tod zum Hirntodkriterium Sowohl in medizinischer als auch in rechtswissenschaftlicher Hinsicht galt der klinische Tod lange als alternativlos.146 Hiernach war ein Mensch verstorben bei irreversiblem Stillstand von Kreislauf und Atmung verbunden mit dem Ausfall des zentralen Nervensystems und gefolgt vom Absterben aller Zellen und Gewebe des Organismus.147 Mit der Möglichkeit der künstlichen Aufrechterhaltung von Herz-Kreislauf-Funktion und Atmung wurde diese Konstruktion des Todeszeitpunktes als zunehmend unpassend empfunden. Vor allem stellte sich in der Praxis das Problem, den Abbruch dieser Maßnahmen vom Vorwurf der Tötung (§§ 212 ff. StGB) frei zu halten. 1968 wurde von einer Ad-hoc-Kommission der Harvard Medical School, bestehend aus Medizinern, Juristen, Ethikern und Theologen, der Hirntod definiert und als neues maßgebliches Todeskriterium empfohlen. Die herrschende Ansicht in der Rechtswissenschaft ist dem gefolgt und nimmt seitdem den Todeseintritt mit dem irreversiblen Ausfall der Gesamthirnfunktion an.148 Neben einer besseren Vereinbarkeit mit §§ 212 ff. StGB wird insbesondere anthropologisch argumentiert und das Menschenbild des Art. 1 I GG geltend gemacht.149 Der Mensch sei ein Lebewesen von körperlich-geistiger Einheit. Da diese mit dem Ausfall sämtlicher Gehirnfunktionen verloren gehe, könne ab diesem Zeitpunkt nicht mehr von einem lebendigen „Wesensmedium menschlichen Daseins“150 gesprochen werden. Durch die Erarbeitung des Transplantationsgesetzes wurde die Diskussion um den „richtigen“ Todeszeitpunkt in jüngerer Zeit neu belebt.151 Nach 146  Zur Entwicklung Klinge, S.  88 ff.; Rixen, S. 72 ff. (mit Schwerpunkt auf der Rezeption des Hirntods im Strafrecht und der Grundrechtslehre), S. 170 ff. (außerjuristische Bewertung des Hirntods in Ethik, Theologie und Medizin); Höfling, JZ 1995, 26. 147  Hansen, S.  20 f. 148  OLG Köln NJW-RR 1992, 1480; OLG Frankfurt NJW 1997, 3099; BayObLG NJW-RR, 1999, 1309; MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 21; Staudinger/ Marotzke, BGB 5. Buch, 2008, § 1922 Rn. 5; Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, § 1 Rn. 12; Palandt/Ellenberger, 73. Aufl., § 1 Rn. 3; dagegen (und am klinischen Tod festhaltend) Wolf, M./Neuner, AT, 10. Aufl., § 11 Rn. 10; Rixen, S. 390 f., der die parallele Problematik zu § 212 ff. StGB bei der Entnahme lebenswichtiger Organe dahingehend löst, dass der Schutzzweck der Tötungsdelikte aufgrund grundrechtsorientierter Interpretation in diesen Fällen nicht erfüllt sein soll; Beckmann, ZRP 1996, 219 (225). 149  Klinge, S.  144 f. 150  Klinge, S. 147. 151  BT-Drucks. 13/8017, S. 46; BT-Drucks. 13/4368, S. 3 f.; BT-Drucks. 13/4114; BT-Drucks. 13/6591; BT-Drucks. 13/2926; Höfling, JZ 1995, 26; Beckmann, ZRP 1996, 219; Wagner/Brocker, ZRP 1996, 226; Deutsch, ZRP 1982, 174.

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

derzeitiger Regelung wird für eine zulässige Organentnahme die Feststellung des Todes in einem Verfahren, das dem Stand der Erkenntnisse medizinischer Wissenschaft entspricht, vorausgesetzt (§ 3 I S.1 Nr. 2 TPG). Konkret verlangt wird primär die Feststellung des irreversiblen Ausfalls der Gesamthirnfunktion durch zwei Ärzte (§§ 3 II Nr. 2, 5 I S. 1 TPG), alternativ die Feststellung des irreversiblen Herz-Kreislauf-Stillstands durch einen Arzt nach Ablauf von drei Stunden (§ 5 I S. 2 TPG). Seitdem stellen sich vor allem die Fragen, ob der Hirntod zum eigentlichen Todeskriterium (mit § 5 I S. 2 TPG als ergänzende Ausnahme)152 oder lediglich zum frühestmöglichen Zeitpunkt zulässiger Organentnahme153 erklärt wurde und ob die zweigleisige Lösung des § 5 I S. 1, 2 TPG auf § 1922 BGB und das Ende der Rechtsfähigkeit übertragen werden kann bzw. muss154. Wie offen diese Fragen sind und welche praktischen und rechtsdogmatischen Auswirkungen die eine oder andere Todesdefinition hat, zeigte zuletzt die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates „Hirntod und Entscheidung zur Organspende“ (Februar 2015). Während die Mehrheit des Ethikrates den Hirntod als sicheres Todeskriterium wertet155, nimmt eine Minderheit menschliches Leben auch noch nach dem Absterben des Gehirns an156. Allerdings halten auch diese abweichenden Stimmen die Entnahme lebenswichtiger Organe bei einem Menschen mit irreversiblem Gehirnversagen (wie im Transplantationsgesetz geregelt) für medizinisch erforderlich sowie für ethisch und verfassungsrechtlich legitim. In der Konsequenz nehmen sie damit Abstand von der derzeit geltenden sog. Dead-Donor-Rule, wonach lebenswichtige Organe ausschließlich Toten entnommen werden dürfen.157

152  BT-Drucks. 153  BT-Drucks.

13/4368, S. 6. 13/6591, Staudinger/Habermann, BGB 1. Buch, 2013, Vor § 1

VerschG Rn. 8. 154  Für einen Gleichlauf von TPG und § 1922 BGB/Rechtsfähigkeitsende MüKo/ Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 22; Erman/Westermann, BGB I, 10. Aufl., § 1 Rn. 5. 155  Dt. Ethikrat, S. 72, 77, 159, mit dem ausdrücklichen Hinweis, der Tod des Gehirns (als Organ) sei nicht der Tod des Menschen, sondern indiziere ihn nur (S. 72). 156  Dt. Ethikrat, S. 161: Vorliegen vielfältiger Funktionen, die nicht nur „partiell“ wirken, sondern für den Organismus als Ganzen integrierende Funktion haben. 157  Dt. Ethikrat, S. 161. Zur dogmatischen Konstruktion der Minderheit: Die Entnahme lebenswichtiger Organe nach Hirntod sei zulässig, sofern dies dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen entspricht. Begründet wird dies als ein Überwiegen und als ein Anerkenntnis der Selbstbestimmung des Einzelnen und des von ihm verfolgten hochrangigen Zwecks, das Leben des Organempfängers zu retten. Hieraus folgt die Notwendigkeit einer entsprechenden Änderung des § 216 StGB. Zu den Argumenten der herrschenden Ansicht für ein Festhalten an der DeadDonor-Rule, insbesondere zur fundamentalen gesellschaftlichen und verfassungs-



B. Problemfelder und aktuelle Entwicklungen47

Die wertungsmäßigen Schwierigkeiten des (Hirn-)Todesbegriffes158 lassen sich, über die speziellen Bedürfnisse des Transplantationsrechts hinaus, auch allgemein für die Fragen nach Rechtsfähigkeit und Personalität formulieren. Im Fall des sogenannten „lebenden Leichnams“, bei dem über den irreversiblen Ausfall der Gesamthirnfunktion hinaus die künstliche Beatmung fortgesetzt wird, käme es nach herrschender, auf den Hirntod abstellender Ansicht zu einem Wegfall von Rechtsfähigkeit. Im Bewusstsein der rechtstechnischen Ordnungsfunktion von Rechtsfähigkeit scheint dies für einen solchen Zustand gerechtfertigt: Den lebenden Leichnam nicht mehr als Zurechnungssubjekt von Rechten und Pflichten anzunehmen, ist vom formalen Standpunkt aus sachgerecht. Ungleich schwieriger fällt es, den zwar hirntoten, aber noch immer „warmen durchbluteten atmenden Menschen“159 auch aus natürlicher Sicht auf eine Leiche zu reduzieren und sämtliche Umgangsformen, wie sie eines lebendigen Menschen würdig sind, gegen die bloße Totenruhe einzutauschen. Will man dies nicht und sieht mit der Minderheit des Deutschen Ethikrates den lebenden Leichnam weiterhin, zumindest solange er beatmet wird, als lebendiges Wesen an, liegt darin eine Spaltung von rechtsfähiger Person und biologischem Menschen160, was an sich im Widerspruch zur neuzeitlichen Sichtweise steht. Alternativ wäre es denkbar, die Spaltung direkt am klassischen Begriffspaar „Person – Rechtsfähigkeit“ vorzunehmen und den lebenden Leichnam zwar noch als Person mit Lebensgütern, aber nicht mehr als rechtsfähig bezüglich dem Erwerb weiterer Rechte / Rechtsgüter zu bezeichnen. In beiden Konstellationen wäre damit zugleich offenbart, dass man die Rechtsfähigkeit doch an einem Mindestmaß kognitiver, intellektueller, emotionaler Fähigkeiten jenseits der physiologischen Existenz festmachen würde.161 Dies könnte im Fortgang zu (u. U. heiklen) Überlegungen im Sinne von „Erwerbsvoraussetzungen“ der Rechtsfähigkeit führen. b) Der gespaltene Todesbegriff Bei dem Versuch, die genannten Schwierigkeiten zu lösen, wird z. T. von einer Entweder-Oder-Entscheidung zwischen Herz-Kreislauf-Stillstand und rechtlichen Norm, wonach rein fremdnützige Tötungen auch nicht bei zuvor erteilter Einwilligung zu rechtfertigen sind, vgl. S. 105 ff. 158  Zur Kritik am Hirntodkriterium siehe ferner Wolf, M./Neuner, AT, 10. Aufl., § 11 Rn. 10. 159  BT-Drucks. 13/2926, S. 11 (linke Spalte), Antrag der Abgeordneten Knoche/ Häfner/Fischer/Müller und der Fraktion der Grünen vom 07.11.1995, die sich gegen den Hirntod als Todeskriterium aussprechen. 160  Dt. Ethikrat, S. 61. 161  BT-Drucks. 13/2926, S. 12; BT-Drucks. 13/8017, S. 31 (SV Prof. Dr. Höfling).

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

Hirntod abgesehen. Statt sich auf ein einziges Kriterium festzulegen, anhand dessen der Eintritt des Todes zu bejahen oder zu verneinen ist, sollen grundsätzlich beide herangezogen werden können bzw. soll je nach Situation der eine oder andere Umstand maßgeblich sein.162 Differenziert wird regelmäßig nach den Umständen des Todeseintritts163 oder nach der Funktion des Todesbegriffs im jeweiligen Rechtsinstitut. Im Grundsatz wird es nicht für notwendig erachtet, ein und dasselbe tatsächliche Kriterium für alle Rechtsprobleme entscheidend sein zu lassen. Es sei durchaus vertretbar und auch sachgerechter, eine Auswahl entsprechend der Zweckgebundenheit rechtlicher Begriffsbildung offen zu halten.164 Insofern ist man geneigt, von einem spezifisch „juristischen Todesbegriff“ zu sprechen und ihm eine gewisse Unabhängigkeit von den empirischen Vorgaben zuzuerkennen. Ein differenzierter Todesbegriff wurde als erstes von Westermann vertreten.165 Für allgemeine Fragen des Zivilrechts wie Rechtsfähigkeit und Erbfolge, Beendigung der Ehe und Sicherungsfragen hält er am klinischen Todesbegriff fest (Tod als Feststellungsbegriff).166 Dagegen soll in Fällen eilbedürftiger Entscheidungen, und damit im Wesentlichen im Bereich des Transplantationsrechts, der Tod des Organspenders mit vollständigem Ausfall der Gesamthirnfunktion angenommen werden (Tod als Handlungs­ begriff).167 Nach Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes mit der Regelung, den irreversiblen Ausfall der Gesamthirnfunktion und den HerzKreislauf-Stillstand nach Ablauf von drei Stunden parallel ausreichen zu lassen, schlägt Westermann vor, diese Maßstäbe auch für die Bereiche außerhalb der Organentnahme heranzuziehen. Konkret will er sie auf die Feststellung des Todeszeitpunktes aus erbrechtlicher Sicht und damit auf die 162  Erman/Westermann, BGB I, 10. Aufl., § 1 Rn. 5 als einer der ersten Vertreter dieser Sichtweise; Einzelheiten siehe im Folgenden. 163  Grundsätzlich klassischer Todesbegriff (Stillstand von Herz-Kreislauf) und Hirntod für den Fall künstlicher Aufrechterhaltung von Herz-Kreislauf. 164  Erman/Westermann, BGB I, 10.  Aufl., § 1 Rn. 5; Jauernig/Jauernig, BGB, § 1  Rn. 3; MüKo/Leipold, BGB Bd. 9, 6. Aufl., § 1922 Rn. 12; Saerbeck, S.  122 ff. gegen eine schlichte Übernahme der medizinisch-biologischen Ergebnisse, sondern getragen von dem „Prinzip der Funktionsgerechtigkeit der Rechtsbegriffe“; Deutsch, ZRP 1982, 174 (175). 165  Westermann, H., Jahresschrift der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster 1968, S. 87 (87); Erman/Westermann, BGB I, 10. Aufl., § 1 Rn. 5. 166  Zustimmend Staudinger/Habermann, BGB 1. Buch, 2013, Vor § 1 VerschG Rn.  8 f.; MüKo/Leipold, BGB Bd. 9, 6. Aufl., § 1922 Rn. 12 f.; wohl auch Soergel/ Fahse, BGB Bd. 1, 2000, § 1 Rn. 14 mit der Andeutung, dass bei Transplantationen eine Eilbedürftigkeit der Todesfeststellung besteht, die für die Festlegung des Rechtsfähigkeitsendes nicht gegeben ist; Medicus, BGB AT, Rn. 1052. 167  Erman/Westermann, BGB I, 10. Aufl., § 1 Rn. 5.



B. Problemfelder und aktuelle Entwicklungen49

Frage des Rechtsfähigkeitsendes erstrecken.168 Auf diese Weise bestätigt er seine differenzierende Vorgehensweise in der Hinsicht, sich nicht auf ein einziges Kriterium als das allein maßgebliche festzulegen. Zugleich rückt er davon ab, eine rechtsbereichsabhängige Einteilung auch nur ansatzweise vorzugeben. Klinischer Tod und Hirntod kämen hiernach sowohl bei Fragen der Transplantation als auch bei Fragen der Rechtsfähigkeit etc. als jeweils mögliche Alternativen in Betracht.169 Die funktionsorientierte Aufspaltung des Todesbegriffs nach Rechtsinstituten wurde in der Folgezeit von Saerbeck aufgegriffen und fortgeführt.170 Im Ergebnis geht er mit der Einteilung Westermanns konform. In den Bereichen, in denen das Lebensende für die Frage des menschlichen Schutzes relevant wird (ärztliche Fürsorgepflichten, lebenserhaltende oder lebensbeendende Maßnahmen), sei der Hirntod maßgeblich (Todesbegriff mit Schutzfunktion).171 In allen übrigen Fällen, in denen das Lebensende mehr formale Ordnungsfunktion übernehme (Ende der Rechtsfähigkeit, Erbfall etc.), bleibe es beim klinischen Tod.172 Im Rahmen der Schutzfunktion gehe es in einer ex-ante-Feststellung primär um die Frage, ob jemand bereits tot sei oder ob der Erfolg durch lebensbeendende Handlungen noch eintreten könne. Die Frage nach dem exakten Todeszeitpunkt sei hier sekundär. Anders verhalte sich dies im Fall der Ordnungsfunktion, wo im Rahmen einer ex-post-Prüfung eine Aussage darüber getroffen werden müsse, ab wann die Rechtsfolgen des Todes eingetreten seien. Aus Gründen der Praktikabilität und der Rechtssicherheit173 hält Saerbeck die Verwendung des Hirntods daher im zweiten Fall für ungeeignet; die hier notwendigen klaren Zäsuren würden eher durch den Stillstand von Atmung und Kreislauf gewährleistet werden.174 Der Gefahr von Manipulationen, wie künstlicher Aufrechterhaltung des Herz-Kreislaufs über den Hirntod hinaus zum Zwecke eines verzögerten Erbfalls etc., könne ausreichend durch die Grenzen ärztlicher 168  Erman/Westermann,

BGB I, 10. Aufl., § 1 Rn. 5. dieser Hinsicht nicht folgend Staudinger/Habermann, BGB 1. Buch, 2013, Vor § 1 VerschG Rn. 8. Das Transplantationsgesetz habe an der Maßgeblichkeit des klinischen Todesbegriffs für Fragen der Rechtsfähigkeit nichts geändert, da der Hirntod in §§ 3 II Nr. 2, 5 I S. 1 TPG nicht ausdrücklich als spätester Todeszeitpunkt, sondern nur als frühestmöglicher Zeitpunkt zulässiger Organentnahme genannt werde. Eine Festlegung auf einen bestimmten Todeszeitpunkt sei damit nicht verbunden. Damit scheint sich Habermann gegen eine Übernahme des Hirntodkriteriums auch für § 1922 BGB etc. auszusprechen. 170  Saerbeck, S.  122 ff. 171  Saerbeck, S.  127 ff., 139 f. 172  Saerbeck, S.  140 ff. 173  Saerbeck, S. 142  ff. Nach damaligen Messmethoden (Stand: 1974) sei der Eintritt des Hirntodes zeitlich nicht exakt objektivierbar. 174  Saerbeck, S.  145 ff. 169  In

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

Pflichten zur Lebenserhaltung und durch die praktische Situation in Krankenhäusern begegnet werden.175 Gegen einen gespaltenen Todesbegriff sprechen sich Klinge176 und Stein177 aus. Klinge argumentiert mit Art. 3 I, 2 I, 1 I GG, aus denen sich die Forderung nach sachlicher und persönlicher Allgemeinheit des Todesbegriffs ergebe. Unterschiedliche Todesdefinitionen je nach den Umständen des Versterbens bzw. den Zwecken ihrer Verwendung seien in keiner Weise mit dem Gebot gleicher rechtlicher Behandlung des Lebens zu vereinbaren. Würden gerade im Transplantationsrecht Praktikabilitätserwägungen zur Bestimmung des maßgeblichen Todeskriteriums herangezogen178, sei dies nichts anderes als juristischer Utilitarismus und damit ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Darüber hinaus sieht Klinge durch alternative Todesdefinitionen die Einheit der Rechtsordnung verletzt und die Rechtssicherheit (Art. 20 I GG) gefährdet.179 Die in der Sache hier nicht zu entscheidende Diskussion macht vor allem eines ersichtlich: Die normative Wertung im Todesbegriff besteht im Wesentlichen in der Entscheidung, welches der in der Medizin diskutierten Kriterien das juristisch maßgebliche sein soll.180 Ein speziell juristischer Todesbegriff mit hierüber hinausgehender rechtlicher Besonderheit existiert im Grunde nicht. Dies gilt auch für die Ansichten, die verschiedenartige, kontextabhängige Todesdefinitionen wählen.181 Auch hier bleiben im Aus175  Saerbeck, S. 149  f. Worauf Saerbeck hiermit anspielt, wird nicht gänzlich deutlich. Die „praktische Situation“ in Krankenhäusern zum Regulativ zu machen, scheint jedoch in jedem Fall bedenklich. Im Übrigen lässt sich bereits an Saerbecks Grundlagen zweifeln. Richtet sich die Bestimmung ärztlicher Lebenserhaltungspflicht danach, ob der Tod bereits eingetreten ist oder nicht, stellt sich diese Frage zwangsläufig in einem bestimmten Zeitpunkt (bzw. mit Blick auf einen bestimmten Zeitpunkt), nämlich dann, wenn der Arzt aktiv werden will/soll. Somit wird letztlich auch in diesem Fall die Frage des Todeszeitpunktes relevant, und es bedarf klarer und einfach zu beweisender Zäsuren. 176  Klinge, S.  132 f., 153 ff. 177  Soergel/Stein, BGB Bd. 21 Erbrecht 1, 2002, § 1922 Rn. 4. 178  Klinge, S. 153 ff., im Einzelnen: frühere Entnahmemöglichkeit als Argument für Hirntod; versicherungsrechtliche Überlegungen als Argument für klinischen Tod (bei Organentnahme am noch Lebenden ggf. Kostentragung durch dessen Krankenkasse). 179  Klinge, S. 133, 153. 180  Dies wird aus einer Zusammenschau sämtlicher hierzu vertretener Ansichten erkennbar; so auch die Wertung bei Staudinger/Habermann, BGB 1. Buch, 2013, Vor § 1 VerschG Rn. 6. 181  Im Grunde ließe sich auch für die differenzierenden Ansichten sagen, dass es sich nicht um die Verwendung verschiedener Todesbegriffe handelt. Legt man die strenge Unterscheidung von Höfling/Beckmann zugrunde, kann ebenso ein einheitlicher juristischer Todesbegriff angenommen werden, der sich lediglich aus der



B. Problemfelder und aktuelle Entwicklungen51

gangspunkt stets medizinische Todeskriterien im Gebrauch, wodurch die Rückbindung der Rechtsfähigkeit an das empirisch-biologische Menschsein ausreichend beachtet wird. Argumentiert Stein gegen den gespaltenen Todesbegriff, es handele sich bei dieser Lösung um einen nichtmedizinischen Todesbegriff, der mit dem historischen Gehalt und dem Regelungszweck des § 1922 BGB nicht vereinbar sei182, überzeugt dies nicht. Zugleich wird deutlich, dass ein schlichter Verweis auf den Rechtscharakter der Rechtsfähigkeit nicht ausreichen würde, um sie von den tatsächlichen, (natur)wissenschaftlichen Schwierigkeiten zu lösen und auf diese Weise ihre Bestimmung zu vereinfachen. 3. Problemfälle jenseits der gesetzlichen Rechtsfähigkeitsgrenzen a) Der Nasciturus aa) Sondervorschriften und deren analoge Anwendung Die Beschäftigung des BGB mit dem ungeborenen Leben183 beginnt unter negativen Vorzeichen mit der Ausschlusswirkung des § 1 BGB. Durch die Festlegung auf die Vollendung der Geburt wird der Nasciturus an sich deutlich aus dem Bereich der Rechtsfähigkeit ausgenommen. Eine völlige rechtliche Nichtberücksichtigung des ungeborenen Lebens resultiert daraus jedoch nicht. Eine Reihe von speziell auf den Nasciturus zugeschnittenen Sondervorschriften rückt ihn vereinzelt in solche Positionen, die bei unvoreingenommener Betrachtung sogar einer jeweils eigenen Rechtsträgerschaft nahekommen. In erster Linie betrifft dies eine mögliche Erbfähigkeit des Nasciturus. Nach § 1923 I BGB kann nur derjenige erben, der zum Zeitpunkt des Erbfalls lebt, was mit § 1 BGB konform geht. Darüber hinaus gilt gemäß § 1923 II BGB derjenige, der zur Zeit des Erbfalls noch nicht lebt, aber bereits gezeugt ist, als vor dem Erbfall geboren. Allerdings steht dies unter der Voraussetzung der späteren Lebendgeburt des Nasciturus, was im kontextabhängigen Verwendung verschiedener Todeskriterien (Herz-Kreislaufstillstand, Hirntod) zusammensetzt. 182  Soergel/Stein, BGB Bd. 21 Erbrecht 1, 2002, § 1922 Rn. 4. 183  Die folgenden Ausführungen beschränkten sich auf den Nasciturus als wesentlicher Fall vorgeburtlicher Rechtsfähigkeitsüberlegungen. Bezüglich des Nondum conceptus existieren ebenfalls Regelungen in Sondervorschriften (§§ 331 II, 2101, 2106 II, 2109 I, 2162, 2178 BGB; Embryonenschutzgesetz) und es werden analoge Anwendungen sowie die Annahme einer Teilrechtsfähigkeit, allerdings in insgesamt schwächerer Form, diskutiert, hierzu MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6.  Aufl., § 1 Rn.  45 f.; Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, § 1 Rn. 25; Palandt/Ellenberger, 73. Aufl., § 1 Rn. 9; Mahr, S.  307 ff.

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

Gesetzeswortlaut zwar nicht eindeutig zum Ausdruck kommt, aber einhellig angenommen wird.184 In diesem Fall tritt eine Rückwirkung des Nachlass­ erwerbs ein. Der nunmehr Geborene wird vom Zeitpunkt des Erbfalls an als Erbe angesehen (gesetzliche Fiktion).185 § 2108 BGB erklärt die Anwendung dieser Regelung zudem für die Einsetzung als Nacherbe.186 In mittlerweile gleichem Maße wie durch die vorhandenen gesetzlichen Regelungen wird die tatsächliche Rechtsstellung des Nasciturus durch analoge Anwendung jener Sondervorschriften bestimmt. Von entscheidendem Einfluss ist die Anerkennung seiner partiellen Grundrechtsfähigkeit bezüglich Art. 1 I GG, 2 II S. 1 GG.187 Zur Begründung einer großzügigen Einzel- und Rechtsanalogie wird neben grundsätzlichen Überlegungen zu Vergleichbarkeit und Sachgerechtigkeit auf die notwendige zivilrechtliche Beachtung dieser vorgeburtlichen Grundrechtspositionen verwiesen.188 In diesem Sinne lassen sich z. B. aus §§ 331 II, 1923 II, 2108, 2178 BGB eine Gleichstellung des Nasciturus mit Rechtsfähigen für den gesamten Bereich des Schuld-, Sachen- und Erbrechts, zumindest hinsichtlich des Rechtserwerbs zu seinen Gunsten, ableiten. Aus § 247 FamFG soll eine beschränkte Parteifähigkeit folgen. Des Weiteren werden § 844 II S. 2 BGB und die 184  MüKo/Leipold, BGB Bd.  9, 6.  Aufl., §  1923 Rn.  20; Palandt/Weidlich, 73. Aufl., § 1923 Rn. 6. 185  MüKo/Leipold, BGB Bd.  9, 6.  Aufl., §  1923 Rn.  21; Palandt/Weidlich, 73. Aufl., § 1923 Rn. 6. 186  In diesem Zusammenhang siehe auch § 1960 I S. 2 BGB (Sicherung des Nachlasses des noch unbekannten, da ungeborenen Erben) sowie § 1963 BGB (Unterhaltsanspruch der werdenden Mutter aus dem Nachlass des Ungeborenen). Als weitere Vorschriften der gesetzlichen Berücksichtigung des Nasciturus sind zu nennen: § 844 II S. 2 BGB (Ersatzanspruch bei Tötung des Unterhaltspflichtigen); § 311 II BGB (Begünstigung durch Vertrag zugunsten Dritter); § 2043 I BGB (Aufschub der Erbauseinandersetzung bei Unbestimmtheit des noch ungeborenen Miterben); § 1626 b II BGB (vorgeburtliche Sorgerechtserklärung); § 1777 II BGB (Benennung eines Vormunds durch den vor Geburt verstorbenen Vater); § 1774 S. 2 BGB (vorgeburtliche gerichtliche Bestellung eines Vormunds; § 1912 I BGB (Bestellung eines Pflegers des Nasciturus zur Wahrung seiner künftigen Rechte). Außerhalb des BGB findet der Nasciturus Berücksichtigung v. a. im Zusammenhang mit der Tötung eines Unterhaltsverpflichteten (Ersatzansprüche gem. § 10 II S. 2 StVG, § 35 II S. 2 LuftVG, § 5 II S. 2 HPflG, § 28 II S. 2 AtG) und im Unfallversicherungsrecht (§ 12 SGB VII, Gleichstellung mit einem Versicherten). 187  BVerfG NJW 1993, 1751. Nasciturus wird als Adressat der staatlichen Schutzpflichten aus Art. 1 I, 2 II S. 1 GG anerkannt; Menschenwürde komme dem Ungeborenen bereits unmittelbar zu. In diesem Urteil findet sich der viel zitierte Ausdruck von der Entwicklung des Ungeborenen „nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch“); in der Literatur schon zuvor überwiegend bejaht, v. Münch/Kunig/Kunig, GG Bd. 1, Art. 2 Rn. 47; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. 1, Art. 1 Rn. 18 f.; Maunz/ Dürig/Herdegen, GG, Art. 1 Rn. 65; Hofmann, S.  58 f. 188  MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 31 f.



B. Problemfelder und aktuelle Entwicklungen53

übrigen Vorschriften des Haftungsrechts zu einem tendenziellen Ersatz solcher Schäden, die der Nasciturus mittelbar aus Handlungen gegen Unterhaltspflichtige erleidet, erweitert.189 Die weitaus umfangreichsten Überlegungen und Bemühungen in diesem Zusammenhang werden hinsichtlich der Ersatzfähigkeit vorgeburtlicher Schädigung nach § 823 I BGB unternommen. Speziell betrifft dies die Frage, ob der Nasciturus ein rechtsfähiger Anderer in diesem Sinne sein kann.190 bb) Formulierung einer allgemeinen Rechtsstellung des Nasciturus Die eigentlichen Schwierigkeiten zum ungeborenen Leben bestehen auf vornehmlich abstrakter Erklärungsebene, wenn es darum geht, die sich tatsächlich ergebenden Schutz- und Rechtspositionen in einen allgemeinen Satz zur Rechtsstellung des Nasciturus zu fassen. Der Versuch, das bisherige Konglomerat aus gesetzlichen Sondervorschriften und analoger Weiterentwicklung allgemein zu definieren und mit der Dogmatik des BGB in Einklang zu bringen, führt letztlich immer zu der Frage, wie es um die Rechtsfähigkeit des Nasciturus bestellt ist. (1) Gesetzesmaterialien Wenig hilfreich bei der Beantwortung dieser Frage, vielmehr Ursache für die heutigen Unsicherheiten in der Qualifikation, ist die Haltung des historischen Gesetzgebers zur Rechtsstellung des Nasciturus. In dieser Hinsicht behielt er sich jegliche Festlegung vor. Begründet wurde es mit den Schwierigkeiten, einen allgemeinen Satz und eventuell notwendige Ausnahmen zu formulieren, zumal kein äquivalenter praktischer Nutzen damit verbunden 189  Zu den anerkannten Analogien im Einzelfall siehe MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 45 f. 190  Deynet, S. 158; Schmidt, JZ 1952, 167 (168); a. A. BGHZ 8, 243 ff.; Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, § 1 Rn. 12; Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, § 1 Rn. 19; Selb, AcP 166 (1966), 76. Dieser nimmt zum Gegenstand des Anspruchs aus § 823 I BGB den Schaden des geborenen Kindes, den es dadurch erleide, dass es als kranker Mensch auf die Welt komme. Entsprechend sei der Geborene Anspruchsteller und „Anderer“, sodass in diesem Rahmen nicht die Frage der Rechtsfähigkeit des Nasciturus, sondern der Verletzungsbegriff des § 823 I BGB (vorgeburtliche Verletzung im natürlichen Sinne vs. rechtliche Relevanz dieser Verletzung und Anspruchsentstehung mit Geburt) thematisiert werde (S. 91). Eine solche Sichtweise setzt voraus, dass auf die „integre Präexistenz“ des verletzten Anspruchsstellers verzichtet wird. Angesichts der Besonderheit von Leben/Gesundheit als natürliche, der Rechtsordnung vorgegebene Güter sei eine insofern abweichende Behandlung gegenüber Eigentum und den sonstigen absoluten Rechten aber gerechtfertigt (so BGHZ 8, 243 (246 ff.)).

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

sei.191 Ob die stattdessen gewählte Methode bloßer Sondervorschriften tatsächlich weniger aufwendig ist, lässt sich allerdings bezweifeln. Immerhin sind nunmehr Einzelvorschriften zu benennen und analoge Erweiterungen zu erwägen. Dabei verlangt spätestens die Begründung der Analogien nach einer Stellungnahme in der Frage, wie der Nasciturus allgemein zu behandeln ist. Entsprechend fällt die Bewertung der kodifizierten Regelungstechnik aus. Die Bandbreite reicht von einer Anerkennung der „pragmatischpositivistische[n] Sicht“192, die den Traditionen und der „allgemeinen rechtstheoretisch-ethischen Grundhaltung der Zeit“193 entsprochen habe, bis hin zum Vorwurf der „[…] Scheu vor den Grundfragen und vor klar durchgreifenden Lösungen (‚Generalklauseln‘), das Bestreben, in der Enge kasuistischer Tatbestände auf vermeintlich gesichertem Boden zu bleiben, mangelnde Aufgeschlossenheit gegenüber der Sache der lebendigen Entwicklung, Unsicherheit gegenüber schöpferischen Fortschritten der Rechtswissenschaft […].“194

Inwiefern die offiziell verweigerte Aussage des historischen Gesetzgebers tatsächlich frei von einer Stellungnahme ist, lässt sich auf den ersten Blick schwer ausmachen. Einerseits können in der Grenzziehung des § 1 BGB, in der Betonung der Unterschiede zwischen Geborenem und Ungeborenem und in vereinzelt prägnanten Aussagen in den Gesetzesmaterialien195 Hinweise darauf gesehen werden, dass Rechtsfähigkeitsformen für den Nasciturus definitiv verneint werden sollten. Ebenso möglich ist es andererseits, die Reihe von Einzelrechtszuschreibungen gerade als konkludente Bejahung seiner Rechtsfähigkeit zu werten. Wirklich sicher lässt sich allenfalls das Fehlen eines ausdrücklichen Bekenntnisses des historischen Gesetzgebers zur Rechtsfähigkeit des Nasciturus behaupten. In jedem Fall wird durch seine Zurückhaltung ein weiter Spielraum für die heutige Interpretation des § 1 BGB eröffnet, primär hinsichtlich vorgeburtlicher Grenzziehung, darüber hinaus aber auch hinsichtlich der Dehnbarkeit des Rechtsfähigkeitsbegriffs insgesamt.

191  Mot.

I, S. 29. Bd. I, §§ 1–14 Rn. 24. 193  HKK/Duve, Bd. I, §§ 1–14 Rn. 24. 194  Wolf, E./Naujoks, S.  151 f. 195  Mot. I, S. 29: „Beginnt die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Geburt, so liegt darin zugleich, dass eine Leibesfrucht nicht Trägerin von Rechten sein kann.“; „Soweit privatrechtliche Interessen desjenigen, der empfangen, aber noch nicht geboren ist, zu wahren sind, geschieht dies am geeignetsten durch besondere Bestimmungen.“ 192  HKK/Duve,



B. Problemfelder und aktuelle Entwicklungen55

(2) Teilrechtsfähigkeit Eine Möglichkeit, die Situation des Nasciturus zu erklären, setzt an seinen gesetzlich oder analog zugestandenen Rechten und Pflichten als solchen an. Sie ließen sich jeweils in einer solchen Weise qualifizieren, die mit der BGB-Dogmatik konform gehen würde; entweder als künftige Rechte / Pflichten des Geborenen oder als subjektlose Rechte / Pflichten bzw. Anwartschaften des Ungeborenen. Die heutige Vorgehensweise ist demgegenüber durch eine tendenziell umfassende Beschreibung des Berechtigten selbst gekennzeichnet und fragt nach dessen Status und (Rechts)Fähigkeit im Allgemeinen.196 Teilrechtsfähigkeit oder Vollrechtsfähigkeit; unter aufschiebender oder auflösender Bedingung? Die Betrachtung der einzelnen Rechte und Pflichten bzw. deren Art und Erwerb erfolgt sodann diesem übergeordneten Rahmen entsprechend.197 Als mittlerweile herrschend hat sich die Ansicht durchgesetzt, die Rechtsstellung des Nasciturus als Teilrechtsfähigkeit zu beurteilen.198 Demnach besteht die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, zwar auch für den Ungeborenen, ist aber im Umfang beschränkt auf die gesetzlich benannten und analog entwickelten Rechtspositionen.199 Da § 1 BGB lediglich eine Aussage über die allgemeine Rechtsfähigkeit im Sinne von Vollrechtsfähigkeit enthalte und damit eine beschränkte Rechtsfähigkeit bzw. Teilrechtsfähigkeit weder in positiver noch in negativer Hinsicht regele, stehe er einer solchen Qualifizierung des Nasciturus-Status auch nicht entgegen.200 196  Saerbeck,

S.  74 f.; Deynet, S. 180. handelt es sich um eine Besonderheit zu § 1923 II BGB. Hier steht allein die Erbenstellung des Nasciturus als dessen Gesamtstatus unter der Bedingung der Lebendgeburt, wohingegen die einzelnen, bereits in Person des Erblassers bestandenen Nachlasspositionen durch den Erbfall nicht selbst zu bedingten Rechten und Pflichten werden. 198  MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 31; Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, § 1 Rn. 11; Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, § 1 Rn. 16; Enneccerus/Nipperdey, S. 482 Fn. 10; Larenz/Wolf, M., AT, 9. Aufl., § 5 Rn. 13, 15, 19; Fabricius, S.  111 f.; Gernhuber/Coester-Waltjen, § 75 Rn. 17 f.; Deynet, S.  179 f.; Mittenzwei, AcP 187 (1987), 247 (274); Palandt/Ellenberger, 73. Aufl., § 1 Rn. 6 f. 199  Das Ursache-Wirkung-Verhältnis zwischen dem Bestand der (analog) anwendbaren Sondervorschriften und der Teilrechtsfähigkeit ist wohl am zutreffendsten als Wechselwirkung zu beschreiben, indem Ersteres als die inhaltliche Ausgestaltung zu beschreiben ist und Letzteres die Begründung für weitere Ergänzung liefert. 200  Fabricius, S.  111 f.; Roller, S. 193  ff. differenziert insofern hinsichtlich der vermögensrechtlichen bedingten Teilrechtsfähigkeit (mit § 1 BGB vereinbar) und mit dem unbedingten Integritätsschutz (Normderogation von § 1 BGB erforderlich). 197  Insofern

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

Wolf geht die Zuerkennung von Teilrechtsfähigkeit nicht weit genug. Auch der Nasciturus sei bereits als vollrechtsfähig einzustufen.201 Nach naturrechtlichem Ergebnis202 begännen Leben und Rechtsfähigkeit ab Zeugung, da mit diesem Zeitpunkt sämtliche Anlagen vorhanden seien, die sich später durch Geburt nur noch als Vollzug des Menschseins und nicht nur als dessen Anfang darstellen würden.203 In dieser Argumentation findet sich der Potentialitätsgedanke wieder, der der Rechtsfähigkeit generell innewohnt, sobald sie definiert wird als grundsätzliche, im Einzelfall lediglich zu aktualisierende Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Hier wird dieser Gedanke dazu verwendet, den Anwendungsbereich von Rechtsfähigkeit vorgeburtlich auszudehnen. Infolgedessen kommt Wolf zu dem Schluss, § 1 BGB sei naturrechtlich unhaltbar.204 Darüber hinaus stehe er im Widerspruch zum positiven Recht selbst, denn durch die Sondervorschriften werde dem Nasciturus implizit auch die Fähigkeit zur Rechtsträgerschaft zuerkannt.205 § 1 BGB sei damit gewollt oder ungewollt206 aufgehoben.207 Allerdings lehnt Wolf die Teilrechtsfähigkeit des Nasciturus nicht etwa deshalb ab, weil er in einer solchen Konstruktion von Rechtsfähigkeit einen Angriff auf das Gleichheitsprinzip und die Menschenwürde sieht. Ausgehend von seiner grundsätzlich naturrechtlichen Sichtweise zur Rechtsfähigkeit als einer natürlichen Eigenschaft des Menschen ist es für Wolf allein logisch nicht möglich, eine Figur der Teilrechtsfähigkeit anzuerkennen. Der herrschenden Lehre, die die Rechtsfähigkeit als positivrechtliche Figur sieht, gesteht er demgegenüber eine solche Vorstellung als konsequent und konstruktiv möglich zu. Ihr Fehler liege aber bereits in der Grundprämisse.208 Die Bedeutung der späteren Lebendgeburt wird zum Teil in einer aufschiebenden209, zum Teil in einer auflösenden210 Bedingung der Rechtsfä201  Wolf, 202  Wolf, 203  Wolf, 204  Wolf, 205  Wolf,

E./Naujoks, E./Naujoks, E./Naujoks, E./Naujoks, E./Naujoks, E./Naujoks,

S. 230. S. 146. S. 144. S. 146. S. 147. S. 151 spricht von einem mittelbaren und blinden Mitent-

206  Wolf, scheiden. 207  Wolf, E./Naujoks, S. 148. 208  Wolf, E./Naujoks, S.  204 f.; Saerbeck, S. 28  ff., der auf den Zusammenhang zwischen der positivistischen/naturrechtlichen Qualifikation der Rechtsfähigkeit insgesamt und der Rechtsstellung des Nasciturus verweist. 209  MüKo/Gitter, BGB Bd. 1, 3. Aufl., § 1 Rn. 26. Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, Stand 2000, Vor § 1 Rn. 16. 210  Fabricius, S. 115 f.; vgl. auch Raschen, S. 83 ff. (86) mit einer Kombination aus auflösend bedingter Teilrechtsfähigkeit und aufschiebend bedingtem Rechtserwerb. Allerdings bezweifelt er den Wert einer allgemeinen Qualifizierung der Nasciturus-Rechtsstellung insgesamt (S. 89 ff.).



B. Problemfelder und aktuelle Entwicklungen57

higkeit bzw. des jeweiligen Rechtserwerbs gesehen. Nach letzterer Wertung entfallen bei einer Totgeburt die Einzelrechte und die entsprechende Teilrechtsfähigkeit des Nasciturus ex tunc. Nicht selten wird dabei die Bedingung der Lebendgeburt auf den vermögensrechtlichen Bereich beschränkt. Demgegenüber sollen der Integritätsschutz und das allgemeine Persönlichkeitsrecht – und damit auch eine diesbezügliche Rechtsfähigkeit – dem Nasciturus bereits vorgeburtlich unbedingt zustehen.211 Wolf wiederum verneint bezüglich der von ihm vertretenen Vollrechtsfähigkeit eine Bedingung sowohl aufschiebender als auch auflösender Art. Der Nasciturus sei vollrechtsfähig ab Zeugung, und der Umstand späterer Lebend- oder Totgeburt habe hierauf keine Auswirkungen.212 Gerade im Vergleich mit Wolf wird deutlich: Das herrschende Bekenntnis zu einer „Teilrechtsfähigkeit des Nasciturus“ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich auch bei diesem im Grund nur um die rückwirkende Rechtsfähigkeit des Geborenen handelt. Zweifelsohne ist die Dogmatik auch dann noch eine Herausforderung; ein wirkliches Novum – nämlich: eine Rechtsfähigkeit, die am Nasciturus als solchem schon vor Geburt anknüpft – wird allerdings nicht etabliert.213 Die Problematik, die mit einer allgemeinen Rechtsstellung des Nasciturus verbunden ist, bringt Lanz-Zumstein auf den Punkt, indem sie auf das dualistische Prinzip des BGB insgesamt verweist. Demzufolge werden alle rechtlichen Erscheinungen nach Personen- oder Sachqualität geordnet.214 Zugleich spricht Lanz-Zumstein den Gedanken an, die Rechtsfähigkeit des § 1 BGB in spezifisch reduzierter Bedeutung bzw. in Abgrenzung zu einer weiterreichenden Personalität insgesamt zu sehen. Der Anfang menschlichen Lebens sei allgemein auf die Verschmelzung der Keimzellen zu datieren, um eine willkürliche Behandlung zu vermeiden. Ab diesem Zeitpunkt würden unter streng genetisch-biologischen Gesichtspunkten Personalität und Subjektqualität des Menschen beginnen.215 Hierunter versteht Lanz-Zumstein allerdings nur eine ethische Komponente, von der sie die Frage der Rechtsfähigkeit im Sinne des § 1 BGB unterscheidet.216 Insoweit bestehe auch 211  Larenz/Wolf, M., AT, 9. Aufl., § 5 Rn. 13, 16.; Wolf, M./Neuner, AT, 10. Aufl., § 11 Rn. 11 ff., der wegen der Bedingtheit den Begriff der Teilrechtsfähigkeit für Vermögensrechte für unpräzise hält und von einer „partiellen Anwartschaftsfähigkeit“ sprechen will (Rn. 18); Hofmann, S. 72 ff. spricht von unbedingten Rechtspositionen zum Lebensschutz im Sinne bzw. zum Zwecke einer präventiven zivilrechtlichen Abtreibungskontrolle. 212  Wolf, E./Naujoks, S.  230 ff. 213  Mahr, S. 289. 214  Lanz-Zumstein, S. 69 Fn. 196. 215  Lanz-Zumstein, S.  286 f. 216  Lanz-Zumstein, S. 289.

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

Einigkeit, dem Nasciturus ab Zeugung einen personal bestimmten Status zuzuerkennen.217 Demgegenüber falle es schwer, aus dem dualistischen Prinzip des BGB heraus die notwendigen rechtsformalen Folgerungen für die Kategorisierung des Nasciturus zu ziehen. Auch wenn in § 1 BGB eine Rechtsfähigkeit / Personenqualität für den Ungeborenen an sich verneint würde, so dürfe angesichts der ethischen und insofern personalen Stellung des Nasciturus trotz allem keine Zuordnung zur Sachkategorie erfolgen. Von den Vertretern der Teilrechtsfähigkeit werde der Ausweg in einer entsprechend mittleren Position gesucht. Sie würden auf eine komplette Gleichstellung Geborener und Ungeborener im Sinne von Vollrechtsfähigkeit verzichten, Zwischenformen (Vor-Personen o. ä.) konstruieren und variable Ausgestaltungen der Rechtsfähigkeit akzeptieren.218 Lanz-Zumstein selbst unterscheidet zwischen einer mehr verfassungsrechtlichen Rechtssubjektivität und personalen Qualität einerseits und einer formalen zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit (rechtlicher Personenstatus) im Sinne des § 1 BGB andererseits.219 Während der verfassungsrechtliche Status dem Nasciturus uneingeschränkt und bedingungslos bereits ab Zeugung zukomme, bestehe die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit nur beschränkt hinsichtlich der einzelnen gesetzlich vorgesehenen und analog entwickelten Rechtspositionen.220 Mit einer solchen beschränkten Rechtsfähigkeit als Grundlage könne der Nasciturus wiederum konkrete, subjektive Rechtspositionen innehaben, insbesondere die Rechte auf Achtung seiner körperlichen und geistigen Unversehrtheit.221 Da zudem nach solcher Sicht ein unbedingtes Rechtssubjekt ab Zeugung existiere, müssten diese subjektiven Rechte weder aufschiebend noch auflösend bedingt durch die Lebendgeburt sein.222 b) Das postmortale Persönlichkeitsrecht Die dogmatischen Schwierigkeiten, die sich jenseits der Grenze des Todes hinter dem Stichwort des postmortalen Persönlichkeitsrechts verbergen, 217  Lanz-Zumstein,

S.  180 f. S. 176, 180 f. 219  Lanz-Zumstein, S. 302 ff. Subjektivität und personaler Status werden hier tatsächlich in erster Linie dahingehend verstanden, dass das ungeborene Leben nicht als Sache, sondern als bereits menschliches Wesen, damit als „jemand“ und damit letztlich als Person angesehen wird. Allerdings bezeichnet Lanz-Zumstein diese Rechtssubjektivität ebenso als „taugliches Zuordnungssubjekt von Rechtspositionen“, was wiederum ein Aspekt des klassischen Rechtsfähigkeitsverständnisses ist, sodass sich die Frage aufdrängt, was jenseits dessen für § 1 BGB noch übrig bleibt. 220  Lanz-Zumstein, S. 303. 221  Lanz-Zumstein, S. 303. 222  Lanz-Zumstein, S. 303. 218  Lanz-Zumstein,



B. Problemfelder und aktuelle Entwicklungen59

lassen sich in den Fragen zusammen fassen: Kann zu einem Zeitpunkt, in dem ein rechtsfähiger Mensch als Rechtsträger nicht mehr existiert (§ 1922 BGB), noch ein Persönlichkeitsrecht bestehen? Wie ist postmortaler Persönlichkeitsschutz alternativ zu verwirklichen? Im Ergebnis besteht heute weitgehend Einigkeit darin, einen Schutz der Persönlichkeit über den Tod hinaus zu gewährleisten, und zwar mit fortschreitendem Zeitablauf in abnehmendem Maße.223 Bereits die lebzeitige Anerkennung der Menschenwürde (Art. 1 I GG) und der freien Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 I GG) ist nur dann umfassend gegeben, wenn auf eine Achtung des eigenen Lebensbildes auch über den Tod hinaus vertraut werden kann. Nur dann lässt sich die Lebensführung tatsächlich frei gestalten.224 Ein solcher postmortaler Schutz findet zwangsläufig jenseits der ­erloschenen Rechtsfähigkeit statt; auch das wurde relativ schnell in Rechtsprechung und Lehre akzeptiert.225 Hinsichtlich der Umsetzung wurde ­ursprünglich eine zivilrechtliche Lösung vertreten, nach welcher das allgemeine Persönlichkeitsrecht selbst postmortal fortwirken sollte. Das Bundesverfassungsgericht („Mephisto“-Urteil226) lehnte diese Konstruktion letztlich ab, da es insofern an einem Grundrechtsträger für Art. 2 I GG fehle.227 Statt auf ein postmortales Persönlichkeitsrecht könne aber auf die Verpflichtung des Staates aus Art. 1 I GG zum postmortalen Persönlichkeitsschutz abgestellt werden228; das Fehlen eines Grundrechtsträgers sei hierfür unschädlich. In der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Lehre wurde der Weg eines postmortalen Schutzes aus Art. 1 I GG überwiegend aufgegriffen.229 Mitunter ist nach wie vor von einem postmortalen Persönlichkeitsrecht oder der Fortdauer des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 223  Stellvertretend MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 51; zur Entwicklung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes in Rechtsprechung und Literatur siehe Martin, S.  258 ff.; Schönberger, S.  5 ff., 8 ff. 224  BGHZ 50, 133 (139) („Mephisto“). 225  BGHZ 15, 249 („Cosima Wagner“): Die „schutzwürdigen Werte der Per­ sönlichkeit überdauern die mit dem Tod erlöschende Rechtsfähigkeit ihres Subjekts.“ 226  BVerfGE 30, 173. 227  Damit fehlt es für ein zivilrechtliches Persönlichkeitsrecht bereits an einer mittelbaren Drittwirkung aus Art. 2 I, 1 I GG. Das Argument eines fehlenden Grundrechtsträgers kann darüber hinaus parallel auf die erloschene Rechtsfähigkeit angewendet werden. 228  Insofern wird betont, dass dieser postmortale Schutz nur noch aus Art. 1 I GG stamme, nicht mehr, wie das lebzeitige allgemeine Persönlichkeitsrecht, aus Art. 2 I, 1 I GG. 229  BGHZ 107, 384; Erman/Klass, BGB I, 13. Aufl., Anh. § 12 Rn. 69; Küchenhoff, in: FS Geiger, S. 45 (50); Schlechtriem, DRiZ 1975, 65 (68); Palandt/Sprau, 73. Aufl., § 823 Rn. 90.

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

bzw. Teilen davon die Rede230; hierbei handelt es sich regelmäßig um lediglich ungenaue Formulierungen231. Alternativ zum herrschenden Schutzkonzept wird allerdings auch weiterhin die Ansicht eines echten postmortalen Persönlichkeitsrechts vertreten. Um in diesem Fall den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu werden, wird dieses entweder als subjektloses Recht232 ausgestaltet oder in einer treuhänderischen Trägerschaft / Wahrnehmung durch die Angehörigen des Toten233 gesehen. Parallel zur Behandlung des Nasciturus besteht eine weitere Erklärung in der Teilrechtsfähigkeit des Toten, beschränkt auf Angelegenheiten seiner Persönlichkeit.234 Ebenso wird ein Angriff gegen den Toten als Verletzung des eigenen Persönlichkeitsrechts der Angehörigen gewertet235 oder es wird mit Analogien zu urheber- bzw. strafrechtlichen Vorschriften gearbeitet236. Von weiteren, weniger gängigen Modellen zum postmortalen Persönlichkeitsschutz237 ist die Konstruktion von Buschmann zu nennen. Dieser führt eine besondere Art von Rechtssubjektivität ein, die er als Eigenschaft des Menschen, Zuordnungssubjekt mindestens eines Rechtssatzes zu sein, definiert.238 Als solche gehe sie über die Rechtsfähigkeit im Sinne von § 1 BGB hinaus, ende nicht mit dem Tod und könne damit Grundlage eines postmortalen Persönlichkeitsrechts sein.239 Hierin findet sich eine Parallele zur oben 230  Handbuch des Persönlichkeitsrechts/Brändel, §  37 Rn.  3; Soergel/Beater, BGB Bd. 12 Schuldrecht 10, 2005, § 823 Anh. IV Rn. 26; MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 50 mit einer unzutreffenden Interpretation bzw. Darstellung der BGH-Rechtsprechung. 231  Erkennbar dadurch, dass eindeutig nur auf Art. 1 I GG abgestellt wird, siehe Handbuch des Persönlichkeitsrechts/Brändel, § 37 Rn. 1, 4 f. 232  Hubmann, S.  341 f.; Schack, GRUR 1985, 352 (361); nicht ganz deutlich Staudinger/Marotzke, BGB 5. Buch, § 1922, Rn. 131. 233  Staudinger/Hager, BGB 2. Buch, 1999, § 823 C Rn. 39; Lange/Kuchinke, S.  102 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II BT 2, S. 523 (§ 80 VI 1 c) bezüglich Verhaltenspflichten zum Schutz des Toten; Wolf, M./Neuner, AT, 10. Aufl., § 11 Rn. 23. 234  MüKo/Gitter, BGB Bd. 1, 3. Aufl., § 1 Rn. 58; MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 55; Hirsch, S. 131; Knellwolf, S. 17. 235  Westermann, H.P., FamRZ 1969, 561 (566 f.). 236  Staudinger/Hager, BGB 2. Buch, 1999, § 823 C 39; wohl in diese Richtung gehend Schwerdtner, S.  111 f. 237  Beispielsweise Schönberger, S. 74  ff. mit einer objektiv-rechtlichen Schutzpflicht des Staates, die sich auf allgemeine Pietätsvorstellungen, auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Angehörigen hinsichtlich des Umgangs mit der Leiche sowie auf den Vertrauensschutz des Toten hinsichtlich der Beachtlichkeit seines lebzeitig geäußerten Willens stütze; Luther, S. 199 gegen einen zivilrechtlichen Schutz nichtvermögensrechtlicher Persönlichkeitsaspekte; lediglich öffentlich-rechtlicher Schutz. Die st. Rspr. sei dementsprechend ein Verstoß gegen Art. 20 III GG. 238  Buschmann, NJW 1970, 2081 (2087).



B. Problemfelder und aktuelle Entwicklungen61

angedeuteten Überlegung, die Rechtsfähigkeit des § 1 BGB in einem engeren Sinne zu verstehen und von anderen weitergehenden Formen von Personalität und Rechtssubjektivität zu unterscheiden. 239

II. Tendenzen in anderen wissenschaftlichen Disziplinen Auch auf anderen wissenschaftlichen Feldern ist die Person zu einem Schlüsselbegriff geworden240, allen voran in Medizin, Bioethik und Philosophie241. Im Grunde handelt es sich hierbei um das eigentliche Forum der aktuellen Diskussionen. Selbst die rechtlichen Erwägungen zur Person stehen regelmäßig nicht isoliert im Bereich der Rechtswissenschaft, sondern aus Anlass und im Kontext medizinischer, ethischer und philosophischer Themen. In einer solchermaßen interdisziplinären Verwendung des Personenbegriffs dominiert dann allerdings weniger der Aspekt der Rechtsfähigkeit. Vielmehr werden in Medizin und Bioethik das Lebensrecht (Art. 2 II S. 1 GG, §§ 212 ff., 218 ff. StGB)242 und in der Philosophie die Menschenwürde allgemein243 thematisiert, was wiederum an den Status der Person anknüpft. Dabei wird eine zumindest mittelbare Bedeutung dieser fachfremden Entwicklungen für den juristischen Bereich angenommen; sie vollziehe sich zwangsläufig und auch ohne direkt rechtliche Auseinandersetzung über entsprechende Einbruchstellen in der Rechtsdogmatik.244 Der Kern sämtlicher Überlegungen ist das Verhältnis bzw. die Verbindung zwischen Person und Mensch, konkret: Inwiefern knüpft der Personenbegriff (ausschließlich) am Menschsein an und definiert sich über das Vorliegen spezifisch menschlicher Eigenschaften? Je nach Grundausrichtung und dem Aufstellen personenbildender Kriterien kommt es zu einer mehr oder weniger großen Übereinstimmung von Mensch und Person. Hieran gemessen lassen sich die neueren Tendenzen nach reduzierenden oder erweitern239  Buschmann,

NJW 1970, 2081 (2087). in: Beck, Jenseits von Mensch und Maschine, S. 133 (133, 138 ff.) mit Schwerpunkt auf den Bereichen der Informations- und Kommunikationstechnologien. Die bisherigen Haftungserweiterungen der Rechtsprechung würden längerfristig in neue Fassungen von Rechtsfähigkeit und Rechtssubjektivität münden (S.  145 f., 150). 241  Genau genommen handelt es sich bei all diesen Diskussionen um philosophische Fragen, die lediglich die jeweilige Disziplin spezifisch betreffen, so auch Kobusch, S. 263. 242  Honnefelder, Philosophisches Jahrbuch 1993, 246 (246). 243  Wildfeuer, in: Nicht/Wildfeuer, Person-Menschenwürde-Menschenrechte im Disput, S. 19 (22); Damm, AcP 202 (2002), 841 (877) sieht die Verschränkung der bioethischen Diskussionen insbesondere zu den Grundrechten. 244  Höfling, in: FS Schiedermair, S. 363 (363 f., 366 ff.); Damm, AcP 202 (2002), 841 (845 f.). 240  Gruber,

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

den Bestrebungen systematisieren und die vertretenen Ansichten in Äquivalenz- und Nichtäquivalenztheorien unterteilen.245 Kennzeichen der Äquivalenztheorien ist die Gleichsetzung von Mensch und Person. Der Mensch, und nur der Mensch, ist Person. Nichtäquivalenztheorien246 haben demgegenüber gemein, hinsichtlich Umfang und inhaltlicher Bedeutung eine Begriffsdifferenz zwischen Mensch und Person anzunehmen.247 In einer Art Tauglichkeitsbeweis (qualitativer Personenbegriff)248 wird die Annahme des Personenstatus vom Vorliegen bestimmter Eigenschaften abhängig gemacht, in der Regel in Ergänzung zum bloßen Menschsein, z. T. aber auch in völliger Auflösung der Mensch-Personen-Verbindung. Je nach Ausgestaltung der Begriffslücke ergeben sich die Untergruppen der Nichtäquivalenztheorien: Welche Fähigkeiten werden für Personalität gefordert: kognitive, moralische? Ab welcher Qualität und Intensität wird das Vorliegen dieser Fähigkeiten bejaht / verneint: Dauer, Umfang, Sicherheit?249 Soweit die Zuschreibung von Personenrechten Gegenstand der geführten Diskussionen ist, besteht nach den Äquivalenztheorien eine direkte Begründungsbeziehung zwischen dem Menschen und dem Besitz der (moralischen Lebens-)Rechte, die die Person ausmachen.250 Dagegen kann nach den Nichtäquivalenztheorien nur ein indirekter Zusammenhang zwischen Mensch, Person und dem Besitz von Rechten bestehen. Nach Birnbacher und Höfling handelt es sich hierbei in allen Fällen um das Dazwischenschalten von Interessen und Bedürfnissen.251 Rechte würden nicht besessen wegen des Personenstatus oder gar des Menschseins, sondern aufgrund bestimmter Interessen und Bedürfnisse, die der Mensch gerade als Person habe.252 Nach den Äqui245  Überblick bei Müller-Terpitz, S. 49 ff. Die dortige Einteilung wird parallel in den Bereichen der Bioethik, Philosophie und der Rechtswissenschaft verwendet, z. T. unter anderslautenden Bezeichnungen. So wie hier (Äquivalenz/Nichtäquivalenz) bei Höfling, in: FS Schiedermair, S. 363 und Birnbacher, ARSP-Beiheft 73 (1997), 9 ff.; als „Inklusions-/Exklusionstheorie“ bei Müller-Terpitz, S. 49 ff. und Kipke, S.  10 f.; als „personale/antipersonale Option“ bei Knoepffler, S.  117 ff., 128 ff. 246  Vor allem im angelsächsischen Bereich vertreten, beispielsweise Tooley, in: Leist, Um Leben und Tod, S. 157 ff.; Singer, Leben und Tod; Singer Praktische Ethik; Tendenzen auch bei Birnbacher, ARSP-Beiheft 73 (1997), 9 (20 ff.). 247  So die Zusammenfassung bei Birnbacher, ARSP-Beiheft 73 (1997), 9 (10); Höfling, in: FS Schiedermair, S. 363(365). 248  Birnbacher, ARSP-Beiheft 73 (1997), 9 (10); Wildfeuer, in: Nicht/Wildfeuer, Person-Menschenwürde-Menschenrechte im Disput, S. 19 (96 f.). 249  Birnbacher, ARSP-Beiheft 73 (1997), 9 (10). 250  Spaemann, S.  263 ff.; Birnbacher, ARSP-Beiheft 73 (1997), 9 (9) konkretisiert es dahingehend, dass nicht die Bedeutungen, sondern die Begriffsumfänge von Mensch und Person deckungsgleich seien. 251  Birnbacher, ARSP-Beiheft 73, (1997), 9 (10); Höfling, in: FS Schiedermair, S.  363 (365 f.).



B. Problemfelder und aktuelle Entwicklungen63

valenztheorien erfolgt damit die Zuschreibung von Rechten statusorientiert (anknüpfend am Personenstatus, der zudem deckungsgleich mit dem Menschsein ist), nach den Nichtäquivalenztheorien interessenorientiert.253 252

Die Auswirkungen von Äquivalenz und Nichtäquivalenz zeigen sich an den Rändern, indem nicht alle Menschen Personen und / oder nicht alle Personen Menschen sind. Die erste Fallgruppe, in der eine personen„reduzierende“ Tendenz vertreten wird, betrifft im Wesentlichen den medizinisch-ethischen Bereich, wo die Zugehörigkeit von Föten, anencephalen Neugeborenen, Altersdebilen und irreversibel Komatösen zum Personenkreis thematisiert und u. U. in Frage gestellt wird. Spaemann fasst den Tenor der dort geführten Diskussion zu einem Standpunkt mit grundsätzlich negativem Aussagegehalt zusammen: Der bislang positiv assoziierte Personenbegriff254 habe die umgekehrte Wirkung eines Ausgrenzungsmechanismus erhalten.255 Die Leitfrage laute nicht mehr, was eine Person sei, sondern wer.256 Die gegenteilige Erweiterung des Personenbegriffs über den Menschen hinaus findet sich etwa im Forschungsgebiet der Künstlichen Intelligenz (KI; artificial intelligence, AI), einem Teilbereich der Informatik und Kybernetik. Dieser umfasst den Versuch einer Nachahmung bzw. Nachbildung menschlicher / menschenähnlicher Intelligenz. Konkret steht dahinter die Entwicklung und Konstruktion von Maschinen (Computern), die zur Lösung solcher Probleme in der Lage sein sollen, die beim Menschen Intelligenz erfordern.257 Die Grundthese ist, dass es sich bei (menschlichem) Denken um reine Informationsverarbeitung handele, die unabhängig von der Materie (menschlicher Körper, menschliches Gehirn) möglich und entsprechend simulierbar bzw. parallel konstruierbar sei.258 Die Verbindung zu metaphysi252  Birnbacher,

ARSP-Beiheft 73, (1997), 9 (10). in: FS Schiedermair, S. 363 (363 f.) für die Nichtäquivalenztheorien; Birnbacher, ARSP-Beiheft 73, (1997), 9 (10) mit Beispiel: Nach der Äquivalenztheorie habe der Mensch/die Person Freiheitsrechte, weil er zur Freiheit fähig sei; nach der Nichtäquivalenztheorie habe der Mensch/die Person ein Interesse an Freiheit, weil er zur Freiheit fähig sei und erst deshalb habe er Freiheitsrechte. 254  Spaemann, S. 10. Der Personenbegriff werde seit Kant als Gedanke der nomen dignitas zur Begründung von Menschenrechten herangezogen. 255  Spaemann, S. 10. 256  Höfling, in: FS Schiedermair, S. 363 (363 f.); Birnbacher, ARSP-Beiheft 73 (1997), 9 (9). 257  Unter zahlreichen Definitionen und Forschungsfeldbeschreibungen der Künstlichen Intelligenz hat sich insbesondere die von Winston, S. 21 eingebürgert: „Künstliche Intelligenz ist die Untersuchung von Ideen, die es Computern ermöglichen, intelligent zu sein.“ 258  Vgl. Winston, S. 22 zur Unterscheidung, Computer intelligent sein zu lassen und Computer Intelligenz simulieren zu lassen. Insofern z. T. die Abgrenzung zwischen starker und schwacher KI. 253  Höfling,

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Kap. 1: Person und Rechtsfähigkeit in der aktuellen Diskussion

schen, ontologischen und erkenntnistheoretischen Fragestellungen liegt nahe.259 Was macht menschliches Denken und Bewusstsein aus? Handelt es sich hierbei um etwas spezifisch Menschliches? Welche Bedeutung hat die Materie für den Geist? Ein weiterer Fall der Personenkreiserweiterung ist die Einbeziehung hochentwickelter Tierarten in den Personenbegriff.260 Singer, als populärster Vertreter dieser Sichtweise, lehnt ein an der Gattung des homo sapiens orientiertes Personen- und Schutzkonzept als willkürlich ab. Indem er gattungsunabhängig auf das Bewusstsein von Lebewesen als Anknüpfungspunkt des Personenstatus und des Lebensschutzes abstellt, kommt er u. a. zur Einbeziehung von Menschenaffen in den Personenkreis.261 Im Grundsatz geht es auch hier in allen betroffenen Bereichen darum, den Kern des Personseins auszumachen und demgemäß die personenbestimmenden Kriterien festzulegen. Dies beginnt bei der prinzipiellen Ausrichtung des Personenbegriffs – entweder an sittlich-moralischen Werten wie Freiheit, an (menschlicher / menschenähnlicher) Intellektualität oder ganz rational an einer functional organisation262  – und reicht bis zur Festlegung der Merkmale eines „Anforderungsprofils“ im Einzelnen. Im Regelfall wird auf die Vernunftfähigkeit als Kern des Personenbegriffs abgestellt.263 Als Elemente inhaltlicher Ausgestaltung kommen dann in Betracht (u. a.): Intentionalität und Fähigkeit zu Urteilen; zeitliche Transzendenz der Gegenwart (Zukunftsbewusstsein / Erinnerungsfähigkeit); Selbstbewusstsein und Selbstdistanz; Rationalität und Vernünftigkeit; Autonomie; Moralität; Fähigkeit zur Übernahme von Verpflichtungen.264 Das endgültige Anforderungsprofil ergibt sich aus der Kombination und der jeweils geforderten Intensität jener Fähigkeiten (minimal / ideal; aktuell / potentiell). 259  Grundsätzlich ist die starke KI als eine Art „visionärer Teilbereich“ von vorwiegend philosophischem Charakter und Relevanz, insbesondere mangels nennenswerter praktischer Erfolge. 260  Zuletzt wurde vor einem US-Gericht (New York) die Klage der Tierschutzorganisation Nonhuman-Rights-Project (NHP) in der Frage verhandelt, ob Schimpansen Personen und mit entsprechenden Rechten (Habeas Corpus) ausgestattet seien. Im August 2015 lehnte das Gericht die Anerkennung eines Personenstatus ab, weil es sich insbesondere durch eine frühere Entscheidung eines Berufungsgerichts gebunden sah. Für die Zukunft schloss es eine andere Entscheidung nicht aus. 261  Vgl. Singer, Praktische Ethik, S. 147 ff. 262  Pollock, S. 111. Seine Schrift „How to build a person“ galt seinerzeit als programmatisch für Kybernetik und starke KI. Unter Verteidigung dreier Thesen suchte Pollock Beweis dafür zu erbringen, dass es möglich sei, eine Person künstlich zu erschaffen (durch Nachbildung menschlicher Intelligenz); anders Kobusch, S. 264, der im Fehlen eines ethischen Kerns das Grundproblem von Pollocks auf bloße „rationale Architektur und Intelligenz reduzierten“ Personenbegriffs sieht. 263  Birnbacher, ARSP-Beiheft 73 (1997), 9 (13). Dies gelte im Grundsatz sowohl für Äquivalenz- als auch für Nichtäquivalenztheoretiker. 264  Birnbacher, ARSP-Beiheft 73 (1997), 9 (13).



B. Problemfelder und aktuelle Entwicklungen65

Die hierbei vorgebrachten Argumente laufen im Wesentlichen parallel zu den aus rechtlichen Fragestellungen bekannten Überlegungen. Stellt sich beispielsweise die Frage, ob Willensunfähige unter den Personenbegriff zu fassen sind, argumentieren Äquivalenztheoretiker mit der allgemeinen „Einstufung“ von selbst schwer Debilen als „Jemand“ (kranker Mensch) und nicht als „Etwas“ (Nicht-Person, aber insofern im Normalzustand).265 Entsprechend kommen sie dazu, die geforderten Vernunftfähigkeiten auf ein potentielles Maß zu reduzieren bzw. gänzlich auf die Gattungszugehörigkeit oder Mitgliedschaft in einer sozialen Gemeinschaft zurückzugreifen.266 Die hiergegen vorgebrachte Kritik ist ebenfalls weitgehend standardisiert. So wird regelmäßig mit der De-facto-Preisgabe des Vernunftkriteriums argumentiert. Bei einem solchermaßen reduzierten bzw. interpretierten Anforderungsprofil werde die Person nicht mehr als Subjekt des Könnens behandelt.267 Der entgegengesetzte Fall, bei dem gesteigerte Anforderungen an die Personalität gestellt werden, findet sich in der bioethischen Personendoktrin des Rechtsphilosophen Hörster. Dieser knüpft ein Recht auf Leben an ein entsprechendes Überlebensinteresse des Betroffenen.268 Für Neugeborene verneint er ein solches Interesse bzw. argumentiert mit einer diesbezüglich „extreme[n] Kurzfristigkeit“ und einer „relative[n] Geringfügigkeit“269, die ein so gewichtiges Recht wie das Recht auf Leben nicht legitimieren würden. 265  Spaemann,

S.  259 f. den einzelnen Argumenten siehe Spaemann: Zugehörigkeit zur biologischen wie personalen Gemeinschaft der Menschheit als das bestimmende Element des Personseins (S. 254 ff.); Entwicklung spezifisch personaler Eigenschaften i. d. R. erst infolge der Anerkennung als Person durch Mitmenschen (S. 256 ff.); Schwierigkeiten der Nichtäquivalenztheorien, zu erklären, warum sie diejenigen Fälle, die die aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllen, trotzdem als „jemand“ behandeln (S. 259 f.); Entwicklung von Kleinkindern nicht zur Person, sondern als Person (keine potentielle Personen, sondern lediglich Personen mit Fähigkeiten i. S. v. Potential); weitere Argumente bei Wildfeuer, in: Nicht/Wildfeuer, Person-MenschenwürdeMenschenrechte im Disput, S. 19 (99 ff.): Schwierigkeiten, Vernunft, Bewusstsein, Interessen, Zukunftsorientierung etc. als Bedingungen für das Personsein empirisch zu ermitteln (S. 99); Unterscheidung von Zuschreibungsgrund (Leibhaftigkeit des Menschen als ausreichendes „deutungsloses Zeichen“; sittliche Subjektivität der Selbstzweckhaftigkeit; einer Beurteilung von außen entzogen) und bloß indizierender Zuschreibungskriterien (S. 100 f.). 267  Birnbacher, ARSP-Beiheft 73 (1997), 9 (12 ff.): Begründungsschwierigkeiten der Äquivalenztheorien, die die Person ebenfalls als Subjekt des Könnens definieren. 268  Hörster, S. 12 ff. Für ein solches Überlebensinteresse fordert Hörster entweder einen ausdrücklichen Überlebenswunsch oder irgendeinen sonstigen Wunsch, für dessen Erfüllung das Überleben notwendige Voraussetzung ist. 269  Hörster, S. 15 f. Dabei geht Hörster so weit, sich mit dieser Argumentation auf nicht nur anencephale Neugeborene zu beziehen, sondern ein Lebensinteresse aller Neugeborenen zu verneinen. 266  Zu

Kapitel 2

Problemverdichtung und Erklärungsansätze A. Kritische Beobachtungen zum herrschenden Modell Ausgehend von dem obigen Bestand aktueller Diskussionen lässt sich ein Grundthema in sämtlichen Arbeitsfeldern zur Person wiederfinden: die Deckungsgleichheit von Mensch, Person und Rechtsfähigkeit und die eventuellen Umsetzungsschwierigkeiten bei deren Gewährleistung. Anders formuliert stellt sich regelmäßig die Frage nach der Allgemeinheit und Gleichheit der Rechtsfähigkeit bzw. der diesbezüglich hinzunehmenden Grenzen. Der Charakter des § 1 BGB, der wie gesehen ein abstraktes, ethisch-rechtliches Begriffsverständnis zugrunde legt, wird sich hierbei als eigentlicher Anknüpfungspunkt erweisen.

I. Ausstrahlungswirkung der Anerkennung von Teilrechtsfähigkeit Die Diskussion um den Nasciturus und die in diesem Rahmen vertretene Teilrechtsfähigkeit haben Ausstrahlungswirkung auf das Gesamtverständnis von Rechtsfähigkeit. Rein rechtstechnisch betrachtet ließe sich zunächst sagen, es werde der an sich abstrakt konzipierte Rechtsfähigkeitsbegriff insgesamt umgeformt, um ihn einer solchen Konstruktion zugänglich zu machen. Allerdings geht es der Sache nach wohl darüber hinaus. In Frage steht ein apriorisch „gestuftes Würdekonzept“ (Duve)1 des menschlichen Lebens, welches diesseits von § 1 BGB eine Figur der Teilrechtsfähigkeit ermöglichen oder erfordern, zumindest aber bewirken würde. Vielfach werden derartige Zusammenhänge bzw. Auswirkungen allerdings bestritten. Allein durch die Beschränkung auf bestimmte Rechte und Pflichten werde keine Aussage über Art und Umfang der zugrunde liegenden Menschenwürde getroffen, da es sich hierbei lediglich um eine Frage technischer Ausgestaltung der Rechtsfähigkeit handele.2 Diese Erklärung zielt auf die klassi1  HKK/Duve, Bd. I, §§ 1–14 Rn. 30. Nichtsdestotrotz sieht er in der Teilrechtsfähigkeit die für den Nasciturus bestmögliche Lösung (Rn. 25, 28 ff.). 2  So Deynet, S. 33. Der Grundsatz gleicher Rechtsfähigkeit sei keine Selbstverständlichkeit, sondern ein „abstrakter Begriff der neueren deutschen Rechtslehre, der



A. Kritische Beobachtungen zum herrschenden Modell67

sche Betrachtungsweise ab, wonach die potentielle Trägerschaft sämtlicher Rechte von einer konkreten, tatsächlich zustehenden Rechtsposition zu trennen ist.3 Demgegenüber ist Duve der Ansicht, die Rechtsfähigkeit betreffe bei natürlichen Personen, anders als bei juristischen, stets auch Aspekte von Ethik und Menschenwürde.4 Insofern bezieht er sich auf Rüthers: In der Regelung der Rechtsfähigkeit werde das Bild des Menschen, das der Rechtsordnung zugrunde liege, widergespiegelt, womit notwendigerweise ethische und sittliche Wertungen eingeschlossen seien.5 Eine per se negative Bewertung von Teilrechtsfähigkeit verbindet Duve damit allerdings nicht. Er stellt lediglich die Öffnung des Rechtsfähigkeitsbegriffs für Stufungen und Zwischenformen fest und weist auf die von ihm gesehenen Konsequenzen im Begriffsverständnis hin. Vielmehr bescheinigt auch er der Teilrechtsfähigkeit des Nasciturus, als konsequente Lösung in das moderne Bild der Rechtsfähigkeit zu passen bzw. dieses selbst zu prägen.6 Gerade anhand der Nasciturus-Thematik zeigt sich bei unbefangener Betrachtung das Potential variabler Rechtsfähigkeitskonzepte. Sie stellen eine angemessene und zeitgemäße Reaktion auf aktuelle Problemfelder dar. Allerdings ist mit diesen Veränderungen ein Abweichen von traditionellen Rechtsfähigkeitsbildern und Rechtsfähigkeitsinhalten verbunden.7 Entsprechend gewinnen Fragen an Gewicht wie: Welche rechtstechnischen Ausgestaltungen sind im Rahmen einer modernen Sichtweise gewollt und möglich? Was bleibt von einer Konzeption der Rechtsfähigkeit, die am Gedanken des Menschseins ohne Abstufungen anknüpfen soll, noch übrig, wenn das Universalitätsprinzip nicht einmal mehr im Begriff gewahrt wird?

II. Allgemeine und gleiche Rechtsfähigkeit des lebenden Menschen Überlegungen zum Allgemeinheits- und Gleichheitsprinzip betreffen indes nicht nur den Fall des Nasciturus bzw. nicht erst einen durch seine für sich genommen nur systematische Funktionen hat. Welches Maß an Rechtspersönlichkeit jedem Menschen zukommt, wieweit die Leibesfrucht bereits vor ihrer Geburt zu schützen ist, diese Fragen wurden entschieden ohne Rücksicht auf den für sich genommenen blutleeren Begriff der Rechtsfähigkeit.“ 3  Insofern käme hier lediglich die Besonderheit hinzu, die konkrete Ausgestaltung bereits am Rechtsfähigkeitsbegriff selbst ansetzen zu lassen. 4  HKK/Duve, Bd. I, §§ 1–14 Rn. 25, 30. 5  HKK/Duve, Bd. I, §§ 1–14 Rn. 25. 6  HKK/Duve, Bd. I, §§ 1–14 Rn. 25, 28 ff. 7  Gruber, in: Beck, Jenseits von Mensch und Maschine, S. 133 (134 f., 139: „die begrifflichen und konstruktiven Innovationen als Antworten auf neue gesellschaftliche Herausforderungen“).

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

Teilrechtsfähigkeit modifizierten Rechtsfähigkeitsbegriff. Unerwartet umfangreiche Abweichungen von diesem Prinzip – tatsächlicher oder nur vermeintlicher Art – lassen sich bereits bei der Formulierung der Rechtsfähigkeit im „Normalfall“ beobachten, d. h. wenn sie allein den lebend geborenen und noch lebenden Menschen betreffen. Dabei wäre an sich anzunehmen, dass gerade die moderne Verbindung von Mensch, Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit durch nichts besser ausgedrückt werden könnte als durch das egalisierende Prinzip einer allgemeinen Rechtsfähigkeit „ohne Wenn und Aber“.8 Das Modell des BGB scheint dieses Prinzip vollauf umzusetzen, wenn es von einer allgemeinen Rechtsfähigkeit ausgeht und bestimmt: Die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, ist in ihrer Generalität ein unumstößliches Minimum. Auch dürfte sich die Einhaltung dieser Formel leicht überprüfen lassen, denn bei einer strikten Anwendung müssten sich Ausnahmen und Einschränkungen jeglicher Art verbieten. Stellt diese abstrakte Grundlage damit eine gewissermaßen letzte Sicherheitsschwelle zur Verfügung, können auch Unterschiede in den konkreten Rechts- und Pflichtenpositionen bedenkenlos zugelassen werden.9 Stattdessen ist mitunter auch in Bezug auf natürliche Personen von besonderer, beschränkter und relativer Rechtsfähigkeit die Rede.10 Werden auf diese Weise Stufungen in der Rechtsfähigkeit lebender Menschen vorgesehen, setzt dies an sich eine (mehr oder weniger) andersartige Dogmatik bzw. einen anderen als den traditionell abstrakten Rechtsfähigkeitsbegriff voraus, und zwar mittlerweile auch diesseits der Geburtsund Todesgrenzen. Andernfalls sind besondere, beschränkte und relative Rechtsfähigkeiten bei lebenden Menschen nicht zu erklären. Da die in diesem Zusammenhang kursierenden Begriffe – besondere, beschränkte, relative Rechtsfähigkeit; Voll- oder Teilrechtsfähigkeit – höchst unterschiedlich verwendet werden, ist eine inhaltliche Systematisierung erforderlich. Eine grundlegende Einteilung lässt sich danach vornehmen, ob eine allgemeine Rechtsfähigkeit überhaupt als Grundelement angenommen wird oder nicht. Im ersten Fall handelt es sich um Modelle, die die Rechtsfähigkeit als eine solche Ordnungsgröße ansehen, die zumindest im Aus8  Müller-Freienfels, S. 187 f. bezeichnet es als den bestmöglichen Ausdruck für die metajuristische Idee der klassischen Philosophie; Pawlowski, BGB AT, Rn. 139 f. 9  Lübtow, in: FS Wolf, S. 421 (443 ff.). 10  Staudinger/Habermann, BGB 1. Buch, 2013, Vor § 1 Rn.2 („besondere Rechtsfähigkeit im Hinblick auf bestimmte Einzelrechte“); Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, Stand 2000, Vor § 1 Rn. 6 f. („besondere Rechtsfähigkeit“); Fabricius, S. 51 f. („besondere, spezielle Rechtsfähigkeit“); Mahr, S. 34, 102 („besondere Rechtsfähigkeit“; steht allerdings im Kontext des IPR und der dortigen speziellen Kollisionsnormen); Roth, S. 289 („konkrete Rechtsfähigkeit“ iSe bereichsweisen Ausdehnung; entsprechend auch bereichsweise Einschränkung der Rechtsfähigkeit).



A. Kritische Beobachtungen zum herrschenden Modell69

gangspunkt einen generellen Zuschnitt von festem Bestand hat. Die weiteren Figuren der besonderen oder beschränkten Rechtsfähigkeit werden erst im Folgenden aus dieser allgemeinen Größe entwickelt und im Vergleich zu dieser definiert. Die gegenteilige Ansicht leugnet die Existenz einer allgemeinen Rechtsfähigkeit bereits im Grundsatz, weil sie wesensuntypisch bzw. wesensunmöglich sei. Hiernach ist die Rechtsfähigkeit immer nur eine individuelle Rechtsfähigkeit des Einzelnen und damit stets relativ bezogen auf die konkreten Fähigkeiten und Rechtspositionen. Es kann damit schlicht keine Abstraktion und keine allgemeine Definition von Rechtsfähigkeit geben. Eine solche Sichtweise ist insbesondere im öffentlichen Recht11 hinsichtlich der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen verbreitet, wird allerdings auch im Zivilrecht12 vertreten. Bedenken gegen solche Rechtsfähigkeitsvariationen mögen zunächst in gänzlich undifferenzierter Weise bestehen, da das Thema „Unterschiede in der Rechtsfähigkeit“ an sich abschreckt. Es assoziiert ein Antasten der Menschenwürde: Benachteiligungen könnten lediglich terminologisch kaschiert sein, indem Menschen als „immerhin rechtsfähig, wenn auch von unterschiedlicher Art“ bezeichnet würden.13 Es mag übertrieben sein, eine solche Haltung gegenüber den Figuren der besonderen, beschränkten und relativen Rechtsfähigkeit zu entwickeln, sobald sie auch diesseits des pränatalen und postmortalen Bereichs auftreten. Bei dem Prinzip der allgemeinen und gleichen Rechtsfähigkeit handelt es sich jedoch um eine relativ junge Erkenntnis und bei deren gesetzlichen, erst recht tatsächlichen Umsetzung um eine noch jüngere Errungenschaft. Dieser Umstand dürfte eine nicht unerhebliche Rolle spielen und zur Vorsicht mahnen. Andererseits kommt auch ein streng abstraktes Verständnis, das eine derart positiv konnotierte allgemeine Rechtsfähigkeit überhaupt erst ermöglicht, nicht gänzlich ohne Differenzierungen aus. Der als Reaktion auf die tatsächlichen Verhältnisse notwendige Spielraum schlägt sich zwangsläufig in Form des Innehabens verschiedener konkreter Rechte und Pflichten nieder. Die Handhabung der tatsächlichen menschlichen Unterschiede verlagert sich in der Hauptsache auf das von der herrschenden Dogmatik getrennt geführ11  Jestaedt, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, GVwR I, §  14 Rn.  20 ff.; Bachof, AöR, 83 (1958), 208 (257 ff.); Kluth, in: Stober/Kluth, VerwR II, § 82 Rn. 16 ff., 21. Dies ist allerdings mit der Einschränkung zu sehen, dass für juristische Personen insoweit allgemein etwas anderes gilt. 12  Grundlegend Fabricius (Relativität der Rechtsfähigkeit). 13  Lehmann, AcP 207 (2007), 225 (234). Abstufungen in der Rechtsfähigkeit würden einen „glatten Bruch mit den Errungenschaften der französischen Revolu­ tion“ bedeuten; Westermann, H., Person und Persönlichkeit, S. 12 ff.; vgl. ferner HKK/Duve, Bd. I, §§ 1–14 Rn. 29 mit einem Hinweis auf derartige Reaktionen; ebenso Roth, S.  293 f.

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

te Element der Handlungsfähigkeit.14 Zwar treffen solche „Gestaltungsnotwendigkeiten“ auf alle abstrakten Rechtsbegriffe zu, sodass es sich hierbei nicht um ein Sonderproblem der allgemeinen Rechtsfähigkeit handelt. Die Kritik an § 1 BGB knüpfte in der Vergangenheit jedoch regelmäßig an diesem Umstand an und rügte eine gewisse Inhaltsleere und Bedeutungslosigkeit dieses abstrakt gleichen Rechtsstatus.15 Unter mehr wirtschaftlichen16 und sozialkritischen Aspekten wird zum Teil die Frage aufgeworfen, ob nicht gerade das pathosträchtige Gewähren einer allgemeinen Rechtsfähigkeit die sozialen, gesellschaftlichen Ungleichheiten in noch größerem Maße kaschiere als andere Modelle. Denn das Bedürfnis, Unterschiede am Maßstab des Art. 3 GG zu kontrollieren, nehme in dem Maße ab, wie diese Unterschiede nicht mehr als Abstriche in der Rechtsfähigkeit deklariert würden.17 Unter dieser Prämisse wird die Handlungsfähigkeit als mittelbare, eigentlich abgelehnte Beschränkung der Rechtsfähigkeit gewertet18 bzw. es wird als dogmatisch konsequentere Lösung eine Zusammenfassung von Rechts- und Handlungsfähigkeit erwogen19. Einer solchen Kritik ist entgegen zu halten, dass ein eigenständiger Wert von (abstrakter) Rechtsfähigkeit bereits darin liegt, handlungsunfähigen Personen nicht zugleich die Fähig14  Hierzu Windel, in: Lipp/Röthel/Windel, Familienrechtlicher Status, S. 1 (9 f.). Die größere formale Gleichheit natürlicher Personen (in Form einer allgemeinen Rechtsfähigkeit) werde dadurch erkauft, dass man die Handlungsfähigkeit, die in früheren Rechtsordnungen unmittelbar im Status mitgeregelt worden sei, ausklammere und die Sonderbegriffe der Geschäfts- und Deliktsfähigkeit bilde. 15  Beispielsweise Schönfeld, in: Schreiber, Reichsgerichtspraxis Bd.  2, S. 191 (228 f.), der erst „die Person, die auch kann, was sie darf und soll“ als wesentlich ansieht, denn sie verwirkliche ihre Bestimmung erst durch Handlung und funktioniere erst im Können „in ihrer „Würde“. Personen, die rechts-, aber nicht handlungsfähig seien, würden demgegenüber nur ein Schein- und Schattendasein führen. Ähnlich auch Hölder, Natürliche und juristische Personen, S. 119, der von einem „Hohn“ für den Geschäftsunfähigen spricht. Was Schopenhauer, Sämtliche Werke Bd. 2, S. 412 über Kants Menschenwürdeidee und Selbstzweckformel allgemein polemisierte, wäre insofern auch in diesem Zusammenhang passend: ein „bedeutend klingender und daher für all die, welche gern eine Formel haben mögen, die sie alles fernen Denkens überhebt, überaus geeigneter Satz“, der sich ohne Konkretisierung und anpassende Modifikation als „ungenügend, wenigsagend und noch dazu problematisch“ darstelle. 16  Crome, S. 170 f., der Rechtsfähigkeit mit Vermögensfähigkeit gleichsetzte; Becker, in: FS Pleyer, S. 485 (492 ff.) zur Verbindung von Eigentum/Vermögen(sfähigkeit) und Persönlichkeit insgesamt. 17  Pawlowski, BGB AT, Rn. 139 a. 18  Pedrazzini/Oberholzer, S. 47 f., 51; Roth, S. 289 ff., allerdings mit Abstrichen insofern, dass er den Fall der beschränkten Geschäftsfähigkeit Minderjähriger anders bewertet als z. B. die früheren Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit von Ehe­ frauen. 19  Pawlowski, BGB AT, Rn. 102, 108.



A. Kritische Beobachtungen zum herrschenden Modell71

keit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, zu versagen und sie als bloße Schutzobjekte der Rechtsordnung zu betrachten.20 Letztendlich betrifft dies erneut die ausreichende Beachtung menschlichen Eigenwertes und menschlicher Würde. Insoweit ließe sich nach den bisherigen Betrachtungen allerdings auch sagen, dass bereits das allgemeine Persönlichkeitsrecht große Teile der Menschenwürde abdecke, dies zumindest inhaltlich. Umgekehrt stellt sich die Frage, was sich genau hinter den Erscheinungen der besonderen, beschränkten und relativen Rechtsfähigkeit, gerade wenn sie auf den lebenden Menschen bezogen werden, verbirgt. Beschreibungen von besonderen Rechtsfähigkeiten erschöpfen sich in der Regel in pauschalen Hinweisen: Eine besondere Gruppe von Einzelrechten sei an bestimmte Voraussetzungen (Alter, Geschlecht, Geburt, Verwandtschaft) geknüpft und nur diejenigen könnten Träger dieser besonderen Rechte sein, die diese Voraussetzungen erfüllen.21 Während es sich bei sonstigen Erwerbsvoraussetzungen („normale“ Tatbestandsmerkmale) nicht um Modifikationen der Rechtsfähigkeit handelt, soll dies bei jenen Gruppen mit ihren speziellen Anforderungen der Fall sein. Wo genau hierbei die Abgrenzungslinie verläuft und was die Kriterien sind, nach denen Erwerbsvoraussetzungen noch zu allgemeinen Tatbestandsmerkmalen einerseits oder bereits zu Bestandteilen der Rechtsfähigkeit andererseits zugeordnet werden, ist kaum erkennbar.22 Liegt der Unterschied darin, dass es sich im zweiten Fall um eine ganze Gruppe von Einzelrechten handeln muss, die sich quasi mit innerem Zusammenhang und als in sich geschlossener Komplex auf besondere Weise von anderen Rechten abheben? Wäre dies der Fall, dürfte vieles unter die Kategorie der besonderen Rechtsfähigkeit fallen, z. B. der gesamte Bereich des Verbraucherrechts.23 Das zöge allenfalls die Kritik der Inhaltsleere nun auch in dieser Hinsicht nach sich. Oder liegt das Abgrenzungskriterium darin, dass es für diejenigen, die die speziellen Anforderungen nicht erfüllen, unter keinen Umständen denkbar ist, Träger jener besonderen Rechte und Pflichten zu werden, also nicht einmal die abstrakte Möglichkeit hierzu besteht? 20  Damm,

AcP 202 (2002), 841 (859 f.); Lübtow, in: FS Wolf, S. 421 (456). BGB Bd. 1, Stand 2000, Vor § 1 Rn. 6; Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, Vor § 1 Rn. 2; Enneccerus/Nipperdey, S. 479 Fn. 14; Mahr, S. 34. 22  Roth, S.  289 ff. 23  Vgl. Enneccerus/Nipperdey, S. 551 über Einflüsse auf die Rechtsfähigkeit allgemein. Hierzu zählt er auch Sonderregelungen für Kaufleute (HGB), Gewerbetreibende (GewO), Beamte und Soldaten, die nach herrschendem Verständnis wohl nicht in Verbindung mit der Rechtsfähigkeit gebracht werden; ebenso Roth, S. 206; anders Planck, S. 51, der durch diese Umstände keine Modifikationen des Prinzips der Rechtsgleichheit annimmt. 21  Soergel/Fahse,

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

Die Fälle, in denen von einer beschränkten Rechtsfähigkeit der Person die Rede ist, verhalten sich hierzu mehr oder weniger parallel, unter lediglich negativen Vorzeichen. Geht es bei ihnen regelmäßig darum, eine Person hinsichtlich eines näher eingekreisten Bereichs an Rechten und Handlungen für nicht fähig zu halten24, steht dies im Grunde wiederum nur im Kontext einer Konkretisierung gegenüber der allgemeinen Rechtsfähigkeit. Auch hier ließe sich die Unfähigkeit als positivrechtliches Erwerbshindernis betrachten und deren Zusammenfassung zu einer gesonderten Form der Rechtsfähigkeit („beschränkte Rechtsfähigkeit“) hinterfragen. Reduziert man den Begriff der Rechtsfähigkeit nicht auf die abstrakte Fähigkeit zu allen Rechten und Pflichten, dann ist es durchaus möglich, eine solche Zwischenstufe anzunehmen und zum Kreis der Rechtsfähigkeit zu zählen. Insofern handelt es sich allerdings mehr um eine Frage der Einteilung bzw. der Terminologie, und es ist zu verhindern, die Überlegungen zur beschränkten Rechtsfähigkeit in einem bloßen Kampf um und mit Begrifflichkeiten aufgehen zu lassen.25 Anders stellt sich dies für die Figur der relativen Rechtsfähigkeit im oben genannten Sinne dar. Wenn hierbei eine allgemeine Rechtsfähigkeit nicht einmal im Ausgangspunkt angenommen wird, handelt es sich nicht mehr um eine Terminologie- oder Einteilungsangelegenheit, sondern um eine grundsätzlich andere Ausrichtung. Eine Kritik dieser Lehre hat daher, neben rechtsphilosophischen Überlegungen, vor allem mit Fragen dogmatischer Art zu arbeiten. Kann eine Dogmatik auf die Formel einer abstrakten, nicht stets schon individuell zugeschnittenen Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, schlichtweg verzichten? Denn selbst wenn diese allgemeine Fähigkeit lediglich als theoretische, gedankliche Größe verwendet wird, so liefert sie doch für die Bestimmung der Rechtssubjekte ein eindeutiges Kriterium: Allgemein rechtsfähig und Rechtssubjekt ist, wer grundsätzlich fähig ist, 24  Vgl. Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, Vor § 1 Rn. 2; Roth, S.  187 ff. zur früher eingeschränkten Stellung der Frau im ehelichen Güterrecht (S. 209 ff.) und zu den Beschränkungen durch elterliche Gewalt (S. 226 ff.); Mahr, S. 34 zur Fähigkeit, Grundstücke zu erwerben. Allerdings macht Mahr dies am IPR fest, in welchem neben dem Personalstatut der allgemeinen Rechtsfähigkeit (Art. 7 I EGBGB) weitere, spezielle Kollisionsnormen existieren. M. E. zweifelhaft, ob dies ein Grund dafür ist, aus den speziellen Kollisionsnormen besondere Rechtsfähigkeiten zu machen. 25  Insofern Creutzfeldt, S. 144 f. mit einer Kritik an „relativen Rechtsfähigkeiten“, auch wenn es sich genau genommen um Fälle besonderer/beschränkter Rechtsfähigkeit handele: „Verwechslung der Disziplinen“; „Verlagerung der spezifischen immanenten Probleme dieser einzelnen ‚Fähigkeiten‘, die in nichts anderem bestehen als in der konkreten Erfüllung bestimmter Tatbestandsmerkmale, in die Rechtsfähigkeit. Das führt nun wieder zu einer ganz überflüssigen Überlastung mit […] systemwidrigen Schwierigkeiten.“



B. Grundsätzliche Ausrichtung des Rechtsfähigkeitsbegriffs 73

Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Die konkreten Rechte und Pflichten, die die individuelle Rechtsfähigkeit erst bestimmen würden, können sich erst anknüpfend hieran und infolgedessen ergeben.26 Zwar kann auch in entgegengesetzter Weise argumentiert werden, indem die Rechtsfähigkeit aus dem Vorliegen bestimmter Rechte / Pflichten gefolgert wird: Rechtsfähig und Rechtssubjekt ist derjenige, dem durch Rechtsordnung ein Recht / eine Pflicht zugeordnet wurde. Selbst dann könnte aber noch immer gefragt werden, ob nicht schon vorher in einem ersten Schritt zu klären ist, wer für die Zuordnung dieser Rechte / Pflichten überhaupt in Betracht kommt. Hierfür würde es wiederum einer abstrakten Rechtsfähigkeit bedürfen.27 Die terminologischen Abgrenzungs- und Einteilungsschwierigkeiten sowie die offensichtlich fließenden Übergänge zwischen den einzelnen dogmatischen Figuren und Gesamtmodellen28 bleiben im Ergebnis nicht wirkungslos. Der Anspruch des klassischen Rechtsfähigkeitsbegriffs auf Allgemeinheit und Gleichheit ist realistisch und durchaus relativiert zu sehen. Dem schließt sich die grundsätzliche Frage nach der ursprünglichen wie aktuellen Aussage und dem Gewicht jener Prinzipien an. Eine mehr „nüchterne“ Bewertung könnte sodann eine größere Akzeptanz gestufter Rechtsfähigkeitsmodelle nach sich ziehen.

B. Grundsätzliche Ausrichtung des Rechtsfähigkeitsbegriffszwischen Werteorientierung und Rechtstechnik Als Ergebnis der bisherigen Betrachtungen sind verschiedene Deutungsund Verwendungsweisen zu den Begriffen von Rechtsfähigkeit und Person anzunehmen. Entsprechend werden von ihnen mehrere Inhalte abgedeckt: biologische, juristisch-formalistische sowie ethisch-philosophisch-theologische Aussagen. Letztere werden regelmäßig durch das Formulieren grundlegender Prinzipien manifestiert, wie insbesondere durch den Allgemein26  Allerdings kann bezweifelt werden, ob die Festlegung der Rechtssubjekte durch eine starre Definition tatsächlich noch erwünscht ist; siehe vor allem die Auseinandersetzungen um die Rechtsfähigkeit der GBR. Hierbei bestand die Schwierigkeit im Wesentlichen darin, die GBR gerade entgegen der Rechtssubjektsformel in die Position eines Rechtsträgers zu setzen. 27  § 433 I BGB beispielsweise spricht von Verkäufer und Käufer, stellt jedoch nicht extra dar, wer grundsätzlich Verkäufer und Käufer sein kann. Dies ergibt sich allgemein daraus, dass insofern nur Rechtssubjekte – d. h. jemand mit der Fähigkeit, überhaupt Träger von Rechten und Pflichten zu sein – in Betracht kommen. 28  Speziell zu den Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen Beschränkungen der Rechtsfähigkeit und solchen der Geschäftsfähigkeit Fabricius, S.  23 ff.

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

heits- und Gleichheitsgrundsatz. Diese Vielfalt besteht sowohl im interdisziplinären Vergleich als auch innerhalb des juristischen Gebrauchs. Die Inhalte stehen nicht nebeneinander im Sinne eines Entweder / Oder, sondern bilden, sich gegenseitig bedingend und ergänzend, das neuzeitliche Gesamtverständnis von Rechtsfähigkeit und Person im Sinne eines Sowohl / Als auch. Eine strikte Trennung und Betrachtung unter nur einem Aspekt wird in der Regel nicht vollzogen. Den Grund hierfür fasst Brecher zusammen als ein Zurückschrecken vor der „schockierende[n] Feststellung“29, dass auch die natürliche Person in letzter Konsequenz eine bloße „Normkonstruktion, ja […] Fiktion, eine bloße ‚Figur‘, ein Gebilde aus Juristenhand“30 sei und dementsprechend die Verbindung zur Menschenwürde in den Bereich rechtsethischer oder rechtspolitischer Vorüberlegungen zu verbannen wäre. Die Wahrheit dieser Feststellung werde nur verdeckt, weil es „einen so ‚reinen‘ Juristen“31, der Person in Realität und Normativität auseinanderhalten würde, nicht gebe.32 Nicht weniger gilt Umgekehrtes: Das überzeugendste Bekenntnis zu Würde und Achtung des Menschen nützt kaum, wenn es sich nicht in einer Rechtsordnung eingebettet, sondern losgelöst von jeglicher juristischer Umsetzung bewegt. So gesehen ist Ausgewogenheit angebracht. Die Ausrichtung und Handhabung von Person und Rechtsfähigkeit haben sich zwischen metaphysischer Überhöhung einerseits und grenzenloser, ethikbefreiter Rechtstechnik andererseits zu bewegen. Die Umsetzung erweist sich mitunter als schwierig, zumindest als nicht frei von inhaltlichen und methodischen Widersprüchen. Geht man von der Prämisse aus, allein eine allgemeine und gleiche Rechtsfähigkeit könne die Verwirklichung des menschlichen Achtungsanspruchs hinreichend gewährleisten, ist auch die Behandlung von dogmatischen Streitfragen hiernach zu bemessen. Ein Fall ist der Nasciturus. Bei ihm wird versucht, die Erklärung seiner Teilrechtsfähigkeit in Einklang mit dem Idealbild einer personell wie inhaltlich allumfassenden Rechtsfähigkeit zu bringen. Noch deutlicher wird dies für die Thematik der juristischen Person bzw. die rechtspraktische Notwendigkeit, nicht-menschliche Gebilde als Rechtssubjekte anzuerkennen. Hier erweisen sich ethische Aspekte nicht erst bei einer übermäßigen Betonung, sondern per se als sachfremd.33 Zugleich steht das Prinzip der allgemeinen 29  Brecher,

in: FS Hueck, S. 233 (238). in: FS Hueck, S. 233 (238). 31  Brecher, in: FS Hueck, S. 233 (238). 32  Vgl. Damm, AcP 202 (2002), 841 (868), der betont, dass es sich selbst nach dieser Sichtweise bei natürlichen Personen nur um eine „rechtliche Positivierung als normative Gestaltung von Rechten und Pflichten“ handele und im Unterschied zu juristischen Personen im eigentlichen Sinne nicht um eine völlige „Konstruktion“. 33  Creutzfeldt, S.  51 ff., 55 f., 56 ff. 30  Brecher,



B. Grundsätzliche Ausrichtung des Rechtsfähigkeitsbegriffs 75

gleichen Rechtsfähigkeit stets unter den, für abstrakte Begriffsbildung typischen Gestaltungsoptionen und Gestaltungsnotwendigkeiten (Handlungsfähigkeit, besondere und beschränkte Rechtsfähigkeiten). Je nach Interpretation, zumindest bei Anlegen eines strengen Maßstabes, wären damit immer auch die einen oder anderen „Durchbrechungen“ des Prinzips auszumachen. Wie bei der Festlegung der Rechtsfähigkeitsgrenzen bereits angedeutet wurde, scheint es sich hierbei um eine Methodenfrage grundsätzlicher Art zu handeln. Zum einen ist es möglich, die Begriffsbestimmung von einem Ausgangspunkt fester Prämissen aus vorzunehmen (Methodik 1). In der Regel handelt es sich hierbei um außerjuristische Überlegungen und Sätze, für die sich ein breites Spektrum aus Ontologie, Biologie, Theologie oder Metaphysik anbietet. Für die Figur der Person hat sich die auf Kant zurückgehende Vorstellung des freien Menschen mit Würde und Selbstzweck als zentral erwiesen. Diese Vorstellung als Determinante gesetzt, sind die Inhalte von Person und Rechtsfähigkeit in ihren Grundstrukturen bereits philosophisch vorgegeben und bestimmen die gesamte hierauf aufbauende juristische Dogmatik. Eine alternative Sichtweise besteht darin, Rechtsfähigkeit und Person in vorwiegender oder ausschließlicher Betonung ihrer Qualität als juristische Konstrukte zu betrachten (Methodik 2). Innerhalb einer Gesamtdogmatik sollen sie als solche die spezifisch rechtliche Funktion, Anknüpfungspunkt für Rechte und Pflichten zu sein, übernehmen, nicht mehr und nicht weniger. Auf eine Wertevermittlung wird bei dieser Sichtweise verzichtet; eine solche ist allenfalls Begleiteffekt. Die Begriffsbestimmung wäre funktional geleitet und, ohne Bindungen an Prämissen, in der Gestaltung flexibel. Das klassische Bild des § 1 BGB und die ihm zugrunde liegende Rechtsfähigkeit, wie sie sich in den bisherigen Analysen darstellen, folgen der Methode einer „Zumindest-auch-Werte“-Tradition. Obgleich an sich als Rechtsfiguren konstruiert, stehen Rechtsfähigkeit und Person in einem wertgebundenen, metajuristischen Kontext aus Freiheit, Menschenwürde und Gleichheit. Sie orientieren sich in Ausgestaltung und Verwendung an diesen Prinzipien und transportieren sie zugleich.34 Kritisch betrachtet ist dieses Ergebnis eine nur schwer zu überblickende Vermischung. Die Figuren wirken wie Konglomerate aus rechtstechnischer Funktion, ethischer Programmatik und rechtshistorisch-philosophischem Erbe, sodass ihr Charakter nur noch schwer fassbar ist. Hierin liegt m. E. eine letztlich kaum auflösbare Aporie. Nichtsdestotrotz ist es nachdenkenswert, zumindest innerhalb dieser Gegebenheiten die Rechtstechnik in den Vordergrund zu stellen und die 34  Hattenhauer, C., in: Klein/Menke, Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 39 (65); Creutzfeldt, S.  81 f.; Kirste, in: Gröschner/Kirste/Lembcke, S. 345 (346) ebenfalls zum zweiseitigen Charakter und Aussagegehalt des rechtstechnischen und rechtsethischen Personenbegriffs.

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

Definition von Rechtsfähigkeit als allgemeine Rechts- und Pflichtenträgerschaft unter spezifisch juristisch-dogmatischer Sichtweise zu betrachten und auch zu betonen.35 Dabei soll nicht verkannt werden, dass die faktischen, historischen und politischen Hintergründe nie gänzlich aus der Begriffsbildung und Verwendung von Rechtsfähigkeit und Person auszuklammern sind, sondern diese mitbeeinflussen, wie im Übrigen sämtliche Rechtssetzung und Rechtsgestaltung. Jenseits dessen soll es hier jedoch um die rechtstechnische Struktur jener Figuren als solche gehen: Rechtsfähigkeit und Person als ausschließlich abstrakte Grundelemente? Als Teilrechtsfähigkeiten? Zugleich würden – bei Betonung der technisch-formalen Funktion (Rechtsträgerschaft) einerseits – andere Rechtsinstitute als Vermittler materieller Werte und Rechtspositionen andererseits in den Vordergrund rücken. Insoweit kommt insbesondere die „Persönlichkeit“ in Betracht, entweder als übergeordneter objektiver Wert oder in heute naheliegender Form als allgemeines Persönlichkeitsrecht36, hierbei wiederum als subjektives Recht oder als Rechtsgut.

C. Erklärungsansätze I. Herkunft des Personenbegriffs des BGB Vor diesem Hintergrund stellt sich umso mehr die Frage, auf welche Quellen der Personenbegriff des BGB, dabei speziell die ihm eigene Verbindung ethischer und rechtstechnischer Elemente, zurückzuführen ist.37 Im antiken römischen Recht wurde der Begriff persona in erster Linie im natürlichen Sprachgebrauch als Synonym zu Mensch verwendet und hatte 35  In strenger Form Creutzfeldt, S. 51 ff., 126 f. mit einer ausschließlich rechtlich orientierten Methodik bei der Begriffsbildung zu Rechtssubjekt/Rechtsfähigkeit und einem Ausschluss jeglicher außerrechtlicher Überlegungen und Prämissen. Es bleibt dann allerdings die Frage, wie Creutzfeldt den auch von ihm vertretenen Grundsatz einer ausnahmslosen Rechtsfähigkeit bzw. Personalität aller Menschen begründen will. Auch bei ihm erfolgt dies nicht system- bzw. begriffsimmanent, sondern über den mehr oder weniger apodiktischen Hinweis, dass es sich um eine dem Gesetz vorgegebene Selbstverständlichkeit handele, „ohne deshalb in ethische Verstrickungen geraten zu müssen“ (S. 131 f.). 36  Bereits bei Leuze, S. 115 ff. und Scheyhing, AcP 158 (1958), 503 (524 f.) mit Überlegungen dazu, das Verhältnis von Rechtsfähigkeit und Persönlichkeitsrecht unter diesen Aspekten neu zu bedenken; zu Leuzes Modell im Einzelnen siehe Kapitel 4, B. II. 5. 37  Der folgende historische Überblick beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die einzelnen größeren Entwicklungsetappen unter dem hier allein interessierenden Aspekt der mehr ethischen oder mehr rechtstechnischen Schwerpunktsetzung zu betrachten; hierzu auch Auer, Diskurs, S. 13 ff.; Kirste, FS Hollerbach, S. 319 ff.



C. Erklärungsansätze77

keine wesentlich juristische Bedeutung.38 Erkennbar ist dies anhand einer Textstelle des Gaius, die im Corpus Iuris Civilis zweifach unter den Titeln „De Iure Personarum“ (Inst. 1, 3, pr.) und „De Statu Hominum“ (Dig. 1, 5, 3) geführt wird und in der sowohl Freie als auch Unfreie unter den Begriff der persona gefasst werden. „Summa divisio de iure personarum haec est quod omnes homines aut liberi sunt aut servi.“ (Inst. 1, 3, pr.)

Die rechtliche Stellung des Menschen in der Rechtsordnung definierte sich allein über den Status39, untergliedert in die drei Kategorien libertas (Unterscheidung zwischen Freien und Unfreien / Sklaven), civitas (Unterscheidung zwischen römischen Bürgern und peregrini) und familia (Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von Familiengewalt / patria potestas).40 Die Rechte und Pflichten des Einzelnen bestimmten sich aus seiner Zugehörigkeit zu diesen Gruppen. Eine allgemeine und für alle Menschen einheitlich geltende rechtliche Grundlage oder Kategorie jenseits dieser jeweiligen Zuordnung, mit dem Gedanken einer allgemeinen Rechtsfähigkeit vergleichbar, wurde noch nicht angenommen.41 In der mittelalterlichen Fortführung des römischen Rechts wurden jene Wortbedeutungen von persona und status im Wesentlichen beibehalten. Die Arbeiten der Glossatoren (ab Ende des 11. Jh.) und Kommentatoren (14. Jh.) zu den maßgeblichen Stellen im Corpus Juris Civilis (Inst. 1, 2, 12; Inst. 1, 3, pr.; Dig. 1, 5; Dig. 50, 17, 32) lassen keine abweichenden Definitionen und Verwendungsweisen erkennen.42 Damit blieb es im juristischen Sprachgebrauch43 zunächst bei der Gleichsetzung von Person und Mensch in der tatsächlichen, natürlichen Lesart. 38  Hattenhauer, C., in: Klein/Menke, Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 39 (40); HKK/Duve, Bd. I, §§ 1–14 Rn. 4. 39  Zu Abweichungen bei Savigny hinsichtlich der Begrifflichkeiten, der zwar auch von einer solchen Dreiteilung der Rechtsstellung im römischen Recht ausgeht, allerdings bestreitet, dass diesbezüglich der Ausdruck „status“ verwendet wurde, siehe Kapitel 3, A. III. 3. b). 40  Kaser, § 64; Kaser/Knütel, § 13 Rn. 2. 41  Hattenhauer, C., in: Klein/Menke, Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 39 (41). 42  So der derzeitige Forschungsstand: Coing, in: Wolf, Beiträge zur Rechtsforschung, S. 191 (193); HKK/Duve, Bd. I, §§ 1–14 Rn. 5 f. Gleiche Verwendung der Begriffe Mensch und Person, ohne damit zugleich die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, zu verbinden. Status war weiterhin bestimmend für die persönliche Rechtslage. Verweis vor allem auf Kommentatoren zu Inst. 1, 3.; vgl. ferner Lange, in: Lange/Kriechbaum, S. 177 ff. zum Corpus Juris als Rechtsquelle der Kommentatoren. 43  Im Unterschied zum philosophischen und theologischen Sprachgebrauch, HKK/Duve, Bd. I, §§ 1–14 Rn. 6. Zur Kanonistik siehe im Folgenden.

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

In der Kanonistik44 prägten die christliche Schöpfungsgeschichte und die Menschwerdung Christi das Bild vom Menschen und seiner Stellung in Gesellschaft und Recht. Die Ebenbildlichkeit mit Gott legte eine prinzipielle Gleichheit aller Menschen und eine besondere Würde des Menschseins zugrunde.45 Durch das Leben und Sterben Christi wurde zugleich der Blick auf den schwachen und leidenden Menschen gelenkt, und aus der Sorge für jede Einzelseele (cura animarum) erwuchs ein grundsätzliches Interesse am Individuum.46 Hinzu trat in der Scholastik47, insbesondere bei Thomas von Aquin (1224 / 25–1274)48, die Übernahme des antiken Gedankenguts der Stoa.49 In der christlichen Lehre etablierte sich auf diese Weise die Idee vom Menschen als geistes- und vernunftbegabtes Wesen mit ursprünglicher Freiheit und Gleichheit, Eigenwertigkeit und insbesondere einer von Gott gewollten Eigenwirksamkeit (Autonomie).50 Die damit ihm zugesprochene Würde machte sein Personsein aus51 und emanzipierte den Einzelnen als das Höchste und Vollkommenste aus der Allgemeinheit52. Die theoretischen 44  Grundlage der eigenständigen kanonischen Lehre ist das Corpus Iuris Canonici (als solches bezeichnet ab 1580), bestehend aus Decretum Gratiani (concordantia discordantium canonum, um 1240), Liber Extra (päpstliche Dekretale, um 1234), Liber Sextus (um 1298), Clementinae und Extravagantes; zu Entstehung und Aufbau des Corpus Iuris Canonici Feine, S.  276 ff.; Link, S.  36 ff.; Helmholz, S.  3 ff. 45  Campenhausen, in: Merten/Papier, HGR VI/1, § 136 Rn. 29; Heinzmann, in: Gründel, Das Gewissen, S. 34 (39). 46  Campenhausen, in: Merten/Papier, HGR VI/1, § 136 Rn. 34 f., 47, allerdings mit dem Hinweis, dass das Interesse am Individuum nicht wie in der Moderne als egoistisch-diesseitig, sondern als Wohlergehen in der Ewigkeit gedacht wurde. 47  Thomas von Aquin (1224/1225–1274); Johannes Duns Scotus (1265/66–1308); Wilhelm von Ockham (1285–1347). Grundlage der scholastischen Methodik ist die menschliche Ratio als Erkenntnisquelle der göttlichen Ordnung; exemplarisch das Erkennen in der Lehre des Thomas von Aquin, siehe Hirschberger, S.  467 ff. 48  Richter, S. 94 f. mit den drei Erklärungsansätzen des Thomas von Aquin zum Personenbegriff (Aspekte der Würde, der abgeschlossenen Einheit und der Selbstbestimmtheit/Eigenverantwortlichkeit); Heinzmann, in: Gründel, Das Gewissen, S. 34 (41 ff.). Sowohl Richter (S. 94) als auch Heinzmann (S. 51) sehen den Gewinn bei Thomas von Aquin in der allgemein-philosophischen Konzeption seines Menschenbildes, das somit auch in der außerchristlichen Diskussion Wirkung zeigen konnte. 49  Link, S. 20 (Rn. 9, Fn. 15; „theologische Vernunftsethik“); Coing, in: Wolf, Beiträge zur Rechtsforschung, S. 191 (193 f.); Campenhausen, in: Merten/Papier, HGR VI/1, § 136 Rn. 33; zu Ethik und Menschenbild der Stoa (vernunftbegabter und zur Einsicht in die göttliche Ordnung fähiger Mensch; Gleichheit/Brüderlichkeit aller Menschen) siehe Hirschberger, S. 261, 264 f., 270 f. 50  Coing, in: Wolf, Beiträge zur Rechtsforschung, S. 191 (193 f.); Heinzmann, in: Gründel, Das Gewissen, S. 34 (41 ff.). 51  Heinzmann, in: Gründel, Das Gewissen, S. 34 (44); Kobusch, S. 23 ff. unter Darlegung der drei Seinsweisen des esse naturale (Subjekt), esse rationale (Individuum) und des esse morale (Person mit den Merkmalen Freiheit und Würde). 52  Heinzmann, in: Gründel, Das Gewissen, S. 34 (35, 45).



C. Erklärungsansätze79

Folgerungen aus einer naturrechtlichen Gleichheit und einem naturrechtskonformen Sozialleben – etwa Gleichberechtigung von Mann und Frau, Eigenrechte von Kindern, Gleichstellung von Sklaven53 – wurden allerdings auch von den Kanonisten nur bedingt umgesetzt.54 Anschauliches Beispiel ist die Behandlung von Streitfragen zur Sklavenbefreiung. Bei deren Bearbeitung nach kanonischem Recht ging es allein darum, widersprechende Textstellen miteinander zu vereinbaren und den Fall nach Maßgabe der so gefundenen inneren Ordnung kanonischer Regelungen zu lösen.55 Keinesfalls aber wurde der Tatbestand der Sklaverei als solcher angegriffen.56 Vergleichbares gilt für die Arbeit der Kanonisten zum Schutz der personae miserabiles (Witwen, vaterlose Kinder, Arme), wenn unter Auslegung der Quellen die kirchliche Zuständigkeit auf jene Angelegenheiten ausgedehnt wurde.57 Nichtsdestotrotz werden in der kanonischen Lehre vielfach die Grundlagen für die weiteren Entwicklungen zu persona moralis, Naturrecht (Mensch als Vernunftwesen) und neuzeitlichen Menschenrechtstheorien58 gesehen. In der Spätscholastik wurden jene Gedanken fortgeführt und erhielten namentlich durch die Schule von Salamanca (spanische Spät­ ­ 53  Link,

S. 20 Fn. 15. in: Merten/Papier, HGR VI/1, § 136 Rn. 30 mit Relativierungen für die politische Welt (Differenzierung nach Christen/Nicht-Christen; Würdeverlust durch Erbsünde). 55  Helmholz, S. 82 ff. mit Beispielsfällen: Ordination eines Sklaven ohne Zustimmung seines Herrn (S. 83 f.); Unfreie im Vergleich mit beweglichem Gut hinsichtlich des Rückforderungsrechts des Herrn (S. 84 f.); Problem der Simonie bei Geldentschädigung des Herrn im Austausch gegen das dem Sklaven gespendete Sakrament der Ordination (S. 85 ff.); vgl. ebenso Landau, in: Fried, Die abendländische Freiheit, S. 177 sowie Landau, in: FG Mikat, S. 565 zur Arbeitsweise der Kanonisten. Die Unfreiheit an sich ist nicht das Thema, sondern deren „richtige“ Handhabung nach kanonischem Recht. 56  Helmholz, S. 88 ff., 94. 57  Helmholz, S. 128 ff. zum Schutz der personae miserabiles und zum primären Anliegen der Kanonisten, eine innere Ordnung der Texte zu erzielen. Die Schaffung eines sozialen Regelwerks im kanonischen Recht war Folge hieraus, nicht aber Motivation. 58  Coing, in: Wolf, Beiträge zur Rechtsforschung, S. 191 (193 f.); Landau, in: FG Heinemann, S. 517, 525 ff. zur Frage, ob das kanonische Recht des Mittelalters bereits Grundrechte kannte. Landau sieht im Ansatz eine Denkmöglichkeit überpositiver Grundrechte im Begriffspaar lex privata/lex publica (in der Interpretation von Ockham), bleibt aber gegenüber einem historischen Traditionszusammenhang zu den modernen Menschenrechtstheoretikern skeptisch (S. 531); Kobusch, S. 33  ff. Der Gedanke von subjektiven Rechten, die der Person einen Freiheitsraum eröffnen, sei eine Frucht des mittelalterlichen Denkens und beruhe auf der Lehre vom moralischen Sein. Der Unterschied liege im nur losen Verbund der Rechte (Mittelalter) einerseits und der Ausgestaltung als Prinzipien (Neuzeit) andererseits. 54  Campenhausen,

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

scholastik)59 vor dem Hintergrund der Entdeckung und Kolonialisierung Lateinamerikas eine gewissermaßen globale Dimension und Sichtweise.60 Donellus (1527–1591) benannte vier Individualrechtsgüter, die jedem von Natur aus zustehen sollten: Leben, Unversehrtheit, Freiheit, Wertschätzung. „In persona cujusque id nostrum est, quod tribuitur personae, id est quod cuique ita tribuitur, ut is id habeat in sese, etiamsi desint res caeterae externae. Haec a natura cuique tributa sunt quatuor: vita, incolumitas corporis, libertas, existimatio.“61

Von diesen Individualrechtsgütern trennte Donellus streng die Thematik der Rechtsperson, mit der er den Einzelnen als Subjekt der Rechtsordnung bezeichnete. Insofern wurde der Begriff persona nun auch juristisch-technisch gebraucht. Hierbei blieb es bei der römischen Lehre als allein bestimmendes Kriterium: Persona war, wer einen positiven status libertatis, civitatis, familiae hatte.62 „Sed haec ita sunt cujusque, nisi si quid eorum jure in quoquam imminuatur. Quod saepe et varie pro conditione personae cujusque contingit. Non omnes vero eodem statu, eodemque jure hac parte habentur. Eo hic de statu hominum quaeritur, ut ex eo de jure personae cujusque aestimetur.“63

Entsprechend wurden zwei Rechtskreise unterschieden: ein fester Bestand an Individualrechtsgütern bei jedem Menschen (ius gentium) und die Frage 59  Die Hauptvertreter der spanischen Spätscholastik sind: Francisco de Vitoria (1492–1546); Domingo de Soto (1494–1560); Francisco Suárez (1548–1617); ­Gabriel Vázque (1549–1604). 60  Forster, FS Schröder, S. 335 (344 ff.) zum Ansehen der Person (acceptio personae) bei Domingo de Soto, insbesondere als Frage der Bestenauslese bei Ämterbesetzung, Kobusch, S. 55 ff. zur Lehre vom ens morale bei Francisco Suárez; Schaede, in: Gröschner/Kirste/Lembcke, S. 31 zu Person und Individualität in der Spätscholastik, u. a. bei Johannes Duns Scotus. 61  Donellus, Opera Omnia. Commentariorum de Iure Civili. Tom. I, Lib. II, Cap. VIII, Abschnitt III (S. 230), Übersetzung nach Hattenhauer, C., in: Klein/Menke, Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 39 (43 Fn. 15): „In der Person eines jeden gehört uns das, was der Person gebührt, das heißt, was jedem so gebührt, dass er es in sich besitze, auch wenn übrige äußere Dinge fehlen. Dieses von der Natur einem jeden Gegebene ist vielerlei: Das Leben, die Unversehrtheit des Körpers, die Freiheit, die Wertschätzung.“ 62  Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 63. 63  Donellus, Opera Omnia. Commentariorum de Iure Civili. Tom. I, Lib II, Cap. IX, Abschnitt I (S. 231), Übersetzung nach Hattenhauer, C., in: Klein/Menke, Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 39 (46 Fn. 31): „Aber das Personenrecht steht einem jeden so zu, außer wenn etwas davon durch das Recht gemindert wird, was häufig und unterschiedlich nach der Beschaffenheit einer jeden Person vorkommt. Nicht für alle aber gelten in dieser Beziehung derselbe Status und dasselbe Recht. Daher wird hier beim Status der Menschen untersucht, wie nach ihm das Personenrecht eines jeden beurteilt wird.“



C. Erklärungsansätze81

nach dem Menschen als persona im Rechtssinne (ius civile).64 In den Individualrechtsgütern des Donellus ließe sich insofern eine Kategorie sehen, in welche die Gedanken vom Menschsein an sich (Vernunftfähigkeit, Gottesähnlichkeit), von angeborenen Urrechten sowie im weiteren Sinne von Egalität verortet werden könnten. Demgegenüber funktionierte die rechtstechnische Behandlung des Menschen (als Element der Rechtsordnung) noch keinesfalls nach diesen Prinzipien.65 Im Naturrecht der Aufklärung (17. / 18. Jahrhundert) setzte sich eine Zweiteilung in anderer Form durch. Einerseits wurde die Eigenschaft jedes Menschen angenommen, Träger natürlicher Rechte und Pflichten im vorgesellschaftlichen Zustand zu sein, bezeichnet als status naturalis.66 Andererseits sollte erst der hiervon zu trennende status moralis (status civilis) den Bereich des positiven bürgerlichen Rechts betreffen; und erst hier wiederum wurde die Frage nach der Rechtsstellung des Einzelnen als Person in der jeweiligen staatlichen Rechtsordnung gestellt. Der Fortschritt in diesem Rahmen war, dass der bisherige Zuschnitt auf die römisch-rechtliche Trias (libertas, civitas, familia) aufgehoben wurde. Bedingung und Maßstab dafür, Person im Rechtssinne zu sein, war fortan das Innehaben sämtlicher, d. h. überhaupt irgendwelcher Rechtsbeziehungen.67 Allerdings wurden aus dem status naturalis keine Schlussfolgerungen und Vorgaben für die Ausgestaltung des status moralis gezogen. Die natürlichen allgemeinen Rechte und Pflichten der Menschheit sollten keinesfalls auch im status moralis allen in vollem Umfang oder in gleicher Weise zustehen. Es wurde nicht einmal ein naturrechtliches Recht des Menschen auf positivrechtliche Anerkennung als Rechtsperson überhaupt begründet, etwa indem ein Anspruch auf Zuschreibung auch nur eines einzigen bürgerlichen Rechts angenommen 64  Hattenhauer, C., in: Klein/Menke, Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 39 (45). 65  Insofern Leuze, S. 14 f. zur Frage, inwiefern Donellus Individualrechtsgüterlehre als Anerkennung oder Vorläufer von Persönlichkeitsrechten gewertet werden kann. Leuze betont, dass der neue Gedanke, dem Menschen gerade in seiner Eigenschaft als Mensch bestimmte Rechte zuzuschreiben, trotz allem noch fest in das römische status-Recht eingebettet war. Daher könne nur gesagt werden, dass Donellus Persönlichkeitsrechte solcher Personen anerkannt habe, die im Besitz der drei römischen status gewesen seien. 66  Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 66. 67  Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 65 sieht hierin den maßgeblichen Schritt bei Christian Wolff, der hinter den einzelnen status die allgemeine Rechtsfähigkeit als das entscheidende Kriterium, das den Menschen zur Rechtsperson mache, erkannt habe; Leuze, S. 21 im Grunde zustimmend, den Begriff der „allgemeinen Rechtsfähigkeit“ in diesem Zusammenhang aber kritisierend; ebenso Lipp, M., Quaderni Fiorentini 1982/1983, 217 (255). Solange sich die Rechtslehre an der Theorie der verschiedenen status orientiert habe, sei die Idee der allgemeinen Rechtsfähigkeit noch nicht geboren gewesen.

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

wurde.68 Wegweisend hierfür waren vor allem die Lehren Samuel von Pufendorfs (1632–1694) und Christian Wolffs (1679–1754). Nach Pufendorf versieht der Mensch die Natur (entia physica) mit einer ihm begreifbaren Ordnung.69 Dies geschieht durch autonome menschliche Willensentscheidung. Zwar sind die Ordnungsstrukturen (modi) objektiv und dem menschlichen Wollen als Potenz und Modus der Materie vorgegeben.70 Entscheidend bleibt aber eine vom göttlichen Schöpfer unabhängige Ordnungssetzung durch den Menschen mittels seiner Vernunft (impositio als von außen wirkender Regelungsakt).71 Das Resultat sind die entia moralia als objektive Ordnung(en) der physischen Natur und damit des menschlichen Lebens in seiner umfassenden Vielgestaltigkeit.72 Der Mensch lebt nun im Geflecht dieser – seiner – Ordnungen (status).73 Status sind somit entia moralia und existieren als das Medium, in dem sich der Mensch als ein der rechtlichen Ordnung fähiges Wesen verwirklicht und inmitten seiner rechtlich bedeutsamen Beziehungen lebt.74 Der Mensch ist insofern persona moralis.75 Wolff nahm einerseits mit den iura connata76 einen für jeden Menschen gleichen Bestand an allgemeinen angeborenen Rechten (Freiheit, Gleichheit, Leben, Eigentum, Recht zur Selbstverwirklichung u. a.77) im status naturalis an. Andererseits unterschied er diesbezüglich streng zum status moralis. 68  Coing,

Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 66. M., Quaderni Fiorentini 1982/1983, 217 (224); Auer, in: Gröschner/Kirste/Lembcke, S. 81 (84 ff.). 70  Lipp, M., Quaderni Fiorentini 1982/1983, 217 (223  ff., Fn. 33); Auer, in: Gröschner/Kirste/Lembcke, S. 81 (87). 71  Zum erkenntnistheoretischen Modell der entia moralia, im Wesentlichen beruhend auf der scholastischen Lehre, vgl. ausführlich Lipp, M., Quaderni Fiorentini 1982/1983, 217 (223, 227 ff.). Danach gibt es keine erkenntnistheoretische Unabhängigkeit des Denkens, d. h. der Mensch gelangt nur über die tatsächliche Natur zu Wissen. Allerdings betrifft Erkenntnis bei Pufendorf nun nicht mehr von Gott gesetzte Werte, sondern Einsicht in die Verbindlichkeit der durch Vernunft aufzustellenden Muster. Hierdurch wird der Schritt von der Moraltheologie zur Moralphilosophie markiert. Ebenso Auer, in: Gröschner/Kirste/Lembcke, S. 81 (87). 72  Lipp, M., Quaderni Fiorentini 1982/1983, 217 (230). 73  Lipp, M., Quaderni Fiorentini 1982/1983, 217 (232). 74  Zur Pflichtgebundenheit des Rechts und zum Verhältnis von Recht und Pflicht bei Pufendorf, vgl. Auer, AcP 208 (2008), S. 584 (604 ff.). 75  Lipp, M., Quaderni Fiorentini 1982/1983, 217 (232 f). Die einzelne natürliche Person stellt somit in rechtlicher Hinsicht eine Vielzahl von personae morales dar, entsprechend ihrer verschiedenen status. 76  Bzw. primär eine erste, unwandelbare Pflicht des Menschen, seinen Körper und damit sich als Rechtsperson zu erhalten (obligatio primitiva/connata/universalis), vgl. Lipp, M., Quaderni Fiorentini 1982/1983, 217 (241 f.). 77  Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 67; Hattenhauer, C.; in: Klein/Menke, Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 39 (55 Fn. 70). 69  Lipp,



C. Erklärungsansätze83 „Der Mensch ist eine sittliche Person (persona moralis), in so weit er als das Subject von gewissen Verbindlichkeiten und von gewissen Rechten angesehen wird. Und daher wird sein sittlicher Zustand (status moralis) derjenige genannt, welcher durch Rechte und Verbindlichkeiten bestimmt wird; und er heißt der natürliche, in so fern als die Verbindlichkeiten und Rechte, durch welche er bestimmt wird, natürlich sind, oder nach dem Gesetz der Natur ihm zukommen; und derowegen werden die Menschen im natürlichen Zustand allein durch das Recht der Natur regiert.“78

In Weiterentwicklung zu Pufendorf erhält der status hominum morales bei Wolff einen subjektiven Einschlag. Wolff versteht hierunter nicht nur eine objektive Ordnung, die die Beziehung der Menschen gemäß verschiedener status festlegt, sondern eine individuelle subjektive Rechte- und Pflichtenstellung. Persona moralis (homo moralis) ist nun der Mensch selbst; impositio als Schaffensakt wird überflüssig.79 Allerdings kennt auch Wolff noch keine allgemeine Rechtsfähigkeit im Sinne einer potentiellen Rechtsträgerschaft. Wie bei Pufendorf beschreiben die status in der Lehre Wolffs eine konkrete Rechte- und Pflichtenstellung, insofern eine an bestimmte Rechte gekoppelte Rechtsfähigkeit.80 Kodifiziert findet sich diese Vorstellung des status moralis im preußischen Allgemeinen Landrecht wieder. „Der Mensch wird, insofern er gewisse Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft genießt, eine Person genannt.“ (§ 1 ALR)81

Kant (1724–1804) ging dagegen von einem einzigen82 angeborenen Recht83, dem Urrecht der Freiheit84, aus. „Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht.“85 78  Wolff,

§ 96 S. 59. M., Quaderni Fiorentini 1982/1983, 217 (237 ff., 254). Status ist nicht mehr (vor)fixiertes Verhaltensmuster, in das der Mensch ein- oder austritt, sondern subjektive Verpflichtung und Berechtigung, d. h. konkrete Anknüpfung einer Rechtsstellung am jeweils betroffenen Subjekt (S. 239). 80  Lipp, M., Quaderni Fiorentini 1982/1983, 217 (234, 241, 255 ff.); Auer, in: Gröschner/Kirste/Lembcke, S. 81 (91) zu Pufendorf. 81  Hervorhebung nicht im Original. 82  Weitere Prinzipien, insbesondere die angeborene Gleichheit, liegen schon im Prinzip der angeborenen Freiheit und sind von ihr nicht zu unterscheiden, siehe Kant, S.  345 f. 83  Unter einem angeborenen Recht wird dasjenige Recht verstanden, das unabhängig von allem rechtlichen Akt jedermann von Natur zukommt, siehe Kant, S. 345. 84  Zu den Unterschieden zwischen den bisherigen angeborenen Rechten (iura connata) des Naturrechts und Kants Urrecht der Freiheit siehe Leuze, S.  29 ff. 85  Kant, S. 345. 79  Lipp,

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

In Verbindung mit der sittlichen Autonomie des Menschen steht dessen Selbstzweckhaftigkeit bzw. ist die Freiheit des Menschen die Bedingung, unter der der Mensch selbst Zweck sein kann.86 Zweck an sich selbst ist für Kant ein Vernunftwesen mit der Eigenschaft, autonom moralische Gesetze aufstellen und befolgen zu können. Das Freiheitsvermögen, das zentrale Element in Kants Gedankengang zur Selbstzweckhaftigkeit87, wird von ihm beschrieben als Wesensmerkmal des Menschen an sich, „welches ganz übersinnlich […] also auch bloß nach seiner Menschheit, als von physischen Bestimmungen unabhängiger Persönlichkeit (homo noumenon), vorgestellt werden kann und soll, zum Unterschiede von eben demselben, aber als mit jenen Bestimmungen behafteten Subjekt, dem Menschen (homo phaenomenon) […].“88

Generell unterscheidet Kant zwischen dem intelligiblen Bereich (Gedankenwelt mit Grundsätzen a priori) und dem tatsächlichen Bereich konkreter Einzelerscheinungen. Erst auf zweitgenannter Stufe können aus den Grundsätzen a priori konkrete Systeme erarbeitet werden und erst hier befindet sich der Bereich des Rechts (Legalität; neben Moralität als Verantwortlichkeit vor sich selbst).89 Gehört nun die Persönlichkeit, als das abstrakte Wesen bzw. die Menschheit betreffend, zum homo noumenon, betrifft demgegenüber die Person das geistig-körperliche Einzelwesen und den Menschen als homo phaenomenon in rechtlicher Bedeutung.90 „Person ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind.“91

Aus den Grundsätzen von Freiheit, sittlicher Autonomie und Selbstzweckhaftigkeit folgt sodann der Achtung gebietende Anspruch des Menschen bzw., wie Kant es aus der Sicht seiner Pflichtenlehre formuliert, seine erste allgemeine Rechtspflicht. 86  Feyerabend, Nachschrift einer Vorlesung Kants, 1784, S. 1320, zitiert nach Schönecker/Wood, S. 146. 87  Schönecker/Wood, S. 147 f. Da die Autonomie in der Freiheit wurzele, sei letztlich die Freiheit der Grund dafür, dass ein Vernunftwesen Zweck an sich selbst sei. Allerdings begründe Kant nicht, warum es autonome Vernunftwesen seien, die absoluten Wert/Würde besitzen würden und nicht beispielsweise nur denkende, empfindungsfähige (Tiere) oder schlicht lebende Wesen (Pflanzen). Es bleibe (zumindest in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten) unklar, warum und wie ausgerechnet aus der Tatsache, dass Menschen moralisch handeln können, eine normative Geltung abgeleitet werden könne. 88  Kant, S. 347. 89  Höffe, S. 216 f. zur Begründung von Rechtsprinzipien a priori (durch Philosophie), an denen sich die Verfassung und die Gesetze als vernünftig und gerecht auszuweisen haben. Da der Begriff des Rechts ein reiner, jedoch auf die Praxis gestellter Begriff sei, könne die Philosophie kein vollständiges System des Rechts entwerfen (vgl. metaphysische „Anfangs“-Gründe). 90  Höffe, S. 218. „Person“ sei ein spezifischer Rechtsbegriff. 91  Kant, S.  329 f.



C. Erklärungsansätze85 „Sei ein rechtlicher Mensch (honeste vive). Die rechtliche Ehrbarkeit (honestas iuridica) besteht darin: im Verhältnis zu anderen seinen Wert als den eines Menschen zu behaupten, welche Pflicht durch den Satz ausgedrückt wird: ‚mache dich anderen nicht zum bloßen Mittel, sondern sei für sie zugleich Zweck.‘ Diese Plicht wird im folgenden als Verbindlichkeit aus dem Rechte der Menschheit in unserer eigenen Person erklärt werden (lex iusti).“92

Die Betrachtung eines intelligiblen und eines rechtlichen Bereichs lässt die Frage nach der eigentlichen Bedeutung des Urrechts der Freiheit aufkommen. Insbesondere ist zu hinterfragen, ob Kant es wirklich als echtes Recht verstanden haben wollte oder ob es nicht eher seiner Vorstellung entspricht, die Freiheit als bloße Denkvoraussetzung im intelligiblen Bereich zu werten.93 Auswirkungen hätte dies nicht nur auf das Kant-Verständnis an sich, sondern auch auf die Rolle, die ihm z. T. mit Blick auf das Personenrecht des BGB zugeschrieben wird. Beispielsweise stellt Hattenhauer die Motive zum BGB nicht in eine Traditionslinie mit der Pandektistik, sondern sieht in ihnen die Fortführung des naturrechtlichen Personenverständnisses von Kant.94 Eine solche Interpretation wäre dann sowohl bezüglich dem vermeintlichen Naturrechtler Kant als auch bezüglich der Ausrichtung der Motive insgesamt in Zweifel zu ziehen. Unabhängig davon kann mit Lipp95 das revolutionäre Neue der Lehre Kants in einer grundsätzlichen Begründungsumkehr des Personseins gesehen werden. Nach Pufendorf und Wolff erwuchsen die Rechte und Pflichten des Einzelnen aus der Verbindung Mensch – status. Der Umkreis der verschiedenen status des Einzelnen bestimmte das Maß seiner Rechtsfähigkeit und machte ihn dementsprechend zur Person. Bei Kant ist dagegen die Person / Personenhaftigkeit das Ursprüngliche und erst aus der die Person begründenden, naturgegebenen Freiheit ergibt sich die Rechtsfähigkeit als notwendige Folge.96 Grundlegend hierfür ist Kants Trennung von Recht und 92  Kant,

S. 344. auch die Unterscheidung Kants zwischen ethischer Person, Rechtsperson und Bürger mit keinesfalls deckungsgleichen Anforderungen und entsprechendem Teilhaberkreis. Voraussetzung der ethischen Person ist lediglich, ein vernünftiges Wesen zu sein, was auf alle Menschen zutrifft. Der Status der Rechtsperson kann dagegen durch Rechtsakt verloren gehen (Leibeigene, Sklaven). Der Status des Bürgers ist zudem abhängig von einer natürlichen bzw. wirtschaftlichen Selbstständigkeit, was auf Kinder und Frauen nicht zutreffen soll. Hierzu ausführlich Herbst, in: Gröschner/Kirste/Lembcke, Person und Rechtsperson, S. 145 (164 f., 168, 170 ff.). 94  Hattenhauer, C., in: Klein/Menke, Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 39 (64). 95  Lipp, M., ZNR 1993, 129 (133). 96  Siehe auch Auer, Diskurs, S. 16 f. Entscheidender Schritt zur Moderne seien die Beachtung des Menschen in seiner moralischen Qualität und die Kopplung seiner Rechts- und Pflichtsfähigkeit an dieses moralische Sein gewesen; mit Hinweisen 93  Vgl.

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

Moral allgemein – Recht als Mittel zur Verwirklichung des moralischen Gesetzes der Freiheit97 – mit der Folge, dass es nun zu einer Trennung von Rechtsfähigkeit und Person / sittlicher Persönlichkeit kommt.98 Somit gilt seit Kant: Weil der Mensch Person ist, ist er rechtsfähig – und nicht: Weil der Mensch einzelne (von außen definierte) status innehat, ist er rechtsfähig und damit Person.99 Die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts griff u. a. die Lehre Kants vom Urrecht der Freiheit auf.100 Nach heutiger Interpretation der weiteren Entwicklung legte sie ihr eine vorwiegend rechtstechnische Sichtweise zugrunde, indem sie die Diskussion auf die Frage, wer Subjekt von Rechtsverhältnissen sei, konzentrierte (im Sinne Kants: der tatsächliche Bereich, homo phaenomenon, Legalität).101 Das Rechtspersonsein wurde als allgemeine Rechtsfähigkeit102 begründet, welche wiederum auf der sittlichen Freiheit und Personenwürde eines jeden beruhen sollte.103 Auf diese Weise wurde fortan der Gedanke ausgedrückt, den Menschen an sich in den Mittelpunkt zu stellen und insofern ein Prinzip der Gleichheit im weiteren Sinne anzuerkennen. Bereits § 16 des 1811 erlassenen österreichischen ABGB ist in dieser rechtstechnisch konzentrierten Form zu verstehen. auch auf die vorkantischen Ansätze (S. 17 f.); zur Bedeutung von Kants Freiheitsbegriff in diesem Begründungszusammenhang S. 19 f.: „Identifikation des Personenbegriffs mit dem normativen Gehalt des Autonomiegedankens“, aufgrund derer es überhaupt erst gerechtfertigt sei, den Einzelnen als Zurechnungssubjekt moralischer und rechtlicher Rechte/Pflichten anzunehmen; ebenso Mecke, S. 842: der „auf Kant zurückgehende Begründungszusammenhang von rechtlicher Handlungsfreiheit und sittlicher Autonomie“. 97  Lipp, M., Quaderni Fiorentini 1982/1983, 217 (256). Entsprechend wird die bisherige sittlich-rechtliche Einheit der persona moralis aufgebrochen (S. 259, Fn. 128). 98  Lipp, M., ZNR 1993, 129 (133). 99  Lipp, M., ZNR 1993, 129 (133). 100  Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 67 ff., 70 ff.; Auer, Diskurs, S. 20: Entwicklung des „bis heute gültigen Rechtsverständnisses auf der Grundlage der Identität von Autonomie und Rechtsfähigkeit und der daraus folgenden Zurechnung subjektiver Individualrechte“ im 19. Jahrhundert auf der intellektuellen Grundlage der Lehre Kants. 101  Martin, S. 131 ff.; Handbuch des Persönlichkeitsrechts/Götting, § 2 Rn. 11 f.; Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 73 f.; Coing, in: FS Maihofer, S. 75 (80); Lanz-Zumstein, S. 76; Scheyhing, AcP 158 (1958), 503 (512 f.); Coing, Europäisches Privatrecht II, S. 296 f.; Hattenhauer, H., JuS 1982, 405 (407 ff.); Klippel, ZNR 1982, 132 (135). 102  Terminologisch vollzog sich der Wechsel vom bisherigen Begriff der Person/ Persönlichkeit zu demjenigen der Rechtsfähigkeit. Dabei ist nach Leuze, S. 32 f. der geistige Vater des neuen Begriffs der Rechtsfähigkeit nicht Kant, sondern bereits Fichte. 103  Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 70; Hattenhauer, C., in: Klein/Menke, Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 39 (59).



C. Erklärungsansätze87

„Jeder Mensch hat angeborne, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten.“

Auch wenn § 16 ABGB von angeborenen Rechten spreche, habe er nach damaligem Verständnis lediglich auf die Rechtsfähigkeit im engeren Sinne Bezug nehmen wollen.104 Dies zugrunde gelegt, könnte mit der Entwicklung im 19. Jahrhundert zugleich eine Weichenstellung für das moderne Verhältnis von Rechtsfähigkeit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht markiert worden sein. Ein Großteil der Forschung will sowohl die Idee einer allgemeinen Rechtsfähigkeit als auch die Idee eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf die angeborenen Rechte des Naturrechts (status naturalis) einerseits und Kants Urrecht der Freiheit andererseits zurückführen.105 In einem solchen Fall gemeinsamer Quellen wäre sogar eine anfängliche Identität der beiden, heute weitgehend getrennt erscheinenden106, Figuren denkbar. Die spätere Auseinander- und Parallelentwicklung wäre sodann damit zu erklären, dass der Bedeutungsgehalt des ursprünglich umfassenden Persönlichkeitsrechts auf ­ das (formale) Prinzip der allgemeinen Rechtsfähigkeit konzentriert wurde. So gesehen scheint es eine verpasste Chance gewesen zu sein, indem die im Ursprung anklingende naturrechtliche Idee von Persönlichkeit und Persönlichkeitsrecht(en) im materiellen Sinne ungenutzt blieb. Die gegen Ende des 19. Jahrhunderts einsetzende Entwicklung der modernen Persönlichkeitsrechte erfolgte unter vorwiegend praktischen, ökonomischen Gesichtspunkten.107 Vor allem wurden zu diesem Zeitpunkt keine Bezüge zur Rechtsfähigkeit bzw. zu eventuell gemeinsamen Grundgedanken um Persönlichkeit108, angeborene Rechte etc. mehr hergestellt.109 104  Martin, S. 127; Coing, Europäisches Privatrecht II, S. 296 f. Die spätere Interpretation des § 16 ABGB durch Unger im Geiste der historischen Rechtsschule zielte sodann noch stärker auf die Rechtsfähigkeit im formellen Sinne ab. 105  Handbuch des Persönlichkeitsrechts/Götting, § 2 Rn. 11 f.; Leuze, S. 34 f. mit Abstrichen hinsichtlich des Persönlichkeitsrechts und unter Aufzeigen der Unterschiede zum modernen allgemeinen Persönlichkeitsrecht; Scheyhing, AcP 158 (1958), 503 (512); Klippel/Lies-Benachib, in: Falk/Mohnhaupt, Das Bürgerliche Gesetzbuch, S. 343 (345): „naturrechtliche Wurzeln“ auf der „Grundlage der Philosophie Kants“. 106  Siehe Kapitel 2, C. II. 2. a). 107  Entwicklung von Schadensersatz für immaterielle Schäden; Schutz des Namens, Urheberrechte etc. 108  Deutlich wird dies vor allem bei Gareis, der bewusst eine eigenständige Terminologie wählte. Statt „Persönlichkeitsrechte“ benannte er die neue Kategorie als „Individualrechte“, um eine Abgrenzung zur Rechtsfähigkeit bzw. deren Bezeichnung als „Recht der Persönlichkeit“ zu ziehen; im Einzelnen siehe Kapitel 3, B. III. 5. 109  Hierzu insgesamt Leuze, S. 62 ff. (Neuner), S. 93 ff. (Gareis), S. 103 ff. (Kohler), S. 112 (Regelsberger), S. 112 ff. (v. Gierke); Hamprecht, S.  87 ff.; 118 ff.; Coing,

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts (maßgeblich in der zweiten Hälfte) wurden die Begründungsansätze zunehmend gesetzespositivistisch110 unter betontem Widerspruch zum Naturrecht. Die Rechtsfähigkeit wurde klar als Akt staatlicher Verleihung gesehen, etwa bei Regelsberger. „Die Rechtsfähigkeit beruht auf einer Verleihung durch das positive Recht. […] Vom Standpunkt unserer heutigen Kultur pflegt man die Wahrheit dieses Satzes vielfach zu verkennen. […] Man hat die Rechtsfähigkeit ein dem Menschen angeborenes Recht, ein Urrecht genannt, erhaben über die Macht des positiven Rechts. Allein entweder wird damit nur eine Anforderung an die Rechtsbildung ausgesprochen, wie sie sich aus dem derzeitigen Kulturstand ergiebt […] oder es liegt eine Täuschung zu Grunde. Gewiss ist die Rechtsbildung kein Tummelplatz für Willkür und Laune. Ganz besonders wird ihr bei der wichtigsten Frage, wem die Rechtsfähigkeit zuerteilt werden soll, die Richtung durch das Bedürfnis des Gemeinlebens vorgezeichnet, aber durch das Bedürfnis der jeweiligen Zeit […].“111

Kuhlenbeck erklärt die Frage danach, ob jeder Mensch und ob Tiere, Sachen und imaginäre Wesen als Rechtssubjekte gelten sollen oder nicht, zu einer Frage der positiven Gesetzgebung.112 Anders liege dagegen die Sache für die Rechtsphilosophie, „d. h. die Theorie vom Rechte, wie es sein soll, nicht wie es ist“113. Gleichzeitig sieht Duve durch Jherings Interessentheorie eine „Entsubjektivierung des Rechtsdenkens“114 insgesamt einsetzen. Er erklärt dies mit einer inzwischen weltanschaulich verfestigten Formulierung der allgemeinen Rechtsfähigkeit, die sich von ihrer Wurzel in der Subjektphilosophie abgelöst habe, die allerdings durch die Entsubjektivierung allein nicht mehr in Frage gestellt werden konnte.115 Die Kodifikation und die Normierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB stellten sicherlich eine Zäsur dar. Fast unmittelbar nach dem Inkrafttreten setzte allerdings eine grundlegende Kritik an dem Prinzip der allgemeinen Rechtsfähigkeit ein. Dies betraf insbesondere das Verhältnis zur Handlungsfähigkeit und ging mit zum Teil völlig neuen Definitionen und dogmatischen Konstruktionen von Rechtsfähigkeit, Rechtssubjekt und Rechtspersönlichkeit Europäisches Privatrecht II, S. 298 f.; Klingenberg, ZRG Germ. Abt. 1979, 183 (204 ff.); anders Hattenhauer, H., JuS 1982, 405 (407 ff.), der bereits Ende des 19. Jh. die Entwicklung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts als ethisches Element parallel zur Rechtsfähigkeit begreift. 110  Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 73. 111  Regelsberger, S.  236 f. 112  Kuhlenbeck, S. 74; ebenso deutlich bei Hellferich, § 6 S. 8. Das Gesetz könne die Personenkapazität beliebig bestimmen und abändern. Dies wird als Erklärung für den gesetzlichen Schutz des Rechtswillens eines Kindes genommen. 113  Kuhlenbeck, S. 74 Fn 1. 114  HKK/Duve, Bd. I, §§ 1–14 Rn. 10. 115  HKK/Duve, Bd. I, §§ 1–14 Rn. 10.



C. Erklärungsansätze89

einher. Nicht zuletzt mündete dies in der ungeheuerlichen Ausgestaltung des Rechts- bzw. Volksgenossen der nationalsozialistischen Lehre. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist die Tendenz in der Rechtslehre erkennbar, den Begriff der Person, so wie er mit der Rechtsfähigkeit verbunden und von dieser geprägt wurde, als zu formal-juristisch anzusehen. In dem Bestreben, diesen Personenbegriff mehr wertvermittelnde Elemente zur Seite zu stellen, wurde gerade auf die Persönlichkeit bzw. das allgemeine Persönlichkeitsrecht als geeigneten Werteträger zurückgegriffen.116 Indem man sich auf die philosophischen und naturrechtlichen Wurzeln des Persönlichkeitsrechts (zurück)besann117, trat dieses der Rechtsfähigkeit als materielle, wertbeladene Ergänzung gegenüber.118 In diesem Sinne prognostiziert Hattenhauer die Verabschiedung des Rechtsbegriffs der Person, wie er als Rechtsfähigkeit im Sinne von § 1 BGB Gebrauch finde. Er werde zunehmend von der (Rechts-) Persönlichkeit verdrängt, da das ethische Element in der Persönlichkeit vorgehe.119 Im Übrigen gewannen solche Sichtweisen an Gewicht, mit denen nicht mehr von einer allgemeinen Rechtsfähigkeit, sondern nur noch von verschiedenen relativen Rechtsfähigkeiten gesprochen wurde. Angesichts dieser Gesamtentwicklung ergibt sich der Eindruck, der Aufschwung des Begriffs bzw. der Figur der Rechtsfähigkeit im 19. Jahrhundert habe maßgeblich mit ihrem Merkmal der Allgemeinheit zusammengehangen. Der neue Schritt in der Entwicklung und damit der eigentliche Gewinn dieser Figur scheinen gerade in dem letzten Grad an Abstraktion zu bestehen, der mit ihr erreicht wurde. Im noch statusgebundenen naturrechtlichen Denken war der Mensch Rechtsperson (persona moralis) aufgrund des Innehabens 116  Eichler, S. 13  f., 93: „Die Figur des Persönlichkeitsrechts hat menschliche Werte in das Personenrecht hineingebracht und auf diese Weise eine Verbindung zwischen dem farblosen Personenbegriff und dem Menschen hergestellt.“; Schönberger, S. 70 f., 73; Hattenhauer, H., JuS 1982, 405 (407 ff.) erklärt dies vor allem als Reaktion auf den nationalsozialistischen Rechtsmissbrauch, der zu einer Entwertung des Rechtsfähigkeitsbegriffs des § 1 BGB geführt habe, wogegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht unbelastet sei; Lanz-Zumstein, S. 78 ff. verweist kritisch auf die Folgen einer Begriffsvermischung und einer Verdrängung der „Person“ durch die „Persönlichkeit“. 117  Hattenhauer, H., JuS 1982, 405 (407 ff.); Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 70; stellvertretend für diese Tendenz Scheyhing, AcP 158 (1958), 503 (524 f.) mit der Warnung vor einer allzu eingeschränkten Betrachtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, dessen wahrer Rechtsgehalt bei Außerachtlassung von Fragen grundsätzlicher Art nicht ausreichend berücksichtigt werden könne; dem widersprechend Baston-Vogt, S. 15, die für eine neuzeitliche Arbeit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht eine „Entmystifizierung“ und eine Befreiung von der „rechtstheoretischen Verschleierung“ fordert. 118  Eichler, S. 13 f., 93; Schönberger, S.  70 f.; Lübtow, in: FS Wolf, S. 421 (442); Hattenhauer, H., JuS 1982, 405 (407 ff., 410 f.). 119  Hattenhauer, H., JuS 1982, 405 (405).

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

gewisser, im Sinne irgendwelcher materieller Rechte und Pflichten gewesen. Verglichen hiermit wirkte die spätere Idee einer allgemeinen Rechtsfähigkeit insbesondere dadurch, dass mit ihr eine Personalität qua Menschsein und unabhängig einer konkreten Rechts- und Pflichtenstellung propagiert wurde.120 Konstruktiv stand dahinter nichts anderes als die Beschränkung des zivilrechtlichen Personenbegriffs auf die dogmatisch-technische Funktion der Rechtsfähigkeit im Sinne eines Zuordnungssubjekts. Indem hieraus eine Gleichsetzung von Mensch und Person folgte, waren mit dem an sich formellen Element der Rechtsfähigkeit eine zugleich fundamental-ethische Aussage und rechtsstaatliche Errungenschaft verbunden: die Anerkennung einer allen Menschen gleichermaßen zukommenden Würde, ausgedrückt als abstrakte Gleichstellung hinsichtlich ihrer Rechtssubjektivität. Die Wertung einer solchen Abstraktion als Vorteil und Fortschritt scheint allerdings im 20. Jahrhundert in Teilen verloren gegangen zu sein. Dieser Eindruck entsteht zumindest für solche Stimmen, die eine beschränkte, gestufte und relative Rechtsfähigkeit befürworteten121. Inwiefern diese überzeugen oder ob hierin ein Rückgriff auf statusorientierte Denkmuster o. ä. zu sehen ist, soll an dieser Stelle dahinstehen. Es bleiben zumindest die Überlegungen, die Rechtsfähigkeit mit der materiell-rechtlichen Ausgestaltung der Rechtsordnung mal stärker, mal schwächer in Verbindung zu setzen, sowie die Bereitschaft, auf eine allgemeine Grundlage in der zivilrechtlichen Dogmatik zu verzichten. Dahinter könnte die im Ansatz nachdenkenswerte Überzeugung stehen, dass hierdurch allein der Achtungsanspruch des Menschen nicht gestört werde, weil er bereits auf andere Weise (beispielsweise durch Persönlichkeitsrechte) erfüllt sei. Damit würden letztlich zwei zu trennende Komponenten angenommen: Rechtsfähigkeit einerseits und Achtungsanspruch andererseits.

II. Spezifizierung auf zwei Fragenkreise 1. Rechtsfähigkeit, Persönlichkeit, Handlungsfähigkeit Die Überlegungen zum Personen- und Rechtsfähigkeitsbegriff in seiner ethischen Ausrichtung lassen sich auf zwei Untersuchungsansätze verdichten.122 120  Scheyhing,

AcP 158 (1958), 503 (512). Einzelnen siehe Kapitel 4, B. II. 3. 122  Insofern handelt es sich bei der hier vorgenommenen Problemverdichtung um keine solche, die Anspruch auf Ausschließlichkeit und erschöpfende Behandlung der Rechtsfähigkeitsthematik erhebt. Es werden die genannten Schwierigkeiten hinsichtlich solcher Fragen vertieft, die m. E. einen wesentlichen Teilbereich darstellen und an denen die Aporien des ethischen Personenbegriffs besonders deutlich werden. 121  Im



C. Erklärungsansätze91 Weitergehendes Begriffsverständnis: Rechtsgüter (Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit bzw. Wert und Würde)

Rechtstechnisches Begriffsverständnis: Frage der Rechtsträgerschaft (Rechtssubjekt)

Römisches Recht status (libertas, civitas, familia)

Donellus 4 Individualrechtsgüter

status (libertas, civitas, familia) „Person“

Naturrecht iura connata status naturalis: Träger natürlicher Rechte und Pflichten im vorgesellschaftlichen Zustand

status moralis: positives Recht; Rechtsstellung des Einzelnen in der Rechtsordnung „Person“

Kant Urrecht der Freiheit „Persönlichkeit”

„Person“ Subjekt, dessen Handlung einer Zurechnung fähig ist

Rechtsfähigkeit

positives Recht

19. Jh.

Konzentration auf: Allgemeine Rechtsfähigkeit „Person“

Abbildung 1: Historische Entwicklung des Personen- und Rechtsfähigkeitsbegriffs

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

Zum einen: Wie gestaltet sich das Verhältnis von Rechtsfähigkeit und Persönlichkeit bzw. allgemeinem Persönlichkeitsrecht?123 – ausgehend von der Vorgeschichte des ethischen Personenbegriffs, die sich im ersten Überblick als Entwicklung zwischen diesen beiden Polen darstellt124, und damit vor allem ausgehend von der Frage, inwieweit die Figur der Rechtsfähigkeit Anknüpfungspunkt für die „Transferierung ethischer Kategorien in den Rechtsbegriff Person“125 ist bzw. sein sollte. In Erweiterung: Wie positionieren sich Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit als ggf. von der Rechtsfähigkeit unabhängige Rechtsgüter bzw. angeborene Rechte in diesem Verhältnis? Zum anderen: Wie gestaltet sich das Verhältnis von allgemeiner Rechtsfähigkeit und beschränkter Rechtsfähigkeit, Handlungsfähigkeit etc.? – ausgehend von der Frage, welche rechtstechnische und / oder ethische Bedeutung der Rechtsfähigkeit neben begriffs- und systemimmanenten Relativierungen zukommt bzw. inwieweit sie diesen selbst zugänglich ist. Eine Verbindung beider Problemansätze besteht darin, dass sich die erste Frage (Verhältnis von Rechtsfähigkeit und Persönlichkeitsrecht) mit der Verteilung rechtsethischer, rechtsphilosophischer Aspekte einerseits und rechtstechnischer Aspekte andererseits im Personenbegriff beschäftigt. Die zweite Frage ist sodann im Bereich der Rechtstechnik angesiedelt und betrifft erst in diesem Rahmen den Zuschnitt der Rechtsfähigkeit durch eventuelle Beschränkungen und die Funktionsverteilung zwischen Rechts- und Handlungsfähigkeit. Entsprechend ergeben sich Wechselwirkungen aus der Beantwortung beider Fragenkreise. Je stärker die Rolle des Persönlichkeitsrechts bei der Umsetzung des menschlichen Achtungsanspruchs gewertet wird, umso stärker kann die Rechtsfähigkeit auf ihre rechtstechnische Funktion eines Ordnungskriteriums konzentriert und positivrechtlicher Ausgestaltung zugänglich gemacht werden. Nähert sie sich dabei z. B. der Handlungsfähigkeit an, stellt sich wiederum umso mehr die Frage nach einer Abgrenzung oder überhaupt nach der Notwendigkeit beider Figuren nebeneinander.126 123  Vgl. Scheyhing, AcP 158 (1958), 503 (524 f.). Bei dem Verhältnis von Rechtsfähigkeit und allgemeinem Persönlichkeitsrecht handele es sich um eine „immer noch offene Frage“. 124  Deutlich wird dies beispielsweise bei Klippel, ZNR 1982, 132 (132 f.), der seine Darstellung zur Geschichte des Persönlichkeitsrechts untergliedert in Forschungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht einerseits und zur Rechtsfähigkeit andererseits; je nachdem benennt er verschiedene Urheber. 125  Lanz-Zumstein, S. 79. 126  Die Argumentationskette funktioniert ebenso in entgegengesetzter Richtung. Je nach Verbindung oder Abgrenzung der Rechtsfähigkeit zur Handlungsfähigkeit wird ein mehr rechtstechnischer oder ein mehr rechtsethischer Charakter der Rechts-



C. Erklärungsansätze93

2. Rechtsfähigkeit und Persönlichkeitsrecht im heutigen Bewusstsein a) Zwei unabhängige Institute Verbindungslinien zwischen der Rechtsfähigkeit einerseits und den zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechten, speziell dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht127 andererseits liegen an sich aufgrund der jeweiligen Inhalte nahe. Letztlich betreffen beide Bereiche dieselbe Thematik; beide Figuren stehen im Zusammenhang mit Selbstentfaltung, Wert- und Achtungsanspruch des Menschen und damit auch im Zusammenhang zueinander.128 Hinzu tritt die moderne Herleitung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 I, 1 I GG, deren Pendant mit dem Menschenwürdekern der Rechtsfähigkeit gegeben wäre. Jenseits dieser augenscheinlichen thematischen Berührungspunkte treten Rechtsfähigkeit und allgemeines Persönlichkeitsrecht im Bewusstsein des modernen Juristen jedoch weitgehend getrennt und als zwei eigenständige dogmatische Institute auf. Die herrschende Auffassung qualifiziert das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB, d. h. als absolutes subjektives Recht. So gesehen müsste ihm die Rechtsfähigkeit, wie jedem anderen subjektiven Recht auch, als allgemeine Voraussetzung vorgehen. Das dogmatische Rangverhältnis wird insoweit wenig diskutiert, zumal es sich dergestalt auch eindeutig aus den jeweiligen Begriffsbestimmungen ergibt. Nach überkommener Definition handelt es sich bei einem subjektiven Recht um die aus objektivem Recht abgeleitete, konkrete Rechtsmacht des Einzelnen.129 Wird dies wiederum mit der Definition der Rechtsfähigkeit als Fähigkeit, Träger konkreter Rechte (d. h. Rechtsmacht) zu sein, kombiniert, hat dies zwangsläufig zur Konsequenz, die Rechtsfähigkeit im Sinne des § 1 BGB einem subjektiven Persönlichkeitsrecht voranzustellen. fähigkeit zugrunde gelegt. Entsprechend gestaltet sich ihr Verhältnis zum Persönlichkeitsrecht, das mehr oder weniger als Auffangstation metajuristischer Elemente und materieller Rechtspositionen heranzuziehen ist. 127  Ausgangspunkt der Betrachtung ist das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht, das heute den Bereich der „Persönlichkeit“ dominiert und damit erste Anknüpfungsstelle ist. Dass es sich demgegenüber bei den „Persönlichkeitsrechten“ der Vergangenheit, auf die zurückzugreifen sein wird, um solche handeln kann, die mit dem modernen allgemeinen Persönlichkeitsrecht u. U. nichts zu tun haben, ist dabei unschädlich. 128  Zu inhaltlichen Überschneidungen und entsprechenden Abgrenzungsmöglichkeiten siehe bereits Kapitel 1, A. II. 2. a). 129  Enneccerus/Nipperdey, S. 429.

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

Eine über diesen unspezifischen Minimalzusammenhang hinausgehende Verbindung beider Figuren wird in der Regel nicht gezogen. In der Rechtsprechung wird bei Entscheidungen zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht näher auf eine rechtsphilosophische, rechtsethische oder rechtshistorische Beziehung zur Rechtsfähigkeit eingegangen. Seitdem mit der nun hinlänglichen Etablierung des Persönlichkeitsrechts der Begründungsaufwand insgesamt abgenommen hat, verwundert dies nicht weiter. Auch in der Darstellung der Literatur treten Rechtsfähigkeit und allgemeines Persönlichkeitsrecht im Sinne des § 823 I BGB regelmäßig als zwei selbstständige Themenkreise auf. Werden sie mitunter als die beiden Aspekte des Personenrechts nebeneinander und insofern auch „zusammengefasst“ genannt, geschieht dies doch klar als zwei voneinander abgetrennte Teilbereiche jenes Personenrechts.130 Bei der Abgrenzung der Rechtsfähigkeit von verwandten Instituten wird das Persönlichkeitsrecht meist überhaupt nicht in die Vergleichsreihe aufgenommen; vielmehr wird der Vergleich auf Handlungs- und Prozessfähigkeit beschränkt.131 Noch deutlicher wird die Trennung, wenn Darstellungen über die Geschichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht vor dem 20. Jahrhundert beginnen und hierbei die richterliche Rechtsschöpfung von 1954 nicht als Zäsur, sondern als Geburtsstunde gekennzeichnet wird.132 Auf diese Weise wird umso mehr die Konzentration auf das moderne allgemeine Persönlichkeitsrecht gelegt, wie es primär in seiner Ausgestaltung als sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB, allenfalls noch mit Bezug auf die Grundrechte, in Erscheinung tritt.133 130  Beispielsweise Erman/Saenger, BGB I, 13. Aufl., Vor § 1; Damm, AcP 202 (2002), 841 (842). Im Rahmen der Beschränkung seines Aufsatzthemas werden Persönlichkeitsrechte von der Betrachtung ausgeklammert und die allein behandelte Rechtsperson i. S.d § 1 BGB wird als Personenrecht im engeren Sinne bezeichnet; demgegenüber eine eher vermischte Darstellung bei Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, Vor § 1 Rn. 9. Im Zusammenhang mit der Rechtsfähigkeit wird auch die Ehre genannt und insofern wiederum auf das Persönlichkeitsrecht verwiesen; ferner Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, Vor § 1 Rn. 18. Definition der Persönlichkeitsrechte hat deutliche Parallelen zur Rechtsfähigkeit: Grundlage in der Menschenwürde bzw. in der von der Rechtsordnung dem Menschen zugewiesenen Wert. 131  MüKo/Schmitt, BGB Bd. 1, 6. Aufl., § 1 Rn. 8 ff.; Soergel/Fahse, BGB Bd. 1, 2000, Vor § 1 Rn. 11 ff., § 1 Rn. 1; Palandt/Ellenberger, 73. Aufl., Überblick v. § 1 Rn.  2 ff. 132  MüKo/Rixecker, BGB Bd. 1, 6. Aufl., Anhang § 12 Rn. 2, 28; Erman/Klass, BGB I, 13. Aufl., Anhang § 12 Rn. 8 ff.; Neumeyer, S. 46 ff., 52. 133  Dies lässt sich sicherlich oft durch die gebotene Kürze in den jeweiligen Darstellungen erklären. Es zeigen sich hieran aber auch die Auswirkungen der historischen Entwicklung. Diese hat sich gerade ab Ende des 19. Jahrhunderts, als Persönlichkeitsrechte zunehmend ernsthaft diskutiert wurden, als ein in weiten Teilen parallel verlaufender Prozess dargestellt; insofern spricht HKK/Duve, Bd. I, §§ 1–14 Rn. 7 von einer „Sonderentwicklung“ des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.



C. Erklärungsansätze95

b) Hinweise auf ein weitergehendes Persönlichkeitsrecht? Gleichzeitig finden sich in der Rechtsliteratur Anmerkungen, die von diesem Bild abweichen bzw. sich nicht ohne Weiteres in dieses einfügen lassen. Bei den betreffenden Passagen handelt es sich um Darstellungen zum BGB und dessen Dogmatik, zeitlich gerade auch nach der offiziellen Anerkennung und Etablierung des modernen allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Insofern wäre an sich damit zu rechnen, das Verhältnis von Rechtsfähigkeit (§ 1 BGB) und Persönlichkeitsrecht in obiger Art beschrieben vorzufinden, nämlich mit einer Voranstellung der Rechtsfähigkeit, die als abstrakte Grundlage die Personeneigenschaft begründet und damit die Voraussetzung des subjektiven allgemeinen Persönlichkeitsrechts abgibt.134 Entsprechend auffällig sind hiervon abweichende Anordnungen der Figuren, insbesondere wenn in einer Art „Rangumkehrung“ das Persönlichkeitsrecht der Rechtsfähigkeit vorangestellt zu sein scheint. Enneccerus / Nipperdey trennen zwischen dem Persönlichkeitsrecht einerseits und der Persönlichkeit andererseits, wobei Letztere als Rechtsfähigkeit im Sinne von § 1 BGB verstanden wird. Zum Inhalt des Persönlichkeitsrechts (qualifiziert als sonstiges subjektives Recht135) heißt es dort ausdrücklich, es umfasse neben der Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, noch das Recht auf Schutz der menschlichen Identität gegen Beeinträchtigungen.136 Die Aussage könnte nun ganz im Sinne herrschender Dogmatik gedeutet werden, und dem Persönlichkeitsrecht wäre demnach neben seinem eigentlichen Inhalt (Recht auf Individualitätsschutz) auch inzident die diesbezüglich abstrakte Rechtsträgerfähigkeit zuzuschreiben. Dieser Umstand allein wäre allerdings nur folgerichtig und keine solche Besonderheit, die für das Persönlichkeitsrecht im Vergleich zu den übrigen subjektiven Rechten gesondert erwähnt werden müsste.137 Zudem definiert Nipperdey auch an anderer Stelle den Inhalt eines allgemeinen Rechts der Persönlichkeit mit der Aufzählung „Recht auf Erhaltung, Unverletzlichkeit, Würde, [und eben, Anm. d. Verf.] Rechtsfähigkeit“138. Beides spricht dafür, dass die Rechtsfähigkeit im Sinne des § 1 BGB – d. h. das Institut an sich – 134  Diese Überlegung steht unter der Bedingung, dass jeweils der herrschenden Qualifikation des Persönlichkeitsrechts als subjektives sonstiges Recht gefolgt wird. Dies kann für alle in den Blick genommenen Ansichten bestätigt werden. 135  Enneccerus/Nipperdey, S.  581 f. 136  Enneccerus/Nipperdey, S. 477. 137  Zumindest ist kein Grund ersichtlich, warum Enneccerus/Nipperdey die inzidente Rechtsfähigkeit für das allgemeine Persönlichkeitsrecht ausdrücklich betont wissen wollten. 138  Nipperdey, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte Bd. 2, S. 1 (40).

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

als Teil des Persönlichkeitsrechts genommen und damit wiederum das Persönlichkeitsrecht als weitergehendes bzw. übergeordnetes Institut angesehen werden.139 Klinger bewertet die Rechtsfähigkeit (Möglichkeit, im Rechtsverkehr teilzunehmen) als wichtiges Merkmal der freien Entfaltung der Persönlichkeit.140 Dies hat Auswirkungen auf seinen Personenbegriff. Person im engeren Sinne ist für ihn der rechtsfähige Mensch, dagegen Person im weiteren Sinne der Mensch als Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, welches wiederum alle rechtlich relevanten Aussagen über den Menschen erfasse. Die menschliche Person erschöpfe sich daher nicht in ihrer Rechtsfähigkeit.141 Nach Lanz-Zumstein tritt das Persönlichkeitsrecht neben den Begriff der Rechtsperson. Es erfasse diesen und lasse ihn letztlich zurücktreten. Die Persönlichkeit sei mehr als die Person im Rechtssinne; sie sehe den Menschen nicht nur als Rechtssubjekt, sondern begreife ihn in seinem ganzen Sein.142 Bei Staudinger / Kannowski143 und Peters144 finden sich nahezu identischen Aussagen. Auch ihnen zufolge ist die Rechtsfähigkeit, als Bezeichnung der technischen Rechtsträgerschaft, bloß ein Teil der Persönlichkeit bzw. des Persönlichkeitsbegriffs.145 Ein Großteil dieser Ansätze ist allerdings zu relativieren. Bei LanzZumstein, Staudinger / Kannowski und Peters ist die Verwendung der Begriffe von Person, Persönlichkeit und Persönlichkeitsrecht oft uneinheitlich. Es bleibt vor allem undeutlich, ob sie insoweit überhaupt zwischen der Persönlichkeit an sich (als Wert / Rechtsgut) und einem sie schützenden subjektiven Persönlichkeitsrecht unterscheiden und wenn ja, in welchem Sinne ein solches subjektives Recht zu verstehen ist. Wird daher „die Persönlichkeit“ als über die „Rechtsfähigkeit“ hinausgehend bzw. als diese sogar beinhaltend dargestellt, ist damit nicht zwangsläufig das zivilrechtliche Persönlichkeitsrecht in seiner Ausgestaltung als subjektives Recht gemeint. Naheliegender ist tatsächlich die Verwendung von Persönlichkeit im Sinne eines Oberbe139  Leuze,

S. 120 mit gleicher Interpretation. S.  57 f. 141  Klinger, S.  57 f. 142  Lanz-Zumstein, S. 78; fast identisch bei Liermann, in: Heckel, Person und Recht, S. 19. 143  Staudinger/Kannowski, BGB 1. Buch, 2013, § 1 Rn. 3: „Weiter als der Begriff der Rechtsfähigkeit ist der des Persönlichkeitsrechts; er umfasst nicht nur die Fähigkeit, Subjekt von Rechten zu sein, sondern auch die, in seiner Persönlichkeit unabhängig von den damit verbundenen Vermögensinteressen Rechtsschutz zu finden […].“ 144  Peters, Diskussionsbeitrag im Anhang zu Westermann, H., Person und Persönlichkeit, S. 36 (37). 145  Leuze, S. 117 ff. als Befürworter davon, die Rechtsfähigkeit als Teil der Persönlichkeit bzw. eines übergeordneten Persönlichkeitsrechts zu sehen, siehe Kapitel 4, B. II. 5. 140  Klinger,



C. Erklärungsansätze97

griffs und eines objektiven Wertes bzw. Rechtsgutes. Als solches würde sie der Rechtsfähigkeit und ggf. auch einem noch zusätzlichen, gesonderten allgemeinen Persönlichkeitsrecht als subjektivem Recht vorausgehen und von diesen sogar umgesetzt werden. Wenn immerhin die Rede davon ist, die Person bzw. die Rechtsfähigkeit werde durch die Persönlichkeit verdrängt, so handelt es sich hierbei in erster Linie um eine terminologische Angelegenheit, mit der gerade die oben beschriebene „Ethisierung“ des Personenbegriffs zum Ausdruck gebracht werden soll. Hauptkritikpunkt all dieser Darstellungen ist, dass mit dem überkommenen Personen- bzw. Rechtsfähigkeitsbegriff noch zu sehr eine formal-juristische Sichtweise assoziiert werde, beschränkt auf die bloße Ordnungsfrage, wer Träger eines Rechtsverhältnisses sei.146 Eine dogmatische Verschiebung von Rechtsfähigkeit, allgemeinem Persönlichkeitsrecht und besonderen Persönlichkeitsrechten, d. h. der Institute an sich, oder gar die Einführung eines neuartigen Persönlichkeitsrechts werden damit nicht verbunden. Anders stellt sich dies bei Enneccerus / Nipperdey dar. Persönlichkeit wird hier als Bezeichnung der Rechtsfähigkeit im Sinne des § 1 BGB verwendet, und unter Persönlichkeitsrecht wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 I, 2 I GG mit der Rechtsnatur eines subjektiven Rechts verstanden.147 Auf eine bloße Veränderung der Begrifflichkeiten kann damit nicht als Erklärung zurückgegriffen werden. Damit wäre hier tatsächlich eine Umkehrung des Rangverhältnisses beschrieben. 3. Rechtsvergleichende Betrachtung (europäische Rechtsordnungen) Im Personenrecht von Österreich (Zentralnorm § 16 ABGB) bildet die Persönlichkeit des Menschen die Grundlage, aus welcher Rechtsfähigkeit und Persönlichkeitsrechte abgeleitet werden.148 Nach französischem Recht sind alle Menschen in rechtlicher Hinsicht personnes und besitzen in gleicher Weise die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein (personnalité; capacité).149 Aus der Persönlichkeit werden einzelne subjektive Rechte entwickelt, den deutschen PersönlichHattenhauer, H., JuS 1982, 405. S. 477 Fn. 4 mit eindeutigem Verweis auf die Ausführungen zum zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht. 148  OGH v. 27.02.1990 10ObS40/90: „§ 16 ABGB ist nicht bloß Programmsatz, sondern Zentralnorm unserer Rechtsordnung, mit normativem subjektive Rechte gewährenden Inhalt. Sie anerkennt die Persönlichkeit als Grundwert. In seinem Kernbereich schützt § 16 ABGB die Menschenwürde.“ 149  Ferid/Sonnenberger, 1 D 4 f. 146  Stellvertretend

147  Enneccerus/Nipperdey,

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Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

keitsrechten vergleichbar (Ableitung aus dem Begriff personnalité: sog. droits de la personnalité).150 Institutionell wird also auch hier zwischen der Rechtsfähigkeit einerseits und den Persönlichkeitsrechten andererseits getrennt. Das Personenrecht der Schweiz im ZGB (Erster Teil: Das Personenrecht, Erster Titel: Die natürlichen Personen) unterscheidet, ausgehend vom Oberbegriff der Persönlichkeit, zwischen dem Recht der Persönlichkeit (Erster Titel, Erster Abschnitt) einerseits und dem Schutz der Persönlichkeit (Erster Titel, Zweiter Abschnitt) andererseits. Ersteres umfasst Rechtsfähigkeit, Handlungsfähigkeit, Verwandtschaft, Schwägerschaft, Heimat sowie Wohnsitz; Letzteres entspricht erneut der Kategorie deutscher Persönlichkeitsrechte. Nach Pedrazzini wird mit dieser Unterscheidung der Begriff der Persönlichkeit vom technischen Begriff der Rechtsfähigkeit unterschieden. Die Persönlichkeit insgesamt sei weiter und setze sich gerade aus der Rechtsfähigkeit im Sinne des Art. 11 ZGB und allen übrigen rechtserheblichen Eigenschaften der Person zusammen.151 Insofern ist allerdings die Überschrift des Dritten Abschnitts des Ersten Teils – „Anfang und Ende der Persönlichkeit“ und nicht nur der „Rechtsfähigkeit“ – beachtlich. Eine noch deutlichere Unterscheidung von Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit findet sich im Código Civil Portugals. Die Überschrift zum Recht der natürlichen Person [Allgemeiner Teil, Zweiter Titel, Erster Untertitel (Personen), Erste Sektion; Art. 66 ff. CC] lautet personalidade e capacidade jurídica, führt damit beide Begriffe als nebeneinander stehend auf. Art. 66 CC normiert den Erwerb der „Persönlichkeit“ mit Geburt, wohingegen Art. 67 CC von der Rechtsfähigkeit (Fähigkeit, Subjekt von Rechten zu sein) gesondert spricht. Hieran wiederum, allerdings in einem eigenständigen Kapitel (Zweite Sektion, Art. 70 ff. CC), schließen sich die Rechte der Persönlichkeit an, die den deutschen Persönlichkeitsrechten entsprechen. Dabei wird ein allgemeines Persönlichkeitsrecht in Art. 71 CC eigens normiert.152 Der Überblick zeigt eine soweit einheitliche Handhabung in sämtlichen Rechtsordnungen. Tendenziell wird die Rechtsfähigkeit (als Fähigkeit, Trä150  Ferid/Sonnenberger,

1 D 4, 1 D 101; Sonnenberger/Classen, S. 167. S. 22. 152  Bei einer vertieften inhaltlichen Analyse der ausländischen Rechtsnormen, auf die in diesem Rahmen verzichtet wird, wären vor allem die Regelungen der Schweiz und Portugals interessant, die zumindest systematisch zwischen der Rechtsfähigkeit und einer dem Anschein nach weitergehenden bzw. übergeordneten Persönlichkeit unterscheiden. In dieser Hinsicht müsste insbesondere untersucht werden, ob die Persönlichkeit tatsächlich als eigenständiges rechtliches Institut verstanden wird und in welcher Beziehung sie in diesem Fall zu einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Parallelität oder Identität) steht. 151  Pedrazzini/Oberholzer,



C. Erklärungsansätze99

ger von Rechten und Pflichten zu sein) von den Persönlichkeitsrechten (allgemeines / besondere) unterschieden, und der Schutz des Menschen in seiner Würde und seiner Individualität – und in diesem Sinne in seiner Persönlichkeit – wird gerade aus beiden Komponenten zusammengesetzt. Das Verhältnis von Rechts- und Handlungsfähigkeit verläuft in den Rechtsordnungen Spaniens, Österreichs und Italiens weitgehend parallel zur Dogmatik des BGB. Begrifflich wie institutionell wird zwischen der Rechtsfähigkeit als abstrakter Grundlage153 und der Handlungsfähigkeit154 unterschieden. Für die Rechtsfähigkeit reicht die bloße Möglichkeit von Rechtsträgerschaft aus. Die Frage der konkreten Rechtsstellung des Einzelnen wird hiervon getrennt.155 Im Schweizer Recht machen Art. 11 ZGB und Art. 12 ZGB in direkter Gegenüberstellung die Trennung von Rechts- und Handlungsfähigkeit deutlich. Wie nach deutschen Begriffen werden die Rechtsfähigkeit als Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben156, und die Handlungsfähigkeit als Fähigkeit, durch eigene Handlungen Rechte und Pflichten zu begründen157, definiert. Zusammengefasst ergeben beide Figuren das Recht der Persönlichkeit als Oberbegriff.158 Art. 11 II S. 2 ZGB bringt den Vorbehalt der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung unmittelbar zur Sprache: „Für alle Menschen besteht demgemäß in den Schranken der Rechtsordnung die Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben.“ (Art. 11 II S. 2 ZGB)

Streng genommen beziehen sich die Schranken der Rechtsordnung nach dieser Formulierung bereits auf den Bestand der Fähigkeit selbst. Andernfalls müsste der Satz lauten, es bestehe für alle Menschen „die Fähigkeit, in den Schranken der Rechtsordnung Rechte und Pflichten zu haben“. Demzufolge wären nach Art. 11 II S. 2 ZGB verschiedenartig ausgestaltete, konkrete Rechtspositionen als Frage des Umfangs der Rechtsfähigkeit („beschränkte Rechtsfähigkeit“) zu werten.159 Ein Beispiel für eine vom deutschen Recht weiter abweichende Struktur ist das englische Recht. Oberbegriff ist auch hier die legal personality, d. h. die Rechtspersönlichkeit bzw. Rechtsperson, die als Träger von Rechten und Pflichten anerkannt wird. Untergliedert wird diese Position in legal capaci153  Capacidad juridìca/personalidad (Art. 29 CC); § 16 ABGB; capacità guiridica (Art. 1 CC). 154  Capacidad de obrar; § 18 ABGB; capacità di agire (Art. 2 CC). 155  Mahr, S. 254 für das spanische Recht. 156  Art. 11 II S. 2 ZGB. 157  Art. 12 II S. 1 ZGB. 158  Eichler, S. 17; Pedrazzini/Oberholzer, S. 26. 159  Pedrazzini/Oberholzer, S. 26.

100

Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

ty und status.160 Capacity bezeichnet die natürliche Willensfähigkeit des Menschen, über seine Rechtsbeziehungen selbst zu bestimmen.161 Sie wird wiederum aufgespalten in eine aktive capacity als Fähigkeit, Rechte zu haben und auszuüben, und eine passive capacity als Fähigkeit der Haftung für rechtliche Verbindlichkeiten. Die capacity steht damit parallel zur deutschen Geschäftsfähigkeit, ist entsprechend bei Minderjährigen und geistig Behinderten beschränkt bzw. aufgehoben und umfasst darüber hinaus die Eheschließungsfähigkeit. Status ist demgegenüber Ausdruck der besonderen Rechtsstellung einer Person in einem bestimmten Kontext.162 Die legal personality stellt sich zwar als ebenfalls allgemeinere Kategorie mit Untergliederungen dar. So gesehen könnte sie die Funktion eines abstrakten Oberbegriffs einnehmen. Im wesentlichen Unterschied zur deutschen Rechtsfähigkeit richtet sich ihr vollständiges Vorliegen gerade nach der Erfüllung bestimmter Eigenschaften, wodurch insofern Abstufungen und Relativierungen möglich sind.163 Aus diesem Grund wird im englischen Recht eine trennscharfe Unterscheidung von legal personality und legal capacity oft überhaupt nicht vorgenommen oder es werden beide Ausdrücke synonym verwendet. In jedem Fall besteht allein die Vorstellung einer gerade konkret verstandenen personality / capacity, welche Elemente sowohl der Rechts- als auch der Handlungsfähigkeit in sich trägt. Die Person bzw. das Rechtssubjekt tritt insgesamt primär unter den Gesichtspunkten des aktiven Wirkens und Könnens sowie der konkreten Rechtsinnehabung und -ausübung in Erscheinung. Dessen ungeachtet fühlt sich auch die englische Rechtsordnung dem ethischen Gedanken verpflichtet, dass jeder Mensch in grundsätzlich gleicher Weise fähig sei, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, und nicht als rechtliches Objekt gelten dürfe. Es fehlt lediglich an einer eigenständigen, ausschließlich die abstrakte Rechtsträgerschaft be­ inhaltenden Kategorie bzw. eines solchen Begriffs.164

D. Ergebnis: Historisch angelegte Aporien in § 1 BGB Die bisherigen Betrachtungen ergaben den wesentlichen Befund, dass der Personen- und Rechtsfähigkeitsbegriff des § 1 BGB zwei Aussagen mit sich führt. Einerseits sind die allgemeine Rechtsfähigkeit und das Rechtspersonsein des Menschen ein Ausdruck seiner Menschenwürde. Es werden hiermit die fundamentalen Errungenschaften seit der Aufklärungsphilosophie festge160  Mahr,

S. 164. S. 164. 162  Mahr, S. 166. 163  Mahr, S. 164. 164  Mahr, S. 166. 161  Mahr,



D. Ergebnis: Historisch angelegte Aporien in § 1 BGB101

halten, wonach dem Menschen eine unentziehbare Würde, Freiheit, ein Selbstzweck und eine prinzipielle Gleichheit vor dem Gesetz zukommen. Rechtsfähigkeit und Person tragen damit ein rechtsethisches Element in sich. Andererseits sind Rechtsperson und Rechtsfähigkeit Ordnungskriterien mit der Aufgabe, die jeweilige Trägerschaft für Rechte und Pflichten zu bestimmen. Damit steht auf der anderen Seite ein mehr formal-dogmatisches, rechtstechnisches Element. In diesem Spannungsfeld bewegt sich der ethische Personenbegriff des § 1 BGB. Hinzu tritt eine hohe Abstraktionsstufe, bereits systemimmanent flankiert durch die Einführung besonderer Handlungsfähigkeiten. Es ist dem tatsächlichen Rechtsleben und der praktischen Anwendbarkeit von Person und Rechtsfähigkeit geschuldet, Rechtspositionen zu konkretisieren und dabei zwangsläufig zu relativieren. Die zentralen Wesenszüge des ethischen Personenbegriffs – die Verbindung rechtstechnischer, formal-funktionaler und metajuristischer Kategorien zum einen; der abstrakte Zuschnitt zum anderen – sind zudem historisch angelegt oder zumindest historisch nachweisbar. Aus der rechtsgeschichtlichen Entwicklung heraus konnten die inhaltlichen wie methodischen Aporien der BGB-Dogmatik auf zwei Fragenkreise konkretisiert werden. Es handelt sich um das Verhältnis von „Rechtsfähigkeit und Persönlichkeitsrecht“ als materielles Auffanginstitut einerseits und das Verhältnis von „Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit“ als Folge abstrakter Begriffsbildung andererseits. Ging es somit in der bisherigen Untersuchung um die „Freilegung“ des § 1 BGB, wird im Folgenden der dogmatische Diskurs am Vorabend der Kodifikation in den Blick genommen, wie er für diese beiden Problemzusammenhänge relevant ist. Protagonisten dieser Auseinandersetzung sind Friedrich Carl von Savigny und Georg Friedrich Puchta. Friedrich Carl von Savigny (1779–1861) gilt als maßgeblicher Impulsgeber für die Rechtsentwicklung im 19. Jahrhundert. Sein Einfluss auf die zeitgenössische Rechtslehre und von dort ausgehend auf die Kodifikation und Privatrechtsdogmatik des BGB ist weitgehend165 unbestritten.166 Wird 165  Aufsehenerregend Kantorowicz, Recht und Wirtschaft 1911, 47  ff., 76  ff. („Was ist uns Savigny?“), welcher den Einfluss Savignys auf die moderne Gesetzgebung weitestgehend verneint und ihn auf dessen Verdienste als Rechtshistoriker (Erforschung des römischen Rechts in der Vergangenheit) beschränken will. 166  Im Detail besteht noch immer Forschungsbedarf. Speziell zu offenen Fragen um Savignys Personenbegriff und seine Haltung zur allgemeinen Rechtsfähigkeit Schröder, Quaderni Fiorentini 1985, 619 (627 f.); zum Einfluss Savignys auf die allgemeine Dogmatik des BGB über zumindest mittelbare Verbindungsstränge (Literatur, Rechtsprechung, Gesetzgebung) Hammen, S. 20.

102

Kap. 2: Problemverdichtung und Erklärungsansätze

Savigny dadurch generell zu einem Anknüpfungspunkt rechtshistorischer wie dogmatischer Betrachtungen, finden sich bei ihm zugleich konkrete Hinweise auf eine Gegenüberstellung von Rechtsfähigkeit und Persönlichkeitsrecht bzw. eines Rechts an der eigenen Person. Denn einerseits wird seine viel beachtete Aussage „Alles Recht ist vorhanden um der sittlichen, jedem einzelnen Menschen inwohnenden Freyheit willen […]. […] Jeder einzelne Mensch, und nur der einzelne Mensch, ist rechtsfähig.“167

regelmäßig als Prinzip der allgemeinen Rechtsfähigkeit zitiert. Andererseits sieht sich Savigny hierdurch nicht daran gehindert, ein davon verschiedenes Persönlichkeitsrecht als Recht an der eigenen Person vehement abzulehnen.168 Über den Einfluss der romanistischen Rechtsschule ist diese Ablehnung für die Folgezeit prägend.169 So eindeutig wie Savigny ein Recht an der eigenen Person ablehnt, so eindeutig wird ein solches von Georg Friedrich Puchta (1798–1846) anerkannt. Der sonstige „Lieutenant du Roi“170 tritt in dieser Frage in einen auffälligen Widerspruch nicht nur zu seinem „Herrn und Meister“171, sondern auch zur herrschenden Ansicht der zeitgenössischen Pandektenlehre. Dies und der Umstand, dass das Recht an der eigenen Person einen zentralen Stellenwert in seinem Gesamtsystem einnimmt, legen es nahe, Puchta als zweite maßgebliche Stimme in der Diskussion des 19. Jahrhunderts zu untersuchen. Umfassende Werkanalysen sind auf Savigny und Puchta beschränkt. Weitere bedeutende Vertreter der Pandektistik werden in diesem Rahmen jeweils punktuell berücksichtigt, soweit sie sich in relevanter Weise zu Savigny und / oder Puchta in Bezug setzen lassen. Jhering tritt vor allem mit einer Kritik an Puchtas Recht der Persönlichkeit in Erscheinung und ist insofern in direkter Gegnerschaft zu diesem zu nennen. Windscheid wendet sich gegen Savigny und nimmt ein Recht an der eigenen Person an172, unterscheidet dieses jedoch zugleich von Puchtas Recht der Persönlichkeit.173 Insgesamt sieht Windscheid das von ihm vertretene Recht als in der Exis167  Savigny,

System II, § 60 S. 2. System I, § 53 S. 334 ff. 169  Leuze, S.  48 ff.; Hattenhauer, H., JuS 1982, 405 (407 f.); Handbuch des Persönlichkeitsrechts/Götting, § 2 Rn. 11; Klippel, ZNR 1982, 132 (138). 170  Puchta, Brief an Savigny v. 06.11.1828, Briefe Ms. 838/30, Bl. 1. 171  Schönfeld, in: FG Binder, S. 1 (35). 172  Windscheid, S. 95 in den Ausprägungen: Recht auf Leben, Körper(funktionen), körperliche Integrität, Freiheit, Recht auf Betätigung des Geistes (Denk-, Empfindungs- und Willensvermögen). 173  Windscheid, S. 96 Fn. 1. 168  Savigny,



D. Ergebnis: Historisch angelegte Aporien in § 1 BGB103

tenz gesichert und in der Begrenzung für unzweifelhaft an.174 Entsprechend sind seine dogmatischen Ausführungen hierzu weitgehend reduziert und für sich genommen wenig ergiebig. Besonderheiten ergeben sich auch nicht in seiner Darstellung des Menschen als Rechtssubjekt (menschliche Persönlichkeit / Rechtsfähigkeit).175 Neuner, Gareis, Kohler, Regelsberger und Gierke sind hinsichtlich der Entwicklung moderner Persönlichkeitsrechte von Bedeutung und können diesbezüglich mit Puchta verglichen werden. Die übrige Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts lässt sich, soweit auch sie keine Besonderheiten aufweist, zu einem einheitlichen Rechtsfähigkeitsbild um 1900 zusammenfassen. In § 1 BGB findet dieses seine Umsetzung und in den Kodifikationsmaterialien einen konzentrierten Ausdruck. Demgemäß ist auch hier eine Beschränkung möglich.

174  Windscheid, S. 95; entsprechend ohne Bedürfnis einer besonderen Darstellung im Privatrechtssystem. 175  Windscheid, S. 131–147 (§§ 52–56 b).

Kapitel 3

Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person und Rechtsfähigkeit A. Friedrich Carl von Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit Im Rahmen der Werkanalyse werden sämtliche Aufzeichnungen Savignys einer Durchsicht unterzogen und auf Äußerungen hin untersucht, die im engeren oder weiteren Zusammenhang mit der hier interessierenden Thematik stehen und Auskunft über seinen Personen- und Rechtsfähigkeitsbegriff geben können. Das besondere Augenmerk gilt dabei seinem „System des heutigen Römischen Rechts“ (im Folgenden: „System“) als einer seiner Hauptschriften, sowohl in der Endversion als auch in dessen Vorarbeiten. Die Vorarbeiten zu denjenigen Abschnitten im „System“, die die Rechtsfähigkeit unmittelbar betreffen (§§ 60 ff.)1, lassen keine wesentlichen Abweichungen oder Ungewöhnlichkeiten zur Endversion erkennen. In der Disposition2 sowie in Plan und Entwurf3 zum Ersten Buch ist der Gedankengang der Endversion bereits vorgezeichnet: ursprüngliche Identität von Person / Subjekt und Mensch; davon begrenzende sowie erweiternde Abweichungen, im Einzelnen die Einschränkungen im Rahmen der natürlichen Rechtsfähigkeit, im Anschluss daran die Erweiterungen auf juristische Personen. Ebenso wenig liegen Auffälligkeiten hinsichtlich der jeweils verwendeten Terminologie vor.4 Alles in allem entsteht damit ein Eindruck von großer Sicherheit und „Festigung“ des gesamten Themenkomplexes zur Rechtsfähigkeit. 1  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 2–18 (Disposition des 1. Buches), Bl. 40–65 (Plan und Entwurf der Bände 1–3), Bl. 80–84 (Disposition zum 1. und 2. Buch); Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/12. 2, Bl. 122–183. 2  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 9, 82. 3  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 44 (1). 4  Einzige Abweichung in Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 9. In der Überschrift des Titels heißt es ursprünglich „Person als Subjecte der Rechtsverhältnisse“, später geändert zu „Person als Träger der Rechtsverhältnisse“. Andere inhaltliche Aussagen sind damit nicht verbunden, siehe im Fließtext die synonyme Verwendung von Träger und Subjekt („Wer kann Träger oder Subject eines Rechtsverhältnisses sein?“).



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit105

Wesentlich langwieriger verlief die Abfassung der §§ 52, 53 im „System“. Die Behandlung von Wesen und Arten der Rechtsverhältnisse und die Ablehnung eines Rechts an der eigenen Person erwiesen sich für Savigny als Herausforderung.5 Die Vorarbeiten hierzu sind sowohl in verschiedenen Versionen der jeweiligen Abschnitte6 als auch in einer umfangreichen Korrespondenz erhalten, die der ratsuchende Savigny diesbezüglich führte.7 In ihnen wird Savignys Grundverständnis von Recht und Rechtsordnung entwickelt. Dies gilt insbesondere für das Verhältnis von Recht und Sittlichkeit. Erst vor diesem Hintergrund erschließt sich Savignys Begriff von Rechtsfähigkeit bzw. ist es möglich, dessen Standort als Systemelement der Rechtsordnung zu bestimmen.

I. Grundlagen in Savignys Rechts- und Personenbegriff 1. Das Verhältnis von Sittlichkeit und Recht Das Verhältnis von Sittlichkeit und Recht ist für Savigny eine grundsätzliche Frage von solchem Stellenwert, dass „wir uns [davon, Anm. d. Verf.] befriedigende Rechenschaft geben [müssen, Anm. d. Verf.], um nun unsre Einsicht in das Wesen des Rechts zu gewinnen“8. In § 15 im „System“ wird zur Beschaffenheit des sogenannten Volksrechts festgehalten, dass es aus zwei Elementen bestehe; einem individuellen, volksspezifischen Element einerseits und einem allgemeinen, auf das Gemeinsame der menschlichen Natur gegründeten Element andererseits.9 Zu Letzterem heißt es: „Jene allgemeine Aufgabe alles Rechts nun läßt sich einfach auf die sittliche Bestimmung der menschlichen Natur zurück führen, so wie sich dieselbe in der christlichen Lebensansicht darstellt; […].“10

Durch die Ausrichtung hierauf verliere das Recht keinesfalls sein selbstständiges Dasein11, etwa dergestalt, dass es in der Sittlichkeit aufgelöst werde.12 Entstehung der §§ 52, 53 ausführlich Kiefner, S.  137 ff. werden im Folgenden lediglich Abweichungen (vor allem die in der Endversion fehlenden Textpassagen) behandelt. 7  Entsprechend sind auch die Beiträge aus den Antwortschreiben als eventuelle Anregungen für Savigny beachtlich. 8  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 222 (1). 9  Savigny, System I, § 15 S. 51 f. 10  Savigny, System I, § 15 S. 53 f. 11  Savigny, System I, § 15 S. 54. 12  Savigny, System I, § 15 S. 54: „[…] es erscheint vielmehr als ein ganz eigen­ thümliches Element in der Reihe der Bedingungen jener allgemeinen Aufgabe, in 5  Zur

6  Insofern

106 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Schon aber handele es sich bei dem sittlichen Prinzip um das allgemeine, letztlich einzige13 Element und Ziel des Rechts („Jene allgemeine Aufgabe alles Rechts […] sittliche Bestimmung der menschlichen Natur […].“14). Am reinsten und unmittelbarsten erscheine dieser Wesenszug in Form der Anerkennung der überall gleichen sittlichen Würde und Freiheit des Menschen.15 Weitergehende Ausführungen zum Verhältnis von Recht und Sittlichkeit sind im „System“ in § 52 („Wesen der Rechtsverhältnisse“) enthalten. Zur Bestimmung dessen, was Recht sei, wird auf das menschliche Leben in grundsätzlicher Gemeinschaft und gegenseitiger Interaktion verwiesen. Dieses erfordere die Anerkennung einer unsichtbaren Grenze, innerhalb derer das Dasein jedes Einzelnen einen sicheren, freien Raum gewinne. Die Regel zu dieser Grenzziehung insgesamt sei das Recht.16 Aus dieser Wesensherleitung folgert Savigny für die Verwandtschaft und Verschiedenheit zwischen Recht und Sittlichkeit: „Das Recht dient der Sittlichkeit, aber nicht indem es ihr Gebot vollzieht, sondern indem es die freye Entfaltung ihrer, jedem einzelnen Willen inwohnenden, Kraft sichert. Sein Daseyn aber ist ein selbstständiges […].“17

Jedes einzelne Rechtsverhältnis erscheine wiederum als die durch Rechtsregel bestimmte Beziehung zwischen Person und Person.18 Die Bestimmung durch Rechtsregel bestehe genau genommen darin, dem individuellen Willen ein Gebiet anzuweisen, in welchem er unabhängig von jedem fremden Willen herrschen könne.19 seinem Gebiet herrscht es unumschränkt, und es erhält nur seine höhere Wahrheit durch jene Verknüpfung mit dem Ganzen.“ 13  Savigny, System I, § 15 S. 54. Eines weiteren (z. B. staatsrechtlichen) Zieles bedürfe es nicht bzw. ein solches würde nur wieder auf die Vermehrung derjenigen Mittel hinauslaufen, mit denen sittliche Zwecke der menschlichen Natur erreicht werden sollen. 14  Savigny, System I, § 15 S. 53. 15  Savigny, System I, § 15 S. 55 f. zu den mittelbaren Erscheinungen: Beachtung sittlicher Zwecke außer dem Rechtsgebiet (boni mores); Beachtung des Staatsinteresses; väterliche Vorsorge; Schutz von Frauen und Minderjährigen. 16  Savigny, System I, § 52 S. 332 f. 17  Savigny, System I, § 52 S. 332. Auf diese Weise kommt Savigny zu einem positiven Rechtsbegriff. Insofern sieht er den Unterschied zu anderen Autoren, die vom Begriff des Unrechts (Störung der Freiheit durch fremde Freiheit) ausgehen. Recht werde dadurch ausschließlich negativ bestimmt als Abwehr von Übel mittels (freiwilliger oder staatlich erzwungener) Abgabe eines Stücks seiner Freiheit. 18  Damit erfolgt ein erster Hinweis darauf, dass die „Person“ in Savignys System vor allem Beachtung findet in ihrer Stellung und mit ihrer Aufgabe im Rechtsverhältnis. 19  Savigny, System I, § 52 S. 333.



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit107

Zugleich gehöre nicht jedes zwischenmenschliche Verhältnis dem Rechtsgebiet an. Manche würden der genannten Ausgestaltung durch Rechtsregeln nicht bedürfen oder seien ihr überhaupt nicht zugänglich. Insofern unterscheidet Savigny drei Klassen: vollständig rechtliche Verhältnisse (z. B. Eigentum), vollständig außerrechtliche Verhältnisse (z. B. Freundschaft) sowie teilweise rechtliche Verhältnisse (z. B. Ehe).20 Entsprechend werden an anderer Stelle die Vermögensrechte als reine Rechtsverhältnisse bezeichnet. Ihre Anerkennung sei „minder nothwendig, mehr willkührlich und positiv“21. In ihnen werde die Herrschaft des Rechtsgesetzes vollständig durchgeführt, ohne Rücksicht auf die sittliche oder unsittliche Ausübung eines Rechts.22 Vermögensverhältnisse trügen lediglich eine allgemeine sittliche Grundlage in sich, die jedoch ohne direkten Einfluss auf die Rechtsordnung im Einzelnen bleibe.23 Dagegen seien Familienverhältnisse nur unvollständig durch Rechtsgesetze beherrscht und ein großer Teil von ihnen werde ausschließlich sittlichen Einflüssen überlassen.24 2. Vertiefte metaphysische Betrachtungen und Gottesbezug In einer Anmerkung zur Ersten Redaktion des § 52 (21. Mai 1838) geht auch August von Bethmann-Hollweg auf die Unterschiede zwischen Sittlichkeit und Recht ein.25 Bestehe die Sittlichkeit aus zwei gleich starken Komponenten, nämlich aus der Behauptung der Persönlichkeit und der Hingabe, so beschränke sich das Recht ausschließlich auf die Behauptung der Persönlichkeit in Form eines (subjektiven) Rechts der Person.26 Die Sittlichkeit stamme letztendlich aus Gott, die einzelne Persönlichkeit gehe in der Sittlichkeit in Gott auf und jeglicher Zwang sei ausgeschlossen.27 Demgegenüber beziehe sich das positive Recht in seiner geschichtlichen 20  Savigny,

System I, § 52 S. 333 f. System I, § 56 S. 370. 22  Savigny, System I, § 56 S. 370 f. 23  Savigny, System I, § 56 S. 370 f. 24  Savigny, System I, § 56 S. 370 f. 25  Bethmann-Hollweg, Brief an Savigny v. 21.05.1838, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 218 ff. 26  Bethmann-Hollweg, Brief an Savigny v. 21.05.1838, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 218 (2). 27  In diesem Zusammenhang formuliert Bethmann-Hollweg, Brief an Savigny v. 08.09.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 229 (2) treffend das Menschenbild Savignys im Sinne einer heteronomen Freiheit: „Daß die Sittlichkeit des Verhaltens nicht in der Abhängigkeit von der eigenen subjektiven Vernunft, als Denkvermögen, liegt, ist wohl auch Ihre Überzeugung. Warum also die objektive Vernunft nicht beim rechten Namen, Gott, nennen […].“; in Abgrenzung zu Kants autonomer Freiheit Schikorski, S. 46, 48 ff.; Nörr, S.  22 f. 21  Savigny,

108 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Entwicklung auf ein jeweiliges Volk, die einzelne Persönlichkeit gehe im Ganzen des Staates als dem einzig Höheren auf und die Verwirklichung erfolge über Zwang. Recht sei daher die von religiösen Überlegungen unabhängige Umsetzung der Sittlichkeit in der irdischen Sphäre als Gesetz.28 Die zweite Fassung des § 52 in Savignys „System“29 wurde deutlich erweitert, der Schwerpunkt dabei gerade auf das Verhältnis von Sitten- und Rechtsgesetz gelegt. Zusätzlich besprochen wurde die zusammengesetzte Natur des Menschen aus Unfreiheit (vergängliches Dasein, den Tieren und Pflanzen vergleichbar) und Freiheit (Vernunft), die sich in all seinen Verhältnissen, Bestimmungen und Aufgaben widerspiegele, nämlich im Verhältnis zu sich selbst, zur vernunftlosen Natur und zu anderen Menschen.30 Die Erfüllung der jeweiligen Aufgaben nicht aus Notwendigkeit, sondern aus freier Entscheidung sei das sogenannte Gute.31 Aus jener Natur des Guten – als Erzeugnis der Freiheit bei gleichzeitiger Möglichkeit, das Böse zu wählen – erklärt Savigny sodann die Existenz eines vom Sittengesetz verschiedenen Rechtsgesetzes. Indem jeder bei seinem Gegenüber den inneren Vernunftprozess zu respektieren habe, um die nur in Freiheit mögliche Entwicklung zum Guten nicht zu stören32, sei eine Regelung der zwischenmenschlichen Verhältnisse nötig. Diese Regelung sei das Recht, das als allgemeines Rechtsbewusstsein schon in jedem Einzelnen vorhanden sei, aber zur Aus- und Weiterbildung erst durch das Volk als dem rechtsbildenden Gesamttrieb der Vernunft gelange.33 Mit der letztgenannten Aus- und Weiterbildung befinde man sich bereits im Bereich des positiven Rechts, welches unmittelbar staatlicher Ausgestaltung zugänglich sei. Entsprechend könne der Einzelne ab diesem Zeitpunkt nur noch als Element solcher positiven Rechtsordnungen interessieren.34 Handelt es sich insoweit um eine Betrachtung der natürlichen Art, wie Savigny dies selbst bezeichnet35, so wird sie im Folgenden noch einmal mit vertieft metaphysischer, konkret religiöser Ausrichtung vorgenommen. Ausgangspunkt ist die Verwandtschaft des Menschen in seiner höheren Natur mit Gott. Jene Verwandtschaft sowie der Wille Gottes seien der „tiefere Grund 28  Oder der entsprechende Umkehrschluss Bethmann-Hollweg, Brief an Savigny v. 21.05.1838, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 218 (2): „Behauptung der Persönlichkeit ist also überall das Eigenthümliche des Rechts.“ 29  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 221–230. 30  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 222 (1, 2). 31  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 223 (1). 32  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 223 (1, 2). 33  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 224 (1). 34  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 224 (1, 2). 35  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 224 (2).



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit109

der Sittlichkeit und des Rechts, der Liebe wie der Gerechtigkeit“36. Parallel zu den vorherigen natürlichen Überlegungen gelte auch hier das Prinzip der Freiheit, nunmehr als Entscheidung, sich auf die Verbindung zu Gott einzulassen oder sich ihrer zu entziehen.37 Auf diese Weise kommt Savigny letztendlich doch auf eine „Zurückführung des Rechts auf den Willen Gottes als dem Christhentum38 eigenthümlich“39. So erhalte die Rechtswissenschaft aus diesem christlichen Zusammenhang ihre Bestätigung und höhere Würde, führe aber nichtsdestotrotz ihr unabhängiges Leben für sich.40 „Das Recht wurde hier aufgefaßt als diejenige Gestalt des gemeinsamen Lebens der Menschen, welche von der Vernunft, als ihrem Wesen entsprechend, aus ihrem Grundtrieb entspringend, hervorgebracht wird; oder, vom christlichen Standpunkt aus, als die dem Willen Gottes entsprechende Lebenseinrichtung.“41

Dass die Überlegungen in weiten Teilen keinen Eingang in die Endversion gefunden haben, hat seinen Grund nicht etwa in einer inhaltlichen Abkehr von ihnen, sondern vielmehr in praktischen Erwägungen. In einem Brief an Savigny vom 19. November 183942 äußert sich Puchta kritisch zu der nachträglichen Aufnahme religiöser Betrachtungen. Durch sie werde, zumindest in der vorliegenden Fassung, eine gewisse Halbherzigkeit der Darstellung erzielt.43 Wenn Savigny die Rechtsbegriffe eingangs ohne jeglichen göttlichen Bezug erläutere und erst im Anschluss und mehr beiläufig die religiöse Parallele nachreiche, sei dies eine „Concession an den Atheismus des Naturrechts, welche nicht motiviert“44 sei. Der Leser bleibe letztlich im Ungewissen darüber, „ob er eine Dogmatik, einen swedenborgischen Tractat, eine Erklärung der Apokalypse oder eine juristische Schrift vor sich habe“45. Ausdrücklicher noch empfiehlt Bethmann-Hollweg (Brief an Savigny vom 08. November 1839)46 eine Konzentration der Darstellung 36  Savigny,

Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 224 (2). Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 224 (2). 38  Bzw. in vorchristlicher Zeit als „uralte Lehre von dem göttlichen Ursprung der Gesetze“, siehe Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 225 (1). 39  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 225 (1). 40  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 225 (1). 41  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 225 (2). 42  Puchta, Brief an Savigny v. 19.10.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl.  226 ff. 43  Puchta, Brief an Savigny v. 19.10.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 226 (1). 44  Puchta, Brief an Savigny v. 19.10.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 226 (1). 45  Puchta, Brief an Savigny v. 19.10.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 226 (1). 46  Bethmann-Hollweg, Brief an Savigny v. 08.09.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 229 ff. 37  Savigny,

110 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

auf das positive Recht. Dem Plan eines positiven juristischen Werkes gemäß dürften philosophische Untersuchungen und Vorüberlegungen nur angedeutet werden. Allenfalls sei das zu vertiefen, was wirklich zur Begründung dessen, was Recht sei, diene.47 Wichtig seien der Unterschied von Rechts- und Sittengesetz und vor allem der Gedanke, der Mensch könne an sich frei zwischen Gut und Böse entscheiden und seine Freiheit bestehe gerade in dieser Wahlfreiheit. Entbehrlich und im Rahmen einer recht­ lichen Abhandlung auch unpassend sei demgegenüber das Verhältnis des Rechtsbegriffs zur göttlichen Offenbarung.48 Lediglich bei der Bestimmung des Sittengesetzes und der Freiheit könne der göttliche Wille als die maßgebliche Kraft erwähnt werden, dann aber gerade auch in Abgrenzung zu Kant und dessen Ausrichtung auf die Vernunft als ein sittliches Vermögen des Gewissens.49 Die hierauf folgende Dritte Redaktion des § 5250 ist bereits merklich in den Passagen mit theologischen Bezügen gekürzt. Genannt werden noch die freie und unfreie Seite in der Natur des Menschen. Dabei wird die freie Natur weiterhin als die auf Erkenntnis und Vollendung des göttlichen Willens gerichtete Tätigkeit (das Gute) beschrieben.51 Die Endversion zu § 52 entsteht allerdings erst nach einem weiteren Appell seitens Rudorff52. Ihm zufolge gehören Untersuchungen über die Beschaffenheit des Menschen und dessen sittliches Verhalten zur Umwelt schwerlich in ein Werk über das heutige römische Recht, und auch das Verhältnis von Recht und Sittlichkeit soll hier nur ganz allgemein behandelt werden.53 Steht somit hinter der Streichung der metaphysischen Betrachtungen nur die Entscheidung Savignys, den Umfang des § 52 insgesamt zu reduzieren, bleibt es bei deren grundsätzlichen inhaltlichen Geltung. Insofern ist ihnen auch weiterhin ein Aussagewert für Savignys Vorstellungen zuzuerkennen.54 Zusammen genommen macht dies die besondere Sichtweise Savignys aus, die mit Rückert als objektiver Idealismus bezeichnet werden kann. Demzufolge ist Savigny im Grundsatz metaphysisch eingestellt. Er sieht das positive Recht nicht als wertneutrale Erscheinung ohne anderen Geltungs47  Bethmann-Hollweg, Brief an Savigny v. 08.09.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 229 (1). 48  Bethmann-Hollweg, Brief an Savigny v. 08.09.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 229 (1, 2). 49  Bethmann-Hollweg, Brief an Savigny v. 08.09.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 229 (2). 50  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 231 ff. 51  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 232 (1, 2). 52  Rudorff, Bemerkungen, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 235 ff. 53  Rudorff, Bemerkungen, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 235 (2). 54  Reis, S.  118 f.



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit111

grund als die Setzungssouveränität des staatlichen Gesetzgebers55, sondern nimmt ein Recht als solches als überpositives Wesen an.56 Dabei geht er allerdings nicht so weit, eine ontologische Trennung von positivem und überpositivem Wesen in zwei Existenzbereiche zu vertreten (strenge Abgrenzung vom Naturrecht).57 Er verfolgt vielmehr eine Metaphysik des Positiven in dem Sinne, dass das Sein überhaupt ein einheitliches Ganzes aus überpositivem Wert und positivem Sein darstellen soll (Überpositives im Positiven). Im positiven Sein befinde sich alles als Einzelnes und als umgreifendes Ganzes zugleich (sogenannte monistische Dopplung von Sein und Sollen, Form und Stoff, Geist und Materie).58 Des Weiteren ist für Savigny kennzeichnend, das überpositive Element und damit den Geltungsgrund des Rechts im göttlichen Willen zu sehen, also in einem äußeren objektiven Bezugspunkt.59 Damit unterscheidet er sich wesentlich von Kant, der allein subjektiv auf den Geist, die Vernunft, abstellt.60 Neben die Annahme einer solchen ontologischen Einheit von Überpositivem und Positivem und neben die Grundlegung auch des Rechts in einem göttlichen Willen tritt Savignys viel zitierte Aussage über das selbstständige Dasein des Rechts. Ein Widerspruch ist dies nicht.61 Es bleibt dabei, das Recht im Willen Gottes zu begründen und auf das Sittengesetz auszurichten, dies allerdings nur in letzter Konsequenz. Dem vorgeschaltet liegt die „rechtstatsächlich manifestierte[…] und legitimierte[…] Denk- und Begriffs­ ebene“62, die die reinen Rechtsverhältnisse in Abgrenzung zu den tatsächlichen Verhältnissen, so gesehen also wirkliche Rechtsfiguren, zum Inhalt haben soll. Das selbstständige Dasein des Rechts bzw. dieser reinen Rechtsfiguren bedeutet nun, dass deren Ausgestaltung als solches unter eben primär rechtlichen Gesichtspunkten und mit allenfalls mittelbarem sittlichem Einfluss erfolgt. Für Geltung und Ausgestaltung der Rechtsfähigkeit im positiven Recht ist (nur) die rechtstatsächlich manifestierte Denkebene von Relevanz, wie im Folgenden zu sehen sein wird. 55  So die weitgreifende Zusammenfassung der Gegenansichten bei Reutter, S.  18 ff.; Rückert, S. 240. 56  Rückert, S. 240. 57  Reutter, S. 10 ff. zur „eigentlichen Metaphysik“ (u. a. Platon, Aristoteles, Augustinus, Thomas von Aquin). 58  Reutter, S. 14 ff. zu den sogenannten Vereinigungs- oder Identitätsphilosophien (u. a. Schlegel, Schelling, Hegel); Rückert, S. 240 f., 279 f., 281 zu Savigny. 59  Rückert, S. 280, 366; Reutter, S. 41; Schikorski, S.  46 ff. 60  Schikorski, S. 48. 61  Reis, S.  90 f. 62  Reutter, S. 134; ebenso S. 138: „Die letzten Geltungs- und Verbindlichkeitsgründe des Rechts bedürfen der Konkretisierung in Gestalt einer Formalisierung der Letztbegründung in einzelne Rechtswirklichkeiten.“

112 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

II. Die Ablehnung eines Rechts an der eigenen Person 1. Savignys Ausführungen im „System“ Die Frage nach einem Persönlichkeitsrecht bzw. einem Recht an der eigenen Person stellt sich für Savigny anlässlich seiner Betrachtung der verschiedenen Arten von Rechtsverhältnissen (§ 53, „Arten der Rechtsverhältnisse“). Die Einteilung der Rechtsverhältnisse nimmt Savigny anhand der jeweiligen Rechtsobjekte vor. Insofern stellt sich für ihn zunächst die Frage danach, welche Arten von Rechtsobjekten es grundsätzlich gibt.63 Ausgehend wiederum von der Definition des Rechtsverhältnisses als einem Gebiet unabhängiger Herrschaft des individuellen Willens, kommt Savigny zu einem ersten, vorläufigen Ergebnis: Der Wille bzw. die Herrschaft könne sich grundsätzlich erstrecken auf die eigene Person, auf Sachen (äußere Welt, unfreie Natur) und auf fremde Personen (äußere Welt; gleichartige freie Wesen).64 Die erste Fallgruppe beschreibt Savigny wie folgt: „Der Mensch, sagt man, hat ein Recht auf sich selbst, welches mit seiner Geburt nothwendig entsteht und nie aufhören kann, so lange er lebt, eben daher auch das Urrecht genannt wird; im Gegensatz aller anderen Rechte, welche erst später und zufällig an den Menschen heran kommen, auch vergänglicher Natur sind, und daher erworbene Rechte genannt werden.“65

Seine nun folgende Argumentation gegen ein solches Urrecht bzw. gegen eine solche Kategorie von Rechtsverhältnissen insgesamt beginnt Savigny mit der Überlegung, welche Rechte an der eigenen Person im Einzelnen überhaupt in Betracht kommen würden.66 Theoretisch möglich seien ein Recht auf Denkfreiheit, ein Eigentumsrecht an Geisteskräften sowie ein Eigentumsrecht an der sichtbaren Erscheinung der Person (Körper). Im Ergebnis lehnt er sie allesamt ab.67 Gegen die beiden erstgenannten ­Rechte wendet er ein, dass Eingriffe Dritter in die Denkfreiheit und Geistes­ kraft an sich nicht möglich, entsprechende Rechte daher nicht erforderlich seien.68 Einem Eigentumsrecht am Körper gesteht Savigny einen Sinn noch insoweit zu, als es um den Ausschluss von Verletzungen gehen wür63  Savigny,

System I, § 53 S. 334. System I, § 53 S. 334 f. 65  Savigny, System I, § 53 S. 335. 66  Savigny, System I, § 53 S. 335. 67  Savigny, System I, § 53 S. 335 f. 68  Savigny, System I, § 53 S. 335. Die von Savigny gewählten Beispiele für einen Eingriff (am Denken hindern; in einem anderen Denken) bleiben dabei sehr oberflächlich, nahezu banal-wortwörtlich. Insbesondere geht er nicht auf die vermögensrechtliche Dimension von Geisteskräften ein, was seiner ablehnenden Haltung einen ungleich höheren Begründungsaufwand abgerungen hätte. 64  Savigny,



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit113

de.69 Da jedoch ein solches Recht in konsequenter Weiterentwicklung u. a. auf die Anerkennung eines Rechts zum Selbstmord hinauslaufen würde, sei es darum nicht minder unnütz und verwerflich.70 Entscheidend ist für Savigny allerdings ein anderes Argument: Ein Recht an der eigenen Person – in der Qualität eines echten Rechtsverhältnisses und parallel zu solchen an fremden Personen und Sachen – würde eine unzulässige Vermischung rechtlicher und außerrechtlicher Kategorien darstellen.71 Dabei erkennt Savigny Eigenwert, Selbstbestimmung und Persönlichkeit in jedem Einzelnen als Größe an sich durchaus an. „Erstlich kann und soll freylich die rechtmäßige Macht des Menschen über sich selbst und seine Kräfte nicht bezweifelt werden; noch mehr, diese Macht ist sogar die Grundlage und Voraussetzung aller wahren Rechte.“72

So liege die Bedeutung von Eigentum und Ansprüchen für einen Menschen letztlich nur darin, künstliche Erweiterungen dieser eigenen persönlichen Kräfte darzustellen. Und ebenso sei die Sicherung jener natürlichen Macht des Menschen über sich selbst der Ausgangspunkt vieler einzelner Rechtsinstitute (Kriminalrecht; zivilrechtlicher Schutz vor Ehrverletzung, Betrug, Gewalt). Die Unverletzlichkeit der Person sei gewissermaßen letzter Grund.73 Gerade jene Unterscheidung zwischen außerrechtlicher Grundlage einerseits und echten Rechten andererseits müsse jedoch strikt beachtet werden. „Allein für jene Macht über uns selbst bedarf es der Anerkennung und Begränzung durch positives Recht nicht, und das Ungehörige der hier dargestellten Auffassung [eines Urrechts an der eigenen Person, Anm. d. Verf.] besteht darin, daß jene natürliche Macht mit diesen künstlichen Erweiterungen derselben in eben so überflüssiger als verwirrender Weise auf Eine Linie gestellt und als gleichartig behandelt werden soll.“74

Entsprechend seien jene Rechtsinstitute, für die Savigny die Unverletzlichkeit der Person als außerrechtliche Grundlage durchaus anerkennt, keine „reine[n] Entwicklungen dieser Unverletzlichkeit“, sondern „positive Rechtsinstitute, deren besonderer Inhalt von jener Unverletzlichkeit selbst völlig verschieden“75 sei. Eine Zusammenfassung dieser Rechtsinstitute unter dem Oberbegriff eines „Rechts an der eigenen Person“, nur weil sie einen gemeinsamen Ausgangspunkt hätten, und eine damit einhergehende 69  Savigny, 70  Savigny, 71  Savigny, 72  Savigny, 73  Savigny, 74  Savigny, 75  Savigny,

System System System System System System System

I, I, I, I, I, I, I,

§ 53 § 53 § 53 § 53 § 53 § 53 § 53

S. 335 f. S. 336. S. 336 f. S. 336. S. 336 f. S. 336. S. 337.

114 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Aufwertung und Anerkennung der zugrunde liegenden Unverletzlichkeit der Person als echtes Recht seien daher abzulehnen.76 Als Befürworter eines (echten) Rechts an der eigenen Person greift Savigny zudem Puchta heraus und setzt sich noch einmal speziell mit dessen Sichtweise auseinander.77 Bei diesem stehe das Recht an der eigenen Person an erster Stelle („erste Klasse aller Rechte“78) und umfasse zum einen den Besitz, zum anderen das Recht der Persönlichkeit. Die Persönlichkeit wiederum begreife er als Rechtsfähigkeit und Ehre. Hingegen fehle ein Recht über Gliedmaßen o. ä., was Savigny selbst noch am ehesten unter der Bezeichnung Recht an der eigenen Person erwarten würde.79 Darin zeige sich die Willkürlichkeit in der Bildung einer solchen Rechtsklasse und es sei zu vermuten, hinter allem stehe lediglich die Absicht Puchtas, dem Besitz eine hervorgehobene Stellung zu verschaffen.80 Im Übrigen thematisiert Savigny insbesondere das Verhältnis zur Rechtsfähigkeit. „Allein die Rechtsfähigkeit ist Bedingung aller Rechte, des Eigenthums und der Obligationen nicht minder als der Rechte erster Klasse, wenn man eine solche annimmt, z. B. des Besitzes; sie ist also ein Element aller Rechte und kann keiner Klasse vorzugsweise angehören.“81

Dahinter steht die klare Qualifizierung der Rechtsfähigkeit nicht als Recht selbst, sondern als allgemeine Vorbedingung sämtlicher Rechte. 2. Bemerkungen von Klenzes zur Ersten Redaktion des § 52 (04. Dezember 1836) Eine umfangreiche Stellungnahme zur Ersten Redaktion des § 52 erhielt Savigny von Clemens August Karl von Klenze. In dieser findet sich u. a. ein Abschnitt zu dem von Savigny abgelehnten Recht an der eigenen Person.82 76  Savigny,

System I, § 53 S. 337. System I, § 53 S. 337 Fn. a. 78  Savigny, System I, § 53 S. 337 Fn. a. 79  Savigny, System I, § 53 S. 337 Fn. a. Wenn Puchtas Persönlichkeitsrecht so sehr von den Erwartungen Savignys hieran abweicht, ist bereits die Vergleichbarkeit an sich in Frage zu stellen. So kann überlegt werden, ob Dasjenige, worüber sich Savigny einerseits und Puchta andererseits unter dem Begriff des Persönlichkeitsrechts Gedanken machen, nicht bereits zwei im Grundsatz verschiedene Ansätze/ Figuren sind. 80  Savigny, System I, § 53 S. 337 Fn. a. 81  Savigny, System I, § 53 S. 337 Fn. a. 82  Klenze, Brief an Savigny v. 04.12.1836, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 148 (1, 2). 77  Savigny,



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit115

Im Ergebnis stimmt Klenze mit Savigny darin überein, ein solches Recht zu verneinen. Die Freiheit der Person an sich könne niemals als Recht qualifiziert werden, da sie unendlich und unbeschränkt sei, das Recht hingegen ein beschränktes Gebiet darstelle.83 Allerdings weicht Klenze in der Begründung von Savigny ab bzw. stellt sich in einem konkreten Punkt gegen dessen Darstellungsweise. Savigny beschreibt die Sicherung der natürlichen Macht des Menschen über sich selbst (vor Eingriffen Dritter) zwar nicht als Recht als solches, aber immerhin als Ausgangspunkt einiger positiver Rechtsinstitute des Privat- und Strafrechts.84 Seinen Nachsatz, diese Rechtsinstitute aber „nicht als reine Entwicklungen dieser Unverletzlichkeit“85 ansehen zu wollen, hält Klenze als Klarstellung für unzureichend. Vielmehr sei „deren besonderer Inhalt von jener Unverletzlichkeit völlig verschieden“86 und verlange nach einer dementsprechenden Darstellung. Schon die Formulierung vom gemeinsamen Ausgangspunkt ist für Klenze zu weitgehend. Offensichtlich sieht er hierin die Gefahr einer zu starken Assoziation mit einem „Rechtsgrund“87 und bevorzugt daher den Ausdruck „medium und für das Recht zufällig“88. Wie dem weiteren Verlauf der Redaktionen zu den §§ 52, 53 zu entnehmen ist, ließ sich Savigny von jenen Bedenken nicht beeinflussen. Stattdessen wurden die ursprünglich in § 52 enthaltenen Ausführungen zum Recht an der eigenen Person recht frühzeitig in § 53 ausgelagert, und zwar ohne wesentliche inhaltliche Änderungen, vor allem nicht an den von Klenze gerügten Stellen89. In der Endversion findet sich noch immer die Formulierung über einen gemeinsamen Ausgangspunkt der positiven Rechtsinstitute in der Sicherung der natürlichen Macht des Menschen über sich selbst.90 Damit wurde deren Charakterisierung bestätigt und von Anfang an von den im Übrigen umfangreich einsetzenden Korrekturen an § 52 ausgenommen.

83  Klenze, Brief an Savigny v. 04.12.1836, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 148 (1). 84  Klenze, Brief an Savigny v. 04.12.1836, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 148 (1, 2). 85  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 216 (2). 86  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 216 (2). 87  Klenze, Brief an Savigny v. 04.12.1836, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 148 (2): „Ausgangspunkt oder Rechtsgrund wirklicher Privatansprüche“. 88  Klenze, Brief an Savigny v. 04.12.1836, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 148 (1). 89  Savigny, Werkmanuskripte System Ms. 925/12.1., Bl. 109–110 zur Zweiten Redaktion des § 53. 90  Savigny, System I, § 53 S. 337.

116 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

III. Person, Rechtssubjekt und Rechtsfähigkeit („System“, §§  60 ff.) 1. Grundsätze Der Abschnitt im „System“ über Person und Rechtsfähigkeit (Erstes Buch, Zweites Kapitel, §§ 60–103) ist gekennzeichnet durch eine Betrachtungsweise, die sich im Wesentlichen am Begriff und Institut des Rechtsverhältnisses ausrichtet. Nachdem zuvor die verschiedenen Arten von Rechtsverhältnissen systematisiert wurden (§ 53), geht es in den §§ 60 ff. um die Analyse des ersten, ihnen allen gemeinsamen91 Bestandteils: des Trägers, des Subjekts, der Person. Durch diese Herangehensweise ist die Beschäftigung mit dem Thema „Person“ darauf angelegt, in erster Linie über deren rechtstechnischen Bedeutungsgehalt zu verlaufen und mit dem Thema „Rechtsfähigkeit“ synonym zu gehen. Dieser im Einzelnen noch zu bestätigende Gesamteindruck ist bereits in der Überschrift („Die Personen als Träger der Rechtsverhältnisse“92) erkennbar. Er zeigt sich ebenso in der Leitfrage des Kapitels, mit der das an der Person eigentlich Interessierende zugespitzt formuliert wird: „Wer kann Träger oder Subject eines Rechtsverhältnisses seyn?“93 Damit parallel liegt auch der inhaltliche Schwerpunkt des Abschnitts auf der positivrechtlichen Ausgestaltung der Rechtsfähigkeit.94 Eine abstrakte Begründung des Instituts und seiner Bedeutung im Sinne ethischer oder metaphysischer Grundlagengedanken zur Idee der allgemeinen und gleichen Rechtsfähigkeit ist auch im einleitenden § 60 („Natürliche Rechtsfähigkeit und deren positive Modificationen“) nur rudimentär vorhanden. Dabei ging Savigny, wie gesehen, bereits im Ersten Kapitel im „System“ auf die „überall gleiche[…] sittliche[…] Würde und Freyheit des Menschen“95 ein, in deren Anerkennung er die unmittelbare, reine Umsetzung der sittlichen Bestimmung der menschlichen Natur im Recht sah96. Nun, im Rahmen der 91  Zu den Gemeinsamkeiten im Wesen von Rechtsinstituten siehe Savigny, System I, § 58 S. 390. Als eine solche werden die Natur der Rechtssubjekte und insbesondere deren Rechtsfähigkeit bezeichnet. 92  Savigny, System II, § 60 S. 1. 93  Savigny, System II, § 60 S. 1; ebenso Savigny, Werkmanuskripte System, Ms. 925/11, Bl. 215 (2): „[…] und den Menschen selbst, als Träger dieser Rechtsverhältnisse gedacht, nennen wir Person.“ 94  Es überwiegen die Diskussion der antiken römisch-rechtlichen status-Institute sowie der Versuch, das Verhältnis zu den neu vertretenen Figuren der geminderten Rechtsfähigkeit zu bestimmen. Im Einzelnen siehe Kapitel 3, A. III. 3. 95  Savigny, System I, § 15 S. 55. 96  Savigny, System I, § 15 S. 53 ff.



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit117

detaillierten Betrachtung von Rechtsfähigkeit und Rechtsperson, wird dieser Gedanke nur noch einmal aufgegriffen. „Alles Recht ist vorhanden um der sittlichen, jedem einzelnen Menschen inwohnenden Freyheit willen […]. Darum muss der ursprüngliche Begriff der Person oder des Rechtsubjects zusammen fallen mit dem Begriff des Menschen, und diese ursprüngliche Identität beider Begriffe läßt sich in folgender Formel ausdrücken: Jeder einzelne Mensch, und nur der einzelne Mensch, ist rechtsfähig.“97

Es handelt sich hierbei um den einzigen ethischen Anklang in der Erklärung der Rechtsfähigkeit und ihres Wesens. Zwar bestätigt Savigny auf diese Weise einen Zusammenhang von Rechtsfähigkeit und sittlicher Freiheit. Aber auch insoweit steht die Ableitung der Rechtsfähigkeit aus der sittlichen Freiheit gerade im Kontext der rechtstechnischen Analyse von Rechtsverhältnissen. Insbesondere handelt es sich um eine in erster Linie logische Argumentationskette, die in einer allgemeinen Wesensbestimmung des Rechts beginnt, dann aber ihren Schwerpunkt auf die Ausgestaltung des positiven Rechts legt: Zunächst wird der Geltungsgrund des Rechts genannt; und weil es die sittliche Freiheit des Menschen ist, die in dieser Allgemeinausrichtung im Mittelpunkt steht, bemisst sich die Trägerschaft eines Rechtsverhältnisses grundsätzlich nach dem Träger dieser sittlichen Freiheit.98 Vor diesem letztendlich positivrechtlichen Hintergrund ergeben sich sodann Modifikationen am Personenbegriff und an der Rechtsfähigkeitsgrundformel als adäquate Gestaltungsoptionen.99 „Indessen kann dieser ursprüngliche Begriff der Person durch das positive Recht zweyerley, in der aufgestellten Formel bereits angedeutete, Modificationen empfangen, einschränkende und ausdehnende. Es kann nämlich erstens manchen einzelnen Menschen die Rechtsfähigkeit ganz oder theilweise versagt werden. Es kann zweytens die Rechtsfähigkeit auf irgend Etwas außer dem einzelnen Menschen übertragen, also eine juristische Person künstlich gebildet werden.“100

Beachtung verdient außerdem die Klarstellung, die in den §§ 60 ff. behandelten Überlegungen, wer Träger / Subjekt eines Rechtsverhältnisses sei, würden allein das mögliche Haben der Rechte (Rechtsfähigkeit) und nicht 97  Savigny,

System II, § 60 S. 2. Thomale, in: Gröschner/Kirste/Lembcke, S. 175 (181), dass der Mensch nicht nur teleologisches Begründungs-, sondern zugleich dogmatisches Ordnungsprinzip von Savignys Rechtslehre sei. 99  Nach Thomale, in: Gröschner/Kirste/Lembcke, S. 175 (182) zeigt sich hierin die „inklusive Abstraktion“ der Rechtsperson bei Savigny. Die Abstraktionsleistung, die Rechtsfähigkeit als spezifisch rechtseigene Setzung im Gegensatz zu einer natürlichen Voraussetzung des Rechts zu sehen, ziele primär auf die zweitgenannte Gestaltungsoption ab, nämlich auch nichtmenschliche Gebilde als Rechtspersonen auffassen zu können. 100  Savigny, System II, § 60 S. 2. 98  Vgl.

118 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

das mögliche Erwerben derselben (Handlungsfähigkeit) betreffen.101 Somit ist bereits an dieser Stelle die Frage nach Savignys Sicht auf das Verhältnis von Rechts- und Handlungsfähigkeit im Sinne einer exakten Abgrenzung beider Institute beantwortet. 2. Grenzen der natürlichen Rechtsfähigkeit Die Grenzen der natürlichen Rechtsfähigkeit, Geburt und Tod eines Menschen, beschreibt Savigny in angemessener Kürze.102 Seine Anmerkungen zum Begriff der Geburt entsprechen im Wesentlichen den noch heutigen Beschreibungen zu § 1 BGB. Konkret betrifft dies die vollständige Trennung von der Mutter, wobei das Mittel der Trennung irrelevant sei103, die Ablehnung einer bestimmten Lebensdauer bzw. eines verbindlichen Lebensbeweises sowie die Annahme menschlicher Natur durch menschliche Bildung an sich.104 Die genannten Punkte bezeichnet Savigny als „die einzigen [Bedingungen der Rechtsfähigkeit, Anm. d. Verf.], welche nach unsrem positiven Recht“105 behauptet werden können. Dahinter ließe sich bereits ein explizites Bekenntnis Savignys zu einer ansonsten allgemeinen Rechtsfähigkeit des Menschen vermuten. Der Kontext106 spricht jedoch mehr dafür, diese „Bedingungslimitierung“ allein auf den Beginn der Rechtsfähigkeit zu beziehen. Zumindest aber kommt mit dieser Aussage zum Ausdruck, dass Savigny die Ausgestaltung der Rechtsfähigkeit, hier ihrer Grenzen, als Angelegenheit des positiven Rechts qualifiziert. Hinsichtlich dem Ende der Rechtsfähigkeit belässt es Savigny dabei, den Tod als einfaches Naturereignis zu behandeln. Anders als die Geburt bedürfe es keines Feststellens seiner einzelnen Elemente. Schwierigkeiten entstünden allein bezüglich des Nachweises.107 Seine Ausführungen über positive Regelungen sind daher allein beweisrechtlicher Art (Regelungen zur Verschollenheit).108 101  Savigny,

System II, § 60 S. 1. System II, §§ 61–63, Beilage III („Die Vitalität eines Kindes, als Bedingung seiner Rechtsfähigkeit“). 103  Hinter diesem Erfordernis steht die Abgrenzung zum Nasciturus gemäß der romanistischen Vorstellung, dass die Leibesfrucht kein rechtlich eigenständiges Dasein, sondern Teil der Mutter sei, vgl. Savigny, System II, § 61 S. 12 mit Verweis auf (u. a.) Ulpian D. 25, 4, 1, 1: „[…] partus enim, antequam edatur, mulieris portio est, vel viscerum.“; zur Auslegung dieser Textstelle siehe Kaser/Knütel, § 13 Rn. 7. 104  Savigny, System II, § 61 S. 6 ff. 105  Savigny, System II, § 61 S. 10. 106  Im Folgenden (Savigny, System II, § 61 S. 11) geht es um die Frage des Vitalitätserfordernisses. 107  Savigny, System II, § 63 S. 17. 108  Savigny, System II, § 63 S. 17 ff. 102  Savigny,



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit119

Die weiteren Ausführungen zu den an sich interessanteren Fragen um Vitalitätserfordernis und Nasciturus enthalten der Sache nach keine Besonderheiten, unterstreichen aber ebenfalls Savignys rechtspositivistische und rechtstechnische Behandlung der Rechtsfähigkeit. Die Nasciturus-Problematik bringt er in der Fragestellung auf den Punkt: „Welches ist die wahre juristische Betrachtungsweise für dieses vorbereitende Leben?“109 Damit ist für ihn die Thematik der Rechtsfähigkeit auch an dieser Stelle eine ausschließlich rechtliche und nach entsprechenden Maßstäben zu behandeln. Verneint er außerdem im Ergebnis „die allgemeine Frage wegen der Rechtsfähigkeit“110 eines Ungeborenen und hält eine Fiktion derselben nur in einzelnen Fällen mit Blick auf die Lebendgeburt für zulässig111, ist darin ein Ausgangspunkt dogmatischer Überlegungen zu erkennen, der offensichtlich auch bei Savigny in der grundsätzlichen Figur einer allgemeinen Rechtsfähigkeit liegt. Zugleich stellt Savigny die Rechtsfähigkeit als eine Frage nach dem „Genuß menschlicher Rechte“112 dar und positioniert sich insgesamt klar für eine Bindung der Rechtsfähigkeit an das „bloße Daseyn jedes lebenden Menschen“113. Wie aber bereits in den Ausführungen zur menschlichen Bildung als der einzigen Bedingung von Rechtsfähigkeit bezieht sich diese Art der „Gestaltungsvorgabe“ zunächst nur auf den Anfangszeitpunkt. 3. Einschränkung der Rechtsfähigkeit a) Drei Fälle verminderter Rechtsfähigkeit Unter dem Begriff der verminderten Rechtsfähigkeit114 befasst sich Savigny mit Fällen, in denen die natürliche, allen Menschen zukommende Rechtsfähigkeit115 durch positives Recht eingeschränkt wird. Folge bzw. Umfang dieser Einschränkungen sei es, dass manche Menschen entweder zu allen oder zu manchen Rechten unfähig sein sollen.116 In diesem Zusam109  Savigny,

System II, § 62 S. 12. System II, § 62 S. 13. 111  Savigny, System II, § 62 S. 13. 112  Savigny, System II, Beilage III S. 393. Die Aussage erfolgt anlässlich der Erklärung, dass die geltende Vitalitätslehre zu Unrecht aus einer römisch-rechtlichen Regelung zur Paternitätsvermutung hergeleitet werde. Der Zweck dieser Vermutung sei es niemals gewesen, (bestimmte) lebende Menschen von dem Genuss mensch­ licher Rechte auszuschließen. 113  Savigny, System II, Beilage III S. 393. 114  Savigny, System II, § 64 S. 23. „Verminderte Rechtsfähigkeit“ wird verwendet als der gemeinsame Ausdruck der „verschiedenen Abstufungen“ der Rechtsfähigkeit. 115  Savigny, System II, § 64 S. 23. 116  Savigny, System II, § 64 S. 23. 110  Savigny,

120 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

menhang spricht Savigny ausdrücklich von den „verschiedene[n] Grad[en] der Rechtsfähigkeit jedes einzelnen Menschen“117. Ausgangspunkt der Betrachtungen sind diejenigen Institute des römischen Rechts, die die rechtliche Stellung eines Menschen bestimmen und die damit in ihrer negativen Wirkungsrichtung als verminderte Rechtsfähigkeit zu verstehen seien. Als solche nennt Savigny die drei Fälle von Unfreiheit (liberi / servi), Mangel an Civität (cives, latini, peregrini) und Abhängigkeit von Familiengewalt (persona sui iuris / alieni iuris).118 Aus deren Regelungs- und Aussagenkreis habe sich der Charakter der Rechtsfähigkeit (mehr oder weniger abschließend119) ergeben.120 Nach Savignys Einschätzung handelt es sich bei diesen drei Fällen verminderter Rechtsfähigkeit um eine Lehre mit dem Ursprung in der ältesten Zeit des römischen Rechts. Zugleich würden die Einteilungen nach Freiheit, Civität und Familienverhältnisse bzw. die in diesem Zusammenhang ehemals gebildeten Begriffe noch in zeitgenössischen Darstellungen zur Rechtsfähigkeit verwendet. Dies geschehe zumindest unbewusst, allerdings auch größtenteils fehlerhaft aufgrund einer unzureichenden Kenntnis der alten Lehre.121 „Solche Irrthümer, entsprungen aus der übel verstandenen Lehre von der Rechtsfähigkeit, sind in den neueren Rechtssystemen verbreiteter und befestigter, als man glauben sollte; ja sie sind selbst bis in neuere Gesetzgebungen einge­drungen.“122

Diese zunächst grundlegend anmutende Kritik bezieht sich allerdings vorwiegend auf terminologische Irrtümer. Konkret betroffen ist der Einsatz der Begriffe „verminderte Rechtsfähigkeit“, „capitis deminutio“ und „status“ im klassisch römischen Recht einerseits und im zeitgenössischen Recht andererseits, insbesondere deren Abgrenzung voneinander. In dieser Hinsicht nämlich weicht Savigny von der seinerzeit herrschenden Meinung ab.123 Eine weitere Schwierigkeit sieht Savigny darin, dass sich die Rechtsfähigkeit selbst auf jede der unterschiedlichen Arten von Rechtsverhältnissen (Sachen117  Savigny, System II, § 64 S. 23 f.; ebenso in § 64 S. 26: „verschiedene Stufen der Rechtsfähigkeit“. 118  Savigny, System II, § 64 S. 23 f. 119  Zu den Anomalien siehe Savigny, System II, §§ 71, 72. 120  Savigny, System II, § 64 S. 24: „[…] in dieser Beziehung stehen sie ganz allein, und kein anderer Unterschied kann mit ihnen verglichen werden.“ 121  Savigny, System II, § 64 S. 24. 122  Savigny, System II, § 64 S. 24 f. 123  Entsprechend stellt Savigny sein Prüfungsprogramm auf, siehe Savigny, System II, § 64 S. 25 f. sowie als Exkurs in Savigny, System II, Beilage VI S. 443 ff.: (1) Betrachtung der drei Fälle verminderter Rechtsfähigkeit an sich, d. h. der reinen Rechtsregeln unter Beiseitelassen der Kunstausdrücke; (2) Untersuchung, in welchem Verhältnis hierzu der im älteren römischen Recht verwendete Kunstausdruck der dreifachen capitis deminutio steht; (3) Untersuchung der in der Neuzeit verwendeten Kunstausdrücke status libertatis, civitatis und familiae.



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit121

recht, Obligationenrecht, reines und angewandtes Familienrecht, Erbrecht124) beziehe. Daraus ergebe sich eine kaum zu überblickende Fülle125 an Modifikations- und Verminderungsvarianten.126 Als Systematisierungshilfe könne auf die römisch-rechtlichen Institute des conubium (Ehefähigkeit; im weiteren Sinne Familienfähigkeit127) einerseits und des commercium (Fähigkeit zu Kauf und Verkauf; im weiteren Sinne Vermögensfähigkeit128) andererseits zurückgegriffen werden. Der größte und wichtigste Teil des Rechtslebens, und damit auch derjenige der Rechtsfähigkeit, betreffe entweder den einen oder den anderen Bereich; entsprechend könnten sämtliche Einschränkungen derselben zumindest in diese beiden Großgruppen unterteilt werden.129 Beachtung verdient diese Überlegung in erster Linie wegen ihres Ausgangspunktes, die Rechtsfähigkeit an sich bzw. deren Verminderungen inhaltlich spezifiziert sehen zu wollen. Dies geht in die Richtung, verschiedene besondere Rechtsfähigkeiten anzunehmen, hier allerdings weniger im Sinne eines Zusatzes zur allgemeinen Rechtsfähigkeit als vielmehr im Sinne einer Aufspaltung jener selbst. In jedem Fall wird erneut die grundsätzlich rechtstechnische Sichtweise bestätigt. Die anschließende Behandlung der drei Fallgruppen libertas, civitas und familia besteht in der Hauptsache aus einer Darstellung der diesbezüglichen klassisch römischen Regelungen. Sie fällt stellenweise sehr detailliert aus, erschöpft sich in der Sache allerdings in einer bloßen Schilderung des Regelwerks und verschiedener Sachverhaltskonstellationen. Von tatsächlich inhaltlicher Relevanz für die Frage der Rechtsfähigkeit sind sie daher nur in Teilen. So betrifft die Einschränkung durch Unfreiheit130 die Rechtsstellung der Sklaven nach römischem Recht, die Savigny als „allgemeine Rechtsunfähigkeit“131 124  Savigny,

System I, § 58 S. 388 f. System II, § 64 S. 26. Die Fülle wird verursacht durch die Fälle von Unfreiheit, Civitätsmangel und Familienabhängigkeit, die jeweils wiederum inhaltlich eines der verschiedenen Rechtsverhältnisse betreffen, „[…] wodurch dieselbe [die Verminderung, Anm. d. Verf.], wie es scheint, in schwer zu übersehende Einzelheiten hineingezogen werden müßte.“ 126  Savigny, System II, § 64 S. 26. 127  Savigny, System II, § 64 S. 28 Fn. e, dort auch zu den Auswirkungen auf Fragen der väterlichen Gewalt, der Verwandtschaft, der Erbfolge. 128  Savigny, System II, § 64 S. 28 Fn. e. 129  Savigny, System II, § 64 S. 26 ff. Zu beachten ist allerdings, dass die Figuren von conubium und commercium nur im Bereich des ius civile Anwendung finden. Wird z. B. das conubium im Sinne des ius civile verneint, kann dennoch Ehefähigkeit im Sinne des ius gentium bestehen, hierzu Savigny, System II, § 65 S. 28. 130  Savigny, System II, § 65 S. 30 ff. 131  Savigny, System II § 65 S. 30. Allgemeine Rechtsfähigkeit besteht sowohl nach ius civile (conubium/commercium), als auch nach ius gentium (Fähigkeit zu Ehe, Verwandtschaft und jegliches Eigentum betreffend). 125  Savigny,

122 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

kennzeichnet. Eine Erklärung derselben erfolgt zunächst von der parallelen Machtstellung des Herrn aus, dessen potestas darin bestand, durch den Sklaven in eigener Person Vermögen zu erwerben. Die Rechtsunfähigkeit des einen sei somit als bloße Folge (bzw. Voraussetzung) der Privilegierung des anderen anzusehen und müsse nicht als Herabsetzung des Sklaven an sich gewertet werden.132 Da es jedoch auch herrenlose Sklaven gegeben habe, somit Rechtsunfähigkeit ohne entsprechende potestas auftreten konnte, lässt Savigny deren positive Herleitung nicht als alleinige Erklärungsmöglichkeit gelten. Rechtsunfähigkeit gehe weiter als das bloße Pendant zur Rechtsstellung des Herrn, habe vielmehr eine selbstständige Natur.133 Innerhalb der zweiten Fallgruppe (Einschränkung durch Mangel an Civität) wird nach älterem römischen Recht zwischen cives134 und peregrini135 unterschieden; später treten die latini136 als mittlere Kategorie hinzu.137 Diese Art gestufter Rechtsfähigkeit beschreibt Savigny als die unterschiedliche Fähigkeit der Einzelnen, in gewisse Rechtsverhältnisse einzutreten.138 Die dritte Art von Einwirkungen auf die Rechtsfähigkeit (Minderung durch familienrechtliche Gewaltverhältnisse) wird hauptsächlich anhand der Abhängigkeit des Kindes von der väterlichen Gewalt untersucht. Savigny selbst begründet die Schwerpunktsetzung mit der Aktualität der Fallgruppe. Es handele sich hierbei um das einzige Gewaltverhältnis, welches sowohl im noch geltenden römischen Recht als auch in den zeitgenössischen Gesetzbüchern auftrete139, wenn auch mittlerweile sehr modifiziert.140 In der ursprünglichen Fassung habe das in Abhängigkeit lebende Kind als unfähig gegolten, im Privatleben irgendeine Macht zu ha132  Savigny,

System II, § 65 S. 31 f. System II, § 65 S. 32. 134  Rechtsfähigkeit der Cives besteht nach ius civile (conubium und commer­ cium), hierzu Savigny, System II, § 66 S. 38. 135  Rechtsfähigkeit der Peregrini besteht nicht nach ius civile, lediglich nach ius gentium (insoweit aber auch bezüglich allen Arten von Rechtsverhältnissen), oder es handelt sich um gänzlich Rechtlose (Sklaven), hierzu Savigny, System II, § 66 S. 40. 136  Rechtsfähigkeit der Latini ist commercium ohne conubium („halbe Civität“), hierzu Savigny, System II, § 66 S. 41. 137  Unterschiede bestehen auch im Hinblick auf staatsrechtliche Rechte (z.  B. Teilnahme an Volksversammlung oder Fähigkeit zur römischen Magistratur). Maßgeblich für die Einteilung der Klassen war aber das (Nicht)Zustehen der privatrechtlichen Rechte, die Verteilung der staatsrechtlichen Rechte war lediglich Begleiterscheinung, Savigny, System II, § 66 S. 46 ff. 138  Savigny, System II, § 66 S. 47. 139  Savigny, System II, § 67 S. 52, § 75 S 148 f. Im Gegensatz dazu werden die Fälle römischer Unfreiheit (Sklavenstand), Civität und Latinität (bzw. eine hierauf gegründete beschränkte Rechtsfähigkeit) im neuzeitlichen Recht verneint. 140  Savigny, System II, § 67 S. 57. Savigny selbst relativiert insofern, dass von der früheren Vermögensunfähigkeit des Kindes nur noch wenig übrig sei; heute habe es grundsätzlich eigenes Eigentum mit lediglich „eigenthümlichen Einschränkun133  Savigny,



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit123

ben.141 Diese Unfähigkeit sei jedoch nicht als „ein dem Kinde selbst inwohnender Mangel“142, sondern wiederum nur als Folge der positiven Rechtsposition des Vaters143 zu verstehen. Insofern bestehe der Unterschied zum Sklaven gerade darin, dass die Repräsentation des Vaters der einzige Grund für die Unfähigkeit des Kindes sei, wohingegen die Unfähigkeit des Sklaven zugleich aus dessen absolutem Zustand an sich resultiere.144 Insgesamt führt Savigny die Rechtsunfähigkeit bzw. beschränkte Rechtsfähigkeit auf keinen im Ursprung abwertenden Gedanken gegenüber Sklaven und Kindern zurück. Seinen Erklärungen zufolge legt auch er selbst diesen Zuständen keine geringere menschliche Wertigkeit der Betroffenen zugrunde. Inwiefern die Zugehörigkeit zum Sklavenstand eine gesellschaftliche Abwertung zur Folge hatte, mag dahin stehen. Entscheidend ist, dass Savigny den Grund für Rechtsunfähigkeit / beschränkte Rechtsfähigkeit in stärker konstruktiven Überlegungen sieht. Dies gilt auch für den Fall des Sklaven, obwohl Savigny von einer Rechtsunfähigkeit aus dem absoluten Zustand des Sklaven selbst und nicht nur als Pendant zur Herrenstellung spricht. Gemeint ist die Qualität seiner Rechtsunfähigkeit als Rechtsinstitut, die unabhängig von sonstigen Beziehungspersonen besteht, diesbezüglich also absolut ist; gemeint ist damit nicht eine Begründung der Rechtsunfähigkeit aus der Natur des Sklaven als minderwertiger Mensch. Im Übrigen bemerkt Savigny zum Verhältnis von Rechtsfähigkeit und dem Begriff persona: „Nach dem Sprachgebrauch der neueren Juristen möchte man erwarten, daß den Sklaven, wegen dieser allgemeinen Rechtlosigkeit, auch die Benennung persona gänzlich versagt werden würde, so daß dieser Ausdruck als die besondere Bezeichnung des rechtsfähigen Menschen anzusehen wäre.“145

Die Römer hätten den Begriff persona in der Regel nicht juristisch, sondern als Synonym für Mensch und damit auch für Sklaven gebraucht.146 Im Umkehrschluss bestätigt diese Aussage eine rechtstechnische Verwendung des Personenbegriffs im 19. Jahrhundert, denn offensichtlich wird für diese gen“. Im Übrigen beschränkt sich Savigny auf die Darstellung des antiken römischen Rechts. 141  Savigny, System II, § 67 S. 52 f., bei ansonsten völliger Rechtsfähigkeit (außerhalb des Privatrechts). 142  Savigny, System II, § 67 S. 53. 143  Savigny, System II, § 67 S. 52 f. Der Vater erwirbt alle Rechte, die aus den Handlungen des Kindes entstehen, in eigener Person. 144  Savigny, System II, § 67 S. 56. 145  Savigny, System II, § 64 S. 32 f. 146  Savigny, System II, § 64 S. 33. Vgl. Inst. 1.3. pr. bzw. Dig. 1.5.3. („Summa divisio de iure personarum haec est quod omnes homines aut liberi sunt aut servi.“).

124 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Zeit eine Verbindung von Person und Rechtsfähigkeit erwartet. Es ist jedoch nicht erkennbar, ob die Qualität einer persona nur bei vollständiger Rechtsfähigkeit angenommen werden soll oder bereits bei teilweiser bzw. gestufter Rechtsfähigkeit greift. b) Dreifache capitis deminutio und Lehre vom status Die erste der von Savigny angesprochenen Schwierigkeiten ist das Verhältnis, in dem jene drei Fälle verminderter Rechtsfähigkeit zu dem römischrechtlichen Ausdruck bzw. der Figur der capitis deminutio stehen. Im antiken römischen Recht wurde die capitis deminutio u. a. als status mutatio bezeichnet. Allein aus diesem Umstand will Savigny für deren Begriffs­ bestimmung keine frühzeitigen Schlussfolgerungen ziehen, gerade weil die Erklärung des status-Begriffs selbst Schwierigkeiten bereite.147 Zunächst aber könne aus dem bloßen Wortlaut der capitis deminutio abgeleitet werden, dass es sich bei dieser um eine nachteilige Veränderung im Zustand einer Person handeln müsse.148 Savignys These geht dahin, die capitis deminutio als Parallele zu den behandelten drei Modifikationsgruppen der Rechtsfähigkeit zu setzen.149 Durch einen Vergleich seiner diesbezüglichen Ausführungen (§§ 64–67, „Einschränkung der Rechtsfähigkeit“, s. o.) mit demjenigen Inhalt, den die römischen Juristen der capitis deminutio zugewiesen hatten, sieht er sich hierin bestätigt. Als Ausgangspunkt zu weiteren Untersuchungen definiert Savigny die capitis deminutio daher als jede Verminderung der Rechtsfähigkeit nach den drei möglichen Gründen der Freiheit (capitis deminutio maxima)150, der Civität (capitis deminutio media)151 und der familiären Abhängigkeit (capitis deminutio minima)152. Die Bedeutung der capitis deminutio beschränke sich auf einen deklaratorischen Kunstausdruck, sofern sich Veränderungen in Freiheit, Civität und Familienstellung eindeutig mindernd auf die Rechtsfähigkeit auswirken würden.153 Die eigenständige positive Wirkung liege wesentlich im Bereich der capitis deminutio minima.154 Unter die familiäre Abhängigkeit würden 147  Savigny,

System II, § 68 S. 61. System II, § 68 S. 62. 149  Savigny, System II, § 68 S. 62. 150  Savigny, System II, § 68 S. 63. 151  Savigny, System II, § 68 S. 64. 152  Savigny, System II, § 68 S. 65 f. 153  Savigny, System II, § 69 S. 70 f. Dies sei regelmäßig der Fall bei der capitis deminutio maxima und media; die Folgen von Freiheits- und Civitätsverlust für die Rechtsfähigkeit würden durch den Zustand des Sklavenstandes und der Peregrinität bereits hinreichend ausgedrückt. 154  Savigny, System II, § 69 S. 73 f. 148  Savigny,



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit125

meist ungleichförmige Ereignisse fallen, deren Einfluss auf die väterliche Gewalt unterschiedlich, z. T. entgegengesetzt155 und auch nicht immer ohne Weiteres erkennbar sei. Fasse man dennoch all jene Ereignisse unter den gemeinsamen Namen der minima zusammen und knüpfe an diesen allgemeine Wirkungen, so handele es sich genau hierbei um den eigenständigen Anwendungsbereich der capitis deminutio.156 Da sich dieser Effekt bereits im antiken römischen Recht auf die Institute von Agnation, Patronatsverhältnis und Servituten beschränkt habe, diese jedoch mittlerweile nicht mehr angewendet würden, sei die capitis deminutio als eigenständiger Begriff im geltenden Recht im Ergebnis entbehrlich.157 Mit seiner Auffassung zur capitis deminutio tritt Savigny in Widerspruch zur seinerzeit herrschenden Meinung, die einen anderen Begriff speziell der capitis deminutio minima vertritt. In einer gesonderten Beweisführung158 setzt er sich detailliert mit dieser Ansicht auseinander. In diesem Zusammenhang untersucht er zugleich, was es mit der naturrechtlichen159 Lehre vom status160, einer nach Savigny weiteren Quelle begrifflicher Missverständnisse, auf sich hat. Jene Lehre definiere den status als eine (menschliche) Eigenschaft, vermöge deren ein Mensch gewisse Rechte habe.161 Dabei werde grob zwischen dem status naturalis (natürliche Eigenschaften, von denen an verschiedenen Stellen im Rechtssystem besondere Folgen abhängen162) und dem status civilis (moralische / juristische Eigenschaften) unterschieden. Der status civilis werde wiederum unterteilt in der bekannten Weise in status libertatis, status civitatis und status familiae.163 An dem so verwendeten Begriff des status allgemein164 missfällt Savigny, dass das 155  Savigny, System II, § 69 S. 74. Beispielsweise zerstört die Emanzipation die väterliche Gewalt, während die Arrogation diese erst hervorbringt. 156  Savigny, System II, § 68 S. 73 f. 157  Savigny, System II, § 75 S. 148 f. 158  Savigny, System II, Beilage VI („Status und Capitis deminutio“), S. 443 ff. 159  Savigny bezeichnet diese Lehre als die „neuere“ Lehre, in Abgrenzung zur ursprünglichen status-Lehre der „alten“ römischen Juristen, vgl. Savigny System II, Beilage VI, S. 444, 445, 465. 160  Savigny, System II, Beilage VI, S. 443 mit einer „Übersicht der bedeutendsten Schriftsteller“ zu status und capitis deminutio. 161  Savigny, System II, Beilage VI, S. 444. 162  Hierzu zählt Savigny die „normalen“ menschlichen Eigenschaften, z. B. Mann/ Frau oder gesund/krank, die als Tatbestandsmerkmale in Normen auftreten und entsprechende Rechtsfolgen auslösen. 163  Savigny, System II, Beilage VI, S. 444 f. 164  Daneben übt Savigny, System II, Beilage VI, S. 446 auch Kritik speziell am Begriff des status naturalis. Dessen Zweck sei es tatsächlich nur, eine allgemeine Formel für solche menschliche Eigenschaften zu liefern, an die irgendwo im Rechtssystem besondere Folgen geknüpft seien. Unabhängig davon, dass eine solche allge-

126 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Rechtehaben als menschliche Eigenschaft gelten solle.165 Beispielsweise werde der status civitatis dargestellt als der Inbegriff derjenigen Rechte, welche einem Civis zukommen würden. Nach dieser Logik müssten an sich auch alle übrigen Rechte (nicht nur Freiheit und Civität) bzw. deren Inhaberschaft als menschliche Eigenschaften definiert werden können. Entsprechend dürfte es nicht nur drei status geben, sondern nach dem Prinzip „ein Recht, ein status“ wäre der gesamte Bereich der Rechtswissenschaft hiervon abgedeckt. Infolgedessen hätte allerdings die neuartige status-Lehre in Wirklichkeit keine eigenständige Aussage, sondern würde gänzlich in der Lehre von den Rechten überhaupt aufgehen.166 Schon aus logischen Gründen sei es daher geboten, der zeitgenössischen status-Lehre eine anderweitige Bedeutung zugrunde zu legen als bislang überwiegend geschehen.167 Savignys Zwischenergebnis lautet: Wenn überhaupt, dann müsse der Begriff des status in Bezug zur Rechtsfähigkeit gesetzt werden. Entsprechend seien die dort angenommenen drei status-Fälle (status libertatis, status civitatis und status familiae) als nichts anderes zu werten als die drei ursprünglichen Fälle der (eingeschränkten) Rechtsfähigkeit.168 Die Logik und „formale[…] Tadellosigkeit“169, die allein bei dieser Lesart gegeben seien, würden sich gerade in der inhaltlichen Bestimmung jener drei angeblichen status zeigen. Der status libertatis werde von der herrschenden Lehre als der Umstand benannt, dass jemand frei sei, der status civitatis als derjenige, dass jemand Civis sei; und diese Erklärung erscheine durchaus naheliegend und natürlich.170 Probleme und entsprechend zwei unterschiedliche Interpretationswege würden sich dagegen für den status familiae ergeben, wenn die herrschende Lehre diesen als Mitgliedschaft in einer bestimmten, einzelnen Agnatenfamilie übersetze, damit aber nicht erklären könne, worin die Gemeinsamkeit zu den beiden ersten status bestehe.171 Definiere man aber den status familiae als die Einteilung der Menschen in Abhängige und Unabhänmeine Zusammenstellung überflüssig und ungenau sei, handele es sich bei einem solchen Begriff des status naturalis nicht um einen historisch überlieferten Rechtsbegriff, sondern lediglich um eine aus Zweckmäßigkeit entwickelte Methode wissenschaftlicher Darstellung. 165  Savigny, System II, Beilage VI S. 446. 166  Savigny, System II, Beilage VI S. 446. 167  Savigny, System II, Beilage VI S. 447. 168  Savigny, System II, Beilage VI S. 449. 169  Savigny, System II, Beilage VI S. 450. 170  Savigny, System II, Beilage VI S. 447. 171  Savigny, System II, Beilage VI S. 448: „Dabey fällt jedoch sogleich in die Augen der gänzliche Mangel eines inneren Zusammenhangs dieses dritten Status mit den beiden ersten, so daß gar nicht zu begreifen ist, warum gerade dieses Rechtsverhältnis und kein anderes mit jenen beiden unter einen gemeinsamen Gattungsbegriff gestellt werden soll.“



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit127

gige (persona sui iuris / alieni iuris), habe man ohne Weiteres den Bezug zur Rechtsfähigkeit als das Wesensmerkmal aller drei status.172 Entsprechend modifiziere sich auch die Bestimmung der ersten beiden Fälle: „Der Status libertatis z. B. bezeichnet uns nun nicht mehr das Freyseyn an sich, sondern die durch die Freyheit bedingte Rechtsfähigkeit: […].“173

Jene neuzeitliche Lehre vom status – sowohl nach herrschender Interpretation als auch in der von Savigny favorisierten, auf die Rechtsfähigkeit Bezug nehmenden Weise – wird von ihm im Folgenden auf ihren „juristischen Boden“174, d. h. auf ihren Ursprung hin untersucht.175 Erster, weil nächstliegender Anknüpfungspunkt für eine historische Legitimation sei die Rückführung auf den status-Begriff und die entsprechende Lehre im römischen Recht. Diesbezüglich bestätigt Savigny den grundsätzlich nur technischen, juristischen Gebrauch des Ausdrucks status (sofern auf Personen bezogen176) durch 172  Savigny, System II, Beilage VI S. 449. Im älteren römischen Recht war die Zugehörigkeit zu Gens und Familie noch Voraussetzung für die vollständige politische Rechtsfähigkeit gewesen, stand insofern auf einer Stufe mit der Civität. Dies änderte sich mit dem Wegfall der staatsrechtlichen Bedeutung von Gens und Familie; hierzu auch Puchta, Cursus II, S. 487 f. zur Bedeutung der Familienzugehörigkeit für das Privatrecht; S. 488: „Vom Standpunkt des gemeinen römischen Rechts aus erscheint vielmehr die Gentilität in dieser Beziehung nur als eine Eigenschaft, die zur Begründung gewisser Rechte gehört […], nicht als ein Status, der die Rechtsfähigkeit bestimmt. Ebenso ist es mit der Familie […], mit dem Agnatenkreis für sich […]. Das Resultat ist: es gab eine Zeit, wo die Mitgliedschaft in einer Familie als eine Bedingung der Rechtsfähigkeit neben der Civität aufgeführt werden konnte.“ Dies sei mittlerweile unstatthaft geworden, wohingegen die Familie ihren Einfluss auf die Persönlichkeit behalten habe. Letzteres ist gerade die von Savigny in den Blick genommene Frage des Abhängigkeitsverhältnisses der persona sui iuris/alieni iuris. 173  Savigny, System II, Beilage VI S. 449. 174  Savigny, System II, Beilage VI S. 473. 175  Denn, so Savigny, System II, Beilage VI S. 450 selbstkritisch: „Das Unlogische kann allerdings nicht geduldet werden, aber das logisch Tadellose ist darum noch nicht historisch wahr. Und so wird es sich in der That durch die nachfolgende Untersuchung ergeben, daß auch diese letzte Erklärungsweise, ungeachtet ihrer formalen Tadellosigkeit, dennoch aufgegeben werden muß.“ 176  Hierzu auch Savigny, System II, Beilage VI S. 451 ff. Ein untechnischer Gebrauch habe nur dann stattgefunden, wenn der Ausdruck bezüglich eines anderen Gegenstands als einer Person verwendet worden sei, auch wenn (durch scheinbare Bezugnahme auf eine Person) z. T. ein anderer Eindruck erweckt werde. Ausführlicher Exkurs Savigny, System II, Beilage VI S. 452 f. zu einem von den neueren Juristen angenommenen „status dignitas“ im römischen Recht, abgeleitet aus Dig. L 5 § 1.2 de extraord. Cog. (50.13). Diesen lehnt Savigny ab bzw. er sieht den Ausdruck status hier nur in unbestimmtem faktischen Sinne gebraucht. Da es Savigny mit diesem Exkurs lediglich darum geht, die technische/untechnische Verwendungsweise als solche (nicht einmal deren Inhalt) zu belegen, bietet die Argumentation keine hinreichenden Anhaltspunkte, um hieraus eine Aussage über faktische Würde, deren Verhältnis zu Status/Rechtsfähigkeit etc. zu folgern.

128 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

die römischen Juristen.177 Status im technischen Sinne habe dort die Stellung geheißen, welche der einzelne Mensch im Verhältnis zu anderen Menschen einnehme.178 Konkret umfasse dies den status publicus (staatsrechtliche Verhältnisse: Freiheit, Civität, mit Einfluss auf die privatrechtliche Rechtsfähigkeit) und den status privatus179 (privatrechtliche Verhältnisse: alle Familienverhältnisse, unabhängig von ihrem Einfluss auf die Rechtsfähigkeit180). Als Bilanz seiner umfangreichen Quellenanalyse will Savigny daher betont wissen, dass es sich bei der alt-römischen status-Lehre keineswegs um die drei Fälle der Rechtsfähigkeit libertas, civitas, familia (dreifache capitis deminutio) gehandelt habe. Diese Fälle seien von den Römern gerade nicht unter dem Ausdruck status behandelt worden.181 Entsprechend kommt Savigny in der Frage, wie sich die neuzeitliche Lehre vom status zu dem so ermittelten römischen status-Begriff verhalte, zu einem negativen Ergebnis: Sie sei nicht mit diesem identisch bzw. lasse sich nicht auf diesen zurückführen.182 Dies gelte sowohl für die von der herrschenden Meinung vertretene Fassung, den „status“183 familiae als Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft in einer be177  Savigny, System II, Beilage VI S. 450 ff., entgegen Hugo, der „status“ durch die Römer nur untechnisch verwendet sehen will (im Sinne von Zustand, Beschaffenheit). 178  Savigny, System II, Beilage VI S. 454. 179  Die Begriffe des status publicus und des status privatus tauchen im antiken römischen Recht nicht auf. Sie werden vielmehr von Savigny, System II, Beilage VI S. 454 selbst eingeführt mit dem Hinweis, dass die inhaltliche Unterscheidung in einen öffentlichen und einen privatrechtlichen Status als solches durchaus getroffen worden sei. 180  Savigny, System II, Beilage VI S. 454, 457 f. Der Unterschied, dass für die Fälle des status publicus der Bezug zur Rechtsfähigkeit notwendig sei, für diejenigen des status privatus nicht, liege darin begründet, dass die römischen Juristen lediglich das Privatrecht als Gegenstand ihrer Wissenschaft im Blick gehabt hätten. Mit dem Kriterium „Einfluss auf die Rechtsfähigkeit“ sei daher der Bezug des öffentlichen Rechts zum Privatrecht hergestellt worden. Die persönlichen Verhältnisse des Privatrechts seien dagegen schon unmittelbar, ihrer eigenen Natur wegen, von juristischer Bedeutung gewesen, sodass sie alle, d. h. jede Stellung des Menschen in der Familie, zum Status hätten gezählt werden können. 181  Als Beleg führt Savigny, System II, Beilage VI S. 474 u. a. eine Textstelle bei Paulus (L. 11 de cap. min. (4.5.)) an, der dort die drei Fälle der capitis deminutio (liberatis, civitatis, familiae) beschrieben, dabei aber nicht den Ausdruck „status“ verwendet habe. 182  Savigny, System II, Beilage VI S. 472. 183  Der Begriff des status wird hier in Anführungszeichen gesetzt, weil es aus der Sicht Savignys schlicht fehlerhaft ist, die neuzeitliche Lehre mit diesem Ausdruck zu versehen (vgl. sein Nachweis der fehlenden Verbindung zur ursprünglichen römischen status-Lehre). Insofern passt sich Savigny selbst der herrschenden (wenn auch unhistorischen) Terminologie seiner Zeit an und spricht vom „status familiae“, wenn er den dritten Fall geminderter Rechtsfähigkeit (familiäres Abhängigkeitsverhältnis) beschreibt.



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit129

stimmten Agnatenfamilie184 zu definieren. Es gelte aber auch für seine eigene, das Pendant zur Rechtsfähigkeit suchende Interpretation, mit der er den „status“ familiae (als die dritte Form der Rechtsfähigkeit) speziell auf das familiäre Abhängigkeitsverhältnis sui iuris / alieni iuris beziehen wollte. Denn der ursprüngliche römische status-Begriff habe schließlich alle Familienverhältnisse betroffen. Stattdessen vermutet Savigny eine Entwicklung des zeitgenössischen status-Begriffs – der so gesehen im Grunde zu Unrecht mit den drei Fällen der libertas, civitas, familia in Verbindung gebracht wurde – aus der dreifachen capitis deminutio.185 Maßgeblich initiiert sei dies durch deren alternative Bezeichnung als status mutatio im Sprachgebrauch römischer Juristen. Erst auf diese Weise sei es zu einer unmittelbaren Verbindung der Themenfelder bzw. Begriffe von Rechtsfähigkeit, capitis deminutio und status überhaupt gekommen.186 Gehe es somit nun um die Definition der capitis deminutio, müsse diese parallel zu den drei kennengelernten Deutungsvarianten von status in einer negativen Veränderung bestehen, nämlich: „[…] entweder der Freyheit (maxima), oder der Civität (media), oder eines Dritten, je nach jenen drey Erklärungen Verschiedenen (minima). Dieses Dritte nun, durch dessen Veränderung eine Capitis deminutio (nämlich die minima) bewirkt werden könnte, müßte seyn: 1)  nach der einen Erklärung: die Agnatenfamilie, 2)  nach der anderen: die Unabhängigkeit oder Abhängigkeit, 3)  nach der dritten: irgendein Familienverhältniß […].“187

Savigny selbst folgt der zweiten Erklärung, was sich wiederum mit seinen obigen Ausführungen zum status familiae deckt. Nur solche Veränderungen im status, die zugleich die Rechtsfähigkeit berühren (Abhängigkeitsverhältnisse sui iuris / alieni iuris), sind für ihn eine capitis deminutio, nicht aber jede Veränderung eines status im ursprünglichen Sinne des römischen Rechts (jedes Familienverhältnis).188 184  Bzw.

als den Inbegriff der hieraus entspringenden Rechte. System II, Beilage VI S. 474 f. 186  Savigny, System II, Beilage VI S. 475. 187  Savigny, System II, Beilage VI S. 476. 188  Savigny, System II, Beilage VI S. 481: „Minima c.d. heißt eine Veränderung des privatrechtlichen Status (der Familienverhältnisse), welche mit einer Verminderung der Rechtsfähigkeit verbunden ist.“ Im Einzelnen: „1) Jede Verwandlung eines Unabhängigen (sui iuris) in einen Abhängigen (alieni iuris). 2) Jede Degradation eines Kindes oder einer Frau aus der potestas oder manus in die mancipii causa.“ Zu Savignys Beweisführung (Quellenvergleich) siehe Savigny, System II, Beilage VI S.  483 ff. 185  Savigny,

130 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Daraus ergibt sich für ihn eine Parallelität in den Begriffen • Rechtsfähigkeit gemäß Freiheit – capitis deminutio maxima (als die entsprechende Einschränkung) – status libertatis als erste Fallgruppe, • Rechtsfähigkeit gemäß Civität – capitis deminutio media – status civitatis als zweite Fallgruppe, • Rechtsfähigkeit gemäß Familienverband – capitis deminutio minima – status familiae als dritte Fallgruppe. Im Rahmen der anschließenden Argumentation zugunsten seiner Bestimmung der capitis deminutio minima greift Savigny konsequent auf eine Überlegung zurück, die er bereits gegen die herrschende Definition des status familiae angeführt hatte. Hierbei handelt es sich erneut um das Problem der fehlenden Gemeinsamkeit zwischen den drei Fällen von capitis deminutio bzw. status, sofern für den dritten Fall auf die Zugehörigkeit des Einzelnen zur Agnatenfamilie abgestellt werde.189 Um auch nach dieser, in seinen Augen fehlerhaften, Lesart die Minderung der Rechtsfähigkeit als das verbindende Wesensmerkmal behaupten zu können, würden sich einige ihrer Vertreter darum bemühen, die Agnatenstellung auch weiterhin und entgegen deren historischer Entwicklung190 als Rechtsfähigkeit zu behandeln.191 Begründet werde dies mit dem Hinweis, nur die Mitgliedschaft in einer Agnatenstellung befähige zur Intestaterbschaft.192 Savignys Antwort hierauf: „Allein dieser Auffassung liegt zum Grunde die Verwechslung der Rechtsfähigkeit mit den faktischen Bedingungen des Erwerbs von Rechten.“193

Des Weiteren: „[…] faktische Bedingungen des einzelnen, wirklichen Erwerbs: aber sie alle sind durchaus nicht Elemente der Rechtsfähigkeit. Der Verlust der Agnation ist Verlust eines bestimmten erworbenen Rechts, gerade so wie der Verlust des Eigenthums an einem Hause: durch Beides leidet die Rechtsfähigkeit nicht.“194

Die Trennung zwischen Rechtsfähigkeit einerseits und dem Erwerb konkreter Rechte andererseits wird hiermit ausdrücklich angesprochen und gerade als die auch von Savigny vertretene Sichtweise in besonderer Strenge betont. 189  Savigny,

System II, Beilage VI S. 487 ff. Entwicklung der Agnatenstellung und zum Verlust ihres Einflusses auf die Rechtsfähigkeit siehe oben Kapitel 3, A. III. 3. b) (Fn. 172). 191  Savigny, System II, Beilage VI, S. 472 487, 489 f. 192  Savigny, System II, Beilage VI, S. 487 ff. 193  Savigny, System II, Beilage VI, S. 487. 194  Savigny, System II, Beilage VI, S. 487 f. 190  Zur



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit131

c) Anomalien Als Anomalien werden die Ausnahmen von den Regeln über Rechtsfähigkeit und capitis deminutio bezeichnet. Sie treten im römischen Recht insoweit auf, als die an sich fehlende bzw. verminderte Rechtsfähigkeit einer Person in Bezug auf manche Rechte unberücksichtigt bleiben soll195. Im Einzelnen erfasst dies Rechte auf unmittelbare Lebensversorgung196, Verhältnisse von bloß faktischer Natur mit enger Verbindung zu eigentlichen Rechten197, den Zwang zu Handlungen, durch welche Familienverhältnisse verändert werden198, sowie Klagerechte, die auf vindicta gerichtet sind. Bei der Vindicta-Klage wird Vermögensersatz nach Rechtsverletzung gefordert. Eigentlicher Zweck ist jedoch der Ausgleich für die gestörte Rechtsordnung selbst; der Vermögensersatz für die verletzte Person ist lediglich das Mittel. Der Einzelne übernehme gewissermaßen die Rolle des Staates im Kriminalrecht.199 In der Regel handelt es sich hierbei um solche Fälle, in denen der Filiusfamilias trotz seiner capitis deminutio eine Klage im eigenen Namen erheben und führen kann200, weil die Verletzungshandlung gegen seine persönliche Würde gerichtet ist (z. B. Kränkung durch Nichtbedenken in einem Testament201). Als Grund für die Anerkennung sämtlicher Anomalien gibt Savigny entsprechend an: „[…] dass jene Rechte, obgleich ihrer Form nach mit anderen Rechten gleichartig, dennoch mehr den natürlichen, oder den politischen Menschen, als den juristischen (den Träger der Privat-Rechtsverhältnisse) angeben, so dass durch sie irgend Etwas bewirkt werden soll, das durch die so eben dargestellte Rechtsunfähigkeit nicht berührt wird.“202

Bei dieser Erklärung greift Savigny im Ansatz erneut auf die Unterscheidung von rechtlichen und außerrechtlichen Bereichen zurück. Indem er die 195  Savigny,

System II, § 71 S. 90. System II, § 70 S. 104 ff. Wiederum untergliedert in: Legat von Alimenten zur Erhaltung des leiblichen Daseins (S. 106 ff.); Legat der habitation und operae (Recht auf Obdach und auf Dienste eines Sklaven, S. 110 ff.); Alimentenklage unter nahen Verwandten (S. 118 f.); Klage der Tochter gegen den Vater auf Dotation (S.  119 f.). 197  Savigny, System II, § 70 S. 134 ff. 198  Savigny, System II, § 70 S. 145 f. 199  Savigny, System II, § 70 S. 121 ff. 200  Im Einzeln untergliedert in u. a.: actio injuriarum des Sohnes (Savigny, System II, § 70, 122 ff.); interdictum quod vi aut clam (S.  125 ff.); querela inofficiosi (S.  127 ff.). 201  Fall der querela inofficiosi. Hierzu Savigny, System II, § 70 S. 129: „[…] daß die capitis deminutio des Sohnes diese auf blos sittlichen Gründen beruhende Klage nicht zerstören kann.“ 202  Savigny, System II, § 71 S. 90. 196  Savigny,

132 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Anomalien als allein den natürlichen / politischen Menschen betrachtend darstellt, erklärt er umgekehrt den juristischen Menschen zum Grundfall des alt-römischen Regelwerks und begrenzt diesen zugleich auf die Frage der Rechtsträgerschaft.203 Unabhängig davon, ob die Einschätzung für das römische Recht zutreffend ist, lässt dieser Gedankengang den Rückschluss auf Savigny selbst zu: Seinem eigenen Rechtsfähigkeitsbegriff legt er einen spezifisch rechtstechnischen Aussagewert zugrunde.204 Darüber hinaus erklärt Savigny die anomalischen römischen Regelungen mit der Berücksichtigung sittlicher Bedürfnisse oder faktischer Verhältnisse, die notfalls „außer der Reihe“ zu bedienen seien. Offensichtlich ist auch für Savigny die Kombination aus rechtstechnischer Konstruktion und rechtsfunktionaler Überlegung nur naheliegend. d) Bedeutung des römischen Rechts für Savignys Rechtsfähigkeitsbegriff Zu Beginn des Abschnitts über Einschränkungen der Rechtsfähigkeit präzisiert Savigny den Untersuchungsradius. Es sollen nur diejenigen Fälle behandelt werden, in denen „die natürliche, allen einzelnen Menschen zukommende Rechtsfähigkeit durch unser positives Recht eingeschränkt worden ist“205. Dies klingt nach einer Betrachtung seines eigenen, d. h. nur aktuellen Rechtsfähigkeitsbegriffs. Mit der Formulierung wird vor allem der Eindruck erweckt, als würden die Minderungen an einer im Grundsatz allgemeinen und gleichen Rechtsfähigkeit anknüpfen. Im Folgenden setzt er sich jedoch vorwiegend mit drei Fällen aus dem römischen Recht als Minderungsgründe auseinander. Das ursprüngliche römische Recht, bis zu welchem er in seiner Quellenanalyse zurückgeht, war jedoch in Sachen „Rechtsfähigkeit“ gänzlich anders strukturiert. Insbesondere ging es von einer anderen Prämisse (keine Annahme einer allgemeinen Rechtsfähigkeit) aus. Insofern stellt sich die Frage, welche Vorstellung Savigny von der Rechtsstellung des Menschen nach römischem Recht hatte oder vielmehr umgekehrt welche Rückschlüsse für Savignys eigenen Rechtsfähigkeitsbegriff zu ziehen sind, je nachdem ob bzw. welche Verbindungslinien er annimmt. Savigny selbst beschreibt die Zusammenhänge an zwei Stellen im „System“. Zum einen: 203  Savigny,

System II, § 71 S. 90. Umstand, dass Savigny den modernen Rechtsfähigkeitsbegriff in römischrechtlicher Tradition sieht [im Einzelnen siehe Kapitel 3, A. III. 3. d)], macht dies nur wahrscheinlicher. 205  Savigny, System II, § 64 S. 23. 204  Der



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit133 „Diese Lehre [die römisch-rechtliche; drei Gründe verminderter Rechtsfähigkeit, Anm. d. Verf.] hat ihren Ursprung in der ältesten Zeit des Römischen Rechts, und wenngleich auch sie im Lauf der Jahrhunderte manche Umbildung erfahren hat, so hat sie sich dennoch in ihren Grundzügen dergestalt erhalten, daß wir sie selbst in das neueste Recht nach allen Seiten hin verwebt finden. […]. Nicht als ob noch Vieles aus derselben unmittelbar angewendet werden könnte, […]. Die Quellen des Römischen Rechts sind nämlich durchaus nur Demjenigen verständlich, der sich jene Lehre in ihrer vollständigen Ausbildung so angeeignet hat, daß ihm bey jeder Stelle des Römischen Rechts die Beziehung derselben auf jene alte Lehre […] von selbst vorschweben.“206

Gegenstand von Savignys Untersuchung ist also die Lehre von libertas, civitas und persona sui iuri bzw. alieni iuris als solche. Es betrifft nicht nur eine irgendwie geartete ältere Version, die abgeschlossen für sich steht und auch inhaltlich eigenständig bewertet werden müsste. Dies nämlich hätte eine Vergleichbarkeit von Anfang an unter den Vorbehalt gestellt, dass u. U. nicht von derselben Sache die Rede wäre. So aber ist von einem einheitlichen Untersuchungsgegenstand auszugehen: Wenn Savigny von „der Lehre“ spricht, meint er die eine Lehre von libertas, civitas und persona sui iuris / alieni iuris. An anderer Stelle führt Savigny weiter aus, warum die Beschränkungen der Rechtsfähigkeit aus den drei genannten Gründen noch immer zu den „Bestandtheilen des heutigen Römischen Rechts“207 zu zählen seien. „[…]: erstlich, weil das System des Privatrechts von alter Zeit her so ganz mit ihnen verflochten war, daß eine gründliche Einsicht auch in dessen neueste Gestalt ohne die genaue Kenntniß jener Beschränkungen eben so wenig möglich ist, als die sichere Abwehrung der verwirrendsten Irrthümer: zweytens weil von denselben auch in dem neuesten Recht bedeutende Stücke erhalten sind, die abgetrennt von ihrem früheren Zusammenhang in ihrem eigentlichen Wesen nicht verstanden werden können.“208

Konkret zur beschränkten Rechtsfähigkeit von Kindern unter väterlicher Gewalt erklärt Savigny in diesem Sinne, die diesbezüglich historischen wie gegenwärtigen Regelungen würden aufeinander aufbauen. Die dargestellte Art besonderer Rechtsfähigkeit könne nicht unter die antiquierten, sondern nur unter die „umgebildeten Institute“209 gefasst werden und gehöre entsprechend deren Darstellung dem heutigen römischen Recht unmittelbar an.210 Anders dagegen Infamie und Religionsverschiedenheit, die bereits im alten Recht eine nur isolierte Einwirkung auf die Rechtsfähigkeit gehabt hätten und im neuesten Recht gänzlich verschwunden seien.211 206  Savigny, 207  Savigny, 208  Savigny, 209  Savigny, 210  Savigny, 211  Savigny,

System System System System System System

II, II, II, II, II, II,

§ 64 § 76 § 76 § 67 § 67 § 76

S. 24 (Hervorhebung nicht im Original). S. 170. S. 170. S. 57 f. S. 57 f. S. 170.

134 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Ist so einerseits von einem Fortwirken römischer Regelungen im geltenden Recht im weiteren Sinne die Rede, zeichnet sich Savigny andererseits durch ein exaktes Vorgehen und eine penible Trennung zwischen den ursprünglichen Instituten und einer nur vergleichbaren, aber eben nicht identischen Regelung des geltenden Rechts aus. Zur heutigen Anwendbarkeit der capitis deminutio heißt es, der Großteil der römischen Beschränkungen der Rechtsfähigkeit sei nur noch von historischer, aber nicht mehr von praktischer Bedeutung im geltenden Recht.212 Entsprechend kritisch sieht Savigny die Darstellungsweise in der Pandektenlehre von Glück213, der eine capitis deminutio maxima auch im zeitgenössischen Recht noch bei Leibeigenschaft und lebenslänglicher Zuchthausverurteilung bzw. eine capitis deminutio media bei Verlust des Bürgerrechts annimmt, gleichzeitig aber eine Anwendung der römischen Rechtssätze als solche verneint.214 Hierzu bemerkt Savigny: „Gerade davon [Anwendung der römischen Rechtssätze, Anm. d. Verf.] aber ist hier allein die Rede, und insbesondere von der aufgehobenen oder verminderten Rechtsfähigkeit im Römischen Sinn. Daß zu allen Zeiten mancherley Veränderungen in dem Zustand der Menschen vorkommen, wird Niemand bezweifeln; will man aber diese als capitis deminutiones behandeln und bezeichnen, so kann das nur zu einem leeren, verwirrenden Spiel mit Worten führen.“215

Savigny selbst konkretisiert und beschränkt seinen eigenen Untersuchungsradius zur capitis deminutio sehr genau. Es gehe allein darum, die Anwendung der römischen Rechtssätze in ihrer ursprünglichen Form zu prüfen.216 Entsprechend bleibt es bei ihm im Wesentlichen bei einer reinen Schilderung der antiken römischen Institute und allenfalls bei der Prüfung, ob diese in genau jener Art und Weise auch noch im aktuellen Recht vorhanden sind. Ist dies nicht der Fall, dann bestreitet Savigny zwar nicht die Qualität der neuen Regelungen als Einschränkungen der Rechtsfähigkeit an sich; er spricht sich jedoch klar dagegen aus, sie mit den alten römischen Begriffen zu belegen.217 Insofern ist im Umkehrschluss zumindest festzustellen: Savigny hat sich dort, wo er von Erhalt und Verwobensein römischer 212  Savigny, System II, § 75 S. 149 sieht sich hierin auch durch die meisten der neueren Schriftsteller bestätigt. 213  Christian Friedrich von Glück (1755–1831), deutscher Pandektist und Professor in Erlangen. 214  Savigny, System II, § 75 S. 150 f. 215  Savigny, System II, § 75 S. 151. 216  Savigny, System II, § 75 S. 151. 217  Savigny, System II, § 75 S. 151: „ungeschickte Anwendung missverstandener historischer Rechtsbegriffe“ auf regelungsbedürftige Fälle; im Übrigen Savigny, System II, § 75 S. 164 ff. zur ähnlich gelagerten Problematik um den römisch-rechtlichen Begriff des bürgerlichen Todes. Spreche an sich auch nichts gegen die Aufnahme eines „bürgerlichen Todes“ in das deutsche Strafgesetzbuch, so dürfe man sich allein durch die Verwendung jenes Begriffs nicht der falschen Vorstellung hingeben, dass



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit135

Beschränkungen im geltenden Recht spricht, auch tatsächlich inhaltlich auf jene bezogen.218 In terminologischer Hinsicht ist nichtsdestotrotz ein Scheitern der neuen Regelungen an seinem strengen Maßstab denkbar. Als immerhin „umgebildete Institute“ mag Savigny auch ihnen die Bezeichnung mit alt-römischen Begriffen verweigert haben. Hinsichtlich der Eingangsfrage, wie Savigny die Konzeption der Rechtsfähigkeit im ursprünglichen römischen Recht sieht, bleiben zwei denkbare Möglichkeiten. Entweder nimmt er auch diesbezüglich eine allgemeine Rechtsfähigkeit an, die entsprechend der drei Gründe gemindert wurde, was die „Übertragbarkeit“ ins geltende Recht besser erklären würde. Oder er geht historisch zutreffend von einem status des jeweiligen Menschen aus, welcher sich zwar nach den drei Kategorien libertas, civitas und sui iuris / alieni iuris bemisst, diese aber nicht in einer allgemeinen Rechtsstellung vereinigt. Die diesbezügliche Auswertung von Savignys Erklärungen (Aussagen zum römischen Recht in dessen ursprünglicher Fassung) wird vor allem durch seinen auch in diesem Rahmen regelmäßigen Gebrauch des modernen Begriffs „Rechtsfähigkeit“ erschwert. Damit wird der Eindruck erweckt, es handele sich um eine allgemeine Grundform menschlicher Rechtsstellung. Beispielsweise bezeichnet er die Lehre der Minderungsgründe nach altem Recht insgesamt als „übel verstandene[…] Lehre von der Rechtsfähigkeit“219 oder erklärt den Unterschied zwischen einer obligatio naturalis (allgemein zugänglich) und einer obligatio civilis (auf römische Bürger beschränkt) „in Beziehung auf die persönliche Rechtsfähigkeit“220. Andererseits heißt es in einer Zusammenfassung der drei Gründe beschränkter Rechtsfähigkeit (nach der Lehre des alten Rechts), dass jeder dieser Gründe wiederum drei verschiedene Stufen der Rechtsfähigkeit bestimme und damit die erste Stufe jedesmal den günstigsten Zustand bezeichne.221 Die Rede ist also nicht von einer allgemeinen Stufe höchster Rechtsfähigkeit, sondern mehr von einer Art gestufter Rechtskreise, aus denen sich die individuelle Rechtsstellung des Menschen jeweils zusammensetzt. man ein altes römisches Rechtsinstitut anwende. Man müsse sich bewusst sein, dass es sich um eine Neuschöpfung handeln würde. 218  Siehe auch Savigny, System II, § 76 S. 170. Die Rede ist hier von Stücken „von denselben“, d. h. dass lediglich der Kontext im geltenden Recht ein anderer sein soll. 219  Savigny, System II, § 64 S. 25; vgl. auch Savigny, ZGeschRW 1823, 229 (231) mit einem Zeitschriftenbeitrag über die Entstehung und Fortbildung der Latinität als eines eigenen Standes im römischen Staat. 220  Savigny, Obligationenrecht I, S. 28. Dass es sich hierbei tatsächlich um eine ausschließliche Betrachtung des antiken Rechts handelt, wird durch die in diesem Rahmen angeführten Beispiele der Obligationen belegt. 221  Savigny, System II, § 67 S. 58 f.

136 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Eine andere Frage ist die genaue Art des Fortwirkens jener römischen Lehre im geltenden Recht. Savigny könnte insofern von einer echten Traditionslinie ausgegangen sein. Denkbar wäre eine Entwicklung (bzw. Savignys Vorstellung hiervon) in Form einer Reduktion der ursprünglichen Minderungsgründe und eines entsprechenden Anwachsens von Allgemeinheit und Gleichheit im Laufe der Zeit. In diesem Fall hätte Savigny seinem Rechtsfähigkeitsbild keinen völlig neuen Ansatz zugrunde gelegt, sondern ihn unmittelbar aus dem römischen Recht abgeleitet. Die Aussagen Savignys sind diesbezüglich nicht eindeutig. Zur Anwendbarkeit bzw. Unanwendbarkeit222 der einzelnen Minderungsgründe merkt er an: „Wir haben von der Römischen Unfreyheit Nichts übrig, also kann auch nicht mehr die Rede seyn von der Rechtsunfähigkeit der Römischen Sklaven. Eben so wenig besteht unter uns ein Stand der Civität oder Latinität, mit ihrem Gegensatz in dem Stand der Peregrinen; also hat auch bey uns die beschränkte Rechtsfähigkeit der Peregrinen aufgehört: […]. Dagegen besteht in unsrem heutigen Recht allerdings noch die Abhängigkeit von väterlicher Gewalt. Auch die hierauf gegründete beschränkte Rechtsfähigkeit ist zum Theil unverändert geblieben; und selbst da, wo sie durch die Gesetze der christlichen Kaiser starke Modificationen erhalten hat, ist sie doch nur in Verbindung mit dem älteren Recht zu verstehen und anzuwenden möglich.“223

Demzufolge scheint der Wegfall der Kategorien libertas und civitas allein auf dem Wegfall der ihnen zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände zu beruhen und nicht auf einer grundlegenden Wandlung des Rechtsfähigkeitsbegriffs selbst. Hierzu würde passen, dass der Grund der familiären Abhängigkeit offensichtlich nicht als solcher entfallen sein soll, sondern lediglich umgestaltet worden sei („unverändert“224 bzw. bloße „Modificationen“225).226 Auch lässt sich erneut die oben zitierte Textpassage über die Irrtümer, „entsprungen aus der übel verstandenen Lehre von der Rechtsfähigkeit“227, an222  Heißt es in Savigny, System II, § 68 S. 60, dass Dasein und Anzahl der drei Arten eingeschränkter Rechtsfähigkeit in der neuen Lehre anerkannt seien, so ist damit nicht deren Anwendbarkeit im geltenden Recht, sondern deren Vorliegen im alten Recht gemeint. 223  Savigny, System II, § 75 S. 148. 224  Savigny, System II, § 75 S. 148. 225  Savigny, System II, § 75 S. 148. 226  Noch deutlicher Savigny, System II, § 67 S. 57, wo die Entwicklung der Rechtsstellung des Filiusfamilias vom ältesten römischen Recht über die wichtigsten Veränderungen bei Konstantin bis ins geltende Recht ohne Unterbrechung (!) nachgezeichnet wird und es zu Letzterem heißt: „Indessen ist dieses neu gebildete Recht nur als die Entwicklung des früheren Zustandes zu betrachten […], und die in dem gegenwärtigen §. dargestellte Art besonderer Rechtsfähigkeit kann daher nicht unter die antiquierten, sondern nur unter die umgebildeten Institute gerechnet werden […].“ 227  Savigny, System II, § 64 S. 24 f.



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit137

führen. Savigny unterscheidet nicht etwa zwischen einer alten und einer neuen Rechtsfähigkeitslehre, obwohl dies aufgrund des Kontextes (Verwendung von alt-römischen Begriffen im neuen Recht) nahegelegen hätte und notwendig gewesen wäre. Stattdessen könnte er von einer einheitlichen, durchgängig gedachten Lehre der Rechtsfähigkeit ausgegangen sein. Tatsächlich nachweisen lässt sich dies jedoch nicht. Mit abschließender Sicherheit ist lediglich festzustellen, dass Savigny eine Vergleichbarkeit in der Grundkonzeption der Begriffe228 annimmt. Sowohl für das klassische römische als auch für das geltende Recht geht er von einer rechtlichen Stellung des Menschen mit Beschränkungen – genauer: mit Beschränkbarkeit – aus. Daran anknüpfend nimmt die Regulation durch positives Recht auch in seinem Rechtsfähigkeitsbegriff eine Schlüsselstellung ein.229 So gesehen hat das römische Recht in Fragen der Rechtsfähigkeit für Savigny weniger die Bedeutung einer echten Traditionslinie und erst recht nicht einer inhaltlichen Quelle. Die Stellung des Menschen im römischen Recht war eine gänzlich andere als diejenige im geltenden Recht, und dessen ist sich Savigny durchaus bewusst. Seine Bezugnahme auf die römischen Regelungen, insbesondere auf die drei Fälle verminderter Rechtsfähigkeit, ist vielmehr als eine Art Argumentationsmuster zu verstehen: Aus dem Umstand, dass auch die Römer mit Beschränkungen der Rechtsfähigkeit „arbeiteten“, und damit aus der Tatsache ihrer Beschränkbarkeit als solcher leitet Savigny die Legitimation für sein eigenes gestuftes Rechtsfähigkeitsmodell der Struktur ab. Die Annahme einer solchermaßen „minimierten Verbindungslinie“ wird im Übrigen bestätigt durch Savignys generelle Haltung zum römischen Recht bzw. dessen Bedeutung in der Gegenwart („heutiges Römisches Recht“). Gemessen an den Grundzügen der historischen Rechtsschule erschöpft sich die Betrachtung von Regelungen des älteren römischen Rechts für Savigny nicht in bloß rechtshistorischen Exkursen; ebenso wenig haben diese für ihn zwangsläufig unmittelbare Geltung. Die Jurisprudenz sei eine sowohl historische wie philosophische (im Sinne von systematische) Wissenschaft bzw. das Recht selbst müsse vollständig historisch und philosophisch / systematisch zugleich sein.230 Gerade die Verbindung der beiden 228  Savigny, System II, § 64 S. 24: Fortbestand der römischen Lehre „in ihren Grundzügen“. 229  Vgl. Schröder, Quaderni Fiorentini 1980, 343 (344). Savignys Darstellung des Prinzips allgemeiner Rechtsfähigkeit sei denn auch ganz positivistisch und kaum mehr als eine Registrierung des positiven Rechtzustands, wie er um 1840 in Deutschland gegeben sei. Vom naturrechtlichen Pathos eines § 16 ABGB habe sich Savigny in der Sache noch weit entfernt gehalten. 230  Savigny, Beruf, S. 48; ebenso Savigny, ZGeschRW 1817, 1 (50) zu Maßnahmen zwecks Verbesserung des gegenwärtigen Stands der Jurisprudenz: „Jede einzel-

138 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Denkkategorien von Geschichte und System macht den wesentlichen Charakter der Jurisprudenz für Savigny aus.231 Historisch bedeutet in diesem Zusammenhang, jedes Zeitalter eines Volkes als die Fortsetzung und Entwicklung aller vergangenen Zeiten zu betrachten und entsprechend als etwas Gegebenes anzuerkennen.232 Geschichte sei „der einzige Weg zur wahren Erkenntniß“233 des eigenen Zustands. In Anwendung auf die Rechtswissenschaft bedeute dies nach der geschichtlichen Schule, „der Stoff des Rechts sey durch die gesammte Vergangenheit der Nation gegeben, doch nicht durch Willkühr, so daß er zufällig dieser oder ein anderer seyn könnte, sondern aus dem innersten Wesen der Nation selbst und ihrer Geschichte hervorgegangen. Die besonnene Thätigkeit jedes Zeitalters aber müsse darauf gerichtet werden, diesen mit innerer Nothwendigkeit gegebenen Stoff zu durchschauen, zu verjüngen, und frisch zu erhalten.“234

Zugleich warnt Savigny vor einer „blinde[n] Ueberschätzung der Vergangenheit“235. Das römische Recht enthalte nicht bereits alles Wichtige, und die Aufgabe der Gegenwart bestehe nicht nur darin, jene „vorräthigen Meynungen und Theorien“236 zu übernehmen, notfalls mit neuen Gründen zu versehen237, aber im Übrigen, „die Gegenwart, ihre Selbstständigkeit verkennend, unter die Herrschaft der Vergangenheit [zu, Anm. d. Verf.] beugen“238. Die wahre historische Methode239 der Rechtswissenschaft habe vielmehr zum Bestreben, jeden gegebenen Stoff bis zu seiner Wurzel zu verfolgen und so ein organisches Prinzip zu entdecken, wodurch sich von selbst das, was noch Leben habe, von demjenigen absondern müsse, was schon abgestorben sei.240 ne Arbeit müßte enthalten: 1. Rechtsgeschichte ganz im Detail, und besonders mit vollständiger Zusammenstellung der Quellen. 2. Dogmatik, gleichfalls durch Quellen vollständig begründet und verbunden mit Erklärung dieser Quellen.“ 231  Hierzu Reutter, S.  122 f. 232  In Notwendigkeit und Freiheit, hierzu Savigny, ZGeschRW 1815, 1 (3 f.): „[…] nothwendig, in so fern es nicht von der besonderen Willkühr der Gegenwart abhängig ist: frey, weil es eben so wenig von irgend einer fremden besondern Willkühr […] ausgegangen ist, sondern vielmehr hervorgebracht von der höhern Natur des Volkes […].“ 233  Savigny, ZGeschRW 1815, 1 (4). 234  Savigny, ZGeschRW 1815, 1 (6). 235  Savigny, ZGeschRW 1815, 1 (10). 236  Savigny, ZGeschRW 1815, 1 (10). 237  Savigny, ZGeschRW 1815, 1 (10). 238  Savigny, System I, Vorrede S. XIV. Des Weiteren Savigny, ZGeschRW 1817, 1 (13): „[…] die Verwechslung nämlich der geschichtlichen Ansicht des Rechts mit einer besondern Vorliebe für das alterthümliche vor der Gegenwart […]“. 239  Vgl. Hammen, S. 33 mit dem Hinweis, dass sich „historisch“ auf die Methode der Erkenntnis vom Recht und nicht auf dessen Entstehung selbst beziehe. 240  Savigny, Beruf, S. 117 f.; Savigny, System I, Vorrede S. XV; siehe auch Savigny, System I, S. 1 f. mit der entsprechenden Beschreibung zur Aufgabe des Systems



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit139

In diesem Zusammenhang finden sich einzelne Aussagen, die die obige Interpretation zu Bedeutung und Verwendung des römischen Rechts seitens Savigny im Besonderen stützen. In einer Entgegnung gegenüber Gönner betont Savigny, die historische Schule lege das System der Römer eben nicht schlichtweg zugrunde und berücksichtige Veränderungen an Rechtsquellen nicht lediglich als Modifikationen.241 In einem anderen Beitrag bemerkt er zum Verhältnis zur Vergangenheit, der fremde Wert müsse willig anerkannt werden, dies aber habe „mit einem sicheren, ruhigen Gefühl des eigenthümlichen Berufes“242 zu erfolgen. Ganz offensichtlich steht Savigny auch neuartigen Ansätzen grundsätzlich offen gegenüber. Vergleichbar die Aussagen im „Beruf“: „Wie nun die alten Juristen zu studieren sind, läßt sich leicht sagen […]: sie sollen nicht blos die Schule hüten, sondern wieder belebt werden: wir sollen uns in sie hinein lesen und denken, wie in andere mit Sinn gelesene Schriftsteller, sollen ihnen ihre Weise ablernen, und so dahin kommen, in ihrer Art und von ihrem Standpunkt aus selbst zu erfinden […].“243 „[…] oder ob eine gründliche Rechtswissenschaft uns lehren soll, diesen historischen Stoff frey als unser Werkzeug zu gebrauchen: […].“244 „Das Römische Recht hat, wie schon oben bemerkt worden, außer seiner historischen Wichtigkeit noch den Vorzug, durch seine hohe Bildung als Vorbild und Muster unsrer wissenschaftlichen Arbeiten dienen zu können.“245

Als Zwischenfazit lässt sich die Vorstellung Savignys von „Rechtsfähigkeit“ somit wie folgt skizzieren: Savigny gebraucht den Begriff der Rechtsfähigkeit in einem streng rechtstechnischen Sinne und versteht hierunter die formale Stellung des Menschen in der grundsätzlich geeigneten Trägerschaft eines Rechtsverhältnisses. Als solches ist die Rechtsfähigkeit ein Systembegriff bzw. Systemelement des positiven Rechts. Konsequent sieht Savigny in der positivrechtlichen Ausgestaltung eine gestufte bzw. prinzipiell stufbare Rechtsfähigkeit vor. Die Abstufungen selbst sind ähnlich denjenigen des römischen des heutigen Römischen Rechts: „Es ist heutiges Römisches Recht. Dadurch wird ausgeschlossen: erstens die Geschichte der Rechtsinstitute als solche; […] drittens jedes Institut, welches zwar dem Justinianischen Recht angehört, aber aus unsrem Rechtszustand verschwunden ist.“ 241  Savigny, ZGeschRW 1815, 373 (376): „Sie [die historische Schule/Methode, Anm. d. Verf.] will nämlich gerade verhüten, daß man sich von irgend einer Ansicht oder irgend einem System (sey es selbsterfunden oder überliefert) befangen lasse […].“ 242  Savigny, ZGeschRW 1815, 1 (12). 243  Savigny, Beruf, S. 120 (Hervorhebung nicht im Original). 244  Savigny, Beruf, S. 113 (Hervorhebung nicht im Original). 245  Savigny, Beruf, S. 118 (Hervorhebung nicht im Original).

140 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Rechts (z. B. patria potestas), allerdings nicht inhaltlich identisch mit diesen im Sinne einer historischen Verbindlichkeit, sondern als Wiederentdeckung und Weiterentwicklung in der Gegenwart. Ist daneben von dem ursprünglichen Begriff der Person die Rede, wonach jeder einzelne Mensch und nur der einzelne Mensch rechtsfähig sei, betrifft dieser viel zitierte Satz Savignys nicht das positive Recht. Mit dieser Aussage zieht Savigny allein die Verbindungslinie zu der ursprünglichen, allgemein Grundlegung des Rechts in der Sittlichkeit. Dies hindert ihn jedoch nicht an einer positivrechtlichen Ausgestaltung der Rechtsfähigkeit in genannter Weise. 4. Natürliche und juristische Person In das bisher gewonnene Bild fügt sich Savignys Konzeption der juristischen Person („System“. Erstes Buch, §§ 85 ff.) ein. Die Rechtsnatur juristischer Personen zu erklären, gestaltete sich auch für Savigny vor dem Hintergrund, die ursprünglich am Menschen entwickelten Begriffe um Rechtsfähigkeit, Rechtssubjekt und Person auf nicht menschliche Gebilde zu übertragen.246 Savignys Ausgangspunkt bleibt der Satz „[…], und nur der einzelne Mensch, ist rechtsfähig“247. An dieser Grundprämisse hält er fest. Die juristische Person definiert er demgegenüber als ein Subjekt, das durch bloße Fiktion und lediglich zu juristischen Zwecken angenommen werde.248 Ihre Rechtsfähigkeit sei eine ausgedehnte und künstliche.249 Auf diese Weise dieser generellen Problematik vgl. Creutzfeldt, S.  51 ff., 75 f. System II, § 60 S. 2. 248  Savigny, System II, § 85 S. 236. 249  Demgegenüber nimmt die Theorie der realen Verbandspersönlichkeit nach Gierke die juristische Person nicht bloß als fingiertes, sondern als wirklich existierendes Etwas im Sinne eines lebenden Organismus an, in seinem realen Bestand mit dem des Menschen durchaus vergleichbar. Hiernach soll es sich um eine tatsächliche, wenn auch zusammengesetzte Person handeln. Ihr Entstehungsgrund sei nicht der Wille der Staatsgewalt, sondern eine natürliche Rechtsbildung aus der politischsozialen Anlage eines Volkes zu Zusammenschlüssen, so Beseler, S. 235 ff. Fn. 50; zur Theorie der realen Verbandspersönlichkeit siehe HKK/Bähr, Bd. I, §§ 21–79 Rn. 12; kritische Auseinandersetzung mit der gängigen Interpretation der Lehre Savignys als (eine der) Fiktionstheorie(n) und insbesondere als Gegensatz zur Theorie der realen Verbandspersönlichkeit bei Flume, AT 1/2, § 1 S. 3 ff. Savigny sei ebenfalls von einem realen sozialen Gebilde ausgegangen (insofern keine Fiktion), dessen Existenz bzw. Wesen als solches er überhaupt nicht als diskutablen Gegenstand einer juristischen Fragestellung angesehen habe (S. 4 f.). Lediglich dessen Eigenschaft als juristische Person, d. h. die Frage der „privatrechtlichen Eigenschaft als Vermögensfähigkeit“, habe Savigny fingiert (staatliche Konzession als eine „Beglau246  Zu

247  Savigny,



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit141

würde sie aber immerhin als weiterer, eigenständiger Träger von Rechtsverhältnissen neben den einzelnen Menschen treten.250 Die Bestimmung des inhaltlichen Zuschnitts dieser künstlichen Rechtsfähigkeit wird für Savigny erleichtert, indem er erneut das Rechtsverhältnis zum Mittelpunkt seiner Argumentation macht. Juristische Personen würden allein zu dem Zwecke angenommen, um gewissen Rechtsverhältnissen einen Träger jenseits der natürlichen Person geben zu können. Entsprechend folge der Rechtsfähigkeitsumfang aus dem Zuschnitt der betroffenen Rechtsverhältnisse251, d. h. er sei begrenzt auf das Gebiet der Vermögensrechte252. Der besondere Charakter von Familienverhältnissen, die im ursprünglichen Begriff nur auf den Menschen bezogen seien, erlaube demgegenüber eine juristische Behandlung derselben nur in Teilen und auch dann nur mit Bezugnahme auf diesen natürlichen Ursprung des Menschen. Die zusammenfassende Definition Savignys für juristische Personen lautet somit „ein des Vermögens fähiges, künstlich angenommenes Subjekt“253. Zur Bezeichnung dieses künstlichen Gebildes mit dem Begriff der juristischen Person merkt Savigny an: „Ich gebrauche dafür lediglich den Namen der juristischen Person (welcher dann die natürliche Person, das heißt der einzelne Mensch, entgegengesetzt ist), um auszudrücken, daß sie nur durch diesen juristischen Zweck ein Daseyn als Person hat.“254

Im Umkehrschluss dazu könnte in der Begriffsbezeichnung „natürlicher Personen“ ein Hinweis auf deren natürliche Daseinsberechtigung gesehen werden. Immerhin werden sie ausdrücklich als Gegensatz zu juristischen Personen dargestellt. So ist auch an späterer Stelle zu lesen: „Der einzelne Mensch trägt seinen Anspruch auf Rechtsfähigkeit schon in seiner leiblichen Erscheinung mit sich: weit allgemeiner als bei den Römern, deren zahlreiche Sklaven eine so wichtige Ausnahme bildeten. Durch diese Erscheinung weiß jeder Andere, daß er in ihm eigene Rechte zu ehren, jeder Richter, daß er in ihm solche Rechte zu schützen hat. Wird nun die natürliche Rechtsfähigkeit des einzelnen Menschen zur Fiction auf ein ideales Subjekt übertragen, so fehlt jene bigung“ der Rechtsfähigkeit, S. 8, 11, 12 f., 16). Anders Windscheid mit einer „wirklichen Fiktionstheorie“ (S. 16). 250  Savigny, System II, § 85 S. 236. 251  Savigny, System II, § 85 S. 237. 252  Savigny, System II, § 85 S. 238. 253  Savigny, System II, § 85 S. 239. 254  Savigny, System II, § 85 S. 240. Die Formulierung Savignys mag den Anschein erwecken, als habe er den Begriff „juristische Person“ erfunden, was jedoch nicht der Fall ist. Insofern zur Einordnung Savignys in die u. a. begriffsgeschichtliche Genese der juristischen Person vgl. Lipp, M., Quaderni Fiorentini 1982/1983, 217 ff.

142 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit natürliche Beglaubigung gänzlich; nur der Wille der höchsten Gewalt kann dieselbe ersetzten, indem er künstliche Rechtsubjecte schafft […].“255

Im „Anspruch auf Rechtsfähigkeit […] in seiner leiblichen Erscheinung“ findet sich also schon bei Savigny der Hinweis auf den festgestellten Doppelcharakter der Rechtsfähigkeit natürlicher Personen: einerseits die Rechtsfähigkeit als juristisches Element, welches von der Rechtsordnung eingeführt und, insofern ganz positivistisch, ausgestaltet wird256; andererseits ein gewisser Automatismus der Anerkennung beim Menschen, wenn die entsprechende Reaktion der anderen Rechtsteilnehmer auf ihn als Rechtssubjekt so unzweifelhaft gefolgert werden kann. Spricht Savigny ansonsten vor allem von den verschiedenen Stufen der Rechtsfähigkeit, fällt es umso mehr auf, wenn er an dieser Stelle mit einer (zumindest im Ausgangspunkt) einheit­ lichen, allgemeinen Rechtsfähigkeit argumentiert. Gleichwohl dürfen die auf den ersten Blick vielversprechenden Interpretationsansätze über eines nicht hinwegtäuschen: Bei beiden Aussagen stand es gerade nicht im Vordergrund, eine Stellungnahme zur Rechtsfähigkeit natürlicher Personen abzugeben. Im ersten Fall (Erklärung der Termi­ nologie)257 ist der Kontext die Erklärung des Begriffs der juristischen Person an sich, in Abgrenzung zum älteren Ausdruck der moralischen Person. Es ist daher keineswegs zwingend, dass Savigny mit der Wahl seiner Formulierung im Umkehrschluss auch eine Aussage über natürliche Personen machen wollte. Die zweite Aussage258 ergeht anlässlich der Begründung des Konzessionserfordernisses259, und in diesem Sinne geschieht der Hinweis auf die Verknüpfung von leiblicher Erscheinung und Rechtsfähigkeit primär unter dem Aspekt, die vergleichsweise schlecht erkennbare Rechtsfähigkeit juristischer Personen zu betonen. Die Frage nach dem Grund der Rechtsfähigkeit im Menschsein an sich (bei natürlichen Personen) ist dem zwangsläufig vorgeschaltet, wird hier allerdings auch nicht weiter vertieft, genau genommen nicht einmal ausdrücklich beantwortet. Warum die menschliche Erscheinung bzw. das Menschsein Anknüpfungspunkt der Rechtsfähigkeit sein soll – aufgrund des Gebots der Menschenwürde; auf255  Savigny,

System II, § 89 S. 277 f. diesem Kontext – Erfordernis staatlicher Konzession für die Anerkennung als juristische Person – wird dies umso deutlicher. Siehe auch die Formulierung, dass die Rechtsfähigkeit des Menschen „weit allgemeiner“ als bei den Römern (und nicht schlichtweg: „allgemein“) sei, als Hinweis darauf, dass für Savigny die Allgemeinheit in die Hand der Rechtsordnung gelegt ist. 257  Savigny, System II, § 85 S. 239. 258  Savigny, System II, § 89 S. 277. 259  Savigny, System II, § 89 S. 277. Bedürfnis nach Übersichtlichkeit und Rechtssicherheit bei juristischen Personen angesichts ihrer bloß künstlich erzeugten Rechtsfähigkeit. 256  In



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit143

grund (potentieller) Geistestätigkeit als menschliches Charakteristikum – sagt Savigny nicht.

IV. Entstehung und Untergang der Rechtsverhältnisse. Die Handlungsfähigkeit Im dritten Kapitel im „System“ wird unter der Überschrift „Von der Entstehung und dem Untergang der Rechtsverhältnisse“ (§§ 104 ff.) u. a. die Frage der Handlungs- bzw. Geschäftsfähigkeit260 behandelt. Die dortige Darstellung liefert in der Sache wenig Überraschendes, bestätigt vor allem ein weiteres Mal Savignys scharfe Unterscheidung zwischen Rechts- und Handlungsfähigkeit.261 Die den Abschnitt „Entstehung der Rechtsverhältnisse“ insgesamt einleitende Passage enthält dagegen noch einmal eine Erklärung grundsätzlicher Art über erworbene und angeborene Rechte sowie deren potentielles und konkretes Vorliegen. „Es ist schon oben bemerkt worden (§ 52), daß unsre Wissenschaft keine anderen Gegenstände hat, als erworbene Rechte. Dieses hat den Sinn, daß die Rechtsverhältnisse, deren Wesen wir zu erforschen haben, nicht schon in der menschlichen Natur als solcher gegründet, sondern als ihr von außenher kommende Zusätze zu betrachten sind. […] Es würde aber irrig seyn, jene Behauptung auch noch dahin näher bestimmen zu wollen, daß alle Rechte einer Person nur im Laufe ihres Lebens erworben werden könnten; […] so giebt es doch auch viele und wichtige, die unmittelbar mit der Geburt ihren Anfang nehmen, indem sie gerade durch die unter besonderen Umständen erfolgte Geburt begründet werden[…]. Die erworbenen Rechte können daher allerdings auch angeboren seyn.“262

Welche Bedeutung hat es, wenn Savigny an dieser Stelle von erworbenen und angeborenen Rechten spricht? Die Frage stellt sich umso mehr, wenn erneut Savignys Ablehnung des Rechts an der eigenen Person (§ 53) 260  Savigny,

System III, §§ 106–113. System III, § 106 S. 22 Fn. a mit einer Erläuterung der wesentlichen Unterschiede zwischen Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit; Savigny, System III, § 106 S. 23 zum Aufbau des Systems. Die Handlungsfähigkeit wird nicht etwa als Teil des Rechtssubjekts/der Person (Zweites Kapitel), sondern als Teil der Frage nach der Entstehung der Rechtsverhältnisse (Drittes Kapitel) behandelt. Begründet wird dies damit, dass sich Altersstufenbestimmungen im positiven Recht „lediglich auf die Handlungsfähigkeit, nicht auf die Rechtsfähigkeit“ auswirken; ebenso deutlich bereits in Savigny, System I, § 59 S. 398 Fn. h, dass die Vormundschaft nichts mit der Rechtsfähigkeit zu tun habe, sondern ein Ersatz fehlender Handlungsfähigkeit sei. 262  Savigny, System III, § 106 S. 1 f. 261  Savigny,

144 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

herangezogen wird, insbesondere seine dortige Beschreibung derjenigen Ansichten, die ein solches Recht befürworten. Diese würden einerseits – aus Savignys Sicht zu Unrecht – ein sogenanntes Urrecht, „welches mit seiner Geburt nothwendig entsteht“263, und andererseits „erworbene Rechte“264, „welche erst später und zufällig an den Menschen heran kommen“265, annehmen. Nähert sich Savigny, wenn er nun selbst mit einer Kategorie von angeborenen Rechten arbeitet, etwaigen Urrechten in diesem Sinne und damit jenen Ansichten an? Die Frage aufwerfen heißt, sie zu verneinen. Savigny hat auch im vorliegenden Abschnitt die Abgrenzung des Rechtsgebiets von den bloß natürlichen Tatsachen, Umständen und Beziehungen der Lebenswirklichkeit im Blick, wie schon der Verweis auf § 52 zeigt266. Den rechtlichen Regelungsbereich bzw. dessen Gegenstände bezeichnet er allgemein als erworbene Rechte. Das Merkmal „erworben“ bedeutet nichts anderes als „von der Rechtsordnung beigelegt“. Es bildet damit das Gegenstück zum Merkmal „natürlich, nicht rechtlich“, keinesfalls aber das Gegenstück zu einer besonderen Kategorie angeborener Rechte, sodass sich diese Darstellung gerade nicht mit derjenigen in § 53 deckt. Die angeborenen Rechte fallen nun als Untergruppe der erworbenen Rechte zwar in den rechtlichen Regelungsbereich. Es soll sich also auch bei ihnen um echte Rechte handeln – ein Umstand, der beachtlich wäre, könnte man in ihnen eine tiefergehende Bedeutung als Urrechte gerade auch mit Bezug auf die eigene Person sehen267. Dies ist jedoch nicht der Fall. Ihre Besonderheit ist lediglich das Erschöpfen ihrer Tatbestandsmerkmale in der Geburt; sie setzen keinen weiteren Erwerbsakt im Sinne zusätzlicher Handlungen voraus. Ihre Erwähnung kann daher nicht als Nachweis dafür herangezogen werden, Savigny habe einen Grundstock festgelegter, für alle tatsächlich ab Geburt bestehender (Ur)Rechte angenommen, geschweige denn sich damit an ein Urrecht an der eigenen Person angenähert. Unmittelbar im Zusammenhang mit der vorstehenden Aussage über erworbene, dem Menschen seitens der Rechtsordnung beigelegte Rechte äußert sich Savigny zudem wie folgt: 263  Savigny,

System I, § 53 S. 335. System I, § 53 S. 335. 265  Savigny, System I, § 53 S. 335. 266  Savigny, System I, § 52 S. 333 f.: „Allein nicht alle Beziehungen des Menschen zum Menschen gehören dem Rechtsgebiet an, indem sie einer solchen Bestimmung durch Rechtsregeln empfänglich und bedürftig sind.“ 267  Dies war Savignys Hauptargument gegen ein Recht an der eigenen Person, siehe Savigny, System I, § 53 S. 336: Nicht zu bezweifeln sei „rechtmäßige Macht des Menschen über sich selbst und seine Kräfte“. „Allein für jene Macht über uns selbst bedarf es der Anerkennung und Begränzung durch positives Recht nicht […].“ 264  Savigny,



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit145 „Nur die Möglichkeit und das Bedürfniß solcher Rechtsverhältnisse, das heißt der Keim derselben, findet sich gleichmäßig in der Natur jedes Menschen, führt also eine innere Nothwendigkeit mit sich; die Entwicklung jenes Keimes ist das Individuelle und Zufällige, und offenbart diese ihre Natur durch den höchst verschiedenen Umfang, den wir an den Rechten der Einzelnen wahrnehmen.“268

Der Gedanke eines „Rechtsverhältniskeims“ als Möglichkeit deutet auf die Figur der Rechtsfähigkeit in ihrer Potentialität hin. Hierzu passen vor allem die genannten Merkmale, wonach jene Anlage in jedem Menschen gleichmäßig vorhanden sein solle und sich ihre Weiterentwicklung in einem verschiedenen Umfang an konkreten Rechten des Einzelnen äußere. Die Formulierung selbst mag zunächst irritieren, weil sie aus dem Blickwinkel des zu begründenden Rechtsverhältnisses und nicht aus demjenigen des Rechtsträgers erfolgt. Hinter der für jeden Menschen anzunehmenden Möglichkeit, dass ihm ein Rechtsverhältnis / Recht entstehe, verbirgt sich jedoch nichts anderes als die klassische Formel seiner grundsätzlichen Fähigkeit zum Erwerb von Rechten (und Pflichten). Zugleich ist die Rede von einer inneren Notwendigkeit dieses Keims und seiner Anlage „in der Natur“269 des Menschen. Im Zusammenhang mit der erstgenannten Textstelle270 mag dies dazu verleiten, es als „außerrechtlich; nicht dem rechtlichen Bereich zugehörig“ zu übersetzen. Bezogen auch auf die Rechtsfähigkeit – wenn denn ein Hinweis auf sie im Rechtsverhältniskeim gesehen werden soll – würde dies jedoch zu sehr im Widerspruch mit der sonstigen Haltung Savignys stehen. Denn Savigny definiert die Rechtsfähigkeit als Rechtsverhältnisträgerschaft und ordnet sie als solche unzweifelhaft den rechtlichen Instituten zu.271 Stattdessen deutet die Formulierung „in der Natur“ nur an, dass Savigny die an sich klar rechtliche Figur der Rechtsfähigkeit hinsichtlich ihrer Begründung in die originär menschliche, nicht-rechtliche und damit sittliche Natur des Menschen hineinreichen bzw. in ihr wurzeln lässt. Insofern kann die Aussage auch im Sinne von Savignys objektivem Idealismus272 als „im Wesen der Dinge selbst liegend“ und damit als „nicht willkürlich“ verstanden werden. Dies wiederum ist nicht zwangsläufig mit „außerrechtlich“ gleichzusetzen. 268  Savigny,

System III, § 106 S. 1. System III, § 106 S. 1. 270  Savigny, System III, § 106 S. 1 f. 271  An anderer Stelle (Savigny, System II, Beilage VI S. 487), an der Savigny ebenfalls die Rechtsfähigkeit ausdrücklich von „erworbenen Rechten“ unterscheidet, geht es ausschließlich um die Abgrenzung derselben zu konkreten (und nur insofern „erworbenen“) Rechten. Dieser mehrdeutige Gebrauch des Ausdrucks „erworbene Rechte“ ist zugleich ein weiterer Beleg dafür, dass keine tiefergehenden Rückschlüsse aus einem Vergleich der vorliegenden Textstelle mit derjenigen aus § 53 gezogen werden können. 272  Hierzu ausführlich Rückert, S. 304 f., 307. 269  Savigny,

146 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

V. Weitere Schriften Savignys 1. Manuskripte zu Pandektenvorlesungen In den schriftlichen Aufzeichnungen zur Pandektenvorlesung 1813 / 1814 („Anmerkung zur Einleitung zu den Pandekten“) ist der Aufbau der Veranstaltung angegeben mit „1. Classifikation der Rechte § 38. 2. Subjecte der Rechte (Status p.) § 64–89. Handlungsfähigkeit: a) eigene Handlung – remissiv: Frauen, Pupille und Minderjährige, Wahnsinnige und Verschwender. b) Repräsentanten § 31. 32.“273

Die Betrachtungen zur Person als Rechtssubjekt werden also in diesem Rahmen auf die Handlungsfähigkeit beschränkt oder zumindest auf diese konzentriert.274 Dies ist an sich sachlich gerechtfertigt, sofern man die Handlungsfähigkeit als eines der Merkmale eines Rechtssubjekts betrachtet. Die vorliegende Einteilung – speziell unter der in Klammern gesetzten Überschrift „Status p.“275 – stimmt allerdings mit den späteren Ausführungen im „System“ insofern nicht überein, als dort der Ausdruck status als Einteilung der Rechtsfähigkeit verstanden, diese aber streng von der Handlungsfähigkeit getrennt wird. Werden im Übrigen neben den klassischen Fällen fehlender / beschränkter Handlungsfähigkeit (Kinder, Geistesschwäche) auch Frauen aufgeführt, stuft Savigny deren Beschränkungen offensichtlich nicht als Beschränkungen der Rechtsfähigkeit ein. Was dies betrifft, geht er also von einer geschlechtsunspezifischen Rechtsfähigkeit aus. Ein weiteres Manuskript zum Allgemeinen Teil des Obligationenrechts enthält die Übersicht: „§ 37. Allgemeine Grundsätze 1. Wer kann Subject einer obligatio seyn? Jeder Rechtsfähige überhaupt, – […]. 273  Savigny,

Vorlesungen juristische Methodologie, S. 192. Vorlesungen juristische Methodologie, S. 192 mit Hinweisen auf eine bewusste Stoffreduktion insgesamt. Der allgemeine Teil sollte möglichst beschränkt gehalten werden, weil vieles nicht zum Charakteristikum des Römischen Rechts gehöre (so aber bei Heise) und vieles im Sachen- oder Obligationenrecht erwähnt werde; das Genannte sollte sich daher reduzieren auf Herausgehobenes als einleitender Allgemeiner Teil. 275  Savigny, Vorlesungen juristische Methodologie, S. 192. 274  Savigny,



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit147 [2. Wer kann Subject einer Obligation werden? Deutlicher bey § 66 darzustellen (Beyspiel)]“276 „§ 66. Von den pacisirenden Personen „Hier die allgemeine Frage (§ 37 ausgesetzt): wer kann Subject einer Obligation werden? D. h. wer ist der verschiedenen Entstehungsgründe fähig? (Unterschied von der Frage: wer kann es seyn?) […]“277

Die Unterscheidung zwischen Sein und Werden ist nicht als eine rein zeitliche Strukturierung der Rechte zu verstehen, im Sinne von angeborenen („seyn“) und hinzu erworbenen („werden“) Obligationen. Durch den Bezug zur Rechtsfähigkeit bezeichnet das „seyn“ vielmehr die grundsätzliche Fähigkeit zum Obligationensubjekt. Als Pendant gelesen kann somit das „werden“ nur das Subjektwerden einer konkreten Obligation bedeuten.278 Die anschließende Auflistung der Unfähigkeitsgründe des „Werdens“ (§ 66) enthält allerdings insofern Überraschendes, als hier neben physischer Unfähigkeit (Minderjährigkeit) auch die juristische Unfähigkeit infolge der Abhängigkeit von fremder Gewalt genannt wird. Allen voran wird dabei auf die alt-römischen Verhältnisse von Sklave / Herr und Sohn / Vater verwiesen279, bei denen die Sklaven bzw. Söhne die Rechte für den Herrn bzw. Vater erwarben, also zu einem Rechtserwerb in eigner Person unfähig waren. Die Zuordnung jener Fälle zur Frage des Subjekt-Werdens (Handlungsunfähigkeit) impliziert an sich im Umkehrschluss zu § 37 Nr. 1 eine grundsätzliche Rechtsfähigkeit des Sklaven / des Sohnes. Dies irritiert zumindest hinsichtlich des Sklaven und würde auch im Widerspruch zu Savignys eigenen Ausführungen im späteren „System“ stehen, wo er die alt-römischen Gewaltverhältnisse als Frage beschränkter Rechtsfähigkeit diskutiert. Realistisch betrachtet rechtfertigt dies jedoch kaum Spekulationen dahingehend, ob dem eine Inkonsequenz oder gar ein gewandelter Rechtsfähigkeitsbegriff seitens Savigny zugrunde liegt. Eine augenfällige Begründung liegt vielmehr erneut in den Schwierigkeiten bei der Qualifikation alt-römischer Gewaltverhältnisse nach modernen Maßstäben sowie in deren Einordnung in spätere Rechtsdogmatik.

276  Savigny,

Pandekten, S. 171. Pandekten, S. 235. 278  Wenn auch die allgemeine Formulierung zu § 66 („Wer ist der verschiedenen Entstehungsgründe fähig?“) für sich genommen als Beschreibung einer abstrakten Fähigkeit im Sinne von Rechtsfähigkeit sein könnte, so geht es hierbei doch um die Erfüllung von Entstehungsvoraussetzungen im Einzelnen; vgl. hierzu Savigny, Pandekten, S. 235 mit einer Beschreibung der so erwähnten „Entstehungsgründe“ und ihrer verschiedenen Arten (durch eigenen Willen, ohne eigenen Willen); hierbei handelt es sich um konkrete Erwerbsvoraussetzungen. 279  Savigny, Pandekten, S. 236 ff. 277  Savigny,

148 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

2. „Stimmen für und wider neue Gesetzbücher“ (1816) Viel beachtet ist zudem eine Aussage Savignys aus dem Beitrag „Stimmen für und wider neue Gesetzbücher“280 zur Behandlung der Juden nach deutschem Recht. Kontext ist die Analyse einzelner Kodifikationsbefürworter (Thibaut, Feuerbach, Pfeiffer). Konkret betrifft es die „Ideen zu einer neuen Civilgesetzgebung für Teutsche Staaten“ von Pfeiffer281, der die Abschaffung aller bisherigen Rechtsquellen, auch des Gewohnheitsrechts, und deren Ersetzung durch ein neues Gesetzbuch282 vorschlägt. Anhand einiger ausgewählter Beispiele aus der vorgeschlagenen neuen Gesetzgebung erläutert Savigny seine generelle Einschätzung, ein solches Vorhaben, der Glaube an dessen Gelingen und die eigenen Fähigkeiten dazu seien eine politische, religiöse und sittliche Verirrung infolge von Aufklärung und Revolution.283 Unter anderem verwirft Pfeiffer die Unterscheidung und Ungleichbehandlung von Einheimischen und Fremden, in erster Linie von Christen und Juden („Überrest von Barbaren“284). Savigny erklärt Pfeiffers Kritik mit einem zwiegespaltenen Verhältnis zum Begriff des Bürgers. Der „Bürger“ sei Pfeiffer wie vielen anderen auch verloren gegangen und man wolle nur noch von Menschen und Untertanen wissen285 – ausgelöst durch „eine mißverstandene, übel angewendete Humanität“286, aber auch forciert durch die Regierungen, denen der passive, gleichförmige Untertanenbegriff angenehmer sei als derjenige des Bürgers.287 Er selbst spricht sich für ein Festhalten am Bürger aus, weil nur durch ihn ein gesunder Staat bestehen könne.288 Zwangsläufige Folge dieser Kategorisierung sei allerdings die Aufstellung sichtbarer Grenzen zwischen Bürgern und Fremden. Insofern lenkt Savigny selbst ein; Härte und Unmenschlichkeit würden freilich in keinem Fall geduldet, und auch in Rom hätten die Peregrinen nicht totgeschlagen werden dürfen. Jedoch sei eine Vernichtung jeglicher Grenzen zu weitgehend und „ganz unnatürlich“289. 280  Savigny,

281  Burkhard

ZGeschRW 1817, 1 ff. Wilhelm Pfeiffer (1777–1852), kurfürstlicher hessischer Regierungs-

rat zu Kassel. 282  Dieses sollte allein allgemeine und positive, nicht schon naturrechtliche Grundsätze enthalten und vor allem vollständig sein, siehe Savigny, ZGeschRW 1817, 1 (18). 283  Savigny, ZGeschRW 1817, 1 (20 ff.). 284  Zitiert nach Savigny, ZGeschRW 1817, 1 (22). 285  Savigny, ZGeschRW 1817, 1 (23). 286  Savigny, ZGeschRW 1817, 1 (23). 287  Savigny, ZGeschRW 1817, 1 (23). 288  Savigny, ZGeschRW 1817, 1 (23). 289  Savigny, ZGeschRW 1817, 1 (23).



A. Savigny – Konzeptionell gestufter Begriff von Rechtsfähigkeit149 „Vollends die Juden sind und bleiben uns ihrem inneren Wesen nach Fremdlinge, und dieses zu verkennen konnte uns nur die unglückseligste Verwirrung politischer Begriffe verleiten; nicht zu gedenken, daß diese bürgerliche und politische Gleichstellung, so menschenfreundlich sie gemeynt seyn mag, dem Erfolg nach nichts weniger als wohlthätig ist, indem sie nur dazu dienen kann, die unglückselige Nationalexistenz der Juden zu erhalten und wo möglich noch auszubreiten.“290

Ließe sich dieser Abschnitt auf die generelle Behandlung von Einheimischen und Fremden im Verhältnis zueinander beziehen, wäre damit eine Frage des Internationalen Privatrechts angesprochen. In dieser Hinsicht ist Savignys Haltung an sich sehr fortschrittlich.291 Insbesondere verfährt er sehr großzügig in der Anerkennung der Rechtsfähigkeit von Ausländern.292 Allerdings geht es in den Betrachtungen Pfeiffers, entsprechend auch in denjenigen Savignys doch speziell nur um die (innerdeutsche) Rechtsstellung von Juden im Verhältnis zu Christen. Spricht sich Savigny für die Beibehaltung der für Juden geltenden Beschränkungen aus, steht dahinter zunächst einmal kein für die damalige Zeit ungewöhnlicher Antisemitismus. Zwar ist die Rede von einer Fremd- und Verschiedenheit im innersten Wesen. Andererseits scheint er die Gleichstellung der Juden nicht aus primär menschlichen, rassistischen bzw. religiösen Gründen, sondern vor allem aufgrund politischer, nationalstaatlicher Überlegungen abzulehnen. Zudem ist nicht eindeutig, ob Savigny jene Beschränkungen überhaupt als Angelegenheit der Rechtsfähigkeit wertet; immerhin spricht er an dieser Stelle lediglich von Gleichbehandlung und Ungleichbehandlung.293 Im „System“ behandelt er allerdings die Fälle jüdischer Rechtsstellung unter dem Kapitel „Einschränkung der Rechtsfähigkeit durch Religion“ (§ 84).294 Unabhängig davon, ob Savignys ablehnende Haltung zur Judenemanzi­ pation eine unmittelbare Aussage zur Rechtsfähigkeit enthält oder nicht, wird sie regelmäßig als Zeichen für seine zumindest anti-liberale Grundhaltung in verfassungsrechtlicher Hinsicht genannt.295 Zugleich wird betont, 290  Savigny,

ZGeschRW 1817, 1 (23 f.). System VIII, § 348 S. 25 ff. 292  Savigny, System VIII, § 348 S. 25: „Das heutige Recht dagegen hat allmälig zur Anerkennung vollständiger Rechtsgleichheit zwischen Einheimischen und Fremden hingeführt.“; ebenso S. 37 zur Bewertung von bürgerlichem Tod und Sklaverei als „Rechtsinstitute eines fremden Staates, deren Dasein in dem unsrigen überhaupt nicht anerkannt“ bzw. im Falle der Sklaverei sogar unsittlich ist, sodass sie vom Grundsatz der Anwendung ausländischen Rechts ausgenommen werden. 293  Ebenso Savigny, System VIII, § 348 S. 36 f. Das Gesetz, das Juden den Erwerb von Grundeigentum verbietet, wird einer anderen Klasse zugeordnet als diejenigen ausländischen Gesetze, in denen es um bürgerlichen Tod oder Sklaverei geht. 294  Savigny, System II, § 84 S. 233 f. 295  Deutlich zu sehen an der Favorisierung des Begriffs „Bürger“ gegenüber „Mensch“. Offensichtlich stellt sich Savigny gegen allzu egalisierende Tendenzen, wenn auch nur im Jargon. 291  Savigny,

150 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

die Umsetzung des Prinzips der allgemeinen Rechtsfähigkeit habe bestimmte politisch-verfassungsrechtliche Entscheidungen (Abschaffung der Ständeordnung, Bauernbefreiung, Judenemanzipation) vorausgesetzt. Entsprechend, so teilweise die Schlussfolgerung, sei auch Savignys Bekenntnis zur allgemeinen Rechtsfähigkeit weit weniger bedeutsam gewesen, als mitunter proklamiert werde.296

VI. Ergebnis: „Allgemeine Rechtsfähigkeit“ bei Savigny „Rechtsfähigkeit“ und „Person“ sind für Savigny Rechtsbegriffe. Damit folgen sie in Ausgestaltung und Verwendung primär rechtlichen Prinzipien, weisen aber eine sittliche Grundlage auf. Konkret sind sie die Ordnungsgrößen zur Bestimmung der Rechtsposition des Einzelnen. Die „allgemeine Rechtsfähigkeit“ ist Ausgangsbegriff bzw. Ausgangsform. Der Konzeption nach handelt es sich bei der Rechtsfähigkeit um eine prinzipiell gestufte bzw. stufbare Rechtskonstruktion, die im Einzelnen positivrechtlicher Ausgestaltung zugänglich ist. Die allgemeine, vollumfängliche Rechtsfähigkeit ist daher die Bemessungsgrundlage, von der ausgehend die Fälle geminderter Rechtsfähigkeit zu bestimmen sind; sie ist jedoch keine ausschließliche, abstrakte Größe. Dass Savigny im Ergebnis die meisten Fallgruppen geminderter Rechtsfähigkeit für das geltende Recht verneint, ändert nichts an der grundsätzlichen Konzeption gestufter Begrifflichkeiten. Nach Savigny ist damit nicht zu sagen: Jeder Mensch hat allgemeine Rechtsfähigkeit, sondern: In jedem Menschen liegt die Möglichkeit allgemeiner Rechtsfähigkeit (weil Anknüpfungspunkt des gesamten Rechts die sittliche, jedem einzelnen Menschen innewohnende Freiheit ist); er hat die allgemeine Rechtsfähigkeit selbst aber nicht prinzipiell, sondern nur nach Maßgabe positivrechtlicher Ausgestaltung. Die Rechtsfähigkeit bei Savigny beschränkt sich auf die formale Bestimmung der Rechtsposition des Einzelnen, gemäß seiner jeweiligen Fähigkeit bezüglich allgemeiner Rechte und Pflichten. Sie begründet weder materielle Rechtspositionen unmittelbar selbst noch bringt Savigny solche Rechtspositionen, die zumindest thematisch naheliegend wären, überhaupt mit ihr in weitere Verbindung. Dies betrifft insbesondere die kategorische Ablehnung von Rechten an der eigenen Person. So gesehen ist die Figur der Rechts­ fähigkeit bei Savigny zwar ethisch fundiert, dadurch aber nicht materiellinhaltlich aufgeladen.

296  Schröder, Quaderni Fiorentini 1980, S. 343 (344): „[…] kann man in ihm kaum einen liberalen Vorkämpfer der allgemeinen Rechtsfähigkeit sehen“.



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht151

B. Georg Friedrich Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht I. Grundlagen in Puchtas Rechts- und Personenbegriff 1. Freiheit und Wille als Ausgangspunkte Puchta geht von einer zweigliedrigen Natur des Menschen aus. Einerseits sei er ein Naturwesen, durch Naturnotwendigkeiten gebunden und mit der Erkenntnismöglichkeit der Vernunft versehen297; andererseits sei er ein geistiges Wesen298. Die zweite, geistige Seite beinhalte im Wesentlichen die Möglichkeit, sich selbst zu etwas zu bestimmen, und sei damit nichts anderes als die Freiheit des Menschen.299 „In der Freiheit können zwey Elemente ihrer Wirksamkeit unterschieden werden: die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten, die sich dem Geiste darbieten, und der Wille, die Richtung des Geistes auf das Gewählte. Beides aber ist derselbe Act, nur von verschiedenen Seiten betrachtet, daher wir die Freiheit als Möglichkeit einer Wahl, oder eines Willens bestimmen können.“300

Unter entsprechender Berücksichtigung der anderen, der natürlichen Seite kommt Puchta in abstrakter und formeller Hinsicht zu einer „durch Nothwendigkeit gebundene[n], beschränkte[n], eine[r] endliche[n] Frei­ heit“301 des Menschen. Die Bindung durch Naturnotwendigkeiten mache jedoch noch nicht die innere Richtung der menschlichen Freiheit aus, sondern sei lediglich eine von außen kommende Schranke. Der Inhalt an sich definiere sich vielmehr nach dem Etwas, wozu sich der Mensch bestimmen könne.302 Dieses wiederum entwickelt Puchta unter Rückgriff auf die Existenz eines gött297  Puchta, Brief an Savigny v. 19.10.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 227 (1). Vernunft als das Vermögen, das Notwendige als solches zu erkennen. Auf der natürlichen Wesensseite bestehe eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier; ein Unterschied bestehe aber auch insoweit, als dass die menschliche Vernunft eine vollkommene sei. Denn der Mensch gehe nicht in der Notwendigkeit auf, sondern stehe ihr auch als Geist (2. Wesensseite) gegenüber und könne die Notwendigkeit dadurch erkennen. Bei Tieren bestehe nur Instinkt (kein Erkennen der Notwendigkeit). 298  Puchta, Brief an Savigny v. 19.10.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 227 (1). In dieser Hinsicht bestehe eine Ähnlichkeit des Menschen zu Gott. 299  Puchta, Brief an Savigny v. 19.10.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 227 (1). Entsprechend sei der Geist (als Erkenntnismöglichkeit) das Vermögen, das Freie zu erkennen, bzw. das Vermögen der Freiheit selbst. 300  Puchta, Cursus I, S. 6 f. 301  Puchta, Cursus I, S. 3; siehe auch Puchta, Brief an Savigny v. 19.10.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 227 (1, 2). 302  Puchta, Cursus I, S. 7.

152 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

lichen Willens. Dem Menschen sei die Freiheit gegeben, um durch freie Bestimmung den Willen Gottes auszuführen, indem er die Wahl habe, sich entweder der Herrschaft Gottes zu unterwerfen oder einer ungöttlichen Lust zu unterfallen. Nur der freiwillige, d. h. ohne äußere Notwendigkeit erzwungene, auf Geist und Willen beruhende Gehorsam gegen Gott sei jedoch wirkliche Freiheit.303 Infolgedessen gelte für den konkreten, materiellen Begriff der Freiheit: „[…] sie ist die Wahl zwischen Gutem und Bösem.“304

2. Rechtliche Freiheit Ausgehend von der so beschriebenen Freiheit im allgemeinen Sinne, nähert sich Puchta den Fragen des Rechts. Denn Freiheit sei das Fundament des Rechts und alle Rechtsverhältnisse seien nur Ausfluss derselben.305 Als erste Konsequenz in spezifisch rechtlicher Hinsicht (rechtliche Freiheit) wird die Subjekteigenschaft des Menschen genannt. „Vermöge der Freiheit ist der Mensch Subject des Rechts. […] Der Mensch ist Subject des Rechts darum, daß ihm jene Möglichkeit, sich zu bestimmen, zukommt, daß er einen Willen hat.“306

Das entscheidende Element der rechtlichen Freiheit sei allerdings die Wahlmöglichkeit als solche; allein auf sie komme es an. Auf diese Weise gelangt auch Puchta zur Abgrenzung von Recht und Moral. Anders als bei der Moral (moralische Freiheit) sei307 der Mensch nicht erst durch Betätigung des Willens in einer bestimmten gewünschten Weise, nämlich durch 303  Puchta, Cursus I, S. 7 f.; Puchta, Brief an Savigny v. 19.10.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 227 (1, 2). 304  Puchta, Cursus I, S. 9; siehe auch Puchta, Brief an Savigny v. 19.10.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 227 (2). 305  Puchta, Cursus I, S. 4; Puchta, Brief an Savigny v. 19.10.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 227 (2). Die Begründung des Rechts aus der menschlichen Freiheit hat nach Puchta, Cursus I, S. 5 f. zugleich zur Konsequenz, dass es sich nicht (auch) aus der Vernunft ableiten lasse (insofern Kritik an einigen philosophischen Modellen). Recht und Vernunft sind für Puchta Gegenbegriffe; denn vernünftig sei nur das Notwendige und infolgedessen müsse nach der Vernunft das Gute notwendig geschehen. Die Freiheit als Möglichkeit auch zum Bösen stünde ihr damit gerade entgegen. Es sei lediglich ein Einfluss der Vernunft dahingehend anzuerkennen, dass der menschliche Geist infolge der Naturwesen-Eigenschaft beschränkt sei und die Vernunft ihn diese Schranke erkennen lasse („vernünftige Freiheit“). 306  Puchta, Cursus I, S. 9. 307  Insofern ist die Formulierung „Der Mensch ist Subjekt/berechtigtes Wesen […]“ zutreffender als die Formulierung „Der Mensch wird Subjekt/berechtigtes Wesen durch […]“, da die Wahl-Möglichkeit bzw. der Wille als Potenz von Anfang an



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht153

den gottgefälligen Gebrauch der Freiheit, ein rechtlich berechtigtes Wesen. Das Recht interessiere sich ausschließlich für den Willen selbst als Potenz, von Entscheidungsinhalt und Gottesunterwerfung unabhängig308, und der Mensch sei Rechtssubjekt, weil er Willenssubjekt in diesem Sinne sei.309 Einer solchen Selbstständigkeit des Rechts gegenüber Sittlichkeit und Religion setzt Puchta dort eine Grenze, wo das Recht andernfalls zum Beförderer von Unsittlichkeit würde. Recht müsse Unsittlichkeit zwar nicht verhindern; so gesehen könne ein rechtlicher Akt durchaus ein unmoralischer und nichtsdestotrotz ein rechtlicher sein.310 Es dürfe der Unsittlichkeit aber keine „unterstützende Hand“311 bieten.312 Diese Art der Grenzziehung ist für Puchta gerade auch bei der Ausgestaltung des Personenbegriffs bedeutsam. Das zeigt sich u. a. dort, wo er Sklaverei und eine rechtliche Gleichstellung von Mensch und Tier ablehnt und zur Begründung auf die göttliche Ordnung und christliche Vorstellungen zurückgreift bzw. zurückgreifen muss.313 3. Ethische Grundlagen Puchtas Argumentation ist durch ein Nebeneinander sowohl göttlicher als auch objektiver Wertmaßstäbe geprägt.314 Infolgedessen wird die theologische Fundierung seines (Rechts)Denkens unterschiedlich gewichtet, z. T. auch verneint. Entsprechend uneinheitlich fällt die Bewertung aus, ob Puchtas Personenbegriff stärker ethisch oder positivrechtlich geprägt ist. besteht und nicht erst (wie die Entscheidung selbst) noch in Angriff genommen werden muss. 308  Puchta, Cursus I, S. 9; Puchta, Brief an Savigny v. 19.10.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 227 (2). 309  Entsprechend die Definition von Recht nach Puchta, Cursus I, S. 12: „Das Recht ist sonach die Anerkennung der rechtlichen Freiheit […]. Es ist selbst ein Wille, zunächst Gottes, sodann der Gesamtheit von Menschen, die durch dasselbe verbunden sind, ein Wille, der auf Anerkennung der Person und ihres Willens gerichtet ist.“ 310  Puchta, Brief an Savigny v. 19.10.1839, Werkmanuskripte System Ms. 925/11, Bl. 227 (2), wonach ein rechtlicher Akt ein unmoralischer, aber nichtsdestotrotz ein rechtlicher sein kann. 311  Puchta, Vorlesungen I, S. 52. 312  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 33.; Puchta, Vorlesungen I, S. 52. 313  Hierzu im Einzelnen siehe Kapitel 3, B. II. 3. d) aa). 314  Beispielhaft auch Puchtas Begründung des Rechts mit einem göttlichen Willen einerseits und einem nationalen Volksgeist-Willen als Normsetzer andererseits, so in Puchta, Cursus I, S. 23: „[…] das Recht ist eine göttliche Ordnung, die dem Menschen gegeben, die von seinem Bewusstseyn aufgenommen worden ist.“ Ebenso in Puchta, Cursus I, S. 29: „[…] der Ursprung des Rechts liegt außerhalb des Staats, und zwar nicht bloß in Beziehung auf seine übernatürliche Entstehung durch Gottes Gebot, sondern auch auf seine natürliche durch den nationalen Willen.“

154 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Eine ethische Qualität wird vorwiegend von Larenz gesehen. Ihm zufolge steht der aus der Rechtsphilosophie (a priori) stammende Kantische Freiheitsbegriff an höchster Stelle in Puchtas Begriffspyramide („die Spitze der Begriffspyramide an dem Firmament der Ethik aufgehängt“315). Aus diesem leite Puchta den Begriff des Rechtssubjekts als einer Person im ethischen Sinne und ferner den des subjektiven Rechts ab (Abstieg „von dort in die Niederungen des positiven Rechts“316). Nach Larenz ist demzufolge die Person bei Puchta zwar ein Rechtsbegriff. In deren Inhalt werde aber etwas aus dem ethischen Sinn dieser Begriffe mitgedacht bzw. Puchta habe das Rechtssubjekt nicht nur als formalen Bezugspunkt und reinen Relationsbegriff verstanden, sondern ihm auch inhaltliche Qualitäten zugeschrieben.317 Allerdings beschränkt Larenz den unmittelbaren philosophischen Einfluss in Puchtas System tatsächlich nur auf die Bestimmung des obersten Begriffs der rechtlichen Freiheit. Die logisch-deduktive Bildung der nachfolgenden Begriffe (also auch von Person und Rechtssubjekt) folge dagegen keiner idealistischen Philosophie (Kant), sondern dem Rationalismus des 18. Jahrhunderts (Christian Wolff).318 Mecke betont die ethische Grundlage in Puchtas Rechtsbegriff als spezifisch theologisch und sieht in dieser Hinsicht gerade ein Abweichen zu Kant. Zutreffend sei, dass Puchta an der Kantischen Philosophie anknüpfe, indem er dem Begründungszusammenhang von sittlicher Autonomie des Einzelnen und der grundsätzlichen Rechtsstellung als Person folge. Er weiche aber von der Philosophie des Idealismus an der Stelle ab, wo er die sittliche Autonomie nicht aus der Vernunft, sondern aus dem Geist im Sinne einer Gottesähnlichkeit begründe.319 Zu einem gegensätzlichen Ergebnis kommt Schikorski.320 Insbesondere im Vergleich zu Savigny sieht er bei Puchta eine Abkehr von der theologischen Begründung und ein Überwiegen an Rechtspositivismus. Entscheidend sei Puchtas Differenzierung zwischen einer wirklichen, moralischen Freiheit im Sinne eines gottgefälligen Verhaltens und einer rechtlichen 315  Larenz,

Methodenlehre, S. 22. Methodenlehre, S. 22; speziell gegen diesen von Larenz angenommenen pyramidenhaften Aufbau siehe Henkel, S. 52 f. Puchtas System der Rechte stelle sich vielmehr als Kreis dar mit einem gleichbleibenden ethischen Gehalt sämtlicher Rechte, die sich lediglich hinsichtlich ihres Gegenstands unterscheiden. 317  Larenz, Methodenlehre, S. 22 f., 30 f. Die ethische Grundlage in Puchtas Personenbegriff werde vor allem deutlich im Vergleich zu Windscheid. Bei Puchta stehe im Vordergrund die Fähigkeit der Person, ihre sittliche Freiheit (d. h. sich als Person) mittels ihrer Befugnis über ein Objekt zu verwirklichen. Bei Windscheid sei der Wille kein ethischer, sondern ein rein psychologischer und der Gedanke der Selbstverwirklichung stehe nur noch irgendwie im Hintergrund. 318  Larenz, Methodenlehre, S. 22. 319  Mecke, S.  516 f. 320  Schikorski, S.  62 ff. 316  Larenz,



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht155

Freiheit im Sinne einer ergebnisunabhängigen Entscheidungsmöglichkeit.321 Mit dieser Gegenüberstellung löse Puchta das Wesen des Rechts und den Grund menschlicher Personalität / Rechtssubjektivität von sittlichen Inhalten ab und lege sie auf den empirisch-psychologischen Tatbestand einer formalen Entscheidungsfreiheit fest (autonomer, weil psychologischer Freiheitsbegriff).322 Seine „massiv vorgeschaltete[…] Theologie“323 nehme Puchta selbst nicht so ernst, wie es zunächst den Anschein habe. Zumindest folge aus ihr keine religiöse Grundlegung seiner positiven Rechts- und Personenlehre und könne es aufgrund seiner strikten Trennung von sittlicher und rechtlicher Freiheit auch nie.324 Eine dennoch normative Ausrichtung des „scheinbar ganz wertindifferente[n] Freiheitsbegriff[s]“325 Puchtas erfolge sodann nicht durch Gott oder durch Moral (so noch bei Savingy), sondern durch die absolute Wertungshoheit des objektiven Rechts326, mit dem allgemeinen Willen des Volkes (Volksgeist) als Normautor.327 Der ursprünglich voluntative Personenbegriff werde zu einem rein rechtlichen, rechtspositivistischen Begriff. Sein Inhalt und seine Funktion würden sich damit bei Puchta auf die Bezeichnung von Rechtssubjektivität beschränken, und nur als ein solches Rechtssubjekt sei der Mensch für ihn Person.328 Aber auch auf diese Weise – mittels Begründung über das objektive Recht, den allgemeinen Willen, den Volksgeist – könne Puchta noch immer nicht den Grund für die Rechtssubjektivität des Menschen und insoweit für sein Personsein erklären, denn auch der allgemeine Wille enthalte kein richtungsweisendes 321  Ebenso Haferkamp, Puchta, S. 444. Puchtas rechtliche Freiheit sei die Entscheidung entweder zum Guten oder zum Bösen, ohne dabei sittlichen Bindungen zu unterliegen. Daher fehle es bei Puchtas Rechtsbegriff an der ethischen Aufladung, die Larenz ihm zuschreibe. 322  Schikorski, S.  62 f. 323  Schikorski, S. 63. 324  Schikorski, S. 63. 325  Schikorski, S. 65. 326  Schikorski, S.  66 f. 327  Zum Erfordernis zweifacher Subjektivität siehe Schikorski, S. 67 f. und sein diesbezüglicher Verweis auf Puchta, Gewohnheitsrecht I, S. 139, 140 (Schikorski, S. 67 Fn. 103). Sei bei Savigny Gott das Subjekt des sittlichen Normensystems gewesen, so werde bei Puchta der allgemeine Wille als Subjekt des rechtlichen Normensystems relevant. Träger dieses allgemeinen Willens, d. h. Subjekt des allgemeinen Willens selbst wiederum, sei das Volk, der Volksgeist. 328  Schikorski, S. 66 f. Die vorrechtliche, natürliche Subjektivität (psychologische Willensfreiheit ohne inhaltliche Vorgabe) erhalte erst mittels Ausrichtung durch das objektive Recht ihren Gegenstand und werde erst dadurch als Subjektivität tatsächlich wirksam. Der Mensch sei daher nach Puchta (im Gegensatz zu Savigny), Rechtssubjekt, nicht weil er Subjekt sei, sondern Subjekt, weil er Rechtssubjekt sei. Damit aber seien alle Personen nur juristische Personen im Sinne ausschließlicher Produkte des Rechts.

156 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Wertelement.329 Deshalb behalte Puchta einen Hinweis auf Gott grundsätzlich bei, indem er den Staat in seinem Ursprung als etwas von Gott Gegebenes bezeichne.330 Allerdings hält es Schikorski nicht für gerechtfertigt, allein aus diesem Umstand eine (letztendlich doch) theologische Begründung von Puchtas gesamtem Rechtsdenken abzuleiten. Denn insofern handele es sich nur um eine nicht aktualisierte göttliche Grundlage; die Bildung und Entwicklung der Staaten und ihrer Rechtssysteme im Einzelnen habe Gott, so Puchta, dem Menschen in seiner Freiheit überlassen.331 Die Unabhängigkeit des Rechts von einem gottgefälligen Gebrauch der (Entscheidungs)Freiheit kann in der Tat nicht ignoriert werden, wenn es darum geht, die Frage nach einer ethischen oder sogar theologischen Grundlage in Puchtas Rechtsdenken zu beantworten. Allerdings wertet Puchta diese Unabhängigkeit als inhaltliche Angelegenheit; das „zu Was“ der ausgeübten Entscheidung soll ausschließlich den Inhalt der Freiheit betreffen.332 Dagegen legt er den Grund der Freiheit, d. h. warum der Mensch Freiheit, Wahlmöglichkeit und Selbstbestimmung überhaupt besitzt, in dessen Eigenschaft als geistiges Wesen.333 Der zweite, natürliche Wesenszug wirkt in diese Frage zwar auch hinein und führt zur Komponente der Notwendigkeit. Die Notwendigkeit tritt jedoch erst als äußere Grenze der Freiheit auf und wird in dieser regulierenden Funktion zugleich als Bestandteil des Rechts angesehen.334 Damit bestehen nach Puchta sowohl das Recht als auch die Moral aus den Komponenten der Notwendigkeit und des Geistes, und der Geist tritt in der Moral als Freiheit mit inhaltlicher Bindung, im Recht als Freiheit ohne inhaltliche Bindung auf. Die Eigenschaft des Menschen als (auch) geistiges Wesen begründet Puchta wiederum – und dies ist das Entscheidende – aus dessen Gottesähnlichkeit.335 Dass der Mensch rechtlich frei ist, wird also letztlich theologisch (im weiteren Sinne) begründet; lediglich wie er frei ist, d. h. wie er die Freiheit ausübt, kann als autark bezeichnet werden. Schikorskis Hauptargument, Puchta vertrete eine ergebnisoffene, 329  Schikorski, S. 64 f., 69 ff. Puchta könne nicht erklären, warum gerade der psychologische Tatbestand des freien Willens und nicht ein anderes anthropologisches Phänomen (aufrechter Gang o. ä.) das entscheidende personenbildende Kriterium sein solle. 330  Schikorski, S. 71. 331  Schikorski, S. 71. 332  Puchta, Cursus I, S. 7. 333  Puchta, Cursus I, S. 3. 334  Puchta, Cursus I, S. 7. 335  Puchta, Cursus I, S. 3: „In dem Geist und der in ihm gegebenen Freiheit liegt die Aehnlichkeit mit Gott, welche schon die älteste unserer heiligen Schriften dem Menschen beilegt.“; ebenso Puchta, Cursus I, S. 9: „So ist in der ältesten Urkunde, die wir besitzen, die Fähigkeit des Rechts an die Gottähnlichkeit angeknüpft: […]. In den Rechten aller Völker nimmt die Freiheit […] diese Stelle ein.“



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht157

inhaltlich wertindifferente rechtliche Freiheit, ist daher der Sache nach zutreffend, spricht aber nicht grundsätzlich gegen ein theologisches Fundament in Puchtas Rechtsdenken. Allerdings enthält Puchtas Rechtsbegründung in der Tat einen gewissen Bruch an der Stelle, wo er von der Rolle Gottes auf einen gestalterischen allgemeinen Willen (Volksgeist) schwenkt.336 Die Argumentation mit einem sowohl übernatürlichen als auch natürlichen Ursprung des Rechts (Gebot Gottes einerseits, nationaler Wille andererseits) und auch die Art und Weise, wie Puchta beide Begründungsschienen in einer Mischung aus Chronologie, Erkenntnisfindung337 und Kompetenzverteilung338 in Verhältnis zueinander setzt, wirken im Grunde wie der nur allzu offensichtliche Versuch, den Sprung aus der Metaphysik in die reale Rechtsgestaltung zu schaffen. Haferkamp erklärt dies als die gerade für Puchta eigentümliche Sichtweise auf das Verhältnis von Moral und Recht sowie auf die philosophische Grundlegung des Rechts.339 Die beiden Begründungsschienen (Gott und Volksgeist) würden sich bei Puchta in der Frage treffen, auf welchem Wege die Rechtssätze in das menschliche Bewusstsein gelangen.340 Das Ergebnis habe dieser 1841 in der „Encyclopädie“ („Cursus der Institutionen. Erster Band“) formuliert: Das Recht sei ein menschliches Tun (freies Produkt des Volksgeistes), das jedoch nicht dem Begriff der Vernunft unterworfen, sondern von göttlichem Ursprung sei im Sinne einer Tätigkeit des Bewusstseins, die zwar auf Gott gerichtet, aber nicht im Einzelnen von diesem gesteuert werde.341 Recht ergebe sich damit als „eine göttliche Ordnung, die dem Menschen gegeben, die von seinem Bewußtseyn aufgenommen worden ist“342. Dem entnimmt Haferkamp, dass Puchta sehr klar das Recht von der Moral unterscheide, kein theokratisches 336  Puchta, Cursus I, S. 23. Recht beruhe auf dem Bewusstsein der Menschen von ihrer rechtlichen Freiheit; dieses Bewusstsein habe der Mensch von Gott; ebenso Puchta, Cursus I, S. 24 über die natürliche Entstehung des Rechts, bei welcher Gott als eigentlicher Schöpfer verborgen bleibe und das Recht als eine Schöpfung des menschlichen Geistes in gemeinsamem Bewusstsein erscheine bzw. sei. 337  Puchta, Cursus I, S. 23 f. Die Rede ist hier von der göttlichen Ordnung und Offenbarung (aufgenommen durch das menschliche Bewusstsein) einerseits und vom Recht als Schöpfung des menschlichen Geistes andererseits. 338  Puchta, Cursus I, S. 24: „Wir haben es hier nur mit dieser natürlichen Entstehung des Rechts zu thun, bey welcher der eigentliche Schöpfer sich verbirgt, und das Recht als eine Schöpfung des menschlichen Geistes erscheinen, ja es in seiner weiteren Entwicklung und Ausbildung eine menschliche Hervorbringung nicht bloß scheinen, sondern werden läßt.“ 339  Haferkamp, Puchta, S. 330 ff., 337 ff., 346 f. 340  Haferkamp, Puchta, S. 330; so zu sehen bei Puchta, Cursus I, S. 23. 341  Haferkamp, Puchta, S. 331, 336 f. mit einer Beschreibung des theogenen Prozesses im Sinne Schellings, der von Puchta für das Recht aufgegriffen wurde, S.  340, 346 f. 342  Puchta, Cursus I, S. 23.

158 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Rechtsverständnis (z. B. im Sinne Stahls) vertrete, aber nichtsdestotrotz einen Einfluss Gottes auf den Rechtsbegriff durch Vorgabe der Entfaltung und Bildungsgeschichte anerkenne.343 Wenn Schikorski dieses Ergebnis als eine nicht aktualisierte göttliche Grundlage beschreibt, ist dies, was den Schwerpunkt konkreter Rechtsgestaltung betrifft, ebenfalls zutreffend. Es ändert jedoch nichts an Puchtas prinzipieller Annahme und Arbeit mit einer solchen Grundlage. Wie im Übrigen zu sehen sein wird, ist damit ein gewisser Einfluss gerade jener theologischen bzw. ethischen Prämissen in Puchtas Personenbegriff auf dessen Ausgestaltung nicht ausgeschlossen.344 Im Wesentlichen zeigen sich ihre Wirkungen bei allgemeinen Vorgaben und in der Regelung der Randbereiche, beispielsweise hinsichtlich juristischer Personen, der Anerkennung von Tieren als Personen sowie der Rechtsstellung Willensunfähiger.

II. Person, Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit 1. Grundbegriffe in Puchtas Personenrecht Unter Personenrecht (im objektiven Sinne) versteht Puchta die Zusammenfassung der Rechtssätze über Persönlichkeit / Rechtsfähigkeit und über diejenigen individuellen Eigenschaften, die die Möglichkeit des Rechtehabens bedingen und modifizieren.345 Diesem gegenüber stehe das Vermögensrecht als ein Bereich, in dem sich die Persönlichkeit / der Wille durch Unterwerfung von Gegenständen und entsprechender Vermögensbildung äußere.346 Die Grundbegriffe in Puchtas Betrachtungen zum Personenrecht sind im Wesentlichen diejenigen der Person, Persönlichkeit, Rechtsfähigkeit und des 343  Haferkamp,

Puchta, S. 346. Verhältnis von Sittlichkeit, Religion und Recht insgesamt und zum Einfluss metajuristischer Elemente in der vermeintlich streng formalistischen Begriffsjurisprudenz Puchtas siehe Henkel, S. 32, 115 ff. Die Aussagen Puchtas über die Selbstständigkeit des Rechts (Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 33; Puchta, Vorlesungen I, S. 52) wertet Henkel als das Grundprinzip, ohne dass Puchta zugleich eine absolute Trennung der Gebiete angenommen hätte (Henkel, S. 116). Der Einfluss von Sittlichkeit/Religion auf das Recht erfolge aber nicht willkürlich, sondern insofern systematisch-„formalistisch“ nach drei Maximen (Henkel, S. 117 ff., 122): positiv bestimmender Einfluss bei ursprünglich auf rein religiösem/sittlichem Fundament beruhenden rechtlichen Beziehungen (Henkel, S. 117); Schrankenfunktion, d. h. keine rechtliche Unterstützung unsittlicher/unreligiöser Handlungen (Henkel, S.  118 f.); neben dem Recht bestehende Hilfsmittel mit ausgleichender Wertung nach zunächst juristisch-systematischer Entscheidung (Henkel, S.  119 ff.). 345  Puchta, Betrachtungen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 221 (236). 346  Puchta, Betrachtungen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 221 (236). 344  Zum



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht159

Rechts der Persönlichkeit. Person bezeichne den Menschen in seiner Stellung im Recht347 als Subjekt von Rechtsverhältnissen348. Entsprechend Puchtas grundlegender Unterscheidung zwischen dem Menschen im natürlichen Dasein einerseits und der Person als Element des Rechts andererseits349, verwendet er den Personenbegriff ausschließlich in diesem spezifischen Bedeutungsgehalt. Die Persönlichkeit wird beschrieben als (subjektive) Möglichkeit eines rechtlichen Willens bzw. als Fähigkeit zu Rechten.350 Synonym verwendet Puchta den Begriff der Rechtsfähigkeit.351 Die Ausübung der Persönlichkeit, ihr Tätigwerden, erfolge durch das Innehaben von Rechten in Form wirklicher Macht über einen Gegenstand (Vermögensrecht).352 Insofern wird von Puchta immer wieder betont und darauf Wert gelegt, zwischen dem Personsein an sich und der Trägerschaft konkreter Rechtsverhältnisse zu unterscheiden. Entsprechend habe die Frage nach dem Subjekt der Rechtsverhältnisse doppelte Bedeutung: „[…] 1) wer kann Subject eines Rechts (überhaupt oder eines gewissen) seyn, mit anderen Worten, wem kommt die Eigenschaft Person zu seyn (Persönlichkeit, Rechtsfähigkeit) überhaupt und in dem für das in Frage stehende Recht vorausgesetztem Umfang zu? 2) wer ist Subject dieses Rechts, welches ist die Person, der es wirklich zusteht?“353

Bereits innerhalb des ersten Fragenkreises nimmt Puchta eine Konkretisierung der Rechtsfähigkeit auf das jeweilige Recht vor. Damit legt er eine Untergliederung der allgemeinen Rechtsfähigkeit schon im Grundsatz an und bereitet Anknüpfungspunkte für Erweiterungen bzw. Minderungen der Rechtsfähigkeit vor. Handelt es sich bei der Persönlichkeit bzw. Rechtsfähigkeit selbst um die Eigenschaft, Subjekt von Rechtsverhältnissen (Person) zu sein354, nimmt 347  Puchta, Pandekten, 1. Aufl., S. 27: „Im Recht steht der Mensch als Person […].“; Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 36. 348  Puchta, Vorlesungen I, S. 56. 349  Puchta, Existenz des Besitzrechts, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 259 (261): „Wenn jemand behauptet, daß Mensch und Person zwey verschiedene Begriffe sind, wenn er sagt: der Mensch ist nicht die Person, so hat er damit nicht auch behauptet, der Mensch sey nicht Person. […] Diese Unterscheidung ist eine nothwendige Folge davon, daß hier ein an sich bloß factisches Verhältnis zu einem Recht erhoben worden ist.“ 350  Puchta, Cursus I, S. 78, 80; Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 36; Puchta, Vorlesungen I, S. 56. 351  Puchta, Cursus I, S. 78; Puchta, Vorlesungen I, S. 56. 352  Puchta, Cursus I, S. 80. 353  Puchta, Cursus II, S. 291. 354  Puchta, Cursus I, S. 78; Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 36; Puchta, Vorlesungen I, S. 56. Heißt es demgegenüber in Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 36, die Persönlichkeit sei die Eigenschaft „wodurch der Mensch Subject rechtlicher Bezie-

160 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Puchta daneben ein Recht der Persönlichkeit an und definiert dies als die rechtliche Macht, Person zu sein355. Die Entstehung einer Person im genannten Sinne knüpft Puchta an zwei Voraussetzungen: „[…] einmal die Existenz des Subjectes, welches die Unterlage der Persönlichkeit ist, sodann eine rechtliche Vorschrift, welche dem Subject die Persönlichkeit beilegt.“356

Bei natürlichen Personen sei das zugrunde liegende Subjekt das menschliche Individuum, d. h. ein natürliches, außerrechtliches Substrat.357 Entsprechend könne nach natürlicher Betrachtung nur der Mensch Person und rechtsfähig sein.358 Die natürliche Person entstehe mit der Geburt des Menschen. Allerdings fordert Puchta, im Unterschied zu Savigny, zugleich das Vorliegen von Lebensfähigkeit.359 Auf die insofern kritische Frage, ob einem lebendigen, aber nicht lebensfähigen Wesen tatsächlich die Persönlichkeit verweigert werden könne, reagiert Puchta mit der Folgeüberlegung, ob dann nicht auch die Haltung gegenüber dem Nasciturus zu überdenken sei.360 Mecke will darhungen ist“, ist damit im Ergebnis nichts anderes gemeint. Gerade beide Formulierungen zusammengenommen ergeben die Kernaussage von Puchtas Personenbegriff, dass nämlich Personsein die Fähigkeit zu Rechten/die Möglichkeit eines rechtlichen Willens bedeutet. 355  Puchta, Cursus I, S. 87. 356  Puchta, Corporationen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 497 (499). Zu beachten ist, dass Puchta den Begriff Subjekt in diesem Zusammenhang überwiegend untechnisch verwendet, d. h. nicht im Sinne von Rechtssubjekt synonym zu Person. Andernfalls spricht er nämlich genauer von „Subjekt von Rechten/Rechtsverhältnissen“, siehe Puchta, Vorlesungen I, S. 5; Puchta, Corporationen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften S. 497 (498). Vielmehr bezeichnet er an vorliegender Stelle mit Subjekt das zugrunde liegende Substrat, „das Daseyn der Thatsache, welche die Unterlage derselben bildet“ (Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 43) bzw. „die Entstehung des Subjects, des Menschen“ (Puchta, Krit. Jahrbücher 1840, 673 (707)). Daher kann Schikorski, S. 59 in seiner Bewertung, Puchta habe die Verknüpfung von Mensch und Subjekt aufgehoben (Übergang vom individualethischen zum transindividuellen Subjektbegriff), nicht gefolgt werden, wenn er es allein damit begründet, dass einerseits (bei natürlichen Personen) das menschliche Individuum, andererseits (bei juristischen Personen) ein Rechtsbegriff als Subjekt bestimmt werde. 357  Puchta, Corporationen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S.  497 (499). 358  Puchta, Corporationen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S.  497 (498). 359  Puchta, Krit. Jahrbücher 1840, 673 (679 ff.). 360  Puchta, Krit. Jahrbücher 1840, 673 (681): „Aber, werfen wir uns ein, ist es nicht bedenklich und dem Gefühl widerstrebend, einem lebendigen menschlichen Wesen die Persönlichkeit abzusprechen? Ich sehe nicht ein, warum dieses Bedenken nicht auch gegen die Abläugnung der Persönlichkeit in dem noch nicht Geborenen geltend gemacht werden könnte.“



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht161

in einen generellen sittlich-ethischen Impetus Puchtas sehen.361 Dies mag punktuell zutreffen; m. E. überwiegt jedoch in Puchtas Argumentation insgesamt der gegenteilige Eindruck. Für ihn ist letztlich ausschlaggebend, dass es bei der gesamten Nasciturus-Problematik an sich nicht um das geborene, ohnehin sofort verstorbene Kind gehe; denn dieses erfahre auch durch Anerkennung von Persönlichkeit selbst keinen Gewinn mehr. Maßgeblich seien vielmehr die Auswirkungen auf die Rechte anderer Personen. Die Vor- und Nachteile eines zusätzlichen Lebensfähigkeitserfordernisses seien entsprechend daran zu messen, ob es die Beurteilung jener Rechtslagen übermäßig erschwere oder nicht. Bestehe z. B. kein Zweifel am Vorliegen einer zwar aktuell lebenden, aber nicht lebensfähigen Fehlgeburt, dann spreche durchaus nichts gegen die Anwendung des Lebensfähigkeitserfordernisses.362 Im Ergebnis lässt sich Puchta also gerade von praktischen, formellen Überlegungen leiten. Die juristische Person sieht Puchta gegenüber der natürlichen Person als Ausnahme von der Regel an, die sich aus Gründen der Rechtspraxis notwendig aber ergebe. Bei ihr sei bereits das Anknüpfungssubjekt ein rechtlich geschaffenes, also ein Rechtsbegriff.363 Entscheidend ist jedoch Puchtas Einstufung der jeweiligen Endprodukte. In beiden Fällen, sowohl bei natürlichen als auch bei juristischen Personen, versteht er Person, Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit als etwas Rechtliches und als etwas von Rechts wegen Kommendes. Insoweit wird gerade bei den natürlichen Personen die Trennung von natürlichem und rechtlichem Bereich bedeutsam. „Person ist der Mensch nur durch das Recht, aber das Subject der Persönlichkeit ist nichts Juristisches, sondern etwas Natürliches […].“364

In einer Anmerkung zur Kritik am Begriff der „juristischen Person“ als solchem heißt es ferner: „In der That hat der Ausdruck ‚juristische Person‘ gegen sich, daß auch die natürliche Persönlichkeit, sofern man darunter die Rechtsfähigkeit des Rechtsubjetcs und nicht etwa das mit Selbstbewußtsein und Willensfähigkeit begabte Individuum versteht, auf einer juristischen Abstraction beruht, zu welcher die menschliche Individualität sich nur als Substrat verhält.“365 361  Mecke,

S. 683 Fn. 3429. Krit. Jahrbücher 1840, 673 (681). 363  Puchta, Corporationen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S.  497 (499). Den Streit um ein Konzessionserfordernis für juristische Personen knüpft Puchta an die zweite Entstehungsvoraussetzung und plädiert für einen allgemeinen Rechtssatz, dass die Zuschreibung der Persönlichkeit beim Vorliegen bestimmter Anforderungen grundsätzlich erfolgen solle, siehe Puchta, Krit. Jahrbücher 1840, 673 (707 ff.). 364  Puchta, Corporationen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S.  497 (498). 365  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 40 Fn. b. 362  Puchta,

162 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Puchta, der den Ausgangspunkt selbst von der natürlichen Willensfähigkeit und der sich daraus begründenden Freiheit des Menschen nimmt, vollzieht also mit der Persönlichkeit den Übergang in den rechtlichen Bereich. Persönlichkeit / Person ist für ihn insoweit eine begriffliche Weiterentwicklung, indem sie sich auf eine rechtliche Aussage über die Rechtsfähigkeit spezifiziert und abstrahiert. 2. Das Personenrecht im System der Rechte Die Behandlung der Persönlichkeit / der Person fügt Puchta stringent in sein System der Rechtsverhältnisse einerseits sowie in sein System der Rechte andererseits ein. Bei beiden Systemen handelt es sich um die Aufteilung des gesamten Rechtsstoffs nach jeweils anderen Ordnungsprinzipien. Das System der Rechtsverhältnisse orientiert sich an den möglichen Stellungen, die eine Person im Rechtsleben innehaben kann. Puchta unterscheidet deren vier: der Mensch als Einzelner (1) oder als Glied einer organischen Verbindung in der Familie (2), im Volk (3) und in der Kirche (4).366 Da die Regelung der Rechtsverhältnisse eines Menschen in stets spezifischer, dem jeweiligen Bereich entsprechender Weise erfolge, ergebe sich daraus die Einteilung in Vermögens- und Familienrechtsverhältnisse (zusammengefasst als Privatrecht), in öffentliche und kirchliche Rechtsverhältnisse.367 Das System der Rechte folgt dagegen der Unterscheidung von fünf verschiedenen Klassen von Rechten. Ausgangspunkt ist die Definition des subjektiven Rechts als Unterwerfung eines Gegenstands unter den Willen einer Person.368 Die Klassifikation richtet sich sodann nach der Art des jeweils unterworfenen Gegenstandes, d. h. nach dem Inhalt des betroffenen Rechts. Für Puchta ist dies alternativlos369, da die Natur des Gegenstandes stets auf das Recht insgesamt zurückwirke.370 Auf diese Weise kommt er zu 366  Puchta,

Cursus I, S. 53 f. Cursus I, S. 91. 368  Entscheidend ist hier also nicht die Stellung einer Person, sondern deren Tätigkeit, siehe Puchta, Cursus I, S. 91. 369  Puchta, Betrachtungen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 221 (230); Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (247 ff.). An sich könne die Einteilung auch nach der Art der Unterwerfung erfolgen. Da die Unterwerfung jedoch nichts anderes als das Recht selbst sei, könne aus ihr letztendlich doch keine Schlussfolgerung für die Klassifikation der Rechte gezogen werden. Die Verschiedenheit der Rechte habe wesentlich und ursprünglich in den unterworfenen Gegenständen ihren Grund. 370  Anders Rudorff, in: Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 102. Die Systematisierung nach den Gegenständen – in ihrer Stellung als Objekte der Rechte – sei eine Systematisierung nach „irgend einem äußeren Beiwerk“. Hierdurch werde keinesfalls eine Systematisierung nach der inneren Verschiedenheit der Rechte erreicht. 367  Puchta,



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht163

einem System aus Rechten an Sachen (1)371, Rechten an Handlungen (2)372 und Rechten an Personen, letztere wiederum unterteilt in „Rechte an Personen außer uns“ (3)373, „Rechte an auf uns übergegangene Personen“ (4)374 und „Rechte an der eigenen Person“ (5)375. In Puchtas Gesamtdarstellungen („Pandekten“, „Cursus“), die im Aufbau regelmäßig den beiden Systemen folgen, sind die wesentlichen Informationen zur Person unter dem Abschnitt über das Recht an der eigenen Person bzw. das Recht der Persönlichkeit zu finden.376 An dieser Stelle werden die klassischen Themenfelder behandelt, im Einzelnen die Entstehung (Geburt, Lebensfähigkeitserfordernis), Aufhebung (Verschollenheitsregelung), Minderungen und Stufen (libertas, civitas, familia, capitis deminutio, Ehrenminderung), nun allerdings bezogen auf das Recht der Persönlichkeit (d. h. Entstehung des Rechts der Persönlichkeit; Aufhebung des Rechts der Persönlichkeit etc.). Die Person als solche wird also nicht unmittelbar bzw. isoliert als Subjekt aller Rechtsverhältnisse in einem vorgelagerten Kapitel beschrieben, sondern tritt nur als Gegenstand des entsprechenden Rechts in Erscheinung. Auswirkungen inhaltlicher Art ergeben sich aus diesem Aufbau nicht. Geht es beispielsweise um das Ende des Rechts der Persönlichkeit, stehen letztendlich auch nur der Wegfall der Person und damit die gleichbleibenden Tatbestände von Tod und Verschollenheit dahinter.377 Die Darstellungsweise unterstreicht allerdings Puchtas generelle Ausrichtung an subjektiven Rechten und die Tatsache, dass er ein selbstständiges Recht an der eigenen Person annimmt.

371  Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (250). Dingliche Rechte sind „Sachen im eigentlichen Sinn, als ein körperlicher ausser uns existierender Gegenstand genommen“. 372  Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (250 f.). Obligationen, definiert als die vom Willen getrennten Handlungen, die einen ihnen vollkommen entsprechenden Sachwert haben. 373  Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (251 f.). Sie sind zu unterscheiden von der Unterwerfung des bloßen Körpers einerseits (andernfalls: Eigentum an Sklaven als Recht an einer Sache) und den Rechten an Handlungen unabhängig des Willens. 374  Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (252 f.). Hierbei handelt es sich um den Bereich des Erbrechts; Näheres siehe Kapitel 3, B. III. 6. 375  Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (255 ff.). 376  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., 173  ff.; Puchta, Cursus II, S. 424 ff.; Puchta, Vorlesungen I, S. 59 mit einem Verweis auf das Kapitel über das Recht der Persönlichkeit als „die rechtliche Theorie dieser natürlichen Personen“. 377  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 174.

164 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

3. Abstraktion als Grundsatz a) Persönlichkeit als kleinster gemeinsamer Nenner Aufgabe und Prinzip des Rechts sind nach Puchta der Schutz der Gleichheit durch Beherrschung des Ungleichen und des Individuellen.378 Im Wesentlichen bedeute dies bzw. werde dieses Ziel erreicht, indem das den Menschen Gemeinsame herausgestrichen und sämtliche Verschiedenheiten der Individuen dieser Gleichheit untergeordnet würden.379 Jene eine, den Menschen gleichmäßig zukommende Eigenschaft, auf die als „kleinster gemeinsamer Nenner“ abzustellen sei, sieht Puchta in der menschlichen Freiheit und der Möglichkeit zu Wahl und Willen.380 Der Mensch werde daher im bzw. für das Recht auf seine Eigenschaft, Willenssubjekt zu sein, reduziert381, und die Persönlichkeit werde als das Grundprinzip des Rechts anerkannt und in Wirksamkeit gesetzt. „Die Persönlichkeit ist ein Allgemeines, bey den verschiedensten individuellen Zuständen gleichmäßig denkbar, ja sie ist eben die Hervorhebung des Gleichen, was den Menschen ungeachtet ihrer individuellen Ungleichheit zukommt; als Person finde ich mich meinem Mitmenschen gleichstehend […].“382

Aus der Trennung von natürlicher und rechtlicher Sphäre folge zudem, dass die Verschiedenheiten des Menschen nicht ohne Weiteres auch Verschiedenheiten der Person darstellen würden. Der Personenbegriff bleibe insofern abstrakt gegenüber Unterschieden in Alter, Geschlecht, Gesundheit.383 Einen unmittelbaren Einfluss auf ihn schreibt Puchta jedoch zum einen solchen Umständen zu, die sich auf die Bildung des rechtlichen Willens selbst auswirken würden. Hierbei handele es sich erneut um die Stellung des Menschen als Einzelner oder als Glied in Familie, Volk oder Kirche. Infolgedessen sol378  Puchta,

Cursus I, S. 19. reines Recht, siehe Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 34 f. Damit die abstrakte (formelle) Gleichheit nicht zu einer wirklichen (materiellen) Ungleichheit führe, müssten bei der Ausgestaltung des reinen Rechts die Anforderungen des individuellen Wohls in Teilen mit berücksichtigt werden (billiges Recht, als eine Form des reinen Rechts). Daneben trete als echte Ausnahme zum reinen Recht das sogenannte ius singulare zugunsten gewisser Personen oder Verhältnisse. 380  Puchta, Cursus I, S. 18, 53 f. 381  Puchta, Cursus I, S. 51: „Denn so wie der Begriff der Person auf einer Abstraction beruht, indem wir nicht das ganze Wesen des Menschen in jenen Begriff herübernehmen, sondern unmittelbar nur die Eigenschaft, daß er Willenssubject ist, auffassen […].“ 382  Puchta, Cursus I, S. 53 f. 383  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 39 bezeichnet diese individuellen Zustände als „etwas dem Begriff der Persönlichkeit fremdes“ mit nur sekundärem Einfluss im Recht. 379  Sogenanntes



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht165

len diese Faktoren neben der Einteilung der Rechtsverhältnisse auch eine Verschiedenheit der Person bewirken.384 Zum anderen diskutiert Puchta unter dem Stichwort der „vermehrten oder verminderten Fähigkeit zu Rechten“385 die römisch-rechtlichen Regelungen zu libertas, civitas und familia sowie die capitis deminutio und die Stufen der Persönlichkeit nach zeitgenössischem Recht (im Wesentlichen Ehrminde­rung).386 Für Puchtas Persönlichkeits- und Rechtsfähigkeitsbegriff folgt daraus zweierlei. Zum einen liegt der Grundbestimmung von Persönlichkeit (Freiheit, Wille, Wahlmöglichkeit) eine ursprüngliche Abstraktion zugrunde. Als solche, also gerade in abstrakter, allen Menschen gemeinsamer Form, wird die Persönlichkeit von Puchta für seine Erklärung des Rechts und dessen Funktionsweise ausdrücklich benötigt. Zum anderen ist Puchtas Personenbegriff gegenüber Abstufungen und verschiedenen Personenformen von Anfang an offen formuliert. Im Einzelnen umfasst er drei Klassen von Personen – Privatpersönlichkeit, öffentliche, kirchliche Persönlichkeit – und innerhalb derer wiederum volle oder beschränkte Rechtsfähigkeit.387 Richtungsweisend ist nun, dass Puchta diese Varianten ausdrücklich zum Personenbegriff gehörig zählt und sie nicht den daneben bestehenden, bloß sekundären Einflüssen zuordnet. Jene Abstraktion als grundsätzlicher Wesenszug des Personenbegriffs einerseits und dessen verschiedenartiges Vorkommen in den einzelnen Rechtsverhältnissen andererseits sind für sich genommen kein Widerspruch. Die unterschiedlichen Persönlichkeiten sind insoweit mehr als Untergruppen zu betrachten. Sie stellen Freiheit, Wille und Wahlmöglichkeit in den jeweiligen Angelegenheiten des Einzelnen, des Familien-, Volks- und Kirchenmitglieds dar und systematisieren sie hiernach, erschöpfen den Begriff der Persönlichkeit jedoch nicht.388 Wird im Übrigen bei den Stufen der Rechtsfähigkeit / Persönlichkeit auf die römischrechtlichen status bzw. die capitis deminutio verwiesen389, bleibt ohnehin zu klären, welchen Einfluss Puchta diesen Figuren im geltenden Recht noch zuschreibt390. 384  Genau genommen sind hiervon keine Unterschiede im Wesen der Person betroffen, sondern unterschiedliche Facetten in ihrem Wirken nach außen. 385  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 36. 386  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 175 ff. 387  Puchta, Cursus I, S. 78 ff. 388  Vgl. hierzu Mecke, S. 685 Fn. 3432, der auf die von der heutigen Vorstellung z. T. abweichende Verwendung des Rechtsfähigkeitsbegriffs bei Puchta hinweist. Hierzu zählt er auch die Unterscheidung von verschiedenen Stufen und Seiten der Rechtspersönlichkeit/Rechtsfähigkeit je nach Stellung des Menschen im Privat-, öffentlichen oder Kirchenrecht. 389  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 36 mit Verweis auf die §§ 116–120. 390  Siehe Kapitel 3, B. III. 4. c).

166 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Im Ausgangspunkt heißt dies für die Qualität von Persönlichkeit und Person in Puchtas Betrachtung: Sie werden als Rechtsbegriffe391 behandelt und dabei in ihrer technischen Ordnungsfunktion im Recht unterstrichen. In dieser Hinsicht handelt es sich bei ihnen um eine grundsätzliche Abstraktion bzw. um das Ergebnis von Abstraktionen.392 Bezieht sich Persönlichkeit im natürlichen Sprachgebrauch auf die den Einzelnen spezifisch ausmachenden Charakterzüge, bedeutet Persönlichkeit als Rechtsbegriff somit das gegenteilige Ausklammern individueller Eigenschaften aus dem Personenbegriff.393 Der Wille, als Grundlage der verbindenden menschlichen Eigenschaft, wird in der abstrakten Betrachtungsweise als Potenz (Möglichkeit des Willens) gedacht. Selbst in der Gestalt konkreter Rechtsverhältnisse, wenn also die Persönlichkeit in Wirkung gesetzt wird und in Tätigkeit gerät, soll der Wille nicht aus seiner Potentialität herausgehen.394 Mit Puchtas Worten: „Die Vielseitigkeit des menschlichen Wesens wird im Recht zu dem farblosen Begriff der Person zusammengezogen […].“395

b) Bedeutung des Gleichheitsprinzips in Puchtas Personenbegriff In diesem Zusammenhang ist auch die Frage zu beantworten, welche Rolle der Aspekt der Gleichheit in Puchtas Personenbegriff insgesamt spielt. Zwar spricht Puchta angesichts der genannten Aufgabe des Rechts von der Gleichheit als dessen „eigenste[s] Princip“396, doch ist damit noch nichts über Art und Umfang seiner inhaltlichen Folgerungen und Forderungen aus diesem Prinzip gesagt. Die Interpretation geht zumeist dahin, eine bloß formale Freiheits- und Gleichheitsgarantie bei Puchta zu sehen. Diese liefere mit der Herrschaft 391  Puchta, Hallische Jahrbücher 1838, Sp. 785 (786) spricht von einer „streng rechtlichen Betrachtung“. 392  Puchta, Encyclopädie, S. 13: „Im Recht tritt der Mensch auf als abstract freies Wesen, es wird nämlich abstrahiert von seiner Freiheit als derjenigen seines besonderen Daseyns […]. Er heißt insofern Person.“; Puchta, Hallische Jahrbücher 1838, Sp. 785 (786): „Die juristische Anschauung der Dinge beruht nämlich ihrem Grunde nach auf einer Abstraction […].“ 393  Jene individuellen Eigenschaften ergeben sodann mit der Persönlichkeit zusammen den „wirklichen Menschen in seiner vollkommenen Individualität“, so Puchta, Lehrbuch für Institutionen-Vorlesungen, S. 19. Insofern heißt es bei Schönfeld, in: FG Binder, S. 1 (29), dass Puchta und Hegel unter der Abstraktheit der Person etwas völlig Grundverschiedenes verstehen. 394  Puchta, Vorlesungen I, S. 70. 395  Puchta, Cursus I, S. 19. 396  Puchta, Cursus I, S. 10.



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht167

des Gleichen über das Ungleiche eine Maxime zur Absicherung und Ausrichtung des Rechts, erschöpfe sich dann aber inhaltlich in der Anerkennung von Willensfähigkeit und Persönlichkeit. Freiheit und Gleichheit würden damit Rechtsfähigkeit in allgemeiner Form bedeuten.397 Im Wesentlichen ordnet diese Lesart die Lehre Puchtas in die eingangs genannte Entwicklung im 19. Jahrhundert ein, wonach die Idee der allgemeinen Rechtsfähigkeit die Verwirklichung der Freiheits- und Gleichheitsprinzipien übernommen habe.398 Eine weitergehende Deutung findet sich bei Landau. Wenn Puchta auf die Unterwerfung der individuellen Ungleichheit unter das allen gleichmäßig Zukommende abstelle, habe er mit seinem Prinzip der Gleichheit auch soziale Aussagen verfolgt.399 Bereits die Aufgabe des Rechts, so Landau, sei für Puchta eine vor allem sozialethische Aufgabe gewesen und sein Gleichheitsgedanke habe sich an den liberalen Grundwerten der allgemeinen Freiheit, der Persönlichkeit und der Gleichheit der Eigentumsrechte orientiert. Dies umfasse zwar nicht den Gesichtspunkt gleicher Güterverteilung, wohl aber eine Überwindung der Statusungleichheit in der Ständegesellschaft.400 Geht Landau damit auch nicht so weit, eine Forderung Puchtas nach tatsächlicher materieller Gleichstellung (hinsichtlich der konkreten Rechtsstellung) anzunehmen, so legt er dessen Gleichheitsprinzip doch immerhin eine stärkere Bedeutung als diejenige eines bloßen Ordnungsprinzips zugrunde. Landaus Ansicht, Puchta habe eine sozialethische Aufgabe des Rechts angenommen, ist jedoch zu weit gegriffen. Zur Begründung seiner Einschätzung nimmt Landau Bezug auf Puchtas Darstellung zur „Entfaltung des Rechtsbegriffs in der Geschichte“401, in der sich Puchta des klassischen Erklärungsmodells des bellum omnium contra omnes bedient. Als Auslöser jenes Krisenzustands wird zwar der Drang zu Individualisierung und Abgrenzung genannt.402 Jedoch bleibt dieser Drang in der Beschreibung Puchtas zu allgemein. Seine Folgen werden als Stolz, Selbstsucht und Hass bezeichnet, ohne diesen (sodann durch Einführung des Rechts zu beherrschenden) Zustand konkret auf soziale Ungleichheiten bzw. auf eine Ständegesellschaft festzulegen. Insofern kann nicht direkt von einer sozialethischen Aufgabe des Rechts (Landau) gesprochen werden, sondern mit Ogorek le397  Ogorek,

S.  16 f.; Haferkamp, Puchta, S. 459. auf Formalismus reduzierte Umfang mag als positiv oder negativ gewertet werden; kritisch v. a. bei Ogorek, S. 17 ff. als Außerachtlassung der wirtschaft­ lichen und gesellschaftlichen Situation („bloßes Lippenbekenntnis“, S. 20). 399  Landau, ZRG Rom. Abt. 1992, 1 (9). 400  Landau, ZRG Rom. Abt. 1992, 1 (10). 401  Puchta, Cursus I, S. 17 ff. 402  Puchta, Cursus I, S. 17. 398  Der

168 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

diglich vom Recht als Friedensordnung ohne sozialen Beruf.403 Die Frage, ob das von Puchta daneben vorgesehene billige Recht ausreiche404, um den individuellen Bedürfnissen und vorhandenen Ungleichheiten gerecht zu werden, oder ob es sich hierbei um „ein Lippenbekenntnis“405 Puchtas handele, kann dahinstehen. In jedem Fall hat sich Puchtas Rechts- und Gleichheitsprinzip im Ausgangspunkt als formal erwiesen und beinhaltet keine unmittelbaren sozialpolitischen Erwägungen.406 Gerade als solches, als bloßes Prinzip im Ausgangspunkt, liegt es seinem Persönlichkeitsbegriff zugrunde und ist in jenem Rahmen von Interesse. c) Konsequenzen aus dem abstrakten Charakter der Person Ausgehend vom römischen Recht, welches das Prinzip des „reinen Rechts“ noch am konsequentesten durchgeführt habe, benennt Puchta die grundsätzlichen Wirkungen der Abstraktion. „Die ursprüngliche Abstraction des Rechts von der Individualität des Menschen, zeigt sich am auffallendsten darin: 1) daß es deshalb Personen geben kann, die nicht Menschen sind, 2) daß Menschen, welche eines wirklichen Willens nicht fähig sind (z. B. Wahnsinnige), Personen seyn können, 3) daß nicht jeder willensfähige Mensch nothwendig auch Person ist.“407

Hinweise auf Puchtas eigenen Personenbegriff ergeben sich sodann daraus, wie seine Behandlung dieser Fälle im Einzelnen ausfällt, insbesondere aber aus eventuellen Abweichungen von diesen Grundsätzen sowie deren Begründung. aa) Erster Fall: Nichtmenschliche Personen Die Konstruktion juristischer Personen setzt für Puchta an der ersten Entstehungsvoraussetzung, dem der Persönlichkeit zugrunde liegenden Substrat, an, indem neben dem Menschen auch fiktive Anknüpfungssubjekte zugelassen werden.408 Zugleich beschränkt Puchta diese Erweiterungsmög403  Ogorek,

S. 18. ZRG Rom. Abt. 1992, 1 (10 f.). 405  Ogorek, S. 20. 406  Mecke, S. 550 f. relativiert diesen Formalismus in Puchtas Gleichheit wiederum; es sei damit nicht nur die Vermittlung einer Freiheitssphäre nach dem einheitlichen apriorischen Kriterium der Verallgemeinerungsfähigkeit gemeint. Auch dies ist insoweit zutreffend, dass Puchta immerhin Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Inhalten (Mensch als Einzelner, in Familie, Staat, Kirche) anerkennt. 407  Puchta, Lehrbuch für Institutionen-Vorlesungen, S. 19. 408  Puchta, Corporationen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S.  497 (498 f.). 404  Landau,



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht169

lichkeit über den Menschen hinaus auf lediglich unsichtbare Dinge. Eine Zuschreibung von Persönlichkeit zu anderen körperlichen Gegenständen (leblose Körper, Tiere409) würde eine wertungsmäßige Gleichstellung mit dem Menschen implizieren. Dies aber wäre eine „Zumuthung“410 und „sittliche Unmöglichkeit“411, und man würde sich „einer sittlichen Rohheit schuldig machen, welche den Rechten, wenigstens der abendländischen Nationen fremd ist, und sich am allerwenigsten mit dem Christenthum verträgt“412. Eine solche Aufwertung körperlicher Gegenstände verweist er in den Bereich fremder Religionskulturen, die jene Gegenstände als Götter verehren und damit nicht nur dem Menschen gleichstellen, sondern überordnen würden.413 Eine Persönlichkeit unkörperlicher Dinge stellt dagegen kein Problem für Puchta dar. Bei ihnen als gänzlich unsichtbaren Dingen werde nicht einmal der Schein einer Gleichsetzung mit dem Menschen assoziiert, und ihre Anerkennung als Person sei daher unschädlich.414 Namentlich der Hinweis auf Scheinwahrung unterstreicht, dass Puchtas Ablehnung anderweitiger körperlicher Personen nicht aus „profanen“ Gründen rechtskonstruktiver Schwierigkeiten erfolgt. Es stehen vielmehr solche Überlegungen dahinter, die die Stellung des Menschen an sich zum Gegenstand haben. Auch Puchtas Personenbegriff erweist sich damit als zumindest nicht gänzlich frei von einer Verbindung zu Achtungsaussagen.415 Im Übrigen kann Puchtas Überlegungen ein Hinweis auf die grundsätzliche Ausrichtung seines Personenbegriffs entnommen werden. Es betrifft die Frage, ob er einen bei natürlichen und juristischen Personen einheitlichen, d. h. beide Kategorien umfassenden Personenbegriff vertritt oder ob er von einer im Grundsatz nur auf den Menschen zugeschnittenen Figur ausgeht. Ausschlaggebend ist insofern die parallel gelagerte Frage, welche Aussage Puchta dem Personsein überhaupt zugrunde legt: Die Anerkennung spezi409  Puchta,

Corporationen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 497

410  Puchta,

Corporationen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 497

411  Puchta,

Corporationen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 497

412  Puchta,

Pandekten, 1. Aufl., S. 87. Corporationen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 497

(498). (498).

(498).

413  Puchta,

(498 f.). 414  Puchta, Corporationen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S.  497 (499). 415  Mecke, S. 546 sieht hierin einen konkreten Anwendungsfall zur Berücksichtigung nichtjuristischer Prinzipien, der in dieser Weise geboten sei bzw. der sich – um mit Savigny zu sprechen – aus der christlichen Lebensansicht notwendig ergebe; ebenso Henkel, S. 119. Die Begründung Puchtas füge sich nicht ohne Weiteres in das gängige Bild von Begriffsjurisprudenz ein.

170 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

fisch menschlicher Werte (Selbstzweck, Selbstbestimmung, Gottesähnlichkeit)? Oder aber das Vorhandensein solcher Merkmale, die vor allem unter rechtlichen Überlegungen die Annahme von Rechtssubjektivität nahelegen? Puchta sieht nun einerseits in der Personalität anderer körperlicher Gegenstände die Gefahr, eine ungewollte Gleichstellung mit dem Menschen zu erzielen416; andererseits verwirft er diese Gleichstellung bei unkörperlichen Dingen als völlig fernliegend. Eine solche Argumentation macht nur Sinn, wenn als Bezugspunkt der einerseits ungewollten, andererseits fernliegenden Gleichstellung gerade der spezifisch menschliche Achtungsanspruch in den Blick genommen und zum Wesensmerkmal des Personseins in allen drei Fällen417 erklärt wird. Es kann Puchta nicht um ein Personsein gehen, das sich je nach Rechtssubjekt über variierende Merkmale definiert und lediglich eine Aussage über deren Vorliegen trifft. Denn ein Gleichlauf in der bloßen Aussage an sich, dass bestimmte Merkmale vorliegen oder nicht und deswegen Rechtssubjektivität angenommen wird oder nicht, wäre zwischen Mensch und körperlichen Dingen nicht schädlich und zwischen Mensch und unkörperlichen Dingen nicht fernliegend. Puchtas Personenbegriff folgt damit einem klar individualethischen, am Menschen orientierten Ansatz418, neben den die juristische Person gänzlich als Fiktion tritt. bb) Zweiter Fall: Rechtsfähigkeit und Willensunfähigkeit Die auch von Puchta vertretene Willenstheorie steht bei der Behandlung Willensunfähiger vor Schwierigkeiten. Nicht selten handelt es sich hierbei um den Hauptkritikpunkt, der gegen sie vorgebracht wurde419, allen voran von Jhering420. Die Probleme ergeben sich im Wesentlichen daraus, einer416  Als

Beispiel nennt er die Verehrung von Tieren und Sachen gerade als Götter. Einzelnen: Mensch als natürliche Person (1); körperliche Dinge als Person (2); unkörperliche Dinge als Person (3). 418  Vgl. Creutzfeldt, S. 31. 419  Nach Behrends, in: Behrends (u. a.), S. 138 (154 ff.) handelt es sich nicht um ein spezifisches Problem der Willenstheorie. Stelle sich bei dieser die Frage, wie ein Willensunfähiger Rechte haben kann, müsse man sich bei der Interessentheorie damit auseinandersetzen, wieso im Einzelfall ein für den Berechtigten zweckloses Recht bestehen soll. Der eigentliche Grund liege darin, dass subjektive Rechte in beiden Fällen von einem individualistischen Ansatz aus (Wille/Interesse des Einzelnen) erklärt würden. 420  Jherings generelle Kritik an der Willenstheorie betrifft deren Einseitigkeit. Sie beschränke sich auf den Willen als alleinige Substanz des Rechts und auf eine Willensverwirklichung um seiner selbst willen; hierzu Jhering, Geist Teil III 1, S. 330: „Das Irrige dieser Ansicht besteht darin, daß sie den Begriff des subjektiven Rechts in dem des Willens aufgehen läßt.“ Insofern verweist Jhering unmittelbar auf Puchta, der am konsequentesten diese Auffassung des „Willensformalismus“ verfolge (Jhering, 417  Im



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht171

seits die Rechtsstellung Willensunfähiger in hinlänglichem Umfang bzw. in entsprechender Qualität (kein bloßer Schutzreflex, sondern echte Rechtsposi­ tio­nen)421 zu gewährleisten. Andererseits hat die Willenstheorie darauf zu achten, sich nicht in Widerspruch zu den eigenen Begriffen zu setzen.422 Puchta selbst legt diese Widersprüche in seinem Verhältnis von Rechts- und Handlungsfähigkeit an. Letztere will er als Fähigkeit, durch Handlung juristische Wirkungen hervorzubringen, „von der bloßen Rechtsfähigkeit, die sie natürlich zur Voraussetzung hat, wohl zu unterscheiden“423 wissen. Zugleich aber definiert er Persönlichkeit als Willensfähigkeit und Handlungsunfähige als „Personen, denen das Willensvermögen abgeht“424. Demzufolge hätte er ihnen an sich auch die Rechtsfähigkeit zu versagen. Jhering sieht daher die Willenstheorie zu dem Bekenntnis genötigt, die Anerkennung von Rechten sei bei Willensunfähigen eine Sache bloß positiver Rechtssetzung und keine Anerkennung des Anspruchs, den jedes menschliche Wesen auf seiner Stirn trage425; sie rühre also gerade nicht aus seiner Persönlichkeit her. Eine andere Erklärung dafür, wie die Willenstheorie bzw. speziell Puchta die Rechtsstellung Willensunfähiger handhabte, gibt Mecke auf der Grundlage einer Unterscheidung zwischen natürlichem und rechtlichem Willen. Puchtas Willensbegriff sei im Rahmen der Definition des subjektiven Rechts kein empirisch-psychologischer, sondern ein normativ zu verstehender Rechtsbegriff.426 Entsprechend könne der Mensch zwar willenlos im natürlichen, nie aber im rechtlichen Sinne sein.427 Geist Teil III 1, S. 330 Fn. 438). Der Problemkreis um die Behandlung Willensunfähiger ist in diesem Rahmen ein Argument seiner Beweisführung. 421  Jhering, Geist Teil III 1, S. 332. Die Begründung mit einem bloßen Schutzreflex reiche nicht aus, da alle Rechtsordnungen den Kindern und Wahnsinnigen „nicht bloß das rein Menschliche der Persönlichkeit, Leib und Leben anerkennen und schützen, sondern ihnen auch mit geringen Modificationen dieselbe Vermögensfähigkeit zugestehen, wie den willensfähigen Personen.“ 422  Heutige Definitionen des subjektiven Rechts versuchen in der Regel, den Schwierigkeiten durch eine Kombination aus Willenstheorie einerseits und Jherings Ansatz vom subjektiven Recht als rechtlich geschütztes Interesse (Jhering, Geist Teil III 1, §§ 60 ff.) andererseits entgegen zu wirken; Pawlowski, BGB AT, Rn. 107: „von der Rechtsordnung verliehene konkrete Rechtsmacht des Einzelnen zur Befriedigung seiner Interessen“. 423  Puchta, Vorlesungen I, S. 106. 424  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 76. An sich ist bereits die Formulierung „Person ohne Willensvermögen“ ein Widerspruch in sich, sofern man nicht von einer nur untechnischen Begriffsverwendung Puchtas ausgehen will, was angesichts seiner sonstigen terminologischen Genauigkeiten (Puchta, Cursus I, S. 11, 89 Fn. b) unwahrscheinlich ist. 425  Jhering, Geist Teil III 1, S. 333 f. 426  Anders Schikorski, S.  62 f. 427  Mecke, S.  684 ff.

172 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Es ginge zu weit, wollte man dem Willensbegriff Puchtas einen empirisch-psychologischen Wesenszug in jeglicher Form absprechen. Gerade im Ausgangspunkt, bei der Herleitung der (rechtlichen) Freiheit und der Beschreibung der natürlichen und geistigen Seite des Menschen, meint Puchta, wenn er von Wille und Wahlmöglichkeit spricht, durchaus die „normalen“ geistigen Vorgänge. Deutlich wird dies z. B. bei der Abgrenzung von Mensch und Tier anhand der Gegenüberstellung von Vernunft (Selbstreflexion und Erkennen der Naturnotwendigkeiten) und Instinkt. Schönfeld sieht Puchta sogar zu sehr im natürlich-psychologischen Denken verfangen: Der Gedanke, es handele sich bei den Fragen der Person und der Rechtssubjektivität um keine natürliche, sondern um eine juristische und damit geistig-sittliche bzw. kulturelle Betrachtung, sei Puchta überhaupt nicht gekommen.428 Eine solche Einseitigkeit Puchtas in der von Schönfeld behaupteten (anderen) Richtung ist allerdings noch weniger zutreffend. Ohne Zweifel schaffen gerade erst die Begründung subjektiver Rechte aus dem Willen heraus und die insofern natürlich-psychologische Basis das Problem, die Rechtsstellung Willensunfähiger erklären zu müssen. Allerdings spricht Puchta vom „natürlichen Willen“ an sich nur speziell bei der Handlungsfähigkeit und hier wiederum gerade in Abgrenzung zur Rechtsfähigkeit. „Obgleich ein Recht nichts anderes ist, als der einzelne Wille, der durch die Unterwerfung eines Gegenstands wirklich geworden ist, so kann […] jemand Rechte haben, der keines natürlichen Willens fähig ist. Wohl aber macht sich die Nothwendigkeit dieser Fähigkeit geltend, wo von einer Veränderung in den Rechten durch den Willen, von juristischen Handlungen, die Rede ist. Die Willensfähigkeit kommt nicht für die Rechtsfähigkeit, aber als Handlungsfähigkeit zur Berücksichtigung.“429

Auf diese Weise bzw. im Umkehrschluss erhält die Rechtsfähigkeit bei Puchta eine stärker normative Note.430 Geht man zudem von Puchtas Bestimmung der rechtlichen Freiheit als ein Wille in seiner Potenz aus, würde 428  Schönfeld, in: FG Binder, S. 1 (28); ebenso Schikorski, S. 62 f. mit der Wertung, dass der Grund von Rechtssubjektivität bei Puchta ausschließlich im empirisch-psychologischen Tatbestand der Entscheidungsfreiheit liege. 429  Puchta, Lehrbuch für Institutionen-Vorlesungen, S. 24. Hiervon zu trennen ist wiederum die Untergliederung der allgemeinen Rechtsfähigkeit selbst, die Puchta an anderer Stelle vornimmt. Dies betrifft zum einen seine Aussage, die Bestimmung des Rechtssubjekts habe die doppelte Bedeutung grundsätzlicher Rechtsfähigkeit einerseits und konkreter Rechtsträgerschaft andererseits (vgl. Kapitel 3, B. II. 1.). Dies betrifft zum anderen die verschiedenen Personenformen, geordnet nach Privatpersönlichkeit, öffentlicher und kirchlicher Persönlichkeit [vgl. Kapitel 3, B. II. 3. a)]. An beiden Stellen spielt das Kriterium der Willensfähigkeit für dortige Differenzierungen keine Rolle und berührt somit nicht das hier in den Blick genommene Abgrenzungsproblem zwischen Rechts- und Handlungsfähigkeit. 430  So auch Leuze, S. 52, 59. Puchta sehe in der Person ein Willenszentrum und schiebe die äußere Hülle des Menschen bewusst zur Seite.



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht173

es tatsächlich erst die Abstraktion im Personenbegriff ermöglichen, Willensunfähige als Personen behandeln zu können.431 Der Verweis auf die reine Möglichkeit der Willensbildung, die zumindest als solche in jedem gegeben sei, hilft allerdings auch hier nur vordergründig. Denn ihm lässt sich wiederum die (Gegen)Argumentation nach bekanntem Muster anschließen, bei manchen Willensunfähigen bestehe nicht einmal eine solche Möglichkeit432, es müsse deshalb gänzlich abstrakt auf das Gattungsmerkmal abgestellt werden etc. etc. Das Entscheidende in einer Abstraktion des Personenbegriffs ist daher weniger die Abstraktion von individuellen Eigenschaften. Wirklich hilfreich, gerade bei der Erklärung der Rechtsstellung Willensunfähiger, wird eine Abstraktion erst dann, wenn sie als Abstraktion zu besonderen Wertelementen des Menschen, namentlich wiederum Gottesähnlichkeit, Geist, Selbstzweck, gesehen wird. cc) Dritter Fall: Rechtsfähigkeit als allgemeine Rechtsregel ohne Ausnahme Als dritte Wirkung rechtlicher Abstraktion nennt Puchta den Fall fehlender Personalität beim Willensfähigen. Nicht jeder willensfähige Mensch sei notwendigerweise auch Person.433 Auf den ersten Blick scheint dies in Widerspruch zu seinen Ausführungen über die Berücksichtigung natürlicher Verschiedenheiten zu stehen. Dort nämlich ist die Rede davon, im Recht vieler Völker habe die „Gewalt der Natur der Dinge“434, also gerade die Integration natürlicher Ungleichheiten in den Personenbegriff, dazu geführt, manchen Menschen die Persönlichkeit ganz zu versagen.435 Nun soll es dagegen gerade die Abstraktion sein, die den Ausschluss mancher aus dem Personenkreis bewirke. Erklären lässt sich dieser vermeintliche Widerspruch aber in der Weise, dass in der hier vorliegenden dritten Fallkonstellation speziell nur vom Merkmal der Willensfähigkeit abstrahiert wird, etwa in dem Sinne: Die Fähigkeit eines Menschen zur Willensbildung wird ausnahmsweise außer Acht gelassen, insofern von ihr abstrahiert, gerade um 431  Der Satz „Menschen, die eines wirklichen Willens nicht fähig sein können“ (siehe oben, Puchta, Lehrbuch für Institutionen-Vorlesungen, S. 24), ist dann so zu verstehen, dass mit dem wirklichen Willen der natürliche, aktualisierte Wille gemeint ist. 432  Bereits bei Jhering, Geist Teil III 1, S. 332 f. Zum einen gebe es Fälle, in denen nicht einmal die bloße Möglichkeit künftiger Willensfähigkeit bestehe; zum anderen würde jene Rücksicht auf einen künftigen Eintritt der Willensfähigkeit höchstens Schutz der nackten Persönlichkeit, nicht aber die Zulassung des Erwerbs konkreter Vermögensrechte rechtfertigen können. 433  Puchta, Lehrbuch für Institutionen-Vorlesungen, S. 19. 434  Puchta, Cursus I, S. 79. 435  Puchta, Cursus I, S. 79.

174 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

aus Gründen seiner sonstigen individuellen Eigenschaften eine Personenqualität verneinen zu können. Im Zusammenhang mit den Entstehungsvoraussetzungen einer Person stellt Puchta selbst klar: Die Rechtsregel, die für die Zuschreibung von Persönlichkeit verantwortlich sei, liege bei natürlichen Personen in dem allgemeinen Satz „Der Mensch ist Person“ – und dieser Satz habe „für unser heutiges Recht keine Ausnahme“436. Mit allein dieser Aussage ließe sich noch zweifeln, ob Puchta die ausnahmslose Geltung als zwar aktuellen, aber veränderbaren Rechtsbestand bloß feststellt (reine Beschreibung) oder ob er sie als zwingenden Grundsatz des heutigen Rechts ansieht. Nur im zweiten Fall stellt sich überhaupt erst die Frage, woraus Puchta diese Direktive zieht. Deutlicher wird es jedoch an anderer Stelle, wenn Puchta solche römisch-rechtlichen Regelungen, die eine gänzliche Aufhebung des Personenstatus bewirkten (libertas bzw. Sklaverei; capitis deminutio maxima)437, für nicht mehr anwendbar hält bzw. kein Pendant im zeitgenössischen Recht sieht.438 Stattdessen soll für die aktuelle Stufung der Persönlichkeit gelten: „Die allgemeine Rechtsfähigkeit aber enthält zwey Hauptstufen: 1) Das Recht der Persönlichkeit überhaupt, welches (abgesehen von dem natürlichen Tod) nicht aufgehoben […], aber gemindert werden kann, durch Ehrenminderung […]; 2) das Recht der selbstständigen Persönlichkeit, welches aufgehoben werden kann durch Unterwerfung unter die väterliche Gewalt.“439

Ähnlich verhält sich Puchta in der Frage, ob im Zusammenhang mit Rechten an fremden Personen die Möglichkeit völliger Unterwerfung bestehe. Dies verneint er für das geltende Recht bzw. den christlichen Kulturkreis ausdrücklich.440 Die ausnahmslose Geltung des Satzes vom Personsein des Menschen ist somit für Puchta nicht bloß deklaratorische Feststellung des gegenwärtigen Zustands, sondern verbindliche Vorgabe im modernen Recht 436  Puchta, Corporationen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S.  497 (500). Im Umkehrschluss ebenfalls zu entnehmen aus Puchta, Krit. Jahrbücher 1840, 673 (708), wo er vom antiken römischen Recht sagt, dass damals noch nicht die allgemeine Regel, dass der einzelne Mensch seinen Anspruch auf Rechtsfähigkeit in seiner leiblichen Erscheinung in sich trage, galt. 437  Zur Relevanz der römisch-rechtlichen Regelungen in Puchtas Personenbegriff insgesamt, insbesondere zu den Stufen bloß geminderter Rechtsfähigkeit, siehe Kapitel 3, B. III. 4. c). 438  Puchta, Pandekten, 1. Aufl., S. 89 ff.; Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 176. 439  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 176. 440  Puchta, Cursus I, S. 86: „Die Unterwerfung einer von dem Berechtigten verschiedenen Person kann nie eine so vollständige seyn, wie die einer Sache. Unter einer totalen Herrschaft würde die Person aufhören, Subject der rechtlichen Freiheit, und also Person zu seyn.“; Puchta, Cursus I, S. 87: „Unmöglichkeit einer totalen Unterwerfung einer Person“.



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht175

und Personenbegriff. Zugleich gebraucht er ihn regelmäßig als (notfalls letztes) Argument und zur Begründung konkreter Rechtsgestaltung.441 Dagegen wird der Grund für die Geltung dieses allgemeinen Rechtssatzes eher vernachlässigt. Letztendlich ist es wiederum nur mit dem Ausgangspunkt in Puchtas Persönlichkeitsbestimmung, d. h. mit rechtlicher Freiheit, Fähigkeit zur Selbstbestimmung und Gottesähnlichkeit des Menschen zu erklären.442 Was dies betrifft, handelt es sich zumindest um keine „sittliche Totschlagsargumentation“, sondern um eine personenbegriffsimmanente Erklärung. Person und Persönlichkeit sind nach Puchta somit primär Rechtsbegriffe. Sie existieren im Recht, treffen spezifisch rechtliche Aussagen (Rechtsfähigkeit) und werden vor allem durch Rechtsvorschriften festgelegt. Zugleich haben sich, zumindest an den Grenzen443 rechtlicher Ausgestaltung, diejenigen Prinzipien noch als „formend“ erwiesen, die die theologische Grundlage zu Puchtas Rechts- und Personenbegriff ausmachen.

III. Recht an der eigenen Person und Recht der Persönlichkeit 1. Fallgruppen Das Recht an der eigenen Person, als eine der fünf Klassen in Puchtas System, wird selbst wiederum in zwei Untergruppen – in das Recht der Persönlichkeit einerseits und das Recht des Besitzes andererseits – aufgespalten.444 In Ersterem soll der Schutz der Persönlichkeit in dreifacher 441  Beispielsweise Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 182: „Eine solche Klage setzt die rechtliche Möglichkeit einer Bestreitung voraus, diese ist nach heutigem Recht hinsichtlich der allgemeinen Rechtsfähigkeit durch den Rechtssatz, daß alle Menschen Personen sind, ausgeschlossen.“; vgl. auch Mecke, S. 686 zur Rechtsfähigkeit Willensunfähiger. Puchta habe schon die theoretische Möglichkeit, Willensunfähige für rechtsunfähig zu erklären, ausgeschlossen und dies gerade mit dem nicht nur positiven Rechtssatz, dass alle Menschen Personen seien, begründet. Damit setzt Mecke diesen Rechtssatz als Vorgabe an den End- bzw. Anfangspunkt von Puchtas Überlegungen. 442  Auf diese Weise schließt sich der Kreis zur Anfangsüberlegung. Die Berücksichtigung von Individualitäten kann zur Versagung von Personalität führen; das Prinzip der Abstraktion und der Konzentration auf Gemeinsamkeiten setzt dem eine Grenze. 443  Zu Recht Haferkamp, Puchta, S. 444. Puchtas Rechtsbegriff statuiere lediglich die gleiche Rechtsfähigkeit der Person im Privatrecht, d. h. die Grenzen. Über den Inhalt dieser Rechtsfähigkeit im Einzelnen gebe nur das positive Recht Auskunft; aus seinem Rechtsbegriff folge diesbezüglich nichts. 444  Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (255).

176 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Weise umgesetzt werden; zum einen als Schutz der Persönlichkeit im Allgemeinen, zum anderen als Schutz einer gewissen Stufe der Persönlichkeit und zuletzt als Schutz der Persönlichkeit in einer gewissen moralischen Richtung als Recht der Ehre.445 In den „Pandekten“ beschreibt Puchta die einzelnen Stufen bzw. Arten von Persönlichkeit im heutigen Recht und die dementsprechenden Rechte der Persönlichkeit wie folgt: „Die Persönlichkeit hat in dem heutigen Privatrecht eine doppelte Richtung: 1) auf die allgemeinen, keinen besonderen Stand voraussetzenden Rechte, wohin namentlich alle die Rechte gehören, die sich auf das römische Recht gründen, 2) auf die Standesrechte, welche die Mitgliedschaft in einem mit einer besonderen Rechtssphäre versehenen Stand voraussetzen. Auf jene bezieht sich die allgemeine oder bürgerliche Rechtsfähigkeit (welche zugleich die Grundlage der gemeinen bürgerlichen Ehre ist, […]), auf diese die besondere oder Standesrechtsfähigkeit (welcher die Standesehre entspricht). Wie die Rechte, wozu diese letztere befähigt, so fällt auch sie selbst nicht in den Kreis des gemeinen Civilrechts. Die allgemeine Rechtsfähigkeit aber enthält zwey Hauptstufen: 1) Das Recht der Persönlichkeit überhaupt, welches (abgesehen von dem natürlichen Tod) nicht aufgehoben […], aber gemindert werden kann, durch Ehrenminderung […]; 2) das Recht der selbstständigen Persönlichkeit, welches aufgehoben werden kann durch Unterwerfung unter die väterliche Gewalt.“446

Zusammen genommen ergeben sich daraus folgende Bestandteile des Rechts an der eigenen Person nach Puchta: 1. Recht der Persönlichkeit a) die allgemeine, bürgerliche Rechtsfähigkeit betreffend aa) Recht der Persönlichkeit überhaupt (Aufhebung durch natürlichen Tod; Ehrenminderung) bb) Recht der selbstständigen Persönlichkeit (Aufhebung durch väterliche Gewalt) b) die besondere Standesrechtsfähigkeit betreffend aa) Staatsbürgerrechte bb) die eigentlichen Standesrechte 2. Recht des Besitzes Die Einordnung der Standesrechtsfähigkeit bereitet allerdings insofern Schwierigkeiten, als ihr Verhältnis zu den beiden Untergruppen des Rechts an der eigenen Person (Recht der Persönlichkeit und Recht des Besitzes) insgesamt nicht eindeutig zu bestimmen ist. Dies rührt vor allem daher, dass 445  Puchta,

Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239

446  Puchta,

Pandekten, 12. Aufl., S. 176 f.

(255).



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht177

die einschlägigen Textstellen entweder nur die Unterteilung „Recht der Persönlichkeit – Recht des Besitzes“447 oder nur die Gegenüberstellung der allgemeinen und der Standesrechtsfähigkeit448 behandeln, ohne zugleich Bezug aufeinander zu nehmen. Wird daher an einer Stelle das Recht der Persönlichkeit überhaupt als „Teil der allgemeinen Rechtsfähigkeit“449 beschrieben, stellt sich die Frage, ob das Recht des Besitzes nicht ebenfalls dort (d. h. innerhalb der allgemeinen Rechtsfähigkeit) eingeordnet werden müsste. Denn immerhin handelt es sich bei dem Recht des Besitzes um die zweite Fallgruppe des Rechts an der eigenen Person, und es wäre so gesehen als Pendant zum genannten Recht der Persönlichkeit überhaupt zu setzen. Daraus würde sich sogleich die Schwierigkeit ergeben, das Recht des Besitzes in das richtige Verhältnis zum Recht der selbstständigen Persönlichkeit zu bringen. Des Weiteren würde infolge dieser Einordnung die so erwähnte „allgemeine Rechtsfähigkeit“ mit dem Recht an der eigenen Person insgesamt gleichgesetzt, wodurch wiederum jenes Recht der Standesrechtsfähigkeit gegenübergestellt wäre. Dies würde folgenden alternativen Aufbau ergeben: 1. Allgemeine, bürgerliche Rechtsfähigkeit; Recht an der eigenen Person a) Recht der Persönlichkeit überhaupt b) Recht der selbstständigen Persönlichkeit c) Recht des Besitzes 2. Besondere Standesrechtsfähigkeit a) Staatsbürgerrechte b) die eigentlichen Standesrechte Diejenigen Textstellen, die von einer allgemeinen und besonderen Rechtsfähigkeit sprechen, finden sich in Puchtas Darstellungen gerade innerhalb der Abschnitte über das Recht an der eigenen Person bzw. sogar über das Recht der Persönlichkeit an sich. Ihnen fällt dort die Aufgabe zu, die Stufung des Rechts der Persönlichkeit nach heutigem Recht zu beschreiben.450 Damit wird die Standesrechtsfähigkeit / besondere Rechtsfähigkeit gerade zu einem Teil des Rechts an der eigenen Person / des Rechts der Persönlichkeit; sie wird diesem also nicht gegenübergestellt. Neben dem bloßen Argument des Textaufbaus spricht für eine Systematisierung im Sinne des ersten Modells ferner der Passus, die Persönlichkeit 447  Puchta,

(255).

Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239

448  Puchta, Pandekten, 1. Aufl., S. 89; Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 176  f.; Puchta, Vorlesung I, S. 256. 449  Puchta, Pandekten,12. Aufl., S. 176. 450  Puchta, Vorlesung I, S. 252, 256; Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 173, 176.

178 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

habe „in dem heutigen Privatrecht eine doppelte Richtung“451 auf die allgemeinen Rechte einerseits und die Standesrechte andererseits. Erfasst also die Persönlichkeit sowohl die allgemeine als auch die Standesrechtsfähigkeit, so muss dies auch für das Recht der Persönlichkeit und das Recht an der eigenen Person gelten. Dass Puchta zugleich das Recht der Persönlichkeit überhaupt als eine der zwei Hauptstufen der allgemeinen Rechtsfähigkeit bezeichnet, ist dann kein Widerspruch, wenn eben genau zwischen dem „Recht der Persönlichkeit“ (gesamt) und dem „Recht der Persönlichkeit überhaupt“ (in Abgrenzung zum Recht der selbstständigen Persönlichkeit) unterschieden wird. Ein weiteres Argument für die erste Aufbaualternative ergibt sich mit Blick auf den von Puchta angesprochenen Schutz der Ehre. Bei der Unterscheidung zwischen dem Recht der Persönlichkeit und dem Recht des Besitzes verortet er den Ehrschutz insgesamt unter ersteres.452 Spaltet er zugleich die Ehre in eine allgemeine, bürgerliche Ehre (Grundlage: allgemeine Rechtsfähigkeit) und eine Standesehre (Grundlage: Standesrechtsfähigkeit) auf453, so muss das Recht der Persönlichkeit beide Bereiche umfassen. Zuletzt sei bereits an dieser Stelle454 auf die Position verwiesen, die das Recht des Besitzes in Puchtas System der Rechte einnimmt. Im Verhältnis zum Recht der Persönlichkeit soll es sich hierbei um eine Art Weiterentwicklung im Übergang zu den Rechten an Sachen handeln.455 Damit ist es weitaus systemgerechter, die Standesrechtsfähigkeit als Teil des Rechts der Persönlichkeit zu sehen und beides zusammen dem Recht des Besitzes gegenüber zu stellen als umgekehrt zu verfahren. Es bleibt somit bei der zuerst gewählten Darstellung des Rechts an der eigenen Person, die die beiden Untergruppen des Rechts an der Persönlichkeit einerseits und des Rechts des Besitzes andererseits vorsieht und in erstere Gruppe die allgemeine und die Standesrechtsfähigkeit integriert.

451  Puchta, 452  Puchta,

(255).

453  Puchta,

Pandekten, 12. Aufl., S. 176. Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239

Pandekten, 12. Aufl., S. 176 f. Einzelnen siehe Kapitel 3, B. III. 3. a). 455  Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (255). Das Recht der Persönlichkeit schütze die Persönlichkeit unter Absehung jeglicher Verwirklichung in äußeren Gegenständen; das Recht des Besitzes schütze die Persönlichkeit unter Absehung einer rechtlichen Verwirklichung in äußeren Gegenständen, aber gerade im Hinblick auf eine natürliche Unterwerfung derselben (v. a. von Sachen); ebenso Puchta, Existenz des Besitzrechts, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 259 (263 ff.), wo er das Besitzrecht als eine besondere Spezies des Rechts der Persönlichkeit bezeichnet. 454  Im



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht179

2. Persönlichkeit als Gegenstand von Rechten a) Der Gegenstand des Rechts an der eigenen Person Gegenstand des Rechts an der eigenen Person ist nach Puchta die Persönlichkeit bzw. Rechtsfähigkeit456. Gemäß den jeweiligen Definitionen von Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit habe sich hier der Wille selbst zum Gegenstand, dies allerdings weniger im Sinne von Unterwerfung als vielmehr von Anerkennung. „Der Wille will sich, heißt so viel als: er will als Wille gelten, er will Anerkennung seiner Freiheit, seiner Persönlichkeit.“457

Die Persönlichkeit selbst sei zu einem Recht geworden.458 Dahinter steht keinesfalls der Gedanke, die Persönlichkeit gänzlich in jenem Recht aufgehen und sie nur noch in Form eines Rechts existieren zu lassen. Die Persönlichkeit gerade als Eigenschaft und als die Möglichkeit zu Rechten (Rechtsfähigkeit) bleibt für Puchta auch in dieser (isolierten) Form relevant, nämlich als Voraussetzung und inzidentes Element eines jeden Rechts. Als solches aktualisiere sie sich noch immer in den jeweils konkreten Rechten an Sachen, Handlungen und fremden Personen. Puchta spricht diesbezüglich vom Tätigwerden der Persönlichkeit.459 Allerdings verdiene schon vor einer solchen Aktualisierung der rechtliche Wille an sich, d. h. die bloße Möglichkeit des Rechtehabens, den Schutz und die Anerkennung des Rechts. Das Personsein im Subjekt sei für sich genommen bereits etwas Wirkliches, eine Macht und daher als Recht bzw. als Gegenstand eines entsprechenden Rechts anzusehen.460 „Nun ist jedoch die Persönlichkeit des Menschen (der natürlichen Person) keineswegs bloß als Voraussetzung von Rechten aufzufassen. Sie ist nicht um der Rechte willen vorhanden und angenommen, sondern die Rechte sind um des Menschen willen da […]. Die Persönlichkeit des Menschen ist selbst ein Recht […], das seinem Inhalt nach die Bedingung der übrigen Rechte ist und daher an ihrer Spitze, aber dennoch in der Reihe der einzelnen Rechte steht.“461

Wenn Puchta hier wie in den meisten seiner diesbezüglichen Ausführungen die Betonung auf die Rechtsqualität legt, mag dies den Eindruck erwe456  Puchta, Pandekten, 1.  Aufl., S. 33; Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 173; Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (255). 457  Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (255). 458  Puchta, Pandekten, 1. Aufl., S. 33; Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 173. 459  Puchta, Vorlesungen I, S. 252. 460  Puchta, Vorlesungen I, S. 252; Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (255). 461  Puchta, Cursus II, S. 291 f.

180 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

cken, als kenne er die Persönlichkeit nur noch in Form ihres eigenständigen Rechts. Hintergrund ist allerdings der Widerspruch zur herrschenden Meinung seiner Zeit. Gerade mit der Annahme eines solchen Persönlichkeitsrechts beschreitet Puchta neue Wege; entsprechend bedarf dieser Gedanke einer besonderen Begründung. Die Bedeutung der Persönlichkeit / Rechtsfähigkeit auch als „die Bedingung der übrigen Rechte“462, wie es oben heißt, wird hierdurch jedoch nicht ausgeschlossen. Puchta sieht gerade beide Erscheinungsformen der Persönlichkeit vor. Hinsichtlich der zwei Unterfälle im Recht an der eigenen Person konkretisiert Puchta wie folgt: Das Recht der Persönlichkeit habe die Persönlichkeit abgesehen von jeglicher Verwirklichung in äußeren Gegenständen zum Inhalt. Dagegen erfasse das Recht des Besitzes die Persönlichkeit nur abgesehen von einer rechtlichen Verwirklichung, aber gerade mit Blick auf eine natürliche Unterwerfung von äußeren Gegenständen.463 b) Persönlichkeit als Grundelement im Systemaufbau Der im Recht an der eigenen Person angesprochene Gedanke zur Persönlichkeit – die Annahme zweier Erscheinungsformen: als Bedingung aller Rechte einerseits und selbst als Recht andererseits – liegt zugleich der Gesamtkonzeption von Puchtas System zugrunde. Recht insgesamt sei das Beziehen eines Gegenstands auf sich selbst und erfordere dementsprechend im Ausgang eine (Er)Kenntnis dieses Selbst. Das Gegenständlichwerden der Persönlichkeit in dem Bewusstsein „Ich bin Person“ sei den Rechten grundsätzlich vorgelagert.464 Allerdings erfolge diese Selbsterkenntnis nicht vor jeder Unterwerfung eines Gegenstands neu als ein sich immer wiederholender Impuls, sondern fixiere sich in Form eines selbstständigen Rechts der Persönlichkeit, welches damit seine Voraussetzung in sich selbst trage und den „Grund, auf dem alle anderen Rechte erbaut sind“465, darstelle.466 In diesem ersten Recht sei die Persönlichkeit als Subjekt und als Gegenstand vorhanden, in den Rechten an anderen Gegenständen lediglich (aber immerhin) als Subjekt.467 462  Puchta, 463  Puchta,

(255).

464  Puchta,

Cursus II, S. 292. Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239

Cursus II, S. 393. Cursus II, S. 394. 466  Puchta, Cursus II, S. 393 f. 467  Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (256 ff.). Entsprechend heißt es, dass von dem Schutz eines jeden Rechts auch der Wille, die Persönlichkeit, mit umfasst sei: in Form eines unmittelbaren Schutzes bei dem Recht an der eigenen Person; in Form eines mittelbaren Schutzes bei Rechten an Gegenständen außer der Person (bloßer „Mit-Schutz“). 465  Puchta,



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht181

Hiervon ausgehend baut Puchta das weitere System in konsequenter Darstellung der Zusammenhänge zwischen den Rechten auf. Den Besitz, den er ebenfalls als Recht qualifiziert wissen will468, setzt er auf eine Mittelposi­ tion. Besitz bedeute die Unterwerfung einer Sache in noch nicht rechtlicher, aber in natürlicher Hinsicht.469 Da dies noch nicht ausreiche, um die Sache selbst zum Gegenstand des Rechts des Besitzes zu erklären, komme wiederum nur die Persönlichkeit als dessen Inhalt in Betracht.470 Es handele sich um ein aus dem Recht der Persönlichkeit bereits heraustretendes, aber von ihm noch festgehaltenes Rechtsverhältnis471, das somit noch dem Recht an der eigenen Person unterfalle.472 An zweiter Stelle folge das Recht an einer Sache, namentlich Eigentum. In ihm werde ein gegenüber der Persönlichkeit eigenständiger Gegenstand nun auch rechtlich unterworfen.473 Da das moderne Gesellschafts- und Wirtschaftsleben über den Austausch von Sa468  Bei der Frage, ob der Besitz Recht oder Faktum sei, handelte es sich um eines der grundlegenden Streitthemen in der Rechtswissenschaft um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Einordnung unter welche Kategorie von Rechten war damit im Grunde ein erst sekundäres Problem, stellte sich aber als wesentlicher Auslöser für Puchtas „Neubau des Systems“ dar; Näheres siehe Kapitel 3, B. III. 3. a). 469  Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (255). 470  Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (256): „Wer in jener natürlichen Unterwerfung geschützt seyn will, will eben, daß sein Wille für sich anerkannt werde […]. Wollte er etwas anderes, hätte sein zu schützender Wille […] einen anderen, ausser ihm existierenden Gegenstand, so würde er schon nicht mehr den Schutz einer natürlichen Unterwerfung der Sache, sondern einer rechtlichen verlangen. Dadurch eben, daß er von dem Recht an der Sache abstrahiert, zieht er sich in sich zurück.“; ebenso Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (257). Jede Unterwerfung eines Gegenstands sei ein Zurückgehen des Willens auf sich selbst in der Form „Ich will den äußeren Gegenstand“. Diese Aussage habe zwei Seiten; zum einen die unmittelbare Beziehung des Willens auf die Sache, zum anderen die mittelbare Beziehung des Willens auf sich selbst. In Rechtsverhältnissen sei nun entweder schon die erste Beziehung (Unterwerfung der Sache) eine rechtliche oder, so beim Besitz, notwendigerweise die zweite. Für den Besitz habe dies zur Folge, dass nur die Beziehung des Willens auf sich selbst das rechtliche Verhältnis, das Recht, sei. 471  Puchta, Cursus II, S. 394; ebenso die Beschreibung bei Danz, Hallische Jahrbücher 1838, Sp. 1369 (1370): „Der Besitz bleibt auch hiernach jene nach der Seite der Persönlichkeit zugewandte Uebergangsstufe zu dem eigentlichen Rechte an Sachen.“ 472  Daneben Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (247, 255) mit einem weiteren Argument für die Einordnung des Besitzes unter das Recht an der eigenen Person: Es gebe nur die fünf genannten Gegenstände/Rechtskategorien und das Recht des Besitzes passe nicht zu den anderen vier Klassen. Dies spricht jedoch weniger für jene Kategorisierung als solche, sondern vielmehr gegen die grundsätzliche Qualifikation des Besitzes als Recht. 473  Puchta, Cursus II, S. 394 f.

182 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

chen und Kräften funktioniere, habe sich als dritte Kategorie das Recht an den Handlungen eines Anderen (Obligation) entwickelt.474 Indem sich der Mensch in der Außenwelt in einer zugleich natürlichen Verbindung mit seinesgleichen befinde (Familie, Volk), beziehe er in seinem Willen nicht nur Sachen und Handlungen auf sich, sondern auch Menschen als Glieder jener Verbindungen. Entsprechend ergebe sich das Recht an einer Person außer uns.475 Zuletzt erfordere die sichere Existenz der Rechtsverhältnisse eine Fortdauer über das Leben der Person hinaus und führe zum Erbrecht in Gestalt der Rechte an einer in uns übergegangenen Person.476 3. Qualifikation der Persönlichkeit als Recht a) Entwicklungsgeschichte als Streit um ein „Recht des Besitzes“ Das System der Rechte in obiger Form und speziell das Recht an der eigenen Person ergeben sich für Puchta aus der zeitgenössischen Diskussion um die Rechtsnatur des Besitzes. Der Blick auf die ursprüngliche Frage, ob es sich bei dem Besitz überhaupt um ein Recht handele oder nicht, ist nach Puchtas Ansicht durch den Umstand verstellt, dass es bislang an einer zutreffenden Klasse für ein solches Recht fehle.477 Seine Neuklassifizierung erfolgt daher im Ausgangspunkt zu dem Zweck, das von ihm bejahte „Recht des Besitzes“ zu begründen. Die Beteiligung Puchtas an jener Diskussion478 beginnt mit einer Aussage von Savigny in dessen Frühwerk „Das Recht des Besitzes“ (1803). Savigny definiert dort den Besitz als ein mit rechtlichen Folgen (Interdikten) verbundenes Faktum; Besitz sei Faktum und Recht zugleich.479 Auf die Polemik von Gans hiergegen (1827)480 reagiert Puchta mit seiner Schrift „Zu welcher Classe von Rechten gehört der Besitz“ (1829) und verteidigt Savigny in dessen angeblicher Ansicht, der Besitz sei ein Recht.481 In diesem Rahmen 474  Puchta,

Cursus II, S. 395 f. Cursus II, S. 396 f. 476  Puchta, Cursus II, S. 398. 477  Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (247). 478  Zum Streitverlauf im Einzelnen bei Haferkamp, Puchta, S. 269 ff. 479  Savigny, Besitz, 1. Aufl., S. 22. 480  Gans, S. 201 ff. Nach Gans handelt es sich bei dem Besitz um anfangendes Eigentum. 481  Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (242). Die Missverständnisse um Savignys Aussage seien dadurch entstanden, dass Savigny in erster Linie die Frage habe beantworten wollen, ob die aus dem Besitz 475  Puchta,



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht183

führt er erstmals das Recht des Besitzes als Recht an der eigenen Person an.482 Dem wiederum tritt Rudorff entgegen („Über den Rechtsgrund der possessorischen Interdicte“, 1831), hauptsächlich gegen Puchtas Interpretation von Savigny. Keinesfalls habe Savigny ein Recht des Besitzes vertreten, sondern den Besitz eindeutig als faktisches Verhältnis qualifiziert.483 An Puchtas eigener Ansicht rügt Rudorff, es fehle der Beweis des Hauptsatzes, dass der Besitz überhaupt ein Recht sei.484 Selbst wenn er ein solches wäre, spreche außerdem nichts für eine Qualifikation als persönliches Recht.485 Rudorff selbst qualifiziert den Besitz als faktisches Verhältnis und nennt als Grund für den unleugbaren possessorischen Schutz das Verbot der Selbsthilfe.486 Eine von Puchta bereits 1837 verfasste Replik („Über die Existenz des Besitzrechts“, veröffentlicht im Nachlass 1851) sollte gegen Rudorffs Vorwurf den Nachweis erbringen, dass die Verletzung des Besitzes tatsächlich die Verletzung eines Rechts darstelle und der Besitz selbst dieses verletzte Recht und nicht etwas davon Verschiedenes sei.487 Warum mit dem Besitz ein zunächst nur faktischer Zustand als Recht anerkannt und geschützt werde, lasse sich nicht nur über die Aspekte von Selbsthilfe und öffentlicher Ordnung erklären.488 Puchta verweist insofern auf einen tieferfolgenden Interdikte Rechte seien. Er habe sich dagegen nicht dazu äußern wollen, ob der Besitz selbst ein Recht sei. 482  Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (255). 483  Rudorff, ZGeschRW 1831, 90 (102 f.). Der Ausdruck „Besitz ist Recht und Faktum zugleich“ sei nur der Kürze wegen gebraucht worden und beziehe sich lediglich auf „das Recht, welches der Besitz wirkt, nämlich die Interdicte“. 484  Rudorff, ZGeschRW 1831, 90 (102) geht sogar so weit zu behaupten, dass Puchtas Darstellung selbst die Aussage enthalte, dass der Besitz kein Recht sei. Hierzu verweist er auf Puchta, Institutionen, S. 289–293, wo einerseits das „Besitzrecht“ (Recht, welches der Besitz ist) vom „Recht zu besitzen“ und vom „Recht, welches der Besitz wirkt“ abgegrenzt und wo andererseits (an anderer Stelle) das „Besitzrecht“ dem „Besitz“ gegenübergestellt werde. Rudorffs Folgerung daraus ist, dass der Besitz auch nach Puchta keines der drei genannten Rechte und damit (weil auch kein Recht an Personen/Handlungen/Sachen) überhaupt kein Recht sein solle. 485  Rudorff, ZGeschRW 1831, 90 (103 Fn. 2). 486  Rudorff, ZGeschRW 1831, 90 (107 ff.). 487  Puchta, Existenz des Besitzrechts, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 259 (264 ff.) mit der Erklärung, dass der Besitz nur unter der Voraussetzung gewisser Eigenschaften als Recht anerkannt werde, die damit den juristischen vom natürlichen Besitz unterscheiden. Entscheidend sei animus domini; d. h. auch der Wille des Besitzers müsse auf die vollständige Unterwerfung der Sache gerichtet sein (Deckung von Wille und tatsächlicher Unterwerfung in ihrer Totalität). 488  Puchta, Existenz des Besitzrechts, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 259 (261 ff.) akzeptiert das Argument des Selbsthilfeverbots als politische Überlegung, nicht aber als Rechtsgrund. Rudorff argumentiere damit aus einem historisch-politischen Standpunkt heraus, keinesfalls aber aus einem systematischen.

184 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

liegenden Grund und spannt hiermit bereits den Bogen zur grundsätzlichen Frage der Rechtsfähigkeit. „[…] der Wille eines Rechtsfähigen fordert, auch noch ehe er als ein rechtlicher dargethan ist, bis auf einen gewissen Grad rechtliche Anerkennung, eben weil er der Wille eines Rechtsfähigen, also möglicher Weise ein rechtlicher ist. In dem Besitz wird also die Möglichkeit von Rechten, die Rechtsfähigkeit, geschützt […].“489

Savigny wiederum nutzt das Erscheinen von „Das Recht des Besitzes“ in sechster Auflage (1837) zur Reaktion auf die nunmehr auch um seine Haltung geführte Diskussion und zur Klarstellung.490 Der bloße Besitz selbst, abstrahiert von possessorischen Interdikten, sei kein Recht, weder ein schuldrechtliches noch ein Recht auf die Sache.491 Erscheine der Besitz somit einerseits als bloß faktische Herrschaft und sei doch andererseits über die Interdikte wie ein Recht geschützt492, so müsse vor allem der Grund dieses Schutzes eines nur faktischen Verhältnisses erklärt werden. In dieser Hinsicht setzt sich Savigny mit den bereits von Rudorff und Puchta genannten Gründen der Selbsthilfe / öffentlichen Ordnung und der Verletzung der einzelnen Person auseinander493 und folgt in dieser Gegenüberstellung tatsächlich nicht der publizistischen (Rudorff), sondern der privatrechtlichen (Puchta) Ansicht494. Savigny stimmt Puchta somit in der Begründung des Besitzschutzes zu, widerspricht ihm aber hinsichtlich der Qualität des Besitzes als solcher, indem er den Schritt zur Einordnung als Recht nicht mitgeht. 489  Puchta, Existenz des Besitzrechts, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S.  259 (265 f.). 490  Savigny, Besitz, 6. Aufl., S. 40: „[…] wird es zweckmäßig seyn, meine eigene Ansicht, etwas ausführlicher und mit Berichtigung einer früher versuchten Modification, hier zu wiederholen.“; ebenso S. 45: „Nicht selten ist die hier abgehandelte Frage durch mehrere Verwechslungen verwirrt worden.“ 491  Savigny, Besitz, 6. Aufl., S. 34. 492  Savigny, Besitz, 6. Aufl., S. 43: „[…] der Besitz selbst fähig wird, ähnliche Wirkungen wie ein Recht hervorzubringen, obgleich er in Wahrheit kein Recht ist“; ebenso S. 45: „[…] der Besitz selbst als Recht, hat keine Stellung, da er kein Recht ist; das Recht aber, was er wirkt, und um dessen willen er am meisten Aehnlichkeit mit einem Recht annimmt […] – dieses Recht ist das Recht der possessorischen Interdicte […].“ 493  Savigny, Besitz, 6. Aufl., S. 48 ff. 494  Savigny, Besitz, 6. Aufl., S. 40: „Verbindung jenes faktischen Zustandes mit der besitzenden Person, durch deren Unverletzlichkeit er gegen diejenigen Arten der Verletzung mit gedeckt wird, durch welche stets zugleich die Person berührt werden würde“; ebenso S. 41: „Ein selbstständiges Recht ist in diesem Fall nicht neben der Person verletzt, aber in dem Zustand der Person ist doch etwas verändert zu ihrem Nachtheil […].“; ebenso S. 50: „Ich muß vielmehr die privatrechtliche Rücksicht als Grundlage des Besitzrechts behaupten […].“



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht185 „Die hier gegebene Erklärung [Puchtas, Anm. d. Verf.] für den Schutz des Besitzes kann ich nicht als wesentlich verschieden von der meinigen anerkennen. Denn auch ich erkläre jenen Schutz aus der Unverletzlichkeit der Person, und aus der Verbindung, in welche die Person mit einer Sache durch deren natürliche Unterwerfung getreten ist. Neu und eigenthümlich ist es, daß hier eine eigene Klasse von Rechten gebildet wird, die auf der Unverletzlichkeit der Person beruhen. Allein dieses betrifft die Anlage des Rechtssystems im Ganzen, nicht die besondere Begründung des Besitzes.“495

Puchtas Stellungnahme zu Savigny fällt dementsprechend aus, indem er sowohl die Gemeinsamkeiten (Besitzverletzung als Verletzung der Persönlichkeit) betont als auch Savignys Zurückbleiben hinsichtlich der Annahme eines Besitzrechts bedauert.496 Savigny belasse es dadurch bei einem bloß äußerlichen Nexus mit der Persönlichkeit.497 Dagegen will Puchta den „Schritt weiter gehen, den Besitz in einen inneren Nexus mit dem Recht der Persönlichkeit bringen, und ihn dadurch selbst als ein Recht anerkennen“498. In diesem Sinne bekräftigt er seine Begründung, warum der Besitz als ein Recht der Persönlichkeit anerkannt werden müsse: Schutz des Besitzes, weil der Besitzer eine Person sei und daher die Möglichkeit bestehe, dass die faktische Unterwerfung einer Sache eine rechtliche sei.499 Als Ergebnis der Streitentwicklung und abstrahiert von der spezifisch besitzrechtlichen Fragenstellung steht somit bei Puchta ein Recht an der eigenen Person bzw. ein Recht der Persönlichkeit fest, wie es in der endgültigen Fassung sowohl in den „Pandekten“ (1838) als auch im „Cursus“ (1841) erläutert wird. Jedes Recht sei eine Beziehung des Willens auf sich selbst. Überwiegend werde daraus gefolgert, es könne kein gesondertes Recht der Persönlichkeit bestehen.500 Hinsichtlich der Prämisse stimmt Puchta dem zu. In der Tat sei jedes Recht eine Äußerung der Persönlichkeit als Potenz von Rechten. Beispielsweise beziehe der Eigentümer die Sache auf seine Person, wodurch in der Behauptung des Eigentums zugleich die Behauptung der Persönlichkeit liege.501 Die Aussage über eine in jedem 495  Savigny, Besitz, 6. Aufl., S. 48 f.; ferner Savigny, System I, § 53 S. 335 bezüglich seiner Haltung gegenüber Puchtas Recht der Person als solches (unabhängig der Frage des Besitzes), siehe Kapitel 3, A. II. 1. 496  Puchta, Krit. Jahrbücher 1837, 669 (681): „Dem Rec. wird vom Verf. das Zeugniss gegeben, dass dessen Ansicht von der seinigen nicht wesentlich abweiche. Ganz dieses war auch die Meinung des Rec., die höchstens jetzt durch die in der 6. Aufl. hinzugekommene entschiedene Behauptung, der Besitz sei in Wahrheit kein Recht (S. 43), etwas gestört wird.“ 497  Puchta, Krit. Jahrbücher 1837, 669 (683). 498  Puchta, Krit. Jahrbücher 1837, 669 (683). 499  Puchta, Krit. Jahrbücher 1837, 669 (683). 500  Puchta, Cursus I, S. 87 f. 501  Puchta, Cursus I, S. 87.

186 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Recht enthaltene Persönlichkeit / Rechtsfähigkeit gilt also tatsächlich auch bei Puchta; und zwar nicht nur in dem formalen Sinne, die Rechtsfähigkeit (als Fähigkeit, überhaupt Rechte zu haben) stelle die dogmatische Voraussetzung und den logischen Aufhänger eines Rechts dar. Sie gilt auch in einem materiell-inhaltlichen Sinne, wonach in einem Recht stets die Selbstbehauptung bzw. Anerkennung als Person ausgedrückt werde. Des Weiteren spricht Puchta von einer nur mittelbaren Äußerung der Persönlichkeit. Damit aber liege der Schluss auf eine auch unmittelbare Äußerung der Persönlichkeit als alleiniger Gegenstand eines Rechts nahe.502 Diese Reinform sei nichts anderes als das Recht der Persönlichkeit. „Wenn man sagt, jedes Recht sey ein Recht an der eigenen Person, es sey also für die Persönlichkeit kein Platz mehr unter den Rechten, so heißt dies so viel als: die Persönlichkeit ist eine rechtliche Macht im Eigenthum, in der Forderung u.s.f., aber sie selbst, ohne das Eigenthum u., ist keine rechtliche Macht. In der That würde eine Persönlichkeit, die nur die Möglichkeit von Rechten wäre, ein unmächtiges Wesen seyn, das unaufhaltsam in die außer ihm liegenden Gegenstände sich stürzte und in ihnen untertauchte, da ihm die Kraft versagt wäre, auch nur einen Moment in sich selbst Genüge zu finden, und auf sich selbst zu ruhen. Eine Möglichkeit, die nicht als Möglichkeit seyn könnte, sondern nothwendig in ein Anderes übergehen müßte, wäre keine Freiheit. Wer die Persönlichkeit nicht selbst als ein Recht betrachtet, der behauptet, sie habe nur in den Rechten an äußeren Gegenständen ihr Daseyn, sie sey die Seele, die in diesen Rechten eingeschlossen sey, und ohne sie wie ein Hauch verschwinde.“503

Savignys Selbstmordargument, als dem „leerste[n]“504 aller vorgebrachten Einwände, hält Puchta schlicht entgegen, es beruhe auf einer Verwechslung der Begriffe Mensch und Person. Die Persönlichkeit sei schließlich keine Macht über den eigenen Menschen, sondern über die eigene Person. Bei einem Selbstmord werde aber nur der Mensch ermordet. Ein Recht zum Selbstmord könne also nur von demjenigen gefolgert werden, der ein Recht der Menschlichkeit im Sinne einer rechtlichen Macht, Mensch zu sein, annehme. Das sei aber noch keinem Verständigen eingefallen.505 Die Reaktionen auf Puchtas Recht an der eigenen Person sind auch im Anschluss an dessen abschließende Formulierung in den „Pandekten“ und im „Cursus“ überwiegend ablehnend. Soweit ersichtlich scheint einzig Danz in seiner Besprechung von Puchtas Pandektenlehrbuch (1838) keinen Wi­ derspruch gegen die Einordnung der Persönlichkeit als Recht zu erheben506 502  Puchta,

Cursus I, S. 87 f. Cursus I, S. 88. 504  Puchta, Cursus I, S. 89 Fn. b. 505  Puchta, Cursus I, S. 89 Fn. b. 506  Danz, Hallische Jahrbücher 1838, Sp. 1361 (1365 f.). Soweit Danz ausführt, dass „das erste Recht […] das der Persönlichkeit“ (Sp. 1365) sei und dass dessen 503  Puchta,



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht187

und sich allenfalls an der Bezeichnung „Recht an der eigenen Person“ zu stören507. b) Stellungnahme Arndts („Recensionen. Cursus der Institutionen“, 1842) In seiner Rezension zum „Cursus der Institutionen“ greift Arndts das Argument Puchtas von der Persönlichkeit als einem nur unmächtigen Wesen auf, wenn sie sich in der Möglichkeit zu Rechten und damit in der bloßen Aktualisierung in diesen Rechten erschöpfen würde.508 Arndts hält dem entgegen, die Qualifikation der Persönlichkeit als Recht sage allein nichts über deren Mächtigkeit aus und umgekehrt werte derjenige, der die Persönlichkeit als bloße Eigenschaft und Voraussetzung in anderen Rechten ansehe, sie keinesfalls ab.509 Der rechtliche Wille gebe bereits in seiner Wirkung in anderen Rechten die maßgebliche Kraft, ohne hierfür selbst ein Recht sein zu müssen. „Nicht wer die Persönlichkeit nicht als Recht betrachtet, sondern wer keine Person anerkennt, als wo sie sich in einzelnen Rechten thätig zeigt, steht auf demselben Standpuncte, wie der, welcher Gott nur als Weltseele kennt.“510

Hält Arndts es insoweit für nicht notwendig, die Persönlichkeit als Recht zu qualifizieren, sucht er im Folgenden mit logisch-systematischen Erwägungen den Beweis, warum es auch nicht möglich sei. Wenn Persönlichkeit die Voraussetzung jedes Rechts darstelle – was auch nach Puchta unbestritten sei, denn: ohne Person kein Recht –, dann könne sie nicht zugleich selbst ein Recht sein. Denn wenn Persönlichkeit die Macht über die eigene Person sein solle, dann würde dies voraussetzen, dass die Person als der zu unterwerfende Gegenstand schon vor dieser Unterwerfung bestünde. Eine vor-existierende Person ohne Persönlichkeit sei jedoch ein Widerspruch in sich.511 Ein solchermaßen logisches Problem besteht allerdings nur dann, wenn nicht zwischen der Persönlichkeit als Eigenschaft und dem Recht der Persönlichkeit unterschieden und beide Formen nebeneinander anerkannt werden. Wesen, Grundbedingung aller Rechte zu sein, „seine Eigenschaft als selbstständiges und eigenthümliches“ (Sp. 1365) nicht aufhebe, scheint er nicht nur die Ansicht Puchtas wiederzugeben; zumindest widerspricht er ihr nicht. 507  Danz, Hallische Jahrbücher 1838, Sp. 1369 (1369 f.). 508  Verweis auf Puchta, Cursus I, S. 88. 509  Arndts, Krit. Jahrbücher 1843, 289 (298). 510  Arndts, Krit. Jahrbücher 1843, 289 (298). 511  Arndts, Krit. Jahrbücher 1843, 289 (298): „So scheint es also der Ansicht, welche die Lehre von den Personen als Trägern der Rechte gewissermassen vor das System dieser letzten setzt, nicht an Berechtigung zu fehlen.“

188 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Wenn Arndts die Persönlichkeit als die Unterwerfung der Person definiert, dann handelt es sich im Sinne Puchtas um die Person als Recht (Recht der Persönlichkeit). Insoweit bereitet es Puchta keine Probleme, zunächst eine vor-existierende Person mit Persönlichkeit anzunehmen und sie sodann als Recht der Persönlichkeit dem eigenen Willen zu unterwerfen. Im Übrigen ergeben sich auch dann keine Widersprüche, wenn man auf den Ausgangspunkt in Puchtas Überlegungen, d. h. auf die Begründung des Rechts mit der moralischen und rechtlichen Freiheit des Menschen Bezug nimmt. Puchta spricht dort von der Fähigkeit des Menschen, sich selbst zu bestimmen, also auch insofern von einer Macht über die eigene Person.512 Zwar versteht er diese Fähigkeit noch nicht als subjektives Recht, sodass – wenn Arndts Kritik auf diesen Ausgangspunkt bezogen wird – nicht in obiger Weise mit der Unterscheidung von Persönlichkeit als Eigenschaft und als Recht argumentiert werden kann. Nach Puchta handelt es sich jedoch bei der Fähigkeit zur Selbstbestimmung um diejenige Freiheit, vermöge derer der Mensch erst Subjekt und Person im Recht werde.513 Die Persönlichkeit als Eigenschaft, Person zu sein, kann dann zwar auch als Fähigkeit zur Selbstbestimmung bezeichnet werden; sie ist genau genommen aber erst das Resultat aus dieser Fähigkeit und dieser nicht schon vorgeschaltet im Sinne einer Vorausbedingung. Für Puchta fallen somit Person und Persönlichkeit stets zusammen und es besteht nach seinem System überhaupt nicht die Notwendigkeit, eine vorexistierende Person ohne Persönlichkeit anzunehmen. Arndts verweist ferner auf den ursprünglichen Begriff der Person, der nicht zugleich derjenige eines Rechtssubjekts gewesen sei.514 Person habe lediglich ein mit freiem Willen begabtes Wesen bezeichnet. Nach diesem Verständnis sei der Mensch Person gewesen aufgrund seines freien Willens und seiner Gottesähnlichkeit; Rechtssubjekt sei er gewesen, weil er mit anderen Wesen gleicher Gattung in Gemeinschaft stehe und weil er Person sei.515 Hierbei habe es sich aber um zwei zu trennende Begriffe gehandelt, und das Verhältnis von Person und Rechtssubjekt habe sich nicht als Identität, sondern als Ursache und Folge dargestellt.516 Demzufolge sei die Persönlichkeit an sich kein Recht und auch kein Produkt des Rechts im objektiven Sinne, sondern Voraussetzung und Quelle aller Rechte.517 Wenn 512  Puchta,

Cursus I, S. 9. Cursus I, S. 9. 514  Arndts, Krit. Jahrbücher 1843, 289 (298 f.). 515  Arndts, Krit. Jahrbücher 1843, 289 (298 f.). Entsprechend könne der Mensch auch als Einziger seiner Gattung Person sein; umgekehrt könne Gott nur Person, aber niemals Rechtssubjekt sein, weil kein ihm gleichartiges Wesen existiere. 516  Arndts, Krit. Jahrbücher 1843, 289 (299). 517  Arndts, Krit. Jahrbücher 1843, 289 (298). Arndts geht also so weit, aus dem ursprünglichen Begriff der Person die Konsequenz zu ziehen, dass Persönlichkeit 513  Puchta,



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht189

trotz allem der Anschein eines eigenständigen Rechts der Person entstanden sei, liege dies in erster Linie an der prozessualen Möglichkeit, die (Art der) Stellung als Person zum alleinigen Gegenstand eines Streitverfahrens zu machen und im Wege der Präjudizialklage klären zu lassen.518 Insoweit könne man wohl von einem Recht der Persönlichkeit sprechen als dem juristisch begründeten Anspruch darauf, von Anderen als Person anerkannt zu werden. Allein durch diesen Anschein solle aber die andere Ansicht nicht ausgeschlossen werden, die die Persönlichkeit als wesentliche Voraussetzung aller Rechte auffasse, die aber nach Arndts und dem ursprünglichen Begriffsverständnis nicht funktionieren würde, wenn die Persönlichkeit selbst ein Recht wäre.519 Für Puchtas Recht der Persönlichkeit erweist sich somit an dieser Stelle als entscheidend, dass (1) er einen neuen, gegenüber der ursprünglichen Bedeutung weiterentwickelten Personenbegriff verwendet; (2) diese Weiterentwicklung gerade darin besteht, den Begriff der Person mit denjenigen von Rechtssubjekt und Rechtsfähigkeit zu verbinden; (3)  es für Puchtas Recht der Person denklogisch erforderlich ist, zwischen der Persönlichkeit / Rechtsfähigkeit als (rechtlicher) Eigenschaft und Voraussetzung aller Rechte einerseits und dem Recht der Persönlichkeit andererseits zu unterscheiden. c) Stellungnahme Sintenis („Bemerkungen über Rechtssysteme“, 1844) In seinen „Bemerkungen über Rechtssysteme“520 wertet Sintenis ein Recht an der eigenen Person, so wie es von Puchta vertreten wird, als „etwas Unmögliches“521. Ausgehend von der Prämisse, Recht sei die zwangsweise nicht nur kein (subjektives) Recht sei, sondern überhaupt keine rechtliche Qualität habe. 518  Arndts, Krit. Jahrbücher 1843, 289 (299). Durch die positivrechtlichen Regelungen zur Rechtsfähigkeit (Modifikationen, besondere Voraussetzungen) bzw. zum Begriff der Person (juristische Person) entstehe z. T. der Eindruck, als ob die Stellung des Menschen als Rechtssubjekt nicht immer anerkannt werde. 519  Arndts, Krit. Jahrbücher 1843, 289 (299). 520  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (43 ff. bezüglich Puchta). 521  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (43). Aus Puchtas Erklärung zum Recht an der eigenen Person (Geltenwollen des Willens als solcher; Schutz durch Rechtsfähigkeit/Ehre einerseits und Besitz andererseits) zieht Sintenis die Folgerung, dass dies auf ein Recht über den Körper und das eigene Leben hinaus-

190 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

durchsetzbare Macht über einen Gegenstand522, fragt auch Sintenis, was der Gegenstand bei einem solchen Recht an der eigenen Person sein könnte. Puchtas Antwort auf diese Frage lautet: die Persönlichkeit. Sintenis verwirft dies jedoch, weil ein rechtlicher Zwang gegen die eigene Person undenkbar und im Recht nicht existent sei.523 Definiere man dagegen das Recht an der eigenen Person von seinem Schutzcharakter gegen Dritte (Anspruch auf Anerkennung eines Zustands) aus, kämen zwar zunächst jene Dritte als Gegenstand in Betracht.524 Da die Personengruppe aber nur den Umfang, nicht auch den Inhalt des Rechts angeben könne, sei letztendlich auch dies abzulehnen.525 Sintenis kommt damit zu dem Zwischenergebnis, eine auf das ursprüngliche Selbst, d. h. auf die eigene Person gerichtete Willensherrschaft sei zwar möglich, aber grundsätzlich keine Sache des Privatrechts. Soweit sie im Privatrecht doch eine Rolle spiele, dann geschehe dies nur im Begriff der Rechtsfähigkeit526, und hierbei handele es sich ausschließlich um die Voraussetzung und Grundlage aller Klassen von Rechten, „ohne diesen als eine besondere entgegengestellt werden zu können“527. Die eigentlich entscheidende Frage ist also erneut, und als solche bringt auch Sintenis die gesamte Diskussion um ein Recht des Besitzes oder ein Recht an der eigenen Person auf den Punkt528: Gibt es neben der nur mitlaufe. Er verweist sowohl auf Savignys Selbstmordargument als auch auf Puchtas Replik (Unterscheidung zwischen rechtlicher Person und psychischem Menschen), lässt aber im Ergebnis offen, welcher Ansicht er sich selbst anschließt (S. 44). 522  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (43). 523  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (44). 524  So auch Schröter, Krit. Jahrbücher 1840, 289 (294 f.), der an einem Recht an der eigenen Person vor allem die regelmäßig „künstliche Zusammenziehung des Subjects und des Objects“ (S. 295) kritisiert. Vorzugswürdig sei es, als Gegenstand des Willens die Gesamtheit aller anderen Personen in der bezeichneten Beziehung zu nehmen und entsprechend die frühere Bezeichnung „allgemeine, gegen Jeden gerichtete Rechte der Person als solcher“ (S. 295, wohl im Sinne absoluter Rechte) zu verwenden (insgesamt Verlagerung des inhaltlichen Schwerpunkts auf Abwehrfunktion). Speziell zum Besitz vertritt Schröter darüber hinaus die Ansicht, dass es sich hierbei nicht um ein Recht, sondern nur um ein geschütztes Verhältnis der Person zur Sache handele. In einer Besitzstörung könne eine Verletzung der Persönlichkeit lediglich mit enthalten sein, wie auch bei einer Eigentumsstörung (d. h. kein besitzspezifischer Umstand). 525  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (44). 526  Insoweit schränkt Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (44 f.) zugleich ein: Rechtsfähigkeit, „für welche übrigens der Wille und die Herrschaft darüber keineswegs ausschließlich maßgebend ist, da auch Willenlose nicht rechtsunfähig sind, und die Ehre nicht vom Willen abhängt“. 527  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (45). 528  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (45). Wenn man überhaupt einen Willen annehmen wolle, der die eigene Person zum Gegenstand



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht191

telbaren Persönlichkeitsäußerung in anderen Rechten auch eine unmittelbare Verwirklichung als eigenständiges Recht? Ist insofern mit der Konzentration der Persönlichkeit auf den Begriff der Rechtsfähigkeit deren Beschränkung auf ein bloßes Inzidentelement verbunden? Oder ist die Rechtsfähigkeit selbst ein Recht? Nach Sintenis ist diese Frage zu verneinen und zwar, so der Inhalt seiner weiteren Beweisführung, auch nach dem von Puchta vertretenen Rechtsbegriff (Recht als der Wille des Einzelnen, der mit dem allgemeinen Willen übereinstimmen soll)529. Zum einen hätte die Annahme eines solchen Rechts der Persönlichkeit bzw. Rechtsfähigkeit eine Endlosschleife an Willen zur Folge. Denn Wollen sei nur denkbar in Bezug auf etwas Gewolltes; wenn aber ein Wille nur sich selbst wolle, dann entstehe ein neuer gewollter Wille, der erneut sich selbst wolle usw.530 Zum anderen würde es sich bei einem nur sich selbst wollenden Willen um eine rein innere Geistestätigkeit im Sinne bloßen Empfindens handeln. Ein Wille ohne Verwirklichung durch Äußerung sei aber juristisch gleichgültig.531 Hinzu käme die Schwierigkeit der praktischen Gestaltung, wollte man tatsächlich die Möglichkeit eines Rechts der Rechtsfähigkeit in Betracht ziehen.532 Ein Recht zeichne sich generell durch irgendeine Art von Schutz, der für seine Ausübung vorgesehen sei, aus. Da Sklaverei und Civität im heutigen Recht keine Rolle mehr spielen würden, könne ein solcher Schutz für die Persönlichkeit nur noch in der Befreiung von der väterlichen Gewalt bestehen. Für den Begriff des Rechts als solches wäre dies wohl ausreichend; es würde aber in diesem isolierten Verhältnis keine besondere Kategorie an Rechten legitimieren.533 Im Übrigen bestünden die Gegenstände der sonstigen Rechtsklassen in der Natur der Dinge. Dagegen würde das Recht an der eigenen Person wegen seiner Beschränkung auf die väterliche Gewalt allein auf positivem Recht fußen. Damit wäre auch das zentrale Merkmal in Puchtas System der Rechte hinfällig: Die „stetige, geschichtliche Progression von dem äußerlichsten bis zum innerlichsten der rechtlich möglichen Gegenstände des Willens“534 würde den Charakter einer natürlichen Entwicklung verlieren, sobald für die Bestimmung der Gegenstände habe, dann wäre er zumindest nichts Besitzspezifisches, sondern in allen Rechten zu finden. 529  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (46). Puchtas gesamter Rechtsbegriff lautet: „Recht sey der dem allgemeinen Willen entsprechende Wille des Einzelnen, welcher einen Gegenstand in die Macht einer Person giebt“. Sintenis will in seien Betrachtungen den zweiten Halbsatz weglassen und sich auf den Willen/das Wollen der Rechtsfähigkeit konzentrieren. 530  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (46). 531  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (46). 532  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (46 f.). 533  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (47). 534  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (47).

192 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

eine positive Einrichtung, nämlich diejenige der väterlichen Gewalt, erforderlich wäre.535 Zuletzt müsse ein Recht der Persönlichkeit / Rechtsfähigkeit wie sonstige Rechte auch zur Disposition des Einzelnen stehen. Dies sei aber nicht der Fall. Zum Beleg verweist Sintenis auf verschiedene Beispiele aus dem römischen Recht536. Das abschließende Fazit von Sintenis lautet daher: „Hiernach erscheint die Rechtsfähigkeit oder Persönlichkeit lediglich als ein Zustand, welcher für den Menschen durch die Verhältnisse, in denen er geboren ist und existiert, gegeben ist, und jetzt, nach Wegfall der übrigen Abstufungen für das Privatrecht, nur noch in dem Gegensatz des Freiseyns von, oder des Unterworfenseyns unter die väterliche Gewalt hervortritt.“537

Sintenis beschränkt damit die Persönlichkeit auf die Erscheinungsform als Eigenschaft und auf die Funktion der inzidenten Voraussetzung, Rechte haben zu können. Zugleich betont er wie bereits Arndts, dass auch hierin ein mächtiges Wesen538 zu sehen sei. „Man gibt also die Persönlichkeit des Menschen in der That nicht auf, wenn man in ihr nur die Möglichkeit sieht, Rechte zu haben […].“539

Damit aber vertritt Sintenis das klassische Rechtsfähigkeitsbild von einem im Grundsatz abstrakten, auf die Möglichkeit zu Rechten konzentrierten Begriff540 und stimmt zumindest in diesem Aspekt mit Puchta überein. d) Stellungnahme Unger („System des österreichischen allgemeinen Privatrechts. Band 1“, 1856) Unger setzt sich mit Puchtas Recht an der eigenen Person auseinander im Zusammenhang mit einer generellen Kritik an der Einteilung der Privatrechte in Personen- und Vermögensrechte.541 Autoren wie Schilling, Mühlenbruch, Wächter und Bluntschli würden eine besondere Gruppe sogenannter Personenrechte annehmen und hierunter Rechte verstehen, die einer Person eben aufgrund ihres Personseins oder infolge ihrer Stellung und Qualitäten als Bür535  Sintenis,

Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (47). Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (47 f.). 537  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (48). 538  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (48). 539  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (49). 540  Sintenis, Zeitschrift f. Civilrecht u. Prozess Bd. 19 (1844), 41 (48), als wesentlicher Charakter der Rechtsfähigkeit, „wenn er auch in einem verschiedenen Umfang wirkt, nemlich der einer Möglichkeit“. 541  Unger, S.  504 ff. 536  Sintenis,



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht193

ger, Familienmitglieder etc. zukommen sollen.542 Unger hält es dagegen für unhaltbar, diesbezüglich von einer eigenen Rechtsklasse auszugehen und sie auf eine Linie mit den Vermögensrechten zu stellen.543 Besondere, aus der Persönlichkeit entspringende Rechte würde es entweder überhaupt nicht geben oder aber alle Rechte seien als solche Rechte der Persönlichkeit einzuordnen.544 Denn bei der Persönlichkeit handele es sich um Rechtsfähigkeit, d. h. um die Möglichkeit, Rechte zu haben, die somit als Voraussetzung und Element in jedem Privatrecht stecke. Rechtsfähigkeit und Person zu sein, sei aber gerade kein Privatrecht der Person.545 In diesem Zusammenhang erfolgt Ungers kritischer Verweis auf Puchta bzw. er pflichtet denjenigen Autoren bei, die sich aus diesem Grund gegen dessen Recht an der eigenen Person ausgesprochen haben.546 Etwas anderes ergebe sich auch nicht für solche Ansichten, die die Personenrechte auf sogenannte angeborene Rechte (Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Persönlichkeitsäußerung, Fähigkeit zum Erwerb nicht angeborener Rechte) beschränken wollen. Auf diese Weise werde lediglich versucht, dem genannten Vorwurf, dass andernfalls jedes Privatrecht ein Personenrecht sein müsse, zu begegnen.547 Als paralleles Beispiel nennt Unger die Staatsbürgerschaft. Auch hierbei handele es sich nur um einen Zustand, der zwar für rechtliche Beziehungen von Bedeutung sei, indem aus diesem heraus Rechte entstehen könnten, der aber nicht selbst ein Recht darstelle.548 e) Stellungnahme Jhering („Rechtsschutz gegen injuriöse Rechtsverletzungen“, 1857) Jhering greift Puchtas Gedanken zum Recht der Persönlichkeit in einem Beitrag über injuriöse Rechtsverletzungen auf und nennt ihn als (weiteres549) 542  Unger,

S. 504. S. 505. 544  Unger, S. 505. 545  Unger, S. 505 f. Im Übrigen beruhe Puchtas Begründung, wonach sich das Subjekt auf sich selbst als Objekt beziehen solle, auf einer ungerechtfertigten Übertragung der auf philosophischem Gebiet zulässigen Subjekt-Objektivierung auf das Privatrecht. 546  Unger, S. 506 Fn. 5. 547  Unger, S. 506 Fn. 6. Es gibt kein Privatrecht, Rechte zu erwerben, sondern nur eine vom Recht anerkannte Fähigkeit, Rechte zu erwerben. 548  Unger, S. 508. Der Ausdruck „Staatsbürgerrecht“ sei insofern ungenau. 549  Jhering, JherJb 1885, 155 (166 f.). Kontext ist hier die Darstellung einer Ansicht von Walter zu den beiden Funktionen der actio iniuriarum (ideelle und reale Seite; einerseits Schutz der Ehre als Rechte, die sich auf die Person beziehen, andererseits Schutz der Rechtsfähigkeit als die rechtlichen Verhältnisse der Person zu Sachen). Nach Walter stecke in jeder Rechtsverletzung zugleich ein Angriff auf die Rechtsfähigkeit des Verletzten (bzw. auf einen Teil derselben), indem der Schädiger 543  Unger,

194 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Beispiel für den „Mißgriff“550, Rechtsfähigkeit und konkrete Rechte miteinander zu verwechseln.551 Im Einzelnen geht es um Puchtas Charakterisierung des Besitzes als Recht der Persönlichkeit552 und die Ansicht, jede Besitzverletzung sei zugleich eine Verletzung der Persönlichkeit. Dagegen wendet Jhering ein, das Bestreiten des konkreten Besitzverhältnisses stelle kein Bestreiten der abstrakten Besitzfähigkeit der Person dar, ebenso wenig wie die Verletzung eines konkreten Rechts eine Verletzung der abstrakten Rechtsfähigkeit der Person sei.553 Es hieße mit Worten und Begriffen spielen, wenn man die konkreten Rechtsverhältnisse unter den Begriff der Persönlichkeit bringen wolle.554 Sobald eine Person solche Verhältnisse begründe, sei sie über sich selbst hinausgegangen und habe eine Position in der Außenwelt eingenommen, die sich von der Persönlichkeit als solcher abgelöst habe. Der Schutz des Rechts betreffe dann nicht mehr die Person, sondern nur noch diese bestimmte rechtliche Position.555 Als Beispiel für eine Verletzung der Persönlichkeit nennt Jhering den verhinderten Kauf eines Theaterbillets, wohingegen die verhinderte Einlösung eines bereits gekauften Theaterbillets (nur noch) eine Verletzung des konkreten Rechts aus dem Billet sei.556 Im Übrigen würde nach der anderen, von Jhering abgelehnten Sichtweise jedes Unrecht eine iniuria enthalten; folglich würde sich der gesamte Rechtsschutz in dieser auflösen, und das eigentliche Moment der iniuria wäre aufgegeben.557 dem Verletzten nicht alle Rechte zugestehen wolle, welche der Staat demselben aber zugesichert habe. 550  Jhering, JherJb 1885, 155 (310). 551  Jhering, JherJb 1885, 155 (309 ff.). Der Kontext an weiterer Stelle ist der Schutz des unkörperlichen Eigentums. Jhering lehnt die Ansicht ab, die einen Schutz von Immaterialgütern über ein Recht der Persönlichkeit erreichen will. 552  Ungenau insofern, als Puchta das Recht des Besitzes allenfalls als besondere Form des Rechts der Persönlichkeit, insgesamt aber mit jenem zusammen als Recht an der eigenen Person einordnet. 553  Jhering, JherJb 1885, 155 (166); ferner S. 173 mit einer Kritik an WeningIngenheim, der Rechtsfähigkeit definiert als die vom Staat anerkannten genau bestimmten Rechte, die dem Einzelnen als Mensch und Bürger zustehen: „Aber wer hat je Besitz, Eigenthum und Obligationen zur Klasse derjenigen gerechnet, welche dem Einzelnen als Mensch und Bürger zustehen? Was ihm als Mensch und Bürger zusteht, ist nur die Fähigkeit zu diesen Rechten, nicht die Rechte selbst, und die Fähigkeit beschränkt sich nicht auf die genannten Rechte, sondern erstreckt sich über das ganze Rechtsgebiet, […].“ 554  Jhering, JherJb 1885, 155 (310). 555  Jhering, JherJb 1885, 155 (310). 556  Jhering, JherJb 1885, 155 (310). 557  Im Folgenden des Beitrags daher überwiegend Auseinandersetzung mit Walters Lösungsversuch zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche von actio iniuria und den jeweils spezielleren Klagen.



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht195

f) Zum Recht erhobene Rechtsfähigkeit oder inhaltliches Plus Alle genannten Stellungnahmen sehen das wesentliche Problem eines Rechts an der eigenen Person darin, es mit der Rechtsfähigkeit und deren klassischer Grundlagenqualität zu vereinbaren.558 Die Rechtsfähigkeit wird allein als Eigenschaft und als bloßes Bedingungselement in anderen Rechten gesehen und hierauf auch beschränkt. Als einer der Gründe dafür, daneben nicht auch ein Recht der Rechtsfähigkeit anzunehmen, wird auf die Wirkungsmacht der Rechtsfähigkeit („mächtiges Wesen“) bereits als bloße Eigenschaft verwiesen. Die Bedeutung dessen, was es heißt, Person zu sein und die Möglichkeit, einen rechtlichen Willen zu haben, werde auch auf diese Weise in ausreichendem Maße repräsentiert (Arndts, Sintenis). Puchtas Betonung als Recht trage in dieser Hinsicht nichts zur Aussagekraft bei, sei daher überflüssig. Diese Einschätzung wäre unzutreffend, wenn Puchta mit der Rechtsqualität letztlich doch ein inhaltliches Mehr verbunden hätte. Grundsätzlich ausgeschlossen ist es nicht, in dem Recht eine weitergehende Aussage zu sehen als die bloße Beschreibung der nun zu einem Recht erhobenen Eigenschaft. Denn immerhin kommt Puchta auch dazu, in das Recht an der eigenen Person den Unterfall des Rechts des Besitzes zu integrieren. Die Verselbstständigung der Möglichkeit des Rechtehabens könnte z. B. mit einer solchen Betonung materieller Wertungen einhergehen, die den Wert jenes Rechts zu etwas von der Rechtsfähigkeit Verschiedenem machen würde. Zu denken ist vor allem an eine Erweiterung auf die klassischen Themen des Persönlichkeitsschutzes, die heute von dem Bereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts abgedeckt werden. In diesem Fall würde es sich bei Puchta wirklich um ein umfängliches Recht der Persönlichkeit handeln, gegenüber dem die Rechtsfähigkeit als Eigenschaft nur einen Teil desselben darstellen würde. Dass hierbei ein Zusammenhang zu sehen ist, zeigt sich unter negativen Vorzeichen in der bisherigen Diskussion zu der Frage, in welchem Verhältnis Puchtas Recht der Persönlichkeit zum modernen allgemeinen Persönlichkeitsrecht steht. Insofern wurde bzw. wird immer wieder 558  Bei Unger, S. 507 Fn. 10 liegt allerdings eine noch stärkere Betonung auf der positivistischen Qualität der Rechtsfähigkeit, wenn er des Weiteren ausführt: „Der Irrthum besteht darin daß man die leitenden Principien, die sittlichen Ideen um deren Realisierung es sich handelt, die allgemeinen Forderungen der Vernunft […] als concrete Privatrechte des Einzelnen darstellt […].“ Sicherlich, aber eben auch nur lediglich, handele es sich um „eine sittliche Forderung, daß Jedermann als Person und daher als rechtsfähig betrachtet werde: […] ohne daß man nunmehr von einem concreten Privatrecht des Individuums auf Freiheit, Ehre u.s.f. sprechen könnte.“

196 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

damit argumentiert, Puchta habe sich auf die Rechtsfähigkeit als solche beschränkt.559 Tatsächlich ist und bleibt es für Puchta allein die Möglichkeit des Rechtehabens als solche, die in Form eines eigenen Rechts berücksichtigt werden soll. Gerade im Gesamtbild seines Systems der Rechte und in Abgrenzung zu der auf den nachfolgenden Stufen bereits verwirklichten Möglichkeit (Rechte mit primär externem Gegenstand) kommt es ihm darauf an, ein Recht der Persönlichkeit als solches zu erhalten. Genau genommen bleiben auch in diesem Fall noch unterschiedliche Erklärungsansätze dafür denkbar, welche Aussage Puchta einem solchermaßen reinen Recht der Persönlichkeit im Detail zugrunde legt. Beispielsweise kann die Leitrolle, die die Persönlichkeit im Gesamtsystem der Rechte einnimmt, unter mehr dogmatischen oder unter mehr inhaltlich-psychologischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Im ersten Fall wäre auf die Möglichkeit des Rechtehabens als logisches Bedingungselement hinzuweisen; im zweiten könnte der in jedem Recht zu findende Ausdruck von Selbstbehauptung zum roten Faden des Systems gemacht werden. Letztendlich sind beide Wesenszüge dazu geeignet, die Voranstellung der Persönlichkeit im Rechtssystem zu rechtfertigen. Puchtas Begründung verläuft letztendlich über den Aspekt der Selbsterkenntnis, die vom Recht als Beziehung eines Gegenstands auf sich selbst im Ausgangspunkt vorausgesetzt werde.560 Damit arbeitet er sowohl mit logischen als auch mit inhaltlichen Argumenten. In jedem Fall aber stellt Puchtas Recht der Persönlichkeit nur auf die eigentliche Aussage der Rechtsfähigkeit ab. Insofern ist Puchtas Kritikern zuzustimmen, die das Recht der Persönlichkeit / der Rechtsfähigkeit als tatsächlich deckungsgleiches Pendant zu den Eigenschaften der Persönlichkeit / Rechtsfähigkeit sehen. Allein der Umstand, dass Puchta im Gegensatz zur zeitgenössischen herrschenden Meinung die Rechtsfähigkeit (auch) als Recht einstuft, birgt also inhaltlich gesehen noch keine Besonderheit in sich. Weder kann das Recht als ein inhaltliches Plus noch die Rechtsfähigkeit (Eigenschaft und Bedingungselement) als eine demgegenüber inhaltlich reduzierte Erscheinungsform aufgefasst werden. Gleichzeitig ist Leuze zu widersprechen, der auf ein vermeintliches Missverständnis von Puchtas Lehre verweist. Wenn Puchta 559  Leuze, S. 53; Klippel, ZNR 1982, 132 (138), der sich vor allem auf die Kritiker Puchtas bezieht, die ihre Argumentation vor allem auf das Argument stützen, dass die Rechtsfähigkeit kein Recht sei, und die damit nur die Gleichsetzung von Recht der Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit vor Augen haben. Klippel pauschalisiert dies sogar: „Soweit also die Pandektisten den Begriff der Persönlichkeit erörtern, verstehen sie darunter die Rechtsfähigkeit des Menschen.“ 560  Puchta, Cursus II, S. 393.



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht197

die Persönlichkeit / Rechtsfähigkeit als „subjective Möglichkeit eines rechtlichen Willens“561 definiere, könne der Eindruck entstehen, er verstehe unter Rechtsfähigkeit nur das Vermögen, Inhaber von Rechten und Pflichten zu sein, ohne damit zugleich eine Aussage über die Existenz irgendwelcher Rechte zu verbinden. Demzufolge würde sich Puchta mit einem abstrakten Willensvermögen, das nur an die menschliche Existenz gebunden und unabhängig von deren Realisierung oder auch nur Realisierungsmöglichkeit sei, begnügen.562 Wenn dies so wäre, dann müssten nach Puchta Minderjährige und Willensunfähige rechtsfähig sein, hätten aber mangels Möglichkeit der Willensäußerung kein Recht der Persönlichkeit.563 Stattdessen will Leuze Puchta dahingehend verstanden wissen: Wenn Puchta von der Fähigkeit zu Rechten und von der Möglichkeit, einen rechtlichen Willen zu äußern, spreche, dann denke er damit nicht an eine abstrakte Möglichkeit ohne Rücksicht auf deren Realisierung. Die Fähigkeit zum Willen und die Äußerung desselben seien bei ihm unzertrennlich miteinander verbunden.564 Zum Beleg führt Leuze die Aussage Puchtas an, „eine Persönlichkeit, die nur die Möglichkeit von Rechten wäre, [sei] ein unmächtiges Wesen“565. Betrachtet man diese Aussage jedoch in ihrem Kontext, eignet sie sich m. E. gerade nicht dazu, eine solche Interpretation des Rechts der Persönlichkeit wie die von Leuze zu stützen. Denn das unmächtige Wesen einer Persönlichkeit, die nur Möglichkeit zu Rechten wäre, sieht Puchta speziell darin, dass es sich „unaufhaltsam in die außer ihm liegenden Gegenstände“ stürzen und in ihnen untertauchen würde.566 Weiter heißt es dort, eine Möglichkeit „die nicht als Möglichkeit seyn könnte, sondern nothwendig in ein Anderes übergehen müßte“, sei keine Freiheit.567 Im Übrigen weist Leuze selbst darauf hin, Puchta lasse das Recht der Persönlichkeit bereits mit Geburt entstehen. Aus seiner Sicht – Puchtas Persönlichkeit als Fähigkeit zur Willensäußerung interpretiert – stellt sich dies als Widerspruch in Puchtas Darstellungen dar; und diese Schlussfolgerung zieht Leuze konsequent.568 Überzeugender ist es jedoch, in dem Persönlichkeitsrecht ab Geburt gerade ein Argument dafür zu sehen, dass Puchta dieses als abstrakte Möglichkeit zu Rechten verstand.

561  Puchta,

Pandekten, 12. Aufl., S. 36. S. 55. 563  Leuze, S. 55. 564  Leuze, S. 55. 565  Puchta, Cursus I, S. 88; vgl. Leuze, S. 55. 566  Puchta, Cursus I, S. 88. 567  Puchta, Cursus I, S. 88. 568  Leuze, S. 55. 562  Leuze,

198 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

4. Inhaltliche Ausgestaltung über Stufen der Rechtsfähigkeit Die Einteilung der Persönlichkeit im geltenden Recht nimmt Puchta anhand der beiden Hauptkategorien der allgemeinen Rechtsfähigkeit (Recht der Persönlichkeit überhaupt; Recht der selbstständigen Persönlichkeit) einerseits und der besonderen Standesrechtsfähigkeit andererseits vor. Neben bzw. vor diese heutige Stufung setzt er die Ordnung der Person nach klassischem römischem Recht und nennt als solche die Einteilung nach libertas, civitas und familia sowie die Figur der capitis deminutio.569 a) Römisches Recht Nach römischem Recht werde die rechtliche Stellung des Menschen, die seine Persönlichkeit bedinge, als status hominum, ius personarum oder conditio hominis bezeichnet und an die drei Bedingungen libertas, civitas und familia geknüpft. Für die Person selbst sei der Begriff caput im Gebrauch gewesen.570 Bei einer capitis deminutio handele es sich um den Fall einer Minderung der Rechtsfähigkeit, die eine Veränderung in einem der genannten status in sich schließe.571 Im Anschluss an einen solchen, in sämtlichen seiner Darstellungen ähnlich erfolgenden Überblick über die römischen Verhältnisse setzt sich Puchta regelmäßig mit den drei den status bestimmenden Momenten auseinander.572 aa) Lehre von libertas, civitas und familia Die Unfreiheit nach römischem Recht charakterisiert Puchta mit Blick auf die Rechtsstellung des Sklaven als unbeschränkte Unterwerfung und gänzliche Absorption der Persönlichkeit.573 Der Unterworfene sei mit seinem ganzen äußeren Dasein nur Mittel für die Zwecke des Gewalthabers und damit völlig rechtsunfähig nach ius civile und ius gentium.574 Dem Freiheitsbegriff der Römer habe eine in erster Linie negative Bestimmung zugrunde gelegen. Frei sei, wer nicht Sklave sei.575 Entsprechend habe sich 569  Puchta, Pandekten, 1. Aufl., S. 89; Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 175  f.; Puchta, Cursus I, S. 428 ff. 570  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 175; Puchta, Cursus II, S. 428, 495: „Person, sofern sie in einer Gesamtheit Gleichgestellter mitzählt“. 571  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 175 f. 572  Teilweise in sehr ausführlicher Weise, insbesondere Puchta, Cursus II, S. 428–508. 573  Puchta, Cursus II, S. 431. 574  Puchta, Cursus II, S. 432. 575  Puchta, Cursus II, S. 455.



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht199

der Stellenwert der Freiheit im römischen Recht nur ganz allgemein als die Möglichkeit von Rechten bemessen, die allein noch keineswegs eine bedeutende staats- und privatrechtliche Stellung ergeben habe. Unter den Freien selbst hätten beträchtliche Unterschiede in der Rechtsfähigkeit bestanden, sodass mit der bloßen Freiheit aktuell wenig gewonnen wurde.576 Im „Cursus“ mit der soweit ersichtlich umfangsreichsten Behandlung der römisch-rechtlichen libertas thematisiert Puchta im Übrigen die Entstehungsgründe der Sklaverei (Geburt, Gefangenschaft)577, Imperatorenerlasse und Bestimmungen zum Schutz der Sklaven578, die Arten des Freiheitserwerbs579, das Colonat580 und die Unterschiede zwischen Freigeborenen (ingenui) und Freigelassenen (libertini)581. Wie bei Savigny beschränken sich die dortigen Ausführungen im Wesentlichen in einer Beschreibung der antiken Regelung, ohne zugleich relevante Aussagen für den modernen Rechtsfähigkeitsbegriff nach Puchta zu treffen. Immerhin sieht Puchta in der Handhabung zum Schutz der Sklaven eine bereits in der Antike vorhandene Tendenz, die gänzliche Rechtlosigkeit aus sittlichen, natürlichen Prinzipien (Widerstand gegen die völlige Gleichstellung mit Sachen) zu modifizieren, auch wenn dies noch keine Erteilung von Rechtsfähigkeit zur Folge hatte.582 Ebenso wertet er die Möglichkeit des Sklaven, Freiheit zu erlangen, als Hinweis auf die Anerkennung der „Menschenrechte“583. Letztendlich zeigt dies Puchtas grundsätzliches Bestreben, auch bei der Behandlung antiker Regelungen in modernen Begriffen und unter Anlegung moderner Maßstäbe zu denken bzw. jene dort „unterzubringen“. Die Fallgruppe der Civität erklärt Puchta als die Unterteilung von Cives Romani und Nicht-cives. Ihre Wirkungen würden sowohl auf politischem als auch privatrechtlichem Gebiet liegen.584 Ein wesentliches Element stelle die Verbindung zur Ehre (existimatio, dignitas) dar, indem die sittliche Aner576  Puchta, Cursus II, S. 455  f. mit einer Auflistung von Fällen, in denen ein Freier faktisch oder rechtlich nicht besser gestellt war als ein Sklave, im Einzelnen: faktische Dienstbarkeit; Auctorator (Kampfschauspieler); Pfandrecht an Kriegsgefangenen; Schuldknechtschaft; Colonat. In diesen Fällen bestand eine Nähe zur Sklaverei sowohl unter wirtschaftlichen, sozialen als auch rechtlichen Aspekten (z. B. Anwendung von Klagerechten, Freilassungsregelungen auch auf den Freien). 577  Puchta, Cursus II, S. 428–431. 578  Puchta, Cursus II, S. 432–439. 579  Puchta, Cursus II, S. 440–455. 580  Puchta, Cursus II, S. 458–462. 581  Puchta, Cursus II, S. 462–464. 582  Mehr vergleichbar mit sonstigen Einschränkungen von Eigentumsbefugnissen aus sittlichen, ökonomischen Gründen, siehe Puchta, Cursus II, S. 435. 583  Puchta, Cursus II, S. 440. 584  Puchta, Cursus II, S. 464.

200 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

kennung einer Person seitens ihrer Mitbürger die Voraussetzung für die politischen, in Teilen auch privatrechtlichen585 Aspekte der Civität seien.586 Als weitere, allerdings antiquierte Standesunterschiede innerhalb der Civität mit Einfluss auf die Privatrechtsfähigkeit nennt Puchta die Gruppen von Patrizier und Plebejer, den Soldatenstand, den Staatsdienst und die Religionsverschiedenheit.587 Erneut handelt es sich um eine Darstellung mit weitgehend rechtshistorischem Inhalt588, ebenso bei der weiteren Frage der Abgrenzung zwischen Peregrinität und Latinität und deren Übergänge zur Civität589. Hinsichtlich der familia macht Puchta auf deren zweifache Wirkungsweise innerhalb der Rechtsfähigkeit aufmerksam. Ihr Einfluss erfolge zum einen über die Mitgliedschaft in einer Familie überhaupt (das Ob der Familienstellung), zum anderen über den Platz, den man innerhalb der Familie einnehme (das Wie der Familienstellung).590 Zur tatsächlichen Bedeutung von Gens und Familie verweist Puchta auf die Mitgliedschaft in einer Patrizierfamilie (gens), die ursprünglich Voraussetzung für eine vollständige politische Rechtsfähigkeit gewesen sei591. Insofern habe man von einer anfänglichen Vergleichbarkeit von Gentilität und Civität in staatsrechtlicher Hinsicht auszugehen. Mit Eintritt der Plebejer in den Staat sei deren Bedeutung für die politische Rechtsfähigkeit jedoch entfallen.592 Im Privatrecht dagegen habe die Gentilität von Anfang an nur die Möglichkeit zu gewissen rechtlichen Beziehungen und partikulären Rechten gegenüber den Genossen verliehen.593 Sie sei daher grundsätzlich nicht vergleichbar mit der Civität im privatrechtlichen Sinne (commercium und conubium im umfassenden Sinne) und entsprechend kein status mit Einfluss auf die Rechtsfähigkeit gewesen. Ebenso verhalte es sich mit der von der gens abgesehenen Familienmitgliedschaft, dem Agnatenkreis an sich. Er habe zwar gewisse Rechte be585  Nach Puchta, Cursus II, S. 466 ist dies immer dann der Fall, wenn die privatrechtliche Wirkung im Zusammenhang mit einer öffentlich-rechtlichen Stellung der Person stehe. 586  Entsprechend wird in Puchta, Cursus II, S. 466–470 die Thematik der Infamia unter dem Abschnitt der Civität (Darstellung der alt-römischen Regelung; Verweis auf weitere Formen der Ehrenminderung durch Censor und den späteren Wegfall der Infamia-Fälle) behandelt. 587  Puchta, Cursus II, S. 470. 588  Die bloß rechtshistorische Relevanz der Darstellung wird u. a. bei der Latinität deutlich, wenn Puchta, Cursus II, S. 477 schreibt: „Zur Zeit der classischen Juristen gab es folgende Arten von Latinen.“ 589  Puchta, Cursus II, S. 473–479. 590  Puchta, Cursus II, S. 487. 591  Puchta, Cursus II, S. 487. 592  Puchta, Cursus II, S. 487. 593  Puchta, Cursus II, S. 487 f.



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht201

gründet, nicht aber die Persönlichkeit beeinflusst.594 Dagegen habe die Familie ihren Einfluss auf die Persönlichkeit „bis auf die neueste Zeit“595 behalten, indem das Wie der Familienstellung weiterhin entscheidend sei. Gemeint sind solche Gewalten, denen eine Person innerfamiliär unterworfen sein könne, namentlich patria potestas (Beschränkung der Rechtsfähigkeit des Filiusfamilias in vermögensrechtlicher Hinsicht) und manus.596 Die Entwicklung der patria potestas zu immer weiter reichenden Ausnahmen von der Vermögenslosigkeit des Filiusfamilias597 bewertet Puchta im „Cursus“ folgendermaßen: „[…] hier ist die Stellung des Filiusfamilias in vermögensrechtlicher Hinsicht nicht wesentlich verändert. Unfähigkeit, ein Vermögen zu haben (das Princip des alten Rechts), und Unfähigkeit, über das Vermögen, das man hat, irgendwie zu disponieren (die Regel des neuen Rechts), führen so ziemlich auf dieselben Beschränkungen der Persönlichkeit.“598

bb) Lehre von der capitis deminutio Puchta definiert capitis deminutio als einen Verlust der Stellung in einem der drei Kreise (libertas, civitas, familia), der zu einer Veränderung der Rechtsfähigkeit führe.599 Die Schwierigkeit, die capitis deminutio in ihrer historischen Erscheinungsform zu beschreiben, resultiere aus deren mittlerweile gewandeltem Verhältnis zur familia. Ursprünglich habe auch der Austritt aus der Agnatenfamilie einen Rechtsfähigkeitsverlust dargestellt, was nach geltendem Recht jedoch nicht mehr der Fall sei. Entsprechend habe die capitis deminutio bezüglich libertas und civitas ihren ursprünglichen Charakter behalten, hingegen für die familia keinerlei Bedeutung mehr. Aus diesem Grund sei zum einen immer wieder der Hinweis angebracht, als capitis deminutio dürfe nur eine solche status-Veränderung bezeichnet werden, die sich zugleich auf die Rechtsfähigkeit auswirke. Zum anderen habe eine Untersuchung der capitis deminutio stets von den Regelfällen, d. h. von 594  Puchta,

Cursus II, S. 487 f. Cursus II, S. 488. 596  Puchta, Cursus II, S. 489: „Diese Stellung in der Familie afficirt die Rechtsfähigkeit; […].“; in der weiteren Darstellung (Puchta, Cursus II, S. 489–492) im Wesentlichen nur Beschreibung der römischen Regelungen zum Filiusfamilias und zu eventuellen Ausnahmen seiner Beschränkung (Klagerechte, die von Personen unter patria potestas in eigenem Namen geltend gemacht werden können). 597  Puchta, Cursus II, S. 493. Der Filiusfamilias könne nun regelmäßig selbst Vermögen haben; dem Vater würden aber/lediglich bedeutende Rechte an dem Eigentum des Sohnes eingeräumt bleiben. 598  Puchta, Cursus II, S. 493. 599  Puchta, Cursus II, S. 495 f. 595  Puchta,

202 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

der maxima (bezüglich Freiheit) und der media (bezüglich Civität) auszugehen, um den wahren Begriff jener Figur insgesamt nicht zu verfehlen.600 Puchtas Darstellungen zu den beiden eher unproblematischen Gruppen sind erneut von überwiegend rechtshistorischer Art und Aussagekraft.601 Die capitis deminutio minima besteht für ihn dagegen in einer mutatio familia, in einem Tausch der Familie im zivilrechtlichen Sinne, entweder durch Eintritt in einen anderen Agnatenkreis oder durch Gründung einer neuen Agnatenfamilie. Das könne, müsse aber nicht mit einer Veränderung der Rechtsfähigkeit einhergehen.602 Puchta folgt damit der herrschenden Ansicht, die die minima auf die Mitgliedschaft in der Agnatenfamilie bezieht, und nicht der Ansicht Savignys, der die capitis deminutio insgesamt und somit auch den Fall der minima an den Einfluss auf die Rechtsfähigkeit bindet.603 Zwar spricht Puchta ebenfalls an, dass nach seiner Sichtweise die Rechtsfähigkeit kein verbindendes Merkmal mehr sei. Im Gegensatz zu Savigny sieht er darin aber kein Problem. Eine diesbezüglich nur frühere Gemeinsamkeit der drei Fälle ist für ihn offensichtlich ausreichend.604 600  Letzteres kann als Hinweis auf die gerade umgekehrte Vorgehensweise Savignys verstanden werden [siehe Kapitel 3, A. III. 3. b)]. Puchta, Cursus II, S. 496 Fn. e spricht insofern von einem „Fehler in den neueren Arbeiten“, die bei der Bestimmung der capitis deminutio von dem Begriff der familia ausgingen und versuchten, den neueren Familienbegriff (ohne Einfluss auf die Rechtsfähigkeit) in den capitis-deminutio-Begriff einfließen zu lassen bzw. zwischen beiden eine Übereinstimmung zu erzielen. Auf diese Weise ginge man gerade vom anomalen Fall aus. An anderer Stelle (Puchta, Cursus II, S. 506 Fn. tt) nimmt Puchta ausdrücklich Bezug auf Savignys abweichende Ansicht zur capitis deminutio minima, folgt ihr aber nicht. 601  Puchta, Cursus II, S. 498–504 mit einer Darstellung einzelner Fälle, wie ein Freier zum Sklaven werde, bzw. der damit einhergehenden Regelungen. 602  Puchta, Cursus II, S. 503 f.; S. 504: „Im ältesten Recht freilich galt schon die Veränderung der Familie als eine Veränderung der Rechtsfähigkeit, und damit war jede Capitis Deminutio eine solche; dies ist anders in dem neueren, wo nur die beiden größeren Deminutionen diesen Charakter behalten haben.“ 603  In Puchta, Cursus II, S. 506 Fn. tt nimmt dieser Stellung speziell zu Savignys Ansicht von der capitis deminutio nicht als mutatio familiae, sondern als Degradation der Rechtsfähigkeit durch Unterwerfung eines homo sui iuris unter patria potestas oder manus bzw. eines homo in potestate oder manu unter Manicipium. Puchta hält dem entgegen, dass sich Savigny nicht auf die Erklärung der minima bei den römischen Juristen berufen, sondern sich nur an einzelne Beispiele halten könne, die aber genau genommen auch nicht für Savigny sprechen würden (Beleg an den Fällen: Kinder des Arrogatus; Frau, die aus der väterlichen Gewalt in die des Ehemanns übergehe; Entlassung des Filiusfamilias; datio in adoptionem). 604  Bzw. als Erklärung für das weitere Festhalten der capitis deminutio minima in dieser Reihe (trotz mittlerweile fehlendem Einfluss auf die Rechtsfähigkeit), siehe Puchta, Cursus II, S. 508. Die rechtlichen Folgen der minima seien neben der unmittelbaren Wirkung (Austritt aus der Agnatenfamilie) noch andere, nicht schon durch die mutatio familiae gegebene (z. B. Möglichkeit des Testierens für eine Frau;



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht203

b) Recht der Persönlichkeit nach geltendem Recht aa) Recht der Persönlichkeit überhaupt; Ehrenminderung Mit dem Recht der Persönlichkeit überhaupt beschäftigt sich Puchta in erster Linie unter dem Aspekt der Minderung durch Ehrverlust. Insgesamt wird in seinen Beschreibungen, wie die Persönlichkeit im geltenden Privatrecht in Erscheinung trete und welche Stufen und (Unter)Arten zu unterscheiden seien605, von Anfang an ein Schwerpunkt auf die (inhaltliche) Verbindung von Persönlichkeit, Rechtsfähigkeit und Ehre gelegt. Nach Puchta wird die allgemeine Rechtsfähigkeit – genauer: nur das Recht der Persönlichkeit überhaupt606 – von der gemeinen bürgerlichen Ehre begleitet. Parallel dazu entspricht der Standesrechtsfähigkeit eine besondere Standesehre.607 Den Grund bzw. die Art dieser Verbindung von Persönlichkeit und Ehre sieht Puchta in Folgendem: „Die Persönlichkeit giebt eine sittliche Achtung, die zu bewahren die Pflicht der Person ist; dieses sittliche Element macht die Rechtsfähigkeit zur Ehre (existimatio). […] Die Verbindung nun einer sittlichen Achtung mit der Rechtsfähigkeit […].“608 „Die Grundlage der Ehre ist die Rechtsfähigkeit. Ehre aber ist die Rechtsfähigkeit, insofern mit dem Recht der Persönlichkeit zugleich die Pflicht verbunden ist, es zu bewahren und auf seine Anerkennung zu bringen. Dies ist das moralische Element, das durch sein Hinzutreten die Rechtsfähigkeit zur Ehre macht.“609

Das Ursprungspaar Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit, das so gesehen den „einfachen“ Gegenstand des Rechts der Persönlichkeit ausmachen soll, wird somit erweitert um eine sittliche, moralische Komponente. Im Einzelnen bietet Puchtas Erklärung jedoch Raum für Interpretationen, was insbesondere durch die nicht eindeutige Verwendung der Begriffe bedingt ist. Der erstgenannten Aussage zufolge soll es die Persönlichkeit sein, Beendigung des Ususfructus und des Usus; Befreiung von Klagen der Gläubiger). Diese besonderen Folgen seien bereits im römischen Recht aufgehoben worden bzw. die capitis deminutio sei hierfür nicht mehr erforderlich gewesen. Dennoch hätten diese Wirkungen dazu beigetragen, die minima weiterhin als Fall neben der maxima und media beizubehalten, obwohl sie ihrer eigentlichen Richtung nach aufgehört habe, eine Minderung der Rechtsfähigkeit zu sein. 605  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 176 f.; Puchta, Vorlesungen I, S. 259 ff. 606  Für das Recht der selbstständigen Persönlichkeit (als dem zweiten Unterfall der allgemeinen Rechtsfähigkeit) bestehe eine solche Verbindung zur Ehre nicht, denn es sei keine Ehre, Paterfamilias zu sein, vgl. Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 178. 607  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 176. 608  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 178. 609  Puchta, Pandekten, 1. Aufl., S. 90 f.

204 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

die die zu bewahrende sittliche Achtung gebe, welche sodann die Rechtsfähigkeit zur Ehre mache. Diesem Gedankengang könnte letztlich doch eine Unterscheidung zwischen Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit zugrunde liegen, indem allein die Persönlichkeit das sittliche Element in sich tragen bzw. es bewirken soll. Im Gegensatz dazu wäre die reine Rechtsfähigkeit in ihrem ursprünglichen, d. h. von der sittlichen Aufladung noch unberührten Charakter als bloßes Rechtselement betont. Sie würde in diesem Fall nur den einen Teilbereich der Persönlichkeit darstellen, neben den die Ehre als die materielle, sittlich bedingte Facette der Persönlichkeit treten würde. Mit der zweiten Aussage lässt Puchta die Pflicht zur Anerkennung und zur Bewahrung jedoch nicht nur aus der Persönlichkeit, sondern aus dem Recht der Persönlichkeit kommen.610 Insofern scheint er die Begriffe Persönlichkeit, Rechtsfähigkeit und Recht der Persönlichkeit in der gewohnten Identität – es ließe sich auch sagen: Ungenauigkeit – zu verwenden. Für diese terminologische Gleichsetzung spricht auch eine dritte Erklärung Puchtas zu dieser Thematik: „Die Rechtsfähigkeit ist kein reines Recht, keine bloße Macht, worin die Willkühr liegt, sie zu gebrauchen oder nicht. Es ist vielmehr zugleich eine Pflicht, sie zu bewahren und auf ihre Anerkennung zu dringen. Diese Pflicht hat der Mensch nicht als einzelner, sondern als Glied einer Rechtsgenossenschaft, deren allgemeiner Wille ihm das Recht der Persönlichkeit giebt, gleichsam anvertraut, und der er für ihre Aufrechterhaltung verantwortlich ist. Von dieser Seite heißt die Rechtsfähigkeit Ehre, existimatio.“611

Die „Verbindung nun einer sittlichen Achtung mit der Rechtsfähigkeit“612 bzw. das Hinzutreten eines moralischen Elements zur Rechtsfähigkeit613 ist also nicht im Sinne einer Abgrenzung formaler Rechtsfähigkeit und sitt­ licher Persönlichkeit / Ehre zu verstehen. Vielmehr geht es im Ausgangspunkt immer nur um den Wert von Persönlichkeit gleich Rechtsfähigkeit (rechtliche Freiheit; Möglichkeit eines rechtlichen Willens), der nun nicht nur als Recht, sondern auch als sittliche Pflicht in Erscheinung treten soll. Entsprechend ist die Aussage zu verstehen, die Ehrenminderung betreffe nicht nur das Recht der Persönlichkeit, sondern bringe „eine natürliche Rückwirkung“614 auf die Rechtsfähigkeit selbst mit sich. Die Rechtsfähigkeit könne gemindert werden, indem jemand durch seine Schuld die Achtung der Rechtsgenossen einbüße; Ehrenminderung sei zugleich Minderung der Rechtsfähigkeit.615 610  Puchta, 611  Puchta,

612  Puchta, 613  Puchta, 614  Puchta, 615  Puchta,

Pandekten, 1. Aufl., S. 90 f. Vorlesungen I, S. 259. Pandekten, 12. Aufl., S. 178. Pandekten, 1. Aufl., S. 90. Pandekten, 12. Aufl., S. 178. Pandekten, 12. Aufl., S. 178.



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht205

Aus obiger Darstellung und auch aus Puchtas Erklärung dessen, wie sich die Ehre aus einem ursprünglich öffentlich-rechtlichen zu einem auch die privatrechtliche Stellung betreffenden Rechtsinstitut entwickelt habe616, wird zumindest eines deutlich: Der Ehrbegriff in diesem Sinne ist vor allem eine Frage der Pflicht. Denn verbindet Puchta mit Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit als solchen die Aussage einer sittlichen Achtung, so lässt er sie zum einen als Recht (als Anspruch auf achtende Gesinnung), zum anderen als Pflicht (als Aufgabe, die sittliche Achtung zu wahren und die Rechtsfähigkeit als Rechtsmacht anzuwenden) in Erscheinung treten. Das Recht bezeichnet er als Recht der Persönlichkeit, die Pflicht als Ehre.617 bb) Recht der selbstständigen Persönlichkeit Das zweite Element innerhalb der allgemeinen Rechtsfähigkeit, das Recht der selbstständigen Persönlichkeit, betrifft nach Puchtas Stufung ausschließlich die Unterwerfung einer Person unter die väterliche Gewalt.618 Das Recht der selbstständigen Persönlichkeit stehe dem Paterfamilias vollständig zu und fehle dem Filiusfamilias.619 Dabei sehe die Gestaltung im neueren Recht durchaus eine gewisse Vermögensfähigkeit des Sohnes vor. Er sei der Vermögensrechte an sich fähig; er sei aber unfähig, darüber zu disponieren. „Diese Beschränkung [der selbstständigen Verfügungsberechtigung durch das väterliche Recht der Verwaltung und des Nießbrauchs, Anm. d. Verf.] hat bewirkt, daß die Beschränkungen der Rechtsfähigkeit stehen geblieben sind, so weit sie auch als Folgen des neuen Princips aufgefaßt werden können, und dies ist fast bei allen der Fall. Aus jenem Princip ergiebt sich, daß man nicht sagen kann, der Filiusfamilias ist des Vermögensrechts unfähig. Vielmehr verhält es sich umgekehrt, nur tritt die 616  Ebenso Puchta, Vorlesungen I, S. 260. Ursprünglich habe es sich bei der Ehre um die öffentlich-rechtliche Pflicht des Menschen gehandelt, als Glied einer Rechtsgenossenschaft die ihm von dem allgemeinen Willen gegebene Rechtsfähigkeit zu bewahren und anzuwenden. Erst später habe die Ehrenminderung auch privatrechtliche Wirkungen erhalten. Entsprechend sei noch heute mit dem Recht der selbstständigen Persönlichkeit (als einer Stufe der privatrechtlichen Rechtsfähigkeit) keine Ehre verknüpft, denn es existiere keine Pflicht, Paterfamilias zu bleiben. 617  Puchta verbindet die beiden Komponenten wiederum in einer terminologisch oft unglücklichen Weise, z. B. dass die Ehre die Rechtsfähigkeit sein soll oder dass das Recht der Persönlichkeit die Pflicht zur Achtung und Bewahrung beinhalte. 618  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 177 f. 619  Dabei verwendet Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 177 f. auch hinsichtlich des geltenden Rechts die römische Terminologie von „Paterfamilias“ und „Filiusfamilias“.

206 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit Fähigkeit außer Wirkung, so weit der Mangel eines selbstständigen Vermögens ihrer Aeußerung entgegensteht.“620

In Puchtas „Pandekten“ heißt es diesbezüglich, das Prinzip des alten Rechts (Unfähigkeit, Vermögensrechte zu haben) und das Prinzip des neuen Rechts (Unfähigkeit der Vermögensdisposition) würden in Beziehung auf die Persönlichkeit „nahezu dieselben praktischen Resultate“621 hervorbringen. Exakt dieselbe Beobachtung findet sich auch im „Cursus“, dort lediglich an früherer Stelle unter dem Kapitel zum römisch-rechtlichen status familiae.622 „Unfähigkeit, ein Vermögen zu haben (Princip des alten Rechts), und Unfähigkeit, über das Vermögen, das man hat, irgendwie zu disponieren (die Regel des neuen Rechts), führen so ziemlich auf dieselben Beschränkungen der Persönlichkeit.“623

Die Besonderheit dieser Aussagen liegt in der Art und Weise, wie Puchta das Recht der selbstständigen Persönlichkeit positioniert, konkret: wie er es in das Verhältnis von Rechts- und Handlungsfähigkeit unterbringt. Bei der Betrachtung von altem und neuem Recht – wenn Puchta eine praktische Vergleichbarkeit von Vermögens- und Dispositionsunfähigkeit annimmt – erinnert dies zunächst an ein Argument derjenigen Stimmen, die im 20. Jahrhundert eine Verschmelzung von Rechts- und Handlungsfähigkeit befürworten werden. Puchta dagegen trennt jedoch streng zwischen Handlungs- und Rechtsfähigkeit.624 Wenn er nun die Einschränkungen durch väterliche Gewalt als (mittlerweile) Unfähigkeit zur Vermögensdisposition beschreibt, wäre daher ihre Einordnung im Bereich der Handlungsfähigkeit zu erwarten gewesen. Stattdessen qualifiziert er sie ausschließlich625 als Recht der Persönlichkeit / Rechtsfähigkeit. Was auf den ersten Blick als dogmatischer Fehler Puchtas erscheint – inhaltlich: Handlungsfähigkeit; formell: Rechtsfähigkeit –, ist letztlich mit der historisch bedingten Sonderstellung des „Beschränkungsgrundes: väterliche Gewalt“ zu erklären. Trotz Wandlung des zugrunde liegenden Prinzips betrachtet Puchta diesen Grund offensichtlich noch immer als eine in sich geschlossene Regelung, die in besonderer Weise zu betonen ist, indem sie (noch immer) auf die Rechtsstellung des Kindes als solche einwirken soll. Die eigenständige Positionierung als Recht der selbstständigen Persönlichkeit ist daher vor allem als „Verarbeitung“ des 620  Puchta,

Vorlesungen I, S. 257. Pandekten, 12. Aufl., S. 177 Fn. b. 622  Puchta, Cursus II, S. 493. 623  Puchta, Cursus II, S. 493. 624  Puchta, Vorlesungen I, S. 106. 625  Da nach Puchtas Modell (Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 176) das Recht der selbstständigen Persönlichkeit unzweifelhaft als Bestandteil der allgemeinen Persönlichkeit eingeordnet ist, entfällt die alternative Interpretation, dass die Verfügungsbeschränkung einen nur mittelbaren Einfluss auf die Persönlichkeit/Rechtsfähigkeit darstellen soll. 621  Puchta,



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht207

Relikts der patria potestas zu sehen626 – dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass Puchta ansonsten formal zwischen Verfügungsmacht einerseits und materiell-dinglicher Rechtsinhaberschaft andererseits unterscheidet627. Immerhin wird mit dieser gesonderten Positionierung erreicht, dass sich bei Puchta ein allgemeines „Recht der Persönlichkeit überhaupt“ herauskristallisiert, welches nur noch durch Ehrverletzung gemindert werden kann. Es kommt zu der Dreiteilung: Recht der Persönlichkeit überhaupt (Beschränkung: Ehrminderung) – Recht der selbstständigen Persönlichkeit (Beschränkung: väterliche Gewalt) – Handlungsfähigkeit. Zumindest in diesem Umfang wird somit ein Recht der Persönlichkeit angenommen, das von Beschränkungen zunehmend autark wird. Hierin und weniger in der Einordnung der väterlichen Gewalt als solcher liegt die eigentliche Entwicklung. Bei Savigny wurde dies so noch nicht deutlich. Zwar hat auch er die Auswirkungen der väterlichen Gewalt auf die Dispositionsbefugnis des Kindes klargestellt. Er hat sie aber weiterhin, gerade auch nach geltendem Recht, im Rahmen der Minderung der Rechtsfähigkeit belassen, ohne wie Puchta einen insofern unabhängigen Teilbereich der Rechtsfähigkeit (Recht der Persönlichkeit überhaupt) abzusondern. Als Erkenntnis dieses Teilbereichs – konkret: aus der Art seiner Gewinnung, durch stückweise Auslagerung der beschränkenden Fallgruppen – tritt gerade die Wechselwirkung zwischen Rechts- und Handlungsfähigkeit hervor. Ein „unabhängiger Teilbereich der Rechtsfähigkeit als solcher“ ist so gesehen allerdings eine Aporie. Zum einen ist die Rechtsfähigkeit stets abhängig vom Zuschnitt der (angereicherten, sie ergänzenden) Handlungsfähigkeit. Denn nur indem die Unterwerfung unter die väterliche Gewalt zumindest inhaltlich als Beschränkung der Vermögensdisposition qualifiziert wird, kann ein hiervon abgesonderter Persönlichkeitsbestand angenommen werden. Es kann also lediglich eine inhaltliche Autarkie vom Einfluss einzelner Faktoren / Beschränkungen behauptet werden, etwa in dem Sinne: Väterliche Gewalt, Alter, geistige Fähigkeiten etc. sind keine Merkmale der Rechtsfähigkeit. Hingegen besteht eine inhaltlich-gestalterische Abhängigkeit im Verhältnis zu anderen dogmatischen Instituten. Zum anderen kann eine Rechtsfähigkeit (Recht der Persönlichkeit überhaupt), die Teilbereich des Rechts der Persönlichkeit insgesamt ist, nur im Verbund mit dem Restbestand bzw. mit dem Gesamtcharakter jenes Rechts gesehen werden. Ein gänzlich eigenständiges Institut von Rechtsfähigkeit ist in einer solchen Form der Einbettung also ohnehin nicht möglich. 626  Aus diesem Grund kann auch Puchtas Definition der fehlenden Dispositionsfähigkeit als „Beschränkung der Persönlichkeit“ nicht unbedingt als Bestätigung für die Ansicht von Leuze herangezogen werden, der zufolge die Puchta’sche Persönlichkeit immer auch an die Realisierung des Willens geknüpft sei, vgl. Kapitel 3, B. III. 3. f). 627  Puchta, Vorlesungen I, S. 106.

208 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

c) Zeitgenössischer Einfluss des römischen Rechts aa) Auffälligkeiten in der Darstellung Die beiden Erscheinungsformen des Persönlichkeitsrechts kommen auf den ersten Blick in solchen Abhandlungen zum Ausdruck, die sowohl die antiken als auch die heutigen Regelungen zur Person nebeneinander behandeln. Die Einteilung nach römischem Recht einerseits und geltendem Recht andererseits ist in dieser Darstellungsform naturgemäß am deutlichsten erkennbar. Im Aufbau konsequent durchgeführt ist die Trennung insbesondere in den „Pandekten“. Unter der Überschrift „Stufen der Persönlichkeit“628 bzw. „Minderung“629 wird zunächst die Lehre von libertas, civitas, familia bzw. capitis deminutio als antikes römisches Recht behandelt, bevor dann zum heutigen Recht („Wir haben dagegen […].“630) übergegangen wird. Auch in inhaltlicher Hinsicht wird den drei alten Ordnungen (libertas, civitas, familia) keine oder nur noch untergeordnete Bedeutung attestiert.631 Die ganze Lehre sei für das zeitgenössische Recht „eine bloße Antiquität“632; entsprechend sei ein bedachter Umgang mit der römischen Terminologie geboten. Das Herüberziehen von Begriffen wie status und capitis deminutio auf zeitgenössische Rechtszustände könne nur die Folge haben, die Auffassung dieser Zustände und zugleich die Kenntnisse der römischen Begriffe zu trüben und zu verwirren.633 Unterscheidet Puchta auf diese Weise das alte und das neue Recht zur Person, setzt er es andererseits auch immer wieder in Bezug zueinander. Dies legen zumindest weitere Beobachtungen zu seinen Ausführungen nahe. Die Terminologie betreffend verfährt Puchta bei Weitem nicht so diszipliniert, wie nach obiger Forderung bezüglich status und capitis deminutio zu erwarten wäre. Zumindest in der zeitlich umgekehrten Variante, d. h. wenn es um die Darstellung der römischen Regelungen geht, scheut er sich nicht, mit moderner Terminologie zu arbeiten, in erster Linie durch nahezu ständigen Gebrauch des Ausdrucks „Rechtsfähigkeit“. So werden beispielsweise der Zustand eines Sklaven als „völlig rechtsunfähig“634 beschrieben und die capitis deminutio als Verlust eines status, der zu einer „Veränderung der Rechtsfähigkeit“ führe, definiert635. Hierbei handelt es sich nun entweder 628  Puchta, 629  Puchta, 630  Puchta, 631  Puchta, 632  Puchta, 633  Puchta, 634  Puchta, 635  Puchta,

Pandekten, 1. Aufl., S. 89. Pandekten, 12. Aufl., S. 175. Pandekten, 1. Aufl., S. 89. Pandekten, 1. Aufl., S. 89. Pandekten, 12. Aufl., S. 176. Pandekten, 12. Aufl., S. 176. Cursus II, S. 432. Cursus II, S. 496.



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht209

um eine unhistorische sprachliche Ungenauigkeit636, um eine Art Übersetzung zwecks besserer Vergleichbarkeit mit dem heutigen Recht oder aber um einen bewussten Hinweis auf die Parallelen bzw. historischen Verbindungslinien. Im eigentlichen Sinne „verbindend“ ist auch die Darstellungsweise im „Cursus Band 2“, die im Vergleich zum geordneten Aufbau in den „Pandekten“ das alte und neue Recht mehr oder weniger zusammengefasst behandelt.637 Beginnend mit den Voraussetzungen des Rechts der Persönlichkeit (Subjekt und Rechtsvorschrift)638 kommt Puchta über die Bemerkung, die Persönlichkeit werde über die variable Stellung des Menschen im Recht bedingt, zu den drei Fällen des römischen Rechts639. Bevor sodann libertas, civitas und familia in sehr ausführlicher Weise erläutert werden640, verweist Puchta auf zwei Fragen, welche die Entstehung des Rechts der Persönlichkeit umfasse: Welches sind die allgemeinen Voraussetzungen? Und wie erlangt der Mensch einen gewissen Status? Die erste Frage sei bereits zuvor beantwortet worden (vgl. oben: Subjekt und Rechtsvorschrift), die zweite Frage werde „bey den einzelnen Status zu beantworten seyn“641. Bis auf die Schilderung der alten Regelungen folgt hierauf jedoch nichts Weiteres. Die ebenfalls angekündigte Lehre vom Verlust des Status wird sodann in einem Kapitel über das Recht der Persönlichkeit mit einer Beschreibung der capitis deminutio abgeschlossen.642 An solchen Stellen mit „gemischter“ Darstellungsweise ist mitunter kaum zu erkennen, worum es Puchta geht: Handelt es sich an der einen Stelle um die Beschreibung der antiken Erscheinungsformen der Person in einem zwar interessanten, aber eben bloß rechtshistorischen Exkurs? Handelt es sich an der anderen Stelle um die Schilderung des zeitgenössischen Rechts der Persönlichkeit? Oder sind die römischen Regelungen Teil seiner Antwort auf die aktuelle Ausgestaltung des Rechts der Persönlichkeit, also noch immer personenbegriffsbildend, wenn auch ggf. nur mittelbar, indem Puch636  Hierzu Puchta, Cursus II, S. 551: „Die Frage nach dem historischen Ursprung des Besitzrechts kann nur den Sinn haben: welches war die Veranlassung, daß in dem römischen Bewußtseyn die Anforderung der Persönlichkeit, schon den factischen Willen des Rechtsfähigen […] eine Anerkennung finden zu lassen.“ Bezüglich des „Rechtsfähigen“ wird eindeutig ein neuer Begriff in die alte Rechtsregelung gezogen, denn die Römer hatten von der Rechtsfähigkeit in diesem Begriff noch kein Bewusstsein. Argumentiert Puchta außerdem mit der Anerkennung des faktischen Willens, zeichnet sich darin sein moderner Gedankengang zur Begründung der Persönlichkeit ab. 637  Puchta, Cursus II, S. 425 ff. 638  Puchta, Cursus II, S. 425 f. 639  Puchta, Cursus II, S. 427. 640  Puchta, Cursus II, S. 428 ff. 641  Puchta, Cursus II, S. 428. 642  Puchta, Cursus II, S. 494 ff.

210 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

ta den modernen Personenbegriff mit der alten römisch-rechtlichen Lehre in Einklang zu bringen sucht? In der Tat beschränkt sich Puchta zumeist auf eine wertungsfreie Darstellung jener älteren Lehre, ohne weiterführende Analysen oder Rückschlüsse auf den zugrunde liegenden Personenbegriff vorzunehmen. Angesichts der umfangreichen und z.  T. sehr detaillierten Ausführungen ist es jedoch kaum vorstellbar, dass es sich tatsächlich nur um eine rechtshistorische Beigabe handeln sollte. Gleichwohl sei es, so Haferkamp, in der damaligen Zeit keine Seltenheit gewesen, den Pandektenlehrbüchern eine ausführliche Darstellung etwa der capitis deminutio, so wie sie im römischen Recht galt, beizufügen.643 Die Berücksichtigung dieser Lehre sei regelmäßig aus rein didaktischen Gründen geschehen, ohne dem zugleich eine Erklärung über die Bedeutung für das geltende Recht beifügen zu wollen. Auch bei Puchta sei die Erwähnung daher ganz selbstverständlich erfolgt.644 bb) Parallelenbildung Eine naheliegende Erklärung für die Darstellungen in obiger Form ist die Absicht Puchtas, das Recht der Persönlichkeit in einen dogmatischen Einklang mit den im älteren Recht vorhandenen, dort positiv geregelten Einrichtungen zu bringen. Oder, so formuliert es Mecke in umgekehrter Richtung, Puchta habe sich genötigt gesehen, die Institute des römischen Rechts in sein System der subjektiven Rechte zu integrieren, soweit sie nur ansatzweise mit dem modernen Postulat der allgemeinen Rechtsfähigkeit vereinbar gewesen seien.645 Aus diesem Grund habe er Rechtsbegriffe wie Persönlichkeit, Rechtsfähigkeit, Recht der Person und Ehre in seinen Darstellungen der römischen Rechtsordnung verwendet, um eine parallele Zuordnung zum geltenden Recht zu erreichen.646 Ansatzpunkte für Parallelen solcherart bieten zum einen die familia im Verhältnis zum Recht der selbstständigen Persönlichkeit, zum anderen die civitas im Verhältnis zum Recht der Persönlichkeit überhaupt. Bei der vermögensrechtlichen Beschränkung des Filiusfamilias durch väterliche Gewalt handelt es sich um eine Erscheinung, die zumindest als solche sowohl in der ursprünglichen römischen als auch in der modernen 643  Haferkamp, ZEuP 2008, 813 (826) mit Verweis auf Vangerow, Savigny, v. Wening-Ingenheim, Göschen, Thibaut, Mühlenbruch. 644  Haferkamp, ZEuP 2008, 813 (826). 645  Mecke, S. 759 mit Verweis auf Scheyhing. In dieser (zu) starken Rückbindung an den römischen Stoff liege auch die Grenze in Puchtas Rechtsdenken. Dies sei bereits von Jhering als romanischer Purismus kritisiert worden. 646  Mecke, S. 759.



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht211

Rechtsordnung auftritt.647 Puchta unterscheidet hier hinsichtlich der Umsetzungsprinzipien (Unfähigkeit, Vermögensrechte zu haben; Unfähigkeit, über Vermögensrechte zu verfügen), jedoch nicht in der entscheidenden persönlichkeitsbeschränkenden Wirkung („dieselben praktische Resul­ tate“648). Über die praktische Vergleichbarkeit hinaus äußert sich Puchta zum Verhältnis von familia und dem Recht der selbstständigen Persönlichkeit in seiner Rezension zu Savignys „System“. Dort schließt er sich Savignys Einschätzung an, die Einschränkung der Rechtsfähigkeit eines Kindes unter väterlicher Gewalt sei „durch das neuste Recht nicht wirklich antiquiert, sondern nur umgebildet worden“ und die Darstellung gehöre daher dem heutigen Recht unmittelbar an.649 Im Übrigen wird diese Sichtweise bestätigt durch sämtliche seiner eigenen Darstellungen im „Cursus“ und in den „Pandekten“, zumindest durch den Kontext, in welchen Puchta seine Aussagen zur väterlichen Gewalt regelmäßig stellt. So steht im „Cursus“ der Hinweis auf die Vergleichbarkeit beider Umsetzungsprinzipien am Ende eines Abschnitts, der sich mit den Veränderungen der römischen patria potestas im Laufe der Zeit auseinander setzt.650 Die Unfähigkeit zur Vermögensdisposition wird damit im Grunde als Teil dieser Entwicklung behandelt. Dogmatischer Ausdruck sowohl der Verbindung als auch der Weiterentwicklung ist sodann die oben gesehene Neupositionierung des Beschränkungsgrundes der väterlichen Gewalt als zwar mittlerweile gesondertes Recht der selbstständigen Persönlichkeit, aber noch als nicht vollständige Entkopplung von der Rechtsfähigkeit. Eine zweite Parallele zieht Puchta zwischen der römischen civitas und dem Recht der Persönlichkeit unter dem Aspekt der Ehre. Die Rolle, die im römischen Recht die Civität für die Ehre gespielt habe, solle fortan von dem Recht der Persönlichkeit übernommen werden.651 647  Stellt somit die Beschränkung des Filiusfamilias die wesentliche Vergleichsgruppe zwischen altem und neuem Recht dar, kommt es in besonderem Maße darauf an, ob hier eine Verbindungslinie festgestellt werden kann oder nicht. Ist eine solche bereits in dieser Hinsicht zu verneinen, müsste wohl insgesamt von einer klaren Zäsur zwischen der römischen Lehre und dem neuen Recht der Persönlichkeit ausgegangen werden. 648  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 177 Fn. b. 649  Puchta, Krit. Jahrbücher 1840, 673 (687). 650  Puchta, Cursus II, S. 493; vgl. auch die Darstellung bei Savigny, System II, § 67 S. 57. 651  Zur fortwirkenden Bedeutung der römischen Civität siehe Puchta, Krit. Jahrbücher 1840, 673 (686). Die Darstellung der durch Civität begründeten Rechtsfähigkeitsunterschiede dürfen „wegen […] ihres Einflusses auf die richtige Auffassung dessen, was von der gesamten Lehre von der Persönlichkeit als heutiges betrachtet werden kann, nicht unterbleiben; […].“

212 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit „Nach römischem Recht hat die Ehre die Civität zur Grundlage, heutzutage haben wir nach den beiden Richtungen der Rechtsfähigkeit allgemeine (gemeine bürgerliche) Ehre und Standesehre zu unterscheiden.“652

In erster Linie bezieht sich diese Veränderung bzw. Weiterentwicklung allerdings nur auf die Art der Einteilung als solche, d. h. schlicht auf die Übernahme eines neuen, insofern aber parallel gelagerten Einteilungskriteriums. Was sich ursprünglich an der civitas orientiert habe (Ehre des civis; Ehre des Peregrinen), erfolge nun nach Maßgabe der verschiedenen Rechtsfähigkeitsstufen (allgemeine Ehre; Standesehre). Darüber hinaus wird allenfalls noch einmal bestätigt, dass Puchta mit dem Begriff der Ehre im jetzigen Rahmen der Persönlichkeit dieselbe Bedeutung verbindet, die sie für ihn im Rahmen der Civität hatte. Die Gesamtheit der Ausführungen Puchtas lässt somit eine Bezugnahme seines heutigen Rechts der Persönlichkeit auf römisch-rechtliche Traditionen durchaus erkennen. Zumindest für einzelne Untergruppen dieses Rechts geht er von Parallelen und z. T. von einer Art historischen Entwicklung aus, bezüglich der Beschränkung des Filiusfamilias in stärkerem, bezüglich der Ehre in schwächerem Maße. Zugleich ist Puchta trotz oder gerade wegen des Bestrebens, römisch-rechtliche Parallelen aufzuzeigen, darauf bedacht, bei der Formulierung seines Rechts der Persönlichkeit selbst vom Einfluss der alten Rechtsordnung befreit zu sein.653 In diesem Sinne ist sein Appell zu verstehen, die römische Terminologie von status und capitis deminutio auf heutige Rechtzustände zu vermeiden.654 Damit steht die römische Lehre für Puchta in einer gewissen Vorläuferposition zur aktuellen Gestaltung. Wie bei Savigny geschieht dies aber in erster Linie mit Blick auf die Struktur des Personenbegriffs als solche. Die grundsätzliche Vorgehensweise bei der Beurteilung menschlicher Rechtspositionen, namentlich die Zulässigkeit 652  Puchta,

Pandekten, 1. Aufl., S. 90. Blick auf die politische Positionierung Puchtas Haferkamp, ZEuP 2008, 813 (836). Puchta habe die politische Dimension der Rechtssätze und des Verweises auf römisches Recht immer im Blick gehabt. Seine scharfe Zurückweisung der ­capitis deminutio mache die Sensibilität der Frage deutlich. Denn während Puchta das Privatrecht von der Freiheit des Individuums ableite, habe die capitis deminutio bei der römischen Vorstellung, dass die Persönlichkeit nicht notwendig allen Menschen zukomme, angesetzt und damit in die Grundfesten des Privatrechts eingegriffen; in ähnlicher Weise Mecke, S. 757 Fn. 3773, der hinter Puchtas Bezugnahme auf christlich-religiöse Fundierungen des Rechts und der Persönlichkeit (Gottesähnlichkeit und Unantastbarkeit des Menschen; Niederschlag in der Rechtssystematik durch subjektives Recht) ein spezifisch politisches Postulat sieht, gerade auch gegenüber den früheren Abstufungen der Rechtsfähigkeit. Dass Puchta selbst noch Stufen der Persönlichkeit im heutigen Recht unterscheide, bedeute nicht, dass er ein Prinzip der allgemeinen Rechtsfähigkeit nicht anerkenne. 654  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 176. 653  Mit



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht213

von Stufungen hierbei, wird zum Vergleich herangezogen, wohingegen die inhaltliche Ausgestaltung im Einzelnen modifiziert wird bzw. in Teilen (Sklaverei) ersatzlos entfallen sein soll. 5. Puchtas Persönlichkeit und moderne Persönlichkeitsrechte Neben dem Verhältnis zum römischen Recht stellt sich mehr noch die Frage, welche Bedeutung Puchtas Lehre für die spätere Ausbildung von Persönlichkeitsrechten bis hin zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht hat. Landsberg sah zu Beginn des 20. Jahrhunderts Puchtas Recht an der eigenen Person als Ausgangspunkt der Entwicklung zu den modernen Immaterialgüter- und Persönlichkeitsrechten. Puchta habe diesen Rechten einen systematischen Standort verliehen und sie dadurch erst bearbeitbar gemacht.655 Der Optimismus Landsbergs wurde später so nicht mehr geteilt.656 Insbesondere die Beschränkung von Puchtas Recht der Persönlichkeit auf die Rechtsfähigkeit bzw. die bei ihm noch nicht vorhandene Trennung beider Figuren spielte eine Rolle, um mehr die Unterschiede zu betonen als eine Verbindung zu sehen.657 Die maßgeblichen Arbeiten zu Persönlichkeitsrechten, die in der Folgezeit zu Puchta vorgenommen wurden, sind diejenigen von Neuner, Gareis, Kohler, Regelsberger und Gierke. Ob die Lehre Puchtas in der Entwicklung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts zumindest ansatzweise fortlebt, ist daher im Vergleich mit diesen zu sehen. Neuner (1815–1882) versteht unter dem Recht der Persönlichkeit das Recht der Person, sich selbst Zweck zu sein und sich als Selbstzweck zu behaupten und zu entfalten.658 Dies umfasse bei natürlichen Personen das Recht auf Behauptung und Entfaltung des Menschen in physisch-geistiger Hinsicht einerseits sowie das Recht auf Behauptung und Entfaltung als Rechtssubjekt andererseits.659 Das Recht der Persönlichkeit insgesamt gehe aus der Rechts655  Landsberg,

S. 451. allerdings wieder in diese Richtung gehend Mecke, S. 760. Puchta habe zwar noch nicht die klare Trennung von Rechtsfähigkeit einerseits und allgemeinem Persönlichkeitsrecht bzw. Immaterialgüterrechten andererseits vollzogen. Mit dem Recht der (allgemeinen) Persönlichkeit habe er aber zumindest den Anstoß hierzu gegebenen und Impulse für eine derartige Weiterentwicklung gesetzt. 657  Simon, S. 179; Leuze, S.  56 f.; Martin, S. 154 f., der Puchta nicht in die Reihe derjenigen Romanisten der Historischen Rechtsschule einordnet, die ein Persönlichkeitsrecht anerkennen. 658  Neuner, S. 15. 659  Neuner, S. 16  ff. Im Einzelnen wiederum zum Recht auf Behauptung und Entfaltung als Mensch gehörend: Recht auf Leben, Integrität von Körper und Geist; Recht auf Freiheit; Recht auf natürliche Menschenehre; Recht auf ungehindertes menschliches Tun und Lassen überhaupt (Aufenthalts- und Wohnsitzbestimmungs656  Zuletzt

214 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

fähigkeit hervor und sei das erste und ursprüngliche Recht überhaupt.660 Zugleich sei die Rechtsfähigkeit selbst nicht Bestandteil des Rechts der Persönlichkeit, sondern nur dessen publizistische Vorbedingung wie bei allen übrigen Privatrechten.661 Das Recht auf Anerkennung der Rechtsfähigkeit wird wiederum als Element des oben genannten Rechts auf Behauptung / Entfaltung als Rechtssubjekt und damit als Teil des Rechts der Persönlichkeit verstanden. Dies ist in sich stimmig, solange das Recht auf Anerkennung von der Rechtsfähigkeit selbst unterschieden wird. Nach allgemeiner Beurteilung trennt Neuner damit im Gegensatz zur bisherigen Lehre ausdrücklich zwischen einem Recht der Persönlichkeit und der Rechtsfähigkeit.662 Inhaltlich bezieht sich das Recht der Persönlichkeit auf materielle Persönlichkeitsfragen (ganz pauschal: das „Recht auf ungehindertes menschliches Tun und Lassen überhaupt“663, vergleichbar mit Art. 2 I GG) und umfasst im Übrigen auch die Handlungsfähigkeit664. Gegenüber Puchtas Recht an der eigenen Person nimmt Neuner eine ablehnende Haltung ein, zieht vor allem keine Parallelen zu seinem eigenen Recht. Es handele sich bei Puchta um die Konstruktion eines Rechts in einem anderen Sinne, das allein mit Rechtsfähigkeit und der damit zusammenhängenden Ehre zu übersetzen sei.665 recht, Eheschließungs-, Religions- und Berufsausübungsfreiheit); zum Recht auf Behauptung und Entfaltung als Rechtssubjekt gehörend: Recht auf Anerkennung der Rechtsfähigkeit; der daraus fließende Anspruch auf bürgerliche Ehre; Recht auf Vornahme von Rechtsgeschäften. 660  Neuner, S. 15. 661  Neuner, S. 17 Fn. 1. 662  Martin, S. 133. Dagegen sieht Leuze, S. 63 f. gewisse Schwierigkeiten, da Neuner zwischen der Behauptung und Entfaltung als Mensch einerseits und als Rechtssubjekt andererseits unterschieden, mit dem Menschsein aber auch öffentlich-recht­ liche Rechte erfasst habe. Insofern habe Neuner die Trennung von status naturalis (Mensch) und status moralis (Rechtssubjekt) weiterleben lassen, könne nun aber nicht mehr zwischen einer außerhalb des Rechtslebens stehenden persona naturalis und einer persona moralis unterscheiden. Daher müsse er nun die Rechtsfähigkeit in beiden Seiten des Persönlichkeitsrechts unterbringen (als publizistische Vorbedingung aller Rechte und als Bestandteil der Behauptung/Entfaltung des Menschen). 663  Neuner, S. 16. 664  Neuner, S. 17: Recht zur Vornahme von Rechtsgeschäften und Dispositionen, „soweit nicht bei einzelnen Personen ein Hindernis entgegensteht wegen fehlender oder unvollkommener Handlungsfähigkeit“; ebenso S. 19: Darstellung des Rechts der Persönlichkeit zunächst hinsichtlich der Persönlichkeit selbst, sodann hinsichtlich der Vormundschaft „als eine Stütze der Persönlichkeit bei fehlender oder unvollständiger Handlungsfähigkeit des Menschen; ebenso S. 21 f.: Beschränkung der Persönlichkeit (in der publizistischen Seite) einerseits durch Verminderung der bürgerlichen Ehre, andererseits durch fehlende oder unvollständige Handlungsfähigkeit der Person (Altersstufen). 665  Neuner, S. 15 Fn. 1 mit einer grundsätzlichen Kritik am gesamten Systemaufbau Puchtas. Gerügt wird die unrichtige Prämisse, dass der Inhalt des objektiven



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht215

Gareis (1844–1923) nimmt eine eigenständige Gruppe von Persönlichkeitsrechten an. Deren Gemeinsamkeit definiert er als ein Recht des Rechtssubjekts auf Anerkennung von Individualität und entsprechender Körperund Geistesbetätigung in bestimmten Bereichen. Der Mensch habe ein Recht, seine persönlichen Eigenschaften zu verwerten, überhaupt zu benutzen und zur Geltung zu bringen, insoweit er dadurch nicht gegen die Rechtssphäre anderer verstoße.666 Untergliedern lasse sich dies in das Recht der Existenzerhaltung (Leben, körperliche Integrität, Freiheit), das Recht auf Anerkennung des Individuums (Namensrecht, Rechte der Ehre) und Autorenrechte.667 Im Verhältnis zur Rechtsfähigkeit vertritt auch Gareis eine strenge Trennung.668 Rechte an der eigenen Person seien bestimmte, durch die Angabe des Objekts (Individuum) charakterisierte Rechte im eigentlichen Sinne; demgegenüber sei Rechtsfähigkeit kein Recht, sondern eine allgemeine Eigenschaft der Person, vermöge deren der Mensch Subjekt irgendwelcher Rechte sein könne.669 Indem Gareis die Persönlichkeitsrechte zudem ausdrücklich von Naturrecht, allgemeinen Menschenrechten und politischen Rechten (Gewissensfreiheit, Freizügigkeit) unterscheidet670, betont er sie auch auf diese Weise als lediglich weitere Kategorie „normaler“ Rechte. Sowohl die Abgrenzung zur Rechtsfähigkeit als auch diejenige zu sogenannten angeborenen Rechten spielt eine Rolle bei der von Gareis favorisierten Namensgebung (Individualrecht anstelle von Recht an der eigeRechts in den subjektiven Rechten liege und sich das Wesen der Rechte nach der Unterwerfung eines Gegenstands unter den rechtlichen Willen des Berechtigten richte. Abgesehen davon lasse sich das Recht an der eigenen Person im Sinne Puchtas nicht verteidigen. Da Neuner es bei dieser pauschalen Aussage belässt, geht er offensichtlich von einer Grundverschiedenheit dieses Rechts zu seinem Recht der Persönlichkeit aus, die eine Nennung der Gründe im Einzelnen entbehrlich macht. 666  Gareis, BuschsArch 35 (1877), 185 (194, 196, 199) mit einer Anerkennung der Individualität, der Tätigkeit als Individuum, der Beherrschung des Individuellen; Gareis, Moderne Bewegungen, S. 19 mit einer Begründung des Rechtscharakters aus der korrespondierenden Pflicht für andere zur Anerkennung und Nichtverletzung. 667  Gareis, BuschsArch 35 (1877), 185 (197 f.); Gareis, Moderne Bewegungen, S. 19. 668  Gareis kritisiert bei Neuner insofern eine Verwirrung der Begriffe. Leuze, S. 97 weist auf eine uneinheitliche Ausführung bei Gareis selbst hin. 669  Gareis, BuschsArch 35 (1877), 185 (191 f.); Gareis, in: FG Schirmer, S. 59 (95 Fn. 85). 670  Gareis, Moderne Bewegungen, S. 21 f.: „[…]; mit solchen programmatisch als angeborene Rechte bezeichneten Befugnisse hat die hier besprochene Kategorie nichts zu tun; die Persönlichkeitsrechte bestehen nur, wenn und soweit das positive Recht sie anerkennt, ja erschafft.“ Entsprechende Bewertung bei Leuze, S. 97, dass es Gareis Verdienst gewesen sei, den bislang noch bestehenden Verbindungsstrang zwischen angeborenen Rechten und dem Recht der Persönlichkeit zu zerreißen und Letzterem eine Bleibe im positiven Recht zu verschaffen.

216 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

nen Person und Recht der Persönlichkeit).671 Mit Puchtas Recht an der eigenen Person bzw. Recht der Persönlichkeit setzt sich Gareis inhaltlich nicht auseinander. Er beschränkt sich auf eine Kritik hinsichtlich der Bezeichnung des Objekts (der sich selbst zu Gegenstand habende Wille), der Einbeziehung des Besitzes und der Verwechslung von Eigenschaft (Persönlichkeit) und Recht (Recht an der eigenen Person).672 Eine positive Verbindungslinie seiner eigenen Lehre zu derjenigen Puchtas zieht er nicht.673 In den Darstellungen von Kohler (1849–1919) liegt die Betonung noch stärker auf einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht als Oberkategorie bzw. Mutterrecht674 („das erste und heiligste Recht“675). Aus diesem würden die einzelnen Persönlichkeitsrechte als verschiedene Ausladungen desselben herauswachsen, im Einzelnen das Recht auf Leben, Gesundheit, Ehre, das Recht am eigenen Bild und auf Briefgeheimnis, Namens-, Marken- und Firmenrechte.676 Das Persönlichkeitsrecht wird von Kohler definiert als das Recht an der Gesamtheit der persönlichen Güter, das deren integre Benutzung und Genuss garantiere,677 bzw. als das Recht auf Anerkennung der Person als vollgültige sittliche und geistige Persönlichkeit678. Die Identität von Subjekt und Objekt in diesen Kategorien von Rechten hält Kohler für unproblematisch. Er erklärt sie mit der Eigenheit des Selbstbewusstseins und des Selbstgewahrwerdens im natürlichen wie rechtlichen Sinne.679 Dies erinnert zumindest im Ausgangspunkt an Puchtas Erklärung zum Recht der Persönlichkeit680, was angesichts der thematischen Übereinstimmung – in beiden Fällen geht es um Persönlichkeit – nicht wundert. Kohler wendet 671  Gareis,

BuschsArch 35 (1877), 185 (198 ff.). BuschsArch 35 (1877), 185 (189 f.). 673  Gareis, in: FG Schirmer, S. 59 (81 f.). Puchtas Klassifikation der Rechte wird zwar als einer der „einzelnen Ausläufe, die Lücke in der Dogmatik auszufüllen“ gewertet, der aber von Gesetzgebung und Gerichten nicht aufgenommen worden sei. Vielmehr habe erst die Untersuchung der Urheberrechte zu Fortschritten hinsichtlich der Kategorie der Persönlichkeitsrechte geführt. 674  Leuze, S. 108. 675  Kohler, Eigenbild, S. 5. 676  Kohler, in: Holtzendorff/Kohler, Enzyklopädie II, S. 1 (33 ff.); des Weiteren im öffentlich-rechtlichen Bereich das Wahl- und Beamtenrecht und das Gewerberecht als „gesteigertes Persönlichkeitsrecht“. 677  Kohler, Jahrbücher f. Dogmatik 18 (1880), 129 (257). 678  Kohler, in: Holtzendorff/Kohler, Enzyklopädie II, S. 1 (33). 679  Kohler, Eigenbild, S. 5 f.; ebenso Kohler, ArchBR 1891, 77 (77): „[…] die Möglichkeit, daß das Ich als Subjekt zugleich die eigene Persönlichkeit als Objekt setze und daher ein Recht haben kann, dessen Gegenstand die eigene Persönlichkeit ist […]. Die Möglichkeit ist mit der Möglichkeit der Selbstsetzung, des Selbstbewusstseins gegeben.“ 680  Siehe Kapitel 3, B. III. 2. b). 672  Gareis,



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht217

sich zudem gegen die Behauptung, das Recht des Individuums an seinen Gliedern und Kräften sei ein bloßer Ausfluss seiner Rechtssubjektivität. Die Persönlichkeit sei nicht nur die Summe jener Körper- und Geisteskräfte, sondern stelle eine neue, selbstständige Größe dar.681 Rechtssubjektivität sei zwar die zwingende Voraussetzung für das Rechtehaben, aber eben auch nur ein hohles Gefäß ohne Inhalt682, „nur eine Möglichkeit, eine Potenz, noch kein aktuelles Recht“683, solange keine Güter vorhanden seien, deren Genuss dem Rechtssubjekt durch die Rechtsordnung gesichert werden solle684. Insofern verfährt Kohler in seinem späteren Beitrag zur Enzyklopädie der Rechtswissenschaft (1914) im Aufbau konsequent, indem er zwischen der Rechtsfähigkeit und dem Rechtssubjekt (Kapitel „Personen“685) einerseits und dem Persönlichkeitsrecht (Kategorie „absolute Rechte“686) andererseits unterscheidet. Terminologisch ungenau spricht er allerdings von der „Persönlichkeit“687, die dem Menschen mit der vollendeten Geburt (§ 1 BGB) entstehe und mit dem Tod ende.688 Auch Regelsberger (1831–1911) nennt das Recht der Persönlichkeit als „das erste und vornehmste aller Privatrechte“689, das die höchsten Güter des Menschen umfasse.690 Es begleite alle übrigen Rechte, da all jene in der Person ihren Träger hätten. Wie Puchta folgert Regelsberger daraus die Möglichkeit einer doppelten Rechtsverletzung bzw. eines doppelten Rechts681  Kohler,

Jahrbücher f. Dogmatik 18 (1880), 129 (254). Jahrbücher f. Dogmatik 18 (1880), 129 (255). 683  Kohler, Jahrbücher f. Dogmatik 18 (1880), 129 (256). 684  Kohler, Jahrbücher f. Dogmatik 18 (1880), 129 (255). 685  Kohler, in: Holtzendorff/Kohler, Enzyklopädie II, S. 13. 686  Kohler, in: Holtzendorff/Kohler, Enzyklopädie II, S. 1 (33 ff). 687  Kohler, in: Holtzendorff/Kohler, Enzyklopädie II, S. 1 (13). 688  Kohler, in: Holtzendorff/Kohler, Enzyklopädie II, S. 1 (13, 33  ff.); Leuze, S. 104 Fn. 3 und Martin, S. 53 sehen eine weitere Inkonsequenz darin, wenn Kohler später das Persönlichkeitsrecht aus der Rechtsfähigkeit ableitet (Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, S. 53: „Das Persönlichkeitsrecht muss der Ausgangspunkt einer jeden Rechtsordnung sein, denn jedes Recht bedarf eines Rechtssubjekts und wer Rechtssubjekt ist, muss als Persönlichkeit den Schutz des Rechts finden.“). Die Herleitung des Persönlichkeitsrechts aus der Rechtsfähigkeit muss jedoch nicht zwingend bedeuten, dass es sich bei jenem ausschließlich um einen Ausfluss aus der Rechtsfähigkeit, ohne weitergehenden eigenständigen Wert, handelt. 689  Regelsberger, S. 198. 690  Regelsberger, S. 198 f. Allerdings hält er es für müßig und falsch, das Persönlichkeitsrecht aufzuteilen und für jede Außenseite der Persönlichkeit ein besonderes Individualrecht aufstellen zu wollen. Eine solche Einzelausbildung sei zwar möglich und z. T. schon geschehen (für Familienname, Firma, Gewerbemarke), allerdings nicht zwingend vorzunehmen. 682  Kohler,

218 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

schutzes.691 Insgesamt bestehen bei dieser Sichtweise größere Parallelen zu Puchtas Lehre. Regelsberger verweist auf ihn als einen der Befürworter eines Rechts der Persönlichkeit neben Gareis, Kohler und Gierke (u. a.), ohne zugleich eventuelle Brüche in den Traditionslinien anzudeuten.692 Gierke definiert Persönlichkeit als die Fähigkeit, Rechtssubjekt zu sein bzw. Rechte und Pflichten zu haben.693 Aus deren Anerkennung durch Rechtssatz fließe das allgemeine Recht der Persönlichkeit (synonym: Recht an der eigenen Person694, Individualrecht)695; es sei der von der Rechtsordnung gewährleistete allgemeine Anspruch, als Person zu gelten696. Bei diesem handele es sich um das „oberste Privatrecht“697, um ein einheitliches subjektives Grundrecht, das alle besonderen subjektiven Rechte fundamentiere und in sie hineinreiche.698 Neben der Rechtsfähigkeit als wesentliches Element der Persönlichkeit699 zählt Gierke grundsätzlich auch die Handlungsfähigkeit hierzu. Sie sei ein im Wesen der Persönlichkeit angelegter, regelmäßiger Inhalt, aber eben kein zwingendes Begriffsmerkmal.700 Vom allgemeinen Recht der Persönlichkeit unterscheidet Gierke sodann die einzelnen Persönlichkeitsrechte (Rechte an der eigenen Person) als besondere Kategorie von Privatrechten. Sie würden ihrem Subjekt die Herrschaft über ein bestimmtes Persönlichkeitsgut, d. h. über einen ausgeschiedenen Bestandteil des persönlichen Bereichs701 gewährleisten. Als solche zählt er auf: Recht auf leibliche Unversehrtheit; Recht auf Freiheit und auf Ehre; Zustandsrechte (Statusrechte), soweit aus besonderen Umständen (Geburts691  Regelsberger, S. 199. Verletzung eines Rechts an sich, z. B. Eigentum, und des Rechts der Persönlichkeit. 692  Regelsberger, S. 198 Fn. 4. 693  Gierke, Privatrecht I, S. 265; Gierke, in: Holtzendorff/Kohler, Encyklopädie I, S. 175 (192). 694  Gierke, ZHR 29 (1884), 243 (272) bevorzugt diese Bezeichnung. 695  Gierke, in: Holtzendorff/Kohler, Encyklopädie I, S. 175 (218). 696  Gierke, Privatrecht I, S. 703. 697  Gierke, in: Holtzendorff/Kohler, Encyklopädie I, S. 175 (218). 698  Gierke, in: Holtzendorff/Kohler, Encyklopädie I, S. 175 (218); Gierke, Privatrecht I, S. 704. 699  Für Hamprecht, S. 113 ist hieraus klar ersichtlich, dass Gierke das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus der Rechtsfähigkeit ableitet; daraus ergebe sich eine gewisse Parallele zu Puchtas Persönlichkeitsrecht. 700  Gierke, Privatrecht I, S. 356. Die Rechtsfähigkeit könne niemals ganz fehlen, aber in „verschiedenen Färbungen“ mit engerem oder weiterem Inhalt auftreten; Gierke, in: Holtzendorff/Kohler, Encyklopädie I, S. 175 (199); zur Frage, inwiefern sich die Einbeziehung von Rechts- und Handlungsfähigkeit in das Recht der Persönlichkeit auf dessen Qualifikation als subjektives Recht auswirkt, siehe Scheyhing, AcP 158 (1958), 503 (524); Leuze, S. 114 Fn. 11. 701  Gierke, Privatrecht I, S. 260, 702; Gierke, ZHR 29 (1884), 243 (271).



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht219

oder Berufsstand) eine eigentümliche Rechtsstellung im Privatrecht folge; Namens-, Zeichen-, Urheber- und Erfinderrechte; Recht am eigenen Bild und Recht an der eigenen Geheimnissphäre.702 Wo jene bislang gesetzlich anerkannten Persönlichkeitsrechte noch Lücken offen ließen, müsse ggf. auf das allgemeine Recht der Persönlichkeit zurückgegriffen werden.703 Die allenfalls untergeordnete Rolle Puchtas in jenen Modellen moderner Persönlichkeitsrechte ist offensichtlich; weitaus mehr wird sogar ausdrücklich von ihm Abstand genommen. Damit bestehen weder objektive Identität noch subjektiv gedachte Verbindungslinien zwischen ihm und den nachfolgenden Lehren. Es bleibt allenfalls bei der Frage, ob sich aus Puchtas Recht der Persönlichkeit die späteren Modelle überhaupt hätten entwickeln können. Hierzu wäre es zum einen notwendig gewesen, die Qualität der Rechtsfähigkeit wieder zurück auf diejenige einer Vorbedingung zu reduzieren und wie Savigny, Arndts, Sintenis, Jhering von einer bloßen Eigenschaft auszugehen. Denn keines der späteren Modelle nimmt ein Recht der Rechtsfähigkeit an, auch nicht Gareis, der nur von einem Recht auf Anerkennung der Rechtsfähigkeit spricht. Ein solcher Schritt wäre an sich denkbar gewesen, da auch Puchta die Qualität der Rechtsfähigkeit als Eigenschaft nicht leugnet. Zum anderen hätte das insoweit nun „entkernte“ Recht der Persönlichkeit auf anderweitige, speziell die Persönlichkeit betreffende Aspekte konzentriert und zum Sammelpunkt entsprechender subjektiver Rechte gemacht werden müssen. Puchta selbst ist diesen Schritt nicht gegangen. Die später schwerpunktmäßig diskutierten besonderen Persönlichkeitsrechte (Name, Marke, Firma, Urheber) zeichnen sich keinesfalls schon in seinem Recht der Persönlichkeit ab, wie die inhaltliche Analyse (Stufen der Rechtsfähigkeit) gezeigt hat.704 Andererseits nimmt er den Bereich der Ehre in sein Persönlichkeitsrecht 702  Gierke, Entwurf, S. 83; Gierke, Privatrecht I, S. 708 ff.; Gierke, in: Holtzendorff/Kohler, Encyklopädie I, S. 175 (219 ff.). Es handele sich um eine Vielzahl von Rechten mit verschiedenartigen Wesenszügen mit nur einigen Gemeinsamkeiten, wie beispielsweise: Privatrechte; an sich keine Vermögensrechte, die aber dennoch einen vermögensrechtlichen Inhalt haben können; in der Regel Übertragbarkeit. 703  Gierke, Privatrecht I, S. 702; Klingenberg, ZRG Germ. Abt. 1979, 183 (206) sieht hierin einen Beleg dafür, dass die Vorstellung Savignys von einem Zusammenhang zwischen ethischer Person, Rechtspersönlichkeit und subjektiven Rechten, die unter dem zwischenzeitlich herrschenden Gesetzespositivismus gelitten habe, auch bei Gierke noch lebendig gewesen sei. Gierkes allgemeines Recht der Persönlichkeit sei nichts anderes als die juristische Formulierung der Idee, dass der Mensch wegen seinem steten Ansehen als Subjekt und nie als Objekt für die Verwirklichung seiner Persönlichkeit Rechtsschutz verlangen könne. 704  Insofern auch Leuze, S.  56 f.; Simon, S. 179 mit einem Hinweis auf die Behandlung leiblicher Persönlichkeitsgüter (Leben, Körper, Gesundheit) als Beleg dafür, dass Puchtas Recht der Persönlichkeit sich auf die Rechtsfähigkeit beschränke und sich vom modernen allgemeinen Persönlichkeitsrecht unterscheide. Da Puchta zwischen der Person und dem Menschen trenne und Persönlichkeit für ihn nur

220 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

auf705 und erweitert darüber hinaus das Recht an der eigenen Person um das Recht des Besitzes als besondere Ausprägung. Dies erinnert gerade auch hinsichtlich der insgesamt zugrunde liegenden Motivation, für ein einzelnes, problematisches Recht einen systematischen Standort zu schaffen, an die späteren Bemühungen um ein allgemeines Persönlichkeitsrecht. Was die Einbeziehung der Ehre in Puchtas Rechtsfähigkeits- bzw. Persönlichkeitsrechtsbegriff betrifft, so handelt es sich auch hierbei grundsätzlich um ein ideelles Persönlichkeitsgut, allerdings wie gesehen sehr stark an ihrem Pflichtcharakter ausgelegt. Dementsprechend betrifft dies in erster Linie kein Recht (oder Rechtsgut) der Ehre im Sinne eines positiven Ehrschutzes, sondern eine Ehrminderung mit negativen Auswirkungen auf den Umfang der Rechtsfähigkeit. Eine Parallele zwischen dem Recht des Besitzes und den besonderen Persönlichkeitsrechten ist ebenfalls nur bedingt passend. Puchtas Rückgriff auf die Persönlichkeit ist in erster Linie von der Suche nach einem unterworfenen Gegenstand im Recht des Besitzes motiviert und fußt insoweit auf seiner speziellen Sicht des Systems der Rechte insgesamt. Vom Grunde her ähnlich ist allein die Anerkennung der Persönlichkeit (bzw. eines Bestandteils der Persönlichkeit) dahingehend, unmittelbarer und nicht nur mittelbarer Gegenstand eines Rechts sein zu können. Eine Weiterentwicklung von Puchtas Lehre hin zu einem Persönlichkeitsrecht moderner Art wäre daher wohl im Grundsatz möglich gewesen, hauptsächlich aufgrund der „Bereitstellung“ eines Rechts der Persönlichkeit als Kategorie überhaupt. Wegen der tatsäch­ lichen Beschränkung auf die Rechtsfähigkeit hätte dies jedoch erhebliche Modifikationen erfordert und von Puchtas Persönlichkeitsrecht in seiner ursprünglichen Gestalt wenig übrig gelassen. 6. Fortexistenz des Erblassers als juristische Person Neben dem Recht an der eigenen Person sorgen auch Puchtas „Rechte an auf uns übergegangene Personen“ für Diskussionsbedarf und Unverständnis bei seinen Kritikern. Unter dieser Kategorie subjektiver Rechte beschreibt Puchta in neuartiger Weise das Erbrecht mit einer Fortexistenz des Erblassers als juristischer Person bzw. mit einem Recht des Erben an dem fortexistierenden Erblasser selbst. Aufhänger für ein solches Modell ist das Bemühen, die römisch-rechtliche Figur der hereditas iacens zu erklären. Sie betrifft den Rechtzustand zwischen dem Tod des Erblassers und dem Anfall der Erbschaft, die nach römischem Recht auseinanderfallen konnten. Um auch für diesen Zeitraum Macht über die Person bedeute, schütze sein Recht der Persönlichkeit auch nicht die leiblichen Persönlichkeitsgüter. 705  Leuze, S.  57 f.



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht221

ein Subjekt der zu vererbenden Rechte anzunehmen, wurde verbreitet mit der Fiktion einer fortbestehenden Erblasserpersönlichkeit gearbeitet.706 Mit dem Eintritt des Erben als neuem Rechtsträger sollte diese sodann entfallen. Puchta übernimmt den Gedanken einer postmortalen Erblasserpersönlichkeit für das gesamte Erbrecht und macht diesen zu seinem Fundamentalprinzip. Die hereditas iacens sei als Sonderfall des römischen Rechts lediglich das anschaulichste Beispiel hierfür.707 Jeder Erbfall sei in der Weise zu erklären, dass der Erblasser als juristische Person fortbestehe und in dieser Form Träger seines Vermögens bleibe. Der Erbe wiederum erhalte ein Recht an der juristischen Person des Erblassers und werde auf diese Weise mittelbarer Inhaber der Erbmasse als einer eigenständigen, von seinem übrigen Vermögen zu trennenden Einheit.708 „Ein Recht an einem Vermögen setzt ein Recht an der Person, die Subject desselben ist, voraus. Das Subject ist noch immer der Erblasser, dessen Person als juristische in dem Vermögen fortgedacht wird, die der Erbe als solcher repräsentirt, die in ihn übergeht. […] Daher ist das Erbrecht ein Recht an der in den Erben übergegangenen Person des Erblassers.“709

Unabhängig davon, wie diese recht außergewöhnliche Interpretation des Erbrechts insgesamt zu bewerten ist710, ist der Gedanke einer den Tod überdauernden Persönlichkeit an sich bemerkenswert. Insbesondere stellt sich die Frage, was dies im Umkehrschluss für Puchtas Personenbegriff auf Lebende bezogen bedeutet. Denn so gesehen müsste es Puchtas Konzeption generell ermöglichen, die Persönlichkeit in einen sterbenden, entfallenden Teil einerseits und einen fortexistierenden Teil andererseits aufzuspalten. In einem nächsten Schritt wäre zu überlegen, von welcher inhaltlichen Beschaffenheit die jeweiligen Teile sein sollten, namentlich wie personen- und vermögensrechtliche Angelegenheiten auf sie zu verteilen wären und ob diesbezüglich noch genauer zwischen Persönlichkeit einerseits und Rechtsfähigkeit / Rechtssubjektivität andererseits unterschieden werden müsste. 706  Sogar Jhering, Abhandlungen, S. 232 f., als Hauptkritiker Puchtas in dieser Angelegenheit, vertrat zunächst noch die Ansicht der fiktiv fortbestehenden Erblasserpersönlichkeit. 707  Puchta, Vorlesungen II, S. 315, 318 f.; Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 643. 708  Puchta, Cursus III, S. 221; Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 641 ff.; Puchta, Vorlesungen II, S. 316 f. 709  Puchta, Cursus III, S. 222. 710  Jhering, Scherz und Ernst, S. 11 spricht von „pythagoreische[r] Seelenwanderung“. „Eine Person ist in die andere geschachtelt, wie bei den Schachteln im Krämerladen […]. Jeder von uns birgt noch ein unendlich verdünntes erbrechtliches Stück Adam in sich.“ Andererseits hat Puchtas Argumentation für das Fortbestehen einer juristischen Erblasserpersönlichkeit und vor allem für die Annahme zweier getrennter Vermögensmassen über den Anfall der Erbschaft hinaus eine Logik, die durchaus nicht von der Hand zu weisen ist, insofern Puchta, Vorlesungen II, S. 316 f.

222 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Nicht zuletzt erinnert die fortdauernde Erblasserpersönlichkeit nach Puchta an die moderne Figur des postmortalen Persönlichkeitsrechts, zumindest in dem weiteren Sinne einer irgendwie gearteten Relevanz des Verstorbenen über den Tod hinaus.711 Die Frage nach Parallelen drängt sich ebenso auf wie die Möglichkeit, das Problem des postmortalen Persönlichkeitsschutzes unter Rückgriff auf Puchtas Überlegungen neu zu denken. In Puchtas Erbrechtsmodell ist die Persönlichkeit des Erblassers vor und nach seinem Tod jedoch nicht dieselbe. Die Bezeichnung „fortdauernde Erblasserpersönlichkeit“ ist daher im Grunde ungenau, sofern sie einen nahtlosen Übergang im Sinne einer Identität assoziiert. Vielmehr handelt es sich um eine Fortdauer des Erblassers als juristische Persönlichkeit – somit um eine Fortdauer in neuer Form, wenn auch ohne zeitliche Unterbrechung. Puchta unterscheidet deutlich zwischen der ursprünglichen natürlichen Person des Verstorbenen, die mit dem Tod entfällt, und der postmortalen juristischen Person als Träger der Vermögensmasse.712 Für Puchtas Personenbegriff im Allgemeinen gibt sein neuartiges erbrechtliches Erklärungsmodell daher kaum Erkenntnisse her. Wenn Pleister in der unsterblichen Erblasserpersönlichkeit eine Metaphysik im Allgemeinen und einen christlich-freiheitlichen Hintergrund im Besonderen vermutet713, so ist ihm mit Verweis auf die vermögensrechtliche Ausrichtung dieser Konstruktion zu widersprechen.714 Mittelbare Schlussfolgerungen für den Begriff der natürlichen Person zu Lebzeiten etwa in dem Sinne, zwischen einem mit dem Tod entfallenden und einem weiterlebenden Teil (Persönlichkeit im engeren; Rechtsfähigkeit) zu unterscheiden, können ebenso wenig gezogen werden. Es handelt sich um eine gänzlich eigenständig zu betrachtende, mit dem Tod neu entstehende juristische Person und nicht um eine Art Überbleibsel der ursprünglich natürlichen. Genau genommen wird nur bestätigt, den An711  Vgl. Jhering, Scherz und Recht, S. 11, allerdings kritisierend „persönliche Unsterblichkeit vom juristischen Standpunkt“. 712  Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 641: „[…] daß nach dem Tod die dadurch aufgehobene natürliche Person fortwährend als zusammenhaltendes Subject jener Rechtsverhältnisse gedacht, somit eine juristische Person an der Stelle der natür­ lichen angenommen wird […]. Das hinterlassene Vermögen selbst also trägt eine Persönlichkeit in sich, und dies ist die fingierte des Verstorbenen.“; Puchta, Vorlesungen II, S. 314: „Der Tod eines Menschen hebt die natürliche Person auf, und damit die Rechte, welche mit ihr wesentlich verknüpft sind. Aber an die Stelle der natürlichen Person tritt eine juristische, die in dem hinterlassenen Vermögen fortgedachte Persönlichkeit des Erblassers.“; ebenso Puchta, Cursus III, S. 221; Puchta, Classe von Rechten, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 239 (252 f.). 713  Pleister, S.  171 ff. 714  Zutreffend Mecke, S. 742 Fn. 3710, S. 745, der hinter Puchtas Definition vom Erbrecht als Recht an der in uns übergegangenen Person eine in erster Linie dogmatische Überlegung zur Stringenz seines Systems der subjektiven Rechte sieht.



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht223

wendungsbereich juristischer Personen auf vermögensrechtliche Angelegenheiten zu beschränken bzw. umgekehrt den Rückgriff auf juristische Personen dann zu eröffnen, wenn ein Subjekt für Vermögensrechte gesucht wird, ein Mensch jedoch als Anknüpfungssubstrat nicht zur Verfügung steht.715 An der Konzentration der fortdauernden Erblasserpersönlichkeit auf das hinterlassene Vermögen scheitert zudem eine wirkliche Parallele zu denjenigen Fragen, die in neuerer Zeit unter dem Begriff des postmortalen Persönlichkeitsschutzes diskutiert werden. Zumindest bei den dortigen Problemfällen geht es ausschließlich darum, postmortale ideelle Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Verfälschungen des Lebensbildes, Verunglimpfung des Andenkens) zu unterbinden bzw. zu beseitigen. Sobald dagegen vermögenswerte Bestandteile der Persönlichkeit betroffen sind716, können diese ohne Weiteres, da vererblich, als Ansprüche in der Person des Erbens berücksichtigt werden.717 Infolgedessen ist es auch nicht denkbar, Puchtas Konstruktion für diesen Problemkreis nutzbar zu machen. Der reduzierte Anwendungsbereich juristischer Personen schließt es geradezu aus, eine fortdauernde juristische Persönlichkeit des Erblassers zum Rechtssubjekt rein ideeller, höchstpersönlicher Ansprüche zu erklären.

IV. Ergebnis: Rechtsfähigkeit als Recht bei Puchta Der Ertrag der Lehre Puchtas für die Frage, welcher Rechtsfähigkeitsbegriff dem BGB zugrunde liegt, ist auf den ersten Blick überschaubar. In gewisser Weise fällt das Ergebnis „negativ“ aus, indem viele der analysierten Thesen nicht bzw. nicht in gewünschter Eindeutigkeit bestätigt werden konnten. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob Puchtas Recht der Rechtsfähigkeit / Persönlichkeit eine unmittelbare Basis für die Entwicklung moderner Persönlichkeitsrechte darstellt. Der Rechtsfähigkeitsbegriff selbst hat sich im Vergleich zu Savigny inhaltlich nicht wesentlich gewandelt. Die Aufteilung und Ausgestaltung folgt auch bei Puchta noch unter Orientierung an römisch-rechtlichen Fallgruppen und entsprechenden Minderungsmöglichkeiten, zumindest der grundsätzlichen Begriffskonzeption nach. Auffällig hierbei ist nur die Abgrenzung eines „selbstständigen Teilbereichs der 715  So Puchta, Corporationen, in: Rudorff, Kleine civilistische Schriften, S. 497 (498, 501). 716  Postmortale Eingriffe in vermögenswerte Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts; ebenso Schadensersatzansprüche aus noch lebzeitiger Persönlichkeitsverletzung. 717  Lipp, M., Examens-Repetitorium, Rn. 36  ff.; nun aber beschränkend BGH NJW 2014, 2871 (Schadensersatz in Geld bei schwerwiegenden Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Vererblichkeit dieses Geldentschädigungsanspruchs).

224 Kap. 3: Historische Modelle zu Persönlichkeit, Person, Rechtsfähigkeit

Rechtsfähigkeit als solche“ (Recht der Persönlichkeit überhaupt). Auch dies ist aber mehr als Einteilungsfrage zu werten. Zuletzt konnten die erbrechtlichen Besonderheiten in Puchtas Persönlichkeitsbegriff, die als etwaige Parallelen zum postmortalen Persönlichkeitsrecht in den Blick genommen wurden, nicht als solche bestätigt werden. Die zentrale Erkenntnis zu Puchtas Recht der Persönlichkeit – nämlich: dessen inhaltliche Erschöpfung in der Rechtsfähigkeit – mag einerseits in ihrer Negativaussage für moderne Persönlichkeitsrechte enttäuschen. Andererseits begründet sie, gerade für sich genommen, eine Besonderheit, denn die Rechtsfähigkeit als Recht und nicht nur als Eigenschaft oder als Recht auf Anerkennung der Rechtsfähigkeit wird in dieser Form nur von Puchta vertreten. Indem sich andere Autoren in der Folgezeit hiervon bewusst abgrenzen und die Rechtsfähigkeit als bloße Vorausbedingung von Rechten betonen, ist letztendlich auch Puchta impulsgebend für die weitere Begriffsentwicklung. Rechtfertigt sich die Beschäftigung mit seine Lehre daher schon unter diesem Gesichtspunkt718, hat sein Recht der Rechtsfähigkeit auch konkret Ertrag für die hier untersuchte Thematik zur zweifachen Weite des § 1 BGB. Zum einen spielt bei Puchtas Begriffsbildung die Technik der Abstraktion eine Rolle. Persönlichkeit / Rechtsfähigkeit wird definiert unter „Hervorhebung des Gleichen, was den Menschen ungeachtet ihrer individuellen Ungleichheit zukommt“719. Das Absehen von der Individualität des Menschen erweist sich sodann als Ausgangspunkt für die Bildung und Handhabung der klassischen „kritischen“ Fallgruppen zum Personenbegriff (Einbeziehung nicht-menschlicher Personen und Willensunfähiger). Die Abstraktion tritt also auch bei Puchta wie im späteren BGB als das integrationsschaffende technische Mittel schlechthin auf. Zum anderen geht es um den Umstand, dass Puchta tatsächlich die Rechtsfähigkeit (und wie gesehen: kein „inhaltliches Mehr“) zum alleinigen Gegenstand eines Rechts macht, sie also offensichtlich für diesbezüglich ausreichend hält. Dies mag zunächst nur als Beleg für die generell geringen Anforderungen erscheinen, die Puchta an die Annahme eines Rechts bzw. 718  Auch der Umfang der Darstellungen zu Puchtas Lehre rechtfertigt sich auf diese Weise. Die inhaltliche Gleichsetzung von Rechtsfähigkeit (als Eigenschaft) und Recht der Persönlichkeit ergibt sich erst aus dem Verständnis von Puchtas Gesamtsystem der Rechte. Insofern nämlich ist es zunächst erforderlich, den grundsätzlichen Stellenwert subjektiver Rechte in diesem System zu kennen. Erst ausgehend davon kann die „Erhebung“ der Rechtsfähigkeit zu einem solchen Recht richtig eingeschätzt, relativiert und inhaltlich auch weiterhin mit der bloßen Eigenschaft gleichgestellt werden. 719  Puchta, Cursus I, S. 53 f.; siehe Kapitel 3, B. II. 3.



B. Puchta – Rechtsfähigkeit in der Erscheinungsform als Recht225

an dessen gegenständlichen Inhalt stellt, weil immerhin sein ganzes Zivilrechtssystem auf das Denken in Rechten ausgelegt ist. Selbst dann noch ist sein Recht der Rechtsfähigkeit ein maßgeblicher Schritt dahin, sich nicht länger vor einem Zusammenfallenlassen von Subjekt und Objekt zu scheuen („Wille hat sich selbst zum Gegenstand“720), sondern eine neue Kategorie von Rechten zu ermöglichen. Darüber hinaus wird jedoch mit der Erscheinungsform als Recht gerade auch der materielle Gehalt von Persönlichkeit betont. Es bleibt bei dem Ergebnis, dass sich in diesem Recht kein „echtes, fassbares“ inhaltliches Mehr gegenüber der Rechtsfähigkeit als Eigenschaft verbirgt. Nichtsdestotrotz wird auf diese Weise der Grund der Rechtsfähigkeit (Freiheit, Wille, Selbstgewahrsein) noch einmal als solcher formuliert und allein durch das Ausreichenlassen als Gegenstand eines Rechts betont. Man kann nun die Frage stellen, warum es dann nicht auch bei Puchta für ein Persönlichkeitsrecht im eigentlichen Sinne reicht bzw. warum sein Recht der Persönlichkeit nicht doch als Basis für moderne Persönlichkeitsrechte herangezogen werden kann. Ein solcher Interpretationsversuch scheitert jedoch gerade an dem Problem des sowohl ethisch-materiellen als auch rechtstechnischen Personenbegriffs bzw. an unserem so geprägten Verständnis von diesem. Es besteht ein Recht der Persönlichkeit / der Rechtsfähigkeit in Puchtas Lehre und man ist aus heutiger Sichtweise dazu geneigt, an dieses Recht anzuknüpfen und es inhaltlich zu einem modernen Persönlichkeitsrecht auszubauen. Eine solche Nutzung ist allerdings nicht möglich, denn Puchta beschränkt sein Recht der Persönlichkeit zu eindeutig auf die Rechtsfähigkeit als exklusiven Gegenstand, um auch diese in sein System der Rechte zu integrieren. Sämtliche weitergehende Interpretationsversuche aus heutiger Sicht sind damit ausgeschlossen. Die Form eines Rechts ist in Sachen Persönlichkeit abschließend auf jenen reduzierten Inhalt (Rechtsfähigkeit) festgelegt und wird infolgedessen für die an sich naheliegendere materielle Verwendung „blockiert“. Zusammengefasst führt dies in Puchtas Lehre zu einer Problemkonstellation, an der sich das Dilemma des Personenbegriffs in charakteristischer Weise zeigt. Positiv ist die Behandlung der Rechtsfähigkeit als formelles Zuordnungskriterium. Positiv ist ebenfalls die Erkenntnis, dass der materielle Gehalt von Persönlichkeit (Freiheit, Wille, Selbstgewahrsein) als Gegenstand eines Rechts genommen werden kann. Ein Problem entsteht jedoch dann, wenn eine Trennung beider Bereiche nicht konsequent durchgehalten wird, sondern der formelle Rechtsfähigkeitsbegriff den Platz im Persönlichkeitsrecht einnimmt, aus ihm heraus der materielle Gehalt des Persönlichkeitsrechts bestritten werden muss und dadurch eine Weiterentwicklung zu echten Persönlichkeitsrechten von Anfang an begrenzt oder ausgeschlossen wird. 720  Siehe

Kapitel 3, B. III. 2. a).

Kapitel 4

BGB und 20. Jahrhundert A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB I. Überblick zum Kodifikationsverlauf (1873–1900) Nachdem zunächst auf wirtschafts-1 und strafrechtlichem2 Gebiet der Erlass einheitlicher Gesetzeswerke erreicht worden war, wurde 1873 die Möglichkeit geschaffen, dies auch für das materielle Bürgerliche Recht vorzunehmen.3 Mit der Lex Miquel-Lasker (Inkrafttreten: 07. Januar 1874) erfolgte die erforderliche Verfassungsänderung, die dem Deutschen Reich die Gesetzgebungskompetenz für das gesamte Bürgerliche Recht übertrug. Nach Einsetzung einer Vorkommission aus Wissenschaftlern und Politikern (28. Februar 1874), die Plan und Methode des künftigen Kodifikationsverfahrens ausleuchtete, erging am 22. Juni 1874 der Bundesratsbeschluss zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches. Hiermit beauftragt wurde eine Erste Kommission (1875–1889), die das Ergebnis ihrer Arbeit 1888 im sogenannten Ersten Entwurf (mit Motiven4) vorlegte. Die Auseinandersetzung der Öffentlichkeit mit diesem Entwurf war massiv; heraus kam eine bemerkenswert umfangreiche konstruktive Kritik. Hauptsächlich wurde der volks- und generell anwendungsferne, zu doktrinäre und dabei wiederum zu sehr römisch-rechtlich geprägte Charakter des Entwurfs gerügt.5 Letztendlich erfolgte am 04. Dezember 1890 mit erneutem Bundesratsbeschluss die Entscheidung zur Umarbeitung des Entwurfs, zunächst unter Einsetzung einer Vorkommission des Reichsjustizamtes (1890–1893), 1  Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861; abgelöst durch das HGB von 1897 (RGBl. S. 219; in Kraft getreten 01.01.1900). 2  StGB; ursprüngliche Fassung als Reichsstrafgesetzbuch von 1871 (RGBl. S. 127); in Kraft getreten 01.01.1872. 3  Ausführlich Wieacker, S.  468  ff. zum Redaktionsverlauf, den Gesetzgebern und zu Charakter und geistigen/sozialen Bedingungen der Entstehungszeit. 4  Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Amtliche Ausgabe, 2. Aufl., 1896. 5  Von einer allgemeinen Darstellung der Kritik wird an dieser Stelle abgesehen. Eine nähere Betrachtung der Anmerkungen und Gegenstimmen erfolgt speziell mit Blick auf die Thematik der Rechtsfähigkeit und des entsprechenden § 3 des Ersten Entwurfs, siehe Kapitel 4, A. II. 2.



A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB227

im Übrigen durch eine in Teilen neu besetzte6 Zweite Kommission. Der hieraus hervorgegangene Zweite Entwurf wurde zusammen mit den Protokollen7 1895 veröffentlicht. Nach weiterer Beratung im Justizausschuss des Bundesrats (1895–1896) erging der Dritte Entwurf mit einer Denkschrift des Reichsjustizamtes als Reichstagsvorlage8. 1896 wurde dieser von Reichstag und Bundesrat angenommen.9 Am 24.08.1896 im Reichsgesetzblatt verkündet10 trat das BGB am 01.01.1900 in Kraft (Art. 1 I EGBGB).

II. Auswertung der Materialien unmittelbar zu § 3 BGB-E I bzw. § 1 BGB Untersuchungsgegenstand ist das Personen- und Rechtsfähigkeitsbild um 1900, wie es unmittelbar Eingang in § 1 BGB fand. Insofern werden primär diejenigen Quellen einer Auswertung unterzogen, die im Zusammenhang mit der Kodifizierung der Norm selbst stehen. Dies betrifft zum einen die Gesetzesmaterialien der Kommissionen (Motive und Protokolle) zu § 3 BGB-E I / § 1 BGB, daneben die Ausführungen der für die Thematik bedeutendsten Redaktoren Albert Gebhard und Gottlieb Planck. Diese haben durch ihre Tätigkeit als Referent zu § 3 BGB-E  I / § 1 BGB (Gebhard) bzw. als Mitglied der Ersten Kommission, Generalreferent der Zweiten Kommission sowie Verfasser eines damaligen Standardkommentars (Planck) eine nahezu gesetzgebergleiche Autorität.11 Zum anderen wird die Phase der Kritik in Reaktion auf den Ersten Entwurf (1888–1890) auf Stellungnahmen zu § 3 BGB-E I hin untersucht. Dabei wird interessieren, ob die Regelung zur Rechtsfähigkeit des Menschen überhaupt Beachtung erfuhr, von welcher Qualität eventuelle Änderungsvorschläge waren, ob von lediglich formaler oder auch inhaltlicher Art, und inwieweit diese in den überarbeiteten Entwürfen aufgegriffen wurden. 6  Für den Allgemeinen Teil blieb es dagegen sowohl in der 1. als auch in der 2. Kommission bei Albert Gebhard als Referent. 7  Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Im Auftrag des Reichs-Justizamts, Berlin 1897. 8  Weitere Überarbeitung in Reichstagskommission/Plenarberatungen. Referent für die Bücher 1 und 2 war Ludwig Enneccerus. 9  Ausfertigung und Verkündung (Reichsgesetzblatt Nr. 21, 24.08.1896) erfolgen ebenfalls 1896. 10  Reichsgesetzblatt RGBl. Nr. 21 1896, S. 195–603. 11  Mitunter wörtliche Übernahme von Passagen, beispielsweise Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 351 („Das bürgerliche Recht erfüllt, indem es die Rechtsfähigkeit des Menschen anerkennt, eine Forderung der Vernunft und der Ethik.“) im Vergleich zu Mot. I, S. 25 („Die Rechtsordnung erfüllt, indem sie die Rechtsfähigkeit des Menschen ohne Rücksicht auf seine Individualität und ohne Rücksicht auf seinen Willen anerkennt, ein Gebot der Vernunft und der Ethik.“).

228

Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

1. Gesetzesmaterialien und die Redaktoren Gebhard und Planck a) Qualität menschlicher Rechtsfähigkeit im Gesamtbild Die Aussagen in den Motiven sowie bei Gebhard und Planck zum Stellenwert der menschlichen Rechtsfähigkeit als oberstes, ethisch geprägtes Prinzip der Rechtsordnung sind weitgehend übereinstimmend und standardisiert. In diesem Sinne lautet die Aussage bei Gebhard: „Die Rechtsfähigkeit steht dem Menschen kraft des Spruches der Rechtsordnung zu, weil er Mensch ist; sie steht dem Individuum zu ohne Rücksicht auf dessen sonstige Eigenschaften und dessen Willen.“12

Dies ist einerseits insoweit positivistisch, als die Rechtsfähigkeit grundsätzlich von einem Zuerkennungsakt der Rechtsordnung abhängig gemacht wird. Zugleich wird die rechtliche Anerkennung als Wertschätzung des Menschseins an sich („weil er Mensch ist“13) angezeigt.14 Noch deutlicher wird die „Symbiose“ in der Formulierung der Motive zum Ausdruck gebracht: „Die Rechtsordnung erfüllt, indem sie die Rechtsfähigkeit des Menschen ohne Rücksicht auf seine Individualität und ohne Rücksicht auf seinen Willen anerkennt, ein Gebot der Vernunft und der Ethik.“15

Explizit wird hier eine Verbindung zwischen anerkannter Rechtsfähigkeit einerseits und ethischem Prinzip andererseits gezogen. Bereits im Zusammenhang mit Kants Urrecht der Freiheit wurde auf die Wertung Christian Hattenhauers hingewiesen, der in den Motiven insgesamt eine Abkehr von den Ansätzen der Pandektistik und stattdessen eine Orientierung an Kants naturrechtlichem Personenverständnis sehen will.16 Hinsichtlich der Ausrichtung der Motive selbst17 mag Christian Hattenhauer insofern zuzustimmen sein, dass die Gestaltungsvorgaben an die Rechtsordnung durchaus betont werden. Es wäre allerdings zu weit gegriffen, hierin mehr als eine Tendenz zu sehen. Die gegenteilige Formulierung der Motive „Die Rechtsordnung erfüllt […]“18 ist wiederum zu eindeutig. 12  Gebhard,

in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 351. in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 351. 14  Ferner Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 315: „[…] Mensch in Ansehung seiner leiblichen und geistigen Existenz unter dem Schutze der Rechtsordnung steht“. Wie der Satz zuvor zeigt dies, dass der Mensch als Mensch und nicht erst als (rechtlich anerkannte/ausgestaltete) Person schützenswert ist. 15  Mot. I, S. 25. 16  Hattenhauer, C., in: Klein/Menke, Der Mensch als Person und Rechtsperson, S. 39 (64). 17  Siehe bereits Kapitel 2, C. I. 18  Mot. I, S. 25. 13  Gebhard,



A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB229

Die so geprägte positivistisch-ethische Sonderstellung der Rechtsfähigkeit klingt ferner in Gebhards Hinweis auf das schwierige Verhältnis von Rechtsfähigkeit, subjektivem Recht und Willen an. Es handelt sich hierbei um das bekannte Problem, subjektive Rechte am Willen anzuknüpfen, die Rechtsfähigkeit von diesem aber unabhängig zu machen.19 Als Begründung der Willensunabhängigkeit im konkreten Fall lehnt Gebhard diejenigen Ansichten ab, die mit einer generellen Gattungsbetrachtung20 oder der Möglichkeit bloß künftiger Willensfähigkeit arbeiten wollen. Stattdessen geht er mit Jhering, die Rechtsfähigkeit „in Anerkennung des Anspruchs, den jedes menschliche Wesen auf seiner Stirn trägt“21, zu bestimmen. Vor allem aber belässt es Gebhard bei dieser im Grunde nur floskelartigen Erklärung. Es wird nicht weiter darauf eingegangen, worauf sich dieser Anspruch stattdessen stützen bzw. was jenes den Anspruch hervorrufende Wesen des Menschen ausmachen soll, wenn generelle Willensfähigkeit und Vernunftbegabung ausgeschlossen werden.22 Vielmehr wird die menschliche Rechtsfähigkeit der übrigen Dogmatik als sich gewissermaßen selbst erklärendes Prinzip bei- bzw. vorangeordnet. Planck weist zu Beginn seiner Darstellung auf die generelle Bedeutung der positiven Rechtsordnung, deren Funktion und Wirkungsbereich hin.23 Die Rechtsordnung bestimme die Beziehungen der Menschen untereinander, als Einzelpersonen und in Verbindung mit mehreren, und verleihe Rechte und Rechtspflichten.24 Da diese Ausführungen in unmittelbarem Zusammenhang mit den einleitenden Bemerkungen zu Rechtsfähigkeit, Person und Rechtssubjekt erfolgen, wird auf diese Weise zugleich die (zumindest auch) positivrechtliche Verankerung der Rechtsfähigkeit betont. Insgesamt fällt an der dortigen Darstellungsweise eine gewisse „Personenlastigkeit“ auf. „Der erste Abschnitt handelt von den Personen. […] Der Mensch ist Person […].“25 „Von den Menschen als Personen handelt der erste Titel unter der Überschrift ‚Natürliche Personen‘.“26 19  Gebhard,

in: Gebhard/Schubert, AT, Teil 1, S. 351 Fn. 1. des Menschen als begriffliches Wesen; eventuelle Willensunfähigkeit nur der jeweiligen Individuen. 21  Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT, Teil 1, S. 351 Fn. 1. 22  An anderer Stelle sieht Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 515 gerade hierin das Charakteristikum des menschlichen Wesens: Mensch als natürliche Person; in Abgrenzung hiervon Sachen (Nicht-Personen) als „Stücke der vernunftlosen Natur“. 23  Planck, S. 50. 24  Planck, S. 50. 25  Planck, S. 50. 26  Planck, S. 50. 20  Willensfähigkeit

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

Bereits durch die Art der weiteren Formulierungen – „Die natürlichen Personen sind die Menschen.“27 anstelle von „Die Menschen sind natürliche Personen“ – wird der Schwerpunkt auf die rechtstechnische Seite gelegt. Die Person wird zum zentralen Erklärungsobjekt des nachfolgenden Abschnitts gemacht und der Mensch gerade (und nur) in dieser Eigenschaft in den Blick genommen. b) Verhältnis von Rechtsfähigkeit, Person und Persönlichkeit Gebhard verwendet in seinen einleitenden Erläuterungen die klassische Definitionskombination aus Person, Rechtsfähigkeit und Rechtssubjekten.28 Der Begriff der Person bezeichne im juristischen Sprachgebrauch zum einen das menschliche Individuum, zum anderen eine persönlich gedachte Nichtperson, sofern diese Wesen als solche vom objektiven Recht mit Rechtsfähigkeit ausgestattet würden. Rechtsfähigkeit sei die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten bzw. Rechtssubjekt zu sein. Entsprechend sei Rechtssubjekt entweder der Mensch oder eine vorgestellte juristische Person.29 Ausführlicher sind bei Gebhard die Hinweise auf das terminologische wie inhaltliche Verhältnis von Rechtsfähigkeit und Persönlichkeit. Als Beispiele für eine unterschiedliche Verwendung jener Ausdrücke in der Vergangenheit (für gerade nicht deckungsgleiche Figuren) führt er u. a. Wächter und Neuner an.30 Wächter habe es für eine Ungenauigkeit gehalten, die Persönlichkeit zugleich als Rechtsfähigkeit zu bezeichnen. Die Persönlichkeit sei die Bedingung der Fähigkeit, Rechte zu haben; denn ein Wesen, welchem nicht Persönlichkeit31 zukomme, könne nicht in Rechtsverhältnissen stehen und Rechte haben. Somit handele es sich bei der Rechtsfähigkeit um einen Ausfluss der Persönlichkeit.32 Zu Neuner zitiert Gebhard im Wesentlichen dessen oben genannte Ansicht, nach der die Rechtsfähigkeit als Vorbedingung jeglicher Berechtigung verstanden und Persönlichkeit nur als Recht der 27  Planck,

S. 50. in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 315. 29  Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 315. 30  Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 315. 31  Wächter, § 35 S. 172 definiert Persönlichkeit wiederum als diejenige Eigenschaft eines Wesens, vermöge deren es auf dem Rechtsgebiet als Selbstzweck und freies Wesen und demgemäß als mögliches und wirkliches Subjekt von Rechten anzuerkennen und zu achten ist. 32  Wächter, § 35 S. 172 Fn. 1. Ein Wesen, welchem nicht Persönlichkeit zukomme, könne nicht im Rechtsverkehr stehen und Rechte haben. Zugleich führt Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 315 an, dass Wächter selbst an anderer Stelle (Handbuch des württembergischen Privatrechts, II, § 34, § 45 Rn. 2) keine Unterscheidung beider Begriffe vornimmt. 28  Gebhard,



A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB231

Persönlichkeit (aus der Rechtsfähigkeit resultierend) berücksichtigt wird.33 In Abgrenzung hierzu scheint sich Gebhard für eine stärkere Gleichsetzung von Rechtsfähigkeit und Persönlichkeit auszusprechen, wenn er schreibt: „Ist Rechtsfähigkeit das für den Begriff der Person im juristischen Sinne Wesentliche, so decken sich Rechtsfähigkeit und Persönlichkeit.“34

Die genaue Art dieser Deckungsgleichheit wird hieraus allein jedoch nicht abschließend deutlich. Gebhards Ausführungen insgesamt betrachtet lassen nämlich auch bei ihm eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen dem natürlichen, gewöhnlichen Sprachgebrauch einerseits und dem juristischen Sprachgebrauch andererseits erkennbar werden. Für die Begriffe der Rechtsfähigkeit und der Person herrscht insofern Klarheit. Während mit der Rechtsfähigkeit stets eine spezifisch rechtliche Aussage verbunden wird (rein juristischer Rechtsfähigkeitsbegriff), scheint Gebhard den Personenbegriff beiden Bereichen zuzuordnen.35 Im Verhältnis zueinander stellt der (nur) juristische Rechtsfähigkeitsbegriff wiederum den Kern des (auch) juristischen Personenbegriffs dar. Indes ist nicht eindeutig, wie Gebhard die Persönlichkeit in dieses Verhältnis einordnet. Die obige Aussage über die Deckungsgleichheit kann zum einen so verstanden werden, dass die Rechtsfähigkeit das wesentliche Element im juristischen Sinne und die Persönlichkeit das wesentliche Element im natürlichen Sinne darstellen und beide wiederum vereint sind im sowohl juristischen als auch natürlichen Personenbegriff. Die Begriffe bzw. Figuren würden sich in diesem Fall nur als jeweiliges Pendant zueinander decken. Ebenso könnte Gebhard eine tatsächliche Identität vor Augen haben und auch die Persönlichkeit, weil synonym mit der Rechtsfähigkeit, als Kern des juristischen Personenbegriffs annehmen. In diesem Fall würden sich Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit gerade deswegen decken. Für die zweite Interpretation spricht die synonyme Ver33  Neuner, S. 15, 17. Der Inhalt dieses Rechts der Persönlichkeit ist nach Neuner zum einen das Recht auf Behauptung und Entfaltung als Mensch (physisch wie geistig) und zum anderen das Recht auf Behauptung und Entfaltung als Rechtssubjekt. An dieser Stelle wird auch bei Neuner eine Trennung von juristischen und außerjuristischen Bereichen erkennbar. 34  Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 315. 35  Vgl. die vorangehende Differenzierung zwischen dem allgemeinen und juristischen Sprachgebrauch zur Person bei Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 315; ebenso in Mot. I, S. 29 Verwendung des Begriffs der Person auch im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs: „[…] eine empfangene, aber noch nicht geborene Person, falls sie später lebend zur Welt kommt, einem bereits geborenen Menschen gleichzustellen ist.“ Bei ausschließlich rechtlicher Bedeutung wäre eine genau umgekehrte Begriffsverwendung von Person und Mensch vorzunehmen gewesen; des Weiteren Mot. I, S. 30: „empfangene, aber noch nicht geborene Person“. Entsprechend der Auffassung des Gesetzgebers, dass der Nasciturus nicht rechtsfähig ist, kann dieser Personenbegriff nicht i. S. v. Rechtsfähigkeit verwendet worden sein.

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

wendung beider Begriffe (Rechtsfähigkeit und Persönlichkeit) an anderer Stelle, dort gerade in einem juristisch-rechtstechnischen Kontext36. Die Frage der Gleichsetzung oder Abgrenzung von Rechtsfähigkeit und Persönlichkeit taucht in den Gesetzesmaterialien erneut auf im Rahmen der Besprechung des Zweiten Entwurfs durch die Reichstagskommission. Hierbei geht es um einen Antrag von Gröber, § 1 BGB die Fassung zu geben: „Jeder Mensch besitzt Rechtspersönlichkeit; diese Persönlichkeit beginnt mit der Vollendung der Geburt und währt bis zum Tode.“37

Gröber begründet diesen Wechsel in der Terminologie damit, dass der Ausdruck der Rechtspersönlichkeit umfassender sei als derjenige der Rechtsfähigkeit. Konkret: Die Rechtsfähigkeit bezeichne mehr die Fähigkeit, Rechte zu erwerben, als die Fähigkeit, Rechte zu besitzen.38 Diese Aussage ist durchaus beachtlich mit Blick auf die eingangs angestellten Überlegungen, zwischen einer übergeordneten Persönlichkeit einerseits und einer in ihrer Bedeutung entsprechend reduzierten Rechtsfähigkeit andererseits. Hiernach könnte auch bei der Kodifikation des § 1 BGB der Gedanke eine Rolle gespielt haben, den Anwendungsradius der Rechtsfähigkeit auf den Erwerb weiterer Rechte zu beschränken und daneben bzw. davor eine Persönlichkeit (als Rechtsgut oder als Recht) mit einem Bestand an angeborenen Rechten (im Umkehrschluss zum Erwerb weiterer Rechte) anzunehmen. Im Ergebnis wurde der Antrag Gröbers abgelehnt, da die Kommission die Bedenken hinsichtlich des Rechtsfähigkeitsbegriffs nicht teilte. Vielmehr sei der Ausdruck der Rechtsfähigkeit, verglichen mit dem der Rechtspersönlichkeit, der in Theorie und Praxis gebräuchlichere Begriff. „Auch bei den juristischen Personen bezeichne der Entwurf die Persönlichkeit als ‚Rechtsfähigkeit‘ […]. Eine Verwechslung der Rechtsfähigkeit mit der Erwerbsfähigkeit durch eigene Handlung, also der Handlungsfähigkeit wurde als völlig ausgeschlossen bezeichnet, da der Unterschied beider Begriffe unmöglich verkannt werden könne.“39

Aus der solchermaßen begründeten Ablehnung des Antrags folgt an sich die inhaltliche Gleichsetzung von Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit. Anlass für eine terminologische Differenzierung würde es demnach, wenn überhaupt, nur dann geben, wenn die „Persönlichkeit“ als Begriff des au36  Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 377: „Im gemeinen Recht besteht Meinungsverschiedenheit darüber, ob Lebensfähigkeit ein Erfordernis der Rechtsfähigkeit (Persönlichkeit) bilde.“; ebenso S. 367. 37  Bericht der Reichstags-Kommission, S. 3 (12. Reichstagskommission, Sitzung vom 17.02.1896); Jakobs/Schubert, S. 17 (E. I. zu § 1). 38  Bericht der Reichstags-Kommission, S. 3; Jakobs/Schubert, S. 17 (1 E. II. zu § 1). 39  Bericht der Reichstags-Kommission, S. 3.



A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB233

ßerrechtlichen Sprachgebrauchs verwendet und im speziell juristischen Kontext40 durch den Begriff der „Rechtsfähigkeit“ ersetzt werden sollte. Auch insofern aber würde Rechtsfähigkeit gerade Persönlichkeit bedeuten, entweder als Synonym oder zumindest als juristisches Pendant. Im Ergebnis liegt den Kodifikationsmaterialien damit zum einen keine Vorstellung einer gesonderten Rechtsfigur der Persönlichkeit zugrunde, die über die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, hinausgehen würde. Zum anderen wird offensichtlich zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens eine abgeschwächte, auf den bloßen Erwerb weiterer Rechte bezogene Form der Rechtsfähigkeit in Betracht gezogen. Denn im Zusammenhang mit Gröbers Antrag, in dem eine Verbindung von Rechts- und Erwerbsfähigkeit immerhin Erwähnung findet, wird nur an eine Verwechslung von Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit gedacht, keinesfalls aber an eine irgendwie geartete besondere Rechtsfähigkeitsform neben bzw. zwischen Persönlichkeit und Handlungsfähigkeit. Zweifel bleiben allerdings aufgrund einer Aussage von Planck, die sich in eine solche Gleichsetzung von Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit nicht widerspruchsfrei einfügen lässt. „Aus der Persönlichkeit werden neben der Rechtsfähigkeit noch die sog. Individualrechte, das Recht auf Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Ehre, auch wohl das Recht auf den Namen und das Recht auf die geistigen Erzeugnisse abgeleitet.“41

Planck könnte hiermit eine eigenständige rechtliche Figur der Persönlichkeit an die Spitze der Rechtsordnung gestellt haben und die Rechtsfähigkeit aus dieser erst auf zweiter Stufe folgen lassen. Eine Anpassung an die obige Gleichsetzung von Rechtsfähigkeit und Persönlichkeit würde dann allerdings erfordern, die Persönlichkeit als die natürliche Eigenschaft des Menschen anzunehmen, die durch die Rechtsfähigkeit ihre rechtliche Umsetzung erfahren würde. In diesem Fall wären Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit auch bei Planck wieder das jeweilige (natürliche / juristische) Pendant zueinander. Es fehlt allerdings ein letzter Beleg dafür, dass Planck den Begriff der Persönlichkeit tatsächlich nur in einem außerrechtlichen Sinne verwendet. Außerdem bliebe die Rechtsfähigkeit gerade im Zusammenhang mit (genauer: neben) anderen Rechtsgütern und Individualrechten genannt und würde daher allenfalls ein formales Teilelement der Persönlichkeit abgeben.

40  Insbesondere bei Anwendung auf rein rechtstechnische Gebilde wie die juristische Person, siehe Bericht der Reichstags-Kommission, S. 3. 41  Planck, S. 51.

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

c) Allgemeinheit, Gleichheit und der Umgang mit Unterscheidungsfaktoren Der Grundsatz allgemeiner und gleicher Rechtsfähigkeit findet in den Kodifikationsmaterialien seinen Ausdruck, indem von einer Rechtsfähigkeit des Menschen „ohne Rücksicht auf seine Individualität und ohne Rücksicht auf seinen Willen“42 (Motive) sowie als „die Vorbedingung der Möglichkeit irgend welcher Berechtigung“ (Gebhard)43 die Rede ist. Jener Grundsatz werde, wenn auch nicht ausdrücklich im BGB normiert, sowohl von der Vorschrift des § 3 BGB-E  I / § 1 BGB als auch vom Gesamtinhalt des Entwurfs / des BGB bezeugt.44 Diesbezüglich besteht Einstimmigkeit in den Materialien. Im Übrigen wird die allgemeine Rechtsfähigkeit von den Motiven als ein mittlerweile gefestigtes Kulturgut dargestellt. Dieser Eindruck entsteht zumindest dort, wo deren Anerkennung als eine „von der Gegenwart geforderte und als selbstverständlich betrachtete Anerkennung“45 beschrieben wird. Zum Beleg dieses kulturhistorischen Charakters werden u. a. entsprechende Regelungen in vorangegangenen Gesetzbüchern (preuß. ALR; sächs. GB; österr. ABGB; zür. GB) angeführt.46 Die mehr oder weniger unkommentierte Aufnahme des Allgemeinen Preußischen Landrechts in diese Reihe mag insofern beachtlich sein. Insbesondere fehlt jeglicher Hinweis auf die seitdem erfolgten, nicht unwesentlichen Weiterentwicklungen, beispielsweise die jetzige Unabhängigkeit des Personenstands vom Innehaben konkreter Rechte. Dahinter steht jedoch lediglich das Bedürfnis, generelle Traditionslinien aufzuzeigen, ohne zugleich auf die Unterschiede der Gesetzeswerke im Einzelnen eingehen zu wollen. Dass nämlich ein Unterschied zum Rechtsfähigkeitsverständnis des ALR besteht, wird wiederum an der Formulierung Plancks erkennbar, die sich in dieser Hinsicht deutlich von derjenigen des § 1 ALR unterscheidet. „Der Mensch ist Person, weil er fähig ist, Subject von Rechten und Rechtspflichten zu sein.“47

Traditionslinien zu römisch-rechtlichen Regelungen in der Art, wie sie bei Savigny und Puchta auftreten, sind weder in den Gesetzesmaterialien noch bei Planck oder Gebhard erkennbar. Namentlich die Einteilung von status libertatis, civitatis und familiae findet keine nennenswerte Erwähnung. Die 42  Mot.

I, S. 25. in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 315. 44  Mot. I, S. 25; Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 351; Planck, S. 50. 45  Mot. I, S. 25. 46  Mot. I, S. 25; Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 352. 47  Planck, S. 50 (Hervorhebung nicht im Original). 43  Gebhard,



A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB235

Gelegenheit hätte sich durchaus dort geboten, wo die Aspekte der Sklaverei48 (insofern: libertas), der Behandlung von Ausländern49 (insofern: civitas) und der Rechtsstellung von Minderjährigen und Frauen50 (insofern: familia) behandelt werden. Auf diese Weise distanziert sich – oder zumindest: emanzipiert sich – der Rechtsfähigkeitsbegriff des § 1 BGB von jener römischen Art der Beurteilung menschlicher Rechtspositionen und stellt einen neuen Ansatz dar. Das an sich galt bereits für Savigny und Puchta. Anders als noch bei diesen besteht nun für das BGB nicht einmal mehr das Bedürfnis, historische Vorläufer oder auch nur Parallelen, Argumentationsmuster oder „Beschränkungsbeispiele“ dieser Art aufzuzeigen. Neben die kulturgeschichtlichen Ansätze treten in allen Quellen rechtstheoretisch-dogmatische Begründungen zur allgemeinen Rechtsfähigkeit, die im Wesentlichen an die Prinzipien der Rechtsgleichheit und der Gemeinsamkeit des Rechts anknüpfen.51 Aus diesen beiden Grundsätzen ergebe sich eine generalisierende Vorgehensweise des Rechts, der zufolge die in der Lebensstellung der Individuen hervortretenden mannigfachen Ungleichheiten in der Regel unwesentlich seien.52 Eine Behandlung vor dem Gesetz, die sich als Bevorzugung oder Zurücksetzung eines Standes oder einer Personenklasse darstelle, sei ausgeschlossen.53 Die Grundprämisse lautet daher, „daß das menschliche Individuum als solches, losgelöst von mehr oder weniger zufälligen Eigenschaften, den Mittelpunkt der gestaltenden Rechtsordnung bildet“.54

Jedoch sei keiner dieser beiden Grundsätze von absoluter Natur. Auf dem Boden der Wirklichkeit55 und um den tatsächlichen Verhältnissen gerecht zu werden, seien Ausnahmen unumgänglich, weil die Naturbestimmtheiten des Menschen Einfluss auf seine rechtliche Stellung äußern müssten.56 Ausgehend von letztgenannter Notwendigkeit werden regelmäßig die größeren Unterscheidungsgruppen des Alters, des Geschlechts, des religiösen Bekenntnisses, des Standes, der Ehrenminderung kraft Strafurteil und des Konkurses aufgelistet und durchexerziert.57 Die jeweiligen Ergebnisse decken sich in der Aussage, die rechtlichen Folgen der tatsächlichen Unterschiede würden grundsätzlich nicht gegen das Prinzip der Rechtsgleichheit I, S. 25; Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 352 f. in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 359 ff. 50  Mot. I, S. 26, 52 ff.; Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 357. 51  Mot. I, S. 25; Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 356; Planck, S.  50 f. 52  Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 356. 53  Mot. I, S. 25. 54  Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 356. 55  Mot. I, S. 25. 56  Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 356. 57  Mot. I, S. 26; Planck, S. 51. 48  Mot.

49  Gebhard,

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

verstoßen bzw. nicht die Rechtsfähigkeit berühren. Sie seien entweder eine Frage geminderter Handlungsfähigkeit58 oder Voraussetzungen bzw. Konsequenz des jeweils konkreten Rechtsverhältnisses59. Entsprechend erfolgt in diesem Zusammenhang in der Regel zugleich die Abgrenzung von Rechtsund Handlungsfähigkeit, die ebenso knapp wie eindeutig ausfällt: Handlungsfähigkeit als Fähigkeit zu eigenständigem rechtserheblichen Handeln, nicht die rechtliche Existenz an sich betreffend.60 Wird dabei in einigen Fällen immerhin ein indirekter Einfluss der geminderten Geschäftsfähigkeit auf die Rechtsfähigkeit bestätigt, leugnet Planck jegliche Auswirkungen solcher Art.61 Als wirkliche Ausnahme werden dagegen einheitlich die landesrechtlichen Sonderbestimmungen für den Adel sowie die landesrechtliche Beschränkung der Erwerbsfähigkeit der Mitglieder religiöser Ordnung und ordensähnlicher Kongregationen genannt.62 Die Erklärung der Gesetzesmaterialien liefert damit einen anschaulichen Beleg für die abstrakte Interpretation der Rechtsfähigkeit. Nur die Defini­ tion als grundsätzliche Fähigkeit und als Vorbedingung der Möglichkeit irgendwelcher Berechtigung einerseits sowie die konsequente Trennung zwischen konkretem Rechtsverhältnis und Vorbedingung andererseits ermöglichen es, auch bei der Betrachtung tatsächlicher menschlicher Unterschiede eine streng genommene Allgemeinheit und Gleichheit aufrecht zu halten.63 58  Gebhard,

in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 356. S. 51: „Vorschriften, welche die Möglichkeit gewisser Rechtsverhältnisse an bestimmte natürliche Eigenschaften des Menschen knüpfen oder die Stellung der Person in einem Rechtsverhältnisse nach solchen Eigenschaften verschieden bestimmen“. Beispiele: Bindung des Eheschlusses an verschiedene Geschlechter; rechtliche Stellung von Mann und Frau in der Ehe oder im Verhältnis zu den Kindern. 60  Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 356; Planck, S. 51. Heißt es bei Gebhard im Folgenden, dass einerseits das Lebensalter von „wesentlicher“ und „allgemeiner“ Bedeutung für die rechtliche Stellung des Individuum sei und dass andererseits das Geschlecht keinen Stoff für einen Rechtssatz von „allgemeiner, durchgreifender“ Bedeutung, sondern nur für Bestimmungen „spezieller Natur“ gebe, bedeutet das, dass Gebhard auch der Handlungsfähigkeit eine gewisse Abstraktion zuschreibt (allerdings als eine doch speziellere Fähigkeit als die Rechtsfähigkeit). 61  Zuvor heißt es bei Planck, S. 51., dass der Geschäftsunfähige „überhaupt nicht im Stande“ sei, höchstpersönliche Rechtsgeschäfte einzugehen. Seine Aussage, dass Rechts- und Geschäftsfähigkeit keinerlei Auswirkungen aufeinander hätten, wird hierdurch zwar nicht fehlerhaft. Angesichts der selbst gezogenen Konsequenzen zur Geschäftsunfähigkeit wirkt sie jedoch umso formeller. 62  Mot. I, S. 26 f.; Planck, S. 51. 63  Dabei zeigt sich erneut, welche Auffangfunktion die Figur der Handlungsfähigkeit hat, wenn es bei Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 356 heißt, dass sie bei dieser Betrachtungsweise „von den Naturbestimmtheiten unmittelbar und vorzugsweise beeinflusst“ wird. 59  Planck,



A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB237

Insofern ist die damalige Betrachtungsweise in sich schlüssig, gleichzeitig von einem auffälligen Formalismus geprägt. Als Konsequenz werden tatsächlich kaum noch Ausnahmen von der Rechtsfähigkeit bejaht bzw. die genannten Unterscheidungsmerkmale werden nicht als solche eingeordnet. Wenn daher z. T. von einer lückenlosen Durchführung des Prinzips der Allgemeinheit und Gleichheit im BGB die Rede ist, verdient dies unter jenem Aspekt durchaus Zustimmung. Schröder sieht hierin einen grundlegenden Unterschied zu Savigny, bei dem das Prinzip nicht uneingeschränkt gegolten habe. Savigny habe dem Gesetzgeber die Kompetenz zugesprochen, manchen Menschen die Rechtsfähigkeit zu versagen, konkret zu sehen in dessen Ausführungen zur Rechtsstellung der Juden.64 In einem Vergleich der Kodifikation mit Savigny und Puchta fallen allerdings zunächst Gemeinsamkeiten auf. Dies betrifft zum einen den grundlegenden Gleichlauf im Gedankengang, zwischen der abstrakten Größe „Mensch“ als Mittelpunkt der Rechtsordnung und der notwendigen Behandlung individueller Gegebenheiten zu trennen. Zum anderen haben bereits Savigny und Puchta diejenigen Unterscheidungsmerkmale, die in den Kodifikationsunterlagen als Beschränkungen der Rechtsgleichheit geprüft und verneint werden (Alter, Geschlecht, Gesundheit), aus dem Bereich der Rechtsfähigkeit ausgenommen.65 Eine nichtsdestotrotz lückenlosere Umsetzung der allgemeinen und gleichen Rechtsfähigkeit in der Kodifikation (Schröder) mag sicherlich in quantitativer Hinsicht entstanden sein, indem manche der auf positivrechtlicher Regelung beruhenden Beschränkungen schlicht entfallen sind. Der Eindruck der Lückenlosigkeit wird allerdings insofern noch gesteigert, als sowohl in den Gesetzesmaterialien als auch bei Planck und Gebhard etwaige noch verbliebene Ausnahmen z. T. sehr unbestimmt beschrieben werden. Beispielsweise bei Planck: „Der Grundsatz der gleichen Rechtsfähigkeit aller Menschen gilt ausnahmslos […]. Als eine Minderung der Rechtsfähigkeit kann man vielleicht die nach Art. 87 des E.G. landesgesetzlich zulässige Beschränkung der Erwerbsfähigkeit der Mitglieder religiöser Orden und ordensähnlicher Kongregationen betrachten.“66

Insbesondere wird weniger mit der Rechtsfähigkeit als solcher, als vielmehr mit dem Prinzip der Rechtsgleichheit allgemein gearbeitet. 64  Schröder, Quaderni Fiorentini 1980, 343 (344); Schröder, Quaderni Fiorentini 1985, 619 (627). Seine Schlussfolgerung daraus lautet, dass der Einfluss Savignys auf die allgemeinen Lehren des Privatrechts nicht überschätzt werden dürfe. Hinsichtlich der natürlichen Personen habe die Lehre des späten 19. Jahrhunderts die Auffassung Savignys schon verlassen (vgl. v. a. das Lebensfähigkeitserfordernis bei Geburt). Liberalität und Verkehrsfreundlichkeit seien zumindest nicht bei der Durchführung der allgemeinen Rechtsfähigkeit ersichtlich. 65  Insbesondere Puchta, Pandekten, 12. Aufl., S. 37 ff. 66  Planck, S. 51 (Hervorhebung nicht im Original).

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

„Das Prinzip der Rechtsgleichheit aller Menschen wird von dem B.G.B. nicht nur in Beziehung auf die Rechtsfähigkeit, sondern auch in allen anderen Beziehungen festgehalten. Die ausnahmslose Durchführung dieses Prinzips würde aber zu Ungerechtigkeiten, die formale Gleichheit zu materieller Ungleichheit führen.“67

Dem folgt68 die Prüfung der genannten „natürlichen Verschiedenheiten der Menschen“69. „Als Modifikation des Prinzips der Rechtsgleichheit können nicht betrachtet werden diejenigen Vorschriften, welche für die in einem bestimmten Rechtsverhältnisse stehenden Personen besondere, mit diesem Rechtsverhältniß in Verbindung stehende Bestimmungen geben.“70 „Eine Ausnahme von dem Prinzipe der Rechtsgleichheit enthalten dagegen die Vorschriften der Art. 57, 58 E.G. über die Rechtsstellung der Landesherren, der Mitglieder der landesherrlichen Familien und der Häuser, welche vormals reichsständisch gewesen, und des vormaligen Reichsadels“.71

In der Sache ist die Aussage wohl dieselbe. Es wird aber auf diese Weise ein einfacherer Umgang mit den etwaigen unterschiedlichen Rechtspositionen suggeriert, wenn sie von Anfang an nicht als „Beschränkungen der Rechtsfähigkeit“ (o. ä.) auftreten. Anders immerhin bei Gebhard, wo explizit von Modifikationen der Rechtsfähigkeit die Rede ist. „Den beiden leitenden Prinzipien gegenüber stellt sich jede Modifikation der gemeinen Rechtsfähigkeit, jede Erweiterung oder Einengung derselben als eine, besonderer Rechtfertigung bedürfende Ausnahme dar, die sich nur auf einzelne Verhältnisse erstreckt und nur dann als von der Rechtsordnung gewollt angesehen werden darf, wenn sie besonders ausgesprochen ist.“72

Mit der letzten Aussage wird zumindest deutlich, dass auch der Rechtsfähigkeitsbegriff des § 1 BGB nicht schon von seiner Grundkonzeption her gegenüber etwaigen Beschränkungen verschlossen ist. Als Rechtsbegriff und juristische Denkfigur steht er rein theoretisch und konzeptionell betrachtet einer positiven Ausgestaltung durch den Gesetzgeber offen gegenüber. Allerdings würde diese im Bedarfsfall eine erhöhte Begründung erfordern.

67  Planck,

S. 51. siehe Mot. I, S. 25 ff. 69  Planck, S. 51. 70  Planck, S.  51. Im Einzelnen: Sondervorschriften für gewerbliche Arbeiter (GewO), für Gesinde, Militärpersonen und Beamte; ebenso Mot. I, S. 25 ff. 71  Planck, S. 51; ebenso Mot. I, S. 25 ff. 72  Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 356. 68  Ebenso



A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB239

2. Kritik am Ersten Entwurf (1888–1890) Die Kritik der Literatur am Ersten Entwurf, die entweder isoliert zu § 3 BGB-E I73 erging oder die die Vorschrift bei zusammenfassenden Betrachtungen des Personenrechts74 mit berücksichtigte, hat in der Hauptsache drei Themenfelder zum Gegenstand. Die Änderungsvorschläge betreffen zum einen die Verwendung des Begriffs „Person“ im Gesetzestext. Zum anderen herrschen Zweifel, ob die vom Gesetzgeber mit § 3 BGB-E I beabsichtigten Aussagen in der derzeitigen Fassung hinreichend zum Ausdruck gebracht würden. Zugleich wird befürchtet, es könne ein fehlerhaftes Verständnis von der Rechtsstellung des Nasciturus entstehen. a) „Person“ Aus Betitelung und Systematik des Ersten Teils (Zweiter Abschnitt: „Personen“; Dritter Abschnitt: „Juristische Personen“)75 wird regelmäßig eine missglückte terminologische Grundauffassung76 gefolgert. Der Entwurf verstehe zumindest an dieser Stelle unter „Person“ nur natürliche Personen, wohingegen er die als Privatrechtssubjekte anerkannten menschlichen Zusammenschlüsse als „juristische Personen“ bezeichne.77 Zum einen würden auf diese Weise zwei verschiedene Begriffe für im Grunde dasselbe verwendet (Gleichsetzung von Mensch und Person). Bekker sieht hierbei die Gefahr von Missverständnissen und Missbrauch78, Gierke offensichtlich eine Verkomplizierung durch unnötigen Rückgriff auf den „Kunstausdruck ‚Person‘“79. Zum anderen wende der Entwurf an späterer Stelle den nackten Ausdruck Person auch auf juristische Personen an, was letztlich zu einer Doppeldeutigkeit des Begriffs führe. Denn einmal umfasse er somit nur natürliche Personen, ein anderes Mal natürliche wie juristische.80 Aus die73  § 3 BGB-E I: „Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Geburt und endigt mit dem Tode.“ 74  Im Einzelnen: Erster Teil, Zweiter Abschnitt: Personen; Erster Teil, Dritter Abschnitt: Juristische Personen. 75  Zweiter Abschnitt: „Personen“; Erster Titel: „Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit“; § 3 E I-BGB: „Die Rechtsfähigkeit des Menschen […].“; § 4 E I-BGB: „Dass eine Person noch lebe […]“; demgegenüber Dritter Abschnitt: „Juristische Personen“. 76  Gierke, Entwurf, S. 134. 77  Reichsjustizamt, Zusammenstellung Bd.  1, S. 41; Gierke, Entwurf, S. 134; Bekker, in: Bekker/Fischer, Beiträge, S. 68. 78  Bekker, in: Bekker/Fischer, Beiträge, S. 68. 79  Gierke, Entwurf, S. 134. 80  Gierke, Entwurf, S. 134 f.; Bekker, in: Bekker/Fischer, Beiträge, S. 68.

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

sem Grund schlagen Bekker wie Gierke vor, die (bloße) Bezeichnung „Person“ auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen tatsächlich beide Formen gleichermaßen gemeint seien.81 Gierke empfiehlt des Weiteren an den jeweils anderen Stellen von Menschen einerseits und Verbandspersonen andererseits zu sprechen.82 Vergleichbar will Rocholl die Überschriften der Abschnitte in „Natürliche Personen“ und „Juristische Personen“ ändern.83 Insgesamt handelt es sich um keine tiefergehende Kritik, stattdessen um eine Frage größerer Genauigkeit in den Formulierungen. Diese ist zudem weniger aus inhaltlichen Gründen motiviert, sondern – wenn beispielsweise Bekker es „unschön“84 findet, ein Wort in verschiedener Bedeutung dicht hintereinander zu verwenden – mehr aus Anlass der Gesetzesästhetik. Immerhin, die Konzentration bzw. Beschränkung auf derartige Kritikpunkte bringt erneut zum Ausdruck, dass die allgemeine, gleiche Rechtsfähigkeit des Menschen als mittlerweile gefestigtes Kulturgut und als nicht mehr eigens zu begründende Selbstverständlichkeit gesehen wird. Genau genommen stützt Gierke seine Änderungsforderung erst auf diese Selbstverständlichkeit, denn so seine Begründung: Da das heutige Recht keine Menschen mehr kenne, die nicht Person seien, habe der Kunstausdruck Person nur noch insoweit eine Daseinsberechtigung, als er einzelne Menschen und menschliche Verbände zusammenfasse. Aus diesem Grund solle der Entwurf dort, wo er nur Menschen meine, auch schlicht vom Menschen sprechen.85 Insofern ist Gierkes Aussage außerdem ein weiterer Hinweis auf den rechtstechnischen Bedeutungsgehalt, der dem Personenbegriff zugemessen wird, konkret auf seine Verwendung für Verbände und deren Kategorisierung und damit nicht allein als metajuristisches Ausdrucksmittel für Würde und Freiheit des Individuums. b) Unzulänglichkeit der Gesetzesfassung Den Motiven zufolge soll § 3 BGB-E I zwei Aussagen enthalten. Unmittelbar gehe es um die Festlegung der zeitlichen Grenzen der Rechtsfähigkeit, Geburt und Tod. Darüber hinaus impliziere die Vorschrift, zusammen mit dem Gesamtinhalt des Entwurfs, die grundsätzliche Anerkennung der Rechtsfähigkeit des Menschen.86 81  Gierke,

Entwurf, S. 135; Bekker, in: Bekker/Fischer, Beiträge, S. 68. Entwurf, S. 135. 83  Rocholl, S. 9. 84  Bekker, in: Bekker/Fischer, Beiträge, S. 68. 85  Gierke, Entwurf, S. 134. 86  Reichsjustizamt, Zusammenstellung Bd. 1, S. 40 (Manenti zum Haupt- und Nebenzweck des § 3); Reinhold, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 82  Gierke,



A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB241

Wird nun kritisiert, jene intendierten Aussagen würden nur unzulänglich umgesetzt, richtet sich dies z. T. gegen die Bestimmung des Anfangszeitpunktes an sich. Die bisherige Formulierung „beginnt mit der Geburt“ sei irreführend, da sie auf den Anfang des Geburtsaktes als Rechtsfähigkeitsbeginn und nicht, wie eindeutig von den Motiven beabsichtigt, auf dessen Ende hindeute. Zur Klarstellung wird daher gefordert, die „Vollendung“ der Geburt in den Gesetzestext aufzunehmen.87 Die meisten Anmerkungen zielen jedoch darauf ab, die Zeitpunktbestimmung als solche gänzlich zu streichen und durch einen expliziten Ausspruch der Rechtsfähigkeit des Menschen zu ersetzen. Dabei wird ein solcher Ausspruch weniger um seiner selbst willen gefordert. An sich gilt die selbstverständliche Ausrichtung des Entwurfs an Rechtsgleichheit und allgemeiner Rechtsfähigkeit als ausreichend.88 Nicht so allerdings nach Gierke, der eine ausdrückliche Formulierung „des großen Grundsatzes der Rechtsgleichheit als auch die klare und unverhüllte Festsetzung der Grenzen“89 vermisst. Ebenso Rocholl, der einen zusätzlichen § 4 vorschlägt: „Alle natürlichen Personen innerhalb des Deutschen Reiches sind rechtsfähig und einander rechtsgleich, ohne Rücksicht auf Stand, Rang, Geschlecht und religiöses Bekenntnis, sofern nicht im B.G.B. oder dem E.G. zu demselben besondere Folgen der Zugehörigkeit zu einem Range, Stande, Geschlechte oder einer religiösen Gemeinschaft vorgesehen sind.“90

Allerdings impliziere eine Aussage über die Rechtsfähigkeit jedes Menschen zugleich die zeitlichen Grenzen jener Rechtsfähigkeit, indem sie sie zwangsläufig auf den natürlichen Beginn und das natürliche Ende des Menschen (Geburt und Tod) festlege.91 Wenn nun überhaupt eine Regelung 1890, 513 (522); a. A. Goldschmidt, S. 57. Die unterschiedslose Anerkennung aller Menschen als rechtsfähig ergebe sich nicht aus § 3, sondern aus dem Mangel einer gewissen Klasse von Normen, die Rechtsfähigkeit absprechen. 87  Hölder, AcP 73 (1888), 1 (19); Reinhold, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1890, 513 (523); Reichsjustizamt, Zusammenstellung Bd. 1, S. 41 (Manenti). 88  Hölder, AcP 73 (1888), 1 (18); Goldschmidt, S. 57 (lediglich eine unnötige Abstraktion aus dem Gesamtinhalt des Entwurfs). 89  Gierke, Entwurf, S. 140 f. 90  Rocholl, S. 9, rechte Spalte. 91  Hölder, AcP 73 (1888), 1 (18); Reinhold, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1890, 513 (523): „[…] das menschliche Dasein mit der Geburt beginnt und mit dem Tode endigt und weil daraus von selbst folgt, dass die von dem menschlichen Dasein unzertrennliche Rechtsfähigkeit mit der Geburt beginnt und dem Tode endigt […].“; Goldschmidt, S. 57: „Der Mensch ist vor seiner Geburt noch nicht und nach seinem Tode nicht mehr vorhanden; die Rechtsfähigkeit ist eine rechtliche Eigenschaft des Menschen, folglich kann auch sie weder vor der Geburt noch über den Tod hinaus bestehen.“ Diese Schlussfolgerungen Goldschmidts stimmen jedoch nur unter der Prämisse, dass der Nasciturus nicht nur als „Person“, sondern bereits als „Mensch“ verneint wird.

242

Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

ergehen solle92, sei es daher sinnvoller, eine Norm mit dem Inhalt „Jeder Mensch ist (privat)rechtsfähig.“ aufzustellen und die entsprechenden Schlussfolgerungen umgekehrt zu ziehen.93 Im Ansatz hiermit übereinstimmend, letztlich sogar weitergehend, ist ein Vorschlag von Reinhold, § 3 BGB-E I neu zu fassen: „Jeder Mensch ist rechtsfähig. Das menschliche Leben beginnt mit dem ersten Athemzuge.“94

Auf diese Weise würden nicht mehr Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit selbst definiert werden, was überflüssig sei, da sich Geburt und Tod als Maßstab hierfür aus dem ersten Satz ergäben.95 Es sei jedoch weiterhin notwendig, die Geburt als Beginn des Menschseins zu präzisieren und dabei streng der Naturwissenschaft zu folgen.96 Physiologisch gesehen sei nicht die Trennung vom Mutterleib das ausschlaggebende Kriterium für ein eigenständiges Menschenleben, sondern das selbstständige Atmen.97 Da beide Zeitpunkte auseinanderfallen könnten, bestünde bislang zwischen den Motiven und der Naturwissenschaft eine Diskrepanz, die mit der vorgeschlagenen Regelung behoben wäre.98 c) Rechtsstellung des Nasciturus Der Ausspruch in § 3 BGB-E I, die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Geburt beginnen zu lassen, wird ferner mit Blick auf den Nasciturus für problematisch gehalten. Es werde der Eindruck völliger Rechtlosigkeit des ungeborenen Lebens erweckt. Der Nasciturus sei jedoch nicht recht- und schutzlos, sondern es fehle ihm nur an Privatrechtsfähigkeit.99 Nach Hölder besteht die Gefahr eines solchen Missverständnisses namentlich dann, wenn der Gegensatz der Rechtsfähigkeit in der Rechtlosigkeit gesehen werde.100 Der Vorschlag, auf eine explizite Bestimmung des Anfangszeitpunktes zu verzichten und durch den Satz allgemeiner Rechtsfähigkeit zu ersetzen, stellt sich daher für ihn auch mit Blick auf die Leibesfrucht als die 92  Beispielsweise Bähr, S. 1, der in seinem Gegenentwurf § 3 komplett entfallen lässt, weil es bezüglich beider Aussagen keines Ausspruchs bedürfe. 93  Hölder, AcP 73 (1888), 1 (18); Reinhold, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1890, 513 (522); Goldschmidt, S. 57. 94  Reinhold, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1890, 513 (526). 95  Reinhold, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1890, 513 (523). 96  Reinhold, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1890, 513 (523). 97  Reinhold, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1890, 513 (524). 98  Reinhold, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1890, 513 (525). 99  Hölder, AcP 73 (1888), 1 (18 f.); Rocholl, S. 9. 100  Hölder, AcP 73 (1888), 1 (20).



A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB243

glücklichere Lösung dar.101 Werde nämlich die Rechtsfähigkeit nicht als eine mit Geburt beginnende, sondern als eine jedem Menschen zukommende Eigenschaft charakterisiert, stehe es völlig offen, den werdenden Menschen als werdende Person zu berücksichtigen.102 Der tatsächliche Gewinn dieses Vorschlags ist zweifelhaft. Insbesondere bleibt unverständlich, warum bereits hierdurch jeder falsche Schluss von der Geburt als dem Anfangspunkt der Rechtsfähigkeit auf die rechtliche Bedeutungslosigkeit vorgeburtlichen Lebens ausgeschlossen sein soll, wie Hölder jedoch optimistisch folgert.103 Wenn er zwischen einer dem Nasciturus nicht zustehenden Privatrechtsfähigkeit einerseits und einem ihm zustehenden objektiven, öffentlich-rechtlichen Rechtsschutz andererseits unterscheiden will, so ist dies dogmatisch schlüssig. Eine solche Unterscheidung wäre jedoch auch nach der ursprünglichen Fassung des § 3 BGB-E I möglich. Umgekehrt könnte auch der Satz „Jeder Mensch ist rechtsfähig“ mit denselben Konsequenzen fehlinterpretiert werden, wenn der Mangel von Rechtsfähigkeit weiterhin mit Rechtlosigkeit übersetzt würde. Eine wirkliche Verbesserung wäre die geänderte Vorschrift nur dann, wenn Hölder auf den Gedanken unterschiedlicher Rechtsfähigkeitsgrade anspielen würde. In diesem Fall wäre sein Vorschlag so zu verstehen: Die Möglichkeit, für den Nasciturus eine beschränkte Rechtsfähigkeit oder Teilrechtsfähigkeit anzunehmen, ist mit der ursprünglichen Formulierung nicht eröffnet, weil diese zu sehr nach einer einheitlichen, ausschließlich mit Geburt beginnenden Rechtsfähigkeit klingt. Es müsste Hölder jedoch ein sehr genaues Hinhören auf die jeweiligen Formulierungen unterstellt werden, um seiner Aussage derartige Hinweise auf das Thema der Teilrechtsfähigkeit entnehmen zu wollen. Rocholl hält demgegenüber an der bisherigen Regelung des Anfangszeitpunktes fest, will aber den Wortlaut umändern von „Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Geburt […].“104 in „Das Recht der natürlichen Persönlichkeit beginnt mit der vollendeten Geburt des lebenden Kindes […].“105 Dies wirft die Frage auf, welche Differenz Rocholl zwischen der Rechtsfähigkeit und dem Recht der (natürlichen) Persönlichkeit sieht, die zudem geeignet sein soll, eine befriedigende Behandlung der Leibesfrucht zu gewährleisten. Wenn ein erst mit Geburt beginnendes Recht der Persönlichkeit den Rechtsschutz des Ungeborenen sprachlich nicht in Abrede stellen würde (im Gegensatz zu einer erst mit Geburt beginnenden Rechtsfähigkeit), müsste dies an sich bedeuten, dass Rocholl einen weiteren Rechtsfähigkeits101  Hölder,

AcP 73 (1888), 1 (20). AcP 73 (1888), 1 (20). 103  Hölder, AcP 73 (1888), 1 (20). 104  Rocholl, S. 9, linke Spalte (Hervorhebung nicht im Original). 105  Rocholl, S. 9, rechte Spalte (Hervorhebung nicht im Original). 102  Hölder,

244

Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

und einen engeren Persönlichkeitsbegriff vertritt. In diesem Sinne würde nämlich die Rechtsfähigkeit den objektiven Rechtsschutz des Ungeborenen umfassen, und § 3 BGB-E I in alter Formulierung hätte ihn vorgeburtlich ausgeschlossen. Damit stünde Rocholl gerade im Gegensatz zu der Tendenz, ein der Rechtsfähigkeit vorgelagertes bzw. sie umfassendes Persönlichkeitsrecht anzunehmen. In der Begründung seines Änderungsvorschlags geht Rocholl jedoch in keiner Form auf etwaige Begriffsunterschiede ein. Er führt lediglich aus, § 3 BGB-E I wolle sicherlich nicht den Eindruck rechts- und schutzloser Ungeborener bezwecken, weil er es nur auf die Bestimmung der Rechtsfähigkeit natürlicher Personen gerade im Gegensatz zu juristischen Personen abgesehen habe.106 In § 41 BGB-E I, der parallelen Einleitungsvorschrift zum Recht juristischer Personen, wird tatsächlich der Ausdruck „juristische Persönlichkeit“ verwendet. Insofern spricht mehr für die schlichte Motivation Rocholls, die Gegenüberstellung und damit den eigentlichen Zweck des § 3 BGB-E I auch sprachlich deutlicher zu machen. Ob die Wahl seiner Formulierung („Recht der natürlichen Persönlichkeit“) ausreicht, um die nicht beabsichtigten Schlussfolgerungen zur Rechtsstellung des Nasciturus auch wirklich zu unterbinden, kann dahin stehen.

III. Auswertung der Materialien zu verwandten Normkomplexen Der bisherigen Quellenanalyse zufolge wurde unmittelbar zur Vorschrift des § 3 BGB-E I bzw. § 1 BGB nur wenig Grundsätzliches diskutiert. Der Untersuchungsradius wird daher erweitert auf solche Normen, die mit Rechtsfähigkeit, Person und Persönlichkeit in einem thematischen Zusammenhang stehen. Im Einzelnen betrifft dies juristische Personen (1), Rechte und Rechtsgüter im Deliktsrecht (2) sowie Rechts- und Handlungsfähigkeit im Internationalen Privatrecht (3). Die Gegenüberstellung von Rechts- und Handlungsfähigkeit nach nationalen Regelungen erfolgt im Rahmen des § 3 BGB-E I bzw. § 1 BGB nur rudimentär. Im Wesentlichen erschöpft sie sich in dem Hinweis auf Alter, mangelnde Geisteskraft etc. als Faktoren tatsächlicher Unterschiede, denen jedoch unmittelbar jede Beeinträchtigung der Rechtsfähigkeit abgesprochen wird.107 Bei § 25 BGB-E I bzw. §§ 104 ff. BGB wird lediglich die inhaltliche Ausgestaltung fehlender und beschränkter Geschäftsfähigkeit selbst beschrieben. Daher bleiben die Materialien zu diesen Vorschriften im Folgenden außer Betracht. 106  Rocholl,

S. 9. in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 356; Planck, S. 51.

107  Gebhard,



A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB245

1. Juristische Personen Der Erklärung juristischer Personen liegt die Schwierigkeit zugrunde, mit den ursprünglich an Menschen entwickelten Personen- und Rechtsfähigkeitsbegriffen operieren zu müssen. Über diese Herausforderung gerieten jene überkommenen Begriffe schließlich selbst in die Diskussion. Im Umkehrschluss könnte daher die Ausgestaltung der juristischen Person im BGB Hinweise auf ein insgesamt überdachtes Personenbild liefern. Die Vorschriften im Entwurf zur juristischen Person (§§ 41 ff. BGB-E I) enthalten sich weitgehend einer Entscheidung zwischen den beiden bedeutsamsten Erklärungsmodellen der Fiktionstheorie(n) und der Theorie der realen Verbandspersönlichkeit108. Die einleitenden Normen legen lediglich fest, dass Personenvereine und Stiftungen die Fähigkeit besitzen können, als solche selbstständig Vermögensrechte und –pflichten zu haben (juristische Persönlichkeit, § 41 BGB-E I). Hinsichtlich deren Entstehung und Verlust wird grundsätzlich auf die Landesgesetze am Ort des Sitzes (§ 42 BGBE I)109 verwiesen. Dahinter stand die Motivation, der Notwendigkeit solcher Figuren in der Praxis Rechnung zu tragen, ohne sie zugleich allgemein definieren bzw. qualifizieren zu müssen.110 In ähnlicher Weise wird auch in den Vorentwürfen Gebhards und den Motiven verfahren; es wird aus anerkannten Phänomenen und Sachverhalten der bestehenden Rechtsordnung(en)111 heraus argumentiert und hiervon auf die Anerkennung juristischer Personen geschlossen.112 Die Rechtsfigur der juristischen Person sei „jedem nur einigermaßen entwickelten Rechte unentbehrlich“113. Gebhard stellt immerhin die Schwierigkeiten um deren Rechtsnatur sowie die im 19. Jahrhundert vertretenen Theorien dar, spricht jedoch auch offen die noch immer fehlende Entscheidung an. Der Widerstreit der Meinungen sei durch die Regelung des Entwurfs nicht zum Austrag gelangt.114 Mit dem Rückzug auf die dem Leben geläufige Vorstel108  Flume,

AT 1/2, § 1 S. 21. weiteren Vorschriften zur juristischen Person betreffen allein allgemeine Grundsätze, wie Verfassung, Vorstand, Haftungsfragen, Handlungsfähigkeit. 110  In der Folgezeit bestätigt durch die Literatur, u. a. Planck, S. 55; Oertmann, S. 80. 111  Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 515, im Einzelnen: Wegfall eines Rechtssubjekts und Fortbestand des Rechts in Erwartung des bevorstehenden Eintritts eines neuen Subjekts; Zusammenschluss Mehrerer zur Zweckverfolgung und Verselbstständigung dieses Zwecks als unmittelbarer Rechte- und Pflichten­ träger. 112  Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 515. 113  Mot. I, S. 78. 114  Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 516. 109  Die

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

lungsweise und das Gebiet der Rechtstechnik115 wird versucht, den Erklärungs- und Rechtfertigungsbedarf einer juristischen Person gering zu halten.116 Die gleichzeitige Tendenz, die Regelung in Gestalt selbstständiger Einzelrechtssätze vorzunehmen, erinnert im Umgang mit Unsicherheiten an die schon beim Nasciturus angewandte Vorgehensweise. Als wenig signifikant erweisen sich auch die Bemerkungen aus der Entwurfskritik. Diese betreffen im Einzelnen den Verzicht auf eine allgemeine reichsrechtliche Regelung der juristischen Persönlichkeit einerseits117, die Verwendung des Ausdrucks „juristische Person“ als vermeintlich vereinheitlichender Oberbegriff andererseits118, diverse Mängel in der Formulierung des § 41 BGB-E I119 sowie die dortige Beschränkung der Rechtsfähigkeit juristischer Personen auf die Vermögensfähigkeit120. Zudem wird auch gegenüber § 41 BGB-E I der Vorwurf erhoben, seine Aussage sei überflüssig. Die abstrakte Möglichkeit, einen Verein bzw. eine Stiftung als juristische Person anzuerkennen, sei selbstverständlich und ergebe sich bereits aus der Überschrift.121 das Augenmerk sei vielmehr auf Bedingung und Ausgestaltung dieser juristischen Persönlichkeit zu legen. Dagegen wird die Diskussion des 19. Jahrhunderts um Rechtsnatur und Konstitution der juristischen Person in den Stellungnahmen weitgehend außen vor gelassen. Diesbezügliche Ausführungen finden sich vor allem bei Gierke, der den Hauptfehler des Entwurfs in dessen schlussendlicher Orientierung an der Fiktionstheorie sieht. Ihm zufolge liege hierin auch der eigentliche Grund für die nur knappe allgemeine Regelung im Entwurf. Der Versuch, die Fiktionstheorie kon115  Mot.

I, S. 78.

116  Offensichtlich

wollte man insbesondere die Vorwürfe gegen die Fiktionstheorie entkräften, so Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 556: „keineswegs der Versuch, mit Hülfe einer erkünstelten Konstruktion die Wirklichkeit zu beugen“ sowie „[…] die Vorstellung, dass es sich bei der Anerkennung einer juristischen Person um die künstliche Kreation eines wirklichen Subjekts handele, ist unhaltbar.“ 117  Reichsjustizamt, Zusammenstellung Bd. 1, S. 65. 118  Klöppel, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1888, 611 (633); Reichsjustizamt, Zusammenstellung Bd. 1, S. 65. Der Versuch, alle verschiedenen Gesellschaftsarten unter einen gemeinsamen Oberbegriff („juristische Person“) zu fassen, sei irreführend und hinderlich. Als Alternative wird die schlichte Aufzählung der Einzelrechte gefordert, die den jeweiligen Gesellschaftsarten von der Rechtsordnung beigelegt werden. 119  Reichsjustizamt, Zusammenstellung Bd. 1, S. 66 f. 120  Reichsjustizamt, Zusammenstellung Bd. 1, S. 66. Hölder hält dies für eine überflüssige Erwähnung in § 41 E I-BGB, weil dies selbstverständlich sei. Dagegen spricht sich Gierke gerade gegen eine derartige Beschränkung und für eine gesetzlich vollständig zuerkannte Persönlichkeit aus, deren Inhalt anschließend durch die Wissenschaft begrenzt werden solle. 121  Reichsjustizamt, Zusammenstellung Bd. 1, S. 66.



A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB247

sequent umzusetzen, führe nämlich in Detailfragen zwangsläufig zu Widersprüchen mit Rechtsbewusstsein und Rechtspraxis.122 Auch in der späteren Reichstagskommission zum Zweiten Entwurf geht es während solcher Beratungen, in denen die juristische Person thematisiert wird, nie um eine wirklich inhaltliche Auseinandersetzung mit den überkommenen Theorien. In erster Linie sind Fragen um freie Körperschaftsbildung, Konzessionserfordernis und das Einspruchsrecht der Verwaltungsbehörden gegen Vereine mit politischen, religiösen oder sozialpolitischen Zwecken von Interesse, die jedoch stets unter praktischen Gesichtspunkten erörtert und nicht dogmatisch aufbereitet werden. 2. Rechte und Rechtsgüter im Deliktsrecht Ein weiteres Untersuchungsfeld sind die deliktsrechtlichen Vorschriften, konkret der Tatbestand des § 823 I BGB. Dieser ist zum einen für die Qualifikation des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als sonstiges Recht relevant. Zum anderen hängt hiermit die dogmatische Bestimmung von Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit zusammen. Die Kodifikationsunterlagen liefern in erster Linie Material zu der Diskussion, ob Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit ursprünglich als Rechtsgüter oder ebenfalls als Rechte eingestuft wurden. Nach Inkrafttreten des BGB ist diese Frage vor allem noch im Zusammenhang mit der Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts relevant. Im Wesentlichen geht es um das Argument, ob der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 823 I BGB auch für ein solches Recht eröffnet habe oder nicht. Qualifiziert man nämlich Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit als Rechte oder sieht man zumindest keinen Unterschied zwischen Rechtsgütern und Rechten, so sind mit den „sonstigen Rechten“ in § 823 I BGB nicht nur eigentumsähnliche, sondern auch persönlichkeitsrechtliche Positionen gemeint.123 Darüber hinaus kann mit Blick auf die Lebensgüter selbst, und nicht nur als Vorfrage zum Persönlichkeitsrecht, deren Qualifikation auch heute noch eine Rolle spielen, wenn es um die Positionierung als Rechtsgut bzw. angeborenes Recht im Verhältnis zur Rechtsfähigkeit geht.124 122  Reichsjustizamt,

Zusammenstellung Bd. 1, S. 65. in: Falk/Mohnhaupt, Das Bürgerliche Gesetzbuch, S. 343 (352); zu dieser Diskussion siehe Tuhr, S. 150 f.: „Wie so oft, ist auch in dieser Frage der Wunsch der Vater des Gedankens: […].“ 124  Wird dagegen häufig die Wertung vertreten, die Entscheidung, ob es sich um subjektive Rechte handele oder nicht, sei von keiner praktischen Bedeutung (so Planck, S. 51 f.), ist dem insofern nicht ganz zuzustimmen. 123  Klippel/Lies-Benachib,

248

Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

Im Ersten Entwurf zum BGB wird zwischen der Verletzung durch Handlung gegen ein Verbotsgesetz125 einerseits und der Verletzung eines (subjektiven) absoluten Rechts andererseits unterschieden, dargestellt in zwei gesonderten Tatbeständen. „Hat Jemand durch eine aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit begangene widerrechtliche Handlung […] einem anderen einen Schaden zugefügt […].“ (§ 704 I BGB-E I)126 „Hat Jemand aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit durch eine widerrechtliche Handlung das Recht eines Anderen verletzt […].“ (§ 704 II S. 1 BGB-E I)127

Zudem enthält § 704 II S. 2 BGB-E I die Bestimmung: „Als Verletzung eines Rechts im Sinne der vorstehenden Vorschrift ist auch die Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der Ehre anzusehen.“128

Die Begründung in den Motiven zum Ersten Entwurf kennzeichnet diesen Zusatz (§ 704 II S. 2 BGB-E I) ausdrücklich als bloße Klarstellung. Das Bedürfnis ergebe sich aus den begründeten Zweifeln, ob diese höheren Güter als subjektive Rechte zu bezeichnen seien; ihr Schutz müsse jedoch auch bei enger Auffassung gewährleistet werden.129 Weitergehende Ausführungen, insbesondere eine Erläuterung gerade der Gründe für jene Zweifel, fehlen allerdings. Klippel / Lies-Benachib kritisieren, die bisherige Forschung habe sich auf die bloß verkürzte Wiedergabe der Entscheidungsgründe in den Motiven beschränkt. Dadurch sei sie zu dem Fehlschluss gelangt, die Kommission habe sich derjenigen Ansicht angeschlossen, die Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Ehre nicht als Rechte behandelt. Nehme man aber die eigentliche Argumentation aus den Protokollen hinzu, werde deutlich, dass die Kommission sich lediglich dieser in der Theorie gehegten Zweifel (an der Qualität als Recht) bewusst gewesen sei und deswegen gerade umgekehrt einer Fehlinterpretation des § 704 II S. 1 BGB-E I habe vorbeugen wollen. Diese Intention sei in der unglücklichen Formulierung der Motive verloren gegangen.130 An anderen Stellen in den Motiven werden Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Ehre weitgehend undiskutiert als „immaterielle Rechte“131, „Rechte, welche nicht Forderungen sind“132 125  Zur Qualifikation als „Handlung gegen absolute Verbotsgesetze“ siehe Mugdan, Materialien zum BGB Bd. 2, S. 405. 126  Mugdan, Materialien zum BGB Bd. 2, S. CXXII (linke Spalte). 127  Mugdan, Materialien zum BGB Bd. 2, S. CXXIII (linke Spalte). 128  Mugdan, Materialien zum BGB Bd. 2, S. CXXIII (linke Spalte). 129  Mot. II, S. 728. 130  Klippel/Lies-Benachib, in: Falk/Mohnhaupt, Das Bürgerliche Gesetzbuch, S. 343 (353). 131  Mot. IV, S. 1146 (§ 1674). 132  Mot. III, S. 856 (§ 1212).



A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB249

oder „absolutes Persönlichkeitsrecht“, die von „nur persönliche[n] Interessen“ abzugrenzen seien133, bezeichnet. Die deliktische Generalklausel in der Fassung des Zweiten Entwurfs (§ 746 E II-BGB) verzichtet dagegen auf den klarstellenden Zusatz in der obigen Art. „Wer vorsätzlich oder fahrlässig ein Recht eines Anderen widerrechtlich verletzt oder wer gegen ein den Schutz eines Anderen bezweckendes Gesetz verstößt, ist dem Anderen zum Ersatze des dadurch verursachenden Schadens verpflichtet.“ (§ 746 II E II-BGB)134

Stattdessen wird ein eigenständiger Tatbestand der fahrlässigen Freiheitsentziehung (§ 747 E II-BGB) normiert. Wird nun eine ausdrückliche Erwähnung von Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Ehre als unnötig angesehen, hat dies jedoch weniger den Grund in einer fortan eindeutigen und einheitlichen Qualifikation als subjektive Rechte. Vielmehr steht die Überlegung dahinter, den Schutz von Leben, Körper und Gesundheit zumindest über strafrechtliche Verbotsgesetze (§ 746, 2. Alt. E II-BGB) zu erreichen. Dies wird zum einen aus dem Umkehrschluss zu § 747 E II-BGB ersichtlich135, zum anderen aus den Beratungen der Kommission über einen Antrag, den Zusatz wie in § 704 II S. 2 BGB-E I beizubehalten und um den Besitz zu ergänzen136. Zur Begründung des Antrags wird hinsichtlich Freiheit und Ehre zunächst nur der strafrechtliche Schutz (§ 746 II, 2. Alt. E IIBGB) in den Blick genommen und für unzureichend angesehen. Die Qualifikation als subjektive Rechte (§ 746 II, 1. Alt. E II-BGB) wird dagegen lediglich als zweite Lösungsmöglichkeit in Erwägung gezogen und im Ergebnis erneut als zu unsicher verworfen. Insgesamt kann dies die Mehrheit der Kommission nicht überzeugen und der Antrag wird abgelehnt. Im Rahmen ihrer Begründung geht die Kommission nicht einmal mehr auf die Hilfsargumentation der Antragssteller (Qualifikation als subjektive Rechte) ein, sondern nimmt ausschließlich Bezug auf den nach ihrer Ansicht ausreichenden strafrechtlichen Schutz. Hinsichtlich Freiheit und Ehre geschieht dies ausdrücklich137, hinsichtlich Leben, Körper und Gesundheit ergibt sich dies aus dem Kontext. 133  Mot.

II, S. 751 (§ 722). Materialien zum BGB Bd. 2, S. CXXII (mittlere Spalte). 135  Nur die fahrlässige Freiheitsentziehung bedarf, mangels Strafbarkeit nach dem StGB, einer eigenständigen privatrechtlichen Normierung. 136  Mugdan, Materialien zum BGB Bd.  2, S. 1076  f. (Protokolle: Unerlaubte Handlung, § 704). 137  Kein Umgehen der strafrechtlichen Grundsätze durch parallelen privatrecht­ lichen Schutz, Mugdan, Materialien zum BGB Bd. 2, S. 1077 (Protokolle: Unerlaubte Handlungen, § 704). 134  Mugdan,

250

Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

Deutlicher wird die Zweite Kommission dagegen in den Protokollen im Rahmen eines Abschnitts über den Rechtskreis von Schädiger und Geschädigtem. Dort ist die Rede von „eigentlichen Vermögensrechte[n]“138 (obligatorischen, dinglichen) einerseits und „sog. Persönlichkeitsrechte[n] (Leben, körperliche Unversehrtheit, Gesundheit, Freiheit, Ehre)“139 andererseits. Die Persönlichkeitsrechte werden durch das an Jedermann gerichtete Verbot eines Eingriffs ebenso geschützt wie die Rechte an Sachen.140 In der Denkschrift zur Reichstagsvorlage des BGB macht nun auch die Reichsregierung einen Schadensersatzanspruch nach dem BGB davon abhängig, dass „das Recht eines Anderen, insbes. dessen Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigen­thum“141 verletzt werde. Allerdings sind auch diese Formulierungen, zusammengenommen mit denjenigen aus den Motiven, wo bereits von Rechten die Rede war, hinsichtlich ihrer Eindeutigkeit zu relativieren. Die Bezeichnung als Recht könnte sich weniger auf das Lebensgut (Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit) als solches beziehen als vielmehr auf das von dem Gut zu unterscheidende Recht auf Anerkennung des Lebens, des Körpers (etc.).142 Der Wortlaut in den jeweiligen Textstellen spricht zwar gerade nicht dafür, schließt letzte Zweifel über eine diesbezügliche Ungenauigkeit aber nicht völlig aus. 3. Rechts- und Handlungsfähigkeit im Internationalen Privatrecht Nach geltendem deutschen Internationalen Privatrecht unterliegen Rechtsund Geschäftsfähigkeit einer Person einheitlich dem Recht des Staates, dem die Person angehört (Art. 7 I S. 1 EGBGB). Sie werden dadurch als Teilfragen mit selbstständiger Anknüpfung am Personalstatut (Art. 5 EGBGB) behandelt. 138  Mugdan, Materialien zum BGB Bd. 2, S. 1073 (Protokolle: Unerlaubte Handlungen, § 704). 139  Mugdan, Materialien zum BGB Bd. 2, S. 1073 (Protokolle: Unerlaubte Handlungen, § 704). 140  Mugdan, Materialien zum BGB Bd. 2, S. 1073 (Protokolle: Unerlaubte Handlungen, § 704). 141  Mugdan, Materialien zum BGB Bd.  2, S. 1267 (Denkschrift: Unerlaubte Handlungen, § 704). 142  Soergel/Spickhoff, Bd. 12 Schuldrecht 10, 2005, § 823 Rn. 29. Herkömmlicherweise würden Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit als Rechts- bzw. Lebensgüter bezeichnet, die selbst keine Rechte seien, sondern auf die der Mensch nur ein Recht habe. Recht im engeren Sinne seien demgegenüber das Eigentum und die sonstigen (im klassischen Sinne: eigentumsähnlichen) Rechte (Unterscheidungsmerkmale: Übertragbarkeit und Charakter als Herrschaftsrechte, zu verneinen für Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit). Die Anerkennung der Rahmenrechte habe allerdings jene Unterscheidung verwischt, sodass die Sinnhaftigkeit der herkömmlichen terminologischen Differenzierung zwischen Rechten und Rechtsgütern zunehmend in Frage gestellt sei.



A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB251

Für die Geschäftsfähigkeit ist diese Regelung seit jeher vorgesehen (§ 7 im Vorentwurf von Gebhard)143 und gilt seit Erlass des BGB bzw. des Einführungsgesetzes144. Ebenso geht noch im 19. Jahrhundert die herrschende Meinung dahin, Rechts- und Geschäftsfähigkeit einheitlich anzuknüpfen bzw. auch die Rechtsfähigkeit nach der Staatsangehörigkeit der Person zu bestimmen.145 Dagegen schlägt Gebhard in seinem Vorentwurf zum Internationalen Privatrecht eine unselbstständige Anknüpfung der Rechtsfähigkeit am jeweiligen Wirkungsstatut vor (§ 5 Vorentwurf146). Die Argumente für die bisherige Ausrichtung der Rechtsfähigkeit am Staatsangehörigkeitsprinzip147 seien nur z. T. zwingend; insgesamt überzeugen sie ihn nicht. Vor allem aber zeigt Gebhard verschiedene Fallgestaltungen auf, in denen sich die herrschende Meinung selbst, um Widersprüche zu vermeiden, zur Anknüpfung am Wirkungsstatut gezwungen sehe. Bei einem solchen System, in dem der betroffene Fragenkreis über Regel und Ausnahme entscheide, erfolge die Anknüpfung der Rechtsfähigkeit doch letztlich nur über die konkreten Rechtsverhältnisse. Lediglich in den Fällen der eigenen Rechtssphäre, wenn Rechtsverhältnisse im Staatsangehörigkeits- bzw. Wohnsitzland betroffen seien, werde die Rechtsfähigkeit weiterhin durch dessen Normen bestimmt. Daher sei es konsequenter, die Anknüpfung generell nach dem jeweiligen Wirkungsstatut vorzunehmen.148 Die Neuausrichtung findet in der Ersten Kommission mehrheitlich149 Zustimmung. § 5 des Vorentwurfs wird im Grunde inhaltlich gebilligt. Ge143  Gebhard,

in: Gebhard/Schubert AT Teil 1, S. 1, 30 ff. I EGBGB: „Die Geschäftsfähigkeit einer Person wird nach dem Rechte des Staates beurtheilt, welchem die Person angehört.“, abgedruckt bei Mugdan, Materialien zum BGB Bd. 1, S. XLV. 145  So auch in vielen bis dato geltenden Gesetzen auf deutschem Gebiet umgesetzt (§§ 23, 24, 40, 41 preuß. ALR; Art. 3 III Code civil; §§ 4, 34 öst. ABGB), siehe Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 158. 146  Gebhard, in Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 158: „Die Rechtsfähigkeit wird nach dem Rechte beurtheilt, welches über das Rechtsverhältnis, bei dem sie in Frage kommt, entscheidet.“ 147  Aufgelistet bei Gebhard, in: Gebhard/Schubert AT Teil 1, S. 159 f.: Gewohnheitsrecht; comitas nationum; Macht des Gesetzgebers nur über seine Untertanen; allseitige Anerkennung der Rechts- und Handlungsfähigkeit als wohlerworbene Rechte; Gleichlauf des Status (Rechts- und Handlungsfähigkeit) einer Person; enger Zusammenhang der Statusnormen mit dem öffentlichen Recht. Fundament der Argumentation ist insgesamt der Satz, dass fremdes Recht nicht angewendet werden dürfe, wenn das eigene unbedingte Geltung beansprucht, und dass die Regelung der Rechtsfähigkeit von solcher unbedingten Geltung sei („exklusive oder prohibitive Tendenz des einheimischen Rechts“). 148  Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 161. 149  Vereinzelte Anträge zur Anknüpfung an das Personalstatut wurden zurückgewiesen, siehe Jakobs/Schubert, S. 213 (Protokoll I 11482 und 11483 zu § 5 Entwurf). 144  Art. 7

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

rade wegen der nun grundsätzlichen Ausrichtung am Wirkungsstatut wird eine explizite Regelung dieses Ergebnisses jedoch für überflüssig gehalten. Es ergebe sich aus den folgenden Vorschriften von selbst. Denn wenn diese Vorschriften bestimmen würden, welche Gesetze für die einzelnen Rechtsverhältnisse maßgebend seien, so liege in dieser Bestimmung zugleich, dass das für maßgebend erklärte Gesetz auch über die Fähigkeit, in dem betreffenden Rechtsverhältnis zu stehen, zu entscheiden habe.150 Das Einführungsgesetz zum BGB tritt daher ohne eine ausdrückliche Kollisionsnorm zur Rechtsfähigkeit in Kraft. Im Zuge der Reform des Internationalen Privatrechts 1986151 erfolgt erneut ein Wechsel. Seitdem unterliegt die allgemeine Rechtsfähigkeit dem Personalstatut und ist einheitlich mit der Geschäftsfähigkeit in Art. 7 I S. 1 EGBGB normiert. Die sogenannten besonderen Rechtsfähigkeiten für bestimmte Sachbereiche (z. B. Erbfähigkeit) unterstehen dagegen nicht Art. 7 I S. 1 EGBGB, sondern dem für den jeweiligen Sachbereich maßgeblichen Recht (Wirkungsstatut).152 Beachtlich ist hier vor allem die Wortwahl der allgemeinen und besonderen Rechtsfähigkeit(en). Im direkten Vergleich werden durch die älteren und die neuere Kolli­ sionsregelungen unterschiedliche Aspekte zur Rechtsfähigkeit betont. Mit der Anknüpfung am Wirkungsstatut wird die Rechtsfähigkeit hauptsächlich bzw. ausschließlich nach ihrer Funktion als Voraussetzung des interessierenden Rechtsverhältnisses beurteilt.153 Dagegen zeigt die Anknüpfung am Personalstatut stärker die Verbindung zwischen Rechtsfähigkeit und Person / Mensch auf, indem die Person und nicht das jeweilige Rechtsverhältnis als Anknüpfungspunkt im Vordergrund steht. Die ursprünglich rechtstechnische Berücksichtigung der Rechtsfähigkeit im Internationalen Privatrecht wird zusätzlich unterstrichen in der damaligen Gegenüberstellung zur Handlungsfähigkeit. Nach Gebhard ist die verschiedene kollisionsrechtliche Behandlung durch die „wesentlich andere[…] Grundlage“154 gerechtfertigt, auf der die Normen über die Handlungsfähigkeit im Vergleich zur Rechtsfähigkeit beruhen würden. Den Regelungen über Minderjährigkeit, Entmündigung etc. liege nicht der Gedanke einer Verkürzung 150  Jakobs/Schubert, S. 213. Die explizite Aussprache dieser Schlussfolgerung sei dann nur eine Formel mit „theoretischem Anstrich“. 151  BGBl. 1986 I, S. 1142. 152  BT-Drucks. 10, 504, S. 45. 153  Dies kommt ferner zum Ausdruck in den genannten Beratungen der Ersten Kommission, wenn ein Antrag lautete, die Formulierung des § 5 in die Begriffsbestandteile von Rechtsfähigkeit zu zerlegen, so Jakobs/Schubert, S. 213: „Die Fähigkeit einer Person, in einem Rechtsverhältnis zu stehen […].“ 154  Gebhard, in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 161.



A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB253

der Rechte an sich zugrunde, sondern der Schutzgedanke für die betroffene Person. Zu diesem Schutz sei der Staat allen Angehörigen gegenüber verpflichtet, eine effektive Schutzwirkung werde aber nur ermöglicht, wenn er sich auch auf andere Staatsgebiete und auf dort vorgenommene Handlungen erstrecke.155 Wäre die allgemeine Rechtsfähigkeit vorwiegend als Garantie der Menschenwürde in den Blick genommen worden, so hätte diese Überlegung auch auf sie Anwendung finden und eine Orientierung am Personalstatut rechtfertigen bzw. fordern können. Indem Gebhard ihr jedoch eine wesentlich andere Grundlage attestiert, charakterisiert er sie insofern deutlich als Regelungselement im Rahmen von Rechtsverhältnissen.

IV. Ergebnis: Das Rechtsfähigkeitsbild um 1900 Die Kodifikationsmaterialien zu Rechtsfähigkeit und natürlicher Person sind insgesamt durch eine einmütig betonte Selbstverständlichkeit gekennzeichnet. Die Anerkennung der allgemeinen und gleichen Rechtsfähigkeit des Menschen wird wie gesehen als eine „von dem Rechtsbewußtsein der Gegenwart geforderte und als selbstverständlich betrachtete“156 Angelegenheit gewertet. Diese Selbstverständlichkeit wird durch nichts mehr verdeutlicht als durch die Entscheidung des Gesetzgebers, auf eine explizite Normierung des Grundsatzes über die Rechtsfähigkeit aller Menschen zu verzichten. Stattdessen belässt man es dabei, ihn lediglich anlässlich § 1 BGB zu erwähnen und zu erläutern, wobei auch dies über eine standardisierte Auflistung vermeintlicher Ausnahmen nicht hinausgeht.157 Die Begriffsbestimmungen von Person, Rechtssubjekt und Rechtsfähigkeit erfolgen in den Gesetzesmaterialien sowie bei Gebhard und Planck durch wechselseitige Inbezugnahme und insoweit durch in sich erschöpfende Definitionen. Bereits zu Beginn des Gesetzgebungsprozesses (Vorentwürfe, Motive) wird weitgehend diskussionslos auf den Rechtsfähigkeitsbegriff als Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, zurückgegriffen und zum zentralen Verbindungsglied zwischen Person und Rechtssubjekt gemacht. Auf eine demgegenüber originäre und eigenständige Begründung der jeweiligen Begrifflichkeiten wird im Wesentlichen verzichtet. Wenn darüber hinaus der Begriff der Persönlichkeit in den Blick genommen wird, geschieht dies vergleichsweise ausführlich. Letztlich sind jedoch sämtliche Passagen so zu deuten, dass Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit als Synony155  Gebhard,

in: Gebhard/Schubert, AT Teil 1, S. 161. I, S. 25. 157  Siehe Kapitel 4, A. II. 1. c). 156  Mot.

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

me verwendet werden bzw. die Rechtsfähigkeit das juristische Umsetzungselement der Persönlichkeit darstellen soll. Die Kritik am Ersten Entwurf zeigt hinsichtlich dieser eindeutigen Punkte keine Abweichungen und bietet wenig Auffälliges. Ihr Aussagewert lässt sich mit einer Bemerkung Klöppels zusammenfassen, im Abschnitt über natürliche Personen könne es allenfalls um bloße Zweckmäßigkeitsfragen gehen, die vielfach mit gleich gutem Grund so oder anders zu beantworten seien. Die Beratung des Entwurfs solle durch jene füglich nicht belastet werden.158 Im Übrigen bestätigt auch ein Blick in die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstandene (Lehrbuch)Literatur das Rechtsfähigkeitsbild der Kodifikation bzw. spiegelt sich in diesem wider. Rechtsfähigkeit und Person werden als Rechtsbegriffe angesehen159, unter synonymer Verwendung mit dem Begriff der Persönlichkeit160. Es besteht Einigkeit im Sinne einer Zuerkennung, d. h. Statuierung menschlicher Rechtsfähigkeit durch die Rechtsordnung161, allerdings mit ethischer Vorgabe bzw. Bindung. Entsprechend realistisch ist größtenteils die Haltung gegenüber dem Prinzip der Allgemeinheit und Gleichheit der Rechtsfähigkeit sowie gegenüber der Rolle von Geschäfts- und Deliktsfähigkeit als Hauptregulatoren tatsächlicher Unterschiede.162

158  Klöppel,

Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1888, 611 (632). S. 85 zur Trennung zwischen Mensch im natürlichen und rechtlichen Sinne; ebenso S. 91. Das Anknüpfen der Rechtsfähigkeit am lebenden Menschen wird begründet mit deren Zweck, zur Teilnahme am Rechtsverkehr zu bestimmen, d. h. offensichtlich nicht primär wegen ihrer Bedeutung als Ausfluss der Menschenwürde; Eisenmann, S. 51, 67 mit einem Hinweis darauf, dass § 1 BGB nicht von der Mensch-Eigenschaft spricht, sondern lediglich den Beginn der Rechtsfähigkeit bestimme. 160  Dernburg, S. 110 (Überschrift zu § 50: „Beginn und Ende der Persönlichkeit“); Baron, S. 38; Siméon, S. 52: „Nur der Rechtsfähige ist im Rechtssinne Person, und darum bezeichnet man die Rechtsfähigkeit auch als Recht der Persönlichkeit.“ 161  Dernburg, S. 108: „Rechtsfähigkeit sowie Handlungsfähigkeit werden durch zwingende Rechtsnormen geregelt.“; Baron, S. 52; Endemann, S. 85 f. Rechtsfähigkeit sei nicht von Natur aus vorhanden, sondern Positivismus entscheide über Umfang und Inhalt der Rechtsfähigkeit; konkret S. 86 f.: es sei nicht gesagt, „dass sie [die Rechtsfähigkeit, Anm. d. Verf.] den einzelnen Menschen ohne die Rechtsordnung bereits als sogenanntes Urrecht oder Menschenrecht zustände“; Ehrlich, in: Kobler, Das Recht Bd. 1, S. 1. 162  Endemann, S. 88, 100; Ehrlich, in: Kobler, Das Recht Bd. 1, S. 63 ff. 159  Endemann,



A. Die Kodifizierung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB255 Savigny Rechtsfähigkeit als Rechtsbegriff in grundsätzlicher Konzeption, als Ordnungsgröße abstrakt

Puchta

Kodifikation

(+)

(+)

(+)

(+)

(+)

(+)

o rechtstechnisch erforderlich als Ausgangsgröße o in der Begründung: Rückgriff auf ethische Überlegungen Im Begriff selbst: Möglichkeit der Stufung (konzeptionell, theoretisch) angelegt

Positives Recht (konkrete Ausgestaltung der Rechtsfähigkeit)

Begründungsmuster: römisches Recht

Begründungsmuster: römisches Recht

Betrachtung der Fallgruppen im Einzelnen; i.d.R. Verneinung aktueller Geltung

stärkere eigene Begriffsbildung, v.a. Recht der Persönlichkeit/Rechtsfähigkeit an sich; Grenzen der Ausgestaltung werden über ethischen Rechtssatz bestimmt

Kopplung mit konkreten sachlich-inhaltlichen Positionen

i.E. (–)

aber: keine praktische Relevanz; Verneinung sämtlicher Unterschiede als Rechtsfähigkeitselement dadurch: Betonung des Begriffs von einer allgemeinen, gleichen Rechtsfähigkeit

i.E. (–)

unter negativen Vorzeichen: römischrechtliche Fallgruppen mit ehrmindernder Wirkung (i.d.R. verneint);

unter negativen Vorzeichen: römisch-rechtliche Fallgruppen mit ehrmindernder Wirkung (i.d.R. verneint);

kein Recht an der eigenen Person; keine subjektiven Persönlichkeitsrechte

Recht an der eigenen Person ist Recht der Rechtsfähigkeit, ohne konkret-inhaltliche Rechtspositionen zu vermitteln

(–) keine Vermittlung konkret inhaltlicher Rechtspositionen (subjektive Persönlichkeitsrechte o.ä.) unmittelbar aus der Rechtsfähigkeit

Abbildung 2: Rechtsfähigkeitsbegriff bei Savigny, Puchta und in der Kodifikation

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jahrhundert Nach 1900 verlagert sich der Schwerpunkt in der Diskussion einer allgemeinen Rechtsfähigkeit. Im 19. Jahrhundert steht die Thematik eines Rechts der Rechtsfähigkeit oder eines Rechts an der eigenen Person im Fokus. Die Abgrenzung von Rechts- und Handlungsfähigkeit wird dagegen nur wenig diskutiert. Im 20. Jahrhundert knüpfen zahlreiche, z. T. sehr umfangreiche Gegenmodelle zum herrschenden Begriff der Rechtsfähigkeit gerade an dieser Abgrenzung an und stellen die Rechtsfähigkeit im Verhältnis zur Handlungsfähigkeit infrage. Eine Untersuchung jener Ansätze lässt sich, wie schon zu Savigny, Puchta und der Kodifikation, an der Gewichtung rechtstechnischer und rechtsethischer Komponenten sowie an der Zulässigkeit gestufter Rechtsfähigkeiten ausrichten.

I. Die Lehre Binders als Muster eines Gegenmodells Die Lehre Binders zu Rechtssubjekt und Rechtspersönlichkeit wird den Betrachtungen sämtlicher Modifikationen als Grundmodell vorangestellt. Sie repräsentiert eine komplexe Dogmatik, die sämtliche Kernaspekte der am BGB geübten Kritik aufgreift. Binders Gedankengänge lassen sich in ihren Grundzügen zu einem Argumentationsmuster strukturieren, das so oder in Teilen einer Vielzahl alternativer Lehren im 20. Jahrhundert zugrunde liegt. 1. „Das Problem der juristischen Persönlichkeit“ (1907) In Abgrenzung zur bisherigen Rechtslehre, die das Problem der juristischen Persönlichkeit noch nicht habe lösen können, baut Binder seine Überlegungen auf zwei Weichenstellungen auf. Zum einen macht er das subjektive Recht zum zentralen Ausgangs- und Bezugspunkt bei der Bestimmung von Rechtssubjekt und Rechtsfähigkeit.163 Statt mit der Frage „Wer ist Rechtssubjekt?“ zu beginnen, besteht für Binder der erste Schritt darin, aus dem subjektiven Recht die Beschaffenheit des Rechtssubjekts abzuleiten („Was ist ein Rechtssubjekt?“).164 Erst im Anschluss an diese Bestimmung 163  Binder,

Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 26, 32. Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 26, 32. Ausgehend von dieser fehlerhaften Fragestellung habe die bisherige Lehre das Rechtssubjekt als Dingbegriff („Wer“) definiert. Die Suche nach jenem Ding habe sodann die Tür zur Erkenntnis verriegelt. Allein mit der Frage „Was ist ein Rechtssubjekt“ ergebe sich die Möglichkeit einer richtigen logischen Operation. 164  Binder,



B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jh.257

sei zu überlegen, wer ein solches Rechtssubjekt sein könne bzw. solle.165 Zum anderen will Binder zwischen einer „Persönlichkeit im Rechtssinne“ und einer „Persönlichkeit im ethischen Sinne“ unterscheiden und beide strikt voneinander trennen.166 In der Vergangenheit habe man diese Notwendigkeit oft übersehen, die Erklärung des Personenbegriffs zu sehr am Menschen ausgerichtet und über diese Verbindung eine unzulässige Vermischung beider Fragenkreise bzw. Persönlichkeitsbegriffe herbeigeführt.167 Des Weiteren unterscheidet er zwischen der juristischen und der psychologisch-naturwissenschaftlichen Persönlichkeit.168 Der Ausgangspunkt liegt für Binder im Begriff des subjektiven Rechts. Dieses definiert er als „Handelnkönnen, insofern die Macht der Rechtsordnung sich dem Berechtigten zur Verfügung stellt, um seinen Willen innerhalb der Grenzen seiner Rechtssphäre gegen Widerstrebende durchzusetzen“ (rechtliche Macht).169 Dem anschließend stellt er die Frage, ob jene rechtliche Macht nur einem Wesen zukomme, das auch im natürlichen Sinne eines Willens fähig sei.170 Anders formuliert: Wer ist das Rechtssubjekt, wenn die dem Interessensschutz dienende rechtliche Macht nicht dem Geschützten zusteht? Der Verfügende oder der Genießer?171 Nach Binder sind das (subjektive) Recht und dementsprechend das Rechtssubjekt in dieser Hinsicht teilbar. Das Rechtssubjekt könne in verschiedener Weise sowohl dem Verfügenden als auch dem Genießer zugeordnet werden172; eine konstante Größe existiere in dieser Hinsicht nicht173. Wenn demgegenüber in der Vergangenheit ein einheitlicher, allgemeiner und gleicher Rechtsfähigkeitsbegriff gefordert worden sei, beruhe dieser auf einem Denken außerhalb juristischer Logik.174 Man habe sich eine einzige Schablone von Recht und Rechtsfähigkeit gezimmert und den Normalfall zur allein geltenden Größe

165  Binder,

Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 26, 32. Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 33 f. 167  In gleicher Weise die spätere Kritik von Rhode, S. 35 f., 169 f., der auf die Doppelbedeutung des Personenbegriffs hinweist. Auch ihm fehlt es an einer Trennung des außerrechtlichen, mysthischen Begriffs (Person im Sinne von Mensch) von dem rechtstechnischen Begriff (juristische Person). 168  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S.43 f., 54. 169  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 38. 170  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 38. 171  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 40. 172  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 40. 173  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 42. 174  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 41. Hierbei handele es sich um die Verquickung zweier Fragenkreise, nämlich: Was soll im Menschen geschützt werden?; Wie soll der Mensch geschützt werden? 166  Binder,

258

Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

gemacht.175 Diese Argumentation Binders reiht sich in die zeitgenössische generelle Kritik an abstrakten Begriffen ein. Gerechtfertigt ist sie nicht. Zum einen eignet sich gerade das Ausgehen vom Regelfall als probates Mittel der Begriffs- und Systembildung und entspricht damit einem durch und durch „logischen“, „juristischen“ Denken. Zum anderen – und darum wird es Binder in erster Linie gegangen sein – ist ebenso die Schaffung humanitärer Mindeststandards eine Aufgabe des Rechts. Auch in diesem Sinne steht die Bildung einer einheitlichen Grundlage für alle Rechtsgenossen keinesfalls außerhalb juristischer Logik.176 Im Rahmen einer zweiten, parallelen Argumentationsschiene177 kommt Binder auf die Trennung der verschiedenen Personenbegriffe zu sprechen. Der ersten Unterscheidung von sittlich-ethischer Persönlichkeit einerseits und rechtlicher Persönlichkeit andererseits liege der Grundsatz „ethischer Indifferenz“178 des Rechts zugrunde.179 Im Sinne der zweiten Unterscheidung (juristische gegen psychologisch-naturwissenschaftliche Persönlichkeit) habe das subjektive Recht bzw. der dort relevante Wille keine Beziehung zum Willen im psychologischen Sinne.180 Beim Menschen würden psychologisches und rechtliches Wollen / Handeln zwar zwangsläufig zusammen fallen aufgrund seiner physischen Erscheinung.181 Grundsätzlich verlange das Rechtssubjekt aber nicht nach sowohl Willens- als auch Handlungsfähigkeit im psychologischen Sinne.182 Daraus folge eine Diffe175  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 41. Zwangsläufig habe dies Probleme bei der Behandlung der hiervon abweichenden Fälle (siehe v. a. juristische Personen) zur Folge. 176  Ob dies zwingend über die Figur der allgemeinen Rechtsfähigkeit zu erfolgen hat oder ob ein solcher humanitärer Mindeststandard auch anderweitig dogmatisch gewährleistet werden kann, ist eine andere Frage. Vgl. hierzu den vorgeschlagenen eigenen Lösungsansatz über einen Wertebereich mit unentziehbaren angeborenen Rechtsgütern, siehe Kapitel 5, B. II. 3. c). 177  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 42. 178  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S.  43: „[…] nicht unethisch, aber ethisch indifferent […]“. 179  Zur Kritik einer solchen Vorstellung von Recht siehe wie zuvor; im Übrigen Kapitel 5, B. II. 3. c). 180  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 44: „Das subjektive Recht ist eine Willens- und Handlungsmöglichkeit in einem ganz anderen als im psychologischen Sinne. […] Handeln im Rechtssinn ist daher etwas von vornherein anderes als Handeln im psychologischen Sinne; […].“ 181  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 44. 182  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 45. Ausnahmen würden nur für solche juristischen Handlungen gelten, die gerade auch Handlungen im psychologischen Sinne seien und deshalb ein psychologisch willensfähiges Subjekt voraussetzen. Hierbei handele es sich aber gerade nicht um die Ausübung eines subjektiven Rechts, sondern um die Betätigung der rechtlichen Persönlichkeit.



B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jh.259

renz zwischen den Begriffen der natürlichen, ethischen und juristischen Persönlichkeit.183 Binders Definition von Rechtssubjekt lautet demgegenüber: „Rechtssubjekt sein heißt in der durch die Rechtsordnung gegebenen Beziehungen stehen, die wir ein subjektives Recht nennen.“184

Die Anschlussfrage, wer ein solches Rechtssubjekt sei, lasse sich nur konkret beantworten. Ob derjenige, der diese Relation (subjektives Recht) erfülle, auch tatsächlich ein Rechtssubjekt abgebe, sei allein Sache des positiven Rechts.185 Im Folgenden wendet Binder die bislang allgemeinen Überlegungen auf die Bestimmung der rechtlichen Persönlichkeit des Menschen an.186 Dabei geht er insbesondere auf das Verhältnis von Rechts- und Handlungsfähigkeit ein.187 Das psychologische Wollen und Handeln bezeichnet er als juristische Handlungsfähigkeit bzw. konzentriert auf Rechtsgeschäfte als Geschäftsfähigkeit, das rechtliche Wollen und Handeln als Rechtsfähigkeit. In Abweichung zum herrschenden Begriff will Binder unter Rechtsfähigkeit aber keine bloß „mystische“ Rechtsträgerschaft („Haben“ von Rechten und Pflichten) verstehen, sondern die Frage danach, wer gemäß seiner Beschaffenheit einen bestimmten Rechtsinhalt verwirklichen könne und ihn nach der Rechtsordnung verwirklichen dürfe.188 Insofern sei Rechtsfähigkeit etwas von Handlungsfähigkeit, nur nichts von rechtsgeschäftlicher oder deliktischer Handlungsfähigkeit im technischen Sinne, sondern eine Rechtsausübungsfähigkeit (bzw. Rechtsausübungshandlungsfähigkeit)189. Während aber diese Rechts183  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 47 f. Zugleich wendet sich Binder gegen die Vorstellung der herrschenden Lehre, dass mit dem Rechtssubjekt auch ein Träger, der das subjektive Recht in den Händen halte, festgelegt und mitdefiniert werde („an sich psychologisch sehr begreiflich“, S. 47). 184  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 49, 53. 185  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 54; in ähnlicher Weise siehe Pagel, AcP 42 (1916), 227 (234) mit der Tendenz, das Rechtssubjektsein zu relativieren. Die Rechtsordnung selbst entscheide über das Rechtssubjektsein, wobei sie zu beachten habe, den „formalen Begriff des Rechtssubjektseins als eines dem Zweck der einzelnen Norm jedesmal entsprechenden Berechtigt- und Verpflichtetseins, eines rechtlich Begünstigt- und eines rechtlich Inanspruchgenommenwerdens, deutlich zu machen“. Neben diesem Inhalt des Rechtsfähigkeitsbegriffs stehe die andere Frage, welche materielle Erfüllung im praktischen Recht diesem Begriff zukomme. 186  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 54. Im Anschluss an die juristische Persönlichkeit des Menschen prüft Binder, ob derselbe Begriff der Persönlichkeit auf Verbandspersonen angewendet werden kann/soll oder nicht. 187  Im Übrigen Wiederholung der bisherigen Ergebnisse, siehe v. a. Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 54. 188  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S.63. 189  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 63. Die Rechtsausübung ordnet Binder als Fall sonstigen rechtswirksamen Verhaltens ein, während die

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

ausübung eine tiefergehende Betätigung des eigenen rechtlichen Ichs (der rechtlichen Persönlichkeit) darstelle190, gehe es bei der Handlungsfähigkeit allein um rechtswirksames, rechtsgeschäftliches Verhalten als solches191, und sie sei ausschließlich in der physischen Persönlichkeit des Menschen begründet192. Daher seien beide Fähigkeiten begrifflich streng zu trennen193, auch wenn es (wie erneut betont) beim Menschen de facto zu einem Zusammenfall von rechtlicher und psychologischer Persönlichkeit komme194. Das Entscheidende an einer so verstandenen rechtlichen Persönlichkeit sei, dass sie als Rechtsausübungsfähigkeit keinen absoluten, sondern einen relativen Wert bzw. Begriff abgebe.195 Entsprechend kommt Binder dazu, auch für den Menschen eine mal größere, mal kleinere Rechtsfähigkeit anzunehmen. So bezeichnet er Geisteskranke und Kinder als rechtsunfähig; Inhaber der Rechtsausübungsbefugnis sei deren Vertreter.196 Die rechtsstaatlichen Bedenken gegenüber einer solchen Rollenverteilung ergeben sich aus Binders Aussagen selbst. Wie dargelegt bezeichnet Binder die Rechtsausübungsbefugnis als Betätigung des eigenen rechtlichen Ichs. Spricht er einem Geschäftsunfähigen „das Ich“ ab, stößt er damit an dessen ureigenes Substrat. Die Aberkennung von Rechtsausübungsbefugnis, in der Definition von Binder, öffnet zuHandlungsfähigkeit (speziell die Geschäftsfähigkeit) den Abschluss von Rechtsgeschäften betreffe (S. 55). 190  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 55, 63. 191  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 63. Daher ordnet Binder die Rechtsfähigkeit/Rechtsausübungsfähigkeit als Fall des „sonstigen rechtswirksamen Verhaltens“ ein (S. 55). 192  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 57. 193  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 57. 194  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 63. 195  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S.57. Für Binder ergibt sich dies bereits aus seinem Begriff des subjektiven Rechts. Insofern grenzt er zur Lehre von Hölder [siehe Kapitel 4, B. II. 1. a)] ab (S. 60 f.). Dieser habe versucht, aus dem ethischen Persönlichkeitsbegriff einen variablen juristischen Persönlichkeitsbegriff abzuleiten, was sich als schwierig erweise. Binder selbst trennt von Anfang an zwischen ethischer und juristischer Persönlichkeit und erhält somit die Variabilität aus dem Begriff des subjektiven Rechts. 196  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 63  ff. Insofern darf nicht die herrschende Dogmatik zur Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) zugrunde gelegt werden, wonach der Vertreter nur im Bereich der Geschäftsfähigkeit tätig und dem Vertretenen die „Rechtsfähigkeit“ belassen wird. Binder geht von einem gänzlich anderen Begriff der Rechtsfähigkeit/Rechtsausübungsfähigkeit aus (im Sinne eines „sonstigen rechtswirksamen Verhaltens“) und verneint insofern eine Macht auch des Geisteskranken/des Kindes. Er hält es für „ein logisches Nonsens“ (S. 63) einen geschäftsunfähigen Menschen als Subjekt eigener rechtlicher Macht zu bezeichnen, nur weil diese seinem gesetzlichen Vertreter zukomme. Hierzu Binder selbst: „Freilich steht diese Auffassung im schärfsten Widerspruch mit der communis opinio aller Zeiten […].“ (S. 64).



B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jh.261

mindest die Möglichkeit zu einem Wegfall jeglicher rechtlicher Beachtung eines Menschen.197 2. Rezension zu Stammler (1911) In einer späteren Rezension zu einem Aufsatz von Stammler („Unbestimmtheit des Rechtssubjekts“, 1907) ergänzt Binder seine bisherigen Überlegungen um eine begriffliche Trennung von nunmehr auch Rechtssubjekt und Person. Zuvor hatte er beide Begriffe synonym verwendet bzw. eine Identität von Rechtssubjekt und Person vertreten. Demgegenüber nimmt er fortan auch in dieser Hinsicht eine Verteilung unter den Aspekten der juristischen und ethisch-psychologischen Persönlichkeiten vor. Unter Rechtssubjekt versteht Binder die formale Kategorie zur Betrachtung des subjektiven Rechts und dessen Berechtigten (juristische Persönlichkeit als Machtbegriff), unter Person die Bezeichnung für denjenigen, der von der Rechtsordnung als Selbstzweck erachtet werde (ethisch-philosophische Persönlichkeit als Wertbegriff).198 Beide Figuren seien wiederum strikt als eigenständig anzusehen, stünden allerdings in einem synthetischen Verhältnis folgender Art: Auf die Frage „Wie muss ein Wesen beschaffen sein, damit es Subjekt eines Rechts sein kann?“ (rechtlicher Aspekt) sei zu antworten „Es muss Person sein, der Träger einer sittlichen Willenspotenz.“ (ethischer Aspekt).199 Damit ist für Binder aber keinesfalls der Umkehrschluss verbunden, jede Person (Selbstzweck) müsse immer zugleich subjektiv Berechtigter sein.200 Vielmehr liefere die Person – wenn, wie von ihm gefordert, als ethischer Wertbegriff im Recht verstanden – lediglich eine Bezeichnung für denjenigen, der in einer Rechtsordnung rechtsschutzwürdig sei. Nur in dieser Hinsicht fungiere der Personenbegriff als Grundlage und Konstante. Wie aber die Umsetzung des Schutzes im Einzelnen erfolge, sei Sache der jeweiligen Rechtsordnung.201 197  Daran ändert es nichts, wenn Binder zwischen dem Ob und dem Wie eines rechtlichen Schutzes unterscheiden will, vgl. Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 41; Binder, KritV 1911, 247 (256). Denn insofern bietet er keinen unentziehbaren Mindeststandard an Schutz (in Form von Rechten, Rechtsgütern, Rechtsreflexen etc.) an. Zur Relevanz eines solchen Minimums im Rahmen eines modifizierten Personenmodells siehe Kapitel 5, B. II. 3. c). 198  Binder, KritV 1911, 247 (271). 199  Binder, KritV 1911, 247 (275). 200  Binder, KritV 1911, 247 (256): „Aus der Persönlichkeit als Wertbegriff folgt nicht die Persönlichkeit als Machtbegriff […]: die Person braucht nicht Subjekt der um ihrerwillen bestehenden Rechte zu sein.“; ebenso bereits Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 41. 201  Binder, KritV 1911, 247 (256). Abschließend (S. 277) weist Binder auf die Möglichkeit hin, mit seiner Sichtweise die Figur der juristischen Person erklären zu

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

3. „Philosophie des Rechts“ (1925) Von der Trennung ethischer und juristischer Elemente im Rechtssubjektsund Personenbegriff nimmt Binder in seiner „Philosophie des Rechts“ wiederum Abstand. Speziell die Konzentration auf die juristischen Elemente findet nicht mehr wie in früherer Form statt. Insgesamt handelt es sich um eine durchaus kritische, offen geführte Auseinandersetzung mit den eigenen bisherigen Ansätzen202 („[…] weil auch ich damals noch im Positivismus und Individualismus befangen war“203). Zum einen befürwortet Binder nun selbst wieder eine Verknüpfung von Wert und Rechtsordnung. Es sei eine unrichtige Vorgabe gewesen, Person und Rechtssubjekt als Subjekt nur im Sinne der Logik anzusehen bzw. ansehen zu wollen.204 Das Subjekt spiele freilich eine Rolle in der Logik und Grammatik (als Korrelat des Prädikats), aber daneben habe es eben auch eine ethische Bedeutung als Gegensatz zum Objekt (Objekt verstanden als Mittel für fremde Zwecke).205 Da nun das Recht „im innigsten Zusammenhang mit der Ethik“206 stehe, sei deren Anwendung auf die Rechtssphäre sofort gegeben. „Person im Rechtssinne ist, was von der Rechtsordnung als Selbstzweck anerkannt wird; Subjekt im Rechtssinne ist, was die Rechtsordnung als Subjekt achtet, es ist nicht ein Subjekt, von dem ausgesagt werden kann, daß es subjektiver Rechte fähig sei, nicht ein Subjekt von Rechten, sondern ein Subjekt des Rechts, der Rechtsordnung; und insofern ist es freilich gleichbedeutend mit der Person. Als solche ist nun das Rechtsubjekt freilich auch Träger eines Willens, aber nicht im Sinne der psychologischen Faktizität, sondern als subjektive Erscheinung der den Menschen beseelenden Vernunft; […].“207 können. Die Aussagen von Kant, Savigny und Hegel, dass nur der Mensch Person sei, würden regelmäßig als Problem empfunden werden. Stufe man aber die juristische Person als Rechtssubjekt ein, ohne sie zugleich Person sein zu lassen, könne jener Satz (unabhängig der Richtigkeit seiner Aussage) auch weiterhin Beachtung finden. In diesem Fall müsste allerdings das von Binder angenommene synthetische Verhältnis von Rechtssubjekt und sittlicher Willenspotenz (Person) zumindest bezüglich juristischer Personen aufgegeben werden. 202  Haferkamp, Puchta, S. 98 erklärt die damalige Neuausrichtung der Rechtslehre als eine Reaktion auf „zeitbedingte Verunsicherungen“ (WK I, Versailles). Es habe nicht mehr nur ein (formal) ordnungsgemäß zustande gekommenes Recht genügt, sondern es sei fortan auch die Frage nach dem Geltungsgrund inhaltlicher Art gestellt worden. 203  Binder, Philosophie, S. 446. 204  Binder, Philosophie, S. 442; ebenso 447: „Der Fehler der herrschenden Lehre bestand […] darin, […] daß sie das logische oder das psychologische mit dem ethischen Subjekt verwechselte.“ 205  Binder, Philosophie, S. 443. 206  Binder, Philosophie, S. 443. 207  Binder, Philosophie, S. 443.



B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jh.263

Zum anderen tritt Binder sämtlichen „individualistischen“ Ansätzen208 entgegen. Der Mensch sei Person nicht in seinem Fürsichsein, sondern in seiner sozialen Bedingtheit und Eingebettetheit.209 Entsprechend bedeute Rechtssubjekt und Person auch als Rechtsbegriff nicht die Anerkennung eines individuellen Willens im Sinne abstrakter Selbstsucht (Willkür), sondern als Organ der Gemeinschaft („sozialer Vertrauensakt“210; Anerkennung des Menschen als Wesen mit vernünftigem Willen gleich sozialem Bewusstsein).211 Im Ergebnis sei der Mensch daher Person / Subjekt im Sinne des Rechts ebenso wie er es im Sinne der Ethik sei, nämlich als Träger eines überindividuellen Wertes und als Glied der Gemeinschaft.212 In späterer Auflage („System der Rechtsphilosophie“, 1937) äußert sich Binder auch zum Verhältnis von allgemeiner und konkreter Rechtsfähigkeit.213 Kontext ist eine Stellungnahme zu dem Bestreben der nationalsozialistischen Rechtslehre, namentlich bei Larenz, die allgemeine Rechtsfähigkeit durch eine konkret ständische bzw. rassische Rechtsfähigkeit (Rasse-, Volks- und Rechtsgenosse) zu ersetzen. Hiergegen argumentiert Binder mit dem Menschsein als solchem. Dieses und ebenso die Allgemeinvernunft des Individuums und sein allgemeiner Geist würden stets Elemente der konkreten Persönlichkeit sein. Zumindest insofern bestehe eine Gleichheit der Menschen, unabhängig der nationalen Zugehörigkeit. Allein hieran anknüpfend sei jeder Mensch „mit Notwendigkeit“214 Person und rechtsfähig. In begriffsdogmatischer Hinsicht sei daher die allgemeine Persönlichkeit des Menschen auch immer in etwaigen konkreten Persönlichkeitsbegriffen von 208  Beginnend bei Savigny, über Puchta und Windscheid (die zudem Savignys ethischen Standpunkt durch einen psychologischen ersetzen), ebenso in der neueren germanistischen Theorie, siehe Binder, Philosophie, S. 440 f. 209  Binder, Philosophie, S. 444. 210  Binder, Philosophie, S. 448. 211  Binder, Philosophie, S. 444, 448 f.; hierzu auch in späterer Auflage Binder, System, S. 43: „In Wahrheit aber ist auch das menschliche Individuum Person nicht als wollendes Wesen im Sinne der Psychologie, sondern als ethisches Subjekt, als sich selbst in Freiheit bestimmend und nach vernünftigen, sittlichen Gesetzen und Zwecken handelnd. […] So ist also der Mensch Person als Rechtssubjekt in seiner sozialen Bedingtheit und nicht in seiner abstrakten Einzelheit […].“ 212  An dieser Stelle soll nicht bewertet werden, inwieweit sich in diesen Ausführungen Binders eine Tendenz zur Gemeinschaftsüberhöhung, gar im Sinne nationalistischer oder nationalsozialsitischer Prägung, zeigt. Auffällig ist allerdings, dass er die ethische Aussage des Personenbegriffs mit „überindividuellem Wert“ und dies wiederum mit „Gemeinschaftsmitgliedschaft“ übersetzt. Binder versteht hierunter also etwas ganz anderes als dasjenige, was ansonsten in dem ethischen Personenbegriff des § 1 BGB bzw. in dessen ethischem Element gesehen wird, nämlich die Anerkennung gerade des Menschen als Individuum. 213  Binder, System, S. 36 Fn. 17. 214  Binder, System, S. 36 Fn. 17 (36).

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Ständen, Rassen etc. enthalten, „so daß der Mensch seinem Schicksal nicht entgehen könnte, Mensch […] zu sein“215. Allenfalls sei diese Allgemeinheit keine abstrakte216, sondern eine konkrete Allgemeinheit, die sich bis zur individuellen Besonderheit hin bestimme und dadurch erst wirkliche Allgemeinheit sei.217 4. Grundstruktur der Argumentation Insgesamt handelt es sich bei Binders Lehre und seiner vom BGB abweichender Dogmatik um eine Kombination aus Perspektiven- und Terminologiewechsel, wobei sich Letzteres aus Ersterem ergibt. Im Einzelnen sind vier Schritte in der Entwicklung seines modifizierten Rechtsfähigkeitsbegriffs erkennbar. • Kritik an abstrakter Begriffsbildung. Eine allgemeine Rechtsfähigkeit als vorgegebene Ausgangsgröße („Schablone“218) wird, zumindest in der Exklusivität eines tatsächlich ausschließlichen Begriffs, abgelehnt. • Differenzierung zwischen sittlich-ethischem, natürlich-psychologischem und juristischem Begriffsverständnis. Infolgedessen werden verschiedene Persönlichkeiten angenommen und bei Fragen zum Rechtssubjekt / zur Rechtsfähigkeit eine Beschränkung bzw. Konzentration allein auf die juristische Persönlichkeit gefordert. Die nach Binder unzulässige Vermischung sittlicher und juristischer Aspekte wird zudem als Grund für die bislang vermeintlich fehlerhafte, weil für rechtliche Fragen unpassend abstrakte, Begriffsbildung (siehe Punkte 1) gesehen. • Neugestaltung des Rechtssubjekts- bzw. Rechtsfähigkeitsbegriffs. Hierbei spielt für Binder insbesondere das Verhältnis zur Handlungsfähigkeit bzw. das Element der Rechtsausübung, des rechtswirksamen Handelns, eine Rolle. • Anerkennung von Relativierungen und Abstufungen innerhalb der so verstandenen Rechtsfähigkeit als Konsequenz begrifflicher Neusortierung. Entsprechend steht eine individuelle Bestimmung von Rechtsfähigkeit im Fokus.

215  Binder,

System, S. 36 Fn. 17 (37). auf Tuhr, S. 53, wo es heißt: „letzte Abstraktion aus der Vielgestaltigkeit des Rechtslebens“. 217  Binder, System, S. 36 Fn. 17 (37). Zur Lehrer-Schüler-Beziehung von Binder und Larenz und entsprechender Bewertung ihrer Lehren, gerade mit Blick auf die konkret-abstrakte Begriffsbildung, siehe Kapitel 4, B. II. 6. c). 218  Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 41. 216  Verweis



B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jh.265

II. Kriterien und Schwerpunktsetzung im Rahmen der Neuausrichtung Modifikationen am Rechtsfähigkeits- und Personenbegriff (Schritt 3) betreffen im 20. Jahrhundert zwar in der Mehrzahl, aber nicht ausschließlich das Verhältnis von Rechts- und Handlungsfähigkeit. Generell bestehen Unterschiede in der Schwerpunktsetzung der Modelle. Anhand ausgewählter219 alternativer Theorien werden im Folgenden die einzelnen Kriterien der Neugestaltung untersucht.220 1. Unmittelbare Bezugnahme auf die Figur der Handlungsfähigkeit Das Verhältnis von Rechts- und Handlungsfähigkeit ist in erster Linie eine Definitionsfrage beider Figuren. Der Ansatz liegt bei der Rechtsfähigkeit selbst, die entweder als abstrakte Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, verstanden wird oder die um die Elemente des Erwerbs und der Ausübung konkreter Rechte und Pflichten (klassische Elemente der Handlungsfähigkeit) erweitert wird. Im zweiten Fall ist die Rechtsfähigkeit an das Vorliegen weiterer Voraussetzungen jenseits des bloßen Menschseins geknüpft und wird damit grundsätzlich Relativierungen zugänglich gemacht. Die umgekehrte Sichtweise nimmt stattdessen die Handlungsfähigkeit zum 219  Auswahlkriterien sind v. a.: Differenzierung zwischen ethischem und juristischem Begriffsverständnis; Aufspaltung zwischen Person/Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit/Rechtssubjekt; Formulierung neuer Rechtsfähigkeitsbegriffe, insbesondere unter Verwendung der Gedanken von Teilrechtsfähigkeit und relativer Rechtsfähigkeit; konkrete Modifikationen im Verhältnis von Rechts- und Handlungsfähigkeit. Die Auswahl der Modelle ist dementsprechend nicht abschließend. So wird v. a. auf eine eigenständige Darstellung der Ansicht von Brinz verzichtet, dem zwar vielfach zugeschrieben wird, als erster (nach Savigny) eine funktionelle Verbindung von Rechts- und Handlungsfähigkeit thematisiert, dabei aber keine konkreten Ergebnisse (bezüglich eines neuen Rechtsfähigkeitsbegriffs) erzielt zu haben (so die Bewertung von Fabricius, S. 40). Insofern wird sich vorliegend darauf beschränkt, Brinz im Rahmen der späteren Modelle aufzugreifen, soweit dort auf ihn in relevanter Weise Bezug genommen wird. 220  Sämtlichen Modelle liegt (u.  a.) die Frage nach der Natur der juristischen Person zugrunde. Nicht selten ist die Erklärung dieser Figur sogar Anlass für die Neukonzeption des Personenbegriffs. Insofern handelt es sich um eine an sich theoretisch-dogmatische Diskussion, hinter der allerdings auch praktische „Unlösbarkeiten“ im weiteren Sinne stehen. Da vorliegend die Rechtsstellung natürlicher Personen interessiert, bleibt es bei einer Betrachtung allein der theoretischen Grundlagen jener Lehren, ohne auf die praktischen Konsequenzen im Einzelnen einzugehen. Zur grundsätzlichen Kritik bzw. zur Abgrenzung von sämtlichen dieser Modelle, soweit sie rechtsstaatlichen Bedenken unterliegen, siehe Kapitel 5, B. II. 3. c).

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

Oberbegriff und bildet die Rechtsfähigkeit als dessen Teilbereich ab. Insofern bezeichnete Fuchs 1936 die Frage, ob Rechtsfähigkeit auf Handlungsfähigkeit zurückzuführen sei oder umgekehrt, als eine der delikatesten des gesamten juristischen Denkens.221 Eine Systematisierung der vertretenen Ansichten gibt u. a. Fabricius.222 Er unterscheidet zwischen Einheits-223, Unterscheidungs-224, Identitäts-225 und Abhängigkeitstheorie226. Eine Neugestaltung des Verhältnisses bzw. eine Verbindung beider Institute wird unmittelbar bei Hölder, Hanke und Fabricius thematisiert. a) Hölder Hölder sieht ebenfalls eine Notwendigkeit darin, zwischen den verschiedenen Begriffsrichtungen der Persönlichkeit zu unterscheiden. Nicht der ganze Rechtsbegriff der Person sei eine Schöpfung des positiven Rechts227; vielmehr „[…] gehen wir aus vom Begriffe der Persönlichkeit als einem nicht spezifisch juristischen und wenden uns dann zur Betrachtung des Rechtes und des Menschen als einer Person im Sinne desselben […].“228

Grundprinzip des § 1 BGB (Rechtsfähigkeit aller Menschen) sei die rechtliche Anerkennung eines Wertes in jedem menschlichen Leben.229 Da sich das Leben eines Menschen im Wandel befinde und der Mensch gerade in seiner Eigenschaft als sich entwickelnder Mensch anerkannt werde, variiere bei natürlicher Betrachtung auch der Wert seines Lebens.230 Die Folge 221  Fuchs,

S. 97. weitere Übersicht bei John, S.  26 ff. 223  Erläutert bei Fabricius, S. 37 f.: keine Trennung von Rechts- und Handlungsfähigkeit. Es gibt nur den Begriff der Rechtsfähigkeit, der den der Handlungsfähigkeit in sich einschließt (Kant, Thibaut). 224  Erläutert bei Fabricius, S. 38  f.: strikte Trennung von Rechtszuständigkeit (Rechtsfähigkeit) und Rechtserwerb/Rechtsausübung (Handlungsfähigkeit); hat sich als heute herrschende Dogmatik durchgesetzt (Savigny). 225  Erläutert bei Fabricius, S. 39 f.: Identität von Handlungs- und Rechtsfähigkeit. Der handlungsunfähige Mensch ist damit auch rechtsunfähig (Hölder, Binder). 226  Erläutert bei Fabricius, S. 40 ff.: In unterschiedlichen Ausgestaltungen werden Rechts- und Handlungsfähigkeit als jeweilige Teilbereiche gesehen (Brinz, Larenz, Sauer, Müller-Freienfels, Hanke). 227  Hölder, Natürliche und juristische Personen, Vorwort S. VI. bei gleichzeitiger Ablehnung eines „klassischen“ Naturrechts: „Gewiß gibt es kein Naturrecht, sondern nur positives, geschichtlich entstandenes und sich änderndes Recht.“ (Vorwort, S. VI). 228  Hölder, Natürliche und juristische Personen, Vorwort S. VII. 229  Hölder, Natürliche und juristische Personen, S. 112 f. 230  Hölder, Natürliche und juristische Personen, S. 115 f. 222  Eine



B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jh.267

sei ein ebenfalls unterschiedliches Maß an Persönlichkeit, je nachdem wie voll, kräftig und gesund das menschliche geistige Leben vorliege („Persönlichkeit im Werden“ des Kindes; „abnorme Persönlichkeit“ des Geistes­ kranken).231 Die (Ab)Stufungen der Persönlichkeit in tatsächlicher Hinsicht würden im (geltenden) Recht jedoch nur als Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit berücksichtigt; die Rechtsfähigkeit bleibe hiervon unberührt.232 Indem die herrschende Dogmatik die Rechtsfähigkeit mit der rechtlichen Persönlichkeit zusammenfallen lasse, sei es ihr möglich, von einer gleichen Persönlichkeit aller Menschen zu sprechen und sie einheitlich als Person einzustufen.233 In Abgrenzung zu jener herrschenden, klar differenzierenden Dogmatik zwischen Rechts- und Handlungsfähigkeit will Hölder eine stärker verbindende Neuordnung beider Komponenten vornehmen. Insofern sympathisiert er mit Brinz, dem „einzig namenhafte[n] Jurist[en]“234, der eine solche Verbindung von Rechts- und Handlungsfähigkeit bislang konzipiert habe. In der Sache selbst weicht er jedoch von diesem ab. Brinz habe die Rechtsfähigkeit als juristische, die Handlungsfähigkeit als übergeordnete natürliche Handlungsfähigkeit qualifiziert und damit die Rechtsfähigkeit unter jene subsumiert.235 Zwar erkennt auch Hölder die natürliche Seite der Handlungsfähigkeit (im engeren Sinne) an, indem er die tatsächlichen, nicht rechtlich bestimmten Auswirkungen von Alter und geistiger Abnormität auf die Persönlichkeit als Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit kennzeichnet.236 Er bleibt jedoch bei diesem natürlichen Charakter der Handlungsfähigkeit nicht stehen. Die Unmöglichkeit rechtswirksamen Handelns könne schließlich nicht nur auf einer tatsächlichen Unmöglichkeit der Handlung beruhen (natürliche Handlungsunfähigkeit Schlafender / Säuglinge), sondern ebenso rechtliche Ursachen haben (rechtliche Unmöglichkeit; die Rechtsordnung versagt einer Handlung die Anerkennung der Rechtsfolgen).237 Die somit ebenfalls auf rechtlichen Bestimmungen fußende Handlungsfähigkeit sei daher unter die Rechtsfähigkeit zu subsumieren und nicht umgekehrt.238 231  Hölder,

Natürliche und juristische Personen, S. 116 f. Natürliche und juristische Personen, S. 117. 233  Hölder, Natürliche und juristische Personen, S. 117. Eigentlich bedeute die rechtliche Persönlichkeit des Menschen teils seine Rechtsfähigkeit, teils seine Handlungsfähigkeit, siehe Hölder, Natürliche und juristische Personen, S. 111. 234  Hölder, Natürliche und juristische Personen, S. 117. 235  Hölder, Natürliche und juristische Personen, S. 117. 236  Hölder, Natürliche und juristische Personen, S. 118. 237  Hölder, Natürliche und juristische Personen, S. 118. 238  Hölder, Natürliche und juristische Personen, S. 118; Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 63 kritisiert hieran, dass Hölder mit dieser Argumentation eine Identität von Rechts- und Handlungsfähigkeit annehmen müsse. 232  Hölder,

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

Handlungs- bzw. Geschäftsunfähigkeit sei nichts anderes als die Unmöglichkeit, das eigene Leben nach eigenem Belieben zu gestalten, mit anderen Worten: die Unmöglichkeit rechtlicher Betätigung der Persönlichkeit.239 Im Ergebnis bestehen damit keine signifikanten Unterschiede zur bisherigen bzw. geltenden Dogmatik. Allenfalls betont Hölder die Verbindung von Rechts- und Handlungsfähigkeit in stärkerem Maße, indem er sie in ein Subsumtionsverhältnis setzt. Konsequenzen zieht er allerdings auf dem Gebiet der Stellvertretung. Nach geltendem Recht ist der Geschäftsunfähige bzw. beschränkt Geschäftsfähige Subjekt eigener Rechte und Pflichten, die der Vertreter für ihn ausübt. Hölder bewertet die Konstellation anders. Wenn das Wesen des Privatrechts auf dem Willen des Berechtigten und auf der ihm zukommenden Bedeutung beruhe, so könne nicht derjenige Subjekt eines Rechts sein, dessen Wille von Rechts wegen gerade keine Bedeutung habe.240 Die vom Vertreter betätigte Macht sei seine eigene, bezüglich derer er Rechtssubjekt sei.241 Der Vertretene sei demgegenüber nur ein eigene Macht und Freiheit entbehrendes Objekt der fremden Macht des Vertreters.242 Entsprechend könne er auch nicht mehr im eigentlichen Sinne als Person bezeichnet werden, bestenfalls als unselbstständige Person. Der Geschäftsunfähige habe keine aktive rechtliche Persönlichkeit243, sondern allenfalls eine ruhende im Sinne eines Subjekts künftiger rechtswirksamer Willensbetätigung, auch wenn ihm daneben eine tatsächliche, natürliche Persönlichkeit zukomme244. Privatrechtssubjekt sei nur derjenige, der sein Leben durch eigene Tat gestalten könne, also eine rechtlich selbstständige Person abgebe.245 Wenn nunmehr die Rede davon sei, der Wille des Vertretenen werde durch den Vertreter betätigt, ist dies für Hölder lediglich ein verkürzter Ausdruck dafür, dass in jeder Beziehung (vor allem zu Dritten) dasselbe zu gelten habe, als ob es sich tatsächlich um den Willen des Vertretenen handele.246 239  Hölder,

Natürliche und juristische Personen, S. 118 f., 129, 133. Natürliche und juristische Personen, S. 123. 241  Hölder, Natürliche und juristische Personen, S. 120. 242  Hölder, Natürliche und juristische Personen, S. 120, 124, 128. 243  Hölder, Natürliche und juristische Personen, S. 129. 244  Hölder, Natürliche und juristische Personen, S. 134 ff. 245  Hölder, Natürliche und juristische Personen, S. 133. 246  Müller-Freienfels, S. 159  ff., 163 sieht darin einen Kritikpunkt an Hölders Sichtweise, dass nach ihr das Institut der Vertretung letztlich abgeschafft werde. Denn übe der Vertreter eigene und nicht fremde Macht aus, vertrete er niemanden mehr. Primäres Anliegen von Müller-Freienfels ist es jedoch, das bestehende Institut der Vertretung (§§ 164 ff. BGB) zu erklären. Entsprechend relativiert er selbst seine Kritik dahingehend, dass Hölder das Vertretungsmodell zwar aufgebe, dieses Modell aber streng genommen nicht zwingend sei, um die Interessen Unmündiger im Privatrecht zu gewährleisten (Verweis auf alternative Konstruktionsmöglichkeiten anderer Rechtsordnungen, S. 165 f.). 240  Hölder,



B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jh.269

Die Neukonzeption Hölders ist damit in erster Linie eine „Umverteilung“ der Begriffe von Person, Rechtssubjekt und rechtlicher Persönlichkeit, die er stärker an die Handlungsfähigkeit koppelt. Der Rechtsfähigkeit von Handlungsunfähigen bzw. beschränkt Geschäftsfähigen kommt in seinem Modell lediglich die Rolle einer Fiktion zu. Auch dies ist der bisherigen Dogmatik an sich nicht fremd. Die Rechtsfähigkeit nach Hölder dient aber nicht mehr generell als Denkbehelf für das Person- bzw. Rechtssubjektsein, sondern greift nur noch in Sonderfällen, z. B. als Erklärung der Erbfolge eines verstorbenen Säuglings. Rechtsstaatliche Bedenken ergeben sich wie bereits zu Binder daraus, dass Hölder die Verneinung „rechtlicher Persönlichkeit“ in den einschlägigen Fällen zu absolut formuliert. Wenn er auf die demgegenüber verbleibende „tatsächliche, natürliche Persönlichkeit“ verweist, liegt darin kaum eine ausreichende Sicherung eines Geschäftsunfähigen. Vielmehr betont jene Gegenüberstellung, dass der Geschäftsunfähige nur noch im außerrechtlichen Bereich existieren und gerade keine rechtlich gesicherte Beachtung mehr erfahren soll.247 b) Hanke Eine Umkehrung des systematischen Verhältnisses von Rechts- und Handlungsfähigkeit vertritt auch Hanke. Weder soll es sich bei der Rechtsfähigkeit um die Voraussetzung der Handlungsfähigkeit noch bei der Handlungsfähigkeit um die Konkretisierung der Rechtsfähigkeit handeln.248 Die Handlungsfähigkeit (Fähigkeit zu rechtlich erheblichem Handeln) wird von Hanke als juristischer Grundbegriff gesetzt.249 Daneben trete die Rechtsfähigkeit lediglich in Form eines ergänzenden Hilfsbegriffs in Erscheinung, mit dem insbesondere der Fall der geminderten Handlungsfähigkeit erklärt werde.250 Grundlegend für ein solches Begriffsverständnis ist auch bei Hanke die Ansicht, der juristische Wert des Menschen liege erst in seiner Handlungsfähigkeit.251 Rechtsfähigkeit sei dagegen ein ursprünglich ethischer Begriff252, „aus Religion, Sitte und Familienordnung stammend“253. Mit ihm werde ausgedrückt, dass der Mensch wegen seines Menschseins, und inso247  Zur

grundsätzlichen Kritik siehe wiederum Kapitel 5, B. II. 3. c). S. 59. 249  Hanke, S. 21 f., 67. 250  Hanke, S. 21, 23, 59. 251  Hanke, S. 53. 252  Hanke, S. 52 f. auch zu den noch heute vorhandenen „Anklänge[n] an den ethischen Wert“. 253  Hanke, S. 38. 248  Hanke,

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

fern auch der Handlungsunfähige, eine bestimmte Berücksichtigung erfahren solle.254 Eine wirklich juristische Relevanz255 erhalte der Begriff der Rechtsfähigkeit erst in Verbindung mit der Handlungsfähigkeit256 („juristischer Ableitungsbegriff“257), indem die Rechtsfähigkeit des Einen die Handlungsfähigkeit des Anderen ergänze bzw. einschränke. Im Detail erklärt Hanke das Korrelationsverhältnis und die ausschließlich begleitende Funktion des Rechtsfähigkeitsbegriffs258 am antiken Fall eines unmündigen Herrn und seines Sklaven. Hier setze sich die juristische Handlungsfähigkeit des Herrn aus seiner eigenen Rechtsfähigkeit und der natürlichen Handlungsfähigkeit des Sklaven zusammen.259 Die Handlungsfähigkeit des Sklaven sei das eigentlich juristisch bedeutsame Element und die entscheidende Voraussetzung für einen Rechtserwerb. Bei der Rechtsfähigkeit des Herrn handele es sich lediglich um einen Denkbehelf.260 Als weiteres Beispiel nennt Hanke das Verhältnis des Minderjährigen zu seinem Vormund. Die Handlungsfähigkeit des Vormunds sei eingeschränkt um die Rechtsfähigkeit, die dem Kind zukomme.261 Anhand dieser Wechselwirkung zeige sich die innige Verknüpfung von juristischem und ethischem Wert der Rechtsfähigkeit.262 Denn um der ethischen Aussage willen werde das Dasein des Menschen bzw. der durch Geburt und durch menschliches Dasein gebildete Tatbestandskomplex personifiziert und wirke insofern auf die Handlungsfähigkeit 254  Hanke, S. 24; siehe auch S. 54 mit der Erklärung, dass es hierbei im Grunde nur um die Anerkennung der im Menschen vorhandenen Willensanlagen und somit um seine zu erwartende Handlungsfähigkeit gehe. 255  In den Ausführungen Hankes zeigt sich, dass sich die ethischen und recht­ lichen Aussageinhalte des Rechtsfähigkeitsbegriffs im Grunde nicht voneinander trennen lassen. Eine separierende Erklärung zwischen ethischer Relevanz und juristischer Relevanz muss sich grundsätzlich entgegenhalten lassen, dass die ethische Aussage gerade in der rechtlichen Anerkennung des Einzelnen besteht. Wenn Hanke eine „wirkliche juristische Relevanz“ der Rechtsfähigkeit anspricht, die erst in Korrelation zur Handlungsfähigkeit entstehe, kann sie damit wiederum nur die formale Rechtstechnik meinen. 256  Hanke, S. 24. 257  Hanke, S. 38. 258  Hierzu Hanke, S. 62  f. Im Unterschied zur Handlungsfähigkeit könne die Rechtsfähigkeit nie allein bestehen. Wenn in einem Subjekt neben der Rechtsfähigkeit nicht auch Handlungsfähigkeit vorliege, bedürfe es für dieses Subjekt ständiger Stellvertretung und damit Handlungsfähigkeit durch einen anderen. 259  Hanke, S. 61. 260  Hanke, S. 61. Die Argumentation erfolgt hier in umgekehrter Weise zu Savignys Erklärung des Herrn-Sklaven-Verhältnisses, siehe Kapitel 3, A. III. 3. a). 261  Hanke, S.  61 f. 262  Hanke, S. 54; im Übrigen S. 52: „Wenn wir heute dem Menschen um seines spezifischen Wertes willen Rechtsfähigkeit zusprechen oder ihn Person nennen, so hat dies sowohl ethische als auch juristische Bedeutung.“



B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jh.271

eines Anderen ein.263 Gerade Letzteres lässt die Gewichtung Hankes zugunsten der Handlungsfähigkeit anzweifeln. Zwar mögen tatsächliche, praktische Auswirkungen, im Sinne von Rechtshandlungen, erst mittels Handlungsfähigkeit erzielt werden können. Der Rechtsfähigkeit kommt jedoch die Rolle einer eigenständigen Größe zu, die die Handlungsfähigkeit eines Anderen u. U. überlagert (2. Beispiel) bzw. in entsprechende Richtung lenkt (1. Beispiel). Das beschriebene Korrelationsverhältnis von Rechts- und Handlungsfähigkeit führt Hanke in der nicht synonymen Verwendung der Begriffe von Rechtssubjekt und Person fort. Handlungsfähigkeit setzt sie mit Rechtssubjekt, Rechtsfähigkeit mit Person gleich.264 Nur der voll handlungsfähige Mensch könne Rechtssubjekt in diesem Sinne sein. Der Handlungsunfähige sei lediglich rechtsfähig und Person.265 Im Ergebnis ist für Hanke ein eigenständiger Begriff der Rechtsfähigkeit entbehrlich.266 Ausreichend sei der eine Begriff der Handlungsfähigkeit, untergliedert in unmittelbare und mittelbare Erscheinungsformen. Mittelbare Handlungsfähigkeit komme auch Kindern, Geisteskranken und Verbänden zu.267 Entsprechend schlägt Hanke de lege ferenda vor, den Begriff der Rechtsfähigkeit aus § 1 BGB zu streichen und durch den Ausdruck der mittelbaren Handlungsfähigkeit zu ersetzen.268 Sie ist sich allerdings der Widerstände bewusst, die sich gegen ihren Vorschlag formieren würden, im Übrigen gegen jede Tendenz, die „einen durch Tradition geheiligten und durch seine praktische Brauchbarkeit lange bewährten Begriff […] als entbehrlich hinzustellen“269 versuche. So gesehen mag in Hankes Modell tatsächlich der Terminologiewechsel im Vordergrund stehen. Die Abschaffung der Rechtsfähigkeit würde in erster Linie die Abschaffung ihrer Bezeichnung bedeuten. Angesichts der von Hanke selbst eingeräumten praktischen Bewährung des überkommenen Personenbegriffs sind daher Zweifel am Nutzen ihrer Schwerpunktverlagerung von Rechts- auf Handlungsfähigkeit nur berechtigt. 263  Hanke,

S. 54, 62 f. S. 22. Eine solche Aufspaltung ist auch insofern konsequent, als Hanke in diesem Zusammenhang auf die von Stammler vertretenen Begriffe von Recht und Rechtssubjekt zurückgreift. Dieser definiert Rechtssubjekt als Wesen mit der Fähigkeit, sein Wollen und seine Zwecke zu ordnen, zu leiten und in Richtung eines End- bzw. Selbstzwecks zu führen. 265  Hanke, S. 24, 63. 266  Hanke, S. 67. 267  Hanke, S. 69. 268  Hanke, S. 95. 269  Hanke, S. 65. 264  Hanke,

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

c) Fabricius Fabricius setzt mit seiner Kritik am Grundsatz von Begriff und Systematik einer allgemeinen und gleichen Rechtsfähigkeit an. Die herrschende Dogmatik behandle die Rechtsfähigkeit als einen Oberbegriff, der alle konkreten Fähigkeiten wie Geschäfts-, Delikts-, Ehe- und Testierfähigkeit umfasse, diesen vorangehe und in § 1 BGB vor die Klammer gezogen sei.270 Gewonnen werde er in einem „generalisierenden und systematisierenden Abstraktionsverfahren“271, indem vom Einzelnen losgelöst ein systematischer Begriff gebildet werde, dessen „Leerstellen“272 sämtliche mögliche Fähigkeiten des Menschen umschließe.273 Dahinter stehe die Absicht, eine Basis für die ideologisch wünschenswerte Aussage über die Gleichheit aller Menschen treffen zu können.274 Dagegen favorisiert Fabricius einen solchen Begriff der Rechtsfähigkeit, der das Element des Handeln-Könnens beinhaltet.275 Als Gründe nennt er u. a.276 die historischen Grundlagen der Rechtsfähigkeit, die ursprünglich in der Fähigkeit zurechenbaren Handelns gelegen hätten. Erst später sei sie durch Entpersönlichung und Abstraktion zum heute herrschenden „juristische[n] Allvermögen“277 geworden.278 Die Vorstellung hierbei, die Rechtsfähigkeit gewinne mit der Würde des Menschen als dem entscheidenden Merkmal (anstelle des Handeln-Könnens) an Abstraktion und Universalität, sei jedoch in Wirklichkeit ein Trugschluss. Was in diesem Fall als Würde gelte, könne nämlich unterschiedlich gesehen werden: schlicht irgendein Wert, Selbstbewusstsein, Freiheit, Unverletzlichkeit oder doch wiederum ein Selbst-Gestaltenkönnen.279 Eine Zusammenfassung von Rechts- und Handlungsfähigkeit habe demgegenüber Vorteile. Zum einen würden die bisherigen Schwierigkeiten bei dem Versuch entfal270  Fabricius,

S. 34. S. 34, 51. 272  Fabricius, S. 51. 273  Fabricius, S. 34, 51. 274  Fabricius, S. 51. 275  Fabricius, S. 44. 276  Des Weiteren verweist Fabricius, S. 35 auf solche Fälle, in denen eine Vertretung grundsätzlich ausgeschlossen ist. Hier könne man durchaus von einem Zusammenfallen von Rechts- und Handlungsfähigkeit sowie von einer Beeinflussung und (mittelbaren) Beschränkung der Rechtsfähigkeit durch das Fehlen des HandelnKönnen-Elements sprechen. Ferner führt Fabricius den Begriff des subjektiven Rechts als Willensmacht an und verweist auf die sich dann ergebende Widersprüchlichkeit, wenn man die Rechtsfähigkeit vom tatsächlichen Willen unabhängig definiere. 277  Müko/Gitter, BGB Bd. 1, 3. Aufl., Rn. 8. 278  Fabricius, S. 43. 279  Fabricius, S. 36. 271  Fabricius,



B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jh.273

len, Merkmale als solche der Rechts- oder der Handlungsfähigkeit einzuteilen und demgemäß zwischen Beschränkungen nur des einen oder bereits des anderen zu differenzieren.280 Zum anderen sei ein Rechtsfähigkeitsbegriff, der um das Element des Handeln-Könnens modifiziert werde, Relativierungen und Abstufungen zugänglich.281 Als Konsequenz seiner Überlegungen definiert Fabricius die Rechtsfähigkeit neu als rechtliches Verhaltensvermögen, verstanden als die Fähigkeit eines Menschen (oder seiner als Rechtssubjekt anerkannten sozialen Einheit), sich rechtlich wirksam zu verhalten, sei es auch durch einen Boten, Vertreter oder ein Organ.282 Durch letzteren Zusatz (Bote, Vertreter, Organ) ist es ihm möglich, unmündige und juristische Personen in den Grundbegriff der Rechtsfähigkeit einzubeziehen.283 Fabricius unterscheidet in dieser Hinsicht zwischen persönlicher Verhaltensfähigkeit (elementarer Rechtsfähigkeit, Wirkungsfähigkeit) und rechtstechnischer Verhaltensfähigkeit durch Vertreter.284 Die Wirkungsfähigkeit untergliedert er wiederum in speziellere Fähigkeiten, insbesondere in Geschäfts- und Deliktsfähigkeit.285 Voraussetzung bzw. Charakteristikum des rechtlichen Verhaltensvermögens sei die Befähigung des Subjekts, Bedingungen von Rechtssätzen zu erfüllen. Deswegen handele es sich bei der Rechtsfähigkeit genau genommen um Rechtsausübungsfähigkeit.286 2. Element des „Könnens“ im weiteren Sinne (Husserl) Die Lehre Husserls ist insgesamt von einer stärker öffentlich-rechtlichen Sichtweise geprägt bzw. nimmt von dort ihren Ausgangspunkt in den grundsätzlichen Begriffsbestimmungen zu Rechtsperson und Rechtssubjekt. Maßgebliches Element für die Rechtssubjektivität natürlicher Personen sei das Rechtsgenosse-Sein im Sinne einer personalen Fortgeltungskonstituente der Rechtsgemeinschaft.287 Hierunter versteht Husserl im Wesentlichen eine 280  Fabricius,

S. 43. S. 43. 282  Fabricius, S. 44. 283  Fabricius, S. 45, 80. Die Rechtsfähigkeit Unmündiger, ermöglicht durch das Institut der Vertretung, vergleicht Fabricius mit der Rechtsfähigkeit juristischer Personen und bezeichnet sie ebenfalls als Fiktion. 284  Fabricius, S. 45. 285  Fabricius, S. 45. 286  Fabricius, S. 45. Zur Kritik einer solchen Figur bzw. zur Zusammenfügung von Rechts- und Handlungsfähigkeit, ohne weiter institutionell zwischen ihnen zu unterscheiden, siehe Kapitel 5, B. II. 3. c) im Rahmen der Entwicklung eines eigenen Modells. 287  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (131). 281  Fabricius,

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Unterwerfung des Einzelnen und seines Willens unter die Normen einer Rechtsordnung. Auf diese Weise erzeuge er deren Geltung bzw. halte sie aufrecht288 und werde Träger der Rechtsordnung überhaupt289. Das mache ihn zum Rechtsgenossen und zum Rechtssubjekt, in jenem geltungserzeugenden Sinne gewissermaßen vorrechtlicher Art290, jedoch werde er damit noch nicht zur Rechtsperson291. Diese verlange über das RechtsgenosseSein hinaus die rechtliche Befähigung des Einzelnen, sich an der weiteren Gestaltung der Rechtsnormen wirksam zu beteiligen.292 Nähere Ausführungen Husserls zu dieser die Rechtsperson begründenden Voraussetzung charakterisieren sie als ein Element des aktiven inhaltlichen Gestaltens und des rechtswirksamen Handelns.293 Er bezeichnet sie als Können294 bzw., da es sich um eine abstrakte Fähigkeit handele, die sich erst im individuellen normbezogenen Fall zum konkreten Können verdichte, als „Können-Können“ (posse-posse)295 oder explizit als Handlungsfähigkeit296. Nach Überlegungen zum Verhältnis von Recht, Rechtsgemeinschaft und Individuum297 charakterisiert Husserl die modernen Rechtsordnungen als Subordinationsrecht, das durch Einführung des Privatrechts auch die Individualsphären der Menschen rechtlich erfasse. Dem Einzelnen werde ein Bereich der Güterhabe (Privateigentum) zuerkannt, in welchem sein Wille rechtlich beachtlich sei. Konkret werde ihm sein vorrechtliches Haben (soziale Güter) nun auch rechtlich zugeordnet (durch Unterwerfung unter Regelungen), und es steigere sich von einem Haben-Dürfen aus eigener Kraft zu einem Haben-Sollen kraft rechtlicher Anerkennung.298 Husserl bezeich288  Husserl,

AcP 127 (1927), 129 (133 f.). AcP 127 (1927), 129 (131). 290  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (131). 291  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (130 f.). 292  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (131). 293  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (131 f.). 294  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (133). 295  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (134). 296  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (134). Eine Zuordnung zu den Begriffspaaren der herrschenden Zivilrechtsdogmatik (Rechtsgenosse gleich Rechtsfähigkeit; Können-Können gleich Handlungsfähigkeit) wäre allerdings übereilt. Unstimmigkeiten im Detail machen eine deckungsgleiche Zuordnung nicht möglich. Husserls Begriffswahl beruht insbesondere darauf, dass die ihm eigentlich passend scheinende Bezeichnung der Rechtsfähigkeit im deutschen Recht bereits anderweitig besetzt ist. 297  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (142 ff.). Husserl unterscheidet drei Grundrichtungen: Ausmerzung des Individuums aus der Rechtsgemeinschaft (S. 142 ff.), Nichtintervention der Rechtsgemeinschaft in die individuelle Machtsphäre (rechtsfreie Individualräume, S. 147 ff.), Subordinationsrecht (S. 176 ff.). 298  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (180). 289  Husserl,



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net dies als rechtliches Dürfen.299 Daneben trete das rechtliche Können, das bereits genannte posse-posse im Sinne der Fähigkeit rechtswirksamen Handelns.300 Beide Elemente zusammen genommen würden das subjektive Recht ergeben und sollen im Wesentlichen die privatrechtliche Rechtsperson ausmachen.301 Das vorrechtliche Können, das an sich mit Konstituierung der Privatrechtsordnung abgelöst sei, gelte daneben als Wesenskern jedes Rechtsgenossen fort. Es sei insofern Bestandteil des rechtlichen Dürfens.302 Husserl nimmt dementsprechend ein doppeltes Können an: eines „im Individualwilen wurzelnd und sich rechtlich als ‚Dürfen‘ abzeichnend“303 und ein zweites „rechtlicher Verleihung entstammend und die Person im Rechtssinn erst konstituierend“304. Erst auf dieser Grundlage interpretiert und bewertet Husserl die moderne deutsche Zivilrechtsdogmatik des BGB. An der dortigen Gleichsetzung von Rechtssubjekt, Privatrechtsperson und Rechtsfähigkeit (definiert als bloße Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein) kritisiert er eine Weite in zweifacher Hinsicht. Zum einen werde das Privatrechtssubjekt abgelöst von der „vorrechtlichen Region personalen Seins“305. Nach deutschem Recht könne auch derjenige Rechtssubjekt und sogar Privatrechtsperson sein, der kein vorrechtliches Können aufweise und im Sinne Husserls kein Rechtsgenosse sei.306 Beispielsweise fehle es einem Kind am Rechtsgeltungswillen; es sei damit nicht als Fortgeltungskonstituente der Rechtsordnung zu qualifizieren.307 Infolgedessen komme es in der geltenden Rechtsordnung zu einem Auseinanderfallen von wahrer Rechtssubjektivität und Privatrechtssubjektivität.308 Zum anderen würden Privatrechtssubjekt, Person und Rechtsfähigkeit im Sinne des § 1 BGB nicht die Fähigkeit zu einem rechtswirksamen Handeln voraussetzen.309 Infolgedes299  Husserl,

AcP 127 (1927), 129 (180). AcP 127 (1927), 129 (180). 301  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (180 f.). 302  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (183). Husserl begründet dies damit, dass jede Rechtsordnung den Rechtsgenossen als geltungsschaffende und geltungserhaltende Komponente voraussetze. Daher müsse die Person auch weiterhin mit dieser vorrechtlich-sozialen Seite Beachtung finden. 303  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (183). 304  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (183). 305  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (184). 306  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (184 f.). 307  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (185). Staatsangehörigkeit als bloßes Dazugerechnet-Werden reiche für den Status als Rechtsgenosse im verwendeten Sinne nicht aus. 308  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (184 f.). 309  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (185). 300  Husserl,

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sen komme es zu einer Abspaltung des rechtlichen Könnens (posse-posse) vom rechtlichen Dürfen. Charakteristikum des subjektiven Rechts sei aber nun einmal das Element des Könnens und rechtswirksamen Handelns.310 Solche Rechtsordnungen, die Privatrechtssubjekt bzw. Privatrechtsperson durch bloße Rechtsfähigkeit311 bestimmen würden, seien daher gezwungen, die Geschäftsfähigkeit als zweiten Begriff personaler Qualifikation einzuführen.312 Gleiches gelte für den vom BGB gegangenen Weg der Stellvertretung.313 Die dortige Technik offenbare selbst, dass die Rechtsfähigkeit im Sinne des § 1 BGB ihren personalen Sinn erst unter Hinuziehung der Handlungsfähigkeit erhalte und das entscheidende Element des Privatrechtssubjekts die Fähigkeit rechtswirksamen Handelns sei.314 Wenn demgegenüber die herrschende Meinung das Privatrechtssubjekt und die Privatrechtsperson allein mittels des Zurechnungssatzes („Jeder Mensch ist fähig, subjektive Rechte zu haben.“) definiere315, sei damit für den Fall Handlungsunfähiger ein bloßes „personales Nichts“316 beschrieben. Verglichen mit den eingangs erarbeiteten Begriffen sei ein solches Privatrechtssubjekt / eine solche Privatrechtsperson weder ein Rechtssubjekt im Sinne eines Rechtsgenossen317 noch eine Rechtsperson mit Können-Können. Gegenüber Husserls Schlussfolgerung von einem „personalen Nichts“ ist festzuhalten, dass sie im Grunde zirkelschlussartig erfolgt. Nur wenn, wie von ihm vertreten, die Bedeutung von Recht, Rechtssubjekt, Rechtsperson in Elementen der aktiven Rechtserzeugung und -ausübung gesehen wird und entsprechend der „personale Sinn“ eine solche Färbung erhält, ist Handlungsfähigkeit hierfür Voraussetzung. Wird dagegen ein personaler 310  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (185 f.). Dies ist die konsequente Umsetzung seines oben dargelegten Systems (S. 180 f.), nach dem rechtliches Dürfen und rechtliches Können zusammen die Einheit des subjektiven Rechts ergeben. 311  Im Sinne der Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. 312  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (186). 313  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (186 ff.). Husserl interpretiert das Institut der Stellvertretung als Übergang des posse-posse auf den Vertreter, während dem Geschäftsunfähigen das Dürfen verbleibe. In diesem Zusammenhang nimmt er ausdrücklich Bezug auf die Ansicht Hölders und tritt zu ihr in Widerspruch (S. 187). Der Können-Inhaber sei zwar Organ der Rechtsgemeinschaft, anders als bei Hölder aber nicht als Inhaber eigener, amtlich neu konstituierter Rechte verstanden, sondern im Sinne eines staatlich delegierten, d. h. gesetzlichen Vertreters (S. 187). 314  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (190 f.). 315  Insofern kritisch Husserl, AcP 127 (1927), 129 (191). In einer Rechtsordnung, die ein Privatrechtssystem kenne, und gerade in Bezug auf Menschen, die im Rechtssystem stünden, bedürfe diese Zurechnung keiner besonderen Hervorhebung mehr. 316  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (191). 317  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (191). Voraussetzung ist hier außerrechtliches Können (natürliche Handlungsfähigkeit).



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Sinn unter Betonung des Individuums und mit weniger starkem Bezug auf die Gemeinschaftsbezogenheit (Rechtsgenossen, Fortgeltungskonstituente) angenommen, ist der Handlungsunfähige keinesfalls ein „personales Nichts“. Husserl selbst zieht zwei Konsequenzen. Wenn das Privatrechtssubjekt nicht vom Besitz eigener Handlungsfähigkeit abhängen solle (herrschende Ansicht), dann müsse in dessen Definition die Fähigkeit rechtswirksamen Handelns durch andere mit zum Ausdruck gebracht werden.318 Entsprechend favorisiert er die Definition von Rechtsfähigkeit als die Befähigung, selbst oder durch andere rechtswirksam zu handeln.319 Darüber hinaus ergebe sich nach geltender Dogmatik eine Spaltung im Begriff der Person.320 Einerseits gebe es die Vollperson (zugleich Rechtsgenosse), die schlechthin befähigt sei, rechtswirksame Handlungen als Funktionär der Rechtsgemeinschaft vorzunehmen; andererseits das (ausschließliche) Privatrechtssubjekt bzw. die Privatrechtsperson, die grundsätzlich alle subjektiven Rechte haben und durch einen Vertreter ausüben könne, die aber nicht zwingend auch Rechtsgenosse sei.321 Eine einheitliche Formel für beide Fälle sei schwer zu finden. Die herrschende Minimalbestimmung der Rechtsperson durch schlichten Zurechnungssatz („Rechtsperson ist das Zurechnungssubjekt für Rechte und Pflichten“) lehnt Husserl ab, da hiervon nur ein personales Teilgebiet erfasst werde.322 Stattdessen wählt er als Oberbegriff das Rechtssubjekt (synonym: Rechtsgenosse), das sowohl vorrechtlich als auch im Recht alles darstellen könne und sich damit als Rechtsperson qualifiziere.323 In Abstufung hiervon sei dann der rechtsfähige, aber handlungsunfähige Mensch zu sehen, der im Bereich des Privatrechts Rechtssubjektivität genieße, jedoch nur eine beschränkte.324

318  Husserl,

AcP 127 (1927), 129 (191). AcP 127 (1927), 129 (191). 320  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (196). 321  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (194 f.). Privatrechtspersonen ohne vorrechtliche Fähigkeiten seien nur Objekte staatlicher Rechtssetzung und nicht Konstituenten des Rechtswillens, auch wenn sie in privatrechtlicher Hinsicht mit personalem Eigenwert ausgestattet seien. 322  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (197). 323  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (197). 324  Husserl, AcP 127 (1927), 129 (197). 319  Husserl,

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3. Abkehr von einem abstrakten Rechtsfähigkeitsund Personenbegriff a) Fabricius (nachfolgend Heinze, Gitter) Auf der Grundlage seines neu definierten „rechtlichen Verhaltensvermögens“ (Annäherung der klassischen Rechtsfähigkeit an Elemente der Handlungsfähigkeit)325 behandelt Fabricius die Prinzipien von Gleichheit und Allgemeinheit. In erster Hinsicht unterscheidet er zwischen formaler und materieller Gleichheit.326 In formeller Umsetzung des Gleichheitssatzes werde jeder Mensch als Rechtssubjekt ohne Ansehen der Person in die Rechtsordnung hineingestellt, und das Normensystem beziehe sich als Gesamtkomplex auf ihn. In materieller Umsetzung fänden all diejenigen Rechtssätze auf ein Subjekt Anwendung, deren abstrakt normierte Voraussetzungen bei ihm gegeben seien.327 Unter dem Aspekt der Allgemeinheit stellt Fabricius die Vollrechtsfähigkeit (allgemeine Rechtsfähigkeit) einer Teilrechtsfähigkeit (besondere Rechtsfähigkeit) gegenüber und kombiniert sie jeweils mit der formellen und materiellen Gleichheit.328 Vollrechtsfähigkeit liege demnach vor, wenn ein Zuordnungssubjekt generell in die Rechtsordnung eingestellt (Aspekt formaler Gleichheit) und es selbst oder durch Vertreter zu rechtswirksamen Verhalten derart fähig sei, dass sämtliche Rechtssätze, deren Merkmale es erfülle, auf es bezogen werden müssten (Aspekt materieller Gleichheit).329 Teilrechtsfähigkeit liege vor, wenn ein Zuordnungssubjekt nur in eine / mehrere einzelne Norm(en) oder in ein Teilgebiet der Rechtsordnung eingestellt werde (keine formale Gleichheit) und es selbst oder durch Vertreter zu derart rechtswirksamen Verhalten fähig sei, dass nur die eine / mehrere einzelne oder die Normen des Teilgebiets, deren Merkmale es erfülle, angewendet werden müssten (Aspekt materieller Gleichheit).330 Das Vorliegen von Voll- und Teilrechtsfähigkeit sei stets in Bezug auf das jeweilige Subjekt zu bestimmen, nämlich durch Induktion aus den einzelnen 325  Siehe Kapitel 4, B. II. 1. c). Insoweit ist Fabricius beiden Unterpunkten zuzuordnen. Infolge seiner Verbindung von Rechts- und Handlungsfähigkeit (sub. 1) kommt er zu einer Neukonstruktion individueller Rechtsfähigkeit (sub. 3). 326  Fabricius, S.  54 f. 327  Fabricius, S.  55 f. 328  Fabricius, S.  57 ff. 329  Fabricius, S. 60. 330  Fabricius, S. 57, 61. Zu beachten ist, dass Fabricius den Terminus der besonderen Rechtsfähigkeit synonym mit Teilrechtsfähigkeit verwendet, also nicht als Bezeichnung der konkreten (insofern spezifisch-besonderen) Rechtsstellung eines Individuums.



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Rechtssätzen, dessen Voraussetzungen von ihm erfüllt würden.331 Folglich können nach Fabricius nur individuelle (Voll- bzw. Teil-)Rechtsfähigkeiten, d. h. jeweils nur solche der einzelnen Subjekte existieren.332 Eine allgemeine Rechtsfähigkeit als gedanklicher Ausgangspunkt wird nicht angenommen, von der aus sich die individuellen Fähigkeiten als (beschränkende) Modifikationen o. ä. darstellen würden bzw. auf welche sie zurückzuführen wären. Jede Rechtsfähigkeit sei notwendigerweise und ausschließlich relativer Art.333 Für lebende Menschen bewegt sich Fabricius allein im Bereich der „typisierten Vollrechtsfähigkeit“334. Die konkrete Rechtsfähigkeit des Menschen, die an sich an der Handlungsfähigkeit (Willens-, Interessensfähigkeit) anknüpft335, wird „rechtstechnisch schematisiert, uniformiert“336, notfalls durch den Kunstgriff der Vertretung337. Somit ist auch nach Fabricius’ Modell jeder Mensch ein generell in die Rechtsordnung eingestelltes Zuordnungssubjekt. Über dieses Maß geht auch die herrschende allgemeine Rechtsfähigkeit im Sinne der Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, nicht hinaus. Wenn Fabricius nicht bei einer abstrakten Verwendung des Vollrechtsfähigkeitsbegriffs stehen bleibt, sondern sie stets mit direktem Bezug auf das jeweilige Subjekt definieren will, findet lediglich die Betrachtung der konkreten Rechtsstellung des Einzelnen bereits unter dem Begriff der Rechtsfähigkeit statt.338 Nahezu unverändert wird Fabricius’ Auffassung von Heinze339 und Gitter340 fortgeführt, in erster Linie seine Definition von Rechtsfähigkeit als juristisches Verhaltensvermögen, notfalls durch Vertreter, Bote oder Organ mit entsprechender Untergliederung in unmittelbare und mittelbare Verhaltensfähigkeit.341 Gitter vertritt zudem eine nur relative und nicht absolute 331  Fabricius,

S. 52. S. 52, 61. 333  Fabricius, S. 61. 334  Fabricius, S. 67, 81. 335  Fabricius, S. 69. 336  Fabricius, S. 67. 337  Fabricius, S. 81. 338  Zur dennoch weitergehenden Kritik an Fabricius’ Modell siehe Kapitel 5, B. II. 3. c). 339  Heinze, S. 101 f. Heinze sieht nicht nur eine Verbindung von Rechtsfähigkeit zur Verhaltensfähigkeit, sondern auch zur Verantwortungsfähigkeit. Die Rechtsordnung verleihe Rechtsfähigkeit und bürde einer Person dadurch Verantwortung für sich und ihren Rechtskreis auf. 340  MüKo/Gitter, BGB Bd. 1, 3. Aufl., § 1 Rn. 5 ff. 341  Heinze, S. 101  f.; MüKo/Gitter, BGB Bd. 1, 3. Aufl., § 1 Rn. 5, 10 f. Das juristische Verhaltensvermögen ist genau genommen nur ein Teil in Gitters Rechtsfähigkeitsbegriff (rechtsgeschäftlicher Teil; auch bezeichnet als Berechtigungs- und 332  Fabricius,

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bzw. allgemeine Qualität der Rechtsfähigkeit342 sowie die Möglichkeit von Teilrechtsfähigkeiten im Sinne von Fabricius343. b) John John setzt ebenfalls am Begriff der Rechtsperson an. Er erweitert ihn über die Rechtsfähigkeit im klassischen Sinne um die Aspekte von Name, Lebensalter und Handlungsorganisation (Handlungsfähigkeit).344 Entsprechend seien Rechtsperson, Rechtssubjektivität und Rechtsfähigkeit345 jeweils keine einheitlich-abstrakten Begriffe und dürften nicht als abgeschlossene, feststehende Komplexe aufgefasst werden. Vielmehr müssten sie von Anfang an in ihre einzelnen Funktionen aufgelöst und für diese jeweils getrennt bestimmt werden.346 Als die drei wesentlichen Bestimmungselemente hierfür nennt John Handlung, Haftung und Identitätskundgabe (z. B. Name).347 Innerhalb dieser Aspekte würden sich die Rechtsperson und deren Rechtssubjektivität jeweils verschieden darstellen.348 Auch die Bedeutung des Rechtehabens richte sich an diesen drei Funktionen aus und sei in jeweiliger Form zu bestimmen. Im ersten Fall als Frage der Handlung bedeute das Rechtehaben, dass der Rechtsperson die Ausübung bestimmter Kompetenzen zustehe (aktive Seite).349 Erneut erfolgt also eine Einbeziehung bzw. ein Durchgriff auf die Elemente der Handlungsfähigkeit in direkter Weise, ohne den Zwischenschritt einer Rechtsfähigkeit vorauszusetzen. Zum anderen bedeute das Rechtehaben als Frage der Haftung, dass die mit dem Recht verbundene Kompetenz der Rechtsperson zugunsten einer anderen entzogen werden könne (passive Seite).350 In dritter Hinsicht als Identitätsausstattung lasse sich das Haben subjektiver Rechte nicht wirklich erfassen. Vielmehr sei dies der Anwendungsbereich der Persönlichkeitsrechte als einer besonderen Kategorie.351 Verpflichtungsfähigkeit). Daneben tritt die allgemeine Haftungsfähigkeit (deliktische Zurechnungsfähigkeit, § 829 BGB). 342  MüKo/Gitter, BGB Bd. 1, 3. Aufl., § 1 Rn. 8. 343  MüKo/Gitter, BGB Bd. 1, 3. Aufl., § 1 Rn. 9 für Fälle, in denen das Rechtssubjekt nur in einzelne Normen oder in einen Teil der Rechtsordnung eingestellt sei. 344  John, S. 95. 345  John, S. 221 verwendet die Begriffe Rechtsperson, Rechtssubjektivität und Rechtsfähigkeit weiterhin einheitlich, zumindest ist keine explizite terminologische Differenzierung erkennbar. Der Neuzuschnitt des Rechtspersonenbegriffs hat entsprechende Folgewirkungen auf den Rechtsfähigkeitsbegriff. 346  John, S.  221 f. 347  John, S.  218 f. 348  John, S. 221 f., 225. 349  John, S. 225. 350  John, S. 225. 351  John, S. 225.



B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jh.281

Insgesamt nimmt John Bezug auf das Modell von Fabricius, das ihm aber nicht weit genug geht.352 Fabricius orientiere sich noch zu sehr an der herrschenden Konzeption eines einheitlichen Rechtsfähigkeitsbegriffs, indem er immerhin, aber eben auch nur auf die Handlungsfähigkeit als dessen wesentlichen Bestandteil abstelle.353 Demgegenüber strebt John eine weitere Aufspaltung der Rechtsfähigkeit an, z. B. in oben genannte Namens- und Haftungsfähigkeit. Fabricius’ Untersuchung beschränke sich auf die Frage, ob die Rechtsfähigkeit relativ sei und insofern überhaupt Modifikationen und Abstriche dulde. John dagegen sieht bei sich die Entwicklung eines insgesamt neuen Bildes der Rechtsperson gegeben.354 Zwar entwickelt John sein neues Begriffsverständnis primär mit Blick auf Personengesellschaften und juristische Personen. Nichtsdestotrotz wendet er es auch auf den Menschen an und bestimmt dessen Rechtsfähigkeit in dieser nach den einzelnen Funktionen aufgespaltenen Weise. Unmündige und Geschäftsunfähige seien demzufolge eine organisierte Rechtsperson, mit ihrem gesetzlichen Vertreter als Handlungsorganisation.355 Der geschäftsunfähige Mensch allein sei keine vollwertige Rechtsperson; dies geschehe erst durch entsprechende Maßnahmen im Bereich der Handlungsorganisation (Vertre­ ter).356 Konsequent spricht John von einer Herstellung357 und Demontage358 des Menschen als natürliche Rechtsperson. Gemäß § 1 BGB könne eine solche Demontage beim lebenden Menschen nie komplett durchgeführt werden.359 Dieser Mindestumfang erkläre aber nur ein Vorliegen aller Eigenschaften der Rechtsperson in potentia, was konkret sehr wenig bedeute.360 c) Pawlowski Ausgangspunkt bei Pawlowski ist das Gesamtbild desjenigen Menschen, der an der Bildung und Weiterbildung des Privatrechts teilnimmt (§§ 1, 2, 12, 104 ff. BGB).361 Als solcher wachse er als Person in die volle Rechtsfähigkeit 352  John,

S. 223. S. 224. 354  John, S. 224, 225 f. 355  John, S.  105. Der Unmündige/Geschäftsunfähige sei insofern Mittelpunkt und Anlass des Gebildes Rechtsperson (S. 106). 356  John, S. 106. 357  John, S. 105. 358  John, S. 105. 359  John, S. 105. 360  John, S. 105. Zur Kritik an Johns Modell, insbesondere zur Frage, ob seine Vorstellung des „Mindestumfangs“ eine ausreichende rechtliche Anerkennung des Einzelnen gewährt siehe Kapitel 5, B. II. 3. c) (Fn. 29). 361  Pawlowski, BGB AT, Rn. 96. 353  John,

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hinein, indem er im Laufe seines Lebens entsprechend seinen unterschiedlichen rechtlichen Fähigkeiten einen jeweils unterschiedlichen rechtlichen Status innehabe.362 Gemessen an diesem insgesamt weitergehenden Personenbegriff363 versteht Pawlowski unter § 1 BGB nur eine Rechtsfähigkeit im engeren Sinne, die lediglich bestimme, wer in Bezug auf Gegenstände und Rechte haften solle. Sie regele allein die Trägerschaft von Pflichten, entgegen traditioneller Auffassung nicht auch die Trägerschaft von Rechten.364 Was zunächst neu klingt – eine Unterscheidung zwischen Rechten und Pflichten und eine reduzierte Anwendung des § 1 BGB365 –, geht im Grunde über eine Beschreibung der herrschenden Dogmatik nicht hinaus. Spricht Pawlowski von der Trägerschaft von Rechten, die er von der Rechtsfähigkeit im engeren Sinne ausnehmen will, so versteht er diese gerade im Sinne einer „Zurechnungseinheit im Hinblick auf die Entscheidung über […] Rechte“366. Die Kompetenz zur Entscheidung und Bestimmung über Rechte ist jedoch Handlungsfähigkeit, die auch nach herrschendem Verständnis nicht Inhalt von § 1 BGB und der dort verwendeten Rechtsfähigkeit ist. Bis zu diesem Punkt geht Pawlowski mit der Dogmatik des BGB konform. Im Übrigen verdeutlicht dies auch sein Hinweis, die Rechtsfähigkeit im engeren Sinne gebe keine Rechte, sondern kennzeichne nur ein formales Haben.367 Die Frage nach der Funktion von Rechtsfähigkeit (im engeren Sinne) stellt sich auch für Pawlowski anhand seiner Zweifel, wie sinnvoll ein formales Haben ohne entsprechende Verfügungsgewalt sei.368 Die Untersuchung hierzu führt er in Abgrenzung zu solchen Fallgruppen, in denen eine Rechtsfähigkeit problematisch erscheint. Im Einzelnen betrifft dies die Rechtsstellung des Nasciturus, des nicht rechtsfähigen Vereins und der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Angesichts dessen, wie sich diese Gebilde insgesamt darstellen369, hält es Pawlowski im Ergebnis auch bei ihnen für notwendig, von Rechtsfähigkeit zu sprechen, allerdings von Teilrechtsfähigkeit bzw. relativer Rechtsfähigkeit und Rechtsfähigkeit im weiteren Sinne.370 Damit werde zugleich belegt, dass von einem abstrakten, allgemeinen Begriff der Rechtsfähigkeit wie demjenigen der herrschenden Lehre371 Abstand zu nehmen sei, 362  Pawlowski,

BGB AT, Rn. 97. BGB AT, Rn. 98a. 364  Pawlowski, BGB AT, Rn. 100. 365  Dieser Eindruck entsteht bei HKK/Duve, Bd. I, §§ 1–14 Rn. 28. 366  Pawlowski, BGB AT, Rn. 100. 367  Pawlowski, BGB AT, Rn. 101. 368  Pawlowski, BGB AT, Rn. 102 ff. 369  Pawlowski, BGB AT, Rn. 109 mit der Zuschreibung einer Reihe bestimmter Rechte und Pflichten und in dieser Hinsicht Behandlung, als ob sie rechtsfähig wären. 370  Pawlowski, BGB AT, Rn. 111 f. 371  Pawlowski, BGB AT, Rn. 109. 363  Pawlowski,



B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jh.283

denn andernfalls ließe sich eine Teilrechtsfähigkeit nicht erklären.372 Pawlowski bestimmt demgemäß die Rechtsfähigkeit eines Menschen relativ, anhand seiner jeweiligen Fähigkeiten und deren Umfang, die zusammengefasst den jeweiligen Stand des Menschen ergeben würden.373 Die Rechtsfähigkeit im engeren Sinne (§ 1 BGB), mit der die Trägerschaft von Rechtspflichten geregelt werde, behält auch für Pawlowski ihre Stellung als Ausgangspunkt bei.374 Die aktive Seite einer Person, ihre rechtliche Handlungsfähigkeit, ergebe sich sodann aus der genannten Zusammenschau der übrigen Fähigkeiten.375 Als solche nennt Pawlowski Geschäfts- und Deliktsfähigkeit sowie Ehe- und Testierfähigkeit, womit letztlich der Kreis dessen, was zur Rechtsfähigkeit (im weiteren Sinne) gezählt wird, in der aus den vorherigen Modellen bereits bekannten Weise erweitert ist.376 Die Bedeutung dieser in aktiver Hinsicht erweiterten Rechtsfähigkeit relativiert Pawlowski allerdings selbst. Auch mit ihr werde nur die Zurechnung von Handlungen als solche geklärt, d. h. die Frage, welches Verhalten eines Menschen rechtlich als sein Handeln anzusehen sei.377 Die Frage, was ein Mensch tatsächlich tun könne und dürfe, und damit seine konkrete Rechtsstellung seien demgegenüber Angelegenheiten der einzelnen Sachgebiete.378 Rechtsperson und Rechtssubjekt definiert Pawlowski im Ergebnis als ein aus drei Elementen bestehendes Gebilde: ein Zusammenhang von Haftungsverband (1)379 und Handlungsorganisation (2),380 der durch Namen und 372  Pawlowski,

BGB AT, Rn. 112. BGB AT, Rn. 138. 374  Pawlowski, BGB AT, Rn. 148. Im Übrigen erkennt Pawlowski auch weiterhin die Funktion der Rechtsfähigkeit nach § 1 BGB an, Ausdruck der Anerkennung von Rechtssubjektivität und Rechtspersonalität zu sein. 375  Pawlowski, BGB AT, Rn. 162. 376  Ebenso Pawlowski, JZ 2004, 13 ff., als weiterer Beleg für dessen umfassende Sichtweise auf die Rechtsstellung einer Person bzw. die weite Fassung des Rechtsfähigkeitsbegriffs. Unter dem Titel „Rechtsfähigkeit im Alter?“ geht Pawlowski Fragen im Rahmen des Betreuungsrechts nach, die an sich nur die Geschäftsfähigkeit des Betreuten (im Verhältnis zum Betreuer) betreffen. Hierzu heißt es, der Gesetzgeber hätte in letzter Zeit „die allgemeine Rechts- und Handlungsfähigkeit der Zivilrechtssubjekte […] in weiteren Hinsichten neu gestaltet“ (S. 14). Gemeint sind das Recht des Einzelnen auf Restschuldbefreiung (im Sinne eines finanziellen Neuanfangs) sowie das Recht von Pflegeversicherungen zum Ausschluss von Leistungsansprüchen wegen demenzbedingter Fähigkeitsstörungen. 377  Pawlowski, BGB AT, Rn. 162. 378  Pawlowski, BGB AT, Rn. 162. 379  Pawlowski, BGB AT, Rn. 275 über die Zuordnung von Pflichten und Verbindlichkeiten, geregelt durch die Haftungsfähigkeit/Rechtsfähigkeit i. e. S. 380  Pawlowski, BGB AT, Rn. 276 über die Zurechnung steuerbaren Verhaltens durch Handlungsfähigkeit, das durch die Regelungen der Handlungsorganisation auf einen oder mehrere Haftungsverbände bezogen wird. 373  Pawlowski,

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

Wohnsitz individualisiert werde (3). Bei Geschäftsunfähigen, beschränkt Geschäftsfähigen und juristischen Personen erfolge eine Auf- bzw. Verteilung der Elemente. Die volle Rechtsfähigkeit stehe in diesen Fällen erst einer Organisation, z. B. aus Kind und Eltern, Geschäftsunfähigem und Vertreter, zu.381 4. Differenzierungen zwischen Rechtssubjekt und Rechtsperson In einigen der genannten Modelle ist die Unterscheidung zwischen Rechtssubjekt einerseits und (Rechts)Person andererseits ein wesentlicher Bestandteil der Neuausrichtung. Im Einzelnen variiert der Zuschnitt. Verallgemeinern lässt sich nur der Gedanke, die beiden bisher synonym gebrauchten Begriffe aufzuspalten und nicht mehr zwingend deckungsgleich zu verwenden. Binder unterscheidet zwischen dem Rechtssubjekt als formalem Machtbegriff (juristische Persönlichkeit; Berechtigung subjektiver Rechte) und der Person als Wertbegriff (ethisch-philosophische Persönlichkeit; Selbstzweck und Schutzwürdigkeit).382 Hölder lässt Person, Rechtssubjekt und juristische Persönlichkeit zwar zusammenfallen, grenzt hiervon aber den nur rechtsfähigen Menschen ab und schreibt diesem eine nur natürliche, tatsächliche Persönlichkeit zu.383 Hanke trennt zwischen Rechtssubjekt / Handlungsfähigkeit und Person / Rechtsfähigkeit.384 Husserl wählt das Rechtssubjekt als Oberbegriff. Im Falle auch vorrechtlichen Könnens handle es sich um ein unbeschränktes Rechtssubjekt, synonym Rechtsgenosse und Rechtsperson. Bei fehlender Handlungsfähigkeit spricht er von einem beschränkten Privatrechtssubjekt.385 Fabricius, John und Pawlowski verwenden Rechtsperson und Rechtssubjekt synonym, da sie insgesamt nur noch zusammengesetzte, gestufte Begriffskonzeptionen annehmen und insofern auch die Person nicht mehr als abstrakte Größe betrachten. Eine weitere Differenzierung gibt Kelsen. Zum einen trennt er in strenger Weise zwischen dem Menschen als biologisch-psychologischer Einheit und der Person als alleinigem Objekt der Rechtswissenschaft (grundsätzlich nur rechtlicher Charakter des Personenbegriffs).386 Zum anderen unterscheidet er zwischen der Person (synonym Rechtssubjekt) und der Rechtspersönlichkeit im Sinne einer generellen Tatbestandsqualifikation.387 Mit der Per381  Pawlowski,

BGB AT, Rn. 137 f., 274 ff. Kapitel 4, B. I. 2. 383  Siehe Kapitel 4, B. II. 1. a). 384  Siehe Kapitel 4, B. II. 1. b). 385  Siehe Kapitel 4, B. II. 2. 386  Kelsen, S. 62. 387  Kelsen, S. 64. 382  Siehe



B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jh.285

son / dem Rechtssubjekt bestimme man das Haben von Rechten und Pflichten, indem man das Verhalten eines Menschen als Inhalt von Rechtssätzen systematisiere.388 Gegenüber den Normen einer Rechtsordnung insgesamt (Gesamtsystem) handele es sich hierbei um ein Teilsystem, das sich der Rechtserkenntnis als Gegenstand des Rechtssubjekts darstelle. Damit sei die (physische) Person letztlich nichts anderes als ein Komplex von Rechtsnormen, nämlich der Inbegriff all jener Rechtsnormen, die das Verhalten des Menschen zum Inhalt hätten. Als solches sei die Person Träger dieses Teilsystems und Inhaber der in dieser Ordnung normierten Rechte und Pflichten.389 Damit nicht zu verwechseln sei der Begriff der Rechtspersönlichkeit. Hierbei gehe es darum, ob der Mensch einzelne Tatbestände von Rechten und Pflichten als solche, d. h. positivrechtlich gesetzte Bedingungen wie Alter, Vernunft, Geschlecht, Abstammung erfülle.390 Der hierzu erforderliche Qualifikationsbestand eines Menschen ergebe zusammengenommen seine Rechtspersönlichkeit.391 5. Rechtsfähigkeit aus übergeordnetem Persönlichkeitsrecht (Leuze) Eine Neuausrichtung des Rechtsfähigkeitsbegriffs anderer Art ist diejenige in Abgrenzung zum Persönlichkeitsrecht. In dieser Schwerpunktsetzung wurde sie erstmalig von Leuze vertreten. Ausgangspunkt seines Modells ist die Qualifikation von Rechtsfähigkeit / Rechtspersonalität zwar prinzipiell als Rechtsbegriff, zugleich aber unter Betonung ihrer vorrechtlichen Grundlagen.392 Der Mensch sei Person entweder, weil die Rechtsordnung ihn für fähig halte, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, oder – „um mit denen zu sprechen, die glauben, daß die Rechtsfähigkeit des Menschen der Rechtsordnung vorgegeben und von dieser zu respektieren ist“393 – ihn für fähig halten müsse. Leuze schließt sich der zweiten Ansicht an. Die Rechtsfähigkeit sei direkter Ausfluss der Menschenwürde.394 388  Kelsen,

S. 63. S. 63 f.; weitere Ausführungen zum Personenbegriff Kelsens bei Altwicker, in: Gröschner/Kirste/Lembcke, S. 226 (236 ff.); Kirste, in: Gröschner/Kirste/ Lembcke, S. 345 (352); Kirste, FS Hollerbach, S. 319 (339 f.). 390  Kelsen, S. 64. 391  Kelsen, S. 64. Entsprechend sei die Rede davon, dass jemand Rechtspersönlichkeit habe oder nicht habe (z. B. Sklaven). 392  Leuze, S. 117. 393  Leuze, S. 117. 394  Leuze, S. 118. Zudem beruft er sich auf Westermann und Wolf, E./Naujoks, bei denen es sich wie gesehen um Vertreter einer vorrechtlichen Rechtsfähigkeit handelt (bei Westermann allerdings mit Zweifeln). Leuzes Einschätzung, hierbei 389  Kelsen,

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Bei der Geburt des Menschen geschehe zweierlei. Zum einen habe bzw. erhalte jedermann ab diesem Zeitpunkt die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein.395 Zum anderen sei jeder bereits mit Geburt Träger bestimmter konkreter Rechte, nämlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und anderer einzelner Persönlichkeitsrechte.396 Durch beide Faktoren werde der Mensch zur Rechtsperson; nicht nur durch die abstrakte Fähigkeit, irgendwelche Rechte und Pflichten zu haben, sondern gerade auch weil er bereits von Geburt an Inhaber gewisser konkreter Rechte (angeborener Persönlichkeitsrechte) sei.397 Diese Prämisse reduziert Leuze nun auf ihren wesentlichen Kern. Den einzelnen Persönlichkeitsrechten sei das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Quelle398 vorzuordnen; damit könne auf dieses allein abgestellt werden399. Ferner verzichtet Leuze darauf, von diesem angeborenen allgemeinen Persönlichkeitsrecht die inzident enthaltene, abstrakte Träger-Fähigkeit zu unterscheiden. Es sei überflüssig, eine Rechtsfähigkeit für ein von Geburt an bestehendes Recht gesondert anzunehmen.400 Eine eigenständige Bedeutung habe die Rechtsfähigkeit im Grunde nur für den Erwerb konkreter Rechte und Pflichten, die gerade nicht angeboren seien.401 Im Ergebnis werde der Mensch zur Rechtsperson durch ein angeborenes allgemeines Persönlichkeitsrecht, das somit die Funktion und Position übernehme, die normalerweise die Rechtsfähigkeit innehabe.402 Eine Rechtsfähigkeit im Sinne bloßer Erwerbsfähigkeit weiterer Rechte komme wiederum jedem Menschen kraft Geburt zu, resultiere genau genommen erst aus der Qualität als Rechtsperson.403 Auf diese Weise bewirke das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Rechtsfähigkeit und nicht umgekehrt.404 Indem Leuze die Rechtsfähigkeit auf den Hinzuerwerb konkreter Rechte konzentriert, scheint auch er sie stärker in Verbindung mit den traditionellen Bereichen von Handlungs- bzw. Geschäftsfähigkeit zu setzen. Insoweit könnte eine Parallele zu den oben genannten Modellen bestehen. Letztlich belässt es Leuze jedoch bei einem auch in dieser Modifikation abstrakten handele es sich um eine im Vordringen befindliche Ansicht, hat sich nach obiger Analyse nicht bewahrheitet. 395  Leuze, S. 117. 396  Leuze, S.  117 f. 397  Leuze, S. 118. 398  Leuze, S. 120. 399  Leuze, S. 119. 400  Leuze, S. 119. 401  Leuze, S. 119. 402  Leuze, S. 119. 403  Leuze, S. 119. 404  Leuze, S. 120.



B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jh.287

Rechts(erwerbs)fähigkeitsbegriff, der gerade nicht individuell bestimmt, sondern jedem Menschen pauschal ab Geburt zuerkannt wird. Hamprecht schließt sich Leuze an, die Rechtsfähigkeit als Teil des Persönlichkeitsrechts zu sehen, begründet dies jedoch in anderer Weise.405 Der Mensch habe einen naturrechtlichen Anspruch auf Integrität und körperliche wie geistige Entfaltung in und gegenüber der Gemeinschaft.406 Hieraus ergebe sich ein entsprechend angeborenes allgemeines Persönlichkeitsrecht.407 Insoweit geht auch Hamprecht von einem solcherart vorrechtlichen Ausgangspunkt aus. Die Selbstentfaltung des Menschen in der Gemeinschaft vollziehe sich in erster Linie durch den Erwerb konkreter positiver Rechte, wofür wiederum die Rechtsfähigkeit die abstrakte Voraussetzung abgebe.408 Die Rechtsfähigkeit sei daher im angeborenen allgemeinen Persönlichkeitsrecht als notwendiges Umsetzungselement enthalten. Damit gehe sie den zu erwerbenden positiven Rechten, nicht aber dem Persönlichkeitsrecht selbst voraus.409 6. Demontage allgemeiner Rechtsfähigkeit im Nationalsozialismus Die faktische Beseitigung der allgemeinen Rechtsfähigkeit im Dritten Reich ist nicht ausschließlich auf eine (pseudo)wissenschaftliche dogmatische Veränderung der Institute „Person“ und „Rechtsfähigkeit“ als solche zurückzuführen. Die Arbeiten der nationalsozialistischen Rechtslehre an den Begriffen selbst lieferten zwar die maßgeblichen Vorlagen. Jedoch erst die Rechtsprechung des Reichsgerichts sorgte für eine umfassend privatrechtliche Rechtlosigkeit der Juden, indem sie eine Parallele zum bürgerlichen Tod bzw. Klostertod begründete.410 Auf diese Weise wurde die Möglichkeit völliger Rechtlosigkeit „in die juristischen Erwägungen zum Inhalt der 405  Hamprecht,

S. 121. S. 119. 407  Hamprecht, S.  119 f. 408  Hamprecht, S.  119 f. 409  Hamprecht, S. 120. 410  Urteil RG v. 27.06.1936 (Ufa./.Charell), JW 1936, 2529 ff.: „Der nationalsozialistischen Weltanschauung dagegen entspricht es, im Deutschen Reiche nur Deutschstämmige (und gesetzlich ihnen Gleichgestellte) als rechtlich vollgültig zu behandeln. […] Den Grad völliger Rechtlosigkeit stellte man ehedem, weil die rechtliche Persönlichkeit ganz zerstört sei, dem leiblichen Tode gleich; die Gebilde des ‚bürgerlichen Todes‘ und des ‚Klostertodes‘ empfingen ihre Namen aus dieser Vergleichung. Wenn in Nr. 6 des Manuskriptvertrages v. 24. Febr. 1933 die Rede ist, dass Ch. ‚durch Krankheit, Tod oder ähnlichem Grund nicht zur Durchführung seiner Regietätigkeit imstande sein sollte‘, so ist unbedenklich eine aus gesetzlich anerkannten rassepolitischen Gesichtspunkten eingetretene Änderung in der rechtlichen Geltung der Persönlichkeit dem gleichzuachten, sofern sie die Durchführung der 406  Hamprecht,

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Rechtsfähigkeit nach nationalsozialistischem Verständnis“411 einbezogen und die „Tragweite der Inhaltsänderung […] für die Rechtspraxis“412 (Rü­ thers) angedeutet. Die Darstellung wird im Folgenden auf die Lehre von Larenz und Michaelis beschränkt413, entsprechend der bisherigen Betrachtungsweise, einzelne Gegenmodelle zum traditionellen Rechtsfähigkeitsbild heranzuziehen. a) Larenz Ein Element des neuen nationalsozialistischen Rechtsdenkens ist die maßgeblich von Larenz entwickelte Lehre des konkret-allgemeinen Begriffs414. Der im Privatrecht und BGB vorherrschende Typus des abstrakten Allgemeinbegriffs wird abgelehnt als logisches, aber inhaltsleeres Minimum allgemeiner Merkmale (Reduktion der Lebenssachverhalte).415 Stattdessen fordert Larenz ein Denken in konkreten Kategorien sowie in solchen Begriffen, die gegenüber der Wirklichkeit des Rechtslebens geöffnet und dynamisch sind.416 Die Eigenart der „konkret-abstrakten“417 Begriffsbildung erklärt Larenz mit der „Totalität seiner Momente“418. Beispiel: Der Begriff „Volk“. Nach abstrakt-allgemeiner Methode werden nur diejenigen Merkmale in die Definition aufgenommen, die allen Völkern gemeinsamen sind (Wesen der Abstraktion). Nach konkret-allgemeiner Methode wird von den Unterschieden nicht abstrahiert, sondern es werden alle Momente in den Begriff aufgenommen, die für das Volk-Sein auch nur eines Volkes wesentlich sind.419 Der konkret-allgemeine Volksbegriff löscht die individuellen Volksbegriffe nicht aus, sondern nimmt die jedem eigentümlichen Momente auf.420 Regietätigkeit in entsprechender Weise hindert, wie Tod oder Krankheit es täte.“; hierzu weitere Ausführungen bei Müller, S.  123 ff. 411  Rüthers, Auslegung, S. 332. 412  Rüthers, Auslegung, S. 333. 413  Für einen Gesamtüberblick zu den Auswirkungen nationalsozialistischer Denkmethode auf das Institut der Rechtsfähigkeit siehe Rüthers, Auslegung, S.  323 ff. 414  Hierzu ausführlich Rüthers, Auslegung, S.  302 ff.; Rüthers, Entartetes Recht, S.  76 ff. 415  Larenz, Gegenstand und Methode, S. 43. 416  Darstellung der Lehre vom konkret-allgemeinen Begriff bei Rüthers, Auslegung, S. 302 ff; zu den Merkmalen der konkret-allgemeinen Begriffe Rüthers, Auslegung, S.  311 f. 417  Larenz, Dt. Rechtswissenschaft 1940, 279 (289 f.). Die vermeintliche Widersprüchlichkeit von konkret und abstrakt erklärt Larenz unter Rückgriff auf die dialektische Logik Hegels. 418  Larenz, Dt. Rechtswissenschaft 1940, 279 (290). 419  Larenz, Dt. Rechtswissenschaft 1940, 279 (281, 284). 420  Larenz, Dt. Rechtswissenschaft 1940, 279 (282).



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Die „Allgemeinheit“ eines Begriffs im Verhältnis zu den besonderen Begriffen bestehe somit in der umfassenden Totalität der Merkmale, in der die Unterschiede nicht ausgeschlossen, sondern enthalten sein würden. „[…] nicht die formale Dieselbigkeit, sondern die konkrete Einheit des den Unterschied in sich bewahrenden, gegliederten Ganzen.“421

Damit gelte der konkret-allgemeine Begriff für jede von ihm erfasste Erscheinung nicht in gleicher Weise, sondern für jede nur in einer bestimmten Ausprägung.422 Auf den Begriff der Rechtspersönlichkeit wendet Larenz die genannte Methodik sowie die rassisch-völkischen Kriterien der neuen nationalsozialistischen Weltanschauung an. Die Rechtspersönlichkeit nach § 1 BGB kritisiert423 er als Produkt abstrakt-allgemeinen Denkens seit Savigny, nämlich in ihrer Reduktion auf die Rechtsfähigkeit als alleiniges Begriffsmoment (Rechtsfähigkeit wiederum als bloße Möglichkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein424). Auf diese Weise habe man sich vom „richtigen Ansatzpunkt[…] für die Lehre vom Persönlichkeitsrecht, der Rechtsstellung der Persönlichkeit als solcher in der Gemeinschaft“425 entfernt. Denn dem Menschen würden Wert, wahre Identität und rechtliche Beachtung nur in seiner Stellung und Funktion als Volksgenosse zuteilwerden.426 In dieser Argumentation von Larenz zeigt sich ein insgesamt gewandeltes Rechtsverständnis, das sich nunmehr auf die Volksgemeinschaft konzentriert und Einzelindividualismus weitgehend427 zurücktreten lässt: Das objektive Recht, so Larenz, habe nicht mehr (auch) dem Wohl des Einzelnen zu dienen, sondern ausschließlich dem der Volksgemeinschaft.428 Abgerundet wird 421  Larenz,

Dt. Rechtswissenschaft 1940, 279 (285). Dt. Rechtswissenschaft 1940, 279 (285). Keine Subsumtion des Konkreten unter das Allgemeine, sondern Eingliederung darin bzw. Entwicklung daraus. 423  Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht, S 11  ff., insbesondere S. 18: „Formalisierung, durch die auf Kosten ihres Inhalts ihr Umfang, das heißt ihr Anwendungsbereich erweitert wurde“; ebenso Larenz, Dt. Rechtswissenschaft 1940, 279 (289): „[…] wird nur die Wesentlichkeit der Unterschiede zugunsten eines Gleichheitsgedankens verdeckt, dessen geistig-politische Herkunft aus der Gedankenwelt der Aufklärung und der französischen Revolution deutlich ist“. 424  Larenz, Dt. Rechtswissenschaft 1940, 279 (287). 425  Larenz, Dt. Rechtswissenschaft 1940, 279 (287). 426  Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht, S. 21. 427  Auer, Diskurs, S. 21 zur Unmöglichkeit, in der Moderne zu einem gänzlich entpersonalisierten, nicht zwischen Einzelnem und Gesamtheit differenzierenden Rechtsverständnis zurückzukehren. Auch im Nationalsozialismus sei auf das Individuum Bezug genommen worden, wenn auch als nun abzulehnende Gegenüberstellung zu Gemeinschaft und Gemeinwille. Es habe viel Mühe gekostet, den Indivi­ dualwillen abzuwerten. 428  Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht, S. 18 ff. 422  Larenz,

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diese Sichtweise durch eine generelle Schwerpunktsetzung auf die Pflichten und weniger auf die Rechte des Einzelnen. Befugnisse fungieren nach Larenz’ Gesamtrechtsverständnis als Reflexe um einer besseren Pflichterfüllung willen.429 Als Ergebnis hieraus präsentiert Larenz die „konkrete[…] Persönlichkeit“430 des Menschen, die er dem individualitätslosen, im Sinne von inhaltsleeren, Individuum431 der traditionellen abstrakt-allgemeinen Lehre entgegenhält. Sie ergebe sich aus der jeweiligen Zugehörigkeit zu Volk, Stand, Religion und Familie, den eigentlichen und einzigen inhaltsvermittelnden und persönlichkeitsschaffenden Elementen.432 „Nicht als Individuum, als Mensch schlechthin oder als Träger einer abstrakt-allgemeinen Vernunft habe ich Rechte und Pflichten, sondern als Glied einer sich im Recht ihre Lebensform gebenden Gemeinschaft, der Volksgemeinschaft. Nur als in der Gemeinschaft lebendes Wesen, als Volksgenosse ist der Einzelne eine konkrete Persönlichkeit.“433

Auf diese Weise sieht Larenz die Möglichkeit gegeben, Differenzierungen auch im rechtlichen Status gemäß der jeweils eingenommenen Gliedstellung vorzunehmen und im Ergebnis eine konkrete und damit wahrhaft indivi­ duelle Gesamtpersönlichkeit des einzelnen Volksgenossen zu entwickeln.434 „Ich verstehe also unter der Rechtstellung: nicht ein Bündel von Befugnissen oder Möglichkeiten, die sich aus dem Zusammentreffen von Normen ergeben, sondern die Stellung im Recht als der völkischen Lebensordnung […], kurz das, was dem einzelnen Volksgenossen in seinem konkreten Gliedsein als Bauer, Arbeiter usw. […] gegeben ist.“435

Die Rechtsfähigkeit (im Sinne der Fähigkeit zur Innehabung von Rechtsstellungen) sei nunmehr ein Moment des Begriffs der Persönlichkeit und 429  Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht, S. 21; Larenz, Dt. Rechtswissenschaft 1936, 31 (33): „Alle diese Stellungen sind keine ‚subjektiven Rechte‘, sondern in erster Linie Pflichten gegenüber der Gemeinschaft; […] daß sie eine Aufgabe darstellen, deren Erfüllung ebenso dem Interesse der Gemeinschaft wie dem des Volksgenossen selbst dient […].“; „Befugnisse und Pflichten sind hier nicht geschieden; vielmehr sind die Befugnisse um der Pflichten willen gegeben; ihre Ausübung steht daher nicht im Belieben.“ 430  Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht, S. 9. 431  Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht, S. 9. 432  Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht, S. 22 f. 433  Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht, S. 21; ebenso Larenz, Dt. Rechtswissenschaft 1936, 31 (32): „Als Glied der Gemeinschaft hat er in ihr seine bestimmte Stellung, die einerseits seinen Dienst für das Ganze, eine bestimmte, ihm zufallende Aufgabe, ebenso aber auch seine persönliche Ehre, seinen Wert in der Gemeinschaft bezeichnet“; Larenz, Dt. Rechtswissenschaft 1936, 31 (33): „[…] Gliedstellung innerhalb einer konkreten Gemeinschaft – der Familie, der Sippe, des Betriebes, letzten Endes aber immer des Volkes […].“ 434  Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht, S. 24. 435  Larenz, Dt. Rechtswissenschaft 1936, 31 (37).



B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jh.291

werde als solches sinnhaft auf die anderen Persönlichkeitsmomente bezogen. Entsprechend sei auch sie ein inhaltsgefüllter, konkreter Rechtsbegriff.436 „Der einzelne Rechtsgenosse ist hiernach nicht, wie nach dem abstrakt-begrifflichen Denken, rechtsfähig schlechthin, sondern er hat eine bestimmte Rechtsfähigkeit, die durch das Vorhandensein oder Fehlen einzelner der genannten Momente näher charakterisiert wird.“437

Hieraus ergibt sich für Larenz ein gestufter Rechtsfähigkeitsbegriff in der Abfolge: umfassende Rechtsfähigkeit des Vollgenossen (Reichsbürger); geminderte Rechtsfähigkeiten des werdenden Vollgenossen, des staats-, aber nicht artfremden Ausländers sowie des Rassefremden.438 „Das völkische Rechtsdenken spricht, was ausdrücklich betont werden muß, keinem Menschen, auch nicht dem Rassefremden, die Rechtsfähigkeit und damit die Persönlichkeit überhaupt ab. Der § 1 des BGB bleibt insofern unberührt; aber durch die Geburt erlangt der Mensch nicht eine abstrakte ‚Rechtsfähigkeit überhaupt‘, sondern eine konkrete Rechtsfähigkeit (als Rassegenosse oder Rassefremder). […] An die Stelle der abstrakt-allgemeinen ‚Person‘ tritt so der ‚Rechtsgenosse‘ in seiner jeweils näher bestimmten Gliedstellung als Volksgenosse, Reichsbürger usw.“439

Das Anknüpfen am Rechtsgenossen als Vollperson bei gleichzeitiger Dominanz der völkisch-rassischen Ideologie im Rechtsdenken fasst Larenz zu dem Vorschlag zusammen, § 1 BGB durch die Formel zu ersetzen.440 „Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist.“441

436  Aufzählung des Inhalts im Einzelnen siehe Larenz, Dt. Rechtswissenschaft 1940, 279 (288): Persönlichkeitsschutz (die echten „Persönlichkeitsrechte“); Vermögensfähigkeit; Prozessfähigkeit; conubium innerhalb der Rassengemeinschaft; politische Rechtsfähigkeit; an bestimme Voraussetzungen geknüpfte spezielle Fähigkeiten (z. B. Bauernfähigkeit). 437  Larenz, Dt. Rechtswissenschaft 1940, 279 (289). 438  Larenz, Dt. Rechtswissenschaft 1940, 279 (289); Larenz, Gegenstand und Methode, S. 52; Auer, Diskurs, S. 21 sieht im Minimalbestand einer Rechtsfähigkeit auch für den Rassefremden die Wirkungsmacht des von der Person ausgehenden modernen Rechtsbewusstseins bestätigt. Selbst in totalitären Systemen bleibe der moderne Individualismus als Argumentationslast bestehen und liefere eine „normative Instanz[…], deren offener Widerspruch zum völkischen Totalitarismus letztlich unauflösbar bleibt“. 439  Larenz, Gegenstand und Methode, S. 52 f. 440  Nach Rüthers, Auslegung, S. 330 handelt es sich hierbei nicht um einen Gesetzesvorschlag, sondern um eine Beschreibung der geltenden Rechtslage; vgl. weitere Nachweise bei Auer, Diskurs, S. 21 Fn. 41 zur Frage, ob der Satz de lege lata oder de lege ferenda zu verstehen ist. 441  Larenz, Rechtsperson und subjektives Recht, S. 21.

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b) Michaelis Schon im Titel seines Aufsatzes von 1937 kündigt Michaelis die „Überwindung der Begriffe Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit“442 an. Dem weiteren Begriff der Persönlichkeit wird gleich zu Beginn der Ausführungen die Daseinsberechtigung in der Rechtswissenschaft abgesprochen443: In erster Linie arbeite man dort mit den beiden Teilaspekten der Rechts- und Handlungsfähigkeit. Allenfalls könne man diese zur Rechtspersönlichkeit zusammenfassen, sofern jener Begriff zwingend Verwendung finden solle.444 Im Folgenden unterzieht Michaelis die Aufspaltung von Rechts- und Handlungsfähigkeit, konkret die Eigenständigkeit der Rechtsfähigkeit, der bekannten Kritik der Inhaltsleere. Das Rechte-Haben allein sei nicht vergleichbar mit einem Rechte-Haben, zu deren Ausübung man auch fähig sei. Folglich besitze der Minderjährige nicht die gleiche Rechtsfähigkeit wie der Volljährige bzw. sie stelle sich für ihn nicht gleich dar.445 Als Zwischenfazit spricht sich Michaelis gegen eine Trennung von Haben und Erwerben / Ausüben von Rechten aus. Die (begriffliche)446 Unterscheidung von Rechts- und Handlungsfähigkeit voneinander ergibt für ihn keinen Sinn. Vielmehr schmälere die Geschäftsunfähigkeit bzw. beschränkte Geschäftsfähigkeit immer zugleich die Rechtspersönlichkeit insgesamt.447 Die traditionelle Verwendung des Begriffs der Rechtsfähigkeit fasst Michaelis unter vier Aspekten zusammen: erstens die Individualisierung von Rechtsbeziehungen (die Frage betreffend, wem ein Recht zustehe)448; zweitens die Unterscheidung zwischen der Möglichkeit von Rechtszuständigkeit und dem wirklichen Innehaben konkreter Rechte449; drittens das negative Freiheitspostulat im Sinne eines Verbots von Sklaverei450; viertens in Beziehung auf das Vermögensrecht, wenn mit dem Satz von der Rechtsfähigkeit aller Menschen zugleich ausgesagt werde, dass es irgendwelche Vermögensrechte gebe, zu denen grundsätzlich jeder Mensch fähig sei451. In den 442  Michaelis,

Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 ff. Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (305). 444  Michaelis, Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (305). 445  Michaelis, Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (309). 446  Michaelis, Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (310). Zu beachten ist, dass sich Michaelis Kritik hauptsächlich auf die Verwendung verschiedener Begriffe, d. h. auf die Bildung eigenständiger Kategorien bezieht. Insofern ist immer wieder die Rede davon, dass der „Begriff“ der Rechtsfähigkeit inhaltsleer sei. 447  Michaelis, Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (309 f.). 448  Michaelis, Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (310). 449  Michaelis, Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (310). 450  Michaelis, Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (310). 451  Michaelis, Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (311). 443  Michaelis,



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ersten beiden Fällen sei der Begriff der Rechtsfähigkeit, und insofern derjenige von Person / Persönlichkeit, ein formaler Beziehungspunkt und Relationsbegriff. Seine inhaltliche Aussage beschränke sich damit auf die weltanschauliche Grundlage von Freiheit und Gleichheit und auf die Chance des Erwerbs von Vermögensrechten.452 Wenn Michaelis dies als ein sehr dürftiges Gebilde für einen vermeintlichen Grundbegriff453 bezeichnet, so verkennt er, dass es sich bei dieser inhaltlichen Aussage immerhin um die Grundlage der gesamten modernen Rechtsordnung handelt. Weiter führt Michaelis aus, die herrschende Dogmatik halte nur deshalb an einer eigenständigen Rechtsfähigkeit fest, weil mit ihrer Hilfe auch der Geschäftsunfähige von einer abstrakten Grundlage erfasst und als Regelfall bezeichnet werden könne.454 Er selbst hält es für vorzugswürdig, den Vollmündigen zum Ausgangspunkt zu nehmen und hiervon Abstufungen bei beschränkter Geschäftsfähigkeit / Geschäftsunfähigkeit vorzunehmen.455 Auch dieser Ansatz, das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Vollgeschäftsfähigkeit einerseits sowie beschränkter Geschäftsfähigkeit und Geschäftsunfähigkeit andererseits umzukehren, ist zum Teil schon aus den bisherigen Alternativmodellen bekannt. Im Ergebnis ersetzt Michaelis den Persönlichkeitsbegriff durch denjenigen der Reichsbürgerschaft456. Zentrales Merkmal für die Reichsbürgerschaft sei die Fähigkeit zur Verantwortung, die nunmehr (charakteristisch nationalsozialistisch) völkisch verstanden werden müsse als Verantwortung gegenüber dem Volk, dessen Glied der jeweilige Mensch sei.457 Indem damit nicht mehr der bloß formale Zurechnungspunkt eines Rechts, sondern derjenige von Verantwortung in den Blick genommen werde, beinhalte die Reichsbürgerschaft zugleich die Ausübungsbefugnis. Damit sei sie, seinem eigenen Fokus gerecht werdend, ein Begriff mit Inhalt.458 Was die Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen betreffe, so müsse man zwischen Reichsbürgern und Nichtreichsbürgern differenzieren.459 Im Verhältnis der Reichsbürger untereinander existiere demgegenüber ein bei allen gleich vorhandener Inhalt; Unterschiede in Stände und Beruf würden sich 452  Michaelis,

Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (310 f.). Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (310 f.). 454  Michaelis, Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (307 f.). 455  Michaelis, Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (308). 456  Michaelis, Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (312); vgl. § 2 ReichsbürgerG 1935: „Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, daß er gewillt und geeignet ist, in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen.“ 457  Michaelis, Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (313). 458  Michaelis, Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (313). 459  Michaelis, Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (318 ff.). 453  Michaelis,

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

in diesem Rahmen lediglich als Konkretisierungen der Reichsbürgerschaft darstellen.460 c) Stellung des NS-Personenbegriffs Gegenstand des historischen Teils dieser Arbeit ist es, verschiedene Rechtsfähigkeitsmodelle vor, parallel bzw. alternativ zu § 1 BGB aufzuzeigen. Insoweit geht es um deren Auftreten als solches. Eine Analyse nationalsozialistischer Eigenarten zur „Variabilität“ von Person und Rechtsfähigkeit und gar eine (verkürzende) Bewertung derselben sollen daher in dem so gesteckten Rahmen nicht erfolgen. Dies gilt sowohl für den Gesamtprozess der NS-Demontage allgemeiner Rechtsfähigkeit als auch für die oben genannten Einzellehren.461 Es wird lediglich auf diejenigen Aspekte hingewiesen, die sich unmittelbar anhand der Argumentation von Larenz und Michaelis beobachten lassen. Bei beiden Autoren liegt einer der Ansatzpunkte für nationalsozialistisches Gedankengut in der Auswahl der die Rechtspersönlichkeit bestimmenden Voraussetzungen und Eigenschaften. Diese Auswahl erfolgt nunmehr unter völkisch-rassenideologischer Ausrichtung. Die Verengung der Anknüpfungspunkte solchermaßen zeigt sich in dem, überhaupt nur aus dieser Sichtweise erklärbaren, Gedankengang: „Rechtsgenosse gleich Volksgenosse gleich deutschen Blutes“. Resultat ist insbesondere bei Larenz die Staffelung der Rechtsfähigkeit nach Reichsbürgern, Ausländern und Rassefremden. Jenseits dessen sind einige Gedankengänge mit denjenigen der anderen Modelle des 20. Jahrhunderts vergleichbar. Im Einzelnen gilt dies für die Kritik abstrakter Begriffsbildung wegen vermeintlicher Inhaltsleere, die Formulierung eines konkreten Rechtspersönlichkeitsbegriffs um ein Bündel spezifischer Kriterien herum sowie die daraus folgende individuelle Feststellung der Persönlichkeit bzw. eine insofern zulässige Persönlichkeitsstu460  Michaelis, Dt. Rechtswissenschaft 1937, 301 (313). Neben der bloßen Konkretisierung der Reichsbürgerschaft nimmt Michaelis aber auch innerhalb dieser Vergleichsgruppe solche Umstände an, die zu einer fehlenden Ausübungsbefugnis (mit entsprechender Minderung der Reichsbürgerschaft) führen (S. 323 ff.). Insofern wird aber nicht ganz deutlich, um welche Umstände (neben Stand und Beruf) es sich hierbei handeln soll. 461  Entsprechend wird auch davon Abstand genommen, die Rolle von Larenz und seiner Rechtsfähigkeitslehre zu bewerten. Hierzu in jüngster Diskussion Canaris, in: Grundmann/Riesenhuber, S. 264–307; Replik von Rüthers, JZ 2011, 593 ff.; Duplik von Canaris, JZ 2011, 879 ff.; ferner Jakobs, JZ 1993, 805 ff.; Replik von Prölss, JZ 1994, 33 f.; Duplik von Jakobs, JZ 1994, 34; zur Methodenlehre von Larenz allgemein vgl. Frassek, in: Rückert/Seinecke, S. 213 ff. (216 ff.).



B. Relativierungen des Rechtsfähigkeitsbegriffs im 20. Jh.295

fung. Die Lehrer-Schüler-Beziehung zwischen Binder und Larenz sollte in diesem Zusammenhang gesehen, zugleich aber nicht überbewertet werden. Letztendlich betrifft dies die weit größere Frage nach etwaigen Kontinuitätslinien im Rechtsdenken des 20. Jahrhunderts, konkret nach dem Fortwirken nationalsozialistischer Methodik und Begriffsbildung in späteren, nur scheinbar unverfänglich wirkenden Kontexten.462 Insofern gilt aber auch hier, dass diese Problematik den gewählten Untersuchungskreis zur Existenz verschiedener Rechtsfähigkeitsmodelle überhaupt zum einen übersteigt, zum anderen jedoch jedenfalls als rein theoretische Fragestellung – im Bewusstsein möglichen historischen Missbrauchs – nicht tangiert. Der spätere Erklärungsversuch bzw. Vorwurf, die nationalsozialistische Rechtsperversion sei Folge eines übersteigerten Gesetzespositivismus gewesen463, gilt als überholt.464 Die Nationalsozialisten lehnten eine positivistische Denkweise tendenziell ab465, diffamierten sie als „lebensfremd“, „antideutsch“ und „jüdisch“466. Schon unter diesem Gesichtspunkt kann die menschenverachtende NS-Version von Rechtsfähigkeit bzw. Rechtsgenossenschaft nicht schlicht als Auswuchs einer autark rechtstechnischen Begriffsbildung gesehen werden. Eine Gleichsetzung solcherart wäre verkürzt.

III. Ergebnis: Relativierung und Flexibilisierung von Rechtsfähigkeit Die an Binders Lehre entwickelte Argumentationsstruktur kann für die im 20. Jahrhundert um Rechtsfähigkeit und Person geführte Diskussion in Teilen bestätigt werden. Die Kernelemente finden sich in verschiedenen Versionen von Gegenmodellen wieder. Generell zu beobachten sind eine (versuchte) Trennung der ethischen und rechtlichen Begriffselemente, eine 462  Hierzu Lepsius, S. 156 ff. (Verhältnis zur Methodenentwicklung in der Weimarer Republik); Haferkamp, AcP 214 (2014), S. 60 (76 ff., 85 ff., 91); in diesem Zusammenhang vgl. auch Rüthers, Auslegung, S. 313, 335 zur verschiedenen Wirkweise konkret-allgemeiner Methodik je nach der sie ausfüllenden Weltanschauung, dargestellt am Personenbegriff. 463  Beispielhaft Radbruch, SJZ 1946, 105 (107): „Der Positivismus (…) hat den deutschen Juristenstand wehrlos gemacht (…).“ 464  Eine Auseinandersetzung mit der nach 1945 einsetzenden Naturrechtsrenaissance findet sich bei Foljanty, Recht oder Gesetz, insbesondere Kapitel 1, S. 19 ff. zur Konstruktion des Positivismus als Feindbild; ebenso bereits Rüthers, Auslegung, S. 98 f. zu der Gefahr, „mit dem irrigen Bewusstsein, den rechtstheoretischen Sündenbock ermittelt zu haben, die Realfaktoren der Perversion des Rechts im Nationalsozialismus zu verkennen oder zu verdrängen“. 465  Vgl. Foljanty, S.  22 f.; Rüthers, S.  26 f.; Lepsius, S.  140 ff. 466  Vgl. Foljanty, S. 22.

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Kap. 4: BGB und 20. Jahrhundert

Öffnung der Rechtsfähigkeit gegenüber Elementen der Handlungsfähigkeit sowie eine bewusst konkrete Festlegung von Rechtsfähigkeit und Personenstatus. Hervorzuheben sind noch einmal die Modelle von Leuze und Fabricius. Ersterer fällt positiv auf mit einer Neuordnung gerade im Verhältnis von Rechtsfähigkeit und Persönlichkeitsrecht. Bei Letzterem wird der individuelle Zuschnitt der Rechtsfähigkeitsstufen besonders deutlich, indem ausschließlich am Einzelnen angesetzt und unter Absehung von einer abstrakten allgemeinen Rechtsfähigkeit die jeweilige Rechtsfähigkeit originär bestimmt wird.

Kapitel 5

Eigene Perspektiven A. Erkenntnisse aus der historischen Analyse Die historische Analyse umfasst sowohl die „Findungsphase“ der allgemeinen Rechtsfähigkeit (Savigny, Puchta), die direkten Grundlagen des § 1 BGB (Kodifikationsmodell) als auch die hierzu unmittelbar ergangenen Gegenentwürfe. Sie zeigt damit einen Querschnitt bisheriger Personen- und Rechtsfähigkeitsbegriffe sowie der jeweiligen Handhabung der eingangs dargestellten inhaltlichen wie dogmatischen Unschärfen. Die zentralen Fragenkreise finden sich in sämtlichen Lösungsansätzen wieder: Rechtsbegriff mit metajuristisch-ethischem Gehalt und / oder technischer Funktion? Zuordnungssubjekt unter welchen Voraussetzungen? Ausgestaltung von Rechtsfähigkeit und Personenstatus nach welchen Kriterien? Teilrechtsfähigkeit(en) neben allgemeiner Rechtsfähigkeit? Ableitung oder dogmatische Trennung zwischen Rechtsfähigkeit und materiellen Rechts­ positionen (Rechten, Rechtsgütern, Persönlichkeitsrechten)? Den Modellen von Savigny und Puchta ist eine auf Stufungen ausgelegte Begriffsstruktur von Rechtsfähigkeit zu entnehmen. Dagegen ebnet die BGB-Dogmatik etwaige Zweifelsfragen auf hohem Abstraktionsniveau ein bzw. lagert sie aus den unmittelbaren Begriffen von Person und Rechtsfähigkeit aus. Sie arbeitet mit werteschaffenden, zugleich standardisierenden Integrationseinheiten, bricht die Rechtsfähigkeit auf die Formel „Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein“ herunter und führt auf diese Weise zur Weite des § 1 BGB. Hinsichtlich der Lösung konkreter dogmatischer Fragen mit Praxisbezug – dies betrifft im Wesentlichen den Nasciturus – wird auf Rechtsprechung und Rechtslehre zur endgültigen Klärung verwiesen. Eine abschließende und stringente Dogmatik zu Rechtsfähigkeit, Person und Persönlichkeit folgt hieraus bislang nicht. Und man muss wohl konzedieren: Eine solche Dogmatik im Sinne einer gänzlichen Widerspruchs- oder „Mangelfreiheit“ ist im Ergebnis auch nicht leistbar. Im Ausgangspunkt steht daher weiterhin ein Konstrukt aus formal-dogmatischer Ordnungsfunktion und materiell-ethischer Internalisierung. Dieser Ausgangspunkt muss nicht verlassen werden. Die Hauptaufgabe von Recht bzw. speziell der Figuren „Rechtsfähigkeit“ und „Person“ liegt m. E. jedoch

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Kap. 5: Eigene Perspektiven

mittlerweile in der Entwicklung rechtstechnischer Lösungsansätze für die eingangs skizzierten und vor allem noch zu erwartenden Problemfälle: Nasciturus, Gameten, irreversibel Komatöse, gezüchtete Organe und sämtliche „Lebenserscheinungsformen“, die nach Medizin, Forschung und Technik im Bereich des künftig Möglichen liegen. Entsprechend ist die rechtsdogmatische Ausrichtung – oder auch: das rechtsdogmatische Potential – von Rechtsfähigkeit in den Vordergrund zu stellen. Eine solche Schwerpunktsetzung ist nicht zuletzt möglich, weil ein entscheidender Schritt zur Sicherung des menschlichen Achtungsanspruchs mit der Normierung der Menschenwürde in Art. 1 I, 79 III GG vollzogen wurde. Auf diese Weise ist die materiell-ethische Aussage, die auch dem Gedanken einer allgemeinen Rechtsfähigkeit zugrunde liegt, nunmehr schon grundgesetzlich festgeschrieben.1 Die Überzeugung, dass jeder Mensch um seiner selbst willen und aus seinem Menschsein einen absoluten Wert und eine absolute Würde besitzt, erhält damit einen rechtlichen Gehalt auf höchster normativer Ebene, als Grundrecht.2 Abschließend wird ein eigener Lösungsansatz entwickelt und als alternatives Rechtsfähigkeitsmodell zur BGB-Dogmatik angeboten. Die Grundidee ist dabei, von der abstrakten allgemeinen Rechtsfähigkeit als dem dogmatischen Zentralbegriff Abstand zu nehmen und an deren Stelle eine Rechtsgutsfähigkeit einerseits und eine jeweils konkret festzustellende, aktualisierte Rechtsträgerschaft andererseits treten zu lassen. Ausgangspunkt und Leitlinien sind die folgenden wesentlichen Erkenntnisse aus der kritischen und historischen Analyse: • Rechtsfähigkeit als Rechtsbegriff. Die Rechtsfähigkeit behandelt mit der Bezeichnung dessen, wer bzw. was fähig ist, Träger von Rechten und Pflichten zu sein (Rechtssubjekt), eine Frage des Rechts. Rechtsfähigkeit ist ein Rechtsbegriff und eine rechtliche Denkkategorie, die der juristischen Begriffsbildung entspringt und der Verleihung und Ausgestaltung durch die Rechtsordnung unterliegt. Eine sachdienliche Herangehensweise an die Bestimmung von Rechtsfähigkeit kann daher nur eine juristische, primär an der rechtstechnischen Funktion orientierte sein. Dies gilt sowohl in der grundsätzlichen Frage, was überhaupt Aussage und inhalt1  Vgl. Kirste, FS Hollerbach, S.  319  ff. und Kirste, in: Gröschner/Kirste/ Lembcke, S. 345 (369 f.), der ebenfalls in der Menschenwürde den zentralen, letztverbindlichen Maßstab für die inhaltliche Ausgestaltung der positivistischen Rechtsfigur von Rechtsperson sieht. 2  Vgl. Palm, Der Staat 47 (2008), 41 (49 ff.) zur Aufnahme und Entwicklung des ethischen Personenbegriffs in Art. 1 I GG und der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 115, 118 – Luftsicherheitsgesetz; BVerfGE 109, 133 – Lebenslange Sicherungsverwahrung; BVerfGE 109, 279 – Großer Lauschangriff).



A. Erkenntnisse aus der historischen Analyse299

licher Zuschnitt der Rechtsfähigkeit sein sollen, als auch in der weitergehenden Frage, wer bzw. was in diesem Sinne als rechtsfähig anzuerkennen ist. • Unterscheidung zwischen Eigenschaft und Recht. Vor allem die um Puchtas Recht an der eigenen Person geführte Diskussion liefert die Anregung, zwischen Werten und Eigenschaften einerseits und Rechten andererseits zu unterscheiden. In aller Deutlichkeit wird dort neben der bloßen Rechtsfähigkeit / Persönlichkeit als Eigenschaft ein eigenständiges Recht der Rechtsfähigkeit / Persönlichkeit angenommen; zugleich wird die inhaltliche Identität beider Figuren betont. In der konkreten Gestaltung nach Puchta hat sich die Idee verschiedener rechtlicher Umsetzungsformen zwar als hemmend erwiesen, beispielsweise für die Weiterentwicklung seines Rechts zu echten, modernen Persönlichkeitsrechten3. Sie kann jedoch aufgegriffen werden als generelle Gestaltungsoption, eine Rechtsposition entweder als Eigenschaft und / oder als Rechtsgut und / oder als Recht einzustufen. Als solche Option kann sie bei der Systematisierung des Personenrechts im weiteren Sinne berücksichtigt werden. • Abstraktion und Konkretisierung. Abstraktion ist eine anerkannte Technik der Begriffsbildung.4 Sie ist allerdings nur dort von Vorteil, wo sie Rechtsbegriffe nicht verschleiert. Das Anliegen dieser Arbeit ist es, das Mittelglied in Form der Rechtstechnik freizulegen und zu überdenken. Für die hier in Frage stehende Thematik, die Bestimmung von Rechts­ positionen und Rechtsstellung im weiteren Sinne, komme ich zu der Ansicht, dass eine insgesamt konkretere Betrachtungsweise vorzugswürdig ist. Den Anstoß hierzu gibt die Figur der Teilrechtsfähigkeit. Sie wird im derzeitigen System des BGB parallel zu einer allgemeinen Rechtsfähigkeit, gewissermaßen als deren Reduktion, verwendet. Stattdessen ließe sich die Vorstellung von „Teilrechtsfähigkeit“ auch in umgekehrter Weise erklären: Bezugspunkt des Fähigkeitsbegriffs ist dann nicht die Gesamtheit aller Rechte und Pflichten, sondern das einzelne Recht, die einzelne Pflicht; und ausgehend hiervon werden diese (Einzel)Fähigkeiten allenfalls zu „Fähigkeitengruppen“ mit unterschiedlicher, entweder allumfassender oder nur teilweiser, Reichweite zusammengefasst.5 Gleichzeitig darf nicht außer Acht gelassen werden, dass gerade die Gegenmodelle zu 3  Siehe

Kapitel 3, B. III. 5. diesem Grunde ist der zum Teil undifferenzierten Kritik zu Beginn des 20. Jahrhunderts an abstrakt-generellen Begriffen entgegenzutreten und sich insbesondere mit aller Deutlichkeit von der diesbezüglichen NS-Polemik zu distanzieren. 5  Geht man stattdessen von der einen Fähigkeit, Träger sämtlicher Rechte und Pflichten zu sein, als Grundgröße aus und reduziert diese sodann für manche Fälle/ Subjekte in ihrem Umfang, muss sich ein solches Verständnis von Teilrechtsfähigkeit entgegenhalten lassen, dass eine Fähigkeit entweder vorhanden ist oder nicht. 4  Aus

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Kap. 5: Eigene Perspektiven

Beginn des 20. Jahrhunderts gewisse Strukturen mit z. T. rechtsstaatlichen Schwächen aufweisen. Soweit jene Modelle als Konkretisierungs- und Relativierungstendenzen zusammengefasst werden bzw. solchen Tendenzen vorangehen6, sollte zumindest diese Art der Konkretisierung bzw. Relativierung nicht gewählt werden. Bei der Entwicklung eines eigenen Vorschlags wird sich von ihnen abzugrenzen sein. An dieser Stelle ist lediglich vorweggenommen: Der inhaltliche wie methodische Unterschied liegt darin, dass jene Modelle weiterhin an der Rechtsfähigkeit und nicht an der Rechtsträgerschaft anknüpfen, diese mit der Handlungsfähigkeit verkoppeln und damit die Fähigkeit selbst konkretisieren und relativieren.

B. Entwicklung der Eckpunkte eines eigenen Modells I. Werte- und Ordnungsbereich Rechtsfähigkeit gilt heute als Ausdruck von Menschenwürde, hängt mit der Garantie eines unveräußerlichen Bestands an „rechtlicher Berücksichtigung“ zusammen und nimmt zugleich mit der Bestimmung der Rechtssubjekte eine Ordnungsfunktion wahr. Diese beiden Aussagerichtungen – Rechtsethik und Rechtstechnik – gilt es, herauszustreichen und dogmatisch stärker als solche zu berücksichtigen. Entsprechend wird in einem ersten Schritt eine Großeinteilung in zwei Bereiche vorgenommen, im Folgenden bezeichnet als Wertebereich einerseits und Ordnungsbereich andererseits. Der Wertebereich soll in erster Linie an den Menschen als Würdeträger anknüpfen. Die hierunter zu fassenden Rechtspositionen sind solche, die durch den Wert des Menschseins motiviert werden und dessen spezifischer Anerkennung bzw. Schutz dienen. Dabei handelt es sich um keine bloß ethischen Positionen, die im vorrechtlichen Bereich verhaftet bleiben. Beginnend im Grundgesetz (Art. 1 I, 79 III GG) erfahren auch sie eine normative Umsetzung und sind tatsächliche Rechtspositionen. Ihr Kennzeichen ist es, am Menschsein als solchem anzuknüpfen und sich hinsichtlich ihrer Voraussetzungen auf dieses zu beschränken, insofern angeborene Rechtspositionen zu sein. Eine Ausdehnung auf den Nasciturus ist möglich unter dem Gesichtspunkt, dass es sich bei diesem um einen werdenden Menschen handelt. Dagegen ist die Thematik juristischer Personen grundsätzlich von diesem Bereich ausgeschlossen. Dies hat den Vorteil, wertungsethische Überlegungen in diesem Bereich losgelöst von einer Anwendung auf nichtmenschliche Rechtssubjekte anstellen zu können. Im Ordnungsbereich geht es demgegenüber um die Zuschreibung solcher Rechtspositionen, die nicht 6  HKK/Duve,

Bd. I, §§ 1–14 Rn. 14, 28 ff.



B. Entwicklung der Eckpunkte eines eigenen Modells301

bereits zwingend mit Geburt vorliegen, sondern zu erwerbende Rechtspositionen sind. Die dogmatische Grenzziehung zwischen Werte- und Ordnungsbereich wird im Ergebnis nicht inhaltlich, sondern anhand des formalen Kriteriums der Struktur der je und je betroffenen Rechtsposition bestimmt. Es wird differenziert zwischen Rechtsgütern (Wertebereich) einerseits und subjektiven Rechten und Pflichten (Ordnungsbereich) andererseits. Über Rechtsgüter kann nicht rechtlich „verfügt“ werden; sie sind im oben genannten Sinne an keine weiteren Erwerbsvoraussetzungen über das Menschsein hinaus gebunden. Damit unterscheiden sie sich strukturell von subjektiven Rechten und Pflichten. Mit dieser formalen Aufteilung geht zugleich eine tendenziell inhaltliche Gewichtung einher bzw. kann ihr folgen. Im Wertebereich erfährt der menschliche Achtungsanspruch durch den dortigen grundsätzlichen Bestand an angeborenen Rechtsgütern seine normative Umsetzung. Demgegenüber wird der Ordnungsbereich von der Aufgabe geleitet, Endpunkte der Zurechnung von Rechtspositionen zu bestimmen, jeweilige Rechtsträger sowie etwaig abweichende Handlungskompetenzen festzulegen. Anknüpfungspunkt und Orientierungswert im Ordnungsbereich sind damit nicht primär der Mensch und das Menschsein als solches, sondern das rechtlich ausgestaltbare Rechtssubjekt.

II. Inhaltliche Komponenten 1. Angeborene Rechte und Rechtsgüter (Wertebereich) An der Spitze des Wertebereichs steht die menschliche Persönlichkeit im Sinne von Individualität, Eigenwert, Eigenart und Selbstentfaltung. Rechtliche Entsprechung findet sie in dieser Allgemeinheit im obersten Wert der Menschenwürde, Art. 1 I, 79 III GG, als dem normativen Maßstab des Wertebereichs. a) Lebensgüter als Rechtsgüter Aus diesem richtungsweisenden Kernelement ergeben sich die einzelnen zum Wertebereich gehörigen Rechtsgüter: Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und Freiheit. Sie gelten ausnahmslos, zeitlich unbegrenzt und für alle Menschen in gleicher Weise von dem Zeitpunkt der Geburt bis zum Zeitpunkt des Todes in jeweils biologischer Hinsicht. Damit erfüllen sie den rechtsethischen Mindeststandard des Art. 1 I GG. Zweifelhafte Fragen ihrer Zurechnung in dem Sinne, wer Rechtsträger der Güter ist, stellen

302

Kap. 5: Eigene Perspektiven

sich nicht. Es ist ein Gebot der Menschenwürde, jeden Mensch in eigener Person als den Träger seiner Rechtsgüter Leben, Gesundheit, körperlicher Unversehrtheit, Freiheit anzuerkennen. Etwas anderes betrifft allenfalls diejenigen Ansprüche, die aus den Rechtsgütern erst erwachsen, beispielsweise Entschädigungs- oder Unterlassungsansprüche bei deren Verletzung (§§ 823 ff. BGB; § 1004 BGB analog). Als subjektive Rechte gehören sie zum Ordnungsbereich. b) Allgemeines Persönlichkeitsrecht als angeborenes Recht Trotz der heute herrschenden Qualifikation als subjektives Recht (sonstiges Recht, § 823 I BGB)7 ist auch der Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dem Wertebereich zuzuordnen. Insofern ist zunächst daran zu erinnern, dass die subjektiv-rechtliche Einordnung keinesfalls unumstritten war. Ursprünglich wollten Teile der Literatur die Ausgestaltung des Persönlichkeitsschutzes in § 823 I BGB gerade über eine Gleichstellung mit den Rechtsgütern8 Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit vornehmen.9 Argumentiert wurde in erster Linie mit dem vermeintlich unpassenden Charakter eines subjektiven Rechts. Dies bereitet 7  Soergel/Beater, BGB Bd. 12 Schuldrecht 10, § 823 Anhang IV Rn. 1 Fn. 2, ohne aber eine praktische Bedeutung des Streits anzunehmen; Erman/Ehmann, BGB I, 10. Aufl., Anhang § 12 Rn. 9; Handbuch des Persönlichkeitsrechts/Götting, § 1 Rn. 29 ff.; Hubmann, S.  113 ff., 128 ff.; Enneccerus/Nipperdey, S.  581 ff.; BastonVogt, S.  88 ff.; Cramer, S. 151. Allerdings sei mit der Anerkennung als sonstiges Recht die Unterscheidung zwischen den Lebensgütern und den subjektiven Rechten aufgegeben worden. Interessante Folgerung hieraus: Die haftungsrechtlich relevante Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts setze nur die Verletzungs-, nicht aber gleichzeitig die Rechtsfähigkeit des Verletzten voraus; Siebert, NJW 1958, 1369 (1373); Palandt/Sprau, 73. Aufl., § 823 Rn. 84. 8  Siehe Kapitel 4, A. III. 2., dort allerdings mit alternativem Argumentationsmuster: Einstufung der Rechtsgüter als erweiterungsfähige Rechte, um auf diese (gewissermaßen umgekehrt) Weise eine Erweiterung auf den Persönlichkeitsschutz zu erreichen. 9  Jauernig/Teichmann, §  823 Rn. 66. Die Einordnung sei aber im Ergebnis nicht von Bedeutung; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 615 bezeichnet das Persönlichkeitsrecht als „juristische Missgeburt“. Der Schutz der Persönlichkeit sei durch Analogie zu den vier genannten Lebensgütern zu erreichen. Im Ergebnis fordert Medicus sogar eine Neufassung des § 823 I BGB (Nennung der Persönlichkeit als separates Schutzgut); Stieglitz, S. 131; Ehlers, S. 3 ff. mit einer Unterteilung in subjektbezogene Lebensgüter/Persönlichkeitsgüter (Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit) einerseits und das objektbezogene Rechtsgut Eigentum andererseits; Anknüpfung der sonstigen Rechte an das Eigentum (grammatikalische Auslegung); allgemeines Persönlichkeitsrecht als Analogie zu den vier Lebensgütern mit Nachweis der Analogievoraussetzungen (im Detail siehe S. 4 f.); Leben etc. als Rechtsgüter, die in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht ausmachen; Schwerdt-



B. Entwicklung der Eckpunkte eines eigenen Modells303

heute keine Schwierigkeiten mehr. Die herrschende Ansicht hat in diesem Zusammenhang einen Wandel im Begriffsverständnis zum subjektiven Recht insgesamt vollzogen, der Zustimmung verdient. Es wird Abstand genommen von der Vorstellung eines eigentumsorientierten Herrschaftsrechts über ein außerhalb liegendes körperliches Beherrschungsobjekt.10 Stattdessen wird das subjektive Recht als eine von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht verstanden, im Sinne eines rechtlich abgesicherten Freiheitsbereichs, in dem der Rechtsträger nach eigenem Ermessen herrschen, d. h. bestimmte Interessen befriedigen kann.11 In solcher Definition ist auch ein subjektives Recht um der eigenen Person willen12 konstruktiv möglich. Es ist also weniger die Negativabgrenzung zum subjektiven Recht, sondern vielmehr positiv der Vergleich mit den anderen Rechtsgütern, der eine Zuordnung zum Wertebereich nahelegt. Die Achtung der Persönlichkeit knüpft ebenso wie Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit im besonderen Maße unmittelbar am Menschsein an und ist das Substrat für dessen Entfaltung.13 Daher stehen auch hier eine Unverzichtbarkeit und Unveräußerlichkeit als wesentliche Kennzeichen im Raum, d. h. ein Angeborensein im oben genannten Sinne, das von den sonstigen subjektiven Rechten abgrenzt und eine strukturelle Vergleichbarkeit mit den Rechtsgütern (Lebensgütern) begründet.14 Anzunehmen ist damit in jedem Fall eine Rechtsposition der Persönlichkeit als angeborenes Recht im Wertebereich einerseits.15 Daneben tritt die Frage der Umsetzung dieser Rechtsposition. Dies geschieht in der Tat in Form einzelner subjektiver Rechte und ist damit dem Ordnungsner, S.  94 ff.; Caemmerer, in: FS Hippel, S. 27 (39) allgemein kritisch gegenüber der Tendenz des Deliktsrechts, sich zu sehr auf subjektive Rechte zu stützen. 10  Hubmann, S. 115. 11  Hubmann, S. 116 ff., 128; Baston-Vogt, S. 90; Handbuch des Persönlichkeitsrechts/Götting, § 1 Rn. 29 ff. Jedes subjektive Recht, also auch das Persönlichkeitsrecht, sei eine Beziehung zwischen Personen, in welcher der in den persönlichen Interessen enthaltene objektive Wert Achtung und Unterlassung von Störungen/Verletzungen fordere. Wenn dagegen noch immer behauptet werde, das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei mit dem Eigentum nicht vergleichbar und deswegen kein subjektives Recht, sei die Frage zu stellen, ob die Entwicklung der Immaterialgüterrechte an diesen „Traditionalisten, die offenbar in der formalistischen Enge deutscher Begriffsjurisprudenz gefangen sind, völlig vorbeigegangen“ sei (S. 32). 12  Baston-Vogt, S. 90 f. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei ein subjektives Recht, „das dem einzelnen die Befriedigung auf die eigene Person bezogener Interessen ermöglicht, indem es seinem diesbezüglichen Willen Durchsetzungskraft verleiht.“ 13  Schwerdtner, S. 94  f., dementsprechend keine Übertragbarkeit und kein Verkehrswert; Stieglitz, S. 132. 14  Schwerdtner, S.  94 f. 15  Im Verhältnis zur oben genannten menschlichen Eigenschaft der Persönlichkeit (als Grundelement des Wertebereichs) die verrechtlichte Form.

304

Kap. 5: Eigene Perspektiven

bereich zugehörig.16 Es handelt sich hierbei um die Durchsetzung der konkreten Interessen zur Selbstentfaltung als jeweilige Ansprüche auf Handlung / Unterlassung gegenüber Dritten. Für ein solches ist, um mit Baston-Vogt zu sprechen, die Rechtsnatur des subjektiven Rechts „geradezu prädestiniert“17. Kann nämlich der Inhaber eigenverantwortlich über dessen Einsatz entscheiden, wird damit dem Charakter der Persönlichkeit als einer konturlosen, in ständiger Weiterentwicklung befindlichen Figur am besten Rechnung getragen.18 Zudem betont die Eigenverantwortlichkeit des Trägers den Aspekt der Selbstentfaltung und Selbstbestimmung in besonderer Weise.19 Die Zuordnung der Rechtsposition Persönlichkeit zum Wertebereich ist darüber hinaus unter folgender Überlegung vorzugswürdig: Wenn im Ordnungsbereich eine flexiblere Gestaltung von Rechtssubjektivität, beispielsweise durch eine Annäherung von Rechts- und Handlungsfähigkeit, vorgenommen werden sollte, könnte dies zu ungewollten Beschränkungen der Persönlichkeit führen. Zumindest wäre stets eine gesteigerte Kontrolle erforderlich, welche Auswirkungen eine eingeschränkte / fehlende Rechtssubjektivität im Ordnungsbereich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht hätte. In jedem Fall gilt es nämlich zu verhindern, dass auch solche Rechtspositionen, die originär die Persönlichkeit betreffen, in übermäßiger Weise tangiert würden. Die Gestaltungsoptionen im Ordnungsbereich wären damit in nicht unbedeutendem Maße beschränkt. 2. Subjektive Rechte und Pflichten (Ordnungsbereich) Inhalt des Ordnungsbereichs sind alle subjektiven Rechte und Pflichten, die nicht bereits zwingend mit Geburt vorliegen, insofern erworbene bzw. zu erwerbende Rechte und Pflichten sind. Das Merkmal des Erwerbs ist dabei nicht zeitlich zu verstehen; auch subjektive Rechte können grundsätz16  Baston-Vogt, S. 91 vertritt ebenfalls eine Unterscheidung und parallele Annahme von Rechtsgut und subjektiven Rechten (die Persönlichkeit betreffend); Wieruszowski, DRiZ 1927, 225 (231): „Solange sich jedoch das PR. [Persönlichkeitsrecht, Anm. d. Verf.] zu einem verkehrsfähigen Rechtsgute, einem ‚Gegenstand‘ […] noch nicht gewandelt hat […].“; andeutend auch Enneccerus/Lehmann, S. 906 mit einer Unterteilung in subjektive Rechte einerseits und Lebensgüter (Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit) andererseits. Es wird aber offen bzw. streitbar gelassen, ob man ein „Recht auf Leben“ daneben (!) annehmen sollte und dieses als subjektives Recht qualifizieren kann. Das Leben selbst sei jedoch keinesfalls ein subjektives Recht. 17  Baston-Vogt, S. 89. 18  Baston-Vogt, S. 89. 19  Baston-Vogt, S. 89.



B. Entwicklung der Eckpunkte eines eigenen Modells305

lich ab Geburt vorliegen. Allerdings stehen sie nicht jedem Einzelnen per se, damit auch nicht zwingend und ausnahmslos zu. Subjektive Rechte und Pflichten sind nicht allein an das Tatbestandsmerkmal „lebender Mensch“ gebunden, so wie es von der Rechtsordnung für die Rechtsgüter und angeborenen Rechte des Wertebereichs als ausreichend erachtet wird.20 Sie sind darüber hinaus von weiteren Voraussetzungen abhängig. Es bedarf für sie eines Erwerbsaktes, indem sie zu den angeborenen (im Sinne von zwingend mit Geburt gegeben) Rechtsgütern und Rechten hinzutreten. Als Voraussetzungen dieses Erwerbsaktes kommen Handlungsfähigkeit sowie die Tatbestandsmerkmale der Rechte und Pflichten ins Spiel. 3. „Rechtsfähigkeit“ (Werte- und Ordnungsbereich) Hinsichtlich der konkreten Rechtspositionen ist der Inhalt von Werte- und Ordnungsbereich nun dahingehend bestimmt: angeborene Rechte und Rechtsgüter einerseits, erworbene subjektive Rechte und Pflichten andererseits. Es bleibt die Frage nach deren jeweiliger Grundlage. Ist im Werteund / oder Ordnungsbereich ebenfalls eine allgemeine Rechtsfähigkeit als Bedingungsvoraussetzung der konkreten Rechtsgüter / Rechte anzunehmen? Wäre in diesem Fall an der überkommenen Begrifflichkeit und Dogmatik festzuhalten oder bieten sich gerade im Ordnungsbereich die Möglichkeiten für eine Neuausrichtung? a) Eigenschaft oder Recht Vorab gilt es, die Qualität einer (eventuellen) allgemeinen Rechtsfähigkeit hinsichtlich der von Puchta aufgeworfenen Varianten grundsätzlich festzulegen. Vor dem Hintergrund seines Rechts der Persönlichkeit ist es möglich, die Rechtsfähigkeit als Eigenschaft und / oder als Recht zu definieren. Trotz dieser Anregung wird daran festgehalten, die Rechtsfähigkeit lediglich als eine Eigenschaft des betreffenden Rechtssubjekts zu behandeln. Die Eigenschaftsqualität an sich wird, soweit ersichtlich, von niemandem bestritten. Rechtsfähigkeit ist die Eigenschaft, zum Träger von Rechten und Pflichten befähigt zu sein. In diesem Sinne handelt es sich zunächst nur um die Beschreibung des Zustands, den ein Subjekt hat, vergleichbar der Beschreibung des Eltern- oder Kindseins, des Verbraucherseins oder des Eigentümerseins. Dass die Rechtsfähigkeit zumindest nicht ausschließlich als 20  Hiervon wiederum zu unterscheiden sind diejenigen subjektiven Rechte und Pflichten, die aus den Rechtsgütern erst erwachsen. Diese sind selbstverständlich an weitere Voraussetzungen gebunden, vgl. § 823 I BGB (Rechtsgutsverletzung durch Handlung/Unterlassen; Kausalität; Rechtswidrigkeit; Verschulden; Schaden).

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Kap. 5: Eigene Perspektiven

Recht vorliegen kann, sondern auch als Eigenschaft bestehen muss, bestätigt außerdem ein andernfalls dogmatischer Widerspruch: Auch einem Recht der Rechtsfähigkeit müsste die Vorausbedingung aller Rechte zugrunde gelegt werden, nämlich die Rechtsfähigkeit bzw. ein Rechtssubjekt mit Rechtsfähigkeit. Dabei dürfte es sich aber nicht erneut um die Form eines Rechts handeln, wenn ein Zirkelschluss vermieden werden soll.21 Die Entscheidung zwischen der Qualität Recht / Eigenschaft stellt sich dementsprechend nicht im Sinne eines Entweder / Oder, sondern allenfalls im Sinne eines Sowohl / Als  auch dar, d. h. so wie von Puchta aufgezeigt als zusätzliche Form der zum Recht erhobenen Eigenschaft. Aber auch ein solchermaßen nur hinzutretendes Recht der Rechtsfähigkeit ist abzulehnen, wenn es sich tatsächlich nur um die identische Wiedergabe des Zustands der Rechtsfähigkeit handelt, weil insofern kein inhaltlicher Gewinn mit ihr verbunden ist. b) Rechtsgutsfähigkeit (Wertebereich) Im Wertebereich kann die traditionelle Rechtsfähigkeit übernommen werden als Fähigkeit, Träger von Rechtsgütern und angeborenen Rechten zu sein (Rechtsgutsfähigkeit). Sie erfüllt dann die bekannte Funktion einer Vorausbedingung, die inzident den Rechtspositionen des Wertebereichs zugrunde liegt. Genau genommen stellt sich die Frage nach einer Verteilung der Rechtsträgerschaft im Wertebereich überhaupt nicht; denn alle dortigen Rechtsgüter und angeborenen Rechte stehen in gleicher Weise allen Menschen in eigener Person zu. Rechtsgut bzw. angeborenes Recht und Rechtsgutsfähigkeit gehen somit stets Hand in Hand. Es gibt im Wertebereich keine denkbare Konstellation eines Auseinanderfallens. c) Rechtserwerbsfähigkeit und Rechtsträgerschaft (Ordnungsbereich) Sind im Ordnungsbereich allein erworbene subjektive Rechte und Pflichten betroffen, lassen sich mit Blick auf die traditionelle Rechtsfähigkeit zunächst folgende Überlegungen anstellen: Ist es nicht zutreffender, in 21  Als alternative Auflösung würde es sich allenfalls anbieten, das Recht der Rechtsfähigkeit als ein „besonderes Recht“ zu erklären, das einer solchen Vorausbedingung ausnahmsweise nicht bedürfe. Die Erklärung wäre nur wenig konsequent und zu offensichtlich eine Hilfskonstruktion. Insofern kann auch nicht auf Leuze, S. 119 verwiesen werden. Zwar nimmt auch er für sein Persönlichkeitsrecht eine diesbezüglich exklusive Stellung an. Letztendlich beschreibt er es jedoch dahingehend, dass auch hier die Rechtsfähigkeit inzident enthalten sei; dies sei lediglich nicht weiter erwähnenswert. Auf diese Weise wird aber immerhin die Rechtsfähigkeit in einer von dem Persönlichkeitsrecht verschiedenen Form anerkannt.



B. Entwicklung der Eckpunkte eines eigenen Modells307

diesem Fall von einer Rechtserwerbsfähigkeit zu sprechen? Müsste diese Rechtserwerbsfähigkeit auch weiterhin im Sinne einer Fähigkeit, grundsätzlich Träger sämtlicher Rechte und Pflichten zu sein, verstanden werden? Oder könnte man sie verdichten auf die Fähigkeit, neben angeborenen Rechtspositionen grundsätzlich weitere Rechte zu erwerben? Liegt in diesem Rahmen nicht auch der Zusammenschluss mit der Handlungsfähigkeit nahe, als einer klassischen Voraussetzung für den Erwerb neuer Rechte, so gesehen eine Rechtserwerbsfähigkeit im umfassenden Sinne? Eine Präzisierung der Rechtsfähigkeit solchermaßen auf den Rechtserwerb könnte bereits im geltenden Recht angelegt sein. Nach § 14 II BGB wird eine rechtsfähige Personengesellschaft als eine solche bestimmt, die mit der Fähigkeit, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen, ausgestattet ist. Die Formulierung macht es zumindest möglich, zwischen dem Innehaben ursprünglicher, angeborener Rechte / Rechtspositionen einerseits und dem Neuerwerb von Rechten und Pflichten andererseits zu unterscheiden und die Rechtsfähigkeit auf den bloßen Neuerwerb zu beziehen. Unter der Prämisse, dass es sich bei § 14 II BGB um eine endgültige gesetzliche, wenn auch nur indirekte Festschreibung der herrschenden Rechtsfähigkeitsdefinition allgemein handeln soll22, könnte dies als generelles Bekenntnis zu einer bloßen Erwerbsfähigkeit gelesen werden. Letztlich würde dies die Aussage des § 14 II BGB jedoch überbewerten. Ursprünglich war der dortige Satz mit identischem Wortlaut als Legaldefinition einer rechtsfähigen Personengesellschaft in § 1059 a II BGB enthalten. Eigentliches Anliegen des § 1059 a BGB insgesamt war es allerdings, rechtsfähige Personengesellschaften in ihrem Anwendungsbereich den juristischen Personen gleichzustellen; die Legaldefinition erfolgte in diesem Zusammenhang mehr ergänzend und klarstellend.23 Auch als diese Definition im Zuge der Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie in den Allgemeinen Teil (§ 14 II BGB) verlagert wurde24, ging damit nach überwiegender Ansicht keine Bedeutungserweiterung im Sinne einer generellen Rechtsfähigkeitsdefinition einher.25 Vielmehr wurde sie wiederholt als tautologisch und überflüssig gewertet.26 Damit kommt § 14 II BGB – jenseits der Frage, ob die Formulierung tatsächlich bewusst als Betonung bloßer Erwerbsfähigkeit gewählt 22  Lehmann,

AcP 207 (2007), S. 225 (227). 13/3604, S.7  f.; Bamberger/Roth/Schmidt-Räntsch, BGB Bd. 1,

23  BT-Drucks.

§ 14 Rn. 2. 24  BGBl. 2000 I, S. 897 (899). 25  BT-Drucks. 14/3195, S. 32. Es handele sich um eine „bloße Folgeänderung“. 26  Jauernig/Jauernig, 13. Aufl, § 14 Rn. 2; Kropholler Studienkommentar, § 14 Rn. 2; Bork, Rn. 170 Fn. 30; Hensen, ZIP 2000, 1151 (1151); Flume, ZIP 2000, 1427 (1428); a. A. Bamberger/Roth/Schmidt-Räntsch, BGB Bd. 1, § 14 Rn. 2.

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Kap. 5: Eigene Perspektiven

wurde – gerade mit Blick auf natürliche Personen nicht als allgemeine Definition von Rechtsfähigkeit in Betracht. Unabhängig davon gilt: Die vorliegende Differenzierung zwischen angeborenen und erworbenen Rechten sowie die Fokussierung des Ordnungsbereichs auf letztere führen nicht zwangsläufig zu einer Vermischung von Rechts- und Handlungsfähigkeit. Die Definition von Rechtsfähigkeit kann zwar angepasst und speziell auf erworbene Rechte hin formuliert werden. Dies hat aber nicht zwingend in der Form „Fähigkeit, neue Rechte zu erwerben“ zu geschehen. Die Betonung innerhalb der Rechtsfähigkeitsaussage könnte ebenso auf die Bestimmung des Rechtsträgers gelegt werden; dann wäre Rechtsfähigkeit fortan zu konkretisieren als diejenige Fähigkeit, Träger der erworbenen Rechte zu sein. Entsprechend würde es auch weiterhin bei der bekannten gedanklichen Zweiteilung zwischen Trägerschaft und Erwerbsvorgang bleiben. Auf der einen Seite stünden die Rechtserwerbsvoraussetzungen, zusammengefasst unter dem Begriff der Rechtserwerbsfähigkeit: die Handlungsfähigkeit bzw. Geschäftsfähigkeit als wesentliches Element (Fähigkeit zum Rechtserwerb durch eigene Handlung); die Erfüllung besonderer rechtsgruppenspezifischer Voraussetzungen bzw. Fähigkeiten (vgl. „besondere Rechtsfähigkeiten“); die Erfüllung der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen. Auf der anderen Seite stünde die Frage nach der Rechtsträgerschaft, d. h. entweder abstrakt als die grundsätzliche Fähigkeit, Träger erworbener Rechte zu sein, oder konkretisiert als Frage, wer Träger des jeweils einzelnen Rechts ist. An dieser Stelle ist die Frage aufzuwerfen, ob es einer solchen Zweiteilung überhaupt bedarf. Ist eine gesonderte Nennung des Rechtsträgers bzw. der entsprechenden Rechtsträgerfähigkeit neben den konkreten Erwerbsvoraussetzungen erforderlich? Nur wenn auf eine derart separate Grundlage verzichtet würde, wäre eine tatsächlich in sich geschlossene Rechtserwerbsfähigkeit anzunehmen, die dasjenige zusammenfassen würde, was heute als Rechts- und Handlungsfähigkeit noch getrennt firmiert. Für das hier vorgeschlagene Modell wird jedoch im Ausgangspunkt an der bisherigen Dogmatik festgehalten und grundsätzlich, d. h. nominell zwischen der Rechtsträgerschaft einerseits und der Rechtserwerbsfähigkeit (im Wesentlichen abhängig von der Geschäftsfähigkeit) andererseits unterschieden. Es ist auch weiterhin für jedes Recht die eigenständige Frage nach dem jeweiligen Rechtsträger zu stellen. Nur auf diesem Wege ist die Rechtsgestaltung der Stellvertretung möglich, deren Vorteil wiederum in einer flexibleren Gestaltung der Kompetenzverteilung liegt, wenn einem Handlungsunfähigen die Position der Rechtsträgerschaft belassen bleibt. Die Möglichkeit einer solchen Gestaltung ist grundsätzlich offen zu halten. Eine Modifikation wird jedoch in anderweitiger Form vorgenommen. Die formal-dogmatische Frage der Rechtsträgerschaft soll nur noch mit Bezug



B. Entwicklung der Eckpunkte eines eigenen Modells309

auf das jeweils konkret betroffene Recht bzw. die konkret betroffene Pflicht gestellt werden. Es geht somit allein um die aktuelle, d. h. aktualisierte Rechtsträgerschaft und nicht mehr um die grundsätzliche Fähigkeit, Rechtsträger zu sein, als die abstrakte Möglichkeit hierzu. Eine Fähigkeit in solcher Generalität wird nicht mehr eigens in den Blick genommen, nicht mehr eigens benannt. Entsprechend entfällt die traditionelle Figur der allgemeinen Rechtsfähigkeit als solche. Fokussiert wird die individuelle, konkret gegebene Rechtsträgerschaft, insoweit eine konkretisierte Rechtsträgerschaft mit Blick auf die je und je betroffene Rechtsposition. Im Ordnungsbereich wird somit für jedes subjektive Recht bzw. jede Pflicht unterschieden zwischen einer (konkretisierten) Rechtsträgerschaft einerseits und einer Rechtserwerbs- bzw. Rechtsausübungsfähigkeit andererseits. Die Rechtserwerbsfähigkeit wird im Wesentlichen durch die Geschäftsfähigkeit bestimmt (Rechtserwerb durch eigene rechtswirksame Handlung). Ein Geschäftsunfähiger ist entsprechend rechtserwerbsunfähig bzw. nur durch seinen gesetzlichen Vertreter zum Erwerb in der Lage. Hinzu treten u. U. weitere besondere Erwerbsvoraussetzungen. Hinsichtlich der Rechtsträgerschaft kann nun im Rahmen der konkreten Betrachtungsweise – ausschließlich bezogen auf das jeweilige Recht, die jeweilige Pflicht – erwogen werden, sie stärker mit Aspekten der Rechtsausübungsbefugnisse (Handlungsfähigkeiten) zu verbinden.27 Dies ist zumindest an den Stellen in Betracht zu ziehen, an denen es die Lösung der letztendlich interessierenden Grenz- und Problemfälle flexibilisiert und sachgerecht macht. Anknüpfend hieran ist diese Dogmatik von anderen Gegenmodellen zu § 1 BGB abzugrenzen, die als „Konkretisierungs- und Relativierungstheorien“ bezeichnet werden. Der erste Unterschied besteht in der jeweils gewählten Methodik, insbesondere den Ansatzpunkt der „Konkretisierung“ betreffend. Jene Modelle verbinden die Rechtsfähigkeit mit der Handlungsfähigkeit und nicht, wie hier beabsichtigt, die Rechtsträgerschaft mit der Handlungsfähigkeit. Sie behalten die Figur einer grundsätzlichen Fähigkeit zu Rechten und Pflichten als solche bei, knüpfen Modifikationen und Differenzierungen hieran an und sprechen damit einzelnen Menschengruppen (Handlungsunfähigen etc.) gerade diese Fähigkeit ab.28 Entsprechend wird ein Negativstatus nicht nur für einzelne Rechte und Pflichten, sondern stets 27  Dem steht nicht entgegen, dass die dogmatische Trennung von Rechtsträgerschaft und Rechtsausübung als solche aufrechterhalten wird (s. o.). Es bleibt bei zwei eigenständigen Fragekreisen bzw. eigenständigen Instituten, die lediglich in mehr oder weniger starker Abstimmung aufeinander bejaht oder verneint werden. 28  Vgl. Fabricus [Kapitel 4, B. II. 3. a)]: Es wird der einzelne Mensch betrachtet und gefragt, welche Rechte und Pflichten er hat. Aus gerade der Summe dieser Rechte und Pflichten bildet Fabricius dessen relative, individuelle und (nur) insofern konkretisierte Rechtsfähigkeit. Vgl. Pawlowski [Kapitel 4, B. II. 3. c)]: Es wird ein

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Kap. 5: Eigene Perspektiven

auch in grundsätzlichem Umfang ausgesprochen. Gerade darin besteht m. E. eine Gefahr: Die an sich allgemeine, als egalisierend gedachte Grundlage und das Verbindungsglied aller Rechtsunterworfenen werden untergliedert und damit im Ergebnis missbrauchsanfällig. Dagegen ist dies nicht der Fall, wenn es nur um die konkrete Rechtsträgerschaft gehen soll, die bejaht oder verneint wird. In den Modellen des 20. Jahrhunderts bedeuten Konkretisierung und Relativierung eine einschränkende Ausgestaltung und ggf. eingeschränkte Zuerkennung des allgemeinen Status Rechtsfähigkeit; in dem hier entwickelten Modell bedeutet Konkretisierung das Schauen auf das konkrete Recht, die konkrete Pflicht. Innerhalb dieser auf das einzelne Recht, die einzelne Pflicht bezogenen Trägerschaft sind Stufungen welcher Art auch immer sodann wenig sinnvoll und werden daher nicht vorgenommen. Der zweite maßgebliche Unterschied liegt in der Annahme eines gesonderten Wertebereichs. Selbst wenn im Rahmen des hier vertretenen Modells die Rechtsträgerschaft für sämtliche subjektive Rechte und Pflichten mit Blick auf die jeweils fehlende Handlungsfähigkeit verneint würde, blieben nichtsdestotrotz die angeborenen Rechtsgüter des Wertebereichs erhalten und die allgemeine, im Sinne von egalisierend wirkende, Grundlage aller Rechtsunterworfenen würde nicht tangiert. Auch in diesen Fällen wäre daher der Mindeststandard rechtlicher Anerkennung (Art. 1 I, 79 III GG) gewahrt. Ein solcher Grundbestand unentziehbarer Rechtspositionen wird in den bisherigen Modellen nicht explizit festgeschrieben. Zumindest fehlt es bei ihnen an einer präzisen, damit letztverbindlichen Benennung definitiv gegebener Rechtspositionen, die insbesondere in einem autarken, von jeglicher Relativierung ausgenommenen Rechtsbereich verankert sein sollen.29 Erst dies jedoch gewährleistet eine ausreichende Sicherung.

III. Fallgruppen und Ertrag des vorgeschlagenen Modells Die Anwendung und Auswirkungen der vorgeschlagenen Betrachtungsweise sind abschließend anhand der im Eingangskapitel angeführten Grenzund Problemfälle zu betrachten. Hieran ist der Gewinn der dogmatischen Veränderungen und des entwickelten Modells zu messen. jeweils unterschiedlicher Status angenommen, gemessen an der Summe der unterschiedlichen rechtlichen Fähigkeiten eines Menschen als Vergleichsgröße. 29  Vgl. John [Kapitel 4, B. II. 3. b)], demzufolge nach § 1 BGB eine Demontage des Menschen als natürliche Rechtsperson niemals komplett durchgeführt werden könne bzw. solle; es verbleibe immer ein Mindestumfang an Rechtsfähigkeit in potentia. Dies ist m. E. missbrauchsanfällig vor dem Hintergrund, dass John die Rechtsfähigkeit selbst in Verbindung mit Handlungsfähigkeit bestimmt und damit nicht, wie hier vorgeschlagen, auf einen eigenständigen und insofern „unflexiblen“ Bereich/Bestand an Rechtspositionen stützt.



B. Entwicklung der Eckpunkte eines eigenen Modells311

Der Nasciturus hat als werdender Mensch die Rechtsgüter Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und Freiheit.30 Er ist deren Rechtsgutsträger, insofern rechtsgutsfähig. Im Ordnungsbereich sind ihm einzelne subjektive Rechte und Pflichten gesetzlich zugewiesen unter der auflösenden Bedingung seiner Lebendgeburt. Auch diesbezüglich ist der Nasciturus der Rechtsträger (Rechtssubjekt) und nicht sein gesetzlicher Vertreter. Dies ist auch unter der Überlegung, die Rechtsträgerschaft ggf. stärker an der Handlungsfähigkeit zu orientieren, anzunehmen; denn in der gesetzlichen Normierung jener Rechte und Pflichten des Nasciturus ist eine Betonung gerade seiner Rechtsposition zu sehen. Der Vorteil gegenüber der herrschenden Dogmatik zeigt sich in der konkretisierten, nur für die einzelnen Rechtspositionen zu bestimmenden Trägerschaft. Es entfällt die Schwierigkeit, den nur beschränkten Rechtskreis des Nasciturus an eine sonstige allgemeine Rechtsfähigkeit anzupassen und mit an sich nicht kompatiblen Figuren wie z. B. Teilrechtsfähigkeiten dogmatisch schlüssig zu erklären. Im postmortalen Bereich wird der derzeit herrschenden Meinung gefolgt. Es sind sowohl eine Rechtsgutsfähigkeit im Wertebereich als auch Rechtsträgerschaften im Ordnungsbereich zu verneinen, da ein lebender Mensch nicht gegeben ist. Aus Art. 1 I GG folgt allein ein postmortaler Persönlichkeitsschutz. Anhand des medizinisch schwer zu definierenden Grenzbereichs zwischen Leben und Tod zeigen sich die eigentlichen Auswirkungen. Für den Fall eines Patienten im irreversibel komatösen Zustand, für den keinerlei Chancen einer künftigen Rechtsausübungstätigkeit bestehen, ist es nachdenkenswert, ihn hinsichtlich seiner subjektiven Rechte und Pflichten, zumindest hinsichtlich seiner Vermögensrechte, nicht länger als Rechtsträger / Rechtssubjekt anzusehen. Hier kommt die stärkere Orientierung an der Rechtsausübungsfähigkeit (Handlungsfähigkeit) zum Tragen. Ein solcher Patient hätte keine Rechtsträgerschaft und keine Rechtserwerbsfähigkeit im Ordnungsbereich. Ihm blieben jedoch im Wertebereich die Rechtsgüter und angeborenen Rechte (Persönlichkeitsrecht) uneingeschränkt erhalten. Diesbezüglich wäre der Komatöse Rechtsgutsträger bis zu seinem biologischen Tod im Sinne des Endes menschlicher Existenz (Rechtsgutsfähigkeit). Die Konsequenz wäre der Eintritt des Erbfalls hinsichtlich der Vermögensrechte bereits zu Lebzeiten des Komatösen. So gesehen könnte von einer Wiederbelebung der mors civilis gesprochen werden, allerdings nur unter der Einschränkung, ihn allein auf subjektive Rechte zu beziehen. Die Parallele zur mors civilis ist mit Blick auf die andauernde Rechtsgutsfähigkeit jedoch nur bedingt passend; wegen etwaiger historischer Fehlverständnisse 30  Bei der Freiheit dürfte es sich um eine nur theoretische Rechtsposition ohne effektiven Anwendungsbereich handeln.

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Kap. 5: Eigene Perspektiven

ist der Ausdruck besser zu vermeiden. Rechtsethische Bedenken gegen diesen dogmatischen Lösungsansatz kommen nicht zum Tragen, da den Komatösen in jedem Fall der Rechtsgüterbereich in eigener Person verbleibt und damit der Mindeststandard rechtlich gesicherter Humanität (Art. 1 I GG) eingehalten wird. Soweit für die Feststellung des irreversiblen Komazustands medizinische Standards aufzustellen wären, mögen Zweifel an der Umsetzbarkeit bzw. Rechtssicherheit laut werden. Diesbezüglich, aber auch insgesamt, ist sich jedoch bewusst zu machen: Es geht ausschließlich um die absoluten Grenzfälle des Lebens, bereits im Todesstadium oder in einem irreversiblen Komazustand. Insoweit werden schon heute keinesfalls unumstrittene medizinische Richtlinien aufgestellt31 und diskussionswürdige rechtliche Entscheidungen über Leben und Tod getroffen. Im Fall Lambert v. France (05.06.2015) entschied die große Kammer des EGMR, die Einstellung der künstlichen Ernährung eines Wachkomapatienten (passive Sterbehilfe) sei mit Art. 2 EMRK vereinbar, obwohl der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten Lambert über seinen eigenen Tod in Streit stand bzw. nicht ermittelt werden konnte.32 In der Sache bzw. praktischen Konsequenz geht das über den vorliegenden Lösungsansatz hinaus. Mit diesem wird zunächst nur vorgeschlagen, zwischen einem Werte- und Ordnungsbereich zu unterscheiden und die Rechtsträgerschaft für subjektive Rechte und Pflichten (Vermögensrechte) entfallen zu lassen, bei im Übrigen fortbestehendem Lebensschutz. Hierin zeigt sich nicht zuletzt der Ertrag der Neuausrichtung: Die empfohlene Trennung von Werte- und Ordnungsbereich ermöglicht gegenüber der geltenden BGB-Dogmatik einen im Ergebnis gesteigerten Schutz im Sinne des Art. 1 I GG und Art. 1 I, 2 I GG. Die stärkere Berücksichtigung der Ausübungstätigkeit im Rahmen der Bestimmung des Rechtsträgers (Ordnungsbereich) ließe sich auch allgemein auf die Fälle von Geschäftsunfähigkeit und beschränkter Geschäftsfähigkeit ausdehnen. Die geltende Regelung der §§ 104, 106 BGB wäre in der Weise zu übertragen, dass es den Betroffenen an der Rechtserwerbsfähigkeit (Rechtserwerb durch eigene Handlung) sowie – bei grundsätzlichem Gleichlauf zwischen Rechtsposition und Ausübungsbefugnis – an der Rechtsträgerschaft der erworbenen subjektiven Rechte und Pflichten fehlen würde. Rechtsträger wäre in diesem Fall der gesetzliche Vertreter in zweckgebundener Form, ggf. als Sonderrechtsvermögensinhaber und unter Anwendung der bisherigen Regelungen des Eltern-Kind-Verhältnisses bzw. des 31  Vgl. die eingangs dargestellte, neu entfachte Diskussion um den medizinisch „richtigen“ Todeszeitpunkt (Hirntod; Herz-Kreislauf), zu der auch der Deutsche Ethikrat keine einstimmige Stellungnahme abgibt [Kapitel 1, B. I. 2. a)]. 32  EGMR, Urteil v. 05.06.2015, Az. 46043/14.



B. Entwicklung der Eckpunkte eines eigenen Modells313

Betreuungsrechts (§§ 1629 ff., 1896 ff. BGB).33 Mit Blick auf die fehlende Intensität der Ausübungstätigkeit wäre allerdings ein Unterschied zum obigen Grenzfall des irreversibel Komatösen angebracht. Dies könnte in der Weise zum Ausdruck gebracht werden, den Gleichlauf von Rechtsträgerschaft und Handlungsfähigkeit lediglich als Grundtatbestand anzunehmen, der für einzelne Rechte und Pflichten je nach Bedarf zu durchbrechen ist. Ein Geschäftsunfähiger bzw. beschränkt Geschäftsfähiger34 wäre demzufolge (selbst) rechtserwerbsunfähig und im Regelfall auch nicht Rechtsträger der erworbenen Rechte und Pflichten; nichtsdestotrotz könnte ihm die Trägerschaft für die einzelnen erworbenen Rechte und Pflichten jeweils konkret zugesprochen werden.35 Dogmatisch ermöglicht würde diese flexible Gestaltung durch die hier favorisierte konkrete Rechtsträgerschaft bzw. konkretisierte Rechtsträgerfähigkeit, die für jedes subjektive Recht gesondert definiert und festgelegt wird. Eine irgendwie geartete grundsätzliche oder allgemeine Rechtsfähigkeit des Geschäftsunfähigen ist nach dieser Ausrichtung nicht mehr erforderlich, um im jeweiligen Einzelfall seine Rechtsträgerschaft annehmen zu können. Neben der dogmatischen Möglichkeit spielen allerdings auch die tatsächliche Umsetzbarkeit und der rechtspraktische Nutzen eines solchen Modells eine Rolle. Diesbezüglich kann die skizzierte Gestaltung noch nicht abschließend verifiziert werden. In Frage steht, ob für die je und je Verteilung der Rechtsträgerschaft nicht doch eine gesonderte staatliche Anerkennung, Festschreibung oder zumindest Kundgabe durch die Parteien zu fordern wäre, dies aus Gründen der Rechtssicherheit. Insoweit ist der Gleichlauf von Rechtsträgerschaft und Handlungsfähigkeit, der für den Fall des irreversibel Komatösen als hilfreich aufgegriffen wird, nicht als Selbstzweck zu verfolgen und nun zwingend auf sämtliche Fälle von Geschäftsunfähigkeit zu übertragen. Anliegen dieser Arbeit ist es, Lösungsansätze für Grenz- und Problemfälle zu präsentieren; nur in diesem Umfang ist eine dogmatische Neuausrichtung geboten. 33  Würde der Geschäftsunfähige ein zu seinen Gunsten zweckgebundenes Recht des gesetzlichen Vertreters verletzen, wäre seine Haftung bereits aufgrund dieser Zweckbindung tatbestandlich ausgeschlossen. Darüber hinaus wäre das Haftungsrisiko des Geschäftsunfähigen insgesamt reduziert, wenn er nicht in eigener Person verpflichtet würde. 34  Dieser nach Maßgabe der §§ 107 ff. BGB. 35  Eine solche Gestaltung wäre dort angebracht, wo es gerade um eine Abgrenzung zwischen dem Geschäftsunfähigen und seinem gesetzlichen Vertreter geht, d. h. wo deren notwendige Einheit zur wirksamen Teilhabe am Rechtsverkehr aufgebrochen und eine eigenständige Rechtsposition des Geschäftsunfähigen ausnahmsweise betont werden sollen. Das ist denkbar für größere, in gewissem Sinne auch statische Vermögenswerte, beispielsweise Grundstücke. In solchen Fällen wird es regelmäßig im Interesse der Beteiligten sein, die Rechtsträgerschaft gerade auf den Geschäftsunfähigen zu legen und als solche festzuschreiben.

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Kap. 5: Eigene Perspektiven

Im Unterschied zum Bereich des Lebensendes ist Geschäftsunfähigkeit im Sinne der §§ 104 ff. BGB nicht davon betroffen.36 Es bleibt somit auch in dem neu entwickelten Modell bei der grundsätzlichen Rechtsträgerschaft des Geschäftsunfähigen und beschränkt Geschäftsfähigen im Ordnungsbereich.

IV. Terminologie und Auswirkungen auf § 1 BGB Der Begriff des Rechtssubjekts gehört zum Ordnungsbereich und bezeichnet den Träger der erworbenen subjektiven Rechte und Pflichten. Hinsichtlich des Begriffs der Person ist zu sehen, dass auch weiterhin eine rechtliche Relevanz des Menschen während der gesamten Dauer seiner biologischen Existenz zumindest aufgrund seiner angeborenen Rechte und Rechtsgüter im Wertebereich besteht. Diese rechtliche Relevanz ist nun allerdings unabhängig von der Rechtssubjektivität im Ordnungsbereich. Wer den Schwerpunkt des historisch vermittelten Personenbegriffs, gerade auch mit Blick auf dessen interdisziplinäre Verwendung, in der Anerkennung menschlicher Würde überhaupt sieht, wird ihn dem Wertebereich zuordnen und damit auch weiterhin eine Identität von Mensch und Person annehmen. Alternativ kommt in Betracht, den Ausdruck Person synonym mit Rechtssubjekt im Ordnungsbereich zu gebrauchen. Für den Wertebereich bleibt es dementsprechend auch begrifflich allein bei einer Anknüpfung am Menschen. Infolgedessen können Mensch und Person auseinanderfallen. Um im Sinne der dogmatischen Neuausrichtung die Trennung zwischen Werte- und Ordnungsbereich auch terminologisch zu unterstreichen, wird hier der zweiten Alternative gefolgt. § 1 BGB in seiner jetzigen Form ist mit den obigen Ausführungen nicht kompatibel. Eine Rechtsfähigkeit als solche wird nicht mehr angenommen, sodass die Aussage des § 1 BGB bereits unter diesem Aspekt einer Anpassung bedarf. Wird hierfür an die Stelle der Rechtsfähigkeit die ausschließlich konkret bestimmte Rechtsträgerschaft gesetzt, ist deren Beginn nicht zwingend auf die Geburt zu legen, da es sich nicht mehr um eine abstrakte Größe handelt. Von einer allgemeinen Aussage über die Rechtsträgerschaft wird der Sache nach abgesehen. § 1 BGB findet in aktueller Form keine Anwendung mehr. 36  Insofern ist das bisherige Regelungssystem des BGB nicht zu beanstanden. Darüber hinaus fügen sich die §§ 104 ff. BGB in das hier vorgeschlagene Modell ein und sind mit einer konkreten Bestimmung jeweiliger Rechtsträgerschaft (unter Absehung von allgemeiner Rechtsfähigkeit) kompatibel, sodass es auch aus diesem Grund keiner Anpassung bedarf.



B. Entwicklung der Eckpunkte eines eigenen Modells315

Als Regelung im Rahmen des entworfenen Modells wird vorgeschlagen.37 § 1 BGB. Rechtsgüter. Rechtserwerbsfähigkeit. Rechtsträgerschaft. (1)  1Jedes menschliche Wesen ist Träger der ihm angeborenen Rechtsgüter Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und Freiheit. 2Der Nasciturus ist als werdender Mensch Rechtsgutsträger. (2)  1Die Fähigkeit, weitere Rechte und Pflichten durch eigene Handlung zu erwerben (Rechtserwerbsfähigkeit), richtet sich beim Menschen nach den Regelungen über die Geschäftsfähigkeit. 2Die Rechtsträgerschaft (Rechtssubjektivität) ist in Bezug auf das konkret betroffene Recht und die konkret betroffene Pflicht zu bestimmen. 3Rechtsträger in eigener Person können auch der Geschäftsunfähige und der beschränkt Geschäftsfähige sein.

37  Der Gestaltungsvorschlag gesetzlicher Regelungen wird auf solche Normen beschränkt, die unmittelbar eine Rechtsgutsträgerschaft, Rechtsträgerschaft und Rechtserwerbsfähigkeit betreffen würden. Weitere BGB-Vorschriften wären im Einzelfall auf etwaige erforderlich werdende Anpassungen (terminologisch, inhaltlich) zu überprüfen (z. B. § 164 I S. 1 BGB: „wirkt unmittelbar für und gegen den Vertretenen“ bzgl. gesetzlicher Vertretung). Im Rahmen dieser Arbeit wird hiervon abgesehen.

 

Rechtsgutsträgerschaft; Rechtsgutsfähigkeit

„Mensch“

Rechtserwerbsfähigkeit/Rechtsausübungsfähigkeit • im Wesentlichen Handlungsfähigkeit • Erfüllung von Tatbestandsvoraussetzung

„Person“/„Rechtssubjekt“

Annäherung/Wechselwirkung in Grenzfällen

konkrete Rechtsträgerschaft; konkretisierte Rechtsträgerfähigkeit

erworbene subjektive Rechte

von Ordnungsfunktion motiviert positivrechtliche Einzelfallgestaltung

Abbildung 3: Eckpunkte eines eigenen Modells

Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit; Allgemeines Persönlichkeitsrecht

angeborene Rechtsgüter/Rechte

 

Zuordnungsendpunkt

Menschenwürde; Persönlichkeit

Grundsatz universeller Geltung für jeden Menschen Erfüllung ethischer Minimalstandards (Art. 1 I, 79 III GG)

Ordnungsbereich

Wertebereich

316 Kap. 5: Eigene Perspektiven



B. Entwicklung der Eckpunkte eines eigenen Modells317

Fallgruppen Grundfall [„Mensch“ und „Person“]

Minderjährige i. S. d. §  106 BGB [„Mensch“ und „Person“]

Geschäftsunfähige gem. § 104 Nr. 1, 2 BGB [„Mensch“ und „Person“]

Komapatient (irreversibel) [„Mensch“]

Nasciturus [„werdender Mensch“]

Postmortal

1) Rechtsgutsfähigkeit angeborene Rechte /  Rechtsgüter (+) 2) Rechtserwerbsfähigkeit (+) konkrete Rechtsträgerschaft (+) 3) Haftung (+) entsprechend Rechtsträgerschaft (Berechtigung / Verpflichtung) 1) Rechtsgutsfähigkeit angeborene Rechte /  Rechtsgüter (+) 2) Rechtserwerbsfähigkeit (+ / –); §§ 107 ff. BGB, §§ 164 ff. BGB konkrete Rechtsträgerschaft (+) 3) Haftung (+); unter gesetzlicher Einschränkung (Berechtigung / Verpflichtung) 1) Rechtsgutsfähigkeit angeborene Rechte /  Rechtsgüter (+) 2) Rechtserwerbsfähigkeit (–); §§ 164 ff. BGB konkrete Rechtsträgerschaft (+) 3) Haftung (+); unter gesetzlicher Einschränkung (Berechtigung / Verpflichtung) 1) Rechtsgutsfähigkeit angeborene Rechte /  Rechtsgüter (+) 2) Rechtserwerbsfähigkeit (–) konkrete Rechtsträgerschaft (–); §§ 1922 ff. BGB 3) Haftung (–) (Berechtigung / Verpflichtung) 1) Rechtsgutsfähigkeit angeborene Rechte /  Rechtsgüter (+) 2) Rechtserwerbsfähigkeit (–) konkrete Rechtsträgerschaft (+); auflösend bedingt 3) Haftung (+); auflösend bedingt (Berechtigung / Verpflichtung) 1) Rechtsgutsfähigkeit angeborene Rechte /  Rechtsgüter (–) 2) Rechtserwerbsfähigkeit (–) konkrete Rechtsträgerschaft (–) 3) Haftung (–) (Berechtigung / Verpflichtung)

Zusammenfassung und Ausblick 1. Rechtsperson, Rechtsfähigkeit, Rechtssubjekt sind Elementarbegriffe des modernen Rechtsdenkens mit langer Tradition und Entwicklungsgeschichte. 2. Zugleich sind sie Gegenstand aktueller Diskussionsfelder. Am Anfang und Ende des Lebens gerät die bisherige Konstante „Mensch“ aufgrund der medizinischen Möglichkeiten in Verunsicherung. Zur rechtlichen Erfassung dieser Fälle werden dogmatische Erklärungen erforderlich (Teilrechtsfähigkeit; postmortaler Persönlichkeitsschutz) vor einem enorm würdebesetzten Hintergrund. 3. Der ethische Personenbegriff des § 1 BGB führt zwei Aussagen mit sich. Einerseits sind die allgemeine Rechtsfähigkeit und das Rechtspersonsein des Menschen Ausdruck seiner Menschenwürde (rechtsethisches Element). Andererseits sind Rechtsperson und Rechtsfähigkeit Ordnungskriterien mit der Aufgabe, die Trägerschaft für Rechte und Pflichten zu bestimmen (formal-dogmatisches, rechtstechnisches Element). 4. Jene Verbindung rechtsethischer und rechtstechnischer Wesenszüge führt zusammen mit dem hohen Abstraktionsgrad des BGB-Personenbegriffs zu Aporien. Diese sind historisch angelegt. Zwei Fragenkreise treten hierbei hervor: In welcher Verbindung stehen Rechtsfähigkeit und Persönlich­keit(srecht)? Wie verhält sich die allgemeine Rechtsfähigkeit zur Handlungsfähigkeit bzw. generell zu Stufungen und einer inhaltlichen Ausgestaltung des Rechtsfähigkeitsbegriffs selbst? 5. Die historische Analyse zu Savigny und Puchta sowie die Betrachtung der Kodifikationsmaterialien zu § 1 BGB ergeben, dass Rechtsfähigkeit vor allem als formal-rechtstechnische Ordnungsgröße im jeweiligen dogmatischen System verwendet wird. Zwar wird bei der Begründung der Rechtsfähigkeit des Menschen auch auf rechtsethische Überlegungen zurückgegriffen. Eine Vermittlung von sachlich-inhaltlichen Rechtspositionen, die Persönlichkeit betreffend (Persönlichkeitsrechte), folgt daraus jedoch nicht. 6. Savigny und Puchta verwenden das klassische römische Recht mit den verschiedenen status als Argumentationsfolie. Dadurch wird deren Begriff von der allgemeinen Rechtsfähigkeit des Menschen in der Struktur als solcher prinzipiell stufbar. Rechtsfähigkeit ist für Savigny und Puchta eine Rechtskonstruktion, die im Einzelnen positiver Ausgestaltung unterliegt.



Zusammenfassung und Ausblick319

  7. In den Kodifikationsmaterialien wird vor allem deutlich, wie der Grundsatz gleicher Rechtsfähigkeit rechtstechnisch erreicht wird. Dies geschieht über eine strenge Formalisierung und eine Auslagerung menschlicher Unterscheidungsfaktoren auf andere Rechtsfiguren.  8. Fast unmittelbar nach Inkrafttreten des BGB setzte eine grundlegende Kritik an der allgemeinen Rechtsfähigkeit im Sinne des § 1 BGB ein. Sie betraf insbesondere das Verhältnis von Rechts- und Handlungsfähigkeit.  9. Vor dem Hintergrund der gesamten Entwicklungslinie besteht der entscheidende Schritt in der Normierung der Menschenwürde in Art. 1 I, 79 III GG. Auf diese Weise erhält die materiell-ethische Aussage, die auch dem Gedanken einer allgemeinen Rechtsfähigkeit zugrunde liegt, einen rechtlichen Gehalt auf höchster normativer Ebene. 10. Zur Bewältigung aktueller und künftiger Streitfragen zum Themenkreis Rechtsperson wird ein Modell vorgeschlagen, das zwischen einem Werte- und einem Ordnungsbereich unterscheidet. Die Trennlinie wird strukturell zwischen Rechtsgütern einerseits und subjektiven Rechten andererseits gezogen. 11. Der Wertebereich gewährleistet durch einen grundsätzlichen Bestand angeborener und unveräußerlicher Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit) den Mindeststandard rechtlich gesicherter Humanität. Im Ordnungsbereich wird die formal-dogmatische Frage der Rechtsträgerschaft nur noch mit Blick auf die jeweils konkret betroffene Rechtsposition gestellt und, soweit vorteilhaft und sachgerecht, stärker mit Aspekten der Rechtsausübungsfähigkeit verbunden (Fallgruppe des irreversibel Komatösen). 12. Infolgedessen wird Abstand von einer allgemeinen Rechtsfähigkeit als dem dogmatischen Zentralbegriff genommen. An deren Stelle treten eine Rechtsgutsfähigkeit einerseits und eine je und je aktualisierte Rechtsträgerschaft andererseits.

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Quellen- und Literaturverzeichnis321 II. Gesetzesmaterialien / Amtliche Quellen zur Kodifikation

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Personen- und Stichwortverzeichnis Achtungsanspruch  33 f., 73 ff., 84 f., 92, 93, 170, 203 ff., 298, 301, 303 Agnation  125 ff., 200, 201 f. Allgemeines Preußisches Landrecht  83, 234 Aporie (des Personenbegriffs)  16, 73 ff., 100 f., 207, 318 Aquin, Thomas von  78 Äquivalenztheorie  62 ff. Arndts  187 ff., 195, 219 Begriffspyramide  154 Besitz  114, 181, 216 – Recht des Besitzes  175 ff., 180, 181, 182 ff., 190, 194, 220 Bethmann-Hollweg, August von  107, 109 f. Binder, Julius  256 ff., 284, 295 Bioethik  15, 42, 61 Bürger  77, 148 f. bürgerlicher Tod  siehe Tod caput deminutio  124 ff., 128 ff., 131, 134 f., 164 f., 174, 198, 201 f., 208 ff., 212 commercium  121 f., 200 conubium  121 f., 200 Corpus Iuris Canonici  78 Corpus Iuris Civilis  77 f. Deliktsfähigkeit  254, 273, 283 Deliktsrecht  244, 247 ff. Donellus  80 f., 91 Ehefähigkeit  121 Ehre  114, 176, 178, 193, 199 f., 203 ff., 211 f., 248 ff. – Standesehre  176 ff., 203, 212

Ehrminderung  176, 203 ff., 207, 235 entia moralis  82 entia physica  82 Entscheidungsfreiheit  155 f. Erblasser  220 ff. Fabricius, Fritz  226, 272 f., 278 ff., 281, 284, 296 Familiengewalt  77, 120, 122, 125, 133, 136, 147, 176, 191 f., 200 f., 205 ff., 210 f. figura humana  22 Fiktionstheorie  140, 245, 246 f. Filiusfamilias  siehe Familiengewalt Flexibilisierung (der Rechtsfähigkeit)  75 f., 304, 308 f., 312 f. Flume, Werner  40 Freiheit  68, 75, 78, 80, 82 ff., 91, 92, 102, 107 ff., 117, 120, 124 ff., 130, 150, 151 f., 152 f., 153 ff., 162, 164, 166 ff., 172 f., 175, 188, 198 f., 225, 228, 247 ff., 292, 301 f., 302 ff., 315, 316, 319 Gaius  77 Gareis, Karl Heinrich Franz von  103, 215 f., 219 Gebhard, Albert  227, 228 f., 230 f., 234 ff., 237 f., 245 f., 251 f. Geburt  21 f., 26, 28, 33, 38, 42 ff., 51, 56 f., 71, 98, 112, 118 f., 143 f., 160 f., 163, 197, 217, 218, 232, 240 ff., 242 ff., 270, 286 f., 300 f., 301 f., 304 f., 311, 314 Gens; Gentilität  127, 200 f. Geschäftsfähigkeit siehe auch Handlungsfähigkeit  15, 24, 40, 100, 143, 236, 244, 250 ff., 259, 275, 281, 284, 286, 292 f., 308 f., 309 ff., 315

342

Personen- und Stichwortverzeichnis

Gierke, Otto von  103, 218 f., 239 f., 241, 246 f. Glossatoren  77 Gott  78, 107 ff., 151 f., 152 f., 153 ff. Gottesähnlichkeit  81, 154, 170, 173, 175, 188 göttlicher Wille  108 f., 151 f. Gute, das  107 ff., 151 f. Handlungsfähigkeit  24 f., 33, 70 f., 75, 88, 90 ff., 98 ff., 101, 118, 143 ff., 146, 171 f., 206 f., 214, 218, 232 f., 236, 244, 250 ff., 256, 258 ff., 264, 265 ff., 274, 276 f., 279, 280 f., 282 f., 284, 292, 296, 300, 304, 305, 307, 308 ff., 311 ff., 316, 318 f. Hanke, Wanda  269 ff., 284 hereditas iacens  220 f. Hirntod  23, 45 ff., 47 ff. Historische Schule  137 ff., 284 Hölder, Eduard Otto  243, 266 ff., 284 Husserl, Gerhart  273 ff. Idealismus  154 – objektiver  111 f., 145 Individualität  31, 82 ff., 95, 98 f., 215, 301 Infamie  133 Internationales Privatrecht  149, 250 ff. – Personalstatut  250 ff. – Wirkungsstatut  250 ff. iura connata  82 f., 91 ius civile  81 f., 198 ius gentium  81 f., 198 Jhering, Rudolf von  102, 170 f., 193 f., 221 f., 229 John, Uwe  280 f., 284 Juristische Person  18 f., 28, 36, 69, 140 ff., 161, 168 ff., 220 ff., 239, 245 ff., 256, 281, 300, 307 Kanonistik  78 ff. Kant, Immanuel  75, 83 ff., 91, 110 f., 154, 229

Kelsen, Hans  42, 284 f. Klenze, Clemens August Carl  114 f. Kodifikation – Dritter Entwurf  227 – Erster Entwurf  226 f., 239 ff., 254 – Vorentwurf  251 f. – Zweiter Entwurf  227, 232 Kohler, Josef  103, 216 f. Komapatient  15, 63, 298, 311 f., 319 Kommentatoren  77 Kommission  227, 232, 248 ff. – Erste Kommission  226, 227, 251 f. – Reichstagskommission  232, 247 – Vorkommission  226 – Zweite Kommission  227, 250 Künstliche Intelligenz  64 f. Larenz, Karl  38, 154, 263, 288 ff., 294 f. Lebensfähigkeit  22, 160 f., 163 Lehre vom konkret abstrakten Begriff  288 ff. Menschenwürde  34 ff., 56, 59, 61, 66 f., 69, 71, 74, 76, 93, 103, 142, 285, 298, 300 f., 301 ff., 316, 318 f. Metaphysik  41, 74, 107 ff., 157 f. Michaelis, Karl  292 ff. Minderjähriger  146 f., 197, 235, 252 f., 270 f., 292, 317 monstrum  22 Moral (und Recht)  81, 83 f., 85 f., 125, 152 f., 153 ff., 176, 188, 203 f. Motive  85, 226, 227, 228, 229, 234, 240 ff., 245, 248 ff. Nasciturus  15, 17, 43 f., 51 ff., 66 f., 74, 119, 161 f., 239, 242 ff., 246, 282, 297 f., 300, 311, 315, 317 – auflösende Bedingung  55, 56 f., 311, 317 – partielle Grundrechtsfähigkeit  52 – Sondervorschriften  51 ff. – vorgeburtliche Schädigung  52



Personen- und Stichwortverzeichnis343

Nationalsozialismus  287 ff. Natur (des Menschen)  105, 108, 110, 112, 145, 151 f. Naturrecht  37 f., 56, 70, 79, 81, 85, 87 f., 89, 91, 109, 111, 125, 215, 228, 287, 295 Neuner, Carl  103, 213 f. Notwendigkeit (innere, äußere)  108, 145, 151 f., 156, 172 Ordnungsbereich  300 f., 302, 304 f., 306 ff., 310 ff., 314, 316, 319 Organspende  46, 48 f. Pandektistik  86, 228 Pawlowski, Hans-Martin  281 ff., 284 Person; Personenbegriff – ethisch  16, 33 f., 34 ff., 42, 73 ff., 85, 89, 90, 92, 101, 116 f., 150, 153 ff., 166 ff., 170, 225, 228 f., 254, 255, 257 ff., 261, 262 f., 264, 265, 269 f., 284, 295, 297 f., 300, 318 f. – funktional  41, 44, 75, 101, 132 – juristisch-normativ  28 f. – natürlich-biologisch  26 f. – Ordnungsfunktion  25, 30, 47, 166, 297 – rechtstechnisch siehe auch Rechtstechnik  26, 28, 36, 40, 41, 47, 75 f., 81, 86, 91, 92, 101, 117, 123, 139, 225, 232, 240, 252, 255, 279, 298, 319 – Struktur  75 f., 212 f., 297, 299 f., 318 persona  76 f., 80, 124 persona miserabilis  79 persona moralis  79, 82 f., 89 f., 91 persona sui iuris, alieni iuris  120, 127, 129, 133, 135 Persönlichkeit; Rechtspersönlichkeit  20, 37, 39, 42 f., 76, 86, 89, 91, 92, 95 ff., 97 f., 255, 301 – bei Puchta  158 f., 161 f., 164 ff., 175, 176 ff., 179 f., 180 ff., 185 f., 189, 195 ff., 204, 223 ff. – bei Savigny  107

– im 20. Jh.  258, 264, 267, 269, 284, 289, 292 – in der Kodifikation  231 ff., 243 f., 253 Persönlichkeitsrecht; Recht der Persönlichkeit  76, 87, 89 f., 92, 93 ff., 97 ff., 255, 299, 311, 316, 318 – allgemeines (Art. 2 I, 1 I GG; § 823 I BGB)  15, 29 ff., 71, 93 f., 302 ff. – bei Gareis  215 f. – bei Gierke  218 f. – bei Kohler  216 f. – bei Neuner  213 f. – bei Puchta  163, 176 ff., 180 ff., 182 ff., 187 ff., 189 ff., 195 ff., 203 ff., 205 ff., 210 ff., 219 f., 223 ff. – bei Regelsberger  217 f. – postmortales  15, 58 ff. Planck, Gottlieb  229 f., 231 f., 235, 236, 237 f. Positivismus  34 ff., 88, 119, 142, 155, 228 f., 254, 295 f. Protokolle  227, 248, 250 Puchta, Georg Friedrich  102 f., 109, 114, 151 ff., 234 f., 237 f., 255, 297, 299, 305 f., 318 f. Pufendorf, Samuel von  82, 83, 85 Recht – absolutes  30, 93, 217, 247 ff. – angeborenes  35, 81, 82, 83, 87, 88, 91, 143, 147, 193, 215, 247, 286 f., 301, 302 ff., 305, 306, 307 f., 310, 311, 314 f., 316, 317, 319 – subjektloses  55, 60 Recht an auf uns übergegangene Personen  163, 220 ff. Recht an der eigenen Person  102, 112 ff., 114 f., 163, 175 ff., 179 ff., 183, 185 f., 187 ff., 189 ff., 192 f., 195 ff., 213, 214, 215, 218, 255, 299 Recht der Persönlichkeit  95, 98, 99, 102, 114, 159, 163, 175 ff., 181 f., 185 f., 187 f., 189, 191, 194 f., 195 ff., 203 ff., 208 f., 210 ff., 213 ff., 220 ff., 230 f., 243, 255, 305

344

Personen- und Stichwortverzeichnis

Recht der Persönlichkeit überhaupt  176 ff., 198, 203 ff., 207, 210, 224 Recht der selbstständigen Persönlichkeit  174, 176 ff., 198, 205 ff., 210 Rechtsausübung; Rechtsausübungsfähigkeit  259 f., 264, 273, 309, 319 Rechtsbegriff  35, 40, 44, 51, 89, 92, 109, 150, 154, 158, 161, 166, 167, 171, 175, 210, 238, 254, 255, 263, 266, 285, 291, 297, 298 f. Rechtserwerbsfähigkeit  306 ff., 311, 312, 315, 316, 317 Rechtsfähigkeit – allgemeine  16, 23 ff., 33 f., 67 ff., 73 ff., 83, 85, 87, 88 f., 91, 92, 116, 119, 121, 132, 135, 142, 150, 173 ff., 176 ff., 207, 234 ff., 255, 263, 272 f., 278 ff., 282, 298, 309 f., 313, 314 f., 318 f. – Anfang  21 f., 26 f., 43 f., 241 f., 243 – beschränkte  15, 55, 58, 68 ff., 75, 90, 92, 99, 123, 133 ff., 146, 147, 165, 201, 205 ff., 235 ff., 243, 277 – Ende  siehe auch Tod  22 f., 26 f., 43 f., 311 f. – gestufte  33, 66, 68, 73, 90, 122, 124, 135, 137, 139 f., 150, 255, 284, 256, 264, 272 f., 291, 310, 318 – inhaltliche Ausgestaltung  27, 36, 40, 58, 66 f., 90, 92, 116 f., 139, 150, 198 ff., 223 f., 255, 298, 310, 318 f. – relative  68 ff., 89, 90, 93, 260, 265, 278 f., 281, 282 f., 300, 309 f. Rechtsgenosse  89, 204, 263, 273 ff., 284, 291, 295 Rechtsgut  96, 220, 232, 248 ff., 298, 306, 311, 315, 316, 317 Rechtsgutsfähigkeit  298 f., 306, 311, 316, 317, 319 Rechtsobjekt  33 – Arten  112 Rechtsperson  siehe Person Rechtssubjekt; Rechtssubjektivität  20, 32, 33 f., 36, 41, 58, 60 f., 72 ff., 80, 86, 88, 89 f., 91, 96, 100, 103, 140,

142, 146, 153, 154 f., 159 ff., 163, 169, 170, 172, 188 f., 213 f., 217, 218, 221, 229, 230, 253, 256 ff., 265, 268 f., 271, 273 f., 275 ff., 278, 280, 283, 284 f., 298, 300, 304, 305 f., 311, 314, 315, 316, 318 Rechtstechnik  26 f., 28 f., 36, 40, 41, 47, 67, 75 f., 81, 86, 91, 92, 101, 117, 123, 139, 225, 230, 232, 240, 252, 255, 273, 279, 298 f., 300, 318 f. Rechtsträgerschaft  23, 24, 51, 76, 83, 91, 101, 117, 132, 139, 145, 159, 259, 282 f., 298, 300, 306 ff., 310 ff., 314 f., 316, 317, 318 f. – aktualisierte  298, 309, 319 – konkretisierte  308 f., 311, 313 Rechtsvergleichung  97 ff. – England  98 f. – Frankreich  97 f. – Italien  99 – Österreich  97, 99 – Portugal  98 – Schweiz  98 f. – Spanien  99 Redaktoren  227 Regelsberger, Ferdinand  88, 103, 217 f. Reichsbürgerschaft  293 f. Relativität; Relativierungen siehe Rechtsfähigkeit, relative Religion  133, 149, 153, 158, 200, 269 Römisches Recht  76 f., 91, 120 ff., 124 ff., 131 f., 132 ff., 199 ff., 208 ff., 220 f., 255, 318 Rudorff, Adolf August Friedrich  110, 182 f. Savigny, Friedrich Carl von  101 ff., 104 ff., 154, 182 ff., 186, 207, 211, 235, 237 f., 255, 297, 318 f. Scholastik  78 ff. Selbstbestimmung  32, 40, 113, 156, 170, 175, 188, 304 Selbstmord (Recht auf)  113, 186 Sintenis  189 ff., 219



Personen- und Stichwortverzeichnis345

Sittlichkeit  siehe auch Personenbegriff, ethischer  105 ff., 107 ff., 116 f., 153 ff. Sklave  1, 77, 79, 121 ff., 147, 154, 191, 198 f., 208, 213, 235, 270, 293 Ständegesellschaft  150, 167 Standesrechte; Standesrechtsfähigkeit  176 ff., 198, 203 status  77, 81 ff., 86, 87, 91, 120, 124 ff., 146, 165, 198 ff., 208 f., 212, 234 f., 318 Stoa  78 Subjekt  siehe Rechtssubjekt System der Rechte  162 f., 178, 180 ff., 191, 196, 210, 225 System der Rechtsverhältnisse  180 ff. Teilrechtsfähigkeit  55 ff., 60, 66 f., 67 ff., 74 f., 243, 276 ff., 282 ff., 297, 300, 311, 318 Theorie der realen Verbandspersönlichkeit  140, 245 Tod  21, 22 f., 28, 42 ff., 45 ff., 58 ff., 118, 163, 220 ff., 241, 311 f. – bürgerlicher  43, 149, 287, 311 – Feststellungsbegriff  48 f. – Handlungsbegriff  48 f. – klinischer  45 ff., 48 ff. – lebender Leichnam  47 Todesbegriff, gespaltener  22 f., 47 ff.

Todeskriterium  22 f. Todeszeitpunkt  22 f. Transplantationsgesetz  45 ff. Unger, Joseph  192 f. Utilitarismus  15, 50 Vermögensrecht  141, 158, 193, 201, 205 f., 211, 292 f., 311 f. Vernunft; Vernunftfähigkeit  65, 81, 82, 84, 107, 151 f., 154, 157, 172, 229, 285 Vertreter  24, 28, 178, 179 f., 260, 268, 273, 277, 281, 284, 309, 311, 312, 312 ff. Volk  107 f., 155 f., 162, 165 f., 287 f., 294 Volksgeist  155 f., 157 Volksgenosse  89, 289 ff., 294 Vollrechtsfähigkeit  55, 57 f., 278 ff. Wertebereich  300 f., 301 ff., 306, 310, 311, 314, 319 Wille  151 f., 152 f., 154 ff., 158 f., 162, 164 ff., 168, 179, 187, 191, 228 f., 258, 268 – allgemeiner Wille des Volkes  155 ff. Willensfähigkeit  100, 161, 162, 167, 170 ff., 196 f., 229, 257 ff., 279 Willenstheorie  170 ff. Wolff, Christian  82 f., 85, 154